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Irgendwie Härzik

Eine Fanfiction von Isoken.


Kapitel 1: Das Spiel beginnt
Irgendetwas war anders als sonst. Hänno öffnete seine Augen
und starrte in einen blauen Himmel mit weissen Wolken. Auch
ohne Brille konnte er erkennen, dass etwas an diesen Wolken
anders war als sonst. Aber sein vom Schlaf noch vernebeltes
Gehirn wollte ihm noch nicht so richtig mitteilen, was sein Un-
terbewusstsein schon bemerkt hatte. Also lag er einen Moment
da und starrte in den noch leicht rosaroten Himmel.
Plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: Er starrte
in den Himmel! Den Gott verdammten Himmel! Auf einmal
hell wach richtete er sich mühsam mit seltsam steifen Glie-
dern auf und schaute sich verwirrt um. Er lag auf dem nackten
Erdboden einer überschaubar grossen Waldlichtung. Irgendwie
sah jedoch alles seltsam entfremdet aus. Zum Beispiel erschie-
nen ihm die umsäumenden Bäume seltsam niedrig zu sein.
Verwirrt tastete er nach seiner Brille und fand sie rechts ne-
ben sich. Schnell setzte er sie sich auf die Nase und starrte
verwirrt vor sich hin. Neben seiner jetzt verbesserten Sicht,
war sein Gehirn endlich in die Gänge gekommen und hatte
die entscheidende Information nachgeliefert, die sein Unterbe-
wusstseins schon von Anfang an registriert hatte: Alles war
quadratisch.
Ein Geräusch links von ihm riss ihn aus seiner Starre. Sein Herz
machte einen freudigen Hüpfer, denn seine Augen erblickten
neben sich nicht nur eine weitere Gestalt, welche ebenfalls ge-

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rade wach wurden und vor allem nicht quadratisch war, son-
dern erkannte darin Sterzik. Wenn er in schon in einer ab-
strusen Situation war, dann wenigstens mit jemandem kom-
petentem an seiner Seite.
«Sterzik?», machte Hänno den anderen Mann auf sich auf-
merksam. Sterzik lag auf dem Rücken und hievte sich mühsam
auf seine Ellbogen, so dass er mit verwirrtem Blick zu Hänno
sehen konnte.
«Hänno?», fragte der mit verschlafener und seltsam rauer Stim-
me, als wäre er ein wenig heiser. Hänno kratze sich am Ohr
und schaute um sich und zurück zu Sterzik. Alles um ihn her-
um war noch immer quadratisch und kantig, anstatt rund und
weich. Ausser Sterzik. Der schaute ihn mit seinen braunen,
runden Augen aus einem normalen, runden Gesicht an.
«Ich weiss, das klingt nach ’ner bescheuerten Frage, aber: Was
hat der Baum da für dich für eine Form?», fragte Hänno un-
sicher und zeigte auf einen Baum vor ihnen.
Sterzik schaute langsam Hännos ausgestrecktem Arm nach.
Sein Blick fand das von Hänno angesprochene Objekt, dann
verlor er jeglichen Fokus. Sterzik starrte eine Weile ins Leere.
Hänno wollte sich schon Sorgen machen, da schnellten Sterziks
Augen zu ihm zurück und suchten Augenkontakt.
«Wenn du die Frage so stellst, dann siehst du dasselbe wie
ich?», stellte Sterzik schockiert die wohl logischste Gegenfra-
ge.

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Hänno nickte und sagte trocken: «Das ist ein beschissener Mi-
necraftbaum. Er ist, verfickte Scheisse noch mal, eckig!»
Sterzik liess sich mit einem Aufstöhnen zurück auf den Rücken
fallen und fügte nach einem kurzen Moment erstaulich ruhig
hinzu: «Und das sind beschissene Minecraftwolken.»
Hänno legte sich ebenfalls wieder hin und versuchte in seinen
Erinnerungen nach einer vernünftigen Erklärung für ihre mo-
mentane Situation zu finden. Aber egal wie er es drehte und
wendete, diese Situation entbehrte jeglicher Logik. Da gab es
nichts zu verstehen. Jedenfalls nichts Vernünftiges.
Nach einer Weile durchschnitt Sterziks Stimme die Stille zwi-
schen ihnen: «Egal wie ich das in meinem Kopf drehe oder
wende, es gibt keine vernünftige Erklärung.»
Hänno kicherte etwas. Er hatte ja gewusst, dass Sterzik die
richtige Person für diesen Schlamassel war. Plötzlich fühlte
er sich angespornt herauszufinden, in was für eine Scheisse er
hier mit Sterzik eigentlich genau geraten war. Also richtete er
sich mit einem Ruck auf und schaute sich nochmals auf der
Lichtung um. Sterzik folgte seiner Bewegung mit den Augen,
aber reagierte nicht weiter. Erst als Hänno aufstand fragte er,
was er vor hatte.
«War das vorhin auch schon da?», fragte Hänno und deutete
auf etwas, von dem er sicher war, dass es vorhin noch nicht da
gewesen war.

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Sterzik folgte Hännos Blick und schaute sich das seltsame Ob-
jekt an. Wenn er es nicht besser wüsste, dann würde er sagen,
dass es sich um ein typischen Verzauberungstisch handelte.
Aber irgendwie sah der Sockel schlichter aus und das Buch,
dass darüber schwebte blieb geschlossen. Es blätterte sich nicht
wie von Zauberhand selber um.
Hänno ging zum Buch hinüber. Bei näherem Hinsehen, sah es
so aus, als könnte man es öffnen, also blieb er vor dem So-
ckel stehen und schaute sich das Ding genauer an. Es war ein
stink normales, braunes Buch in Ledereinband. Es war nicht
beschriftet, weder auf dem Buckdeckel noch dem Buchrücken.
Aber gleichzeitig schwebte es einige Zentimeter über dem So-
ckel. Das war ja nicht normal. Aber Hänno hatte so das Gefühl,
dass sich für absehbare Zeit hinweg seine baseline, was normal
war und was nicht, drastisch verändern sollte.
Hänno fuhr mit der Handfläche nach untern in den Zwischen-
raum zwischen Buch und Sockel. Er fühlte nichts und es pas-
sierte nichts. Keine Reaktion. Nur ein Stöhnen und das knacken
von Knochen hinter ihm war zu vernehmen.
«Scheisse. Wie lange haben wir da gelegen? Ich fühl mich total
steif», jammerte Sterzik hinter ihm, aber seine Stimme kam
näher. Also drehte sich Hänno nicht um und wartete einfach
darauf, dass der andere zu ihm stiess.
«Steif», echote Hänno und konnte sich ein Kichern nicht un-
terdrücken.

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Sterzik erschien in seinem linken Blickfeld und schaute ihn
ausdruckslos an. «Echt jetzt?», fragte der andere trocken und
richtete dann seine Aufmerksamkeit auf das schwebende Buch
vor ihnen.
«Galgenhumor?», fragte Hänno und sie verfielen danach beide
in Schweigen.
«Sollten wir es öffnen?», fragte Sterzik nach einer Weile.
Hänno zuckte mit den Schultern. Er war ja sonst gewitzt ge-
nug, um sich in allen Situationen ob in real life oder in Games
zurecht zu finden, aber irgendwie hatte sein Gehirn mühe, mit
der momentanen Situation nach zu kommen. Zu seiner Vertei-
digung musste man jedoch sagen, dass es sich doch um recht
abstrusen Scheiss handelte.
Sterzik zuckte ebenfalls mit den Schultern und griff nach dem
Buch. Ohne Probleme pflückte er es aus der Luft, da öffnete
es sich von alleine irgendwo in der Mitte. In dem Moment,
in welchem Sterzik die ersten Worte las, ertönte eine seltsam
verzerrte und mechanisch wirkende Stimme in ihren Köpfen:
«Willkommen Herausforderer! Ihr beide seid auserwählt, um
die schwierige Aufgabe zu erfüllen, den Enderdrachen zu be-
siegen. Als Belohnung werdet ihr den Weg zurück in euer nor-
males Leben finden. Um diese Aufgabe zu erfüllen, müsst ihr
beide bis zum Schluss überleben. Stirbt einer von euch bei-
den, folgt der andere ihm sofort in den Tod und ihr werdet
wieder an den Ausgangspunkt zurück gesetzt. Möge das Spiel
beginnen.» Kaum verhallten die letzten Worte, da klappte sich

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das Buch theatralisch in Sterziks Händen zu und schwebte zu-
rück auf seinen Platz einige Zentimeter über dem Sockel. Für
Hänno blieb nur das Gefühl zurück, die Stimme schon einmal
gehört zu haben.
«What the fuck?», fluchte Sterzik nun sichtlich verärgert. Ster-
ziks ärger diente als Katalysator für Hännos eigene Emotionen
und so machte sich auch in ihm die Wut breit.
«Verstehe ich das richtig? Wir sind hier in einer Minecraft-
welt? Und wir wurden nicht nur gegen unseren Willen hier
her geschleift, sondern wir können sogar erst wieder hier raus,
wenn wir den beschissenen Enderdrachen besiegen? Was für
eine kranke Scheisse ist das?», fragte Hänno und hörte selber,
wie seine Stimme etwas Schrilles annahm, als sich die kalte
Panik langsam in ihm ausbreitete und seine Eingeweide mit
eisigem Griff verdrehte.
Sterzik liess sich neben ihm auf den Boden fallen. Hänno mach-
te es ihm nach und sie drehten sich so um, dass sie den Sockel
im Rücken hatten.
Es passierte einige Zeit nichts. Dann beruhigten sich Hännos
Gedanken langsam, sein Gehirn war bemüht Ordnung in die-
ses Chaos zu bringen. Irgendwann drehte er den Kopf leicht,
so dass er Sterzik sehen konnte, der neben ihm ebenfalls ins
Nichts starrte. Er sah wie ein Welpe aus, der seine Mama ver-
loren hatte. Irgendwie herzig.

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«Wir träumen nicht. Weil du bist genauso hier wie ich. Rich-
tig?», fragte Hänno leise, aber das Schrille in seiner Stimme
war einer Härte gewichen. Er hatte einen Entschluss gefasst.
Jetzt musste er nur noch Sterzik auf denselben Kurs bringen.
Sterzik zuckte bei seinen Worten zusammen, als hätte ihn je-
mand geschlagen, dann schaute er ihn jedoch an und nickte
ernst.
«Wir sind also wirklich hier. Wenn das stimmt, was in dem
Buch steht, dann handelt es sich hier um eine einigermassen
akurate Minecraftwelt. Immerhin gibt es den Enderdrachen.
Richtig?», fragte Hänno weiter.
«Ist anzunehmen, ja.» Sterziks Worte klangen immer noch et-
was verloren, aber langsam kehrte das Leben in seine braunen
Augen zurück.
Hänno zeigte in den Himmel über ihnen, welcher von eckigem
Blätterwerk umrandet war: «Die Sonne ist schon fast im Zenit,
das heisst wir haben noch einen halben Tag bevor hier wahr-
scheinlich echte Zombies und Creeper ’rum rennen. Wir sollten
so schnell wie möglich unsere lahmen Ärsche in Bewegung set-
zen. Da ich vor gefühlt zehn Jahren das letzte Mal dieses Spiel
gezockt habe, musst du jetzt die Führung übernehmen. Was
sind die ersten Schritte?»
Sterzik schaute in den Himmel, wo die eckige Sonne langsam
und unerbittlich vor sich hin kroch. Sterzik erschauderte beim
Gedanken, einem echten Creeper über den Weg zu laufen, also

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gab er sich einen mentalen Arschtritt und richtete sich auf.
Hänno folgte seinem Beispiel.
«Normalerweise kloppt man Bäume mit seinen Fäusten, aber
das scheint mir hier keine gute Idee zu sein», begann Sterzik
zu erklären und schaute auf seine nackten Hände. Dann liess
er den Blick über die Lichtung schweifen, bis er an ein paar
zweidimensionalen Gräsern hängen blieb. Es formte sich eine
Idee.
Er ging auf sie zu und kickte mit seinem Fuss in das seltsam
verpixelte Gras. Es erklang ein ihm bekanntes Geräusch. Al-
so setzte er seine Bemühungen fort, bis das Gras plötzlich in
einem Regen aus grünen Pixeln zerbarst und an seine Stel-
le sechs quadratische Samen traten. Sie blieben wie in einer
Sternenkonstellation in einer festen Form zueinander über dem
Boden hängen. Er bückte sich danach und nahm die Samen
in die Hand. Hänno schaute sich die Szene an, dann kam er
hinzu und schüttelte verwirrt den Kopf. «Was ist das?», fragte
er und streckte die Hand aus, um die schwarzen und braunen
Quadrate in Sterziks Hand anzustupsen.
«Weizensamen», sagte Sterzik trocken. Mit den Samen ging
er zum nächsten Baum und schlug die Samen an den Baum.
Hänno wollte schon etwas sagen, da konnten sie Anzeichen da-
von sehen, dass die glatte Oberfläche des Baumstamms Risse
bekam. Überrascht blieben Hänno die skeptischen Worte im
Hals stecken und er beobachtete, wie Sterzik mit den Samen

