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Es ist ein strahlender Frühlingstag in Seoul. Die Bäume


blühen bereits und die darauf sitzenden Vögel zwitschern.
Frauen und Männer machen sich auf den Weg zur Arbeit,
Rentner tre en sich in Cafés, um Tee zu trinken und Kinder
gehen zur Schule. Ein weiterer Tag steht an. Er bringt neue
Ho nungen, Chancen, Abenteuer. Aber auch neues Un-
glück, doch wer würde dieses erleiden? Alles hängt von den
Entscheidungen, die wir tre en, ab.

In einer Wohnung, gleich neben einem wundervollen Park,


wird eine solche getro en. Die vierjährige Choi springt auf
und ab. Sie hat vieles vor, voller Tatendrang hängt sie sich
an das Kleid ihrer Mutter. Für diese ist deren Lebhaftigkeit
unverständlich, und doch vermisst sie ihre eigene Kindheit.
Sie weiss noch ganz genau, wie unbeschwert das Leben
damals war. Keine Sorgen, keine P ichten. Als Kind erwar-
tet man, dass dies immer so bleiben wird. Aber man wird
enttäuscht, das menschliche Dasein nimmt eine Wendung.
Es ermüdet einen und erscheint eintönig. Jeder Tag wie der
andere. Man erwacht, geht zur Arbeit, kehrt zurück und
legt sich wieder schlafen. Lady Eoms Mutter hat ihr das
schon früh klar gemacht. „Das Leben wird versuchen, dich
zu stürzen, sei vorbereitet, damit es dich weniger stark
tri t. Heirate einen wohlhabenden Mann und nde eine
abwechslungsreiche Arbeit“, hat sie ihr damals gesagt.
Dennoch ist es schwierig, nie etwas zu riskieren. Jedes Mal,
bevor Lady Eom etwas kauft, muss sie einen Blick auf ihr
Konto werfen. Eigentlich ist ihr Vater vermögend gewesen
und hat ihr auch viel vererbt, aber als sie geheiratet und

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ihre Tochter bekommen hat, oss das Geld in alles Mögli-
che. Schliesslich haben Kinder auch Ansprüche. Mama kauf
mir dieses, Mama kauf mir jenes. Es ist schon lange her, seit
Lady Eom etwas ür sich selbst erworben hat.

„Bitte, Bitte! Darf ich in den Park spielen gehen, Mama?“,


fragt das Kind nun und reisst sie aus ihren Gedanken. „Ich
habe keine Zeit Choi, wie viel mal noch? Ich muss zur Ar-
beit“, erwidert sie und trinkt ihren Ka ee aus. Der Zucker
hat sich noch nicht ganz aufgelöst und der letzte Schluck
erscheint süsser als die vorherigen. Das Mädchen löst seine
Hand vom Kleid und ängt an zu weinen. Seufzend steht
Lady Eom auf und wickelt sich einen Schal um den Hals.
Das Geschrei ihrer Tochter dröhnt in ihrem Kopf und sie
reibt sich die Schläfen. Es wird ein langer Tag werden. „Ich
kann sie mit zum Park nehmen“, schlägt ihr Ehemann vor.
Lady Eom überlegt ür eine Weile, ihr Mann ist nicht be-
sonders verantwortungsvoll, er lässt Choi oft ge ährliche
Dinge tun und lässt sie dabei noch aus den Augen. Für seine
siebenundzwanzig Jahre ist er noch ziemlich unreif. Ander-
seits wird Choi tagelang schmollen, und da ür hat sie nicht
genug Nerven. „Na gut, aber lass sie ür keine Sekunde al-
lein!“ „Natürlich nicht“, erwidert ihr Ehemann und klatscht
das nun strahlende Mädchen ab. Etwas beunruhigt verlässt
Lady Eom die Wohnung und macht sich auf den Weg zu ih-
rer Arbeit.

Ihr Mann streichelt dem Kind über die Wangen. Choi kann
es kaum erwarten, an die frische Luft zu kommen. Eilig
schlüpft sie in ihren winzigen Mantel und die beiden verlas-
sen ebenfalls die Wohnung.
Im Park ist viel los, einige Eltern sind mit ihren Kindern un-
terwegs. Sie spielen entweder beim beliebten Spielplatz

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oder üttern die Enten im Teich. Rentner sitzen auf den
Bänken und blicken in Erinnerungen schwelgend zu den
Kindern. Ab und zu kommt eine Person mit ihrem Hund
vorbei.
Choi rennt sofort zum Spielplatz, wo sie ihre Freunde ent-
deckt hat. Ihr Vater lässt sich neben einem alten Mann nie-
der, es ist der einzige noch freie Sitz. Der ganze Platz ist vol-
ler Eltern und ihren Kindern. „Guten Tag!“, wünscht er und
schenkt dem Fremden ein Lächeln. Der alte Herr schaut
ihn nur eigenartig an, erwidert jedoch nichts. Mr Eom
räuspert sich und schaut wieder zu Choi. Seine kleine Toch-
ter klettert lachend mit ihren Kindergartenfreunden auf der
Rutsche herum. Sie ist ziemlich hoch oben, doch er macht
sich keine Sorgen. Sie scheint einen guten Halt zu haben
und der Spielplatz ist sehr neu, es wird bestimmt nichts
abbrechen. Er ist so überzeugt, dass er sogar überlegt, ob
er sie ür einige Minuten allein lassen sollte.
Er will zum Bankautomaten, da er kein Geld mehr in der
Tasche hat. Er hat das Bedürfnis eine Zigarette zu rauchen,
da ür braucht er aber Geld. Eigentlich hat er seiner Ehefrau
versprochen, mit Rauchen aufzuhören, aber es ist einfach
zu schwierig, wenn man einmal angefangen hat. Früher
waren sie die perfekten Stressabbauer, doch nun sind sie
nichts mehr als eine Gewohnheit geworden. “Der Spielplatz
ist voller Leute, es wird ihr schon nichts passieren”, denkt
er sich und lässt den alten Mann allein auf der Sitzbank.
Der Fremde ist sowieso kein guter Gesprächspartner. Der
Bankautomat ist gleich bei ihrer Wohnung, also wird der
Weg nicht allzu lange dauern, ausserdem ist der Park eben-
falls nicht äusserst gross. Trotzdem lieben ihn die Bürger
dieses Viertels sehr. Der grüne Platz bringt etwas Frieden
und Stille in diese sonst so hektische Stadt. Beim Bankau-
tomaten steht schon eine Schlange von acht Leuten daher
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stellt er sich nervös hinten an. «Es wird schon nicht so lan-
ge dauern», denkt er. Doch er irrt sich. Mr Eom wartet nun
schon ünf Minuten und regt sich langsam auf. Die Leute
sind nicht in Eile. Sie nehmen völlig gelassen ihr Geld und
zählen es dann auch noch! «Können die sich nicht
beeilen?», fragt er sich. Besorgt blickt er zurück zum Park,
doch die dichten Bäume versperren seine Sicht zum Spiel-
platz. Nach weiteren ünf Minuten ist er endlich an der Rei-
he. Hastig lässt er ein paar Banknoten heraus und rennt
dann sofort zum Kiosk. Die Leute blicken ihm fragend hin-
terher. Ungeduldig verlangt er eine Schachtel Zigaretten
und drückt dem Verkäufer das Geld in die Hand. Es ist viel
zu viel, aber der Mann nimmt es zufrieden an.

Mr Eom eilt zurück in den Park. Ihm ist klar, dass er Choi
viel zu lange allein gelassen hat. Schon nach kurzer Zeit
hört der Vater die erfreuten Schreie der Kinder. Obwohl, so
sicher ist er sich da gar nicht. Ganz genau kann er nicht sa-
gen ob sie glücklich klingen. Je näher er kommt desto klarer
werden die Rufe, und nun ist er sich sicher, dass sie ver-
ängstigt tönen. Jetzt hört er auch noch erwachsene Stim-
men, irgendetwas muss passiert sein!
Sofort ängt er an zu rennen, schneller als eh und je. Er
prallt mit zahlreichen Passanten zusammen und stolpert
über mindestens zwei Hunde. Mr Eom bleibt nicht stehen
bis er die Traube von Menschen erreicht, die beim Spiel-
platz steht. Sie beugen sich über jemanden, der am Boden
liegt, einem kleinen Körper mit langen, schwarzen Haaren
und einer schrecklichen Wunde am Kopf. „CHOI!“, brüllt er
und stosst die Menschen aus dem Weg. Seine geliebte Toch-
ter liegt da, mit Blut über dem ganzen Gesicht verschmiert.

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Sie scheint bewusstlos zu sein, doch er hört ein leises


Wimmern. Seine Augen üllen sich mit Tränen und er sieht
alles nur noch verschwommen. Panik steigt in ihm auf und
er beginnt zu zittern. Die Schreie und Worte der Leute hö-
ren sich fern an, und doch sind sie so nahe. Er ühlt fremde
Hände an seinen Schultern, obwohl sich sein ganzer Körper
taub an ühlt. Jemand muss einen Krankenwagen gerufen
haben, denn die Helfer stossen ihn weg, damit sie Choi in
den Wagen bringen können. Sobald sie Choi in den Kran-
kenwagen getragen haben, wenden sie sich ihm zu. Die
Männer müssen ihn stützend in das Auto be ördern, es ist
wie eine Höllenfahrt ür ihn. Immer wieder blickt er zu sei-
ner Tochter und bricht erneut in Tränen aus. Sie scheinen
schon eine Ewigkeit unterwegs zu sein, aber das Kranken-
haus ist immer noch weit entfernt. „Wie lange denn noch?“,
fragt er verzweifelt die Männer, „Sie verblutet, sehen Sie
das denn nicht?!“ „Wir fahren erst seit zwei Minuten, bald
sind wir da. Beruhigen Sie sich.“ „Wie soll ich mich beruhi-
gen? Das ist meine Tochter!“, schluchzt er. Die Zeit scheint
viel langsamer zu vergehen als gewohnt.

Als sie endlich beim Krankenhaus ankommen wird Choi


sofort in einen Raum gebracht, in den Mr. Eom keinen Zu-
gang hat. Er muss warten und bricht in einem Stuhl zu-
sammen. Wie soll er das seiner Frau erzählen? Sie wird ihm
nie verzeihen, er selbst wird sich nie verzeihen. „Es ist
meine Schuld, es ist alles meine Schuld“, wiederholt er
immer wieder in seinem Kopf, „wenn ich geblieben wäre,
hätte dies nie passieren können.“ Mit zitternder Stimme
ruft er Lady Eom an. Seiner Ehefrau sagt er nicht viel, da
ihm keine Worte in den Sinn kommen, die dieses Unglück
beschreiben könnten. Das Telefonat ist kurz, Lady Eom
macht sich sofort auf den Weg. Chois Vater blickt starr an

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die Wand, er weint nicht mehr, da seine Energie langsam
aufgebraucht ist. Er lässt die

Zeit schweigend vergehen. Plötzlich kommt Lady Eom an-


gerannt. Sie ist blass und als sie ihren Mann erreicht, bricht
sie in Tränen aus und prügelt auf ihn ein. Ihr Ehemann
wehrt sich nicht, er verdient den Schmerz. Es ühlt sich ür
ihn so an, als würden seine Schuldge ühle mit jedem Schlag
stärker. Die Krankenschwestern müssen Lady Eom schliess-
lich zurückhalten, denn sie ist wie besessen.
Seine Ehefrau ist normalerweise eine Schönheit. Sie hat vie-
le Verehrer und Mr. Eom müsste sich glücklich schätzen,
dass sie sich ür ihn entschieden hat. Doch nun ist ihr Ge-
sicht rot und verzerrt, ihr Haar steht wild ab und ihre Au-
gen sind nicht mehr glänzend, sondern rot unterlaufen.
Wut entbrannt starrt sie ihren Mann an, lässt sich dann
aber neben ihm nieder. Die Krankenp eger gehen verwirrt
auf ihre Posten zurück. „Ich habe dir doch gesagt, du sollst
bei ihr bleiben“, üstert Lady Eom schwer atmend, „Ich
hasse dich, wie konntest du so etwas tun?!» Ihren Ehemann
tre en diese Worte sehr und er beisst sich auf die Lippen.
Das Ehepaar verbringen die Wartezeit schweigend, beide
nden es unsinnig, in so einer Situation ein Gespräch zu
ühren. Sie warten nur ungeduldig ab. Manchmal kommt
ein P eger oder ein Patient vorbei. Sie warten und warten,
dann, nach drei Stunden, erscheint endlich ein Doktor. Ein
trauernder Ausdruck liegt auf seinem Gesicht. Er scheint
ganz und gar nicht bereit, ihnen die schreckliche Nachricht
zu überbringen. „Es tut mir sehr leid, aber das Gehirn ihrer
Tochter wurde durch den schweren Sturz stark beschädigt.
Wir haben alles getan, was wir konnten“, sagt er. Für das
Paar ühlen sich seine Worte wie einen Schlag ins Gesicht
an. Ihre geliebte Tochter ist nicht mehr unter ihnen.
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Die Heimfahrt ist alles andere als angenehm, die beiden
starren nur aus dem Taxifenster, zu niedergeschlagen, um
ein Wort zu wechseln.

Unzählige schla ose Nächte folgen. Die Atmosphäre zwi-


schen ihnen spitzt sich zu. Kein Wort mehr wird gespro-
chen. Lady Eom verbringt ihre ganzen Tage bei der Arbeit
und kommt nur spät abends nach Hause. Manchmal auch
gar nicht. Mr. Eom macht sich Vorwürfe und ällt in eine
tiefe Depression. Kein Medikament oder Psychiater scheint
ihm helfen zu können. Er hat schreckliche Albträume und
isst fast nichts mehr. Für seine Frau ist er nur noch eine
Last und sie entwickelt innerlich einen unglaublichen Hass
gegen ihn. Sie hat genug von ihm. Ihr ganzes Leben ist we-
gen ihm ruiniert. Er ist schuld, dass sie nun keine Tochter
mehr hat. Aber er ist immer noch in ihrer Wohnung und sie
muss viel Geld ür seine Therapie ausgeben. Sie arbeitet
hart, aber das ganze Geld iesst in seine Behandlung und
nicht in die Leidenschaften ihrer, welche sie au eitern
könnte. Das Leben hat es nun doch gescha t, sie umzuren-
nen und alle ihre Kostbarkeiten zertrampeln. Hätte sie doch
bloss einen zuverlässigeren Mann geheiratet.

Es sind schon drei Monate vergangen, seit sie das letzte Mal
ein Kleid gekauft hat. Wie ein kleines, ungewolltes Kind ist
ihr Ehemann ür sie. Die ganze Zeit schwach und auf der
Suche nach Aufmerksamkeit und Fürsorge. Diese kann er
aber nicht von ihr erwarten. Ihr Partner kann kein Teil ih-
res Lebens mehr sein, noch eine weitere Woche mit ihm
und sie wird explodieren. Sie muss einen Weg nden, diese
vielen kleinen Scherben wieder zusammensetzen zu kön-
nen. Doch wie? Wie kann sie sich von ihm trennen? Wie
kann sie diese schwere Last von ihren Schultern fallen las-

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sen? Eine Scheidung kostet viel Geld und stellt sie nicht zu-
frieden. Ihr Ehemann muss da ür bezahlen, was er ihrer
Tochter angetan hat. Er muss leiden und um seinen Tod
ehen. Er muss den Schmerz ühlen, den Choi ge ühlt ha-
ben muss und soll das gleiche Schicksal, wie sie erleiden;
den Tod.
Lady Eom beschliesst also eines Abends, mit einem Glas
Vodka in der Hand, sich endgültig an ihrem Ehemann zu
rächen. Sie beschliesst ihn langsam und mit viel Leid zu tö-
ten.
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Am nächsten Morgen verlässt Lady Eom das Haus unter
dem Vorwand, sie müsse zur Arbeit. Mr. Eom kann nicht
arbeiten, da er noch an Depressionen leidet. Er macht sich
grosse Vorwürfe: «Warum bin ich nur Zigaretten kaufen ge-
gangen? Ich hätte ahnen sollen, dass etwas geschehen wür-
de.» Doch nicht nur das bereitet ihm Sorgen. Er hat auch
Zweifel, dass er je wieder ein so er ülltes Leben ühren
kann wie zu Lebzeiten seines Kindes.
Lady Eom geht – jedoch nicht zur Arbeit – sondern zum
Spielplatz, auf dem ihre Tochter tragisch verunglückt ist.
Sie denkt, dass es fahrlässig ist, hier ein Kind alleine spielen
zu lassen. Der Turm, der in der Mitte des Spielplatzes steht,
hat zwar genug hohe Geländer aber man weiss doch wie
Kinder sind. Der Wille, ihrem Mann zu schaden, wird im-
mer stärker. Sie will ihm ein Leid zu ügen und gleichzeitig
das Geld, welches sie ür die Psychische Behandlung ihres
Mannes wieder bekommen. Auf die Idee mit dem nanziel-
len Gewinn ist sie, da sie schon Geld von der Lebensversi-
cherung ihrer verunglückten Tochter bekamen, gekom-
men. Sie geht daher in ein heruntergekommenes Internet-
café um nachzuschauen, ür welche Unglücke man eben-
falls grosszügig entschädigt wird. Dies tut sie nicht von zu
Hause aus, damit man ihr anhand ihres Suchverlaufes
nichts nachweisen kann. Ihre Recherchen ergeben, dass
man fast so gut wie ür den Tod entschädigt wird, wenn ein
Angehöriger erblindet. Nun hat sich diese Idee in ihrem
Kopf festgesetzt. Sie löscht ihren Suchverlauf, damit nie-
mand Verdacht schöpft. Nun geht sie in die Apotheke, die
gleich um die Ecke ist. Beim Eintreten rümpft Lady Eom

