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Gedenkstätten- Nr.

16 / April 2016 / 1,– Euro

Rundschau
Gemeinsame Nachrichten der Gedenkstätten KZ Bisingen, KZ-Gedenkstätten Eckerwald/Schörzingen und Dautmer-
gen-Schömberg, Ehemalige Synagoge Haigerloch, KZ Gedenkstätte Hailfingen · Tailfingen, Alte Synagoge Hechingen,
Stauffenberg Gedenkstätte Albststadt-Lautlingen, Löwenstein-Forschungsverein Mössingen, Ehemalige Synagoge Rexingen,
Gedenkstätte Synagoge Rottenburg-Baisingen, Ehemalige Synagoge Rottweil, Geschichtswerkstatt Tübingen

Jugendlich, authentisch, wirksam.


Zur Motivation von Jugendguides im Landkreis Tübingen
Wolfgang Sannwald, Tübingen

Das Bild ist symptomatisch: Am 24. mit ihnen, auf Augenhöhe. Für Ju- insgesamt und der Landgerichtsprä-
Juni 2015 saßen sechs vom Landkreis gendliche ist das ein wichtiger Punkt: sident persönlich heutzutage ähnlich
Tübingen qualifizierte Jugendguides Ihre Überzeugungen gleichberechtigt wie ihre Vorgänger 1933 bis 1945 von
dem Präsidenten des Landgerichts in öffentliche Diskurse einbringen zu einem Unrechtsstaat instrumentalisie-
Tübingen, Reiner Frey, im Schwur- können. Die Jugendguides interessier- ren lassen?
gerichtssaal gegenüber. Frey, einmal te im Landgericht vor allem der Bezug Wie wirksam alleine schon diese
nicht am erhöhten Richtertisch, ver- zwischen der Justiz im Nationalsozi- Frage war, legte Frey offen: Er hatte
handelte nicht über die Jugendlichen, alismus und der von heute: Würden sich nach seinen eigenen Worten
sondern diskutierte gleichberechtigt sich die deutschen Justizbeamten intensiv auf die Diskussion vorbereitet.

In der Reihe „Kennen Sie Tübingen?“ folgten 2013 mehr als 100 Interessierte den Ausführungen der Jugendguides zum Thema „Stadt und Univer-
sität Tübingen im NS“. Foto: Cornelis Theuer
Während der Qualifi-
zierung zu Jugendguides
sind die Teilnehmenden
ständig gefordert, bereiten
sich inhaltlich vor und
präsentieren. Hier vor dem
Galgen auf dem früheren
Appellplatzgelände der
Gedenkstätte Natzweiler-
Struthof, 2013.
Fotograf: Wolfgang Sann-
wald.

Dabei klärte er für sich selbst Stand- sich Frey aber eindeutig etwa vom Studium oder zur Ausbildung für die
punkte, zu deren Bestimmung er Erbgesundheitsgesetz von 1933 als Qualifizierung aufgewandt. Viele der
bislang keinen Anlass gehabt hatte. „nicht vorstellbar“. Aufgrund dieses Qualifizierten geben mittlerweile ihr
Frey und die Jugendguides zeigten Gesetzes hatte das 1934 bis 1944 im Wissen und ihre Überzeugungen an
während der gesamten etwa einein- Gerichtsgebäude in der Tübinger andere, vor allem Schülerinnen und
halbstündigen Diskussion große Doblerstrasse tagende Erbgesund- Schüler, weiter. In diesem Programm
wechselseitige Aufmerksamkeit: heitsgericht mehrere Hundert Frauen qualifizierte Jugendguides sind
Einerseits hinterfragten Jugendliche und Männer aus dem heutigen beispielsweise an Gedenkstätten im
das von Parlamenten oder Regie- Kreisgebiet als „erbkrank“ eingestuft Eckerwald, in Albstadt oder in Bisin-
rungen gesetzte Recht, das die und zwangsweise unfruchtbar ma- gen tätig. Entsprechend den Anteilen
deutschen Juristen nach 1933 fast chen lassen. der Qualifizierten sind die meisten von
unhinterfragt angewandt hatten. Seit 2012 hat der Landkreis Tübin- ihnen in und um Tübingen aktiv.
Was, wenn dieses von Menschen gen in Kooperation mit Gedenkinitia- So hat die Fachschaft Geschichte
gesetzte Recht höheren Rechts- tiven und Gedenkstätten in der der Geschwister-Scholl-Schule Tübin-
normen, etwa den allgemeinen Region, nicht zuletzt dem Gedenkstät- gen Stadtgänge mit den Jugendguides
Menschenrechten, widerspricht? tenverbund Gäu-Neckar-Alb, 80 zum Thema Tübingen im National-
Andererseits verwies Frey auf die Jugendliche im Alter von 15 bis 23 sozialismus in das Curriculum aller
Pflicht der Juristen, sich an gesetztes Jahren als Jugendguides qualifiziert. 9. Klassen integriert. Einrichtungen
Recht zu halten: Wer will schon einen Von diesen stammen 36 aus der Stadt wie der Internationale Bund für seine
Willkürstaat? Im Detail distanzierte Tübingen, 15 aus weiteren Kreisge- Dienstleistenden im Freiwilligen
meinden und 28 aus dem übrigen Sozialen Jahr oder die Volkshochschu-
Die Drucklegung der Gedenk- Baden-Württemberg. Der Landkreis le Tübingen im Rahmen ihrer Integra-
stätten-Rundschau Nr. 16 wurde hat dieses erinnerungskulturelle tionskurse bieten solche Stadtgänge
gefördert durch den Landkreis Engagement in seiner Kulturkonzep- ebenfalls regelmäßig an. Seit drei
Tübingen. tion festgeschrieben und wird es Jahren stehen buchbare Angebote mit
Der Vorstand und die Mitglieds- fortsetzen. Die 48 Frauen und 32 den Jugendguides des Landkreises im
initiativen des Gedenkstätten- Männer haben jeweils zwischen Mai Kursprogramm der Volkshochschule
verbundes danken für diese und November eines Jahres minde- Tübingen. Das Kreisarchiv Tübingen
Unterstützung. stens 40 Stunden ihrer Freizeit, vermittelt und organisiert. Die vom
zusätzlich zum Schulunterricht, Landkreis betreuten Jugendguides

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Gedenkstätten wie
Hailfingen-Tailfingen
verknüpfen die Geschichte
des früheren „Stammla-
gers“ Natzweiler-Struthof
unmittelbar mit dem
Landkreis Tübingen. In
Hailfingen-Tailfingen
mussten KZ-Häftlinge
in einem „Außenlager“
des Struthof arbeiten, viele
Hundert wurden umge-
bracht. Fotograf: Wolfgang
Sannwald

haben 2013 – im Jahr des Starts ihrer sion, die ihren Ausgang an einem eigenen und täglich erfahrbaren
Angebote – 11 Stadtgänge durchge- regionalen Gedenkort nimmt, etwa in Lebensumfeld. Gianna meinte dazu:
führt, 2014 waren es insgesamt 22, Hailfingen-Tailfingen, Bisingen, „Ich bin ja Tübingerin und bin ganz
davon 18 in Tübingen, zwei in Schömberg oder dem Eckerwald. lange in dem Bewusstsein aufgewach-
Mössingen und zwei in Dußlingen. Danach führt die Exkursion nach sen, wie toll Tübingen ist. Man lernt
Meist führen zwei bis drei Jugendliche Natzweiler-Struthof im Elsass, dem schon in der Grundschule, wie toll
die Stadtgänge durch. Eine Aufwands- ehemaligen KZ-Stammlager für die unsere Universität ist. Ich war immer
entschädigung drückt einerseits die meisten ehemaligen KZ-Außenlager in ganz stolz auf Tübingen. Bis ich dann
gesellschaftliche Anerkennung für den unserer Region. selbst irgendwann gemerkt habe, oh,
Wert dessen aus, was die Jugend- Die Fahrt verknüpft somit die hinter der schönen Fassade ist eigent-
guides leisten. Andererseits ermöglicht regionalen Spuren von NS-Verbrechen lich eine schreckliche Geschichte. Und
sie auch Jugendlichen das Engage- mit einem Knotenpunkt der Massen- es ist sehr wichtig, darüber zu spre-
ment, die sonst die Zeit für den morde des deutschen NS-Staates. chen.“
Verdienst ihres Taschengeldes, etwa Beim gesamten Jugendguides-Projekt Bei der Exkursion werden beispiel-
durch Austragen von Werbesen- kommt es auf dieses „vor Ort“-Prin- weise konkrete Bezüge zwischen der
dungen, bräuchten. zip von Spuren in der Region an: In Universität Tübingen und der KZ-
Indem sich Jugendliche als Jugend- Tübingen können das Täter aus der Gedenkstätte Natzweiler-Struthof
guide engagieren, strafen sie viele Stadt oder dem Umfeld der Universi- offen gelegt: Der Tübinger Anthropo-
Vorurteile über Jugendliche Lügen, tät und ihre ehemaligen Wirkungs- loge Hans Fleischhacker wählte 1943
etwa jene, dass sie schwer zu motivie- stätten sein. Auch Gedenktafeln oder im KZ Auschwitz 86 jüdische Frauen
ren seien, sich nicht für das Thema Stolpersteine stellen solche Bezüge und Männer aus. Sein Auftrag war der
Nationalsozialismus interessieren zwischen Massenmord und Fachwerk- Aufbau einer „wissenschaftlichen“
würden oder überhaupt politisch idylle her. In Rottenburg-Baisingen Skelettsammlung an der Reichsuniver-
desinteressiert wären. Denn die erinnern unter anderem die ehemalige sität Straßburg. Die Selektierten
Jugendguides wenden ihre knapp Synagoge und der jüdische Friedhof wurden per Bahn ins KZ Natzweiler-
bemessene Freizeit für genau diese an viele Opfer. Dieses „vor Ort“-Prin- Struthof gebracht und dort ermordet.
Themen auf. Bis sie ihr Zertifikat zip hat auch hinsichtlich der Motiva- In der heutigen Gedenkstätte im
erhalten, haben sie eine straffe tion Jugendlicher große Bedeutung. Elsass steht die Gaskammer, in der
Qualifizierung hinter sich. An deren Es verortet die sonst eher medial und dieser Massenmord aufgrund der
Beginn steht eine dreitägige Exkur- abstrakt wahrnehmbaren Themen im Vorarbeiten eines Tübinger Wissen-

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In Workshops lernen die künftigen Jugendguides viele Gedenkstätten in der Region kennen. Dazu gehört das Dokumentationszentrum in Grafeneck,
Schauplatz von mehr als 10.000 „Euthanasie“-Morden. Fotograf: Wolfgang Sannwald.

schaftlers stattfand. Die Jugendlichen stätte, die sie dann bei der Begehung Erwachsenen und werden deshalb erst
bewegt nachhaltig, dass „hier vor des Geländes selbst präsentieren. Sie nach der Exkursion geplant. Bisher
Ort“ diese Mittäterschaft deutlich erleben dabei und vermitteln anschlie- gab es immer einen Workshop zu
wird, „nicht nur in Dachau oder ßend selbst die emotionale Tiefe und Tübingen und seiner „Elite“-Universi-
Auschwitz.“ Und sie bewegt, dass Glaubwürdigkeit von authentischen tät im Nationalsozialismus. Weitere
„die Bevölkerung das Geschehen in Orten: „Es wirkt näher und intensiver Workshops befassten sich mit
ihrer unmittelbaren Umgebung vor Ort. Man fühlt sich betroffener Zwangsarbeit in den „Wüste“-Lagern
ignoriert und toleriert hat“. und angesprochener.“ Ein eng am Albrand von Dußlingen bis
Sie führen das „vor Ort“-Prinzip getakteter Rhythmus aus inhaltlicher Schömberg, mit der „Euthanasie“-
aber noch weiter. Sie wundern sich Vorbereitung, umgehender Präsenta- Mordanstalt Grafeneck oder dem
darüber, dass die idealistischen tion und anschließendem Feedback KZ-Außenlager Hailfingen-Tailfingen.
Gründer hiesiger Gedenkstätten begleitet die Jugendguides während Ziel ist es, dass die qualifizierten
häufig gegen heftige Widerstände der gesamten Qualifizierung: „Kein Jugendlichen anschließend über
antreten mussten: „Wieso Erinnern Tag, an dem wir nicht präsentieren weitere Hospitationen Anschluss zu
auch Jahre später noch so schwierig mussten“. bestehenden Gedenkstätten oder zu
war“. Andererseits nehmen sie die Bei Exkursion und weiteren Semin- anderen Angebotsstrukturen zum
Errungenschaft, „dass die Gedenkstät- artagen mit dem erfahrenen Frie- Thema „NS-Verbrechen vor Ort“
te von so wenigen Menschen aus denspädagogen Andreas Beier eignen finden.
eigener Kraft errichtet wurde“, als sich die Jugendlichen und jungen Die bislang vier Qualifizierungsrun-
vorbildlich wahr. Erwachsenen bereits viel Wissen über den von 2012 bis 2015 dokumentierte
Bei der Exkursion, die Begleitper- die Hintergründe der „NS-Verbrechen das Kreisarchiv Tübingen intensiv und
sonen von Kreisarchiv und Kreisju- vor Ort“ an. Es geht aber nicht nur wertete sie laufend aus. Das Projekt
gendreferat des Landkreises Tübingen um Wissen, sondern in hohem Maße hat in enger Zusammenarbeit mit den
und Engagierte aus der Erinnerungs- darum, dass die Jugendlichen ihre Instituten für Erziehungswissenschaft
kultur begleiten – Heinz Högerle, eigenen Standpunkte zum Thema und Empirische Kulturwissenschaft der
Gerhard Lempp und Hans-Peter formulieren. In anschließenden Universität Tübingen auch eine
Goergens waren bisher mit von der Workshops erhalten sie die nötigen wissenschaftliche Dimension. Neben
Partie – , erbringen die Jugendlichen Informationen für den Einstieg in die Video- und Tonmitschnitten spielt bei
selbst Leistung. Am Morgen vor dem konkrete Arbeit vor Ort. Diese der Dokumentation vor allem ein
Besuch des KZ-Stammlagers erarbei- Workshops richten sich nach Interes- „Forschungstagebuch“ eine Rolle, in
ten sie einzelne Themen zur Gedenk- senlage der Jugendlichen und jungen das die Jugendlichen ihre persönlichen

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Wesentlicher Inhalt der Jugendguides-Qualifizierung ist die Offenlegung von NS-Bezügen an heutigen Orten, so hier auf dem Tübinger Marktplatz.
Das Foto aus der fast identischen Perspektive zeigt Rudolf Heß, den Stellvertreter Adolf Hitlers, am selben Ort. Foto: Cornelis Theuer, 2013

Beobachtungen zu drei Wahrneh- Verbrechen“. Sie messen diesem ten Lehre aus der Rhetorik auf: Reden
mungsebenen eintragen: Welche Thema eine große Relevanz für ihre werden wirksamer, wenn die Re-
Informationen werden vermittelt? Wie eigene Gegenwart und Zukunft bei. denden von ihren Inhalten selbst
und mit welcher Absicht werden diese Besonders nahe liegen ihnen dabei überzeugt sind. Jugendguides können
Informationen präsentiert? Wie lokale oder regionale Anknüpfungs- Gruppen anderer Jugendlicher beson-
wirken die Informationen und die punkte, bis hin zu familiären Bezügen. ders gut ansprechen, wenn sie ihre
Präsentation auf einen selbst, entspre- Jugendguides sind insofern auch eigenen, authentischen Positionen
chen sie der eigenen Überzeugung? typische Jugendliche ihrer Generation, vertreten. Deshalb sollen die Jugend-
Das Forschungstagebuch dient als sie im Nebeneffekt gerne auch lichen und jungen Erwachsenen nicht
unmittelbar im Projektverlauf der grundlegendes Knowhow mitnehmen: vorgegebene Inhalte und Erklärungs-
Projektsteuerung, jede Qualifizierung Rascher Wissenserwerb, Schulung der muster reproduzieren, sondern in
geht mit deren laufender Auswertung Wahrnehmungsfähigkeit, Rhetorik Auseinandersetzung mit Informatio-
einher und wird inhaltlich nachjustiert. und Didaktik, Umgang mit Gruppen. nen und Erklärungsmustern eigene
Jetzt kommt ihm die intendierte Man muss sich allerdings klar darüber Positionen zum Thema „NS-Verbre-
weitere Bedeutung zu: Derzeit sein, dass die qualifizierten Jugend- chen vor Ort“ formulieren. Dies
verfasst Michaela Buckel – selbst guides auch eine inhaltlich und gelingt, wenn sie dem Thema eine
qualifizierter Jugendguide – auf der gesellschaftspolitisch besonders Relevanz für sich selbst und für die
Basis des Quellenmaterials eine interessierte Klientel sind, deren eigene Gegenwart beimessen: „Gut,
Master-Arbeit bei der Empirischen Betrachtung keinen unmittelbaren An- dass Wert auf unsere Meinung, unser
Kulturwissenschaft. Der Stoff reicht spruch auf Allgemeingültigkeit haben Empfinden gelegt wird.“ Dies tun
noch für weitere Ausarbeitungen. kann. viele von ihnen beispielsweise immer
Die bisher bei den Jugendguides Sie zeigen aber generell mögliche dann, wenn es um die Zuschreibung
ermittelten Motivationsfaktoren Anknüpfungspunkte für Motivation, von „Wert“ zu bestimmten Men-
ergeben ein deutliches Bild von dem, auf die Engagierte in der Erinnerungs- schengruppen geht. Die zentrale
was ihnen gemeinsam wichtig ist: Sie kultur eingehen können. Frage an die Gegenwart lautet: „Wer
wollen vor allem sie selbst sein. Sie Ein Kern der Qualifizierung besteht darf über den Wert menschlichen
wollen sich mit ihren authentischen darin, den Jugendlichen und jungen Lebens urteilen?“ Mit dieser Frage
Positionen gesellschaftlich wirksam Erwachsenen bei der Formulierung sehen sich Jugendguides bereits
engagieren. Sie sehen persönlich wie ihrer eigenen Positionen zu helfen. konfrontiert, wenn sie sich intensiver
gesellschaftlich eine hohe moralische Die Rhetorik- und Didaktikelemente mit dem Erbgesundheitsgesetz von
Verantwortung für das Thema „NS- der Seminare bauen auf einer schlich- 1933 befassen wie im Landgericht

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Tübingen. Jugendliche erkennen von
sich aus, dass Zwangssterilisierungen
für die NS-Eugeniker gedanklich eine
unmittelbare Vorstufe zu den über
10.000 „Euthanasie“-Morden in
Grafeneck waren. Und sie reagieren
sensibel auf Anzeichen dafür, wenn
heutzutage Menschenleben unter-
schiedlicher Wert zugeschrieben wird.
Besonderes Interesse haben 15- bis
23-Jährige auch an der Täterschaft
ehemaliger Angehöriger der Universi-
tät Tübingen und von Menschen aus
dem Kreisgebiet. Vor allem, wenn sie
wahrnehmen, dass viele der dama-
ligen Täter nicht wesentlich älter
waren als sie heute. Wie kann man
sich selbst davor schützen, Unrecht zu
tun? Hinter ihrer Frage nach Schuld
und verantwortlichem Handeln steht
der Wille vieler Jugendlicher, selbst
Die Jugendguides im Landkreis Tübingen entwickelten in mehreren Workshops einen Geocache „gut“ zu sein. Sie empören sich in
über das Gelände des 1944 angelegten Ölschieferwerks bei Dußlingen. Es gehört zu den „Wüste- hohem Maße etwa über ehemalige
Werken“, bei denen auch KZ-Häftlinge eingesetzt wurden.Fotograf: Wolfgang Sannwald Jura-Studenten der Universität, die im
Reichssicherheitshauptamt der SS und
als „Führer“ von „Einsatzgruppen“
oder „Einsatzkommandos“ Schuld auf
sich luden. Wie konnten die so
unmoralisch handeln?
Besonders nahe geht es Jugend-
lichen, wenn sie erkennen, dass die
NS-Täter „praktisch auch Verwandte
gewesen sein können“. Und wie
hätten sie sich damals selbst verhal-
ten? Es fällt auf, wie weitgehend die
Jugendlichen Schuld zuweisen, wo es
den Juristen der bundesrepublika-
nischen Nachkriegsgesellschaft an
Gesetzen und / oder allzu oft am
Willen dazu fehlte.
Eine andere wesentliche Rolle bei
der Motivation Jugendlicher spielt
deren eigene gesellschaftliche Wirk-
samkeit. Unsere Gesellschaft erwartet
von Jugendlichen politische Mitwir-
kung und sie wollen politisch mitwir-
ken. Diese Aufgabe nehmen viele von
ihnen an, sie wollen gehört werden,
aktiv teilnehmen. Sie wollen in einer
gewissen Leitfunktion und Vorbild-
funktion deutlich machen: „damit
beschäftigen sich auch junge Leute“.
Das Zauberwort dabei heißt Wirksam-
keit. Es geht um echte Wirksamkeit,
etwa darum, dass Fragen und Über-
zeugungen ernst genommen werden
und den gesellschaftlichen Diskurs mit
Für den Geocache zum Ölschieferwerk bei Dußlingen erhielten die Jugendguides einen Preis. gestalten. Es geht nicht um „Beteili-
Fotograf: Wolfgang Sannwald gungsspiele“ oder um ein illustratives

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Zur-Schau-gestellt-werden. Als Auschwitz-Überlebenden David Salz, Tübingen Bernd Engler, dem Theolo-
Vorzeigeobjekte fühlen sie sich mit israelischen Studierenden im gen Professor Karl-Josef Kuschel oder
missbraucht. Deshalb spielt es eine Rahmen des Sommerprogramms der mit dem Landrat Joachim Walter
Rolle, dass der Landkreis Tübingen Universität Tübingen oder mit den Dialoge führten, in denen es ihnen vor
und der Landrat die Jugendlichen und Nachfahren der Mössinger Fabrikan- allem um die Rolle der Menschen-
jungen Erwachsenen und vor allem tenfamilie Löwenstein, denen ihr rechte für Europa ging. Solche öffent-
deren authentische Positionen in der Unternehmen im Vorfeld der „Arisie- lichen Dialoge, bei denen Jugendliche
offiziellen und öffentlich präsenten rung“ 1936 aus rassischen Gründen und beispielsweise der Landgerichts-
Erinnerungskultur gleichberechtigt zu abgepresst wurde, austauschen. präsident ihre Informationen und
Wort bringen. Jugendguides leiten Damit gestalten sie ein Stück weit das Überzeugungen „auf Augenhöhe“
Gruppen von Schülerinnen und Bild ihrer Gesprächspartner von der austauschen, wirken vielfach. Im
Schülern und anderen bei Stadtgän- deutschen Gesellschaft und ihren Inte- Schwursaal des Landgerichts hinterlie-
gen oder Exkursionen zum Thema ressen. Für die Wirksamkeit der ßen sie bei den etwa 40 Zuhörerinnen
„NS-Verbrechen vor Ort“ und Jugendguides ist ein besonders und Zuhörern Eindruck. Medienbe-
vertreten dabei ihre eigenen Überzeu- deutliches Signal, dass sie zur Europa- richte sorgten für noch breitere
gungen. Sie sind auch wirksam, wenn wahl 2014 in der Reihe „Europa ist Resonanz.
sie sich mit Zeitzeugen wie dem mehr“ mit dem Rektor der Universität

Jugendguides zu NS-Verbrechen vor Ort


Qualifizierung für 15- bis 23-jährige
Exkursion – Seminare – Workshops
Teilnahme kostenlos

Wir suchen Ihr solltet gern vor einer Gruppe im Elsass, einem Knotenpunkt
Jugendliche ab 15 Jahren, die sprechen und Interesse an Ge- der Vernichtungsmaschinerie
bereit sind, (für ein Honorar) schichte, Gemeinschaftskunde des deutschen NS-Staates.
Gruppen zum Thema „NS-Ver- oder Politik haben. Stellt bitte
brechen vor Ort“ kompetent zu eure Motivation, Jugendguide Wie gehen wir heute mit Schuld
leiten. zu werden, auf einer halben und Verantwortung um? Wel-
DIN A4-Seite dar und lasst uns cher Zusammenhang besteht
Wir bieten diese per Mail zukommen an: zwischen Gedenken vor Ort und
Qualifikation zur Arbeit mit Ju- jugendguide@kreis-tuebingen. Menschenrechten in der Gegen-
gendgruppen zu NS-Verbrechen de. wart? Wie können Jugendguides
vor Ort: zur Diskussion beitragen?
• 3-tägige Exkursion 8. bis 10. Inhalte
Mai 2016: Regionale KZ- An zahlreichen Orten in Baden- Diese und andere Fragen disku-
Gedenkstätte und Natzweiler- Württemberg finden sich Spuren tieren wir mit euch. Ziel ist, dass
Struthof im Elsass zu NS-Verbrechen zwischen ihr eure Positionen zu diesen
• Basisseminare in Tübingen: 1933 und 1945. Viele heutige Themen formuliert und euer
„Authentisch als Jugendguide Gedenkstätten waren Außenla- Wissen weiter vermittelt.
agieren“ (11./12. Juni 2016). ger des KZ Natzweiler-Struthof
• Eintägige Workshops in Ge-
denkstätten und an Orten von Infos
NS-Verbrechen, Juli bis Okto- Landkreis Tübingen,
ber 2015 nach Vereinbarung Kreisarchiv 0 70 71/2 07 52 02; kreisarchiv@kreis-tuebingen.de
Jugendreferat 0 70 71/2 07 21 07;
Nach dem Besuch von verschie- jugend@kreis-tuebingen.de
denen Veranstaltungsbausteinen www.jugendguide-bw.de
(mindestens 40 Stunden) erhal-
tet ihr ein Zertifikat! Bewerbungsschluss 15. April 2016
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Es hat sich bisher wirklich gelohnt:
Erfahrungen meiner Jugendguide-Tätigkeiten
Aglaia Kootz, Tübingen

