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Vorwort
Teil I: Die Herausforderung des Status Quo.
5 Punkte zur Architektur von VRSB 9
I. Geschichte und »Common Sense« 11
Der Architekt als Beobachter 11
Wahrnehmung und Formanalyse 12
Funktionalismus und »soziale Relevanz« 17
»Marginal Man« 21
Abkürzungen 7 0
II. Anatomie eines »dekorierten Schuppens« 22
Herausgegriffen: das Guild House 24
»Pastiche« 25 I. Stadtgestaitung 77
Stanislaus von Moos: Venturi, Rauch, Scott, Brown
Transparenz, Symbolik und »gebrochene Form«. »Urbanismus« und
»Stadtgestaltung« 77 - Rom und
Zur Rezeptionsgeschichte des Guild House 28 eine Bergwerkstadt in
Wales 79 - Pop Art und Soziat-
»Bauhaus« oder »Our House«? 30 Wissenschaft 80
III. Themen und Variationen 32
Themen: Aaltos Impuls 33
Poche 36
»Innen« ist nicht »Außen«. Dialektik der Frontalität 39
Portal und Proszenium 41
»Impressionistische Baukunst«? 42
IV. Sprachspiele und Massenmedien 47
»Bedeutung« und »Symbolik« 48
Sprachspiele und Zeichentheorie 51
Selbstaufgabe der Architektur? 57
»Unterhaltungselektronik« und Architektur 57
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12 Pennsylvania Avenue Project
13 'Washington Avenue RevitaWiation Plan
126
128
134
138
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195
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202
208
212
14 Republic Square District Master Plan
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15 Westway Urban Design Project
16 Times Square Plaza Design
17 Welcome Park
18 Ponte dell' Accademia
19 Marconi Plaza Monument
II. Öffentliche Bauten
»Neue Monumentalität« und Kommunalpaläste 145 - Venturis
Diplomarbeit 146 - Innen und Außen 146
20 North Penn Visiting Nurses Association Headquarters
21 Berkeley Museum and Art Gallery Competition
22 Varga-Brigio Medical OfTice Building
23 North Canton Town Center
24 Fire Station Nr. 4
25 National Football Hall of Farne Competition
26 Humanities Building
27 Social Sciences Building
28 Yale Mathematics Building Competition
29 Dixwell Fire Station
30 Allen Memorial Art Museum,
Oberlin College
31 Penn State Faculty Club
32 Museum für Kunsthandwerk
33 Canberra Parliament House Competition
34 State Mosque of Iraq Competition
35 Gordon Wu Hall
36 Lewis Thomas Laboratory for Molecular ßiology
37 Laguna Gloria Art Museum
III. Geschäfts- und Bürobauten 215
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»Enten« und »dekorierte Schuppen« 215
38 Transportation Square Office Building 217
39 California City Sales Office 220
40 MERBISC Mart 221
41 Jazz Club Houston 222
42 Hotel-Casino in Atlantic City 223
43 The County Federal Savings and Loan Bank 226
44 Best Products Catalog Showroom 228
45 ISI Corporation Headquarters 230
46 BASCO Showroom 232
47 Khulafa Street Residential and
Commercial Building 234
48 »Greenlands« Mixed Use Development 236
49 Jacksonville Office Building 237
IV. Häuser
Laborexperimente 240 - Das klassische und das malerische Ideal 241
239
50 Vanna Venturi House 244
51 Lieb House 249
52 Wike House 252
53 D’Agostino House 254
54 Trubek and Wislocki Houses 256
55 Haus in Connecticut 260
56 Haus in Westchester County 266
57 Haus in Tuckers Town 268
58 Haus in Vail 272
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59 Coxe-Hayden Studio Houses 274
60 Haus in Northern Delaware 276
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70 St. Frances de Sales Church 301 Bibliographie (in
Zusammenarbeit mit Ute Lehrer) 325
71 Bicentennial Exhibition 303 ^ Kurzbiographien 328
72 »Signs of Life. Symbols in the Verzeichnis der
Bauten und Projekte 1958-1985 329
American City« 304 Abbildungsnachweis 332
73 »200 Years of American Sculpture« 308 Register 333
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Stanislaus von Moos: Venturi, Rauch, Scott, Brown
iiHMinriWrr «Ü KOMM A d» UMBCIK, MS den NSunns- ■Mdslts
fi^riMMcw lyaWtndftwwpwhilmi des üliMkmffi \*iJMcki«n ih ww
SozsaLInsenicurs. ergab sich r»-wehen 4M «ücnriRlM* \teM2 Venturis
und den IMMBMSS 4M Msenkamscfaen Stsdtsoiiotogie
te-ir st MM4K! durch Autoren wie Melvin Webber «der Harten OMS m
den sechziger Jahren ent»rekelt wurden - we «an «dM Mt überraschende
innere Konvergenz.
HMM tolk mal dem Erscheinen des Buches Leaming tmm LMS Hrpnr
(1977) die Grundlage der intellektuellen Pro- dnks^r de» Mm «erden ' Es
war Dome Scott Brown, Vssm GOM and Partnerin im Büro (seit 1967),
die, als Arctwariun und Plane rm mit den Anliegen und Methoden dir
InMdwMMmdMflcn vertraut, dafür sorgte, daß sich der mm BniMSflmn
Essay geschulte Diskurs der Venturis zunehmend md Argmwrnr Horn n
der empirischen Soziologie sinne So acht das architektonische Denken
der Venturis MMAdMch tn einer ungewöhnlichen Nähe sowohl zum
Game de» Inaratarthcoretnchen Essays als auch zur Gedankenwelt der
Soziologie. Es hat sich, um Wolf Lepenies* Bild der «dm Kulturen« zu
benützen, die die Welt der Geistes- »memetudtea unter sich verteilen,
ständig von den Paradigmen de* ~ i nie » merm hafte n wegbewegt, um
sich dafür jene der schönen Literatur und der Soziologie anzueignen.4
Dm Rrtadbd war cm Aufruhr, oder doch eine Polarisierung fori der
gesamten Architekturszene - nicht nur Amerika* - n Gegner und
Sympathisanten der vermeintlichen oder malen »Position« der Venturis.
In der Tat was einem Literaturkritiker, einem Soziologen oder etwa einem
Kunsl- Metortkor ab geastnachc Analyse erscheinen mochte, das Mos
mm AidMekl um 1970 kaum anders denn als Schan- dum de* Bcrufunool
verstehen zu können. Seine geistigen kMOM Mdaenea unbeirrbar auf den
Empfang ideaüstiscb- ggpgdHr Kmglf eingestellt zu sein, nicht aber auf
Tuch- lutüwflg M der »mieden Realität des Alltags Die archi- UlMMlM
Eibe der amerikanischen Ostküste, deren ide- Mtiidbi SdbötndMin durch
die Studentenbewegung ÜC gMI Mdwge Jahre paradoxerweise eher
bekräftig efts MMppddl wunfe,, feegierte denn auch auf Leo* «an ßmm
Ls* l«ga swMach mehr anders ah an kirchlicher VOM—au< em
qOMMchihdl pornographische» Ehborat rea- 0smm mimde' emi
MOMMcher Empörung ABc großen IlgghM der hnfeeei Kjnnk eg der
Modernen Mmsrnfcnliiir. wen Thonder • Ahm iher Herbert Marcuae bis
hm zu OhaeaM CienedNeg MM wen der Kmk MI Feld geführt, um du
VeMMh IM Leger eMes */ynwchca> und «feektu^ iteic«**
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Stanislaus von Moos: Venturi, Rauch, Scott, Brown
luunmriMMlHM* MMdnMperc* Wie sehr sich die Gegpfc* 'da k
eggwrt» ne MMM Eder eehMd m One vefdedi-
Uge Nahe zu den Gemeinplätzen konservativer Kulturkritik
manövrierten, war ihnen vermutlich kaum bewußt.6
Einige der Probleme, die in dieser (prad des anciens modernes ei des post-
modernes zur Debatte standen, werden weiter unten (S 2$ff.) ausführlich
zur Sprache kommen. Der Leser mag vielleicht an dieser Stelle eine
Erörterung zum Thema »postmodeme Architektur« erwarten, einem
Phänomen, zu dessen Gründern und Ideologen die Venturis seit langem
gehören - auch wenn sie sich neuerdings von einzelnen Aspekten der
Bewegung deutlich distanzieren. Ich halte es für wenig sinnvoll, auch nur
den Deckel über dieser Büchse der Pandora zu lüften. Es geht im
folgenden zuallererst um die Erörterung von Architektur, nicht um die
Fixierung einer Position im aktuellen Streit der Meinungen, und um sich
ein Bild der Architektur zu machen, die hier zur Debatte steht, ist es
vermutlich sinnvoll, sich einen eigenen Weg zu suchen, möglichst abseits
der dogmatischen Vorurteile der Gegner und der Schwärmerei der
Befürworter, ja bis zu einem gewissen Grad sogar abseits des komplexen
theoretischen Lehrgebäudes, das in den beiden erwähnten Büchern der
Venturis vorliegt.
