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DIE SACHSENGESCHICHTE
DES WIDUKIND VON KORVEI
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EINLEITUNG

Unsere Kenntnis der literarischen Leistung Widukinds und seine Beur­


teilung als Geschichtsschreiber ist von Helmut Beumann durch sein 1950
erschienenes Buch1 auf eine breite und vielfach bessere Grundlage gestellt
worden, so daß ältere Arbeiten zum Teil völlig überholt sind. Es muß
daher hier auf dieses Buch verwiesen werden, vor allem bezüglich dessen,
was in der Einleitung nur gestreift werden kann.
Nachdem der Mönch Widukind in dem Reichskloster Korvei (Corbeia
Nova) an der Weser, in das er im Alter von etwa 15 Jahren noch zu Leb­
zeiten des Abts Folkmar (t 942) eingetreten war, Heiligengeschichten2
geschrieben und damit seiner Pflicht als Geistlicher genügt hatte, wandte
er sich - und darin dachte er nun ganz als volksbewußter Sachse von
adeligem Stand - der Profangeschichte zu und gab seinem Werk den

1 Helmut Beumann, Widukind von Korvei. Untersuchungen zur Geschichts­

schreibung und Ideengeschichte des 10. Jahrhunderts. Weimar 1950 (Abhand­


lungen über Corveyer GeschichtBBchreibung, Band 3 = Veröffentlichungen
der Historischen KommiBBion des Provinzialinstituts für westfälische Landes­
und Volkskunde X 3). Eine zusammenfaBBende Vorankündigung erschien in
der Zeitschrift "Westfalen", Hefte für Geschichte, Kunst und Volkskunde,
Band 27, 1948, 161-178, wiederabgedruckt in : Geschichtsdenken und Ge­
schichtsbild im Mittelalter, Ausgewählte Aufsätze und Arbeiten aus den Jahren
1933-1959 hrsgg. v. Walther Lammers = Wege der Forschung, Band XXI,
Darmstadt 1961, 135-164. Besprochen u. a. durch W. Ohnsorge im Niedersächs.
Jahrb. f. Landesgesch. 23, 1951, 229-233 u. W. v. d. Steinen, Schweizer Ztschr.
f. Gesch. 1, 1951, 501-503.
2 Sigebert von Gembloux in seinem Liber de scriptoribus ecclesiasticis c. 129
(ed. A. Miraeus, Antwerpen 1649, p. 149) berichtet darüber : Windichindus
monachus Corbeiae Saxonicae scrip8it historiam Saxonum usque ad mortem primi
Otlwnis imperatoris, et ad Matildam füiam Otlwnis imperatoris scripsit vitam ipsius
imperatoris (dazu Beumann S. 2 Annl . 4), scrip8it metrice passionem Theclae
virginis, et vitam PaUli primi eremitae alterno stylo (d. h. im Wechsel von Poesie
und Prosa, so Manitius in Geschichte der Latein. Literatur des Mittelalters I,
1!11 1 , 7 14; anders, nämlich in Distichen, Wattenbach-Holtzmann, Deutsch­
lands Geschichtsquellen, 1948, S. 26) scrip8it. Beide Schriften sind verschollen.
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4 Einleitung

Titel Rerum Saxonicarum libri 111. Das erste Buch handelt zuerst
de origine statuque gentis (in Anlehnung an Tacitus' Germania) und
bringt, aus Heldenlied und volkstümlichen Überlieferungen 3 geschöpft
und aus teilweise fragwürdiger Gelehrsamkeit4 (doch nicht ohne Kritik)
angereichert, die Frühgeschichte des Volkes, insbesondere seine Berufung
zum Herrenvolk anstelle der Franken, sowie die Zeit des Königs Hein­
rich 1., während das zweite die Geschichte Ottos d. Gr. bis zum Tode der
Edgitha (946) und das dritte in den Kapiteln 1-696 die folgenden Jahre
erzählt bis zum Tode des jüngeren Grafen Wichmann (967), der als
Schwestersohn der Königin Mathilde nach dem Tode seiner Eltern von
Otto d. Gr. adoptiert worden war und als der letzte Rebell gegen die
Krone sein Leben beschloß.
Als Motiv für diese Hinwendung zur Profangeschichte wird I 1 devotio
generis gentisque meae, Ergebenheit gegenüber Sippe (Fürstenhaus) und
Volk6 angegeben. Die Einzigartigkeit des Namens Widukind in Verbin-

8 Nach Karl Hauck, Lebensnormen und Kultmythen in germanischen Stam­


mes- und Herrschergenealogien (Saeculum 6, 1955, 186-223) wurde der sieg­
reiche Führer in dem Kriege, der 531 mit der Zerstörung des Thüringerreiches
endete, Hathagat, richtiger Hathugaut (Erklärung des Namens bei Hans Kuhn
in Festschrift f. J. Trier 1954, 417-433), eine Epiphanie Wodans, qui merito
bonarum virtutum pater patriae dicebatur (I 1 1), in der Überlieferung des Liudol­
fingischen Geschlechts als Stammvater von Sippe und Volk gefeiert. Ihren
literarischen Niederschlag hat diese Tradition in dem verlorenen, aber von
Widukind I 14 erwähnten Prolog des sächsichen Volksrechts gefunden. Aus ihr
ist es auch zu erklären, daß Heinrich I. nach dem Siege über die Ungarn bei
Riade und ebenso Otto I. nach dem Sieg am Lech als pater patriae (I 21 .38.111 49)
gefeiert und so mit dem Stammvater in eine Parallele gerückt wurde.
' An schriftlichen Quellen sind benütztJordanis, Beda, Paulus Diaconus, Gesta
Franeorum (worunter vielleicht eine Zusammenstellung von Einharde Vita
Caroli mit den sog. Annales Einhardi zu verstehen ist), Poeta Saxo, die Translatio
S. Viti und eine Passio S. Viti (s. I Anm. 84). Besonders wichtig sind die Berüh­
rungen mit dem Anfang der Translatio S. Alexandri (unten S. 12ff.).
6 Die Kapitel 70-76 sind erst nach Ottos Tod (7. Mai 973) hinzugefügt, nach

Trithemius Chronicon Hirsaugiense praef. ed. Freher II 2 von einem Fortsetzer


(so auch Gerta Krabbe! in den Abhandlungen über Corveyer Geschichtsschrei­
bung 2, 1916, 187ff.), dagegen Beumann S. 265. Über Widukind selbst fehlen
alle weiteren Nachrichten.
• Beumann S. 13 verlangt dafür die Übersetzung: die meinem Stand und Volk

eigene Treue, zustimmend W. v. d. Steinen (vgl. Anm. 1): Ergebenheit, die ich
von Geschlechts und Stammes wegen empfinde; abgelehnt von Karl Hauck, Die
Deutsche Literatur des Mittelalters, Verfasserlexicon IV (hrsgg. v. Karl
Langosch 1953), 949.
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Einleitung 5

dung mit der Tatsache, daß in Korvei nur Söhne edler Geschlechter in
der Regel schon als Knaben aufgenommen wurden, legt den Gedanken
nahe, in ihm einen Nachfahren 7 des gleichnamigen Sachsenherzogs zu
sehen und zugleich eine wohl entferntere Verwandtschaft anzunehmen
mit der Königin Mathilde, der Gemahlin Heinrichs I . , und dem Grafen
Wichmann, dessen Schicksal den Abschluß des Werkes bildete .
Seinen Stil als erzählender8 Historiker hat Widukind an Sallustius
geschult, daneben finden sich auch Anspielungen auf Stellen bei Cicero,
Livius, Vergilius, Ovidius, Lucanus und Juvenalis. Sonst aber steht er
ganz im Rahmen der zeitgenössischen Geschichtsschreibung 9. Den Stoff
hat er, soweit es ging, chronologisch geordnet, so daß er sich entschuldigt,
wenn er einmal1° um des Zusammenhangs willen davon abweicht. Auf
die Darbietung des Stoffes und die gesamte Anlage des Werkes11 haben
antike Vorbilder wenig Einfluß, wohl aber macht sich ein starker Drang
zum Dramatisch-Anekdotischen bemerkbar, zur Auflösung in Episoden
mit Rededuellen auf dem Höhepunkt, worin Widukind mit der germa­
nischen Helden- und Spielmannsdichtung zusammengehti2• Sein Welt­
bild scheint, was die verwendeten Termini angeht, ganz von der Anti ke
geformt zu sein, dahinter steckt j edoch oft eine besondere Auffassung, die
unvereinbar ist nicht bloß mit der seiner antiken Vorbilder, sondern
auch mit der karolingischen Geschichtsbetrachtung. Das höchste Ziel
staatlichen Wirkens ist der Friede (pax) , leider immer wieder gestört
durch Sippenfehden, die als bellum civile bezeichnet werden. Rebellen
gegen den Herrscher werden mit denselben Farben gemalt wie die Catili­
narier bei Sallustius. Wenn als Herrschertugenden clementia, regalis
disciplina, constantia und virtus aufgezählt werden, so hat sich hier anti­
kes und christliches Erbgut verbunden mit heidnisch-germanischen Vor­
stellungen.
Besonders aufschlußreich ist, was Widukind über das Verhältnis der
Sachsen zu den Franken, zu den Römern und zum Imperium Romanum13
7 Beumann S. 3 Anm . 3. Ferner Kar! Schmid, Die Nachfahren Widukinds,

DA 20, 1964, 1-47 u. 2 1 , 1965, 18-8 1 .


8 Daß Widukind auch andere Stilmittel (Reimprosa, Cursus Leoninus) kannte

und an geeigneten Stellen auch anwandte, zeigt Beumann S. 157-1 7 1 .


9 Über die i n Betracht kommenden Vorbilder vgl. Beumann S. 42-50.
10
An die Erzählung von Ereignissen der Jahre 939/40 ist II 27 mit den Worten
post haec ein ziemlich knapper Bericht über den Aufstand der Jahre 959/961
angeschlossen (Beumann S. 180) .
11 Beumann S. 66-93.

12 Beumann S. 5 1-65. 94-106.

13 Hierüber ausführlich Beumann S. 2 1 6-227.


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6 Einleitung

aussagt. Vollkommen unberührt von der Vorstellung, das Imperium


Romanum habe End:t<eitcharakter und setze sich im Mittelalter fort,
kennt er nur ein Imperium Francorum, eine Herrschaft der Franken über
andere Völker. Im Kampf mit den Thüringern waren die Franken genö­
tigt, die Sachsen um Hilfe zu bitten und sie dafür mit dem Gebiet der
Thüringer zu belohnen. Seitdem stehen beide Völker gleichberechtigt
nebeneinander, ja die Sachsen zeichnen sich bald aus durch ihre Uner­
schütterlichkeit (animi constantia). Für eine Erinnerung an die lang­
wierigen und blutigen Sachsenkriege Karls d. Gr. , die mit der endgültigen
Unterwerfung der Sachsen und ihrer Eingliederung in das Frankenreich
ende:rlt, ist in diesem Geschichtsbild kein Platz ; lediglich die Christiani­
sierul).g wird erwähnt, weil die politische Gleichberechtigung durch die
Herstellung einer Glaubenseinheit noch unterstrichen wird.
Heinrichs I. Erhebung zum König 919 erscheint in diesem Zusammen­
hang als die längst fällige Übertragung der Herrschaft (rerum publicarum
summa) an die Sachsen bzw. an ihre Herzöge auf Grund eines Geblüts­
rechts, das für Widukind erwiesen ist durch ihre felicitas und ihre Unbe­
siegbarkeit, Begriffe, die wiederum aus der Spätantike geholt sind. Dem
entspricht auf religiösem Gebiet die Übertragung der Gebeine des hl.
Vitus 836 von St. Denis nach Corvei (I 33).
So tritt also, nachdem die Fehlentscheidung von 911 (Wahl des Fran­
kenherzogs Konrad) durch die von Widukind frei gestaltete Sterbeszene
(I 25) korrigiert worden ist, das Imperium Saxonum in die Geschichte
ein, das zu seiner Legitimation keiner Weihe aus Priesterhand bedarf und
daher der Kirche völlig unabhängig gegenübersteht. Zum Erweis seines
Gottesgnadentums genügt es, wenn z. B. Otto nach dem Ungarnsieg am
Lech vom Heer zum Imperator ausgerufen wird. Damit wird aus dem
rex ein imperator, aber eben ganz anders als bei Karl d. Gr. (I 15). Wirlu­
kind hat hier, wie Edmund E . StengeP4 nachgewiesen hat, das römische
Heerkaisertum in einer vermutlich von Beda vermittelten germanischen
Modifizierung aufgegriffen, in der der Kaiserbegriff seines universalen

14 In seiner 1910 erschienenen Schrift : Der Heerkaiser (Den Kaiser macht das
Heer) . Studien zur Geschichte eines politischen Gedankens, jetzt erweitert in den
Abhandlungen und Untersuchungen zur Geschichte des Kaisergedankens im
Mittelalter 1965 S. 1-169. Dazu im selben Sammelband S. 239-286 (aus DA
3, 1939, lff.) Kaisertitel und Souveränitätsidee, sowie S. 287-342 (aus DA 16,
1960, 1 5 ff.) Imperator und Imperium bei den Angelsachsen. Eine wort- und
begriffsgeschichtliche Untersuchung. Außerdem vgl. James A. Brundage, Widu­
kind of Corvey and the ,Non-Roman' imperial idea, in Mediaeval Studies 22,
1960, 1 5-26.
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Einleitung 7

Charakters entkleidet ist und nur mehr partikulare hegemoniale Bedeu­


tung hat im Sinne eines Herrschers, der über eine Mehrzahl von Königen
gebietet. Das universale Kaisertum wird so gründlich abgelehnt, daß er
nicht bloß die Krönung Ottos d. Gr. 962 in Rom mit Stillschweigen über­
geht, sondern auch die ganze ottonische Kirchen- und Missionspolitik ein­
schließlich der Errichtung des Erzbistums Magdeburg : eine Christiani­
sierung der Slawen könnte bei diesen den Anspruch auf politische Gleich­
berechtigung erwecken. Ebensowenig ist hier ein Platz für den universalen
Papst : summus pontifexist der Erzbischof von Mainz oder der von Köln.
Ottos II. Krönung durch den Papst zu Lebzeiten seines Vaters wird in
ihrer staatsrechtlichen Bedeutung herabgedrückt auf die Stufe einer
Designation (III 76). Maßgebend ist und bleibt für Widukind allein die
Thronbesteigung nach dem Tode des Vaters. In alldem kommt letzten
Endes die Besorgnis15 zum Ausdruck über die Folgen, mit denen die
Krönung des Königs aus sächsischem Stamm durch den Bischof von Rom,
wie schon 800 so j etzt 962, den Staat der Sachsen und Franken bedrohte .
Widukind hatte schon länger, keineswegs unmittelbar oder in gleich­
mäßigen Abständen den Geschehnissen folgend, an seiner Sachsenge­
schichte gearbeitet16, als ein uns unbekannter Anlaß17 ihm nahelegte,
seine Arbeit abzuschließen und sie der Kaisertochter Mathilde zu widmen,
die 966 im Alter von 11 Jahren Äbtissin von Quedlinburg geworden war.
Zu diesem Zweck schickte er j edem Buch in ziemlich schwülstiger Sprache
eine Widmung voraus und schob auch an weiteren Stellen18 ihm von der
Sache her oder für die Person der Empfängerirr notwendig erscheinende
Erläuterungen und Hinweise ein. Vor allem sollte dadurch die Kluft

15 Zuerst ausgesprochen von M. Lintzel in : Welt als Geschichte 4, 1938, 423 ff.
besonders 443.
1 6 Hermann Bloch hat NA 38, 1913, 95-141 eine Erstfassung von 958, die mit

II 62 endete, zu erkennen geglaubt, was verschiedentlich abgelehnt wurde und


nach den Darlegungen von Edmund E. Stenge} in Corona quernea, Festgabe
für Karl Strecker z. 80. Geburtstage dargebracht (Schriften des Reichsinstituts
für ältere deutsche Geschichtskunde Bd. 6, 1 941 ) S. 136-158 als endgültig
abgetan anzusehen ist, trotz des Widerspruchs von Martin Lintzel, Die Ent­
stehungszeit von Widukinds Sachsengeschichte, Sachsen und Anhalt 17/18,
1943, S. 1-13 und Miszellen zur Geschichte des 10. Jahrhunderts, Berichte über
die Verhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften Philol.­
Histor. Klasse 100, 2, 1953, S. 7 mit Anm. 3.
17 Vielleicht ist dieser darin zu suchen, daß Otto d. Gr. seit Spätsommer 966
sechs Jahre lang in Italien festgehalten wurde, und zwar diesmal auch im Bereich
der unmittelbaren Interessen von Byzanz.
1 8 Im einzelnen verzeichnet und besprochen von Beuma.nn S. 193ff.
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8 Einleitung

etwas überbrückt werden, die sich dadurch ergab, daß der ursprüngliche
Zweck19 des Werkes, die Sachsengeschichte, nunmehr in eine Geschichte
des Fürstenhauses mit betont höfisch-panegyrischer Tendenz umgeändert
wurde.
In dieser 967/68 20 erreichten Form ist Widukinds Sachsen�eschichte
nur in einer Handschrift (A) erhalten, die um 1 220 in Kloster Altzelle
geschrieben wurde, heute J 38 in der Sächsischen Landesbibliothek in
Dresden.
In der um die Kapitel III 70-76 erweiterten Form haben sich mehrere
Handschriften erhalten 21, die in die Gruppen B und C zerfallen, je nach­
dem sie in I 22 und III 2 eine von A verschiedene Fassung bieten.
Die Gruppe B, die hier einen älteren Text als A bringt, ist durch zwei
Handschriften vertreten, nämlich
B 1 aus Kloster Steinfeld, Kr. Schleiden, heute Brit. Mus. Addit.
2 1 109, Bammelhandschrift aus der Mitte des 1 2 . Jh., darin Bl. 1 38-181 ,
B 2 heute verschollen, aus Kloster Eberbach im Rheingau aus der­
selben Zeit, danach die Erstausgabe Basel 1 532 durch den Heidelberger
Humanisten und Ulmer Reformator Martin Frecht, sowie eine für Konrad
Peutinger gefertigte Abschrift (heute München lat. 4209).
Die Gruppe C, die in I 22 und III 2 eine noch j üngere Fassung aufweist,
enthält allein die allgemein Widukind abgesprochene Einteilung in Kapi­
tel und die Kapitelüberschriften, die unten im Textabdruck geboten
werden, und ist in zwei Handschriften greifbar :

19 Kar! Hauck (vgl. Anm. 6) Sp. 948 behauptet allerdings, Widukind habe von

Anfang an eine Geschichte des Fürstenhauses schreiben wollen. Die oben ver­
tretene Auffassung wurde begründet von M. Lintzel, Die politische Haltung
Widukinds von Korvey, Sachsen und Anhalt 14, 1938, 26 (Neudruck in Aus­
gewählte Schriften Bd. 2, 1961, 335 ff.) und fortgeführt von Beumann S. 24,
ebenso HZ 180, 1955, 461 ff. 480 f.
20 Wem die von Edmund E. Stenge], Abhandlungen und Untersuchungen zur

Geschichte des Kaisergedankens im Mittelalter 1965, 149 vorgelegten Auszüge


aus Widukind III 44. 46-49 einerseits und Ruotgeri Vita Brunonis (MG SS Rer.
Germ. NS 10, 1951, 35 f.) andererseits genügen, um Textverwandtschaft zu be­
weisen, kann die Fertigstellung der Widmungsfassung nach unten begrenzen
mit dem Abschluß der Vita durch Ruotger, einst Mitschüler Widukinds in
Corvey und hernach Mönch in St. Pantaleon in Köln, also nach dem Tod der
Königinwitwe Mathilde 14. März 968 und vor dem Tode des Erzbischofs Folkmar
von Köln 18. Juli 969.
21 Ü
ber weitere heute verschollene Handschriften berichten Lohmann­
Hirsch in der Vorrede ihrer Ausgabe S. XL, wo auch S. XLII mittelalterliche
Benützer sowie frühere Ausgaben und Übersetzungen aufgezählt werden.
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Einleitung 9

C 1 . Handschrift 298 des Klosters Monte Cassino, geschrieben vor 1050


von beneventanischer Hand,
C 2. Handschrift aus der Zeit nach 1 250, einst (bis 1492) im Besitz des
Klosters St. Pantaleon in Köln, dann in Händen des J ohannes Trithe­
mius, der 1 5 1 6 als Abt von St. Jakob in Würzburg gestorben ist, seit
1 909 Staatsbibliothek Berlin Lat. oct. 198.
Unsere Ausgabe bringt den Text der Schulausgabe 22 in den Scriptores
rerum Germanicarum, 5. Aufl. 1 935, bearbeitet von Lohmann-Hirsch.
Für die beigegebene deutsche Übersetzung wurde die Übertragung von
R. Schottin 1852 in den Geschichtsschreibern der deutschen Vorzeit,
zuletzt als Band XXXIII der zweiten Gesamtausgabe 1 931 bearbeitet
von P. Hirsch 23, durch Albert Bauer (t) und Reinhold Rau durchgesehen,
der auch Einleitung und Anmerkungen beigefügt hat.

AUS DEM NEUEREN SCHRIFTTUM

H. Beumann, Die sakrale Legitimierung des Herrschers im Denken der Ottoni­


schen Zeit, Ztschr. d. Sav. Stiftg. f. Rechtsgesch. Germ. Abtlg. 66, 1948,
1--45.
-, Die Historiographie des Mittelalters als Quelle für die Ideengeschichte des
Königtums, HZ 1 80, 1955, 449--488.
-, Das Kaisertum Ottos d. Gr., Konstanz 1963 (s. Nachtrag S. 10).
H. Büttner, Heinrichs I. Südwest- und Westpolitik, Konstanz 1964.
K. Hauck, Herrschaftszeichen eines wodanistischen Königtums, Jahrb. f.
fränkische Landesforschung 14, 1954, 9-66.
R. Holtzmann, Geschichte der sächsischen Kaiserzeit 3. Aufl. 1955 (darin S.
531-544 Quellen und Literatur v. W. Holtzmann) .
M . Lintzel, Die politische Haltung Widukinds von Corvey, Sachsen und Anhalt
14, 1938, 25 ff., jetzt auch in Ausgewählte Schriften 2, 196 1 , 335 ff.
W. Metz, Die Abstammung König Heinrichs I . , Hist. Jahrbuch 84, 1964, 27 1-287.
W. Mohr, König Heinrich I. Eine kritische Studie zur Geschichtsschreibung des
letzten Jahrhunderts, Saarlouis 1 950.
P. E. Schramm, Die Geschichte des mittelalterlichen Herrschertums im Lichte
der Herrschaftszeichen, HZ 178, 1954, 1-24.
Fr. Schröder, Das Bild Heinrichs I. in der deutschen Geschichtsschreibung des
Mittelalters bis zum Interregnum. Diss. MS. Halle 1949.

22 Die am Ende beigegebene kleine Schrift De origine gentis Swevorum (Erst­

ausgabe von Melchior H. Goldast in seinen Scriptores rerum Suevicarum 1605)


wurde im 12. Jahrhundert von einem Süddeutschen verfaßt.
23 Dazu die Besprechung von W. Bulst in HVS 28, 1933/34, 185ff.
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10 Einleitung

E. Stenge!, Widukind von Corvey und das Kaisertum Ottos des Großen, Ab­
handlungen und Untersuchungen zur Geschichte des Kaisergedankens 1965 ,
56-91.
W. v. Stetten, Der Niederschlag liudolfingischer Hausüberlieferung in den ersten
Werken der ottonischen Geschichtsschreibung. Diss. MS. Erlangen 1954.
H. Wiesemeyer, Die Gründung der Abtei Corvey im Lichte der Translatio
Sancti Viti, Westfälische Zeitschr. 112, 1962, 245-272.
-, Corbie und die Entwicklung der Corveyer Klosterschule vom 9. bis 12. Jahr­
hundert, Westfälische Zeitschr. 1 13, 1963, 271-282.
G. Wolf, Designation und designare bei Widukind von Corvey. Zeitschr. d. Sav.
Stiftg. f. Rechtsgesch. German. Abtlg. 73, 1956, 372-375.

Nachtrag : Wichtige Ergänzungen und Modifikationen jetzt bei H. Beumann,


Historiographische Konzeption und politische Ziele Widukinds von Corvey,
in : La storiografia altomedievale. Settimane di Studio . . . Spoleto Bd. 17
(1970) 857- 894. -Beumann und Seitenzahl ohne weitere Angabe bezieht
sich im folgenden auf das Buch von 1950.
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Aus der Translatio S. Alexandri (nach der Ausgabe von Krusch in den Nachr. d.
Gesellsch. d. Wissensch. zu Göttingen 1933 Phil ..Hist. Kl. S. 423)*.

Saxonum gens, sicut tradit antiquitas, ab Anglis Britanniae incolis


egressa per Oceanum navigans Germaniae litoribus studio et necessi­
tate quaerendarum sedium appulsa est in loco, qui vocatur Haduloha, s

eo tempore, quo Thiotricus rex Franeorum contra Irminfridum


generum suum ducem Thuringorum dirnieans terrarn eorurn crude­
liter ferro vastavit et igni. Et curn iarn duobus proeliis ancipiti pugna
incertaque victoria miserabili suorurn cede decertassent, Thiotricus
spe vincendi frustratus rnisit legatos ad Saxones quorurn dux erat 10

Hadugoto. Audivit enirn causam adventus eorurn prornissisque pro


victoria habitandi sedibus conduxit eos in adiutoriurn1; quibus securn
quasi iam pro libertate et patria fortiter dimicantibus superavit
adversarios vastatisque indigenis et ad internitionern pene deletis
terrarn eorurn iuxta pollicitationen suarn victoribus delegavit. Qui 1s

eam sorte dividentes, curn multi e x eis i n bello cecidissent, e t pro


raritate eorurn tota ab eis occupari non potuit, partern illius et earn
quarn maxirne quae respicit orientern colonis tradebant, singuli pro
sorte sua, sub tributo exercendarn. Cetera vero loca ipsi possiderunt,
a meridie quidern Francos habentes et partern Thuringorurn, quos 20

praecedens hostilis turbo non tetigit, et alveo flurninis Unstrotae


dirimuntur, a septentrione vero Nordrnannos, gentes ferocissimas, ab
ortu autern solis Obodritos et ab occasu Frisos, a quibus sine inter­
missione vel foedere vel concertatione necessario finiurn suorum spacia

*Der Mönch Rudolf von Fulda (Näheres über ihn in der Ausgabe der Annales
Fuldenses (Band VII dieser Reihe) S. 66 Anm. 1 und Einleitung S. 2), der die
851 durch Waltbraht, einen Nachkommen des Sachsenherzogs Widukind, erfolgte
Übertragung der Gebeine des hl. Alexander von Rom nach Kloster Wildeshausen
zu beschreiben übernommen hatte, stellte an den Anfang, fast ein Jahrhundert
vor dem Mönch von Corvei, die im Vorstehenden abgedruckte sächsische
Stammessage, wie sie wohl in Widukinds Geschlecht fortlebte, und konnte seine
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Das Sachsenvolk ist nach einer Überlieferung aus alter Zeit von den
Angeln, den Bewohnern Britanniens, ausgegangen und nach der Fahrt
über den Ozean in der Absicht und unter dem Zwang, Wohnsitze zu fin­
den, an der Küste Germaniens gelandet in einer Gegend namens Radeln
s zur Zeit, da der Frankenkönig Thiodric im Kampf gegen seinen Schwager

Irminfrid, den Fürsten der Thüringer, deren Land mit Feuer und Schwert
grausam heimsuchte . Und als sie schon in zwei Schlachten mit wechseln­
dem Glück und unentschieden unter j ämmerlichen Verlusten ihrer Leute
miteinander gestritten hatten, schickte Thiodric, der sich in seiner Hoff-
1 0 nung auf Sieg getäuscht sah, Gesandte zu den Sachsen, deren Führer

Hadugot war. Er hatte nämlich gehört, warum sie gekommen waren, und
indem er ihnen für den Fall eines Sieges Wohnsitze versprach, stellte er sie
als seine Bundesgenossen an, und weil sie mit ihm sozusagen schon für
Freiheit und Vaterland tapfer kämpften, wurde er Herr über seine Geg-
15 ner. Und nachdem die Eingeborenen geschlagen und nahezu ausgerottet

waren, wies er deren Land seinem Versprechen gemäß den Siegern an.
Diese verteilten es nach dem Lose, und weil viele von ihnen im Krieg
gefallen waren (in der Tat konnte nicht das ganze Land von ihnen wegen
ihrer geringen Zahl besiedelt werden), so übergaben sie einen Teil davon,
20 und zwar in erster Linie den östlichen, Hörigen, jeder entsprechend

seinem eigenen Anteil, zur Bewirtschaftung gegen eine Abgabe. Das übrige
Land aber nahmen sie selbst in Besitz, wobei sie im Süden die Franken
als Nachbarn hatten und den Teil der Thüringer, der vom vorausgehenden
Kriegssturm nicht betroffen war ( die Grenze bildete der Lauf der Un-
25 strut), im Norden die Normannen, sehr eigenwillige Völker, im Osten die
Obodriten und im Westen die Friesen, lauter Nachbarn, gegen die sie
ihr Land ohne Unterbrechung durch einen Vertrag oder eine Entschei­
dungsschlacht zu schützen gezwungen W<!ren. Sie waren nämlich sehr

Arbeit im Anschluß an Einhards Vita Caroli über die Sachsenkriege herabführen


bis zu Widukinds Taufe. Das durch Rudolfs Tod (865) abgebrochene Werk
(einzige Handschrift in Hannover I. 186) ist dann durch seinen Schüler Magin­
hart zu Ende geführt worden.
1 Nach Greg. Turon. Rist. III 7.
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14 Translatio S . Alexandri

tuebantur. Erant enim inquieti nimis et finitimorum sedibus infesti,


domi vero pacati et civium utilitatibus placida benignitate consulen­
tes. Generis quoque ac nobilitatis suae providissimam curam habentes
nec facile 2 ullis aliarum gentium vel sibi inferiorum conubiis infecti
propriam et sinceram et tantum sui similem gentem facere conati s
sunt. Unde habitus quoque ac magnitudo corporum comarumque
color, tanquam in tanto hominum numero, idem pene omnibus.
Quattuor igitur differentiis gens illa consistit, nobilium scilicet et
liberorum, libertorum atque servorum, et id legibus firmatum, ut
nulla pars in copulandis coniugiis propriae sortis terminos transferat, 10

sed nobilis nobilem ducat uxorem et liber liberam, libertus coniunga­


tur libertae et servus ancillae. Si vero quispiam horum sibi non
congruentem et genere prestantem duxerit uxorem, cum vitae suae
damno componat. Legibus etiam ad vindictam malefactorum optimis
utebantur. Et multa utilia atque secundum legem naturae honesta in 1s

morum probitate habere studuerunt, quae eis a d veram beatitudinem


promerendam proficere potuissent, si ignorantiam creatoris sui non
haberent et a veritate culturae illius non essent alieni. (Es folgt eine
Schilderung des Heidentums der Sachsen, die ganz aus den entspre­
chenden Kapiteln 9f. der Germania des Tacitus übernommen ist.) zo
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Translatio S. Alexandri 15

unruhig und bildeten eine ständige Gefahr für die Wohnsitze ihrer Nach­
barn. Untereinander aber waren sie friedfertig und in ruhiger Freundlich­
keit auf die Vorteile ihrer Mitbürger bedacht. Sie waren auch umsichtig
besorgt für ihre Eigenart und Vorrangstellung, und da sie sich nicht
5 leicht durch eheliche Verbindungen mit anderen oder gar unterlegenen

Völkern befleckten, gelang es, aus ihrem Volk ein unvermischtes ohne
seinesgleichen zu machen. Darum haben sie auch fast alle dieselbe Gestalt
und Leibesgröße und dieselbe Haarfarbe, wenigstens soweit das bei einem
so großen Volk möglich ist. Aus vier verschiedenen Gruppen setzt sich
10 dieses Volk zusammen, nämlich aus Adeligen, Freigeborenen, Freigelas­
senen und Sklaven, und es ist gesetzlich geregelt, daß bei ehelichen Ver­
bindungen keiner die Grenzen seines Standes überschreitet, sondern der
Adelige eine Adelige zur Frau nimmt, der Freigeborene eine Freigeborene,
aber der Freigelassene sich mit einer Freigelassenen verbindet und der
15 Sklave mit einer Sklavin . Wenn aber einer von diesen eine ihm nicht ent­
sprechende Frau von höherem Stand heiratet, soll er das büßen mit dem
Verlust seines Lebens. Sie hatten auch vortreffliche Gesetze, um Übel­
täter zu bestrafen. Überhaupt waren sie in ihrer Sittlichkeit auf vieles
bedacht, was nützlich und ehrenhaft war in Übereinstimmung mit dem
20 Gebot der Natur und was ihnen zur Gewinnung der wahren Seligkeit hätte
verhelfen können, wenn sie nicht, in Unkenntnis ihres Schöpfers, seiner
wahren Verehrung abgeneigt gewesen wären.

1 Das folgende nach Tac. Germ. 4.


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AD DOMINAM MATHILDAM IMPERATORIS


FILIAM LIBRI PRIMI INCIPIT PREPHATIO

Flore virginali1 cum maiestate imperiali ac sapientia singulari


fulgenti dominae Mahthildae ultimus servulorum Christi martyrum
Stephani atque Viti, Corbeius Widukindus, totins servitutis devotis- 5

simum famulaturn veramque in salvatore salutem. Quamvis te pater­


nae potentiae gloria singularis magnificet ac clarissima decoret sapien­
tia, nostra tarnen humilitas presumit de proxima sceptris semper
clementia, quia nostra devotio a tua pietate suscipiatur, etiam si non
mereatur. Nam cum nostro labore patris potentissimi avique tui 10

gloriosissimi res gestas memoriae traditas legeris, habes, unde ex


optima et gloriosissima melior gloriosiorque efficiaris. Nec tarnen
omnia eorum gesta nos posse comprehendere fatemur, sed strictim 2
et per partes scribimus, ut sermo sit legentibus planus, non fastidiosus.
Sed et de origine statuque gentis, in qua ipse rerum dominus 3 Heinri- 15

I
cus primus regnavit, pauca scribere curavi, ut ea legendo animum
oblectes, curas releves, pulchro otio vaces. Legat igitur tua claritas
istum libellum ea pietate nostri memor, qua est conscriptus devotione.
Vale.
EXPLICIT PREPHATIO 20

1 {los virginalis weist auf den geistlichen Stand als Ä btissin, maieataa imperialia

auf den weltlichen Stand als Kaisertochter, sapientia singularis auf die höhere
Bildung. Ihre Grabschrift (t 999) bei Edmund E. Stenge!, DA 3, 1939, 361-370.
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HIER BEGINNT DIE VO RREDE ZUM ERSTEN BUCHE


AN FRAU MATHILDE , DES KAISERS TOCHTER

Der durch j ungfräuliche Blüte1 wie durch kaiserliche Hoheit und


einzigartige Weisheit strahlenden Frau Mathilde entbietet der Geringste
s unter den Dienern der Blutzeugen Christi Stephanus und Vitus, Widukind

von Korvei, in ganzer Untertänigkeit ergebenste Dienstbarkeit und wahren


Gruß im Erlöser. Obgleich dich der erhabene Ruhm der väterlichen Macht
erhöht und herrlichste Weisheit ziert, erwartet dennoch meine geringe
Person von der den Zeptern allezeit eigenen Milde, daß meine Ergebenheit
10 bei deiner Huld Aufnahme findet, auch wenn sie es nicht verdient. Denn
wenn du die Taten deines großmächtigen Vaters und deines ruhmreichen
Großvaters, durch meine Arbeit für die Nachwelt aufgezeichnet, lesen
wirst, so kannst du, so tugendhaft und ruhmreich du bist, dadurch noch
tugendhafter und ruhmreicher werden. Jedoch kann ich, wie ich gestehe,
IS nicht alle ihre Taten beschreiben, sondern ich schreibe nur mit Auswahl 2
und stückweise, damit meine Darstellung den Lesern verständlich sei,
ohne sie zu ermüden. Aber auch über den Ursprung und Zustand des
Volkes, über welches der großmächtige Herr 3 Heinrich der erste König
war, habe ich Sorge getragen, etwas zu berichten, damit du, wenn du es
20 liest, dein Gemüt ergötzest, die Sorgen bannst und dich edler Muße

erfreust. Möge daher deine erlauchte Person dieses Büchlein lesen und
meiner mit soviel Huld gedenken, wie es mit Ergebenheit verfaßt ist.
Lebe wohl.
ENDE DER VORREDE

2Sall. Cat. 4.
8rerum dominU8 auch I 39. 4l .Ill . 32. 36. Zur Bedeutung vgl. Beumann
s. 232 f.
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18 Widukindi res gestae Saxonicae I 2/3

INCIPIUNT CAPITULA

I. Quia alios libellos scripserit preter istum.


II. De origine gentis Saxonice variam opinionem multo­
rum narrat.
111. Quod navibus advecti sint in locum qui dicitur Hatha- 5

laon.
1111. Quod graviter adventum eorum Thuringi ferant et
cum eis pugnent.
V. Quomodo adolescens terram auro comparavit.
VI. Thuringi accusant Saxones de rupto foedere, Saxones 10
autem victores existunt.
VII. Unde Saxones dicantur.
VIII. Nomen Saxonum celebre fit, et a Brettis in auxilium
sumuntur.
VIIII. Thiadricus in regem eligitur et Saxones vocat in auxi- 15

lium contra Hirminfridum.


X. Iring Thiadricum contra Saxones instigat.
XI. Hathagath Saxones ad bellandum provocat.
XII. Saxones capta urbe deponunt aquilam.
XIII. Thiadricus Saxonibus terram tradit, et Hirminfridus 20
occiditur.
XIIII. Qualiter Saxones agros dividunt, et quia triformi genere
ac lege vivunt.
XV. Qualiter eos Magnus Carolus Christianos fecit.
XVI. De Luthwico et Brunone et Oddone et Conrado rege. 2s
XVII. De rege Heinrico. I
XVIII. De Ungariis, qui et Avares dicuntur.
XVIIII. Ungarii a Magno Carolo clausi, sed ab Arnulfo dimissi.
XX. Qualiter Ungarii Saxoniam vastabant.
XXI. Heinricus fit dux Saxoniae. 30
XXII. De Heinrico et episcopo Hathone et comite Adel­
berhto.
XXIII. De Conrado et eius fratre Evurhardo.
XXIIII. Conradus obsedit Heinricum.
XXV. Conradi regis sermo ante mortem. 35
XXVI. Evurhardus regem constituit Heinricum.
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Inhaltsverzeichnis 19

HIER BEGINNT DAS INHALTSVERZEICHNIS

1 . Daß der Verfasser noch andere Bücher außer diesem schrieb.


2 . Über den Ursprung des Sachsenvolkes berichtet er die verschiedenen
Ansichten vieler.
s 3. Daß sie auf Schiffen an den Ort Radeln kamen.
4. Daß die Thüringer ihre Ankunft übel vermerken und mit ihnen
kämpfen.
5. Wie ein Jüngling für Gold das Land erwarb.
6 . Die Thüringer beschuldigen die Sachsen des Vertragsbruches, die
10 Sachsen aber werden Sieger.
7. Woher sie Sachsen heißen .
8 . Der Ruf der Sachsen verbreitet sich, und sie werden von den Britten
zu Hilfe gerufen.
9. Thiadrich wird zum König erwählt und ruft die Sachsen gegen
IS Irminfrid z u Hilfe.
10. Iring reizt den Thiadrich gegen die Sachsen.
1 1 . Hathagath ermuntert die Sachsen zum Kampfe.
1 2 . Die Sachsen legen nach Einnahme der Stadt den Adler nieder.
1 3 . Thiadrieh übergibt den Sachsen das Land, und Irminfrid wird getötet.
2 0 14. Wie die Sachsen das Land teilen und daß sie in drei Stämmen und

nach dreierlei Gesetz leben.


1 5 . Wie sie der große Karl zu Christen machte .
1 6 . Von Ludwig und Brun und Otto und König Konrad.
17. Von König Heinrich.
2s 18. Von den Ungarn, auch Awaren genannt.

1 9 . Die Ungarn werden von dem großen Karl eingeschlossen, von Arnulf
aber freigelassen.
20. Wie die Ungarn Sachsen verheerten.
21. Heinrich wird Herzog von Sachsen.
30 22. Von Heinrich und Bischof Hatho und Graf Adelbert.

23. Von Konrad und seinem Bruder Eberhard.


24. Konrad belagert Heinrich .
25. König Konrads Rede vor seinem Tode.
26. Eberhard setzt Heinrich als König ein .
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20 Widukindi res gestae Saxonicae I 1 . 2 3/4

XXVII. Heinricus autem rex factus confusum in brevi colligit


regnum.
XXVIII. De Luthwico et filiis eius.
XXVIIII. De Carolo et Odone et posteris eorum.
XXX. Qualiter Heinricus regnum Lothariorum obtinuit.
XXXI. De filüs regis Heinrici et regina Mathilda et genealogia
ems.
XXXII. De Ungariis et de captivo eorum, et quia pax per eum
novem annis firmata sit.
XXXIII. De manu Dyonisii martyris. 10

XXXIIII. De sancto martire Vito.


XXXV. Qualiter rex Heinricus novem annos pacis habuerit.
XXXVI. De Redariis quomodo victi sunt.
XXXVII. De nuptiis filii regis.
XXXVIII. Contio regis, et quomodo Ungarios publico bello vicit. 15

XXXVIIII. Quomodo victor reversus est, et de moribus eius.


XL. Quomodo Danos vicit.
XLI. Quomodo morbo gravatur et moritur et ubi sepelitur.

EXPLICIUNT CAPITULA I

INCIPIT LIBER PRIMUS RERUM GESTARUM 20

SAXONICARUM

I. Post operum nostrorum primordia, quibus summi imperatoris


militum triumphos declaravi, nemo me miretur principum nostrorum
res gestas litteris velle commendare ; quia in illo opere professioni
meae, ut potui, quod debui exolvi, modo generis gentisque meae 25

devotionil, ut queo, elaborare non effugio.


II. Et primum quidem de origine statuque gentis pauca expediam,
solam pene famam sequens in hac parte , nimia vetustate omnem fere
certitudinem obscurante. Nam super hac re varia opinio est, aliis
arbitrantibus de Danis Northmannisque originem duxisse Saxones, 30

aliis autem aestimantibus, ut ipse adolescentulus audivi quendam


predicantem, de Graecis, quia ipsi dicerent Saxones reliquias fuisse
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Ursprung des Sachsenvolkes 21

27. Heinrich aber bringt, König geworden, das zerrüttete Reich bald in
Ordnung.
28. Von Ludwig und seinen Söhnen.
29. Von Karl und Odo und ihren Nachkommen.
5 30. Wie König Heinrich Lothringen in Besitz nahm.
31 . Von den Söhnen König Heinrichs und von der Königin Mathilde und
ihrer Abkunft.
32. Von den Ungarn und ihrem Gefangenen und daß durch ihn ein neun­
jähriger Friede geschlossen wurde .
10 33. Von der Hand des Märtyrers Dionysius.
34. Von dem heiligen Märtyrer Vitus.
35. Wie König Heinrich die neun Friedensjahre benutzte.
36. Von den Redariern, wie sie besiegt wurden .
37. Von der Hochzeit des Königssohnes.
15 38. Die Rede des Königs, und wie er die Ungarn in offenem Kampfe
besiegte.
39. Wie er als Sieger zurückkehrte, und von seiner Person.
40. Wie er die Dänen besiegte.
41 . Wie er erkrankt und stirbt, und wo er bestattet wird.

2o ENDE DES INHALTSVERZEICHNISSES

HIER BEGINNT DAS ERSTE BUCH DER


SACHSENGESCHICHTE

1 . Nach den Erstlingen meiner Werke, in denen ich die Siege der
Streiter des höchsten Gebieters dargestellt habe, möge sich niemand
25 wundern, wenn ich die Taten unserer Großen niederschreiben will ; da ich
in jener Arbeit nach Kräften erfüllt habe, was ich meinem Mönchsgelübde
schuldig war, so entziehe ich mich nun nicht der Pflicht, meine Kräfte der
ergebenen Treue gegenüber meinem Haus und meinem Volkl, soweit ich
vermag, zu weihen.
30 2. So werde ich denn zu Anfang etwas über Ursprung und Zustand des
Volkes sagen, wobei ich in diesem Teil fast allein der Sage folge, da die
allzu ferne Zeit beinahe jegliche Gewißheit verdunkelt. Denn die Meinungen
darüber sind verschieden, indem die einen glauben, die Sachsen stammen von
den Dänen und Normannen ab, andere aber, wie ich selbst in früher Jugend
35 einen rühmen hörte, von den Griechen, da sie selber angeben, die Sachsen

1 Vgl. Einleitung Anm. 6.


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22 Widukindi res gestae Saxonicae I 2-5 4/6

Macedonici exercitus, qui secutus Magnurn Alexandrurn inrnatura


morte ipsius per totum orbem sit dispersus. Caeterum gentem anti­
I
quarn et nobilem fuisse non arnbigitur ; de quibus et in contione Agrip­
pae ad ludaeos in losepho 2 oratio contexitur, et Lucani poetae sen-
tentia probatur. s

111. Pro certo autern novimus Saxones his regionibus navibus


advectos et loco primum applicuisse qui usque hodie nuncupatur
Hadolaun 3•
1111. lncolis vero adventurn eorurn graviter ferentibus, qui Thu­
ringi traduntur fuisse, arrna contra eos movent; Saxonibus vero acriter 10

resistentibus porturn obtinent. Diu deinde inter s e dirnicantibus et


rnultis hinc inde cadentibus, placuit utrisque de pace tractare, foedus
inire. lctumque est foedus eo pacto, quo haberent Saxones vendendi
ernendique copiarn, ceterurn ab agris, a caede hominum atque rapina i
abstinerent. Stetitque illud foedus inviolabiliter rnultis diebus. Curn- 1s

que Saxonibus defecisset pecunia, quid venderent aut ernerent non


habentibus, inutilem sibi pacern esse arbitrabantur.
V. Ea igitur ternpestate contigit adolescentern quendam egredi de
navibus oneraturn multo auro, torque aurea simulque armillis anreis.
Cui obvius quidarn Thuringorum : 'Quid sibi vult' , inquit, 'tarn ingens 20

aururn circa tuurn farnelicum collurn 4 ? ' 'Emptorem' , inquit, 'quaero ;


ad nichil aliud istud aurum gero. Qui enim farne periclitor, quo auro
delecter ? ' At ille qualitatem quantitaternque pretii rogat: 'Nullum ' ,
inquit, 'michi est' , Saxo, ' discrirnen i n pretio : quicquid dabis gratum
teneo' . llle vero subridens adolescentem : 'Quid si' , inquit, 'de isto 2s

pulvere sinum tibi inpleo ? ' Erat enim in presenti loco egesta hurnus
plurirna. Saxo nichil cunctatus aperit sinurn et accipit hurnum, ilico­
que Thuringo tradidit aururn. Laetus uterque ad suos repedat. Thu­
ringi Thuringum laudibus 5 ad caelum tollunt, qui nobili fraude Saxo­
nern deceperit, fortunatumque eurn inter ornnes rnortales fuisse, qui Jo

2 Bei Josephus Bell. Jud. II 16 und in der lateinischen Bearbeitung des

Hegesippus (CSEL LXVI) II 9 werden die Sachsen nicht erwähnt, sondern nur
die Germanen allgemein. Vielleicht meint Widukind die Stelle V 15 (CSEL LXVI
319) : tremit Saxonia inaccessa paludibus .... validissimum genus hominum
perhibetur et praestans ceteris, Worte des Josephus in einer Rede an die Juden
(nicht in der griechischen Vorlage V 9). Bei Lucanus Phars. I 423 bieten einige
Handschriften Saxones statt des richtigen Suessones.
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Ursprung des Sachsenvolkes 23

seien die Reste des mazedonischen Heeres gewesen, das dem großen
Alexander gefolgt und nach dessen allzufrühem Tode über den ganzen
Erdkreis zerstreut worden sei . Daß es aber ein altes und edles Volk
gewesen, ist kein Zweifel, und es wird ihrer sowohl in der Rede des Agrippa
5 an die Juden bei Josephus 2 Erwähnung getan als auch ein Satz des Dichters
Lucanus dafür geltend gemacht.
3. Für gewiß aber wissen wir, daß die Sachsen zu Schiff in diese Gegen­
den gekommen und zuerst an dem Orte gelandet sind, der noch heutigen­
tags Radeln 3 heißt.
10 4 . Weil sich aber die Einwohner (es sollen Thüringer gewesen sein)
ihre Ankunft nicht gefallen ließen, griffen sie zu den Waffen gegen sie ;
die Sachsen hingegen leisteten kräftigen Widerstand und behaupteten den
Hafen. Nachdem man lange miteinander gekämpft hatte und viele auf
beiden Seiten gefallen waren, beschlossen beide Teil e, über den Frieden
15 zu verhandeln und einen Vertrag zu schließen ; und es wurde der Vertrag
mit der Bedingung geschlossen, die Sachsen sollten verkaufen und kaufen
dürfen, j edoch sich das Land nicht aneignen, und sich des Mordens und
Raubens enthalten. Und es bestand dieser Vertrag unverletzt viele Tage .
Da es aber den Sachsen an Geld fehlte und sie überhaupt nichts zu ver-
20 kaufen und zu kaufen hatten, meinten sie, daß der Friede für sie nutzlos

wäre.
5. Nun traf es sich um diese Zeit, daß ein junger Mann, beladen mit
vielem Golde, einem goldenen Halsring und goldenen Armspangen d azu,
an Land ging. Dem begegnete einer der Thüringer und sagte : "Wozu
25 eine solche Menge Gold um deinen abgezehrten Hals 4 ?" "Ich suche einen

Käufer," erwiderte j ener, "zu keinem anderen Zwecke trage ich dieses
Gold ; denn wenn ich vor Hunger verschmachte, welches Gold könnte
mich erfreuen ? " Darauf fragte j ener, was der Preis sei und wie hoch .
"Der Preis," sagte der Sachse, " kümmert mich nicht ; was du mir gibst,
30 das behalte ich als willkommene Gabe . " "Wie nun", sagte j ener höhnisch

zu dem Jüngling, "wenn ich mit diesem Staube dir den Bausch deines
Kleides fülle ? " Es lag nämlich gerade an der Stelle ein großer Erdhaufen
ausgehoben. Der Sachse öffnete ohne zu zögern sein Gewand, empfing
die Erde und überlieferte sofort dem Thüringer das Gold. Beide eilten
35 fröhlich zu den Ihrigen zurück . Die Thüringer erhoben den Thüringer in
den Himmel 5, daß er den Sachsen auf eine so auffällige Art betrogen habe
und daß er der glücklichste unter allen Menschen gewesen sei, da er für

3 Name einer Landschaft links der Unterelbe. Zur Sache vgl. Rudolf von

Fulda in der Translatio S. Alexandri (oben S. 10). Hadlaun bedeutet ,Kampf­


gehege'. Zum Verständnis des folgenden Satzes, den W. Bulst, HVS 28, 1934,
190 anders übersetzen wollte, vgl. Beumann 68 Anm. 2.
' In Anlehnung an Juven. 14, 146.
5 Sall. Cat. 48.
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24 Widukindi res gestae Saxonicae I 5-7 6/7

vili pretio tarn ingens aurum possederit. Caeterum certi de victoria,


de Saxonibus iam quasi triumphabant. lnterea Saxo privatus auro,
oneratos vero multa humo, appropiat navibus. Sociis igitur ei occur­
rentibus et quid ageret admirantibus, alii eum irridere coeperunt
amicorum, alii arguere, omnes pariter amentem eum crediderunt. At 5
ille postulato silentio : 'Sequimini' , inquit, 'me, optimi Saxones, et
meam vobis amentiam probabitis utilem' . At illi, licet dubii, sequuntur
tarnen ducem. Ille autem sumpta humo per vicinos agros quam potuit
subtiliter sparsit et castrorum loca occupavit. I
VI. Ut autem viderunt Thuringi castra Saxonum, intolerabilis res 10
eis visa est. Et missis legatis conquesti sunt d e rupto foedere a c violato
pacto ex parte Saxonum. Saxones respondent se hactenus foedus in­
violabiliter servasse : terram proprio auro camparatarn cum pace velle
obtinere aut certe armis defendere. His auditis incolae iam maledice­
bant aurum Saxonicum, et quem paulo ante felicem esse predicabant, 15
auctorem perditionis suae suaeque regionis fatentur. lra deinde
accensi 6caeco marte6 sine ordine et sine consilio irruunt in castra.
Saxones vero parati hostes excipiunt sternuntque et rebus prospere
gestis proxima circumcirca loca iure belli obtinent. Diu itaque cre­
broque cum ab alterutris pugnatum foret, et Thuringi Saxones sibi 20
superiores fore pensarent, per internuntios postulant utrosque inermes
convenire et de pace iterum tractare condicto loco dieque. Saxones
postulatis se obedire respondent. Erat autem illis diebus Saxonibus
magnorum cultellorum usus, quibus usque hodie Angli utuntur, morem
gentis antiquae sectantes. Quibus armati Saxones sub sagis suis proce- 25
dunt castris occurruntque Thuringis condicto loco. Cumque viderent
hostes inermes et omnes principes Thuringorum adesse, tempus rati
totius regionis obtinendae, cultellis abstractis super inermes et inpro­
visos irruunt et omnes fundunt, ita ut ne unus quidem ex eis super­
fuerit. Saxones clari existere et nimium terrorem vicinis gentibus JO

incutere coeperunt.
VII. Fuerunt autem et qui hoc facinore nomen illis inditum tra­
dant. Cultelli enim nostra lingua 'sahs' dicuntur, ideoque Saxones
nuncupatos, quia cultellis tantam multitudinem fudissent. !

• Verg. Aen. II 335.


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Sieg über die Thüringer 25

einen Spottpreis in den Besitz einer solchen Menge Goldes gekommen sei.
Ihres Sieges gewiß, triumphierten sie schon gewissermaßen über die
Sachsen. Mittlerweile kam der Sachse, seines Goldes ledig, hingegen schwer
mit Erde beladen, zu den Schiffen. Als ihm nun seine Genossen entgegen-
5 kamen und erstaunt fragten, was er tue, fing ein Teil seiner Freunde an,
ihn zu verlachen, andere machten ihm Vorwürfe ; alle aber zusammen
hielten ihn für einen Narren . Er aber bat um Ruhe und sprach : "Folgt
mir, meine guten Sachsen, und ihr werdet zugeben, daß meine Torheit
euch von Nutzen ist." Obgleich ungläubig, folgten sie ihm doch. Er aber
10 nahm die Erde, streute sie so dünn als möglich über die benachbarten
Felder und gewann so den Platz für ein Lager.
6. Als aber die Thüringer das Lager der Sachsen sahen, schien ihnen die
Sache unerträglich. Sie schickten Gesandte und klagten wegen Friedens­
bruchs und Vertragsverletzung seitens der Sachsen. Die Sachsen ant-
1 5 warteten, sie hätten bisher den Vertrag gehalten, ohne ihn zu verletzen ;
das um ihr Gold erworbene Land wollten sie in Frieden behaupten oder
j edenfalls mit den Waffen verteidigen. Daraufhin verwünschten nun die
Eingeborenen das sächsische Gold und erklärten den Mann, den sie kurz
vorher noch glücklich gepriesen hatten, für schuldig an ihrem und ihres
20 Landes Untergang. Dann stürmten sie zornentbrannt in blinder Wut 6
ohne Ordnung und Plan auf das Lager los. Die Sachsen aber empfingen die
Feinde wohlvorbereitet, warfen sie nieder und nahmen nach dem glück­
lichen Ausgang des Kampfes von der nächsten Umgebung nach dem
Rechte des Krieges Besitz . Als nun lange und wiederholt von beiden
25 Seiten gefochten worden war und die Thüringer damit rechnen mußten,
daß die Sachsen ihnen überlegen sein würden, stellten sie durch Unter­
händler das Verlangen, es sollten beide Teile unbewaffnet zusammen­
kommen und von neuem über den Frieden verhandeln, nachdem dafür
Ort und Zeit ausgemacht sei . Die Sachsen erwiderten, sie würden dem
30 Verlangen nachkommen. Nun waren in j enen Tagen bei den Sachsen
große Messer im Gebrauch, wie sie die Angeln nach der Weise des alten
Volkes noch heutigentags führen. Mit dieser Waffe unter dem Mantel
kamen die Sachsen aus ihrem Lager und trafen mit den Thüringern an
dem festgesetzten Orte zusammen. Und da sie sahen, daß die Feinde
3 5 unbewaffnet und alle Häuptlinge der Thüringer zugegen waren, hielten
sie die Zeit für gekommen, sich der ganzen Gegend zu bemächtigen,
zogen ihre Messer, stürzten sich auf die Wehrlosen und Überraschten und
stießen alle nieder, so daß nicht einer von ihnen am Leben blieb . Damit
fingen die Sachsen an, bekannt zu werden und den Nachbarvölkern einen
40 gewaltigen Schrecken einzuj agen.
7. Einige erzählen aber auch, daß sie von dieser Tat den Namen be­
kommen haben. Messer nämlich heißen in unserer Sprache Sahs ; und sie
seien deshalb Sachsen genannt worden, weil sie mit ihren Messern eine
solche Menge niedergemacht hätten.
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26 Widukindi res gestae Saxonicae I 8 8/9

VIII. Dum ea geruntur apud Saxoniam quae ita modo vocitatur


regionem, Brittannia a Vespasiano principe iam olim inter provincias
redacta et sub clientela Romanorum multo tempore utiliter degens a
vicinis nationibus inpugnatur, eo quod auxilio Romanorum destituta
videretur. Populus namque Romanus, Martiali 7 imperatore a militibus 5
interfecto, externis bellis graviter fatigatus non sufficiebat solita
auxilia administrare amicis. Extructo tarnen ingenti opere ad muni­
men regionis inter confinia a mari usque ad mare, ubi inpetus hostium I
videbatur fore, relinquebant regionem Romani. Sed hosti acriori et ad
bellandum prompto, ubi gens mollis et pigra belli resistit, nulla diffi- 10

cultas i n destruendo opere fuit. Igitur fama prodeute d e rebus a


Saxonibus prospere gestis, supplicem mittunt Iegationern ad eorum
postulanda auxilia. Et procedentes legati : ' Optimi' , inquiunt, 'Saxo­
nes, miseri Bretti crebris hostium incursionibus fatigati et admodum
contriti, auditis victoriis a vobis magnifice patratis, miserunt nos ad 15
vos, supplicantes, ut ab eis vestra auxilia non subtrahatis. Terram
latam et spatiosam 8 et omnium rerum copia refertam vestrae man­
dant ditioni parere. Sub Romanorum hactenus clientela ac tutela
liberaliter viximus ; post Romanos vobis meliores ignoramus, ideo sub
vestrae virtutis alas fugere quaerimus. Vestra virtute, vestris armis 20

hostibus tantum superiores inveniamur, et quicquid inponitis servitii,


libenter sustinemus'. Patres ad haec pauca respondent : 'Certos amicos
Brettis Saxones sciatis et eorum necessitatibus atque commodis
aeque semper affuturos' . Legati laeti redierunt in patriam, exoptato
nuntio socios laetiores reddentes. Deinde promissus in Brittaniam 25
mittitur exercitus, et gratanter ab arnicis susceptus, in brevi liberat
regionern a latronibus, restituens patriarn incolis. Neque enirn in id
agendo rnulturn laboris fuit, quippe qui iarn olirn audita farna Saxo­
num perculsi terrebantur, durnrnodo presentia eorurn procul pelluntur.
Erant enim hae gentes Brettis adversae Scotti et Pehtti, adversus 30
quos militantes Saxones accipiebant a Brettis omnia ad usurn neces­
saria. Manserunt itaque in illa regione aliquanto ternpore, vicaria
Brettorum bene usi amicitia. Ut autem viderunt principes exercitus

7 Vielleicht Verwechslung mit dem oströmischen Kaiser Marcianus (450-457),

der bei Paulus Diaconus Hist. Rom. XIV 19 (MG AA II 207) das Opfer einer
Verschwörung wird. Jedenfalls hat es nie einen Kaiser namens Martialis gegeben.
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Eingreifen in Britannien 27

8. Während dies im Sachsenlande, wie es nun heißt, vorging, wurde


Britannien, das schon lange vorher von Kaiser Vespasianus zur Provinz
gemacht worden war und sich unter der Schutzherrschaft der Römer lange
Zeit wohl befunden hatte, von Nachbarvölkern angegriffen, weil es von
5 der Hilfe der Römer entblößt schien . Denn das römische Volk war nach

der Ermordung des Kaisers Martialis 7 durch seine Soldaten, schwer


erschöpft durch auswärtige Kriege, nicht imstande , seinen Freunden die
gewohnten Hilfstruppen zu atellen . So verließen die Römer das Land,
nachdem sie immerhin zum Schutze des Landes an der Grenze von einem
10 Meere zum anderen, wo man den Angriff des Feindes erwarten mußte,

ein ungeheueres Bollwerk aufgeführt hatten. Aber dem kühnen und kriegs­
lustigen Feinde fiel es nicht schwer, das Bollwerk zu zerstören, wo ihm ein
weichliches, dem Kriege abgeneigtes Volk entgegentrat. So kam es, daß
sie auf die Kunde von den Erfolgen der Sachsen eine Bittgesandtschaft
15 schickten, um von ihnen Hilfe zu erflehen . Und die Gesandten traten vor

und sprachen : " Ihr trefflichen Sachsen, die unglücklichen Briten, durch
unablässige Einfälle der Feinde ermattet und sehr bedrängt, haben von
euren so herrlich vollbrachten Siegen gehört und uns zu euch gesandt,
mit der Bitte, ihnen eure Hilfe nicht zu versagen. Sie unterwerfen ihr weites
20 und geräumiges Land 8, das gesegnet ist mit der Fülle j eglicher Güter,

eurem Machtgebote. Unter der Oberherrschaft und dem Schutze der


Römer haben wir bisher in Freiheit gelebt ; nächst den Römern kennen
wir keine besseren als euch ; deshalb suchen wir uns unter die Flügel eurer
Tapferkeit zu flüchten. Nur durch eure Tapferkeit, durch eure Waffen
2 5 wird man uns den Feinden überlegen finden , und wir ertragen gerne

j egliche Knechtschaft, welche ihr uns auferlegen werdet. " Die Väter er­
widerten hierauf kurz : " Wisset, daß die Sachsen den Briten zuverlässige
Freunde sein und ihnen für ihre Nöte und Vorteile stets in gleicher
Weise beistehen werden." Fröhlich kehrten die Gesandten in ihre Heimat
30 zurück und riefen durch die erwünschte Nachricht bei ihren Genossen

große Freude hervor. Nun wurde das versprochene Heer nach Britannien
geschickt ; gerne von den Freunden aufgenommen, befreite es in kurzem
das Land von den Räubern und gab den Einwohnern ihr Vaterland
zurück. Denn es kostete ihnen nicht eben viel Mühe, dies zu vollbringen,
35 denn sie, die schon der seit langem gehörte Ruf der Sachsen mit Ent­

setzen erfüllte, trieb erst recht ihr persönliches Auftreten in die Flucht.
Diese den Briten feindlichen Völker waren die Scoten und Pikten, und
solange die Sachsen gegen diese im Feld standen, erhielten sie alles zum
Leben Nötige von den Briten. Und so blieben sie geraume Zeit in dem
40 Lande und nutzten die gegenseitige Freundschaft mit den Briten gut aus.

