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Wozu Geschichte? A.

Eschelmüller

Einführung Geschichte

1. Einstieg: Ereignisse, die Geschichte machten

1. Überlegt euch zu zweit, welches die drei „bedeutendsten“ Ereignisse der letzten 100 Jahre waren und be-
gründet eure Auswahl.

• Der WW2

• Digitaliesierung

• Internet

2. Woher / durch welche Quellen wissen wir von diesen Ereignissen?

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Wozu Geschichte? A. Eschelmüller

2. Wozu Geschichte?
Aufgabe: Schweizer Gründungsmythos
Lies den Artikel von Petar Marjanovic, der am 1. August 2019 in der Onlinezeitung „watson“ erschienen ist.
Beantworte anschliessend die Fragen auf der folgenden Seite.

Zum Schweizer Nationalfeiertag: Darum feiern wir den


1. August

Die Schweiz feiert sich am 1. August selber. Doch: Was pas- Am 1. August 1891 feiert die Schweiz sich zum ersten Mal
sierte eigentlich an diesem Datum? Welches war der histori- Zum Mythos «1. August» beigetragen hat ein weiteres Ereig-
sche Moment, der uns auch 2019 noch den Nationalfeiertag nis, das aber erst viel später stattfand: 1891 wollte die Stadt
beschert? Bern ihr 700-jähriges Bestehen feiern. Damit die Feier auch
Die landläufige Meinung lautet: Es war die Unterzeichnung gross wird, wollte sie in diesem Jahr auch die Schweiz feiern
des Bundesbriefes von 1291. In diesem soll die Gründung der – in Anlehnung an das mögliche Gründungsjahr 1291.
Schweiz beschlossen worden sein. Am 1. August 1291 sollen Da in diesem Jahr auch das Eidgenössische Sängerfest in Bern
sich die Urkantone Uri, Schwyz und Unterwalden zum «ewi- stattfinden sollte, setzte sich der Berner Bundesrat Karl
gen Bund» zusammengeschlossen haben. Wilhelm Tell soll Scheck in der Landesregierung dafür ein, dass sich die
dabei die Schweiz zur Freiheit und Unabhängigkeit geführt Schweiz 1891 zu ihrem 600-jährigen Bestehen feiere.
haben. Dem Bundesrat gefiel die Idee: Er schickte 1889 eine Bot-
Ein Blick in die Geschichtsbücher zeigt jedoch, dass bei der schaft ins Parlament mit der Forderung, am 1. August 1891
Datumswahl Zufall und Willkür eine grosse Rolle gespielt ha- eine Bundesfeier abzuhalten. […]
ben. Die Geschichte der Gründung der Schweiz dient zwar gut
als Mythos und als Drama – nur hat sie wenig mit den Fakten Zwei Weltkriege: Der Schweizer Nationalfeiertag wird poli-
zur Gründung der Schweiz zu tun. tisch
Mit dem Ausbruch des 1. und 2. Weltkrieges [1914 bzw. 1939]
Die Bundesbriefe und Wilhelm Tell wurde die Bundesfeier immer mehr zur politischen Veranstal-
Den Bundesbrief 1291 hat es tatsächlich gegeben. Er wurde tung, an der insbesondere Bundespräsidenten jeweils zur Be-
in lateinischer Sprache verfasst und besiegelte ein Bündnis völkerung sprachen. Im 2. Weltkrieg wurde schliesslich der
zwischen den Urkantonen Uri, Schwyz und Unterwalden. Da- Mythos um das Gründungsjahr 1291 verstärkt verbreitet, um
tiert wird der Bundesbrief auf «Anfang August». Bis weit ins als «geistige Landesverteidigung» dem Erstarken faschisti-
19. Jahrhundert hatte der Bundesbrief historisch gesehen scher und kommunistischer Kräfte entgegenzusteuern.
keine grosse Bedeutung. Man stützte sich dabei auf ein Werk des Historikers Carl
Wilhelm Tell hingegen kam erst später ins Spiel: Er soll erst Meyer. Darin «bereinigte» dieser die Gründungsgeschichte
um das Jahr 1307 seinen Kampf für die Unabhängigkeit und der Schweiz: Er verlegte den Rütlischwur kurzerhand auf das
Freiheit der Urkantone ausgefochten haben. Der Glarner His- Jahr 1291 und gab dem Bundesbrief von 1291 ein grösseres
toriker Aegidius Tschudi († 1572) zumindest datiert den Rüt- Gewicht als demjenigen von 1315.
lischwur auf den Abend des 8. Novembers 1307. Heutige His- Diese Vereinfachung dieses Gründungsmythos half dem Bun-
toriker meinen jedoch, dass es Tell gar nicht gab. desrat und der Schweiz, eine neue Identität für das Land zu
Der Bundesbrief von 1315, ebenfalls ein Bündnisvertrag zwi- schaffen – ganz unter dem Motto: Die Eidgenossen haben ih-
schen den Urkantonen, hat historisch gesehen eine grössere ren eigenen Weg gewählt, unabhängig von den umliegenden
Bedeutung als der Bundesbrief von 1291: Er war der erste Ländern. Ihr Weg ist der von Wilhelm Tell: ein Kampf gegen
Bündnisvertrag in deutscher Sprache und beinhaltete erst- die «fremden Richter».
mals schriftlich den Begriff «Eitgenoze».

