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112 aspekte – natürlich „nur“ temporär und unter Karl-Theodor Frhr.

zu Guttenberg, Verfas-
exzeptionellen Umständen – selbst grundle- sung und Verfassungsvertrag. Konstitutionel-
gendste Werte und Rechtsnormen außer acht le Entwicklungsstufen in den USA und der
zu lassen. Frankenberg lässt hier – namentlich EU, Berlin (Duncker & Humblot) 2009, 475
auch unter rechtsvergleichenden Aspekten – S., 88,- €
keine Zweifel an seiner scharfen Ablehnung
derartiger Gewöhnungsstrategien aufkom- Unter dem sperrigen Titel „Verfassung und
men; seine besondere Leistung besteht zudem Verfassungsvertrag. Konstitutionelle Ent-
darin, diese Gedankenspiele als spezielle wicklungsstufen in den USA und der EU“ hat
Emanationen eines umfassenderen, von ihm Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg seine
prägnant als „Angstrecht“ titulierten Kom- Dissertation publiziert. Er widmet sich darin
plexes einzuordnen und damit zugleich ihre dem europäischen Verfassungsprozess aus ei-
überaus fragwürdige Basis offenzulegen. ner rechtspolitischen Perspektive. Zu Gutten-
berg wurde mit der Arbeit im Jahr 2007 an der
IV. Reaktion: Hier auf Erden den Universität Bayreuth mit der Bestnote „sum-
ma cum laude“ promoviert. Betreut wurde
Rechtsstaat verteidigen
seine Arbeit von Peter Häberle als Doktorva-
Gegenüber dem wirkmächtigen „düsteren ter, Zweitgutachter war Rudolf Streinz, beide
Kontrastbild des Ausnahmezustandes“ (235) renommierte Staatslehrer und Europarecht-
und angesichts des tendenziell grenzenlos ein- ler.
setzbaren, da letztlich nie zu befriedigenden Trotz der Aktualität der Fragestellung fristet
Sicherheitsbedürfnisses haben Versuche, die die Arbeit bislang ein Schattendasein. Neben
besonderen Leistungen der rechtsstaatlichen einer eher zu devoten Rezension in der Zeit-
Garantien – im Sinne Frankenbergs: der „Me- schrift „Die Öffentliche Verwaltung“1 finden
thode Locke“ – auch unter Inkaufnahme par- sich einige oberflächliche Berichte in der Ta-
tieller Sicherheitsverluste aufrechtzuerhalten, gespresse über das Buch, die ihre Analyse im
argumentativ einen schweren Stand. Es ist das Grunde auf das Vorwort der Arbeit reduzie-
große Verdienst des Autors, sorgfältig die ren.2 Darüber hinaus ist der Text im Wesent-
problematischen Grundannahmen der gegen- lichen unbeachtet geblieben.
wärtigen Sicherheitsobsession aufgezeigt zu Der wissenschaftliche Ertrag der Arbeit ist
haben. Das betrifft nicht nur einzelne empiri- bescheiden. Das liegt vor allem daran, dass der
sche Beobachtungen, obwohl eigentlich be- Autor seinen Verfassungsbegriff nicht hinrei-
reits der Verweis auf die Unzuverlässigkeit chend entfaltet und damit weit hinter der wis-
der durch Foltereinsatz erlangten Informatio- senschaftlichen Diskussion zurückbleibt. Zu
nen entsprechende Überlegungen ebenso dis- Guttenbergs Argumentation mäandert vor
kreditieren sollte wie die Prognoseunsicher- sich hin und zermürbt die Leser_innen durch
heiten in Fällen des „Rettungsabschusses“. seitenlanges Politsprech und die Nacherzäh-
Frankenberg erinnert vielmehr völlig zu lung rechtspolitischer Diskussionen im Kon-
Recht an die vor allem in der Langzeitper- vent. Der Autor macht auch nicht ansatzweise
spektive erheblichen Gefahren, die mit den si- deutlich, worin der aktuelle Erkenntniswert
cherheitsfokussierten Tabu- oder sogar „Zi- der seitenlangen Dokumentation zu den Got-
vilisationsbrüchen“ einhergehen, sowie an die tesbezügen in Verfassungstexten liegt. Das
dem korrespondierende Notwendigkeit einer Gesamturteil „summa cum laude“ erscheint
von falschen Sekuritätsillusionen befreiten darum mehr als schmeichelhaft.
Akzeptanz „normaler“ Risiken. In diesem Widersteht man dem Impuls, die Arbeit man-
Sinne schließt das Buch, das mit der Erkennt- gels Substanz nach einer ersten Durchsicht
nis einsetzt, dass der Rechtsstaat nicht mit En- gelangweilt aus der Hand zu legen und liest
geln und paradiesischen Zuständen rechnen man etwas genauer hinein, dann zeigen sich
darf, passend mit der Warnung vor einem in einige formelle Auffälligkeiten. Zu Gutten-
der Legitimation von Folter liegenden „Pakt berg bedient sich bei einer ganzen Reihe von
mit dem Teufel“. Eine lohnende Lektüre nicht Texten und Autor_innen, ohne die Fremdzi-
nur, aber auch für Bundesminister. tate lege artis kenntlich zu machen. So ent-
nimmt er drei Sätze auf S. 153 – „Im Zuge der
Steffen Augsberg Integration hat sich schließlich ein Hoheits-
träger herausgebildet, der Recht setzt, ohne
Staat zu sein. Der überkommene, seit nun-

