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AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN UND DER LITERATUR

ABHANDLUNGEN DER
GEISTES- UND SOZIALWISSENSCHAFTLICHEN KLASSE
JAHRGANG 1953 · NR. 11

Die Heimat
der indogermanischen Gemeinsprache
vun
γ
DR. PAUL THIEME
Professor an der Universität Frankfurt

VERLAG DER
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN UND DER LITERATUR IN MAINZ
IN KOMMISSION BEI FRANZ STEINER VERLAG GMBH · WIESBADEN
Vorgelegt von Hm. Littmann in der Gesamtsitzung am 30. Oktober 1953,
zum Druck genehmigt am selben Tage, ausgegeben am 27. Februar 1954.

DRÜCK: WIESBADENER GRAPHISCHE BETRIEBE GMBH


Inhalt
I. Die Heimat der indogermanischen Gemeinsprache
A. Das Problem. 5
B. Die Methode der Untersuchung. 9
C. Die Indizien des Altindischen. 14
D. Das Argument der indogermanischen Wirtschaftsform. 24
E. Die Möglichkeit der Begrenzung. 28
II. Anhang
A. Exkurse
1. Die homerischen Benennungen des Löwen. 32
2. Altind. laksa ,,Marke, Zeichen“, laksay- „achten auf, bemerken“
und laksay- „kennzeichnen“. 39
3. Kritik der bisherigen Erklärungen von altind. läksä „Lack“ . . 41
4. Indogermanische Wörter für „Ziege“. 42
5. Indogermanisch „Fisch“. 47
6. Griechisch-Arisch-Armenische Isoglossen ?. 48
B. Die Hypothese einer einheitlichen indogermanischen Grundsprache 56
C. Index. 77
Die Seitenzahlen des Inhaltsverzeichnisses, der Verweisungen und des Index
beziehen sich auf die Paginierung am unteren Blattrand.

(3) 40*
\

(.
I. Die Heimat der indogermanischen Gemeinsprache

J’ai cherche a formuler des theses nettes; si eiles ne sont


pas conformes a la verite, il sera par la meme facile d’y
montrer les erreurs.
A. Meillet, Trois Conferences sur les Gathas p. 7.

A. Das Problem
1. Gegeben1 ist uns eine Reihe von Sprachen: sie ziehen sich seit der
ältesten Zeit, in die geschichtliche Forschung hineinzuleuchten vermag,
in einem breiten Gürtel von Nordindien über das Hochland von Iran,
über das südliche, mittlere und größtenteils auch über das nördliche Ost-
europa, über das gesamte Mittel- und Westeuropa, bis zu seinem äußersten
Vorposten, nach Irland. An dem Gürtel sitzen drei größere Zipfel: ein
nördlicher, Skandinavien, und zwei südliche, Italien und Griechenland.
In neuerer Zeit, sozusagen vor unseren Augen, haben sich einzelne unter
ihnen noch weitere Gebiete erobert: Island, Nordamerika, Südamerika,
Südafrika, Australien. Wir nennen diese Sprachen mit einem von dem
deutschen Orientalisten Klapuoth in den zwanziger Jahren des vorigen
Jahrhunderts geschaffenen Ausdruck „indogermanisch“ (idg.) oder auch,
mit einer dem Französischen2 nachgeahmten Prägung, „indoeuropäisch“.
Was die idg. Sprachen miteinander verbindet, sie zu einer eigenartigen
Gruppe innerhalb der Sprachen der Welt zusammenschließt, ist eine
überaus hohe Zahl auffallender Ähnlichkeiten, die man zwischen ihnen
findet, und zwar um so leichter, je weiter man in ihrer Geschichte empor-
steigt. So wenig lassen sich diese Ähnlichkeiten übersehen, daß man auf
sie aufmerksam wurde und sie zu erklären versuchte, längst ehe es eine

1 Im folgenden bringe ich einen Vortrag, den ich am 26. 1. 1953 vor der Sächsi-
schen Akademie der Wissenschaften gehalten habe, im ganzen unverändert, ver-
werte aber gewisse wertvolle Anregungen und Einwände, die die Diskussion ergab.
In den Fußnoten verweise ich außerdem mehrfach auf die inzwischen erschienene
Abhandlung von W. Wissmann Der Name der Buche, Deutsche Akademie der
Wissenschaften zu Berlin, Vorträge und Schriften, Heft 50 (Berlin 1952).
2 Vielmehr: dem Englischen: Wissmann o. c. 8f.
540 Paul Thieme

wissenschaftliche Sprachvergleichung gab. Auch dem Laien sofort er-


kennbar ist die Ähnlichkeit des Wortschatzes. Es handelt sich hier in
erster Linie um die Namen gewisser einfacher, sozusagen selbstverständ-
licher Begriffe, z. B. bestimmte Verwandtschaftsnamen, Benennungen
von Haustieren, die Wörter für Sonne, Mond, Himmel, Erde usw., die
einfachen Zahlwörter von 1—-10 und für 100. Schon im 18. Jahrhundert
(1786) urteilte William Jones, Oberrichter in Fort William beim heu-
tigen Kalkutta, daß diese Ähnlichkeiten sich vernünftig erklären ließen
nur durch die Annahme, daß die betreffenden Sprachen ,,aus einer ein-
zigen, vielleicht nicht mehr vorhandenen Quelle stammten“.
Eine systematische Durchforschung der Ähnlichkeiten wurde erst
möglich, nachdem Franz Bopp zu Anfang des vorigen Jahrhunderts
einen Weg gefunden hatte, vergleichende Grammatik im strengen Sinne
zu treiben. Die mit der von Bopp geschaffenen Methode im Lauf der
folgenden Jahrzehnte durchgeführte Untersuchung der indogermanischen
Sprachen hat einmal gezeigt, daß die Ähnlichkeiten in Wahrheit um
ein Vielfaches zahlreicher sind als die, die das ungeschulte Auge zu er-
kennen vermag; zum andern hat sie den tatsächlichen Charakter der
Ähnlichkeiten ans Licht gebracht: es handelt sich in Wahrheit um eine
Summe, besser: ein System, von strengen Entsprechungen, die sich in
gesetzmäßigen Regeln formulieren lassen. Und zwar haben wir es dabei
keineswegs nur mit fertigen Wörtern — also Entsprechungen des Wort-
schatzes — zu tun, sondern auch — und vor allem — mit Entsprechungen
der Lautsysteme, der Mittel der Stammbildung, der Endungen und
schließlich der Ausdrucksweise, der „inneren Sprachform“, um einen
Ausdruck Wilhelm von Humboldts zu gebrauchen1.
Mit sehr viel dringenderer Notwendigkeit als W. Jones sind wir heute,
nach genauerer, wenn auch immer noch nicht ganz vollständiger Kennt-
nis der Verhältnisse zu dem Schluß gezwungen, daß unsere iclg. Sprachen
nichts anderes sind als die jeweils selbständigen Fortentwicklungen einer
einzigen, einst einheitlichen Sprache: die Entsprechungen sind durch
die geschichtliche Entwicklung zerstörte ehemalige Identitäten. Diese
von uns postulierte einheitliche Sprache, die „gemeinsame Quelle“ der
idg. Einzelsprachen, nennen wir gewöhnlich die „indogermanische Ur-
sprache“. Ich sage lieber „Gemeinsprache“, da der Ausdruck „Ursprache“
erfahrungsgemäß leicht zu einem Irrtum führt, zu dem Irrtum nämlich,
1 Über das Wesen dieser Entsprechungen und die Schlüsse, die sich für die
historische Sprachforschung daraus ergeben, handelt mit klassischer Präzision und
Klarheit A. Mezllet, Linguistique historique et linguistique generale2 (Paris 1926)
19—60.
Die Heimat der indogermanischen Gemeinsprache 541

diese „Ursprache“ stelle eine „Urform“ menschlicher Rede dar. Tatsäch-


lich hat sie natürlich eine lange, von uns nicht mehr rekonstruierbare
Geschichte hinter sich. Mit der sogenannten idg. „Ursprache“ kommen
wir dem Zeitpunkt der Entstehung der Sprache um einen so winzigen
Schritt näher, daß er in Wirklichkeit nicht in Betracht kommt. Unsere
idg. Gemeinsprache gehört schätzungsweise ins dritte, höchstens ins Ende
des vierten Jahrtausends vor Christus, also in eine Zeit, da der Mensch
bereits mehrere Jahrhunderttausende Sprache besaß.
2. Wir begnügen uns nun nicht mit dem Postulat einer idg. Gemein-
sprache, sondern wir versuchen, sie mittels eines komplizierten, aber
methodisch strengen Verfahrens, das sich die aus der Eigenart der
sprachlichen Tatsachen resultierende „Gesetzmäßigkeit“ der Entspre-
chungen zunutze macht, wiederherzustellen, zu rekonstruieren. Damit
arbeiten wir ein Programm aus, das vor fast genau hundert Jahren der
Jenenser Sprachforscher August Schleicher aufstellte, als er in der
Vorrede zu seiner Formenlehre der kirchenslavischen Sjjraclie (1852) wie
folgt formulierte:
„Aus der Vergleichung der ältesten erhaltenen Sprachen dieser ver-
schiedenen Familien läßt sich mit Berücksichtigung der Gesetze der
Sprachengeschichte eine verhältnismäßig ziemlich klare Anschauung der
indogermanischen Ursprache erreichen, aus welcher die Stammütter der
einzelnen Familien in analoger Weise sich entwickelt haben, wie etwa aus
dem Latein die romanischen Sprachen.“
Das Bild, das wir uns heute von der idg. Gemeinsprache machen, ent-
hält immer noch eine Reihe von Unsicherheiten, es klafft darin eine
große Zahl schmerzlicher Lücken, es ist nicht frei von Unstimmigkeiten.
Trotzdem muß jeder, der das Material einigermaßen überblickt, zugeben,
daß die Prinzipien, denen unser Verfahren folgt, sich als gesund erwiesen
haben. Unsere Hypothese hat sich an einer Unzahl von Einzelheiten be-
währt, die, im Lichte eben dieser Hypothese betrachtet, eine einfache,
schlagende, oft überraschende Erklärung finden.
3. Wir sind so weit, wir dürfen die Frage stellen: Wo wurde denn diese
von uns postulierte und rekonstruierte Gemeinsprache gesprochen, wo
lag ihre Heimat?
Die Frage nach der Heimat einer Sprache fällt zusammen mit der nach
der menschlichen Gemeinschaft, die sich ihrer als Verständigungsmittel
bediente. Welcher Art muß diese Gemeinschaft gewesen sein?
Jedenfalls keineswegs, was man oft als gleichsam selbstverständlich
unterstellt hat, eine Rassengemeinschaft. Sprache und Rasse haben
nichts miteinander zu tun, sie sind durch keinen notwendigen Zusammen-
542 Paul Thieme

hang miteinander verbunden. Falls die Träger einer Sprache wirklich


einmal einer Rasse angehören, ist das nichts als ein geschichtlich be-
dingter Zufall, den wir nicht ohne weiteres voraussetzen dürfen. Es ist
Unfug, von einer „indogermanischen Rasse“ zu sprechen.
Aber es muß eine Wirtschaftsgemeinschaft gewesen sein, eine Wirt-
schaftsgemeinschaft von so enger Geschlossenheit, daß sich die Not-
wendigkeit allgemeiner Verständigung und damit der Herausbildung
einer Gemeinsprache ergab.
Wir müssen noch weiter gehen. Die von uns rekonstruierte Gemein-
sprache enthält eine Reihe von Begriffsbenennungen, die das Vorhanden-
sein gewisser gemeinsamer sittlicher und religiöser Vorstellungen be-
weisen. Jene Wirtschaftsgemeinschaft kannte, so können wir deutlich
sehen, eine bestimmte Art der Familien Verfassung vaterrechtlichen
Charakters. Sie stimmte überein in charakteristischen Auffassungen, z. B.
über Leben und Tod und Jenseits; über himmlische Mächte, die das
Schicksal der erdgeborenen Sterblichen bestimmen. Wir dürfen sogar
mit Sicherheit behaupten, daß sie eine Dichtkunst besaß, von der sich
einzelne kleinste Fragmente rekonstruieren1, ja deren metrische Kunst-
formen sich durch einen Vergleich indischer, iranischer und altgriechischer
Gegebenheiten mit einer Genauigkeit wiederherstellen lassen2, deren
Schärfe jede Möglichkeit eines Zweifels abschneidet. Die Wirtschafts-
gemeinschaft war also auch eine Kult Urgemeinschaft.
Wir mögen diese Sprach-, Wirtschafts- und Kulturgemeinschaft wohl
ein Volk nennen, wenn wir den Vorbehalt machen, daß wir eine einheit-
liche politische Organisation etwa unter einem einzelnen Führer oder mit
einer Art Thingverfassung nicht nach weisen können. Immerhin lassen
sich die Begriffe „König“ — durch Vergleich von lat. rex, kelt. rig-, und
ind. räj: idg. *reg-und „Gesetz“ — durch Vergleich von lat. lex und
iran. räzan: idg. Heg-- voraussetzen. Den inhaltlichen Umfang dieser
beiden Begriffe freilich können wir nicht mit Genauigkeit fassen.
4. Die vorgeschichtliche Archäologie verfügt über Methoden, die Sitze
und Grenzen vorgeschichtlicher Kulturgemeinschaften zu bestimmen,
gegebenenfalls ihre Ausbreitung über größere Gebiete zu verfolgen3. Um
eine solche Ausbreitung muß es sich ja in unserem Falle handeln: es ist
ausgeschlossen, daß unter den Verkehrsverhältnissen vorgeschichtlicher
Zeit eine Gemeinsprache sich über das weite Gebiet erstreckt hat, das
1 Vgl. etwa Verf., Studien zur idg. Wortkunde 15.
• 2 A. Mett,t,et, Les origines indo-europeennes des metres grecs (Paris 1923).
3 Ygl. hierzu M. Jahn, Die Abgrenzung von Kulturgruppen und Völkern in der
Vorgeschichte. Ber. Verh. Sachs. Ak. Wissensch. XCIX, Heft 3 (1952).
Die Heimat der indogermanischen Gemeinsprache 543

idg. Sprachen schon im zweiten Jahrtausend vor Christus bedecken.


Auch die Ethnologie glaubt über die Möglichkeit zu verfügen, mittels
kulturmorphologischer Betrachtung die ehemalige Nachbarschaft später
auseinanderliegender Kulturen festzustellen und danach die vorgeschicht-
liche Geographie dieser Kulturen in einleuchtender Skizze zu verdeut-
lichen.
Der hier eingeschlagene Weg führt also über die Feststellung des Sitzes
einer Kulturgemeinschaft zur Feststellung der Heimat ihrer vermutlichen
Sprache. Der Weg des Sprachforschers läuft in umgekehrter Richtung:
er führt von der Feststellung der Heimat der Sprache zu der der Kultur-
gemeinschaft, des idg. „Volkes“. Diesen letzteren Weg möchte ich Sie
heute mit mir gehen lassen und versuchen zu zeigen, wie weit man auf
ihm kommt — unter Verzicht auf alle nichtsprachwissenschaftlichen
Hypothesen und Verfahrensweisen. Freilich bin ich mir klar darüber,
daß es unser letztes Ziel sein muß, die Ergebnisse vor allem der vor-
geschichtlichen Archäologie und der vorgeschichtlichen Sprachwissen-
schaft zur Deckung zu bringen. Ich halte es jedoch für richtig, wenn
zunächst jede der in Betracht kommenden Wissenschaften, die ja alle
mit komplizierten Hypothesen arbeiten, für sich allein voranzukommen
sucht. Die Geschichte der Wissenschaft scheint mir deutlich zu zeigen,
daß ein verfrühtes Zurückgreifen auf die gegenseitigen Argumente von
zweifelhaftem Nutzen ist. Allzu leicht ergibt sich dabei ein Verfahren,
bei dem in wichtigen Punkten der eine sich auf den anderen beruft, ohne
sich klar darüber zu sein, daß der andere für das gleiche Argument sich
auf ihn stützen zu können glaubt.

B. Die Methode der Untersuchung


5. Auch rein sprachwissenschaftlicher Untersuchung steht nicht nur
eine Möglichkeit zur Verfügung. Man kann dem Ziel von verschiedenen
Ausgangspunkten aus, mit mehrerlei Fragestellung zustreben1. Ich be-
schränke mich darauf, diejenige Methode zu charakterisieren, die mir die
einwandfreieste zu sein scheint, sie einleuchtend zu machen, und die sich
bei ihrer Anwendung ergebenden Argumente vorzuführen, soweit sie nach
meinem Urteil eine Entscheidung erzwingen. Das Verfahren, an das ich
mich halte, ist schon lange in unserer Wissenschaft geübt worden. Es
entbehrt also des Reizes der Sensation — aber es hat den Vorteil ver-
hältnismäßiger Einfachheit und Adelseitiger Kontrollierbarkeit.
1 Ich verweise beispielsweise auf den interessanten Versuch von H. Krähe,
Sprachverwandtschaft im alten Europa, Heidelberg 1951.
544 Paul Τξιεμε

Es beruht auf einer Untersuchung des Wortschatzes der Einzelsprachen.


Wir legen uns jeweils die Frage vor, ob wir hier Benennungen von Be-
griffen vorfinden, die in der historischen Heimat der jeweiligen Einzel-
sprache nicht bekannt sein konnten, Benennungen also, deren ursprüng-
liche Bedeutung in der Einzelsprache verloren ist, aber durch einwand-
freie Entsprechungen in andern idg. Sprachen gesichert erscheint.
Das beste Material wird uns naturgemäß eine Durchforschung der Tier-
uncl Pflanzennamen bieten.
Diese auf positive Indizien ausgehende Untersuchung hat ein negatives
Gegenstück: die Untersuchung der Benennung der Begriffe, die nur in
einem Teil der historischen Wohnsitze idg. Sprache sprechender Völker
bekannt sein können: sind diese als nichtindogermanisch erkennbar,
scheiden die betreffenden Gegenden als Heimat der Gemeinsprache aus.
Selbstverständlich dürfen wir uns dabei nicht auf ein einzelnes Beispiel
verlassen. Da die Sprache fortwährend alte Wörter durch neue ersetzt —
der Wortschatz ist das labilste Element des sprachlichen Systems —,
kann das Fehlen eines bestimmten Ausdrucks in jedem Einzelfall auf
Zufall beruhen. Es wird demnach unsere Aufgabe sein, das Fehlen be-
stimmter Begriffsbenennungen in der Gemeinsprache serienmäßig fest-
zustellen und dadurch eine kumulative Evidenz zu schaffen, die uns
Sicherheit bietet.
6. Ich gebe zunächst ein einfaches Beispiel für solche negative kumu-
lative Evidenz.
Charakteristisch für Griechenland sind z. B. die Zypresse, der Ölbaum
und das Öl, der Weinstock und der Wein, der Esel und — in älterer Zeit —
der Löwe. Die griechischen Wörter κνπάρισσος „Zypresse“, έλaifä „Öl-
baum“, ελaifov „Öl“, άμπελος „Weinstock“, Fοίνος „Wein“ und δνος
„Esel“ stehen je isoliert im idg. Sprachschatz: ihre Deklinationssuffixe
sind zwar griech.-idg., ihre Stammbildung aber bleibt unanalysierbar.
Es müssen fremde Lehnwörter sein. Teilweise (außer άμπελος und δνος)
erscheinen sie im Lat. in ähnlicher Form. Es ist aber offenbar, daß sie
entweder dem Griech. seinerseits entlehnt sind (oliva, oleum) oder aus
der gleichen nichtindogermanischen Quelle stammen (cupressus, vinum1).
Das lat. asinus „Esel“ hat mit δνος überhaupt nichts zu tun und ist
seinerseits offensichtlich ebenfalls kein aus idg. Mitteln gebildetes Wort.
Die griech. Benennung des Löwen λέων m. f. (f. später λέαινα) ist
ebenfalls als leo, leaena ins Lat. entlehnt. Der Pall liegt hier insofern
anders, als die Möglichkeit besteht, λέων als Bildung aus idg. sprachlichen
Elementen zu verstehen2. Deswegen aber ist es noch lange keine idg.
1 Vgl. A. Meillet, Linguistique liistorique2 300ff. 2 Vgl. Anhang Al u. S. 32 ff.
Die Heimat der indogermanischen Gemeinsprache 545

Begriffsbenennung. Um das annelimen zu können, müßten wir die gleiche


Bildung als Namen des Löwen auch in den Ländern idg. Sprache nach-
weisen können, wo es sonst noch Löwen gibt. Aber sowohl im Indischen
(,simlia), Armenischen (injfine), wie im Iranischen (np. ser < *xsadriya
„der Königliche“: Andreas) haben wir ganz andere Wörter1.
Also scheiden Griechenland und Italien, überhaupt die Mittelmeer-
länder, als Heimat der idg. Gemeinsprache aus. Es kann kein Zufall sein,
daß sämtliche genannten Benennungen als gemeinindogermanisch sich
nicht erweisen lassen. Die Untersuchung des sprachlichen Tatbestandes
ergibt mit Gewißheit, daß Griechen und Italer von Haus aus keine
eigenen Benennungen dieser Begriffe der Mittelmeerlandschaft hatten,
sondern neue schaffen (λέων) oder fremde entlehnen mußten.
In entsprechender Weise können wir Indien, Iran und eine Reihe an-
derer Länder aus dem Kreis der für die idg. Heimat in Betracht kom-
menden Gegenden eliminieren. Es bleiben nach konsequenter Durchfüh-
rung unseres Verfahrens nur übrig erstens: das nördliche Mittel- und
Osteuropa, und zweitens: Südrußland mit Teilen der Kirgisensteppe.
7. Versuchen wir, ob wir positive Anhaltspunkte für eines dieser
Gebiete finden. Es kommt hierbei, wie ich sagte, darauf an, in den Einzel-
sprachen Benennungen für Begriffe aufzutreiben, die in den historischen
Wohnsitzen der Sprecher nicht bekannt sein konnten. Wir betrachten
ein klares Beispiel.
Setzen wir einmal — argumenti causa — voraus, die Heimat der idg.
Gemeinsprache habe westlich der sogenannten Buchengrenze gelegen,
die etwa von Königsberg nach Odessa führt2, dann muß sie ein Wort
enthalten haben, das diesen Baum benannte. Selbstverständlich dürften
wir uns nicht wundern, wenn in denjenigen idg. Sprachen, die zu histo-
rischer Zeit in Ländern gesprochen wurden, denen die Buche fremd ist,
auch das alte Wort für die Buche nicht erscheint. Mit der Kenntnis des
Baumes mußte bei normalem Verlauf der Dinge auch der Name ver-
schwinden.
Nur in Einzelfällen könnte ein günstiger Zufall uns doch noch eine
Spur erhalten haben. Dann nämlich, wenn man
1. in der neuen Heimat den alten Namen einem neu bekannt gewordenen
Baum gab, der sich durch die Ähnlichkeit seines Aussehens oder seiner
Rolle für den Menschen dafür eignete; oder wenn man
1 Die lat. Ausdrücke ollva, oleum, vlnum, asinus (asellus) sind erwiesenermaßen
mit der Bekanntschaft der durch sie benannten Begriffe erst in späterer Zeit auf
uns deutlich erkennbaren Wegen in die mittel- und osteuropäischen Sprachen
gewandert. 2 Dankenswert genaue Angaben bei Wissmann, Name der Buche 15 f.
(η)
546 Paul Thieme

2. in alter Zeit die Gewohnheit hatte, aus dem Holz des Baumes be-
stimmte Geräte oder Waffen anzufertigen —- wofür sich übrigens die
Buche mit ihrem harten Holz kaum eignete —, und diese Geräte nach
ihrem spezifischen Material benannte. In diesem Falle konnte sich
unter Umständen der alte Gerätename halten, auch wenn man zur
Herstellung des Gerätes einen anderen Rohstoff verwandte.
Auch für diese zweite Entwicklung gäbe es geläufige Analogien. Ich
erinnere z. B. an das homerische Wort κυνέη. Dieses muß, wie die etymo-
logische Analyse zeigt, ursprünglich bedeutet haben: „aus Hundsfell
bestehende [Kappe]“. Aber bei Homer heißt es einfach „Kappe, Helm“.
So spricht er von einer κννέη αίγείη, einer „aus Ziegenfell bestehenden
Kappe“, einer κυνέη ταυρείη, einer „aus Rindsleder bestehenden Kappe“,
ja, er kennt sogar eine κυνέη χαλκηρής, einen „aus Erz geschmiedeten
Helm“.
Das griech. φαγάς „Speiseeiche“ hat eine genaue lautliche und morpho-
logische Entsprechung im lat. fägus „Buche“, germ. böka „Buche“. Wenn
das auf Grund dieser Entsprechungen rekonstruierte idg. *bhäg0s die Be-
deutung „Buche“ hatte, wofür die Übereinstimmung des germ. und lat.
Sprachgebrauchs auf das entschiedenste eintritt, ist es leicht einzusehen,
warum das Griech. die alte Bedeutung durch eine neue ersetzt hat: im
eigentlichen Griechenland gibt es keine Buchen1. Von Norden her kom-
mende Einwanderer trafen hier aber die Speiseeiche an, deren Früchte
für sie die gleiche Bedeutung gewinnen mußten, die vorher die Buch-
eckern für sie hatten2. In Verbindung mit dem negativen Argument,
das uns die griech. Wörter für die Zypresse, den Ölbaum, den Wein, den
Esel und den Löwen ergaben, weist φαγάς auf eine sehr viel nördlichere
Heimat der Mutter der griechischen Sprache als selbst Makedonien, wo
es doch zumindest Löwen gab.
8. Wir können auch diese positive Evidenz noch kumulieren. Das
Griechische hat noch eine andere Spur eines nordeuropäischen Baum-
namens aufgehoben. Es ist der Name der Espe. Aus dem Vergleich des
Germanischen, Slavischen und Baltischen ergibt sich ein idg. Wort, für
das wir nachher noch eine Bestätigung aus dem Indischen bekommen
1 In Aetolien sind Buchenwälder konstatiert worden (vgl. P. Kretschmer,
Einleitung in die Geschichte der griech. Sprache [1896] 65 Anm. 1). Das ändert nichts
daran, daß die Buche kein gemeingriechischer Baum war: ihr Name war für die
große Mehrzahl der griechischen Stämme frei geworden.
2 Daß die Griechen zur Benennung der Speiseeiche nicht ein Erbwort für „Eiche“
verwendeten, hat wohl einen speziellen Grund in Taburücksichten: F. Specht,
Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung LXVI (1939) 55ff„ W. Wissmann,
Nam.e der Buche 17f.

( 12 )
Die Heimat der indogermanischen Gemeinsprache 547

werden, *asp-/osp- oder *aspi-/ospi- „Zitterpappel, Espe“. Der Baum


und sein Name fehlen in Griechenland, wie die Espe überhaupt in Süd-
europa seltener wird1. Eine Ableitung daraus aber ist uns auch hier er-
halten: das im griech. Wortschatz ganz isolierte, nur auf diese Weise
deutbare άσπίς, άσπίδος f. „Schild“2.
αίγ- „Ziege“: αίγίδ- „Ziegenfell, Schild aus Ziegenfell“' wie *asp-/aspi-
„Espe“: άσπίδ- „aus Espenholz bestehend, Schild aus Espenholz“'.
Die Schilde bei Homer bestehen freilich nicht aus Holz, sondern aus
Fellen oder Erz. Aber genau wie im Fall κυνέη (o. S. 12) hat sich hier
die alte Benennung nach dem — inzwischen durch ein moderneres er-
setzten — ursprünglichen Material gehalten.
Schilde aus Holz müssen wir für eine ältere Zeit sowieso voraussetzen3.
Dafür, daß es solche Schilde gab und daß man sie nach dem Holz be-
nennen konnte, aus dem sie verfertigt waren, genügt es, auf eine bekannte
Stelle im Hillebrandslied zu verweisen. Hier, im Prachtstil der Kampf-
schilderung, werden die Schilde geradezu „Linden“ genannt :
heuwun harmlicco huitte scilti
unti im iro lintun luttilo wurtun
„sie hieben harmvoll die weißen Schilde,
bis ihnen ihre Linden [-Schilde] klein wurden.“
1 Sie ist „einer der ältesten Waldbäume Nord- und Mitteleuropas überhaupt“:
J. Hoops, Waldbäume und Kulturpflanzen (1905) 124. Häufiger kommt sie nur
noch in Thrakien und Makedonien vor: o. c. 122.
2 Die Herleitung aus *aspi schon bei Hoops, Waldbäume 122, der auch — sicher-
lich unrichtig — αίγίς zu *aig- „Eiche“ (germ. *aiJc-) stellt, ασπρις „fruchtlose Eichen-
art“ (Hoops 1. c.) wage ich nicht zu *asp zu stellen, ehe die Wortbildung geklärt ist.
3 Daß auch in Griechenland das Holz bei der Herstellung der Schilde eine
größere Holle gespielt hat, als sich aus Homers poetisch idealisierenden Schilde-
rungen erkennen läßt, wird mir von sachkundiger Seite versichert. W. Ehlich
(Dresden) schreibt mir: „Im allgemeinen scheint man Rindleder, mitunter auch in
mehreren Schichten, auf breitere metallene Reifen bzw. Ränder gespannt zu haben.
Über die Lederschicht war gewöhnlich ein dünnes Bronzeblech gezogen. Statt aus
Leder war aber die Unterlage mitunter auch aus Holz (Paitly-Wissowa 422—424).
Auch die Einfassungen dürften oft aus Holz gefertigt gewesen sein. Ich verweise
dabei auf verschiedene Abbildungen, u. a. auf eine in Mon. Ined. I, Tafel XXX,
wo die Rückseite eines sechseckigen Schildes zu sehen ist. Auch in den Fällen, wo
man Nieten bzw. Nägel erkennen kann, mit denen das Blech angebracht war
(runder Schild, z. B. Mon. Ined. I), muß man Holz als Unterlage, mindestens aber
als Rahmen, vermuten. Das Sperren von Holz ist ein altes Verfahren, ebenso wie
die Herstellung dünnster Holzplatten. Noch früher verstand man, Leisten zu
Rahmen zusammenzufügen . . . Wären die Schilde wirklich, wie verschiedentlich
angenommen wird, durchweg aus Metall, dann hätte sie wohl ihres Gewichtes
wegen niemand längere Zeit halten können.“
548 Paul Thieme

Linden- und Espenholz eignen sich — da besonders leicht — spezifisch


für Schilde, deren geschickte Handhabung wichtig ist.
Ein dritter nördlicher Baum, der in Griechenland und Italien überhaupt
fehlt, hat weder in der griech. noch in der ital. Sprache eine Erinnerung
hinterlassen: die Birke. Und doch ist der Birkenname so weit in den idg.
Sprachen verbreitet, daß wir an seinem gemeinsprachlichen Alter nicht
zweifeln können1: altind. bhürja, balt. (lit.) berzas, asl. breza, ahd. birihha,
an. biork: idg. *bh&rdgo-jbhrgo

C. Die Indizien des Altindischen


9. Ich habe die wortgeschichtliche Methode am Beispiel des Griechi-
schen erläutert, weil es hier besonders leicht ist, die Ergebnisse unserer
sprachwissenschaftlichen Argumentation am archäologischen Befund
nachzuprüfen, der auf genau das gleiche Ergebnis führt: Einwanderung
der eine idg. Sprache sprechenden Hellenen aus Gebieten, die nördlich
Griechenlands gelegen waren.
Wir wenden uns nun zum östlichen Ende des idg. Sprachengürtels,
nach Iran und Indien —- wieder mit der Erage, ob sich in den idg.
Sprachen dieses Gebietes Spuren eines Wortschatzes auftreiben lassen,
der nicht hierher paßt.
Zweifellos idg. Namens ist im Indischen nur ein einziger Baum, die
schon genannte Birke, die in Kaschmir und den Himalaya-Gebieten
nicht selten ist2. Es ist aber wohl auch der einzige Baum, den das indische
und mitteleuropäische Sprachgebiet gemein hat.
1 Schräder, Sprachvergleichung und Urgeschichte 172: „Das Vorhandensein
eines Namens der Birke im Wortschatz der idg. Grundsprache beweist, daß die
idg. Urheimat jedenfalls nicht in den südlichen Halbinseln Europas gesucht werden
darf.“ Mett,t/et, Linguistique historique 301: „La nation qui parlait l’indo-europeen
habitait sans doute une region assez septentrionale, oü prosperait le hetre et le
bouleau, mais oü l’on ne cultivait pas la vigne.“ Man beachte übrigens, daß Meillet
in bezug auf Buche und Birke nicht von „Vorkommen“, sondern — mit vollem
Recht: u. S. 31 — von „prosperer“ spricht.
2 So findet die Birke ihren gebührenden Platz z. B. in der bekannten Himalaya-
schilderung Kalidasas in Kum. Sambh. I, 2—17, deren Pointe darin liegt, daß
jeder Vers einen anderen, für dieses Gebirgsland charakteristischen Begriff enthält.
Neben phantastischen Wesenheiten verschiedener Art: Siddhas (5), Kimnaras (8),
Asvamukhas (11) und märchenhaften oder mythischen Elementen — wie nachts
leuchtenden Pflanzen (2) und der Somaranke (17) — werden mehrere genau beob-
achtete Dinge genannt: [Halb-]Edelsteine (2), Schnee (3), Mennige (4), [Berg-]
Löwen (6), die Birke (7), die Pinus Longifolia (9), wilde Bergstämme (10), Höhlen
(12), der Bos Gruniens (yak) (13), Gipfel einhüllende Wolken (die dem Bewohner
der indischen Tiefebene, der lange Monate nur blauen Himmel über sich sieht, auf-
Die Heimat der indogermanischen Gemeinsprache 549