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die Nase. Es ist der Geruch von Zigaretten. In diesem Laden
bekommt man alles ohne ein ärztliches Rezept. Es ist auch
nicht wirklich ein Laden, vielmehr gleicht es einer Woh-
nung. Der Verkäufer ist eher ein Drogenhändler als ein
Apotheker. Er stellt keine Fragen, was die Käufer mit den
Mitteln vorhaben. Sie kauft sich extra starkes Schlafmittel,
um ihren Mann ins Land der Träume zu schicken.
Als sie zu Hause ankommt, setzt sie sich auf das Sofa neben
ihren Ehemann, welcher mit betrübtem Blick die gegen-
überliegende Wand anstarrt. Sie tröstet ihn und behandelt
ihn gut, so dass er das Ge ühl bekommt, dass sie ihm nicht
mehr böse ist. Sie will nicht riskieren, dass er sie nach der
Tat verdächtigt und dies den Ärzten gegenüber äussert. Sie
versucht ihn aufzumuntern und sagt: «Das Leben geht wei-
ter. Wir können unserer Choi nicht ewig nachtrauern.» Die-
sen Satz sagt sie nur ungern, da sie denkt, sie müsse selbst
ihr ganzes Leben lang trauern. Danach bereitet sie das
Abendessen ür sich und ihren Mann vor. Zu den Nudeln
gibt es einen Yujatee, in dem sie das Schlafmittel au öst.
Ihr Mann beginnt kurz nach dem Trinken des Tees zu gäh-
nen und schläft erschöpft ein. Lady Eom isst noch fertig,
geht ins Arbeitszimmer und holt eine kleine Sicherheitsna-
del. Mit dieser sticht sie ihrem Mann genüsslich in die Au-
gen. Das ist der erste Moment seit dem Tod ihrer Tochter,
in welchem sie etwas wie Befriedigung verspürt. Sie schaut
ihn mit einem kalten Blick und einem zufriedenen Lächeln
an. Nun ist er auf ihre Hilfe und Fürsorge angewiesen. Das
weiss Lady Eom und zieht die Sicherheitsnadel aus dem
Auge ihres Mannes. Danach legt sie sich glücklich schlafen.
«Ich sehe nichts mehr!» Mit diesen Worten weckt Mr. Eom
seine Frau. Er hat grosse Angst und ho t, es sei ein böser
Traum. Er zwickt sich in den Arm. Ihm schiessen die Trä-
nen in die Augen. Da er an Karma glaubt, denkt er, es sei
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seine Strafe, weil er nicht auf sein Kind aufgepasst hat. Sei-
ne Frau ährt ihn auf direktem Weg ins Krankenhaus.
Dort kommt schnell heraus, dass man nichts mehr ür sein
Augenlicht tun kann. Lady Eom spielt geschickt die Frau
mit dem grossen Unglück. Das P egepersonal kennt die Ge-
schichte von ihrer Tochter, die sich erst vor kurzem eben-
falls in diesem Spital ereignet hat. Die zuständigen Ärzte
verspüren Mitleid. Das ge ällt ihr. Doch nach aussen zeigt
sie nichts. Das Schadensgeld erhält sie noch am gleichen
Tag. Sie geht nach langer Verabschiedung von ihrem Mann
nach Hause. Mr. Eom muss noch beaufsichtigt werden, um
ihm die Technik mit dem Blindenstock beizubringen und
ihn auf das neue Leben vorzubereiten.
Zu Hause macht Lady Eom zur Feier, dass sie alle um den
Finger gewickelt hat, eine Flasche Vodka auf. Nach einigen
Gläsern zu viel sieht sie vor ihrem inneren Auge, wie ihre
Tochter vor ihr steht, und sie ihr das Haar streichelt. Sie
will ihre Tochter gerade auf den Arm nehmen, als das Bild
plötzlich verblasst. Nun verspürt sie wieder diese enorme
Wut in sich.
Ein paar Tage später holt sie ihren Mann aus dem Spital ab.
Dieser ist noch nicht so geschickt mit seiner neuen Beein-
trächtigung. Er stolpert oft und kann sich nur noch langsam
fortbewegen. Im Spital stützt sie ihren Mann. Doch als sie
niemand mehr sieht, verschwindet die Fürsorge. Sie hilft
ihm nicht mehr auf und sagt ihm nicht, wann eine Tür-
schwelle kommt. Zu Hause erzählt Lady Eom von ihrer Be-
gegnung mit Choi. Sie sagt immer wieder, dass er alleine
die Schuld am Tod ihrer Tochter hat. Plötzlich verbindet er
seine tragische Erblindung mit dem abweisenden Verhalten
seiner Frau. Er wird unsicher. In der Nacht will er seinen
Arzt anrufen. Doch seine Frau hat an alles gedacht. Das Te-
lefon steht nicht mehr am selben Ort. Er weiss, dass er weg
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muss. Doch auch die Tür ist kein Ausweg – sie ist verschlos-
sen. «Willst du etwa das Weite suchen?», üstert Lady Eoms
Stimme hinter ihm. Ein kalter Schauer läuft ihm den Rü-
cken hinunter und er bekommt eine Gänsehaut. Er stottert:
«Äh … nein, ich wollte nur mal die Wohnung ertasten.» «Du
wirst da ür büssen, dass du vor deinem Schicksal iehen
willst», sagt sie mit bitterer Stimme. Ängstlich fragt er:
«Denkst du, unsere Tochter hätte gewollt, dass du mich er-
blinden lässt und mir so viel Leid zu ügst? Ich bin selbst
enorm traurig über den Verlust.» «Nein, das hätte sie si-
cherlich nicht gewollt. Doch sie hätte auch nicht gewollt,
dass sie ür ein paar Zigaretten sterben muss.» Danach
spricht keiner mehr ein Wort und Lady Eom ügt ihrem
Mann Brandwunden mit dem Bügeleisen zu.
In nächster Zeit wacht Mr. Eom oft mit vielen Wunden auf,
die seine Frau ihm in der Nacht zuge ügt hat. Dies kann sie
nur tun, da sie ihm jeden Abend, an dem sie ihm Schaden
will, Schlafmittel in ein Getränk rührt. Oft wacht er mit
Schwellungen, Schürfwunden und Verbrennungen auf. Für
seine Frau steht heute fest, dass der nächste Tag sein letz-
ter sein wird.
Am nächsten Nachmittag geht sie auf einem Markt einkau-
fen. Dies tut sie, damit sie nach der Tat eine Zeit lang ein
gutes Alibi hat. Sie hat vor, viele Esswaren zu besorgen. Sie
kauft extra so ein, als plane sie ür die nächsten Tage. Da-
mit sich viele an sie erinnern, falls sie befragt werden soll-
ten, geht sie mit vielen der Verkäufer und Verkäuferinnen
ein langes Gespräch ein.
Mit dem Gemüsehändler unterhält sie sich über den perfek-
ten Gemüseeintopf. «Womit soll ich den Eintopf schärfen?»,
fragt sie interessiert. Der Verkäufer beisst direkt an, was zu
erwarten war, da dies sein Spezialgebiet ist und vor ihm
eine schöne junge Frau steht. Er hält ihr ein Referat dar-
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über, welche Gemüse mit Chili, welche mit Pfe er und wel-
che mit Tabasco sehr empfehlenswert sind. Lady Eom er-
klärt ihm, welche Gemüse sie verwenden wird. Der Mann
bemängelt zwar ihre Wahl, stellt ihr aber trotzdem freund-
lich eine Schärfemischung zusammen. Sie bedankt sich und
verabschiedet sich freundlich. Mittlerweile sind die Stras-
sen voller Leute.
Sie drängelt sich bis zum nur wenige Meter weit entfernten
Fischhändler. Es gibt nur Fische, bei denen man selbst die
Gräten entfernen muss. Sie sagt dem Mann, dass sie noch
nie selbst einen Fisch ausgenommen hat. Der Mann hat
zwar viele Kunden, trotzdem nimmt er sich die Zeit, ihr al-
les zu erklären. Er dreht Lady Eom noch ein Messer an, mit
dem es ein Kinderspiel sein sollte, dem Fisch Haut und Grä-
ten zu entfernen. Er legt ihr noch ans Herz, den Fisch auf
dem Grill zu braten.
Lady Eom macht sich mit einer vollen Tasche auf den Weg.
Sie ist zufrieden, da sie sich sicher ist, dass sich die beiden
Männer an sie erinnern werden.
Als sie zu Hause ankommt, zieht sie sich Handschuhe an,
damit an dem Küchenmesser, ür das sie sich entschieden
hat, keine Fingerabdrücke nachzuweisen sind. Sie lockt ih-
ren Mann in die Küche und schneidet ihm die Hauptschlag-
ader auf. Er schreit laut um Hilfe, doch Lady Eom hält ihm
den Mund zu. Zu Beginn wehrt er sich mit voller Kraft.
Doch allmählich lässt seine Kraft nach und er wird immer
schwächer. Sie denkt, er würde schneller verbluten. Er
krächzt noch mit letzter Kraft: «Bitte hilf mir! Ich werde
keinem sagen, dass du es warst. Ich sage allen, dass es ein
Selbstmordversuch war und du mich gerettet hast.» «Guter
Versuch. Lass mich kurz nachdenken … nein!’’ Ein paar Mi-
nuten später stellt sie fest, dass ihr Mann keinen Puls mehr
hat. Lady Eom legt ihm das Messer in die Hand, damit seine

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Fingerabdrücke darauf zu erkennen sind. Danach ruft sie
den Krankenwagen und presst ihre Hände auf die Wunde
um es aussehen zu lassen als wolle sie helfen.
Fünf Minuten später tri t der Krankenwagen ein. Die Sani-
täter wissen sofort, dass man nichts mehr ür ihn tun kann.
Lady Eom ver ällt jetzt in die Rolle der armen und bemit-
leidenswerten Witwe. Auch diese Rolle spielt sie überzeu-
gend. Niemand denkt auch nur im Ansatz daran, dass sie
die Täterin sein könnte. Trotzdem kommt die Polizei vorbei
um alles zu protokolieren. Sie fragen, wo Lady Eom war
und ob sie ein Alibi hat. Zu den Wunden an ihrem Mann
wird sie auch befragt. Sie erklärt, dass ihr Mann Depressio-
nen hatte. Alle Fragen beantwortet sie unter Tränen. Die
Verkäufer werden befragt, ob sie sich an die Frau erinnern
und was diese gekauft hat. Ihre Aussagen können alle bestä-
tigt werden. Um zu demonstrieren wie sehr sie unter
Schock steht, sagt Lady Eom noch, dass sie nicht genau
weiss, ob sie das Messer angefasst habe. Doch wie erwartet
werden auf dem Messer nur die Fingerabdrücke ihres Man-
nes gefunden. Die Polizei verlässt das Haus. Die Sanitäter
wenig später ebenfalls. Sie nehmen auch die Leiche mit.
Lady Eom geht in eine Bar, um auch diesmal wieder ordent-
lich zu trinken. Sie spielt auch jetzt noch eine trauernde
Frau, da sie Angst hat, von der Polizei beschattet zu wer-
den. Falls dies der Fall ist, sollen sie denken, dass sie sich
wegen des Verlusts ihres Mannes betrinkt. Sie will eigent-
lich gerne jemandem erzählen, wie sie schon wieder alle an
der Nase herum ührt und was sie ür eine begnadete
Schauspielerin ist. Lady Eom geht leicht wankend nach
Hause. Dort lässt sie sich erschöpft ins Bett fallen und
schläft kurz darauf ein.
Am nächsten Tag sieht sie, dass man ihr das Geld seiner
Lebensversicherung überwiesen hat. Sie entscheidet sich,
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sich aus dem Staub zu machen, da sie nicht sicher ist, ob es


wirklich keine Indizien gibt, die auf sie hindeuten könnten.
Sie packt das Nötigste und geht. Aufgeregt überlegt sie, was
sie mit dem vielen Geld anstellen soll.


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Lady Eom schlendert am späten Nachmittag durch die vol-
len Strassen. Es sind viele Leute unterwegs, die sich an den
Schaufensterscheiben ihre Nasen plattdrücken. Sie begeg-
net vielen Pärchen und Familien mit Kindern. Dies weckt in
ihr wieder einige Erinnerungen an ihre Choi und an ihr
früheres, er ülltes, glückliches Leben und wie es auf einmal
eine 180 Grad-Kehrtwendung machte. Jedoch lässt sie sich
nichts anmerken, abgesehen davon, dass sie die Strassen
nun zackig hinter sich lässt. Lady Eom bereut es keines-
wegs ihren Mann umgebracht zu haben, im Gegenteil, sie
ühlt sich nun freier und kann nun tun und lassen, was sie
möchte. Langsam beginnt es zu dämmern und sie be-
schliesst in einen Club zu gehen um ihr neues Opfer zu be-
stimmen. Sie hat bereits viel Geld als Schadensersatz ür die
Erblindung und den Tod ihres Mannes bekommen, jedoch
reicht ihr dies noch lange nicht.

Der Club ist rappelvoll, vermutlich suchen auch viele ande-


re dort ihre Ablenkung. Das Kasino be ndet sich im Unter-
grund und müsste dringend wieder einmal renoviert wer-
den. Die Luft ist stickig. Neben den bunten Spielautomaten
begegnet sie mehreren ärmeren Männern, welche dort ihr
Glück versuchen. Langsam nähert sie sich einer Männer-
gruppe und xiert ihr nächstes Opfer mit den Augen.
Selbstsicher spricht sie den jungen Mann an, welcher ver-
dattert zu ihr aufschaut. «Hallo, ich kann dir etwas Geld
leihen», bietet sie ihm an. Es herrscht erst eine seltsame
Stille zwischen den beiden. Lady Eom ährt selbstbewusst
fort: «Wie heisst du denn?» «Oh, das wäre super, mein
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Name ist Sunjin», antwortet er. Das Gespräch zwischen den
beiden wird immer lockerer.

Im Laufe des Abends verstehen sich die beiden immer bes-


ser und sie tre en sich die nächsten Tage immer wieder.
Nach einiger Zeit verliebt sich Sunjin in Lady Eom und
kommt dann mit ihr zusammen. Es dauert nicht lange, bis
die beiden heiraten. Lady Eoms Plan scheint perfekt aufzu-
gehen.

Doch nach einigen Monaten wird Lady Eom oft von Übel-
keit geplagt und ihr kommt der Verdacht auf, dass sie
schwanger sein könnte. Auch wenn sie nicht daran glaubt,
kann man sich doch nicht ganz sicher sein. So geht sie eines
frühen Morgens, während ihr Ehemann noch schläft, in die
Innenstadt und besorgt sich in der Apotheke einen
Schwangerschaftstest. Nach dieser Besorgung geht sie wie-
der nach Hause, in der Ho nung, dass ihr Mann noch
nichts davon mitbekommen hat, dass sie nicht zu Hause ist.
Im Badezimmer bestätigt sich dann ihre Vermutung, sie ist
tatsächlich schwanger. Mit grossen Augen starrt sie die bei-
den Striche auf dem Test an, um sicher zu gehen, dass sie
richtig geschaut hat.

Der Test ist jedoch tatsächlich positiv und Lady Eom steht
eine zweite Schwangerschaft bevor. Dies ist eine sehr
schwierige Zeit ür sie, da wieder einige Erinnerungen an
ihre Tochter hochkommen, wie sie Choi beim Aufwachsen
zusehen konnte, was ür ein glückliches Kind Choi war und
aus welcher sonst so normalen Alltagssituation ein so
schrecklicher und tödlicher Unfall wurde. Auch hat sie
Angst, dass ihr Ehemann genauso unverantwortungsvoll im
Bezug auf ihr Kind sein könnte, wie ihr vorheriger Mann es

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war. Sunjin allerdings weiss nichts von ihrer tragischen
Vergangenheit. In ihrem Kopf spielen sich sämtliche Filme
der Vergangenheit und welche schlimmen Szenarien pas-
sieren könnten, ab. Langsam begibt sich Lady Eom ins
Schlafzimmer zu ihrem Mann, welcher mittlerweile aufge-
wacht ist, und erzählt: «Sunjin, ich muss dir etwas sagen.
Ich bin schwanger.» Er ist erst überrascht, jedoch breitet
sich rasch ein kleines Lächeln über Sunjins Gesicht aus. Zu
ihrem Erstaunen ist er erfreut und nimmt die Nachricht re-
lativ gelassen entgegen.

Die nächsten Wochen begleitet er sie oft zum Arzt und


kümmert sich gut um sie. Doch nach wie vor verfolgt Lady
Eom ihren Plan, ihren Ehemann umzubringen, um wieder
an viel Geld zu kommen. Deswegen kommt ihr die Schwan-
gerschaft sehr gelegen, da sie dadurch noch an einiges
mehr Geld kommt.

Eines Tages nimmt sie den weiten Weg auf sich und kehrt in
die Stadt zurück, in der sie zuvor gelebt hat, um ein paar
Dinge ür den geplanten Mord einzukaufen. Je mehr sie sich
der Stadt nähert, desto mulmiger wird ihr Ge ühl, es könn-
te sie jemand erkennen. Jedoch lässt sie sich davon nicht
verunsichern und geht wieder in die Apotheke ihres Ver-
trauens, welche eher einem Drogengeschäft ähnelt und
kauft sich dasselbe Schlafmittel, welches sie schon bei der
letzten Tat verwendet hat. Als sie sich auf den Rückweg
begibt, ühlt sie sich bereits um einiges besser, denn sie
weiss, dass sie bald wieder ganz viel Geld bekommt.

