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Illustriert
von Stefanie Jeschke
Kinder- und Jugendbuchverlag
in der Verlagsgruppe Random House
1. Au age 2016
© 2016 cbt Verlag in der Verlagsgruppe
Random House GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten
Illustrationen von Stefanie Jeschke
Umschlaggestaltung: Geviert Gra k & Typogra e,
unter Verwendung einer Illustration von Stefanie Jeschke
TP · Herstellung: kw
Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach
ISBN: 978-3-641-17728-7
V001
www.cbt-buecher.de
Für Daniel.
Für Rebecca, Jonas und Marie.
Kapitel 1
d h d h
sünd-mäh-dresch-es auf beiden Seiten. Noch einmal
pinselte ich hinein: »M+S«.
Erneut fuhr meine beste Freundin auf. Mit einer hektischen
Handbewegung wischte sie unsere In-ih-zieh-Alien weg.
»Lass das! Ich will nicht, dass du das machst«, zickte sie.
»Was soll ich nicht machen? Unsere Namen irgendwo
hinschreiben? Willst du nicht mehr meine Freundin sein?«,
fragte ich. Und es klang so bange, wie ich mich gerade fühlte.
Vor Weihnachten war ich nämlich so allein gewesen, so ohne
Freunde, dass ich immer noch Angst hatte, irgendwann
wieder ohne Felix, Shirin und Svenja dazustehen. Einsam
statt gemeinsam.
»Wieso nicht mehr deine Freundin sein?«, fragte Svenja ratlos
zurück.
»Wenn du unser Herz wegwischst!«
»Aber das ist doch gar nicht unser Herz.«
Und da begriff ich. Wie schmelzender Schnee tropfte es von
meinen Augen: Das war nicht mein M. Es musste noch ein
anderes M geben!
Ich begann zu rätseln. Um ein anderes Mädchen würde sie
nicht so ein albernes Geschepper machen. Es musste also ein
Jungenname sein.
»Wer ist denn jetzt dieser M?«, fragte ich. Depp-Lohn-matt-ih
hinzu: »Und übrigens, M steht für noch was. Nicht nur für
Mmmmmira, sondern auch für Mmmmmir-kannst-du-es-ruhig-
erzählen-ich-verrate-nichts.«
Svenja seufzte und gab auf: »Maurice.«
Maurice?!? Wer war denn das?
Der Name sagte mir gar nichts. Null. Nix. Das hat nicht viel
zu sagen, die meisten Namen sagen mir nix, ich verwechsle
immer alle Marios mit den Marcos, die Majas mit den
Marthas. Also merke ich mir statt Namen lieber Eigenschaften
wie die Schüchterne, der Torhüter, der Tröstebusen oder so.
Das sagt doch viel mehr aus als so ein blöder Name ohne
Aussage.
»Kenn ich den?«, fragte ich vorsichtig.
»Ja, natürlich kennst du den! Der geht in die Vierte, ist so ein
Stück größer als ich.« Sie spannte dabei Daumen und kleinen
Finger mag-sie-mal auseinander und hielt sich die
Fingerspanne über den Kopf. »Und ziemlich sportlich. Und er
ist immer bei den Fußballern dabei. Dunkle Haare. Längere
Haare.«
Langsam dämmerte es mir. Den gab es wirklich: Dieser M war
ein guter Kumpel von dem Pinscher und dem Breiten, den
Fußball-Chefs bei den Vierties. Ich sah ihn jetzt vor mir: ein
hochgeschossener Kerl mit Sommersprossen, der irrsinnig
schnell schießen konnte. Nicht nur mit dem Fuß. Auch mit
dem Mundwerk.
Na toll, dachte ich. Den hatte ich immer unter Mmmag-ich-
nicht abgespeichert. Ich hätte ihn mir auch als
Mmmaulaufreißer merken können. Denn das Einzige, was
noch größer war als er selbst, war sein Selbstvertrauen. Eine
größere Klappe hatte auf unserem Schulhof keiner.
Und den fand Svenja gut?!? Das war ja schon nicht mal mehr
geschmacksverirrt, das war schon regelrecht
geschmackswahnsinnig!
Natürlich konnte ich das meiner besten Freundin nicht sagen.
Das gehört sich nicht, jemanden schlecht zu machen, den die
beste Freundin anschwärmt. Goldene Freundschaftsregel
Nummer 15.
Aber ich kam sowieso nicht zu Wort. Svenja plapperte schon
weiter: »Maurice war bei mir im Skikurs. In der gleichen
Gruppe wie ich. Er kann ganz toll Ski fahren. Und er ist
wirklich total nett. Und er hat eine coole grüne Mütze. Und er
hat grüne Augen. Und er hat gesagt, dass ich auch gut Ski
fahren kann. Und er …«
Ich hatte nicht mitgezählt, aber nach geschätzt 534-mal »Und
er …« holte meine beste Freundin das erste Mal Luft. So sehr
hatte sie sich in Fahrt gequasselt. In Schussfahrt!
Währenddessen grübelte ich, was Svenja an dem wohl toll
nden konnte. Vielleicht war er ja, wenn er mit einem allein
redete, tatsächlich ganz nett. Die meisten Jungs, mit denen
man ab und zu allein vernünftig reden kann, werden laut und
doof, sobald andere Jungs dabei sind. Da gibt es nur wirklich
wenige Ausnahmen.
Mein längster Freund Felix zum Beispiel, den kenne ich so
lange, dass er mir schon ins Badewasser gestrullert hat. Der
hat dieses Aufschneiden gar nicht nötig. Dazu ist er viel zu
schlau.
Die andere Ausnahme ist mein großer Bruder Linus. Der ist
doof, wenn andere Jungs dabei sind, und doof, wenn ich mit
ihm allein bin.
Aber weiter im Text, Svenja war weiter im Text.
»Weißt du, dass ich mich schon voll auf die Schule freue?«
Das war der endgültige Beweis: Sie war wahnsinnig
geworden!
»Du freust dich auf die Schul-äh?«, fragte ich ungläubig
zurück.
»Ja, doch«, nickte sie eifrig, »nur auf die Pausen natürlich.
Dann sehe ich …« Svenja stoppte ab-robbt und sah mich
streng an.
»Du darfst aber nix erzählen, Mira. Ja?«
»Versprochen: Ich erzähle nichts.«
»Versprochen und geschworen?«
»Versprochen und geschworen.«
Und das ließ sich Svenja sogar noch schriftlich geben.
»Ich, Mira Kurz, sage niechts über M. Fersprochen und
geschwohren«, schrieb ich also auf einen Zettel.
»Du musst ihn noch mit Blut unterschreiben«, forderte
Svenja. »Das macht man so, wenn man schwört.«
»Neee!!!!«
Schließlich einigten wir uns darauf, mit rotem Filzer unsere
Finger anzumalen und Fingerabdrücke auf unseren Vertrag
zu drücken. Danach, weil noch so viel Farbe dran war,
drückten wir jeder dem anderen den Finger noch einmal auf
den Handballen. Und dann malten wir uns noch mal an und
machten uns noch mehr Fingerabdrücke. Und einen
Daumen eck oben auf die Stirn, zwischen die Augen, da, wo
die Nase anfängt.
»Jetzt sind wir indische Blutsbrüder …«, sagte ich,
»Blutsbrüderinnen.«
Svenja kicherte, legte die Hand ächen über dem Kopf
zusammen, lächelte Matjes-Stehtisch und wackelte mit dem
Kopf hin und her. »Mein Papa war mal in Indien. Da begrüßt
man sich mit Namaste.«
»Nahm-Ast-Tee«, sprach ich nach. Und wackelte auch ein
bisschen mit dem Kopf zwischen meinen Armen.
