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Altheim Geschichte Der Hunnen IV Die Europaeischen Hunnen
Altheim Geschichte Der Hunnen IV Die Europaeischen Hunnen
VIERTER BAND
FRANZ ALTHEIM
GESCHICHTE DER H U N N E N
VIERTER BAND
MIT B E I T R A G E N VON
E U G E N LO Ζ Ο VAN, R U T H S T I E H L UND
ERIKA TRAUTMANN-NEHRING
w
DE
G
WALTER DE GRUYTER · BERLIN · NEW YORK
1975
ISBN 3 r ι 004665 2
Copyright 1975 by Walter de Gruyter Co., vormals G. J. Göschensche' Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlags"
buchhandlung — Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit fit Comp., Berlin 30 — Printed in Germany — Alle Rechte
der Übersetzung, des Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe und der Anfertigung von Mikrofilmen — auch
auszugsweise — vorbehalten
Satz und Druck: Walter de Gruyter fic Co., Berlin
Bindearbeiten: Lüderitz & Bauer, Berlin
H O R S T W. H A R T W I C H ,
DEM L I E B H A B E R D E R G E S C H I C H T E
VORWORT
Vorwort VI
Anhang 349
Nachträge zum ersten Band 351
Nachträge zum zweiten Band 351
Nachträge zum dritten Band 352
Druckfehlerverzeichnis zum zweiten Band 356
Druckfehlerverzeichnis zum dritten Band 356
Register 365
1. Geschichtliches Register 367
2. Philologisches Register 382
ERSTES BUCH
1 Altheim, Hunnen IV
1. KAPITEL
ZWEI NEUFUNDE
Im Frühjahr 1957 fand sich auf der Rückseite einer 1422 ausgestellten
Urkunde, die von Rechtsstreitigkeiten über transdanubische Besitzungen
der Familie Batthyanv handelt, eine Liste von Wörtern der ungarländischen
Alanen oder, wie sie sich nannten, der Jassen. Eine lateinische oder alt-
ungarische Übersetzung war diesen j assischen Wörtern oder Wendungen
beigegeben. In insgesamt 18 Zeilen werden 41 jassische Wörter aufgezählt.
J. Nemeth hat dieses einzigartige Sprachdenkmal, von paläographischer
und iranistischer Seite beraten, jüngst herausgegeben und eingehend be-
handelt 1 .
Die Jassen, als Nachkommen der Alanen nordiranischen Ursprungs und
mit den heutigen Osseten verwandt, sind 1239 nach Ungarn gekommen. Sie
1·
4 I R A N ALS G E S C H I C H T L I C H E R HINTERGRUND
• J. Nimeth, a. O. 28.
' W. Miller, Die Sprache der Osseten (1903) 20 § 9.
4 a. O. 30 unter 4.
" W. Miller, a. O. 18 § 5.
13
a. O. 28.
14
a. O. 29.
ι. ZWEI NEUFUNDE 7
Auf der aramäischen Inschrift von Mchet'a werden als alanische Orts-
namen zmyzbl' Z. 4 und nykwrti Z. 10, ferner Z. 5 das Appellativum shr',
Z. 7 und 14 zyri begegnen: alles vollgültige Zeugen für das Alter des auslau-
tenden -ä.
Mit Sicherheit gelesenes xvat auf dem Topf von Ladänybene (oben
1,296) zeigt, wie zu erwarten, Erhaltung des anlautenden xV- und auslauten-
den Beides erscheint im Jassischen, während das W . Oss. xvädäg hat.
Wieder bestätigt sich, daß das Jassische eine alte Sprachstufe bewahrt hat.
Das Bild ergänzt sich bei jass. dan gegenüber w. osset. und o. osset. ion.
Man vergleiche dazu die oben gegebene Besprechung der Flußnamen Don
und Donau (oben 1, 355 f.).
Die Masse der jassischen Personennamen entstammt dem „Freibrief der
Jassen", den 1323 K a r l Robert aus dem Hause A n j o u erteilt h a t 1 5 . Furduh
wird von Nemeth1· richtig mit w. osset. furt, o. osset. fjrt sowie mit φουρτ,
Φούρτας zusammengestellt. Sodann Zuagan, womit Nemeth nichts hat
anfangen können 1 7 . Die genannte Inschrift sowie die griechisch-aramäische
Bilinguis bringen zywh, Ζ η ο υ α χ ο υ , eine Gemme Ζευάχηξ 1 8 - Dazu kommt
das adjektivische Suffix -änie. Zudak auf einer Urkunde von 1325 2 0 hat
sich gefallen lassen müssen, mittels des Rumänischen gedeutet zu werden.
In Wirklichkeit gehört es zur Stadt Sudak auf der Krim, dem Σ ο υ γ δ α ΐ α der
Inschriften 2 1 .
Das einzige, was dem Bild eines erhaltenen alten Sprachzustandes zu
widersprechen scheint, ist der Name der Jassen selbst. Zugehörigkeit zu
Ass und Verwandten (oben 1, 58; 60; 67; 73 f.) ist auch von Nemeth an-
erkannt. Aber er spricht von einem slawischen /-Vorschlag 22 . Einen Parallel-
fall bildet jass. jaika „ E i " , gegenüber w. osset. aikä, o. osset. aik. Hier ver-
weist Nemeth 2 3 indessen nicht aufs Slawische, sondern auf o. osset. yäfs
„ S t u t e " gegenüber w. osset. äfsä, avest. aspä24. Neuestens kommt hinzu
14 J. Nemeth, a. O. 6; 24t.
" a. O. 24.
1 7 a. O. 25.
19 W. Miller, a. O. 92 § 9 5 , 15b.
" J. Nemeth, a. O. 25.
" W . Miller, a. O. 6 unten.
» a. O. 10.
23 a. O. 31 unter 10.
M W . Miller, a. O. 23 § 21, 3.
8 IRAN ALS GESCHICHTLICHER HINTERGRUND
NACHTRAG
2
Mchet'a in Gruzinien ist der Fundort der bekannten griechisch-ara-
mäischen Bilinguis, die in zahlreichen Veröffentlichungen behandelt worden
ist. Auf eine zweite, an gleicher Stelle gefundene Inschrift konnten wir die
Aufmerksamkeit lenken 1 . Damals stand nur der Hinweis M. Gibellino
Krasceninnicowas 2 zur Verfügung. Sie bemerkt:
„ . . . in una altra iscrizione . . . in antico aramaico, e che si ricollega a quella
del 7 5 d. Cr. relativa a Vespasiano, trovata presso Mzkheta, l'Eristhavi Sciaragas,
. . . esalta le vittorie riportate nei paesi confinanti e menziona le fortifirazioni
espugnate all'Armenia."
2
' Nach Abschluß des obigen Abschnittes wurde mir die Besprechung \V. P.
Schmidts in: Indog. Forsch. 65 (i960), 1 8 8 f . bekannt.
1
Oben 1, S. 1 1 A n m . 73.
2
In: II Caucaso, Studio storico-archeologico (o. J . ) , S. 84.
ι. Z W E I NEUFUNDE 9
Auch diese Inschrift wurde, gleich der Bilinguis, einer älteren Anlage
entnommen und zum Bau einer frühmittelalterlichen Grabstätte verwandt.
Da eine Veröffentlichung der Inschrift seitens Ceretelis erwartet wird,
müssen wir uns auf eine vorläufige Lesung und Deutung beschränken.