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einen Holzblock abbaute. Plötzlich hielt er die Samen in der
rechten und den Holzblock in der linken Hand.
«Krasser Scheiss!», kommentierte Sterzik ungläubig und be-
äugte die beiden Gegenstände in seiner Hand. «Das Ding ist
recht schwer», stellte Sterzik erstaunt fest.
«Und weiter?», fragte Hänno. Es blieb seiner Aufmerksamkeit
nicht verborgen, dass der ganze Vorgang sie einiges an Zeit
gekostet hatte und die Sonne gerade ihren Zenit verliess. Wenn
er die Lage richitg einschätzte, dann ging die Sonne in vielleicht
zehn Minuten unter.
«Ich bau noch ein paar Holzblöcke ab, dann können wir uns
erstes Werkzeug machen. Da der Holzblock recht schwer ist,
scheint mir das das praktischste zu sein. Versuch du doch mal
raus zu finden, wie wir hier craften?», meinte Sterzik und
machte sich schon daran weiter Holz abzubauen.
Hänno versuchte sich zu erinnern, was er über das Craften in
Minecraft kannte. Er wusste noch, dass man normalerweise
im eigenen Inventar in einem zwei mal zwei Quadrat craften
konnte. Ansonsten brauchte man eine Werkbank. Etwas rat-
los kratze sich Hänno am Kopf, da viel ihm plötzlich etwas an
seinem Arm auf. Neugierig hielt er sich seinen nackten Unter-
arm vor das Gesicht und atmete entsetzt ein. Da hatte ihm
doch wirklich ein Arschloch ein neues Tattoo verpasst. Und
ein hässliches obendrein. Er hob den rechten Arm, um mit
den Fingern über die Linien zu fahren, da viel im auf, dass
auch auf dem rechten Arm ein neues Tattoo war. Beide waren

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schlichte, schwarze Linien. Links bildeten sie ein Quadrat aus
zwei mal zwei kleineren Quadraten und rechts formten sie sich
drei mal neuen zu einem Rechteck.
Hänno fuhr mit seinem rechten Zeigefinger den Linien des Qua-
drats nach, da blendete ihn plötzlich ein rotes Licht. Der Ur-
sprung schien das Tattoo zu sein, also drehte er seinen linken
Arm, sodass jetzt die Handfläche und somit auch die Licht-
quelle nach unten zeigten, damit ihm das verdammte Ding
nicht voll ins Gesicht blendete. Wie bei einem Projektor fiel
das Licht auf den Boden vor ihm und projizierte das zwei mal
zwei Quadrat auf den Boden. In dem Moment, als das rote
Licht zu grün übersprang, kam Sterzik zu ihm.
«Mich wundert ja gar nichts mehr», meinte dieser und ging
neben dem Quadrat in die Hocke. Er hielt die Hand zwischen
Hännos Arm und den Boden, was einen Schatten auf den Bo-
den warf und das grünliche Licht wurde rot. Beide stiessen
ein „Oh” der verstehenden Sorte aus. Als Sterzik einer seiner
Holzblöcke auf den Boden legte, wo sich eines der kleineren
Quadrate befand, da schrumpfte der Block nicht nur auf eine
für das Quadrat verhältnissmässige Grösse, sondern es erschien
ein weiteres Quadrat rechts von den zwei mal zwei, wo anstatt
den Holzblöcken nun Plankenblöcke zu sehen waren. Zu den
„Ohs” gesellten sich jetzt noch zwei „Ahhs”.
Sterzik schob seine langen Ärmel nach oben und entdeckte das
gleiche Tattoo auf seinen Unterarmen.

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Danach setzten sich beide Freunde schnell in Bewegung. Sie
bauten sich eine Werkbank, welche auf ihrer Oberfläche ein
drei mal drei Quadrat eingeritzt hatte. Danach reichte das
Holz für eine Spitzhacke und eine Axt. Sterzik schnappte sich
die Spitzhacke und begann bei einem kleinen Hügel in der
unmittelbaren Nähe eine Höhle heraus zu schlagen, während
Hänno davor eine Lichtung schuf.
Bis das Sonnenquadrat den Horizont berührte und langsam
mit einem glühenden Rot dahinter verschwand, hatten die bei-
den Männer beide ein komplettes Set an Steinwerkzeugen und
zwei Schwerter. Sterzik hatte genug Kohle gefunden, dass sie
seine künstliche Höhle ausleuchten konnten und Hänno hatte
ihnen nicht nur eine kleine Lichtung geschaffen, sondern einen
winzigen Teich frei geholzt, was Sterzik sehr zu erfreuen schien.
Sie hatten nur keine Zeit, dass der eine dem anderen erklären
konnte, warum das ein riesiger Glücksfall war.
«Gahhhwnnn!!!!», erklang es irgendwo aus dem Wald und
Hänno hielt in seiner Bewegung inne. Denn er hatte gerade
die Scheisse aus einem Blätterblock herausgeprügelt. Er hatte
zwar schon länger kein Minecraft mehr gespielt, aber das war
sicher das Geräusch eines Zombies. Also hieb er noch ein, zwei
mal auf den Blätterblock ein, bis der sich auflöste und ein paar
Stöcker und einen Apfel droppte. Dann nahm er die Beine in
die Hand und stellte erfreut fest, dass Sterzik sogar schon eine
Tür gecraftet hatte, welche er jetzt öffnete, um ins Innere der
künstlichen Höhle zu treten.

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«Ich habe einen Zombie gehört», meinte er und schaute Sterzik
einen Moment zu, welcher gerade einige Öfen auf der Werk-
bank baute.
«Ich bezweifle, dass die von der freundlichen Sorte sein wer-
den. Wir sollten sie nicht einladen, unsere Mitbewohner zu
werden. Hast du die Tür wieder geschlossen?», fragte dieser
und platzierte die Öfen an der kürzeren Wand auf der von der
Tür gegenüberliegenden Seite.
Hänno drehte sich zur Sicherheit nochmals um, dann nickte
er. Sterzik drehte sich zu ihm und nickte ihm ebenfalls zu.
«Schlafen könenn wir knicken. Selbst wenn wir ohne Bett schla-
fen können, sind wir vielleicht gerade mal zwanzig Minuten
wach. Wir sollten die Nacht nutzen, um nach Eisen zu gra-
ben», legte Sterzik seine Überlegungen aus. Hänno stimmte
der Aussage zu. Was sollte er auch anderes sagen? Immerhin
wusste der Jüngere wesentlich mehr über die Regeln ihrer neu-
en Welt als er.
«Dann ab in die Minen, Kumpel!», sagte Hänno und sie began-
nen den langsamen Abstieg zu den Lavaseen tief unter ihnen.

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Kapitel 2: Tooltips
Das stetige Klopfen von Stein auf Stein war lange das einzi-
ge Geräusch, welches an Hännos Ohren drang. „Tock, tock”
machte Sterziks Spitzhacke und Hänno hatte seinen eigenen
Rhythmus ihm angepasst. So arbeiteten sie sich Stufe für Stu-
fe herab. Plötzlich zerbarst ein Stein unter Sterziks Schlag,
da fuhr Hännos nachfolgender Schwung ins Leere. Verblüfft
hielten sie inne. Sie mussten in die Hocke gehen, um in den
freigelegten Hohlraum zu sehen.
«Das ist wohl eine natürliche Höhle», meinte Sterzik, während
er eine seiner Fackeln durch das entstandene Loch hielt und
sich nach links und rechts neigte, um mehr sehen zu können.
Hänno zog sich auf die Stufe hinter ihm zurück und begnügte
sich mit einem eingeschränkten Ausblick auf die dunkle Höh-
le.
«Gaaahhhwnnn!!!», erklang es plötzlich ganz nahe bei ihnen
und im Block grossen Sichtfenster erschienen zwei Beine in
zerfetzten Hosen. Sterzik zog fluchend seine Hand wieder in
ihren Gang.
«Wir könnten versuchen ihn zu killen. Das sind wohl die besten
Bedingungen in denen wir einen einzelnen Zombie antreffen,
um auszuprobieren, wie wir die Dinger down kriegen», meinte
Hänno und tastete nach dem Schwert an seiner Hüfte, welches
in seiner Hand zu seiner sattlichen Grösse heranwuchs.

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Sterzik stimme ihm zu und machte Platz, damit Hänno mit
seinem Steinschwert nach dem stöhnenden Zombie schlagen
konnte. Sterzik setzte sich jetzt seinerseits auf die Stufe hinter
Hänno und ruhte seine müden Glieder aus.
Es gab nicht viel Platz für Schwung oder Raffinesse, aber Hän-
nos Klinge berührte die Beine des Zombies, was eine Reaktion
hervor brachte. Das Ding wurde einen halben Block nach hin-
ten geschleudert und grunzte jetzt mehr unter Schmerzen als
Erregung.
Sterzik quttierte das ganze mit einem Laut der Überraschung.
Sein Mund formte ein verwundertes O.
«Jetzt tu’ nicht so überrascht», meinte Hänno und blickte da-
bei über seine Schulter, um Sterzik einen bösen Blick zu zuwer-
fen. Dann brachte er sich wieder in Position, um den Zombie
erneut zu schlagen.
«Ich bin nicht überrascht, dass du ihn getroffen hast oder so
was. Es verwundert mich nur, dass das wirklich Minecraft hier
ist. Du killst gerade einen Zombie mit einem stumpfen und
verpixelten Steinschwert», meinte Sterzik und wedelte mit der
Hand über die Situation vor ihm, als würde das seinen Gedan-
kengang näher erklären.
Hänno hatte inzwischen den Zombie ein weiteres Mal geschla-
gen und drehte sich kurz zu Sterzik um, der sich den Schweiss
aus der Stirn rieb.
«Alles gut bei dir?», fragte Hänno besorgt.

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Sterzik seufzte tief und meinte: «Mir ist nur so verdammt
heiss.»
Hänno nickte und drehte sich wieder dem Zombie zu, der im-
mernoch versuchte sie zu erwischen, obwohl er sie nicht ein-
mal sehen konnte. Nach ein zwei weiteren Schlägen verpuffte
er und liess nur ein Stück verottetes Fleisch zurück. Hänno
spähte durch das Loch und zuckte mit den Schultern: «Okay.
Das war jetzt irgendwie antiklimaktisch.»
«Hä? Was ist los?», fragte Sterzik verwirrt.
«Der Zombie. Er ist tot. Einfach so. Puff», meinte Hänno und
machte mit den Händen eine kleine Explosion nach, aber Ster-
zik schaute noch immer verwirrt.
«Enttäuschend. Es war enttäuschend. Lies mal ein Buch, Jun-
ge!» Hänno verdrehte die Augen und richtete sich danach auf,
dann fragte er: «Was jetzt? Um die Höhle rum oder durch?»
Sterzik griff nach dem Kragen seines Shirts und zog es sich
mit einer fliessenden Bewegung über den Kopf. Dann schob er
ein Ende in seine Hosentasche und stand ebenfalls auf. Hän-
no schaute kurz über Sterziks angespannte Muskeln, dann an
sich hinab. Sein schwarzes t-Shirt war genauso mit Schweiss
vollgesogen wie Sterziks.
«Wie viele Schläge hat das Ding gebraucht? Vier?», fragte
Sterzik plötzlich und Hänno hob seinen Blick, nickte.

