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E ine neue Serie und eine neue Rubrik werden Sie vielleicht schon
bemerkt haben: Bereits in 5. Folge stellen wir Ihnen „Das Protein des
Monats“ vor. Es vermittelt Einblicke in das brandaktuelle Gebiet der
„Proteomik“, das die Ergebnisse der Humangenom-Forschung vielfältig
nutzbar macht. Diesmal präsentiert unser Kolumnist Michael Groß das
„Rhodopsin“, das beim Sehprozess im Auge eine zentrale Rolle spielt
(Seite 23). Die „Mathematischen Unterhaltungen“ haben, im Monats-
wechsel, eine Schwesterrubrik erhalten: „Physikalische Unterhaltungen“.
Der Physikprofessor Wolfgang Bürger zeigt Ihnen, wie bestimmte Rätsel
des Alltags funktionieren, so der „Wirbel in der Badewanne“ (im Januar-
Heft) oder die „Lichtmühle“ auf Seite 104.
Herzlich Ihr
○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○
TITELTHEMA: ASTRONOMIE
TITELBILD:
Geisterhaft reflektiert eine pechschwarze
Wolke aus Staub und Gas das Licht eines Kosmischer
der hellsten Sterne im Plejaden-Sernhaufen.
Bekannnt als „Barnards Merope-Nebel“ IC
249, wurde die Wolke bei einer Kollision
Staub Seite
Seite 30
mit dem Stern zerrissen. Die Lichtstrahlen
links oben entstanden erst im Hubble-Tele-
skop, mit dem diese Aufnahme gelang.
Foto: NASA und The Hubble Heritage Team (STScl/Aura)
MONATSSPEKTRUM
SPEKTROGRAMM
Wer waren die ersten
Amerikaner? Seite 42
28 Anstößige Neutrinos • Widerstandsloser
Fußball • Fliege auf Abwegen • Gehirn Von Sasha Nemecek
aus Knochenmark • Marssedimente u.a.
Es galt als sicher: Jäger folgten
HAUPTARTIKEL
Mammutherden vor 13000 Jahren
von Sibirien über die Bering-
30 TITELTHEMA: Kosmischer Staub Landbrücke nach Amerika. Neuere
Abfallprodukte von Sternexplosio- archäologische Funde deklassieren
nen bilden riesige Wolken im All dieses Standardmodell aber als eines
unter mehreren. Jagten die ersten
36 Molekulare Muskelmaschinen
Amerikaner Fische statt Mammuts?
Vielfältige Typen an Muskelfasern
für abgestimmte Leistungen
42 Wer waren die ersten Amerikaner?
Erreichten die Pioniere ihre QUANTENPHYSIK
Neue Welt mit Booten oder zu Fuß? Das kälteste Gas
50 Bose-Einstein-Kondensat im Universum Seite 50
Experimente mit dem exotischen
Quantengas Von Graham P. Collins
für Glasfasernetze
Netzknoten sind der Flaschenhals der
schnellen Kommunikationsleitungen,
denn die Vermittlung von Signalen
erfolgt bislang elektrisch.
Außerdem:
Kunststoffe, die verrotten können und Kompetenz und Aktualität
doch haltbar sind; Laufschuhdesigner
hören auf Biomechaniker Täglich Meldungen aus Wissenschaft,
Forschung und Technik. Dazu Hintergrund-
Technogramm: informationen, Software, Preisrätsel und
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prägen • Flugsicherheit www.spektrum.de
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plastischen Erdmantel „schwimmen“ Das perspektivische Relief des Kontinentalrandes vor der Pazifikküste Costa Ricas
und sich relativ zueinander bewegen. Da- beruht auf Fächerecholot-Daten, die das deutsche Forschungsschiff „Sonne“ auf meh-
bei kollidieren sie an mehreren Stellen reren Fahrten gesammelt hat. Die Höhen sind farbcodiert und Festlandbereiche nach
älteren Karten mit geringerer Auflösung wiedergegeben. Die abtauchende ozeanische
auch miteinander. Ist ein Kollisionspart-
Platte besteht aus drei morphologisch unterschiedlichen Regionen: dem Cocos-Rücken
ner eine kontinentale und der andere eine (oben rechts), einem Gebiet mit großen Tiefseebergen (Mitte) und einem glattem Seg-
ozeanische Platte, reicht die höhere Dich- ment (unten links). Diese Dreiteilung spiegelt sich auch in der Topographie des Konti-
te der letzteren im Allgemeinen aus, dass nentalrandes wider. Gegenüber dem Cocos-Rücken hat er sich gehoben; hier finden
sie sich unter die spezifisch leichtere sich ein schmaler Schelfabhang und eine Halbinsel. Wo die Tiefseeberge subduziert
kontinentale Platte schiebt und schräg werden, ist die Hangbasis von Furchen durchsetzt. Vor dem flachen Ozeanboden fällt
der Kontinentalhang sanft ab und weist ein regelmäßiges System von Schluchten auf.
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84°00'W
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85°00'W
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86°00'W
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v v v v v v ozeanische Platte v · FEBRUAR
v SPEKTRUMv DER WISSENSCHAFT
v v 2001v
12 v v
8°00'N
9°00'N
10°00'N
Nord Tiefseegraben
1
F1
13
Zerklüftung Rutsc
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Canyons
Tiefseeberge
12
F2
Sedimentbecken
13 12 11 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0
Sonne8
1 - Profi
l 17 F3
4 5 6
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Nord
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Platte
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Megali Drei Furchen (F1– F3) im Kontinentalhang vor Costa Rica zeigen unterschiedliche Sta-
7.grd/Azi290/Ele25/Ilum90 dien der Subduktion von Tiefseebergen. Eine Aufwölbung am Ende der Furchen F1 und
F2 verrät die momentane Position von zweien dieser bereits „abgetauchten“ Berge. Im
reflexionsseismischen Profil ist die Obergrenze der absinkenden Platte bis in etwa elf Ki-
Umgekehrt passiert es aber auch, lometer Tiefe deutlich zu erkennen. Unmittelbar darüber befinden sich an einigen Stellen
dass die untere Platte Material von der riesige Gesteinslinsen. Sie bestehen vermutlich aus Material, das von der kontinentalen
oberen abhobelt. Eine solche Subdukti- Platte abgeschabt wurde und nun mit subduziert wird. In dem kleinen Frontalkeil haben
onserosion kann an zwei Stellen stattfin- sich dagegen vermutlich Sedimente angelagert, welche die kontinentale von der ozeani-
den: am Fuß des Kontinentalhanges am schen Platte abgekratzt hat. Rote Linien markieren den Verlauf seismischer Profile.
vorderen Plattenrand und an der Unter-
seite der kontinentalen Platte. Ersteres
zeigt sich daran, dass der Kontinental- Tiefseeberge in verschiedenen Stadien nächst stark gedehnt und auseinanderge-
hang an dieser Stelle zerklüftet und ein- ihres Vordringens unter die kontinentale brochen. Dann kippt der Meeresboden
gebuchtet ist; Letzteres erkennt man an Kruste geschaffen haben. So verlaufen seewärts, sodass die Sedimentdecke
einer Absenkung des Plattenrandes um im Kontinentalhang mehrere Furchen schließlich den Hang hinunterrutscht.
mehrere Kilometer – von fast Meeres- senkrecht zur Plattengrenze (Bild oben). Dadurch entsteht eine Furche, die so breit
spiegel-Niveau auf die Meerestiefe unter- Teils zeigen lokale Hebungen am Ende ist wie die Spitze des Tiefseeberges (F2
halb des Kontinentalhanges. Wenn die der Furche noch an, wo sich der jeweilige im Bild oben).
obere Platte so weit absackt, muss sie von Tiefseeberg auf seinem Weg hinab in den Bei der weiteren Subduktion schabt
unten stark verdünnt worden sein. Erdmantel gerade befindet. der Tiefseeberg schließlich auch Material
Wenn ein Tiefseeberg sich in die von der Unterseite der oberen Platte ab.
Schnappschüsse eines Dramas Basis der kontinentalen Platte pflügt, Dies lässt sich auf der neuen, detaillierten
unter der Kruste schiebt er zunächst deren dünne Randzo- Karte des Meeresbodens vor Costa Rica
ne beiseite, die aus angelagerten weiche- erstmals direkt erkennen. Dort erscheint
Besonders dramatische Beispiele für ren Sedimenten besteht. Dabei zerstört er eine breite Furche, die mehr als 50 Kilo-
Subduktionserosion bieten Tiefseeberge, die Hangbasis und ritzt eine etwa zehn meter den Kontinentalhang hinaufläuft
die sich mit der abtauchenden ozeani- Kilometer lange Kerbe in den Plattenrand (F3 im Bild oben). Obwohl sie teilweise
schen Platte unter den Kontinentalrand (F1 im Bild oben). mit jüngeren Sedimenten angefüllt ist,
schieben. Faszinierende Schnappschüsse Danach endet die Zone weicher Sedi- zeigt ihre Tiefe an, dass die obere Platte
dieses Vorgangs lieferte nun erstmals die mente, und der Tiefseeberg trifft auf den durch tektonische Erosion an ihrer Basis
großflächige Vermessung des Pazifikbo- harten Kern der kontinentalen Platte, der Material verloren hat, während der abtau-
dens vor Costa Rica (Bild links). Die aus Gestein des Grundgebirges besteht. chende Tiefseeberg unter ihr entlang ge-
ozeanische Platte bewegt sich hier mit Die Folgen sind nicht ganz so drama- schrammt ist.
etwa neun Zentimetern pro Jahr frontal tisch, wie man vermuten könnte. Entlang Zusätzlich zur oberflächlichen Kar-
auf den Kontinent zu. der Grenzfläche zwischen den Platten tierung des Kontinentalrands bei Costa
Detaillierte Reliefkarten des Meeres- sammeln sich nämlich Fluide, die unter Rica per Fächerecholot wurde mit seismi-
grundes, die das deutsche Forschungs- hohem Druck stehen und die Scherfläche schen Methoden auch der Untergrund
schiff „Sonne“ mit Fächerecholoten auf- schmieren. Dadurch verringern sie die „durchleuchtet“. Dabei machten die Geo-
genommen hat, zeigen charakteristische Deformation und Erosion. Allerdings physiker eine weitere interessante Entde-
Strukturen, die zehn bis zwanzig Kilome- werden die Sedimente am Meeresboden ckung: Dicht oberhalb der abtauchenden
▲
ter breite und 1000 bis 2500 Meter hohe über dem Gipfel des Tiefseeberges zu- ozeanischen Platte sind riesige Gesteins-
linsen von 10 bis 15 Kilometern Länge Form der Erosion mit geophysikalischen schwerer Erdbeben beeinflussen. Seit
und 1 bis 1,5 Kilometer Höhe zu erken- Methoden abzubilden. Die neuen Beob- langem fragen sich die Geophysiker, wel-
nen. Woher stammen diese Megalinsen? achtungen ermöglichen damit ein besse- che Prozesse es sind, die immer wieder
Sind es subduzierte Sedimente, die sich res Verständnis, wie die basale Erosion schlagartig gewaltige Mengen seismi-
von der abtauchenden ozeanischen Platte kontinentaler Platten an Subduktionszo- scher Energie tief unter den Küstenregio-
gelöst und von unten an die kontinentale nen abläuft und welche Art von Material nen des Pazifik und des Mittelmeeres
Platte angelagert haben? Oder bestehen jene Vulkane bildet, die den Pazifischen freisetzen. Eine weitere offene Frage ist,
die Megalinsen umgekehrt aus erodier- Ozean wie ein Feuergürtel umgeben. warum einige Erdbeben verheerende
tem Material der oberen Platte, das sich Insgesamt liefern die Ergebnisse von Flutwellen (Tsunamis) hervorrufen, an-
die untere Platte einverleibt hat? Costa Rica Einblicke in den subduktions- dere aber nicht.
Eine Anlagerung von Material an die bedingten Material- und Fluidtransport in Je höher die Auflösung seismischer
obere Platte oder eine Verdickung durch das Erdinnere, wie es sie so detailliert nie Reflexionsdaten ist und je leistungsfä-
Kompression erscheint wenig wahr- zuvor gegeben hat. Das ist umso wichti- higer die Computerprogramme zu ihrer
scheinlich; denn dann müsste die konti- ger, als die Materialien, die an Subduk- Auswertung sind, desto mehr Einzelheiten
nentale Platte oberhalb der Megalinsen tionszonen in die Tiefe wandern, den kommen ans Licht, die das Verständnis –
deutlich angehoben worden sein. Dafür Entstehungsort und die Eigenschaften und damit möglicherweise auch die Vor-
finden sich aber keine Anzeichen; statt- hersage – von Naturkata-
dessen erscheint die obere Platte durch strophen erleichtern. Lei-
normale Abschiebungen gedehnt. Das Dr. César R. Ranero hat Geologie an der Universität der ist die Wissenschaft
spricht für die zweite Vermutung, wo- des Baskenlandes studiert und 1993 an der Univer- aus Kostengründen nicht
nach die Linsen große Gesteinskörper sität Barcelona (Spanien) promoviert. Er arbeitet in der Lage, die derzeit
sind, die sich von der oberen Platte seitdem am Geomar Forschungszentrum für Marine fortschrittlichsten Techni-
abgelöst haben und nun zusammen mit Geowissenschaften der Universität Kiel. ken einzusetzen. Sie muss
der unteren die Subduktionszone hinab- Prof. Roland von Huene hat an der Universität von immer noch mit geo-
wandern. Kalifornien in Los Angeles Geologie studiert und physikalischen Methoden
Nach dem Ablösen könnten die Lin- 1960 promoviert. Er arbeitete für die US-Marine auskommen, die der Stan-
sen mit der Zeit zerbrechen und schließ- und für das Geologische Bundesamt der USA, ehe dardausstattung bei der
lich völlig zerrieben werden; sie würden er 1989 die Abteilung „Marine Geodynamik“ am geophysikalischen Explo-
dann in Form von Schlamm entlang der Geomar gründete. Seit der Emeritierung im Jahre ration der Ölindustrie um
Subduktionszone weiter transportiert. 1996 lebt er abwechselnd in Kalifornien und Kiel. 10 bis 15 Jahre hinterher-
Nie zuvor war es gelungen, eine solche hinken. ■
SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT · FEBRUAR 2001 (Seiten 18, 19 und 20: Anzeige und Beihefter) 17
MONATSSPEKTRUM
MEDIZIN
Elektronisches
Schluss mit dem Versteckspiel Gesamtregister
des Tuberkulose-Erregers Die mit Folio Views
erstellte Version der
Der Auslöser der Tuberkulose ist deshalb so tückisch, weil er, Registerdatenbank
vom Immunsystem unbemerkt, in bestimmten Abwehrzellen erschließt sämtliche
überdauern kann. Doch auch in seinem Versteck braucht Beiträge, die seit 1978 in Spektrum
er Energie, die er auf einem speziellen Syntheseweg gewinnt. der Wissenschaft erschienen sind.
Über das Inhaltsverzeichnis können
Dies nutzt ein neuartiger Therapieansatz. Sie bequem auf die einzelnen Regis-
tereinträge zurückgreifen. Durch
Von Dagmar Knopf lust auf. Obwohl hauptsächlich die Atem- Eingabe mehrerer Begriffe und Ver-
wege von der Erkrankung betroffen sind, wendung von Abstands- oder
können grundsätzlich alle Organe befal- Boolschen-Operatoren grenzen Sie
ehr als ein Jahrhundert liegt die Ent- len werden.
W enn Licht auf die Netzhaut des Au- Während es im inaktiven Dunkel-Zustand
ges fällt, löst es ein chemisches einen markanten Knick in seiner Molekül-
Signal aus, das über mehrere Zwischen- kette aufweist (cis-Form), geht es nach
in der Zellmembran offen hält. Die Kanä-
le schließen sich folglich, wodurch sich
die Ladungsverteilung zwischen Innen-
schritte wiederum einen Nervenimpuls Aufnahme eines Lichtquants in die lang- und Außenseite der Zelle ändert: Ein
erzeugt; dieser wird ins Gehirn weiter- gestreckte trans-Form über. Dieses Um- Membranpotenzial entsteht, und aus
geleitet, wo die Verarbeitung der visuel- klappen löst Verschiebungen in der dem Lichtreiz ist ein elektrisches Signal
len Information und damit das eigent- Struktur des Opsins aus, die sich bis zu geworden, das nun von Nervenzellen
liche Sehen stattfindet. Die erste Station seiner dem Zell-Inneren zugewandten weitergeleitet werden kann.
auf diesem komplizierten Signalweg Seite fortpflanzen.
befindet sich in der Außen-
membran der Netzhautzellen
(Stäbchen und Zapfen). Als
Steckbrief
inige Sekunden nach
dem Umklappen löst sich
das trans-Retinal vom Opsin.
E
Signalwandler in den lichtemp- ➤ Molekulargewicht: 38 892 Im Dunkeln geht es dann
findlicheren (aber farbenblin- ➤ Aminosäuren: 348 wieder in die geknickte cis-
➤ 7-Helix-Bündel Form über und bindet sich
den) Stäbchen dient das Rho-
➤ Photorezeptor
dopsin, wegen seiner Farbe ➤ Chromosom Nr. 3
schließlich erneut an ein
auch Sehpurpur genannt. Es Opsin-Molekül: Der Kreislauf
besteht aus dem Protein Opsin kann von vorne beginnen.
und einem kleinen, aber wich- Die sieben Helices des Rho- Rhodopsin gehört zu ei-
tigen Anhängsel: dem von dopsins, die sich durch die ner großen Klasse von mehr
Membran der Netzhautzellen als tausend Membranprotei-
Vitamin A abgeleiteten Molekül
schlängeln, bilden eine Art
Retinal. nen, die alle die empfangene
Fass, in dessen Mitte der
Aus der charakteristischen Nachricht an ein G-Protein
K. PALCZEWSKI ET AL., SCIENCE, BD. 289, S. 740
▲
„direkte“ Reziprozität zu erleichtern, ha- mit der er den Rettungsring wirft. der 0-Strategie, die am klarsten zwischen
ben unsere Vorfahren das Geld als leicht
abzustufende Gegenleistung erfunden.
Kann es sich aber auch lohnen, jeman- In einem Experiment an der Universität Bern mussten in acht Gruppen
dem zu helfen, von dem keine Gegenleis- jeweils zehn Studenten mehrfach entscheiden, ob sie einem anonymen
tung zu erwarten ist? Gruppenmitglied, dessen „Geberstatus“ an der Tafel angeschlagen war, Geld
Schon seit Jahrzehnten diskutieren geben oder nicht. Damit sie selbst ebenfalls anonym blieben, teilten sie ihre
Evolutionsbiologen die Idee, dass selbst- Entscheidung über verdeckte Schalter mit, die entweder eine grüne („ja“)
lose Hilfe den „Status“ einer oder eine rote Lampe („nein“) vor dem Spielleiter aufleuchten ließen.
Person aufwertet und dass
ein höherer Status Vertrauen
und Vorteile in vielen sozia-
len Situationen nach sich
ziehen kann. Bis vor kurzem
gab es allerdings keinen Be-
weis für diese These. Spiel-
theoretisch betrachtet, lautet
die Kernfrage: Würde sich in
der Evolution die Strategie
durchsetzen, bevorzugt die-
jenigen zu unterstützen, die
selbst schon anderen gehol-
fen haben?
Im Jahre 1998 konnten
Martin Nowak von der Uni-
CLAUS WEDEKIND UND MANFRED MILINSKI
positivem und negativem Geberstatus der Spieler. Würden die Studenten unter sechs Runden hinweg nicht so konse-
unterscheidet. Wenn der Bekanntheits- diesen Umständen überhaupt irgendet- quent eine bestimmte Helferstrategie wie
grad variiert wurde, war dieses Ergebnis was geben? An sich macht es ja keinen ihre virtuellen Pendants. Das Experiment
umso ausgeprägter, je genauer der Geber- Sinn, jemandem etwas zu spenden, von war zu kurz, um individuelle Verhaltens-
status der Empfänger bekannt war. Sofern dem keine Gegenleistung zu erwarten ist; kriterien feststellen zu können. Inwieweit
andere die guten Taten mitbekommen, konsequente Verweigerer könnten ihr Menschen wirklich konsistente Helfer-
gilt also wirklich – zumindest im Com- Startgeld von sieben Franken sicher mit strategien haben, ließe sich nur in Spielen
putermodell: Wer gibt, dem wird gege- nach Hause nehmen. herausfinden, die über sehr viel mehr
ben. Daraus folgt die Maxime: „Tue Gu- Wenn die Spieler aber trotzdem etwas Runden laufen. Die Tatsache, dass schon
tes und rede darüber.“ gaben, würden sie ihr Geld dann zufällig ganz am Anfang, als alle den Geberstatus
Ist das nur graue 0 hatten, häufig gege-
Theorie, oder verhalten Spieler erhält Geld Spieler erhält nichts
ben wurde, könnte al-
sich Menschen tatsäch- 0,50
lerdings bedeuten, dass
lich so? Um diese Fra- die von Nowak und
ge zu testen, führten Sigmund vorausgesag-
Claus Wedekind von 0,25 te 0-Strategie tatsäch-
der Universität Edin- lich vielfach ange-
burgh und ich ein Ex- wandt wird.
Geberstatus
Flatternder Faden
W arum Fahnen im Wind flattern ist eines
der schwierigsten ungelösten Rätsel der
Physik. Jun Zhang und seine Mitarbeiter an
der New York University haben es experimen-
tell auf den einfachsten Fall reduziert: einen
0,15 mm dicken und 2–6 cm langen Faden
in einem strömenden Seifenfilm. Überra-
schenderweise fanden sie, dass der Faden
unterhalb einer kritischen Länge gestreckt
bleibt (unten). Wie die Interferenzaufnahmen
zeigen, bildet sich an seinem Ende eine Serie
aus Wirbeln mit alternierendem Drehsinn. In
der analogen Schleppe des flatternden Fadens
drehen sich benachbarte Wirbel dagegen
meist in derselben Richtung (rechts).
JUN ZHANG, NEW YORK UNIVERSITY
Der Bau der Internationalen Raumstation ISS wird das Rush Hour Railroad
größte von Menschenhand geschaffene Objekt außerhalb der
Erde darstellen. Die Raumstation wird erst in einigen Jahren Loks und Waggons werden
fertig gestellt sein. Sie können aber schon jetzt aus 183 entsprechend der Spielkar-
Einzelteilen im Maßstab 1:144 Ihre eigene Raumstation ten aufgestellt. Wer kann die
realisieren (745 mm Länge, 500 mm Spannweite, 406 mm rote Lok in die Ausfahrt
Höhe). Der Modellbaukasten enthält u. a. Aluminium- lotsen? Von 50 Aufgaben
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ständer mit Erdhalbkugel, bewegliche Sonnenpanele, Jahren zu lösen; DM 55,–.
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cm, je 1000 Teile. Exklusiv von Ravensburger gefertigt;
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revolvers ermöglichen eine
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Informations- und Bestellservice ➔
SPEKTROGRAMM
ÖKOLOGIE CHEMIE
SCIENCE
penfliegen gehörende Art Compsilura concinnata. Doch die logg von den Bell Laboratori- schaftler sollte eine weitere
Fliege legt ihre Eier in die Raupen von mindestens 180 Insek- en in Murray Hill (New Jer- deutliche Steigerung möglich
tenarten – darunter auch die des Seidenspinners. Wie sehr sey) einen neuen Kandidaten sein, wenn es gelingt, die
dieser betroffen ist, belegten die US-Forscher in einem Experi- für einen Hochtemperatur- „Fußbälle“ durch Einbau zu-
ment, bei dem sie Raupen des Nachtfalters an bestimmten Supraleiter gefunden: das sätzlicher Atome auseinander
Plätzen aussetzten und nach einer Woche wieder einsammel- wohlbekannte Fulleren, des- zu drücken. (Nature, Bd.
ten. 81 Prozent dieser Tiere waren von der Fliege befallen und sen fußballartige Struktur aus 408, S. 549)
starben. Das breite Wirkungsspektrum von C. concinnata wird
wohl vielen Schmetterlingsarten in den Wäldern der Vereinig-
ten Staaten zum Verhängnis. Mindestens vier Arten der Sei- PLANETOLOGIE
denspinner gelten in Massachusetts bereits als bedroht.
Noch mehr Wasserspuren
ASTROPHYSIK auf dem Mars
Anstößige Neutrinos
G ab es früher Wasser auf dem
roten Planeten? Dieser Frage
M anche Neutronenster-
ne, die als Endpro-
dukte von bestimmten Su-
gestellt. Danach würden
die bei einer Supernova
entstehenden Neutrinos
gehen Astronomen mit brennender
Neugierde nach, da es die Voraus-
setzung für mögliches Leben ist.
pernovae entstehen, wan- nicht, wie bisher angenom- Neueste Aufnahmen
dern mit ziemlicher Ge- men, im Kern festgehalten, der Nasa-Sonde Mars
schwindigkeit durchs All. sondern durch Oszillation Global Surveyor zei-
Doch was hat ihnen ihren in so genannte sterile Neu- gen nun Sedimente in
Schub verliehen? Eine gän- trinos umgewandelt. Deren vielen Kratern des Pla-
gige Theorie unter Astro- Freisetzung wiederum er- neten, deren gleich-
SCIENCE
pluripotente Stammzellen dern sich dort auch zu funk- große Vogel seine Federn in erster Linie
ausgewachsener Tiere, wie tionsfähigen Nervenzellen zur Isolierung, aber auch für Flugversu-
Knochenmarks- und Leber- entwickeln und Synapsen che genutzt haben. Die beiden Forscher Als Federn gedeutete Struktur
zellen, im Organismus je ausbilden, eröffnet aufregen- kommen zu dem Schluss, dass sich (rechts) bei Protopteryx (links)
nach Umgebung in unter- de neue Möglichkeiten, ver- die Vogelfeder vor 100 Millionen Jahren
schiedliche Zelltypen ausdif- loren gegangene Nervenzel- in vier Evolutionsschritten aus der Dinosaurier-Schuppe ent-
ferenzieren. Eva Mezey und len bei neurologischen Er- wickelte, indem sich erst die Schuppe verlängert und dann
ihre Kollegen vom nationalen krankungen wie Parkinson ein Mittelschaft gebildet hat. Anschließend entstanden Seiten-
Institut für neurologische Er- oder Alzheimer zu ersetzen. triebe. Die Entwicklung vieler kleiner Triebe bildete den
krankungen und Schlaganfall (Science, Bd. 290, S. 1775 Abschluss zur Vogelfeder. (Nature, Bd. 408, S. 705, Science,
in Bethesda (Maryland) inji- und 1779) Bd. 290, S. 1955)
ZOOLOGIE
Millimeter große Winzling hat fort. Eine solche Parthenoge-
Winzling der Extraklasse noch eine Besonderheit zu nese ist bei den Rädertier-
bieten. Bislang entdeckten chen bekannt – allerdings nur
Kosmischer
Staub
Die Abfallprodukte von Sternexplosionen,
winzige Staubkörner im interstellaren Raum, haben die
Geschichte unserer Galaxis entscheidend beeinflusst.
VON J. MAYO GREENBERG
ANGLO-AUSTRALIAN OBSERVATORY/ROYAL OBSERVATORY, EDINGBURGH
stellaren Staubes.