Zu Hause begrüsst sie ihren Mann wie immer und bietet


ihm an, das Abendessen vorzubereiten. Genüsslich rührt
sie in der selbstgemachten Kimchi-Suppe. Sie probiert ei-

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nen Lö el und be ndet die Suppe als gut. Lady Eom üllt
sich eine Portion Kimchi Suppe in eine Schale ür sich ab,
damit sie das Schlafmittel nicht selbst zu sich nimmt. Sie
schaut sich kurz um und packt dann ein Fläschchen mit ei-
ner rötlichen Flüssigkeit aus. Schmunzelnd kippt sie den
gesamten Inhalt in die Suppe und verrührt es noch einmal
gut. Nun hat sie zwei Schalen mit Suppe bereitgestellt, die
eine ür sie, ohne Schlafmittel und die andere ür ihren
Mann, mit Schlafmittel. Schweigend essen die beiden auf,
bis er gähnt: «Ich bin ja so müde, ich lege mich jetzt schla-
fen, gute Nacht.» «Gute Nacht, schlaf schön!», antwortet
sie. Nach einiger Zeit ist sie sich sicher, er schlafe tief und
fest. Mit leisen Schritten holt sie sich eine Sicherheitsnadel
und geht ins Schlafzimmer. Sie hält seine Augenlieder hoch
und sticht zufrieden in beide Augen. Sie tappt zurück in die
Küche, vernichtet die Beweise und wäscht ihre Hände.
Lady Eom geht glücklich schlafen.

Von lauten Geschrei wird sie geweckt: «Ich sehe nichts


mehr, hilf mir!», brüllt ihr Mann. Sie fahren zusammen so-
fort ins Krankenhaus, jedoch können auch die Ärzte sein
Augenlicht nicht mehr retten. Wieder einmal spielt sie die
trauernde Frau. Sie bettelt die Ärzte solange an, bis sie es
schliesslich mit ihrem herausragenden Schauspiel dazu
bringt, dass sie im Krankenhaus übernachten darf. Wäh-
rend bei ihrem Mann die regelmässigen Kontrolluntersu-
chungen durchge ührt werden, begutachtet sie das Zim-
mer, denn sie möchte ihren Mann noch im Krankenhaus
ermorden und sie weiss auch schon wie, nämlich mit Gift.

Lady Eom begibt sich auf einen riesigen Markt in der In-
nenstadt Seouls. Eher östlich des Marktes sind die Ver-

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kaufsstände schon etwas unseriöser. Es ist dort nicht viel


los und die Verkäufer sitzen hinter ihren Ständen und rol-
len Tabakzigaretten. Nur manche schauen kurz zu Lady
Eom auf. Die Luft ist stickig und abgestanden. Die Gassen
werden immer schmäler und es hat immer weniger Men-
schen. Nun scheint sie einen Stand gefunden zu haben. Mit
einer undeutlichen Schrift geschrieben steht auf einem
kleinen gelben Zettelchen: Rizinusöl. Sie fragt den unge-
p egten, älteren Verkäufer: «Entschuldigung, haben Sie
auch noch reines Rizin?» Der Herr steht auf und kommt zu
ihr nach vorne und üstert: «So, so, wo ür braucht die
Dame denn Rizin?» «Für reine Gerechtigkeit natürlich»,
zwinkert sie ihm zu. Aus seiner Hosentasche kramt er eine
kleine Flasche heraus und steckt sie ihr unau ällig zu. Sie
handelt den Preis von zweihunderttausend Won geschickt
auf die Hälfte runter. Das entspricht dann unge ähr 75 Euro.

Wieder im Krankenhaus angekommen, ist es schon Nacht.


Lady Eom schleicht sich raus auf den Flur. Ihr Mann be-
kommt nichts davon mit und schläft tief und fest. Direkt
neben der Zimmertür 33 hat es ein kleines weisses Regal
auf Rädern. Lady Eom hat einige Tage zuvor genau beob-
achtet, wie eine Krankenschwester dort eine Spritze geholt
hat. Sie ö net die oberste Schublade langsam und nimmt
sich eine kleine Spritze heraus. Rasch verschwindet sie
wieder hinter ihrer Zimmertür und begibt sich ins Bade-
zimmer. Lady Eom spritzt den Inhalt der Spritze einfach in
die Toilette und präpariert diese nun mit ihrem Rizin. Da-
von braucht sie aber nur 40 Milligramm. Schnell vernichtet
sie noch alle möglichen Beweismittel und wäscht sich die
Hände gründlich. Sie setzt sich im Dunkeln neben das Bett
ihres blinden Mannes und macht seinen Arm frei. Nach
Ge ühl setzt sie die Nadel an und sticht zu. Sie drückt das

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Rizin in den Körper rein. Dieses soll die Zellen bald zum
Absterben bringen und der gesamte Organismus wird in
sich zusammenfallen. Lady Eom lässt die Spritze sofort in
ihrem Ärmel verschwinden und legt sich in das Beistellbett.

Am nächsten Morgen gibt sie einen krankhaft lauten Schrei


von sich. Sofort kommen auch schon zwei Ärzte angerannt.
Völlig gestresst überprüfen sie den Puls und die Atemfre-
quenz. Entgeistert schauen sie Lady Eom an, die mit leerem
Blick auf ihren Mann starrt. «Es tut uns von ganzen Herzen
leid, er ist diese Nacht von uns gegangen, wir können
nichts mehr ür ihn tun. Sie sind eine starke Frau, Sie schaf-
fen das!», probieren die Ärzte sie zu beruhigen. Das Kran-
kenhauspersonal kauft ihr professionelles Schauspiel wie
geplant ab.

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Lady Eom verlässt das Krankenhaus und macht innerlich
einen Freudensprung, weil ihr Plan so makellos funktio-
niert hat. Leise jubelt sie: «Jetzt ist es nur noch eine Frage
der Zeit, bis die Lebensversicherung mir Geld überweisen
wird, und ür mein Kind bekomme ich sicherlich auch noch
eine schöne Waisenrente!» Natürlich lässt sie sich die Freu-
de nicht anmerken, sondern läuft mit gesenktem Kopf zu
ihrem Auto, welches sie in der Nähe des Krankenhauses
geparkt hat.
Daheim angekommen packt Lady Eom ihre Sachen, denn
sie möchte zu ihren Schwiegereltern fahren und mit ihnen
darüber sprechen, wie es weitergehen soll. In der Vorah-
nung, dass sie längere Zeit dort bleiben wird, nimmt Lady
Eom einiges an Gepäck mit. Noch am gleichen Tag ährt sie
los. Obwohl auf den Strassen viel Verkehr herrscht und ein
starkes Gewitter niedergeht, kommt sie relativ zügig voran
und ist noch am selben Abend in der Kleinstadt, in der Sun-
jins Eltern wohnen.
Das Mietshaus liegt in einer kleinen, heruntergekommen
Seitenstrasse. Auch die Wohnung selber ist schon ziemlich
alt und renovierungsbedürftig. Es riecht nach feuchten
Wänden und abgestandenem Rauch. Aber sie hat immerhin
einen Balkon und ein kleines Gästezimmer. Ihre Schwieger-
eltern sind zwar arm, aber sehr ürsorglich. Daher freut
sich Lady Eom schon darauf, sich ein wenig verwöhnen zu
lassen.
Lady Eom wird schon an der Haustür erwartet. Ihre
Schwiegereltern haben die Nachricht von Sunjins Tod
schon telefonisch erhalten. Sie wirken erstaunlich gefasst:

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Der Schwiegervater hat wie immer einen Zigarettenstum-
mel im Mundwinkel hängen und die Schwiegermutter tupft
sich nur ab und zu eine Träne weg. Das macht es ür Lady
Eom um vieles einfacher, die traurige Witwe zu spielen.
Gemeinsam setzen sie sich an den kleinen Tisch in der Kü-
che, auf dem ein voller Aschenbecher neben einer bauchi-
gen Blumenvase steht. Der Schwiegervater ö net sich ein
Bier während die Frauen Wasser trinken. Dann sprechen
sie über den traurigen Tod, die Beerdigung und wie es wei-
tergehen soll.
Nach einiger Zeit wechselt Lady Eom das Thema: »Es gibt
da übrigens noch etwas Anderes, das ich euch mitteilen
muss: Ich bin schwanger!» Für einige Zeit herrscht Schwei-
gen in der kleinen Küche. Dann steht der Schwiegervater
auf und geht auf den Balkon, um den Aschenbecher zu lee-
ren. Kaum hat er die Küche verlassen, sprudelt es aus der
Schwiegermutter heraus:» Du kannst das Kind nicht behal-
ten. Wie willst du das machen? Das ist völlig unmöglich.»
Lady Eom hört schweigend zu. Als die Schwiegermutter
sich langsam beruhigt, spielt Lady Eom die liebende Witwe.
«Ich könnte das Kind nie abtreiben, schliesslich lebt so ein
Teil von Sunjin weiter. Ich scha e es schon alleine mit dem
Kind». Dabei denkt sie daran, dass sie ür das Kind keine
Waisenrente bekommt, wenn sie es nicht zur Welt bringt.
Nachdenklich und gerührt gibt Lady Eoms Schwiegermut-
ter den Widerstand auf. « Also gut, wenn du möchtest,
kannst du bei uns wohnen. Es ist zwar nur eine kleine
Wohnung, aber es wird schon gehen».

In den Monaten bis zur Geburt geht es Lady Eom sehr gut,
denn sie wird von den Schwiegereltern umsorgt und ver-
wöhnt. Sie bekommt das Frühstück ans Bett gebracht, muss
nicht im Haushalt helfen und hat jede Menge Zeit, um mit

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dem Vorwand nach Kinderausstattung zu suchen, einkau-


fen zu gehen. Wenn sie keine Lust auf Gesellschaft hat, legt
sie sich ins Bett und sagt, dass sie Ruhe brauche.

Schliesslich wird in einer milden Nacht im Frühling Lady


Eoms zweites Kind geboren.
Natürlich ist ihre Schwiegermutter immer an ihrer Seite
und kümmert sich auch jetzt rührend um Lady Eom und
ihren kleinen Sohn.
Doch langsam ist Lady Eom erschöpft von dem ständigen
Theaterspielen und wird immer gereizter. Als ihre Schwie-
gereltern anfangen, sich über diese Verhaltensänderung zu
wundern und sie darauf anzusprechen, beschliesst Lady
Eom, wieder in ihre eigene Wohnung zurückzukehren. In-
zwischen hat sie auch Versicherungszahlungen und die
Waisenrente ür ihr Kind erhalten und es gibt keinen Grund
mehr, länger bei Sunjins Eltern zu bleiben. Damit sie sich
nicht rechtfertigen muss, beschliesst sie, die Schwiegerel-
tern nachts heimlich zu verlassen. Tagsüber, als diese einen
Mittagsschlaf machen, packt sie schon leise einen Grossteil
ihrer Sachen ins Auto. Bevor sie ins Bett geht, gibt sie ihrem
Sohn wie immer eine Flasche mit Milch. So wird er ruhig
schlafen und sie beim Au ruch nicht durch Geschrei verra-
ten. Nachdem spät abends in der Wohnung alles ruhig ist,
schleicht Lady Eom mit dem Baby zur Tür. Die Diele im
Gang knarrt wie immer. Aber das Schnarchen des Schwie-
gervaters zeigt, dass Lady Eom nicht bemerkt wurde. Leise
dreht sie den Schlüssel im Schloss und ö net die Tür zum
Treppenhaus. Sie bringt das Kind und das restliche Gepäck
ins Auto. Dann geht sie zurück in die Wohnung und
schliesst diese von innen wieder ab, damit die Schwiegerel-
tern nicht wegen der o enen Tür oder des verschwunde-
nen Schlüssels noch mehr Verdacht schöpfen. Über den

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Balkon, dessen Türe nur angelehnt ist, springt sie auf die
Strasse und macht sich auf den Weg in ihre eigene Woh-
nung.

Für einige Zeit lebt Lady Eom ganz gut von dem erhaltenen
Geld. Sie richtet ein gemütliches Kinderzimmer ein und ge-
niesst die Zeit mit ihrem kleinen Sohn. Sie geht einkaufen
und feiern und ist fast so etwas wie glücklich.
Aber nach und nach geht ihr das Geld aus und sie weiss fast
nicht mehr, wovon sie ihre Rechnungen bezahlen soll. Ei-
nes Tages, als Lady Eom gerade am Bügeln ist, klingelt an
der Wohnungstür und ihr Vermieter steht davor. «Guten
Tag, Lady Eom, Sie haben Ihre Miete nicht bezahlt. Wenn
ich nicht bis Ende des Monats das Geld habe, müssen Sie
ausziehen.»
Für Lady Eom wird es langsam ungemütlich, da sie ihr gan-
zes Geld immer am Anfang des Monats ausgibt. Sie braucht
Geld. Aber wo soll sie das hernehmen? Ihre Schwiegerel-
tern mag sie nicht fragen, denn seit ihrer nächtlichen
Flucht haben die kein Wort mehr mit ihr gesprochen und
sind misstrauisch geworden.

Nach und nach kommen die alten Gedanken wieder hoch


und Lady Eom beginnt zu überlegen, wen sie als nächstes
töten könnte, um an Geld zu kommen. Die Idee, nochmals
jemanden zu heiraten, verwirft sie sehr schnell, da sie Be-
denken hat, dass diese Masche au iegen könnte. Auch
sonst kommt ihr kein guter Plan in den Sinn. Daher be-
schliesst sie, erst einmal Geld zu sparen und ihre Wohnung
aufzugeben. Aber wo soll sie nur hinziehen?

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Lady Eom stehen glitzernde Schweissperlen auf der Stirn.
Eben hat ihr Vermieter angerufen und ihr wütend mitge-
teilt, dass die Frist abgelaufen sei und sie in zwei Wochen
ausgezogen sein müsse. Ihr hallt seine bedrohlich wirkende
Stimme immer noch im Ohr. Während sie resigniert ihre
Sachen packt, überlegt sie, wo sie günstig unterkommen
soll. Sie beschliesst, ihre Mutter anzurufen und diese um
Hilfe zu bitten. Anfangs kommt ihr dieser Gedanke abwegig
vor, das Verhältnis zwischen den beiden ist, zumindest von
Lady Eoms Seite aus, ein ständiges Auf und Ab. Der Gedan-
ke daran, dass ihre Mutter eigentlich eine ihrer wichtigsten
Bezugspersonen sein sollte, jagt ihr einen Schauer über den
Rücken. In letzter Zeit hatte Lady Eom nicht viel Kontakt zu
ihrer Familie, jedoch sieht sie es als ihre einzige Möglichkeit
und entschlossen greift sie zum Telefon.
Nach dem Gespräch ällt ihr eine grosse Last von den Schul-
tern. Ihre Mutter hat sich alles geduldig angehört, nur ab
und an hat sie einen bemitleidenden Laut von sich gege-
ben. Lady Eom hat behauptet, einfach mal wieder ihre leib-
liche Familie um sich haben zu müssen. Sie erhielt die Er-
laubnis, ür die nächste Zeit bei ihrer Mutter zu wohnen.
Zudem freut sich ihre Mutter über ihren Enkel.
Lady Eom zieht noch in derselben Woche aus. Viele Dinge
besitzt sie nicht mehr, das meiste hat sie verkauft, um an
Geld zu kommen, jedoch schrumpft ihr Kontostand immer
noch kontinuierlich. Des Weiteren überlegt sie sich, ihre
Mutter zu ihrem nächsten Opfer zu machen und sie zu er-
blinden. Es ist zwar ihre Mutter, aber da Lady Eom drin-
gend Geld ür ihren persönlichen Luxus braucht und sie die

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wahren Werte des Lebens vergessen zu haben scheint,