Zunächst geben wir unsere Lesung:
1. mlyk mhrdt mlk rb br' zy prsmn mlk rb 'nh sr[gs
2. br' zy zywh rb wkyn 'nh srgs zy pythS [mh]rd( m[lk
3. mwly whkyn mwl zy mrwt mn 'rykyn mtrym bmytyt hlzn nhdt
4. IzmyzbV kyn Ikry my ums wbnynyn whkyn 'm mnw zy mwl zy mrwt
5. trysyt kzy 'nh srgs pyt[h]S lk[dm] ihr' hwyn ky[n
6. myhrdl mlk hw' Ikdm mzwryn wbydy Ί 'rmyn mtk byr[t
7. mtk byrt tbt wzyn zyn' 'rwst mlk Ikh mytyt wkyn kzy . . .
8. hkyn byny bgw hyl dhw' 'tr nknyt tr' lythty hwd wkyn '[nh
9. mzwr zy hzky Ikdm msknyt btkn snryt dhw' msryk wnwdyt z[y
10. Iwt mt 'klyt whkyn btlcn bz yslk mytyt twb nykwrh mtk wdyly by
11. Itt' yhwy wkyn 'nh ly srgs gmr . . . Ikdm msykyt byrt zy ywnt' lb[
12. Syn l . . . 'tr [w]Syn Ikh pkd zyn zyn' 'rwst bzlylc Ikh mytyt zy
13. srgs btr ß. f ? .zy 'sprwg br' zy mr' mskyt tnrw hww
14. zyn' 'rwst 'bt
Übersetzung:
1. „König (ist) Mihrdät, der große König, Sohn Parsmäns, des großen Königs. Ich
(bin) Sargas,
2. Sohn Zewax's des älteren, und ebenso (bin) ich, Sargas, Pitaxä Mihrdäts des Königs:
3. mein Besitz und ebenso der Besitz des Königtums erhebt sich seit langen (Zeiten)
in Mytyt. Siehe, für diesen (den König JNaxudät (bin ich)
4. über Zmizbilä; derart über die Wasserbrunnen und über die Menschen und über
die Gebäude und derart, wenn jemand zum Besitz der Herrschaft gehört.
5. In der Tat: Wenn ich, Sargas, der Pitaxä, der Stadt vorstehe, so steht
6. König Mihrdät dem Heer voran. Und durch meine Hilfe betrat er Armenien, eine
Burg erobernd,
7. erobernd die Burg Tbt. Und es stärkte die Waffentat dort, ο König, Mytyt. Und
wie (dort),
8. so (auch) inmitten des Heeres, das am Ort Nknyt stand, dem Tor unterhalb des
Berggipfels. Und so (war) ich
9. ein Krieger, der zum Sieg verhalf vor Msknyt, bei der Festung Snryt, die angrenzt,
und (vor oder bei) Nwdyt, das
10. bei dem Ort 'klyt (liegt), und in der Festung plünderte er (der König), während er
nach Mytyt (hinauf)zog. Auch Nykwrh riß er (der König) los, und mir gehört ein
Palast
1 1 . unterhalb (davon). Und so ich für mich, Sargas, vollendete . . . vor Mchet'a, der
Burg der Helden . . .
12. Friede für . . ., Reichtum und Frieden dort erstrebte er. Es stärkte die glanzvolle
Waffentat (wörtlich: die Waffentat im Glanz) dort Mytyt, (die Stadt) des
13. Sargas. Nachdem sie Asparüg, Sohn des Herrn von Mchet'a, besiegt hatten,
14. führtest du (o König) die Waffentat aus."
Soweit die Übersetzung, die sich möglichst an den Wortlaut hält. E i n
einleitendes Wort über Schrift und Sprache. Das Alphabet ist im wesent-
lichen das des aramäischen Teiles der Bilinguis. Einige Zeichen, besonders
manche Formen des y, stellen eine ältere Stufe dar 7 .
Auf sprachlichem Gebiet mußte angesichts der letzten Erörterungen das
Ergebnis mit Spannung erwartet werden. Zwischen W . B . Henning und den
Verfassern geht seit Jahren ein Streit darum, wie man die Denkmäler, die
zeitlich zwischen den Ausgang der Achaimeniden und das Aufkommen der
Sasaniden fallen, sprachlich zu verstehen habe. D a s damals Bekannte
haben wir in unserem Supplementum Aramaicum (1954) zusammengefaßt
und erstmals als rein aramäische T e x t e gedeutet. Hingegen hat Henning
noch zuletzt, und unter Betonung des Gegensatzes, im Handbuch der
Orientalistik 4 (S. 2 1 — 4 0 ) die Deutung als ideographische Schreibung ver-
7
Über das Verhältnis zur iberischen (grusinischen) Schrift sei auf H. Junker bei
F. Altheim, Literatur und Gesellschaft 2, 1950, S. 50f. und Altheim-Stiehl a. a. O.
(s. Anm. 1) 1, S. 288 Abb. 5 verwiesen. Über die ältesten Formen der grusinischen
Schrift vgl. A. G. Schanidze, Jazyk i pismo Kavkazskich Albancev. Vestnik otdel.
obäcestv. nauk 1, i960, S. 168 f.
ι. Z W E I NEUFUNDE 11
Erläuterungen
den Zeile und Z. 13. Die Bilinguis von Mchet'a schreibt demgegenüber bry und zu-
gehöriges brty (Ζ. i) 1 3 . br' neben bry bestätigt, wenn es dessen noch bedarf, daß im
zweiten Falle ideographische Schreibung nicht vorliegt, die Lösung also auf dem
von uns eingeschlagenen Weg gesucht werden muß. br' ist der einzige Stat. emphat.,
der sich innerhalb unserer Inschrift sowie der Bilinguis findet. Wie bry ist br'
dem Bestreben entsprungen, das zweiradikale Wort gewichtiger zu machen. Aus
gleichem Grund heißt im Neusyrischen der „Sohn" bruns. — mlk rb entspricht in der
Bilinguis gr. 6t. βασιλέως 'Ιβήρων μεγάλου Σηφαρνούγου, dem aram. 5 alleiniges mlk
gegenübersteht. — 'nh auch in der Bilinguis Z. i 1 4 . — nach Z. 2 und 13 zu er-
gänzen. Der Name ist alanisch, wie viele Personennamen unserer Inschrift und der
Bilinguis. Als zweiten Bestandteil erkennt man die Entsprechung zu osset. gäs „ H ü t e r " ;
im ersten sucht man die zu osset. sär „ H a u p t " . Doch muß dann im Anlaut ί statt ί
angesetzt werden. Bekanntlich hat s „ursprünglich im Klang S sehr nahe gestanden,
da es durch dasselbe Schriftzeichen ausgedrückt wird wie dieses, ging aber später in ein
gewöhnliches s über" 1 5 . So wurden s und i , dieses geschrieben mit dem gleichen Zeichen
wie £, verwechselt. Die Bilinguis schreibt prnws statt prnws, hsyprnwg statt hSprnwgie.
So ist im vorliegenden Falle srgs statt srgs geschrieben, wobei aram. iärä „ F ü r s t " hin-
eingespielt haben mag. Sachlich wird man an die hellenistischen σωματοφύλακες und
an Martials custos sacri lateris (6, 76, i ) 1 ' , der Bildung nach an mitteliran. sarSär
erinnert, was die Doctrina Addai mit reiä wiedergibt 18 . O. Szemerenyi hingegen 1 · er-
wägt als eine Möglichkeit Srgs mit iranischem ί , das mit f wiedergegeben sei. Dann wäre
„der Name iarkas Adler, osset. cärgäs, worüber (und die iranischen Varianten) Abajew,
Istoriko-etymologiceskij slovars 1 , 302 f. zu vergleichen ist. Ich möchte hinzufügen, daß
der Name in dem der Tscherkessen weiterlebt, s. Vasmer, R E W 3 s.v. ierhesy. Aram. (oder
eher mitteliran.) g für altiran. k ist wohl nicht zu früh für die Zeit der Inschrift". Schrei-
bung ί für iranisches l ist uns aus Mchet'a und verwandten Inschriften nicht bekannt.