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Inwiefern wurde die Geschichte der Gründung der Schweiz und des Nationalfeiertages am 1. August bewusst
verfälscht und vereinfacht?

Mit dem 700 jährigen Bestehen von Bern um 1891

Warum wohl wurde die Geschichte in diesem Fall „verfälscht“? Oder anders gefragt: Wozu dient dieser My-
thos?

Politische Anliegen in der Gegenwart rechtfertigen zu können. Eine Einheit zu feiern. Stiftet

Verbundenheit und Nationalität.

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3. Wer macht Geschichte?

Aufgabe 1: Quellenlücken
Lies das Gedicht des deutschen Schriftstellers Bertolt Brecht (1898-1956) aus dem Jahr 1935 und beantworte
anschliessend die Fragen auf der nächsten Seite.

Fragen eines lesenden Arbeiters

1 Wer baute das siebentorige Theben1?


2 In den Büchern stehen die Namen von Königen.
3 Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?
4 Und das mehrmals zerstörte Babylon2,
5 Wer baute es so viele Male auf? In welchen Häusern
6 des goldstrahlenden Lima3 wohnten die Bauleute?
7 Wohin gingen an dem Abend, wo die chinesische Mauer fertig war,
8 Die Maurer? Das große Rom
9 ist voll von Triumphbögen. Über wen
10 triumphierten die Cäsaren4? Hatte das vielbesungene Byzanz5
11 nur Paläste für seine Bewohner? Selbst in dem sagenhaften Atlantis6
12 brüllten doch in der Nacht, wo das Meer es verschlang,
13 die Ersaufenden nach ihren Sklaven.
14 Der junge Alexander7 eroberte Indien.
15 Er allein?
16 Cäsar schlug die Gallier.
17 Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?
18 Philipp von Spanien8 weinte, als seine Flotte
19 untergegangen war. Weinte sonst niemand?
20 Friedrich der Zweite9 siegte im Siebenjährigen Krieg. Wer
21 siegte außer ihm?
22 Jede Seite ein Sieg.
23 Wer kochte den Siegesschmaus?
24 Alle zehn Jahre ein großer Mann.
25 Wer bezahlte die Spesen?
26
27 So viele Berichte,
28 so viele Fragen.

1
Theben: Antike Stadt in Griechenland
2
Babylon: Antike Stadt im heutigen Irak
3
Lima: heutige Hauptstadt Perus; 1535 von spanischen Eroberern gegründet.
4
Cäsaren: Herrschaftstitel im antiken Römischen Reich
5
Byzanz: westeuropäische Bezeichnung für die östliche Hälfte des Römischen Kaiserreiches (330-1453)
6
Atlantis: in der Überlieferung des klassischen Altertums eine große Insel im westlichen Ozean, die wegen eines Erdbe-
bens untergegangen war.
7
Alexander der Grosse (356-323 v. Chr.): makedonischer König
8
Philipp II. (1527-1598): König von Spanien
9
Friedrich II. (1712-1786): König von Preußen

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Das Gedicht von Brecht kritisiert eine bestimmte Form der Geschichtsschreibung. Welche?

Er kritisiert das in den Geschichtsbücher immer nur der Sieg oder die Errungenschaft von einer

einzelnen Perosn gefeiert wird das ist jedoch falsch da die Bevölkerung und Untertanen immer dazu

beigetragen haben.

Warum wissen wir nichts über den Koch von Cäsar?

Weil der Koch in diesen Geschichten nicht wichtig genug war.