Jetzt, genau jetzt, war Svenja endlich wieder ganz die Alte.
Aufgetaut, lebendig und lustig. Meine beste Freundin eben.
Als sie leider schon gehen musste, fragte ich sie noch: »Wenn
wir nach den Ferien in der Schule wieder umgesetzt werden –
sollen wir uns dann zusammensetzen? Morgen? Ja?«
»Ja«, kicherte Svenja, »Ja, ja. Ja. Nahm-Ast-Tee.« Sie legte die
Hand ächen vor der Brust zusammen und verbeugte sich
leicht.
Ich grüßte und verbeugte mich zurück.
Dann war meine beste Freundin weg, und ich freute mich
auch schon ein klein wenig auf die Schule.
Kapitel 2
Wörterschlacht am P-Zeh
Jetzt war ich genauso ratlos wie vorher. Eine Umfrage? Ich
sollte umfragen? Und wen jetzt? Und was jetzt?
Immerhin hatte ich frei und konnte jemanden um Rat fragen.
Ich rief Shirin an. Wer weiß, vielleicht konnten wir uns ja
sogar noch für den Nachmittag verabreden.
Aber »Nein«, sagte ihre Mutter an der anderen Leitung. »Tut
mir leid, Shirin ist gar nicht da. Sie macht mit Thorsten
Mathe-Hausaufgaben.«
»Hä? Mathe? Wir haben in Mathe doch gar nichts auf …«,
wollte ich noch sagen, doch da hatte Shirins Mama schon
aufgelegt.
Dann musste ich das eben mit jemand anderem bequatschen
– mit meiner besten Freundin Svenja. Während wir beide
gemeinsam ihre Katze streichelten und ein paar
Schneeschauern zusahen, wie sie den Rasen weißtünchten,
suchten wir nach Ideen.
»Frag sie nach ihren Haustieren«, schlug Svenja vor und
kraulte den Tiger unterm Kinn.
Ich zog meine Hand weg, Svenjas Tiger hatte sich gestreckt
und dabei unabsichtlich die Krallen mit ausgefahren.
»Nee«, sagte ich, »so was Kuscheliges, so ein tussiges
Mädchenthema ist nix für mich! Lieber was, wo es kracht.
Richtig kracht. Mehr Spielgeräte und mehr Pausen – so was
Krachiges wie dein M. vorgeschlagen hat.«
Svenja schoss derart ab-robbt hoch, dass ihr Tiger ganz
erschrocken von der Fensterbank sprang. Böse maunzte er
uns nach und stolzierte beleidigt davon.
»Maurice ist bei dir in der Schülerzeitung?«, fragte sie
aufgeregt.
»Mau… rice, ja …«, ich verkniff mir, ihr zu sagen, unter
welchem Namen ich ihn bei mir abgespeichert hatte.
»Und er schreibt noch mal was?«
»Wir wollen längere Pausen und mehr Spielgeräte.«
»Ganz schön mutig«, seufzte sie.
»Ganz schön sinnlos«, entgegnete ich. »Unsere Reck-Tor-in
So kam ich also zu der Ehre und dem Versprechen, jedes Mal
nach der Schülerzeitungs-AG von ihr abgeholt zu werden.
Nicht weil ich eine Ess-Kurt-Tee bis nach Hause dringend
nötig gehabt hätte, sondern damit Svenja eine Gelegenheit
hatte, mit dem Maulaufreißer zu reden.
Ach, du gute Güte, die Liebe macht nicht nur traurig und
unmutig, sie macht auch albern! Wieder einmal wünschte ich
mir nichts sehnlicher, als gegen diesen ganzen peinlichen
Quatsch im-muhen zu sein. Wenn’s denn nur Pillen oder
Spritzen oder andere Mäh-die-Kamm-Ente gegen die Liebe
gäbe! Aber klar, die gab’s! Man konnte die Liebe vielleicht
nicht mit Spritzen oder Pillen von sich fernhalten. Aber mit
indischer Weisheit!
»Ich muss …«, sagte ich geschwind zu Svenja, itzte nach
Hause, riss in meiner hektischen Suche meine
Stifteschublade aus den Angeln, stellte mich vor Mamas
großen Schlafzimmerspiegel und malte mir mit dem dicken
per-Mann-End-Stift wieder meinen roten Punkt auf die
Stirn. Endlich war ich wieder im-muhen gegen diesen
oberpeinlichen Liebeskummer!
»Nahm-Ast-Tee!«, sagte ich zu mir selbst und verbeugte mich
feierlich.
Kapitel 4
Das Ergebnis:
pochender Handballen
blauer Ellenbogen
1 Regen aus eklig stinkenden Paprikastückchen im Haar
367 Scherben, Reiskörner und Splitter
1 Erschrecken von Mama, als sie einen roten Fleck auf
meiner Stirn sieht
1 Erleichterung, als sie sieht, dass es nur indische Weisheit
und kein Blut ist
1 Donnerwetter von meiner stinkesauren Mama
1 großes Aufräumen für mich
1 großes Aufbäumen von mir
10 Lernwörter, die ich noch lernen muss +
10 Extra-Lernwörter
= Mira hat eine Scheißlaune
irren!«
»Papa«, verteidigte ich mich, »ich will es doch gar nicht kaputt
machen. Ich will es nur anders benutzen! Es hat doch so eine
tolle Klappe am Dach. Außerdem bleibt es da, wo es hinsoll,
die ganze Zeit im Trockenen, und es würde auch kein Vogel
mehr draufkacken können. Papa! Bitte! Bitte! Büüüüttte!« Ich
klimperte Tee-Art-Drall-List mit den Wimpern.
»Und als was willst du es dann benutzen, bitte?«
»Als Kummerkasten.«
»Als Kummerkasten? Hä?«, fragte Papa verständnislos.
»Ja, als Kummerkasten. Für unsere Rett-Aktion.« Und
nachdem Papa immer noch nicht besänftigt war: »Ihr wollt
doch unbedingt, dass ich bei der Schülerzeitung mitmache!
Ich soll mehr schreiben, mehr lernen, blabla …«
Jetzt guckte er streng.
»Will ich ja auch«, beeilte ich mich zu sagen. »Ich will ja
schreiben. Aber eben als Kummerkasten-Tante. Papa, bitte.
Bitte. Bütttee!«
Papa dachte angestrengt nach.
»Also gut«, seufzte er, »wenn du mir beweist, dass das
Vogelhäuschen wirklich nicht benutzt wird. Wenn wir nur
einen einzigen Vogeldreck darauf nden, dann bleibt es da,
wo es hingehört – im Garten.«
Ich hatte Glück: Selbst wenn ein Vogel darauf gekackt hatte,
der viele Schnee der letzten Tage hatte es längst wieder
weggewaschen. Das Häuschen war völlig unverkackt – die
Körner darin nicht mal angepickt.
– die Kummerkasten-Tante
der Schülerzeitung
bekommen würde.
Aber sobald man genauer hinsah, sah man auch, warum die
Menschenmenge da neugierig herumstand. Am Schwarzen
Brett hatte sich unsere tadellose Reck-Tor-in aufgebaut, in
einem – wie immer – knitter- und eckenfreien blauen
Hosenanzug. Das aber war nicht das Bemerkenswerte. Das
Bemerkenswerte war die Kneifzange in ihrer Hand. Und die
setzte sie gerade an den Nägeln von meinem
Kummerhäuschen an. Drei Nägel hatte sie wohl schon
gezogen und meinen Kummerkasten in eine gefährliche
Schie age versetzt. Der halb abgerissene Zettel »Wo drückt
der Schu…« hing welk herunter.