schmiedet sie während der Fahrt zu ihrer Mutter einen
Plan.
Bei der kleinen Wohnung angekommen, wird sie mit einer
herzlichen Umarmung begrüsst. Lady Eom erwidert diese,
aber in ihr kommt wieder dieses befremdliche Ge ühl auf.
Sie ignoriert es und schaut sich um. Die Wohnung sieht so
aus, als wäre sie in der Zeit stehen geblieben. Sie betritt ihr
altes Kinderzimmer und gibt einen Seufzer von sich. Die
überwiegend kahlen Wände zieren einzelne Bilder von
Lady Eoms Kindheit. Ihr Blick bleibt an einem bestimmten
Foto hängen. Sie presst die Lippen zusammen, der Anblick
entzündet ein Feuer der Wut in ihr. Auf dem Bild sieht man
ein kleines Mädchen im Ballettkostüm, das unbeschwert in
die Kamera lächelt. Lady Eom erinnert sich daran, wie ger-
ne sie Ballett getanzt hat, aber ihr ihre Mutter später den
Tanzunterricht gestrichen hat, um genug Geld ür die Hob-
bys ihrer Brüder zusammenzubekommen. Alles, was sie
er üllte, hat man ihr weggenommen. Im Kopf geht sie alle
Positionen durch, die sie früher im Ballett tanzte. Sie kann
sich noch genau daran erinnern, als wäre es gestern gewe-
sen. Für einen kurzen Augenblick umspielt ein ehrliches
Lächeln ihren Mund. Dann aber schüttelt sie den Kopf, als
wolle sie all diese Erinnerungen loswerden und spürt wie-
der diese tiefe Verbitterung.
In der Küche sieht Lady Eom ihre Mutter, die telefonierend
an einem Tischchen sitzt. Nach dem Telefonat erzählt sie
Lady Eom euphorisch, dass sie spontan eine kleine Feier
ür ihren Enkel diesen Abend geplant und ihre Brüder zum
Essen und Übernachten eingeladen hat. Leider kann nur
Minho kommen, ihr anderer Bruder, Taemin, ist ür einige
Monate verhindert. Danach hilft Lady Eom ihrer Mutter ein
leckeres Abendessen vorzubereiten. Insgeheim arbeitet
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Lady Eoms Hirn immer noch eberhaft, denn sie ist sich
sicher: Sie wird ihre Mutter und auch noch ihren Bruder
erblinden lassen, auf die gleich grausame Art wie immer.
Minho will sie sogar umbringen, und dass er ihr, wenn viel-
leicht auch nicht absichtlich, das Ballett nahm, bestärkt sie
nur noch in ihrem Entschluss. Aber wie und wann soll sie
die vom letzten Mal übrig gebliebenen Schlaftabletten un-
bemerkt ins Essen mischen?
Einige Stunden vergehen und mittlerweile sitzen die vier
am Esstisch, der Gefeierte auf Lady Eoms Schoss, und sie
reden über Gott und die Welt. Geistig ist Lady Eom jedoch
abwesend, sie wartet nur darauf, dass die beiden müde
werden und sich zu Bett begeben. Vorhin ist es ihr gelun-
gen, ihre Mutter abzulenken und heimlich die Tabletten un-
ter das Essen zu rühren. Das Schlafmittel zeigt rasch seine
Wirkung und Minho und ihre Mutter legen sich schlafen.
Die Sicherheitsnadel glänzt im spärlichen Licht einer Stras-
senlaterne, das durch ein Dachfenster ällt. Ansonsten ist es
dunkel in der Wohnung. Skrupellos sticht sie ihnen in die
Augen. Lady Eom sieht ihre Funktion als Racheengel er-
üllt.
Ein Kreischen zerreisst die morgendliche Stille. Die Mutter
von Lady Eom schlägt wild um sich, worauf Gepolter und
Klirren folgt. Minho wird von dem Lärm auch wach und
reibt sich verwirrt die Augen. Die Mutter und Minho begin-
nen zu weinen und zu schreien. Lady Eom schlüpft wieder
in ihre Schauspielerrolle und versucht die beiden zu beru-
higen.
Lady Eom hat ihr Kind gegri en und zehn Minuten später
sind sie im Krankenwagen auf dem Weg in das Spital. Dort
angekommen werden Lady Eoms Bruder und ihre Mutter
untersucht. Lady Eom sitzt im Wartezimmer, den Blick leer
auf den Boden gerichtet. Sie schaut auf, als der Facharzt
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eintritt. «Es tut mir unglaublich leid, aber ich ürchte, wir
können nichts mehr ür die Augen Ihres Bruders und Ihrer
Mutter tun.» Heisse Tränen kullern über Lady Eoms Wan-
gen. Der Arzt versucht sie zu trösten, doch man sieht ihm
seine Hil osigkeit an. Es ist ein einziges Theater. Lady Eom
scha t es wieder, alle um den Finger zu wickeln und ihre
dunkle Seele lacht schadenfreudig.
Der nächste Schritt in Lady Eoms Plan ist, ihren Bruder
umzubringen. Sie will sich ür all das rächen, was ihr Bru-
der ihr angetan hat. Sie erinnert sich an etliche Ereignisse
in ihrer Kindheit, die sie nachhaltig geprägt haben. Wie ihr
Bruder sie schikaniert, geplagt und gedemütigt hat. In ih-
ren Augen hat er ihre Kindheit zerstört. Sie ho t ausserdem
die Wohnung ihrer Mutter zu übernehmen und dann heim-
lich zu verkaufen. Ihre Mutter wird sich mit Sicherheit nicht
mehr alleine um die Wohnung kümmern können und wird
in einem P egeheim untergebracht werden.
Minhos Zustand verschlechtert sich in den folgenden Tagen
drastisch, da er schon früher gesundheitlich nicht ganz auf
der Höhe war. Irgendwo im Krankenhaus hat er wohl noch
Viren aufgeschnappt die ihn lahmlegen. Er liegt auf der In-
tensivstation und hängt an unzähligen Schläuchen und Ka-
beln. Lady Eom will das ausnutzen und dem Leben ihres
Bruders möglichst schnell ein Ende setzen. Sie entwickelt
einen ra nierten Plan, sodass keiner Verdacht schöpfen
wird. Sie wird sein Atemgerät manipulieren und alle wer-
den denken, dass es durch einen unglücklichen Zufall ver-
rutscht sei. Im Übrigen ist das Krankenhaus auch nicht
mehr das neuste und sieht ziemlich schäbig aus: Keine
hochtechnologischen Geräte, trostlos eingerichtete Zimmer
und auch kein ausgeklügeltes Überwachungssystem, das
Lady Eom etwas nachweisen könnte. Nach Ende der Be-
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suchszeit schliesst sie sich auf der Damentoilette ein und
wartet den richtigen Moment ab.
Es ist genau ein Uhr nachts und es herrscht eine unnatürli-
che Stille. Zögerlich ö net Lady Eom die Tür und schaut
sich um. Wie ein Raubtier auf Jagd schleicht sie sich durch
die dunklen Gänge. Sie ist ge ühlstaub, sie hat keine Angst,
keinen Skrupel, sie ühlt sich wie eine Maschine, die eine
Aufgabe zu er üllen hat. Sie denkt nicht mehr, sie handelt
einfach. Die Luft scheint rein zu sein und sie huscht in
Minhos Zimmer. Zuerst manipuliert sie den Alarm ür das
Überwachungsgerät der Puls- und Atemfrequenz, damit
nicht gleich etliche Leute von der Intensivstation angerannt
kommen. Sie schleicht um sein Bett und versucht erst zag-
haft, dann immer stärker, die Schläuche von Minhos Nase
zu entfernen. Ein letzter heftiger Ruck und sie scheinen et-
was verrutscht zu sein. Dann versucht sie auch noch das
P aster, mit dem die Kanüle eines Tropfes an Minhos Hand
befestigt sind, zu lösen. Doch Lady Eom hat keine Chance,
es klebt zu fest an seiner Haut. Etwas verärgert gibt sie auf
und verlässt wie ein lautloser Schatten das Krankenhaus.
Am nächsten Tag ist Lady Eom eine der ersten Besucherin-
nen im Krankenhaus. Sie ist gespannt, ob ihr Bruder schon
tot ist, und wenn ja, ob man seine Leblosigkeit überhaupt
schon bemerkt hat. In Minhos Zimmer hat sich eine Traube
von Leuten in weissen Kitteln angesammelt. Minhos
Schwester stürzt zu seinem Bett, doch zu ihrer Enttäu-
schung scheint er noch am Leben zu sein. Eine Kranken-
schwester erklärt, dass durch einen unerklärlichen Grund
Minhos Sauersto zufuhr nicht sachgemäss funktionierte,
zum Glück haben sie ihn aber retten können. Lady Eom lä-
chelte erleichtert, doch in Wirklichkeit brodelt es in ihr.
Zum ersten Mal ist ihr Plan nicht aufgegangen, und es
macht sie seltsam nervös, weil sie meint, die Kontrolle zu
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verlieren. Sie ist es gewohnt, dass alles so läuft, wie sie es


möchte, und das ohne jegliche Ausnahme.
Ein wenig später begibt sie sich zu ihrer Mutter, die in dem-
selben Spital versorgt wird. Vermeintlich aufgelöst erzählt
Lady Eom ihr die Geschichte von Minho, wie er um ein
Haar gestorben wäre. Ihre Mutter ist geschockt, doch sie ist
zu schwach, um Minho selbst in seinem Zimmer zu besu-
chen. Sie reden noch eine Weile miteinander und mit red-
nerischem Geschick und vielen ausschlaggebenden Argu-
menten scha t es Lady Eom tatsächlich, ihre Mutter davon
zu überzeugen, ihr die Wohnung zu überlassen. Doch mit
keinem Worte erwähnt Lady Eom, dass sie das Apartment
eigentlich verkaufen und das Geld zu ihren Nutzen ausge-
ben wird.
Einige Wochen später ist Lady Eom im Besitz einer ansehn-
lichen Summe, die sie vom Erlös der Wohnung hat. Ihr
Sohn und sie wohnen jetzt in einer kleinen, einfachen
Wohnung. Sie hat ihr Geld, das ist alles, was sie will. In ih-
rem Hinterkopf läutet aber eine Alarmglocke, da sie noch
nicht genau weiss, wie sie ihrer Mutter erklären soll, was
mit der Wohnung geschehen ist. Ihr Kind lässt sie die meis-
te Zeit bei einer Tagesmutter und sie selbst ver ällt in eine
Art Shoppingrausch und feiert jede Nacht durch. Allerdings
ist ihr bewusst, dass das Geld nicht ewig reichen wird. Wie-
der muss sie sich etwas ausdenken. Das Bild einer an ängli-
chen Idee wird immer schärfer.

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«In welchem Zustand ist meine Wohnung?», erkundigt sich
Lady Eoms Mutter. Ihre Tochter schweigt. «Was hast du ge-
tan?», fragt die Mutter mit einem drohenden Unterton auf
die vorausgehende Stille. Wie soll Lady Eom ihr am besten
beibringen, dass sie das Heim verkauft und das viele Geld
ür nicht zentrale Sachen ausgegeben hat? Sie räuspert sich
und sagt leise: «Ich besitze die Wohnung nicht mehr. Aus-
serdem hat man mich um den Erlös betrogen.» Die Mutter
scheint, obwohl sie blind ist, ihre Tochter zu mustern. Sie
verdächtigt ihr Kind, dass es sie anlügt. Lady Eom
schrumpft sichtlich, als ihr bewusst wird, dass ihr die Mut-
ter diese Lüge nicht abkauft. Wie kann eine so selbstbe-
wusste Frau von dieser zierlichen, älteren und blinden
Dame eingeschüchtert sein? Ihre Mutter entfernt sich unsi-
cher mit dem noch neuen Blindenstock und üstert dabei
leise: «Du hast mich sehr enttäuscht. Habe ich so jemanden
wie dich verdient?»
Lady Eom bleibt schweigend und kleinlaut zurück.

Die junge Frau überlegt sich: «Meine Familie wird mir bald
auf die Schliche kommen. Deshalb werde ich ein letztes Mal
versuchen sie umzubringen. Sobald ich das getan habe,
können sie die Polizei nicht gegen mich au etzen. Denn
wenn sie es heraus nden, komme ich ins Ge ängnis. Und
was würde dann mit meinem kleinen Sohn passieren? Nein,
das kann ich nicht zulassen! »Die Idee, ihre Mutter mit Gift
zu töten, will sie bald in Tat umsetzen. «Was soll ich mit
meinen Brüdern tun?» Lady Eom denkt über viele Mord-
strategien nach. Sie kommt zum Schluss, dass es nicht ge-
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schickt ist, mehrmals dieselbe Methode anzuwenden. Des-


halb will sie sich eine weitere Taktik überlegen.

Als sie in die Stadt geht, um weitere Einrichtungsgegen-


stände ür das Zimmer ihres Sohnes zu erwerben, tri t sie
per Zufall auf ihre ehemalige Schulkollegin, Yunai, samt de-
ren Familie. Mit ihren zwei Sprösslingen und ihrem Mann
lebt sie in Yongin, aber im Moment besichtigen sie gerade
Seoul. Lady Eom und ihre Freundin begrüssen sich und
kommen schnell ins Gespräch. Sie plaudern über ihre Kin-
der und deren Fortschritte. Während der Unterhaltung hat
Lady Eom einen Geistesblitz. Sie weiss nun, wie sie ihre
Brüder umbringen will. Yunai schaut ihre einstige Schulkol-
legin etwas perplex an, weil Lady Eom mitten im Satz auf-
gehört hat zu sprechen. Hastig erzählt die Mörderin weiter.
Innerlich freut sie sich und ist ganz aufgekratzt.
Der Ehemann und die Kinder werden ungeduldig und wol-
len weiter, denn es gibt noch vieles zu entdecken. Die frü-
heren Schulkameradinnen verabschieden sich herzlich.
Lady Eom bricht ihre Einkaufstour ab. Lady Eom muss viel
ür die drei Morde vorbereiten.

Lady Eom begibt sich wieder in ihre altbekannte Apotheke


und besorgt das Gift ür ihre blinde Mutter. Sie hat sich ür
Blausäure entschieden. Eine Flüssigkeit, die innerhalb we-
niger Sekunden töten kann. Als Stammkundin erhält sie ein
wenig Rabatt. Die Mörderin grinst freudig. Die Vorstellung
des Geldes, das sie erlangen wird, lässt sie heiter wirken.
Die junge Frau muss es sich verkneifen, wie ein kleines
Kind herum zu hüpfen. Zuhause bereitet sie alles vor. Die
Tochter lädt ihre Mutter zu einem Abendessen zu ihr ein,
unter dem Vorwand, dass sie das Geld habe und noch per-
sönlich mit ihr sprechen wolle. Die alte Dame sagt zu.
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Lady Eom bereitet einen leckeren Cocktail zu und gibt die
Blausäure hinein. Schadenfreudig erwartet sie die Ankunft
ihrer Mutter.

Es klingelt an der Tür. Lady Eom sammelt sich und ö net


diese. Mit einem künstlichen Lachen begrüsst sie ihre Mut-
ter und winkt dem Chau eur des P egeheimes zu. Die alte
Dame wird von ihrem Kind an den ürstlich gedeckten
Tisch ge ührt, auf dem bereits der Cocktail zusammen mit
einigen Aperitif-Häppchen steht. Sie isst mehrere Lecker-
bissen und nimmt einen Schluck von ihrem Getränk. Sofort
beginnt die Dame nach Luft zu schnappen und japst: «Hilf
mir… » Der alten Dame ällt es schwer zu sprechen und sie
wird ohnmächtig. Sie sackt in sich zusammen und ällt vom
Stuhl. Ihre Tochter gibt ein schadenfreudiges Lachen von
sich. Dann tastet sie nach dem Puls ihrer Mutter. Als sie
keinen mehr ühlt, sagt sie: «Jetzt weisst du, was du ver-
dient hast.» Die Mörderin schüttet das tödliche Getränk in
den Ab uss und entsorgt schnell das Glas. Schnell ruft sie
den Rettungsdienst an und spielt am Telefon, wieder ein-
mal, die bemitleidenswerte Frau. Der Notarzt ist schnell vor
Ort und sieht die vermeintlich aufgelöste Lady Eom und die
am Boden liegende Frau. Der Doktor eilt zum leblosen Kör-
per. Auch er ühlt keinen Puls mehr und schaut traurig zu
Lady Eom auf. «Ich kann leider nichts mehr ür Ihre Mutter
tun. Es tut mir unglaublich leid. Wie ist es passiert?» «Sie
kam rein, hat mich umarmt, wollte sich hinsetzen und ist
einfach umgekippt.», schluchzt Lady Eom aufgelöst. Der
Arzt vermutet als Todesursache einen Herzinfarkt. Die Lei-
che wird zugedeckt auf einer Trage weggebracht. Nach dem
ganzen Tumult legt sich Lady Eom ins Bett und zählt ihre
Morde. Es ist inzwischen eine beachtliche Zahl, überlegt sie
sich. Ihr Verlangen nach Geld bleibt aber unbefriedigt. Sie

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denkt darüber nach, wie ihre Mutter sie im Testament be-
rücksichtigt haben könnte. Lady Eom sieht sich schon im
Geld baden. Zufrieden schläft sie ein.

Zwei Monate später bekommt sie die Erbbescheinigung. Die


Tochter der verstorbenen Mutter ist sehr enttäuscht. Ihre
Brüder haben einiges mehr bekommen, was sie fuchsteu-
felswild macht. Minho hat sogar fast das Doppelte erhalten.
Ausser ihrem Verlangen nach Reichtum wird ihr Hass auf
ihre Brüder grösser und grösser. Sie will ihre Geschwister
beseitigen, da sie das Ge ühl hat, dass diese ihr das Erbe
entwendet haben. Der Plan, der ihr im Gespräch mit Yunai
eingefallen ist, wird sie bald in die Realität umsetzen. Lady
Eom braucht nur noch Brennspiritus, ein Feuerzeug und
eine Zündschnur.

Sie ährt wieder zu ihrer Apotheke, dort kann sie Brennspi-


ritus kaufen. Der angebliche Apotheker lacht sie jedoch er-
freut an, weil ihre Einkäufe meist teuer sind. Freundlich
lächelt sie zurück. Als der Händler erblickt, was sie sich
aussucht, ist er enttäuscht, da ihm dieser Einkauf nicht das
grosse Geld bringt. Er bedient sie aber weiterhin freund-
lich. Sie entfernt sich kurz von der Kasse, weil sie das Feu-
erzeug vergessen hat. Als sie bezahlt, verstaut der Verkäu-
fer ihre Mordutensilien in einer Tüte. Anschliessend be-
dankt sie sich und verlässt den Laden mit raschen Schrit-
ten. Danach geht sie in den Baumarkt und kauft eine Zünd-
schnur.

Zu Hause geht sie ihren Plan nochmals im Kopf durch, um


sicher zu gehen, dass alles funktionieren wird und sie kei-
nen Fehler machen wird. Lady Eom weiss, dass Minho und
Taemin einen Wohnungsschlüssel ür den Notfall unter ei-

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nem Blumentopf verstecken. Dieses Wissen wird sie sich zu


Nutze machen, um in der Nacht unbemerkt in die Woh-
nung einzudringen. Anschliessend wird sie den Brennspiri-
tus über mehrere Objekte giessen, die Zündschnur verlegen
und diese mit dem Feuerzeug anzünden. Die Wohnung
wird Feuer fangen und ihre Brüder werden sterben. So lau-
tet ihr per der Plan.

Sie wartet draussen auf der Strasse, bis die Lichter in den
Wohnungen ausgehen. Um Mitternacht ist sie sich sicher,
dass ihre Geschwister und alle anderen Anwohner im
Wohnungsblock schlafen. Schliesslich schleicht sie zum
Haus hin, hebt den Blumentopf an und hält den Schlüssel
in das spärliche Licht des Mondes. Das Metallstück glitzert
und funkelt. Es ühlt sich kalt an. Sie lächelt. Dann schliesst
Lady Eom die Tür auf und betritt die dunkle Wohnung. Die
Schwester verteilt grosszügig den Brennspiritus, verlegt die
Zündschnur und tränkt den vorderen Teil derer mit der gut
entzündbaren Flüssigkeit. Die Brandstifterin tritt zurück
und lässt ihr Feuerzeug au ammen. Lady Eom entfacht
vorsichtig die Zündschnur. Als sie beobachtet, wie die
Flamme den gut brennbaren Teil erreicht und gleich meh-
rere Objekte in Brand steckt, verlässt sie leise die Wohnung
und reinigt den Schlüssel, um keine Spuren zu hinterlas-
sen. Dann legt sie ihn wieder an seinen Platz. Zufrieden
kehrt sie nach Hause zurück. Sie ühlt sich grossartig.