Der Name der Buche fehlt in Indien. Im Iranischen will man ein Zeug-
nis im kurdischen büz „Ulme“ gefunden haben: seine Glaubwürdigkeit
hängt von dem Nachweis ab, daß der Stamm des Wortes *bhäg- ur-
sprünglich mit einer Form bhüg- abgelautet hat1.
Ich verzichte auf die Verwertung der angeblichen Spuren des Namens
der Eiche, die man im Indischen entdecken zu können geglaubt hat. In
jedem Falle scheint mir die Evidenz nicht schlagend, teilweise habe ich
schwere Bedenken gegen die vorgetragenen Vermutungen2. Wir dürfen
bei unserer, schließlich doch ein wenig kühnen, Fragestellung nur mit
Wörtern arbeiten, bei denen die lautlichen und morphologischen Ent-
sprechungen vollständig einwandfrei sind, da die Übereinstimmung der
Bedeutung sowieso nicht vorhanden sein kann.
Ich verzichte um so leichteren Herzens, als sich Entsprechungen nach wei-
sen lassen, die den striktesten Anforderungen genügen, die man stellen darf.
10. Beim vedischen Opfer verwendet man ein merkwürdiges Gerät,
eine Art hölzernen Schwertes, mit dem man Figuren in den Boden ritzt3.
Eine solche sakrale Gerätschaft hat die größte Chance, uralt zu sein.
Denn beim gottesdienstlichen Ritus ist man allüberall hochkonservativ.
Noch heute braucht die mosaische Religion bei der kultischen Beschnei-
dung den Feuerstein: also ein Relikt aus der Steinzeit. Bei verschiedenen
fallen müssen) (14), Deodarbäume (15), Gebirgsseen (16). Vgl. auch Ragh. V. IV
71 ff., wo erwähnt werden: Mennige, Höhlenlöwen, Birken, Namerubäume
(Eleaeocarpus Ganitrus) und die Pinus Longifolia.
1 Dieser Nachweis ist jetzt durch Wissmann, Name der Buche 19ff. erbracht.
Er widerlegt die Bedenken und Ein wände, die neuerdings E. Passler-Mayrhofer,
Die Buchenfrage (= Frühgeschichte und Sprachwissenschaft, hrsg. v. W. Branden-
stein, Wien 1948, 155ff.) wieder erhoben hat. Wissmanns Untersuchung gibt uns
das Recht, den Namen der Buche als im Iranischen, Slawischen und Baltischen
ebenfalls belegt anzuerkennen, ihn also als einen gemeinsamen Besitz aller Stämme
zu betrachten, die die idg. Gemeinsprache redeten.
2 Die lautliche Entsprechung von skt. pärijäta, Name des Himmelsbaumes, und
lat. quercetum „Eichenhain“ (Wackernagel, Altind. Gramm. I, 1896, §§ 52a,
100b, 124) ist so ungenau, daß sie keine Wahrscheinlichkeit begründet. Vgl. z. B.
Speyer, Gött. gel. Anzeigen 1897, 296. Eine ganz andere Erklärung von pärijäta
bei Verf., Untersuchungen zur Wortkunde . . . des Rigveda (1948) 69.
skt. parkati „Ficus Infectoria“ (ohne alte Belege, zuerst Hitop. und Lexiko-
graphen) stellt H. Hirt zu idg. *perqo-/perqu- „Eiche“ (Idg. Forschungen I 481):
ganz unsicher, solange die Stammbildung des ind. Wortes ungeklärt bleibt.
Der von Specht (KZ LXVIII, 195ff.) vertretene Zusammenhang von *aig-
„Eiche“ und vedisch äyu usw. scheint mir vorläufig im wesentlichen spekulativ
oder zum mindesten vieldeutig — allerdings auch einer genauen exegetischen Nach-
prüfung am vedischen Material wert.
3 Vgl. die Abbildung bei W. Caland-V. Henri, L'Agnistoma, PI. III, 22.
( 15)
550 Paul Thieme

Völkern darf der Stein des Altars nicht behauen sein: es wird damit eine
Form verewigt, die der Altar zu einer Zeit hatte, da man den Stein noch
nicht behauen konnte. Das für die Opferstreu und andere rituelle Zwecke
verwendete darbha-Qras sichelte man beim vedischen Opfer ursprünglich
mit einer Pferderippe (Käth. XXXI 1 asvaparsvä barhir däti): gewiß
ein Steinzeit-survival.
Das beim indischen Opfer-Ritus verwendete Holzschwert wird eben-
falls aus einer Zeit stammen, da man noch keine Geräte aus Bronze oder
Kupfer, geschweige denn aus Eisen kannte.
Die Benennung dieses „Schwertes“ ist vom indischen Wortschatz aus
nicht erklärbar. Eine einleuchtende Deutung findet sie aber, wenn wir
sie an den Wortschatz der idg. Gemeinsprache anknüpfen. Sie lautet: spliya,
das ein idg. *spjo- fortsetzen könnte1, eine korrekte adjektivische Ableitung
von „Espe“2. Das Holzschwert war also ursprünglich bezeich-
net worden als „aus Espenholz bestehend“ und beweist somit, daß die Trä-
ger der vorarischen Sprache einmal in einem Lande saßen, wo es Espen gab
— genau so wie die sprachlichen Vorfahren der Griechen: also in Nord- oder
Mitteleuropa oder in Nordasien (das aus anderen Gründen fortfällt).
Neben dieser Kombination von altind. spliya „Holzschwert“ und *aspi
„Espe“ darf man die von Schräder vermutete3 Entsprechung nennen:
altind. dhanvan- n. „Bogen“: ahd. tanna „Tanne“,
die sich bedeutungsmäßig zueinander verhalten würden wie an. ?/r
„Eibe“: yr „Bogen“; an. almr „Ulme“: almr „Bogen“ (poet.), griech.
τόξον „Bogen“: lat. taxus f. „Eibe“4. Das Element der Unsicherheit ist
hier freilich größer, da ahd. tanna sonst in keiner idg. Sprache eine Ent-

1 Anhaltendes ind. sph- zu sp- anderer Sprachen wie altind. sthä: griech. στα-,
lat. stä- usw.; got. -speiwan, lat. spütum, griech. πτνω (<[s\pji1-): sthlv „spucken“
(aus *sphiv dissimiliert: W. Schulze, Kleine Schriften 56f.); altind. pyä „schwel-
len“ (pina, pita): sphyä „fett werden“ (sphita).
2 *spi: Tiefstufe zu aspi, vgl. z. B. lat. civis: altind. vi „Vogel“. Adj. Ableitung
durch -o wie in altind. avi „Schaf“: avya „aus Sehaf-[wolle] bestehend“. Die
slaw. u. balt. Entsprechungen führen auf eine Lautfolge: -ps-, statt -sp, die auch
in türk.-osm. apsaJc „Pappel“, tschuw. ewes „Espe“ vorliegt, die Entlehnungen aus
einer idg. Sprache sein müssen. So entscheidet sich z. B. Pokoeny für eine Grund-
form *apsä {Idg. Etym. Wb. 55). Das Zeugnis der Lehnwörter in nicht-idg. Sprachen,
deren Quelle nicht einmal sicher auszumachen ist, scheint mir nicht schwer zu
wiegen. Griech. άσπίς u. altind. sphya sprechen jedenfalls für ein asp-,
3 Bezzenbergers Beiträge XV (1889) 289; Hoops, Wcddbäume 115f.
4 Das griech. o der Stammsilbe verhält sich zum lat. a wie das o von οίωνος
(< oFj-ωνος) zu dem a von lat. avis, griech. αίετος (*aFj-ετος); das neutrale Ge-
schlecht wie häufig bei Benennungen von Produkten: Buche: Buch; lat. pirus:pirum
usw. Dies gegen Boisacq, Biet. etym. de la langue Greque s. v. τόξον.
( 16)
Die Heimat der indogermanischen Gemeinsprache 551

sprechung hat, das idg. Alter des Wortes und seiner Bedeutung also
nicht anderweitig verbürgt ist.
Wir verfügen aber über ein drittes Argument, dessen Gewicht nach
meinem Urteil stark genug ist, alle etwa noch lebendigen Zweifel an der
norcl- oder mitteleuropäischen Herkunft des arischen Indisch zu ersticken,
und das zugleich die bisher noch vage Indikation nach nördlicheren
Gegenden weiter einschränkt.
11. Die germanischen, baltischen und slawischen Benennungen des
Lachses, also ahd. lahs, ags. leax, an. lax; lit. lasz-i-sz usw., entsprechen
sich so, daß wir ein altes laks-jlakso- „Lachs“ rekonstruieren dürfen. Der
Lachs kommt nur in Strömen vor, die in nördliche Meere münden: in
die Nordsee, die Ostsee, das Eismeer, und in ihren Nebenflüssen. So gibt
es keine Lachse z. B. in Griechenland und Italien. Eine Entsprechung zu
den genannten Wörtern fehlt hier erwartungsgemäß, ebenso wie bei den
Südslawen. Die Kelten haben eigene Benennungen, die später ins Latei-
nische entlehnt wurden (salmo, esox).
Man hat lange angenommen — seit Kretschmer, Einleitung in die
Geschichte der griechischen Sprache (1898) 108 — das Wort Haks sei eine
germ.-balt.-slawische Neuerung, geschaffen zu einer Zeit, da ein Teil der
idg. Stämme sich schon von dieser Gruppe, beziehentlich diese Gruppe
sich schon von den andern gelöst hatte. Diese Annahme erhielt einen
harten Stoß, als ein genau entsprechendes Wort: laksi (adj. laksana) in
der erst in unsenn Jahrhundert entzifferten und als idg. erkannten
Sprache von Kuca („Tocharisch B“) auftauchte, also einer idg. Sprache,
die im Osten von Turkestan in der zweiten Hälfte des ersten Jahrtausends
unsrer Zeitrechnung gesprochen wurde. Das Wort hat die Bedeutung
„Fisch“. In Turkestan fehlt selbstredend der Lachs. Offenbar also hat
man das alte Wort zwar behalten, ihm aber einen allgemeinen Inhalt ge-
geben. Das war möglich, weil man vorher in einem Lande wohnte, wo
der Lachs der wichtigste, der Fisch par excellence war.
Gegenüber dieser an und für sich sehr wahrscheinlichen Folgerung hat
man Einwände erhoben: es handle sich um ein uraltes Lehnwort aus dem
Germanischen, oder gar: das Wort sei erst um 800 v. Chr. durch Ger-
manen nach Turkestan importiert worden1 — Einwände also, die nicht

1 So Heine-Geldern, Saeculum II (1951) 247, unter Zustimmung von M.


Mayrhofer, Studien zur idg. Grundsprache, hrsg. von W. Brandenstein, Heft 4
(1952) 46 und GRM., N. F. III (1953) 73. Ich kann diesen Vorschlag nur für ganz
unglücklich halten. Germanen würden, wenn sie ein Fremdwort für „Fisch“ nach
Turkestan gebracht hätten, doch wohl bestimmt ihr fish- „Fisch“ und nicht laks-
,,Lachs“ weitergegeben haben.
Abü. Geistes- u. sozialw. Kl. Nr. 11 ( iv) 41
552 Paul Thieme

auf Gegengründen beruhen, sondern Hinweise auf andere Erklärungs-


möglichkeiten für das Auftreten des Ausdrucks in der am meisten nach
Osten verschlagenen idg. Sprache darstellen. Solche Versuche schlüssig
zurückzuweisen, mag — nur mit Hilfe der tocharischen Gegebenheiten —
nicht ganz einfach sein — so sehr sie manchem doch von vornherein als
Ausflüchte erschienen sein mögen. Ich glaube aber, wir können heute auch
in diesem Punkt über eine rein subjektive Bewertung der Wahrscheinlich-
keit mehrerer theoretisch gleichberechtigter Möglichkeiten hinauskommen.
12. Entschließen wir uns einmal zu der von vornherein gar nicht ab-
weisbaren Annahme — zunächst wieder nur argumenti causa —, es habe
ein gemeinindogermanisches Wort laks-ßakso- „Lachs“ gegeben. Die in-
dische Entsprechung dazu müßte Haies- oder laksa- lauten. Ein solches
Wort haben wir nun wirklich im Altindischen. Natürlich kann es hier
nicht „Lachs“ bedeuten. Denn ebensowenig wie in Südeuropa und Tur-
kestan ist in Indien der Lachs bekannt.
Das Wort laksa heißt im Altindischen „100000“ oder dient der Be-
zeichnung einer großen Zahl überhaupt.
Nun ist es eine wohlbekannte Tatsache, daß Benennungen von Dingen,
die in großer Dichte, Masse oder Menge vorzukommen pflegen, sehr
häufig — in den verschiedensten Sprachen — zur Bezeichnung hoher
Zahlen verwendet und daß solche Bezeichnungen dann geradezu zu
Zahlwörtern werden1.
tima, tüma „Finsternis“ dient im Kirchenslawischen zur Übersetzung
von μνριοι „10 000“. E. Frankel erinnert2 dazu treffend an den home-
rischen Ausdruck νέφος.. .πεζών „eine Wolke von Fußsoldaten“ (Ilias
Δ 274 und ff.).
Altind. samudra „Ozean“ dient im YV als Bezeichnung von „Milli-
arde“; im SSS heißt samudra·. „10 Milliarden“; salila „Meerflut“: „100
Milliarden“ usw. In berühmtem Zusammenhang spricht Hamlet (act III
sc. 1) von ,,a sea of troubles“.
Das iran. Wort für „10 000“ baevar läßt sich etymologisch nur mit dem
germ. Wort für „Biene, Bienenschwarm“ (ahd. im-pi „Immenschw^arm“)
verknüpfen, hieß also ursprünglich ebenfalls „Bienenschwarm“3. Man
1 Vgl. J. Wackernagel, Altind. Grammatik III, § 167 e 3 und § 192. Insbeson-
dere verwerte ich im folgenden die nützlichen Zusammenstellungen von D. Baum-
gartl, Zeitschrift für vergl. Sprachforschung (KZ) LXX, 241 ff., wo auch nähere
Literaturangaben. 2 KZ LIV, 293.
3 Verf. KZ LXIX, 211 Anm. 2. Zu iran. baevar·. altind. bhüri „viel“ (wie v'rsan
„Hengst, Stier“: vfsni- „stark“)? Erwartetes *bhyüri:bhüri = syü-mamsü-tra,
dyü-ta: κίν-δυ-νος (W. Schulze bei Sittig, KZ LII, 207). Wackernagel, Altind.
Gramm., § 232a.
( 18 )
Die Heimat der indogermanischen Gemeinsprache 553

denke etwa daran, daß Ilias B. 86f. die zusammenströmenden Völker


mit Schwärmen von Bienen verglichen werden:
... έπεσαενοντο δέ λαοί,
ήύτε εϋνεα είσι μελισαάων άδινάων
πέτρης εκ γλαιρνρης αίεΐ νέον ερχομενάων...
Das Zahlwort ,,100000“ wird im Altägyptischen mit der Hieroglyphe
für „Kaulquappe“ wiedergegeben.
Das Zeichen für „Ameise“ dient im Chinesischen auch für „10 000“x.
Im Semitischen ist das Wort für „Rind“ zugleich Zahlwort für „1000“:
zugrunde liegt gewiß die Vorstellung umfangreicher, zahlenmäßig nicht
erfaßbarer Rinderherden.
Im klass. Sanskrit werden verschiedene Benennungen der Lotusblume
(padma, ab ja usw.), die in unübersehbaren Mengen die Seen zu bedecken
pflegt, als sehr hohe Zahlwörter verwendet. Auch im Altägyptischen dient
die Hieroglyphe für „Lotusblume“ der Bezeichnung des Begriffs 1000.
Wie die Kaulquappe im Nilschlamm, wie die wilde, im Felsen nistende
Biene, wie das Rind in ausgedehnten Weidegebieten, wie die Lotusblume
auf den Seen Indiens und Ägyptens, wie die Ameise auf ihren Zügen,
pflegt auch der Lachs in gewaltigen Mengen zu erscheinen, wenn er zur
Laichzeit die Ströme hinaufsteigt2.
Ist wirklich die Hypothese, laJcsa „100000“ (seit dem Sütra und dem
Epos in dieser Bedeutung sicher belegt und später der durchaus herr-
schende Ausdruck) habe früher einmal „Lachsschwarm“ geheißen3, in-
diskutabel4? Mir scheint die Möglichkeit, daß diese Hypothese richtig
ist, im Gegenteil unbestreitbar, ja, sie dünkt mich wahrscheinlich5. Aber
gewiß: Wahrscheinlichkeit ist noch keine Evidenz. Eine Evidenz ergibt
sich erst, wenn wir angesichts verschiedener Tatsachen, die der Deutung
harren, auf wahrscheinliche Möglichkeiten der Erklärung geführt werden,
und wenn wir dann, diesen Möglichkeiten folgend, zu dem gleichen Punkt
gelangen: das ist, wie ich zeigen möchte, hier der Fall.
13. Charakteristisch für den Lachs ist die auffallende rote Farbe seines
Fleisches. Eine adj. Ableitung des iclg. lalcs-ßakso: läksoe könnte sehr
wohl bedeutet haben: „lachsig“, d. h. „rot“.
1 Wie mich E. Erkes freundlich belehrt.
2 Für das nördliche Mitteleuropa gilt das heute nicht mehr. Wehre und Industrie-
abfällehaben dem Fisch den Weg verlegt. 3 So zuerst Verf. KZ LXIX, (1951), 210f.
4 V. Pisani, Paideia VI (1951) 184 „non . . . nemmeno da discutere
5 Zur Kritik eines früheren Vorschlags vgl. Anhang A 2 (u. 39).
6 Dehnung der Wurzelsilbe (vrddhi) als gemeinidg. Prinzip ableitender Wortbildung
zuerst nachgewiesen von W. Schulze, KZ XL (1907), 403 f ( = Kl. Sehr. 63 f.). Für wei-
tere Literatur und Beispiele vgl. Verf., Studien zur idg. Wortkunde (1952) 48, Anm. 2.
( 19 ) 41*
554 Paul Thieme

Diesem zunächst theoretisch gebildeten idg. Wort entspricht genau


das altind. läksä (zuerst AV V 5,7), die Benennung des roten Baumlackes,
der also ursprünglich „die rote [sc. etwa ,Substanz4: niskrti f. AV V 5,6]“
geheißen hätte1.
Die Wahrscheinlichkeit der vorausgesetzten Bildung und Bedeutungs-
entwicklung läßt sich durch schlagende Analogien evident machen:
Idg. *sal- n. „Salz44: *sälo- „salzig, salzfarben44: as„ ags. söl „schmut-
zig44 (Holthausen IF XXV 150; XXX 47; XXXII 338);
idg. *mari- n. „Meer44: *märo „meerschimmernd44 (vgl. Wessobrunner
Gebet 5 noh mano ni liuhta, noh der mareo seo „weder leuchtete der
Mond, noch das herrliche Meer44): westgerm. mör „der [schimmernde]
Sumpf44 (AV. Schulze, Kl. Sehr. 117f.);
idg. *pon- „Feuer44 (Tiefstufe in got. jun-ins): *pöno- „feuerfarben44:
got. fön n. „das [rote] Feuer44. Mit anderer Ableitung: idg. *ponijo-
„feuerfarbig44: got. fanin. usw. „der [feuerfarbene] Sumpf44 (AV. Schulze,
Kl. Sehr. 116).
Parallelen aus dem Indischen:
kapota „Taube44: käpota „taubengrau44;
hima „Schnee44: haima „^schneeig44 > „glänzend44: haima n. „das
[glänzende] Gold44 2.
müs „Maus44: *mausa „mausfarben, grau44 > „*ge£Leckt 344 : mäsa „die
[gefleckte] Bohne44 (mit volkssprachlichem ä für au, vgl. kausika n.
„Seide44 („aus dem ko£a ,cocon‘ stammend44) neben käsika „seiden44
(Divyäv.), skrt. saumya „mein Lieber44: pali samma (< *sämya) dass.
Bei der vorgetragenen Erklärung von läksä handelt es sich also wieder
um eine einwandfreie Möglichkeit4, deren Wahrscheinlichkeit nur dem
nicht einleuchten wird, der von der vorgefaßten Meinung ausgeht, die
1 Vgl. Verf., KZ LXIX, 209f. Der brillante Einfall, diese Möglichkeit zu erwägen,
stammt von K. Hoffmann. — Der von mir o. c. 209, Anm. 1 geführte Nachweis,
daß läksä in AV. V 5, 7 „Baumlack“ heißt, ist gleichzeitig und ganz unabhängig
auch von K. X. Dave, Lac and the lac-insect (Nagpur 1950) erbracht worden.
2 Oft in der aus der Volkssprache entlehnten Lautung hema. Aus der häufig im
Vorderglied eines Kompositums vorkommenden Form hema- abstrahierte man
fälschlich ein heman n. „Gold“ (Naigh., Manu, M. Bh.). haima „golden“ ist Neu-
bildung zu hema „Gold“, heman „Gold“ als Lehnwort aus einer nichtarischen
Sprache erklären zu wollen, ist ein abenteuerlicher Versuch am untauglichen Objekt.
3 „Grau“, d. h. „misehfarben“, ergibt „gefleckt, gestreift“. RV sälä-vrkä „Hy-
äne“: kl. sära/sära (mit volkssprachl. s) „gefleckt, schwarz-weiß“: särikä „Elster“
(genauer „Maina“), säraka „Schachstein“; säranga „gefleckte Antilope4' aus *sära-
ranga mit Haplologie ? Zu sära „grau“ vgl. noch u. S. 28 Anm. 2.
4 Schon als solche ist sie anderen, die man erwogen hat, zweifellos überlegen.
Vgl. Anhang A3 (u. S. 41).
( 20 )
Die Heimat der indogermanischen Gemeinsprache 555

Träger vorarisch-idg. Sprache könnten niemals in einem Lande gesessen


haben, wo der Lachs vorkam.
14. Die dritte Tatsache der altind. Sprache, die mit der Annahme eines
gemeinidg. Haks- ,,Lachs“ Licht empfängt, betrifft laksä „Spieleinsatz“
(RV II 12,4; Jät. VI Gäthä 1227; M Bh. IV 13.7: Luders, Philologica
Indica 106, Anm. I1), später „Preis“ (M Bh.) (vgl. u. S. 40). Es scheint
mir klar, daß die Bedeutung „100000“ aus „Spieleinsatz“ und umgekehrt
sich nicht herleiten läßt, lak-sä „Spieleinsatz, Preis“ und lalcsa „100000“
sind im Indischen Homonyme.
Für die Deutung eines Spielerausdrucks wie „Einsatz“ haben wir nun
einen ganz brauchbaren Anhaltspunkt. Das Würfelspiel ist sehr alt, es
stammt zweifellos aus gemeinidg. Zeit. Als Bezeichnung des schlechtesten
Wurfes diente das Wort *kuvon- „Hund“: das erweisen Entsprechungen
des griech. (κνων „schlechtester Wurf beim Würfelspiel“), lat. (canis
dass.) und altind. (sva-ghnin „glücklicher Spieler“, eigentl. „der den
Hund — den schlechtesten Wurf— Tötende“: RV II 12.4 usw.) Sprach-
gebrauchs: W. Schulze, Kl. Sehr. 223f„ E. Sittig, KZ LII, 206ff. Wenn
man den schlechtesten Wurf mit einer Tierbenennung bezeichnete —
vielleicht scherzhafterweise —, konnte man das wohl auch mit dem Ein-
satz tun, und was dem Hund recht ist, scheint mir, ist dem Lachs billig.
Gewiß läßt sich nicht mit Sicherheit ausmachen, wie man dazu ge-
kommen ist, das Wort für „Lachs“ als Bezeichnung des Spieleinsatzes
zu verwenden. Ich selbst habe einen möglichen Weg erwogen2. Wenn
aber jemand es vorzöge, sich das anders zurechtzulegen, hätte ich nicht
das geringste einzuwenden. Worauf es mir ankommt, ist lediglich, daß
man die Möglichkeit der Tatsache zugibt. Daß sie „indiskutabel“ sei
(Pisani 1. c.), will mir schlechterdings nicht einleuchten.
Natürlich schließt sie zunächst andere Möglichkeiten nicht aus. Man
könnte etwa daran denken, laksä „Einsatz“ mit griech. λαχεΐν „etwas
(durch Zufall) erlangen, erlösen“ zu verknüpfen, λάχος n. „Erlösung,
Los“: laksä „Einsatz“ z. B. wie griech. fέτος „Jahr“: altind. vatsä
„Kalb“ (urspr. „Jährling“).
Ausgeschlossen wird solche Möglichkeit erst durch eine weitere Tat-
sache, die nach meinem Urteil keinen Zweifel mehr läßt, daß laksä
„Spieleinsatz“ ursprünglich „Lachs“ hieß. Das ist das im RV begegnende
Synonym für laksä „Spieleinsatz“: vijas PI. (RV I 92,10; II 12.5). Es
wird wohl heute jeder zugeben, daß es unmöglich ist, das Wurzelnomen
1 F. Weller weist mir aus der Jätaka-Prosa noch nach: Jät. VI, S. 271, Z. 21,
appagghena lakkhena jütarn na kilissati „ein Spiel um einen geringen Einsatz wird
er nicht spielen“. 2 KZ LXIX. 211 f.
556 Paul Thieme

vij von der Wz. vij „schnellen, springen"' zu trennen1, vijas „die Springen-
den“ = „Der Spieleinsatz“ bietet eine absolut genaue Parallele zu laksä
„Lachs“ = „Spieleinsatz“: die „Springenden“ — früher erklärte man
das Wort als „Würfel“, was der Zusammenhang der Belege verbietet —
sind eben ursprünglich die „Lachse“, die sich bekanntlich in überaus auf-
fälliger Weise über schwer passierbare Stromengen und sonstige Hinder-
nisse in bis drei Meter hohen Sprüngen hinwegschnellen.
Selbstredend behaupte ich nicht, daß die idg. Sprache sprechenden
Volksstämme, die im zweiten Jahrtausend v. Chr. in Indien einbrachen,
noch eine Vorstellung vom Lachs hatten2. Ich behaupte vielmehr, daß
ihre Sprache ererbte Wörter enthielt, deren ursprüngliche Bedeutung
„Lachs“ {laksa, vij) und „lachsig“ (*läksa) war, die aber zu jener Zeit
nur noch in den abgeleiteten Bedeutungen „große Zahl, 100000“; „Spiel-
einsatz“ und „rot“ verwendet wurden. Die Wörter haben, wie häufig,
die Vorstellungen, die sie einst benannten, überlebt.
15. Die Hypothese, daß es ein gemeinidg. Wort laks-ßakso- „Lachs“
gab, erklärt also wirklich auf einleuchtende Weise drei verschiedene
Gegebenheiten der altind. Sprache, die ohne diese Hypothese unaufgeklärt
bleiben müssen:
die ursprüngliche Bedeutung von laksa „100000“,
von laksä „Lack“,
die Syironymität von laksa „Spieleinsatz“ und vijas „die Schnellenden,
Springenden“ = „Spieleinsatz“.
Von drei verschiedenen Ausgangspunkten aus werden wir auf einem
jeweils selbständigen und an und für sich wahrscheinlichen Weg zum
gleichen Ergebnis geführt. Ich bin nicht abergläubisch genug, um da
an einen Zufall, das hieße hier: an ein Wunder, zu glauben. Ich sehe
mich vielmehr zu dem Schluß gezwungen, daß die Mutter des Altindischen
ihre Heimat in einem Lande hatte, wo der Salmo Salar, der Fisch mit
rotem Fleisch {laksä „Lack“), zur Laichzeit in riesigen Zügen {laksa
„100000“), über Hindernisse hinwegschnellend {vij „der Schnellende“'
Synonym von laksa „Einsatz“) in die Oberläufe der Flüsse strebte: also
im Stromgebiet der nördlichen Meere.
1 Zu den Einzelheiten vgl. meine Diskussion KZ LXIX, 212ff.
2 Ich bin hier in seltsamer Weise von Pisani mißverstanden worden, der mir die
,,inverisimiglianza che il ricordo dei salmoni del Mar Baltico si perpetuasse in India11
entgegenhält {Paideia VI, 184). Ich muß fürchten, an dem Mißverständnis insofern
nicht ganz unschuldig zu sein, als ich meinen Aufsatz KZ LXIX, 209ff., einer
Neigung zur Scherzhaftigkeit nachgebend, „Der Lachs in Indien1' benannt habe,
anstatt deutlich zu sagen: „Das idg. Wort für Lachs in der altindischen Sprache."1
( 22 )
Die Heimat der indogermanischen Gemeinsprache 557

Damit ist aber auch die Deutung von laksi „Fisch“ in der Sprache von
Kuca gegeben: es ist kein Lehn-, sondern ein Erbwort in dem oben an-
gedeuteten Sinn.
Allenfalls könnte man sich noch darüber wundern, daß das Iranische
uns keine Spur des alten Wortes aufgehoben hat, wo doch das Altindische
uns so verhältnismäßig reichlich beliefert. Aber schon Yäska, der Vater
der altindischen Etymologie, hat richtig bemerkt: „Es ist nicht die
Schuld des Pfostens, wenn der Blinde ihn nicht sieht“ (Nir. I, 16).
16. Wie mir W. B. Herrirg freundlich mitteilt, heißt es bei W. Miller,
Osset. Wb. II, 176: „digor. läsäg, pl. läsgutä ,losos, Lachs£“, wozu sich
H. Morgerstierre, Norsk Tidskrift for Sprogvidenskap VI (1934) 120 —
auch diesen Nachweis verdanke ich Herrirg — wie folgt äußert: „Ossetic
(Digoric) läsäg ,salmon£ can scarcely be a loan-word frorn Russian losos. If
we admit, as I believe we are entitled to, the possibility of I. E. /- remaining
in a modern Ir. dialekt, a derivation frorn 'Hokso-(qo) would be quite regulär.
It may be added that species of Salmo are found in the Caucasian rivers.“
Schon Ster Korow hat in einem mir ebenfalls von Herrirg mitgeteilten
Passus einer mir unzugänglichen Veröffentlichung (NTS XIII [1942], 214)
auf dieses oss. läsäg in Verbindung mit kucaischem laksi hingewiesen.
Natürlich kann es sich bei dem in kaukasischen Flüssen vorkommenden
„Salmo“ nicht um den Salmo Salar, sondern nur um eine Forellenart
handeln, die man um ihrer Ähnlichkeit mit dem aus der einstigen Heimat
noch bekannten Hakso- „Salmo Salar“ willen ganz passend mit dem
Deminutivum Halcsoqo- „Lächschen, kleiner Lachs“ benannte.
Um der Ausflucht vorzubeugen, lakso- selbst habe ursprünglich eben
nicht den Salmo Salar, sondern die Forelle bezeichnet, weise ich noch
einmal ausdrücklich darauf hin, daß die indischen Spuren deutlichst —
nicht auf die Vorstellung „Forelle“, sondern — auf „Salmo Salar“ hin-
weisen1. Außerdem wäre die Verbreitung des Wortes als Fischname,

1 Die Grundlage meiner Erklärungen ist „natürlich die Annahme, daß es ein
urindogermanisches *laks- überhaupt gegeben habe“, wie Mayrhofer richtig be-
merkt (GRM N. F. III, 73). Er hätte hinzufügen sollen, daß die Grundlage seiner
Erklärungen die ebenso hypothetische Annahme ist, es habe ein gemeinidg. laks-
nicht gegeben. Der Unterschied hegt darin, daß meine Hypothese etwas leistet:
sie erklärt ein ganzes Bündel von Tatsachen — Mayrhofers Hypothese dagegen
erklärt gar nichts: für kue. laksi muß er Entlehnung aus dem Germanischen (!)
annehmen, altind. läksä kann er nur unwahrscheinlich, laksa ,,100000“ und die
Synonymität von laksa und vij gar nicht erklären. Was wird er zu oss. läsäg sagen ?
Mir scheint, seine Hypothese könnte nur dann Anspruch auf Wahrscheinlichkeit
erheben, wenn es außer allem Zweifel stünde, daß nicht mehr als zwei verschiedene,
aber eng benachbarte idg. Sprachen das Wort laks- enthielten. In dem Augenblick,
( 23 )
558 Paul Thieme

wenn es von Anfang an die Forelle benannt hätte, gewiß anders: es wäre
z. B. ohne weiteres in den südslawischen Sprachen zu erwarten1.