Bis zu uns, und wir standen bestimmt zehn Meter weit weg,
konnte man das Gezeter der Tadellosen hören. »Eine
Unverschämtheit … eine Reh-Woll-Lotion … in unserer
Grundschule … eine Unverschämtheit …« Irgendwann hatte
sie einen besonders widerspenstigen Nagel in der Zange.
»Weiß jetzt jemand von euch, wer diesen Kasten hier
aufgehängt hat?«, fragte sie knurrend.
Kopfschütteln.
Schulterzucken.
Gemurmel.
Meine Freundin sah mich erschrocken an. Ich guckte
erschrocken zurück. Half aber nichts, dem Sturm musste ich
mich stellen.
»Ich«, rief ich heiser über die Köpfe hinweg. Die Worte kamen
noch etwas steif gefroren aus meinem Mund. »Ich war das!«
»Du?«, fragte die tadellose Reck-Tor-in und blinzelte mich
ungläubig an, während sie heftig an dem Kummerhäuschen
rupfte. Mit einem ekelhaften Quietschen gab es nach, und
schließlich klemmte es traurig unter dem Arm der Tadellosen.
Sie stürmte geradewegs auf mich zu. »Wie kommst du dazu,
ungefragt so was hier aufzuhängen?« Ihre Stimme klang
bedrohlich scharf, wie immer, wenn sie sauer war.
»Ich habe doch gefragt«, gab ich zurück.
»Wen?«
»Frau … äh …« Wie hieß der Rundlauf gleich wieder richtig?
Den Namen hatte ich Nicht-Namen-Merker natürlich schon
wieder vergessen. »Frauäh…« Mist, ich war aufgeschmissen!
»Frau Laufheuser, die Chef-Rett-Akt-Öhr-in von der
Schülerzeitung«, kam es da plötzlich von hinten. Irgendwo
inmitten einer Gruppe von Vierties stand der Maulaufreißer.
»Aha«, machte der Blaumann mit der Reck-Tor-in drin. »Weiß
sie denn nicht, dass ich das erst genehmigen muss?«
»Wusste ich auch nicht«, entfuhr es mir.
»Du musst es aber wissen, das steht in der Schulordnung!
Wort für Wort!« Schwups, schon hatte sie ihren Schuldigen
gefunden.
»Aber …«, meine Zunge klebte festgefroren am Gaumen. Ich
konnte nichts sagen. Alle Augen ruhten auf mir. Der Blick von
der Blaumann-Reck-Tor-in hätte bestimmt eine
ausgewachsene Gans auf der Stelle schockfrosten können.
In meinem Rücken raschelte es. Direkt hinter mir stand
jemand. Und dann sagte mir dieser Jemand ein, jemand, der
viel Übung im Vorsagen zu haben schien: Er – nein, es war
eine Sie – sprach überdeutlich, aber dennoch leise genug, um
von anderen nicht gehört zu werden:
»Das stimmt nicht!«
Die Einsagerin fuhr fort: »Es steht nirgends in der
Schulordnung, dass man eine Erlaubnis dafür braucht, um
etwas aufzuhängen.«
Derweil wiederholte die Reck-Tor-in noch einmal: »Das steht
in der Schulordnung. Wort für Wort.«
Während sie unaufhörlich näher kam, drehte ich mich
blitzschnell um. Ganz nah hinter mir beugte sich die
Anstreberin über ihren Ranzen und üsterte: »Steht’s nicht.
Die Schulordnung kenn ich auswendig. Da steht nix davon!«
Wow, ich war völlig per-Klecks vor Staunen, früher hätte die
Anstreberin mir nie eingesagt!
Der Eisberg in meinem Mund schmolz augenblicklich.
»Steht’s nicht«, konnte ich klar herausbringen. »In der
Schulordnung steht nirgends, dass man eine Erlaubnis
braucht, um etwas aufzuhängen.« Und dann el mir noch ein
böser Nachsatz ein, den ich mir nicht verkneifen konnte: »Ich
weiß das. Sie haben mich die Regeln ja oft genug abschreiben
lassen im letzten Jahr.«
Stille.
Der Blaumann schnappte empört nach Luft. Zwei … drei …
vier … fünf … Atemzüge brauchte sie, um wieder Herrin der
Lage zu werden.
Ich setzte nach und konnte nur hoffen, dass es jetzt
freundlicher klang: »Wenn ich jetzt trotzdem frage,
nachträglich frage, sozusagen? Darf der Kasten dann hängen
bleiben?«
»Nein!« Sie hatte sich wieder gefasst. »Du hättest vorher fragen
müssen.«
Mir blieb die Spucke weg. Gemurmel machte sich breit. »Das
kann sie nicht machen«, empörte sich Svenja. Felix nickte.
Besonders laut brodelte es unter den Vierties.
Der Maulaufreißer übernahm das Wort: »Was Sie machen, ist
gegen die Pressefreiheit, und da gibt’s auch irgendein Gesetz!«
»Jawoll!«, machte jemand hinter dem Maulaufreißer.
»Jawoll!«, machte ich. Nur leiser.
Wortlos knallte der Blaumann meinen Kummerkasten vor mir
auf den Boden. Es schepperte grässlich.
»Das wird Komm-säg-wenn-Zehen haben!«, fauchte die
Reck-Tor-in und ging. Immer müssen die Lehrer recht
behalten. Auch wenn das Gesetz gegen sie steht!
Wenn ich könnte, würde ich mich gleich selbst bei Dr. Ku
darüber beklagen.
Kapitel 5
»Wald?«
»W-A-L-T«, buchstabierte ich für Mama.
Mama seufzte: »Du weißt doch, dass man das Wort verlängern
muss, dann ist klar, ob hinten ein D oder T kommt.
Waaaldddd wird zu Wäääälddddddder.« Mama, die am Steuer
saß, blinkte, guckte und bog rechts ab.
Ich saß hinten und wiederholte gehorsam: »W-E-L-D-E-R.«
Mama seufzte: »Und vorne, was kommt vorne hin?«
»Ein F?«, fragte ich vorsichtig. Diesen Buchstaben konnte
man ja nie trauen. Erst recht, wenn Mama mich abfragte,
dann schlug bei mir immer irgendein Buchstabe im Wort
einen komischen Haken.
»Als zweiter Buchstabe?« Mamas Ton klang schon ziemlich
genervt, vor allem weil gerade vor ihr die Ampel auf Gelb
geschaltet hatte. Sie bremste so stark, dass ich nicken
musste.
»Ein E?«, fragte ich vorsichtig.
»Wald wird zu Wälder, das hatten wir gerade, Mira.«
»Ein Ä?«, fragte ich also gehorsam.
»Richtig.« Mit einem zufriedenen Nicken gab Mama wieder
Gas.
»F-A-R-R-A-T.«
Jetzt wurde Mama doch noch richtig zornig. »Habe ich dir
nicht gerade gesagt, du sollst darauf achten, welche anderen
Wörter in dem Wort drin stecken? Also was ist im Fahrrad
wohl drin?«
»Fahren?«, fragte ich.
»Uuund?«
»Raten?«
Mama knallte wütend das Obst in den Einkaufskorb. »So hat
es keinen Zweck mit dir! Du gibst dir einfach keine Mühe. Du
musst dich einfach besser komm-zehn-Tieren! Ab sofort
musst du die Wörter abschreiben. Jedes zehnmal, dann
kannst sie dir vielleicht besser merken.«
Mit düsterer Miene stand ich beim Einkaufskorb. Mein E-I-S,
(das konnte ich immer einwandfrei buchstabieren!) konnte ich
bestimmt vergessen.