Am Morgen danach kontaktiert das Krankenhaus Lady


Eom. Sie wartet darauf, dass man ihr mitteilt, dass ihre Ge-
schwister verstorben sind. Doch es kommt anders als er-
wartet. «Wir rufen Sie an, um zu sagen, dass Ihre Brüder im
Krankenhaus behandelt werden. Sie sind in einen Haus-
brand geraten und haben schwere Verbrennungen erlitten.

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Die Zwei sind aber ausser Lebensgefahr. Sie ist einen kur-
zen Moment sprachlos. Wie konnten Minho und Taemin
sich retten? «Wie geht es ihnen?» Die Krankenschwester
antwortet: «Den Umständen entsprechend gut. Wollen Sie
Ihre Brüder nicht besuchen? Sie sind ansprechbar.» Lady
Eom erwidert, dass sie sofort komme.

In der Klinik schreitet sie zur Rezeption und gibt ihre Daten
an. Dann nennt man ihr die Nummer des Zimmers. Vor
dem Eintreten richtet sie sich auf und atmet tief durch.
Lady Eom muss ihre Tarnung wahren. Sie ö net die Tür
und erkundigt sich besorgt: «Hallo. Was macht ihr ür Sa-
chen?» Vermeintlich schockiert und ürsorgend betrachtet
sie ihre Brüder. Taemin schaut sie verwundert an. Er und
Minho haben nicht mit ihrem Besuch gerechnet. Obwohl
sie schlecht sprechen können, antworten sie auf Lady Eoms
Frage und erzählen sogar noch mehr von dem Vorfall. «Wir
wissen nicht, wie es passieren konnte. Was sollen wir nur
tun? Wie haben nichts mehr, ausser dem Erbe unserer Mut-
ter. Die meisten Gegenstände sind verbrannt oder nicht
mehr zu gebrauchen. Nur mit viel Glück konnten wir durch
die Fenster iehen. Die Feuerwehr wurde rechtzeitig in-
formiert und konnte die anderen Wohnungen evakuieren.»
Sie zuckt zusammen. Wie hat sie nur so einen fatalen Feh-
ler begehen können? Die Schwester hat von ihnen gewusst,
aber hat diese schlichtweg vergessen. «Wieso habe ich die
Fenster nicht abgeklebt oder verkeilt?», macht sich Lady
Eom in Gedanken Vorwürfe. Sie hält es nicht länger im
Zimmer aus und verabschiedet sich nach einigen Minuten.
Die Mörderin verlässt das Krankenhaus mit eiligen Schrit-
ten. Das Risiko aufzufallen, wird immer grösser, deshalb
entscheidet sie sich, den Kontakt Schritt ür Schritt abzu-

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bauen. Sind die Versuche ihre Brüder umzubringen um-
sonst gewesen?

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Lady Eom klingelt bei ihrer alten Freundin und Babysitterin
ihres ersten Kindes. Nach einigen Momenten wird die Türe
geö net. Im Türrahmen steht eine zierliche Frau Anfang
dreissig. Langes, schwarzes Haar ällt ihr bis zur Taille. Ein
feines Lächeln bildet sich auf ihren Lippen. Ihre bleiche
Haut lässt ihre pechschwarzen Augen markant aussehen.
Freundlich lächelt Lady Eom zurück, doch ihr Blick bleibt-
kalt. Die Erinnerungen an ihre gemeinsame Schulzeit
schiessen ihr durch den Kopf. Sumi ist nicht immer ihre
Freundin gewesen. In der Grundschule sind die oft zerstrit-
ten gewesen, da sie beide immer im Mittelpunkt der Auf-
merksamkeit stehen wollten. Erst in der Mittelschule haben
sie sich besser verstanden. Obwohl sie Sumi vergeben hat,
kann sie es nicht vergessen. «Lange nicht gesehen. Ist etwas
passiert?», erkundigt sich die Frau. «Ich brauche Hilfe.
Kannst du mir einen Gefallen tun, Sumi?»
Die zwei Damen sitzen kurz darauf auf dem Sofa, beide eine
Tasse Ka ee in der Hand. «Was ist geschehen?», fragt
Sumi, «erzähl mir alles.» Lady Eom beginnt zögerlich zu
sprechen: «Wie du weisst, ist Choi vor längerer Zeit verun-
fallt.« Eine Träne kullert über ihre Wange. «Und als wäre
das nicht genug, starb danach auch ihr Vater. Zu allem Un-
glück verlor ich etwas später meinen zweiten Ehemann
und zuletzt noch meine Mutter. Jeder, der mir nahesteht,
stirbt. Ich habe das Ge ühl, dass ich allen nur Unglück brin-
ge. Vor Kurzem ist auch noch die Wohnung meiner Brüder
abgebrannt. Also werde ich ihnen meine Wohnung zur
Ver ügung stellen, sobald sie aus dem Krankenhaus entlas-
sen worden sind.» Mittlerweile strömen ununterbrochen


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Tränen über ihr Gesicht. Lady Eom ist stolz auf ihre Schau-
spielkünste. Sumis bemitleidender Blick ist in ihren Augen
sehr amüsant. Sie muss sich beherrschen, nicht zu lächeln.
«Sag mir, hast du überhaupt genug Geld und ein Dach über
dem Kopf? Willst du eine Zeit bei mir und meinem Mann
leben?» Bei dem Wort Geld blitzen Lady Eoms vom Weinen
geröteten Augen auf, doch Sumi denkt, es sei Ausdruck ih-
rer Dankbarkeit. «Nur wenn es euch keine Umstände berei-
tet.« Der Anfang ihres Planes, auch diese Familie umzubrin-
gen, ist gescha t. Auch wenn Lady Eom durch diesen Mord
kein Geld erhalten wird, freut sie sich, bald ihre Mordlust
stillen zu können.
Ihre Gastgeber besitzen eine moderne, zweistöckige Woh-
nung. Eine schmale Treppe ührt zu dem leicht erhöhten-
Gebäude. Das Heim ist ür ein junges Ehepaar mit einem-
ün ährigen Sohn perfekt gewählt. Zudem ist es sehr ge-
schmackvoll und doch kinderfreundlich eingerichtet. Die
Gastgeberin ührt die Witwe und deren Kind ins Gästezim-
mer und lässt sie alleine, damit sie sich einrichten kann.
Lady Eom setzt sich auf ihr Bett und packt ihren Ko er aus.
Rund herum stehen noch Kisten vom Umzug. So einfach
hätte sie es sich nun doch nicht vorgestellt. Sie überlegt die
nächsten Schritte ihres Vorgehens. Das Geräusch eines lei-
sen Klopfens durchbricht die Stille. Vorsichtig wird die Türe
aufgestossen. Das runde Gesicht von Sumis Sohn Hyunjin
erscheint in der Tür. Er hält ein Glas Wasser in seinen klei-
nen Händen und streckt es ihr entgegen. «Vielen Dank,
Kleiner», erwidert sie mit einem warmen Lächeln.
Von den Geräuschen geweckt, beginnt Lady Eoms Sohn zu
weinen. «Stell das Glas bitte einfach dorthin», fordert sie
Hyunjin auf. Lady Eom nimmt ihr Kind in die Arme und be-
ruhigt es mit tröstender Stimme.
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Beim Abendessen scha t es die Besucherin, Hyunjin in ein


Gespräch zu verwickeln. Allmählich verliert er seine Scheu
und fasst Vertrauen. Wegen seiner kindlichen Unschuld und
seinen grossen Augen beginnt sie, ihn langsam in ihr Herz
zu schliessen.
In den nächsten Tagen spielen die zwei Kinder oft mitein-
ander. Glücklicherweise scheinen sie sich gut zu verstehen.
Für wenige Augenblicke zweifelt sie an ihrem Mordplan,
doch dann überkommt sie wieder die Sucht zu töten.
Nichts würde sie davon abhalten.
Da Lady Eom noch Brennspiritus, den sie zuvor gekauft
hat, und Brandschnur hat, ändert sie ihren ursprünglichen
Plan, die Familie wie ihre Mutter mit Gift zu töten. Stattdes-
sen beschliesst sie, deren Haus in Brand zu setzen. Ge-
räuschlos legt sie die ür den Brand benötigten Utensilien
bereit und begibt sich zu den anderen ins Wohnzimmer.
Später am Abend bringt Sumi Hyunjin ins Bett. Sie kommt
danach noch einmal zurück, um ein wenig zu plaudern, be-
schliesst aber kurz darauf, sich auch schlafen zu legen.
Lady Eom wartet mit der Aus ührung der Brandstiftung bis
Nachtruhe eingekehrt ist. Als sie mit den Mordutensilien
wieder ins Wohnzimmer geht, erahnt sie im schwachen
Licht die Silhouette von Sumis Ehemann auf dem Sofa. Vor
Überraschung lässt sie beinahe den Brennspiritus fallen.
Leise stellt sie die Gegenstände hin und nähert sich zöger-
lich dem Schatten. Zu ihrem Glück ist er eingeschlafen. Ru-
hig betrachtet sie sein Gesicht und erkennt die Ähnlichkeit
zu ihrem ersten Mann. Die Erinnerungen wecken grossen
Hass in ihr. Vorsichtig packt sie die Flasche und schüttet
die leicht ent ammbare Flüssigkeit über den Teppich un-
d einige im Raum stehende Möbel. Da der Boden aus Holz
ist, wird sich das Feuer schnell ausbreiten. Sobald der gan-
ze Behälter leer ist, befestigt sie die Brandschnur an einer





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Kommode, rollt sie hinter sich aus und platziert das Ende
ausserhalb der Eingangstür. Leise wie eine Katze schleicht
sie die Treppe zum Schlafzimmer ihres Sohnes hoch. Er
schläft tief und fest, da sie ihm beim Abendessen Schlafmit-
tel ins Essen gemischt hatte. Sie tat es, damit er nicht zu
schreien beginnt und Sumis Familie aufweckt. Mit ihrem
tief schlafenden Kind im Arm verlässt sie das Haus. In der
Dunkelheit kauert sie sich nieder und entfacht ein Streich-
holz. Schadenfreudig lauscht sie dem leisen Knistern der
kleinen Flamme auf der Zündschnur. Lautlos verriegelt sie
die Haustüre und verschwindet in der Finsternis. Geschützt
hinter einer alten Eiche mit breitem Stamm beobachtet sie
das lodernde Feuer. Der beissende Geruch des Rauches
steigt ihr in die Nase.
Aus der Ferne heulen immer lauter werdende Sirenen.
Feuerwehrwagen mit Blaulicht donnern an ihr vorbei. Oh-
renbetäubender Lärm und ein Gemisch aus Panik und Hek-
tik er üllt die Nacht.
Erschöpft lässt sie sich dem Eichenstamm entlang zu Boden
sinken. Sie hat es gescha t! Erneut verspürt sie das befrie-
digende Ge ühl der Rache. Erinnerungen,dass dem unzu-
verlässigen Vater der Tod ihrer geliebten Tochter Choi zuzu-
schreiben ist, wird sie ihm nie verzeihen. Während sie von
alten Erinnerungen überwältigt wird, kommt in ihr eine
bisher verdrängte Trauer um ihre verlorene Tochter hoch.
Das erste Mal nach einem Mordanschlag sind ihre befriedi-
genden Rachege ühle mit einer Spur von Reue über die
ausgelöschten Menschenleben vermischt.
In Gedanken versunken taumelt sie in Richtung der Woh-
nung, die sie ihren Brüder gegeben hat, um dort den Rest
der Nacht zu verbringen.
Wenige Tage später erhält Lady Eom von einer unbekann-
te Nummer einen Anruf. Als sie ihn annimmt, erklingt eine

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weibliche Stimme. «Spreche ich mit Lady Eom?» Sie antwor-
tet mit einem knappen «ja». Die Frau am Telefon ährt
fort: «Vor drei Tagen sind hier im Krankenhaus eine Frau
und ihr Sohn eingeliefert worden. Ihre Namen sind Sumi
und Hyunjin.» Lady Eom zuckt zusammen. Haben sie über-
lebt? Die Stimme ährt fort: »Die Patientin wünscht sie zu
sehen. Kommen Sie bitte ins Krankenhaus.»
Als Lady Eom Im Krankenhaus ankommt, wird sie von einer
Krankenschwester in das Zimmer 155 gebracht. Dort liegen
sie. Mit Verbrennungen übersät. «Sumi! Hyunjin!», ruft sie
und spielt die geschockte Freundin. «Was ist passiert?»
Sumi antwortet mit schwacher Stimme: «Die Wohnung ist
abgebrannt. Hyunjin und ich haben nur knapp überlebt, da
wir mit Hilfe der Feuerwehr durch ein Fenster im Schlaf-
zimmer iehen konnten. Mein Ehemann ist unten im
Wohnzimmer gewesen. Er hat das Haus nicht mehr verlas-
sen können und ist gestorben.» «Das tut mir so leid», ant-
wortet Lady Eom mit gespieltem Mitleid. «Wo warst du ei-
gentlich, als das Feuer ausbrach? Und warum hast du nicht
die Feuerwehr gerufen?», schreit Sumi voller Schmerz. Lady
Eom verspürt erneut ein Ge ühl der Reue, doch diesmal ist
es viel stärker. «Es gab einen Notfall bei meinen Brüdern
und ich habe zu ihnen müssen», lügt sie schnell. Sumis Au-
genlider beginnen zu ackern. Erschöpft vor Schmerzen
sinkt die Babysitterin zurück in ihr Kissen.






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Ein kurzer Schrei und das darau olgende Weinen von Lady
Eoms Sohn reisst alle Mitfahrenden, welche sich mit ihnen
im Bus be nden, und die Mutter aus ihren tiefen Gedan-
ken. Eben hat sie sich noch überlegt, wohin sie als nächstes
hinziehen soll, da die aktuelle Situation des Zusammen-
wohnens mit ihren Brüdern nicht optimal ist. Seit dem
Brand der Wohnung ihrer alten Freundin weiss sie nicht,
wohin sie ziehen soll.

Alle Fahrgäste im alten Doppeldecker schauen genervt zu


ihnen hinüber. Sie versucht Jisung, ihren Sohn, zu beruhi-
gen und redet ihm gut zu. Bevor sie sich entschuldigen
kann, hält der Bus an der Haltestelle «Klinik» an. Weil das
Verkehrsmittel so voll ist, muss eine beachtliche Men-
schenmenge die alte Blechkiste verlassen, damit Lady Eom
und ihr Sohn aus dem Bus aussteigen können. Dieser Um-
stand verärgert einige Leute zusätzlich. Die alleinerziehen-
de Mutter ist auf dem Weg, ihre ehemalige Schulkameradin
Sumi zu besuchen, so dass ihre Tarnung als unschuldige
Freundin nicht au iegt. Nun müssen sie noch einen ünf-
minütigen Weg zurüklegen, bis sie die Eingangshalle des
Spitals betreten können.
Die beiden begeben sich direkt in den Fahrstuhl. Sie klop-
fen an der Zimmertür, bevor sie eintreten. Die freundliche
Stimme ihrer Freundin antwortet mit einem kurzen: «Her-
ein!». Lady Eom stellt die Blumen, welche sie zuvor in ei-
nem Geschäft gekauft hat, auf den kleinen, viereckigen
Tisch neben Sumis Bett. Sie sagt mit einem kübstlichen Lä-
cheln: «Wie ich sehe, geht es euch schon besser.» «Ja, es ist

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schon viel besser. Ich bin so froh!», erwidert Sumi. Lady
Eom schaut sie glücklich an, als wäre sie sehr dankbar dar-
über, doch innerlich kocht sie vor Wut. Schliesslich wollte
sie nicht, dass die Zwei überleben. Einige Zeit später verab-
schiedet sich Lady Eom wieder von Sumi und deren Sohn,
der mittlerweile seinen Mittagsschlaf beendet hat, daher sie
gleich beim Arzt, dessen Praxis sich direkt neben dem
Krankenhaus be ndet, einen Termin haben. Jisungs Jahres-
kontrolle steht an.
Nachdem sie sich zehn Minuten im Warteraum be nden,
wird Jisung immer unruhiger. Jisungs Mutter versucht ihn
zu beruhigen. Jedoch merkt sie schnell, dass er nicht müde
ist, sondern sie be ürchtet, dass er Fieber hat. Nach einer
ge ühlten Ewigkeit kommt der Arzt und bittet sie herein.
«Lady Eom, richtig? Sie sind hier ür die Jahreskontrolle Ih-
res Sohnes», sagt der Doktor. Darauf antwortet Lady Eom:
«Das ist korrekt». Sie folgt dem Arzt in sein Behandlungs-
zimmer. An der Decke hängt ein Mobile mit Schmetterlin-
gen. Generell ist alles sehr kinderfreundlich eingerichtet.
Mit einem besorgten Blick betrachtet der Arzt Lady Eoms
Sohn und erkundigt sich, ob er möglicherweise Fieber
habe. «Diese Vermutung hatte ich vorhin auch», äussert
sich die besorgte Mutter. Der Verdacht wird von dem jun-
gen, aber erfahrenen Arzt bestätigt. Er gibt ihr ein Arznei-
mittel und schlägt vor, die Kontrolle in ein paar Wochen,
wenn sich der kleinen Jisung wieder erholt hat, nachzuho-
len. Lady Eom stimmt ihm zu, bedankt sich von Herzen,
verabschiedet sich und macht sich auf den Weg zu ihren
Brüdern.

Zwei Tage später stellt Lady Eom mit Schrecken fest, dass
die Haut ihres Sohnes viele merkwürdige Flecken aufweist.

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Auch das Fieber ist noch nicht gesunken. Sofort verlässt die
junge Frau ihr zuhause und eillt zum Kinderarzt.