8 Gen. 34, 2 1 . Jes. 22,18.


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28 Widukindi res gestae Saxonicae I 8. 9. 9/1 1

terram latam a c fertilem et irrcolarum manus ad bellandum pigras, se


\
vero ac maximam partem Saxonum sine certis sedibus, mittunt ad
revocandum maiorem exercitum, et pace facta cum Scottis et Pehttis,
in commune contra Brettos consurgunt eosque regione propellunt,
suae ditioni regionem distribuunt ; et quia illa insula in angulo quo- 5
dam maris sita est, Anglisaxones usque hodie vocitantur. De quibus
omnibus si quis plenius scire voluerit, historiam gentis eiusdem legat9,
et ibi inveniet, quomodo aut sub quibus ducibus haec omnia acta
sirrt, vel qualiter ad Christianitatis nomen per virum suis temporibus
sanctissimum, papam videlicet Gregorium, pervenerint. Nos vero 1 0
coeptam historiae viam recurramus.
VIII I . 10 Post haec moritur Huga10a rex Francorum, nullumque
alium heredem regni relinquens preter unicam filiam nomine Amal­
bergam11, quae nupserat Irminfrido regi Thuringorum. Populus autem
Franeorum a seniore suo humane clementerque tractatus, pro gra- 1 5
tiarum actione rependenda filium quem ex concubina genuit nomine
\
Thiadricum 12 ungunt sibi in regem. Thiadricus autem designatus rex
mittere curavit Iegationern ad Irminfridum pro pace atque concordia.
Et ingressus legatus ad Irminfridum : 'Mortalium' , inquit, 'optimus
maximus, dominus meus Thiadricus misit me ad te, exoptans te bene 20
valere et lato magnoque diu imperio vigere, seque tibi non dominum,
sed amicum, non imperatorem, sed propinquum, propinquitatisque
iura inviolabiliter tibi finetenus velle servare demandat ; tantum ut a
populi Franeorum concordia non discordes, rogat : ipsum namque
sibi regem sequuntur constitutum . ' Ad haec Irminfridus, iuxta quod 25
regalem decuit dignitatem, clementer legato respondit placita sibi
placere populi Francorum, ab eorum concordia non discordare, pace
omnimodis indigere ; super negotio vero regni13 responsionem suam in
amicorum presentiam velle differre. Virumque honorifice tractans
fecit eum secum aliquamdiu manere. Audiens autem regina legatum 30

9 Beda Hiat. eccl. I 23. Das ganze Kapitel gibt sich als angehängter Auszug
aus Beda I 12-15 zu erkennen.
10 Widukind gestaltet in cap. 9-13 eine auch den Quedlinburger Annalen

(MG SS III 3 1 ) bekannte Sage, die als ,Iringlied' in die Literaturgeschichte ein·
gegangen ist (Hermann Schneider, German. Heldensage 2,2, Berlin 1934, 138).
Ioa
Gemeint ist Chlodwig, der 511 starb und vier Söhne hinterließ, deren
ältester in den Quedlinburger Annalen (MG SS III 3 1 ) heißt : Hugo Theodoricus
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Franken und Thüringer 29

Als aber ihre Heerführer sahen, wie das Land geräumig und fruchtbar
und wie die Hände der Einwohner zum Kriege faul, sie hingegen und der
größte Teil der Sachsen ohne feste Wohnsitze waren, ließen sie ein noch
größeres Heer nachkommen, schlossen mit Scoten und Pikten Frieden,
5 dann erhoben sie sich gemeinsam gegen die Briten, vertrieben diese aus

dem Lande und wiesen es ihrem Herrschaftsbereich zu. Und weil j ene
Insel gewissermaßen in einem Winkel des Meeres liegt, werden sie bis
auf den heutigen Tag Angelsachsen genannt. Wenn sich j emand über das
alles genauer unterrichten will, so lese er die Geschichte dieses Volkes 9
10 und er wird hier finden, wie und unter wessen Führung dies alles geschehen

ist und wie sie zum christlichen Glauben durch den heiligsten Mann seiner
Zeit, nämlich Papst Gregorius, gelangt sind . Wir aber wollen zu dem
angefangenen Gang durch die Geschichte zurückkehren.
9.1° Hiernach starb der Frankenkönig Hugo10a, der keinen anderen
15 Thronerben hinterließ außer einer Tochter namens Amalberga11, die mit

Irminfrid, dem König der Thüringer, vermählt war. Aber das Volk der
Franken, das von seinem Gebieter gütig und mild behandelt worden war,
wollte sich dankbar zeigen und salbte einen Sohn, den er mit einer Bei­
schläferin gezeugt hatte, namens Thiadrich12 zu seinem Könige . Als nun
20 Thiadrich zum Könige bestimmt worden war, schickte er eine Gesandt­

schaft zu Irminfrid um des Friedens und der Eintracht willen. Als der
Gesandte vor Irminfrid trat, sagte er : "Der Beste und Größte unter den
Sterblichen , mein Herr Thiadrich, hat mich zu dir entsandt ; er wünscht
dir Gesundheit und lange Herrschaft über dein weites und großes Reich
25 und läßt dir melden, er sei nicht dein Herr, sondern dein Freund, nicht

dein Gebieter, sondern dein Verwandter und wolle dir seine Pflichten als
Verwandter unverbrüchlich bis an sein Ende bewahren ; nur bittet er
dich, in die Eintracht des Frankenvolkes nicht Zwietracht zu bringen ;
denn sie folgen ihm als dem Könige, den sie sich gesetzt haben . " Hierauf
30 erwiderte Irminfrid, wie es der königlichen Würde entsprach, gnädig

dem Gesandten, er sei mit den Beschlüssen des Frankenvolkes einver­


standen ; er sei kein Gegner ihrer Eintracht ; er brauche unter allen Um­
ständen Frieden ; aber in betreff der Thronfolge 13 wolle er seine Antwort
bis zur Anwesenheit seiner Freunde verschieben . Und er behandelte den
35 Mann sehr ehrenvoll und veranlaßte ihn, eine Zeitlang bei ihm zu bleiben.

Als aber die Königin hörte, daß ein Gesandter ihres Bruders gekommen sei

( Hugdietrich) , quia olim omnes Franci Hugones vocabantur a suo quodam duce
Hngonc.
11 Amalberga war eine Nichte (oder Schwester ? ) des Ostgotenkönigs Theo­
dorich.
12 Theuderich, dessen uneheliche Geburt auch Gregor von Tours (II 28) er­

wähnt, folgt mit noch drei Brüdern auf seinen Vater.


Ia
Vgl . 2. Macc. 10, 1 1 : super negotia regni.
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30 Widukindi res gestae Saxonicae I 9 1 1/13

fratris superverrisse et locutum cum rege super negotio regni, suasit


Iringo, ut pariter persuadereut viro, quia sibi regnum cessisset iure
hereditario, utpote quae filia regis erat et filia reginae ; Thiadricum
vero suum servum tamquam ex concubina natum, et ideo indecens
fore proprio servo umquam manus dare. Erat autem lring vir audax, I 5
fortis manu, acer ingenio14, acutus consilio, pertinax in agendis rebus,
facilis ad suadendum quae vellet, hisque rebus animum sibi Irminfridi
connexerat. Convocatis principibus et necessariis amicis Irminfridus
verba legati in presentiam eorum contulit. At illi unanimiter suade­
baut, quae pacis atque concordiae sunt15, eum sentire, quia in- 10

petus Franeorum ferre non posset, maxime qui acrioribus hosti­


um armis ex alia parte premeretur. Iring vero votis lascivae
mulieris satisfaciens, suasit Irminfrido Fraucis cedere non debere,
super negotio regni iustiorem causam se habere, latum preterea
imperium, militum manus et arma ceterasque belli copias sibi ac 15

Thiadrico parum procedere. Secundum haec verba Irminfridus respon­


dit legato amicitiam quidem sui et propinquitatem Thiadrico non
negare, mirari tarnen satisa non posse, quomodo usurpare vellet prius
imperium quam libertatem ; servum natum, et quomodo sui quaereret
dominium ? proprio servo non posse manus dare. Legatus contra 20

haec satis commotus : 'Mallem', inquit, ' hoc caput meum tibi tradere
quam huiuscemodi verba a te audire, sciens ea multo sanguine Fran­
eorum atque Thuringorum diluenda' . Et haec dicens reversus est ad
Thiadricum ; quae audivit non celat. Thiadricus autem nimiam iram
vultu celans sereno : ' Oportet nos ' , inquit, 'ad servitium Irminfridi 25

festinare, quatinus, qui libertate privamur, inani saltem vita fruamur'.


Et cum gravi exercitu appropians terminis Thuringorum invenit
cum valida quoque manu generum16 suum se expectantem in loco qui
I
dicitur Runibergun17• Et commisso certarnirre pugnatum est ancipiti
bello una die et secunda. Tertia vero die victus Irminfridus cessit 30

Thiadrico et fugiens tandem se recepit cum reliquo comitatu in urbe


quae dicitur Scithingi, sita super :fluvium quod dicitur Unstrod.

8 satis ergänzt aus Frutolf, fehlt Hss. sowie Ausgabe Hirsch-Lohmann im Te xt ;


vgl . S. 42 Anm. a.

14 Verg. Aen. IX 592. Sall. Jug. 7.


1s Luc. 14,32 : quae pacis sunt.
16 Nicht selten wird mit gener auch der Gatte der Schwester bezeichnet.
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Herausforderung zum Kampf 31

und mit dem Könige über die Thronfolge gesprochen habe, gab sie dem
!ring den Rat, mit ihr zusammen ihren Gemahl davon zu überzeugen,
daß nach dem Erbrecht das Königreich ihr zugefallen sei, weil sie die
Tochter des Königs und die Tochter der Königin war ; daß Thiadrich
s hingegen als Sohn einer Beischläferin sein Knecht sei und daß es demnach

sich für ihn nicht zieme, dem eigenen Knechte je zu huldigen. Es war aber
!ring ein kühner Mann, ein tapferer Degen, von lebhaftem Geiste 14 und
scharfem Verstand, zäh im Handeln, leicht imstande, andern seinen Willen
einzureden, und hatte dadurch das Herz des Irminfrid gewonnen. Nach-
IO dem nun die Fürsten und engsten Freunde zusammengerufen waren.

legte ihnen Irminfrid die Worte des Gesandten vor. Aber j ene rieten ihm
einmütig, eine friedliche15 und einträchtige Gesinnung zu hegen ; denn er
sei den Angriffen der Franken nicht gewachsen, zumal er von einer anderen
Seite durch noch heftigere feindliche Angriffe bedrängt werde. !ring
15 aber, den Wünschen des übermütigen Weibes zu genügen, redete dem

Irminfrid ein, er dürfe den Franken nicht nachgeben, in betreff der Thron­
folge vertrete er die gerechtere Sache, dazu sei sein Reich weit und groß,
und was die Zahl der Krieger, die Waffen und übrigen Hilfsmittel zum
Kriege anbelange, so sei zwischen ihm und Thiadrich wenig Unterschied.
2 0 Diesen Worten gemäß antwortete Irminfri d dem Gesandten, er verweigere

zwar dem Thiadrich nicht seine Freundschaft und Verwandtschaft,


könne sich aber nicht genug wundern, wie er die Herrschaft noch vor der
Freiheit gewinnen wolle ; er sei als Knecht geboren, und wie wolle er
verlangen, ihm zu gebieten ? Seinem Knechte könne er die Huldigung
25 nicht leisten. Der Gesandte sagte hierauf tieferregt : "Lieber wollte ich

dir dieses mein Haupt überantworten, als derartige Worte von dir hören,
denn ich weiß , daß sie mit vielem Blute der Franken und Thüringer
werden gesühnt werden . " Nach diesen Worten kehrte er zurück zu
Thiadrich ; was er gehört, verhehlte er nicht. Thiadrich aber sprach,
3 0 während er seinen maßlosen Zorn unter einer heiteren Miene verbarg :

"Wir müssen eiligst unseren Dienst bei lrminfrid antreten, damit wir,
denen man die Freiheit nimmt, wenigstens das nackte Leben behalten. "
Als e r sich nun mit seinem gewaltigen Heere der Grenzmark der
Thüringer näherte, traf er, gleichfalls mit einem mächtigen Haufen,
3 5 seinen Schwager16, der ihn an einem Orte erwartete, namens Runi­

bergun17. Und als es zum Kampfe kam, stritt man ohne Entscheidung
einen Tag und den folgenden ; am dritten Tage floh Irminfrid besiegt vor
Thiadrich und zog sich auf der Flucht endlich mit dem Rest des Gefolges
in die Burg Scheidungen an der Unstrut zurück. Thiadrich aber ver-

17 Lage umstritten : in Betracht kommt Rannenberg südwestl. Hannover,

die Ronneberge bei Nebra an der Unstrut, etwa 15 Kilometer von Burgschei­
dungen, Ruhnsburg an der westlichen Hainleite. Die Schlacht fand wohl 531
statt.
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32 Widukindi res gestae Saxonicae I 9 13/15

Thiadricus autem congregatis ducibus ac militum principibus exercitus


sui, rogat sententiam, utrumnam censerent lrminfridum persequen­
dum, an patriam remeandum. Inter quos Waldricus18 consultus :
'Censeo' , inquit, 'causa caesos sepeliendi, vulneratos curandi, maiorem
exercitum congregandi patriam remeandum ; neque enim arbitror 5

multis milibus tuorum amissis suffleere nos posse ad peragendum


1
presens bell um. Si enim barbarae nationes1 9 innumerae in nos consur­
gant, multis nostrorum debilitatis, per quos vincis ? ' Erat autem
Thiadrico servus satis ingeniosus, cuius consilium expertus est saepius
probum, eique propterea quadam familiaritate coniunctus 20• Hic 10
rogatus sententiam dare : ' I n rebus' , inquit, 'honestis pulcherrimam
semper esse arbitror perseverantiam, quam ita coluerunt maiores nostri,
ut a ceptis negotiis raro vel numquam deficerent. Nec tarnen labores no­
stros eorum aequandos putaverim, qui parvis copiis ingentes gentium
copias superaverunt. Nunc terra in nostra est potestate, et discessione 15

nostra victis occasionem vincendi prestabimus ? Amplecterer et ipse


patriam redire, familiarem necessitudinem videre, si hostem nostrum
eo spatio scirem otio vacare. Sed vulnerati nostri forsitan hac re
indigent. Castrorum esto labor, inpigris animis, reor, pro maxima
voluptate est. Ergo caesa multitudine exercitus est vehementer 20
attenuatus 21• Hostesne omnes evaserunt ? certe rarissimus. Ipse
namque dux ut quaedam bestiola suo munitur latibulo, urbis cir­
cumdatur claustro, nec ipsum caelum secure audet inspicere, nostro
cogente timore. Sed non desunt ei pecuniae, quibus conducantur
nationes barbarae, non deest militum manus, licet lassa ; quae tarnen 25

omnia nostra absentia redintegrantur. Indecorum est victoribus victis


vincendi locum dare. Num singulis urbibus administranda sufficimus
I
presidia ? Et eas omnes perdimus, dum imus et redimus' .
Haec e o prosequente placuit Thiadrico omnibusque gloria victoriae
avidis manere in castris et mittere ad Saxones, qui iam olim erant JO

Thuringis acerrimi hostes, quatinus ei essent in auxilio : si quidem


vincerent Irminfridum urbemque caperent, terram eis in possessionem
aeternam traderet. Saxones nichil cunctati novem duces cum singulis
milibus militum destinare non dubitant. Et ingressi duces in castra,

18Name wohl aus der Heldensage.


19Entgegen dem sonstigen Sprachgebrauch meint Widukind hier nicht die
Slawen, sondern die Sachsen.
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Hilferuf an die Sachsen 33

sammelte seine Feldherren und die Hauptleute der Krieger seines Heeres
und bat sie um ihre Meinung, ob man Irminfrid verfolgen oder ins Vater­
land zurückkehren solle . Unter ihnen sprach Waldrich18, als er um seinen
Rat gefragt wurde : "Ich bin der Meinung, um die Gefallenen zu begraben,
5 die Verwundeten zu versorgen und ein größeres Heer zusammenzubringen,

soll man ins Vaterland zurückkehren ; denn ich glaube nicht, daß wir nach
dem Verlust vieler Tausende der Deinigen stark genug sein können, um
den gegenwärtigen Krieg zu beendigen. Denn wenn sich barbarische19
Völker ohne Zahl gegen uns erheben, durch wen willst du siegen, da so
1 0 viele der Unsrigen verwundet sind ? " Es hatte aber Thiadrich einen sehr

gescheiten Diener, dessen Rat er oft als brauchbar erfahren hatte und
mit dem er darum freundschaftlich verbunden war 20• Dieser, aufgefordert
seine Meinung abzugeben, sprach : "In ehrenvollen Angelegenheiten halte
ich immer für das Schönste die Beharrlichkeit, die unsere Vorfahren so
15 hochhielten, daß sie begonnene Unternehmungen selten oder nie auf­

gaben ; indes glaube ich nicht, daß man unsere Mühen den ihrigen gleich­
stellen darf, die mit geringen Kräften ungeheuere Heere anderer Völker
überwunden haben. Jetzt ist das Land in unserer Gewalt, wollen wir da
durch unseren Abzug den Besiegten Gelegenheit zu siegen geben ? Auch
20 ich würde es begrüßen, wenn ich ins Vaterland zurückkehren und den

Kreis meiner nächsten Freunde sehen könnte, wenn ich wüßte, daß unser
Gegner während dieser Zeit Ruhe hält. Aber vielleicht brauchen das
unsere Verwundeten ? Dann soll man sich um den Lagerdienst mühen ;
unverdrossenen Mutes, denke ich, ist dies das größte Vergnügen. Unser
zs Heer ist also, da so viele gefallen, bedeutend gelichtet21• Sind die Feinde

alle entkommen ? Sicher nur die wenigsten ; denn der Anführer selbst
vergräbt sich, wie sich ein schwaches Tierchen in seinem Versteck schützt,
hinter den Mauern der Burg und wagt nicht einmal, den Himmel ruhig
anzuschauen, so beherrscht ihn die Furcht vor uns ! Aber es fehlt ihm nicht
30 an Geld, barbarische Nationen anzuwerben, nicht an Mannschaften,

auch wenn sie j etzt erschöpft sind. Alles dies j edoch wird in unserer
Abwesenheit wieder ergänzt. Es ist unrühmlich, wenn Sieger den Be­
siegten Gelegenheit zum Siege geben . Sind wir etwa zahlreich genug, für
j ede Burg eine Besatzung zu stellen ? Und diese verlieren wir alle, wäh-
35 rend wir abziehen und zurückkehren."

Auf diese seine Ausführungen hin beschlossen Thiadrich und alle nach
Siegesruhm Begierigen, im Lager zu bleiben und zu den Sachsen, die
schon lange die heftigsten Feinde der Thüringer waren, zu schicken, daß
sie ihnen Hilfe leisten : wenn sie den lrminfrid besiegten und die Burg
40 einnähmen, so würde er ihnen das Land zu ewigem Besitze geben. Die
Sachsen schickten unverweilt und ohne langes Besinnen neun Heerführer,
j eden mit tausend Kriegern. Und als die Führer das Lager betraten, j eder
2° Cic. de off. I 17,55 : familiaritate coniuncti.
21 Vgl. Caes. bell. civ. III 89 : proeliis vehementer attenuata.
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34 Widukindi res gesta.e Saxonicae I 9 15/17

singuli cum centenis militibus reliqua multitudine extra castra


dimissa, salutant Thiadricum 22 verbis pacificis 22• Quod cum Thiadricus
hilarior suscepisset, dextris datis et acceptis, copiam viris fandi 23
concessit. At illi : 'Populus' , aiunt, 'Saxonum tibi devotus et tuis
parens imperiis misit nos ad te ; et ecce assumus parati ad omne s
quodcumque tibi voluntas suggesserit, parati, ut aut hostes tuos
vincamus aut, si fortuna aliud iusserit, pro te moriamur. Aliam enim
causam nullam Saxonibus esse scias, nisi vincere velle aut certe vivere
nolle. Neque enim gratiam maiorem amicis exhibere possumus, quam
ut pro eis mortem contempnamus. Et ut hoc experimento discas, 10

omnino desideramus' . Illis haec loquentibus mirati sunt Franci prestan­


tes corpore et animo viros, mirati sunt et novum habitum, arma
quoque et diffusos scapulas caesarie 24 et supra omnia ingentem animi
constantiam. Nam vestiti erant sagis 25 j et armati Iongis lanceis et
subnixi stabant parvis scutis, habentes ad renes cultellos magnos. 1s
Erant etiam qui dicerent tantis a c talibus amicis Francos non indigere ;
indomitum genus hominum fore, et si presentem terram inhabitarent,
eos procul dubio esse, qui Franeorum imperium quandoque destru­
erent. Thiadricus vero propriis utilitatibus consulens suscepit in fide
viros, demandans, ut ad obpugnandam urbem 26prepararentur. Illi a rege 20

regressi castra metati sunt ad meridianam plagam urbis in pratis


fluvio contiguis ; et postera die prima luce surgentes sumptis armis
obpugnant oppidum incenduntque. Capto oppido et incenso aciem
ordinant ex adverso portae orientalis 27• Clausi muris dum acies vident
ordinatas ac se in ultimis necessitatibus constitutos, audacter erum- 2s

punt portis caecoque furore irruunt in adversarios, et telis emissis


gladiis proinde res agitur. Cumque grave bellum oriretur, plures hinc,
plures inde sternuntur. Istis pro patria, pro uxoribus ac natis, postremoj
pro ipsa vita pugnantibus, Saxonibus vero pro gloria et pro terra
adquirenda certantibus, attollitur clamor virorum invicem exhortan- 30

tium, fragor armorum et gemitus morientium, talique spectaculo tota

22 1. Macc. 7,10.
23 Nach Verg. Aen. I 520. XI 248 data copia fandi.
2' Die Franken schoren das Haupthaar.
25 Im Gegensatz dazu ist Otto d. Gr. bei der Krönung tunica stricta more
Franeorum indutus (II 1 S. 86 Z. 19).
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Kampf bei Scheidungen 35

mit hundert Kriegern, während sie die übrige Menge außerhalb des
Lagers ließen, grüßten sie den Thiadrich mit friedlichen Worten 22•
Thiadrich nahm diese Begrüßung mit großer Freude entgegen, wechselte
den Handschlag mit ihnen und erteilte ihnen das Wort 23• Jene aber
s sprachen : "Das Volk der Sachsen, dir ergeben und gehorsam deinen Be­

fehlen, hat uns zu dir gesandt ; und siehe , wir sind da, bereit zu allem,
was dein Wille dir eingibt, bereit, entweder deine Feinde zu besiegen oder,
wenn es das Schicksal anders gebieten sollte, für dich zu sterben. Denn
wisse, für die Sachsen gibt es nichts anderes als siegen wollen oder im
1 0 andern Falle nicht weiterleben ; denn wir können ja unseren Freunden

keine größere Gunst erweisen, als daß wir für sie rlen Tod verachten ; und
daß du dies aus eigener Erfahrung kennenlernen mögest, ist unser heißer
Wunsch. " Als jene so sprachen, bewunderten die Franken die durch
Körperkraft und Mut hervorragenden Männer ; sie wunderten sich auch
IS über die ungewohnte Tracht, auch über ihre Bewaffnung unrl das über
die Schultern wallende Haar 24 und vor allem über die gewaltige Festig­
keit ihres Mutes. Sie waren nämlich bekleidet mit Umhängen 25 und bewehrt
mit langen Lanzen, standen gestützt auf kleine Schilde und hatten an
den Hüften lange Messer. Einige sagten auch, so viele derartige Freunde
20 brauchten die Franken nicht ; sie würden eine unzähmbare Art Menschen

sein, und wenn sie das Land hier bewohnten, so würden ohne Zweifel sie
es sein, die dereinst das Reich der Franken zerstörten. Thiadrich aber,
für seinen eigenen Nutzen sorgend, nahm die Männer als Verbündete auf
und befahl ihnen, sich zum Angriff auf die Burg 26 vorzubereiten. Als sie
2S vom König zurückkehrten , schlugen sie ihr Lager auf südlich der Burg auf
den Wiesen am Fluß ; und am folgenden Tage erhoben sie sich mit dem
ersten Morgenstrahl, griffen zu den Waffen, nahmen die Vorburg ein und
steckten sie in Brand. Nachdem sie die Vorburg genommen und ange­
zündet hatten, stellten sie sich rlem östlichen Tore gegenüber zur Schlacht
30 auf27• Als die in den Mauern Eingeschlossenen die Reihen geordnet und

sich selbst in der äußersten Not sahen, machten sie kühn aus den Toren
einen Ausfall, stürmten in blinder Wut auf ihre Gegner, und nach dem
Speerwurf ging der Kampf mit dem Schwerte weiter. Da sich nun eine
grimmige Schlacht entspann, wurden sehr viele auf beiden Seiten er-
3S schlagen. Während jene für das Vaterland, für Weib und Kind, endlich
für ihr Leben kämpften, die Sachsen aber für den Ruhm und um Land­
erwerb stritten, erhob sich das Geschrei der sich gegenseitig anfeuernden
Männer, das Geklirr der Waffen und das Stöhnen der Sterbenden, und
über solchem Schauspiel zog sich der ganze Tag hin. Indem nun überall

21Die sog. Burg auf der Ostseite des Langen Berges.


17Auf dem sog. Anger. - In den folgenden Sätzen mehrfach Anklänge an
SaH. Cat. 58-00.
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36 Widukindi res gestae Saxonicae I 9. 10. 1 7/18

dies illa trahitur. Cumque ubique fierent caedes, ubique ululatus, et


neuter agmen loco cessisset, iam tardior hora prelium diremit. Eo die
ex Thuringis multi interfecti, multi sauciati, de Saxonibus vero
numerati sunt sex milia caesa.
X. Mittitur igitur !ring ab Irminfrido cum supplici legatione et 5

omnibus suis thesauris ad Thiadricum pro pace ac spontanea deditione.


Et accedens !ring : 'Haec ' , ait, 'misit tibi quondam tuus propinquus,
modo servus, ut, si non sui miserearis, miserae saltem tuae sororis
miserearis, nepotum quoque tuorum in ultima necessitate constitu­
torum' . Dum haec lacrimans dixisset, interpellatio principum auro 10

corruptorum adiecit, quia decens foret clementiae regali, quo talem


supplicationem non sperneret, communium quoque naturae rerum non
oblivisceretur, utiliusque esse eum in fide suscipere, quem iam supera­
tum haberet tamque contritum, ut numquam se contra eum possit
levare, quam illud genus hominum indomabile et ad omnem laborem 15

perdurabile, a quo nichil expectaret Franeorum imperium nisi solum


periculum. In peracto quoque bello considerare posset, quam duri et
insuperabiles existerent Saxones, ideoque melius esse, ut susceptis
Thuringis pariter eos eicerent de finibus suis. His dictis, licet invitus,
flectitur tarnen Thiadricus promisitque postera die generum suum se 20

suscepturum Saxonesque abiecturum. His auditis !ring vestigiis


prosternitur regis, laudavitque sententiam clementiae imperialis, et j
misso ad dominum optato nuntio laetum eum omnemque urbem
securiorem reddidit ; mansitque ipse in castris, ne quid adversi nox
ipsa moliretur. Interea urbe ex pace promissa securiore reddita, egressus 25

est quidam cum accipitre victum quaeritans supra litus fluvii supra­
dicti. Emisso vero volucre, quidam ex Saxonibus in ulteriore ripa
ilico eum suscepit. Quo rogante, ut remitteretur, Saxo dare negavit.
Ille autem : 'Da ' , inquit, 'et secretum tibi sociisque utile prodam' .
Saxo econtra : 'Die, u t accipias quod quaeris' . 'Reges' , inquit, 'inter 30

se pace facta decretum tenent, si cras inveniamini in castris, capiamini


aut certe occidamini' . Ad haec ille : 'Serione haec an ludo ais ? 'Secunda
hora', ait, 'sequentis diei probabit, quia vos oporteat sine ludis agere.
Quapropter consulite vobis ipsis et fuga salutem quaerite' . Saxo
statim emittens accipitrem, sociis retulit quae audivit. Illi satis 35

commoti in promptu non inveniebant, quid super hoc agere de­


buissent.
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Des Frankenkönigs Wankelmut 37

das Morden wütete, überall Geschrei sich erhob und keines der beiden
Heere vom Pl atze wich, trennte erst der schon sinkende Tag den Kampf.
An diesem Tage wurden von den Thüringern viele getötet, viele ver­
wundet ; von den Sachsen aber zählte man sechstausend Gefallene .
s 10. Nun wurde Iring von Irminfrid mit demütig flehender Botschaft
und allen seinen Schätzen an Thiadrich gesandt um Frieden und freiwillige
Ergebung. Und Iring erschien und sprach : "Dieses hat dir dein ehe­
maliger Verwandter, nun dein Knecht, geschickt, damit du, falls du nicht
mit ihm Mitleid hast, dich wenigstens deiner unglücklichen Schwester
1 0 erbarmest und deiner Neffen, die sich in äußerster Not befinden. " Als er

dies unter Tränen vorgebracht hatte, fügte eine Fürbitte der mit Gold
bestochenen Häuptlinge noch hinzu : eines Königs Huld dürfe eine solche
Bitte nicht abweisen ; auch solle er nicht, was sie Gemeinsames hätten,
vergessen ; und es sei nützlicher, denj enigen zum Bundesgenossen zu
1 5 machen, welchen er bereits besiegt und so geschwächt habe, daß er sich

niemals gegen ihn empören könne, als jenes unbändige und j eder An­
strengung gewachsene Volk, von dem das Frankenreich nichts als Gefahr
erwarten dürfe . Schon aus dem bisherigen Verlauf des Kampfes könne er
erkennen, wie hart und unüberwindlich die Sachsen seien ; und es sei daher
20 besser, sich mit den Thüringern zu vereinigen und j ene gemeinsam aus ihrem

Gebiet zu vertreiben. Durch solche Reden ließ sich Thiadrich, obwohl mit
Widerstreben, umstimmen und versprach, am folgenden Tage seinen
Schwager in Gnaden anzunehmen und sich von den Sachsen zu trennen.
Sobald Iring dies vernommen, warf er sich dem Könige zu Füßen, lobte
25 den Ausspruch fürstlicher Huld, dann schickte er an seinen Herrn die

ersehnte Botschaft und machte dadurch diesen fröhlich und die ganze
Burg frei von Sorgen, doch blieb er selbst im Lager, damit nicht diese
Nacht eine schlimme Wendung bringe . Unterdessen ging aus der Burg,
welche sich durch die Verheißung des Friedens in Sicherheit glaubte, ein
30 Thüringer mit einem Falken heraus und suchte am Ufer des oben erwähn­

ten Flusses Nahrung. Als er aber den Vogel hatte steigen lassen, nahm ihn
einer von den Sachsen am j enseitigen Ufer alsbald in Empfang. Obgleich
j ener darum bat, ihm den Vogel herauszugeben, weigerte sieh der Sachse .
Jener aber sprach : "Gib ihn heraus, und ich will dir ein Geheimnis ver-
3 5 raten, welches dir und deinen Genossen von Nutzen sein wird . " Der Sachse

erwiderte : "Sprich, und du sollst erhalten, was du verlangst. " "Die


Könige, " fuhr j ener fort, "haben miteinander Frieden geschlossen und
festgesetzt, daß ihr, trifft man euch morgen im Lager, gefangen oder gar
niedergehauen werden sollt." "Sagst du das im Ernst oder im Scherz ? "
40 fragte hierauf der Sachse. "Die zweite Stunde des morgigen Tages," er­
widerte j ener, "wird beweisen, daß es euch gilt, Ernst zu zeigen. Deshalb
seid auf euere Rettung bedacht und sucht euer Heil in der Flucht. " Der
Sachse ließ sogleich den Falken los und meldete seinen Genossen, was er ge­
hört. Diese, tief erschüttert, wußten nicht sofort, was sie dazu sagen sollten .
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38 Widukindi res gestae Saxonicae I 1 1 1 8/19

XI. Erat autem tune in castris quidam de veteranis militibus iam


senior, sed viridi senectute adhuc vigens 28, qui merito bonarum virtu­
tum pater patrum 29 dicebatur, nomine Hathagat 30• Hic arripiens
signum, quod apud eos habebatur sacrum, leonis atque draconis et
desuper aquilae volantis insignitum effigie, quo ostentaret fortitudinis 5
atque prudentiae et earum rerum efficatiam, et motu corporis animi
constantiam declarans ait : 'Hucusque inter optimos Saxones vixi, et
ad hanc fere ultimam senectutem aetas me perduxit, et numquam i
Saxones meos fugere vidi ; et quomodo nunc cogor agere quod num­
quam didici ? Certare scio, fugere ignoro nec valeo. Si fata non sinunt 1 0
ultra vivere, liceat saltem, quod michi dulcissimum est, cum amicis
occumbere. Exempli michi paternae virtutis sunt amicorum corpora
circa nos prostrata, qui maluerunt mori quam vinci, inpigras animas
amittere quam coram inimicis loco cedere. Sed quid necesse habeo
exhortationem protrahere tantisper de contemptu mortis ? Ecce ad 1 5
securos ibimus, ad caedem tantum, non ad pugnam. Nam de promissa
pace ac nostro gravi vulnere nichil suspicantur adversi, hodierno
quoque prelio fatigati quemadmodum sunt, sine metu, sine vigiliis et
solita custodia manent. Irruamus igitur super inprovisos et somno
sepultos 31, parum laboris est ; sequimini me ducem, et hoc canum 20
caput meum vobis trado, si non evenerit quod dico'.
Illius igitur optimis verbis erecti quod supererat diei in reficiendis
suis corporibus expendebant ; deinde prima vigilia noctis dato signo,
qua solet sopor gravior occupare mortales, sumptis armis, precedente
duce irruunt super muros, invenientesque sine vigilii s ac custodiis , 25
ingressi sunt urbem cum clamore valido. Quo excitati adversarii,
alii fuga salutem quaesierunt, alii per plateas et muros urbis ut ebrii
erraverunt, alii in Saxones, cives suos putantes, inciderunt. Illi vero
omnes perfectae aetatis morti tradiderunt, inpuberes predae serva­
verunt. Eratque nox illa plena clamoribus, caede atque rapina, 30

nullu sque locus in omni urbe quietus, donec aurora rutilans surgit

28
Nach Verg. Aen. VI 304 : iam senior, sed eruda deo viridisque seneetWI.
28
Dieser Ausdruck im Sinne von ,Stammvater von Volk und Geschlecht'
ist wohl dem Heldenlied entnommen, vgl. ealdoran ealdor im Beowulflied.
30 Rudolf von Fulda Translatio S. Alexandri (s. S. 10 Z. 1 1) nennt einen

Sachsenherzog Hadugoto.
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Hathagat im Lager der Sachsen 39

1 1 . Es war aber damals im Lager ein ergrauter Krieger, schon hoch­


betagt, doch im Alter noch voll ungebrochener Kraft 28, der zum Lohn
für seine hervorragenden Taten Vater der Väter 29 genannt wurde ; sein
Name war Hathagat 30• Dieser ergriff ein Feldzeichen, das bei ihnen für
s heilig galt, mit dem Bilde eines Löwen und Drachen und darüber eines
fliegenden Adlers, um die Kraft der Tapferkeit und Klugheit und ähn­
licher Eigenschaften zu zeigen, und sprach, indem er durch die Art, wie
er seinen Körper bewegte, die Standhaftigkeit der Seele zu erkennen gab :
"Bis hierher habe ich unter meinen vortrefflichen Sachsen gelebt, bis
10 hierher, fast zum höchsten Greisenalter, hat mich mein Leben geführt,
aber niemals habe ich meine Sachsen fliehen sehen ; wie soll ich mich nun
zwingen lassen zu tun, was ich nie gelernt ? Ich weiß zu kämpfen, aber
zu fliehen verstehe ich und vermag ich nicht. Wenn mir das Geschick nicht
gestattet, länger zu leben, so sei mir wenigstens vergönnt, was mir am
1s liebsten ist, mit den Freunden zu fallen . Musterbeispiele der Tapferkeit

unserer Väter sind mir die rings um uns hingestreckten Leichen unserer
Freunde, die lieber sterben, als sich besiegen lassen wollten, lieber die
ungebeugte Seele aushauchen, als vor Feinden vom Platze weichen woll­
ten. Doch wozu habe ich es nötig, mit so viel Worten eine Aufforderung
20 zur Todesverachtung von mir zu geben ? Siehe, wir werden gegen Arglose
antreten, nur zum Töten, nicht zum Kämpfen. Denn wegen des ver­
heißenen Friedens und unserer schweren Verluste ahnen sie kein Unheil ;
noch bleiben sie, durch den heutigen Kampf ermüdet, wie sie sind, ohne
Besorgnis, ohne Wachen und die übliche Vorsicht. Stürzen wir uns also
2 5 auf die Ahnungslosen und Schlaftrunkenen 31 ; es macht nicht viel Mühe ;
folgt mir als Führer, und dies mein graues Haupt überantworte ich euch,
wenn, was ich sage, nicht eintrifft. "
Ermutigt durch seine vortrefflichen Worte, verwandten sie nun den
Rest des Tages darauf, sich auszuruhen. Darauf griffen sie in der ersten
30 Nachtwache, wo der festeste Schlaf sich der Menschen zu bemächtigen
pflegt, auf ein gegebenes Zeichen zu den Waffen, stürmten, dem Führer
folgend, gegen die Mauern und drangen, als sie diese ohne Posten und
Wachen fanden, in die Burg ein mit gewaltigem Geschrei. Dadurch auf­
geschreckt, suchten ihre Gegner teils in der Flucht ihr Heil, teils irrten sie
35 umher in den Straßen und auf den Mauern der Burg wie Trunkene ; andere

fielen den Sachsen, die sie für ihre Mitbürger hielten, in die Hände. Diese
aber überlieferten alle Erwachsenen dem Tode ; die noch nicht Erwach­
senen sparten sie für die Beute auf. Und es war j ene Nacht erfüllt von
Geschrei, Mord und Plünderung und kein Ort ruhig in der ganzen Burg,

31 Verg. Aen. II 265 somrw vinoque sepultam. III 630 vinoque sepultas. Vgl .
unten II 20 (S. 106 Z. 2 1 ) .
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40 Widukindi res gestae Saxonicae I 1 1-13 19/22

et incruentam declarat victoriam 32• Cumque penes regem, videlicet j


Irminfridum , summa victoria esset, requisitus cum uxore ac filiis ac
raro comitatu evasisse repertus est.
XII. Mane autem facto ad orientalem portam33 ponunt aquilam,
aramque victoriae construentes secundum errorem paternum sacra 5

sua propria veneratione venerati sunt : nomine Martern, effigie colump­


narum imitantes Herculem, loco Solem, quem Graeci appellant
Apollinem. Ex hoc apparet aestimationem illorum utcumque proba­
I
bilem, qui Saxones originem duxisse putant de Graecis, quia Hirmin
vel Hermis Graece Mars dicitur ; quo vocabulo ad laudem vel ad 10

vituperationem usque hodie etiam ignorantes utimur 34• Per triduum


igitur dies victoriae agentes et spolia hostium dividentes exequiasque
caesorum celebrantes laudibus ducem in caelum attollunt, divinum
ei animum inesse caelestemque virtutem acclamantes, qui sua
constantia tantam eos egerit perficere victoriam. Acta sunt autem 15

haec omnia, ut maiorum memoria prodit, die Kal. Octobris, qui


dies erroris religiosorum sanctione virorum mutati sunt in ieiunia
et orationes, oblationes quoque omnium nos precedentium Christia­
norum. j
XIII. His itaque omnibus peractis reversi sunt ad Thiadricum in 20

castra, et ab eo suscepti satisque laudati et terra presenti in aeternam


possessionem donati sunt. Socii quoque Franeorum et amici appellati
urbem, cui ab igne ut propriis moeniis pepercere, primum incoluerunt.
Qui autem finis reges secutus sit, quia memorabilis fama est, prodere
non negligo. Missus denique Iring ad Thiadricum eo die, quo capta 25

est civitas, proxima nocte susceptus ab eo permansit in castris. Audito


autem, quia elapsus esset Irminfridus, egit, ut dolo revocaretur et
Iring eum interficeret, tamquam claris muneribus ab ipso donandus ac
magna potestate in regno honorandus ; ipse vero Thiadricus caedis
illius quasi alienus existeret. Quod cum Iring aegre suscepisset, falsis JO

promissionibus corruptus tandem cessit seque parere voluntati illius


confessus est. Revocatus itaque Irminfridus prosternitur vestigiis
Thiadrici ; Iring vero tamquam armiger regalis stans secus evaginato
gladio prostratum dominum trucidavit. Statimque ad eum rex : ' Tali

82 Sall. Cat. 61 : incruentam victoriam.


88 Am Ostausgang des Ortes, wahrscheinlich bei der Kirche.
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Sieg der Sachsen 41

bis die rosige Morgenröte emporstieg und den unblutigen Sieg 32 enthüllte.
Da aber die Ergreifung der Person des Königs, nämlich Irminfrids, die
Krönung des Sieges bedeutet hätte, suchte man nach ihm, fand aber,
daß er mit Gemahlin und Kindern und einem kleinen Gefolge ent-
s kommen war.
1 2 . Als es nun Morgen geworden war, brachten sie ihren Adler an das
östliche Tor 33, errichteten der Siegesgöttin einen Altar und verehrten
gemäß der Irrlehre der Väter in der ihnen eigentümlichen Art der Gottes­
verehrung ihr Heiligtum, welches dem Namen nach den Mars vorstellt,
10 dem Bilde nach, die Säulen nachahmend, den Herkules, dem Orte nach
die Sonne, die die Griechen Apollo nennen. Daraus erhellt, daß die Mei­
nung derj enigen irgendwie Billigung verdient, welche die Sachsen für
Nachkommen der Griechen halten, weil Mars von uns Hirmin oder Her­
mes im Griechischen genannt wird, ein Wort, welches wir unbewußt im
IS lobenden und tadelnden Sinne noch heutigentags anwenden 34• Hierauf
hielten sie drei Tage hindurch ihre Siegesfeier, verteilten die Beute, er­
wiesen den Gefallenen die kriegerischen Ehren und priesen ihren Führer
über alle Maßen ; ihm, riefen sie, müsse ein göttlicher Geist und über­
menschliche Tapferkeit innewohnen, da er sie durch seine Standhaftigkeit
20 dahin gebracht habe, einen so herrlichen Sieg zu erringen. Es ist aber das
alles geschehen, wie die Ü berlieferung unserer Vorfahren berichtet, am
1. Oktober, und es ist dieses Fest des Wahnes auf Geheiß gottesfürchtiger
Männer verwandelt in Fasten und Gebete und in Opfergaben für alle vor
uns dahingeschiedenen Christen .
1S 1 3 . Dann kehrten sie, nachdem sie dies alles vollbracht hatten, zurück
ins Lager zu Thiadrich und wurden von ihm empfangen und höchlichst
belobt und mit diesem Lande beschenkt zu ewigem Besitz . Auch nannte
man sie nun Bundesgenossen und Freunde der Franken, und sie bewohnten
die Burg, welche sie als ihren eigenen Wohnsitz mit Feuer verschont
30 hatten, zum ersten Male. Welches Ende aber den Königen beschieden war,
will ich, als eine merkwürdige Sage, nicht versäumen zu erzählen. Iring
nämlich, der an dem Tage, da die Burg genommen war, zu Thiadrich
geschickt wurde, blieb während der nächsten Nacht als Gast im Lager.
Als aber Thiadrich gehört hatte, daß Irminfrid entkommen sei, suchte
3S er ihn durch List zurückzurufen und durch Iring töten zu lassen, da dieser
mit herrlichen Gaben von ihm beschenkt und mit großer Macht im Reiche
betraut werden, Thiadrich selbst aber als unbeteiligt an dieser Mordtat
erscheinen sollte . Nur ungerne unterzog sich Iring diesem Auftrag ; end­
lich, durch trügerische Verheißungen bestochen, gab er nach und erklärte
40 sich bereit, ihm zu willfahren. Irminfrid wurde demnach zurückgerufen
und warf sich dem Thiadrich zu Füßen ; Iring aber, der als Waffenträger
des Königs mit entblößtem Schwerte danebenstand, tötete seinen knienden

84 Die Übersetzung nach K. A. Kehr (1903) .


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42 Widukindi res gestae Saxonicae 13. 14 22/25

facinore omnibus mortalibus odiosus factus, dominum tuum inter­


ficiendo, viam habeto apertarn a nobis discedendi ; sortem vel partem
tuae nequitiae nolumus habere ' . 'Merito', inquit Iring, 'odiosus
I
omnibus mortalibus faetus sum, quia tuis parui dolis ; antequam ta­
rnen exeam, purgabo hoe seelus meum vindieando dominum meum' . 5

Et ut evaginato gladio stetit, ipsum quoque Thiadrieum obtruncavit,


sumensque eorpus domini posuit super eadaver Thiadriei, ut vineeret
saltem mortuus, qui vineebatur vivus. Viamque ferro faeiens diseessit.
Si qua fides his dietis adhibea tur, penes leetorem est. Mirari tarnen satisa
non possumus in tauturn famam prevaluisse, ut Iringis nomine, quem 10

ita voeitant, laeteus eaeli eirculus usque i n presens sit notatus.


XIIII . Saxones igitur possessa terra summa pace quieverunt, so­
cietate Franeorum atque amieitia usi. Parte quoque agrorum eum
amieis auxiliariis vel manumissis distributa, reliquias pulsae gentis
tributis eondempnaverunt. Unde usque hodie gens Saxoniea triformi 15

genere a e lege preter eonditionem servilem dividitur. A tribus etiam


prineipibus totins gentis dueatus administrabatur, eertis terminis
exercitus congregandi potestate contenti, quos suis locis ae vocabulis
novimus signatos, in orientales scilicet populos, Angarios atque West­ I
falos. Si autem universale bellum ingruerit 35, sorte eligitur, eui omnes 20

obedire oportuit, ad administrandum inminens bellum. Quo peraeto,


aequo iure ac lege propria eontentus potestate unusquisque vivebat.
De legum vero varietate nostrum non est in hoe libello disserere, cum
apud plures inveniatur lex Saxonica diligenter deseripta. Suavi vero
Transbadani illam quam ineolunt regionem eo tempore invaserunt, 25

quo Saxones eum Longobardis Italiam adierunt, ut eorum narrat


historia 36, et ideo aliis legibus quam Saxones utuntur. Igitur Saxones
I
variam fidem Franeorum experti, de quibus nobis non est dicendum,
eum in eorum gestis 37 inveniatur seriptum, paterno errore obligati
usque ad tempora Karoli Magni perdurabant. Jo

a satis ergänzt aus Frutolf (wie S. 30 Anm. a) .


35 Nach Exod. 1,10 : si ingruerit contra nos bellum. Zur Sache vgl. Beda Hiat.

eccl. V 10. Lintzel, Sachsen und Anhalt 3, 1927, 39 f. 5, 1929, 6. 1 1 .35.37. 6, 1930,
5 ff.
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Gliederung des Sachsenvolks 43

Herrn. Sogleich rief ihm der König zu : "Da du durch solchen Frevel,
den Mord an deinem Herrn, allen Menschen verhaßt geworden bist, sollst
du freien Weg haben, von uns hinwegzugehen ; an deiner Freveltat wollen
wir weder Schuld noch Anteil haben. " "Mit Recht", erwiderte Iring, "bin
5 ich allen Menschen verhaßt geworden, weil ich deiner Arglist gedient

habe ; bevor ich j edoch von danneu gehe, will ich dieses mein Verbrechen
sühnen, dadurch, daß ich meinen Herrn räche. " Und wie er mit ent­
blößtem Schwert da stand, hieb er auch den Thiadrich selbst nieder,
nahm die Leiche seines Herrn und legte sie über die des Thiadrich, damit
1 0 der wenigstens im Tode siegte, welcher im Leben unterlegen. Und mit

dem Schwerte sich den Weg bahnend, ging er von dannen. Ob diese
Erzählung Glauben findet, liegt beim Leser. Doch können wir uns nicht
genug wundern, daß die Sage solche Bedeutung gewonnen hat, daß mit
!rings Namen die sogenannte Milchstraße am Himmel noch heutigentags
tS bezeichnet wird.
1 4 . Nachdem die Sachsen nunmehr Besitz von dem Lande genommen
hatten, lebten sie im tiefsten Frieden als Bundesgenossen und Freunde
der Franken. Auch teilten sie einen Teil ihrer Ländereien mit ihren
Freunden, die ihnen zu Hilfe gekommen waren, und mit Freigelassenen ;
20 die Reste des geschlagenen Volkes aber verurteilten sie zur Zinspflicht.

Daher wird bis auf den heutigen Tag das sächsische Volk, abgesehen von
den Knechten, nach Abstammung und Gesetz in drei Teile geteilt. Auch
wurde das Herzogtum über das ganze Volk von drei Fürsten verwaltet,
die sich damit begnügten, den Heerbann innerhalb bestimmter Grenzen
25 einzuberufen ; und wir wissen, daß sie nach ihren Wohnorten und Namen
bezeichnet wurden, nämlich als Ostfalen, Engern und Westfalen. Wenn
aber ein allgemeiner Krieg ausbrach 35, wurde einer durch das Los gewählt,
dem alle gehorchen mußten, um den bevorstehenden Krieg zu leiten. War
dieser beendet, dann lebte j eder nach gleichem Recht und Gesetz, zu-
30 frieden mit seiner eigenen Macht.
Ü ber die Verschiedenheit der Gesetze
in diesem Büchlein zu handeln, ist nicht unsere Absicht, da man das
sächsische Gesetz sorgfältig aufgeschrieben bei sehr vielen findet. Die
Sueben j enseits der Bode haben die Gegend, welche sie bewohnen, zu der
Zeit besetzt, da die Sachsen mit den Langobarden nach Italien zogen,
3 5 wie ihre Geschichte erzählt36, und haben darum andere Gesetze als die

Sachsen. Nachdem also die Sachsen die Treulosigkeit der Franken - von
denen wir nicht zu reden brauchen, da man es in ihrer Geschichte 37 auf­
geschrieben findet - erfahren hatten, verharrten sie in der Irrlehre ihrer
Väter bis zu den Zeiten Karls des Großen.

36 Paul. Diac. Rist. Lang. II 6 (MG SS. rer. Lang. S. 75,25). Auch von den

Sueven ging ein Teil nach Italien.


17 Vielleicht eine Zusammenstellung von Einhards Vita Caroli mit den sog.

Annales Einhardi, die auch dem Poeta Saxo bekannt war.


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44 Widukindi res gestae Saxonicae 1 5-17 25/27

XV. Magnus vero Karolus cum esset regum fortissimus, non minori
sapientia vigilabat. Enimvero considerabat, quia suis temporibus omni
mortali prudentior erat, finitimam gentem nobilemque vano errore
retineri non oportere ; modis omnibus satagebat, quatinus ad veram
viam duceretur. Et nunc blanda suasione, nunc bellorum inpetu ad id s
cogebat, tandemque tricesimo imperii sui 38 anno obtinuit - imperator
quippe ex rege creatus est - , quod multis temporibus elaborando non
defecit : ob id qui olim socii et amici erant Francorum, iam fratres et
quasi una gens ex Christiana fide, veluti modo videmus, facta est 39•
XVI. Ultimus vero Karolorum apud orientales Francos imperan- 10

tium Hluthowicus ex Arnulfo fratruele Karoli, huius Lotharii regis


J
proavi 40 , natus erat. Qui 41 cum accepisset uxorem nomine Liudgar­
dam, sororem Brunonis ac magni ducis Oddonis, non multis post
haec vixerat annis. Horum pater erat Liudulfus, qui Romam profectus
transtulit reliquias beati lnnocentii papae. Ex quibus Brun cum 15

ducaturn administrasset totius Saxoniae, duxit exercitum contra


Danos, et inundatione repentina circumfusus non habens locum pug­
nandi periit cum omni exercitu, fratri natu quidem minori, sed omni
virtute multo potiori relinquens dueatum. Regi autem Hluthowieo
non erat filius, omnisque populus Franeorum atque Saxonum quaere- 20

J
bat Oddoni diadema inponere regni. lpse vero quasi iam gravior
reeusabat imperii onus ; eius tarnen eonsultu Cuonradus quondam dux
Franeorum ungitur in regem. Penes Oddonem tarnen summum semper
et ubique fiebat imperium.
XVII. Natus est autem ei filius toto mundo neeessarius, regum 25
maximus optimus, Heinrieus, qui primus libera potestate regnavit in
Saxonia. Qui eum primaeva aetate omni genere virtutum vitam suam
ornaret, de die in diem profieiebat precellenti prudentia et omnium
bonorum aetuum gloria ; nam maximum ei ab adoleseentia studium
erat in glorifieando gentem suam et pacem confirmando 42 in omni 30

potestate sua 42• Pater autem videns prudentiam adoleseentis et


consilii magnitudinem reliquit ei exereitum et militiam adversus

38 Im 35. Jahr seines Königtums, das dem 30. Jahr des Kriegs entsprach.
89 Der Gedanke schon bei Einhard Vita Caroli 7 und dem Poeta Saxo 4,
1 1 1-1 1 3 (MG PL IV 1 ,48) : (Saxones) hoc sunt postremo sociati foedere Francis,
ut gens et populus fieret concorditer unus. Ü ber Widukinds Verhältnis zum
Poeta Saxo vgl. Lintzel NA 49, 1932, 183-188.
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Die Zeit der Karolinger 45

15. Der große Karl aber, der alle Könige an Tapferkeit übertraf, zeich­
nete sich nicht minder durch Weisheit aus. Denn er erwog, da er zu seiner
Zeit seinesgleichen an Klugheit nicht hatte, daß sein edles Nachbarvolk
im eitlen Irrglauben nicht dürfe befangen bleiben, und bemühte sich auf
s alle Weise, es auf den wahren Weg zu führen. Teils durch sanfte Über­
redung, teils durch kriegerische Gewalt zwang er es dazu und erreichte
endlich im dreißigsten Jahre seines Kaisertums 38 - zum Kaiser wurde er,
nachdem er zuvor König gewesen war, erwählt - das Ziel, das er so lange
unablässig im Auge gehabt hatte ; dadurch wurden die, welche einst
1 0 Bundesgenossen und Freunde der Franken waren, nun Brüder, wie wir

j etzt sehen, und gleichsam ein Volk durch den christlichen Glauben 39•
1 6 . Der letzte der Karolinger aber, die in Ostfranken herrschten, war
Ludwig, der Sohn des Arnulf, eines Brudersohnes Karls, des Urgroß­
vaters des j etzt regierenden Königs Lothar 40• Dieser 41 lebte nur we-
1 5 nige Jahre, nachdem er sich vermählt hatte mit Liudgard, einer
Schwester Bruns und des mächtigen Herzogs Otto . Der Vater dieser
beiden war Liudolf, der nach Rom reiste und die Reliquien des seligen
Papstes Innozenz herüberbrachte . Von diesen führte Brun, während
er als Herzog über ganz Sachsen schaltete, ein Heer gegen die Dänen
20 und kam, von einer plötzlichen Überschwemmung eingeschlossen, ohne

zum Kampfe zu kommen, mit dem ganzen Heere um ; das Herzogtum


hinterließ er seinem Bruder, der zwar von Geburt j ünger, aber in j eglicher
Tugend ihm weit überlegen war. König Ludwig aber hatte keinen Sohn,
und das ganze Volk der Franken und Sachsen wünschte, dem Otto die
25 königliche Krone aufzusetzen. Dieser aber lehnte, als schon zu betagt, die
Bürde des Reiches ab ; auf seinen Rat j edoch wurde Konrad, bisher
Herzog von Franken, zum König gesalbt ; auf Ottos Seite aber wurde
immer und aller Orten das getan, was den Besitz der höchsten Gewalt
kennzeichnet.
30 1 7 . Es wurde ihm ein Sohn geboren, wie ihn die ganze Welt brauchte,
der größte und beste unter den Königen, Heinrich, welcher als erster
unabhängig in Sachsen geherrscht hat. Dieser war schon in frühem Alter
mit j eglicher Tugend begabt und nahm von Tag zu Tag zu an hervor­
ragender Weisheit und an Ruhm aller guten Taten ; denn von Jugend
3 5 auf war sein größter Eifer darauf gerichtet, sein Volk berühmt zu machen

und den Frieden zu befestigen mit aller seiner Macht 42. Als sein Vater aber
des Jünglings Weisheit und gewaltige Klugheit sah, überließ er ihm die

40 Der westfränkische König Lothar (954-986) hatte Kar! II. (den Kahlen)
zum Ururgroßvater, den Widukind mit Kar! 111. (dem Dicken) verwechselt.
41 Liutgard heiratete 869 Ludwig den Jüngeren, den 882 verstorbenen Sohn
Ludwigs des Deutschen, während Ludwig das Kind unverheiratet gestorben ist.
42 2. Kön. 20,13.
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46 Widukindi res gestae Saxonicae 17-19 27/29

Dalarnantiarn 43, contra quos diu ipse militavit. Dalarnanci vero [


inpeturn illius ferre non valentes conduxerunt adversus eurn Avares,
quos modo Ungarios vocarnus, gentem belli asperrimarn.
XVIII. Avares autem, ut quidam putant, reliquiae erant Hunorum.
Huni egressi sunt de Gothis, Gothi autem de insula, ut Iordanis 5
narrat 44, nomine Sulza egressi sunt. A proprio autem duce nornine
Gotha Gothi appellati sunt. Corarn quo cum quaedarn rnulieres in
exercitu suo rerurn veneficarum arguerentur, requisitae sunt et
inventae culpabiles. Quarum cum esset rnultitudo, a rnerita quidem
poena abstinuit, ab exercitu tarnen ornnes eiecit. Eiectae autem silvam 10

proxirnarn petierunt. Quae curn rnari cingeretur e t Meoticis paludibus,


inde exeundi aditus non patebat. Pregnantes autem iam quaedam ex
illis ibidem parturn ediderunt. A quibus cum alii atque alii nascerentur,
facta est gens valida ; ferarumque rnore viventes, inculti et indomiti,
facti sunt venatores acerrimi. Post rnulta vero saecula, curn aliam 15
rnundi partern illic commorantes penitus ignorarent, contigit cervam
venatu inveniri eamque persequi, donec ipsa precedente ornnibus
retro rnortalibus intransrneabilern hactenus viam per Meoticas paludes [
transmearent ; ibique urbes et oppida et invisum antea genus horninum
videntes, eadern via reversi sunt, sociis talia referentes. Illi autem 20

curiositatis causa cum rnultitudine perrexerunt audita probare.


Finitimae autern urbes et oppida curn ignotarn multitudinem et
corpora cultu habituque horrenda vidissent, daemonia esse credentes
fugiebant. Illi vero ad novas rerum facies stupentes admirati, primum
quidem a caede atque rapina abstinuerunt, sed nemine resistente 2s

humana tacti cupidine, multa caede hominum facta, nulli rei proinde
parcebant. Et capta preda magna ad sedes suas reversi sunt. Videntes
autem, quia res eis secus cederent, curn uxoribus ac filiis et omni
agresti suppellectili iterum venientes et finitimas gentes circumquaque
vastantes, Pannoniam postremo inhabitare coeperunt. 30

XVIIII. Victi autem a Magno Karolo et trans Danubium pulsi


ac ingenti vallo circumclusi 45, prohibiti sunt a consueta gentium

ta Der Gau Dalminzi entspricht der Gegend um Meißen beiderseits der Eibe

und erstreckte sich auf dem linken Ufer bis zur Chemnitz.
" Jordanis Getica c. 3 f. (MG AA V 1 ,57 ff.), wo die Insel Scandza (Scandzia)
heißt ; auch das folgende ebendaher c. 24 (a. a. 0. 89 ff.) gekürzt. Wegen der
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Vorgeschichte der Ungarn 47

Führung eines Heeres und den Feldzug gegen die Daleminzier 43, mit denen
er selbst lange kämpfen mußte. Die Daleminzier aber konnten seinem
Angriff nicht widerstehen und holten gegen ihn die Awaren, j etzt Ungarn
genannt, ein wildes, kriegerisches Volk.
5 18. Die Awaren aber waren, wie einige glauben, ein Rest der Hunnen.
Die Hunnen sind von den Goten ausgegangen, die Goten aber, wie Jor­
danis 44 erzählt, von einer Insel namens Sulza. Nach ihrem Herzog namens
Gotha aber sind sie Goten genannt worden . Als vor diesem einige Weiber
in seinem Heere der Giftmischerei beschuldigt wurden, wurden sie verhört
1 0 und schuldig befunden . Da ihrer aber viele waren, verzichtete er auf die

verdiente Strafe, wies sie aber alle aus dem Heere. Die Verwiesenen aber
zogen in den nächsten Wald . Da dieser vom Meere und den mäotischen
Sümpfen umschlossen war, gab es keine Möglichkeit, aus ihm heraus­
zukommen. Einige von ihnen, die schon schwanger waren, kamen hier
15 nieder. Indem von ihren Kindern immer wieder andere erzeugt wurden,

entstand ein mächtiges Volk . Sie lebten wie die wilden Tiere, ungebildet
und unbändig, und wurden eifrige Jäger. Nach vielen Jahrhunderten aber,
als sie immer noch hier wohnten und keinen anderen Teil der Welt
kannten, geschah es, daß sie eine Hirschkuh auf der Jagd trafen und ver-
20 folgten, bis sie ihr nachsetzend den von allen vorherigen Menschen nie
begangenen Weg durch die mäotischen Sümpfe zurücklegten ; und als sie
hier Burgen und Flecken und ei ne bisher nie gesehene Art von Menschen
erblickten, kehrten sie auf demselben Wege zurück und berichteten
solches ihren Genossen. Diese aber brachen aus Neugier in Menge auf,
2 5 das Gehörte zu prüfen. Als die Bewohner der B urgen und Flecken an

der Grenze die unbekannte Schar und ihr Äußeres, furchtbar durch
Kleidung und Gestalt, erblickten, flohen sie in der Meinung, es seien böse
Geister. Jene aber waren vor Staunen über die neuen Erscheinungen
ganz außer sich und enthielten sich anfangs des Mordes und Raubes ;
30 als aber niemand Widerstand leistete, wurden sie von der den Menschen
eigenen Gier ergriffen, richteten ein furchtbares Blutbad unter den Men­
schen an und schonten fortan nichts. Und nachdem sie reiche Beute ge­
macht hatten, kehrten sie zu ihren Wohnsitzen zurück. Da sie nun sahen,
daß es ihnen besser ging, kamen sie wieder mit Weib und Kind und ihrem
35 ganzen bäurischen Gerät, suchten ringsumher die Nachbarvölker heim
und begannen endlich in Pannonien zu wohnen.
19. Als sie aber von Karl dem Großen besiegt, über die Donau getrieben
und hinter einem ungeheuren Walle eingeschlossen wurden 46, mußten sie

Aufnahme dieses Exkurses über die Ungarn-Awaren entschuldigt sich Widukind


im Schlußsatz von c. 19.
4 5 Im 10. Jahrhundert herrschte die Meinung, Karl d. Gr. habe die Awaren in

einem großen Ringwall eingeschlossen, so z. B. auch Liudprand Antap. I 5


mit Anm. 12, ebenso I 13.
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48 Widukindi res gestae Saxonicae I 19-22 29/31

depopulatione. lmperante autem Arnulfo destructum est opus, et via


eis nocendi patefacta, eo quod iratus esset imperator Centupulcho regi
Marorum. Deinde quantam stragem quantamque iniuriam imperio
Franeorum fecerint, urbes ac regiones adhuc desolatae testantur.
Haec ideo de hac gente dicere arbitrati sumus, ut possit tua claritas 5

agnoscere, cum qualibus avo tuo patrique certandum fuerit, vel a


quibus hostibus per eorum providentiae virtutem et armorum insignia
tota iam fere Europa liberata sit.
XX. Predictus igitur exercitus Ungariorum a Seiavis conductus,
multa strage in Saxonia facta et infinita capta preda, Dalamantiam 10

J
reversi obvium invenerunt alium exer- citum Ungariorum ; qui com­
minati sunt bellum inferre amicis eorum, eo quod auxilia eorum
sprevissent, dum illos ad tantam predam duxissent. Unde factum est,
ut secundo vastaretur Saxonia ab Ungariis, et priori exercitu in
Dalamantia secundum expectante, ipsa quoque in tantam penuriae 15
miseriam ducta sit, ut aliis nationibus eo anno relicto proprio solo pro
annona servirent.
XXI. Igitur patre patriae et magno duce Oddone defuncto, illustri
et magnifico filio Heinrico totins Saxoniae reliquit ducatum. Cum
autem ei essent et alii filii, Thancmarus et Liudulfus, ante patrem suum 20

obierunt. Rex autem Cuonradus cum saepe expertus esset virtutem


novi ducis, veritus est ei tradere omnem potestatem patris. Quo
factum est, ut indignationem incurreret totins exercitus Saxonici ;
ficte tarnen pro laude et gloria optimi ducis plura locutus promisit se
maiora sibi daturum et honore magno glorificaturum. Saxones vero 20

huiuscemodi simulationibus non adtendebant, sed suadebant duci


suo, ut, si honore paterno eum nollet sponte honorare, regi invito quae
vellet obtinere passet. Rex autem videns vultum Saxonum erga se
solito austeriorem, nec posse publico bello eorum ducem conterere,
subpeditante illi fortium militum manu, exercitus quoque innumera 30

multitudine, egit, ut quoquo modo interficeretur dolo 46 ;


XXII. ad hocque negotium habens, ut fertur, maxime idoneum J
Mogonciacae sedis episcopum nomine Hathonem. Hic obscuro genere

' 8 Das folgende Kapitel geht in der zuerst gebotenen Form (Klasse B) auf die

erste Niederschrift Widukinds zurück, der auch Thietmar, Sigebert, Frutolf


und der Annalista Saxo folgen. Die für die Kaisertochter bestimmte Fassung (A)
folgt S. 52. Vgl. auch Erdmann, Sachsen und Anhalt 1 7/18, 1943, 48ft'.
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Herzog Heinrich von Sachsen 49

die gewohnten Raubzüge zu den Völkern aufgeben. Unter der Herrschaft


Arnulfs aber wurde das Werk zerstört und ihnen so der Weg, Schaden
anzurichten, geöffnet, weil der Kaiser dem Swatopluk, dem Könige der
Mährer, grollte . Weiche Verheerung und welchen Schaden sie dann dem
5 Reiche der Franken angetan, davon geben die noch verödeten Burgen

und Landschaften Zeugnis. Solches aber hielten wir für angemessen über
dieses Volk zu berichten, damit deine Hoheit erkennen kann, mit was für
einer Art von Menschen dein Großvater und dein Vater haben streiten
müssen oder vielmehr von welchen Feinden durch ihre umsichtige Tapfer-
to keit und ihre ruhmvollen Waffen nun beinahe ganz Europa befreit worden

ist.
20. Das erwähnte Heer der Ungarn also richtete, gedungen von den
Slawen, eine große Verheerung in Sachsen an und kehrte mit unermeß­
licher Beute beladen nach Daleminzien zurück, wo sie auf ein anderes
1 5 Heer von Ungarn stießen, die ihre Freunde, die Daleminzier, mit Krieg

zu überziehen drohten, weil sie ihre Hilfe verschmäht, j ene aber zu großer
Beute geführt hätten. So geschah es, daß Sachsen zum zweiten Male von
Ungarn verheert wurde, und während das erste Heer das zweite in Dale­
minzien erwartete, wurde dieses Land ebenfalls in das Elend einer solchen
20 Hungersnot gebracht, daß sie in diesem Jahre den eigenen Boden ver­

ließen und anderen Völkern um Brot dienten.