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«Was uns am gefährlichsten werden kann, sind Skelette und die
verdammten Creeper. Ich weiss nicht, ob uns da ein Schwert
etwas nützen wird. Eisen oder Stein.»
Hänno nickte eifrig, obwohl er nichts weiter tun konnte als
der Einschätzung des Mannes neben ihm zu vertrauen. Sie
richteten ihre Aufmerksamkeit auf die Wand vor ihnen, als
würde ihnen diese verraten, wie es weiter gehen sollte.
Plötzlich blitzte ein blaues Licht hinter ihnen. Beide drehten
sich gleichzeitig um und hielten sofort ihre Schwerter in der
Hand. Doch da war niemand. Kein Monster war weit und breit
zu sehen. Auch das blaue Licht war verschwunden. Zurück
blieb nur noch das stetige Flackern ihrer Fackeln.
«Was zum Teufel ist das?», fragte Sterzik und hob ein Stück
Metall auf, das vor ihnen auf dem Boden lag. Er hob es vor
ihre beiden Augen und Hänno nahm eine der Fackeln in die
Hand, um optimalen Blick auf das Ding zu haben.
In Sterziks Hand lag eine schwarz lackierte Metallbox, welche
auf einer Seite ein blaues Lämpchen eingearbeitet hatte, das
ganz schwach leuchtete. Sie hielten beide ihre Gesichter ganz
nahe, um in dem flackernden Fackellicht etwas genaueres zu
erkennen. Da erwachte das Ding plötzlich zum Leben. Eine
der Seiten entpuppte sich als Bildschirm, auf welchem jetzt
geschrieben stand:

Sebiwu XD schreibt: «ein Tipp: Schild craften


schützt einen mit rechtsklick gegen creeper und alle

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anderen Schläge und kostet nur ein Eisen»

Die Nachricht blieb noch einige Sekunden sichtbar, dann erstarb


der Bildschirm. Einen Atemzug lang blieb es ruhig, dann be-
gann die Metallbox zu piepen und das Lämpchen rot zu blin-
ken. Das konnte nichts Gutes bedeuten.
Sterzik ergriff die Panik, also bückte er sich und warf das Ding
durch die Öffnung in die Höhle. In dem Moment, als der zweite
Widerhall eines Zusammenstoss zwischen Wand und Metall-
box zu hören war, da blitze es wieder hell und die Geräusche
verschwanden.
Sterzik stand wieder auf und sah Hänno in die Augen. Sie
standen sich jetzt Angesicht zu Angesicht. Ihr Gang war nur
ein Block breit, was sie sehr nahe beieinander stehen liess. Sie
standen sich sogar so nahe, dass Hännos Sterziks Bursthaare
hätte auf seiner Haut spüren können, wenn er vorhin eben-
falls sein t-Shirt ausgezogen hätte. Aber das hatte er nicht,
also schauten sie beide zu der Wand, hinter der das seltsame
Metallkästchen verschwunden war.
«Gehen wir hoch und craften uns zwei Schilder?», fragte Ster-
zik und Hänno bejahte, danach begannen sie ihren Aufstieg.
Sterzik ging voran. Diese verfluchten Minecraftblöcke hatten
eine richtig beschissene Höhe, was den Aufstieg mehr zu einer
Kletterpartie machte.

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«Können wir darüber reden, was das gerade war?», fragte Ster-
zik irgendwann.
«Können wir. Ich weiss nur nicht, ob uns die Antworten auf
unsere Fragen gefallen werden.»
«Das war ein verdammter Kommentar, nicht?», fragte Sterzik
trotzdem.
«Jupp», meinte Hänno und liess das P ploppen.
«Heisst das, uns sehen Leute zu, wie wir hier entführt wurden
und jetzt wie verdammte Spielfiguren in einem Game unsere
tasks erfüllen müssen?», fragte Sterzik entgeistert.
«Scheint so.»
«Fuck! Wer schaut sich bitte so eine Scheisse an? Das ist ja
krank!», fluchte Sterzik entsetzt und verstummte.
«Weisst du, was ich mich frage?» Hännos Gedanken rotierten
fanatisch im Kreis, wie Falco, wenn er seinen Schwanz fangen
wollte.
«Was, Bruder?», fragte Sterzik und hielt kurz inne, um einen
Moment zu verschnaufen. Er setzte sich auf die Kante seines
Blocks und zog sein Shirt aus der Tasche, um sich damit den
Schweiss von der Stirn zu wischen.
Hänno stützte seine Hände auf seinen Oberschenkeln auf und
sammelte seinen Atem bevor er fortfuhr: «Ich frage mich die
ganze Zeit, wie ich hier landen konnte. Denn das letzte an das

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ich mich erinnern kann, ist, dass ich eigentlich zu einem Termin
irgendwo in Spandau hätte müssen. Dann reif der Hundesitter
an, dass ich Falko abholen müsste. Ich hab daraufhin Cathleen
angerufen und sie gefragt, ob sie den Termin verschieben kön-
ne. Aber sie meinte, sie könne doch Falko für mich abholen,
sie bringe ihn dann zu mir. Ich war also auf dem Weg zum
Treffpunkt mit dem Kunden und dann nichts. Nada. Nix.»
«Hmm. War bei mir ähnlich. Ich hatte auch ein Treffen mit
einem Sponsor und war gerade auf dem Weg dahin, bevor die
Lichter aus gingen», grübelte Sterzik, während er sein Shirt
wieder in seine Hosentasche stopfte.
«Ich glaube, da hat uns jemand aus dem I3-Büro gelockt. Die
wollten uns einzeln. Unterwegs. Und ich wette mit dir, wenn
ich zum Hundesitter gefahren wäre, dann wäre nichts passiert
oder sässest jetzt hier alleine.»
«Wann war dein Termin?», fragte Sterzik und runzelte ange-
strengt die Stirn. Da formte sich eine Idee.
«Um halb drei», meinte Hänno und richtete sich wieder auf,
damit er Sterzik richtig anschauen konnte.
«Meiner war um vier», meinte Sterzik und fügte nach eini-
gen Sekunden Schweigen hinzu: «Was ist, wenn die nicht nur
wussten, wo wir waren, sondern sogar dafür gesorgt hatten,
dass wir gleichzeitig einen Termin hatten. Das ganze war von
vornherein geplant und sorgfältig vorbereitet. Wir sind ihnen
genau in die Falle gelatscht.»

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«Mit wem warst du verabredet?», fragte Hänno.
«Ich weiss es nicht mehr. Kann mich nur noch erinnern, dass
Cathleen das für mich organisiert hatte», meinte Sterzik. Mit
einem Nicken in Hännos Richtung warf er die Frage zurück.
«Ich weiss es auch nicht mehr. Es will mir einfach nicht in den
Sinn kommen.»

Einige Zeit später war ihr Eisen gebraten, beide mit Schild, Ei-
senschwert und je einem Helm ausgerüstet. Danach stiegen sie
wieder alles hinab, wo sie sich entschieden die Wand zur Höh-
le nieder zu reissen. Die Monster, welche aus der Dunkelheit
auf sie zu kamen, metzelten sie nieder. Nach dem dritten Zom-
bie und dem ersten explodierten Creeper, wuchs ihr Vertrauen
ineinander und sie wagten sich immer weiter in das weit ver-
zweigte Höhlennetz vor. Sterzik übernahm die Führung und
Hänno sicherte nach hinten.
Ihre Zuversicht wurde nur einmal kurz gestört, als Sterzik sich
offensichtlich verirrt hatte. Doch nach einigen Umwegen und
drei mal dieselbe Kreuzung passierend fanden sie wieder ihre
Treppe nach oben. Das war der Augenblick, in welchem sie
eine weitere Metallbox geschickt bekamen.

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Warriors4live schreibt: «Versucht in Höllen die
Fackeln immer „rechts” anzubringen, wenn ihr zu-
rück wollt einfach die fackeln links halten ;)»

«Smart», meinte Hänno und übernahm ab diesem Moment an


nicht nur die Aufgabe Sterzik daran zu erinnern, überhaupt
Fackeln zu setzten, sondern sie auch noch brav an die richtige
Wand zu klatschen.
Sie hatten absolut kein Zeitgefühl so tief unter der Erde. Aber
nach gefühlten Tagen kämpften sie sich wieder nach oben und
klappten erschöpft auf dem Boden zusammen. So fanden sie
heraus, dass sie durchaus auch bei Tag und auf dem Boden
schlafen konnten. Nachdem sie erwachten, hatten beide einen
riesigen Kohldampf und den Wunsch, so schnell wie möglich
an Betten zu kommen.

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Kapitel 3: First Blood
Neuer Plan gefasst, rüsteten sie Hänno mit einer Eisenbrust-
platte aus und teilten sich auf. Sterzik ging wieder in den Stol-
len und sollte nach Diamanten suchen, während Hänno oben
Nahrung und Betten besorgen sollte.
Hänno bestellte ein kleines Feld um den Teich herum, den er
am ersten Minecrafttag frei geholzt hatte, dann zog er in den
Wald.
Er traf auf den einen oder anderen Zombie, der im Schatten
der Bäume überlebt hatte. Blockte die Explosion von einem
Creeper mit seinem Schild ab. Er dankte in Gedanken dem
ominösen Sebiirgendwas, als er durch den mannshohen Explo-
sionskrater kraxelte.
Plötzlich sah er eine Bewegung auf Kniehöhe vor sich im ho-
hen Gras. Er freute sich schon auf erste Tiere, da sah er einen
Wolf, der gerade ein Schaf zu Tode biss. Hänno zuckte zusam-
men und versteckte sich hinter einem Baum. In dem Moment
erschien ein blitzendes Licht vor ihm.
«Nicht jetzt», stöhnte er. In dem Moment geschahen drei Din-
ge fast zeitgleich: Erstens, streckte er die Hand aus und fing
die sich materialiserende Box aus der Luft, was verdammt cool
war. Er hatte nur geahnt, dass sich das Ding einfach so mate-
rialiseren würde, aber war erstaunt, dass seine Einschätzung
stimmte. Zweitens, hörte er, wie das Licht und die Bewegung

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den Wolf auf ihn Aufmerksam gemacht hatte. Dirttens, hörte
er plötzlich Sterziks Stimme, als stünde er genau neben ihm:
«Hänno?»
Hänno schaute sich panisch um, aber konnte Sterzik weit und
breit nirgends sehen: «Sterzik?»
Der Wolf kam auf ihn zu.
In dem Moment fiel ihm wieder die Box in seiner Hand ein
und eine Millisekunde, bevor der Bildschrim erlosch, konnte
er noch lesen:

Leon Preiss schreibt: «Skelette haben Angst vor


Hunden weil der Hund im Skelett einen großen
Knochenhaufen sieht.»

«Hänno! Sprich mit mir! Was ist da los?», fragte Sterzik und
seine Stimme klang etwas panisch.
Hänno warf die Box hinter den Wolf und versteckte sich dann
wieder hinter dem Baum. Er hörte, wie das Piepsen verstumm-
te und lugte vorsichtig um die Kante des Baumes. Er sah, wie
der Wolf in die Richtung seines Wurfes verschwand. Also atme-
te er erleichtert aus und antwortete Sterzik: «Scheisse Brudi.
Ich dachte gerade, der Wolf zerfetzt mich. Nur weil genau im
selben Moment eine der beschissenen Boxen erschienen ist.»
«Was stand drin?», fragte Sterzik. Seine Stimme war inzwi-
schen wieder normal, aber Hänno konnte noch immer die An-

24
spannung in ihr hören. Wahrscheinlich wurmte es Sterzik, dass
er seinem Freund nicht zur Seite stehen konnte.
«Irgendwas vonwegen, dass Skeltte Angst vor Hunden hät-
ten?», fragte Hänno und lehnte seinen Kopf an den Baum-
stamm hinter ihm.
«Ja. Du kannst einen Wolf mit Knochen zähmen. Dann wird er
ein Hund, der die Skelette fern hält», erklärte Sterzik. Hänno
hob seinen rechten Arm und schaute in sein Inventar. Zum
Glück hatten sie in der Höhle das eine oder andere Skelett
erledigt, sodass er jetzt vier Knochen auf sich trug. Er holte
sie aus seinem Inventar und hängte sie sich an seinen Gürtel,
dann machte er sich auf einen Falco zu besorgen.
Mit gemischten Gefühlen stellte er fest, dass aus dem Wolf
nicht ein normaler Minecrafthund mit weissem Fell und rotem
Halsband entstand, sondern dass der skin angepasst wurde.
Denn nach der Zähmung sass eine Falcoadaption vor ihm –
mit Schwarzem Rückenfell und braunen Beinchen. Zum einen
freute es ihn, so etwas wie einen Falcoersatz zu haben. Er ver-
misste seinen kleinen Racker. Aber es war am Ende eben nicht
sein Falco, was ihn nur noch mehr darauf aufmerksam machte,
dass sie nicht in ihrem normalen Leben waren. Zum anderen
hatte sich jemand nicht nur die Mühe gemacht, sie zu entfüh-
ren und hier her zu schleifen, sondern sogar an solche eigentlich
schon fast liebevolle Details gedacht. Insgesamt erhielt er von
ihrem Entführer sehr gemischte Signale.