Dieser stellt fest, dass der kleine Jisung auch eine Binde-
hautentzündung aufweist und leicht geschwollene Füsse
sowie Arme hat. Dazu kommt die erhöhte Temperatur. Für
den jungen Arzt ist schnell klar, dass es sich hierbei nicht
nur um eine normale Grippe handelt. Ausserdem weist Ji-
sung eine rote Zunge und einen geröteten Rachen auf. Nach
einer kurzen Untersuchung stellt der Arzt fest, dass es sich
um das Kawasaki- Syndrom handelt. Zur Erleichterung von
Lady Eom ist die Krankheit jedoch nicht tötlich. Allerdings
ist die Behandlung kostspielig, was Lady Eom alles andere
als begeistert. Für die Genesung ihres Sohnes braucht es
eine teure Therapie.
Nun hat Lady Eom ein grosses Problem. Wie soll sie die
Therapie bezahlen? Soll sie nochmals jemanden umbrin-
gen? Aber wen? Und ausserdem würde es viel zu lange dau-
ern, bis das Geld, welches sie erhalten würde, bei ihr auf
dem Konto sein würde.
Plötzlich kommt ihr ein Gedankenblitz. Sie wollte morgen
sowieso wieder einmal Sumi besuchen. Was wäre, wenn sie
einfach ihre Freundin bestehlen würde? Der Hass von Lady
Eom auf ihre Freundin hat sich stark gesteigert, als sie den
Brand überlebte und wird somit von alleinerziehenden
Mutter als perfektes Opfer gesehen.
Voller Vorfreude auf das Geld macht sie sich am nächsten
Tag auf den Weg ins Krankenhaus. Ihren Bruder hat sie
kurzerhand als Aufpasser ür Jisung angestellt. Unterwegs
zum Zimmer 155 stösst sie unabsichtilich mit einer älteren
Dame zusammen. Die Rentnerin stolpert und ällt hin. Lady
Eom täuscht vor, ein schlechtes Gewissen zu haben, und
bringt sie in ihr Krankenzimmer. Gerade als sie sich verab-

schieden will, entdeckt sie eine Kreditkarte in einer o enen


Schublade im Nachttisch. Als sie die Karte grei en will,
bemerkt sie, dass auf ihr eine Notiz mit verschiedenen Zah-
len klebt. ,,Das muss der Code ür die Kreditkarte sein”,
denkt sie sich erfreut. Lady Eom deutet sie daher auf eine
etwas senilere Frau hin. Daneben liegt eine Diamantenkette
und einen Ring, der ein Ehering zu sein scheint. Sie muss
ihn soeben abgestreift haben. Die junge Frau zählt eins und
eins zusammen und stellt mit einem breiten Lächeln im Ge-
schicht fest, dass diese Person sehr wohlhabend sein muss,
und es sich garantiert mehr lohnen würde, die alte Frau zu
bestehlen als ihre verwitwete Freundin.

Als Lady Eom sich nach einer Stunde von Sumi verabschie-
det, ist es draussen schon dunkel. Jedoch verlässt sie das
Krankenhaus nicht direkt, sondern schaut nochmals bei
der alten Frau vorbei. Lady Eom späht vorsichtig ins Zim-
mer und sieht die ältere Dame in ihrem Bett liegen. Sie
schläft tief und fest. Auf Zehenspitzen schleicht Lady Eom
zum Nachttisch. Die Mutter stiehlt die Karte und steckt sie
in ihre Hosentasche. Die Diamantenkette und den Ring lässt
sie liegen, da dort die Gefahr, dass der Diebstahl schnell
au iegen würde, grösser ist. Glücklich macht sie sich auf
den Nachhauseweg.

Am nächsten Tag schlendert Lady Eom mit der Kreditkarte,


welche sie am Vorabend geklaut hat, und vollen Tüten
durch das Einkaufszentrum. Eigentlich wollte sie das Geld
ür die Behandlung ihres Sohens sparen.

Jisungs Fieber steigt ein paar Tage später massiv an. Es ist
so hoch, dass sich Lady Eom entscheidet, mit ihrem kran-
ken Sohn so schnell wie möglich in die Klinik zu fahren.
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Zwei Tage lang liegt der Kleine schon im Krankenhaus. Mitt-


lerweile ist das Fieber wieder gesunken und der Hautaus-
schlag beinahe verschwunden. Es scheint, als könnte er
bald wieder nach Hause gehen. Die Türe des Zimmers, in
welchem sich Jisung be ndet, ö net sich langsam und eine
freundliche Krankenschwester tritt ein. Die besorgte Mutter
erkundigt sich bei der Krankenp egerin: «Kann er bald
nach Hause?» «Er muss nur noch eine Nacht zur Beobach-
tung bleiben», antwortet sie mit beruhigender Stimme.
Am nächsten Morgen wacht Lady Eom in dem ungemütli-
chem Spitalbett, in welchem sie die letzten Nächte ver-
bracht hatte, auf.
Als sie zum Herzbildfriquensgerät ihres Sohnes schaut,
schreit sie besorgt um Hilfe. Zwei P egerinnen stürmen in
das Zimmer. Schockiert alarmieren sie einen Arzt, der ih-
nen den Verdacht bestätigt. Jisung ist gestorben. Der Arzt
wie auch die P egerinnen können sich den plötzlichen Tod
des Kindes nicht erklären. Zugleich verwundert es das Per-
sonal, dass es keinen Alarm gegeben hat. Es wird davon
ausgegangen, dass die Maschine, welche den Notfall hätte
melden sollen, einen Defekt hatte.

Ein paar Tage später realisiert Lady Eom, dass sie die Kre-
dikarte nicht behalten kann. Auf keinen Fall möchte sie ris-
kieren, eine Strafanzeige oder eine Geldstrafe zu bekom-
men. Sie ho t auf Mitleid und Verständnis der alten Dame
und beschliesst aufgrund dessen, ihr die Kreditkarte per-
sönlich zurückzubringen. Doch was soll sie sagen?

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Ein Tag nach der Beerdigung ihres Sohnes macht sich Lady
Eom auf den Weg, um sich bei der neuen Bekannten, der
sie die Kreditkarte gestohlen hat, zu entschuldigen. In letz-
ter Zeit ist sie häu g bei ihr gewesen und nun hat sie sich
entschieden die Kreditkarte
zurückzugeben.
Kurz bevor sie beim Krankenhaus ankommt, wird sie von
der Polizei angehalten. Die Polizisten schauen sie durch das
Autofenster ernst an und fordern sie auf auszusteigen. Ner-
vös befolgt sie den Befehl der Polizisten. Sie be ürchtet,
dass ihre Morde aufge ogen sind und sie deshalb angehal-
ten worden ist.
«Dürften wir Ihren Führerschein kontrollieren?», bittet sie
ein Polizist. Erleichtert darüber, nicht aufge ogen zu sein,
atmet sie auf und kramt hektisch ihre Brieftasche hervor.
«Hier, bitte.» Sie streckt dem Polizisten ihren Führerschein
entgegen. Dieser betrachtet ihn und sagt: «Sie sind 15 km/h
zu schnell gefahren, das macht 308 000 Won.» Ihre Er-
leichterung löst sich in Luft auf und sie ist geschockt über
die hohe Summe, die sie bezahlen muss. «Wir würden Ih-
nen dann in drei bis ünf Tagen eine Rechnung zukommen
lassen, die Sie dann bitte umgehend bezahlen.», erklären
die Polizisten. Lady Eom nickt und fragt sich aber, woher
sie das ganze Geld nehmen soll. Nun meldet sich eine junge
Polizistin zu Wort: «Das darf nicht noch einmal vorkom-
men, verstanden? Sie können jetzt gehen.» Lady Eom steigt
in ihr Auto und seufzt. Zum Glück ist der Kranken-
hausparkplatz gerade in der Nähe.

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Lady Eom klopft zaghaft an die Zimmertür der alten Dame.
Kurz darauf erklingt ein leises ‘Herein’ und sie betritt vor-
sichtig den Raum und lächelt die im Bett liegende Frau an.
«Hallo Ahri. Wie geht es dir?», erkundigt sich Lady Eom.
Ahri lächelt zurück: «Ich bin noch etwas müde, aber es geht
mir von Tag zu Tag besser.» - «Das freut mich.», meint Lady
Eom freundlich, doch ihre Gesichtszüge werden ernst.
«Ich muss dir etwas gestehen.» Sie atmet tief ein und setzt
sich auf den in der Ecke stehenden Stuhl. Ahri schaut sie
erstaunt an: «Da bin ich aber gespannt...» - «Erinnerst du
dich noch daran, als wir uns das erste Mal getro en haben
und ich dich in dein Zimmer begleitet habe? Da habe ich
deine Kreditkarte mitgenommen.» Lady Eom senkt den
Blick. «Warum hast du das getan?! Wie viel Geld hast du da-
von gebraucht?», fragt Ahri. Eigentlich hat Lady Eom sich
vorher eine Ausrede ausgedacht, doch nun entscheidet sie
sich, die Wahrheit zu sagen. Die ausgiebigen Shoppingtou-
ren lässt sie jedoch aus.
Als sie von ihrem grossen Geldproblem erzählt, scha t sie
es, eine Träne über ihre Wange kullern zu lassen und zum
Schluss, als sie den Tod ihres Sohnes erwähnt, kommen
noch ein paar echte Tränen dazu.
«Aber warum hast du mir das nicht früher gesagt? Ich hätte
dir doch Geld geliehen!»
Aufgebracht schüttelt Ahri den Kopf. Sie ist enttäuscht von
Lady Eom, hat aber dennoch Mitleid mit ihr, jetzt wo sie
weiss, dass diese niemanden mehr hat.
«In drei Tagen darf ich nach Hause, ich würde mich freuen,
wenn du am Abend zu mir kommen würdest, um bei mir
Abend zu essen. Dann können wir gemeinsam eine Lösung
nden. Ich wäre dir aber sehr dankbar, wenn du dann
nichts mitgehenlassen würdest. Falls etwas fehlen würde,
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nach deinem Besuch, würde ich Anzeige erstatten, das


weisst du.
Ach, und… dürfte ich meine Kreditkarte wiederhaben?»
Lady Eom merkt, dass sie es gescha t hat Ahris Mitleid zu
gewinnen, verspricht nichts zu stehlen und nimmt die Ein-
ladung dankend an. Die Kreditkarte legt sie wieder auf den
Nachttisch neben Ahri. Dann gibt ihr Ahri noch ihre Adres-
se und sie verabschieden sich voneinander.

Drei Tage später klingelt Lady Eom an Ahris Haustür. Das


Haus steht in einem sehr reichen Viertel und es ist riesig.
Lady Eom kann den Luxus örmlich spüren. Als die Türe
aufgeht, setzt Lady Eom ein künstliches Lächeln auf. Sie
tritt ein und Ahri begleitet sie in ihr prunkvolles Esszimmer.
In der Mitte steht ein langer, edel gedeckter Tisch und die
alte Dame deutet auf einen Platz und Lady Eom setzt sich
hin. Zehn Minuten später werden die Speisen von Ange-
stellten serviert. Sie essen und ühren eine lockere Unter-
haltung.

Als sich Ahri ür einen Moment entschuldigt, um zur Toilet-


te zu gehen, holt die junge Verbrecherin eine starke Schlaf-
tablette hervor, welche von ihrem letzten Vergehen noch
übrig ist und lässt sie in Ahris halbleeres Weinglas fallen,
denn sie hat sich entschieden, Ahri ebenfalls erblinden zu
lassen und sie dann umzubringen. So würde sie ihr das
Geld nicht zurückzahlen müssen, denn sie vermutet, dass
Ahri dies von ihr verlangen wird. Als Ahri wieder an ihrem
Platz sitzt, meint sie: « Noch wegen des Geldes, ich wäre dir
sehr dankbar, wenn du es mir irgendwann zurückzahlen
würdest.»

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«Natürlich», erwidert Lady Eom. ‘Zum Glück wird sie blind


sein und sterben’, denkt sie. «Zum Wohl! Auf eine neue
Freundschaft!» Lady Eom und Ahri erheben ihre Gläser.

Nach wenigen Schlucken merkt die alte Dame, dass sie sehr
müde wird und sagt zu Lady Eom, dass es ihr leidtue, aber
sie müsse sich hinlegen. Sie ügt hinzu, dass Lady Eom bei
ihr übernachten dürfe.
Wenige Minuten nachdem Ahri sich ins Bett gelegt hat, ist
sie eingeschlafen. Als Lady Eom sich sicher ist, dass ihre
Gastgeberin auch wirklich schläft und nichts mehr wahr-
nehmen kann, holt sie die Stecknadel aus ihrer Tasche und
setzt sich zu Ahri aufs Bett. Voller Vorfreude zieht sie eines
der Lider von Ahri nach oben und sticht genüsslich und vol-
ler Leidenschaft in deren Auge. Sie sticht ein zweites, ein
drittes und ein viertes Mal hinein und beginnt dann, das
zweite Auge zu bearbeiten. Sie versorgt die Stecknadel wie-
der und legt sich im Gästezimmer ebenfalls schlafen.
Am nächsten Morgen steht Lady Eom schon früh auf. Sie
kocht in der Küche Ka ee und stellt ihn neben Ahri auf den
Nachttisch. Der Geruch des heissen Ka ees weckt Ahri auf,
sie ö net die Augen und erschrickt, als sie nichts sieht. Sie
will sich die Augen reiben, doch sie schreit vor Schmerz
auf. Lady Eom eilt herbei und fragt, was los sei. «Ich sehe
nichts mehr und meine Augen schmerzen, als hätte jemand
hineingestochen!» Ahri beginnt zu weinen und Lady Eom
nimmt sie in den Arm und versucht sie zu trösten, insge-
heim freut sie sich aber, dass ihr Plan wieder einmal funk-
tioniert hat. «Ich bringe dich jetzt ins Krankenhaus.», meint
Lady Eom. Sie ruft ein Taxi und kurze Zeit später steht das
Taxi vor Ahris Haus.
«Fahren Sie bitte zum Krankenhaus.», fordert Lady Eom
den Fahrer auf. Dieser nickt und ährt los.

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Nach einer Weile stehen sie im dichten Stau und es scheint


nicht so, als könnten sie bald weiterfahren. Der Taxifahrer
ucht leise und sagt: «Es tut mir leid, aber das könnte noch
eine Weile dauern.» «Das kann doch wohl nicht Ihr Ernst
sein?! Sehen Sie nicht, wie schlecht es meiner Freundin
geht?», meint Lady Eom mit gespieltem Zorn. «Sie sehen
doch selbst, dass wir im Stau stecken, da kann ich auch
nichts da ür!», verteidigt sich der Fahrer und als würde das
Wetter sie verhöhnen, beginnt es auch noch wie aus Ei-
mern zu giessen.

Als sie nach zwei Stunden beim Krankenhaus ankommen,


kramt Lady Eom ihr letztes Kleingeld aus der Tasche und
gibt es dem Fahrer, dann hilft sie Ahri aus dem Auto und sie
gehen, so schnell es ür Ahri möglich ist, zur Notaufnahme.
Dort werden sie in einen Warteraum gebeten.
«Sag mal, sehen meine Augen eigentlich sehr schlimm
aus?», fragt Ahri Lady Eom. Nach kurzem Zögern lügt sie:
«Sie sind nur stark gerötet.» Nach dreissig Minuten Warten
kommt eine Krankenschwester, die sie zum Arzt ührt. Die-
ser schüttelt den beiden die Hand und bittet Ahri, sich auf
die Liege zu setzen. «Ihre Augenlider sind sehr stark ge-
schwollen. Wann haben Sie denn das letzte Mal gesehen?» -
«Das muss gestern gewesen sein … tut mir leid ich kann es
leider nicht mit Sicherheit sagen, meine Erinnerung ist
nicht mehr die Beste. Ich weiss nur, dass ich, als ich heute
Morgen aufgewacht bin, nichts mehr gesehen habe.» «Das
ist interessant, ich hatte in letzter Zeit einige solche Fälle…»
Lady Eom zuckt zusammen. Er ährt fort: «Vielleicht eine
neue Krankheit…» Sie entspannt sich wieder. Schliesslich
meint der Arzt zu Ahri: «Sie werden wohl diese Nacht hier-
bleiben müssen.», sie nickt und der Arzt wendet sich an
Lady Eom: «Sie können nicht bei ihr bleiben, aber Sie kön-
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nen sie morgen sehen.» Lady Eom nickt ebenfalls ver-
ständnisvoll.
Am Abend, als Lady Eom im Bett liegt, denkt sie darüber
nach, was der Arzt gesagt hat. ‘Ich hatte in letzter Zeit eini-
ge solche Fälle…’, sie überlegt sich, wie sie nun fortfahren
soll.
Sie hat Angst davor, verdächtigt zu werden, denn alle in ih-
rem Umfeld sind gestorben, erblindet oder beides. Sie
macht sich trotz der Vermutung des Arztes, dass es eine
neue Krankheit sein könnte Sorgen aufzu iegen.

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Lady Eom ährt am nächsten Tag ohne Frühstück zu essen
ins Krankenhaus. Sie betritt Ahris Zimmer und fragt sie:
«Hast du gut geschlafen?» Diese antwortet: «Durchzogen,
mal besser, mal schlechter. Und du?» - «Ich konnte nicht gut
einschlafen und hatte Albträume.», entgegnet Lady Eom. In
diesem Moment betritt der Arzt von gestern das Zimmer,
um Ahri zu untersuchen, denn er hat immer noch die Ver-
mutung, dass sich eine neue Krankheit vebreitet, die Leute
erblinden lässt. Diesen Augenblick nutzt Lady Eom aus, um
sich davon zu stehlen, damit die Aufmerksamkeit nicht auf
sie ällt. Sie geht ihr Kindermädchen Sumi besuchen, die
einen Stock tiefer liegt. So kann sie eine längere Begegnung
mit dem Doktor vermeiden.