Jedes Staubkorn enthält einen winzi- achteten Wissenschaftler im Infrarotlicht Nach fünf Milliarden Jahren flaute
gen festen Kern, ummantelt von Eis und die Absorptionslinien von gefrorenem jedoch der Sturm dieser Supernovae ab.
organischem Material. Ein „Buckel“ im Wasser. Spätere Beobachtungen zeigten Stattdessen traten nun auch weniger
ultravioletten Teil der Extinktionskurve auch die Präsenz von Kohlenmonoxid, massereiche Sterne in ihre Altersphase,
weist auf das Vorhandensein wesentlich Kohlendioxid, Formaldehyd und vielen das so genannte Rote-Riesen-Stadium,
kleinerer Partikel (mit Durchmessern anderen Verbindungen. Im Fachjargon ein: Sie blähten sich auf, kühlten dabei
von 0,005 Mikrometer); aus ihnen beste- heißen diese Substanzen „volatil“ (flüch- ab und strahlten fortan vor allem im röt-
hen etwa 10 Prozent der gesamten Staub- tig) – sie gefrieren beim Kontakt mit den lichen Licht. Als diese Sterne sich weiter
masse. Diese Körnchen sind wahrschein- kalten Staubkörnern, verdampfen aber ausdehnten und abkühlten, bildeten sich
lich amorphe kohlenstoffhaltige Festkör- wieder, sobald sich der Staub erwärmt. in ihren Atmosphären Silikatteilchen, die
per, vermutlich angereichert mit etwas Im Gegensatz dazu werden die Substan- in den interstellaren Raum hinausgebla-
Wasserstoff, aber wenig oder keinem zen im Innern als „refraktär“ bezeichnet sen wurden.
Stickstoff und Sauerstoff. Das hochener- – sie bleiben auch bei höheren Tempera- Einige dieser Partikel drangen in
getische UV-Licht schließlich wird ins- turen im festen Zustand. Gaswolken ein, die sich zwischen den
besondere von den kleinsten aller kosmi- Rund ein Promille trägt der interstel- Sternen befinden. Bei den tiefen Tempe-
schen Staubteilchen absorbiert – sie sind lare Staub zur Gesamtmasse unserer Ga- raturen in diesen Wolken fror jedes Atom
nur etwa 0,002 Mikrometer groß. Diese laxis bei – vermutlich mehr als das Hun- oder Molekül, mit dem diese Staubteil-
winzigen Körnchen – sie bilden die rest- dertfache der Masse aller Planeten des chen kollidierten, auf deren Oberfläche
lichen 10 Prozent der kosmischen Staub- Milchstraßensystems zusammen. Die fest – ähnlich wie Wasserdampf auf kal-
materie – halten die Forscher für große Partikel sind im Weltraum äußerst dünn ten Glasscheiben kondensiert. Auf diese
Moleküle, vergleichbar mit polyzykli- verteilt: In einem Würfel von hundert Weise wuchs auf jedem der Silikatkerne
schen aromatischen Kohlenwasserstof- Metern Kantenlänge befindet sich im zunächst ein innerer Mantel, der aus
fen (PAHs für polycyclic aromatic hy- Mittel gerade ein Körnchen. Da das Ster- komplexem organischen Material be-
drocarbons) in Autoabgasen. nenlicht aber Tausende von Lichtjahren steht, darum gehüllt ein äußerer Eisman-
Weil diese Staubkörnchen zumeist in durch Staub zurücklegt, kann sogar diese tel bestehend aus simpleren gefrorenen
großer Entfernung zu den Sternen durchs hochverdünnte Verteilung die Strahlung Gasmolekülen.
All treiben, können sie typischerweise noch deutlich dämpfen. Also stellt sich Bei diesem Prozess nahm die Dichte
bis auf –268 Grad Celsius abgekühlt die Frage: Wodurch wurde die Galaxis so der Staubkörner in den Molekülwolken
sein, 5 Grad über dem absoluten Null- staubig? beständig zu: auf zehntausendmal mehr
punkt. In den vierziger Jahren hatte der Partikel pro Volumeneinheit als außer-
brillante holländische Astronom Henk Am Anfang war der halb der Wolken. Damit hatte der Staub
van de Hulst die Theorie aufgestellt, dass Kosmos staubfrei die Dichte, um nahezu alle Strahlung am
einige der Atome wie Wasserstoff, Eindringen in die Wolke zu hindern, was
Sauerstoff, Kohlenstoff und Stickstoff – In der Anfangszeit unseres Universums, die Temperatur innerhalb des Gases wei-
von denen man weiß, dass sie im inter- vor vielleicht 15 Milliarden Jahren, gab es ter senkte. Mit der Abkühlung reduzierte
stellaren Raum vorkommen – an der kal- nach gängiger Theorie noch keinen Staub. sich der Gasdruck im Wolkeninneren, so-
ten Oberfläche der Staubkörner anhaf- Wie alle jungen Galaxien bestand auch dass nun die Gravitation geringerer Mas-
ten. So legen sich diese einen Mantel aus das Milchstraßensystem damals nur aus sen die Oberhand gewann. Somit konn-
gefrorenem Wasser, Methan und Ammo- Wasserstoff, Helium und einer geringfü- ten sich jetzt auch kleinere Gaswolken
niak zu. Ich habe diese Theorie später gigen Menge anderer leichter Elemente, unter ihrer Schwerkraft zusammenziehen
„Schmutziges Eis“-Modell getauft. die beim Urknall entstanden waren. Da- und kleinere, sonnenähnliche Sterne her-
Erst Anfang der siebziger Jahre stie- mals konnten nur besonders schwere vorbringen. Indem er die Bildung kleine-
ßen Astronomen auf klare Beweise für (massereiche) Wolken aus Wasserstoff rer Sterne erleichterte, veränderte der
diese Theorie. Bei der Analyse von Infra- und Helium kontrahieren und so die Ster- kosmische Staub also drastisch das Profil
rotspektren von Sternenlicht, das durch ne bilden. Deshalb wurde unsere Galaxie unserer Milchstraße.
interstellare Staubwolken hindurchging, von gigantischen Sternen des so genann- Ein weiterer Faktor: Der interstellare
entdeckten sie Absorptionslinien von Si- ten O- und B-Typs dominiert, die bereits Staub wird in einem ständigen Kreislauf
likaten – Verbindungen aus Silicium, nach einer kurzen Lebensspanne von eini- umgewälzt – also laufend erzeugt und
Magnesium und Eisen. Silikate bilden gen Millionen Jahren als „Supernovae“ wieder vernichtet. Wenn aus dichten
den festen Kern der kosmischen Staub- explodierten. Diese Supernovae produ- Gas- und Staubwolken junge, heiße Ster-
teilchen. Etwa zur gleichen Zeit beob- zierten den ersten Staub des Universums. ne entstehen, verdampfen die Staub-
Astronomen sehen die körner in der Umgebung dieser Zone. Si-
Anzeichen davon in frü- licium und andere Elemente dieser
Literaturhinweise hen Galaxien, die sie Staubkörner werden dann entweder von
Urzeugung aus Kometenstaub? Von J. Kissel und F. R. Krue- mit Infrarot-Teleskopen den jungen Sternen aufgesogen oder
ger, Spektrum der Wissenschaft, Mai 2000, S. 64. im Submillimeterbe- werden Bestandteil von ihren Planeten
Erste direkte chemische Analyse des interstellaren Staubes. reich beobachten. Aber und Asteroiden.
Von F. R. Krueger und J. Kissel, Sterne und Weltraum, Bd. 39, dieser Staub hatte im Überwiegend wird der Staub jedoch
Mai 2000, S. 326. interstellaren Medium weggeblasen und gelangt dabei in dünne
Cosmic Dust in the 21st Century. Von J. M. Greenberg und Ch. nicht lange Bestand – Wolken – Regionen im Weltraum mit
Shen, Astrophysics and Space Science, Bd. 269, S. 33 (1999). Stoßwellen nachfolgen- deutlich geringerer Teilchendichte. In
A Unified Model of Interstellar Dust. Von A. Li und J. M. der Supernovae zerstör- dieser raueren Umgebung werden die
Greenberg, Astron. Astroph., Bd. 323, Nr. 2, S. 566 (1997). ten die Staubteilchen Staubteilchen weiter vernichtet. Ihre Eis-
Weblinks unter www.spektrum.de/aktuellesheft.html kurz nachdem sie ent- mäntel werden durch ultraviolette Strah-
standen sind. lung, Zusammenstöße der Teilchen un-
Kohlenstoff-
1 partikel
Kohlenstoff-
partikel
0
2 4 6 8 10
0,005 Mikrometer
Wellenzahl (Wellen pro Mikrometer)
tereinander und Stoßwellen der Superno- pernova und konserviert so das Staub- zehntausendfach intensiver ist als in den
vae abgetragen und teilweise sogar zer- korn, bis es vielleicht wieder in den dichteren Molekülwolken. Das UV-Licht
stört. Übrig bleiben dann Rudimente: Si- Schutz einer anderen dichten Gaswolke verwandelt die Substanzen des inneren
likatkerne, umhüllt nur noch von ihrem gelangt. Mantels in „organische Verbindungen
inneren Eismantel aus organischen Mo- Um meine Theorie zu testen, startete der zweiten Generation“. Diese zusätzli-
lekülen. ich im Labor mit Experimenten, in denen chen Prozesse durch ultraviolette Strah-
Das Vorhandensein dieses organi- die Entstehung eines Eismantels auf lung erhöhter Intensität waren im Labor
schen Mantels hatte ich schon vor drei Staubteilchen simuliert wurde. 1970 be- nur sehr schwer zu reproduzieren.
Jahrzehnten postuliert. Damals war mir gannen wir diese Versuche an der Staats- Doch dann klopfte das Glück an
aufgefallen, dass die Silikate allein nicht Universität von New York in Albany, und unsere Labortür. Gegen Ende der achtzi-
ausreichen, um die Dämpfung des Ster- setzten sie 1975 an der Universität von ger Jahre lud uns Gerda Horneck vom
nenlichts zu erklären, wenn es die Staub- Leiden in den Niederlanden fort. Unsere Deutschen Zentrum für Luft- und Raum-
wolken durchdringt. Ich vermutete da- Forschungsgruppe bestrahlte unter- fahrt ein, ein Satellitenexperiment na-
her, dass im Eismantel des einzelnen schiedlichste Mixturen von Eis mit ultra- mens Exobiology Radiation Assembly
Staubkorns eine Schicht kohlenstoffrei- violetter Strahlung bei Temperaturen von mitzubenutzen. Diese Plattform war da-
chen Materials durch chemische Reak- –263 Grad Celsius, und erwärmte sie für gebaut, biologische Proben lange
tionen entsteht, die bereits einsetzen, so- dann. Wir erhielten jeweils eine gelbli- Zeit einer UV-Strahlung auszusetzen. Sie
lange sich das Staubkorn noch in den che Substanz, die wir „gelbes Zeug“ bot die ideale Gelegenheit, unser „gelbes
dichten Molekülwolken befindet. tauften: eine Mischung aus Glycerol, Zeug“ durch UV-Strahlung weiter zu
Wie entsteht dieser Eismantel aus or- Glyceramid, einigen Aminosäuren wie prozessieren. Unsere Forschungsgruppe,
ganischen Molekülen? Nach meiner Glycin, Serin oder Alanin sowie einer der Menno de Groot, Celia Mendoza-
Hypothese zersetzen zuerst energierei- Reihe anderer Moleküle. Gómez, Willem Schutte und Peter Weber
che UV-Strahlen die Wasser-, Methan- angehörten, bereiteten die organischen
und Ammoniakmoleküle auf der Staub- Mit dem Space Shuttle klopfte Proben vor und schickten sie mit dem
oberfläche zu freien Radikalen, aus de- das Glück an die Labortür Eureca-Satelliten (European Retrievable
nen sich dann organische Moleküle wie Carrier, rückholbare europäische Träger-
Formaldehyd bilden. Unter der fortge- Etwa zur gleichen Zeit entdeckten Astro- plattform), der 1992 vom Space Shuttle
setzten UV-Bestrahlung entstehen kom- nomen Anzeichen komplexer organi- ausgesetzt wurde, in den Weltraum.
plexere Verbindungen, die wir „organi- scher Verbindungen im Staub diffuser Nach einem Jahr – aber nur vier
sche Verbindungen der ersten Genera- Wolken. Unsere Laborergebnisse konn- Monaten tatsächlicher UV-Bestrahlung
tion“ nennen. Diese bleiben auf dem Si- ten die beobachteten Absorptionslinien durch die Sonne – fing das Space Shut-
likatkern haften, auch wenn das Staub- im infraroten Spektrum zwar nicht exakt tle den Satelliten wieder ein, und wir er-
korn die Molekülwolke verlässt und der reproduzieren, aber eigentlich hätte uns hielten die Proben zurück. Sie waren nun
äußere Eismantel zerstört wird. Tatsäch- diese Differenz nicht überraschen sollen. braun. Die Farbänderung bewies, dass
lich schützt der organische Mantel den In diffusen Wolken sind Staubkörner ul- sich die Substanzen mit Kohlenstoff an-
▲
Silikatkern vor den Stoßwellen der Su- travioletter Strahlung ausgesetzt, die gereichert hatten. Als wir dieses „braune
6 Supernova-
Stoßfronten
beschleunigen die 4 Wenn die Wolke sich zusammen-
Staubkörner und verursachen zieht und einen Stern bildet,
heftige Zusammenstöße, die die verklumpen ummantelte Staubkörner
organischen Mäntel zertrümmern. Diese und bilden so einen Kometen. Aber
Trümmer werden zu Kohlenstoffpartikeln die überwiegende Mehrheit des
DON DIXON
Zeug“ mit einem Infrarot-Spektrometer Staub erklären. Sobald Supernova-Ex- mantel aufgehen. Die organischen Mole-
untersuchten, fanden wir genau die glei- plosionen die größeren Staubkörner zer- küle werden dann durch die ultraviolette
chen Absorptionslinien, wie sie im inter- trümmern, brechen die kleineren Partikel Strahlung weiterverwandelt, und der Zy-
stellaren Staub entdeckt worden waren. von dem organischen Mantel ab. Jedes klus beginnt aufs Neue.
Auch wenn unsere Proben höchstens ummantelte Staubkorn erzeugt dann ei- Andere Forscher haben alternative
einem Zehntel der maximalen Bestrah- nen Schwarm von Hunderttausenden Theorien vorgeschlagen, welche die
lung eines Staubkorns in einer diffusen winziger Staubteilchen. Lichtdämpfung durch den interstellaren
Wolke ausgesetzt waren, hatten sie große Staub ohne einen Mantel aus organi-
Ähnlichkeit mit dem organischen Mate- Eismantel aus schem Material auf den größeren Staub-
rial im kosmischen Staub. Diese Experi- organischen Molekülen körnern erklären. So postulierte etwa
mente bildeten die Basis für das verein- John S. Mathis von der Universität von
heitlichte Staubmodell, das Aigen Li und Irgendwann einmal wird der gesamte Wisconsin-Madison, dass die größeren
ich aufgestellt hatten. Demnach bilden Staub von dichten Molekülwolken einge- Staubkörner poröse Konglomerate klei-
sich die zwei kleineren Typen inter- fangen. Innerhalb dieser Wolken kolli- nerer Graphit- und Silikatteilchen seien.
stellarer Staubkörner – die amorphen dieren die Staubkörner immer häufiger Aber diese Modelle können eine andere
kohlenstoffhaltigen Partikel sowie die mit den Atomen und Molekülen des Ga- Eigenschaft des interstellaren Staubes
PAH-ähnlichen Moleküle – durch UV- ses. Nach etwa einer Million Jahren nicht befriedigend erklären: wie er das
Bestrahlung der organischen Substanzen wächst auf den größeren Staubkörnern durchgehende Licht polarisiert, das heißt
in den größeren eisummantelten Staub- ein Eismantel heran, der hauptsächlich die elektromagnetischen Wellen in eine
körnern. aus gefrorenem Wasser und Kohlenmon- bestimmte Richtung ausrichtet. Dazu
Wir brachten unsere Probe des „brau- oxid besteht. Diese Verbindungen haben muss jedes der größeren Staubkörner wie
en Zeugs“ zur Analyse zu Seb Gillette die Astronomen in dichten Staubwolken ein Zylinder oder Sphäroid geformt sein
von der Universität Stanford, der über um Sterne nachgewiesen, zusammen mit und sich um seine kürzere Achse drehen
raffinierte Verfahren der Massenspektro- kleineren Mengen von Kohlendioxid, wie ein rotierender Stab.
metrie verfügte. Gillette fand in der Pro- Formaldehyd und Ammoniak. Auch Um das Licht zu polarisieren, müs-
be außerordentlich viel PAHs. Nach wenn niemand direkt beobachtet hat, sen die Rotationsachsen aller Staubkör-
unserem vereinheitlichten Staubmodell was mit den Kohlenstoffpartikeln und ner außerdem in dieselbe Richtung zei-
können die chemischen Prozesse in den den PAH-ähnlichen Molekülen in den gen – ein Effekt, der Magnetfeldern in
ummantelten Staubkörnern nahezu alle Molekülwolken geschieht, so ist es un- den Staubwolken zugeschrieben wird.
kleinen kohlenstoffhaltigen Partikel und vermeidlich, dass sich diese an den grö- Der Erfolg des vereinheitlichten Staub-
PAH-ähnliche Moleküle im interstellaren ßeren Staubkörnern anlagern und im Eis- modells ist, dass die hypothetischen um-
LOEK ZUIDERDUIN
standen sind. Wir können daher anneh- Masse und chemische Zusammenset-
men, durch die Beobachtung von Kome- zung aller Partikel. Die Staubteilchen
ten auch mehr über den interstellaren trafen mit Geschwindigkeiten von rund
Staub zu erfahren. 70 Kilometern pro Sekunde auf die
Als die Planeten und Kometen zu- Messgeräte und zerbrachen in ihre ato-
sammen mit der Sonne vor 4,6 Milliar- maren Komponenten. Die Instrumente Kometenstaub enthält nicht nur organi-
den Jahren entstanden, haben die um- registrierten dabei unerschiedlichste sches Material, sondern hat auch eine
mantelten Staubkörner in der protosola- Teilchenmassen, von 10–14 Gramm, was Struktur, die ideal für die chemische
ren Wolke höchstwahrscheinlich all die man für einzelne Staubkörner mit Mantel Evolution ist, wenn es einmal im Wasser
kleineren kohlenstoffhaltigen Partikel erwartet, bis hin zu 10–18 Gramm, die eingetaucht ist. Kissel und Krueger ha-
und die PAH-ähnlichen Moleküle absor- typisch sind für kleinere kohlenstoffhal- ben gezeigt, dass kleine Moleküle sehr
biert, ebenso alles Kohlenmonoxid und tige Partikel. leicht von außen in den Klumpen ein-
andere flüchtige Substanzen. Nur Was- Die Astrophysiker Jochen Kissel dringen können, aber größere Moleküle
serstoff und Helium blieben ungebunden vom Max-Plank-Institut für Extraterres- innendrin stecken bleiben. Solch eine
zurück. Die Staubkörner stießen häufig trische Physik in Garching, Franz R. Struktur kann die Produktion von immer
genug zusammen, um große lose zusam- Krueger vom Ingenieurbüro Krueger in größeren und komplexeren Molekülen
menhängende Konglomerate entstehen Darmstadt, sowie Elmar K. Jessberger anregen, und möglicherweise als winzige
zu lassen. Nach der vorherrschenden von der Universität Münster bestimmten Brutstätte für die ersten primitiven Le-
Theorie entwickelten sich diese lockeren später, dass der Staub Halleys aus Kon- bensformen dienen. Ein einzelner Komet
Klumpen nun zu den Kernen der Kome- glomeraten von Teilchen mit silikati- könnte bis zu 1025 dieser „Saatkeime“
ten. Diese Kerne müssen sehr porös sein, schem Kern und organischem Mantel be- auf die junge Erde gebracht haben.
also viele Hohlräume enthalten. Mein standen – genau wie meine ursprüngli- Die Nasa und die Europäische Welt-
eigenes Modell für die Substanz der Ko- che Theorie für Kometen vorhersagte. raumagentur Esa unternehmen oder pla-
metenkerne enthält hundert mittelgroße Ihre Schlussfolgerungen beruhten auf nen Missionen, die uns mehr über die
protosolare Staubkörnchen, zusammen- dem Umstand, dass die Sauerstoff-, Koh- Natur der Kometen und des interstellaren
gebacken zu einem drei Mikrometer gro- lenstoff- und Stickstoffatome an den De- Staubes enthüllen werden. Die im Febru-
ßen Konglomerat. Diese Gebilde sind zu tektoren der Raumsonden etwas früher ar 1999 gestartete Nasa-Sonde Stardust
80 Prozent des Volumens hohl. ankamen als die Silizium-, Magnesium- soll im Jahr 2004 am Kometen Wild-2
Seit ihrer Entstehung umkreisen Ko- und Eisenatome. vorbeifliegen und eine Staubprobe von
meten die Sonne in der Oortschen Wolke der Kometenkoma zurückbringen. Auf
und dem Kuiper-Gürtel weit außerhalb Der Staub als Zeuge für die dem Flug dorthin sammelt die Sonde
der Planetenbahnen. Doch gelegentlich Geburt der Galaxis auch Proben des interstellaren Staubes
werfen Gravitationsstörungen die fernen ein, wie er sich durch unser Sonnensys-
Kometen auf Bahnen, die sie näher an Wie alt ist Halleys Staub und der in den tem bewegt.
die Sonne heranbringen. Neuerungen in anderen Kometen? Wir wissen, dass der Noch ehrgeiziger ist die geplante
unserem Verständnis kosmische Staub zum Zeitpunkt der Ent- Rosetta-Mission der Esa. Ihr Start ist
von Kometen gab es stehung der Kometen bereits etwa fünf für das Jahr 2003 vorgesehen. Danach
Milliarden Jahre alt war. So lange ver- wird das Raumfahrzeug in eine Umlauf-
weilt nämlich ein Staubkorn im Mittel bahn um den Kern des Kometen Wirta-
im interstellaren Raum, bevor es von ei- nen einschwenken und eine Landesonde
J. Mayo Greenberg
nem neu entstehenden Stern verschlun- zur Oberfläche des Sonnentrabanten
promovierte 1948 an
gen wird. schicken.
der Johns Hopkins
Und weil die Kometen der Sonne selbst Diese Weltraummissionen werden
Universität in
4,6 Milliarden Jahre alt sind, hat der zweifellos neue Wege für die Forschung
theoretischer Physik.
Staub wahrscheinlich ein Alter von fast ebnen. Astronomen betrachten den Staub
1975 ging er zur
10 Milliarden Jahren. Die Analyse des zwischen den Sternen nicht mehr als läs-
Universität von
Kometenmaterial erlaubt uns somit, das tiges Hindernis. Längst ist er eine wichti-
Leiden in den Nieder-
Frühstadium unserer Galaxis zu erfor- ge Informationsquelle über die Entste-
landen. Dort begrün-
schen. hung von Sternen, Planeten und Kome-
dete und leitete er das Labor für
Kometenstaub hat vielleicht auch ten. Und vielleicht enthält er sogar Hin-
Astrophysik, in dem er seitdem die
eine Rolle dabei gespielt, Leben auf der weise auf den Ursprung des Lebens auf
chemische Evolution, die Zusam-
Erde zu säen. Jedes lockere Klümpchen der Erde. ■
mensetzung von Kometen und den
Ursprung des Lebens erforscht.
SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT · FEBRUAR 2001 35
PHYSIOLOGIE
Molekulare
Muskelmaschinen
Gewichte heben, Lasten halten und Bälle werfen – ohne unterschiedliche Fasertypen
in unseren Muskeln wären die vielfältigen Anforderungen nicht zu bewältigen.
VON STEFAN GALLER
D
rei Milliarden Herzschläge in zum molekularen Mechanismus der Wer beispielsweise die Hand zur
einem Menschenleben, Höchst- Kraftentwicklung auf eine noch solidere Faust ballt, hat Nervensignale vom Ge-
leistungen im Laufen, Gewicht- Grundlage gestellt. Lohn der Mühe unter hirn zu bestimmten Muskeln geschickt.
heben und Springen, daneben anderem: die Entdeckung eines Fasertyps Sie wirken wie ein zündender Funke: Ein
die kontinuierliche Arbeit des Darmes mit einer bislang unbekannten Variante Zisternensystem, das die Myofibrillen je-
und der Atmung: All das ist nur möglich, des wichtigsten Muskelproteins. Es macht der Muskelfaser umspinnt, schüttet
wenn Muskel nicht gleich Muskel ist. den Muskeln noch effizienter. Um zu ver- schlagartig Calcium-Ionen aus; die wie-
Und in der Tat: Schon ein kurzer Blick stehen, wie das geschieht, ist es zweck- derum besetzen sogleich spezielle Emp-
durchs Mikroskop genügt dem Fach- mäßig, sich die Funktionsprinzipien der fängermoleküle, worauf die Myofibrillen
mann, um das Muskelgewebe des Bewe- Muskelkontraktion zu vergegenwärtigen. ihre Kraftakte beginnen.
gungsapparates, der so genannten Skelett- Tausende von Muskelfasern bauen ei- Tausende von Myofibrillen in einer
muskeln, von dem der inneren Organe zu nen Skelettmuskel auf. Dies sind aber Muskelfaser und wiederum Tausende von
unterscheiden. keine „Fäden“, sondern riesige Zellen, al- Fasern in einem Muskel werden über die
Das Instrument verrät jedoch nicht bis lerdings ausgesprochen schlauchförmige. Calcium-Konzentration präzise aktiviert
ins Letzte, woher die offensichtliche funk- Bei einer Dicke von etwa dreißig bis gut und bei Bedarf wieder ruhig gestellt –
tionelle Vielfalt der rund 400 Skelettmus- hundert Mikrometer (tausendstel Milli- Grundvoraussetzung für eine koordinierte
keln unseres Körpers rührt. Wie jeder- meter) werden sie immerhin mehrere Bewegung. Die parallele Anordnung der
mann schon am eigenen Leib erfahren Zentimeter lang. Als Besonderheit enthal- Myofibrillen wie auch der Fasern in Ske-
hat, arbeiten bestimmte Muskeln von ten Muskelfasern neben zahlreichen Zell- lettmuskeln bündelt die winzigen Kräfte
vornherein schneller, präziser, ausdauern- kernen vor allem „Myofibrillen“. Das der einzelnen Komponenten zur geballten
der oder kraftvoller als andere – wobei sind verkürzungsfähige, etwa ein Mikro- Kraft etwa einer Faust.
das eine aber das andere nicht völlig aus- meter dicke Stränge, genauso lang wie die Das Motto „Viel Wenig gibt auch ein
schließt. So sind für die Feinmotorik beim Fasern selbst. Dicht gebündelt, füllen sie Viel“ setzt sich innerhalb der Myofibrillen
Klavierspiel die gleichen Muskeln zustän- einen beträchtlichen Teil des Zellinneren fort. Wie die Muskelzelle selbst sehen
dig wie für den festen Griff beim Tragen aus (Foto Seite 38). auch sie wie prall gefüllte Schläuche aus,
einer Einkaufstasche. aber mit Querwänden in
Die Ursachen für die regelmäßigen Abständen.
funktionelle Vielfalt ver- Diese abgeteilten kleinen
bergen sich vor allem in Skelettmuskeln als Herzmuskelersatz Gefache – Fachleute
feinen Nuancen der mo- sprechen von Sarkome-
lekularen Bausteine: Von
Muskelfaser zu Muskel-
V or 15 Jahren berichteten bis zum Lebensende. Das Ent-
die Pariser Herzchirurgen scheidende für den Erfolg der
Alain Carpentier und Juan Carlos neuen Operation war daher das
ren – sind die „Kraftkam-
mern“ der Muskeln. Von
faser weichen viele der Chachques über eine neuartige nachfolgende Spezialtraining ihren beiden scheibenför-
darin enthaltenen Protei- Operation, mit der sie eine be- des früheren Rückenmuskels. migen Abgrenzungen aus
ne geringfügig, aber doch sondere Form schwerer Sein Nerv wurde nach ei- ragen dünne parallele
entscheidend voneinan- Herzinsuffizienz lindern nem sorgfältig angelegten Proteinfäden, die Aktin-
der ab. Der Fachmann konnten. Sie hatten einen Plan gereizt, unterbro- filamente, zur Mitte der
spricht von Strukturva- bestimmten Rückenmus- chen von immer kürze- Kammer. In ihrer Anord-
rianten oder Isoformen. kel von seinen Ansatz- ren Ruhepausen, bis der nung erinnern sie ein we-
Einige wesentliche stellen gelöst und wie ein Muskel nach einigen nig an die Borsten einer
Korsett um die Herzkam- Wochen nicht mehr er-
© 2000 HERZDIAGNOSTIKZENTRUM BGMBH, MÜNCHEN
Ausläufer der
Oberflächenmembran
(Transversal-Tubuli)
Mitochondrium
PETER STEINBACHER
Tauchfahrt in eine Muskelzelle: Die Route verläuft zwischen drei der vielen „Myofibrillen“
(rot). Das sind kabelartige Stränge aus seriell geschalteten kontraktilen Elementen,
„Myosinfilamente“. Sie ragen ein Stück umsponnen von einem Netzwerk aus Calcium-Speichern (gelbgrün). Zur Kontraktion
weit zwischen die „Borsten“ und sehen angeregt werden sie, wenn ein Nervensignal über schlauchförmige Ausläufer (beige)
ein wenig nach Stacheldraht aus. Ihnen der äußeren Zellmembran eintrifft und Calcium freisetzt. Energie für die Muskelarbeit
liefern die hier blau gezeichneten Mitochondrien, die Kraftwerke der Zelle.
entspringen nämlich in regelmäßigen Ab-
ständen kleine Stacheln, genauer: Greifar-
me in Form eines abgeknickten birnenför- nicht direkt beobachten können, sind wir signal hin aber Calcium die dünnen Fäden
migen Köpfchens. Jedes sitzt mit seinem auf Schlussfolgerungen angewiesen, die indirekt griffiger macht, können die Köpf-
Hals auf einem langen Schaft, der mit an- sich aus indirekten Ansätzen ergeben. chen fester und beständiger andocken, ehe
deren den „Draht“ selbst bildet. In diesen Wahrscheinlich aber interagieren die sie wieder loslassen. So ziehen sie bei je-
Myosinköpfchen sehen die meisten Mus- Myosinköpfchen fortwährend – auch dem „Nicken“ die ergriffenen Borsten um
kelforscher, auch wir, die eigentlichen be- wenn der Muskel ruht – mit den umlie- mehrere millionstel Millimeter in Rich-
wegenden Elemente, die molekularen genden „Aktin-Borsten“ ihrer Kammer- tung Kammermitte.
