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eDOSSIER

66.2016
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Modernes
Corporate Design
Die wachsenden Herausforderungen
für Designer bei der Gestaltung
und Entfaltung von Identitäten

Flexibel, modular & generativ

Das PAGE eDossier 66.2016 enthält einen Beitrag aus PAGE 04.2016 (EVT 02.03.2016) im Originallayout.
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Mut zum Wandel


● Neben der Markenstrategie ent-­ Impulse verbindet – der Mut zum Wan­
wi­ckelte Schmelter Brand Design aus del ist dabei der treibende Gedanke.
Mün­chen für ProFound Consulting ein Das Logo sollte den Spagat zwischen
veränderliches Logo, das wie gefaltet fundiertem Know-how und freiem Den­
wirkt. Die Londoner Coachingfirma un­ ken visualisieren. Eine besonders nette
terstützt ihre Klienten in deren persön­ Geste: Jeder Klient erhält am Coching­
li­cher Entwicklung, indem sie struktu- ende ein individuel­les Logo – Sinnbild
rierte Coachingmethoden und kreati­ve sei­nes persönlichen Change-Prozesses.
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ein Witz: Zum Pitch um das Rebranding


von Channel 4 brachten die beiden Kreati­
ven Grant Gilbert und Steven Qua das le­
gendäre Logo des britischen Senders – aus neun Bal­
ken bestehend – als 3D-Print mit, schmissen die losen
Teile auf den Tisch, deuteten auf das Durcheinander
und sagten zum Kunden: »Das ist Ihr neues Logo.«
Tatsächlich überzeugten sie mit diesem lässigen Wurf
Channel 4 letztes Jahr von der Idee, im On-Air-Design
auf ein statisches Logo komplett zu verzichten und
stattdessen die neun Balken in immer neuer Kon­
stellation herumfliegen zu lassen.
Auch Pentagram entwickelte für den AIA The He­ri­
tage Ball 2015 – eine Gala der New Yorker Architektur­
szene – ein Konzept, das ohne ein Logo auskommt.
Die visuelle Identität entsteht vielmehr über das typo­
grafische Verhalten der Buchstaben: In den Online­
medien, wo der eigens entwickelte Fonts Herita-Geo
in animierter Form zum Einsatz kommt, strecken und
verkürzen sich die Lettern in horizontaler Richtung,
ob beim Eventnamen oder bei anderen Texten. In den
Printmedien werden die jeweiligen Formate durch
die Dehnung einzelner Buchstaben flächende­ckend
gefüllt, sodass ein dichtes typografisches Strick­werk
mit einzelnen luftigen Maschen entsteht (zu sehen
auf  w ww.pentagram.com/#/projects/125202  ).

