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66.2016
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Modernes
Corporate Design
Die wachsenden Herausforderungen
für Designer bei der Gestaltung
und Entfaltung von Identitäten
Das PAGE eDossier 66.2016 enthält einen Beitrag aus PAGE 04.2016 (EVT 02.03.2016) im Originallayout.
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PAGE 04.16 015
Die Wahrnehmungsgewohnheiten
haben sich geändert
Zwar schaffen bisher nicht viele ihr Signet so konse
quent ab wie diese beiden, aber dennoch: Das Logo,
einst der unantastbare Nukleus eines Erscheinungs
bilds, ist heute manchmal nur noch ein Werkzeug un
Schnittmengen
ter anderen im komplexen Baukasten der visuellen ● Second Home ( h ttp://secondhome.
Identität. Viele Unternehmen benötigen zwar nach io ) bietet Arbeitsräume für Technolo-
wie vor ein leicht wiedererkennbares, prägnantes Zei gie-Start-ups, wobei es der Firma zu-
chen. Wiedererkennbarkeit und Prägnanz sind heute gleich darum geht, neue Ideen und
allerdings nicht mehr mit Unveränderlichkeit gleich Partnerschaften zu fördern. Im Londo
zusetzen. Die Wahrnehmungsgewohnheiten haben ner Stadtteil Shoreditch eröffnete sie
sich gewandelt: Der Betrachter ist längst imstande, Ende 2014 ihrer ersten Workspace –
den gemeinsamen Nenner variierender Formen zu weitere sollen weltweit folgen. Penta-
erkennen, die Abwandlungen von Zeichen als Ein gram London hat für Second Home ei-
heit aufzufassen und die jeweilige Identität im eige ne Identität entwickelt, die den Marken
nen Kopf aktiv zu formen, was den Eindruck der Mar kern »Fusion« in den Mittelpunkt stellt.
ke im besten Fall intensiviert. Marina Willer gestaltete ein Set von
So hat denn auch die Zahl modularer Corporate- zwölf Logos, die auf der Überschnei
Design-Konzepte, die für eine gigantische Anzahl dung zweier verschiedenfarbiger Kreise
von Logovarianten sorgen, in den letzten Jahren ra beruhen. Durch deren Transparenz er
pide zugenommen. Auch generative Strategien kom geben sich dort jeweils neue Farbtöne.
men immer häufiger zum Einsatz, da sie ewige Ver Pentagram-Partnerin Marina Diese Überlappung repräsentiert den
Willer gestaltete für den
änderlichkeit verheißen. Manche suchen dabei die Raum, in dem neue Ideen entstehen.
Workspace-Anbieter Second
Koppelung an die Realität, um dem Logo Leben ein Die Kreise wachsen sowohl in den On-
Home ein Erscheinungsbild,
zuhauchen – wie es etwa das norwegische Designstu das mittels zwölf Logos das
linemedien als auch im Printbereich
dio Neue grandios vormachte, als es das Signet der Thema Fusion visualisiert über das Format hinaus. Diese extreme
Region Nordkyn durch die Verknüpfung mit Wetter Vergrößerung von Logofragmenten ist
daten je nach Temperatur und Wind changieren ließ generell derzeit immer öfter zu beob
(siehe PAGE 08.13, Seite 22 ff. oder unser eDossier achten. Zum einen erhöht es die visuelle
»Corporate Design im Wandel«). Inzwischen lassen Variabilität, zum anderen suggeriert es
Designer Daten unterschiedlichster Art ins gene- ein Auf-den-Betrachter-Zugehen, ein
rative Logodesign einfließen, etwa Google-Infos Entgegenkommen der Marke.
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Wechselrahmen
● Mal Quadrat, mal Rechteck, mal nior Designer bei der Markenberatung
Treppe – insgesamt zehn verschiedene Collins arbeitet.
