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Nils H. Gröppel
Marketing im
Kulturbetrieb
Zur Konzeption des Marketing
im Spannungsfeld von kulturellem
Wert und ökonomischer Realität
Musikwirtschafts- und Musikkulturfor-
schung
Marketing im
Kulturbetrieb
Zur Konzeption des Marketing
im Spannungsfeld von kulturellem
Wert und ökonomischer Realität
Nils H. Gröppel
Wien, Österreich
Springer VS
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Inhaltsverzeichnis
Anhang.............................................................................................................. 343
Literaturverzeichnis .......................................................................................... 359
Abbildungsverzeichnis
Das wirtschaftliche Netz, das sich im Laufe der Zeit rund um die Produktion,
Distribution und Rezeption von kulturellen Symbolen spannt, entwickelt sich in
marktwirtschaftlich organisierten und in hohem Maße industrialisierten Gesell-
schaften zusehends zu einem bedeutenden Wirtschaftszweig. Unterschiedliche
(wirtschaftliche) Interessen treffen dabei aufeinander, ob Kulturschaffende1,
die zur Ausübung ihrer Profession nach adäquaten Produktionsbedingungen
verlangen, die Vielzahl der (vermittelnden) Kulturbetriebe, die ihre langfristige
Existenz sicherstellen müssen, oder RezipientInnen, die mit ihren begrenzten
Mitteln versuchen bestmöglich zu haushalten. Zuletzt kann allerdings in
öffentlichen Diskussionen – lanciert auch durch polemische Zwischenrufe wie
etwa den „Kulturinfarkt“ (Haselbach et al. 2012) – der Eindruck entstehen, die
Symbolproduktion und -vermittlung werde in zunehmendem Ausmaß von den
wirtschaftlichen Voraussetzungen bestimmt. So reicht die Spannweite von der
andauernden Debatte um Über- bzw. Unterfinanzierung öffentlicher Kultur-
betriebe bis zu der gerne mit plakativen Formulierungen überschriebenen
Berichterstattung über die prekäre wirtschaftliche Situation privater Kultur-
betriebe (z. B. „Die Krise der Musikindustrie“ oder „Das Zeitungssterben“).
Sinkende Absatzzahlen, Umsatzeinbußen und geringe Gewinnmargen stehen
dabei im Zeichen der Dynamik.
1
Im Verlauf der Arbeit wird versucht möglichst konsequent geschlechtergerechte Sprache zu
verwenden. Ohne die Lesbarkeit allzu sehr zu vernachlässigen, wird damit dem Umstand
Rechnung getragen, dass Frauen im Kultursektor sowohl im Hinblick auf das KünstlerInnen-
dasein als auch auf Positionen im Managementbereich häufig schlechter gestellt sind. Begriffe
wie Anbieter, Nachfrager, (Austausch-)Partner oder (Markt-)Akteur sind bewusst ausgenommen,
da sie weniger auf Personen Bezug nehmen, als vielmehr ihre marktbezogene Funktion im
Vordergrund steht. Sofern damit einzelne Personen verbunden sein können, sind in jedem Fall
beiderlei Geschlechter gemeint.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019
N. H. Gröppel, Marketing im Kulturbetrieb, Musikwirtschafts- und
Musikkulturforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26735-3_1
2 1 Einleitung: Dynamik im Kulturbetrieb
wird folglich schnell der Ruf nach Spezialisierung lauter. Angetrieben von der
zunehmenden Dynamik und Komplexität werden in diesem Sinne inzwischen
auch die bislang nur wenig berücksichtigten Problemstellungen, die sich aus den
spezifischen Bedingungen des Kulturbetriebs ergeben, für das Marketing auf-
gearbeitet. Im deutschsprachigen Raum wird die Auseinandersetzung mit den
Besonderheiten und Herausforderungen des „Marketing im Kulturbetrieb“ als
„Kulturmarketing“ bezeichnet.2 Derartige Ausführungen kommen vornehmlich
aus dem Bereich des Kulturmanagements (vgl. beispielsweise Bendixen 2011;
Hausmann 2011; Höhne 2009). Hausmann (2011, S. 34) versteht hierunter
„(a) Koordinations- und Steuerungsaufgaben sowie (b) typische Funktions-
bereiche betrieblicher Tätigkeit, um den Prozess der Leistungserstellung und
-verwertung von Kulturanbietern zu ermöglichen und langfristig zu sichern.“
Als relativ junge Disziplin erfährt das Kulturmanagement zunehmende Auf-
merksamkeit. Dies zeigt sich im deutschsprachigen Raum beispielsweise auch in
der universitären Forschung und Lehre. Neben der Forschungsarbeit zu Frage-
stellungen des Kulturmanagements steigen auch stetig das Studienangebot sowie
die Einrichtung von Professuren. Darüber hinaus etablieren sich Fachverbände
und wissenschaftliche Journals. Dennoch ist festzuhalten: In der kurzen Zeit des
Bestehens kann noch kein umfassender „Body of Knowledge“ erarbeitet werden.
Für die Übertragung des Marketing werden einerseits passende Definitionen
übernommen, andererseits wird sich an neuen bzw. abgewandelten Marketing-
definitionen versucht. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem
Themenkomplex des „Kulturmarketing“ befindet sich allerdings noch in den
Anfängen, sodass bislang nur wenige Publikationen vorliegen (vgl. Bekmeier-
Feuerhahn; Ober-Heilig 2014; Benkert; Lenders; Vermeulen 1995; Colbert 1999;
2
Auch im angelsächsischen Sprachraum liegen Ausarbeitungen zu diesem Themenfeld vor. Hier
wird zum Teil auch von „Arts Marketing“ gesprochen (vgl. beispielsweise Colbert; St-James
2014; Fillis 2011; Hill; O’Sullivan; O’Sullivan 2003; Kolb 2013; Lee 2005; O’Reilly; Kerrigan
2010; O’Reilly; Rentschler; Kirchner 2014). Da die Entwicklung bestimmter Forschungs-
schwerpunkte (bzw. realwissenschaftlicher (Teil-)Disziplinen) aber wesentlich von den realen
Bedingungen (z. B. das Ausmaß der öffentlichen Finanzierung von Kulturbetrieben) abhängt,
bezieht sich die folgende Ausführung zu den Spannungsfeldern vornehmlich auf das im deutsch-
sprachigen Raum eingeführte „Kulturmarketing“.
1.1 Entwicklungsstand des „Kulturmarketing“ 5
3
Im Rahmen der Arbeit bleibt der Begriff „Kunst“, insbesondere um eine falschverstandene
Beschränkung auf die bildende Kunst oder eine mögliche Verkürzung im Sinne eines bürger-
lichen Kunstbegriffs zu vermeiden, weitestgehend unberücksichtigt; mit dem Kulturbegriff
hingegen wird ein breites und offenes Verständnis des Gegenstandsbereichs ermöglicht und auf
eine gesellschaftliche Dimension verwiesen. Kunst wird mit der Ausbildung spezifischer
kultureller Praktiken verbunden und ist in diesem Sinne als „Sonderling der Kultur“ zu verstehen
(vgl. Zembylas 2004, S. 123 ff.).
1.1 Entwicklungsstand des „Kulturmarketing“ 7
ob sich diese zwei „Optionen“ ausschließen oder sich nicht vielleicht sogar
ergänzen können. Neben der Ausblendung der ökonomischen Realität und einem
durchaus fragwürdigen Bild des Publikums bzw. der RezipientInnen entsteht
der Eindruck, dass das Verständnis der Begriffe „Marktorientierung“ und
„KundInnenorientierung“ nicht klar ist (vgl. Day 1999). Marktorientierung ist
nicht deckungsgleich mit KundInnenorientierung und KundInnenorientierung
bedeutet ebenso wenig blindes Anpassen an jeden beliebig geäußerten Wunsch
der Kundschaft (vgl. Slater; Narver 1998; 1999; Day 1999).
Verlag verfasst in der Regel keine Texte ebenso wie ein phonographisches
Unternehmen keine Musik produziert.
Aufgrund der Arbeitsteilung zwischen vermittelnden Kulturbetrieben und
Kulturschaffenden bestehen für verschiedene Leistungen auch dementsprechend
unterschiedliche Anbieterperspektiven bzw. Absatzmärkte. Es ist somit ein
wesentlicher Unterschied, ob die Leistung der vermittelnden Kulturbetriebe oder
die Leistung der Kulturschaffenden vermarktet wird. Dennoch ist die Annahme,
das produzierte Werk (als Ergebnis eines künstlerisch-kreativen Schaffens-
prozesses) werde tatsächlich vom vermittelnden Kulturbetrieb geschaffen, nach
wie vor kennzeichnend für dessen (Selbst-)Verständnis. (Die Verwendung
bestimmter Termini kann als Indiz hierfür herhalten. So ist beispielsweise die
Bezeichnung der Unternehmen der phonographischen Industrie als musik-
produzierende Unternehmen de facto falsch. ProduzentInnen der Musik im
eigentlichen Sinne sind die Musikschaffenden; die Unternehmen fungieren
lediglich aufgrund urheberrechtlicher Konstellationen auf dem RezipientInnen-
markt als Anbieter.) Die Ausarbeitung des Marketing lässt demnach häufig die
Leistung des Kulturbetriebs (Kulturvermittlung) außer Acht und befasst sich fast
ausschließlich mit dem Kulturgut (bzw. dem Werk als künstlerisch-kreative
Leistung der Kulturschaffenden). Entscheidend ist ebenso, wie diese beiden
Leistungen zueinander stehen. Kulturbetriebe bewegen sich schließlich nicht nur
auf einem, sondern auf verschiedenen Märkten, die miteinander in Beziehung
stehen. Die Beantwortung der vordergründig leichten Frage nach dem Absatz-
markt eines Kulturbetriebs und damit dessen betrieblicher Ausrichtung erweist
sich jedoch als diffizil.
4
Ob aus Angst vor wirtschaftlichem Erfolg als Abwertung der kulturellen Leistung oder aus der
Ausrichtung an gesellschaftlichen Größen, schnell wird „Kulturmarketing“ mit Nonprofit-
Marketing verbunden (vgl. Lenders 1995, S. 17; Koller 2005, S. 366). Dabei unterscheiden sich
Nonprofit-Betriebe dadurch, dass der Gewinn nicht als übergeordnetes organisationales Ziel auf-
gefasst wird. Fraglich ist dabei, woran sich diese Stellung der Ziele und damit ein Nonprofit-
Betrieb festmacht, da beispielsweise Bruhn (2012, S. 21) nicht nur öffentliche, sondern ebenso
halb-staatliche und private Betriebe als Nonprofit-Organisationen versteht. Wird Nonprofit-
Marketing zu einer spezifischen Denkhaltung (vgl. ebenda, S. 55), kann diese letztlich jeder
Betrieb übernehmen. Eine (ausschließliche) Anbindung des „Kulturmarketing“ an das Nonprofit-
Marketing erscheint schwierig. An dieser Stelle wird auch auf die Überschneidung bzw. Unter-
schiede von Nonprofit- und Social Marketing verwiesen (vgl. Schuh; Holzmüller 2005, S. 11).
5
Die Wirtschaftswissenschaft befasst sich als Realwissenschaft mit dem wirtschaftlichen Handeln
des Menschen. Traditionell wird sie im deutschsprachigen Raum eingeteilt in die auf die
Gesamtwirtschaft fokussierte Volkswirtschaftslehre und die auf einzelne Wirtschaftseinheiten
ausgerichtete Betriebswirtschaftslehre. Sofern sich um ein von der Wirtschaftsordnung und
Betriebsart unabhängiges Auswahlprinzip der Wirtschaftswissenschaft bemüht wird, erscheint
auch nicht etwa die Gewinnmaximierung, sondern die Güterknappheit als geeignet (vgl.
Chmielewicz 1994, S. 22 ff.).
12 1 Einleitung: Dynamik im Kulturbetrieb
handelt sich also um eine graduelle und nicht etwa um eine absolute bzw.
kategoriale Differenzierung (vgl. Günter 2001, S. 335).
Betriebe werden eine Veränderung der Produktion, Distribution und Rezeption
von kulturellen Gütern durch eine vermehrt wirtschaftliche Fundierung und ein
verstärktes Effizienzdenken umso stärker wahrnehmen, je weiter und schneller
sie sich von ihrem ursprünglichen Ausgangspunkt, ihren etablierten Denk- und
Handlungsweisen entfernen. So mag diese Fokussierung in der wissen-
schaftlichen Auseinandersetzung vor dem Hintergrund des zunehmenden
Wettbewerbs- und Legitimationsdrucks, den öffentliche Kulturbetriebe zu spüren
bekommen, für den Moment vielleicht nachvollziehbar erscheinen, aber ein
derart restriktives Verständnis des Kulturbetriebs nicht grundsätzlich begründet
sein. Schließlich wird, sofern der Objektbereich über Betriebe (bzw. deren
Finanzierung durch die öffentliche Hand) bestimmt wird, dieser wiederum –
meist verbunden mit einer impliziten Einteilung in Hoch- und Populärkultur (vgl.
Koller 2005, S. 365; Günter 2001, S. 333) – auf gewisse Sparten beschränkt, und
damit zugleich andere, die sich vornehmlich durch nicht öffentliche Kultur-
betriebe kennzeichnen, in ihrer Bedeutung ignoriert und ihre Situation verkannt.
Um Letzteres zu vermeiden, gehört es eben auch dazu den jeweiligen hitorischen
Kontext zu berücksichtigen.6 So können einige Betriebe (bzw. Sparten) auf eine
lange Tradition der öffentlichen Förderungen zurückblicken, etwa von der An-
stellung am fürstlichen Hofstaat, Auftragsarbeiten im Dienste der Kirche bis hin
zur gegenwärtigen Unterstützung durch Bund, Länder und Kommunen, während
andere Bereiche des Kulturschaffens auf Mäzenatentum, auf Stiftungen und
6
Des Weiteren sind die Verflechtungen zwischen öffentlichen Kulturbetrieben und der Privatwirt-
schaft zu berücksichtigen. Besonders deutlich wird dies bei öffentlichen Museen, die angesichts
der steigenden Preise und ihres begrenzten Etats nicht mehr in der Lage sind die Kunstwerke
bestimmter, hochpreisiger KünstlerInnen zu erwerben und bei der Organisation ihrer Aus-
stellungen häufig auf die Leihgaben von privaten SammlerInnen zurückgreifen müssen. Zugleich
profitieren SammlerInnen von der (Dauer-)Leihgabe, da durch die Präsentation im Museum der
Wert eines Kunstwerks ansteigt und sie mitunter steuerrechtliche Vorteile mit sich bringt. Museen
geben unterdessen öffentliche Gelder für Transport, Versicherung etc. aus und können häufig nur
noch wenig Zuversicht besitzen neue Ausstellungen mit hochkarätigen, kunsthistorisch besonders
bedeutsamen KünstlerInnen ohne die Unterstützung von Sponsoren oder MäzenInnen zu
organisieren oder gar eigene Sammlungen auf- bzw. auszubauen.
1.1 Entwicklungsstand des „Kulturmarketing“ 13
Vereine, die sich der Förderung des Kulturschaffens verschreiben, und nicht
zuletzt in der Mehrzahl auf einen notwendigen UnternehmerInnengeist
angewiesen sind.
In kulturpolitischen Debatten wie auch in wissenschaftlichen Auseinander-
setzungen deckt eine grundsätzlich reaktionäre Haltung gegenüber privaten
Kulturbetrieben und ihren Leistungen zuweilen eher persönliche Vorlieben,
bestehende Ressortegoismen oder gewachsene Ressentiments auf und zieht
womöglich nach sich, dass die mit den nach wie vor andauernden Umbrüchen
einhergehenden Herausforderungen der Praxis übersehen werden. Denn für einen
Großteil der Nachfrager wird die Art der Finanzierung (bzw. die Rechtsform)
inzwischen ohne großen Belang sein. Privat finanzierte Kulturangebote werden
genauso wie jene, die öffentlich gefördert werden, als Alternativen in die
Entscheidungsfindung der KonsumentInnen miteinbezogen. Das Aufgreifen der
Trägerschaft darf an dieser Stelle nicht etwa missverstanden werden als eine
Forderung nach mehr privaten Kulturbetrieben oder eine Ausblendung der
öffentlichen Trägerschaft in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Die
Kritik weist lediglich auf eine zu enge Auslegung des „Kulturmarketing“ hin.
7
Zuweilen wird der Begriff „Inhalt“ (bzw. „Content“) in einer gleichmacherischen Art und Weise
verwendet, so als sei dieser in Anbetracht der Entwicklungen der Informations- und Kommunika-
tionstechnologie und der damit verbundenen Herausforderungen in der Distribution eigentlich
14 1 Einleitung: Dynamik im Kulturbetrieb
RezipientInnen, nicht nur die Art der Übermittlung. Diese kann zweifelsohne
als Unterscheidungskriterium herhalten, muss aber stets im Kontext gesehen
werden. Denn die geringe Beachtung, die jene Kulturschaffenden, die technische
Medien nutzen, im „Kulturmarketing“ finden, steht im starken Widerspruch zu
ihrem gesellschaftlichen Stellenwert – die moderne Welt ist vernetzt; räumliche
Distanz verliert durch die Entwicklungen der Informations- und Kommuni-
kationstechnologie zunehmend an Bedeutung. Der Fortschritt in diesem Bereich
ist irreversibel.
Kulturell-kommunikativer Austausch bedient sich heute und in Zukunft ganz
selbstverständlich technischer Medien. Dies außer Acht zu lassen, bedeutet
einen Großteil des Kulturschaffens zu übergehen und die Relevanz des
„Kulturmarketing“ zu verspielen. Ebenso machen beispielsweise das ergänzende
Streaming-Angebot verschiedener Opernhäuser (z. B. Metropolitan Opera,
Wiener Staatsoper, The Opera Platform) oder die Digitalisierung ganzer
Museumsbestände und sogar des Gangs durch ein Museum (z. B. Google Art
Project) deutlich, dass auch Kulturbetriebe, die vermeintlich nicht von diesen
Entwicklungen betroffen sind, sich doch unausweichlich mit indirekter Über-
mittlung beschäftigen müssen. Diese Einsicht verbreitet sich inzwischen auch auf
politischer Ebene, wie etwa im Schlussbericht der Enquete-Kommission „Kultur
in Deutschland“ ersichtlich wird (DBT 2007, S. 44): „Räumliche Distanz ist
immer weniger ein Kommunikationshindernis. Räumliche Nähe erscheint
zuweilen auch im künstlerischen Prozess vernachlässigbar. Netzwerke und
Datenbanken erlauben einen vom jeweiligen Standort des Nutzers weitgehend
unabhängigen Zugriff auf viele Systeme und Symbolwelten. Die im Zusammen-
hang hiermit aufgeworfenen Fragen betreffen den künstlerischen Werkbegriff,
unsere Vorstellungen von künstlerischer Kreativität ebenso wie unsere Wirklich-
keitssicht, sie reichen von Problemen des Urheberrechts bis hin zur veränderten
Rolle der Kulturen im globalisierten Kontext.“
ohne Belang. Wird der Begriff im Rahmen der Arbeit gebraucht, geschieht dies stets vor dem
Hintergrund der Sinnstiftung kultureller Symbole.
1.2 Ziel und Forschungsansatz der Arbeit 15
8
Nach dem von MacInnis (2011, S. 136 ff.) erarbeiteten Rahmen zur Einordnung konzeptioneller
Beiträge kann die Arbeit entsprechend in den Bereichen „Envisioning“ („Identifying“ bzw.,
„Revising“) und „Disciplines“ („collections of domains that specify what a discipline studies“)
verortet werden. Es geht folglich eher um den Entdeckungszusammenhang (vgl. Hunt 2010,
S. 23 ff.; Kordig 1978, S. 110 ff.; Yadav 2010, S. 2 f.; Friedrichs 1990, S. 50 ff.). Die
Differenzierung zwischen Entdeckungs- („Context of Discovery“) und Begründungs-
zusammenhang („Context of Justification“) geht auf Reichenbach (1938) zurück, der dem
16 1 Einleitung: Dynamik im Kulturbetrieb
generiert werden. Diesem Anspruch nach kann die Ausarbeitung für das
Forschungsfeld „Marketing im Kulturbetrieb“ als ein erster Schritt in Richtung
Theoriebildung9 verstanden werden. Die Positionierung an der Schnittstelle von
Kultur-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften macht gleichzeitig auch deutlich,
dass eine solche Konzeption des „Marketing im Kulturbetrieb“ nur bedingt
eigenständig ist. Sie ermöglicht zwar einen neuartigen Zugang, indem sie aber in
ihren Analysen auf andere wissenschaftliche Disziplinen zugreift, wird zugleich
eine Auseinandersetzung mit den jeweiligen Fachgebieten erforderlich.
9
Für eine Ausführung zu den grundlegenden Vorgehensweisen der Theoriebildung wird auf
Franke (2002, S. 188 ff.) sowie Hunt (2010, S. 24 ff.) verwiesen. Zu beachten ist, dass zum einen
keine allgemeingültige bzw. richtige Vorgehensweise existiert und zum anderen die häufig
genannte Trennung von deduktiven und induktiven Quellen der Theorie nicht stets eindeutig
möglich ist (vgl. Franke 2002, S. 194). Daneben werden auch der intuitive Einfall, die sinnvolle
Analogie und der dialektische Prozess als Entdeckungsverfahren genannt (Chmielewicz 1994,
S. 90; Hunt 2010, S. 24 ff.).
1.3 Struktur der Arbeit 21
10
Die Betriebswirtschaftslehre wird nach funktionellen und institutionellen Gesichtspunkten unter-
teilt (vgl. Chmielewicz 1994, S. 18 f.): Während sich die Funktion auf Teilsysteme eines Betriebs
(z. B. Produktion, Finanzierung) bezieht, befassen sich Institutionenlehren (bzw. Betriebslehren)
mit bestimmten Bereichen des Wirtschaftslebens. Als spezielle Betriebslehren etablieren sich
etwa die Handels-, Industrie- und Bankbetriebslehre. Auch die Kulturbetriebslehre kann hier zu-
geordnet werden, gleichwohl ihr wissenschaftlicher Fokus ausdrücklich über eine reine betriebs-
wirtschaftliche Analyse hinausgeht. Mit dem Determinatum „Betrieb“ wird ein soziologischer
Institutionsbegriff zugrunde gelegt. Der Kulturbetrieb wird anerkannt als ein implizites und
explizites Regelwerk, das gewisse Praktiken durchsetzt bzw. kollektives Handeln zuwege bringt
(vgl. Zembylas 2004, S. 97 ff.). Dieses Verständnis des Betriebs reicht weiter als jener Betriebs-
begriff der Betriebswirtschaftslehre, da er zwar auch, aber eben nicht nur organisierte Wirt-
schaftseinheiten umfasst.
22 1 Einleitung: Dynamik im Kulturbetrieb
11
Wenn im Verlauf der Arbeit (möglicherweise etwas verklausuliert erscheinend) weiterhin von
„Marketing im Kulturbetrieb“ die Rede ist, dann erfolgt dies, angesichts der Vielzahl der im
Kultursektor agierenden Akteure und deren Austauschprozesse, als Verweis darauf, dass es nicht
„das“ Marketing im Kulturbetrieb gibt.
1.3 Struktur der Arbeit 23
1 Einleitung
1.2 Ziel und Forschungsansatz der Arbeit 1.3 Struktur der Arbeit
5 Schlussbetrachtung
5.3 Fazit
12
Zum Teil werden Werturteile als vierte metatheoretische Dimension genannt. Problematisch sind
allerdings weniger Werturteile schlechthin, sondern insbesondere Werturteile im Aussagen-
zusammenhang. Eine Auseinandersetzung mit derartigen Werturteilen wird in diesem Abschnitt
zunächst außen vor gelassen, jedoch in der Schlussbetrachtung aufgegriffen.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019
N. H. Gröppel, Marketing im Kulturbetrieb, Musikwirtschafts- und
Musikkulturforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26735-3_2
26 2 Kennzeichnung der Marketingdisziplin: Dimensionen einer Metaebene
13
Franke (2002, S. 78) fasst unter der Dimension „Methodologie“ sowohl die methodologische
Grundrichtung (hier in Anlehnung an Meffert und Sepehr (2012, S. 27 f.) als theoretische Grund-
richtung bezeichnet) als auch die empirische Methodologie zusammen. Auf eine detaillierte Aus-
einandersetzung mit der empirischen Methodologie wird an dieser Stelle verzichtet.
14
Die Wissenschaft kann zum einen funktionell (als Bestand bzw. Produktion allgemeingültigen
(Marketing-)Wissens), zum anderen institutionell (als institutionalisierte Wissenschaft an Hoch-
schulen) von der Praxis abgegrenzt werden (vgl. Chmielewicz 1994, S. 16).
2.1 Abwägung der Ziele 27
15
In diesem Zusammenhang ist das zugrunde gelegte Wissenschaftsverständnis anzusprechen. Die
geführte Diskussion über die Grundausrichtung der Marketingwissenschaft (vgl. beispielsweise
Hunt 1990; Peter 1992; Zinkhan; Hirschheim 1992; Hunt 1992) kann hier der Einfachheit halber
auf zwei gegensätzliche Auffassungen beschränkt werden (vgl. Franke 2002, S. 131 ff.): Während
ein realistisches Verständnis eine Realität voraussetzt, die in der Wissenschaft erforscht und
annähernd objektiv beschrieben werden kann, geht eine konstruktivistische Wissenschafts-
auffassung von einer sozial konstruierten Wirklichkeit und damit immer nur relativer, nicht
absoluter Erkenntnis aus. Als zentrale Position für die Betriebswirtschaftslehre und die
Marketingwissenschaft wird vermehrt der wissenschaftliche Realismus betont (vgl. Hunt 2010,
S. 225 ff.; Homburg 2007, S. 34 f.). Zur grundlegenden Übersicht und Einordnung wissenschafts-
theoretischer Konzeptionen wird auf den Orientierungsrahmen von Burrell und Morgan (1979,
S. 3 ff.) verwiesen.
28 2 Kennzeichnung der Marketingdisziplin: Dimensionen einer Metaebene
Wissen überführt werden, das heißt derartig geprüfte und vor allem bewährte
Theorien können als Erklärung realer Phänomene angesehen werden (Franke
2002, S. 96). Eine solche Theorie ist – um die Formulierung von Kaas (2000,
S. 57) zu bemühen – „weniger und zugleich mehr […] als die Vielzahl der
Einzelbeobachtungen. Weniger, weil eine Theorie von der Fülle der Details der
Realität abstrahiert und sich auf das Gemeinsame an ihnen konzentriert, mehr,
weil sie dadurch allgemeingültiger und beständiger als die Vielzahl der Details
ist.“ Reale Phänomene lassen sich allerdings in ihrer Vielfalt nicht ohne Weiteres
aufarbeiten – die Realität erscheint schlichtweg als (zu) komplex, dynamisch,
einzigartig und meist undurchsichtig (vgl. Jaccard; Jacoby 2010, S. 9 f.).
Angesichts dessen lässt sich ein in der Wissenschaft angestrebtes theoretisches
Aussagensystem auf höchstem Allgemeinheitsniveau in den Sozial- und
Wirtschaftswissenschaften nur schwer umsetzen (Schuh; Holzmüller 2005,
S. 18).
Eine vornehmlich auf Gestaltung fokussierte (pragmatische) Ausrichtung der
Wissenschaft bestimmt hingegen ihre Daseinsberechtigung durch den für die An-
wendung generierten Verwertungsnutzen (Franke 2002, S. 47). Die Marketing-
wissenschaft bietet damit der betrieblichen Praxis Hilfestellungen zur Lösung
ihrer Probleme an. Werden anwendungsbezogene Aussagen ohne theoretischen
Unterbau forciert, was nicht selten aufgrund des stets herrschenden Problem-
lösungszwangs in der betrieblichen Praxis vorkommt, können durchaus brauch-
bare Ergebnisse entstehen (Chmielewicz 1994, S. 183). Die Folge ist die Ent-
wicklung von technologischen Aussagen ohne theoretisches Fundament;
Handlungsanleitungen, denen durchaus Wert in der Marketingpraxis zukommt,
es jedoch häufig an theoretischer Erklärung mangelt (Schuh; Holzmüller 2005,
S. 12).
Während die theoretische Erklärung16 überwiegend für die wissenschaftliche
Gemeinschaft von Interesse ist, verlangt die Marketingpraxis von der Forschung
vor allem Praxisrelevanz und Handlungsempfehlungen (vgl. Dossabhoy; Berger
16
Zu unterscheiden sind dabei die Modelle der Erklärung (z. B. deduktiv-nomologische Erklärung,
induktiv-statistische Erklärung) (vgl. Hunt 2010, S. 77 ff.).
2.1 Abwägung der Ziele 29
17
Chmielewicz (1994, S. 15 f.) unterscheidet vier Kooperationsformen von Wissenschaft und
Praxis: Verstanden als Begriffslehre beschränkt sich die Wissenschaft auf Begriffsprobleme und
überlässt der Praxis die Ausarbeitung von Faustregeln; als (Wirtschafts-)Theorie erarbeitet die
Wissenschaft eine Theorie, die von der Praxis noch umzuformen und mit Wertungen zu versehen
ist; Wissenschaft als (Wirtschafts-)Technologie liefert Ziel-Mittel-Aussagensysteme, die von der
Praxis werturteilend reflektiert werden; sofern von der Wissenschaft auch die Werturteile bezüg-
lich der Ziele und Mittel vorgegeben werden, sodass die Praxis diese nur noch auf ihre jeweilige
Situation übertragen muss, ist sie als (Wirtschafts-)Philosophie anzusehen.
18
Für die Marketingwissenschaft kann sowohl Erkenntnisgewinn als auch Nützlichkeit für die
Praxis als Forschungsziele ausgewiesen werden (vgl. Franke 2002, S. 57). Meffert und Sepehr
(2012, S. 26 f.) ermitteln in einer jüngeren Untersuchung ebenfalls, dass beide Zielsetzungen in
der Marketingforschung von Bedeutung sind, derzeit der theoretische Erkenntnisgewinn mehr im
Fokus steht, zukünftig aber eine stärkere Gewichtung der Handlungsempfehlungen für die Praxis
erstrebenswert erscheint.
19
Was genau unter angewandter Wissenschaft zu verstehen ist, bleibt zum Teil unklar. Sofern
hiermit die tautologische Transformation gemeint ist, bestehen die in der Kontroverse auf-
geführten Kritikpunkte. Schreyögg (2007, S. 150 f.) etwa hält die Positionsbestimmung der
Betriebswirtschaftslehre durch diese Zuschreibung für ein merkwürdiges Identitätsprinzip
und plädiert, sofern die Kennzeichnung „angewandt“ nicht auf ein solches Technologie-
Transformations-Szenario bezogen ist, sondern die Ausrichtung der Disziplin am betrieblichen
Handeln gemeint ist, für die aristotelische Unterscheidung von scientia und praktischen Wissen-
schaften.
30 2 Kennzeichnung der Marketingdisziplin: Dimensionen einer Metaebene
mangele es nicht so sehr an der generellen Bereitschaft der Praxis sich mit den
Ergebnissen der Wissenschaft zu befassen, sondern eher die praxisgerechte Auf-
bereitung stelle ein wesentliches Hindernis dar (vgl. Tietz 1993, S. 162).20
Ein möglicher Grund für die Lücke zwischen Wissenschaft und Praxis kann
demnach die geringe Bekanntheit und Zugänglichkeit der Forschungsarbeiten
sein. So beschränken sich die Veröffentlichungen der Marketingforschung zu-
nehmend auf möglichst hochrangige Zeitschriften, die ein fast ausschließlich
akademisches Publikum bedienen (Dyllick; Tomczak 2009, S. 71; Homburg
2000, S. 354).21 Die Erkenntnisse der Marketingforschung erreichen demnach zu
selten diejenigen, denen sie zu helfen vermögen. Einige Vertreter der
Marketingwissenschaft fragen deshalb schon (Reibstein; Day; Wind 2009, S. 3):
„Are we mostly talking to ourselves?“ Lange Zeitspannen zwischen Einreichung
eines Manuskripts und der Veröffentlichung in einer Zeitschrift können im Ext-
remfall sogar bedeuten, dass Forschungsergebnisse gegebenenfalls zu spät
kommen für die Probleme, die es zu lösen gilt (Dyllick; Tomczak 2009, S. 71).
Den Dialog mit der Praxis zu suchen und vor allem zu finden, bedeutet dann in
erster Linie die Forschungsergebnisse in praxisorientierten Zeitschriften zu ver-
öffentlichen (Homburg 2000, S. 354). Zugleich hemmt der in der Wissenschaft
übliche komplexe Sprachgebrauch den Transfer der Forschungsergebnisse in die
20
Meffert und Sepehr (2012, S. 33 f.) fragen Bekanntheit in der Praxis, Zugänglichkeit, inhaltliche
Relevanz, praktische Umsetzbarkeit, Problemlösungspotenzial sowie sprachliche Verständlichkeit
als Gründe für eine mangelnde Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse in der Praxis ab und
kommen zu dem Ergebnis, dass der generelle Praxisnutzen der Marketingforschung als lediglich
mittelmäßig, vor allem die geringe Bekanntheit, Zugänglichkeit sowie Umsetzbarkeit der wissen-
schaftlichen Erkenntnisse als problematisch und von der Wissenschaft das Problemlösungs-
potenzial höher, die sprachliche Verständlichkeit hingegen niedriger als von der Praxis einge-
schätzt wird.
21
Viele Journals, auch jene, die früher noch Beiträge von PraktikerInnen veröffentlichen, schlagen
eine vermehrt wissenschaftliche Ausrichtung ein. Als Indiz kann beispielsweise für das Journal of
Marketing eine deutliche Verschiebung in den Kategorien „Editorial Staff“, „Review Board“ und
„Contributing Authors“ zugunsten der WissenschaftlerInnen angesehen werden (Brown et al.
2005, S. 20). Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Zeitschriftenranking legt Kieser (2012)
vor. Lutz (2011, S. 233) fordert in Anbetracht der festgefahrenen Forschungs- und Ver-
öffentlichungsprozesse unter der Überschrift „Marketing Scholarship 2.0“ einen digitalen, ko-
operativen Ansatz für die Produktion und Verbreitung von Marketingwissen.
2.1 Abwägung der Ziele 33
22
Theoretisch-konzeptionelle Arbeiten, die ohne die Erhebung und Auswertung von Daten aus-
kommen, finden in den einschlägigen Journals nur noch geringe Berücksichtigung (vgl. MacInnis
2004; Yadav 2010). Stewart und Zinkhan (2006, S. 477) halten fest: „It is certainly the case that it
is more difficult to get conceptual articles through the review process.“ Diese inzwischen vielfach
bemängelte Entwicklung steht im starken Widerspruch zum hohen Stellenwert theoretisch-
34 2 Kennzeichnung der Marketingdisziplin: Dimensionen einer Metaebene
stellungen bedeutet dieses (isolierte) Vorgehen häufig nichts anderes als „mit
methodischen Kanonen auf inhaltliche Spatzen zu schießen“ (Meffert 2007,
S. 4). Während zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Forschung (nicht nur im
Bereich Marketing) noch weitestgehend als praxisorientiert anzusehen ist, setzt
sich im Verlauf der Zeit eine immer stärkere wissenschaftliche Rigorosität zum
Teil auf Kosten der inhaltlichen Relevanz durch (vgl. Vermeulen 2005;
Lehmann; McAlister; Staelin 2011; Roberts; Kayande; Stremersch 2014). Dem
gängigen Anspruch nach „Rigour and Relevance“ wird die Marketingforschung
bei mangelnder Problemlösungskraft nur bedingt gerecht (Katsikeas; Robson;
Hulbert 2004, 574 f.): „While it is imperative that research methods are
systematic and critically applied, this is inconsequential if the research issue
itself fails to address an important marketing phenomenon in an original fashion.
Accordingly, the first and most important step in conducting efficacious
marketing research is to select a promising area.“ Damit ist die Suche nach
interessanten Problemstellungen angesprochen (vgl. Shugan 2003) und die Über-
legung verbunden den inzwischen vielfach eingeschlagenen Forschungsablauf
wieder umzudrehen (vgl. Reibstein; Day; Wind 2009, S. 1 f.).
konzeptioneller Arbeiten für die Ausarbeitung von Problemstellungen, neuer Ideen und damit die
(Theorie-)Entwicklung der Marketingdisziplin (vgl. MacInnis 2011; Yadav 2010; Stewart;
Zinkhan 2006).
2.2 Konkretisierung des Objektbereichs 35
23
Für eine Darstellung der historischen Entwicklung des Marketing wird auf Hansen und Bode
(1999), Wilkie und Moore (2003) sowie für eine kursorische Aufarbeitung der jüngeren Entwick-
lung auf Kumar (2015) verwiesen.
36 2 Kennzeichnung der Marketingdisziplin: Dimensionen einer Metaebene
24
Theoretische Konstrukte werden ihrem Namen nach mit Hilfe von theoretischem Vorwissen
gedanklich konstruiert und, da sie eine nicht direkt messbare Größe darstellen, auch als latente
Variable bezeichnet. Bei der Konstruktmessung geht es darum, Beziehungen zwischen beobacht-
baren Variablen (auch Indikatorvariablen oder Indikatoren genannt) und dem Konstrukt zu
konkretisieren, um auf diese Weise das Konstrukt „empirisch greifbar“, also messbar zu machen
(Homburg; Giering 1996, S. 6). In den verschiedenen Teilgebieten der Marketingforschung wird
mit komplexen Konstrukten (z. B. in der KonsumentInnenforschung mit Einstellungen und
Motiven oder im Bereich Relationship Marketing mit Vertrauen und Commitment) gearbeitet,
sodass die Sicherung von validen Messergebnissen bei der Erfassung von Konstrukten als eines
der Kernprobleme der Marketingforschung gilt (vgl. ebenda, S. 5).
2.2 Konkretisierung des Objektbereichs 39
an jede beiläufig artikulierte Forderung der KundInnen ist ebenso wie eine
komplette Ausblendung der KundInnen als Fehlinterpretation zu verstehen (vgl.
Slater; Narver 1998; 1999; Day 1999). Damit ist auch davon auszugehen, dass je
nach Markt bzw. Branche starke Unterschiede im Marketingverständnis auszu-
machen sind (Day 1999, S. 5): „In some industries, a market orientation is as
natural as breathing. In others, it is a sharp departure from their history and
instincts.“
25
Die im Jahr 2007 veröffentlichte Definition der American Marketing Association findet in der
internationalen Marketingforschung weite Verbreitung und steht für ein modernes, erweitertes
Marketingverständnis (AMA 2013): „Marketing is the activity, set of institutions, and processes
for creating, communicating, delivering, and exchanging offerings that have value for customers,
clients, partners, and society at large.“ Auch hier findet sich also der konkrete Verweis auf die
Ausrichtung auf nicht-finanzielle Größen. Insgesamt wird der Definition (auch im deutsch-
sprachigen Raum) mehrheitlich zugestimmt, jedoch besteht ebenso Kritik, beispielsweise in der
eher aktionsbezogenen als strategischen Sichtweise im Sinne einer marktorientierten Unter-
nehmensführung (vgl. Meffert; Sepehr 2012, S. 14; Gundlach; Wilkie 2009, S. 259 ff.; Zinkhan;
Williams 2007, S. 284 ff.).
2.2 Konkretisierung des Objektbereichs 41
26
Das Verständnis von Marketing in Wissenschaft und Praxis ist nicht deckungsgleich. Während
sich im Zeitverlauf in der Wissenschaft das Verständnis von Marketing als marktorientierte
Führungskonzeption (1999: 93 Prozent; 2006: 79 Prozent; 2012: 92 Prozent) gegenüber Funk-
tion (1999: 43 Prozent; 2006: 47 Prozent; 2012: 51 Prozent) und Verkaufsinstrument (1999:
5 Prozent; 2006: 9 Prozent; 2012: 9 Prozent) behauptet, scheint das in der Praxis vorherrschende
Verständnis teilweise abzuweichen und Marketing weitestgehend nur als verkaufsunterstützende
Abteilung zu begreifen (Führungskonzeption: 36 Prozent; Funktion: 54 Prozent; Verkaufs-
instrument: 61 Prozent) (vgl. Meffert; Sepehr 2012, S. 15 ff.; Meffert 2007, S. 3).
27
Damit ist nicht gesagt, neu auftretende Phänomene seien nicht zu beachten, sondern dass die
Einordnung der zu erklärenden Phänomene zum Teil fragwürdig ist. So sind beispielsweise das
Internet und die damit zusammenhängenden Entwicklungen zweifelsohne für das Marketing
bedeutsam. Ob die Auseinandersetzung mit diesbezüglichen Fragestellungen aber in einem
speziellen Forschungsbereich „Internet-Marketing“, als Teil des breiter angesetzten Technologie-
bzw. High-Tech-Marketing oder als Subkategorie des Konsumgütermarketing stattfindet, ist
durchaus zu hinterfragen (Schuh; Holzmüller 2005, S. 17).
42 2 Kennzeichnung der Marketingdisziplin: Dimensionen einer Metaebene
vor lauter Bäumen“ erkennen. Folgerichtig ist der Begriff auch abseits der
Scientific Community mit Vorbehalten und Missverständnissen versehen. Sheth,
Sisodia und Barbulescu (2006, S. 26) bescheinigen dem Marketing „a serious
and deepening image problem with most of its constituents, external as well as
internal.“28
In diesem Zusammenhang ist der Begriff „Bindestrich-Marketing“ als An-
spielung auf die zahlreichen Abwandlungen des Marketing zu sehen. Mit dieser
Entwicklung hin zur Diversität erklärt sich, dass das eigentliche Konzept nicht
nur ausschweift, sondern vor allem auch keine genauen Grenzziehungen nach-
vollziehbar sind. Eine Verwässerung und schleichende Erosion des Marketing-
begriffs ist unausweichlich (vgl. Meffert 2000, S. 330). So scheint inzwischen
der Versuch, eine überschneidungsfreie Systematik der Marketingbegriffe zu
entwickeln, angesichts der zunehmenden Begriffsvielfalt nur schwer von Erfolg
gekrönt zu werden.29 Um die programmatische Ausdifferenzierung der Marke-
tingdisziplin darstellen zu können, wird hier die relativ einfache Einteilung in
Spezialisierungs-, Funktions-, Anwendungs- und Nutzenbezug genutzt (Voeth
2003b, S. 5). Auf diese Weise wird den verschiedenen Teilbereichen ein Platz im
Gesamtgefüge zugewiesen, wenngleich bei dieser Anordnung zu berücksichtigen
ist, dass es keine immerwährende, allgemeingültige Lösung gibt. Mit Voeth
28
Gefragt nach den Assoziationen mit dem Begriff „Marketing“ zeigt sich bei einem Großteil der
KonsumentInnen inzwischen ein wenig schmeichelhaftes Bild (Sheth; Sisodia; Barbulescu 2006,
S. 29 f.): In positiver Hinsicht steht Marketing zwar für „creativity“, „fun“, „humorous
advertising“ und „attractive people“, wird aber vor allem aufgrund bestimmter Praktiken (z. B.
Telemarketing, Pop-up-Werbung, Junkmail) in ein zunehmend schlechtes Licht gerückt, was
deutlich wird an den zahlreichen negativen Assoziationen wie „lies“, „deception“, „deceitful“,
„annoying“, „manipulating“, „gimmicks“, „exaggeration“, „invasive“, „intrusive“ und „brain-
washing“.
29
Braun und Mayer (1989, S. 307) unternehmen – wohlgemerkt schon im Jahr 1989 – den Versuch
die verschiedenen Marketingbegriffe zu ordnen und gehen dabei von folgenden Bereichen aus:
Objekt, für das Marketing betrieben wird; geografischer Raum, in dem Marketing ausgeübt wird;
Institution bzw. Wirtschaftsstufe, die Marketing betreibt; zeitliche Reichweite und unternehmens-
politische Wirksamkeit des Marketing; Breite der Marktbearbeitung; Art der Kontaktaufnahme zu
den Abnehmern; Institutionen bzw. Personen, gegenüber denen Marketingaktivitäten durch-
geführt werden; Selbstverständnis des Marketingtreibenden. Die Auflistung der Marketing-
begriffe ist allerdings weder vollzählig noch lassen sich alle Begriffe in die genannten Bereiche
einordnen.
2.2 Konkretisierung des Objektbereichs 43
Spezialisierungsbezug
Neben der gängigen Differenzierung zwischen strategischem Marketing
(Backhaus; Schneider 2009) und operativem Marketing (Schneider 2013), die
vielfach auch als Marketingstrategie und Marketingmix dargestellt wird, finden
sich weitere Teildisziplinen mit Spezialisierungsbezug, die bestimmte Aspekte
des Marketing, die in einer allgemeinen Darstellung nur beiläufig ausgeführt
werden, gesondert aufgreifen (Voeth 2003b, S. 6). Direkt- (Wirtz 2012), Online-
(Bernecker; Beilharz 2012a), hier zuletzt bevorzugt Social-Media- (Bernecker;
Beilharz 2012b), Event- (Nickel 2007) oder Mobile-Marketing (Holland;
Bammel 2006) sind nur einige Beispiele für Teilperspektiven mit Spezia-
lisierungsbezug. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den Instrumenten der Kommu-
nikationspolitik.
Funktionsbezug
Ursprünglich beschränkt sich das Marketing auf den Güterabsatz privater
Betriebe. Kotler und Levy (1969, S. 11) schlagen die Ausweitung des
Marketingkonzepts vor: „When we come to the marketing function, it is also
clear that every organization performs marketing like activities whether or not
44 2 Kennzeichnung der Marketingdisziplin: Dimensionen einer Metaebene
they are recognized as such.“ Aus dieser Einsicht heraus wird das Marketing auf
andere Austauschprozesse übertragen. Die weiteste Auslegung des Objekt-
bereichs, auch als „Generic Concept of Marketing“ (Kotler 1972) bezeichnet,
versteht Marketing dabei als soziale Beeinflussungstechnik und bezieht damit
ebenso nicht-marktliche Austauschsituationen mit ein. Die Ausweitung wird
allerdings auch kritisch diskutiert (vgl. Bartels 1974; Franke 2002, S. 66 ff.).
Im Zuge dieser „Broadening“-Bewegung wird das Marketing vom Absatz- auf
den Beschaffungsmarkt (Koppelmann 2004), von Profit- auf Nonprofit-Betriebe
(Bruhn 2012), von organisationsexternen auf -interne Austauschprozesse (Bruhn
1999) und von der mikro- auf die makroperspektivische Betrachtung (Raabe
1995) adaptiert (vgl. Raffée 1995, S. 1669 ff.). Auch dem Personal- (Felser
2010) und Finanzmarketing (Link 1995) liegt eine funktionsbezogene
Übertragung zugrunde. Allerdings ist die Vielfalt zumindest mit Hinblick auf die
betrieblichen Funktionen begrenzt, sodass hier noch von einer überschaubaren
Anzahl von Marketingansätzen auszugehen ist (Voeth 2003b, S. 7).
Anwendungsbezug
Wird Marketing als ein Leitkonzept für unternehmerisches Handeln aufgefasst,
konzentriert sich dieses Begriffsverständnis auf den Absatzmarkt, der sich aus
allen (aktuellen und potenziellen) Nachfragern der Güter eines Anbieters und
dessen (aktuellen und potenziellen) Wettbewerbern um die Gunst dieser Nach-
frager zusammensetzt. Eine inflationäre Verwendung des Marketingbegriffs
scheint hiernach problematisch, weil sich zwar die Techniken auch beispiels-
weise auf lieferantengerichtete Aktivitäten anwenden lassen, Marketing als
unternehmerische Führungsphilosophie aber nicht auf beliebig viele Zielgruppen
fokussiert ist (Homburg 2012, S. 10 f.). Da sich die Erweiterung des Marketing
auf unterschiedliche Dimensionen bezieht, ist etwa die Übertragung auf
Nonprofit-Betriebe hier nicht als problematisch anzusehen. Ebenso bedeutet die
aus diesem Verständnis heraus entstehende Argumentation nicht, dass beispiels-
weise dem Beschaffungs- oder Personalmarketing die Bedeutung abgesprochen
wird, sondern lediglich die Kenntlichmachung des verwendeten Marketing-
verständnisses notwendig ist.
2.2 Konkretisierung des Objektbereichs 45
30
Holzmüller (2005, S. 35) konkretisiert in seiner Ausarbeitung den „Nukleus“ einer sektoralen
Sichtweise auf das Marketing für die sogenannten „Fast Moving Consumer Goods“ und schreibt
diesem Sektor als Charakteristika private Nachfrager als KundInnen bzw. Zielgruppe, Hersteller
als Ausführende der Marketingaktivitäten, tangible Verbrauchsgüter, markierte Güter, große
Anzahl an Nachfragern, hohe Kauffrequenz und Absatzmenge, anonyme Hersteller-KundInnen-
Beziehungen sowie hohe Professionalisierung zu.
2.2 Konkretisierung des Objektbereichs 47
Nutzenbezug
Bei allen Veränderungen und Erweiterungen des Marketing liegt die Ausrichtung
bislang stets auf der Anbahnung einzelner Austauschprozesse. Mit dem Ver-
gleich der Profitabilität von Neu- und Bestandskundschaft erweist sich in vielen
Fällen der Aufbau und der Fortbestand langfristiger Beziehungen gegenüber der
mit der stetigen Fokussierung auf Neukundschaft einhergehenden Umsetzung
einzelner Transaktionen als vorteilhaft. Diese Erkenntnis ist vor allem vor dem
Hintergrund vermehrt auftretender Sättigungserscheinungen von Bedeutung: Das
Potenzial eines Markts ist hinsichtlich der Nachfrager ausgeschöpft und die Bin-
dung der Kundschaft spielt zunehmend eine Rolle; hier tritt also das Potenzial
bzw. die Vorstellung möglicher zukünftiger Einnahmen durch bestehende
KundInnen (Customer Lifetime Value) an die Stelle der Profitabilität einer ein-
zelnen Transaktion (Meffert; Burmann; Kirchgeorg 2012, S. 17). Damit wird auf
die nachfragerseitige Nutzenentstehung eingegangen (Voeth 2003b, S. 6) und die
transaktionsorientierte Fokussierung zugunsten einer beziehungsorientierten
Denkweise aufgegeben (Grönroos 1990, S. 5). Diese Betonung der Geschäfts-
beziehungen wird als „Relationship Marketing“ bezeichnet, das nach Bruhn
(2013, S. 12) „sämtliche Maßnahmen der Analyse, Planung, Durchführung und
Kontrolle [umfasst], die der Initiierung, Stabilisierung, Intensivierung und
Wiederaufnahme sowie gegebenenfalls der Beendigung von Geschäfts-
beziehungen zu den Anspruchsgruppen – insbesondere zu den Kunden – des
Unternehmens mit dem Ziel des gegenseitigen Nutzens dienen.“ Je nachdem in
welchem Zustand sich die Anbieter-Nachfrager-Beziehung befindet, wird ein
Anbieter unterschiedliche Ziele und Strategien formulieren und entsprechende
Maßnahmen ergreifen.
Grönroos (1994) erkennt im Relationship Marketing ein neues Paradigma 31. Eine
dauerhafte Beziehung zu den KundInnen muss jedoch nicht notwendigerweise
31
In der Wissenschaftstheorie ist der Begriff „Paradigma“ durch die Arbeit von Kuhn (1962) zur
Struktur wissenschaftlicher Revolutionen geprägt. Im Kuhnschen Sinne besitzt ein Paradigma
zwei wesentliche Eigenschaften: Zum einen ist es neuartig genug, um WissenschaftlerInnen
anzuziehen, die bisher andere Ansätze nutzen, und zum anderen offen genug, um ungelöste
Probleme zu bieten (ebenda, S. 10).
2.2 Konkretisierung des Objektbereichs 49
für jeden Betrieb sinnvoll sein. So kann sich ein Betrieb mit Laufkundschaft auf
die Erzielung einzelner Transaktionen ausrichten und damit durchaus ein
besseres Ergebnis einfahren als mit der Investition in den Aufbau langfristiger
KundInnenbeziehungen (Homburg 2012, S. 9). Darüber hinaus entsteht eine
langfristige Geschäftsbeziehung nur dann, wenn sie nicht nur für Anbieter,
sondern gleichermaßen für Nachfrager mit Effektivitäts- und/oder Effizienz-
vorteilen verbunden ist, sodass entsprechend ein transaktionsorientierter Ansatz
angebracht ist, wenn für mindestens eine der Marktparteien der Aufbau der
Beziehung unvorteilhaft ist (vgl. Backhaus 1998, S. 32; Palmatier et al. 2006,
S. 150; Bruhn 2013, S. 12). Damit stellt das Relationship Marketing keine gänz-
lich neue Position, sondern eine Möglichkeit zur Erzielung von Wettbewerbs-
vorteilen neben anderen dar (Backhaus 1998, S. 33). Anstatt die Schaffung lang-
fristiger Beziehungen zwangsläufig als das zentrale Marketingziel zu formu-
lieren, scheint es daher zweckmäßig, wie in der integrativen Marketingdefinition
von Homburg (2012, S. 10), von der gemäß den Unternehmenszielen optimalen
Gestaltung von KundInnenbeziehungen zu sprechen.