D. Das Argument der indogermanischen Wirtschaftsform


17. Wenn wir also die verstreuten, aber eindeutig in die gleiche Rich-
tung weisenden Indizien für die Heimat der idg. Gemeinsprache, die uns
erhalten sind, gewissenhaft sammeln und verwerten, kommen wir zu
dem Ergebnis, daß sie nicht nach Südrußland und der Kirgisensteppe,
sondern nach dem nördlichen Mittel- und Osteuropa führen.
da wir sehen, daß das nicht der Fall ist, müssen wir sie fallen lassen. Ich möchte
diese meine letzte Bemerkung gegen meinen Opponenten aber nicht schließen, ohne
zu betonen, daß ich ihm dankbar dafür bin, daß er seine Gegenargumente und ab-
weichenden Erklärungen ausführlich vorgetragen hat: er hat mir damit Anlaß
gegeben, meinen eigenen Standpunkt zu präzisieren und meine Beweisführung zu
überprüfen und zu vervollständigen. Ich kann ihm versichern, daß ich auch künf-
tige Begründungen seiner Hypothese, die er etwa vorbringt, einer ernsten Würdi-
gung für wert halten werde. Nicht durch schweigende Ablehnung, sondern allein
durch Diskussion kann man überhaupt weiterkommen.
1 Die Einordnung von *laks-, Haksi-, Halcso- in den idg. Wortschatz ist nicht
eindeutig gegeben. Loewenthal hat es (KZ. LII, 98) mit lit. läszas „Tropfen“
zusammengestellt, unter Berufung auf Ausonius, Mosella 88 purpureisque solar
stellatus tergora guttis. Aber solar ist die Forelle, die Ausonius scharf von salmo
„Lachs“ trennt, wie es richtig ist. Jeder Fischliebhaber weiß, daß die rote Tüpfelung
für die Forelle charakteristisch ist, für den Lachs dagegen die rote Farbe: Ausonius,
Mosella 97 f. nec te puniceo rutilantem viscere, Salmo, transierim . . . Die Artver-
wandtschaft der Fische nebst gewissen durch sie bedingten Übereinstimmungen
im Körperbau tritt für das praktische Interesse durchaus in den Hintergrund.
Ich erwäge eine ganz andere Möglichkeit:
gr. Γάτος „Jahr“: altind. vatsd „Jährling, Kalb“ -
idg. *mddos- n. „Feuchtigkeit“ (lat. mad-ere „feucht sein“): *mads-, *madsi-,
altind. matsya (*matsi-a) „[Feuchtling], Fisch“ -
idg. Hakhos- n. „Fang“: laks-, laksi-, laleso- (altind. laksd) ,,*Fängling“.
Idg. Hakhos- n.: gr. λάχος, λαχεΐν.
Man kann entgegenhalten das jon. Perf. λέλογχα, das die Präsumption schafft,
daß wir es in λάχος, λαχεΐν mit einer w-haltigen Wz. zu tun haben.
Das n von λέλογχα könnte aber sehr wohl aus dem Präsens λαγχ^άνω stammen,
wo es ebenso sekundär sein mag wie in λαμβάνω, άνδάνω usw. (Schwyzer, Gr.
Gr. I, 699ff.). λαγχάνω: λέλογχα (nebst jon. λόγχη „Anteil“) wäre also eine Ana-
logie nach z. B. χανδάνω: κέχονδα. Es sei erinnert an κέκλαγγα zu κλαγγάνω, äol.
πεφνγγων zu φνγγάνω (Schwyzer o. c. I 771.).
Daß man den Lachs als charakteristischen „Fangfisch“ empfand, wäre sehr
einleuchtend.
Es sei aber ausdrücklich bemerkt, daß ich selbst meine Vermutung keineswegs
für sicher halte. Sie bildet keinen wesentlichen Bestandteil meines Arguments, das
von der Beurteilung der Etymologie von idg. Haies- gänzlich unabhängig ist.
( 24 )
Die Heimat der indogermanischen Gemeinsprache 559

Die Vermutung, die Heimat der idg. Gemeinsprache habe in Südruß-


land und Teilen der Kirgisensteppe gelegen, stützt sich im wesentlichen1
auf die angebliche Tatsache, daß ein Teil der Ackerbauterminologie, die
den idg. Sprachen gemeinsam ist, den beiden östlichsten, dem Indischen
und Iranischen, fehle. Ein Teil der Träger der Gemeinsprache, so schließt
man daraus, habe noch mehr oder weniger nomadisch gelebt, sei also in
der Steppe beheimatet gewesen: also müsse die Heimat da gesucht
werden, wo Steppe und Ackerland Zusammenstößen, und das wäre eben
an der Grenze von Südrußland und Kirgisensteppe2.
Bereits Otto Schräder, der in seinem bekannten Werk Sprachver-
gleichung und Urgeschichte (3. Aufl. 1907) dieses Argument, das heute
noch einen starken Einfluß ausübt, zum erstenmal ausführlich aus-
gebreitet hat, mußte zugeben, daß dem Indoiranischen keineswegs alle,
sondern nur einige Ackerbaugleichungen abgehen. So meinte er (o. c.
II 204f.), sie hätten zwar den Ackerbau gekannt, er habe aber bei ihnen
eine im Vergleich zu anderen Stämmen verhältnismäßig geringe Holle
gespielt. Ich würde diesen Schluß an und für sich für recht äußerlich
halten. Ich brauche aber nicht darauf einzugehen, da es sich mittlerweile
herausgestellt hat, daß er auf ungenügender etymologischer Durchfor-
schung des indoiranischen Wortschatzes beruht.
18. Schräder, vermißt im Indoiranischen die idg. Benennung des Säens
(Wz. se/sei). J. Bloch hat inzwischen in einem Aufsatz: La charrue
vedique [Bulletin of the School of Oriental Studios VIII (1936) 411 ff.)
nachgewiesen, daß sie in den altind. Wörtern sira n. ,,Saatpflug“, sitä
„Furche“ (urspr. „die Besäte“) zweifellos vorhanden ist3. Zugleich ergibt

1 J. Schmidt, Urheimat der Indogermanen (APAW 1890) glaubte annehmen zu


sollen, das Zählsystem mehrerer idg. Volksstämme sei durch die in Babylon übliche
sexagesimale Rechenweise beeinflußt, woraus er den Schluß auf eine Herkunft der
Indogermanen aus dem Osten zog. Das ist jetzt gründlich behandelt und widerlegt von
F. Sommer, Zum Zahlwort (Sitz. Ber. Bayr. Ak. W. 1950, Heft 7, 1951), insbes. 57ff.
2 Dagegen schon ausführlich F. Specht, KZ LXVI (1939), 59ff. Ich beschränke
mich im folgenden auf die Hauptpunkte. Es sind glücklicherweise diejenigen, die
sich auch sicher beurteilen lassen.
3 Es ist mir nicht recht begreiflich, wie Specht, KZ LXVI, 27 f., den von Bloch
mit mustergültiger Umsicht und überzeugender sachlicher Begründung geführten
Xachweis so leichtherzig hat beiseite schieben können. Auch seine Behauptung,
für die idg. Wz. für „säen“ sei eine Form sei nicht nachweisbar (o. c. 19f.), läßt
sich nicht halten. Vgl. jetzt E. Feaenkel, KZ LXXI, 42f., der leider Blochs
Darlegungen ebenfalls gar nicht berücksichtigt. Mir scheint, es ist höchste Zeit,
daß wir die durch W. Schulzes gewaltige Autorität geschützte Kombination von
griech. οίρών „Furche“ und altind. sira „Pflug“ (Kl. Schriften, 665) zugunsten
von Blocks Auffassung endgültig fallen lassen.
( 25 )
560 Paul Thieme

sich aus seinen Ausführungen, warum den Indern eine Entsprechung


etwa zu griech. άροτρον fehlt. Sie hatten auf ihren Wanderungen eine
neue, kompliziertere Art des Pfluges kennengelernt, der mit einer Saat-
vorrichtung versehen war. Diese Art des Pfluges ist in Mesopotamien
schon im dritten Jahrtausend v. Chr. nachweisbar. Für diese neue Pflug-
art schufen sie sich einen neuen Ausdruck, indem sie mit dem veralteten
Gerät den alten Namen aufgaben.
Schräder vermißt im Indoiranischen das idg. Verb *moldj*ml „mah-
len“ (lat. molere, got. malan, asl. mleti usw.). Ich selbst habe schon vor
Jahren, als mir das Problem der Heimatfrage noch ganz ferne lag, dar-
getan (KZ LXVI 232ff.), daß es doch vorhanden ist. Es ist nur nicht
ganz leicht zu erkennen, da seine indischen Formen äußerlich die des
Verbs „packen“ überdecken;
Altincl. mrnätijmrnati „packt“ (zu griech. μάρναμαι „kämpfen“, urspr.
„sich gegenseitig packen“1) ist in der Bedeutung scharf geschieden von
altind. mrnätijmrnati „zermalmt“ und „mahlt“, welches die gleiche Wz.
enthält wie lat. molere usw.: altes l und r, l und r fallen im Ind. zusammen.
Schräder vermißt (o. c. 220f.) im Indoiranischen die Entsprechungen
zu lat. porcus altir. orc, ahd. far{a)h, lit. parszas„, asl. prasq, und schließt
daraus, die Vorfahren der Indoiranier hätten nur das wilde Schwein, für
das der idg. Name *sü- gelautet habe, gekannt. Ganz neuerdings hat
E. Bexvexiste eine genaue iran. Entsprechung zu porcus usw. ans Licht
gezogen und zugleich mit zwingender exegetischer Begründung demon-
striert, daß die ursprüngliche Bedeutung von *Sü- nicht „wildes Schwein“,
sondern „Hausschwein“, und die von *porko- nicht „Hausschwein“,
sondern „Ferkel“ gewesen ist [Bulletin de la societe de Linguistique XLV
(1949), 74f.]2 3. Damit ist erwiesen, daß die Schweinezucht allen Gliedern
der idg. Sprachgemeinschaft bekannt war, was ein Nomadenleben für sie
ausschließt: im Gegensatz zum Rind und Schaf ist das Schwein für größere
Wanderungen völlig ungeeignet (Bexvexiste o. c. 75, 89). Natürlich
mußten die Indoiranier auf ihren in weite Fernen führenden Zügen die
Kenntnis der Schweinezucht verlieren, so bezeichnet z. B. sü-kara3 im
RV nur den wilden Eber (vgl. Bexvexiste 86f.). Übrigens widerlegt
Bexvexiste auch die Vermutung, idg. *sü- könne ein Lehnwort aus dem
Chinesischen sein, unter Berufung auf die von Karlgrex rekonstruierten

1 Hierher wohl auch lat. mora (gebildet wie toga) „Verzug, Aufenthalt“' urspr.
„Festhaltung“. Vgl. z. B. Ovid, Metam. I 167: tenuit mora nulla vocatos, Verg.
Aen. II 283 : quae tantae tenuere morae ?
2 Zur Etymologie von sü- vgl. u. S. 36f.
3 Oder sük-arä ? W. Schulze, Kl. Sehr., 75.
( 26 )
Die Heimat der indogermanischen Gemeinsprache 561

älteren Lautungen der für diese Annahme in Anspruch genommenen


chinesischen Wörter (ßu und sd, die früher tio und sio geheißen haben
müssen): o. c. 90f.
Schließlich vermißt Schräder (o. c. 220f., 246) eine indoiranische Ent-
sprechung zum gemeinidg. Namen des, Salzes: *sal~. Die geringe Rolle,
die der Ackerbau bei dem östlichen Teil der Indogermanen in der Zeit
der Gemeinsprache gespielt habe, so meint er, passe gut zu ihrer Un-
bekanntschaft mit dem Salz: hauptsächlich von Eieischnahrung lebende
Völker bedürften des Salzes nicht, wohl aber die, die sich vorwiegend
von Eeldfrüchten nähren. Auch dieses kunstreiche Argument entbehrt
der tatsächlichen Grundlage. Das Indische bietet eindeutige Spuren des
iclg. sal- „Salz“, sal-ilä n. „Meer, Meerflut“ hieß ursprünglich „das Sal-
zige“ : in alter Zeit wird salila nie vom Flußwasser gebraucht, an einzelnen
Stellen begegnet ein Adjektiv salila in der Bedeutung „salzig“1: RV X,
109, 1; TS IV, 4, 12f; AV IV, 15, 11; XVIII, 3, 8; Käth. VIII, 14 usw.
Als gewöhnliche Benennung des Speisesalzes dient das alte idg. sal-
weder den Indern noch den Iraniern. Sie haben eine Reihe neuer Aus-
drücke geschaffen2: von keinem läßt sich ein gemein-indoiranisches Alter
nachweisen. Man mag daraus schließen, daß das Salz als Genußmittel
bei ihnen — jedenfalls zeitweise — eine geringe Rolle gespielt hat3: daß

1 Vgl. Verf., KZ LXIX, 215, Anm. 1. Ich benutze die Gelegenheit, zu RV VII,
49.1 zu bemerken, daß nicht vom Regen wasser, sondern von den himmlischen
Strömen die Rede ist (H. Lüders, Varuna I 113, 131).
AV. XII 1.8 yarnave ’dhi saliläm ägra äsit . . . sd bhumih übersetzt Whitney:
,,She [the earth] who in the beginning was sea (salila) upon the ocean (arnavä)
Daß das nicht der Sinn der Stelle sein kann, bedarf keines Xachweises. Ich habe
deshalb (1. c.) vorgeschlagen, salilä hier nicht mit „Flut“, sondern mit „das Sal-
zige“ zu übersetzen, wie auch RV X, 109, 1; TS IV, 4.12f. Gegen meine Auffas-
sung : „die Erde . . ., die am Anfang auf der Flut das Salzige war, d. h. die als Salz-
klumpen auf der Urilut (vgl. RV X, 129.3b) schwamm“, hat man eingewendet,
daß Salzklumpen nicht schwimmen. Ich zweifle, ob man recht tut, so strenge
physikalische Maßstäbe an mythologische Phantasien zu legen. Vielleicht ist es
aber wirklich besser, ädhi hier nicht im Sinne von „auf“, sondern in dem von „in“
zu nehmen (vgl. Grassmann, Wb. s. v. ädhi 14: z. B. RV IX, 86, 25 apam upästhe
ädhi „im Schoß der Wasser“), also zu sagen: „Die Erde, die am Anfang das Sal-
zige in der [Ur-] Flut war“, d. h. die noch im aufgelösten Zustand im Wasser
schwamm und sich erst später zu etwas Festem kristallisierte. Oder muß ich
fürchten, daß man immer noch Whitneys Übersetzung für einleuchtender hält ?
2 Vgl. hierzu H. Reichert, Die indoiran. Benennungen des Salzes, Streitberg -
Festgabe (1924), 295ff.
3 Dazu stimmt die Nachricht Herodots, daß die Perser beimEssen kein Salz gebrau-
chen, und andere iranische Tatsachen (Reichelt, o. c. 296), wohl auch, daß das Salz
beim ind. Opfer keine Verwendung findet, was eine Altertümlichkeit darstellen könnte.
562 Paul Thieme

sie es nicht kannten, ist angesichts der Tatsache, daß sie bei ihren Wan-
derungen durch die salzreichen Steppen am Kaspischen Meer gekommen
sein müssen, und der bedeutenden Salzvorkommen in Sindh und im
Panjab (Salt Range), ausgeschlossen. Es scheint mir die naheliegendste
Erklärung auch die wahrscheinlichste: auf ihren Zügen lernten sie neue
Arten des Steppen- und Steinsalzes kennen, die sie mit jeweils neu-
geschaffenen Ausdrücken benannten. Man denke nur an die reiche Syn-
onymik, die sich um den Begriff „Salz“ im klassischen Sanskrit rankt:
„Liebe Kinder haben viele Namen“.
Denn sal war ursprünglich das „Seesalz“. Das dürfte sich ergeben aus
der Kombination des griech. αλς „Meer“ mit dem altind. sar-U „Strom,
Fluß“, das bedeutet haben wird: „zum Salz (sar- *sal1) [d. h. Meer]
gehend (it)“2.

E. Die Möglichkeit der Begrenzung


19. Die Bekanntschaft mit dem Ackerbau und der Schweinezucht, die
nunmehr für alle Völker feststeht, die an der idg. Gemeinsprache teil-
hatten, schließt ein Nomadenleben für sie aus: sie müssen seßhaft ge-
wesen sein. Daraus ergibt sich nun weiter, daß wir uns das Gebiet, inner-
halb dessen die Gemeinsprache verständlich war, nicht allzu umfangreich
vorstellen dürfen. Nur eine nomadische Bevölkerung vermag die Ein-
heit ihrer Sprache auch über die ausgedehntesten Landstriche festzu-
halten, da ihr vagierender Lebenswandel, der sie immer wieder in die
1 Der Wechsel von r und l hat nichts zu besagen. Daß sarit im Gegensatz zu
salila im RV ein r zeigt, liegt sicher nur daran, daß es in den älteren Teilen der
Hymnensammlung häufig vorkommt, während salila fast ganz auf das junge 10.
und 1. Mandala beschränkt ist. Vgl. dazu Wackernagel, KZ LIX, 20.
2 Als eine Ableitung von *sal- „Salz“ möchte ich das oben erwähnte säla „grau“
(kl. sära/sära „fleckig“) betrachten. Sie mag wohl schon idg. Alters sein: angel-
sächs., altengl. söl „schmutzig“ (o. S. 20). Auch altind. sära „Festigkeit, Essenz; das,
was einer Sache ihre Kraft und ihr Wesen gibt“ halte ich für eine Ableitung von
sal. Die Kraft der Speise wie das Wesen z. B. des Meerwassers beruht auf dem
Salz. Exegetisch läßt sich freilich der Zusammenhang nicht mehr nach weisen.
Schon an der ältesten Belegstelle ist sära im übertragenen Sinne gebraucht: RV
III, 53, 19, ablii vyayasva khadirdsya saram „hülle dich in die Kraft (Festigkeit)
des lchadira (-Holzes)“. Schon H. Osthoee, Parerga I 89 hat sära zu sal- gestellt.
Nur ist seine Begründung: sära sei zunächst Bezeichnung des Kernholzes gewesen,
die ihm wegen seiner dunkleren Färbung beigelegt worden sei, recht schwach.
Für das Salz sind nicht nur seine schmutzig-graue Farbe, sondern noch ganz andere
Eigenheiten, vor allem seine Löslichkeit und sein Geschmack (vgl. z. B. Ch. Up.
VI 13), charakteristisch. Außerdem ist der Ansatz „Kernholz“ (so Petersburger
Wb. für RV III, 53, 19) falsch.
( 28 )
Die Heimat der indogermanischen Gemeinsprache 563

Feme führt, sie doch auch immer wieder in Redeberührung mit ihres-
gleichen bringt. Die sprachliche Einheit einer seßhaften Bevölkerung da-
gegen wird sich — das gilt, auch wenn wir, wie billig, den Begriff „Ein-
heit“ nicht mit letzter Konsequenz zu Ende denken1 ·— nicht mit der
gleichen Leichtigkeit innerhalb eines großen Raumes hersteilen und be-
haupten. Die Idee, der man gelegentlich in der wissenschaftlichen Litera-
tur begegnet, die idg. Gemeinsprache sei über ein Gebiet verbreitet ge-
wesen, das von der Ostsee bis in die Kirgisensteppe gereicht habe2, er-
scheint mir schon aus diesem Grunde gänzlich unannehmbar.
20. Versuchen wir, von diesen Erwägungen ausgehend, das Heimat-
land der idg. Gemeinsprache so klein als möglich zu halten, also die
Grenze des Gebietes, das in Frage kommt: das Gebiet von Strömen und
Flüssen, in denen der Lachs erscheint, die also nördlichen Meeren Zu-
strömen, soweit als möglich einzuengen, so ergibt sich:
Im Osten brauchen wir über die Buchengrenze nicht hinauszugehen,
selbst dann nicht, wenn der Name der Buche in den östlichen idg. Sprachen
nicht bezeugt wäre: sie könnten ihn nachträglich verloren haben3.
Es kommen dann die Stromgebiete von Weichsel, Oder, Elbe und
Weser in Betracht. Das des Rheins dürfen wir ausschließen. Wir können
darauf fußen, daß der Rheinsalm von den Kelten offenbar mit anderen
Namen (als salmo, esox ins Lateinische entlehnt) benannt wurde, als
dem gemeinidg. Wort für „Lachs“. Das läßt sich am besten so erklären,
daß er erst in späterer Zeit, als sie sich nach dem Westen vorschoben, in
ihren Gesichtskreis trat und sie dann eine neue Benennung für ihn
schufen, da er sich durch auffällige Eigenheiten (vor allem den Ge-
schmack) von den bereits bekannten Lachsrassen unterschied.
Aber wir gelangen doch im Westen, wie es scheint, bis mindestens an
die Nordsee: nur diese, kaum die salzarme Ostsee, konnte der idg. Ge-
meinsprache den Begriff des Seesalzes liefern. Das Argument steht aller-

1 Vgl. u. S. 70f.
2 „Von der Nordsee bis zum Kaspischen Meer“: Tbxtbetzkoy, Gedanken über
das Indogermanenproblem (Acta Linguistica I, 87): eine abenteuerliche Vorstellung,
auch wenn man nur an die Ausbreitung einzelner, charakteristischer Isoglossen
denken wollte. — Richtig bemerkt z. B. Krähe, Sprachverwandtschaft im alten
Europa (Heidelberg 1951), 25: „Man darf sich die einigermaßen in sich abgeschlos-
senen Sprach- und Volksgruppen der Frühzeit nicht allzu umfangreich vorstellen.“
Im übrigen würde der mit seiner Methode gewonnene idg. („alteuropäische“)
Raum doch noch erheblich größer sein, als ich ihn mir vorstellen möchte. Mir
scheint aber, daß sich die von ihm auf ganz anderen Wegen gewonnenen Ergebnisse
mit der von mir vertretenen Ansicht im wesentlichen vereinen lassen.
3 Vgl. jetzt o. S. 15, Anm. 1.
( 29 )
564 Paul Thieme

clings nicht so fest, daß wir uns ganz darauf verlassen dürften. Trotz der
Übereinstimmung von griech. αλς und altind. sar- (in sar-it) könnte idg.
sal- ursprünglich auch das Salz von Seen, wie sie z. B. nördlich des
Harzes und in der Saalegegend Vorkommen, bezeichnet haben.
Auf jeden Fall müssen wir die Grenze unseres Gebietes im Norden doch
bis an das Meer1 hinaufschieben. Wir haben in der idg. Gemeinsprache
nicht nur Benennungen des Kahns (*ρΙονόaltind. plavä, russ. plov,
toch. B plewe; *pl0vjo-: griech. πλοΐον, an. fley: alle „Kahn“2) und des
Ruderns (*erd: griech. ^έρετ]ω „rudern“, ερέτης „Ruderer“, έρετμόν „Ru-
der“; altind. aritr „Ruderer“, antra „Ruder“, lat. remus [< *ret-smos],
ahd. ruodar usw.), sondern auch des Schiffes (*näu-: griech. νανς,
altind. nau, pers. näv, arm. naw, an. no-r, ir. nau, lat. näv-i-s), das zur
Seefahrt (Küstenschiffahrt) bestimmt war, wie der durchaus überein-
stimmende Sprachgebrauch gerade der ältesten idg. Sprachen erweist3.
Auch für „Hinterdeck“ war ein gemeinsprachliches Wort vorhanden
(*qrumnä: griech. πρνμνά, asl. Jcrüma4).
Die gemeinidg. Worte für „Buche“ *bhäg0- und „Schildkröte“ *ghelü-,
gwhelü- (äol. χελννά, griech. χέλυς (für *χέλυς nach Gen. χέλυος < χέλν/ος:
asl. zely Gen. zelüve) verbieten es, zu weit nach Norden5, etwa bis Jüt-
land oder gar Skandinavien, hinaufzusteigen.
Nach Süden wird sich das Gebiet bis mindestens zum Harz erstreckt
haben. Zu diesem Schluß werden wir allerdings nur gedrängt, wenn wir
1 Idg. *mari- n. (lat., kelt., germ., sl., halt.).
2 W. Schulze, Kl. Schriften 218.
3 RV I, 116, 5 satäriträm nävam „das hundertrudrige Schiff“ ist gewiß eine
märchenhafte Übertreibung (Luders, Varuna I, 110f.): sie beweist aber doch,
daß man Schiffe kannte, die keine Kähne mehr waren. Auch kühne Phantasie
pflegt an die Wirklichkeit anzuknüpfen. Die Bekanntschaft mit dem Segel bei den
vedischen Indern wird durch die Ausdrucksweise von RY VI, 64, 4 aväte apcis
tarasi „im Windlosen (= sogar bei Windstille) überquerst du das Wasser“ voraus-
gesetzt.
4 Wir dürfen uns wohl nicht wundern, daß wir nicht mehr Spezialausdrücke
haben. Schiffer sprachen sind Sondersprachen. Unterschiede des Details, der Her-
stellungsart, des Materials, der Form und Größe pflegen hier bei der Benennung
der einzelnen Gegenstände eine bedeutende Rolle zu spielen, so daß ein reiches,
aber ganz uneinheitliches Vokabular entsteht. Verhältnismäßig alt ist gewiß das
lat. vllmn „Segel“ (*vegh-slo-). Es steckt wohl auch in lat. velöx, velöcis „schnell“,
das ich als ein uraltes Kompositum auffassen möchte: *veghslo-bku- „schnell (gr.
ώκνς altind. äsu lat. öcior) durch ein Segel“ (ursprünglich auf Schiffe be-
zogen), und veles, velitis „schnell beweglicher Soldat“, ursprünglich „Segler“
(velovelet- = equo-: equet-).
5 In Norddeutschland (Brandenburg, Mecklenburg) begegnet gelegentlich heute
noch die Schildkröte in freier Wildbahn.
( 30 )
Die Heimat der indogermanischen Gemeinsprache 565

Schräders Verknüpfung von ahd. tanna und altind. dhänvan- annehmen


(o. S. 16): die Tanne wagt sich nicht nördlicher als bis zum Harz. Für die
Richtigkeit der Verknüpfung spricht, daß dem ahd. tanna und dem alt-
ind. dhanvan-,,Bogen“ ein ahd. tann „Wald“ mhd. ,,tenneu usw. und ein
altind. dhanvan- „trockenes, festes Land“ entspricht. Der Gedanke1, daß
die beiden Wörter und Begriffe irgendwie zusammengehören — die Tanne
wächst nicht in sumpfiger Niederung — scheint gegeben.
In dem umrissenen Gebiet kommen nun tatsächlich alle die Bäume und
Tiere vor, deren idg. Benennungen mit Sicherheit oder hoher Wahr-
scheinlichkeit rekonstruierbar sind. Es findet sich unter ihnen nirgends
ein Begriff, der für diese Gegend nicht voraussetzbar wäre. Man kann im
Gegenteil sagen, daß sie sämtlich charakteristisch sind. Es scheint mir
das wesentlich zu sein. Eine Gemeinsprache wird einheitliche Benen-
nungen derjenigen Dinge enthalten, die allgemein bekannt und wichtig
und nicht nur von örtlicher, zufälliger oder gar keiner Bedeutung sind.
21. Ich gebe zum Schluß einen kurzen, anspruchslosen Überblick der
wichtigsten Bäume und Tiere, für die nach meinem Urteil das Recht
gegeben ist, eine gemeinidg. Benennung anzusetzen. Sie beruht —- soweit
nicht besondere Begründungen schon gegeben sind oder noch gegeben
werden —- auf allgemein anerkannten Gleichungen — über den Grad der
erreichten Evidenz wird man bei einigen Baumnamen streiten können:
er nimmt gegen Ende der Liste ab. Auch sei bemerkt, daß es sich im
wesentlichen um eine Veranschaulichung handelt, nicht um ein endgültig
formuliertes Bekenntnis2.

1 Mir nahegebracht durch K. Janert.


2 Von der von Meillet, Introcluction5 352ff. gegebenen Liste unterscheidet sich
die meine hauptsächlich durch die Hinzufügung der wichtigen Ansätze: Espe,
Hausschwein, Ziege und Lachs. Man vergleiche noch Specht, Ursprung der idg.
Deklination (1944) 28ff., dem ich überall zu folgen nicht wage. Eine Unterscheidung
von älteren und jüngeren idg. Wörtern nach ihrer Bildungsart, wie sie Specht
vornimmt, liegt nicht in meinem Plan. Ich darf aber doch bemerken, daß Specht
mir hier nicht immer vorurteilslos die sprachlichen Tatsachen zu Worte kommen
zu lassen scheint. So ist seine Behauptung, das Wort für „Buche“ stehe in seiner
Bildungsart den Wörtern für die in Mitteleuropa älteren Bäume wie „Birke“ usw.
„schroff gegenüber“ (o. c. 62), offenbar unrichtig: idg. *bherogos „Birke“ ist o-
Stamm wie *bhägos „Buche“. Neben der Stammform *bhäg- erkennt Specht
selbst eine Ablautform *bhüg- an; das entspricht genau dem Verhältnis von *bherog-
(lit. berzas): *bhrg- (skt. bhürja). Bei beiden Wörtern handelt es sich offenbar um
Weiterbildungen mit -o- zu einem ursprünglich konsonantisch flektierenden Stamm:
Nom. *bhä{u)g-s: Gen. bhüg-os = Nom. *bher9g-s: Gen. bhrg-os. Auch auf das Wort
für „Ziege“ (idg. aig-, Tiefstufe ig-: u. S. 43 Anm. 2) wendet Specht willkürlich
seine eigenen Kriterien nicht an (o. c. 32f.).
( 31 )
566 Paul Thieme

Bäume: Birke, Buche, Espe, Eiche, Eibe, Weide, Fichte, Tanne, Erle,
Esche.
Haustiere: Hund, Rind, Schaf, Pferd, Schwein, Ziege1.
Sonstige Landtiere: Wolf, Bär, Luchs, Fuchs2; Hirsch, Hase; Maus,
Schlange, Igel, Schildkröte.
Vögel: Adler, Falke, Eule, Kranich, Drossel.
Wasservögel: Gans, Ente, Taucher.
Wassertiere3: Lachs; Otter, Biber.
Insekten: Fliege, Hornisse, Wespe, Biene, Laus und Floh.
Das ist ein gewiß lückenreiches, aber in sich nicht widerspruchsvolles
Bild, ein Bild auch, auf dem offenbar die wesentlichsten Punkte erkenn-
bar sind: es fehlt kein Haustier und auch kein größeres Raubtier, das wir
in der jüngeren »Stein-, Bronze- und Kupferzeit in der Norddeutschen Tief-
ebene voraussetzen dürfen, und die in dieser Gegend häufigsten, auf-
fallendsten und für den Menschen wichtigsten Bäume sind auch die best-
beglaubigten.
Die Stimmigkeit des Ganzen tritt noch einmal nachdrücklich ein für
die Richtigkeit unserer Hypothesen:
1. daß es eine idg. Gemeinsprache gab,
2. daß es möglich ist, sie innerhalb gewisser Grenzen zu rekonstruieren,
und
3. daß ihre Heimat im Gebiet der Lachsflüsse gelegen war: bis hin zur
Ost- und (?) Nordsee, westlich der Buchengrenze und östlich des Rheins,
also im Stromnetz von AVeichsel, Oder, Elbe und (?) Weser.

