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Warum man als Paar weiter wie in einer WG wohnen sollte

Unsere Autorin findet: Man muss nicht gleich alles teilen, nur weil man
zusammengezogen ist.
Von Britta Rybicki
Zieht man mit Partner oder Partnerin zusammen, scheint klar, dass man alles
miteinander teilt. Die Playstation, das viel zu knappe Eisfach, die Kleiderstange,
das Lavendel-Duschgel, sogar die geliebte Kuscheldecke im gemeinsamen Bett.
Alles, was nicht die Bedürfnisse von beiden erfüllt, landet auf dem Sperrmüll
oder in der dunkelsten Ecke des Kellers. Immer. Auch, wenn man die
Hantelbank eigentlich ziemlich praktisch fand. Man trennt sich davon, weil man
das beim Zusammenziehen nun mal so macht.

Aber wieso eigentlich? Warum ist es für uns selbstverständlich, plötzlich jedes
Fleckchen in der Wohnung zu teilen – obwohl wir es im Elternhaus oder der
WG ganz anders erlebt haben? Wieso geben wir das plötzlich auf, obwohl wir
vor nicht allzu langer Zeit froh waren, ein eigenes Zimmer für uns zu haben?
Mein Partner und ich finden diese Konvention absurd. Und machten daher zur
Bedingung für unser Zusammenziehen, dass wir nicht jeden Millimeter der
Wohnung teilen werden. Doch was für uns gut klingt, finden Freund*innen und
Arbeitskolleg*innen mäßig bis katastrophal.
Wir bekamen also Gegenargumente zu hören, wie: „Wer sich ein eigenes
Zimmer einrichtet, ist ziemlich dekadent und egoistisch! Den Teil der Miete
könnte man auch in gemeinsamen Urlaub und somit in die Bindung
investieren!“ Oder: „Wenn es mal Streit gibt, stellt man sich dem Problem nicht,
sondern verkriecht sich in seinem Zimmer!“ Andere behaupteten: „Eigentlich
hat man sich nie auf die Beziehung eingelassen, weil man den Partner hier ganz
bewusst ausschließt!“ und fragten dann am Ende: „Was hat das schon mit Liebe
zu tun?“

Ob unsere Vorstellung vom Zusammenwohnen aber wirklich so schlecht ist,


habe ich die Paartherapeutin Nadine Pfeiffer gefragt.
„Eine gesunde Partnerschaft besteht nicht nur aus Bindung, sondern auch aus
Autonomie und einem eigenen Territorium“, erklärt Pfeiffer. Denn in jedem
Menschen sind diese Gegensätze als Grundbedürfnisse angelegt: Geborgenheit
und Selbstverwirklichung, die Nähe des Anderen und die Ruhe in sich selbst.
Die von Mensch zu Mensch unterschiedliche Balance zwischen Autonomie-
und Bindungsstreben hängt meistens mit früheren Beziehungserfahrungen
zusammen.
„Ein Ungleichgewicht erlebe ich als Therapeutin auf beiden Seiten. Wenn ein
Paar eher die Autonomie auslebt, kann sich daraus schnell eine Beziehung wie
die von zwei Geschäftspartnern entwickeln – oder die Bindung ist zu eng und
sie isolieren sich von ihrer Außenwelt.“ Um die Balance zu halten, errichten
sich Menschen laut Pfeiffer sehr unterschiedliche Territorien: „Mal reicht der
Arbeitsplatz, das Fußballtraining, Stammcafé, die Eckkneipe oder sie wünschen
sich ein eigenes Zimmer, in dem sie kreativ und nur für sich sein können.“ Sie
selbst würde – wenn das finanziell machbar ist – auch immer zu einem eigenen
Zimmer raten.

Aber warum reagieren einige Leute in meinem Freundeskreis dann so


schablonenhaft ablehnend auf die Idee mit dem eigenen Zimmer? „Es wirkt auf
sie vielleicht so, als wäre die Beziehung eher locker und unverbindlich – als
wollten die Partner ihre Autonomie stärker ausleben und wären nicht an einer
echten Bindung interessiert“, so Pfeiffer. Viele WGs seien schließlich auch nur
Zweckgemeinschaften. Man genießt die gemeinsame Zeit, hat aber im
Hinterkopf, dass da noch was Besseres kommt. Das Zusammenziehen wird
demnach nicht als Herzensangelegenheit, sondern Teil des Businessplans
wahrgenommen.

Ob das jetzt alles in das Weltbild einiger Menschen passt oder nicht:
Beziehungen verlieren sich nicht, wenn man die Wohnung anders aufteilt als ein
Großteil der Gesellschaft. Beziehungen verlieren sich im Alltag oder
unterschiedlichen Lebenswegen. Daran, für den Anderen oder die Andere ohne
Widerrede alle Interessen aufzugeben. „Es ist okay, zu sagen, dass man auch
andere Bedürfnisse hat, die mit der Beziehung und dem Partner gar nichts zu
tun haben. Es ist okay, zu sagen: ‚Das ist nur meins‘“, sagt Pfeiffer.

Ein eigenes Zimmer für jeden, macht jedenfalls vieles besser: Meine besten
Freundinnen können spontan vorbeikommen und erst zur Morgendämmerung
wieder gehen. Ich kann mich nach einem harten Arbeitstag stundenlang mit
einem Buch zurückziehen, weil sogar Smalltalk zu anstrengend wäre. Ich muss
mich nicht von dem grünen Barocksessel trennen, der die erste Schramme bei
seinem Transport im alten VW Golf meiner Mutter kassiert hat. Oder von den
zig kleinen Dekogläschen, die ich ebenfalls vom Sperrmüll habe und mein
Partner einmal irritiert zum Altglas stellte. Und mein Partner kann seine Wände
mit Postern seiner Partei, seines Fußballclubs und alten Urlaubsfotos bekleben,
ohne dass ich mich dadurch minimal gestört, eingeschränkt oder belästigt fühlen
müsste.

Jeder muss natürlich für sich selber entscheiden, was für seine Beziehung das
Beste ist. Ob gemeinsame oder getrennte Schlafzimmer, die Ein-Zimmer-
Wohnung oder das Versprechen, niemals zusammenzuziehen. Mein Wunsch ist
jedenfalls ein eigenes Zimmer – und dass mein Partner und ich unsere
Beziehung so gestalten können, wie wir wollen. Ohne dafür direkt als herzlose
Pragmatiker abgestempelt zu werden, die in einer lieblosen Beziehung leben.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text erschien zum ersten Mal am 24. April
2019 und wurde am 7. Februar 2021 noch einmal aktualisiert.

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