25
Da knurrte sein Magen so laut, dass er schon dachte, der nächs-
te Wolf stand hinter ihm. Er schob seine Überlegungen zur
Seite und machte sich daran Essen ran zu schaffen.
Danach war das Jagen richtig einfach. Hänno musste nur einen
hit landen und der Hund jagte den Viechern so lange hinter
her, bis sie verpufften und ihren loot zurück liessen. Bis die
Sonne hinter dem Horizont versank, hatte Hänno genug Wol-
le für zwei Betten und genug Fleisch, um ganz Spandau zu
ernähren.
«Sterzik? Hörst du mich?», fragte Hänno und fühlte sich reich-
lich bescheuert, einfach so ins Leere zu sprechen, aber Sterzik
antwortet ihm: «Klar und deutlich, als würdest du neben mir
stehen», meinte dieser. «Was gibt’s?»
«Die Sonne geht unter. Ich komme zurück und bringe zwei
Betten sowie Essen.»
«Gott sei Dank! Ich dachte schon, dass wir verhungern müs-
sen», meinte sein Kumpel hörbar erleichtert.
Kurze Zeit später trafen sie sich in ihrer künstlichen Höhle.
Sterzik schaute auf Falco und hob nur fragend die Augenbraue.
Hänno zuckte mit den Schultern. Er hatte ja dasselbe gedacht.
Es kam zur schweigenden Übereinkunft, dass das Thema nicht
weiter erörtert wurde.
Hänno übergab Sterzik die Wolle, damit der sich um die Bet-
ten kümmerte, während er selbst das Fleisch in die Öfen gab.

26
Zu dem Zeitpunkt, als der Geruch von gebratenem Fleisch ih-
re Höhle durchströmte, drehte sich Hänno um und entdeckte
die Nische, die Sterzik gebaut hatte. Just in diesem Moment
platzierte er das zweite Bett.
«Ist das dein ernst, alla?», fragte Hänno hart.
«Was?», fragte Sterzik verwirrt.
«Hättest du die Nische nicht drei breit machen können?», frag-
te Hänno nun sichtlich gereizt.
Sterzik starrte ihn ausdruckslos an. Sterziks angespannte Stim-
mung begann Hänno zu erdrücken. So kannte er seinen Freund
gar nicht. Bevor er diesem Gedankengang weiter nachgehen
konnte, brach Sterzik ihr Starrduell und fuhr sich mit den
Händen durch seine Haare, um dann fast plötzlich zu explo-
dieren:
«Weisst du was, alla? Mach es doch selbst! Ich hab jetzt si-
cher einen ganzen Tag in diesen verdammten Höhlen verbracht
und nichts anderes gemacht, als Steine zu kloppen. Ich habe
inzwischen mehrere Stein- und sogar Eisenspitzhacken durch.
Meine Hände und Arme tun mir weh, während du eine hüb-
sche Expedition da draussen gemacht hast», dabei fuchtelte er
wie wild in die Richtung der Tür, «Ich habe drei stacks Eisen
und ein paar Diamanten gefarmt. Wenn du deine verfluchte
Nische eins breiter haben willst, dann mach es selbst!» Mit
diesen Worten, die gegen Ende immer lauter wurden, pfefferte

27
er seine Eisenspitzhacke auf den Boden vor Hännos Füsse und
verschwand durch die Tür.
Hänno starrte seinem Freund erstaunt hinterher. Anscheinend
hatte er Sterziks Anspannung unterschätzt. Doch nur drei Mi-
nuten später stand Sterzik wieder in der Tür und schaute sau-
ertöpfisch drein. In der Hand hielt er sein Schwert und seine
Fackeln. Draussen hörte Hänno das Gestöhne und Gejammere
von Zombies.
«Bist du jetzt fertig mit dem Wutanfall?», fragte Hänno noch
immer hart und gereizt, aber inzwischen auch sichtlich irritiert
von der ganzen Situation.
«Bist du ein Naturtalent im Meckern oder warst du dafür auf
einer Akademimimimi?», gab Sterzik trocken zurück.
Einige Atemzüge lang geschah nichts, dann fing Hänno an zu
lachen. Und zwar so richtig. Sterzik hätte es mit dem Lachen
einer Giraffe verglichen, wenn er nicht gewusst hätte, dass das
die Situation eher schlechter als besser gemacht hätte. Aber
Hännos Lachen hatte denselben Effekt auf ihn wie immer: Es
steckte ihn an und er kicherte zuerst selber, dann fiel er in
das Grölen seines Freunden mit ein. Es fühlte sich kathartisch
an.
Nachdem sie sich beruhigt hatten, sassen sie beide auf der
Bettkante und wischten sich die Tränen aus den Augen. «Das
war der schlechteste joke, den du je gemacht hast, Alter. Aber
er war genau richtig für mein verwirrtes, müdes Gehirn. Lass

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uns pennen gehen. Wenn wir Glück haben, müssen wir uns
morgen nicht mehr um das ganze hier kümmern.»
Sterzik zuckte mit den Schultern und fügte nur noch hinzu:
«Die Hoffnung stirbt zuletzt.»

Am nächsten Morgen wachte Hänno auf, weil die Sonne draus-


sen Zombies verbrutzelte und die dabei lauter und heftiger
stöhnten als sonst. Langsam kam er zu sich und merkte, dass
Sterzik sehr dicht an ihm lag. Aber das war mehr ihrer be-
engten Situation zu verschulden, als etwas anderem. Sie lagen
Rücken an Rücken und Hänno war eigentlich ganz froh dar-
über, da Körperkontakt auch bedeutete, dass Sterzik noch da
war und Hänno nicht alleine in der Scheisse sass.
Auch Sterzik schien langsam zu wacher zu werden, denn er
bewegte sich das erste mal, seit Hänno die Augen geöffnet
hatte. Der andere drehte sich unter halb wachem Stöhnen und
Knacken von Gelenken auf die andere Seite, so dass sie jetzt
Löffelchen lagen. Mit dieser Bewegung drückte sich plötzlich
etwas in Hännos unterer Rücken. Er hatte sich zwar seit dem
Erwachen nicht bewegt, aber jetzt erstarrte er aus völlig an-
deren Gründen. Was war das?
Es war hart, aber definitiv nicht Sterziks Arm, dafür war es zu
klein. Es war wahrscheinlich sogar kleiner als seine Hand. Aber

29
es musste sich um ein Körperteil von Sterzik handeln, denn es
war warm. Etwas warmes, das kleiner war als eine Hand...?
Hänno schluckte schwer.
«Können die Dinger nicht ihr dummes Maul halten?», frag-
te Sterzik hinter ihm plötzlich mit verschlafener Stimme, die
etwas rauer und gleichzeitig weicher war als sonst. Irgendwie
herzig.
Da drehte sich Sterzik endlich auf den Rücken. Das harte Ding
verschwand. Mit einem Stöhnen, dass den Zombies draussen
jede Konkurrenz machte, warf der Jüngere sich einen Arm über
die Augen. Hänno wagte sich zu bewegen und konnte nicht dem
Drang widerstehen, sich ebenfalls auf den Rücken zu drehen,
sich auf die Ellbogen zu heben und nach unten zu blicken. Was
er da sah, verschlug ihm einen Moment den Atem.
«Hast du mit brennenden Fackeln in der Hand geschlafen?»,
fragte Hänno entsetzt. Immerhin hatte Sterzik das Ding gerade
eben noch in Hännos Rücken gedrückt.
Sterzik nahm den Arm von seinen Augen und hob seine linke
Hand. In dieser hielt er eine brennende Minecraftfackel, die
fröhlich vor sich hin flackerte. Sterzik studierte den Anblick
eingehend mit gerunzelter Stirn, dann zuckte er mit den Schul-
tern und kehrte wieder in seine Ausgangsposition zurück.
«Wir sind offiziell in einem Game, denn es gibt nichts besseres,
als ein offenes Feuer in der Tasche haben zu können. Notfalls
nehme ich auch ’ne Fackel», meinte Sterzik und grinste.

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Hänno schüttelte den Kopf und seufzte schwer. Das brennende
Fackeldilemma hatte ihn einen seligen Moment vor dem De-
bakel abgelenkt, das gegenwärtig sein Leben darstellte. Aber
jetzt kam es mit voller Wucht zurück und es blieb eine beschis-
sene Situation. Was hatte Sterzik vor dem Schlafen gesagt:
«Die Hoffnung stirbt zuletzt.»
Sterzik wollte eine Pause vom minen, also rüsteten sie sich die-
ses mal beide aus, damit sie gemeinsam auf Erkundung gehen
konnten. Während Sterzik sich die nötige Ausrüstung craftete,
kümmerte sich Hänno um ihr Feld und beobachtete zufrieden,
wie sein Weizen langsam aber stetig wuchs. Er verleibte sich
gerade ein Stück Nackensteak ein, als ihm eine Bewegung im
Blätterdach neben seinem Feld auffiel. Dort sass eine eckige
Taube und beobachtete ihn. Sie schaute ihn mit ihren selt-
sam schwarzen Augen an und flatterte kurz mit ihren Flügeln.
Hänno fragte sich, seit wann es Vögel in Minecraft gab. Aber
Sterzik hatte ihn schon aufklären müssen, dass es Fledermäu-
se gab, die machten ihm anscheinend das Leben in den Minen
schwer.
Kurze Zeit später kam Sterzik aus der Tür und streckte sich
ausgiebig, bevor sie sich endlich in Bewegung setzten. Hänno
hatte sich bisher in Richtung Süden bewegt, also richteten sie
sich gegen Norden und folgten dem Ufer eines sehr grossen
Sees, um den mobs im Schatten der Bäume etwas aus dem
Weg zu gehen.
Sterzik schien an diesem Tag wesentlich entspannter zu sein,

31
als noch am Abend vorher. Hänno war froh, dass er seinen
Freund wieder hatte. Sie redeten nicht viel miteinander, da sie
beide noch immer an ihrer Situation zu knabbern hatte, aber
Sterzik lachte beim Anblick einiger Tintenfische, die sich im
seichten Wasser hart verbuggt hatten. «Beruhigend zu wissen,
dass es selbst in dieser Minecraftversion noch immer denselben
bug wie von gefühlten zehn Jahren gibt. Gewisse Dinge ändern
sich nie», kicherte er und schüttelte den Kopf. Hänno konnte
nicht viel dazu sagen, aber schaute den seltsamen Tentakeln
der Wesen zu, wie sie unwirklich aus dem Wasser ragten.
Später verliessen sie das Ufer des Sees, da sie weiter nach Nor-
den und nicht um den See herum wollten. Also mussten sie in
den Wald. Sie befanden sich noch immer im selben Biom, al-
so waren sie entweder nicht weit gekommen oder diese Biome
waren riesig. Der Wald war sehr dicht und sie mussten darauf
achten, dass sie sich nicht verloren. Nach einigen Zombies und
sogar einem Creeper bewegten sie sich relativ sicher durch das
Dickicht. Sterzik ging voran und Hänno sicherte sie nach hin-
ten, damit ihnen kein Creeper von hinten auflauern konnte.
Plötzlich blieb Sterzik stehen, drehte sich hastig um und hielt
Hänno mit einer Hand auf der Eisenbrustplatte auf. Sofort
griff er nach Hännos Kinn und fixierte ihn mit seinen braunen
Augen.
«Nicht direkt hinsehen, aber da vorne steht ein Endermann»,
flüsterte Sterzik und verstärkte seinen Griff um Hännos Kinn.
Sterziks Augen bohren sich in Hännos.

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«Du darfst ihm unter keinen Umständen direkt in die Augen
schauen, das triggert sie, okay?», fragte Sterzik und Hänno
wurde etwas mulmig in der Magengegend.
«Sie sind nicht aggressiv. Du kannst in ihre Richtung schauen,
einfach nicht direkt auf sie drauf und sicher nicht ins Gesicht»,
beruhigte ihn Sterzik, da der bemerkt hatte, wie sich in Hänno
die Panik breit machte. Dann liess er ihn los.
Hänno nickte. Sterzik drehte sich um und schaute in die Rich-
tung des Endermans, was bewirkte, dass Hännos Herz in seine
Eisenhose rutschte. Doch es passierte nichts.
«Wahrscheinlich können wir den sogar machen», sinnierte Ster-
zik und zückte sein Eisenschwert.
«Spinnst du?», fragte Hänno entsetzt. Der Enderman war für
ihn eine unbekannte Grösse. Er hatte vage davon gehört, dass
die Dinger ins Spiel implementiert wurden. Wahrscheinlich
hatten die Endermänner auch eine Verbindung mit dem Ender-
drachen, aber er war trotzdem nicht scharf darauf sich mit
diesem Slendermanverschnitt anzulegen.
«Ne, im ersnt. Bisher hatten wir null Probleme mit den mobs.
So ein Enderman schaffen wir locker und wir müssen die eh
klatschen. Wir brauchen Enderperlen für den Enderdrachen»,
erklärte Sterzik völlig gelassen und schlenderte langsam in die
Richtung der seltsam langgezogenen Gestalt, die schon fast
unschuldig mit einem Block Erde in der Hand da stand und
sich die Welt ansah. Hänno runzelte die Stirn.