Sie nimmt den Aufzug und ährt in den ersten Stock. Lady
Eom klopft an die Zimmertür. Sumi bittet sie herein. «Wie
geht es dir?» - «Den Umständen entsprechend gut, aber
wieso hast du mich nicht öfters besucht?», erwidert Sumi.
«Weil ich gedacht habe, dass du noch wütend auf mich bist
und ich dich nicht weiter aufregen wollte. Ich bin froh, dass
es dir wieder besser geht.» Sie unterhalten sich eine Weile,
dann betritt plötzlich Ahris Arzt das Zimmer. Lady Eom
verabschiedet sich sofort von Sumi und verlässt den Raum.
Auf dem Gang bekommt sie Angst, dass der Arzt etwas er-
ahnen könnte. Sie beginnt einen Plan zu schmieden, um
endlich alle Opfer endgültig zu töten. Sie hat sich überlegt,
das Krankenhaus in Brand zu setzten, so wie sie es schon
bei Sumis Wohnung ausge ührt hatte. Sie merkt, dass sie
einen Brandbeschleuniger braucht, da sie aber nicht genug

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Geld hat, um einen Kanister zu kaufen, muss sie kreativ


werden. Nach einigem Nachdenken hat sie die Idee, sich zu
verletzen, um zu erfahren, wo das Wundbenzin gelagert
wird, mit dem ihre Wunde gereinigt wird.

Sie geht zum Parkplatz des Krankenhauses und stolpert ge-


zielt über ihre Schuhbändel, die sie absichtlich zuvor geö -
net hat. Lady Eom versucht den Sturz so wenig schmerz-
haft wie möglich, aber realistisch zu gestalten. Sie hat rauen
und bröckeligen Teer gewählt, damit ihre Wunde gesäubert
werden muss. Sie ällt auf den Boden und schürft sich den
Unterarm und die Hände auf.

Sie kehrt zurück ins Krankenhaus. Gerade beim Eingangs-


bereich kommt ihr eine Krankenschwester entgegen.
«Könnten Sie mir meine Wunde reinigen?», fragt Lady Eom,
«Ich habe mir meinen Unterarm verletzt.» Die Kranken-
schwester bittet sie ihr zu folgen. Lady Eom begleitet sie
erfreut und prägt sich den Weg vom Haupteingang bis zum
Lagerraum genau ein. Beim Eingang des Lagers kann sie
sich sogar die Zahlenkombination ür die Tür merken, da
die Krankenp egerin sie unvorsichtig eingibt. Sie betreten
den Raum und die Krankenschwester reinigt ihre Wunde
mit dem Benzin. Lady Eom vierzieht vor Schmerz ihr Ge-
sicht. Sie bedankt sich und macht sich auf den Weg zurück
zu Ahri.

«Endlich!», sagt Ahri, «Warum hast du so lange gebraucht?»


- «Ich habe mich auf dem Weg verletzt und meine Wunde
musste von einer Krankenschwester gereinigt werden.»,
erwiderte Lady Eom. «Oh nein, was ür ein Unglück», ant-
wortet Ahri besorgt. «Keine Angst, es ist nicht so schlimm,
wie es sich anhört.», beruhigt sie Lady Eom. Sie ürchtet

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immer noch, dass der Doktor ihr auf der Spur sein könnte.
Darum fragt sie Ahri, was der Arzt zu ihr gesagt hat. Diese
entgegnet: «Er hat meine Augen untersucht und festgestellt,
dass sie von etwas gestochen wurden.» Kalte Schweisstrop-
fen rinnen die Stirn von Lady Eom hinunter. Ihr ist nun
bewusst, dass sie das Spital schon diese Nacht in Brand set-
zen muss. Sie spricht noch ein wenig mit Ahri und geht
dann Spazieren, um sich zu beruhigen.

In der Nacht schleicht Lady Eom diesen Weg zurück, den


sie sich gemerkt hat. Beim Eingang des Lagerraumes gibt
sie die Zahlenkombination ein und ö net die Türe leise. Sie
betritt den Raum und sucht das Wundbenzin. Sie durch-
sucht die Regale und ndet es. Als sie Schritte im Flur hört,
versteckt sie sich hinter einem Regal. Nach einer Weile ver-
stummen die Schritte und sie kommt hinter dem Regal her-
vor. Sie nimmt zwei Kanister Benzin mit. Diese leert sie so-
fort auf dem Boden aus. Sie bemerkt aber, dass sie das Feu-
erzeug im Zimmer vergessen hat und ucht innerlich. Sie
verlässt den Raum leise und schaut sich um, ob jemand sie
beobachtet. Als sie sich gerade vor dem Zimmer von Ahri
be ndet, ndet eine Krankenschwester sie und spricht sie
an: «Was machen Sie so spät auf dem Flur?» Lady Eom zö-
gert: «Ich war auf der Toilette.» Die Krankenschwester sieht
sie misstrauisch an, da es in jedem Zimmer eine Toilette
hat. Sie geht an ihr vorbei, ohne ein Wort zu sagen. Lady
Eom betritt Ahris Zimmer. Sie holt vorsichtig das Feuerzeug
aus ihrer Handtasche, ohne die alte Dame dabei aufzuwe-
cken. Sie kehrt zum Lagerraum zurück, ohne sich umzu-
schauen, denn sie ist sich sicher, dass die Krankenschwes-
ter bereits wieder verschwunden ist. Aber die Krankenp e-
gerin hat Lady Eom die Lüge nicht abgekauft und ist ihr bis
zum Lager gefolgt.

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Im Raum angekommen, will Lady Eom das Benzin anzün-
den. Plötzlich ertönt eine Stimme hinter ihr. Sie erschrickt
und dreht sich um. Die Krankenschwester sieht das Feuer-
zeug in ihrer Hand sofort und versucht es ihr wegzuneh-
men. Lady Eom stösst sie weg und sie ällt zu Boden. Die
Krankenschwester schreit: «Was hast du vor und wie bist du
hier reingekommen?» Lady Eom sieht keinen anderen
Ausweg, als sie zu erwürgen. Sie drückt der Schwester auf
den Kehlkopf, aber diese zieht an Lady Eoms Haaren. Das
Feuerzeug entgleitet ihr und ällt zu Boden dabei ensteht
ein Funke, da es in der Einrastfunktion ist zündet es das
Benzin an. Weil Lady Eom den Brennsto ungünstig verteilt
hat, brennt nur ein Teil davon. Die Krankenschwester
springt auf und tritt eine Flamme aus. Ein Regal kippt um
und verletzt sie dabei leicht. Sie rennt aus dem Raum und
schreit um Hilfe.

Dies ist das erste Mal, dass Lady Eoms Plan nicht aufgeht.
Sie müsste nun iehen, aber sie überlegt, dass die Polizei
sie ür den Rest ihres Lebens verfolgen würde. So würde es
immer schwieriger werden, mehr Leute umzubringen, um
an Geld zu kommen. Darum beschliesst sie, die Kranken-
schwester im Spital zu suchen, um sie davon abzuhalten die
Polizei anzurufen.

Als Lady Eom sich auf den Flur begibt, sieht sie Blutspuren
auf dem Boden und sie denkt sich: Das muss das Blut der
Krankenschwester sein. Sie folgt den Bluttropfen. Langsam
ängt sie an zu rennen, weil sie sich beeilen muss. Sie eilt
zwei Stockwerke hinauf. Die Spuren ühren in einen Raum.
Es ist ein fataler Fehler der Krankenschwester, dass sie die
Türe zum Zimmer nicht verschlossen hat. Lady Eom beob-
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achtet durch den Türspalt den Raum. In diesem schaut die
Krankenp egerin ängstlich aus dem Fenster und telefoniert
mit der Polizei, die sie zu beruhigen versucht: «Alles wird
gut. Wir sind bereits auf dem Weg.» Lady Eom entdeckt
eine Spritze auf einem schmalen Tisch. Mit einem gewalti-
gen Stoss ö net sie die Tür und schnappt sich sofort die
Spritze. Auf der anderen Seite der Leitung nehmen die Po-
lizisten nur noch einen schrillen Schrei wahr.

Lady Eom hört schon die Sirenen. Sie hat keine Zeit mehr,
um das Lager aufzusuchen und das Krankenhaus anzuzün-
den. Sie rennt bis ins Erdgeschoss hinunter und klettert aus
einem Fenster, da sie glaubt, dass die Polizei schon die Aus-
gänge blockiert hat. Sie eilt zum Parkplatz, wo sie einen al-
ten Herrn beim Einsteigen in sein Auto sieht. Sie reisst ihn
aus dem Fahrzeug. Da die Autoschlüssel schon stecken,
startet sie den Motor und ährt weg. Die Polizei aber be-
merkt den davonrasenden Wagen und ein Teil des Kom-
mandos folgt Lady Eom.

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Lady Eom hört durch die Scheiben die ein bisschen ge-
dämpften Polizeisirenen hinter sich. Sie blickt in den Rück-
spiegel und sieht die rot-blauen Lichter, in etwa 100 Metern
Entfernung ihrem geklauten Wagen nachjagen. Sofort biegt
sie in eine schmalere Seitenstrasse ein, die nach einem kur-
zen Stück in eine ein wenig breitere Strasse, in der Fuss-
gängerzone ührt. Lady Eom hat die Polizei damit nicht ab-
hängen können, sie sieht an den Wänden der nun nicht
mehr so schmalen Strasse immer noch das rot-blaue Muster
der Warnsignale, die dieses nervtötende Geräusch weiter-
hin von sich geben. Sie ährt weiter die Strasse entlang. Der
alte Wagen des Mannes, dem sie diesen gestohlen hat, gibt
nicht sehr viel her. Der rechte Seitenspiegel ist abgebrochen
und der Motor scheint auch nicht mehr der Beste zu sein.
Die Strasse, auf der sie jetzt schon eine Zeit lang ährt, wird
wieder enger. Auch Lady Eoms Vorsprung zu der Polizei,
die nun schon den Lautsprecher ausgepackt hat, der die
nervigen Sirenen bei weitem übertönt, scheint immer klei-
ner zu werden. Pausenlos sagt dort ein Beamter das glei-
che, monotone Sprüchlein auf: «Bremsen Sie sofort ab und
steigen Sie aus dem Wagen! Dies ist eine Durchsage der
südkoreanischen Polizei. Bremsen Sie sofort ab und steigen
Sie aus dem Wagen!»
Lady Eom bekommt es langsam mit der Panik zu tun. Die
Polizei holt immer mehr auf, die Strasse könnte bald zu eng
ür das Auto des Mannes werden und es kommt ihr so vor,
als würde selbiges auch immer langsamer fahren.
Lady Eom muss sich jetzt voll und ganz auf die Strasse und
den Spalt zwischen den Wänden der Häuser und des Autos
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konzentrieren. Dieser ist mittlerweile kaum mehr als ein


paar Zentimeter auf jeder Seite breit. Die noch immer zu
hörenden Sirenen, welche nun nur noch gelegentlich von
der Au orderung anzuhalten, unterbrochen werden - was
keinen Sinn macht, da die Strasse dies nicht zulassen wür-
de - blendet sie so gut wie möglich aus, um sich voll und
ganz auf die Strasse und den aussichtslosen Versuch, die
Wände nicht zu streifen, zu konzentrieren. Ein lautes, fei-
lendes Geräusch, gefolgt von einem metallischen Knir-
schen, lässt Lady Eom au orchen. Der linke Seitenspiegel
ist nun auch abgebrochen. Sie biegt in eine breitere Seiten-
strasse ein.
Lady Eom horcht ein zweites Mal auf. Die Polizeisirenen
werden leiser. Sie kann sich das nicht erklären und schaut
durch den letzten ihr verbliebenen Rückspiegel, der vor
der Windschutzscheibe an der Decke befestigt ist. Was sie
sieht, realisiert sie erst ein paar Sekunden später. Die Autos
der Polizei mussten allesamt anhalten, da sie viel breiter
und massiver sind als der alte Wagen, den Lady Eom be-
nutzt hat. Lady Eom ist die Polizei vorerst los, denn die Po-
lizisten, die es irgendwie trotz der engen Strasse gescha t
haben auszusteigen, hängt sie mit Sicherheit ab. Wenige
Minuten später parkt Lady Eom, die mittlerweile trotz des
ganzen Adrenalins wieder müde ist, das Auto in einer dunk-
len Gasse und steigt schnell, aber leise aus. Sie überlegt,
sich ein Zimmer in einem Hotel zu mieten, aber diesen Ge-
danken verwirft sie rasch wieder, da die Polizei sie zur
Fahndung ausgeschrieben haben könnte. In diesem Fall
wäre es nicht besonders klug, sich jetzt diesen Luxus zu
gönnen. Zusätzlich dazu hat sie sowieso nicht genug Geld,
um sich das leisten zu können. Deshalb entscheidet sie
sich, nach einem trockenen Unterschlupf zu suchen, in
dem sie bis zum nächsten Morgen ausharren könnte. Sie
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beginnt langsam, aber sicher zu frieren. Lady Eom geht los,
der Strasse entlang, bis ihr Blick zu ällig auf ein in der Dun-
kelheit leuchtendes Strassenschild ällt, auf dem ein nach-
rechtsgerichteter Pfeil zu sehen ist. Dazu steht in koreani-
scher Schrift unter dem Pfeil «Parkhaus». Ideal ür Lady
Eoms immer stärker werdendes Bedürfnis nach Schlaf. Sie
macht sich auf den Weg. Einige hundert Meter weiter sieht
sie schon den Eingang des beleuchteten Parkhauses.
Schnell geht Lady Eom hinein, legt sich in eine durch Autos
vor Blicken geschützte Ecke und schläft, trotz des harten
Bodens und der ständigen Angst, dass die Polizei sie mittels
Überwachungskameras oder sonstigen Hilfsmitteln nden
könnte, nach wenigen Minuten ein.
Als sie das Dröhnen eines startenden Automotors hört, das
durch die Akustik im Parkhaus noch verstärkt wird,
schreckt Lady Eom am nächsten Morgen aus ihrem von
Alpträumen geplagten Schlaf auf. «Polizei» ist das erste, was
ihr in den Sinn kommt. Sie springt ruckartig auf und will
sofort lossprinten. Doch sie bemerkt gerade noch, dass es
nur ein davonfahrendes Auto ist. Lady Eom ist überrascht
und erleichtert, dass die Polizei sie in dieser kurzen Nacht
nicht gefunden hat.
Danach verlässt sie das Parkhaus und eilt kurze Zeit später
die breite Strasse entlang, welche zum Bahnhof ührt. Sie
hält Ausschau nach den tie lauen Uniformen der südko-
reanischen Polizei. Unterwegs kommt sie an einem kleinen,
aber trotzdem modischen Kleiderladen vorbei, den sie
dann auch betritt. Hinter dem Tresen steht eine freundli-
che, etwas ältere Dame, die Lady Eom sofort fragt, wie sie
ihr helfen könne. «Ich bin gerade an Ihrem Laden vorbei-
gekommen und habe dann diese wundervolle Windjacke
gesehen, die muss ich einfach haben», entgegnet Lady Eom
mit vorgetäuschter Begeisterung. Die Verkäuferin erwidert

