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Andreas Hepp · Friedrich Krotz · Tanja Thomas (Hrsg.

Schlüsselwerke der Cultural Studies


Andreas Hepp
Friedrich Krotz
Tanja Thomas (Hrsg.)

Schlüsselwerke
der Cultural Studies
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
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1. Auflage 2009

Alle Rechte vorbehalten


© VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009

Lektorat: Barbara Emig-Roller

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von jedermann benutzt werden dürften.

Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg


Satz: Dirk Reinhardt, Münster
Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel
Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier
Printed in the Netherlands

ISBN 978-3-531-15221-9
Inhalt

Andreas Hepp, Friedrich Krotz & Tanja Thomas


Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

I. Theoretische Bezugsfelder
Lars Grabbe & Patrick Kruse
Roland Barthes: Zeichen, Kommunikation und Mythos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
Ralph Weiß
Pierre Bourdieu: Habitus und Alltagshandeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
Veronika Krönert
Michel de Certeau: Alltagsleben, Aneignung und Widerstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
Tanja Thomas
Michel Foucault: Diskurs, Macht und Subjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
Ines Langemeyer
Antonio Gramsci: Hegemonie, Politik des Kulturellen, geschichtlicher Block . . . . . 72
Brigitte Hipfl
Jacques Lacan: Subjekt, Sprache, Bilder, Begehren und Fantasien . . . . . . . . . . . . . . 83
Udo Göttlich
Raymond Williams: Materialität und Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94

II. Werke der Cultural Studies


Johanna Dorer
Ien Ang: Publika und Postmoderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
Ben Bachmair & Andrew Burn
David Buckingham: Kindheit, Handlungsfähigkeit und Literalität . . . . . . . . . . . . . 120
Christoph Jacke
John Clarke, Toni Jefferson, Paul Willis und Dick Hebdige:
Subkulturen und Jugendstile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
Lothar Mikos
John Fiske: Populäre Texte und Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156
Andreas Hepp
Néstor García Canclini: Hybridisierung, Deterritorialisierung
und „cultural citizenship“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
Caroline Düvel
Paul Gilroy: Schwarzer Atlantik und Diaspora . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176
6 Inhalt

Jeffrey Wimmer
Henry A. Giroux: Kritische Medienpädagogik und Medienaktivismus . . . . . . . . . . 189
Rainer Winter
Lawrence Grossberg: Populärkultur und Handlungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
Friedrich Krotz
Stuart Hall: Encoding/Decoding und Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210
Rudi Renger
John Hartley: Populärer Journalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
Sebastian Deterding
Henry Jenkins: Textuelles Wildern und Konvergenzkultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235
Andreas Hepp
Richard Johnson: Kreislauf der Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247
Carsten Winter
James Lull: Weltfamilien und Superkulturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257
Anette Baldauf
Angela McRobbie: Mädchenkultur und Kreativwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
Jutta Röser
David Morley: Aneignung, Ethnografie und die Politik des Wohnzimmers . . . . . . 277
Elisabeth Klaus
Janice Radway: „Frauengenres“ und alltägliche Produktion von Gender . . . . . . . . 290
Maren Hartmann
Roger Silverstone: Medienobjekte und Domestizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304
Brigitte Hipfl & Matthias Marschik
Valerie Walkerdine: Subjektivierung und Subjektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316

Über die Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327


Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332
Roland Barthes: Zeichen, Kommunikation und Mythos
Lars Grabbe & Patrick Kruse