Motoren. hälfte, indem sie sich im raschen Takt mit Offenbar beugt sich nicht der gesamte
Da wir Forscher das molekulare Trei- einem „Kopfnicken“ anklinken und sofort birnenförmige Greifarm, sondern nur sein
▲
ben in den Kraftkammern der Muskeln wieder loslassen. Sobald auf ein Nerven- sich verjüngender Halsteil. Darauf lassen
PETER STEINBACHER
mal mit horizontal vorgestreck- Korrelation, desto gesicherter
ten Armen weiter. Die Myosin- die Schlussfolgerung.
köpfchen in den haltenden Forscher haben bereits
Muskeln setzen dann die ergrif- Riesenprotein Titin Aktinfilament Troponin mehrfach untersucht, wie gut
fenen dünnen Fäden bloß unter die maximale Kontraktionsge-
Spannung, ohne sie zu ver- Gebündelte Kraft: Geordnete Bündel von Proteinfäden füllen schwindigkeit einzelner Mus-
schieben. Sie rudern sozusagen die Sarkomere, die einzelnen „Kraftkammern“ der langen kelfasern mit den jeweils darin
auf der Stelle, können nur im- Myofibrillen. Die Trennwände erscheinen im Elektronen- vorhandenen Varianten der
mer wieder am selben Punkt zu mikroskop als tiefdunkle, leicht gezackte Balken (oben). Die schweren Myosinkette korre-
wichtigste Rolle beim Kraftakt der Muskeln spielen dünne
ziehen versuchen. Proteinfäden aus Aktin (blau) und dickere Seile aus Myosin
liert. Die ermittelten Bezüge
Diese Rudertätigkeit er- (rot) mit abstehenden Köpfchen als Greifarme. waren aber nur teilweise über-
scheint hier auf den ersten zeugend. Auch mein Labor hat-
Blick widersinnig; denn halten te zunächst diesen Weg be-
ließe sich eine Last auch, wenn die Myo- und sich erst nach Zeit raubenden Vorgän- schritten. Viel aufschlussreicher erwiesen
sinköpfchen einfach währenddessen stur gen wieder bewegen ließe. sich dann unsere Studien, die statt der
an den dünnen Fäden angeklinkt blieben. Genau wie die Myosinköpfchen ande- Verkürzungsgeschwindigkeit die so ge-
Beispielsweise halten die Schließmuskeln rer Säugetiere rudern auch unsere also nannte Dehnungsaktivierung verglichen.
von Muscheln auf diese Weise die Scha- fortwährend, sodass unsere Skelettmus- Die Dehnungsaktivierung ist ein ver-
len ohne Energieaufwand geschlossen. keln – außer in der Totenstarre – flexibel blüffendes, im Prinzip aber einfach mess-
Warum ist dieser ökonomische Mechanis- bleiben. Die Myosinköpfchen arbeiten al- bares Phänomen. Man spannt eine hül-
mus nicht auch in unseren Skelettmuskeln lerdings nie im Gleichtakt. Würden sie lenlose Muskelfaser wie eine Wäschelei-
verwirklicht? Ganz einfach: Sie würden das tun, käme es im regelmäßigen Rhyth- ne zwischen zwei Pfosten und regt sie an,
erstarren und sich nicht sogleich bei Be- mus zu „haltlosen Zuständen“. Da sie Zugkraft zu erzeugen (siehe Kasten auf
darf weiter verkürzen können. Für den aber zeitlich unkoordiniert arbeiten, sum- Seite 40). Dann rückt man den einen
Schließmuskel der Muscheln ist das kein miert sich das Ganze zu einer konstant „Pfosten“ blitzschnell ein Stückchen wei-
Problem; er kann sich ohnehin nicht wei- anhaltenden Zugkraft, die es erlaubt, Las- ter fort und verfolgt am anderen, wie sich
ter verkürzen, wenn die Schotten dicht ten dauerhaft zu halten und gleichförmige die darauf ausgeübte Zugkraft ändert.
sind. Wir hingegen wären sicherlich nicht Bewegungen auszuführen. Zunächst steigt der Wert abrupt, kehrt
erfreut, wenn unser horizontal ausge- Wie schon angedeutet, unterscheiden aber, wenn die neue Länge erreicht ist,
streckter Arm in seiner Position erstarrte sich die einzelnen Muskelzellen, die Mus- zum Ausgangswert zurück. Doch noch
kelfasern, in ihren Eigenschaften. Je hete- während des Abfalls oder kurz danach,
rogener ein Muskel in dieser Hinsicht zu- steigt er merkwürdigerweise nochmals
Literaturhinweise sammengesetzt ist, desto breiter sind sei- vorübergehend an.
Alter Muskel rostet nicht. Von Dirk Pette. ne Einsatzmöglichkeiten. Für eben diesen unerwarteten Kraft-
In: Konstanzer Universitätsreden, Uni- Wie kommen nun Unterschiede im anstieg, der verzögert nach einer Deh-
versitätsverlag Konstanz, 1998. Verhalten einzelner Muskelfasern zu Stan- nung auftritt, hat sich der Name „Deh-
Skelettmuskel als Herzersatz. Von Dirk de? Eine Vielzahl von möglichen Einfluss- nungsaktivierung“ eingebürgert. Worauf
Pette. In: Konstanzer Universitätsreden, faktoren kann variieren: sei es die Kontrol- könnte er beruhen? Werfen wir einen
Universitätsverlag Konstanz, 1990. le durch die Nervenfasern, das Weiterleiten Blick in die molekularen Kraftkammern
Two functionally distinct myosin heavy ihrer Befehle ins Zellinnere, die Energie- und überlegen uns, was geschieht, wenn
chain isoforms in slow skeletal muscle versorgung oder das molekulare Gesche- eine Muskelfaser plötzlich etwas ge-
fibres. Von S. Galler et al. in: FEBS Let- hen in den Myofibrillen. Auf Letzteres streckt wird. In jeder Kraftkammer ihrer
ters, Bd. 410, S. 150 , 1997. werde ich mich hier beschränken. zahlreichen Myofibrillen zieht man da-
Weitere Hinweise finden Sie unter www. Voraussetzung für Variationen in der durch die dünnen Molekülfäden – die
spektrum.de/aktuelles heft.html Funktion sind immer Modifikationen in Borsten – etwas weiter aus dem Bereich
den beteiligten Strukturen. Die meisten der dicken Stränge heraus. Da deren
▲
Muskelkraft ablehnen – dürften sich in ei- Hilfe der Gel-Elektrophorese. Dabei wan- Dehnungsaktivierung im Wesentlichen
nem Punkt einig sein: Der unerwartete
Kraftanstieg bei der Dehnungsaktivierung
kann nur durch molekulare Motoren be-
Der molekulare Kraftakt: Mit einer rudernden Bewegung heften sich die Myosin-
wirkt sein, wer immer diese auch sein köpfchen (rot) an einen Aktinfaden (blau) und üben eine Zugkraft aus. Dabei knickt
mögen. Fände sich nun ein klarer Zusam- nach neueren Erkenntnissen wahrscheinlich nicht das gesamte birnenförmige
menhang zwischen dem jeweiligen Ver- Köpfchen ab, sondern nur sein sich verjüngender Halsteil, den ein Kragen aus
lauf der Dehnungsaktivierung und den leichten Myosinketten (violett) umschließt. Unter den Proteinkomponenten der
Myofibrillen weist die schwere Myosinkette besonders viele Varianten auf.
PETER STEINBACHER
verdrillte schwere
leichte Myosinketten
Myosinketten
Troponin,
der dreiteilige
Calcium-Rezeptor
Myosinköpfchen Gleit-
Tropomyosin richtung
Aktinfilament
Myosinfilament
Kurzfristig war er auch jeweiligen Bedarf bleibt übrigens auch im Alter erhalten.
an Untersuchungen der ein. Für diese Um- Das haben Experimente mit implantierten
Gletschermumie „Ötzi“ wandlung ist das Reizelektroden zumindest an alten Ratten
beteiligt. elektrische Muster gezeigt. „Alter Muskel rostet nicht“ mag
der einlaufenden also der Slogan lauten. ■
SA
DE
TL
Hecate Strait G
ANT
E (British UN
Columbia,
U ER
IKS
Kanada)
ÜBERQ
Hier wurde ein
10 200 Jahre
altes Artefakt aus
einer Meerestiefe
von etwa 50 Meadowcroft (Pennsylvania)
Metern geborgen.
Unter einem Felsdach entdeckten Wissen-
schaftler die Überreste eines Korbes (oben),
der mindestens 12 900 Jahre alt ist.
Cactus Hill (Virginia)
Möglicherweise 18 000 Jahre alte Artefakte
deuten darauf hin, dass Vorfahren der Clovis
an der Ostküste gelebt haben könnten.
KARTE: SUSAN CARLSON / FOTOS DER SPEERSPITZE UND DER TIERHAUT: KENNETH GARRETT / FOTO DES FUSSABDRUCKS: MIT FREUNDLICHER GENEHMIGUNG VON TOM DILLEHAY /
Clovis (New Mexico) stammen kleine Steinklingen und
Hier wurde 1932 das erste Schabwerkzeuge (rechts).
Artefakt des nach dem Ort
benannten Volkes entdeckt,
FOTO DES KORBES: MIT FREUNDLICHER GENEHMIGUNG VON JAMES ADOVASIO / SCHABWERKZEUG: DARYL P. MILLER/SCIAA-USC / GESICHTSREKONSTRUKTION: BBC
das vor 13 000 Jahren in Taima-Taima (Brasilien)
Amerika weit verbreitet war
Los Tapiales Geschätztes Alter:
und Steinwerkzeuge wie diese
(Guatemala) 12 500 Jahre
Pfeilspitze (links) herstellte.
Geschätztes Alter:
12 900 Jahre
Tibito (Kolumbien)
Geschätztes Alter:
13 600 Jahre
Pedra Furada (Brasilien)
Geschätztes Alter:
30 000 Jahre
Pachamachay (Peru)
Geschätztes Alter:
13 900 Jahre
ten Kleidung und Körbe aus Pflanzenfa- von Monte Verde 14 700 Jahre alt ist, zwar den Beweis, dass einst Menschen
sern her und bauten den örtlichen Gege- blieb genau ein Jahrtausend für die ge- auf dem heute versunkenen Land lebten,
benheiten angepasste Boote. samte Strecke. Zu Fuß wäre das Rekord- doch es sagt nur wenig über die damalige
Inzwischen geriet das Standardmo- zeit, durchaus vorstellbar hingegen bei Kultur.
dell der Ur-Amerikaner noch weiter un- einer Fortbewegung in Booten entlang Zurück zu dem kunstfertigen Speer-
ter Beschuss. Seit das Alter von 14 700 der Pazifikküste. spitzenmacher von Monte Verde. Seine
Jahren für Monte Verde von der interna- Diese Möglichkeit vertritt der Vorfahren könnten es also innerhalb von
tionalen Archäologengemeinde akzep- Archäologe Knut Fladmark von der Si- nur 100 Jahren bis an die Südspitze Chi-
tiert worden ist, steht die ketzerische Fra- mon Fraser University im kanadischen les geschafft haben, vorausgesetzt, sie
ge im Raum, ob die Clovis denn wirklich Burnaby (British Columbia) seit
als Erste Amerika erreicht haben. Mike den siebziger Jahren. „Mit Boo-
Waters von der texanischen A&M Uni- ten hätten die frühen Siedler den
„Wäre es nicht möglich, dass die
versität bietet zwei weitere Arbeitshypo- ganzen amerikanischen Kontinent ersten Siedler in Booten statt über
thesen an: Es gab schon vorher ver- sogar innerhalb von 100 Jahren
sprengte Grüppchen in Nordamerika, die durchqueren können. Rund 300 die Landbrücke ankamen?“
aber so gut wie keine Spuren hinterlie- Kilometer in einem Monat zu-
ßen. Oder eine bislang noch unbekannte rückzulegen, halte ich für realistisch; bewegten sich auf dem Wasserwege fort.
Kultur bevölkerte große Teile des Konti- wobei die Menschen zweifelsohne in den Aber praktisch gesehen hätte die Gruppe
nents und harrt der Entdeckung. Einige Wintermonaten eine Pause einlegten und dann kaum Zeit gehabt, sich an ihre neue
Wissenschaftler verlegen die Ankunft vermutlich zudem an manchen Orten, die Umgebung anzupassen.
der ersten Menschen in Amerika mittler- ihnen besonders günstige Bedingungen Und genau hier sieht Professor Dille-
weile auf 15 000 bis 20 000 Jahre vor boten, für eine Generation verweilten.“ hay einen ganz entscheidenden Unter-
unserer Zeit. So reizvoll Fladmarks Theorie auch schied zwischen Theorie und Realität:
In diesem Zusammenhang wird auch klingt, sie wird nicht einfach zu bewei- „Die Menschen, die vor 14 700 Jahren in
der Weg des Menschen in die Neue Welt sen sein. Als am Ende der Eiszeit die Monte Verde lebten“, argumentiert er,
heftig debattiert. Sofern die frühen Ame- Gletscher abschmolzen und der Meeres- „wussten genau, wo sie sich niederlie-
rikaner in Kanus und Kajaks durch den spiegel stieg, wurden Tausende Quadrat- ßen“. Sie waren lange genug in der Re-
Kontinent kreuzten, wäre es dann nicht kilometer entlang der amerikanischen gion, um sich in einer erstklassigen Lage
ebenso gut möglich, dass die ersten Sied- Pazifikküste überflutet. Alte Lagerplätze einzurichten: Nicht weiter als eine Stun-
ler von vornherein in Booten statt über und Artefakte wären heute in der Tiefe de entfernt boten Feuchtgebiete reichlich
▲
die Landbrücke ankamen? Diese Vorstel- verborgen. essbare Pflanzen; das Meer und die ers-
lung wurde von Archäologen jahrzehnte- Deshalb suchen kanadische Archäo-
lang abgelehnt, findet in den letzten Jah- logen neuerdings auf dem Grund des Pa-
ren jedoch immer mehr Unterstützung. zifiks nach Überresten. Mit Echoloten Literaturhinweise
Denn ansonsten wäre die „Völkerwande- haben Daryl Fedje von der kanadischen Phantome aus der Frühzeit. Von Mi-
rung“ schon eher einem Volkslauf Nationalparkbehörde und seine Kollegen chael Parfit in: National Geographic
gleichgekommen: Um Monte Verde im den Meeresgrund abgetastet und versun- Deutschland. Dezember 2000, S. 96.
Süden Chiles zu erreichen, mussten fast kene Flusslandschaften entdeckt. Nun fi- The Puzzle of the First Americans. Dis-
20 000 Kilometer zurückgelegt werden; schen sie mit Netzen nach Artefakten. covering Archaeology, Special Re-
doch erst vor 15 700 Jahren war eine Vor der Küste British Columbias hoben port, Januar/Februar 2000, S. 30–75.
Durchquerung von Alaska und Kanada sie aus rund 50 Metern Tiefe 1997 ein Weitere Hinweise finden Sie unter
überhaupt möglich, zuvor bedeckte pola- kleines Steinwerkzeug, dessen Alter www.spektrum.de/aktuellesheft.html
res Eis das Land. Wenn nun die Siedlung Fedje auf 10 200 Jahre schätzt. Es liefert
Menschliche
Artefakte aus
KENNETH GARRET, NATIONAL GEOGRAPHIC (LINKS);
Monte Verde,
Chile: links ein
Holzstock zum
Ausgraben von
Knollen und
Wurzeln, rechts
die Überreste von
Hölzern, an denen
die Zelte der etwa
dreißig Bewohner
im Boden ver-
ankert wurden.
Das
kälteste
im Universum
Gas
Seit kurzem gelingt es, winzige Gaswölkchen knapp
über dem absoluten Nullpunkt in einen kollektiven
Quantenzustand zu versetzen. Solche
Bose-Einstein-Kondensate werden
nun intensiv erforscht und auf
mögliche Anwendungen
untersucht.
VON GRAHAM P. COLLINS
DAVID FEDER UND PETER KETCHAM, NATIONAL INSTITUTE OF STANDARDS AND TECHNOLOGY (NIST)
▲
maren Bestandteile in diesem Gas immer ten des indischen Physikers Satyendra Nath
a b c d
KIRK MADISON, ECOLE NORMALE SUPERIEURE, PARIS
Ein Kondensat aus Rubidium-Atomen wird durch „Umrühren“ mit einem rotierenden
Laser in Drehung versetzt und bildet allmählich ein regelmäßiges Wirbelgitter aus.
Anfangs rotiert das Kondensat überhaupt nicht (a), bis das Umrühren stark genug ist,
einen vollständigen Wirbel zu erzeugen (b), in dem jedes Atom ein Drehimpulsquant
besitzt. Schnelleres Rühren erhöht die Drehung und erzeugt weitere Quantenwirbel –
in den hier gezeigten Fällen acht (c) und zwölf (d). In den dunklen Wirbelkernen ist
SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT · FEBRUAR 2001 51
die Rotation am schnellsten und die Gasdichte am geringsten.
QUANTENPHYSIK
Makroskopische Quantenzustände
Bose, das Phänomen vorhergesagt Doch Kondensate sind nicht nur bei- nimmt es ein höchst merkwürdiges Ver-
hatte (siehe „Die Bose-Einstein-Kon- spielhafte Quantensysteme, sondern ver- halten an. Wie der sowjetische Physiker
densation“ von Eric A. Cornell und Carl körpern auch eine eigentümliche Mi- Pjotr Kapiza und der Kanadier John F.
E. Wieman, Spektrum der Wissenschaft schung mehrerer großer Forschungsge- Allen 1938 entdeckten, wird Helium un-
5/1998, S. 44). Die Experimentatoren biete: Atomphysik (einzelne Atome), terhalb dieser Temperatur superfluid: Es
produzieren diese Kondensate in so ge- Quantenoptik (Laserstrahlen und ihre fließt ohne jede Viskosität und vermag
nannten Atomfallen – Anordnungen von Wechselwirkung) sowie Vielteilchenphy- am Rand eines offenen Behälters empor
Laserstrahlen und Magnetfeldern, die sik (Festkörper, Flüssigkeiten und Gase) und aus ihm heraus zu kriechen. Diesen
eine stark verdünnte Wolke von Atomen einschließlich der technologisch wichti- Effekten liegt die Bose-Einstein-Kon-
in einer Vakuumkammer einfangen, fest- gen Erforschung des Elektronenflusses densation zu Grunde (siehe Kasten auf
halten und abkühlen (siehe Kasten auf in Metallen und Halbleitern. dieser Seite).
Seite 55). Der renommierte Atomphysi- Die Experimentalphysiker wüssten
ker Daniel Kleppner vom Massachusetts Superflüssiges Helium nur zu gern, ob auch die gasförmigen
Institute of Technology (MIT) nennt die Kondensate Superfluidität zeigen, aber
Erzeugung dieser Kondensate „die aufre- Der vorliegende Artikel vermag nur ein die Antwort zu finden erweist sich als
gendste Einzelentwicklung in der Atom- paar Beispiele für die erstaunlichen ex- ausgesprochen schwierig. Superflüssiges
physik seit Entwicklung des Lasers“. perimentellen Kunststücke zu geben, die Helium lässt sich in so großen Mengen
Forschergruppen in aller Welt, einige den Physikern mit Bose-Einstein-Kon- produzieren, dass man sein seltsames
geleitet von Nobelpreisträgern und künf- densaten gelungen sind. Die Ergebnisse Verhalten mit bloßem Auge beobachten
tigen Laureaten, erforschen seit fünf beleuchten einige Facetten dieser Quan- kann. Die neuen Kondensate sind hinge-
Jahren mit Feuereifer das exotische Ge- tenobjekte: ihr Verhalten als Superflüs- gen winzige Gaswölkchen, kaum gehalt-
biet, das durch diesen Durchbruch zu- sigkeit wie in flüssigem Helium, als prä- voller als Vakuum, und werden von Ma-
gänglich geworden ist. Sie tasten die zise kontrollierbares atomares Gas und gnetfeldern höchstens ein paar Minuten
Kondensate mit Laserstrahlen ab, variie- als eine Art Laserstrahl, der statt aus lang zusammengehalten. Was würde es
ren die Fallen, die sie zusammenhalten, Licht aus Materie besteht. für einen derart hauchzarten Dampf
und beobachten, wie das Gas gemäß den Wird flüssiges Helium auf weniger überhaupt bedeuten, superfluid zu sein?
Quantengesetzen hüpft, schaukelt und als 2,2 Kelvin (Grad über dem absolu- Ein einzigartiger Effekt sind die in
vibriert. ten Temperaturnullpunkt) abgekühlt, so einer rotierenden Superflüssigkeit entste-
tung: Magnetfelder durchdringen diese sind etwa 5000-mal größer, denn gasför-
Materialien, indem sie darin eine Anord- mige Kondensate haben im Vergleich zu
nung von elektrischen Stromwirbeln er- flüssigem Helium extrem geringe Dichte,
zeugen. Die Bewegung derartiger Fluss- und ihre Atome treten nur sehr schwach
wirbel führt zu Leistungsverlusten und in Wechselwirkung miteinander.
macht damit die attraktivste Eigenschaft An der Dichte und den Wechselwir-
kungen von flüssigem Helium lässt sich
so gut wie gar nichts ändern, aber die
Die zwischen den Atomen eines
Kondensats wirkenden Kräfte
Dichte von gasförmigen Bose-Einstein-
verändern dessen Größe und Gestalt. Kondensaten kann durch Straffen oder
Hier variierten die Forscher die Lockern der Magnetfallen, die das Gas
Kräfte von stark abstoßend (oben) festhalten, variiert werden. Außerdem ist
bis fast null (unten). Werden die es möglich, die Wechselwirkungen in
Kräfte weiter verändert, bis sie gasförmigen Kondensaten buchstäblich
schließlich schwach anziehend
werden, so kollabiert das Kondensat
durch Drehen an einem Einstellknopf zu
und explodiert wie eine winzige verändern. Diese Fähigkeit ist der Traum
Supernova. jedes Experimentators: Man stelle sich
▲
▲
Gewöhnliche Atomstrahlen finden be- dass dem Atomlaser in kommenden Jahr- bestrahlte ein Natrium-Kondensat mit
Quanten-Kühler
gepulsten Radiowellen. Die Atome mit kohärente – Atomstrahlen, die mit ande- Das „a“ in Laser steht für „amplifica-
umgeklapptem Spin fielen einfach aus ren Techniken erzeugt worden waren. tion“ (Verstärkung), aber bei den bisher
der Falle heraus; so entstanden sichelför- Etwa zur selben Zeit bauten William beschriebenen Atomlasern findet die ein-
mige Kondensat-Pakete, die nur durch D. Phillips und Steve Rolston am NIST zige nennenswerte Verstärkung bei der
die Schwerkraft in Bewegung versetzt erstmals einen Atomlaser, der nicht nur anfänglichen Erzeugung der Bose-Ein-
wurden. in Abwärtsrichtung funktionierte. Opti- stein-Kondensate statt, wenn die Atome
Ende 1998 konstruierte die Gruppe sche Laserpulse trieben Atome aus dem im Laufe der Kondensation „verstärkt“
von Theodor Hänsch an der Universität Kondensat und durch ein kreisendes den gemeinsamen Quantenzustand be-
München ein ähnliches System, das ei- Loch am Rand der Falle ins Freie. Eine setzen. Eine echte Verstärkung der
nen kontinuierlichen Strahl aus Rubidi- exakt mit der Rotation des Lochs syn- Atomlaser-Strahlen – eine so genannte
um-Atomen emittierte (siehe Spektrum chronisierte Folge von Laserpulsen schuf Materiewellen-Verstärkung – gelang erst
der Wissenschaft 7/2000, S. 23). Die einen eng gebündelten und praktisch Ende 1999 einer von Ketterle und Prit-
Münchner Gruppe schätzte, dass ihr kontinuierlichen Strahl; ein Bericht chard geleiteten Gruppe am MIT sowie
Atomstrahl mehr als eine Million Mal sprach von einer „atomaren Strahlenka- unabhängig davon Takahiro Kuga an der
intensiver war als ähnliche – aber nicht- none mit laserähnlicher Präzision“. Universität Tokio.
Wasserstoff-Papst
Kondensation in Wasserstoff auf: „Es hat erforderliche Temperatur und Dichte herangekommen, wäh-
etwas länger gedauert als erwartet.“ rend die Alkaliatome damals um den Faktor eine Million
zurücklagen. Leider standen an diesem Punkt einige ver-
Als Kleppners frühere Studenten ihre spektakulären trackte Eigenschaften von Wasserstoff im Weg; unter ande-
Kondensate aus den Alkaliatomen Rubidium, Natrium und rem erwies es sich als schwierig, zum Nachweis eines Kon-
Lithium erzeugten, schlug Kleppner sich noch immer mit densats wichtige Eigenschaften des Gases zu messen. Bei
dem Atom seiner Wahl herum: Wasserstoff. Damit hatte er den Alkaliatom-Gasen können dafür sichtbares Licht und
schon in den späten fünfziger Jahren als Doktorand und normale Lasertechnik eingesetzt werden; doch das entspre-
Postdoc an der Harvard University begonnen. Dort war er chende Licht für Wasserstoff ist ultraviolett und erfordert
mit Norman Ramsey an der Erfindung des Wasserstoff- viel umständlichere Methoden.
Masers beteiligt; dieser Verwandte des Lasers arbeitet im Im Juni 1998 riefen zwei von Kleppners Studenten ihn
Mikrowellenbereich und dient unter anderem für Hochpräzi- spät abends an: Er solle rasch ins Labor kommen. Endlich
sionsmessungen, zum Beispiel bei Tests der Einsteinschen war ein Bose-Einstein-Kondensat in Wasserstoff beobachtet
Relativitätstheorie. Im Jahre 1996 zog Kleppner von der worden. Einen Monat später gab Kleppner auf einer Konfe-
Harvard University zum MIT, wo er nun geschäftsführender renz im italienischen Varenna den Erfolg seiner Gruppe be-
Direktor am Forschungslabor für Elektronik ist. kannt. Die anwesenden Experten – Kollegen, Konkurrenten
Auf das Bose-Einstein-Thema ließ Kleppner sich um und frühere Studenten – feierten den stolzen Wegbereiter
1976 ein, als er mit so genanntem spinpolarisiertem Was- mit stehenden Ovationen.