Sicher liegt der Schlüssel zu einem solchen Vorgehen zu allererst im hier
dokumentierten (Euvre selbst Aus diesem Grunde werde ich ein
Einzelwerk von Venturi and Rauch herausgreifen - nämlich das Guild
House in Philadelphia (1960-1963) um daran einige Themen ihrer
Architektur und ihrer Theorie zu erörtern. Da aber andererseits die
Vorstellung. Werke der Kunst (und also auch der Architektur) ließen sich
ausschließlich aus sich selbst, das heißt ihrer formalen Struktur erklären,
ein ebenso naiver Selbstbetrug wäre wie die Vorstellung, es genüge, ihre
Bedeutung von den unmittelbaren historischen Quellen respektive den
erklärten Intentionen der Architekten her aufzuschlüsscln (was zum
vornherein nicht die Aufgabe einer übcrstchtsdar- Stellung wie der
vorliegenden sein kann), will ich zwei Arbeiishypothesen skizzieren, die
zu den in diesem Buch dokumentierten Interessen und Anliegen
hinführen; die eine mehr die ästhetische Seite von Architektur betreffend,
die andere ihre soziale Rolle.
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Stanislaus von Moos: Venturi, Rauch, Scott, Brown
Wahrnehmung und Formanalyse
Der »Stoff«, mn dem «eh Venturi in Complextty and Coatru- dumm
befaßt, und auf den sich die Architektur «eines Büro« 4u»dfück)ieh
bezieht, ist die Geschichte der Architektur, wobei Manaemmus, Rokoko
und frühe Moderne im Vor-
dergrund stehen. Diese intellektuelle Neugier hatte von allem Anfang an
eminent praktische Implikationen; sie half, die Produktion von
Architektur aus den wirtschaftlichen und ideologischen Fangen
industrieller Fließbandrationalität zu losen und wieder in die Nähe des
Handwerkes zu fuhren. Darin besteht bis heute die Aktualität von
Venturis erstem Buch und der frühen Arbeiten von Venturi and Rauch.
Andererseits wird es kaum jemanden überraschen, daß gerade die
universale historische Katholizität von Venturis ästhetischen Interessen
das Mißtrauen vieler Kollegen auf den Plan rief - auch wenn dieses nicht
immer, wie im Falle von Colin Rowe, im Gewand herablassender Ironie
einherkam:
Tatsächlich finden sich die von Rowe erwähnten Namen, nebst vielen
anderen, alle in Venturis erstem Buch. Dabei unterstützt sowohl die
Bildauswahl als auch das Format der Abbildungen - es sind in der ersten
Ausgabe des Buches nicht weniger als 350 Pläne und Fotos, viele davon
in der Größe von Kontaktabzügen nach Kleinbildnegativen - den
Eindruck eines uferlosen Stroms von untereinander zwar höchst
disparaten, aber letztlich gleichwertigen historischen und
zeitgenössischen Belegen für die Omnipräsenz »komplexer« und
»widersprüchlicher« Form in Geschichte und Gegenwart (Abb. 1). Es
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Stanislaus von Moos: Venturi, Rauch, Scott, Brown
sind BUder verschiedenster Herkunft _ eben vom Palazzo Farnese über
Michelangelos Medici-Kapelle in Florenz bis zu Thomas Jeffersons
Universitätsbauten in Charlottesville, Vanbrugh’s Eastbury in England
den amerikanischen Landhäusern des Shingle Style und einem
Flaggenbild von Jasper Johns - die Venturi fast ohne historische
Relativierung in sein Pantheon »komplexer« und »widersprüchlicher«
Formen aufnimmt I und die er als Architekt auch als Quellen benützt.
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Raumkonzeption des Barock zu verankern - man denke nur an den
berühmten Vergleich von Borrominis S. Carlo alle Quattro
Fontane in Rom mit den Crescents von Bath und mit Le Corbusiers Plan
Obus (Abb. 4, 5) - fällt der Vorwurf, die »offizielle Moderne« habe sich
nicht für »Geschichte« interessiert, in sich selbst zusammen. Aus der
Sicht Venturis besteht das Hauptproblem der von den CIAM (den
»Internationalen Kongressen für Neues Bauen«, deren Sekretär Giedion
war) propagierten Architektur nicht darin, daß diese Architektur das
Bewußtsein fürs »Vergangene« durch bloße technokratische Effizienz
ersetzt habe, sondern darin, daß sie auf historischen Vorbildern basiere,
die »einfache« und »saubere« Lösungen komplexer Probleme zu
verkörpern scheinen, während die soziale und kulturelle Realität des
städtischen Zusammenlebens im allgemeinen nach wesentlich »hybriden«
und »komplexen« Lösungen verlange.12
Vermutlich wäre die Frage, welches die Kriterien waren, mit deren Hilfe
die Moderne ihren extrem selektiven Gebrauch der Geschichte
legitimierte, um einiges ergiebiger als die postmodeme Klage darüber, die
Moderne habe die Geschichte vergessen (welche Geschichte überhaupt?).
Hier wäre eigentlich von Psychologie und von Theorie der Wahrnehmung
zu reden, auch von einer Kunstwissenschaft, die den Schwerpunkt ihrer
Neugierde in »Problemen der Form« sieht, wie es ein berühmter Buchtitel
von Adolf von Hildebrandt ausdrückt, und die ihre Grundbegriffe an
formalen Kriterien entwickelte - wie Heinrich Wölfflin in seinen
Kunstgeschichtlichen Grundbegriffen (1915).13
Le Corbusiers kunsttheoretischer Gewährsmann war, neben dem
Kunsttheoretiker und Pädagogen Charles Blanc und anderen, der
Psychologe Charles Henry, von dem die für den Architekten entscheidend
wichtige Theorie der formes primaires stammt: Die Vorstellung, wonach
»primäre Formen« in Kunst und Architektur zwangsläufig auch sensa-
tions primaires auslösen (Abb. 3). Giedion wiederum begründete seine
Auffassung vom »Raum-Zeit-Kontinuum« in der Architektur auf den
Vorstellungen, die sein Lehrer Wölfflin und A.E. Brinckmann an der
barocken Architektur des 17. und 18. Jahrhunderts entwickelt haben, und
die er geschickt mit den Raum-Zeit-Konzepten der modernen Physik in
Verbindung brachte.
Vor diesem Hintergrund erscheint Complexity and Contradiction in
Architecture nicht als Bruch mit der Moderne. Vielmehr stellt es die
Fortsetzung einer spezifisch modernen Obsession dar, von historischen
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Stanislaus von Moos: Venturi, Rauch, Scott, Brown
Erfahrungen im Lichte aktueller ästhetischer Fragestellungen zu lernen.
Wobei diese Fragestellungen auch bei Venturi primär um die
Gegebenheiten von »Form« und »Raum« in der Architektur kreisen, auch
wenn sie daran ganz andere Qualitäten erörtern als jene, die die
Generation Le Corbusiers und Giedions inter-
essierte: das Hybride (statt das Eindeutige), das Sowohl-Als Auch (statt
das Entweder-Oder), das Konventionelle (statt das Originelle), die
Darstellung von Widersprüchen (statt deren ästhetische Nivellierung und
Aufhebung). Oder, konkreter: Das Hotel de Matignon in Paris (Abb. 6)
mit seinen situationsbedingten Widersprüchen zwischen innerer und
äußerer Ordnung (und nicht sosehr die elementare Stereometrie von
Getreidesilos oder das scheinbar konfliktlose Raumkontinuum von
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Borrominis Kuppellateme von S. Ivo, die Giedion mit Tatlins »Monument
für die III. Internationale« verglich).
Lionello Venturi, einer der Begründer der Kunstgeschichte der Moderne,
schrieb einmal, Manet habe »das Prinzip der Autonomie der
Wahrnehmung in die Kunst eingeführt, und die gesamte moderne Kunst
habe es seither als Grundlage und als Markenzeichen benützt«.14.