1. Einleitung
Roland Barthes’ Arbeiten zu Zeichen, Kommunikation und Mythos bilden einen der Grund-
pfeiler für den strukturalistisch-semiologischen Ansatz der Cultural Studies, die die soziale
Welt als kulturellen, sozialen oder medialen Text verstehen und somit als ein System von
Zeichen begreifen. Das Ziel der Cultural Studies ist die Beschreibung der Sinn und Bedeu-
tung zuweisenden Aktivitäten der Rezipierenden, die im Kommunikationsprozess den me-
dialen Text generieren. Die Kommunikation – also die Codierung und Decodierung media-
ler Texte – orientiert sich dabei an den mythologischen und ideologischen Strukturen, die
innerhalb eines gesellschaftlichen Diskurses herrschen. So können Zeichen und Texten auf
konnotativer Ebene verschiedene Bedeutungspotenziale zukommen, die jenseits der eigent-
lichen, denotativen Bedeutung liegen – man spricht hier von Polysemie bzw. Lesevielfalt.
In den kommunikativen Prozess bezieht Barthes auch Zeichensysteme der modernen Mas-
senkultur mit ein, wie z.B. Fotografie, Film, Werbung usw. und weist sie so als Träger my-
thologischer Aussagen aus. Die Ausformung seiner Semiologie als Ideologiekritik weist auf
Barthes’ tragende Rolle innerhalb der Cultural Studies hin. Durch die von Rezipierenden ab-
hängige Zuweisung von Bedeutungen rückt Barthes den Begriff der Textunabhängigkeit in
den Fokus seiner Untersuchungen, und plädiert schließlich sogar für den Tod des Autors, um
den Leser als Bedeutungsgenerator gebären zu können.
Als Sohn von Henriette und Oberleutnant zur See Louis Barthes wurde Roland Gérard
Barthes am 22. November 1915 in Cherbourg geboren. Am 25. Februar 1980 erlitt er einen
Verkehrsunfall, durch den eine frühere und durch Tuberkulose verursachte Lungenerkrankung
akut wurde, und verstarb aufgrund von Komplikationen am 26. März 1980 (vgl. Calvet 1993:
21f. und 335–347). Barthes widmete sich zeitlebens einer enormen Bandbreite von Aufga-
ben und Interessen, und es ist nicht verwunderlich, dass innerhalb der Sekundärliteratur ein
reicher Fundus von Attributen existiert, um diese Vielseitigkeit zu unterstreichen – Barthes
als Semiologe, Soziologe, Philosoph, Universitätsprofessor, Essayist, Kritiker, Literat, Struk-
turalist, Linguist, Pianist, Zeichner und Komponist (vgl. Röttger-Denker 1989: 10). Von
1948 bis 1949 war Barthes Bibliothekarsgehilfe und Lehrer am Institut Français in Bukarest
und Lektor an der dortigen Universität. 1949 bis 1950 arbeitete er als Lektor in Ägypten an
der Universität von Alexandria und 1950 bis 1952 in der Abteilung Unterricht in der Direc-
tion générale für Kulturbeziehungen. Von 1952 bis 1954 war er Praktikant in der wissen-
schaftlichen Forschung am Centre National de la Recherche Scientifique (Lexikologie) und
beriet von 1954 bis 1955 die Éditions de l’Arche. 1955 bis 1959 war er Attaché de recher-
ches im Centre National de la recherche de scientifique (Soziologie) und arbeitete dann von
1960 bis 1962 als Chef de travaux an der VI. Sektion der École Pratique des Hautes Études
für Wirtschafts- und Geisteswissenschaften. Ab 1962 war er Directeur d’études an der École
Praqtique des Hautes Études (Sociologie des signes, symboles et représentations), und 1977
erhielt Barthes schließlich den Lehrstuhl (auf Vorschlag von Michel Foucault) für Semiologie
der Literatur am Collége de France (vgl. Lieber 2004: 139f.; Röttger-Denker 1989: 169f.).
22 Lars Grabbe & Patrick Kruse

2. Das Werk: Diskurs, Wissenschaftlichkeit, Text


Barthes’ Gesamtwerk erstreckt sich über zahlreiche Monografien, Artikel und Essays, die in
ihrer Prägung literaturkritische, strukturalistische oder semiologische Forschungsaspekte ent-
halten. Barthes selbst hebt den reaktiven Charakter seiner Forschung hervor und betont da-
bei die Tatsache, dass sich das vorhandene Forschungsinteresse in Phasen vollzieht, „jede
Phase ist reaktiv: der Autor reagiert entweder auf den ihn umgebenden oder auf seinen ei-
genen Diskurs, wenn der eine oder der andere zu konsistent wird“ (Barthes 1978: 158). Der
frühe Barthes orientiert sich an André Gide, Karl Marx und Bertholt Brecht und bewegt sich
in einer mittleren Entwicklungsphase neben Nikolaj S. Trubetzkoy, Roman Jakobsen, Louis
Hjemslev und Claude Lévi-Strauss im geistigen Gefolge Ferdinand de Saussures und dessen
Zeichentheorie (vgl. dazu die Ausführungen Barthes’ in den Elementen der Semiologie).
Semiotik und Strukturalismus werden Programmtitel im Kontext des linguistischen Pa-
radigmas (Analyse von langue/Sprachsystem und parole/Sprachstruktur) und der Begrün-
dung einer strukturalistischen Literaturkritik und Texttheorie. Die Sekundärliteratur unter-
streicht Barthes’ Entwicklungsgang und betont die in späteren Jahren eintretende Abkehr
vom strukturalistischen Projekt und die Hinwendung zu einer Integration der Erkenntnisse
von Soziologie, Philosophie und Psychoanalyse zur Analyse von Texten. Barthes richtet sich
damit gegen die Gefahr einer zur Lehre erstarrten Semiologie (vgl. Röttger-Denker 1989:
12). Ein kurzer Abriss der von Barthes selbst vorgenommenen Dreiteilung innerhalb seiner
Entwicklung soll einer deutlicheren Darstellung dienen:
„Seit meinem ersten Buch ‚Am Nullpunkt der Literatur‘ galt meine Arbeit ständig der Sprache oder genauer,
dem Diskurs […]. Der zweite Abschnitt war der der Wissenschaft, oder zumindest der Wissenschaftlichkeit
[…]. Das Ziel dieser Arbeit war sehr persönlich, asketisch […]. Es handelt sich darum, die Grammatik einer
bekannten, aber bisher noch nicht analysierten Sprache zu erarbeiten […]. Dominierend war für mich in dieser
Periode meiner Arbeit, glaube ich, weniger die geplante Begründung der Semiologie als Wissenschaft, als viel-
mehr die Lust, eine Systematik zu erproben […]. Der dritte Abschnitt ist dann der des Textes […] die Instanz
des Textes ist nicht die Bedeutung, sondern der Signifikant in der semiotischen und psychoanalytischen Ver-
wendung dieses Terminus; der Text geht über das frühe literarische Werk hinaus […].“ (Barthes 1988: 8–12)