Seit fast zwei Jahren gehe ich nun ständige Referate erschlossen, beka- Besucher anbiete, die oft eine kleine
schon meiner Tätigkeit als Jugendgui- men wir den ersten Input zu Tübin- Führung für interessierte Besucher
de nach: Ich gebe Führungen für Inte- gens Vergangenheit im Nationalsozial- beinhalten.
ressierte oder Schulklassen, organisiere mus. Desweitern bekam ich auch die
Veranstaltungen zu geschichtlichen Zurück in Tübingen wurde in den Möglichkeit, einer Schulklasse das
Themen mit und beschäftige mich folgenden Wochen diese Thematik ehemalige Gelände zu zeigen und
in meiner Freizeit intensiv mit dem mit Seminaren wie „Authentisch anschließend in einer Gruppendiskus-
Nationalsozialmus und der jüdischen agieren als Jugendguide“ oder sion Fragen rund um den Nationalso-
Geschichte in meiner Umgebung. „NS-Moral und Rassenideologie“ zialismus zu erörtern. Mich als Ju-
Angefangen hat alles 2014 mit weiter ausgeführt. Daneben bestand gendguide in Lautlingen zu engagie-
meiner Ausbildung zum Jugendguide die Möglichkeit, sich für einzelne ren war aus zeitlichen und logistischen
durch das Stadtarchiv und Land- Gedenkstätten des Gedenkstättenver- Gründen sehr schwierig, trotz der
ratsamt Tübingen, sowie dem Ge- bundes weiter zu qualifiziere, indem interessanten Thematik des Wider-
denkstättenverbund. Nach meiner man dort vor Ort eine gesonderte standes im Nationalsozialismus.
Bewerbung in Form eines Motiva- Einführung erhielt. Ich entschied mich Nach dem Abschluss meiner Ausbil-
tionsschreiben, ging es drei Tage ins dabei für die Stauffenberg-Gedenk- dung, die mit einer Qualifizierungsur-
Elsass/Frankreich nahe des ehema- stätte in Lautlingen und das ehema- kunde durch den Landrat im Dezem-
ligen Konzentrationslager Natzweiler- ligen Konzentrationslager Hailfingen- ber 2014 endete, begann ich mich
Struthof. Auf dem Weg dorthin Tailfingen, das ca. 30 Minuten auch in der Geschichtswerkstatt
besuchten wir die ehemaligen Wüste- entfernt von meiner Heimatstadt Tübingen zu engagieren. Anfangs war
Lager Schömberg und Eckerwald. Tübingen liegt. In Hailfingen-Tailfin- ich nur bei der alljährlichen Jahresver-
Während der Exkursion, bei der wir gen engagiere ich mich seither, indem sammlung und den Plena anwesend,
uns das KZ Natzweiler durch selbst- ich dort Sonntagsaufsichten für um einen ersten Einblick zu bekom-

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Bei der Sommerakademie der Syna-
gogengedenkstätten des Gedenkstät-
tenverbundes Gäu-Neckar-Alb 2015
erklärte Aglaia Kootz den Gedenkort
„Synagogenplatz“ in Tübingen.
Foto: Benedict von Bremen.

men. Doch bald erhielt ich die


Möglichkeit, an einer Gedenk-
veranstaltung durch die
Geschichtswerkstatt, Aktion
Sühnezeichen und den Förder-
verein der jüdischen Kultur für die hatte. Auch wenn es nicht immer einer Sonntagsaufsicht kamen, dafür
jüdische Familie Schäfer, die zur Zeit einfach war und man viel Zeit inve- oft aber sehr interessiert waren und
des Nationalsozialismus in Tübingen stieren muss, hat es sich bisher mich mit Fragen löcherten. Solche
lebte, mitzuwirken. Diese fand am 4. wirklich gelohnt. So durfte ich bei- Erfahrungen konnte ich beim viertel-
Mai 2015, dem Todestag Albert spielsweise an einem Vernetzungstref- jährlich stattfindenden Jugendguide
Schäfers statt. Wir begaben uns auf fen des Anne-Frank Zentrums und des Treffen der Gedenkstätten mit ande-
die Spuren der Familie und schlossen Vereins Gegen Vergessen in Berlin ren Jugendguides teilen und mir Tipps
mit Ausschnitten des Films „Wege durch die Gedenkstätte Hailfingen- und Ratschläge von diesen holen. Mir
der Tübinger Juden“, der Interviews Tailfingen teilnehmen, bei dem ich die ist dieser Austausch mit anderen
der Tochter Albert Schäfers enthielt, Möglichkeit hatte, die Arbeitsweise Jugendlichen deshalb sehr wichtig, da
im Wildermuth-Gymnasium ab. anderer Gedenkstätten mit Jugend- uns, meiner Meinung nach, der
Durch die Geschichtswerkstatt er- lichen kennen zu lernen. Denn die Austausch mit anderen Mitarbeitern
hielt ich auch die Gelegenheit, an der Arbeit mit Jugendlichen steht eigent- von Gedenkstätten hilft, diese fortlau-
Erarbeitung des Tübinger Geschichts- lich im Vordergrund der Jugendguide fend für Jugendliche interessant zu
pfads, der am 8. Mai diesen Jahres Ausbildung, die dadurch anderen machen.
eröffnet werden soll, mitzuwirken. Ne- Jugendlichen den Zugang zu dieser Gerade plane ich mit anderen
ben Stadtführungen, zum Beispiel am Thematik erleichtern möchte. Dabei Jugendguides eine Veranstaltung zum
Europäischen Tag der jüdischen Kultur, habe ich persönlich verschiedene jüdischen Viehhandel in Tübingen mit
hatte ich auch die Ehre, am 9. Novem- Erfahrungen im Umgang mit Schul- dem Zeitzeugen Fredy Kahn, die am
ber, als Erinnerung an die Reichspo- klassen erlebt. So hatte ich zum einen 10. Mai stattfinden soll. Desweiteren
gromnacht 1938, das Leben der Fami- eine Stadtführung mit Schülern, die erarbeite ich im Moment mit Mitglie-
lie Schäfer sowie Namen der Tübinger recht desinteressiert wirkten und dern der Geschichtswerkstatt Module
jüdischen Opfer durch die National- wenig offen für die Rolle der Stadt für die Tübinger Schulen zum Thema
sozialisten vorzutragen. Im Sommer Tübingen zu dieser Zeit waren. „Tübingen im Nationalsozialismus“.
letzten Jahres nahm ich an dem Fort- Aber ich hatte zum anderen auch Nach meinem Abitur werde ich im
bildungsangebot des Gedenkstätten- das Glück, sehr interessierte Schulklas- Sommer für ein Jahr nach Tansania
verbundes an der Sommerakademie sen betreuen zu dürfen, die Fragen gehen, um dort meinen Freiwilligen-
teil, bei der ich mein Wissen über die stellten und ein großes Interesse für dienst zu absolvieren. Ich hoffe, nach
jüdische Kultur und Geschichte, sowie das Thema zeigten. Wenn es mir auch meiner Rückkehr weiter als Jugend-
über die umliegenden Gedenkstätten schwerfiel, so musste ich mir in guide arbeiten zu dürfen. Für die
erweitern konnte. solchen Momenten doch eingestehen, Zukunft wünsche ich mir weitere
Die damalige Entscheidung, mich dass man nicht alle Schüler erreichen interessierte Schulklassen in den
für die Jugendguide Ausbildung zu kann. So musste ich auch lernen, nicht Gedenkstätten und Veranstaltungen
bewerben, hat mir letztendlich mehr enttäuscht zu sein, wenn nur wenige in Tübingen, bei denen ich mitwirken
zurückgegeben, als ich eingebracht Zuhörer zu einer Stadtführung oder kann.

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Ich lernte viel über Menschenrechte. Das Zeitzeugen-Inter-
view mit Herrn Salz habe ich noch gut in Erinnerung.
Valentin Heinze, Tübingen

Begonnen haben meine eigenen lohnten sich aber für mich. Ich lernte Lager durchsetzten. In Natzweiler-
Erfahrungen als Jugendguide durch viel über die Menschenrechte, den Struthof waren besonders viele
eine Anzeige in der Tübinger Lokal- Umgang mit Schülern bei Exkursionen Mitglieder der französischen Resi-
Zeitung, in der junge Erwachsene und in den Gedenkstätten, über die stance und des britischen Geheim-
Schüler/innen gesucht wurden, die Außenlager des Hauptlagers Natzwei- dienstes inhaftiert. In Natzweiler
sich als so genannte Guides für die ler-Struthof im Elsass und auch fanden ebenso wie in Auschwitz Men-
Gedenkstätten im Landkreis Tübingen darüber, wie und woran Rechtsradika- schenversuche an Häftlingen statt. 86
ausbilden lassen wollten. Ich bewarb le heute durch Zahlenkombinationen jüdische Opfer, die in Auschwitz bei
mich daher rasch beim Kreisarchiv oder Symbole zu entlarven sind. einer ,,Selektion“ ausgesucht wurden,
des Tübinger Landratsamtes. Zum Zwei Ereignisse sind mir nach der wurden später in Natzweiler-Struthof
einen, weil ich mich seit der Schule für Ausbildung zum Jugendguide im Jahr ermordet. Sie sollten laut dem Tübin-
Geschichte und hier vor allem für die 2013 noch immer im Gedächtnis ger Mediziner Hans Fleischhacker
Ortsgeschichte Tübingens interessiere. geblieben: Die Exkursion in das dazu dienen, die Juden als Rasse
Dazu kommt, dass ich der Meinung Hauptlager Natzweiler-Struthof im anhand von Fingerabdrücken oder
bin, dass wir als Urenkel- und Enkel- Elsass und der Besuch und das Zeit- Schädelvermessungen von den
Generation verpflichtet sind, den zeugen-Interview mit David Salz, dem ,,Herrenmenschen“ zu unterscheiden.
Anfängen solcher rechten Tendenzen jüngsten Überlebenden der Konzen- Lange waren die Namen der Ermor-
durch Aufklärung und Sensibilisierung trationslager Auschwitz und Mittel- deten unbekannt. Sie kamen durch
der Jugendlichen entschieden entge- bau-Dora in Thüringen. einen Mitarbeiter der Universität
gen zu treten. Die Exkursion nach Natzweiler- Straßburg wieder an die Öffentlich-
Die Ausbildung zum Jugendguide Struthof führte mir vor Augen, wie keit. Jener Mitarbeiter hatte sich die
dauerte etwa ein halbes Jahr. Die unmenschlich und grausam die Nummern der Leute an ihren Ober-
insgesamt 40 Theorie-Stunden Nationalsozialisten ihre Ideologie im armen aufgeschrieben. Damit war

In der Mitte Agaila Kootz, zweite von links, und Valentin Heinze, die beide nach ihrer Jugendguideausbildung in der Geschichtswerkstatt Tübingen
mitarbeiten.

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klar, dass die Leute aus Auschwitz zudem keine Jugendguides
gekommen waren und im Elsass zu im Verein Mitglied werden.
Tode kamen. Jahrzehnte später hatten Wir machen Führungen und
die Opfer von damals dank Zeitungs- Veranstaltungen, gestalten
recherchen wieder Namen und so ihre selbständig die Unterseite der
Würde zurück erhalten. Jugendguides auf der
Das Zeitzeugen-Interview mit Herrn Homepage der Geschichts-
Salz habe ich noch gut in Erinnerung. werkstatt und wirken an
Er hat den Holocaust nur dank dreier Projekten der Geschichts-
glücklicher Umstände überlebt. Bei werkstatt mit, z.B. am
seiner Ankunft in Auschwitz machte Geschichtspfad zum Natio-
er sich vier Jahre älter und gab als nalsozialismus, an Schulpro-
Beruf Elektriker an. Als ein arbeitsfä- jekten etc.
higer junger Mann blieb er am Leben. So ist ein wichtiger Schwer-
Der zweite glückliche Umstand war punkt der Jugendguide-
die Bekanntschaft mit Erich Marko- Arbeit die Mitgestaltung der
witsch, der David Salz vor Übergriffen Gedenkfeier am 9. Novem-
durch die Funktionshäftlinge schützte. ber eines jeden Jahres in
Der dritte Grund hieß Franz Kowalski, Tübingen. Die Jugendguides
der als Schneider die Uniformen der bereiten dabei eine Biogra-
SS-Wachmannschaften zu nähen phie vor, die von den jü-
hatte. Kowalski blieb bei David, der dischen Einwohnern Tübin-
sich für den Todesmarsch in Richtung gens handelt. Die Familien werden Der Holocaustüberlebende David Salz, der
2013 während der Jugendguidausbildung in
Thüringen zu schwach fühlte. „Dieser dann dem Publikum vorgestellt und es
Tübingen sprach. Foto: Wolfgang Sannwald
Mann bewies in dem Moment in wird über das Leben dieser Familie in
meinen Augen wahre menschliche Tübingens jüdischer Gemeinde, wie
Größe“, lautete ein Zitat von Herrn sie arbeiteten und das Gemeindeleben und Schulklassen anbieten, welche
Salz zu dem kameradschaftlichen prägten, berichtet. Die Gedenkveran- unter anderem die ehemaligen
Verhältnis zwischen ihm und Franz staltung wird mit Vertretern der Stadt jüdischen Schüler und Schülerinnen
Kowalski. Tübingen, der Geschichtswerkstatt ins Blickfeld nehmen. Den Guides
Dennoch ging für Herrn Salz der Tübingen, dem Tübinger Jugendge- geht es darum, anhand von Filmaus-
Leidensweg weiter. Er kam mit meinderat und dem jüdischen Verein schnitten und Zeitzeugen-Interviews
anderen Überlebenden nach Mittel- Bustan Shalom am Platz der ehema- mit den ehemaligen jüdischen Schü-
bau-Dora in Thüringen, wo in unterir- ligen Synagoge begangen. lern der heutigen Schüler-Generation
dischen Stollen die V1-Raketen Die Führungen zum jüdischen Leben zu zeigen, wie der Antisemitismus sich
gebaut werden sollten. Unter kata- in Tübingen finden innerhalb der im Alltag an den weiterführenden
strophalen hygienischen Verhältnis- Bevölkerung meist ein gutes und Schulen verankerte und die Juden
sen, in Kälte und Dunkelheit. Es positives Echo. Wenn die Führungen innerhalb der Schulklassen immer
gelang David Salz jedoch zu fliehen. durch die Geschichtswerkstatt in der mehr ausgegrenzt wurden. Sei es im
Nach Kriegsende kam er bei den lokalen Zeitung angeboten werden, Religionsunterricht durch den Aus-
Amerikanern in gute Hände. Den kann die Zuhörerschaft schnell schluss oder durch Handgreiflich-
Beruf des Elektrikers erlernte er nach zwischen 40 und 70 Personen umfas- keiten, die ausgeübt worden sind, nur
seiner Ankunft in Israel, wo er später sen. Das ist natürlich nicht immer der weil ein Schüler nach rassistischer
Chef eines Elektrizitätswerks war. Herr Fall. Doch gefragt sind die Führungen, Begründung ein „Jude“ war. Die
Salz wurde jedoch nicht müde, uns als die zum Platz der Synagoge, zu den Emigration der ehemaligen jüdischen
Nachgeborenen von den Erlebnissen ehemaligen jüdischen Geschäftshäu- Mitschüler/innen spielt ebenfalls eine
in den Lagern zu berichten. Er tat das sern in der Altstadt und zum Rathaus Rolle, weil diese meist unmittelbar
auf eine sehr eindrucksvolle Weise sowie zum Schloss führen, immer nach der Schulzeit erzwungenerma-
und verabschiedete sich mit den wieder aufs Neue ßen erfolgte.
Worten: „Never again – Nie wieder!“ Da die Zusammenarbeit mit den Durch diese Arbeit mit Schülerinnen
und dem Friedensgruß „Shalom“. Tübinger Schulen für den Fortbestand und Schülern können wir als junge
Nach der Ausbildung habe ich mich der Jugendguides und der Gedenk- Leute unser Wissen über die Lokalge-
als Jugendguide der Geschichtswerk- stätten eine große Rolle spielt, sind schichte an andere Jugendliche
statt Tübingen angeschlossen und einige Guides mit der Geschichtswerk- weitergeben.
engagiere mich dort mit anderen statt derzeit dabei, mit Hilfe von so Wir „alten“ Guides hoffen aber
Jugendguides in einer Arbeitsgruppe. genannten Schulmodulen das Thema auch, dass sich so neue Gesichter und
Die Geschichtswerkstatt bietet für „Arbeit als Jugendguide“ in die Interessenten für die Aufgaben als
Jugendguides einen symbolischen Schulen zu bringen. Konkret heißt Jugendguides gewinnen lassen.
Mitgliedsbetrag an und es brauchen das, dass wir Führungen für Lehrer

11
Die Geschichte in die Nachbarschaft holen –
die Stauffenberg-Gedenkstätte in Lautlingen
Konstantin Schönleber, Albstadt-Laufen

Im Sommer 2015 hat Konstantin seiner Kindheit besonders die Ferien, Lerchenfeld, mit der er vier Kinder
Schönleber an der Ausbildung zum verbrachte er im Lautlinger Schloss, hatte. Im selben Jahr änderte sich aber
Jugendguide in Tübingen teilgenom- wo er mit seinen älteren Brüdern auch für Deutschland einiges: Die
men. Nun konnte er am 6. März 2016 Berthold und Alexander unter ande- Nazis kamen an die Macht.
in der Stauffenberg-Gedenkstätte rem Ski fuhr und musizierte. Aber Über Stauffenbergs Haltung zum
Lautlingen seine erste Führung ma- seine Kindheit wurde jäh durch den Nationalsozialismus ist viel geschrie-
chen. Im Folgenden sein Erfahrungs- Ersten Weltkrieg unterbrochen: Noch ben und spekuliert worden. Tatsache
bericht. sehr jung, erlebte er dieses für ganz ist, das Stauffenberg vielen Ideen des
Deutschland traumatische Ereignis mit. neuen Regimes aufgeschlossen
Im beschaulichen Lautlingen, zwi- Wie bei vielen jungen Leuten, die die gegenüber stand, vor allem natürlich
schen der B27 und der Eisenbahn, alten Werte hatten untergehen sehen, in Sachen Wiederbewaffnung.
liegt ein Schloss. Im 19. Jahrhundert suchte Stauffenberg nach Orientie- Andere, vor allem der Rassegedanke,
in seiner heutigen Form erbaut, würde rung. Er fand sie in den Büchern von waren ihm fremd. Nichtsdestotrotz
es heute wahrscheinlich nicht mehr Stefan George, der in seinen mystisch nahm Stauffenberg sowohl am
besonders beachtet werden, wenn es anmutenden Werken vom „Geheimen Polen- als auch am Frankreichfeldzug
nicht einer seiner Bewohner zu Welt- Deutschland“ schrieb, den Westen teil, und wurde angesichts der über-
ruhm gebracht hätte. Es handelt sich und die Demokratie verurteilte und die wältigenden Siege geradezu eupho-
um das Schloss der Familie Stauffen- Deutschen aufforderte, das „Neue risch. An Widerstand dachte er zu
berg. Reich“ zu errichten. dieser Zeit nicht.
Einer von ihnen war Claus Graf Nachdem er seine anfänglichen Das änderte sich, als er nach
Schenk von Stauffenberg, der im Jahr Pläne, Architekt zu werden, aufgege- Russland versetzt wurde. Als Stabsof-
1907 geboren wurde. Sein Vater war ben hatte, ergriff er einen für einen fizier wurde Stauffenberg nicht nur
Hofmarschall am Stuttgarter Königs- jungen Adligen nicht unüblichen Zeuge, wie der anfängliche Blitzkrieg
hof, und Claus lebte das behütete Beruf. Stauffenberg wurde Offizier. Im im blutigen Patt versumpfte und sich
Leben eines jungen Adligen. Teile Jahr 1933 heiratete er Nina von unter hohen Verlusten schließlich

Am 6. März 2016 hatte Konstantin Schönleber seine erste offizielle Führung in Lautlingen. Fotos: Heinz Högerle

12
zuungunsten Deutschlands entwi- Gedenkstätte in Lautlingen – und dort geleitet wird. Schwerpunkte waren
ckelte – er wusste auch, was die Besucher zu führen – ist für mich die das Erarbeiten von Führungen und
Einsatzgruppen der SS hinter der Front Verbindung der großen Geschichte Präsentationstechniken, was beides an
taten. Hier begann Stauffenberg zu mit dem Lokalen. Das Stauffenberg- verschiedenen Gedenkstätten und
zweifeln. Spätestens als er nach einem Attentat ist weltberühmt. Aber seine Museen geübt wurde. Nachdem ich
Luftangriff in Afrika sein Auge, seine Wurzeln liegen wie die von Stauffen- diese „Ausbildung“ beendet hatte,
rechte Hand und zwei Finger der berg auch in Lautlingen – fernab von erzählte mir ein Lehrer meiner Schule,
anderen verlor, hatte er mit der der Weltgeschichte. Man kann das der im Bereich Gedenkstätten und
NS-Herrschaft abgeschlossen. Aber Wirken der historischen Gestalten Jugendguides sehr engagiert ist, dass
mehr noch: er entschloss sich zum nicht begreifen, ohne ihren familiären die Gedenkstätte in Lautlingen
aktiven Widerstand. und geistigen Hintergrund zu verste- Interesse an jungen Museumsführern
Was danach geschah, ist allgemein hen. Und der liegt im Fall von Stauf- hätte. Ich meldete mich also dort. Mit
bekannt. Stauffenberg wurde Teil fenberg auch in Lautlingen. Den Unterstützung der Stadt und des
eines Verschwörerkreises, der ver- Menschen zu zeigen, was Stauffen- Stauffenbergschlosses erarbeitete ich
suchte, Hitler zu töten und die Macht berg geprägt hat, den Weg zu zeigen, eine Führung. Das Schwierige daran
zu übernehmen. Ihre Pläne für das wie aus dem Befürworter der Nazi- war für mich, wie oben erwähnt, die
Nachkriegsdeutschland formulierten herrschaft der furchtlose Hitlerattentä- Geschichte Stauffenbergs zu erzählen,
sie in den „Lautlinger Leitsätzen“. ter wurde, ist Ziel meiner Führung. die in ganz Europa stattfand, und
Stauffenberg wolle Hitler bei einer Das ist gerade das Großartige am gleichzeitig den Bezug zu Lautlingen
Lagebesprechung in die Luft spren- Lautlinger Schloß: Geschichte ist zu wahren.
gen, aber der Plan scheiterte. Der überall. Und es führt den Menschen Jetzt, nachdem ich meine erste
Sprengsatz explodierte, aber Hitler vor Augen, dass auch ein Kapitel offizielle Führung gehalten habe,
blieb am Leben. Die Verschwörer unserer Geschichte, an das wir uns muss ich sagen, dass ich davor
lösten trotzdem die „Operation vielleicht lieber nicht erinnern möch- vielleicht sogar zu aufgeregt war. Aber
Walküre“ aus. Doch bereits Stunden ten, uns näher ist als wir denken. es war ja auch das Fernsehen dabei
nach dem Anschlag war der Aufstand Darum finde ich es wichtig, dass es und hat alles gefilmt. Es war einfacher,
niedergeschlagen, Claus Schenk von Museen und Gedenkstätten gibt – als ich dachte, denn letzten Endes
Stauffenberg und die wichtigsten und natürlich auch Museumsführer. spricht man bei einer Führung auch
Verschwörer hingerichtet. Daraufhin Geschichte fasziniert mich, und nur vor Menschen, die zudem sehr
wurden noch viele weitere, unter besonders da, wo sie greifbar wird. interessiert sind. Nach der Führung
ihnen sein Bruder Berthold, zum Tode Ein Ort, von dem man weiß, dass dort wurde ich von den BesucherInnen
verurteilt, der Rest der Familie Stauf- Dinge passiert sind, die die Welt, oder sehr gelobt. Deshalb kann ich nur
fenberg in Sippenhaft genommen. auch nur die Geschichte einer Stadt jedem raten, der geschichtlich interes-
Nach Kriegsende dauerte es, bis sich verändert haben, hat in meinen siert ist, sich zu überlegen, sich in
in der breiten Bevölkerung die Wert- Augen eine ganz besondere Strahl- Gedenkstättem zu engagieren. Es gibt
schätzung für die Taten von Stauffen- kraft. Darin liegt die Rolle des Muse- sicherlich viele Gedenkstätten, die sich
berg und seinen Mitverschwörern umsführers, dass er seinen Besuchern darüber freuen – und man lernt
durchsetzte. Nichtsdestotrotz war der die Bedeutung eines Ortes zu erklären bestimmt etwas dazu.
20. Juli 1944, der Tag des Attentats, versucht.
ein wichiger Tag: Er zeigte der Welt, Die Möglichkeit, selbst als Jugend- AUF DEN SPUREN STAUFFENBERGS
dass nicht alle Deutschen Nazis waren guide aktiv zu werden, bekam ich, als Weitere Führungen mit Konstantin
und es diejenigen gab, die sogar ich von einem Bekannten von dem Schönleber sind an den Sonnta-
bereit waren, im Kampf gegen Hitler Programm zur Qualifikation von gen 24. April und 19. Juni, jeweils
ihr Leben zu lassen. Jugendguides erfuhr, das in Tübingen um 14.30 Uhr. Die Führungen sind
Das Besondere an der Stauffenberg- vom Kreisarchivar Dr. Sannwald kostenfrei, Eintritt: 2.-/ 1,- (erm.)

13
Jugendarbeit in der Alten Synagoge Hechingen –
ein Rückblick mit Perspektive.
Benedict von Bremen, Tübingen

Im Jahre 2016 feiert die Initiative verschiedenen Gruppen Hechinger versuch „Begegnung mit dem Frem-
Alte Synagoge Hechingen e.V. das Jugendlicher im Jahre 1996 das den“ des Museumsverbandes Baden-
dreißigjährige Jubiläum der Wiederer- Projekt „Hechinger Schloßstraße: Eine Württemberg beteiligt.2
öffnung der Hechinger Synagoge am Ausstellung zur Geschichte der Straße Schüler des Abiturjahrganges des
19. November 1986. Zusammen mit und ihrer Bewohner“. Anhand von Gymnasiums Hechingen gestalteten
Gedenk- und Kulturveranstaltungen Fotos, Stadtplänen, Lebensläufen und 2011 die Gedenkstunde zur Reichspo-
gehören Kooperationen mit lokalen persönlichen Dokumenten zeichnete gromnacht am 9. November. Leitmotiv
Schulen seit vielen Jahren zum Wir- die Ausstellung die Geschichten von der Veranstaltung war ein Zitat des
ken der Gedenkstätte am Fuße von Häusern, Familien, Einzelpersonen, Literaturnobelpreisträgers Elias Canet-
Schloss Hohenzollern. Der vorliegende Geschäften, Betrieben und Firmen in ti: „Die Tage werden unterschieden,
Beitrag möchte einen schlaglichtar- der Schloßstraße nach, in der jüdische aber die Nacht hat einen einzigen
tigen Überblick über verschiedene Ar- und nichtjüdische Bewohner Tür an Namen“. Das fächerübergreifende
ten der Zusammenarbeit mit Jugend- Tür, Wohnung an Wohnung, ja sogar Projekt erinnerte an die verfolgten und
lichen darstellen, die von Führungen im selben Haushalt zusammenlebten. ermordeten jüdischen Bürger Hechin-
durch die Synagoge für bis hin zu Begleitet wurde die Ausstellung von
Projekten mit Schülern reichen.1 wissenschaftlichen Vorträgen und 1 Die folgenden Informationen über Gedenk-
und Schulveranstaltungen basieren zum Teil
Zehn Jahre nach der Wiedereröff- einem großen Medienecho in der
auf online vorhandenen Berichten der lokalen
nung der Alten Synagoge Hechingen Lokalpresse. Im Landesschau-Magazin Zeitungen. Eine Textversion mit ausführlicher
1986 und fünf Jahre nach der Eröff- des damaligen Fernsehsenders Bibliographie ist auf Anfrage beim Autor
nung der Dauerausstellung auf der Südwest 3 wurde überdies im Okto- erhältlich.
2 Alte Synagoge Hechingen e.V. (Hg.), He-
Frauenempore 1991 erarbeitete der ber 1996 ein Filmbeitrag über die
chinger Schloßstraße: Eine Ausstellung zur
damalige Verein Alte Synagoge Ausstellung gezeigt. „Hechinger Geschichte der Straße und ihrer Bewohner.
Hechingen e.V. zusammen mit Schloßstraße“ war zudem am Modell- Hechingen 1996.