Materiewellen-Verstärkung bedeutet
keineswegs, dass der Verstärkungsvor- Durch geeignete Laser-
anregung könnte in einem
gang aus Energie Materie erzeugt. Viel- Rubidium-Kondensat ein
mehr wird in einem Bose-Einstein-Kon- künstliches Molekül erzeugt
densat ein kleiner Atomlaser-Puls er- werden, das tausendmal
zeugt, und dieser Puls wird verstärkt, größer wäre als das natür-
wenn zusätzliche Kondensat-Atome ih- liche zweiatomige Rubidium-
rer Bose-Natur gehorchen und sich hin- Molekül. Die goldfarbenen
Kurven der Computergrafik
zugesellen. Die gleichzeitige Streuung zeigen die Dichte der Elektro-
von Licht aus einem gepumpten Laser- nenwolke, welche die Bindung
strahl garantiert, dass Impuls und Ener- bewirkt. Die blaue Kugel ist
gie erhalten bleiben. eines der Atome; das andere
Dass Materiewellen-Verstärkung auf ist durch die „Zwillingstürme“
diese Weise möglich ist, erkannte die verdeckt. Zwar haben mehrere
Forscher durch Laseranregung
MIT-Gruppe Anfang 1999, als sie auf ei- in Kondensaten gewöhn-
nes ihrer zigarrenförmigen Kondensate lichere ultrakalte Moleküle
einen polarisierten Laserstrahl richtete; erzeugt; doch bislang ist ihnen
zur Überraschung der Forscher traten noch kein Kondensat aus
Atomhäufchen unter 45 Grad aus, und Molekülen gelungen.
aus beiden Enden der „Zigarre“ fielen
Lichtstrahlen. Dabei handelte es sich
um Streuprozesse mit einem gewissen
Verstärkungseffekt; insofern glichen sie Lichtstrahlen – mit absoluter Höchstge- gie in Stockholm spekulierten 1999, dass
der so genannten Superradianz, einer schwindigkeit aus: 300 000 Kilometer verlangsamtes Licht, das einen Wirbel in
Form von lawinenartiger Strahlungsver- pro Sekunde. In einem Medium pflanzt einem Kondensat streift, als Miniaturmo-
stärkung. Licht sich langsamer fort: in Wasser mit dell für Prozesse in der Umgebung von
ungefähr drei Viertel und in normalem rotierenden Schwarzen Löchern dienen
Nichtlineare Optik Glas mit zwei Drittel der Vakuumlichtge- könnte. Beispielsweise könnte das Licht
und gebremstes Licht schwindigkeit. in den Wirbelkern hineingezogen werden
Im Jahre 1999 bremste Lene Vester- – insbesondere dann, wenn der Strahl
Bei diesen Prozessen verhalten die Kon- gard Hau vom Rowlands Institute for sich gegen den Rotationsfluss bewegt.
densate sich ganz ähnlich wie Licht – im Science in Cambridge (Massachusetts) In noch nicht veröffentlichten Arbei-
Gegensatz zu ihrem Verhalten als Super- einen Lichtstrahl durch ein ultrakaltes ten zeigen Peter Zoller und Ignacio Cirac
flüssigkeit. Ein besonders lebhaftes For- und optisch modifiziertes Gas auf 17 von der Universität Innsbruck, dass es
schungsgebiet war im vergangenen Jahr- Meter pro Sekunde ab – das Tempo eines mit bereits heute verfügbarer Technik
zehnt die nichtlineare Optik, bei der schnellen Fahrrads. Im November 2000 möglich sein sollte, Schallmodelle von
Licht mit sich selbst in Wechselwirkung berichtete Ketterles Gruppe, ein Licht- Schwarzen Löchern zu bauen – das heißt
tritt. Forscher an den amerikanischen strahl habe ein Kondensat mit einem Me- solche, bei denen Schallwellen die Rolle
Bell Laboratories haben zum Beispiel ter pro Sekunde, also buchstäblich im des Lichts übernehmen. Ihren Berech-
mit nichtlinearen Lichtpulsen, so ge- Schritttempo, durchquert. An sich ist nungen zufolge explodieren solche Ge-
nannten Solitonen, riesige Datenpakete kein Kondensat erforderlich, um solche bilde und stoßen dabei Scharen von
durch Glasfasern geschickt. Effekte zu erzielen, aber die enorme Käl- Schallquanten, so genannten Phononen,
Normalerweise zeigt Licht kaum te der kondensierten Gase schafft ideale aus. Diese Explosionen würden das Ver-
Wechselwirkung mit sich selbst; daher Bedingungen dafür. dampfen mikroskopisch kleiner Schwar-
sind extrem hohe Lichtintensitäten oder Ulf Leonhardt und Paul Piwnicki zer Löchern simulieren, bei dem infolge
spezielle Medien nötig, um nichtlineare vom Königlichen Institut für Technolo- von Quanteneffekten ein thermisches
Effekte zu erzielen. Da die Teilchengemisch austritt, die
schwachen Wechselwirkungen so genannte Hawking-Strah-
der Atome in Kondensaten au- lung.
tomatisch nichtlineare Effekte Graham P. Collins ist Redakteur bei Scientific American. In einem Artikel vom Au-
bewirken, sind die Bose-Ein- gust 2000 mutmaßen Wayne
stein-Gebilde zur Untersu- Literaturhinweise Hu und seine Mitarbeiter von
chung derartiger Prozesse ide- Experimental Studies of Bose-Einstein Condensation. der Princeton University, dass
al geeignet. Die klassische Von Wolfgang Ketterle in: Physics Today, Bd. 52, S. 30, die unsichtbare dunkle Mate-
Vorstellung von Atomen als Dezember 1999. rie, die offenbar rund neunzig
Teilchen, die wie winzige Bose Condensates Make Quantum Leaps and Bounds. Prozent der Masse im Univer-
Murmeln zusammenstoßen, Von Yvan Castin et al. in: Physics World, Bd. 12, S. 37, sum ausmacht, in Form eines
versagt völlig bei der Interpre- August 1999. Bose-Einstein-Kondensats aus
tation dieser Experimente. Atom Lasers. Von Kristian Helmerson et al. in: Physics Teilchen äußerst geringer Mas-
Eine Bravourleistung der World, Bd. 12, S. 31–36, August 1999. se existieren könnte. Falls
nichtlinearen Optik ist das The Yin and Yang of Hydrogen. Von Daniel Klepper in: diese kühne Hypothese zu-
enorme Verlangsamen von Physics Today, Bd. 52, S. 11, April 1999. trifft, wären die kältesten Gase
Licht. Im Vakuum breiten sich Weblinks zu diesem Thema finden Sie auch unter im Universum zugleich die
elektromagnetische Wellen – www.spektrum.de/aktuellesheft.html häufigsten. ■
ob Radio-, Röntgen- und
Computer-
rzemyslaw Prusinkiewicz, Compu- einem dieser Treffen Anfang der neunzi- Ein wichtiger Grundgedanke ist: Der
▲
ACM zu einer Art Leistungsschau. Auf tikel berichtet werden. präsentiert, umherwandern.
ALLE ABBILDUNGEN: OLIVER DEUSSEN UND BERND LINTERMANN
Wie aber macht man die interne Dar- ses Prinzip hat der Biologe Aristid Lin- gibt es einerseits eine Anweisung, wie
stellung einer Pflanze? Eine nahe liegen- denmayer 1968 in den so genannten L- diese Knospe zu zeichnen ist, und aus
de Idee ist, dass die virtuelle Pflanze so Systemen formalisiert (Spektrum der dem Kontext ergibt sich, wohin; anderer-
heranwachsen soll wie die echte. Aus ei- Wissenschaft 9/1989, S. 52). Eigentlich seits gibt es eine Ersetzungsregel, die
nem kleinen Wachstumskegel sprießen wollte er in erster Linie das Zellwachs- beispielsweise aus „Knospe“ so etwas
eine Blattanlage und ein neuer Wachs- tum modellieren; die L-Systeme wurden wie „Blattanlage plus Knospe“ macht
tumskegel; die Blattanlage wächst zu ei- aber bald auch für Pflanzen verwendet. (Kasten unten). Oder aus einem Zweig
nem Blatt aus, das sich seinerseits in Ein Buchstabe steht beispielsweise wird ein Zweig mit zwei angesetzten
Stiel und Blattspreite differenziert. Die- für eine Knospe. Zu diesem Buchstaben kleineren Zweigen; diese verzweigen
sich wieder durch Anwendung der Er- der insgesamt herstellbaren Verzwei- Ausmaß, in welchem sich ein wachsen-
setzungsregel, bis schließlich die Zweige gungsstrukturen. Es bleibt also die Fra- der Stängel zum Licht hin krümmt, las-
fünfter Ordnung Blätter ansetzen. ge, wie man die Menge der herstellbaren sen sich an realen Bäumen messen und
Indem man auf einen gewissen Bäume einschränkt auf im weitesten Sin- in die Simulation einbringen.
Buchstaben (eine „Keimzelle“) die Er- ne lebensfähige Exemplare, um aus die- So gibt es eine Methode zur Erzeu-
setzungsregel anwendet, auf die dadurch ser Menge im nächsten Schritt die tat- gung von Bäumen, bei der das Pro-
entstehende Zeichenkette wiederum alle sächlich existierenden zu extrahieren. gramm entsprechend den Metrikdaten
Ersetzungsregeln und so weiter, gewinnt Eine Möglichkeit besteht darin, von der Baumart Knospen auf der Oberfläche
man immer länger werdende Zeichenket- dem hohen Abstraktionsniveau der L- einer „Urzelle“ verteilt und wachsen
ten. Lässt man schließlich den Computer Systeme abzugehen und den im Compu- lässt. (Natürlich erzeugen wir oder die
eine solche Zeichenkette als Folge grafi- ter wachsenden Baum realitätsnäher zu Computer keine Bäume, sondern nur
scher Anweisungen interpretieren, ge- modellieren. Das läuft auf eine klassi- interne Darstellungen von Bäumen; aber
winnt man ein Bild von einer ausdiffe- sche Simulation von Wachstumsvorgän- der verkürzende Sprachgebrauch hat sich
renzierten Pflanze – je länger die Zei- gen hinaus. Gewisse zahlenmäßige Para- unter den Computergrafikern eingebür-
chenkette, desto vielgestaltiger. meter („Metrikdaten“) wie etwa der typi- gert.) Ein anderes Verfahren setzt einen
Auf diese Weise lassen sich aller- sche Winkel einer Verzweigung oder das Baum algorithmisch aus vielen unsicht-
dings sowohl natürlich wirkende als auch baren Einzelsträngen zusammen, die von
▲
physikalisch unmögliche Bäume erzeu- der Wurzel bis zu jeweils einem Blatt
gen. Die Menge der statisch stabilen und
erst recht die Menge der natürlich vor-
kommenden Bäume ist ein winziger Teil Aus dem dreidimensionalen
Computermodell eines Baums
entsteht eine „Zeichnung“
nach dem Brauch der Land-
schaftsplaner, indem ausge-
füllte Flächen durch Umriss-
linien und Blätter durch
abstrakte Figuren ersetzt
wurden. Diese Zeich-
nung wurde durch Ein-
färben noch weiter
verfremdet.
de man eine einmal erzeugte Pflanze fügig vergrößert oder verkleinert – über durch ihre Umgebung beeinflusst. Ein
Interaktive Modellierung
Blatt: Komponente zur Konstruktion von Blättern. Tropismus: Dieser Baustein dient zur Definition
Der Benutzer kann verschiedene Blattformen ein- von Licht- und Gravitationsfeldern. Viele Pflanzen
stellen. Zur Steigerung des realistischen Eindrucks richten ihre Blätter und Zweige entsprechend die-
wird diese Form mit Bildern echter Blätter überzogen (tex- sen Feldern aus (Photo- bzw. Gravitropismus). Zusätzliche
ture mapping, vergleiche Spektrum der Wissenschaft 12/ Effekte wie etwa der Einfluss von Wind auf die Wuchsform
1998, S. 98). lassen sich als Tropismen modellieren.
a
Konstruktion einer künstlichen
Sonnenblume: Blätter der natürli-
chen Pflanze werden fotografiert
und digitalisiert. Diese Daten
b werden auf die Geometrie der
künstlichen Blätter aufgebracht (a).
Der Kopf und die Blüte der Blume
werden mit den Bausteinen Blatt
und Phiball modelliert (b und c),
der Stiel mit den Blättern kombi-
niert (d) und schließlich die ganze
Pflanze zusammengesetzt (e). Das
Kamerasymbol steht für den
Baustein, der die ganze an ihm
hängende Struktur zu Papier oder
c d e Bildschirm bringt.
Baum neben einer Mauer oder innerhalb Sind die geometrischen Daten für schaft 4/2000, S. 74, und 12/1991, S.
einer Baumgruppe hat eine andere Form eine Szene erzeugt, wird im nächsten 128): Man schickt vom Projektionszen-
als ein allein stehender Baum. Dies muss Schritt eine gedachte Kamera mit Blick- trum der gedachten Kamera durch jedes
schon bei der Herstellung der Einzel- richtung, Öffnungswinkel und Bildauflö- Pixel der Bildebene einen Strahl in die
pflanzen berücksichtigt werden. Hier fin- sung definiert. Für jedes Pixel des herzu- Szene und bestimmt, welche Objekte er
den geometrische Randbedingungen An- stellenden Bildes sind nun Farbe und trifft.
wendung, die schon während der Her- Helligkeit zu bestimmen. Dies geschieht Bei mehreren Millionen Strahlen und
stellung einer Pflanze deren Gesamtvo- üblicherweise durch Strahlrückverfol- einigen Milliarden Dreiecken entsteht
lumen beschränken. gung (Raytracing, Spektrum der Wissen- hierbei ein erheblicher Rechenaufwand.
Für spiegelnde Oberflächen wie Wasser der Ausnutzung aller dieser Möglichkei- gungsgefühl des Benutzers. Die Proble-
oder durchscheinende Gegenstände wie ten lässt sich eine weitere dramatische me mit der großen Menge an geometri-
dünne Blätter ist der Strahl noch über das Datenreduktion erzielen. schen Daten lassen sich durch image-
erste getroffene Objekt hinaus zu verfol- Die erzeugten Computergrafiken based rendering vermindern. Unter die-
gen, was den Aufwand weiter erhöht. Er- sind mehr als nur schöne Bilder. Mit ih- sem Begriff vereinigen sich Techniken
staunlicherweise lassen sich die Algo- nen eröffnen sich neue Möglichkeiten zur schnellen und Speicherplatz scho-
rithmen mit allerlei Tricks aber so effi- beispielsweise in der Visualisierung öko- nenden Berechnung neuer Objektansich-
zient gestalten, dass die Erzeugung der logischer Daten. Oftmals scheitert die ten aus vorab berechneten Bildern und
Bilder oftmals schneller vonstatten geht Realisierung von Landschaftsplanungen Datenstrukturen. Anstelle von Millionen
als die Herstellung und Verwaltung der an der mangelnden Transparenz der aus- Dreiecken zur Darstellung eines Baumes
geometrischen Daten. gearbeiteten Pläne. Synthetisch erzeugte benötigt man hier nur mehr einige vorab
Landschaften können in neuer Weise berechnete Bilder mit wenigen Zusatz-
Wandern durch virtuelle Folgen von Eingriffen in Ökosysteme daten.
Landschaften darstellen, Entscheidungsträger werden Eine Reihe von vollständig synthe-
in der Lage sein, sich in einer geplanten tisch erzeugten Kinofilmen demonstrier-
Zur Beschreibung einer großen Szene virtuellen Landschaft umher zu bewe- te in den letzten Jahren die Möglichkei-
verstreuen wir zunächst gleichsam viele gen, Planungsalternativen können visuell ten moderner Computergrafik. In vielen
Exemplare einer Pflanze über den ge- abgewogen werden. Mit speziellen Ver- weiteren Filmen findet Computergrafik
dachten Boden. Die Standorte der einzel- fahren der Computergrafik kann man die auch in einzelnen Szenen ihren Einsatz,
nen Pflanzen sowie ihre individuellen Darstellung auch gezielt so schematisch ohne dass der Zuschauer etwas davon be-
Eigenschaften (beschrieben durch geo- und nicht-realistisch gestalten, wie das in merkt. Hier wie auch bei der Herstellung
metrische Parameter) hängen sowohl den Präsentationsskizzen der Land- von Computerspielen liegt weiteres gro-
vom Zufall ab als auch von vorgebbaren schaftsplaner üblich ist (siehe Bild Seite ßes Potenzial für den Einsatz syntheti-
globalen Größen wie Bodenfeuchtigkeit, 61) – mit dem Unterschied, dass der Be- scher Pflanzen und Landschaften. ■
Sonneneinstrahlung und Hindernissen in nutzer durch diese
der Landschaft (Bild Seite 62/63). Im „Skizze“ hindurch-
nächsten Schritt vereinfachen wir das wandern kann. Oliver Deussen ist Professor für
Sortiment, indem wir – mit einer Varian- Ein Naturkunde- Computergrafik und Medien-
te der Clusteranalyse aus der Statistik – museum der Zukunft design an der Technischen
Repräsentanten bestimmen, möglichst könnte den Besucher Universität Dresden. Er
wenige Musterexemplare, welche die in virtuelle Welten ent- promovierte 1996 an der
Vielfalt der soeben erzeugten Pflanzen führen, etwa in einen Universität Karlsruhe im Fach
möglichst gut ausschöpfen. Jede Pflanze urzeitlichen Wald oder Informatik. Neben Computer-
wird dann durch das ihr ähnlichste Mus- auch in eine einfache darstellungen von Pflanzen
terexemplar ersetzt. Diese Instanzenbil- Wiese, die aber aus arbeitet er an computergene-
dung sorgt bei geeigneter Implementie- der Ameisenperspekti- rierten Liniengrafiken und
rung für eine dramatische Reduzierung ve betrachtet wird. So Methoden zur Erzeugung
der Daten. Für übliche Szenen müssen könnte Natur auf di- synthetischer Hologramme.
statt 500 Gigabyte Daten nur noch einige daktisch neue und Bernd Lintermann arbeitet als
hundert Megabyte verarbeitet werden, auch für junge Men- Informatiker und Medienkünst-
was eine Bilderzeugung auch auf PCs schen attraktive Weise ler am Zentrum für Kunst und
möglich macht. vermittelt werden. Medientechnologie (ZKM) in
Eine Instanzenbildung kann auch auf Auch Fahr- und Karlsruhe. Neben Pflanzen
Teilen der Einzelpflanzen geschehen. Flugsimulatoren profi- interessiert er sich für geneti-
Ein kleiner Ast kann an vielen Stellen tieren von realistischen sche Algorithmen, Computer-
innerhalb eines Baumes wiederholt wer- Landschaften. Neben musik und deren Umsetzung in
den, ohne dass es visuell auffällt. Größe- anderen Faktoren ist Medienkunstwerken. Beide Autoren setzen seit 1997
re Teile eines Baumes können analog in die Realitätstreue na- ihre Forschungsergebnisse zu Pflanzendarstellungen
einer Ansammlung von ähnlich ausse- her Objekte entschei- in einer gemeinsamen Firma um.
henden Bäumen wiederholt werden. Mit dend für das Bewe-
Der Ursprung
der modernen Küche
Süßspeisen werden nach dem Hauptgericht serviert – warum eigentlich?
Die Antwort liegt in revolutionären medizinischen Konzepten des 17. Jahrhunderts, die
von der damals aufkommenden Chemie geprägt waren. Obwohl vorwissenschaftlich,
bestimmen sie unsere Essgewohnheiten bis heute.
VON RACHEL LAUDAN
Hippokras
Ein typisches Festessen des 16.
Jahrhunderts enthielt Blancmanger,
ein Mus aus Huhn und Reis, als
Hauptgericht. Beilage war etwa
Kamelinsoße aus zerstoßenen Man-
deln, Brotkrumen und Gewürzen,
HEIDI NOLAND
HEIDI NOLAND
Salat, angemacht mit Essig und Öl gebratener Truthahn
mus“). Im „Brevier der Gesundheit“ von dichtes „Regimen Sanitatis Salernita- Erde: Blut – heiß und feucht – ordnete
PATRICIA J. WYNNE
Die Sonne
Im kosmischen Nahrungszyklus vor 1650 lässt rohe
Nahrungs-
galt Garen als zentraler Lebensvorgang mittel in den
Pflanzen
reifen
Die Leber gart die Nahrung
schließlich zu Lebenssäften; der
Körper scheidet Abfallstoffe aus,
die wieder zu Boden werden Der Magen gart die Köche garen die
Nahrung weiter Speisen in der Küche
man der Luft zu, Schleim – kalt und Manche Nahrungsmittel waren nach de. Nicht viel besser kamen Melonen
feucht – dem Wasser, die gelbe Galle – diesem Schema völlig ungeeignet zum und andere frische Früchte weg; denn
heiß und trocken – dem Feuer und die Verzehr. So warnte Guy Patin, Arzt an auch sie galten als sehr feucht und zum
schwarze Galle – kalt und trocken – der Universität Paris und Verfasser des Verwesen neigend.
schließlich der Erde. „Traktat über die Erhaltung der Gesund- Insgesamt war die Zubereitungsart
Der menschliche Körper war im heit“ von 1632, vor Pilzen; sie seien so also von großer Bedeutung. Sie sollte
Idealfall leicht warm und leicht feucht, kalt und nass, dass ihr Genuss nur scha- einseitige Eigenschaften der Zutaten aus-
aber das Säfteverhältnis wurde auch von
Faktoren wie Alter, Geschlecht und Auf-
enthaltsort beeinflusst: Ältere Menschen
hielt man für kälter und trockener als
Dieses Klassifikationsschema aus dem 16. Jahrhundert
jüngere, menstruierende Frauen für käl- ordnet den einzelnen Nahrungsmitteln einen bestimmten Grad
ter und feuchter als Männer und das Blut an Hitze, Kälte, Feuchte und Trockenheit zu.
der Südeuropäer für heißer als das ihrer
nördlichen Nachbarn. Diesen Vorstellun-
PATRICIA J. WYNNE
gen entsprechend waren auch die Mahl- trocken 1° 2° 3°
zeiten zu gestalten, nämlich ihrer Zu-
sammensetzung nach idealerweise etwas 3°
warm und etwas feucht; nach der einen
oder anderen Richtung abweichende Pfeffer
Kombinationen konnten als milde Diät-
maßnahmen eingesetzt werden, um zum
Beispiel alte Menschen zu erwärmen und 2° Knollen- und
Wurzelgemüse
zu befeuchten, dem feuchteren Ge-
schlecht Nässe zu entziehen oder den Rindfleisch
Südländer gelassener und den Nordlän-
der lebhafter zu machen.
Die Mahlzeiten auf das Temperament 1° getrocknete Zimt
und die jeweilige Verfassung des Essers Hülsenfrüchte
abzustimmen war Aufgabe des Haushof- Cumin
meisters. Der hielt sich dabei an die kalt warm
wohlbekannten Eigenschaften einer jeg-
lichen Zutat: Pfeffer zum Beispiel galt Blattgemüse
als heiß und trocken im dritten Grade,
1°
Essig als kalt und feucht im zweiten Gra- Milch Ingwer
de. Rüben und andere Wurzelgemüse
Fisch
waren – weil angeblich von Natur aus Zucker, Mandeln,
erdig, also trocken und kalt – nur etwas Huhn
für Bauern. Wollte sie ein Koch dennoch Kürbis
verwenden, musste er sie unbedingt 2°
Gurke
schmoren, um ihnen so Wärme und
Feuchtigkeit zuzuführen. Zwiebel
Melone
QUELLE: THE MEDIEVAL KITCHEN: RECIPES FROM FRANCE AND ITALY, UNIVERSITY OF CHICAGO PRESS, 1998
werden konnten. zusammen, und verrühre es mit Verjus*.“
Nach diesen medizinischen Theorien * Saft unreifer Trauben
war der Blancmanger des 16. Jahrhun-
derts fast ideal: Er vereinigte gleich drei
mäßig feuchte und warme Zutaten Blancmanger
(Huhn, Reis, Mandelmilch) mit dem „Nimm gekochte Hühnerbrust, lege sie auf den Tisch und hacke sie so fein du kannst. Dann
gleichfalls feucht-warmen Zucker als wasch den Reis und trockne ihn. Mahle ihn zu Mehl und gib es durch ein Sieb; dann rühre diesen
Reis mit Ziegen-, Schaf- oder Mandelmilch an und koche ihn in einer gut ausgewaschenen,
Krönung. Das an sich zu feuchte Span-
sauberen Pfanne. Wenn er zu kochen beginnt, füge die gehackte Brust hinzu sowie weißen Zucker
ferkel wurde durch Rösten getrocknet; in
und gebratenen weißen Schweinespeck. Halte Rauch davon fern und lass es milde, ohne zu viel
der Kamelinsoße hielten die warmen Ro- Feuer kochen, bis es so dick ist, wie Reis eben sein sollte. Dann gib es mit zermahlenem oder
sinen und der heiße, trockene Pfeffer zerstoßenem Zucker und mit gebratenem Schweinefett zu Tisch.“
dem kühl-feuchten Traubensaft die Waa-
ge. Sorgsam vermied es der kluge Koch,
die gefährlich kalt-feuchten Quitten und
Trauben roh auf den Tisch zu bringen;
sie wurden deshalb entweder als Dörr- Hippokras
obst oder gekocht und gezuckert als „Um ein Lot guten Hippokras zu machen, nimm eine Unze cinamonde, genannt langer Pfeifen-
Quittenpaste serviert. zimt, eine Ingwerknolle und ebenso viel Galgant**, verreibe dies gut miteinander, und gib dann
Als ideales Getränk zum Essen be- ein Pfund guten Zuckers zu. Zerstampfe dies alles miteinander und gieße mit einer Gallone des
trachteten die Gesundheitsexperten den besten Burgunders auf, den du bekommen kannst; lass alles ein oder zwei Stunden ruhen. Treibe es
Wein, sofern er nicht im Übermaß genos- mehrmals durch ein Stoffsieb, dann wird es ganz klar.“
** Wurzel eines Ingwergewächses
sen wurde. So preist das um 1310 ver-
fasste und 1478 gedruckte „Buch von
den Weinen“, das allgemein Arnald von mächtnis bekennen; aber auch ohne aus- menten oder dem heutigen Speisesalz.)
Villanova, dem damals führenden Autor drückliche Berufung auf ihn war die Sal bestimmte in diesem Schema den
medizinischer Fachbücher und Leibarzt geistige Verbindung unübersehbar: Wie Geschmack und die Konsistenz der Nah-
Jakobs II. von Aragon, zugeschrieben seinerzeit Paracelsus erklärten diese rung, Mercur war die Quelle von Duft
wird, den vergorenen Saft der Trauben in Hofärzte die Lehre vom universellen und Aroma, und Sulfur lieferte Feuchte
höchsten Tönen. Er sei gut gegen Blä- Lebensprinzip des Garens und von den und Süße; außerdem vermittelte der
hungen und Unfruchtbarkeit. Außerdem, aristotelischen Elementen für irrig. Schwefel zwischen den beiden anderen,
heißt es, „stärkt er das Gehirn und die Noch heute debattieren Wissen- eigentlich gegensätzlichen Elementen.