Z e i l e 2: zywh begegnet auch in der Bilinguis: Ζηουάχου gr. 1, aram. 2 20 Mit
Vorbehalt erwägt Szemerenyi, ob zywh (*zivax) ein altiran. *zivaka- darstellt; dann
wäre armen. Zik zu vergleichen, was griech. als Ζηκας und Ζίχ erscheint 21 . — Schon
die ersten beiden Zeilen (und die folgende) bestätigen, daß der Gebrauch der Status
dem in der Bilinguis entspricht. Wieder ist der Stat. absol. verallgemeinert. Anders
ausgedrückt: Statt malkä rabbä wird geschrieben mleh rab(b) und ähnlich. — Der
Schreibung bthS der Bilinguis und byty'hl des Tellers von Bori 22 steht auf unserer In-
13
Zur Erklärung zuletzt ebd., S. 39, 4 1 ! . und in East and West 10, S. 249 f.
14
Uber den sakralen Redetypus έγώ ε!μι: Altheim-Stiehl, Supplementum Aramai-
cum, 1957, S. 79; oben 1, S. 2 5 1 ; 2, S. 96t.
15
Th. Nöldeke, Die semitischen Sprachen, 1887, S. i^.
16
Darüber zuletzt Altheim-Stiehl, Die aram. Sprache, 1. Lfg., S. 4 5 ! u. in: East
and West 10, S. 252.
17
Dazu F. Altheim, Niedergang der Alten Welt 2, 1952, S. 506 Anm. 865.
18
G. Widengren, Iranisch-semitische Kulturbegegnung in parthischer Zeit, 1960,
S. 30 Anm. 107.
' · Briefl. Mitteilung vom 6. 9. i960.
20
Oben 1 , S. 247 Anm. 40.
21
E. Hübschmann, Armen. Grammatik 1, S. 41.
22
Altheim-Stiehl, Supplementum Aramaicum, S. 88f. — Hinzu kommt jetzt die
Inschrift einer früh-sasanidischen, um 290 gefertigten Silberschale, die in Armazischewi,
demnach in unmittelbarer Nachbarschaft unserer Inschriften, gefunden wurde (S. J a .
ι. Z W E I NEUFUNDE 13
s c h r i f t pyihS (ebenso Z. 5) gegenüber 2 8 . D a sich noch zeigen w i r d , daß diese älter ist
als die Bilinguis, h a t m a n d a m i t den bisher ältesten Beleg des Wortes. A u s d r ü c k l i c h sei
b e m e r k t , d a ß es mit a n l a u t e n d e m p, n i c h t b geschrieben ist und d a m i t d e m herodo-
tischen Πατιζείθης entspricht. D a m i t erledigt sich der lautliche E i n w a n d , den zu-
letzt noch Szemerenyi 2 4 gegen unsere A b l e i t u n g v o n *pati-xSäyafHya- vorgebracht hat
(wenn es dieses Hinweises noch b e d ü r f e n sollte). A u c h sachlich e r b r i n g t unsere In-
s c h r i f t die volle B e s t ä t i g u n g der A b l e i t u n g , die wir i m m e r v e r t r e t e n h a b e n ; denn
Z. 3 — 4 zufolge ist der pitaxS mit der königlichen V e r m ö g e n s v e r w a l t u n g b e t r a u t , erweist
sich also als rechter τ ω ν ο ΐ κ ί ω ν μελεδωνός, έττίτροττος τ ω ν οΙκίων oder, w i e es in der
Bilinguis heißt, rb trbs und έττίτροττος 25 .
Die überall kenntliche Ü b e r e i n s t i m m u n g mit der Bilinguis tritt a u c h im Personen-
kreis hervor. S a r g a s ist S o h n Z e w a x ' s , der der ältere (rab) g e n a n n t w i r d , i m Gegensatz
zu zywh klyl, Ζ η ο υ ά χ ο υ TOÖ νεωτέρον G e n . Sing, der Bilinguis. D a m i t ergibt sich
folgendes Nebeneinander (s. Seite 14 oben).
I n M c h e t ' a h a t t e m a n schon 1867 eine griechische I n s c h r i f t g e f u n d e n , die v o n einer
S c h e n k u n g V e s p a s i a n s und seines Mitregenten T i t u s a n den K ö n i g der Iberer, Mithri-
d a t e s , P h a r a s m a n e s * I. Sohn, berichtet 2 ®. M i t h r i d a t e s ' R e g i e r u n g muß d e m n a c h in den
siebziger J a h r e n begonnen haben. D a ß sie w i e die seines N a c h f o l g e r s l a n g g e w ä h r t h a t ,
bezeugt die T a t s a c h e , daß P h a r a s m a n e s I I . unter H a d r i a n 1 3 6 letztmals e r w ä h n t
w i r d 2 7 . J ü n g s t w u r d e die I n s c h r i f t v o n Cereteli 2 * b e h a n d e l t . E r konnte den N a m e n der
G a t t i n P h a r a s m a n e s ' I . , der bisher nicht e r k a n n t w o r d e n w a r , als Ί α μ α σ ά σ τ τ ο ι lesen.
D a m i t b r a c h t e er den G e n i t i v Ά μ α ζ ά σ τ τ ο ι 2 8 z u s a m m e n . W i e w e i t es noch andere Mög-
lichkeiten g i b t , bleibe u n e r ö r t e r t ; a n der neuen L e s u n g k a n n j e d e n f a l l s kein Zweifel be-
stehen.
Aufschlußreich ist der G e b r a u c h des Griechischen in der F a m i l i e der pythS. W ä h -
rend das K ö n i g s h a u s sich schon unter P h a r a s m a n e s I . des Griechischen bediente, h a t
sich jene F a m i l i e dazu erst zu einem Z e i t p u n k t entschlossen, d a ihre T o c h t e r Serapitis
die E h e m i t einem A d l i g e n einging, dessen V a t e r bereits römisches B ü r g e r r e c h t besaß.
A m i r a n a s w i l i i n : I s s l e d o w a n i j a p o istorii k u l t u r y n a r o d o w w o s t o k a i 9 6 0 , S. 2 8 3 f . ; bes.
S. 289 A b b . 5 ; zuletzt W . B . H e n n i n g i n : B S O A S . 24, 1 9 6 1 , S. 3 5 3 f . ) . D o r t erscheint
bthiy, also die spätere Schreibung. Vgl. N a c h t r a g S. 2 3f.
28
W . B . H e n n i n g ( H a n d b u c h der Orientalistik 4, 1 , 1 9 5 8 , S. 62) leitet bi- in mittel-
pers. bthiy, bythi und p a r t h . bythS aus älterem dun- ab. D a z u in A n m . 2 : „ D a ß der erste
B e s t a n d t e i l des T i t e l s das W o r t f ü r ,zweiter' ist, h a t N y b e r g , E r a n o s , X L I V , 2 3 7 A . 2
richtig g e s e h e n " . J e t z t ist a n l a u t e n d e s p nicht nur durch die griechische F o r m , sondern
durch pylhi unserer I n s c h r i f t belegt. Diese bildet d a s älteste bisher b e k a n n t e Zeugnis.
M i t älterem dwi- und D e u t u n g als „ z w e i t e r " ist es nichts. W i e d e r e i n m a l h a t sich eine
E t y m o l o g i e H e n n i n g s als unrichtig erwiesen.
24
B e i A l t h e i m - S t i e h l , D i e a r a m . S p r a c h e , 2. L f g . , S. 2 3 7 .
25
Z u r F r a g e zuletzt ebd., 1. L f g . , S. 8 3 L ; oben 2, S. 24.