Anordnungen des Firmennamens schuf Auf der Residency-Website ( h ttp://
Jules Tardy für Residency, eine neue residencycontent.com ) ändert das Lo-
Produktionsfirma für Werbespots, Mu go Form und Farbe, wenn der User sich
sikvideos, Kurz- und Dokumentarfilme horizontal durch die Arbeitsbeispiele
in New York. Die Aufgabe bestand da- klickt. Im Printbereich kommen unter-
rin, den interdisziplinären Charakter schiedliche Varianten zum Einsatz. Die
von Residency zu visualisieren, da sie je Farben der Visitenkarten finden sich
nach Auftrag unterschiedlichste Talen außerdem im Webdesign wieder: Beim
te zusammenbringt. Tardy mischte die Mouseover legen sie sich wie ein Farb-
Buchstaben nicht durcheinander, son- filter als transparente Fläche über das
dern folgte stattdessen der gewöhn- jeweilige Bild. Dank dieser medienspe-
lichen Leserrichtung von links nach zifischen Variabilität erhalten die Auf-
rechts und oben nach unten, sodass tritte in Print und Online ihre eigenen
der Name trotz permanenter Umstel ästhetischen Qualitäten – und dennoch
lung niemals unlesbar wird. Ein feiner entsteht dabei eine ebenso subtile wie
Rahmen legt sich dabei stets um den starke übergreifende Kohärenz.
Buchstabenblock herum. »Die Wort
marke fluktuiert je nach Anwendung in
den Online- und Printmedien, was die
Identität zum Leben erweckt«, erklärt
Jules Tardy die Idee, der als selbststän-
diger Designer in Brooklyn und als Se-
Ein neuer visueller Einheitsbrei? Ken-Tsai Lee gestaltete für die Taiwan
Designers’ Week 2015 ein flexibles
Je mehr variable Konzepte auftauchen, desto weni Corporate Design, das mit Zwei- und
ger herausragend oder einprägsam ist das Prinzip Dreidimensionalität spielt
Veränderlichkeit an sich. Marina Willer, Partnerin
von Pentagram in London, meint etwa: »Wir haben
vor 18 Jahren eine variable Identität für die Tate ge
macht. Jetzt gibt es viele Marken, die versuchen, sich
ständig zu verändern. Das ist heute ein gängiges An
liegen der Auftraggeber. Die Herausforderung be
steht darin, Identity-Konzepte zu öffnen und sie ein
zigartig zu gestalten, sodass die Unternehmen sie
sich wirklich zu eigen machen können.«
Die Flexibilität im Erscheinungsbild ist inzwi
schen nicht nur Spiegel unternehmerischer Haltung.
Angesichts der sich rasant wandelnden Medien und
Kommunikationskanäle muss eine Identität, um im
modernen Sinn prägnant und souverän zu wirken,
für unterschiedlichste Anwendungen und künftige
Formate problemlos anpassbar sein. Das stellt den
Gestalter vor die Aufgabe, eine Art flüssigen Aggre
gatzustand des Corporate Designs zu erzeugen, zu
erhalten und handhabbar zu machen. Auf den nächs
ten Seiten beleuchten wir, wie Designer mit den
wachsenden Herausforderungen umgehen, und zei
Tunnelblick
gen Logos und Erscheinungsbilder, die im Span ●»Exploration – journey of ____« lautete das Motto der Taiwan
nungsfeld von Wiedererkennbarkeit und Flexibilität Designers’ Week 2015, deren visuellen Auftritt Ken-Tsai Lee entwi-
auf zeitgemäße Weise unternehmerische Identität ckelte. Die Lücke im Motto sollte den Betrachter ermuntern, diese
lebendig kommunizieren. Jutta Nachtwey selbst zu füllen – so wie ein Designer erst dann zu einem Ergebnis
findet, wenn er zuvor per Trial-and-Error neue Wege erkundet hat.
»Ich wollte vermitteln, dass der Designprozess eigentlich wichtiger
PAGE Seminar »Leitmedium Design«. Lernen
als das Endergebnis ist«, erklärt Ken-Tsai Lee, der ein Designstudio
Sie vom Corporate-Experten Jochen Rädeker:
↗ www.page-online.de/seminar_design in Taipei betreibt und als Assistant Professor an der National Tai-
wan University of Science and Technology arbeitet.