Stattdessen fauchte Mama: »Milch!«
Ich wollte schon brav wieder anfangen: »M-I-L- …«, da sagte
Mama: »Hol du mal die Milch!«
Brav zog ich ab. »Wir brauchen noch ein
Geburtstagsgeschenk für Felix, die Party ist am Dienstag«, rief
ich ihr noch über meine Schulter zu.
Jawoll, das tue ich! Ich hasse nicht nur die Regeln von Mama
oder Rechtschreibregeln, sondern – und das ganz besonders –
die Regeln unserer tadellosen Reck-Tor-in. Die war, seitdem
sie neulich wegen des Häuschens so aus dem Häuschen war,
ziemlich am Durchdrehen. Zuallererst hatte sie mal unsere
Schulordnung überarbeitet. Nicht nur, dass es jetzt einen
Paar-A-Grafen gab, der festschrieb:
11. Papiere, Plakate, Einladungen, Gegenstände dürfen nur in Absprache
mit der Schulleitung aufgehängt werden.
Und weil sie wohl so in Arbeitswut war, hatte sie gleich noch
ein paar mehr neue Paar-A-Grafen drangehängt. Da stand
jetzt was von:
12. Wir trennen und vermeiden Müll, und wir verschwenden weder Wasser
noch Papier.
13. Wir haben immer unsere Unterrichtsmaterialien dabei.
14. Bei Lehrerwechsel bereiten wir uns selbstständig auf den nächsten
Unterricht vor.
Mich fragte ja keiner, aber wenn mich jemand gefragt hätte,
dann hätte da auch noch als Regel 15 stehen können:
Es ist verboten, eine Beschwerde in den Kummerkasten einzuwerfen. Hier
braucht sich niemand zu beschweren!
T
Kummerkasten ging. Sonst dachte die oberstrenge Reck-Tor-
T
ich liebe ja Tier-am-iss-U, aber ich mag eigentlich gar keine
Ohr-ramschen-Limo.«
In Po-See geschmissen
hing ihm vor den Augen. Noch einmal warf er ihn mit
Schwung aus dem Gesicht. Wenn er so weitermacht, dachte
ich, biete ich ihm meine Haarspange an. Das sieht bestimmt
süß aus!
»Na gut«, sagte er, »vielleicht muss man an den Fragen noch
etwas feilen!«
»Und wozu brauchst du jetzt mich?«
»Also ich dachte: Ich stelle die Fragen und du schreibst mit!«
»Bei dir piept’s wohl!«
»Wieso?«
»Ich will nicht mitschreiben.« Die Wahrheit wäre gewesen: Ich
kann nicht mitschreiben (weil ich eine Rechtschreibschwäche
habe). Aber auch das musste der Maulaufreißer ja nicht
wissen.
Wollte er sowieso nicht wissen, er sagte: »Aber das ist dein
Job!«
»Was ist mein Job?«, fragte ich feindselig.
»Umfragen. Also auch das Mitschreiben.«
»Nö.«
»Was heißt hier Nö?«
»Nö. Ich frage, du schreibst mit.«
»Quatsch«, der Maulaufreißer schüttelte so heftig den Kopf,
dass sein Po-nie-Vorhang nur so hin- und herwedelte. »Ich
bin doch keine blöde Tippse.«
»Aber ich? Hast du mal was von Ey-Mann-Ziep-Aktion
gehört?«
Der Maulaufreißer hatte es sich wohl leichter mit mir
vorgestellt. »Also gut: Wir machen halb, halb. Du stellst die
Hälfte Fragen und ich schreib mit«, bot er an. »Und dann
umgekehrt.«
»Nö.«
»Wie Nö?
»Nö«, wiederholte ich.
Es ging noch eine gute Weile hin und her zwischen mir und
dem Matsch-oh-Macker. So schnell würde ich nicht klein
beigeben, da konnte der sich noch so oft auf die Hinterfüße
stellen und mit dem Kopf wackeln. Schließlich bin ich ey-
mann-ziep-irrt!
Für den Rest des Schultags, weder in der zweiten Pause noch
nach der sechsten Stunde, hörte ich nichts mehr von ihm.
Scheinbar war er beleidigt, weil ich mich zu sehr eingemischt
hatte. Irgendwie fand ich es schon fast ein bisschen schade,
dass er so schnell aufgab. Das war doch sonst nicht seine Art.
War es auch nicht.
»Ey«, rief es am nächsten Tag in der ersten Pause wieder
hinter mir. »Ey, Mira!«
Ich drehte mich grinsend um: »Ja? Scheiße? Ja?«
Der Maulaufreißer war wieder in Schwung. »Was ist jetzt mit
unserer Umfrage?«, fragte er ungeduldig.
»Deiner Umfrage, meinst du …«, sagte ich.
»Unserer Umfrage …«, betonte er.
»Wenn es unsere Umfrage ist, dann darf ich aber auch Fragen
stellen.«
»Meinetwegen«, seufzte der Maulaufreißer und zuppelte sein
Handy aus der Jackentasche.
»Warum brauchst du mich überhaupt für deine Umfrage?«
Irgendwie machte es Spaß, den Maulaufreißer ein bisschen zu
triezen.
»Unsere Umfrage«, stellte er richtig.
»Also gut: Warum brauchst du mich für unsere Umfrage?«
»Erstens: Du bist die Umfrage-Tante in der Rett-Aktion. Und
zweitens«, jetzt grinste er und schwenkte wieder sein Haar
herum. »Du hilfst mir, die hübschen Mädchen anzusprechen.«
Jetzt hatte er mich drangekriegt.
Jetzt war ich baff.
Jetzt war ich sauer! Hätte ich besser nicht gefragt.
»Und die hässliche und doofe Umfragen-Tussi soll für dich
jetzt die Hübschen ansprechen! Oder was?«
Jetzt war der Maulaufreißer kurzzeitig baff.
»Ähm … äh … nein, äh … so habe ich das nicht gemeint: Dich
kann ich nicht mit meiner Umfrage fragen, du bist doch auch
… äh … in der Rett-Aktion.«
Nächst Topf-Modell!
Tieren mit: »Ich nde nicht nur, dass wir längere Pausen
benötigen. Wir sollten außerdem auch noch später mit der
Schule anfangen.«
»Ja, genau«, unterstützte sie Shirin, »Untersuchungen haben
gezeigt, dass man nämlich erst um neun Uhr richtig
leistungsfähig ist.« Wow!
Der Maulaufreißer hatte angebissen. »Darf ich von euch
beiden Hübschen noch ein Foto machen? Mit meinem Handy?
Für die Umfrage?«
»Na gut, meinetwegen.«
Oh Mann, bis jetzt hatte er noch von niemandem Fotos
gemacht! Was nicht nur mir auf el. Aus dem Augenwinkel
sah ich, wie eine versteinerte Svenja uns vier genau
beobachtete. Das konnte man ja nicht mit ansehen! Ich
schlug mir die Hände vors Gesicht und drückte mit beiden
Zeige ngern ganz fest auf meinen indischen Weisheitspunkt.
Als ich die Augen wieder aufschlug, nahmen die beiden
»Hübschen« schon zuckersüß und Arm in Arm ihre Po-See
ein. Der Maulaufreißer ging mit dem Telefon vor der Nase
noch ein Stückchen nach hinten, um seine beiden Topf-
Teer gibt nicht so schnell auf, zumindest nicht einer wie der
Maulaufreißer.