33
«Bist du dir da sicher?», fragte Hänno, was Sterzik nur mit
einem Schulterzucken quittierte.
«Okay. Lass es uns probieren,» meinte Hänno und zückte eben-
falls sein Schwert. Mit dem Schild links und dem Schwert
rechts gingen sie durch die Bäume.
Zusammen gingen sie auf das Ding zu, bis sie es eingekes-
selt hatten. Sterzik suchte zur Bestätigung noch einmal nach
Hännos Blick, nach einem Nicken hoben sie ihre Schwerter
und prügelten auf das Ding ein, worauf es in den Kampfmo-
dus wechselte. Ein lautes Rauschen trifft auf Brüllen erklang
aus seinem nun seltsam verzerrten Mund. Doch ehe es wirk-
lich grossartig etwas tun konnte, holten sie beide nochmals
Schwung mit ihren Schwertern und schlugen ein zweites mal
zu.
Da teleportierte das Ding sich mit einem „Schwuup” weg und
erschien plötzlich hinter Sterzik. Der Kampf wurde ab diesem
Moment unübersichtlich, da alle Parteien sich nun in Bewe-
gung setzen mussten. Hänno warnte Sterzik über das Brüllen
hinweg, doch Sterzik brauchte einen Moment, um sich zu ori-
entieren. Hänno rannte auf seinen Freund zu und konnte sehen,
wie der Enderman Sterzik den Erdblock über die Rübe zog.
Zum Glück trug Sterzik einen Helm.
Hänno musste um Sterzik herum und wegen der beengten Si-
tuation auch um einen Baum. Als die beiden wieder in Sicht
kamen, hatte Sterzik sich zum Enderman umgedreht, seinen
Schild vor seinen Körper gebracht und blockte den nächsten

34
Schlag. Hänno sprintete von hinten auf den Enderman zu und
versetzte ihm den nächsten Hieb in die staksigen Beine.
Eine gefühlte Ewigkeit später – wahrscheinlich waren es nur
einige Sekunden – zerbarst der Enderman mit einem letzten
Schrei und hinterliess ein goldiges Nichts.
Hänno keuchte und stütze sie Hände auf seine Knie, um einen
Moment Luft zu holen. Dieser Kampf war auf jeden Fall an-
strengender gewesen, als ihre Intermezzos mit den Zombies
und Creepern. So ein Enderman war schon ein anderes Kali-
ber. Dann richtete er sich auf und schaute zu Sterzik: «Alles
okay bei dir?»
Sterzik sass an einen Baum gelehnt am Boden. Sein vorhin
noch entspanntes Gesicht war jetzt schmerzverzerrt. Es waren
keine offenen Verletzungen zu sehen, aber Sterziks Haut hatte
eine ungesunde Farbe, die Hänno an nichts Lebendes erinnerte.
Sterzik schaute zu Hänno und lächelte schwach, als sich seine
Augen mit einem Flattern schlossen. Hännos Herz blieb einen
Moment stehen, dann hastete er sofort zu ihm.
«Sterzik!!», schrie er vor Panik erfüllt.
Neben ihm kniend tastete Hänno seinen Freund ab, aber konn-
te wegen der Rüstung nichts sehen oder spüren. Er konnte nur
feststellen, dass Sterzik noch immer atmete, zwar flach, aber
immerhin.

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«Sterzik, sprich mit mir!», fauchte Hänno ihn an und wollte
ihn schon schütteln, was aber wahrscheinlich nicht hilfreich
gewesen wäre.
Da ächzte Sterzik unter ihm, richtete sich etwas auf und spuck-
te dann etwas Blut auf den Boden, bevor er sich wieder zurück
lehnte und meinte: «Ich glaube, es ich bin einfach nur verletzt.
Mehr nicht.»
«Mehr nicht am Arsch, alla! Du warst kurz weg und hast ge-
rade Blut gespuckt!», rief Hänno und konnte es nicht fassen,
dass Sterzik so ruhig war!
«Vielleicht sollten wir hier einen Moment bleiben, bis wir raus
finden, wie schnell man hier healt», hustete Sterzik und spuckte
erneut etwas Blut aus. Dass Sterzik wieder bei Bewusstsein
war und ihm Widerworte geben konnte, hatte Hännos Panik
die Schärfe genommen. Trotzdem beobachtete er den anderen
mit Argusaugen.
«Bist du dir da sicher?», fragte er und war schon etwas beru-
higter, denn er hätte schwören können, dass Sterziks wächserne
Haut schon etwas besser aussah. Die Farbe glich jetzt vielleicht
etwas, das einmal lebendig gewesen war.
«Klar. Ich hau mir den Rest von meinem Essen rein und hoff,
dass es reicht», meinte Sterzik schulterzuckend und tauschte
sein Schwert gegen einen Stapel Fleisch.
Während Sterzik sein Fleisch verzehrte und von Minute zu
Minute besser aussah, schaute Hänno durch sein Inventar und

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teilte sein stack an Nackensteaks durch zwei und droppte Ster-
zik die eine Hälfte.
«Oh, danke Brudi», meinte Sterzik und machte sich über zwei
weitere Stücke her.
Hänno blickte sich um und hoffte aus vollem Herzen, dass jetzt
kein Creeper auftauchte, obwohl Sterzik inzwischen wieder in
der Lage zu sein schien, sich zu bewegen und das nicht nur,
um wieder Blut zu spucken. Hännos Blick wanderte zu dem
glänzend roten Fleck Blut und Spucke neben Sterzik, der in
dieser verpixelten Welt seltsam Fremd aussah.
Fünf Minuten später waren sie wieder startklar und an den
encounter mit dem Enderman erinnere sie nur noch ein ganz
schwaches Hinken Sterziks und ein eisiger Griff um Hännos
Herz, der ihn stetig warnte, dass sie hier wirklich verletzt wer-
den und sogar sterben konnten. Der Anblick vom bewusstlo-
sen Sterzik unter dem Baum würde er wohl nie mehr vergessen
können. Ein kalter Schauder lief ihm über den Rücken.

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Kapitel 4: Gezinkte Karten
Ihre Expedition verlief ab da erstaunlich ruhig. Aber vielleicht
hatte der Enderman auch alles andere in eine neue Relation
gesetzt. Einen neuen Standard von Panik gesetzt, so dass ein
explodierender Creeper Kindergarten wurde.
Sie wanderten also durch diese Welt. Nach einiger Zeit kamen
sie in ein neues Biom, was endlich mal keine oder nur wenige
Bäume hatte. Sterzik zeigte auf die seltsam geformten Bäume
und meinte, dass es sich um Akazien handelte. Hänno mochte
es hier nicht, da die Farben seltsam entsättigt waren. Es fühlte
sich ständig so an, als sei etwas mit seinen Augen.
Doch sein Unmut verschwand schnell, als sie in der Ferne ein
Dorf erspähen konnten. Sterzik erblickte es als erster und stiess
einen freudigen Schrei aus. Das Hinken war plötzlich verges-
sen, aber nicht verschwunden. Je näher sie kamen, desto mehr
konnten sie erkennen. Die einfachen Häuser bestanden aus die-
sem seltsam orangen Holz. Sie reihten sich an einen Weg, der
immer wieder mit Lampen erleuchtet und kleinen Gärten ver-
bunden war. Hänno viel auf, dass die Sonne bald untergehen
würde. Es wäre die erste Nacht, in welcher sie nicht in ihrer
Höhle in scheinbarer Sicherheit waren.
Sterzik zeigte auf eine Gestalt vor ihnen, die gerade durch eine
Tür verschwand: «Schau Hänno! Villager!»

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Als sie den Rand der Siedlung erreichten, konnten sie sogar
einen Eisengolem sehen, der wankend seine Runden durchs
Dorf zog. Er machte seltsam knarzende und ächzende Ge-
räusche. Wie ein Schiff auf Hochsee. Hänno und Sterzik blieben
stehen, um das riesige Monstrum kurz anzusehen.
Dann meinte Sterzik: «Lass uns pennen gehen. Hier gibt es
sicher genug Betten.» Bevor Hänno etwas dazu sagen konnte,
verschwand Sterzik in einem der Häuser und meinte, er hätte
sein Bett schon gefunden. Hänno setzte sich etwas zögerlicher
in Bewegung, aber nahm das nächst beste Haus und trat in
den engen Raum. Da stand tatsächlich ein Bett, aber es lag
schon ein Villager darin.
«Sterzik? Da liegt schon einer drin», meinte Hänno verunsi-
chert.
«Bei mir auch. Schmeiss in einfach raus», meinte Sterzik und
Hänno konnte das Schulterzucken fast hören.
Hänno überlegte kurz, dann fasste er den Villager an den
Schultern. Der juckte plötzlich auf und stand in der nächs-
ten Sekunde neben ihm. Bevor etwas anderes passieren konnte,
legte Hänno sich in das Bett. Im sitzen zog er sich die Rüstung
aus und legte sie sich ins Inventar. Sein Schwert behielt er in
der Hand, da er bei einem Überraschungsangriff nicht völlig
schutzlos sein wollte.
Es machte ihn etwas nervös, dass Sterzik nicht bei ihm war,
aber er redete sich ein, dass der andere ja nicht weit war. Nur

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um sicher zu gehen, dass dem auch so war, sagte er zur fackel-
beschienenen Decke: «Gute Nacht.»
Ein müdes und schon vom Schlaf gezeichnetes «Gute Nacht»
kam zurück und mit diesen Worten schloss auch Hänno die
Augen.
Er spürte, wie er sich langsam entspannte und ins Reich der
Träume herüber driftete. In dieser Nacht träumte er davon,
dass Sterzik unter seinen Händen gestorben sei. Alles war vol-
ler Blut und die Trauer über den Verlust seines Freundes wur-
zelte so tief, dass er am nächsten Morgen einen Moment brauch-
te, um das Gefühl wieder abschütteln zu können.

Am nächsten Tag erkundeten sie das Dorf. Der Eisengolem


zog friedlich seine Kreise. Einige der Villager hatten Berufe
und boten Gegenstände zum Handeln an. Sterzik freute sich
ein Ei, als er den Bibliothekar entdeckte. Hänno verstand die
Aufregung zu beginn nicht, aber Sterzik erklärte ihm dann den
Vorteil von den ertauschten Zauberbüchern gegenüber dem
Zaubertisch. Leider hatten sie nicht viel dabei, um zu tau-
schen.
Gegen Abend sassen sie neben dem einen Feld und beobach-
teten, wie die Villiger in ihre Häuser verschwanden. Hänno
knabberte an seiner dritten Möhre und freute sich darüber,

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endlich wieder etwas anderes als Fleisch zu essen. Er hatte
nicht gedacht, dass er sich so über ungesalzene Karotten und
Ofenkartoffeln freuen konnte. Sogar das einfache Weizenbrot
war köstlich. Ihre kulinarische Welt hatte sich gerade verdrei-
facht, weswegen er ein kleines Hochgefühl verspürte.
Sterzik wirkte trotz ihrem entspannten Tag im Dorf etwas
angespannt. Hänno fragte sich, woher der Stimmungswandel
kam. Natürlich erwartete er von Sterzik in einer solchen Situa-
tion nicht, sein übliches herum albernes Selbst zu sein. Aber
so viel Anspannung war er sich von seinem Freund einfach
nicht gewohnt. Vor allem auch da Hänno aufgefallen war, dass
das Hinken seines Freundes nach der letzten Mahlzeit gänzlich
verschwunden war.
Gleichzeitig sinnierte er darüber, dass er sich selbst überrasch-
te, wie gut er mit der Situation umgehen konnte. Natürlich
vermisste er Tamina und Falco. Auch seine Leute aus I3 fehl-
ten ihm. Wenn er sofort zurück könnte, wäre er wahrscheinlich
bereit, viel zu opfern. Aber trotzdem setzte ihm die Situation
weniger zu, als er erwarten hatte.
Sie hingen beide noch etwas ihren Gedanken nach und Hänno
überlegte sich, wie es in Zukunft weiter gehen sollte. Zum einen
wurde es Nacht, aber sie hatten gerade erst geschlafen. Ihr
Tag- und Nachtrhythmus war inzwischen völlig gestört. Diese
20 Minuten Tage waren für ihre Körper, die sich 24 Stunden
gewöhnt waren, völliger Horror.