26
W . D i t t e n b e r g e r , Orient, graec. inscript. sei. 1 , S. 5 8 6 f . , Nr. 379. — Diese
S c h e n k u n g w a r dazu b e s t i m m t , τ ά τ ε ί χ η zu v e r s t ä r k e n . W a s d a m i t gemeint w a r , ist bei
D i t t e n b e r g e r nicht gesagt. E r b e s c h r ä n k t sich d a r a u f , eine D e u t u n g A . v . G u t s c h m i d s
zurückzuweisen. „ D i e (bekannten) M a u e r n " können wohl nur V o r l ä u f e r der s p ä t e r e n ,
gegen E i n f ä l l e der H u n n e n gerichteten B e f e s t i g u n g e n a m K a u k a s u s gewesen sein.
27
Oben 1 , S. 248.
28
I n : V e s t n i k d r e v n e j istorii i 9 6 0 , S. 1 2 3 f .
21
G . K a i b e l , Inscr. graecae I t a l i a e et Siciliae, 1 8 9 0 , 1 3 7 2 .
14 I R A N ALS GESCHICHTLICHER HINTERGRUND
mhrdt irgs
mlyk, mlk rb,
br' zy prsmn mlk rb br' zy zywh rb,
(I.): Ar. 1 pythi (zyy mhrdt:
Ar. 1 f.
!
*
i
prsmn (II.) zywh klyl, 'gryp
mlk : Bil. 7 blhS zy prsmn (II.) rb trbs zy prsmn (II.)
mlk •. Bil. 2 f. mlk : Bil. 6 i.
Ζηουάχου τοΰ νεωτέρου Ποττλικίου ΆγρΙτΓττα
πιτιάξου: Bil. ι f. ττιτιάξου: Bil. 3 f.
hsyprnwg s'rpyt ~ ywdmngn
mlk: Bil. 5 brty zy zywh klyl: rb trbs zy hsyprnwg
βασιλέως 'Ιβήρων Bil. 1 f. mlk, bry zy 'gryp:
μεγάλου 5ηφαρνούγου: Σηραττεΐτις, Ζηουάχου Bil. 3 f.
Bil. 6 f. τοΰ νεωτέρου τπτιάξου Ποττλικίου Άγρίττττοί
θυγάτηρ ττιτιάξου uloö Ί ω δ -
Bil. 1 f. μανγάνου: Bil. 3 f ·
έτπτρόττου βασιλέως
Ι β ή ρ ω ν μεγάλου
5ηφαρνούγου: Bil. 6 f.
Sargas hat noch das altertümliche, auf seine nomadische Herkunft zurückweisende
tamya über seiner Inschrift angebracht. E s erscheint in übergroßer Form, während man
es von den Münzen der Küään und Hephthaliten nur in kleinstem Ausmaß kennt.
G. Vernadsky hat das Wort tamya aus dem Ossetischen abgeleitet 80 — eine glänzende
Entdeckung, die jetzt durch das Vorkommen des ältesten belegbaren tamya auf un-
serer Inschrift mit ihren zahlreichen alanischen Orts- und Personennamen bestätigt
wird.
Noch eine textkritische Bemerkung zur zweiten Zeile. In 6rgs zy pythl ist zy auf
kleinsten Raum beschränkt, auch in kleinerer und undeutlicher Schrift gegeben. Offen-
kundig ist es nachträglich eingefügt, nachdem der Schreiber das Wörtchen zunächst
ausgelassen hatte. Syntaktisch bedeutet zy eine Schwierigkeit. Ihr steht eine zweite
zur Seite: In pythi [mh]rdt erwartet man als bindendes Glied eben jenes zy, das zuvor
überschießt. Sollte es so gewesen sein, daß der Schreiber dieses fehlende zy hinter pyfhS
ausgelassen, das Fehlen bemerkt, aber das Wörtchen versehentlich hinter srgs ein-
getragen hat ?
Z e i l e 3—4: mwl ist jüd.-aram. mölä „Vermögen, Besitz". Da dieser Besitz sich
„erhebt", müssen Baulichkeiten gemeint sein, mtrym ist Partizip des Etp e *el von räm. —
mrwt „Herrschaft" begegnet auch Z. 4 Ende. — In mn 'rykyn (zu ergänzen: zabnln)
,0
In: J . Amer. Orient. Soc. 76, 1956, S. i88f.
I. ZWEI N E U F U N D E 15
wird mit mn ein Adverbialausdruck der Zeit gebildet, wie syr. men ledimn, meh.{h)dän,
wobei wegen der langen Zeit der Plural gesetzt ist. — mytyt ist ein Z. 7 und 12 wieder-
kehrender Ortsname. Er gehört zu avest. mait- „wohnen", mae&ana-, mae&anyä-
„Wohnung". Dessen Stamm ist mit dem aus dem Soghdischen bekannten Abstrak-
tions-Suffix -yt erweitert", das in sonstigen Ortsnamen wiederkehrt. — hlzn ist zu-
sammengesetzt aus h „siehe"· 4 , l „für" und zn, was man als Entsprechung von jüd.-
aram. und mand. den „dieser"* 5 ansehen kann; also: „siehe für diesen (den König,
in dessen Dienst ich bin) bin ich nhdt". — nhdt gehört zu nhwdr der parthischen In-
schrift von Käl-i Jangäl*·, Nohodares*7 und dem daneben bezeugten nhwbr, nhwbr.
Auch armen. Nixorakan, Nixavrakan, Ναχοραγάν, Ναχόεργαν, Nahurakän und Nahira-
§än** sowie syr. nakurgän*· werden auf einen *naxußar zurückgehen 40 . Unser nhdt war
mit dem Befehl über einen Küstenabschnitt (am Kaspischen Meer) betraut. Darauf
weist Umyzbl' zu Beginn der Z. 4. Auslautendes Älaf, zeigt, daß in einer Inschrift, die
sämtliche Masculina im Stat. abs. gibt, damit kein aramäisches Wort gemeint sein
kann. Die ossetische Etymologie ergibt sich, so scheint es, zwanglos: o.osset. zmis
„Sand" und w.osset. bilä, o.osset. bil „Lippe, Rand, Ufer" 41 , ai. bilam „Öffnung, Höhle,
Mündung" 42 . Die Bedeutung wäre dann „Sandufer". Schwierigkeiten macht nur das
Gegenüber von zmis und zmyz-, und dies gilt es zu klären. Es sei begonnen mit der
Gegenüberstellung von:
w.osset. tüxin, o.osset. toxun „aufwickeln" und z-düxin, äz-doxun „aufdrehen"";
altind. galati „träufelt herab, fällt herab" und w.osset. z-yälin, o.osset. äyzdlun (aus
äz-yälun) „herabfallen" 44 ;
altind. mathnati, marUhati, mdthati „schüttelt, rührt" und w.osset. z-mäntin, o.osset.
äz-mäntun „zusammenmischen, rühren" 46 .
In all diesen Fällen ist z-, äz- einem avest. Mi-gleichzusetzen4·. Dementsprechend wäre
möglich, auch in w.osset. äzmesä, o.osset. zmis „Sand" ein anlautendes u^-abzutrennen.
Weiter ist zu bedenken, daß w.osset. e, o.osset. i einem iran. ai, avest. ae entspricht 47 :
w.osset. mezun, o.osset, mizin „harnen", avest. maezaiti. Dann wäre als älteste Form
" Baläduri 262, 11 de Goeje; die Einzelheiten bei F. Justi, Iran. Namenbuch,
S. 219 r. f.
*· Chron. min. 1, 18, 28 Guidi.
40 Weiteres bei Widengren a. a. O. (s. Anm. 18), S. 33 Anm.
41 W. I. Abaev, Istor.-etym. slovarb osetinsk. jazyka 1, 1958, S. 277.
41 W. Miller, Die Sprache der Osseten, 1903, S. 33 § 37, 1.
a Ebd., S. 61.