Kräfte der Natur ..., bewirkt die Verdau- schaftshistoriker über die Ursachen die- Auch die Verdauung wurde nun an-
ung der Nahrung und macht gutes Blut“. ses veränderten Weltbildes. Eine gewisse ders gedeutet: nicht mehr als Garen, son-
Weil Rotwein aber zu Kälte und Tro- Rolle scheint die zunehmende Bedeu- dern als „Fermentation“ oder Gärung
ckenheit neigte, wurde er gern gezuckert, tung der Destillation gespielt zu haben. (meist allgemein im Sinne einer chemi-
gewürzt und – als „Hippokras“ – warm Seit dem späten Mittelalter begannen Al- schen Umsetzung verstanden). Dieser all-
genossen. Die Gäste unserer Tafelrunde chimisten und Quacksalber mit der Er- tägliche und dennoch geheimnisvolle
des 16. Jahrhunderts konnten also unbe- hitzung von allerlei Stoffen aus der Natur Vorgang fand im 17. Jahrhundert beson-
sorgt zugreifen und ein für ihre Begriffe zu experimentieren – darunter auch Ess- deres Interesse. Weil die Fermentation
gesundes Mahl genießen. bares wie Fenchel, Muskatnuss oder Ge- mit einer leichten Erwärmung und der
würznelken. Dabei stellten sie fest, dass Bildung flüchtiger Stoffe einherging,
Das Vermächtnis sich die Ausgangssubstanzen regelmäßig schien sie mit der Verwesung, der Destil-
des Paracelsus in drei Fraktionen zersetzten: eine flüch- lation und der Wechselwirkung von Säu-
tige, „geistige“ Flüssigkeit („Spiritus“), ren und Basen verwandt oder sogar iden-
Ganz anders dachte die Ärzte-Gene- einen öligen Anteil und einen festen tisch zu sein. Besonders von den „Dämp-
ration, die Mitte des 17. Jahrhunderts an Rückstand. fen“, „Geistern“ oder „Lüften“, für die
die europäischen Höfe kam. Ihre Ansich- Solche Beobachtungen veranlassten der Holländer Johann Baptist van Hel-
ten waren beeinflusst von den Lehren Paracelsus, die vier Elemente der Antike mont (1577–1644) bald den Begriff „Ga-
des deutschen Wanderdoktors Paracelsus durch drei neue Grundstoffe zu ersetzen: se“ prägen sollte, waren die damaligen
(1493 –1541), der ab 1520 das Theorie- Mercurius (Quecksilber), Sulfur (Schwe- Chemiker fasziniert; sie sahen darin die
gebäude der klassischen Medizin zu ver- fel) und Sal (Salz); sie sollten jeweils die Essenz des jeweiligen Ausgangsstoffes.
spotten begann. Sein hochfahrendes We- Essenz des Flüssig-Flüchtigen, des Ölig- Viele angesehene Mediziner des 17.
sen und seine radikalen religiösen Über- Brennbaren und des erdhaften Feststof- Jahrhunderts, darunter van Helmont,
zeugungen hatten ihm einen schlechten fes verkörpern. (Dabei sind Quecksilber, Franciscus Sylvius (1614 –1672) von der
Ruf eingebracht, deshalb mochten sich Schwefel und Salz nicht gleichzusetzen Universität Leiden und Thomas Willis
▲
nur wenige Ärzte offen zu seinem Ver- mit den gleichnamigen chemischen Ele- (1621–1675), seinerzeit der bekannteste
Arzt Englands und Gründungsmitglied Verfaulen der Pflanzen ähnelt sehr stark neuer Soßenrezepte, in denen zum Bei-
der Royal Society of London, vertraten der tierischen Verdauung“, erklärte John spiel Mehl und Speisesalz das Element
diese neue Sicht des Verdauungsvorgangs. Arbuthnot, Mitglied der Royal Society Sal beisteuerten, während Essig, Wein,
Danach machten die sauren, scharfen Ma- und Leibarzt von Queen Anne, in einem Spirituosen und Fleisch- oder Fischex-
gensäfte aus der Nahrung eine weiße, mil- 1732 erschienenen Handbuch der Nah- trakte für die Mercur-Komponente sorg-
chige Flüssigkeit, der im Verdauungstrakt rungsmittel. Noch immer erschien die ten. Die erste Mehlschwitze aus Fett,
die alkalische Galle zugesetzt wurde; da- Welt als Küche, nun allerdings mit Brau- Mehl und Wein oder Fond – eine Kombi-
raufhin begann die Mischung zu gären bottichen ausgestattet, von denen sich nation mit einem eigenen, köstlichen Ge-
und Gase zu bilden, wobei sie zu einer Miniaturausgaben auch im menschlichen schmack – beschrieb François Pierre de
salzartigen Substanz wurde, die der Kör- Körper befanden. la Varennes 1651 in seinem Buch „Der
per schließlich in Blut und andere Flüs- Dieser veränderten Sichtweise passte französische Koch“. Viel Anklang fan-
sigkeiten umwandeln konnte. sich auch die Zunft der Küchenmeister den auch leicht verdauliche Blattsalate
an. Aufgeweckte Köche nutzten mit Soßen auf Ölbasis, etwa der Vinai-
die Gunst der Stunde und ver- grette, die Evelyn 1699 in seinem Traktat
Literaturhinweise schafften sich Ansehen mit der „Acetaria: eine Abhandlung über Salate“
Die Kochkunst des Mittelalters. Von Odile Redon, Kreation von Speisen, die nach empfahl.
Françoise Sabban und Silvano Servi. Eichborn, 1993. den neuen Maßstäben gesund-
Acquired Taste: The French Origins of Modern heitsförderlich waren – und ne- Die Verbannung des Zuckers
Cooking. Von T. Sarah Peterson. Cornell Univer- benbei auch noch dem Gaumen
sity Press, 1994. behagten. Gerne verwendeten sie Während sich Früchte, Kräuter und Ge-
The French Paracelsians: The Chemical Challenge zum Beispiel Austern, Sardellen, müse als feste Bestandteile der Haupt-
to Medical and Scientific Tradition in Early Mo- Blattgemüse, Pilze und Obst, weil mahlzeit etablierten, fiel der früher als
dern France. Von Allen G. Debus. Cambridge Uni- diese Nahrungsmittel alle leicht Allheilmittel gepriesene Zucker bei den
versity Press, 1991. fermentierten und daher nicht chemiekundigen Ärzten in Ungnade.
Medieval and Early Renaissance Medicine: An In- aufwendig zubereitet werden „Unter seinem weißen Äußeren“, mo-
troduction to Knowledge and Practice. Von Nancy mussten, um besser verdaulich zu nierte 1606 Joseph Duchesse, Leibarzt
G. Siraisi. University of Chicago Press, 1990. sein. Mit der steigenden Beliebt- des französischen Königs Henri IV.,
heit frischer Pflanzenprodukte ka- „verbirgt der Zucker eine große Schwär-
men auch der Gartenbau und Bo- ze“ – die Ärzte wussten, dass die Zähne
Wie ihre Vorgänger im 16. Jahrhun- tanische Gärten groß in Mode. Forscher davon schwarz wurden – „und unter sei-
dert weiteten die Mediziner auch jetzt und Privatgelehrte tauschten Sämereien ner Süße eine sehr große Schärfe, die der
ihre Vorstellungen zum Schema eines aus, übersetzten Gartenbücher und ent- von aqua fortis [Salpetersäure] gleich-
universellen Lebenskreislaufs aus. Aus wickelten spezielle Gewächshäuser für kommt.“
Samen entstünden durch das Wirken der zartes Gemüse. Auf Beeten aus verrot- Ihm sekundierte der britische Arzt
„Fermente der Erde“ die Pflanzen, er- tendem Dung begann man Pilze zu kul- Willis, der bei bestimmten Kranken, die
klärte der passionierte Gartenbauer John tivieren, und wohlhabende Engländer wir heute Diabetiker nennen würden, die
Evelyn 1675 vor der Royal Society. Gä- aßen nun sogar Auberginen, die sie bis- Ausscheidung zuckerhaltigen Urins be-
rung verwandle Getreide und Früchte in her als widerwärtig abgelehnt hatten. obachtet hatte: „Zucker, rein destilliert,
Brot, Bier und Wein, die das Verdau- Butter, Schmalz, Olivenöl und ande- ergibt eine Flüssigkeit, die aqua fortis
ungssystem weiter fermentieren könne. re Fette bildeten dank ihrer angeblichen kaum nachsteht ... Daher ist es sehr wahr-
Mit der Verwesung der Abfallstoffe be- Fähigkeit, „Mercurisches“ und „Salzi- scheinlich, dass das Versetzen fast aller
ginne der Kreislauf von neuem. „Das ges“ zu verbinden, nun die Basis vieler unserer Nahrung mit Zucker, und zwar in
Das Prinzip Sal macht Speisen flüchtig oder Ideen des Paracelsus und der davon ab-
gibt den Speisen Geschmack gasförmig, verleiht ihnen Duft geleiteten Ernährungstheorie. Nicht von
(Salz, Mehl) (Essig, Wein, Fleischextrakt) ungefähr erinnern uns daher die Currys
der indischen und die Moles der mexika-
nischen Küche an Gerichte, die man in
großen Mengen und täglich, das Blut Geflügel. Eine Vielzahl von Rezepten für Mitteleuropa vor Paracelsus kannte.
und die Säfte salzig und scharf macht; liebevoll garnierte Rinderbouillons be- Die westliche Küche, ein Kind des
und damit skorbutisch.“ Zucker war also schrieb Vincent la Chapelle, ein französi- 17. Jahrhunderts, sollte sich als wesent-
bedenklich, wenn nicht gar ein Gift. scher Koch in den Diensten des Earl von lich zählebiger erweisen als die ihr zu
Derlei düstere Warnungen taten ihre Chesterfield in England, im Jahre 1733 Grunde liegenden Lehrmeinungen. Am
Wirkung. Jeder Koch hätte es sich drei- in seinem Buch „Der moderne Koch“, Ende des 18. Jahrhunderts hatten in Che-
mal überlegt, seine Gäste zum Verzehr das in kürzester Zeit auch ins Französi- mie und Medizin bereits die Forschun-
des verpönten Stoffs zu nötigen, indem sche übersetzt wurde. gen begonnen, denen wir unser heutiges
er ihn einfach über die Hauptgerichte Wissen über Kalorien, Kohlenhydrate,
streute. So geriet der Zucker an den Die ersten Restaurants Proteine, Vitamine und Mineralstoffe
Rand der Speisenfolge und tauchte nur verdanken. Doch im 19. und 20. Jahr-
noch in Desserts auf, die überdies in ei- Bald entdeckten Unternehmer das Ge- hundert war das zentrale Thema die Ver-
ner separaten Küche zubereitet wurden. schäftspotenzial dieser neuen Küche und sorgung der Massen: Wie hatte eine billi-
Die neue Einstellung zum Zucker äußert verkauften die „Restaurants“, zu deutsch ge, aber ausreichende Ernährung für we-
sich auch im Aufkommen einer ganzen „Stärkungsmittel“, an Haushalte ohne ei- nig begüterte Schichten wie Fabrikarbei-
Gattung von Büchern, die sich aus- genen Koch. Das aufstrebende europäi- ter und Soldaten auszusehen? Nicht
schließlich mit seiner Eignung zum Ver- sche Bürgertum bemühte sich, es dem mehr den Reichen, sondern den Armen
zieren und Garnieren befassten und kein Adel gleichzutun, und kam so auch auf galt also das Hauptaugenmerk der neue-
Wort über seinen Wert für die Ernährung den Geschmack der „Restaurants“ und ren Ernährungswissenschaft, während
oder Gesundheit verloren. der neuen Küche überhaupt. die Entwicklung der westlichen Cuisine
Spirituosen und andere Destillate gal- Diese Speisen galten als Zeichen einer durch die Küchenchefs der besseren Ge-
ten als wirksame Arzneien. Zwar war ge- verfeinerten Lebensart – nicht nur aus Ge- sellschaft weiterhin den Vorgaben des
gen ein Schlückchen Kräuterlikör oder schmacksgründen, sondern auch, weil die 17. Jahrhunderts folgte.
ein Schnäpschen hin und wieder nichts einzelnen Nahrungsmittel darin in ihrer Heute kann in den westlichen Indus-
einzuwenden, aber für den täglichen stärksten, am höchsten veredelten Form trienationen zwar fast jedermann so es-
Konsum erschienen sie aus medizinischer auftraten. Der Autor der gastronomischen sen wie früher nur die Wohlhabenden,
Sicht zu stark. Für leichter verdaulich Abhandlung „Die Gaben des Comus“ aber inzwischen kennen wir auch die
hielt man die nicht so konzentrierten Ex- (Paris 1739; comus ist die latinisierte Schattenseiten dieser Ernährungsweise.
trakte, die aus Fleisch oder anderen nahr- Form von griechisch komos = Fest- Der gesundheitliche Wert von frischem
haften Lebensmitteln durch Kochen oder schmaus) drückte es so aus: „Die Arbeit Obst und Salat ist immer noch unbe-
Vergären hergestellt wurden. Sich entwi- eines modernen Kochs gleicht der eines stritten, aber der Fettreichtum unserer
ckelnde Gasbläschen begrüßte man als Chemikers. Die Kochkunst besteht darin, Nahrung (eine Folge der überkommenen
Essenz und Ausdruck der Güte einer die Nahrungsmittel aufzuschließen, in Vorliebe für Fleisch und fettige Soßen)
Speise sowie als Gehirnnahrung. Spru- ihre Quintessenzen zu zerlegen und diese dürfte für den hohen Anteil übergewich-
delnde Mineralwässer erfreuten sich au- zu extrahieren, dadurch die leichten und tiger Menschen in den meisten hoch ent-
ßerordentlicher Beliebtheit, und überall wickelten Ländern ver-
in Europa wurden Heilbäder eröffnet. antwortlich sein. Deshalb
Bei Tisch wich der heiße, würzige Hip- Rachel Laudan hat an der Universität London in arbeiten Ärzte und Köche
pokras kühlen Weinen und dem prickeln- Geschichte und Wissenschaftsphilosophie promo- nun wieder gemeinsam an
den Champagner, der wohl gegen Ende viert und an mehreren amerikanischen Universitä- einer neuen Küche, wel-
des 17. Jahrhunderts erfunden wurde. ten Wissenschafts- und Technikgeschichte gelehrt. che bei aller angestrebten
Für sehr gesundheitsförderlich hielt Sie ist Autorin des Buches „From Mineralogy to Schmackhaftigkeit auch
man Fleisch- oder Fischextrakte, die als Geology: The Foundations of Science 1650–1830“ die neuesten Erkenntnis-
Fond, Bouillon oder Gelee serviert wur- (University of Chicago Press, 1987) und erhielt se aus Physiologie und
den. Dabei sollte das Fleisch von Land- den Jane-Grigson-Preis für Nahrungsmittelkunde Ernährungslehre berück-
tieren, insbesondere von Rindern, einen der Julia-Kinderkochbücher-Stiftung. sichtigt – wie schon ein-
nahrhafteren Saft ergeben als Fisch oder mal vor 350 Jahren. ■
anders ... ein Wurm als nächstes tun wird, wenn die
Singer: Niemand anders außer Ihnen. Zu- Gesamtheit aller Erregungszustände sei-
griff auf die Empfindungen und Bewer- ner Nervenzellen messbar wäre.
tungen des Gegenübers erhalte ich nur in- Spektrum: Ist das denn schon Stand der
direkt mit Hilfe einer Theorie des Geistes. Forschung?
Spektrum: Das bedeutet? Singer: Bei ganz einfachen Tieren –
Singer: Lassen Sie mich etwas ausho- oder sagen wir besser: Nervensyste-
len! Tiere können sich im Allgemeinen men – ist es schon fast möglich.
nem Entwicklungsprozess, der sich lü- her organisierten Tieres wird in Begriffen beweisen.
Spektrum: Ah, jetzt wird es spannend! Knall hinter mir höre, werfe ich „unwill- Bewusstsein heben. Denken Sie zum
Singer: Man kann durchaus neuronale kürlich“ den Kopf herum, um zu sehen, Beispiel an vegetative Kontrollfunktio-
Strukturen angeben, die für Aufmerksam- was passiert ist. nen der Nierentätigkeit!
keitsprozesse verantwortlich sind. Die Spektrum: Ich kann mich doch auch Spektrum: Können wir denn zwischen
besten Beispiele dafür kommen aus der freiwillig – ohne vorhergehenden äuße- dem Gehirn und der erkennenden Person
Klinik: Wenn bestimmte Strukturen des ren Reiz – nach hinten umdrehen. überhaupt so penibel trennen?
Gehirns zerstört werden, sind die Patien- Singer: Die Frage ist, wie „frei“ Ihr Singer: Das genau ist der Sprung zwi-
ten nicht mehr in der Lage, ihre Aufmerk- Handeln dabei tatsächlich ist. schen den zwei Beschreibungssystemen.
samkeit auf bestimmte Bereiche ihrer Spektrum: Ich kann meinen Blick belie- Spektrum: Aber das Ich-Erlebnis wird ja
Wahrnehmungswelt zu richten. Häufig big durch Ihr Büro schweifen lassen und vom Gehirn „gemacht“, ist insofern Be-
betrifft das dann Körperregionen oder ei- empfinde mich dabei durch nichts Äuße- standteil der Aktivität des Gehirns. Trotz-
nen Teil des Gesichtsfeldes. Das Gleiche res veranlasst ... dem erlebe ich mich als getrennt von der
kennen wir aus Tierversuchen. Wenn be- Singer: Halt, nicht so schnell! Sie be- Aktion meines Gehirns, die ich nur sehr
stimmte Hirnstrukturen vorübergehend schreiben die Dinge jetzt wieder aus der marginal verstehe.
inaktiviert werden – durch Kühlung zum Erste-Person-Perspektive. Aber auch bei Singer: Und deshalb denke ich, dass das
Beispiel – kommt es zu Aufmerksam- Ihrer scheinbar „freien“ Änderung der Problem des „freien Willens“ daher rührt,
keitsdefiziten, die zu den gleichen dass wir Kulturwesen sind, Wesen
Verhaltensänderungen führen wie mit Gehirnen, die uns in die Lage
beim Menschen. Auf diese Weise versetzt haben, eine Theorie des
lässt sich eine direkte Ursache- Geistes zu erstellen und damit kul-
Wirkung-Beziehung herstellen. turelle Konstrukte und soziale
Spektrum: Sie kennen also die Realitäten aufzubauen, die für uns
materielle Ursache des Erlebens? dann wiederum als Realitäten er-
Singer: In diesem Fall kennen wir fahrbar werden.
die materielle Ursache für das Ver- Spektrum: Ist denn das Erlebnis,
mögen, Aufmerksamkeit auf be- sich frei für dieses oder jenes ent-
stimmte Inhalte zu richten – und scheiden zu können, nur ein so-
daraus folgend für das Vermögen, ziales Konstrukt? Ist es nur tra-
diese Inhalte „bewusst“ wahrzu- diert? Haben es die frühen Men-
nehmen, im Gedächtnis abzuspei- schen einmal irgendwie entwi-
chern, sich daran zu erinnern. ckelt, und ab dann ist es immer
Spektrum: Damit haben Sie eine nur noch von den Eltern an ihre
von vielen Ursachen für ein be- Kinder weitergegeben worden?
stimmtes Erleben identifiziert. Singer: So würde ich das sehen.
Singer: Richtig. Im Fall der Auf- Spektrum: Dann wäre es denk-
merksamkeit gelingt das schon bar, dass es irgendwo eine isolier-
recht gut. Im Hinblick auf das Be- te Menschengruppe gibt, die Vor-
wusstsein kann man zumindest an- stellungen ganz anderer Art ent-
geben, welche Strukturen intakt wickelt und tradiert hat und dass
sein müssen, damit Bewusstsein diese auch stabil sind.
überhaupt möglich ist. Was uns noch Blickrichtung – ohne vorherigen Knall Singer: Vermutlich ja. Denken Sie da-
schwer fällt, ist, das neuronale Korrelat im Hintergrund –, bei der Entscheidung ran, wie in bestimmten Religionsge-
für Bewusstsein an sich zu identifizieren. „von innen heraus“, folgen Sie ja wieder meinschaften Handlungsmotive erklärt
Wir wissen noch nicht, wie die Repräsen- Zuständen, die vom Gehirn zuvor er- wurden oder werden: Menschen empfin-
tation der Inhalte des Bewusstseins im zeugt wurden – nur diesmal nicht infolge den sich als „gelenkt“ und schreiben die
Gehirn organisiert ist. Das muss irgendein eines äußeren Reizes. In diesem Fall Initiative für ihr Handeln nicht sich
verteilter Zustand sein, der sich jedoch werden die Attraktoren, die Ihre Auf- selbst zu, sondern einer Gottheit.
unseren analytischen Möglichkeiten noch merksamkeit lenken, von innen heraus Spektrum: Es könnte auch ein Teufel
entzieht. Ein singuläres Zentrum, in dem erzeugt, als Folge der sich ständig wan- sein. Wir kennen ja den Begriff der Be-
das Bewusstsein zu lokalisieren wäre, gibt delnden Zustände Ihres Gehirns. sessenheit.
es jedoch mit Sicherheit nicht. Spektrum: Bin ich dann sozusagen im- Singer: Es könnte auch ein Teufel sein.
Spektrum: In welcher Beziehung stehen mer nur das Opfer meiner Gehirnzustän- Solche Zuschreibungen finden wir in
denn nun Aufmerksamkeit und freier Wil- de? Und ist das Gehirn oder sein momen- unserer eigenen Kulturgeschichte. Und
le? Meine Aufmerksamkeit kann ich doch taner Zustand denn nicht irgendwie auch wir wissen aus der Psychopathologie,
frei lenken, oder? Teil meines Selbst? was passiert, wenn ein Konstrukt wie der
Singer: Jetzt fragen Sie, ob ich meine Singer: Auch wenn das Gehirn schein- freie Wille zusammenbricht. Bei be-
Aufmerksamkeit über meinen so ge- bar nichts tut, ist es stets damit beschäf- stimmten Schizophrenie-Formen ist es
nannten freien Willen von A nach B len- tigt, Inhalte zu ordnen, Bezüge herzustel- gerade ein Leitsymptom, dass sich Pa-
ken kann, oder ob sich meine Aufmerk- len, Lösungen zu finden, Modelle zu ent- tienten nicht mehr „frei“ fühlen können.
samkeit nicht vielmehr – einem sich werfen, sogar wenn Sie schlafen. Sie Sie empfinden sich als „gelenkt“. „Es“
selbst organisierenden Prozess folgend – werden jedoch nur eines kleinen Teils spricht zu ihnen und befiehlt, obwohl
auf auffällige Strukturen richtet. Ganz dieser Arbeit gewahr. Ins Bewusstsein dieses „Es“ Teil ihres Selbst ist. Mit Hil-
sicher tut sie das ja, wenn äußere Reize gelangt nur das Wenige, auf das Sie Ihre fe der funktionellen Kernspintomografie
meine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Aufmerksamkeit lenken können. Man- lässt sich zeigen, dass es bei diesen Pa-
Wenn ich beispielsweise einen lauten che Vorgänge können wir sogar nie ins tienten zu abnormen Aktivitätsverteilun-
=0 =1
NACHRICHTENTECHNIK
=1 =0
Reinhold Ludwig, Hans-Georg Weber und Stefan Dietz (im Foto von links nach rechts)
entwickelten einen optischen Schalter – im Bild der Versuchsaufbau – auf der Basis
eines Mach-Zehnder-Interferometers. Das nutzt Phasendifferenzen, um Lichtsignale
durch Interferenz zwischen zwei Ausgängen zu schalten (Grafik). Dazu verändert ein
optischer Steuerpuls den Brechungsindex eines nichtlinearen Elements.
Eine solche Lichtweiche entsteht am Ein Wort zu den Signalen selbst: Ein
Berliner Heinrich-Hertz-Institut für Bit wird als kurzer Wellenzug darge-
Nachrichtentechnik in der Arbeitsgruppe stellt, eine Folge von Daten erscheint
von Hans-Georg Weber. Gemeinsam mit also als Folge solcher Pulse. Um mehre-
seinen Mitarbeitern Reinhold Ludwig re verschiedene Ströme gleichzeitig auf
und Stefan Dietz erhielt er dafür 1999 einer Glasfaser transportieren zu können,
den Philip-Morris-Forschungspreis. Die bedient man sich so genannter Multi-
Wissenschaftler modifizierten ein kon- plextechniken. So lassen sich mehrere
ventionelles Mach-Zehnder-Interferome- Übertragungskanäle durch verschiedene
ter (Grafik oben). Es hat zwei Eingänge, Wellenlängen realisieren, die gemeinsam
von denen hier aber nur einer der Signal- durch die Glasfaser laufen (und im
zuführung dient, intern gibt es zwei opti- Grenzfall der linearen Optik sich nicht
sche Koppler als Kreuzungspunkte der gegenseitig stören). Dazu kommt das spielsweise alle Bits des Signals eins auf
beiden Interferometerarme sowie zwei Zeitmultiplexing: Die Bitfolgen werden den Ausgang eins leiten und die von Si-
Ausgänge. Dieser Schalter bringt Signa- ineinander verschachtelt, um einen mög- gnal zwei auf Ausgang zwei. Zwar stellt
le auf einen von zwei möglichen Wegen. lichst dichten Datenstrom, also eine hohe sich die Brechzahl eines SOA nach dem
Die Daten tragende Lichtwelle wird Übertragungsrate zu erhalten. Steuerpuls von selbst wieder zurück,
im ersten Koppler „halbiert“, die Teil- Ein optischer Schalter muss diesen doch dauerte das zu lange. Deshalb ma-
wellen gelangen in die beiden Arme des Datenstrom neu sortieren, das heißt, bei- nipuliert ein zweiter Puls den anderen
▲
Interferometers. Sobald sie Koppler
Nummer zwei durchlaufen, entscheidet
ein eventueller Phasenunterschied über
Der optische Halbleiterverstärker
das weitere Schicksal. Kommen gleiche
Phasen – sozusagen die Momentaufnah-
men der Wellen – zusammen, addieren
Licht verstärken mit Elektrizität
sich die Amplituden (konstruktive Inter-
ferenz), und das ursprüngliche Signal ist
das Ergebnis. Trifft hingegen bei einer
I m Prinzip ist der semiconductor op-
tical amplifier (SOA) eine „abgema-
gerte“ Laserdiode: Licht wird einge-
Änderung der Ladungsträgerdichte die
Brechzahl verändert.
Phasendifferenz von einer halben Wel-
lenlänge Maximum auf Minimum, lö-
schen sie sich gegenseitig aus (destrukti-
koppelt und verstärkt, es fehlen aber
die spiegelnden Endflächen, die durch
Reflexionen für eine Gleichschaltung
S olche Verstärkung gibt es nicht bei
dezidierten Wellenlängen wie bei
Gaslasern, eine Folge der in Halblei-
ve Interferenz). sorgen, bis nur Licht einer Wellenlänge tern zu Bändern überlappenden Ener-
Der Berliner Schalter nutzt in den die Diode verlässt. Wie beim Laser gieniveaus. Verstärkung beziehungs-
Interferometerarmen einen optischen beruht die Verstärkung auf so genann- weise Gewinn gibt es vielmehr für ei-
Halbleiterverstärker (SOA, siehe Kasten) ter Besetzungszahlinversion: Elek- nen relativ breiten Wellenlängenbe-
als nichtlineares Element. Beide sind so trisch werden Elektronen von einem reich. Zudem schwächt eine hohe op-
abgeglichen, dass sich die Teilwellen niedrigen in einen hohen Energiezu- tische Eingangsleistung die Verstär-
ohne weitere Einflussnahme am Aus- stand gehoben (vom Valenz- ins Lei- kung. Grund ist die begrenzte Zahl
gang Eins konstruktiv, am Ausgang Zwei tungsband). Von dort kehren sie ent- von angeregten Ladungsträgern im
destruktiv überlagern. Ein Datenpuls weder spontan zurück – und geben die Leitungsband. Bei hohem Photonen-
wird also zunächst immer auf den mit Energiedifferenz in Form von Licht ab – fluss werden in kurzer Zeit zu viele
Eins verbundenen Weg weitergeleitet. oder werden dazu durch den Einfang davon durch stimulierte Emission ver-
Um die Phasen geeignet zu verschieben eines Lichtquants stimuliert. braucht. Der SOA zeigt dann eine Sät-
und so das Signal auf den Ausgang Zwei Der letztere Prozess bewirkt die tigung, bis durch elektrisches Pumpen
zu schalten, erhält ein SOA einen opti- Verstärkung des optischen Signals: erneut Elektronen bereit stehen. Diese
schen Steuerpuls, der seinen Brechungs- Für jedes eintreffende Photon verlas- Erholungszeit ist relativ lang, sodass
sen bis zu 1000 den SOA. Ein solcher ein Lichtsignal, das zwischenzeitlich
index verändert. Dazu reicht bereits ein
Halbleiterverstärker ist zudem ein op- den Halbleiter durchläuft, unter-
Pikojoule, das ist ein Hundertbillionstel tisch nichtlineares Element, weil eine schiedliche Verstärkungen erfährt.
der Energie, die eine 100 Watt-Glühbirne
pro Sekunde abstrahlt.