41
Zum anderen überlegte sich Hänno, wie sie überhaupt fort-
fahren sollten. Ihr dringlichstes Ziel war es, den Enderdrachen
zu besiegen, um endlich wieder hier raus zu können. Sofern
das ihr Entführer wirklich zulassen würde. Aber Hänno wollte
einmal davon ausgehen, dass dem so war.
«Was sind unsere wichtigsten Ziele, damit wir gegen den Ender-
drachen gewinnen können?»
Sterzik schwieg zunächst und schien zu überlegen, dann ant-
wortete er mit ruhiger Stimme: «Wir brauchen gute Ausrüs-
tung, damit wir nicht zu schnell Sterben und gut Schaden aus-
teilen. Essen ist genauso wichtig, da wir heute gesehen haben,
dass wir nicht nur Schaden nehmen, sondern ihn auch relativ
gut mit Essen heilen können.»
Hänno nickte und lauschte den Ausführungen seines Freun-
des.
«Dann müssen wir in den Nether. Von dem habe ich ja schon
erzählt. Dort müssen wir eine Festung finden, um einige Blazes
niederzuknüppeln. Die brauchen wir für ihren loot. Sie droppen
die zweite Zutat, die wir mit den Enderperlen zu Enderaugen
craften. Von denen brauchen wir eine gewisse Anzahl. Leider
weiss ich nicht, wie viele genau. Aber auf jeden Fall brauchen
wir die, um das Enderportal zu finden und zu aktivieren. Da-
nach kommt der Kampf gegen den Enderdrachen.»
Hänno musste zugeben, dass er irgendwo in der Mitte den
Faden verloren hatte. Beziehungsweise, dass er nicht jeden

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Schritt wiederholen konnte, aber so grob wusste er, was ih-
re nächsten Schritte sein sollten.
«Ich würde sagen, dass wir unsere base am besten hier her
verschieben. Denn Essen scheint hier weniger ein Problem zu
sein. Dann haben wir mehr Energie, um auf unseren nächs-
ten Schritt zu zuarbeiten. Meinst du, wir sind ready für den
Nether?», fragte er und schaute den anderen fragend an.
Sterzik zuckte mit den Schultern. «Keine Ahnung. Bin ich ehr-
lich. Ich habe absolut keine Ahnung, wie wir das einschätzen
könnten.» Sie schauten sich beide in die Augen. Inzwischen
hatte die untergehende Sonne den Himmel rot gefärbt, was ih-
rer Szenerie etwas kitschiges verlieh. Abseits von einem dichten
Wald, beschützt von einem mächtigen Eisengolem und in der
Nähe von Häusern fühlte sich Hänno das erste Mal draussen
richtig wohl und konnte den Anblick geniessen. In Sterziks Au-
gen spiegelten sich ähnliche Gefühle.
«Wenn ich aber eine Einschätzung geben muss, was ja der
Fall ist, dann würde ich sagen, dass wir es durchaus probieren
könnten. Wir brauchen sowieso noch Obsidian für das Portal,
daher können wir noch etwas nach Diamanten suchen. Ausge-
rüstet mit einem Diaschwert und -brustplatte, sollten wir das
easy hinkriegen.»
Hänno nickte wieder und löste sich wieder von Sterziks Blick.
Sie konnten inzwischen die ersten mobs sehen, die in der Sa-
vanne gespawnt waren. Ein seltsames Geräusch hinter ihnen

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liess sie ihren gemütlichen Platz verlassen und sie gingen vor-
sichtig in die Richtung, aus der sie die Quelle vermuteten. Sie
bogen gerade um dei Ecke eines der grösseren Häuser, als sie
den Golem dabei erwischten, wie er mit einem kräftigen Hieb
ein Zombie davon schleuderte, der daraufhin verpuffte.
«Ich finde es eine sehr gute Idee, wenn wir unsere base hier
her verschieben. An den Anblick könnte ich mich gewöhnen»,
grinste Sterzik und so wurde der Plan gefasst, bei Tagesan-
bruch zu ihrer base zurück zu kehren, um dort ihre Sachen zu
holen.

Der Rückweg verlief – vor allem im Vergleich zum Hinweg


– ereignislos. Sie trafen auf ein paar Zombies, Creeper und
Skelette, aber die waren für die beiden Freunde keine grosser
Herausforderung mehr.
Als ihr Hügel und ihre Lichtung in Sichtweite kam, waren sie
jedoch trotzdem froh darüber. Ihre Begegnung mit dem Ender-
man sass ihnen noch immer in den Knochen.
Hänno kümmerte sich um ihr Feld, auf welchem inzwischen
fast alles ausgewachsen war. Sterzik hatte ihm im Dorf Weizen
gezeigt, welcher reif zum Ernten war. Sie hatten eine intensive
Diskussion über braune und schwarze Spitzen gehabt. Diese

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verpixelte Welt fand Hänno in diesem Moment richtig scheis-
se. Mit schräg gelegtem Kopf betrachtete er sein Feld, aber
war sich relativ sicher, dass er die Hälfte sicher schon ernten
konnte.
In dem Moment hörte er Sterzik in seinem Kopf: «Wo hast du
unsere Truhen hingestellt?»
«Hä? Was?», fragte Hänno uneloquent, aber er wusste nicht,
von was der andere redete.
«Die Truhen mit unseren Sachen. Wo sind die?», fragte Sterzik
jetzt sichtlich genervt.
Hänno verstand nicht, also setzte er sich in Bewegung und ging
zur Tür im Hügel. Drinnen stand der verwirrte Sterzik, der
jetzt auf die leere Stelle deutete, wo vor ihrer Abreise noch
ihre zwei grossen Truhen gestanden hatten. Die waren jetzt
verschwunden.
«Scheisse. Die sind weg!», entfuhr es Hänno entgeistert. Sein
Unterbewusstsein meldete ihm wieder eine wichtige Informa-
tion, die sein Gehirn aus lauter Entsetzen und Wut nicht ver-
arbeiten konnte.
Sterzik starrte Hänno an, dann wich alles Blut aus seinem
Kopf. Mit bleichem Gesicht drehte er sich zur leeren Stelle
hinter ihm um und murmelte: «Es ist alles weg?»
Hänno ging zu den Öfen und öffnete sie. «Nicht ganz. Ich hatte
eigentlich fast alles Eisen, dass du gefarmt hattest in die Öfen

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gepackt, bevor wir los gezogen sind. Also abgesehn von dem,
was wir für deine Rüstung gebraucht hatten.» Sterzik schaute
ebenfalls in die Öfen und sammelte alles ein.
Das klingelnde Geräusch war gewöhnungsbedürftig. Hänno und
Sterzik hatten bisher beide noch nicht herausgefunden, ob sie
irgendwo ihr Level herausfinden konnten. Sie hatten beide ihre
Haut nach weiteren Tattoos abgesucht, aber nichts dergleichen
gefunden. Sterzik meinte, dass sie das vielleicht erst erfahren
würden, wenn sie einen Amboss oder den Zaubertisch verwen-
den würden.
«Wir haben zum Glück wirklich nicht sehr viel verloren. Nur
einen Teil des Essens, etwas Eisen und das ganze Holz. Der
grösste Verlust werden die paar Diamanten sein, die ich noch
nicht verarbeitet hatte.»
Das Verschwinden ihrer Truhen versetzte ihrer Laune wieder
einen Dämpfer. Aber Hänno bemühte sich, seine Stimmung
im Griff zu behalten und für Sterzik da zu sein, den dieser
Verlust mehr schmerzte. Immerhin hatte er den grössten Teil
dessen erarbeitet, dass sie nicht einfach so mit ein paar Tagen
draussen rum rennen wieder zurück holen konnten. In jedem
Stück Eisen, dass sich in ihrem Besitz befand, steckte Schweiss
und Blut, das Sterzik dafür vergossen hatte.
Nach einem Nickerchen in ihren Betten, bauten sie auch diese
ab und setzten sich mich vollgepacktem Inventar in Bewegung.
Sie wanderten durch den Wald, während Sterzik noch einmal
den Plan erläuterte, wie sie das Enderportal erreichen konnten.

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Dieses Mal verstand Hänno schon ein wenig mehr und stelle
auch die eine oder andere Frage. Da plötzlich erschien eine lan-
ge, dürre Gestalt mit schwarzem Körper. Weder Hänno noch
Sterzik hatten Gelegenheit weg zu sehen. Beide starrtem dem
Ding direkt in die Augen und ohne Vorbereitungszeit startete
der Enderman sein Kampfgeschrei.
Es ging so schnell, dass beide nur wenige Schläge austeilen
konnte, ehe Hänno zum zweiten Mal getroffen wurde. Schmerz
durchzuckte ihn, dann wurde ihm schwarz vor Augen.

Hänno öffnete seine Augen und starrte in einen blauen Him-


mel mit weissen Wolken. Auch ohne Brille konnte er erkennen,
dass die Wolken noch immer rechteckig waren. Er richtete sich
auf und schaute instinktiv nach rechts. Sein Herz setzte einen
Schlag aus, denn da war kein Sterzik. Panik griff nach seinen
Eingeweiden, da hörte er ein Ächzen von rechts. Blitzschnell
drehte er sich um und atmete erleichtert aus, als er dort Ster-
zik erblickte, der gerade die Augen öffnete und leise vor sich
hin fluchte.
«Was ist passiert, als ich down war?», stellte Hänno seine drän-
gendste Frage.
«Alles wurde schwarz und ich bin hier aufgewacht. Nichts be-
sonderes», zuckte er mit den Schultern.

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Dann stellte Hänno seine zweite Frage: «Wo zum Fick ist das
Ding plötzlich her gekommen und warum war ich nach zwei
Schlägen weg?» Es waren eigentlich zwei Fragen, aber wer
nahm es da genau.
Sterzik zuckte mit den Schultern und meinte nur: «Das war
schon ein wenig random.»
Hänno fand diese Erklärung etwas zu kurz gegriffen, aber er
beliess es dabei. Sie würden jetzt keine Antwort darauf finden,
aber das Ganze brannte sich in seine Erinnerung ein. Immer
weiter beschlich ihn das Gefühl, dass hier etwas gewaltig faul
stinkte.
Hänno und Sterzik stellten fest, dass ihnen der Einstieg dieses
Mal wesentlich leichter viel. Hänno schlug vor, nur das nötigste
zu sammeln und craften, damit sie sich sofort auf die Suche
nach einem Dorf machen konnten.
Sie hatten Glück und fanden schon im zweiten Tageszyklus
eines. Dieses Mal war es in einer Wüste. Zum Glück befand
es sich gleich neben einer Graslandschaft, wo sich auch viele
Tiere tummelten. Sterzik stiess einen Freudesschrei aus, als sie
sogar einen Bibliothekar entdeckten.
Die Dinge liefen gut. Sie hatten auch einen guten Rhythmus
miteinander gefunden. Sterzik verschwand wieder in seinem
Stollen, Hänno kümmerte sich um Essen, Holz und nun auch
die Villager. Bald waren sie am selben Punkt angelangt, wie
kurz vor dem Enderman. Wieder kam die Sprache auf den

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Nether und dieses Mal bauten sie sogar schon das Portal, bevor
sie sich sicher genug waren, es überhaupt zu versuchen. Aber
das Portal stand schonmal und beide hatten einen ganz kurzen
Blick auf die andere Seite geworfen. Die seltsame, rote Welt
war ihnen doch noch nicht geheuer.
Sie wollten daher noch einen letzten Trip in Sterziks Stollen
machen, da ihnen nur noch wenige Diamanten für je ein kom-
plettes Rüstungsset fehlten. Sterzik führte Hänno durch sein
System an Stollen und Gänge, verirrte sich dabei und erhielt
von Hänno strenge Blicke, da diese Umwege durch ein kon-
sequentes Anbringen der Fackeln auf der rechten Seite hätte
vermieden werden können.
«Das ist mein Bereich. Ich kommentiere ja auch nicht, wie du
unser Gemüse anbaust», raunzte Sterzik, aber Hänno konnte
hören, dass keine Schärfe in seinen Worten lag.
Also warf er etwas übertreibend raunzend zurück:«Ach ja, was
gefällt denn dem Herren nicht an meiner Anbautechnik?»
Sterzik blieb in einem der tausend Nebenarme seines Haupt-
stollens stehen und drehte sich zu Hänno um: «Wer baut ge-
fühlt hundert Blöcke Erde ab, nur um sie hundert Schritte
weiter in der Wüste für ein Beet wieder aufzubauen? Warum
hast du das Feld nicht einfach dort gebaut, wo du die Erde
abgebaut hast?»
Hänno öffnete den Mund, um zu antworten. Dann schloss er
ihn wieder. An der Sache war etwas dran. Sterzik funkelte

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triumphierend mit den Augen, aber verkniff sich netterweise
weitere Kommentare, sondern drehte sich um und ging weiter.
Sterzik verschwand bei einer Gabelung des Weges aus Hännos
Sicht nach rechts, da erschien ein Creeper im linken Gang.
Gefährlich nahe bei Sterzik.
Hänno warnte seinen Freund mit einem Ruf, der völlig gelassen
reagierte. Da watschelte das gründe Ding los und verschwand
an derselben Stelle wie Sterzik. Noch bevor Hänno den bei-
den folgen konnte, explodierte der Creeper und Hänno wurde
plötzlich schwarz vor Augen.