44 Ebd., S. 57·
Z e i l e 6: mzwryn ist sonst nicht belegt. Man erwartet die versammelte Mannschaft
des Heeres. Also wird das W o r t zu hebr. mäzar „kräftig s e i n " 5 · , syr. mäzrä ,validus
corpore", arab. mazura „etre 6nergique" gehören, mäzörä, Stat. absol. mäzör (vgl. Z. 9
Anfang), müßte dann eine Kätöl-Bildung sein, wozu stimmt, daß diese nicht nur No-
mina agentis, sondern auch einfache Adjektiva bezeichnet 5 7 ; also „ k r ä f t i g " und hier
Bezeichnung des Kriegers. — Ζ 6—η, ίο mtk ist Part. Akt. Af'el von n/ak ,.auflösen".
„losreißen", „wegnehmen". Ob eine Eroberung oder die Befreiung eines vom einge-
drungenen Feind besetzten Gebietes gemeint ist, läßt sich zunächst nicht entscheiden.
Z e i l e 7 : Auffällig ist, daß, nachdem der Name der „losgerissenen" Burg Ende
der vorigen Zeile ungenannt blieb, mtle byrt wiederholt und hier ein N a m e gegeben wird.
Handelt es sich um gehobenen, dichterischen Stil ? Vergleichbares, nämlich die appo-
sitioneile Wiederholung eines Substantivs mit einer Genitivbestimmung, kennt man
aus dem Mandäischen 5 8 . — Der Name der Burg tbt muß unerklärt bleiben, zyn zyn'
'rwst ist möglicherweise Wortspiel. E s bleibe dahingestellt, ob das Verbum zyn zu syr.
zayyen P a " e l „ a r m a v i t " oder jüd.-aram. zän (zum) „ernähren", F*'al und P a " e l , ge-
hört. Im Syr. besagt zän P ^ a l „aluit, sustinuit, praebuit, donavit". In der Bedeutung
„darreichen, stiften" vgl. Tang-i Sarvak 3, 5 yzwn. Syr. zainä geht auf avest. zaena-,
mittelpers. zen, neupers. ztn zurück; zyn' 'rwst kehrt Z. 1 2 und 14 wieder. Zu lesen ist
*zenä arwast. Obwohl getrennt geschrieben, dürfte es sich um ein Kompositum han-
deln: „Waffen-Heldentat", hier mit „ W a f f e n t a t " übersetzt. — Ikh bedeutet nicht
„hierher", sondern „ h i e r " (so auch Z. 12). Man vergleiche andere Ortsadverbien mit
/-, ohne daß diese die Richtung bezeichnen: syr. l-taht „unten" (gegenüber l-tahlin
„nach unten"); mand. l-tyt „unten" neben tyt in gleicher Bedeutung; jüd.-aram. l-ra'
„ u n t e n " ; l-hal „ d o r t " , was im Syr. „dorthin" bedeutet; jüd.-aram., syr l-'el „ o b e n " ,
neben dem im Jüd.-Aram. 'ellä in gleicher Bedeutung steht, u. a. Vgl. das zu Ikdm
Z. 5 Bemerkte. Man beachte auch, daß l-kä im Syr. neben „hierher": „diesseits" be-
deuten kann (entsprechend l-hal „dorthin, jenseits") 5 *.
46
J . L e v y , Neu hebräisches und chaldäisches Wörterbuch, 1 8 7 6 — 1 8 8 9 , 3, S. 67 r.
57
Dazu Dalman a. a. O. (s. Anm. 1 2 ) , S. 1 2 1 unter 4 ; Nöldeke a. a. O. (s. A n m . 5 i ) ,
S. 1 1 4 oben.
48
Nöldeke (ebd.), S. 320, zweiter Absatz.
" Weiteres in den entsprechenden Grammatiken.
60
byn in der Bedeutung „ i n " : G. R . Driver, Aramaic Documents of the Fifth
Century B . C., 1954, S. 1 1 .
61
Nöldeke a. a. O. (s. Anm. 55), S. 3 5 1 § 245.
tz
Altheim-Stiehl, Suppl. Aram., S. 8 2 ; Die aram. Sprache, 1. Lfg., S. 4 2 t . ;
oben ι , S. 2 4 9 ; 2, S. 1 7 8 .
63
Brockelmann a. a. O. (s. Anm. 3 1 ) , S. 196 r.
2 Altheim, Hunnen IV
18 I R A N ALS GESCHICHTLICHER HINTERGRUND
Ζ. 3 f . — tkn zu syr. taknä „locus tutus"* 4 . — msryk zu srek, hier Part. Act.
A f ' e l (oder P a " e l ?) masrek, in der Bedeutung „ a d h a e s i t " · 5 . Wieder findet sich die
Schreibung des Murmelvokals wie in der B i l i n g u i s · · und zu Z. 8. Die verschiedenen
Bedeutungen, die srk in den anderen semitischen Sprachen hat, findet man bei Brockel-
mann® 7 . — snryt ist Ortsname wie alle auf -yt auslautenden. Fernzuhalten sind sowohl
jüd.-aram. sinnörä „ R i n n e , K a n a l " oder „ T ü r a n g e l " , ( = hebr. sinnör)88 als auch syr.
sennärtä, Plural sennäryätä „ h a m u s " · · .
Z e i l e 1 0 : mt entspricht jüd.-aram. mätä „ O r t s c h a f t , S t a d t " 7 0 , syr. mälä „ r e g i o " 7 1 . —
bzz „ p l ü n d e r n " ist damit erstmals inschriftlich belegt; vgl. J e a n - H o f t i j z e r , Diet, des
Inscr. Sem. de l'Ouest (i960). Hinweis W. Baumgartners. — nykwrh ist Ortsname ala-
nischer H e r k u n f t . I m ersten Bestandteil (nyk-) könnte altpers. naiba- „ s c h ö n " , mittel-
pers. ne.vak, neupers. nek stecken. Indessen war das Wort bisher nur im SW-Iranischen
bezeugt. Erst jüngst hat M. M a y r h o f e n 2 angedeutet, ilal.t naiba- von osset. njv ,,shape,
f o r m " , genau: dessen altiranischer Form, abgeleitet sein könnte, also „ f o r m o s u s " ,
„ r ü p a v a n t - " bedeutet habe. Versuchsweise hat er auch avest. "niva- dazugestellt.
Bedenkt man, daß im O.osset. ein 0, später κ, dem w.osset. vä entspricht 7 3 , so könnte
*naiba-ka- sich zu *neßak, *nevak, *nek gewandelt haben. F ü r diesen Lautwandel
darf der Name des Flusses Νέοκνος, an der Grenze der kaukasischen Lazike und Ibe-
riens gelegen 7 4 , angeführt werden. Ihn kann man nicht zu osset. näväg „ n e u " , auch
nvog und nog, altind. nava- stellen, sondern nur zu jenem W o r t : *nevak-näv- „schön,
gut zu b e f a h r e n " . Also: „schöne B u r g " , *nevak(nek)-värä, wobei der zweite Bestandteil
zu avest. var- oder wohl besser vara- „ B u r g " (vgl. altind. vara- „ R a u m " zu νχηοΗ, avest.
1
uar- „ v e r h ü l l e n " ) zustellen wäre. — d y l y gehört zu reichsaramäischem ζ vi-, jüd.-aram.
dyl- mit folgendem P r o n o m i n a l s u f f i x ; dyly kann geradezu „mein E i g e n t u m " heißen 7 4 .
Z e i l e 1 1 : Itt' zu jüd.-aram. tattä „ u n t e n " 7 · . — Der König hat Nykwrh erobert.