Hier hätte eine
»Dürfen Mira und ich das dann so schreiben:
Umfrage stehen sollen über längere Pausen und mehr
P d l l h
Spielgeräte. Dies wurde uns aus Pedal-logischen Gründen von
der Schulleitung verboten. Ja?«
Wow, wie unverfroren! Augenblicklich wurde es in dem Raum
totenstill. Man konnte lediglich die Armbanduhr der
Tadellosen ticken hören. Wie eine Zeitbombe. Keine fünf
Sekunden dauerte es und sie ging hoch. Das Ergebnis war,
dass die Tadellose nicht nur das Handy »mindestens bis zu
den Osterferien« behalten wollte. Sondern auch, dass wir
beide einen Hinweis an unsere Eltern mit nach Hause
bekamen – »wegen aufmüp gen Benehmens«. Sie sollten mit
uns die Schulordnung durchgehen, die wir – und unsere
Eltern – noch einmal extra unterschreiben mussten.
Während ich total geknickt aus dem Büro der Reck-Tor-in
schlich, gab sich der Maulaufreißer völlig locker. »Ach, die hat
auch nur Angst vorm Elternbeirat, sagt meine Mutter.«
»Und deine Mutter unterschreibt das alles – so ganz ohne
Meckern?«, fragte ich.
»Die ist Kummer gewöhnt! Ich habe zwei ältere Brüder. Das
geht schon irgendwie klar bei mir.«
In dem Augenblick wünschte ich wirklich, ich wäre so
angstfrei und mutig wie der Maulaufreißer. Nicht so unmutig
wie Mira.
Aufmunternd boxte er mir mit der Faust auf den Oberarm.
»Wir haben doch nix Schlimmes gemacht. Worüber sollte
deine Mutter schon groß meckern?«
h
»Aha, und was ist das jetzt – dieses mehr Mark-äh-
Liebe Svenja,
Ein Vererer
Lihber Felix,
h
nur an dich.
Deine S.
Liebe Svenja,
Dein Vererer
Lihber Felix,
Deine S.
Mittlerweile hatte ich schon regelrecht Übung im
Unbeobachtet-in-den-Ranzen-Schmuggeln. Allerdings
wunderte mich, dass weder Felix noch Svenja mir von diesen
Briefen irgendwas erzählten. Wegen Felix wunderte es mich,
weil er mir ja sonst alles anvertraut hatte, was Svenja betraf.
Und wegen Svenja wunderte es mich, weil sich beste
Freundinnen doch sonst immer alles erzählen. Warum also
dieses Mal nicht?
Aber eigentlich war ich sogar ganz glücklich darüber, dass
keiner der beiden mir seine Nachrichten zeigte.
Wahrscheinlich wäre ich knallerot geworden, hätte spontan
das Stottern angefangen oder Schlimmeres angestellt, womit
ich meine Liebesnachhilfe verraten hätte.
Nein, ich würde mich wohl einfach in Geduld üben müssen.
In der Zwischenzeit konnte ich mich meinen anderen
Aufgaben widmen – zum Beispiel den Aufgaben als Dr. Ku.
was kann man dagegen machen, wenn andere Witze über einen
machen und Herzchen an die Tafel malen und so? Überall steht
S.
regieren konnte.
»Ich äh … Shirin hat gesagt … ich soll … äh … auch …«,
stammelte er.
Ganz schüchtern stand Thorsten da. Mit hochgezogenen
Schultern, ängstlichem Blick und verschlagener Sprache – so
schüchtern kannte man sonst nur Shirin. Oder mich.
Falsch, so kannte man Mira.
Dr. Ku hingegen war sich immer sicher.
»Na, komm erst mal rein«, sagte Dr Ku. »Shirin kommt
bestimmt auch bald.« Sichtlich unwohl betrat Thorsten das
Haus. Vielleicht hätte ich mich auch unwohl gefühlt, wenn
mich sechs Augenpaare so erwartungsvoll angeblickt hätten.
Mama war neugierig auf dem Weg zum Keller bei uns hängen
geblieben. Und mein Bruder Linus kramte irgendwas aus
seiner Jackentasche an der Kater-Robe.
Uff, das hatte mich ganz schön geschlaucht, dieses erste Tee-
Puh, war das viel Geschreibsel in der letzten Zeit! Erst die
vielen Liebesbriefe für Svenja und Felix. Dann der Art-Igel.
Doch Felix blieb hart: »Noch mal fahr ich nicht gegen dich,
Mira. Verloren ist verloren!«
»Dann will ich wenigstens eine Runde Buchstabendreher!«
Verdammt, irgendwo musste ich doch mal gewinnen! »Die
schönsten Dinge im Winter« – gab ich als Thema vor.
»Schneebann mauen«, versuchte es mein Gegner also tapfer.
Ich lachte nicht – kein Punkt für ihn.
»Littschuhschlaufen«, war mein Vorschlag. Nicht mal ein
müdes Lächeln von ihm. Svenja neben uns kicherte. Aber die
zählte nicht. Das waren unsere Du-Elle. Felix gegen Mira.
»Fischahren!«, brachte Felix ein. Schifahren – wie öde! Felix
war echt nicht in Form heute.
»Scheisstockießen«, schlug ich vor. Eisstockschießen spielten
ein Haufen alter Leute auf dem See im Nachbarort. Jetzt hatte
ich Felix fast so weit – beinahe hätte er den Mund verzogen.
Irgendwie schaffte er es trotzdem noch, sich
zusammenzureißen. Und das, obwohl Svenja schon wieder
losprusten musste.
»Schleeballschnacht«, sagte mein längster Freund.
»Schnarchlangweilig«, entgegnete ich.
»So?«, fragte er und schmiss mir einen Schneeball an den
Kopf.
»So?«, schmiss ich zurück und traf ihn am Ellenbogen.
In null Komma nix hatten wir eine ordentliche
Schneeballschlacht am Laufen. Und wenigstens hier war mal
sicher: Wenn sie nicht gerade unentschieden ausging, war ich
ein klitzeklitzekleines Fitzelchen besser als Felix. Und mit
noch was konnte ich mich ein bisschen rächen, mit einem
meiner legen-der-Rehen Liebesbriefchen:
Liebe Svenja,
Ein Vererer
Kapitel 10
Und es sah gerade so aus, als käme der Witz ziemlich gut an.
Ich sah, wie immer wieder jemand darauf deutete, lachte und
lobend den Daumen in die Luft reckte oder Thorsten
anerkennend auf die Schulter klopfte. Beide wirkten sichtlich
froh und erleichtert. Unsere wiehernde Lehrerin hatte mit
ihrem Handy sogar ein Foto von dem Brautpaar gemacht.
In ihrer Nähe war irgendwo auch meine alte Feindin, die
Fiese. Sie bildete mit ihren neuen Freundinnen aus der neuen
Klasse eine Bande Wamp-Irre. Vermutlich war sie wieder der
Ober-Wamp-irr und Bestimmer. Konnte mir aber
mittlerweile echt egal sein. Die war mir wurscht.
Hinter uns grölte eine Handvoll Viertklässler zusammen mit
dem Maulaufreißer das Faschingslied in einer unanständigen
Vers-John: »Da scheißt das rote Pferd mal einfach
umgekehrt und hat mit seinem Schiss die Fliege abgewehrt.
Die Fliege war nicht dumm, machte einfach brumm, brumm,
brumm und og mit viel Gesumm um den Schiss herum …«
Sie hatten auch keinen Bock mehr auf gute Laune und Trara.