Der Designer gestaltete ein Set von Schwarzweißelementen, die
PAGE eDossier »Corporate Design in Zeiten er in immer neuen Konstellationen anordnete und teils zu tunnel-
schnellen Wandels« mit vielen Tipps & Bei-
artigen Formationen gruppierte. »Wenn ich mich an meine Kind-
spielen:↗ www.page-online.de/PDPD0012
heit und die ganzen Outdoor-Abenteuer erinnere, denke ich vor al
lem an einen Blick in eine tiefe, bodenlose Höhle, bei der sich Erwar
Jutta Nachtwey, freiberufliche tung und Angst vor dem Ungewissen mischten«, so Ken-Tsai Lee.
Journalistin, möchte noch mal kurz
Dies erschien ihm als die perfekte visuelle Metapher für die Neugier
klarstellen: Was für Channel 4 ein
genialer Wurf war, könnte andere des Designers für das Unbekannte. In der räumlichen Anwendung
Kunden ziemlich brüskieren. Also entfaltet das Spiel mit dem Tunnelblick erstaunliche Wirkung. Beim
Hände weg vom 3D-Drucker ;-)! chinesischen Designcontest GDC erhielt Ken-Tsai Lee dafür Gold.
020 PAGE 04.16 › TITEL › Corporate Design
Denkwerk entwarf
für die Mobili
tätsplattform
Move Forward
(www.move-
forward.com) ein
Zeichen, das aus
drei Datenquellen
berechnet wird:
globalen Autostau-
längen, CO₂-
Emissionswerten
und Energie-
einsparungen
16:00 Uhr
17:00 Uhr
18:00 Uhr
Gemeinsames Dach
● Die Baubranche glänzt bisher nicht fende Grafiken plakativ in Szene setzt, stets neuen Mustern führt, die Enigma
gerade durch aufregende Corporate sodass die Präsentationen der einzel- auch in den Printmedien für einen ab
Designs. Umso erstaunlicher wirkt da- nen Berufe eine visuelle Klammer er wechslungsreichen Auftritt nutzt. Ein
her der Vorstoß der Genfer Fédération hielten. Durch das gemeinsame Raster knalliges Gegenprogramm zur nüchter
des Métiers du Bâtiment (FMB). Der lassen sich die Einzellogos auch zu Kon nen Baubranche, das die Neugier jun-
Verband für Bauberufe wollte diese glomeraten zusammensetzen, was zu ger Menschen geweckt haben dürfte.
besonders jungen Menschen schmack
haft machen und beauftragte deshalb
die Agentur Enigma in Genf mit der
Entwicklung der Marke Avenir Bâti-
ment. Das Ziel war es, die Bauberufe
aufzuwerten und sie als dynamische
und innovative Tätigkeiten zu posi
tionieren, die zum wirtschaftlichen
Wachstum des Kantons Genf beitra-
gen. Das Konzept sollte sich sowohl für
die Kommunikation gegenüber Schü-
lern aus der Region als auch für den
Auftritt auf der Berufsmesse Cité des
Métiers 2015 eignen.
Eine äußerst komplexe Aufgabe,
denn der FMB umfasst wiederum über
100 Verbände, die 23 Einzelberufe ver- Auf der Cité des Métiers
treten. Enigma entwickelte ein Set von 2015 waren die Präsen
23 Zeichen, das auf einem gemeinsa tationen der 23 Berufe
men Raster und gemeinsamen Grund- plakativ gekennzeichnet
elementen basiert. Es spielt mit Zwei-
und Dreidimensionalität und visuali-
siert Begriffe aus der Baubranche wie
»Dynamik«, »Entwicklung« und »Struk
tur«. So entsteht eine verbindende
Identität, die Individualität und Viel-
falt bestens in Einklang bringt.