Die Wahrnehmungsgewohnheiten
haben sich geändert
Zwar schaffen bisher nicht viele ihr Signet so konse­
quent ab wie diese beiden, aber dennoch: Das Logo,
einst der unantastbare Nukleus eines Erscheinungs­
bilds, ist heute manchmal nur noch ein Werkzeug un­
Schnittmengen
ter anderen im komplexen Baukasten der visuellen ● Second Home ( h  ttp://secondhome.
Identität. Viele Unternehmen benötigen zwar nach io )  bietet Arbeitsräume für Technolo-
wie vor ein leicht wiedererkennbares, präg­nan­tes Zei­ gie-Start-ups, wobei es der Firma zu-
chen. Wiedererkennbarkeit und Prägnanz sind heute gleich darum geht, neue Ideen und
allerdings nicht mehr mit Unveränderlichkeit gleich­ Part­ner­schaften zu fördern. Im Lon­do­
zusetzen. Die Wahrnehmungsgewohnheiten haben ner Stadt­teil Shoreditch eröffnete sie
sich gewandelt: Der Betrachter ist längst imstande, Ende 2014 ihrer ersten Workspace –
den gemeinsamen Nenner variierender Formen zu wei­tere sollen weltweit folgen. Penta-
erkennen, die Abwandlun­gen von Zeichen als Ein­ gram London hat für Second Home ei-
heit aufzufassen und die jeweilige Identität im eige­ ne Identität entwickelt, die den Marken­
nen Kopf aktiv zu formen, was den Eindruck der Mar­ kern »Fusion« in den Mittelpunkt stellt.
ke im besten Fall intensiviert. Marina Willer gestaltete ein Set von
So hat denn auch die Zahl modularer Corporate- zwölf Logos, die auf der Über­schnei­
Design-Konzepte, die für eine gigantische Anzahl dung zweier verschiedenfarbiger Krei­se
von Logovarianten sorgen, in den letzten Jahren ra­ beruhen. Durch deren Transparenz er­
pi­de zugenommen. Auch generative Strategien kom­ geben sich dort jeweils neue Farbtöne.
men immer häufiger zum Einsatz, da sie ewige Ver­ Pentagram-Partnerin Marina Diese Überlappung repräsentiert den
Willer gestaltete für den
än­derlichkeit verheißen. Manche suchen dabei die Raum, in dem neue Ideen entstehen.
Workspace-Anbieter Second
Kop­pelung an die Realität, um dem Logo Leben ein­ Die Kreise wachsen sowohl in den On-
Home ein Erscheinungsbild,
zu­hau­chen – wie es etwa das norwegische De­signstu­ das mittels zwölf Logos das
linemedien als auch im Printbereich
dio Neue grandios vormachte, als es das Signet der Thema Fusion visualisiert über das Format hinaus. Diese ex­treme
Region Nordkyn durch die Verknüpfung mit Wet­ter­ Vergrößerung von Logofragmen­ten ist
da­ten je nach Temperatur und Wind changieren ließ generell derzeit immer öfter zu be­ob­
(sie­he PAGE 08.13, Seite 22 ff. oder unser eDossier achten. Zum einen erhöht es die vi­suelle
»Cor­porate Design im Wandel«). Inzwischen lassen Variabilität, zum anderen sugge­riert es
Designer Daten unterschiedlichster Art ins gene­- ein Auf-den-Betrachter-Zugehen, ein
ra­ti­ve Logodesign einfließen, etwa Google-In­fos Entgegenkommen der Marke.
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Wechselrahmen
● Mal Quadrat, mal Rechteck, mal nior De­signer bei der Markenberatung
Trep­pe – insgesamt zehn verschiedene Collins arbeitet.
Anordnungen des Firmennamens schuf Auf der Residency-Website ( h  ttp://
Jules Tardy für Residency, eine neue residencycontent.com )  ändert das Lo-
Pro­duktionsfirma für Wer­bespots, Mu­ go Form und Farbe, wenn der User sich
sikvideos, Kurz- und Dokumentarfilme horizontal durch die Arbeitsbeispiele
in New York. Die Aufgabe bestand da- klickt. Im Printbereich kommen unter-
rin, den in­ter­disziplinären Charakter schiedliche Varianten zum Einsatz. Die
von Residency zu visualisieren, da sie je Farben der Visitenkarten finden sich
nach Auftrag unterschiedlichste Talen­ außerdem im Webdesign wieder: Beim
te zusam­men­bringt. Tardy mischte die Mouse­over legen sie sich wie ein Farb-
Buchstaben nicht durcheinander, son- filter als transparente Fläche über das
dern folgte stattdessen der gewöhn- jeweilige Bild. Dank dieser medienspe-
lichen Leserrichtung von links nach zifischen Variabilität erhalten die Auf-
rechts und oben nach unten, sodass tritte in Print und Online ihre eigenen
der Name trotz permanenter Um­stel­ ästhetischen Qualitäten – und dennoch
lung niemals unlesbar wird. Ein fei­ner entsteht dabei eine ebenso subtile wie
Rahmen legt sich dabei stets um den starke übergreifende Kohärenz.
Buchstabenblock herum. »Die Wort­
marke fluktuiert je nach Anwendung in
den Online- und Printmedien, was die
Identität zum Leben erweckt«, erklärt
Jules Tardy die Idee, der als selbststän-
diger De­signer in Brooklyn und als Se-

Kein Kreuzworträtsel: Jules Tardy entwarf


für die New Yorker Produk­tionsfirma
Residency ein variables Corporate Design
mit zehn Logos