21 . Als nun der Vater des Vaterlandes, der gewaltige Herzog Otto,
verschieden war, hinterließ er seinem erlauchten und erhabenen Sohne
Heinrich die herzogliche Würde über ganz Sachsen. Er hatte noch andere
2 5 Söhne, Thankmar und Liudolf, doch diese waren vor ihrem Vater gestor­

ben. Da aber König Konrad oft die Tapferkeit des neuen Herzogs erprobt
hatte, trug er Bedenken, ihm die ganze Macht seines Vaters zu über­
tragen. So kam es, daß er sich den Groll des ganzen sächsischen Heeres
zuzog. Jedoch sagte er heuchlerischerweise sehr viel zum Preis und Ruhm
30 des trefflichen Herzogs und versprach, ihm noch Größeres zu geben und

ihn durch eine große Ehre zu erhöhen. Aber die Sachsen achteten nicht
auf solche Vorspiegelungen, sondern redeten ihrem Herzoge zu, wenn
der König ihn nicht freiwillig mit der Würde seines Vaters bekleiden
wolle, könne er ihm zum Trotze was er wolle gewinnen. Da aber der
3 5 König sah, daß die Blicke der Sachsen gegen ihn ungewöhnlich finster

waren und daß er ihren Herzog nicht in offenem Kriege überwältigen


könnte, weil diesem eine Schar tapferer Ritter und ein Volksheer von
zahlloser Menge zu Gebote stand, suchte er ihn auf irgendeine Weise
durch List zu töten46.
40 22. Und für diese Aufgabe vorzüglich geeignet stand ihm, wie erzählt
wird, der Bischof von Mainz namens Hatto zur Verfügung. Dieser war
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50 Widukindi res gestae Saxonicae I 22 31/34

natus 47 ingenioque acutus, et qui difficile discerneretur, melior


consilio foret an peior. Quod ex uno eius actu colligi potest. Nam cum
bellum esset Cuonrado regis CuonL·adi patri et Adelberto Heinrici ex
sorore nepoti, primum interfeetos est frater Adelberti 48, postea in
ultionem fratris Cuonradus quoque occisus est ab Adelberto, nec ullus s

regum tarn ingens bellum inter eminentes viros potuit sedare. Summus
postremo pontifex 49 mittitur ad sedandam tarn ingentem discor- diam /
et ingressus civitatem 60 Adelberti sub iureiurando spopondit aut ei
pacem cum rege facturum aut incolumem loco suo restituturum. His
pactis consentiens Adelbertus, fidei gratia et amicitiae quod dignare- 10

tur aliquid gustare, rogavit. Quo negante ilico egressus est urbem.
Cumque pertransisset oppidum cum omni comitatu, fertur darnasse :
'Proh ' , inquit, 'saepius petit, qui oblata spernit ; taedet me longioris
viae tardiorisque horae. Nam ieiuni tota die non possumus ambulare' .
Laetus Adelbertus inclinatur a d genua pontificis et, u t gustandi 1s

gratia i n urbem reverteretur, deposcit. Pontifex i n urbem reversus


cum Adelberto liberatur a lege iuramenti, ut sibi videbatur, eo quod
incolumem eum loco suo constituisset. Post haec regi a pontifice
presentatus Luthowico et dampnatus capitalem accepit sententiam. /
Hac igitur perfidia quid nequius ? Attamen uno capite caeso multorum 20

capita populorum salvantur. Et quid melius eo consilio, quo discordia


dissolveretur et pax redderetur ? Ea itaque varietate51 virum nobis /
proprie a summa clementia concessum aggressus est, fecitque ei
torquem auream 52 fabricari, et invitavit ad convivium, quo magnis ab
eo muneribus honoraretur. lnterea pontifex opus considerandi gratia 2s

ingreditur ad aurificem et visa torque ingemuisse fertur. Gemitus


causam aurifex interrogat. Cui respondit, quia optimi viri et sibi

41 Daß Hatto I., Erzbischof von Mainz 891-913, von niederer Abkunft

(sprachliches Vorbild Sall . Cat. 23) war, ist wohl ein Irrtum Widukinds.
48 Von den beiden Brüdern Adalberts fiel Heinrich um 903 im Kampf mit

den Konradinern, während Adalhard von diesen gefangengenommen und ent­


hauptet wurde.
48 Dieses Prädikat kommt in der Regel dem Erzbischof von Mainz zu, aber
auch dem von Köln (I 31. III 59) und dem Bischof von Straßburg (II 24) .
50 Vermutlich Burg Theres am Main.

51 Alles Bisherige (seit Beginn des Kapitels) ist in der Fassung C gestrichen

und ersetzt durch die Worte : Erat autem ea tempestate Magontiacae sedis antistes
nomine Hattho, acutus consilio, acer ingenio, et qui varietate sibi consueta multos
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Erzbischof Hatto von Mainz 51

von geringer Herkunft 47 und scharfem Verstand, ein Mann, bei dem es
sich nicht leicht entscheiden ließ, ob sein Rat mehr Lob oder Tadel ver­
diente. Das läßt sich aus einer seiner Taten erkennen. Während einer
Fehde zwischen Konrad, König Konrads Vater, und Adalbert, Heinrichs
5 Schwestersohn, wurde zuerst der Bruder Adalberts getötet 48, sodann

auch Konrad von Adalbert als Sühne für seinen Bruder, und keiner der
Könige konnte die furchtbare Fehde unter den Großen beilegen. Schließ­
lich wurde der Erzbischof49 entsandt, den großen Zwist zu schlichten. Er
begab sich in die Burg 5° Adalberts und gelobte ihm eidlich, ihm entweder
1 0 Frieden mit dem König zu verschaffen oder ihn unversehrt wieder an

seinen Ort zurückzubringen. Adalbert, mit diesem Vertrage zufrieden,


bat ihn, um des Vertrauens und der Freundschaft willen, einen Imbiß
bei ihm nehmen zu wollen. Doch dieser lehnte ab und verließ sogleich die
Burg. Als er nun mit seinem ganzen Gefolge den Flecken hinter sich gelas-
1 5 sen hatte, soll er ausgerufen haben : "Ach, oft muß man um das bitten,

was man ablehnt, wenn es geboten wird. Mich ärgert der lange Weg und
die späte Stunde . Denn nüchtern können wir nicht den ganzen Tag unter­
wegs sein . " Da neigte Adal bert erfreut das Knie vor dem Bischof und bat
ihn, in die Burg zurückzukehren, um etwas zu genießen . Der Bischof
20 kehrte mit Adalbert zur Burg zurück und wurde, wie er glaubte, seiner

eidlichen Verpflichtung ledig, da er ihn unversehrt an seinen Ort zurück­


gebracht hätte . Hierauf wurde Adalbert vom Bischof dem König Ludwig
überantwortet, schuldig gesprochen und hingerichtet. Was gibt es Schänd­
licheres als solche Treulosigkeit ? Und doch wurde durch die Hinrichtung
25 des einen das Leben vieler Menschen erhalten. Und was war zweckmäßi­

ger als dieser Rat, der den Zwist beilegte und den Frieden wiederherstellte ?
Mit der gleichen Wendigkeit 51 machte er sich an den Mann, der uns recht
eigentlich von der Huld des Höchsten geschenkt war, ließ ihm eine gol­
dene Kette 52 machen und lud ihn zu einem Gastmahl, um ihn dabei mit
30 reichen Geschenken zu ehren. Unterdessen ging der Bischof, um die Arbeit

in Augenschein zu nehmen, zum Goldschmied und tat - so wird berich­


tet - beim Anblick der Kette einen Seufzer. Der Goldschmied fragte ihn
nach dem Grunde seines Seufzers. Ihm gab er zur Antwort, j ene Kette
werde vom Blute eines trefflichen und ihm teueren Mannes, nämlich

mortales praecederet. Hic volens placere regi Conrado Francorumque simul populo,
arte solita usw., d. h. Es saß aber damals auf dem bischöflichen Stuhl zu Mainz
Hatto, ein Mann von scharfsichtigem Rate, durchdringendem Geiste und durch
die ihm eigene Wendigkeit vielen Menschen überlegen. In der Absicht, sich dem
König Konrad und zugleich dem Volke der Franken gefällig zu erweisen, machte
er sich in gewohnter Handlungsweise usw.
52 Anscheinend eine der Ketten, denen der Volksglaube die Eigenschaft

zuschreibt, sich von selbst zu verengen und so den Gefesselten allmählich zu


erdrosseln.
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52 Widukindi res gestae Saxonicae I 22 34(35

carissimi, scilicet Heinrici, sanguine illa torques deberet intingui.


Aurifex audita silentio texit, et opere perfecto traditoque missionem
petit et accipit ; et obvians duci eunti ad ea negotia indicavit ei quae
audivit. Ipse autem vehementer iratus vocat legatum pontificis, qui
iam pridem aderat invitandi eum gratia : 'Vade ' , inquit, 'die Hathoni, 5

quia durius collum non gerit Heinricus quam Adelberthus, et quia


melius rati sumus domi sedere et de eius servitio tractare quam comi­
tatus nostri multitudine modo eum gravare' . [Is, ut ferunt, Adelberh­
tus, ab ipso quondam pontifice in fide susceptus, eius est consilio
deceptus ; quod quia non probamus, numquam adfirmamus, sed vulgi 10

rumore magis fictum credimus 53] . Et statim omnia quae iuris ipsius
erant in omni Saxonia vel Thuringorum terra occupavit. Burchardum
quoque et Bardonern54, quorum alter gener regis erat, in tantum affiixit
et bellis frequentibus contrivit, ut terra cederent eorumque omnem
possessionem suis militibus divideret. Hatho autem videns suis calli- 15

ditatibus finem inpositum56 nimia tristitia ac morbo pariter non post


multos dies confectus interiit. Fuerunt etiam qui dicerent, quia
fulmine caeli tactus eoque ictu dissolutus post tertium diem defecisset.

A.*

Denique ab amiCIS regiis ei insidie machinantur. Que tarnen ab 20

aurifice torquem auream ad usus doli fabricante deteguntur. Quidam


enim insidias tendentium ingressus ad aurificem opus considerandi
/
gratia eoque inspecto altius ingemuisse fertur. Tanti ge- mitus causam
dum faber interrogat, hoc responsi accepit, quia optimi viri Heinrici
post modicum deberet illa torques sanguine infundi. Audita faber 25

tanquam parvipendens silentio texit. Opere perfecto traditoque mis­


sionem petit et accepit, occurrensque duci iuxta locum qui dicitur
Cassala secreto interrogat, quo iturus esset. Ille se ad convivium
munusque honorificum in vitaturn et ad hoc ire velle respondit. Aurifex

* Zweite, kürzeste Fassung (vgl. Anm. 46) .


5 3 Der i n eckige Klammern gesetzte Satz steht nur i n der jüngsten gekürzten

und gemilderten Fassung C (Vgl. Anm. 5 1 ) . Daß es sich um eine nachträgliche


Einschiebung handelt, ergibt sich daraus, daß im folgenden ipsius auf H atto
zu beziehen ist und occupavit des Subjekts ermangelt.
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Herzog Heinrichs Rache 53

Heinrichs, gefärbt werden. Der Goldschmied verbarg in Stillschweigen,


was er gehört, bat, nachdem er das Werk vollendet und abgeliefert hatte,
um Urlaub, erhielt ihn, und als er den Herzog, der gerade deswegen unter­
wegs war, traf, teilte er ihm mit, was er gehört. Dieser aber, heftig erzürnt,
5 ließ den Gesandten des Bischofs kommen, der schon vor längerer Zeit

eingetroffen war, um ihn einzuladen, und sagte : "Geh, sag Hatto, daß
Heinrich keinen härteren Hals hat als Adalbert und daß wir es für besser
erachtet haben, daheim zu bleiben und zu verhandeln, wie wir ihm dienen
können, als ihm durch unser zahlreiches Gefolge j etzt beschwerlich zu
1 0 fallen." [Dieser Adalbert erhielt nämlich , wie man erzählt, einst von dem­

selben Bischof sicheres Geleit und wurde durch Hinterlist betrogen, was
wir nicht bestätigen können, weil wir es nicht sicher wissen, sondern eher
für eine Erdichtung des Volkes halten 53] . Und sogleich nahm Heinrich
alle Besitzungen Hattos in ganz Sachsen und im Thüringerland an sich .
1 5 Auch bedrängte er den Burchard und Bardo 54, von denen einer des

Königs Schwager war, dermaßen und besiegte sie in vielen Kämpfen, so


daß sie das Land räumten, worauf er deren ganzen Besitz unter seine
Vasallen verteilte . Als aber Hatto sah, daß seinen Ränken 55 ein Ziel
gesetzt war, starb er, wie durch übergroßen Kummer so auch durch
20 Krankheit aufgerieben, nicht lange Zeit darnach . Es gab auch Leute; die

erzählten, er habe, durch einen Blitz des Himmels berührt und durch den
Schlag gelähmt, drei Tage darauf das Zeitliche gesegnet.

A.*

Es wurde nun von d e n Freunden d e s Königs ein heimlicher Anschlag


25 gegen ihn vorbereitet, der jedoch von dem Goldschmied enthüllt wurde,
der eine goldene Kette zur Verwendung bei dem Anschlag herstellte .
Einer der am Anschlag Beteiligten, der beim Goldschmied eintrat, um
das Werk in Augenschein zu nehmen, soll, wie berichtet wird, bei dessen
Betrachtung laut aufgeseufzt haben . Als der Schmied nach dem Grunde
30 des so schweren Seufzers fragte, erhielt er zur Antwort, daß j ene Kette
bald vom Blut des besten Mannes, Heinrichs, triefen werde. Als ob er
sich nichts daraus mache, schwieg der Schmied über das, was er vernom­
men hatte . Nach Vollendung und Ablieferung des Werkes erbat und
erhielt er Urlaub, und als er den Herzog traf, bei einem Kassel genannten
35 Orte, fragte er ihn unter vier Augen, wohin er reite . Dieser antwortete , er
sei zu einem Gastmahl und einer Ehrengabe geladen und sei auf dem

54 \�'ohl Söhne des Herzogs Burkhard von der Sorbenmark. \Velcher der

beiden des Königs Schwager war, ist unbekannt.


55 Von diesen artes war vorher nicht die Rede. Dem Verfasser war also der

Wortlaut von B bekannt. Zur Sache vg!. Cic. de off. III 1 1 3.


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54 Widukindi res gestae Saxonicae I 22-24 33/34. 35/7

ilico audita prodit et ducem ab itinere prohibuit. Vocat autem lega­


tum, qui ea hora invitandi eum gratia aderat, imperatque suis dominis
gratias agere pro fideli invitatione, non posse vero in presenti eos
visitare propter repentinas barbarorum incursiones ; ceterum in sui
servitio incunctanter permansurum. Ad orientem autem versus cum 5

suo comitatu collecta manu omnia que erant pontificis, qui eo tempore
Maguntie preerat, Hathonis in omni Saxonia vel Thuringorum terra
occupavit. Burchardum quoque et Bardonem54, quorum alter gener I
regis erat, in tantum afflixit et bellis frequentibus contrivit, ut terra
cederent, eorumque omnem possessionem suis militibus divideret. 10

Hattho autem videns suis artibus finem impositum 55 Saxonumque


res florescere, nimia tristicia ac morbo pariter confectus, non post
multos dies deficiens, diem extremum obiit ; vir magne prudentie, et
qui tempore Ludewici adolescentis super imperio Franeorum acri
cura vigilabat, multas discordias in regno reconciliabat, templum t5

Maguntie nobili structura illustrabat. l


XXIII . Rex autem misit fratrem cum exercitu in Saxoniam eam
devastandam. Qui appropians urbi quae dicitur Heresburg 56, superbe
l
locutum tradunt, quia nichil ei maioris curae esset, quam quod Saxones
pro muris se ostendere non auderent, quo cum eis dimicare potuisset. 20

Adhuc sermo in ore eius erat 57, et ecce Saxones ei occurrerunt miliario
uno ab urbe, et inito certamine tanta caede Francos multati sunt, ut a
mimis declamaretur, ubi tantus ille infernus esset, qui tantam multi­
tudinem caesorum capere posset. Frater autem regis Evurhardus
liberatus a timore absentiae Saxonum - nam eos presentes vidit - et 25

ab ipsis turpiter fugatus discessit.


XXIII! . Audiens autem rex male pugnatum a fratre, congregata
omni virtute Francorum, perrexit ad requirendum Heinricum. Quem
compertum in presidio urbis quae dicitur Grona 58, temptavit illud
obpugnare presidium. Et missa legatione pro spontanea deditione JO
spondet se per hoc sibi amicum affuturum, non hostem experturum.
Huic legationi intervenit Thiatmarus 59 ab oriente, vir disciplinae
militaris peritissimus, varius consilioque magnus, et qui calliditate !
ingenita multos mortales superaret. Hic superveniens legatis regis

56 Obermarsberg a. Dieme!.
57 Nach Daniel 4,28 : cumque sermo adhuc esset in ore regis.
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Herzog Eberhard von Franken 55

Wege dorthin. Der Goldschmied verriet ihm sogleich, was er gehört, und
hielt so den Herzog von der Weiterreise ab . Dieser aber rief den Boten,
welcher eben gekommen war, um ihn einzuladen, und befahl ihm, seinen
Herren den Dank für die treu gemeinte Einladung zu sagen, doch könne
5 er sie im Augenblick nicht aufsuchen wegen plötzlicher Einfälle von Bar­

baren ; im übrigen würde er ohne Zaudern zu ihren Diensten bereit


sein. Er aber wandte sich mit seinem Gefolge gegen Osten und brachte
mit versammelter Streitmacht den ganzen Besitz des Bischofs Hatto, der
in j ener Zeit dem Bistum Mainz vorstand, in ganz Sachsen und im
1 0 Thüringerland in seine Gewalt. Auch bedrängte er den Burchard und

Bardo 54, von denen einer des Königs Schwager war, dermaßen und
besiegte sie in vielen Kämpfen, so daß sie das Land räumten, worauf er
deren ganzen Besitz unter seine Vasallen verteilte . Als aber Hatto sah,
daß seinen Ränken 55 ein Ziel gesetzt war, der Sachsen Glück aber blühte,
15 kam er, wie durch übergroßen Kummer so auch durch Krankheit aufgerie­

ben, nicht lange Zeit danach von Kräften und starb, ein Mann von großer
Weisheit, der in der Zeit Ludwigs des Kindes in eifriger Sorge über das
Reich der Franken wachte, vielen Streit im Reiche zum Ausgleich brachte
und den Dom zu Mainz durch einen edlen Bau schmückte.
20 23. Der König aber sandte seinen Bruder mit einem Heere nach Sach­
sen, um es zu verwüsten. Als dieser sich der Feste Heresburg 56 näherte,
soll er im Übermut geäußert haben, nichts mache ihm größere Sorge, als
daß die Sachsen nicht wagen würden, sich vor den Mauern zu zeigen, da­
mit er mit ihnen kämpfen könne . Noch war das Wort auf seinen Lippen 67,
2 5 und siehe, die Sachsen traten ihm entgegen eine Meile vor der Burg und

züchtigten, nachdem es zur Schlacht gekommen war, die Franken in


einem derartigen Blutbad, daß man die fahrenden Sänger fragen hörte ,
wo es wohl eine Hölle gebe, groß genug, um eine solche Menge Gefallener
aufzunehmen. Des Königs Bruder aber, Eberhard, der von der Furcht,
30 die Sachsen könnten ausbleiben, befreit war - denn er sah sie vor sich -

und von ihnen schimpflich in die Flucht geschlagen war, zog von dannen.
24. Auf die Kunde von dem unglücklichen Feldzug seines Bruders
versammelte der König die ganze Streitmacht der Franken und zog aus,
um Heinrich aufzusuchen. Als er erfuhr, daß dieser in der Burg Grone 68
35 Schutz gesucht habe, versuchte er diese zu gewinnen. Und er sandte eine

Botschaft an ihn, wegen freiwilliger Unterwerfung ; er werde ihm, gelobte


er, als Freund zur Seite stehen und ihn nicht als seinen Feind erproben.
Während dieser Botschaft kam Thiatmar 59 vom Osten, ein im Kriegs­
wesen sehr erfahrener Mann , gewandt und groß , im Rat und durch ange-
40 borene Schlauheit vielen Menschen überlegen. Dieser kam , als die Boten

58 Grone bei Göttingen. Bericht über die Ausgrabungen im Göttinger Jahr­


buch 7, 1959, 85-102.103-106. 1 1 , 1963, 43 ff. und 12, 1964, 61-84, sowie in dem
Anm. 82 genannten Buch.
59 Wohl der Graf im Nordthüringgau zwischen Bode und Saale.
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56 Widukindi res gestae Saxonicae I 24--2 6 37/39

presentibus interrogat, ubi vellet exercitum castra metari. At ille iam


suasus cedere Francis, aceepit fidueiam, audiens de exereitu, credens
ita esse ; Thiatmarus vero ficte loquebatur. Cum quinque enim tan­
tummodo viris venerat. De numero autem legionum seiseitante duee,
ad triginta fere legiones se produeere posse respondit. Et ita delusi s

legati regressi sunt ad regem. Vicit vero eos ealliditate sua Thiatmarus,
quos ipse dux ferro vineere non potuit Heinrieus. Nam antelueanum
relictis castris Franei unusquisque rediit in sua.
XXV. Rex autem profeetus in Baioariam dimieavit eum Arnulfo
et ibi, ut quidam tradunt, vulneratus revertitur in patriam suam. 10

Cumque se morbo sensisset laborare pariter eum defectione primae


fortunae, voeat fratrem, qui eum visitandi gratia adierat, quemque
ita alloquitur : 'Sentio' , inquit, 'frater, diutius me istam vitam tenere
non passe, Deo, qui ordinavit ita, imperante, gravique morbo id
l
eogente. Qua- propter eonsiderationem tui habeto, et quod ad te ma- 15

xime respieit, Franeorum toto regno eonsulito, mei adtendendo, fra­


tris tui, eonsilio. Sunt nobis, frater, eopiae exereitus eongregandi
atque dueendi, sunt urbes et arma eum regalibus insigniis et omne
quod deeus regium 60 deposeit preter fortunam 61 atque mores. Fortuna,
frater, eum nobilissimis moribus Heinrieo eedit, rerum publiearum 20

seeus Saxones summa est. Sumptis igitur his insigniis, laneea saera,
armillis aureis eum clamide et veterum gladio regum ae diademate,
ito ad Heinrieum, faeito paeem cum eo, ut eum foederatum possis
habere in perpetuum. Quid enim necesse est, ut eadat populus Franeo­
rum teeum eoram eo ? ipse enim vere rex erit et imperator multorum 2s

populorum' . His dietis frater laerimans se eonsentire respondit. Post


haee autem rex ipse moritur, vir fortis et potens, domi militiaque
optimus, largitate serenus et omnium virtutum insigniis clarus ; sepe­
liturque in eivitate sua Wilinaburg 62, eum moerore ae laerimis omnium
Franeorum. l Jo

XXVI. Ut ergo rex imperarat, Evurhardus adiit Heinricum seque


eum omnibus thesauris illi tradidit, paeem feeit, amieitiam promeruit ;
quam fideliter familiariterque usque in finem obtinuit. Deinde

so
SaU. Jug. 33.72 : decus regium.
81Zur Übersetzung vgl. Schlesinger, Ztschr. d. Sav. Stiftg. f. Rechtsgeschichte
German. Abtlg. 66, 1948, 401 mit Anm. 85.
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König Konrads Tod 57

des Königs noch da waren, und fragte, wo sich sein Heer lagern solle. Da
wurde Heinrich, der schon dafür gewonnen war, sich den Franken zu
ergeben, zuversichtlich, weil er von einem Heere hörte, in der Meinung,
daß es sich wirklich so verhalte . Was Thiatmar aber sprach, war erfun-
5 den ; denn er war nur mit fünf Mann gekommen . Als sich nun der Herzog

nach der Zahl der Heerhaufen erkundigte, sagte j ener, er könne gegen
dreißig Haufen ins Feld führen. Und so kehrten die Gesandten um ihre
Hoffnung betrogen zum König zurück . So wurde Thiatmar durch seine
Schlauheit Sieger über diej enigen, welche Herzog Heinrich selbst nicht
10 mit dem Schwerte überwinden konnte . Denn vor Tagesanbruch verließen

die Franken das Lager, und ein j eder kehrte in seine Heimat zurück.
25. Der König aber zog nach Ba y ern und stritt mit Arnulf, und als er
hier, wie einige erzählten, verwundet worden war, kehrte er in seine
Heimat zurück . Und da er sich krank fühlte in Verbindung damit, daß
15 ihn sein anfängliches Glück verlassen hatte, rief er seinen Bruder, der

ihn zu besuchen gekommen war, und sprach zu ihm also : "Ich fühle,
Bruder, daß ich dieses Leben nicht länger behalten kann, da es Gott nach
seinem Ratschluß so will und eine schwere Erkrankung mich zwingt.
Deshalb gehe mit dir zu Rate und sorge, was j a ganz vorzüglich deine
20 Aufgabe ist, für das ganze Frankenreich, indem du auf meinen Rat, den

deines Bruders, achtest. Wir können, Bruder, Truppen und Heere auf­
bieten und anführen, wir haben Burgen und Waffen nebst den königlichen
Insignien und alles, was die königliche Würde 60 erheischt ; nur kein
Glück und keine Eignung 61• Das Glück, mein Bruder, samt der herrlich-
25 sten Befähigung ist Heinrich zuteil geworden, die Entscheidung über das
Gemeinwesen liegt in der Sachsen Hand. Nimm darum diese Abzeichen,
die heilige Lanze, die goldenen Spangen nebst dem Mantel, das Schwert
und die Krone der alten Könige, gehe hin zu Heinrich und mache Frieden
mit ihm, damit du an ihm für immer einen Verbündeten hast. Denn
30 warum soll das Frankenvolk samt dir vor Heinrich hinsinken ? Er wird in
Wahrheit König sein und Befehlshaber zahlreicher Heeresaufgebote . " Als
er so gesprochen, erwiderte sein Bruder unter Tränen, er sei damit ein­
verstanden. Danach starb der König, ein tapferer und mächtiger Mann,
tüchtig im Kriege wie im Frieden, freigebig und mild und mit aller
3 5 Tugend Schmuck geziert, und wurde begraben in seiner Stadt Weil­

burg 62 unter dem Jammer und den Tränen aller Franken.


26. Eberhard begab sich, wie der König befohlen hatte, zu Heinrich,
stellte sich mit allen Schätzen ihm zur Verfügung, schloß Frieden und
erwarb sich dessen Freundschaft, die er bis an sein Ende in treuer Ver-
40 bundenheit bewahrte . Sodann versammelte er die Fürsten und Ältesten

62 Vielmehr in Fulda. In Weilburg war der gleichnamige Vater des Königs


Konrad beigesetzt. Todestag war der 23. Dezember 918.
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58 Widukindi res gestae Saxonicae I 26-28 39/41

eongregatis prineipibus et natu maioribus exereitus Franeorum in loeo


qui dieitur Fridisleri, designavit eum regem eoram omni populo Fran­
eorum atque Saxonum. Cumque ei offerretur unetio eum diademate
a summo pontifiee, qui eo tempore Hirigerus erat 63, non sprevit, nee
tarnen suseepit : ' Satis' , inquiens, 'miehi est, ut pre maioribus meis 5

rex diear et designer, divina annuente gratia ae vestra pietate ; penes


meliores vero nobis unetio et diadema sit : tanto honore nos indignos
arbitramur' . Plaeuit itaque sermo iste eoram universa multitudine, 64
et dextris in eaelum levatis nomen novi regis eum clamore valido
salutantes frequentabant. 10

XXVII . Eo ordine rex faetus Heinrieus perrexit eum omni comi­


tatu suo ad pugnandum eontra Burehardum dueem Alamanniae.
I
Hie eum esset bellator intolerabilis, sentiebat tarnen, quia valde
prudens erat, eongressionem regis sustinere non posse, tradidit semet
ipsum ei eum universis urbibus et populo suo. Et rebus prospere gestis t5

transiit inde i n Baioariam, cui presidebat Arnulfus dux. Quo com­


perto in presidio urbis quae dieitur Reginesburg obsedit eum. Videns
autem Arnulfus, quia resistere regi non suffieeret, apertis portis egres­
sus est ad regem, tradito semet ipso cum omni regno suo. Qui honori­
fiee ab eo suseeptus amicus regis appellatus est. Rex autem de die in 20

diem profieiens et erescens 65, robustior maiorque ac clarior pollebat.


Cumque regnum sub anteeessoribus suis ex omni parte eonfusum
eivilibus atque externis bellis eolligeret, paeifiearet et adunaret, signa
movit eontra Galliam et Lotharii regnum.
XXVIII. Lotharius enim erat filius Hluthowici imperatoris a 25

Magno Karolo nati. Huie erant fratres Karolus et Hluthowieus.


Karolo Aequitaniae et Waseanorum eessere regiones 66, terminum
habens ab oeeidente Bareillonam Hispaniae urbem, ab aquilone Brit­
tannieum mare et ad meridiem iuga Alpium, ad orientem vero Masam
:fluvium. Inter Masam vero :fluvium et Renum Lothario regnum eessit. JO

Hluthowieo autem a Reno usque ad fines Illiriei et Pannoniae, Ado­


!
ram 67 quoque :fluvium et terminos Danorum imperium erat. Sub his
fratribus bellum famosum aetum est in Phontinith, antequam haee

63 Hattos Nachfolger 913-927. - Zur Königsweihe in der vorausliegenden

Zeit vgl. Erdmann DA 2, 1938, 31 1-325. 334-340.


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Königs Heinrich erste Erfolge 59

des Frankenheeres an einem Orte namens Fritzlar und rief ihn vor allem
Volke der Franken und Sachsen zum Könige aus . Und als ihm die Sal­
bung nebst dem Diadem von dem Erzbischof, welcher zu j ener Zeit
Heriger 63 war, angeboten wurde, verschmähte er sie zwar nicht, nahm
s sie aber auch nicht an. "Es genügt mir", sagte er, "vor meinen Ahnen

das voraus zu haben, daß ich König heiße und dazu ernannt worden bin,
da es Gottes Gnade und eure Huld so will ; Salbung und Krone aber möge
Würdigeren als mir zuteil werden ; solcher Ehre halten wir uns für un­
wert." Und es fand solche Rede bei der ganzen Menge Wohlgefallen 54, sie
1 0 hoben die Rechte zum Himmel empor, und Heil wünschend riefen sie

oftmals laut den Namen des neuen Königs.


27. Als Heinrich auf diese Weise König geworden war, brach er mit
seinem ganzen Gefolge auf, um gegen Burchard, den Herzog von Alaman­
nien, zu streiten. Obgleich dieser ein unwiderstehlicher Krieger war,
15 erkannte er doch als ein sehr kluger Mann, daß er eine Schlacht mit dem

Kö nige nicht bestehen könne, und ergab sich ihm mit allen seinen Burgen
und Leuten. Nach diesem Erfolge zog er weiter nach Ba yern, wo Herzog
Arnulf herrschte . Da er erfuhr, daß dieser in der Stadt Regensburg Schutz
gesucht hatte, belagerte er ihn. Arnulf aber sah, daß er nicht stark genug
20 war, dem König zu widerstehen, öffnete die Tore, zog hinaus zum König

und unterwarf sich ihm mit seinem ganzen Reich. Er wurde von Heinrich
ehrenvoll empfangen und Freund des Königs genannt. Der König aber
wuchs und nahm zu 65 an Macht von Tag zu Tag, und seine Gewalt, sein
Ansehen und sein Ruhm erhöhten sich immer mehr. Und nachdem er das
25 Reich, welches unter seinen Vorgängern durch innere und äußere Kriege

in allen Teilen zerrüttet war, geeinigt, befriedet und wieder zusammen­


gebracht, zog er gegen Gallien und Lothars Reich .
28. Lothar war nämlich der Sohn des Kaisers Ludwig, des Sohnes
Karls des Großen, seine Brüder waren Karl und Ludwig. Karl waren die
30 Länder Aquitanien und Wasconien zugefallen 66, und er hatte zur Grenze

im Westen die Stadt Barcelona in Spanien, im Norden das britannische


Meer und im Süden den Kamm der Alpen, im Osten aber die Maas. Das
Reich zwischen Maas und Rhein aber gehörte dem Lothar. Ludwig dage­
gen gebot vom Rhein bis an das Gebiet von Ill yricum und Pannonien und
35 bis zum Flusse Adora 67 und dem Gebiete der Dänen . Unter diesen Brü­

dern wurde die berühmte Schlacht bei Fontenay geschlagen, bevor diese

64 Apost. Gesch. 6,5 : coram omni multitudine.


65 Vgl. II 35 . l. Kön. 2,26 : profieiebat atque crescebat.
66 Durch den Vertrag von Verdun 843.
6 7 Doch wohl die Oder, weil die dänische Mark (termini Danorum) nachher
besonders genannt wird.
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60 Widukindi res gestae Saxonicae I 28-30 41/43

divisio regni fieret. Postea vero facta inviolabiliter rnansit, quousque


iure hereditario haec regna ornnia cederent Karolo 68, huius Lotharii
proavo, de quo supra rnentionern fecirnus.
XXVIIII. Rune quidarn ex orientalibus Fraucis adiens nornine
Oda, vir fortis et prudens, egitque consilio suo, ut curn Danis bene s
pugnaretur, qui iarn rnultis annis Karoli regnurn vexabant, unaque
die ex eis ad centurn rnilia caederentur 69• Ex hoc ille Oda clarus et
insignis habitus et a rege secundus significatus, curn ad eurn venerit
7 0 uno tauturn servulo cornite contentus70• Moriens autem Karolus iussit
Odonern rnernorern beneficii sui fore, et rnisericordiarn sibi prestitarn 1 0
filio, si nasceretur, non negaret. Nam filius ei tune non erat, sed regina
pregnans fuit. Cumque post mortern patris filius nasceretur, Oda
i
eurn et regno pariter et nomine paterno declaravit 71• Sed Arnulfus
irnperator, qui seniorern Karolum Gerrnania expulit, post rnortern
eius omne regnurn ipsius sibi vendicavit. Huic Oda et diadema et 15

sceptrum e t cetera regalia ornamenta obtulit, imperiurnque dornini


sui gratia irnperatoris Arnulfi obtinuit. Unde usque hodie certarnen
est de regno Karolorum stirpi et posteris Odonis, concertatio quoque
regibus Karolorum et orientalium Franeorum super regno Lotharii.
XXX. Ob quod Heinricus rex movit castra contra Karolurn eius- 20

que saepius fudit exercitum, iuvitque virurn fortem fortuna 72• Nam
Huga, cuius pater Rodberhtus, filius Odonis, ab exercitu Karoli occisus
est '3, misit et dolo eum cepit '4 posuitque in custodia publica 75, donec
vitam finiret. Heinricus autem rex audiens casum Karoli dolebat huma­
naeque mutabilitatis communem admiratus est fortunarn, quia non 25

minori claruit religiositate quarn arrnorurn virtute. Iudicavitque


abstinere quidern ab arrnis, verum potins arte superaturos speravit
i
Lotharios, quia gens varia erat et artibus assueta, bellis prompta
rnobilisque ad rerum novitates. Eo tempore erat quidam de Lothariis
nornine Cristianus 76, qui videns regi cuncta prospere procedere, 30
68 Dies stimmt nicht für Kar! II. (den Kahlen), sondern für Kar! III. (den Dik­

ken), den Widukind zum Vater Karls des Einfältigen macht. supra, nämlich c. 16.
69 Wohl ein sagenhafter Nachhall der ruhmvollen Verteidigung von Paris
gegen die Normannen 886.
70 Sulpicius Vita Martini 2 (CSEL I ed. Halm S. l l2, 12).
71 Kar! der Einfältige, der erst ein halbes Jahr nach dem Tode seines Vaters

Ludwig des Stammlers (877-879) geboren wurde, konnte die Regierung erst
nach Odos Tod 898 antreten.
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Das Westfränkische Reich 61

Teilung des Reiches zustande kam. Nachdem sie aber einmal geschehen,
blieb sie unverrückt, bis dem Erbrechte gemäß alle diese Reiche an Karl 68
fielen, den Urgroßvater des obenerwähnten Lothar.
2 9 . Zu diesem kam einer von den Ostfranken, namens Odo, ein tapferer,
5 kluger Mann, und bewirkte durch seinen Rat, daß mit den Dänen, welche

schon viele Jahre das Reich Karls beunruhigten, glücklich gekämpft


wurde und daß von ihnen an einem Tage an die hunderttausend erschla­
gen wurden 69• Hierdurch gewann Odo Ruhm und Ehrungen und wurde
als der Erste nach dem Könige bezeichnet, während er sich bei seiner
1 0 Ankunft mit der Begleitung eines einzigen Knechtleins begnügt hatte 70•

Karl aber forderte Odo in der Sterbestunde auf, seiner Gnade eingedenk
zu sein und die ihm erwiesene Hilfe seinem Sohne, falls ihm einer geboren
würde, nicht zu versagen. Denn er hatte damals noch keinen Sohn, aber
die Königin war schwanger. Und als nach des Vaters Tode ein Sohn
15 geboren wurde, gab ihm Odo das Reich sowie den Namen seines Vaters 71•

Aber Kaiser Arnulf, welcher den älteren Karl aus Deutschland verdrängt
hatte, zog nach dessen Tode sein ganzes Reich an sich. Ihm übergab Odo
sowohl die Krone als das Zepter und den übrigen königliehen Schmuck
und erhielt das Reich seines Herrn durch Arnulfs Gnade. Daher ist bis
20 auf den heutigen Tag Streit um das Reich zwischen Karolingern und den

Nachkommen Odos, wie auch zwischen den Karolingern und den ost­
fränkischen Königen um Lothringen.
30. Deshalb zog König Heinrich mit Heeresmacht gegen Karl, schlug
sein Heer wiederholt, und dem Tapferen half das Glück 72• Denn Hugo,
25 dessen Vater Robert, Odos Sohn, von Karls Heer getötet worden war 73,

sandte hin, nahm ihn durch List gefangen 74 und sperrte ihn ins gemeine
Gefängnis 75 bis ans Ende seines Lebens. Da aber König Heinrich Karls
Unglück hörte, wurde er bekümmert und staunte über den Wechsel des
Glückes, der Menschheit gemeinsames Los, denn er war nicht minder
30 durch Frömmigkeit als durch Tapferkeit im Kriege ausgezeichnet. Und

er hielt es für geraten, vom Kriege abzusehen, hoffte aber, eher durch
List die Lothringer besiegen zu können, weil dieses Volk unzuverlässig, an
Ränke gewöhnt, stets bereit zum Kriege und zu Veränderungen geneigt
war. Um diese Zeit lebte unter den Lothringern einer mit Namen Chri-
35 stian 76 ; als dieser sah, daß demKönige alles glückte, suchte er nach einer

7 2 Ter. Phorm. 203 : fortes fortuna adiuvat, darnach Liv. 34,37,4.


73 Robert, gefallen in der Schlacht an der Aisne bei Soissons Mitte Juni 923,

war vielmehr ein Bruder des kinderlosen Odo.


74 Nicht Hugo, sondern Graf Heribert von Vermandois nahm Kar! Anfang
August in St. Quentin gefangen und hielt ihn in Gefangenschaft in Chateau
Thierry an der Marne bis zu seinem Tode 7. Oktober 939.
75 Apost. Gesch. 5 , 1 8 : poauerunt eos in custodia publica.

78 Als Graf erwähnt 9 1 9-928.


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62 Widukindi res gestae Saxonicae I 30--32 43/45

quaesivit, quomodo maiori gratia apud regem honoraretur ; et simulata


infirmitate vocavit ad se Isilberhtum, cui principatus regionis paterna
successione cessit, cepitque eum arte et sub custodia regi Heinrico
transmisit. Erat autem Isilberhtus nobili genere ac familia antiqua
natus. Quem rex satis laetus suscepit, quia per ipsum solum totum 5

Lotharii regnum se habiturum arbitratus est. Deinde videns adoles­


centem valde industrium, genere ac potestate, divitiis quoque darum,
liberaliter eum coepit habere, ac postremo desponsata sibi filia nomine
Gerberga 77 affinitate pariter cum amicitia iunxit eum sibi, sublegato
omni ei Lotharii regno. 10

XXXI . Genuit quoque e i e t alios filios clara e t nobilissima ac


singularis prudentiae regina nomine Mahthilda, primogenitum mundi
amorem nomine Oddonem, secundum patris nomine insignitum, virum
fortem et industrium Heinricum, tertium quoque nomine Brunonem,
j
quem pontificis summi ac ducis magni vidimus officium gerentern 78• 15

A c n e quis eum culpabilem super hoc dixerit, cum Samuelem sanc­


tum et alios plures sacerdotes pariter legamus et iudices. Aliam
quoque filiam genuit 79, quae nupserat Hugoni duci. Erat namque
ipsa domina regina filia Thiadrici, cuius fratres erant Widukind,
lmmed et Reginbern. Reginbern autem ipse erat, qui pugnavit contra 20
Danos multo tempore Saxoniam vastantes, vicitque eos, liberans
patriam ab illorum incursionibus usque in hodiernum diem. Et hi
erant stirpis magni ducis Widukindi 80 , qui bellum potens gessit contra
Magnum Karolum per triginta ferme annos. j
XXXII. Cumque iam civilia bella 81 cessarent, iterum Ungarii to- 25
tarn Saxoniam percurrentes urbes et oppida incendio tradiderunt et
tantam caedem ubique egerunt, ut ultimam depopulationem com­
minarent. Rex autem erat in presidio urbis quae dicitur Werlaon 82•
Nam rudi adhuc militi et bello publico insueto contra tarn saevam gen­
tem non credebat. Quantam autem stragem fecerint illis diebus aut JO
quanta monasteria succenderint, melius iudicavimus silere quam

77 Mit der Heirat im Sommer 928 war auch die Erhebung Giselberts zum
Herzog von Lothringen verbunden. - Der genealogische Exkurs im folgenden
Kapitel ist erst in die für die Prinzessin bestimmte Fassung eingefügt worden.
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König .HeinriChs Haus 63

Gelegenheit, von ihm durch größere Gnade geehrt zu werden ; so rief er,
eine Krankheit vorgebend, Giselbert zu sich, dem die Herrschaft über
das Land als Nachfolger seines Vaters zugefallen war, nahm ihn durch
List gefangen und lieferte ihn unter Bewachung an König Heinrich aus.
s Es war aber Giselbert von edlem Geschlecht und alter Familie . Der König

empfing diesen hocherfreut, weil er durch ihn allein ganz Lothringen zu


bekommen meinte. Später, als er sah, daß der Jüngling sich als sehr tüch­
tig erwies und durch Abstammung und Macht, auch durch Reichtum
hervorragte, fing er an, ihn freundlich zu behandeln ; schließlich verlobte
10 er ihn mit seiner Tochter namens Gerberga 77 und fesselte ihn ebenso

durch Verschwägerung wie durch Freundschaft an sich, nachdem er ihm


ganz Lothringen anvertraut hatte.
31 . Noch andere Kinder gebar ihm die herrliche und edle und an Klug­
heit unübertroffene Königin namens Mathilde, nämlich den Erstgebo-
ts renen, den Liebling der Welt, namens Otto, den zweiten mit des Vaters

Namen gezierten, Heinrich, einen tapferen und tüchtigen Mann, und


den dritten, namens Brun, den wir das Amt eines obersten Priesters und
gewaltigen Feldherrn zugleich bekleiden sahen 78 • Und möge ihn nicht
etwa j emand deshalb für strafwürdig halten, denn wir lesen ja, daß so-
20 wohl der heilige Samuel als mehrere andere zugleich Priester und Richter

gewesen sind. Auch gebar sie ihm noch eine zweite Tochter, welche sich
mit Herzog Hugo vermählte 79• Die Frau Königin selbst war eine Tochter
Thiadrichs, und dessen Brüder waren Widukind, Immed und Reginbern .
Das ist der Reginbern, der gegen die Dänen kämpfte, die lange Zeit
25 Sachsen verheerten, sie besiegte und das Vaterland bis auf den heutigen

Tag von ihren Einfällen befreite. Und diese waren aus dem Stamme des
großen Herzogs Widukind 80, der einen gewaltigen Krieg gegen den gro­
ßen Karl fast dreißig Jahre hindurch führte .
32 . Als nunmehr die inneren Kämpfe 81 ruhten, durchzogen wiederum
30 die Ungarn ganz Sachsen, steckten Burgen und Flecken in Brand und

richteten allerorten ein solches Blutbad an, daß eine gänzliche Verödung
drohte . Der König aber befand sich in der festen Burg Werla 82• Denn er
traute nicht seinen noch wenig geübten, an offene Feldschlacht mit einem
so wilden Volke nicht gewöhnten Kriegern. Welche Verheerung aber sie
35 damals angerichtet und wieviel Klöster sie in Brand gesteckt, haben wir

7 8 Bruno war Erzbischof von Köln seit Juli 953 und starb am 1 1 . Oktober 965.
Seit September 953 war er zugleich Herzog von Lothringen, aber was bedeutet
nun magnus dux ?
79 Hugo Capet von Francien heiratet 937 die Hadwidis.
80 K. Schmid, Die Nachfahren Widukinds, DA 20, 1 964, 1 1 ff.
81 Erwähnt c. 27. iterum vgl. c. 20.
82 Vgl. Deutsche Königspfalzen Bd. 2, Göttingen 1 965.
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64 Widukindi res gestae Saxonicae I 32-34 45/47

calamitates nostras verbis quoque iterare. Contigit autem quendam


ex principibus Ungariorum capi vinctumque ad regem duci. Ungarii
vero ipsum in tantum dilexerunt, ut pro redemptione illius innumera
auri et argenti pondera offerrent. Rex autem spernens aurum expostu­
lat pacem, tandemque obtinuit, ut reddito captivo cum aliis muneri- 5

bus ad novem annos pax firmaretur.


XXXIII. Quando vero rex Renum transierat ad dilatandum super
Lotharios imperium suum, occurrit ei legatus I Karoli, et salutato eo
verbis humillimis : 'Dominus meus ' , inquit, ' Karolus, regia quondam
potestate preditus, modo privatus, misit me ad te demandans, quia 10

nichil e i a b inimicis circumvento iocundius, nichil dulcius esse possit


quam de tui magnifici profectus gloria aliquid audire, fama virtutum
tuarum consolari. Et hoc tibi signum fidei et veritatis transmisit'
protulitque de sinu manum preciosi martyris Dionisii auro gemmisque
inclusam. 'Hoc ' , inquit, 'habeto pignus foederis perpetui et amoris 15

vicarii. Hanc partem unici solatii Franeorum Galliam inhabitantium,


postquam nos deseruit insignis martyr Vitus ad nostram perniciem
vestramque perpetuam pacem Saxoniam visitavit, communicare
tecum maluit. Neque enim, postquam translatum est corpus eius a
nobis 83, civilia vel externa cessavere bella ; eodem quippe anno Dani 20

et Northmanni regionem nostram invaserunt' . Rex autem munus divi­


num cum omni gratiarum actione suscipiens prosternitur reliquiis
sanctis et deosculans eas summa veneratione veneratus est.
XXXIIII 84• Inclitus vero martyr, de quo legatus Karoli disseruit,
erat in Licia provincia nobili natus familia, sed pagana. Quem pater 25

presidi provinciae Valeriano presentavit, eumque ipse preses ad inmo­


landum simulacris coegit ; sed interea manum perdidit et oratione
ipsius iterum sanam recepit. Brachia tortoribus aruerunt, sed meritis
martyris restituta sunt eis. Videns autem pater, quia tormenta irrisit,
domum reduxit, cubiculo omnibus deliciis af:fluenti reclusit. Ibi cum Jo

archana quaedam Hylas - sie enim vocabatur pater eius - I conspi­


ceret, caecus efficitur. Et coactus idolis abrenunciavit, Christum con­
fessus est. Illuminatus autem per merita filii sui Viti Christum negavit

83 836 nach Korvei. Vgl. Translatio S. Viti MG SS II 576 ff.


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Übergabe einer Dionysiusreliquie 65

für besser erachtet zu verschweigen, als unser Unglück nochmals in Wor­


ten zu wiederholen. Es traf sich aber, daß einer von den Großen der
Ungarn gefangen und gebunden vor den König geführt wurde. Diesen
aber schätzten die Ungarn so sehr, daß sie als Lösegeld für ihn eine unge-
5 heuere Menge Gold und Silber anboten. Doch der König wies das Gold

zurück und forderte dafür Frieden, den er auch endlich erhielt, so daß
gegen Freigabe des Gefangenen und weitere Geschenke ein Frieden auf
neun Jahre geschlossen wurde .
33. Zur Zeit da der König über den Rhein gegangen war, um seine
10 Herrschaft über Lothringen auszudehnen, kam ihm ein Gesandter Karls

entgegen, grüßte ihn mit unterwürfigsten Worten und sprach : "Mein


Gebieter Karl , einst mit der königlichen Würde bekleidet, j etzt derselben
beraubt, hat mich zu dir gesandt und läßt dir sagen, daß ihm, den seine
Feinde hintergangen hätten, nichts lieber, nichts angenehmer sei, als über
15 den Ruhm deines herrlichen Aufstiegs etwas zu hören und sich an dem

Rufe deiner Heldentaten zu laben. Und er hat dir dies gesandt als Zeichen
seiner Aufrichtigkeit und Treue . " Dabei zog er aus seiner Tasche die
Hand des preiswürdigen Märtyrers Dionysius, in Gold und Edelsteine
gefaßt. "Dies" , sprach er, "sollst du behalten als Pfand des ewigen Bünd-
20 nisses und der gegenseitigen Liebe . Dir am liebsten wollte er dieses Stück

übergeben von dem einzigen Troste, der den Franken, welche Gallien
bewohnen, geblieben ist, seitdem der herrliche Märtyrer Vitus uns zu
unserem Verderben verlassen und zu euerem beständigen Frieden nach
Sachsen gekommen ist. Seit nämlich der Leichnam des hl. Vitus von uns
2 5 weggeführt worden ist, haben innere und auswärtige Kämpfe nicht auf­

gehört ; im selben Jahr haben Dänen und Normannen unsere Lande heim­
gesucht. " Der König aber nahm das göttliche Geschenk mit dem Aus­
druck der höchsten Dankbarkeit an, kniete vor den heiligen Reliquien
nieder und erzeigte ihnen , indem er sie küßte, die größte Verehrung.
30 34. Der berühmte Märtyrer 84 aber, von dem der Gesandte Karls redete,
war in der Provinz Lycien geboren und stammte aus einer edlen, aber
heidnischen Familie . Sein Vater führte ihn dem Provinzstatthalter Vale­
rianus vor, und dieser wollte ihn zwingen, den Götzenbildern zu opfern ;
aber mittlerweile verdorrte ihm die Hand und wurde durch des Heiligen
35 Gebet wiederhergestellt. Den Henkern erstarrten die Arme, aber durch

die Verdienste des Märtyrers wieder heil. Da nun sein Vater sah, daß er
der Martern spottete, führte er ihn nach Hause zurück und schloß ihn in
ein mit allen Genüssen erfülltes Gemach ein . Und da hier Hylas - so hieß
nämlich sein Vater - gewisse Geheimnisse erblickte, ward er blind. So
40 schwor er notgedrungen den Götzen ab und bekannte Christum. Nachdem

84 Das folgende Kapitel ist unter starken Kürzungen einer Passio S. Viti aus dem

6.(1. Jahrhundert entnommen, die in den Acta Sanetarum Juni 15 gedruckt ist (Bd.
III 499 ff. ) . Auch hier bieten einige Handschriften Licia statt des richtigen Sicilia.
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66 Widukindi res gesta.e Saxonica.e I 34 47/48

et filium interficere quaesivit. Monitu angelico atque ductu Modestus,


iam gravior pedagogus, puerum sumit, mare navigat, ad Siler fl.uvium
pervenit. lbi sub arbore quadam requiescentes vacant orationibus,
aquilis victum cotidianum ministrantibus. Populis eum visitantibus
puer predicat Christum, plures convertit, plures baptismum suscipere s
fecit. Post haec a Diocletiano caesare vocatus Romam proficiscitur,
et filio imperatoris per orationem Viti a daemonio purgato, thura diis
offerre cogitur. Illi vero durius imperatori respondente, bestiis proici­
tur nec laeditur. Deinde in medium clibani ardentis iactatur, et angelo
flammas sedante illaesus egreditur. Vinculorum ingenti ferro oneratus 10

carceri traditur, sed ib i a Domino et multitudine angelorum visitatur.


Postremo tormento quod catasta dicitur cum Modesto et quadam
nobili femina Crescentia figitur et fractis omnibus membrarum moti­
bus a Christo consolatur. Nam fulmine caeli tortores tacti et tonitru
ingenti perterriti ab eo fugantur. Bubitoque repertus est in loco, ubi 1s
prius orationi vacabat, angelo Domini ibi eum restituente ; e t ultima
oratione celebrata animas caelo tradiderunt. Corpora vero Florentia,
quaedam illustris femina, terrae tradidit in eodem loco qui dicitur
Marianus. Eius ultimam orationem tuae gloriae significare curavi, ut
inde sumas, quo eius amore ardeas et ardore ipsius amoris perpetuum 20

eius patrocinium merearis. 'Domine' , inquit, 'lesu Christe, fili Dei


vivi, perfice desiderium cordis eorum et libera eos ab omnibus inpedi­
mentis huius saeculi et perduc eos ad gloriam tuam, qui pro me glori- \
ficant te et volunt gloriari de mei martyrii passione' . Hanc vocem sub­
secuta est sponsio divinae promissionis rata et firma esse omnia quae 2s

rogasset. Post multa vero tempora Romam veniens quidam Fulradus


nomine 85 et ibi gesta legens preciosi martyris notavit locum sepulcri.
Veniensque levavit reliquias sacras et collocavit eas in pago Parisiaco.
lnde regnante Hluthowico imperatore translatae sunt in Saxoniam,
et ut legatus Karoli confessus est, ex hoc res Franeorum coeperunt Jo

minui, Saxonum vero crescere, donec dilatatae ipsa sua iam magni­
tudine laborant 8sa , ut videmus in amore mundi et totius orbis capite,
patre tuo, cuius potentiae maiestatem non solum Germania, Italia

85 Abt von St. Denis, gestorben 784.


ssa Nach Livius Praefatio 4 : Res . . . eo creverit, ut iam magnitudine laboret sua.
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Vom heiligen Veit 67

er aber durch seines Sohnes Vitus Verdienste wieder sehend geworden


war, verleugnete er Christum und trachtete seinem Sohne nach dem
Leben. Auf die Mahnung und unter Führung eines Engels nahm Modes­
tus, sein schon bej ahrter Erzieher, den Knaben zu sich, fuhr über das
s Meer und gelangte zu dem Flusse Sele . Hier ruhten sie unter einem Baume

aus und widmeten sich dem Gebete, während ihnen Adler ihr tägliches
Brot brachten. Den Leuten, welche kamen, ihn zu sehen, predigte der
Knabe Christum, bekehrte mehrere und vermochte einige, die Taufe zu
nehmen. Dann begab er sich, von Kaiser Diokletianus gerufen, nach Rom
1 0 und sollte, nachdem des Kaisers Sohn durch sein Gebet von einem bösen

Geiste erlöst war, den Göttern Weihrauch streuen. Da er aber diesem


Kaiser hartnäckig widersprach, wurde er wilden Tieren vorgeworfen,
doch verletzten sie ihn nicht. Sodann wurde er mitten in einen glühenden
Ofen hineingeworfen, aber da ein Engel die Flammen stillte, ging er
1s daraus unverletzt hervor. Mit ungeheueren Eisenketten beschwert wurde

er nun dem Kerker überantwortet, aber hier von dem Herrn und der
Schar Engel besucht. Zuletzt wurde er an ein Martergerüst, Catasta
genannt, mit Modestus und einer edlen Frau Crescentia geschlagen und,
als alle Gelenke seiner Glieder gebrochen waren, von Christus getröstet.
2 0 Denn die Henker wurden vom Strahl des Himmels getroffen und, durch

einen furchtbaren Donnerschlag erschreckt, von ihm hinweggescheucht ;


und plötzlich befand er sich an dem Orte, wo er früher dem Gebete oblag,
indem ihn ein Engel des Herrn dorthin brachte. Hier sprachen sie ihr
letztes Gebet und übergaben dann ihre Seelen dem Himmel. Ihre Leichen
2s aber bestattete Florentia, eine Frau von hohem Range, zur Erde an dem­

selben Orte, welcher Marianus genannt wird. Sein letztes Gebet habe ich
deiner Hoheit aufgezeichnet, damit du daraus entnehmest, wie du von
Liebe zu ihm entbrennen und durch die Glut dieser Liebe dir seinen unver­
gänglichen Schutz verdienen mögest. " Herr Jesu Christe", sprach er,
30 "du Sohn des lebendigen Gottes, erfülle du denj enigen die Sehnsucht
ihres Herzens, befreie sie von allen Fesseln dieser Welt und führe sie
hinan zu deiner Herrlichkeit, welche meinetwegen dich preisen und sich
rühmen wollen ob des Leidens meines Märtyrertums." Diesen Worten
folgte eine Versicherung der göttlichen Verheißung, daß alles, worum er
3 S gebeten, in Erfüllung gehen würde . Nach langen Jahren aber kam nach

Rom ein gewisser Fulrad 85, und während er hier die Taten des preiswürdi­
gen Märtyrers las, entdeckte er sein Grab, und er kam und hob die heiligen
Reliquien und stellte sie auf in dem Gau von Paris. Von da wurden sie
unter der Regierung des Kaisers Ludwig nach Sachsen übertragen, und
40 wie der Gesandte Karls gestand, seit dieser Zeit begann die Macht der
Franken zurückzugehen, die der Sachsen aber zu wachsen, bis sie so weit­
gespannt war, daß sie unter dieser ihrer Größe bereits leidet 85a, wie wir
sehen an dem Liebling der Welt und dem Haupte des ganzen Erdkreises,
deinem Vater, für dessen Machtvollkommenheit nicht allein Germanien,
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68 Widukindi res gestae Saxonicae I 34. 35 48/51

atque Gallia, sed tota fere Europa non sustinet. Colito itaque tantum
patronum, quo adveniente Saxonia ex serva facta est libera et ex
tributaria multarum gentium domina. Neque enim talis ac tantus
summi Dei amicus tui gratia indiget, nos vero famuli ipsius indigemus.
Unde ut eum possis habere intercessorem apud caelestem imperato- 5

rem, habeamus te advocatum apud terrenum regem, tuum scilicet


patrem atque fratrem.
XXXV 86• Igitur Heinricus rex, accepta pace ab Ungariis ad novem
annos, quanta prudentia vigilaverit in munienda patria et in expug­
nando barbaras nationes, supra nostram est virtutem edicere, licet 10

omnimodis non oporteat taceri. Et primum quidem ex agrariis militi­


I
bus nonum quemque eligens in urbibus habitare fecit, ut ceteris con­
familiaribus suis octo habitacula extrueret, frugum omnium tertiam
partem exciperet servaretque, caeteri vero octo seminareut et mete­
reut frugesque colligerent nono et suis eas locis reconderent. Concilia 15

e t omnes conventus atque convivia i n urbibus voluit celebrari ; in


quibus extruendis die noctuque operam dabant, quatinus in pace
discerent, quid contra hostes in necessitate facere debuissent. Vilia
aut nulla extra urbes fuere moenia. Tali lege ac disciplina cum cives
assuefaceret, repente irruit super Sclavos qui dicuntur Hevelli, et 20

multis eos preliis fatigans, demum hieme asperrima castris super


glaciem positis I cepit urbem quae dicitur Brennaburg fame87 ferro
frigore. Cumque illa urbe potitus omnem regionem signa vertit contra
Dalamantiam, adversus quam iam olim reliquit ei pater militiam ; et
obsidens urbem quae dicitur Gana 88, vicesima tandem die cepit eam. 25
Preda urbis militibus tradita, puberes omnes interfecti, pueri ac puel­
lae captivitati servatae. Post haec Pragam adiit cum omni exercitu,
Boemiorum urbem, regemque eius 89 in deditionem accepit ; de quo
quaedam mirabilia predicantur, quae quia non proba- mus, silentio 1
tegi iudicamus. Frater tarnen erat Bolizlavi, qui quamdiu vixit impe- 30

ratori fidelis et utilis mansit. Igitur rex Boemias tributarias faciens


reversus est in Saxoniam.

86 Das folgende Kapitel, in dem nach der Burgenordnung von 926 (Erdmann,
DA 6, 1943, 76 ff.) die Slawel.feldzüge der Jahre 928 und 929 besprochen werden,
knüpft an den Schluß von C. 32 an.
8 7 Oie. in Pisonem 40 : exercitus nostri interitus ferro, fame, frigore, pestilentia.

88 Benannt nach Jahna, einem linken Nebenfluß der Eibe bei Riesa.
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Vorbereitungen zur Abwehr der Ungarn 69

Italien und Gallien, sondern fast ganz Europa nicht mehr ausreicht. Ver­
ehre demnach einen solchen mächtigen Schutzherrn, bei dessen Ankunft
Sachsen die Sklavin zur Freien, die Zinspflichtige zur Herrin über viele
Völker geworden ist. Es bedarf zwar ein solcher Freund des höchsten
5 Gottes deiner Gunst nicht, wir aber, seine Diener, bedürfen der seinigen.

Deshalb, damit du an ihm einen Vermittler bei dem himmlischen Gebieter


hast, wollen wir dich zum Beistand haben bei dem irdischen König, näm­
lich bei deinem Vater und deinem Bruder.
3586 • Wie nun König Heinrich, als er von den Ungarn einen Frieden
1 0 auf neun Jahre erhalten hatte, mit größter Klugheit Sorge trug, das

Vaterland zu sichern und die barbarischen Völker niederzuwerfen, dies


auszuführen geht zwar über meine Kräfte, aber man darf es keinesfalls
verschweigen. Zuerst wählte er unter den bäuerlichen Kriegern j eden
neunten Mann aus und ließ ihn in den Burgen wohnen, damit er hier für
15 seine acht Genossen Wohnungen errichte und von allen Früchten den

dritten Teil empfange und verwahre. Die acht übrigen sollten säen und
ernten und die Früchte sammeln für den Neunten und dieselben an ihrem
Platze aufheben. Er gebot, daß die Gerichtstage und alle Märkte und
Gastmähler in den Burgen abgehalten würden, mit deren Bau man sich
20 Tag und Nacht beschäftigte, damit man im Frieden lerne, was man im

Fall der Not gegen die Feinde zu tun hätte . Außerhalb der Burgen gab es
nur geringwertige oder überhaupt keine festen Häuser. Während er nun
die Bürger an solche Satzung und Zucht gewöhnte, fiel er plötzlich über
die Slawen her, welche Heveller genannt werden, ermüdete sie durch viele
25 Kämpfe und nahm endlich in einem sehr strengen Winter, indem er auf

dem Eise sein Lager aufschlug, die Brennaburg durch Hunger, Schwert
und Kälte 87• Und als er mit dieser Burg das ganze Land in seine Gewalt
bekommen hatte, zog er gegen Daleminzien, dessen Bekriegung ihm
schon vor Zeiten sein Vater überlassen hatte, belagerte die Burg J ahna 88
30 und nahm sie endlich am zwanzigsten Tage . Die Beute in der Burg über­

ließ er den Kriegern, alle Erwachsenen wurden niedergemacht, die Kna­


ben und Mädchen behielten ihr Leben für die Gefangenschaft. Darnach
griff er Prag, die Burg der Böhmen, mit seiner ganzen Macht an und zwang
ihren König 89 zur Unterwerfung. Von diesem Könige wird einiges Wunder-
35 bare berichtet, was wir j edoch lieber mit Stillschweigen übergehen wollen,

da wir keine sichere Kunde davon haben. Er war aber ein Bruder des
Boleslaw, der sein ganzes Leben hindurch dem Kaiser treu und gehorsam
geblieben ist. Also machte der König Böhmen zinspflichtig und kehrte
nach Sachsen zurück .
89 Herzog Wenzel I., der am 28. September 935 von seinem Bruder Boleslaw

ermordet wurde. Dieser selbst ist am 15. Juli 967 gestorben (Cosmas, hrsgg. v.
Bretholz, MG Scriptores rerum Germanicarum NS 2, 1 923, I 2 1 , 14), doch wird
die Richtigkeit dieses Datums bestritten von Holtzmann, Zeitschr. d. Vereins
f. Geschichte Schlesiens 52, 1918, S. 6 Anm. 3.
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70 Widukindi res gestae Saxonicae I 36 51/53

XXXVI . Cumque vicinae gentes a rege Heinrico factae essent


tributariae, Apodriti, Wilti, Hevelli, Dalamanci, Boemi, Redarii 90 ,
et pax esset, Redarii defecerunt a fide, et congregata multitudine inpe­
tum fecerunt in urbem quae dicitur Wallislevu 91 ceperuntque eam,
I
captis et interfectis omnibus habitatoribus eius, innumerabili videlicet s

multitudine. Quo facto omnes barbarae nationes erectae iterum rebel­


lare ausae sunt. Ad quarum ferocitatem reprimendam traditur exer­
citus cum presidio militari Bernhardo, cui ipsa Redariorum provincia
erat sublegata, additurque legato collega Thiatmarus, et iubentur
urbem obsidere quae dicitur Lunkini 92• Quinto obsidionis die venere 10
custodes exercitum barbarorum non longe esse adnuntiantes, et quia
nocte contigua inpetum in castra facere decrevissent. Cumque plures
eadem confirmarent, populus fidem paribus dabat dictis. Et cum
conventus esset populi circa tentoria legati, eadem hora collega die­
taute precepit, ut per totam noctem parati essent, ne qua forte irruptio 1s

barbarorum i n castra fieret. Cum autem dimissa esset multitudo, in


castris variavere moestitia pariter atque laetitia, aliis bellum formi­
dantibus, aliis autem desiderantibus ; et pro qualitate morum inter
spem metumque 93 versabantur bellatores. Interea dies transit, et nox
solito tenebrosior cum ingenti pluvia adest nutu divino, quatinus 20
consilium pessimum inpediretur barbarorum. Ut ergo iussum est, tota
nocte illa armati erant Saxones, et primo diluculo dato signo sacra­
mentoque accepto, primum ducibus, deinde unusquisque alteri ope­
ram suam sub iuramento promittebat ad presens bellum 94• Orto autem
I
sole - nam post pluviam clara redit serenitas - , erectis signis proce- 2s

debant castris. In prima quidem fronte legatus in barbaros inpetum


faciens, sed cum pauci non prevalerent adversus innumerabiles, rever­
sus est ad exercitum referens, quia barbari non plures habereut equi­
tes, peditum vero innumerabilem multitudinem et nocturna pluvia in
tantum inpeditam, ut vix ab equitibus coacti ad pugnam procederent . 30
Igitur sole cadente in humida vestimenta barbarorum, fumum ascen­
dere fecit usque in caelum, spem fiduciamque prestans Dei populo ,
cuius faciei claritas atque serenitas circumfulsit illos 96• Igitur dato

90 Benannt nach ihrem Hauptort und Stammesheiligtum Rhetra (Riedegost)

an einem See in der Gegend von Strelitz (Schuchhardt, Arkona-Rhetra-Vineta.