32
Gedanklicher Ausgangspunkt ist die zwischenbetriebliche Arbeitsteilung, das heißt die Speziali-
sierung von einzelnen Wirtschaftseinheiten auf einen bestimmten Bereich der Gesamtwirtschaft.
Sie erweist sich als produktivitätsfördernd, geht allerdings einher mit dem Verzicht auf Selbst-
versorgung und der Entstehung produzierender (öffentlicher und privater) Betriebe, die über den
Eigenbedarf hinausgehend Leistungen für Dritte erzeugen. In einem arbeitsteilig organisierten
Wirtschaftssystem findet demnach notwendigerweise Austausch statt. Um diesen möglichst
effizient zu gestalten, wird auf Geld als Tauschmittel, Recheneinheit und Wertaufbewahrungs-
mittel zurückgegriffen. Die Bindeglieder eines arbeitsteilig organisierten Wirtschaftssystems
werden als Märkte bezeichnet. Kaas (1999, S. 146 f.) sieht den Markt, unter dem Verweis auf die
Notwendigkeit von ethischen Normen, als „das ökonomische Pendant eines demokratisch ver-
faßten, auf Freiheit und Selbstverantwortung gegründeten Gemeinwesens. Er soll, eingebettet in
eine institutionelle Rahmenordnung, die im Menschen angelegten eigensüchtigen, destruktiven
Kräfte gleichzeitig produktiv und sozialverträglich machen.“
2.2 Konkretisierung des Objektbereichs 51
33
Wie schon angesprochen, dient ein Modell als vereinfachte Darstellung eines komplexen Phäno-
mens der Erfahrungswelt. Für die Erklärung realer Vorgänge, in diesem Fall reale Preisbildungs-
prozesse, ist eine Konkretisierung von Angebot und Nachfrage hinsichtlich Personen, Raum, Zeit,
der gehandelten Leistung sowie des Verhaltens der Beteiligten notwendig ebenso wie generell zu
hinterfragen ist, ob Angebot und Nachfrage klar voneinander unterscheidbar sind, da auch
die Nachfrager im Tauschgeschäft eine (Gegen-)Leistung (z. B. Geld, Informationen) anbieten
(Engelhardt 1995, S. 1697).
52 2 Kennzeichnung der Marketingdisziplin: Dimensionen einer Metaebene
Nachfrager. Es kommt nur zu einem Tausch, sofern dieser für die Beteiligten
vorteilhaft ist, das heißt ein Anbieter ist nur am Verkauf interessiert, wenn er
einen entsprechenden Gegenwert für seine Leistung bezieht und ein Nachfrager
wird ein Gut lediglich dann kaufen, wenn er dadurch einen Nutzen erzielt. Der
Nutzen gilt als Maß zur Beurteilung der Bedürfnisbefriedigung, wobei unter-
schieden wird zwischen dem Brutto-Nutzen, also dem erwarteten Nutzen eines
Guts, und dem Netto-Nutzen, der sich analog aus dem Brutto-Nutzen und den
mit einer Kaufentscheidung verbundenen Kosten (z. B. Preis, Suchkosten) ergibt
(Backhaus; Schneider 2009, S. 22 ff.). Ein Nachfrager wird sich also nur zu
einem Kauf entscheiden, sofern ein positiver Netto-Nutzen zu erwarten ist und
sich bei mehreren Anbietern, die einen positiven Netto-Nutzen ermöglichen, für
denjenigen entscheiden, der den größten Netto-Nutzen verspricht (ebenda,
S. 23). Als problematisch anzusehen ist das Agieren der beteiligten Akteure
unter Unsicherheit und mit unvollkommenen Informationen, sodass, um Aus-
tauschprozesse entsprechend fördern und umsetzen zu können, einerseits Infor-
mationen über die andere Marktseite besorgt und andererseits diese mit Informa-
tionen über die eigene Seite versorgt werden müssen (Kaas 1999, S. 128 f.).
Damit sind zwei zentrale Aufgaben des Marketing angesprochen: Für einen
Anbieter gilt es im Sinne der Leistungsfindung in seinem Angebot Wettbewerbs-
vorteile zu erzielen und im Sinne der Leistungsbegründung den Nachfragern, für
die es gedacht ist, die Überlegenheit des Angebots zu vermitteln (ebenda,
S. 129).
Die Bezugnahme auf Austauschprozesse bestimmt den Objektbereich zunächst
sehr allgemein; der Entwicklungspfad des Marketing verdeutlicht, dass eine
weitere Konkretisierung vorgenommen wird, um den Objektbereich präziser zu
fassen und homogene Aussagensysteme zu entwickeln (Schuh; Holzmüller 2005,
S. 3). Die Markt- und Umweltbedingungen können nicht komplett abstrakt (auf
der Ebene einer „General Theory of Marketing“) erfasst werden, sondern sind –
auch um der Praxis Hilfestellungen bieten zu können – in der Forschungsarbeit
auf bestimmte Herausforderungen zu konkretisieren. Die Bestimmung eines
Markts stellt dabei einen zentralen Aspekt dar, nicht nur um in einem Diskurs
einen gemeinsamen Ausgangspunkt zu besitzen. Sie ist zwingende Voraus-
setzung für jegliche Auseinandersetzung mit dem Marktgeschehen (vgl. Buzzell
1999, S. 61). So stellt sich bei der Ausgestaltung der Marktaktivitäten für jeden
2.2 Konkretisierung des Objektbereichs 53
Anbieter die Frage, welcher Markt eigentlich anvisiert wird, genauer: welche und
wie viele Anbieter und Nachfrager einem Markt zugeordnet und wie die Grenzen
eines Markts gezogen werden. Ähnlich wie in der Praxis besteht bei einer
Konkretisierung des Objektbereichs damit die Herausforderung die Vermark-
tungsbedingungen genauer zu bestimmen.
Die Verschiedenartigkeit der Markt- und Umweltbedingungen kann als Grund
für die stark anwendungsbezogene Ausdifferenzierung der Marketingdisziplin
angesehen werden. So deutet die grundsätzliche Entwicklung darauf hin, dass
sich analog zur Ausdehnung des Marketing über verschiedene Betriebe und
Branchen in der Praxis auch innerhalb der Marketingwissenschaft eine Ver-
schiebung bzw. Erweiterung des Objektbereichs durchsetzt. Die Anwendung des
Marketing in einem neuen, bisher nicht beachteten institutionellen Umfeld ist
demnach als ein neu auftretendes und vor allem erklärungsbedürftiges Phänomen
der Erfahrungswelt anzusehen und verlangt – sofern bisherige Ansätze diesen
Bereich nicht schon ausreichend umfassen – nach einer Verschiebung bzw.
Anpassung des Objektbereichs (vgl. Franke 2002, S. 62). Erfolgt die Konkreti-
sierung nicht bis auf die Ebene des Einzelfalls – in der Wissenschaft angesichts
eines erforderlichen Generalisierungsanspruchs in der Regel ohnehin nicht
zweckmäßig34 – besteht das Erfordernis den Bereich, für den die Markt- und
Umweltbedingungen gelten, dennoch auf einem gewissen Abstraktionsniveau zu
erfassen. Hierfür werden Konzepte verwendet, die die Phänomene der
Erfahrungswelt zunächst vereinfacht bzw. verallgemeinernd darstellen (Jaccard;
Jacoby 2010, S. 10 f.): „Confronted by this array of complex, dynamic, unique,
and mostly obscured phenomena, how do individuals manage to make sense out
of this world? They do so, almost automatically and usually unconsciously, by
conceptualizing – that is, by using their mental processes to consider and sort
their experiences in terms of the concepts they have acquired and stored in
34
In der institutionellen Perspektive besteht die Gefahr der Fragmentierung, im Extremfall die
Postulierung der Einzigartigkeit eines Betriebs, und damit möglicherweise die Verhinderung
verallgemeinerbarer Aussagen (Engelhardt 2000, S. 111). Die Wissenschaft kennzeichnet sich –
anders als etwa die Beratungspraxis – aber durch generalisierendes Denken; die Lösung des
Einzelfalls ist nicht ihre originäre Aufgabe.
54 2 Kennzeichnung der Marketingdisziplin: Dimensionen einer Metaebene
memory. They also develop new concepts to describe things they had never
previously experienced. Just as concepts are the fundamental building blocks of
everyday thinking, they also are the fundamental building blocks of scientific
thinking.“ So abstrahiert (bzw. generalisiert) der Anwendungsbezug von den
ganz spezifischen Markt- und Umweltbedingungen eines konkreten Betriebs,
beschränkt sich dabei aber (aus der Vielfalt der möglichen Bedingungen) immer
noch auf einen bestimmten Bereich.
35
Angesichts der Reichweite, die eine „General Theory of Marketing“ als theoretisches Aussagen-
system auf höchstem Allgemeinheitsniveau erreichen muss, erscheint eine Ausarbeitung derzeit
wenig aussichtsreich (vgl. Schuh; Holzmüller 2005, S. 18). Die marketingeigenen Theorien
2.3 Auswahl der theoretischen Grundrichtungen 55
Bartels (1968) den Anstoß einer solchen allgemeinen Marketingtheorie aus, der
sich jedoch nicht durchsetzt und somit nur die grundsätzliche Notwendigkeit
eines Theorierahmens hervorbringt (vgl. Hunt 1971). Eine „General Theory
of Marketing“ besteht lediglich als Forschungsdesiderat. Die Marketing-
wissenschaft wird demzufolge nicht von einer einzigen Theorie geleitet, sondern
zeichnet sich durch mehrere, parallel bestehende und mit verschiedenen Schwer-
punkten gewichtete theoretische Säulen aus (Mattmüller; Tunder 2005, S. 16).
Der Vorwurf, die Marketingwissenschaft stelle eine Anhäufung von Theorien,
Modellen und Methoden aus anderen Disziplinen dar und greife diese für ihre
marketingspezifischen Fragestellungen auf, kann also nicht ganz von der Hand
gewiesen werden.
Die Theorieverankerung und damit einhergehend auch die verwendeten
Methoden der Marketingwissenschaft werden – obwohl sich das Marketing als
betriebswirtschaftliche Disziplin in Wissenschaft und Praxis etabliert – mehrfach
kontrovers diskutiert.36 Auch im Inneren der deutschsprachigen Marketing-
wissenschaft wird die Auseinandersetzung über längere Zeit und mit großem
Engagement geführt (vgl. Schneider 1983; Müller-Hagedorn 1983; Dichtl 1983;
1998; Wiedmann 2004). Hier tut sich besonders Schneider (1983) als Wortführer
eines ökonomisch geprägten Marketing hervor. Er sieht einen zunehmenden
verhaltenswissenschaftlichen Einfluss in der Forschung als eine Fehlentwicklung
an und bringt dies mit einer eigenwilligen Diktion zum Ausdruck. So bezeichnet
er die „(Lehrbuch-)Marketingwissenschaft“ etwa als eine „betriebswirtschaft-
liche Tragödie“ und spricht ferner von der „Flucht aus der Wirtschaftstheorie in
verhaltenswissenschaftliche Behauptungen“ (ebenda, S. 198 ff.). Inzwischen ist
die Frage nach den grundlegenden Theorien der Marketingforschung (weitest-
können mit Leong (1985, S. 23 ff.) – aufbauend auf Lakatos (1974, S. 89 ff.) – unterteilt werden
in eher allgemeinere, strukturierende Forschungsprogramme und konkretere, falsifizierbare
Theorien mittlerer Reichweite (vgl. Franke 2002, S. 194 ff.).
36
Der Anstoß der Diskussion lässt zunächst Raum für Vermutungen. So geht Voeth (2003a, S. 13)
davon aus, die Marketingwissenschaft lasse sich die Theoriediskussion von denjenigen auf-
zwingen, die das Marketing als zu populärwissenschaftlich bezeichnen, wohl aber eher zu populär
meinen. Auch Homburg (2000, S. 356) ist dieser Ansicht und spricht in diesem Zusammenhang
vom „Neid auf die Praxiswahrnehmung der Marketingforschung“.
56 2 Kennzeichnung der Marketingdisziplin: Dimensionen einer Metaebene
37
Franke (2002, S. 87 f.) weist für die Marketingwissenschaft ein eher verhaltenswissenschaftliches
als formal-ökonomisches Selbstverständnis aus, was allerdings nicht als das Bestehen ver-
feindeter Lager missverstanden werden darf, sondern eher als eine Präferenz für eine theoretische
Grundrichtung, die andere aber respektierend. Meffert und Sepehr (2012, S. 28) kommen zu
einem ähnlichen Ergebnis: Beide theoretischen Grundrichtungen kommen gegenwärtig in etwa
gleichem Maße zur Anwendung, wobei sich für die Zukunft eine stärkere Gewichtung ver-
haltenswissenschaftlicher Theorien abzeichnet.
2.3 Auswahl der theoretischen Grundrichtungen 57
2.3.1 Neoklassik
Sowohl die Neoklassik als auch die Neue Institutionenökonomik gehen auf die
mikroökonomische Theorie der Volkswirtschaftslehre zurück, die sich mit dem
Entscheidungsverhalten einzelner Wirtschaftseinheiten auseinandersetzt. Beide
gehen von bestimmten Annahmen aus und leiten hieraus das Verhalten der
Akteure ab. Die neoklassische und die neoinstitutionelle Theorie unterscheiden
sich dabei durch ihre Rahmenbedingungen; diese haben allerdings weitreichende
58 2 Kennzeichnung der Marketingdisziplin: Dimensionen einer Metaebene
Auswirkungen (Kaas 2000, S. 60). Den Grundstein für den Aufbau des neo-
klassischen Gedankengebäudes legen die Veröffentlichungen von Menger (1871)
„Grundsätze der Volkswirtschaftslehre“, Jevons (1871) „The Theory of Political
Economy“ und Walras (1874) „Éléments d’économie politique pure ou théorie
de la richesse sociale“. Sie befassen sich in etwa zeitgleich mit dem Grenz-
nutzenprinzip, lösen in der Folge die sogenannte „Marginalistische Revolution“
aus und werden damit gemeinhin als Begründer der neoklassischen Theorie
angesehen. Anders als in der klassischen Theorie, die den Wert an dem Produk-
tionsaufwand eines Guts ausmacht, gehen sie davon aus, dass der subjektive
Nutzen für die KonsumentInnen zur Bestimmung des Werts ausschlaggebend ist.
Insbesondere in ihren Anfängen nimmt die Marketingwissenschaft Bezug auf
die neoklassische Theorie. Die von Gutenberg (1955) konzipierte Betriebs-
wirtschaftslehre, in der der Absatz als Leistungsverwertung ausführlich be-
handelt wird, baut wesentlich auf der neoklassischen Theorie auf und dient als
Ansatzpunkt absatztheoretischer Forschung. Die Neoklassik stellt eine mit
Prämissen behaftete Modellwelt dar, in der die Anbieter und Nachfrager von
Gütern aufeinandertreffen. Es werden vollständige Information über alle Markt-
daten und vollkommene Rationalität unterstellt (Kaas 2000, S. 61). Der Preis ist
für die Verteilung der Güter zuständig und gewährleistet den optimalen Einsatz
der Ressourcen. Damit wird in der Neoklassik angenommen, dass in dem Preis
alle relevanten Informationen wiedergegeben werden und somit alle Akteure den
gleichen Informationsstand besitzen.
Wird davon ausgegangen, die Akteure wüssten alles über die Marktbedingungen
und reagierten verlässlich auf die Preissignale, werden die Schwierigkeiten der
Interaktion von Menschen systematisch übergangen – das Marketing be-
sitzt eigentlich keine Daseinsberechtigung; aufgrund fehlender Verhaltens-
unsicherheit herrschen weder zu lösende Informations-, Motivations- oder
Koordinationsprobleme noch bleibt Raum für opportunistisches Verhalten oder
politische, rechtliche und andere Umwelteinflüsse (vgl. Göbel 2002, S. 29). All
diese Punkte weisen darauf hin, dass eine solche Modellwelt mit der Realität
wenig gemein hat. So offenbart schon ein Blick auf das beobachtbare
Entscheidungsverhalten, dass eine derartige Vorstellung des menschlichen Ver-
haltens der Realität nicht gerecht wird. Die Kritik am neoklassischen Gedanken-
gebäude bezieht sich entsprechend auf die unrealistischen Prämissen. (Vor allem
2.3 Auswahl der theoretischen Grundrichtungen 59
das zugrunde gelegte Modell des sogenannten „Homo oeconomicus“ wird dabei
gerne aufgegriffen.) Allerdings sind diese nicht etwa zufällig gewählt, sondern
dienen genau dem Zweck Sachverhalte aus der Realität vereinfachend dar-
zustellen; beispielsweise können derartig beschränkte und abstrakte Verhaltens-
annahmen für eine Analyse der Preisbildung sinnvoll sein (vgl. Engelhardt 1995,
S. 1697). Dennoch ist bei aller theoretischer Stringenz und mathematischer
Überprüfbarkeit der Aussagen, die die neoklassische Theorie auch für das
Marketing (z. B. durch das Denken in formalen Modellen) auszeichnet, die
Abstraktheit der Modelle ein Nachteil, da sie sich häufig einer empirischen
Prüfung entzieht und nicht für die Anwendung umgesetzt werden kann (vgl.
Kaas 2000, S. 61).
whose solution is required for objectively rational behavior in the real world – or
even for a reasonable approximation to such objective rationality.“
Aufbauend auf dieser begrenzten Fähigkeit zur Informationsverarbeitung und der
einhergehenden asymmetrischen Informationsverteilung wird von opportu-
nistischem Verhalten der Akteure ausgegangen, das heißt Verfolgung der
eigenen Interessen auch mit Hilfe von List und darin eingeschlossen Lügen,
Stehlen und Betrügen sowie raffinierte Formen der Täuschung (Williamson
1985, S. 47). In der Neuen Institutionenökonomik wird damit angenommen, die
Akteure führten ihre Handlungen zu ihrem Vorteil durch und brächen dafür gar
mit vereinbarten Verpflichtungen sowie bestehenden Werten und Normen
(Mattmüller; Tunder 2005, S. 24). Die Folge ist letztlich die Unsicherheit bei den
Entscheidungen über einen Austausch. Für die Nachfrager resultiert hieraus die
Motivation zur Informationsbeschaffung und für die Anbieter erklärt sich auf
diese Weise die Motivation zur Informationsverteilung zum Abbau der
Unsicherheit (ebenda). Dass hierbei immer wieder Probleme entstehen, ist in der
Realität an vielen Stellen ersichtlich. Das Koordinationsproblem beschreibt die
Tatsache, dass Angebot und Nachfrage meist nicht vollständig aufeinander
abgestimmt sind, da weder die Anbieter die gesamte Nachfrage noch die Nach-
frager das Angebot als Ganzes überblicken, weshalb zum einen nachgefragte
Leistungen nicht zur Verfügung gestellt werden bzw. Leistungsangebote keine
Nachfrage finden (Bereitstellungsproblem) und zum anderen die Suche nach
Tauschpartnern mit Mühe und Kosten verbunden ist (Suchproblem) (Göbel
2002, S. 30 f.). Darüber hinaus besteht ein Motivationsproblem: Den Markt-
akteuren fehlt die Sicherheit, dass sich die Tauschpartner in erwarteter Art und
Weise verhalten, denn es mangelt in der Regel an der einfachen Bewertung der
Leistungen (Messproblem) und ein Wechsel der Tauschpartner ist nicht beliebig
möglich (Spezifitätsproblem) (ebenda, S. 31).
Unter derartigen Voraussetzungen bedarf es gewisser Regelsysteme, die einen
Austausch ermöglichen. Diese Regelsysteme, auch Institutionen genannt, be-
grenzen die Freiheit und Anonymität des Markts – kaum merklich, wie bei
Warenzeichen, stärker, wie in einem langfristigen Vertrag, und total, wenn der
Markt als Koordinationsmechanismus durch die unternehmensinterne Organisa-
tion oder die staatliche Intervention ersetzt wird (Kaas 1995, S. 20). Institutionen
im Rahmen der Neuen Institutionenökonomik können nach Göbel (2002, S. 3)
2.3 Auswahl der theoretischen Grundrichtungen 61
2.3.3 Verhaltenswissenschaft
Die verhaltenswissenschaftliche (vor allem psychologische Aspekte betreffende)
Auseinandersetzung mit wirtschaftlichen Themenstellungen kommt zunächst nur
schleppend voran (vgl. Katona 1953, S. 307). So stehen für die Betriebs-
2.3 Auswahl der theoretischen Grundrichtungen 63
38
Die KonsumentInnenforschung steht zwar in der Tradition der Marketingforschung, löst sich aber
zusehends und versteht sich zum Teil als unabhängige Disziplin. Kroeber-Riel und Gröppel-Klein
(2013, S. 5) beschreiben die Umstände, die eine Verselbstständigung ermöglichen: „Durch die
Ausweitung der Fragestellungen zum Konsumentenverhalten über den engeren Marketingbereich
hinaus wird die Konsumentenforschung zu einem Forschungszweig, an dem sich immer mehr
Disziplinen beteiligen. Als Folge dieser Entwicklung lockern sich auch die Bindungen der
Konsumentenforschung an die Marketingforschung, aus der sie im Wesentlichen hervorgegangen
ist.“
3 Sektorale Annäherung: Kulturgütermarketing
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019
N. H. Gröppel, Marketing im Kulturbetrieb, Musikwirtschafts- und
Musikkulturforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26735-3_3
66 3 Sektorale Annäherung: Kulturgütermarketing
bedeutet sowohl bei der Übertragung allgemeiner Aussagen auf den An-
wendungsbereich zu helfen als auch durch die Identifikation sektoraler
Gemeinsamkeiten einen Beitrag zur Entwicklung einer allgemeinen Marketing-
theorie zu leisten (Schuh; Holzmüller 2005, S. 20). Letzteres hält fest, dass in
Bezug auf die Auseinandersetzung mit sektoralen „Besonderheiten“ un-
weigerlich die Frage nach den Gemeinsamkeiten (z. B. Relationship Marketing)
aufkommt, weshalb Aussagen mittlerer Reichweite nicht als Ersatz, sondern in
der Annäherung an eine allgemeine Marketingtheorie als sinnvolle Zwischen-
schritte anzusehen sind (ebenda, S. 18).
Wie in den Ausführungen zur Marketingdisziplin angemerkt, besteht keine
Einigkeit bezüglich der Auslegung des Objektbereichs. Tabelle 1 zeigt eine auf
den Beitrag zur Entwicklung der Marketingdisziplin bezogene Gegenüber-
stellung von Pro- und Contra-Argumenten zum sektoralen Ansatz. Da sich die
oben genannten Sektoren (Konsumgüter-, Investitionsgüter-, Dienstleistungs-,
Handels-, Nonprofit- und Internationales Marketing) weitestgehend durchsetzen,
kann angenommen werden, dass für den Großteil der Forschenden der Nutzen
des sektoralen Marketing die Einwände hiergegen übersteigt.
Pro-Argumente Contra-Argumente
39
Der zugrunde liegende Commodity Approach beeinflusst insbesondere im englischsprachigen
Raum die Anfänge des Fachs stark, wird aber auch kritisch bewertet (vgl. Winzar 1992,
S. 260 ff.; Zinn; Johnson 1990). Bei den warentypologischen Überlegungen können die
Abstraktionsgrade unterschieden werden. Aus einer praktischen Sicht heraus kann jede Ware
respektive Warengruppe, von Büchern über Schuhe bis hinzu Wohnhäusern, als Gegenstand der
warenorientierten Betrachtung herangezogen werden. Allerdings ermöglicht dieses Vorgehen,
weil von einem einzelnen Fall ausgegangen wird, keine Theoriebildung und ist damit für einen
warenorientierten Marketingansatz ebenso unbrauchbar wie eine vollkommen undifferenzierte
Herangehensweise (vgl. Knoblich 1995, S. 839; Winzar 1992, S. 259 ff.).
3.1 Entwicklung des Anwendungsbezugs 71
allerdings nicht zum reinen Selbstzweck verkommen, sondern muss der Klärung
des im weiteren Verlauf der Arbeit zugrunde liegenden Verständnisses von
Kultur bzw. Kulturgütern dienen. Es kann demnach nicht Sinn und Zweck der
Ausführung sein, die Deutungsvielfalt um eine gänzlich neue Variante zu
erweitern. Stattdessen gilt es aus der Vielfalt den Kern des Kulturbegriffs, wie er
auch in der Kulturbetriebslehre aufgefasst wird, herauszustellen.
Wird der alltägliche Gebrauch des Begriffs zur Deutungsfindung herangezogen,
zeigt sich die Vielfalt – Kultur scheint allgegenwärtig. Um nur einige Beispiele
zu nennen: Die Bandbreite reicht inzwischen von „Gesprächskultur“ über
„Protestkultur“ und „Trinkkultur“ bis hin zur „Unternehmenskultur“. Bei allen
Unterschieden ist den Begriffen bei dieser Verwendung doch gemein, dass
Kultur sprachlich nahezu jede menschliche Lebenssituation ergänzt, die sich
durch eine gewisse Fülle verschiedener Ausprägungen auszeichnet – so ver-
breitet der Begriff ist, deutet sich hierin auch schon seine Relevanz an. In der
Umgangssprache verharrt er aber im Vagen und bleibt gerade in Anbetracht
seiner gewöhnlichen Verwendung schwer zu bestimmen.
Indem sich der Begriff auf räumliche bzw. geopolitische Einheiten bezieht,
nimmt er eine andere, konkretere Bedeutung an. Hier ist dann wahlweise mal die
Rede von einer österreichischen, deutschen, japanischen oder einer westlichen
bzw. abendländischen Kultur. (Länder-)Grenzen zeichnen diesem Verständnis
nach den Umriss einer Kultur. Jegliche Gemeinsamkeit, ob sie tatsächlich nur
innerhalb dieser Grenzen vorkommt oder aber über diese hinausgeht, wird dann
auch sprachlich diesen Grenzen zugeschrieben, sodass letztlich alles der
(nationalen) Grenzziehung untergeordnet wird (Scheffer 2009, S. 21). Der
räumliche Bezug (bzw. die Nationalität) allein dient der Erklärung der Kultur.
Andere Aspekte finden in dieser Auffassung nur selten Beachtung oder werden
mit dem Begriff „Subkultur“ umschrieben, also mit einem Verweis auf die
größere, bedeutsamere (nationale) Kultur. Häufig wird dabei nicht klar, wodurch
sich eine bestimmte Kultur genau ausdrückt. Zwar können Sprache, Traditionen
oder Lebensformen zur Bestimmung herhalten, jedoch ist in diesem Fall mit
Kultur das, was „das große Ganze“ jeweils zusammenhält, gemeint; im Mittel-
punkt steht das Prinzip der Abgrenzung (vgl. Assmann 2008, S. 13; Sommer
2005, S. 112). Dafür können eigentlich alle (vermeintlichen) Eigenarten, die in
einer Region (bzw. bei einer Nation) beobachtet werden, zur Bestimmung
3.1 Entwicklung des Anwendungsbezugs 73
zurückgeht, eine Arbeit, die heutzutage nicht den Anschein erweckt besonders
„kultiviert“ zu sein (vgl. Eagleton 2001, S. 7 f.).
Angelehnt an diese Auffassung steht der Begriff „Hochkultur“ auch für eine
politische Tragweite. Er verbindet Kultur mit einem normativen Werturteil.
Dieses Verständnis geht auf das BürgerInnentum des 19. Jahrhunderts zurück,
das die Kultivierung und Sublimierung der Sinne behauptet und sich von den
unterprivilegierten Klassen abzuheben versucht (vgl. Sommer 2005, S. 112;
Assmann 2008, S. 14 f.). Über die Wertschätzung für bestimmte Leistungen eine
verbindliche Hierarchie zu etablieren, bedeutet die maßgebende Wertung als ein
Mittel zur Abgrenzung zu nutzen. Eine spezielle, elitäre Gesinnung, geformt aus
konkreten Vorstellungen von Geschmack, Etikette und schöngeistigen Vor-
lieben, setzt bestimmte Kenntnisse voraus und beansprucht eine entsprechende
intellektuelle Befähigung. Für all jene, die keinen Zugang zu den Privilegien der
Oberschicht haben, ist das als Hochkultur Bezeichnete nicht fassbar. In der Folge
ist der Begriff mit der Aversion gegenüber dem Niederen verbunden, sodass
dieser stets mit einem Gegenbegriff (z. B. Trivial-, Alltags- oder Populärkultur)
auftritt.40 Auch mit anderen Begriffspaaren (z. B. „ernste“ und „unterhaltende“
Kultur, „reine“ und „angewandte“ Kunst oder „highbrow“ und „lowbrow“
Aktivitäten) wird eine hierarchische Anordnung angedeutet (vgl. beispielsweise
Levine 1988).
Erst mit zunehmendem Widerstand, der sich insbesondere auf soziale Gerechtig-
keit stützt, verändert sich die Auffassung von Kultur. Dazu trägt vor allem auch
die Wissenschaft bei, die das Alltägliche und Populäre zusehends als Gegenstand
ihrer Forschungsarbeit aufgreift.41 Nachdem Alltags- bzw. Populärkultur zu-
40
Eine Auseinandersetzung mit der Entstehung dieser Abgrenzungen ist vor allem in der Kunst-
soziologie von Interesse. So untersucht etwa DiMaggio (1982), wie sich im Boston des
19. Jahrhunderts hochkulturelle Einrichtungen formieren und durchsetzen; Crane (1992) wie-
derum hält diese Abgrenzung für überholt und skizziert eine alternative Unterscheidung, die sich
auf die Produktion von Kultur durch (nationale) Kulturindustrien bzw. in urbanen Subkulturen
stützt.
41
Bei Willis (1981, S. 22 f.) kann diese Gegenposition zu einer auf eine elitäre Hochkultur
beschränkte Begriffsauffassung bzw. die Neubewertung des Profanen herausgelesen werden, da
er die herrschende Klasse zwar als „Nutznießer des Kapitalismus“, gleichzeitig aber auch als
3.1 Entwicklung des Anwendungsbezugs 75
nächst meist (implizit) in Verbindung mit der Hochkultur (vgl. Gans 1974) und
dann für gewöhnlich abwertend, wie etwa bei der pejorativen Auslegung der
„Kulturindustrie“ (vgl. Horkheimer; Adorno 1947), aufgegriffen wird, entwickelt
sich mit den Cultural Studies im angelsächsischen Sprachraum eine Forschungs-
richtung, die sich ausdrücklich gegen eine elitäre Auffassung von Kultur positio-
niert. So entwirft etwa Williams (1958, S. 325) in seiner richtungsweisenden
Ausarbeitung „Culture and Society 1780–1950“ eine weite Auslegung des
Kulturbegriffs, nämlich als „a whole way of life“, womit abseits der Hochkultur
auch alltägliche Praktiken einbezogen werden. Ebenso zeichnet sich zum Teil
auf (kultur-)politischer Ebene eine neue Haltung ab.42 Ausschließlich auf Selbst-
erhebung und Selbstgefälligkeit abstellende Kultur verliert ihren Anspruch und
verkennt den Wert des Andersartigen. So wird der Begriff „Kultur“ inzwischen
seltener nur mit Hochkultur verbunden. Nichtsdestotrotz bleibt gelegentlich eine
negative Konnotation zurück, die sich vorwiegend auf die normative Wert-
urteilsebene bezieht (vgl. Zembylas 2004, S. 27).
diejenigen, die „am stärksten auf die Illusionen und falschen Versprechungen ihrer eigenen
Ideologie“ hereinfallen, bezeichnet: „Was scheinbar das Äußerste an Privilegiertsein ist –
kulturell etwas erreicht zu haben und in einem lebendigen sinnlichen Bezug zur Welt zu stehen –,
erweist sich als dessen Gegenteil: Verdummung, Versteinerung und Vorspiegelung falscher
Tatsachen. Das Zusammenwerfen von Kunst und Kultur mit gesellschaftlichem Elitedenken und
dem Ausschluß anderer führt zu konformistischer Unschlüssigkeit und der Minimalstrategie, über
allgemein anerkanntes Wissen zu verfügen. Trotz ihrer objektiven Privilegien und ihres
Einflusses auf jede Art materieller Produktion vermag es die herrschende Klasse am aller-
wenigsten, das Unerwartete, das Zweischneidige, das Revolutionäre in dem zu sehen und zu
erforschen, was sie hervorbringt. […] Wir können sogar sagen, daß es charakteristisch für eine
bestimmte Art von kreativer kultureller Weiterentwicklung ist, sich die Qualitäten, Kapazitäten
und Möglichkeiten in den profanen Dingen zunutze zu machen, die die herrschende Gesellschaft
beiseite geworfen, nur ‚zum Geschäft‘ produziert und für eine kulturelle Bedeutung nicht
erschlossen hat. Trotz ihrer schrecklichen und deprivierten Lage und trotz der gewaltigen Vorteile
der herrschenden Klasse sind es manchmal die jeden Besitzes Beraubten, die am besten in der
Lage sind, die revolutionäre Zweischneidigkeit der unerforschten Dinge um uns herum für sich zu
nutzen.“
42
Hier ist beispielsweise an die programmatische Ausrichtung „Kultur für alle“ (Hoffmann 1979)
zu denken. Mit der in den späten 1970er Jahren in Deutschland proklamierten demokratischen
Forderung nach Chancengleichheit im Zugang zu Kultur ist auch ein erweiterter Kulturbegriff
verbunden.
76 3 Sektorale Annäherung: Kulturgütermarketing
Eagleton (2001, S. 48) bemerkt, „daß wir […] zwischen einem entmutigend
weiten und einem quälend engen Kulturbegriff gefangen sind“. Genauer zu
differenzieren ist zwischen einem deskriptiven und einem evaluativen Gebrauch
des Kulturbegriffs. Wird Kultur mit bestimmten Werten verbunden, ist sie auf
etwas Bestimmtes beschränkt. Dabei ist mit dem Wertbezug implizit häufig
auch ein Gegenwert verbunden. Durch den Transport der Werte entsteht ein
spannungsreiches Verhältnis, bei dem die Anwendung des Kulturbegriffs um-
stritten ist. Auf gesellschaftlicher Ebene wird dann über hoch- und minder-
wertige Kultur entschieden. Bei Annahme von (weitestgehender) Wertfreiheit in
der Verwendung wird Kultur hingegen zu einem allumfassenden Begriff. Ein
wesentlich breiteres Verständnis resultiert aus diesem Gedanken – die gesamte
menschliche Sphäre wird unter Kultur zusammengefasst. Damit wird Kultur zur
höchsten Instanz des menschlichen Lebens, alles ist kulturell konstruiert
(Zembylas 2004, S. 21). Diesem Verständnis nach kann jegliche menschliche
Tätigkeit als kulturelles Phänomen aufgefasst werden; es stellt sich hiernach
vielmehr die Frage, welche Tätigkeit denn nicht unter den Begriff „Kultur“
subsumiert werden kann. Dem vielleicht Nebensächlichen wird Tür und Tor
geöffnet; jeder noch so belanglose, aber menschliche Aspekt wird in das
Scheinwerferlicht der Kultur gerückt.
Angesichts der Begriffsverwendung kann das Kulturverständnis der UNESCO
Aufschluss geben. Sie fungiert als eine Sonderorganisation der Vereinten
Nationen und befasst sich unter anderem mit den Themen „kulturelles Erbe“43,
„kulturelle Vielfalt“44 und „Dialog zwischen den Kulturen“. Demnach geht der
43
Kultur wird in diesem Zusammenhang als Vererbungssystem angesehen. Sie erfährt zwar ständi-
gen Wandel und Umgestaltung, ist jedoch ebenso von Historie und Tradition gekennzeichnet. Die
Ausdrücke „Kulturerbe“ (UNESCO 2005) oder „kulturelles Gedächtnis“ (Assmann 1992) ver-
weisen auf diesen Zusammenhang.
44
Mit der Ratifizierung der „UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt
kultureller Ausdrucksformen“ ist das Ziel einer kulturellen Vielfalt inzwischen in zahlreichen
Ländern politisch verankert. Nach der UNESCO (2005) wird damit Bezug genommen „auf die
mannigfaltige Weise, in der die Kulturen von Gruppen und Gesellschaften zum Ausdruck
kommen. Diese Ausdrucksformen werden innerhalb von Gruppen und Gesellschaften sowie
zwischen ihnen weitergegeben. Die kulturelle Vielfalt zeigt sich nicht nur in der unter-
schiedlichen Weise, in der das Kulturerbe der Menschheit durch eine Vielzahl kultureller
3.1 Entwicklung des Anwendungsbezugs 77
internationale Konsens davon aus, „dass die Kultur in ihrem weitesten Sinne als
die Gesamtheit der einzigartigen geistigen, materiellen, intellektuellen und
emotionalen Aspekte angesehen werden kann, die eine Gesellschaft oder eine
soziale Gruppe kennzeichnen. Dies schließt nicht nur Kunst und Literatur ein,
sondern auch Lebensformen, die Grundrechte des Menschen, Wertsysteme,
Traditionen und Glaubensrichtungen“ (UNESCO 1983, S. 121). Des Weiteren
kann die inzwischen oft zitierte Definition von Kroeber und Kluckhohn (1967,
S. 357) zur Konkretisierung des Kulturbegriffs dienen: „Culture consists of
patterns, explicit and implicit, of and for behavior acquired and transmitted by
symbols, constituting the distinctive achievement of human groups, including
their embodiments in artifacts; the essential core of culture consists of traditional
(i.e., historically derived and selected) ideas and especially their attached values;
culture systems may, on the one hand, be considered as products of action, on the
other as conditioning elements of further action.“ Zwar wird hier jeweils ein
grundsätzlich breites Kulturverständnis dargelegt, das in einigen Punkten hinter-
fragt werden kann (z. B. die gleichwertige Auflistung von „Grundrechten des
Menschen“ und „Wertsysteme“), die Definitionen spiegeln aber auch Aspekte
wider, die in der Begriffsverwendung zum Ausdruck kommen und für eine
Konkretisierung hilfreich sind. So wird ersichtlich, dass die Gemeinsamkeit in
dem Verständnis von Kultur in der Herausbildung eines Kollektivs liegt.
Mit zunehmender Bedeutung des Kollektivs findet der Kulturbegriff eine
Erweiterung, die in Kultur weniger das Produkt des Geistes, sondern eher jenes
des Gemeinwesens sieht (Zembylas 2004, S. 28). Kultur übernimmt die Ordnung
des Zusammenlebens und stellt gleichzeitig auf einen höheren, über die
pragmatische Zweckmäßigkeit reichenden Sinn ab (ebenda, S. 29): „Die Kultur
als System von Normen, Institutionen und Praktiken erzeugt, abgesehen von
allgemeinen Verhaltens- und Denkmustern, stets konkrete und relativ
stabile Wirklichkeitskonstruktionen sowie Distinktionskriterien zwischen dem
Ausdrucksformen zum Ausdruck gebracht, bereichert und weitergegeben wird, sondern auch in
den vielfältigen Arten des künstlerischen Schaffens, der Herstellung, der Verbreitung, des
Vertriebs und des Genusses von kulturellen Ausdrucksformen, unabhängig davon, welche Mittel
und Technologien verwendet werden.“
78 3 Sektorale Annäherung: Kulturgütermarketing
Legitimen und dem Illegitimen, dem Eigenen und dem Fremden, dem Oben und
dem Unten. Diese Distinktionen […] sind identitätsstiftend: Neben der Trennung
zwischen Wir und Ihr wird die personelle Unterscheidung zwischen Ich und Du
geschaffen.“ Es geht um gültige Werte und kommunikative Prozesse, die auf den
gemeinschaftlichen Aufbau einer Realität hinweisen. Gemeint kann damit nicht
etwa ein starres Gebilde sein, vielmehr darf Kultur nur offen und abstrakt
verstanden werden, das heißt ohne Vorgabe von konkreten Inhalten und im
Formalen verharrend als die innerhalb von Kollektiven bestehenden Standardi-
sierungen (Hansen 2003, S. 39; 2009, S. 16).
Unter der Annahme, das menschliche Leben zeichne sich durch Gemeinsamkeit
und Differenzierung aus und Kultur stelle die „Form der Konstitution einer
Gemeinschaft durch Repräsentation“ dar, nehmen aus dem Kollektiv heraus
produzierte Güter einen Symbolcharakter an (Zembylas 2004, S. 29). Symbolen
kommt in Kollektiven eine besondere Bedeutung zu, denn sie ermöglichen dem
Menschen die Trennung und zugleich die Verbindung mit der (Um-)Welt – in
ihrer Verwendung drückt sich die Mittelbarkeit des menschlichen Handelns aus
(vgl. Cassirer 1942, S. 29 f.; Sommer 2005, S. 113).45 Symbolische Formen
ermöglichen Erkenntnis, indem derartige Systeme Wahrnehmungen ordnen,
Repräsentationen erstellen und die Denkrichtung im Erkenntnisprozess steuern –
sie sind damit von konstitutiver Bedeutung (Zembylas 2004, S. 30 f.). Die
Allgegenwart von Symbolen lässt eine unmittelbare Begegnung mit der Wirk-
lichkeit nicht zu und fördert stattdessen die Gegenüberstellung mit sich selbst
(Cassirer 1990, S. 49 f.). Ihre Bedeutung beschränkt sich nicht auf das Verstehen
einer Weltsicht, sondern umfasst ebenfalls die Möglichkeit zur Gestaltung
von Weltbildern; nur durch Symbole gelingt eine intersubjektive Form des
45
Cassirer (1942, S. 30 f.) schreibt hierzu: „Je mehr der Horizont menschlichen Vorstellens,
Meinens, Denkens und Urteilens sich erweitert, umso komplexer wird das System der Mittel-
glieder, deren wir bedürfen, um ihn überschauen zu können. Die Symbole der Wortsprache sind
das erste und wichtigste Glied in dieser Kette. Aber an sie schließen sich Gestalten von anderer
Art und Herkunft: die Gestalten des Mythos, der Religion, der Kunst, an. Ein und dieselbe Grund-
funktion, die Funktion des Symbolischen als solche, entfaltet sich in ihren verschiedenen Haupt-
richtungen und schafft innerhalb derselben immer neue Gebilde. Die Gesamtheit dieser Gebilde
ist es, was die spezifisch-menschliche Welt kennzeichnet und auszeichnet.“
3.1 Entwicklung des Anwendungsbezugs 79
In der üblichen produktbezogenen oder technischen Art ist Kultur als Gegen-
standsbereich nicht adäquat zu erfassen. Kultur ist im eigentlichen Sinne keine
klar identifizierbare Ware bzw. Warengruppe. Demnach darf Kultur nicht auf
etwas Bestimmtes festgelegt werden und ist zunächst nur abstrakt zu verstehen.
Sofern sich der Kulturbegriff also auf die Konstitution einer Gemeinschaft bzw.
Sinn und Wert innerhalb eines Kollektivs richtet, dann gilt es diese nicht etwa als
a priori bestehend zu erachten, sondern eben auf den Prozess der Sinn- und
Wertbildung abzustellen. Bezug genommen wird damit auf einen kommu-
nikativen Austauschprozess. In einer solchen Auffassung ist eine gelegentlich zu
findende Beschreibung künstlerischer Werke als zweck- und funktionsfrei (im
Sinne der Dichotomie von „l’art pour l’art“ und „l’art engagée“), so als habe
„Kunst und Kultur“ nichts mit dem Alltag zu tun, fragwürdig (vgl. Zembylas
1997, S. 126).
Um Kultur derart abbilden zu können, werden, der Ausführung zum Kultur-
begriff folgend, mehrere Merkmale herangezogen: Mit Kollektivität ist ein
soziales Miteinander gemeint, wozu notwendigerweise Kommunikation (vom
lateinischen „communicatio“ für „Mitteilung“, „Unterredung“) bestehen muss; in
der Kommunikation ist wiederum die Verwendung von Symbolen Vor-
aussetzung dafür, dass sich Kollektive bilden können. Gedanklich zu unter-
scheiden ist dabei die Bezugsebene der Kultur in die innere und äußere Gestalt.
Mit dieser Vorgehensweise, der Übersetzung der Kultur, ist eine für die
marketingtheoretische Aufarbeitung notwendige, wenn auch künstliche Tren-
nung gemeint, um in den Griff zu bekommen, wie sich Kultur im Austausch-
prozess niederschlägt bzw. die Verbindung zwischen Kultur und Markt her-
zustellen. Künstlich ist die Trennung der inneren und äußeren Gestalt der Kultur
in erster Linie deshalb, weil die Gestalten eigentlich nicht losgelöst voneinander
auftreten. Erst das Zusammenspiel der inneren und äußeren Gestalt ist aus-
schlaggebend dafür, dass einem Werk eine kulturelle Bedeutung zugeschrieben
werden kann. Entscheidend für diese Trennung ist allerdings das unter-
schiedliche Wirksamwerden der beiden Gestalten. Während die innere Gestalt
sich auf einen nicht direkt beobachtbaren Sachverhalt bezieht, geht die äußere
Gestalt auf die Austauschobjekte ein, stellt also den äußeren, wahrnehmbaren
Reiz dar. Insbesondere die äußere Gestalt der Kultur nimmt folglich Bezug auf
den kommunikativen Austauschprozess und verdeutlicht dessen Funktion als
3.1 Entwicklung des Anwendungsbezugs 81
Die sektorale Annäherung verfolgt mit Hilfe der aus dem Kulturbegriff abgelei-
teten Merkmale eine Prüfung der Markt- bzw. Marketingrelevanz. Für eine
marketingtheoretische Betrachtung wird dem kulturell-kommunikativen Ver-
ständnis ein marktwirtschaftlicher Austauschprozess zugrunde gelegt, das heißt
Kultur tritt ein in die Sphäre und Funktionsweise von Angebot und Nachfrage.
Dabei wird von Kulturschaffenden als Anbieter und RezipientInnen als Nach-
frager ausgegangen. Kulturschaffende können (in ihrer Funktion als organisierte
Wirtschaftseinheiten) auf der Mikroebene als produzierende und selbst-
vermarktende Kulturbetriebe aufgefasst werden. Es wird somit auf Anbieterseite
ausdrücklich nicht von einem vermittelnden Kulturbetrieb ausgegangen.
Absatzmittler (oder Absatzhelfer) finden in diesem Modell des Austausch-
prozesses ebenso keine Berücksichtigung. Hinsichtlich der Nachfrager wird
keine Unterscheidung zwischen KäuferInnen und KonsumentInnen bzw. Rezipi-
entInnen getroffen. Von Interesse ist lediglich, dass eine Privatperson eine
Leistung bei einem Anbieter nachfragt. Als Leistung wird das produzierte Werk
(als Ergebnis eines künstlerisch-kreativen Schaffensprozesses) verstanden, wofür
eine entsprechende Gegenleistung erwartet wird. In gewisser Hinsicht kann
dieses Vorgehen durchaus als idealtypische bzw. reduzierte Darstellung
angesehen werden, schließlich werden die Phänomene „Kultur“ und „Markt“
exponiert behandelt sowie ein relativ simples Bild des einzelwirtschaftlichen
Austauschprozesses verwendet, das ohne eine explizite Ausführung zu den
Umweltbedingungen auskommt. Um auf den Eintritt der Kultur in die
Funktionsweise des Markts abzustellen, wird demnach zwar von Kulturgütern
ausgegangen, die innerhalb eines institutionell strukturierten Bereichs produziert,
distribuiert und rezipiert werden (vgl. Zembylas 2004, S. 140 ff.), der Problem-
hintergrund ist aber vornehmlich auf eine ökonomisch und rechtlich strukturierte
Grundlage beschränkt. Im marktwirtschaftlichen Ordnungssystem werden die
Entscheidungen darüber, was, wie und für wen produziert wird, in der Regel
über sich weitestgehend frei bildende Märkte getroffen. Dabei zeichnen
allerdings die Art und der Umfang von staatlichen Eingriffen den Rahmen des
wirtschaftlichen Handelns. So ist für die folgende Ausführung die Existenz des
Urheberrechts vorauszusetzen. Dieses gewährleistet den Kulturschaffenden als
UrheberInnen die wirtschaftliche Verwertung ihrer produzierten Werke, sofern
sie als persönliche geistige Schöpfungen einzustufen sind.
3.1 Entwicklung des Anwendungsbezugs 83
Wie Abbildung 2 zu entnehmen ist, steht hinter diesem Vorgehen die grund-
sätzliche Vorstellung, für eine sektorale Annäherung von „Kultur“ und „Marke-
ting“ bedürfe es mehr als die Abfolge der Begriffe, nämlich einer integrierten
Auffassung der Austauschprozesse. Damit ist die Ausführung nicht auf eine rein
wirtschaftliche (bzw. finanzielle) Sichtweise der Austauschprozesse begrenzt
wird, sondern findet Ergänzung (im Sinne eines generischen Verständnisses)
durch die kulturell-kommunikative Perspektive. Einerseits kann hierfür nicht der
Kulturbegriff in seiner gesamten Vielschichtigkeit berücksichtigt werden,
andererseits erscheinen mit der Verwendung eines komplexen Marktmodells zu
Beginn der Ausarbeitung auf einer sektoralen Ebene zu viele Aspekte in den
Vordergrund zu treten, um die Bühne der Vermarktung von Kulturgütern
adäquat ausleuchten zu können. Vielmehr wird mit der gewählten Vorgehens-
weise versucht den Fokus auf die wesentlichen Aspekte, die Verbindung von
ökonomischer und symbolischer Funktion von Kulturgütern im Austausch-
prozess, zu richten und damit die eigentlichen Problemstellungen zu erörtern.
Das Modell des Austauschprozesses stellt somit eine bewusste Vereinfachung
der Realität dar, hegt nicht den Anspruch einer exakten Abbildung, sondern dient
vielmehr dem Aufdecken der Besonderheiten und der Ideengenerierung. So ist
mit dem Bezug auf das Marktmodell die Integration des „Marketing im Kultur-
betrieb“ als marketingwissenschaftliches Programm vorgesehen.
84 3 Sektorale Annäherung: Kulturgütermarketing
Symbol-
Deskriptiver Kulturbegriff
strukturierte Grundlage
charakter Leistung
prod.
Werk Nach- Informa-
Anbieter
frager tionen
prod. Gegen-
Werk leistung
Symbolhafte
Repräsentation Äußere Gestalt Transaktionsbestimmende Eigen-
der Kultur schaften der Austauschobjekte
Medialer Träger
Dem Begriff „Kultur“ werden die drei Merkmale „Kollektiver Wert“, „Symbol-
hafte Repräsentation“ und „Medialer Träger“ zugeschrieben. Um die Frage nach
der Qualität der Merkmale, das heißt ihre Eignung zur Bestimmung der Kultur
(als konkretisierter Objektbereich), zu klären, gilt es die grundlegenden
Anforderungen an ein Merkmal zu formulieren. Zunächst ist die Zweckmäßig-
keit zu nennen, was in diesem Fall bedeutet, dass sich aus den genannten
Merkmalen marketingrelevante Rückschlüsse ziehen lassen (vgl. Scheuch 1998,
S. 60). Ein geeignetes Merkmal besitzt also möglichst hohe Relevanz für
marketingtheoretische Überlegungen, sodass sich die Qualität eines Merkmals in
ihrem Beitrag zur Ableitung von Thesen bemisst. Als grundsätzlich relevant
erweist sich ein Merkmal, wenn es sich dem Objektbereich der Marketing-
wissenschaft zuweisen lässt (vgl. Hunt 1983, S. 13; Mattmüller; Tunder 2005,
S. 13). Angenommen wird an dieser Stelle, dass das Merkmal „Kollektiver
Wert“ Rückschlüsse über das Verhalten der Anbieter und Nachfrager im
Austauschprozess gestattet und die Merkmale „Symbolhafte Repräsentation“ und
„Medialer Träger“ Aussagen zu den transaktionsbestimmenden Eigenschaften
3.2 Ableitungen der inneren Gestalt 85
Rokeach 1973, S. 5). Ersichtlich wird dies auch in den unterschiedlichen Wert-
konkretisierungen, da Werte im Hinblick auf ihre jeweilige relative Bedeut-
samkeit respektive Priorisierung stets ein gewisses Konflikt- und Spannungs-
potenzial in sich tragen und deshalb in Beziehung zueinander zu bringen sind
(vgl. Rohan 2000, S. 258 ff.).
Was unter einem konkreten Wert zu verstehen ist bzw. wie sich ein Wert im
Alltag bemerkbar macht, scheint allerdings häufig nicht genau klar zu sein. So
reichen beispielsweise die von der Europäischen Kommission (EK 2015,
S. 80 ff.) ermittelten Werte der EU-BürgerInnen von „Frieden“, „Menschen-
rechte“, „Respekt gegenüber menschlichem Leben“, „Freiheit des Einzelnen“,
„Demokratie“, „Gleichheit“ und „Solidarität, Unterstützung anderer“ bis hin zu
„Toleranz“, „Rechtsstaatlichkeit“, „Selbstverwirklichung“, „Respekt gegenüber
anderen Kulturen“ und „Religion“. Es bedarf schon einer tiefergehenden Analyse
der Verhaltensweisen, um die grundlegenden Werte aufzudecken. Zu allgemein,
zu abstrakt wirkt der Ausspruch eines Werts, um seine Reichweite zu erfassen;
zu groß die Varianz des beobachtbaren Verhaltens im alltäglichen Leben, um ein
und denselben Wert im sozialen Miteinander zu erkennen.