1 Wiemers, DÖV 2010, 32.


2 Bspw. Camann, Guttenbergs Kairos, in: FAZ
v. 19. März 2009.
mehr dreihundert Jahren gültige und nahezu der Darstellung zu plebiszitären Verfassungs- 113
zum Dogma erhobene Konnex von Staat und elementen (353) bedient er sich bei einem Vor-
Recht, von Staatsgewalt und Rechtsetzung trag, den Günter Burghardt, seinerzeit Bot-
wird dadurch durchbrochen. Regierungsge- schafter der EU in den USA, 2002 am Walter
walt und Rechtsetzung dürfen nunmehr als Hallstein-Institut gehalten hat.7 Ausführun-
Erscheinungen begriffen werden, die auch gen zur Zuständigkeitsverteilung der EU
jenseits der Staatlichkeit erfolgen.“ – vom Tü- kupfert er bei Sonja Volkmann-Schluck8 und
binger Europarechtler Martin Nettesheim,3 rechtsvergleichende Analysen (349) bei Wil-
ohne dies wie geboten als wörtliches Zitat fried Marxer ab.9
auszuweisen. Das wäre eine lässliche Sünde, Mehrmals macht zu Guttenberg nicht, nur
ein Versehen, wie es eben in einer langen Ar- teilweise oder nicht hinreichend kenntlich,
beit passieren kann. Doch es bleibt nicht da- dass die Formulierungen aus fremder Feder
bei. stammen. Wörtliche Zitate werden nicht im-
Im hinteren Bereich der Arbeit, wo zu Gut- mer hinreichend ausgewiesen; teilweise ver-
tenberg die Notwendigkeit des Gottesbezu- zeichnet er die Texte, aus denen er sich be-
ges in Verfassungen thematisiert und laizisti- dient, nicht einmal in seinem Literaturver-
schen Vertreter_innen vorwirft, dass sie ein zeichnis.10 Das Vorgehen ist so systematisch,
Vakuum schaffen, in dem Fundamentalismen dass es schwer ist zu sehen, wie das noch mit
aller Art gegenüber dem Humanismus und § 7 III der Promotionsordnung der Fakultät
der Aufklärung leichtes Spiel haben, gibt es für Rechts- und Wirtschaftswissenschaften
weitere urheberrechtlich problematische Pas- Bayreuth in Übereinklang gebracht werden
sagen. „Europa, das alte wie das neue“, so zu kann, nach dem die benutzte Literatur und
Guttenberg (382), „ist ein Kontinent, dessen sonstige Hilfsquellen vollständig anzugeben
Schicksal - im grausamsten wie im erhabens- und „wörtlich oder nahezu wörtlich dem
ten Sinne - von Religion und Religionen be- Schrifttum entnommene Stellen“ kenntlich zu
stimmt wurde und es vielfach noch immer machen sind.
wird. Dies zu negieren oder zu verdrängen, Im Hinblick auf die im Anhang dokumen-
heißt, einer Geschichtsvergessenheit Vor- tierte Liste, die Fundstücke einer ersten noch
schub zu leisten, die sich bis in die Zukunft unvollständigen Plagiatskontrolle via Wort-
hinein rächt.“ Dass diese Passage wortwört- gruppensuche bei Google (ohne Anspruch auf
lich aus einem Zeitungsaufsatz vom 22. Juni erschöpfende Durchsicht der Arbeit) ver-
2003 von Obermüller mit dem Titel „Gott hat zeichnet, erlaubt sich der Rezensent höflich,
keinen Platz in der europäischen Verfassung“ die Mitglieder des Bayreuther Prüfungsaus-
übernommen ist,4 macht zu Guttenberg nicht schusses und den Verfasser der Arbeit zu fra-
kenntlich. Der Originaltext wird an keiner gen, wie sie meinen, dennoch rechtfertigen zu
Stelle zitiert, obschon mehr als eine ganze Sei- können, dass diese Arbeit als „Nachweis der
te der gedruckten Dissertation in nichts an- Befähigung zu vertiefter wissenschaftlicher
derem als der Wiedergabe des Zeitungstextes Arbeit“ (Art. 64 Abs. 1 Satz 1 BayHSchG)
besteht.
Damit nicht genug: Passagen zum Intensitäts-
abrufbar (13.02.2011) via http://usa. usembas-
grad der Freundschaft der EU mit den USA
sy.de/etexts/gov/bpb/body_i_199_1. html.
(351) entnimmt zu Guttenberg von Gret Hal- 7 Burghardt, Die europäische Verfassungsent-
ler,5 zum europäischen Einfluss auf die US- wicklung aus dem Blickwinkel der USA. Vor-
Verfassung (214-217) Hartmut Wassers Text trag an der Humboldt-Universität zu Berlin,
„Amerikanische Präsidialdemokratie“.6 Bei 06. Juni 2002, abrufbar (13.02.2011) via http://
www.whi-berlin.de/documents/burghardt.
pdf.
3 Nettesheim, Die konsoziative Föderation von 8 Volkmann-Schluck, Die Debatte um eine eu-
EU und Mitgliedstaaten, ZeuS 2002, 507 ff. ropäische Verfassung, 2001, abrufbar via
4 Obermüller, Gott hat keinen Platz in der europä- (13.02.2011) http://www.cap.uni-muenchen.
ischen Verfassung, NZZ v. 22. Juni 2003, abruf- de/download/2002/2002_wp_eu_verfassung.
bar (13.02.2011) via http://bistum-basel.ch/sei- pdf.
te.php?na=1,2,0,14185,d. 9 Marxer, „Wir sind das Volk“: Direkte Demo-
5 Haller, Recht – Demokratie – Politik. Zum un- kratie - Verfahren, Verbreitung, Wirkung,
terschiedlichen Verständnis von Staat und Nati- Schriftliche Fassung des Vortrages am Liech-
on dies- und jenseits des Atlantiks. Referat an- tenstein-Institut vom 2. November 2004 in
lässlich der Tagung „Die USA – Innenansichten der Vorlesungsreihe „Herausforderung De-
einer Weltmacht“, 7./8. Februar 2003 an der Ka- mokratie“, abrufbar (13.02.2011) via http://
tholischen Akademie in Bayern, München, ab- www.liechtenstein-institut.li/Portals/11/pdf/
rufbar via (13.02.2011) http://www.grethal- lib/LIB_24.pdf.
ler.ch/2003/kath-ak-muenchen.html. 10 Die Texte von Obermüller, Fn. 4, Wasser,
6 Wasser, Amerikanische Präsidialdemokratie , in: Fn. 6 und Marxer, Fn. 9 werden im Literatur-
Informationen zur politischen Bildung 1997, 11, verzeichnis nicht erwähnt.
114 dienen kann, zumal dieser Nachweis auf der muss und hierbei vorausgesetzt ist, dass die
Grundlage „einer selbstständigen wissen- Dissertation wissenschaftlichen Mindeststan-
schaftlichen Arbeit (Dissertation)“11 erfolgen dards genügt.12

Andreas Fischer-Lescano
11 Zum Mindeststandard siehe auch VGH Mün-
chen, Urteil vom 4. April 2006 - 7 BV 05.388, 12 BVerwG, Beschluss vom 20. 10. 2006 - 6 B 67.
BayVBl. 2008, 281 (282). 06.