Das Primat der Sprache ist als Basis der Überlegungen Barthes’ innerhalb der ersten Phase
zu verstehen – Sprache als „soziales Objekt“ umgibt die Epoche des Schriftstellers (Barthes
1959: 13). Die Schreibweise definiert die Freiheit des Schriftstellers innerhalb der Sprache,
und der Stil eines Autors wird durch dessen Biografie geprägt und stellt eine biologische
Verbindung mit der Sprachstruktur dar.
In der darauf folgenden Phase widmet sich Barthes der Semiologie als Wissenschaft und
der Analyse einer Grammatik der Sprache, die innerhalb einzelner Werksstrukturen und für
Gattungen insgesamt zur Geltung kommt. Hier bewegt ihn die Auseinandersetzung mit dem
Modesystem dazu, eine wichtige Schlussfolgerung zu ziehen, wie Gabriele Röttger-Denker
präzise formuliert:
„Das Postulat von de Saussure, nach dem die Linguistik in der Semiologie enthalten sei, muß umgekehrt wer-
den. In der westlichen Gesellschaft, so Barthes’ Erkenntnis, haben die Zeichen, Mythen und Riten Vernunft-
gestalt angenommen, d.h. sie besitzen letztlich die Gestalt einer Sprache. Mit dieser neuen Einsicht in die
sprachliche Verfaßtheit aller Zeichen verliert die Semiologie ihren besonderen Reiz für Barthes. Er kehrt be-
lehrt zurück zu Sprache, Literatur und Kunst. Nicht um das bisher Bedachte zu verwerfen, sondern um sich auf
seiner Folie künftig freier, und das heißt für ihn individuell kreativer, zu bewegen.“ (Röttger-Denker 1989: 26)

Die dritte Phase als Rückwendung zu Sprache, Literatur und Kunst ist durch eine Abkehr
von strukturaler Analyse gekennzeichnet. Barthes stellt sich „eine antistrukturale Kritik vor:
Roland Barthes: Zeichen, Kommunikation und Mythos 23

sie würde nicht der Ordnung, sondern der Unordnung des Werkes nachgehen“ (Barthes
1978: 161). Geprägt durch diese Wendung plädiert er für Textunabhängigkeit, der geschrie-
bene Text ist als Bedeutungssystem unabhängig von dessen Produzierenden – Literatur wird
nicht als Produkt, sondern als Zeichensystem untersucht.
Bedeutung wird also durch den Gesamtzusammenhang gewährleistet und die Beziehung
zwischen Autor und Werk ist „keine pointillistische Beziehung, die die vereinzelten […]
Ähnlichkeiten addiert, sondern eine Beziehung zwischen dem ganzen Autor und dem ge-
samten Werk, eine Beziehung der Beziehungen“ (Barthes 1969: 59). Barthes’ Konzeption
einer Literaturkritik richtet sich gegen die bestehende akademische Literaturkritik, die sich auf
Objektivität der Werke beruft und die Autorinnen und Autoren und deren Monografien in
den Mittelpunkt stellt und somit nichts weiter erreicht als fragmentarische Literaturchronik
statt einer Literaturgeschichte (vgl. Barthes 2001: 178–185).
In den Fokus rückt Barthes die Rezipierenden – sie sind durch unterschiedliche Codes1
mit dem Text verbunden – da keine endgültige Interpretierbarkeit des Textes existiert und
der Text Medium für eine Unendlichkeit von Texten wird: „einen Text interpretieren heißt
nicht, ihm einen […] Sinn geben, heißt vielmehr abschätzen, aus welchen Pluralen er gebil-
det ist“ (Barthes 1976: 9). Rezipierende sind „selber schon eine Pluralität anderer Texte, un-
endlicher Codes, […] so dass [s]eine Subjektivität letztlich etwas von der Allgemeinheit von
Stereotypen hat“ (Barthes 1976: 14). Wichtig wird die Konnotation (besonders die Vielfalt
ihrer Codierbarkeit) als Analysemodell des Pluralen, die ihrerseits auf das Konstrukt der
Textoffenheit verweist, da das Konnotationssignifikat im gleichen Text, in anderen Texten
oder außerhalb des Texts existieren kann: Relevant wird hierbei das Konzept der Intertextu-
alität des Textes.

3. Das Zeichen
Die Analyse der Bedeutung von Text bedeutet immer auch Analyse von Zeichen und Zei-
chensystemen. In diesem Verfahren orientieren sich die Cultural Studies an Barthes und be-
ziehen seine Überlegungen auf die Medialität von Text und auf die darin enthaltenen Be-
deutungs- und Zeichenstrukturen.
Die Funktionsweise des Zeichens gründet in der gegebenen Struktur der Sprache und
unterstreicht damit die Wichtigkeit des Zeichenbegriffs für die Cultural Studies als „inter-
oder transdisziplinäres Projekt“ (Hepp 1999: 15). Barthes übernimmt die von de Saussure
entwickelte Definition von Sprache mit ihrer Unterteilung von langue und parole. Langue
ist in dieser Unterscheidung als Sprachsystem zu verstehen, und de Saussure bezeichnet es
„als ein System von Zeichen“ (de Saussure 1967: 22). Der Systemcharakter der langue be-
dingt deren Komplexität und somit lässt sie sich niemals in einem einzelnen Sprechakt als
Ganzes realisieren, sondern existiert „virtuell im sprachlichen Handeln aller Mitglieder ei-
ner Sprachgemeinschaft“ (Hepp 1999: 26). Die parole hingegen bezeichnet den einzelnen
Äußerungsakt von Sprache, der durch das Sprechen vollzogen wird: Parole als „ein in ei-
nem spezifischen Kontext lokalisiertes kommunikatives Handeln“ (Hepp 1999: 26). Barthes
ergänzt diese Zweiteilung um eine dritte Komponente, diejenige der „Materie oder Sub-
stanz, das der (notwendige) Träger der Bedeutung wäre“ (Barthes 1983: 28). Gerade dieser