Halbleiterverstärker, sodass die Phasen- stärkt (meist 1550 Nanometer). Somit zuspalten. Der Schalter ist sogar so
differenz zwischen den beiden Teilwel- beeinflusst das informationstragende Si- schnell, dass man damit ein Signal von
len nun verschwindet – der ursprüngli- gnal ebenfalls die entstehende Phasen- außen abtasten kann, um die Qualität der
che Zustand ist wieder hergestellt. Der differenz und damit den Schaltvorgang. Datenübertragung zu beurteilen.
zeitliche Abstand zwischen beiden Die Lösung, die am Heinrich-Hertz- Optischen Schaltern dürfte die Zu-
Steuerpulsen wird so gewählt, dass das Institut entwickelt wird, basiert auf ei- kunft der Telekommunikation gehören.
Schalten ungefähr die eingangs geforder- nem SOA, der bei kürzeren Wellenlän- Freilich steckt diese Technik noch in ih-
te Pikosekunde dauert. Eine solche Kom- gen von 1300 Nanometer optimal ver- ren Anfängen, während die elektroni-
ponente lässt sich sehr kompakt auf ei- stärkt, von den Bitströmen mit weiterhin schen Mittel sehr ausgereift sind. Es
nem optischen Chip von wenigen Milli- 1550 Nanometer deshalb unbeeindruckt wird deshalb zunächst ein Nebeneinan-
metern Abmessungen realisieren. bleibt (man spricht von gewinntranspa- der der Techniken geben: Die Optik er-
Mehrere Gruppen in Europa, USA renten SOAs). Damit gelang es, ein opti- möglicht hohe Transportraten, die Elek-
und Japan haben Prototypen davon ge- sches Datensignal von 640 Gigabit pro tronik übernimmt die Steuerung, die
baut. Doch ist die beschriebene Anord- Sekunde, das aus acht Übertragungska- Speicherung von Daten und logische
nung noch nicht der Weisheit letzter nälen beziehungsweise Wellenlängen Operationen. ■
Schluss. Denn sie ist nicht optimal, da von jeweils 80 Gigabit pro Sekunde be-
Steuerpuls und Datenstrom meist in je- stand, fehlerfrei zu zerlegen und jeden
nem Wellenlängenbereich liegen, für den Übertragungskanal in acht Einzelsignale Klaus-Dieter Linsmeier ist Redakteur
der Halbleiterverstärker maximal ver- von jeweils 10 Gigabit pro Sekunde auf- bei Spektrum der Wissenschaft.
WISSENSCHAFT
organismen. Sie scheiden Enzyme aus,
schnell bioabbaubar nicht bioabbaubar
die lange Polymerketten zunächst in
schlechte Materialeigenschaften sehr gute Materialeigenschaften
kurze, wasserlösliche Bruchstücke zer-
schneiden. Diese lassen sich dann durch
die Zellmembranen ins Innere der Orga-
nismen befördern und dort weiter ver-
arbeiten. Dabei entstehen Energie und
Rohstoffe für den Aufbau der Zellen, als
Abfallprodukte Wasser, Kohlendioxid aliphatisch-aromatischer Copolyester
und gegebenenfalls Methan. Die Kombination von
Doch viele Polymere widersetzen aliphatischen und
sich der Enzymattacke. Bestehen ihre aromatischen Kompo-
nenten bietet gute noch bioabbaubar
Ketten aus reinem Kohlenstoff, wie etwa Materialeigenschaften gute Materialeigenschaften
in Polyethylen und in Polystyrol, finden plus Kompostierbarkeit.
die Biokatalysatoren keine Angriffsmög-
lichkeiten. Der Grund: Da solche Poly-
mere in der Natur nicht vorkommen, ha- Adipinsäure
ben sich keine geeigneten Enzymsyste- schen verwendete Polyethylenterephtha- O O
me entwickelt. Werden die Kohlenstoff- lat (PET) bleiben vom mikrobiellen An- HO C CH2 CH2 CH2 CH2 C OH
ketten jedoch durch andere Atome wie griff unbeeindruckt, flexible Polyester
Sauerstoff oder Stickstoff unterbrochen, aus linearen Bausteinen (so genannten Terephthalsäure
O O
sieht die Sache anders aus. Kein Wunder, Aliphaten) wie Polycaprolacton (PCL)
denn auch natürliche Polymere wie Stär- hingegen sind abbaubar. Letzteres wird HO C C OH
ke, Zellulose oder Proteine besitzen sol- konventionell als Ausgangsmaterial für
che „Heteroatome“ in den Polymer- Polyurethane oder als Zuschlagstoff für 1,4-Butandiol
ketten. Dementsprechend enthalten die Polyolefine verwendet. Ein weiteres Bei- HO CH2 CH2 CH2 CH2 OH
meisten heutigen bioabbaubaren Werk- spiel für den Einfluss der Kräfte zwi-
stoffe Ether-, Urethan-, Amid- oder Es- schen den Polymerketten auf den bio-
tergruppen (siehe Grafik unten). Enzyme logischen Abbau sind Polyamide. Zwar
beschleunigen den Einschub von Wasser- beruhen natürliche Eiweiße und tech- ten mit denen konventioneller Kunst-
molekülen in diese Bindungen, die dann nische Polyamide wie Nylon beide auf stoffe messen lassen. Beispielsweise ha-
unter Bildung etwa von Säure-, Alkohol- den erwähnten Amid-Bindungen, doch ben natürliche Polymere wie Zellulose
oder Aminogruppen gespalten werden. verhindern bei den technischen Produk- oder Stärke diesbezüglich deutliche De-
ten starke Wasserstoffbrücken zwischen fizite. Chemische Modifizierung hilft
Mobile Ketten den Polymerketten eine enzymatische zwar in gewissem Maße, doch nimmt die
Spaltung. Abbaubarkeit dabei ab (beispielsweise
Dennoch gibt es als bioabbaubar ver- Als wäre die Angelegenheit nicht beruht das unter dem Markennamen
marktete Kunststoffe wie Polyethylen schon kompliziert genug, bedürfen auch „Bioceta“ für bioabbaubare Hüllen von
und Polystyrol mit reinen Kohlen- die Fragmente, die bei der Spaltung der Friedhofskerzen verwendete Material
stoffketten. Der Trick dabei: Besondere Polymerketten entstehen, noch der Be- auf teilweiser Veresterung von OH-
Zusätze oder der Einbau spezieller Grup- achtung. Da sie sich in Wasser lösen, Gruppen zu Zelluloseazetat). Aber auch
pen in die Ketten sollen die Aufgabe der könnten sie beispielsweise ins Grund- rein synthetische bioabbaubare Kunst-
Enzyme übernehmen und die langen wasser gelangen. Dann muss garantiert stoffe erreichen bislang nicht die Eigen-
Moleküle beispielsweise unter Sonnen- sein, dass Mikroben sie weiter zersetzen schaften konventioneller Materialien –
licht zunächst chemisch in Fragmente werden, dass sie nicht giftig wirken und PCL schmilzt bei nur 60 Grad Celsius,
auftrennen. Ob diese Reaktionen aber sich wohlmöglich in Nahrungsmitteln während Polyethylen eine doppelt so
ausreichen, um den Mikroorganismen anreichern (bislang gilt aber nur die Bil- hohe Temperatur aushält.
das Feld für den weiteren Abbau der dung von aromatischen Diaminen aus Verschiedenen Arbeitsgruppen, da-
Bruchstücke zu bereiten, darüber streiten aromatischen Polyamid-Strukturen als runter auch unserer, ist es jüngst gelun-
die Gelehrten. bedenklich). gen, die Abbaubarkeit aliphatischer
Fremdatome in den Ketten garantie- Darüber hinaus müssen sich die Ver- Polyester mit den hervorragenden Eigen-
▲
ren überdies allein noch keine Bioabbau- arbeitungs- und Anwendungseigenschaf- schaften aromatischer Polyester zu ver-
barkeit. Auch die Flexibilität der Poly-
merketten und ihr Zusammenhalt unter-
einander im Werkstoff spielen eine wich-
tige Rolle. Denn nur ausreichend mobile Poly- -ether -amid -ester -urethan
und flexible Ketten können sich in das
katalytisch aktive Zentrum der Enzyme H H
GBF / SPEKTRUM DER
binden. In den Polymerketten wechseln etwa Lebensmittelverpackungen oder Der nächste Schritt, an dem wir und
sich dabei aliphatische und aromatische Hygieneartikel (beispielsweise Wischtü- andere Gruppen arbeiten, sind Kunststof-
Esterbindungen statistisch ab. So entste- cher oder Windeln). Während des Ge- fe, die sich vollkommen in natürliche
hen bioabbaubare Kunststoffe, deren brauchs in normaler Umgebung tritt kein Stoffkreisläufe einfügen. Dies setzt vo-
Eigenschaften denen von Polyethylen nennenswerter Abbau auf. Dieser be- raus, dass zukünftig ausschließlich nach-
vergleichbar sind. Wir konnten auch ginnt erst während der Kompostierung wachsende Rohstoffe, etwa Komponen-
sicherstellen, dass nicht nur die aliphati- durch die dort vorhandenen Mikroorga- ten aus Stärke oder Zucker, ihre Basis
schen Komponenten von Enzymen ange- nismen bei geeigneter Temperatur – die bilden, und keine Produkte der Petroche-
griffen, sondern auch alle aromatischen in Heimkompostmieten in der Regel mie mehr verwendet werden. ■
Bereiche der bioabbaubaren aliphatisch- nicht erreicht werden – und optimaler
aromatischen Copolyester von den Mi- Feuchte. Lohnende Anwendungen bietet Der promovierte Chemiker Rolf-
kroorganismen verstoffwechselt werden; auch der Agrarbereich: Bioabbaubare Joachim Müller leitet die Gruppe
umweltgefährdende Zwischenprodukte Mulchfolien können einfach unterge- „Bioabbaubare Polymere“ bei der
treten dabei nicht auf pflügt werden, Pflanzenschutzmittel las- Gesellschaft für Biotechnologische
Aktuelles Anwendungsziel bioab- sen sich in Kunststoff einschließen und Forschung mbH (GBF) in Braun-
baubarer Kunststoffe sind hauptsächlich werden dann langsam während der Vege- schweig.
Produkte mit kurzer Gebrauchsdauer wie tationsperiode freigesetzt.
TECHNOGRAMM
LUFTFAHRT
Reifenspuren auf der Landebahn
Keiner mag Shimmy verraten: Shimmy was here.
TNO AUTOMOTIVE
pro Stunde den Asphalt berühren, haben Fahrwerk und Reifen
einiges auszuhalten: Mehr als 20 Tonnen Last auf einem einzigen
Rad lassen die Reifen flattern. Dieses Englisch „Shimmy“ genannte
Phänomen wird durch spezielle Konstruktionen gedämpft. Der
Ingenieur Igo Besselink von der Abteilung Fahrzeugdynamik der
niederländischen Forschungsorganisation TNO hat es jetzt
mathematisch modelliert und in Simulationen herausgefunden, OBERFLÄCHEN
dass es auch ohne spezielle Dämpfer geht, wenn nur die Geome-
trie und Steifigkeit des Fahrwerks optimiert wird. Vorteile: 10 bis Neue Disziplin: Kunstsprengen
20 Kilogramm weniger Gewicht, reduzierte Fertigungskosten und
vor allem: die aufwendige Wartung der Dämpfer entfiele. Normalerweise verbindet man mit Sprengstoff einen Akt der
Zerstörung: Häuser zerfallen zu Staub oder ein Loch öffnet sich im
Berg. Doch die Druckwelle einer Sprengung kann auch äußerst
NAHVERKEHR filigrane Strukturen hervorbringen. Mitarbeiter des Fraunhofer-
Instituts für Chemische Technologie in Pfinztal haben daraus ein
Im Minutentakt Verfahren zur Strukturierung von Metalloberflächen entwickelt. Auf
eine Metallplatte legten sie ein Eichenblatt und bedeckten es mit
über der Autobahn einer dünnen Folie aus
einem Nitrozellulose-
Mit der Technik von heute die hängt auf Reifen mit geringem Sprengstoff; deren Schöner prägen
Verkehrsprobleme von morgen Rollwiderstand entlang laufen. Lackschicht verhindert mit Sprengstoff.
lösen – das will ein Ingenieur- Magnetschwebetechnik wäre das Verdampfen des
büro in Rösrath bei Köln. nachrüstbar. Der große Vorteil: explosiven Materials. Bei
FRAUNHOFERGESELLSCHAFT–ICT
am Ende eines Zugs sogar ohne die Dicke der Sprengfolie zwischen 0,8
Verlangsamen der Fahrt. Ob bis 3 Millimeter variiert. Der detailge-
dieses Konzept realisierbar ist naue Abdruck kann auch als Vorlage
und zu welchen Kosten, sollen zur dekorativen Verzierung von
weitere Studien zeigen. Kunststoffoberflächen dienen.
80 SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT · FEBRUAR 2001
MAGAZIN
SPORTGERÄTE
.
C
IN
für aus. Oder etwa nicht? Wer zum ersten diese Zwischensohle
E
IK
N
Mal ein Fachgeschäft aufsucht, um sich üblich wurde, ver-
mit einem geeigneten Schuh auszustat- zeichneten Sport-
ten, erkennt schnell, dass er oder sie da- ärzte drastisch
bei an die Pforten einer Geheimwissen- mehr Reizungen
schaft geklopft hat. Der richtige Lauf- des tractus tibia-
schuh orientiert sich beispielsweise an lis, einem binde- Dämpfung zu
Geschlecht, Gewicht und bevorzugtem gewebigen Band, das berücksichtigen.
Untergrund – Asphalt oder Wald? Dazu außen am Oberschenkel Seitdem Leder
kommen Fragen der jeweiligen Lauf- entlang verläuft. Läufer und Segeltuch durch
technik und der Ambitionen: Hobby- mit einer normalen Pronation Nylon ersetzt wurden
sportler versuchen sich durch Dämpfung rollten auf Grund der Gewölbe- und polymere Schäume
und Gelenkunterstützung vor Verletzun- stütze vermutlich zu weit auf den (Ethylenvinylacetat, EVA)
gen zu schützen, Profis wählen Schuhe, äußeren Fußrand (Supination), das die Funktion des Gummis in
die ihnen Zehntelsekunden schenken. iliotibiale Band wurde gestrafft, der der Zwischensohle und im Absatz
Wie nun ein solcher Sportartikel op- Oberschenkelknochen einwärts gedreht übernahmen, ist es nicht einfach, Schuhe
timal zu gestalten sei, beschäftigt Wis- und so die Reibung zwischen dem Band leichter zu machen. Meist versuchen die
senschaftler etwa seit Beginn der 70er und einem knöchernen Höcker im Be- Konstrukteure, Stabilitätskomponenten
Jahre, als nämlich der sneaker, ein leich- reich des Knies verstärkt. wie die Zwischensohle nicht aus massi-
ter Segeltuchsportschuh weltweit zum vem Material sondern gitterartigen
Renner wurde. Doch trotz millionen- In großen Schritten Strukturen zu fertigen.
schwerer Investitionen der Industrie bie- zum modernen Laufschuh Biomechanische Forschung sollte
ten die komplexen biomechanischen Zu- diese Entwicklungen der Industrie be-
sammenhänge beim Laufen immer noch In jener Zeit kamen auch Luftkissen, gleiten und ihr neue Wege zeigen. Doch
Überraschungen. Silikon-Gel oder polymere Schäume auf, mitunter stehen die Erkenntnisse der
Steifere Sohlen und ebensolche die den Aufprall der Ferse auf dem Bo- Wissenschaftler im Widerspruch zu lang-
Unterstützungen des Fußgewölbes sollen den dämpfen sollten. jährigen Überzeugungen, die sich sozu-
dem Fuß im Schuh Halt geben und sei- Das Ergebnis: immer sagen in millionenschweren Investitio-
nen Kontakt mit dem Boden führen, mehr Entzündungen nen materialisiert haben. Benno M.
freilich ohne die komplexe Fol- der Achillessehnen. Nigg, Direktor des „Human Performance
C.
ge von Teilbewegungen des S E
IN „Der Fuß sinkt ein Laboratory“ an der Universität Calgary,
ER
NV
Gangzyklus zu stören. CO und verdreht sich, der zweifelt beispielsweise an dem so sicher
Viele Produkte ha- gedämpfte Schuh kann geglaubten Zusammenhang von Auf-
ben dazu eine ihn nicht mehr führen prallkräften und Laufverletzungen.
Zwischensohle und die Gelenke stabili- Untersuchungen seiner Gruppe zeigten,
aus Kunst- sieren“, erläutert Jack Taun- dass schnelle Läufer zwar mit zwei- bis
stoff zwi- ton, Vize-Direktor am sport- dreimal höherer Belastung landen als
schen der äuße- medizinischen Zentrum Allan langsamere, aber keineswegs häufiger
ren und inneren McGavin der Universität von Bri- verletzt sind. Andere Institute haben laut
Sohle, die unter dem tish Columbia. Nigg entdeckt, dass das Laufen auf har-
Fußgewölbe fester ist Stabilität und Dämpfung markieren tem Untergrund nicht schädlicher ist als
als an der äußeren Seite zwei Eckpunkte der Schuhentwicklung, das auf weichem. Er erklärt das mit dem
des Schuhs. Diese Unter- zwischen denen die Industrie Kompro- Anstieg von Knochenmasse und -dichte
stützung soll den Fuß davor bewah- misse sucht. Ein weiterer ist das Ge- bei gelenkbelastenden Sportarten wie
ren, zu stark einwärts zu rollen (fachlich: wicht: Je leichter ein Schuh, desto weni- Laufen oder Basketball im Vergleich
zu pronieren), wenn sich das Gewicht ger Energie muss der Läufer aufwenden, etwa zum Schwimmen. Das Paradigma
des Läufers von der Ferse zur Fußspitze aber desto problematischer ist es wiede- des „Dämpfens“, um die Häufigkeit oder
▲
verlagert. rum, die Forderungen nach Stabilität und die Art von Laufverletzungen zu verrin-
SAMUEL VELASCO
Schwingung damit nicht überein, gibt es
sich unberührt. Die Außensohle
Kein Wunder also, dass Läufer ihren vermittelt Reibung, aber
auch wieder Dämpfung
speziellen Schuhtyp bevorzugen. Nigg
glaubt, dass Ermüdung und Verletzungen
entstehen können, wenn die Muskeln zu
viel Energie benötigen, um der Weichge-
weberesonanz entgegenzuwirken. Der
richtige Schuh vermag die Leistung um Der Nike Air Structure Triaxx 5, ein aktueller,
bis zu fünf Prozent zu steigern – das re- typischer Laufschuh, enthält eine Zwischensohle mit
zwei unterschiedlichen Härtegraden und andere
duziert die Zeit beim Marathonlauf um Komponenten, die stabilisieren und dämpfen sollen.
etwa acht Minuten.
Der Marathonläufer und Biomecha-
niker Peter Cavanagh von der Pennsyl- der an der Fußsohle ansetzenden Kräfte fachlichen Information. So entwickelten
vania State University hatte bereits 1980 vom Aufsetzen der Ferse bis zum Ab- sie Anfang der 80er Jahre die so genann-
am gängigen Modell für den Bodenkon- druck von den Zehen zu quantifizieren. te Abrollhilfe – eine leichte Aufwärts-
takt gerüttelt: Ein Läufer landet demnach Die Ergebnisse waren überraschend. krümmung der vorderen Sohle. Der
auf der Ferse, schiebt sich über seinen Selbstverständlich landeten die Meisten Laufschritt solle dadurch effizienter wer-
Spann nach vorne und drückt sich vom tatsächlich auf der Ferse, allerdings eher den, weil ein natürliches Vorwärtsschie-
vorderen Teil des Fußes wieder ab. Der auf ihrem äußeren Rand. Andere, die mit ben zum vorderen Teil des Schuhs erfol-
Aufprall mit den damit verbundenen der gleichen Geschwindigkeit unterwegs ge. Bewiesen wurde diese These nicht,
Stoßeinwirkungen galt, wie schon er- waren, kamen auf dem Rist auf und eine im Gegenteil: Darren Stefanyshyn, ein
wähnt, als besonders verletzungsträchtig. dritte Gruppe landete von vornherein Kollege Niggs, fand kürzlich heraus,
Cavanagh ließ eine Kraftmessplatte in etwa im ersten Drittel des Vorderfußes. dass Abrollhilfen die Vorwärtsbewegung
eine Teststrecke ein, um Ort und Stärke Die Gruppen erhielten die Bezeichnun- sogar negativ beeinflussen, da sie die Ze-
gen Hinter-, Mittel-, und Vorderfußläu- hen und Ballen daran hindern, mit voller
fer; innerhalb jeder Gruppe fand Cava- Kraft abzustoßen. Und Nigg konstruierte
nagh eine Vielzahl von Bodenkontakt- einen Schuh ohne Abrollhilfe und ver-
mustern. half damit Durchschnittsläufern zu 2/10
Die Biomechanik des Laufens war Sekunden schnelleren Sprints. Da er eng
offensichtlich viel komplexer und indivi- mit dem Sportschuhhersteller Adidas zu-
duell unterschiedlicher als erwartet. Der sammenarbeitet, dürften seine Forschun-
SAMUEL VELASCO
Wissenschaftler fand sogar heraus, dass gen wohl neue Produkte inspirieren.
die Kräfte, die während des Abdrucks Auch die heute üblichen Pronations-
auf den vorderen Teil des Fußes wirken, stützen stehen neuerdings in der Dis-
mehrere Male größer sein können als kussion. Am Nike Forschungslabor in
Supination Neutralstellung Pronation die, die beim Aufsetzen mit der Ferse Beaverton (Oregon) bezweifeln Wissen-
entstehen. Heutige Laufschuhe sind im- schaftler den Nutzen starrer Zwischen-
Ein Vergleich dreier Läufer während der mittleren merhin meist von der Ferse bis zur Spit- sohlen und fester Pronationsstützen.
Phase eines Schrittes, bei dem sie entweder mit
der Außenseite des Fußes (Supination), der ze gepolstert, dennoch widmen Schuh- „Solche Teile stoppen das natürliche
gesamten Fußfläche (Neutrallage) oder der hersteller dem Vorderfuß weniger Auf- Einwärtsrollen des Fußes abrupt wie eine
Innenseite des Schuhs aufsetzen (Pronation). merksamkeit. Oft fehlt es auch an der Backsteinmauer“, sagt der Direktor des
J
eden Winter kommen im Alpenraum
einige Dutzend Menschen durch La- Oberfläche des Schnees von den Verhält- Schicht mit dem dort sublimierten Was-
winen zu Tode. Oftmals trifft es Ski- nissen in den darüber liegenden Luft- serdampf in obere, deutlich kältere
oder Snowboardfahrer, die abseits der schichten bestimmt wird. Mittelfristige Schneeschichten auf, wo der Dampf an
präparierten Pisten ihrem Freizeitvergnü- Temperaturänderungen der Atmosphäre den kalten Körnern ankristallisiert. Je
gen nachgehen. Doch gelegentlich rasen setzen sich im Schnee nur bis in 30 bis 50 größer die Temperaturunterschiede zwi-
die Schneemassen bis in besiedelte Ge- Zentimeter Tiefe merklich durch, Tages- schen den Kristallen, desto größer ist das
biete hinein, wo sie immensen Schaden schwankungen beeinflussen sogar nur Wachstum in den oberen Schichten, wo-
anrichten – wie etwa im Februar 1999, die obersten zehn Zentimeter. Dadurch bei Korngrößen bis 5 Millimeter erreicht
als bei einem der schwersten Lawinenun- entsteht in der oberen Schneedecke ein werden. Bei andauernder aufbauender
glücke im österreichischen Galtür mehre- Temperaturgradient, sodass benachbarte Umwandlung wachsen becherartige
re Häuser zerstört wurden und 38 Men- Schneekörner unterschiedliche Tempera- Hohlformen, so genannte Becherkristal-
schen ums Leben kamen. Im selben Mo- turen und somit auch unterschiedliche le. Durch sie nimmt die Zahl der Korn-
nat rissen Lawinen bei Chamonix in den Dampfdrucke aufweisen, was die Meta- bindungen pro Volumen ab, was die Fes-
französischen Alpen und bei Evolène im morphose entscheidend beeinflusst. tigkeit der Schneeschicht deutlich verrin-
Wallis weitere 23 Personen in den Tod. gert. In bodennahen Schichten entsteht
Mag bei vielen dieser Katastrophen Von der Schneeflocke dadurch Schwimmschnee oder Tiefen-
Leichtsinn oder Unbedachtheit im Spiel zum Schwimmschnee reif. Geschieht die aufbauende Umwand-
sein, so lassen sich Lawinenabgänge als lung oberflächennah und dies besonders
solche doch kaum vermeiden – sie gehö- Neuschneekristalle haben im Verhältnis in Schattenlagen, wird der Schnee grie-
ren im alpinen Winter quasi zum Alltag. zu ihrer Masse eine sehr große Oberflä- sig. So entstehen schwache, wenig be-
Aber das Wissen um ihre Ursachen kann che. An den Spitzen der hexagonalen lastbare Schneeschichten.
das Verständnis für dieses Naturphäno- Schneesterne, wo der Dampfdruck höher Die Übergänge zwischen aufbauen-
men und die Risikowahrnehmung in „ris- ist, sublimiert das gefrorene Wasser zu der und abbauender Umwandlung, die
kanten“ Situationen verbessern. Dampf, der im Zentrum des Kristalls beide bei Minusgraden stattfinden, sind
Nüchtern betrachtet ist Schnee eine wieder angelagert wird. Dadurch werden fließend und jederzeit möglich. Doch
feste Form des Niederschlags, die sich die Verästelungen kürzer und die Mitte gibt es noch eine dritte Umwandlungs-
aus Eiskristallen in komplexen hexago- dicker, sodass sich die Schneeflocke der form bei einer Erwärmung auf null Grad
nalen Formen zusammensetzt. Frisch ge- Kugelform annähert. Der Neuschnee Celsius, die „Nassschneemetamorpho-
fallen, besteht er aus
einem locker verzahn-
Entwicklung einer
künstlich ausgelösten
Lawine im Versuchs-
gelände Vallée de la
Sionne des Eidgenös-
sischen Instituts für
Schnee- und
Lawinenforschung
ten ständig metamorphe Prozesse ablau- Belastung durch Wintersportler können Doch trotz aller Anstrengungen sind
fen, befindet sich die gesamte Decke dau- auch Neuschneefall, ein Temperaturan- pro Jahr im Mittel noch immer 22 Todes-
ernd in langsamer Bewegung. Längs der stieg oder eine aufbauende Umwandlung opfer durch Lawinen im freien Gelände
Falllinie führt der Schnee eine so genann- des Schnees das Reißen auslösen. zu beklagen. Dabei verlieren knapp 13
te Kriechbewegung aus, die vom Boden Der primäre Riss verläuft entlang ei- Prozent aller von Lawinen erfassten Per-
zur Oberfläche hin zunimmt und einige ner hangparallelen Gleitfläche und sonen ihr Leben. Berücksichtigt man aus-
Millimeter pro Tag erreichen kann. Die- pflanzt sich maximal mit mehreren hun- schließlich ganz verschüttete Opfer, so
sem Kriechen ist bei glattem Untergrund dert Metern pro Sekunde fort. An seinen steigt die Todesrate auf 50 Prozent an.
eine Gleitbewegung der ganzen Schicht seitlichen Begrenzungsflächen entstehen Die Rettungschancen hängen wesentlich
überlagert, die einige Zentimeter bis so- sekundäre Risse. Dadurch löst sich das davon ab, wie schnell die Verschütteten
gar einen Meter am Tag betragen kann. Schneebrett vollständig und gleitet zu geborgen werden können. Bereits nach
Tal, wobei es im Mittel Geschwindigkei- dreißig Minuten kommt für die Hälfte
Gefahr durch den ten von 80 Kilometern pro Stunde er- von ihnen jede Hilfe zu spät.