„Die Herausforderung besteht darin, Identity-


Konzepte zu öffnen und sie einzigartig zu
gestalten, sodass die Unternehmen sie sich
wirklich zu eigen machen können“
Marina Willer, Partnerin bei Pentagram in London
018 PAGE 04.16 › TITEL › Corporate Design

zu Verkehrsstaus (siehe Seite 20) oder Aus­wer­tun­


gen des eigenen Terminkalenders (siehe Seite 21).
Der Wunsch nach Veränderlichkeit treibt jedoch
auch bizarre Blüten. Pharmakonzern Merck wagte
sich an ein Konzept, bei dem die Logobuchstaben
diverse Farben und Motive auf- und annehmen kön­
nen – laut Pressemitteilung »inspiriert von der bun­
ten und formenreichen Welt unter ei­nem Mikro­
skop«. Diese Bildwelten wirken jedoch so austausch­
bar wie aus einer beliebigen Bilddatenbank. Und
schlimmer noch: Die Buchstabenfor­men wecken die
Assoziation, man hätte Bakterien per Genmani­
pulation darauf trimmen wollen, sich in der Petri­
schale zum Logo zurechtzuwachsen – was dann auf­
grund des Eigensinns der Bakterien allerdings ziem­
lich schieflief . . .

Ein neuer visueller Einheitsbrei? Ken-Tsai Lee gestaltete für die Taiwan
Designers’ Week 2015 ein flexibles
Je mehr variable Konzepte auftauchen, desto weni­ Corporate Design, das mit Zwei- und
ger herausragend oder einprägsam ist das Prinzip Dreidimensionalität spielt
Veränderlichkeit an sich. Marina Willer, Partnerin
von Pentagram in London, meint etwa: »Wir haben
vor 18 Jahren eine variable Identität für die Tate ge­
macht. Jetzt gibt es viele Marken, die versuchen, sich
ständig zu verändern. Das ist heute ein gängiges An­
liegen der Auftraggeber. Die Herausforderung be­
steht darin, Identity-Konzepte zu öffnen und sie ein­
zigartig zu gestalten, sodass die Unternehmen sie
sich wirklich zu eigen machen können.«
Die Flexibilität im Erscheinungsbild ist inzwi­
schen nicht nur Spiegel unternehmerischer Haltung.
Ange­sichts der sich rasant wandelnden Medien und
Kom­munikationskanäle muss eine Identität, um im
modernen Sinn prägnant und souverän zu wirken,
für unterschiedlichste Anwendungen und künftige
For­mate problemlos anpassbar sein. Das stellt den
Gestalter vor die Aufgabe, eine Art flüssigen Aggre­
gatzustand des Corporate Designs zu erzeugen, zu
erhalten und handhabbar zu machen. Auf den nächs­
ten Seiten beleuchten wir, wie Designer mit den
wach­senden Herausforderungen umgehen, und zei­
Tunnelblick
gen Logos und Erscheinungsbilder, die im Span­ ●»Exploration – journey of ____« lautete das Motto der Taiwan
nungsfeld von Wiedererkennbarkeit und Flexibilität Designers’ Week 2015, deren visuellen Auftritt Ken-Tsai Lee entwi-
auf zeitgemäße Weise unternehmerische Identität ckelte. Die Lücke im Motto sollte den Betrachter ermuntern, diese
lebendig kommunizieren.  Jutta Nachtwey selbst zu füllen – so wie ein Designer erst dann zu einem Ergebnis
findet, wenn er zuvor per Trial-and-Error neue Wege erkundet hat.
»Ich wollte vermitteln, dass der Designprozess eigentlich wichtiger
PAGE Seminar »Leitmedium Design«. Lernen
als das Endergebnis ist«, erklärt Ken-Tsai Lee, der ein Designstudio
Sie vom Corporate-Experten Jochen Rädeker:
↗  www.page-online.de/seminar_design in Taipei betreibt und als Assistant Professor an der National Tai-
wan University of Science and Technology arbeitet.
Der Designer gestaltete ein Set von Schwarzweißelementen, die
PAGE eDossier »Corporate Design in Zeiten er in immer neuen Konstellationen anordnete und teils zu tunnel-
schnellen Wandels« mit vielen Tipps & Bei-
artigen Formationen gruppierte. »Wenn ich mich an meine Kind-
spielen:↗  www.page-online.de/PDPD0012
heit und die ganzen Outdoor-Abenteuer erinnere, denke ich vor al­
lem an einen Blick in eine tiefe, bodenlose Höhle, bei der sich Erwar­
Jutta Nachtwey, freiberufliche tung und Angst vor dem Ungewissen mischten«, so Ken-Tsai Lee.
Journalistin, möchte noch mal kurz
Dies erschien ihm als die perfekte visuelle Metapher für die Neugier
klarstellen: Was für Channel 4 ein
genialer Wurf war, könnte andere des Designers für das Unbekannte. In der räumlichen Anwendung
Kunden ziemlich brüskieren. Also entfaltet das Spiel mit dem Tunnelblick erstaunliche Wirkung. Beim
Hände weg vom 3D-Drucker ;-)! chinesischen Designcontest GDC erhielt Ken-Tsai Lee dafür Gold.
020 PAGE 04.16 › TITEL › Corporate Design