Tabelle 2 zeigt einige ausgewählte, in der Forschung verwendete Werte bzw.
Wertdimensionen.46 Auf eine tiefere Darstellung der Studien und Werte bzw.
Wertdimensionen (in einigen Studien auch als Kulturdimensionen bezeichnet)
wird hier verzichtet. Gleichwohl muss angemerkt werden, dass derartige, groß
angelegte Studien zwar weite Verbreitung finden, aber auch stets Gegenstand
von Kritik sind, ob im Hinblick auf die Datengrundlage, die theoretische Unter-
46
Festzuhalten ist, dass die Messung von Werten stets mit Problemen behaftet ist (vgl. Hitlin;
Piliavin 2004, S. 365 ff.). Es stellt sich generell die Frage, wie aussagekräftig die Werteforschung
tatsächlich ist. Da ein Wertesystem kein statisches Gefüge darstellt, verschließt es sich einer
exakten Prognose. Angebracht scheint es sehr genau zwischen Prognose und Prophetie zu unter-
scheiden (vgl. Wiswede 1991, S. 22; Trommsdorff; Teichert 2011, S. 153 ff.). Auch die mögliche
Annahme, für Werte könne, ähnlich eines idealtypischen Lebenszyklusmodells, eine Art
standardisierter Verlauf abgeleitet und von einer begrenzten Lebensdauer ausgegangen werden,
scheint angesichts der Komplexität moderner Gesellschaften abwegig. Lediglich in vollkommen
isoliert lebenden Gesellschaften können Werte absoluter Kontrolle unterliegen und entsprechend
durchgesetzt werden.
88 3 Sektorale Annäherung: Kulturgütermarketing
mauerung, das methodische Vorgehen oder – ganz generell – den Charakter von
Werten. Wie weit die Aussagekraft der Studien tatsächlich reicht, kann also
hinterfragt werden. So taucht ferner der Begriff des gesellschaftlichen Werte-
wandels (z. B. ein eindimensionaler Wandel vom Materialismus hin zum Post-
materialismus) immer häufiger auf (vgl. Kadishi-Fässler 1993). Dieser kommt
inzwischen zur Anwendung, wenn etwa „die Verwahrlosung der Jugendlichen“,
„die abnehmende Arbeitsmoral in Betrieben“ oder „die neurotische Sucht nach
Selbstverwirklichung“ thematisiert werden, weshalb durchaus die Vermutung
aufkommen kann, es handele sich entweder um eine Art Zauberformel oder aber
um eine mehr oder weniger sinnentleerte Worthülse, die für jegliche Ver-
änderung im politischen, sozialen und wirtschaftlichen Bereich herangezogen
wird (Wiswede 1991, S. 13).
Die Untersuchung von Werten kann auf verschiedenen Ebenen stattfinden (vgl.
beispielsweise Agle; Caldwell 1999). Rokeach (1973, S. 3) hebt die Bedeutung
des Wertkonzepts in der sozialwissenschaftlichen Forschung hervor, indem er
ihm eine zentrale Rolle für die Integration der verschiedenen Disziplinen (z. B.
Soziologie, Anthropologie, Sozialpsychologie, Politikwissenschaft, Wirtschafts-
wissenschaften) zuschreibt: „More than any other concept, it is an intervening
variable that shows promise of being able to unify the apparently diverse
interests of all the sciences concerned with human behavior.“ Unter diesen Vor-
zeichen wird im hier zu diskutierenden Rahmen davon ausgegangen, dass Werte
auf der Ebene des Kollektivs und des Individuums wirksam werden und
das Bindeglied darstellen. Der kollektive Wert ist als abstraktes Konzept der
Verbindung bzw. als vereinfachte Skizze desjenigen Werts zu verstehen, der
einen gültigen Bezug zwischen einem Individuum und einem Kollektiv herstellt.
Er dient als „arena in which to examine the reciprocal influences between social
structural positions and individual functioning and decision making“ (Hitlin;
Piliavin 2004, S. 383). Genutzt als eine Art Schnittstelle, die ein Individuum mit
anderen verbindet, sorgt er für Identifikation und gleichzeitig für Abgrenzung
gegenüber anderen. Diesem Gedanken folgend prägt und kennzeichnet der
kollektive Wert das Wesen eines Kollektivs wie auch jenes seiner Mitglieder.
Dabei ist das Individuum bzw. das Verhalten des Individuums im Hinblick auf
das Kollektiv bzw. das organisierte Verhalten des Kollektivs zu erklären (vgl.
Mead 1973, S. 45).
Der an die Werte gerichtete Geltungsanspruch lässt sie an Universalität, Kontur
und Materialität gewinnen – das soziale Miteinander erscheint als ein relativ
stabiles Gerüst (vgl. Sommer 2016, S. 45). Dass es sich hierbei allerdings nicht
um ein statisches Gebilde handelt, lässt sich anhand der Vielfalt der Denk- und
Verhaltensweisen zeigen. Zum einen bestehen in den komplexen Lebens-
situationen verschiedene Einflüsse, sodass Werte offensichtlich nicht stets die
alleinige Determination des menschlichen Handelns beanspruchen können (vgl.
Kadishi-Fässler 1993, S. 341; Bardi; Schwarz 2003, S. 1209; Hitlin; Piliavin
2004, S. 381). Zum anderen ist kollektive Gegenständlichkeit von Durch-
lässigkeit geprägt, das heißt es kommt zu (indirekten und potenziellen)
Kontakten zwischen den Kollektiven und zur Übertragung von Informationen
aus einem Kollektiv in ein anderes (vgl. Hansen 2009, S. 22 f.). Durch die
90 3 Sektorale Annäherung: Kulturgütermarketing
Für ein Kollektiv übernehmen Werte die Funktion eines allgemein akzeptierten
Ordnungsrahmens, wobei sie über eine hierarchische Anordnung dargestellt
werden können (Wiedmann 1984, S. 2): Als Grund- bzw. Basiswerte sind sie
(innerhalb eines (dominanten, gesellschaftlichen) Wertesystems zueinander
unterschiedlich in Beziehung stehend) vorerst abstrakt (z. B. Freiheit, Gerechtig-
keit); für die konkreten Lebensbereiche werden die Basiswerte dann mit Bezug
auf die jeweiligen Erfordernisse als Bereichswerte (oder bereichsbezogene
Wertesysteme) (z. B. Meinungsfreiheit) akzentuiert; hierunter sind die bereichs-
spezifischen Wertkonkretisierungen angesiedelt, die in Form von „bereichs-
spezifischen Normen- und Sanktionssystemen, abstrakten Sozialorganisationen
wie der Marktwirtschaftlichen Ordnung, der sozialen Schichtung usw. oder
konkreten institutionellen Einrichtungen (Unternehmung, Verein, Familie etc.),
den Aufgabenstrukturen sowie Positionen innerhalb der jeweiligen Sozial-
organisation oder Institutionen und schließlich in konkreten Rollenerwartungen
sowie Rolleninterpretationen bzw. Verhaltensweisen unterschiedlicher Personen“
in Erscheinung treten. Die tatsächliche Auseinandersetzung mit Werten findet
damit auf unterster Ebene durch das im Alltag beobachtbare Verhalten, durch
sozusagen „gelebte“ Werte, statt.
Die Verbindlichkeit der Werte drückt sich in Normen aus. Diese nehmen im
Unterschied zu den allgemein formulierten Werten konkreten Bezug auf das von
einem Kollektiv erwartete Verhalten (Vester 2009, S. 55). Sie bestimmen die
„Spielregeln“, wirken sich somit auf das Verhalten der Mitglieder aus und
nehmen diesem, indem sie es vorhersehbar machen, bis zu einem gewissen Grad
die Unberechenbarkeit. Dahrendorf (1977, S. 40) geht von einer Abstufung der
Erwartungen aus, die im alltäglichen Leben als unterschiedliche soziale Ver-
pflichtungen auftreten: „Zwischen Muß-, Soll- und Kann-Erwartungen einerseits,
Gesetz, Sitte und Gewohnheit andererseits besteht nicht nur eine Analogie,
sondern diese beiden Begriffsgruppen beziehen sich auf identische Gegen-
stände.“ Damit einhergehend ist bei Erfüllung mit Belohnung, bei Nicht-
Erfüllung mit Bestrafung zu rechnen, wobei das Ausmaß der Sanktionen auf die
Verbindlichkeit einer Norm schließen lässt (Henecka 2009, S. 82; Vester 2009,
S. 55). Demnach besitzt das Kollektiv Einfluss auf das Individuum, der in eine
normative und eine komparative Funktion eingeteilt werden kann (Kelley 1968,
S. 80 f.): Der normative Einfluss zeigt sich durch eine bestimmte Erwartungs-
92 3 Sektorale Annäherung: Kulturgütermarketing
haltung, die sich an die Individuen richtet; der komparative Einfluss verweist auf
die Funktion des sozialen Vergleichs (vgl. Festinger 1954), sowohl für die
Selbsteinschätzung eines Individuums als auch für die Beurteilung von anderen.
47
Um die Bedeutung des Werts für das Individuum aufarbeiten zu können, ist es unausweichlich
sich mit den Grunddimensionen des menschlichen Antriebs auseinanderzusetzen. In der
KonsumentInnenforschung werden die Zusammenhänge wie folgt dargestellt (vgl. Kroeber-Riel;
Gröppel-Klein 2013, S. 57 ff.): „Motivation umfasst Emotion, Einstellung umfasst Motivation“,
wobei als grundsätzliche menschliche Antriebskräfte Emotionen aufgefasst werden; Emotionen
bleiben jedoch ohne Orientierung an genauen Handlungszielen, was den wesentlichen Unter-
schied zur Motivation ausmacht; ausgehend von einer Motivation findet bei einer Einstellung eine
Gegenstandsbeurteilung statt und es kommt damit zu einer strukturierten Haltung gegenüber
einem Objekt. Ein Wert stellt in diesem Zusammenhang „ein konsistentes System von
Einstellungen (eine ‚Über-Einstellung‘) mit normativer Verbindlichkeit“ dar, zeichnet sich also
durch eine höhere Komplexität aus (Trommsdorff; Teichert 2011, S. 152).
3.2 Ableitungen der inneren Gestalt 93
48
Dennoch sind Werte stets anwesend, worauf auch Connor (1992, S. 8) gleich zu Beginn seiner
Ausführung hinweist: „Value is inescapable. This is not to be taken as a claim for the objective
existence or categorical force of any values or imperatives in particular; but rather as a claim that
the processes of estimating, ascribing, modifying, affirming and even denying value, in short, the
processes of evaluation, can never be avoided. We are claimed always and everywhere by the
necessity of value in this active, transactional sense. The argument […] will be that we should
acknowledge that value and evaluation are necessary as a kind of law of human nature and being,
such that we cannot help but enter the play of value, even when we would wish to withdraw from
or suspend it. The necessity of value is in this sense more like the necessity of breathing than, say,
the necessity of earning one’s living. There are ways of continuing to exist as a human being
without the latter, but not without the former.“
94 3 Sektorale Annäherung: Kulturgütermarketing
problematischen Konstellationen kommen kann, liegt in der Natur der Sache. Mit
der Ausdifferenzierung der Kollektive erhöht sich schließlich auch die Anzahl
der individuellen Bezüge, sodass ein Individuum zunehmend darauf bedacht ist,
die Kombination möglichst reibungslos einander anzupassen, um Brüche und
Widersprüche zu vermeiden (vgl. Hansen 2009, S. 22). Damit geht die Annahme
einher, der Mensch verfolge ein konsistentes, also widerspruchsfreies Werte-
system, wofür auch mögliche Abweichungen umgedeutet oder ignoriert werden
können (vgl. Festinger 1978). Ein Grund, warum sich Menschen ihren Werten
entsprechend verhalten, ist folglich in der Notwendigkeit der Konsistenz
zwischen den eigenen Werten und Handlungen zu sehen; ein weiterer ist, dass
wertgemäße Handlung sich lohnt, indem es Menschen hilft zu bekommen,
wonach sie verlangen (Bardi; Schwarz 2003, S. 1209).
Die Rezeption von „Kunst und Kultur“, egal ob alleine oder im Kollektiv (als
gemeinsames Erlebnis), dient der sozialen Orientierung. Der Mensch ist ganz bei
sich, zugleich aber, in der Haltung den anderen zugewandt, verbunden mit dem
Kollektiv. Kollektive Werte vermitteln durch das In-Beziehung-Treten ein
Selbstbild und vor allem einen Selbstwert, liefern Hinweise auf das, was „das
Selbst“ ist, was es nicht ist und wie es sich zu verhalten hat (vgl. Vester 2009,
S. 86). Orientierung bedeutet innerhalb kollektiver Vielfalt also Bestätigung und
Abgrenzung (vgl. Berger; Heath 2008). Bei dem identifizierten Bedürfnis
können Gemeinsamkeiten zu unterschiedlichen Klassifikationen von Bedürf-
nissen festgestellt werden. So geht auch Maslow (1977, S. 79 ff.), bekannt
geworden durch seine (häufig auch kritisierte) hierarchische und nach Defizit-
und Wachstum geordnete Darstellung von Bedürfnissen, auf soziale Aspekte ein.
Ebenso beschreiben Baumeister und Leary (1995) mit Zugehörigkeit ein
ähnliches Bedürfnis. In anderen Quellen wird von „Anschluss/Bindung“ als
grundlegendes Bedürfnis ausgegangen (vgl. beispielsweise Rothermund; Eder
2011, S. 95 f.). Menschen versuchen aus diesem Grunde „einem herkömmlichen
Brauch zu genügen, unerfreuliches Aufsehen und entsprechende Kommentare zu
vermeiden und den anerkannten Normen der Wohlanständigkeit gemäß zu leben,
das heißt die richtige Art und die richtige Menge von Gütern zu konsumieren wie
auch Zeit und Energie in angemessener Weise zu vertun. Es ist dieses Gefühl für
das Schickliche, das den Verbraucher im allgemeinen motiviert und das vor
allem auf den Konsum, der vor den Augen der Öffentlichkeit vor sich geht, einen
unmittelbaren Zwang ausübt“ (Veblen 1958, S. 119). Insbesondere bei dem
letzten Punkt, also wenn der Konsum öffentlich stattfindet, ist der Einfluss von
Bezugsgruppen auf die Kaufentscheidung (Produkt- und Markenwahl)
nachweisbar (vgl. Bearden; Etzel 1982, S. 191 ff.).
3.2 Ableitungen der inneren Gestalt 97
Geht mit der Produktion, Distribution und Rezeption von kulturellen Symbolen
im Laufe der Zeit eine stärkere ökonomische Fundierung einher – Kulturgüter
sind einerseits knapp, andererseits wird für den Konsum kultureller Angebote
eine Gegenleistung fällig (vgl. Kapitel 3.3.4) –, entsteht eine enge Verflechtung
von soziokultureller (bzw. symbolischer) und wirtschaftlicher Dimension.
Veblen (1958) greift dies mit seiner erstmalig 1899 veröffentlichten „Theorie der
feinen Leute“ auf. Er beschreibt eine Oberschicht, die, von gemeiner Arbeit
befreit, sich dem demonstrativen Müßiggang widmet und sich über eine
verschwenderische Konsumhaltung von anderen Schichten abzugrenzen versucht
(ebenda, S. 52): Demnach „genügt es nicht, Reichtum oder Macht zu besitzen,
[um Ansehen zu erwerben und zu erhalten]. Beide müssen sie auch in
Erscheinung treten, denn Hochachtung wird erst ihrem Erscheinen gezollt. Das
Zurschaustellen von Reichtum dient jedoch nicht allein dazu, anderen die eigene
Wichtigkeit vor Augen zu führen und sie in ihnen lebendig zu erhalten, sondern
auch dazu, das persönliche Selbstbewußtsein zu stärken und zu erhalten.“ Ohne
hierbei ausführlich „Kunst und Kultur“ (bzw. den Kulturbetrieb) zu thema-
tisieren, wird klar, dass jenes Feld auch „dem Schönen“ zuzuordnen ist und sich
besonders zur Monopolisierung und demonstrativen Zurschaustellung eignet
(vgl. ebenda, S. 131).
Die verschiedenen Auffassungen darüber, was als schön gilt, sind als unter-
schiedliche Prestigenormen aufzufassen, die maßgeblich dafür verantwortlich
sind, welche Güter (bzw. Werke) als geschmackvoll angesehen werden und für
den ehrenvollen Konsum einer Klasse in Betracht kommen (ebenda, S. 134). In
diesem Zusammenhang spricht Bourdieu (1987) auch von den „feinen Unter-
schieden“ und schildert, wie vor allem die herrschende Klasse angesichts der
Veränderung im sozialen Miteinander versucht sich mit Hilfe des Konsums
kultureller Angebote von den unteren Klassen abzugrenzen und ihre Stellung
innerhalb der sozialen Hierarchie abzusichern.49 Mit dem Bemühen der herr-
schenden Oberschicht bestimmten Gütern (bzw. den Angeboten der Hochkultur)
49
Bourdieu (2005, S. 52 ff.) setzt bei dem im Rahmen der Sozialisation erworbenen Kapital an,
wobei er die Erscheinungsformen ökonomisches, kulturelles und soziales Kapital unterscheidet
und deren gegenseitige Transformation aufgreift.
98 3 Sektorale Annäherung: Kulturgütermarketing
werden und nicht auch andere Aspekte (z. B. Ausbildung individueller Prä-
ferenzen) eine Rolle spielen.50 Für marketingtheoretische Überlegungen stellt
sich die Frage, wie das Bedürfnis „Orientierung“ qualifiziert und quantifiziert
werden kann. Dies spricht die Unterscheidung von Bedürfnis und Bedarf an: Der
Bedarf ist im Gegensatz zum Bedürfnis ein ökonomisches Phänomen. Der
Bedarf kann verstanden werden als ein konkretisiertes Bedürfnis ergänzt um die
Bereitschaft Kaufkraft zur Befriedigung einzusetzen, das heißt ein Bedürfnis
wird in einen bestimmten Bedarf nach einem Gut übersetzt und auf dem Markt
als Nachfrage bezeichnet. Zur weiteren Konkretisierung hilft die Unterscheidung
von Bedürfnis, Wunsch und Nachfrage (vgl. Arndt 1978, S. 102):
50
Anzumerken ist noch, dass andere Autoren, wie etwa Beck (1986) oder Schulze (1992), von der
generellen Annahme einer Klassengesellschaft absehen bzw. die Auflösung klassenspezifischer
Muster beschreiben und an deren Stelle verstärkt das Individuum und sein Erleben hervorheben.
Demnach gehe es Schulze (1992, S. 34 ff.) zufolge bei dem Konsum kultureller Angebote
weniger um Distinktion als um das Streben nach Genuss. Gleichwohl im Rahmen der Ausführung
auch Aspekte einer zunehmenden Individualisierung berücksichtigt sind, wird zum einen die voll-
ständige Auflösung einer hierarchischen Gesellschaftsordnung negiert und zum anderen mit der
Befriedigung des identifizierten Bedürfnisses nach Orientierung sowohl Distinktion als auch
Genuss verbunden.
51
Die Bedeutung des Geschmacks wird von Bourdieu (1987, S. 285 f.) wie folgt zusammengefasst:
„Der Geschmack bewirkt, daß man hat, was man mag, weil man mag, was man hat, nämlich die
Eigenschaften und Merkmale, die einem de facto zugeteilt und durch Klassifikation de jure
zugewiesen werden.“ Der Geschmack ist über den Habitus (als eine Grundhaltung) in der
Festigung und dem Fortbestand der sozialen Ordnung eingebunden. Mit dem Begriff des Habitus
kommt zweierlei zum Ausdruck (ebenda, S. 277 f.): Einerseits ist damit die „Hervorbringung
klassifizierbarer Praxisformen und Werke“ sowie andererseits die „Unterscheidung und
Bewertung der Formen und Produkte (Geschmack)“ angesprochen, wobei sich im Zusammen-
spiel der beiden Aspekte der Raum der Lebensstile konstituiert.
100 3 Sektorale Annäherung: Kulturgütermarketing
der Dinge in distinkte und distinktive Zeichen“ dar, das heißt „durch ihn
geraten die Unterschiede aus der physischen Ordnung der Dinge in die
symbolische Ordnung signifikanter Unterscheidungen“.
These 2: Das Bedürfnis nach Orientierung ist auf den Einbezug der situativen
Umstände und damit eine Kontextualisierung angewiesen. Als ein erster,
übergeordneter und auf die Lebensumstände in westlichen Gesellschaften zu-
geschnittener Rahmen dient das Verständnis der Freizeit.
Gleichwohl Kultur nicht nur auf Freizeit beschränkt werden kann, stellt sie den
gedanklichen Rahmen, in dem es zur Nachfrage nach kulturellen Angeboten
kommt. Mit diesem Rahmen ist auch das Rollenverständnis in der Freizeit
angesprochen, das anders als im beruflichen Alltag nicht vorgegeben ist. Es
mangelt an Orientierung. So scheint im beruflichen Alltag die Rolle der
Einzelnen innerhalb der Aufbau- und Ablauforganisation gemeinhin klar zu sein.
Konformität und Pflichterfüllung kennzeichnen das Berufsleben. Alle über-
nehmen für sich einen festen Platz in einer strukturierten Umgebung, in der Ziele
und deren mögliche Realisierung vorgegeben sind und mit einem gewissen
Verzicht auf Freiheit ein Gewinn an Stabilität und Sicherheit einhergeht
(Opaschowski 2008, S. 23). Anders sieht es hingegen in der Freizeit aus. Zwar
102 3 Sektorale Annäherung: Kulturgütermarketing
sind auch hier bestimmte Aspekte des Rollenverständnisses, die sich durch
Kollektivzugehörigkeit (z. B. Alter, Geschlecht) ausdrücken, einfach zu
identifizieren, jedoch ist damit vielfach noch keine Aussage über die Aus-
gestaltung gemacht. Während im Berufsleben die Rolle also mehr oder minder
vorgegeben ist, fehlt es in der Freizeit an dieser Vorgabe. Freizeit gilt es zu
gestalten, der Begriff allein sagt wenig aus über die Art des Zeitvertreibs,
weshalb sich durchaus unterschiedliche Ansichten ergeben, was als Freizeit
angesehen wird und was nicht, sie allgemein aber mit so wenig Notwendigkeit
und Zwang wie möglich verbunden wird (ebenda, S. 26). Ein Blick auf die
profanen Pflichten im Privatleben verdeutlicht: Viele Aufgaben in der Freizeit
werden zunehmend als Pflichterfüllung verstanden. So beginnt zwar nach dem
Ende der täglichen Arbeitszeit die „arbeitsfreie“ Zeit, diese ist aber generell nicht
gleichbedeutend mit frei verfügbarer Zeit (vgl. ebenda, S. 27).
Eine klare Grenzziehung zwischen (Erwerbs-)Arbeit und Freizeit ist nicht (mehr)
möglich, weshalb eine Gegenüberstellung als Definition der Freizeit nicht sinn-
voll erscheint. Auch aufgrund der von den Entwicklungen der Informations- und
Kommunikationstechnologie vorangetriebenen permanenten Erreichbarkeit ist
arbeitsfreie Zeit zunehmend schwieriger als solche zu erkennen. Dem Diktat der
Leistung unterstellt, bringen die digitalen Apparate (Smartphone, Laptop etc.),
Han (2017, S. 49) zufolge, fernab der Maschinen des Industriezeitalters, „einen
neuen Zwang, ein neues Sklaventum hervor. Sie beuten uns insofern noch
effizienter aus, als sie aufgrund ihrer Mobilität jeden Ort in einen Arbeitsplatz
und jede Zeit in Arbeitszeit verwandelt. Die Freiheit der Mobilität schlägt in den
fatalen Zwang um, überall arbeiten zu müssen.“ Darüber hinaus verändert sich
vor diesem Hintergrund auch das Arbeiten, wie es heute zum Teil noch üblich
ist, was die klassischen Arbeitsverhältnisse sowie generell die Anzahl der
Arbeitsplätze einschließt (vgl. beispielsweise Prahl 2002, S. 12 ff.). So ist im
Hinblick auf die Arbeitswelt bereits eine vermehrte Auflösung bestehender
Strukturen zu erkennen. Mit Entwicklungen wie Homeoffice, Outsourcing,
Flexibilisierung und der Zunahme von Freischaffenden, um nur einige Stich-
punkte zu nennen, wandeln sich die Bedingungen im Berufsleben zusehends.
Freizeit ist demnach erst die nach Erfüllung aller beruflichen und privaten
Pflichten noch verbleibende Zeit (Trommsdorff; Teichert 2011, S. 160). Sie
kennzeichnet sich durch einen hohen Grad an Selbstbestimmung (Zeit-
3.2 Ableitungen der inneren Gestalt 103
autonomie). Vielmehr noch wird Freizeit mit der begrifflichen Entkopplung von
Arbeit und Pflicht nicht mehr nur als arbeitsabhängige Zeitkategorie verstanden,
sondern zu einem positiven Lebensgefühl, gar zum Synonym für Wohlbefinden
und Lebensqualität erkoren (vgl. Opaschowski 2008, S. 35; Lüdtke 2001, S. 16;
Prahl 2002, S. 132 ff.). Erst in der Freizeit wird es möglich persönlichen Zielen
oder Wünschen nachzugehen, sich zu geben, wie es einem beliebt, sodass für
viele Menschen erst die Aktivitäten der Freizeit das Selbstwertgefühl ausmachen
(Opaschowski 2008, S. 320). Bezogen auf das identifizierte Bedürfnis nach
Orientierung bedeutet die Zunahme der Freiheitsgrade in der Gestaltung des
eigenen Lebens, dass die Sicherung von Identität und Gruppenzugehörigkeit
zunehmend bedingt wird durch individuelles Handeln (Buchmann; Eisner 1999,
S. 592).52 In der heutigen Zeit, in der schon Nuancen ausreichen, um Differenzie-
rung und Abgrenzung zu forcieren, und der Stellenwert von Ideologie und
Religion in vielen Regionen sinkt, ist das Bedürfnis nach Orientierung groß. So
sorgt auch die Diskrepanz zwischen der im Beruf erlebten Sicherheit und dem in
der Freizeit vorherrschenden Mangel an klaren Vorgaben für ein konfliktreiches
Spannungsverhältnis.
Der Konsum ist fester Bestandteil der Freizeit. Zahlreiche Angebote bedienen
heute auf professioneller Ebene die Nachfrage nach kulturellen Leistungen. Frei-
zeit wird zunehmend zum Streben nach Erlebnis, vor allem was selten und nicht
gewöhnlich ist, findet Anklang (vgl. Opaschowski 1991, S. 111 f.). Ähnlich
schreibt auch Schulze (1992, S. 54) über die Erlebnisorientierung (als das
Streben nach Genuss), die sich seiner Auffassung nach letztlich in einer
„Erlebnisgesellschaft“ manifestiert, also einer Gesellschaft, die sich vornehmlich
durch innenorientierte Lebensauffassungen auszeichnet. Der Drang zum Erlebnis
und hedonistischem Konsum (vgl. Hirschman; Holbrook 1982, S. 92) ist zwar
nicht neu, findet aber in einem anderen Ausmaß und mit einer anderen Haltung
52
Diese Annahme korrespondiert auch mit der von Beck (1986) eingebrachten Individualisierungs-
these. Die Vorstellung von Verhältnissen jenseits der Klassengesellschaft wird zwar abgelehnt,
die in der „Risikogesellschaft“ beschriebenen Verschiebungen von Lebenszeit, Arbeitszeit sowie
Arbeitseinkommen zugunsten einer Entfaltung der Lebenschancen finden sich aber in der Aus-
führung wieder (vgl. ebenda, S. 124).
104 3 Sektorale Annäherung: Kulturgütermarketing
statt. Heutzutage stehen den Menschen eigentlich mehr Zeit und Geld denn je für
den Genuss zur Verfügung und der Zwang sich zu rechtfertigen ist (zum Teil)
abgelegt; vielmehr wird die Gestaltung bzw. der Konsum in der Freizeit
zunehmend zum Maßstab für soziale Anerkennung, bestimmt somit auch wesent-
lich das Selbstwertgefühl und lässt sich als Vehikel der Profilierung nutzen (vgl.
Opaschowski 1991, S. 121; Prahl 2002, S. 136). Während das Berufsleben nur
(noch) eingeschränkt Erfolgserlebnisse zulässt, wird die Leistungsmotivation in
die Freizeit verlegt; es wird zunehmend wichtig zu wissen, was angesagt ist –
Aktualität ist der Grund für eine ausschweifenden Konsumhaltung, insbesondere
junger Menschen (Trommsdorff; Teichert 2011, S. 160 f.; Lüdtke 2001, S. 18).
Die Freizeitaktivitäten werden vermehrt mit distinkten Lebensstilen verbunden
(vgl. Buchmann; Eisner 1999, S. 590 ff.; Prahl 2002, S. 185 ff.; 2015, S. 25 f.).
Ein Blick auf die tatsächliche Freizeitgestaltung zeigt, dass beileibe nicht nur
außergewöhnliche Aktivitäten die Freizeit bestimmen. Die Untersuchungen des
Instituts für Freizeit- und Tourismusforschung (Zellmann; Mayrhofer 2015, S. 2)
sowie der Stiftung für Zukunftsfragen (Reinhardt 2016, S. 17 ff.) weisen für die
Länder Österreich und Deutschland ein ähnliches Bild aus: Neben Fernsehen,
Radio hören, Telefonieren, sich mit dem Computer beschäftigen und Lesen
zählen zu den beliebtesten Freizeitbeschäftigungen auch Zeit mit der Familie
verbringen, Nachdenken, Faulenzen und Ausschlafen. Damit wird die Realität
dem eigenen Anspruch nur bedingt gerecht. Freizeit übernimmt eine ambivalente
Funktion im Leben der Menschen. Positiv als Idealvorstellung gesehen, steht
Freizeit für Aktivität, dafür frei und ungebunden zu sein und Spaß zu haben an
dem, was einem wirklich Freude bereitet; tendenziell negativ gesehen, aber auch
häufig näher an der Realität des Alltags, zeigt sich in der Freizeit der Wunsch
nach Ruhe und Erholung – also genau das Gegenteil des pulsierenden Freizeit-
klischees (Opaschowski 2008, S. 20 f.).
53
Wird davon ausgegangen, kulturelle Werke dienten dem Streben der Kulturschaffenden nach
Selbstverwirklichung, der Schaffensprozess als solches stehe im Vordergrund (vgl. Hirschman
1983, S. 49 f.), ist das Konzept des Marketing genau genommen fehl am Platz, denn es besteht
keinerlei Erfordernis Überlegungen marketingtheoretischer Art anzustellen. Sofern Kultur-
schaffenden jedoch auch daran gelegen ist, (unabhängig vom wirtschaftlichen Ergebnis) einen
Austausch herzustellen bzw. mit ihrem Schaffen eine Wirkung zu erzielen, wird (unter den
106 3 Sektorale Annäherung: Kulturgütermarketing
scheinlich nicht berücksichtigt. Leider bleibt häufig sogar offen, was genau unter
Marktorientierung verstanden wird. Marktorientierung steht nicht bloß für den
kurzsichtigen Verkaufsanschub, sondern für einen mit Weitsicht betriebenen
Leitgedanken. „It’s far more than the cliché ‚getting close to the customer‘“, wie
Shapiro (1988, S. 119) feststellt und darüber hinaus auch die Gleichsetzung mit
werblichen Maßnahmen zurückweist (ebenda, S. 123): „No, slogans and glossy
programs don’t give a company a market orientation.“ Jaworski und Kohli
(1996, S. 131) leiten aus einer Übersicht ihre Definition von Marktorientierung
ab und verstehen darunter „the organizationwide generation of market
intelligence pertaining to customers, competitors, and forces affecting them,
internal dissemination of the intelligence, and reactive as well as proactive
responsiveness to the intelligence.“ Marktorientierung ist nach dem vorgestellten
Verständnis keine beliebig hinzu buchbare Option, sondern der Kern des
modernen Marketing. Vielfach findet sich auch die Gleichsetzung von Marketing
und marktorientierter Unternehmensführung (vgl. Kapitel 2.2.1). Ein „produkt-
orientiertes“ Marketing führt damit einen derart verwendeten Marketingbegriff
ad absurdum. Ein einfaches Umdeuten der Marktorientierung in Produkt-
orientierung wird dem Marketing nicht gerecht. Marktorientierung stellt ein
theoretisches Konstrukt dar, das für den Bereich der Kulturgüter grundlegend
und umfassend aufgearbeitet werden muss.
Eine Forderung nach Marktorientierung allein stellt allerdings nicht mehr als
einen Allgemeinplatz dar. Folgerichtig ist ein näherer Blick auf das Konstrukt
„Marktorientierung“ notwendig. Im Wesentlichen etablieren sich zwei Konzepte
zur Marktorientierung und beeinflussen die Forschung (vgl. Narver; Slater 1990;
108 3 Sektorale Annäherung: Kulturgütermarketing
Kohli; Jaworski 1990). Diese ergänzen sich zum Teil und werden über
Verhaltensmerkmale mit allerdings unterschiedlichen Akzentuierungen opera-
tionalisiert (Backhaus; Schneider 2007, S. 16). Ohne die Ausarbeitungen von
Kohli und Jaworski (1990) in ihrer Bedeutung zu schmälern, wird an dieser
Stelle zunächst nur auf die Arbeit von Narver und Slater (1990) eingegangen.
Diese rückt Verhaltensmuster in den Fokus und bestimmt Marktorientierung
durch KundInnen- und Wettbewerbsorientierung sowie interfunktionale
Koordination (vgl. ebenda, S. 21 f.): KundInnen- und Wettbewerbsorientierung
umfassen alle Aktivitäten, die sich mit der Sammlung und Verbreitung von
Informationen über Kundschaft und Konkurrenz im Zielmarkt befassen; inter-
funktionale Koordination beschäftigt sich darauf aufbauend mit der Verwertung
der Informationen innerhalb des Betriebs im Hinblick auf den KundInnennutzen.
Als Entscheidungskriterien werden Langzeitorientierung und Profitabilität von
den Autoren ausgemacht.
Die Arbeit von Narver und Slater (1990) eignet sich aufgrund des Bezugs auf
Verhaltensmerkmale hier in kurzer und nachvollziehbarer Darstellung auf-
zuzeigen, in welche Richtung eine Marktorientierung für den Bereich der
Kulturgüter gehen kann. Die Akteure des Marktgeschehens, Nachfrager (Re-
zipientInnen), Anbieter (Kulturschaffende) und Wettbewerber, dienen hier
zur Aufarbeitung der Marktorientierung. Während KundInnen- und Wett-
bewerbsorientierung vorerst ähnlich aufgefasst werden können, muss inter-
funktionale Koordination – hier als Anbieterorientierung bezeichnet – um-
gedeutet werden, da zunächst von Kulturschaffenden (oder einem Kollektiv
von Kulturschaffenden), nicht aber von einem vermittelnden Kulturbetrieb
ausgegangen wird.55 Ebenso können als Entscheidungskriterien Langzeit-
55
Dies ist auch ein wesentlicher Unterschied zu den bisherigen Arbeiten zur Markt- bzw. Produkt-
orientierung. So gehen beispielsweise Camarero und Garrido (2008, S. 21) in ihrer Arbeit von
einem vermittelnden Kulturbetrieb aus und beschreiben mit der Produktorientierung eines
Museums nicht die Perspektive der Kulturschaffenden. In dieser sektoralen Annäherung sind die
professionellen Kulturschaffenden auch für die Entscheidungen des Marketing verantwortlich.
Somit findet die interfunktionale Koordination (hier als Anbieterorientierung aufgeführt) im
Denkvorgang der Kulturschaffenden statt. Darüber hinaus lohnt sich ein kritischer Blick auf die
Untersuchungen zur Markt- bzw. Produktorientierung. Zum einen kommen diese im Hinblick auf
die Produkt- und Marktorientierung von Kulturbetrieben zu unterschiedlichen Ergebnissen, zum
3.2 Ableitungen der inneren Gestalt 109
anderen gilt es die verwendeten Variablen zu prüfen (vgl. Camarero; Garrido 2008; Gainer;
Padanyi 2002; Voss; Voss 2000).
110 3 Sektorale Annäherung: Kulturgütermarketing
Überlegungen zum Marketing schon vor der Produktion des Werks ansetzen,
darf demnach nicht missverstanden werden als eine Forderung nach beliebiger
Anpassung an die RezipientInnen. In Anspruch genommen wird durch die
Marktorientierung vielmehr eine bewusste kritische Auseinandersetzung mit dem
Markt und dem zugrunde gelegten Bedürfnis nach Orientierung. Fragestellungen,
die sich mit der Intention der Kulturschaffenden befassen, stehen am Beginn
marketingtheoretischer Überlegungen, wobei stets die Auffassung eines von
kollektiven Werten geprägten Menschen zugrunde zu legen ist. Ihre Beo-
bachtungen und Erlebnisse des Alltags sind der Keim des kulturellen Schaffens.
Eine solche Annahme mag nicht mit der (zum Teil noch heute anzutreffenden)
romantischen Vorstellung eines kreativen Genies einhergehen, kommt der
Realität aber wohl näher. Schließlich ist kulturelles Schaffen keine „unbefleckte
Empfängnis“ (Zembylas 1997, S. 96).
Wird anstelle des Geniekults vielmehr der soziokulturelle Kontext bemüht, ver-
arbeiten Kulturschaffende (als Mitglieder eines Kollektivs innerhalb der Gesell-
schaft) in ihren Werken das soziale Miteinander und verleihen ihren kollektiven
Werten Ausdruck. Smudits (2002, S. 208) nennt deshalb auch „Systemwerbung“
als die allgemeinste Funktion von Kunst: „KünstlerInnen werben – wie wenig
dies den einzelnen Kulturschaffenden auch bewusst sein mag – für die Ideologie
einer gesellschaftlichen Gruppierung. Dies kann von der unhinterfragten (weil
möglicherweise unhinterfragbaren) Übernahme herkömmlicher ‚Kodes‘ oder
eines traditionellen Formenkanons (dem ja bestimmte gesellschaftliche
Verhältnisse entsprechen) über die intuitive Entwicklung neuer Kodes, Formen
und Inhalte (zu der es ja gesellschaftliche Korrelate geben muss, sollen sie von
der Gesellschaft angenommen werden) bis zum bewussten politischen
Engagement (im konservativen wie im revolutionären Sinn) reichen.“ Kultur-
schaffende fungieren als eine Art gruppen- oder klassenspezifische Seismografen
für gesellschaftliche Entwicklungen. Sie betreiben, anders formuliert, mit ihrer
Teilnahme am gesellschaftlichen Alltag eine Form der Sozialforschung und
liefern mit ihrer gedanklichen Gestaltung die eigene Auswertung bzw.
Interpretation der Ergebnisse. Entsprechend werden auch bei Beobachtungen
desselben Sachverhalts Kulturschaffende zu unterschiedlichen Interpretationen
kommen und ungleiche Werke hervorbringen. Dieser Auffassung der
künstlerisch-kreativen Leistungserstellung ist die Vorgehensweise des Marketing
3.2 Ableitungen der inneren Gestalt 111
näher als gemeinhin vermutet. Kultur ist von sich aus zwar nicht marktorientiert,
aber mit ihrem Wertbezug stets „kollektivorientiert“; das Zusammenspiel von
Kollektiv und Individuum (Kulturschaffende) ist das zentrale Element.
Der kritischen Auseinandersetzung mit einem marktorientierten Leitgedanken
wird eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung eines sektoralen Ansatzes zu-
kommen. Die Ausführung zur Marktorientierung kann an dieser Stelle nicht
mehr als eine grobe Skizze sein und stellt nur einen Ansatz von vielen möglichen
dar. Eine sektorale Annäherung verlangt nach einer tieferen Auseinandersetzung
mit dem Konstrukt „Marktorientierung“. Auch wenn hier vermehrt auf das im
„Kulturmarketing“ bestehende Spannungsfeld von Produkt- und Markt-
orientierung eingegangen wird, darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass
weitere Aspekte der Marktorientierung (z. B. Messung des Konstrukts, Imple-
mentierung) für das Themenfeld der Kulturgüter ergründet werden müssen. Es
gilt dementsprechend Indikatoren der Marktorientierung im Kulturbereich zu
erarbeiten (vgl. Kohli; Jaworski; Kumar 1993). Insbesondere die verwandten
Konstrukte „KundInnenorientierung“ und „Wettbewerbsorientierung“ sind zu
untersuchen. Ebenso kann die von Narver und Slater (1990, S. 22) genannte
interfunktionale Koordination in einem Kollektiv von Kulturschaffenden auf-
gearbeitet werden.
sich nicht allgemeingültig klären. Ebenso ist ein einmalig abgegrenzter Markt
keinesfalls als endgültig und immerwährend zu verstehen, sondern gehört
beinahe bei jeder Entscheidung auf den Prüfstand (Wagner; Baldauf 2007,
S. 261). Mit Hinblick auf die zeitliche Marktabgrenzung stellt die Dynamik des
Marktgeschehens eine eigentlich unüberwindbare Hürde dar: „Jede Markt-
strukturanalyse oder jede Marktabgrenzung verkörpert lediglich eine Moment-
aufnahme“ (Bauer 1995, S. 1720). Es gibt folglich kein generelles Richtig oder
Falsch, vielmehr gilt es „für bestimmte Anliegen Teilmärkte eines globalen
Markts nach zweckmäßigen Kriterien und mit Hilfe geeigneter Methoden zu
finden“ (ebenda, S. 1709). Wie auch immer die Marktabgrenzung eines
Anbieters aussieht, von Bedeutung ist die Einsicht, für eine integrierte Markt-
analyse seien unterschiedliche Marktabgrenzungen notwendig (Day 1981,
S. 298). Es muss hier aber zunächst auf die besondere Bedeutung und Heraus-
forderung der Marktabgrenzung für den Kulturbereich aufmerksam gemacht
werden. Die Ansätze und Methoden sind entsprechend genauer zu untersuchen.
Ein Markt kann sachlich, zeitlich und räumlich abgegrenzt werden. Die beiden
Letzteren erlauben in der Regel eine recht eindeutige Grenzziehung, die
sachliche Marktabgrenzung gestaltet sich hingegen schwieriger und kann folgen-
schwere Fehlentscheidungen nach sich ziehen (vgl. Backhaus; Schneider 2007,
S. 55 f.). Bei der Marktabgrenzung nach sachlichen Gesichtspunkten steht
zunächst eine Entscheidung über den Bezugspunkt an (Bauer 1995, S. 1712). Zur
Auswahl stehen dabei die gehandelten Güter sowie die Nachfrager bzw. deren
Bedürfnisse (Wagner; Baldauf 2007, S. 257). Insbesondere die bedürfnis-
orientierte Marktabgrenzung erlaubt den Bezug zu möglichen Substituten und
damit eine umfassende Bewertung des Markts. Damit rücken die bestehenden
Substitutionsintensitäten zwischen Leistungsangeboten verschiedener Anbieter
in den Mittelpunkt, wobei die Nachfrager – und nicht die Anbieter – über das
Ausmaß entscheiden (vgl. Backhaus; Schneider 2007, S. 55 f.). Die Kategorien
können für die Marktabgrenzung (z. B. Kombination von produkt- und nach-
fragebezogener Aspekten) auch verknüpft werden (vgl. Bauer 1995, S. 1713). Im
Folgenden wird eine hierarchische Vorgehensweise skizziert, die unterstellt,
KonsumentInnen verfolgten eine strukturierte, hierarchisch geordnete Ent-
scheidungsfindung und somit gelinge eine Darstellung der Wettbewerbs-
beziehungen. Hierfür werden die zur Befriedigung des zuvor beschriebenen
114 3 Sektorale Annäherung: Kulturgütermarketing
56
Insbesondere ist auf DiMaggio (1987) zu verweisen, der die Diskussion um die Zusammenhänge
von sozialen Kontexten und der Entwicklung von Präferenzen im Kulturbereich vorantreibt. Er
sieht in den Fragen, wie Gemeinsamkeiten wahrgenommen und Genres in Kraft treten, die
zentrale Herausforderung und schlägt vor Genres aufzufassen als „socially constructed organizing
principles that imbue artworks with significance beyond their thematic content and are, in turn,
responsive to structurally generated demand for cultural information and affiliation“ (ebenda,
S. 441).
57
In diesem Punkt tritt die besondere Eignung des Kultursektors für die Klassifikation des sozialen
Beziehungsgeflechts zum Vorschein (Bourdieu 1987, S. 36): „Von allen Produkten, die der Wahl
der Konsumenten unterliegen, sind die legitimen Kunstwerke die am stärksten klassifizierenden
und Klasse verleihenden, weil sie nicht nur in ihrer Gesamtheit distinktiven, will heißen Unter-
schied und Anderssein betonenden, Charakter tragen, sondern kraft des Spiels der Teilungen und
Unterteilungen in Gattungen, Epochen, Stilrichtungen, Autoren, Komponisten, etc. eine endlose
Reihe von distinguos zu erzeugen gestatten.“
3.2 Ableitungen der inneren Gestalt 115
58
Der Geschmack – als Erzeugungsformel des Lebensstils (vgl. Bourdieu 1987, S. 283) – bildet den
Anknüpfungspunkt (vgl. DiMaggio 1987, S. 443; Lizardo 2006, S. 796 ff.). Häufig ist es die
kommerzielle Forschung (z. B. Werbeagenturen, Marktforschungsinstitute oder Verlage), die
Typologien der Lebensstile zur Differenzierung von KonsumentInnengruppen entwickelt. So
etablieren sich in der unternehmerischen Praxis beispielsweise die Sinus-Milieus (Sociovision
Group), die SIGMA Milieus (SIGMA Gesellschaft für internationale Marktforschung und
Beratung) sowie Euro-Socio-Styles (GfK) als Lebensstiltypologien. Darüber hinaus ist auch noch
die MedienNutzerTypologie (ARD, ZDF) zu nennen. Neben Werten bzw. Einstellungen wird auf
unterschiedliche Aspekte wie etwa das beobachtbare Verhalten (Freizeit, Einkaufsverhalten etc.),
die persönlichen Interessen (z. B. Sport, Ernährung) oder demografische Gesichtspunkte (z. B.
Alter, Familienstand, Bildungsgrad) zurückgegriffen, sodass diese Vielfalt eine entsprechende
Komplexität nach sich zieht. Otte (2008, S. 50 f.) verweist darauf, dass diese „Querschnitts-
betrachtungen“ nicht ausreichen, denn „[w]er wissen will, was und wie die heutigen Rezipienten
morgen konsumieren, benötigt Einsichten in die kausalen Wirkungszusammenhänge der in den
Typologien verdichteten Variablen – und das heißt: grundlagenwissenschaftliche Erkenntnisse zu
Prozessen der Formation und des Wandels von Präferenzen.“
3.2 Ableitungen der inneren Gestalt 117
59
Auf eine weitere Unterteilung in Funktionsbereiche bzw. Geschäftseinheiten wird hier verzichtet.
Diese Aspekte sind etwa bei mehreren Produktlinien oder regionaler Differenzierung zu beachten.
Darüber hinaus deuten Cray und Inglis (2011) in ihrem Artikel „Strategic Decision Making in
Arts Organizations“ an, dass in der Praxis des Kulturbetriebs eine komplexere Ausgangslage in
der Entscheidungsfindung besteht.
118 3 Sektorale Annäherung: Kulturgütermarketing
bzw. aus Sicht der RezipientInnen auf einen möglichst hohen Nutzen abzielen.
Auch mit dem Bezug auf die Dynamik der kollektiven Werte kann hier
Orientierung als zentrales Bedürfnis aber nicht derart aufgefasst werden, dass es
einzig und allein einer starren Schablone bedarf. Zwar ist eine möglichst klare
Positionierung und Profilierung erforderlich, ebenso ist aber, um Orientierung zu
gewährleisten, Übersicht notwendig. Orientierung bedeutet eben nicht nur das
strikte Folgen eines bestimmten Werts und das vollkommene Aufgehen in einem
Kollektiv; Orientierung steht auch für die Reflexion vorhandener und eigener, als
auch neuer bzw. fremder Werte. Dem Bedürfnis nach Orientierung zu ent-
sprechen, bedeutet innerhalb eines entworfenen gesellschaftlichen Beziehungs-
gefüges entsprechend Position zu beziehen.60 Dabei steht der Entstehungsprozess
eines Kulturguts bzw. die symbolische Aufladung eines Objekts mit einem
kollektiven Wert im Mittelpunkt.
Wie in den Ausführungen zur äußeren Gestalt thematisiert (vgl. Kapitel 3.3),
besteht die Krux allerdings darin, dass von Kulturschaffenden zwar ein Werk,
das mit einer bestimmten Intention und Aussage beladen ist, bereitgestellt, im
Augenblick der Rezeption jedoch in einer eigenartigen, möglicherweise grund-
verschiedenen Art und Weise gedeutet wird. (Häufig ist die Argumentation zu
finden, es handele sich bei den Werken von Kulturschaffenden stets um
Innovationen. Dies mag insofern stimmen, als ein Werk in bisher nicht
dagewesener Form geschaffen wird, bedeutet aber nicht, dass die RezipientInnen
60
Um den Sachverhalt zu verdeutlichen: Hiermit ist nicht nur die Produktpositionierung im
üblichen Sinne angesprochen (vgl. Nantel; Colbert 1992), sondern die Positionierung selbst stellt
den Kern des künstlerisch-kreativen Leistungsangebots dar.
3.2 Ableitungen der inneren Gestalt 119
dieses als Innovation wahrnehmen.) Eco (1977, S. 29 f.) beschreibt diesen Um-
stand: „Einerseits ist ein Kunstwerk nämlich ein Objekt, in dem sein Schöpfer
ein Gewebe von kommunikativen Wirkungen derart organisiert hat, daß jeder
mögliche Konsument (über das als Stimulans von Sensibilität und Intellekt
empfundene Spiel von Antworten auf die Konfiguration der Wirkungen) das
Werk selbst, die ursprünglich vom Künstler imaginierte Form nachverstehen
kann. In diesem Sinne produziert der Künstler eine in sich geschlossene Form
und möchte, daß diese Form, so wie er sie hervorgebracht hat, verstanden und
genossen werde; andrerseits bringt jeder Konsument bei der Reaktion auf das
Gewebe der Reize und dem Verstehen ihrer Beziehungen eine konkrete exis-
tentielle Situation mit, eine in bestimmter Weise konditionierte Sensibilität, eine
bestimmte Bildung, Geschmacksrichtungen, Neigungen, persönliche Vorurteile,
dergestalt, daß das Verstehen der ursprünglichen Form gemäß einer bestimmten
individuellen Perspektive erfolgt. […] Jede Rezeption ist so eine Interpretation
und eine Realisation, da bei jeder Rezeption das Werk in einer originellen
Perspektive neu auflebt.“
In dem Schaffensprozess eines Werks ebenso wie in dessen Rezeption kommen
Umstände zum Ausdruck, die ihnen vorgegeben sind. Die Sinnstiftung als Inter-
pretation und Beurteilung des Werks – anders ausgedrückt: die Eignung eines
Objekts bzw. Werks zur Befriedigung des Bedürfnisses nach Orientierung – ist
im Rahmen dieser Konzeption abhängig von den kollektiven Werten. In einem
gewissen Sinne dienen kollektive Werte sowohl als Input- als auch als
Outputfaktor: Einerseits kommen sie bei der gedanklichen Ausarbeitung der
Kulturschaffenden zum Tragen, andererseits spielen sie für die Rezeption bzw.
Sinnstiftung eine wesentliche Rolle und nehmen über die gesellschaftliche Aus-
einandersetzung mit den Werken der Kulturschaffenden rückwirkend Einfluss
auf das Wertesystem.
Der gesamte Prozess der Produktion, Distribution und Rezeption von kulturellen
Symbolen ist auf diese Weise stets eingebunden in eine gesellschaftliche Aus-
einandersetzung. „Künstlerische Ausdrucksformen“, so umschreibt es Smudits
(2002, S. 207 f.), „stellen im jeweiligen gesellschaftlichen Kontext, in dem sie
entstehen, immer Versuche dar, mehr oder weniger verbindliche Sinndeutungen
der Welt zu erarbeiten, vorzugeben oder zur Diskussion zu stellen. […]
Indem Kunst immer die Werte und Normen bestimmter gesellschaftlicher
120 3 Sektorale Annäherung: Kulturgütermarketing
baren einhergehen, wodurch die Mitglieder des Kollektivs auch versuchen sich
aufgrund hohen Involvements ein gewisses Selbstwertgefühl zu vermitteln und
von anderen Kollektiven abzugrenzen.
Sofern die Wettbewerbsbeziehungen über kollektive Werte dargestellt werden,
befinden sich Kulturschaffende, die über einen Wert einen positiven Bezug
zueinander aufweisen, eigentlich in Konkurrenz um dieselben RezipientInnen.