Schülerinnen und Schüler der Alice-Salomon-Schule Hechingen auf der Frauenempore der Alten Synagoge Hechingen. Foto: Cornelia Maas

14
gens. Es wurden Gedichte der jü- Nachdem es im Frühjahr 2013 zu umschlossen. Zwei Schülerinnen,
dischen Autorinnen und Autoren Nelly Hakenkreuzschmierereien auf ihrem unterstützt von Lothar Vees (Vor-
Sachs, Rose Ausländer, Theodor Schulhof gekommen war, veranstalte- standsmitglied des Vereins Alte
Kramer, Paul Celan, Erich Fried und te die Kaufmännische Schule Hechin- Synagoge Hechingen e. V.) und
Hilde Domin sowie Psalmen rezitiert. gen in Zusammenarbeit mit der Eva-Maria Walther (pädagogische
Musikalisch begleitet wurde das Landeszentrale für politische Bildung Mitarbeiterin des Vereins Alte Synago-
Programm mit Stücken der Kompo- Baden-Württemberg ab dem 27. ge Hechingen e. V.), stellten im Zuge
nisten Johann Sebastian Bach und Januar 2014 Projektwochen zum ihrer Gleichwertigen Feststellung von
Franz Schubert sowie mit Liedern und Thema „Schule gegen Hass und Schülerleistungen (GFS) die Geschich-
Klezmer-Musik.3 Gewalt“, um Position gegen Rechts- te der Hechinger Juden in der Alten
Unter dem Motto „Nie wieder“ extremismus zu beziehen und Zivil- Synagoge vor. Dass sie dies am
gedachten Schüler der Alice-Salomon- courage und staatsbürgerliche Werte authentischen Erinnerungsort der
Schule Hechingen am 6. Mai 2013 an zu stärken. Bei der Auftaktveranstal- Alten Synagoge tun wollten, begrün-
die nationalsozialistische Bücherver- tung, durch die der russisch-deutsch- deten sie folgendermaßen: „Wir
brennung am 10. Mai 1933, also fast jüdische Kabarettist Alexej Boris wollten raus aus dem Klassenzimmer,
auf den Tag genau 80 Jahre zuvor. In führte, sprachen als Referenten der da es vor Ort für die Schüler viel
der Veranstaltung wurden die Namen Ministerialdirektor des baden-württ- eindrucksvoller und besser vorstellbar
von 24 literarischen und wissenschaft- embergischen Integrationsministeri- ist, zu was Hass und Gewalt letztlich
lichen Autoren, welche von den ums Wolf-Dietrich Hammann und führen können“.4
Nationalsozialisten verfemt worden Kreisjugendpfleger Alexander Anlässlich des 75. Jahrestages der
waren, genannt und Lesungen aus Schülzle. Auch Angehörige der Polizei Reichspogromnacht konzipierten
ihren Werken gehalten. Dies wurde und des Landesverfassungsschutz Schüler der Alice-Salomon-Schule
umrahmt von musikalischen Beiträgen waren anwesend. Das Programm der
3 Gedenkstunde mit Abiturienten des Hechin-
und tänzerischen Darbietungen. Um folgenden Wochen bestand aus ger Gymnasiums, in: Gymnasium Hechin-
symbolisch die 1933 zerstörte Kultur Besuchen im KZ Bisingen und der gen http://www.gymnasium-hechingen.
zu retten, wurden die Bücher der Alten Synagoge Hechingen sowie aus de/?q=node/98 (zuletzt gesichtet 8.1.2016).
Autoren von den Schülern aus einem eigenen Projekten und Vorträgen der 4 GFS in geschichtsträchtigem Gebäude, in:
Kaufmännische Schule Hechingen http://
auf eine Leinwand projizierten Feuer Schüler, die sowohl einen historischen www.ks-hechingen.de/presse/14_03_14.pdf
geholt. als auch einen aktuellen Rahmen (zuletzt gesichtet 8.1.2016).

Schüler der Alice-Salo-


mon-Schule gedenken
an die nationalsozi-
alistische Bücherver-
brennung am 10. Mai
1933.
Foto: Alice-Salomon-
Schule Hechingen

15
„Tischdenkmal“ der gebrochen. Auch in dieser Gedenkver-
Gedenkveranstaltung anstaltung lautete der Tenor „Nie
„Zertrümmertes Glas.
wieder!“
Ein Mosaik“ zur Reichs-
Neben Gedenkveranstaltungen von
pogromnacht, 2014.
Foto: Cornelia Maas und mit Schülern zu bestimmten
Anlässen und Jahrestagen finden über
das Jahr verteilt auch Führungen für
Schulklassen in der Alten Synagoge
Hechingen statt. In Zusammenarbeit
mit dem pädagogischen Mitarbeiter
der Initiative Alte Synagoge Hechin-
gen e.V. haben Lehrer und Schüler
hier die Möglichkeit, speziell auf die
jeweilige Schulart und Klassenstufe
verschiedener (von der Grundschule bis hin zum
Projekten und aus Abitursjahrgang) sowie die verfügbare
unterschiedlichen Zeit abgestimmt die Synagoge zu
Perspektiven. So gab erkunden. So können Schüler sich
es selbstgebastelte beispielsweise nach einer kurzen
„Stolpersteine Einführung zur Geschichte der jü-
Haigerloch“; es dischen Gemeinden in Hechingen und
wurden Gedichte und der Alten Synagoge durch den
Musikstücke vorge- pädagogischen Mitarbeiter mit Hilfe
tragen; ein selbstge- von Arbeitsblättern Einzelaspekte der
Hechingen am 13.11.2014 die drehter Film beleuchtete das KZ Dauerausstellung oder des Gebäudes
Gedenkveranstaltung „Zertrümmertes Bisingen und das „Unternehmen selbstständig erarbeiten, präsentieren
Glas. Ein Mosaik“. Sie wurden hierbei Wüste“. An ein „Tischdenkmal“, aus und diskutieren.
von mehreren Lehrern und Eva-Maria dem Glasscherben, Hände und Zudem ist geplant, dass in Hechin-
Walther unterstützt. Um gegen das „Judensterne“ herausragten, konnten gen ein Jugendguide seine/ihre Arbeit
Vergessen und an Erinnerung zu Besucher Karten mit ihren eigenen aufnimmt. Die Alte Synagoge Hechin-
mahnen, aber auch, um ein Plädoyer Gedanken heften – diese Installation gen kann somit nicht nur auf 30 Jahre
für Toleranz in der Gegenwart abzu- ist noch heute in der Dauerausstellung Arbeit für Jugendliche und mit
geben, präsentierten die Schüler ein auf der Frauenempore der Alten Syna- Jugendlichen zurückblicken, sondern
Zusammenspiel von Informationen goge Hechingen zu sehen. Zum auch die Zukunft mit jungen Men-
und Gedenken. Sie taten dies anhand Abschluss wurde ungesäuertes Brot schen gemeinsam gestalten.

Schüler der Alice-Salomon-Schule beim vertiefenden Lernen mit einem Arbeitsblatt in der Alten Benedict von Bremen, pädagogischer Mitarbeiter
Synagoge Hechingen. Foto: Cornelia Maas der Initiative Alte Synagoge Hechingen e.V.,
mit Schülern der Alice-Salomon-Schule.
Foto: Cornelia Maas

16
Die Jugendguide-Führung im Rahmen des „Israel-
Programms“ der Universität Tübingen im Sommer 2015
Karolina Belina, Tübingen

... er behauptet, er kennt die Familie randen- oder Graduiertenstatus1. Die es nicht. Der Ideengeber und seit fast
mit diesem Nachnamen. Er schickt größte Hürde besteht im Nachweisen 15 Jahren Programmleiter Dr. Volker
ihr die Nachricht mit seinem Handy eines abgeschlossenen Deutschkurses. Schmidt, gleichzeitig Dozent für
sofort von hier aus, aus Tübingen Während des Programms wird un- Deutsch und deutsche Kultur in der
nach Israel. Für mich ist dieser Name terstützend Englisch bzw. Hebräisch Abteilung, musste jedoch die finan-
ein historischer Fakt, Teil der Na- hinzugezogen, für die Lernaktivitäten ziellen Grundlagen schaffen.2
menstafel des hiesigen Synagogen- und Vorträge gilt jedoch die Lan- Unverzichtbar, nicht nur wegen des
denkmals. Als Jugendguide erzähle dessprache. Nur wenige israelische Kosten-Aspekts, sind die Gastfamilien.
ich von diesem Namen als von einem Studenten wählen aber als Fremdspra- Statt einem teuren, touristischen
aus Nazi-Deutschland geflohenen che Deutsch. Aus diesem Grund ist die Aufenthalt in Hotels oder Studenten-
Juden. Diesen ganz ungewöhnlichen Zahl der Einladungen, die verschickt wohnheimen wird jedem Teilnehmer
jüdischen Namen tragen aber noch werden, überschaubar. Sie gehen ein Zimmer bei einer Familie angebo-
seine Nachkommen in Israel. Solche an Deutschlektoren und ehemalige ten. Die Gastfamilien aus Tübingen
Begegnungen sind keine Seltenheit Teilnehmer, die gerne das Programm und der Umgebung bekommen dafür
bei Führungen der Jugendguides des weiter empfehlen. Warum tun sie es? lediglich 100 Euro. Manche verzichten
Landkreises Tübingen für die israe- Das Angebot ist finanziell gesehen auf diese Aufwandsentschädigung;
lischen Gäste der Universität Tübin- sehr günstig. Der Eigenbeitrag beläuft die meisten sind schon seit Jahren
gen. 2015 durfte ich daran teilneh- sich auf nur 275 Euro, was die Kosten dabei. Sie verstehen oft ihr Angebot
men. Davon und von dem gesamten des vielfältigen Aufenthalts in keiner nicht als bloße Übernachtungsmög-
Programm wird hier berichtet. Weise decken kann. Eingeschlossen lichkeit, sondern begleiten ihre Gäste
sind Hin- und Rückflug mit Transfer im Alltag. Die Israelis werden zu
Das „Israel-Programm“ vom Stuttgarter Flughafen, Lernmate- Familienausflügen eingeladen, manch-
Die Abteilung Deutsch als Fremdspra- rialien und das Kulturprogramm. mal bis zum Bodensee, vor allem am
che und Interkulturelle Programme Gerade dieser letzte Punkt lockt Wochenende, das nie durch Pro-
der Universität Tübingen bietet nicht besonders an. Der zweiwöchige Auf- grammpunkte verplant wird. Dieses
nur Deutschkurse für Austausch- enthalt wird mit Exkursionen, Dis- Engagement konnte ich auch selbst
studenten an, sondern auch kombi- kussionen und Gastvorträgen gefüllt. erleben. Zum Stammtisch an einem
nierte Sprach- und Kulturkurse sowie Der Schwerpunkt liegt beim jüdischen Donnerstagabend kam ein junges
Workshops und Exkursionen. Unter Leben in Deutschland. Dabei wird Ehepaar mit kleinem Kind: eine
„interkulturelle Programme“ fallen jedoch mehr Wert auf die Gegenwart interessierte Gastfamilie.
kürzere Aufenthalte von Studenten gelegt. Die Israelis haben meistens Außer den Gastfamilien helfen
ausländischer Hochschulen, z.B. das große Kenntnisse des historischen Dozenten und studentische Hilfskräfte
„Israel-Programm“. Dieses bundes- Judentums und interessieren sich sehr mit, vor allem aus der veranstaltenden
weit einzigartige Programm mit dem für das deutsche Judentum heute. Sie Abteilung. Es müssen Lehrkräfte für
Titel „Jüdisches Leben in Deutsch- waren oft schon einmal in Berlin und den Deutschunterricht zur Verfügung
land“ verbindet einen „Landeskunde- haben einen Eindruck von den Aktivi- stehen, auch für das Vortragspro-
kurs” mit Sprachunterricht. Darunter täten auf Bundesebene. Aber gerade gramm muss gesorgt werden. Vom
verbirgt sich eine gut ausgewogene der Einblick in die schwäbische Region Fach Judaistik engagierte sich dieses
Mischung aus Lernen, Besichtigen und hat sie stark beeindruckt. Sie hatten Jahr besonders Prof. Dr. Matthias
Freizeit, mit dem Ziel, den Teilneh- nicht gewusst, wie viel an Spuren Morgenstern; seine Studenten trafen
mern das heutige Deutschland, natür- jüdischer Geschichte hier zu finden ist
lich mit dem Fokus auf seine jüdische und wie diese Spuren von Seiten der 1 D. h. mit Bezug zur Heimatuniversität. Es
kommen in Frage die Universitäten in Tel Aviv,
Anteile, näher zu bringen. Deutschen betreut werden.
Jerusalem, Haifa, Beer Sheva und die Bar-Ilan-
Jährlich bewerben sich ca. 40-50 Universität, aus denen regelmäßig Teilnehmer
Interessierte aus den israelischen Anfänge und Durchführung kommen. Sie kommen auch aus anderen
Hochschulen um rund 20 Plätze. Das Dies alles war von Anfang an schon Einrichtungen, z.B. aus der Jerusalemer Musik-
akademie.
mag vielleicht nicht viel erscheinen. fest im ersten Israel-Programm von
2 Am Anfang beteiligte sich die Robert Bosch-
Man sollte aber bedenken, dass Israel 2002 eingebunden und gewünscht. Stiftung, danach seit Jahren das Ministerium
deutlich weniger Einwohner und somit Seine erprobte und erfolgreiche für Wissenschaft, Forschung und Kunst
auch Studenten als Deutschland hat. Formel änderte sich seitdem kaum, Baden-Württemberg (ein Besuch bei den
politischen Vertretern ist ein fester Punkt des
Außerdem müssen die Bewerber und schon damals war klar, dass das
Programms), das Stuttgarter Lehrhaus - Stif-
einige Kriterien erfüllen. Die erste Programm jährlich stattfinden sollte. tung für interreligiösen Dialog, der Tübinger
Bedingung ist der Studenten-, Dokto- An Engagement und Interesse fehlte Universitätsbund und der DAAD.

17
Auf dem Jüdischen Friedhof in Haigerloch, 2015

sich oft mit den Gästen. Das Pro- und Programmgestaltung. Sein reiner Zeitvertrieb; für die Teilnehmer,
gramm wird auch interreligiös gestal- Engagement war stets wichtig, wenn die in der Wüste wohnen, ist das ein
tet, mit Dr. Martin Kirschner von der auch in den letzten Jahren nicht mehr besonderes Erlebnis. Ähnlich könnte
Katholisch-Theologischen Fakultät. persönlich möglich. Die israelischen man die Jugendguide-Führungen
Ihre Zeit verbringen die Israelis nicht Gäste und die Veranstalter waren bezeichnen. Die Jugendguides berei-
nur in Tübingen. Abwechselnd fährt beeindruckt von seiner Lebensge- ten ein lockeres, aber wissenschaftlich
man nach Worms oder Augsburg, um schichte. Kurz nach dem letzten fundiertes Programm „am authen-
dort jüdische Geschichte zu erleben. Besuchs-Programm starb er im Alter tischen Ort“ vor, das immer mit
In der Region ist wegen der Freizeit- von 92 Jahren. Das diesjährige großem Interesse aufgenommen wird.
aktivitäten immer Stuttgart dabei. Programm wird das erste ganz ohne
Besuche in der Oper und bei der ihn sein.3 Jugendguides im Programm
Israelitischen Religionsgemeinschaft Außerhalb von Stuttgart wird in Schon 2013 wurden Jugendguides an-
Württembergs sind beliebt. An dieser anderen schwäbischen Städten und gefragt, damals noch eine ganz junge
Stelle sollte an den langjährigen Dörfern nach Spuren jüdischen Lebens Initiative. Aus zeitlichen und sprach-
Vorsitzenden der IRGW erinnert gesucht. Die Synagogen-Gedenkstät- lichen Gründen konnte damals nur
werden. Herr Meinhard Tenné bot ten in Baisingen, Hechingen oder
3 Thomas Borgmann, Stuttgart trauert um
den Teilnehmern einen Vortrag und Haigerloch werden besucht und die
den großen Meinhard Tenné (Nachruf), 30.
Zeit für Gespräche im Rahmen der Israelis bekommen dort Führungen September 2015, http://www.stuttgarter-
jüdischen Gemeinde. Seine Rolle von engagierten Gedenkstätten-Mit- zeitung.de/inhalt.nachruf-stuttgart-trauert-
begrenzte sich aber nicht auf einen arbeitern vor Ort. um-den-grossen-meinhard-tenn.ccb559ff-13-
fe-4e67-8626-802f756b85d5.html [Zugang:
Tag in Stuttgart. Dank seiner Kontakte Auch ein so prosaischer Programm-
5.2.2016]; Meinhard Tenné, Aus meinem
in Baden-Württemberg wurde viel Punkt wie der Fahrradausflug durch Leben. Aufgeschrieben von Reiner Strunk,
ermöglicht, bis hin zur Finanzierung den Naturpark Schönbuch ist kein Stuttgart 2014.

18
die Studentin Michaela Buckel diese
Aufgabe übernehmen. Sie schilderte
mir ihre Führung als eine besonders
wichtige Erfahrung. Die israelischen
Gäste verfügten über ein sehr tiefes
und breites historisches Wissen. Ihr
Anliegen war eher, die Tübinger
Erinnerungskultur kennen zu lernen;
die Jugendguides gehörten selbstver-
ständlich dazu. 2014 waren alle quali-
fizierten Jugendguides vom Jahrgang
2013 dabei. Die Führung entwickelte
sich rasch zu einem Gespräch nicht
nur über historische Themen. Die
Fortsetzung fand an Stammtischen
statt. Die Israelis waren von dem
jugendlichen Engagement begeistert.
Nach den Führungen trafen sich alle
noch mehrmals privat. Beim Essen und
Trinken wurden Meinungen ausge-
tauscht, schwierige Fragen beantwor-
tet...
Michaela Buckel besuchte kurz
danach einige Teilnehmer während
der internationalen Sommerschule an
der Ben-Gurion Universität in Beer
Sheva. Gwen Keppler, die bei der
Führung 2014 dabei war, konnte
ebenfalls von solchen Begegnungen Besuch in der Stuttgarter Synagoge in Begleitung von Herrn Michael Kashi, Vorstandsmitglieder
berichten. Bei ihr ist es umgekehrt: ein der IRGW, 2015.
ehemaliger israelischer Teilnehmer
wird sie bald besuchen. Die Führung
entwickelt sich also schnell zur den musste ich die Führung anders aber kein Problem; die Israelis kannten
Begegnung; sie hinterlässt schöne als üblich konzipieren. Mein Ziel war, Polen als ein Land in Europa, das sie
Erinnerungen und dauert auch fort, einerseits eine zusammenhängende schon besucht hatten und wo Freunde
wenn Freundschaften entstehen. Ein und klare Führung zu gestalten. lebten, und nicht nur als das Land des
Kontakt ist dank der elektronischen Andererseits versuchte ich, weniger Vernichtungslagers Auschwitz.
Medien leichter möglich. Ich selbst den historischen Kontext an lokalen Für meine Führung standen drei
konnte es 2015 ebenfalls erleben, da Beispielen zu erklären und mehr das Punkte fest: Das Schloss, die Altstadt
eine Stadtführung mit den Jugend- Tübinger Spezifikum zu thematisieren. und selbstverständlich auch der
guides fest im Israel-Programm Mir war auch bewusst, dass solche Synagogenplatz. Ich hatte noch
verankert ist. Teilnehmer die Führung sehr aktiv andere Stationen vor, aber die Zeit
mitgestalten können und wollen. Ob reichte nur noch für eine weitere, von
Führung 2015 ich in der Lage sein würde, ihre mir persönlich bevorzugte: den
Auf die ca. zweistündige Stadtführung Fragen zu beantworten? Meine ehemaligen Sitz der „Tübinger
am 13. Juli 2015 freute ich mich zwar Aufregung wuchs noch, als ich an Chronik“4. Es stellte sich bald heraus,
sehr, doch begleitete mich ein ge- diesem heißen Julitag auf die verspä- dass wir unseren Zeitplan nicht
wisses Unsicherheitsgefühl. Als frisch tete Gruppe wartete.
qualifizierte Jugendguide hatte ich Schon am Anfang erweckte ich als
4 An diesen Beispiel kann man anschaulich die
wenig Erfahrung gesammelt, weil die Polin einige positive Aufmerksamkeit. deutsche Identität der jüdischen Bürger, ihr
meisten Führungen erst in den Som- Dabei hatte ich eher befürchtet, dass schmerzhaftes Verschwinden und den Gegen-
mer- und Herbstmonaten stattfinden. ich die Israelis als Nicht-Deutsche wartsbezug thematisieren. In der Uhlandstr. 2
war nämlich seit 1905 Sitz der von Albert Weil
Ich wusste auch, das diese Führung enttäuschen würde. Sie erwarteten
herausgegebenen Lokalzeitung. Sie war bür-
ganz anders sein würde: dass die doch die durch junge Deutsche gerlich-liberal ausgerichtet, wobei die jüdische
TeilnehmerInnen keine Schüler oder vermittelte Erinnerungskultur. Leider Herkunft des Eigentümers keine und seine
Menschen aus der Region waren, konnten dieses Jahr nur zwei Jugend- deutsche Identität eine große Rolle spielte.
Nach seiner Emigration wurde sie 1933 zum
sondern Erwachsene mit viel Wissen, guides dabei sein, Michaela Buckel, die
Parteiorgan der NSDAP umgestaltet. Nach
oft Geschichtsstudenten wie ich, vor die Führung ergänzte und ins Eng- 1945 wurde sie in „Schwäbisches Tagblatt“
allem aber – Israelis. Aus diesen Grün- lische dolmetschte, und ich. Das war umbenannt und am Neckar ein neues Verlags-

19
Vortrag von Herrn Meinhard Tenné für die israelischen Besucher in den Räumen der IRGW, 2002

einhalten konnten – bei so vielen Fokus lag wunschgemäß auf der wird), zeigt die Tatsache, dass immer
Kommentare und Nachfragen... Erinnerungskultur im heutigen wieder Teilnehmer in Deutschland
An der ersten Station im Schlosshof Deutschland, das Thema, das die studieren wollen. Manche schafften es
und der zweiten zwischen der Stifts- Teilnehmer am meisten interessierte. tatsächlich, einige kamen sogar nach
kirche und der Alten Aula in der Es waren für mich auch bald keine Tübingen.
Altstadt war ich noch gestresst und „Teilnehmer“ mehr. Ihr reges, freund- Man kann die in Deutschland
versuchte, am geplanten Ablauf liches Nachfragen machte sie zu ungewöhnlichen, israelischen Fami-
festzuhalten. Ich schilderte, als etwas Partnern in einer Diskussion, die sich liennamen auf den aktuellen Studen-
schwierigen Auftakt meiner Führung, auf viele andere Themen ausweitete. tenlisten in Tübingen nachlesen.
die Gründungsgeschichte der Univer- Auf unserem Weg von einer Station
sität, die doch uns alle, die Teilnehmer zur anderen sprachen wir auch über Die Autorin möchte sich bei Herrn
als Gäste und mich als Studentin die Geschichte Israels, über das Dr. Volker Schmidt und den Jugend-
aufgenommen hatte. Mit der Entste- tägliche Leben, Probleme mit dem guides Michaela Buckel und Gwen
hung der Universität 1477 war Studium oder über das Wetter, alles Keppler für ihre Informationen und
nämlich die Vertreibung der Juden aus durcheinander, auf Deutsch, Englisch, Hilfsbereitschaft bedanken5.
der Stadt verbunden. Erst Mitte des Hebräisch, wie gute alte Bekannte. Ihr
19. Jahrhunderts durften sie sich Wissen überraschte mich; sie konnten
haus errichtet; Gebäude und Zeitung prägen
wieder in Tübingen ansiedeln. die Tübinger Ereignisse im großen bis heute die Stadt- und Meinungslandschaft.
Nach diesem Programmpunkt sollte Zusammenhang einordnen, besser als Hans-Joachim Lang, Chronik der Tübinger
ich die Gruppe in die Pause entlassen. das „übliche“ Gruppen können. Ich Chronik, 12.08.2008, http://www.tagblatt.
Obwohl alle ziemlich müde waren selbst profitierte viel von diesen de/Nachrichten/Chronik-der-Tuebinger-
Chronik-266706.html [Zugang: 19.2.2016]
und sich gerne beim Eis erfrischen Gesprächen. Als wir uns trennen und ders., Die „Tübinger Chronik“ in der Ära
wollten, fragten sie mich noch nach mussten, war klar, dass ich zum Albert Weil in „Zerstörte Hoffnungen. Wege
Stolpersteinen. Einen konnte ich ihnen Stammtisch kommen würde; es blieb der Tübinger Juden“, hrsg. v. der Geschichts-
im Eingangsbereich der Stiftskirche noch so viel zu besprechen. Einen werkstatt Tübingen e. V., Stuttgart 1995, S.
154-172.
zeigen, für den Theologen Richard Teilnehmer traf ich später zufällig 5 Für mehr Informationen, auch für interessierte
Gölz. Wir standen lange nachdenklich beim Joggen und wir unterhielten uns Gastfamilien oder Unterstützer des nächsten
im Dunkel der Kirche und die Teilneh- übers Studieren und Arbeiten in Programms vom 2. bis 16. Juli 2016: https://
mer bedankten sich herzlich für diese Deutschland. Solche Fragen stellten www.uni-tuebingen.de/einrichtungen/
verwaltung-dezernate/iii-internationale-ange-
Zwischenstation. mir auch andere Israelis. Dass das kein legenheiten/deutsch-als-fremdsprache-und-
Die Führung wurde tatsächlich zu unwichtiges Thema ist (und sogar in interkulturelle-programme/deutsch-lernen/
einem lebendigen Austausch. Mein einem eigenen Vortrag behandelt sonderprogramme

20
Freiwillig, autonom und kreativ –
Jugendarbeit und Jugendbildung im Gedenkstättenverbund
und seinen Mitgliedsinitiativen
Martin Ulmer, Tübingen