Denkwerk entwarf
für die Mobili­
tätsplattform
Move Forward
(www.move-
forward.com) ein
Zeichen, das aus
drei Datenquellen
berechnet wird:
globalen Autostau-
längen, CO₂-
Emissionswerten
und Energie-
ein­sparungen

Daten in 3D Zudem kehrten die


im Logo verankerten
● Zukunftsgewandtheit ist ein An- Diagonalen im
spruch, den viele Unternehmen an ein gesamten Layout der
neues Logo stellen. Einen Schritt wei- Website wieder
ter musste also die Agentur denkwerk
in Köln gehen, als sie ein Konzept für
Move Forward ( w   ww.move-forward. fasst werden, sind online als Live-Ap- site auf allen Endgeräten und unter den
com )  entwickelte, eine Plattform zur plikationen verfügbar«, erklärt Alina härtesten Bedingungen funktionieren
Zukunft der Mobilität, die die zu Daim- Schlaier, Kreativdirektorin bei denk- muss, hat er sich für eine absolut siche­
ler gehörende moovel Group betreibt. werk. Bei der Umsetzung traten dann re Variante entschieden«, erzählt sie.
Die Initiatoren wollen hier Strategien jedoch Komplikationen auf: Da für das Hierfür fütterte denkwerk den selbst
für die mobile globale Gesellschaft von programmierte Logo ständig aktuelle entwickelten Logogenerator mit ver-
morgen präsentieren und gemeinsam Daten von unterschiedlichen Servern schiedenen Daten-Updates und bau-
mit ihrer Community innovative Lösun­ ausgelesen werden mussten, verzöger­ te dann mehrere Screenshots sauber
gen entwickeln. Wie kann ein Zeichen te sich der Seitenaufbau der Plattform. nach, von denen der Kunde schließlich
diesen visionären Charakter auf den Dies variierte zudem in den jeweiligen zwölf Varianten auswählte. Eine von
Punkt bringen? Denkwerk entschied Ländern, in denen die Testnutzer die ihnen ist als Hauptvariante im Einsatz,
sich, es nicht zu gestalten, sondern mit­ Seite aufriefen. »Und um diese Apps etwa im Header und im Footer, die an-
tels Processing zu programmieren. im Backend einzubinden, muss man deren tauchen abwechselnd in Teasern
Die flexible Form des Logos, dessen außerdem pro Abruf der Daten einen oder anderen Modulen auf.
Strukturen sich in drei Dimensionen bestimmten Betrag bezahlen. Je nach­ Fazit: Nach ein paar zügigen Schrit­
er­strecken, sollten drei Datenquellen dem, wie viele Nutzer gleichzeitig auf ten nach vorn war es erforderlich, ei-
be­einflussen: Google-Maps-Informa­ die Seite zugreifen, kann das unter nen Schritt zurückzugehen – ein Kom-
tio­nen zu den Staulängen des Autover­ Umständen kostspielig werden«, er- promiss zugunsten der Funktionalität.
kehrs, CO₂-Emissionswerte sowie Zah­ läutert Schlaier. Für die Jury des Red Dot Award: Com-
len zu Energieeinsparungen dank rege­ Der Kunde wollte die leicht verzö- munication Design 2015 zählte offen-
nerativer Energien. »Diese Daten, die gerten Ladezeiten verständlicherwei- bar aber die Vorwärtsbewegung: Sie
jeweils ab Jahresanfang weltweit er- se nicht in Kauf nehmen. »Da die Web- verlieh dem Beitrag einen Grand Prix.