Aber da er dort Besitz sein eigen nannte, hat der mit seinem Herrn zusammen operie-
rende Sargas den Ort auch f ü r sich erobert. — msykyt ist derselbe Ortsname wie Z . 1 3
mskyt, nämlich griech. Μεσχίθα, ΜεαΓχητα. Zugehörigkeit zu w.osset. mäsug, o.osset.
mäslg „ T u r m " steht außer Zweifel. E r n e u t stellt man das A b s t r a k t - S u f f i x -yt fest,
wie zuvor bei myiyt u. a. — byrt zy ywnt'\ I m letzten Wort steckt die Entsprechung
zu altind. und avest. yuvan-, yün- „ J ü n g l i n g , H e l d " . Eine Weiterbildung ist das
alanische iunik oder wniA 77 , dazu o.osset. vän{g, vonig, on'tg „ j u n g e r S t i e r " , vüntä wäre
der Plural eines danach anzusetzenden alanischen *yün „ J ü n g l i n g , H e l d " . O. K l i m a
M
E b d . , S. 832 1. unter 7.
65
Brockelmann, S. 499 r.
·· Altheim-Stiehl, Suppl. Aram., S. 82; oben r, S. 249.
•7 Brockelmann, S. 499 1.
68
Dazu die letzte Äußerung bei Vincent-Steve, Jerusalem do ΓΑικκ-η Testa-
ment 2-3, 1956, S. 632 A n m . 2.
·· Brockelmann, S. 633 r.
70
Dalman, a. a. O. (s. Anm. 34), S. 246 r.
71
Brockelmann, S. 408 r.
72
Ann. Inst. Orient. Napoli 2, i960, S. 122 f.
7S
Miller a. a. O. (s. Anm. 42), S. 25 § 22, 7.
74
Agathias 1 9 1 , 7; 192, 1 3 Niebuhr.
75
Dalman a. a. O. (s. A n m . 12), S. 87 § 1 8 , 4.
79
Dalman a. a. O. (s. A n m . 34), S. 429 r.
77
Oben 1, S. 295 behandelt.
ι. Z W E I NEUFUNDE 19
' 8 I n : B y z a n t i n o s l a v i c a 22 (1961), i 6 f .
7 9 S o zu schreiben: M z c h e t a 1, S. 29 A b b . 4.
bezeugt ist. Oder soll man an jene Belagerungstechnik denken, die Kutaiba b. Muslim
vor Paikand erprobte 8 ·? Oder d a r f man tbrw hww lesen? Dann hieße es: „nachdem
sie Asparüg . . . besiegt hatten"; die „ W a f f e n t a t " wäre die Eroberung Mchet'as.
Z e i l e 1 4 : In knappen Worten wird der Fortgang des Unternehmens gegeben:
König Mihrdät hat die Heldentat „getan" ('rwst 'bydw' in der Bilinguis Z. 4 und hier in
zyn' 'rwst 'bt wiederholt). E r wird in der zweiten Person angeredet; denn 'bt ist die
lautlich korrekte Form der 2. Sing. Masc. des P c 'al von 'bd.
Asparüg kennt man sonst nur von der zuvor genannten Gemme. Im
Stammbaum der fiitaxS, die in unserer Inschrift und in der Bilinguis er-
wähnt werden, erscheint er nicht und kann dort auch nicht eingeordnet
werden. E r erhält auch nicht den Titel pitaxS (obwohl er ihn doch auf der
Gemme trägt: τπτισξης), sowenig, wie seinem Vater dieser Titel zuerkannt
wird. Dieser ist nur „Herr" (mr' Z. 13) Mchet'as, sein κύριος und fak-
tischer Besitzer. Als rechtmäßigen Eigentümer erkennt ihn unsere Inschrift
nicht an. Diese ist gesetzt von Sargas, der sich mit König Mihrdät einen
Hauptanteil an der Eroberung Mchet'as zuschreibt. Sie haben zusammen
Stadt und Burg genommen. Es ist diese Eroberung und der dadurch be-
dingte Besitzwechsel, den die Inschrift festhalten will. Sie ist gewisser-
maßen Gründungsurkunde und Bestallung der pitaxS aus Zewax's Haus auch
über Mchet'a. Dieses Haus hat dann, soweit wir wissen, bis auf Zewax den
Jüngeren regiert, und Serapit der Bilinguis ist dessen Tochter.
Daß man Dichtung vor sich hat, zeigt bereits die Stilisierung der Rede.
Da gibt es feierliche Wiederholung (6 f. mtk byr[t], rntk byrt tbt) oder
schmückende Beiwörter ( 1 1 msykyt byrt zy ywnt'). Auch die Du-Apostrophe
am Schluß 1 3 f. wird man im gleichen Sinne verstehen. Dem entspricht, daß
sich die Inschrift metrisch gliedern läßt. Darin stimmt sie zumindest mit
dem Schlußteil der Bilinguis überein.
Einiges ist hinsichtlich der Metrik zu bemerken. Während bei der
Bilinguis sowohl G. Levi Deila Vida 87 als auch die Verfasser 88 von der An-
nahme siebensilbiger Verse ausgegangen sind, muß gegenüber der vor-
liegenden Inschrift, die rund 75 Jahre früher anzusetzen ist, ein anderes
Verfahren Platz greifen. Wenn irgendwo, so darf hier statt der silben-
zählenden Messung eine rhythmische, nach Hebungen rechnende erwartet
werden 89 . In der Tat läßt sich der gesamte Text als eine Abfolge von Drei-,
Vier- und Fünfhebern verstehen, denen eine wechselnde Silbenzahl zu-
88
Oben 2, S. 80 u. 82.
87
Oben 2, S. 295f.
88
Oben 1, S. 2 5 1 .
8
* C. C. Torrev in. J . Amer. Orient. Soc. 46, 1926, S. 241.
ι. Z W E I NEUFUNDE 21
geordnet ist. Unter den Dreihebern erscheinen vier-, fünf- und sechssilbige
Verse, unter den Vierhebern sieben- und achtsilbige90, unter den Fünf-
hebern acht- und neunsilbige. Alle diese Verstypen kennt man aus der
syrischen Dichtung 91 . Auch die Verbindung der genannten Verse innerhalb
einer einzigen Dichtung ist aus der syrischen Dichtung bekannt*2. Im
folgenden geben wir die Gliederung (Inkonsequenzen bei der Umschrift,
die ohnedies Versuch bleiben muß, wolle man in Kauf nehmen):
mälek mihrdät mlek rab(b) sechssilbiger Dreiheber
brä zi parsman mlek rab(b) sechssilbiger Dreiheber
'nä sargas brä zi zewah rab(b) achlsilbiger F ü n f h e b e r
w-ken 'nä kargas ptahS zi mihrdät mlek neunsilbiger F ü n f h e b e r
möl w-häken möl zi märüt siebensilbiger Vierheber
min arrikin met(t)rim b-mytyt achtsilbiger F ü n f h e b e r
hä-l-zen nahdät la-zmizblä siebensilbiger Vierheber
ken la-krai mat w-näS w-benyänln achtsilber F ü n f h e b e r
w-häken im mannü zi möl zi märüt 2 fünfsilbige Dreiheber
trifä'it kzl 'nä kargas ptahS achtsilbiger F ü n f h e b e r
la-kdäm Saxrä häwen sechssilbiger Dreiheber
ken mihrdät mlek häwe sechssilbiger Dreiheber
la-kdäm mäzörin fünfsilbiger Dreiheber
wa-b-yad 'al(l) armin mattek siebensilbiger Vierheber
birat mattek birat tbt ( ) achtsilbiger Vierheber
w-zayyen zenä arwast sechssilbiger Dreiheber
mlek Ikä mytyt viersilbiger Dreiheber
w-ken kzi . . . hätten bene b-gau hei neunsilbiger Fünfheber( ?)
da-hwä 'tar Nknyt tra' l-tahte hud{d) neunsilbiger F ü n f h e b e r
w-ken 'nä mäzör zi hazki siebensilbiger Vierheber
la-kdäm msknyt batlcen ;nryt neunsilbiger F ü n f h e b e r ( ?)