Jugendarbeit in den Gedenkstätten ist cherInnen und für engagierte Jugend- schiedener Opfergruppen. Sie wollen
für die Zukunft des Erinnerns beson- liche in Gedenkstätten (Einzelne, die Vorgänge genauer verstehen,
ders wichtig. Die Gründergeneration Jugendgruppen, Jugendguides) zumal die Thematik in der (Medien)-
der Gedenkstätten ist älter geworden schaffen Erfahrungsräume von Öffentlichkeit präsent ist. Jede
und somit dominiert in der Mehrzahl Lernlust statt Lerndruck. Gedenkstät- Generation eignet sich Geschichte
der kleinen und mittleren Gedenk- ten sollen interessant sein, Neugierde, stets neu an. Die Auseinandersetzung
stätten in Deutschland häufig ein Fragen und Engagement wecken und mit der NS-Geschichte braucht die
eher klassisches Erscheinungsbild des zu eigenständigem Forschen und Erinnerung, die von Gedenkstätten
authentischen bzw. historischen Orts. Nachdenken anregen. Erwachsene durch Erzählungen, Dokumente und
Die Auftritte von Zeitzeugen zur KZ- Mitglieder stehen jungen Menschen Medien vermitteln werden. Angehöri-
Lagergeschichte, jüdischen Geschich- als Mentoren und Lotsen zur Seite, ge der zweiten und dritten Generation
te, zu Widerstand und Verfolgung um historische Methoden zu vermit- der NS-Opfer können das Narrativ des
sind – von wenigen Ausnahmen abge- teln und Inhalte, Literatur und Quel- Erfahrenen und Erlittenen ihrer Eltern-
sehen – inzwischen selbst Geschichte. len aufzufinden. Wie alle Erfahrungen und Großeltern und anderen Ver-
Die junge Generation hat aufgrund zeigen, werden junge Menschen von wandten in die Gedenkstätten hinein-
des fehlenden Familiengedächtnisses Biografien (Täter, Opfer, Beteiligte) tragen, z.B. durch Besuche, durch
keinen direkten Zugang mehr zur über Fotos, Dokumente, Lebensläufe, Videointerviews, Skype-Kommunika-
NS-Zeit, sondern betrachtet diese als Erinnerungen und Zeitzeugen beson- tion etc. So verjüngt der Ausbau der
abgeschlossene Epoche wie andere ders angesprochen. Viele sind an den Jugendarbeit die bestehenden Ge-
der deutschen Geschichte auch. Daher genauen Vorgängen in der NS-Dikta- denkstätten in personeller, inhaltlicher
braucht die Erinnerungskultur in den tur und der damaligen Gesellschaft und methodischer Hinsicht. Durch die
Gedenkorten frische Impulse und durchaus interessiert, aber es fehlt Mitarbeit von jungen Menschen
neue Ansätze des Erinnerns. ihnen häufig grundlegendes Wissen werden die Gedenkorte zusehens zu
Gedenkstätten sollen attraktiv z.B. über das Verhalten der Bevölke- Lernorten, die andere Jugendliche
bleiben. Eine offene und freundliche rung im Nationalsozialismus, die neugierig auf einen Besuch machen,
Atmosphäre mit modernen jugendge- jüdische Geschichte in Deutschland sie zum Mitmachen und Selbstge-
rechten Angeboten für junge Besu- vor 1933 und die Verfolgung ver- stalten animieren und so neue Erfah-

Jugendguides mit Schülerinnen und Schülern in der KZ-Gedenkstätte Hailfingen-Tailfingen. Foto: Gedenkstätte Hailfingen-Tailfingen

21
Beim zentralen Jugendguide-Treffen des Gedenkstättenverbunds in Tübingen, Dezember 2013. Foto: Martin Ulmer

rungs- und Gestaltungsräume in den Tübingen) rund 20 Guides aktiv. Die Strukturen trägt die persönliche
Gedenkstätten schaffen. jungen Erwachsenen zwischen 19 und Betreuung im Verbund und in einzel-
30 Jahren und einige Schülerinnen und nen Gedenkstätten bei. Dazu kamen
Jugendguides und Jugendarbeit in Schüler übernehmen wichtige Aufga- Fortbildungangebote in den Gedenk-
den Gedenkstätten ben wie die Betreuung der Unterseite stätten, zentrale Treffen und Work-
Daher ist die Jugendarbeit neben der „Jugendguides“ der Homepage des shops des Verbunds zu Methoden der
Vernetzung der Gedenkstätten die Gedenkstättenverbunds und einzelner Geschichtsforschung sowie die
wichtigste Aufgabe des Gedenkstät- Gedenkstätten. Sie bieten Führungen Sommerakademie 2015. Geplant ist
tenverbunds. Das zuerst in der KZ- für Schulklassen und junge Menschen ein Workshop zum Thema „Men-
Gedenkstätte Hailfingen-Tailfingen an, sie entwickeln neue Präsentations- schenrechte und Gedenkstättenar-
entstandene Modell der Jugendguides und Veranstaltungsformate und beit“. Die zweimal pro Jahr stattfin-
wurde seit 2012 vom Landratsamt Einzelne wirken auch in der Vereinstä- denden zentralen Jugendguide-Treffen
Tübingen mit einer jährlich stattfin- tigkeit mit. mit intensivem Austausch, mit der
denden Erstqualifizierung in der Wichtig ist, dass junge Menschen in Beratung von Wünschen und Anre-
Region aufgegriffen. Die Jugendlichen den Gedenkstätten Freiräume für gungen sowie mit Führungen der
besuchen neben einer theoretischen eigene Projekte und Ideen finden, wo örtlichen Jugendguides in den jewei-
Ausbildung die KZ-Gedenkstätte sie selbstbestimmt handeln können. ligen Gedenkstätten sind attraktiv und
Natzweiler-Struthof in Frankreich und So haben Jugendguides z.B. in Hailfin- haben zur vertieften Vernetzung
einzelne Einrichtungen in der Region, gen-Tailfingen pädagogische Module beigetragen. Das selbständige Auftre-
die in der NS-Zeit Außenlager von entwickelt und autonom Veranstal- ten der Jugendguides wurde gestärkt,
Natzweiler waren. Durch die Zusam- tungen durchgeführt und in Bisingen was sich u.a. in ihrer selbst gestalteten
menarbeit zwischen dem Landratsamt intensiv in der Vereins- und Veranstal- Unterseite der Homepage des Ge-
Tübingen unter Federführung von tungstätigkeit mit eigenen Beiträgen denkstättenverbunds zeigt.
Kreisarchiv Dr. Wolfgang Sannwald mitgewirkt. Jugendguides der Ge- Der Gedenkstättenverbund hat die
und dem Gedenkstättenverbund sind schichtswerkstatt haben Vorschläge Einführung eines neuen Zertifikats zur
ausgebildete Guides bei Interesse seit für eine Konzeption des zukünftigen Mitarbeit in den Gedenkstätten
Ende 2012 in den Gedenkstätten tätig Lern- und Dokumentationszentrums beschlossen. Auf Initiative des Ver-
und werden dort weiterqualifiziert. So zum Nationalsozialismus im Tübinger bunds honorieren einzelne Fächer der
fanden in allen Gedenkstätten Probe- Güterbahnhof und zum Geschichts- Uni Tübingen diese Jugendguide-Akti-
führungen statt und es gibt ausführ- pfad zum Nationalsozialismus entwi- vitäten als Schlüsselqualifizierung für
liche Beratung durch Referate, Metho- ckelt, die realisiert werden. Sie planen das Studium, z.B. in Empirischer
den und Literaturhinweise. Mit der nach einem gelungenen Gedenktag Kulturwissenschaft und in Geschichte.
Integration der Jugendguides möchte für die Familie Schäfer eine Veranstal- Weitere Fächer wie Judaistik, Politik
der Verbund seine Einrichtungen tung zum Jüdischen Viehhandel in und Pädagogik sind angefragt.
inhaltlich und personell verjüngen. Tübingen und in der Region entlang Einige Jugendguides sind inzwischen
Inzwischen sind in sechs Gedenkstät- einer Stadtführung und einem Zeitzeu- in Vorstandsfunktionen von Mitglieds-
ten (KZ-Gedenkstätten Bisingen, gengespräch mit Dr. Fredy Kahn. Die vereinen aufgerückt sind. Sie tragen
Eckerwald und Hailfingen-Taiflingen, Erfahrungen zeigen, dass die Jugend- zur Verjüngung der Angebote bei
Synagogengedenkstätte Hechingen, guides neue und kreative Ideen in die Führungen, Veranstaltungen und
Stauffenberg-Gedenkstätte Albstadt- Gedenkstätten einbringen. neuen Forschungen bei. Ihre wenn
Lautlingen und Geschichtswerkstatt Zur Stabilisierung der Jugendguide- auch zum Teil nur zeitlich befristete

22
Mitarbeit ist positiv zu bewerten. Die
Persönlichkeit der jungen Menschen
wird durch demokratische Wertebil-
dung, gesellschaftspolitisches Engage-
ment und autonomes Handeln
gestärkt. Außerdem wird die Arbeit
der Gedenkstätten so bei jüngeren
Menschen bekannt gemacht und
beworben und durch die Zusammen-
arbeit machen sich die älteren Verant-
wortlichen mehr Gedanken, wie ihre
Gedenk- und Lernorte noch jugend-
gerechter gestalten werden können.

Sommerakademie 2015: Jugend-


guides und junge Erwachsene in
Synagogengedenkstätten
Die Grundausbildung zum Jugendgui-
de im Landratsamt Tübingen konzen- Führung auf dem jüdischen Friedhof Haigerloch bei der Sommerakademie 2015.
triert sich auf die KZ-Gedenkstätten. Foto: Benedict von Bremen
Diese Lücke in der Jugendbildung zu
den jüdischen Gedenkorten und die gemeinsam mit zwei Jugendguides bei Durch ihre Mitarbeit fließen neue
Komplexität der jüdischen Geschich- der bundesweiten Tagung „Aktives Ideen und Anregungen zur Jugendbil-
te verlangte seit Jahren nach einer Erinnern“ im Juni 2015 in Stuttgart dung in die Gedenkstättenarbeit ein
profunden Ausbildung von jungen vor, die von der Bundeszentrale und und die PraktikantInnen unterstützen
Menschen in den Synagogengedenk- der Landeszentrale für politische die aktiven Ehrenamtlichen zeitweise
stätten. Um junge Menschen für diese Bildung und dem Anne-Frank-Zen- tatkräftig fachlich und organisato-
anspruchsvolle Arbeit zu gewinnen, trum Berlin veranstaltet wurde. Die risch. Alle ehemaligen und aktuellen
veranstaltete der Gedenkstättenver- Sommerakademie ist ein neues Praktikanten haben an der Sommer-
bund im Sommer 2015 eine Sommer- Fortbildungsmodell für angehende akademie teilgenommen. Einer von
akademie. Es wurde eine kostenlose junge MitarbeiterInnen in Gedenk- ihnen hat inzwischen eine hauptamt-
Weiterbildung mit Abschlusszertifikat orten zur jüdischen Geschichte, das liche Stelle an den Gedenkstätten in
zu den Themen jüdische Religion, auch auf andere Regionen übertragen Hechingen und Horb. Eine ehemalige
deutsch-jüdische Geschichte, Antise- werden könnte. Die Sommerakademie Praktikantin und Masterstudentin
mitismus, Shoah und Gedenkkultur wird in den kommenden Jahren erarbeitet zusammen mit Tübinger
angeboten. Das sechstägige Pro- wiederholt werden. Jugendguides ein Schulmodul zum
gramm aus Referaten, Kleingruppen- Thema „Jüdische SchülerInnen in der
arbeit, Filmen und Exkursionen mit Junge PraktikantInnen im Gedenk- NS-Zeit“. Das zeigt, dass ein Prakti-
namhaften Wissenschaftlern, Gedenk- stättenverbund kum die Eigangsstufe für weiterge-
stättenmitarbeitern, Rabbinerinnen Inzwischen haben vier Studierende hende Tätigkeiten in den Gedenkstät-
und Rabbinern aus Württemberg und und ein junger Wissenschaftler der ten sein kann.
Bayern wurde von über einem Dut- Universität Tübingen im Gedenkstät-
zend Jugendguides und Studierenden tenverbund ein drei- bzw. sechsmona- Zur Jugendarbeit gehört auch die
wahrgenommen. Ein größerer Teil tiges studienbegleitendes Praktikum Kooperation mit Jugendgemeinde-
ist inzwischen in den Synagogenge- abgelegt. Während ihrer Hospitanz in räten. Die Kontakte zu den Jugend-
denkstätten aktiv. Hinzu kamen rund fünf Gedenkstätten haben die Prak- gemeinderäten in Tübingen und Horb
ein Dutzend älterer TeilnehmerInnen tikantInnen die dortige Arbeit ken- eröffnet neue Zielgruppen, denn
aus verschiedenen Gedenkstätten des nengelernt und unterstützt. Auf der Jugendgemeinderäte sind wichtige
Verbunds, die am kompakten Weiter- Ebene des Gedenkstättenverbunds Multiplikatoren in der Jugendszene.
bildungsangebot Interesse hatten und sind sie in verschiedene Projekte inte- Ein Klassiker der Jugendarbeit sind die
mit den jungen Leuten ins Gespräch griert worden. Sie arbeiten mit beim Schulkontakte und zahlreiche Besuche
kamen, Kontakte knüpften und Forschungs- und Ausstellungspro- von Schulklassen in den Gedenk-
Möglichkeiten der Zusammenarbeit jekt „Wirtschaftliche Ausplünderung stätten. Diese entwickeln die päda-
berieten. der jüdischen Bevölkerung“, bei der gogischen Angebote ständig weiter.
Diese neue Form einer Sommeraka- Erstellung der Datenbank zu jüdischen Auch wirbt der Gedenkstättenverbund
demie stieß in der Region und auch Bürgerinnen und Bürgern und bei für das Projekt „Schule ohne Rassis-
überregional auf Beachtung. So stellte der Entwicklung und Betreuung von mus” und einzelne Schulen haben
der Gedenkstättenverbund das Schulprojekten z.B. in Bisingen, Horb, über die Schüler-Mitverwaltung dieses
Konzept der Sommerakademie Rottweil, Hechingen und Tübingen. Konzept realisiert.

23
Forschen – Ausstellen – Führen
Historische Projektarbeit und Jugendguides an der Christiane-Herzog Realschule
Nagold
Gabriel Stängle, Theresa Henne und Jeremias Viehweg

Historische Projektarbeit im fanden häufig die Mitschüler zusam- Zuerst gab uns Herr Stängle einen
Unterricht men, die auch so gut befreundet sind. Crashkurs, wie wir recherchieren,
An den Realschulen Baden-Württem- Alle Gruppen arbeiteten auf eigenen Texte und Bildquellen auswerten,
bergs muss nach dem noch aktuellen Wunsch in geschlechtshomogenen wissenschaftlich zitieren und Literatur
Bildungsplan jede Klasse im Laufe Gruppen. Folgende Themen kristal- zum Thema finden konnten. Da der
ihrer Schulzeit ein Themenorientiertes lisierten sich in den ersten Wochen Nationalsozialismus erst in der 9.
Projekt Wirtschaften Verwalten Recht heraus: Klasse im Geschichtsunterricht behan-
absolvieren. Im Schuljahr 2014/15 1. die Ausgrenzung und Verfolgung delt wird, erhielten wir auch eine
nahmen wir in der 8. Klasse den von Juden im Kreis Calw zwischen Kurzeinführung in die Spätphase der
ersten Teil dieses WVR-Projekts in 1933–1945, Weimarer Republik und die NS-Dikta-
Angriff, in dem wir am Geschichts- 2. die Verfolgung und Vernichtung tur. Darauf folgte die Literaturrecher-
wettbewerb des Bundespräsidenten der Baisinger Juden von 1933–1945, che. Wir suchten die Schulbibliothek
2014/15 teilnahmen. Dieser war mit 3. die Opfer der NS-Euthanasie im und die Stadtbibliothek Nagold auf.
dem Thema Anders sein. Außensei- Oberen Nagoldtal, Herr Stängle brachte uns Bücher aus
ter in der Geschichte ausgeschrieben 4. die Stigmatisierung, Verfolgung wissenschaftlichen Bibliotheken wie
worden. Herr Stängle, unser Klassen- und Vernichtung von „Asozialen“, der Württembergischen Landesbiblio-
und Geschichtslehrer, fragte uns, ob Arbeitsscheuen, Homosexuellen und thek und der Universitätsbibliothek
wir uns intensiv ein halbes Jahr mit Menschen wegen „Rassenschande“ Tübingen. In den Herbstferien, ja,
einem Thema beschäftigen wollten. Er im Raum Nagold 1933–1945, nicht in der Schulzeit (!) besuchten wir
hatte bei unserer Schulleitung eine AG 5. die Verfolgung politischer Gegner verschiedene Archive in der Region.
Stunde beantragt. So konnten wir ein des Nationalsozialismus im Nagoldtal, Im November 2014 konnten wir als
halbes Schuljahr mit einer zusätzlichen 6. die Zwangsarbeit im Oberen Na- Klasse einen ganzen Tag den Lesesaal
Doppelstunde im Unterricht an dem goldtal zwischen 1939–1945. des Staatsarchivs Sigmaringen für uns
Thema arbeiten. Dann schlug uns Obwohl die Ausrichtung der einzel- benutzen und arbeiteten uns durch
Herr Stängle einige Themen vor, die nen Arbeiten die gleiche war, nämlich mehrere Aktenbüschel. Das Personal
er aussichtsreich hielt, um sie genauer das Schicksal von Einzelpersonen und in den Archiven unterstützte uns nicht
zu erforschen. Wir entschieden uns Minderheiten herauszuarbeiten, waren nur darin, dass wir einen Einblick in
für das Thema „Verfolgte Minder- die Forschungsfragen im Einzelnen den Aufbau eines Archivs bekamen,
heiten im Nationalsozialismus im doch unterschiedlich. Das Entschei- sondern sie halfen uns auch, Quellen
Raum Nagold“ und bildeten Gruppen, dende war immer auch, zu welchen richtig zu interpretieren. Es folgten
für die jeweiligen Einzelthemen. Es Quellen wir Zugang hatten. weitere Besuche in lokalen und
überregionalen Archiven, aber auch
Onlineanfragen bei dem International
Tracking Service in Bad Arolsen, oder
der KZ-Gedenkstätte Buchenwald.
Wir gingen sehr sorgfältig vor, und
hoben eine Kopie jeder Quelle in
einem Ordner auf. Wichtig waren
auch Dokumente, die wir von Privat-
personen bekamen, weil sie nicht in
Archiven zugänglich waren. Bei allen
Arbeitsschritten führten wir ein
Arbeitstagebuch, um unsere Vorgehen
zu dokumentieren. Eine Gruppe führte
ein Zeitzeugeninterview, eine andere
befragte Experten, die sich mit dem
Thema in früheren Arbeiten auseinan-
dergesetzt hatten. Im Januar und
Februar 2015 arbeiteten wir vor allem
daran, die Quellen, die wir eingesehen
hatten, auszuwerten und die Gliede-
Recherche im Lesesaal des Staatsarchivs Sigmaringen. Foto Gabriel Stängle rungen unserer Arbeit zu vervollstän-

24
digen. Es war ein schönes Gefühl, eine
gebundene und gedruckte Arbeit in
der Hand zu halten, was normalerwei-
se Studenten erst am Ende ihres Studi-
ums machen.
Die Rolle, die ein Lehrer bei solch
einem Projekt spielt, ist sehr entschei-
dend. Man kann ihn als einen Türöff-
ner bezeichnen, denn ohne eine
konkrete Anleitung hätten wir das nie
hinbekommen. Was wir schrieben und
dokumentierten, gaben wir im Schnitt
jede Woche Herrn Stängle, der es dann
Korrektur las und die Quellen nach-
prüfte und schaute, ob wir richtig
zitiert hatten. Wichtig war auch, dass
er uns immer zur Verfügung stand,
wenn wir Fragen hatten und uns bei
schwierigen Aufgabenstellungen half,
diese zu verstehen. Das entscheidende Zeitzeugeninterview mit Rudolf Schneider in Altensteig. Foto Gabriel Stängle
war aber, dass die ganzen Archivbe-
suche, Lerngänge und Zeitzeugeninter-
views gut durchdacht und organisiert det? Schon vor zehn Jahren hatte eine im „Museum im Steinhaus“ war für
waren. Schülergruppe mit Herrn Stängle das dieses Jahr schon voll, doch bot uns
Würdigung der Forschungsarbeit wirtschaftsgeschichtliche Thema Die die Museumsleiterin an, im Rathaus
Wir freuten uns sehr, dass zwei Grup- Felle schwimmen davon. Der Aufstieg ausstellen zu können.
penbeiträge beim Geschichtswett- und Niedergang des Gerbereigewer- Auf Wunsch der Stadt Nagold sollte
bewerb des Bundespräsidenten im bes im Oberen Nagoldtal erforscht das Thema Judenverfolgung im Raum
Sommer 2015 ausgezeichnet wurden. und anschließend im städtischen Nagold ausgestellt werden. Anfangs
Der Einzelbeitrag von Jeremias Vieh- „Museum im Steinhaus“ in Nagold dachten wir: Schade, dass nur eins der
weg, Sebastian Röhrle, Fabian Gote, ausgestellt und als Buch herausgege- sechs Projekte ausgestellt werden
Pascal Grimm und Kevin Schmitt „Die ben. Auf diese Spuren wollten wir uns kann. Doch das Thema eignete sich
Ausgrenzung und Verfolgung von begeben. Der Ausstellungskalender aus zwei Gründen super für eine
Juden im Kreis Calw“ wurde mit dem
„Landessieger Baden-Württemberg“
ausgezeichnet. Der Einzelbeitrag
„Zwangsarbeit im Oberen Nagoldtal
1939–1945“ von Alexia Longobardi,
Anne Riexinger, Johanna Krause und
Kübra Kahriman erhielt einen Förder-
preis. Alle unsere Arbeiten fassten wir
zusammen und reichten diese 150
Seiten beim Landespreis für Heimat-
forschung ein. Diese wurde mit einer
Anerkennungsurkunde ausgezeichnet.

Vorstellung in der Öffentlichkeit


Wir überlegten uns, wie wir die Er-
gebnisse in einer breiteren Weise der
Öffentlichkeit vorstellen könnten. Klar,
wir waren sehr stolz darauf, bei den
verschiedenen Preisverleihungen aus-
gezeichnet zu werden und über uns
wurde auch in der Lokalpresse berich-
tet. Doch wie kann man dafür sorgen,
dass das, was wir erforschten, nicht
nur als Belegexemplare im Haus der
Geschichte Baden-Württemberg und Preisverleihung durch Kultusminister Andreas Stoch und Dr. Thomas Paulsen, Mitglied des Vor-
verschiedenen Archiven verschwin- stands der Körber-Stiftung am 13. Juli 2015 in Stuttgart. Foto Reinhart Brehmer

25
Im laufenden Schuljahr 2015/16
konzipierten wir die Ausstellung, also
den zweiten Teil des Projekts. Es war
gar nicht so einfach die 50 Seiten, die
die Jungs geschrieben hatten auf 19
Texttafeln zu reduzieren und didak-
tisch zu vereinfachen. Da wir keine
originalen Gegenstände ausstellten,
waren wir auf Fotos, Abschriften und
Scans von Archivalien angewiesen.
Für diese mussten wir in den betrof-
fenen Archiven, Firmen und Privatper-
sonen um Erlaubnis fragen, um diese
ausstellen zu können. Dann verfassten
wir die Texte für die Flyer, Plakate und
die Poster der Ausstellung. Eine Gra-
fikerin half uns hier mit dem Design.
Dann gab es die praktischen Aspekte:
Für die Vorbereitung der Ausstellung
übte eine Gruppe mehrere Musik-
stücke ein, eine andere berechnete
die Kosten, während wieder andere
das Catering für den anschließenden Theresa Henne erklärt das Konzept der Aus-
Stehempfang organisierten. Ein wei- stellung im Nagolder Rathaus am 16. Februar
terer Teil der Schüler bereitete sich 2016. Foto Almut Stängle
vor, Besucher durch die Ausstellung
zu führen. Über das Interesse bei der Neun Personen, die in der Shoa
Eröffnung waren wir sehr überrascht. umkamen, hatten zwischen 1930 und
Über 120 Menschen kamen in das 1939 ihren ständigen Wohnsitz im
Nagolder Rathaus. Wir erhielten Kreis Calw. Neben der chronolo-
durchweg ein positives Feedback. gischen Darstellung zeigen wir sieben
Einzelschicksale, von Menschen, die
Die Ausstellung zwischen Altensteig und Nagold sowie
„War da was bei uns?“ zwischen Neuweiler und Haiterbach
In der Ausstellung zeigen wir, warum lebten. Einige von ihnen überlebten
gerade in Nagold der Nationalsozialis- den Krieg, andere wanderten aus
mus solch eine starke Zustimmung er- Deutschland aus und etliche wurden
halten konnte und wie führende lokale umgebracht. Zuletzt stellen wir dar,
Vertreter der Nationalsozialisten die wie schwierig das Thema Aufarbei-
Plakat zur Ausstellung „War da was bei uns?“
Ausgrenzung von Juden vorantrieben. tung der Judenverfolgung im Oberen
Die wichtigste Einnahmequelle der Nagoldtal nach dem Krieg war.
Ausstellung: zum einen hatten die Juden in der Region um Horb war der
Jungs dieser Gruppe am gründlichsten Viehhandel. Ausgehend von den Jugendguides – Schüler führen
und umfassendsten in unserer Klasse Forschungen, die bei der Tagung über Erwachsene und Jugendliche
recherchiert. Zum anderen ist das jüdische Viehhändler 2006 in Rexin- Vier unserer Forschungsthemen
Thema Judenverfolgung im Kreis Calw gen präsentiert wurde, zeigen wir, wie werden wir im März und im April
bzw. im Oberen Nagoldtal noch nie gerade im Nagoldtal schrittweise die in Vorträgen in der Stadtbibliothek
systematisch erforscht und in der jüdischen Viehhändler aus diesem Nagold vorstellen. Einen dieser
Öffentlichkeit präsentiert worden. Das Beruf gedrängt wurden. Danach Vorträge haben wir bereits in der
mag für Außenstehende schwer zeigen wir die vier Phasen der natio- Woche des Abfassens dieses Textes
nachvollziehbar erscheinen, da nalsozialistischen Judenverfolgung, die präsentiert. Wir freuen uns über die
Baisingen keine 8 km und Rexingen Ausgrenzung von 1933–35, die vielen positiven Reaktionen, die wir
nur 20 km entfernt sind. So hatte der Zerstörung der beruflichen Existenz ab bisher erhalten haben. Wer Interesse
Oberbürgermeister Nagolds den den Nürnberger Gesetzen 1935, die an einer Führung durch Schüler hat,
richtigen Riecher, als er das Thema Phase der bürgerlichen Entrechtung kann diese bei uns „buchen“. Die
vorschlug. Als Titel der Ausstellung zwischen 1938 bis 1941 und dann die erste Gruppe, die dies getan hat, war
wählten wir die provokante Frage Verschleppung und Vernichtung der eine Sprachlehrerin der VHS, die einen
„War da was bei uns?“ europäischen Juden in den letzten vier Integrationskurs unterrichtet. Die
Jahren des Krieges. Reaktionen und Gespräche, die sich