Dem Wettbewerber mit gleichem, also kollektivem Wert zu schaden, kann nicht
im Interesse der Kulturschaffenden sein. Vielmehr kann hier die Kooperation
unter Wettbewerbern als sogenannte „Co-opetition“ (Brandenburger; Nalebuff
1996) das sinnvollere Vorgehen sein. Sofern gegensätzliche bzw. verschiedene
Werte vorliegen, ist der Wettbewerbsbegriff schon eher angebracht. Die Kultur-
schaffenden werden dann zwar insofern nicht zueinander in Konkurrenz stehen,
als sie wohl unterschiedliche RezipientInnen finden werden und deshalb keine
marktwirtschaftliche Wettbewerbsbeziehung besteht. (Inwieweit ein Wettbewerb
über den Preis als Discountstrategie bzw. Preis-Mengen-Strategie im Kultur-
sektor dann überhaupt angebracht sein kann, ist fraglich.) In einem kulturellen
Sinne stehen sie sich aber sehr wohl gegenüber, weil sie unterschiedliche Werte
vertreten. Sofern Kulturschaffende darauf abzielen, werden diese versuchen auch
über ihr Kollektiv hinausgehend RezipientInnen zu erreichen und von ihrem
kollektiven Wert zu überzeugen (Präferenzstrategie).
ben sich die Symbole zwischen den Menschen und die Wirklichkeit, sodass
jegliche Form der menschlichen Kommunikation und des Verstehens an die
Verwendung von Symbolen gebunden wird. Sie formen sowohl auf Seiten der
KommunikatorInnen als auch auf Seiten der RezipientInnen den Kommu-
nikationsgehalt (Inhalt), dessen Vermittlung letztlich Sinn und Zweck der
Kommunikation ist.61
Zeichen stehen als Stellvertreter für etwas anderes, bilden also Relationen ab.62
Da es sich bei einem Zeichen nicht um etwas real Existierendes handelt, wird auf
die aus der Linguistik bekannte Unterscheidung zwischen Signifikant als das
Bezeichnende und dem Signifikat als das Bezeichnete zurückgegriffen; das
Zeichen stellt demnach die Verbindung der beiden Bestandteile dar (vgl.
de Saussure 1967, S. 78 f.). Eco (1977, S. 113) erläutert den Zeichenkomplex:
„Das Signifikat ist nicht das Ding (das Signifikat ‚Hund‘ ist nicht das reale
Objekt Hund, das von der Zoologie studiert wird); und der Signifikant ist nicht
die lautliche Form des Namens (das Lautbild ‚Hund‘, mit dem die Phonetik sich
befaßt und das von elektromagnetischen Apparaten aufgezeichnet werden kann).
Der Signifikant ist das Bild der lautlichen Form, während das Signifikat ein
mentales Bild der Sache ist, ein Bild, das in onomasiologischer Beziehung zu
anderen Signifikaten (wie arbor, tree, Baum, arbre, usw.) stehen kann.“ Es
können zwei Zeichenarten unterschieden werden (Hansen 2003, S. 54): Die eine
entsteht durch einen Verwaltungsakt, deren festgelegte, einem bestimmten
Zweck dienende Bedeutung bewusst aufgenommen werden muss; die andere tritt
spontan zutage, wächst auf nicht genau nachzuvollziehende Art und Weise, wird
61
Eine Handlungstheorie, die sich mit dem Prozess der menschlichen Kommunikation bzw. der
sozialen Interaktion befasst und in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Symbole betont, ist
der Symbolische Interaktionismus (vgl. Mead 1973; Blumer 1969). In der Kunstsoziologie steht
diesem etwa Becker (1982) nahe.
62
Peirce (1983, S. 64), der als Begründer der modernen Semiotik gilt, definiert den Zeichenbegriff
wie folgt: „Ein Zeichen oder Repräsentamen ist alles, was in einer solchen Beziehung zu einem
Zweiten steht, das sein Objekt genannt wird, daß es fähig ist ein Drittes, das sein Interpretant
genannt wird, dahingehend zu bestimmen, in derselben triadischen Relation zu jener Relation auf
das Objekt zu stehen, in der es selbst steht. Dies bedeutet, daß der Interpretant selbst ein Zeichen
ist, das ein Zeichen desselben Objekts bestimmt und so fort ohne Ende.“
3.3 Ableitungen der äußeren Gestalt 125
vom Menschen unbewusst angeeignet und kommt ohne eine genau fest-
geschriebene Bedeutung aus. Die Verbindung von Signifikat und Signifikant ist
dabei willkürlich. Darüber hinaus ist noch auf Peirce (1983, S. 64 ff.) zu ver-
weisen, der Zeichentypen anhand der Verknüpfung von Signifikat und Signi-
fikant in symbolische, ikonische und indexikalische Zeichen einteilt: Während
das symbolische Zeichen auf einer willkürlichen Verknüpfung beruht und
aufgrund von Konventionen entsteht, geht das ikonische Zeichen auf eine Ähn-
lichkeit und das indexikalische Zeichen auf eine direkte Beziehung zwischen
Signifikat und Signifikant zurück.
In der Kommunikation wird es mit Hilfe der Zeichen möglich sich über etwas
Drittes, nicht Anwesendes (den Sachverhalt) zu äußern, das nur über Zeichen
dargestellt wird (vgl. Assmann 2008, S. 31 ff.; Hickethier 2010, S. 59 ff.; Hansen
2003, S. 46 ff.). Durch Abstraktion können auch Vorstellungen aufgegriffen
werden, die in der Realität nicht vorzufinden sind, sodass die Verwendung von
Symbolen an ein gewisses Differenzierungsvermögen (sowie an weitere Fähig-
keiten wie etwa Verallgemeinerung, Verschiebung oder Verdichtung) gebunden
ist (Assmann 2008, S. 32 f.): „Das Symbol führt den, der sich seiner bedient,
vom Ich zum Du, vom Hier zum Dort, vom Jetzt zum Dann, von der wörtlichen
zur übertragenen Bedeutung, von der Materie zum Geist.“ Ein und dasselbe
Zeichen kann unterschiedliche Bedeutungen annehmen, sodass es zu Doppelt-
bzw. Mehrfachkodierungen kommt, die sich letztlich durch die Kollektivität
erklären (Hansen 2003, S. 41 f.). Mit den Begriffen „Denotation“ und
„Konnotation“ wird auf die unterschiedlichen Bedeutungsebenen eines Zeichen
verwiesen (vgl. Hall 1999, S. 102). Für das Zustandekommen von Kommu-
nikation hat dies zur Folge, dass zwischen den Beteiligten die Kenntnis des
Zeichenbestands geteilt werden muss. Die Fähigkeit ein Zeichen als solches zu
erkennen, kann nur in einem Kollektiv angeeignet werden.
Zeichen stehen in der Regel mit weiteren Zeichen in Beziehung, sie sind ein-
gebunden in ein Zeichensystem. Das einzelne Zeichen kann in einem Zeichen-
system nur unter Zuhilfenahme weiterer Zeichen sowie Anwendung bestimmter,
zwar schwer zu beschreibender, jedoch scheinbar automatisch gelernter Regeln
innerhalb einer Botschaft mehr oder weniger gut auf eine bestimmte Bedeutung
eingegrenzt werden (Hansen 2003, S. 59). Zum Teil kommen auch mehrere
Zeichensysteme (z. B. sprachliche und nicht-sprachliche Zeichen) zur An-
126 3 Sektorale Annäherung: Kulturgütermarketing
63
In Anlehnung an die linguistische Wende werden im Laufe der Zeit weitere Entwicklun-
gen konzeptionell aufgearbeitet (z. B. „Pictorial Turn“, „Imagic Turn“, „Iconic Turn“, „Medial
Turn“), die letztlich jedoch in der Breite keine derart grundlegenden Folgen haben.
64
So baut etwa die Disziplin des Medienmanagements auf einem solchen Begriffsverständnis auf
und beschränkt ihren definierten Objektbereich damit auf technische Mittel (vgl. beispiels-
weise Wirtz 2013, S. 15). Dies wird hier jedoch als zweckwidrige Verkürzung des Begriffs-
verständnisses aufgefasst.
128 3 Sektorale Annäherung: Kulturgütermarketing
Hintergrund steht und daher lange ohne besondere Beachtung geblieben ist.
Inzwischen werden ihm eine zunehmende Aufmerksamkeit in der betrieblichen
Praxis und eine vermehrte wissenschaftliche Auseinandersetzung zuteil.
Angeregt wird die Diskussion auch durch McLuhans (1992, S. 17) viel be-
achtetes Diktum: „Das Medium ist die Botschaft“, das allerdings nicht den
Schluss zulässt, Inhalte seien nachrangig oder es bestehe eine klare Anordnung
der Medien. Zuletzt veranlasst vor allem die Entkopplung der starren Zuordnung
von Inhalt und Medium bzw. die digitale und medienunabhängige Distribution
die vermehrte Beschäftigung mit Medien.
Hier wird ein kommunikationsorientiertes Begriffsverständnis zugrunde gelegt.
Das Medium dient als Träger und Übermittler, nicht aber nur im Sinne eines
technisch-apparativen Mediums. Jedwede Form der menschlichen Kommu-
nikation ist auf ein Hilfsmittel angewiesen, sodass es letztlich nie zu einer
unvermittelten Kommunikation kommen kann (vgl. Maletzke 1998, S. 53).
Zeichen sind in der Kommunikation grundsätzlich auf einen Träger angewiesen.
So ist das Zeichen in Bezug auf die äußere Gestalt der Kultur mit der Be-
schreibung eines Komplexes von Signifikant und Signifikat bislang nicht voll-
ständig erfasst, denn erst die materielle Komponente macht das Zeichen
komplett. Das Zeichen verbleibt ansonsten nicht wahrnehmbar, weshalb Kiefer
(2001, S. 15) auch von Medien als „Zeichentransport-Systeme“ spricht. Der
mediale Träger ist demnach als Voraussetzung für jede Form der symbolhaften
Repräsentation anzusehen und in dieser Funktion zentraler Bestandteil der
menschlichen Kommunikation.
Wenngleich stets ein Medium als vermittelnde Instanz notwendig ist, wird
Kommunikation häufig in direkte und indirekte Kommunikation unterteilt. Als
direkte Kommunikation kann die persönliche verbale und nonverbale Kommu-
nikation verstanden werden. Hierfür ist eine räumliche und zeitliche Einheit
notwendig, da erst so die kennzeichnende Eigenschaft der Interaktion zum
Tragen kommt. In der Regel wird bei indirekter Kommunikation von Massen-
kommunikation ausgegangen. Hierunter wird Kommunikation gefasst, deren
Aussagen öffentlich, mit Hilfe technischer (Massen-)Medien über räumliche
3.3 Ableitungen der äußeren Gestalt 129
65
In diesem Zusammenhang wird auch die Möglichkeit der (massenhaften) Reproduktion aufge-
griffen (vgl. Benjamin 1963; Malraux 1957). Benjamin (1963) nimmt schon in seinem erstmalig
im Jahr 1936 erschienen Aufsatz „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzier-
barkeit“ an, dass die massenhafte Reproduktion bzw. massenmediale Kommunikation (hier sind
zunächst Fotografie und Film gemeint) die Rezeption deutlich verändert. Vor einem ähnlichen
Hintergrund findet unter dem Begriff „Kultivierungsforschung“ eine Auseinandersetzung mit der
Problematik der Auswirkung von massenmedialer Kommunikation auf die Wahrnehmung der
realen Lebenswelt der RezipientInnen statt. So kommt Gerbner (1973, S. 567 ff.) beispielsweise
zu der (in mancher Hinsicht auch kritisch bewerteten) Auffassung, dass insbesondere diejenigen
RezipientInnen, die intensiv die massenmediale Kommunikation nutzen, die reale und die
massenmedial vermittelte Welt vermischen.
130 3 Sektorale Annäherung: Kulturgütermarketing
66
Anding und Hess (2003, S. 9 ff.) sehen den Informationsbegriff noch um einen anderen Aspekt
erweitert. Sie unterscheiden zwischen expliziter und impliziter Information: Während explizite
Information eine abgebildete, übertragbare Information darstellt, wird implizite Information nicht
abgebildet, ist aber dennoch als zugrunde liegende Semantik vorhanden, das heißt eine implizite
Unterscheidung verweist auf den Prozess der Abbildung (durch die Entscheidung über Zeichen-
vorrat und Syntax), in dem auch der mediale Träger eine zentrale Rolle einnimmt, und damit
ebenso auf die dahinter stehende Bedeutung für die Kulturschaffenden und RezipientInnen. Die
Autoren unterscheiden weiter explizite Information und Inhalt (bzw. Content) anhand des
Ausmaßes der Ausgestaltung (z. B. durch Darstellungsform, Sprachstil etc.) (vgl. ebenda, S. 13).
Diese Grenzziehung verläuft allerdings fließend und betrifft vielmehr die in der Jurisprudenz zu
behandelnde urheberrechtliche Frage der Schöpfungshöhe.
3.3 Ableitungen der äußeren Gestalt 133
67
Um eine Klassifikation bzw. Typologie bewerten zu können, sind Anforderungen notwendig.
Hunt (2010, S. 206 ff.) geht von fünf grundlegenden Anforderungen an Klassifikationen aus: die
Festlegung des zu bestimmenden Phänomens, die Eignung eines Merkmals zur Klassifikation, die
eindeutige Zuordnung bzw. gegenseitige Exklusivität der Merkmalsausprägungen, die voll-
ständige Erfassung aller denkbaren Ausprägungen sowie die Zweckmäßigkeit. Verletzungen der
genannten Anforderungen an die Bildung von Typen sind jedoch nicht ungewöhnlich. Die
Zweckmäßigkeit stellt demnach die grundlegende Anforderung an ein Klassifikationsschema dar.
3.3 Ableitungen der äußeren Gestalt 137
unterschieden werden, das heißt die Art und Anzahl der Merkmale kann
entweder generell offen bleiben oder aber vorab verbindlich festgelegt werden
(Knoblich 1995, S. 840). Der Versuch die Austauschobjekte der Kultur zu
bestimmen, kann nicht beliebig weit gehen. Das System wird auf den besagten
Merkmalen basieren. Dementsprechend wird vorerst von einem geschlossenen
Merkmalsystem ausgegangen.
Da sich die Merkmale „Symbolhafte Repräsentation“ und „Medialer Träger“ auf
das Austauschobjekt beziehen, bietet sich an dieser Stelle eine waren- bzw.
gütertypologische Betrachtungsweise (im Sinne des Commodity Approach) an.
In dieser Sichtweise werden Marketingentscheidungen in Abhängigkeit der
Gutscharakteristika getroffen. Ziel ist es generelle Aussagen zu formulieren über
die Absatzgestaltung im Hinblick auf die Produkte und ihre jeweiligen Eigen-
schaften (ebenda, S. 839). Ohne diesem Vorgehen die Bedeutung abzusprechen,
muss dennoch festgehalten werden, dass Merkmale der RezipientInnen bzw. der
Rezeption im Rahmen marketingtheoretischer Überlegungen geeigneter er-
scheinen. So sind die technischen Eigenschaften eines Guts für sich genommen
wenig bedeutsam, vielmehr ist zu klären, inwieweit diese für die RezipientInnen
von Bedeutung sind. Grundlegend hierfür ist die Annahme, die Bewertung eines
Werks, auch wenn deren Artikulation nach außen auf ein Objekt gerichtet ist,
enthalte weniger eine Objekt- als vielmehr eine Erlebnisbeschreibung. Anstelle
der Auffassung, das Schöne wirke von außen auf ein Subjekt ein, wird in An-
lehnung an Schulze (1992, S. 39) davon ausgegangen, dass ebendieses von
einem Subjekt in einen Gegenstand oder eine Situation hineingelegt wird. Auf
diese Weise werden die oben genannten Merkmale der äußeren Gestalt nicht
güterbezogen interpretiert, sondern auf die Rezeption hin ausgerichtet, sodass
keine Typologie der Güter, sondern eine Typologie der Rezeption verfolgt wird.
die jeweilige Art der Verarbeitung von äußeren Reizen. Das Merkmal
der Rezeption ist demnach „Sinneswahrnehmung“ und bezieht sich hier
neben der visuellen und auditiven Wahrnehmung auch auf deren
Kombination.68 Lediglich die Sinneswahrnehmung lässt genügend
Spielraum für Unterschiede und bleibt dennoch auf bestimmende Art
konkret.69
Schließlich ist das Merkmal „Medialer Träger“ einzuordnen. Unter-
scheidungen können ebenso aus Anbieter- und Nachfragersicht durch-
geführt werden oder sich auf das Medium selbst beziehen. Hier wird auf
die Bedeutung der Eigenschaften des Mediums für die Rezeption
abgestellt. Es wird zunächst zwischen mobilem und stationärem
Medium unterschieden. Von Interesse ist also, ob ein Medium an einen
festen Standort gebunden ist oder nicht. Aus Sicht der RezipientInnen
bedeutet dies, dass das Merkmal „Räumliche Distanz“ über direkte und
indirekte Rezeption entscheidet und somit marketingrelevante Rück-
schlüsse zulässt. So rücken bei der direkten Rezeption beispielsweise
68
Andere Wahrnehmungssinne (olfaktorische, gustatorische und taktile bzw. haptische Wahr-
nehmung) werden damit vernachlässigt. Die Breite der Symbolproduktion macht allerdings vor
anderen Wahrnehmungssinnen keinen Halt. Bestimmte Speisen, Gerüche oder Berührungen
können ebenfalls kulturelle Tragweite besitzen. Zunächst bleibt Kultur aber auf visuelle und
auditive Wahrnehmung beschränkt. Angesichts fortschreitender Entwicklungen dürfen andere
Bereiche der Sinneswahrnehmung jedoch nicht versperrt bleiben, sondern müssen entsprechend
eingeordnet werden. Darüber hinaus können auch in dieser auf die auditive und visuelle Wahr-
nehmung beschränkten Sichtweise andere Sinne nicht vollkommen außer Acht gelassen werden.
So ist beispielsweise die Haptik von Speichermedien bzw. Endgeräten als kaufrelevante Eigen-
schaft anzusehen.
69
Damit wird nicht normativ an bestimmten Gattungen und deren Einteilungen festgehalten,
sondern jeder wahrnehmbare Gegenstand als potenzielles Austauschobjekt angesehen. Zwar
dienen Objekte wie beispielsweise Automobile oder Exponate eines Völkerkundemuseums
ursprünglich noch einem anderen Zweck (z. B. Mobilität bei Automobilen), sie können aber
unabhängig von ihrem unmittelbaren Gebrauchswert dennoch als kulturell-kommunikative Aus-
tauschobjekte verstanden werden. Insbesondere in den „Ready-mades“ von Marcel Duchamp
zeigt sich, wie durch die Veränderung des Kontexts mehr oder weniger gewöhnliche Gegenstände
symbolisch aufgeladen werden können. Darin kann ein Beitrag zur „Entzauberung der Kunst“
(bzw. Entzauberung der KünstlerInnen) und zugleich eine Offenlegung wesentlicher Eigen-
schaften des Kunstmarkts gesehen werden (vgl. Zembylas 1997, S. 89 ff.).
3.3 Ableitungen der äußeren Gestalt 139
visuell-
visuell (S1) auditiv (S3) direkt (RD1) indirekt (RD2)
auditiv (S2)
Typ 1 x x
Typ 2 x x
Typ 3 x x
Typ 4 x x
Typ 5 x x
Typ 6 x x
140 3 Sektorale Annäherung: Kulturgütermarketing
These 8: Aufmerksamkeit als Bereitschaft zur Rezeption ermöglicht ein Werk als
solches wahrzunehmen und stellt für das Zustandekommen eines kulturell-
kommunikativen Austauschprozesses die grundlegende nachfragerseitige Be-
dingung dar. Der Wettbewerb um die RezipientInnen bezieht sich demnach nicht
nur auf Geld, sondern in erster Linie auf die Aufmerksamkeit.
70
Darüber hinaus nimmt die Werbung mit der Vereinnahmung kultureller Güter eine zunehmend
wichtige Rolle für die Vermittlung von Kultur ein. Durch die Einbindung in die Bewerbung von
Produkten können beispielsweise Werke der bildenden Kunst heutzutage eine je nach Werbeform
unterschiedliche, aber häufig deutlich höhere Reichweite erzielen als dies beispielsweise mit einer
Ausstellung des Originals möglich erscheint. Ähnliches gilt für die ausschnittsweise Verwertung
von Ton und Bewegtbild im Rahmen der Werbung und deren Wiedergabe in voller Länge.
Kimpel (1982, S. 43) sieht in dem „Trend der Instrumentalisierung historischer Kunst im Rahmen
der Reklame“ die Formation „zu einem imaginären Museum der Werbung, dessen Vermittlungs-
absicht in der Transformierung eines Produktes von der Ware zum Kunstwerk liegt.“ Damit ver-
weist er auch auf Malraux (1957, S. 29 ff.), der den Begriff des imaginären Museums als eine in
der Vorstellung vorhandenen, nicht an Zeit und Ort gebundene Zusammenstellung der Kunst
prägt und diesen wesentlich auf die Techniken der Reproduktion zurückführt. Vor diesem Hinter-
grund meint Kimpel (1982, S. 50) sogar für die traditionellen Museen die Gefahr zu erkennen
„ohne merkliche Gegenwehr ihre Aufgabe als Volksbildungsstätten an die amüsanteren und
breitenwirksameren Vermittlungsformen der Werbung zu verlieren.“
144 3 Sektorale Annäherung: Kulturgütermarketing
71
Dass angesichts des Überangebots an Information von einem Menschen nicht alles zur gleichen
Zeit mit Aufmerksamkeit belohnt werden kann, macht die knapp bemessene Zeit in diesem Sinne
zur Maßeinheit der Aufmerksamkeit. Dabei bekommt Zeit gegenwärtig in vielen westlichen
Gesellschaften generell eine neue Bedeutung zu. Früher noch als Privileg angesehen, gilt „Zeit
haben“ heutzutage nicht unbedingt als Statusmerkmal, im Gegenteil: Geradezu verdächtig macht
sich, wer heute Zeit hat; Geschäftigkeit (auch fernab der Arbeitszeit) hingegen ist prestigeträchtig
(Opaschowski 1991, S. 126). Zeit wird zunehmend – der Arbeit ähnlich – auf Produktivität aus-
gerichtet, es gilt in der gleichen Zeit immer mehr zu erleben und zu konsumieren (ebenda). Zum
einen ist es damit nicht weit bis zum Vorwurf, die andauernde und ausufernde Konsumhaltung (in
der Freizeit) führe zur Sinnentleerung. Zum anderen erzeugt diese Entwicklung angesichts ge-
stiegener Anforderungen, denen sich die Menschen ausgesetzt fühlen (Karriere, Partnerschaft,
Freundschaften, Sport, soziales Engagement, Weiterbildung, Selbstentfaltung etc.), denen bei
natürlich begrenzter Zeit gerecht zu werden aber eigentlich nicht möglich ist, mit Rosa (2016,
S. 720 ff.) gesprochen, schuldige Subjekte.
3.3 Ableitungen der äußeren Gestalt 145
gefasst werden (vgl. ebenda, S. 115 ff.), bieten jedoch nicht die Funktions- und
Akkumulationsmechanismen monetärer Einheiten (vgl. Fichter 2001, S. 13).
Ausführungen zur Ökonomie der Aufmerksamkeit vernachlässigen diese
Aspekte sowie den Zusammenhang von Aufmerksamkeit und Geld (Bade 2002,
S. 191): „Ihr großer Mangel liegt […] in der Ausblendung der Tatsache, daß das
menschliche Zusammenleben in starkem Maße von der Ökonomie des Geldes
bestimmt wird. Denn das Ringen um die Aufmerksamkeit ist immer auch ein
Ringen um den geldökonomischen Vorteil.“ Allein auf Aufmerksamkeit kann ein
Wirtschaftssystem nicht basieren; sie wird deshalb in Geld umgewandelt.
Entsprechend sind die Erkenntnisse zur Aufmerksamkeitsökonomie zwar be-
grenzt, verweisen aber darauf, dass es für Informationsgüter eine weitere
wesentliche Kategorie gibt, die neben der geldorientierten Ökonomie existiert
(vgl. Fichter 2001, S. 15; Bade 2002, S. 191 f.).
zum Konsum eines Guts beschränkt wird; andernfalls kann kein Entgelt erhoben
werden. Auch hier sind die Trägereigenschaften zu beachten: Während es bei
direkter und bei indirekter Übermittlung über physische Datenträger möglich ist,
selektiv vorzugehen, ist die Realisierung der Ausschließbarkeit bei indirekter
Übermittlung über technische Infrastruktur dagegen abhängig von einer
möglichen Verschlüsselung. Damit können Informationsgüter je nach Aus-
prägung von Rivalität und Ausschließbarkeit sowohl als private Güter (Aus-
schließbarkeit, Rivalität) oder Klubgüter (Ausschließbarkeit, Nicht-Rivalität) als
auch öffentliche Güter (Nicht-Ausschließbarkeit, Nicht-Rivalität) oder All-
mendegüter (Nicht-Ausschließbarkeit, Rivalität) vorliegen. Die Bedingungen der
(Nicht-)Rivalität im Konsum und Ausschließbarkeit vom Konsum sichern zu-
nächst die generelle Vermarktungsfähigkeit von Informationsgütern.
Angesichts dieser Umstände stehen Kulturschaffenden zwei Erlösquellen zur
Verfügung, die gegebenenfalls auch kombiniert eingesetzt werden können. Zum
einen kann direkt ein Entgelt für (das Recht auf) den Zugang zum Informations-
gut erhoben werden. Zum anderen rücken, sofern keine Ausschließbarkeit
vorliegt, indirekte Erlösquellen in den Fokus, die im Folgenden allerdings ver-
nachlässigt werden.72 Vielmehr lohnt zur Erörterung der Vermarktung eine
72
Als indirekte Erlösquelle kommt einerseits die öffentliche Förderung (z. B. durch Gebühren,
Subventionen, Steuervorteile) in Betracht. Diese wird hier jedoch außen vor gelassen, da sie der
Bewertung als meritorisches Gut gleichkommt, also einem privaten Gut, für das aufgrund
verzerrter Präferenzen der BürgerInnen die Nachfrage unter dem gesellschaftlich wünschens-
werten Versorgungsgrad bleibt. Ein (beispielsweise aufgrund unvollständiger Informationen)
unterstelltes Marktversagen hat demnach das Zustandekommen einer lediglich geringen Nach-
frage zur Folge. Weil aber ein politisches Interesse an dem Gut besteht, wird dieses öffentlich,
direkt oder indirekt (vgl. Throsby 2010, S. 63 ff.), gefördert. Die Bewertung von Gütern als
meritorisch (bzw. demeritorisch) liegt somit im Ermessensspielraum der Politik und kann in
diesem Abschnitt der Arbeit nicht der Vermarktung zugerechnet werden. Dennoch kann die
öffentliche Förderung eine zentrale Erlösquelle darstellen. Andererseits können indirekte Erlöse
über die Einbindung von werblichen Botschaften erzielt werden. Diese werden mit dem
eigentlichen Informationsgut gebündelt und können entweder im direkten Umfeld präsentiert
werden (z. B. TV-Werbung, Sponsoring) oder sogar in das Werk integriert werden (z. B. Product
Placement). Die Werbetreibenden erhoffen sich auf diese Weise den Zugang zur Aufmerksamkeit
der RezipientInnen. Es kann folglich neben dem eigentlichen Informationsgut als Leistung auf
dem RezipientInnenmarkt, bei einer gewissen Reichweite eine weitere Leistung auf dem Werbe-
markt angeboten werden. Dabei entsteht stets ein spannungsreiches Verhältnis zwischen Kultur-
schaffenden und RezipientInnen auf der einen und den Interessen der Werbetreibenden auf der
3.3 Ableitungen der äußeren Gestalt 147
anderen Seite. Im Fokus der sektoralen Annäherung stehen allerdings die RezipientInnen, sodass
die möglichen Erlöse auf dem Werbemarkt an dieser Stelle unberücksichtigt bleiben.
148 3 Sektorale Annäherung: Kulturgütermarketing
73
Auffällig ist die Betonung des Anlagecharakters vor allem in der bildenden Kunst. Sie ist, anders
als industrialisierte Bereiche, wie etwa Film oder Musikaufnahmen, die nicht nur durch die
physischen Trägermedien individuell angeeignet werden können (und somit einen gewissen
(kulturellen und ökonomischen) Anlagecharakter besitzen), sondern seit jeher auch an
ökonomischen Kriterien gemessenen werden, weit weniger mediatisiert und nicht derart von
industriellen Produktionsbedingungen erfasst (Smudits 2002, S. 212). Insbesondere bei Einzel-
stücken ergibt sich die Möglichkeit zur Kapitalanlage, bei der zum Teil enorme Wertsteigerungen
erzielt werden können. So bildet sich rund um den Handel mit Kunstwerken ein Konstrukt aus
InvestorInnen, KunstberaterInnen etc., das verschiedenartige Anlagestrategien erlaubt. Rankings
wie der „Kunstkompass“ oder der „Mei Moses Fine Art Index“ tragen ihr Übriges zu dieser
Entwicklung bei. Zugleich kommen beim Kunsthandel auf dem Sekundärmarkt häufig Auktions-
verfahren zum Einsatz, die sich zur Messung individueller Zahlungsbereitschaften anbieten. Die
kunsthistorische Bedeutung eines Werks wird dabei beispielsweise bei der Schätzung des
Anfangswerts über die Berücksichtigung der Herkunft und der bisherigen Präsentation in Museen
und Privatsammlungen eingebunden.
150 3 Sektorale Annäherung: Kulturgütermarketing
an, der besagt, dass die Nachfrage nach bestimmten Gütern, hier ist vor allem der
Bereich der „Kunst und Kultur“ gemeint, trotz Preiserhöhungen steigt, da mit
dem Konsum ein gewisses Prestige verbunden wird. Die Bezeichnung geht auf
Veblen (1958) zurück, der, wie oben bereits angesprochen, die Darstellung des
sozialen Status und den Geltungskonsum der Oberschicht thematisiert. Dabei
zeigt er die Verflechtung des Kostbaren mit dem Schönen auf, sodass „jeder
Gegenstand nicht nur den Anforderungen der Schönheit, sondern auch
denjenigen der Kostspieligkeit genügen muß, um unseren Schönheitssinn zu
erregen. Doch ist dies nicht alles. Die Bedingung der Kostspieligkeit beeinflußt
unseren Geschmack nämlich in der Art, daß sich der Geldwert mit der Schönheit
unentwirrbar vermischt, worauf wir glauben, daß wir den Gegenstand nur um
seiner Schönheit willen lieben. Die Merkmale der Kostspieligkeit werden all-
mählich zu Merkmalen der Schönheit. Der Gegenstand gefällt uns, weil er
kostbar und deshalb ehrenvoll ist, und das Vergnügen, das er uns in dieser
Eigenschaft bereitet, verschmilzt mit der Freude an seiner prachtvollen Form
oder Farbe, so daß wir ein Schmuckstück oft ‚wahrhaft bezaubernd‘ finden, wo
doch eine genaue Prüfung des ästhetischen Wertes höchstens die Feststellung
zuließe, daß es seiner Kostbarkeit wegen ehrenvoll ist“ (ebenda, S. 132). Ange-
sichts der Spannweite von (zum Teil absurd) hohen Preisen für Einzelstücke auf
der einen und Einheitspreisen bei industriellen Produktionsbedingungen auf der
anderen Seite spielt offenkundig eine gewichtige Rolle, ob es sich um ein Unikat
handelt oder eine massenhaft produzierte Kopie vorliegt. So gilt der Konsum vor
allem maschinell hergestellter Erzeugnisse, sofern die Merkmale der „Billigkeit“
und „Gemeinheit“ für Anzeichen künstlerischer Minderwertigkeit gehalten
werden, gelegentlich auch als wenig ehrenvoll, eignet er sich schließlich nicht
für den sozialen Vergleich mit anderen (vgl. ebenda, S. 159).
Im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit, in dem „das Hier und Jetzt des
Kunstwerks“, das heißt „sein einmaliges Dasein an dem Orte, an dem es sich
befindet“, ausfällt (vgl. Benjamin 1963, S. 13), tritt die Bedeutung des
„Originals“ (vgl. Zembylas 1997, S. 89 f.) vielfach in den Hintergrund. Boorstin
(1987, S. 177) deutet diese Entwicklung in seinem erstmalig 1961 erschienen
Buch „Das Image“ an, also fernab von Entwicklungen wie der Digitalisierung
und moderner technischer Gerätschaften (Smartphone, Google Glass,
3D-Drucker etc.): „Das Original verliert so irgendwie seine Originalität. Die
3.4 Zwischenfazit 151
Kopie ist viel vertrauter. In der Tat ist es nur die Kopie, die wirklich populär ist.
Sie erfreut uns meistens mehr. In der Gauguin-Ausstellung 1959 im Art Institute
in Chicago klagten Besucher, daß die Originalgemälde weniger leuchtende
Farben hätten als die bekannten Reproduktionen. Das Original selbst wird in
einen technischen, auserlesenen Status versetzt. Es ist nur noch eine Art Proto-
typ, wie die Gußformen für die Bücher oder die Prägestempel, mit denen weitere
Mengen hergestellt werden. Wir beginnen uns zu fragen, ob der Hauptzweck
eines großen Kunstwerkes nicht der ist, eine Art Originalmatrize zu sein, von der
Kopien gezogen werden können.“ In diesem Zusammenhang wird aber nicht
Position bezogen gegen technischen Fortschritt oder in eine mancherorts anzu-
treffende kulturpessimistische Haltung eingestimmt, lediglich auf ein Umdenken
hingewiesen, das auch Bereiche, in denen das Original (noch) einen hohen
Stellenwert besitzt, erfassen kann.
3.4 Zwischenfazit
Die sektorale Aufarbeitung des „Marketing im Kulturbetrieb“ verläuft über den
Kulturbegriff respektive die hieraus abgeleiteten Merkmale „Kollektiver Wert“,
„Symbolhafte Repräsentation“ und „Medialer Träger“. Dabei wird davon aus-
gegangen, das Merkmal „Kollektiver Wert“ (als innere Gestalt der Kultur) wirke
sich auf das Verhalten der Anbieter und Nachfrager im Austauschprozess
aus und die Merkmale „Symbolhafte Repräsentation“ und „Medialer Träger“
(als äußere Gestalt der Kultur) ermöglichten Rückschlüsse zu transaktions-
bestimmenden Eigenschaften der Austauschobjekte. Anhand der konstitutiven
Merkmale des Kulturbegriffs werden sodann marketingtheoretische Über-
legungen angestellt und thesenartig zusammengefasst. Dabei drückt sich das
Spannungsfeld von kulturellem Wert und ökonomischer Realität, der sektoralen
Ausrichtung entsprechend, lediglich abstrakt durch den Eintritt der Kultur in die
Funktionsweise des Markts bzw. durch den Problemhintergrund einer öko-
nomisch und rechtlich strukturierten Grundlage aus. Die reduzierte Darstellung
des Austauschprozesses, das Aufeinandertreffen von Kultur und Markt, zeigt
deren enge Verbindung auf, gleichwohl die Ausführung, dem Anliegen der
Arbeit geschuldet, nur als Annäherung zu verstehen ist. Für die Ausarbeitung des
152 3 Sektorale Annäherung: Kulturgütermarketing
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019
N. H. Gröppel, Marketing im Kulturbetrieb, Musikwirtschafts- und
Musikkulturforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26735-3_4
156 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
gen behandelt und die entsprechenden Rückschlüsse für das Marketing in Form
von Thesen dargestellt. Kapitel 4.5 beinhaltet ein Zwischenfazit.
verstanden wird, dabei aber sowohl die Gesamtheit eines institutionell struk-
turierten Rahmens als auch eine organisierte Wirtschaftseinheit darstellen kann
(Zembylas; Tschmuck 2006, S. 7; Heinrichs 2011, S. 131). Ist die Rede von der
Repräsentation des Kulturbetriebs, so ist dies zunächst dem Verständnis gemäß
ebenfalls makro- wie mikroperspektivisch zu verstehen. Damit wird das Konzept
„Kulturbetrieb“ differenziert aufgegriffen.
Kapitel 4.1.2.1 setzt sich vorab mit Kultur als Wirtschaftszweig auseinander und
thematisiert dabei insbesondere die Kulturwirtschaft. Der Begriff erweist sich
allerdings eher auf kultur- bzw. wirtschaftspolitischer Ebene als relevant, bietet
sich aber aufgrund der Darstellung der (Teil-)Branchen als ein erster Ansatz-
punkt an. In Kapitel 4.1.2.2 wird sodann die fallstudienartige Vorgehensweise
dargestellt und in einem ersten Schritt Musik bzw. die Musikwirtschaft als
Gegenstand der branchenspezifischen Annäherung ausgewählt.
74
Kritik richtet sich beispielsweise eher an die Hegemonie US-amerikanischer Konzerne bzw. eine
zunehmende Dominanz durch ihre internationalen Verwertungsstrukturen (vgl. Hesmondhalgh
2013, S. 270 ff.).
75
Beispielhaft kann eine mögliche Gegenposition zu einer grundsätzlich kritischen Beurteilung der
(Massen-)Medien in einer anthropologischen Auffassung gesehen werden. Eine solche findet sich
schon bei McLuhan (1992), der Medien als Ausweitungen der eigenen Person (bzw. Erweiterung
der Sinneswahrnehmung) beschreibt. Eine generell kulturpessimistische Haltung ist in einer
derartigen Sichtweise nur schwer vertretbar. Ebenso wird in den Cultural Studies ein Bild
der RezipientInnen gezeichnet, dass sich deutlich von der Vorstellung von gefügigen Konsu-
mentInnen der „Kulturindustrie“ unterscheidet. Willis (1981, S. 17) zeigt etwa anhand zweier
schichtspezifischer Gruppierungen, „daß unterdrückte, untergeordnete bzw. Minderheitengruppen
eine eigene kraftvolle Kultur aufbauen können und nicht einfach die Gelackmeierten sind, die
Opfer in einem sozialen System, das sich überwältigend vor ihnen auftürmt und von den kapita-
listischen Medien und Einrichtungen des Kommerzes bestimmt wird.“
162 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
2000; 2014; Brown 2011). Namhafte Beispiele aus früheren Zeiten sind James
Joyce, Salvador Dalí oder Andy Warhol (vgl. Fillis 2000, S. 59 ff.; Patterson;
Brown 2000, S. 74 ff.; Schroeder 2010, S. 20 ff.). Anhand des professionellen
Musikschaffens lässt sich die Entwicklung verdeutlichen: Das Musizieren steht
lange Zeit im Dienste des Hofes, nichts anderes als eine (wirtschaftliche) Abhän-
gigkeit von der Gunst der FürstInnen, verlangt aber mit der Abkehr der Musik-
schaffenden vom fürstlichen Hofstaat nach Veränderungen, sodass frei-
schaffende KomponistInnen bereits damals – und dies auch in wirtschaftlicher
Hinsicht zum Teil mit beachtlichem Erfolg – den Absatz der künstlerisch-
kreativen Leistungen am Markt verfolgen. Unbestritten bleibt an dieser Stelle
aber, dass sich beispielsweise mit dem Notendruck, später auch mit der
Entwicklung des Phonographen (durch Thomas Alva Edison im Jahr 1877) und
des Grammophons (durch Emil Berliner im Jahr 1887) zunehmend industrielle
Produktionsformen durchsetzen.
Inzwischen scheint nicht nur die ablehnende Haltung abgelegt (bzw. relativiert).
Es wird sogar in Politik und Wirtschaft (und zum Teil auch in der Wissenschaft)
versucht den Begriff „Kulturwirtschaft“76 zunehmend positiv zu besetzen, sodass
dieser mittlerweile vermehrt Verwendung findet, nicht nur um Kultur in einem
Wirtschaftszweig zu erfassen, sondern ebenso um ihn als einen zentralen
wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Faktor für die Gesamtwirtschaft zu
positionieren (vgl. UNESCO 2013, S. 20 f.; DBT 2007, S. 335 ff.; EK 2006,
S. 135 ff.). Bisweilen wird hierin, angesichts einer rückläufigen bildungs-
bürgerlichen Legitimation, eine Neuausrichtung der Kulturpolitik gesehen, weg
von dem traditionellen Fokus der öffentlichen Förderung und hin zu einer
mehr wirtschaftlich motivierten Ausrichtung (vgl. Throsby 2010, S. 88;
Hesmondhalgh 2013, S. 165 ff.). Auf diese Weise kann auch die auf kultur-
politischer Ebene eingebrachte Rechtfertigung öffentlicher Kulturbetriebe durch
76
Die Bezeichnung stellt dabei ein Kompositum aus dem eigentlichen Charakteristikum (z. B.
„Kultur“, „Medien“) und dem Verweis auf die Funktionsweise (z. B. „Wirtschaft“, „Industrie“)
dar. Demzufolge kommen zur Bezeichnung des Wirtschaftszweigs noch weitere Begriffe zum
Einsatz (z. B. „Contentindustrie“, „Medienwirtschaft“, „Unterhaltungsindustrie“ oder auch
„Freizeitmarkt“).
4.1 Entwicklung des Anwendungsbezugs 163
Umwegrentabilität oder ihre Relevanz für den Tourismus als eine vermehrt wirt-
schaftliche Argumentation interpretiert werden. Diesem Vorgehen grundsätzlich
zugutezuhalten ist der Versuch die realen Bedingungen, die sozialen und wirt-
schaftlichen Verhältnisse der Kulturschaffenden zu erfassen und somit das noch
gelegentlich verbreitete romantische Image abzulegen, um – abseits des öf-
fenlich geförderten Kultursektors – auf die Probleme der vornehmlich privat-
wirtschaftlich organisierten Kulturwirtschaft hinzuweisen (Zimmermann; Schulz
2009, S. 22). Zugleich lässt eine stärkere wirtschaftliche Ausrichtung Zweifel
aufkommen an einem dirigistischen Etatismus und offenbart eine brüchige
Entscheidungsgrundlage der Kulturfinanzierung, die sich ausdrückt in einer
konzeptionellen Schwäche des kulturpolitischen Handelns (vgl. Wagner 2006,
S. 163 ff.).
Gleichwohl sich die Verwendungen des Begriffs zunehmend annähern, liegt
bislang keine allgemein anerkannte Definition vor (Loock; Grundorf 2011,
S. 198; Throsby 2010, S. 88 f.). Dies scheint problematisch, sofern auf der
Grundlage der jeweiligen Definition die ökonomische Bedeutung erfasst und der
politische Handlungsrahmen abgesteckt wird, jedoch keine regionale bzw. inter-
nationale Vergleichbarkeit gegeben ist (DBT 2007, S. 343). So weichen die
Begriffsauffassungen beispielsweise hinsichtlich des Einbezugs öffentlich
finanzierter Kultureinrichtungen voneinander ab. Dementsprechend wird teil-
weise zwischen Kulturwirtschaft im engeren und weiteren Sinne unterschieden
(Loock; Grundorf 2011, S. 199 f.). Ferner ist gelegentlich auch von der
„Kreativwirtschaft“ die Rede. Der Begriff umfasst über die Kulturwirtschaft
hinausgehend meist noch weitere Bereiche. Einerseits geht die Begriffs-
verwendung folglich auf unterschiedliche analytische Ausgangspositionen
zurück, andererseits werden die Begriffe häufig – mangels Durchblick – sy-
nonym verwendet und dienen in kulturpolitischen Debatten lediglich als
Modewörter zur Verortung und Betonung des besonderen Stellenwerts
(UNESCO 2013, S. 19): „Many cultural actors and institutions also have adopted
them in their self-descriptions, although by doing so they may be applying the
idiom of ‚industry‘ to activities that are neither industrial in nature or scope
nor profit-making (but instead require permanent subsidy). In some cases,
identifying with this now fashionable category is thought to be a means of
securing greater investment, political support and sometimes funding to sectors
164 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
that have been historically overlooked. Yet, some people feel the terms have
developed an ambiguous, buzzword quality that is hyped by politicians, seen
sceptically by academics, and employed by artists and creative professionals
when it suits their cause.“
In den Berichten zur Kulturwirtschaft wird zumeist eine (teil-)branchenbezogene
Gliederung verfolgt, auch um (aufgrund der in der Regel fehlenden eigenen
statistischen Erhebung) das verfügbare Datenmaterial verwerten zu können
(Zimmermann; Schulz 2009, S. 26); alternative Vorgehensweise (z. B. nach
Berufsgruppen) kommen seltener zum Einsatz. Die Brancheneinteilung ist dabei
zu verstehen als eine Strukturierung nach Leistungsart. Entsprechend ergibt sich
die Abgrenzung anhand der gehandelten Güter (bzw. Gattungen) und eine
beliebige Reihe aus den Branchen Buch, Musik, Zeitung, Museum, Film, Theater
etc. ist die Folge, wobei auch hier beispielsweise die Produktkategorie Buch als
konkrete Erscheinungsform nicht mit einer Kunstgattung wie Musik als gleich-
wertig anzusehen ist. Dieses Verständnis dominiert, ist aber letztlich nicht mehr
als eine bloße Aufzählung und damit eine (unscharfe) Abgrenzung über Produkte
bzw. Leistungen. Derartige Branchenkataloge stellen historisch gewachsene bzw.
standespolitisch motivierte Zusammenfassungen von Betrieben dar und bieten
mit ihrer Eindeutigkeit einerseits zwar eine relativ einfache Möglichkeit einzelne
Branchen anhand von Verbänden, Innungen oder Kammern zu identifizieren,
gehen jedoch andererseits bei einer Analyse mit der Gefahr einher, in der
jeweiligen Routine verharrend, Veränderungen im Zeitverlauf zu übersehen (vgl.
Schuh; Holzmüller 2005, S. 15). Insbesondere der Versuch auf kultur- bzw.
wirtschaftspolitischer Ebene den eigenen regionalen bzw. nationalen Gegeben-
heiten gerecht zu werden, lässt unterschiedliche Klassifikationen entstehen
(UNESCO 2013, S. 21). Inwieweit aber Design, Mode, Software oder
Architektur, also Bereiche, die einem bestimmten Zweck dienen, zur Kultur-
wirtschaft gezählt werden können, löst durchaus Kontroversen aus und ist
Gegenstand von kritischen Anmerkungen zur Abgrenzung der Kulturwirtschaft
(vgl. beispielsweise Galloway; Dunlop 2007). Einen exemplarischen Einblick in
die Verschiedenartigkeit der Abgrenzungen und Strukturierungen zur Kultur-
4.1 Entwicklung des Anwendungsbezugs 165
77
Die hier dargestellten Klassifikationen basieren auf der Auswahl des „Creative Economy Report
2013“ (UNESCO 2013, S. 22), allerdings aktualisiert sowie ergänzt um die „Kreativwirtschaft“ in
Österreich, die „Kultur- und Kreativwirtschaft“ in Deutschland sowie den „Cultural and Creative
Sector“ der Europäischen Kommission.
166 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
„Kreativwirtschaft“ in Österreich
In Österreich wird der Begriff „Kreativwirtschaft“ verwendet. Zusammengefasst
werden hierunter nach der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ 2017, S. 37)
„erwerbsorientierte Unternehmen, die sich mit der Schaffung, Produktion und
(medialen) Distribution von kreativen und kulturellen Gütern sowie Dienst-
leistungen beschäftigen.“ Wie Tabelle 5 zu den Eckdaten der „Kreativwirtschaft“
in Österreich im Jahr 2014 zeigt, werden insgesamt neun Bereiche diesem
Wirtschaftszweig zugerechnet.78 Mit 8,6 Milliarden Euro macht die „Kreativ-
wirtschaft“ einen Anteil von 3,9 Prozent der Bruttowertschöpfung der Gesamt-
wirtschaft aus (ebenda, S. 46). Aufgrund des mit 61 Prozent hohen Anteils an
Ein-Personen-Unternehmen ist die österreichische „Kreativwirtschaft“ vornehm-
lich kleinbetrieblich strukturiert; Unternehmen mit zwei bis vier Beschäftigten
machen 28 Prozent, Unternehmen mit fünf bis neun Beschäftigten 6 Prozent und
78
Der Bereich „Bibliotheken, Museen sowie botanische und zoologische Gärten“ wird im Kreativ-
wirtschaftsbericht nur bedingt berücksichtigt, da lediglich ein geringer Teil der Privatwirtschaft
zugerechnet wird und nur begrenzt Datenmaterial vorliegt (WKÖ 2017, S. 46).
168 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
Unternehmen mit zehn und mehr Beschäftigten 5 Prozent aller Unternehmen der
„Kreativwirtschaft“ aus (ebenda, S. 63).
Markt für
8.441 19,98 % 23.272 15,27 % 2.436 Mio. € 11,28 %
darstellende Kunst
Kreativ-
42.241 100 % 152.377 100 % 21.601 Mio. € 100 %
wirtschaft
Anteil KW an
10,8 % 4,6 % 2,8 %
Gesamtwirtschaft
79
Grundsätzlich problematisch scheint die eingeschränkte Verwertbarkeit des zur Verfügung
stehenden statistischen Datenmaterials (vgl. DBT 2007, S. 349 ff.). Der aufgelistete Bereich
„Sonstige“ etwa umfasst Wirtschaftszweige, die aufgrund mangelnden Bezugs zur kultur-
wirtschaftlichen Aktivität keiner (Teil-)Branche zugewiesen werden, aber in der rechnerischen
Auswertung berücksichtigt werden müssen (BMWi 2017, S. 183; WMK 2009, S. 49). Ebenso
werden einige Unternehmen doppelt gezählt; der errechnete Anteil der „Kultur- und Kreativ-
wirtschaft“ an der Gesamtwirtschaft bezieht sich allerdings auf die Daten ohne Doppelzählung
(246.967 Unternehmen, 1.055.742 Erwerbstätige, 146.895 Millionen Euro Umsatz) (vgl. BMWi
2017, S. 160 f.). Des Weiteren sind 1.348 Unternehmen (bzw. 0,5 Prozent der Unternehmen) aus
Geheimhaltungsgründen in der amtlichen Statistik keiner der vier genannten Umsatzgrößen-
klassen zuordenbar (ebenda, S. 27).
170 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
Markt für
17.473 5,86 % 38.800 3,29 % 4.262 Mio. € 2,59 %
darstellende Künste
Software- und
34.725 11,64 % 337.875 28,68 % 31.619 Mio. € 19,21 %
Games-Industrie
Kultur- und
298.302 100 % 1.178.166 100 % 164.586 Mio. € 100 %
Kreativwirtschaft
Anteil KKW an
7,6 % 3,2 % 2,5 %
Gesamtwirtschaft
80
In der Literatur werden verschiedene Arten von Fallstudien aufgegriffen (vgl. beispielsweise
Eriksson; Kovalainen 2008, S. 118 ff.; Lamnek 2010, S. 293 ff.). Eine Auswahl findet sich bei
Specht, dos Santos und Bingemer (2004, S. 543 ff.).
172 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
dar, die vielmehr auf politischer denn auf betrieblich-praktischer Ebene eine
Rolle spielt. Angesichts einer bislang fehlenden schlüssigen (bzw. allgemein
anerkannten) Klassifikation der (Teil-)Branchen wird im Folgenden zunächst
die pragmatische Vorgehensweise verfolgt, anhand der oben genannten
Klassifikationen eine (Teil-)Branche auszuwählen bzw. die Auswahl vorab auf
einige (Teil-)Branche zu beschränken. Um als Basis für die Überlegungen zum
„Marketing im Kulturbetrieb“ zu bestehen – oder anders ausgedrückt: Kultur (als
Symbolproduktion und -vermittlung) in den Mittelpunkt des wirtschaftlichen
Geschehens einer Branche zu rücken –, können konkrete Organisationen (z. B.
Bibliothek, Museum) nicht berücksichtigt werden, da Kultur nicht von
vornherein an einzelnen Betrieben (und damit auch deren Austauschprozesse)
festzumachen ist. Ebenso die Ausführung stark eingrenzend und damit nicht
zweckmäßig sind charakteristische Produkte (z. B. Buch). Zudem können
Bereiche wie Video, Radio oder TV nur bedingt als Ausgangspunkt herhalten,
handelt es sich hier doch zunächst jeweils um einen technischen Faktor
(Verfahren zur Aufnahme, Übertragung und Wiedergabe bzw. Empfangsgeräte),
der auf die Institutionalisierung angewiesen ist, nicht aber direkt um einen
kulturellen Aspekt. Architektur und Mode dienen in der Regel einem bestimmten
Zweck, ähnlich wie der Bereich der Werbung auf eine inhaltliche Aussage
vorbestimmt wird. Allerdings wird den auf diese Weise ausgeschlossenen
(Teil-)Branchen nicht ihre grundsätzliche Zugehörigkeit zur Kulturwirtschaft
bzw. ihre kulturelle Dimension abgesprochen, sondern lediglich Bezug
genommen auf ihre Eignung als begriffliche Ausgangsposition. So ist die in
Tabelle 7 gelieferte Auswertung nicht als neuartige Klassifikation der
(Teil-)Branchen zu verstehen.81 Sie dient allein dem Zweck der Branchen- bzw.