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stolz: «Ich wusste, dass diese Jacke beliebt sein würde. Ich
habe allein diese Woche schon die meisten Exemplare ver-
kauft, aber ich sollte im Lager trotzdem noch welche vorrä-
tig haben.» Die zuvorkommende Frau eilt fröhlich, mit ei-
nem kleinen bisschen Stolz in den Augen durch eine Tür
hinter dem Tresen, die direkt in den Lagerraum ührt.
Während die Verkäuferin weg ist, sucht sich Lady Eom ei-
nen langen Schal aus, mit dem die Polizei sie ho entlich
nicht mehr erkennen würde, was dieser aufgrund der spär-
lichen Lichtverhältnisse gestern Nacht sowieso schon
schwerfallen dürfte. Sie geht zu dem Schaufenster, in wel-
chem die Jacke, die sie haben will, ausgestellt ist. Zügig
nimmt sie das Kleidungsstück heraus und tauscht es gegen
ihr eigenes, damit das sonst leere Schaufenster weniger
au ällt.
Schnell geht Lady Eom ohne zu bezahlen aus dem Laden
und wickelt sich den Schal um den Hals. Sie macht sich auf
den Weg zu dem Bahnhof, von welchem aus ihr Zug sie
nach Busan, einer Stadt im Süd-Osten Südkoreas, bringen
soll. Dort will sie mit einem Passagierschi nach Fukuoka,
Japan, übersetzen. Als Lady Eom beim Bahnhof ankommt,
geht sie zum Schalter und kauft mit ihrem letzten Geld die
Fahrkarte ür den Zug. Danach schlendert sie möglichst
unau ällig zu dem Gleis, auf dem ihr Zug abfahren wird.
Aus dem Augenwinkel entdeckt sie das Blau einer Polizei-
uniform, sofort dreht sie sich weg und versucht mit ihrem
neuen Schal ihr Gesicht zu verdecken. Lady Eom ho t in-
ständig, dass der Polizist sie nicht erkannt hat. Zu ihrem
Glück ährt in diesem Moment der Zug ein und sie steigt
eilig ein.
Als sie nach der Zugfahrt in Busan ankommt, ällt ihr auf,
dass sie auf der Fahrt gar nie ihr Ticket vorweisen musste.
Einerseits stimmt sie das dankbar, da sie nicht der Gefahr
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ausgesetzt war, entdeckt zu werden, andererseits ärgert es
sie, da sie ihr letztes Geld da ür ausgegeben hat. Sie wird
nun kein Ticket ür das Passagierschi kaufen können. Lady
Eom macht sich auf den Weg zum Hafen. Zu Fuss scheint es
nicht allzu weit zu sein, denn sie kann schon die salzige
Meeresluft riechen, also entscheidet sie sich, den Weg tat-
sächlich zu Fuss zu gehen. In Busan angekommen schleicht
sie sich an der Schi sbesatzung vorbei in den Frachtraum
des Schi es und versteckt sich hinter ein paar Kisten. Zum
Glück werden die Tickets erst auf dem Schi kontrolliert.
Lady Eom wartet, bis sie spürt, dass das Boot sich in Bewe-
gung gesetzt hat. Dann sucht sie sich einen Weg zu den Pas-
sagierplätzen und ho t, dass die anderen Passagiere den-
ken, sie würde von der Toilette kommen.
Lady Eom sitzt schon etwa eine halbe Stunde an ihrem
Platz, als ihr plötzlich jemand auf die Schulter tippt und
sagt: «Gnädige Dame, wären Sie wohl so freundlich, mir Ihr
Ticket zu zeigen?» Lady Eom dreht innerlich durch. Ihr Puls
steigt schlagartig in die Höhe, sie merkt, wie sie zu schwit-
zen beginnt und in Gedanken sieht sie sich schon hinter ei-
ner dicken Betonmauer aus einem kleinen Fenster, das mit
massiven Eisenstangen in noch kleinere Fensterchen unter-
teilt ist, herauslugen.
Der Kontrolleur nimmt sie an der Schulter und geht mit ihr
auf das Deck. «Zeigen Sie jetzt bitte Ihr Ticket.», sagt er ge-
duldig. Lady Eom ö net betont langsam ihr Portemonnaie
und will eine alte Quittung herausnehmen, die dann natür-
lich unglücklicherweise auf das Meer geweht wird, als zu äl-
ligerweise ein anderer Zettel herunter ällt. Er wird nicht
weggeweht, da er aus irgendeinem Grund schwerer als ein
normales Stück Papier zu sein scheint. Lady Eom schaut
genauer hin und bemerkt, dass das angebliche Papier gar
nicht einfach irgendein Zettel ist, sondern ein Foto. Sie
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nimmt es auf. Das Foto zeigt sie mit ihrer verstorbenen
Tochter Choi auf dem Spielplatz, auf dem die ganze Ge-
schichte ihren Anfang nahm. Ihr ermordeter Ex-Mann hatte
es gemacht. Lady Eom schaut sich Choi an. Ihre unschuldi-
ge, kleine Tochter Choi, sie hätte noch so viel zu erleben
gehabt. Sie war ein kleiner Engel, ihr kleiner Engel. Lady
Eom hatte sie so sehr geliebt. Aber dann, an diesem schick-
salhaften Tag, hat ihr unzuverlässiger, ich-bezogener und
verlogener Trottel von einem Mann sie einfach sterben las-
sen. Von da an änderte sich alles in ihrem Leben. An die-
sem Tag hatte er nicht nur Chois Leben zerstört, sondern
auch Lady Eoms und sein eigenes. Aber Lady Eom kann
der zerstörerischen Hinterlassenschaft von Chois Vater
nicht ewig trotzen. Sie will ihr Leben nicht auf der Flucht
verbringen. Sie ndet, dass die von ihr Umgebrachten es
ihrem Mann zu verdanken haben, der Lady Eom schliess-
lich in diese prekäre Situation gebracht hat. Es ist nicht ihre
Schuld, was hätte sie denn machen sollen? Lady Eom woll-
te doch nur ein geregeltes Leben mit ab und an ein biss-
chen Luxus. Nein, es war wahrlich nicht ihre Schuld, dass
ein paar Menschen da ür ihr Leben lassen mussten, und
das würde auch jeder erkennen. Der Richter würde sie frei-
sprechen und ihren verstorbenen Mann gerechterweise
schuldig sprechen. Also erklärt Lady Eom dem Kontrolleur
kurzerhand die Sachlage und dieser ruft sofort mit zittriger
Stimme die Security herbei, welche Lady Eom dann auch
festnimmt.

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Durch das vergitterte und nicht ganz verschlossene Fenster
des Befragungszimmers auf der Polizeistation weht ein küh-
ler Luftstrom hinein. Es ist der Abend nach Lady Eoms
Festnahme. Der Befrager der Polizei schaut Lady Eom er-
wartungsvoll an, denn er hat ihr eine Frage gestellt, doch
diese betrachtet abwesend die Tür. «Gibt es etwas, dass Ih-
nen wirklich Freude bereitet?», wiederholt der Polizist sei-
ne Frage. Ausdruckslos murmelt sie: «Shopping!» Lady Eom
hört das Kratzen des Schreibers auf dem Papier, wenn sich
der Mann, welcher ihr gegenübersitzt, frustriert Notizen
macht. Seine Patientin antwortet so knapp, dass er sich
kein Bild von ihr machen kann.
Er fragt Lady Eom, ob sie früher, ausser dem Shoppen,
auch andere Freizeitbeschäftigungen hatte. «Nein, früher
hat meine Zeit da ür wirklich nicht gereicht. Ich hatte im-
mer so viel zu erledigen.», teilt Lady Eom dem Polizisten
mit. Bei dieser Antwort horcht der Befrager, der ein Na-
mensschild trägt, auf welchem ‘Herr Kim’ steht, auf. Ho -
nungsvoll stellt er die nächste Frage: «Was hatten Sie den
alles zu tun?» Ein Schatten huscht über Lady Eoms Gesicht,
doch sie versucht die Fassung zu bewahren. Trotzdem be-
merkt es Herr Kim. In die darau olgende Stille erkundigt er
sich, ob Lady Eom eine Familie habe. Er hat Lady Eom
schon viele Fragen dieser Art gestellt, doch diese bringt das
Fass zum Überlaufen. Lady Eom kann ihre Tränen nicht
mehr zurückhalten und ängt an zu schluchzen. Das hat der
Polizist nicht erwartet. Er weiss auch nicht so genau, wie er
reagieren soll. «Haben Sie eigentlich Kinder?», fragt er un-

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sensibel, wie es Lady Eom scheint, weiter. Doch Herr Kim
ho t auf eine Antwort.
Mittlerweile sind Lady Eoms Augen stark gerötet. «Ja, mein
kleiner Engel Choi. Sie war mein erstes Kind. Damals war
mein Leben noch in Ordnung. Ich arbeitete viel, um Choi,
meinen Ehemann und mich zu ernähren. Für Chois Lä-
cheln waren meine Überstunden es wert. Sie war ein klei-
ner Sonnenschein und der Grund, wieso ich täglich aufge-
standen bin und in diesem lan weiligen Büro gearbeitet
hatte. Als Kind erwartet man, dass das Leben immer so ein-
fach bleiben wird. Keine Sorgen, keine P ichten.» Mit ei-
nem Seufzer ährt Lady Eom fort: «Als ich Chois Vater das
erste Mal traf, verliebte ich mich sofort in ihn. Als er mir
drei Monate später einen Antrag gemacht hatte, sagte ich
natürlich sofort ‘Ja’. Mein Leben war perfekt, als ich dann
auch noch einen positiven Schwangerschaftstest in den
Händen hielt. Doch wie sich später herausstellte, war mein
Ehemann nicht der, ür den ich ihn gehalten hatte. Geistig
war er so reif wie ein 16- Jähriger. Nur das er längst keine
Sechzehn mehr war. Mein Ex-Mann konnte weder Verant-
wortung ür sich oder andere übernehmen noch sich um
seine Finanzen kümmern. Er war ein unzuverlässiger, ich-
bezogener und verlogener Trottel.», Lady Eoms Stimme
bricht ab. Sie holt tief Luft. Denn ihre Geschichte zu erzäh-
len, heisst auch, die Erinnerungen und Emotionen noch
einmal durchleben zu müssen, die sie eigentlich verzweifelt
zu unterdrücken versuchte: «Ich hielt es mit ihm nicht
mehr aus. Ich denke, dass meine Entscheidung, ihn einfach
zu beseitigen, richtig war.» Herr Kim versucht seine Ver-
ständnislücke aufzu üllen: «Haben Sie ihn bloss umge-
bracht, weil Sie ihn nicht mehr geliebt haben?» Empört
sieht Lady Eom ihn an. Es verlangte ihr viel Mut ab, weiter-
zusprechen. Als sie es dann doch tut, zittert ihre Stimme:
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«Durch seine Unzuverlässigkeit habe ich meine Tochter ver-
loren. Mein Leben el in sich zusammen, als wäre es ein
Kartenhaus. Meine Trauer war riesig und meine Wut gegen
meinen Ehemann wurde von Tag zu Tag grösser, denn ich
musste mich immer noch mit ihm herumschlagen. Es wur-
de mir einfach zu viel… Entschuldigen Sie, haben Sie ein
Taschentuch?», bittet Lady Eom. Herr Kim hält ihr eines
entgegen. Er weiss, dass es ür einen schwierig sein kann,
seine Ge ühle das erste Mal seit langem, jemandem anzu-
vertrauen. Deshalb lässt er ihr ein wenig Zeit und wartet,
bis sie von allein weiterspricht. «Danach hatte ich aufgehört
zu arbeiten, weshalb das Geld nach einer Weile knapp
wurde. Als ich zu älligerweise Sunjin kennenlernte, wusste
ich, dass ich meine Idee, um an Geld zu kommen in die Tat
umsetzen konnte.» Mit dem Taschentuch tupft Lady Eom
über ihre Augen. «Ich wurde wieder schwanger, was eine
sehr schwierige Zeit ür mich war. Trotzdem liess ich mich
nicht von meinem Plan abbringen, Sunjin ebenfalls zu er-
morden, denn ich wollte und brauchte das Geld. Meine
Schwiegereltern nahmen mich nach dem Tod ihres Sohnes
zwar auf, doch sie wollten, dass ich das Baby abtreibe.
Doch ich habe es gescha t, sie zu umzustimmen und gebar
das Kind nach ihrer Zustimmung. Doch ich verliess sie und
zog in eine eigene Wohnung. Mein Sohn Jisung war fast so
gut wie meine Tochter, aber leider nur fast. Denn er konnte
meine Tochter einfach nicht ersetzen.» Nach einer kurzen
Pause erzählt Lady Eom weiter: «Mein Kontostand ng
wieder an zu Schrumpfen, weshalb ich mich ür eine Kon-
taktaufnahme zu meiner Mutter entschied. Sie müssen wis-
sen, dass ich schon lange nicht mehr mit ihr gesprochen
hatte. Minho, mein Bruder, war zu Besuch bei meiner Mut-
ter. Mein anderer Bruder, sein Name ist Taemin, war ver-
reist. An diesem Abend war der perfekte Augenblick ge-
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kommen, um beide erblinden zu lassen.» Wieder stockt
ihre Erzählung.
«Nach dieser Tat ühlte ich mich besser, doch ich konnte
den Gedanken nicht ertragen, dass mein Bruder Minho mir
meine ganze Kindheit zerstört hatte. Leider missglückte der
Versuch ihn umzubringen.» Herr Kim fragt Lady Eom, ob
sie aufgehört hätte, an Geld kommen zu wollen, wenn die-
ser Versuch erfolgreich gewesen wäre. Lady Eom kennt ins-
geheim die Antwort auf diese Frage, doch diese behält sie
lieber ür sich und erzählt deshalb ihre Geschichte weiter:
«Mir reichte das Geld noch lange nicht aus, deshalb tötete
ich meine Mutter mit Blausäure. Als ich die Erbbescheini-
gung sah, wurde ich fuchsteufelswild. Meine Brüder hatten
viel mehr Geld geerbt als ich. Mein Hass auf Minho und Ta-
emin wurde immer grösser und so entschied ich mich, ihre
Wohnung anzuzünden. Doch wiederum missglückte der
Versuch meine Brüder umzubringen. Sie konnten durch ein
o enes Fenster aus der Wohnung iehen. Ich besuchte sie
im Krankenhaus, doch ich war noch wütender auf sie als
zuvor.» Zornig zerknüllt Lady Eom ihr Taschentuch. «Ich
besuchte meine alte Schulfreundin Sumi, weil ich Hilfe
brauchte. Erleichterung durch utete mich, als sie sagte,
dass ich bei ihr einziehen dürfe. Sie hatte eine kleine, glück-
liche Familie, einen süssen Sohn und einen verantwor-
tungsvollen Mann. Ich war unfassbar eifersüchtig auf sie.
Sie hatte ein perfektes Leben, von welchem ich, seit dem
Tod meiner Tochter, träumte. Deshalb zerstörte ich ihr
Glück, indem ich ihre Wohnung anzündete. An diesem Tag
verlor Sumi ihren Mann im verheerenden Feuer. Doch ich
hatte noch nicht genug, denn sie und ihr Sohn starben
nicht, sondern mussten nur im Krankenhaus behandelt
werden.» Lady Eom macht eine Pause. Ernst blickt Herr
Kim sie an. «Zu allem Übel wurde bei meinem Sohn das
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Kawasaki- Syndrom festgestellt. Die teure Therapie konnte
ich nicht selbst bezahlen. So kam es mir gerade recht, dass
ich eine alte Dame getro en hatte, deren Kreditkarte ich
verwenden konnte. Als Entspannung nach diesen anstren-
genden Tagen entschied ich mich, eine Einkaufstour zu
machen.»
Herr Kim hat längst aufgehört, sich Notizen zu machen.
Immer schockierter hört er zu. Zum Glück hat er am An-
fang die Aufnahme auf dem Diktiergerät gestartet.
Lady Eom starrt die Tischplatte an und ährt mit der Schil-
derung fort. «Mein Sohn wurde immer mehr eine Belastung
ür mich, auch weil er aufgrund seines schlechten Zustan-
des ins Krankenhaus musste. Ich entschied mich, ihn um-
zubringen. Irgendwie hatte ich es gescha t die Maschine
auszuschalten, an welcher er hing, und drückte ein Kissen
auf Jisung Gesicht, bis er erstickte. Mir viel eine riesige Last
von den Schultern.» Trotzdem rinnt eine einzelne Träne
aus Lady Eoms Augen. «Nun hatte ich wieder mehr Zeit
zum Shoppen. Mein schlechtes Gewissen machte mir nach
einer Weile zu scha en. Deswegen brachte ich der alten
Frau, die sich mir als Ahri vorgestellt hatte, die Kreditkarte
wieder zurück. Nach einem Gespräch lud mich die wohl-
habende Dame, welche gerade aus dem Krankenhaus ent-
lassen wurde, zu ihr nach Hause ein. Ahri bat mich ihr das
Geld, welches ich ihr entwendet hatte, zurück zu zahlen.
Natürlich konnte ich das nicht. Es war sowieso eine Unge-
rechtigkeit, denn sie war ja reich genug. Deshalb musst ich
ihr das Augenlicht nehmen.» Wieder stockt Lady Eom. «Ein
Taxifahrer brachte Ahri und mich ins Krankenhaus. Dort
kamen mir die Ärzte langsam auf die Schliche. Es war einer
der Gründe, weshalb ich versuchte, das Krankenhaus in
Brand zu setzen. Leider waren meine Bemühungen erfolg-
los. Ich bin so durstig, könnte ich ein Glas Wasser bekom-
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men?», fragt Lady Eom Herrn Kim. Mit einem Kopfnicken


Richtung Spiegel zu seinen Kollegen fordert er diese auf,
ein Getränk hereinzubringen.
Nach der Unterbrechung nimmt Lady Eom den Faden wie-
der auf: « Eine Krankenschwester verriet mich an die Poli-
zei, was mich dazu brachte, sie umzubringen. Darau in
üchtete ich mit einem gestohlenen Wagen. Die Polizei ver-
folgte mich. Auf dem Passagierschi nach Fukuoka ergab
ich mich dann schliesslich freiwillig.» Lady Eom atmet
schwer. Es hat sie viel Kraft gekostet, diese Geschichte zu
erzählen. Herr Kim fragt sie, wieso sie ihre Taten gestanden
hat. «Das Ganze war nicht meine Schuld, sondern die von
Chois Vater. Ohne ihn würde ich ein glückliches Leben mit
meiner Tochter ühren. Ich dachte bei meiner Festnahme,
dass das jeder erkennen würde.», berichtet Lady Eom ihm.
Herr Kim räuspert sich und erläutert das weitere Vorgehen:
«Nun gut. Sie wissen sicherlich, dass es ein Gerichtsverfah-
ren geben wird. Der Richter wird entscheiden, ob Sie
schuldig sind. Bis dahin werden Sie Ihre Zeit weiterhin in
der Untersuchungshaft verbringen.» - «Wenn ich ür schul-
dig erklärt werde, muss ich dann ins Ge ängnis?», fragend
schaut Lady Eom den Polizisten an. Doch Herr Kim ruft
seine Kollegen herein und diese ühren Lady Eom zurück in
ihre Zelle. Anschliessend erhebt sich Herr Kim von seinem
Stuhl und schliesst das vergitterte Fenster, hinter welchem
die Nacht schon hereingebrochen ist.
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Alles hängt von Entscheidungen
ab, die wir tre fen. In einer
Wohnung, gleich neben einem
wundervollen Park wurde eine
solche getro fen.
In Seoul, Südkorea, lebt eine kleine Familie. Nicht in Ar-
mut, aber dennoch immer darauf bedacht, sich das Geld
gut einzuteilen. Lady Eom arbeitet hart, um ihren Mann
und ihre Tochter Choi ernähren und ihnen ein Dach über
dem Kopf bieten zu können. Trotz alledem scheint das
Schicksal nicht auf ihrer Seite: Bei einem Unfall auf dem
Spielplatz verunglückt Choi tödlich. Als die Nachricht
Lady Eom erreicht, ist sie ausser sich vor Wut. Sie verach-
tet ihren Mann, der an jenem Tag auf Choi hätte aufpas-
sen sollen. In ihrem Zorn, ihrer Hil osigkeit und in dem
Wissen, ihre Tochter nie wieder zu sehen, tri t sie eine
Entscheidung. Eine Entscheidung, die ihr ungeahnte Tü-
ren ö net und sie tief in einen Strudel hineinzieht. In ei-
nen Strudel, der nicht nur Menschen das Leben kostet.
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