26
mit den Neu-Bürgern durch die Füh-
rungen der Schüler Martin Lauterbach
und Lukas Damm ergaben, waren
sehr spannend. Wir werden noch auf
die Schulen in unserer Umgebung zu-
gehen und das Angebot machen, dass
wir als Schüler Schulklassen durch die
Ausstellung führen.
Mit der Ausstellung War da was bei
uns? wollen wir Impulse weitergeben,
die hoffentlich zu einer fruchtbaren
Diskussion führen, wie in Zukunft
Erinnerung an diese leidvolle Zeit
aussehen soll. Die Kulturwissenschaft-
lerin Aleida Assmann hat beschrieben,
dass mit dem Sterben der älteren
Zeitzeugen die individuelle Erinne-
rungen der beteiligten Personen, als
auch das soziale Gedächtnis einer
Generation vergeht. In wenigen Damla Yildirim berichtet in der Stadtbibliothek Nagold über die Recherchen ihrer Gruppenarbeit
Jahren kann eine junge Generation über politisch Verfolgte. Foto Alexia Longobardi
nicht mehr in der Familie oder Zeit-
zeugen fragen: „War da was bei dern auch zu lernen, wie das systema- traut haben, sind wir über uns hinaus-
uns?“ Deshalb ist es so wichtig, wie tische Recherchieren in Archiven geht. gewachsen.
wir das kulturelle und politische Eine weitere Herausforderung war, Diese Art zu forschen ist schon
Gedächtnis weitervermitteln. Dies ist sich zusammenzuraufen, um in etwas anderes, als der herkömmliche
eine Herausforderung, die über den Gruppen auf ein Ziel hin zu arbeiten. Geschichtsunterricht. Hier wird
engen Bereich von Geschichtsvermitt- Das war schon etwas anderes als Geschichte auf eine ganz neue Weise
lung von Schule hinausgeht und die manche Pseudo-Gruppenarbeit, die lebendig und anschaulich, weil es ja
alle Akteure der Zivilgesellschaft man ab und zu in der Schule macht. gerade in unserem regionalen Umfeld
betrifft: Privatpersonen genauso wie Ein wichtiger Punkt ist, dass wir auch stattfand, in dem wir leben. Es ist
den Gemeinderat, die Verbände, lernten, unsere Ergebnisse in die abwechslungsreich und man macht
Vereine, Gewerkschaften und Kirchen. Öffentlichkeit zu tragen, gerade durch Lerngänge, Archivbesuche, befragt
die Führungen und die Vorträge, die Zeitzeugen. Es ist vor allem spannend,
Ertrag für uns wir hielten. Unsere Sprachfähigkeit dass man sich längere Zeit mit einem
Wir haben eine neue Sicht darüber hat dadurch gewonnen und in Thema auseinandersetzt, als nur ein
bekommen, was in der Zeit des Natio- manchem, was wir uns nicht zuge- Thema oberflächlich zu behandeln. Es
nalsozialismus tatsächlich hier vor Ort
lief und haben heute eine andere Ein-
stellung und Sicht, darüber zu denken
und auch zu sprechen. Natürlich ha-
ben wir vorher schon einmal gehört,
dass in der NS-Diktatur Juden und
Angehörige andere Minderheiten ge-
tötet worden sind. Aber dass dies so
grausam und schlimm war, haben wir
erst durch die intensive Auseinander-
setzung kapiert. Die Zeit des National-
sozialismus war schlimm und wir sind
uns im Klaren, dass wir so etwas nicht
erleben wollen. Durch das Projekt
lernten wird, dass vergangene Ereig-
nisse uns heute noch beeinflussen und
das sollte jeder Schüler kennen lernen,
und zwar auf eine Weise, die gerade
für dieses Alter ansprechend ist.
Es war nicht nur spannend, das
historische Thema der verfolgten Lukas Damm führt eine Gruppe des Integrations-Sprachkurses der VHS durch die Ausstellung im
Minderheiten zu untersuchen, son- Nagolder Rathaus. Foto Gabriel Stängle

27
sind vor allem die methodischen 3. mit dem ganzen Klassenverband Beiträge in der einen oder anderen
Schritte, die uns für andere Fragestel- ein Projekt zu gestalten. Form als Aufsatz veröffentlicht wer-
lungen eine große Hilfe sind. Auf Wir müssen bei aller Begeisterung den können. Es war ja nicht nur die
Dauer wäre es sicher eintönig, wenn für die historische Projektarbeit auch Gruppe der fünf Jungs, die sich ins
Geschichte nur auf diese Art vermittelt ganz klar sagen, dass es ca. fünf Zeug gehängt hat, sondern fast die
wird. Wir glauben, dass es beides Mitschüler gab, die trotz gutem gesamte Klasse. Wir sind gespannt,
braucht: einen ansprechenden Unter- Zureden keinerlei Zugang zu der wie die Impulse der Ausstellung, der
richt, der Zusammenhänge erschließt Arbeitsform bzw. zu dem Thema Vorträge, der Führungen und der
und uns für historische Fragestel- bekamen und entweder irgendwann geplanten Publikation aufgenommen
lungen sensibilisiert, sowie das ausstiegen, oder mit Bleistiftspitzen werden. Zwei Anfragen bekamen wir
Forschen in die Tiefe. Wenn beides oder ähnlichem beschäftigt waren. schon, dass wir unsere Ausstellung
sich ergänzt, dann wird das Interesse Schade war, dass nicht mehr Gruppen auch an anderen Orten zeigen. Der
an Geschichte wach gehalten. Von eine Auszeichnung oder Wertschät- Gedanke einer Wanderausstellung
daher können wir auf jeden Fall zung erhielten, obwohl sie sich in wurde schon von einer Gedenkstätte
historische Projektarbeiten empfehlen. ähnlicher Weise angestrengt hatten und einer Freikirche, die den Gedan-
Die Realität beim Geschichtswettbe- wie die Gruppen, deren Arbeit ken der Versöhnungsarbeit mit Israel
werb zeigt, dass es vorwiegend gewürdigt wurde. unterstützt und voranbringen möchte,
Gymnasien sind sowie einzelne aufgenommen. Vielleicht kommen
Schüler, oder Kleingruppen, die sich Weitere Perspektiven weitere Anfragen dazu. Wir sind dafür
an die historische Forschung heran Einiges steht uns natürlich noch bevor. offen.
wagen. Wenn man die anderen Die Publikation über die Judenver-
Preisträger des Geschichtswettbe- folgung im Kreis Calw auf den Weg Gabriel Stängle, Realschullehrer und
werbs vergleicht, ist das Modell, das zu bringen, erfordert noch mal ein Theologe (MTh), unterrichtet an der
an der Christiane-Herzog-Realschule sorgfältiges Prüfen der Quellen, neue Christiane-Herzog-Realschule Nagold,
seit Jahren praktiziert wird, eher die Quellen und Forschungsergebnis mit Theresa Henne und Jeremias Viehweg
Ausnahme: nämlich einzuarbeiten. Eine Publikation auch besuchen im Schuljahr 2015/16 die
1. in einer nichtgymnasialen Schul- finanziell zu stemmen, ist eine weitere Klasse 9b der Christiane-Herzog-
form, große Herausforderung. Natürlich Realschule Nagold.
2. in der Sekundarstufe I und hoffen wir, dass auch die anderen

NEU ERS C HE INUNG wissen wir nun, dass 15 Tote ins


Esslinger Krematorium gebracht
Volker Mall/Harald Roth, Alte und wurden. Dank dieser Information war
neue Spuren von Auschwitz ins Gäu es möglich, den „unbekannten“
Heft 5 der Schriftenreihe Häftlingen auf dem Tailfinger Friedhof
der KZ-Gedenkstätte Hailfingen • einen Namen zu geben; alle Namen
Tailfingen mit Gegen Vergessen/Für sind seit 2010 auf einer schlichten
Demokratie, Sektion Böblingen/Her- Tafel aufgeführt.
renberg/Tübingen. Gäufelden 2016 In dem Kapitel Evakuierungstrans-
porte und Todesmärsche werden die
2007 erschien die erste Veröffentli- Leidenswege der Häftlinge zumindest
chung zum KZ Hailfingen/Tailfingen: grob nachgezeichnet.
Volker Mall/Harald Roth Spuren von Dass nicht nur die 601 Juden, die
Auschwitz ins Gäu – Das KZ-Außen- vom KZ Stutthof kamen, auf dem
lager Hailfingen/Tailfingen, heraus- Flugplatz inhaftiert waren, sondern
gegeben von der Sektion Böblingen/ auch Kriegsgefangene und Zwangsar-
Herrenberg/Tübingen von GV/FD. beiter, wird in dem Kapitel Kriegsge-
Nach der Veröffentlichung gingen die fangene und Zwangsarbeiter auf dem
Autoren davon aus, dass die Recher- Hailfinger Flugplatz thematisiert.
chen zwar nicht beendet sind, es Zeugen gefunden – und ein Ende ist Die neue Publikation ist posthum
allerdings nur noch marginale Ergän- nicht in Sicht. Utz Jeggle (1941 bis 2009) gewidmet.
zungen zu dem bereits vorhandenen Nachdem die Spuren von Auschwitz
64 Seiten, 55 sw-Fotos, Preis 6,- Euro
und dokumentierten Material geben ins Gäu restlos vergriffen waren, ist (plus 2,-.Euro Porto und Versand)
würde. Weit gefehlt! nun eine Art Neuauflage entstanden. Zu beziehen bei
In den neun Jahren seit der Druckle- Neue Erkenntnisse gibt es darin zu Volker Mall, Hohe-Wacht-Str.7,
gung wurden immer wieder neue den Menschen, die in Hailfingen/ 71083 Herrenberg
wichtige Dokumente und Berichte von Tailfingen zu Tode kamen. Vor allem oder mall.herrenberg@gmx.de

28
Gemeinsame Recherche mit Angehörigen
Volker Mall und Harald Roth, Herrenberg

Seit über 10 Jahren recherchieren


Volker Mall und Harald Roth die
Geschichte des KZ Außenlagers
Hailfingen/Tailfingen. Als Ergebnis
ihrer langjährigen intensiven Suche
liegen inzwischen Informationen
zu den meisten Häftlingen vor. Aus
Nummern wurden nicht bloß Namen,
sondern in vielen Fällen Lebensge-
schichten von Individuen. Präsentiert
werden diese Biografien in Volker
Mall/Harald Roth, ‚Jeder Mensch hat
einen Namen‘ (Berlin 2009) und noch
umfassender in Volker Mall, Die Häft-
linge des KZ-Außenlagers Hailfingen/
Tailfingen – Daten und Portraits aller
Häftlinge (Herrenberg /Norderstedt
2014).
Ausschnitt aus dem Brief von Germaine Jeauton Beaujean. Quelle: Claudia Gollan
Die Erfolge bei der Recherche
führten oft auch dazu, dass Kontakte
zu Überlebenden bzw. zu Angehöri- Deportation nach Auschwitz aufhalten Norbert musste bis zum Juli 1944 in
gen der Opfer geknüpft werden konnte. Drancy bleiben. (Brief von Germaine
konnten. An der Fünf-Jahres-Feier im Jeauton Beaujean an den Vater vom
Juni 2015 nahmen neben dem Neu war für uns: 22.5.1947)1.
Überlebenden Mordechai Ciechano- Otto Norbert Julius Tugendhat hat Als Adresse in Paris gab Norbert
wer Kinder und Enkel von Angehöri- am 19.5.1923 in Hamburg Anna Tugendhat Rue d´Odessa an. Am
gen teil; angereist aus Deutschland, Löw, geboren am 2.9.1894 in Wien, 31.7.1944 wurde er zusammen mit
Österreich, Frankreich, den Niederlan- geheiratet und ging mit ihr am 1. Ja- seiner Frau im Konvoi 77 von Drancy
den, Israel und Australien. nuar 1939 nach Frankreich. Das Paar nach Auschwitz deportiert. Nach der
25 „reichsdeutsche“, aus Deutsch- wohnte in Paris-Neuilly zeitweilig Ankunft am 3. August 1944 wurde
land oder Österreich stammende versteckt bei Germaine Jeanton Beau- ihm die Auschwitznummer B 3943
Häftlinge waren im November 1944 jean. Es zog dann nach Monte Carlo eintätowiert.2
nach Hailfingen gekommen, 18 von in die zone libre. Norbert Tugendhat
ihnen starben in Hailfingen. Von zwei reiste mit falschen Papieren zwischen
der Opfer fanden wir in der ersten Monte Carlo und Paris hin und her,
Jahreshälfte 2015 Angehörige. Auch denn die Gestapo war ihm auf den
sie kamen zur Gedenkfeier. Durch die Fersen. Im Januar 1944 flehte ich ihn
Informationen und Dokumente, die an zu bleiben und in die Schweiz zu
sie dabei mitbrachten, und durch eine gehen, aber Norbert nahm wieder den
weitere Recherche durch uns konnten Zug nach Paris. Da hat das große Un-
inzwischen die beiden Lebensge- glück begonnen, denn in Paris wurde
schichten vervollständigt werden: er verhaftet; und er hat gesagt, wo
er wohnt. Und da es bei mir war, hat
Otto Norbert Julius Tugendhat man mich beschattet. Aber das wäre Drancykarte. Quelle: Mémorial de la Shoah
Wir wussten bisher, dass Otto Norbert nicht so schlimm gewesen, wenn er
Julius Tugendhat am 10.11.1896 in nicht zuerst zum Militärgericht in der Seine Frau wurde ermordet. Über
Großeislingen (Stadtteil von Eislingen/ Avenue Foch transportiert worden Stutthof kam Norbert Tugendhat im
Fils) als Sohn von Bronislaw Arthur wäre. Nachdem er erschossen werden
(1870–1957) und Friedericke geb. sollte, haben wir (über Freunde, die 1 Bei der Suche nach dieser Frau helfen uns
Geiringer (* 28.10.1872, gestorben in Paris waren) vorgesprochen und Mme Neau-Dufour vom Centre européen du
18.2.1910 in Wien) geboren wurde. erreicht, dass er nach Drancy gebracht résistant déporté (Natzweiler-Struthof) und
das Mémorial de la Shoah.
Und dass er schon 1939 nach Frank- wurde. Und von dort wollten sie 2 Danuta Czech: Kalendarium der Ereignisse im
reich emigrierte und sich dort offen- ihm zur Flucht verhelfen. Leider sind KZ Auschwitz-Birkenau 1939-1945, 2´ 2008,
sichtlich noch 4 ½ Jahre bis zu seiner diese Freunde verhaftet worden und S. 840.

29
November 1944 nach Hailfingen, wo
er am 2.12.1944 starb und im Krema-
torium im Reutlinger Friedhof Unter
den Linden eingeäschert wurde.
Nach dem Tod seiner ersten Frau
hatte Norberts Vater Bronislaw Arthur
(Bruno) Tugendhat 1919 Martha
Rieger, eine Bürgerstochter aus
Unterkochen geheiratet. Das Paar
hatte drei Töchter, darunter die
Zwillinge Annemarie (1922 bis 2013)
und Anneliese Weiß, geb. Tugendhat
(*1922). Bruno Tugendhat stellte
nach dem Krieg Nachforschungen
nach seinem Sohn an.
Claudia Gollan, die Tochter von
Anneliese Weiß fanden wir im Som- Häftlingspersonalkarte. Quelle: Archiv Stutthof
mer 2015. Sie nahm an der o.g.
Gedenkfeier teil und brachte wichtige
Dokumente mit, u.a. den oben
zitierten Brief.

Quellen:
Natzweiler Nummernbuch, Transportliste
Auschwitz-Stutthof Nr. 439, Einäsche-
rungsverzeichnis (StA Reutlingen),
Standesamt Eislingen.
Informationen von Winfried Vogt, Unter-
kochen
http://freepages.genealogy.rootsweb.
ancestry.com/~prohel/names/geir/gei-
ringer1.html Transportliste. Quelle: Archiv Stutthof
Mémorial de la Shoah: Monsieur Nor-
bert TUGENDHAT né le 10/11/1896 à
Flensburger Straße 15, und Lucia in Stutthof vom 26.10.1944 ist sein
EISLINGEN. Déporté à Auschwitz par
le convoi n° 77 au départ de Drancy Leipzig in der Auenstraße 23 bei ihrer Nachname falsch geschrieben:
le 31/07/1944. Habitait au 11, rue Tante Goldina Gerson. Am 1. März Hademann.
d‘Odessa dans le 14ème arondissement 1938 hatte Hans Jäger, der Bruder Über Stutthof (Nummer 99 577)
à PARIS. von Lucia, mit seinem Vater und wurde Günther Heidemann im
http://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/ seinem noch in Deutschland verblie- November 1944 nach Hailfingen
directory.html.de?result#frmResults: benen Schwager Günther Heidemann transportiert (Natzweiler Nummer 40
Tugendhat, Norbert Otto, geboren am
in Zaandam die Schulterpolsterfabrik 654). Dort starb er am 27.12.1944.
10. November 1896 in Großeislingen /
Göppingen / Württemberg, wohnhaft in
Jäger und Heidemann gegründet. Fiktive Todesursache: Lungenentzün-
Eislingen a. d. Fils und Berlin. Emigration: Am 16. April 1938 zog das Ehepaar dung mit Herzschwäche.
01. Januar 1939, Frankreich. Depor- Heidemann dann nach Zaandam bei Durch die Totenmeldung wissen wir
tationsziel: ab Drancy 31. Juli 1944, Amsterdam. Sie wohnten ab April von seinem Tod, der im Nummern-
Auschwitz, Vernichtungslager. 28. Okto- 1940 in Amsterdam. Günther Heide- buch nicht festgehalten wurde. Seine
ber 1944, Stutthof, Konzentrationslager. mann war in der Saison 1939/40 Mit- Asche liegt auf dem Friedhof Unter
Hailfingen, Außenkommando KZ Natz- glied des Amsterdamer Fußballclubs den Linden in Reutlingen, wo seit
weiler. Todesdatum/-ort: 16. Dezember
1944, Hailfingen, Außenkommando KZ
HEDW, der viele jüdische Mitglieder 2010 eine Tafel seinen Namen nennt.
Natzweiler. hatte. Am 30.12.1942 wurde das Lucia Heidemann-Jäger wurde bei
Ehepaar nach Westerbork gebracht der Ankunft in Auschwitz von Men-
und blieb dort fast 9 Monate, weil gele für medizinische „Exprimente“
Günther Heidemann beim Transport nach Westerbork ein selektiert. U. a. zog man ihr acht
wurde am 22.7.1913 in Berlin gebo- Koffer verschollen war, auf den ge- gesunde Zähne ohne Betäubung und
ren. Er heiratete Lucia Jäger, geboren wartet wurde. Am 16.9.1943 war der gab ihr 75 Spritzen mit ihr nicht
am 12.8.1909 in Leipzig. Die Ehe Transport nach Auschwitz. Günther bekannten Substanzen. Sie lief auf
wurde am 21. Februar 1938 auf dem Heidemann bekam die Nummer 150 einem der Todesmärsche Anfang
Standesamt in Leipzig geschlossen. 682, Lucia Heidemann die Nummer 1945 in Holzpantoffeln und einem
Zu diesem Zeitpunkt lebte Günther 62 494.3
Heidemann noch in Berlin NW 87, Auf der Transportliste Auschwitz- 3 Danuta Czech, S. 608.

30
einzigen Sträflingsanzug zu Fuß von
Auschwitz über Ravensbrück bis nach
Malchow bei Berlin, überstand das nur
dank einer Freundin aus Leipzig, die
ebenfalls überlebt hat. Sie war dann
kurz in Leipzig und ging danach nach
Amsterdam, wo sie 1949 von einer
Cousine in Australien dorthin geholt
wurde. Günther und Lucia waren ca.
6 Jahre ein Paar, in Australien war Nummernbuch. Quelle: ITS
Lucia 5 mal verlobt, sie konnte sich
jedoch nie zu einer Heirat entschlie-
ßen. Lange hatte sie gehofft, dass ihr
Ehemann auch überlebt haben
könnte. Sie ist 1998 in Sydney ge-
storben, ihre Asche wurde von
Unbekannten mitgenommen.
Günther Heidemann ist der Sohn
von Hermann Heidemann (gefallen im
1. Weltkrieg in den Vogesen) und
Neffe von Arthur Heidemann, der am
26. Juni 1891 in Frankfurt/Oder
geboren wurde. Arthur wurde am 10.
August 1942 von Westerbork nach
Auschwitz deportiert und dort am 30.
September 1942 ermordet. Der
Bruder von Günther, Rudolf Heide-
mann und dessen Ehefrau Hendrika,
geb. de Wilde, wurden gemeinsam
nach Sobibor deportiert und dort am
21. Mai 1943 ermordet. Rudolfs und Familie Heidemann. Quelle: Maya Mosler
Günthers Mutter, Rosalie-Gertrud
Heidemann geb. Lewisohn, wurde am Großvater und seiner Familie zum Gil Keren. Dabei erfuhren wir nach
9 Juli 1943, zwei Monate nach ihren Gedenken Stolpersteine setzen zu 5 Jahren Suche, dass Joseph Keren,
Söhnen, in Sobibor ermordet. Die lassen. einer der 3 Söhne von Ignac Klein
beiden Kinder aus Arthurs erster Ehe, Anfang 2015 fanden wir Maya inzwischen gestorben ist.
Selma und Hermann (Zwi), sind 1935 Mosler. Sie nahm zusammen mit Außerdem Vered Lavi und Dorit
bzw. 1937 nach Palästina ausgewan- ihrem Mann Volkhard Mosler und Ariav, die Töchter von Natan Rudomi-
dert und haben den Holocaust ihrer Kusine Avital Siv ebenfalls an der ner, von dem wir wenig wussten.
überlebt. Seine Enkel Avital Siv Gedenkfeier teil. Das Ehepaar Mosler Durch Zufall stießen wir Anfang 2016
(Israel), Yael Schulamit Yadon (Austra- hat Anträge auf Stolpersteine in Berlin auf ein Yad Vashem-Testimony, das
lien) und Maya Mosler, die heute in und Leipzig gestellt. Natan Rudominer 1999 für seinen
Frankfurt lebt, trafen sich 2012 in Bruder Jehuda abgegeben hat, der
Berlin mit dem Wunsch, ihrem Quellen: 1936 geboren und 1943 im Lager
Natzweiler Nummernbuch, Transportliste Ereda gestorben ist. Wir wussten also,
Auschwitz-Stutthof Nr. 43, Häftlingsper- dass Natan Rudominer überlebt hat
sonalkarte Stutthof, Bundesarchiv Ge-
denkbuch, joodsmonumentzaanstreek.nl,
und nach Israel ausgewandert ist.
Joods Digitaal Monument http://www. Natan Rudominer wurde am
joodsmonument.nl/page/532830/en 11.4.1926 in Wilna (Litauen) geboren.
und/oder http://www.joodsmonument. Vater Yakoov, Mutter Roza. Am
nl/id/556856 23.8.1944 kam er von Riga (oder
Ereda, einem Außenlager von Vaivara,
Bleibt noch zu erwähnen, dass Amir Estland) nach Stutthof (72 687) und
Haskel, den wir kennen gelernt im November 1944 nach Hailfingen
haben, als er und seine Frau Morde- (40 829). Am 20. September 2008 ist
chai Ciechanower beim Besuch der Natan Rudominer gestorben.
Gedenkfeier begleitet haben, in Israel Dorit‘s Mann Rony hat seinen
für uns recherchiert hat. Er fand die Besuch in Hailfingen im Frühjahr 2016
Günther Heidemann. Quelle: Maya Mosler Enkel von Ignac Klein Yael Kilim und angekündigt.

31
Karl Lang – ein Häftling im Konzentrationslager Heuberg
bei Stetten am kalten Markt
Michael Walther, Balingen

„Auf Grund der telegrafischen 1930 bis zum 9. Dezember 1934 nach
Mitteilung des Württ. Landeskrimi- Angaben des Arbeitsamts in Balingen
nialpolizeiamts v. 10.3.33 wurden keine Nachweise für eine feste Be-
folgende kommunist. Funktionäre am schäftigung. Auch die Krankenkassen-
11.3.1933 vorm. 5 Uhr in Ebingen beiträge wurden in der Zeit vom 15.
festgenommen und mittelst Sonder- April 1932 bis zu seiner Verhaftung
transporte an das Landesgefängnis durch das Arbeitsamt bezahlt.
Rottenburg eingeliefert.“1 Seine Frau Elisabeth, geborene Bit-
So beginnt eine Meldung des zer, kam am 28. April 1906 in Ebin-
Württembergischen Polizeiamts gen auf die Welt. Geheiratet haben
Ebingen vom 20. März 1933. Neben die beiden am 10. November 1932
Karl Lang, dem die Herstellung von in Ebingen. Das Ehepaar hatte vier
illegalen Druckschriften vorgewor- Kinder, Helmut (geb. 1929), Manfred
fen wurde, handelte es sich bei den (geb. 1933), Eva (geb. 1937) und
Festgenommenen um Männer mit Norbert (geb. 1939).
wichtigen Funktionen in der KPD Schon im Jahr 1928 war Karl Lang
oder in mit ihr verbundenen Orga- KPD-Mitglied, trat zwischenzeitlich
nisationen. Dazu gehörten auch der aus der Partei aus, aber schon Ende
politische Leiter der KPD und Stadtrat 1930 wieder ein. In der Zeit vom
in Ebingen Adolf Frey, der Stadtrat Herbst 1931 bis in den Sommer des
und spätere Tailfinger Bürgermeister Jahres 1932 war er Literaturobmann
Reinhold Gonser und Johannes Vö- der Ebinger KPD-Ortsgruppe und ab
gele, der zusammen mit Lang an der Mitte 1932 Mitglied des Presseaus-
Herstellung der Wochenzeitung „Rote schusses der Wochenzeitung die Karl und Elisabeth Lang Mitte der 1920er-
Bombe“ beteiligt war. „Rote Bombe“. Jahre. Foto: Klaus u. Elke Jetter
In der Nacht vom 10. auf den
11. März 1933 kam es nicht nur in „Massenkampf gegen die faschis- „Massenkampf gegen faschistische
Ebingen zu Verhaftungen politischer tische Diktaturherrschaft…!“ Diktaturherrschaft ist die Losung der
Oppositioneller. In ganz Württemberg Die „Rote Bombe“ war ein zwischen KPD“. Lang hatte den Inhalt seines
wurden in nur einer Woche etwa Juli 1931 und Anfang 1933 erschei- Artikels dabei im Wesentlichen einem
1.700 kommunistische und sozialde- nendes Mitteilungsblatt der KPD für Beitrag aus der Süddeutschen Ar-
mokratische Funktionäre in die soge- die Bezirke Ebingen, Tailfingen und beiterzeitung vom 31. Januar 1933
nannte Schutzhaft genommen. Balingen. Im Blatt erschienen neben entnommen. Dieser Beitrag war
einem politischen Leitartikel vor allem schließlich der Auslöser für seine Ver-
Ebingen Situationsberichte aus den verschie- haftung.3
Christian Karl Lang wurde am 24. denen Unternehmen der Region, Am 11. März wurden Johannes
Februar 1902 im württembergischen die in teilweise sehr polemischer und Vögele, in dessen Haus die „Ro-
Öhringen geboren und evangelisch aggressiver Art die, aus Sicht der in te Bombe“ gedruckt worden war,
getauft, die Eltern waren Gottlieb der KPD organisierten Arbeiterschaft, und Karl Lang von Mitgliedern der
Lang und Marie geb. Steinle. Zwi- Missstände in den jeweiligen Unter- Schutzpolizei und der SS verhaftet.
schen 1909 und 1916 besuchte er die nehmen anprangerten. Auch mit dem
dortige Volksschule. Im April 1920 politischen Gegner, wozu nicht nur die 1 Meldung des Württembergischen Polizeiamts
Ebingen vom 20.3.1933, Staatsarchiv Sigma-
legte er in Heilbronn die Gehilfenprü- Nationalsozialisten gehörten, setzte
ringen (StAS) Wü 65/4 T 4 Nr. 1532.
fung als Drucker und Setzer ab. Als sich die Zeitung kritisch auseinander.2 2 Gerhard Hauser: Albstadt. Von der Industri-
Schriftsetzer arbeitete er in Öhringen, So war die Industriearbeiterschaft der alisierung bis zum Zusammenschluss 1975.
Luxemburg, Stuttgart und Tübingen. Weimarer Republik tief gespalten. Überarbeitung Peter Thaddäus Lang und
Dorothea Reuter. Albstadt 2015 (Schriftenrei-
Am 22. November 1926 zog Lang Für die KPD war die Sozialdemokra-
he Stadtarchiv Albstadt, Band 1), S. 92-95.
nach Ebingen. Von Januar 1931 bis tie Bestandteil des zu bekämpfenden 3 Die als „Mössinger Generalstreik“ in die
zu seiner Verhaftung am 10. März Systems. Geschichte eingegangene Streikaktion vom
1933 war er als Schriftsetzer vermut- In der Ausgabe vom 3. Februar 31. Januar 1933 gilt als der deutschlandweit
einzige Versuch, die Machtübernahme der
lich beim Neuen Albboten in Ebingen 1933 erschien ein von Karl Lang
Nationalsozialisten durch einen Generalstreik
beschäftigt. Allerdings finden sich verfasster Leitartikel, mit einem Aufruf zu verhindern (http://moessinger-general-
für den Zeitraum vom 30. November zum Generalstreik, unter dem Titel streik.de - abgerufen am 14.2.1016).