Fallauswahl.
81
Die verwendeten Bezeichnungen dienen als Ausgangsposition für die branchenspezifische
Aufarbeitung. Demnach können Bereiche, die gegebenenfalls als zusammengehörig empfunden
werden (z. B. Buch, Literatur, Verlagswesen), aufgrund der unterschiedlichen Bezeichnungen
nicht summiert und dadurch eventuell für die weitere Analyse nicht in Betracht gezogen
werden. Für die Auswertung werden alle in den Klassifikationen genannten Bereiche bzw.
(Teil-)Branchen einberechnet, unabhängig von einer möglichen Strukturierung (z. B. Kern-
branchen und erweiterte Branchen; Kultur- und Kreativwirtschaft etc.). Je nach Zweckmäßigkeit
4.1 Entwicklung des Anwendungsbezugs 173
Nach der Auszählung der (Teil-)Branchen und der Prüfung der Anforderung
kommen zwar in erster Linie sowohl Musik als auch Film als Ausgangspunkt für
eine branchenspezifische Annäherung infrage, die Entscheidung fällt aber
aufgrund von Überlegungen zur Eignung als extremer bzw. idealer Typ zur
Repräsentation des Kulturbetriebs auf die (Teil-)Branche „Musik“. Musik82 (vom
lateinischen „(ars) musica“ bzw. (alt-)griechischen „mousikḗ (téchnē)“ für
werden Bereiche aufgeteilt (z. B „TV und Radio“ in „TV“ und „Radio“). In der Tabelle werden
nur diejenigen Branchen mit sieben und mehr Nennungen berücksichtigt.
82
Im Hinblick auf den künstlerischen Status wird ausdrücklich keine Differenzierung zwischen
zeitgenössischer und klassischer Kunstmusik sowie populärer Musik vorgenommen.
174 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
83
Einen aufschlussreichen Überblick zu „Lebensstil und Musikgeschmack“, der den kulturellen
Stellenwert der Musik verdeutlicht, liefert Otte (2008).
4.1 Entwicklung des Anwendungsbezugs 175
84
Einen Eindruck der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung der Musikwirtschaft vermittelt die von
zahlreichen deutschen Musikverbänden in Auftrag gegebene Studie „Musikwirtschaft in
Deutschland“ (BVMI et al. 2015). Die erhobenen Zahlen für das Jahr 2014 (Umsatz: 11,1 Milli-
arden Euro; Konsumausgaben: 6,7 Milliarden Euro; Bruttowertschöpfung: 3,9 Milliarden Euro;
Erwerbstätige: 127.616) weichen dabei augenfällig von den Angaben im Monitoringbericht zur
„Kultur- und Kreativwirtschaft“ (BMWi 2017) ab (vgl. BVMI et al. 2015, S. 14 ff.). Dies wird
begründet mit einer breiteren Abgrenzung der Musikwirtschaft, die sich nicht auf die Daten aus
der Umsatzsteuerstatistik bezieht.
176 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
case (holistic) design“ auszugehen ist. Dabei ist die Musikwirtschaft (bzw. der
Bereich der Musikaufnahme), ihre Akteure und deren Beziehungen unter-
einander, als Kontext aufzufassen.
Für die Auswahl der Austauschprozesse ist auf die gegenwärtige Situation der
Musikwirtschaft einzugehen. Festzuhalten ist schon vorab, dass Musik so präsent
ist wie nie zuvor. Nicht nur ist vielerorts die dargebotene Konzertvielfalt
gestiegen, sondern vor allem auch die musikalische Durchdringung des Alltags
im Allgemeinen. Musik ist durch Radio, Fernsehen und Internet (ob als Teil des
Programms oder durch Einbindung in die Werbung) genauso wie durch die
Beschallung des öffentlichen Raums inzwischen quasi ubiquitär. Der Musik ist
nicht zu entkommen, was allerdings nicht direkt auf ihre kommerzielle
Verwertung schließen lässt. So zeichnen sich in wirtschaftlicher Hinsicht unter-
schiedliche Entwicklungen ab. Während für die letzten Jahre in dem Bereich
der Musikveranstaltung in wirtschaftlicher Hinsicht vielfach eine positive
Entwicklung konstatiert wird, befindet sich der Bereich der Musikaufnahme –
gleichwohl sich nach der Rezession erste Zeichen der Erholung andeuten – nach
wie vor in einer schwierigen Situation. Der Zweck der Ausführung ist indessen
nicht auf die historische Aufarbeitung oder gar direkt auf die „Lösung der Krise“
gerichtet, sondern besteht lediglich darin die gegenwärtige Situation als Umwelt-
bedingungen für das Marketing zu erfassen. Entsprechend gilt der Fokus der
branchenspezifischen Annäherung auch nicht der Darstellung der Marketing-
praxis in der Musikwirtschaft, sondern den konkreten Absatzmärkten und
deren jeweiligen Umweltbedingungen. Dafür sind diejenigen Dimensionen zu
identifizieren, die ein realistisches und umfassendes Bild der Branchen-
gegebenheiten abzubilden vermögen.
Für den Ablauf der Fallstudie wird der in Abbildung 3 dargestellte Erstellungs-
prozess verfolgt: (1) Planung des Forschungsprozesses, (2) Strukturierung der
Quellen, (3) Auswertung der Umweltbedingungen, (4) Analyse und Inter-
pretation sowie (5) Dokumentation. Die Planung des Forschungsprozesses
bezieht sich vor allem auf die Konkretisierung des institutionellen Rahmens, das
heißt der Austauschprozesse und der Umwelt. Zur Darstellung der Umwelt-
bedingungen wird auf bereits publizierte Informationen zur Branche zugegriffen,
wobei sich die Auswahl und Strukturierung der Informationen auf Quellen aus
dem direkten Branchenumfeld beschränkt. (Im Sinne der Sekundärforschung
4.1 Entwicklung des Anwendungsbezugs 177
Rezep-
betriebs
tion
RezipientInnen
Schaffen Musik-
Kultur als Wirt- schaf-
Verwer-
schaftszweig fende Medien/ RezipientInnen/
tung
Agenturen KundInnen
Fallauswahl:
Musikrezeption/
Musikaufnahme Austauschprozesse mit Musikaufnahmen
Kulturgütermarketing Dienstleistungsmarketing
Makroebene:
„single-case
(embedded) Rezipi- Musik- Musik- Phono. Un-
design“ entInnen schaffende schaffende ternehmen
Mikroebene:
„multiple-case
(holistic) design“ Umwelt Umwelt
(5) Dokumentation
Bericht
85
Eine kursorische Übersicht hierzu findet sich bei Limper und Lücke (2013, S. 21 ff.). Zum Teil
fällt auf, dass bisherige Strukturierungen unvollständig sind, so beispielsweise bei Wirtz (2013,
S. 560 f.), der zwar grafisch die Beziehungen der Akteure aufgreift, die Strukturierung der
Musikwirtschaft aber aus der Perspektive des Medienmanagements verfolgt, also auf das
technische Medium hin abstellt, und somit den Bereich der Musikveranstaltung komplett
ausgrenzt.
86
Die in den Kulturwirtschaftsberichten verwendeten Brancheneinteilungen stellen die nationalen
Klassifikationen der Wirtschaftszweige (namentlich ÖNACE 2008 bzw. WZ 2008) dar,
basieren aber im Wesentlichen auf der „Statistischen Systematik der Wirtschaftszweige
in der Europäischen Gemeinschaft“ (Eurostat 2008) bzw. der „International Standard
Industrial Classification“ (UN 2008). Überblicksartig wird für Deutschland die oben genannte
(Teil-)Branche „Musikwirtschaft“ aufgegliedert (BMWi 2017, S. 163): „Herstellung von Musik-
instrumenten“, „Einzelhandel mit Musikinstrumenten etc.“, „Einzelhandel mit bespielten Ton-
trägern etc.“, „Tonstudios etc.“, „Tonträgerverlage“, „Musikverlage“, „Musik-/Tanzensembles“,
„Erbringung von Dienstleistungen für die darstellende Kunst“, „Selbständige Musiker/-innen
etc.“, „Theater-/Konzertveranstalter“ sowie „Private Musical-/Theaterhäuser, Konzerthäuser
etc.“. Bis vor Kurzem wird die Musikwirtschaft in Österreich durch eine (nach Gutdünken
erstellte) Zusammenfassung heterogener Bereiche in der (Teil-)Branche „Musik, Buch und
künstlerische Tätigkeit“ erfasst. Nach einer Überarbeitung ist sie als eigenständiger Zweig
ausgewiesen und wird ähnlich zusammengesetzt (vgl. WKÖ 2017, S. 38 f.).
4.2 Konkretisierung des institutionellen Rahmens 181
heißt die Zuordnung einzelner Akteure bzw. der Tätigkeiten ist nicht immer und
vor allem nicht allgemeingültig durchzuführen.
Die verschiedenen Austauschprozesse der Musikwirtschaft über eine einzelne
(lineare) Wertschöpfungskette abzubilden, scheint demnach nicht möglich; zu
vielfältig und zu fragmentiert tritt die Branche auf. Insbesondere die mit der
Digitalisierung verbundenen Umbrüche der letzten Jahre sorgen für eine grund-
legende Umgestaltung des Wertschöpfungsnetzwerks (vgl. Tschmuck 2016,
S. 13). Zwar ist immer wieder – und ganz selbstverständlich – von „der“ Musik-
wirtschaft oder „dem“ Musikmarkt die Rede, die Vorstellung einer geschlos-
senen Branche mit in sich homogenen Betrieben (z. B. hinsichtlich Struktur,
Größe sowie Ausrichtung) ist jedoch abwegig. In einem ähnlichen Sinne weisen
auch Williamson und Cloonan (2007, S. 305) darauf hin: „[T]he notion of a
single music industry is an inappropriate model for understanding and analysing
the economics and politics surrounding music. Instead it is necessary to use the
term ‚music industries‘ (plural).“
Um in einem nächsten Schritt die Austauschprozesse der Kultur identifizieren zu
können, wird die Musikwirtschaft in weitere (Teil-)Branchen untergliedert. Die
vorgenommene Strukturierung versucht weniger die Musikwirtschaft hinsichtlich
ihrer wirtschaftlichen Verwertung isoliert darzustellen, sondern richtet sich,
indem sie die Teilbereiche anhand der jeweiligen EndverbraucherInnen bzw.
Kundschaft anordnet (vgl. Wagner; Baldauf 2007, S. 262), auch an kulturellen
Aspekten aus. Eine Gliederung der Branche in die Bereiche Musikinstrumente,
Musikausbildung, Musikveranstaltung, Musikaufnahme, musikbezogene sowie
nicht-musikbezogene Rechteverwertung erlaubt einen Überblick über das
Wirtschaften mit Musik. Die ergänzende Einteilung der Bereiche in (die Nach-
frage nach) Musikschaffen, Musikrezeption und Musikverwertung dient allein
der Repräsentation des Kulturbetriebs auf der Makroebene und somit dem Zweck
im darauffolgenden Schritt Austauschprozesse für die weitere Analyse aus-
wählen zu können.
Anzumerken ist bei dem Versuch das Beziehungsgeflecht in der Musikwirtschaft
abzubilden, dass die Strukturen der Musikwirtschaft historisch gewachsen sind.
Damit ist darauf verwiesen, dass der mögliche Eindruck, es handele sich dabei
um abgeschirmte und voneinander unabhängige Bereiche, in die Irre führt. Eine
182 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
Musikschaffen
Unter der Nachfrage nach Musikschaffen werden die Bereiche „Musik-
instrumente“ sowie „Musikausbildung“ zusammengefasst. Die Nachfrage be-
zieht sich im Wesentlichen darauf aktiv zu musizieren, wodurch dieser Bereich
der Musikwirtschaft den Brückenschlag bildet zwischen der Vielzahl der Laien-
musikerInnen und dem vielfältigen Spektrum des professionellen Musik-
schaffens. Entsprechend werden die Musikschaffenden als EndverbraucherInnen
87
Die Musikwirtschaft ist stark arbeitsteilig organisiert. Im Folgenden werden aus Gründen der
Übersichtlichkeit nicht alle Akteure aufgegriffen, die in der Praxis vorzufinden sind. Zuallererst
wird im Hinblick auf die Musikschaffenden keine weitere personenbezogene Differenzierung
vorgenommen. Im Rahmen der Ausführung wird davon ausgegangen, dass die UrheberInnen der
musikalischen Werke auch InterpretInnen derselbigen sind. Tonstudios, ProduzentInnen und
KünstlerInnenmanagement werden nicht gesondert aufgegriffen. Des Weiteren werden die Ver-
wertungsgesellschaften weitestgehend außen vor gelassen. Diese sind zwar zentrale Akteure der
Musikwirtschaft, werden aber den rechtlichen Umweltbedingungen zugeordnet und in der
Folge erst an geeigneter Stelle im weiteren Verlauf der Arbeit thematisiert. Zum Bereich
der Musikaufnahme werden Presswerk, Hersteller und Handel von Unterhaltungselektronik
(Empfangs- bzw. Abspielgerätschaften von Musik, also Radio, Smartphone, Computer, CD-
Player etc.) sowie Internetprovider nicht hinzugezählt. Ebenso bleiben im Bereich Musik-
veranstaltung einige Aspekte (z. B. Security, Ton- und Lichttechnik) unberücksichtigt.
4.2 Konkretisierung des institutionellen Rahmens 183
verstanden. Hiermit wird also ein Bereich der Musikwirtschaft abgegrenzt, bei
dem es noch nicht um die (professionelle) Produktion, Distribution und
Rezeption von Musik geht, sondern um eine diesen Stufen der Vermarktung von
Musik vorgelagerte Nachfrage.
Musikinstrumente
In diesem Bereich werden die Musikinstrumentenbauer88 bzw. Musikfach-
händler89 erfasst. Die zentrale Bedeutung dieses Bereichs leuchtet ein, wenn
neben dem klassischen Instrumentenbau (vgl. Böcher 2008) insbesondere die
technologischen Entwicklungen der Aufnahme und Produktion von Musik sowie
deren Auswirkungen auf das musikalische Schaffen Berücksichtigung finden. So
verschieben sich mit der computergestützten Produktion, vielseitig einsetzbarer
Software und den damit verbundenen relativ geringen Kosten die Voraus-
setzungen und Ansprüche an die notwendige Ausstattung für hochwertige
Musikproduktionen. Dies hat Konsequenzen für den Musikfachhandel, Voll-
sortimenter ebenso wie Spezialgeschäfte (z. B. für Musikalien, Tasten-
instrumente, Musikelektronik), die mit der Zeit ihr Sortiment entsprechend an-
passen (vgl. Böcher 2012).
Musikausbildung
Neben der Verfügbarkeit des Instrumentariums ist für das Musizieren ebenfalls
eine musikalische Ausbildung notwendig. Musikschaffen ist schließlich stets
88
Als Dachorganisation agieren beispielsweise der Bundesverband der deutschen Musik-
instrumentenhersteller (BDMH) sowie weitere, spezialisierte Verbände, wie etwa der Bundes-
verband Klavier (BVK) oder der Klaviermacherverband Österreich (KVO). Auch die Society
of Music Merchants (SOMM) vertritt die Interessen der Musikinstrumenten- und Musik-
equipmentbranche.
89
Zusammengeschlossen ist der Musikfachhandel in Deutschland im Gesamtverband Deutscher
Musikfachgeschäfte (GDM).
184 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
Musikrezeption
In diesem Abschnitt steht die Rezeption von Musik im Vordergrund, die Werke
der Musikschaffenden91 (KomponistInnen, TextdichterInnen und Musik-
bearbeiterInnen) sind hier der Bezugspunkt für das Interesse der RezipientInnen
(als EndverbraucherInnen). Getrennt werden in der folgenden Darstellung die
Bereiche „Musikveranstaltung“ sowie „Musikaufnahme“, die als übergeordnete
Distributions- respektive Rezeptionsformen verstanden werden. Eine derartige
Differenzierung ist vor allem aufgrund der unterschiedlichen Situationen der
Rezeption angebracht (vgl. Dollase 2006, S. 118): So kann beispielsweise
unterschieden werden zwischen dem realen Publikum (Beiwohnende einer Dar-
90
In Österreich werden die Musikschulen durch die Konferenz der Österreichischen Musik-
schulwerke (KOMU) vertreten. In Deutschland sind öffentliche Musikschulen im Verband
deutscher Musikschulen (VDM) sowie weitere private Anbieter im Bundesverband Deutscher
Privatmusikschulen (BDPM) organisiert. Auf internationaler Ebene ist vor allem auf die
European Music School Union (EMU) zu verweisen.
91
Ein Teil der professionellen Musikschaffenden ist in Verbänden organisiert, KomponistInnen
etwa im Österreichischen Komponistenbund (ÖKB) bzw. Deutschen Komponistenverband
(DKV) ebenso wie LibrettistInnen im Deutschen Textdichter-Verband (DTV) bzw. im Verband
Österreichischer Textautoren (VOET).
4.2 Konkretisierung des institutionellen Rahmens 185
Musikveranstaltung
Die konzertante Darbietung ist die ursprüngliche Art des musikalischen Erle-
bens. Sie stellt eine Erfahrung dar, die in einer Gruppe geteilt wird, und bietet
heutzutage ein breites Spektrum von Darbietungsweisen (Festival, Tournee,
Open Air, Clubkonzert etc.) von Musik aller Couleur. Gemein ist allen Konzert-
veranstaltungen, dass Musik durch die Entscheidung die Veranstaltung zu
besuchen und das Zusammentreffen der RezipientInnen vor Ort eine soziale
Dimension entfaltet. Neben den Musikschaffenden auf der Bühne und den
RezipientInnen als Publikum ist der Bereich durch weitere Akteure geprägt (vgl.
Limper; Lücke 2013, S. 92 ff.). Auf vertraglicher Grundlage über die Aus-
richtung eines Konzerts oder einer Tournee übernimmt der Veranstalter92, zum
Teil in Kooperation mit einem Arrangeur vor Ort, die Organisation des Konzerts
und ist damit, das wirtschaftliche Risiko tragend, für die gesamte Vermarktung
und Abwicklung der Veranstaltung verantwortlich. Dabei gilt es in der Funktion
des Konzertimpresarios vielfältige Anforderungen zu erfüllen, angefangen von
den Forderungen der Musikschaffenden (Technical Rider etc.) bis hin zu den
92
In Deutschland übernimmt die Interessenvertretung der Agenturen, Tournee- und Konzert-
veranstalter der Bundesverband der Veranstaltungswirtschaft (BDV). Des Weiteren befasst sich
auch der Verband der Deutschen Konzertdirektionen (VDKD) mit den Interessen der Veranstalter
und Arrangeure. Ähnliche Aufgaben nimmt in Österreich der Veranstalterverband Österreich
(VVAT) wahr.
186 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
Musikaufnahme
Die Möglichkeit Musik zu konservieren, gestattet es Musik unabhängig
von Raum und Zeit des Musikschaffens zu konsumieren. Das Abspielen
konservierter Musik ist nach wie vor für viele Menschen die wichtigste, weil
gebräuchlichste Form der Musikrezeption. Die Entwicklungen und Umbrüche
der letzten Jahre erlauben den Musikschaffenden inzwischen ihre Werke in
Eigenregie, will heißen ohne vertragliche Bindung an ein Unternehmen der
phonographischen Industrie94, zu veröffentlichen und wirtschaftlich weitest-
gehend autark zu bestehen (vgl. Tschmuck 2016). Nach wie vor besitzen
insbesondere aber die phonographischen Unternehmen die Ressourcen für den
Aufbau der Musikschaffenden und die Vermarktung ihrer Aufnahmen. Sie sind
die zentrale Anlaufstelle nicht nur für die Herstellung, Vervielfältigung und
93
Die kleinen und mittleren Musikspielstätten sind in Deutschland in der Livemusikkommission
(LiveKomm) organisiert. Von Bedeutung ist darüber hinaus der Europäische Verband der
Veranstaltungs-Centren (EVVC).
94
Die österreichische Sektion des Weltverbands International Federation of the Phonographic
Industry (IFPI) tritt als Verband der Österreichischen Musikwirtschaft (IFPI Austria) auf.
In Deutschland firmiert die Interessengemeinschaft als Bundesverband Musikindustrie (BVMI).
Daneben sind weitere Unternehmen in Österreich im Verband unabhängiger Tonträger-
unternehmen, Musikverlage und MusikproduzentInnen Österreich (VTMÖ), in Deutschland im
Verband unabhängiger Musikunternehmen (VUT) zusammengeschlossen und werden auf
internationaler Ebene durch die Independent Music Companies Association (IMPALA) vertreten.
4.2 Konkretisierung des institutionellen Rahmens 187
Distribution von physischen Tonträgern, sondern ebenso für den Vertrieb der
musikalischen Werke über digitale Kanäle. Auf der Handelsebene ist derweil die
Verlagerung vom stationären Handel hin zum Onlinegeschäft evident. In der
jüngeren Vergangenheit ist auf der einen Seite das Ausscheiden etablierter
Betriebe, auf der anderen Seite der Einstieg neuer Akteure zu beobachten. Als
Großhändler können sowohl Systemdienstleister und Rackjobber fungieren als
auch neue digitale Vertriebsdienstleister eingesetzt werden.
Musikverwertung
In dem Bereich „Musikverwertung“ steht weniger die Rezeption von Musik im
Vordergrund als vielmehr die Verwertung von Musik für das Geschäft Dritter.
Dies zeigt sich etwa darin, dass die RezipientInnen die Musik nicht frei aus-
wählen können, sondern der jeweilige Verwerter über den Einsatz der Musik
entscheidet. Gleichzeitig dient die Verwertung von Musik der Generierung von
Einnahmen und der Bekanntmachung der Musikaufnahmen und der Musik-
schaffenden. Das Verhältnis wird deshalb häufig auch als Symbiose umschrieben
(vgl. Thurow; Zombik 1997, S. 203; Limper; Lücke 2013, S. 41). Da heutzutage
die Musikschaffenden (bzw. InterpretInnen) als Marke positioniert werden,
können auch andere, nicht unmittelbar auf dem musikalischen Schaffen
basierenden Rechte verwertet werden. Demzufolge wird der Bereich der Ver-
wertung im Folgenden unterteilt in die musikbezogene und nicht-musikbezogene
Rechteverwertung.
Musikbezogene Rechteverwertung
Bei der (öffentlichen) Wiedergabe von Musik ist mit Hinblick auf die
Verwertung in erster Linie an den Rundfunk zu denken. Vor allem im Hörfunk,
unterschieden gemäß dem dualen Rundfunksystem in öffentlich-rechtlichen und
privaten Hörfunk (sowie hierzu ergänzend Webradios), stellt Musik neben Nach-
richten und Serviceinformationen einen festen und vielfach überwiegenden
Bestandteil des Programms dar (vgl. Vogel; Gleich 2008, S. 73; Limper; Lücke
188 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
2013, S. 107 ff.). Ebenso ist Musik im Fernsehen mal mehr, mal weniger präsent
in das Programm eingebunden (vgl. Limper; Lücke 2013, S. 111 ff.; Vogel;
Gleich 2008, S. 70 ff.). Allen voran ist hierbei an das Musikfernsehen zu
denken – gleichwohl die Ausstrahlung von Musiksendungen und Musikvideos
inzwischen vermehrt im Internet stattfindet. Auch in Filmen, Computer- und
Videospielen nimmt Musik eine tragende Rolle ein, wenn sie in einer
begleitenden Funktion dem Visuellen Bedeutung(en) verleiht. Musik dient als
Inputfaktor in der eigenen Produktion bzw. Programmzusammenstellung und
wird somit für die Zwecke der verschiedenen Verwerter eingesetzt. Darüber
hinaus kann die Wiedergabe von Musik in Diskotheken, Tanzschulen etc.,
genauso aber der Einsatz von Musik in der Werbung oder die Beschallung von
Präsentations- und Verkaufsflächen zum Bereich der Musikverwertung gezählt
werden. Als wichtige Vermittlungsstelle zwischen den Musikschaffenden und
den unterschiedlichen Verwertern treten Musikverlage 95 auf. Kennzeichnend für
ihre Arbeit ist es „die Werkauswertung zu fördern oder anzubahnen, sei es durch
den Vertrieb und Druck von Noten und/oder durch den Einsatz für die Neben-
rechtsverwertung“ (Baierle 2009, S. 46). Lange Zeit steht neben der öffentlichen
Aufführung die Produktion und Verbreitung von Musik in gedruckter Form im
Vordergrund und wird hinsichtlich der wirtschaftlichen Bedeutung erst durch das
Aufkommen der mechanischen Vervielfältigung und Verbreitung von Musik
über Tonträger verdrängt (vgl. Sikorski 2003, S. 285). Mit immer neuen
Möglichkeiten der Musikverwertung konfrontiert, etwa der Etablierung des
Hörfunks und nicht zuletzt den vielfältigen Angeboten im Internet, ergeben sich
neue wirtschaftlich bedeutsame Aspekte. Unterschieden werden oftmals
E-Musikverlage, deren Arbeit neben der Rechteverwertung schwerpunktmäßig
nach wie vor das tradierte Papiergeschäft darstellt, und U-Musikverlage, die sich
im Wesentlichen auf die Verwertung der eingeräumten Nutzungsrechte
konzentrieren (vgl. Limper; Lücke 2013, S. 74 f.).
95
Das Verlagswesen ist in Österreich in der Musikverleger Union Österreich (MUÖ), in
Deutschland größtenteils im Deutschen Musikverleger-Verband (DMV) organisiert sowie auf
internationaler Ebene durch die International Confederation of Music Publishers (ICMP) ver-
treten.
4.2 Konkretisierung des institutionellen Rahmens 189
Nicht-musikbezogene Rechteverwertung
Auf Seiten der Musikschaffenden bestehen weitere Rechte, die ebenso aus-
gewertet werden können, gleichwohl sie nicht unmittelbar auf dem eigentlichen
künstlerisch-kreativen Schaffen fußen. Zunächst ist hiermit das Merchandising
angesprochen, worunter eine auf dem gesetzlich verankerten Markenschutz
basierende Lizenzierung der Markenrechte zu verstehen ist (vgl. ebenda,
S. 98 ff.). So können Musikschaffende als RechteinhaberInnen, mit oder ohne
Einschaltung einer vermittelnden Agentur, dem jeweiligen Verwerter bzw. Her-
steller gegen eine entsprechende Vergütung eine Lizenz erteilen. Vertrieben
werden die Artikel auf vielfältigen Wegen, die vom direkten Verkauf (z. B. über
die eigene Homepage oder bei Konzertveranstaltungen) bis hin zu den
verschiedenen Einzelhändlern (z. B. Online-Handel, stationärer Musik- und
Textilfachhandel) reichen. Neben bedruckten Textilien und Postern jeglicher Art
sind eine Reihe weiterer Produkte im Repertoire etabliert. Gleichzeitig gilt
jedoch eigentlich keine Beschränkung auf bestimmte Produktarten, schließlich
kann nahezu jedes Produkt mit Logo, Schriftzug, Konterfei oder Liedtext geprägt
werden.
Hieran anknüpfend kann die Bekanntheit geltend gemacht werden, indem
Musikschaffende als Testimonials in der Werbung auftreten. So wird inzwischen
von vielen Unternehmen in unterschiedlichen Wirtschaftszweigen, angesichts der
Einsicht in eine (vermeintlich) zunehmend schwieriger werdende Differen-
zierung von Wettbewerbern, versucht das Auftreten und Image von Musik-
schaffenden für ihre werblichen Zwecke einzusetzen. Dabei spielt es eigentlich
keine Rolle, ob die MusikerInnen dieses Geschäft selbst betreiben oder lediglich
als Testimonials in der Vermarktung eines Produkts oder einer Dienstleistung
agieren, die von einer dritten Partei angeboten wird. Sobald Musikschaffende
ihre Bekanntheit für andere Geschäfte einsetzen, also medial für die Ver-
marktung nutzen, sind diese Aktivitäten dem Bereich der nicht-musikbezogenen
Rechteverwertung zuzuordnen.
190 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
96
Der Bereich der Musikveranstaltung erhält, nach zuvor langer Zeit – zumindest in der
öffentlichen Wahrnehmung – nur ein Schattendasein führend, in einer übergeordneten, gesamt-
musikwirtschaftlichen Perspektive einen neuen Stellenwert. So verschiebt sich der Schwerpunkt
inzwischen zugunsten der Musikveranstaltungen (vgl. Montoro-Pons; Cuadrado-García 2011).
Für den deutschen Markt ist diese Entwicklung durch entsprechende Daten belegbar. Während
der mit Livemusik generierte Umsatz Mitte der 1990er Jahre noch 48 Prozent des gesamten
Bereichs der Musikrezeption ausmacht, stellt er im Jahr 2013 67 Prozent des Gesamtumsatzes;
Grund hierfür ist weniger die (unbeständige) Entwicklung der Musikveranstaltungen (bis 2007
steigt der Umsatz an, sinkt aber auch in den folgenden Jahren wieder), sondern vor allem der
Umsatzeinbruch im Bereich der Musikaufnahme (BDV; MM 2014, S. 6). Es bleibt die Antwort
auf die Frage aus, wer denn von der Verschiebung und den steigenden Umsätzen im Bereich der
Livemusik profitiert. Bezogen auf die Musikschaffenden sind es mutmaßlich diejenigen, die
bereits mit Musikaufnahmen wirtschaftlichen Erfolg verbuchen und entsprechend hohe Ticket-
preise am Markt durchsetzen können (vgl. Decrop; Derbaix 2014; Black; Fox; Kochanowski
2007).
4.2 Konkretisierung des institutionellen Rahmens 191
(bis Mitte der 1950er Jahre), die wiederum durch die „Rock ’n’ Roll-Revolution“
abgelöst wird und die Ära der Tonträgerkonzerne (bis Ende der 1990er Jahre)
einleitet. Letztere befindet sich seit Beginn der digitalen Revolution in einer
Phase des strukturellen Umbruchs. Tschmuck (2012, S. 230) versteht diese
Umbrüche als Paradigmenwechsel im Produktions-, Distributions- und
Rezeptionssystem, nicht aber auf technologische Neuerungen beschränkt,
sondern als einen weitreichenden kulturellen Wandel, das heißt die dem Ver-
wertungssystem einer Branche zugrunde liegenden Werte, Normen und
Handlungsheuristiken werden zunächst durch neu auftretende Akteure infrage
gestellt, um sich im Anschluss, dem Widerstand des alten Regimes zum Trotz,
mit ihren neuartigen und systemfremden Denk- und Handlungsroutinen durch-
zusetzen.
Einher gehen diese Umbrüche in der Verwertung von Musikaufnahmen
mit einem von Blaukopf (1989) und Smudits (2002) als Mediamorphose97
bezeichneten Phänomen. Zu verstehen ist darunter eine (in gesamtgesell-
schaftliche Prozesse eingebundene) Transformation kultureller Kommunikation,
die auf technischen Innovationen im Bereich der Medien beruht (ebenda, S. 44).
In der Retrospektive können für die Verwertung von Musikaufnahmen die
technischen Mediamorphosen konstatiert werden sowie gegenwärtig die sich
abzeichnende digitale Mediamorphose. Dabei ist vor allem die Bedeutung der
radikalen Innovationen hervorzuheben: Anders als inkrementelle Innovationen
entlang der kreativen Pfade (z. B. die Einführung der Musikkassette), also Ent-
wicklungen, die sich innerhalb eines geltenden kulturellen Paradigmas abspielen,
97
Blaukopf (1989, S. 5) verwendet den Begriff „Mediamorphose“ zunächst im Zusammenhang
der musikalischen Kommunikation und deren durch Technik ausgelöste oder ermöglichte
Metamorphose. Wenngleich das Konzept inzwischen auf andere Gebiete übertragen wird, hat es
seinen Ursprung im Bereich der Musik. Als wesentliche Transformationen der gesellschaftlichen
und kulturellen Kommunikation nennt Smudits (2002, S. 44 f.) die mit der Erfindung der Schrift-
zeichen einhergehende „schriftliche Mediamorphose“ (auch als erste grafische Mediamorphose
bezeichnet), die auf den Buchdruck zurückzuführende (zweite grafische) „reprografische
Mediamorphose“, die mit der Entwicklung und Verbreitung der Fotografie, des Grammophons
und des Films einsetzende „chemisch-mechanische Mediamorphose“, die „elektronische Media-
morphose“, die verschiedene Verfahren der Aufzeichnung bzw. Übertragung von Ton und Bild
ermöglicht, und schließlich die mit den (voranschreitenden) Entwicklungen der modernen
Informations- und Kommunikationstechnologie verbundene „digitale Mediamorphose“.
192 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
98
Smudits (2002, S. 211 ff.) beschreibt dabei zwei Ausformungen, zum einen die hier primär
angesprochene „Ökonomisierung der Ästhetik“ und zum anderen die „Ästhetisierung der
Ökonomie“, womit ein umfassender Wandel, weit über den eigentlichen Bereich des Kultur-
schaffens hinausreichend, gemeint ist, der auf die Legitimation des industriell-kapitalistischen
Wirtschaftssystems abzielt.
4.2 Konkretisierung des institutionellen Rahmens 193
99
Charakteristisch für die Produktion von Musik ist ein relativ hoher Anteil an Fixkosten, die sich
als First-Copy-Costs aus der Erstellung der Originalaufnahme ergeben. Bei gleichzeitig relativ
geringen variablen Kosten für die Erstellung einer Kopie können Skaleneffekte umgesetzt
werden, das heißt mit Erhöhung der Stückzahlen sinken die Durchschnittskosten. Da First-Copy-
Costs in der Regel irreversibel sind, werden diese als strukturelle Markteintrittsbarriere aufgefasst
(Wirtz 2013, S. 51). Nach wie vor ist von diesen Besonderheiten in der Kostenstruktur aus-
zugehen, durch Miniaturisierung und Verbilligung sind die Kosten allerdings (in vielen Fällen)
absolut gesehen gesunken, sodass deren Bedeutung entsprechend zu bewerten ist.
194 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
100
Die Kosten der Erstellung einer (digitalen) Kopie sind inzwischen spürbar gesunken. Nicht mehr
nur Anbieter, auch Nachfrager sind hierzu in der Lage. Mit dieser (teilweisen) Rückentwicklung
von Musik zu einem öffentlichen Gut sind die verschiedenen illegalen Bezugsquellen von Musik
angesprochen. Die Problematik der „Musikpiraterie“ (z. B. illegale Downloads über Peer-to-Peer-
Netzwerke), die den Diskurs zur Entwicklung der Musikwirtschaft in den letzten Jahren be-
stimmt, bleibt hier allerdings weitestgehend unberücksichtigt.
4.2 Konkretisierung des institutionellen Rahmens 195
101
In der Ausführung zur sektoralen Annäherung wird bereits darauf hingewiesen, dass bei Kultur-
gütern den RezipientInnen stets eine aktive Rolle zukommt. In einem ähnlichen Sinne ist mit dem
Begriff „Prosumer“ (bzw. „ProsumentIn“), der auf Toffler (1980) zurückgeht, eine Person
gemeint, die zugleich ProduzentIn und KonsumentIn ist. Tschmuck (2016, S. 26 f.) verweist in
diesem Zusammenhang auf die Entwicklung des „Crowdsourcing“ (als Outsourcing von Auf-
gaben an die NutzerInnenschaft) und sieht in einer stärkeren Partizipation der Fans in der
Produktion und Distribution einen Wandel von einer über Jahrzehnte praktizierten „Push-“ hin zu
einer „Pull-Musikkultur“.
102
Während bei einem Download eine Musikdatei von einem Server über das Internet auf ein End-
gerät übertragen wird, basiert das Streaming auf einer konstanten, internetbasierten Daten-
übertragung auf ein entsprechend taugliches Endgerät, wobei die abgerufenen Daten nicht
dauerhaft gespeichert werden.
196 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
Wie schon ausgeführt, ist es für Musikschaffende derzeit allerdings nicht mehr
ausgeschlossen, ohne die Bindung an ein Unternehmen der phonographischen
Industrie künstlerisch und wirtschaftlich überstehen zu können. In puncto
Marktmacht findet damit eine Verschiebung zugunsten der Musikschaffenden
statt. Sie haben folglich nicht die phonographischen Unternehmen als Adressaten
ihrer Leistung, sondern richten sich vermehrt an die RezipientInnen. Hinsicht-
lich des Entscheidungskalküls („Make or Buy“) besteht die Annahme, Musik-
schaffende bänden sich nur dann an ein Unternehmen, wenn sie sich hiervon
einen Mehrwert, also einen relativen Vorteil versprechen können. Vom phono-
graphischen Unternehmen wird eine zusätzliche Leistung erwartet bzw. die
Aussicht, die Vermarktung werde besser (anders ausgedrückt: effektiver und
effizienter) ausgeführt als dies der Fall ist, wenn Musikschaffende diese selbst
erbringen (vgl. Bockstedt; Kauffman; Riggins 2006, S. 27 f.).
Für die phonographischen Unternehmen ist die Leistung folglich auf die Musik-
schaffenden auszurichten, was für die Analyse der Austauschprozesse nach
sich zieht, dass die Transaktionsrichtung neu zu bewerten ist. Die Rollen von
Auftragnehmenden und Auftraggebenden werden gewechselt. Ausdrücklich
zu erwähnen ist, dass diese Rollenverteilung nur situationsbezogen bestimmt
werden kann. Diese modellhafte Annahme muss nicht der allgemeinen Denk-
und Handlungsweise der Praxis entsprechen, sondern dient als Ausgangspunkt
der Fallstudie. Den Musikschaffenden mit ihren Werken wird nicht mehr auf
dem Beschaffungsmarkt begegnet, sondern auf dem Absatzmarkt.103 Die Unter-
nehmen der phonographischen Industrie sind folglich bemüht die Vermittlungs-
103
Der Austauschprozess zwischen Musikschaffenden und phonographischen Unternehmen wird in
den Analysen zumeist vernachlässigt, gleichwohl weder die Leistungen noch die Interessen und
Zielsetzungen deckungsgleich sind. Ein Grund hierfür mag die zuletzt häufig eingenommene
Perspektive sein, die mit der Untersuchung von Wertschöpfungsketten vermehrt auf gesamt-
wirtschaftliche Zusammenhänge hinweist, um „Lösungen“ für die „Krise“ zu erarbeiten. Dabei
dient der Austausch zwischen Musikschaffenden und phonographischen Unternehmen aus-
schließlich der Beschaffung. Die Auffassung, die Musikschaffenden stellten die KundInnen der
Unternehmen der phonographischen Industrie dar, ergibt sich aber nicht nur durch die Umbrüche
der letzten Jahre. Bei arrivierten MusikerInnen ist die Rollenverteilung ohnehin klar; jene
MusikerInnen sind aufgrund ihrer Stellung und ihres Versprechens Einnahmen zu generieren, als
KundInnen anzusehen.
4.2 Konkretisierung des institutionellen Rahmens 199
104
Die Bezeichnung „Production-of-Culture“ bezieht sich ursprünglich auf einen Text von Peterson
(1976, S. 8 ff.), in dem er Kritik an den bestehenden Sichtweisen auf den Zusammenhang von
Gesellschaft und Kultur (zusammengefasst als „autonomous culture cycle“, „social structure
creates culture“ und „culture creates social structure“) anführt und für eine neue Perspektive
plädiert. Zembylas (2006, S. 25) betont in der Entstehung des Production-of-Culture-Ansatzes vor
allem den Einfluss des amerikanischen Pragmatismus (vgl. beispielsweise Dewey 1988).
4.2 Konkretisierung des institutionellen Rahmens 201
characteristic works which that world, and perhaps others as well, define as art.“
Dabei geht es um die Interaktion der beteiligten Akteure – Kunst (als kulturelles
Phänomen) ist demnach das Ergebnis kollektiver Handlungen – für deren
Gelingen vor allem Kooperation und Konvention betont wird (vgl. ebenda,
S. 34 ff.).105 Der in der Kunstwissenschaft vorherrschenden Auffassung der
individuellen SchöpferInnen oder gar der Vorstellung vom künstlerischen Genie
steht der Ansatz folglich ablehnend gegenüber. Die charakteristische Zugangs-
weise rückt nicht (nur) die einzelne, konkrete Produktion bzw. den konkreten
künstlerisch-kreativen Schaffensakt eines Werks in den Vordergrund. Das
Augenmerk richtet sich auf die kulturelle Praxis, will heißen: auf all jene Hand-
lungen, die mit der Produktion in Zusammenhang stehen, und damit auf die
jeweiligen Organisationen und Institutionen des Kultursektors. Zusammenfassen
lässt sich der Fokus des Ansatzes auf die Frage, „how the symbolic elements of
culture are shaped by the systems within which they are created, distributed,
evaluated, taught, and preserved“ (Peterson; Anand 2004, S. 311).
An dieser Stelle ist im Besonderen auf die Arbeit von Peterson (1982) bzw.
Peterson und Anand (2004) einzugehen, die mit den im „Six-Facet Model of the
Production Nexus“ herausgearbeiteten Faktoren (1) Gesetze und Regelungen,
(2) Technologie, (3) Industriestruktur, (4) Organisationsstruktur, (5) berufliche
Laufbahnen und (6) Markt einen zusammenhängenden Rahmen zur Analyse der
105
Diese Auffassung verbindet den Production-of-Culture-Ansatz mit anderen kunstsoziologischen
Zugängen. In diesem Zusammenhang weist Smudits (2006, S. 71 ff.) etwa auf die Verbindung des
Production-of-Culture-Ansatzes zur österreichischen Tradition der Kulturforschung hin. Ebenso
zeigen sich Bezugspunkte zu Bourdieu (2001, S. 362), der zum Ausdruck bringt, dass der
„Produzent des Werts des Kunstwerks […] nicht der Künstler [ist], sondern das Produktionsfeld
als Glaubensuniversum, das mit dem Glauben an die schöpferische Macht des Künstlers den Wert
des Kunstwerks als Fetisch schafft. Da das Kunstwerk als werthaltiges symbolisches Objekt
nur existiert, wenn es gekannt und anerkannt, das heißt von Betrachtern, die mit der dazu
erforderlichen ästhetischen Einstellung und Kompetenz ausgestattet sind, gesellschaftlich als
Kunstwerk instituiert ist, hat die Wissenschaft von den kulturellen Werken nicht nur deren
Produktion zum Gegenstand, sondern auch die Produktion des Werts der Werke oder, was auf
dasselbe hinausläuft, die des Glaubens an den Wert der Werke. Sie hat also nicht allein mit
den direkten Produzenten des Werkes in seiner materiellen Gestalt zu schaffen (Künstler,
Schriftsteller usw.), sondern mit der Gesamtheit der Akteure und Institutionen, die über die
Produktion des Glaubens an den Wert der Kunst im allgemeinen und an den Wert dieses oder
jenes Werkes im besonderen an der Produktion des Werts des Kunstwerks mitwirken.“
202 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
terne, vom einzelnen Anbieter folglich nicht (oder nur indirekt und mit großem
Aufwand) zu beeinflussende Bedingungen. Sie werden im Folgenden als
Umweltbedingungen des Markts aufgefasst, stellen demnach den institutionellen
Rahmen dar, der Austauschprozesse ermöglicht bzw. verhindert. Im Hinblick auf
die beiden ausgewählten Austauschprozesse werden sie allerdings einzeln
erarbeitet. Die Faktoren „Organisationsstruktur“ und „Berufliche Laufbahnen“
erweisen sich jedoch dahingehend als interne Ressourcen, dass sie als erfolgs-
kritische Fähigkeiten in den marketingspezifischen Aufgabenbereich eingeordnet
werden können (z. B. Fähigkeiten zur Organisation von Marketing und Vertrieb,
Marketingfähigkeiten von MusikerInnen bzw. ManagerInnen der phono-
graphischen Unternehmen). Demnach werden diese Faktoren unter dem Aspekt
der Ressourcenausstattung zusammengefasst, um die Ausführungen zum Markt
durch die notwendigen internen Voraussetzungen zu erweitern. Anlehnung findet
diese Unterscheidung an die sich ergänzenden (aus der industrieökonomischen
Forschung stammenden, inzwischen vor allem auch im strategischen Marketing
aufgegriffenen) Perspektiven Market-based View und Resource-based View, die
den Unternehmenserfolg einerseits durch die Strukturmerkmale sowie Ver-
haltensweisen der Unternehmen einer Branche, andererseits durch die jeweilige
interne Ressourcenausstattung zu erklären versuchen. Aus dieser Aufteilung der
Faktoren ergibt sich das in Abbildung 4 dargestellte Schaubild.
204 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
Regelungen
Gesetze und Industrie-
Markt Technologie
Informa-
Markt
Nach-
frager tionen Anbieter
Berufliche Industrie-
Laufbahnen struktur
Ressourcen-
ausstattung
Organisati- Berufliche
Organisati- onsstruktur Laufbahnen
onsstruktur Inside-out Perspektive
106
Nach jahrelangem Aufwärtstrend, der wesentlich auf die Einführung neuer Trägermedien zurück-
zuführen ist, kommt es in den Folgejahren, ohne an dieser Stelle zwingend einen Kausal-
zusammenhang zu unterstellen, zeitgleich mit dem Aufkommen von Musiktauschbörsen und CD-
Brennern zu einer über mehrere Jahre andauernden Rezession. Mittlerweile werden der (nur noch
moderate) Rückgang im Bereich der physischen Tonträger sowie zweistellige Zuwächse bei den
Streaming-Services als Anzeichen der Konsolidierung gedeutet. Während in Österreich insgesamt
nach wie vor ein Rückgang verzeichnet wird, wächst der deutsche Markt leicht (vgl. IFPI Austria
2017, S. 9; BVMI 2017, S. 9). Hinter den jeweiligen Anteilen am weltweiten Gesamtumsatz steht
eine unterschiedliche Verteilung von physischen und digitalen Musikverkäufen (sowie Ein-
nahmen aus Leistungsschutzrechten und Synchronisation). Japan zeichnet sich etwa durch einen
weiterhin hohen Umsatzanteil durch den Verkauf von physischen Tonträgern aus, wohingegen in
anderen Ländern wie beispielsweise Schweden, Dänemark oder den USA ein höherer Anteil
durch das digitale Geschäft (und zugleich ein stärkerer Rücklauf in dem Bereich der physischen
Tonträger) verbucht wird; ähnliches lässt sich in Bezug auf die Verteilung der durch Downloads
und Streaming erzielten Umsätze konstatieren (vgl. BVMI 2017, S. 7; IFPI Austria 2017, S. 20).
206 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
Verbände und Unternehmen sind insbesondere die Aktualität und die zeitliche
Vergleichbarkeit hervorzuheben. Als Schwäche bleibt eine mögliche einseitige
Auswahl und Interpretation anzumerken. So sind vornehmlich die von den
Unternehmen und Branchenverbänden (z. B. Bundesverband Musikindustrie,
International Federation of the Phonographic Industry) bereitgestellten Infor-
mationen entsprechend einzuordnen. Die Berichte werden von den Unternehmen
bzw. Branchenverbänden selbst herausgegeben (bzw. die Studien werden von
diesen in Auftrag gegeben) und beinhalten in der Regel eine entsprechende
Interpretation der erhobenen Daten. Dass diese grundsätzlich den Interessen der
Verbände und Unternehmen nicht entgegenstehen werden, vielmehr euphe-
mistisch ausfallen, wird angesichts des Zwecks der Veröffentlichung, der
Interessenvertretung und der Beeinflussung der Zielgruppen (Politik, Share-
holder etc.), offensichtlich.107 Wie Harker (1997) schon vor 20 Jahren unter dem
Titel „The wonderful world of IFPI“ aufarbeitet, sind die Aussagen der
Branchenverbände mit Vorsicht zu genießen. Auf das Aufgreifen der wertenden
Kommentierungen durch die Branchenverbände und Unternehmen wird
demnach weitestgehend verzichtet.
Art des
Quelle Titel Austausch Faktor
Dokuments
Branchenbericht/
ARD 2017 Hörfunkstatistik 2016 R-M Technologie
Studie
ARD; ZDF
ARD/ZDF-Onlinestudie 2016 Studie R-M Technologie
2016
Updated: Sony-Led Group
Billboard
Closes Purchase of EMI Music Pressebericht M-PU Industriestruktur
2012a
Publishing
107
Eine kritische Auseinandersetzung mit der wissenschaftlichen Forschung, ihrem Verhältnis zur
Musikwirtschaft und den Problemen des Wissenstransfers liefern Williamson, Cloonan und Frith
(2011).
4.2 Konkretisierung des institutionellen Rahmens 207
Unternehmens-
KS 2016 Statistiken R-M Technologie
veröffentlichung
Unternehmens-
KSK 2017 KSK in Zahlen R-M Industriestruktur
veröffentlichung
Pressebericht/ R-M;
MW 2017 Jahresauswertung 2016 Industriestruktur
Branchenbericht M-PU
Gesetze und
VUT 2016a Künstlerexklusivvertrag Vertragsmuster M-PU
Regelungen
Gesetze und
VUT 2016b Bandübernahmevertrag Vertragsmuster M-PU
Regelungen
Worldwide Independent Branchenbericht/
WIN 2016 M-PU Industriestruktur
Market Report Studie
108
Die im Text aufgegriffenen Paragraphen des Verwertungsgesellschaftengesetzes und des
Urheberrechtsgesetzes sind im Wortlaut der Arbeit angehangen. Darüber hinaus sind dem Anhang
weitere Abbildungen und Tabellen zu entnehmen, die der Erläuterung der Umweltbedingungen
dienen.
109
In Österreich gilt das Bundesgesetz über das Urheberrecht an Werken der Literatur und der Kunst
und über verwandte Schutzrechte. Auf internationaler Ebene bestehen verschiedene Abkommen
(z. B. Revidierte Berner Übereinkunft, WIPO-Urheberrechtsvertrag, Welturheberrechtsab-
kommen) zur Regelung von Urheberrechtsfragen. Insbesondere auf europäischer Ebene wird
derzeit über das Urheberrecht diskutiert. So stellt die EU-Kommission im September 2016 einen
Entwurf zur Modernisierung und Harmonisierung des europäischen Urheberrechts im Rahmen
der Strategie für den digitalen Binnenmarkt vor (vgl. EK 2016).
110
Bei den UrheberInnen handelt es sich um natürliche Personen. Die UrheberInnenschaft ist, anders
als etwa im US-amerikanischen Rechtssystem, nicht übertragbar. Im deutschen Urheberrecht gilt
ausnahmslos das SchöpferInnenprinzip. Darüber hinaus sind nach § 8 Abs. 1 UrhG, sofern
mehrere AutorInnen ein musikalisches Werk gemeinsam schaffen, diese als MiturheberInnen des
Werks anzusehen.
210 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
als SchöpferInnen der Werke (§ 7 UrhG) wird Schutz in ihren geistigen und
persönlichen Beziehungen zu den Werken sowie in der Nutzung der Werke zu-
gesprochen, wobei zugleich die Sicherstellung einer angemessenen Vergütung
für die Nutzung der Werke beabsichtigt wird (§ 11 UrhG). Demnach ist einer-
seits mit dem Urheberpersönlichkeitsrecht der Schutz der Beziehungen der
UrheberInnen zu ihren Werken verankert (§§ 12 ff. UrhG) und andererseits mit
den Verwertungsrechten die Nutzung der Werke durch die UrheberInnen
geregelt. So stehen ihnen nach §§ 15 ff. UrhG zum Schutz ihrer Werke
verschiedene Verwertungsrechte zu. Zunächst besitzen sie das ausschließliche
Recht ihre Werke in körperlicher Form zu verwerten. Damit sind für die
Verwertung von Musikaufnahmen das Vervielfältigungsrecht (§ 16 UrhG) sowie
das Verbreitungsrecht (§ 17 UrhG) angesprochen. Darüber hinaus kommt ihnen
das ausschließliche Recht zu ihre Werke in unkörperlicher Form öffentlich
wiederzugeben. Anzuführen sind für das Recht der öffentlichen Wiedergabe vor
allem das Aufführungsrecht (§ 19 UrhG), das Senderecht (§ 20 UrhG), das Recht
der Wiedergabe durch Bild- oder Tonträger (§ 21 UrhG) sowie das Recht der
Wiedergabe von Funksendungen und von öffentlicher Zugänglichmachung (§ 22
UrhG). Mit dem Recht der öffentlichen Zugänglichmachung (§ 19a UrhG) ist
auch die Veröffentlichung eines Werks im Internet berücksichtigt. Aufgrund
dieser Verwertungsrechte können UrheberInnen über die Veröffentlichung und
Auswertung ihrer Werke entscheiden. Sofern Interesse an der Auswertung ihrer
Werke besteht, können sie (gegen eine entsprechende Vergütung gemäß § 32
UrhG) anderen das Recht einräumen die Werke in bestimmter oder jeglicher Art
zu nutzen und dieses Nutzungsrecht (Lizenz) als einfaches oder ausschließliches
Recht vergeben sowie nach Ermessen räumliche, zeitliche oder inhaltliche
Beschränkungen vornehmen (§ 31 UrhG).