Ausgehend von dem


genera­tiven Konzept
entwickelte denk-
werk am Ende ein Set
von zwölf Signets
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Einsicht statt Ansicht


● Das Logo von Lab Binær, Labor für Wortmarke »Lab Binær« ansammeln. und damit auf einer abstrakten Ebene
Me­dienkunst in Augsburg, sieht niemals Dabei werden experimentelle Projekte in den Schaffensprozess des Büros, den
gleich aus. Die halbstündlichen Up-­ im Bereich »Lab« visualisiert, ange- er dadurch indirekt mitverfolgen kann.
da­tes auf der Website www.labbinaer. wandte im Bereich »Binaer«. Ein blau­es Die visuelle Identität ist insofern nicht
de sind allerdings keine rein formalen Element repräsentiert dabei jeweils ein bloß eine Behauptung, ein Symbol, son­
Variationen, sondern ganz unmittelbar Projekt. Je nachdem, wie viele Mitarbei­ dern der unmittelbare visuelle Nieder-
mit der tatsächlichen Aktivität des ter involviert sind, verstärkt sich der Im­ schlag der Dynamik im Büro. Sie ist über
Labs verbunden. Sie werden von einer pact der blauen Elemente hinsichtlich die Datenauswertung des Termin­ka­
Software generiert, die alle Aufgaben der Anzahl, Anordnung und Frag­men­ len­ders gekoppelt an den tatsächli­chen
aus dem Terminkalender der Mitarbei- tie­rung der schwarzen Elemente rings­ Arbeitsalltag, also an die reale Welt.
ter analysiert und ihre Zugehörigkeit um. Die dunkel- und hellgrauen Ele­men­ Dies haucht dem Logo eine erstaunli­
zum experimentellen oder angewand­ te visualisieren die Impacts der bei­den che Lebendigkeit und Authentizität ein.
ten Bereich bestimmt. Hierfür werden vorigen Updates, sodass auch inner-
die Daten vom iCal-Analyzer unter- halb der einzelnen Lo­gova­ri­anten eine
sucht, den Lab Binær in Objective-C zeitliche Entwicklung sichtbar wird. Zu-
implementierte. Die Ergebnisse wer- dem unterstützt eine Über­sicht über
den dann von einer Logo-Control-Soft­ die aktuelle Anzahl der Projekte aus bei­
ware, die das Team per WordPress- den Berei­chen den Infor­ma­tions­cha­
Plug-in realisierte, für die Frontend- rak­ter des Erscheinungs­bilds.
Visualisierung weiterverarbeitet. Die generative Wort-Bild-Marke
Die visuelle Zuordnung zu den bei- wird zu einer Art Fenster: Der User er-
den Aufgabenfeldern geschieht mittels hält in Echtzeit Einsicht in das Verhält­
15:00 Uhr
dreieckiger Elemente, die sich auf der nis der beiden Arbeitsschwerpunk­te

16:00 Uhr

17:00 Uhr

18:00 Uhr

Für den Eigenbedarf entwickelte das Medienkunst­-


labor Lab Binær eine generative Wort-Bild-Marke. Sie
aktu­alisiert sich halbstündlich und gibt in Echtzeit
Auskunft über die aktuellen Arbeitsschwerpunkte. Im
Printbereich kommen variierende Logos zum Einsatz
022 PAGE 04.16 › TITEL › Corporate Design

Gemeinsames Dach
● Die Baubranche glänzt bisher nicht fende Grafiken plakativ in Szene setzt, stets neuen Mus­tern führt, die Enigma
gerade durch aufregende Corporate sodass die Präsentationen der einzel- auch in den Printme­dien für einen ab­
De­signs. Umso erstaunlicher wirkt da- nen Berufe eine visuelle Klam­mer er­ wechslungsrei­chen Auf­tritt nutzt. Ein
her der Vorstoß der Genfer Fédération hiel­ten. Durch das gemein­same Raster knalliges Gegenpro­gramm zur nüchter­
des Métiers du Bâtiment (FMB). Der lassen sich die Einzellogos auch zu Kon­ nen Baubranche, das die Neugier jun-
Verband für Bauberufe wollte diese glo­meraten zusam­men­set­zen, was zu ger Menschen geweckt haben dürfte.
be­sonders jun­gen Menschen schmack­
haft machen und beauftragte deshalb
die Agen­tur Enigma in Genf mit der
Ent­wicklung der Marke Avenir Bâti-
ment. Das Ziel war es, die Bauberufe
auf­zuwerten und sie als dynamische
und innovative Tätigkeiten zu posi­
tionieren, die zum wirtschaftlichen
Wachs­tum des Kantons Genf beitra-
gen. Das Konzept sollte sich sowohl für
die Kommunikation gegenüber Schü-
lern aus der Region als auch für den
Auftritt auf der Berufsmesse Cité des
Métiers 2015 eignen.
Eine äußerst komplexe Aufgabe,
denn der FMB umfasst wiederum über
100 Verbände, die 23 Einzelberufe ver- Auf der Cité des Métiers
treten. Enigma entwickelte ein Set von 2015 waren die Präsen­
23 Zeichen, das auf einem gemeinsa­ tationen der 23 Berufe
men Raster und gemeinsamen Grund- plakativ gekennzeichnet
elementen basiert. Es spielt mit Zwei-
und Dreidimensionalität und visuali-
siert Begriffe aus der Baubranche wie
»Dyna­mik«, »Entwicklung« und »Struk­
tur«. So entsteht eine verbindende
Iden­tität, die Individualität und Viel-
falt bestens in Einklang bringt.
Für den Messeauftritt entstand ein
Konzept, das die Logos als raumgrei-