Hänno öffnete die Augen und erblickte Himmel. Er rieb sich


über den Nasenrücken und wartete genervt, bis er Sterziks Ge-
jammere hören konnte. Es nahm seiner genervten Stimmung
etwas die Härte, als er hörte das Sterzik mit einem Japser und
schwer atmend auftauchte.
«Wie konnte dich dieser Creeper erwischen?», fragte Hänno
mit harter Stimme, als sich Sterziks Atem endlich etwas beru-
higte.
«Da waren vor mir zwei. Ich dachte, du hättest mich vor denen
beiden gewarnt, bis mir der dritte im Rücken explodiert ist.
Scheisse hat das weh getan», fluchte Sterzik.

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«Drei Creeper?», fragte Hänno verblüfft. Bisher hatten sie nur
vereinzelte Streuner gefunden. Nie mehrere auf einem Punkt.
Also war ihr Tod wieder durch ein zufälligen mob ausgelöst
worden, der hundert male vorher keine Probleme bereitet hat-
te. Bis jetzt war es noch zu früh, um von einem Muster zu
sprechen, aber die beiden Freunde witterten etwas Faules im
Staate Dänemark.
Mit etwas weniger Elan machten sie sich wieder auf die Suche
nach einem Dorf. Dieses Mal fanden sie eines nach drei Tages-
zyklen. Doch holten sie ihren restlichen Erfolg vom vorherigen
Spielstand noch schneller auf. Nach wenigen Tageszyklen hat-
te Hänno alle nötigen Villager zusammen und genug Material
gesammelt, um beim Kartographen ein Buch mit der Verzau-
berung „Glück III” zu kaufen. Mit einer Glücksspitzhacke aus-
gerüstet leistete er Sterzik Gesellschaft in den Mienen.
Als Hänno unten ankam, fand er Sterzik, der wieder sein Shirt
in seine Gesässtasche gestopft hatte. Überrascht stellte Hän-
no fest, dass Sterzik inzwischen einiges an Muskelmasse aufge-
baut hatte. Er wirkte inzwischen sehr kräftig und sehnig. Seine
Ober- und Unterarme waren wohl geformt. Hännos Blick wan-
derte über den Körper seines Freundes, der ihn mit gehobenen
Augenbrauen dabei beobachtete.
«Du siehst fit aus», meinte Hänno nur.
«Ich verbringe auch viel Zeit hier unten», meinte Sterzik und
schaute noch immer fragend.

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Hänno nickte bedächtig, aber fügte hinzu: «Ich meine, dass du
über alle runs hinweg Muskeln aufgebaut zu haben scheinst.
Genauso sind inzwischen unsere Haare gewachsen», meinte
Hänno und strich sich durch seine inzwischen wirklich sehr
langen Haare.
Sterzik senkte die Augenbrauen, rieb sich über seinen inzwi-
schen schon fast buschigen Bart und runzelte jetzt die Stirn,
dann meinte er: «Du meinst, dass wir in unseren Körpern sind,
weil wir über die ganze Zeit hinweg progress machen?»
Hänno nickte, dann verdüsterte sich sein Gesichtsausdruck.
«Ich will gar nicht wissen, wie viel Zeit inzwischen da draussen
vergangen ist.»
Sterzik zuckte zusammen, aber nickte dann bestätigend. Sie
hatten völlig kein Zeitgefühl mehr, doch wenn ihr Haarwachs-
tum ihnen ein Hinweis lieferte, dann waren sie schon mehrere
Wochen hier.
«Scheisse», murmelte Sterzik. Hänno zuckte mit den Achseln
und machte sich dann daran, die Aufmerksamkeit seines Freun-
des wieder aufs Wesentliche zu lenken. Trübsal blasen half ih-
nen nicht weiter.

Nach ihrem fünftem Tod, der durch plötzlich auftauchende


mobs auftrat, beschlich Hänno das Gefühl, dass sie die Sache

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falsch angingen. Ebenso waren sie dazu über gegangen, ihre
wertvollsten Besitztümer stets bei sich zu tragen, da weiterhin
Truhen Beine bekamen und einfach so verschwanden.
Es war ihr sechster Anlauf und langsam war ihre Moral am
Boden. Wahrscheinlich sogar eher Bedrockniveau. Immerhin
hatten sie es im letzten run ein mal in den Nether geschafft,
bevor ein grundlos aggressiver Piglin sie trotz Goldschuhen
angegriffen hatte.
Immerhin hatten sie eine witzige Episode gehabt, in welcher
Hänno ausversehen einen Villager geschlagen hatte, als er sein
neues Diamantschwert geschwungen hatte. Daraus resultier-
te eine Hetzjagd des Golem in Schneckentempo um das Dorf,
während Sterzik lachend aus seinen Minen rausklettern muss-
te, nur um dann eine Grube buddeln zu müssen, in welche der
Golem auf seinem stetigen Versuch, Hänno zu erwischen, hin-
ein fiel. Hänno fand es zunächst gar nicht witzig, aber als er
den Golem in seiner Grube sah, amüsierte er sich auch.
So starteten sie ihren sechsten run. Sie hatten es sich inzwi-
schen zur Tradition gemacht, ihren ersten Abend in einem Dorf
bei einem der Felder zu sitzen und den Sonnenuntergang zu
beobachten. In diesen Momenten erschien ihnen diese seltsame
Welt geradezu idyllisch.
So sassen sie hier wieder und dachten nach. Da starrte Sterzik
plötzlich ganz konzentriert auf das Dach, des am ihnen am
nächsten gelegenen Hauses.

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«Was ist?», fragte Hänno und versuchte auszumachen, was
den Jüngeren so faszinierte. Alles, was er sehen konnte, war
ein einfaches Haus mit Holzdach und eine der behämmerten
Tauben darauf.
«Ist das ’ne Taube?», fragte Sterzik ungläubig.
Hänno zuckte mit den Schultern und bejahte die Frage. Was
war schon dabei? Die Viecher waren überall.
Da löste Sterzik seinen Blick vom Dach und starrte nun in
Hännos braune Augen: «Es gibt in Minecraft keine Tauben!»

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Kapitel 5: Ave, Caesar, morituri te
salutant!
«Was?», fragte Hänno verwirrt. Diese verdammten Dinger schwirr-
ten hier ständig umher. Mehr als einmal hatte er sich beob-
achtet gefühlt, da irgendwie immer eine zu gegen war.
«Es gab vor Jahren ein Update mit Papageien für das Dschun-
gelbiom, aber sonst gibt es eigentich keien Vögel in Minecraft»,
erklärte Sterzik und stand auf.
«Aber die Dinger sind hier überall», meinte Hänno und stellte
sich neben seinen Freund. Er schaute sich um, dann zeigte er
ihm die anderen Viecher, die überall um sie herum sassen und
sie beobachteten.
«Das muss ich mir genauer ansehen», meinte Sterzik und ging
zu einem der Dächer, baute sich mit Blöcken nach oben und
schlich sich an die Taube heran. Aber Ding flog davon, bevor
er ihr zu nahe kommen konnte.
Also verbrachten sie die restliche Nacht damit einen Vogel
einzufangen. Erst nach einigen gescheiterten Versuchen, kam
Hänno eine Idee. Es war mehr eine Hypothese, aber das liess
sich einfach überprüfen. Also nahm er Sterzik zur Seite und
schrieb ihm etwas in seine Hand. Sie brauchten zwei Anläu-
fe, bis Sterzik die sechs Buchstaben richtig erkannte. Dann
aber weiteten sich seine Augen mit Erstaunen und Verständ-
nis. Hänno zeigte ihm an, dass er ihm folgen sollte.

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Danach gestaltete sich ihr Einfangversuch wesentlich einfacher.
Sie bauten ihre Falle so, dass sie durch eine Mauer aus Dreck
nur noch von vorne von den Tauben beobachtet werden konn-
ten, dann lenkte Sterzik die verbleibenden Tauben mit einem
Fangversuch ab, währen Hänno darauf wartete, dass sich eine
andere neu in Position brachte, um den besten Blick auf das
Geschehniss zu haben. Auf diesen Moment hatte er gewartet
und packte nach dem Ding. Prompt erwischte er es.
«Ich hab sie!», rief er triumphierend.
«Nice!», echote es von Sterzik weither, welcher schon auf ihn
zu trabte.
Hänno schaute sich das Ding in seiner Hand an und es fühlte
sich erstaunlich ähnlich, wie die Kommentarbälle an.
Hänno drehte den Kopf der Taube so, dass er sie richtig sehen
konnte und ihm stockte der Atem. Sterzik kam heran getrabt
und fragte: «Und?»
«Wie ich mir gedacht habe: Es sind Kameras», meinte Hänno
und drehte das Ding so, dass es auch Sterzik sehen konnte.
«Verdammter Dreck», fluchte Sterzik und fuhr sich durch die
immer länger werdenden Locken. Hänno konnte dem nur beipflich-
ten, aber er sagte nichts, denn sein Kopf lief auch Hochtou-
ren.
Sterzik merkte, dass Hänno tief in Gedanken war und führte
seinen Freund daher in eines der Häuser, setzte sich neben ihn

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und schaute zu, wie Hänno auf und ab tigerte, sich durch die
Haare fuhr, ab und zu stehen blieb, nur um dann wieder von
vorne zu beginnen. Nach einer Weile blieb er stehen und schau-
te Sterzik das erste mal wieder richtig an. Der hob fragend die
Augenbrauen, dann holte Hänno tief Luft.
«Es gibt drei Fragen, die ich mir seit Anfang an stelle. Zu-
nächst war die dringste Frage, was das hier ist und soll», be-
gann Hänno und breitete dazu die Arme aus. Er drehte sich
einmal im Kreis und senkte dann die Arme wieder, nur um
dann Sterzik mit seinem Blick zu fixieren. Sterzik fühlte sich
wie in der Schule, wenn der Lehrer eine Wortmeldung erwar-
tete. Er zuckte daher vorsichtshalber mit den Schultern. Sich
Gedanken zu machen und zu Planen, das viel in Hännos Me-
tier, nicht seines.
«Das Buch ganz am Anfang hat uns eine Aufgabe gegeben»,
dabei hob Hänno einen Finger.
«Die Metallboxen übermitteln uns Tipps, die uns wie Kom-
mentare auf YouTube oder so vorkommen», fuhr er fort und
hob einen zweiten Finger.
«Der stechenste Beweis sind die verdammten Kameras. Ich
verwette einen stack Diamanten darauf, dass wir dasselbe fin-
den würden, wenn wir deine Fledermäuse genauer anschau-
en würden.» Das leuchtete Sterzik ein, daher nickte er ener-
gisch.