da-hwä masrek w-nwdyt sechssilbiger Dreiheber
zi Iwät mä{ 'klyt fünfsilbiger Dreiheber
w-häken ba-tken baz(z) yissak mytyt neunsilbiger F ü n f h e b e r
tüb nekvarä mattek sechssilbiger Dreiheber
w-dil be l-tattä yihwe sechssilbiger Dreiheber
w-ken 'nä Ii sargas fünfsilbiger Dreiheber
gämer . . . la-kdäm msykyt achtsilbiger Vierheber (?)
birat zi yuntä fünfsilbiger Dreiheber
Verse (S. 246: „ s e v e n in the first half and eight in t h e second h a l f " ) l ä ß t sich als A b -
folge sieben- und achtsilbiger Vierheber verstehen. In unserer Inschrift folgen sich
beide Glieder mehrmals.
n G. Hölscher, Syrische Verskunst. Leipz. Semit. Stud. Ν. F. 5, 1932, S. 83f.,
76 f., 73f. für die Dreiheber; 54 f. für die Vierheber; 97 f. für die Fünfheber. K r i t i k an H . s
metrischer D e u t u n g ist, n a c h d e m sich dasselbe Versprinzip im Mittel iranischen und
Jungavestischen gefunden hat, gegenstandslos geworden. D a z u W . B . H e n n i n g i n :
Transact, of the Philol. Soc. 1942, 51 f.
»2 Hölscher a. a. O., S. i 6 4 f .
22 IRAN ALS GESCHICHTLICHER HINTERGRUND
Was angesichts der Bilinguis bereits vermutet werden mußte, hat sich,
wenn die vorangehende Aufstellung zutrifft, bestätigt. Man muß mit einer
Dichtung rechnen, die die Heldentaten und Waffenerfolge alanischer Herren
und Ritter besang. Das Besondere ist, daß diese Dichtung sich in aramäischer
Sprache geäußert hat. Und daran muß sich eine zweite Feststellung knüpfen.
Nicht nur die Bilinguis, sondern auch unsere Inschrift wurde aramäisch und
nur in dieser Sprache gelesen; denn nur dann ist der Gebrauch der Verse
verständlich. Erneut zeigt sich, daß sich von ideographischer Schreibung
keine Spur ermitteln läßt, geschweige denn, daß von „atropatenischem
Medisch", wie eine abenteuerliche Vermutung Hennings wollte 93 , gesprochen
werden kann.
Ob es sich auch bei dieser Inschrift um eine solche fürs Grab gehandelt
habe, bleibt fraglich. Es ließe sich durchaus denken, daß ein Tatenbericht
vorliegt. Daß es dergleichen gegeben hat, ist klar und könnte auch die
Kennzeichnung nahelegen, die in der Bilinguis Serapits Gatte Yödmangan
erhält. Er, der gleichfalls pitaxS (rb trbs) eines Königs war, „siegte und voll-
brachte große Heldentat". Das iranische Lehnwort 'ru'st, das an dieser
Stelle erscheint, kehrt, wie gesagt, in unserer Inschrift mehrfach wieder.
Um so mehr bedarf der Hervorhebung, daß beide Inschriften (die
Bilinguis in ihrem aramäischen Teil) den Typus Ιγώ είμι anwenden.
Sargas bedient sich seiner noch nachdrücklicher als Serapit, was zeigt, wo
man den Ursprung dieser literarischen Form zu suchen hat. In der Tat
bildet den nächsten Vergleich die Selbstprädikation des hephthalitischen
(soghdischen) Königs von Sümän, mit zweimal gesetztem anäM. Auch dort
geht es um eigene Heldentat, die gepriesen wird; nur daß man in Mchet'a
jetzt Dichtung als solche vernimmt, nicht Umsetzung in arabische Prosa.
Man faßt das Heldenlied — und wie wir sagen dürfen: das nordiranische,
von den Hunnen übernommene Heldenlied — in seiner frühesten erreich-
baren Form. Wie die Sage von Rustam und Sohräb sich zu der von Hilde-
NACHTRAG
• a. O. 355 Anm. 1.
7 a. O. 355 Anm. 3.
• Altheim-Stiehl, a. O. 95 f.
2. KAPITEL
Züge ins sasanidische Reich, die erfolglos bleiben. Der erste gelangt noch
bis v o r die Tore der Hauptstadt, während der zweite schon in Ä 5 u r b a i y ä n
umkehren muß. Hundert Jahre danach gelingt den östlichen Hunnen, sich
in der Sogdiane, also zwischen Oxos und Iaxartes, als sasanidische foederati
festzusetzen. E t w a s über ein Jahrzehnt später erfolgt der Einbruch in
Südrußland, der die westlichen Hunnen bis an den Unterlauf der D o n a u
führt. A b e r auch im Nordosten Irans hat sich hunnische Macht vermehrt.
Die Hephthaliten gewinnen B a k t r i e n und Teile Choräsän's und bereiten
der sasanidischen Herrschaft in diesen Gebieten ein Ende.
(585) folgten Bulgaren, die sich südlich der unteren Donau, und Chazaren,
die sich nördlich des Kaukasus festsetzten (oben 1,85 f.). Damit verlagerte sich
das Schwergewicht nach dem Westen. Im Nordosten Irans hingegen beseitigte
die arabische Eroberung die letzten Reste der hephthalitischen Herrschaft.
Diesen Feststellungen, so einfach sie sein mögen, entspringen Folgerungen,
die sich, zumindest für den Aufbau der folgenden Darstellung, als grund-
legend erweisen werden. Als der westliche Teil des Gesamtvolkes, aus dem
Raum zwischen den Unterläufen des Don und der Wolga, nach Osteuropa
vorstieß, hatte er über 200 Jahre lang in der Nachbarschaft iranischer
Völker gestanden und in Berührung mit ihrer Kultur gelebt. Da waren die
nordiranischen Alanen nördlich des Kaukasus; da waren südlich dieses
Gebirges die stark iranisierten Königtümer Iberien und Armenien, und
weiter westlich Schloß sich ÄSurbaiyän, nordwestliche Provinz des eigent-
lichen Iran, an.
Alle Aufmerksamkeit der Hunnen, vom Raubzug bis zur Nachahmung
der benachbarten Hochkultur, war nach Süden und Südosten gewandt. Es
bedurfte langer Zeit und, wenigstens nach hunnischer Auffassung, eines
göttlichen Hinweises, um zu begreifen, daß sich im südlichen Rußland und
an der unteren Donau größere Möglichkeiten boten. Wie stark in der Zeit vor
375 die Berührung mit der iranischen Welt war, ist die erste Frage, die
gestellt werden muß. Die zweite hat dahin zu lauten, mit welcher Entwick-
lungsstufe dieser Welt man bekannt wurde. In Betracht kommen das letzte
Jahrhundert der Arsakiden und die ersten anderthalb Jahrhunderte der
Sasaniden. Will sagen: die Zeit des ersten Aufstiegs, die durch die Herrscher
Ardaser I., Säpür I. und II. gekennzeichnet ist. Umgekehrt ist wichtig,
sich klarzumachen, daß die westlichen Hunnen den spätsasanidischen
Staat und dessen Kultur, überhaupt die zweite Blütezeit des Reiches, die
mit Kavä5 I. und Chusrö I. Anösarvän begann, nicht mehr gekannt haben.
Mit der Wendung gegen Ostrom und dann gegen den römisch-germanischen
Westen fanden für diesen Teil der Hunnen alle iranischen Beziehungen ein
Ende. Man war in einen neuen geschichtlichen Bereich eingetreten.