1926).
91 Im Belxemga.u links der �·oe an der Uchte.
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Kämpfe gegen die Elbslawen 71

36. Als nun die Nachbarvölker von König Heinrich zinspflichtig


gemacht worden waren, die Abodriten, Wilzen, Heveller, Daleminzier,
Böhmen und Redarier90, und Friede war, da brachen die Redarier den
Vertrag ; sie brachten ein großes Heer zusammen, machten einen Angriff
s auf die Burg Walsleben91, nahmen sie und fingen und töteten alle ihre
Bewohner, deren eine zahllose Menge war. Hierdurch wurden alle Barba­
renvölker ermutigt und wagten wiederum sich zu empören. Um ihre
Wildheit zu unterdrücken, erhielt Bernhard, dem gerade das Land der
Redarier unterstellt war, ein Heer nebst einer Reiterschar, und zum
1 0 Gehilfen den Thiatmar, mit dem Auftrage, die Burg Lenzen92 zu belagern.

Am fünften Tage der Belagerung kamen Wachtposten mit der Nachricht,


das Heer der Barbaren sei nicht weit entfernt und sie hätten beschlossen,
in der nächsten Nacht einen Angriff auf das Lager zu machen . Da diese
Botschaft mehrfach bestätigt wurde, schenkte das Volk den übereinstim-
IS menden Meldungen Glauben, und als es sich um das Zelt des Markgrafen

versammelt hatte, befahl dieser auf den Rat seines Gehilfen in derselben
Stunde, die ganze Nacht in Bereitschaft zu bleiben, damit nicht etwa die
Feinde ins Lager eindringen. Als aber die Menge entlassen worden war,
waltete im Lager Freude und gleichzeitig Trauer, indem die einen sich
20 vor dem Kampf fürchteten, die anderen ihn ersehnten, und je nach der
Verschiedenheit ihrer Haltung schwebten die Krieger zwischen Furcht
und Hoffnung93• Indessen verstrich der Tag, und die Nacht kam unge­
wöhnlich finster mit einem ungeheueren Regengusse nach Gottes Willen,
um den bösen Anschlag der Barbaren zu vereiteln. Wie also befohlen
25 worden war, blieben diese ganze Nacht die Sachsen unter den Waffen, und

als bei Tagesgrauen das Zeichen gegeben wurde und sie das Sakrament
empfangen hatten, gelobte ein j eder zuerst dem Feldherrn, dann einer dem
anderen eidlich seine Hilfe für die bevorstehende Schlacht 94• Aber nach
Sonnenaufgang - denn nach dem Regen kehrte des Himmels heitere
30 Bläue zurück - rückten sie mit aufgereckten Feldzeichen aus dem Lager,
in der ersten Linie der Markgraf, zum Angriff auf die Barbaren. Da j edoch
die wenigen nichts gegen die zahllosen Feinde vermochten, kehrte er
zurück zum Heere und berichtete, daß die Barbaren keine überlegene
Reiterei hätten, wohl aber eine unzählige Menge Fußvolks, das durch
35 den nächtlichen Regen so behindert sei, daß die Reiter sie kaum mit
Gewalt dazu bringen könnten, zur Schlacht vorzurücken. Als nun die
Sonne auf die feuchten Kleider der Barbaren schien, ließ sie davon den
Dampf bis zum Himmel emporsteigen und verlieh so dem Volke Gottes,
von dessen Angesicht Helle und Heiterkeit sie umstrahlte 95, Hoffnung
92 Lenzen rechts der Eibe gegenüber dem Höhbeck, vgl. das Buch von Willy
Hoppe, Lenzen. Aus tausend Jahren einer märkischen Stadt 929-1929 ( 1929).
93 Nach Verg. Aen. I 218 : spemque metumque inter dubii.
9� Vgl. III 44.
85 Luc. 2,9 : claritaa Dei circumfulsit illos.
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72 Widukindi res gestae Saxonica.e I 36. 37 53/54

signo et exhortante Iegiones legato cum clamore valido irruunt in


hostes. Cumque nimia densitate iter pertranseundi hostes non pateret,
dextra laevaque ferro erumpentes, quoscumque a sociis secernebant,
neci dabant 96• Cumque iam bellum gravaretur, et multi hinc atque
inde caderent, et adhuc barbari ordines tenerent, legatus collegam, 5
ut legionibus auxilio esset, expostulat. Ille vero prefectum cum quin­
quaginta armatis lateri hostili inmisit et ordines conturbavit ; ex hoc
caedi fugaeque tota die hostes patebant. Cum ergo per omnes agros
caederentur, ad urbem vicinam fugere temptabant. Collega autem
hoc eis precavente, proximum mare ingressi sunt, et ita factum est, ut 1 0
omnis illa nimia multitudo aut gladio consumeretur aut in mari mer­
geretur. Nec peditum ullus superfuit, equitum rarissimus, deponitur­
que bellum cum casu omnium adversariorum. Ingens interea oritur
laetitia ex recenti victoria, dum omnes laudant duces, unusquisque
vero militum predicat alium, ignavum quoque, ut in tali I fortuna solet 1 5
fieri 97• Postera autem luce movent signa urbi prefatae ; urbani vero
arma deponunt, salutem tantummodo deposcunt ac merentur. Iner­
mes igitur urbe egredi iussi ; servilis autem conditio et omnis pecunia
cum uxoribus et filiis et omni suppellectili barbarorum regis capti­
vitatem subibant. Ceciderunt etiam ex nostris in illo prelio duo 20
Liutharii 98 et alii nobiles viri nonnulli. Igitur legatus cum collega et
aliis principibus Saxoniam victores reversi honorifice a rege sunt
suscepti satisque laudati, qui parvis copiis divina favente clementia
magnificam perpetraverint victoriam. Nam fuere qui dicerent bar­
barorum ducenta milia caesa. Captivi omnes postera die, ut promissum 25
habebant, obtruncati.
XXXVII. Itaque recentis victoriae laetitiam augebant nuptiae
regales, quae eo tempore magnifica largitate celebrabantur. Nam rex
dedit filio suo Oddoni coniugem filiam Ethmundi regis Anglorum,
sororem Adalstani 99 ; quae genuit ei filium nomine Liudulfum, virum 30
magnum meritoque omnibus populis carum, filiam quoque nomine
Liudgardam, quae nupserat Cuonrado Franeorum 100 duci. I

IHI
Nach Verg. Georg. III 480 : genus omne neci pecudum dedit.
87
Für diese Schilderung war Sall. Jug. 53 nicht Vorbild.
88
Ein Graf von Walheck und ein Graf von Stade, Urgroßväter des Geschichts­
schreibers Thietmar von Merseburg.
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Sieg bei Lenzen 73

und Zuversicht. Als nun das Zeichen gegeben war und der Markgraf seine
Scharen anfeuerte, stürzten sie sich mit lautem Schlachtruf auf die Feinde.
Weil sich aber wegen der allzu dichten Menge kein Weg durch die Feinde
bahnen ließ, so drangen sie rechts und links mit dem Schwerte vor, und
s wenn sie welche von ihren Genossen abschnitten, hieben sie alle nieder 96•
Und als nun der Kampf heiß ward und hüben wie drüben viele fielen, die
Barbaren aber noch in Reih und Glied standen, da verlangte der Mark­
graf von seinem Gehilfen, daß er seinen Mannen zu Hilfe komme. Dieser
sandte einen Hauptmann mit fünfzig Mann dem Feinde in die Flanke
1 0 und brachte Verwirrung in seine Reihen ; und von nun an gab es für die

Feinde den ganzen Tag nur Tod und Flucht. Weil sie nun auf dem ganzen
Feld niedergemacht wurden, versuchten sie zu der nahen Burg zu fliehen ;
da aber der Gehilfe ihnen den Weg verlegte, stürzten sie in den nächsten
See, und so geschah es, daß diese ganze Übermacht entweder durch das
!S Schwert hinweggerafft wurde oder im See ertrank . Von dem Fußvolk kam

keiner davon, von der Reiterei nur sehr wenige, und so endete die Schlacht
mit dem Untergang aller Gegner. Mittlerweile erhob sich ein ungeheuerer
Jubel irrfolge des neu errungenen Sieges : alle priesen die Feldherren, das
Kriegsvolk aber sich gegenseitig einer den anderen, auch die Feigen, wie
20 es in solchem Falle zu gehen pflegt. Am anderen Morgen rückten sie vor

die vorgenannte Burg, aber die Bewohner streckten die Waffen und
bedangen sich nur das Leben aus, das ihnen geschenkt wurde. Sie wurden
nun angewiesen, ohne Waffen aus der Burg abzuziehen ; die Unfreien aber
und alles Geld nebst den Weibern und Kindern und dem ganzen Haus-
2S gerät des Barbarenkönigs wurden zur Beute gewonnen. Auch von den
Unsrigen fielen in diesem Kampf zwei Liuthare 98 und einige andere Män­
ner edlen Namens. Als nun der Markgraf mit seinem Gehilfen und den
übrigen Befehlshabern als Sieger nach Sachsen zurückkehrte, wurden sie
von dem Könige ehrenvoll empfangen und höchlichst belobt, daß sie mit
30 geringen Streitkräften durch Gottes Huld und Gnade einen herrlichen
Sieg errungen hätten. Denn manche erzählten, von den Barbaren seien
zweihunderttausend Mann getötet worden. Die Gefangenen wurden am
anderen Tage, wie man ihnen verheißen hatte, alle geköpft.
37. Die Freude über den soeben erfochtenen Sieg erhöhte dann eine
3 S Königshochzeit, die um diese Zeit mit großartiger Pracht gefeiert wurde.

Der König gab nämlich seinem Sohne Otto zur Gemahlin die Tochter
Edmunds, des Angelnkönigs, eine Schwester Adalstans 99, diese gebar ihm
einen Sohn Liudolf, einen gewaltigen Mann, der mit Recht allen Leuten
teuer war, sowie eine Tochter Liudgard, welche den Frankenherzog100
40 Konrad heiratete .

1111 Edgith, Tochter des Königs Eadward (901-924) , Schwester der Könige

Aethelstan (924-940) und Eadmund (940-946) . Die Heirat erfolgte im Herbst


929 (K. Schmid, Ztschr. f. Gesch. d. Oberrheins 108, 1960, 185 ff.).
100 Konrad war seit 9 44 Herzog von Lothringen.
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74 Widukindi res gestae Saxonicae I 38 55/56

XXXVIII. Rex autem cum iam militem haberet equestri prelio


probatum, contra antiquos hostes, videlicet Ungarios, presumpsit
inire certamen. Et convocato omni populo tali oratione eos est a:ffatus :
' Olim ex omni parte confusum a quantis periculis imperium vestrum
modo sit liberum, vos ipsi melius nostis, qui civilibus discordiis et s
externis bellis totiens attriti laborabatis. At nunc propitia nobis summa
divinitate, nostro labore, vestra virtute pacatum collectumque cerni­
tis , barbaros superatos et servituti subiectos. Quod superest, necesse
habemus, ut contra communes hostes Avares pariter consurgamus.
Vos hucusque, filios filiasque vestras expoliavi et aerarium eorum to

replevi ; nunc templa templorumque ministros ut expoliem cogor,


absque nudis corporibus nulla nobis alia remanente pecunia. Consu­
lite igitur vobis ipsis, et quid super hac re nobis sit faciendum, eligite.
Thesaurum divinis officiis sanctificatum tollamne et dabo pro nostra
redemptione Dei inimicis ? an certe addam cultui divino pecunia ts

honorem, ut ab ipso potius redimamur, qui vere noster extat creator


pariter et redemptor ? ' Ad haec populus levavit voces in caelum,
inquiens se a Deo vivo et vero redimi omnimodis desiderare, quia
fidelis et iustus sit in omnibus viis suis et sanctus in omnibus operibus
suis101• Operam suam deinde promittens regi contra gentem acerri- 20
mam, dextris in caelum elevatis pactum firmavit. Tali itaque pacto
cum populo peracto dimisit rex multitudinem. Post haec legati Unga­ j
riorum adierunt regem pro solitis muneribus, sed ab eo spreti in ter­
ram suam vacui sunt reversi. Haec audientes Avares, nichil morati
cum gravi hostilique manu festinant intrare Saxoniam. Et iter agentes 25

per Dalamantiam ab antiquis opem petunt amicis. Illi vero scientes


eos festinare ad Saxoniam Saxonesque ad pugnandum cum eis para­
tos, pinguissimum pro munere eis proiciunt canem. Et cum non esset
iniuriam vindicandi locus ad aliam pugnam festinantibus, cum ridi­
culosa satis vociferatione longius prosequuntur amicos. Igitur quam 30
potuerunt repentino inpetu intrant fines Thuringorum, illam totam
terram hostiliter pervagantes. Ibique divisis sociis alii ad occidentem
pergebant, ab occidente et meridie Saxoniam quaerentes intrare. Sed
Saxones pariter cum Thuringis congregati inito cum eis certamine,
caesis ducibus, caeteros illius exercitus occidentalis per totam illam 35

regionem errare fecerunt. Quorum alii fame consumpti, alii frigore


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Einfall der Ungarn 75

38. Da aber der König nunmehr im Reitergefecht bewährte Kämpfer


hatte, wagte er den Kampf gegen seine alten Feinde, die Ungarn . Und
er rief alles Volk zusammen und sprach zu ihm folgendermaßen : "Von
welchen Gefahren euer Reich, das früher gänzlich in Verwirrung war, jetzt
5 befreit ist, das wißt ihr selbst nur zu gut, die ihr durch innere Fehden

und auswärtige Kämpfe so oft schwer zu leiden hattet. Doch nun seht ihr
es durch die Gnade des Höchsten, durch unsere Bemühung, durch euere
Tapferkeit befriedet und geeinigt, die Barbaren besiegt und unterworfen.
Was wir j etzt noch tun müssen, ist uns gegen unsere gemeinsamen Feinde,
10 die Awaren, vereint zu erheben. Bisher habe ich, um ihre Schatzkammer

zu füllen, euch, eure Söhne und Töchter ausgeplündert, nunmehr müßte


ich die Kirchen und Kirchendiener plündern, da uns kein Geld mehr, nur
das nackte Leben geblieben ist. Geht daher mit euch zu Rate und ent­
scheidet euch, was wir in dieser Angelegenheit tun sollen. Soll ich den
15 Schatz, der dem Dienst Gottes geweiht ist, nehmen und als Lösegeld für

uns den Feinden Gottes geben ? Oder soll ich nicht eher mit dem Gelde
die Würde des Gottesdienstes erhöhen, damit uns vielmehr Gott erlöst,
der wahrhaft sowohl unser Schöpfer als Erlöser ist ? " Darauf erhob das
Volk seine Stimme zum Himmel und rief, sie wollten durchaus von dem
20 lebendigen und wahren Gott erlöst werden, weil er treu sei und gerecht
in allen seinen Wegen und heilig in allen seinen Werken101• Und sie gelob­
ten dem Könige ihre Hilfe gegen das wilde Volk und bekräftigten mit zum
Himmel erhobener Rechten den Vertrag. Nachdem also der König einen
solchen Vertrag mit dem Volke geschlossen hatte, entließ er die Menge.
25 Danach kamen die Gesandten der Ungarn zum Könige wegen der üblichen
Geschenke ; allein sie wurden von ihm abgewiesen und kehrten mit leeren
Händen in ihr Land zurück. Als dies die Awaren hörten, beeilten sie sich,
unverzüglich in großer Stärke und feindlicher Absicht in Sachsen einzu­
dringen. Ihren Marsch nahmen sie durch Daleminzien und verlangten
30 von ihren alten Freunden Hilfe. Diese aber wußten, daß sie nach Sachsen
eilten und daß die Sachsen bereit waren, mit ihnen zu kämpfen, und war­
fen ihnen deshalb als Geschenk einen fetten Hund vor. Und da die Awaren
zu einem anderen Kampfe eilten und keine Zeit hatten, die Beleidigung
zu rächen, wurden sie von ihren Freunden noch länger mit recht spötti-
35 sehen Zurufen verfolgt. Nun fielen sie so plötzlich als es ihnen möglich
war in Thüringen ein und durchzogen sengend und brennend das ganze
Land. Hier teilten sich ihre Scharen ; ein Teil zog nach Westen und suchte
von Südwesten her in Sachsen einzudringen. Aber die Sachsen, vereint
mit den Thüringern, scharten sich zusammen, begannen mit ihnen einen
40 Kampf, töteten die Anführer und zersprengten den Rest des westlichen
Heeres über die ganze Gegend. Von ihnen starb ein Teil Hungers, ein

101 Ps. 144,17 : JU8tU8 DominU8 in omnibus viis suis et sanctU8 in omnibus
operibU8 suis, ähnlich v. 13.
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76 Widukindi res gestae Saxonicae I 38. 39 56/58

dissoluti, alii autem caesi vel capti, ut digni erant, miserabiliter perie­
runt. Qui autem in oriente remansit exercitus audivit de sorore regis,
quae nupserat Widoni Thuringo - erat namque illa ex concubina
nata - , quia vicinam urbem102 inhabitaret, et multa pecunia ei esset
auri et argenti ; unde tanta vi urbem obpugnare coeperant, ut, nisi s
nox visum pugnantibus inpediret, urbem caperent. Ea vero nocte
audientes de casu sociorum regisque super eos adventu cum valido
exercitu - nam castra metatus est rex I iuxta locum qui dicitur
Riade103 - , timore perculsirelictis castris more suo igne fumoque ingenti
agmina diffusa collegerunt. Rex vero postera die producens exercitum 10
exhortatus est, ut spem suam divinae clementiae committerent, divi­
num sibi auxilium quemadmodum in aliis preliis adesse non dubita­
rent ; communes omnium hostes esse Ungarios ; ad vindictam patriae
parentumque solummodo cogitarent : hostes cito terga vertere vidis­
sent, si viriliter certando persisterent. His optimis verbis erecti milites 1 s
imperatoremque in primis, mediis et ultimis versantem videntes
coramque eo angelum104 - hoc enim vocabulo effigieque signum maxi­
mum erat insignitum - acceperunt fiduciam magnamque constan­
tiam. Rex vero veritus est, quemadmodum evenit, ut hostes viso milite
armato fugae statim indulsissent ; misit Iegionern Thuringorum cum 20
raro milite armato, ut inermes prosequerentur et usque ad exercitum
protraherentur. Actumque est ita ; sed nichilominus videntes exerci­
tum armatum fugerunt, ut per octo miliaria vix pauci caederentur vel
caperentur. Castra vero invasa, et omnis captivitas liberata est.
XXXVIII!. Rex vero victor reversus modis omnibus gratiarum 2s
actiones divino honori, ut dignum erat, solvebat pro victoria de hosti­
bus sibi divinitus concessa, tributumque, I quod hostibus dare consue­
vit, divino cultui mancipavit et largitionibus pauperum deservire
constituit. Deinde pater patriae, rerum dominus imperatorque ab
exercitu appellatus famam potentiae virtutisque cunctis gentibus et Jo
regibus Ionge lateque diffudit. Unde et aliorum regnorum proceres
eum adierunt, gratiamque in conspectu eius invenire quaerentes, fidem

101
Vielleicht die Jechaburg in der Hainleite bei Sondershausen.
1011
Nicht sicher zu bestimmen (Riade Ried), vielleicht Kalbsrieth an der
=

Helme kurz vor ihrer Mündung in die Unstrut, südwestlich von der Pfalz
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König Heinrichs Sieg über die Ungarn 77

anderer durch Erfrieren, noch andere starben niedergehauen oder gefan­


gen, wie sie es verdienten, allesamt eines j ämmerlichen Todes. Das im
Osten zurückgebliebene Heer aber erfuhr, daß eine Schwester des Königs,
die den Thüringer Wido geheiratet hatte - sie war außer der Ehe ge-
s zeugt -, eine Burg102 in der Nähe bewohne und viel Gold und Silber
besitze. Deshalb begannen sie, die Burg so heftig zu bestürmen, daß sie sie,
wenn nicht die Nacht die Kämpfer am Sehen hinderte, eingenommen
hätten. Aber in derselben Nacht vernahmen sie die Niederlage ihrer
Genossen und daß der König mit einem mächtigen Heere über sie komme.
1 0 Der König hatte nämlich sein Lager bei dem Orte, der Riade103 heißt,

aufgeschlagen. Da verließen sie von Furcht ergriffen das Lager und riefen
die zerstreuten Schwärme nach ihrer Weise durch Feuer und ungeheueren
Rauch zusammen. Der König aber führte am folgenden Tage sein Heer
aus dem Lager und ermahnte es, ihre Hoffnung auf Gottes Gnade zu
IS setzen und nicht zu zweifeln, daß ihnen die göttliche Hilfe gleichwie in

ihren anderen Kämpfen beistehen werde ; die Ungarn seien die gemein­
samen Feinde aller, sie sollten allein auf den Schutz des Vaterlandes und
der Eltern bedacht sein ; bald würden sie sehen, daß die Feinde den Rük­
ken kehrten, wenn sie mannhaft kämpfend standhielten. Diese vortreff-
20 liehen Worte feuerten die Ritter an, und da sie ihren Feldherrn bald unter

den Vordersten, bald in der Mitte und bei den Letzten sahen und vor ihm
den EngeP04 - mit dem Namen und dem Bildnis desselben war nämlich
das vornehmste Feldzeichen kenntlich gemacht - , überkam sie Zuver­
sicht und große Festigkeit. Der König aber besorgte, daß - wie es auch
zs eintraf - die Feinde beim Anblick der schwerbewaffneten Reiter sogleich
die Flucht ergreifen würden, daher sandte er eine Abteilung Thüringer
aus mit nur wenigen Reitern, damit j ene den leicht Bewaffneten folgen
und bis ans Hauptheer herangelockt würden. Und so geschah es, aber
nichtsdestoweniger flohen sie, sobald sie das gewappnete Kriegsvolk
30 erblickten, so daß auf acht Meilen Weges kaum einige wenige getötet oder
gefangen wurden. Das Lager aber wurde erstürmt und sämtliche Gefan­
genen befreit.
39. Nach seiner Heimkehr als Sieger, stattete der König auf alle
Weise der Ehre Gottes, wie es sich gehörte, Dank ab für den Sieg, den
35 ihm Gott über seine Feinde verliehen hatte : er gab den Tribut, den er den
Feinden zu geben gewohnt war, dem göttlichen Dienste zu eigen und be­
stimmte ihn zu Schenkungen an die Armen. Das Heer aber begrüßte ihn
als Vater des Vaterlandes, großmächtigen Herrn und Kaiser ; der Ruf
seiner Macht und Tapferkeit verbreitete sich weithin über alle Völker
40 und Könige. Deshalb besuchten ihn auch die Großen anderer Königreiche,

Allstedt. Vgl. Lintzel, Sachsen und Anhalt 9, 1933, 27-5 1 . 0. Schroeter, Thüring.•
Sächsische Zeitschrift 21, 1932, 101-110.
l o& Erzengel Michael.
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78 Widukindi res gestae Saxonicae I 39--41 58/60

talis ac tanti viri probatam habentes dilexerunt. Inter quos Hiriberh­


tus105 gener Hugonis, cum ei adversaretur Rothulfus106, contra ius
fasque107 omne rex constitutus, ut ei apud dominum suum pro presidio
esset, supplicavit. Ipse enim rex talis erat, qui nichil negaret amicis.
Perrexit igitur Galliam, rex regem alloquitur, et perfecto negotio 5

reversus est in Saxoniam. Cumque esset in exaltando gentem suam,


rarus fuit aut nullus nominatorum virorum in omni Saxonia, quem
preclaro munere aut officio vel aliqua quaestura non promoveret. Et
cum ingenti polieret prudentia sapientiaque, accessit et moles cor­
poris, regiae dignitati omnem addens decorem108. In exercitiis quoque 10
ludi tanta eminentia superabat omnes, ut terrorem caeteris ostentaret.
I
In venatione109 tarn acerrimus erat, ut una vice quadraginta aut eo
amplius feras caperet. Et licet in conviviis satis iocundus esset, tarnen
nichil regalis disciplinae minuebat. Tantum enim favorem pariter et
timorem militibus infundebat, ut etiam ludenti non crederent ad 15

aliquam lasciviam s e dissolvendum.


XL. Cum autem omnes in circuitu nationes subiecisset, Danos,
qui navali latrocinio Fresones incursabant, cum exercitu adiit vicit­
que, et tributarios faciens, regem eorum nomine Chnubam109 baptis­
mum percipere fecit. Perdomitis itaque cunctis circumquaque genti- 20
bus, postremo Romam proficisei statuit, sed infirmitate correptus
iter intermisit. I
XLI. Cumque se iam gravari morbo sensisset, convocato omni
populo designavit filium suum Oddonem regem, caeteris quoque filiis
predia cum thesauris distribuens ; ipsum vero Oddonem, qui maximus 25

et optimus fuit, fratribus et omni Franeorum imperio prefecit. Testa­


mento itaque legitime facto et rebus omnibus rite compositis defunc­
tus est ipse rerum dominus et regum maximus Europae, omni virtute
animi corporisque nulli secundusm, relinquens filium sibi ipsi maio­
rem filioque magnum latumque imperium, non a patribus sibi relic- 30
turn, sed per semet ipsum adquisitum et a solo Deo concessum. Erant

105 Heribert, Graf von Vermandois (vgl. Anm. 74).


108 Herzog Rudolf von Burgund war Schwiegersohn und Nachfolger des
923 gefallenen (vgl. Anm. 73) Königs Robert von Westfranken ; Krönung am
13. Juli 923 in St. Medard bei Soissons.
107 Sall. Cat. 15 : contra ius fasque, ebenso III 3.
108 Vgl. die entsprechende Charakterisierung des Sohnes III 36.
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König Heinrichs Ansehen 79

und verehrten ihn, da sie Gnade vor seinen Augen zu finden suchten und die
Treue eines so herrlichen, so großen Mannes erprobt hatten. Unter diesen
bat Heribertl05, Hugos Schwager, als ihn Rudolf106, der wider Fug und
Rechtl07 König geworden war, bekriegte, daß König Heinrich ihn bei
s seinem Herrn schützen möge ; denn der König war von der Art, daß er
seinen Freunden nichts abschlug. So brach er nach Gallien auf, hielt mit
dem Könige eine Besprechung und kehrte nach Erledigung dieser Sache
nach Sachsen zurück. Und da es ihm darum zu tun war, sein Volk zu er­
höhen, so gab es kaum einen oder gar niemand unter den namhaften Män-
1 0 nern in ganz Sachsen, den er nicht durch ein herrliches Geschenk oder Amt

oder irgendein Lehen geehrt hätte. Und zu der außerordentlichen Klug­


heit und Weisheit, durch die er sich auszeichnete, kam noch seine mäch­
tige Körpergestalt, welche der königlichen Würde die rechte Zierde ver­
lieh108. Auch bei Kampfspielen besiegte er alle mit solcher Überlegenheit,
1 5 daß er den übrigen Schrecken einj agte . Auf der Jagd109 war er so un­

ermüdlich, daß er auf einem Ritt vierzig oder noch mehr Stück Wild
erlegte. Und obgleich er bei Gelagen sehr leutselig war, vergab er dennoch
der königlichen Würde nichts ; denn er flößte zu gleicher Zeit seinen
Kriegsleuten ein solches Wohlwollen und eine solche Furcht ein, daß sie,
20 selbst wenn er scherzte, sich nicht getrauten, sich irgendwelche Freiheiten

herauszunehmen.
40. Nachdem er nun alle Völker ringsumher unterworfen hatte, griff
er die Dänen, welche die Friesen mit Seeräuberei heimsuchten, mit seinem
Heere an. Er besiegte sie, machte sie zinspflichtig und veranlaßte ihren
25 König Knuba110, die Taufe zu empfangen. Zuletzt, als er alle Völker im

Umkreise bezwungen hatte, beschloß er nach Rom zu ziehen, unterließ


aber, da ihn Krankheit befiel, den Zug.
4 1 . Und da er nun fühlte, daß er der Krankheit unterliegen würde, rief
er alles Volk zusammen und bestimmte seinen Sohn Otto zum Könige ,
30 während er Güter und Schätze auch an seine übrigen Söhne verteilte ;

den Otto aber, den größten und besten, setzte er über seine Brüder und das
ganze Reich der Franken . Als er so sein Testament in aller Ordnung ge­
macht und alle seine Angelegenheiten gebührlich geordnet hatte, starb
er, der großmächtige Herr und größte unter den Königen Europas, an
3 5 j eglicher Tugend der Seele wie des Körpers keinem nachstehend111, und

hinterließ einen Sohn, noch größer als er selbst, und diesem Sohn ein
großes, weites Reich, welches er nicht von seinen Vätern ererbt, sondern
durch eigene Kraft errungen und Gott allein ihm gegeben hatte. Es war

108 Der Jagdhof Bodfeld im Harz ist eine Grü ndu ng Heinrichs I. (Erdmann,

Sachsen und Anhalt 16, 1940, 77-90).


110 Ein Unterkönig aus schwedischem Geschlecht im Gebiet beiderseita der

Schlei, Beherrscher von Haithabu.


m Verg. Aen. XI 441 : haud ulli veterum virtute secund'U8.
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80 Widukindi res gestae Saxonicae I 41 60/61

autem dies quibus regnavit XVI112 anni, vitae autem fere LX. Trans­
latum est autem corpus eius a filiis suis in civitatem quae dicitur
I
Quidilingaburg et sepultum in basilica sancti Petri113 ante altare euro
planctu et lacrimis plurimarum gentium.

EXPLICIT LIBER PRIMUS

112 1. Kön. 2, 1 1 Diu autem, quibu.s regnavit, . . . . . anni BUnt. Vom Mai 919
bis 2. Juli 936 sind es 1 7 Jahre und beinahe 2 Monate.
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König Heinrichs Grab 81

aber die Dauer seiner Regierung sechzehn Jahre112, die seines Lebens
ungefähr sechzig. Sein Leichnam wurde von seinen Söhnen in die Stadt
Quedlinburg gebracht und begraben in der Kirche des heiligen Petrus113
vor dem Altar unter dem Jammer und den Tränen vieler Völker.

ENDE DES ERSTEN BUCHES

118 König Heinrichs Leiche wurde in der Kirche des Kanonikerstifts der hll.
Jacobus und Wichpertue auf dem heutigen Schloßberg vor dem Altar beige­
setzt und blieb dort, auch als seine Witwe Mathilde einen Monat später diesem
Stift einen anderen Ort anwies und über dem Grab die Kirche des mit Nonnen
aus Wendhausen besetzten Damenstifts des hl. Servatius errichtete. Zu der
später in Quedlinburg entstandenen Überlieferung vgl. Erdmann, Sachsen und
Anhalt 16, 1940, 90--98 und DA 4, 1940, 76-97 . Vorläufiger Bericht über die
Ausgrabungen H. Giesa.u in Deutsche Kunst und Denkmalspflege 1939, 104-115.
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82 Widukindi res gestae Saxonicae II 61/62

INCIPIT SECUNDUS GESTARUM RERUM


SAXONlCARUM

AD DOMINAM MAHTHILDAM IMPERATORIS


FILIAM LIBRI SECUNDI INCIPIT PREPHATIO

Irrgens opus coepturus vel certe iteraturus - nam magna ex parte 5


peractum est - tua gratia fulciatur, quae domina esse dinosceris iure
totius Europae, quamquam in Affricam Asiamque patris tui iam
potestas protendatur. Spero enim, quicquid in eo invenitur minus
idoneum, gloriosa tuae clementiae lenitate sublevetur, permaneatque
ea devotione dedicatum, qua est inceptum. 10

EXPLICIT PREPHATIO

INCIPIUNT CAPITULA

I. De conventu populi ad Aquasgrani palatii et electione novi


regis eiusque unctione.
II. De ministerio regali et de principibus eius. 15

III. D e bello contra Bolizlavum facto. I


IIII. De expeditione regis in barbaras nationes.
V. De Ungariis.
VI. De intestinis bellis.
VII . De reliquiis Innocentii martyris. 20
VIII. De Arnulfo Boioariorum duce.
VIII!. De Sifrido et Thancmaro regis filio.
X. De dissensione et legum varietate.
XI. De Thancmaro et Evurhardo et Heinrico et bellis civilibus.
XII. De Heinrico fratre regis. 25
XIII. De Evurhardo, qualiter veniam promeretur.
XIII!. Item de Ungariis, qualiter non sirre suo gravi vulnere
recedunt.
XV. Qualiter Heinricus ardet cupiditate regnandi.
XVI. De Hisbertho Lothariorum duce. 30
XVII. De bello Biertanico.
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Vorrede und Inhaltsverzeichnis 83

HIER BEGINNT DAS ZWEITE BUCH DER


SACHSENGESCHICHTE

HIER BEGINNT DIE VORREDE ZUM ZWEITEN BUCHE


AN FRAU MATHILDE , DES KAISERS TOCHTER

s Möge das gewaltige Werk, das ich beginne oder vielmehr überarbeite
- denn zum großen Teil ist es schon vollendet -, eine Stütze in deiner
Gnade finden, die du mit Recht als Gebieterirr von ganz Europa anerkannt
wirst, obschon auch bereits nach Afrika und Asien deines Vaters Macht
sich erstreckt. Ich hoffe nämlich, daß, was sich hierin weniger Geeignetes
10 findet, durch die rühmliche Nachsieht deiner Huld hingenommen werde und
daß es mit derselben Ergebenheit, mit der es begonnen ist, gewidmet bleibe .

ENDE DER VORREDE

HIER BEGINNT DAS INHALTSVERZEICHNIS

1 . Von dem Reichstag bei der Pfalz zu Aachen und der Wahl eines neuen
ts Königs und dessen Salbung.
2. Von dem Dienst beim Könige und von dessen Fürsten .
3. Von dem Kriege gegen Boleslaw.
4. Von dem Feldzuge des Königs gegen die barbarischen Völker.
5. Von den Ungarn .
20 6. Von inneren Kämpfen.
7. Von den Reliquien des Märtyrers Innocentius.
8. Von Arnulf, dem Herzog von Bayern.
9. Von Siegfried und des Königs Sohn Thankmar.
10. Von der inneren Zwietracht und von der Verschiedenheit der Gesetze .
2s 1 1 . Von Thankmar, Eberhard, Heinrich und den Bürgerkriegen.

12. Von Heinrich, des Königs Bruder.


1 3 . Von Eberhard, wie er Verzeihung erlangt.
14. Wieder von den Ungarn, wie sie sich nicht ohne schwere Verluste
zurückziehen.
30 15. Wie Heinrich von Begierde nach der Herrschaft entbrennt.
1 6 . Von Giselbert, dem Herzog der Lothringer.
17. Von der Schlacht bei Birten.
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84 Widukindi res gestae Saxonicae II 1 62/63

XVIII. Qualiter Dadi milites Heinrici callide ad regem convertit.


XVIII!. Heinricus revertitur in Saxoniam et victus a rege dis­
cedit.
XX. Qualiter barbari Geronem interficere querunt et multis
diebus bellum protraxerunt.
XXI . De Slavo, qui a rege Heinrico relictus erat.
XXII. Qualiter exercitus regis contra Heinricum ducitur.
XXIII. De Immone et Hisbertho.
XXIII!. De Evurhardo et Hisbertho.
XXV. De pontificibus Frithurico et Ruthardo. 10

XXVI. De nece ducum Evurhardi et Hisberthi.


XXVII . Item de Immone.
XXVIII. De nepotibus Isberthi et Ansfrido et Arnaldo.
XXVIII!. Qualiter Heinricus veniam promeretur.
XXX. De Gerone preside. 1s

XXXI. Item d e Heinrico, qualiter multi cum eo adversus regem


coniurabant.
XXXII. De portentis.
XXXIII. De Oddone Lothariorum preside.
XXXIIII. De Berhtaldo Arnulfi fratre. 20

XXXV. Qualiter Hugonem armis alterum edomuit.


XXXVI. De concordia fratrum et moribus eorum et habitu. j
XXXVII. De persecutione monachorum.
XXXVIII. De Hathumaro abbate.
XXXVIIII. De Luthuwico rege et filiis eius. 25

XL. De obsidibus Bolizlavi.


XLI. De obitu Edidis regine.

EXPLICIUNT CAPITULA

INCIPIT LIBER SECUNDUS

I. Defuncto itaque patre patriae et regum maximo optimo Heinrico Jo

omnis populus Franeorum atque Saxonum iam olim designatum


regem a patre, filium eius Oddonem, elegit sibi in principem. Uni­
versalisque electionis notantes locum iusserunt esse ad Aquasgrani
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Ottos I. Königsweihe 85

18. Wie Dedi die Vasallen Heinrichs listigerweise dem Könige zuwendet.
19. Heinrich kehrt nach Sachsen zurück und zieht, vom Könige besiegt,
wieder hinweg.
20. Wie die Barbaren dem Gero nach dem Leben trachten und lange Zeit
den Krieg fortsetzen.
2 1 . Von dem Slawen, welchen König Heinrich übriggelassen hatte.
22. Wie das Heer des Königs gegen Heinrich geführt wird.
23. Von lmmo und Giselbert.
24. Von Eberhard und Giselbert.
I O 25. Von den Bischöfen Friedrich und Ruthard.

26. Vom Tod der Herzöge Eberhard und Giselbert.


27. Wieder vom Immo.
28. Von Giselberts Neffen und von Ansfrid und Arnold.
29. Wie Heinrich Verzeihung erlangt.
I S 30. Von Markgraf Gero.

31 . Wieder von Heinrich, wie sich viele mit ihm in eine Verschwörung
gegen den König einließen.
32 . Von Vorzeichen.
33. Von Otto, dem Vorsteher der Lothringer.
2 0 34. Von Arnulfs Bruder Berchtold.

35. Wie der König den Hugo zum anderen Mal mit Waffengewalt be­
zwingt.
36. Von der Eintracht der Brüder und wie sie beschaffen waren an Geist
und an Körper.
2S 37. Von der Verfolgung der Mönche .

38 . Vom Abt Hadamar.


39. Von König Ludwig und seinen Söhnen .
40. Von den Geiseln des Boleslaw.
41 . Vom Tod der Königin Edith.

Jo ENDE DES INHALTSVERZEICHNISSES

HIER BEGINNT DAS ZWEITE BUCH

1 . Nachdem nun also der Vater des Vaterlandes und der größte und
beste der Könige, Heinrich, entschlafen war, da erkor sich das ganze Volk
der Franken und Sachsen dessen Sohn Otto, der schon vorher vom Vater
JS zum König bestimmt worden war, als Gebieter. Und als Ort der allge­
meinen Wahl bezeichnete und bestimmte man die Pfalz zu Aachen. Es
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86 Widukindi res gestae Saxonicae II 1 63/66

palatii. Est autem locus ille proximus Iulol, a conditore Iulio Caesare
eognominato. Cum- I que illo ventum esset, duees ae prefeetorum
prineipes eum eaetera prineipum militum manu eongregati in sixto
basilieae Magni Karoli eohaerenti eolloearunt novum dueem in solio
ibidem eonstrueto, manus ei dantes ae fidem pollieentes operamque s

suam eontra omnes inimieos spondentes2, more suo feeerunt eum regem.
Dum ea gerunter a dueibus ae eaetero magistratu, pontifex maximus 3
eum universo saeerdotali ordine et omni plebe infra 4 in basilica
I
prestolabatur proeessionem novi regis. Quo proeedente pontifex ob­
vius laeva sua dexteram tangit regis, suaque dextera lituum gestans, 10

linea indutus, stola planetaque infulatus, progressusque i n medium


usque fan i subsistit ; et reversus ad populum, qui eireumstabat - nam
erant deambulatoria infra supraque in illa basiliea in rotundum
faeta - , quo ab omni populo eerni posset : 'En' , inquit, ' addueo vobis
a Deo electum et a domino rerum Heinrieo olim designatum, nune vero 1s

a eunetis prineipibus regem faetum Oddonem ; s i vobis ista electio


plaeeat, dextris in eaelum levatis significate' . Ad haee omnis populus
dextras in exeelsum levans eum clamore valido5 inpreeati sunt
prospera novo duei. Proinde proeedit pontifex eum rege tuniea
strieta more Franeorum induto pone altare, super quod insignia 20

regalia posita erant, gladius eum balteo, clamis eum armillis, baeulus
eum sceptro ac diadema 6 • Eo quippe tempore erat summus pontifex
nomine Hildiberhtus, Franeo genere, monachus professione, nutritus
vel doetus in Vuldo monasterio, et ad id honoris merito progrediens,
ut pater eiusdem loei eonstitueretur, deinde summi pontifieatus 25

Mogontiaeae sedis fastigium promeruisset. Hic erat vir mirae sancti­


tatis et preter naturalem animi sapientiam litteramm studiis satis
clarus. Qui inter caetera gratiarum dona spiritum prophetiae accepisse
predicatur. Et cum quaestio esset pontificum in consecrando rege,
Treverensis videlicet et Coloniae Agrippinae - illius, quia antiquior 7 30

I
sedes esset et tamquam a beato Petro apostolo fundata ; istius vero,

1 Die Herleitung des Namens Juliacum vom Diktator Julius Caesar ist zwar
falsch, aber sie schafft die Möglichkeit, Ottos I. Königtum mit der römischen
Tradition zu verbinden.
2 Vgl. III 76 (Wahl Ottos II.). 3 Hildibert von Mainz 927-937.

4 infra = intra, weil Säulenhof und Basilica (Octogon) auf gleicher Ebene
liegen. 5 Vgl. I 26.
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Ottos I. Königsweihe 87

ist aber j ener Ort nahe bei Jülich, das nach seinem Gründer Julius Cäsar
benannt ist!. Und als man dorthin gekommen war, versammelten sich
die Herzöge und die Ersten der Grafen mit der Schar der vornehmsten
Ritter in dem Säulenhof, der mit der Basilika Karls des Großen verbunden
5 ist, und sie setzten den neuen Herrscher auf einen hier aufgestellten

Thronsessel ; hier huldigten sie ihm, gelobten ihm Treue und versprachen
ihm Hilfe gegen alle seine Feinde 2 und machten ihn so nach ihrem
Brauche zum Könige . Während dies die Herzöge und die übrige Beamten­
schaft taten, erwartete der Erzbischof3 mit der gesamten Priesterschaft
1 0 und dem ganzen Volk innen 4 in der Basilika den Aufzug des neuen

Königs. Als dieser eintrat, ging ihm der Erzbischof entgegen, berührte
mit seiner Linken die Rechte des Königs, während er selbst in der Rechten
den Krummstab trug, bekleidet mit der Albe , geschmückt mit Stola und
Meßgewand, und schritt dann vor bis in die Mitte des Heiligtums, wo er
15 stehen blieb. Dann zum Volke gewandt, das ringsumher stand - es

waren nämlich in dieser Basilika Säulengänge unten und oben rund­


herum - so daß er von allem Volk gesehen werden konnte, sprach er
also : "Sehet, hier bringe ich euch den von Gott erkorenen und einst vom
großmächtigen Herrn Heinrich bestimmten, nun aber von allen Fürsten
20 zum Könige gemachten Otto ; wenn euch diese Wahl gefällt, so bezeugt

dies, indem ihr die rechte Hand zum Himmel emporhebt." Darauf hob
alles Volk die Rechte in die Höhe und wünschte mit lautem Zuruf5 dem
neuen Herrscher Heil. Sodann schritt der Erzbischof mit dem Könige, der
nach fränkischer Art mit enganliegendem Gewande bekleidet war, hinter
25 den Altar, auf dem die Abzeichen des Königs lagen, das Schwert mit dem

Wehrgehenk, der Mantel mit den Spangen, der Stab mit dem Zepter
und das Diadem 6• Erzbischof war zu dieser Zeit Hildebert, von Ge­
schlecht ein Franke, seines Standes ein Mönch, erzogen und gebildet im
Kloster Fulda und nach Verdienst zu dieser Ehre emporgestiegen, daß
30 er zu dessen Abt bestellt wurde und hernach die höchste Würde des erz­

bischöflichen Stuhles zu Mainz erlangte . Dies war ein Mann von wunder­
barer Heiligkeit, und außer der natürlichen Weisheit seines Geistes war
er durch wissenschaftliche Arbeiten hochberühmt. Man erzählt von ihm,
daß er unter anderen Gnadengaben auch den Geist der Weissagung er-
35 halten habe. Und da wegen des Königs Weihe ein Streit unter den Bi­

schöfen sich erhob, dem Trierer und Kölner - von seiten jenes, weil sein
Stuhl der ältere 7 und gewissermaßen vom Apostel Petrus gegründet sei,

8 Vgl. I 25, wo auch, wohl zu früh, die hl. Lanze erwähnt wird (vgl. Anm.

37 zu Liudprand Antap. IV).


7 Nach der Legende hat, vom hl. Petrus ausgesandt, Eucharius mit seinen
Gefährten das Christentum nach Trier gebracht. - Erzbischof von Trier war
damals Rudbert (931-956), ein Bruder der Königin Mathilde. Erzbischof von
Köln war Wigfrid (923-953) .
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88 Widukindi res gestae Saxonicae II 1 . 2 66/67

quia eius ad dioeesim pertineret loeus : et ob id sibi eonvenire arbitrati


sunt huius eonseerationis honorem - , eessit tarnen uterque eorum
Hildiberhti eunetis notae almitati. Ipse autem aeeedens ad altare et
sumpto inde gladio eum balteo, eonversus ad regem ait : 'Aeeipe' ,
inquit, 'hune gladium, quo eieias omnes Christi adversarios, barbaros 5

et malos Christianos, auetoritate divina tibi tradita omni potestate


totius imperii Franeorum, ad firmissimam paeem omnium Christia­
norum' . Deinde sumptis armillis ae clamide induit eum : 'His eornibus' ,
inquit, 'humitenus demissis monearis, quo zelo fidei ferveas, e t in
paee tuenda perdurare usque in finem debere ' . Exinde sumpto seeptro 10

baeuloque : 'His signis, inquit, 'monitus paterna eastigatione subieetos


eorripias, primumque Dei ministris, viduis ae pupillis manum miseri­
eordiae porrigas ; numquamque de eapite tuo oleum miserationis
defieiat, ut in presenti et in futuro sempiterno premio eoroneris' .
Perfususque ilieo oleo saneto e t eoronatus diademate aureo a b ipsis 15
pontifieibus Hildiberhto et Wiehfrido, ae omni legitima eonseeratione
eompleta , ab eisdem pontifieibus dueitur ad solium 8, ad quod per
eoeleas adseendebatur, et erat inter duas marmoreas mirae pulehritu­
dinis eolumpnas eonstruetum, unde ipse omnes videre et ab omnibus
ipse videri posset. 20

II. Divina deinde laude dieta saerifieioque sollempniter eelebrato 9


deseendebat rex ad palatium, et aeeedens ad mensam J marmoream
regio apparatu ornatam resedit eum pontifieibus et omni populo ;
duees vero ministrabant. Lothariorum dux Isilberhtus, ad euius
potestatem loeus ille pertinebat, omnia proeurabat ; Evurhardus10 men- 25

sae preerat, Herimanuns Franeo pineernis, Arnulfus equestri ordini et


eligendis loeandisque eastris preerat ; Sigifridus11 vero, Saxonum opti­
mus et a rege seeundus12, gener quondam regis, tune vero affinitate
eoniunetus, eo tempore proeurabat Saxoniam, ne qua hostium interim
irruptio aeeidisset, nutriensque iuniorem Heinrieum seeum tenuit. 30

8 Der heute auf der Empore stehende Stuhl Karls d. Gr.


9 Zum Ablauf dieser Thronerhebung (Sonntag, 7. August), die Widukind
anscheinend nach einem dem westfränkischen Ordo nahestehenden Vorläufer
der Mainzer Krönungsordnung von 961 schildert, vgl. P. E. Schramm, Ztsch.
d. Savigny-Stiftg. f. Rechtsgesch. 55, 1935, Kan. Abtlg. 24 S. 196 ff. ; Edmund
E. Stenge!, Abhandlungen und Untersuchungen zur Geschichte des Kaiser­
gedankens 1905, 56-9 1 ; A. Huyskens, Ztschr. d. Aachener Gesch. Vereins 56,
1936, 1-26 und J. Ramakers ebda. 62, 1949, 45-56. 1 1 6-1 18.
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Krönungsmahl 89

von seiten dieses, weil der Ort zu seinem Sprengel gehöre, und deshalb
beide meinten, die Ehre der Weihe gebühre ihnen -, so traten sie dennoch
beide vor der allen bekannten Hoheit Hildeberts zurück. Dieser trat an
den Altar, nahm hier das Schwert mit dem Wehrgehenk und sprach zum
s König gewendet : "Empfange dieses Schwert und treibe mit ihm aus alle

Widersacher Christi, die Heiden und schlechten Christen, da durch Gottes


Willen alle Macht im ganzen Frankenreich dir übertragen ist, zum blei­
benden Frieden aller Christen." Sodann nahm er die Spangen und den
Mantel und bekleidete ihn damit, indem er sagte : "Die bis auf den B oden
10 herabreichenden Zipfel deines Gewandes mögen dich erinnern, von wel­
chem Eifer im Glauben du entbrennen und in Wahrung des Friedens
beharren sollst bis in den Tod." Darauf nahm er Zepter und Stab und
sprach : "Diese Abzeichen sollen dich ermahnen, mit väterlicher Zucht deine
Untertanen zu leiten und vor allem den Dienern Gottes, den Witwen und
15 Waisen die Hand des Erbarmens zu reichen ; und niemals möge dein
Haupt des Ö ls der Barmherzigkeit ermangeln, auf daß du in Gegenwart
und in Zukunft mit ewigem Lohne gekrönt wirst. " Darauf wurde er
alsbald mit dem heiligen Ö le gesalbt und mit dem goldenen Diadem ge­
krönt von den Bischöfen Hildebert und Wichfrid, und als nun die recht-
20 mäßige Weihe vollzogen war, wurde er von eben denselben Bischöfen
zum Thron 8 geführt, zu dem man auf einer Wendeltreppe hinanstieg, und
er war zwischen zwei marmornen Säulen von wunderbarer Schönheit so
errichtet, daß er von hier aus alle sehen und von allen wiederum gesehen
werden konnte .
25 2. Nachdem man das " Te deum laudamus " gesungen und das Meßopfer
feierlich begangen hatte 9, stieg der König herab und ging in die Pfalz ; hier
trat er an die marmorne , mit königlicher Pracht geschmückte Tafel und setz­
te sich mit den Bischöfen und allem Volk ; die Herzöge aber warteten auf.
Der Herzog der Lothringer, Giselbert, zu dessen Machtbereich dieser Ort
30 gehörte, ordnete die ganze Feier. Eberhard10 besorgte den Tisch, Hermann
der Franke führte die Mundschenken, Arnulf sorgte für die ganze Ritter­
schaft und für die Wahl und Absteckung des Lagers ; Siegfried11 aber,
der Sachsen trefflichster und der zweite nach dem Könige 12, Schwager des
einstigen Königs, j etzt auch dem neuen Könige verschwägert, verwaltete
35 um diese Zeit Sachsen, damit nicht etwa unterdessen ein feindlicher Einfall

1 0 Eberhard, Herzog von Franken, Bruder des Königs Konrad I. ; Hermann

seit 926 Herzog von Schwaben, Vetter der ebengenannten Brüder ; Arnulf
Herzog von Bayern. - Zum Krönungsmahl vgl. K. Hauck, Rituelle Speise­
gemeinschaft im 10. u. 1 1 . Jhdt. , Studium Generale 3, 1950, 61 1-62 1 .
1 1 Graf Siegfried von Merseburg war ein Bruder des Markgrafen Gero (K.

Schmid in Ztschr. f. Württ. Landesgesch. 23, 1964, 219).


1 2 a rege aecundus vgl . I 29.
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90 Widukindi res gestae Saxonicae II 2. 3 67/70

Rex autem post haec unumquemque principum iuxta munificentiam


regalem congruenti sibi munere honorans cum omni hilaritate dimisit
multitudinem. J
III. lnterea barbari ad novas res moliendas desaeviunt, percus­
sitque Bolizlav fratrem suum13, virum Christianum et, ut ferunt, Dei 5
cultura religiosissimum, timensque sibi vicinum subregulum14, eo quod
paruisset imperiis Saxonum, indixit ei bellum. Qui misit in Saxoniam
ad expostulanda sibi auxilia. Mittitur autem ei Asic15 cum legione
Mesaburiorum et valida manu Hassiganorum, additurque ei exercitus J
Thuringorum. Erat namque illa legio collecta ex latronibus. Rex 10
quippe Heinricus cum esset satis severus extraneis, i n omnibus causis
erat clemens civibus ; unde quemcumque videbat furum aut latronum
manu fortem et bellis aptum, a debita poena ei parcebat, collocans
in suburbano Mesaburiorum, datis agris atque armis, iussit civibus
quidem parcere, in barbaros autem in quantum auderent latrocinia 15
exercerent. Huiuscemodi ergo hominum collecta multitudo plenam in
expeditionem produxit legionem. Bolizlav autem audiens de exercitu
Saxonico, et quia Saxones seorsum et seorsum Thuringi irent contra
se, divisis et ipse sociis, sicuti erat acerrimus consilio, utroque exer­
citui occurrere disposuit. At Thuringi, ut hostes inprovise sibi oc- 20
cursitare viderunt, fuga periculum devitaverunt. Asic autem cum
Saxonibus et caeteris auxiliariis nichil cunctatus in hostes ruit
maximamque partem ex eis armis fudit, caeteros fugere conpulit,
victorque ad castra reversus est. Et cum ignorasset de exercitu, qui
insecutus fuerat Thuringos, minus caute usus est victoria perpetrata. 25
Bolizlav autem videns exercitum nostrum dispersum et alios in
extrahendis spoliis caesorum, alios in suis corporibus reficiendis, alios
in paleis equorum congregandis occupatos, fugatum reversumque co­
adunans exercitum, super inprovisos ac recenti victoria securos subito
irruit et ducem cum omni nostro exercitu delevit. Pergensque inde 30
ad urbem subreguli primo eam inpetu cepit et usque in hodier- num l

11Vgl. I 35 mit Anm. 89.


u Name und Herrschaftsgebiet dieses nordböhmischen Kleinfürsten ist unbe­
kannt.
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Feldzug gegen Boleslaw 91

stattfände, und hatte als Erzieher des j ungen Heinrich diesen bei sich.
Der König aber ehrte danach einen j eden der Fürsten königlicher Frei­
gebigkeit gemäß mit dem j edem angemessenen Geschenk und entließ die
Menge mit aller Fröhlichkeit.
s 3. Mittlerweile erhoben sich die Barbaren zu neuer Empörung, auch
erschlug Boleslaw seinen Bruder13, einen Christen und, wie man sagt, im
Dienste Gottes sehr eifrigen Mann, und da er einen ihm benachbarten
Häuptling 14 fürchtete, weil dieser den Befehlen der Sachsen Folge leistete,
erklärte er diesem den Krieg. Dieser sandte nach Sachsen, um Hilfe für
10 sich zu verlangen. Es wurde ihm aber Asik 15 gesandt mit einer Schar

Merseburger und einem starken Haufen Hochseegauer, wozu ihm noch


ein thüringisches Aufgebot gegeben wurde . Jene Schar nämlich war aus
Räubern gesammelt. König Heinrich nämlich, sehr streng gegen die
Fremden, war gegen seine Landsleute in allen Dingen milde ; sooft er
ts d eshalb sah, daß ein Dieb oder Räuber ein tapferer Mann und tüchtig

zum Kriege sei, erließ er ihm die gebührende Strafe und versetzte ihn
in die Vorstadt von Merseburg, gab ihm Äcker und Waffen und befahl
ihm, die Mitbürger zu verschonen, gegen die Barbaren aber, soviel sie
sich getrauten, Raubzüge zu machen . Die aus solchen Leuten gesammelte
20 Menge also stellte eine vollständige Heerschar zum Kriegszuge . Da aber

Boleslaw von dem Heer der Sachsen hörte und daß die Sachsen für sich
und die Thüringer für sich gegen ihn ziehen, teilte auch er seine Genossen,
und klug, wie er war, beschloß er, beiden Heeren entgegenzutreten . Als
aber die Thüringer die Feinde unvermutet sich gegenüber sahen, entzogen
2S sie sich der Gefahr durch die Flucht. Asik hingegen warf sich mit den
Sachsen und der übrigen Hilfsmannschaft ohne alles Zögern auf die
Feinde, vernichtete den größten Teil von ihnen mit den Waffen, trieb die
übrigen in die Flucht und kehrte siegreich zum Lager zurück . Und da er
von dem Heere, das die Thüringer verfolgt hatte, nichts wußte, erfreute
30 er sich des errungenen Sieges zu sorglos. Als aber Boleslaw sah, daß sich

unser Heer zerstreut hatte und die einen damit beschäftigt waren, den
Toten die Rüstungen abzunehmen, andere, sich zu erholen, andere, Futter
für die Pferde zu holen, da vereinigte er das in die Flucht geschlagene und
das siegreich zurückkehrende Heer, fiel über die Ahnungslosen und sich
35 wegen des soeben errungenen Sieges in Sicherheit Wähnenden plötzlich

her und erschlug den Führer samt unserem ganzen Heer. Von da zog er
weiter vor die Burg j enes Häuptlings, nahm dieselbe beim ersten Anlauf

15 Die legio Mesaburiorum hatte Heinrich I. aus begnadigten Freibeutern

(Grundmann, DA 5, 1942, 437 Anm. I ) gebildet und in der Vorstadt von Merse­
burg angesiedelt. Hassigani sind die Bewohner des Hassegowe (Hohsego),
zwischen Unstrut und Saale, der aus einer alten, gegen die Sachsen errichteten
fränkischen Mark entstanden ist.
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92 Widukindi res gestae Saxonicae II 3-6 70/71

diem solitudinem fecit. Perduravitque illud bellum usque ad quartum


decimum regis imperii annum16 ; ex eo regi fidelis servus et utilis
permansit.
IIII. Rex autem audito huiuscemodi nuntio minime turbatur, sed
divina virtute roboratus cum omni exercitu intrat terminos barba- s
rorum ad refrenandam illorum saevitiam. Datum quippe erat illis et
antea a patre suo bellum, eo quod violassent legatos Thancmari filii
sui, de quo in sequentibus plenius dicturos arbitramur. Placuit igitur
novo regi novum principem militiae constituere. Elegitque ad hoc
officium virum nobilem et industrium satisque prudentem nomine 10

Herimannum. Quo honore non solum caeterorum principum, sed et


fratris sui Wichmanni offendit invidiam. Quapropter et simulata
infirmitate amovit se ab exercitu. Erat namque I Wichmannus vir
potens et fortis, magnanimus, belli gnarus et tantae scientiae, ut a
subiectis supra hominem plura nosse predicaretur. Herimannus autem t s
cum esset in prima acie, in introitu regionis i n hostium pugnam incidit
eosque fortiter vicit, et ob hoc maiori invidia inimicos accendit. Inter
quos Ekkardus filius Liudulfi, qui in tantum aegre passus est fortunam
Herimanni, ut sese promitteret maiora facturum aut vivere nolle.
Unde collectis ex omni exercitu fortissimis viris interdieturn regis rupit 20

et paludem, quae erat inter urbem hostium et castra regis, cum sociis
transiit, statimque hostes offendit, et ab his circumfusus cum omnibus
suis periit. Erant autem qui cum eo ceciderant electorum ex omni
exercitu virorum decem et octo. Rex autem caesa hostium multitudine
et caeteris tributariis factis reversus est in Saxoniam. Acta sunt autem 25

haec VII. Kalend. Octobris.


V. Post haec antiqui hostes Ungarii venerunt virtutem probare
novi regis. Intrantes autem Franciam statuerunt, si possent, ab oc­
cidentali plaga invadere Saxoniam. Rex autem audiens, nichil moratus
cum exercitu valido occurrit illis fugavitque et a terminis suis abegit. 30
VI. Cessantibus autem bellis externis civilia oriri coeperunt. Nam
Saxones imperio regis facti gloriosi dedignabantur aliis servire nationi­
bus quaesturasque quas habuerunt ullius alii nisi solins regis gratia
habere contempserunt. Unde iratus Evurhardus contra Bruningum
collecta manu succendio tradidit civitatem illius vocabulo Elmeri17, 35

18 Vgl. III 8.
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Markgraf Hermann Billung 93

und machte sie zur Wüste bis auf den heutigen Tag. Und es währte dieser
Krieg bis in das vierzehnte Regierungsj ahr des Königs16 ; von da an ver­
blieb er dem Könige ein treuer und nützlicher Diener.
4 . Als aber der König von j ener Niederlage Botschaft erhielt, wurde er
5 darüber keineswegs in Bestürzung versetzt, sondern gestärkt durch
göttliche Kraft rückte er mit dem ganzen Heer in das Gebiet der Bar­
baren ein, um ihrem Wüten Einhalt zu tun . Es waren nämlich j ene schon
vorher von seinem Vater mit Krieg überzogen worden, weil sie die Ge­
sandten seines Sohnes Thankmar verletzt hatten, von dem wir im folgen-
t o den ausführlicher zu sprechen gedenken. Der neue König beschloß nun,

einen neuen Heerführer zu bestellen, und wählte zu diesem Amte einen


edlen, kraftvollen und sehr klugen Mann namens Hermann . Durch diese
hohe Stellung aber erregte Hermann den Neid nicht allein der übrigen
Fürsten, sondern auch seines Bruders Wichmann . Deshalb entfernte sich
1 5 dieser auch unter dem Vorwand einer Krankheit vom Heere. Denn es war
Wichmann ein gewaltiger, tapferer Mann , hochstrebend, kriegserfahren
und von solchem Wissen, daß sein Gefolge an ihm übermenschliche
Kenntnisse rühmte . Hermann aber, der sich an der Spitze des Heeres
befand, geriet beim Eintritt in das Land mit den Feinden in Kampf,
20 besiegte sie tapfer und entflammte dadurch noch größeren Neid bei
seinen Feinden . Darunter war auch Ekkard, Liudolfs Sohn, der über das
Glück des Hermann dermaßen verärgert war, daß er gelobte, noch Grö­
ßeres zu leisten oder nicht mehr weiterzuleben . Daher sammelte er aus
dem ganzen Heere die tapfersten Männer, brach das Verbot des Königs
2 5 und ging mit den Genossen durch den Sumpf zwischen der Burg der
Feinde und dem königlichen Lager ; hier stieß er sogleich auf die Feinde,
wurde aber von ihnen umringt und fand mit allen seinen Leuten den Tod.
Es waren aber derer, die mit ihm gefallen waren, achtzehn auserlesene
Männer aus dem ganzen Heere . Der König aber kehrte, nachdem er eine
30 Menge Feinde getötet und die übrigen zinsbar gemacht hatte, nach
Sachsen zurück. Solches geschah am fünfundzwanzigsten September.
5. Danach kamen die alten Feinde, die Ungarn, um die Tapferkeit des
neuen Königs zu erproben. Sie fielen in Franken ein und beschlossen,
falls möglich, von Westen her in Sachsen einzudringen. Der König aber,
3 5 der davon hörte, zog ihnen unverweilt mit einem gewaltigen Heer ent­
gegen, schlug sie in die Flucht und verj agte sie von seinem Gebiet.
6. Als aber die Kämpfe mit auswärtigen Feinden aufhörten, begannen
solche im Innern. Die Sachsen nämlich, stolz geworden, weil sie einem
König unterstanden, lehnten es ab, anderen Stämmen zu dienen, und
40 verschmähten es, die Lehen, die sie besaßen, durch die Gunst irgendeines
anderen als die des Königs zu haben. Darüber ergrimmte Eberhard gegen
Bruning, sammelte eine Schar und brannte dessen Burg Helmern17 nieder,

17 Am Ostabhang des Eggegebirges (westlich von Peckelsheim).


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94 Widukindi res gestae Saxonicae II 6-10 7 1/74

interfectis J omnibus eiusdem civitatis habitatoribus. Qua presump­


tione rex audita condempnavit Evurhardum centum talentis aesti­
matione equorum, omnesque principes militum, qui eum ad hoc
facinus adiuvabant, dedecore canum, quos portabant usque ad
urbem regiam18 quam vocitamus Magathaburg. s

VII. Eodem tempore transtulit .rex reliquias lnnocentii martyris19


in eandem urbem. Ipse autem rex, ut erat clementissimus, dum turba­
tores pacis merita castigatione afflixit, ilico cum pietate suscepit, et
unumquemque eorum regio munere honorans dimisit in pace. At illi
niehilaminus duci suo haerebant ad omne nefas , quia ille quidem erat 1 0
iocundus animo, affabilis mediocribus, largus in dando ; e t his rebus
multos Saxonum sibi associavit.
VIII. Ea tempestate defunctus est Arnulfus Boioariorum dux, et
filii eius in superbiam elati regis iussu contempserunt ire in comitatum. J
VIIII. Illo quoque tempore defunctus est Sigifridus comes ; cuius 1 5
legationem cum sibi vendicasset Thancmarus, e o quod propinquus ei
esset - nam mater eius 2 0 filia erat materterae Sigifridi, de qua genuit
rex Heinricus Thancmarum -, et regali dono cessisset Geroni comiti,
afflictus est Thancmarus tristitia magna. Rex autem transivit in
Boioariam et rebus ibi rite compositis reversus est in Saxoniam. 20
X. Dissensio autem, quae facta est inter Evurhardum et Bruningum,
ad hoc pervenit, ut caedes publicae fierent depopulationesque agrorum
agerentur et ab incendiis nusquam abstinerent. De legum quoque
varietate facta est et contentio, fueruntque qui dicerent, quia filii
filiorum non deberent computari inter filios hereditatemque legitime 25

cum filiis sortiri, I si forte patres eorum obissent avis superstitibus.


Unde exiit edictum 21 a rege, ut universalis populi conventio fieret
apud villam quae dicitur Stela 22 ; factumque est, ut causa inter arbitros
iudicaretur debere examinari. Rex autem meliori consilio usus noluit
viros nobiles ac senes populi inhoneste tractari, sed magis rem inter 30
gladiatores discerni iussit. Vicit igitur pars, qui filios filiorum computa­
bant inter filios, et firmaturn est, ut aequaliter cum patruis hereditatem

18 2. Sam. 12, 26. Der Ausdruck kehrt wieder III 10.