Anlage: Fundstücke13

Guttenberg, a.a.O., 381 f. Obermüller, Gott hat keinen Platz in der


europäischen Verfassung, NZZ v. 22. Juni
2003:

Aus dem Streit hervorgegangen ist ein durch und Aus dem Streit hervorgegangen ist ein durch und
durch säkularer, laizistischer Text, der angesichts durch säkularer, laizistischer Text, der angesichts
der europäischen Realität möglicherweise zu der europäischen Realität zu Recht auf ei-
Recht auf eine «Invocatio Dei», eine Anrufung ne «Invocatio Dei», eine Anrufung Gottes, ver-
Gottes, verzichtet und sich stattdessen auf den zichtet und sich stattdessen auf den Geist der An-
Geist der Antike, des Humanismus und der Auf- tike, des Humanismus und der Aufklärung be-
klärung beruft. Nur beiläufig wird auf das reli- ruft. Nur beiläufig wird auf das religiöse Erbe
giöse Erbe Europas verwiesen, ohne dass dabei die Europas verwiesen, ohne dass dabei die jüdische,
jüdische, christliche und muslimische Tradition in christliche und muslimische Tradition in irgend-
irgendeiner Weise erwähnt wird. Von religiöser einer Weise erwähnt wird. Von religiöser Gegen-
Gegenwart ist überhaupt nicht die Rede. [im Ori- wart ist überhaupt nicht die Rede.
ginal kein Absatz, afl]

Über die Hintergründe dieser Zurückhaltung Über die Hintergründe dieser Zurückhaltung
lässt sich nur rätseln: Sorge um den laizistischen lässt sich nur rätseln: Sorge um den laizistischen
Staat, Rücksicht gegenüber multireligiösen Ge- Staat, Rücksicht gegenüber multireligiösen Ge-
sellschaften oder schlicht Angst vor dem Erstar- sellschaften oder schlicht Angst vor dem Erstar-
ken des Fundamentalismus? Ehrenwerte Gründe ken des Fundamentalismus? Ehrenwerte Gründe
allesamt, die aber nicht darüber hinwegtäuschen, allesamt, die aber nicht darüber hinwegtäuschen,
dass hier ein Text vorliegt, der, obwohl er modern dass hier ein Text vorliegt, der, obwohl er modern
sein will, seltsam unzeitgemäß wirkt; ein Text, der sein will, seltsam unzeitgemäss wirkt; ein Text,
weder den eigenen Traditionen noch den Erfor- der weder den eigenen Traditionen noch den Er-
dernissen der Gegenwart wirklich gerecht wird. fordernissen der Gegenwart wirklich gerecht
wird.

Europa, das alte wie das neue, verdankt sich nicht Europa, das alte wie das neue, verdankt sich nicht
nur der griechischen Antike und nicht nur der nur der griechischen Antike und nicht nur der
französischen Aufklärung, sondern ebenso sehr französischen Aufklärung, sondern ebenso sehr
jenem Mittelalter, in dem jüdische, christliche und jenem Mittelalter, in dem jüdische, christliche
muslimische Denker, allein oder gemeinsam, über und muslimische Denker, allein oder gemeinsam,
den Widerspruch von Glaube und Vernunft nach- über den Widerspruch von Glaube und Vernunft
gedacht und damit jene Aufklärung mit vorberei- nachgedacht und damit jene Aufklärung mit vor-
tet hatten, die bis heute als der große Widerpart bereitet hatten, die bis heute als der grosse Wi-
des Religiösen gilt. derpart des Religiösen gilt.

Europa, das alte wie das neue, ist ein Kontinent, Europa, das alte wie das neue, ist ein Kontinent,
dessen Schicksal - im grausamsten wie im erha- dessen Schicksal - im grausamsten wie im erha-
bensten Sinne - von Religion und Religionen be- bensten Sinne - von Religion und Religionen be-
stimmt wurde und es vielfach noch immer wird. stimmt wurde und es vielfach noch immer wird.
Dies zu negieren oder zu verdrängen, heißt, einer Dies zu negieren oder zu verdrängen, heisst, einer
Geschichtsvergessenheit Vorschub zu leisten, die Geschichtsvergessenheit Vorschub zu leisten, die
sich bis in die Zukunft hinein rächt. [im Original sich bis in die Zukunft hinein rächt.
kein Absatz, afl]

Und schließlich ist auch Europa, das neue mehr Und schliesslich ist auch Europa, das neue mehr
noch als das alte, Schauplatz jener Entwicklung, noch als das alte, Schauplatz jener Entwicklung,
die man die «Rückkehr des Religiösen» nennt und die man die «Rückkehr des Religiösen» nennt und
die gegenwärtig daran ist, die Gesellschaften, die gegenwärtig daran ist, die Gesellschaften,
nicht nur die amerikanische, nachhaltig zu verän- nicht nur die amerikanische, nachhaltig zu verän-
dern. dern.