II. Anhang
A. Exkurse
1. Die homerischen Benennungen des Löwen
1. Bei dem Versuch, griech. λέων „Löwe“ etymologisch zu analysieren,
geht W. Schulze, Quaestiones epicae 70f. von einer Wz. *slei/*sli „zer-
reißen“ aus: *slej-on- (> λέων), *slej-on- (> λείων, lies *λήων) „Zer-
reißer“. Dagegen muß man geltend machen, daß die hier vorausgesetzte
Wz. weder im Griechischen, noch in einer andern idg. Sprache zweifels-
frei nachweisbar ist. W. Schulze entnimmt sie dem germ. slltan „zer-
reißen,“ das sich zu dem erschlossenen *slei/*sU verhalten würde wie

1 Vgl. Anhang A 4 (u. S. 42ff.). . 2 Vgl. W. Schulze, Kl. Sehr. 218f.


3 Vgl. Anhang A 5 S. 47 ff.

( 32 )
Die Heimat der indogermanischen Gemeinsprache 567

germ. giutan „gießen“ zu *gheu/*ghu (altind. hu) „gießen“, also eine idg.
-cL Erweiterung repräsentieren müßte. Eine solche ist jedoch nicht häufig
genug, um mit ihr als einer Selbstverständlichkeit operieren zu können.
Dazu kommt etwas anderes. Da λέων als Benennung des Löwen in keiner
andern idg. Sprache eine Entsprechung hat, darf man vermuten, daß es
nicht der idg. Gemeinsprache entstammt. Also ist das Wort zwar in
vorgriechischer Zeit geprägt, aber wahrscheinlicherweise nicht in allzu
ferner Vorzeit, wird also doch Elemente enthalten, von denen sich irgend-
wo sonst noch im Griechischen mindestens eine Spur entdecken läßt.
Eine etymologische Zerlegung des Wortes, die auf ein solches im Grie-
chischen auch im übrigen nicht ganz und gar verschollenes Element als
Wurzel führt — was eben *slei nicht wäre —wird insbesondere dann als
wahrscheinlich gelten dürfen, wenn die ursprüngliche Bedeutung, die sie
erkennen läßt, sich noch als charakteristische Bezeichnung gerade des
Löwen empfähle —- was wiederum für eine Bedeutung „Zerreißer“ nicht
zuträfe.
Keine deutliche Gegebenheit zwingt, nichts hindert uns aber auch,
hom. λέων als *λέβων zu interpretieren und es als eine Bildung zu einer
Wz. Hevd „brüllen“ aufzufassen. Das hat schon Lefmahn, BB X, 302,
getan, indem er *λέβων zu rigveclisch ruväti, arävisam usw. „brüllen“
(oft vom Stier) stellt. Ein Hev-on- „Brüller“ wäre in der Tat eine Be-
zeichnung, die sich für die Benennung des Löwen hervorragend eignete1.
Ein vedisches r kann an und für sich ebensowohl ein idg. I repräsen-
tieren, wie ein idg. r. Soweit bestünde keine Schwierigkeit, das indische
Verbum auf ein idg. Hevd zurückzuführen. Einspruch erhebt dagegen,
wie Lefmanh nicht gesehen hat, das sl. ruti „brüllen“, das vielmehr
auf ein *revd schließen läßt. Aus diesem Grunde wohl war man Lefmanhs
Vorschlag nicht ernst zu nehmen geneigt, und dies um so leichter, als
seine Erörterungen durch eine Reihe unnützer, teilweise geradezu un-
richtiger Vermutungen kompromittiert werden. Es läßt sich jedoch gar
nicht leugnen, daß wir bei unseren Rekonstruktionen durchaus nicht
selten auf r-haltige Wurzeln kommen, neben denen eine Dublette mit l
steht. Man vergleiche insbesondere die reichen Zusammenstellungen bei
Specht, Ursprung der idg. Deklination, 118ff„ 122f. und passim. Auch
bei vorsichtigster Siebung des von Specht zusammengetragenen Ma-
terials bleibt genug des unmittelbar Überzeugenden, um die Behauptung
zu rechtfertigen, daß ein idg. *revdj*ru „brüllen“ ohne weiteres ein
*levd\*lü, „brüllen“ zur Seite haben konnte. Ein solches Hevd ist nach
1 In den meisten Sprachen — nicht z. B. im Englischen — wird das Gebrüll des
Löwen nnd des Rindes mit dem gleichen Verb benannt.
Abli. Geistes- u. sozialw. Kl. jNTr. 11 ( 33 ) 42
568 Paul Thieme

dem Gesagten bereits an und für sich besser begründbar und einleuchten-
der als das von W. Schulze rekonstruierte *slei. Es kommt hinzu, daß
es sich auch an anderer Stelle im Griechischen nachweisen läßt.
Ein lebendiges Morphem ist hier Hevd „brüllen“ freilich nicht mehr. Es
begegnet nur noch im Hinterglied eines schon früh mißdeuteten Kompo-
situms, des homerischen Ausdrucks für „Spätnachmittag, Abend“:
βονλντο- (77 779 = c58 ήμος δ’ήέλίος μετενίσσετο βονλντόνδε).
Es ist kein Wunder, daß man schon im Altertum diese Bildung mit
λύω „lösen“ in Verbindung gebracht hat (Heliod. Aeth. V, 24, vgl.
W. Schulze, Qu. ep. 312; Horaz, Carm. III, 6, 41 ff. sol ubi . . . iuga
demeret bubus fatigatis [von der Abendsonne]: Hes. Erga 581 πολλοϊσι
δ’επί ζυγά βονσϊ τίϋμσιν [von der Morgenröte]) und βονλντο- erklärt als
„die Zeit, da der Landmann das Rind vom Pfluge löst“.
Die Schwierigkeit, die das lange v von βονλντο- (gegenüber λυτός)
dieser Kombination entgegenzusetzen scheint, hat W. Schulze 1. c. in
eleganter und, wie mir scheint, unanfechtbarer Weise beseitigt. Ich
möchte ein anderes Bedenken erheben, das nach meiner Auffassung von
erheblichem Gewicht ist.
Für die homerische und erst recht für die vorhomerische Zeit, aus der
der Ausdruck stammen muß, dürfte nicht — wie für Hesiocl und Horaz,
der in dem zitierten Zusammenhang von den sabellischen Bauern
spricht -— das ackernde, sondern das weidende Rind charakteristisch
gewesen sein: ein Viehzüchterwort wäre von vornherein wahrschein-
licher als ein Ausdruck, der aus dem Anschauungskreis des Ackerbauern
stammen müßte.
Unter Berufung darauf, daß rigvedisch rü „brüllen“ (als tiefstufige
Form der Wurzel zu entnehmen aus ruvdti, arävisam: der Ansatz der
incl. Grammatiker ru ist abstrahiert aus den Komposita mit regelrecht
verkürzter Wurzelsilbe: viruta usw., nach denen man denn auch — noch
nicht im RV — ein rutd bildet) gerade von Rindern gesagt wird, schlage
ich vor, βονλντο- als „Rindergebrüll“ = „Zeit des Rindergebrülls“ -
„Spätnachmittag, Abend“ aufzufassen. Es ist am Abend, wenn die Euter
sich gefüllt haben und die Weidekühe heimkehren1, da ihr Gebrüll ertönt.
So hat das Rindergebrüll als typisches Merkmal des Abends2 auch in der
1 H. h. Merc. 105f. ενϋ·' έπεί εύ βοτάνης έπεφόρβει βοϋς εριμνκονς / καί τάς μεν
αννέλασοεν ές αν λ lov άϋ'ρόας ονοας . . . Vgl. W. Schulze, Qu. Ep. 72, insbesondere:
,,ανλίος άστήρ Apoll. Rhod. IV 1630 = άστηρ βουλντοϊο Kaibel 618, 15“.
2 Zum Beispiel Brhats. 91, 2f. wird das Brüllen der [am Abend] heimkehrenden
Kühe, das Glück verheißt (1. c. 3 ägacchantyo vesma bambhäravena . . . dhanyä
gävah syuh), vom Brüllen „ohne Grund“ unterschieden, das Unglück bringt (2
aJcärane krosati cecl anarthdh): vgl. Luders, Phil. Ind. 770.
( 34 )
Die Heimat der indogermanischen Gemeinsprache 569

modernen Literatur seinen Platz. Ich denke an den Eingang von Th.
Gray, Elegy ... in a Country Churchyard: The curjew tolls the lcnell of
parting day, / the lowing herd wind slowly der the lea ..., oder an Schillers :
„ Blökend hehren heim die Schafe, / und der Rinder / breitgestirnte, glatte
Scharen / kommen brüllend, / die gewohnten Ställe füllend“ {Glocke).
K. Jahert erinnert mich an den Beginn von L. Tolstojs Kosaken, der
eine eindrucksvolle Schilderung der am Abend heimkehrenden, brüllen-
den Rinder gibt.
2. Das zweite, seltenere homerische Wort für „Löwe“: λΐς (λίς), Akk. λϊν
sieht man heute meist als semitisches Lehnwort an (hebr. lajis „Löwe“,
vgl. z. B. Boisacq, Biet, etym., J. B. Hoemanh, Et. Wb. des Griech.).
Ich stehe dem skeptisch gegenüber, λΐς, λϊν paßt mir zu gut zu den
überaus zahlreichen griechischen Tierbenennungen, die Wurzelnomina
sind: rechnet man sie zusammen, kommt man mit Leichtigkeit über
zwei Dutzend. Die meisten lassen sich auf im Griechischen oder in
anderen idg. Sprachen belegte Verben beziehen und als Nomina agentis
auffassen.
Mit im gesamten Paradigma durchgeführter Tiefstufe (entsprechend
λΐς, λϊν) sind belegt z. B.: μυς, μυός, „Maus“, νς, νός „Schwein“, κΐς, κιός
„Wurm“ (zu *kei köi „liegen“, also ursprünglich „der Liegende“1), λυγξ,
λνγκός „Luchs“, ιψ, Ιπός „Holzwurm“ (zu ϊπτω „beschädigen“), σκνίιρ,
σκνιπός „Ameise“ (zu σκνίπτω „kneipen, zwicken“), στρίγξ, στριγγός
„Nachtvogel“2; mit Spur alten Ablauts: πτώξ, πτωκός „Hase“ (zuπτωσσω
1 Weil er nicht auf Beinen „steht“. Nach Danielsson, Gramm, und etym.
Studien I 17, Anm. 6 zu Wz. *köi (altind. sä „schärfen“, lat. cot- „Schleifstein“
usw.), die aber nicht „durchbohren“ heißt, was man von gewissen Würmern sagen
könnte, sondern: „schärfen, wetzen“, also für die Bezeichnung der Tätigkeit
irgendeines Wurmes nicht in Betracht kommt. Zu Wz. köi „liegen“ u. S. 54 Anm. 2.
2 γνψ, γυπός „Geier“ pflegt man in diesem Zusammenhang zu nennen. Eine
Wz., zu der es gebildet wäre, läßt sich aber nicht auftreiben. Ich kann den Verdacht
nicht unterdrücken, daß γνπ ein altes Kompositum *gwu-jup- repräsentiert.
*gwu- wäre, im Vorderglied eines Kompositums ursprünglich regelrechte, Tief-
stufe des Stammes gwou- „Rind“. Ebenfalls regelrecht ist eine griech. Entsprechung
V für gw vor unmittelbar folgendem v: Schwyzer, Grammatik I, 298 (e a 2).
*jup- würde eine Erklärung finden durch altind. Wz. yup „[spurlos] beseitigen“,
insbesondere: „durch Verwischen oder Verwirren die Spur von etwas unkenntlich
machen“. Aus den letzteren Gebrauchsweisen ergeben sich die späteren Bedeu-
tungen: „wischen, glattstreichen“ (TS. II 6, 5, 5) und „in Verwirrung bringen“
(Kommentare, die aber wahrscheinlich nicht auf lebendigem Sprachgebrauch
fußen, sondern diesen Ansatz aus dem Zusammenhang abstrahieren).
Da die Wörterbücher der ursprünglichen Bedeutung von yup nicht gerecht
werden und ich selbst früher (ZDMG LXXXXV, 89) mich für einen Ansatz „ver-

( 35 ) 42*
570 Paul Τηγεμε

„sich ducken“): der Akk. πτάκα (Aesch.) läßt einen alten Gen. *πτακός er-
schließen; ψάρ, ψάρός „Star“ (zu ψαίρω „einen best. Ton von sich geben“):
zugrunde liegt wohl ein altes Paradigma *ψήρ, *ψαρός, dessen Vokalis-
mus unter Beibehaltung der Quantität des Nom. und der Qualität der
obliquen Kasus ausgeglichen wurde (nach Joh. Schmidt, KZ XXV, 20);
mit im gesamten Paradigma durchgeführter Voll- oder Dehnstufe (oder
nur in Formen belegt, die diese Ablautform fordern) z. B.: αίγ- „Ziege“,
δορκ- „Reh, Gazelle“, (zu δέρκομαι „blicken“), φΰείρ- „Laus“ (zu φϋείρω
„verderben“), σηπ- „giftige Schlange“ (zu σήπτω „zur Fäulnis bringen“),
τρωγ-„Wurm“ (zu τρώγω „nagen“), δηκ- „Holzwurm“ (ζιιδάκνω „beißen“).
Von diesen Bildungen stammen erweislich mehrere aus der idg. Ge-
meinsprache. Ihre idg. Bedeutung und Flexion läßt sich mit Hilfe außer-
griechischer Entsprechungen noch feststellen:
μυς: idg. *mus- m. f. „Stehler[in]“ == „Maus“ (gesichert durch altind.,
lat., germ., slaw. Entsprechungen), zu Wz. *meus\*mus „stehlen“ (alt-
ind. mus-näti „stiehlt“). Vermutliches Paradigma: Nom. S. *müs, Gen.
*mus-0s1.
ϋς: idg. sü- f. „Gebärerin“ = „Sau“, m. „Erzeuger“' = „Eber“ (ge-
sichert durch altind., iran., lat., germ., slaw., kelt. Entsprechungen), zu

wischen, in Verwirrung (Unordnung) bringen“ entschieden habe, muß ich meine


heutige Auffassung kurz begründen:
RV X 18, 2 mrtyöh paddm yopdyantah „die Spur des Todes beseitigend“ (von
den Verwandten, die nach der Bestattung die zur Verbrennungsstätte führenden
Spuren auswischen),
RV I, 104, 4 yuyöpa näbhir uparasyäyoh „beseitigt ist die Nabelschnur (der
Ursprung) des unteren Ayu (des ersten Menschen?)“ (es ist keine Spur mehr von
ihr vorhanden),
AV IV 25, 2 yabhyäm rdjo yupitcim cmtdrikse ,,[Väyu (Wind) und Savitr (Mor-
gensonne)], durch die die Finsternis (der Dunst) im Zwischenreich [zwischen Him-
mel und Erde] beseitigt (gleichsam weggefegt) ist“,
Ait. Br. 2, 1 yajnam yüpenäyopaycm „[die Götter] beseitigten mit dem Opfer-
pfosten {yüpa) das Opfer“ (das heißt: sie machten seine Spuren unkenntlich, so
daß es nicht nachgeahmt werden konnte).
RV X, 134, 7 steht yup in übertragenem Sinne neben ml „vertauschen, täu-
schen“, RV VII, 89, 5 heißt es dhdrmä yuyopimd, MS. I 2, 7 ms . . . yüyupäma
bhägadheyam, sonst: bhägadheyam (prd -j-) ml RV III, 28, 4, AV XIV, 1, 33 „den
Anteil durch Täuschung vorenthalten“, yup in diesen Zusammenhängen heißt also
soviel wie: „(in unrechtmäßiger Weise) beseitigen“.
*gwu-jup-, das über *γυΐυπ zu γυπ führen müßte, würde also ursprünglich
bedeutet haben: „[gefallene] Rinder beseitigend“, wie mir scheint, eine passende
Benennung des Geiers, der für das Verschwinden des Aases sorgt.
1 Meine Beurteilung der Quantitätsverhältnisse (nach Specht) gemäß dem KZ
LXIX, 214, Anm. 1, Ausgeführten.
\

Die Heimat der indogermanischen Gemeinsprache 571

Wz. *sevd/sü „Nachkommenschaft zur Welt bringen, erzeugen, gebären“


(altincl. sü dass.)1. Paradigma: Nom. S. *sü-s, Gen. *suv-os.
αίξ: idg. *aig- m. f. „Springer[in]“ = „Bock, Ziege“ (gesichert durch
arm., altincl., iran. Entsprechungen2), zu Wz. *aigj*ig „losspringen“
(altincl. ejati „springt los“). Paradigma: Nom. S. *aig-s, Gen. *ig-os3.
λυγξ: idg. Huk- m. „der Funkelnde, mit funkelnden Augen Blickende“
= „Luchs“ (gesichert durch germ. und lit. Entsprechungen) zu Wz.
HeukjHuk „leuchten, funkeln“.
στρίγξ: idg. *strig- m. „der Streichende (,Vorbeihuschende£)“ -
„Eule, Nachtvogel“ (gesichert durch lat. strix), zu Wz. *streig/*strig
„streichen“ (lat. stringere, ahd. strlhhan, altsl. strigg usw.)4.
Bei andern ist es unsicher oder gar unwahrscheinlich, daß der Gebrauch
als Tiername oder auch die Bildung selbst in die idg. oder auch nur in
vorgriechische Zeit zurückgeht. Zum Beispiel πτώξ, *πτακός, ausweislich
seines Ablauts gewiß eine alte Bildung, wird bei Homer auch noch ad-
jektisch gebraucht („sich duckend“: X 310) und fungiert als Substantiv
auch als Benennung des Bettlers (Aesch., für die homerische Zeit er-
wiesen durch das davon abgeleitete Denominativ πτώσσειν „sich als
Bettler verhalten“: ρ 227, σ 363, das zu scheiden ist von primärem
πτώσσειν „sich ducken“); z. B. von δηκ- „Holzwurm“ läßt sich mit
Sicherheit sagen, das es eine griech. Neubildung ist, da das a von δάκνω,
auf das es zweifellos zu beziehen ist, auf Nasalis sonans beruht (altind.
dams „beißen“), also ursprünglich keine Voll- oder Hochstufe ä (jon.-
att. 7j) neben sich haben kann.
Die Methode, Tiere mit als Nomina agentis fungierenden Wurzelno-
mina zu benennen, ist demnach uralt5 und ist andrerseits bis tief in die
Sonderentwicklung des Griechischen hinein lebendig geblieben. So
spricht alle Wahrscheinlichkeit dafür, daß auch λϊς, λϊν in diesem Zu-

1 An dem Zusammenhang von *sü- „Sau, Eber“ und der Wz. sü „Nachkommen-
schaft zur Welt bringen“ möchte ich nicht zweifeln. Es ist gewiß richtig, daß
diese Bezeichnung zunächst nur dem weiblichen Tier ganz passend zukäme (Ben-
veniste, BSL XLIX, 90), aber wir sagen ja auch z. B. „Säugetier“ (frz. mammi-
fere) nicht nur von weiblichen Tieren. War einmal ein sü- f. „Sau“ vorhanden,
mußte sich ganz selbstverständlich auch ein sü- m. „Eber“ einstellen. Vgl. auch
meine Erklärung von simsumärci ,,Schnabeldelphin“ (ursprüngl. „sein Junges [s7sw]
nährend [Wz. aZ]“), ZDMG XCVI, 419. 2 Vgl. u. S. 43f.
3 Erschließbar aus aw. lz-aena „ledern“.
4 Anders die etym. Wbb. (Boisacq usw.). Aber eine Wz. *strei-g „einen be-
stimmten Ton von sich geben“ ist nicht erweisbar.
5 Zum gleichen Typus gehört natürlich das Urbild des o. 21 f. behandelten altind.
vij-as „Einsatz“ < *„Die Springenden“ = „Die Lachse“.
( 37 )
572 Paul Thieme

sammenhang zu beurteilen ist. Grundsätzlich teile ich W. Schulzes Miß-


trauen gegen „das beliebte Haschen nach semitischen Etymologien, das be-
ginnt, sobald das Indogermanische zu versagen scheint“ (Kl. Schriften 665).
Die fragwürdige Wz. *slei „zerreißen“ (vgl. o. S. 32f.) würde ich allerdings
auch für die Erklärung von λϊς nicht in Anspruch nehmen. Vertrauens-
würdiger und zugleich bezeichnender für das Verhalten des Löwen er-
scheint mir die Wz. ll „sich niederkauern, sich verstecken“, die uns zu-
nächst wieder das Altindische belegt, und zwar gelegentlich in charak-
teristischem Zusammenhang gerade mit dem Löwen: Kälidäsa Ragh. V.
IX, 64 kunjallnän . . . simhän „im Dickicht versteckte Löwen“.
λϊς wäre demnach „der sich [im Hinterhalt] Versteckende, [im Dickicht]
Kauernde“.
Auch in diesem Fall läßt sich die für die Etymologie des Wortes in Kon-
tribution gesetzte idg. Wz. (ll) anderweitig im Griechischen nachweisen.
H. Frankel hat in der Festschrift J. Wackernagel 275f. gezeigt, daß die
alte, echte Bedeutung von hom. λιάζομαι „sich niederlassen“ und „sich
ducken“ (0 520, Φ 255) ist, und λιάζομαι richtig mit altind. ll zusammen-
gestellt1.
3. Wenn ich mit meinen Vermutungen recht habe, zeigt uns also die
homerische Sprache den Löwen gleichsam in zwei verschiedenen, für ihn
typischen Situationen. Das eine Mal, wenn er sich, seiner Kraft bewußt,
einzeln oder in Rudeln einer ganzen Viehherde nähert, sie durch den
Donner seines Gebrülls in Bestürzung und Verwirrung versetzt, um dann
in sie einzubrechen und sich seine Beute zu holen: das ist der λέων, der
„Brüller“. Das andere Mal, wenn er im Dickicht versteckt niederkauert,
aus dem er wohl plötzlich auf ein ahnungsloses Opfer hervorspringt: das
ist der λϊς, der ,,[im Dickicht] Kauernde“.
Tatsächlich unterscheidet Homer — und das scheint mir die Evidenz
abzurunden — zwischen den beiden Ausdrücken in entsprechender Weise:
λέων braucht er, wenn er den in eine Herde ein brechenden Löwen aus-
führlich im Vergleich schildert (E 136ff.) oder auf ihn anspielt (z. B.
0 592f. Τρώες δέ λείουσι έοικότες ώμοφαγοισιν / νηυσίν έπέσσευοντο „die
Troer aber stürmten, reißenden Löwen gleich, auf die Schiffe zu . . .“).
λϊς wählt er, wenn er an den überraschend aus dem Dickicht hervor-
brechenden Löwen denkt. Λ 473 ff.: Schakale verfolgen den durch Pfeil-
schuß verwundeten Hirsch, holen ihn ein und beginnen ihn zu verschlingen
„im schattigen Wald. Aber ein Dämon führt den Löwen herbei“ (480
νέμει εν σκιερω επί δέ λϊν ηγαγε δαίμων), und die Schakale fliehen.
1 Die Bildung würde ich wie folgt beurteilen: ll- (Wurzelnomen) „sich duckend“:
lij-ad- > *λϊάδ- (Abstraktum) „das Sichducken“, davon λιάζομαι (Denominativ).
Die Heimat der indogermanischen Gemeinsprache 573

Naucks Vorschlag, durchgehend für λείονσι: λίεσσι zu lesen, würde


den Unterschied der Wortbedeutungen verwischen und erweist sich da-
durch als ganz unwahrscheinlich. Um mit der prosodischen Behandlung
von λΐς, *λλϊς und λέων, λείων (*λλεϋ~cov oder *λληΓων) fertig zu werden
(vgl. W. Schulze, Qu. ep 70)> setzt man wohl am besten neben den
Wurzeln *levd und Hl ein *slevd und ein *sll an, was keine Schwierig-
keiten macht. [λ]λείων ließe sich als metrische Dehnung (in der Silben-
folge — ^ —x), schlimmstenfalls auch als Bildung aus dehnstufiger Wurzel
(also geschrieben für *ληίων) erklären. Das lange l von λίεσσι stammt
aus dem Nom. Sing., ist also metri caussa analogisch geneuert. Das kor-
rekte Paradigma wäre natürlich: λίς: *λϊός (vgl. κϊς, κϊός).
Beide homerischen Wörter für den Löwen müssen aus vorgriechischer
Zeit stammen: sie enthalten Wurzeln, die im historischen Griechisch
nicht mehr lebendig sind. Andrerseits sind sie jedenfalls als Benennungen
des Löwen nicht gemeinindogermanisch, wie das Fehlen von Entspre-
chungen in andern idg. Sprachen zeigt. Es ist demnach wahrscheinlich,
daß sie in nicht allzu ferner Vorzeit geschaffen wurden, als das Grie-
chische sich als Sonderform bereits von den verwandten Sprachen gelöst
hatte. Damit steht im Einklang, daß die Methoden ihrer Bildung im
Griechischen noch ganz geläufig sind und ihre Wurzeln auch sonst noch
in Spuren sich greifen lassen.
Dieses Ergebnis, zu dem der Grammatiker kommen muß, schließt sich
aufs beste zusammen mit Erwägungen ganz anderer Art. Die Gegend,
die sich uns als Heimat der idg. Gemeinsprache ergeben hat, kennt den
Löwen nicht. Andrerseits müssen die Vorgriechen ihm schon längst be-
gegnet sein, ehe sie ins eigentliche Griechenland und nach Kleinasien ein-
rückten, spätestens in den Bergen des Balkans. Als Begriff ist er für sie
älter als etwa die Zypresse, der Ölbaum und der Wein, für die man die
Benennungen entlehnte, nicht mehr aus ererbten Mitteln neu schuf.

2. Altind. laksa „Marke, Zeichen“, laksay- „achten auf,


bemerken“ und laksay- „kennzeichnen“
M. Mayrhofer GRM IST. F. III, 73, meint, laksa „100000“ könne aus
laksa „Marke, Preis, Zeichen“ entwickelt werden. Ich halte diesen Weg
für ungangbar: weder von „Marke“, noch von „Preis“, noch von „Zei-
chen“ aus vermag ich eine irgendwie einleuchtende Verbindung zu dem
Begriff „hohe Zahl, 100000“ herzustellen. Man konfrontiere nur einmal
dem von mir (o. S. 19) rekonstruierten Ausdruck *„ein Lachsschwarm von
1 W. Schulze, Qu. ep. 275ff.
( 39 )
574 Paul Thieme

Dingen oder Personen“, für den sich so viele sichere Analogien bei-
bringen lassen, ein „Marke, Preis, Zeichen von Dingen oder Personen“.
Wer wird sich so ausdrücken oder würde mit solcher Ausdrucksweise ver-
standen oder nachgeahmt werden?
Tatsächlich gibt es aber überhaupt kein laksa „Marke, Zeichen“, und
für laksa „Preis“ (episch) steht es doch wohl fest, daß es ein altes laksa
„Spieleinsatz“ (RA7" II 12.4; Jät.; M Bh.) ersetzt, über welches o. S. 21
Weiteres.
Pür laksa „Marke, Zeichen“ hat das PW (s. v. laksa 2) aus dem unend-
lichen Ozean der Sanskritliteratur nur einen kümmerlichen Beleg aus
dem Epos (M Bh. III 14 852) herausfischen können. Es leidet doch gar
keinen Zweifel, daß wir hier einer späterer Aussprache folgenden Ortho-
graphie (J. Wackernagel, Altind. Gramm. I § 235 a) gegenüberstehen,
d. h. daß laksa „Merkmal“ für laksya „das ins Auge zu Passende, Kenn-
zeichen, Ziel“ steht, mit dem es frühklassisch in der Aussprache zu-
sammengefallen war. Umgekehrt ist laksya „Preis“ (PW unter laksya 3 a)
nur pseudohistorische Schreibung für laksa (vgl. z. B. Luders Phil. Ind.
511 über Ch. Up. IV 4, 1 an Stelle von vivatsämi überliefertes vivatsyämi).
Was laksayati „auf etwas achten; bemerken, wahrnehmen“ (PW s. v.
lalcsay- 7 und 8) anbelangt, so wird wohl niemand zweifehl — auch mit
Mayrhofer bin ich hier einig —, daß es nichts anderes ist, als mit aus
der östlichen Volkssprache entlehntem Anlaut gesprochenes raksayati
„schützen, bewachen; sorgfältig achten auf (vgl. RV VII, 61,3; IX,
87,2; 146,4)“. Bedeutungsmäßig verhält es sich dazu in ganz ähnlicher
Weise, wie sonst aus der Volkssprache entlehnte l- zu den ererbten r-
Pormen der Hochsprache: Wackernagel, Festgabe Jacobi 12f.
Anders steht es offenbar mit laksita „gekennzeichnet“ (SB), laksayati
„kennzeichnen“ und laksana „Kennzeichen, Kennzeichnung“ (frühklas-
sisch und später). Offenbar handelt es sich hier um eine Bildung, die wir
mit raksayati, raksita und raksana nicht kurzerhand identifizieren dürfen.
Es ist ohne weiteres zuzugeben, daß dieses Pormensystem eine glatte Er-
klärung finden könnte, wenn wir laksayati „kennzeichnen“ als Denomina-
tivum zu einem laksa *,,Kennzeichen“ aufzufassen das Recht hätten,
wie es das PW glaubt (s. v. laksay-). Das ist aber keineswegs der Pall. Denn
1. ist ein laksa „Kennzeichen“ nicht nachzuweisen (s. o.), und 2. ist es auch
gar nicht voraussetzbar, da ihm kein wahrscheinlicher Platz innerhalb
des lexikalischen und grammatischen Systems anzuweisen wäre. Da nun
aber sowohl ein reichlich belegtes, wie grammatisch-lexikalisch ohne
weiteres analysierbares laksya „Merkmal“ vorhanden ist, bleibt der Schluß
unausweichlich, daß laksayati „kennzeichnen“ Denominativum zu laksya
( 40 )
Die Heimat der indogermanischen Gemeinsprache 5 75

„Kennzeichen“ ist, d. h.: die genannten Formen sind der Aussprache


gemäße Orthographien für historisch richtige: Haksyayati, Haksyita und
Haksyana.

3. Kritik der bisherigen Erklärungen von


alt in d. läksä „Lack"
Folgende Erklärungsvorschläge sind gemacht worden:
a) läksä stamme von laksa „100000“: der Lack sei „von den unzähligen
(100000) Insekten benannt, die dieses Harz bereiten“ (A. Weber, ZDMG
XV, 136 Anna.). Diese Deutung ist von Lokotsch, Etym. Wb. der europ.
Wörter Orient. Ursprungs (1927) Nr. 1295, übernommen und von dort —
teilweise in durch unrichtige Angaben entstellter Form — in Nachschlage-
werke wie Kluge-Götze, Etym. Wb. der deutschen Sprache, gedrungen.
Ich glaube nicht, daß es heute noch Indologen gibt, die sie zu verteidigen
wagen. Ich erwähne sie nochmals nur, weil ich inzwischen zufällig fest-
stellen konnte, daß sie von keinem Geringeren stammt als W. Joues:
Abh. über die Geschichte Asiens III, aus dem Engl, übersetzt von J. F.
Kleuker (Liga 1797) 276.
b) läksä sei ein Lehnwort aus einer einheimischen indischen Sprache:
F. B. J. Kuiper, Proto-Munda Words in Sanskrit (1948) 162. Diese von
Kuiper — übrigens mit aller Vorsicht — erwogene Möglichkeit verliert
jedes Recht, sobald eine einwandfreie Anknüpfung an idg. Sprachgut
herstellbar ist. Ich treffe mich hier in der Beurteilung jetzt — zu meiner
Freude — mit M. Mayrhofer GRM N. F. III 72.
c) läksä sei eine Ableitung von der Wz. raj „rot sein“: Pisaui, Paideia
VI, 184, Mayrhofer o. c. 75. Der Wechsel des anlautenden r mit l hat
selbstverständlich nichts zu bedeuten, er ist rein dialektisch: neben läksä
erscheint gelegentlich auch rälcsä, neben raj auch laj.
Für die Verknüpfung spricht das Gleiche, was auch für die Ableitung
aus * Wieso- „Lachs“ spricht: die Wahrscheinlichkeit, das man einen Stoff
wie „Lack“ nach einer besonders sinnfälligen und dem Menschen wich-
tigen Eigenart, eben seiner roten Farbe, benannt hat. Tatsächlich gibt
es ja auch ein rakta „Lack“, über dessen Analyse („die rote [Masse]“)
nicht zu diskutieren ist. Die gleiche Wahrscheinlichkeit tritt dafür ein,
daß ein anderes Wort für „Lack“: alakta, eine Bildung aus rajjlaj ist.
Mayrhofer 1. c. erklärt es als „Nicht-Lack“, d. h. „Quasi-Lack“, was
durch die Analogie: iksu „Zuckerrohr: aniksu „Zuckerrohrartige Pflanze“
als einwandfreie Möglichkeit erwiesen wird. Ich selber habe es mir immer
als „das Nicht-Gefärbte“ = „das von Natur Rote“ zurechtgelegt.
Bedenken läßt mir die Frage der Wortbildung.
( 41 )
576 Paul Thieme

Mayrhofer geht aus von einem *raksa „Rotsein, Röte“, das er mit der
Aufstellung der Analogie: bhaj „teilhaben, zuteilen“: bhaksä „Genießen“
= raj „rot sein“: *raksä „Röte“ begründet. Es wäre doch immerhin
merkwürdig, daß wir von diesem *raksd sonst nirgends etwas zu fassen
bekommen, bhaksä gehört zu einem schon manschen Verb bhaks (iran.
baxs): auch von einem *raks „rot sein“ ist nirgends die Rede.
Nun kommen wir in der Sprachwissenschaft ohne die Annahme hypo-
thetischer Formen, ohne die Rekonstruktion unbelegten Sprachguts
nicht aus: ich bin der Letzte, die Berechtigung dazu zu bestreiten. An-
gesichts aber der Ungewöhnlichkeit des Typus bhaj: bhaksä, scheint mir
der Ansatz eines ind. *raksä an Wahrscheinlichkeit dem Ansatz eines
idg. Häkso- „lachsig“ = „rot“, für den es so verhältnismäßig viele und
genaue Analogien gibt, durchaus nachzustehen. Jedenfalls aber ist er
nicht weniger hypothetisch.
Dazu kommt, daß Mayrhofers Voraussetzung, ein Farbadjektiv
„rot“ (Häksa) sei eine sekundäre Weiterbildung eines Farbabstraktums
„Röte“ (*raksa), ebenfalls weit weniger einleuchtet als meine Annahme,
der Begriff „rot“ sei mit einem Wort bezeichnet, das eine Ableitung von
einer Benennung darstellt, die einem Gegenstand gilt, an dem sich die rote
Farbe auffällig zeigt. Ich verweise auf die o. S. 20 angeführten Analogien.
Selbstverständlich muß ich Mayrhofers Deutung als theoretisch
möglich gelten lassen. Ihre Wahrscheinlichkeit aber beurteile ich
skeptisch. Sie ist keineswegs evident genug, um mich zu veranlassen,
K. Hoffmanns Erklärung von läksä aufzugeben: sie verbaut den Weg
dazu, worauf es hier ahein ankommt, mitnichten.