32
Die „Rote Bombe“ wurde im Februar
1933 wegen „Beschimpfung und bös-
williger Verächtlichmachung leitender
Beamter des Reichs verboten.“4

„Schutzhaft“
Das Instrument der „Schutzhaft“,
eines der wichtigsten Instrumente
der Nationalsozialisten, wurde in der
Anfangszeit der Diktatur vor allem zur
Ausschaltung der politischen Opposi-
tion verwendet. Die formaljuristische
Grundlage war die durch Reichspräsi-
dent Paul von Hindenburg erlassene
„Verordnung des Reichspräsidenten
zum Schutz von Volk und Staat“, die
sogenannte „Reichstagsbrandverord-
nung“ vom 28. Februar 1933. Mit
Hilfe dieser Verordnung wurden we-
sentliche Grundrechte der Weimarer
Reichsverfassung, wie das Recht der
freien Meinungsäußerung oder das
Versammlungsrecht außer Kraft ge-
setzt. Damit wurde ein bis zum Ende
der nationalsozialistischen Gewaltherr-
schaft andauernder ziviler Ausnahme-
zustand geschaffen, in dem die Polizei
einer rechtsstaatlicher Überprüfbarkeit
durch die Justiz entzogen war.
Die meisten „Schutzhäftlinge“
wurden nicht in ihren Heimatorten
inhaftiert, da die Nationalsozialisten
befürchten mussten, dass sich die ein-
heimische Bevölkerung eventuell mit
den Häftlingen solidarisieren könnte.
Lang kam mit seinen Leidensgefähr-
ten zunächst in das Landesgefängnis
Rottenburg und am 21. März 1933 in
das neu eingerichtete „Schutzhaftla-
ger“ Heuberg bei Stetten am kalten
Markt.
Karl Lang stand während seiner
Haftzeit in ständigem Briefkontakt mit
Titel der Roten Bombe vom 3.2.1933. Foto: Stadtarchiv Albstadt
seiner Frau und Angehörigen seiner
Familie in Ebingen und Öhringen. Aus
dieser Zeit haben sich 35 Briefe und ben. Die wahrscheinlich erste schrift- Konzentrationslager Heuberg
Postkarten Langs erhalten, davon 34 liche Nachricht an seine Frau, die er Schon die ersten Verhaftungswellen
an seine Ehefrau Elisabeth. Die Briefe einen Tag nach seiner Ankunft in Rot- Anfang und Mitte März führten zu
befinden sich als Bestand N 5 seit tenburg geschrieben hatte, war von einer Überfüllung der württember-
2011 im Archiv des Zollernalbkreises der Zensur einbehalten worden, „weil gischen Gefängnisse. Daher verfügte
in Balingen. Darunter stammen 14 einige politische Sätze drinstanden, die der für die württembergische Polizei
Briefe aus dem Konzentrationslager unter dem heutigen Herrschaftssystem zuständige Reichskommissar Dietrich
Heuberg, vier aus dem Gerichtsge- verpönt sind. Man darf also nur noch von Jagow noch im März die Einrich-
fängnis Stuttgart I und 17 Briefe aus rein persönliche Briefe schreiben“. Wir tung eines „geschlossenen Konzentra-
dem Landesgefängnis Rottenburg. erfahren, dass Lang zusammen mit tionslagers für politisch Gefangene“.
Der erste Brief Langs an seine Frau Adolf Frey in einer Zelle eingesperrt Bereits am 20. März 1933 wurden die
Elisabeth, die er Liese nannte, datiert war und dass die Gefangenen Hunger ersten Häftlinge in das neu errichtete
vom 19. März 1933 und wurde im gelitten haben müssen, da Lang von
Landesgefängnis Rottenburg geschrie- „strenger Diät“ schreibt. 4 Volksfreund vom 16.2.1933.

33
III waren besonderen Schikanen bis
hin zu Folterungen ausgesetzt.6
Diese Einstufung korrespondiert
auch mit der Zuweisung auf die Häu-
ser. Untergebracht waren die „Schutz-
häftlinge“ in bis zu 30 Steinhäusern
der ehemaligen Militärkaserne. Die
Häftlinge der Stufe III wurden in den
Häusern 19 und 23 untergebracht, für
die übrigen Gefangenen gab es keine
besondere Zuordnung.
Der älteste Sohn Karl Langs, Helmut
Lang, berichtete in einem Interview im
Jahr 1988 von den Verhörmethoden.7
Im Zuge der sogenannten „Emp-
fangsfeierlichkeiten“ wurden viele
der neuangekommenen Häftlinge
gedemütigt. Ihnen wurden die Haare
abgeschnitten; sie wurden nackt
unter den Wasserstrahl eines Was-
serhydranten gehalten oder mussten
durch eine Gasse von prügelnden
SA- und SS-Männern „Spießrutenlau-
fen“. Misshandlungen durch Schläge
Wachposten der Schutzpolizei und SA stehen vor dem KZ Heuberg. Foto: Schwarzwälder Bote
waren die am häufigsten angewandte
Methode. Helmut Lang berichtet aber
Konzentrationslager, das in Gebäuden Oberer Kuhberg bei Ulm und im An- auch von der Folter an den eisernen
der ehemaligen Kaserne des Truppen- schluss Leiter des Polizeigefängnisses Kanonenöfen, die es in jeder Baracke
übungsplatzes Heuberg bei Stetten Welzheim. Im Jahr 1940 war er für die gab. Die Häftlinge wurden am Genick
am kalten Markt untergebracht war, Errichtung des sogenannten Siche- gepackt, der Kopf wurde in das Ofen-
verlegt. Wobei im „Schutzhaftla- rungslagers Schirmeck-Vorbruck im loch des heißen Ofens gedrückt und
ger“ Heuberg ausschließlich Männer Elsass verantwortlich und übernahm sie mussten „Ich bin ein roter Hund“
gefangen gehalten wurden. Frauen auch den Posten des Lagerkom- in den Ofen hinein schreien. Ob Karl
kamen in eine spezielle „Schutz- mandanten. Buck wurde nach dem Lang selbst Opfer solcher Misshand-
haftabteilung“ im Frauengefängnis Krieg sowohl von einem britischen als lungen wurde, ist nicht bekannt.
Gotteszell in Schwäbisch Gmünd. auch einem französischen Gericht als Die „Schutzhäftlinge“ über ihr
Der Umgang der Wachmann- Kriegsverbrecher zum Tode verurteilt. weiteres Schicksal im Unklaren zu
schaften mit den Häftlingen war Die Strafen wurden allerdings nie lassen, war eine weitere Schikane der
zumindest unter den ersten beiden vollstreckt. Im Jahr 1955 wurde er an Nationalsozialisten. Eine einheitliche
Kommandanten, dem ehemaligen Deutschland ausgeliefert, kam frei Regelung, wie lange ein „Schutzhäft-
Polizeioberst Gustav Reich und dem und starb 1977 im württembergischen ling“ im Konzentrationslager oder
Major a.D. Max Kaufmann korrekt. Rudersberg.5 einem Gefängnis zu bleiben hatte, ist
Berichte über Misshandlungen oder Grundsätzlich wurden die Häftlinge nicht bekannt. Auch Elisabeth Lang
Folter, soweit zeitlich bestimmbar, im KZ Heuberg nach der Dienst- und versuchte mehrmals ihren Mann frei-
sind erst ab Mitte April nachweisbar, Vollzugsordnung vom April 1933 in zubekommen. Die Gesuche wurden
als die Leitung des Konzentrationsla- drei Stufen eingeteilt. Die neu einge- aber immer abgelehnt. Wahrscheinlich
gers, das nur 9 Monate existierte und wiesenen Häftlinge kamen in die Stufe auch deshalb, weil an Karl Lang ein
schon Ende Dezember 1933 wieder II. In der ersten Stufe befanden sich Exempel statuiert werden sollte.
aufgelöst werden sollte, auf Karl Buck diejenigen Gefangenen, die Aussicht
5 Markus Kienle: Das Konzentrationslager
übergegangen war. auf eine baldige Entlassung hatten. In Heuberg bei Stetten am kalten Markt. Ulm,
Karl Buck wurde 1893 in Stuttg- die Stufe III kamen in erster Linie sozi- Münster 1998, S. 122, 161f. und 167. – Ernst
art geboren. Den Ersten Weltkrieg aldemokratische und kommunistische Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich.
Wer war was vor und nach 1945. Frankfurt
beendete er im Rang eines Leutnants. Funktionäre. Dazu führt die Dienst-
a.M., 4. Aufl., 2013. - http://www.gedenk-
Der NSDAP trat Buck am 1. März und Vollzugsordnung aus: „Sind sie staettenforum.de/nc/gedenkstaetten-rund-
1931 bei. Vor seiner Zeit auf dem [die Häftlinge] jedoch als Hetzer oder brief/rundbrief/news/sicherungslager_schir-
Heuberg war er Kreisleiter in Welz- Funktionäre bekannt oder stellt sich meck_vorbruck (abgerufen am 27.1.2016).
6 Nach Kienle, Heuberg (wie Anm. 5), S. 64.
heim. Nach Schließung des Lagers auf heraus, daß sie geistige Drahtzieher
7 Interview vom 8.12.1988 durch Margarete
dem Heuberg wurde er Kommandant sind, so kommen sie in die letzte Stu- Steinhart, Stadtarchiv Balingen, Zeitzeugenin-
des Nachfolge-Konzentrationslagers fe.“ Vor allem die Häftlinge der Stufe terviews E 5/1.

34
Der erste Brief Langs aus dem KZ
Heuberg datiert vom 30. März 1933.
Adressat ist ein Halbbruder seiner
Frau, Karl Nudischer. Von ihm erhielt
Lang einen Tag zuvor die Nach-
richt von der Geburt seines zweiten
Sohnes.
In den Briefen Langs gibt es, sicher
auch wegen der Zensur, nur wenige
Hinweise auf eine Veränderung der
Haftbedingungen oder über Miss-
handlungen von Mithäftlingen. So
schreibt er am 17. April an seine
Frau: „Die Gefangenen werden wohl
anständig behandelt.“ Nur einmal
erwähnt er, dass ein Häftling, das Mit-
glied des Ebinger Gemeinderats und
Leiter des dortigen Ortsvereins der
SPD, Hans Schaudt, in dem „Straf-
bau“ untergebracht wurde. Karl Lang
gehörte, wie sich aus den Adressen
seiner Briefe entnehmen lässt, nicht
zu den Häftlingen, die als besonders
gefährlich angesehen wurden, da er
in den Häusern mit den Nummern 16
und 20 untergebracht war.
Für ihre Kleidung und deren Zu-
stand mussten die Gefangenen selber
Sorge tragen. Lang bekam von seiner
Ehefrau regelmäßig Wäsche zuge-
schickt. Zu Beginn seiner Haftzeit
versuchte er, diese selber zu wa-
schen, gab das aber bald auf. Danach
schickte er seiner Frau die Schmutz-
wäsche für die Reinigung nach Hause.
Anfang Mai wurden für die Gefange-
nen, die Arbeitsdienst zu leisten hat-
ten, Arbeitsanzüge und Arbeitsschuhe
ausgegeben.
In den Paketen der Angehörigen
Brief vom 9.5.1933. Foto: Kreisarchiv Zollernalbkreis Bestand N 5
befanden sich neben der Wäsche
auch Zigaretten, Lebensmittel, Fotos
der Familie und manchmal auch etwas Lang seiner Frau im Brief vom 4. April: oft eine willkommene Abwechslung
Geld. Zu manchen Zeiten wurden „Nach Öhringen habe ich bereits von der quälenden Langeweile dar-
aber das Geld oder auch die soge- vorige Woche einen Brief verfasst, stellte; Lang bezeichnete die Phasen
nannten Rauchwaren ohne Begrün- konnte ihn aber bis zu dieser Stun- der Untätigkeit als „kaum erträglich“.
dung eingezogen, wie beispielsweise de nicht abschicken, weil wir wieder Grundsätzlich scheinen auch
im April 1933. Eine gewisse Willkür einmal Schreibverbot und Briefsperre Besuche von Angehörigen auf dem
herrschte auch bei der Korrespon- hatten.“ Heuberg möglich gewesen zu sein.
denz, für die es aber Regelungen Die Essensrationen waren oftmals Nicht immer durften aber die „Schutz-
gab – Gefangene der Stufe I durften nicht ausreichend, das Essen selber häftlinge“ ihren Besuch tatsächlich
jede Woche, die Gefangenen der von schlechter Qualität, obwohl ein empfangen, wie im Mai 1933, als Eli-
Stufe II alle 2 Wochen und Gefange- Teil der Häftlinge harte körperliche sabeth Lang nicht zu ihrem Ehemann
ne der Stufe III alle 3 Wochen einen Arbeit zu verrichten hatte. Viele der vorgelassen wurde.
Brief senden.8 Es scheint allerdings, Gefangenen, darunter auch Lang, Eines der zentralen Themen Langs
dass die Vorschriften sowohl durch wurden zum Bau einer Straße im in den Briefen an seine Ehefrau war
die Lagerleitung als auch durch die Pfaffental und der Straße von Stetten die Sorge um die Situation der Familie.
Wachmannschaften ziemlich willkür- nach Meßstetten herangezogen. Wo-
lich ausgelegt wurden. So berichtete bei diese Arbeiten für viele Häftlinge 8 Kienle, Heuberg (wie Anm. 5), S. 76.

35
Auch die Ungewissheit, wie es mit sage Langs, er hätte von dem Inhalt Karl Lang zur Strafverbüßung ins Lan-
ihm weitergehen würde, setzte ihm des „hochverräterischen“ Artikels in desgefängnis Rottenburg verlegt. Die
zu: „Mit dem heutigen Tag ist bereits der „Roten Bombe“ beim Druck der Tageszeitung „Der Wille“ überschrieb
die 8. Woche verflossen, die wir auf Zeitung nichts gewusst.11 eine kurze Meldung zum Prozess lapi-
dem Heuberg sitzen. Die eine Frage, In der Urteilsbegründung heißt es dar mit: „Die Rote Bombe geht nach
die jeden Tag wieder kehrt heißt bei unter anderem: „Die kommunistische hinten los.“12
den meisten: Wie lange noch? Und Partei erstrebt als politisches Endziel In Rottenburg war Lang in der
keiner kann Antwort geben. Haltlose die Aufhebung der in Deutschland Mattenmacherei beschäftigt, wofür
Kombinationen sind an der Tagesord- bestehenden Verfassung und an ihrer er einen, wenn auch geringen Lohn
nung. Heftige Wortgefechte sind die Stelle die Errichtung der Diktatur des erhielt. In der Regel durfte er einmal
Folge, die dann meistens in Wortklau- Proletariats […]. Den Angeklagten im Monat, zum Ende seiner Haftzeit
bereien ausarten – alle sind nervös, [Karl Lang und Paul Müller] ist nun alle drei Wochen, einen Brief schrei-
viele können sich nicht schmecken; zur Last gelegt, dass sie in bewusstem ben. Elisabeth Lang konnte ihren
und so machen sie sich selbst und und gewolltem Zusammenwirken Mann mindestens zweimal in Rotten-
nicht minder ihren Mitgefangenen […] in Kenntnis und unter Billigung burg besuchen, beim zweiten Mal, im
das ohnehin durch die ausdauernde des hochverräterischen Inhalts des September 1934, war auch der älteste
Untätigkeit kaum erträgliche Gefan- Leitartikels zum Zwecke der Verbrei- Sohn Hermann dabei. Ein weiteres
gensein noch bitterer […] Also warte tung hergestellt und das sie hierdurch Gnadengesuch durch Elisabeth Lang
ich eben aufs Heimkommen!!! Wie gemeinschaftlich das hochverräte- bei Reichsstatthalter Wilhelm Murr
lange noch ???“9 Die fehlenden Infor- rische Unternehmen, die Verfassung wurde wiederum abschlägig beschie-
mationen aus der Heimat oder wenn des Deutschen Reichs gewaltsam den.
ein sehnlich erwarteter Brief ausblieb, zu ändern, wodurch sie sich je eines Wahrscheinlich aus Geldmangel und
zehrten ebenfalls an den Nerven des Verbrechens der gemeinschaftlichen um die beiden kleinen Kinder besser
Gefangenen. Vorbereitung zum Hochverrat […] versorgen zu können, löste Elisabeth
Seit Juli 1933 wusste Lang, dass schuldig gemacht haben.“ Lang Ende des Jahres 1933 die Woh-
gegen ihn ein Prozess wegen Hoch- Indirekt wurden Lang und Müller nung in der Degerwandstraße 49 auf
verrats in Vorbereitung war. Wobei er auch für ihre Mitgliedschaft in der und zog zu ihren Eltern in die Sonnen-
selbst zu diesem Zeitpunkt mit nicht KPD verurteilt: „Bei der Strafzumes- str. 110. Sie war als Näherin in einer
mehr als drei Monaten Gefängnis sung wurden den Angeklagten Müller örtlichen Trikotfabrik beschäftigt,
rechnete. Der letzte Brief vom Heu- und Lang mildernde Umstände im bekam aber auch Unterstützung vom
berg datiert auf den 29. Juli 1933. Hinblick auf die Gefährlichkeit ihres städtischen Wohlfahrtsamt Ebingen.
Zwei Tage später wurde Karl Lang Handelns unmittelbar nach der Bil- Karl Lang wurde am 30. November
ins Gerichtsgefängnis nach Stuttgart dung der nationalen Regierung und 1934, kurz vor dem regulären Ende
verlegt. angesichts der Versuche der kommu- der Haftzeit am 19. Dezember 1934,
nistischen Partei, den Generalstreik zu aus der Haft entlassen. Einen Teil der
Prozess und Haft entfachen, versagt.“ Gerichtskosten musste die Familie
Im August konnte Elisabeth Lang Im Urteil des Strafsenats des OLG über viele Jahre bis in den Sommer
endlich ihren Mann besuchen. In Stuttgarts wurde auch eine frühere 1939 in wöchentlichen Raten abbe-
dieser Zeit schien bei Karl Lang auch „Straftat“ Langs erwähnt. Dieser war zahlen.
die Hoffnung auf ein schnelles Ende am 16. Juni 1932 „wegen Verbreiten
seiner Haftzeit zu schwinden. Aus einer unzüchtigen Schrift“ vom Amts- Balingen
verschiedenen Textpassagen geht gericht in Balingen zu einer Geldstrafe Nach seiner Entlassung bekam Lang
hervor, dass er nun doch mit einer von 80 Reichsmark verurteilt worden. zunächst keine feste Anstellung, da
längeren Verurteilung rechnete, wenn Die Verurteilung stand wahrscheinlich viele Firmen mit einem Regimegegner
er schreibt: „Entzückt über die darin in Zusammenhang mit seiner Tätigkeit nichts zu tun haben wollten. Zwischen
angedeuteten Möglichkeiten der lan- für die „Rote Bombe“. Schon in den dem 10. Dezember 1934 und dem
gen Dauer unserer Trennung werdet Jahren vor Beginn der nationalsozia- 13. Dezember 1935 arbeitete Lang
Ihr nicht gewesen sein!“10 listischen Diktatur gingen Polizei und bei verschiedenen Firmen als Bau-
Am 18. Oktober 1933 kam es vor Justiz, viele ihrer Angehörigen waren hilfsarbeiter. Im Jahr 1936 wechselten
dem Strafsenat des Oberlandes- antirepublikanisch und antikommuni- sich kurze Perioden von Arbeitslosig-
gerichts Stuttgart zur Verhandlung stisch eingestellt, hauptsächlich gegen keit und Beschäftigung ab. Zum 1.
gegen die drei Ebinger Karl Lang, Verstöße aus dem linken politischen Dezember 1936 bekam er schließlich
Johannes Vögele und Paul Müller we- Lager vor. So finden sich in den Un- eine Stelle als Schriftsetzer beim Ver-
gen des Tatbestands der Vorbereitung terlagen späterer „Schutzhäftlinge“
zum Hochverrat. Lang und Müller immer wieder Hinweise auf Straf- 9 Brief vom 16.5.1933.
wurden je zu einer Gefängnisstrafe befehle und Verurteilungen, die aus 10 Brief vom 9.10.1933
11 Abschrift des Urteils vom 18.10.1933 in der
von einem Jahr und vier Monaten den frühen 1930er-Jahren stammten,
Wiedergutmachungsakte, StAS Wü 33 T 1
verurteilt. Johannes Vögele wurde zumeist wegen geringer Vergehen. Nr. 91.
freigesprochen, auch wegen der Aus- Am Tag nach dem Prozess wurde 12 Der Wille vom 23.10.1933.

36
lagshaus Hermann Daniel, mit Sitz im Karl und Elisabeth
Wilhelm-Murr-Haus in Balingen, wo Lang mit ihren Kin-
dern Helmut und
auch die NS-Tageszeitung „Der Wille“
Manfred um 1935.
gedruckt wurde. Im August 1937
Foto: Klaus u. Elke
zog die Familie nach Balingen, in die Jetter
Geislingerstr. 115.
Kurz vor Kriegsende, im März 1945,
wurde Lang zum Landesschützen- 1956 hatte er
Bataillon Pforzheim eingezogen und die Position eines
durchlief eine Ausbildung, bis er Betriebsleiters.
schließlich am 19. April 1945 in fran- Eine Zeitlang
zösische Kriegsgefangenschaft geriet war Lang für die
– und wieder verfasste sein Frau Ent- VVN-Kreisgruppe
lassungsgesuche. Unterstützung, auch Balingen tätig, im
in Form von Geld, bekam Elisabeth Jahr 1948 weist
Lang nun durch die „Vereinigung der ihn ein Frage-
Verfolgten des Naziregimes“ (VVN). bogen als deren
Die Entlassung aus französischer Vorstand aus.
Kriegsgefangenschaft erfolgte schließ- Aufgrund seiner
lich am 18. Mai 1947. Erfahrungen
Im Jahr 1951 erhielt Karl Lang vom hat sich Karl
Landesamt für Wiedergutmachung Lang nach 1945
als Entschädigung für erlittene Frei- politisch aller-
heitsentziehung und als Verfolgter dings nicht mehr
des nationalsozialistischen Regimes betätigt. Auch
insgesamt 2.850 DM. Gleichzeitig vom Kommunis-
wurde das Urteil des Strafsenats des mus war er nach
OLG Stuttgart vom 18. Oktober 1934 Aussage seines
aufgehoben. Sohnes Helmut
Im Jahr 1948 nahm Lang seine Stel- desillusioniert
le als Schriftsetzer beim Verlagshaus und enttäuscht – nicht zuletzt wegen Karl Lang ist am 21. September
Hermann Daniel in Balingen wieder des 1939 abgeschlossenen deutsch- 1957 in Balingen gestorben, seine
auf. Bei seiner Pensionierung im Jahr sowjetischen Nichtangriffspaktes. Ehefrau Elisabeth im April 1975.