Vielleicht ist es nicht einmal völlig abwegig, daran zu erinnern, daß die
folgenreichste ästhetische Theorie der Moderne, diejenige des
Impressionismus, auf einer optischen Analyse des visuellen
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Stanislaus von Moos: Venturi, Rauch, Scott, Brown
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Funktionalismus und »soziale Relevanz«
In ihrer Einleitung zu Learningfrom Las Vegas versuchen die Autoren zu
zeigen, daß ein Vorgehen, das formale Probleme des Bauens und solche
der kommerziellen Bildersprache aus dem gesellschaftlichen
Zusammenhang isoliert, um sie besser analysieren zu können, durchaus
nicht Indifferenz gegenüber den sozialen Aufgaben der Architektur be
deutet. Sie meinen: »Wir beschränken uns bewußt darauf, Las Vegas als
ein Kommunikationssystem zu analysieren. Genauso wie die Bauanalyse
einer gotischen Kathedrale ohne eine Erörterung der Moral
mittelalterlicher Religion auskommen kann, so werden auch hier die
>Werte< von Las Vegas nicht in Frage gestellt. Die Moral der
kommerziellen Reklame und des Spielhöllengeschäfts sowie das
Wettbewerbsdenken sind nicht das Thema dieses Buches, obwohl wir
glauben, daß dies alles zu den breiteren, synthetischen Aufgaben des
Architekten gehört, unter denen eine Analyse wie die vorliegende nur
einen Einzelaspekt darstellt.«17
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Stanislaus von Moos: Venturi, Rauch, Scott, Brown
7 Las Vegas: »Upper Strip Looking North«, aus Learningfrom Las Vegas
(1972)
Die Verfasser sind der Meinung, daß Architekten gerade durch das
Studium des »vitalen Durcheinanders« des kommerziellen Alltags ihre
Sinne für soziale Aufgaben schärfen können. Insofern ist Leaming from
Las Vegas durchaus nicht frei von Sozialkritik: nur daß sich diese Kritik
nicht gegen Las Vegas richtet, sondern gegen Architekten, gegen ihre
Vorstellungen von der Rolle des Architekten in der Gesellschaft und
gegen die sozialen Folgen dieser Vorstellungen.18
Andererseits hat sich der ästhetische Pluralismus der Ven- turis früh mit
sozialen und politischen Vorstellungen verbündet, die man unter dem
vieldeutigen Begriff des »Populismus« zusammenfassen kann. Aber ihre
Berufung auf »das Volk« und »volkstümlichen Geschmack« hat diese
Architekten im Kreise der Modernen Architektur und ihrer Apologeten
vermutlich noch nachhaltiger in Verruf gebracht als ihr ungewöhnlicher
formaler Eklektizismus. Das liegt daran, daß sich die Moderne Bewegung
soziales Engagement kaum anders als in der Form des Für-die-Freiheit-
auf-die-Barri- kaden-Steigens vorstellen konnte, das heißt in der Form
sozialer und kultureller Führerschaft. Die »Basis« ist im Rahmen dieser
Auffassung immer etwas, was der »Avantgarde« einsichtig nachfolgt.
Nun könnte es scheinen, als wäre der »Populismus« der Venturis, sosehr
er im breiteren Kontext der modernen Kunst und Literatur verankert ist,
in erster Linie als eine polemische Reaktion auf das geschilderte
Avantgarde- Syndrom der Modernen Bewegung zu verstehen. Jedoch,
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obwohl er gerade das auch ist, liegen seine Wurzeln vermutlich
wesentlich tiefer: in einer Auffassung, die man behelfsmäßig mit dem
Begriff der Philosophy of Common Sense charakterisieren könnte.
Zu ihren Begründern gehört letztlich David Hume (1711-1776), einer der
Wortführer der Aufklärung. Eines der grundlegenden Axiome des
philosophischen »Common Sense« lautet, die »Wahrheit« einer jeden
Behauptung erweise sich erst, wenn man sie mit der alltäglichen
Erfahrung des »Mannes von der Straße« vergleiche. Es liegt auf der
Hand, daß diese Auffassung unmittelbare Folgen für die Theorie des
Geschmacks und für den Umgang mit dem Problem der »Schönheit« in
der modernen Gesellschaft haben mußte, und darum geht es zum Beispiel
in dem 1790 zum ersten Mal erschienenen Werk von Archibald Alison,
Essays on the Nature and Principles of Taste.
Alison meint - in Analogie zu dem eben erwähnten Axiom - was »schön«
sei, erweise sich erst auf dem Umweg über das Studium der
Vorstellungen, die einfache Menschen zum Thema »Schönheit« haben,
und zwar sowohl »im Sinne des Malerischen als auch im Sinne des
Sublimen«. Die Möglichkeit, ein verbindliches ästhetisches Urteil über
irgendeinen Gegenstand zu formulieren, lehnt Alison denn auch
kategorisch ab. Irgendetwas »schön« oder »häßlich« zu finden sei
irrelevant, solange man die genaue Funktion des jeweiligen Gegenstandes
nicht kenne. Was die Architektur änbelange, so sei die Schönheit der
Proportion gar keine Frage der visuellen Erscheinung. Was wirklich
interessiere, wenn von ihr und von verwandten Dingen die Rede sei, etwa
von Maßstab und Komposition, sei lediglich die Frage, ob ein Bau seiner
Funktion entspreche und ob er diese Funktion richtig zum Ausdruck
bringe.19
Das folgende, ebenfalls in den Essays veröffentlichte ästhetische Axiom
zeigt allerdings, daß Alison den Begriff der Funktion keineswegs absolut
setzen und von gefühlsmäßigassoziativen Werten trennen will. Er
interessiert sich auch für ästhetische Qualitäten der Architektur, meint
aber, daß diese auf die Sensibilität der jeweiligen Bewohner bezogen sein
müssen. Schön sei, was viele, gut zueinander in Beziehung stehende
Assoziationen auslöse. Die Alpen, so meinte er etwa, mögen dem Auge
noch so erhaben erscheinen, erst der, der wisse, daß Hannibal seine
Truppen über sie geführt habe, könne ihre Erhabenheit ganz ermessen.
... 1». irith IrtHu ... . . , v’i. rrik torlrt.
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9 J. C. Loudon: »A Dwelling for a Man and his Wife, with Children«, in J
; C Loudon, Eneyclopedia (1834), aus Leamingfrom Las Vegas (1972)
Dank J. C. Loudon fanden Alisons Ideen Eingang in das architektonische
Schrifttum des 19. Jahrhunderts, und tatsächlich weist Loudon in seiner
berühmten Eneyclopedia of Cottage, Farm and Villa Architecture (1834)
dem »Kulminationspunkt unter den Musterbüchern des >Picturesque«<
(Hitchcock), ausdrücklich auf Alison als seine wichtigste Quelle hin.
Auch Loudon ist der Meinung, daß Gegenstände im Betrachter Gefühle
erwecken, und daß diese Gefühle ganze Abfolgen von Assoziationen ins
Bewußtsein rufen. Die Schönheit eines Gegenstandes nehme in dem
Maße zu, in dem die Assoziationsfolgen länger und intensiver
untereinander verknüpft seien.20
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Stanislaus von Moos: Venturi, Rauch, Scott, Brown
italienischer Veranda respektive einer Kuppel in einem indisch-gotischen
Kolonialstil (Abb. 9).22
Die frühen Wortführer des »Common Sense« in der Architektur haben
also nicht nur den Funktionalismus mitbegründet. Sie setzten auch bis zu
einem gewissen Grade die Pluralität des Publikumsgeschmacks als
gegeben voraus und machten sie mit zum Ausgangspunkt ihrer
theoretischen Überlegungen. Daß der Begriff »Common Sense« später
zumal in Amerika einen konservativen Beigeschmack bekam, nachdem er
von der philosophischen Schule von Dugald Stewart und Thomas Brown,
die ab etwa 1830 vor allem am »College of New Jersey«, dem späteren
Princeton, Fuß faßte, propagiert worden war, interessiert hier nur am
Rande.23 So erscheinen Funktionalismus und Eklektizismus bei Loudon
nicht - wie später seit den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts bei
praktisch allen Theoretikern des Internationalen Stils - als unversöhnliche
Gegensätze, sondern als komplementäre Aspekte von ein- und demselben
architektonischen System. Daß die erwähnten, von George L. Hersey in
einem Aufsatz von 1968 zusammengestellten
»Verkleidungen« des Loudonschen Cottage die Bilderfolge vom
Leamingfrom Las Vegas einleiten, ist also kein Zufall. Tatsächlich
scheint dieses Buch an zahlreichen Stellen unmittelbar bei Loudon »that
encyclopedist of the pictures- que« (Hitchcock) anzuschließen, zumal -
sehr direkt - was die Lehre vom »dekorierten Schuppen« anbelangt.24
Tatsächlich ging Venturi einige Jahre später sogar so weit, von sich aus
eine köstliche Serie von fiktiven »Loudon houses« zu entwerfen (S. 243).
»Marginal Man«
Loudons Encyclopedia und andere vergleichbare Handbücher des 19.
Jahrhunderts überleben heute in der kommerziellen Bildersprache der
amerikanischen Wohnkultur, jener Bildersprache, die den Venturis immer
wieder als Rohmaterial für ihre eigenen Untersuchungen zur
Alltagssymbolik diente (Abb. 10).