19 Geschenk des Königs Rudolf II. von Burgund für das Moritzkloster in
Magdeburg, dessen Stiftung (21. September 937) unerwähnt bleibt. Zu dimisit
in pace vgl. Luc. 2, 29.
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Innere Schwierigkeiten 95

nachdem alle Bewohner der Burg getötet waren. Als der König
diese Anmaßung vernahm, verurteilte er den Eberhard, als Buße eine
Anzahl Pferde zu liefern, im Wert von hundert Pfund, und alle Kriegs­
obersten, die ihm dabei geholfen hatten, zu der Schande, Hunde zu tragen
5 bis zu der königlichen Stadtl8 Magdeburg.

7. Um dieselbe Zeit übertrug der König die Reliquien des Märtyrers


Innocentius19 in eben diese Stadt. Während aber der König die Friedens­
störer verdientermaßen züchtigte, nahm er sie doch, wie er denn überaus
milden Sinnes war, sofort wieder leutselig auf und entließ einen j eden von
1 0 ihnen geehrt durch ein königliches Geschenk in Frieden. Aber j ene hielten

nichtsdestoweniger zu ihrem Herzoge zu j edem Frevel, weil dieser von


heiterem Gemüt, leutselig gegen die Geringeren, verschwenderisch im
Geben war, und dadurch machte er sich viele Sachsen zu Freunden.
8 . Zu dieser Zeit starb der Bayernherzog Arnulf, und seine Söhne
1 5 weigerten sich in übermütigem Stolz, auf des Königs Befehl sich seiner

Gefolgschaft anzuschließen.
9 . Auch starb um diese Zeit Graf Siegfried, dessen Markgrafschaft sich
Thankmar anmaßte, weil er mit ihm verwandt war. Es war nämlich seine
Mutter 20, mit der König Heinrich den Thankmar zeugte , die Tochter von
20 Siegfrieds Mutterschwester. Als sie aber durch königliche Schenkung dem

Grafen Gero anheimfiel, war Thankmar darüber sehr verstimmt. Der König
aber zog nach Bayern und kehrte, nachdem er dort in gehöriger Weise
Ordnung geschaffen hatte, nach Sachsen zurück.
10. Aber der Zwist zwischen Eberhard und Bruning ging so weit, daß
2 5 offener Totschlag verübt, das Land verwüstet wurde und das Sengen und

Brennen nirgends aufhörte . Auch über die Verschiedenheit der Gesetze


entstand ein Streit ; einige behaupteten, daß die Söhne der Söhne nicht
unter die Söhne gerechnet werden und das Erbe rechtlicherweise mit den
Söhnen teilen dürften, wenn zufällig ihre Väter schon bei Lebzeiten des
30 Großvaters mit Tode abgegangen wären. Deshalb ging ein Gebot 21 vom

König aus, daß eine allgemeine Versammlung des Volkes bei der Pfalz
Steele 22 stattfinden sollte , und es wurde entschieden, daß die Sache durch
Schiedsrichter geprüft werden solle . Der König aber befolgte einen
besseren Rat und wollte nicht, daß edle Männer und die Ältesten des
3 5 Volkes unehrenhaft behandelt würden, vielmehr befahl er, die Sache durch

einen Zweikampf zur Entscheidung zu bringen. Dabei siegte nun die


Partei, welche die Söhne der Söhne unter die Söhne rechnete, und es
20 Hatheburg, Tochter des Grafen Erwin von Merseburg, hatte als Witwe

nach dem Tod ihres ersten Mannes den Schleier genommen, weshalb ihre zweite
Ehe von der Kirche (Bischof von Halberstadt) als unerlaubt angesehen wurde.
2 1 Luc. 2 , 1 : exiit edictum a Caesare Augusto.

2 2 Der Reichs- und Gerichtstag in der Pfalz Steele bei Essen a. d. Ruhr fand

im Mai 938 statt. - Dem Beschluß zufolge sollten die Urteilsfinder, Adelige und
Große aus dem Volke, den Streitfall durch Zweikampf entscheiden.
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96 Widukindi res gestae Saxonicae II 10. 1 1 74/76

dividerent pacto sempiterno. Ibi quoque pacis turbatores facti


sunt manifesti, qui hactenus se negabant contra regiam potestatem
aliquid fecisse, sed iniuriam tantummodo in socios vindicassent. Rex
autem se contemptum ab eis animadvertens - neque enim ad placitum
iuxta iussum venire dignati sunt - arma distulit, veniae locum dedit, 5

proxima sibi semper solitus clementia. Sed haec dilatio ad maiorem


perniciem multos protraxit. Fiebant preterea multa nefaria a sedi­
tiosis, homicidia, periuria, depopulationes, incendia ; aequum pravum­
que, sanctum periuriumque illis diebus parum procedebant.
XI. Iunctus est autem et Thancmarus Evurhardo, collectaque 10

valida manu obpugnat presidium quod dicitur Badiliki 23, i n quo erat
Heinricus iunior, dataque preda urbis I suis commilitonibus abiit,
secum adducens Heinricum quasi vile quoddam mancipium. lnter­
fectus est autem ibi Gevehardus Udonis filius, fratris Herimanni
ducis ; ob cuius necem Deo omnia ordinante duces Franeorum inter se 15

sunt divisi. Tantis igitur spoliis Thancmari milites ditati iam ad


omnia parabantur. Post haec cepit urbem quae dicitur Heresburg 24
et collecta valida multitudine sedit in ea, multa inde exercens latro­
cinia. Evurhardus autem secum tenuit Heinricum. Eo quoque tempore
occisus est Dedi ante portas urbis quae dicitur Larun 25, in qua erant 20

milites Evurhardi. Wichmannus autem, qui se primum alienavit a


rege, audiens tantum facinus seditiosorum, conversus pacem fecit euro
I
rege, quia prudentissimus erat, et utilis ac fidelis in finem permansit.
Thancmarus autem, filius Heinrici regis, natus erat ex matre nobili,
manu promptus, acer ingenio 26, bellandi peritus, sed inter arma 25

honesta minus pudicitia usus. Erat autem mater eius multam habens
possessionem ; qui licet a patre alia plura sit ditatus, materna tarnen
se hereditate privatum aegre valde tulit, et ob hanc causam arma
sumit ad perniciem sui suorumque contra dominum suum regem. Rex
autem, licet invitus, videns rem ad tarn ingens periculum procedere, 30

ad edomandam Thancmari insolentiam euro multo comitatu perrexit


ad Heresburg. Cives autem urbis illius cognoscentes de rege, quia super
se euro valida manu appropinquasset, apertis portis introduxerunt

23 Belecke an d. Möhne, nordöstlich von Arnsberg.


2f Vgl. I 23 m . Anm. 56.
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Thankmars Auflehnung 97

wurde festgesetzt, daß sie gemäß der bisher stets geltenden Ordnung
nach gleichem Maße mit den Oheimen das Erbe teilen sollten. Hier wurden
auch die als Friedensstörer überführt, die bisher behaupteten, nichts
gegen die königliche Gewalt getan, sondern bloß die Unbill an ihren Ge-
5 nossen gerächt zu haben . Obgleich nun aber der König sich von ihnen

mißachtet sah - denn sie verschmähten es, gemäß dem königlichen Befehl
auf der Tagfahrt zu erscheinen - , so verschob er dennoch die Anwendung
von Waffengewalt und verzieh ihnen, da es ihm immer am nächsten lag,
in gewohnter Weise Gnade zu üben. Aber diese Verzögerung verleitete
1 0 viele zu noch größerem Unheil. Außerdem wurden viele Freveltaten

begangen von aufrührerischen Menschen, Mord, Meineid, Verheerungen,


Brandstiftungen ; und zwischen Recht und Unrecht, Redlichkeit und
Meineid machte man in j enen Tagen wenig Unterschied.
1 1 . Es verband sich aber auch Thankmar mit Eberhard, brachte eine
15 starke Schar zusammen und belagerte damit die Feste Belecke 23, in der

sich der j üngere Heinrich befand ; und nachdem er die Burg seinen Ge­
nossen zur Plünderung überlassen hatte, zog er ab und führte Heinrich wie
einen gemeinen Knecht mit sich hinweg. Hier aber wurde Gebhard, der
Sohn Udos, des Bruders von Herzog Hermann, getötet ; wegen seines
20 Todes entzweiten sich nach Gottes Ratschluß untereinander die Häupter

der Franken. Bereichert durch die große Beute waren Thankmars Krieger
nun zu allem bereit. Danach nahm er die Eresburg 24, setzte sich in ihr
mit einem starken Haufen, den er gesammelt hatte, fest und unternahm
von da aus viele Raubzüge. Eberhard aber behielt Heinrich bei sich. Um
25 diese Zeit wurde auch Dedi getötet vor den Toren der Burg Laer 26, in der

Mannen Eberhards saßen. Als aber Wichmann, der zuerst vom Könige
abgefallen war, von so großem Frevel der Aufrührer hörte, bekehrte er
sich und schloß Frieden mit dem Könige , weil er sehr klug war, und blieb
bis an sein Ende treu und dienstwillig. Thankmar aber, der Sohn des
30 Königs Heinrich, geboren von einer Mutter edlen Stammes, war stets

fertig zum Kampf, lebhaften Geistes 26, kriegskundig, aber im Krieg gab
es Ehre und Sitte für ihn nicht. Seine Mutter hatte einen großen Besitz,
darum fühlte er sich, obgleich er durch seinen Vater mit anderen Gütern
reich ausgestattet wurde, schwer gekränkt durch den Verlust seines
3 5 mütterlichen Erbes und ergriff aus diesem Grunde zu seinem und der

Seinen Verderben die Waffen gegen seinen Herrn, den König. Der König
aber, der diese Angelegenheit zu so großer Gefahr anwachsen sah, zog,
wenn auch ungern, um Thankmars Übermut zu bändigen, mit zahl­
reichem Gefolge vor die Eresburg. Als die Besatzung dieser Burg erkannte,
40 daß der König mit starker Macht über sie gekommen war, öffnete sie

2 6 Lage umstritten, entweder Laer an d. Ruhr bei Meschede oder Laar bei

Herford oder bei Zierenberg nordwestl. Kassel. - Dedi vielleicht aus dem Hause
Wettin.
28
Frei nach Sall. Jug. 7 : manu prompt'US . . . impigro atque acri ingenio.
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98 Widukindi res gestae Saxonicae II 1 1 . 12 76/78

exercitum, qui obsederat urbem. Thancmarus autem fugit in ec­


clesiam a Leone papa beato Petro apostolo dedicatam 27• Exercitus
autem persecutus est eum usque in templum, et maxime satellites
Heinrici, dolentes ac vindicare contendentes iniuriam domini sui .
Nec veriti ianuas ferro incidere, cum armis ingressi sunt I sacram aedem. 5

Thancmarus autem stabat iuxta altare, depositis desuper armis cum


torque aurea. Cumque ex adverso telis urgeretur, Thiatboldus quidam,
notus Cobbonis, cum conviciis vulnus ei inflixit, ilicoque ab eo recepit,
quo vita cum terribili insania in brevi caruisset. Quidam autem
militum Maincia vocabulo per fenestram altari contiguam lancea a 10

tergo perfossum ibi secus aram extinxit Thancmarum. Ipse autem


fraternae fautor discordiae in Biertanico 28 postea bello vitam cum
auro ab altari nequiter rapto miserabiliter perdidit. Earum rerum rex
ignarus et absens cum audisset, super temeritate militum dedig­
natus est, sed fervente adhuc bello civili non potuit eos contristari. 15
Miseratus autem fratris fortunam suique ingenii ostendens clementiam,
pro laude eius ac industria pauca locutus 29 Thiadricum et tres amitae
illius filios, qui Thancmaro manus iunxerant, lege Franeorum damp­
natos strangulo fecit deficere. lnde vertit militem avidum pugnae et
preda urbis ditatum in Laras. Illi autem urbis prefecto auctore acriter 20

resistentes lapides lapidibus, tela telis obicere non cessabant, aggra­


vatique bello super consulto ducis indutias deposcunt. Quibus con­
cessis ducis eis presidium negatur. Unde urbe egressi potestati se
regiae tradiderunt. Ea pugna Tamma pincerna, multis aliis rebus I
bene gestis olim famosus, factus est clarus. Evurhardus autem audiens 25

de nece Thancmari et defectione suorum militum, fractus animo


prosternitur captivo suo, veniam petit ac nequiter promeretur.
XII. Heinricus autem erat eo tempore nimis adolescens, fervens
animo ; et nimia regnandi cupiditate illectus eo pacto crimine solvit
eum, quo coniuratione secum facta contra regem dominum suum et 30

27 Die Kirche, deren Weihe durch Papst Leo III. (Jaffe Reg. 2502 ist eine

Fälschung) nur von Widukind berichtet wird, wurde 785 errichtet. Thankmar
wurde am 28. Juli 938 erschlagen.
2 8 Birten südöstl. v. Xanten, vgl. II 1 7 .
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Thankmars Tod 99

die Tore und ließ das Heer ein, das sich vor die Burg gelegt hatte. Thank­
mar aber floh in die Kirche, die Papst Leo dem heiligen Apostel Petrus
geweiht hatte 27• Allein das Heer verfolgte ihn bis in die Kirche und nament­
lich Heinrichs Mannen, aus Schmerz und aus Begierde, die Schmach ihres
5 Herrn zu rächen. Sie scheuten sich nicht, mit Gewalt die Türen einzu­

schlagen, und drangen bewaffnet in das Heiligtum. Thankmar aber


stand neben dem Altar und hatte die Waffen samt der goldenen Kette auf
demselben niedergelegt. Und während man ihn von vorne mit Geschossen
bedrängte, schlug ihm ein gewisser Thiadbold, ein Bastard Cobbos, unter
1 0 Schmähungen eine Wunde, die er aber sogleich von ihm zurückerhielt,

so daß er bald darauf in schrecklicher Raserei den Geist aufgab . Aber einer
der Ritter, Maincia mit Namen, durchbohrte den Thankmar von hinten
durch ein Fenster nahe beim Altar mit einer Lanze und tötete ihn so
neben dem Altar. Er selbst aber, der Anstifter des Bruderzwistes, verlor
1 5 später in der Schlacht bei Birten 28 sein Leben auf j ämmerliche Weise,

samt dem frevelhaft vom Altar geraubten Golde . Als der König, welcher
nicht zugegen war und von diesen Vorfällen nichts wußte, davon hörte,
mißbilligte er das unüberlegte Handeln seiner Vasallen, doch konnte er,
während der Bürgerkrieg noch loderte, nicht mit Strenge gegen dieselben
20 verfahren. Er beklagte aber seines Bruders Schicksal und zeigte seines

Geistes Milde, indem er des Ruhms und der Tüchtigkeit Thankmars kurz
gedachte ; den Thiadrich 29 aber und drei Söhne von dessen Vatersschwe­
ster, die sich mit Thankmar verbündet hatten, ließ er nach dem Gesetz
der Franken verurteilen und aufhängen . Von hier lenkte er sein kampf-
25 lustiges und durch die Beute aus der Burg bereichertes Heer gegen Laer.
Dessen Besatzung aber leistete unter Führung des Burggrafen heftigen
Widerstand und hörte nicht auf, Steine mit Steinen, Geschosse mit Ge­
schossen zu erwidern. Aber des Kampfes müde, forderten sie, um den
Herzog zu befragen, eine Waffenruhe. Als man ihnen diese zugestand,
30 wurde ihnen Unterstützung vom Herzog verweigert. Deshalb verließen

sie die Burg und ergaben sich in die Gewalt des Königs. In diesem Kampfe
erwarb sich Tamma, der Schenk, schon durch viele andere wackere
Taten längst bekannt, hohen Ruhm . Als aber Eberhard den Tod Thank­
mars und den Abfall seiner Mannen hörte, verlor er den Mut, er warf sich
3 5 seinem Gefangenen zu Füßen, bat um Gnade und erhielt sie auf schänd­

liche Weise.
12. Heinrich war aber zu dieser Zeit noch sehr j ung und von heißem
Blute ; und so verzieh er ihm, verlockt von übergroßer Herrschsucht, sein
Verbrechen unter der Bedingung, daß er mit ihm eine Verschwörung gegen
40 den König, seinen Herrn und Bruder, schließe und ihm, wenn es möglich

28 Das Gegenstück zu diesem kurzen Preislied auf einen Sippenangehörigen

liegt III 75 vor. - Thiadricus war vermutlich ein Franke, da er mit seinen
Vettern nach fränkischem Recht bestraft wird.
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100 Widukindi res gestae Saxonicae II 12-15 78/80

fratrem sibi regni diadema, si possibile foret, inponeret. Foedus


itaque invicem percussum ; inde liberaliter Heinricus ad regem reversus
puriori fide ac caritate ab eo est susceptus quam ingressus.
XIII. Suasione quoque optimi inprimis viri et omni religione pro­
batissimi Frithurici 30 , successoris Hildiberhti archiepiscopi, Evur- s
hardus adiit regem, supplex veniam deposcit, se suaque omnia ipsius
arbitrio tradens. Ne igitur ingens scelus inemendatum maneret, quasi
in exilium in Hildinensem urbem a rege dirigitur. Sed non post mul­
tum temporis in gratiam clementer recipitur et honori pristino redditur.
XIIII. Dum ea interea loci geruntur, antiqui hostes nostri Ungarii 10

subito irruunt i n Saxoniam e t castris super litus Badae fluminis col­


locatis inde in omnem regionem diffunduntur. Dux autem missus a
castris cum parte exercitus I eo die ad vesperam signa movit circa
urbem quae dicitur Stedieraburg 31• Urbani autem videntes hostes et
ex itinere et ex pluvia, quae ingens erat, segniores, audacter erumpunt 15

portis, et clamore primum territantes, demum repente in adversarios


irruentes, plurimis ex eis caesis et copiosa equorum multitudine cum
aliquibus signis capta, caeteros fugere compulerunt. Urbes quas
obvias habuere illorum fugam animadvertentes, armis eos omnibus
locis urgebant, et maxima ex eis parte prostrata, ducem ispsum in 20

quendam luti puteum cogentes obpresserunt. Altera autem pars


exercitus ad aquilonem versus et arte cuiusdam Sclavi in locum qui
dicitur Thrimining32 deductus, difficultate locorum ac manu circum­
fusus armatorum periit timoremque nimium caeteris incussit. Dux
autem illius exercitus cum paucis elapsus comprehenditur, et ad 2s

regem deductus pretio magno redimitur. His auditis castra hostium


omnia turbata, fuga salutem quaesierunt, nec ultra per triginta annos
in Saxonia apparuerunt.
XV. Post haec Heinricus ardens cupiditate regnandi celebre parat
convivium in loco qui dicitur Salaveldun. Cumque esset magnus ac 30
potens maiestate et potestate regali, plurimis plurima donat et facti­
onis huiuscemodi plurimos ob id sibi associat. Fuere tarnen multi,
qui rem celare potius arbitrati sunt, ad hoc tantum, ne rei fraternae
discordiae invenirentur. Dabant tarnen consilium, quo facilius bellum I
solveretur, ut videlicet ipse relinqueret Saxoniam sub presidio militari 35

30 937-954, vgl. 8.86 Anm. 3. 31 Bei Wolfenbüttel.


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Einfall der Ungarn 101

wäre , die Krone des Reiches aufsetze. Und so wurde denn der Vertrag
von beiden Seiten geschlossen ; darauf kehrte Heinrich frei zum Könige
zurück und wurde von diesem mit mehr aufrichtiger Treue und Liebe
aufgenommen, als er mitbrachte .
5 13. Auch Eberhard ging auf Zureden Friedrichs30, des Nachfolgers von
Erzbischof Hildebert, eines trefflichen und in allen Andachtsübungen
bewährten Mannes, zum Könige, bat demütig um Verzeihung und stellte
sich und all das Seine dessen Willen anheim. Darauf wurde er, damit so
ungeheuerer Frevel nicht ungestraft bliebe, als Verbannter in die Burg
1 0 Hitdesheim gesandt. Doch nicht lange darauf wurde er huldreich wieder

zu Gnaden aufgenommen und in seine frühere Würde wieder eingesetzt.


H. Während dies im Innern geschah, fielen unsere alten Feinde, die
Ungarn, plötzlich wieder in Sachsen ein und schlugen ein Lager am Ufer
des Flusses Bode auf, von wo sie ausschwärmten über die ganze Gegend.
15 Einer ihrer Hauptleute aber, der mit einem Teile des Heeres vom Lager
abgeschickt worden war, zog am Abend dieses Tages mit seiner Schar
gegen die Steterburg 31• Als die Burgmannen sahen, daß die Feinde sowohl
vom Marsch als vom Regen, der in Strömen floß , ermattet waren, brachen
sie kühn aus den Toren hervor, erschreckten sie zuerst durch Geschrei,
2 0 stürzten sich dann plötzlich auf die Gegner, töteten die meisten von ihnen

und trieben die übrigen, wobei sie eine große Menge Pferde nebst einigen
Feldzeichen erbeuteten, in die Flucht. Aus den Burgen aber, die auf ihrem
Wege lagen, wurden sie, als man ihre Flucht bemerkte, aller Orten mit den
Waffen bedrängt, und als der größte Teil von ihnen erschlagen war,
25 wurde ihr Anführer selbst in eine Lehmgrube getrieben und so ums Leben

gebracht. Der andere Teil des Heeres aber, der sich nach Norden wandte,
geriet durch List eines Slawen in eine Gegend, welche Drömling 32 heißt,
und ging hier in dem unwegsamen Gelände, von bewaffneten Scharen
umringt, zugrunde, was den übrigen größten Schrecken einj agte . Der
30 Anführer dieser Schar aber, der mit wenigen entschlüpft war, wurde er­
griffen, vor den König geführt und mußte sich um hohen Preis loskaufen.
Auf diese Kunde geriet das ganze Lager der Feinde in Verwirrung und
suchte sein Heil in der Flucht, und seitdem sind sie nun schon dreißig
Jahre lang nicht wieder im Sachsenland erschienen .
35 1 5 . Danach gab Heinrich, der von Begierde nach dem Königtum
brannte, ein großes Fest an einem Ort, der Saalfeld genannt wird. Und da
er groß und von königlicher Hoheit und Macht war, beschenkte er sehr
viele mit großen Gütern und gewann dadurch eine große Menge für sich
zu Genossen seiner Verschwörung. Doch waren viele der Meinung, daß es
40 besser sei, die Sache geheimzuhalten, nur zu dem Zweck, damit sie nicht

als schuldig an dem Bruderzwist erfunden würden . Sie gaben aber einen
Rat, wodurch der Krieg um so leichter zum Ausbruch kommen sollte :
er solle nämlich Sachsen der Verteidigung seiner Vasallen überlassen und
32 Ein waldiger Bruch zwischen Aller und Ohre nördlich von Helmstedt.
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102 Widukindi res gestae Saxonicae II 15-17 80/81

et sese inferret Lotharüs, generi hominum inbelli ; et ita factum est,


ut primo inpetu eos rex devinceret et uno certamine fatigaret.
Commilitonum itaque consulto Saxonia, ut diximus, relicta et urbibus
Saxoniae vel in Thuringorum terra presidio militari traditis, ipse cum
amicis 1otharios adit. Cuius rei fama undique omnes perculsi, quia tarn s
subitaneae recessionis a rege ac repentini belli causam penitus ignora­
bant. Rex autem audita huiuscemodi fama primum non credidit,
postremo certurn de belli negotio probans, nichil moratus cum exercitu
prosecutus est fratrem. Et ut appropiat urbi presidiis fratris munitae
quae dicitur Throtmanni, milites qui erant in ea, non inmemores 10
fortunae Thancmari, nequaquam sunt ausi inibi regem expectare,
sed egressi urbe tradiderunt se ipsos regi. Erat autem Agina, qui illam
urbem ad manum Heinrici procurare deberet. Hic a rege vehementi
iuramento constrictus, quatinus, si posset, dominum suum a bello ad
pacem et concordiam revocaret, vel certe ipse ad regem reverteretur, 1 s
ita dimissus adiit dominum suum. Ductus autem exercitus a rege
pervenit usque ad litora Reni fluminis.
XVI. Eo tempore 33 quo erat bellum Evurhardi cum rege, missus
Hadaldus, qui erat super cubiculum regis, ad J Isilberhtum pro con­
cordia et pace, cum necdum ad neutram partem palam declinaretur, 20
indigne suscipitur, et responsio de die in diem differtur. Ipse autem
simultates a ducis sentiens nec ultra talibus versutiis contentus :
'Imperium tibi, inquit, 'regale facio, presente populo 34, tribunali
regis condicto die presentari, aut certe hostem te scias iudicari'.
Simili modo et pontificem Bernhardum 3 5 a rege missum inhonoratum 2s
et responsi incertum a se dimisit. Fertur etiam et regalium litterarum
saepius sigilla corrupisse. Post haec vero verba legatum meliuscule
coepit habere et cum honore transduci fecit.
XVII. Igitur copias belli parantes Heinricus et Isilberhtus decre­
verunt ad Renum occurrere regi. Agina quoque memor iurisiurandi 30
precedens exercitum transito Reno regi sese prcsentavit. Et salutato
eo verbis humillinüs ait : 'Frater tuus, dominus meus, salvum te et
incolumem magno latoque imperio diu regnare exoptat tuumque ad
a) man erwartet: simulationes (vgl. S. 120, 32) .
aa Bei der ersten Erhebung 938.
84 In der Fassung C lautet dieser Satz so : Imperio, inquit, tibi regali denuncio,
teste popu lo, d. i. auf Befehl des Königs fordere ich dich vor allem Volk auf.
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Heinrichs und Giselberts Bund gegen Otto 103

sich zu den Lothringern begeben, einem zum Kriege untüchtigen Volk ;


und so kam es denn, daß sie der König beim ersten Angriff besiegte und
durch eine einzige Schlacht ihre Kräfte erschöpfte . Nachdem also Hein­
rich auf den Rat seiner Gefährten Sachsen, wie gesagt, verlassen und seine
s Burgen in Sachsen oder im Thüringerlande seinen Vasallen zur Verteidi­

gung übergeben hatte, zog er selbst mit seinen Freunden zu den Loth­
ringern. Die Kunde davon versetzte alle weit und breit in Schrecken, weil
ihnen der Grund eines so plötzlichen Abfalls vom Könige und eines so
unerwarteten Krieges völlig unbekannt war. Der König aber, als er solche
1 0 Kunde vernahm, glaubte anfangs nicht daran ; zuletzt, da er die Botschaft

als zuverlässig bewährt fand, zog er unverweilt mit seinem Heere hinter
seinem Bruder her. Und wie er nun vor die Burg namens Dortmund kam,
die mit einer Besatzung seines Bruders verwahrt war, da wagten in
Erinnerung an Thankmars Geschick die Mannen darin es nicht, den König
IS in der Burg zu erwarten, sondern verließen sie und ergaben sich dem

König. Es war aber Agina, welcher j ene Burg zu Handen Heinrichs be­
wahren sollte . Dieser wurde vom König mit einem schweren Eide ver­
pflichtet, daß er, wenn er es vermöchte, seinen Herrn vom Kriege zu
Frieden und Eintracht zurückführe oder wenigstens selbst zum König
20 zurückkehre ; also entlassen suchte er seinen Herrn auf. Das Heer aber

gelangte unter des Königs Führung bis an das Ufer des Rheins.
16. Zu j ener Zeit 33, als zwischen Eberhard und dem König Krieg war,
wurde Hadald, der Kämmerer des Königs, zu Giselbert geschickt, um über
Frieden und Eintracht zu verhandeln ; aber da j ener sich noch nicht offen
zs auf eine der beiden Seiten neigte, wurde er unziemlich aufgenommen und

die Antwort von Tag zu Tag verschoben . Er aber spürte die Feindseligkeit
des Herzogs, und da er nicht ferner solcher Täuschung ruhig zusehen
wollte, sprach er : " Ich gebe dir den Befehl des Königs vor allem Volk 34,
dich vor des Königs Richterstuhl am bestimmten Tage zu stellen ; sonst
30 wisse, daß man dich j edenfalls zum Landesfeind erklären wird . " Auf

ähnliche Weise hatte Giselbert auch den Bischof Bernhard 35, des Königs
Gesandten, ohne die gebührende Ehre und ohne bestimmte Anwort von
sich entlassen . Man sagt auch, daß er öfter die Siegel königlicher Schreiben
mißbraucht habe. Nach j enen Worten aber fing er an, den Gesandten
JS etwas besser zu behandeln, und ließ ihn ehrenvoll zurückgeleiten.

17. Jetzt also rüsteten Heinrich und Giselbert zum Kriege und be­
schlossen, dem Könige am Rhein entgegenzutreten. Agina, seines Schwu­
res eingedenk, eilte dem Heere voran, setzte über den Rhein und stellte
sich dem Könige ; er begrüßte ihn mit sehr demütigen Worten und sprach
40 dann : "Dein Bruder, mein Gebieter, wünscht dir, du mögest gesund und
wohlbehalten lange über dein großes und weites Reich herrschen, und

35 Bischof von Halberstadt 924-968. Dieser Satz und der folgende sind nach­
träglich eingeschoben.
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104 Widukindi res gestae Saxonicae II 1 7 81/83

servitium demandat quantocius festinare' 36• Rege autem interrogante


de eo, pacem bellumne cogitasset, prospiciens vidit multitudinem
I
nimiam erectis signis tractim procedere et ad sui partem exercitus, qui
iam Renum transierat, tendentem. Et conversus ad Aginam : 'Quidnam
vult', inquit 'illa multitudo aut quae est ? ' At ille satis ociose : 'Domi- 5
nus meus' , inquit, 'est, frater tuus ; si meae suasioni dignaretur
animum inclinare, aliter venisset. Modo, ut ipse iuravi, veni' . Rex
autem his auditis dolorem animi motu corporis non celabat, eo quod
non adessent naves, per quas Ren um transcendere posset ; et ingens
fiumen aliud iter non prebebat, nec tempus subitanei certaminis in 10
ulteriore ripa constitutos aliud sinebat cogitare, nisi aut coram
hostibus cadere debere aut certe armis vitam defendere. Unde ad
Deum supplices expandens manus rex ait : 'Deus, inquit, 'omnium
rerum auctor et rector, 37respice populum tuum 37, cui me preesse
voluisti, ut, ereptus ab inimicis, sciant omnes gentes ullum mortalium 15
tuae dispositioni contraire non posse, qui omnia potes e t vivis et
regnas in aeternum' . Qui autem erant in ulteriore ripa, sarcinas et
inpedimenta quaeque transmittunt in locum qui dicitur Xantum.
lpsi vero parati hostes expectant. Cumque esset piscina inter no­
strates et hostes, Saxones divisis sociis, pars una ex adverso ruit in 20
hostes, altera pars a tergo insequitur, in mediis hostes obprimens,
pauci plures vehementer urgebant. Neque enim nostratium supra
centum armatos fuisse perhibetur, adversariarum vero magnus satis
exercitus. Sed cum a fronte pariter et a tergo urgerentur, qua parte
potissimum cavere debuissent, in promptu non erat. Ex nostris etiam 25
fuere qui Gallica lingua ex parte loqui sciebant, qui clamore in altum
Gallice levato exhortati surrt adversarios ad fugam. Illi socios huius­
cemodi clamasse arbitrati, fugam, ut clamatum est, inierunt. Eo die
I
ex nostris multi vulnerati, aliqui etiam caesi ; inter quos Ailbertus,
qui cognominatus est Candidus, telo ducis Heinrici vulneratus non 30
multis interiacentibus diebus defunctus est. Rostes autem omnes aut
caesi vel capti vel certe fugati, sarcinae omnes et omnis hostium
suppellex inter victores divisa. Ex parte Lothariorum bene pugnasse
predicabatur illo certarnirre Godofridus Niger cognominatus38• Sed et
Maincia, cuius supra mentionem fecimus, eo die cecidit. 35

ao Vgl. oben S. 30, 25 . 37 Exod. 33, 13.


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Niederlage bei Birten 105

meldet dir, daß er seinen Dienst bei dir so schnell als möglich antritt 36. "
Als ihn aber der König fragte, o b e r a n Frieden oder Krieg denke, sah er,
in die Ferne blickend, eine große Menge mit aufgerichteten Feldzeichen
langsam vorrücken in Richtung auf den Teil seines Heeres, der schon den
5 Rhein überschritten hatte. Und zu Agina gewendet, sprach er : "Was will

j ene Menge ? und was für Leute sind es ? " Darauf erwiderte dieser in
aller Ruhe : "Mein Gebieter ist es, dein Bruder ; wenn es ihm gefallen
hätte, nach meinem Rate den Sinn zu lenken, so wäre er auf andere Weise
gekommen. Nun bin ich doch wenigstens gekommen, wie ich geschworen
1 0 habe. " Als der König dies hörte, verriet er durch die Bewegung seines

Körpers den Schmerz seiner Seele darüber, daß keine Schiffe da waren,
auf denen er über den Rhein setzen könnte ; denn der gewaltige Strom
bot weder einen anderen Übergang, noch ließ der Zeitpunkt des plötz­
lichen Angriffes die am anderen Ufer Stehenden an etwas anderes denken,
15 als daß sie den Feinden erliegen oder ihr Leben mit den Waffen verteidigen
müßten. Deshalb erhob der König die Hände flehend zu Gott und sprach :
"0 Gott, du aller Dinge Urheber und Regierer, sieh auf dein Volk 37, an
dessen Spitze mich dein Wille gestellt, auf daß es vor den Feinden ge­
rettet werde und alle Völker daran erkennen, daß gegen deinen Willen
20 kein Sterblicher etwas vermag, der du allmächtig bist und lebst und

herrschest in Ewigkeit. " Die aber am j enseitigen Ufer waren, schickten


das Gepäck und allen Troß an einen Ort, welcher Xanten heißt, sie selbst
erwarteten kampfbereit den Feind. Und da ein Fischteich zwischen den
Unsrigen und den Feinden lag, teilten sich die Sachsen : ein Teil stürzte
25 sich den Feinden entgegen, die übrigen fielen ihnen in den Rücken, so

daß die Feinde in die Mitte genommen und auf diese Weise trotz ihrer
Überzahl von dem kleinen Haufen heftig bedrängt wurden. Denn man
berichtet, daß auf unserer Seite nicht über hundert Geharnischte ge­
wesen sind, das Heer der Feinde aber ziemlich groß . Da sie aber zugleich
30 von vorn und im Rücken bedrängt wurden, so wußten sie nicht, nach

welcher Seite sie sich vor allem wehren sollten. Auch waren unter den
Unsrigen einige, die etwas in welscher Sprache zu reden verstanden, und
diese erhoben auf welsch ein lautes Geschrei, indem sie ihre Gegner auf­
forderten zu fliehen. Diese glaubten, ihre Genossen hätten so gerufen,
35 und ergriffen, wie ihnen zugerufen worden war, die Flucht. An diesem

Tage wurden von den Unsern viele verwundet, einige auch getötet,
darunter Ailbert, genannt der Weiße, der, von einem Geschoß Herzog
Heinrichs getroffen, wenige Tage nachher starb . Die Feinde aber wurden
alle entweder getötet oder gefangen oder wenigstens in die Flucht ge-
40 trieben und alles Gepäck und Gerät der Feinde unter die Sieger verteilt.
Von seiten der Lothringer aber soll in diesem Kampfe Godofrid 36 , ge­
nannt der Schwarze, wacker gekämpft haben . Aber auch Maincia, dessen
wir oben Erwähnung getan, fiel an diesem Tage.
38 Sonst nicht bekannt. Maincia s. II 1 1 .
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106 Widukindi res gestae Saxonicae li 18-20 83/85

XVIII. Dadi 39 autem Thuring mandavit ad prefectos urbium, qui


erant in oriente partis ducis Heinrici, de victoria regis, et quia ipse
dux in bello cecidisset, egitque eallide, ut omnes se traderent regiae
potestati. Heinricus autem hoc factum nequaquam reliquit inultum.
lpsi autem duae tantummodo ex omnibus remanseraut urbes, Mes- s

burg et Scithingi. Regi autem post victoriam visum est persequi


fratrem suum generumque.
XVIII!. Audiens vero de defectione urbium suarum fractusque
recenti regis victoria, cum novem tantum armatis iter arripuit,
Saxoniamque iam tardius adiens, urbem Mesburg ingressus est. Quo 10

rex comperto e t ipse reversus est Saxoniam urbemque, i n qua frater


erat, cum exercitu obsedit. Sed cum non posset fortiori ac maiori
]
resistere, post duos ferme menses tradita urbe egressus est Heinricus
ad regem. Datae sunt autem ei indutiae triginta dierum, quatinus
cum militibus sibi cohaerentibus secederet a Saxonia. Si cui vero 15

illorum regem adire placuisset, locum veniae haberet. Quievitque


Saxonia post haec ab intestinis bellis paucis diebus.
XX. Barbari autem Iabore nostro elati nusquam ab incendio,
caede ac depopulatione vacabant, Geronemque, quem sibi rex pre­
fecerat 40 , cum dolo perimere cogitant. Ipse dolum dolo preoccupans, 20

convivio claro delibutos ac vino sepultos ad triginta fere principum


barbarorum una nocte extinxit. Sed cum non suffleeret contra omnes
nationes barbarorum - eo quippe tempore et Apodriti rebellaverant,
et caeso exercitu nostro ducem ipsum nomine Haicam extinxerunt - ,
ab ipso rege saepius ductus exercitus eos laesit e t in multis afflixit et 25

in ultimam pene calamitatem perduxit. Illi vero nichilominus bellum


quam pacem elegerunt, omnem miseriam carae libertati postponentes.
Est namque huiuscemodi genus hominum durum et laboris patiens,
victu levissimo assuetum, et quod nostris gravis oneris esse solet,
Sclavi pro quadam voluptate ducunt. Transennt sane dies plurimi, 30

his pro gloria et pro magno latoque imperio 4I, illis pro libertate ac
ultima servitute varie certantibus. Multos quippe illis diebus Saxones
patiebantur hostes, Sclavos ab oriente, Francos a meridie, Lotharios
ab occidente, ab aquilone j Danos itemque Sclavos : proptereaque
barbari longum trahebant certamen. 35

ae Auch Dadanus (III 16), Graf in pago Bassagoi et in confinio Mersapurae

(MG D OI. 1 14).


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Markgraf Gero 107

1 8 . Dadi 39 aber, der Thüringer, meldete den Hauptleuten der Burgen,


welche im östlichen Lande auf seiten des Herzogs Heinrich waren, vom
Siege des Königs und daß der Herzog selbst im Kampfe gefallen wäre ; und
er brachte es durch List dahin, daß sich alle der königlichen Gewalt
5 ergaben. Heinrich ließ diese Tat keineswegs unbestraft. Ihm waren von

allen festen Plätzen nur zwei übrig geblieben, Merseburg und Burg­
Scheidungen. Der König nun beschloß, nach dem Siege seinen Bruder und
Schwager zu verfolgen .
1 9 . Aber auf die Kunde von dem Abfall seiner Burgen und entmutigt
10 durch den soeben erfochtenen Sieg des Königs machte sich Heinrich mit

nur neun Gewappneten auf den Weg, kam schon etwas spät nach Sachsen
und zog in Merseburg ein. Als das der König erfuhr, kehrte er ebenfalls
nach Sachsen zurück und belagerte mit seinem Heer die Burg, in der sein
Bruder war. Da aber dieser dem Stärkeren und Mächtigeren nicht wider-
1 5 stehen konnte, übergab er nach ungefähr zwei Monaten die Burg und kam

heraus zum Könige. Und es wurde ihm eine Waffenruhe von dreißig
Tagen bewilligt, um mit seinen Anhängern Sachsen zu räumen ; falls
aber einer davon sich an den König wenden wolle, solle er Verzeihung
finden. Und hierauf hatte Sachsen vor inneren Kämpfen eine Zeitlang Ruhe.
20 20. Die Barbaren aber, durch unsere Schwierigkeiten übermütig ge­
worden, hörten nirgends auf, mit Morden und Brennen das Land zu
verwüsten, und trachteten danach, den Gero, den der König über sie
gesetzt hatte 40, mit List zu töten . Er aber kam der List mit List zuvor
und räumte ungefähr an die dreißig Fürsten der Barbaren, die nach einem
25 großen Gastmahl von Wein und Schlaf trunken waren, in einer Nacht

aus dem Wege. Da er aber gegen alle Völkerschaften der Barbaren allein
zu schwach war - es hatten sich nämlich um diese Zeit auch die Abodriten
empört, unser Heer vernichtet und den Anführer desselben namens
Haika erschlagen -, so führte der König selbst mehrere Male ein Heer
30 gegen sie, fügte ihnen vielen Schaden zu und brachte sie fast in das

äußerste Verderben . Nichtsdestoweniger zogen sie den Krieg dem Frieden


vor, indem sie alles Elend der teueren Freiheit gegenüber gering achteten .
Es ist nämlich dieser Menschenschlag hart und scheut keine Anstrengung ;
gewöhnt an die dürftigste Nahrung, halten die Slawen für eine Lust,
3 5 was den Unsern als schwere Last erscheint. Wahrlich, viele Tage gingen

darüber hin, während auf beiden Seiten verschieden gekämpft wurde,


hier für Kriegsruhm und Ausbreitung der Herrschaft 41, dort für Freiheit
oder schlimmste Versklavung. Die Sachsen hatten überhaupt in j enen
Tagen unter vielen Feinden zu leiden, Slawen im Osten, FraQken im Sü-
40 den, Lothringer im Westen, im Norden Dänen und gleichfalls Slawen ;
und deshalb zog sich auch ihr Kampf mit den Barbaren lang hin.
'0 Im Schwabengau und Nordthüringen.
u Frei nach Sall. Jug. 94 : pro gloria atque imperio his, illis pro salute certan­
tibus.
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108 Widukindi res gestae Saxonicae II 21-23 85/86

XXI. Fuit autem quidam Seiavus a rege Heinrico relictus, qui


iure gentis paterna successione dominus esset eorum qui dicuntur
Heveldi, dictus Tugumir. Hic pecunia multa captus et maiori promis­
sione persuasus profesaus est se prodere regionem. Unde quasi occulte
elapsus venit in urbem quae dicitur Brennaburg, a populoque agnitus 5
et ut dominus susceptus, in brevi quae promisit inplevit. Nam nepo­
tem suum, qui ex omnibus principibus gentis supererat, ad se invitans
dolo captum interfecit urbemque cum omni regione ditioni regiae
tradidit. Quo facto omnes barbarae nationes usque in Oderam ß.uvium
simili modo tributis regalibus se subiugarunt. to

XXII. Heinricus igitur discedens a Saxonia Lotharios iterum adiit


et cum genero suo, duce scilicet Isilberhto, cum suis militibus ali­
quamdiu moratus est. Iterum ducitur exercitus a rege contra Isil­
berhtum, et omnis regio Lotha j riorum illius imperio subiacens igni
traditur ; obsessusque in urbe quae dicitur Kievermont 42, elapsus inde t 5
proficiscitur. E t cum obsidio difficultate locorum parum procederet,
vastata undique regione rex in Saxoniam revertitur.
XXIII. Sciens autem comitem Isilberhti versutum et callidum
nimis nomine Immonem, artibus illius melius arbitratus est pugnare
quam armis. Ille vero, ut erat astutissimus, meliori ac maiori se 20
subdens, arma sumit contra ducem ; quod ipse dux omnium laborum
gravissime tulit, quia eum sibi adversum sustinere debuisset, cuius
consilio ac fidei hactenus se maxime credebat. Augebat quoque indig­
nationem ducis grex porcorum ab Immone callide captus. Nam subulci
ducis cum contra portas urbis transirent, Immo porcellum pro porta 2s
agitari fecit et omnem gregem porcorum apertis portis intra urbem
recepit. Quam iniuriam dux ferre non valens coacto exercitu obsedit
Immonem. Ille autem plurima apum examina habuisse fertur, quae
frangens proiecit contra equites. Apes autem aculeis equos stimu­
lantes in insaniam vertebant, ita ut equites periclitari coepissent. Quo 30
viso Immo prospiciens de muro eruptionem cum sociis minitavit.
Huiuscemodi igitur artibus saepius dux ab Immone delusus solvit
obsidionem. Discedens vero fertur dixisse : 'Immone mecum sentiente
omnes Lotharios facile captos tenui, modo ipsum solum cum omnibus
Lothariis capere nequeo'. 35

u Vaux-sous-CMvremont südöstl. von Lüttich.


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Zug nach Lothringen 109

2 1 . Es war aber von König Heinrichs Zeiten her ein Slawe namens
Tugumir in Haft, der nach dem Gesetz seines Volkes als Nachfolger seines
Vaters über die Heveller herrschen sollte. Dieser ließ sich durch eine
große Geldsumme gewinnen, und durch noch größere Verheißungen
5 überredet, versprach er, sein Gebiet zu verraten. Deshalb stellte er sich,
als sei er heimlich entflohen, kam so in die Burg, die Brandenburg heißt,
und wurde vom Volke anerkannt und als Herrscher angenommen, worauf
er in kurzem sein Versprechen erfüllte . Er lud nämlich seinen Neffen, der
von allen Fürsten des Volkes allein noch übrig war, zu sich ein, und nach-
1 0 dem er ihn durch List gefangen, tötete er ihn und unterwarf die Burg

samt dem ganzen Gebiet der Botmäßigkeit des Königs. Daraufhin unter­
warfen sich alle barbarischen Völkerschaften bis zur Oder auf ähnliche
Weise als Tributpflichtige der Hoheit des Königs.
22. Heinrich also zog, als er Sachsen verlassen mußte, wieder zu den
1 5 Lothringern und hielt sich mit seinen Vasallen eine Zeitlang bei seinem
Schwager, Herzog Giselbert, auf. Da führte der König wiederum ein Heer
gegen Giselbert und verheerte das ganze Gebiet der Lothringer, das unter
dessen Herrschaft stand, mit Feuer und Schwert. Giselbert selbst wurde
in der Burg Kievermont 42 belagert, entkam aber und machte sich davon.
2 0 Und da die Belagerung wegen der Schwierigkeiten des Geländes nicht

zum Ziel führte, verwüstete der König das Land ringsumher und kehrte
nach Sachsen zurück .
23. Da er aber von einem überaus gewandten und listigen Gefährten
Giselberts namens Immo wußte, hielt er es für ratsamer, sich dessen
2 5 Listen zu bedienen, als mit den Waffen zu kämpfen. Dieser aber, schlau
wie er war, unterwarf sich dem Besseren und Mächtigeren und ergriff die
Waffen gegen den Herzog, was diesen unter allen Drangsalen am schwer­
sten traf, weil er nun die Feindschaft dessen erdulden mußte, auf dessen
Klugheit und Treue er bis dahin am allermeisten vertraut hatte. Den
30 Unwillen des Herzogs vermehrte auch eine List Immos, wodurch er ihm

eine Herde Schweine abgewann. Als nämlich die Schweinehirten des


Herzogs den Toren seiner Burg gegenüber vorbeizogen, ließ Immo ein
Ferkel vor dem Tor hin und her treiben und nahm die ganze Schweineherde
durch die geöffneten Tore in seiner Feste in Empfang. Diese Unbill ver-
3 5 mochte der Herzog nicht zu ertragen, er sammelte ein Heer und be­

lagerte Immo. Nun soll dieser sehr viele Bienenkörbe gehabt haben, welche
er zerbrochen den Reitern entgegenwarf. Die Bienen aber stachen mit
ihren Stacheln die Rosse und machten sie toll, so daß die Reiter in Gefahr
gerieten. Und als Immo, von der Mauer herabschauend, dies erblickte,
40 drohte er, mit seinen Genossen über sie herzufallen. Durch dergleichen
Listen wiederholt von Immo verhöhnt, hob der Herzog die Belagerung auf.
Als er aber abzog, soll er geäußert haben : " Solange Immo mir anhing,
habe ich alle Lothringer ohne Mühe bei mir festgehalten, j etzt kann ich
mit allen Lothringern ihn allein nicht fassen."
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1 10 Widukindi res gestae Saxonicae II 24--26 86/89

XXIIII. Tractum tamdiu bellum Evurhardus considerans ultra


I
non quiescit ; quin contempto rege et iure spreto iuramentorum, ut
initio, conserta manu cum Isilberhto ad incentiva bellorum pariter
conspirant. Nec contenti regno occidentali solummodo, in Reni
orientalem agrum depopulandum cum exercitu demerguntur. Haec 5
cum audiuntur in castris regis - nam ea tempestate rex erat pugnans
contra Briseg 43 et alias urbes, quae erant Evurhardi ditionis - ,
multi se a castris eruebant, nec ultra spes erat regnandi Saxones. Rex
vero ea turbatione tanta constantia ac imperio usus est, licet raro
milite constiparetur, acsi nichil ei difficultatis obviasset. Nam summi to

pontifices 44 relictis tentoriis et alia qualibet suppellectili, ipsi etiam


defecerunt a fide.
XXV. Defectionis causam edicere et regalia misteria pandere super
nos est, verum historiae satisfaciendum arbitramur ; quicquid in hac
parte peccemus, veniabile sit. Summus pontifex missus ad Evur- t5

hardum pro concordia et pace, cum esset earum rerum desiderantis­


simus, pacto mutuo suum interposuit iuramentum, et ideo ab eo non
posse desipere fertur narrasse. Rex autem per pontificem officio suo
congruentia dirigens responsa, nil ad se pertinere voluit, I quicquid
episcopus egisset sine suo imperio. Quare quia contra auctoritatem 20

regi quasi precellenti noluit subici, sed recessit ab eo, in Mammabur­


gensem urbem quasi in exilium destinavit, Rothardum vero epi­
scopum Novam Corbeiam direxit. In brevi vero utrisque clementer
ignoscit, in sui gratiam suscipit et honori pristino reddidit.
XXVI. Ad coercendam igitur ducum presumptionem missus 25

Herimannus 46 cum exercitu, invenit eos super litus Reni, magnamque


partem exercitus abesse, eo quod iam Renum cum preda transissent.
Circumfusus itaque dux ipse Evurhardus militum armis, multis
vulneribus acceptis ac viriliter redditis, perfossus tandem telis corruit.
Isilberhtus autem fugiens navem cum pluribus ascendit, quae onere Jo

pregravata subcumbens mergitur ; ipseque dux cum caeteris mersus


numquam est inventus. Rex autem audita victoria suorum militum I
ac morte ducum gratias egit omnipotenti Deo , cuius saepius auxilium
expertus est oportunum. Preficiensque regioni Lothariorum Oddonem

43Breisach, damals vom Rhein umflossen.


44Erzbischof Friedrich von Mainz (937-954) und Bischof Ruodhard von
Straßburg (933-950) .
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Vernichtung der Rebellen 111

24. Als nun Eberhard sah, daß sich der Krieg s o lange hinzog, blieb er
nicht länger ruhig. Er scheute sich nicht mehr vor dem Könige, brach
seinen Eid, und wie am Anfang mit Giselbert gemeinschaftliche Sache
machend, trachtete er, mit ihm vereint den Krieg zu entfesseln. Und nicht
5 zufrieden mit dem Westreiche allein, stürzten sie sich mit einem Heer
auf das ostrheinische Gebiet, es zu verwüsten. Als man dies im Lager des
Königs hörte - es stand nämlich um diese Zeit der König im Kampf um
Breisach 43 und andere Festen , die zu Eberhards Besitz gehörten -, da
entfernten sich viele aus dem Lager, und alle Hoffnung schwand, daß die
10 Sachsen noch ferner den König stellen. Aber der König zeigte bei dieser

Verwirrung eine solche Standhaftigkeit und Befehlsgewalt, obgleich er


nur von wenigen Vasallen umgeben war, als ob ihm gar keine Schwierigkeit
in den Weg getreten wäre . Denn sogar auch die Bischöfe 44 ließen ihre
Zelte und alles andere Gerät im Stich und fielen ebenfalls vom König ab.
15 25. Den Grund des Abfalls mitzuteilen und das königliche Geheimnis
zu enthüllen, steht mir nicht zu, doch glaube ich, der Geschichte genügen
zu müssen ; lasse ich mir dabei etwas zuschulden kommen, so möge man
es mir verzeihen . Der Erzbischof, der zu Eberhard zur Herstellung des
Friedens und der Eintracht geschickt wurde, setzte, da ihn hiernach
20 dringend verlangte, bei dem gegenseitigen Vertrage seinen Eid zum Pfande

und soll deshalb gesagt haben, er könne davon nicht abgehen. Der
König aber, der durch den Bischof eine Antwort sandte, die seiner Würde
angemessen war, wollte sich durch nichts binden lassen, was der Bischof
ohne sein Geheiß getan hätte . Deshalb, weil er gegen Gottes Wort nicht
2 5 dem Könige als dem Oberherrn untertan sein wollte 45, sondern sich von

ihm entfernte, wurde er, wie zur Verbannung, nach Harnburg verwiesen,
den Bischof Ruthard aber schickte der König nach Neu-Korvei . In
kurzem j edoch verzieh er beiden huldvoll, nahm sie in Gnaden an und
gab ihnen ihre frühere Würde zurück .
30 26. Als danach, den Hochmut der Herzöge zu dämpfen, Hermann 46
mit einem Heere abgesandt worden war, traf er sie am Ufer des Rheins
und fand, daß ein großer Teil ihrer Mannschaft nicht zugegen war, weil
sie schon mit der Beute über den Rhein gesetzt waren. Daher wurde Herzog
Eberhard selbst von bewaffneten Kriegern umringt und brach, nachdem
35 er viele Wunden erhalten und mannhaft ausgeteilt hatte, endlich von
Geschossen durchbohrt zusammen. Giselbert aber bestieg fliehend mit
mehreren ein Boot ; dieses sank überlastet und ging unter, und der Herzog
selbst samt den übrigen versank und wurde nie wiedergefunden. Als aber
der König den Sieg der Seinen und den Tod der Herzöge vernommen hatte,
40 dankte er Gott dem Allmächtigen, dessen Hilfe er zu öfteren Malen zur
rechten Zeit erfahren hatte. Dann setzte er über das Gebiet der Lothringer
Otto, den Sohn Richwins, mit dem Auftrage, seinen Neffen, Giselberts
45 In Anlehnung an 1. Petr. 2, 1 3 : subiecti igitur estote . . . regi quasi praecellenti.
46 Herzog Hermann von Schwaben. - Tod der Herzöge 2. Oktober 939.
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112 Widukindi res gestae Saxonicae I I 26-28 89/91

Ricwinis filium, et ut nutriret nepotem suum, filium lsilberhti, optimae


spei puerulum, nomine Heinricum, reversus est in Saxoniam. Mater
autem pueri47 copulata est coniugio Hluthowico regi, et Heinricus
frater regis discedens a Lothariis secessit in regnum Karoli. Necem
ducum asperrima hiemps hiememque secuta est fames validissima. 5

XXVII . Post haec lmmo, re vera nescio an falso, arma sumit contra
regem, et media hieme circumdatus exercitu se pariter euro urbe
tradidit, ac deinceps fidelis et utilis permansit.
XXVIII. Nepotes quoque Isilberhti servituti regiae se subiciebant,
I
urbibus quas tenebant nichilominus retentis ; Kievermont etiam ab 10
Ansfrido et Arnoldo adhuc tenebatur. Ad quos lmmo ruandaturn
huiuscemodi dirigens ait : 'De me non sentio nisi quod vos sentitis ;
de vobis autem notum est, quia huius gentis principes estis. Nulli
ergo dubium, quin duabus manibus quisque magis valeat quam una.
Certurn est itaque tres unum fortitudine precedere. Et nunc quae 15

necessitas cogit, ut serviamus Saxonibus, nisi nostra discordia ?


Quando vos armis circumdederunt, num victoria laetati sunt ? Vic­
toribus certe turpe est servire. Optimum omnium mortalium, qui me
a puero nutrivit et inter amicos semper habuit et magna potestate
clarificavit, nostrum communem dominum deserui et Saxoni me peri- 20
culo capitis mei sociavi ; modo, ut scitis, pro merito honore contumelia
ab eo affectus, armis circumdatus, pene ex Iibero servus factus sum.
Ut ergo noveritis me ex fide communi utilitati velle consulere, tibi,
Ansfrid, unicam filiam meam desponsabo, quo nullo apud vos infide­
litatis scrupulo notari queam. Date igitur locum mutui colloquii, et ex 25

me ipso fidem probabitis, quam per nuntium necdum potestis ' .


I psi ad haec, quamvis ferrei pectoris essent J et illum iam olim suspectum
haberent, tantae tarnen calliditati cedentes, suasibilibus emolliti
verbis, mutuo dabant locum conspectui. At ille armatos habens locis
oportunis absconditos dolo ambos cepit et sub custodia regi destinavit, 30
mandato in haec verba pariter directo : 'Elatior 48', inquit, 'est mollior,
vinclis aut verberibus non indiget, minis pandit universa quae seit.
Ansfrid vero durior ferro est, hunc si tormenta acerrima rimentur,
magnum est' . Quos cum rex suscepisse t, aliquanto tempore custodiae
mancipatione castigavit. Postea suae gratiae lenitate sibi associans 35
in pace dimisit. Cum ergo causae causis et res rebus ita copulatae sint,
'7 Gerberga, vgl. Kap. 39. " Arnold.
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Unterwerfung von Lothringen 1 13

Sohn, ein hoffnungsvolles Knäblein nahmens Heinrich, zu erziehen. Dann


kehrte er nach Sachsen zurück. Die Mutter des Knaben 47 aber verband
sich durch die Ehe mit König Ludwig, und Heinrich, des Königs Bruder,
verließ Lothringen und entwich in das Reich Karls. Dem Tode der Herzöge
5 folgte ein sehr harter Winter und dem Winter eine gewaltige Hungersnot.

27. Später ergriff Immo, ob ernstlich oder zum Schein, weiß ich nicht,
die Waffen gegen den König, und mitten im Winter, von einem Heere
eingeschlossen, ergab er sich samt seiner Burg und verblieb fortan treu
und dienstbar.
10 28. Auch die Neffen Giselberts unterwarfen sich dem König und durf­
ten trotzdem die Burgen behalten, die sie innehatten. Auch Kievermont
wurde noch von Ansfrid und Arnold behauptet. Al). diese richtete Immo
eine Botschaft folgender Art : "Über meine Person habe ich keine eigene
Meinung ; euer Urteil ist auch das meine ; von euch aber ist bekannt, daß
15 ihr dieses Volkes Häupter seid. Nun ist keinem zweifelhaft, daß einer mit

zwei Händen mehr vermag als mit einer ; daher ist gewiß, daß drei an
Stärke einen übertreffen. Welche Notwendigkeit zwingt uns nun, den
Sachsen zu dienen, außer unsere Zwietracht ? Als sie euch mit Waffen
bedrängten, haben sie sich da des Sieges erfreut ? Den Siegern bringt
20 doch wahrlich Dienstbarkeit Schmach. Ich habe den Besten aller Sterb­
lichen, der mich von Kindheit an behütet, mich immer unter seine
Freunde gezählt und durch große Macht ausgezeichnet hat, unsern
gemeinsamen Gebieter, verlassen und mich unter Lebensgefahr mit dem
Sachsen verbündet ; nun habe ich, wie ihr wißt, statt der verdienten Ehre
25 nur Schimpf und Schande von ihm erfahren und bin, mit Waffen um­
stellt, aus einem freien Manne fast ein Knecht geworden. Damit ihr nun
wißt, daß ich ehrlich für das gemeinsame Wohl sorgen will, will ich dir,
Ansfrid, meine einzige Tochter verloben, damit ich bei euch nicht in den
Verdacht der Untreue geraten kann. Bestimmt mir daher einen Ort zu
30 gemeinsamer Besprechung, und dann werde ich selbst euch die Bürg­
schaft meiner Treue geben, die der Bote euch noch nicht leisten kann."
Daraufhin widerstanden diese, obwohl ihre Brust von Eisen war und sie
ihn schon lange im Verdacht hatten, dennoch so großer Verschlagenheit
nicht und bestimmten, verleitet von den verführerischen Worten, einen
35 Ort zur persönlichen Zusammenkunft. Er aber hatte an geeigneten Orten
Bewaffnete verborgen, nahm beide hinterlistig gefangen und sandte sie
unter Bewachung zum Könige, zugleich mit einer Botschaft, die etwa in
folgenden Worten abgefaßt war : "Der Größere 48 ist sanfter und braucht
weder Fesseln noch Schläge ; Drohungen entlocken ihm alles, was er weiß.
40 Ansfrid aber ist hart wie Eisen ; wenn diesen die heftigsten Qualen ergrün­
den, so ist es viel. " Als sie der König in Empfang genommen hatte, strafte
er sie dadurch, daß er sie eine Zeitlang in Haft nahm ; später gewann er
sie durch die Milde seiner Huld für sich und entließ sie in Frieden. Da nun
die Ereignisse und Begebenheiten so untereinander verkettet sind, daß
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1 14 Widukindi res gestae Saxonicae li 28-31 91/93

ut sententiarum ordine discerni adeo non debeant, nemo me temporum


vicissitudine accuset, dum posteriora anterioribus preposuerim gesta.
XXVIIII. Rex igitur vicina sibi semper clementia graves fratris
miseratus labores 49 aliquantis urbibus suis usibus concessis permissus
est intra regionem Lothariorum habitare. s

XXX. Eo tempore bellum barbarorum fervebat. Et cum milites


ad manum Geronis presidis conscripti crebra expeditione attenuarentur
I
et donativis vel tributariis premiis minus adiuvari possent, eo quod
tributa passim negarentur, seditioso odio in Geronem exacuuntur.
Rex vero ad communes utilitates rei publicae Geroni semper iuxta 1 0
erat. Unde factum est, ut nimis exacerbati odia sua i n ipsum quoque
regem vertissent.
XXXI . Quae causa Heinricum minime latuit. Et ut solet, amaris
animis dum dulce aliquid offertur, facile persuadebat huiuscemodi
homines sibi concordare, spem habens iterum regnandi, dum nosset 1 5
exercitum regi offensum. Denique multis intercurrentibus legatis et
munusculis invicem missis omnes pene orientalium partium milites
sibi colligavit. Quae res ad tantum nefas processit, ut coniuratione
valida facta, in paschali festivitate, quae erat proxima, cum ipse
Heinricus ad palatium adisset, regem occidere cogitassent, ipsi vero 20
regni diadema inponerent. Earum rerum dum non esset publicus
proditor, semper se protegente summa divinitate, notae factae sunt
regi insidiae 60 modieuro ante pascha. Qui fidelium militum vallatus
manu die ac nocte, nichilque decoris vel maiestatis regiae coram populo
ea sollempnitate minuens, nimium hostibus intulit timorem. Post diem 25
vero sollempnem consilio maxime Francorum, qui eo tempore sibi
adstabant, Herimanni scilicet, Udonis atque Cuonradi qui dictus est
Rufus 61, secrete proditos iubet comprehendi vel certe occidi. Inter
quos erat primus in caeteris omnium bonarum virtutum rebus absque
hac noxa fortissimus optimusque Erich 62• Hic cum armatos ad se 30
properasse intellexisset, conscius causarum I equum ascendit, arma
sumit, circumfususque hostium turmis, memor pristinae virtutis ac
nobilitatis 63 elegit mori quam inimicorum dominationi subici. Nam

49 Nach Verg. Aen. I 597 : Troiae miserata Iabores.


50Apost. Gesch. 9,24 : notae autem factae sunt Saulo insidiae eorum.
51 Sohn Werinhers, später (c. 33) Schwiegersohn des Königs und Herzog von

Lothringen.
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Neuer Anschlag gegen den König 115

man sie nicht in der Reihenfolge der Erzählung voneinander trennen darf,
möge mich niemand des Verwechselns der Zeiten beschuldigen, indem
ich später Geschehenes den früheren Ereignissen vorangestellt habe.
29. Der König also erbarmte sich nach der Milde, die seinem Herzen
5 immer am nächsten lag, der schweren Not49 seines Bruders, überließ ihm
für seinen Bedarf einige feste Plätze und gestattete ihm, innerhalb
Lothringens zu wohnen.
3 0 . Während dieser Zeit wütete ohne Unterlaß der Krieg mit den
Barbaren. Und da die Krieger, die dem Markgrafen Gero zugewiesen
10 waren, durch die häufigen Feldzüge aufgerieben wurden und durch
Schenkungen oder Anweisung von Zinsgefällen zu wenig unterstützt wer­
den konnten, weil die Abgaben oft verweigert wurden, entbrannten sie
von aufrührerischem Haß gegen Gero. Der König aber stand zum allge­
meinen Wohle des Staates immer auf Geros Seite . Daher kam es, daß sie
15 heftig erbittert ihren Haß auch auf den König selbst warfen.
31 . Dieser Umstand blieb Heinrich keineswegs verborgen. Und - wie
es gewöhnlich geht, wenn erbitterten Gemütern etwas Angenehmes dar­
geboten wird - es wurde ihm leicht, solche Menschen zu überreden, sich
ihm anzuschließen ; denn noch einmal faßte er Hoffnung, König zu wer-
20 den, da er wußte, daß das Heer gegen den Herrscher aufgebracht war.
Schließlich, nachdem viele Boten hin und her gegangen waren und man
sich gegenseitig Geschenke zugesandt hatte, gewann er fast alle Vasallen
des Ostlandes für sich. Diese Sache erwuchs zu so gewaltigem Frevel,
daß sie eine mächtige Verschwörung bildeten und den Plan faßten, am
25 Osterfest, das nahe bevorstand, wenn Heinrich selbst zur Pfalz komme,
den König zu töten und j enem die königliche Krone aufzusetzen. Obwohl
sich nun niemand fand, der diese Vorgänge durch öffentliche Anzeige
bekannt machte, so wurde dennoch dem Könige, den immer Gottes
schützende Hand bewahrte, der Anschlag aufgedeckt50, kurz vor Ostern .
30 Er umgab sich daher mit einer Schar treuer Vasallen, Tag und Nacht,
ohne seiner Würde oder seiner königlichen Hoheit vor dem Volke bei
dieser Festlichkeit irgend etwas zu vergeben, und versetzte so seine
Feinde in große Furcht. Nach dem Fest aber ließ er hauptsächlich auf
den Rat der Franken, welche um diese Zeit um ihn waren, nämlich Her-
35 manns, Udos und Konrads, den man den Roten nannte 51, die insgeheim
Verratenen lebendig festnehmen oder töten. Unter diesen war der
erste Erich 52, ein, abgesehen von dieser Schuld, hinsichtlich aller übrigen
guten Eigenschaften sehr tüchtiger und ausgezeichneter Mann . Als dieser
merkte, daß Bewaffnete auf ihn zueilten, bestieg er, seiner Schuld bewußt,
40 sein Pferd, ergriff die Waffen, und umringt von den Scharen der Feinde ,
der alten Tapferkeit und Ehre eingedenk53, wollte er lieber sterben, als sich
der Gewalt seiner Feinde unterwerfen. Denn er starb, durchbohrt von
52 Vater des Bischofs Hildiward von Halberstadt (968-998).
53 Vgl. III 69, Anlehnung an Sall. Cat. 58.60.
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116 Widukindi res gestae Saxonicae I I 31-36 93/95

lancea perfossus occubuit, vir omni virtute ac industria civibus carus


atque clarus. Caeteri autem insidiarum conscii in alteram ebdoma­
dam differuntur et secundum leges sceleribus suis meritas poenas
solventes capite caeduntur. Heinricus autem fugiens regno cessit.
XXXII. Eo anno et portenta quaedam apparuere, scilicet come- 5

tae. Nam a quinta decima Kaiendas Novembris usque in ipsas Kaien­


das visae sunt. Quibus visis multi mortales territi aut nimiam pesti­
lentiam vel certe regni mutationem metuebant ; quoniam quidem ante
regis Heinrici excessum multa prodigia monstrata sunt, ita ut solis
splendor forinsecus aere absque nubilo pene nullus appareret, intrin- 10

secus autem per fenestras domorum rubeus tamquam sanguis infun­


deretur. Mons quoque, ubi ipse rerum dominus 64 sepultus est, fama
prodidit, quia multis in locis flammas evomeret. Hominis etiam cuius­
I
dam manus sinistra ferro amputata post annum fere integrum restituta
est ei dormienti, qui pro signo miraculi Sanguinea linea loco coniunc- 1 5
tionis notabatur. Sed cometas inundatio nimia inundationemque boum
pestilentia subsecuta est.
XXXIII . Defuncto autem Oddone Lothariorum preside ac regis
nepote Heinrico, ducatus regionis conceditur Cuonrado ; cui et uni­
cam filiam suam rex desponsavit ; qui erat adolescens acer et fortis, 20
domi militiaque optimus, commilitonibus suis carus.
XXXIII!. Illis diebus Berhtoldus frater Arnulfi procurabat Boioa­
riam, pugnansque contra Ungarios victorque existens triumpho celebri
factus est clarus. 65
XXXV. Rex autem de die in diem proficiens paterno regno nequa- 25

quam est contentus, sed abiit Burgundiam, regem 66 cum regno in


suam accepit potestatem. Hugonem alterum 67 armis edomuit ac sibi
I
subiectum fecit ; cuius fibulam auream, regi dono concessam, gemma­
rum varietate mirabilern videmus in altari protomartyris Stephani
rutilantem 68• 30

XXXVI. Igitur cum omnia regna coram eo silerent 69 et potestati


ipsius omnes hostes cederent, monitu et intercessione sanctae matris
eius recordatus est multis laboribus fatigati fratris prefecitque eum

5t Vgl. S. 81 Anm. 1 13.