4. Indogermanische Wörter für „Ziege“


Die idg. Sprachen besitzen mehrere Benennungen der Ziege, die ver-
schieden verteilt sind. Man hat daraus besondere, im einzelnen ganz ab-
weichende Schlüsse gezogen. Ich glaube, die zunächst nicht ganz eindeu-
tigen Gegebenheiten lassen sich in eine wahrscheinliche Ordnung bringen,
wenn man von der Annahme ausgeht, daß die Ziege schon zur Zeit der
Gemeinsprache bekannt war und als Haustier eine Rolle gespielt hat.
Wenn sich diese Annahme bewährt, hätten wir einen — auch sonst nicht
unprobablen1 terminus post quem für die idg. Gemeinsprache: die Ziege
als Haustier in der gemeinsprachlichen Heimat, wie sie sich uns ergeben
hat, ist — nach den Funden der vorgeschichtlichen Bodenforschung zu
urteilen — kaum vor 3000 v. Chr. wahrscheinlich.
1 Vgl. Wissmann, Name der Buche 16: „etwa 2. Hälfte des 3. Jahrtausends1'.
( 42 )
Die Heimat der indogermanischen Gemeinsprache 577

1. Idg. *aig- (Nom. aigs, Gen. igos) „Ziege“, ursprünglich „die sich jäh
Bewegende, die Losspringende“, ein Wurzelnomen — wie *mus-, *sü-,
*strig- usw. (o. S. 36f.) — zu Wz. *aig „losspringen“, erhalten in altind.
ej dasselbe. Vgl. z. B. RV I, 10.2, yüthena vrsnir ejati „als Widder mit
der Herde springt er los“.
Beglaubigt durch: griech. αϊξ, arm. aic, altiran. iz-aena „aus [Ziegen-]
Leder bestehend“.
Die glatte Möglichkeit der Anknüpfung an idg. Sprachgut und die
deutliche Spur von Ablaut spricht entschieden gegen Spechts Verdacht
einer griech.-arm.-iran. Entlehnung1. Wenn das Griechische mit einer
Satemsprache Gemeinsamkeiten zeigt, so ist a potiori die Wahrschein-
lichkeit gemeinidg. Alters gegeben2. Wir haben also drei Indizien, die alle
in die gleiche Richtung weisen. Dazu kommt als viertes, daß die Bildung
weder vom Griechischen noch vom Iranischen aus verständlich wäre.
Specht selbst hat wohl gefühlt, daß das offenbar hochaltertümlichen
Ablaut zeigende iranische Izaena- (sprich: izaina-), fern, izaenis (sprich:
izainls) nicht zu seiner Auffassung von *aig- als fremdem Lehnwort paßt.
Nur so vermag ich es mir zu erklären, daß er — gleichsam im Vorbeigehn
— den Wert des iranischen Zeugnisses herabzumindern sucht („falls
man aw. izaena Mus Leder' mit Recht hierher gestellt hat [d. h. zu dem
griechischen und armenischen Wort für Ziege]“: KZ LXVI, 13) und
weiterhin kurzerhand von einer „griech.-arm. Gleichung, die die übrigen
Indogermanen nicht teilen“, spricht.
Nun ist Izaena und izaenis zwar nur je einmal (Vencl. 8, 23; 7, 14) über-
liefert, seine Bildung aber erscheint nicht nur einwandfrei, sondern
geradezu charakteristisch (*iz- „Ziege“: iz-aena- „aus [Ziegen-]Leder be-
stehend“ = otto- „Erde“: zdm-aena „irden“, ayah- „Erz“ ayah-aena
„aus Erz bestehend“ usw.: Brugmann, Grundriß2 II, 1 § 188ff.), und
seine aus dem Zusammenhang erschließbare Bedeutung stimmt so tadel-
los zu der sich aufdrängenden etymologischen Analyse (Vend. 8, 23
vastrdm . . . ubdaendm vä izaendm vä „ein Gewand, das entweder aus Ge-
webtem (*ubda-) oder aus Leder besteht“), daß irgendwelche Skepsis
ganz unangebracht ist.
Daß die Spärlichkeit der Bezeugung des Stammes *aig-j*ig- im Ira-
nischen lediglich durch die Trünnnerhaftigkeit der Überlieferung bedingt

1 Dies um so mehr, als sich — entgegen Spechts Meinung (KZ LXVI, 4ff.) —
keine sonstigen Fälle nachweisen lassen. Vgl. u. S. 48 ff.
2 Hach Spechts eigener, wohlbegründeter Auffassung, von der er hier (KZ
LXVI, 13) mit einem ad hoc geschaffenen Argument abgeht. Vgl. auch Wissmann,
Name der Buche 27.

( 43 )
578 Paul Thieme

ist, läßt sich aber weiter — und damit ist ein Übriges getan — durch eine
glückliche Kombination meines Schülers K. Janert dartun, die auch im
Altindischen eine Entsprechung zu idg. *aig- „Ziege“ ans Licht bringt.
Sein Gedankengang, der nach meinem Urteil eine lückenlose Beweis-
führung enthält, ist kurz der folgende:
Geht man davon aus, daß ein konsonantischer idg. Stamm *aig- im
Altindischen als *ej- erscheinen müßte, so lassen sich als Deklinations-
formen folgern: Nom. S. *et, Akk. S. *ejam, Instr. PL *edbhis, Dat. Abi.
PI. *edbhyas usw.
Aus solchem Paradigma konnte das Sprachgefühl einen Stamm *ed-
abstrahieren, der mit -a- erweitert ein *eda-ergäbe. Dieses liegt nun wirk-
lich vor in sanskr. eda-ka „Art Schaf, wilder Ziegenbock (Trik. 2.5.9 -
vanacchäga)“, pali ela-ka „ram, wild goat“.
Der hier rekonstruierte Entwicklungsgang findet, wie Janert richtig
gesehen hat, eine genaue, ihn aufs schlagendste bestätigende Analogie
in dem durch Lüders, Varuna 83 aufgehellten Verhältnis des alten
konsonantischen Stammes kakubh- „Spitze“ zu den jüngeren kakud- und
kakud-a-: Aus dem aus *kakub-bhis (Instr. PI.) dissimilierten *kakud-bhis
(vgl. ap- „Wasser“: *ab-bhis > ad-bhis), kakud-mant- (< ^'kakub-mant-1)
usw. entnahm man zunächst einen Stamm kakud-: N.S. kakut SB 13.3.3.
10; TS 4.3.12.2, Lok.S. kakudi AV 3.4.2, N.P1. kakudas SB 13.3.3.10;
TS 4.3.12.2; N.S. tri-kakut TS 7.2.5.2, 3 (vgl. Pän. 5.4.146), wozu man
dann mit «-Erweiterung das später allein übliche kakuda- (AV 10.10.19,
SB 7.5.1.35; Pän. 5.4.146, Räm., Kälidäsa usw.; Lexikographen) bil-
dete2. Also
*ej-: *ed-: eda-[ka-] = kalcubh-: kakud-: kakuda-,
2. Idg. *ag- „Ziege“, ursprünglich „die Geweidete“. Wurzelnomen wie
*aig-, zu Wz. ag „führen, weiden lassen“, vgl. hom. άγ-έλη „Herde“, idg.
*ag-ro „Weideland“ (altind. djra „Trift“, hom. αγρός „Weideland“3 [an
Stellen wie E 137 ποιμήν άγρώ επ εϊροπόκοισ οίεσσιν']). Passiver Sinn
des Wurzelnomens wie z. B. altind. yuj „Genosse“ („der Vereinigte“),
lat. conjug-, griech. σνζυγ-, αζνγ-, lat. reduc-, „zurückgeführt“ neben duc-
1 Der Stamm Icakub- ist aus dem Nom. S. kakup und dem Lok. PI. kakup-su (viel-
leicht auch aus dem noch nicht dissimilierten *kakub-bhis) abstrahiert. Die Dis-
similation *kakub-mant- > kakud-mant wie z. B. georg. *ripma (für russ. rifma
< ρν&μός) > ritma „Reim“ (Debters, Idg. Forsch. LVII, 55).
2 Weitere Beispiele z. B. Wackernagel, Altind. Gramm. III, § 166b, § 136a.
3 Aus „Weideland“ hat sich entwickelt „Gebiet, das unmittelbar um die Sied-
lung liegt (jenseits der Dorfeinzäunung)“: lat. per-egr-lnus „fremd“, griech. άγριος,
άγρότερος „wild“; und daraus dann „Acker“: griech. άγρός, lat. ager, got. akrs.
Vgl. hierzu Specht, KZ LXVI, 17f.
Die Heimat der indogermanischen Gemeinsprache 579

„Führer“, gr. οίστροπλήγ- „von der Bremse geplagt („geschlagen“)“ neben


βονπλήγ- „das Bind schlagend („Peitsche“)“.
Beglaubigt durch griech. ασκός „Schlauch“ < *άκσκος (wie δίσκος,
< *δίκσκος) < *άγ-σκος1, altind. aj-ina ,,[Ziegen-]Fell“.
Der Schlauch (ασκός), aus dem der Wein eingegossen wird, ist bei
Homer immer ein Ziegenbalg (ασκός αίγειος), wie heute noch allenthalben
im Orient, ασκός βοός (κ 19) „Schlauch aus Rindsleder“, zu beurteilen
wie κυνέη ταυρείη o. S. 12.
3. Idg. *agä, Kollektivum zum vorhergehenden, *„Weidetierherde,
Ziegenherde“, gebildet wie *vlqä, *eJcvä usw. u. S. 66 Anm. 2.
Beglaubigt durch altind. ajä „Ziege“ (Kollektivum als Bezeichnung
des hauptsächlichen Einzelvertreters, wie *ekvä „Stute“: u. S. 66 Anm. 2),
aja „Ziegenbock“ (individualisierender o-Stamm, wie *ekvo- „Pferd“ zu
eJcvä: u. S. 64ff.), pehl. azak; lit. ozys „Ziegenbock“ < idg. *ägi- „der zur
Ziegenherde gehörige“ (gebildet wie altind. Käsyapi zu Kasyapa, germ.
*döli- zu *dala-: W. Schulze, Kl. Schriften 64), sl. azi-na „Bocks-Leder“.
Hierher wohl sl. koza „Ziege“, falls es als k-oza aufzufassen ist.
Die Deutung dieses k- macht allerdings Schwierigkeiten. A. Meillet,
Studia-Indoiranica (Ehrengabe W. Geiger, 1931) 236 sieht darin ein
„volkstümliches“ Präfix, das er mit Meringer auch in asl. kosti „Kno-
chen“: altind. asthi n. dass, erkennen will. Ich bin skeptisch gegenüber
dieser Annahme eines willkürlich gewählten konsonantischen Vorschlags,
die im Grunde nichts erklärt. In iran. (Awesta) tkaesa z. B. würde ich das
anlautende t als Angleichung an den Anlaut cinasti (sprich tsinasti) auf-
fassen und auch sonst versuchen, ob sich nicht in jedem von Meillet in
Anspruch genommenen Falle eine speziellere Erklärung finden läßt.
Ich stelle zur Erwägung: altind. ajä: sl. koza = lat. aper „[wilder]
Eber“: κάπρος „Eber“, lat. caper, an. ha fr „Ziegenbock“.
Steckt in dem k ein altes pkv (Tiefstufe zu peku „Kleinvieh“: Verf.
KZ LXIX 172ff.)? Dann ergäbe sich:
*agä „Ziegenherde; weibliche Ziege“ (altind. ajä „Ziege“): *pkv-agä
„Kleinviehziegenherde, Herde zahmer Ziegen; zahme Ziege“ (sl. k-oza
„Ziege“);

1 Hach Schwyzer, Griech. Gramm. I, 541 „undurchsichtig“. Hach W. Schulze


bei Specht, KZ LXVI 220 aus *atko- (altind. ätka „Hülle, Gewand“). Ich selbst
habe daran gedacht altind. atka aus *ag-qo-: ar. *az-qaind. *atka auf dem gleichen
Wege herzuleiten wie madgu „Tauchervogel“ aus *mezgu- (lat. mergus) : ar.
*mazguind. *madgu (Wackernagel, Altind. Gramm. I, § 155b). Das scheitert
aber wohl an aw. cidka „Gewand“, an das mich Η. H. Schaeder freundlich er-
innert. Vgl. auch Benveniste, Origines I 156.
( 45 )
580 Paul Thieme

*<vpro- „männliches Tier“ (lat. aper „[wilder] Eber“1): *pkv-apro-


„Kleinviehmännchen“ (hom. κάπρος ,,[Hausschwein-]Eber“, lat. caper usw.
„[zahmer] Ziegenbock“ > „Ziegenbock“);
"•'osti- „Knochen“ (altind. asthi usw.): *pJcv-osti „Haustierknochen“
(sl. k-ostl „Knochen“).
sl. k- (statt s) für idg. k wie in lit. pekus (u. S. 73).
Wie immer man sl. koza beurteilen mag, jedenfalls ergibt die Harmonie
der Tatsachen {ασκός, altind. aj-ina, ajä, aja, lit. ozys, sl. azi-na) gemein-
idg. *ag-, *agä, *ägi-, die ein *ag- „Ziege“ anzusetzen zwingen.
4. Idg. bhugo- „Ziegenbock“.
Beglaubigt durch: iran. (awest.) büza (lies buza: npers. buz), ahd. boc,
an. bokkr, ir. bocc „Ziegenbock“, arm. buc „Lamm“.
Bei der Erklärung darf man, wie bei anderen Benennungen, die Her-
dentieren zukommen, von einem Kollektivum auf -ä ausgehen (u. S. 66
Anm. 2), also einem idg. *bhugä, neben dem *bhugo- wieder als indivi-
dualisierender o-Stamm geschaffen wurde.
Die ursprüngliche Bedeutung von *bhugä wäre klar: „die fliehende
Herde“ (vgl. *vlqä „das reißende Rudel“), ein Kollektivum, neben dem das
Abstraktum *bhugä „Flucht“ (griech. φνγά, lat. fuga) sicher bezeugt ist.
Verteilung und Wortbildung führen auch hier auf idg.-gemeinsprach-
liches Alter.
Betrachtet man die von mir rekonstruierten idg. Benennungen: *aig-
„die Losspringende“ = „Ziege“, *ag- „die Geweidete“ = „Ziege“ und
*bhugä „die fliehende Herde“ = „Ziegenherde“ nebeneinander, so ist
es klar, daß der Grund für das Fehlen einer gleichmäßig durchgehenden
Entsprechung nicht der Mangel an einem Ausdruck, sondern im Gegen-
teil der Überfluß an Benennungen war, von denen die Einzelsprachen
jeweils die eine oder die andere aufgaben. Drei Charakteristika der Ziege:
ihre Natur als weidendes Herdentier, ihr Losspringen und ihre behende
Flüchtigkeit haben bei der Taufe Pate gestanden. In dieser Buntheit der
Bezeichnung, der anschaulichen Kraft der Namengebung, die sozusagen
mit drei gelungenen Strichen ein treffendes Bild zeichnet, möchte ich
allerdings ein Symptom der Volkstümlichkeit — aber nicht, wie Meillet
will, der Ziegen Wörter (sie scheinen mir alle gut hochsprachlich), son-
dern — der Ziege sehen.
5. Lat. haedus „Ziegenbock“, got. gait- „Ziege“ mag ein (kentum-
. sprachliches) Dialektwort repräsentieren. Auch sonst haben wir mehr-
fach dialektische Neuerungen.
1 Charakteristisch stellt Varro RR II 1 die apri, die wilden Schweine, den sues,
den Haus Schweinen gegenüber: Benveniste, BSL XLV (1949), 76.
( 46 )
Die Heimat der indogermanischen Gemeinsprache 581

Es scheint, daß besonders der Ziegenbock mit vielfach wechselnden


Namen belegt wurde, sei es, weil das merkwürdige Tier die Phantasie
besonders anregte, sei es, weil der Zuchtbock oder zur Deckung be-
stimmte Böckchen öfters von neuen oder anderen und besseren Rassen
genommen und entsprechend neu benannt wurden. Vgl. z. B. das dunkle
altind. chäga ,,Ziegenbock“1, oder das hom. εριφος „Böckchen“ (wohl zu
altind. ari „der Fremde“, vgl. griech. έρι-κνδής „Ruhm beim Fremden
besitzend“: RV arydh sravämsi „die Rühmungen des Fremdlings;
άρισφαλής οδός „den Fremden zu Fall bringender Weg“: RV ri-äädas
„Sorge (κήδος) für den Fremden hegend“2; also ursprünglich: „der
Fremdling [in der heimischen Ziegenherde]“). Vom Wort für „Ziegen-
bock“ bildete man wohl neue Namen der Ziege: z. B. caper „^männliches
Haustier“ > „Bock“ > „Ziegenbock“: capra „Ziege“ (nach dem Muster
equos: equa usw., wozu u. S. 66 Anm. 2).

5. Indogermanisch „Fisch“
1. Die Entsprechungen got. fisk-s, lat. pisc-i-s, ir. iasc lassen eine
Grundform *pisk-o-, *pisk-i- und *peisk-o erschließen.
Unter der Voraussetzung idg. Alters läßt sich das Wort analysieren.
Das die Zugehörigkeit bezeichnende Suffix -isho (griech. ανϋρωπ-ίοκοςζ,
lat. mar-iscus, got. mcmn-isk-, asl. clovec-iskü usw.) scheint an das idg.
Wort *ap-jop-,,Wasser“ angetreten zu sein. Die Tiefstufe mußte p- lauten,
sofern der Vokalismus der Vollstufe nicht analogisch wiederhergestellt
wurde (vgl. altind. ap-äs Akk. Plur. [Vollstufe], ap-as Nom. Plur. [Dehn-
stufe], ap-äm Gen. Plur. usw. statt *päm [Tiefstufe4] wie edhi „sei!“ aus
*azdhi gegenüber iran. (aw.) zdi). Idg. *p-isko- hieß also „der zum Wasser
Gehörige“.
Trotz der Beschränkung erhaltener Entsprechungen auf die westlichen
idg. Sprachen, wird man das idg. Alter der Bildung nicht anzweifeln
1 Altind. basta „Ziegenbock“ mit Umstellung des Stimmtons (vgl. W. Schulze,
Kl. Schriften 711) aus *pazda- zu Wz. *pezd (lat. plclo, slov. pezdeti usw.) „farzen“:
„der Stinkende“ ? Die Umstellung, um die Anstößigkeit der etymologischen Be-
deutung zu verdecken? 2 Vgl. Verf., Fremdling im Rigveda, 159ff.
3 -ισκο- bei Homer gemieden, also dem höheren Stil ursprünglich fremd.
Daraus ist es wohl zu erklären, daß es in der ind. Hochsprache überhaupt fehlt.
Mit Spechts Auffassung von griech. -ίσκος (KZ LXVI, 218ff.) vermag ich mich
nicht zu befreunden. Zu Unrecht scheint er z. B. die Wahrscheinlichkeit des Über-
gangs eines Adjektivs der Zugehörigkeit in ein Deminutiv zu bezweifeln (1. c. 219):
τραγός „Bock“: τραγίσκος „Böckchen“ = got. gaits „Ziege“: gaitein „Zicklein“
usw. (Benveniste, BSL XLV, 84).
4 Erhalten in altind. prati-p-a, anü-p-a, dvi-p-a usw.
( 47 )
582 Paul Thieme

dürfen: sie stammt aus einer Zeit, in der der Ablaut konsequent und
rücksichtslos durchgeführt wurde und in der ein konsonantisches Suffix
-isk- vorhanden war, das sowohl durch -o- (germ. *fiska-) wie durch -i
(lat. pisc-i-1) erweitert werden konnte und das selbst mit -eisk- ablautete2
(ir. iasc), also aus der Zeit der idg. Gemeinsprache.
2. Griech. ϊχ&νς, lit. zuv-i-s (Gen. PI. zuv-vf) lassen sich unter einer
Grundform *ghjü- ,,Fisch“ vereinigen.
Idg. ghj-: griech. χϋ- wie idg. *ghjes „gestern“: griech. χϋές, altind.
hyas (Schwyzer, Griech. Gramm. 325). Das anlautende griech. i ist
prothetisch wie in ίσϋι (aw. zdi) „sei!“, ίσχίον „Hüfte“ (H-sktMjom:
altind. sakthi „Schenkel“: W. Schulze, Kl. Schriften 710 Anm. 8),
Ικτίνος „Stoßvogel“ (altind. syena „Falke“) usw.: Schwyzer, o. c. 413.
Idg. *ghjü- kann nur eine Weiterbildung von der Wz. ''fghei :i:,,kalt
sein“ (griech. χεϊ-μα, χι-ών: altind. he-man-ta, hi-ma; sl. zi-ma usw.)3
darstellen.
Die Bildung wie in ισχύς „Stärke“ (*vi-\-sgh-u- zu *segh „kräftig
sein“: altind. sah, germ. sig-is usw.), d. h. also wohl Substantivierung
eines Adjektivs auf -u: *gheju-fghju- „kalt“: ghjü- m. f. „Fisch = griech.
όορο/altind. dru-: griech. δρυς „Eiche“ oder etwa Ιϋνς „gerade“: Ιϋϋς f.
„Geradheit, gerade Richtung“. Vgl. Schwyzer, Griech. Gramm. I, 463,
nebst Anm. 7 und 8.
Demnach idg. *ghjü- m. f. „der, die Kalte“ = „Fisch“.
Lautlich, morphologisch und bedeutungsmäßig ist wieder alles in
schönster Ordnung, sobald wir die Bildung aus den sprachlichen Möglich-
keiten der idg. Gemeinsprache erklären.
Arm. jukn „Fisch“ enthält wohl eine Weiterbildung von ghjü: Hübsch -
mann, Armenische Grammatik I, 471. Sl. ryba und indoiran. matsya sind
Neubildungen oder Lehnwörter, die die alten Ausdrücke verdrängt
haben. Nichts zwingt zu der Annahme, daß die Wörter *p-isk-ofp-eisk
-ofp-isk-i und *ghjü- nur im Gebiet bestimmter Dialekte der Gemein-
sprache vorkamen.

6. Griechisch-Arisch-Armenische Isoglossen?
In seiner überaus reichhaltigen Arbeit Sprachliches zur Urheimat der
Indogermanen (KZ LXVI, lff.) hat F. Specht eine Reihe von griech.-
1 Vgl. lat. caulis: griech. κανλός; lat. collis: lit. kalnas; lat. imbri-: altind. abhra.
M. Leumann-J. B. Hofmann, Latein. Grammatik 232.
2 Vgl. z. B. den Ablaut im idg. Zugehörigkeitssuffix: -ino-, -Ino-, -eino-.
3 J. Loewenthal, Wörter u. Sachen X, 145 vermag ich nicht in Betracht zu
ziehen. Zu έγβρός usw. vgl. Schwyzer, Griech. Gramm,., 326 (Zusatz 5).
( 48 )
Die Heimat der indogermanischen Gemeinsprache 583

arischen, griech.-armenischen und eine indisch-armenische Wortgleichung


zusammengestellt, die nach seiner Auffassung aus nachträglichen Neu-
bildungen oder Entlehnungen des nach Südosten abgewanderten Teils
der Indogermanen zu erklären sind, also für eine enge sprachliche Be-
rührung der Vorgriechen, Vorarier und Vorarmenier zu einer Zeit
sprechen, da sie sich bereits von der idg. Gemeinsprache gelöst hatten.
Es sind die folgenden:
Altind. väähri „Wallach“: griech. εϋρίς (l'&qlq, αϋρις) „Kastrat“
altind. parasu ..Axt“: griech. πέλεκυς dass.
altind. hsurä m. „scharfes Messer“: griech. ξνρός, ξυρόν „Rasiermesser“
altind. sa-hasriya „tausendfach“: äol. χέλλιοι jon. χείλιοι „tausend“
altind. barbara „Fremder“: griech. βάρβαρος dass.
ved. batet „Schwächling“: griech. βάτας (βατας?) „Wollüstling“
altind. eraJcä ,,Grasart“: griech. αϊρα „Unkraut im Weizen, Lolch“
arm. aic (aw. ϊζ-aena) „Ziege“: griech. αϊξ dass.
arm. siun „Säule“: griech. κίων dass.
altind. simha „Löwe“: arm. inj, inc „Leopard“
Ich glaube nicht, daß Spechts Argumentation ausreicht, eine Evidenz
in seinem Sinne zu schaffen, und daß uns die angeführten Entsprechungen
zu den weitgehenden Schlüssen berechtigen, die zu ziehen er für nötig
hält. Da ich mit Specht in andern wichtigen Fragen — vor allem hin-
sichtlich der Lokalisierung der idg. Gemeinsprache und der Wirtschafts-
form ihrer Träger — durchaus übereinstimme, möchte ich meine Be-
denken in diesem Punkt ausführlich darlegen.
Ehe ich auf Einzelheiten eingehe, sind einige grundsätzliche Bemer-
kungen zu machen.
1. Wenn ein griech. Wort eine Entsprechung nur im Altind. findet, so
ist kein Grund, von einer „auffällig beschränkten Verbreitung“ (Specht,
o. c. 10) zu sprechen. Sämtliche anderen idg. Sprachen, deren Wortschatz
wir einigermaßen übersehen, sind uns aus so viel jüngerer Zeit überliefert,
daß es durchaus erwartungsgemäß ist, wenn ihnen eine Reihe von Ent-
sprechungen verlorengegangen sind. Es hieße in der Tat Eulen nach
Athen und Affen nach Benares tragen, wollte man alle die Worte, die nur
in griech. und altind. Form überliefert sind, zusammenstellen. Der Ver-
dacht einer griech.-arischen Neubildung oder Entlehnung läßt sich aus
diesem Gesichtspunkt nicht begründen.
2. Die Tatsache, daß Kulturwörter gerne von einer in die andere
Sprache wandern, genügt offenbar nicht, um nun jedes beliebige Kultur-
wort fremder Herkunft zu verdächtigen. Wir brauchen weitere Indizien.
Abh. G-eistes- u. sozialw. Kl. Kr. 11 ( 49 ) 43
584 P.4XL ThIEME