Sicher gibt es im Falle von Robert Venturi persönliche Motive für seine
Affinität zu einer Philosophie, die die Kultur der »einfachen Leute« ins
Zentrum rückt, Motive, die mit seiner eigenen Herkunft und seinen
Erfahrungen als Angehöriger einer sozialen Minderheit in einer großen
Stadt des amerikanischen Ostens - Philadelphia - Zusammenhängen. Aber
diese Motive hätten kaum für eine programmatische Aktualisierung des
»Common Sense« in der Architektur ausgereicht, wie sie in diesem
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(Euvre vorliegt. Um die Erscheinungsformen der Alltagskultur der
»kleinen Leute« katalogisieren (und ästhetisch interpretieren) zu können,
war es nötig, sie gleichzeitig von innen her zu verstehen und von außen
zu erforschen: in der kombinierten Kapazität des Handelnden und des
Zuschauers. Insofern bedurfte es des soziologischen Scharfblicks von
Denise Scott Brown, um aus der Alltagsrealität Amerikas das Thema für
einen architektonischen Diskurs zu machen.
Sie selbst spricht davon, wie wichtig für ihr Denken die zwei
»kolonialen« Erbschaften waren, in denen die Arbeit ihres Büros wurzelt
- Venturis italo-amerikanische Erbschaft und ihre eigene jüdisch-
südafrikanische - und daß es vermutlich gerade, wie sie sich ausdrückt,
»der marginale Cha-
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Stanislaus von Moos: Venturi, Rauch, Scott, Brown
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tur ihre Existenzberechtigung haben; Chartres ist eine Ente (obwohl es
zugleich auch ein dekorierter Schuppen ist), und der Palazzo Farnese ist
ein dekorierter Schuppen - aber wir denken, daß die Ente heute nur in den
seltensten Fällen relevant ist, obwohl die Moderne Architektur von Enten
nur so strotzt.«29
Herausgegriffen: das Guild House
Die wichtigsten Angaben zu dem 1963 fertiggestellten Guild House,
einem Wohnhaus für alte Leute am Zentrumsrand von Philadelphia,
finden sich anderswo in diesem Buch (S. 282-286). Zu seiner Höhe (sechs
Stockwerke) bemerken die Architekten, daß sie von der städtischen
Bauordnung vorgegeben worden sei. Nun ist es durchaus ungewöhnlich,
daß sich ein Architekt einer städtebaulichen Zonenordnung klaglos
unterwirft - statt, wie in der USA in ähnlichen Fällen üblich und auch
ohne weiteres möglich, die bestehenden Baulinien durch eine
Umdisposition des Raumprogramms (unter Wahrung der maximalen
Ausnutzung) zu umgehen.
Zum Grundriß (vgl. S. 284): Wie ein erster, summarischer Blick zeigt, ist
das sechsstöckige Gebäude nordwärts durch eine glatte Fassade
abgeschlossen, während seine Südseite einem stark aufgelockerten und
abgetreppten Umriß folgt. Die (kleinen) Einzimmerwohnungen sind nach
Norden orientiert, die (größeren) Zweizimmerwohnungen sind an den
Ecken und südwärts angeordnet, und zwar in einer Weise, die nicht nur
guten Lichteinfall garantiert, sondern auch vielfältige Ausblicke auf die
Spring Garden Street eröffnet - respektive ihr entlang. Offensichtlich war
es ein Kem- gedanke, die alten Leute auf diese Weise optisch am
städtischen Alltag teilnehmen zu lassen, statt sie demonstrativ daraus zu
isolieren und in einen Garten von Grün und frischer Luft zu tauchen.
Nicht nur sollte sich das Volumen des Guild House am urbanen Status
quo orientieren, an der »Main Street«, die, den Venturis zufolge, »beinahe
in Ordnung ist«; der Bau sollte seine Umgebung mit Hilfe seiner
Fensteröffnungen sogar in einem wörtlichen Sinne in sich aufnehmen,
optisch aufsaugen.
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»Maske« ist präzis so gewählt, daß man nicht nur die dritte, mittlere
Stütze des Eisenbetonskeletts ganz erkennt, sondern daß auch die zweite
und vierte zur Hälfte entblößt sind. Ferner ist die Lünette im Obergeschoß
(sie deutet - ähnlich wie das Thermenfenster in Palladios Villen, den
Salone - den Gemeinschaftsraum an) so geschnitten, daß sich ein Einblick
in die Betonstruktur eröffnet.
Hinter einer dünnen Folie historischer Erinnerung lächelt so der Alltag
hervor. Oder, was das Eisenbetonskelett anbelangt, der ehemals utopisch
gemeinte (Abb. 20), aber längst zum Gemeinplatz gewordene und
verpönte optische Inbegriff der »Modernen Architektur«. Die
Kulissenhaftigkeit der Fassade wird ferner noch unterstrichen durch zwei
Risse oder Einschnitte zur Linken und zur Rechten der Lünette (die am
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Ende wiederum entfernt an die zinnenbewehrten Treppengiebel
holländischer Bürgerhäuser erinnern).
Im Sockel meldet sich sogar Warenhausästhetik keck zu Wort. Die weiße
Klinkerverkleidung, einem klassizistischen Kunstgriff entsprechend bis
auf die Höhe der Fensterbank im ersten Obergeschoß emporgezogen (mit
dem Resultat, daß das Erdgeschoß höher erscheint als es tatsächlich ist),
ferner die plakative Beschriftung: das sieht aus wie eine kommerzielle
Ladenfront (vgl. Abb. 21). Der geschliffene Granitzylinder vor dem
Eingang hingegen, ebenso massiv wie das Betongerüst darüber
zerbrechlich, ist sowohl hin
sichtlich seiner Form wie hinsichtlich seiner unbequemen Stellung in der
Mittelachse ein Tribut an Frank Fumess, den Vater der »Philadelphia
School«.35
So entwickeln die Architekten ihren Katalog von Zeichen, die aus der
architektonischen »High Culture« stammen, vor dem Hintergrund einer
Armeleutearchitektur, der sie überdies noch einige grelle, auf die
kommerzielle Ästhetik verweisende Pop-Tupfen aufsetzen. Vincent
Scully hat die Gesamtwirkung in seiner dynamischen Prosa schon 1966
treffend charakterisiert: »So stellt sich das abgetreppte Volumen an die
Straße heran, definiert sie mit Hilfe einer flachen, aber >geschmückten<
Fassade und identifiziert sich selbst mit Hilfe eines Schriftzugs, der,
kecker als römische Antiqua in expansiver Weise Pop ist, um dann
großzügig aufwärts zu blühen zu der großen Bogenöffnung eines
Gemeinschafts raums.«36
Transparenz, Symbolik und »gebrochene Form«. Zur
Rezeptionsgeschichte des Guild House
Rein formal gleicht die Fassade, wie bereits angedeutet, eher einem
zweidimensionalen Bildschirm, der Erinnerungen an
andere Architekturen verkörpert, als daß sie selbst »Architektur« wäre.
Ihre Flächenhaftigkeit und die Transparenzwirkung der
übereinandeigelegten Fassadenlamellen, die den Gesamteindruck prägt,
erinnert an Le Corbusiers weiße Villen der zwanziger Jahre - namentlich
etwa an die ihrerseits in vertrackter Weise palladianische und
manieristische Villa Stein in Garches (1927; Abb. 22): »Die
Wandstruktur (des Guild House) ist in der Tat die des Neuen Bauens und
des International Style geblieben.«37 Was jedoch die ausdrücklichen
formalen Hinweise auf andere, frühere Bauten anbelangt, so konnten sie
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Stanislaus von Moos: Venturi, Rauch, Scott, Brown
unmöglich in den Begriffen der Modernen Bewegung verstanden werden.
Über die Art von architektonischer »Symbolik«, die in diesem Fassaden-
»Screen« vorliegt, schrieb Kenneth Frampton (wobei er vielleicht an den
Entwurf für das Rathaus in North Canton, Ohio, gedacht hat - S. 154f.):
»Im Gegensatz zu einem Scha- roun oder zu einem Aalto ist die
>Symbolik< bei Venturi weder anthropomorph noch archetypisch. Sie
beschränkt sich darauf, in distanzierter und empirischer Weise über die
Hinfälligkeit des Menschen und seiner Institutionen zu reflektieren. Sie
lebt von raffiniert konstruierten ästhetischen Metaphern und von der
Projektion von Paradoxen.«
An anderer Stelle meint er, durchaus scharfsinnig, daß diese Architektur,
im Gegensatz zu deijenigen Kahns, von der sie sich herleite, nicht »zu
den Werten der Archaik gravitiere«38.