1 „Der Leser als Ort der Basiskodes […]“ (vgl. die Ausführungen über den Strukturalismus von Culler 1997:
179f.).
24 Lars Grabbe & Patrick Kruse

Bedeutungsträger ist relevant, da die Sprache nicht nur ein System von Verschiedenheiten
(de Saussure) darstellt, sondern sich durch unterschiedliche Volumen zwischen Sprachen
und ihren Worten auszeichnet (vgl. Barthes 1983: 28).
Bewegen wir uns von der Systemebene des Zeichens in dessen linguistische Struktur-
ebene, so lässt sich das Zeichen als Relation2 von Signifikant und Signifikat bezeichnen. Der
Signifikant ist das Lautbild, dem eine Bedeutung/Vorstellung zugeordnet ist (Ausdrucks-
ebene). Das Signifikat ist eben diese Bedeutung/Vorstellung (Inhaltsebene). Barthes ergänzt
diese Zeichendefinition um eine Präzisierung Hjelmslevs: Signifikant und Signifikat sind
beide unterscheidbar nach Substanz und Form:
„1. Ausdruckssubstanz: z.B. die lautliche, artikulatorische, nicht funktionale Substanz, mit der sich die Pho-
nologie befasst; 2. Ausdrucksform, die aus den paradigmatischen und syntaktischen Regeln besteht […]; 3. In-
haltssubstanz: dies sind z.B. die emotiven, ideologischen oder einfach begrifflichen Aspekte des Signifikats,
sein ‚positiver‘ Sinn; 4. Inhaltsform: die formale Organisation der Signifikate untereinander, aufgrund der An-
wesenheit oder Abwesenheit eines semantischen Merkmals; dieser letzte Begriff ist sehr schwer zu fassen, weil
es bei der menschlichen Rede unmöglich ist, die Signifikate von den Signifikanten zu trennen […].“ (Barthes
1983: 34–35)

Die Ausdrucksform bietet die Möglichkeit zur linguistischen Analyse und kann ohne Wider-
spruch beschrieben werden, die Inhaltssubstanz jedoch ist die Gesamtheit der Aspekte der
sprachlichen Phänomene und kann ohne außersprachliche Prämissen nicht beschrieben wer-
den (vgl. Barthes 1983: 34f.).
Barthes unterscheidet hier sprachliche von semiologischen Zeichen bezüglich des Unter-
schieds auf der Ebene der Substanz: Semiologische Zeichen sind als „Funktions-Zeichen“
in einem ersten Schritt Zeichen ihrer selbst, werden dann aber in einem zweiten Schritt zu
semiologischen Zeichen mit abstrahierter Bedeutung: Ein Regenmantel bedeutet einerseits
Schutz vor Regen, ist aber andererseits Zeichen für eine bestimmte atmosphärische Situa-
tion. Barthes hebt zudem den „anthropologischen Wert“ der Funktions-Zeichen hervor, da
sich dort die „Beziehungen zwischen dem Technischen und dem Signifikanten knüpfen“
(Barthes 1983: 35f.).
Die Struktur der Zeichen macht deutlich, dass sie verschiedenartige Bedeutungsaspekte
besitzen können – hier wird die Unterscheidung von Denotation (primärer Bedeutungs-
aspekt) und Konnotation (sekundärer Bedeutungsaspekt) relevant. Die Denotation ist die
durch Konvention festgelegte Bedeutung eines Zeichens innerhalb eines Zeichensystems.
Zeichen beinhalten aber eine gewisse Tendenz zur semiologischen Verschiebung. Somit
können „Zeichen selbst wieder zum Signifikanten, zur Ausdrucksebene eines zweiten Zei-
chensystems werden“ (Hepp 1999: 31). Die Konnotation findet sich genau in diesem zwei-
ten Zeichensystem und lässt sich als „Bedeutungskomponente begreifen, die die Grundbe-
deutung überlagert und sich einer vom Kontext abstrahierenden Bedeutung entzieht“ (Hepp
1999: 31). Barthes als Ideologiekritiker wendet sich diesem Phänomen in seinen Untersu-
chungen über den Mythos zu, die wir im folgenden Kapitel vertiefend betrachten.
Ein für die Cultural Studies wichtiger Aspekt ist die Beziehung zwischen den einzelnen
Zeichen und den Dingen, die sie bezeichnen – die Beziehungsrelation. Diese Relation ist
nicht natürlich, da aus den Lautfolgen eines Begriffs keine tatsächliche Beschaffenheit ei-
nes Gegenstands ableitbar ist. Die Beziehungsrelation ist arbiträr, d.h. nicht motiviert. Es ist
zu beachten, dass die Relation von Lautfolge und Sache und die damit verbundene Bedeu-
2 „Zur Definition eines Zeichens gehört seine Fähigkeit, aufgrund eines Kodes einen Zusammenhang zwischen
Signifikant und Signifikat herzustellen […]“ (Eco 1977: 170).
Roland Barthes: Zeichen, Kommunikation und Mythos 25