13 Fußnoten, die nicht auf die Autor_innen der Texte zielen, derer sich die Dissertation bedient, die also
vom Autor selbst angefügt wurden, habe ich aus Übersichtsgründen in der Regel ausgelassen.
Von alledem kann in einem Verfassungstext Von alledem kann in einem Verfassungstext 115
selbstverständlich nicht ausdrücklich die Rede selbstverständlich nicht ausdrücklich die Rede
sein. Durch den weitgehenden Verzicht auf reli- sein. Durch den weitgehenden Verzicht auf reli-
giöse Referenz erweckt diese europäische Präam- giöse Referenz erweckt diese europäische Präam-
bel indes den Verdacht, dass man sich der Bedeu- bel indes den Verdacht, dass man sich der Bedeu-
tung der Religionen als konstituierender Elemen- tung der Religionen als konstituierender Elemen-
te auch des neuen Europas entweder nicht be- te auch des neuen Europas entweder nicht be-
wusst ist oder sie willentlich unterschlägt. Damit wusst ist oder sie willentlich unterschlägt. Damit
geht etwas ganz Wesentliches verloren. [im Ori- geht etwas ganz Wesentliches verloren.
ginal kein Absatz, afl]

Religion, sei es nun als Suche nach einer neuen Religion, sei es nun als Suche nach einer neuen
Spiritualität oder als Flucht in fundamentalisti- Spiritualität oder als Flucht in fundamentalisti-
sche Gewissheiten, hat seit einigen Jahren enor- sche Gewissheiten, hat seit einigen Jahren enor-
men Auftrieb. Die Aufklärung und die mit ihr men Auftrieb. Die Aufklärung und die mit ihr
einhergehende Entzauberung der Welt sind an einhergehende Entzauberung der Welt sind an
Grenzen gestoßen, die Bedürfnisse der Menschen Grenzen gestossen, die Bedürfnisse der Men-
nach dem Unbegreiflichen, dem Göttlichen neu schen nach dem Unbegreiflichen, dem Göttlichen
erwacht. Unter dem Eindruck der rasanten tech- neu erwacht. Unter dem Eindruck der rasanten
nologischen Entwicklung hat sich das Bewusst- technologischen Entwicklung hat sich das Be-
sein sowohl für «die Grenzen menschlicher wusstsein sowohl für «die Grenzen menschlicher
Macht»14 als auch für die Notwendigkeit umfas- Macht», wie es in der Präambel zur entstehenden
sender Orientierung geschärft. Ethisch-religiöse neuen Zürcher Kantonsverfassung heisst, als auch
Positionen sind in den existenziellen Debatten der für die Notwendigkeit umfassender Orientierung
Gegenwart gefragter denn je. [im Original kein geschärft. Ethisch-religiöse Positionen sind in
Absatz, afl] den existenziellen Debatten der Gegenwart ge-
fragter denn je.

Wer dies, willentlich oder nicht, übersieht, ver- Wer dies, willentlich oder nicht, übersieht, ver-
nachlässigt nicht nur menschliche Grundbedürf- nachlässigt nicht nur menschliche Grundbedürf-
nisse, sondern schafft ein Vakuum, in dem Fun- nisse, sondern schafft ein Vakuum, in dem Fun-
damentalismen aller Art gegenüber dem Huma- damentalismen aller Art gegenüber dem Huma-
nismus und der Aufklärung ein leichtes Spiel ha- nismus und der Aufklärung ein leichtes Spiel ha-
ben. ben.
Guttenberg, a.a.O., S. 349 f.: Wilfried Marxer, „Wir sind das Volk“: Direkte
Demokratie - Verfahren, Verbreitung, Wir-
kung, Schriftliche Fassung des Vortrages am
Liechtenstein-Institut vom 2. November 2004
in der Vorlesungsreihe „Herausforderung De-
mokratie“, S. 25 ff.:

Als prominentes Beispiel mit weit zurückreichen- (25) Als prominentes Beispiel mit weit zurück-
der Tradition der Direktdemokratie dürfen die reichender Tradition der Direktdemokratie gel-
amerikanischen Bundesstaaten angesehen wer- ten die amerikanischen Bundesstaaten, in denen
den, in denen teilweise seit der Gründungszeit di- teilweise seit der Gründungszeit direktdemokra-
rektdemokratische Mitbestimmungsformen tische Mitbestimmungsformen praktiziert wer-
praktiziert werden. Sie gelten daher wie die den. Sie gelten daher wie die Schweiz als Pioniere
Schweiz als Pioniere der Direkten Demokratie. der Direkten Demokratie…
[Fn. ausgelassen, afl]

Geografisch zeigt sich der Schwerpunkt in den [28] Geografisch zeigt sich der Schwerpunkt vor
USA vor allem im Westen und Mittleren Westen. allem im Westen und Mittleren Westen. [Fn. aus-
[Fn. ausgelassen, afl] Nationale Referenden sind gelassen, afl] Nationale Referenden sind in der
in der amerikanischen Verfassung nicht vorgese- amerikanischen Verfassung nicht vorgesehen.
hen. Auf der Ebene der Bundesstaaten hat sich Auf der Ebene der Bundesstaaten hat sich dage-
dagegen das Instrumentarium der Direkten De- gen das Instrumentarium der Direkten Demo-
mokratie, bis hinab auf die lokale Ebene, weitge- kratie, bis hinab auf die lokale Ebene, weitgehend
hend durchgesetzt. In allen Bundesstaaten sind durchgesetzt. […] In allen Bundesstaaten sind
darüberhinaus auch Anordnungen von Volksab- darüberhinaus auch Anordnungen von Volksab-
stimmungen aufgrund von Behördenbeschlüssen stimmungen aufgrund von Behördenbeschlüssen
möglich („legislative referendum“). […] möglich („legislative referendum“).

