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Juli Zeh: Keine Freiheit unter Beobachtung (2013)

Die Schriftstellerin im Gespräch mit dem Deutsch- Juu ZEH: Ich finde den Begriff Daten in dem s
landfank (DLF) zum so genannten NSA-Skandal, Zusammenhang ein bisschen problematisch,
bei dem Geheimdienste die vollständigen Kommu- weil das immer suggeriert, es ginge da um et-
nikationsdaten deutscher Bürger gesammelt haben. was rein Virtuelles. Was da gesammelt wird, ist
DLF: Angesichts der aktuellen Debatte stellt die komplette Information über unser Leben.
sich die Frage nach der Bedeutung der vielen Dann versteht man sehr gut, dass uns das 10
gesammelten Daten. Frau Zeh, inwieweit ma- selbstverständlich ausmacht. Wir sind ja viel
chen denn solche Daten den Menschen aus? mehr als die Summe dessen, was wir tun und
denken, und wenn all das bekannt ist, dann ist DLF: Was hat das für Konsequenzen?
unser Innerstes nach außen gekehrt. ZEH: Da sehe ich einfach die homogene Gesell-
15 DLF: Wird man denn durch diese vielen gesam- schaft ohne viel Raum für Persönlichkeitsent-
melten Daten oder Informationen irgendwann wicklung, weil der Mensch seine Freiheit ja nur
das Handeln von Personen voraussagen kön- dann nutzen kann, wenn er einen bestimmten 41
nen, wie das zum Beispiel in dem Film „Mino- Raum der Intimität zur Verfügung hat. Es gibt
rity Report" 1 geschieht? für mich keine Freiheit unter Beobachtung. Das
20 ZEH: Da reden wir nicht mehr über eine Vision, widerspricht sich existenziell. Das heißt, wenn
sondern solche Versuche laufen konkret. Das wir diesen Weg weitergehen, müssen wir uns
ist verblüffend, was man heutzutage schon auf- klarmachen, dass wir unser gesamtes Freiheits- 10
grund recht weniger Daten errechnen kann. verständnis, für das 250 Jahre lang in der Auf-
DLF: Besteht nicht auch die Gefahr, dass klärung zum Teil blutig gekämpft wurde, op-
25 Menschen gesteuert werden, weil die Geheim- fern.
dienste ihre Daten haben und dann entspre- DLF: Gibt es denn noch eine Möglichkeit, sich
chend nutzen? dem ganzen Beobachtetwerden zu entziehen? 11
ZEH: Das ist eben das Problem, und die Steue- ZEH: Die gibt es natürlich! Man kann sagen, wir
rung beginnt ja schon in dem Moment, wo Da- spielen jetzt Kalter Krieg zwischen Bürger und
30 ten überhaupt erhoben werden. Viele haben das Behörden. Wir verschlüsseln unsere E-Mails,
Gefühl, es betrifft sie nicht. Aber man muss das wir benutzen kein Facebook mehr, wir benut-
nur mal selber probieren. Wenn man sich vor zen alle Portale nicht mehr, von denen wir wis- 60
eine Kamera setzt, verhält man sich völlig an- sen, die liefern Infos an die NSA. Aber ehrlich
ders. Das Beobachtetwerden ist an sich schon gesagt ist das nicht meine Wunschvision. Ich
35 eine Einflussnahme. Und was uns durch diese gehe ja auch nicht in einer Ritterrüstung aus
permanente Beobachtung suggeriert wird, ist den1 1-Iau.s.
im Grunde, dass wir uns normenkonform ver -
1 „Minod!y He.polt": in dem Science- Fiction-Film kann eine
halten sollen. Unser Unbewusstes registriert
Polize; ~2hörde 111:t ~iife besonders begabter Mutanten künftige
das und erzieht uns dazu, möglichst wenig ex.- Ve rbrech en vor;aussehen und die potenziellen Täter vorsorglich in
40 zentrisch zu sein, möglichst angepasst. Gewahrsam neh men .

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