Weißen Tod reicht. Um Lawinenunglücke gänzlich zu
Zur Reduzierung der Lawinengefahr vermeiden, müssen sich die Wintersport-
Die Kräfte, die in der Schneedecke wir- haben sich künstliche Verbauungen und ler verantwortungsbewusst verhalten und
ken, resultieren in erster Linie aus ihrem Wiederaufforstungen in den potenziellen selbst für einen kleinen Ausflug neben
Eigengewicht. Hinzu kommen äußere Anrissgebieten bewährt. Die Schweiz die Piste zweckmäßig ausgerüstet sein.
Belastungen durch Skifahrer oder zum Beispiel unternahm nach dem ver- Fundiertes Wissen in Schnee- und Lawi-
Schneefahrzeuge. Die inneren Kräfte las- heerenden Lawinenwinter 1950/51 enor- nenkunde und verlässliche Hintergrund-
sen sich am besten an lokalen Verände- me Anstrengungen, um den Schutz vor informationen über die herrschende La-
rungen der Kriech- oder Gleitgeschwin- Lawinen zu verbessern. Insbesondere in winensituation bewahren vor verhängnis-
digkeiten erkennen, zum Beispiel an Bezug auf Katastrophenlawinen wurden vollen Schritten und retten so Leben. ■
Stellen, an denen sich die Hangneigung große Fortschritte erzielt. Selbst bei den
ändert. Nimmt diese hangabwärts zu, außerordentlichen Schnee- und Lawinen-
vergrößern sich die Kriechgeschwindig- verhältnissen im Winter 1998/99 konn- Anja Schilling ist Diplom-Geografin
keiten, und es entstehen in der Über- ten größere Schäden verhindert werden. und arbeitet am Eidgenössischen
gangszone Zugkräfte. Nimmt die Hang- Auch die Lawinenwarnung befindet sich Institut für Schnee- und
neigung hingegen ab, entstehen durch heute auf einem sehr hohen Niveau und Lawinenforschung in Davos
Druckkräfte so genannte Druckzonen. ist für jedermann über vielfältige Infor- (Schweiz).
Bewegen sich zwei benachbarte Schich- mationskanäle zu erreichen.
ten in entgegengesetzter Richtung oder
verändern parallele Kriechbewegungen
ihre Geschwindigkeiten, so entstehen
Scherkräfte. Ihnen gegenüber weist die FORSCHUNGSSTANDORT BERLIN-ADLERSHOF
Schneedecke die geringste Festigkeit auf.
Kommen in einer solchen Situation
äußere Belastungen hinzu – wobei wie-
derum zusätzliche Scherkräfte den größ-
... und der Zukunft zugewandt
ten Einfluss haben –, kann die Schnee-
decke reißen und talabwärts stürzen.
In Berlins Südosten wächst Deutschlands größter
Grundsätzlich können solche Lawinen in Technologiepark heran – eine Stadt für Wissenschaft,
zwei Größenklassen unterteilt werden. Wirtschaft und Medien.
Relativ kleine Schneemassen mit eher
kurzer Sturzbahn und mehrheitlich flie- dern der First Sensor Technology GmbH.
Von Peter Strunk
ßender Bewegungsform werden zumeist Das Unternehmen gibt es seit 1999 – ein
von Skifahrern ausgelöst und heißen Spin-off der Technischen Universität
M
daher Skifahrerlawinen. Sind große atthias Scholz baut Laser, spezielle Berlin. Dort hatten die fünf bereits jahre-
Schneemassen in Bewegung geraten, und Laser für die hoch sensible Analy- lang silizium-basierte Drucksensoren
ist die Sturzbahn lang, so kann sich eine tik. Weltweit gibt es nur wenige Fir- entwickelt und hergestellt. Auch früher
Katastrophenlawine bilden. Ihr typischer men, die auf diesem Spezialgebiet tätig schon lieferten sie Sensoren an medizin-
Vertreter ist die Staublawine, die als sind. Scholz war bis 1989 wissenschaftli- technische Unternehmen sowie an die
Schneewolke durch die Luft stiebend mit cher Mitarbeiter an einem Institut der Luft- und Raumfahrtindustrie. 1999 wag-
Geschwindigkeiten von bis zu 300 Kilo- Akademie der Wissenschaften der DDR. ten Solzbacher und seine Kollegen den
metern pro Stunde zu Tal rast. Bereits 1990 – noch vor der Wiederverei- Sprung in die Selbstständigkeit. Für das
Die von Ski- und Snowboardfahrern nigung – gründete der damals 44-jährige Geschäftsjahr 2000 peilte die First Sen-
verursachten Lawinen gehen zumeist Physiker mit drei Kollegen die LTB La- sor Technology einen Umsatz von 1,5
nicht von einem Punkt aus, sondern rei- sertechnik Berlin GmbH: „Unser größtes Millionen Mark an.
ßen entlang einer Linie an (Bild Seite 85 Eigenkapital war das Know-how im wis- Jochen Dittrich lässt modellieren. In
oben). Solche Schneebrettlawinen setzen senschaftlichen Gerätebau.“ Dabei ist es seiner Werkstatt entstehen Mock-ups,
das Vorhandensein von gebundenen nicht geblieben. Heute arbeiten 25 Men- originalgetreue 1:1-Modelle von Bahnen
Schneeschichten voraus, die Kräfte über schen bei LTB. Der Umsatz erreichte und Bussen. Dittrich ist Designer. Er ent-
weite Strecken übertragen können. Zu- 2000 über fünf Millionen Mark. wirft Fahrzeuge – für die Berliner S-
dem muss die Schneedecke eine Florian Solzbacher ist 27 Jahre alt. Er Bahn, die Metro in Helsinki und für Bus-
▲
Schwachschicht enthalten. Neben der gehört mit vier Kollegen zu den Grün- se in Polen. Im Alter von 37 Jahren häng-
schafts- und Technologiepark. 365 Fir- neration. Sie ging 1998 in Betrieb und wurde: 1,6 Milliarden Mark waren es seit
1991. Insgesamt werden bis 2010 fünf ralbevollmächtigte für den Standort Ber- bietes befand sich früher der Flughafen
bis sechs Milliarden Mark, davon ein be- lin-Adlershof. Aber noch gibt es dort Un- Berlin-Johannisthal, wo 1909 Deutsch-
trächtlicher Teil privates Kapital, in das zulänglichkeiten und viele Baustellen, lands erste Motorflugzeuge starteten.
Projekt fließen. noch fehlt das kreative Flair. „Insofern Während des Ersten Weltkrieges wurde
„Adlershof ist im Jahr 2000 aus einer sind wir noch Pioniere“, fügt Scharwäch- dort die Deutsche Versuchsanstalt für
von der Politik initiierten Aufbauphase in ter hinzu. Luftfahrt (DVL) angesiedelt. Noch heute
eine von Wirtschaft und Wissenschaft an- Adlershof hat Tradition, auch wenn sind auf dem Gelände Relikte jener Zeit,
getriebene Lebensphase getreten“, so diese scharfe Zäsuren erlebte. Auf dem wie Flugzeughangars, aber auch so be-
Professor Rolf Scharwächter, der Gene- Gelände des heutigen Entwicklungsge- merkenswerte Bauten wie Windkanal
GASTKOMMENTAR
Grundlage von Patenten, die teils aus der bäude waren in ihrer
Akademie der Wissenschaften kamen – Bausubstanz so be-
für die chronisch devisenschwache DDR schädigt, dass sie abge-
eine willkommene Einnahmequelle. rissen werden mussten.
Im Jahr 1989 arbeiteten allein in den Zur Ansiedlung von
naturwissenschaftlichen Instituten der Unternehmen wurden
Akademie der Wissenschaften über 5000 moderne Zentren er-
Menschen, beim Fernsehen waren es richtet, teils sanierte
über 2000. Beide Institutionen sollten die Altbauten, teils Neu- Die Humboldt-Universität zu Berlin hat in Adlershof einen
Wiedervereinigung Deutschlands nicht bauten mit spektakulä- modernen Campus errichtet.
lange überleben. Sie passten nicht in die rer und preisgekrönter
föderale Forschungs- und Medienland- Architektur.
schaft der Bundesrepublik. Der Ausbau von Adlershof ist lang- Qualität wissenschaftlicher Einrichtun-
fristig angelegt. Knapp die Hälfte des gen, ein aufnahmebereites Umfeld für
Ziel: Innovationszentrum und Vorhabens ist bisher realisiert worden. Gründungen sowie außerdem ein vielfäl-
Wachstumsmotor Standen in den vergangenen Jahren die tiges Instrumentarium zur geschäftli-
Fertigstellung der Zentren und die Sanie- chen, finanziellen sowie personellen Ver-
Als Ende 1991 die Akademie der Wissen- rung der Infrastruktur im Vordergrund, netzung.
schaften der DDR ihre Tätigkeit einstell- liegen die Prioritäten nunmehr in einem Jetzt geht es also darum, Adlershof
te, hatte der Berliner Senat längst be- offensiven Marketing und in einer syste- regional zu integrieren und gleichzeitig
schlossen, Adlershof zu einem Wissen- matischen Akquisition. seine Technologiefelder zu erweitern. Im
schafts- und Wirtschaftsstandort auszu- Innovationen entstehen zunehmend nächsten Schritt soll der Technologiepark
bauen. Es folgte die Zeit der Evaluierun- in den Schnittmengen von Forschungs-, zu einem „Center of Excellence“ aus-
gen durch den Wissenschaftsrat und Entwicklungs- und Produktionsprozes- gebaut werden, einem internationalen
durch die Technologiekommission des sen sowie verschiedener Grundlagen- Innovationszentrum und wirtschaftlichen
Landes Berlin. Der Personalbestand der und Anwendungsfelder. Darum verfol- Wachstumsmotor für die Region. Der
einstigen Akademie der Wissenschaften gen die Konzepte vieler Technologie- Weg dorthin ist noch weit, jedoch immer-
wurde auf 1500 Mitarbeiter reduziert – parks das Ziel, die Wissenschaft auf be- hin zählt Adlershof schon heute zu den
ein harter Schnitt. Es gelang jedoch, stimmte Technologiefelder zu konzen- 15 größten und modernsten Technologie-
zahlreiche technologieorientierte Firmen trieren – und zwar mit konkretem Nutzen parks der Welt. ■
aus den Instituten auszugründen, von de- für Wissenschaft und Gesellschaft. Dafür
nen sich viele am Standort inzwischen bedarf es eines neuen Denkens: Sachver-
erfolgreich etabliert haben. halte müssen ganzheitlich und vernetzt
Zudem war es möglich, eine Reihe betrachtet werden. Wettbewerber sind Dr. Peter Strunk ist Leiter der
namhafter Forschungseinrichtungen in nicht nur Konkurrenten, sondern auch Kommunikation der WISTA-
die bundesdeutsche Forschungsland- Partner. Management GmbH. Diese ist für
schaft zu überführen, allen voran das In- Nicht anders verhält es sich in Berlin- die Entwicklung, Führung und
stitut für Kosmosforschung. Es gehört Adlershof. Die neue Stadt für Wissen- Verwaltung des Technologieparks
heute zum Deutschen Zentrum für Luft- schaft, Wirtschaft und Medien bietet Berlin-Adlershof zuständig.
und Raumfahrt (DLR), dem Rechtsnach- schon jetzt eine hohe Konzentration und
SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT · FEBRUAR 2001 Seiten 92 bis 94: Anzeige und Beihefter 91
IM RÜCKBLICK
K
ambrium, Ordovizium, Silur – haben sem Buch auf einen breiteren Leserkreis. der vom Autor angestrebten Informa-
auch Sie die „Systeme“ der Erdge- Folgerichtig stellt er dem Hauptteil ein tionsdichte manches das Interesse fach-
schichte auswendig lernen und auf- paar Kapitel „Grundlagen“ voran, begin- ferner Leser überfordern. Das ist nicht so
sagen müssen, ohne viel damit zu verbin- nend mit dem „Lagerungsgesetz“ und tragisch: Man blättert ein wenig weiter
den? Der Mannheimer Geologieprofes- dem „Aktualitätsprinzip“. Beide erschei- und gewinnt wieder Grund.
sor Peter Rothe erfüllt diese Begriffe nen uns heute trivial: dass Gesteine in der Hilfreich ist dabei der strenge Auf-
buchstäblich mit Leben – und nicht nur Reihenfolge, in der sie übereinander lie- bau der Kapitel. Die Zeitabschnitte sind
mit Leben. Meere drangen immer wieder gen, abgelagert wurden und dass sich geo- jeweils gegliedert in „Begriff
auf das Festland vor und zogen sich wie- logisches Geschehen in der Vergangenheit und Abgrenzung“, „Flora und
der zurück, mal sprühte die Erde Feuer in kontinuierlich, ohne wundersame Kräfte Fauna“, „Fazies“, „Stratigra-
einem Ausmaß, das uns heute unvorstell- und Sprünge vollzogen hat, so wie wir es phie“ und „Zusammenfas-
bar erscheint, mal überzog sie sich in in der Gegenwart beobachten können. sung“, mitunter ergänzt
weiten Gebieten mit kilometerdickem Rothe stellt die wichtigsten Gruppen durch spezielle Betrach-
Eis. Gebirge wurden aufgeschoben und von Fossilien vor, erklärt eingehend, wie tungen, etwa über „Die
wieder abgetragen. Und unentwegt wur- das Alter von Gesteinen bestimmt wer- Variskische Gebirgsbil-
den Kontinentalblöcke um die Erde ver- den kann, und erläutert unter dem Begriff dung“, „Die Besonder-
frachtet und zu immer anderen Konstel- der Fazies, wie die Merkmale unter- heiten der Kreide-Tertiär-
lationen zusammengepuzzelt. schiedlicher Gesteine die Bedingungen Grenze“ oder „Die Ent-
Rothes Erdgeschichte beginnt denn widerspiegeln, unter denen sie jeweils stehung der quartären
auch nicht erst mit dem Kambrium, abgelagert worden sind. Eiszeiten“. Im Anhang
mit dem Zeitabschnitt, in dem erstmals Ein schönes Beispiel: „Wenn man die folgen für Leute, die es
und auch ziemlich unver- Knochen toter Kamele in feinkörnigem ganz genau wissen wol-
mittelt eine Vielfalt Sandstein findet, dessen Schichtung so len, ausführliche stratigra-
komplexer Lebe- aussieht wie die heutiger Dünen, und phische Tabellen zu den Cephalopode
wesen auftaucht. wenn die Sandkörner zudem noch rötlich einzelnen Systemen, ein aus der Kreide
Da waren von gefärbt sind, dann hat man schon eine umfangreiches Literatur-
den 4,6 Milli- ganze Reihe von Kriterien, aus denen verzeichnis und ein Register.
arden Jahren der sich die Bildungsbedingungen dieses Ge- Die schön gezeichneten Fossilienta-
gesamten Erdge- steins rekonstruieren lassen … Sanddü- feln sind einem über siebzig Jahre alten
schichte bereits nen werden vor allem da entstehen, wo Lehrbuch entnommen – eine gute Idee.
sieben Achtel ver- nur geringe Vegetation den äolischen Die den einzelnen Zeitabschnitten je-
gangen. Diese lange Sandtransport behindert … Die rote Far- weils vorangestellten Kärtchen über die
Kreide-Leitfossil: Ammonit Zeit war durchaus be der Sandkörner ist auf dünne Hämatit- Verteilung der Festländer – eigentlich
nicht ereignislos. Im häutchen zurückzuführen, die die Quarz- auch eine gute Idee – geben zwar den
Präkambrium entstand der größte Teil der körner umschließen, und Hämatit (Fe2O3) Wissensstand von 1981 wieder, stimmen
kontinentalen Kruste, sammelte sich das bildet sich unter den Bedingungen der jedoch, wie Rothe einräumt, „nur in
Wasser der Ozeane; wurde die Atmo- Erdoberfläche nur in warmem Klima … “ Grundzügen mit neueren Daten überein“.
sphäre mit Sauerstoff angereichert; bilde- Dann geht es Kapitel für Kapitel, Wenn der Autor darauf verweist, dass die
ten sich Gesteine, die später nicht mehr vom Präkambrium bis zum Quartär, neueren Daten im Internet abrufbar seien,
entstehen konnten, darunter die größten aber nicht einmal Adressen nennt, hat er
Eisenerzlager; entwickelten sich erstaun- offensichtlich den erhofften breiteren Le-
lich früh – vor etwa 4 Milliarden Jahren – serkreis aus dem Auge verloren. Der Zu-
die ersten Lebewesen. gang zu den mit sichtlich viel Mühe aus-
Nachdem Rothe Vorlesungen über gearbeiteten stratigraphischen Tabellen
Erdgeschichte vor allem für Nebenfach- wird unnötig erschwert, indem die Erklä-
Studierende gehalten hat, zielt er mit die- rungen der zahlreichen Zeichen 190 Sei-
ten weiter vorn im Vorwort versteckt
Gebänderte Kieseleisenerze lassen sind. Dabei wäre direkt bei den Tabellen
Rückschlüsse auf die Zeit ihrer genügend Platz gewesen.
Entstehung zu: Die roten Eisenoxid- Trotz dieser Kritikpunkte lautet das
schichten können sich nur in Fazit: empfehlenswert.
zumindest sauerstoffarmer Atmo- Erwin Lausch
sphäre abgelagert haben, und die
großen Mengen Kieselsäure legen
einen präkambrischen Soda-Ozean Der Rezensent ist promovierter Biologe
nahe, der sich erst allmählich zum und Wissenschaftsjournalist mit Schwer-
Kochsalz-Ozean entwickelte. punkt Geologie in Ahrensburg.
K
räutertee, Aspirin, Antibiotika oder ger gegen das Eindringen eines Schim- fengehen ist dieses Buch sicherlich nicht
gar eines der neuen Virostatika – was melpilzes geschützt, hätte er nicht das geeignet, denn es vermittelt geballtes
ist man nicht bereit, an Fremdstoffen erste Breitbandantibiotikum entdeckt. Wissen, das ohne Vorkenntnisse schlecht
in sich aufzunehmen, wenn einem die Penicillin rettete bereits im Zweiten zu verdauen ist. „Der HIV-Virus“ ist dem
Nase läuft und der Schädel brummt. Weltkrieg unzähligen Menschen das Le- Korrektor durchgerutscht, und an die mo-
Doch wie genau wirken all diese Stoffe? ben, stand für die Zivilbevölkerung aller- derne Schreibweise „Estrogen“ muss
Die britische Fachjournalistin Susan dings erst ab 1946 zur Verfügung. man sich gewöhnen. Doch wer durchhält,
Aldridge führt den Leser sorgfältig durch Doch nicht nur Medikamente greifen wird mit einer Fülle von Fachwissen be-
die Welt der kleinen Moleküle mit den in den biochemischen Zustand unseres lohnt – und ein paar hübschen Überra-
„zauberhaften“ Wirkungen. Und sie ver- Körpers ein. Auch Kaffee, Alkohol und schungen und Anekdoten obendrein.
spricht nicht zuviel im Untertitel. Sinn- Nikotin haben tief greifende Auswirkun- Dagmar Knopf
voll gegliedert beschäftigt sich ihr Buch gen auf unser inneres Gleichgewicht.
mit dem breiten Spektrum der Medika- Was passiert in unserem Körper nach der Die Rezensentin ist promovierte Biolo-
mente und widmet den häufigsten Er- morgendlichen Tasse Kaffee? Und worin gin und freie Wissenschaftsjournalistin
krankungen, wie Herz-Kreislauf-Erkran- besteht das Suchtpotenzial von Alkohol, in Düsseldorf.
kungen, Krebs und Infektionen, jeweils
ein eigenes Kapitel. Psychopharmaka,
Alltagsdrogen wie Kaffee, Alkohol und
Nikotin sowie illegale Drogen finden ZOOLOGIE
ebenfalls angemessenen Raum.
Aspirin (Acetylsalicylsäure) kennt Thomas Bell
heutzutage jedes Kind. Doch die bitter A Monograph of the Testudinata
schmeckende Salicylsäure ist keine Ent-
deckung der Neuzeit. Schon in den Tagen CD-Rom nach dem Original von 1832–1836.
Octavo (www.octavo.com), Oakland (Kalifornien) 2000. $ 35,–
des griechischen Arztes Hippokrates
wurde sie als Heilmittel gegen Schmer-
ur selten hat man das Vergnügen, ein baut. Auch wer mit dem elektronischen
zen und Fieber eingesetzt. Um die bittere
Pille etwas zu versüßen, versah Felix
Hofmann die Säure 1899 mit einer zu-
Nnehmen.
kostbares altes Buch in die Hand zu
Der Octavo-Verlag verhilft
Medium noch nicht viel Erfahrung hat,
versteht schnell, wie er gewünschte
sätzlichen Acetylgruppe und erfand da- aber zu einem fast authentischen Er- Seiten finden, Bildausschnitte in prak-
mit eins der erfolgreichsten Medikamen- satz. Dank digitaler Datenbanken kön- tisch beliebiger Vergrößerung heranho-
te aller Zeiten. nen Sie in jahrhundertealten Werken len, nach Stichworten im Text suchen
Doch nicht für jedes Medikament ge- „blättern“. oder sich Passagen und einzelne Abbil-
lingt die Markteinführung. Und bis das Jetzt erschien auf CD die Schild- dungen ausdrucken lassen kann. Ex-
Produkt seinen Weg vom Labor zum Pa- krötenmonografie des englischen Na- perten dürften rasch auf die gewünsch-
tienten findet, vergehen im Schnitt zwölf turforschers Thomas Bell, entstanden te Fachinformation treffen.
Jahre. Die „Zaubermoleküle“ bieten ei- in den dreißiger Jahren des 19. Jahr- Wer nichts Bestimmtes sucht, kann
nen detaillierten Überblick über die lang- hunderts. Sämtliche Texte und Abbil- sich vor- und rückwärts durch den
wierige und kostspielige Entwicklung ei- dungen des Bandes, der bis heute als Band blättern – die Doppelseiten
nes neuen Wirkstoffes vom Reagenzglas einer der umfassendsten über diese scheinen aufgeschlagen vor dem Be-
über die Phasen der klinischen Prüfung Reptilien gilt, haben die Herausgeber trachter zu liegen – oder sich einzelne
bis in die Apotheke. Doppelseite für Doppelseite eingespei- Kapitel anschauen und die Abbildun-
Zu manchen Wirkstoffen kamen die chert. Dazu liefern sie ausführliche In- gen bewundern, die weitgehend von
Wissenschaftler allerdings wie die Jung- formationen über Werk und Autor. Edward Lear stammen, einem der bes-
frau zum Kind. So wurde das erste Anti- In der gleichen Reihe sind bis jetzt ten naturkundlichen Lithographen je-
depressivum, Iproniazid, 1952 als Mittel fast dreißig CDs erschienen, darunter ner Zeit. Umständlich fand ich nur,
gegen Tuberkulose eingesetzt. Doch bald auch Klassiker wie Dürers „Under- dass man aus dem Text heraus das In-
fiel den Ärzten auf, dass ihre Patienten weysung der Messung“, „De revolutio- haltsverzeichnis nicht direkt anwählen
ausgesprochen fröhlich und heiter darauf nibus orbium coelestium“ von Niko- kann, sondern stets wieder über die Er-
reagierten. Ab 1957 wurden 400 000 Pa- laus Kopernikus und das Anatomie- öffnungsseite gehen muss.
tienten gegen ihre Depressionen mit die- buch „De humani corporis fabrica“ des Fast glaubt man, das physische Ge-
ser Substanz behandelt, bevor sie wegen Andreas Vesalius von 1543. wicht des kostbaren alten Buches zu
schwerer Nebenwirkungen zurückgezo- Die Anweisungen zum Gebrauch spüren.
gen wurde. Und hätte Alexander Fleming der CD sind gut verständlich aufge- Adelheid Stahnke
1928 seine Bakterienkulturen sorgfälti-
W
er versucht, sich in ein Gebiet aus Der fünfte Band der Brockhaus-Rei- Auch die anderen Kapitel leisten eine
Wissenschaft oder Technik anhand he „Mensch – Natur – Technik“ verspricht solide Einführung ebenso wie den An-
eines Lexikons einzulesen, muss Abhilfe. Die Gratwanderung zwischen schluss an aktuelle Diskussionen. So
meist kapitulieren. Die Katz- und Maus- lexikalischem Anspruch und Lesbarkeit wird im Abschnitt über Kernfusionsener-
jagd nach Querverweisen erschöpft eher, ist – wie bei den vorangegangenen gie nachvollziehbar, welche Vorteile ein
als dass sie belehrt. Erst recht, wenn sich Bänden („Vom Urknall zum Menschen“, funktionierender Fusionsreaktor hätte
ein Gebiet so rasant entwickelt wie die siehe SdW 1/2000, S. 100, „Phänomen und wie schwierig seine Realisierung ist.
Gentechnik. Mensch“, siehe SdW 8/2000, S. 112) – Im Kapitel „Informationsverarbeitung“
äußerst gelungen. Sieben Kapitel führen wird die fast schon feuilletonistische
fundiert ein in Genetik, Lasertechnik, Worthülse „Künstliche Intelligenz“ mit
Energieversorgung, Neue Materialien, realistischen Inhalten und Erwartungen
Miniaturisierung, Informationsverarbei- gefüllt.
tung und Raumfahrt. Alles in allem ist der Brockhaus-
„Schlüsseltechnologien“ heißt die Redaktion gemeinsam mit den Autoren
thematische Klammer. Die einzelnen Ka- ein kompaktes „Hausbuch der Schlüssel-
pitel verlieren dabei nie das „Wozu“ aus technologien“ gelungen, dessen Lektüre
dem Blickfeld – also das Schloss, in das nicht nur deshalb Freude macht, weil
die Schlüsseltechnologien passen sollen. man dabei solide Fakten erfährt, sondern
Etwa im Kapitel „Gentechnik“. Eine auch, weil sie wichtige Einsichten ver-
knappe Hinführung spannt zunächst den mittelt. Vielleicht ist die eine oder andere
Bogen von der Zuchtauswahl über Men- der gehaltvollen Grafiken ein bisschen
dels Vererbungslehre bis hin zur „synthe- klein ausgefallen, und vielleicht ist des-
tischen Genetik“, in der sich Erbsubstanz wegen den Korrektoren der neckische
nicht nur aus Material verschiedener Or- Schreibfehler „Wärme-Konfektion“ statt
ganismen kombinieren, sondern auch „Konvektion“ in der Grafik auf Seite 623
völlig neu herstellen lässt. Die Autoren – entgangen; doch sind sie auch in dieser
wie in den anderen Kapiteln ausgewiese- bescheidenen Größe noch instruktiv.
ne Experten auf dem jeweiligen Gebiet – Alexander Pawlak
erklären Erkenntnisse und Methoden von
Der sechsbeinige Roboter (bisher nur Genetik und Gentechnik verständlich, Der Rezensent ist Diplom-Physiker
als Prototyp vorhanden) mutet an wie ohne auf die notwendigen Fachbegriffe und freier Wissenschaftsjournalist in
ein Wesen aus einer fernen Welt. zu verzichten. Marburg.