Herzlich willkommen Samstag, 23. April 2016, 16.30 Uhr


serdecznie witajcie – welcome – Ökumenischer Gottesdienst in der Kapelle beim KZ-Friedhof Schörzingen
bienvenue – welkom – velkommen Der Gottesdienst wird gestaltet von Pfarrer Honold und Pfarrer Kreidler.

zur Woche der Begegnung Sonntag, 24. April 2016,


und zur Gedenkfeier 2016 der
Initiative Gedenkstätte Eckerwald e.V.
10.00 Uhr Gedenkfeier beim Mahnmal im Eckerwald
Bei Regenwetter: In der Kapelle des KZ-Friedhofs Schörzingen
Die Initiative Gedenkstätte Eckerwald
freut sich, dass auch in diesem Jahr Die Vergangenheit zu kennen hilft!
wieder eine Reihe von Gästen aus Gedenken mit den Opfern und Nachkommen
dem In- und Ausland ihrer Einladung
folgen, darunter auch einige Zeitzeu- Referentin: Sibylle Thelen, Leiterin des Gedenkstättenreferats
gen. bei der Landeszentrale für politische Bildung
In diesem Jahr steht die Woche der Beiträge von Zeitzeugen und eine Schüler-Performance.
Begegnung unter der Überschrift „Die
Vergangenheit zu kennen hilft!“ 12.30 Uhr: Empfang durch die Stadt Rottweil
Die Kenntnis der Vergangenheit Überlebende KZ-Häftlinge und Angehörige
kann – gerade wenn es sich um sind als Gäste der Stadt eingeladen,
dunkle Geschichtsabschnitte wie den Begrüßung: Oberbürgermeister Ralf Broß
Nationalsozialismus handelt – helfen,
auch die Gegenwart besser zu verste- 15.30 Uhr: Besuch des KZ-Friedhofs Schömberg
hen. und der Gedenkstätte Dautmergen-Schömberg

37
„Ich habe niemals gedacht, dass ich in Deutschland
Freunde finde.“
Jacek Zieliniewicz, überlebender KZ-Häftling von Auschwitz und Dautmergen

Gerhard Lempp, Rottweil

Er spricht leise, er spricht langsam, Jacek Zieliniewicz


nachdenklich, und er spricht vor allem spricht als Zeitzeu-
authentisch. Darauf kommt es an, ge an einer Schule.
seine Zuhörer – Schüler, die ungefähr
so alt sind, wie er damals war, als man
ihn abholte und ins Konzentrations- Angehörigen
lager steckte – hören ihm aufmerk- aller slawischen
sam zu, über eine Stunde lang. Da Völker sollte ihre
ist keiner, der Quatsch macht, da ist naturgemäße
konzentrierte Stille. An der Tafel ist biologische Be-
mit Magneten ein Plakat befestigt, stimmung darin
ein Luftbild vom unübersehbaren bestehen, der
Barackenfeld des Lagers Auschwitz- Herrenrasse als
Birkenau. Arbeitssklaven
Die Zahl der Schulklassen, erst recht zu dienen. Dazu
die Zahl der Schülerinnen und Schüler, bedurfte es
vor denen er über seine KZ-Gefangen- keiner Bildung,
schaft schon gesprochen hat, lässt sich Schulen wurden
längst nicht mehr zählen. Wenn er mit geschlossen.
seinem Bericht zu Ende gekommen ist, Da bilden sich
stellen die Schüler, meist sind es im Untergrund
Schülerinnen, Fragen. Und regelmäßig heimliche
kommt die Frage: Haben Sie – nach all Lerngruppen.
den Erfahrungen – keinen Hass auf Jacek nimmt an
Deutschland? Die Antwort klingt solchen Zusam-
einfach und klar: Es gibt nicht gute menkünften teil.
und böse Nationen, es gibt nur gute Dann kommt der 20. August 1943. Auschwitz-Birkenau
und böse Menschen. Und in jeder Früh morgens, es ist noch dunkel, Auschwitz-Birkenau, das bedeutet
Nation gibt es solche und solche. klopft es an die Tür, Gestapo. „Wohnt zweierlei. Erstens: Massenmord an
Jedoch so einfach die Antwort klingt, hier Zieliniewicz? Ist der Sohn Jacek zu etwa 1,1 Millionen Juden in vier
sie ist kompliziert. Dahinter steht ein Hause?“ Er wird abgeführt. „Wir Gaskammern und Krematorien. Fast
ganzes Leben. waren neun Personen, die aus den zwei Jahre lang rollten 1942 bis 1944
Häusern geholt wurden. Auf der Tag und Nacht die Deportationszüge
Konzentrationslager statt Straße stand ein LKW. Wir mussten an die Rampe in Birkenau, fanden die
Schulbildung auf die Ladefläche steigen und uns Selektionen statt: Zwei Drittel in die
Jacek Zieliniewicz ist am 10. Mai 1926 mit dem Gesicht nach unten hinlegen. Gaskammern, ein Drittel zum Pro-
in einer kleinen Stadt in der Nähe Wir haben gedacht, wir fahren in den gramm „Vernichtung durch Arbeit“.
von Posen geboren. Er ist dreizehn Wald, um erschossen zu werden.“1 Aber der Massenmord findet nicht nur
Jahre alt, als die deutsche Wehrmacht Später geht es weiter mit der an Juden statt, sondern auch an Sinti
im September 1939 blitzkriegartig Eisenbahn. Nach zwölf Stunden und Roma, an russischen Kriegsgefan-
Polen besetzt und damit den Zweiten Zugfahrt sind sie an der Rampe in genen, an Polen und anderen.
Weltkrieg vom Zaun bricht. Es kommt Auschwitz-Birkenau angekommen. Auschwitz-Birkenau bedeutet
zu Zwangsumsiedlungen. Die Familie Jacek hat nie erfahren, was der zweitens eine Konzentrationslager-
Zieliniewicz landet in Konskie, das Grund für seine Verhaftung war. Hat Stadt mit bis zu 140.000 Häftlingen,
etwa in der Mitte zwischen Warschau die Gestapo Wind bekommen vom untergebracht in 250 Pferdestall-Bara-
und Krakau im so genannten General- heimlichen Unterricht in der Unter- cken auf einer Fläche von 1,7 Qua-
gouvernement liegt. grund-Lerngruppe? Wurde er denun- dratkilometern, umzäunt von 16
Gemäß der rassistischen Ideologie ziert? Oder brauchte die nationalsozi- Kilometern Stacheldraht.
gehörte es zur Besatzungspolitik Nazi- alistische Kriegswirtschaft einfach 1 Wüste 10, Gedenkpfad Eckerwald, 4. Auflage,
Deutschlands, die polnische Bevölke- kräftige junge Männer als KZ-Skla- Initiative Gedenkstätte Eckerwald, „Meine
rung ungebildet zu halten. Wie bei ven? Jacek hat es nie erfahren. Schulzeit“

38
400.000 registrierte Häftlinge Lager Dautmergen, das er noch um
gingen durch dieses größte Konzen- einiges schlimmer erlebt.
trationslager, einer davon mit der Das Lager muss erst aufgebaut
Nummer 138142, eintätowiert auf werden. Die Häftlinge sind zunächst
dem linken Unterarm, ist Jacek in Zelten untergebracht. Nach und
Zieliniewicz. nach entstehen die Holzbaracken: Die
Ein Kapo begrüßt die Neuankömm- Blocks 1 – 4 als Häftlingsunterkünfte,
linge mit den Worten: „Ihr seid hier das Krankenrevier, der Schonungs-
nicht in ein Sanatorium gekommen, block und die Küchenbaracke. Auf
sondern in ein deutsches Konzentrati- knapp dreitausend Häftlinge steigt die
onslager, aus dem es nur einen Weg Belegzahl bis Mitte November 1944,
hinaus gibt: durch den Kamin des ihre Aufgabe: Körperliche Schwerar-
Krematoriums. Ihr habt das Recht, beit beim Aufbau der Schieferölwerke
drei Monate zu leben oder sofort in des Unternehmens WÜSTE. Lange
die Drähte zu laufen.“2 Anmarschwege zu den Baustellen
Es beginnt mit der „Quarantäne“. kommen erschwerend hinzu, auf der
Das bedeutet, der Häftling muss anderen Seite ist die Versorgungslage
lernen, dass er kein Mensch mit einem absolut mangelhaft. Es gibt zu wenig
Namen und einer Würde mehr sei, Wasser, Hygiene bleibt ein Fremd-
sondern eine Nummer, eine willfäh- Jacek Zieliniewic 1943, vor seiner Verschlep- wort. Der Herbst bringt Regenfälle,
rige Arbeitsmaschine, nichts weiter. pung ins KZ Auschwitz. dadurch verwandelt sich das Lagerge-
Sinnlose Sport-Übungen, stunden- lände in einen Matschsumpf. Jacek
langes Laufen – Hinliegen – Aufstehen Lager Dautmergen. Es ist der erste beschreibt die Lage so: „Wir waren
- Laufen, Geschrei, Prügeleien, große Transport von Auschwitz in die unsagbar hungrig und wurden zuneh-
vergiss, dass du ein Mensch bist. WÜSTE-Lager. Außer Jacek befinden mend schwächer. Wir waren schmut-
Nach zwei Monaten wird er einem sich in den Waggons Stanislaw Glady- zig und verwahrlost. Weder Unterwä-
Maurerkommando zugewiesen. Die sek, Stanlislaw Majchrzak und Eugeni- sche noch Häftlingsanzug konnten
Arbeit wäre für den jungen Mann usz Dabrowski. Doch weder in diesem gewechselt werden. Sogar unser Haar
nicht schlimm, käme nicht der dau- Transport, noch sonst während ihrer wurde immer länger, weil es nichts
ernde Hunger dazu, die Kälte, die Lagerzeit, begegnen sie sich bewusst. gab, womit wir es hätten schneiden
schlechte Kleidung. „Wir waren Kennen lernen werden sie sich erst können. Wir hatten Läuse. Menschen
hungrig, aber am schlimmsten war fünfzig Jahre später, als die Initiative starben.“5
die Kälte. Wir standen den ganzen Eckerwald sie 1995 zur Gedenkfeier in Jacek verliert innerhalb von drei
Tag draußen. Wenn es regnete, den Eckerwald einlädt. Monaten fast die Hälfte seines
wurden wir nass. Nach dem Nach einem Jahr Auschwitz-Birke- Gewichtes von 70 auf 38 Kilogramm.
Abendappell mussten wir in den nau, das schon schlimm genug war, Da wird einer der polnischen Ärzte,
nassen Anzügen schlafen, auf den kommt Jacek am 23. August 1944 ins die im Transport mitgekommen sind,
Pritschen. Es war kalt.“3 auf ihn aufmerksam. Der verschafft
Das andere Auschwitz, die Todesfa- ihm ein Versteck in der Krankenbara-
brik ist allgegenwärtig. Jacek berich- cke. Jacek sagt: „Der Arzt hat mir das
tet: „Wenn wir zur Arbeit ausrückten, Leben gerettet!“.
begegneten wir immer Menschen, die Es grenzt an ein Wunder, dass Jacek
in die Gaskammern gingen. Sie zwei Monate lang im Revier unterge-
wussten nicht, wohin sie gingen; wir bracht ist, wo er besseres Essen erhält,
schon. Und es beeindruckte uns nicht wo ihm das Appellstehen erspart
besonders. Wir dachten darüber nach, bleibt und wo er leichtere Aufgaben
ob wir noch normale Menschen seien. zugewiesen bekommt.
Aber der Anblick der Kinder, die in Im Januar 1945 wird er – dank
den Tod gingen, berührte uns zutiefst seiner Deutschkenntnisse – dem Rech-
und erzeugte ein Gefühl der inneren nungsführer des Lagers, seinen
Auflehnung. Der Geruch verbrannter Namen hat er vergessen, als Kalfaktor
menschlicher Körper durchdrang alles: zugewiesen. An diesen hat Jacek
unsere Kleider, Strohsäcke, Decken, ausgesprochen gute Erinnerungen.
das Brot und die Suppe.“4
2 Wüste 10, „Meine Schulzeit“
Dautmergen 3 Cicero, Magazin für politische Kultur, Berlin,
12. März 2015, „Besser wäre es, sich nicht zu
Am 20. August 1944 verlässt ein
erinnern“ von Philipp Daum
Transport mit tausend Häftlingen 4 Wüste 10, „Meine Schulzeit“
Auschwitz-Birkenau, Ziel ist das Jacek Zieliniewic nach seiner Befreiung. 5 Wüste 10, „Meine Schulzeit“

39
Inzwischen hält er sich mehrmals im
Jahr in Auschwitz auf, nimmt teil an
Kongressen, arbeitet mit an Recher-
chen und Veröffentlichungen, und vor
allem: Er begleitet als Zeitzeuge
verschiedenste Gruppen durch die
beiden Gedenkstätten „Stammlager“
und „Birkenau“.
Im Frühjahr 2004 ist es eine Gruppe
der Initiative Eckerwald. Wir steigen
hinauf auf die Aussichtsplattform über
dem Lagertor von Birkenau: Rechts
die unübersehbare Weite des ehema-
ligen Männerlagers, die Pferdebara-
cken sind fast alle verschwunden,
stehen geblieben sind die Schornstein-
Skelette. Auf der anderen Seite das
ehemalige Frauenlager, gemauerte
Baracken. Etwas später betreten wir
Besuch in Bydgoszcz 2005, mit Walter Looser-Heidger, rechts, und Gerhard Lempp, links. eine dieser Backsteinruinen, Jacek
berichtet von der Enge auf den
Pritschen, vom Schmutz, von der
„Bis heute weiß ich nicht, wie das Jacek Zieliniewicz war einer der schlechten Kleidung, von den Läusen,
sein konnte: Eine SS-Uniform und ersten und einer der letzten Häftlinge vom Hunger, von der Nässe und
darin ein anständiger Mensch.“ Da ist dieses Lagers. Nach den Evakuie- Kälte. Auf eine Wand ist in gotischen
zum Beispiel folgende Episode: „Der rungstransporten im März und April Buchstaben gepinselt: „Es gibt einen
Rechnungsführer sagte zu mir: Hol 1945 in die Lager Dachau und Weg in die Freiheit. Seine Meilen-
mir mein Mittagessen! Ich habe seine Bergen-Belsen war die Zahl der steine heißen Gehorsam, Fleiß,
Portion geholt. Er sagte: Hol mir noch verbliebenen Häftlinge auf 668 Ehrlichkeit, Ordnung, Sauberkeit,
eine Portion! Ich holte die zweite geschrumpft.8 Diese müssen sich am Nüchternheit, Wahrhaftigkeit,
Portion, und er sagte: Das ist für dich. 17. April auf einen Todesmarsch Opfersinn und Liebe zum Vaterland.“
Ich wollte in die Ecke gehen und begeben. Jacek erlebt die Befreiung Das ist ein anderes Deutsch, als
essen, aber er sagte: Sitz bei mir, du bei Altshausen. Er wohnt zunächst bei Jacek als Kind bei seiner Mutter
bist doch genau so ein Mensch wie einem älteren Ehepaar, später wird er gelernt hat. Es ist die Sprache eines
ich.“6 mit anderen Häftlingen zusammen in brutalen Zynismus, es ist die Sprache
Man konnte das Lager nur mit einem Quartier in Herbertingen eines Heinrich Himmlers, des Reich-
Glück und durch besondere Umstände untergebracht. Er kommt allmählich führers SS, der sie vorgibt. Es ist der
überleben. Jacek ist sich dessen wieder zu Kräften, erreicht 80 Kilo- Lagerjargon, wie ihn Hunderttausende
bewusst, er schreibt: „Keiner von gramm. Im Dezember kehrt er zurück von KZ-Häftlingen, von denen die
denen, die das Lager überlebten, in seine Heimat nach Polen. wenigsten Deutsche sind, täglich über
überlebte es ohne Hilfe. Die Hilfe sich ergehen lassen müssen.
konnte verschiedenartig sein: Zusätz- „Die Hand zur Versöhnung reichen“ Fünfzig Jahre lang hat er kein
lich etwas Suppe, ein Stück Brot, ein Auf die Schülerfrage, ob er nach deutsches Wort mehr gesprochen.
besseres Arbeitskommando, sogar ein seinen Erfahrungen im KZ keinen Erst 1995, als er zum ersten Mal von
gutes Wort, ein Wort der Hoffnung. Hass auf die Deutschen hege, hät- der Initiative Eckerwald zu einer
Auch ich überlebte dank der Hilfe von te er 1945 geantwortet, dass er mit Begegnungswoche nach Deutschland
Freunden.“7 Deutschland gar nichts mehr zu tun eingeladen wurde, kehrt die deutsche
Etwa 1770 Häftlinge haben das haben wolle. Er hätte gesagt, dass sie Sprache wieder zurück. Er folgt dieser
Lager Dautmergen nicht überlebt. im Lager voller Hass waren und dass Einladung, weil er die Gräber seiner
Häftlinge, die auf Transport in andere sie sich alles Mögliche ausdachten, Mithäftlinge sehen will, die das Lager
Lager an den Folgen des Lagers was sie den Deutschen nach ihrer nicht überlebt hatten. Mit den Deut-
Dautmergen starben, sind in dieser Befreiung antun würden. schen selber will er eigentlich nichts zu
Zahl nicht enthalten. Sie wurden in Fast zwanzig Jahre dauert es, bis er tun haben.
Massengräbern im Schönhager Loch 1964 zum ersten Mal nach Auschwitz Bei der Ankunft auf dem KZ-Fried-
verscharrt. Im Herbst 1945 ließ die zurückkehrt. Er steht vor einer Tafel, hof in Dautmergen stellt er sich vor
französische Besatzungsmacht die sucht auf dem Lageplan seine alte
6 Cicero. „Besser wäre es ...“
Toten exhumieren und in Einzelgräber Baracke. Da hört er, wie hinter ihm 7 Wüste 10, „Meine Schulzeit“
auf dem zu diesem Zweck angelegten Deutsch gesprochen wird. Das 8 Walter Looser-Heidger, Häftlingstransporte,
KZ-Friedhof Schömberg umbetten. versetzt ihn in Angst und Panik. Eine Übersicht, Archiv der Initiative Eckerwald.

40
Jacek Zieliniewic mit Schülern und Studenten bei der Gedenkfeier im Eckerwald im Frühjarh 2011

mit seinem Nachnamen: Zieliniewicz. Ministerpräsident Winfried Kretsch- das Gedenken an eine leidvolle
Der Angesprochene von der Initiative mann den Landesverdienstorden für Geschichte bewahren und gleichzeitig
Eckerwald wirkt – des Polnischen nicht besonderes ehrenamtliches Engage- die Hand zur Versöhnung reichen
mächtig – überfordert. Vielleicht aber ment. könne.“9
beginnt sich in diesem Augenblick In der Laudatio heißt es: „Die
etwas zu lösen. Jacek sagt auf Erinnerung schmerze, doch Zielinie-
Deutsch: „Ich bin Jacek, sag einfach wicz stelle die Arbeit für die Aussöh-
Jacek!“ nung der beiden Völker über sein 9 Schwarzwälder Bote Rottweil, 27. März 2015,
Dautmergen, „Hand zur Versöhnung reichen“
Seit dieser ersten Begegnung persönliches Empfinden. Unermüdlich
Weitere Quellen:
kommt er jedes Jahr zur Frühjahrsge- setze er sich für Menschlichkeit, Oral-History-Bericht von Jacek Zieliniewicz
denkfeier zur Erinnerung an die Respekt und Rechtsstaatlichkeit ein. (übersetzt von Johanna Plonka), Archiv der
Befreiung der WÜSTE-Lager in den Jacek Zieliniewicz zeige, dass man Initiative Gedenkstätte Eckerwald
Eckerwald. Und wenn er bei dieser
Gelegenheit ein Grußwort spricht,
erzählt er von den vielen Freund-
schaften, die er in Deutschland
inzwischen gefunden hat. Und immer
wieder wiederholt er seine Botschaft:
„Es gibt nicht gute und böse Natio-
nen, es gibt nur gute und böse
Menschen. Und in jeder Nation gibt
es solche und solche.“ Und an die
Jugend gewandt fügt er hinzu: „Ihr
seid nicht verantwortlich für die
Vergangenheit. Aber ihr seid verant-
wortlich für die Zukunft. Es ist eure
Zukunft, nicht meine. Es ist die
Zukunft für die jungen Menschen
dieser Welt, die Menschen in
Deutschland, in Europa.“
Für seine unermüdliche Zeitzeugen-
schaft erhält er am 25. April 2015 im
Rahmen einer Feierstunde im Mann- Nach der Verleihung des Landesverdienstkruezes 2015: Jacek Zieliniewic mit Ministerpräsident
heimer Schloss aus der Hand von Winfried Kretschmann.

41
Wir müssen reden … über Rechtspopulismus und Rassismus
Ein Kommentar von Lucius Teidelbaum, Tübingen

Es ist kälter geworden in Deutschland einen befürchten etwas zu verlieren aus.


und gemeint ist nicht die jahreszeitlich bzw. zuviel abgeben zu müssen und Der harte Kern dieser rassistischen
bedingte Temperatur. In den letzten die anderen sehen sich in einer Parallelgesellschaft ist in Teilen kaum
Monaten kam es in der Bundesre- Konkurrenz mit anderen Gruppen um noch durch normale Medien erreich-
publik zu einem deutlich spürbaren die Ressourcen des Sozialstaates. Die bar. Diese gelten generell als gesteuert
Rechtsruck und einer Aktivierung von jeweilige Gruppe, von der diese und ihre Inhalte als falsch („Lügen-
Rassismus. Der Anstieg der Flücht- vermeintliche ‚Gefahr‘ ausgeht, ist presse“). Statt der abbestellten
lings-Zahlen ist auch nicht der Grund dabei auswechselbar. Mal sind es die Tagespresse werden in sozialen
für einen gesteigerten Rassismus, son- südlichen EU-Mitgliedsstaaten („Plei- Netzwerken Nachrichten oder einzel-
dern nur der Anlass. Der Rassismus in tegriechen“), mal Einwanderer aus ne Artikel aus den etablierten Medien
der Gesellschaft wurde unter dem Ein- Bulgarien oder Rumänien, mal Roma rezipiert, die die eigenen Vorurteile
druck der zunehmenden Flüchtlings- oder seit letztem Jahr eben die bestätigen. Die dabei erhaltenen
Migration in Europa verstärkt, aber Flüchtlinge. Informationen sind teilweise schlicht
eine Tendenz nach rechts war bereits Natürlich haben viele Menschen falsch, teilweise aufgebauscht und
Jahre davor zu bemerken. Sei es in der schon vorher entsprechende Vorur- teilweise werden Zusammenhänge
Diskussion über das krisengeschüttelte teile gehabt und gepflegt. Aber aus konstruiert, z.B. zwischen Herkunft
Griechenland und seine Bevölkerung dem Murren am Stammtisch ist ein und Verhalten, die nicht rational
oder sei es in der Diskussion um Mi- wütendes Schimpfen geworden. Die begründbar sind. So entsteht ein
gration aus Bulgarien und Rumänien. Vorurteile haben sich verfestigt und geschlossenes, rechtes Weltbild, was
Wichtig ist es darauf hinzuweisen, ihre Artikulation ist offen und ent- von Angst-Paranoia und Untergangs-
dass dieser Rechtsruck nur in einem hemmt. Fantasien geprägt ist. Aus diesem
Teil der Bevölkerung stattfand. Obwohl Rassismus derzeit das heraus entstehen dann Handlungen,
Andere, hunderttausende bis Millio- wichtigste Thema dieses Stammtisches die bis zur Gewalttat reichen.
nen, beschlossen mit zu helfen und ist, finden sich auch allerhand Antise-
unterstützten nach Kräften die mitismus, Homophobie und Sexismus. Der parlamentarische Arm des
Neuankömmlinge in Deutschland. Letzterer drückt sich nicht selten auch Stammtisches: die „Alternative für
in der Kommentarspalte in Form von Deutschland“
Eine rassistische Parallelgesellschaft Beschimpfungen und Bedrohungen Nicht die NPD sondern die nach dem
ist entstanden Sturz Luckes noch einmal inhalt-
In Deutschland ist in den letzten Jah- lich deutlich nach rechts gerutschte
ren tatsächlich eine Parallelgesellschaft „Alternative für Deutschland“ (AfD)
entstanden und zwar eine rassistische ist der parlamentarische Arm dieses
Parallelgesellschaft. Es handelt sich um Stammtisches.
eine Minderheit, aber um eine nicht Diese rechtspopulistische Partei ist
ganz kleine. auf dem besten Weg, sich in der
Diese Entwicklung findet ihren parteipolitischen Landschaft als fester
Ausdruck in wütend rassistischen Faktor zu etablieren.
Leserbriefen, in der Hetze in sozialen Das einige AfD-Oberen mit Doktor-
Netzwerken, in der Teilnahme an titel sich gewählter ausdrücken
rassistischen Straßenprotesten wie können als der enthemmte Facebook-
PEGIDA und in den angestiegenen Mob sollte nicht darüber hinweg
Wahlentscheidungen für eine rechte täuschen, dass der Inhalt der Aussa-
Partei. Diese Handlungen sind Aus- gen häufig im Grunde derselbe ist.
druck von Haltungen, die vor allem Interessant ist es als Gedenkstätten-
durch eine Form der gruppenbezo- Verbund, einmal die geschichtspoli-
gener Menschenfeindlichkeit geprägt tischen Vorstellungen dieser Partei zu
sind. Vereinfacht kann auch von einer betrachten.
rassistischen Stammtischkultur gespro- Geschichtspolitik ist bisher kein
chen werden, die wieder lebendiger Schwerpunktthema der AfD gewesen.
geworden ist. Diese entspringt Trotzdem gibt es durchaus Beispiele,
offenbar in der Mittelschicht Verlust- die zeigen, wohin die AfD auf diesem
und Abstiegsängsten und in der Wahlplakat der NPD vom März 2016, auf Terrain will. Etwa wenn über den
unteren Mittelschicht und Unter- dem ertrinkende Flüchtlinge vom Deutschland- Twitter-Account der AfD-Berlin die
schicht eher einem Sozialneid. Die Adler abgewehrt werden. Nationalsozialisten als „als eher links

42
einer demokratischen Diskussionskul-
tur verlassen. Deswegen ist es auch
problematisch, diesen rassistischen
Kern in eine demokratische Diskus-
sionskultur einzubeziehen und quasi
dem Ressentiment auf Podien oder in
Talkshows eine Stimme zu geben und
es als legitime Meinung zu verhan-
deln. Damit werden die Grenzen des
Sagbaren nach rechts verschoben,
also genau das, worauf extreme Rech-
te abzielen. Sie wollen Teil des öffent-
lichen Diskurses werden. Weg vom
Stammtisch, hin zum Podium.
Neben dem harten Kern gibt es aber
auch noch viele Unentschlossene und
Personen, die rassistische Weltbilder
noch nicht vollständig verinnerlicht
haben. Diese Gruppe ist durch
Argumente noch erreichbar und
genau das sollte auch getan werden.
Statt Podiumsdiskussionen mit den
nationalistischen und rassistischen
Brandstiftern ist eine verstärkte
Von Rechtsextremen überschmiertes Wahlplakat in Sulz am Neckar. Demokratie- und Menschenrechtser-
ziehung notwendig. Wohin nationalis-
als rechts“ bezeichnet werden oder stellen. So wie das lange Zeit in tische und rassistische Politik führen
wenn Konrad Adam von der AfD Deutschland der Fall war. würde, kann in Gedenkstätten gelernt
beklagt, dass Hindenburg in Frankfurt Dass Geschichtspolitik bisher kaum werden, z.B. beim Studieren von
von der Liste der Ehrenbürger gestri- eine Rolle bei der AfD spielte, heißt Biografien von Tätern und Opfern.
chen wurde. nicht, dass das auch so bleiben wird. Es gilt zu vermitteln, dass Demokra-
Auch in den AfD-Landtagswahl- Das Thema ist vielen in der Partei tie mehr als der ritualisierte Wahlakt
programmen finden sich deutliche durchaus wichtig. alle vier Jahre sein sollte. Eine demo-
Hinweise, wohin die Fahrt gehen soll. Der brandenburgische AfD-Land- kratische Selbstverwaltung auf vielen
So heißt es im AfD-Programm zur tagsabgeordnete Andreas Kalbitz ist Ebenen (Arbeit, Wohnung, Verein
Landtagswahl in Sachsen 2014: nicht nur ein ehemaliges Mitglied der etc.) kann zum Beispiel zu einer
„Schul- und insbesondere Ge- Republikaner-Partei, sondern war bis Immunisierung gegen rechtspopuli-
schichtsunterricht soll nicht nur ein vor kurzem auch Vorstandsmitglied stische Verführer beitragen. Es ist
vertieftes Verständnis für das histo- des geschichtsrevisionistischen Vereins notwendig, ein differenziertes Bild von
rische Gewordensein der eigenen „Kultur- und Zeitgeschichte – Archiv Demokratie und Menschenrechten zu
Nationalidentität, sondern auch ein der Zeit e.V.“. vermitteln. Wer wäre dafür geeigneter
positives Identitätsgefühl vermitteln. Auch der ehemalige Geschichtsleh- als die Gedenkstätten, die daran
Wir wollen einen deutlichen Schwer- rer und jetzige Fraktionsvorsitzende erinnern, wohin eine Aussetzung von
punkt auf das 19. Jahrhundert und der AfD im Thüringer Landtag, Björn Demokratie und Menschenrechten
die Befreiungskriege gesetzt wissen. Höcke, macht aus seinem völkisch- bereits einmal geführt hat? Deshalb
Die Grundlagen unseres Staates deutschnationalen Geschichts- und sollten sich Menschen, die in Gedenk-
wurden in den Jahren 1813, 1848 Weltbild kaum einen Hehl. Nicht ohne stätten mitarbeiten, in die aktuellen
und 1871 gelegt. Unsere National- Grund hängt in den Räumen der Debatten einmischen.
symbole sollen im Unterricht erklärt Thüringer AfD ein Bismarck-Bild. Und es ist sicher hilfreich, viele
werden. Das Absingen der National- Bürgerinnen und Bürger die Möglich-
hymne bei feierlichen Anlässen soll Gegenmittel: Demokratie- und Men- keit zu geben, Menschen, die aus den
wie in den USA selbstverständlich schenrechts-Erziehung verstärken aktuellen Kriegsgebieten oder vor
sein.“ Für Gedenkstätten mit ihrem Bil- politischer und rassistischer Verfol-
Diese geschichtspolitischen Vorstel- dungsauftrag stellt sich nun die Frage, gung fliehen mussten, kennenzuler-
lungen dieser Partei zielen somit nicht was zu tun ist. Der skizzierte harte nen. Der direkte Umgang mit Men-
auf die Herausbildung kritisch den- Kern der rassistischen Parallelgesell- schen, die in ihrer Not zu uns gekom-
kender Individuen ab, sondern man schaft ist für Gegenargumente und men sind, hilft gegen gruppenbezo-
will Geschichte als Fach für einen eine rationale Diskussion nicht mehr gene Menschenfeindlichkeit unmittel-
Deutschnationalismus in Dienst erreichbar, denn er hat den Rahmen bar und nachhaltig.