Im Fall der Musikaufnahme sind in dem Werk verschiedene Rechte enthalten. So
sieht die deutsche Gesetzgebung ebenfalls das Leistungsschutzrecht als mit dem
Urheberrecht verwandtes Schutzrecht vor. Neben dem Schutz der AutorInnen-
schaft (KomponistInnen, TextdichterInnen) als UrheberInnen sind damit ebenso
4.3 Ableitungen zur Vermarktung der Musikaufnahmen 211
Verwertungsgesellschaften
Bei der Einräumung von Nutzungsrechten ist zwischen individueller und
kollektiver Rechtewahrnehmung zu unterscheiden. Während erstere sich auf
diejenigen Rechte bezieht, deren Vergabe von den RechteinhaberInnen
(UrheberInnen oder einem mit der Auswertung der Musikwerke beauftragten
Musikverlag) selbst übernommen wird (z. B. Bearbeitungsrecht), entspricht
letztere, auf dem Verwertungsgesellschaftengesetz (VGG) basierend, der
Vertretung mehrerer UrheberInnen.113 Als Verwertungsgesellschaft nach § 2
Abs. 1 VGG, die im Auftrag ihrer Mitglieder, KomponistInnen, Text-
dichterInnen und VerlegerInnen, treuhänderisch die Verwertung urheber-
rechtlich geschützter Musikwerke übernimmt, fungiert in Deutschland die
Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungs-
111
Des Weiteren steht organisatorischen Leistungen ein Schutzrecht (Schutz des Veranstalters,
Schutz des Herstellers von Tonträgern) zu (vgl. Kapitel 4.4.1).
112
Auch im österreichischen Urheberrechtsgesetz ist ein entsprechender Schutz der ausübenden
KünstlerInnen verankert. Darüber hinaus gilt etwa das Internationale Abkommen über den Schutz
der ausübenden Künstler, der Hersteller von Tonträgern und der Sendeunternehmen.
113
Neben den im Text aufgegriffenen Verwertungsgesellschaften existieren in Deutschland für den
Musikbereich weitere Gesellschaften wie beispielsweise die VG Musikedition oder (als ein
Zusammenschluss verschiedener Verwertungsgesellschaften) die Zentralstelle für private Über-
spielungsrechte (ZPÜ).
212 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
114
In Österreich übernehmen diese Aufgabe die Staatlich genehmigte Gesellschaft der Autoren,
Komponisten und Musikverleger (AKM) und die Gesellschaft zur Wahrnehmung mechanisch-
musikalischer Urheberrechte (Austro-Mechana). Verbunden über Gegenseitigkeitsverträge
mit diversen ausländischen Schwestergesellschaften und organisiert in internationalen Dach-
verbänden, wie dem Bureau International des Sociétés Gérant les Droits d’Enregistrement et de
Reproduction Mécanique (BIEM) oder der Confédération Internationale des Sociétés d’Auteurs et
Compositeurs (CISAC), können die Rechte vielfach auch im Ausland vertreten werden.
115
Eine Alternative zu den Lizensierungspraktiken der Verwertungsgesellschaften sind, insbeson-
dere im Zeitalter des Internets und der digitalen Medien, die von der Nonprofit-Organisation
Creative Commons vorgefertigten Lizenzverträge, die die Freigabe rechtlich geschützter Inhalte
regeln. Mit der Einführung der Lizenzverträge ist der Versuch verbunden den Beteiligten mehr
Klarheit über die Bedingungen bei der Nutzung des Inhalts und zugleich eine größere Flexibilität
in der Vergabe von Rechten zu bieten.
4.3 Ableitungen zur Vermarktung der Musikaufnahmen 213
4.3.2 Technologie
Dieser Abschnitt behandelt weniger die Technologie selbst (will heißen:
konkrete Vorgänge und Entwicklungen der Digitalisierung, Datenkomprimie-
rung und des Internets), als vielmehr technologiebasierte Entwicklungen, die für
die Vermarktung relevant sind.117 Technologische Innovationen, allen voran die
116
Zuständig hierfür sind in Österreich die Gesellschaft zur Wahrnehmung von Leistungsschutz-
rechten (LSG) sowie die Österreichische Interpretengesellschaft (OESTIG). Durch Kooperation
mit internationalen Schwestergesellschaften wird sichergestellt, dass Nutzungen im Ausland
honoriert werden.
117
Der Musikbereich ist auf vielfältige Art und Weise von technologischen Entwicklungen betroffen.
An dieser Stelle können allerdings nicht alle Entwicklungen aufgegriffen werden. So bleiben etwa
die Innovationen im Bereich Recording unbehandelt, da der Absatz von Musikaufnahmen im
Fokus steht. Andere technologische Entwicklungen, erwähnt seien die Themen Virtual Reality,
214 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
Crowdfunding
Mit Hilfe von Crowdfunding-Plattformen sind Musikschaffende in der Lage von
einer Vielzahl von UnterstützerInnen Geldbeträge einzusammeln und die
Realisierung ihrer Projekte selbstständig voranzutreiben. Vorläufer für das
Crowdfunding im Musikbereich sind ArtistShare, PledgeMusic, Musicstarter
sowie das zwischenzeitlich eingestellte Portal Sellaband. Das Angebot richtet
sich direkt an die unabhängigen Musikschaffenden, um ihnen ein Zusammen-
treffen mit ihren Fans und hierüber die Finanzierung der Produktion und
Distribution von Musikaufnahmen zu ermöglichen. Die Musikschaffenden
präsentieren auf den Online-Plattformen ihre geplanten Projekte und legen die
notwendige Summe für deren Realisierung selbst fest. Der Betrag, den
InvestorInnen bereit sind einzubringen, kann in der Regel individuell bestimmt
werden. Als Gegenleistung für die Vorfinanzierung der Musikaufnahmen
erhalten die KapitalgeberInnen eine im Vorhinein aufgestellte Prämie in Form
von Sachleistungen oder immateriellen Leistungen (z. B. Special Edition, Meet
künstliche Intelligenz, Sprachsteuerung, Blockchain und Smart Contracts, finden keine Berück-
sichtigung, da ihre Bedeutung derzeit (noch) als gering einzuschätzen ist.
118
Nach Angaben der ARD/ZDF-Onlinestudie steigt die Zahl der InternetnutzerInnen im Jahr 2016
um zwei Millionen auf insgesamt 58 Millionen (83,8 Prozent der Bevölkerung ab 14 Jahren) an;
auch die Internetnutzung pro Tag nimmt im Vergleich zum Vorjahr um 20 Minuten zu und
beträgt insgesamt 128 Minuten (ARD; ZDF 2016, S. 2 f.).
4.3 Ableitungen zur Vermarktung der Musikaufnahmen 215
and Greet); gegebenenfalls können sie sich auch in das Projekt einbringen. Auf
diese Weise können Vorhaben finanziert werden, die nur ein vergleichsweise
geringes Kapital benötigen und für gewöhnlich von den Kreditinstituten nicht
bedient werden (vgl. BMWi 2009, S. 61). Beliebt ist mittlerweile vor allem die
Plattform Kickstarter, die sich das Crowdfunding als Geschäftsmodell zu Eigen
macht und neben Musik auch die Projektfinanzierung für andere künstlerische
Sparten (z. B. Tanz, Fotografie, Theater, Film und Video) anbietet. Im Falle von
Kickstarter muss ein Projekt das selbst gesetzte Finanzierungsziel innerhalb einer
vorab bestimmten Zeit zur Gänze erreichen, damit das Geld an die Musik-
schaffenden ausgezahlt wird (All-or-Nothing Funding System). So kann
Kickstarter (im September 2016) bereits 23.832 erfolgreich finanzierte Projekte
im Bereich Musik vorweisen, was einer Erfolgsquote von 50 Prozent entspricht
(vgl. KS 2016). Ähnliche Modelle verfolgen beispielsweise auch Indiegogo
sowie die in Deutschland ansässigen Plattformen Startnext und Visionbakery.
Musiknutzung
Bei der Nutzung von Musik findet ein Übergang von physischen Tonträgern zu
digitalen Formaten und innerhalb des digitalen Bereichs von Download zu
Streaming statt. Als Voraussetzung mit diesen Veränderungen verbunden, ist
einerseits die flächendeckende Verbreitung hochleistungsfähiger Breitband-
Internetzugänge, insbesondere des neusten Mobilfunkstandards (vgl. BMVI
2016), andererseits sind die erforderlichen Endgeräte zu beachten (vgl. Bitkom
2016). Für physische Tonträger ist noch ein spezielles Abspielgerät (CD-Player,
Plattenspieler etc.) notwendig. Inzwischen sind für die digitale Musiknutzung
vor allem aber der heimische PC oder das Tablet und in zunehmendem Maße das
besonders für die mobile Nutzung geeignete Smartphone relevant (vgl. IFPI
2016, S. 8 f.; Bitkom 2016, S. 12 ff.; ARD; ZDF 2016, S. 4).
Neben physischen Tonträgern sind es lange Zeit die Downloads, die die Musik-
nutzung bestimmen. Es lohnt deshalb zunächst ein Blick auf die vom BVMI
(2017, S. 16 f.) veröffentlichten Zahlen zum Absatz von Musik durch physische
Tonträger und Downloads (vgl. Tabelle 9). Der beliebteste Tonträger ist dem-
zufolge nach wie vor die CD. Im Jahr 2016 werden allein bei den CD-Alben
216 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
Veränderung
2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016
2015/2016
Single
4,7 4,7 2,9 2,5 1,8 1,4 1,0 0,9 -11,7 %
physisch
Physische Tonträger (in Mio. Stück)
CD-Alben 103,3 98,7 96,9 92,8 88,0 87,1 83,6 73,8 -11,8 %
Vinyl-LP 0,5 0,6 0,7 1,0 1,4 1,8 2,1 3,1 46,3 %
DVD-A/
0,3 0,2 0,2 0,2 0,2 0,2 0,1 0,1 -13,0 %
SACD
Longplay
107,2 101,6 99,1 94,6 90,0 89,2 86,0 77,1 -10,4 %
gesamt
Musikvideo
(DVD/ 8,9 8,7 8,0 6,6 5,8 5,3 4,2 3,8 -9,6 %
Blu-ray)
Gesamt 120,8 115,0 110,0 103,7 97,6 95,9 91,2 81,8 -10,3 %
4.3 Ableitungen zur Vermarktung der Musikaufnahmen 217
Downloads (in Mio. Stück)
Singles 49,2 63,3 79,0 97,1 92,8 83,6 77,7 66,1 -14,9 %
Alben 7,6 10,7 14,6 17,5 18,7 19,0 18,5 12,2 -33,9 %
Download
56,9 74,1 93,6 114,6 111,4 102,6 96,2 78,3 -18,6 %
gesamt
Klingeltöne 4,7 3,6 3,3 1,7 1,4 0,9 0,9 1,0 15,8 %
Gesamt 61,6 77,7 96,9 116,3 112,8 103,5 97,1 79,3 -18,3 %
Inzwischen wird das Audio-Streaming zunehmend populär und gehört für viele
NutzerInnen bereits zum Alltag (vgl. Bitkom 2016, S. 28; IFPI 2016, S. 6). Über
(kostenpflichtige und werbefinanzierte) Audio-Streaming-Dienste werden in
Deutschland zum Ende des Jahres 2016 906 Millionen Streams in einer Woche
abgerufen, gegenüber diesem Zeitraum in 2015 (617 Millionen Streams) bzw.
2014 (329 Millionen Streams) eine deutliche Steigerung (vgl. BVMI 2017,
S. 18). Über das gesamte Jahr gesehen, werden in 2016 36,4 Milliarden Songs
via Stream abgespielt. Zum Vergleich: 2015 sind es 21,2 Milliarden.
Ebenso werden spezielle Videoplattformen für den Musikkonsum genutzt. Diese
sind auf von NutzerInnen generierte Inhalte ausgerichtet und liefern hierfür die
technologische Plattform. Das Erstellen der Inhalte wird von den NutzerInnen
vorgenommen, wobei es sich sowohl um professionelle Content-ProduzentInnen
als auch um AmateurInnen handeln kann. Beispielhaft seien die Plattformen
Vimeo oder Dailymotion genannt. In erster Linie ist aber an das im Jahr 2006
vom Internetkonzern Google akquirierte Videoportal YouTube zu denken (vgl.
IFPI 2016, S. 10 ff.).119 Die Plattform ermöglicht es Videos anzusehen, zu
119
Im Zusammenhang mit derartigen Plattformen sprechen Musikschaffende, vor allem aber die
Verbände der Musikindustrie von einem „Value Gap“, will heißen einige Online-Dienste, hier
allen voran YouTube, seien nicht eindeutig verpflichtet, die aus ihrer Sicht notwendigen Lizenzen
zu erwerben und die Musikschaffenden und ihre Partner angemessen an den Einnahmen zu
beteiligen (vgl. Billboard 2016; BVMI 2017, S. 3). YouTube zählt weltweit mehr als eine
Milliarde NutzerInnen, von denen nach Angaben der IFPI (2016, S. 10) rund 80 Prozent den
Dienst für den (kostenlosen) Konsum von Musik nutzen. Allerdings versteht sich YouTube
lediglich als Vermittler, nicht aber (ähnlich wie andere Streaming-Dienste) als Vertriebsplattform
218 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
von Musik und sieht sich durch die „Safe Harbour“-Regelung geschützt, nach der das Unter-
nehmen für urheberrechtlich geschütztes Material, das von NutzerInnen auf die Online-Plattform
hochgeladen wird, nicht verantwortlich ist und dieses lediglich nach Beschwerde durch die
RechteinhaberInnen entfernen muss. Die EU-Kommission kündigt in ihrem Entwurf zur
Modernisierung des Urheberrechts in Europa an diese Thematik zu adressieren (vgl. EK 2016).
120
Das Radio ist historisch gesehen und auch heute noch für viele Menschen ein bedeutsames
Medium für die Rezeption von Musik. Dies liegt vor allem am hohen Musikanteil. So beträgt
beispielsweise im Jahr 2016 der Anteil von Musik am Programmangebot aller ARD-Rundfunk-
anstalten 62,2 Prozent (ARD 2017, S. 11).
4.3 Ableitungen zur Vermarktung der Musikaufnahmen 219
etwa gegen die Angabe einer E-Mail-Adresse zur Verfügung stellen. Des
Weiteren richtet sich FanBridge an MusikerInnen, die versuchen ihre Reichweite
zu erhöhen, und bietet hierfür spezielle Dienste im Bereich Social Media und
E-Mail-Marketing an. Ähnliche Funktionen offerieren Topspin, Nimbit und
ReverbNation. Ein umfassendes Artist-Management-Tool stellt ArtistGrowth zur
Verfügung.
4.3.3 Industriestruktur
Im Folgenden wird die Industriestruktur näher beleuchtet. Der Faktor bezieht
sich hier in erster Linie auf die Musikschaffenden. Da die weitere Ausführung
die Austauschprozesse behandelt, ist vorab außerdem auf die KäuferInnenschaft
sowie den Handel einzugehen.
MusikkäuferInnenschaft
Den Musikschaffenden stehen im wirtschaftlichen Austauschprozess die Musik-
käuferInnen gegenüber. Dabei zeichnet sich ab, dass 32 Prozent der Deutschen
im Jahr 2016 Musik auf die eine oder andere Weise kaufen – im Umkehrschluss
geben folglich 68 Prozent kein Geld für den Musikkonsum aus (vgl. BVMI
2017, S. 28 ff.). Die Anteile der KäuferInnengruppen werden zwar im aktuellen
Bericht des Bundesverbands nicht mehr ausgewiesen, dennoch ist davon aus-
zugehen, dass ein Großteil des Umsatzes (aus physischen Produkten, Downloads
und Premium-Streaming) weiterhin durch eine relativ kleine Zahl der Intensiv-
käuferInnen generiert wird. Das ist bislang diejenige MusikkäuferInnenschaft,
die im Jahr mehr als 80 Euro für Musikaufnahmen ausgibt. Die Gruppen der
Durchschnitts- (25 bis 80 Euro pro Jahr) und GelegenheitskäuferInnen (weniger
als 25 Euro pro Jahr) tragen in den letzten Jahren deutlich weniger zum Umsatz
bei. Die starke Abhängigkeit von der relativ kleinen Gruppe der Intensiv-
käuferInnen bleibt bestehen. Im Durchschnitt liegen die Ausgaben der Musik-
käuferInnen im Jahr 2016 bei 69 Euro.
4.3 Ableitungen zur Vermarktung der Musikaufnahmen 221
121
Unterschiede zwischen den Altersgruppen erschließen sich auch im Hinblick auf die favorisierten
Genres (vgl. BVMI 2017, S. 31). Die kauffreudige Gruppe der über 50-Jährigen bevorzugt bei-
spielsweise Klassik sowie Schlager und Volksmusik, ist aber ebenso bei den Ausgaben in den Be-
reichen Pop und Rock führend, während die jüngeren Altersgruppen (insbesondere die 20- bis 29-
Jährigen und 30- bis 39-Jährigen) mehr Geld für Dance ausgeben. Hinsichtlich der Geschlechter
wird deutlich, dass zwar kein wesentlicher Unterschied in der Einteilung KäuferIn/NichtkäuferIn
auszumachen ist, in allen Repertoiresegmenten jedoch mehr Umsatz durch Männer generiert
wird, was bedeutet, dass Frauen weniger oder günstigere Musikprodukte erstehen (ebenda,
S. 30 f.).
222 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
Handel
Der Handel mit Musikaufnahmen in Deutschland verteilt sich auf nur wenige
Akteure. Diese übernehmen eine zentrale Funktion, nicht etwa nur bei der Preis-
gestaltung, auch als Gatekeeper bei der Anbahnung von Austauschprozessen
zwischen Musikschaffenden und RezipientInnen. Für die Musikschaffenden ist
es damit entscheidend ihre Musikaufnahmen über diese Händler vertreiben zu
können. Mit Hilfe digitaler Vertriebsdienstleister, die als Content-Aggregatoren
fungieren, ist es den Musikschaffenden inzwischen möglich unabhängig von
einem Unternehmen der phonographischen Industrie in den großen Online-Shops
mit ihrer Musik präsent zu sein. Eine solche Vertriebsdienstleistung, die in der
Regel für die Musikschaffenden nicht die Aufgabe der Rechte an den Musik-
aufnahmen erfordert und sich meist durch eine Vertriebsprovision (als
prozentuale Umsatzbeteiligung) finanziert, wird beispielsweise von iMusician
Digital, Rebeat, recordJet, The Orchard und Believe Digital angeboten.
Tabelle 10 zeigt die Entwicklung der Umsatzanteile am Musikverkauf nach
Vertriebsschiene und Handelsform im Zeitraum 2009 bis 2016. Zu unterscheiden
ist nach Vertriebsschiene zwischen stationärem Handel (inklusive Katalog-/
Mailorder-/Club-Geschäft) und Online-Handel, über den sowohl der Verkauf
und Versand von physischen Tonträgern als auch der digitale Vertrieb von
Musik möglich ist. Die Entwicklung der Umsatzanteile weist eine anhaltende
Stärkung des Online-Handels aus (vgl. BVMI 2017, S. 36). Festzuhalten ist, dass
der Vertrieb über Katalog, Mailorder oder Club rückläufig ist und inzwischen
nicht mehr gesondert aufgelistet wird. Ebenfalls sukzessive geht die Bedeutung
des stationären Handels zurück, wobei dieser zwar weiterhin eine wichtige
Vertriebsschiene darstellt, aber nur noch 34 Prozent der Umsätze ausmacht.
Online-Händler, die eine Beschränkung bezüglich Regalfläche ebenso wie feste
Ladenöffnungszeiten nicht kennen, sind hierdurch im Vorteil. Sie können eine
deutlich größere Auswahl an Musik anbieten (und dies zumindest im digitalen
Vertrieb zu deutlichen geringeren Lagerhaltungskosten). So ist der Einkauf
physischer Musikprodukte über E-Commerce zwar erstmals leicht auf
29,6 Prozent gesunken, der Onlinekauf digitaler Formate spiegelt hingegen
die Entwicklung des Streaming-Geschäfts wider (Einnahmen über Premium-
Streaming-Dienste werden seit 2015 berücksichtigt); insgesamt trägt diese
Vertriebsschiene 36,4 Prozent der Umsätze bei. Bei einem detaillierteren Blick
4.3 Ableitungen zur Vermarktung der Musikaufnahmen 223
auf die einzelnen Handelsformen ist für den stationären Handel im Vorjahres-
vergleich eindeutig ein Rückgang auszumachen, wobei der Elektrofachmarkt
(-11,3 Prozent) mit 16,9 Prozent immer noch für den größten Anteil am Umsatz
verantwortlich ist (vgl. ebenda, S. 36). Drogeriemärkte verzeichnen ein Minus
von 16,1 Prozent. Deutliche Rückgänge, wenngleich ohnehin auf niedrigem
Niveau, sind auch bei anderen Non-Traditional-Outlets (Lebensmittel-
einzelhandel: -26,8 Prozent; Buchhandel: -6,0 Prozent) auszumachen. Allein der
Medienfacheinzelhandel kann ein Wachstum (16,9 Prozent) vorweisen.
Onlinekauf digitale
Umsatz nach Vertriebs-
Onlinekauf physisch/
21,0 23,5 25,4 28,2 30,0 31,7 31,9 29,6
E-Commerce
Online gesamt 30,7 36,3 41,3 47,5 50,4 52,8 60,2 66,0
Stationärer Handel
69,3 63,7 58,7 52,5 49,6 47,2 39,8 34,0
(inkl. Vesand/Club)
Medienfach-
Umsatz nach Handelsform (in %)
Lebensmittel-
7,7 8,1 6,8 6,6 6,5 6,3 5,6 4,0
einzelhandel
Während der stationäre Handel zwar nach wie vor eine wichtige Konstante im
Vertrieb von Musikaufnahmen darstellt, doch zunehmend an Bedeutung einbüßt,
224 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
Download: Sowohl bei dem Musikangebot als auch bei den Preisen sind
kaum wesentliche Unterschiede zwischen den Anbietern festzustellen.
Bei den Downloads sind die Preise der Händler inzwischen mit
0,99 Euro für einen Song sowie 9,99 Euro für ein aktuelles Album
weitestgehend einheitlich. (Noch vor Kurzem viel diskutiert, ist das
restriktive Digital Rights Management inzwischen auf den Download-
portalen weitestgehend verschwunden.) In den letzten Jahren sind es
branchenfremde Unternehmen, die durch ihren Einstieg in das
Download-Geschäft den Online-Musikhandel beleben. Besonders
hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die digitale Vertriebs-
plattform iTunes des Technologiekonzerns Apple, der mit dem
proprietären Musikangebot in erster Linie die Absatzsteigerung seiner
Endgeräte verfolgt. Daneben ist im Bereich Downloads die Online-
Handelsplattform Amazon zu einem zentralen Akteur aufgestiegen.
Weitere Anbieter im Download-Geschäft sind etwa Musicload oder
Juke (Media Markt/Saturn).
122
Diese Entwicklung spiegelt sich in dem Anteil des Streaming-Geschäfts am Gesamtumsatz aus
dem Musikverkauf (von 1.593 Millionen Euro) wider (vgl. BVMI 2017, S. 9 ff.). Während
der Umsatz durch physische Tonträger weiter sinkt, wächst der digitale Musikverkauf stetig.
Allerdings ist auch der Bereich Download à la carte rückläufig. Getrieben werden die Zuwächse
demnach vornehmlich durch das Audio-Streaming. So steigen die Einnahmen aus Streaming-
Subscription-Services um 72,7 Prozent auf 385 Millionen Euro und stellen inzwischen 24,1 Pro-
zent des Umsatzes.
4.3 Ableitungen zur Vermarktung der Musikaufnahmen 225
123
Anhand der prozentualen Anteile an der Gesamtzeit des Musikhörens (Musiknutzung in den
letzten sieben Tagen) ist erkennbar, dass bei den Audio-Streaming-Diensten (insgesamt
16,7 Prozent) das kostenlose (bzw. werbefinanzierte) Streaming (8,8 Prozent) gegenwärtig mehr
genutzt wird als das Premium-Streaming (7,9 Prozent); auch mit Bezug auf die Reichweite in der
Bevölkerung wird der Vorzug des kostenlosen Angebots (34 Prozent) gegenüber dem Premium-
Streaming (31 Prozent) erkennbar (BVMI 2017, S. 25 f.).
124
Inzwischen sind auch Amazon und SoundCloud mit vergleichbaren Angeboten im Streaming-
Geschäft aktiv. Unter dem Namen „Amazon Music Unlimited“ bietet der Onlinehändler einen
Katalog von mehr als 40 Millionen Titeln (inklusive des gängigen Funktionsumfangs) in einem
Abonnement-Modell zu den üblichen Konditionen an. Ferner gibt es ein Familienpaket, ein
vergünstigtes Angebot für KundInnen anderer Amazon-Dienste sowie KäuferInnen der haus-
eigenen Lautsprechersysteme. Bislang hauptsächlich ausgestattet mit den von NutzerInnen selbst
hochgeladenen Musikaufnahmen, verfügt SoundCloud nun zusätzlich über den Katalog der
großen phonographischen Unternehmen sowie weiterer, unabhängiger RechteinhaberInnen und
offeriert einen kostenpflichtigen Premium-Dienst namens „SoundCloud Go“. Darüber hinaus
bestehen verschiedene Kooperationen. So bietet etwa der Discounter Aldi den Service von
Napster unter dem Namen „Aldi Life Musik“ an und den Dienst von Spotify gibt es im Bundle
mit einem bestimmten Tarifangebot der Telekom, ähnlich der Kooperation von Deezer und
Vodafone.
226 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
Dienst
Freemium- Test- Preis pro Sound- Anzahl
(Stand: Funktionen
Modell phase Monat Qualität an Titel
Sept. 2016)
9,99 €
Offline-Modus,
Familie
kuratierte Playlists,
Apple (6 Konten): max. 256 ca. 30
Nein 3 Monate exklusive Inhalte,
Music 14,99 € kbit/s Mio.
Empfehlungen, Radio,
Studierende:
Netzwerk-Funktion
4,99 €
Offline-Modus, externe
9,99 €
MP3s, Songtexte,
Familie max. 320 ca. 40
Deezer Ja 30 Tage exklusive Inhalte,
(6 Konten): kbit/s Mio.
Empfehlungen, Flow-
14,99 €
Funktion
9,99 €
Offline-Modus, Radio,
Google Familie max. 320 ca. 35
Nein 30 Tage Empfehlungen, Cloud-
Play Music (6 Konten): kbit/s Mio.
Funktion
14,99 €
Groove max. 192 ca. 40 Offline-Modus, externe
Nein 30 Tage 9,99 €
Music Pass kbit/s Mio. MP3s, Radio
9,99 €
max. 320 ca.40 Offline-Modus,
Juke Nein 30 Tage (sowie Prepaid-
kbit/s Mio. kuratierte Playlists
Paket)
Offline-Modus,
Playlists importieren,
9,95 €
max. 320 ca. 40 kuratierte Playlists,
Napster Nein 30 Tage ohne mobile
kbit/s Mio. exklusive Inhalte,
Nutzung: 7,95 €
Empfehlungen, Radio,
TrackMatch-Funktion
4.3 Ableitungen zur Vermarktung der Musikaufnahmen 227
max. 320
Offline-Modus,
kbit/s
9,99 € ca. 30 Playlists importieren,
Qobuz Nein 15 Tage (bzw.
Hi-Fi: 19,99 € Mio. exklusive Inhalte,
1411
Empfehlungen
kbit/s)
9,99 €
Familie Offline-Modus,
(6 Konten): max. 320 ca. 30 kuratierte Playlists,
Spotify Ja 30 Tage
14,99 € kbit/s Mio. Empfehlungen, Radio,
Studierende: Running-Funktion
4,99 €
9,99 €
max. 320 Offline-Modus,
Hi-Fi: 19,99 €
kbit/s Playlists importieren,
Familie ca. 40
Tidal Nein 30 Tage (bzw. kuratierte Playlists,
(5 Konten): Mio.
1411 exklusive Inhalte,
29,95 € bzw.
kbit/s) Empfehlungen
59,95 €
Musikschaffende
Der Markt für Musikaufnahmen ist durch monopolistischen Wettbewerb gekenn-
zeichnet. Die Situation der Anbieter, in diesem Fall gemeint sind die Musik-
schaffenden, stellt sich allerdings recht unterschiedlich dar. Einigen wenigen
Musikschaffenden gelingt es (in der Regel noch mit Unterstützung der phono-
graphischen Unternehmen) die öffentliche Aufmerksamkeit zu dominieren,
während die Mehrheit unter zum Teil prekären Bedingungen arbeitet. Zu unter-
scheiden ist demnach zwischen bereits etablierten und noch weitestgehend
unbekannten Musikschaffenden. Arrivierte MusikerInnen nehmen eine stärkere
Position ein, weil sie als einzigartig wahrgenommen werden und darüber hinaus
wirtschaftlich gesehen auch knapp sind. Die „Stars“ können aufgrund ihres
Bekanntheitsgrads und der bisherigen Erfolge ihre Musikaufnahmen einer relativ
großen Öffentlichkeit präsentieren. Selbst unter diesen MusikerInnen gelingt es
dennoch den wenigsten langfristig mit ihrem musikalischen Schaffen wirt-
schaftlich erfolgreich zu sein. Mit Absenkung der Markteintrittsbarriere sind viel
mehr MusikerInnen am Markt und stehen in Konkurrenz zueinander. Das
Wettbewerbsverhältnis richtet sich nicht mehr so stark an der Unterscheidung
zwischen professionellen Musikschaffenden und LaienmusikerInnen aus. Es
228 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
125
Einen Eindruck der Masse vermitteln die Daten der Artikelstammdatenbank der Phononet GmbH,
einem vom BVMI gegründeten Unternehmen, das als Plattformbetreiber bzw. standardisierte
Schnittstelle für phonographische Unternehmen, Vertriebe, Medienpartner und Handel dient (vgl.
BVMI 2017, S. 19). Bei diesen Zahlen (z. B. physische Tonträger: 294.879 Artikelnummern;
digitale Alben: 2,2 Millionen Titel; Neuerscheinungen: 20.673 physische Alben, 99.743 digitale
Pop-Singles) ist zu beachten, dass es sich hierbei allein um die von Phononet (bzw. vom BVMI)
gemeldeten Zahlen handelt. Die Zahl der Musikstücke, die über Social-Media-Plattformen hoch-
geladen und verbreitet werden, ist um ein Vielfaches höher. Allein auf YouTube werden
minütlich mehrere Stunden Videomaterial hochgeladen; ein großer Teil davon ist mit Musik
unterlegt.
126
In Deutschland als umsatzstärkstes Genre ist Pop zu identifizieren (vgl. BVMI 2017, S. 40).
Englisch- oder anderssprachige Popmusik, hierzu kann gegebenenfalls auch die Musik deutscher
MusikerInnen gezählt werden, liegt bei 25,9 Prozent, Deutsch Pop bei 4,9 Prozent. Die restlichen
Genres sind am Gesamtumsatz wie folgt beteiligt: Rock 21,9 Prozent, Hip-Hop 9,8 Prozent,
Kinderprodukte 8,6 Prozent, Dance 7,0 Prozent, Schlager 5,3 Prozent, Sonstige 5,0 Prozent,
Klassik 3,9 Prozent, Hörbücher 3,6 Prozent sowie Jazz 2,1 Prozent und Volksmusik 1,8 Prozent.
127
In den Absatzzahlen deutscher und internationaler Musikproduktionen lässt sich eine Hin-
wendung zu internationalem Repertoire (insbesondere aus den USA und dem Vereinigten
Königreich) erkennen. Die beiden Segmente weisen zwar ähnliche Zahlen vor (Pop National:
30,43 Millionen Alben; Pop International: 30,02 Millionen Alben), zugleich ist bei den deutschen
4.3 Ableitungen zur Vermarktung der Musikaufnahmen 229
Produktionen im Vergleich zum Vorjahr ein Rückgang von 26,8 Prozent festzustellen (BVMI
2017, S. 16). Im Gegenzug finden deutsche MusikerInnen mit ihren Aufnahmen allerdings nur
selten den Weg ins (europäische) Ausland (vgl. EMO; EN 2012, S. 45 f.). Der Austausch von
nationalem Repertoire auf paneuropäischer Ebene ist insgesamt ernüchternd.
128
Das Branchenmagazin Billboard ebenso wie das amerikanische Wirtschaftsmagazin Forbes listen
regelmäßig die kommerziell erfolgreichsten MusikerInnen auf. Deutlich wird dabei zum einen die
Dominanz US-amerikanischer MusikerInnen, zum anderen offenbart sich, unabhängig davon
wie nah die präsentierten, auf Schätzungen beruhenden Zahlen an den wirklichen Einnahmen der
gelisteten MusikerInnen sind, angesichts der Millionensummen die Diskrepanz zu den vielen
Musikschaffenden, die ihr künstlerisch-kreatives Schaffen nur unter erschwerten Bedingungen
ausüben können.
230 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
(KSVG) beauftragt ist und als ein Geschäftsbereich der Unfallversicherung Bund
und Bahn fungiert. Sie ermöglicht mit der Koordination der Beitragsabführung
selbstständigen KünstlerInnen und PublizistInnen einen Schutz in der
gesetzlichen Sozialversicherung. Die 52.226 MusikerInnen stellen unter den
insgesamt 184.722 aktiv Versicherten 28,27 Prozent. Die 1.767 Berufs-
anfängerInnen, also KünstlerInnen innerhalb der ersten drei Jahre nach erst-
maliger Aufnahme einer selbstständigen künstlerischen Tätigkeit, machen bei
den MusikerInnen nur 3,38 Prozent aus. Das durchschnittliche Jahreseinkommen
liegt bei 13.675 Euro, bei den BerufsanfängerInnen sogar nur bei 9.606 Euro.
Zum Vergleich: Der Durchschnitt über alle Sparten (Wort, bildende Kunst,
Musik und darstellende Kunst) gesehen liegt bei den aktiv Versicherten bei
16.495 Euro und bei den BerufsanfängerInnen bei 13.522 Euro. Wenn auch die
Künstlersozialkasse nur jene Musikschaffende (bzw. Kulturschaffende) auf-
nimmt, die bereits erwerbsmäßig selbstständig arbeiten, vermitteln die Zahlen
doch einen Eindruck von den Lebensbedingungen der Musikschaffenden in
Deutschland (vgl. BMWi 2009, S. 60).
einen nach kurzer Zeit stark fallenden Verlauf auf. Die Auswertungsdauer von
Musikaufnahmen wird durch dieses Vorgehen stark verkürzt, wobei durch eine
konzentrierte Vermarktung auch ein Entdecken der älteren Veröffentlichungen
angeregt werden kann und die Auswertung der Musikaufnahmen nach einer
Unterbrechung wieder neue Impulse bekommt (vgl. Hendricks; Sorensen 2009,
S. 365 f.). Was sich nicht innerhalb kurzer Zeit als Verkaufserfolg erweist, wird
allerdings häufig schon als Flop bezeichnet. Nur wenige Aufnahmen werden
aber überhaupt zum kommerziellen Erfolg, noch weniger werden zum Long-
seller.129 Während die Verfügbarkeit von physischen Tonträgern begrenzt ist und
folglich durchaus von einem Lebenszyklus gesprochen werden kann, ist es
angesichts der permanenten Verfügbarkeit der Musikaufnahmen bei Streaming-
Diensten angebracht eher von einem Rezeptionszyklus auszugehen, der eine
deutlich längere Zeitspanne umfassen kann. Mit der stetigen Verfügbarkeit kann
sich eine Musikaufnahme im Streaming-Geschäft noch lange Zeit nach deren
Veröffentlichung als „Hit“ erweisen. So können anfangs wenig bis gar nicht
beachtete Aufnahmen eine zu einem relativ späten Zeitpunkt stark ansteigende
Diffusion vorweisen.
Für noch relativ unbekannte Musikschaffende ist es nach wie vor zentral einen
gewissen Grad an Aufmerksamkeit für ihre Musik zu generieren, dennoch gilt,
dass die Musikaufnahmen bei Streaming-Diensten nicht auf eine zeitlich
konzentrierte Verkaufsförderung angewiesen sind. Sofern sich die Händler (und
die phonographische Industrie) hierzu bereit erklären, kann die Veröffentlichung
von Musikaufnahmen flexibler gestaltet werden. Nicht nur von einem allgemein
(bzw. für die Berechnung der Charts) verbindlichen Veröffentlichungstag, auch
129
Zwischenzeitlich wird die These vertreten, mit dem Aufkommen von Online-Händlern, die über
ein vielfach größeres Sortiment verfügen als der stationäre Handel, stelle sich aufgrund der
speziellen Kostenstruktur digitaler Güter eine Verschiebung in den Umsätzen von den Bestsellern
hin zu den Nischenprodukten ein (vgl. Anderson 2006, S. 6 ff.). Demzufolge verliere der Umsatz,
der mit den wenigen „Hits“ generiert wird, und die Summe der mit den vielen Nischenprodukten
erzielten Umsätze gewinne an Bedeutung. Dieses als „Long Tail“ bezeichnete Phänomen findet
allerdings Widerspruch. So belegt Elberse (2013, S. 157 ff.) in ihrer Replik, gleichwohl die Masse
an verfügbaren Gütern mit der Zeit deutlich zunimmt, dass sich nach wie vor, zum Teil sogar
stärker als bisher, ein Großteil der Nachfrage auf die „Blockbuster“ und „Hits“ konzentriert, die
Nische hingegen zwar größer wird, ihr Anteil am Gesamtumsatz aber nicht ansteigt.
4.3 Ableitungen zur Vermarktung der Musikaufnahmen 237
Begründet wird dieser Umstand durch die Erfahrungseigenschaft, nach der die
RezipientInnen ex ante nicht beurteilen können, ob ihnen eine unbekannte
Musikaufnahme tatsächlich zusagt. Für die KonsumentInnen bedarf es viel Zeit
und Know-how die richtige Musik zu finden. Es besteht hinsichtlich der Qualität
bei den Nachfragern folglich ein Kauf- bzw. Konsumrisiko. Bei den Streaming-
Diensten liegen diese Überlegungen dem monatlichen Pauschalpreis zugrunde.
Andere Händler bieten die Möglichkeit zum Pre-Listening, im stationären
Handel etwa durch die Bereitstellung von Abspielstationen; auch die Musik-
schaffenden ergreifen verschiedene Maßnahmen, wie die Veröffentlichung von
Snippets, die Abhilfe schaffen können. Hier liegt allerdings schon aktives
Interesse der KonsumentInnen an der Musik vor. Die grundsätzliche Frage ist,
wie die RezipientInnen das finden, was sie mögen, und aus Sicht der Musik-
schaffenden, wie die Musikaufnahme diejenigen RezipientInnen erreicht, die sie
damit erreichen möchten bzw. die sie wertschätzen (werden). So ist es für
Musikschaffende zunehmend schwieriger aus der Masse hervorzutreten.
Die Vermarktung der Musikaufnahmen zielt auf die Überwindung der Unüber-
sichtlichkeit und Undurchschaubarkeit des Leistungsangebots ab. Die Unüber-
sichtlichkeit des Angebots fordert akteursübergreifend, im Besonderen aber von
den prosperierenden Streaming-Diensten, nicht zuletzt um Musikkonsu-
mentInnen (wieder) zu MusikkäuferInnen zu konvertieren, sich auf diese
Umstände einzustellen und entsprechende Lösungen für das Sich-Zurechtfinden
der KonsumentInnen bereit zu halten. Eine zu große Auswahl kann eine
Entscheidung erschweren und auf Seiten der Kundschaft gar zu Frustration und
Überforderung führen. Einfachheit und Übersichtlichkeit sind in der Bedienung
der neuen Streaming-Dienste demnach wesentliche Faktoren. Ebenso bedeutsam
sind die angebotenen Lösungen der Dienste. Hier finden vor allem kuratierte
4.3 Ableitungen zur Vermarktung der Musikaufnahmen 239
Marken
Marken können beschrieben werden als eine bei den KundInnen bestehende
Vorstellung davon, wie sich ein Leistungsangebot gegenüber der Konkurrenz
unterscheidet. Sie spielen bei der Entscheidungsfindung, insbesondere aufgrund
der Masse an Informationen, mit denen die Menschen tagtäglich (im Internet)
konfrontiert werden, eine zunehmend gewichtige Rolle. Da die Musikaufnahme
untrennbar mit der Person der Musikschaffenden (bzw. den InterpretInnen) ver-
bunden ist, bietet sich eine personenbezogene Markenstrategie an, die auf eine
langfristige Etablierung abzielt.130 Im Rahmen der identitätsbasierten Marken-
führung, angestrebt wird ein Abgleich von Identität und Image (vgl. beispiels-
weise Meffert; Burmann; Kirchgeorg 2012, S. 359 f.), besteht die Absicht bei
den KonsumentInnen eine gewisse Loyalität gegenüber den Musikschaffenden
aufzubauen, sodass sie über mehrere Veröffentlichungen hinweg die Musik
konsumieren bzw. nachfragen. Entscheidend ist für MusikerInnen aber ihre
Marke (bzw. ihren musikbezogenen Markenkern) zu pflegen, damit diese
weiterhin als Qualitätssignal und damit Orientierungsfunktion dienen kann.
Hingegen wird der Versuch MusikerInnen und Musikprodukte mit quasi
beliebigen Bedeutungen aufzuladen, wenig zielführend sein, vor allem weil sie
von den KonsumentInnen in quasi ebenso beliebiger Weise wieder umgedeutet
werden können. Sofern die Musik in den Hintergrund tritt, andere, nicht
musikalische und inszenierte Auftritte in der öffentlichen Wahrnehmung
dominieren, können sie auch ihren Kern, nämlich ihr musikalisches Schaffen, für
eine prominente Stellung im öffentlichen Bewusstsein einbüßen.131 Dies ist auch
die Gefahr, wenn versucht wird „(Super-)Stars“ künstlich zu kreieren und ihre
künstlerisch-kreative Leistung unter dem Deckmantel der Berühmtheit
130
Eine Auseinandersetzung mit den Besonderheiten des Menschen als Marke findet sich beispiels-
weise bei Herbst (2011).
131
Bei Ausflügen in andere Geschäftsfelder und Wirtschaftzweige gilt es stets das originäre Tätig-
keitsfeld zu berücksichtigen. Hierdurch deutet sich schon ein möglicher Kritikpunkt an. Sofern
nämlich der Kommerzialisierung ein zu großer Stellenwert beigemessen wird, kann sich dies auch
negativ auswirken. Insofern sind die Überlegungen zur Auswertung der nicht-musikbezogenen
Rechte als Nebenrechte stets in die Vermarktung der Musik und der Musikschaffenden zu
integrieren.
4.3 Ableitungen zur Vermarktung der Musikaufnahmen 241
verschwindet. So lässt sich mit Boorstin (1987, S. 92 f.) zu der Rolle der
Berühmtheit festhalten, dass sie „eine Person [ist], die ihres allgemeinen
Bekanntseins wegen berühmt ist. Ihre Eigenschaften – oder vielmehr die ihr
fehlenden Eigenschaften – veranschaulichen unser Problem. Sie ist weder gut
noch böse, weder groß noch klein. Sie ist das Pseudo-Ereignis in menschlicher
Gestalt. […] Sämtliche anderen Eigenschaften werden von der des allgemeinen
Bekanntseins überschattet. Durch die Werbung wurde der große Bedarf nach
Berühmtheiten verstärkt. Im Handelsjargon nennt man sie ‚Große Namen‘.
Reklameaufschriften benutzen Berühmtheiten nicht nur, sie tragen auch zu ihrer
Entstehung bei. Alles, was einen bekannten Namen noch bekannter macht,
erhöht automatisch dessen Status als Berühmtheit.“
An dieser Stelle eignet sich eine kurze Ausführung zu dem Aufbau von „Stars“,
denn, wie zuvor schon angesprochen, sind die aus dem Verkauf von Musikauf-
nahmen erzielten Einkommen äußerst ungleich über die Musikschaffenden
verteilt (vgl. Franck 2001). In diesem Zusammenhang wird deshalb auch
von „Winner-take-all“-Märkten gesprochen (vgl. Frank; Cook 1995, S. 2).
Als „Stars“ (oder auch „Winners“) werden, in Abgrenzung zu den vielen
„Wannabes“, folglich jene wenigen Akteure bezeichnet, die ein überproportional
hohes Einkommen erzielen (Rosen 1981, S. 845). Da die am Markt von unter-
schiedlichen MusikerInnen angebotenen künstlerisch-kreativen Leistungen
(Musikaufnahmen) nicht vollständig substituierbar sind, werden diese
strukturellen Einkommensunterschiede zuerst von Rosen (1981, S. 846 f.) durch
geringe Unterschiede im Talent und die (mit nur unwesentlichen Zusatzkosten
verbundene) Vergrößerung des Markts über die (massen-)mediale Verbreitung
des Leistungsangebots begründet. Adler (1985, S. 208) hingegen geht nicht
davon aus, dass die Qualität durch die Nachfrager stets korrekt eingeschätzt
werden kann und damit Qualitätsunterschiede für die Begründung von „Stars“
ausreichen, sondern baut seine Argumentation auf der Entstehung von Konsum-
kapital und Netzwerkeffekten auf. Von der Annahme ausgehend, die
Entwicklung von „Stars“ sei bedingt dadurch, dass der Nutzen, der aus dem
Konsum bestimmter Musikaufnahmen resultiert, abhängig ist von dem
vorhandenen Wissen über diese Musik, fördert der Konsum selbst (also die
Rezeption der Musik) die Akkumulation von Konsumkapital. Für die einzelnen
KonsumentInnen erscheint es damit zweckmäßig sich auf die Musik einer
242 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
Genres
Die Auseinandersetzung mit Musik geschieht innerhalb von Genres. Vor allem
im Bereich der populären Musik ist eine diesbezügliche zunehmende
Fragmentierung beobachtbar. Dies kann sicherlich auch auf die veränderten
Bedingungen der Produktion, Distribution und Rezeption zurückgeführt werden.
Stehen den Musikschaffenden Mittel und Wege zur Verfügung ihre Musik selbst
zu produzieren und zu veröffentlichen, den RezipientInnen wiederum sich
einfach und schnell über das Internet zu bedienen, geht mit dem allgegen-
wärtigen Zugriff auf Musik eine größere Vielfalt einher. Der musikalische Inhalt,
der sich hinter den gemeinhin bekannten Kategorien wie Pop, Rock, Schlager
etc. verbirgt, ist im ständigen Wandel begriffen. Zugleich bezieht sich ein
musikalisches Genre nicht nur auf die Musik. Ein Genre wird nach Fabbri (1982,
S. 52 ff.) geprägt durch ein bestimmtes Set von sozial akzeptierten Regeln, die
er in fünf Bereiche einteilt, nämlich formale und technische; semiotische;
verhaltensbezogene; soziale und ideologische; wirtschaftliche und rechtliche
Regeln. Mit einem spezifischen Gefüge an Regeln ausgestattet, dient ein Genre
bzw. das Wissen um die Regeln dem inneren Zusammenhalt und der
Abgrenzung nach außen (vgl. Frith 1996, S. 88).
Zugleich werden Genres als dynamisch wahrgenommen (Negus 1999, S. 26). Sie
besitzen per se keine festen Grenzen, fassen je nach Zeitpunkt oder Region
unterschiedliche musikalische Inhalte zusammen, zumal zwischen den Genres in
ihrer historischen Abfolge enge Verbindungen bestehen. Genres sind damit für
4.3 Ableitungen zur Vermarktung der Musikaufnahmen 243
MusikerInnen weniger verbindlich, gleichwohl sie als mehr oder weniger diffuse
Oberkategorien weiterhin existent sind. Eine Ausdifferenzierung der Genres
spiegelt sich auch in neuen Begrifflichkeiten wider, sodass vielfach neue
Kategorien als Subgenres entworfen werden. Die genutzten Begrifflichkeiten
unterliegen in ihrer Ableitung jedoch keiner leicht nachvollziehbaren bzw.
logischen Systematik. Sie werden nicht etwa durch eine zentrale Instanz geformt,
die über die Einteilung allgemeingültig bestimmt, sondern durch das Zusammen-
spiel verschiedener Akteure. RezipientInnen nutzen sie (als Stereotype und
Regeln) zur Orientierung; Musikschaffende verwenden sie (als Konzepte) in der
Produktion von Musikaufnahmen; phonographische Industrie, Medien und
Handel greifen bei der Vermarktung von Musikaufnahmen auf sie zurück. Der
konkrete Genrebegriff wird folglich zwischen den genannten Akteuren
verhandelt. Für Außenstehende erweist sich die Struktur der musikalischen
Erscheinungsformen häufig als undurchsichtig. Frith (1996, S. 88 f.) fasst
zusammen: „In looking at the various ways in which genre labels are used to
organize music making, music listening, and music selling, I have been circling
around the same point: popular music genres are constructed – and must be
understood – within a commercial/cultural process; they are not the result of
detached academic analyses or formal musicological histories.“
132
Unterschieden werden Charts nach Umfang und Zusammenstellung der Musik (z. B. Single-,
Album-, Compilation-Charts), Format (z. B. Musikvideo-Charts), Erhebungszeitraum (z. B.
Midweek-, Daily Trend-Charts), Veröffentlichungszeitraum (z. B. Most Wanted Charts), Genre
(z. B. HipHop-, Dance-Charts) sowie Medium (z. B. Vinyl-, Airplay-, Streaming-, Download-
Charts).
244 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
133
Ermittelt werden die Charts von dem Marktforschungsinstitut GfK Entertainment nicht nach
verkaufter Stückzahl, sondern erzieltem Umsatz. Dies ist zu berücksichtigen, vor allem wenn die
Musik durch Bonusinhalte (z. B. Musikvideos, Remixe, Live-Versionen, Interviews, Fotos etc.)
oder eine Beigabe (z. B. Merchandise-Artikel) ergänzt wird und einzelne Tonträger oder Down-
loads hierdurch zu einem höheren Preis angeboten werden. Streams aus Premium-Services wer-
den (ab 31 Sekunden) über eine bestimmte Formel in der Chartermittlung wertmäßig verrechnet.
4.3 Ableitungen zur Vermarktung der Musikaufnahmen 245
134
In Deutschland werden vom BVMI, gestaffelt nach verkauften Einheiten, Gold (Album:
100.000 Stück; Single: 200.000 Stück), Platin (Album: 200.000 Stück; Single: 400.000 Stück)
und Diamond Awards (Alben: 750.000 Stück; Single: 1 Mio. Stück) verliehen. Über einen
Umrechnungsfaktor werden auch die Premium-Streams der Audio-Streaming-Dienste mitgezählt.
Darüber hinaus gibt es weitere Award-Kategorien (Musikvideo, Jazz, Kids, Comedy, Audio
Book). In Österreich werden von der IFPI Austria ebenso Gold (Album: 7.500 Stück; Single:
15.000 Stück) und Platin Awards (Album: 15.000 Stück; Single: 30.000 Stück) vergeben.
135
Das österreichische Pendant ist der von der IFPI Austria verliehene Amadeus Award.
246 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
Produktpolitik
Produktpolitische Entscheidungen sind ausgerichtet auf das Stiften von
KundInnennutzen. Das Musikprodukt, ausgegangen wird von einem generischen
Produktbegriff (vgl. beispielsweise Homburg 2012, S. 544 f.), stellt ein dies-
bezügliches Bündel von Eigenschaften dar. Im Grunde kann schon das
musikalische Werk als Zusammenstellung von musikalischen Komponenten
verstanden werden. Mit dieser Auffassung wird bewusst auch das künstlerisch-
kreative Schaffen (im Sinne des Komponierens) berücksichtigt. Das musi-
248 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
Prozesspolitik
Die Prozesspolitik umfasst jegliche Entscheidungen, die sich auf die Gestaltung
(bzw. die von den Musikschaffenden gestaltbaren Aspekte) des Prozesses der
250 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
kann, sind zu beachten. Das Werk steht für sich; unter den verschiedenen
Darbietungsweisen besteht eine rezeptionsfördernde Wirkung.136 Ebenso sind
jegliche Informationen zum musikalischen Werk (z. B. Interview über die
Arbeitsweise, Inspirationen, musikalische Vorlieben etc.), die die Musik-
schaffenden teilen und sich auf das Werk beziehen, relevant, da sie es den
RezipientInnen erlauben das musikalische Schaffen einzuordnen. Wie schon
ausgeführt, ist mit dem Begriff der Rezeption nicht nur das bloße Hören von
Musik gemeint. In einem umfassenderen Sinn kann hiermit auch ein Vorgang der
Auseinandersetzung und Aneignung umschrieben werden. Schließlich muss die
nicht-musikbezogene Rechteverwertung dahingehend Berücksichtigung finden,
dass jegliches Auftreten der Musikschaffenden in der Öffentlichkeit auf die
Rezeption der Musik rückwirken kann.