Das deutlichste und wichtigste — das geradezu entscheidende — ist der


Nachweis, daß das betreffende Wort nicht aus in historischer oder vor-
historischer Zeit üblichen Mitteln der Sprache, in der es begegnet, gebildet
sein kann (z. B. άσάμινϋος).
3. Der Nachweis einer einzelsprachlichen Neubildung, die in eine andere
Sprache gewandert sein soll, läßt sich nur dann erbringen, wenn es sich
entweder um ein Wort handelt, das mit nur in der betreffenden Sprache
üblichen, also nicht gemeinidg. Mitteln gebildet ist, oder wenn die laut-
lichen Entsprechungen die Zurückführung auf eine gemeinsame Grund-
form nicht erlauben (z. B. *Xefojv: lat. leo).
Es will mir scheinen, daß Specht diese einfachen, eigentlich selbst-
verständlichen Grundsätze mehrfach außer acht gelassen hat. Da seine
Behandlung der einzelnen Entsprechungen auch sonst zur Kritik Anlaß
gibt, gehe ich die von ihm gegebenen Beispiele — in von mir gewählter
Reihenfolge — durch.
a) Griech. ξνρό- „Rasiermesser“, altind. ksura „scharfes Messer“
(Specht o. c„ 9f.) sind einwandfrei erklärbar als Entsprechungen eines
idg. ksu-ro „glättend, schärfend“ (substantiviert: „der, das Glättende“
= „zum Schaben geeignetes scharfes Messer“), aus einer Wz. *ksu
„.glätten, schärfen“ (griech. £voj „glätten usw.“, altind. ks-n-auti „schärft,
wetzt“) und dem geläufigen Primärsuffix -ro-. Daß eine Wz. *ksu im
Ind. nicht mehr lebendig ist, sondern nur ein aus dem infigierten Präsens-
stamm entnommenes ksnu (ksno-tra „Wetzstein“), begründet nicht den
Verdacht eines Lehnwortes, sondern beweist nur, daß ksura keine selb-
ständige altind. Neubildung ist.
b) Vorgr. *χέσλιοί, altind. sa-hasriya (Specht, o. c. lOf.) sind im Idg.
geläufige Weiterbildungen eines idg. *ghes-lo- (altind. sa-hasra, ave ha-
zahm „tausend“), das sich als mit bekanntem Suffix -lo- zu einer —·
allerdings sonst nicht belegten und daher in ihrer Bedeutung nicht faß-
baren — Wz. *ghes gebildetes Nomen mit der Sicherheit gleichkommender
Wahrscheinlichkeit auffassen läßt. Die lautlichen Entsprechungen von
griech. *χεσλιο- und arisch *sa-zhasriya- sind vollständig in Ordnung,
wenn wir ein idg. *gheslijo- rekonstruieren. Handelte es sich um ein
später zu Griechen und Ariern gedrungenes Lehnwort, dürfte man mit
Fug erwarten, daß sie es nicht wären. Das griechische und das arische
Wort würden sich wahrscheinlich ähnlicher sehen, aber die Laute sich
nicht in der gleichen Weise entsprechen, wie es bei aus dem Idg. ererbten
Elementen der Fall ist.
c) Das gleiche gilt für die Entsprechung griech. εϋοίς (Hesych): altind.
vcidhri (Specht, o. c. 4ff.), die sich nur — wenn sie denn zusammen-
Die Heimat der indogermanischen Gemeinsprache 585

gehören, was ich allerdings auch als sehr wahrscheinlich betrachte — unter
einer Grundform *vedhri-s vereinigen lassen, d. h. unter der Annahme, daß
weder das Griech. noch das Ind. irgendeine ihrer Lautsubstitutionen, die
sie vom Idg. scheiden, bereits vorgenommen hatten, als das Wort aufkam.
Specht gibt auch zu, daß die Annahme idg. Alters „eigentlich“ er-
forderlich ist, tut aber sein Möglichstes, zu zeigen, daß der Begriff des
Kastraten den Indogermanen noch nicht bekannt sein konnte. Was den
menschlichen Kastraten anlangt, wird er auch recht haben. Was kastrierte
Tiere betrifft, ist seine Beweisführung nichts weniger als zwingend. Er-
örterungen darüber, ob „in ältester Zeit“ oder „zunächst“ oder „in alter
Zeit“ (Specht, o. c. 6f.) die Kastrierung von Haustieren üblich war,
helfen nicht weiter: dazu sind das viel zu relative Begriffe. Die Ent-
scheidung der Frage, ob man zur Zeit der idg. Gemeinsprache schon Tiere
kastrierte, hängt lediglich davon ab, ob man die Entsprechung vädliri
„Wallach, kastriertes Tier“: εϋρίς „Kastrat, Eunuch“ gelten läßt.
Wichtig wäre es immerhin, wenn Specht mit Recht leugnete, daß
Homer den Hammel nicht kennt. Er will den Ausdruck ενορχα μήλα
(ψ 147) „Schafe, bei denen die Hoden darin sind“ nicht — wie es andere
tun — als Gegensatz zu einem *ανορχα μήλα „.Hammel“, sondern als
Gegensatz zu „weibliche Schafe“ erklären. Er beruft sich hierfür auf die
Inschrift der milesischen Sängergilde (Sa. gr. Dial. Inschr. 5495), wo
Zeile 20 (der Ausgabe) die Verbindung τούτων εν ϋηλν εν δε ενορχες be-
gegnet. Aber gerade diese Stelle beweist das genaue Gegenteil. Es ist die
Rede von drei Opfertieren (τρία Ιερψία): „von diesen eines weiblich,
eines mit Hoden versehen“, zu ergänzen ist selbstverständlich, wie
v. Wilamowitz längst richtig gesagt hat (SBPAW 1914, 626), „und eines
ein Hammel“, ενορχες steht also im Gegensatz zum verschnittenen
Tier, und zwar so selbstverständlich, daß dieses nicht besonders ge-
nannt zu werden braucht.
Nebenbei bemerke ich, daß es mir unratsam erscheint, die in der
Bedeutung scharf geschiedenen altind. vyadh (vidhyati) „stoßen, durch-
stoßen“ und vadh „schlagen, töten“ als lautliche Dubletten der gleichen
Wz. kurzerhand zu identifizieren. Den täuschenden Eindruck, daß sie
„ihrer Bedeutung nach fast völlig übereinstimmen“ (Specht, o. c. 5),
mögen die ungenauen Angaben der Wörterbücher erwecken — vor allem
der etymologischen, die mit Vorliebe so vage als möglich sind —, die
man jedoch an Hand der Belegstellen leicht präzisieren kann. Auch
scheint mir keine der beiden AVurzeln geeignet, das kastrierte Tier zu
bezeichnen1. Jedenfalls aber halte ich es für schlechterdings verwegen,
1 Gehört vadhri zu vandhya „unfruchtbar“ ?
( 51 ) 43*
586 Paul Thieme

die neben έϋρίς spät und schwach beglaubigten δϋρις, Ιϋρις und αϋρις
je auf eine verschiedene vorgriechische Grundform zurückzuführen, wie
Specht es tun möchte, αϋρις könnte z. B. in Anlehnung an αϋριξ „haar-
los“ (in der Kindheit Kastrierte entwickeln keine Körperhaare) tatsächhch
geneuert oder nur verschrieben sein, Ιϋρις könnte sich zu έϋρίς verhalten
wie z. B. ιστία zu εστία (Schwyzeh, Gramm. I 256).
d) Altind. erakä (Epos+), pali eraJca heißt „Schilfrohr“ (Pischel, KZ
XLI 184, Lüders, Phil. Ind. 760). Die Bedeutung legt also einen Zu-
sammenhang mit griech. aloa „Lolch“ (Specht, o. c. 12) keineswegs
nahe, noch auch die Vermutung einer Entlehnung aus Vorderasien. Da
zudem αϊρα höchstwahrscheinlich auf ein *αρ?α zurückgeht (vgl. μοίρα
usw.), spricht auch lautlich nichts für die „Gleichung“, deren allgemeine
Beliebtheit man eigentlich nur mit Verwunderung konstatieren kann.
Für eraka „Schilfrohr“ bietet sich eine naheliegende Möglichkeit der
Erklärung aus dem Indischen. Es wird nichts anderes sein als ein aus der
Volks- in die Hochsprache gedrungenes Wort, dessen ursprüngliche, in
der Hochsprache verschollene Form *airaka- gewesen sein mag: „aus
der Feuchtigkeit (dem Naß: irä/ilä1) entstanden“.
e) Griech. βάρβαρος: altind. barbara (Specht, o. c. 11) ist als Beweis-
stück womöglich noch wertloser.
Da barbara „Angehöriger einer nichtarischen Völkerschaft“ erst im
Epos belegt ist, wird man es am wahrscheinlichsten zu balbaläkr (Panc.
Br.) „stammeln, stottern“ stellen (mit geläufiger hypersanskritischer Sub-
stitution von r für l), das ein prachtvolles Gegenstück in tschech. blabolati
< *bolbolati „lallen, faseln“ hat (W. Schulze, Kl. Schriften 214). Wer bei
einem Zusammenhang von βάρβαρος und barbara durchaus bleiben will, wird
jedenfalls mit besserem Hecht als eine vorhistorische gemeinsame Ent-
lehnung des Griech. und Ind. eine erst späte, in der Diadochenzeit getä-
tigte direkte Entlehnung von βάρβαρος ins Indische in Erwägung ziehen.
f) Daß die Wörter griech. πέλεκυς und altind. yarasu „Beil, Axt“
(Specht, o. c. 8f.) verwandt sind, ist angesichts der charakteristischen
Wortform und der vollkommenen Übereinstimmung der Bedeutung
sicher. Ebenso sicher scheint, daß die Grundform *yeleku-, unter der sie
zu vereinigen sind, in idg. Elemente nicht analysierbar ist: in diesem
Fall ist also ein Indiz für Entlehnung wirklich gegeben.
Seit langem verknüpft man das zugrunde liegende *yeleku- mit akk.
yilaqqu/yilakku, für das man — eben wegen der Ähnlichkeit mit πέλεκυς
1 Über ilä als Nebenform von irä und die Notwendigkeit, es von idä „Labung“
zu trennen Lüdees, Phil. Ind. 552. Gehört elä „Eleatta Cardamomum“ (Epos+)
zu ved. ilä oder etwa zu idä, ilä, später ilä („die Erquickungsreiche“)?
( 52 )
Die Heimat der indogermanischen Gemeinsprache 587

— die Bedeutung „Beil“ ansetzte. Inzwischen hat sich aber heraus-


gestellt, daß pilaqqu jedenfalls nicht „Beil“ heißt, sondern vielleicht
„Stilett“ (Th. Bauer bei Specht, o. c. 9 Anm. 2), nach M. Falkner,
Studien zur idg. Grundsprache (hrsg. von Brandenstein 1952) 26 „Spin-
del“ oder sonst ein Gerät, „das ursprünglich aus Holz verfertigt wurde“.
Folgt man nicht blindlings der „Sirene des Gleichklangs“, wird man
also einen Zusammenhang zwischen pilaqqu/pilakku und *peleku- für gar
nicht so wahrscheinlich halten. Bei Lichte betrachtet scheint er mir nicht
weniger illusorisch als z. B. der zwischen hind. röti „Brot“ und franz.
röti „Braten“, hind. päni „Wasser“ und ital. pane „Brot“, hind. basta
„einverstanden!“ und ital. basta „genug!“
Jedenfalls aber haben wir ein ganz sicheres lautliches Indiz für das
Alter der Entlehnung des Wortes *pelekii-, Es muß zu den sprachlichen
Vorfahren der Inder gedrungen sein, als sie das idg. k noch nicht durch
einen Zischlaut ersetzt hatten. Diese allen „Satem-Sprachen“ gemein-
same Ersetzung ist nun gewiß eine der allerältesten dialektischen Neue-
rungen innerhalb des Gemeinindogermanischen. Also ist *peleku-, was
immer seine letzte Quelle sein mag, längst vor der Zeit entlehnt worden,
da die Arier durch ihre Abwanderung in unmittelbare Berührung mit
Vorderasien kommen konnten, πέλεκνς, parasu ist daher ebenfalls ganz
ungeeignet, eine besondere sprachliche Berührung oder gar eine ehemalige
sprachliche „Einheit“ der abgewanderten Träger des Vorgriechischen und
Vorarischen zu erweisen.
g) Zu der Entsprechung griech. αϊξ: arm. aic: aw. ϊζ-aena (Specht,
o. c. 13) und altind. edaka vgl. o. S. 43f.
h) Daß dem an einer Stelle des RV (X 10, 13) belegten Scheltwort
bata wahrscheinlich „Schwächling“ und dem \mnHesych als tarentinisch
bezeugten. βάτας „Wollüstling“, mit dem man andere, ebenfalls ver-
einzelte griech. Gegebenheiten kombinieren darf (Specht, o. c. 11),
möglicherweise irgendein kleinasiatisches Wort für „Kastrat“ als ge-
meinsame Quelle zugrunde liegt, will ich nicht leugnen, so wenig ich es
für beweisbar halte. Die genaue lautliche Übereinstimmung und die Un-
möglichkeit der Anknüpfung an idg. Sprachgut scheint für Entlehnung
zu sprechen. In Betracht zu ziehen wäre freilich auch die Möglichkeit,
daß wir einem idg. ,,mot populaire“ gegenüberstehen, das aus der Volks-
sprache in die Hochsprache gedrungen wäre, womit sich seine lautlichen
Sonderlichkeiten und die Schwierigkeit der Anknüpfung an hochsprach-
liche Wortelemente ebenfalls gut begreifen ließen.
Aber unterstellen wir einmal, daß Griechen wie Inder ein vorder-
asiatisches *bata oder dgl. in ihre Sprache entlehnt haben. Kann das
( 53 )
588 Paul Thieme

nicht in zwei voneinander unabhängigen Akten geschehen sein? Was


würde das Wort denn im Ernst für eine sprachliche Berührung zwischen
Griechen und Ariern ergeben?
i) Zu griecb. κίων. ann. siun bemerkt Specht (o. c. 13), daß die
Griechen erst ,,im ägäischen Kulturgebiet die Säule kennenlernten“.
Wenn man sich erinnert, daß griech. σταλα (äol. στάλλα) einwandfreie
Entsprechungen in anderen idg. Sprachen hat (ahd. stollo ,,Pfosten“,
altind. sthünä1 „Säule“), die auf ein idg. *sflnä „Säule“ führen, wird man
dem kaum zustimmen können.
Neu für die ein wandernden Griechen war doch wohl nur die Stein-
säule. Nichts spricht gegen die Möglichkeit, daß sie sie mit einem ererbten
Ausdruck für „[Holz-]Säule“ benannten. Tatsächlich läßt sich griech.
κίων, arm. siun ohne weiteres als Entsprechung eines idg. *Jä-von, ge-
bildet zu Wz. *Jcöi2 „liegen“, auffassen.
Es klingt vielleicht zunächst befremdlich, daß man die Säule als
„liegend“ charakterisiert haben soll. Mit dem Begriff „liegen“ braucht
sich aber nicht notwendig, wie es bei uns der Fall zu sein pflegt, die Vor-
stellung zu verbinden, daß etwas der Länge nach am Boden ausgestreckt
ist. Es kann sich auch die Anschauung in den Vordergrund schieben, daß
etwas sicher und fest ruht. Bei altind. si „liegen“ tritt das nicht deutlich
hervor, aber griech. κεϊται kann ja geradezu als Perf. zu τίθεμαι, „hin-
gesetzt, gestellt, gelegt werden“ fungieren. So hat es bei Homer als Sub-
jekt z. B. einen Stuhl (δίφρος: ρ 331), einen Schemel {ϋρηννς: ρ 410),
ein Bett (εννψ. π 35), ein Haus (οΐκος: ω 358), und wird später gern in
übertragenem Sinne von den „festen“ Gesetzen {νόμοι) gesagt. Vielleicht
darf man in gleicher Art altind. si-la n. „eingeborene Natur, Charakter“
erklären: „das [fest und unveränderlich] in jemandem Buhende“. Es
scheint mir also ein idg. *lü-von- „[fest und sicher] ruhend“ in Wirklich-
keit gar nicht so ungeeignet als ein den Begriff „Säule“ bezeichnendes
Adjektiv, das dann als charakteristisch genug empfunden werden konnte,
um substantiviert die Säule zu benennen.
k) Altind. simha „Löwe“: arm. inj/inc „Leopard“' (Specht, o. c. 14)
wäre die einzige auffällige Gemeinsamkeit des indischen und armenischen
Wortschatzes. Das Wort kann nicht auf eine gemeinidg. Bildung zurück -
1 Iran, (aw.) stünä „Säule“ ist entweder eine unabhängige Parallelbildung von
Wz. stevd/stü „stark sein“ (altind. sthavi-rci, got. stiur usw.) oder repräsentiert
altind. stliünä in entlehnter Form. Das n des ind. Wortes fordert jedenfalls Zurück-
führung auf stlnä.
2 Neben *kei (κεϊται, altind. sete, se-να „lieb“ usw.), *koi (κοίτη usw.) und ki
(altind. si-νά „freundlich, gnädig“, urspr. „ruhig“) steht ein *köi (κώμα, όρεσκώιος,
κώμη) und *kl (altind. -si- „liegend“, griech. κΐ- „Wurm“: o. S. 35).
( 54 )
Die Heimat der indogermanischen Gemeinsprache 589

geführt werden: eine idg. Wz. *singh ist unmöglich. Es sieht also aus wie
eine Entlehnung, von der es nun allerdings wahrscheinlich wäre, daß sie
Indoarier und Armenier gemeinsam getätigt hätten.
Gelinde Schwierigkeiten macht die Frage, wo Arier und Armenier die
gemeinsame Bekanntschaft des Löwen gemacht haben sollten (Specht,
1. c.); auffällig wäre, daß das Iranische keine Spur des Wortes erhalten
hat. Auch wenn man trotzdem die Wahrscheinlichkeit eines Zusammen-
hangs zwischen altincl. simha und arm. injfine sehr hoch bewertet, wird
man keine weitgehenden prähistorischen Schlüsse auf dieses vereinzelte
Wort basieren: dafür brauchten wir eine starke kumulative Evidenz.
Nun steht die Gleichung, die allerdings, seit Hübschmanjst sie auf-
gestellt hat, zur eisernen Ration des etymologischen Gepäcks der Indo-
germanisten zu gehören pflegt, keineswegs sicher. Wer bürgt denn dafür,
daß das Arm. im Anlaut ein s und nicht ein p verloren hat und daß sein
jjc ein arisches zh und nicht ein z ersetzt? Arm. injjinc könnte ohne
weiteres einem altincl. pihja- jpinja-ra „gelb“ entsprechen. Auch hin-
sichtlich der Bedeutung ließe sich kein Einwand erheben.
Der Weg ist frei, altind. simhci als eine incl. Neubildung zu erklären.
Wenn das gelingt, müssen wir simha und arm. injjinc sowieso trennen.
Tatsächlich liegt es doch eigentlich auf der Hand, daß das im incl. (und
idg.) Wortschatz unanknüpfbare und rätselhaft aussehende simha (RV +)
nichts anderes ist als durch eine die gefährliche Bedeutung tarnende
Umstellung absichtlich entstelltes *hirnsä.
Die Wz. his „[gefährlich, blutig, tödlich] verletzen“ bildet, wie Lüders,
Phil. Ind. 774ff. ausführlich nachgewiesen hat, ein altes Präsens: hindsti,
himsdnti (noch vorausgesetzt von Pan. VI 1, 188: Lüders, o. c. 778).
Schon der RV kennt nur Formen mit Akzentzurückziehung: himsanti,
himsäna, aus denen sich dann ein Präsens himsati usw. entwickelt hat.
his wird gern gerade von Löwen gesagt: Jätaka 536, 2 siho parahimsane
rato „der Löwe, erpicht auf die Verletzung anderer [Wesen]“; im kl.
Sanskrit wird himsra schlechtweg für „Raubtier“ gebraucht (z. B. Ragh.
V. II 27 in Verbindung mit einem simha); schon RV X 87, 3 heißt der
als Raubtier geschilderte Agni himsrd: Lüders, o. c. 774. Zweifellos er-
klärt Lüders 1. c. den RA7 III 26, 5 gebrauchten Ausdruck simha nd
hesdkratavah richtig als: „wie Löwen, deren Sinnen Verletzung (oder
,verletzend') ist“ (= „wie reißende Löwen“).
Die erst in der Sonderentwicklung des Indischen geschaffene und
steigende Beliebtheit erringende Methode, durch ein an einen tiefstufigen
Präsensstamm tretendes Ableitungssuffix -d neue Nomina agentis zu
bilden, ist von Debrunjster, Bull. School Or. St. VIII, 487ff., an einem
( 55 )
590 Paul Τξιεμε

reichen Material im einzelnen verfolgt und gründlich erklärt worden.


Das von uns vorausgesetzte *himsä, für das man demnach eine iranische
oder gar armenische Entsprechung gar nicht erwarten darf, paßt aus-
gezeichnet in diesen Zusammenhang.
Die Umstellung von *himsä „der [gefährlich, blutig, tödlich] Verletzende,
der Zerfleischende“ zu simhä „Löwe“ ordnet sich in die Reihe der Gegeben-
heiten, die heute meist unter dem Begriff „Sprachtabu“ zusammengefaßt
werden, als ein geradezu besonders einleuchtendes Beispiel. Zum „Sprach-
tabu“ sei nur kurz auf die ausführliche, eine Fülle von Tatsachen und Deu-
tungen zusammenfassende Darstellung von W. Hävers, Neuere Literatur
zum Sprachtabu (Ak. der Wiss. in Wien, Sitzungsberichte 223, Bd. 5, Ab-
handl. 1946) verwiesen. Insbes. vgl. 28ff. (Raubtiernamen als ,,Tabu-Ob-
jekte'“) und 120f. (Umstellung als ,,tabuistische Lautveränderung“)h
Ich fasse kurz zusammen: Von den von Specht zusammengestellten
Entsprechungen sind vier einwandfrei als gemeinidg. Bildungen erklärbar,
die sich zufällig nur in den ältest erhaltenen idg. Sprachen, dem Griech.
und Indischen, oder — einmal -— nur im Griech. und Arm. bewahrt
haben: die Fälle a, b, g, i; bei weiteren zwei spricht die Eigenart
der lautlichen Entsprechung entschieden für gemeinidg. Alter, obgleich
die Analyse in idg. sprachliche Elemente zweifelhaft oder unmöglich ist:
c, f; drei angebliche „Gleichungen“ geben sich bei näherem Zusehen als
„Blender“ zu erkennen: d, e, k; nur in einem Fall bleibt die Möglichkeit
nachträglicher Entlehnung aus einer vorderasiatischen Sprache über-
haupt erwägenswert, es zwingt aber nichts zu der Annahme, daß diese
von Griechen und Indern gemeinsam vollzogen wäre: h.
Ich kann also Specht nicht darin zustimmen, daß die von ihm an-
genommene Schichtung der Indogermanen „allein eine richtige Beurtei-
lung der angeführten Gleichungen zuläßt“ (o. c. 14), bin vielmehr der
Auffassung, daß sie für diese Frage nichts ergeben. Es ist nicht gerecht-
fertigt, gegen Nehring und Brandenstein einen Vorwurf daraus her-
zuleiten, daß sie „auf diese Beispiele in ihrer Geschlossenheit nicht ein-
gegangen sind“ (Specht, o. c. 14).

B. Die Hypothese einer einheitlichen indogermanischen Grundsprache


Vide quam sim antiquorum hominum\ Cicero ad Atticum IX 155.
1. Nicht selten trifft man neuerdings wieder auf die Behauptung, die
Voraussetzung einer einheitlichen idg. Grundsprache habe „eigentlich
1 Ein schönes Beispiel für fatalistische Lautumstellung in der Benennung eines j agd-
baren Tieres scheint mir das von W. Schulze durch „Konsonantenumstellung“ aus
* ^wnZas hergeleitete lit.g4umas„Hindin“ (Kl.Sehr.619).Vgl.auch o. S.47Anm. 1 zu basta.

( 56 )
Die Heimat der indogermanischen Gemeinsprache 591

gar keinen zwingenden Grund“. Man beruft sich da vor allem1 auf den
nachgelassenen Vortrag des hervorragenden Slavisten N. S. Tbubetzkoy,
Gedanken über das Indogermanenproblem (Acta linguistica I, 81 ff.), dem
ich die gekennzeichnete Wendung entnehme (o. c. 82). Um dem Vorwurf
zu entgehen, mir seien die von Tbubetzkoy und seinen Anhängern
geltend gemachten Gesichtspunkte unbekannt geblieben oder ich scheue
mich gar, diesen mir unbequemen Gedankengängen gegenüberzutreten,
weil ich sie nicht zu widerlegen wisse, gehe ich anhangsweise auf einige
im Zusammenhang mit den im Vorausgehenden vorgetragenen Erörte-
rungen grundsätzlich wichtige Fragen ein, in deren Behandlung und Be-
antwortung ich mich von ihm unterscheide. Um allen Mißverständnissen
vorzubeugen, bemerke ich, daß ich über eine ganze Menge der von
Tbubetzkoy vorgetragenen Gedanken hier nur schweige, weil sie mein
Thema nicht unmittelbar berühren, und nicht etwa deshalb, weil ich sie
teilte oder nichts dagegen vorzubringen hätte.
Ich bin mir völlig klar darüber, daß unsere beiderseitigen Hypothesen
von Grund auf unversöhnlich sind. Wenn Tbubetzkoy recht hat, ist
alles, was ich oben vorgetragen habe, nichts anderes als eine nichtige Fata
Morgana, ein Trugbild, das aus einer ungeheuren Wüste steriler Ge-
dankenlosigkeit aufsteigt, ausgebrütet von der Hitze einer irregeleiteten
Phantasie, dann bin ich „einem romantischen Hirngespinst nach-
gelaufen“ (o. c. 83) — wobei es mir immerhin ein bescheidener Trost
sein könnte, daß ich mich in ehrenvoller Gesellschaft befand: aber ich
will mich nicht auf andere berufen in einer Frage, in der ich selbst mit
Gründen argumentieren zu können glaube.
2. „Ebensogut denkbar [wie die Möglichkeit einer einheitlichen idg.
Ursprache]“, meint Tbubetzkoy (o. c. 82), „ist, daß die Vorfahren der
idg. Sprachzweige ursprünglich einander unähnlich waren, sich aber
durch ständigen Kontakt, gegenseitige Beeinflussung und Lehn verkehr
allmählich einander bedeutend genähert haben . . .“
Zunächst wäre festzustellen, daß Tbubetzkoy im weiteren Verlauf
seiner Erörterungen nun nicht etwa bei diesem „Ebensogut“ stehen
bleibt, sondern stillschweigend so verfährt, als habe er einen Beweis
gegen die erstere Möglichkeit2 erbracht und die zweite als allein in Be-

1 Zum Beispiel Axtheim, Geschichte der lateinischen Sprache (1951) 1, Anm. 1


(mit Nennung mehrerer Vertreter des gleichen Standpunktes). Vgl. auch 4 nebst
Anm. 4. Ähnlichen Anschauungen huldigt auch V. Pisani, vgl. z. B. Introduzione
alla linguistica indoeuropea (1949) 38, Anm. 1.
2 Aetheim o. c. 2 lehnt sie eben aus dem Grunde ab, weil sie nur eine „Möglich-
keit“ sei: „Wissenschaft hat es nicht mit Möglichkeiten, sondern mit Beweisbarem
( 57 )
592 Paul Thieme

tracht kommend erwiesen. Das ist aber nicht der Fall. Ich suche jeden-
falls vergeblich nach einer einzigen Tatsache, die er ans Licht zöge, um
darzutun, daß sie sich wohl mit seiner, aber nicht mit unserer Hypothese
erklären ließe. Und doch kann der Beweis für die Richtigkeit einer
Hypothese allein in dem Nachweis liegen, daß sie vor anderen geeignet
ist, die genau beobachteten Tatsachen zu erklären — nicht etwa in ihrer
apriorischen Wahrscheinlichkeit. Sonst würde die Hypothese, die Sonne
drehe sich um die Erde, für die unser Augenschein spricht und die jeder
Laie, der die Tatsachen der Gestirnbewegung nur obenhin beobachten
kann, für wahrscheinlich halten muß, die des Kopernikus von vornherein
ausschließen.
Aber ich tue wohl schon Unrecht, wenn ich anzudeuten scheine, daß
die „Assimilationshypothese“ als für a 'priori wahrscheinlicher gelten
muß als die „Disintegrationshypothese“. Ich bin im Gegenteil der
Meinung, daß sie auch nicht einmal diesen trügerischen Vorzug genießt.
Ich halte sie auch als bare Möglichkeit schlechterdings für phantastisch.
Ich stehe Adelmehr nach wie vor auf dem »Standpunkt: „Wollte man sich
aber den Sachverhalt so vorstellen, daß die selbständig entstandenen
Idiome sich vermöge ihrer nachbarlichen Berührung gegenseitig assimi-
liert hätten, so würde diese Annahme aller historischen Erfahrung zu-
widerlaufen“ (P. Kretschmer, Einleitung in die Geschichte der griechischen
Sprache [1896] 27). „Solche Vergleiche [wie z. B. der mit dem Verhältnis
der ural-altaischen Sprachen zueinander] sind lehrreich, denn sie zeigen,
um wieviel enger der historische Zusammenhang zwischen den sich so
viel näher stehenden idg. Sprachen in einer nicht allzu fernen Vorzeit
gewesen sein muß, sie müssen wirklich einmal nichts als dialektische
Abarten einer Sprache gewesen sein“ (Kretschmer, o. c. 28).
3. Ich habe mir erlaubt, meine eigene Auffassung mit Worten P.
Kretschmers zu formulieren, da sich diese in einem Zusammenhang
finden, auf den sich Trubetzkoy beruft. Zwar gibt er kein ausdrückliches
Zitat. Aber bei seinen Worten: „Seinerseits hat P. Kretschmer mit
Recht betont, daß zwischen Entlehnung und Verwandtschaft nur ein
zu tun.“ Ich wage es nicht auszurechnen, wie viel von Altheims Geschichte der
lateinischen Sprache übrig bliebe, wenn wir sein lapidares Diktum im Ernst zum
Maßstab der Beurteilung machten. Tatsächlich scheint es mir handgreiflich un-
richtig. Sobald die Wissenschaft sich nicht auf rein deskriptive Darstellung be-
schränkt, stellt sie ja nichts dar als ein Entdecken von Möglichkeiten und den
selbstverständlich unumgänglichen Versuch, sie wahrscheinlich zu machen, durch
Kombination bekannter und Auffindung neuer Tatsachen, natürlich ist auch
Trubbtzkoys Hypothese zunächst lediglich eine Möglichkeit, die wahrscheinlich
zu machen wäre.

( 58 )
Die Heimat der indogermanischen Gemeinsprache 593

chronologischer Unterschied] besteht“ (o. c. 82), wird auch jeder Anfänger


sofort erkennen, daß er die berühmten beiden ersten Kapitel des oben
zitierten klassischen Werkes von Kretschmer im Auge hat, insbesondere
21 ff.: „Der Unterschied zwischen den prähistorischen und historischen
Entlehnungen ist zunächst lediglich ein chronologischer . . .“ (o. c. 22);
„es ist aber von Wichtigkeit, festzuhalten, daß auch die sogenannten
urverwandten Wörter nur auf dem Wege der Entlehnung gemeinindo-
germanisch geworden sind, denn in anderer Weise verbreiten sich Sprach-
neuerungen überhaupt nicht, als daß sie, von einer oder wenigen Personen
ausgehend, von Individuum zu Individuum, von Volk zu Volk weiter-
gegeben werden“ (o. c. 23).
Wie ist es denn möglich, daß Kretschmer und Trubetzkoy, scheinbar
so einig in ihrer Auffassung des Verhältnisses von Entlehnung und Ver-
wandtschaft, von dieser ihrer gemeinsamen Grundstellung aus zu so
verschiedener Beurteilung der Beziehungen, die zwischen den idg.
Sprachen obwalten, gelangen!
Nun, so gar erstaunlich ist das nicht. Kretschmer unterscheidet wohl-
weislich zwischen Sprachneuerungen „rein lexikalischer Art“ und „laut-
lichen, formalen, syntaktischen Neuerungen“ (o. c. 23). Die ersteren „ver-
mögen sich selbst unter gänzlich verschiedenen, sogar völlig unverwandten
Sprachen mit Leichtigkeit fortzupflanzen“, die anderen dagegen „be-
dürfen ein gewisses Maß dauernden persönlichen Verkehrs, um weitere
Verbreitung zu gewinnen, und scharfe Sprachgrenzen bilden zwar nicht
unter allen Umständen, aber doch in der Regel ein großes Hindernis für
ihre Fortpflanzung“ (o. c. 23). Dagegen Trubetzkoy: „Und Überein-
stimmung in rudimentären Elementen des Wortschatzes und der For-
menlehre ist auch kein Beweis für gemeinsame Abstammung, da alle
Elemente1 der menschlichen Sprache entlehnbar sind und da beson-
ders auf niedrigen Entwicklungsstufen1 ganz rudimentäre Wör-
ter und Morpheme von Sprache zu Sprache wandern.“
4. Es ist wohl kein Zweifel, wer hier besonnener, wer hier wirklichkeits-
näher urteilt. Kretschmer kann sich auf Beobachtungen berufen, die
jeder aufmerksame Betrachter sprachlicher Beziehungen, die sich im
Tageslicht der Geschichte entwickeln, machen kann. Trubetzkoys
Worte sind fürs erste nichts als eine starke Behauptung, für die er nicht
einmal den Schatten eines Beweises erbringt. Sie sind etwas Schlimmeres.
Sie stellen eine Todsünde gegen den ersten, wichtigsten Grundsatz aller
historischen und prähistorischen Sprachforschung dar, nämlich daß wir
uns die Entwicklung alter und vorgeschichtlicher Sprachen in exakter
1 Von mir gesperrt .
( 59 )
594 Paxjl Thieme

Analogie zu derjenigen der modernen vorzustellen haben1. Mit der Unter-


scheidung zwischen „niedrigen“ und „höheren Entwicklungsstufen“ in
der Sprache hat A. Schleicher vor hundert Jahren argumentiert:
Trubetzkoy hinkt hier der sprachwissenschaftlichen Erkenntnis um
mindestens sechzig Jahre nach. Es tut mir leid, ich muß das Kompliment
zurückgeben: Wer sich prähistorische sprachliche Ereignisse als unter
anderen grundsätzlichen Bedingungen sich entwickelnd vorstellt, als uns
aus geschichtlicher Erfahrung bekannt sind, der „jagt einem romantischen
Hirngespinst nach“.
5. Wir halten uns an Kretschmers, wie mir scheint: evident richtige,
Unterscheidung von Sprachneuerungen rein lexikalischer und anderer
Art. Es ist nach meinem Dafürhalten nur notwendig, sie strikter, als
Kretschmer es tut, in der Praxis durchzuführen. Es will mir doch so
Vorkommen, als ob gewisse Einzelheiten seiner Argumentation — die
das hohe Verdienst hat, die Fehlerquellen, mit denen man bei der Be-
konstruktion einer vorgeschichtlichen Grundsprache rechnen muß, an-
schaulich und eindrucksvoll aufgewiesen zu haben — einer Überprüfung
bedürfen. Sie enthalten, wenn man genauer zusieht, bereits den Keim
zu den nun allerdings vergröbernden und oft ins Groteske übertreibenden
Losungen, die die Sponsoren der „Assimilationstheorie“ auf ihre Fahnen
schreiben.
Betrachten wir zunächst einige Beispiele.
a) Die Benennung des Schafes erscheint im Indischen, Griechischen,
Italischen, Keltischen, Germanischen, Litauischen und Slawischen in
einer Form, die sich jeweils als durch genaue Analogien begründbare
Entsprechung eines gemeinidg. Nominativs *dws auffassen läßt. „Nie-
mand kann“ — nach Kretschmer (o. c. 13) -— „beweisen“, daß wir
recht tun, wenn wir nun diese Form wirklich für die Grundsprache vor-
aussetzen: es könnte sich um eine Entlehnung handeln, die sich über