Im Auftrag des Genfer Verbands


für Bau­berufe entwickelte Enigma das
Branding für Avenir Bâtiment. Das
Konzept umfasst 23 einzelne Logos, die
sich auch zusammensetzen lassen
024 PAGE 04.16 › TITEL › Corporate Design

Formel für Flüssigkeit


● Die Firma Boldly Go Industries ging ter, Data Scientists und Experience
aus Mainzer Btexx Gruppe hervor, ei­ De­signer entwickeln gemeinsam mit ih­
nem IT-Spezialisten für SAP-Lösun­gen. ren Kunden Geschäftsmodelle für das
Der Consultingbereich des Unterneh- digitale Business. Da der Markenname
mens hat sich strategisch neu aufge- zu lang war, um ihn als Element der
stellt und zu einer neuen Marke gewan- Wiedererkennung einzusetzen, erzeug­
delt. Mit der Entwicklung des Corpo- te wirDesign mittels Processing ein flui­
rate Designs betraute man die Agen- des Keyvisual, das den Übergang zwei-
tur wirDesign in Berlin, die zuvor schon er miteinander verbundener Radien vi-
das Er­scheinungsbild der Btexx Grup- sualisiert. Für die Printmedien kommen
pe über­arbeitet hatte. generierte Varianten zum Einsatz, fürs
Unter dem Dach von Boldly Go In- Web wurde der Code in HTML5 kon-
dustries sind viele Kompetenzen ver- vertiert, sodass das Keyvisual dort in
eint: Strategie- und Technologiebera- animierter Form auftauchen wird.

Worauf basiert das visuelle Konzept?


Sebastian Kirmse: Es ging darum, die drei
Schlagworte »Innovate«, »Design«, »Trans­
form« zu visualisieren. Zum Kerngeschäft
von Boldly Go Industries gehört nicht nur
das Konzipieren und Moderieren, sondern
auch das Coden. Deshalb war uns schnell
klar: Wir brauchen ein programmiertes
Key­visual. Wir haben die Arbeitsumgebung
der Programmierer – hellen Code auf dunk­
lem Screen – aufgegriffen, ästhetisiert und
in eine fluide Form gebracht. Das ermög­
licht zugleich eine nahtlos Skalierung von
klein bis formatfüllend in unterschied­
lichs­ten Medien und Anwendungen. Wir
zeigen damit auch die Schönheit der Ma­
thematik.
Für die Consultingfirma Boldly Go Industries generierte
wirDesign ein fluides Keyvisual, das sich für alle Medien und
Wie präsentiert man dem Kunden ein
Anwendungen flexibel skalieren lässt solches Konzept?
Da hilft nur losprogrammieren und -visua­
lisieren. Wir haben Designer, die Program­
miererfahrung mitbringen. Auf diese Weise
PAGE eDossier »Generative Gestaltung mit
konnten wir inhouse in wenigen Tagen ers­
Processing«. Workshops, Tutorials und Cases te Skizzen entwickeln, um sie dann mit
unter ↗  www.page-online.de/PDDP1062 dem Kunden zu diskutieren. Der Prozess
PAGE 04.16 025