tungskonstitution nicht willkürlich funktioniert, sondern als ein institutionalisierter Prozess


innerhalb einer Sprachgemeinschaft zu betrachten ist: Bedeutung ist bereits auf der Zeichen-
ebene „kulturell lokalisiert“. Somit spiegelt Sprache als soziales Phänomen nicht die Rea-
lität wider, sondern trägt zur Wirklichkeitskonstruktion bzw. Artikulation von Kultur bei
(vgl. Hepp 1999: 27). Ein Beispiel für Zeichen, die aufgrund eines kulturellen Regelwissens
(konventionsbedingt) Bedeutung generieren, sind Symbole. Weitere Zeichentypen sind Iko-
ne, die eine von vornherein feststehende Assoziation bei Adressatinnen und Adressaten her-
vorrufen, und Indizes, die Bedeutung durch kausale Schlüsse bedingen (Verweisstruktur:
Erröten als Index für Scham etc.).
Barthes’ Zeichentheorie wird im Laufe seiner Forschung um die Ebene des Mythos erwei-
tert. Auf der Konzeption des Mythos rekurrierend entwickelt Barthes schließlich seine Lite-
raturtheorie, nach der Literatur als sekundäres Zeichensystem anzusehen ist. Struktural gese-
hen ist Literatur – wie der Mythos – ein parasitäres Objekt der Sprache (Barthes 1969: 108).

4. Der Mythos
Nach Barthes vermag alles, was Träger eines Zeichen werden kann, potenziell Mythos zu
werden (zur folgenden Abbildung siehe auch Barthes 1957: 93).

Die mythische Botschaft besteht wie ihr zeichenhafter Träger aus einem Bedeutenden (Sig-
nifikant) und einem Bedeuteten (Signifikat). Im Mythos sind somit zwei semiologische Sys-
teme enthalten: Das eine ist die Objektsprache, die Sprache, „derer sich der Mythos bedient,
um sein eigenes System zu errichten“ (Barthes 1957: 93). Das andere ist die Metasprache –
der Mythos selbst: Ein „sekundäres semiologisches System“ (Barthes 1957: 92).
Als Beispiel für die Bildung eines Mythos soll hier Barthes’ Beschreibung eines Titel-
bilds von Paris-Match dienen: Ein junger schwarzer Mann in französischer Uniform erweist
den militärischen Gruß und richtet dabei seinen Blick auf die Trikolore. Das ist das Zeichen
als Ganzes, der Sinn des Bildes. Dieses Zeichen dient dem Mythos als Bedeutendes resp. als
Form. Zusammen mit dem Bedeuteten – dem Begriff – verbindet sich die Form zum My-
thos, der aussagt, „daß Frankreich ein großes Imperium ist, daß alle seine Söhne, ohne
Unterschied der Hautfarbe, treu unter seiner Fahne dienen und daß es kein besseres Argu-
ment gegen die Widersacher eines angeblichen Kolonialismus gibt als den Eifer dieses jun-
gen Negers, seinen angeblichen Unterdrückern zu dienen“ (Barthes 1957: 95).3
Das ursprünglich Bedeutende ist zwar im Mythos immer noch präsent, jedoch weitge-
hend sinnentleert: Sinn wird zu Form. Das Bedeutende wird seiner Geschichte beraubt und

3 Dass bei Interpretationen von Bildern zudem unterbewusste Prozesse wirken, zeigt Barthes in seinen Ausfüh-
rungen zum Punktum auf (Barthes 1985: 119ff.).
26 Lars Grabbe & Patrick Kruse

bleibt als bloße Form für den Mythos zurück. Darin offenbart sich der Kern von Barthes’
Untersuchungen des Mythos: Er verkehrt Geschichte in Natur, die wiederum als Fakten-
system gelesen wird. Da der Mythos dem Objekt, von dem er spricht, jede Geschichte ent-
zieht, verewigt er es. Das macht ihn für den Kleinbürger zum perfekten tautologischen Er-
klärungsmodell seiner Aussage.
„Der Mythos tendiert zum Sprichwort. Die bürgerliche Ideologie bringt hier ihre wesentlichen Interessen un-
ter: den Universalismus, die Ablehnung einer Erklärung, eine unveränderliche Hierarchie der Welt.“ (Barthes
1957: 145)

Wo Mythisches ist, ist damit auch meistens Bürgerliches – das macht den Mythos zum ide-
alen Instrument der herrschenden Klasse. Dieser Tatsache widmet sich Barthes im ersten
Teil der Mythen des Alltags. Indem er Produkte und Ereignisse der modernen Massenkultur
betrachtet, entlarvt er die diversen Zeichensysteme (der Sport, die Fotografie, der Film, die
Werbung, Reklame usw.) als Träger mythologischer Aussagen (Barthes 1957: 86).
„Das Beispiel des Alltagsmythos verdeutlicht sehr gut, dass Zeichen und Texten auf konnotativer Ebene ver-
schiedenste Bedeutungspotenziale zukommen können, die zwar beliebig sind, aber jenseits der eigentlichen,
denotativen Bedeutung liegen. Man spricht in diesem Zusammenhang von der Polysemie von Texten.“ (Jurga
1997: 132)

Diese Ausformung seiner Semiologie als Ideologiekritik, angewendet auf massenkulturelle


Phänomene, zeigt dabei einmal mehr Barthes’ tragende Rolle innerhalb der Cultural Studies.