1 W. D. Whitney, Language and the study of language (1867) 253: „So far back
as we can trace the history of language, the forces which have been efficient in
producing its changes, and the general outlines of their modes of Operation, have
been the same; and we are justified in concluding, we are even compelled to infer,
that they have been the same from the outset.“ 287: „The more thorough we are
in our study of the living and recent forms of human language, the more rigorous
in applying the deductions thence drawn to the forms current in ante-historic
periods, the more cautious about admitting forces and effects in unknown ages
whereof the known afford us no example or criterion, so much the more sound and
trustworthy will be the conclusions at which we shall arrive.“ W. Scherer, Ge-
schichte der deutschen Sprache (1878) 22f.; H. Osthope und K. Brugmann, Mor-
phologische Untersuchungen I (1878) V f„ XVff.
( 60 )
Die Heimat der indogermanischen Gemeinsprache 595

das gesamte idg. Sprachgebiet ausgebreitet hätte, nachdem die Einzel-


sprachen schon voneinander getrennt waren.
Ich meine, man kann es doch — natürlich nicht durch Augenschein
oder Zeugen, aber durch schlüssige Indizien.
Zu altind. Avis „Schaf“ lautet im Rigveda der Genetiv nicht, wie bei
der Überzahl der i-Stämme, auf -es, sondern hat die Form dvyas, die
nur noch bei einem anderen üStamm eine Analogie hat: arisjaryds
„Fremdling“. Zu homerisch ö(F)iς lautet der Genetiv οΐος (<*ofjog),
wofür es im Griechischen überhaupt an Parallelen fehlt. Altind. dvyas
und hom. οΐος wären regelrechte Entsprechungen eines idg. ovjos: also
stimmen Indisch und Griechisch nicht nur im Namen des Schafes,
sondern auch in der ganz ungewöhnlichen Methode seiner Flexion zu-
sammen: also kann es sich nicht um eine „rein lexikalische Entlehnung“
handeln. Bei der Abwägung der beiden theoretischen Möglichkeiten:
Ererbung oder Entlehnung, die sich als gleichwertig ansehen mögen,
solange man nur die Form des Nominativs betrachtet, senkt sich das
Zünglein zugunsten der Ererbung, sobald man den Genetiv in die Waag-
schale wirft.
Die im Altind. ungewöhnliche und nur noch im RV vertretene, im
Griech. ganz singuläre und ebenfalls nur in seinem ältesten Denkmal
aufgehobene Eiexionsmethode: dvis:dvyas öFlq: *öfjog hat im Indo-
iranischen und Griechischen eine Entsprechung bei einigen wenigen u-
Stämmen: altind. krdtus:krdtvas, iran. xratus:xradwö, altind. mddhu n.:
mddhvas, gr. γόνυ: γοννός (<Cyovfog), altind. pasüs: Akk. PI. pasvds,
altiran. pasus: Akk. Pl. pasvö. In allen Sprachen werden diese von der
geläufigen Norm abweichenden Formen früher oder später aufgegeben.
Die Beurteilung kann gar nicht fehl gehen: Es handelt sich um Trüm-
merstücke eines Typus, der — von der Sprache, die die verhältnismäßig
reichsten Reste bewahrt hat, vom Altindischen, aus betrachtet — „durch
schlagende Parallelen in anderen Sprachen als idg. erwiesen wird“
(Wackerjstagel, Altind. Gramm. III § 69a). Fügen wir noch hinzu, daß
sich unter den ^-Stämmen, die Spuren dieser Flexion zeigen, eine ver-
hältnismäßig hohe Zahl von solchen findet, die in bezug auf ihre weite
Verbreitung in den idg. Sprachen *ovis entsprechen [z. B. *peku(s)
„Vieh“, *medhu „Honig“, *genu „Knie“, *doru „Holz“], dann scheint
mir der Rest der Möglichkeit, es handle sich bei der Entsprechung der
Flexion des Wortes für „Schaf“ im Altind. und Griech. um einen un-
begründbaren Zufall oder um eine ausnahmsweise einmal auch über eine
Sprachgrenze gewanderte grammatische Neuerung, so federleicht zu
wiegen, als ob er gar nicht vorhanden wäre.
( 61 )
596 Paijl Thieme

Damit aber bestätigt sich auch ein Verdacht, den ich für natürlich
halte, jedoch, um nicht voreingenommen zu scheinen, bis jetzt unter-
drückt habe: der Verdacht, daß die Möglichkeit der Entlehnung auch
des nur für sich allein betrachteten Nominativs ovis von unbekanntem
Ausgangspunkt aus in nicht weniger als sieben verschiedene Sprachen —■
Sprachen, wohlgemerkt, die untereinander exakte Entsprechungen, die
nicht Wortentlehnungen sein können, in unabsehbarer Menge zeigen —
von vornherein der Möglichkeit gemeinsamer Ererbung nicht gleich-
wertig gegenübersteht. Gerechterweise sollte man Indizien beizubringen
nicht von dem verlangen, der die Entlehnung, sondern von dem, der die
Ererbung anzweifelt.
b) Indem Kretschmer wiederum sein Auge ausschließlich auf dem
Nominativ ruhen läßt, schreibt er: ,,Die Ausbreitung des Wortes *gw5us
„Rind“: skt. gaus, aw. gao, arm. Icov, gr. βονς, lat. bos (umbr. bum Akk.),
ir. bo, ahd. chuo, asl. govqdo, lit. guows muß vor dem Übergang des Velars
in b im Griechischen, Umbrischen und Irischen und vor der germanischen
und armenischen Lautverschiebung erfolgt sein.“ Nur durch die genann-
ten einzelsprachlichen Neuerungen sei ein terminus ante quem gegeben
(o. c. 23).
Haben wir wirklich keine Indizien für ein höheres Alter der Ausbrei-
tung ?
Uns liegt vor: ein Akk. altind. gäm, hom. βών, umb. bum1, also ein
flexivisches Verhältnis *gwöus: *gwöm, das dem von altind. dyaus, gr.
Ζευς: dyävi, Ζην, lat. diem < *djem entspricht, für das man aber an
sonstigen Belegen wieder nur Trümmerstücke hat: altind. Nom. PI. räy-
as: Akk. Sing, räm, lat. res: rem;
uns liegt weiter vor: neben dem Stamm gwöu ein Stamm gwoujgwov
(z. B. altind. go-bhis, lat. bübus; altind. Dat. Sing, gav-e, hom. Nom. PI.
βό(/)-ες usw.);
und ein Stamm gwu, gwv, der im Kompositum erscheint: z. B. altind.
dvi-gu-, altpers. data-gu-; gr. έκατόμβ(β)-α, altind. *sata-gv-a (daraus rig-
vedisch satagvin2):
also keineswegs nur eine als Lehnwort leicht erklärbare Nominativ-
form, sondern wieder eine gemeinsame Eiexionsmethode3 und schließ-
lich nicht weniger als drei verschiedene Stammformen nebeneinander:
ihr gegenseitiges Verhältnis, sowohl was ihre Lautform, als auch was die
1 Die Lautform des lat. ISTom. Sing, bös ist nur verständlich als analogische
Neuerung zu einem ursprünglichen Akk. *böm.
2 Verf., Studien zur idg. Wortkunde (1952) 62ff.
3 Kontrastiere: altind. naus :nävam, gr. ναϋς: *väfa (]θτι.νηνς: vfja, dor. ναϋς: väa).
Die Heimat der indogermanischen Gemeinsprache 597

Ratio ihrer Verteilung betrifft, ist von keiner Einzelsprache aus in eine
restlos sinnvolle Ordnung zu bringen, enträtselt sich aber, sobald wir
ein gwou, gwu, gw5u rekonstruieren und den Wechsel des Stammvokalis-
mus in Zusammenhang bringen mit dem anderer ebenfalls rekonstruierter
Stammformen.
Jetzt erst haben wir den wirklichen terminus ante quem: Das Wort
muß aus einer Zeit stammen, da der „Ablaut“ noch ein lebendiges
Prinzip der Formenbildung war, als seine Wirkung noch vom gleichen
Stamm Formen ganz disparaten Aussehens schuf, die aber doch als na-
türlich zusammenhängend erscheinen mußten, weil das bunte, wechsel-
volle Spiel ihres Vokalismus in vielfältiger, dem Sprecher erkennbarer
Analogie sich immer wiederholte und in klarer Systematik den Aufbau
der Wörter ordnete. Wir selbst können diese Systematik noch erkennen,
aber nur wenn wir rekonstruieren, nur dann, wenn wir die in allen Einzel-
sprachen verstreuten Beispiele in eine gemeinsame Zeit zurückproji-
zieren, in der sie alle untereinander assoziativ verbunden waren: in die
Zeit einer einheitlichen Gemeinsprache.
c) „Aus der Gleichung skt. yugctm, gr. ζυγόν, lat. iugum, got. juk, asl.
igo, lit. jungas folgt weiter nichts, als daß sich einmal von einem unbe-
kannten Ausgangspunkt aus das Wort *jugom . . . über das ganze indo-
germanische Sprachgebiet verbreitet hat“: Kretschmer o. c. 21. Als
terminus ante quem für diese Ausbreitung bezeichnet er „den Wandel von
j > ζ im Griechischen und die germanische Lautverschiebung“ (o. c. 22).
Nehmen wir einmal argumenti causa an, es handle sich tatsächlich um
ein Lehnwort, das von einem einzigen Ausgangspunkt in verschiedene
idg. Sprachen durch unabhängige Akte gedrungen sei. Soviel ließe sich
denn doch mindestens sagen, daß es aus einer idg. Sprache stammen
müßte. Das Wort steht ja nicht isoliert im idg. Sprachschatz, sondern
gehört zu den Verben altind. yunäjmi, yuktcc; gr. ζενγνν/π; lat. jüngere;
lit. jungiu „anschirren“ usw. Es ergibt sich nun, daß die Bildung in
keiner der uns bekannten Sprachen von dem uns bekannten Material
aus glatt verständlich wäre — das Litauische mit seinem jungas, das sich
wohl als einzelsprachliche Ersetzung eines *jugwom, aber nicht als Grund-
lage der in den anderen Sprachen vertretenen Form verstehen läßt, fiele
ja sowieso aus. Im Indischen zeigt die Wurzel yuj im Verbum vor Vo-
kalen niemals ein auslautendes g, sondern es ist immer j — zweifellos
analogisch — durchgeführt1; im Griech. ist die Wz. ζευγ- im Verbum
1 Entsprechend in den Neubildungen a-yujd, -rujci, rucci, -mucä, zu welchem Typ
man A. Debrunner, Bulletin oj the School of Oriental Stuclies VIII (1936) 487ff.
vergleiche.
598 Paul Thieme

ohne Ablaut1; im Lat. haben wir sie nur in der Form jung-2, im Slaw.
und Germ, fehlt sie ganz. Also nicht nur von der griech. Ersetzung von
j durch ζ, und der germ. von g durch k — sondern von allen sonst er-
kennbaren individuellen Zügen der Einzelsprachen hätten wir zu ab-
strahieren. Mit Kretschmer von „sprachlich streng geschiedenen Völ-
kern“ zu reden (o. c. 21), „unter denen die Verbreitung [von jugwom\ er-
folgen konnte“, scheint sich also nicht recht zu empfehlen, sobald wir die
Frage eines wahrscheinlichen Ausgangspunktes ins Auge fassen, der in
eine Zeit gefallen sein muß, da nicht nur die beiden von Kretschmer
allein berücksichtigten lautlichen, sondern auch sämtliche anderen
Neuerungen der Einzelsprachen, die wir erkennen und nachweisen
können, noch nicht vorhanden waren.
Schwerer wiegt ein Zweites. So weit wir auch in die Vorgeschichte der
Einzelsprachen zurückgehn, so schwierig bleibt es doch, eine Neubil-
dung *jugw<5m zu verstehen: das Wort stellt einen Typus für sich dar, für
den die Analogien fehlen. Analogien aber sind es, die bei der Neubil-
dung den erfindenden Menschen leiten und seiner Umgebung seine Wort-
schöpfung verständlich, einleuchtend und nachahmenswert erscheinen
lassen.
Der trockene Sachverhalt ist nämlich, daß alle neutralen o-Stämme,
die sonst zu Verben gebildet sind, nicht die Tief-, sondern die Vollstufe
der Wurzel zeigen3. Um die morphologische Gestaltung von jugwom zu
verstehen, müssen wir in die idg. Gemeinsprache emporsteigen: dann,
und nur dann, läßt sie sich in einen systematischen Zusammenhang sinn-
voll einordnen. Ich schlage folgenden Weg vor:
Wir nehmen als Ausgangspunkt der Neubildung nicht den Nom. Sing.
*jugw0m, sondern die in den Einzelsprachen als Nom. PI. fortlebende
Form jugwa. Eine solche Bildung hätte sichere Analogien: gr. φνγά, lat.
fuga zu φεύγω, jugio usw.; altind. diää, gr. δικά zu altincl. deäciti,
gr. δείκνυμι, dico usw.4. Für solche Stämme auf -ä (9), ursprünglich
Abstrakta oder Kollektiva, gab es verschiedene Möglichkeiten der
Einordnung in das grammatische System: sie konnten als feminine
ä-Stämme dekliniert werden wie φνγά, di sä usw., sie konnten aber

1 Die Verbalnomina Ονζυξ, αζνξ sind isolierte Restformen: lat. con-jug-, altind.
sa-yuj.
2 Restformen ohne n nur in den obliquen Kasus von conjunx.
3 Vgl. z. B. Debruntster, o. c. 500, woraus ich auch ersehe, daß bereits H.
Jacobsohn, DLZ (1912) 2786, in ähnlicher Weise, wie ich es im folgenden tue,
von einem kollektiven Plural *juga ausgeht.
4 E. Schwyzer, Griech. Grammatik I 459 (III lb 1).
( 64 )
Die Heimat der indogermanischen Gemeinsprache 599

auch nicht-feminine o-Stämme neben sich entwickeln, maskuline oder


neutrale. In diesem Fall wurden sie schon in gemeinsprachlicher
Zeit als Nom.-Akk. PI. zu diesen o-Stämmen verwendet, öfters in
speziell kollektivem Sinn neben maskulinen o-Stamm-Pluralen1. Der
systematische Zusammenhang war in einigen Einzelsprachen noch
deutlich genug, um als Grundlage analogischer Neubildungen zu
dienen2.
Erinnern wir uns einiger charakteristischer, allgemein bekannter Bei-
spiele :
hom. μήρα „Gesamtheit der Schenkel“ (A 464): μηρός „Schenkel“, μηροί
„die [einzelnen] Schenkel“ (A 460);
altind. varsä(ni) n. „ Regen [zeit]“: varsäm n. „Regen“ und varsä f.
„Regen“ [gr. έ(/)έρσά „Tau“];
gr. νενρα f. „Sehne“: νενρον „Sehne“3 *;
hom. έσπερα, russ. vecera „Abende“: hom. έσπερος, russ. vecer und gr.
εσπέρα „Abend“;
russ. mecha PL „Pelzwerk“: russ. mech „[einzelnes] Pelzwerk, Schlauch“
(asl. mechü „Fell“: altind. mesa „Schafbock“) und PI. mechi „Blase-
balg“;,
lat. loca „Gegenden, Orte“: locus „Ort“ und PL loci „Örter“.
Wie die Akzentverhältnisse des Griech., Slaw. und Ind. durch deut-
liche Spuren beweisen (gr. μηρα: μηρός, νενρα: νενρον; russ. vecera·. vecer,
mecha·. mech, Gen. mecha; altind. himä f. „Winter“: hima m. „Schnee“),
wechselt der Akzent in der Weise, daß der o-Stamm einer Betonung des
Stammsuffixes beim Kollektivum Betonung der Wurzelsilbe und um-
gekehrt entgegensetzt. Es handelt sich dabei deutlich um eine Neuerung,
die ohne Beziehung zum Ablaut bleibt. So wird durch Herstellung eines
idg. *qeqlä „Räderschaft“: qeqlos „Rad“ das Verhältnis der griech. und
altind. Benennungen klar:

1 Joh. Schmidt, Pluralbildungen der idg. Neutra (1889) 5ff., 21 ff. Unrichtig
wird hier nur die fern. Flexion des kollektiven ä-Stamms als ursprünglich und im
Prinzip älter als das Suppletivverhältnis mit den o-Stämmen angesehen. Ich folge
in der Beurteilung A. Meillet, Introduction5 (1922) 253, 278.
2 So muß z. B. neugeschaffen sein das Verhältnis von, σίτος: σϊτα, wenn σίτος
Fremdwort (Schwyzer, Griech. Gramm. I 308 (I 2by 1.4) und das von russ. chleb,
chleby „Brot, Brote“ : chlebä „Getreide“, da asl. chlebü Lehnwort aus dem Gotischen
(hlaifs, hlaibis) ist.
3 Das im Griech. typisch wiederkehrende Verhältnis φόρος „Last“: φορά „Last“
(Schwyzer, o. c. 459f.) gehört natürlich auch in diesen Zusammenhang. Es sind
nur hier die Maskulina wahrscheinlicherweise keine Neubildungen gegenüber den
Kollektiven, eher die letzteren zu den ersteren.
Abh. Geistes- u. sozialw. Kl. Nr. 11 ( 65 ) 44
600 Paul Thieme

altind. cakra (<*qeqlä) „Räder“, wozu analogisch calcrmn n.: gr.


κύκλος (< *qeqlos)1, wozu analogisch κύκλοι2.
Nun steht in allen Einzelsprachen neben dem Stamm *jugwäl*jugwd
ein neutraler o-Stamm in normalem Suppletivverhältnis, *jugwä selbst
wird nirgends als femininer ä-Stamm flektiert. Daraus dürfen wir schlie-
ßen, daß die Deklination *jugwa: *jugwom3 n. schon gemeinsprachlich
war. Es wäre ein höchst merkwürdiger, gänzlich unwahrscheinlicher Zu-
fall, wenn in allen Einzelsprachen ein entlehntes juga, unabhängig, aber
in genau entsprechender Weise in das sprachliche System eingeordnet
worden wäre, obgleich es an und für sich in zweideutigem Zusammen-
hang steht.
Die Möglichkeit der Entstehung der Wörter *jugwä, *jugwom zur Zeit
der Gemeinsprache, die ja auch Kretschmer gar nicht leugnet und nicht
leugnen kann, läßt sich also durch entscheidende Indizien begründen.
Die Wahrscheinlichkeit liegt so gänzlich auf ihrer Seite, daß eine Evidenz
erreicht ist.
Es soll mir aber nicht darauf ankommen, ihr noch ein Gewicht hin-
zuzufügen: die „Tatsache, daß für ,fahren, Rad, Achse, Nabe, Joch/
1 Die Erklärung des griech. v als Vertreter einer Tiefstufenform (J. Wacker-
nagel, Altind. Gramm. III, § 36a; Schwyzer, Griech. Gramm. I, 296 [E Ic Zu-
satz 2]) leuchtet mir schon wegen des griech. Akzentes nicht ein. Auch die sonst
noch angeführten Beispiele (Schwyzer 1. c.) überzeugen nicht. Wir haben es wohl
hier und in ähnlichen Fällen (Schwyzer, o. c. 352 [E II 5cl]) mit einer Assimilation
eines kurzen e/o an benachbarten labialen Konsonanten zu tun, der dann seiner-
seits nach Saussures Regel im Vorgriech. entrundet werden mußte, falls er ein
Labiovelar war (Schwyzer, o. c. 298 [E I lea 2]).
2 Regelmäßige Entsprechungen in fast allen Einzelsprachen führen zum Ansatz
eines idg. vlqos „Wolf“. Auffällig ist hier nicht nur die Tiefstufe der Wz., sondern
auch der Akzent. Alles kommt in Ordnung, wenn wir von einem vlqä „Wolfheit,
Wolfsrudel“ auszugehen uns entschließen, zu dem das in den Einzelsprachen fort-
lebende vlqos sich genau so verhält wie qeqlos zu qeqla. Anders, aber spekulativer
Specht, KZ LXVI, 26f. Lat. (eigentl. sabellisch) lupa „Wölfin“ mag das alte Kol-
lektivum, auf Bezeichnung des charakteristischen individuellen Vertreters — das
ist eben die Wölfin — eingeschränkt (J. Schmidt, Pluralbildungen 24ff.), erhalten
haben. Entsprechend ist gewiß zu beurteilen idg. *rksos „Bär“ (lat. ursa „Bärin“).
Altind. asvä, lit. asvd, lat. equa „Stute“ sind wohl ebenfalls — nicht wie Meillet,
Introduction5 243 vermutet, unabhängige einzelsprachliche Neuerungen, sondern —
die Entsprechungen eines alten Kollektivums *ekvä „Pferdeschaft“, das sich zur
Bezeichnung des weiblichen Einzeltieres ebenso entwickelte wie ahd. stuot „Pferde-
herde“ zu nhd. Stute „weibliches Pferd“.
3 So wohl — gemäß den im vorhergehenden über die Akzentverhältnisse ge-
machten Bemerkungen — zu betonen. Das Russische (igo, iga) hätte den Akzent
des Singulars, das Indische und Griechische den des Plurals (yugcim, ζυγόν) ver-
allgemeinert.
( 66 )
Die Heimat der indogermanischen Gemeinsprache 601

fast in sämtlichen Einzelsprachen gemeinsame Ausdrücke vorhanden


sind“ (Kretschmer, o. c. 21). Für jeden dieser Ausdrücke läßt sich, wie
ich glaube, einzeln ein Beweis ihrer Altertümlichkeit führen, wie für
*jugwom1. Aber auch, wenn das nicht möglich wäre, würde doch die
Kumulation entsprechender Ausdrücke im gleichen Begriffskreise an und
für sich genügen, um den Gedanken an Entlehnung auszuschließen. Mit
der Annahme, daß der Wagen der die idg. Sprache sprechenden Gemein-
schaft schon zu der Zeit bekannt war, als diese Sprache eine Einheit in
dem Sinne darstellte, daß sie allen Gliedern gleichermaßen verständlich
und handhabhaft war, ist eine glatte Erklärung des entsprechenden
Sprachgebrauchs in mindestens sechs verschiedenen Fällen gegeben.
Mit der Annahme einer Entlehnung aber wächst die Unwahrscheinlich-
keit, daß ein einzelnes Wort sich so gleichmäßig ausbreitet (vgl. o. S. 62
über *ovis), nicht nur ins sechsfache, sondern muß mit einem noch höheren
Faktor multipliziert werden: derselbe unwahrscheinliche Zufall hätte
mindestens sechs begrifflich eng zusammengehörige, in ihrer äußeren Ge-
stalt völlig disparate Benennungen betroffen: gebündelt hätten sie sich
unter „sprachlich und politisch streng geschiedenen Völkern“ (Kretsch-
mer 1. c.) in einer Weise ausgebreitet, die nur das Resultat eines raffinier -
ten Täuschungsmanövers sein könnte.
Wenn man also den zur Entscheidung stehenden Fall nicht von einer
herausgegriffenen Wortform _ (*jugwom), sondern vom sorgfältig unter-
suchten Zusammenhang aus beurteilt, wird es unmöglich, Kretschmer
zuzustimmen, wenn er meint: „Die Unrichtigkeit der Folgerung, daß der
Wagen den Indogermanen bereits zu der Zeit bekannt war, als sie sich
noch nicht in Einzelvölker geschieden hatten ... ist eigentlich so hand-
greiflich, daß sie nicht besonders bewiesen zu werden braucht“ (o. c. 21).
6. Natürlich gibt es auch Fälle, in denen sich die Möglichkeit der Erb-
verwandtschaft durch keine speziellen Kriterien stützen läßt. Aber haben
wir nicht ein gutes Recht, die unsicheren nach den sicheren zu beurteilen,
die Wahrscheinlichkeit auf Grund derjenigen Beispiele abzuschätzen, bei
denen sich überhaupt eine Wahrscheinlichkeit begründen läßt? Ich meine,
die Last des Beweises hegt auf der Seite derjenigen, die den Schluß a
potiori anzweifeln möchten.
Kretschmer vergleicht die Wanderung des indischen Wortes für
1 Über idg. *qeqla/*qeqlos siehe im vorhergehenden. Die Wz. *vegh „fahren“
bildet nicht nur in mehreren Sprachen einen genau entsprechenden Präsensstamm:
als. vez-e-tu, altind. vah-a-ti, lat. veh-i-t, sondern auch einen Aoriststamm von einem
Typ, der sonst ganz selten über eine Einzelsprache hinaus nachgewiesen werden
kann: altind. a-väks-am, asl. vesü (< ves-su), lat. vex-i.
( 67 ) 44*
602 Paul Thieme

„Pfeffer (pippalij*pippari) zu Griechen, Römern, Germanen und Li-


tauern mit der Verbreitung des Wortes für „Joch“ (jugwom): die beiden
Vorgänge stünden „im Prinzip genau auf einer Linie“. Mir scheint, der
Unterschied zwischen ihnen springt in die Augen. Er ist nicht „lediglich
ein chronologischer“, sondern ein grundsätzlicher, er beruht keines-
wegs darauf, daß sich *jugwom in prähistorischer, pippallj*pippari in ge-
schichtlicher Zeit ausgebreitet hat (Kretschmer, o. c. 21 f.).
Gewiß ist Kretschmer im Recht, wenn er nachdrücklich darauf hin-
weist (o. c. 23), daß die Art und Weise, in der sich eine sprachliche Neue-
rung durchsetzt, nichts anderes ist als ein Weitergegebenwerden von In-
dividuum zu Individuum, von Mundart zu Mundart. In diesem Sinne
kann man den Vorgang als eine „Entlehnung“ bezeichnen. Wenn wir
aber von „Lehnwörtern“ sprechen, dann meinen wir doch offenbar eine
ganz andere Art der „Entlehnung“. Wir meinen damit eine lexikalische
Neuerung, die nicht auf einer neuen Kombination in der Sprache schon
vorhandener Elemente beruht, sondern auf der Übernahme eines Aus-
drucks aus einer fremden Sprache, der zunächst isoliert im einheimischen
lexikalischen und grammatischen System steht und erst, sozusagen mit
sanfter Gewalt, in einen assoziativen Zusammenhang eingegliedert wer-
den muß. Das geschieht oft unvollkommen -— woraus sich im besonderen
Fall Kriterien für die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit der Entleh-
nung ergeben —, oft überhaupt nicht: z. B. russ. piano, Jcino, rädio usw.
werden als Indeklinabilia behandelt, obgleich es nahe genug läge, sie nach
der Analogie der neutralen o-Stämme zu flektieren.
Kurz gesagt: Der Unterschied zwischen lexikalischer Neuerung und
Lehnwort ist der zwischen „Fernsprecher“ und „Telephon“. Das
erstgenannte war als Möglichkeit in der deutschen Sprache latent vor-
handen, längst ehe es sozusagen „verwirklicht“ und in den praktischen
Gebrauch aufgenommen wurde. Auch wer noch nie ein Telephon benutzt
oder gesehen, auch wer von dem Vorhandensein dieser Vorrichtung keine
Ahnung hätte, würde doch, sobald ihm das Wort „Fernsprecher“ zum
erstenmal entgegentritt, seine Bedeutung erkennen, er würde eine ab-
strakte Sachverhaltsbeziehung: „jemand oder Etwas, der oder das
nach fern oder von fern spricht“ hersteilen —- wobei freilich seine Vor-
stellung gänzlich in die Irre gehen könnte. Mit „Telephon“ dagegen
würde er — sofern er wirklich nur die deutsche Sprache kennte ·—- so-
lange überhaupt nichts anfangen können, als ihm der mit diesem Wort
bezeiclinete Gegenstand nicht durch ausdrückliche Erläuterung oder
durch einen deutlichen Zusammenhang, in dem ihm das Wort erschiene,
zu einer Vorstellung geworden ist. Einer weiteren Erklärung, die ihm
( 68 )
Die Heimat der indogermanischen Gemeinsprache 603

ein Kenner des Griechischen geben müßte, würde er bedürfen, um die


eigentliche Bedeutung „in die Ferne sprechend“ kennenzulernen.
Wenn ich leugne, daß *jugwä/jugwom ein Lehnwort ist, so will ich
damit sagen, daß es grundsätzlich mit der deutschen Neubildung „Fern-
sprecher“, wenn ich behaupte, daß gr. πέπερι ein Lehnwort ist, so
heißt das, daß es grundsätzlich mit dem deutschen Fremdwort „Tele-
phon“ auf einer Stufe steht.
Die Bildung *jugwa mit dem neutralen Singular *jugwom war auf jeden
Fall eine latente Möglichkeit der idg. Gemeinsprache: die Bedeutung
„Anschirrung, Geschirre“ konnte aus dem Zusammenhang des sprach-
lichen Systems — und wie ich oben klar gemacht zu haben hoffe: eben
nur desjenigen der idg. Gemeinsprache — ohne weiteres entnommen wer-
den. Als sie verwirklicht wurde, bedurfte das Wort, um als Bezeichnung
eines speziellen Gegenstandes, des „Gejöches“, verstanden zu werden,
nur noch einer näheren sachlichen Erläuterung. Den Griechen dagegen,
die das Wort pippari zum erstenmal aus dem Munde fremder Kaufleute
vernahmen, konnte es erst dann etwas sagen, als ihnen der damit be-
zeichnete Gegenstand als ,,pippari“ vorgewiesen war. Wir können sicher
sein, daß ihnen das grammatische System, innerhalb dessen es im Indischen
seinen Platz hatte, gleichgültig war: sie haben mit der Form, die sie als
Nennform vermuteten, nicht zugleich den Genetiv und andere Deklinations-
formen zu erfragen, zu memorieren und im Griechischen heimisch zu ma-
chen sich bemüht, wie dieVorgriechen es getan haben müßten, wenn sie etwa
vorindisch avis, Gen. avyas als δΓις, öfjog entlehnt hätten: man braucht
sich das ja nur vorzustellen, um es endgültig außer Betracht zu lassen.
Unterscheiden wir also zwischen „Erbwort“ und „Lehnwort“, so hat
das seinen guten sachlichen Grund. Wir sind keineswegs ein Opfer „der
verhängnisvollen Neigung, Prähistorisches mit anderen Augen anzu-
sehen als Historisches“ (Kretschmer, o. c. 21 f.), wir setzen im Gegen-
teil vielmehr voraus, daß die Vorgänge, die wir in modernen Sprachen
als grundsätzlich verschieden erkennen, es auch in vorgeschichtlicher Zeit
waren — und trennen uns eben darin emphatisch von Trubetzkoy, der
Sprachen „niederer“ und „höherer Entwicklungsstufe“ sich gegenüber-
stehen läßt (o. S. 59 f.). Wo wir zweifeln können, ob es sich bei einer Ent-
sprechung um ein Erb- oder Lehnwort oder etwa auch um das Ergebnis
einer „konvergenten Entwicklung“1 handelt, wird es eine wichtige Auf-
1 Die Gefahr, clie letztgenannte Möglichkeit zu übersehen, dürfte in Wahrheit
größer sein als die, ein Lehnwort zu verkennen. Vgl. W. Schulze, Kleine Schriften
478 und die ausführliche und klare Darstellung des Problems von A. Melllet,
Sur une difficulte generale de la grammaire comparee (Linguistique historique 36ff.).
( 69 )
604 Paul Thieme

gäbe sein, nach Kriterien zu suchen, die für die eine oder andere Möglich-
keit sprechen. Unsere Untersuchung mag nicht immer zum Erfolg führen.
Aber es wäre doch absurd zu behaupten, daß ein Unterschied da nicht
vorhanden sei, wo wir ihn nicht erkennen können.
7. Trubetzkoy meint (o. c. 81), die Voraussetzung, es habe einmal
eine Zeit gegeben, da nur eine einzige idg. Sprache bestand, „stehe im
Widerspruch mit der Tatsache, daß wir, soweit wir in der Geschichte
zurückblicken können, immer eine Vielheit von idg. redenden Völkern
vorfinden“. Er gibt allerdings alsbald zu: „Ganz unmöglich ist die Ver-
mutung . . . nicht.“ Die negative Beurteilung der Wahrscheinlichkeit
beruht auf der Unterdrückung einer anderen Tatsache, die der von Tru-
betzkoy hervorgehobenen Tatsache der Vielheit historisch überlieferter
Sprachen erst ihr eigentliches Gesicht gibt: je weiter wir in der Geschichte
der Einzelsprachen emporsteigen, um so ähnlicher werden sie sich, sie
konvergieren aufs entschiedenste nach oben. Wir brauchen nur die Linien
der Entwicklung, die wir geschichtlich verfolgen können, in die vor-
geschichtliche Zeit sich fortsetzend zu denken, dann müssen sie schließ-
lich in einem Punkt Zusammentreffen. Unsere Vermutung gründet sich
also nicht auf eine unwahrscheinliche Widersprüchlichkeit, sondern eine
wahrscheinliche Konsequenz der Entwicklung. Der schlüssige Beweis
ihrer Richtigkeit liegt allerdings erst in der Stimmigkeit unserer Rekon-
struktion. Und diese ist gegeben: wir bekommen weithin einheitliche
Phoneme, einheitliche Wortformen, einheitliche Morpheme (Wurzeln,
stammbildende Elemente und Endungen) und einheitliche Methoden
ihrer Zusammenfügung.
8. Es erhebt sich nun ein Einwand, den zwar Trubetzkoy nicht macht,
der mir aber gewichtiger zu sein scheint, als was er vorbringt: Unsere Re-
konstruktion stimmt, jedenfalls im allgemeinen, so genau, daß man wohl
den Eindruck empfangen mag, es könne nicht mit rechten Dingen zu-
gehn. Denn, um Worte Kretschmers zu gebrauchen (o. c. 24), „wir ha-
ben durchaus kein Recht, sie [die sprachlichen Zustände der Grund-
sprache] uns als schlechthin einheitlich vorzustellen“.
Das heißt aber lediglich: Wenn wir von einer einheitlichen Gemein-
sprache in prähistorischer Zeit reden, dann dürfen wir nur eine Einheit-
lichkeit meinen, die sich grundsätzlich von der irgendeiner modernen Ge-
meinsprache nicht unterscheidet. Selbstverständlich setzen wir voraus,
daß all die Dinge, die hier zu beobachten sind, auch dort vorhanden
waren: kleine und kleinste Unterschiede der Lautgebung, des Wort-
gebrauchs, der Ausdrucksweise zwischen den einzelnen Individuen, grö-
ßere und größte zwischen den Sprachen auseinander liegender Land-
Die Heimat der indogermanischen Gemeinsprache 605