43
Uta Hentsch wird mit der Staufermedaille geehrt
Viele Freunde der Gedenkstätten in präsidenten von Baden-Württemberg wider das Vergessen und für die
unserer Region kennen die kleine, an Uta Hentsch die Staufermedaille in Versöhnung zu öffnen. Stets zeichne-
lebendige Frau aus Bisingen, die über Silber für ihr langjähriges Engagement te Sie dabei vor allem eines aus: Ihre
viele Jahre, seit der Gründung des verliehen. Die Staufermedaille ist eine Vertrauenswürdigkeit, Ihre Zuverläs-
dortigen Vereins KZ-Gedenkstätten Auszeichnung des baden-württember- sigkeit und Ihre Mitmenschlichkeit
Bisingen e.V. als Erste Vorsitzen- gischen Ministerpräsidenten für be- lässt jede Begegnung mit Ihnen zu
de Wesentliches geleistet hat: Uta sondere Verdienste um das Land. Da einem persönlichen Gewinn werden.
Hentsch. Uta Hentsch am zuerst vorgesehenen Sie haben stets nach dem Grundsatz
Uta Hentsch arbeitete bis 1999 als Verleihungstermin am 1. Dezember gehandelt, dass unsere Gesellschaft
Lehrerin für Physiotherapie an einer letzten Jahres in der Stuttgarter Villa Menschen braucht, die geben und
Schule der Berufsgenossenschaft- Reitzenstein aus gesundheitlichen nicht nur fordern. Diese Einstellung
lichen Unfallklinik in Tübingen, bevor Gründen nicht teilnehmen konnte, hat Vorbildcharakter und von die-
sie für 1½ Jahre in den Volontärs- begrüßte Landrat Pauli eine „kleine, sem Vorbild wird eine Gemeinschaft
dienst in einem Gästehaus für Shoa- aber gemütliche Runde“ zum feier- im besten Sinne gebildet [...] Der
Überlebende in Shavei Zion (Israel) lichen Nachholtermin im Landratsamt Dank für Ihr vielfältiges nachhaltiges
eintrat. Nach ihrer Rückkehr schloss Balingen. Bürgermeister Roman Wai- Wirken wird für alle mit der heutigen
sie sich dem Gesprächskreis „Mög- zenegger für die Gemeinde Bisingen Übergabe der Staufermedaille sicht-
lichkeiten des Erinnerns“ in Bisingen hielt die Laudatio und stellte Hentschs bar. Ihre Bescheidenheit, Ihre Offen-
an. außerordentliches Engagement „im herzigkeit und Güte findet auch dabei
Bereich Versöhnung und Völkerver- wieder ihren Ausdruck, dass Sie die
Am 24. Januar hat nun der Landrat ständigung“ dar. Er sagt unter ande- Auszeichnung als ein ‚Gemeinschafts-
des Zollernalbkreise, Günther-Martin rem: „Frau Hentsch, Sie haben stets produkt‘ ansehen und dieses auch so
Pauli, stellvertretend für den Minister- Mittel und Wege gefunden, um Türen verstanden wissen wollen. Dies ehrt

Von links: Der Bürgermeiser von Bisinger, Roman Waizenegger, Uta Hentsch, Landrat Günther-Martin Pauli, Dr. Ines Mayer, Dieter Grupp und
Dr. Franziska Blum anlässlich der Verleihung der Staufermedaille an Uta Hentsch. Foto: Stephanie Apelt, Hohenzollerische Zeitung

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Sie um so mehr. Aber ganz so be- Hände abgegeben. Den Verein württembergischen Staatsministerium
scheiden müssen Sie heute nicht sein. unterstützt sie natürlich weiterhin und gratulierte ihr herzlich. Auch die
Sie tragen den wesentlichen Anteil an nach Kräften. Die Wessingerin ist Begleiter von Uta Hentsch, Dieter
der Auszeichnung. Im Namen des Ge- zudem Beiratsmitglied im Gedenk- Grupp und Ines Mayer als neue Erste
meinderats der Gemeinde Bisingen, stättenverbund Gäu-Neckar-Alb und und Zweite Vorsitzende des Vereins
aller Bürgerinnen und Bürger sowie Mitglied im Freundeskreis Yad und Franziska Blum, Museumsbeauf-
persönlich möchte ich mich bei Ihnen Vashem (der bedeutendste Gedenk- tragte in Bisingen, schlossen sich an,
für Ihr jahrzehntelanges Engagement stätte in Israel, die an die nationalso- ehe allesamt auf die Ehrenmedaillen-
‚Wider das Vergessen‘ und Ihre au- zialistische Judenvernichtung erinnert trägerin anstießen.
ßergewöhnlichen Verdienste um den und wissenschaftlich dokumentiert), Auch wenn Uta Hentsch vor knapp
Gedenkstättenverein nochmals recht ist in der ganzen Welt vernetzt, nicht einem Jahr die Vorstandschaft an ihre
herzlich bedanken.“ zuletzt über ihren Blog (Internettage- beiden „Wunsch-Nachfolger“ Grupp
Die Hohenzollerische Zeitung buch) kzgedenkstaettenbisingen. und Mayer übergeben hat, bleibt sie
schrieb aus Anlass der Verleihung der com.“ nach wie vor aktiv in der Vereinsar-
Staufermedaille an Uta Hentsch u.a.: Der Schwarzwälder Bote zitierte aus beit. „Ich bin weiter dabei. Halt nicht
„Seit dem Jahr 2003 widmet sich der dem Grußwort von Landrat Günther- mehr in der ersten Reihe. Das dürfen
Gedenkstättenverein KZ Bisingen der Martin Pauli zur Verleihung der nun die neuen Vorsitzenden tun.“ So
Arbeit gegen das Vergessen. Die Staufermedaille an Uta Hentsch: pflegt Hentsch weiterhin akribisch den
Anfänge hatte schon in den 80er „Es sei gerade auch angesichts der Blog www.kzgedenkstaettenbisingen.
Jahren eine junge Arbeitsgruppe aktuellen politischen Ereignisse in com, der die Aktivitäten des Vereins
gemacht, und war dabei durchaus Deutschland wichtig, sich zu erinnern, seit seiner Gründung im Jahre 2003
noch auf heftigen Widerstand gesto- was für ein hohes Gut die Demokratie dokumentiert. Auch ihre enge Verbin-
ßen. Später gründete sich ein Ge- und die Achtung der Menschenwürde dung zu Israel und zum letzten
sprächskreis „Möglichkeiten des sei. Vor allem aber sei die Stauferme- bekannten Überlebenden, Shalom
Erinnerns“. 2015 beschloss der Verein daille eine Auszeichnung, „die Stamberg, bleibt bestehen.
mit einem Besucherrekord: 1300 wirklich nur wenige Menschen Der Gedenkstättenverbund mit all
Besuchern, gerade auch jungen erhalten“. Und Uta Hentsch erhalte seinen Mitgliedsinitiativen gratuliert
Menschen, wurde Geschichte direkt sie völlig zurecht dafür, dass sie Uta Hentsch herzlich zur großen
vor der Haustür, die des nationalsozi- „Mitbegründerin, Motor und langjäh- Auszeichung und wünscht ihr vor
alistischen Unternehmens Wüste“ rige Vorsitzende des Vereins“ war, so allem Gesundheit. Der Austausch mit
und des dazugehörigen Konzentrati- Pauli.“ ihren Freundinnen und Freunden
onslagers in Bisingen, vermittelt. Landrat Pauli übergab Uta Hentsch, möge sie weiter erfreuen und sie in
Vor einigen Monaten hat Uta die von den Dank- und Lobesworten allen ihren Vorhaben unterstützen.
Hentsch die Arbeit an der Spitze des sichtlich gerührt war, die Urkunde und
Gedenkstättenvereins in jüngere silberne Medaille aus dem baden- Franziska Blum und Heinz Högerle

http://kzgedenkstaettenbisingen.com

Unter http://kzgedenkstaettenbisin-
gen.com findet man im Internet wich-
tige Informationen über die Arbeit der
KZ-Gedenkstätten Bisingen.
Neben ihren vielen anderen Ver-
diensten hat Uta Hentsch schon vor
Jahren diesen Webblog aufgebaut und
immer weiter entwickelt. Der Blog
wurde nicht nur zu einer Plattform der
Information, sondern auch des Aus-
tausches mit Menschen in aller Welt.
Neben aktuellen Hinweisen auf
geplanten Veranstaltungen enthält die
Seite ein Archiv, das bis ins Jahr 1996
zurückreicht und in dem man viel
entdecken kann, was in Bisingen über
Jahre hinweg bewegt wurde. Ein
Besuch auf dieser Seite lohnt sich.
Herzlichen Dank an Uta Hentsch auch Startseite des webblogs der KZ-Gedenkstätten Bisingen, der von Uta Hentsch weitsichtig schon vor
dafür. einigen Jahren aufgebaut wurde und der von ihr weiter intensiv gepflegt wird.

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Veranstaltungen im Gedenkstättenverbund
Gäu-Neckar-Alb
Mittwoch, 6. April 2016, 19.00 Uhr Theater: Täterinnen. Ein Stück über brave Mädels und Nazi-Omas.
Werkstatt, LTT Tübingen, Eberhardstr. 6 Der Theaterjugendclub am LTT und das Frauentheater Purpur in Zusam-
menarbeit mit der Geschichtswerkstatt Tübingen haben gemeinsam ein
Stück erarbeitet, das sich mit den Themen Frauen, Gewalt, Nationalsozia-
lismus und Rechtsradikalismus heute beschäftigt.
Donnerstag, 7. April 2016, 20.00 Uhr Buchvorstellung: „Wo noch niemand war. Erinnerungen an Ernst Bloch“.
Alte Synagoge, Goldschmiedstr. 20, Mit Prof. Gert Ueding (Lesung) und Clemens Müller (Klavier).
Hechingen Ein packendes und persönliches Portrait des Leipziger und Tübinger Philo-
sophen Ernst Bloch, ein Stück deutsch-deutsche Zeitgeschichte.
Sonntag, 10. April 2016, 17.00 Uhr Vortrag von Dr. Falk Pingel: Zwangsarbeit 1939-1949. Erinnerungen und
Rathaus Tailfingen (Gäufelden) Geschichte. Der Einsatz von ZwangsarbeiterInnen hat während des Zwei-
ten Weltkriegs eine zunehmend wichtigere Rolle gespielt. Der Vortrag wird
die harten Lebens- und Arbeitsbedingungen der ZwangsarbeiterInnen den
Erinnerungen der deutschen Bevölkerung gegenüberstellen.
Mittwoch, 13. April 2016, 19.00 Eröffnung der Ausstellung „Ausgrenzung“.
Museum Jüdischer Betsaal Horb, Ein Kunstprojekt des Martin-Gerbert-Gymnasiums Horb. Schülerinnen und
Fürstabt-Gerbert-Str. 2 Schüler beschäftigen sich künstlerisch mit dem Thema. Wie ist Ausgren-
zung in der Vergangenheit geschehen und wie geschieht sie heute.
Die Ausstellung geht bis 3. Mai 2016. Öffnungszeiten: samstags und
sonntags von 14.00 bis 18.00 Uhr.
Donnerstag, 14. April 2016, 19.30 Uhr Filmabend: Augenblicke 2016. Ein Abend mit aktuellen Kurzfilmproduk-
Ehem. Synagoge Haigerloch, im Haag tionen – humorvoll, nachdenklich, melancholisch.
Sonntag, 17. April 2016, 14.00 Uhr Einweihung des Denkmals „Jüdisches Leben in Rottenburg“ im Beisein von
Metzelplatz, Rottenburg a.N. Landesrabbiner Natanel Wurmser sowie der Bischöfe Dr. Fürst und
Dr. h.c. July. Das Denkmal von Bildhauer Ralf Ehmann erinnert an die drei
Epochen jüdischer Besiedelung in der Kernstadt von Rottenburg am Neckar.
Woche der Begegnung 2016 der Initiative Gedenkstätte Eckerwald e.V.

Samstag, 23. April 2016, 16.30 Uhr Ökumenischer Gottesdienst, gestaltet von den Pfarrern Honold und
Kapelle beim KZ-Friedhof Schörzingen Kreidler.
Sonntag, 24. April 2016 10.00 Uhr beim Mahnmal im Eckerwald
Gedenkfeier mit Überlebenden und ihren Angehörigen aus ganz Europa.
Es spricht Sibylle Thelen, Leiterin des Gedenkstättenreferats der Landes-
zentral für politische Bildung. Zeitzeugen werden das Wort ergreifen. Schü-
ler zeigen eine Performance. Bei Regenwetter findet die Gedenkfeier in der
Kapelle des KZ-Friedhofes Schörzingen statt.
15.30 Uhr Besuch des KZ-Friedhofs Schömberg und der Gedenkstätte
Dautmergen-Schömberg
Sonntag, 24. April 2016, 14.30 Uhr Auf den Spuren der Stauffenbergs. Führung mit dem Jugendguide
Stauffenberg-Gedenkstätte Schloss in Konstantin Schönleber in der Stauffenberg-Gedenkstätten im Schloss in
Albstadt-Lautlingen Albstadt-Lautlingen.
Donnerstag, 28. April 2016, 20.00 Uhr Vortrag von Dr. Manfred Hantke: Von braunen und anderen Geistern. Die
Kulturamt, Nonnengasse 19, Tübingen Tübinger Philosophen Max Wundt und Theodor Haering in Weimarer
Republik und Nationalsozialismus. Veranstalter: Geschichtswerkstatt Tübin-
gen und Verein Lern- und Dokumentationszentrum zum Nationalsozialismus.
Donnerstag, 28. April 2016, 19.00 Uhr Theater: Täterinnen. Ein Stück über brave Mädels und Nazi-Omas.
Werkstatt, LTT Tübingen, Eberhardstr. 6 Wie 6. April 2016.
Dienstag, 3. Mai 2016, 19.00 Finissage zur Ausstellung „Ausgrenzung“. Ein Kunstprojekt des Martin-
Museum Jüdischer Betsaal Horb, Gerbert-Gymnasiums Horb.
Fürstabt-Gerbert-Str. 2 Angefragt: ein syrischer Musiker, der aus seiner Heimat geflohen ist.
Sonntag, 8. Mai 2016, 14.00 Uhr Eröffnung der Ausstellung „Anwalt ohne Recht – Schicksale jüdischer
Museum Jüdischer Betsaal Horb, Anwälte in Deutschland nach 1933“. Eine Wanderausstellung der Bun-
Fürstabt-Gerbert-Str. 2 desrechtsanwaltskammer. Zur Eröffnung spricht Hartmut Kilger, Tübingen,
ehemaliger Präsident des Deutschen Anwaltvereins.
Ausstellungsdauer: 8. Mai bis 24. Juli. Öffnungszeiten: samstags und
sonntags von 14.00 bis 18.00 Uhr.
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Sonntag, 8. Mai 2016, 17.00 Uhr Einweihung des Geschichtspfads Tübingen im Nationalsozialismus.
Ratsaal, Rathaus Tübingen, Am Markt 1 Veranstalter: Geschichtswerkstatt Tübingen, Arbeitskreis Universität Tübin-
gen im Nationalsozialismus, Jugendgemeinderat und Stadt Tübingen.
Dienstag, 10. Mai 2016, 20.00 Uhr Dietrich Bonhoeffer und die (Lebens-)Kunst. Eine Annäherung an den
Alte Synagoge, Goldschmiedstr. 20, Künstler und Träumenden mit Dr. Oliver Kohler, Schriftsteller, Publizist und
Hechingen Lyriker aus Mainz.
Donnerstag, 2. Juni 2016, 20.00 Uhr Vortrag von Dr. Anne Rohstock: Opfer – Mitläufer – Täter? Der Politik-
Kulturamt, Nonnengasse 19, Tübingen wissenschaftler Theodor Eschenburg zwischen Inszenierung und Histori-
sierung. Veranstalter: Geschichtswerkstatt Tübingen und Verein Lern- und
Dokumentationszentrum zum Nationalsozialismus.
Donnerstag, 2. Juni 2016, 20.00 Uhr Interreligiöser Dialog. Vortrag von Dr. Mahmoud Abdalla: Gemeinsame
Alte Synagoge, Goldschmiedstr. 20, Wurzeln von Christentum, Judentum und Islam. Dr. Abdalla arbeitet im
Hechingen Zentrum für Islamische Theologie an der Universität Tübingen.
Veranstalter: Alte Synagoge Hechingen in Zusammenarbeit mit dem Stutt-
garter Lehrhaus – Stiftung für interreligiösen Dialog.
Sonntag, 5. Juni 2016, 17.00 Uhr Vortrag von Immo Opfermann: Das schwarze KZ
Rathaus Tailfingen (Gäufelden)
Sonntag, 5. Juni 2016, 14.30 Uhr Führung zur biblischen Zahlensymbolik in der Hechinger Synagoge, mit
Alte Synagoge, Hechingen Claudia Sailer und Benedict von Bremen.
Sonntag, 5. Juni 2016, 14.00 Uhr Themenführung mit Margarete Kolmar M.A., Tübingen:
Treffpunkt: Ehem. Synagoge Haigerloch Frauen der jüdischen Gemeinde Haigerloch.
Sonntag, 19. Juni 2016, 14.30 Uhr Auf den Spuren der Stauffenbergs. Führung mit dem Jugendguide
Stauffenberg-Gedenkstätte Schloss in Konstantin Schönleber in der Stauffenberg-Gedenkstätten im Schloss in
Albstadt-Lautlingen Albstadt-Lautlingen.
Mittwoch, 22. Juni 2016, 19.30 Uhr Buchvorstellung: Das „Stahlbad“. Kriegstagebuch aus dem Ersten Weltkrieg
Bürgerkulturhaus Horb, Marktplatz des in Horb geborenen jüdischen Sanitätsoffiziers Fritz Frank. Aus dem Werk
liest Peter Binder, Sprecher beim SWR-Tübingen. Eine Veranstaltung des
Kultur- und Museumsvereins Horb mit dem Rexinger Synagogenverein.
Sonntag, 3. Juli 2016, 11.00 Uhr „Der jüdische Geigenvirtuose und Komponist Joseph Joachim.“
Schlossscheuer in Rottenburg-Baisingen Ein Konzert mit dem Tübingen Geiger Jochen Brusch, begleitet am Klavier
von Alexander Reitenbach. Jochen Brusch führt durch Leben und Werk
des jüdischen Künstlers Joachim. Eine Veranstaltung des Vereins Ehemalige
Synagoge Baisingen mit dem Rexinger Synagogenverein.
Sonntag, 10. Juli 2016, 14.00 Uhr Themenführung mit Klaus Schubert, Haigerloch: Nathan und seine Kinder.
Treffpunkt: Ehem. Synagoge Haigerloch Der Rundgang führt in der Intention des Dialogs der Religionen von der
ehem. Synagoge zu einer Kirche und zu einer Moschee in Haigerloch.
Sonntag, 24. Juli bis Mittwoch, 27. Juli Toralernwoche mit Rabbiner Bruckner aus Israel zum Thema:
2016, jeweils 19.30 Uhr Mosche (Moses), der Gesetzgeber, der Befreier, der Mensch.
Ehemalige Synagoge Rexingen An vier Abenden werden die TeilnehmerInnen die Bibel-Interpretationen
orthodoxer Juden kennenlernen.
Sonntag, 4. September 2016 Europäischer Tag der Jüdischen Kultur.
An diesem Tag finden in allen Synagogengedenkstätten Führungen, Vor-
träge und/oder Konzerte statt. Bitte beachten Sie die besonderen Pro-
grammankündigungen in der Presse und auf der Homepage des Gedenk-
stättenverbundes: http://www.gedenkstaettenverbund-gna.org/
Samstag, 24. Sept. 2016, 18.00 und Lange Nacht der Kultur: Hechingen bleibt auf!
20.00 Uhr. Alte Synagoge Hechingen Lieder von Mendelssohn-Bartholdy mit Cornelia Lanz (Gesang) und
Norbert Kirchmann (Klavier).
Montag, 3. Oktober 2016 Am Tag der deutschen Einheit werden unter dem Titel Widerstand und
im Eckerwald Ergebung Texte und Szenen aus dem Leben von Dietrich Bonhoeffer vor-
getragen und gespielt.
Donnerstag, 13. Okt. 2016, 20.00 Uhr „Klezmer trifft Klassik“. Das Amaryllis Quartett und Raphael Schenkel,
Ehemalige Synagoge Rexingen Klarinette, spielen Werke von Beethoven, Robert Fuchs und Osvaldo Goli-
jov „The Dreams and Prayers of Isaac the Blind“
Freitag, 14. Okt. 2016, 20.00 Uhr „Klezmer trifft Klassik“. Das Amaryllis Quartett und Raphael Schenkel,
Alte Synagoge Hechingen Klarinette, spielen Werke von Beethoven, Robert Fuchs und Osvaldo Goli-
jov „The Dreams and Prayers of Isaac the Blind“

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Die Gedenkstätten-Rundschau wird herausgegeben von
Begegnungs- und Ausstellungszentrum Stauffenberg Gedenkstätte Lautlingen
Ehemalige Synagoge Haigerloch Stauffenberg-Schloss, 72459 Albstadt
Gustav-Spier-Platz 1, 72401 Haigerloch Lautlingen. Öffnungszeiten: Mi., Sa., So.
Öffnungszeiten: Sa., So. 11.00−17.00 und an Feiertagen 14.00–17.00 und nach
Do. 14.00−19.00 (nur 1. April bis 31. Okt.) Vereinbarung.
Gruppen nach Vereinbarung. Information: 0 74 31/76 31 03
Gesprächskreis Ehemalige Synagoge Hai- (Museum während der Öffnungszeiten),
gerloch e.V., Weildorfer Kreuz 22, 72401 0 74 31/60 41 und 0 74 31/160-14 91
Haigerloch, Tel. 0 74 74/27 37, Fax: 80 07
Kulturamt Stadt Haigerloch, Tel.: 0 74 74/
697-26 -27, www.haigerloch.de. Weitere
Infos: www.synagoge-haigerloch.de
Ehemalige Synagoge Rexingen
Gedenkstätten KZ Bisingen
Freudenstädter Str. 16, 72160 Horb-Re-
Öffnungszeiten des Museums in 72406 xingen. Führungen nach Vereinbarung.
Bisingen, Kirchgasse 15: So. 14.00–17.00 Träger- und Förderverein Ehemalige
Informationen zur Ausstellung und zum Synagoge Rexingen e.V., Bergstr. 45,
Geschichtslehrpfad: Bürgermeisteramt 72160 Horb a.N. – Tel. 0 74 51/62 06 89
Bisingen, Tel. 0 74 76 / 89 61 31 www.ehemalige-synagoge-rexingen.de
Fax 0 74 76 / 89 61 50
http://kzgedenkstaettenbisingen.word-
press.com

KZ-Gedenkstätten Eckerwald/Schörzingen Ehemalige Synagoge Rottweil


und Dautmergen-Schömberg
Kameralamtsgasse 6, 78628 Rottweil
Initiative Eckerwald. Führungen nach Verein Ehemalige Synagoge Rottweil e.V
Vereinbarung. www.eckerwald.de Gisela Roming, Krummer Weg 1,
Kontakt über Brigitta Marquart-Schad, 78628 Rottweil
Bergstraße 18, 78586 Deilingen. Tel. 07 41 / 94 29 755,
Tel. 0 7426 / 8887 email: Giselaroming@aol.com
Email: ms.brigitta@web.de

KZ Gedenkstätte Hailfingen · Tailfingen Gedenkstätte Synagoge


Ausstellungs- und Dokumentationszent- Rottenburg-Baisingen
rum im Rathaus Gäufelden-Tailfingen. Kaiserstr. 59a (»Judengässle«), 72108
Geöffnet: So. 15.00–17.00 Rottenburg-Baisingen.
Führungen auf Anfrage unter Öffnungszeiten: So. 14.00–16.00
0 70 32/2 64 55 Gruppen nach Vereinbarung. Info und
Kontaktadresse: Walter Kinkelin Postanschrift: Ortschaftsverwaltung Baisin-
Schlehenweg 33, 71126 Gäufelden, gen. Tel.: 0 74 57 / 69 65-02,
Tel. 0 70 32 / 7 62 31 Fax 69 65-56, baisingen@rottenburg.de
Stadtarchiv und Museen Rottenburg, PF
29, 72101 Rottenburg. Tel. 0 74 72/165-
Alte Synagoge Hechingen 351, Fax 165-392, museen@rottenburg.
Goldschmiedstraße 20, 72379 Hechingen de, www.rottenburg.de
Öffnungszeiten und Führungen nach
Vereinbarung über Bürger- und Tourismus- Geschichtswerkstatt Tübingen –
büro, Tel. 0 74 71/94 02 11 und Denkmal Synagogenplatz
Initiative Alte Synagoge Hechingen e.V.,
Gartenstrasse 33, 72074 Tübingen
Heiligkreuzstr. 55, 72379 Hechingen.
rund um die Uhr geöffnet. Führung nach
Tel. 0 74 71 / 66 28
Vereinbarung. Geschichtswerkstatt Tübin-
gen e.V., Lammstr. 10, 72072 Tübingen,
Tel. 0 70 71 / 2 37 70, e-mail: info@
geschichtswerkstatt-tuebingen.de
www.geschichtswerkstatt-tuebingen.de
Jüdischer Betsaal Horb – Museum
Fürstabt-Gerbert-Str. 2, 72160 Horb a.N.
Öffnungszeiten: Sa. und So. 14.00–18.00
oder nach Vereinbarung: Weitere Informationen auch zu Veranstaltungen finden Sie auf der
Tel. 0 74 51 / 62 06 89. Postanschrift:
Stiftung Jüdischer Betsaal Horb, Homepage des Gedenkstättenverbundes:
Bergstraße 45, 72160 Horb a.N. http://www.gedenkstaettenverbund-gna.org/
www.ehemalige-synagoge-rexingen.de

Impressum: Redaktion und Gestaltung Gefördert durch


Verlagsbüro Högerle, Bergstraße 45.
72160 Horb, Tel. 0 74 51/62 06 89.
Email: verlagsbuero@t-online.de

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