5. Roland Barthes und die Cultural Studies


Die medienanalytische Forschung der Cultural Studies orientiert sich am strukturalistisch-
semiologischen Ansatz Barthes’. Das Objekt ihrer Analyse sind mediale bzw. soziale Texte:
„Gerade Medienereignisse bieten sich an, als soziale Texte interpretiert zu werden. Der wachsende mediale
Einfluss auf soziale Situationen und auf die damit bewusst oder unbewusst verbundenen Symbolisierungen
bietet ein zusätzliches Argument für eine Rezeption, welche die Codes, Mythen und Interpretationsangebote
des Sozialen hervorhebt.“ (Moser 2004: 18)

Früh schon hat Barthes die Rezipierenden bzw. die Leserinnen und Leser und deren Rolle
innerhalb des Prozesses der Bedeutungsgenerierung zum Mittelpunkt seiner Forschung ge-
macht. In seinem Aufsatz „Der Tod des Autors“ lässt er sogar den Autor sterben, um den Le-
ser als Generator von Bedeutungen gebären zu können:
„[Ein] Text besteht aus vielfachen, mehreren Kulturen entstammenden Schreibweisen, die untereinander in ei-
nen Dialog, eine Parodie, ein Gefecht eintreten; nun gibt es aber einen Ort, an dem sich diese Vielfalt sammelt,
und dieser Ort ist nicht, wie bisher gesagt wurde, der Autor, sondern der Leser […]“ (Barthes 1984: 62f).

Die Cultural Studies folgen Barthes, wenn sie sich der Bedeutung von Texten und Zeichen
widmen und aufzeigen, wie sie innerhalb eines Kommunikationsprozesses generiert und
evtl. verändert wird. Das Ziel ist die Beschreibung der Sinn und Bedeutung zuweisenden
Aktivitäten der Rezipierenden – den Konstruktiven der sozialen Wirklichkeit. Diese Be-
schreibung geschieht vor dem Hintergrund der diskursiven Strukturen, die die jeweiligen
kulturellen Gefüge durchziehen. Die Decodierung kultureller bzw. medialer Texte ist ab-
hängig von den herrschenden Diskursen einer Gesellschaft – sie geben die bevorzugte Les-
art der Rezipierenden vor. Diese Diskurse sind, wie Barthes in seinen Untersuchungen des
Mythos aufzeigt, der Motor im Kampf um Bedeutungen von Texten und Zeichen (Udo Gött-
lich 1997: 110).
Roland Barthes: Zeichen, Kommunikation und Mythos 27

Barthes’ Loslösung von einer Semiologie der Zeichen und seine Hinwendung zum My-
thos, zur Literaturtheorie, Literaturkritik und dem Phänomen der Intertextualität, schufen
die Basis für die Cultural Studies, die Analyse medialer Texte und deren Einbettung in ge-
sellschaftliche Kommunikationsprozesse und damit in Prozesse der Wirklichkeitsbildung.
Zwar findet sich bei Barthes keine explizit ausgearbeitete Kommunikationstheorie, den-
noch sind in seinem Werk Elemente einer solchen zu finden, die später von den verschiede-
nen Vertretern der Cultural Studies aufgegriffen, erweitert und in die Analyse des Kommu-
nikationsprozesses aufgenommen werden.
Für seine Literaturtheorie zieht Barthes das Kommunikationsmodell von Roman Jakob-
son (Jakobson 1971: 142ff.) heran, um zu klären, wodurch eine sprachliche Mitteilung zu
einem Kunstwerk wird. Barthes entwickelt eine rhetorische Analyse, deren Kernelement der
rhetorische Code ist, der den literarischen Text in der Gesellschaft verankert. Das bedeutet:
Der rhetorische Code, den sowohl Sender als auch Empfänger beherrschen müssen, ist ge-
sellschaftlich determiniert und erlaubt Leserinnen und Lesern ein Entschlüsseln des Textes
(Barthes 1984: 129). Hier offenbart sich das Problem der Polysemie, dem sich später auch
John Fiske und David Morley (siehe auch die Beiträge zu John Fiske und David Morley in
diesem Band) in der Analyse von Kommunikationsprozessen und diskursiven Strukturen
widmen. Barthes’ Literaturtheorie ist damit eine Vorstufe dessen, was die Cultural Studies
schließlich daran vollziehen: Die Ausweitung der Kommunikationsproblematik auf media-
le Texte, die Verschmelzung mit diskursiven und damit ideologischen Strukturen und die Er-
weiterung der Theorie um ihren symbolbildenden Charakter.