55 Berchtold, seit 937 Herzog von Baiern, besiegte die Ungarn bei Wels am
12. August 943.
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Festigung der Königsmacht 117

einem Speer, ein Mann, der durch j egliche Tugend und Mannhaftigkeit
seinen Landsleuten teuer und in hohem Ansehen war. Die übrigen Teil­
nehmer der Verschwörung wurden für die nächste Woche aufgespart und,
den Gesetzen gemäß für ihre Verbrechen die verdiente Strafe erleidend,
5 enthauptet. Heinrich aber floh und entwich aus dem Reiche.
32 . In diesem Jahre erschienen auch einige Zeichen, nämlich Kometen.
Man sah sie vom achtzehnten Oktober bis zum ersten November. Viele
Menschen wurden durch ihr Erscheinen erschreckt und befürchteten ent­
weder eine furchtbare Seuche oder doch wenigstens einen Wechsel der
10 Regierung, denn auch vor König Heinrichs Tode hatten sich viele Wun­
der gezeigt, z. B. daß der Glanz der Sonne im Freien bei heiterem Himmel
fast nicht zu sehen war, ins Innere der Häuser aber durch die Fenster rot
wie Blut hereindrang. Auch der Berg, auf dem der großmächtige Herr 04
begraben ist, spie, wie das Gerücht ging, an vielen Orten Flammen aus.
15 Auch wurde einem Manne die linke Hand, die ihm mit dem Schwerte
abgehauen war, nachdem fast ein volles Jahr verflossen war, im Schlafe
unversehrt wiedergegeben ; zum Zeichen des Wunders behielt er als
Merkmal eine blutrote Linie an der Stelle der Verbindung. Aber den
Kometen folgte eine ungeheuere Überschwemmung und der Überschwem-
20 mung eine Rinderseuche .
33. Als aber Otto, der Statthalter Lothringens, und des Königs Neffe
Heinrich gestorben waren, wurde die herzogliche Würde im Land auf
Konrad übertragen, dem der König auch seine einzige Tochter verlobte ;
er war ein kluger und tapferer Jüngling, in Krieg und Frieden tüchtig
25 und seinen Genossen teuer.
34 . In j ener Zeit verwaltete Berchtold, Arnulfs Bruder, Bayern, und
da er gegen die Ungarn kämpfte und sie besiegte, gewann er großen Ruhm
durch den herrlichen Triumph 66 •
35. Der König aber, der von Tag zu Tag an Macht zunahm, begnügte
30 sich nicht mit seinem väterlichen Reich allein, sondern zog nach Burgund
und brachte den König 58 samt seinem Reiche in seine Gewalt. Der zweite,
den er mit den Waffen bezwang und gleichfalls sich untertänig machte,
war Hugo 67 • Dessen goldene Spange, welche er dem König zum Geschenk
überließ, wunderbar durch den mannigfaltigen Schimmer edler Steine,
35 sehen wir auf dem Altar des heiligen Stephan, des Erstlings unter den
Blutzeugen, glänzen 68.
36. Da sich nun alle Reiche vor ihm ruhig verhielten 69 und alle Feinde
sich seiner Macht beugten, gedachte er auf die Ermahnung und Vermitt­
lung seiner ehrwürdigen Mutter hin des durch viele Drangsale gebeugten

58 König Konrad, Sohn Rudolfs II. (t 937) .


57 Wohl Hugo der Schwarze, Herzog von Burgund.
58 In Korvei (nicht mehr vorhanden) .
58 Alttestamentliche Redensart z. B. Jes. 14,7. l . Macc. 1 ,3. 1 1 ,52. 14,4.
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118 Widukindi res gestae Saxonicae I I 36 95/97

regno Boioariorum, Berhtoldo iam defuncto 60 , pacem atque concor­


diam cum eo faciens, qua usque in finem fideliter perduravit. Erat
autem ipse dominus Heinricus copulatus matrimonio filiae ducis
Arnulfi 61, feminae egregiae formae mirabilisque prudentiae. Fratrum
vero pax atque concordia, Deo acceptabilis hominibusque amabilis, 5
toto orbe fit iam celebris, dum unanimes res publicas augent, hostes
debellant, civibus paterna potestate presunt. Ducatu igitur Boioario­
rum accepto nequaquam desidia torpuit, sed abiens Aquilegiam cepit,
Ungarios duabus vicibus armis superavit, Ticinum transnatavit, et
preda magna I intra regionem hostium capta exercitum incolumem 1 0
patriam reduxit. Talium igitur e t tantorum mores, habitum formam­
que, quos summa clementia mundo ad delicias omnemque decorem
destinavit, nostrae non est omnimodis virtutis exponere ; verum devo­
tionem, quam erga eos habemus, penitus celare nequimus. Ipse deni­
que dominus rerum, fratrum natu maximus optimus, inprimis pietate 1 5
erat clarus, opere omnium mortalium constantissimus, preter regiae
disciplinae terrorem semper iocundus, dandi largus, dormiendi parcus
et inter dormiendum semper aliquid loquens, quo eum semper vigilare
aestimes ; amicis nichil negans et supra hominem fidelis. Nam quos­
dam audivimus aceusatos et peccati manifestos, ipsum eorum advoca- 20
turn et intercessorem et criminis nullo modo credulum, et ab eo post
habitos, tamquam nichil umquam in eum peccassent. Ingenium 62
ei admodum mirandum ; nam post mortem Edidis reginae, cum antea
nescierit, litteras in tantum didicit, ut pleniter libros legere et irrteili­
gere noverit. Preterea Romana lingua Sclavanicaque loqui seit ; sed 25
i
rarum est, quo earum uti dignetur. In venationibus creber, tabulamm
ludos amat, equitatus gratiam regia gravitate interdum exercens.
Accessit ad haec et moles corporis, omnem regiam ostendens digni­
tatem, capite cano sparsus capillo, oculi rutilantes et in modum
fulguris cita repercussione splendorem quendam emittentes ; facies 30
rubicunda et prolixior barba, et haec contra morem antiquum. Pectus
leoninis quibusdam sparsum iubis ; venter commodus ; incessus quon­
dam citus, modo gravior ; habitus patrius, et qui numquam sit peregrino

60 November 947.
61 Judith.
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Persönlichkeit des Königs 1 19

Bruders und setzte ihn über das Reich der Bayern, da Berchtold schon
gestorben war 60 ; und er schloß Frieden und versöhnte sich mit ihm,
worin auch Heinrich bis an sein Ende treu verharrte . Es war aber der
Herr Heinrich selbst durch die Ehe verbunden mit der Tochter Herzog
5 Arnulfs 61, einer Frau von ausgezeichneter Schönheit und wunderbarer
Klugheit. Und der Brüder Friede und Eintracht, die Gott wohlgefällig
und den Menschen eine Freude war, wurde bald auf dem ganzen Erdkreis
gepriesen, da sie einmütig das Reich vergrößerten, die Feinde bekämpften
und ihr Volk mit väterlicher Herrschaft regierten. Nachdem er also das
10 Herzogtum Bayern erhalten hatte, ergab er sich durchaus nicht trägem
Nichtstun, sondern zog aus und nahm Aquilej a, besiegte die Ungarn zwei­
mal mit Heeresmacht, überschritt den Tessin und führte, nachdem er im
feindlichen Lande große Beute gemacht, sein Heer wohlbehalten in das
Vaterland zurück. Den Charakter, die Haltung und Gestalt so herrlicher
15 und großer Männer, die die Huld des Höchsten der Welt zur Freude und
j eglicher Zierde bestimmte, vollständig zu beschreiben, steht nicht in
unseren Kräften. Allein die Ehrfurcht, die wir gegen sie hegen, ganz zu
verbergen vermögen wir nicht. Er selbst also, der großmächtige Herr, der
älteste und beste der Brüder, war vor allem ausgezeichnet durch Frömmig-
20 keit, in seinen Unternehmungen unter allen Sterblichen der beständigste ,
abgesehen von dem Schrecken der königlichen Strafgewalt immer freund­
lich, im Schenken freigebig, im Schlafen mäßig, während des Schlafes
redete er immer, so daß es den Anschein hatte, als ob er stets wache.
Seinen Freunden war er in allem willfährig und von übermenschlicher
25 Treue . Denn wir haben gehört, daß einige Angeklagte und ihres Ver­
brechens Überführte an ihm selbst einen Rechtsbeistand und Fürsprecher
hatten, der durchaus an ihre Schuld nicht glauben wollte und sie auch
nachher so behandelte, als ob sie nie etwas gegen ihn verbrochen hätten.
Seine Geistesgaben62 waren bewunderungswürdig, denn nach dem Tode der
30 Königin Edith lernte er die Schrift, die er vorher nicht kannte, so gut,
daß er Bücher durchaus lesen und verstehen konnte . Außerdem verstand
er in romanischer und slawischer Sprache zu reden. Doch geschah es sel­
ten, daß er es für angemessen hielt, sich derselben zu bedienen . Auf die
Jagd ging er häufig, liebte das Brettspiel, übte zuweilen die Anmut des
35 Reiterspiels mit königlichem Anstand . Hierzu kam noch der gewaltige
Körperbau, der die volle königliche Würde zeigte, das Haupt mit dem
ergrauenden Haar bedeckt, die Augen funkelnd und wie ein Blitz durch
plötzlich treffenden Blick einen eigenen Glanz ausstrahlend, das Gesicht
rötlich und der Bart reichlich niederwallend, und zwar gegen den alten
40 Brauch. Die Brust war wie mit einer Löwenmähne bedeckt, der Bauch
nicht zu voll, der Schritt einst rasch, j etzt gemessener ; seine Kleidung
die heimische, die er nie mit fremder Sitte vertauscht hat. So oft er aber
8 2 Die nachfolgende Charakteristik Ottos verrät den Einfluß von Einhards
Vita Caroli und des Poeta Saxo (V 230 ff. 3 1 7 ff. 333 ff. ).
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1 20 Widukindi res gestae Saxonicae II 36-38 97/99

usus. Quotienscumque autem sit opus corona portanda, wmnium


semper precedere pro vero traditur. Heinricus vero morum gravitate
pollebat et ob id ab ignotis minus clemens iocundusque predicabatur ;
constanti admodum animo, fidelis et ipse amicis, ita ut mediocris sub­
stantiae militem 63 coniugis suae sororis matrimonio honoraret, socium 5
sibi amicumque faceret. Erat corpore prestanti, et qui in adolescentia
omnem hominem egregia forma ad se inclinaret. Iunior vero fratrum
domnus Brun magnus erat ingenio, magnus scientia et omni virtute
ac industria. Quem cum rex prefecisset genti indomitae Lothario­
rum 64, regionem a latronibus purgavit et in tantum disciplina legali 10
instruxit, ut summa ratio summaque pax illis in partibus locum
tenerent. I
XXXVII . Igitur cum bella intestina externaque cessarent, leges
divinae atque humanae auctorali vigore pollent. Gravisque persecutio
monachis oritur in diebus illis, affirmantibus quibusdam pontificibus, 15

melius arbitrati paucos vita claros quam plures negligentes inesse


monasteriis oportere ; obliti, nisi fallor, sententiae patrisfamiliae pro­
hibentis servos zizania colligere, sed utraque crescere oportere et
zizania et triticum usque ad messem 65• Quo factum est, ut plures
propriae infirmitatis conscii deposito habitu et relictis monasteriis 20
grave onus sacerdotum devitarent. Fuerunt autem quidam qui sum­
mum pontificem Frithericum hoc non pure, sed ficte fecisse arbitrati
sunt, quatinus venerabilem virum regique fidelissimum abbatem
Hadumarum 66 quoquo modo posset dehonestaret.
XXXVIII . Ipse enim erat vir magnae prudentiae ac industriae ; 25
sub eius temporibus templum famosum Vuldense igne consumptum
est et ab eo restauraturn et multo maiori decore perfectum. Hic ponti­
ficem sub custodia tenuit secunda coniuratione culpabilem, primum
honorifice, sed cum litteras ab eo scriptas reprehendisset, satis severe.
Pontifex vero dimissus dum ultionem quaerit, contra tantum virum 30
leges non prevalent, humillima monasteria auctoritate temptavit, utI
ad excellentissima aequaliter procederet. Sed huiuscemodi simulatio­
nes incassum profusae. Nam abbas in gratia et amicitia regis perman­
sit, et causis intercurrentibus pontifex quod cogitavit non inplevit.

83 Graf Burkhard, Vater des Bischofs Heinrich von Augsburg (973-982),

wohl Markgraf der Ostmark und Burggraf von Regensburg.


84 Brun war seit 953 Herzog von Lothringen (bis 1 1 . 10. 965).
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Abt Hadamar von Fulda 121

die Krone tragen mußte, bereitete er sich, wie man für wahr versichert,
stets durch Fasten vor. Heinrich aber war von überwiegend ernstem
Charakter und galt deshalb bei solchen, die ihn nicht kannten, für weniger
gütig und leutselig ; auch er war von großer Festigkeit und Treue gegen-
5 über seinen Freunden, so daß er einen Ritter 63 von geringem Vermögen

durch die Verheiratung mit der Schwester seiner Gemahlin ehrte und ihn
zu seinem Freunde und Genossen machte . Er war von hohem Wuchs und
gewann in seinen Jünglingsj ahren j edermann durch seine auffallende
Schönheit für sich . Der j üngste der Brüder aber, Herr Brun, war ausge-
1 0 zeichnet durch Geist, groß durch Wissen und jegliche Tugend und Mann­

haftigkeit. Als ihn der König über das unbändige Volk der Lothringer
gesetzt hatte 64, reinigte er das Land von Räubern und lehrte sie so kräftig
gesetzliche Zucht, daß die größte Ordnung und die tiefste Ruhe in diesen
Landen waltete.
15 37. Da nun innere und äußere Kriege aufhörten, standen göttliche
und menschliche Gesetze in kraftvollem Ansehen. Und es begann in j ener
Zeit für die Mönche eine schwere Verfolgung, da einige Bischöfe behaup­
teten, sie erachteten es für besser, daß wenige von rühmlichem Lebens­
wandel im Kloster wären als viele Gleichgültige ; worin sie, wenn ich mich
20 nicht irre, des Spruchs vom Hausvater nicht gedachten, der seinen Knech­

ten verbot, das Unkraut auszuj äten, vielmehr solle beides miteinander
wachsen bis zur Zeit der Ernte, das Unkraut und der Weizen65• So kam
es, daß mehrere, der eigenen Schwäche bewußt, das Mönchskleid ableg­
ten und die Klöster verließen, um sich dem schweren Joch der Priester zu
25 entziehen. Manche aber meinten, der Erzbischof Friedrich habe dies

nicht aus reinen Absichten getan, sondern mit dem verborgenen Zweck ,
den ehrwürdigen, dem Könige treu ergebenen Mann, Abt Hadamar 66,
auf irgendeine Weise zu verunglimpfen.
38. Dieser Hadamar war nämlich ein Mann von großer Klugheit und
30 Tatkraft. In seiner Zeit brannte die berühmte Kirche zu Fulda nieder und

wurde darauf von ihm wiederhergestellt und mit viel größerem Glanze
vollendet. Er hielt den Erzbischof in Haft, als dieser zum zweiten Male
als Mitschuldiger der Verschwörung erkannt war, anfangs ehrenvoll, aber
nachdem er von ihm geschriebene Briefe aufgefangen hatte, ziemlich
3 5 streng. Als nun der Erzbischof nach seiner Freilassung Rache suchte,

aber gegen einen so trefflichen Mann die Gesetze nichts vermögen, ver­
suchte er an den unbedeutendsten Klöstern seine Macht, um auf gleiche
Wei se gegen die ausgezeichnetsten weiter vorzugehen. Aber dergleichen
Ränkespiel war umsonst. Denn der Abt blieb in der Gunst und Freund-
40 schaft des Königs, und da verschiedenes dazwischenkam, gelang es dem

Erzbischof nicht zur Ausführung zu bringen, was er im Sinne hatte .

85 Matth. 13,27-30.
66 Abt von Fulda 927-956, unter dem die neue Kirche 948 geweiht wurde.
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122 Widukindi res gestae Saxonicae II 39-41 99/100

XXXVIIII. Soror igitur regis 67 Hluthowico regi genuit tres filios,


Karolum, Lotbarium et Karlomannum 68• Ipse autem Hluthowicus
rex a ducibus suis circumventus et a Northmannis captus, consilio
Hugonis Lugdunum missus custodiae publicae traditur. Filium autem
eius natu maiorem Karolum 69 Northmanni secum duxerunt Rothun, s
ibi et mortuus est. Audiens autem rex super fortuna amici satis doluit
imperavitque expeditionem in Galliam contra Hugonem in annum
secundum.
XL. Eo tempore cum moraretur rex 70 in campis silvestribus vena­
tionem agens, obsides Bolizlavi [ibi] vidimus, quos populo rex presen- 10

tari iussit, satis super eis laetatus.


XLI. Ille annus notabilis casu calamitoso totius populi, de morte
scilicet beatae memoriae Edidis reginae, cuius dies extrema VII.
I
Kalend. Februar. celebrata est cum gemitu et lacrimis omnium Saxo-
num. Haec nata ex gente Anglorum non minus sancta religione quam 1s

regali potentia pollentium stirpe claruit. Decem annorum regni con­


sortia tenuit, XI. obiit ; Saxoniam vero XVIIII annis inhabitavit 71•
Reliquit filium nomine Liudulfum, omni virtute animi et corporis ea
aetate nulli mortali secundum ; filiam quoque nomine Liudgardam,
quae nupserat Cuonrado duci. Sepulta est autem in civitate Magatha- 20

burg in basilica nova, latere aquilonali ad orientem.

EXPLICIT LIBER SECUNDUS

67 Gerberga, s. I 30. II 26.


68Lothar, geboren 941 , war westfränkischer König 954-986. Karl ist 945
geboren. Über Karlmann ist nichts bekannt.
69 Kar], der zweite Sohn, war später Herzog von NiederIothringen. In der

Fassung C ist hier Carlomannum gesetzt statt Carolum.


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Tod der Königin 123

39. Die Schwester des Königs 67 also gebar dem König Ludwig drei
Söhne, Karl, Lothar und Karlmann68• Der König Ludwig selbst aber
wurde von seinen Herzögen verraten, von den Normannen gefangen­
genommen und auf den Rat Hugos nach Laon als Staatsgefangener
5 geführt. Aber seinen älteren Sohn Karl69 führten die Normannen mit
sich nach Rouen, und hier starb er. Als dies der König hörte, betrübte er
sich über seines Freundes Geschick sehr und ordnete einen Feldzug an
nach Gallien gegen Hugo auf das nächste Jahr.
40. Als sich um diese Zeit der König70 in den Waldgegenden, der Jagd
10 zu pflegen, aufhielt, sahen wir dort die Geiseln Boleslaws, die der König

dem Volke zeigen ließ ; große Freude hatte ihm ihre Ankunft bereitE-t.
41 . Dieses Jahr war bemerkenswert durch einen Trauerfall für das
ganze Volk, nämlich den Tod der Königin Edith seligen Andenkens, deren
Sterbetag am 26 . Januar mit den Klagen und Tränen aller Sachsen began-
15 gen wurde. Sie stammte aus dem Volke der Angeln und glänzte nicht min­
der durch hohe Frömmigkeit als durch ihre Abkunft aus königlichem
Geschlechte. Zehn Jahre teilte sie des Königs Herrschaft, im elften starb
sie. In Sachsen aber lebte sie neunzehn Jahre 71• Sie hinterließ einen Sohn
namens Liudolf, der an Trefflichkeit des Leibes und der Seele keinem
20 Sterblichen zu j ener Zeit nachstand, sowie eine Tochter namens Liud­

gard, die mit Herzog Konrad verheiratet war. Sie liegt aber begraben
in der Stadt Magdeburg in der neuen Basilika im nördlichen Schiffe gegen
Morgen.
ENDE DES ZWEITEN BUCHES

70 Am 29. Dezember 945 urkundet Otto (MG DOI. 73) zu Königsdahlum

bei Bockenern etwa 55 Kilometer östl. Korvei und am 30. Mai 946 (ebda 77)
zu Frose bei Magdeburg für Korvei selbst. Widukind könnte zu der hierbei
notwendigen Klosterdelegation gehört haben (Beumann 6, Anm. 3).
71 Die Königin starb 946 im 10. Regierungsjahr ihres Gemahls und im

18. Jahr seit ihrer Ankunft in Sachsen.


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124 Widukindi res gestae Saxonicae III 100/101

AD D OMINAM MAHTILDAM IMPERATORIS


FILIAM LIBRI TERTII INCIPIT PREFATIO

Quemadmodum caeli terraeque facies, hominum voces, vultus ac


mores mille modis concordi discordia variantur, sed ad unius luminis
sensusque ducaturn Dei cuncta regentis providentia coguntur, ita s

publicis ac privatis rebus intentis imperiale decus, quod te ut serenis­


simum splendorem gemmamque lucidissimam mundo effudit, unum
iustitiae moderamen est normaque rectitudinis. Unde laboris nostri
opus, quod a diversis moribus diverse accipitur, eo quod ingenii
sermonisque claritate egeat, sinu gloriosae clementiae tuae suscipiaturI 10

nec i n e o nostra insipientia, sed maior consideretur devotio, humiliter


deposco.
EXPLICIT PREPHATIO

INCIPIUNT CAPITULA

I. Quomodo creavit rex filium suum Liudulfum post se 15

regem.
II. De Gallica profectione et altercatione regis et Hugonis
ducis et rege Luthwico.
III. Quomodo rex Lucdunum adüt, Parisium atque Remen-
sem urbes. 20

1111. Quomodo Rothun adiit et inde Saxoniam reversus est.


V. Quomodo Huga occurrit regi iuxta fluvium Car.
VI . De Liudulfo filio regis, quomodo Italiam adiit.
VII. De Bernhario rege Longobardorum .
VIII . Quomodo rex duxit exercitum contra Bolizlavum. 25

VIIII. Quomodo rex reginam sibi sociavit, et Liudulfus ideo


tristis inde discedit.
X. Celebratis rex nuptiis revertitur in Saxoniam, secutus­
que est eum Bernharius, pacem cum eo facturus.
XI. De conventu populi apud urbem Augustanam et mira- 30

culo quod ibi accidit.


XII. De filiis regis.
XIII. De insidiis quas paraverunt regi.
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Vorrede und Inhaltsverzeichnis 1 25

HIER BEGINNT DIE VORREDE DES DRITTEN BUCHES


AN FRAU MATHILDE, DES KAISERS TOCHTER

Wie das Antlitz des Himmels und der Erde, der Menschen Stimmen,
Gesichter und Sitten auf tausendfache Weise in harmonischer Verschie-
s denheit wechseln, aber sich dank der Vorsehung Gottes, der alles lenkt,

nach der Leitung eines Lichtes und Gedankens richten, so ist für alle,
welche den öffentlichen wie privaten Angelegenheiten zugewandt sind, die
Kaiserwürde, die dich der Welt als hellsten Glanz und strahlendsten
Edelstein geschenkt hat, das einzige Steuer der Gerechtigkeit und Vor-
1 0 bild richtigen Handelns. Daher meine demütige Bitte, es möge dieses

Werk unserer Mühe, welches von den Einzelnen nach ihrer Sinnesart ver­
schieden beurteilt wird, weil es der Klarheit des Gedankens und der Sprache
ermangelt, im Schoße deiner ruhmreichen Huld Aufnahme finden und darin
von dir nicht unsere Ungeschicktheit, sondern die größte Ergebenheit be-
1 5 achtet werden.

ENDE D E R VORREDE

HIER BEGINNT DAS INHALTSVERZEICHNIS

1 . Wie der König seinen Sohn Liudolf zum Nachfolger erkor.


2. Von dem gallischen Feldzug und dem Streit des Königs mit Herzog
20 Hugo und von König Ludwig.
3. Wie der König gegen Laon zog und gegen die Städte Paris und Reims.
4. Wie er gegen Rouen zog und dann nach Sachsen zurückkehrte.
5 . Wie Hugo dem König an den Fluß Chiers entgegenzieht.
6. Von Liudolf, des Königs Sohn, wie er nach Italien zog.
25 7 . Von Berengar, dem König der Langobarden.
8 . Wie der König ein Heer gegen Boleslaw führte .
9 . Wie der König die Königin zur Ehe nahm und Liudolf dadurch be­
trübt von dort abzog.
1 0 . Nach der Vermählungsfeier kehrt der König nach Sachsen zurück,
30 und Bereugar folgte ihm, um mit ihm Frieden zu schließen.
1 1 . Von dem Reichstag in Augsburg und dem Wunder, das sich daselbst
begab.
12. Von den Kindern des Königs .
13. Von den Nachstellungen, die sie dem Könige bereiteten.
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126 Widukindi res gestae Saxonicae III 101/102

XIIII . De apparatu paschali.


XV. De filio generoque regis et pontifice Frithurico.
XVI . De conventu populi apud Fridisleri et Dadano et Wille­
helmo comitibus.
XVII. De pugna Lothariorum cum Conrado duce. 5

XVIII. De obsidione Mogontiaca et altercatione Heinrici et


Liudulfi. j
XVIIII. De Ecberhto regis consobrino.
XX. De Boioariis, quomodo iuncti sunt Liudulfo.
XXI. De Arnulfo et fratribus eius, et quia exercitus missionem 10

petiit et accipit.
XXII. De rege, et quia multi defecerunt a fide.
XXIII. De exercitu Saxonico qui Mogontiam adiit.
XXIIII. De Thiadrico et Wichmanno.
XXV. De Ecberhto et Wichmanno et duce Herimanno. 15

XXVI . D e regis adventu i n Boioariam.


XXVII. De pontifice Frithurico et ceteris pontificibus.
XXVIII. Quomodo rex infecto negotio revertitur in Saxoniam.
XXVIIII. De causis Herimanni et nepotum eius.
XXX. Avares iunguntur Boioariis, rex vero occurrit eis cum 20

valida manu.
XXXI . Boioarii bello fatigati de pace tractant.
XXXII. De placito regis apud Cinnam.
XXXIII. De pontifice Frithurico et Conrado duce.
XXXIIII. De Liudulfo, qui a patre iratus discessit, et rex eum 25
persequitur.
XXXV. Pugna apud Horsadal.
XXXVI. Obsidio urbis quae dicitur Reinesburch.
XXXVII. Liudulfus pacem postulat, sed non impetrat, et de morte
Arnulfi. 30

XXXVIII. Liudulfo pax datur, et rex Saxoniam revertitur.


XXXVIIII. Heinricus Novam urbem adiit.
XL. Qualiter rex filium clementer suscipit.
XLI. De fine pontificis Frithurici.
XLII . Qualiter Uchri a Gerone capiuntur. 35

XLIII. Qualiter Reineabureh se tradit, et regionem fratri restituit.


XLIIII. De famoso triumpho, quem rex de Ungariis obtinuit.
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Inhaltsverzeichnis 1 27

14. Von der Feier des Osterfestes.


15. Von dem Sohne und dem Schwiegersohne des Königs und von Bischof
Friedrich.
1 6 . Von dem Reichstag zu Fritzlar und von den Grafen Dadan und
5 Wilhelm.
17. Von der Schlacht der Lothringer gegen Herzog Konrad .
18. Von der Belagerung von Mainz und dem Streit zwischen Heinrich
und Liudolf.
1 9 . Von Ekbert, des Königs Vetter.
10 20. Von den Bayern, wie sie sich mit Liudolf verbanden.
2 1 . Von Arnulf und dessen Brüdern und daß das Heer seine Entlassung
verlangte und erhielt.
22. Von dem Könige, und daß viele treulos abfielen.
23. Von dem Sachsenheere, das gegen Mainz zog.
15 24. Von Thiadrich und Wichmann .
2 5 . Von Ekbert und Wichmann und Herzog Hermann .
26. Von des Königs Ankunft in Bayern.
27. Von dem Bischof Friedrich und den übrigen Bischöfen.
28. Wie der König unverrichteter Sache nach Sachsen zurückkehrt.
20 29. Von den Streitigkeiten zwischen Hermann und seinen Neffen.
30. Die Awaren verbinden sich mit den Bayern, der König aber zieht
ihnen mit starker Macht entgegen.
31 . Die Bayern, durch Krieg erschöpft, unterhandeln wegen eines Frie­
dens.
25 32. Von des Königs Tag zu Langenzenn .
33. Von Bischof Friedrich und Herzog Konrad.
34. Von Liudolf, der seinen Vater erzürnt verließ und vom König verfolgt
wird.
35. Schlacht bei RoßtaL
30 36 . Belagerung der Stadt Regensburg.
37. Liudolf bittet um Frieden, erlangt ihn aber nicht, und von Arnulfs
Tod.
38 . Liudolf wird Friede gewährt, und der König kehrt nach Sachsen
zurück.
35 39 . Heinrich zieht gegen Neustadt.
40. Wie der König seinen Sohn huldvoll aufnimmt.
41 . Vom Tode Bischof Friedrichs.
42. Wie die Ukrer von Gero unterworfen werden.
43. Wie sich Regensburg ergibt und der König seinem Bruder das Land
40 zurückgibt.
44. Von dem herrlichen Siege, den der König über die Ungarn erfocht.
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128 Widukindi res gestae Saxonicae III 102/104

XLV. De pugna Thiadrici adversus Slavos.


XL VI. De portentis quae interim acciderunt. l
XLVII. De casu Conradi ducis.
XLVIII. De tribus ducibus Avarorurn.
XLVIIII. De triumpho regis. s
L. De rege et versutiis Wichrnanni.
LI . De exercitu, qui Wichmannurn pene cepit in urbe Suit­
leiscranne.
LII . Quomodo capta est urbs Cocarescemiorurn.
LIII. Quornodo ultus est rex illa m depopulationern. 10
LIIII . De Gerone preside.
LV. De Stoineffo barbarorurn rege et rnilite qui eurn occidit.
LVI . De rege, quia crebris victoriis gloriosus factus est.
LVII. De Liudulfo, quia patria cessit propter arnicos.
LVIII. De litteris obiturn eius significantibus. 15
LVIIII. De Wichmanno, qui Saxoniam occulte intravit.
LX. Quornodo fide Geronis susceptus est Wichrnannus.
LXI. De prodigiis quae apparuerunt in vestirnentis.
LXII. De infirrnitate irnperatoris.
LXIII. De profectione secunda regis in Italiam. 20

LXIIII. De Wicrnanno, quornodo iterum rebellavit.


LXV. De Danis, quornodo Christiani perfecte facti sunt.
LXVI. Gero propter imamenturn dirnisit Wichrnannurn.
LXVII. Quornodo Gero Lusiki vicit.
LXVIII. De duobus regulis et Wichrnanno. 25

LXVIIII. De nece Wichrnanni.


LXX. Acceptis arrnis Wichmanni irnperator iam certus factus
scripsit epistolam in Saxoniarn mittendam.
LXXI. De legatis Grecorum et eorurn fraude.
LXXII . De Gundthario et Sifrido. 30
LXXIII. De populo Constantinopolitano et eorum imperatoribus. l
LXXIIII. De Mathilda matre irnperatoris et obitu episcoporum
Bernhardi et Willehelrni.
LXXV. De reversione irnperatoris ab Italia, et de obitu eius.
LXXVI . Quornodo populus pro patre elegit filium eius in principem. 35

EXPLICIUNT CAPITULA
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Inhaltsverzeichnis 1 29

45. Von der Schlacht Thiadrichs gegen die Slawen.


46. Von den Zeichen, die unterdessen geschehen.
4 7. Von Herzog Konrads Tod.
48. Von drei Anführern der Awaren .
5 49. Von dem Triumph des Königs.
50. Von dem Könige und den Ränken Wichmanns.
51 . Von dem Heere, das Wichmann in der Burg Suitleiscranne beinahe
gefangennahm.
52. Wie die Stadt der Cocarescemier genommen wurde.
10 53. Wie der König j ene Verheerung rächte .
54. Von Markgraf Gero .
55. Von dem Barbarenkönig Stoinef und dem Ritter, der ihn erschlug.
56. Von dem König, daß er durch die vielen Siege hohen Ruhm errang.
57. Von Liudolf, daß er das Vaterland seiner Freunde wegen verließ .
15 58. Von dem Brief, der dessen Tod anzeigte.
59. Von Wichmann, der heimlich nach Sachsen kam.
60. Wie sich Wichmann dem Gero ergab.
61. Von den Wunderzeichen, die sich an den Kleidern zeigten .
62. Von der Krankheit des Kaisers.
20 63. Von dem zweiten Zug des Königs nach Italien .
64. Von Wichmann, wie er sich zum zweiten Male empörte .
65. Von den Dänen, wie sie insgesamt Christen wurden.
66. Gero entließ seines Eides wegen den Wichmann.
67. Wie Gero die Lausitzer besiegte .
25 68. Von zwei Slawenfürsten und Wichmann.
69. Von Wichmanns blutigem Ende.
70. Nach dem Empfang von Wichmanns Rüstung schrieb Otto, der schon
Kaiser geworden war, einen Brief nach Sachsen.
71. Von den Gesandten der Griechen und ihrer Hinterlist.
30 72. Von Gurrther und Siegfried.
73. Von dem Volk zu Konstantinopel und ihren Kaisern.
74. Von Mathilde , der Mutter des Kaisers, und vom Tode der Bischöfe
Bernhard und Wilhelm.
75. Von der Rückkehr des Kaisers aus Italien und von seinem Ende .
35 76. Wie das Volk an des Vaters Stelle seinen Sohn zum Herrscher
erwählte .

ENDE DES INHALTSVERZEICHNISSES


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130 Widukindi res gestae Saxonicae III 1. 2 104/106

INCIPIT LIBER TEROIUS

I. Post excessum Edidis reginae1 omnem amorem maternum trans­


fudit rex in unicum filium suum Liudulfum, factoque testamento
creavit eum regem post se. Ipse autem tener adhuc erat adolescens,
aetatis non habens amplius quam sedecim annos. 5

II. Rex vero in Galliam proficiscens expeditionem, coacto apud


Oamaracam urbem exercitu, festinat intrare regnum Karoli vindican­
dae causa iniuriae generisa sui Hluthowici. Quo audito Hugo missa
legatione iurat per patris sui 2 animam, qui iam olim periit Deo regique
proprio repugnando, quia tanta sibi esset copia armorum, quantam 10

hactenus rex numquam vidisset. Addiditque contemptum vane tumi­


deque super Saxones loquendo, quia inbelles essent, et quia facile
I
posset una potione telorum Saxonicorum septem obsorbere. Ad quod
rex famosum satis reddit responsum : sibi vero fore tantam multi­
tudinem pilleorum foeninorum 3, quos ei presentari oporteret, quan- 15

tarn nec ipse nec pater suus umquam viderit. E t revera, cum esset
magnus valde exercitus 4, XXX scilicet duarum legionum, non est
inventus, qui foenino non uteretur pilleo5, nisi Oorbeius abbas nomine l
Bovo cum tribus suis sequacibus. Hic erat vir sapiens ac clarus, a Deo
nobis ostensus, non concessus 6. Huius patris avus Bovo Graecas litte- 20

ras coram Ouonrado rege 7 legendo factus est clarus ; et huic einsdem
nominis avus erat, ut natu maior, omni virtute ac sapientia potior.
Sed et ipse nepos erat Warini, qui ex milite factus est monachus et
primus omnium apud Novam Oorbeiam regulariter electus est in
patrem. Qui cum esset admirandae sanctitatis, ad augmentum virtu- 25

turn suarum beataeque memoriae Saxoniae preciosum attulit the­


saurum, reliquias videlicet preciosi martyris Viti. Dimissus igitur
Hluthowicus regi occurrit iungiturque cum sociis exercitui illius. l

a In einzelnen Hss. verbessert in generi.


1
Vgl. Il 4 1 .
2 König Robert, vgl. I 3 0 m. Anm. 73.
3 Dieses Wort ist in der Fassung C ersetzt durch ex culmis contextorum (aus
Halmen geflochten).
' 1 . Macc. 6,41 : erat enim exercitus magnus valde et jortis.
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Heerfahrt nach Westfranken 131

HIER BEGINNT DAS DRITTE BUCH

1 . Nach dem Tod der Königin Edith1 übertrug der König die ganze
Fülle seiner Liebe zur Mutter auf seinen einzigen Sohn Liudolf und
machte ihn durch letztwillige Verfügung zu seinem Nachfolger als König.
s Dieser war aber damals noch ein zarter Jüngling, indem er seines Alters

nicht mehr als sechzehn Jahre zählte .


2. Dann zog der König auf die Heerfahrt nach Gallien, sammelte sein
Heer in der Stadt Cambrai und eilte, in das Reich Karls einzudringen, um
die Kränkung seines Schwagers Ludwig zu rächen. Als dies Hugo hörte,
10 sandte er eine Botschaft und schwor bei der Seele seines Vaters 2, der

schon längst zugrunde gegangen war, als er sich wider Gott und den eige­
nen König auflehnte : er habe eine so große Streitmacht, wie sie der König
bisher nie gesehen. Und er fügte noch Spott hinzu, redete eitel und aufge­
blasen über die Sachsen, daß sie unkriegerisch seien und daß er leicht in
15 einem Zuge sieben Speere der Sachsen verschlucken könne. Darauf gab

der König die bekannte Antwort : er aber werde eine solche Menge Stroh­
hüte 3 haben, die er ihm zeigen müsse, wie weder er noch sein Vater sie j e
gesehen. Und wirklich fand sich, obgleich das Heer sehr groß war \ näm­
lich 32 Legionen, niemand, der nicht einen Strohhut trug 5, ausgenommen
20 den Korveier Abt namens Bovo mit seinen drei Begleitern . Er war ein

weiser und berühmter Mann, den Gott uns nur zeigte, nicht ließ 8 • Sein
Urgroßvater Bovo wurde berühmt, weil er König Konrad 7 einen grie­
chischen Brief vorlas, und dieser hatte wieder einen Großvater desselben
Namens, der ihn wie an Alter so auch in aller Tugend und Weisheit noch
25 übertraf. Dieser aber war selbst ein Enkel Warins, der aus einem Krieger

ein Mönch wurde und als erster zu Neu-Korvei nach Vorschrift der Regel
zum Abt gewählt wurde. Er war von wunderbarer Heiligkeit und brachte
zur Erhöhung seiner Tugenden und seines seligen Gedächtnisses einen
kostbaren Schatz nach Sachsen, nämlich die Reliquien des preiswürdigen
30 Märtyrers Veit. Ludwig also zog nach seiner Entlassung dem Könige

entgegen und schloß sich mit seinen Genossen dessen Heere an.

5 Die hier folgenden Ausführungen über Abt Bovo (bis videlicet pretiosi 'TIUlr­

tyris Viti) sind in der Fassung A gestrichen und dafür vorher fere non est inventus
geschrieben. Auch die jüngste Fassung C sieht von dem Abschnitt gänzlich ab
und schreibt : non est inventus, qui huiuscemodi non uteretur tegumento, nisi
rarissimus quisque. Certus autem factus de adventu regis Huga ti17WTe perterritus
dimisit Luthuvicum, d. h., es fand sich keiner, der nicht eine solche Kopfbedek­
kung trug, einige wenige ausgenommen. Als aber Hugo den Anmarsch des
Königs erfuhr, gab er, von Furcht ergriffen, den Ludwig frei.
8 Bovo III. war Abt 942-948.
7 Bei dessen Besuch im Kloster 913 unter Bovo II. (900-916). Bovo I. war

Abt 879-890, Warin 826-856 (vgl. I 33 m. Anm. 83).


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132 Widukindi res gestae Saxonicae III 3-8 107/108

III. Rex autem cum exercitu Lugdurrum adiit eamque armis


temptavit ; inde Parisium perrexit Hugonemque ibi obsedit, memo­
riam quoque Dyonisii martyris digne horrorans veneratus est.
Ductus inde exercitus contra urbem Remensem, ubi erat nepos
Hugonis contra ius fasque omne subrogatus episcopus, legitimo 5

pontifice adhuc superstite. Armis autem urbem capiens, iniuste


constitutum expulit sacerdotem, legitimum 8 ecclesiae sedique pro­
priae restituens.
IIII. Exinde collecta ex omni exercitu electorum militum manu
Rothun Danorum urbem adiit ; sed difficultate locorum asperiorique 10

hieme ingruente, plaga eos quidem magna percussit 9, incolumi exer­


citu infecto negotio post tres menses Saxoniam regressus est, urbibus
Remense atque Lugduno cum caeteris armis captis Hluthowico regi
concessrs.
V. Huga autem expertus potentiam regis virtutemque Saxonum 15

non passus est ultra terminos suos hostiliter intrare, sed pergenti in
eandem expeditionem anno sequenti occurrit iuxta fluvium qui dicitur
Car, manus dedit iuxtaque imperium regis pactum iniit, utilisque
proinde permansit. /
VI. Videns autem rex filium suum Liudulfum virum factum dedit 20

ei coniugem divitiis ac nobilitate claram, ducis Herimanni filiam


nomine Idam. Quam cum accepisset, in brevi post haec socer moritur,
cum ducatu omni ei possessione relicta. Accepta autem potestate
animum tranquillum, quem in puero gessit, exuit, armatumque mili­
tem in Italiam ducens, aliquantis ibi urbibus captis et sub custodia 25

traditis, ipse revertitur in Franciam.


VII. Eo tempore usurpato imperio regnavit in Longobardia homo
ferus et avarus, et qui omnem iustitiam pecunia venderet, Bern­
harius10. Veritus autem singularis prudentiae reginae virtutem a Hlu­
thowico rege relictae11, in multis eam afflixit, quo tanti decus splen- Jo

doris extingueret vel certe obscuraret.


VIII. Illo tempore rex proficiscitur in militiam contra Bolizlavum
regem Boemiorum ; et cum capienda esset urbs quae nuncupabatur

8 Artold 93 1-96 1 , der 940-946 durch Hugo von Vermandois verdrängt war.
9 Nach l. Kön. 20,2 1 : percussit Syriam plaga magna.
10 Berengar II. war König seit 15. Dezember 950 (-963) .
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Ergebnisse des Feldzugs 133

3. Der König aber zog mit seinem Heere gegen Laon und griff es mit
W affengew�rlt an, von da rückte er gegen Paris vor und belagerte hier den
Hugo ; auch brachte er dem Andenken des Märtyrers Dionysius die gebüh­
rende Huldigung dar. Von hier wurde das Heer gegen die Stadt Reims
s geführt, wo ein Neffe Hugos war, der wider menschliches und göttliches
Recht die bischöfliche Würde erhalten hatte, obgleich der rechtmäßige
Bischof noch lebte . Als er aber die Stadt mit Gewalt einnahm, vertrieb er
den unrechtmäßig eingesetzten Bischof und gab den rechtmäßigen 8 seiner
Kirche und seinem Stuhle zurück .
10 4 . Von da zog er mit einer aus dem ganzen Heere gesammelten Schar
auserlesener Krieger gegen Rouen, die Dänenstadt, zwar brachte er ihnen
schwere Verluste bei 9, kehrte aber wegen der Schwierigkeit der Ö rtlich­
keit und des Einbruchs eines strengen Winters unverrichteter Dinge nach
drei Monaten ohne Verluste nach Sachsen zurück, nachdem er die Städte
1 5 Reims und Laon nebst den übrigen, die er erobert, dem König Ludwig
eingeräumt hatte .
5. Hugo aber, nachdem er einmal die Macht des Königs und die
Tapferkeit der Sachsen kennengelernt hatte, ließ ihn nicht mehr sein
Gebiet als Feind betreten, sondern zog ihm, als er im folgenden Jahr zu
20 gleichem Feldzuge ausrückte, an den Fluß Chiers entgegen, unterwarf

sich ihm und ging nach des Königs Befehl einen Vertrag ein ; von da an
blieb er treu.
6 . Als nun der König sah, daß sein Sohn Liudolf ein Mann geworden
war, gab er ihm eine Gemahlin, ausgezeichnet durch Reichtum und edle
25 Geburt, Herzog Hermanns Tochter namens Ida . Bald darauf, nachdem

er sie heimgeführt hatte, starb sein Schwiegervater und hinterließ ihm


mit dem Herzogtum seinen ganzen Besitz . Als er aber die Macht er­
halten hatte , legte er die ruhige Sinnesart, die er als Knabe gezeigt
hatte, ab, unternahm einen Heereszug nach Italien, nahm hier einige
30 Städte und legte Besatzung hinein ; dann kehrte er selbst nach Franken

zurück .
7 . In dieser Zeit herrschte durch angemaßte Gewalt im Langobarden­
reich ein wilder, habsüchtiger Mensch , der alles Recht um Geld verkaufte,
Berengar10. Weil er aber die Tugend der ausnehmend klugen Königin,
3 5 die König Ludwig hinterlassen hatte 11, fürchtete, bedrängte er sie viel­

fach, um die Zierde eines solchen Glanzes entweder auszulöschen oder


wenigstens zu verdunkeln.
8. Um diese Zeit zog der König in den Krieg gegen Boleslaw, den
Böhmenkönig, und da man im Begriff war, eine Burg zu nehmen, welche

11 Adelheid war die Witwe des am 22. November 950 verstorbenen Königs

Lothar (Hugos Sohn) von Italien. - Fortsetzung in Kap. 9.


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134 Widukindi res gestae Saxonicae III 8-1 1 108/1 10

Nova12, in qua clausus obsidebatur Bolizlavi filius, prudenti rex


consilio diremit prelium, ne miles in rapiendis hostium spoliis aliquod
periculum I incideret. Considerata itaque virtute regis ac innumera
multitudine exercitus, Bolizlav urbe egressus maluit tantae maiestati
subici quam ultimam perniciem pati. Sub signisque stans et regem 5
audiens, responsaque reddens, veniam tandem promeruit. Inde plena
victoria gloriosus factus, rex Saxoniam regreditur.
VIIII. Cumque eum virtus prefatae reginae non lateret, simulato
itinere Romam proficisei statuit. Cumque in Longobardiam ventum
esset, aureis muneribus amorem reginae super se probare temptavit. to

Quo fideliter experto, in coniugium sibi eam sociavit cumque ea urbem


Papiam, quae est sedes regia, obtinuit. Quod cum vidisset filius eius
Liudulfus, tristis a rege discessit, profectusque in Saxoniam aliquam­
diu moratus est in loco consiliis funesto Salaveldun13•
X. Rex vero in Italia celebratis iuxta magnificentiam regalem 1 5
nuptiis proficiscitur inde cum novi matrimonii claritate acturus pro­
ximum pascha in Saxonia, laetitiam patriae magnamque gratiam
conferens. Persuasus quoque rex Bernharius a Cuonrado duce, cui
Papia cum presidio militari relicta erat custodienda, regem subse­
cutus est in Germaniam, pacem cum eo facturus et omnibus quae 20

imperavisset obtemperaturus. Cui regiae urbi appropinquanti occurri­


I
tur miliario ab urbe a ducibus et prefectis palatinorumque primoribus,
et regaliter susceptus, ductus in urbem, iussus est in hospitio sibi
parato manere. Neque enim faciem regis intra tres dies videre pro­
meruit. Quod aegre ferens Cuonradus, qui eum adduxerat, unumque 25

cum eo sentiens filius regis Liudulfus, suspectum super hac causa


Heinricum fratrem regis habentes, quasi antiqua stimulatum invidia,
devitaverunt eum. Heinricus autem sciens adolescentem maternis
destitutum suffragiis, contemptui coepit eum habere, in tantum ut a
conviciis ei quoque non parceret. Interea rex regem alloquitur, in 30

gratiamque regis ac reginae susceptus deditionis sponsionem dat


foederisque spontanei diem locumque apud urbem Augustanam desig­
nans.
XI. Ubi cum conventus fieret, Bernharius manus filii sui Adal­
berhti suis manibus inplicans, licet olim Hugonem fugiens regi 35
12 Am 1 6. Juli 950 wird die Urkunde MG DOI. 126 ausgestellt Beheim
suburbio Niuunburg (Nimburg a. d. Eibe östl. Prag).
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Heirat mit der Königinwitwe Adelheid 1 35

die Neue12 genannt wurde, in der Boleslaws Sohn eingeschlossen belagert


wurde, brach der König mit klugem Rat das Treffen ab, damit die Krie­
ger bei der Plünderung nicht in Gefahr gerieten . Da nun Boleslaw die
Tapferkeit des Königs und die große Menge des Heeres erwog, kam er aus
5 seiner Burg heraus und zog es vor, sich solcher Übermacht zu unterwerfen

als den endli chen Untergang zu erleiden ; und er stellte sich unter die
Fahnen, gab hier dem König Rede und Antwort und erhielt zuletzt Ver­
zeihung. Von da kehrte der König ruhmreich nach vollständigem Siege
nach Sachsen zurück .
10 9 . Und da ihm die Tugend der vorgenannten Königin nicht verborgen
blieb, beschloß er sich aufzumachen unt.er dem Vorwand, nach Rom zu
ziehen. Und als man in das Langobardenreich gekommen war, versuchte
er durch Geschenke von Gold die Liebe der Königin zu ihm zu erproben.
Als er das zuverlässig festgestellt hatte, nahm er sie zu sich als seine Frau
15 und erhielt mit ihr die Stadt Pavia, der Königin Wohnsitz . Als dies sein

Sohn Liudolf gesehen hatte, verließ er mißvergnügt den König, zog nach
Sachsen und hielt sich längere Zeit zu Saalfeld auf, einem Orte, der Un­
heil ankündete durch einen früheren Anschlag13•
10. Der König aber machte sich, nachdem er in Italien die Vermählung
20 mit königlicher Pracht gefeiert hatte, auf, um das nächste Osterfest im

Glanze des neuen Ehebündnisses in Sachsen zu feiern, womit er seinem


Vaterlande Freude und großes Wohlgefallen bereitete . Auf Zureden Her­
zog Konrads, dessen Obhut Pavia mit seiner Besatzung anvertraut war,
folgte auch König Berengar dem Könige nach Deutschland, um Frieden
25 mit ihm zu schließen und in allem, was j ener gebieten werde, sich gehor­

sam zu zeigen. Als er sich der königlichen Stadt Magdeburg näherte ,


kamen ihm eine Meile vor der Stadt die Herzöge und Grafen und die ersten
der Hofleute entgegen, und er wurde königlich empfangen und in die
Stadt geleitet, wo man ihn in einer für ihn bereiteten Herberge bleiben
30 hieß. Denn das Angesicht des Königs zu schauen wurde ihm drei Tage

lang nicht gestattet. Hierdurch fand sich Konrad, welcher ihn hingeleitet
hatte, beleidigt, und Liudolf, des Königs Sohn, teilte seinen Unmut ; beide
suchten den Grund dafür bei Heinrich, dem Bruder des Königs, als ob
ihn alter Haß dazu antreibe, und gingen ihm aus dem Wege . Dieser aber,
3 5 welcher wußte, daß der Jüngling der mütterlichen Hilfe beraubt war,

fing an, ihn verächtlich zu behandeln, und ging so weit, daß er ihn auch
nicht mit höhnischen Worten verschonte . Indessen erhielt der König
beim König Gehör, wurde vom König und der Königin in Gnaden ange­
nommen, gelobte Unterwerfung und bestimmte für das freiwillige Bünd-
40 nis Tag und Ort in Augsburg.

1 1 . Als hier nun die Fürsten sich versammelt hatten, fügte Berengar
die Hände seines Sohnes Adalbert in die seinigen, und obgleich er sich
schon früher auf der Flucht vor Hugo dem König ergeben hatte, erneuerte
1 3 V gl. II 15.
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14:42

136 Widukindi res gestae Saxonicae III 1 1-15 1 10/1 1 2

subderetur, tune tarnen renovata fide eoram omni exereitu famulatui


regis se eum filio subiugavit ; et ita dimissus in Italiam remeavit
eum gratia et paee. Ibi mirae magnitudinis lapis grandinis tonitru
ae tempestate turbulenta de eaelo iaetus ingens miraeulum multis
visentibus prebuit. 5

XII. Nati sunt autem regi filii ex serenissima regina primogenitus


I
Heinrieus, seeundus Brun14, tertius paterni nominis maiestate desig­
natus16, quem iam post patrem dominum ae imperatorem universus
sperat orbis ; filiam quoque sanctae matris eius voeabulo insignitam,
de qua non presumimus aliquid dieere, cum eius claritas preeellat 10

omne quod dieere aut seribere valemus.


XIII. Enimvero rex cum regiones Franeorum urbesque eireuiret,
audivit, quia ei insidiae pararentur a filio generoque ; quapropter sum­
mus pontifex revoeatus, ubi austeriorem vitam more solito eum here­
mitis et solitariis ante paseha agebat, suseepit regem Mogontiae, ibi 15

e i aliquamdiu ministrans. N efanda consilia prodita a filio generoque


animadversa ; purgandi loeum eriminis eum eonsilio pontifieis
petunt et inpetrant. Qui lieet seeleris manifeste arguerentur, paruit
tarnen rex eorum sententiis in omnibus loeorum temporumque
angustia. 20

XIII! . Et eum apparatus paschalis apud Aquas fieri oporteret, eom­


perit, quia niehil sibi dignum ibi paraturn esset ; maternis gaudiis et
offieiis deeenter euratur, regemque, quem in Franeia pene perdidit,
in patria magnifiee reeepit. j
XV. Nam confortatus amieorum gentisque propriae presentia, 25

irritum feeit paetum16, quod eoaetus inire eonfessus est, edietumque


est filio generoque auetores seeleris puniendos tradere aut eerte se
hostes publieos nosse. Paetis pristinis pontifex intereessit, tamquam
paei et eoneordiae eonsulturus. Ob id regi fit suspeetus, amicis regali­
bus eonsiliariisque omnimodis spernendus. De eo nostrum arbitramur 30

nequaquam aliquid temere iudieare ; sed quod de eo probamus, quia


magnus erat oratione die noctuque, magnus elemosinarum largitate,
preeipuus verbo predieationis, non silere dignum duximus ; eaeterum
de aecusatis causis qui iudieat Dominus est.

14 Heinrich früh gestorben, Brun am 8. September 957.


15 Otto ist Ende, Mathilde Anfang 955 geboren.
18 Jes. 33,8 : irritum factum est pactum.
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Empörung des Sohnes und Schwiegersohnes 137

er hier vor dem gesamten Heere den Eid der Treue und verpflichtete sich
mit seinem Sohne zum Dienste des Königs. So wurde er entlassen und
kehrte nach Italien zurück in Gnaden und Frieden. Dort verursachte ein
Hagelstein von ungeheurer Größe, der unter Donner und stürmischem
5 Ungewitter vom Himmel fiel, vielen Augenzeugen ein gewaltiges
Staunen.
12. Es wurden aber dem Könige drei Söhne von der erlauchten Königin
geboren, zuerst Heinrich, dann Brun14, als dritter der mit des väterlichen
Namens Hoheit gezierte15, den bereits der ganze Erdkreis nach seinem
1 0 Vater als Herrn und Kaiser erwartet ; sowie durch den Namen seiner ehr­

würdigen Mutter ausgezeichnet eine Tochter, über die wir uns nicht
anmaßen, etwas zu sagen, da ihre herrlichen Eigenschaften alles über­
treffen, was wir zu sagen oder zu schreiben im Stande sind.
13. Nun aber hörte der König, als er die Lande und Burgen der Fran-
15 ken besuchte, daß ihm von seinem Sohn und Schwiegersohn Nachstellun­

gen bereitet würden ; deshalb wurde der Erzbischof von da, wo dieser
nach gewohnter Weise vor dem Osterfest ein strengeres Leben mit Ein­
siedlern und Eremiten führte, zurückberufen und empfing den König zu
Mainz, wo er ihn einige Zeit bewirtete . Sohn und Schwiegersohn erkann-
20 ten, daß ihre ruchlosen Pläne verraten waren ; auf den Rat des Erzbischofs

baten sie um Gelegenheit, sich von dem Verdachte zu reinigen, und erhiel­
ten sie . Obgleich sie nun offen des Verbrechens beschuldigt wurden, gab
dennoch der König ihren Behauptungen in allen Stücken nach, wegen
der Gefährlichkeit des Ortes und der Umstände .
25 14. Und als das Osterfest zu Aachen gefeiert werden sollte, erfuhr der
König, daß man hier keine Vorbereitungen, wie es ihm gebührte, getroffen
habe ; so wurde er von seiner Mutter freudig und in geziemender Weise
aufgenommen und erhob das königliche Ansehen, das er in Franken
beinahe verloren hätte, in seiner Heimat wieder zu der alten Herrlich-
30 keit.

1 5 . Denn ermutigt durch die Gegenwart seiner Freunde und seines


eigenen Volkes vernichtete er den Vertrag16, von dem er erklärte, daß er
nur aus Not darin gewilligt habe, und befahl seinem Sohne und Schwieger­
sohne, die Urheber des ruchlosen Unternehmens zur Bestrafung auszu-
3 5 liefern ; andernfalls wisse er, daß sie Feinde des Reiches seien. Der Erz­

bischof verwandte sich für den früheren Vertrag, gleich als ob er für
Frieden und Eintracht sorgen wolle, und erschien dadurch dem König
verdächtig, des Königs Räten und Freunden aber durchaus verwerflich .
Uns kommt es gar nicht zu, irgendein unbesonnenes Urteil über ihn zu
40 fällen, aber was wir von ihm für gewiß erachten, daß er groß war im

Gebet bei Tag und Nacht, groß durch Reichlichkeit der Almosen, vor­
züglich durch das Wort der Predigt, das haben wir nicht geglaubt ver­
schweigen zu dürfen. Übrigens ist es der Herr, der da richtet über die vor­
gebrachten Beschuldigungen.
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138 Widukindi res gestae Saxonicae III 1 6-18 1 12/1 1 3

X VI . Earum rerum dum ibi finis non fieret, universalis populi


conventus esse iubetur apud villam quae dicitur Fridisleri, super his
causis discutiendum. Ubi cum frater regis Heinricus adesset, multas
ac graves causas summo pontifici obieiebat ; proptereaque regis
totiusque pene exercitus offensam incurrit, dum eum penitus cul- 5

pabilem ex illius dictis censerent. Preterea rex severiorem animum


gerens ex recenti iniuria, eminentissimos viros ac sibi quondam
caros et in Biertanico bello fideles fratri traditos exilio dampna­
vit, dum accusati rationem redderent nec se purgare sufficerent.
Hi erant Thuringi genere, potestatis prefectoriae, Dadanus17 et 1 0
Wilhelmus nomine. Hoc facto multi seelerum conscii satis perter­ l
riti. Soluta contione, multitudine dimissa, sese rex in orientales
partes contulit.
XVII. Lotharü autem cum regem duci Cuonrado sensissent offen- ·
sum, cum iam olim ei infesti essent, eo quod ducaturn super eos 15

administraret ipsis invitis, arma contra eum sumunt. Ille vero inper­
territus, leoninum exerens animum, signa signis18 contraria invexit
et incredibilem multitudinem ex eis propria manu fudit, dum san­
guine amici, quem in prelio amisit, Cuonradi scilicet, Evurhardi filü,
ut fera saevissima acueretur. ltaque illi fortissimo subpeditante for- 20

tium militum manu, adverso exercitui dum novus semper additur,


a meridie usque in vesperum protrahitur bellum. Nocte prelium dissol­
vitur, nullus victoria laetatur.
XVIII. Rex autem circa Kaiendas Iulii moto exercitu armis filium
generumque quaerere temptavit ; obvias urbes partis adversae aut 25
armis cepit aut in deditionem accepit, quousque Mogontiam perveni­
ret, quam filius cum exercitu intravit, patremque, dictu miserabilius !
armatus expectavit. lbi plus quam civile19 et omni calamitate acerbius
bellum coeptum. Multae machinae muris admotae, sed ab urbanis
destructae vel incensae. Crebrae ante portas pugnae, raro forinsecus 3o

stationes fusae. Cunctando enim res universae variavere, dum domina­


torem regni foris, intus successorem metuebant. Obsidio itaque dum

1 7 Dadanus (= Dadi II 18, m. Anm. 39) Graf des Hassegaus, Wilhelm u. a.

im Südthüringgau.
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Belagerung von Mainz 1 39

1 6 . Da diese Angelegenheiten hier nicht zu Ende kamen, wurde ein


allgemeiner Reichstag befohlen bei der Pfalz zu Fritzlar, um darüber zu
verhandeln. Hierher kam auch der Bruder des Königs, Heinrich, und
brachte gegen den Erzbischof viele und schwere Beschuldigungen vor,
5 und über diesem entlud sich der Unwille des Königs und fast des ganzen
Heeres, weil sie ihn nach dessen Aussagen für völlig schuldig hielten.
Außerdem übergab der König, dessen Gemüt infolge der j üngsten Krän­
kung verhärtet war, ausgezeichnete Männer, die ihm selbst einst wert und
im Kampfe bei Birten getreu gewesen waren, seinem Bruder und ver-
10 urteilte sie zur Verbannung, da sie, angeklagt, sich zu rechtfertigen ver­
suchten und sich nicht genügend reinigen konnten. Diese waren ihrer Her­
kunft nach Thüringer, der Würde nach Grafen, Dadan17 und Wilhelm mit
Namen . Hierdurch gerieten viele Mitwisser j enes Frevels in großen
Schrecken. Als die Versammlung aufgehoben und die Menge entlassen
15 war, begab sich der König in die östlichen Landschaften.
17. Da aber die Lothringer merkten, daß der König gegen Herzog
Konrad aufgebracht war, griffen sie, da sie schon vorher gegen ihn erbit­
tert waren, weil er gegen ihren Willen das herzogliche Amt über sie aus­
übte, gegen ihn zu den Waffen. Er aber erhob unerschrocken mit Löwen-
20 mut seine Fahnen gegen die Ihrigen18 und erschlug eine unglaubliche
Menge von ihnen mit eigener Hand, da er durch den Tod seines Bluts­
freundes, den er im Treffen verlor, Konrads nämlich, des Sohnes Eber­
hards, wie ein reißendes Tier ergrimmte . Da nun ihm, dem starken Helden,
eine Schar tapferer Ritter zur Seite stand, während dem feindlichen Heere
25 immer frische Truppen zugeführt wurden, zog sich der Kampf vom Mit­
tag bis zum Abend hin ; erst die Nacht trennte den Kampf, des Sieges
erfreute sich keiner.
18. Um den ersten Juli aber brach der König mit dem Heere auf und
suchte seinen Sohn und Schwiegerso!m mit den Waffen heim ; die Burgen
30 der Gegner, auf die er traf, nahm er entweder mit Waffengewalt oder
durch Übergabe, bis er nach Mainz gelangte, das sein Sohn mit einem
Heere besetzt hatte und wo dieser den Vater - überaus traurig zu sagen -
gerüstet erwartete . Hier begann ein Kampf, schlimmer als ein Bürgerkrieg19
und schmerzlicher als j edes Unglück . Viele Kriegsmaschinen wurden
35 gegen die Mauern geführt, aber von den Verteidigern zerstört oder ver­
brannt ; häufig gab es Kämpfe vor den Toren, aber nur selten wurden die
Wachtposten von außen her zersprengt. Im ganzen war die Lage unent­
schieden durch das Zaudern, indem man den Herrn des Reiches außerhalb,
in der Stadt den Nachfolger fürchtete. Als sich nun die Belagerung über

18
Nach Lucan. Phars. I 6 : infestisque obvia signis signa; imperterritus aus
Verg. Aen. X 770.
19 Lucan. Phars. I l : bella per Emathios plus quam civilia campos.
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140 Widukindi res gestae Saxonicae III 18-20 1 13/1 1 5

sexaginta ferme dies excederet, sermo fit de pace ; unde datus est obses
in urbem J consobrinus regis Ecberhtus 20, quo libera via cuilibet pateret
in castra crimen purgandi, de pace atque concordia tractandi. Filius
cum genero castra ingressi regalibus vestigiis prosternuntur : pro
scelere omnia sustinere paratos fore, saltem ut amici auxiliatores in 5
fide suscepti nichil adversi paterentur. Rex autem non inveniens,
quomodo meritas poenas filio inferret, fautores insidiarum expostulat.
Illi autem iuramentis vicariis obligati et quodammodo arte antiqui
hostis constricti hoc omnino negabant. Ingens interea oritur laetitia
in castris, et a castris circumquaque fama diffusa numquam urbe 10
egressos, nisi omnibus essent a rege imperatis obtemperaturi. Hae
spes incassum conceptae. Nam cum non obedirent edictis regis, motus
Heinricus adversus adolescentem : 'Nichil te', inquit, 'iactitas contra
dominum meum regem fecisse, et ecce omnis exercitus usurpatorem
te regni invasoremque novit. Ipse ergo si accusor reus criminis, si 1 5
culpabilis existo, quare non contra m e legiones ducis ? Signa adversum
me move' ; et festucam de terra sumens : 'Huius', inquit, 'pretii a me
meaque potestate rapere non poteris. Quid tibi visum est sollicitare
huiuscemodi rebus patrem tuum ? contra summam divinitatem agis,
dum domino patrique tuo repugnas. Si aliquid scis vel vales, in me 20
furorem tuum evome, ipse enim tuam non timeo iram'. Ad haec
adolescens nichil respondit, sed audito rege cum suis urbem ingres­
sus est.
XVIII!. Consobrinus autem regis Ecberhtus cum obses datus esset
in urbem, suasibilibus corruptus verbis regi fit aversus, cum et antea 25
ei iratus esset, eo quod argueretur incauti certaminis, ubi oculum per­
didisset. J
XX. Dum haec agerentur, proxima nocte Boioarü comites fratris
regis21 relicto eo iuncti sunt Liudulfo. Qui pergens cum eis cepit urbem
regiam quae dicitur Rainesburg cum caeteris in ea regione munitissi- 30
mis omnemque pecuniam ducis suis militibus divisit ; coniugem 22 cum
filiis patrui et amicis non solum urbe, sed et regione excedere cogit.

ao Ekbert (und sein Bruder Wichmann, c. 23) war ein Schwestersohn der

Königin Mathilde.
21 Herzog Heinrich von Baiern.
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Verhandlungen mit den Rebellen 141

etwa sechzig Tage hinauszog, fing man an, über den Frieden zu unter­
handeln ; deshalb wurde Ekbert 20, ein Vetter des Königs, in die Stadt als
Geisel gegeben, damit einem j eden sicheres Geleit ins Lager offenstände,
sich von der Schuld zu reinigen und über Frieden und Eintracht zu ver-
5 handeln. Der Sohn und der Schwiegersohn kamen in das Lager, warfen

sich dem Könige zu Füßen und erklärten, sie seien bereit, für ihr Ver­
brechen alles zu erdulden, wenn nur ihre Freunde und Helfer in Gnaden
angenommen würden und ihnen nichts Böses geschehe. Der König aber,
der keine Möglichkeit sah, den Sohn nach Verdienst zu bestrafen, ver-
10 langte die Auslieferung der Mitschuldigen seiner Verschwörung. Jene

dagegen, durch gegenseitige Schwüre gebunden und gewissermaßen durch


die Kunst des alten Feindes gefesselt, verweigerten dies durchaus.
Währenddessen entstand gewaltige Freude im Lager, und vom Lager aus
verbreitete sich ringsum das Gerücht, sie würden nimmer die Stadt ver-
15 lassen haben, wenn sie nicht allen Geboten des Königs gehorchen wollten.