Die Gestaltung des Rezeptionsprozesses wird sich an dem jeweiligen Genre
orientieren. Die im Bereich der populären Musik zum Teil gängige Praxis über
vereinzelte Single-Auskopplungen hohe Verkaufszahlen des höher-margigen
Albums in der ersten Woche zu erzielen und die restlichen Aufnahmen lediglich
als Filler einzusetzen, wird sich im Streaming-Geschäft nicht bezahlt machen,
weil das Füllmaterial wohl deutlich seltener abgespielt wird. Hierdurch ergibt
136
Thurow und Zombik (1997, S. 203) verweisen in diesem Zusammenhang auf die menschlichen
Rezeptionsgewohnheiten: „Für Musik läßt sich besonders effektiv dadurch werben, daß man sie
dem Hörer und potentiellen Kunden ‚vor Ohren führt‘. Das Paradoxon findet seine Auflösung in
den Gegebenheiten der menschlichen Natur: Kein Filmhersteller käme auf die Idee, für den
Besuch eines Filmes dadurch zu werben, daß er dem umworbenen Publikum den Film zur Gänze
‚vor Augen führt‘. Bei Musik hingegen ist diese Praxis gang und gäbe, und zwar nicht nur (wie
bei Filmen ab und zu im Fernsehen) in Ausschnittform, sondern in der ganzen Länge des
angebotenen Titels. […] Wo das Auge ein gebotenes Programm mit großer Perfektion umgreift
und abspeichert, will das Ohr eine als schön empfundene Musik immer wieder hören, und so
kommt es, daß für den Kauf eines Hörgenusses auf Schallplatte mit eben diesem Hörgenuß bis zu
einem gewissen Grade sogar wiederholt geworben werden kann – und muß!“ Inwiefern sich
dadurch aber beispielsweise die Verwendung von Musikaufnahmen im Radio als reine Promotion
noch rechtfertigt, ist strittig. So wird die Ansicht, es handele sich bei Airplay vor allem oder gar
ausschließlich um Verkaufsförderung, zuweilen hinterfragt, denn vielfach greifen die Radio-
sender (mit der Etablierung des Formatradios) für ihre Programmgestaltung (ausschließlich) auf
bereits (kommerziell) erfolgreiche Musikstücke zurück (vgl. Thurow; Zombik 1997, S. 203;
Spiesecke 2009, S. 115 f.). Verschärft wird die Kritik durch den großen Umfang, den Musik im
Programm der Radiosender einnimmt, und die zum Teil als zu gering angesehene pauschale
Vergütung.
252 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
sich stets ein ähnlicher Verlauf des Rezeptionszyklus137 (bzw. bei physischen
Tonträgern ein ähnlicher Verlauf des Produktlebenszyklus), der sich bezogen auf
das Produktprogramm (also weitere Alben) in regelmäßigen Abständen (alle
zwei bis drei Jahre ein Album) wiederholt. Durch das Streaming-Geschäft kann
zumindest teilweise mit dieser Praxis gebrochen werden, da sich Musik-
aufnahmen noch nach Jahren als „Hit“ herausstellen können, gleichwohl die
Musik zum Zeitpunkt der Veröffentlichung nur verhältnismäßig wenig
Beachtung findet. Zumindest musikalisch kann das für Musikschaffende be-
deuten sich weniger auf flüchtige Trends einzulassen. Aktuelle, nicht an-
nehmbare musikalische Entwicklungen können Musikschaffende eher an sich
vorüberziehen lassen, zumal MusikerInnen selbst keine Trends setzen, indem sie
nur Trends folgen. Es kann sich demnach als durchaus sinnvoll herausstellen,
wenn mehrere Aufnahmen eine durchschnittlich große ZuhörerInnenschaft über
einen längeren Zeitraum finden als eine einzige Aufnahme, die möglichweise nur
kurzfristig viel rezipiert wird. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang
allerdings die Bedeutung von Playlists. So garantieren beliebte kuratierte
Playlists hohe Streaming-Abrufe. Das von den jeweiligen KuratorInnen verfolgte
einheitliche Soundbild stellt dabei die musikalische Vorgabe. Sind die Musik-
schaffenden willens ihre Musik anzupassen und in der Lage schnell zu reagieren,
beschleunigt sich die Trendabfolge.
Für Musikschaffende ist es zentral das Produktprogramm bzw. musikalische
Repertoire auf seine Struktur hin zu analysieren. Mit verändertem Nutzungs-
verhalten lässt sich keine klare zeitliche Abfolge und keine idealtypische Vor-
gehensweise festlegen. Inwiefern Windowing oder die exklusive Verfügbarkeit
137
Setzt sich das Streaming als dominierendes Geschäftsmodell im Musikhandel durch (vgl.
Trefzger et al. 2015), bedeutet die Entscheidung der Musikschaffenden eine Musikaufnahme
nicht mehr bei den Streaming-Diensten anzubieten, dass die RezipientInnen die Aufnahme nicht
hören können. Hier kann nicht nur von einer Produktelimination gesprochen werden, bei der die
Aufnahme aus dem Programm gestrichen wird. Im Grunde handelt es sich um eine Beendigung
der Rezeptionsmöglichkeit, da die Aufnahme nirgendwo mehr gespeichert ist. Bei einem Ton-
träger ist dies anders: Sofern dieser nicht länger im Handel erhältlich ist, können diejenigen, die
ihn zuvor schon besitzen, die Musik weiterhin hören und für andere bietet sich die Möglichkeit
über sonstige Kanäle (z. B. Zweitmarkt) den Tonträger zu erstehen und die Musikaufnahme an-
schließend zu rezipieren.
4.3 Ableitungen zur Vermarktung der Musikaufnahmen 253
Preispolitik
Bei der Behandlung preispolitischer Fragestellungen ist zu differenzieren
zwischen den Preisen, die die KundInnen für die Musikaufnahmen zahlen und
den tatsächlichen Einnahmen, die von den Musikschaffenden erzielt werden. 138
De facto können viele preispolitische Entscheidungen nicht von den
MusikerInnen selbst getroffen werden, weil schlichtweg kein Entscheidungs-
spielraum gelassen wird. Aufgrund der starken Handelskonzentration besteht ein
138
Bei den Preisentscheidungen bezüglich der Musikaufnahmen sind die gesamten Einnahmen und
deren Verteilung zu berücksichtigen (vgl. BVMI et al. 2015, S. 25 f.). Grundsätzlich scheint eine
(nicht enden wollende) Ausrichtung auf eine Querfinanzierung, in der Musikaufnahmen lediglich
als Promotion für Konzertveranstaltungen (oder vice versa) angesehen werden, als schwierig.
Sofern die Einnahmen aus der Hauptquelle sinken, steht unter Umständen die Grundlage des
professionellen Musikschaffens auf dem Spiel, zumal gewisse Einnahmen aus der Verwertung
von Musikaufnahmen nicht durch die preispolitischen Entscheidungen der Musikschaffenden
beeinflusst werden können, sondern wesentlich durch die Verwertungsgesellschaften bestimmt
werden.
254 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
139
Eine nachfrageorientierte Preisbildung (Messung von Nutzen bzw. Preiselastizität) ist zwar
zweckmäßig, aber mit hohem Aufwand verbunden und für einzelne MusikerInnen nur schwer
anwendbar. Rein kostenorientierte Ansätze (Kosten-Plus-Kalkulation), die Preise auf der Grund-
lage der variablen Kosten bestimmen, sind aufgrund der Kostenstruktur digitaler Güter un-
angebracht (Simon; Fassnacht 2009, S. 522; Shapiro; Varian 1999, S. 3).
4.3 Ableitungen zur Vermarktung der Musikaufnahmen 255
140
Zuweilen gibt es von Seiten der Musikschaffenden öffentliche Kritik an den Streaming-Diensten.
In Anbetracht der Mikrocent-Beträge, die pro Abruf fällig werden, und der Abrufe der Tracks
seien die Einnahmen aus dem Streaming-Geschäft für die Musikschaffenden nicht zufrieden-
stellend, gar eine Ausübung des Berufs nicht mehr möglich. Allerdings ist zu bedenken, dass
nicht nur eine einmalige Zahlung, wie etwa bei physischen Tonträgern oder auch Downloads,
erfolgt, sondern durch jeden Abruf einer Musikaufnahme und damit über einen längeren Zeitraum
Einnahmen verbucht werden können. Des Weiteren gilt es, gerade in dieser frühen Phase der
Entwicklung zu berücksichtigen, dass das Geschäftsmodell der Streaming-Dienste auf die Masse
ausgerichtet ist. Sofern also noch wenige AbonnentInnen einen Dienst nutzen bzw. die Auf-
nahmen der Musikschaffenden verhältnismäßig wenig abgerufen werden, können die Einnahmen
für die Musikschaffenden sehr gering ausfallen. Werden die Einnahmen, die aus dem Verkauf ei-
nes physischen Tonträgers (z. B. CD) oder einer Musikdatei ins Verhältnis zur Nutzung gesetzt
(wie hoch sind also die Einnahmen durch den Verkauf eines Tracks, wenn dieser einhundert Mal
abgespielt wird), ergibt sich ein ausgewogeneres Bild zwischen physischem Tonträger, Download
und Streaming als in den öffentlichen Diskussionen gelegentlich dargestellt (vgl. Sinnreich 2016,
S. 163 f.).
256 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
Kommunikationspolitik
Im Rahmen der Kommunikationspolitik geht es um die zielgerichtete Aus-
gestaltung und Übermittlung von Informationen (z. B. zum Zwecke der Stei-
gerung der Bekanntheit, des Aufbaus eines Images, der Förderung der Kauf-
absicht), die sich sowohl an die bestehende HörerInnenschaft (bzw. Fans) und
der Musik gegenüber möglicherweise offene Personen als auch andere, für
den Vermarktungsprozess relevante Personen (z. B. MeinungsführerInnen,
141
Beginnt die Monetarisierung nach einer Abspieldauer von 31 Sekunden, hat dies unter Um-
ständen Auswirkungen auf das Musikschaffen. So gewinnen die ersten Sekunden musikalisch
an Bedeutung, damit die RezipientInnen dranbleiben und das Abspielen gewertet wird. Ebenso
können kurze Songs (in der gleichen Zeit) öfter abgespielt und mit diesen mehr Umsatz erzielt
werden als mit längeren.
142
Denkbar ist beispielsweise die Einbindung einer Aufnahme in eine Playlist anders zu bepreisen:
Wird eine Aufnahme im Rahmen der Playlist abgespielt, dann erhalten Musikschaffende einen
niedrigeren Betrag; geht dem Abspielen aber eine aktive Suche nach dieser Aufnahme voraus, ist
der Betrag entsprechend höher. Ebenso kann die Häufigkeit des Abspielens durch einzelne
NutzerInnen berücksichtigt werden, wenn etwa eine Aufnahme durch dieselben NutzerInnen
mehrfach abgespielt wird – sie findet folglich Anklang – und sich die Summe erhöht, die an
die Musikschaffenden ausgezahlt wird. Im Sinne der musikalischen Vielfalt ist hingegen
die entgegengesetzte Richtung sinnvoll. Derartige Überlegungen sind vor allem auch von den
Verwertungsgesellschaften anzustellen.
4.3 Ableitungen zur Vermarktung der Musikaufnahmen 257
Vertriebspolitik
Für Musikschaffende, die sich selbst vermarkten, stehen vor allem Ent-
scheidungen zur Gestaltung des Vertriebssystems an.143 Im Zuge dessen treten
Fragestellungen auf, die sich mit der Wahl der Vertriebsorgane und der
konkreten Formgebung der Vertriebswege befassen. Inwieweit sich der Direkt-
vertrieb für einzelne Musikschaffende lohnt, ist fallabhängig. Auf der einen Seite
wird die eigene Marge höher ausfallen und es können dynamische Preismodelle
eingesetzt, das KäuferInnenverhalten erfasst sowie KundInnenkontakte und
Cross-Selling gefördert werden. Auf der anderen Seite ist der Aufbau eines
Online-Shops, integriert in die eigene Website, mit dem notwendigen Know-how
sowie den Kosten der technischen Infrastruktur (und gegebenenfalls weiteren
Kosten für die Lagerhaltung etc.) verbunden und zahlt sich daher nur bei
entsprechend hohem Absatz aus. Da sich ein Direktvertrieb für wenig etablierte
MusikerInnen als nicht lukrativ erweist, existieren verschiedene Intermediäre. In
der Regel ist folglich von einer indirekten Distribution auszugehen, bei der
Musikschaffende mit externen Absatzmittlern und -helfern kooperieren. Zu
denken ist bei einem mehrstufigen Prozess im Rahmen der Selbstvermarktung
zunächst an verschiedene, unabhängige Vertriebsdienstleister, insbesondere jene,
die auf den Onlinevertrieb spezialisiert (und offen für MusikerInnen ohne
vertragliche Bindung an ein phonographisches Unternehmen) sind.144 Die
143
Wie für die anderen Komponenten gilt auch für die Vertriebspolitik, dass sich die diesbezüglichen
Entscheidungen in erster Linie auf die Sicherung der Verfügbarkeit des Musikwerks, in welcher
Darbietungsform auch immer, beziehen. Dabei ist zu ergänzen, dass etwa der Einsatz einer
Musikaufnahme im Rundfunk nicht zwangsläufig als kommunikationspolitische Maßnahme zu
bewerten ist. Eine verkaufsfördernde Wirkung mag bestehen; das Abspielen einer Musik-
aufnahme (in voller Länge) im Radio unter gewissen wirtschaftlichen Strukturen für den Moment
derart einzuordnen, bedeutet aber (vor allem in Anbetracht der Dominanz des Formatradios)
nicht, dass es sich dabei um eine unwiderrufliche Bewertung handelt. Wenn im Folgenden
dennoch zuallererst auf den Vertrieb von Musikaufnahmen über die bestehenden Händler-
strukturen eingegangen wird, ist dies der Ausrichtung der Fallstudie auf die Auswirkungen der
Umweltbedingungen geschuldet. So bestehen für den Einsatz von Musik im Radio, Film oder
Fernsehen andere Strukturen und Regelungen. Zu bedenken sind die Aufgaben von Verlagen und
Verwertungsgesellschaften.
144
Zum Teil gründen Musikschaffende eigene phonographische Unternehmen, die sich aus-
schließlich um ihre Belange kümmern, um dann entsprechende Vertriebsverträge abzuschließen.
4.3 Ableitungen zur Vermarktung der Musikaufnahmen 259
So bleiben sie im Besitz der Rechte an den Werken, ihre künstlerisch-kreative Unabhängigkeit
wird gewahrt und weitere Einnahmen können erzielt werden.
260 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
auf der Ebene der Musikschaffenden einer gewissen Form der Organisation des
professionellen Musikschaffens.
145
Die technologischen Entwicklungen bieten MusikerInnen eine Grundlage sich weitreichend zu
vernetzen. Damit kann, muss aber nicht zwangsläufig eine übergeordnete Entwicklung in
Richtung neuer Produktionsstrukturen (dezentralisiert, gemeinschaftlich, nicht auf Eigentum
basierend) verbunden sein, wie sie etwa Benkler (2006, S. 60) beschreibt.
262 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
Exkurs: Musikförderung
Auf gesamtmusikwirtschaftlicher Ebene wird unter anderem das sinkende
Einkommen der Musikschaffenden als eine zentrale Herausforderung erkannt
und damit die Erwartung an die politischen Instanzen verbunden die Förder-
möglichkeiten auszubauen (vgl. BMWi 2009, S. 19). Eine Anmerkung zur
146
Für Österreich ist beispielsweise die Sektion Musik der Gewerkschaft Younion zu nennen.
4.3 Ableitungen zur Vermarktung der Musikaufnahmen 263
Musik- bzw. Kulturpolitik sei deshalb erlaubt: Auch für die Entfaltung der
Fähigkeit sich zu vernetzen, bedarf es der Förderung.147 Dies bedeutet aber nicht
nur die direkte finanzielle Unterstützung von einzelnen Musikschaffenden zu
übernehmen, die ohnehin anderweitig Förderungslücken und bei den Aus-
geschlossenen zwangsläufig einen faden Beigeschmack hinterlässt. Es geht
vermehrt darum Strukturen bereitzustellen, die es Musikschaffenden ermög-
lichen eigenständig Netzwerke aufzubauen bzw. zu erschließen, künstlerisch-
kreatives Schaffen zu fördern ohne unmittelbar die Frage nach dessen
Kapitalisierung und Verwertbarkeit (oder sonstigen Übersetzungen in Zahlen) zu
stellen. Dies kommt nicht nur den MusikerInnen zugute, sondern aufgrund ihrer
zentralen Stellung in der Musikwirtschaft – sie sind der Ausgangspunkt aller
künstlerisch-kreativen und wirtschaftlichen Aktivitäten – im weiteren Verlauf
auch anderen Akteuren. Schließlich ist „Nachwuchsförderung“, betont Hay
(2003, S. 590), „Zukunftssicherung sowohl im kulturellen als auch im wirt-
schaftlichen Bereich.“ Diesem Leitsatz gerecht zu werden, bedeutet allerdings
nicht nur den gegenwärtigen Status Quo zu erhalten, sondern ebenso musik-
bzw. kulturpolitische Utopien zu entwerfen.
147
Es bestehen derzeit verschiedene Arten der Musikförderung. Die Förderung von Laien-
musikerInnen und Nachwuchs bezieht sich etwa auf die Organisation von Musikwettbewerben,
Coaching-Programmen und Workshops oder die Vergabe von Stipendien und Musikpreisen.
Darüber hinaus sind Artist-in-Residence-Programme sowie die Vermittlung von Auftritten und
Proberäumen zu nennen. Auch die Gründung des Musikfonds ist in diesem Zusammenhang
erwähnenswert. Die konkrete Förderung von Musikaufnahmen kommt allerdings nur vereinzelt
vor. Förderer (bzw. Organisatoren) sind etwa der Deutsche Musikrat (als Dachverband deutscher
Musikverbände und Mitglied im Deutschen Kulturrat), die Initiative Musik, die Deutsche Rock-
musik Stiftung, das Goethe Institut oder die Deutsche Phono-Akademie. Beispiele für regionale
Einrichtungen stellen die Kunststiftung NRW, das Popbüro Region Stuttgart oder das Musicboard
Berlin dar. Auf kleinerer Ebene findet Förderung durch Jugendzentren, Musikschulen etc. statt.
Für Österreich ist an dieser Stelle in Sachen Produktionsförderung, Toursupport und Export-
förderung im Besonderen der Österreichische Musikfonds zu nennen.
264 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
notwendig. Beispielhaft kann auf das Programm (im Rahmen des Projekts
„DigiMediaL – Profilbildung für Musik, Schauspiel und Bühne“) am Berlin
Career College der Universität der Künste Berlin verwiesen werden, das sich mit
verschiedenen Kursangeboten zum Thema Selbstvermarktung speziell an
professionelle Musikschaffende richtet.148
148
Auch in Österreich findet eine solche Entwicklung in der Lehre statt. An der Universität für
Musik und darstellende Kunst Wien wird beispielsweise (über die bestehenden Lehr-
veranstaltungen zum Musikmanagement hinaus) ein ergänzendes Kursprogramm über das
Zentrum für Weiterbildung und das Career Center angeboten.
268 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
Vertragsgestaltung
Nach § 79 Abs. 1 UrhG steht es den ausübenden KünstlerInnen zu ihre Rechte
und Ansprüche aus den §§ 77 und 78 UrhG zu übertragen. Der Vertrag zwischen
Musikschaffenden und einem phonographischen Unternehmen bildet hierfür die
rechtliche Grundlage. Für beide Parteien ist die Vertragsgestaltung geprägt von
den Informationen über die Gegenseite und den eigenen Erfahrungswerten bei
der Verhandlung der Verträge. In der Regel sind KünstlerInnenexklusivvertrag
und Bandübernahmevertrag zu unterscheiden.
KünstlerInnenexklusivvertrag (vgl. VUT 2016a): Im Rahmen des Ver-
trags verpflichten sich Musikschaffende (als ausübende KünstlerInnen)
während der Vertragsdauer eine gewisse Anzahl an Tonaufnahmen
(gegebenenfalls auch Bild- und Tonaufnahmen) aufzunehmen und
dem phonographischen Unternehmen (als Tonträgerhersteller) zur ex-
klusiven Auswertung zur Verfügung zu stellen. Die Exklusivität bezieht
sich auf die persönliche Exklusivität, wonach ausübende KünstlerInnen
während der Vertragsdauer für die Herstellung von Tonaufnahmen aus-
schließlich an den Tonträgerhersteller gebunden sind, sowie auf die
Titelexklusivität, der zufolge sie auch nach Vertragsende für eine
bestimmte Zeit die während der vereinbarten Vertragslaufzeit aufge-
nommenen Musikwerke nicht nochmals aufnehmen und verwerten. Mit
Abschluss des Vertrags erwirbt das phonographische Unternehmen die
Rechte an den Musikaufnahmen. Demnach übertragen die ausübenden
KünstlerInnen dem Tonträgerhersteller die Leistungsschutzrechte und
Ansprüche aus §§ 77 und 78 UrhG zur Auswertung. Das phono-
graphische Unternehmen ist stärker in die Produktion der Musik-
4.4 Ableitungen zur Vermarktung der Vermittlungsleistung 269
Leistungsschutzrecht
Das im Urheberrechtsgesetz verankerte Leistungsschutzrecht sieht nicht nur den
Schutz der künstlerisch-kreativen Leistungen der ausübenden KünstlerInnen vor,
sondern berücksichtigt desgleichen organisatorische Leistungen. Hierunter fällt
auch der Schutz des Herstellers von Tonträgern. Dieser bezieht sich folglich auf
4.4 Ableitungen zur Vermarktung der Vermittlungsleistung 271
4.4.2 Technologie
Technologie spielt in zahlreichen Bereichen der phonographischen Industrie eine
Rolle. Auch an dieser Stelle wird allerdings in erster Linie auf technologie-
basierte Entwicklungen eingegangen. Um nicht erneut Aspekte, die bei der
Vermarktung von Musikaufnahmen relevant sind, oder allgemein die Aus-
wirkungen der informations- und kommunikationstechnologischen Entwick-
lungen auf den Geschäftsbetrieb aufzugreifen, beschränkt sich die Ausführung
zum einen auf den Einsatz von Social Media im A&R-Prozess (Artists and
Repertoire) und zum anderen auf industriespezifische digitale Geschäftsprozesse.
die Datenerhebung im Bereich von Social Media und speziellen Diensten des
Web 2.0. Mit der Möglichkeit sich überall, wo Musikschaffende zu finden sind,
zu registrieren und zu präsentieren, steht der weltweiten Kontaktaufnahme und
Vernetzung nichts im Wege. Das Auffinden von MusikerInnen wird damit einer-
seits erleichtert, andererseits auf gleichem Wege erschwert, weil die Masse an
Informationen angestiegen ist.
Auf verschiedenen Plattformen, beispielhaft genannt seien SoundCloud und
YouTube, legen die Musikschaffenden Profile an und laden ihre Musik-
aufnahmen hoch, sodass die NutzerInnen darauf zugreifen können. Mittels dieser
Plattformen und den abrufbaren User-Bewertungen und Klickzahlen sowie
gegebenenfalls weiteren Daten von Download-Portalen und Streaming-Diensten
ergeben sich für die phonographischen Unternehmen Einblicke in das
musikalische Schaffen und den Anklang der Musik bei den RezipientInnen (vgl.
IFPI; WIN 2016, S. 13). (Der Major Universal Music gründet mit SpinnUp gar
eine konzerneigene Vertriebsplattform für selbstvermarktende Musikschaffende
und verbindet mit dem Digitalvertrieb zudem die Suche nach Talenten. Mit
Einsicht in die Daten und die Möglichkeit zur schnellen Kontaktaufnahme
ermöglicht die angebotene Vertriebsdienstleistung dem Unternehmen ohne
eigenes Risiko die Musikschaffenden auf ihren Erfolg bei den RezipientInnen zu
testen.) Auch die Profile bei anderen sozialen Netzwerken geben Aufschluss
über die Beliebtheit der MusikerInnen, ihre Fähigkeit Aufmerksamkeit zu
generieren und die Anschlussfähigkeit ihrer Musik an den Zeitgeist (oder besser:
an die diesbezüglichen Vorstellungen der phonographischen Unternehmen).
Digitale Geschäftsprozesse
Neben den zuvor genannten Aspekten gibt es weitere Bereiche, in denen
Technologie die Arbeit der phonographischen Unternehmen verändert. In erster
Linie ist an den Vertrieb von Musik zu denken. Um die verschiedenen Platt-
formen des Online-Handels, sei es Download- oder Streaming-Anbieter, be-
dienen zu können, ist der Aufbau der Digital Supply Chain erforderlich (ebenda).
Über die letzten Jahre wird auf diese Weise von den phonographischen Unter-
nehmen und ihren Partnern die digitale Vertriebsschiene konsequent ausgebaut.
4.4 Ableitungen zur Vermarktung der Vermittlungsleistung 273
Verbunden damit ist ein weiterer Aspekt: Die Online-Händler generieren eine
Vielzahl von Daten, auf die die Unternehmen zumindest teilweise Zugriff haben.
Mit den Daten der Online-Händler und weiterer musikbezogener Dienste wird
ihnen ermöglicht Rückschlüsse für die Vermarktung der Musikaufnahmen
zu ziehen. Inzwischen sind zumindest die großen Unternehmen der phono-
graphischen Industrie in der Lage das umfangreiche Datenmaterial auszuwerten
und aktiv Marktforschung zu betreiben.149 So kann in den eingerichteten
Abteilungen ermittelt werden, wie, wo, wann und welche Musik konsumiert wird
sowie welche Unterschiede bei den NutzerInnen der einzelnen Dienste bestehen.
Auch mit dem Fokus auf einzelne Musikschaffende bzw. bestimmte Musik-
aufnahmen lassen sich vermarktungsrelevante Erkenntnisse ableiten.
Auf unternehmensübergreifender Ebene ist noch auf das Angebot von Phononet
zu verweisen. Die Tochtergesellschaft des Branchenverbands zielt als Service-
partner auf die Verbesserung der Kommunikation zwischen Industrie, Handel
und Medien und bietet zu diesem Zweck ein Portfolio aus Katalogplattform,
Musiksuchmaschine, Kommunikationssystem und Promotion Network an
(BVMI 2017, S. 38). Allein auf das EDI-Kommunikationssystem greifen rund
130 Vertriebe, über 220 Handelspartner und 1.800 Outlets mit verschiedenen
Warenwirtschafts- und IT-Systemen zu; 2015 werden vom Handel über elf
Millionen Order Lines an die Unternehmen der phonographischen Industrie
gesendet (ebenda, S. 39).
149
Gelegentlich zusammengefasst unter dem Schlagwort „Hit Song Science“, versuchen inzwischen
einige Unternehmen (z. B. RateTheMusic, HitPredictor, SoundOut, Shazam) mittels ver-
schiedener Methoden der Erhebung und Auswertung einer Datenmasse (z. B. Testmärkte, Formen
der künstlichen Intelligenz) eine Art der Früherkennung von „Hits“, verbunden mit dem
Versprechen an die Unternehmen der phonographischen Industrie ihre bisherige Erfolgsquote
steigern zu können, kommerziell anzubieten.
274 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
4.4.3 Industriestruktur
Die phonographischen Unternehmen befassen sich geschäftsmäßig mit der Ver-
marktung (Finanzierung, Produktion, Vervielfältigung, Bewerbung und Dis-
tribution) von Musikaufnahmen.150 Über die Integration und den Ausbau
digitaler Vertriebskanäle hinaus nehmen einige Unternehmen aufgrund der
veränderten Musiknutzung der KonsumentInnen und den einhergehenden wirt-
schaftlichen Entwicklungen der letzten Jahre zugleich weitere Aufgaben
wahr. Hierbei kann es sich um Dienstleistungen im Bereich KünstlerInnen-
management, Booking und Konzertveranstaltung, Sponsoring, Brand Partnership
oder Merchandising handeln. Zunehmend wird deshalb nicht mehr nur von
Plattenfirmen oder Tonträgerherstellern gesprochen, sondern von Entertainment-
Unternehmen (vgl. BMWi 2009, S. 29). Da sie folglich eng mit den Musik-
schaffenden zusammenarbeiten, gelten die phonographischen Unternehmen als
die wichtigsten Investoren, wenn es um den Aufbau von KünstlerInnenkarrieren
geht (vgl. IFPI; WIN 2016, S. 7; BVMI 2017, S. 23).151 Die GVL zählt für das
150
Laut BVMI (2017, S. 7 ff.) erzielen die Unternehmen aus dem Verkauf von Musikaufnahmen im
Jahr 2016 einen Umsatz von 1,593 Milliarden Euro – ein Wachstum gegenüber 2015 von drei
Prozent. Hinzu kommen die Einnahmen (insgesamt 175 Millionen Euro) aus der Vergabe von
Synch-Rights sowie die GVL-Ausschüttungen. In der Publikation des Worldwide Independent
Network (WIN 2016, S. 40 ff.) wird hingegen ein geringerer Gesamtumsatz ausgewiesen. Es ist
von unterschiedlichen Vorgehensweisen in der Berechnung auszugehen. Während sich der BVMI
auf EndverbraucherInnenpreise inklusive Mehrwertsteuer bezieht und damit etwa auch die
Handelsmargen umfasst, sind die vom WIN präsentierten Zahlen das Ergebnis einer Befragung
der Mitglieder nach ihren Umsätzen.
151
An erster Stelle sind wohl die Musikschaffenden selbst als die wichtigsten InvestorInnen zu
nennen, dennoch ist ihre zentrale Funktion unbestritten. Zu hinterfragen ist allerdings das vom
Interessenverband angeführte typische Investment eines Majors in neu unter Vertrag genommene
KünstlerInnen. Demnach brächten die großen Unternehmen der phonographischen Industrie, um
MusikerInnen in einem der großen Märkte zum Durchbruch zu verhelfen, Investitionen von bis zu
zwei Millionen US-Dollar auf (vgl. IFPI; WIN 2016, S. 6). Zum einen ist generell fraglich, ab
wann von einem Durchbruch die Rede sein kann, zum anderen können die erhobenen Zahlen für
den deutschen Markt nur bedingt übertragen und verallgemeinert werden. Ebenso ist der
Vergleich der Investitionen der phonographischen Industrie in A&R – nach Angaben von IFPI
und WIN (2016, S. 9 f.) werden 2015 weltweit 2,8 Milliarden US-Dollar (bzw. 16,9 Prozent der
globalen Umsätze aus Musikverkäufen) investiert – mit denen anderer Wirtschaftszweige in
Forschung und Entwicklung nur unter Vorbehalt schlüssig. Nach der Ausrichtung der Fallstudie
bezieht sich der Bereich Forschung und Entwicklung auf die Vermittlungsleistung der phono-
graphischen Unternehmen.
4.4 Ableitungen zur Vermarktung der Vermittlungsleistung 275
Jahr 2016 10.647 Tonträgerhersteller. Tatsächlich wird die Zahl der aktiv mit der
Herstellung und Verbreitung von Musikaufnahmen beschäftigten Unternehmen
jedoch geringer sein. So listet der BVMI 251 Unternehmen (davon sechs
ordentliche Mitglieder sowie 245 außerordentliche und sonstige Mitglieder) und
der VUT 1.193 Mitglieder (Stand: Sept. 2016).
Unterschieden werden Majors und Indies: Während die wenigen Majors
international tätige Konzerne darstellen, die über eine eigenständige Vertriebs-
struktur verfügen und eine Vielzahl von Musikschaffenden betreuen, sind die
zahlreichen Indies eher kleine und mittelständische Unternehmen, die zur
Distribution der musikalischen Aufnahmen auf externe Vertriebspartner an-
gewiesen sind. Abseits der Unterschiede, die sich aus Größe und Struktur der
Unternehmen ergeben, zielt eine derartige Differenzierung häufig aber eher
auf den Ausdruck einer spezifischen Gesinnung, einer Attitüde gegenüber dem
musikalischen Mainstream ab, denn letztlich übernehmen alle Unternehmen
ähnliche Aufgaben. Allerdings ist von ungleichen Bedingungen bei der Initi-
ierung und Gestaltung von Vertragsbeziehungen auszugehen.152 Die Majors sind
in Anbetracht ihrer Größe in der Lage eine federführende Position zu beziehen
und die Vertragsbedingungen zu ihrem Vorteil zu gestalten. Festzuhalten ist mit
Bezug auf die vorstehende Ausführung zur Vermarktung von Musikaufnahmen,
dass insbesondere arrivierte Musikschaffende gegenüber den Unternehmen der
phonographischen Industrie eine starke Position einnehmen können, zumal sich
gerade für ebenjene die Selbstvermarktung besonders lohnen kann (vgl. BMWi
2009, S. 30 ff.). Sie versprechen aufgrund ihrer bisherigen Leistungen gute Aus-
sichten Gewinne zu erzielen. Bei wenig etablierten MusikerInnen ergibt sich ein
differenziertes Bild. Indies und Musikschaffende begegnen sich eher auf Augen-
höhe, da die MusikerInnen auch im Hinblick auf das Portfolio der phono-
graphischen Unternehmen eine gewisse Rolle spielen können, während sie bei
152
Mit Bezug auf die MusikkäuferInnenschaft ist die phonographische Industrie durch eine oligo-
polistische Struktur charakterisiert. Die drei Majors teilen mehr als zwei Drittel des Markts unter-
einander auf; in der Auswertung der Top 100 Single- und Album-Jahrescharts ist ihr Anteil
besonders hoch (vgl. MW 2017, S. 13 ff.). Das internationale Netzwerk der unabhängigen Musik-
firmen WIN (2016, S. 28) bezieht sich bei der Berechnung nicht auf den Vertrieb, sondern auf die
Rechteinhaberschaft, belegt aber ebenfalls den hohen Marktanteil der Majors.
276 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
den Majors, sofern diese überhaupt planen sich für noch relativ unbekannte Mu-
sikschaffende zu engagieren, eine schwächere Position einnehmen.
Zwischen Händlern und phonographischer Industrie verändert sich das Ver-
hältnis. Insbesondere die Online-Plattformen haben eine Machtposition inne,
wenn sie, wie etwa bei YouTube der Fall, die NutzerInnen auf ihrer Seite haben.
Andere Plattformen, Audio-Streaming-Dienste und Download-Plattformen, die
als geschlossene Dienste konzipiert sind, sind auf vertragliche Vereinbarungen
mit den phonographischen Unternehmen angewiesen. Einzelne Indies können
hier nur begrenzt ihre Position ausspielen. Die Majors hingegen können jeweils
einen großen Backkatalog vorweisen, ohne den die einzelnen Plattformen nicht
bestehen können, und sind deshalb imstande vorteilhafte Rahmenverträge auch
mit großen Händlern auszuhandeln.
Majors
Die derzeit drei großen Unternehmen in Deutschland, Sony Music Entertainment
Germany GmbH (München), Universal Music GmbH (Berlin) und Warner
Music Group Germany Holding GmbH (Hamburg), sind nationale Dependancen
international agierender Konzerne. Zum Teil sind diese Unternehmen wiederum
integriert in internationale Elektronik- bzw. Medienkonzerne. Sony Music
Entertainment Inc. (New York, USA) gehört zum japanischen Konzern Sony
K.K. (Tokio, Japan), die Universal Music Group Inc. (Santa Monica, USA)
ist eine Sparte des französischen Konzerns Vivendi SA (Paris, Frankreich).
Hingegen wird die Warner Music Group Corp. (New York, USA) 2011 von
einer amerikanischen Beteiligungsgesellschaft, Access Industries Inc. (New
York, USA), akquiriert. Die internationalen Strukturen mit einer Vielzahl von
nationalen Niederlassungen ermöglichen es den Unternehmen über verschiedene
Kanäle sowohl nationale Produktionen zu fördern als auch einzelne Produk-
tionen international zu vermarkten.
4.4 Ableitungen zur Vermarktung der Vermittlungsleistung 277
Die Schaffung internationaler Strukturen ist dabei eng verwoben mit den bis
heute anhaltenden Konzentrationstendenzen.153 Neben der vertikalen Integration
und Gründung weiterer Unternehmen, die entlang der Wertschöpfungskette
(z. B. Groß- und Einzelhändler) tätig sind, kommt es vor allem zu Fusionen und
Übernahmen auf horizontaler Ebene. So weisen die Majors nur bedingt orga-
nisches Wachstum vor. Sie erschließen Marktanteile vor allem durch Fusionen
und Übernahmen – eine Entwicklung, die nach dem Zweiten Weltkrieg langsam
beginnt und vermehrt seit den 1980er Jahren Fahrt aufnimmt. Um nur einige
Beispiele zu nennen: RCA wird 1986 von Bertelsmann übernommen; zwei Jahre
später wird Sony Eigentümer von CBS/Columbia Records; EMI kauft Virgin
1991; 1998 wird PolyGram von Seagram, eigentlich als Hersteller von Spiri-
tuosen bekannt, erworben. Auch auf die Rezession der letzten zwei Dekaden
reagieren die Unternehmen mit einer forcierten Ausrichtung auf Marktzuwächse.
Für die jüngere Vergangenheit ist die Gründung des Joint Ventures zwischen
Sony und BMG im Jahr 2004 sowie die Komplettübernahme von Sony BMG
durch den Sony-Konzern vier Jahre später zu erwähnen. Zwischenzeitlich sind
Anstrengungen, weitere Fusionen und Übernahmen auf Major-Ebene durch-
zusetzen, gescheitert. Zuletzt wird jedoch die Tonträgersparte der britischen EMI
Group 2012 unter kartellrechtlichen Auflagen von Universal Music übernommen
(Billboard 2012b), wodurch Universal Music seine Rolle als Marktführer weiter
ausbauen kann.
153
Der Aufstieg einiger Unternehmen zu weltweit agierenden Konzernen ist zu einem Großteil
auf Übernahmen zurückzuführen, wobei sich die eigentlichen phonographischen Unternehmen
teilweise auch erst aus Konzernen anderer Wirtschaftszweige (Rundfunknetzwerke, Elektronik-
konzerne) entwickeln. Im Übrigen beherrschen die Majors über die angeschlossenen Verlags-
sparten (Sony/ATV Music Publishing, Universal Music Publishing, Warner/Chappell Music) das
internationale Musikverlagswesen. Mit der musikverlegerischen Tätigkeit verfolgen sie das
Ziel die weiteren Rechte der Musikschaffenden auszuwerten. Hier sichert sich als Letztes ein
Konsortium um Sony/ATV Music Publishing das Verlagsgeschäft der EMI Group (Billboard
2012a). Nach dem Wiedereinstieg des deutschen Medienkonzerns Bertelsmann befindet sich auch
BMG Rights Management auf Expansionskurs.
278 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
Indies
Den wenigen Majors stehen die vielen konzernunabhängigen Unternehmen der
phonographischen Industrie, die Independents oder Indies, gegenüber. Dabei
kann es sich allerdings sowohl um Kleinstunternehmen als auch mittelständisch
geprägte Unternehmen handeln. Bei größeren Indies (z. B. Edel) ist zuweilen die
Rede von Mini-Majors bzw. Major Independents. Interessanterweise wirken sich
die Veränderungen der letzten Jahre unterschiedlich auf Majors und Indies aus.
Während die großen phongraphischen Unternehmen etwa deutliche Rückgänge
bei den MitarbeiterInnenzahlen verzeichnen, sind die unabhängigen, im VUT
organisierten Unternehmen hinsichtlich der Anzahl der MitarbeiterInnen im
selben Zeitraum gewachsen (VUT 2005, S. 14). Diese Entwicklung darf jedoch
nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Lage ebenso für die ohnehin
schweren wirtschaftlichen Bedingungen ausgesetzten Indies zuspitzt. Auch sie
sind gezwungen weitere Einnahmequellen zu erschließen (vgl. ebenda, S. 7).
Demzufolge gibt es gleichermaßen die Bestrebungen dem 360-Grad-Modell
entsprechend an der gesamten Vermarktung der Musik und Musikschaffenden zu
partizipieren und neue strategische Geschäftsbereiche aufzubauen (BMWi 2009,
S. 33).
Bei den Indies mag zuweilen die Beziehung zu den Musikschaffenden eine
andere sein, eine die möglicherweise von einer größeren Identifikation geprägt
ist, da sie gegebenenfalls stärker in einer bestimmten Szene involviert sind.
Letztlich streben aber auch sie an die Musikschaffenden und ihre Aufnahmen
bestmöglich und mit Gewinn zu vermarkten. Da die Independents in ihren
finanziellen Möglichkeiten und personellen Ressourcen beschränkt sind, decken
sie gewisse Dienstleistungen über Kooperationen ab. Vor allem für den Vertrieb
der Musikaufnahmen über die gängigen Kanäle suchen sie den Schulterschluss
mit speziellen Vertriebsdienstleistern (z. B. Rough Trade Distribution, Groove
Attack, Zebralutation) oder einem Major (vgl. WIN 2016, S. 20).
4.4 Ableitungen zur Vermarktung der Vermittlungsleistung 279
Nahezu jeder Akteur, der in der Verwertung von Musikaufnahmen involviert ist,
stellt Sinnreich (2016, S. 165) fest, engagiert sich gegenwärtig aktiv in dem
Bemühen einen größeren Anteil an den Gesamteinnahmen zu beanspruchen und
bringt seine Anliegen auf zwischenbetrieblicher und politisch-rechtlicher Ebene
sowie auf dem Feld der öffentlichen Meinungsbildung ein. Zugleich ist das Sich-
Zurechtfinden, auch in unübersichtlichen Situationen, die grundlegende Be-
dingung für Handlungsfähigkeit. So lässt sich mit Shapiro (1988, S. 120) fest-
halten: „A company can be market oriented only if it completely understands its
markets and the people who decide whether to buy its products or services.“ Wer
keinen Überblick im Markt hat, kann auch nicht marktorientiert handeln. Kohli
und Jaworski (1990, S. 4) weisen zugleich aber auf die Schwierigkeit hin die
Strukturen eines Markts zu durchschauen: „Though assessment of customer
needs is the cornerstone of a market orientation, defining customers may not be
simple. In some cases, businesses may have consumers (i.e., end users of
products and services) as well as clients (i.e., organizations that may dictate or
influence the choices or end users). […] Identifying who an organization’s
customers are is even more complex when service is provided to one party, but
payments are received from another.“ Vor diesem Hintergrund ist für das
Zusammenspiel innerhalb des komplexen Beziehungsgeflechts gegenwärtig kein
klares Kräfteverhältnis auszumachen. Erst wenn sich der „Nebel des Umbruchs“
lichtet, schärfen sich in der Folge wieder die Konturen der Zusammenarbeit.
154
Das Urheberrecht erlischt 70 Jahre nach dem Tod der UrheberInnen (§ 64 UrhG). Die in den
§§ 77 und 78 UrhG bezeichneten Rechte der ausübenden KünstlerInnen erlöschen 70 Jahre nach
dem Erscheinen des Tonträgers bzw. nach dessen erster erlaubter Benutzung zur öffentlichen
Wiedergabe (§ 82 UrhG).
4.4 Ableitungen zur Vermarktung der Vermittlungsleistung 283
155
Laut der Veröffentlichung der Verbände IFPI und WIN (2016, S. 10) werfen lediglich 10 bis
25 Prozent der MusikerInnen, die bei einem phonographischen Unternehmen unter Vertrag ste-
hen, mit ihren Musikaufnahmen Gewinn für das Unternehmen ab.
284 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
156
Verfolgt wird eine bessere Koordination der Vermarktung der Musikschaffenden, wobei sich
durch die integrierte Betrachtung der gesamten Wertschöpfung das Aufgabenfeld stärker in den
Bereich des KünstlerInnenmanagements verschiebt. Nochmals ist darauf hinzuweisen, dass die
288 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
Vermittlungsleistung im Rahmen der Fallstudie auf der Absatzseite angeordnet ist. Wird die
Verhandlung mit den Musikschaffenden auf die Beschaffung der Rechte ausgerichtet, lässt sich
die Ausführung (bei einer auf den Absatz der Musikaufnahmen bezogenen Argumentation
gegenüber den Musikschaffenden) auch auf Aspekte des Beschaffungsmarketing übertragen.
4.4 Ableitungen zur Vermarktung der Vermittlungsleistung 289
157
Auszugehen ist davon, dass je nach Position der Musikschaffenden eine unterschiedliche Nutzen-
kategorie im Vordergrund steht. Als verschiedene KundInnensegmente identifiziert, kann für
noch weitestgehend unbekannte MusikerInnen das Prestige, für bereits etablierte MusikerInnen
mitunter der finanzielle Aspekt eine größere Rolle spielen. So treffen vor allem die „Stars“
(als gewachsene organisierte Wirtschaftseinheiten) mit der Beantwortung der Frage nach
einer Zusammenarbeit mit einem phonographischen Unternehmen eine organisationale Kauf-
entscheidung, die eine tendenziell rationalere und eine im stärkeren Maße formalisierte
Entscheidungsfindung auszeichnet. Je nachdem wie MusikerInnen die Aspekte gewichten, ist von
unterschiedlichen Grund- und Zusatznutzen auszugehen. Dabei lässt die Zusatzleistung bzw.
Erfüllung des Zusatznutzens, von den Musikschaffenden nicht direkt erwartet, im Wettbewerb
der phonographischen Unternehmen um die Musikschaffenden weit mehr Differenzierungs-
möglichkeit zu.
4.4 Ableitungen zur Vermarktung der Vermittlungsleistung 291
als lukrativere Option. Auch für die Musikschaffenden stellt sich die Frage nach
der Fristigkeit der vertraglichen Bindung. Aufgrund der Eigenart künstlerisch-
kreativer Arbeit und der Komplexität der Vermittlungsleistung erscheint, grund-
sätzliche Kompatibilität vorausgesetzt, eine längerfristige Zusammenarbeit
vorteilhaft. Dabei sind zunehmend besser über die wirtschaftlichen Zusammen-
hänge informierte Musikschaffende für jene Unternehmen der phonographischen
Industrie, die sich der Qualität ihrer Vermittlungsleistung bewusst sind, nicht
zwangsläufig eine Bedrohung, sondern können für beide Seiten von Vorteil sein.
Die Musikschaffenden sind sich über die Bedeutung der Vermittlung und dessen
Herausforderungen im Klaren und beziehen den Prozess der Anerkennung ihres
künstlerisch-kreativen Schaffens in der öffentlichen Wahrnehmung auch auf die
Leistung der phonographischen Unternehmen.
Bei Abschluss des Vertrags ist die Vermittlung durch ein phonographisches
Unternehmen als immaterielles Leistungsversprechen zu verstehen. Auf Seiten
der Musikschaffenden besteht deshalb Unsicherheit über die tatsächliche Qualität
der Vermittlung, die das Unternehmen zukünftig zu leisten imstande ist. Auf
Seiten der phonographischen Unternehmen wiederum herrscht das Risiko
bezüglich der Musikschaffenden (bzw. der Musikaufnahmen) als externer Faktor
vor, dessen Integration in den Leistungserstellungsprozess entscheidend ist. Im
Zentrum der Aktivitäten stehen deshalb die Reduktion der Informations-
asymmetrie sowie die Abgleichung der Ziele, um Unsicherheiten abzubauen und
opportunistisches Verhalten zu vermeiden. Aufgabe des Marketing ist die
Angleichung der Interessen der MusikerInnen und der phonographischen Unter-
nehmen. Weder eine Übervorteilung der KundInnen noch der Unternehmen ist
im Sinne des Marketing. Im Folgenden sind einige Punkte zu den Marketing-
aktivitäten anzumerken:
Positionierung der Labels als Marken: Unter dem Aspekt der Risiko-
reduktion der Musikschaffenden spielt auch die Markenpolitik eine
Rolle. So nutzen die phonographischen Unternehmen in der Ver-
marktung von Musikaufnahmen eigene Labels, wobei Indies in der
Regel Unternehmensname und Label gleichsetzen und Majors auf eine
Vielzahl von Sublabels zurückgreifen.158 Dabei ist an dieser Stelle die
Wirkung der Marke auf die Musikschaffenden gemeint und aus-
drücklich nicht bezogen auf den RezipientInnenmarkt, wo Labels
markenstrategisch nur in Ausnahmefällen eine Rolle spielen (z. B. Blue
Note). Eine Marke kann sich in diesem Fall nicht ausschließlich aus
dem bestehenden (Rechte-)Portfolio an Aufnahmen und MusikerInnen
entfalten. Es geht vielmehr darum Musikschaffenden die Qualität
der Vermittlungsleistung zu signalisieren. Ohne eigene künstlerisch-
kreative Vision, ohne eigene Vorstellung einer zeitgemäßen Ver-
158
Die Majors Sony (z. B. Ariola, Arista, Columbia, Epic, RCA, Sony Classical), Universal (z. B.
Blue Note, Capitol, Deutsche Grammophon, EMI, Island, Motown, Polydor, Virgin) und Warner
(z. B. Atlantic, East West, Parlophone, Reprise, Roadrunner, Warner Classics) verfügen über eine
größere Auswahl an Labels.
294 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
mittlung eines musikalischen Stils und ohne die Bereitschaft und Über-
zeugung das damit verbundene Risiko einzugehen, bleiben Labels in
ihrer Funktion als Marken leere Hüllen, die einzig von dem musik-
ästhetischen Profil der Musikschaffenden zehren.
Absicherung des Leistungsversprechens: Die kommunikationspoliti-
schen Maßnahmen sind auf die Vertrauensbildung auszurichten. Dabei
gilt es den Musikschaffenden in erster Linie im persönlichen Kontakt
die Erfahrungen und Expertise in der Vermittlung zu signalisieren,
schließlich handelt es sich um eine besonders erklärungsbedürftige
Leistung. Zum Aufbau von Reputation eignet sich neben Öffentlich-
keitsarbeit und Events, insbesondere ein Verweis auf bisherige Re-
ferenzen.
nehmen ins Wanken geraten. So zeichnet sich anhand der bestehenden Aufbau-
und Ablauforganisation, also etwa an der Art und Weise, wie Abteilungen ge-
bildet, hierarchische Strukturen durchgesetzt und Prozesse innerhalb der phono-
graphischen Unternehmen ihren Verlauf nehmen, die für den Moment domi-
nierende Ausrichtung der Unternehmen ab. Der innerbetrieblichen Arbeitsteilung
entsprechend sind die Aufgaben auf verschiedene Unternehmensabteilungen
verteilt. Für die musikalische Seite verantwortlich ist demnach die A&R-
Abteilung. Traditionell in der bestehenden Vermarktungslogik der Musikauf-
nahmen ist das A&R-Management allerdings zuständig für Beschaffung von
Rechten. Ist, ausgelöst durch veränderte Umweltbedingungen, von einer Ver-
schiebung der Funktion und Aufgabe der phonographischen Unternehmen in
Richtung des Absatzes der Vermittlungsleistung auszugehen, liegt vielmehr die
Interpretation des A&R als KundInnensegment- oder Key-Account-Management
näher.
Insbesondere wenn die stärkere Verhandlungsseite nicht bereit ist sich zu einer
langfristigen Zusammenarbeit zu bekennen, gewährleisten die ausgehandelten
Verträge keine Absicherung der Beziehung. Um aus Sicht der phonographischen
Unternehmen die längerfristige, über mehrere Projekte dauernde Kooperation
mit Musikschaffenden sicherzustellen, kommt dem A&R-Management als
spezialisierte Koordinationsstelle in organisatorischer Hinsicht eine zentrale
Rolle in dem Beziehungsmanagement zu. In diesem Bereich wird sodann der
Kontakt zu Musikschaffenden initiiert, ausgebaut, zum Vertragsabschluss
geführt, der künstlerisch-kreative Schaffensprozess betreut, Wissen über Musik
bzw. MusikerInnen generiert sowie über Abteilungsgrenzen hinaus im Unter-
nehmen verbreitet und schließlich die Beziehung zu Musikschaffenden lang-
fristig gesichert. Mit Blick auf das nach wie vor stark auf die rechtebasierte
Vermarktung von Musikaufnahmen gestützte Geschäft, insbesondere der Majors,
ist zu konzedieren, dass trotz der gegenwärtigen Instabilität bislang keine klare
Ausrichtung auf den Absatz der Vermittlungsleistung auszumachen ist.
4.4 Ableitungen zur Vermarktung der Vermittlungsleistung 297
Die stärkere Ausrichtung auf die Vermittlungsleistung betrifft die Frage nach
der Implementierung des Marketing respektive der Marketingabteilung als
funktionsbezogene Spezialisierung innerhalb der phonographischen Unter-
nehmen. In der Praxis werden die Marketingaufgaben demnach in einer Ab-
teilung zusammengefasst, zum Teil auch auf spezialisierte Abteilungen aufgeteilt
(z. B. A&R, Produktmanagement, Sales, New Media). Dies ist selbstredend
abhängig von der Unternehmensgröße, das heißt bei kleineren Indies werden im
Extremfall jegliche Aufgaben von einer einzelnen Person übernommen, mit
zunehmender Größe werden die Aufgaben auf verschiedene Personen bzw. Ab-
teilungen verteilt. Bei den Majors kommt (etwa im Rahmen einer Matrix-
organisation) die Abstimmung der einzelnen nationalen Gesellschaften mit der
Unternehmenszentrale hinzu.