Wie würde sich die Geschichtsschreibung ändern, wenn man die Fragen des „lesenden Arbeiters“ in der Ge-
schichtsforschung berücksichtigen würde? Was würde sich etwa konkret an euren Geschichtsbüchern ändern?
Die Geschichte würde viel mehr aus der Sicht der "einfachen" Menschen geschrieben werden, also viel

detaillierter und länger.

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Aufgabe 2: Themen der Geschichte


Ordnet die Bücher den unterschiedlichen Themenbereichen der Geschichte zu. Was fällt euch dabei auf?

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4. Quellen

Definition: Quellen & Darstellungen, Überreste & Traditionen


Quellen sind Texte, Gegenstände oder Tatsachen aus der menschlichen Vergangenheit, aus denen wir Kennt-
nisse der Vergangenheit gewinnen können. Im Prinzip kann alles eine Quelle sein: Neben Texten vor allem
auch Bilder, Tonaufnahmen und Filme. Aber auch Gegenstände wie Gebäude, Kleider, Maschinen oder Instru-
mente – also auch sämtliche archäologischen Funde – kann man als Quellen untersuchen.
Im Fach Geschichte ist es wichtig, Quellen von Darstellungen zu unterscheiden: Darstellungen sind Ergebnisse
der historischen Forschung, erarbeitet und verfasst von Historikerinnen und Historikern (auch Sekundärlitera-
tur genannt). Die Form der Darstellung kann verschieden sein: Bücher (inkl. Schulbücher), Aufsätze, aber auch
Karten, Filme oder Statistiken. Gute Darstellungen beruhen auf der umfangreichen Auswertung von Quellen.
Eine weitere wichtige Unterscheidung machen Historikerinnen und Historiker zwischen Traditionen und Über-
resten. Überreste sind Quellen, die unbeabsichtigt überliefert wurden. Traditionen sind Quellen, die bewusst
für die Nachwelt verfasst oder produziert wurden.

Aufgabe: Umgang mit Quellen

Schaut euch die erhaltene Quelle an und beantwortet die Fragen.

1. Um was handelt es sich beim Gegenstand? (Das ist nicht in jedem Fall klar.)
DVD

2. Aus welcher Zeit stammt er bzw. wie alt ist er?


2008

3. Zu welcher Quellenkategorie (Tradition oder Überrest) gehört er? Warum?


Überreste aus der Vergangenheit. Kleine Ausschnitte aus dem ersten Weltkrieg

4. Was kann die Quelle über die Vergangenheit aussagen?


Bilder/Quellen zeigen wie der erste Weltkrieg war. Und auch wie der Imperialismus ablief.

5. Zusatzfrage
Wir haben gesagt, dass sich viele Quellen mehreren Kategorien zuordnen lassen. Inwiefern können nun auch
Darstellungen/Sekundärliteratur zu Quellen werden? Wovon würde das abhängen?

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Grundsätze: Aussagewert von Quellen

1. Quellen können gefälscht sein.


2. Eine Quelle kann lückenhaft sein: Eine Autorin/ein Autor in einer schriftlichen Quelle kann – bewusst
oder unbewusst – etwas weglassen. Vielleicht sind einige Details für den Autor/die Autorin in ein-
fach unwichtig – oder er verschweigt diese absichtlich, damit etwas in besserem Licht gezeigt wird.
Ist diese Situation nun schon eine Fälschung oder eben nur eine Auslassung?
3. Quellen können einseitig sein: Ein glühender Verehrer eines Diktators wird in einem Dokument
kaum darauf hinweisen, dass dieser zum Beispiel menschliche Verbrechen anordnete oder tausende
politische Feinde verfolgen und töten liess.
4. Viele Quellen haben einen begrenzten Aussagewert: So kann ein Telefonbuch zwar sagen, wie viele
Telefonanschlüsse es in einer Stadt gab, aber daraus lässt sich nicht zwingend ableiten, wie viele Ein-
wohnerinnen und Einwohner die Stadt hatte.
5. Je nach Frage, die man an die Quelle richtet, kann die Quelle unterschiedliche Dinge aussagen.
6. Je mehr Quellen zur selben Frage analysiert werden (breite Quellenbasis), desto objektiver wird das
Bild des Vergangenen und desto näher kommt man an die historische Wahrheit. Und noch besser:
die Quellen sollten von unterschiedlichen Personen geschrieben worden sein (Multiperspektivität).

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