Ebenso wenig wie ich. Als alle einzeln durch das Schulhaus
tanzten, seilte ich mich ab, um lieber noch einen Blick in den
Kummerkasten zu werfen. Drin waren – oh Schreck – eine
Handvoll Komm-Fett-ih und drei Briefe.
Drei Stück! Das war nicht zu fassen.
Scheinbar hatte sich jemand unter dem Deckmäntelchen
einer Verkleidung getraut, tatsächlich etwas einzuschmeißen.
Helau!
Der auffälligste der drei Briefe war ein iederfarbener Zettel –
ein Schulregelpapier, das jemand bekritzelt hatte. Quer über
die Seite hatte dieser Jemand eigene Regeln geschmiert:
J l b f l
3. Jeder Schüler muss das befolgen.
Liebe Mira,
Liebe Mira,
bitte nach der Schule kurz mit zu mir kommen? Ich brauche
Deine Anne-Marie
Wenn du jetzt nicht weißt, wer diese Anne-Marie ist, mach dir
nichts draus. Das wusste ich bis vor Kurzem auch nicht. Ich
hatte mir bis dahin nur ihren Spitznamen gemerkt: die
Anstreberin.
Den Spitznamen hatte ich ihr nicht umsonst gegeben, sie war
die Klassenstreberin, die immer alles richtig, richtiger, am
richtigsten machte und alles meistens gut, besser, am besten
wusste. Von der man vielleicht, ganz vielleicht, also ganz
selten mal vorgesagt bekam. Aber meistens, das war Tipp-
Pirsch für sie, nicht mal die Lösung, sondern nur irgendeinen
Tipp.
Noch nie in unseren ganzen drei Schuljahren war es
vorgekommen, dass sie mich um was gebeten hätte.
Außerdem hatte ich mit ihr nicht eben die besten
Erfahrungen gemacht – im vergangenen Jahr war sie eine der
Ersten gewesen beim Hänseln und schick-an-Nieren.
Tor-in sein!«
»Vielleicht ist sie deswegen so nervös mit diesem ganzen
Regelquatsch«, murmelte ich.
»Vielleicht …«, wiederholte Anne-Marie, aber da hatten wir
schon ihre Haustür erreicht. Uns öffnete eine Mutter mit
strengem Pferdeschwanz und Mark-Gel-loser weißer
Schürze. Ernst gemeint, eine Schürze! Und es sah nicht
danach aus, als hätte sie die nur an, weil gerade Fasching
war.
»Anne-Marie, das habe ich dir schon so oft gesagt: Du musst
mir vorher sagen, wenn du jemanden zum Essen mitbringst.
Darauf bin ich jetzt nicht vorbereitet.«
»Ich bleibe nicht lang«, warf ich entschuldigend ein. Das ng
ja schon früh an, dass ich Anne-Marie in Schutz nehmen
musste!
Abschätzig betrachtete mich ihre Mutter: Der Schulranzen
hing mit nur einer Schlaufe über der Schulter, unter die
Klappe hatte ich meine warme Jacke geknüllt. Bestimmt hing
mir wieder ein Zipfel vom Unterhemd irgendwo raus und es
leuchtete – wie immer – ein verschmierter roter Punkt auf
meiner Stirn.
Ihre Mutter musste sicher fürchten, ich würde keinen guten
Ein uss auf ihre saubere Erste-Sahne-Marie ausüben. Und
die Sorge war ja nicht ganz unberechtigt, denn der hingen
Haare, Schulter und Brille schief. Die Nase war
rotzverschmiert.
»Kommt jetzt rein«, befahl der Schürzenträger uns. »Ohne
Jacke ist es da draußen zu kalt.« Kaum dass wir unsere
Schuhe ausgezogen hatten (und ich bemerkte, dass meine
Socken zwei, vielleicht sogar noch mehr Tage alt waren …),
ließ sie sich von Anne-Marie das Zeugnis geben.
»Deutsch – Eins, Mathe – Eins, Sachkunde – Eins. Sehr gut«,
sagte sie kurz angebunden. Doch dann versteinerte ihre
Miene, sie hatte wohl den Absatz So-Zieh-Aal-Verhalten
Ich nde, man sollte niemals in der Schule Angst haben müssen.
Nieeeeeeee (mein Klebe nger war auf der E-Taste hängen
geblieben. Den musste ich noch mal abschlecken).
Denn wer Angst hat, geht nicht gern in die Schule. Wer Angst hat, hat
keinen Spaß am Lernen. Dann lernt er irgendwann gar nix mehr.
Noten und Zeugnisse machen aber Angst. Eltern schimpfen, wenn die
Noten nicht passen. Manche schimpfen sogar schon bei einer Zwei.
Aber statt Angst zu machen, sollten sie lieber sagen: Eine Zwei heißt
gut. Punkt. Aus. Alles ist gut.
Eure Dr. Ku
Kapitel 11
Omi-Nö-See Wortspiele
Ich wünschte, Mama hätte den Art-Igel gelesen. Vor allem das
mit dem Nicht-Schimpfen. Hatte sie aber nicht. Wir sind eine
Schülerzeitung, keine Elternzeitschrift. Und Eltern nehmen
keine Ratschläge von Kindern an. Sogar dann nicht, wenn die
Kinder einen Doktor haben – so wie Dr. Ku.
Mama schimpfte also. Nein, das war kein Schimpfen mehr.
Mama tobte. Das war sogar noch lauter und tosender als der
Sturm von Anne-Maries Mama. Im Vergleich dazu war Mama
ein wild wütender Ork-Ahn.
aus dem Wasser. Ein paar Gold sche glotzten noch ihrem
gerade gewonnenen und schon wieder verlorenen
Glitzerspielzeug mit großen Augen hinterher.
»Was soll das?«, fragte sie mich.
»Wieso? Da steht doch frostrei drauf …«, murmelte ich. Mir
war schon klar, dass Witze reißen jetzt nicht angesagt war.
»Rostfrei«, verbesserte mich mein humorloser Bruder.
»Wie gehst du denn mit deinen Sachen um?«
»Nicht meine Sachen, die habe ich Linus geschenkt«,
versuchte ich abzuwehren.
Falsche Tag-Tick!
geschenkt hatte, wie ich ihn damit bestochen hatte, und, und,
und …
»Mama, nicht böse sein, sie hat mich bequatscht«, sagte er
auch noch ganz unverfroren. Obwohl er doch genau wissen
musste, dass Mama ganz bestimmt böse auf uns war. Und
wie sie böse war!
Sie kniff die Augenbrauen ganz fest zusammen, holte Luft
und brüllte mich an: »Ich bin derart enttäuscht von dir! Dabei
habe ich doch nur gewollt, dass du besser in Deutsch wirst.
Wir hatten eine Abmachung, Mira. Die hast du einfach so
gebrochen. Du wolltest keinen Schrieb vom Psycho-Locken.
Liebe Mira,
bekleckert
nummeriert
ernährt
wäscht
boxt
beißt
frisst
bestiehlt
Und dann mussten Oma und der fertige Linus nur noch
warten. Darauf, dass der Krapfenteig ging. Und darauf, dass
ich wiederkam und die Reißzwecken brachte, mit denen man
die Scheiben auf einer Korkenscheibe festzwickt. Dann kann
man sie nämlich drehen und lustige Sätze bilden.
Genau das ließ Oma mich machen. Sätze verdrehen und
dann aufschreiben. Noch mehr Arbeit, seufz, seufz, seufz,
dachte ich.