6. Kommunikation
Der Kommunikationsprozess spielt in den Cultural Studies eine zentrale Rolle, da er die
Produktion, Zirkulation und Rezeption kultureller bzw. medialer Texte beschreibt. Kommu-
nikation ist ein symbolischer Prozess, der Realität produziert, transformiert und signifikante
Symbole erschafft. Für Norman K. Denzin ist der Begriff allerdings noch weiter zu fassen:
„[…] I understand communication to refer to an ensemble of social practices, social forms, social relationships,
and technologies of representation which construct definitions of reality. The social practices, relationships of
communication symbolically interact. They […] produce particular ideological, emotional, and cultural mea-
nings which are connected to the lived experiences of interacting individuals.“ (Denzin 1992: 98)

Nach Stuart Hall (siehe auch der Beitrag zu Stuart Hall in diesem Band) ist der Kommuni-
kationsprozess als Struktur anzusehen, die sich durch die miteinander verbundenen, aber ei-
genständigen Momente Produktion, Zirkulation, Distribution/Konsum und Reproduktion ar-
tikuliert. Er orientiert sich innerhalb seiner Theorie an der Güterproduktion nach Marx.
Hall verfolgt den Weg der Nachricht vom Sender zum Empfänger: Die Struktur gesell-
schaftlicher Praktiken bedient sich eines Codes und bringt eine Nachricht hervor. Diese
Nachricht zirkuliert innerhalb des gesellschaftlichen Diskurses, dann wird sie vom Emp-
fänger decodiert und hält wieder Einzug in die Struktur gesellschaftlicher Praktiken.
Die Elemente der Nachricht – z.B. Wirkung und Nutzen – werden von Verständnis-
strukturen vorgegeben, die der Realisation der Nachricht die entsprechende Form verleihen.
Das bedeutet, dass die Codes der Codierungs- und Decodierungsprozesse nicht vollkommen
symmetrisch sein müssen. Die Grade der Symmetrie bestimmen die Grade des Verstehens
(Hall 1980: 97), jedoch kann der Codierungsvorgang nicht festlegen, welche Decodierun-
gen zur Anwendung kommen.
28 Lars Grabbe & Patrick Kruse

Die Codierung und Decodierung medialer Texte orientiert sich an den herrschenden Ide-
ologien innerhalb eines gesellschaftlichen Diskurses. Tiefe semantische Codes einer Kultur
„stellen die Mittel dar, vermöge derer Macht und Ideologie in bestimmten Diskursen zum
Tragen gebracht werden. Sie führen die Zeichen auf die ‚Landkarten der Bedeutungen‘ zurück,
in die jede Kultur eingeordnet wird. Solchen ‚Landkarten der sozialen Wirklichkeit‘ ist die ge-
samte Bandbreite sozialer Bedeutungen, Praktiken und Bräuche, von Herrschaft und Interesse
‚einbeschrieben‘“ (Hall 1980: 102). Daher lässt sich auf der konnotativen Ebene der Zeichen
der aktive Anteil von Ideologien im und am Diskurs beobachten – das Zeichen tritt „in den
Kampf um Bedeutungen ein – den Klassenkampf in der Sprache“ (vgl. Hall 1980: 101).
Halls Ausarbeitung der drei idealtypischen Lesepositionen (dominant-hegemonic posi-
tion, negotiated position, oppositional position) zeigt auf, dass Bedeutungen von einer Sig-
nifikationspraxis abhängig sind (Winter 1997: 52). Damit verlagert sich die Aufmerksam-
keit auf die Rezipierendenebene und es wird die Frage nach dem Sinn eines medialen Textes
laut.4 In diesem Kontext bezeichnet der Begriff der Polysemie die Lesevielfalt eines Textes,
wobei Lesevielfalt nicht mit Pluralität verwechselt werden darf.
Nach Hall tendiert eine Gesellschaft dazu, eine Hierarchisierung ihrer Codierung vorzu-
nehmen – damit formiert sich eine dominante kulturelle Ordnung: eine bevorzugte Lesart.
Ein Ansatz, der auf Barthes’ Beschreibung des Mythos rekurriert.
Mit seinem „encoding/decoding“-Modell gelingt es Hall zu zeigen, welche ideologische
Macht Medien ausüben können, indem er auf die Durchsetzung und die Aushandlung von
Bedeutungen innerhalb der Codierung und Decodierung medialer Texte hinweist.
Ähnlich wie Hall widmet sich auch Fiske den Rezipierenden als Bedeutungsproduzie-
renden und ihrer gesellschaftlichen Situation. Als Vertreter der Cultural Studies beziehen sich
beide auf den strukturalistisch-semiotischen Ansatz des späten Barthes, der aufzeigt, dass
Bedeutungen nichts Stabiles, sondern gesellschaftlich konstruiert sind (Barthes 1987: 73f).
Fiske entwickelt eine Kommunikationstheorie, in der das soziale Subjekt eine entschei-
dende Instanz innerhalb der Generierung von Bedeutungen bildet. Texte weisen zwar Struk-
turen auf, die bestimmte Lesarten bevorzugen, sind jedoch nicht strikt determinierend
(Fiske 1987: 84). Die Polysemie ist für ihn Bestandteil textueller Offenheit. Er betont – wie
schon Barthes vor ihm – dass Bedeutungsgenerierung von den aktivierten gesellschaftlichen
Diskursen abhängig ist (Jurga 1997: 133).
Fiskes Theorie des Diskurses ermöglicht ihm, „die besonderen historischen, sozialen
und politischen Bedingungen der Sinnproduktion zu erfassen“ (Winter 1997: 57). Er sieht
die Rezeption und Aneignung medialer Texte als soziale Ereignisse an, in denen sich ge-
sellschaftliche Differenzen, aber auch Herrschaftsverhältnisse manifestieren. Da sie Teil der
Zirkulation von Bedeutungen sind, muss jeder Text auf die möglichen Kontexte seiner Re-
zeption bezogen werden – die Strukturen populärer Texte korrespondieren mit den gesell-
schaftlichen Strukturen. So lassen sich Kommunikationsprozesse beschreiben und die Co-
dierung und Decodierung kultureller Texte analysieren.