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«Das führt uns zur zweiten Frage: Was ist das Motiv? Offen-
sichtlich werden wir hier gefilmt, beobachtet und das ganze ei-
ner Öffentlichkeit gezeigt, die Kommentare schreiben können.
Also ganz normal, wie bei jedem anderen YouTube-Video. Wir
sind Unterhaltung.»
Hänno tigerte inzwischen wieder auf und ab. Eine tiefe Fruche
hatte sich auf seiner Stirn gebildet.
«Aber warum werden wir dann so aktiv sabotiert? Es ver-
schwinden Truhen. SObald wir guten progress machen, tau-
chen Endermänner, Creeper und andere Monster auf, die uns
einfach so weg machen, obwohl das sonst nie der Fall ist. Es
ist ein Muster!»
Sterzik legte den Kopf schief und dachte darüber nach. Aber
Hänno hatte recht. Wenn sie nicht immer wieder solche seltsa-
men Rückschläge erlitten hätten, dann wären sie wahrschein-
lich schon mehrere Male bis zum Enderdrachen vorgedrun-
gen. Sie wären wahrscheinlich noch nicht durch, aber sie wären
schon weiter. Jeder, der schon einmal so ein Projekt gemacht
hat, weiss, dass Stagnation und zu langsame Entwicklung das
Ende eines Projekts wie diesem bedeutete. Das wäre sehr kon-
traproduktiv. Also nickte er wieder.
Hänno hatte innegehalten und beobachtet, wie die Überlegung
durch Sterziks Verstand gewandert war. Jetzt, wo er ihm den
Verdacht bestätigt hatte, fuhr er mit einem Nicken in seiner
Wanderbewegung und Erklärung fort:

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«Wenn wir also nicht gewinnen sollen, was ist das Motiv?»,
fragte Hänno und fuhr ohne Pause fort: «Ich bin noch nicht
ganz dahiner gekommen, was das ultimative Ziel ist. Aber ich
denke, wir können darauf kommen, wenn wir herausfinden,
wer dahinter steckt. Es ist nur eine Theorie, also musst du es
mir bestätigen. Vertraust du mir?», fragte Hänno und Ster-
zik bejahte ohne zu zögern. Hänno nickte, dann ging er nach
draussen.
Dort begann er sich in die Höhe zu bauen. Sterzik folgte sei-
nem Beispiel. Hüpfend und bauend gewannen sie an Höhe, bis
das Dorf unter ihnen winzig klein wirkte. Hänno hörte auf, so
auch Sterzik. Sie schauten sich über die kurze Distanz zwi-
schen ihnen hinweg an und Hänno zeigte Sterzik an, er solle
stehen bleiben. Dann trat er ins Leere und stürzte. Bevor Ster-
zik reagieren konnte, wurde ihm schwarz vor Augen.

Hänno schaute wieder in den Morgenhimmel. Falls er mit sei-


nem Plan, der sich langsam in ihm formte, nicht recht behalten
sollte, zählte das eben dann als run? War das jetzt ihr siebter
Versuch?
Sterzik tauchte neben ihm auf.
«Okay? Und jetzt?», fragte der andere neugierig.

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«Als ich den Minecraftfalco gesehen hatte, dachte ich mir,
dass das eine seltsam liebevolle Geste für einen Entführer ist.
Nicht?»
«Das war schon creepy, ja», bestätigte Sterzik.
«Ja. Das habe ich mir auch gedacht. Ich wusste nicht, was ich
damit anfangen sollte. Es war schon verstörend, daher hatte
ich nie die Gelegenheit genutzt einen weiteren Hund zu zäh-
men. Aber es hat mich auf eine Idee gebracht. Erster Hin-
weis: Falco. Da kennt uns jemand. Zweiter Hinweis: Wer auch
immer uns entführt hat, wusste nicht nur über unseren Ter-
minkalender Bescheid, sondern hat ihn wahrscheinlich auch so
präpariert.»
Hänno stand jetzt auf und ging zum Sockel mit dem Buch
herüber, das sie seit ihrem ersten Anlauf nie wieder in die
Hände genommen hatten, welches sich jedoch jedes Mal auf
der Lichtung materialisierte.
Sterzik folgte seinem Freund und stellte sich neben ihn. Er war
noch etwas überfordert mit Hännos Beweisführung, aber eine
Idee hatte sich festgesetzt.
Hänno nahm das Buch in die Hand und die seltsam verzerrte
Stimme erklang in ihren Köpfen. Nachdem sie ihre Nachricht
übermittelt hatte, fuhr Hänno fort: «Drittens: Wir kennen die
Stimme. Vierter Hinweis: Die Kameras sind in fucking Tau-
ben!»

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Da fiel bei Sterzik der Groschen und er griff sofort erneut nach
dem Buch. Die Stimme erklang wieder in ihren Orten und ihm
fiel die Kinnlade herunter: «Cathleen? Niemals!»
Hänno schüttelte den Kopf: «Überleg mal: Wer hat die den
Termin mit dem ominösen Sponsor organisiert, mit dem du
dich hättest treffen sollen?»
«Cathleen», meinte Sterzik entsetzt.
«Wer hat verhindert, dass ich Falco beim Hundesitter abhole
und trotzdem zu meinem Sponsortermin gehe?»
«Cathleen», flüsterte Sterzik jetzt. Müde legte er den Kopf in
den Nacken und schloss die Augen.
Es herrschte einen Moment Schweigen, dann schaute er zu
Hänno, der ihn besorgt beobachtete.
«Was jetzt?», fragte Sterzik. Auf einmal spürte Hänno, wie
ihm die Müdigkeit in den Knochen sass. Er wollte hier raus und
einfach fünf Tage durchschlafen. Er unterdrückte den Impuls
mit den Schultern zu zucken.
Er drehte sich um und suchte die nächste Taube. Er stellte
sich mit verschränkten Armen vor sie und starrte sie böse an.
Sterzik gesellte sich zu ihm.
«Cathleen? Wir wissen, dass du da bist. Sprich mit uns», mein-
te Hänno. Sterzik verschränkte jetzt ebenfalls die Arme, dabei
wölbten sich seine inzwischen massiven Oberarmmuskeln. Die
Mienen waren wirklich gutes workout.

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«Komm schon! Sprich mit uns», rief Hänno und unterdrückte
eine gleissende Wut, die sich in ihm breit machen wollte. Da er
nicht wusste, ob er ein Wettkampf um Sturheit gegen eine me-
chansiche Taube gewinnen konnte. Überlegte er fieberhaft, wie
er die Person auf der anderen Seite der Kamera dazu bewegen
konnte, mit ihnen zu sprechen.
«Schau, das Ganze muss jetzt ein Ende finden. Vor allem, da
wir offensichtlich nicht bis ans Ende gelangen sollten. Du willst
offensichtlich etwas anderes, als einen Sieg. Rede mit uns, dann
können wir dir dabei vielleicht helfen», versuchte Hänno zu
argumentieren. Er spürte, wie Sterzik ihn mit der Schulter
anstiess. Anscheinend fand der andere seine Argumentation
gut.
Er wollte daher schon fortfahren, als sie plötzlich Cathleens
Stimme in ihren Ohren vernahmen: «Ich bin hier, Jungs.»
Hänno schloss erleichtert die Augen und lehnte sich jetzt fest
an Sterzik. Sie näherten sich mit grossen Schritten ihrer Frei-
heit.
«Gut. Gut», meinte er und versuchte die direkte Herangehens-
weise: «Was willst du?» Da das etwas zu anklagend klang und
sie immernoch mit ihrer Entführerin redeten, fügte er mit ei-
nem hoffentlich mildem Tonfall hinzu: «Wie können wir dir
helfen?»
«Ihr habt recht, ob ihr den Enderdrachen erreicht oder nicht,
ist mir einerlei. Ich wollte eigentlich nur erreichen, dass...», ihre

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Stimme versagte und sie blieb eine Weile stumm. Hänno hätte
sie gepackt und geschüttelt, wenn sie nicht durch eine beschis-
sene Taube miteinander kommuniziert hätten. Er zwang sich
geduldig zu sein.
«Ich dachte, wenn ihr miteinander in einer solchen Situation
seid, dann würde endlich diese Anziehung zwischen euch fruch-
ten. Dass ihr erkennen würdet, dass ihr für einander geschaffen
seid», meinte Cathleen und ihre Stimme wurde fast flehend.
Hänno zuckte erstaunt zurück. Seine Arme lösten sich aus ih-
rer Verschränkung. Was hatte sie da gerade gesagt? Eine An-
ziehung zwischen ihm und Sterzik? Er schaute den anderen
fragend an. Dem seine Augenbrauen waren irgendwo in seinen
Haaren verschwunden.
«Cathleen, wir sind hetero», meinte Sterzik.
«Ja! Ich bin mit Tamina zusammen, weil ich sie liebe», er-
gänzte Hänno und wusste nicht recht, was er sonst dazu sagen
konnte.
«Genau! Dasselbe gilt für mich», meinte Sterzik und fügte
dann hastig hinzu: «Also mit meiner Freundin. Nicht Tami-
na.»
«Aber seht euch doch an, wie ihr hier harmoniert habt. Wie ihr
euch umeinander gekümmert habt!», schnitt ihnen Cathleens
Stimme jeden weiteren Erklärungsversuch ab.

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Hänno versuchte eine neue Strategie: «Schau, wenn etwas an
deiner Theorie dran wäre, dann hätte dieses setup doch sicher
schon Früchte getragen, nicht?»
«Ja schon, aber», meinte Cathleen einsichtig. Bevor sie hier
wieder emotional werden konnte, schnitt Hänno ihr das Wort
ab: «Siehste? Da ist nichts. Das versichere ich dir. Ich schätze
Sebastian ungemein als meinen Freund und ich hätte diese
letzten Tage oder Wochen nicht ohne ihn durchgestanden, aber
mehr ist da nicht.» Er betonte dabei die letzten Worte einzeln
und sehr bestimmt.
Cathleen schwieg eine Weile, dann startete sie wohl ihren letz-
ten Versuch: «Ich bin mir sicher, dass wenn ihr euch einmal
küssen würdet, dann würdet ihr spühren, was ich seit langem
sehe!»
Hänno schaute zu Sterzik und er fragte sich, ob sie das nicht
einfach hinter sich bringen konnten und damit Cathleens letz-
ten Widerstand niederreissen konnten. Sterzik schaute kurz
überrascht, dann eine Millisekunde panisch und am Ende zuck-
te er kaum merklich mit den Schultern.
«Okay, Cathleen. Wenn wir uns hier und jetzt küssen, aber
danach noch immer gleich über die Situation denken, dann
lässt du uns gehen. Versprochen?», fragte Hänno bestimmt.
Cathleens Stimme überschlug sich vor Freude, als sie diesen
Bedingungen zustimmte.

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Also drehte sich Hänno zu Sterzik, der noch immer die Arme
verschränkte hatte. Der drehte sich unsicher zu ihm und löste
seine Arme, die jetzt unsicher neben ihm hingen. Sterzik wirk-
te verlegen. Hänno hingegen wusste, wie das Ganze ablaufen
würde. Es war nicht das erste Mal, dass er jemanden küss-
te, der ihm freundschaftlich viel bedeutete, aber sonst nichts
weiter. Er dachte dabei an David.
Hänno näherte sich Sterzik. Anscheinend musste er die ganze
Arbeit machen, denn der andere kam ihm null entgegen. Ihre
Köpfe näherten sich, ihre Lippen berührten sich. Und da war
nichts. Kein Kribbeln, keine Gefühle. Nichts. Doch plötzlich
fuhr Sterziks Zunge über seine Lippen. Doch sie hielt da nicht
an, sondern fuhr ihm über den ganzen Mund. Ein schlabbern-
des Geräusch drang an sein Ohr.
Hänno öffnete die Augen uns schaute an eine Zimmerdecke, die
ihm sehr bekannt vor kam. Falco lehnte über ihm und schlab-
berte sein Gesicht ab. Er griff nach seinem Hund und umarmte
ihn herzhaft. Eine Träne kullerte ihm aus den Augenwinkeln,
da hörte er ein ihm bekanntes Stöhnen und Knacken.
«Hänno?», fragte Sterzik und richtete sich auf seinen Ellenbo-
gen auf, um sich etwas aufzurichten.
«Morgen Jungs! Seid ihr bereit für die zweite Hälfte des Mi-
necraftmarathons? Ich hab euch Kaffee gebracht», flötete eine
übertrieben aufgestellte Cathleen vom anderen Ende des Zim-
mers aus.

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Hänno hatte mühe den seltsamen Traum abzuschütteln, aber
nach einem Kaffee fühlte er sich schon besser. Sterzik und er
kehrten an ihre Rechner zurück, wo ihr Livestream noch im-
mer lief. Es waren sogar noch Zuschauer da. Er schüttelte den
Kopf und schaute zu Sterzik, der ihn mit einem seltsamen Ge-
sichtsausdruck beobachtete. Ihre Blicke trafen sich. Sie starr-
ten sich an. Dann lief Hänno ein seltsamer, eisklater Schauer
den Rücken hinunter.

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