Auch Leonardo Benevolo betont den empirischen und experimentellen
(statt ideologischen) Charakter von Ven- turis »Symbolsprache«. In
seinen frühen Wohnhäusern und im Medical Center in North
Pennsylvania (vgl. S. 148 f.) habe Venturi »Stileme« von Kahn benützt,
allerdings, so fügt Benevolo bei, »in experimenteller Weise, wie um
kaltblütig die zersetzende Wirkung dieses Experiments hinsichtlich dem
gewohnten Repertoire der modernen Bewegung zu verifizieren. Später«,
so fahrt Benevolo fort, setzte Venturi »diese experimentelle Recherche in
kohärenter Weise fort«.39
Einem anderen Kritiker - nämlich William Curtis - erscheinen die
programmatisch vielschichtigen und widersprüchlichen architektonischen
Aussagen der Venturis ganz einfach intellektuell verschroben: »Seine
Ideen«, so argumentiert Curtis in Anbetracht des Guild House, »waren im
allgemeinen überzeugender, solange sie in schriftliche Form gefaßt
waren, statt in Architektur«, und weiter: »Seine verzweifelte Fixierung
auf sich selbst verrät am Ende das Fehlen eines instinktiven Gefühls für
Form, Raum, ja sogar Proportion. Venturi wurde so zum Anführer einer
literarischen Auffassung von Architektur, in der mehr Nachdruck
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Stanislaus von Moos: Venturi, Rauch, Scott, Brown
auf Bildersprache und Zitat gesetzt wird als auf formale
Ganzheitlichkeit.«40
Es mag tröstlich sein zu wissen, daß der amerikanische Architekt sein
Dasein am Rande oder außerhalb der »großen« Architektur mit Figuren
wie Viollet-le-Duc (dessen architektonischen Entwürfe bekanntlich schon
Giedion »hybrid« fand), Hector Guimard, Anatole de Baudot und J. J.P.
Oud teilen darf; ihnen allen bescheinigt Curtis fehlenden Instinkt für
Form und stilistische Kohärenz.
Zu den Stichworten »Ganzheitlichkeit« und »Proportion« meinte Venturi
schon 1950 in seiner Diplomarbeit, er könne mit solchen Begriffen nicht
mehr viel anfangen. Ein Wort wie »Einheit« habe längst keine präzise
Bedeutung mehr,
29
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Stanislaus von Moos: Venturi, Rauch, Scott, Brown
Es ist kein Zufall, daß Fumess in den sechziger Jahren als Vorläufer der
architektonischen »Schule von Philadelphia« deren »Meister« Kahn,
Giurgola und Venturi heißen, wie^ derentdeckt wurde. In Complexity and
Contradiction in Archi- tecture ist verschiedentlich von diesem
Architekten die Rede. Von der - längst abgebrochenen - National Bank of
the Republic (1884; Abb. 23) heißt es z.B.: »Der halbierte Segmentbogen,
aufgehalten durch den eingesunkenen Turm, der seinerseits die Fassade
annähernd in zwei Hälften teilt, sowie das heftige Gedränge von
Rechtecken, Quadraten, Lünetten und Diagonalen von extrem
verschiedener Größe, bilden zusammen einen Bau, der scheinbar von den
benachbarten Bauten gestützt wird: es ist die beinah wahnsinnige
Kurzgeschichte eines Schlosses an einer städtischen Straße.«43 _ 7
;
James O’Gorman hat mit Recht betont, daß sich Venturis Beschreibung
im Grunde nur insofern von derjenigen Hamlins unterscheide, als Venturi
die Manierismen, die für Ham- lin unerträglich sind, schön findet.44 Wir
befinden uns also auf dem Gebiet ästhetischer Präferenzen, über die zu
streiten für müßig gilt: hier klassizistischer, dort manieristischer
Geschmack.
Dazu kommt aber noch etwas anderes: ein Architekt, der ein
Bankgebäude als »Kurzgeschichte eines Schlosses an einer städtischen
Straße« zu interpretieren vermag, der setzt offenbar voraus, daß es zu den
immanenten Möglichkeiten des Mediums Architektur gehöre,
Erinnerungen an andere, räumlich oder zeitlich mehr oder weniger
femliegende Architekturen zu verkörpern. Für den ist ein Bau nicht nur
durch seine formale, konstruktive und räumliche, sondern auch durch die
ihm implizite narrative Struktur mitgeprägt. Für den kann Architektur
»erzählen«.
dest - indirekt - aus der Reaktion von Tom Wolfe hervorzugehen. Sein
Pamphlet From Bauhaus to Our House (1981) will sich gegen die
angeblich so ungeliebte moderne Architektur in den Vereinigten Staaten
zur Wehr setzen und versucht zu beweisen, daß sie die Frucht eines von
den akademischen Eliten in Cambridge, Chicago und New York
verkündeten, der Herkunft nach jedoch europäischen Evangeliums war.
Die Protagonisten des von Wolfe rekonstruierten »Plots« sind - unter
anderen - »The Silver Prince« (= Walter Gropius) und »Utopia Limited«
(— das Museum of Modem Art in New York). Es folgen (in der
Reihenfolge des Auftritts) »The Apostates« (E. Durrell Stone, Eero
Saarinen, Philip Johnson und andere frühere Parteigänger des
»Internationalen Stils«, die zum Historismus übergelaufen seien) sowie
die »Scolastics«.
Unter den Letzteren figuriert Venturi (die Mitautoren seiner Bücher hält
Wolfe nicht für erwähnenswert). Überzeugt davon, daß die amerikanische
Architektur zu lange unter dem Joch des modernistischen Purismus
geschmachtet und einen Rebellen nötig habe, der sie endlich von der
europäischen Vormundschaft befreie, zitiert Wolfe Venturis Bonmots -
allen voran »Less is a Bore« (in Anspielung auf Mies van der Rohes
»Less Is More«) sowie »Main Street Is Almost All Right« mit Vergnügen
und Zustimmung. Wer Wolfes frühere Streitschriften wider die Moderne
kennt45, den wird es nicht überraschen, daß ihn gerade das bei Venturi
fasziniert, was den Gralshütem der modernen Architektur so unerträglich
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Stanislaus von Moos: Venturi, Rauch, Scott, Brown
ist: sein respektloser Umgang mit den »Pionieren« der Moderne und seine
Sympathie für den amerikanischen Alltag.
Also lobt Wolfe Venturis Theorie - aber nur, um sich anschließend über
seine Architektur zu mokieren. Wie weit diese hinter den populistischen
Ideen dieses Architekten nachhinke, soll etwa der Vergleich des Guild
House mit der Hufeisensiedlung Britz in Berlin von Bmno Taut (1926)
zeigen (Abb. 24). Wolfe schreibt dazu: »Siebenunddreißig Jahre liegen
zwischen den beiden Bauten. So weit haben wir es also gebracht!«46
Freilich daß Venturi dem Elitismus der modernen Bewegung näher sei,
als ihm aufgrund seiner populistischen Theorien lieb sein könne, das sei
am Ende auch mcht überraschend da ja sein erstes Buch - eben
Complexity and Contradiction in Architecture - bei »Utopia Limited«,
nämlich in einer Serie des Museum of Modem Art erschienen
^So unterstützt Wolfes Kritik - wenn auch unfreiwillig - den von den
Venturis immer wieder formulierten Anspruch, eine Architektur zu
schaffen, die die Moderne Bewegung weiterführt statt sich ihr zu
widersetzen; ja man muß noch weitergehen und zugeben, daß die Idee,
Venturi mit Bmno Taut zu vergleichen und das Guild House mit der
Hufeisensiedlung Britz (statt etwa - um im Berlin der zwanziger Jahre zu
bleiben - mit Bauten von Gropius, Häring oder Mies van der Rohe) mehr
Architekturverständnis zeigt, als es viele unter den »offiziellen«
Architekturtheoretikem an den Tag legen, wenn sie nicht müde werden,
den amerikanischen Architekten auf seine angeblich kritiklose Sympathie
für Las Vegas oder seinen Generationenkonflikt mit Kahn festzulegen.
Tatsächlich war es unter den modernen Berliner Architekten der
zwanziger Jahre gerade Taut gewesen, der in seinen Schriften und Bauten
die Grenzen eines bornierten architektonischen Utilitarismus aufzeigte
und an die Geltung der traditionellen und allgemeinverständlichen
architektonischen Bilder für Eingang, Fassade, Fassadenabschluß auch in
der modernen Architektur erinnerte. Im Grunde hatte Bmno Taut jene
architektonische Bildhaftigkeit, die die Venturis in den sechziger Jahren
wiederentdek- ken mußten, gar nie vergessen, und insofern ist das Guild
House von 1962 der Hufeisensiedlung von 1926 - bei aller
Unvergleichbarkeit des sozialen Anspruchs und des Maßstabs - in einer
paradoxen Weise tatsächlich näher verwandt, auf den ersten Blick
scheinen mag.
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Stanislaus von Moos: Venturi, Rauch, Scott, Brown
Woran erkennt man die Bauten von Venturi, Rauch and Scott Brown?
Weiche Art von formaler Identität ist einer Architektur des »Sowohl-Als-
Auch«, der ironischen Anpassung, der artikulierten Beiläufigkeiten und
des bewußt inszenierten Doppelsinns eigen? Und wie verhält es sich mit
dem Stil einer Architektur, die sich erklärtermaßen als Mischmasch von
Stilen präsentiert?