»Skalierbarkeit spielt heute eine zentrale


Rolle – aber in dieser Skalierbarkeit darf sich
die Wiedererkennbarkeit nicht verlieren«
Warum das Prinzip Fluidität für Erscheinungsbilder an Bedeutung gewinnt, erklärt Sebastian Kirmse,
Kreativdirektor bei wirDesign in Berlin

war insgesamt sehr agil. Wir hatten ledig­ nah wie möglich an der Wirkung in den legen. Aktuell wissen wir, was wir abde­
lich sechs Wochen Zeit für Entwicklung digitalen Medien (siehe PAGE-Cover). cken müssen, aber das kann sich in naher
und Umsetzung des Corporate Designs – Wie legt man sinnvolle Richtlinien für Zukunft schon wieder ändern. Das bedeu­
alle drei Tage gab es Abstimmungsrunden ein solches flüssiges Konzept fest? tet für CD-Systeme, dass sie sich so ein­
mit dem Kunden über den aktuellen Stand. Das Regelwerk ist eigentlich simpel. Taucht fach wie möglich auf kommende Formate
Das Keyvisual schwebt zwischen das Keyvisual zusammen mit Personen anpassen lassen und auf allen Ebenen
Zwei- und Dreidimensionalität – war auf, stehen diese im Fokus und das Visual nahtlos funktionieren, dabei aber stark und
dies auch ein Diskussionspunkt? legt sich um sie herum. Taucht es zusam­ prägnant bleiben müssen. Wiedererkenn­
Ja, wir hätten auch eine klare, gerenderte men mit Typo auf, gilt entweder »Typo first« barkeit darf sich in dieser Skalierbarkeit
Optik herstellen können. Allerdings wirken oder beide Elemente sind miteinander ver­ nicht verlieren.
3D-Logos gedruckt schnell am Medium woben. Zunächst gibt es ausschließlich Statt ewig am Logo rumzuföhnen
vorbeigestaltet. Wir brauchten einen visu­ Templates. Weitere Regeln entwickeln wir entscheiden sich Unternehmen heute,
ellen Zwischenschritt für eine nahtlos me­ gerade noch. gepaart mit strategischen Schritten,
dienübergreifende Gestaltung. Deshalb ha­ Grundsätzlich denke ich, man sollte den oftmals für einen radikalen Relaunch.
ben wir einen 2D/3D-Hybrid geschaffen. Mitarbeitern, die auf Kundenseite mit so Woraus resultiert diese Haltung?
Tauchten bei der Umsetzung Schwie- einem anspruchsvollen Konzept umgehen Es wirkt oft nicht authentisch, wenn aus
rigkeiten auf? sollen, wirklich so wenig Vorschriften wie gewachsenen Marken Start-ups gebrandet
Die größte Herausforderung war es, mit möglich machen. Die besten Resultate ent­ werden. Wenn man nach England hin­ü­
der RGB-Farbigkeit des Keyvisuals umzu­ stehen, wenn die Leute Lust haben, selbst ber­schielt, kann man beobachten, dass zu­
gehen. Sie funktioniert hervorragend in damit zu spielen. Die Typografie sorgt für nehmend kleine, unabhängige Brands ent­
digitalen Medien, aber natürlich muss das Stringenz, das Logo für Dynamik. Beides stehen, die keine große Halbwertszeit ha­
Logo auch im Printbereich nutzbar sein. verstärkt und reguliert sich gegenseitig ben. Es ist schon in ihrer DNA verankert,
Der Plan war, statische Zustände heraus­ wie von selbst. Deshalb können wir das dass sie nur für ein paar Jahre gut im Markt
zurechnen und EPS-Formate für den Druck Konzept ohne Bedenken relativ regelarm funktionieren. Danach verschwinden sie
zu schreiben. Da wir aber nicht in RGB dru­ übergeben. schnell wieder. In Deutschland wurde über
cken können, mussten wir die Farben in Mal abgesehen von diesem Auftrag, eine lange Zeit gerne für die Ewigkeit
CMYK-Werte umsetzen. Also haben wir wie entwickelt sich das Corporate gestaltet. Aber da hat uns die Zeit mittler­
etwas herumexperimentiert, bis wir den Design derzeit aus Ihrer Sicht? weile einfach überholt. Jetzt sind wir De­
Gelb­kanal durch die Pantone-Farbe 7479 Skalierbarkeit spielt eine zentrale Rolle. signer gefordert, neue Gestaltungsmaß­
ersetzt hatten. Nun ist das Printresultat so Man kann die Kanäle nicht mehr starr fest­ stäbe zu entwickeln.
Inspiration pur!

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