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Jesus von Nazareth – Was wissen wir vom historischen Jesus? Teil 1
Der sozialgeschichtliche Zugang und der Rahmen des Lebens Jesu in den Evangelien
Einen wichtigen Zugang zum geschichtlichen Jesus bieten die jüdische Religion und Geschichte, näher hin
35 die unmittelbare Vor- und Zeitgeschichte des Frühjudentums und Palästinas zur Zeit Jesu. Die Kenntnis
dieses Umfeldes steckt die Grenzen dessen ab, was damals möglich oder nicht möglich war, und lässt die
Gestalt Jesu deutlicher hervortreten. Das NT, das daneben die wichtigste Quelle bleibt, muss damit nicht
die gesamte ‚Beweislast‘ tragen. Weil Stoffe aus dem Leben und der Predigt Jesu in den übrigen neutesta-
mentlichen Schriften kaum vorkommen, auch nicht bei dem frühesten Autor, bei Paulus, sind die vier
40 Evangelien die Hauptquelle. Die historisch-kritische Erforschung aber macht den frühen hin und wieder
geäußerten Zweifel, ob Jesus überhaupt gelebt hat, gegenstandslos. Es gibt heute keinen Theologen mehr,
der die Historizität der Gestalt des Jesus von Nazareth anzweifelt.
Der chronologische Ablauf des Lebens Jesu kann ungefähr bestimmt werden, aber genauere Angaben sind
schwierig, weil kein einziger ntl. Autor Jesus persönlich kannte, und manche besaßen auch keine genauere
45 Vorstellung von der Topografie Palästinas oder Judäas: Kein einziges Datum der Geschichte Jesu steht mit
Sicherheit fest.
Darüber hinaus sind überhaupt Zeit- und Ortsangaben äußerst spärlich, sehr ungenau und schwer zu deu-
ten. Lk erzählt z.B. als einziger, dass Jesus bei seiner Taufe in Jordan „ungefähr 30 Jahre alt war (Lk 3,23);
aber ist diese Zahl symbolisch zu nehmen, weil sie in der Antike und auch im AT als Idealalter gilt, oder
50 muss man sie wörtliche auffassen? Mk erzählt das Leben Jesu von seiner Taufe bis zu seinem Tod, Mt und
Lk benutzen das Mk-Evangelium als Vorlage und folgten ihm in diesem Aufbau, setzten aber an den Beginn
die sog. Kindheitsgeschichten, die unterschiedliche Erzähltexte der damaligen Christengemeinden überlie-
fern. Joh stellt stattdessen einen Hymnus über Gott und seinen Logos voraus. Alle diese Vorschaltungen
sollen, wie in einem Präludium oder einer Art Ouvertüre, klarstellen, dass Jesus von Anfang an der von Gott
55 Erwählte war; sie tun dies entweder mit einer abstrakten theologischen Aussage („Das Wort ist Fleisch ge-
worden“, Joh 1,14) oder in legendarischen Darstellungen (so Mt und Lk in ihrem Geburts- und Kindheitsge-
schichten).