Aber – ganz ehrlich – ich hätte nicht gedacht, dass das so eine
lustige Arbeit war. Denn das Sätzeverdrehen ist manchmal
sogar noch lustiger als das Buchstabendrehen. Weißt du,
welche Sätze ich da herausbekommen habe? Diese zum
Beispiel:
Liebe Mira,
»Das will ich sehen!«, ätzte Linus zurück. »Mit diesen kom-
Brrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr!
Brrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr!
Brrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr!
Ich hatte es eilig. Und wichtig. Keine Zeit zu warten. Alles
zusammen. Das sollte man an meinem Sturmklingeln gleich
mal heraushören können.
Brrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr!
BrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrBrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrBrrrrrrr!
BrrrrrrrrrBrrrrrrrrrBrrrrrrrrrBrrrrrrrrrrBrrrrrrrrBrrrrrrr!
Endlich kam mal jemand angeschlurft. Endlich machte
jemand die Tür auf. Felix selbst öffnete. Er sah ein bisschen
überrascht drein, mich am Sonntagabend so kurz vor dem
Abendessen noch hier zu sehen.
»Wasnlos?«, fragte er.
»Ich brauch’ deinen Rat!«, sagte ich kurz angebunden. Ohne
dass er mich eingeladen hätte, zog ich meine Schuhe aus,
stellte sie neben die anderen Mädchenschuhe (Moment mal,
Mädchenschuhe????) und lief schon mal in sein Zimmer
hoch. Gemächlich schlappte er hinterher, als ich schon längst
im Raum stand. Ups, da war schon wer. Ups: Svenja.
Moment mal, was machte die denn hier? Ach, egal, ich hatte
jetzt Wichtigeres zu besprechen.
»Schaut mal!« Mit einem kleinen An ug von Übertreiben zog
ich meine neue Schulregel-Verdrehscheibe hervor.
»Das«, sagte ich und holte tief Luft, »wird die Senn-Satz-
»Ey!«
Der Maulaufreißer Maurice ging stur weiter.
»Ey!«
Eine Mädchenstimme – er konnte ja nicht gemeint sein.
»Ey, du!«, rief ich.
Endlich drehte er sich um.
»Mira?«
»Ich brauch deine Hilfe.«
»Ach?«, fragte er überheblich. »Kriegst du deine Flasche nicht
auf?«
Mist, ich hatte ganz vergessen, was für ein ätzender Ober-
Matsch-oh der Maulaufreißer sein konnte!
»Danke, das kann ich selbst«, sagte ich schnippisch und
versuchte, möglichst ey-mann-ziep-irrt zu wirken. Klappte
nicht ganz, denn meine Beine verknoteten sich vor
Verlegenheit gerade ineinander. »Ich brauche deine Hilfe bei
der Schülerzeitung.«
Der Maulaufreißer warf sich erst einmal eine Strähne aus der
Stirn.
»Okay«, sagte er schließlich. »Worum geht’s?«
Ich packte ihn am Arm und zog ihn in eine ruhige Nische bei
der Kater-Robe. Schließlich sollte uns ja keiner belauschen.
Kein Schüler und schon gar kein Erwachsener! Dann erklärte
ich ihm kurz mein Problem.
Als ich geendet hatte, schwieg der Maulaufreißer erst einmal.
Erst nach etlichen Haar-Umschwüngen ließ er sich zu einer
Antwort herab: »Okay, ich mach mit.«
»Gut«, antwortete ich. Meine Beine hatten sich schon wieder
so stark umeinandergeknotet, dass ich kurz das
Gleichgewicht verlor und um el. Erst nachdem ich mich
berappelt hatte, konnte ich fragen: »Wobei machst du mit?«
»Also, so wie ich das sehe, müssen wir die Drehscheibe in die
Zeitung schmuggeln, nachdem die Tadellose sie gelesen hat
und bevor sie Korb-irrt wird.«
»Okay.« Ich hatte verstanden. »Und wer Korb-irrt die Zeitung
dann normalerweise? Und wann?«
»Das macht die Reck-Tor-in natürlich nicht persönlich, das
macht irgendein Handlanger. Meistens die Seh-kräht-Teer-
in.«
wollten, dass ich mehr schreibe. Damit ich vor Wörtern keine
Scheu mehr habe. Das hat auch ganz gut funktioniert … aber
egal. Jedenfalls habe ich zwar nicht so viel geschrieben …«
hier musste ich mal kurz Luft holen, »… aber ich könnte doch
dabei sein, wenn die Zeitung Korb-irrt wird. Wir, äh ich
könnte das Ding auch falten oder so. Oder ich hole mir noch
Freunde dazu …« Noch ein Schnaufer, der fast wie ein Seufzer
rauskam: »Dann haben Sie nicht so viel Ärger … äh … Arbeit
… äh …«
Nachdenklich schte sich der Tröstebusen jetzt selbst noch
eine Cola asche aus der Gummibären-Schachtel und
knatschte laut darauf rum.
»Eigentlich ist das eine gute Idee, Mira. Dann könntet ihr von
der Schülerzeitung euer Brot-duckt von Anfang bis Ende
verfolgen. Vom Schreiben bis zum Drucken. Vielleicht macht
euch das ja sogar Spaß.«
»Bestimmt macht es das«, sagte ich hastig. Und wieder
überschlug sich meine Stimme mit dieser Halb-und-halb-
Wahrheit.
»Also gut, wenn du meinst: Ihr kommt einfach am Mittwoch
nach der Schule hierher und dann machen wir das
gemeinsam. Du trommelst deine Leute zusammen. Jeder, der
mitmachen will, soll mitkommen.«
Sch…
Wir saßen regelrecht in der Sch…
Kapitel 16
einfach durch die Tür hinaus auf den Gang. »Ich hab das
Geld nicht«, rief sie den Protestheinzen zu. »Holt euch euer
Geld von dieser Betrügerbande wieder!«
Mich packte sie bei der Schulter und Bug-sirrte mich in die
Nachbartür, hinein zu unserer Seh-kräht-Teer-in. Der
Tröstebusen sortierte gerade etwas auf ihrem Schreibtisch
und sah überrascht auf, als die wild gewordene Tadellose
mich auf einen Stuhl niederdrückte und ihr befahl: »Rufen Sie
Miras Eltern an. Sie muss abgeholt werden. Schicken Sie sie
direkt zu mir! Was Mira getan hat, wird schlimme Komm-
säg-wenn-zehn haben!«
Ohne ein weiteres Wort, ohne mich auch nur anzusehen,
rauschte sie aus dem Zimmer. Die Tür warf sie mit einem
lauten Rums zu. Sogleich konnte man hören, wie es in ihrem
Reck-Tor-innen-Zimmer laut polterte. Ich war immer noch so
verschreckt und steif und reglos, dass jedes Geräusch auf
mich einschlug wie ein Donnerhammer.
Es läutete. Und mit dem lärmenden Gongschlag wurde mir
mit einem Mal bewusst, was die Tadellose vorher gesagt hatte:
»Jeder, der an dieser hinterhältigen Reh-Woll-Lotion beteiligt
war, iegt von der Schule.«
Sie würde mich hinauswerfen.
Mira Kurz würde eine andere Grundschule besuchen müssen.
Irgendwo. Weit weg von meinen Freunden. Weit weg von
allem, was ich kannte. Von allem, was ich mochte und wo ich
hingehörte.
Keiner würde mehr etwas mit mir zu tun haben wollen. Jetzt
war ich endgültig ausgeschlossen. Für immer.
In eine tiefere Grube aus Angst war ich noch nie gefallen. Ich
stand unten, immer noch völlig gelähmt vor Schock, und
konnte nur noch zum Kraterrand hochschauen. Alles, was ich
vorher gekannt hatte, schien unerreichbar weit weg. Sogar
Tageslicht schien es keines mehr für mich zu geben.