Auf der Landkarte zeigt sich kein eindeutiger geo- [27] Auf der Landkarte zeigt sich kein eindeutiger
grafischer Schwerpunkt der Direkten Demokratie geografischer Schwerpunkt der Direkten Demo-
in Europa. Richtung Balkanländer und Osten mag kratie in Europa. Richtung Balkanländer und Os-
vordergründig eine zurückhaltendere Einstellung ten herrscht eine zurückhaltendere Einstellung
zur Direkten Demokratie herrschen. Aber auch zur Direkten Demokratie. Aber auch das ist kein
das ist kein durchgängiges Schema, da beispiels- durchgängiges Schema, da beispielsweise Lett-
weise Lettland, die Slowakei und Slowenien zu land, die Slowakei und Slovenien zu den Staaten
den Staaten mit gut ausgebauten direktdemokra- mit gut ausgebauten direkdemokratischen Rech-
tischen Rechten gehören. ten gehören…

14 Wie es in der Präambel zur entstehenden neuen Zürcher Kantonsverfassung heißt.


116 Insgesamt kann im 20. Jahrhundert eine kontinu- [29] Insgesamt kann im 20. Jahrhundert eine kon-
ierliche Zunahme der direktdemokratischen Ent- tinuierliche Zunahme der direktdemokratischen
scheidungen auf nationalstaatlicher Ebene festge- Entscheidungen auf nationalstaatlicher Ebene
stellt werden.15 Dafür gibt es mehrere Gründe. festgestellt werden. In den Doppeldekaden ist die
Einerseits wurden in vielen Staaten im Verlaufe Zahl der Volksabstimmungen von rund 50
des 20. Jahrhunderts die Rechtsgrundlagen für di- (1901-1920) auf rund 350 (1981-2000) gestiegen.
rekte Volksbeteiligung geschaffen.16 Andererseits Dafür gibt es mehrere Gründe. Einerseits wurden
wurde aber auch in Staaten, die dieses Recht be- nach LeDuc (2003: 20f.) in vielen Staaten im Ver-
reits kannten, vermehrt davon Gebrauch ge- laufe des 20. Jahrhunderts die Rechtsgrundlagen
macht. Gerade in Europa haben die staatlichen für direkte Volksbeteiligung geschaffen. Ande-
Neuordnungen im früheren Einflussbereich der rerseits wurde aber auch in Staaten, die dieses
Sowjetunion zu einer hohen Zahl von Abstim- Recht bereits kannten, vermehrt davon Gebrauch
mungen über neue Verfassungen geführt. Eine gemacht. Gerade auch in Europa haben die staat-
zweite Abstimmungswelle ist schließlich mit dem lichen Neuordnungen im früheren Einflussbe-
europäischen Integrationsprozess verbunden, in- reich der Sowjetunion zu einer hohen Zahl von
dem vor allem über den Beitritt zur Europäischen Abstimmungen über neue Verfassungen geführt.
Union und über verschiedene europäische Ver- Eine zweite Abstimmungswelle ist mit dem
träge und insbesondere über die Einführung des europäischen Integrationsprozess verbunden, in-
Euro abgestimmt wurde. Der Europäische Ver- dem vor allem über den Beitritt zur Europäischen
fassungsvertrag hat(te) bekanntlich weitere Union und über verschiedene europäische Ver-
Volksabstimmungen auf nationaler Ebene zur träge – Maastricht, Nizza, Amsterdam, insbeson-
Folge. dere über die Einführung des Euro - abgestimmt
wurde. Die Europäische Verfassung könnte wei-
tere Volksabstimmungen auf nationaler Ebene
zur Folge haben.
Guttenberg, a.a.O., S. 351: Haller, Recht – Demokratie – Politik. Zum un-
terschiedlichen Verständnis von Staat und Na-
tion dies- und jenseits des Atlantiks. Referat
anlässlich der Tagung "Die USA - Innenan-
sichten einer Weltmacht“, 7./8. Februar 2003
an der Katholischen Akademie in Bayern,
München

[…], dass der Intensitätsgrad der Freundschaft mit […], dass der Intensitätsgrad der Freundschaft
den Vereinigten Staaten für nicht wenige gleich- mit den Vereinigten Staaten gleichbedeutend sei
bedeutend ist mit dem Intensitätsgrad der Akzep- mit dem Intensitätsgrad der Akzeptanz durch die
tanz durch die Staatengemeinschaft ganz allge- Staatengemeinschaft ganz allgemein. Aus US-
mein. Aus US-amerikanischer Sicht trifft dies zu. amerikanischer Sicht trifft dies zu. Aus europäi-
Aus europäischer Sicht ist es aber keineswegs scher Sicht ist es aber keinesweg richtig, ganz im
richtig, im Gegenteil: gerade in der deutschen (po- Gegenteil: Wir gehen - zusammen mit unzähligen
litischen wie öffentlichen) Diskussion geht man - Staaten in anderen Kontinenten - davon aus, dass
zusammen mit zahlreichen Staaten in anderen wir uns zunehmend auf eine Völkerrechtsord-
Kontinenten - davon aus, dass man sich zuneh- nung einigen wollen, indem wir zunehmende
mend auf eine Völkerrechtsordnung einigen wol- Souveränitätsverzichte leisten.
le, auch indem man sich zunehmende Souveräni-
tätsverzichte leisten würde.
Guttenberg, a.a.O., S. 215-217: Wasser, Amerikanische Präsidialdemokratie ,
in: Informationen zur politischen Bildung
1997, 11

Eine wesentliche Ursache des Verkennens politi- Die wichtigste Ursache des Verkennens politi-
scher wie rechtlicher Realitäten der USA liegt scher Realitäten der USA liegt vermutlich darin,
eventuell darin, dass sich Europäer wiederkeh- daß sich Deutsche und andere Kontinentaleuro-
rend von vordergründigen Identitäten und for- päer immer wieder von vordergründigen Identi-
malen Parallelen der Herrschaftssysteme diesseits täten und formalen Parallelen der Herrschafts-
und jenseits des Atlantiks täuschen lassen. Sie nei- systeme diesseits und jenseits des Atlantiks täu-
gen dazu, Varianten desselben Herrschaftsmodus schen lassen. Sie diagnostizieren Varianten des-
zu identifizieren, wo tatsächlich Struktur- und selben Herrschaftsmodus, wo tatsächlich Struk-
Funktionsunterschiede der politischen Institutio- tur- und Funktionsunterschiede der politischen
nenordnungen vorhanden sind. Institutionenordnungen vorhanden sind. […]