7. Der kulturelle Text


Es wohnt dem medienanalytischen Ansatz der Cultural Studies inne, soziale Ereignisse als
kulturelle, soziale oder mediale Texte anzusehen. So werden Sport, Mode, Film, Themen-

4 Barthes hat dieses Problem der Polysemie schon in „Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn“, aber auch
in „S/Z“ angeschnitten.
Roland Barthes: Zeichen, Kommunikation und Mythos 29

parks, Internetpräsenzen, Körper usw. zu Medientexten, die es mittels strukturalistisch-


semiologischer Ansätze zu analysieren gilt. Das erscheint sinnvoll, wenn man bedenkt, dass
allen sozialen Ereignissen das Problem der Bedeutungsgenerierung zugrunde liegt.
Der Textbegriff der Cultural Studies geht auf Barthes zurück, der den Text vom ge-
wöhnlichen Gegenstand eines Konsums – dem Werk – abgrenzt. Nach Barthes ist das Werk
ein lebloses Objekt aus festen Signifikanten, erst wenn es tatsächlich gelesen wird, wird das
Werk zum Text. Dieser Text ist „ein Geflecht von Zitaten, die aus den tausend Brennpunk-
ten der Kultur stammen“ (Barthes 1984: 61f) und damit auch immer Intertext:
„[Any] text is an intertext; other texts are present in it, at varying levels, in more or less recognisable forms:
the texts of the previous and surrounding culture.“ (Barthes 1981: 39)

Um die Intertextualität eines jeden Textes hervorzuheben, arbeitet Barthes fünf Codes her-
aus: sprachlicher Code, rhetorischer Code, hermeneutischer Code, Handlungscode, symbo-
lischer Code. Diese Codes – oder Stimmen – verbinden den Text mit allen Texten, die vor
ihm geschrieben oder gelesen wurden: „Der Code ist eine Perspektive aus Zitaten […], die
Pflugspur [eines] Schon“ (vgl. Barthes 1976: 25f.). Ohne sie gäbe es den Text nicht.
Barthes differenziert den Text in die Struktur von lesbaren und schreibbaren Texten. Der
lesbare Text stellt keinen großen Anspruch an Leserinnen und Leser, fordert von ihnen „re-
lativ wenig Mitarbeit bei der Konstituierung von Sinn“ (Jurga 1997: 134) und lässt zudem
nur eine begrenzte Anzahl von Lesarten zu. Der schreibbare Text hingegen fordert im Akt
des Aneignungsprozesses den Text „neu zu schreiben“ (Hepp 1999: 71) und repräsentiert
damit einen hohen Grad von Offenheit und unterschiedlichen Lesarten. Die für die Cultural
Studies wichtige Kategorie des produzierbaren Texts (von Fiske entwickelt und auf das
Fernsehen angewendet; Jurga 1997: 135) greift Barthes’ Dichotomie von lesbaren und
schreibbaren Texten auf und verbindet deren Merkmale miteinander:
„Mit dem lesbaren hat der produzierbare Text die Einfachheit seiner Lektüre gemeinsam, auch er steht in kei-
nem oder nicht nennenswertem Kontrast zu bestehenden Konventionen und verfügt so über eine leichte Zu-
gänglichkeit. Gleichzeitig legt der produzierbare Text aber – ähnlich dem schreibbaren – seine Widersprüche,
Grenzen und Schwächen offen. Dies ist durch das Vorhandensein von polysemen Bedeutungspotenzialen,
durch seine Offenheit bedingt.“ (Hepp 1999: 72f.)

Mediale Texte wie Mode, Film oder auch Körper lassen sich auf unterschiedliche Arten und
Weisen lesen. Lesen bedeutet hier nicht das bloße Identifizieren von Zeichen, sondern die
Fähigkeit, Zeichen zueinander in schöpferische Beziehung zu setzen (Hall 1980: 104).
Diese Fähigkeit des Lesens ist in unterschiedlichen kulturellen Gruppen unterschiedlich
ausgeprägt. Barthes spricht in diesem Zusammenhang von Gruppensprachen – den soge-
nannten Soziolekten (vgl. Barthes 1984: 125). Die Bedeutungsgenerierung basiert auf den
immanenten Verständnisstrukturen kultureller Gruppen.
Man kann also sagen, dass das Textverständnis dem Kulturverständnis dient. Daher ist
es notwendig, kulturelle Subsysteme und die in ihnen zur Anwendung kommenden Sozio-
lekte mit in die Analyse medialer Texte einzubeziehen.

Literatur
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