Das Fenster verdunkelte sich. Der Tröstebusen war um den
Schreibtisch herumgegangen und stand jetzt direkt vor mir.
»Was hast du angestellt?«, fragte sie bestürzt.
»Die Zeitung«, krächzte ich. Mehr ging nicht raus, die Zunge
und alles andere waren noch schockgelähmt. Erst jetzt
merkte ich, dass ich ein verdrehtes Echsen-Blah immer noch
in meiner verkrampften Hand hielt. Vorsichtig griff der
Tröstebusen danach und zog mir die Zeitung aus den
Fingern. Fast sofort el ihr Blick auf die Rückseite. Fast sofort
wurde ihr alles klar: Das war nicht das, was sie im Ohr-Reh-
P h
keine Wut mehr, kein Trotz, kein Ärger über den Psycho-
Mist-Tisch war.
P h
Rundlauf, ihre Helfer, der Psycho-Locke mit seinem roten
Schal. Oder wir: Mama, Papa und ich. Der Stier wusste gar
nicht, wohin er zuerst stürmen sollte.
Schließlich siegte doch die Schulleiterin in diesem Kampf. Sie
klatschte noch einmal in die Hände.
»Ihr!« Sie deutete mit dem ausgestreckten Zeige nger auf die
Dämons-Tanten. »Ihr geht ins Schulhaus. Ihr habt
Unterricht. Und wenn ihr dem fernbleibt, dann hagelt es
Verweise!«
Und als sich erst einmal gar nichts tat, stattdessen die Kinder
mit verschränkten Armen stehen blieben, brüllte die Reck-
Tor-in: »Ver… wei… se… für … je… den … Ein… zel… nen!«
Immer noch rührte sich keiner. Bis die Tadellose noch etwas
Kleines, aber Entscheidendes hinzufügte: »Und Mira, du
auch. Geh in deine Klasse!«
Da brach mit einem Mal inmitten der Dämons-Tanten ein
kleiner Jubel aus. Svenja, Felix, Shirin und Anne-Marie
kamen auf mich zugelaufen. Svenja umarmte mich
stürmisch: »Jetzt wird alles gut.«
Shirin löste sie mit der Umarmung ab: »Alles gut!«
»Duh ast gewonnen!«, freute sich Felix und klopfte mir wie ein
Wilder auf die Schulter. »Ich gratuliered ir!«
Und noch ein Grad-du-Land legte mir den Arm um die
Schulter: Maulaufreißer Maurice. Er grinste mich an. »Na,
was sagst du jetzt? Wir konnten dich doch nicht hängen
lassen.« Sein Grinsen wurde noch ein bisschen breiter.
»Oder?«
Jetzt strahlte er mich regelrecht an. Und irgendwas war an
diesem Strahlen, dass es mir schlagartig wärmer wurde. Die
Hand auf meiner Schulter, seine Hand auf meiner Schulter
fühlte sich auch ganz warm und anders an. Wie ein kleines,
freundliches Tier, das da plötzlich gelandet war.
Ich verscheuchte den Gedanken. Der war jetzt völlig fehl am
Platz, solange die Tadellose immer noch knapp vor der Ex-
nicht, dass jeder nur frei ist und immer tun und lassen kann,
was er will. Es gibt Gesetze, Regeln, an die sich alle halten
müssen …«
Den Rest der Diss-Kuss-John bekam ich nur wie durch
einen Schleier mit. Erst jetzt merkte ich, wie mein Körper
unter der Spannung des letzten Tages gelitten hatte. Mein
Magen war ein klotzschwerer Klumpen gewesen, mein Nacken
tat weh vom vielen Ducken, und auf der Stelle an der Stirn,
wo ich zu fest mit der Nagelbürste den roten Fleck
weggeschrubbt hatte, hatte sich eine Schorfschicht gebildet,
die ziemlich spannte.
Nur eine Stelle, eine an der Schulter, die war ganz weich und
warm, und sie wurde immer wärmer und mir wurde immer
wärmer. Glückswarm, weil mich meine Freunde
wahrscheinlich gerettet hatten. Weil sie mich nicht fallen
gelassen, sondern mir geholfen hatten.
Weil ich ihre Freundin bleiben durfte.
»Ey.«
»Ey.«
»Hallo Mira.«
»Hallo Mau …rice. Was machst’n du hier?«
Wir waren vor der Tür zu unserer Seh-kräht-Teer-in
aufeinandergeprallt.
»Mir bei der Reck-Tor-in mein Handy wiederholen. Morgen
fangen die Osterferien an.«
Maurice schmiss sich die Stirnlocke aus dem Gesicht, aber
heute wirkte es nicht ganz so schwungvoll und großkotzig wie
sonst. Eher kleinkotzig.
»Meinst du, du kriegst es zurück?«, fragte ich ihn deshalb.
Er zuckte ziemlich kleinkotzig mit den Achseln. »Weiß nicht.
Versprochen hat sie’s. Sie wollte es nur bis zu den Ferien
behalten. Aber nach allem, was so in letzter Zeit passiert ist
…«
Diese Zweifel konnte ich nur zu gut verstehen. Ich nickte
mitfühlend und schmiss mir meine Haare aus dem Gesicht.
Eine Strähne musste an meiner Nase gekitzelt haben. Die
Tadellose hatte mir zwar noch mal eine Schanze gegeben,
aber jedes Mal, wenn ich ihr begegnete, hatte ich vor lauter
Schiss einen kleinen Kloß im Hals. Denn ohne die Hilfe von
Maurice und seine Dämon-Station wäre es für mich
bestimmt nicht so glimp ich ausgegangen mit der Tadellosen
und mir. Maurice hatte sich ganz schön weit aus dem Fenster
gelehnt dafür, dass ich bleiben durfte. Das hätte ihm auch
mächtig Ärger einbringen können.
Genau in diesem Moment beschloss ich, dass auch ich mich
mal für jemanden aus dem Fenster lehnen musste.
»Brauchst du Hilfe? Po-fress-John-Elle Hilfe?«
Von Maurice kam nicht gleich eine Antwort, sondern nur ein
verlegener und verständnisloser Blick.
»Dr. Ku könnte dir helfen«, erklärte ich ihm. »Sie könnte
mitkommen.« Einen letzten Auftritt durfte ich Dr. Ku ja wohl
noch gönnen, bevor sie ihren Dienst bei der Schülerzeitung
quitt-irren musste.
»Danke. Kann sicher nicht schaden«, grinste Maurice. »Und
du? Was machst jetzt du hier?«
»Ich muss auch noch was erledigen«, antwortete ich und hob
verschwörerisch das Geschirrtuch von dem Backblech, das
ich die ganze Zeit auf dem Arm gehalten hatte.
15 höchstselbst-gebackene Plätzchen lagen darauf, 15
Buchstabenplätzchen. Vier volle Stunden hatte ich gestern
mit Oma in der Küche gewerkelt, den Teig gerührt, mit
Spritzbeuteln auf das Blech geschrieben, die erste verbrannte
Protz-John weggekippt, eine neue gemixt und gebacken, die
fertigen Kekse dann mit Schoko-Kuh-wert-Türe bestrichen
(und alle übrigen Kekse höchstpersönlich gegessen!).
Stern.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Wörterschlacht am P-Zeh
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
In Po-See geschmissen
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
l
Ein Art-Igel wird fertig
Kapitel 10
Kapitel 11
Omi-nö-See Wortspiele
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
den Worten?
Eure Anja
die andere Mama von Mira und von
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