Diese Hoffnungen machte man sich vergeblich ; denn da sie nicht dem
Gebot des Königs gehorchten, sprach Heinrich zornig zu dem Jüngling :
"Immer wieder behauptest du, nichts gegen den König, meinen Herrn,
getan zu haben, und siehe, das ganze Heer weiß, daß du die Hand nach der
20 Krone ausgestreckt und nach der Herrschaft gegriffen hast. Wenn ich

des Verbrechens schuldig angeklagt werden, wenn ich strafbar sein soll,
warum führst du deine Truppen nicht gegen mich ? Führe doch gegen
mich dein Heer ! " Und einen Halm vom Boden nehmend, fügte er hinzu :
"Nicht so viel ist wert, was du mir und meiner Macht wirst entreißen
25 können. Was hat dich bewogen, durch solche Dinge deinen Vater zu

bekümmern ? Du handelst gegen die oberste Gewalt Gottes, wenn du dich


deinem Herrn und Vater widersetzest. Wenn du etwas weißt oder es
vermagst, so speie deine Wut gegen mich aus, denn ich fürchte deinen
Zorn nicht. " Darauf erwiderte der Jüngling nichts, sondern zog, nachdem
30 er den König angehört hatte, mit den Seinen in die Stadt zurück.

19. Aber des Königs Vetter, Ekbert, der als Geisel in die Stadt gegeben
worden war, ließ sich, durch einschmeichelnde Worte verführt, dem König
abwendig machen, da er ihm schon vorher gezürnt hatte, weil man ihm
einen unvorsichtigen Kampf zur Last legte, wobei er ein Auge verloren
3 5 hatte.

20. Während dieser Verhandlungen fielen in der nächsten Nacht die


Bayern, die den Bruder des Königs 21 begleitet hatten, von diesem ab und
verbanden sich mit Liudolf. Dieser brach mit ihnen auf, nahm die könig­
liche Stadt Regensburg mit den übrigen stark befestigten Burgen in
40 diesem Lande, verteilte den ganzen Schatz des Herzogs unter seine Va­
sallen ; die Gemahlin 22 seines Oheims zwang er mit ihren Kindern und
Freunden nicht allein die Stadt, sondern auch das Land zu verlassen. Dies

u Judith.
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14:42

1 42 Widukindi res gestae Saxonicae III 20-26 1 15/1 16

Haec omnia a Deo credimus acta, ut qui serenissimum regem plurimis


populis ac gentibus preficere voluit, disceret parum in se, in Deo vero
omnia posse.
XXI . Erat autem iunior Arnulfus cum fratribus, qui tale consilium
machinatus est contra Heinricum, eo quod paterno regno subrogare- 5

tur, ipse autem honore patrio privatus esset. Porro exercitus diutino
labore fatigatus missionem petit et accipit, rege cum paucis admodum
filium in Boioariam subsequente.
XXII. Ipse namque erat patiens laborum supra quam quod credi
possit 23 de homine ab adolescentia delicate nutrito. Multitudine deni- 10

que deficiente a fide, rari admodum erant, qui partes regis adiuvarent.
Inter quos erat quidam Adalberhtus et alii cum eo admodum pauci.
XXIII. Militante adversus Mogontiam rege, Herimannus dux
I
Saxoniam procurabat. Cum novus exercitus a Saxonia ad supplemen­
tum veteris mitti debuisset, Thiadricus iuniorque Wichmannus ei 15

prefuere. Attingentes terminos Francorum, a Liudolfo duceque Cuon­


rado subito circumfusi, in desertum quoddam coguntur castellum.
Quod cum obpugnare nituntur, iactu rotae signifer ante portam bra­
chium perdidit. Quo facto bellum est sedaturn indutiaeque concessae
trium dierum in Saxoniam revertendi. 20

XXIIII. Thiadricus a Liudulfo magnis promissionibus est tempta­


tus, Wichmannus autem admodum corruptus. Patruum 24 exin arguere,
paternae hereditatis raptorem dicere et suorum thesaurorum predo­
nem vocare coepit. Ipse autem consilii nequaquam ignarus, quanta
sapientia quantaque prudentia contra propinquos et hostes manifestos 25

vigilaverit, difficile est omnimodis edicere.


XXV. Iungitur quippe Ecberhtus Wichmanno , eademque senten­
tia consurgunt in ducem nullumque ei dant quietis otium. Ille autem
nobili patientia iuvenum furorem frangens, cavet tumultum aliquem
rege absente illis in partibus accrescere. 30

XXVI . Boioarii repentino regis adventu nec ad pacem vertuntur


nec bellum publicum presumunt, sed clausi muris gr:mdem exercitui
laborem suaeque regionis solitudinem parant. Unde minus procedente
negotio, absque animabus exercitus a nulla re abstinebat, sed omnia
vastabat. ! 35

23 Vorbild SaH. Cat. 5: corpus patiens inediae . . . supra quam cuiquam credibile
est.
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14:42

Aufstand in Sachsen 1 43

alles, glauben wir, ließ Gott geschehen , damit der, den er zum erhabensten
Herrscher über viele Völker und Stämme setzen wollte, lernen sollte, er
vermöge wenig durch sich, durch Gott aber alles.
2 1 . Es war aber Arnulf der Jüngere mit seinen Brüdern, von dem solcher
5 Anschlag gegen Heinrich ausgegangen, weil dieser in seines Vaters Reich

eingesetzt worden, er selbst aber der väterlichen Würde verlustig ge­


gangen war. Ferner verlangte das Heer, durch die lange Anstrengung
ermüdet, seine Entlassung und erhielt sie, während der König mit sehr
wenigen seinem Sohne nach Bayern nachzog.
10 22. Denn er selbst war abgehärtet gegen alle Anstrengung, mehr als man
von einem Manne glauben möchte 23, der schon in der Jugend verwöhnt
worden war. Zuletzt blieben, da die große Masse die Treue brach, nur
noch sehr wenige, die des Königs Sache unterstützten ; unter diesen war
ein gewisser Adalbert und eine kleine Anzahl anderer mit ihm .
15 23. Während der König gegen Mainz zu Felde lag, verwaltete Herzog
Hermann Sachsen . Als nun ein neues Heer aus Sachsen zur Ergänzung
des alten gesandt werden sollte, befehligten dies Thiadrich und der
j üngere Wichmann. Kaum hatten diese die Grenzen der Franken erreicht,
als sie plötzlich von Liudolf und Herzog Konrad umringt und in einen
20 verlassenen Burgwall gedrängt wurden. Als die Feinde sich bemühten,

sie anzugreifen, verlor der Fahnenträger vor dem Tore den Arm durch
den Wurf einer Holzscheibe ; hierauf wurde dem Kampfe Einhalt getan
und ihnen eine Waffenruhe von drei Tagen gestattet, um nach Sachsen
zurückzukehren.
25 24. Thiadrich wurde von Liudolf durch große Verheißungen in Ver­
suchung geführt, Wichmann aber völlig gewonnen ; und dieser fing nun
an, seinen Oheim 24 zu beschuldigen, ihn für den Räuber seines väterlichen
Erbes zu erklären und als Dieb seiner Schätze zu bezeichnen. Mit welcher
Weisheit aber und mit welcher Klugheit dieser, der recht wohl um j enen
30 Anschlag wußte, gegen diese seine nächsten Verwandten und offenbaren

Feinde auf der Hut war, das vollständig zu erzählen wäre schwierig.
25. Mit Wichmann nämlich verband sich Ekbert, und, gleichen Sinnes,
erhoben sie sich gegen den Herzog und ließen ihm keine Zeit zur Ruhe.
Er aber zähmte mit edler Geduld die Wut der Jünglinge und verhütete,
35 daß sich ein Aufstand während des Königs Abwesenheit in diesen Landen

ausbreitete .
26. Die Bayern wandten sich nach des Königs plötzlicher Ankunft
weder dem Frieden zu, noch wagten sie offenen Kampf, sondern, einge­
schlossen hinter den Mauern, bereiteten sie dem Heere größte Anstren-
40 gung, ihrem eigenen Lande aber Verödung. Denn da die Sache nicht
voranging, verwüstete das Heer alles und schonte nichts als das Leben .

24 Herzog Herrnann.
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144 Widukindi res gestae Saxonicae III 27-32 1 17/1 18

XXVII. Summus pontifex interea, ut ipse aiebat, timore regis,


officio pontificali amisso, heremiticam cum solitariis ducebat vitam.
Non minima quoque caeteris pontificibus cunctatio erat in Boioaria,
dum favent partibus, nunc regi assistendo, nunc alienas partes adiu­
vando, quia nec sine periculo alienabantur a rege nec sine sui detri- 5

mento ei adhaerebant.
XXVIII. Agens tres integros menses - a Mogontia recedens -
rex in illis regionibus, demum circa Kalend. Ianuar. , infecto negotio,
amissis duobus principalibus viris 25 ac potestate claris, Immede et
Mainwerco, quorum uterque ictu sagittarum periit, alter Mogontiae, 10

alter i n itinere Boioariam pergentibus, revertitur in Saxoniam.


XXVIII!. Causas dicentibus coram rege Herimanno suisque nepo­
tibus 26, omnes iusti tenaces sententiam ducis laudavere, adolescentes
castigandos iudicantes. Rex autem amans parcebat illis, sub custodia
militari tantum intra palatium tradens Wichmannum. 15

XXX. Interea audit, quia Avares intrantes Boioariam iungerentur


adversariis disponerentque publico bello eum temptare. At ille satis
inperterritus tali necessitate numquam se gratia Dei dominum ac
regem oblitus est, sed collecta valida manu obviam procedit acerrimis
hostibus. Illi autem diverterunt ab eo, acceptisque ducibus a Liudulfo, l 2o
omnem Franciam pervagati sunt et tantam stragem dederunt primum
amicis, ut cuidam Ernusto 27 vocabulo, qui erat partis adversae, sui
iuris familias supra millesimum numerum captivassent, deinde cae­
teris omnibus, ut dictu fidem excedat. Dominica ante pascha W orma­
tiae eis est publice ministratum et muneribus auri et argenti plurimum 25
donatum. Inde in Galliam profecti per aliam viam in patriam rever­
tuntur.
XXXI. Boioarü civili exercitu externoque fatigati - nam Unga­
riis egressis exercitu regali premuntur - coacti sunt de pace tractare.
Factumque est, ut pax daretur usque in XVI. Kalend. Iulii, et locus 30

esset apud Cinnam rationis dandae et responsionis reddendae.


XXXII. Ad condictum locum dum universalis populi conventus
fieret, talem rex orationem exorsus est : 'Paterer' , inquit, 'si indignatio

25Apost. Gesch. 25,23 : cum tribu.ni8 et viria principalibu.a citJitati8.


zeEkbert und der jüngere Wichmann. Die hier abgebrochene Erzählung
wird c. 50 wiederaufgenommen.
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Einfall der Ungarn 145

27. Währenddessen entsagte der Erzbischof, wie er selbst sagte, aus


Furcht vor dem König, dem bischöflichen Amte und führte mit Eremiten
ein Leben in der Einsamkeit. Auch die übrigen Bischöfe zeigten sich in
B ayern nicht wenig schwankend in ihrer Haltung zu beiden Parteien,
5 indem sie bald den König unterstützten, bald seinen Feinden halfen,

weil sie sich weder ohne Gefahr vom König lossagen, noch ohne Schaden
für sich ihm treu bleiben konnten.
28. Der König, der sich nach seinem Rückzug von Mainz drei volle
Monate in j enen Gegenden aufhielt, kehrte endlich gegen Neuj ahr un-
t o verrichteter Sache nach Sachsen zurück, nachdem er zwei vornehme und

hochgestellte Männer 26, Immed und Mainwerk, verloren hatte. Beide


fielen durch Pfeilschüsse, der eine zu Mainz, der andere auf dem Marsch
nach Bayern.
29. Als Hermann und seine Neffen 26 sich vor dem König verantworteten,
15 lobten alle, die am Recht festhielten, die Gesinnung des Herzogs und

waren für eine Züchtigung der Jünglinge . Der König aber in seiner Liebe
schonte ihrer und gab nur den Wichmann in ritterliche Haft an seinem
Hofe .
30. Unterdessen waren, wie er hörte, die Awaren in Bayern einge-
20 drungen ; sie verbanden sich mit seinen Gegnern und schickten sich an,

ihn zu offener Feldschlacht herauszufordern. Aber er blieb in solcher


Bedrängnis ganz unerschüttert und vergaß nie, daß er durch Gottes
Gnade Herr und König war ; vielmehr sammelte er eine gewaltige Schar
und zog den grimmigen Feinden entgegen . Sie wichen ihm aber aus, durch-
25 streiften, nachdem sie von Liudolf Führer erhalten hatten, ganz Franken

und richteten eine solche Verheerung an, zuerst unter ihren eigenen
Freunden, daß sie einem namens Ernust27, der zur Gegenpartei gehörte ,
von seinen hörigen Leuten mehr als tausend Gefangene wegschleppten ;
sodann aber unter allen übrigen, so daß es unglaublich zu sagen ist. Am
30 Sonntag vor Ostern wurde ihnen zu W orms öffentlich aufgewartet und

ihnen eine sehr große Menge Gold und Silber geschenkt. Von da zogen sie
nach Gallien und kehrten auf anderem Wege in ihre Heimat zurück.
31 . Die Bayern, deren Kraft durch das Reichsheer und das fremde Volk
erschöpft war - denn nach Abzug der Ungarn wurden sie durch das
3 5 königliche Heer bedrängt -, sahen sich gezwungen, um Frieden zu unter­

handeln. Und es kam so weit, daß ihnen Frieden gewährt wurde bis zum
1 6 . Juni, wo sie nach Langenzenn vorgeladen wurden, um Rechenschaft
zu geben und Bescheid zu empfangen .
32 . Als a m bestimmten Ort sich das ganze Volk versammelt hatte, hielt
40 der König folgende Ansprache : " Ich wollte es ertragen, wenn der Grimm

27 Anscheinend Graf im Sualafeld.


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146 Widukindi res gestae Saxonicae III 32. 33 1 18/120

filii mei caeterorumque insidias tendentium me solum torqueret et


non totum Christiani nominis populum perturbaret. Parum esset
urbes meas more latronum invasisse regionesque a mea potestate
rapuisse, nisi propinquorum meorum ac carissimorum corniturn san­
guine satiarentur. Ecce sine filiis sedeo orbatus 28, dum filium gravissi- 5

mum hostem patior ; quem plurimum amavi et a mediocri loco ad


summum gradum summumque honorem provexi, unieuro filium I
meum habet adversum me. Tolerabile hoc utcumque foret, si non
Dei hominumque inimici his causis introducerentur. Modo regnum
meum habent desolatum, populum captum vel interfectum, urbes 10

destructas, templa succensa, sacerdotes extinctos ; adhuc madent


sanguine plateae 29• Auro meo et argento, quibus filium generumque
ditavi, hostes Christi sedes suas remeant referti. Quid igitur supersit
sceleris, quid perfidiae, excogitare nequeam'. His dictis tacuit rex.
Heinricus Iaudans sententiam regis subiunxit, quia hostes secundo 15

victi publico certarnirre maligne a c pessime conducerentur, quo via


eis iterum laedendi aperiretur ; omnem calamitatem omnemque Iabo­
rern consultius velle pati, quam communem hostem umquam in fide
susciperet. His dictis Liudulfus procedens ait : 'Conductos adversum
me pecunia, fateor, obtinui, ne me michique subiectos laederent. Si 20

in hac parte culpabilis predicor, sciat me omnis populus hoc non


voluntarie, sed ultima necessitate coactum fecisse ' . Postremum ponti­
fex summus rationem redditurus intravit, promittens se quocumque
rex imperavisset iudicio significaturum numquam contra regem sen­
sisse vel velle vel fecisse ; timore coactum a rege discessisse, offensum 25
sibi eum quia intellexisset, innocentem gravissimis accusationibus
obrutum ; de caetero iuramentorum omnibus argumentis fidem serva­
turum. Ad haec rex : 'A vobis non exigo iuramentum, nisi pacis et
concordiae Consilium, in quantum possitis, adiuvetis' . Et hoc dato in
fide ac pace eum dimisit. Jo

XXXIII. Pontifex cum duce Cuonrado, cum adolescentem non


possent inclinare, I
quatinus patri subderetur eiusque sententiam
secutus sustineret, discesserunt ab eo, Deo regique sese iun­
gentes.

28 Der erst 957 verstorbene Brun (Anm. 14) ist hier übersehen.
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Tag zu Langenzenn 147

meines Sohnes und der übrigen Verschwörer nur mich allein peinigte und
nicht das ganze Volk der Christenheit durcheinanderbrächte. Es ginge
noch an, daß sie meine Burgen wie Räuber überfallen und ganze Land­
striche von meiner Herrschaft losgerissen haben, wenn sie sich nicht auch
5 an dem Blute meiner Verwandten und meiner liebsten Genossen sättigten.

Seht, ohne Söhne 28 sitze ich hier, kinderlos, da ich an dem eigenen Sohn
meinen schlimmsten Feind habe . Der, den ich am meisten geliebt, den ich
aus geringer Stellung zur höchsten Würde, zur höchsten Ehre befördert
habe, er hat meinen einzigen Sohn auf seiner Seite . Doch auch dieses wäre
1 0 noch so oder so zu ertragen, wenn nicht die Feinde Gottes und der Men­

schen in diese Händel hineingezogen würden. Eben haben sie mein Reich
verödet, das Volk gefangen oder getötet, die Burgen zerstört, die Kirchen
verbrannt, die Priester erschlagen ; noch triefen vom Blute die Straßen 29 ;
beladen mit meinem Golde und Silber, womit ich Sohn und Schwiegersohn
15 bereichert, kehren die Feinde Christi in ihr Land zurück. Welch ein Frevel,

welche Treulosigkeit nun noch übrig ist, vermag ich nicht auszudenken."
Nach diesen Worten schwieg der König. Heinrich stimmte der Meinung
des Königs bei und fügte hinzu, daß die zweimal in offenem Kampfe be­
siegten Feinde auf böswillige und übelste Weise gemietet würden, wodurch
20 man ihnen den Weg, Schaden zu stiften, wiederum eröffne ; er wolle j eg­

liches Unheil und Ungemach wohlüberlegt lieber erdulden, als sich j emals
mit dem Landesfeind vertraglich einigen. Nach diesen Worten trat
Liudolf vor und sprach : "Von denen, die man gegen mich gedungen hat,
habe ich, wie ich gestehe, um Geld erlangt, daß sie mich und die mir
25 Untergebenen nicht schädigen ; wenn ich hierin schuldig gesprochen

werde, so möge alles Volk wissen, daß ich dies nicht aus freien Stücken,
sondern durch die äußerste Not getrieben getan habe ." Zuletzt trat der
Erzbischof ein, um sich zu verantworten, und versprach, durch j edes
Rechtsverfahren, das der König befehle, zu zeigen, daß er nie dem König
30 feindlich gesinnt gewesen , noch so etwas wolle oder getan habe ; von

Furcht getrieben habe er den König verlassen, weil er erkannt habe, daß
dieser ihm zürne ; unschuldig sei er das Opfer schwerster Beschuldigungen ;
fortan werde er mit jeder Art von Schwur seine Treue beweisen. Darauf
erwiderte der König : "Von euch verlange ich keinen Schwur, sondern nur,
35 daß ihr mein Bemühen um Frieden und Eintracht, soviel an euch ist,

fördert." Und nachdem er dies versprochen, wurde er in Gnaden und


Frieden entlassen.
33. Da der Erzbischof und Herzog Konrad den Jüngling nicht bewegen
konnten, sich seinem Vater zu unterwerfen und sich willfährig dessen
40 Spruch zu fügen, trennten sie sich von ihm und schlossen sich an Gott und

den König an .

29 Nach Verg. Aen. XII 691 : sanguine terra madet.


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148 Widukindi res gestae Saxonicae III 34-37 120/121

XXXIII ! . Proxima nocte Liudulfus cum suis a rege discedens


urbem Rainesburg cum exercitu intravit. Rex autem sequens filium,
urbem offendens quae dicitur HorsadaP0, obsedit eam.
XXXV. Facta autem pugna, durius certarnen circa murum nemo
umquam viderat mortalium. Multi ibi ex utraque parte caesi, plures 5

sauciati ; noctis tenebrae prelium dirimere. Saucius ancipiti bello


postera luce ducitur inde exercitus, diutius ibi non morari visum ad
graviora tendentibus.
XXXVI . Trium dierum itiner proinde ad Rainesburg. Castrorum
loca occupata munitionibusque circumsepta, obsidio urbis diligenter 10

est incepta. Sed cum multitudo machinas muris adplicari non sineret,
satis dure interdum ab utrisque pugnatum pro muris. Diu tracta
obsidio cogit clausos belli negotiis aliquid actitare. Arbitrati sunt enim
fame peius torqueri, si ad id cogerentur, quam in acie fortiter mori.
Iussum itaque occidentali porta 31 erumpere equites quasi inpetum in 15

castra facturos ; alios naves ascendere, e t per flumen urbi contiguum,


dum equestri prelio pugnaretur, castra armatis deserta invaderent.
Urbani signo nolae congregati condicta peragere ; quod in castris usu
non ignotum ; quapropter et ipsi non segniter preparantur. Moram
facientibus in erumpendo equitibus, classis ab urbe longius elabitur. 20

Exilientesque de navibus irruunt in castra, offendentesque I armatos,


dum trepidi fugae consulunt, circumfusi undique caeduntur. Alii
naves ingredi n isi, timore perculsi deviantes, flumine absorbentur ;
alii naves plus aequo ingressi dimerguntur ; factumque est, ut vix
pauci de pluribus superessent. E quites vero ab equitibus fatigati 25

devictique, plures saucii, in urbem coguntur. Miles regius victor in


castra reversus, unum solummodo 32letali vulnere 32 percussum pro
portis secum revehunt. Pecus omne urbis loco herboso delatum, qui
erat inter Rain et Donou fluvios, sed a fratre regis Heinrico captum
et inter socios divisum est. Urbani crebris preliis triti fame quoque 30

periclitari coeperunt.
XXXVII. Unde egressus urbe Liudulfus cum principalibus viris
pacem postulat, sed non inpetrat, quia patri obedientiam negat.

30 Südöstl. Nürnberg.
31 Westtor an der Ludwigsstraße, Osttor beim Kasernenplatz.
a2 Verg. Aen. IX 580.
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Belagerung von Regensburg 149

34. In der nächsten Nacht verließ Liudolf mit den Seinigen den König
und begab sich mit dem Heere nach Regensburg. Der König aber folgte
seinem Sohne, und als er auf eine Burg namens RoßtaP 0 stieß, schloß er
s1e em.
5 35 . Hier kam es zur Schlacht, und einen härteren Kampf um die
Mauern hat kein Sterblicher je gesehen . Auf beiden Seiten wurden viele
getötet, noch mehr verwundet ; die Finsternis der Nacht trennte das
Treffen. Mit schwerem Verlust durch den unentschiedenen Kampf wurde
das Heer am nächsten Morgen weitergeführt ; da man zu wichtigeren
1 0 Dingen zog, schien es nicht ratsam , sich hier länger aufzuhalten.

36. Von dort nach Regensburg war ein Marsch von drei Tagen. Hier
suchte man einen Platz für das Lager aus und umgab ihn ringsum mit
Befestigungen ; dann wurde die Belagerung der Stadt eifrig begonnen.
Da aber die Mehrzahl der Verteidiger keine Maschinen an die Mauern
15 heranschaffen ließ, gab es zuweilen von beiden Seiten sehr harte Kämpfe

vor den Mauern . Die lange Dauer der Belagerung zwang endlich die Be­
lagerten, einen kriegerischen Streich auszuführen. Denn sie sahen es für
schlimmer an, von Hunger gepeinigt zu werden, wenn sie es so weit
kommen ließen, als tapfer im Kampfe zu fallen. So wurde denn befohlen,
2 0 die Reiter sollten aus dem Westtore 31 zu einem Scheinangriff auf das Lager

hervorbrechen ; andere sollten Schiffe besteigen und vom Flusse aus, der
neben der Stadt hinströmt, das von Bewaffneten verlassene Lager an­
greifen, während man im Reiterkampf fechten würde. Die Verteidiger,
durch ein Glockenzeichen zusammengerufen, führten das Verabredete
25 aus ; aber auch im Lager war der Gebrauch dieses Zeichens nicht unbe­

kannt. Deshalb rüsteten sich auch diese ohne Säumen . Während nun der
Ausfall der Reiter sich verzögerte , geriet die Flotte zu weit ab von der
Stadt ; sie sprangen ans Land und stürmten auf das Lager ; da sie aber
auf Bewaffnete stießen, dachten sie erschreckt an die Flucht, wurden von
30 allen Seiten umringt und zusammengehauen . Einige eilten auf die Schiffe,

verfehlten aber, von Furcht betäubt, den Weg und ertranken im Fluß ,
andere drängten sich in zu großer Zahl in die Schiffe und versanken,
und so geschah es, daß kaum einige wenige von den vielen davonkamen.
Die Reiter aber wurden durch die königliche Reiterei ermüdet und ge-
3 5 worfen und mit vielen Verwundeten in die Stadt gedrängt. Die Mannen

des Königs kehrten siegreich in das Lager zurück und hatten nur einen
tödlich 32 Verwundeten zu beklagen, der vor dem Tore getroffen war und
von ihnen in das Lager zurückgebracht wurde . Alles Vieh der Stadt, das
an einen grasreichen Ort zwischen den Flüssen Regen und Donau ge-
40 bracht worden war, wurde von des Königs Bruder Heinrich erbeutet

und unter die Genossen verteilt. Erschöpft durch vielfache Kämpfe,


begannen nun die Verteidiger auch Hunger zu leiden.
37 . Deshalb ging Liudolf mit den angesehensten Männern aus der
Stadt heraus und bat um Frieden, erhielt ihn aber nicht, weil er seinem
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150 Widukindi res gestae Saxonicae III 37---43 121/123

Ingressus vero urbem, portam orientalem obsidentem armis temptat


Geronem, tot victoriis quot preliis clarum. A tertia hora usque in
nonam acriter pugnatum ; ante portam ur bis equo cadente ascensor
Arnulfus armis exutus 33 ilicoque telis perfossus occubuit. Post bidu­
um a muliere famem urbis fugiente mors illius notificatur, dum antea 5

incertum esset. Cuius morte urbani satis confusi iam de pace tracta­
bant.
XXXVIII. Interventu proinde principum iterum Liudulfus cum
sociis urbe egressus, dum mense integro et dimidio obsideretur, pacem
obtinuit usque ad condictum diem, dum de his causis diiudicaretur, 10

locusque concilii apud Fridisleri notabatur. Rex inde in patriam


reversus. l
XXXVIII! . Heinricus vero Novam urbem 34 obtinuit ; Rainesburg
pene omnis proxima nocte arsa.
XL. Exercitandi gratia venationem agens rex in loco qui dicitur 15

Suveldun 35, filius patri nudatis plantis prosternitur, intima tactus


poenitentia, oratione flebili patris primum, deinde omnium presentium
lacrimas extorquet. Amore itaque paterno susceptus in gratiam spon­
det se obtemperaturum consensurumque omni paternae voluntati.
XLI. Interea summus pontifex aegrotasse nuntiatur ac desperari. 20

Quapropter regis placitum modice est dilatum. Finem summi ponti­


ficis 36 qui interfuere satis laudabilem predicant. Defuncto pontifice
universalis conventus populi celebratus ; Mogontia post annum et
dimidium regi tradita cum omni Francia ; filius ac gener in gratiam
suscepti, qua et in finem usi sunt fideliter. 25

XLII. Eo anno Sclavi qui dicuntur Uchri a Gerone cum magna


gloria devicti, cum ei presidio esset dux Cuonradus a rege missus.
Preda inde ingens ducta ; Saxoniae laetitia magna exorta. l
XLIII. Proximum agens rex pascha cum fratre, ducit post haec
exercitum contra Rainesburg, iterum armis machinisque urbem 30

torquens. Dum presidio Saxonum destituitur ac fame vexatur, portis


urbani egressi cum urbe tradiderunt semet ipos regi. Qui principes
exilio dampnans, reliquae multitudini parcit, victoriaque gloriosus
remeavit in patriam, omni regione Boioarica fratri restituta.

33 Nach Verg. Aen. XI 395 : exutos Arcadas armis.


34 Name für die westliche Erweiterung der Römerstadt durch Arnulf.
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Unterwerfung der Rebellen 151

Vater den Gehorsam verweigerte. In die Stadt zurückgekehrt, warf er


sich auf Gero, der das Osttor belagerte und durch ebenso viele Siege als
Schlachten berühmt war. Von der dritten Stunde bis in die neunte wurde
hitzig gekämpft ; vor dem Tore der Stadt stürzte ein Pferd, und sein
5 Reiter Arnulf, seiner Wehr beraubt33, starb sogleich von Geschossen

durchbohrt. Nach zwei Tagen wurde durch eine Frau, die der Hungersnot
halber aus der Stadt floh, sein Tod bekannt, während man vorher darüber
in Ungewißheit war. Durch seinen Tod gerieten die Städter in große
Bestürzung und bemühten sich nun um Frieden.
10 38 . Daher kam Liudolf abermals mit seinen Genossen aus der Stadt
heraus und erhielt, nachdem er volle anderthalb Monate belagert worden
war, durch Vermittlung der Fürsten Frieden bis zu einem bestimmten
Tage, an welchem über diese Händel entschieden werden sollte ; und als
Ort für die Zusammenkunft wurde Fritzlar bezeichnet. Der König kehrte
15 darauf in sein Land zurück.

39. Heinrich aber besetzte die Neustadt ; Regensburg brannte in der


folgenden Nacht fast gänzlich ab.
40. Als sich der König der Jagd wegen an einem Ort, Suveldun 36
genannt, aufhielt, warf sich sein Sohn mit bloßen Füßen vor dem Vater
20 nieder, von tiefster Reue ergriffen, und durch klägliche Worte erpreßte er

erst seinem Vater, dann auch allen Anwesenden Tränen. So wurde er in


väterlicher Liebe wieder zu Gnaden angenommen und gelobte zu gehor­
chen und in allen Stücken seines Vaters Willen zu erfüllen.
41 . Unterdessen meldete man, daß der Erzbischof erkrankt sei und
25 aufgegeben werde . Deshalb wurde des Königs Tagfahrt etwas verschoben.

Das Ende des Erzbischofs 36 rühmen die, welche zugegen waren, als sehr
preiswürdig. Nach dem Tode desselben wurde ein allgemeiner Reichstag
gehalten ; Mainz nebst ganz Franken ergab sich nach anderthalb Jahren
dem König. Sohn und Schwiegersohn wurden zu Gnaden angenommen
30 und verblieben auch in derselben treu bis an ihr Ende.

42. In diesem Jahre wurden die Slawen, welche die Ukrer heißen. von
Gero mit großem Ruhme besiegt, da ihm Herzog Konrad vom Kömg zu
Hilfe gesandt worden war. Ungeheuere Beute wurde weggeführt, und in
Sachsen war die Freude groß .
35 43. Die nächsten Ostern feierte der König mit seinem Bruder. führte
dann das Heer gegen Regensburg und bedrängte abermals die Stadt mit
Waffen und Kriegsmaschinen . Da nun die Hilfe der Sachsen fehlte und
Hungersnot herrschte, zogen die Verteidiger aus den Toren und ergaben
sich samt der Stadt dem Könige, dieser bestrafte die Häupter mit Ver-
40 bannung, die übrige Menge verschonte er, und ruhmreich durch den Sieg

kehrte er in seine Heimat zurück, nachdem er das ganze bayerische Gebiet


seinem Bruder zurückgegeben hatte.
35 Vielleicht Saufeld, jetzt Thangelstedt a. Ilm, südöstl . v. Tannroda.
as 25. Oktober 954.
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1 52 Widukindi res gestae Saxonicae III 44 123/125

XLIIII. Ingressusque Saxoniam circa Kalend. Iulii obvios habet


legatos Ungariorum, tamquam ob antiquam fidem ac gratiam eum
visitantes ; re autem vera, ut quibusdam videbatur, eventum belli
civilis considerantes. Quos cum secum aliquantis diebus retinuisset et
aliquibus munusculis donatos remisisset in pace, audivit a nuntiis 5

fratris, ducis scilicet Boioariorum, quia : 'Ecce Ungarii diffusi invadunt


terminos tuos statuuntque tecum inire certamen'. His auditis rex,
quasi nichil laboris preterito bello toleravisset, coepit ire contra hostes,
sumptis secum paucis admodum ex Saxonibus, eo quod iam bellum
Sclavanicum urgeret. Castris positis in confiniis Augustanae urbis, 10

I
occurrit ei exercitus Franeorum Boioariorumque. Cum valido quoque
equitatu venit in castra Cuonradus dux ; cuius adventu erecti milites
iam optabant non differre certamen, Nam erat natura audacis animi
et, quod rarum est audacibus, bonus consilii et, dum eques et dum
pedes iret in hostem, bellator intolerabilis, domi militiaque sociis 15

carus. Igitur ab utriusque exercitus latrocinantibus agminibus noti­


ficabatur non longe exercitus ab altero fore. Ieiunio in castris predicato,
iussum est omnes in crastino paratos esse ad bellum. Primo diluculo
surgentes, pace data et accepta operaque sua primum duci, deinde
unusquisque alteri cum sacramento promissa, erectis signis procedunt 20

castris, numero quasi octo legionum. Ducitur exercitus per aspera et


difficilia loca, ne daretur hostibus copia turbandi sagittis agmina ,
quibus utuntur acerrime, arbustis ea protegentibus. Primam et
secundam tertiamque legionem direxerunt Boioarii, quibus prefuerunt
prefecti ducis Heinrici. Nam ipse bello interim aberat, eo quod valitu- 25

dine corporis laborasset, qua et mortuus est 37• Quartam ordinavere


Franci, quorum rector ac procurator dux Cuonradus. In quinta, quae
1
erat maxima, quae et dicebatur regia, ipse prin- ceps vallatus lectis ex
omnibus militum milibus alacrique iuventute, coramque eo angelus,
penes quem victoria, denso agmine circumseptus. Sextarn et septimam 30

construxerunt Suavi, quibus prefuit Burchardus, cui nupserat filia


fratris regis. In octava erant Boemi, electi milites mille, armis potius
instructi quam fortuna ; in qua et sarcinae omnes ac inpedimenta
quaeque, quasi ipsa esset tutissima, quae esset novissima. Sed aliter
res acta est ac arbitrabatur 38• Nam Ungarii nichil cunctantes Lech 35

37 1. Oktober 955.
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14:42

Ungarnschlacht am Lech 153

44. Als er Sachsen um den Anfang des Juli betrat, kamen ihm Gesandte
der Ungarn entgegen, als wollten sie ihn in alter Treue und Freundschaft
besuchen, in der Tat aber, wie einige glaubten, um sich nach dem Ausgang
des Bürgerkrieges zu erkundigen. Als er sie einige Tage bei sich behalten
5 und, mit einigen kleinen Geschenken geehrt, in Frieden entlassen hatte,

hörte er von den Boten seines Bruders, nämlich des Herzogs der Bayern,
die Kunde : "Siehe, die Ungarn dringen in Gruppen verteilt in dein Gebiet
ein und sind entschlossen, einen Kampf mit dir zu wagen." Sobald dies
der König hörte, brach er, als hätte er noch gar keine Anstrengungen im
1 0 vorigen Kriege auszuhalten gehabt, sogleich gegen die Feinde auf und

nahm nur sehr wenige von den Sachsen mit sich, weil diese schon der
Krieg mit den Slawen bedrängte. Im Bereich von Augsburg schlug er
sein Lager auf, und hier stieß zu ihm das Heer der Franken und der
Bayern, auch kam Herzog Konrad mit zahlreicher Reiterei in das Lager,
15 und durch seine Ankunft ermutigt, wünschten die Krieger nunmehr den

Kampf nicht länger zu verschieben. Denn er war von Natur kühnen


Mutes und, was bei kühnen Männern selten ist, tüchtig im Rat ; im
Kampfe unwiderstehlich, mochte er nun zu Roß oder zu Fuß den Feind
angreifen ; seinen Genossen in Krieg und Frieden teuer. Jetzt wurde von
20 den Streifpartien beider Heere angezeigt, daß sie nicht mehr weit von­

einander seien . Es wurde ein Fasten im Lager angesagt und allen be­
fohlen, am folgenden Tage zum Kampf bereit zu sein. Mit der ersten
Dämmerung erhoben sie sich, gaben sich gegenseitig Frieden und ge­
lobten sodann zuerst dem Führer, darauf einer dem anderen eidlich ihre
25 Hilfe ; dann rückten sie mit aufgerichteten Feldzeichen aus dem Lager,

etwa acht Legionen an der Zahl . Das Heer wurde durch unebenes und
schwieriges Gelände geführt, um den Feinden keine Gelegenheit zu
bieten, die Scharen mit Pfeilen zu beunruhigen, die sie trefflich zu brau­
chen wissen, wenn Gebüsch sie deckt. Die erste, zweite und dritte Legion
30 bildeten die Bayern, an ihrer Spitze die Befehlshaber Herzog Heinrichs.

Denn er selbst war währenddessen vom Kampfplatz entfernt, da er an


einer Krankheit darniederlag, an der er auch starb 37 • Die vierte bildeten
die Franken, deren Leiter und Führer Herzog Konrad war. In der fünften,
der stärksten, welche auch die königliche genannt wurde, war der Fürst
35 selbst, umgeben von den Auserlesenen aus allen Tausenden der Streiter

und von mutigen Jünglingen, und vor ihm der siegverleihende Engel,
durch einen dichten Haufen gedeckt. Die sechste und siebente Schar
machten die Schwaben aus, an ihrer Spitze Burchard, verheiratet mit der
Tochter des Bruders des Königs. In der achten waren tausend auserlesene
40 böhmische Streiter, besser mit Rüstungen als mit Glück versehen ; hier
war auch alles Gepäck und der ganze Troß, als ob der hinterste Platz
auch der sicherste wäre. Aber die Sache kam anders, als man glaubte 38 .

38 Frei nach Sall. J ug. 7 : sed ea res Ionge aliter ac ratu.s erat evenit.
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154 Widukindi res gestae Saxonicae II! 44-46 125/127

fluvium transierunt circumeuntesque exercitum extremam legionem


sagittis lacessere coeperunt ; et inpetu cum ingenti vociferatione
facto, aliis caesis vel captis, sarcinis omnibus potiti, caeteros legionis
illius armatos fugere compulerunt. Similiter septimam ac sextarn
aggressi, plurimis ex eis fusis, in fugam verterunt. Rex autem cum 5

intellexisset bellum ex adverso esse et post tergum novissima agmina


periclitari, misso duce cum quarta legione captivos eripuit., predam
excussit latrocinantiaque hostium agmina proturbavit. Fusis latro­
cinantibus undique adversariorum agminibus, signis victricibus dux
Cuonradus ad regem revertitur. Mirumque in modum, cunctantibus 10

veteranis militibus gloria victoriae assuetis, cum novo milite e t fere


bellandi ignaro triumphum peregit39• I
XL V. Dum ea geruntur in Boioaria, varie pugnatum est a preside
Thiadrico adversus barbaros. Cum capere nisus esset quandam urbem
illorum, usque ad introitum portae persecutus est adversarios, cogens 15

illos intra murum, oppido potito e t incenso e t omnibus quae foras


murum erant captis vel interfectis ; cum iam incendio extincto rever­
teretur, et paludem, quae erat urbi adiacens, medietas militum trans­
isset, Sclavi videntes nostros in arto sitos ob difficultatem loci nec
copiam habere pugnandi nec locum adeo fugiendi, insequebantur a 20

tergo revertentes clamore magno ; peremerunt ex eis ad quinquaginta


viros, foeda fuga nostrorum facta.
XLVI. Ingens interea pavor omnem Saxoniam trepidam pro rege
et exercitu eius pro hac re adversa invasit. l Terrebant nos preterea
portenta inusitata. Templa denique plerisque in locis tempestate 2s

valida concussa visentibus et audientibus horrorem nimium incus­


sere ; utriusque sexus sacerdotes ictu fulminis interierunt, et alia
multa illo tempore contigerunt dictu horrenda 40 et propterea nobis
pretereunda.
41Totum pondus prelii 41 ex adverso iam adesse conspiciens rex 30

exhortandi gratia allocutus est 42 socios hoc modo : ' Opus esse nobis
bonorum animorum in hac tanta necessitate, milites mei, vos ipsi

av Fortsetzung des Schlachtberichts c. 46. Über den Einschub s. Beumann


83 f. Zur Lage des Schlachtfelds s. Barthel Eberl in Abhandlungen zur Geschichte
der Stadt Augsburg. Schriftenreihe des Stadtarchivs 7 ( 1955) u. dagegen
K. Reindel, Ztschr. f. Bayer. Landesgesch. 19, 1956, 173f.
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Kämpfe mit den Slawen 1 55

Denn die Ungarn überschritten unverweilt den Lech, umgingen das Heer,
fingen an, die letzte Legion mit Pfeilen zu beunruhigen, darauf machten
sie mit ungeheuerem Geschrei einen Angriff ; ein Teil wurde gefangen oder
getötet, alles Gepäck genommen, die noch übrigen Gewappneten dieser
5 Schar in die Flucht geschlagen. In gleicher Weise griffen sie die siebente

und sechste Schar an, streckten viele zu Boden und schlugen die übrigen
in die Flucht. Als aber der König sah, daß der Kampf ungünstig stand
und in seinem Rücken die letzten Heeresteile gefährdet waren, entsandte
er die vierte Legion unter Herzog Konrad, die die Gefangenen befreite,
10 die Beute den Feinden abj agte und ihre plündernden Haufen vertrieb.

Nachdem die ringsumher plündernden Scharen der Feinde vernichtet


waren, kehrte Herzog Konrad mit siegreichen Fahnen zum König zurück ;
und wunderbarerweise, während längst erprobte , an Siegesruhm gewöhnte
Streiter zögerten, errang er mit j ungen, fast des Streites noch unkundigen
15 Kriegern den Triumph 39.

45. Während dies in Bayern geschah, wurde von Markgraf Thiadrik


gegen die Barbaren mit wechselndem Glück gefochten. Einmal, da er
bemüht war, eine ihrer Burgen zu nehmen, verfolgte er die Feinde bis an
den Eingang des Tores, drängte sie hinter die Mauer, eroberte und ver-
20 brannte die Vorburg, und alles, was außerhalb der Burgmauer geblieben

war, wurde niedergehauen und zur Beute gemacht. Als nun Thiadrik,
nachdem der Brand erloschen, zurückkehrte und die Hälfte der Krieger
einen Sumpf, der an die Burg stieß , durchschritten hatte , sahen die
Slawen, daß die Unsrigen wegen der Ungunst des Geländes in Bedräng-
25 nis waren und weder Raum zum Kämpfen noch selbst Gelegenheit zur

Flucht hatten, und verfolgten die Heimkehrenden von hinten mit großem
Geschrei. Sie töteten von ihnen gegen fünfzig Mann, und die Unsrigen
ergriffen schmählich die Flucht.
46 . Mittlerweile ergriff ganz Sachsen wegen dieses Mißgeschicks ein
30 ungeheurer Schrecken und Besorgnis für den König und sein Heer. Es

erschreckten uns außerdem ungewöhnliche Zeichen. Kirchen wurden an


vielen Orten durch ein gewaltiges Unwetter erschüttert, zum größten
Entsetzen aller, die es sahen und hörten ; Priester und Nonnen kamen
vom Blitz getroffen um, und vieles andere ereignete sich damals, was
35 schrecklich zu sagen ist 40 und deshalb von uns übergangen werden

soll.
Als nun der König erkannte, daß j etzt ein Kampf unter ungünstigen
Umständen mit seinem ganzen Gewicht41 bevorstehe, redete er seine
Genossen zur Aufmunterung in folgender Weise an 42 : "Daß wir in dieser
40 Bedrängnis guten Muts sein müssen, das seht ihr selbst, meine Mannen,

40 Verg. Aen. IV 454 : horrendum dictu.


41 l.Sam. 31,3. Zur Übersetzung vgl. Bulst HVS 28, 1934, 189.
42 Vorbild ist Catilinas Rede bei Sall. Cat. 58.
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156 Widukindi res gestae Saxonicae III 46-48 127/128

videtis, qui hostem non longe, sed coram positum toleratis. Hactenus
enim inpigris manibus vestris ac armis semper invictis gloriose usus
extra solum et imperium meum ubique vici, et nunc in terra mea et
regno meo terga vertarn 1 Superamur, scio, multitudine, sed non
virtute, sed non armis. Maxima enim ex parte nudos illos armis omnibus 5

penitus cognovimus et, quod maximi est nobis solatii, auxilio Dei.
lllis est sola pro muro audatia, nobis spes et protectio divina. Pudeat
iam nunc dominos pene totius Europae inimicis manus dare. Melius
bello, si finis adiacet, milites mei, gloriose moriamur, quam subiecti
hostibus vitam serviliter ducamus aut certe more malarum bestiarum 10

strangulo deficiamus. Plura loquerer, milites mei, si nossem verbis


virtutem vel audatiam animis vestris augeri. Modo melius gladiis
quam linguis colloquium incipiamus' . Et his dictis, arrepto clipeo ac
sacra lancea, ipse primus equum in I hostes vertit, fortissimi militis
ac optimi imperatoris officium gerens 43• Hostium audaciores primum 15

resistere, deinde, u t socios viderunt terga vertere, obstupefacti


nostrisque intermixti extinguuntur. Caeterorum vero alii equis fatigatis
viilas proximas intrant, circumfusique armatis cum moeniis pariter
concremantur ; alii fiumen contiguum transnatantes, dum ripa ulterior
ascendentes non sustinet, fiumine obvolvuntur et pereunt. Eo die 20

castra invasa captivique omnes erepti, secundo die ac tertio a vicinis


urbibus reliqua multitudo in tantum consumpta est, ut nullus aut
rarus evaderet ; sed non adeo incruenta victoria fuit de tarn saeva
gente.
XLVII. Cuonradus quippe dux fortiter pugnans, animi fervore 25
solisque ardore, qui eo die nimius erat, accensus aestuat, vinclisque
[loricae] solutis dum auram captat, vulnere sagittae adverso gutturis
defixae cadit. Cuius corpus iuxta regis imperium honorifice collectum
transportatur Wormatiam ibique sepelitur, vir omni virtute animi et
corporis magnus atque famosus, cum fietu et planctu omnium Franco- 30

rum.
XL VIII. Tres duces gentis Ungariae capti ducique Heinrico presen­
tati mala morte, ut digni erant, multati sunt, suspendio namque
crepuerunt.
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Vernichtung der Ungarn 1 57

die ihr den Feind nicht in der Ferne, sondern vor uns sehen müßt. Bis
hierher habe ich mit eueren rüstigen Armen und stets siegreichen Waffen
rühmlich gekämpft und außerhalb meines Bodens und Reiches allent­
halben gesiegt ; sollte ich nun in meinem eigenen Lande und Reiche den
s Rücken zeigen ? An Menge, ich weiß es, übertreffen sie uns, aber nicht

an Tapferkeit, nicht an Rüstung, denn es ist uns ja wohl bekannt, daß sie
zum größten Teil j eglicher Wehr entbehren und, was für uns der größte
Trost ist, der Hilfe Gottes. Ihnen dient zum Schirm lediglich ihre Kühnheit,
uns die Hoffnung auf göttlichen Schutz. Schämen müßten wir, die Herren
1 0 fast ganz Europas, uns, wenn wir uns j etzt den Feinden unterwerfen.

Lieber wollen wir im Kampfe, wenn unser Ende bevorsteht, ruhmvoll


sterben, meine Krieger, als den Feinden untertan in Knechtschaft leben
oder gar wie böse Tiere durch den Strick enden. Ich würde mehr sagen ,
meine Krieger, wenn ich wüßte, daß Worte die Tapferkeit oder Kühnheit
15 in eueren Gemütern erhöhen . Jetzt laßt uns lieber mit den Schwertern als

mit Worten die Verhandlung beginnen." Und nachdem er so geredet,


ergriff er den Schild und die heilige Lanze und wandte zuerst selbst sein
Roß gegen die Feinde, zugleich die Aufgabe des tapfersten Kriegers und
des trefflichsten Feldherrn erfüllend 43• Die Kühneren unter den Feinden
20 leisteten anfangs Widerstand, dann, als sie ihre Gefährten die Flucht

ergreifen sahen, erschraken sie, gerieten zwischen die Reihen der Unsrigen
und wurden niedergemacht. Von den übrigen begab sich ein Teil, deren
Pferde ermüdet waren, in die nächsten Dörfer, wo sie von Bewaffneten
umstellt und samt den Gebäuden verbrannt wurden. Andere schwammen
25 durch den nahen Fluß , aber da das j enseitige Ufer keinen Halt zum Er­

klettern bot, wurden sie vom Strom verschlungen und kamen so ums
Leben. Am seihen Tage wurde das Lager genommen und alle Gefangenen
befreit ; am zweiten und dritten Tage wurde von den benachbarten Burgen
aus die übrige Menge dermaßen aufgerieben, daß keiner oder doch nur
30 sehr wenige entkamen. Aber nicht gerade unblutig war der Sieg über ein

so wildes Volk .
47. Dem Herzog Konrad nämlich, welcher tapfer kämpfte, wurde
durch die Hitze des Gefechtes und die Sonnenglut, die an diesem Tage
sehr heftig war, gewaltig heiß, und als er die Bänder des Panzers löste
3 5 und Luft schöpfte, fiel er, von einem Pfeil durch die Kehle getroffen. Sein

Körper wurde auf des Königs Befehl ehrenvoll aufgehoben und nach
Worms gebracht ; und hier wurde dieser Mann, groß und ruhmvoll durch
jegliche Tugend der Seele wie des Körpers, begraben unter den Tränen
und Klagen aller Franken.
40 48. Drei Anführer des Ungarnvolkes wurden gefangen vor Herzog
Heinrich geführt und büßten mit einem schmählichen Tod, wie sie es
verdient ; sie wurden nämlich durch den Strang zum Tode gebracht.

63 Sall. C at. 60 : strenui militis et boni imperatoris officia simul e:requebatur.


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1 58 Widukindi res gestae Saxonicae III 49-52 1 28/13 1

X LVIIII. Triumpho celebri rex factus gloriosus a b exercitu pater


I
patriae imperatorque appellatus est 44 ; decretis proinde honoribus et
dignis laudibus summae divinitati per singulas ecclesias, et hoc idem
sanctae matri eius per nuntios demandans, cum tripudio ac summa
laetitia Saxoniam victor reversus a populo suo libentissime suscipitur. s

Neque enim tanta victoria quisquam regum intra ducentos annos ante
eum laetatus est. Nam ipsi bello Ungarico aberant, Sclavanico cer­
tamini reservati 45•
L. Igitur, ut supra 46 retulimus, cum deficeret in ratione reddenda
contra suum patruum Wichmannus, intra palatium custoditur. Cum 10

vero rex in Boioariam proficisei vellet, simulata infirmitate ipse iter


negavit ; unde monitus ab imperatore, quia destitutus a patre et matre47
loco filiorum eum assumpserit liberaliterque educaverit, honore paterno
promoverit, rogatque, ne ei molestiam inferret, cum alia plura grava­
retur. Ad haec nichil utile audiens imperator discessit, I commendato 15

e o Iboni comiti 48• Aliquantis diebus cum eo degens, petit post haec
venandi gratia silvam ire liceret. Ibi absconditos socios secuJ_Il sumens
perrexit in patriam et, occupatis aliquibus urbibus, iuncto sibi E cberhto
arma sumit contra imperatorem. Industria autem ducis Herimanni
facile eos obpressit trans Albiamque coegit. Illi cum se sensissent duci 20

resistere non posse, sociaverunt sibi duos subregulos barbarorum,


Saxonibus iam olim infestos, Naconem et fratrem eius 49•
LI. Ductus exercitus a duce, reperti sunt in urbe quae dicitur
1
Suithleiscranne 50• Et pene erat, ut cum urbe cape- rentur, nisi clamore
cuiusdam citarentur et ad arma prosilirent ; caesis tarnen ante portam zs

urbis ad quadraginta armatis caesorumque spoliis potitus, dux


Herimannus discedit. Erant autem qui eum adiuvarent Heinricus
preses cum fratre Sigifrido, viri eminentes et fortes, domi militiaque
optimi. Facta surrt autem haec initio quadragesimalis ieiunii.
LII. Barbari vero post proximum pascha irruunt in regionem, ducem Jo

habentes Wichmannum ad facinus tantum, non ad imperium. Nullam

u Ebenso nach der Schlacht bei Riade I 39. Widukinds Erzählung (c. 44-49)

zeigt starke Anklänge an den Bericht des Abts Adamnan von Hy (Vita S. Co­
lumbae ed. J. T. Fowler 1920 I 1 ) über die Einsetzung des Königs Oswald von
Northumbrien als Imperator. - intra ducentos annos : Kar! Martells Sieg 732.
45 Dieser Satz ist in der Fassung C gestrichen, vgl. c. 44. ipsi bezieht sich auf
populo suo.
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Niederlage der Slawen 159

49. Glorreich durch den herrlichen Sieg wurde der König von seinem
Heere als Vater des Vaterlandes und Kaiser begrüßt44• Darauf ordnete er
dem höchsten Gott Preis und würdige Lobgesänge in allen Kirchen an,
trug dasselbe durch Boten seiner ehrwürdigen Mutter auf und kehrte
5 unter Jubel und höchster Freude als Sieger nach Sachsen zurück, wo er

von seinem Volke mit größtem Wohlgefallen empfangen wurde . Denn eines
solchen Sieges hatte sich keiner der Könige vor ihm in zweihundert Jahren
erfreut. Diese nahmen nämlich am ungarischen Kriege nicht teil, da sie
für den Kampf gegen die Slawen aufgespart wurden 45•
IO 50. Es befand sich also, wie wir oben46 berichtet, Wichmann, da er
sich gegen seinen Oheim nicht rechtfertigen konnte, in der Pfalz in Haft.
Als aber der König nach Bayern ziehen wollte, schützte er eine Krankheit
vor und weigerte sich mitzuziehen ; deshalb erinnerte ihn der Kaiser
daran, daß er ihn, den Vater- und Mutterlosen 47, an Sohnes Statt ange-
1 5 nommen und geziemend erzogen, auch mit der väterlichen Würde be­

kleidet habe, und bat ihn, er möge ihm doch nicht Verdruß bereiten, da
ihn schon so viele andere Sorgen bedrängten. Als hierauf der Kaiser
keine brauchbare Antwort erhielt, zog er ab und stellte ihn unter die
Aufsicht des Grafen Ibo 48. Einige Tage blieb Wichmann bei diesem,
2 0 dann bat er ihn um Erlaubnis, in den Wald auf die Jagd zu gehen. Hier

hatten sich seine Gesellen verborgen, die er nun zu sich nahm und mit
ihnen in seine Heimat zog, wo er sich einiger Burgen bemächtigte und
im Bunde mit Ekbert die Waffen gegen den Kaiser ergriff. Aber die Tat­
kraft Herzog Hermanns wurde leicht mit ihnen fertig und drängte sie
25 über die Elbe. Da sie nun merkten, daß sie dem Herzog nicht widerstehen

könnten, verbanden sie sich mit zwei den Sachsen schon längst feindlich
gesinnten Slawenfürsten, dem Naco und dessen Bruder 49.
51 . Der Herzog führte ein Heer gegen sie, und man fand sie in der Feste,
die Suithleiscranne 50 genannt wird ; es war nahe daran, daß sie samt der
30 Burg dem Herzog in die Hände gefallen wären, hätte nicht j emand sie

durch Geschrei gewarnt und zu den Waffen gerufen ; doch tötete Herzog
Hermann vor dem Burgtor gegen vierzig Geharnischte und zog mit den
erbeuteten Rüstungen der Getöteten ab. Es halfen ihm aber auf diesem
Zuge Markgraf Heinrich mit seinem Bruder Siegfried, vornehme und
3 5 tapfere Männer, im Kriege wie im Frieden gleich ausgezeichnet. Dies

geschah am Anfang der vierzigtägigen Fastenzeit.


52. Die Barbaren aber machten nach dem nächsten Ostern einen Ein­
fall in das Land ; ihr Anführer war Wichmann, j edoch nur zu diesem

46 Vgl. c. 29.
47 Graf Wichmann I. war 944 gestorben.
48 Nur hier erwähnt.

49 Naco und Stoinef waren Fürsten der Abodriten (in Mecklenburg).

50 Lage unbekannt.
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160 Widukindi res gestae Saxonicae III 52. 53 131/133

moram agens sed et ipse dux Herimannos cum presidio militari adest ;
vidensque exercitum hostium gravem sibique parvas admodum belli
copias affore civili bello urgente, arbitratus est consultius differre cer­
tarnen in dubiis rebus constitutis, multitudinique imperare, quae
maxima in unam urbem confluxerat, dum caeteris diffiderent, quoquo 5

pacto possent, pacem expostularent. Quod tarnen consilium milites


aegre valde tulerunt, et maxime Sigifridus, qui erat bellator acerrimus.
Faciunt tarnen cives Cocarescemiorum 51, ut dux imperarat, pacemque
eo pacto obtinent, I quo liberi cum uxoribus et natis supra murum
inermes ascenderent, conditione servili et omni suppellectili 52 in to

medio urbis hostibus relicta. Cum intra urbem irruerent barbari,


quidam illorum suum mancipium agnoscit in cuiusdam liberti uxore ;
quam cum rapere de manu viri niteretur, ictum pugne accipit, irri­
tumque pactum ex parte Saxonum proclamitat. Unde fit, ut omnes ad
caedem verterentur nullumque relinquerent, sed omnes perfectae 15

aetatis neci darent, matres cum natis captivos ducerent.


LIII . Quod scelus imperator ulcisci gestiens, victoria iam de Ungariis
patrata, regiones barbarorum hostiliter intravit. Consultum de
Saxonibus, qui cum Seiavis conspiraverant, iudicatum est Wichman­
num et Ecberhtum pro hostibus publicis habere oportere, caeteris 20
vero parcere , siquidem remeare voluissent ad suos. Aderat et legatio
barbarorum tributa socios ex more velle persolvere nuntians, caeterum
dominationem regionis velle tenere ; hoc pacto pacem velle, alio­
quin pro libertate armis certare. Imperator ad haec respondit : pacem
quidem eis nequaquam negare, sed omnimodis dare non posse, nisi 25

iniuriam perpetratam digno honore ac emendatione purgarent.


Omniaque vastando et incendendo per illas regiones duxit exercitum,
donec tandem castris positis super Raxam 53 fl.uvium ad transmeandum
I
paludibus difficillimum ab hostibus circumfunditur. A tergo namque
via arborum robore obstruitur, eademque armatorum manu vallatur. 30
Ex adverso fluvius fl.uvioque contigua palus et cum ingenti exercitu
Seiavus bellatores et ab opere et ab itinere prohibens. Vexatur autem
et aliis incommodis exercitus, morbo pariter ac fame. Dum talia

51 Die Bevölkerung eines Gaus in einer Fluchtburg unbekannter Lage.


52 Vgl. I 36.
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Fortgang der Kämpfe mit den Rebellen 161

Raubzuge, nicht als ihr Fürst. Aber auch Herzog Hermann zögerte nicht,
sondern war unverzüglich mit kriegerischer Hilfe bei der Hand ; da er
aber sah, daß das Heer der Feinde bedeutend war, während seine eigene
Kriegsmacht wegen des damals noch fortdauernden Bürgerkrieges sehr
5 gering sein werde, hielt er es für geratener, den Kampf bei dem zweifel­

haften Stande der Dinge zu verschieben und der Menge, die in großer
Zahl in einer Burg zusammengeströmt war, da sie den übrigen nicht
traute, zu befehlen, Frieden um j eden Preis zu begehren. Diesen Beschluß
nahmen j edoch die Krieger sehr übel auf, und vorzüglich Siegfried, der
1 0 ein überaus tapferer Streiter war. Dennoch taten die Cocarescemier 61,

wie der Herzog befohlen hatte, und erhielten unter der Bedingung Frieden,
daß die Freien mit Weibern und Kindern unbewaffnet auf die Mauer
steigen sollten, alle Knechte aber samt allem Hausrat 62 in der Mitte der
Burg den Feinden überlassen würden . Als nun die Barbaren in die Burg
15 hineinstürmten, erkannte einer von ihnen seine Magd in der Frau eines

Freigelassenen, und da er diese der Hand ihres Mannes zu entreißen


strebte, erhielt er einen Faustschlag und schrie, der Vertrag sei von
seiten der Sachsen gebrochen . So kam es, daß alle zu morden begannen
und keinen übrig ließen, sondern alle Vollj ährigen totschlugen, die Mütter
20 aber samt den Kindern als Gefangene wegführten.