Auf solche Fragen geben die theoretischen Arbeiten der Venturis nur
ungenügend Antwort. Ihre Absicht scheint gerade zu sein, die Geltung
universaler Vokabeln der Architektur zu negieren. Architekturtheorie war
seit Alberti, Fila- rete oder Francesco di Giorgio - d.h. seit der
Wiederentdek- kung Vitruvs im 15. Jahrhundert - wesentlich normativ
gewesen. Ihr Anliegen war die Festlegung und polemische Verbreitung
einer Formensprache und eines Systems von Spielregeln, die ein
»richtiges« Bauen garantieren. Den Venturis scheint es aber durchaus
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Stanislaus von Moos: Venturi, Rauch, Scott, Brown
nicht darum zu gehen, überholte Sprachformen der Architektur durch
neue zu ersetzen, sondern vielmehr darum, die unkritische Handhabung
von vermeintlich universalen Formen und Spielregeln zu vereiteln.47
Stilistische »Reinheit« ist ihnen suspekt.
Zu glauben, die architektonische Praxis der Venturis decke sich nahtlos
mit ihren Ideen, wäre jedoch naiv. Was immer die Komplexität und das
pluralistische Stilgemisch sein mögen, für die in Complexity and
Contradiction in Architec- ture und in Leaming front Las Vegas
geworben wird, die Venturis haben sich dadurch nicht davon abhalten
lassen, das zu tun, was Architekten, die im Bewußtsein arbeiten, in einer
Übergangszeit zu leben, immer getan haben: Elemente einer
architektonischen Sprache zu entwickeln. Es genügt, an einige der
formalen Erfindungen Robert Venturis zu erinnern, die in den letzten
zwei Jahrzehnten ins Vokabular der internationalen Architektur
eingegangen sind:
Der keilförmig zugespitzte, »bugförmige« Bau oder Bauteil Prototyp: Die
North Penn Visiting Nurses Association Head- quarters (1960; Abb. S.
148 f.). - Berühmte »Variation« zu diesem Thema: I. M. Peis East
Building der National Gallery of Art in Washington, D.C. (1968-1978).
32
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Stanislaus von Moos: Venturi, Rauch, Scott, Brown
usw. Wenn das zutrifft, so müssen sich diese Interessen auch in anderen
Bauten von VRSB nachweisen lassen, unabhängig von ihrer jeweiligen
Funktion. Das ist auch selbstverständlich der Fall. Das Guild House ist
weder der Ausgangspunkt noch das Ziel dieser formalen Evolution, aber
es ist ein frühes und formal sehr differenziertes Hauptwerk, und insofern
verkörpert es eine ganze Reihe von architektonischen Perspektiven, die
sich bis in die Arbeiten der jüngsten Vergangenheit verfolgen lassen.
Das kann hier nur andeutungsweise geschehen. Über Aaltos
Wohnhochhaus in Bremen schreibt Venturi in Com- plexity and
Contradiction, daß die »inhärente rechtwinklige Struktur- und
Raumordnung (dieses Baus) dem Drang gehorcht, den Bau nach Süden,
dem Licht und dem Raum entgegen zu öffnen, analog dem Wachstum der
Pflanze gegen die Sonne«48 (Abb. 25, 26).
Das trifft, zumindest im Prinzip, wie wir gesehen haben, auch auf das
Guild House zu, auch wenn die Lage am Straßenrand eine »organische«
Auflacherung zu verbieten
schien. Im Projekt von zwei Wohnhochhäusern für Brooklyn (1967) war
die Sache insofern einfacher; als dort die Straße tatsächlich im Norden
verläuft (Abb. S. 288 f.). Es überrascht kaum, daß Venturi and Rauch bei
Bauten, deren städtebauliche Situation eine entsprechende Behandlung
möglich machte, auf das Fächerschema zurückgreifen: zumal im leider
nicht gebauten Yale Mathematics Building in New Haven (Abb. 28) und
in der ebenfalls schon 1970 entworfenen und kürzlich realisierten Carol
W Newman Library des Virginia Polytechnic Institute in Blacksburg,
Virginia.
In beiden Fallen ist die oberflächliche Analogie zu einem
charakteristischen Motiv Aaltos nur das äußerliche Symptom einer tiefen,
im Grundsätzlichen verwurzelten Affinität. »Alvar Aaltos Werk hat mir
mehr bedeutet als das Werk von irgendeinem anderen modernen
Meister«, betont Venturi, »es ist für mich im Hinblick auf seine
künstlerischen wie auch im Hinblick auf seine technischen Qualitäten die
ergreifendste, die wichtigste und die unerschöpflichste Quelle des
Lernens.«49
Was ihm bei Aalto, diesem »Andrea Palladio der Modernen Bewegung«
interessiert, ist das prekäre Gleichgewicht zwischen Ordnung und
Unordnung, gewöhnlicher und gehobener Sprache, das Nebeneinander
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Stanislaus von Moos: Venturi, Rauch, Scott, Brown
von Bescheidenheit und Monumentalität. Das sind Qualitäten, die man in
der Tat im Mathematikgebäude von Yale zurückfindet. Kein Wunder,
daß schon die Art, wie dieses Projekt den Umriß des benachbarten Baus
aufgreift, um ihn in eine ganz andere Dimension zu überführen, an
Lösungen Aaltos erinnert - namentlich an sein SAS-Gebäude in Helsinki
(vgl. Abb. 27).
Erst in der Seitenansicht des Guild House (Abb. 32) erweist sich die
stufenweise Abtreppung des Bauvolumens als raffiniertes formales
Mittel, eine in ihrer Formensprache bewußt »langweilige« Architektur zu
einem dynamischen Ganzen zusammenzufassen. Ein spätes
Gegenbeispiel zu dieser Lösung ist der Entwurf einer Messehalle in
Frankfurt a.M., deren - an Aaltos Saalbau im Kulturzentrum von
Wolfsburg (1958) erinnernder - gestaffelter Umriß den riesigen Komplex
formal zusammenfaßt, »integriert« (Abb. 31). Ähnlich waren die
Architekten bereits im Entwurf des Transportation Building in
Washington, D. C., voigegangen, einem Bau, dem die städtebauliche
Lösung von Aaltos Volkspensionsanstalt in Helsinki zugrunde liegt (Abb.
29,30). Hier wie dort wird die schwierige Situation in einer
Straßengabelung nicht nur in Kauf genommen: Die »Verletzungen« der
Baumasse, die die schräg auf sie zu- und an ihr vorbeiführenden
Verkehrsadern nötig machen, scheinen den Bau in einem wie im anderen
Fall vielmehr erst architektonisch zum Sprechen zu bringen. Die
Genialität, mit der Aalto architektonische Restflächen für
unvorhergesehene Funktionen auszunützen und so als Momente
architektonischer Bedeutung fruchtbar zu machen versteht, findet sich bei
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Stanislaus von Moos: Venturi, Rauch, Scott, Brown
Arbeiten von VRSB wieder: man denke an Aaltos Freiluftkonzertpodium
von 1929 und seinen Einfluß auf die Rückseite der »Football
Poche
Giedion bewunderte bei Aalto die »Verbindung von Standardisierung und
Irrationalität«. Venturi hingegen meint im Anschluß an diesen Satz
Giedions: »Ich ziehe es vor, Aaltos Kunst nicht als irrational, sondern als
widersprüchlich zu verstehen - als eine kunstvolle Anerkennung der von
den jeweiligen Umständen und vom Kontext her gegebenen Faktoren des
Bauens und auch der unvermeidlichen Grenzen der Ordnungsmodelle der
Standardisierung.«50
Demetri Porphyrios hat unlängst diesen Gedanken vertieft und gezeigt,
daß die Gewohnheit, Aalto als »irrationalen« Gegenpol des
architektonischen Rationalismus und der »Neuen Sachlichkeit« zu deuten,
nichts über seine wirkliche Position als Architekt aussagt. Aalto ist im
Grunde nicht von der »modernen Bewegung« her zu verstehen. Seine
Abweichungen von der Idee einer formalen »Kohärenz«, wie sie der
internationale Stil vertrat, seine Vorliebe für lockere »Agglutinationen«
strukturell verschiedener Raumteile und Formen, seine Lust an hybriden
Gebilden hat ihre histori-
sehe Voraussetzungen vielmehr in der »Heterotopie« der nordischen
Architektur um 1900 und in den Konventionen der Ecole des Beaux-Arts.