Für den Messeauftritt entstand ein
Konzept, das die Logos als raumgrei-
war insgesamt sehr agil. Wir hatten ledig nah wie möglich an der Wirkung in den legen. Aktuell wissen wir, was wir abde
lich sechs Wochen Zeit für Entwicklung digitalen Medien (siehe PAGE-Cover). cken müssen, aber das kann sich in naher
und Umsetzung des Corporate Designs – Wie legt man sinnvolle Richtlinien für Zukunft schon wieder ändern. Das bedeu
alle drei Tage gab es Abstimmungsrunden ein solches flüssiges Konzept fest? tet für CD-Systeme, dass sie sich so ein
mit dem Kunden über den aktuellen Stand. Das Regelwerk ist eigentlich simpel. Taucht fach wie möglich auf kommende Formate
Das Keyvisual schwebt zwischen das Keyvisual zusammen mit Personen anpassen lassen und auf allen Ebenen
Zwei- und Dreidimensionalität – war auf, stehen diese im Fokus und das Visual nahtlos funktionieren, dabei aber stark und
dies auch ein Diskussionspunkt? legt sich um sie herum. Taucht es zusam prägnant bleiben müssen. Wiedererkenn
Ja, wir hätten auch eine klare, gerenderte men mit Typo auf, gilt entweder »Typo first« barkeit darf sich in dieser Skalierbarkeit
Optik herstellen können. Allerdings wirken oder beide Elemente sind miteinander ver nicht verlieren.
3D-Logos gedruckt schnell am Medium woben. Zunächst gibt es ausschließlich Statt ewig am Logo rumzuföhnen
vorbeigestaltet. Wir brauchten einen visu Templates. Weitere Regeln entwickeln wir entscheiden sich Unternehmen heute,
ellen Zwischenschritt für eine nahtlos me gerade noch. gepaart mit strategischen Schritten,
dienübergreifende Gestaltung. Deshalb ha Grundsätzlich denke ich, man sollte den oftmals für einen radikalen Relaunch.
ben wir einen 2D/3D-Hybrid geschaffen. Mitarbeitern, die auf Kundenseite mit so Woraus resultiert diese Haltung?
Tauchten bei der Umsetzung Schwie- einem anspruchsvollen Konzept umgehen Es wirkt oft nicht authentisch, wenn aus
rigkeiten auf? sollen, wirklich so wenig Vorschriften wie gewachsenen Marken Start-ups gebrandet
Die größte Herausforderung war es, mit möglich machen. Die besten Resultate ent werden. Wenn man nach England hinü
der RGB-Farbigkeit des Keyvisuals umzu stehen, wenn die Leute Lust haben, selbst berschielt, kann man beobachten, dass zu
gehen. Sie funktioniert hervorragend in damit zu spielen. Die Typografie sorgt für nehmend kleine, unabhängige Brands ent
digitalen Medien, aber natürlich muss das Stringenz, das Logo für Dynamik. Beides stehen, die keine große Halbwertszeit ha
Logo auch im Printbereich nutzbar sein. verstärkt und reguliert sich gegenseitig ben. Es ist schon in ihrer DNA verankert,
Der Plan war, statische Zustände heraus wie von selbst. Deshalb können wir das dass sie nur für ein paar Jahre gut im Markt
zurechnen und EPS-Formate für den Druck Konzept ohne Bedenken relativ regelarm funktionieren. Danach verschwinden sie
zu schreiben. Da wir aber nicht in RGB dru übergeben. schnell wieder. In Deutschland wurde über
cken können, mussten wir die Farben in Mal abgesehen von diesem Auftrag, eine lange Zeit gerne für die Ewigkeit
CMYK-Werte umsetzen. Also haben wir wie entwickelt sich das Corporate gestaltet. Aber da hat uns die Zeit mittler
etwas herumexperimentiert, bis wir den Design derzeit aus Ihrer Sicht? weile einfach überholt. Jetzt sind wir De
Gelbkanal durch die Pantone-Farbe 7479 Skalierbarkeit spielt eine zentrale Rolle. signer gefordert, neue Gestaltungsmaß
ersetzt hatten. Nun ist das Printresultat so Man kann die Kanäle nicht mehr starr fest stäbe zu entwickeln.
Inspiration pur!
Gleich
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