schäften. Die Einheitlichkeit einer Gemeinsprache liegt eben gar nicht


in der totalen Übereinstimmung des Gebrauches, den Einzelne oder Grup-
pen von Einzelnen von der Sprache machen, sondern in der gemeinsamen
Norm, an die jeder Sprecher zu halten sich bemüht.
Nichts anderes als ideale Normen sind die von uns rekonstruierten
Laute, Morpheme und Wortformen der idg. Gemeinsprache. Die Einheit-
lichkeit einer Gemeinsprache beruht eben darauf, daß sie solche Normen
besitzt.
Aus der Beobachtung moderner Gemeinsprachen wissen wir, daß längst
nicht in allen Einzelheiten feste Normen tatsächlich existieren. Bis zu
einem gewissen Grade ist also die Einheitlichkeit eine Fiktion. Ent-
sprechend lassen wir auch für unsere idg. Gemeinsprache die Möglichkeit
des Fehlens fester Normen im Prinzip zu. Wir beschränken uns auf die
Rekonstruktion derjenigen Tatsachen, bei denen unsere Rechnung glatt
aufgeht, und begnügen uns mit dem Schluß, daß wir in solchem Fall einer
festen Norm gegenüberstehn1. Im übrigen verzichten wir wegen des selbst-
verständlichen Restes nicht auf den Ausdruck und die Vorstellung „Ein-
heitlichkeit“.
Die aus der Anschauung moderner Verhältnisse gewonnene Erfahrung
belehrt uns weiter, daß das Vorhandensein einer Gemeinsprache das
gleichzeitige Vorhandensein von Mundarten und Dialekten nicht aus-
schließt. Jede Familie spricht ihren eigenen Jargon, jede Niederlassung
hat ihre mundartlichen Besonderheiten, jede Landschaft ihren Dialekt.
Aber diese Sonderformen existieren sozusagen unter der Decke der Ge-
meinsprache, die eine Hochsprache2 ist. Sobald der Einzelne aus dem
engen Kreis seiner nächsten Umgebung heraustritt, sobald eine gemein-
same Angelegenheit Vertreter verschiedener Gegenden zusammenführt,
ist es die Norm der Gemeinsprache, der zu folgen man sich bemüht.
Warum soll es in vorgeschichtlicher Zeit anders gewesen sein? Gewiß sind
die Mittel, mit deren Hilfe sich eine hochsprachliche Norm neben den
Dialekten aufrecht erhalten läßt, heute zahlreicher und wirkungsvoller,
als die, die einer Vorzeit zur Verfügung standen. Schule, Kirche, Zeitung,
Radio — sie alle sind mächtige Hebel der sprachlichen Einheit, aber doch
nicht die einzigen, die wir uns vorzustellen vermögen. Wesentlich allein
1 In diesem Punkte folgen wir heute nicht mehr den Junggrammatikern, die
auf jeden Fall ein stimmiges Ergebnis zu erreichen sich bemühten und nicht selten,
um auch widerstrebende Tatsachen in Harmonie zu bringen, bei unwahrscheinlicher
Gewaltsamkeit ihre Zuflucht suchten. Als vorbildlich und in allem Wesentlichen
richtig gilt uns das Verfahren, das A. Meillet in seiner Introduction anwendet.
2 Den hochsprachlichen Charakter der idg. Gemeinsprache hat Meillet des
öfteren mit Recht hervorgehoben. Vgl. auch Verf., Studien zur idg. Wortkunde 76.
(Μ)
606
Paul Thieme

ist die Notwendigkeit allgemeiner Verständigung und das Vorhandensein


von Mustern, an die man sich halten, Sprecher, an denen man die Norm
beobachten und nach denen man sich richten kann. Für unsere Hoch-
sprachen sind die Muster die anerkannten Werke der Literatur. Wer
konnten die sprachlichen Muster für die idg. Gesellschaft sein? Die Ant-
wort scheint mir recht nahe zu liegen: es waren in erster Linie die Träger
der Dichtung1, von deren Vorhandensein uns auffällige und verhältnis-
mäßig reiche Spuren in den Einzelsprachen künden (o. S. 8), wandernde
Sänger, die von Gehöft zu Gehöft, von Niederlassung zu Niederlassung
zogen, an deren Vortrag man sich erfreute und deren Sprache man als
die Verwirklichung der idealen Norm auffassen mußte; wandernde
Sänger, deren Nachfahren die vedisclien Dichter, die griechischen Aöden,
die germanischen Barden und die Träger des slawischen Volksepos sind.
9. Zog ein Teil der Sprachgemeinschaft aus, um eine neue Heimat,
neues Weide- und Ackerland zu suchen — ein Vorgang, den wir uns nach
der Analogie der germanischen Völkerwanderung vorstellen dürfen —,
so hörte für ihn die Notwendigkeit, die Norm der bisherigen Gemein-
sprache beizubehalten, mit einem Schlage auf. Er schuf eine neue Ge-
meinsprache, indem er seinen eigenen Dialekt zur hochsprachlichen Norm
erhob, neben der sich nun wieder neue Dialekte entwickelten. Auf solche
Weise entstanden z B. das „Urarische“ und das ,,Urgriechische“.
Etwas anders werden sich die Ereignisse bei dem beträchtlichen Teil
des idg. Volkes, der in der Heimat blieb, abgespielt haben. An und für
sich ließe sich die Möglichkeit erwägen, daß ein bestimmtes kriegerisches,
politisches oder wirtschaftliches Ereignis die ehemalige Einheit plötzlich
auf löste. Naheliegender und in Anbetracht der gegebenen Verhältnisse
natürlicher aber ist die Annahme, daß es sich vielmehr um ein allmäh-
liches Auseinanderwachsen der einstigen Wirtschafts- und Kulturgemein-
schaft gehandelt hat. Das Volk breitet sich nach allen Richtungen hin
aus: die Möglichkeit der Aufrechterhaltung der einheitlichen sprachlichen
Norm mußte sich im gleichen Maßstab verringern wie die Notwendigkeit
und Gelegenheit allseitigen Redeverkehrs. So drängten sich die Mund-
arten, also die landschaftlichen Spielarten der Hochsprache, immer ent-
schiedener an die Oberfläche und wurden schließlich zu selbständigen
Gemeinsprachen.
10. Es erhebt sich die Frage, ob wahrscheinliche Spuren eines solchen
Vorgangs erkennbar sind. Es ließe sich da z. B. denken an die bekannten
Beispiele aus den slawischen und baltischen Sprachen, in denen wir statt
1 Jedenfalls nicht, wie man erwarten könnte, die eines allgemeinen Kultus.
Vgl. die wichtigen Schlüsse Meillets, Linguistique historique2 329ff.
(72 )
Die Heimat der indogermanischen Gemeinsprache 607

des — gemäß regelrechter Entsprechung — erwarteten Zischlautes


einen Guttural an Stelle eines iclg. „Palatals“ finden1: asl. svekry: idg.
*svekrü-s „Schwiegermutter“, asl. kamy, lit. akmuo: idg. *akmön „Stein“;
asl. kosa „Sense“: idg. *kes „schneiden“ (altind. sas); lit. pekus: idg.
*pekus „Vieh“; lit. smakra: idg. *smokrü- (altind. smasrü) „Schnurr-
bart“; lit. klausau „höre“, klausiu „frage“: idg. *kleul*klou „hören“,
altsl. iskq: idg. *iskö (altind. icchä[mi]) — um die sichersten Belege zu
nennen. Der Versuch, hier mit durch besondere Bedingungen verursachter
Dissimilation eines Palatals zu einem Velar zu rechnen2, erfordert mehr-
fach Spezialannahmen. An Lehnworte aus dem Germanischen zu denken,
verbieten in einzelnen Fällen formelle Kriterien (svekry: Gen. svekruve
wie altind. svasrüs/svasruvas; klausiu: altind. sravisyä[-mi])3, die die
Altertümlichkeit der Wörter garantieren; bei fast allen scheint die Ge-
läufigkeit der genannten Begriffe gegen die Wahrscheinlichkeit einer
nachträglichen Entlehnung aus einer Nachbarsprache zu sprechen. Ich
stelle deshalb zur Diskussion, daß es hochsprachliche Dubletten sind,
die sich erhielten, als Dialekte, die k durch Zischlaut ersetzt hatten, zu
selbständigen Hochsprachen wurden. Streng genommen liegt auch hier
eine Entlehnung vor, aber das „Lehnwort“ war in diesem Falle doch
kein „Fremdwort“. Es entsprach in seiner Flexion und Bedeutung einem
einheimischen Dialektwort, von dem es sich eben nur durch einen ein-
zigen Laut unterschied, den man als geläufige hochsprachliche Ent-
sprechung zu dialektischem Zischlaut kannte. Es handelt sich, genau
ausgedrückt, nicht um die Entlehnung eines Wortes, sondern um die
einer Aussprache4.
1 Zuletzt hierüber M. Mayrhofer, in W. Brandensteins Studien zur idg.
Grundsprache, Heft 4 (1952) 27ff., wo reiche Literatur verweise. Seiner Beurteilung
kann ich mich freilich nicht anschließen. Er spricht von einer „Tendenz zur Pala-
talisierung“, die, „im Osten aufgekommen“, im slavisch-baltischen Gebiet „all-
mählich versandete“. Demnach scheint er sich vorzustellen, daß es sich um einen
Vorgang handelte, der ein Wort nach dem anderen selbständig ergriff. Offenbar
haben wir es aber doch mit einer Ersetzung einer Lautvorstellung (Je usw.) durch
eine andere (s usw.) zu tun, die demnach überall, wo die entsprechende Laut-
vorstellung erschien, gleichzeitig sich auswirken mußte: also mit einem sogenannten
ausnahmslosen „Lautgesetz“.
2 So Meillet, Etudes sur Vetymologie ... du vieux slave I 198; W. Schulze,
Kl. Schriften 60, Arm. 5, 69, Arm. 2. 3 W. Schulze, Kl. Schriften 105ff.
4 Analoges gilt natürlich für die lateinischen Wörter mit teilweise sabellischer
Lautung, wie bos, bovis, bubus; lupus, lupa, die als Lehnwörter anzusprechen offen-
bar (Flexion!) verfehlt wäre. Eine hochsprachliche Aussprachedublette z. B. auch
griech. σνς neben ϋς ?
Die typische Rolle und Wichtigkeit solcher „Ausspracheentlehnungen“ in der
sprachlichen Auseinandersetzung aneinander grenzender Kultur- und Wirtschafts-
( 73 )
608 Paul Thieme

11. Ich hoffe, es ist evident geworden, daß wir zwischen grundsätzlich
verschiedenen Vorgängen: Ausbreitung einer lexikalischen oder mor-
phologischen oder lautlichen Neuerung innerhalb einer Gemeinsprache,
Entlehung eines fremden Wortes aus einer anderen Sprache, und
schließlich Entlehnung einer Aussprache eines bereits vorhandenen
Wortes aus der Gemeinsprache in den Dialekt oder aus dem Dialekt in
die Gemeinsprache, oder aus einem Nachbardialekt in den anderen, sorg-
fältig unterscheiden müssen. Wenn Altheim behauptet: „Sprachliche
Gemeinsamkeiten lassen sich immer durch Übertragung erklären“ (Gesch.
d. lat. Sprache 3), so will das in seinem Zusammenhang besagen: nicht
nur Lehnwörter paschen über Sprachgrenzen, sondern — und zwar in
gleicher Menge — auch sämtliche Elemente des grammatischen Systems:
stammbildende Suffixe, Endungen, Wortbildungs- und Flexionsmethoden.
Das aber ist ein Dogma, das den Ergebnissen widerspricht, die die Sprach-
wissenschaft durch sorgfältige Beobachtung und auf induktivem Wege
gewonnen hat1, ein Glaubenssatz, der auf einer willkürlichen Identifi-
zierung ganz verschiedener Ereignisse beruht: der Ausbreitung einer
sprachlichen Neuerung und einer Entlehnung. Schließlich und endlich
kehren wir mit der „Assimilationshypothese“ ins 18. Jahrhundert zurück,
da man die Ähnlichkeiten des Sanskrit mit den klassischen Sprachen
durch „Einmischung“ erklären zu können glaubte.
Eine Prüfung der Einwände gegen die Wahrscheinlichkeit der Hypo-
these einer einheitlichen idg. Gemeinsprache2 und die Methode, sie zu
räume und in der Auseinandersetzung von Hochsprache und Dialekt läßt am
deutlichsten die moderne Sprachgeographie erkennen: Th. Frings, Grundlegung
einer Geschichte der deutschen Sprache (1948) 1 ff., insbes. 8f. Vgl. auch A. Meillet,
Linguistique historique 3f.
1 Ich verweise nochmals nachdrücklich auf Meillets Diskussionen: Le probleme
de la parente des langues (Linguistique historique2 76.ff., insbes. 84ff.) und Les paren-
tes de langues (o. c. 102ff.), wo er sich gegen bei Trubetzkoy wieder zum Leben
erweckte Auffassungen H. Schuchardts wendet. Seine Analyse der Verhältnisse
ist so klar und einleuchtend, daß es eigentlich wundernimmt, wie man sich doch
so sorglos darüber hinwegsetzen mag.
2 Altheim spricht o. c. 3 von einer „europäischen Sprachgemeinschaft, die außer
indogermanischen Sprachen das Filmische und Ungarische, auch die neueste Aus-
gestaltung des Osmanischen in sich begreift“. „Man stelle sich einmal vor, man
besäße die Sprachen der europäischen Sprachgemeinschaft allein in ihrem heutigen
Stand, ohne ihre älteren Vorstufen. Die Verwandtschaft und sprachliche Vergleich-
barkeit würde sich auf drängen. Auf eine große Anzahl sich entsprechender Wörter
stieße man beim ersten Zugriff.“ Er meint: „Telephon. Telegramm usw.“
Hieraus wie aus anderen Bemerkungen, die er in diesem Zusammenhang macht,
z. B. seiner Ironisierung eines von ihm vorgeschlagenen Versuchs einer Rekon-
struktion einer historischen Vorstufe dieser „europäischen Sprachgemeinschaft“,
Die Heimat der indogermanischen Gemeinsprache 609

verifizieren — uncl das ist eben die Rekonstruktion —, hat nichts ge-
liefert, was uns irre machen könnte. Ehe man ihnen Besseres anbietet,
werden die Vertreter der ,,Disintegrationshypothese‘‘ bei ihrer Annahme
und ihrem Verfahren bleiben. Ich für meine Person jedenfalls sehe keinerlei
Anlaß, im Schmucke eines von meinem verehrten Freund Altheim
freundüchst dargereichten „stachligen Kränzleins“ (o. c. 5)1 Buße zu tun
scheint mir sehr deutlich hervorzugehen, daß der so bewundernswert vielseitige
Historiker sich nicht darüber klar ist, was wir unter „Sprachverwandtschaft“ und
„sprachlicher Vergleichbarkeit“ verstehen: er hat sich von Trubetzkoy irreführen
lassen. Unter „Sprachverwandtschaft“ verstehen wir nicht Gemeinsamkeiten des
Wortschatzes und unter „sprachlicher Vergleichbarkeit“ nicht eine Ähnlichkeit
des Typus — wie Trubetzkoy will. „Sprachverwandtschaft“ ist für uns der
Ausdruck dafür, daß gewisse Sprachen j e selbständige Entwicklungen einer ehemals
gemeinsamen Sprache sind — mag uns das erkennbar sein oder nicht —, und
„sprachliche Vergleichbarkeit“ fängt für uns an und hört für uns auf damit, daß
der grammatische Bau, d. h. der Aufbau der Wörter aus ihren Morphemen und der
Aufbau der Morpheme aus den Lauten — und nichts anderes —, sich exakt
nachweisbar entspricht. Eben aus diesem Nachweis folgern wir die „Verwandt-
schaft“ in unserem Sinne. Altheim unterschiebt uns eine Auffassung von „Sprach-
verwandtschaft“, die wir nicht haben, sondern die diejenige von Trubetzkoy ist,
und versucht, unsere Methode, geschichtliche Verwandtschaft nachzuweisen, da-
durch lächerlich zu machen, daß er andeutet, daß sie bei geschichtlich nicht ver-
wandten Sprachen versagt. Er müßte aber, um uns ad absurdum zu führen, gerade
zeigen, daß sie sich dort anwenden läßt. So unternehme er es doch einmal, ein
Konjugationssystem der französischen Sprache in Vergleichung mit jenem der fin-
nischen und osmcmischen Sprache (frei nach Bopp), oder ein Memoire sur le Systeme
primitif des voyelles clans les langues europeennes [inklusive Ungarisch und Osmanisch]
(frei nach de Saussure), oder ein Pluralbildung der europäischen Neutra (frei
nach J. Schmidt) zu verfassen: beim ersten Schritt wird ihm klar werden, daß die
„sprachliche Vergleichbarkeit“, die er im Auge hat, überhaupt nichts zu tun hat
mit jenen strengen Entsprechungssystemen, die wir zwischen den idg. Sprachen
festzustellen vermögen.
1 Gewiß stellt das sog. Hethitische der idg. Sprachwissenschaft ein schwieriges
Problem: das Verhältnis, in dem es zur idg. Gemeinsprache steht, exakt zu defi-
nieren. Ich muß es mir versagen, dazu Stellung zu nehmen. Denn nach allem, was
ich ausgeführt habe, ist die Beurteilung auf Grund einer Betrachtung heraus-
gegriffener Einzelheiten — und über mehr verfüge ich nicht — durchaus nicht
möglich. Es ist nicht unsere Aufgabe, „einfach (s^c!) festzustellen“ (Altheim 1. c.):
so oder so. Vielmehr ist es notwendig, sämtliche Tatsachen und den gesamten
inneren Zusammenhang des hethitischen sprachlichen Systems so genau wie mög-
lich zu erforschen und zu analysieren, um sie dann zu „vergleichen“. Auf diesem
Wege allein kann es gelingen, zu Ergebnissen zu kommen, die nicht nur ephemeren
Wert haben und über dem Niveau halbdilettantischer Meinungen stehen. Mit
andern Worten: es ist die Methode F. Sommers, wie er sie, auch dem Außen-
stehenden verständlich, in seiner Schrift Hethiter und Hethitisch (1947) vorgeführt
hat, die allein ich für richtig halte. Was Sommer (o. c. 79) über ein Einzelproblem
( 75 )
610 Paul Thieme

und mich von den wohl durchdachten Voraussetzungen und wohl er-
probten Arbeitsweisen unserer Wissenschaft loszusagen.
der hethitischen Lautlehre sagt, darf man auf die Problemlage im ganzen an-
wenden: „Fürs Weiterkommen wird es an Stelle schneidiger Attacken einer mehr
als gewöhnlichen Vorsicht bedürfen . .

Nachtrag

Das kurze v von αιγνταος „Geier“ widerrät aufs entschiedenste den Versuch,
den zu Grunde liegenden Stamm αίγνπ- geraden Wegs von γυπ- (immer mit
langem v) abzuleiten (etwa aus *αίγ-\-γυπ- *,,Ziegengeier“). Die ,o. S. 35 Anm. 2
versuchte Analyse von γυπ- „Geier“ aus *gwu-jup „[gefallene] Rinder beseitigend“
gibt eine Zerlegung aig-hup „Ziegen beseitigend“ an die Hand. Das Komposi-
tum muß aus einer Zeit stammen, da der vorgriechische Nachfahr der idg. Wz.
*jup bereits *hup lautete, aber noch ein lebendiges Element des Wortschatzes
war. Auf spätestens die gleiche Zeit weist der Kompositionstyp. Vgl. auch χέρ-
νιβ- f. „Waschwasser“ („Die Hände waschend“) [Schwyzer, Gr. Gr. I 424]: χερ-
als Name der Hand ist schon vorgriechisch, aber nicht als gemeinindogerma-
nisch erweisbar.

( 76 )
Index
1. Indogermanisch näu Schiff 30
ovi- Schaf 60 ff., 69
ag- Ziege 44 f. peleku- Axt 52 f.
agä Ziegenherde 45 f. piski-, pisko- Fisch 47 f.
ägi- Ziegenbock 45 f. pkv- Kleinvieh 45
agro- Weideland, Acker 44 plovö- Kahn 30
aig- Ziege 31 Anm. 2, 37, 43ff. ponijo-, pono- feuerfarbig 20
aig- Eiche 15 Anm. 2 porko- Ferkel 26
apro- männliches Tier 46 qeqla Räderschaft 65f.
asp-, aspi- Espe 13, 16 qeqlo- Rad 65 f.
bhägo- Buche 12, 15, 30, 31 Anm. 2 qrumnä Hinterdeck 30
bher9go-/bhrgo- Birke 14, 31 Anm. 2 reva/rü brüllen 33f.
bhugä Ziegenherde 46 reg- König 8
bhugo- Ziegenbock 46 f. sal- Salz 27f., 30
ekvä Pferdeherde 66 Anm. 2
sälo- salzig, salzfarben 20, 28 Anm. 2
era rudern 30
sei/si säen 25
gheslo-, gheslijo- 1000 50 spjo- aus Espenholz bestehend 16
ghjii Fisch 48 ■stlnä Säule 54
ghelü-/gwhelü- Schildkröte 30 strig- Eule 37
gwou- Rind 62f. su- Hausschwein 26f., 36f.
gwu- Rind 35 Anm. 2, 62 vegh fahren 67 Anm. 1
jugwä Gejöche 64ff., 69 vegh-slo- Segel 30 Anm. 4
jugwo- Joch 63ff., 69 vlqa Wolfsrudel 46, 66 Anm. 2
jeup/jup beseitigen 35 Anm. 2 vlqo- Wolf 66 Anm. 2
klvon- Säule 54
köijkl schärfen, wetzen 35 Anm. 1 2. Altindisch
köi/ki liegen 54 Anm. 2
ksuro- Messer 50 atka Hülle, Gewand 45 Anm. 1
laks-, lakso- Lachs 17 ff. Anm. 1 alakta Lack 41
lakso- Spieleinsatz 21f. äyu- Bezeichnung des Agni, des Soma
läkso- rot 19 f. und des (ersten) Menschen 15 Anm. 2
leg- Gesetz 8 edaka wilder Ziegenbock 44
levd/lü brüllen 33f., 39 eraka- Schilfrohr 49, 52
luk- Luchs 37 elä Eleatta Cardamomum 52 Anm. 1
li sich nieder kauern, sich verstecken 38 käsika-, kausika- Seide, seiden 20
mari- Meer 20, 30 ksura- scharfes Messer 49 ff.
märo- meerschimmernd 20 dhanvan- Bogen 16, 31
moh/ml mahlen 26 dhanvan- trockenes Land 31
mus- Maus 26 parasu- Axt 49 ff.
( 77 )
612 Paul ϊηιεμε

parkati Ficus Infectoria 15 Anm. 2 αϊξ Ziege 36f., 49 ff.


pari]ata Himmelsbaum 15 Anm. 2 αϊρα Lolch 49f., 52
barbara- Angehöriger einer niehtarischen αλς Meer 28
Völkerschaft 4 9 ff. άμπελος Weinstock 10
bata- Schwächling 49, 53f. άσκός Schlauch 45
basta Ziegenbock 47 Anm. 1, 56 Anm. 1 άσπίδ- f. Schild 13 f.
bhürja- Birke 14 βάρβαρος Barbar 49f., 52
bhüri- viel 18 Anm. 3 βάτας Wollüstling 49f., 53f.
mäsa- Bohne 20 βονλντο- Abend 34f.
mir 1. packen, 2. mahlen 26 γνιρ Geier 35 Anm. 2
yup beseitigen 35 Anm. 2 είλρίς Kastrat 4 9 ff.
ru, rü brüllen 33 ff. ένορχο-, ένορχες nicht kastriert 51
laksa- 100 000 18ff., 39f. εριφος Böckchen 47
laksa- Marke, Zeichen 39f. έλαίΓα Ölbaum 10
laksa- Einsatz, Preis 21 f., 40 ϊϋ·ρις Kastrat 52
laksay- auf etwas achten 40 Ιγβΰς Fisch 48
laksay- kennzeichnen 39 f. κάπρος [Hausschwein-] Eber 45f.
laksya Kennzeichen 40 f. κϊς Wurm 35
laksya Preis 40 κίων Säule 49f., 54
läksä Lack 20 f., 41 f. κύκλιος Kreis, Rad 66
vacüiri Wallach 49 ff. κυνέη Kappe, Helm 12
vij- Spieleinsatz 21f. 37 Anm. 5 κνπάρισσος Zypresse 10
sära- fleckig 20 Anm. 3 ?ιαχ- erlösen 21, 24 Anm. 1
säraka- Schachstein 20 Anm. 3 λέων Löwe 10, 32ff., 39
särikä Elster (Maina) 20 Anm. 3 λιάζομαι sich niederlassen, sich ducken 38
sila- Natur, Charakter 54 λΐς Löwe 35 ff.
salila- Meerflut 27 λνγξ Luchs 3 5 ff.
salila- salzig 27 μάρναμαί kämpfe 26
sarit- Strom 28, 30 μϋς Maus 35
sahasra- 1000 49 f. οίνος Wein 10
säla- grau 20 Anm. 3, 28 Anm. 2 ονος Esel 10
sälävrka- Grauwolf 20 Anm. 3 ξνρό- Rasiermesser 49 f.
sära- fleckig 20 Anm. 3 πέλεκνς Axt 49, 52 f.
sära- Kraft, Festigkeit 28 Anm. 2 πέπερι Pfeffer 67 ff.
säranga- Antilope 20 Anm. 3 πτώξ Hase 3 5 ff.
simha- Löwe 11, 49f., 54ff. πτώσσω 1. sich ducken, 2. sich als Bett-
sirä Pflug 25 ler verhalten 37
sitä Furche 25 στρίγξ Eule 35ff.
sükara- [wilder] Eber 26 σνς Schwein 73 Anm. 4
sthünä Säule 54 nebst Anm. 1 τόζον Bogen 16
sphya- Holzschwert 15f. ϋς Schwein 35ff., 73 Anm. 4
heman- Gold 20 Anm. 2 φαγάς Buche, Speiseeiche 12
haima Gold 20 ιράρ Staar 36
haima golden 20 Anm. 2 *χέσλιοι 1000 49 f.
3. Griechisch 4. Iranisch
ά&ρις Kastrat 52 aw. baevar 10 000 18
αίγίδ- Schild aus Ziegenfell 13 aw. izaena aus Leder 43,· 49, 53
Die Heimat der indogermanischen Gemeinsprache 613

aw. tkaesa- Lehrer 45 ahd. tann Wald 31


aw. stüna-, stünä Säule 54 Anm. 1 ahd. tanna Tanne 16, 31
oss. läsäg Forelle 23 f. wg. sol schmutzig 20, 28 Anm. 2
np. ser Löwe 11
kurd. büz Uhne 15 9. Keltisch
icisc Fisch 47 f.
5. Armenisch 10. Tocharisch B
aic Ziege 43, 49, 53 laksi Fisch 17, 23
ine, inj Leopard 11, 49 ff.
jukn Fisch 48 11. Lateinisch
siun Säule 49, 54
aper [wilder] Eber 45f.
asinus Esel 10
6 Baltisch
bos Rind 62 Anm. 1, 73 Anm. 4
lit. ozys Bock 45 caper Ziegenbock 45 f.
glumcis Hindin 56 Anm. 1 capra Ziege 47
kläusiu frage 73 cupressus Zypresse 10
zuvis Fisch 48 equa Stute 66 Anm. 2
esox 17, 29
7. Slawisch haedus Bock 46
azina Leder 45 lupa Wölfin 66 Anm. 2, 73 Anm. 4
lupus Wolf 73 Anm. 4
koza Ziege 45 f.
kosti Knochen 45 f. mora Aufenthalt, Verzug 26 Anm. 1
oleum Öl 10
svekry Schwiegermutter 73 oliva Ölbaum 10
piscis Fisch 47 f.
8. Germanisch salmo Salm 17, 29
jiska- Fisch 47 f. strix Eule 37
got. fani n. Sumpf 20 veles, -itis schnell beweglich 30 Anm. 4
got. fon, funins Feuer 20 velox, -eis schnell 30 Anm. 4
got. galt- Ziege 46 vinum Wein 10

( 79 )
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28. Juni 1979
voll 3050920
Die Heimat der indogermanischen Gemeinsprache 559

Die Vermutung, die Heimat der idg. Gemeinsprache habe in Südruß-


land und Teilen der Kirgisensteppe gelegen, stützt sich im wesentlichen1
auf die angebliche Tatsache, daß ein Teil der Ackerbauterminologie, die
den idg. Sprachen gemeinsam ist, den beiden östlichsten, dem Indischen
und Iranischen, fehle. Ein Teil der Träger der Gemeinsprache, so schließt
man daraus, habe noch mehr oder weniger nomadisch gelebt, sei also in
dec Steppe beheimatet gewesen: also müsse die Heimat da gesucht
werden, wo Steppe und Ackerland zusammenstoßen, und das wäre eben
an der Grenze von Südrußland und Kirgisensteppe2.
Bereits Otto Schräder, der in seinem bekannten Werk Sprachver-
gleichung und Urgeschichte (3. Aufl. 1907) dieses Argument, das heute
noch einen starken Einfluß ausübt, zum erstenmal ausführlich aus-
gebreitet hat, mußte zugeben, daß dem Indoiranischen keineswegs alle,
sondern nur einige Ackerbaugleichungen abgehen. So meinte er (o. c.
II 204f.), sie hätten zwar den Ackerbau gekannt, er habe aber bei ihnen
eine im Vergleich zu anderen Stämmen verhältnismäßig geringe Rolle
gespielt. Ich - Wh für recht äußerlich
halten. Ich bi Ξ-
— CO
da es sich mittlerweile
herausgestellt Ξ-Γ nologischer Durchfor-
BF ·
schung des in Ξ.
18. Schrai =_r . Benennung des Säens
/Wz. selsei). Ξ | Aufsatz: La charrue
es VIII (1936) 411 ff.)
'a n. ,,Saatpflug“, sitä
en ist3. Zugleich ergibt
1 ■! . SejtUYLLD ~ | :90) glaubte annehmen zu
sollen, das Zäl ~ cd rch die in Babylon übliche
sexagesimale 1 E Ifluß auf eine Herkunft der
Indogermanen ΞΓ shandelt und widerlegt von
F. Sommer, Zi =-i? .. Heft 7, 1951), insbes. 57ff.
3 Dagegen s — 1939), 59ff. Ich beschränke
mich im folge Ξ licherweise diejenigen, die
sich auch sich Ξ
3 Es ist mir =- [XVI, 27f., den von Bloch
mit mustergül — cp [aer Begründung geführten
Nachweis so Ξ ■ Auch seine Behauptung,
für die idg. t =~ chweisbar (o. c. 19f.), läßt
sich nicht ha t, 42f., der leider Blochs
Darlegungen Ξ die int, es ist höchste Zeit,
schützte Kombination von
['· Schriften, 665) zugunsten

I- O
¥* Ö
Io
CQ

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