Ableitbar ist dieses Fehlurteil auch aus einer ge- Dieser Irrtum läßt sich auch aus der Ambivalenz
wissen Ambivalenz [Der Fehler, das Komma des erklären mit der die amerikanischen Verfassungs-
Relativsatzes auszulassen, wurde also übernom- väter die Schaffung ihrer Republik ins Werk setz-
men.] mit der die amerikanischen Verfassungsvä- ten. Sie gingen auf der einen Seite von allseits be-
ter die Schaffung ihrer Republik ins Werk setzten. kannten Ideen und Einrichtungen des abendlän-
Sie gingen einerseits von weithin bekannten Ideen disch-europäischen Kulturkreises aus. So nutzten

15 In den Doppeldekaden ist die Zahl der Volksabstimmungen von rund 50 (1901-1920) auf rund 350
(1981-2000) gestiegen.
16 Vgl. L. LeDuc, The Politics of Direct Democracy. Referendums in Global Perspective. Peterborough,
S. 20 f
und Einrichtungen des „abendländisch-europä- sie sowohl ihre genauen Kenntnisse der politi- 117
ischen Kulturkreises“ aus. So nutzten sie sowohl schen Philosophie seit den Tagen der Antike oder
exakte Kenntnisse der politischen Philosophie seit der politischen Aufklärungsliteratur des sieb-
den Tagen der Antike oder der politischen Auf- zehnten und achtzehnten Jahrhunderts in Europa
klärungsliteratur des siebzehnten und achtzehn- sowie ihr Wissen über die Strukturen und Funk-
ten Jahrhunderts in Europa sowie ihr Wissen über tionsweisen des britischen Regierungssystems,
die Strukturen und Funktionsweisen des briti- die auf vielfältige Art und Weise die politischen
schen Regierungssystems, die mannigfaltig die Ordnungsverhältnisse in den amerikanischen
politischen Ordnungsverhältnisse in den ameri- Kolonien geprägt hatten. Sie operierten mit poli-
kanischen Kolonien geprägt hatten. Man arbeitete tischen Begriffen, die aus dem Fundus der Tradi-
mit politischen Begriffen, die aus dem Fundus der tion stammten und die sie teilweise auch in die
Tradition stammten und die sie teilweise auch „Neue Welt“ übernahmen. Sie nutzten anderer-
über den Atlantik in die „Neue Welt“ übernah- seits all diese Kenntnisse, Vorgaben und Begriff-
men. Gleichwohl nutzten sie all diese Kenntnisse, lichkeiten nicht zur Imitation europäischer Mo-
Vorgaben und Begrifflichkeiten nicht lediglich delle, sondern zur Schaffung ganz neuer, durch-
zur Imitation europäischer Modelle, sondern aus revolutionärer Institutionen. An dier Stelle sei
kreativ zur Schaffung neuer, durchaus revolutio- bloß auf den Föderalismus als amerikanische Er-
närer Institutionen. An dieser Stelle sei nur […] findung im Bereich des Staatsrechts erinnert.
auf den Föderalismus als amerikanische Erfin-
dung im Bereich des Staatsrechts erinnert.

Und selbst wo die Verfassungsväter Ideen und Mehr noch: Selbst wo die Verfassungsväter Ideen
Einrichtungen aus Europa übernahmen (etwa den und Einrichtungen aus Europa übernahmen (et-
Gedanken der Repräsentation), gewannen diese in wa den Gedanken der Repräsentation), gewannen
einer völlig neuartigen Umgebung spezifisch diese in einer völlig neuartigen Umwelt spezifisch
amerikanische Charakteristika, die mit europä- amerikanische Charakteristika, die mit europä-
ischen Modellen kaum noch zu vergleichen wa- ischen Modellen kaum noch zu vergleichen wa-
ren. A. de Tocqueville hat in seinem klassischen ren. Der Franzose Alexis de Tocqueville hat in
Werk „Über die Demokratie in Amerika“ (1835) seinem Buch „Über die Demokratie in Amerika“
an zahlreichen Beispielen den Nachweis geführt, (1835) an vielfältigen Beispielen den Nachweis
wie die eigentümliche „Ausgangslage“ der „Neu- geführt, wie die eigentümliche „Ausgangslage“
en Welt“, wie ihre Glaubensbekenntnisse das der „Neuen Welt“, wie ihre Glaubensbekennt-
Überkommene selbst dort veränderten, wo man nisse das Überkommene selbst dort veränderten,
es zu bewahren suchte, wie etwa allein schon das wo man es zu bewahren suchte, wie etwa allein
„Dogma der Volkssouveränität“ und das Gleich- schon das „Dogma der Volkssouveränität“ und
heitsprinzip überkommene Herrschaftseinrich- das Gleichheitsprinzip überkommene Herr-
tungen grundlegend veränderten. Der US-Histo- schaftseinrichtungen grundlegend veränderten.
riker F.J. Turner meinte ähnliches, als er um die Der US-Historiker Frederick Jackson Turner
Wende zum 20. Jahrhundert die offene Grenze, meinte ähnliches, als er um die Jahrhundertwende
das Erlebnis der Weite des Westens und die Er- die offene Grenze, das Erlebnis der Weite des
fahrung der Ungewißheit für die gesamte poli- Westens und die Erfahrung der Ungewißheit für
tisch-soziale Entwicklung der USA (mit)verant- die gesamte politisch-soziale Entwicklung der
wortlich machte: USA verantwortlich machte:

„Vom Beginn der Besiedlung Amerikas an hat die „Vom Beginn der Besiedlung Amerikas an hadie
Region der Grenze ständig ihren Einfluß auf die Region der Grenze ständig ihren Einfluß auf die
amerikanische Demokratie ausgeübt [...] Die ame- amerikanische Demokratie ausgeübt [...] Die
rikanische Demokratie ist im Grunde das Ergeb- amerikanische Demokratie ist im Grunde das Er-
nis der Erfahrungen des amerikanischen Volkes in gebnis der Erfahrungen des amerikanischen Vol-
der Auseinandersetzung mit dem Westen. Die kes in der Auseinandersetzung mit dem Westen.
westliche Demokratie fördert während der gan- Die westliche Demokratie fördert während der
zen früheren Zeit die Entstehung einer Gesell- ganzen früheren Zeit die Entstehung einer Ge-
schaft, deren wichtigster Zug die Freiheit des In- sellschaft, deren wichtigster Zug die Freiheit des
dividuums zum Aufstieg im Rahmen sozialer Mo- Individuums zum Aufstieg im Rahmen sozialer
bilität und deren Ziel die Freiheit und das Wohl- Mobilität und deren Ziel die Freiheit und das
ergehen der Massen war. Diese Vorstellungen ha- Wohlergehen der Massen war. Diese Vorstellun-
ben die gesamte amerikanische Demokratie mit gen haben die gesamte amerikanische Demokratie
Lebenskraft erfüllt und sie in scharfen Gegensatz mit Lebenskraft erfüllt und sie in scharfen Ge-
zu den Demokratien der Geschichte gebracht und gensatz zu den Demokratien der Geschichte ge-
zu den modernen Bemühungen in Europa, ein bracht und zu den modernen Bemühungen in Eu-
künstliches demokratisches Ordnungssystem mit ropa, ein künstliches demokratisches Ordnungs-
Hilfe von Gesetzen zu errichten.“ [Das wörtliche system mit Hilfe von Gesetzen zu errichten.“
Zitat wird mit einer Fn. belegt, die auf die Seite
http://usa.usembassy.de/etexts/gov/bpb/bo-
dy_i_199_1.html verweist. Auf dieser Seite findet
sich jedoch nicht (nur) das Turner-Zitat, sondern
der Text von Wasser in der rechten Spalte, afl]

Viele Europäer haben Eigentümlichkeiten des Die Europäer und speziell die Deutschen haben
amerikanischen Herrschaftssystems missverstan- Eigentümlichkeiten des amerikanischen Herr-
den, da sie ihm, von vordergründigen Parallelen schaftssystems oft genug mißverstanden, weil sie
der Regierungsweisen diesseits und jenseits des ihm, von vordergründigen Parallelen der Regie-
Atlantiks getäuscht, mit Vorstellungen und Be- rungsweisen diesseits und jenseits des Atlantiks
griffen begegneten, die ihren eigenen Verfas- getäuscht, mit Vorstellungen und Begriffen be-
sungsordnungen entstammten. Die Strukturprin- gegneten, die ihren eigenen Verfassungsordnun-
zipien der parlamentarischen Regierungssysteme gen entstammten. Dabei unterscheiden sich die
118 europäisch-deutscher Prägung unterscheiden sich Strukturprinzipien der parlamentarischen Regie-
allerdings erheblich von jenen der amerikanischen rungssysteme europäisch-deutscher Prägung er-
Präsidialdemokratie. heblich von denen der amerikanischen Präsidial-
demokratie. […]

Unabhängig davon, dass in diesen politischen Sys- Abgesehen davon, daß in diesen politischen Sys-
temen Parlamente an den staatlichen Willensbil- temen Parlamente an den staatlichen Willensbil-
dungs- und Entscheidungsprozessen teilhaben, dungs- und Entscheidungsprozessen teilhaben,
trennt sie doch vieles [Fn. ausgelassen, afl]: im trennt sie vieles: im Rahmen der polity, der Insti-
Rahmen der polity, der Institutionen, Strukturen tutionen, Strukturen und konstitutiven Normen
und konstitutiven Normen ebenso wie im Bereich ebenso wie im Bereich der politics, wie die An-
der politics, wie im anglo-amerikanischen Rechts- gelsachsen die politischen Prozesse umschreiben.
und Kulturkreis die politischen Prozesse um- Diese Unterschiede schlagen sich notwendiger-
schrieben werden. Diese Unterschiede schlagen weise auch in der Sphäre der policy, bei der Pla-
sich notwendigerweise auch in der Sphäre der po- nung und Durchführung konkreter politischer
licy, bei der Planung und Durchführung konkre- Gestaltungsaufgaben, nieder
ter politischer Gestaltungsaufgaben, nieder
Guttenberg, a.a.O., S. 115: Sonja Volkmann-Schluck, Die Debatte um eine
europäische Verfassung, 2001
[Der Inhalt der Fußnoten wurde hier nicht über-
nommen, afl]:

Die Forderung nach einer eindeutigeren Zustän- Die Forderung nach einer eindeutigeren Zustän-
digkeitsverteilung zwischen Europäischer Union digkeitsverteilung zwischen EU und Mitglieds-
und Mitgliedsstaaten bzw. Regionen stand und staaten bzw. Regionen steht in allen Überlegun-
steht bis heute in zahlreichen Überlegungen an gen an zentraler Stelle. Ein Kompetenzkatalog
zentraler Stelle. Ein Kompetenzkatalog stellte – stellt – neben der Grundrechtecharta – „gegen-
neben der Grundrechtecharta – für viele die Kon- wärtig die Konkretion des Verfassungsgedankens
kretion des Verfassungsgedankens dar. Mit einem dar“266. Mit einem Kompetenzkatalog soll das
Kompetenzkatalog sollte das Prinzip funktional Prinzip funktional definierter Handlungsbefug-
definierter Handlungsbefugnisse zugunsten nisse“ zugunsten rechtsgebietlich definierter Zu-
rechtsgebietlich definierter Zuständigkeiten über- ständigkeiten überwunden werden267. Statt der
wunden werden. Statt der Vielzahl von Regelun- Vielzahl von Regelungen auf EU-Ebene als Er-
gen auf EU-Ebene als Ergebnis der induktiven gebnis der induktiven Vergemeinschaftung sollen
Vergemeinschaftung sollten bereits in Fischers die Kompetenzen nach dem Prinzip der horizon-
Humboldt-Rede die Kompetenzen nach dem talen (zwischen den Institutionen), besonders
Prinzip der horizontalen (zwischen den Institu- aber der vertikalen Gewaltenteilung zwischen
tionen), besonders aber der vertikalen Gewalten- EU-Ebene und Mitgliedsstaaten geordnet wer-
teilung zwischen EU-Ebene und Mitgliedsstaaten den268.
geordnet werden.
Guttenberg, a.a.O., S. 153: Nettesheim, Die konsoziative Föderation von
EU und Mitgliedstaaten, ZeuS 2002, 507 ff.