Insofern verkörpert Aaltos Werk einen »modernen Eklektizismus«.51
Eine der Prämissen für die Kombination räumlich stark differenzierter
Teile, die Aaltos Baukunst charakterisiert - vom Einzelhaus bis zu den
monumentalen öffentlichen Bauten - liegt, wie Porphyrios gezeigt hat, in
den auf dem ersten Blick so unübersichtlichen Landhaus-Grundrissen aus
der Zeit um 1900.52 Es ist kein Zufall, daß Venturi seinerseits von den
Landhäusern des Shingle Style und der Art, wie in ihnen unterschiedliche
häusliche Funktionen und Bewegungsabläufe architektonisch thematisiert
werden, fasziniert ist (vgl. S. 241). Was für Aalto die Meister der
nordischen Nationalromantik - Lindqvist, Gesellius, Lindgren oder
Saarinen - das waren für Venturi - nebst vielen anderen Quellen - McKim,
Mead and White, Furness oder Richardson (der übrigens um 1900 einen
starken Einfluß in Skandinavien ausübte).53
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Stanislaus von Moos: Venturi, Rauch, Scott, Brown
Eines der Axiome Aaltoscher Architektur ist die Überzeugung, daß die
Grenzen eines Innenraums von seiner Funktion und seinem Charakter her
definiert werden müs
sen, und nicht durch die Konstruktion oder die kubische Erscheinung des
Äußern; daß der Innenraum, mit anderen Worten, gegenüber dem äußeren
kubischen Erscheinungsbild und gegenüber der Konstruktion eine
autonome Größe sei. Daher toleriert Aalto auch einen Spielraum - eine
Art Niemandsland - zwischen innerer Raumhülle und Außenhaut: im
Grundriß genauso wie im Aufriß. Um zwei Beispiele zu nennen: das
Institute of International Education in New York (1963, Grundriß) und
die Villa Carre in Bazoches- sur-Guyonne mit ihrer akustischen Decke
(Aufriß, 1956; Abb. 34).54
Porphyrios nennt solche Zwischenräume - indem er sich auf die
Ateliersprache der Ecole des Beaux-Arts stützt - poche. In der
Souveränität, mit der Aalto dieses Verfahren hantierte, zeigt sich sein
innerer Abstand von den Lehren der orthodoxen Moderne und ihren
Glauben an die notwendige Identität von Konstruktion, Raum und Form
in der Architektur.55 Daß »sectional poche« bei Venturi nicht nur in Kauf
genommen, sondern geradezu spielerisch als architektonisches Thema
inszeniert wird - besonders schön in den Gewölbe-»Segeln« des Korridors
der geisteswissenschaftlichen Fakultät von Purchase (1968; Abb. 35)
überrascht also
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Stanislaus von Moos: Venturi, Rauch, Scott, Brown
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Stanislaus von Moos: Venturi, Rauch, Scott, Brown
nicht, auch wenn andere spätere Projekte - etwa das Hartwell Lake
Regional Visitors Center (Abb. 33) oder ein Jazz Club in Houston -
jenseits der Grenze zu liegen scheinen, die ein architektonisches Zitat von
einer Parodie oder, eben, von American Bastardy im Sinne G. L. Herseys
trennt (Abb. S. 222).
»Innen« ist nicht »Außen«. Dialektik der Frontalität
In Complexity and Contradiction heißt es: »Der Kontrast zwischen Innen
und Außen kann eine besonders wichtige Erscheinungsform von
Widerspruch in der Architektur sein.«
Venturi fügt aber hinzu: »Freilich eine der mächtigen Orthodoxien des
zwanzigsten Jahrhunderts war gerade die Überzeugung, daß zwischen den
beiden eine Kontinuität zu bestehen habe: daß das Innere im Äußeren
>ausgedrückt< werden müsse.«56
Mit dieser »Orthodoxie« hatte bekanntlich schon Kahn gebrochen. Seine
»asymmetrische Architektur des »Beinahe Nichts< beruhte nicht mehr auf
dem Ausdruck der Konstruktion als Rahmen, sondern vielmehr auf der
Manipulation der Oberfläche als dem eigentlichen Instrument der
Enthüllung von Licht, Raum und Stütze«.57
Eine der Funktionen des Lünettenfensters, das die Fassade des Guild
House zusammenfaßt, besteht offensichtlich darin, den erwähnten
»Widerspruch« sichtbar zu machen. Als Form scheint dieser
Segmentbogen, wie wir gesehen haben, auf Kahn hinzuweisen. Der
Archetyp der rechteckigen Dose mit eingeschriebenem kreisförmigen
»Loch« ist als architektonische Figur in der Fassade des Guild House
offensichtlich mitimpliziert. In etwas späteren Projekten ist er
ausdrücklicher, beinah (aber nicht wirklich) tel quel ausformuliert: etwa
im Lieb House in Loveladies (1967; Abb. 36; 38) oder im Entwurf für ein
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Ferienhaus für den Kunsthistoriker G.L. Hersey (1968). Der Entwurf für
das Sales Office in California City oder etwa das Humanities Building in
Purchase zeigen, wie solche (Kahnsche?) Zirkel vom Aufriß in den
Grundriß geklappt und dort gegen die rektanguläre Struktur der »box« ins
Spiel gebracht werden können (Abb. 36-38).
Die im Segmentbogen angedeutete Kreisform verleiht der Fassade des
Guild House ihre fast zeremonielle Identität. Ferner dient sie dazu zu
zeigen (und gleichzeitig zu verhüllen), daß »ein Bau Dinge innerhalb von
Dingen sowie Räume innerhalb von Räumen« umfaßt.58 Die Fassade
wird sozusagen ans Innere herangestellt. Weit davon entfernt, es einfach
nach außen »auszudrücken«, scheint sie etwas von der räumlichen
Komplexität des Innern in sich aufnehmen und gleichzeitig etwas von
ihrer formalen Identität dem Innenraum aufprägen zu wollen.
Aber Innen und Außen bleiben »autonom«. Die Öffnung in der
Fassadeniläche trifft sich nicht mit den Grenzen des dazugehörigen
Raumes. Einmal dient diese Öffnung (respektive die sie rahmende
Fläche) als Blende: d.h. als Mittel, das Gesichtsfeld zu begrenzen und zu
fuhren, wie im Gemeinschaftsraum des Guild House oder im Wohnraum
des Lieb House: Es ist, als befände man sich im Innern eines
Fotoapparats, und zwar im Augenblick, in dem die Blende zuschnappt
(Abb. 38, 39). Dann wieder - in der Halle des Humanities Building in
Purchase - wird eine Fensterfläche so von außen an den tiefliegenden
Gewölbeansatz angeschlagen, daß eine kleine Spalte offenbleibt, die den
Blick von innen in die Höhe zwingt, wobei die Wirkung so ist, als wäre
das Gewölbe direkt am Himmel befestigt (Abb. 35).
In den frühen Villenentwürfen sind solche gezielt inszenierten
Inkongruenzen zwischen Innen und Außen ein zentrales Thema.
Besonders virtuos im nicht gebauten Wike House von 1968 mit seiner
vorgewölbten Scheinfassade, die dem der Wohnfunktion entsprechend
asymmetrisch sich ausbreitenden Wohnbau mit seinen Wirtschaftsräumen
vorangestellt ist wie die Maske eines Tragöden (Abb. 42). Erinnerungen
an die Villa Savoye und ihre »angehäuften Komplexitäten innerhalb eines
strengen Rahmens«59 verbinden sich hier mit solchen an das Landhaus
Nashdom in Taplow von Sir Edwin Lutyens (Abb. 40, 41). In einer
pathetischen Serie von Vorstudien Venturis ist die Suche nach der
Symmetrie und Asymmetrie ausbalancierenden »difficult whole« der
Gesamtkomposition dokumentiert.
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Stanislaus von Moos: Venturi, Rauch, Scott, Brown
Realisiert ist dieser architektonische parti schließlich im Brant House in
Greenwich, Connecticut (vgl. S. 260-265). Im Wettbewerbsprojekt für
das Regierungszentrum von Canberra wurde er einige Jahre später wieder
aufgegriffen - in ganz anderem Maßstab (S. 195-197). Rückblickend
erweisen sich so die Villenentwürfe als Laborexperimente für Lösungen,
die auch äußerlich das Monumentale anvisieren.
Aber in diesem Zusammenhang können auch irgendwelche, aus dem
Gesamtwerk herausgegriffene Ansichten oder Planzeichnungen den
Charakter von programmatischen Aussagen annehmen.
So ist es denn zum Beispiel möglich zu beobachten, wie innerhalb der
Arbeit dieser Architekten die geometrische Figur des Segmentbogens von
der Rückseite des Vanna Ven- turi House zum Dachstock des Guild
House hinüberwandert und von dort in die Sphäre der kommerziellen
Archi-
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tektur, um als Stichbogenöffnung des Sales Office oder als Portalschild
einer Gruppe von Läden in California City zu überleben (vgl. S. 94-97),
oder aber in den Entwurf eines Hotels für Atlantic City, wo sie als weithin
sichtbares Zeichen ein Bettenhochhaus überragt, das seinerseits in einer
Weise zweigeteilt ist, die an die »Kolossalordnung« des Altersheims an
der Spring Garden Street gemahnt (Abb. 43), ln der klassischeren Form
der fmestra termale sollte die Form später in der Gordon Wu Hall wieder
auftauchen, als Abschluß einer monumentalen Blickachse und »Auge«
einer kleinen Bibliothek (S. 207).