In der Regel ist das A&R (als kundInnenbezogene Koordinationsstelle) für den
Kontakt zu den Musikschaffenden zuständig, während das Produktmanagement
(als produktbezogene Koordinationsstelle) mit der Vermarktung der ent-
standenen Musikaufnahmen betraut ist. Dabei klaffen womöglich die Ziel-
setzungen sowie Erfolgs- und Risikoeinschätzungen bezüglich der Musik bzw.
MusikerInnen auseinander (vgl. Ordanini; Rubera; Sala 2008, S. 20 f.), was für
die phonographischen Unternehmen zur Eindämmung des Konfliktpotenzials
zugleich einen höheren internen Abstimmungsbedarf an der Schnittstelle
der Abteilungen bedeutet. Es geht dabei etwa um die Verarbeitung von
Informationen, die Festlegung der Verantwortlichkeiten und Weisungsbefugnisse
sowie die Abstimmung der Aktivitäten im Kontakt mit den Musikschaffenden
(z. B. Angebotserstellung, projektbezogene Kommunikation, Umgang mit
Beschwerden). Dies bezieht sich hier in erster Linie auf die Koordination von
A&R und Produktmanagement, gilt aber sowohl für die Abstimmung mit
weiteren marketingspezifischen Funktionen (New Media, Marktforschung etc.)
298 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
159
Die Rolle und der Einfluss des Marketing (bzw. der Marketingabteilung) werden mehrfach in
Publikationen aufgegriffen (vgl. Moorman; Rust 1999; Homburg et al. 2015). Zuletzt häuft sich
die Vermutung, der Stellenwert des Marketing nehme in der Praxis vielerorts ab. Interessanter-
weise bewerten MarketingwissenschaftlerInnen den gegenwärtigen sowie künftigen Erfolgs-
beitrag höher als die MarketingpraktikerInnen, wohl auch aufgrund der in der Wissenschaft
herrschenden, in der Praxis aber nur bedingt anzutreffenden Ansicht des Marketing als markt-
orientierte Führungskonzeption (Meffert; Sepehr 2012, S. 24 f.). Zum Teil wird darin ein
Kommunikationsproblem gesehen, das heißt die Marketingabteilung kann den Erfolg ihrer
Maßnahmen innerhalb des Betriebs nicht immer entsprechend nachweisen (vgl. Meffert; Sepehr
2012, S. 25; Verhoef; Leeflang 2009, S. 26). Diese Entwicklung deutet aber überdies darauf hin,
dass der Anspruch der Marketingwissenschaft, ihre Erkenntnisse, in der Folge auch das Selbst-
verständnis des Marketing als marktorientierte Führungskonzeption, der unternehmerischen
Praxis zur Anwendung bereitzustellen, nur bedingt erfüllt wird.
4.4 Ableitungen zur Vermarktung der Vermittlungsleistung 299
160
Die Entwicklung vermehrt über Fusionen und Übernahmen zu wachsen, ist nicht auf die phono-
graphische Industrie zu beschränken. Im gesamten Medienbereich finden zahlreiche Akqui-
sitionen und strategische Allianzen statt. Getrieben wird diese Entwicklung durch eine verstärkte
Konvergenz von Telekommunikation, Informationstechnologie und Medien, die auf eine Auf-
lösung einst bestehender Branchengrenzen hinweist und für viele Unternehmen zur Folge hat, da
sie selbst (noch) nicht alle Bereiche abdecken, dass sie die Potenziale der Konvergenz über
Kooperationen, Fusionen und Übernahmen zu integrieren versuchen.
300 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
einen direkten Berufseinstieg in der Musikwirtschaft richten. Die Frage, die sich
stellt, ist jene nach dem Ausmaß des Praxisbezugs.161 Die Praxisanbindung findet
häufig über Case Studies, Praxisprojekte, Einbindung von PraxisvertreterInnen in
die Lehre und die Bereitstellung von Praktikumsplätzen statt. Diese enge
Bindung zwischen Ausbildungsstätte und Praxis sorgt dafür, dass die in der
Ausbildung vermittelten Inhalte und Kompetenzen direkt oder indirekt mit-
bestimmt werden. So sind einige der angebotenen Studiengänge – entgegen des
Bildungsbegriffs Wilhelm von Humboldts – vornehmlich auf die berufs-
praktische Ausbildung ausgerichtet, ersetzen und ergänzen zum Teil also die
klassische Berufsausbildung (z. B. Kaufmann/-frau für audiovisuelle Medien)
(Wickström; Lücke; Jóri 2015, S. 73). Gerade im Arbeitsfeld der Kultur bedarf
es jedoch der ganzheitlichen Bildung, also eine stärkere Ausrichtung auf
Kreativität, Hintergrundwissen, Weltgewandtheit, Urteilsvermögen, Eigen-
ständigkeit und Persönlichkeitsentwicklung.
Die zentrale Herausforderung ist dabei den Mittelweg aus Spezialisierung und
Generalisierung zu finden, nicht nur schmalspurige BranchenexpertInnen
auszubilden, die in ihrem Denken und Handeln den gegenwärtig herrschenden
Strukturen vollständig angepasst sind, sondern die Studierenden außerdem
zu befähigen branchenunabhängige Entwicklungen erkennen und ganzheitliche
161
Grundsätzlich scheint die Vielfalt des Ausbildungs- und Studienangebots den Vorteil zu haben,
den unterschiedlichen Ansprüchen und Erwartungen, den der Nachwuchs an die eigene Aus-
bildung richtet, entgegenzukommen. Auch vor dem Hintergrund einer verheerenden Signal-
wirkung des (massenhaften) Quereinstiegs in die Unternehmen der phonographischen Industrie ist
der Ausbau des Ausbildungsangebots zu begrüßen, entsteht doch bei den Musikschaffenden
möglicherweise der Eindruck, eine profunde Vor- und Ausbildung sei nicht notwendig, ein
Training on the Job reiche aus und die Vermarktung der Musikaufnahmen könne ohne größere
Vorbildung selbst übernommen werden. Ohne an dieser Stelle einzelne Ausbildungsstätten
und/oder Studiengänge zu kritisieren, ist jedoch die Frage angebracht, wie tief eine solche
branchen- bzw. berufsbezogene Spezialisierung in der Ausbildung sinnvoll anwendbar ist. Ist der
Fokus des Kulturmanagements ausreichend oder bedarf es eines Musikmanagements? Ist
irgendwann gar ein (grundständiges) Studium des Musikmarketingmanagements oder des Musik-
personalmanagements erforderlich? Eine Verengung auf Berufsbezogenheit, eine Verkürzung auf
die Vermittlung berufsspezifischer Fertigkeiten für immer kleinteiligere Aufgaben beinhaltet
schließlich stets die Gefahr Studierende mit spezifischem Rüstzeug für Berufe vorzubereiten, die
womöglich in der Zukunft nicht mehr existieren, zumindest nicht in der Art und Weise, wie sie
noch gegenwärtig bestehen.
304 4 Branchenspezifische Annäherung: Marketing in der Musikwirtschaft
4.5 Zwischenfazit
Die branchenspezifische Annäherung verfolgt eine Kontextualisierung der
Austauschprozesse. Der Anwendungsbezug wird vorab über die Konkretisierung
der Austauschobjekte (Musik als kulturelle Ausdrucksform) und in einem
zweiten Schritt über die Konkretisierung des institutionellen Rahmens her-
gestellt. Jene Besonderheiten des Austauschprozesses, die Kultur als Gegen-
standsbereich ausmachen bzw. sich aus dem Kulturbegriff ableiten lassen,
werden übergangen oder vorausgesetzt. Häufig geschieht dies stillschweigend,
sich am „allgemeinen“ Marketing orientierend, im Rahmen der Arbeit unter
Berücksichtigung der Ausführung zum „Kulturgütermarketing“ sowie mit dem
Verweis auf das Dienstleistungsmarketing. Festzuhalten ist somit, dass es nicht
„das“ Marketing in der Musikwirtschaft gibt. „Marketing in der Musik-
wirtschaft“ ist nicht zwangsläufig mit „Kulturgütermarketing“ gleichzusetzen.
Mit der differenzierten Analyse der Austauschprozesse liegen unterschied-
liche Konzeptionen des Marketing zugrunde, zu heterogen ist die Nachfrage
(Musikschaffen, Musikrezeption, Musikverwertung), sind (Teil-)Branchen
(Musikaufnahme, Musikveranstaltung etc.) und Akteure (Musikschaffende,
phonographische Unternehmen).
Im Rahmen der branchenspezifischen Annäherung werden lediglich zwei
der vielfältigen Austauschprozesse behandelt. In der Folge beschränkt sich die
4.5 Zwischenfazit 305
Das Verständnis des Markts bzw. dessen Abgrenzung und Strukturierung ist
also für das Vorgehen keinesfalls unbedeutend, ist doch die Frage nach der
Abgrenzung des Markts aufs Engste mit der Identifizierung der Umwelt-
bedingungen verbunden, die wiederum für die hier verfolgte Ableitung der
marketingtheoretischen Rückschlüsse entscheidend sind. Vor diesem Hinter-
grund ist das Marktverständnis von Relevanz für die erarbeiteten Thesen.
Folgerichtig gilt es bei der Diskussion der Thesen auch die gewählte Re-
präsentation des Kulturbetriebs, auf der Makroebene durch den Bereich der Aus-
tauschprozesse mit Musikaufnahmen sowie auf der Mikroebene durch die
Musikschaffenden bzw. die phonographischen Unternehmen, und letztlich die
damit verbundenen Umweltbedingungen zu hinterfragen.
Die Thesen geben einhergehend mit dem notwendigen Induktionsschritt und der
Konkretisierung des institutionellen Rahmens ein sehr praxisbezogenes
Verständnis wieder. Ändern sich die Bedingungen der Umwelt können auch die
marketingtheoretischen Rückschlüsse schnell hinfällig werden. Offensichtlich ist
dies bei Veränderungen der Gesetze und Regelungen (z. B. im Urheberrechts-
gesetz als Grundlage der Verwertung des musikalischen Schaffens) und leuchtet
ebenso ein in Anbetracht der Entwicklungen im Bereich der Technologie (z. B.
Smartphone als Abspielgerät für Musik). Mit der Konkretheit der Aussagen ist
dann auch der Gültigkeitsbereich über die konkreten Fallkontexte hinaus zu
diskutieren (vgl. Heimerl 2009, S. 391). Die Austauschprozesse sind in der
verfolgten fallstudienartigen Vorgehensweise unter der Auffassung ausgewählt,
sie eigneten sich für die Repräsentation des Kulturbetriebs: Ausgehend von den
gewählten Austauschprozessen werden die jeweiligen Umweltbedingungen zwar
branchenspezifisch aufgearbeitet, lassen sich das institutionelle Setting (z. B.
organisatorische Trennung von künstlerisch-kreativer Leistung und Ver-
mittlungsleistung) bzw. die Entwicklungen der Umwelt (z. B. Digitalisierung,
Vertragsgestaltung) aber auch in anderen (Teil-)Branchen finden, können die
aufgearbeiteten komplexen Zusammenhänge und die marketingtheoretischen
Rückschlüsse ebenso für weitere (Teil-)Branchen übernommen werden.
Zu beachten ist grundsätzlich, dass von einer analytischen Generalisierbarkeit
ausgegangen wird (vgl. Yin 2009, S. 38 f.). Aufgrund unterschiedlicher
Produktions- und Vermarktungsprozesse ist beispielsweise eine Übertragung auf
den Opern- und Theaterbetrieb nur bedingt möglich, da einerseits (räumlich und
4.5 Zwischenfazit 307
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019
N. H. Gröppel, Marketing im Kulturbetrieb, Musikwirtschafts- und
Musikkulturforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26735-3_5
310 5 Schlussbetrachtung: „Marketing im Kulturbetrieb“ – quo vadis?
162
So findet Zembylas (2004, S. 107 f.) Zustimmung, wenn er schreibt, dass „wohin man blickt, in
die Agenden der öffentlichen Kulturförderung, in die Sammlungstätigkeit eines Museums, auf das
Programm eines Volksmusikfestivals oder auf die Leitziele eines Kulturvereins, kann man fest-
stellen, dass der jeweils implizit angewandte Kunst- oder Kulturbegriff nicht unendlich offen und
polysemisch ist, wie manche poststrukturalistischen und semiotischen Theorien uns weismachen
wollen. Die Einschränkung der semantischen Ambiguität durch Werte, normative Kriterien und
Taxonomien ist unvermeidbar und uneliminierbar. Werte sind die Bedingung dafür, dass
bestimmte Gegenstände symbolische und ostentative Funktionen übernehmen und so erst über-
haupt zu Kulturgütern werden können. […] Werte, Normierungen und Taxonomien sind folglich,
sehr frei gesagt, eine Art ‚Bedingung der Möglichkeit‘, ohne die der Kultursektor nicht kodierbar
und in der Folge von anderen Bereichen der Gesellschaft ununterscheidbar wäre […]. Das
bedeutet, dass der Kulturbegriff der Kulturorganisationen und die Konzeption von Kulturgütern
im Tauschprozess normativ imprägniert sind.“
312 5 Schlussbetrachtung: „Marketing im Kulturbetrieb“ – quo vadis?
Sind Kultur und Werte Gegenstand der Marktforschung, zieht dies bei
vielen Menschen Unmut auf sich, vor allem wenn dies für kommerzielle
Zwecke geschieht. Ebenso sorgen die Sammlung und Auswertung der
Daten im Internet (Stichwort: Big Data) zur Prognose des menschlichen
Verhaltens für Missmut.163 Dabei spielt in diesem Zusammenhang auch
die noch vielfach verbreitete groteske Vorstellung von souveränen
KonsumentInnen eine Rolle (vgl. Kroeber-Riel; Gröppel-Klein 2013,
S. 743 ff.). Angesichts der Bedeutung von Kultur für den Menschen als
soziales Wesen scheint dieses Vorgehen von grundsätzlicher Brisanz zu
sein. Insbesondere die Entwicklung des Neuromarketing muss hier
Anstoß zur Diskussion darüber sein, inwieweit der Mensch (als
KonsumentIn) ausgeforscht werden darf (vgl. Murphy; Illes; Reiner
163
Menschen geben heute aus freien Stücken immer mehr über sich preis, durch Ausstellung ihrer
selbst liefern sie sich (sich in Freiheit wähnend) der ständigen gegenseitigen Kontrolle und Über-
wachung aus. So „entblößen wir uns“, Han (2016, S. 22) zufolge, „freiwillig ohne jeden Zwang,
ohne jede Verordnung. Wir stellen freiwillig alle mögliche Daten und Informationen über uns ins
Netz, ohne zu wissen, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über uns weiß. Diese
Unkontrollierbarkeit stellt eine ernst zu nehmende Krise der Freiheit dar. […] Big Data ist ein
sehr effizientes psychopolitisches Instrument, das es erlaubt, ein umfassendes Wissen über die
Dynamiken der gesellschaftlichen Kommunikation zu erlangen. Dieses Wissen ist ein Herr-
schaftswissen, das es möglich macht, in die Psyche einzugreifen und sie auf einer präreflexiven
Ebene zu beeinflussen.“ Zugleich sind es nicht nur Staaten bzw. Geheimdienste, sondern vor
allem private Unternehmen, die, in dem Glauben das menschliche Verhalten beherrsch- und
vorhersagbar zu machen, persönliche Daten sammeln und in jede erdenkliche Richtung aus-
werten, um hieraus Kapital zu schlagen.
5.1 Gesellschaftliche Verantwortung 313
Kritik wird zum Teil auch an der offenen Absicht der Gewinnerzielung
geäußert. Hierdurch, so die Begründung, werde der künstlerisch-
kreative Anspruch der Kulturschaffenden in Zweifel gezogen. Da es an
dieser Stelle nicht um eine allgemeine Kritik an der Gewinnorientierung
gehen kann, stellt sich eher die Frage, wie hoch der Preis und der
Gewinn sein dürfen. (Ähnliche Fragestellungen ergeben sich, wenn ein
Werk für werbliche Zwecke eines Unternehmens eingesetzt, seine
Aussage gegebenenfalls der werblichen Botschaft untergeordnet wird.
Anders ist die Situation vielleicht zu beurteilen, wenn sich hier-
durch Möglichkeiten der Quersubventionierung auf Seiten der Kultur-
schaffenden ergeben.) Die ökonomische Realität des Kulturschaffens
darf keinesfalls ausgeblendet werden. Eine künstlerisch-kreative Tätig-
keit von Berufs wegen auszuüben, bedeutet für Kulturschaffende darauf
angewiesen zu sein mit ihren Werken Geld zu verdienen.164 Nicht selten
kann heutzutage neben dem Prestige auch die Vorstellung vom
164
Dies gilt ebenso für die vermittelnden Kulturbetriebe (Bourdieu 2001, S. 240 f.): „Das
verleugnete ‚ökonomische‘ Unternehmen des Gemäldehändlers oder Verlegers, in dem Kunst und
Geschäft sich vermählen, kann selbst unter ‚ökonomischen‘ Gesichtspunkten nur Erfolg haben,
wenn es sich von der praktischen Beherrschung der Funktionsgesetze und spezifischen
Anforderungen des Feldes leiten läßt. Der Unternehmer in Sachen Kulturproduktion muß eine
ganz und gar unwahrscheinliche, jedenfalls seltene Kombination in sich vereinigen: Realismus,
der minimale Konzessionen an die verleugneten (und nicht negierten) ‚ökonomischen‘ Not-
wendigkeiten beinhaltet, und ‚interesselose‘ Überzeugung, die diese ausschließt. […] Und so wie
der Verleger oder Gemäldehändler, der als ‚Entdekker‘ zu wirken gedenkt, nichts mit dem reinen
Händler gemein hat, so steht er nicht minder in Gegensatz zu jenen, die in der kommerziellen
Dimension ihres Unternehmens denselben Eingebungen folgen wie in der kulturellen. […] Es
liegt an der tiefgreifenden Zwiespältigkeit des Universums der Kunst, daß auf der einen Seite
Neuankömmlinge ohne Kapital sich durchaus auf dem Markt behaupten können, nämlich indem
sie sich auf jene Werte berufen, in deren Namen auch die Herrschenden ihr (seither mehr oder
minder in ‚ökonomisches‘ Kapital umgewandeltes) symbolisches Kapital akkumulierten; und daß
auf der anderen Seite lediglich jene die symbolischen Gewinne wie auch die ‚ökonomischen‘
Profite ihrer symbolischen Investitionen voll einstreichen können, die zu rechnen und mit den in
dieser verleugneten Ökonomie angelegten ‚ökonomischen‘ Zwängen taktisch umzugehen ver-
stehen.“
314 5 Schlussbetrachtung: „Marketing im Kulturbetrieb“ – quo vadis?
Freiwilligkeit stets das dünne Eis auf dem kollektive Maßnahmen basieren:
Sofern sich Einzelne nicht an eine Vereinbarung halten, wird sie hinfällig. Die
anderen Marktakteure werden sich nicht mehr gebunden fühlen und versuchen
einen möglichen Wettbewerbsnachteil wieder wettzumachen.
Ein Verweis auf die mögliche Regelung durch staatliche Eingriffe ist an dieser
Stelle richtig, lässt aber nicht unbedingt optimistische Töne anstimmen. Wer
„jenseits von Festreden und Parteiprogrammen“ immer noch auf die flächen-
deckende öffentliche Finanzierung kultureller Angebote setzt, wird vom der-
zeitig vorherrschenden kulturpolitischen Handeln wohl unweigerlich enttäuscht
(vgl. Wagner 2006, S. 172). Gegenwärtig läuft die Entwicklung mit dem Abbau
von Subventionen und der Förderung der Privatisierung vielerorts nämlich zum
einen eher in die Gegenrichtung und zum anderen werden (auch bei steigenden
Gesamtbeträgen) die öffentlichen Gelder auf immer mehr kulturelle Angebote
verteilt. Bei der Entscheidung über öffentlich finanzierte Kulturangebote
argumentiert die Politik mit der Meritorik, was sich in Anbetracht einer pater-
nalistisch anmutenden Haltung keinesfalls als unproblematisch darstellt. Die
Einstufung eines bestimmten (kulturellen) Angebots als meritorisch zieht auf
(wirtschafts-)politischer Ebene in der Regel staatliche Förderung nach sich. Auf
diese Weise werden bestimmte Güter bzw. deren Anbieter von der Kulturpolitik
protegiert, anderen bleiben die damit verbundenen Privilegien verwehrt. Die
Bewertung eines Guts als meritorisch (bzw. demeritorisch) fällt allerdings stets
subjektiv aus. Was gefördert wird, wer und mit welcher Legitimation ent-
scheidet, was als verzerrte Präferenz der BürgerInnen und gesellschaftlich
wünschenswerter Versorgungsgrad gilt, ist Auslöser von Kontroversen. Eine
regellose Entscheidung über direkte und indirekte Förderung bleibt, fernab eines
Verweises auf historisch gewachsene Strukturen, ebenso wie eine Förder-
entscheidung (allein) auf der Grundlage von Quoten, Reichweiten, Klicks oder
Verkaufszahlen fragwürdig.
In öffentlichen Auseinandersetzungen über das Kulturschaffen geht es unter-
dessen vermehrt um ökonomische Kategorien. Der Wunsch subjektive Quali-
täten in objektiven Quantitäten auszudrücken, kulturelle Güter permanent (in
Rankings wie dem Kunstkompass, Musikcharts etc.) messbar zu machen, ver-
leitet zu dem Glauben, die ermittelte Reihenfolge spiegele die tatsächliche
Leistung wieder, bildet letztlich aber nicht mehr als den Markterfolg ab (und
316 5 Schlussbetrachtung: „Marketing im Kulturbetrieb“ – quo vadis?
165
Mit der Illusion von Freiheit und dem Versprechen von Selbstverwirklichung findet der
Kapitalismus (im Gewand des Neoliberalismus) zu seiner Vollendung in der Selbstausbeutung ein
effizienteres Mittel als in der Fremdausbeutung; zugleich gibt sich das Subjekt (oder besser: das
Ich als stets neu zu entwerfendes Projekt), im Wahn der Selbstoptimierung gefangen, für das
Scheitern selbst die Schuld, die perfide Intelligenz des neoliberalen Herrschaftsregimes unter-
drückt so jegliche, vor allem die gemeinschaftlich getragene Systemkritik (vgl. Han 2016,
S. 9 ff.). So kennzeichnet der Kollaps, die sich ausbreitende Erschöpfung – ausgedrückt in der
Diagnose des Burn-outs und der Depression – ein System, in dem Selbstoptimierung zur Selbst-
ausbeutung wird, in dem sich Freiheit in Zwang und Unterwerfung umkehrt und das immer
weitere Lösungen zur Selbstoptimierung und Effizienzsteigerung (vom Selbstmanagement-
workshop über das Mentaltraining bis hin zur Therapie) parat hält ein ins Stocken geratenes
5.1 Gesellschaftliche Verantwortung 317
Wert der Pluralität der Informationen, der maximalen Vielfalt des kulturellen
Angebots zu beleuchten – nicht misszuverstehen mit einem Plädoyer für
Einseitigkeit und Begrenzung, sondern verbunden mit der Frage, ob ein
(quantitatives) Maximum an Konsum den Nutzen (im Hinblick auf das Bedürfnis
nach Orientierung) tatsächlich steigert. Wird – im Gegenteil – durch Reiz-
überflutung und Stress nicht gar Zeit und Aufmerksamkeit verbraucht, sodass
letztlich ein wirklich befriedigender Konsum nicht mehr möglich ist? Geht es bei
der Rezeption von kulturellen Werken nicht eher darum etwas zu konsumieren,
das vielmehr eine Qualität als eine Quantität besitzt? Bleibt mit einer
Erweiterung und Fragmentierung des Konsums (und der Konsummöglichkeiten)
an einem Endpunkt, an dem (mit der vollständigen Entfaltung des Individuums)
alle für sich etwas anderes konsumieren, kein öffentlicher Diskurs stattfindet,
also die Kollektivität verloren geht, nicht die Kultur auf der Strecke?
Die Überwindung dieser systemimmanenten Logik, der Ausrichtung auf
Steigerung und Wachstum, scheint ohne auch Überlegungen anzustellen, die auf
die Veränderung (wenn nicht gar die Abkehr) des (den Austauschprozessen
zugrunde liegenden) kapitalistischen Wirtschaftssystems abzielen, nicht vor-
stellbar. In der Folge treten neue Fragen auf die (politische) Agenda, die nach
einem analytischen Gespür ebenso wie nach einem hohen Maß an visionärer
Kraft verlangen: Wie etwa sieht eine Postwachstumsgesellschaft 166 aus? Wie
sehen die Bedingungen der Produktion, Distribution und Rezeption von Kultur-
gütern in einer solchen Gesellschaft aus? Welche Rolle spielt dabei das (Kultur-
güter-)Marketing? Ebenso sind unter diesen Gesichtspunkten politische For-
derungen wie etwa ein bedingungsloses Grundeinkommen oder eine Kultur-
flatrate und deren Auswirkungen auf den Kulturbetrieb zu diskutieren.
Subjekt wieder in das System einzufügen, ja wieder zum Funktionieren zu bringen (vgl. ebenda,
S. 42 ff.).
166
Unter Postwachstumsgesellschaft kann nach Rosa (2016, S. 727) eine Sozialformation verstanden
werden, die durchaus zu jeder Zeit fähig ist zum Wachstum, zur Beschleunigung und zur
Innovation, um den Status quo richtungsweisend verändern zu können, nicht aber, um den
institutionellen Status quo zu erhalten, zur Steigerung gezwungen ist.
318 5 Schlussbetrachtung: „Marketing im Kulturbetrieb“ – quo vadis?
167
Hier geht es nicht grundsätzlich um Werturteile in der Wissenschaft. Basiswerturteile sowie
Werturteile im Objektbereich der Wissenschaft gelten als unstrittig (vgl. Franke 2002, S. 116 f.).
Hingegen kontrovers diskutiert werden vor allem Werturteile im Aussagenbereich, so etwa im
Werturteilsstreit bzw. im Positivismusstreit. In der Marketingwissenschaft herrscht Uneinigkeit,
ob und inwieweit normative Aussagen zulässig sind (vgl. Raffée 1995, S. 1676; Franke 2002,
S. 115 ff.). Sie sieht sich bisweilen mehr der Position des kritischen Rationalismus und dem
Postulat der Werturteilsfreiheit verbunden, was die kritische Haltung gegenüber Werturteilen im
Aussagenzusammenhang begründet (vgl. Raffée 1995, S. 1676; Chmielewicz 1994, S. 292 ff.).
5.1 Gesellschaftliche Verantwortung 319
gruppen, also mitunter auch fachfremde Personen und Institutionen (z. B. Kirche,
Presse), hinein, denen es am Unterbau einer Theorie und/oder Technologie
mangelt (ebenda, S. 302 f.).
Eine Wissenschaft, die einen Beitrag zur menschlichen Daseinsbewältigung
leisten will, kann sich der gesellschaftlichen Verantwortung für die Verwendung
ihrer Erkenntnisse und damit auch Werturteilen im Aussagenzusammenhang nur
schwer entziehen. Schließlich verliert die Wissenschaft mit dem Umfahren
strittiger Thematiken ihre Mitsprache und ihren Einfluss auf gesellschaftliche
und politische Entwicklungen. Eine generelle, an das wissenschaftliche Personal
gerichtete Aufforderung als moralisches Korrektiv aufzutreten, mag wohl einer
verqueren Sicht auf den Kompetenzbereich der Wissenschaft unterliegen und
von daher abwegig sein. Anstelle versteckter Wertungen ermöglicht eine als
solche kenntlich gemachte Diskussion und Offenlegung von Werturteilen im
Aussagenbereich hingegen die Ergebnisse der Kulturbetriebsforschung einzu-
ordnen und gegebenenfalls vorab, auf wissenschaftlichen Erkenntnissen ba-
sierend, die Weichen für Politik und Praxis gegen mögliche Fehlentwicklungen
zu stellen.
Selten findet sich eine derart klar formulierte Positionierung wie bei Hofecker
(2006, S. 179 f.): „Für die Kulturbetriebslehre ist es wichtig zu betonen, dass sie
dem Gegenstandsbereich ihrer Forschung und Lehre gegenüber keine dis-
tanzierte, wertneutrale Position vertritt, sondern ausdrücklich und bekannter-
maßen parteiisch denkt und argumentiert. […] Wir sind pro Kunst und Kultur
eingestellt, wir sind für eine höhere Ressourcenzuteilung für den Kulturbereich
und die Kulturbetriebe, wir meinen, dieser Bereich verdient ein höheres Maß an
Aufmerksamkeit und Bedeutsamkeit durch die Gesellschaft und öffentliche
Hand. Wir sind für die Gewährleistung von Rahmenbedingungen, die freien und
vermehrten Zutritt aller Gesellschaftsschichten in den Kulturbetrieb ermöglichen,
wir entwickeln Argumentationsketten, die der Gewährleistung von Vielfalt und
Pluralität hohe Priorität beimessen u.a.“ Wie ein solch offenes Bekenntnis für
„Kunst und Kultur“ tatsächlich aussieht und wie weit dieses geht, zeigt sich erst
in der konkreten Forschungsarbeit. Letztlich wird damit aber ermöglicht den
Fokus auf das Handeln der WissenschaftlerInnen selbst zu richten und durch die
Verknüpfung wirtschaftlicher Zusammenhänge mit einer ethischen Dimension in
Aussicht gestellt, die Disziplin in Position zu bringen, ihre Bedeutung für die
5.2 (Inter-)Disziplinärer Kontext 321
Menschen – was in diesem Fall auch heißt weg von dem altbekannten Vorwurf
der einseitigen Ausrichtung an den Interessen der Unternehmen – im gesell-
schaftlichen Kontext zu betonen. Inwieweit sich die wissenschaftliche Forschung
und Lehre ethischen Fragestellungen gegenüber verschließen und strikt auf die
Werturteilsfreiheit verweisen kann, bleibt also strittig.
168
Jungert (2010, S. 1 ff.) liefert einen Überblick über die Vielfalt von Begriffen, die sich in irgend-
einer Weise auf das Verhältnis wissenschaftlicher Disziplinen zueinander beziehen (z. B. Multi-,
Pluri-, Cross- und Interdisziplinarität). Sicherlich falsch verstanden ist das interdisziplinäre
Arbeiten, wenn bei der Überschreitung einer Fachgrenze der Bezug zum ursprünglichen Fach-
bereich verloren geht, sodass es sich genau genommen um einen Fachwechsel handelt (vgl.
Chmielewicz 1994, S. 27). Ebenso geht es nicht um die „nur“ multidisziplinäre Bearbeitung, bei
der eine Problemstellung in zwei oder mehr Disziplinen nebeneinander stehend behandelt wird;
die interdisziplinäre Vorgehensweise stellt die im Hinblick auf einen (aus der Praxis) aus-
gewählten Problemkomplex verfolgte Integration verschiedener Disziplinen in den Vordergrund
(vgl. Repko; Szostak; Buchberger 2014, S. 28 ff.; Chmielewicz 1994, S. 32). Zuweilen wird in
der Verwendung des Begriffs „Interdisziplinarität“ ein Hinweis gesehen auf die Erosion von
Disziplinen als bestimmende Form akademischer Organisationen (Heilbron 2005, S. 43). Gleich-
zeitig bewirkt die Kennzeichnung als Interdisziplin die (implizite) Übernahme der gängigen
Systematik der Wissenschaften. So wird hier mit Bezug auf die kulturbetriebliche Praxis das
ureigene Forschungsfeld durch die Schnittmenge der Problem- und Fachabgrenzung der
originären Disziplinen markiert.
5.2 (Inter-)Disziplinärer Kontext 325
169
Das „Marketing im Kulturbetrieb“ wird in Anlehnung an Zembylas (2004) als eine Inter-Disziplin
gekennzeichnet. In Anbetracht des gewählten Ausgangspunkts – Annäherungen aus den Sozial-
und Kulturwissenschaften sind ebenso denkbar – wird es kritisch hier schon von interdisziplinärer
Forschung zu sprechen. Eine Argumentation ist möglich, die das Marketing bereits als inter-
disziplinär versteht, schließlich greift die Marketingdisziplin, wie gezeigt, auf die Erkenntnisse
anderer Disziplinen zu, sie gilt aber mit ihrem Objektbereich als eigenständig. Zwar ist Inter-
disziplinarität insofern festzustellen, als (vor allem in der sektoralen Annäherung) deutlich wird,
dass die kulturbetriebsspezifischen Austauschprozesse weitere Aspekte umfassen, die von der
Marketingwissenschaft nicht abgedeckt werden und eine ergänzende bzw. integrierende Aus-
einandersetzung mit anderen Wissensgebieten notwendig werden lassen, dennoch muss die
Bezeichnung „Inter-Disziplin“ durch einen längeren Bestand des Forschungsfelds (und
gegebenenfalls eine Einbindung in die Lehre sowie einen gewissen Grad der Organisation)
gerechtfertigt sein. Deshalb ist zunächst bewusst die Rede von Annäherungen.
326 5 Schlussbetrachtung: „Marketing im Kulturbetrieb“ – quo vadis?
diesem Prozess zum Einsatz kommt. Indem von der Wechselseitigkeit des
künstlerisch-kreativen Schaffens (bzw. des Kulturbetriebs) und des gesell-
schaftlichen Rahmens ausgegangen wird, beschränkt sich die (wissenschaftliche)
Auseinandersetzung mit dem Spannungsfeld von kulturellem Wert und öko-
nomischer Realität nicht „nur“ auf die singulären Interessen der Kultur-
schaffenden oder des (vermittelnden) Kulturbetriebs, sondern umfasst ebenso
gesamtgesellschaftliche Belange.
Aus der (inter-)disziplinären Ausrichtung des „Marketing im Kulturbetrieb“
(bzw. des „Kulturgütermarketing“) ergeben sich einige grundlegende Aspekte
des wissenschaftlichen Arbeitens, die im Folgenden überblicksartig aufgegriffen
werden:
Mit der Forderung nach interdisziplinärer Forschung ist in Anbetracht
natürlich begrenzter Forschungskapazitäten und einer gemeinhin
bestehenden Gefahr des Dilettantismus der Frage nach deren
Organisation nachzugehen.170 Für das Arbeiten auf interdisziplinärem
Terrain ist die Aneignung des notwendigen Sachverstands uner-
lässlich – zweifelsohne eine Herausforderung die Entwicklungen, Denk-
traditionen und Schulen mehrerer Disziplinen zur Gänze und in
systematischer Art und Weise zu überblicken. So wird es Kultur-
wissenschaftlerInnen nur mit großen Mühen gelingen anspruchsvollen
marketingtheoretischen Ausführungen folgen zu können, ebenso wie es
selbstredend für betriebswirtschaftlich geschulte WissenschaftlerInnen
mit Anstrengungen verbunden ist das Feld der „Kunst und Kultur“
aufzuarbeiten. Da die Forschenden möglicherweise angesichts der Viel-
zahl der involvierten Disziplinen nur bedingt die jeweiligen Ent-
wicklungen zu überblicken imstande sind, besteht neben der Forschung
durch einzelne WissenschaftlerInnen zunächst die Möglichkeit diesen
Bedenken durch die Zusammenstellung einer Forschungsgruppe aus
170
Vollmer (2010, S. 61 ff.) teilt die Schwierigkeiten des interdisziplinären Arbeitens in vier
Gruppen: Demnach erfordert Interdisziplinarität neben viel Wissen auch Vereinfachungen (die
Verfälschungen begünstigen), führt zu Verständnisschwierigkeiten (bzw. Missverständnissen)
und leidet unter Selbstüberschätzung einer oder mehrerer Parteien.
5.2 (Inter-)Disziplinärer Kontext 329
5.3 Fazit
Das „Marketing im Kulturbetrieb“ ist als programmatische Vertiefung des
Marketing in den Anwendungsbereich des Kulturbetriebs zu verstehen. In dem
zugrunde liegenden Anwendungsbezug drückt sich folglich das Verhältnis von
Wissenschaft und Praxis aus. Es geht in grundsätzlicher Art und Weise um das
Aufgreifen der Probleme der Praxis durch die Wissenschaft sowie die Über-
tragung und Nutzbarmachung wissenschaftlicher Erkenntnisse für die Praxis. Zur
Diskussion steht idealerweise nicht das Entweder-oder von kognitivem und
pragmatischem Wissenschaftsziel, sondern deren Balance im Hinblick auf
Erkenntnisgewinn und Verwertungsnutzen. Sektorales und branchenspezifisches
Marketing stellen im eigentlichen Sinne bereits Mittelwege aus einer auf
höchster Abstraktionsebene angeordneten, allgemeinen Marketingtheorie und
den konkreten Problemstellungen der Praxis dar. Offensichtlich setzt aber der
branchenspezifische Ansatz mehr auf die Umsetzung in der Praxis, während der
sektorale Ansatz die Betonung eher auf den Erkenntnisgewinn legt. Dies spricht
die Bedeutung des in der wissenschaftlichen Forschung gewählten Blickwinkels
und die damit verbundene Frage an, wie weit in die Tiefe eine solche an-
332 5 Schlussbetrachtung: „Marketing im Kulturbetrieb“ – quo vadis?
171
Die institutionelle Herangehensweise trägt wesentlich zur Strukturierung des Marketing bei, lebt
aber vor allem durch Praxisrelevanz, weniger durch theoretische Fundierung und sieht sich
konfrontiert mit grundsätzlichen Problemen in der Klassifizierung und Abgrenzung sowie der
Gefahr fragmentierte Aussagen aufzustellen (vgl. Engelhardt 2000, S. 114 f.). Bei genereller
Kritik an der institutionellen Betrachtungsweise ist darauf zu verweisen, dass – in Ergänzung
durch andere Perspektiven – auch weiterhin hieran festzuhalten ist, solange keine aussichtsvolle
und konsensfähige Alternative bereitsteht, die es schafft verschiedene Bereiche zu integrieren,
nicht auf bloßer intellektueller Neugierde beruht und ohne jeglichen Nutzen für die Praxis
verbleibt. So wiegt vor allem das Fehlen einer allgemeinen Marketingtheorie schwer. Schuh und
Holzmüller (2005, S. 24) gehen jedoch davon aus, dass „die Vorstellung von einer allgemeinen
Marketingtheorie […] [implizit] auf einer funktional-instrumentellen Perspektive [gründet], die
primär an der Herbeiführung und Beeinflussung von Einzeltransaktionen von Produkten in
Konsumgütermärkten ausgerichtet ist.“ Demnach zielt eine derartige Perspektive vor allem auf
den Anwendungsbereich der Konsumgüter ab. Es gilt: Institutionelle und funktionelle Gliederung
bilden keinen Widerspruch, auch nicht bei einer Analyse auf Branchenebene (vgl. Chmielewicz
1994, S. 19; Tscheulin; Helmig 2001, S. 29). Genau genommen ist der institutionelle Fokus stets
mit anderen Ansätzen, etwa der funktionellen bzw. instrumentellen Betrachtungsweise verknüpft
(vgl. Engelhardt 2000, S. 111 f.). Ihr Verhältnis ist folglich eher als komplementär zu verstehen.
Problematisch hingegen ist das nebulöse Nebeneinander, wenn also keine übergreifende
Integration stattfindet.
334 5 Schlussbetrachtung: „Marketing im Kulturbetrieb“ – quo vadis?
172
Um an dieser Stelle keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Die branchenspezifische
Forschung steht hier nicht als solche in der Kritik. So ist nicht ausgeschlossen, dass hierbei
bedeutsame Erkenntnisse erzielt werden und eine branchenspezifische Vertiefung sektor-
intern Impulse liefern kann. Kritisch ist aber, wenn die branchenspezifische Konzeption, für sich
stehend, nicht in einen übergeordneten Sektor eingeordnet und entsprechend verwertet wird.
338 5 Schlussbetrachtung: „Marketing im Kulturbetrieb“ – quo vadis?
173
Auch in der Lehre des „Marketing im Kulturbetrieb“ offenbart sich das angesprochene Dilemma.
Aus der Praxis kommt die Forderung nach einer institutionell ausgerichteten Ausbildung, wobei
der Bezug zur „Kulturwirtschaft“ wohl nicht genügt, eher eine tiefergehende Spezialisierung in
die verschiedenen (Teil-)Branchen gewünscht ist. Sich mit einer derartigen Praxisorientierung als
Ausbildungsstätte profilieren zu können, mag verlocken. Den wissenschaftlichen Anspruch an die
universitäre Ausbildung gilt es aber aufrecht zu halten. Die Sicherstellung einer theoretisch
fundierten, durch aktuelle Erkenntnisse der Marketing- und Kulturbetriebsforschung gelenkten
Ausbildung, die insbesondere die Vermittlung der verschiedenen Perspektiven und deren
Integration betont, ist unerlässlich. So kann es, bei allem Verständnis für die Forderung der
Praxis, nicht ausreichen Marketingwissen lediglich innerhalb der kurzlebigen Strukturen
spezieller Wirtschaftszweige zu beziehen. Von derart ausgebildeten MitarbeiterInnen wird auch
die Praxis nicht langfristig profitieren. Einen gesunden Mittelweg zu finden, ist gleichfalls die
zentrale Herausforderung für die Lehre.
5.3 Fazit 339
Der Anhang umfasst neben einer Übersicht der aufgegriffenen Paragraphen des
Urheberrechts- und des Verwertungsgesellschaftengesetzes weitere Abbildungen
und Tabellen zu den Markt- und Umweltbedingungen. Im Text wird an der
entsprechenden Stelle auf den Anhang verwiesen.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019
N. H. Gröppel, Marketing im Kulturbetrieb, Musikwirtschafts- und
Musikkulturforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26735-3
344 Anhang
(1) Der Urheber kann einem anderen das Recht einräumen, das Werk auf
einzelne oder alle Nutzungsarten zu nutzen (Nutzungsrecht). Das
Nutzungsrecht kann als einfaches oder ausschließliches Recht sowie
räumlich, zeitlich oder inhaltlich beschränkt eingeräumt werden.
(2) Das einfache Nutzungsrecht berechtigt den Inhaber, das Werk auf die
erlaubte Art zu nutzen, ohne dass eine Nutzung durch andere aus-
geschlossen ist.
Abschnitt 5 Rechts-
verkehr im Urheberrecht (3) Das ausschließliche Nutzungsrecht berechtigt den Inhaber, das Werk
unter Ausschluss aller anderen Personen auf die ihm erlaubte Art zu
Unterabschnitt 2
nutzen und Nutzungsrechte einzuräumen. Es kann bestimmt werden, dass
Nutzungsrechte
die Nutzung durch den Urheber vorbehalten bleibt. § 35 bleibt unberührt.
§ 31 Einräumung von
(4) (weggefallen)
Nutzungsrechten
(5) Sind bei der Einräumung eines Nutzungsrechts die Nutzungsarten
nicht ausdrücklich einzeln bezeichnet, so bestimmt sich nach dem von
beiden Partnern zugrunde gelegten Vertragszweck, auf welche Nutzungs-
arten es sich erstreckt. Entsprechendes gilt für die Frage, ob ein Nut-
zungsrecht eingeräumt wird, ob es sich um ein einfaches oder ausschließ-
liches Nutzungsrecht handelt, wie weit Nutzungsrecht und Verbotsrecht
reichen und welchen Einschränkungen das Nutzungsrecht unterliegt.
(1) Der Urheber hat für die Einräumung von Nutzungsrechten und die
Erlaubnis zur Werknutzung Anspruch auf die vertraglich vereinbarte
Vergütung. Ist die Höhe der Vergütung nicht bestimmt, gilt die an-
gemessene Vergütung als vereinbart. Soweit die vereinbarte Vergütung
nicht angemessen ist, kann der Urheber von seinem Vertragspartner die
Einwilligung in die Änderung des Vertrages verlangen, durch die dem
Urheber die angemessene Vergütung gewährt wird.
(2) Eine nach einer gemeinsamen Vergütungsregel (§ 36) ermittelte
Vergütung ist angemessen. Im Übrigen ist die Vergütung angemessen,
wenn sie im Zeitpunkt des Vertragsschlusses dem entspricht, was im
§ 32 Angemessene Geschäftsverkehr nach Art und Umfang der eingeräumten Nutzungs-
Vergütung möglichkeit, insbesondere nach Dauer und Zeitpunkt der Nutzung, unter
Berücksichtigung aller Umstände üblicher- und redlicherweise zu leisten
ist.
(3) Auf eine Vereinbarung, die zum Nachteil des Urhebers von den
Absätzen 1 und 2 abweicht, kann der Vertragspartner sich nicht berufen.
Die in Satz 1 bezeichneten Vorschriften finden auch Anwendung, wenn
sie durch anderweitige Gestaltungen umgangen werden. Der Urheber
kann aber unentgeltlich ein einfaches Nutzungsrecht für jedermann
einräumen.
(4) Der Urheber hat keinen Anspruch nach Absatz 1 Satz 3, soweit die
Vergütung für die Nutzung seiner Werke tarifvertraglich bestimmt ist.
Abschnitt 7 Dauer des
Urheberrechts Das Urheberrecht erlischt siebzig Jahre nach dem Tode des Urhebers.
§ 64 Allgemeines
348 Anhang
Teil 2 Verwandte
Schutzrechte Ausübender Künstler im Sinne dieses Gesetzes ist, wer ein Werk oder
Abschnitt 3 Schutz des eine Ausdrucksform der Volkskunst aufführt, singt, spielt oder auf eine
ausübenden Künstlers andere Weise darbietet oder an einer solchen Darbietung künstlerisch
§ 73 Ausübender mitwirkt.
Künstler
(1) Der ausübende Künstler hat das ausschließliche Recht, seine Dar-
§ 77 Aufnahme, bietung auf Bild- oder Tonträger aufzunehmen.
Vervielfältigung und (2) Der ausübende Künstler hat das ausschließliche Recht, den Bild- oder
Verbreitung Tonträger, auf den seine Darbietung aufgenommen worden ist, zu ver-
vielfältigen und zu verbreiten. § 27 ist entsprechend anzuwenden.
(1) Der ausübende Künstler hat das ausschließliche Recht, seine Dar-
bietung
1. öffentlich zugänglich zu machen (§ 19a),
2. zu senden, es sei denn, dass die Darbietung erlaubterweise auf Bild-
oder Tonträger aufgenommen worden ist, die erschienen oder erlaubter-
weise öffentlich zugänglich gemacht worden sind,
3. außerhalb des Raumes, in dem sie stattfindet, durch Bildschirm,
Lautsprecher oder ähnliche technische Einrichtungen öffentlich wahr-
nehmbar zu machen.
§ 78 Öffentliche (2) Dem ausübenden Künstler ist eine angemessene Vergütung zu
Wiedergabe zahlen, wenn
1. die Darbietung nach Absatz 1 Nr. 2 erlaubterweise gesendet,
2. die Darbietung mittels Bild- oder Tonträger öffentlich wahrnehmbar
gemacht oder
3. die Sendung oder die auf öffentlicher Zugänglichmachung beruhende
Wiedergabe der Darbietung öffentlich wahrnehmbar gemacht wird.
(3) Auf Vergütungsansprüche nach Absatz 2 kann der ausübende
Künstler im Voraus nicht verzichten. Sie können im Voraus nur an eine
Verwertungsgesellschaft abgetreten werden.
(4) § 20b gilt entsprechend.
(1) Der ausübende Künstler kann seine Rechte und Ansprüche aus den
§§ 77 und 78 übertragen. § 78 Abs. 3 und 4 bleibt unberührt.
(2) Der ausübende Künstler kann einem anderen das Recht einräumen,
die Darbietung auf einzelne oder alle der ihm vorbehaltenen Nutzungs-
arten zu nutzen. Die §§ 31, 32 bis 32b, 33 bis 42 und 43 sind ent-
sprechend anzuwenden.
§ 79 Nutzungsrechte
(3) Unterlässt es der Tonträgerhersteller, Kopien des Tonträgers in
ausreichender Menge zum Verkauf anzubieten oder den Tonträger
öffentlich zugänglich zu machen, so kann der ausübende Künstler den
Vertrag, mit dem er dem Tonträgerhersteller seine Rechte an der Auf-
zeichnung der Darbietung eingeräumt oder übertragen hat (Über-
tragungsvertrag), kündigen. Die Kündigung ist zulässig
Anhang 349
(4) § 10 Abs. 1 und § 27 Abs. 2 und 3 sowie die Vorschriften des Teils 1
Abschnitt 6 gelten entsprechend.
Wird ein erschienener oder erlaubterweise öffentlich zugänglich
gemachter Tonträger, auf den die Darbietung eines ausübenden Künstlers
§ 86 Anspruch auf aufgenommen ist, zur öffentlichen Wiedergabe der Darbietung benutzt,
Beteiligung so hat der Hersteller des Tonträgers gegen den ausübenden Künstler
einen Anspruch auf angemessene Beteiligung an der Vergütung, die
dieser nach § 78 Abs. 2 erhält.
TTH-Schutzfristverlängerung 41 Tsd. €
Betrag für nicht erfolgreich finanzierte Projekte 303 Mio. $ 15,32 Mio. $
Quelle: KS 2016
MusikbearbeiterIn,
532 15.647 € 498 16.057 € 34 9.631 €
ArrangeurIn
KapellmeisterIn,
473 19.140 € 413 20.180 € 60 11.978 €
DirigentIn
ChorleiterIn 1.094 13.650 € 538 16.074 € 556 11.305 €
InstrumentalsolistIn
2.010 12.197 € 1.038 13.797 € 972 10.488 €
E-Musik
OrchestermusikerIn
1.448 10.478 € 661 11.882 € 787 9.299 €
E-Musik
Opern-/Operetten-/
1.125 9.666 € 397 11.818 € 728 8.492 €
MusicalsängerIn
Lied- und
587 11.888 € 215 15.000 € 372 10.090 €
OratoriensängerIn
ChorsängerIn in der
167 8.817 € 80 9.424 € 87 8.259 €
ernsten Musik
SängerIn U-Musik,
2.090 14.335 € 1.083 16.708 € 1.007 11.784 €
Show, Folklore
354 Anhang
Unterhaltungs- und
577 13.115 € 457 13.463 € 120 11.789 €
KurmusikerIn
Jazz- und Rock-
4.811 12.325 € 4.306 12.640 € 505 9.637 €
musikerIn
Künstlerisch-technische
815 16.354 € 737 16.824 € 78 11.917 €
MitarbeiterIn
MusikpädagogIn/
26.504 12.499 € 12.545 13.650 € 13.959 11.464 €
-ausbilderIn
Discjockey, Allein-
712 11.129 € 665 11.321 € 47 8.418 €
unterhalterIn
Ähnliche künstlerisch-
3.069 13.587 € 2.089 15.193 € 980 10.165 €
musische Tätigkeit
Quelle: Künstlersozialkasse
* Die verschiedenen Statistiken (Eckdaten zur Künstlersozialkasse und Versicherte je Tätigkeits-
bereich mit Schätzeinkommen) werden laut Künstlersozialkasse an unterschiedlichen Stichtagen
abgerufen, sodass es in der Summe zu geringfügigen Abweichungen kommen kann.
Veränderung
2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016
2015/2016
CD (inkl.
Musikverkauf physisch (in Mio. €)
SACD/ 1.235 1.130 1.098 1.019 1.006 985 943 860 -8,9 %
DVD-A)
MC 13 9 5 3 2 1 1 1 1,2 %
Vinyl-LP 9 12 14 19 29 38 50 70 40,1 %
Single 21 19 12 11 8 6 5 4 -8,7 %
Video (DVD,
VHS, Blu- 124 115 107 89 80 76 61 55 -11,0 %
ray)
Gesamt 1.401 1.285 1.236 1.141 1.124 1.107 1.060 989 -6,7 %
Anhang 355
Download
54 69 90 113 108 100 96 80 -16,0 %
Singles
Download
Musikverkauf digital (in Mio. €)
Sonstiges 25 17 16 6 8 14 20 23 10,9 %
Gesamt 169 203 247 294 328 371 486 604 24,2 %
Musikverkauf
1.575 1.489 1.483 1.435 1.452 1.479 1.546 1.593 3,0 %
gesamt
Synchronisation - 4 5 7 5 7 7 7 2,1 %
GVL-Leistungs-
175 180 126 144 149 160 157 168 6,5 %
schutzrechte
Radio (terrestrisch) 80
Digitale Musikdateien 61
Physische Tonträger 56
Video-Streaming 51
Online-Radio 40
Kostenloses Audio-Streaming 34
Premium-Audio-Streaming 31
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90%
Personen im Jahr 2016 in %, die in den letzten 7 Tagen mindestens eine Stunde Musik auf
diese Weise gehört haben
100%
80%
55 52 61
68 67 69 64 64
60% 78
40%
20% 45 48 39
32 33 31 36 36
22
0%
Gesamt männlich weiblich 10-15 16-19 20-29 30-39 40-49 50 Jahre
Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre und älter
100%
80% 46 40 44 41 46 38 42 37
49 55 47
58 61 67 69 69
60%
40%
51 60 56 59 54 62 58 63
49 44 53
20% 41 37 31 28 28
0% 3 2 1 1 2 2 3 3
2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016
30
26 Smartphones
25
Navigationssysteme
15
Digitalkamera
10 9
8
5 5 4 Absatzentwicklung in
4 2 Deutschland (in Mio. Stück)
0 1
2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015
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