Im Zuge der Integration hat sich schließlich ein Im Zuge der Integration hat sich ein Hoheitsträ-
Hoheitsträger herausgebildet, der Recht setzt, oh- ger herausgebildet, der Recht setzt, ohne Staat zu
ne Staat zu sein. Der überkommene, seit nunmehr sein. Der überkommene, seit nunmehr dreihun-
dreihundert Jahren gültige und nahezu zum Dog- dert Jahren gültige und zum Dogma erhobene
ma erhobene Konnex von Staat und Recht, von Konnex von Staat und Recht, von Staatsgewalt
Staatsgewalt und Rechtsetzung wird hiermit rela- und Rechtsetzung wird dadurch durchbrochen.
tiviert, wenn nicht durchbrochen. Regierungsge- Regierungsgewalt und Rechtsetzung müssen
walt und Rechtsetzung dürfen nunmehr als Er- nunmehr als Erscheinungen begriffen werden, die
scheinungen begriffen werden, die auch jenseits auch jenseits der Staatlichkeit erfolgen.
der Staatlichkeit erfolgen.
Guttenberg, a.a.O., S. 198: Burghardt, Die europäische Verfassungsent-
wicklung aus dem Blickwinkel der USA. Vor-
trag an der Humboldt Universität zu Berlin,
06. Juni 2002, 4:

J.F. Kennedys Konzept der Partnerschaft von John F. Kennedys Konzept der Partnerschaft von
Gleichen, sein Einfluss auf MacMillans Beitritts- Gleichen, sein Einfluß auf MacMillans Beitritts-
gesuch zur Europäischen Gemeinschaft 1961 und gesuch zur Europäischen Gemeinschaft 1961 und
die frühe Beschäftigung amerikanischer Univer- die frühe Beschäftigung amerikanischer Univer-
sitäten mit der Theorie und Praxis europäischer sitäten mit der Theorie und Praxis europäischer
Integration sind weitere Beispiele konstruktiven Integration sind weitere Beispiele konstruktiven
amerikanischen Interesses. W. Hallstein hat diese amerikanischen Interesses. Walter Hallstein hat
Interaktion zwischen amerikanischem Interesse diese Interaktion zwischen amerikanischem In-
und notwendiger Erklärung komplexer europäi- teresse und notwendiger Erklärung komplexer
scher Vorgänge prägend mitgestaltet. In Teilen europäischer Vorgänge prägend mitgestaltet.
ungebrochen aktuell lesen sich Hallsteins Clay- Auch heute noch ist es lohnend und intellektuell
ton-Vorlesungen mit dem Titel „Die Einheit Eu- wie politisch fesselnd, Hallsteins Clayton-Vorle-
ropas – Herausforderung und Hoffnung“ im sungen mit dem Titel „Die Einheit Europas –
April 1962 in Boston[Fn. ausgelassen, afl] oder die Herausforderung und Hoffnung“ im April 1962
(selbst verfassten) Berichte über seine regelmäßi- in Boston oder die Berichte über seine regelmä-
gen Gespräche mit Präsident Kennedy sowie seine ßigen Gespräche mit Präsident Kennedy sowie
Reden in Washington und New York aus den seine Reden in Washington und New York aus 119
Jahren 1961-63.[Fn. ausgelassen, afl] Ernst Haas den Jahren 1961-63 nachzulesen. Professor Ernst
hat schon Anfang der 50er Jahre an der Universi- Haas hat schon Anfang der 50er Jahre an der Uni-
tät Berkeley eine Vorlesung über die Rechtsnatur versität Berkeley eine Vorlesung über die Rechts-
der EGKS eingerichtet. Heute beherbergen mehr natur der EGKS eingerichtet. Heute beherbergt
als 15 amerikanische Universitäten ein „European Berkeley eines der 15 European Union Centers
Union Center“[...] an amerikanischen Universitäten […]
Guttenberg, a.a.O., S. 353: Burghardt, Die europäische Verfassungsent-
wicklung aus dem Blickwinkel der USA. Vor-
trag an der Humboldt Universität zu Berlin,
06. Juni 2002, 8:

Die im Zusammenhang mit der Erweiterung der Die im Zusammenhang mit der Erweiterung der
Europäischen Union lebhaft, zuweilen unmäßig Europäischen Union lebhafte Diskussion über
geführte Diskussion über die „Grenzen Europas“ die „Grenzen Europas“ bietet ebenfalls Anlass zu
und die Finalität der Europäischen Union bietet einem Blick auf den amerikanischen Umgang mit
ebenfalls Anlass zu einem Blick auf den amerika- vergleichbaren Fragestellungen. So wie heute
nischen Umgang mit vergleichbaren Fragestellun- nicht klar ist, wo die Europäische Union ihre geo-
gen. So wie heute nicht klar ist, wo die Europä- graphischen Grenzen finden wird, war auch zum
ische Union ihre geographischen Grenzen finden Zeitpunkt der amerikanischen Verfassungsge-
wird, war auch zum Zeitpunkt der amerikani- bung nicht absehbar, wie groß der amerikanische
schen Verfassungsgebung nicht absehbar, wie Staat eines Tages werden könnte.
groß der amerikanische Staat eines Tages werden
könnte.

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