So wird Form im Haushalt der Architektur autonom. Andererseits bleibt
das »hohe Fenster« auch unabhängig von der hier gewählten Form der
Lünette ein beliebtes Motiv; von den Oculi des 1860-1862 von Duban
erbauten Flügels der Ecole des Beaux-Arts am Quai Malaquais in Paris
führt ein direkter Weg zum Penn State Faculty Club, ja sogar zum Tucker
House in Katonah und zum Brant House auf den Bermudas (Abb. 44, 45;
vgl. S. 266 f.).
Portal und Proszenium
In Anbetracht einer medizinischen Notfallstation im Norden von
Pennsylvania, wo Venturi 1960, also zu einer Zeit, wo solches noch
Aufregung verursachte, mit Hilfe von Rahmenleisten kleine Kellerfenster
bedeutender erscheinen lassen wollte, als sie tatsächlich sind (Abb. 46),
legte ein befreundeter Architekt seinen Arm um Venturis Schulter:
»Never put a frame around a window!« In Complexity and Contradiction
stellte Venturi dann ein paar historische Beispiele zu dem in der Tat
klassischen Mittel architektonischer Auszeichnung zusammen:
Anregungen aus dem Barock und aus Ägypten, die zeigen, wie man
kleinen Fensteröffnungen durch vorgeblendete Rahmen Gewicht, ja
Monumentalität verleihen kann (Abb. 47, 48).60
Die Möglichkeiten architektonischer Fiktion wurden beim Guild House
nur an der Eingangsfront und dort in der Form des Portals selbst massiv
eingesetzt. Gemessen an späteren Werken ist die Lösung zwar
zurückhaltend. Man halte etwa die Feuerwehrstation in Columbus,
Indiana von 1965 und ihre doppelte Scheinfassade daneben. Dort ist über
die gebaute, architektonische noch eine größere, bloß durch die weiße
Aufmalung suggerierte Schildwand gelegt (S. 158 f.). Die Erinnerung an
die »shop front« des Mittleren Westens verbindet sich so mit jener an die
Fassaden oberitalienischer Dome.
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THEMEN UND VARIATIONEN
Das weiße »Warenhaus«-Portal des Guild House gleicht aber eher einer
Mündung oder dem Eingang zu einem Windtunnel - eine Wirkung, die
durch den spiegelglatten Säulenstumpf noch unterstrichen wird.
Gleichzeitig scheint diese
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Erscheinung tritt, auch in der Eingangsfassade selbst andeutungsweise
lesbar.
Im Grunde ist es ein Proszenium. In seiner Mitte agiert ein Säulenstumpf
- eine Art architektonischer »Ubu Roi«. Der Vergleich mit dem
großartigen Projekt für das Transportation Building in Washington, D.C.
von 1968 - ein Projekt, das von der lokalen Fine Arts Commission als
»ugly and ordinary« abgelehnt wurde61 - scheint zu bestätigen, daß der
Gedanke an ein Bühnenbild Venturi nicht fremd war. Während das Guild
House sein Volumen in Schüben ruckartig an die Straße stellen zu wollen
scheint, zieht sich das für Washington geplante Bürogebäude sozusagen
vom Straßenrand zurück und hinterläßt in dem von zweigeschossigen
Ladenflügeln gesäumten »Ehrenhof« sozusagen die Leerform des
gestuften Volumens des Guild House. So entsteht ein städtischer Platz als
Bühne. Die Modellaufnahme akzentuiert die raumgliedemde und
rhythmisierende Wirkung der »Kulissen« und die Bedeutung des über
drei Stockwerke eingezogenen Portals in der Mitte des Baus (Abb. S.
217). Vollends explizit wird das »szenographische« Thema im
Freilufttheater beim Humanities Building in Purchase aus dem gleichen
Jahr (S. 164). Der kleine, indirektes Licht sammelnde rückseitige Anbau
des Brant House in Greenwich, Connecticut, holt es am Ende wieder in
den Privatbereich des Villenbaus zurück (Abb. 50).
»Impressionistische Baukunst«?
Eine simultane Betrachtung der Guild House-Fassade und der
Abbildungen in Complexity and Contradiction kann, wie wir gesehen
haben, durchaus Aufschlüsse über die Identität der Bauten geben, die um
1960 zum Erfahrungsreservoir der Venturis gehörten. Das gilt
selbstverständlich auch für andere Realisierungen des Büros, etwa das
Vanna Venturi House in Chestnut Hill (1962).
Die Eingangsfront greift, mit ihren aneinandergerückten Giebeldreiecken,
die »Dualität« der Fassade von Luigi Morettis Apartmenthaus an der Via
Parioli in Rom auf (um 1950). Der breitgelagerte und symmetrische
Gesamtumriß erinnert an die Form des William Low House von McKim,
Mead und White (1887). Die Frontalität selbst, ferner die ihr unterlegte,
durch die häuslichen Funktionen bedingte Asymmetrie der Fenster, der
flächenhafte Charakter der Fassade und - last but not least - das Motiv des
Bandfensters verkörpern die Spur Le Corbusiers, namentlich der Villa
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Stein in Garches (1927; Abb. 22). Aber in diese Analogien sind
neuerdings Erinnerungen an Rom und Vicenza verwirkt: Erinnerungen an
die Rückwand des Nymphäums der Villa Barbara in Maser von Palladio
und Alessandro Vittoria mit ihren die zwei Flügel der Rückwand zugleich
trennenden und verbindenden, durch eine Girlande graziös umspielten
Bogen - und an Michelangelos Porta Pia in Rom (vgl. S. 244).
Offensichtlich ist im Zusammenhang der beiden Fassaden des Guild
House und des Vanna Venturi House keines-
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Die Versuchung ist groß, diese Erinnerungen, die im Guild House oder
dem Wohnhaus für Vanna Venturi verarbeitet sind, mit dem Begriff der
»Impression« zu charakterisieren. Der Begriff einer »impressionistischen
Baukunst« ist nicht neu. Er stammt von Hendrik Petrus Berlage, dem
Vater der
Modernen Architektur in Holland (1856-1934). »Unter Impressionismus
im allgemeinen«, so hatte Berlage den Begriff definiert, »versteht man die
Wiedergabe des Bildes, wie es sich nicht objektiv, sondern subjektiv
darbietet.« »Impressionistisch« sei eine Darstellungsweise, die »das
Detail gegenüber dem Ganzen und dieses wiederum gegenüber dem
großen allgemeinen Eindruck oder lieber: der Impression untergeordnet
behandelt«.63 Wessel Reinink hat auf das Paradox aufmerksam gemacht,
das darin besteht, daß Berlage in seiner Theorie die Rezeptionsweise der
Impressionisten beziehungsweise der impressionistischen Malerei mit
dem Darstellungsziel der Symbolisten kombiniert habe - also etwa eines
Malers wie Jan Toorop.64 Genau das hat Venturi in beiden erwähnten
Bauten realisiert; sie sind impressionistisch in ihrem Verhältnis zur
Geschichte und verkörpern zugleich einen architektonischen
»Symbolismus«, der das Sakrale streift.
Es mag etwas mit ihrem wachsenden Interesse für die Architektur und das
Kunstgewerbe des Jugendstils zu tun haben (namentlich auch für Wien,
und dort vor allem für das Spätwerk Otto Wagners), daß irisierende, in
biintge- scheckte Rächenmuster zerfallende Fassaden seit den frühen
siebziger Jahren zu einem Thema der Architektur von VRSB geworden
sind. In der »zu großen« Lochstanzung der metallenen Balkonbrüstungen
des Guüd House ist das Thema ein erstes Mal angeschlagen - sozusagen
noch in brutalistischer »let it all hang out«-Manier (Abb. 51). In dem
Backsteinmuster des Brant House in Greenwich, Connecticut (1970-
1973) ist es über eine ganze Villenfassade gebreitet, so daß diese bei
entsprechendem Licht wie eine Fata Moigana aus dem Grün des Gartens
aufleuchtet (Abb. 53; vgl. S. 260f.). Gelegentlich scheint sogar - etwa
beim Galerieanbau des Allen Art Museum von Oberlin (1973-1976) oder
beim ISI-Gebäude in Philadelphia (Abb. 52; 54) - die Architektur als
Ganzes in einen Zustand des Flimmerns versetzt: wie der Bildschirm
eines schlecht eingestellten Fernsehapparats (oder der blumenübersäte
Rasen auf einer Landschaft Gustav Klimts).
In der Fassade des Laguna Gloria Art Museum (Abb. 55) sind nicht nur
Erinnerungen an Le Corbusiers Villa Schwöb, an Aaltos Enso Gutzeit-
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Gebäude in Helsinki oder an irgendeinen amerikanischen Billboard
verkörpert (Abb. 56-59).
57 La Chaux-de-Fonds: Villa Schwöb (Architekt: Ch. E. Jeanneret,
1915)
58 Rom: Acqua Paola (Flaminio Ponzio, 1610-1614)
59 Berlin: Altes Museum (Karl Friedrich Schinkel, 1822-1830)
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