D
ieses Buch kann man getrost als eine sich die Gegenstände der Biologie von heiten des Einzelfalls verhaftet, sondern
Synthese der Biologie des 20. Jahr- denen der anderen Naturwissenschaften ebenso wie die Physik allgemeingültig,
hunderts bezeichnen. Ernst Mayr, der grundlegend unterscheiden: in der hierar- eben überall dort, wo es Leben gibt. Die
in drei Vierteln des 20. Jahrhunderts be- chischen Ordnung mit der jeder Hierar- Biologie verfüge häufig nicht über das
deutende biologische Arbeiten und Bü- chiestufe eigenen Komplexität („Emer- Experiment als letzte Bestätigung be-
cher veröffentlicht hat, zeigt hier mit genz“) und dem genetischen Programm. stimmter Tatsachen? Auch andere Wis-
überzeugenden Argumenten auf, dass – Mayr ist ein entschiedener Verfech- senschaften nutzen „natürliche Experi-
und wie – die Biologie eine eigenständi- ter einer holistischen, organizistischen mente“ wie Vulkanausbrüche, Sternbe-
ge Wissenschaft ist. Trotz seines Umfan- Biologie. Der Satz „Das Ganze ist mehr deckungen oder die Ausbildung von
ges bleibt es ein spannendes, lesbares als die Summe der Teile“ sei nichts Landbrücken zwischen Kontinenten. Die
und lesenswertes Gesamtwerk. Mystisches, sondern laufe auf die Forde- Gesetze der Biologie haben nicht die All-
Im Vorwort und im ersten Kapitel rung nach Analyse und Untersuchung auf gemeingültigkeit physikalischer Geset-
„Was ist Leben?“ legt Mayr dar, worin allen Ebenen hinaus – nur eben mit je- ze? Doch, aber sie sind oftmals als Wahr-
Den letzten Teil des Buches bildet Reduktionismus. Manche Ideen über So- Ein Buch, das jedem zur Pflichtlek-
ein Kapitel über mögliche Standpunkte zialisationen als „offene Programme“, türe gemacht werden sollte, der sich mit
zu Ethik und Moral. Mayr fordert einen das heißt Vorgänge, deren Endzustand dem Gedanken trägt, Biologie zu studie-
neuen evolutionären Humanismus und nicht im genetischen Programm festge- ren oder Biologie in die heutige Gesell-
einen Moralkodex namens „Umwelt- legt ist, und die Notwendigkeit vertiefter schaft hineinzutragen.
ethik“. Seine Ausführungen sind zwar Ethik- und Moralunterweisung im frü- Udo Gansloßer
sehr stark auf die Verhältnisse in der hen Kindesalter sind zweifellos kontro-
US-amerikanischen Gesellschaft abge- vers. Aber dem Autor ist zugute zu hal- Der Rezensent ist Privatdozent am
stimmt, aber insgesamt keineswegs bio- ten, dass er sich nicht um eine Stellung- Institut für Zoologie der Universität
logistisch im Sinne eines unzulässigen nahme drückt. Erlangen-Nürnberg.
H
ätte Immanuel Kant die Zweckmä- Strukturen der Organismen. Das wunder- entstanden durch die Vererbung von
ßigkeit als vor aller Erfahrung – a same Erkennen von Strukturen, das im Gehirnstrukturen, die bei den Vertebra-
priori – gültiges Prinzip formuliert, Alltag ebenso wie in der Wissenschaft ten-Ahnen des Menschen langsam und
wenn schon zu seiner Zeit Charles Dar- stattfindet, ist für Riedl ein gerne unter- stufenweise durch Anpassung an synthe-
win und/oder Alfred Wallace das Zweck- schätzter Beitrag zum Verstehen der tische Verknüpfungen von Erfahrungen,
hafte auf das Spiel von Variation und Se- Welt. In seinen Augen wird zu oft und zu von Kenntnissen a posteriori erworben
lektion zurückgeführt hätten? Hätte Kant voreilig unter Verwendung vorgefasster wurden.“
aufzuzeigen versucht, was die Vernunft Urteile „erklärt“. Die evolutionär bewährten „angebo-
vor aller Erfahrung zu leisten vermag, Am Schluss seines Buchs hallt das renen Lehrmeister“ (Konrad Lorenz) sor-
wenn Konrad Lorenz bereits den Er- Anliegen, das induktive, von der An- gen also bei komplexen Strukturen für
kenntnisapparat als Ergebnis stammesge- schauung ausgehende Vorgehen zu för- Verstehen. Riedl sieht hier den Bezug zu
schichtlicher Anpassung beschrieben dern, als Appell auch an die Bildungspo- Goethe, der hinter der Vielfalt von Er-
hätte? Hätte Goethe mit Begeisterung litik weiter. Riedl stellt den Unterschied scheinungen eine diesen gemeinsame
Schillern seine Urpflanze ans Herz Gestalt erblickte. Mit solcher Ab-
zu legen versucht, wenn Rupert Ausgehend von einer Figur aus stützung im unerforschlich „Ra-
Riedl schon damals das Erkennen Hieronymus Boschs Gemälde tiomorphen“ (auch Lorenz ver-
komplexer Gestalten zur unbe- „Der Heuwagen“, hat Riedl wendet diesen Terminus) ist den
wussten „ratiomorphen“ Leistung „deren noch bezeichenbare Naturwissenschaften ein Beschei-
erklärt hätte? Teile weiter ins Un- denheitsgebot auferlegt. Riedl
Vielleicht war es besser, dass beschreibliche scheut nicht die Nähe zum „her-
zerlegt“.
Goethe und Kant von solchen meneutischen“ („verstehenden“)
möglicherweise kränkenden Re- Verfahren in den Geisteswissen-
duktionsbemühungen unbehelligt schaften.
ihr Denken entwickelten. Konrad Typisch für Riedl sind seine
Lorenz und Rupert Riedl machen grafischen Darstellungen, anhand
ja auch nicht „den ganzen Goethe“ derer er eine reiche Begriffswelt
oder „den ganzen Kant“ überflüs- entfaltet. Menschen reagieren of-
sig; es gibt halt nur gewisse Paral- fenbar verschieden auf Riedls
lelitäten mit den eigenen Ideen Schreib- und „Malweise“. Ich per-
oder eine kleine gemeinsame sönlich habe mit seiner Technik
„Schnittmenge“. gute Erfahrungen gemacht. Das
Wenden wir uns Rupert Riedl Durcharbeiten dieser sich wieder-
und dem „Ratiomorphen“ zu! holenden und erweiternden Grafi-
Warum interpretieren wir in die erste zwischen Erklären und Erkennen beson- ken lohnt sich, vor allem da es Riedl viel-
Struktur im Bild rechts immerhin einen ders heraus, und beim Erkennen wiede- fach gelingt, sie mit griffigen, vor allem
„Fischmenschen“, wogegen wir in den rum betont er den unbewusst verrechnen- biologischen Beispielen zu verknüpfen.
anderen Strukturen zunehmend weniger den und zuordnenden Anteil. Was Riedls Begriffswelt angeht: Es
„Vernünftiges“ erkennen? Nach Rupert Alles ist in den Rahmen der „EE“, ist wohl schon so, dass sich die Organis-
Riedl ist jenes Interpretationsvermögen der Evolutionären Erkenntnistheorie, ge- men mit der bei ihnen waltenden „Teleo-
eine Leistung unseres „ratiomorphen Ap- stellt, die Riedl, parallel mit Gerhard nomie“ (Riedl übernimmt diesen Aus-
parates“, den uns die Evolution „instal- Vollmer, seit den siebziger Jahren ver- druck für das Zweckhafte) gut eignen,
lierte“. Dies Vermögen verhelfe auch in tritt. Konrad Lorenz, Kants zeitweiliger ohne dogmatischen Anspruch eine sys-
der Morphologie und Systematik zum Nachfahre auf dem Königsberger Lehr- temtheoretische Terminologie zu entwi-
▲
Erkennen gesetzmäßig wiederkehrender stuhl, hatte als einer der ersten ab den ckeln und zu erproben. In der System-
theorie ist Riedl seinen Lehrern Ludwig se der Erforschung der Genwirkungen heit in einer Weise eingeengt, dass Schi-
von Bertalanffy und Paul Weiss ver- sind einbezogen. Die Wirkungsweise der mären wie Hieronymus Boschs Fisch-
pflichtet. Gene ist natürlich auch das spannende mensch strikt unmöglich sind. Es sei
Riedl baut auf seinen früheren, viel Feld, auf dem sich entscheidet, was an denn, sie würden durch moderne Gen-
beachteten Büchern auf. Herrlich fulmi- den komplexen Strukturen der Organis- technik künstlich angestrebt. Aber man
nant fand ich immer die „Strategie der men je verstanden werden wird. Riedl kann kaum erwarten, dass dies im Sinne
Genesis“ (1976), auch damals schon mit gibt hier illustrative Anregungen. Riedls wäre, seinen mahnenden Appell
kurzen Faust-Zitaten. Was hat nun dieses Der Autor betont das Konservative zu sorgsamem Umgang mit der Komple-
neue und späte Werk mehr? Es insistiert der genetischen Programme. Im Unter- xität im Ohr.
auf Respekt im Umgang mit Komplexi- schied zu Produkten des Künstlers und Bruno Gauger
tät, baut die Evolutionäre Erkenntnis- anderen „Artefakten“ (Kunstwerken,
theorie aus, zieht Parallelen zu Kunst-, Sprachen, Kathedralen), deren Program- Der Rezensent ist promovierter Biologe
Geistes- und Sozialwissenschaften. Zwi- me im Gehirn liegen, sind die Genpro- und Lehrer für Biologie und Physik
schenzeitliche bahnbrechende Ergebnis- gramme durch „Bürden“ der Vergangen- am Gymnasium Überlingen.
Das Bermuda-Dreieck M
Aros von Reinhard Schmidt
nach Ah und Ce auf der halben Strecke S
Be von Beros nach Be lag. b
Ce Finden Sie diese verschollenen
Ah Leuchttürme mit Zirkel und Lineal.
Schicken Sie Ihre Lösung in einem A
Beros Ceros
frankierten Brief oder auf einer Post- Dazu faltet man die linke Seite des
Das Bermuda-Dreieck liegt zwi- karte an Spektrum der Wissenschaft, Blattes auf AM und erhält D.
schen den Leuchttürmen von Aros, Be- Leserservice, Postfach 104840, D– Nun faltet man entlang der roten Linie,
ros und Ceros; über seine Form ist 69038 Heidelberg. was bereits einen Teil der Strecke CD
sonst nichts bekannt. Vor langer Zeit ist Unter den Einsendern der richtigen durch einen Falz markiert.
das Dreieckige Land mit den Leucht- Lösung verlosen wir zehn Armbanduh-
feuern von Ah, Be, und Ce versunken. ren „Komet“. Der Rechtsweg ist aus-
In alten Logbüchern steht, dass Ah auf geschlossen. Es werden alle Lösungen
der halben Strecke von Ceros nach Ce, berücksichtigt, die bis Dienstag, 13. M
Be auf der halben Strecke von Aros Februar 2001, eingehen.
D
Lösung zu „Gold falten“ (Dezember 2000) b
D C A
m
M M
a/2 Das Blatt kann nun wieder aufgefaltet
b S und der bereits begonnene Falz CD
a/2 a/2 durch Nachfalten verlängert werden.
b Alles bügeln – fertig!
A a B A a/2 B C
D
Das Verhältnis des Goldenen Nun wird MA markiert:
Schnitts, a/b = (√5 +1)/ 2, lässt sich
durch die oben skizzierte Konstruktion
auf einem Din-A4-Blatt realisieren. b
Hans Pfister aus Hamburg machte
M
diese Konstruktion zur Grundlage sei-
ner Faltung; es gibt weitere Möglich-
keiten. In den folgenden Zeichnungen A a B
sind der zuletzt entstandene Falz sowie
die Rückseite des Blattes rot markiert. Hans Schick aus Rotenburg schlägt
Zuerst ist der Punkt M zu finden. eine Näherungslösung vor, die in der
Dazu bestimmt man zunächst die Mit- A B Praxis wahrscheinlich genauer ausfällt
tellinie m, indem man B auf A faltet, als die beschriebene exakte. Das Din-
Faltet man MB auf diese Strecke, so A4-Blatt hat das Seitenverhältnis a/b
a/2 a/2 erhält man S. Damit ist b bestimmt und =√2/1. Markiert man durch drei Hal-
muss noch auf die linke Kante des Din- bierungen ein Achtel der kurzen Seite
A4-Blattes übertragen werden. und klappt es um, so ergibt sich das
Verhältnis a /b = 8√2/7=1,6162, was
etwa ein Tausendstel kleiner ist als der
geforderte Wert 1,6180.
M Die Gewinner der sechs Spiele
a/2 „Tumicarona“ sind Gerhard Krülle,
A a B S Aidlingen; Norbert Weichert, Ettlin-
gen; Ilona Frey, Wiesbaden; Tobias
und überträgt dann die Länge a/2 auf b Gonser, Bonn; Heinrich Biener, Weil-
die rechte Seite, indem man die rechte heim; und Wolfgang Uhlendorf, Düs-
Hälfte von AB auf m faltet. seldorf.
A
Lust auf noch mehr Rätsel? Auf der Website von Spektrum der Wissenschaft (www.spektrum.de) finden Sie jeden Monat in
der Rubrik „Rätsel“ eine neue mathematische Knobelei.
Die Lichtmühle
Ist es das Licht, das die vier Flügel so unermüdlich rotieren
lässt? Nicht direkt – entscheidend ist ein kleiner Unterschied
in der Stoßkraft der Luftmoleküle.
Die neue Rubrik Auf den ersten Blick ähnelt sie einer aufrecht ste- mische Element Thallium mit der Ordnungszahl
„Physikalische henden Glühbirne, die „Lichtmühle“, aber zu 81 durch seine grüne Linie im Spektrum gefun-
Unterhaltungen“ leuchten ist nicht ihre Aufgabe. Im Sonnenlicht den. Als er zwölf Jahre später damit beschäftigt
erscheint künftig oder im Schein einer Rotlichtlampe dreht sich in war, das Atomgewicht des neuen Elements zu
an dieser Stelle ihrem Innern ein leichtes Flügelrad mit einer glä- bestimmen und dazu mit einer Vakuum-Waage
im Wechsel mit sernen Pfanne als Lager auf einer Nadelspitze. Substanzproben von höherer als der Temperatur
den „Mathematischen Die vier Flügel des Rotors sind quadratische der Umgebung abwog, bemerkte er, dass die Hit-
Unterhaltungen“. Scheiben aus Glimmer oder Aluminium, die auf ze die Gravitationskraft zu vermindern schien. Er
ihrer Vorderseite – in Laufrichtung – weiß und hatte die Radiometerkraft wiederentdeckt. Im
auf der Rückseite schwarz gefärbt sind. Sie trei- historischen Teil seiner wissenschaftlichen Arbeit
ben das Rad umso schneller, je heller sie be- von 1873 bezog er sich auf Fresnel, deutete die
strahlt werden: ein Strahlungsmotor. Lässt sich Kraft aber als eine rätselhafte Anziehung oder
damit die Intensität von Strahlung messen? Im Abstoßung durch Wärme.
Prinzip ja; die Lichtmühle leitet sich von einem
genauen und empfindlichen Strahlungsmesser Ein Effekt des Lichtdrucks? Was verursacht die Ra-
ab, und dieser Bedeutung verdankt sie ihren diometerkraft? Ist es der Strahlungsdruck des
zweiten Namen: Radiometer. Aber die Strahlung Lichtes, dessen Existenz Maxwell in einer eben-
wirkt durch einen komplizierten Mechanismus, falls 1873 veröffentlichten Arbeit aus den Diffe-
und die Frage nach dieser Wirkungsweise hat renzialgleichungen des elektromagnetischen Fel-
mehrere Jahrzehnte lang namhaften Physikern, des folgerte? Wenn wir der Einfachheit halber
unter ihnen James Clerk Maxwell und Albert annehmen, dass die hellen Vorderseiten der Ra-
Einstein, Rätsel aufgegeben. diometerflügel die einfallende Strahlung wie
vollkommene Spiegel reflektieren, während die
Die Vorgeschichte begann mit dem Physiker und dunklen Rückseiten sie vollständig absorbieren,
Ingenieur Augustin Jean Fresnel (1788 – 1827), müsste die Strahlung nach dem Impulserhal-
der in der Öffentlichkeit weniger durch seinen tungssatz auf die weißen Seiten einen genau dop-
optischen Interferenzversuch zum Nachweis der pelt so großen Druck ausüben wie auf die
Wellennatur des Lichts als durch die Erfindung schwarzen, der Lichtdruck das Flügelrad daher
der Zonenlinsen bekannt ge- andersherum drehen als in den käuflichen Radio-
worden ist, die seinen Na- metern. Außerdem ist die Druckkraft der Sonnen-
Selbst für Maxwell und men tragen. Die großen, fla-
chen Glaslinsen bündeln
strahlen viel zu klein, um die Reibung im Nadel-
lager zu überwinden. Diese Reibung ist erheb-
Einstein war die Licht- seit über einem Jahrhundert
in aller Welt den Schein der
lich, wie man leicht nachprüfen kann: Man lässt
die ganze Lichtmühle in der Hand horizontal
mühle lange ein Rätsel Leuchttürme. Fresnel ent-
deckte die Radiometerkraft
kreisen und stellt fest, dass – nur durch Reibung
im Lager vermittelt – das Flügelrad mühelos auf
1825. Mit der Physik seiner hohe Drehzahlen kommt.
Zeit konnte er ihren Grund Gleichwohl sind inverse Radiometer, die vom
nicht verstehen, aber durch Versuche bei ver- Lichtdruck angetrieben werden, vielfach reali-
schiedenen Drücken einige denkbare Erklärun- siert worden. Sie laufen aber erst, wenn das Gas
gen ausschließen: Was das Flügelrad zum Drehen aus dem Glaskolben nahezu restlos entfernt ist,
bringt, ist weder eine raumerfüllende Gasströ- bei Hochvakua von höchstens 10 –7 Millibar
mung noch verdampfendes Material aus den be- Druck. Und ihr Flügelrad wird, statt auf einer
heizten Oberflächen. Nadelspitze zu liegen, leicht drehbar an einem
langen, dünnen Torsionsfaden aufgehängt.
Der Erfinder des Spielzeugs ist William Crookes
(1832 – 1919), ein Privatgelehrter und außerge- Das Experimentum crucis: Der Strahlungsdruck des
wöhnlich erfolgreicher Experimentator. Er war Lichtes wirkt als eine Kraft von außen auf die
seit 1863 Fellow der Royal Society of London Flügel der Lichtmühle, ähnlich wie der Wind auf
und ab 1913 ihr Präsident. 1861 hatte er das che- die Segel eines Segelschiffs. Würde das Flügel-
WOLFGANG BÜRGER
dabei eine geringfügig höhere Rückstoßkraft.
Diese Differenz der Stoßkräfte setzt das Flügel-
rad in Bewegung, und zwar mit der weißen Seite
voraus.
Martin Knudsen (1871 – 1949), lange Jahre
theoretischer Physiker in Kopenhagen, hat aus Geschwindigkeit, bei der die Radiometerkraft mit
diesen Überlegungen eine Formel für seinen der Reibungskraft im Nadellager im Gleichge-
Strahlungsmesser theoretisch hergeleitet (siehe wicht ist.
Kasten auf der nächsten Seite): Die Radiometer-
kraft pro Flächeneinheit eines Flügels ist dem Rückdrehungen werden auch in gängigen Radio-
Gasdruck proportional und hängt außerdem nur metern beobachtet. Offensichtlich kann die Tem-
vom Verhältnis der Temperaturen von schwarzer peratur der schwarzen Flächen unter die Umge-
Flügelfläche und Umgebung ab. Diese Formel bungstemperatur sinken. Ohne die Temperaturen
gilt allerdings nur bei niedrigeren Drücken, als im Innern des Radiometers zu messen, kann man
sie in käuflichen Lichtmühlen vorliegen. allerdings nur aus den Beschleunigungen des
Erhöht man den Gasdruck im Kolben über die Flügelrads auf die wirkenden Drehmomente und
10 –2 Millibar hinaus, bei denen noch freie Mole- von diesen auf die Temperaturen der Flügel zu-
külströmung herrscht, steigt auch die Radiome- rückschließen. Damit sich das Flügelrad wenigs-
terkraft zunächst stark an und erreicht ihre größ- tens kurze Zeit im entgegengesetzten Sinn dreht,
ten Werte bei Drücken, die zehn- bis hundertmal befördert man das laufende Radiometer an einen
größer sind. Solche Drücke herrschen vermutlich schattigen Ort, wo es sich durch Ausstrahlung
in den käuflichen Lichtmühlen (die Hersteller abkühlen kann, und bringt das Flügelrad zugleich
machen darüber keine Angaben). Der Radiome- durch vorsichtige Gegenbewegung mit Hilfe der
tereffekt wird durch Moleküle verstärkt, die über Reibung im Lager zum Stehen. Überraschend
den Rand der Flügel von der kälteren zur wärme- setzt es sich aus der Ruhe von selbst wieder in Wolfgang Bürger
ren Seite wandern („thermisches Kriechen“). Bewegung und dreht sich einige Sekunden lang ist Physiker und
Mehr und mehr wird die Radiometerkraft an den in Gegenrichtung. Also muss vorübergehend ein Professor an
Flügelrändern aufgebracht, was schon Reynolds rücktreibendes Drehmoment gewirkt haben. Da der Universität
und Maxwell bemerkten und was Gaskinetiker sich die dunklen Flächen durch Strahlung rascher Karlsruhe. Seine
bis in die jüngste Zeit beschäftigt. erwärmen, kühlen sie sich auch durch Strahlung besondere Neugier
Unter gleich bleibenden äußeren Bedingun- schneller ab, offenbar bis unter die Umgebungs- gilt physikalischen
gen stellt sich auf die Dauer eine konstante Rota- temperatur. Einige Autoren haben über minuten- Spielzeugen.
▲
Die Radiometerkraft
Gefrierfach eines Kühlschranks oder unter der und mal in die andere Richtung. Es bringt wenig,
Wirkung von Kältespray berichtet, die ich an die Flügel einseitig zu schwärzen. Der Wirkungs-
meinen Lichtmühlen nicht bestätigen kann. grad lässt sich aber wesentlich verbessern, wenn
man die Flügel schräg stellt wie die Flügel einer
In Experimentierbüchern für die Jugend findet sich erzgebirgischen Weihnachtspyramide. Dadurch
eine Anleitung zum Selbstbau einer „Lichtmüh- wird nahe gelegt, dass diese „Lichtmühle“ in
le“. Man klebe ein Flügelrad aus Aluminium- Wirklichkeit eine thermische Aufwind-Turbine
Haushaltsfolie zusammen und hänge es an einem ist, die ihren Antrieb aufsteigender Warmluft ver-
dünnen und doch monatelang haltbaren Faden dankt. In der Tat würden echte Radiometer auch
aus festgewordenem UHU-Kleber auf. Im Schein bei so genannter „Schwerelosigkeit“ in einem
einer Rotlichtlampe dreht es sich bei Atmosphä- „Spacelab“ arbeiten, während dieser Typ „Licht-
rendruck etwas unvorhersehbar mal in die eine mühle“ dort den Dienst verweigert. ■
Hydraulische Bremsen
B is in die dreißiger Das wandelt die ausgeübte In den fünfziger Jahren Ausfall eines Bremskreises
Jahre basierten Kraft in Druck um, der über erleichterte die Erfindung des kann der Fahrer das Fahrzeug
Bremssysteme auf der die Bremsleitungen zu den Bremskraftverstärkers das also gefahrlos zum Stehen
Kraft, die vom Fahrer mit Kolben der Radbremszylin- Autofahren noch mehr, da er bringen. ■
dem Fuß auf das Bremspedal der übertragen wird; diese den Bremsdruck weiter
übertragen wurde. Über betätigen die eigentlichen erhöht, also noch weniger Stanley L. Stokes ist Mitglied
Seilzug oder Gestänge wirkte Trommel- oder Scheiben- Fußkraft abverlangt. Zur der amerikanischen Society
sie auf die Bremsbacken, die bremsen. Weil die Fläche der Sicherheit sind moderne of Automotive Engineers. Wir
gegen die Bremstrommel Radbremszylinder größer ist Bremsanlagen in mindestens danken der Saab Deutschland
gedrückt wurden und so die als die des Hauptbremszylin- zwei Kreise geteilt, zu denen GmbH und dem Fachbereich
Geschwindigkeit des Fahr- ders, wird die vom Fahrer mit je ein sich diagonal gegen- für Mechatronik der FH
zeugs verringerten. dem Fuß ausgeübte Kraft überliegendes Vorder- und Karlsruhe für fachliche
Hydraulische Systeme verstärkt. Hinterrad gehört. Auch bei Unterstützung.
hingegen übertragen den
Druck mit Hilfe einer
Flüssigkeit und erreichen auf
Beim Treten des Pedals wird die auf den
diese Weise größere und
Hauptbremszylinder einwirkende Kraft in
gleichmäßigere Bremskräfte. hydraulischen Druck umgewandelt, der
Bei Betätigung des Pedals letztlich die Scheiben- oder Trommel-
wird der Kolben des Haupt- bremsen an den Rädern aktiviert.
bremszylinders verschoben.
Membran
GEORGE RETSECK
Eine Servobremse ist mit ei- Ansaugrohr
Bremskraft-
nem Bremskraftverstärker
verstärker
ausgerüstet, der mit dem
Hauptbremszylinder eine Hauptbrems-
Baugruppe bildet. In der Ru- zylinder
heposition des Bremspedals
umgibt Unterdruck beidseitig
die mit dem Arbeitskolben
verbundene Membran. Wird
das Pedal betätigt, so öffnet Brems- Kolben
sich auf der einen Seite der flüssigkeit
Radbrems-
Membran ein Ventil, durch
zylinder
das Luft einströmt. Der große
Druckunterschied drängt die Pedal
Membran und mit ihr den Ar-
beitskolben voran, der dann
den Kolben des Hauptbrems-
Brems- Kolben Außenluft-
zylinders betätigt. Je größer
leitungen eintritt
die Membranfläche, desto
ausgeprägter die Verstärkung.
Brems-
Bremsbacke belag Brems-
Kolben Brems- backe
Brems- scheibe
flüssigkeit
Scheibenbremsen werden
meist für Vorderräder verwen- Bremstrommel
det, um die beim Bremsen
freiwerdende Reibungshitze Trommelbremsen kosten weniger, leisten aber auch
schnell abzuführen (die Schei- nicht so viel wie Scheibenbremsen. Sie werden
ben haben direkten Luftkon- deshalb gelegentlich für Hinterrad- oder Hand-
takt). Durch die Bewegung der bremsen verwendet. Zwischen den beweglichen
Kolben des Bremssattels wer- Enden zweier Bremsbacken ist ihr Zylinder mon-
den die Backenbeläge gegen tiert. Bei Betätigung des Pedals werden die Ba-
eine Metallscheibe gepresst. cken durch die beiden Zylinderkolben gegen die
Die Reibung verlangsamt nun Bremstrommel gepresst, die Bremsbeläge bremsen
deren Drehgeschwindigkeit das Rad durch Reibung ab. Auf Grund ihrer größe-
und somit das Rad. Sattel ren Fläche arbeiten Scheibenbremsen wirksamer.
Petra, Metropole am
Rande der Wüste
Wer waren die Nabatäer,
die jahrhundertelang den Gene, Muskeln und Sport
Weihrauchhandel von Petra Auch das beste Training verhilft
aus kontrollierten? Antike nicht zum Sprung in die Welt-
Schriften und archäologische elite, wenn die individuellen
Befunde, neu interpretiert, natürlichen Voraussetzungen
zeichnen ein schillerndes Bild nicht stimmen. Werden einst
dieses arabischen Stammes. gentechnisch aufgerüstete
Superathleten in die Wett-
kämpfe gehen?