53. In dem Wunsche, diesen Frevel zu rächen, drang der Kaiser, nach­
dem er schon den Sieg über die Ungarn gewonnen hatte, feindselig in
das Gebiet der Barbaren ein . Über die Sachsen, die sich mit den Slawen
verschworen hatten, beriet man sich, und das U rteil lautete, daß Wichmann
25 und Ekbert als Landesfeinde zu erachten, die übrigen aber zu verschonen

seien, sofern sie zu den Ihrigen zurückkehren wollten. Es erschien auch


eine Gesandtschaft der Barbaren mit der Botschaft, die Bundesgenossen
wollten wie üblich ihren Zins entrichten, aber die Herrschaft über ihr
Gebiet selbst behalten ; unter dieser Bedingung wollten sie Frieden,
30 sonst würden sie für ihre Freiheit mit den Waffen kämpfen. Darauf

erwiderte der Kaiser, er verweigere ihnen zwar keineswegs den Frieden,


könne ihnen denselben aber durchaus nicht gewähren, wenn sie die be­
gangene Untat nicht durch gebührende Ehrenbezeigung und Buße
sühnten. Und so führte er, alles verheerend und verbrennend, das Heer
3 5 durch j ene Gebiete, bis er endlich am Flusse Raxa 53, der wegen der

Sümpfe sehr schwierig zu überschreiten ist, sein Lager aufschlug und hier
von den Feinden umringt wurde. In seinem Rücken nämlich wurde der
Weg durch einen Verhack von Baumstämmen versperrt und mit einem
Haufen Bewaffneter besetzt ; vorne war der Fluß und der an den Fluß
40 stoßende Sumpf und die Slawen mit einem ungeheueren Heere, das

den Kriegern sowohl die Arbeit als den Marsch wehrte . Aber auch
durch andere Beschwerden wurde das Heer gepeinigt, durch Krankheit

53 Meistens als Recknitz gedeutet.


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162 Widukindi res gestae Saxonicae III 53. 54 133/134

agerentur per plures dies, mittitur ad principem barbarorum, qui


dicebatur Stoinef, Gero comes, quatinus imperatori se dedat : amicum
per id adepturum, non hostem experturum 64 •
LIIII. Erant quippe in Gerone multae artes bonae, bellandi peritia,
in rebus civilibus bona consilia, satis eloquentiae, multum scientiae, s

et qui prudentiam suam opere ostenderet quam ore ; in adquirendo


strennuitas, in dando largitas et, quod optimum erat, ad cultum
divinum bonum studium. Igitur preses super paludeE.. et flumen, cui
palus adiacens erat, barbarum salutabat. Cui Seiavus aequalia respon­
dit. Ad quem preses : 'Satis tibi esset, si bellum gereres contra unum 10

nostrum de servis domini mei, et non etiam contra dominum meum


regem. Quis tibi exercitus, quae arma, ut talia presumas ? Si aliqua
vobis virtus adsit, si artes, si audatia, date nobis locum ad vos trans­
eundi, sive nos vobis huc veniendi, et aequato loco fortitudo appareat
pugnatoris'. I Seiavus barbarico more frendens et multa convicia 15

evomens irrisit Geronem imperatoremque e t omnem exercitum, sciens


eum multis molestiis aggravatum. Gero ad haec commotus, ut erat
animi ardentissimi : 'Crastinus' , inquit, 'dies declarabit, tu et populus
tuus fortes viribus sitis 55 an non. Cras enim nos vobiscum congre­
dientes procul dubio videbitis' . Gero denique, olim licet multis gestis 20

insigniis clarus haberetur, iam tarnen magnus ac celebris ubique


predicabatur, eo quod Sclavos qui dicuntur Uchri cum magna gloria
cepisset . Gero reversus in castra retulit quae audierat. Imperator
vero de nocte consurgens iubet sagittis et aliis machinis ad pugnam
provocare, et quasi vi flumen paludemque transcendere velle. Sclavi 25

autem hesterna comminatione nichil aliud arbitrati ad pugnam pariter


conspiravere, iter totis viribus defendentes. At Gero cum amicis
Ruanis 56 miliario ferme uno a castris descendens hoste ignorante
tres pontes celeriter construxit et misso nuntio ad imperatorem
totum exercitum revocavit. Quo viso barbari et ipsi obviare legionibus Jo

contendunt. Pedites barbarorum dum longiorem viam currunt et


certarnen ineunt, fatigatione dissoluti militibus citius cedunt ; nec
mora, dum fugae presidium quaerunt, obtruncantur.

5' Vgl. I 24.


55 1. Macc. 2,42 : fortis viribus, ebenso Jes. Sir. 30, 14.
56 Ruani, sonst Rugiani genannt, falls keine Verwechslung mit den Ucrani
(Uchri) vorliegt.
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Markgraf Gero 163

ebensowohl wie durch Hunger. Während solches viele Tage hindurch


währte, wurde Graf Gero zu dem Fürsten der Barbaren namens Stoinef
gesandt, mit der Aufforderung, sich dem Kaiser zu ergeben ; er werde
ihn dadurch zum Freunde bekommen und ihn nicht als seinen Feind
5 erproben 54.

54. Gero nämlich war durch viele gute Eigenschaften ausgezeichnet,


des Krieges kundig, von gutem Rat in bürgerlichen Angelegenheiten,
nicht ohne Beredsamkeit, von vielem Wissen und ein Mann, der seine
Klugheit lieber durch Taten als durch Worte bewies ; im Erwerben zeigte
1 0 er Tatkraft, im Schenken Freigebigkeit und, was das Vorzüglichste war,

löblichen Eifer für den Dienst Gottes. Der Markgraf also begrüßte den
Barbaren über den Sumpf und den Fluß hin, der an den Sumpf stößt ;
worauf der Slawe in ähnlicher Weise erwiderte . Der Markgraf sagte zu
ihm : "Es würde für dich genug sein, wenn du gegen einen von uns, von
1 5 meines Herrn Dienern, Krieg führtest und nicht auch gegen meinen

Herrn, den König. Was für ein Heer hast du, was für Waffen, um solches
zu wagen ? Wenn ihr etwas Tapferkeit, etwas Geschick und Kühnheit
besitzt, so erlaubt uns, zu euch hinüberzukommen, oder wir wollen euch
zu uns herüberkommen lassen, und auf gleicher Walstatt möge dann die
20 Tapferkeit des Streiters sich zeigen." Der Slawe, nach barbarischer Sitte

mit den Zähnen knirschend und viel Schimpfworte ausstoßend, ver­


spottete Gero und den Kaiser und das ganze Heer, da er dieses von vielen
Schwierigkeiten bedrängt wußte . Gero aber, hierdurch gereizt, wie er
denn sehr hitzigen Gemütes war, entgegnete : "Der morgige Tag wird
25 zeigen, ob ihr, du und dein Volk, stark 66 seid oder nicht ; denn morgen

werdet ihr ohne Zweifel uns mit euch handgemein werden sehen. " Gero
war nun zwar schon längst durch viele herrliche Taten berühmt, aber
gerade damals feierte man ihn ganz besonders allerorts mit großem
Lobe, weil er die Slawen, welche Ukrer heißen , so rühmlich über-
30 wunden hatte. Gero kehrte also in das Lager zurück und meldete,

was er gehört hatte. Der Kaiser aber erhob sich vor Tagesanbruch
und befahl, den Feind mit Pfeilen und anderem Geschoß zur Schlacht
herauszufordern und einen Angriff über den Sumpf und Fluß hinweg
vorzutäuschen. Die Slawen, welche nach der Drohung vom vori-
3 5 gen Tage nichts anders vermuteten, waren einig zum Kampf und ver­

teidigten den Übergang mit allen Kräften . Allein Gero zog mit seinen
Freunden, den Rugiern 66, ungefähr ein Meile vom Lager abwärts und
erbaute, vom Feinde unbemerkt, in aller Eile drei Brücken ; dann sandte
er einen Boten an den Kaiser und forderte das ganze Heer auf, ihm nach-
40 zukommen. Als dies die Barbaren sahen, eilten auch sie, sich den Legionen
entgegenzustellen, allein ihr Fußvolk hatte den längeren Weg zurück­
zulegen, ehe es zum Kampf kam, und wich bald erschöpft den Rittern ;
da sie nun in der Flucht Schutz suchten, wurden sie sofort nieder­
gehauen .
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164 Widukindi res gestae Saxonicae III 55-59 134/136

LV. Stoinef autem colle eminenti cum equitibus eventum rei


expectabat. Socios inire fugam cernens fugit et ipse, lucoque quodam
cum duobus satellitibus repertus a viro militari, cuius vocabulum erat
I
Hosed, certarnirre fatigatus armisque nudatus capite caesus est. Satel­
litum alius vivus captus imperatorique cum capite et spoliis reguli ab 5

eodem milite presentatus est. Ex hoc Hosed clarus et insignis habitus.


Merces tarn famosi gesti donativum imperiale cum reditu viginti
mansuum. Eo die castra hostium invasa, et multi mortales interfecti
vel capti, caedesque in multam noctem protrahebatur. Postera luce
caput subreguli in campo positum, circaque illud septingenti capti- 10

vorum capite caesi, eiusque consiliarius oculis erutis lingua est privatus
in medioque cadaverum inutilis relictus. Wichmannus vero et Ec­
berhtus seelerum conscii in Galliam profecti, ad Hugonem ducem fuga
elapsi sunt.
LVI . Crebris victoriis imperator gloriosus factus atque famosus 15

multorum regum a c gentium timorem pariter e t favorem promeruit.


Unde plurimos legatos suscipit, Rarnanorum scilicet et Graecorum
Sarracenorumque , per eosque diversi generis munera, vasa aurea et
argentea, aerea quoque et mira varietate operis distincta, vitrea vasa,
eburnea etiam et omni genere modificata stramenta, balsamum et 20

totius generis pigmenta, animalia Saxonibus antea invisa, leones et


camelos, simias et strutiones ; omniumque circumquaque Christia­
norum in illo res atque spes sitae.
LVII. Liudulfus autem filius imperatoris, cum fidem vult servare
amicis, patria cessit Italiamque cum eis adiit ; quo agente annum 25

fere totum, diem extremum obiit 57, toto Franeorum imperio relin­
quens suo vulnere vulnus durum. Funus autem eius a militibus debito
honore curatum, et ab Italia Mogontiae corpus translatum, in basilica
Albani martyris sepultum est cum luctu et planctu mult.orum popu- I
lorum. Reliquit post se filium patris vocabulo insignitum. 30

LVIII. Litterae autem obitus eius allatae sunt imperatori, cum


esset in militia, qua militavit contra Redarios ; quapropter satis
plurimum lacrimarum pro filii interitu fudit ; de caetero, qui adhuc
ordinavit imperium suum, rectori omnium Deo 58 fideliter commisit.
LVIIII . Eodem tempore Wichmannus sciens Saxoniam bella- 35

toribus vacuam, a Gallia profectus Saxoniam occulte intravit,


57 6. Sept. 957. Sein Sohn Otto war 973-982 Herzog in Schwaben.
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Gesandtschaften aus fernen Ländern 165

55. Stoinef aber erwartete auf einem hohen Hügel mit den Reitern den
Ausgang der Schlacht. Als er sah, daß seine Gefährten zu fliehen began­
nen, floh auch er ; in einem Haine wurde er mit zwei Begleitern von einem
Ritter namens Hosed entdeckt, im Kampf überwunden, seiner Waffen
5 beraubt und ihm der Kopf abgeschlagen. Einer der Begleiter wurde

lebend gefangen und dem Kaiser nebst dem Kopf und der Rüstung des
Häuptlings von j enem Ritter dargebracht. Auf diese Tat hin erntete
Hosed Ehre und Auszeichnung ; der Lohn so ruhmvoller Tat war ein
kaiserliches Gnadengeschenk mit den Einkünften von zwanzig Hufen.
1 0 An demselben Tag wurde das Lager der Feinde genommen und viele

Menschen getötet oder zu Gefangenen gemacht, und das Morden währte bis
tief in die Nacht. Am nächsten Morgen wurde der Kopf des Fürsten auf
dem Felde ausgestellt und ringsumher siebenhundert Gefangene ent­
hauptet ; Stoinefs Ratgeber wurden die Augen ausgestochen und die
15 Zunge herausgerissen, und so ließ man ihn mitten unter den Leichnamen

hilflos liegen . Wichmann aber und Ekbert zogen , ihrer Freveltaten be­
wußt, nach Gallien und entkamen durch die Flucht zum Herzog Hugo .
56. Durch seine vielen Siege berühmt und verherrlicht, erweckte der
Kaiser die Furcht ebenso wie die Gunst vieler Könige und Völker ; daher
20 empfing er zahlreiche Gesandtschaften, nämlich von Römern, Griechen

und Sarazenen, und durch dieselben Geschenke verschiedener Art, gol­


dene und silberne Gefäße, auch eherne und kunstreich gearbeitete von
wunderbarer Mannigfaltigkeit, Gefäße von Glas, auch von Elfenbein
und alle möglichen Arten von Teppichen, Balsam und Spezereien aller
25 Art, Tiere, welche die Sachsen vorher nie gesehen hatten, Löwen und

Kamele, Affen und Strauße, und die ganze Christenheit ringsumher


schaute und hoffte auf ihn.
5 7 . Liudolf aber, des Kaisers Sohn, verließ sein Vaterland, da er seinen
Freunden treu bleiben wollte, und zog mit ihnen nach Italien . Hier hielt
30 er sich fast ein ganzes Jahr auf und verschied dann 57, dem ganzen Fran­

kenreiche durch seinen Tod schweres Leid bereitend. Sein Leichenbegäng­


nis aber wurde von seinen Rittern mit gebührender Ehre ausgerichtet und
seine Leiche aus Italien nach Mainz gebracht und begraben in der Basilika
des Märtyrers Albanus unter den Klagen und der Trauer vieler Leute.
35 Er hinterließ einen Sohn, den des Vaters Namen zierte .

58 . Der Brief, der seinen Tod meldete, wurde dem Kaiser überbracht,
als er sich auf einem Kriegszuge gegen die Redarier befand. Er vergoß
viele Tränen über den Untergang seines Sohnes ; im übrigen aber ver­
traute er getreulich auf Gott, den Lenker aller Dinge 58, der bisher über sein
40 Reich gewacht hat.

59. Um dieselbe Zeit zog Wichmann, der Sachsen von Kriegern entblößt
wußte , aus Gallien weg, betrat heimlich Sachsen, suchte sein Haus und

58 Esther 15,5 : omnium rectorem et salvatorem Deum.


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1 66 Widukindi res geste Saxonicae III 59-63 136/138

dorouro coniugeroque revisit, inde se iteruro alienigenis inroersit.


Ecberhtus vero interventu roagni pontificis Brunonis in gratiaro
recipitur.
LX. Ductus exercitus contra Wichroannuro tertia vice 69 vix obtinuit,
ut in fide Geronis filiique sui susciperetur, ipsique apud iroperatorero 5

obtinerent, quo patria coniugisque patriroonio euro gratia iroperiali


frueretur. Iniussus sacraroenturo terribile dedit se contra impera­
torem imperatorisque regnum numquam aliquid inique consilio aut
actu factururo. Ita fide data in pace est dimissus et bonis promissioni-
bus ab iroperatore erectus. 10

LXI. Peracta caede barbarorum 60 eo anno prodigiosae res apparu­


ere, notae scilicet crucis in vestimentis plurimorum 61• Quibus visis
pluriroi salubri timore perculsi adversa I formidabant, idemque vitia
roulta ex parte eroendaverunt. Fuerunt et qui lepras vestium inter­
pretarentur, eo quod subsequens lepra roultos roortales corrumperet. 15

Sapientiores autem signum crucis salutem victoriaroque prefigurasse


predicabant, quibus et nos fidelem assensum prebemus.
LXII. Eo tempore imperator et ipse aegrotare coepit, sed meritis
sanctorum, quibus fidele iugiter obsequium prebet, maximeque pa­
trocinio incliti roartyris Viti, cui aperuit os suuro 62, de infirroitate 20

convalescit et roundo ut sol lucidissimus post tenebras ad omnem


decorem et delicias condonatur.
LXIII. Rebus igitur rite compositis 63 per omnem Franciam Saxoni­
aroque et vicinos circumquaque gentes, Romam statuens proficisci,
Longobardiam perrexit. Ergo qualiter regern Longobardorum Bern- 25

hariuro, duobus annis obsessum, cum coniuge et filiis captum in


exilium destinaverit, Romanos duobus preliis vicerit Romamque
I
expugnaverit, duces Beneventorum subiecerit, Graecos in Calabria
Apuliaque superaverit, terra Saxonia venas argenti aperuerit, im­
periumque euro filio quam magnifice dilataverit, nostrae tenuitatis 30

non est edicere 64, sed, ut initio historiae predixi, in tantum fideli

59Vgl. c. 51 und c. 53.


60Worauf sich diese Worte (nach Verg. Aen. IX 242) beziehen, ist unklar.
81 Ebenso Annales Corbeienses 959 (MGSS 111, 4) : hoc anno signum sarwtae

crucis in vestimentis hominum et corporibus. Offenbar steht die von Widukind


bevorzugte Deutung des Kreuzes in einem inneren Zusammenhang mit der
Übernahme desselben Zeichens durch die Kreuzfahrer.
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Der letzte Widerstand 167

seine Gemahlin auf und begab sich von hier wiederum in die Fremde .
Ekbert aber wurde auf Fürsprache des Erzbischofs Brun wieder zu Gna­
den angenommen .
60. Als zum dritten Male 59 ein Heer gegen Wichmann geführt wurde,
5 erlangte er mit Mühe, daß Gero und sein Sohn seine Ergebung annahmen

und beim Kaiser für ihn auswirkten, daß er sich der Heimat und des
Erbgutes seiner Gemahlin mit des Kaisers Gnade wieder erfreuen durfte .
Er schwor aus freien Stücken einen schweren Eid, daß er gegen den Kaiser
und des Kaisers Reich niemals, weder durch die Tat noch durch Rat, sich
10 in etwas vergehen wolle. Nachdem er so Treue gelobt, wurde er in Frieden

entlassen und durch gute Verheißungen vom Kaiser aufgerichtet.


61 . Als das Blutbad unter den Barbaren zu Ende war 60, erschienen in
diesem Jahre unnatürliche Dinge, nämlich das Zeichen des Kreuzes an
den Kleidern vieler Leute 61• Dieser Anblick erfüllte die meisten mit heil-
15 samer Furcht, so daß sie Unglück befürchteten und großenteils Buße

taten für ihre Sünden. Einige erklärten es für Male des Aussatzes an
Kleidern, weil ein anschließender Aussatz viele Menschen zugrunde
richtete . Die Weiseren aber verkündeten, daß das Zeichen des Kreuzes
Heil und Sieg bedeutet habe, und diesen stimmen auch wir getreulich
20 bei .

62. Um diese Zeit erkrankte auch der Kaiser selbst, aber durch das
Verdienst der Heiligen, denen er beständig treuen Gehorsam erweist,
und hauptsächlich durch den Schutz des heiligen Märtyrers Vitus, gegen
den er seinen Mund öffnete 62, genas er von seiner Krankheit und wurde
25 der Welt gleich der leuchtenden Sonne nach der Finsternis zu j eglichem

Schmuck und j eglicher Freude wiedergeschenkt.


63. Nachdem nun die Angelegenheiten in ganz Franken und Sachsen
und bei den benachbarten Völkern ringsumher in rechter Weise geordnet
waren 63, beschloß er, nach Rom zu ziehen, und brach ins Langobarden-
30 reich auf.
Wie er nun da den König der Langobarden Bereugar nach zweijähriger
Belagerung mit Weib und Töchtern gefangen und in die Verbannung
geschickt, die Römer in zwei Treffen besiegt und Rom erobert, wie er die
Herzöge von Benevent unterworfen, die Griechen in Kalabrien und Apulien
3 5 überwunden, in Sachsen die Silberadern erschlossen, und wie herrlich

er mit seinem Sohn das Reich erweitert hat, das zu erzählen geht über
mein schwaches Vermögen 64 ; vielmehr, wie ich am Anfang meines

6 2 Alttestamentlicher Ausdruck, vgl. Jes. 53,7. Apost. Gesch. 8,32. Vielleicht

in diesem Zusammenhang ist die II 35 erwähnte Goldfibel als Dankspende an


den hl. Veit nach Korvei gelangt.
13 Vgl. I 4 1 .

" Vg l . I 3 5 . I I 36.
- ut initio historiae praedixi, nämlich I l .
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168 Widukindi res gestae Saxonicae III 63-65 138/141

I
devotione elaborasse sufficiat. Caeterum erga tuam claritatem sereni­
tatemque, quam patris fratrisque celsitudo patriae ad omnem hono­
rem nobisque ad solatium reliquit, magna devotio opus humile
magnificet 66•
At finis civilis belli terminus sit libelli. 5

LXIII!. Enimvero donatus patriae Wichmannos aequanimiter se


continuit, donec imperatoris adventum speravit. Cum autem eius
reversio differretur, ad aquilonales partes se contulit, quasi cum rege
Danorum Haraldo 66 bellum ab integro machinaturus. At ille mandavit
ei, si ducem necasset vel alium quemlibet principum, nosset sine dolo 10

eum sibi sociare velle, aliter rem fraudulenter agitasse non dubitaret.
Interea ab emptore pretereunte latrocinia eius produntur, sociorum­
que aliqui comprehensi et tamquam contra publicam rem agentes a
duce dampnati strangulo vitam perdiderunt. Ipse autem cum fratre
vix evasit. I 15

LXV. Dani antiquitus erant Christiani, sed nichilominus idolis


ritu gentili servientes. Contigit autem altercationem super cultura
deorum fieri in quodam convivio rege presente, Danis affirmantibus
Christum quidem esse deum, sed alios eo fore maiores deos, quippe
qui potiora mortalibus signa et prodigia per se ostenderent. Contra 20

haec clericus quidam, nunc vero religiosam vitam ducens episcopus


nomine Poppa, unum verum deum patrem cum filio unigenito domino
nostro Iesu Christo et spiritu sancto, simulacra vero daemonia esse et
non deos testatus est. Raraidus autem rex, utpote qui velox traditur
fore ad audiendum, tardus ad loquendum 67, interrogat, si hanc 25

fidem per semet ipsum declarare velit. Ille incunctanter velle respondit.
Rex vero custodire clericum usque in crastinum iubet. Mane facto
1
ingentis pon- deris ferrum igne succendi iubet, clericumque ob fidem
catholicam candens ferrum portare iussit. Confessor Christi indubitan­
ter ferrum rapit tamdiuque deportat, quo ipse rex decernit. Manum 30

incolumem cunctis ostendit, fidem catholicam omnibus probabilern

65 Der letzte Satz ist erst in der für die Prinzessin bestimmten Form zu der
ursprünglichen Fassung hinzugefügt worden. Der nachfolgende durch Reim
hervorgehobene Satz bildet den Übergang zu den erst 967/68 geschriebenen
Kapiteln 64-69, mit denen das Werk in der Widmungsfassung endet.
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Wichmann im Bund mit Dänen 169

Geschichtswerkes vorausbemerkt habe, möge es genügen, mich so weit


in treuer Ergebenheit bemüht zu haben. Übrigens möge die große Er­
gebenheit gegen deine Hoheit und Herrlichkeit, die dein erhabener Vater
und Bruder dem Vaterland zu j eglicher Ehre und uns zum Troste zurück-
5 gelassen hat, das geringe Werk verherrlichen 65•

Aber das Ende der inneren Kämpfe soll der Schluß dieses Büchleins
sem.
64. Wichmann nämlich, der seiner Heimat wiedergegeben war, verhielt
sich ruhig, solange er mit dem Kommen des Kaisers rechnete. Als sich
1 0 seine Rückkehr aber verzögerte, begab er sich in die nördlichen Lande,

um den Krieg zusammen mit dem Dänenkönig Harald 66 wiederaufzu­


nehmen. Dieser aber ließ ihn wissen, er würde, wenn er den Herzog oder
irgendeinen anderen Fürsten getötet hätte, glauben, daß er sich mit ihm
ohne Hinterlist verbinden wolle ; wo nicht, so würde er nicht zweifeln,
1 5 daß Wichmann die Sache unehrlich betrieben habe. Unterdessen wurden

durch einen vorüberziehenden Kaufmann seine Räubereien bekannt, und


einige seiner Genossen wurden ergriffen, die, als Landesfeinde vom
Herzog verurteilt, ihr Leben durch den Strang verloren ; er selbst aber
entkam nebst seinem Bruder mit Not.
20 65. Die Dänen waren von alters her Christen, dienten aber nichts­
destoweniger den Götzen nach heidnischer Weise. Es ereignete sich aber,
daß bei einem Gastmahl ein Streit über die Verehrung der Götter ent­
stand in Gegenwart des Königs. Die Dänen behaupteten nämlich, Christus
sei zwar ein Gott, aber es werde noch andere Götter geben, deren Macht
25 noch größer sei, da sie den Menschen größere Zeichen und Wunder durch

sich kundtäten. Dagegen erklärte ein Geistlicher, der jetzt als Bischof
ein gottgeweihtes Leben führt, namens Poppa, es gebe nur einen einzigen
wahren Gott, den Vater mit dem eingeborenen Sohn Jesus Christus
unserem Herrn und dem Heiligen Geiste, die Götzen aber seien Dämonen
30 und nicht Götter. König Harald aber, der eifrig zum Hören, bedächtig

zum Sprechen 67 geschildert wird, fragte ihn, ob er diesen Glauben durch


sich selbst bezeugen wolle. Ohne Zögern erklärte er sich bereit. Der König
aber gebot, den Geistlichen bis zum folgenden Tage zu bewachen. Als
es Morgen geworden war, ließ er eine Eisenmasse von großer Schwere
3 5 mit Feuer erhitzen und befahl dem Geistlichen, für den katholischen

Glauben das glühende Eisen zu tragen. Der Bekenner Christi ergriff das
Eisen ohne Besinnen und trug es so lange, als es der König selbst be­
fahl, zeigte allen die unverletzte Hand und erwies so vor der ganzen

" Harald Blauzahn, ca. 936-985.


87 Jakobusbrief 1,19 : sit autem omnis homo velox ad audiendum, tardus autem
ad loquendum.
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1 70 Widukindi res gestae Saxonicae III 65-68 141/143

reddit 68• Ad haec rex conversus Christum deum solum colendum


decrevit, idola respuenda subiectis gentibus imperat, Dei sacerdotibus
et ministris honorem debitum deinde prestitit. Sed et haec virtutibus
merito patris tui adscribuntur, cuius industria in illis regionibus
ecclesiae sacerdotumque ordines in tantum fulsere.
LXVI . Gero igitur comes non inmemor iuramenti, cum Wichman­
num accusari vidisset reumque cognovisset, barbaris, a quibus eum
assumpsit, restituit. Ab eis libenter susceptus longius degentes bar­
baros crebris preliis contrivit. Misacam regem 69, cuius potestatis
erant Sclavi qui dicuntur Licicaviki, duabus vicibus superavit fra- 10

tremque ipsius interfecit, predam magnam ab eo extorsit.


LXVII. Eo quoque tempore Gero preses Sclavos qui dicuntur
l
Lusiki 70 potentissime vicit et ad ultimam Servi tutern coegit, non sine
sui tarnen gravi vulnere nepotisque optimi viri casu, caeterorum quo-
que quam plurimorum nobilium virorum. 15

LXVIII. Erant duo subreguli Herimanno duci, inimicitiae a


patribus vicariae relicti ; alter vocabatur Selibur, alter Mistav. Selibur
preerat Waaris, Mistav Abdritis 71• Dum invicem quam saepe ac­
cusantur, victus tandem ratione Selibur condempnatus est quindecim
talentis argenti a duce. Eam dampnationem graviter ferens arma 20

sumere contra ducem cogitavit. Sed cum ei belli copiae non sufficerent,
missa legatione postulat presidium ab Wichmanno contra ducem.
llle nichil iocundius ducens, quam aliquam molestiam inferre posset
patruo, cito cum sociis adest Sclavo. Ut autem suscipitur in urbem
Wichmannus, statim urbs obsidione vallatur ab inimico. Ductus 25

quoque exercitus a duce urbem obsedit. Interim, casu nescio an


prudenti consilio, Wichmannus cum paucis urbem est egressus, quasi
ad extra- I henda sibi de Danis auxilia. Pauci dies intererant, dum
victus bellatoribus et pabulum iumentis defecerat. Fuerunt etiam qui
dicerent Sclavum speciem quidem belli gessisse, non verum bellum. 30

lncredibile omnimodis fore hornirrem a puero 72bellis assuetum 72

88 Zu diesem Gottesurteil vgl. Cl. v. Schwerin, Ztschr. d. Sav. Stiftg. f.


Rechtsgesch. German. Abtlg. 58, 1938, 69-107.
8 9 Mit Miseko (Mieszko) beginnt Polens Geschichte. Die Licicaviki sind nur
hier erwähnt. Kern- und Ausgangsgebiet war der Raum zwischen mittlerer
Warthe, mittlerer Weichsel und Pilica.
?o Bewohner der Niederlausitz.
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Erfolg der Markgrafen 171

Versammlung die Wahrheit des katholischen Glaubens68. Nach dieser Probe


bekehrte sich der König, beschloß, Christum allein als Gott zu verehren,
befahl seinen heidnischen Untertanen, die Götzen zu verwerfen, und er­
zeigte fortan den Priestern und Dienern Gottes die gebührende Ehre .
5 Aber auch dies wird mit Recht dem Verdienste deines Vaters zugeschrie­

ben, durch dessen Eifer in jenen Gebieten die Kirchen und der Priester­
stand zu so leuchtendem Ansehen gekommen sind.
66. Markgraf Gero also, j enes Schwures eingedenk, gab Wichmann,
als er sah, daß dieser angeklagt wurde, und er ihn als schuldig erkannt
10 hatte, den Barbaren, von denen er ihn empfangen hatte, wieder zurück.
Von diesen mit Freuden aufgenommen, bedrängte er die entfernter woh­
nenden Slawen durch häufige Überfälle. Den König Misaca 69, unter dessen
Gewalt die Slawen standen, die Licicaviki heißen, überwand er zweimal,
tötete seinen Bruder und erpreßte von ihm reiche Beute .
15 6 7 . Um diese Zeit besiegte auch Markgraf Gero die Slawen, welche
Lusiki 70 heißen, mit gewaltiger Kraft und brachte sie zu vollständiger
Knechtschaft, jedoch nicht ohne eigene schwere Verwundung und den
Verlust seines Neffen, eines wackeren Mannes, und vieler anderer edler
Männer.
20 68 . Unter Herzog Hermann standen zwei Slawenfürsten, die von ihren
Vätern gegenseitige Feindschaft geerbt hatten ; der eine hieß Selibur,
der andere Mistav ; Selibur beherrschte die Wagrier, Mistav die Abodriten.
Da sie sich gegenseitig sehr oft anklagten, wurde endlich Selibur vom
Herzog bei der Untersuchung verurteilt zu einer Buße von fünfzehn
25 Pfund Silber. Erbittert über diese Verurteilung plante er, die Waffen
gegen den Herzog zu erheben . Da er aber nicht genug Streitkräfte hatte,
schickte er Boten an Wichmann und forderte von ihm Hilfe gegen den
Herzog. Dieser konnte sich nichts Erfreulicheres denken, als seinem Oheim
irgendeinen Verdruß bereiten zu können, und so kam er mit seinen Genos-
30 sen den Slawen schnell zu Hilfe . Sobald aber Wichmann in der Burg auf­

genommen war, wurde diese auch schon von den Feinden umzingelt und
belagert. Auch der Herzog führte ein Heer hinzu und lagerte sich mit
demselben um die Burg. Unterdessen verließ Wichmann, ich weiß nicht,
ob durch Zufall oder aus Vorsicht, dieselbe mit einigen wenigen, als ob er
35 sich von den Dänen Hilfsvölker holen wolle . Wenige Tage vergingen, bis

den Kriegern die Lebensmittel und dem Vieh das Futter ausging. Auch
behaupteten einige, der Slawe habe nur einen Scheinkrieg geführt, nicht
einen wirklichen Krieg ; es sei durchaus unglaublich, daß ein von Kind­
heit auf an den Krieg gewöhnter Mann 72 so schlechte Vorbereitungen

71 An die Wagrier in Ostholstein schließen sich nach Osten unmittelbar die


Abodriten an.
7 2 Verg. Aen. IX 201 .
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172 Widukindi res gestae Saxonicae III 68. 69 143/145

bellicas res tarn male preparatas habuisse ; sed id consilii machinatum


ducem, ut quoquo pacto posset nepotem vinceret, ut saltem in patria
salutem recuperaret, quam inter paganos penitus perdidisset. Farne
ita que urbani ac foetore pecorum aggravati urbe egredi sunt coacti.
Dux Sclavum austerius alloquens de perfidia et nequam eius actibus 5

arguit, hocque ab eo responsi accepit : ' Quid me' , inquit, 'de perfidia
arguis 1 Ecce, quos nec tu nec dominus tuus imperator vincere potu­
istis, mea perfidia inermes assistunt' . Ad haec dux conticuit, eum suae
ditionis regione privans, filio ipsius, quem antea obsidem accepit,
omni ipsius potestate tradita. Milites Wichmanni variis poenis afßixit, 10

urbis predam suis militibus donavit, simulacro Saturni ex aere fuso,


quod ibi inter alia urbis spolia repperit, magnum spectaculum populo
prebuit victorque in patriam remeavit.
LXVIIII. Audiens autem Wichmannus urbem captam sociosque
affiictos ad orientem versus iterum se paganis inmersit, egitque cum 15

1
Seiavis qui dicuntur Vuloini 73, quo- modo Misacam amicum impera­
toris bello lacesserent ; quod eum minime latuit. Qui misit ad Boli­
zlavum regem Boemiorum - gener enim ipsius erat 74 - accepitque
ab eo equitum duas acies. Cumque contra eum Wichmannus duxisset
exercitum, pedites primum ei inmisit. Cumque ex iussu ducis paulatim 20

coram Wichmanno fugerent, a castris longius protrahitur, equitibus


a tergo inmissis, signo fugientes ad reversionem hostium monet. Cum
ex adverso et post tergum premeretur, Wichmannus fugam inire
temptavit. A sociis igitur arguitur sceleris, quia ipse eos ad pugnam
instigaverit fidensque equo 75, cum necesse fuerit, fugam facile inierit. 25

Coactus itaque equo cessit, pedestris cum sociis certarnen iniit, eoqueI
die viriliter pugnans armis defenditur. Ieiunio autem et longiori via ,
qua per totam noctem armatus incessit, mane cum paucis admodum
aream cuiusdam iam fessus intravit. Optimates autem hostium cum
eum repperissent, ex armis agnoscunt, quia vir eminens esset. Inter- Jo

rogatusque ab eis, quisnam esset, Wichmannum se fore professus est.

73Zum Namen vgl. die Insel WoHin an der Odermündung.


" Nach Thietmar 4,55 war Misekos Gemahlin Dobrawa eine Tochter B ole­
slavs I., so daß ihr Sohn Boleslav Chrobry (992-1025) nach dem mütterlichen
Großvater benannt ist.
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Wichmanns Bestrafung 173

zum Kriege getroffen habe ; vielmehr habe der Herzog diesen Plan erson­
nen, um seinen Neffen auf irgendeine Weise zu bezwingen, damit er
wenigstens in der Heimat sein Seelenheil wiedergewänne, statt unter den
Heiden gänzlich zugrunde zu gehen. So wurde denn die Besatzung durch
5 Hunger und den Gestank des Viehes genötigt, aus der Burg herauszukom­

men. Der Herzog redete den Slawen ziemlich streng an und warf ihm
seine Treulosigkeit und seine schlechten Handlungen vor ; darauf erhielt er
von ihm folgende Antwort : "Warum machst du mir Vorwürfe wegen
Treulosigkeit ? Siehe, durch meine Treulosigkeit stehen j etzt diej enigen,
1 0 welche weder du noch dein Herr, der Kaiser, besiegen konnte, wehrlos

vor dir." Darauf schwieg der Herzog, nahm ihm das unter seiner Bot­
mäßigkeit stehende Gebiet und verlieh seinem Sohne, den er früher als
Geisel bekommen hatte, alle Gewalt des Vaters . Über die Vasallen Wich­
manns verhängte er verschiedene Strafen ; die Beute der Burg schenkte
15 er seinem Kriegsvolk, bereitete mit dem aus Erz gegossenen Bilde des
Saturn, das er hier unter anderen Beutestücken der Burg fand, dem Volk
ein großes Schauspiel und kehrte als Sieger in sein Land zurück.
69. Da aber Wichmann hörte, daß die Burg genommen und seine
Gefährten in Fei ndeshand gefallen seien, wandte er sich von neuem gegen
20 Osten und begab sich wieder unter die Heiden ; hier beriet er sich mit den

Slawen, welche Wuloini 73 heißen, wie sie Misaca, des Kaisers Freund,
mit Krieg heimsuchen wollten, was diesem keineswegs unbekannt blieb .
Er sandte an Boleslaw, den König der Böhmen - denn dieser war sein
Schwiegervater - , und erhielt von ihm zwei Abteilungen Reiter. Als nun
25 Wichmann mit einem Heere gegen ihn heranzog, ließ er zuerst das Fuß­

volk einen Angriff machen, aber mit dem Befehl, allmählich vor Wich­
mann zurückzuweichen, wodurch dieser weiter von seinem Lager abge­
zogen wurde ; dann erteilte er seinen Reitern Befehl, ihm in den Rücken
zu fallen, und gab zugleich dem flüchtenden Fußvolk das Zeichen, sich
30 wieder gegen die Feinde zu wenden. Als so Wichmann von vorne und im

Rücken bedrängt wurde, versuchte er zu entfliehen. Da beschuldigten


ihn aber seine Genossen des Verrates, weil er sie erst zum Kampf gedrängt
habe und nun, in der Not, auf sein Roß vertrauend 75, sich sogleich auf
die Flucht mache . So ließ er notgedrungen sein Pferd und begann zu Fuß
3 5 den Kampf neben seinen Genossen ; mannhaft stritt er den ganzen Tag,

und seine Rüstung schützte ihn . Die Nacht hindurch legte er gewappnet
einen weiten Weg zurück und erreichte bei Tagesanbruch, durch Hunger
und Anstrengung ermattet, ein Gehöft, in dem er mit einigen wenigen
Begleitern Zuflucht suchte . Hier fanden ihn die Führer der Feinde und
40 erkannten an seiner Rüstung, daß er ein vornehmer Mann sei ; da sie ihn

nach seinem Namen fragten, erklärte er, er sei Wichmann . Jene aber

75 Verg. Aen. X 181 : Astur equo fidens.


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1 74 Widukindi res gestae Saxonicae III 69. 70 145/147

At illi arma deponere exhortati sunt. Fidem deinde spondent salvum


eum domino suo presentari hocque apud ipsum obtinere, quatinus
incolumem imperatori restituat. Ille, licet in ultima necessitate sit
constitutus, non inmemor pristinae nobilitatis ac virtutis, dedignatus
est talibus manum dare, petit tarnen, ut Misaco de eo adnuntient : s

illi velle arma deponere, illi manus dare . Dum ad Misacam ipsi per­
gunt, vulgus innumerabile eum circumdat eumque acriter inpugnat.
Ipse autem, quamvis fessus, multis ex eis fusis, tandem gladium sumit
et potiori hostium cum his verbis tradidit : 'Accipe' , inquit, 'hunc
gladium et defer domino tuo, quo pro signo victoriae illum teneat 10
imperatorique amico transmittat, quo sciat aut hostem occisum
irridere vel certe propinquum deflere. ' Et his dictis conversus ad
orientem, ut potuit, patria voce Dominum exoravit animamque
multis miseriis et incommodis repletam pietati creatoris omnium
effudit. Is finis Wichmanno, talisque omnibus fere, qui contra im- 1s

peratorem arma sumpserunt [patrem t uum] 76• I


LXX. Imperator itaque acceptis armis Wichmanni de nece eius iam
certus factus scripsit epistolam 77 ad duces et prefectos Saxoniae in
hunc modum :
Oddo divino nutu imperator augustus Herimanno et Thiadrico 20

ducibus caeterisque publicae rei nostrae prefectis omnia amabilia.


Deo volente salus omniaque prospera plane succedunt. Caeterum nuntii
Constantinopolitani regis dignitate satis insignes nos adeunt, pacem,
ut intelleximus, admodum quaerentes. Quoquo modo tarnen res
agatur, bello Deo volente nullo modo nos temptare audebunt. Apuliam 2s

I
et Calabriam provincias, quas hactenus tenuere , nisi conveniamus,
dabunt. Si vero voluntati nostrae paruerint, ut presenti aestate
coniugem cum aequivoco nostro in Franciam dirigentes, per Fraxane­
tum ad destruendos Sarracenos Deo comite iter arripiemus, et sie
ad vos, disponimus. Preterea volumus, ut, si Redares, sicut audivimus, 30

tantam stragem passi sunt - scitis enim, quam saepe fidem fregerint,
quas iniurias attulerint -, nullam vobiscum pacem habeant. Unde
haec cum Herimanno duce ventilantes totis viribus instate, ut in
destructione eorum finem operi inponatis. Ipsi, si necesse fuerit, ad

7 8 Diese beiden Worte stehen nur in der Fassung A, die damit endet. Ein

Epilog in der Art der Prologe zu den einzelnen Büchern fehlt.


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Ein Brief des Königs 175

forderten ihn auf, seine Waffen abzulegen, und gelobten ihm sodann auf
ihr Wort, daß sie ihn unversehrt ihrem Herrn ausliefern und diesen dazu
vermögen wollten, daß er ihn unverletzt dem Kaiser zurückgebe. Obgleich
er nun in die äußerste Not geraten war, vergaß er doch nicht seines frü-
5 heren Adels und seiner Tapferkeit und verschmähte es, solchen Leuten
sich zu ergeben ; doch bat er, sie möchten dem Misaca von ihm melden,
vor ihm wolle er seine Waffen ablegen, ihm sich ergeben. Während nun
diese zu Misaca eilten, umringte ihn unzähliges Volk und griff ihn heftig
an. So erschöpft er aber auch war, hieb er dennoch viele von ihnen nieder ;
10 endlich nahm er sein Schwert und reichte es dem Vornehmsten der Feinde
mit folgenden Worten : "Nimm dieses Schwert und überbringe es deinem
Herrn, damit er es zum Zeichen des Sieges nehme und seinem Freunde,
dem Kaiser, übersende, auf daß dieser wisse, er könne nun eines erschla­
genen Feindes spotten oder einen Blutsverwandten beweinen." Und nach
15 diesen Worten wandte er sich gegen Morgen, betete, so gut er konnte, in
seiner Muttersprache zum Herrn und hauchte seine mit vielem Elend und
Jammer erfüllte Seele aus in die Barmherzigkeit des Schöpfers aller Dinge .
Dies war das Ende Wichmanns, und so endeten fast alle, die die Waffen
erhoben hatten gegen den Kaiser [deinenVater 76] .
20 70. Nachdem nun der Kaiser die Waffen Wichmanns erhalten hatte
und von seinem Tode unterrichtet worden war, schrieb er einen Brief77
an die Herzöge und Befehlshaber Sachsens folgenderweise : " Otto, durch
Gottes Willen Kaiser, des Reiches Mehrer, entbietet den Herzögen Her­
mann und Thiadrik und den übrigen Befehlshabern unseres Landes alles
25 Liebe. Nach Gottes Willen steht es um unser Wohl und alle unsere Ange­
legenheiten sehr gut und günstig. Auch kommen zu uns Gesandte des
Königs von Konstantinopel, sehr vornehme Männer, und verlangen, wie
wir gehört haben, angelegentliehst nach Frieden. Wie sich j edoch die
Sache auch gestalten mag, mit Krieg, so Gott will, werden sie auf keine
30 Weise wagen, sich an uns zu versuchen. Die Provinzen Apulien und Kala­
brien, die sie bis j etzt besessen haben, werden sie, wenn wir nicht einig
werden, uns geben müssen. Wenn sie sich aber unserem Willen fügen, wer­
den wir in gegenwärtigem Sommer unsere Gemahlin nebst dem Träger
unseres Namens nach Franken schicken und selbst über Frainet, die
35 Sarazenen zu vertilgen, mit Gottes Geleit den Weg antreten und gedenken
dann zu euch zu kommen . Außerdem wollen wir, daß die Redarier, wenn
sie, wie wir vernommen, solche blutigen Verluste erlitten haben - ihr
wißt j a, wie oft sie die Treue gebrochen und welches Unrecht sie verübt - ,
keinen Frieden von euch erhalten sollen. Deshalb erwägt dies mit dem
40 Herzog Hermann und trachtet mit allen Kräften danach, daß ihr durch

7 7 Auch aufgenommen in MG D OI. 355. Das verlorene Original ist von Widu­

kind stark überarbeitet (Beumann 266-274).


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176 Widukindi res gestae Saxonicae III 70-73 147/149

eos ibimus. Filius noster in nativitate Domini coronam a beato apo­


stolico in imperii dignitatem suscepit. Scripta XV. Kal. Febr. in
Campania iuxta Capuam.
His litteris lectis in conventu populi in loco qui dicitur Werla
coram principibus et frequentia plebis, visum est pacem iam datarn / 5

Redariis oportere stare, eo quod tune bellum adversum Danos


urgeret, et quia copiae minus sufficerent ad duo bella pariter confi­
cienda.
LXXI. Graecorum itaque legatis imperator satis credens partem
exercitus cum plerisque principalibus viris direxit ad condictum 10

locum, quo eis secus sponsionem legatorum puella traderetur e t cum


honore filio adduceretur 78• Graeci vero ad artes paternas conversi
- nam erant ab exordio fere mundi plurimarum gentium domini, et
quos virtute nequibant, artibus superabant - subito super inprovisos
et nichil adversi suspicantes irruunt, castra diripiunt, plures occidunt, 15

plures capiunt, quos et Constantinopolim imperatori suo presentant.


Qui vero effugere poterant, reversi ad imperatorem quae acta sunt
nuntiabant.
LXXII . At ille super his commotus ad hoc dedecus diluendum cum
gravi manu viros eminentes, domesticis et externis rebus iam saepe 20

/
claros factos, Guntharium et Sigi- fridum 79 mittit in Calabriam. Graeci
autem preterita victoria elati et minus cauti ceciderunt in manus
eorum ; ex quibus innumera multitudine caesa, quos supererant
capientes, obtruncatis naribus Novam Romam remeare permiserunt.
Tributum in Calabria et Apulia a Graecis extorserunt, talique victoria 25

illustres facti et spoliis hostium ditati ad imperatorem reversi sunt.


LXXIII. Populus autem Constantinopolitanus audiens a suis
male pugnatum, consurrexerunt adversus imperatorem suum et
machinatione coniugis propriae cuiusdam militis insidiis occiderunt80,
locoque domini militem imperio designantes. Constitutus autem rex 30

continuo captivos absolvit, puellam 81 cum magno exercitu et claris mu-

78Von derartigen Verhandlungen mit Ostrom war bisher nicht die Rede.
79 Gunther war Markgraf von Merseburg, Siegfried vielleicht Graf des Hasse­
gaus.
80 Die Ermordung des Kaisers Nikephoros IL Phokas auf Betreiben seiner

Gemahlin Theophanu durch seinen Nachfolger Johannes Tzimiskes steht in


keinem Zusammenhang mit der Niederlage in Apulien.
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Feldzug in Unteritalien 177

ihre Vernichtung euer Werk vollendet. Wir selbst werden, wenn es nötig
sein sollte, gegen sie ziehen. Unser Sohn hat an des Herrn Geburtsfest
vom heiligen apostolischen Vater die Krone der kaiserlichen Würde
erhalten. Gegeben am 1 8 . Januar zu Capua in Campanien. " - Als dieser
5 Brief auf dem Landtage an einem Orte, W erla genannt, vor den Fürsten

und zahlreichem Volk vorgelesen worden war, hielt man es für notwendig,
daß der den Redariern schon gewährte Friede aufrechterhalten werde,
weil damals der Krieg gegen die Dänen drängte und die Streitkräfte nicht
ausreichten, um mit zwei Kriegen zu gleicher Zeit fertig zu werden.
10 7 1 . Der Kaiser also, der den Gesandten der Griechen vollen Glauben
schenkte, sandte einen Teil des Heeres mit vielen vornehmen Männern
an den verabredeten Ort, wo ihnen, gemäß dem Versprechen der Gesand­
te n , das Mädchen übergeben und mit Ehren seinem Sohne zugeführt
würde 78• Die Griechen aber wandten sich den Ränken ihrer Väter zu
15- denn fast von Anbeginn der Welt sind sie Herren über die meisten
Völker gewesen, und wo ihre Tapferkeit nicht ausreichte, siegten sie durch
List - , stürzten plötzlich auf die Ungerüsteten und nichts Arges Vermu­
tenden los, plünderten das Lager, töteten viele und nahmen viele gefangen,
die sie nach Konstantinopel an ihren Kaiser sandten. Die aber entfliehen
20 konnten, kehrten zum Kaiser zurück und meldeten, was geschehen war.

72. Aber dieser, darüber ergrimmt, sandte, diesen Schimpf zu rächen,


mit einem starken Heere zwei ausgezeichnete Männer, die in inneren und
auswärtigen Kämpfen schon oft sich Ruhm erworben hatten, Gunther
und Siegfried 79, nach Kalabrien. Die Griechen, durch den vorhergegange-
25 nen Sieg aufgeblasen und ohne die nötige Vorsicht, fielen in ihre Hände ;

eine unzählige Menge von ihnen wurde niedergehauen, die übrigen nah­
men sie gefangen und gestatteten ihnen, mit abgeschnittenen Nasen in
das neue Rom zurückzukehren. In Kalabrien und Apulien erpreßten sie
Tribut von den Griechen, und durch solchen Sieg mit Ruhm bedeckt,
30 kehrten sie mit reicher Beute zum Kaiser zurück.

73. Da aber die Leute von Konstantinopel den Mißerfolg der Ihrigen
hörten, standen sie gegen ihren Kaiser auf, und auf Betreiben seiner
eigenen Gemahlin erschlugen 80 sie ihn nach den Plänen eines Offiziers
und setzten diesen an seines Herrn Stelle als Kaiser ein. Sobald dieser die
35 Krone erlangt hatte, gab er sogleich die Gefangenen frei und übersandte

das Mädchen 81 mit einem großen Heere und herrlichen Geschenken dem

81 Nicht die ursprünglich geforderte Tochter des Kaisers Romanos II.

(959-963), sondern (vgl. W. H. Rüdt von Collenberg im Genealogischen Jahr­


buch 4, 1964, 49-7 1 ) eine Nichte des Kaisers Johannes I. Tzimiskes (969-976),
Theophanu, die um Ostern 972 in Rom eintraf. Über die Heiratsurkunde
(DO II. 2 1 ) s. Hans Gretting und Hermann Kuhn in Archivs.!. Ztschr. 64, 1968,
1 1-24.
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178 Widukindi res gestae Saxonicae III 73. 74 149/151

I
neribus ad imperatorem destinavit. Quam ipse statimfilio tradidit, cele­
bratisque magnifice nuptiis omnem Italiam super hoc et Germaniam
laetiores reddidit. Eo tempore, quo haec intra Italiam gerebantur,
summus pontifex Wilhelmus82, vir sapiens et prudens, pius et cunctis
affabilis, a patre sibi commendatum regebat Franeorum imperium. 5

LXXIIII. Cuius mater, licet peregrina, nobili tarnen erat genere


procreata. Hic cum audisset aegrotare coepisse matrem imperatoris,
mirae sanctitatis feminam, nomine Mahthildam, dumque eius expectat
funus, proprio funere ipsius funus precedit. De cuius laude si aliquid
dicere cupimus, deficimus, quia omne argurnenturn ingenioli nostri 10

superat virtus tantae feminae . Quis enim digne possit explicare eius
vigilantiam erga cultum divinum ? Omnis nox omnibus modis et omni
genere cellulam suam divinorum carminum melodia inplebat. Erat
enim ei cellula ecclesiae proxima, in qua modice requiescebat, de qua
omnibus noctibus consurgens intrat ecclesiam, nichilominus cantoribus 15

e t cantatricibus intra cellulam e t pro foribus e t i n via triformiter


constitutis, qui divinam clementiam laudarent atque benedicerent ;
ipsa intra ecclesiam in vigiliis et orationibus perseverans missarum
sollempnia expectabat. Deinde infirmos ubicumque audivit in vicino
visitavit, necessaria prebuit ; deinde pauperibus manum porrexit ; 20

deinde hospites, qui semper aderant, cum omni largitate suscepit ;


neminem sine affatu blando dimisit, nullum fere sine munusculis vel
necessariis adiumentis vacuum reliquit. Saepe viatoribus, quos longius !
de cella prospexit, necessaria transmisit. Talia opera licet valde
humiliter diebus ac noctibus exerceret, tarnen nichil de honore regio 25

minuebat ; et sicut scripturn est 83, quamvis sederet tamquam regina


circumstante populo, semper et ubique tarnen erat moerentium conso­
latrix. Domesticos omnes famulos et ancillas variis artibus, litteris
quoque instituit ; nam et ipsa litteras novit, quas post mortem regis
lucide satis didicit. Ergo si omnes virtutes eius velim narrare, hora 30

deficerit ; facundia Homeri vel Maronis michi si adesset, non sufficeret.


lgitur plena dierum, plena omni honore, plena operibus bonis et
elemosinis 84, cunctis divitiis regalibus distributis servis Dei et ancillis

82 Seit 954 Nachfolger Friedrichs in Mainz.


83 In Anlehnung an Hiob 29,25 : cumque sederem quasi rex circumstante exer­
citu, eram tamen moerentium consolator.
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Königin Mathilde 1 79

Kaiser. Dieser übergab sie sogleich seinem Sohne, und als die Hochzeit
mit großer Pracht gefeiert wurde, versetzte er dadurch ganz Italien und
Deutschland in große Freude . Während sich dies in Italien zutrug, ver­
waltete der Erzbischof Wilhelm 82, ein weiser und kluger Mann, fromm
s und freundlich gegen j edermann, das von seinem Vater ihm anvertraute
Reich der Franken .
74. Die Mutter desselben war zwar eine Fremde, aber aus edlem
Geschlecht entsprossen . Als er gehört hatte, daß die Mutter des Kaisers,
eine Frau von wunderbarer Heiligkeit namens Mathilde, erkrankt sei und
10 er auf ihr Leichenbegängnis wartete, ereignete es sich, daß seine eigene

Totenfeier der ihrigen vorausging. Wenn wir nun zu ihrem Lob etwas zu
sagen wünschen, so fühlen wir uns zu schwach, weil die Tugend einer sol­
chen Frau alles Können unseres schwachen Geistes übersteigt. Denn wer
vermöchte ihre Hingabe an den göttlichen Dienst würdig zu beschreiben ?
IS Jede Nacht erfüllte sie ihre Zelle mit dem Wohlklang himmlischer Lieder

von j eglicher Weise und Mannigfaltigkeit. Denn sie hatte ganz nahe der
Kirche ihre Zelle, in welcher sie ein wenig zu ruhen pflegte ; in ihr erhob
sie sich j ede Nacht und ging in die Kirche, während Sänger und Sängerin­
nen innerhalb der Zelle und vor der Tür und auf dem Wege in drei
20 Abteilungen aufgestellt waren, um Gottes Huld zu loben und zu preisen.

Sie selbst verharrte in der Kirche in Wachen und Beten und erwartete die
Feier der Messe. Darauf machte sie , wo sie von Kranken in der Nachbar­
schaft hörte, bei diesen Besuch und reichte ihnen, was sie brauchten ;
dann öffnete sie ihre Hand den Armen, auch nahm sie Gäste, an denen
2s niemals Mangel war, mit aller Freigebigkeit auf ; niemanden entließ sie
ohne ein freundliches Wort und fast keinen ohne ein kleines Geschenk
oder die Unterstützung, die ihm not tat. Oft schickte sie Wanderern, die sie
von ihrer Zelle aus in der Ferne erblickte, das Nötige hinaus. Und ob­
gleich sie solche Werke demütig Tag und Nacht übte, vergab sie dennoch
30 der königlichen Würde nichts, und wie geschrieben steht 83 : "Obgleich

sie saß wie eine Königin unter ihrem Volk, war sie dennoch immer und
überall der Klagenden Trösterin. " Alle Diener und Dienerinnen im Haus
unterwies sie in verschiedenen Künsten und auch im Lesen und Schreiben ;
denn sie konnte das, weil sie es nach des Königs Tode recht gut erlernt
Js hat. Wollte ich demnach alle ihre Tugenden aufzählen, so würde die Zeit
nicht reichen ; wenn ich Homers oder Maros Beredsamkeit besäße, sie
würde nicht genügen . So gab sie, reich an Jahren, reich an aller Ehre,
reich an allen guten Werken und Almosen 84, nachdem sie ihren ganzen

84 plenus dierum ein alttestamentlicher Ausdruck ( l . Chron. 23, 1 . 29,28.

2. Chron. 24, 15). Apostelgesch. 9,36 : plena operibus bonis et cleemosynis. - Widu­
kind setzt sich hier mit der 974 verfaßten älteren Vita Mathildis (MG SS X
575-582, bes. S. 581 , 27 ff. ) auseinander, die selbst auf die Widmungsfassung
Bezug genommen hatte.
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180 Widukindi res gestae Saxonicae III 74. 75 151/153

ac pauperibus, secundo Idus Martias animam Christo reddidit. Illo


quoque tempore Bernhardus, ut ab omni populo predicabatur, suis
temporibus sacerdotio dignissimus, diem funxit extremum 86• Piam
famam super his nemo nos vituperet prodidisse, dum veri periculo non
subcumbimus. Audivimus enim a quodam solitario, in spiritu nescio 5

an manifesta visione, animam reginae et episcopi infinita multitudine


angelorum cum gloria ineffabili caelos deferre vidisse.
LXXV. Igitur imperator, audita morte matris et filii caeterorum­
que principalium virorum - nam et Gero, vir magnus et potens, iam
antea defunctus est 86 -, iudicavit ab I expeditione Fraxanetis absti- 10

nere et dispositis in Italia rebus patriam remeare. Pulsavit quoque


fama eum, quasi plerique Saxonum rebellare voluissent ; quod quia
inutile erat, nec relatione dignum arbitramur. Egressus est itaque de
Italia cum magna gloria, capto rege Longobardorum, superatis Grae­
cis victisque Sarracenis, cum victricibus alis Galliam ingressus est, 15

inde Germaniam transiturus et proximum pascha loco celebri Quidi­


lingaburg celebraturus ; ubi diversarum gentium multitudo con­
veniens, restitutum patriae cum filio cum magno gaudio celebrabant.
Manens autem ibi decem et septem non amplius diebus, descendit
inde, ascensionem Domini apud Mesburg celebraturus. Tristis autem 20

illa loca perambulat obitu optimi viri ducis Herimanni 87, qui pru­
dentiae ac iustitiae miraeque vigilantiae in rebus civilibus et externis
cunctis retro mortalibus aeternam reliquit memoriam. Post susceptos
ab Africa legatos eum regio honore et munere visitantes secum fecit
manere. Tertia autem feria ante pentecosten locum devenit qui dici- 2s

tur Miminlevu. Proxima nocte iuxta morem diluculo de lecto consur­


gens nocturnis et matutinis laudibus intererat. Post haec paululum
requievit ; missarum deinde officiis celebratis, pauperibus iuxta morem
manus porrexit, paululum gustavit iterumque in lecto requievit. Cum
autem hora esset, processit, laetus et hilaris ad mensam resedit. Per- 30

acto ministerio vespertinis laudibus interfuit ; peracto cantico evangelii


aestuari atque I fatigari iam coepit. Quod cum intellexissent principes
circumstantes, sedili eum inposuerunt. Inclinantem autem caput,
quasi iam defecisset, refocillaverunt ; expetitoque sacramento divini

85 Bernhard, seit 924 Bischof von Halberstadt, starb am 3. Februar 968.


86 Todestag 20. Mai 965.
87 Herzog Hermann starb 27. März 973.
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Heimkehr aus Apulien 181

königlichen Schatz an die Diener und Mägde Gottes, sowie an die Armen
verteilt hatte, am 14. März ihre Seele Christo zurück. Um diese Zeit ver­
schied auch Bernhard 86, den alles Volk als den würdigsten Priester seiner
Zeit rühmte. Wenn wir nun über diese beiden auch ein frommes Gerücht
5 mitteilen, so möge uns niemand deshalb tadeln, indem wir nicht der

Gefahr erliegen, von der Wahrheit abzuweichen. Wir haben nämlich von
einem Einsiedler gehört, er habe, ich weiß nicht, ob im Geiste oder in
einem offenbaren Gesichte, die Seelen der Königin und des Bischofs gese­
hen, wie sie von einer unendlichen Menge von Engeln mit unaussprech-
to licher Glorie himmelwärts getragen wurden .
75. Als nun der Kaiser vom Tode seiner Mutter und seines Sohnes und
der übrigen vornehmen Männer - denn auch Gero, der gewaltige und
mächtige Mann, war schon vorher gestorben 86 - vernommen hatte, be­
schloß er, von dem Feldzug nach Frainet abzusehen und nach Ordnung
1 � der Verhältnisse in Italien in sein Vaterland zurückzukehren. Es beun­
ruhigte ihn auch ein Gerücht, als wollte sich die Mehrzahl der Sachsen
empören, eine Sache, die wir nicht einmal der Mitteilung für wert erach­
teten, weil sie ohne alle Bedeutung war. So verließ er denn Italien mit
großem Ruhm, da er den König der Langobarden gefangengenommen,
20 die Griechen überwunden und die Sarazenen besiegt hatte ; mit seinen

siegreichen Heerscharen zog er nach Gallien, um von hier nach Deutsch­


land hinüberzugehen und das nächste Osterfest an dem berühmten Orte
Quedlinburg zu feiern, wo eine zahlreiche Menge aus verschiedenen Völ­
kern zusammenkam und seine wie des Sohnes Rückkehr ins Vaterland
25 mit großer Freude feierte . Hier blieb er aber nicht länger als siebzehn

Tage und zog weiter, um die Himmelfahrt des Herrn in Merseburg zu


feiern. Traurig aber durchwandelte er diese Gegenden wegen des Todes
des trefflichen Mannes, des Herzogs Hermann 87, der das Andenken an
seine Klugheit und Gerechtigkeit und seine erstaunliche Umsicht in
30 inneren und auswärtigen Angelegenheiten allen Sterblichen für ewige

Zeiten hinterlassen hat. Darauf empfing er Gesandte aus Afrika, die ihm
mit königlicher Ehre und mit Geschenken aufwarteten, und hieß sie bei
ihm bleiben. Am Dienstag aber vor Pfingsten kam er an einen Ort, der
Memleben heißt. In der folgenden Nacht stand er wie gewöhnlich mit.
35 der Dämmerung von seinem Lager auf und wohnte den nächtlichen und

morgendlichen Lobgesängen bei. Darauf ruhte er ein wenig. Nachdem


hierauf die Messe zelebriert worden war, spendete er nach seiner Gewohn­
heit den Armen, aß ein wenig und ruhte wiederum auf seinem Lager.
Zur Mittagsstunde aber kam er fröhlich aus seinem Gemach und setzte
40 sich heiter zu Tisch. Nach vollbrachter Aufwartung wohnte er der Vesper
bei. Als aber das Magnificat gesungen war, begann er bereits zu fiebern
und sich matt zu fühlen. Als dies die umstehenden Fürsten bemerkten,
setzten sie ihn auf einen Sessel. Da er aber das Haupt neigte, als wäre er
schon verschieden, weckten sie ihn wieder zum Bewußtsein ; er begehrte
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1 82 Widukindi res gestae Saxonicae III 75. 76 1 53/154

corporis ac sanguinis et accepto, sine gemitu cum magna tranquilli­


tate ultimum spiritum cum divinis officiis pietati creatoris omnium
tradidit. Transportatur inde in cubiculum ; et cum esset iam sero 88,
nuntiatur populo mors eius. Populus autem pro eius laude et gratia­
rum actione multa locutus memoravit eum paterna subiectos rexisse s

pietate, ab hostibus eos liberasse, superbos hostes Avares, Sarracenos,


Danos 89, Sclavos armis vicisse, Italiam subiugasse, delubra deorum
in vicinis gentibus destruxisse, templa ministrorumque ordines con­
stituisse ; multaque alia bona invicem conferentes regali funeri insi-
stebant90. 10

LXXVI. Mane autem iam facto, licet iam olim unctus esset i n
regem e t a beato apostolico designatus in imperatorem, spei unicae
totius ecclesiae, imperatoris filio, ut initio certatim manus dabant,
fidem pollicentes et operam suam contra omnes adversarios sacra­
mentis militaribus confirmantes. Igitur ab integro ab omni populo 1s

electus in principem I transtulit corpus patris i n civitatem, quam ipse


magnifice construxit, vocabulo Magathaburg. Itaque defunctus est
Nonis Maii, quarta feria ante pentecosten, imperator Romanorum91,
rex gentium, divinarum humanarumque rerum multa ac gloriosa
saeculis relinquens monimenta. 20

EXPLICIT LIBER III .

88 Mare. 15,42 : et cum iam sero esset jactum.


88 Vgl. III 4 (Kampf um Rouen).
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Tod des Kaisers 183

das Sakrament des Leibes und Blutes Gottes, nahm es und übergab dann
ohne Seufzer mit großer Ruhe den letzten Hauch dem barmherzigen Schöp­
fer aller Dinge unter den Klängen der liturgischen Sterbegesänge. Dann wur­
de er von hier in sein Schlafgemach gebracht und, als es schon spät war88,
5 sein Tod dem Volke verkündet. Das Volk aber sprach viel zu seinem Lobe in

dankbarer Erinnerung, wie er mit väterlicher Milde seine Untertanen


regiert und sie von den Feinden befreit, die übermütigen Feinde, Awaren,
Sarazenen, Dänen 89, Slawen, mit Waffengewalt besiegt, Italien unter­
worfen, die Götzentempel bei den benachbarten Völkern zerstört, Kir-
1 0 chen und geistliche Stände eingerichtet habe, und indem sie unterein­

ander noch viel anderes Gute über ihn redeten, wohnten sie der königlichen
Leichenfeier bei 90 •
76. Als es aber Morgen geworden war, reichten sie der einzigen Hoff­
nung der ganzen Kirche, dem Sohne des Kaisers, obgleich er schon längst
15 zum König gesalbt und von dem seligen Papst zum Nachfolger im Kaiser­

tum bestimmt worden war, noch einmal, wie im Anfang, wetteifernd die
Hände, gelobten Treue und bekräftigten ihm durch den Vasalleneid ihren
Beistand gegen alle Widersacher. Also wurde er von neuem vom ganzen
Volke zum Fürsten gewählt und geleitete dann seines Vaters Leiche in
20 die von diesem prächtig erbaute Stadt Magdeburg. Und so starb am

siebenten Mai, am Mittwoch vor Pfingsten, der Kaiser der Römer 91 und
König der Völker und hinterließ in kirchlichen wie in weltlichen Dingen
viele ruhmwürdige Denkmäler der Nachwelt.

ENDE DES DRITTEN BUCHES DER SACHSENGESCHICHTE

110 J. 0 . Plassmann, Germanien 1942, 83 ff. 337 ff. 1943, 154ff. hat in dieser

Schilderung die Elemente einer altgermanischen Totenehrung erkannt.


11 Zum
Sinn dieses Terminus vgl. Beumann 262-265.
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