Anders die im Kaukasus verbliebenen Teile des Volkes und der hunni-
sche Osten mit all den Stämmen, die dem hephthalitischen Verband an-
gehörten. Sie hatten gleichfalls den Aufstieg des frühsasanidischen Reiches
gesehen. Aber im Gegensatz zu ihren Vettern, die in Osteuropa Fuß gefaßt
hatten, war ihnen beschieden, die weitere Entwicklung des sasanidischen
Reiches und seiner Kultur mitzuerleben. Die Verbindung zur iranischen
2. S P Ä T E A R S A K I D E N , F R Ü H E S A S A N I D E N UND D I E H U N N E N 31
Welt wurde nie gestört, auch dann nicht, als das große Hephtha-
litenreich zusammengebrochen war. Erst die arabische Eroberung setzte
dem nachbarlichen Zusammenleben des sasanidischen Reiches und der
Hephthaliten ein Ende. Der führende Stamm der letzten war schon zuvor
weitgehend im iranischen Volkstum aufgegangen. Daraus ergab sich, daß
man vor allem durch jene Form der sasanidischen Kultur sich beeinflussen
ließ, die unter K a v ä S I., Chrusrö I. und II. geschaffen wurde. Die voran-
gegangenen Betrachtungen über die Geschichte der Hephthaliten und über
den Kampf der Religionen, in deren Brennpunkt sie zuweilen standen,
haben gezeigt, wie stark man im Rahmen der spätsasanidischen Welt
lebte. Auch für die kaukasischen Hunnen wird sich dies erweisen.
Nach dem Zusammenbruch des großen hephthalitischen Reiches 558
wandte sich eine neue Welle nach Westen. Stämme lösten sich aus dem
hephthalitischen Verband und brachen in Osteuropa ein. Als erster die
Awaren, und ihnen folgten etwa zwei Jahrzehnte später Bulgaren und
Chazaren. Obwohl sie alle auf den Spuren der westlichen Hunnen wandelten,
war das kulturelle Erbe anderer Art. Man hatte (was den früheren versagt
geblieben war) die tiefe Einwirkung der spätsasanidischen Kultur erfahren.
So dürfen die Formen, die man im Laufe der Jahrhunderte gestaltete,
zumindest soweit sie sich auf iranischer Grundlage aufbauten, als spät-
und nachsasanidische Kultur bezeichnet werden.
Frühsasanidisch, spätsasanidisch und nachsasanidisch: drei Prägungen
sind damit gegeben. Sie gilt es, nach ihrer besonderen Art zu verstehen
und in ihrer Auswirkung auf die verschiedenen Teile des hunnischen
Gesamtvolkes, die verschiedenen Phasen seiner Geschichte zu begreifen.
Alle drei müssen sorgfältig beschrieben werden. Sie wurden von uns in
älteren Arbeiten bereits verwandt, vor allem im Bemühen, die Eigengesetz-
lichkeit des spätsasanidischen Staates und seiner Kultur herauszustellen 3 .
Jetzt geht es nicht mehr um Iran als solches, nicht mehr darum, welche
Stufe seiner Entwicklung auch immer zu verstehen. Iran soll nunmehr in
seiner Wirkung auf die Nachbarn begriffen werden. Als erste Aufgabe gilt es,
gewisse Eigenformen der frühsasanidischen Zeit und der von ihr untrenn-
baren spätarsakidischen zu ermitteln.
3
Altheim-Stiehl, E i n asiatischer S t a a t 1 (1954); Finanzgeschichte der Spätantike
(1957). Die älteren Arbeiten, vor allem das Sasaniden-Kapitel im ersten Band von:
Niedergang der Alten Welt (1952), tragen der Scheidung zwischen sasanidischcr Frühzcit
und Spätzeit noch nicht Rechnung.
32 IRAN ALS GESCHICHTLICHER HINTERGRUND
s a. O. 158.
wendung des Wortes krägä hier für den haräg, dort für die gizya. Denn
immer wurde betont, daß beide zusammen als haräg bezeichnet werden
können 8 , und so mochte geschehen, daß jeder Bestandteil allein diese
Bezeichnung erhielt. Also nicht nur, wie natürlich, konnte haräg mit krägä
bezeichnet werden, sondern auch die gizya.
In den babylonischen Talmud sind Bestandteile sehr verschiedener Zeit
eingegangen. Mit unserer Stelle befinden wir uns in einer seiner spätesten
Schichten. Man steht im ersten Drittel des 6. Jahrhunderts, als die neue
Steuerordnung, zumindest inBabylonien, durchgeführt war. Kopfsteuer, auf
die Person (will sagen: ihre Arbeitskraft) beschränkt, und Grundsteuer, den
Boden und zugleich dessen Ertrag umfassend, stehen sich gegenüber, also
die spätsasanidischen gizya und haräg, der diokletianischen capitatio und
iugatio entsprechend.
Mit alledem ist nichts für die frühsasanidische Steuerordnung gewonnen.
Anders jedoch steht es mit der Stelle Bäbä msi'ä 73 b. Erwähnung des 378
gestorbenen Rabbi Pappä führt in frühsasanidische Zeit. Es werden ver-
mögende Juden genannt, die für andere in Geld (züze) den krägä zahlen,
aber dafür von diesen Dienstleistungen verlangen. Die Form, sich an den
Schuldnern (die damit aus staatlichen zu privaten geworden sind) mittels
Leistungen, nicht mittels Rückgriff auf Besitz schadlos zu halten, zeigt,
daß es sich um Kopfsteuer handelt. Die Betroffenen verfügten über keine
Liegenschaften und mußten durch persönliche Dienstbarkeit ihre Ver-
pflichtungen ablösen. Es war ein χειρωνάξιον alter Art 9 , nur diesmal auf
ein privates Rechtsverhältnis übertragen. Wichtig ist, daß alles unter Hin-
weis auf eine königliche Verordnung (malkä 'mar) vor sich ging. Die Ur-
kunden (muhr1 ke)10 — doch wohl die über eine stellvertretende Zahlung
des krägä und über die für die Schuldner sich ergebenden Folgen — lagen
im königlichen „Behältnis" 1 1 , dem römischen scrinium vergleichbar.
2. taskä (Hahn schreibt regelmäßig taskä'). Diese Steuer liegt auf dem
Boden (ar'ä). Bäbä msi'ä 73b: der König hat angeordnet, daß, wer den
taskä zahlt, die Nutznießung des Bodens haben soll. Beide, Boden und
* Oben 2, 190. Auch in der Chronik von Se'ert 2, 580, 11 {. Scher ist der haräg,
den die Araber im Zweistromland nach ihrem Sieg im 5. Jahr Yazdgard's III. erheben,
die Gesamtheit der Steuern.
• Altheim-Stiehl, Die aramäische Sprache 2. Lfg. 148 f.
10 Andere Vokalisation: J. L e v y , a. Ο. 3, 41 τ.
11 Hahn spricht anläßlich des Falles von taskä, während es sich doch eindeutig
um krägä handelt (a. O. 154). -·- Der gluskmä d-hnSbänä, den G o t t trägt (t'in wä)\
Hcsychios im Coch. Syrohexapl. Ambros, cd- Λ Μ. f'eziani (1874) ρ 17
3 Altheim, Hunnen IV
34 IRAN ALS GESCHICHTLICHER HINTERGRUND
12
Vgl. J . Levy, a. Ο. ι, 5 1 7 1.
11
Hahn, a. Ο. 155 Anm. 43, denkt an Grundbesitzer und Steuerpächter, wozu
kein Anlaß ist.
11
Richtig Hahn, a. O. 155 und Anm. 48—49.
15
a. O. 155.
2. S P Ä T E A R S A K I D E N , F R Ü H E S A S A N I D E N UND D I E H U N N E N 35
absol. (ar'ä ist Femininum) kanyä heißen. Sachlich jedenfalls ist Hahns
Deutung wenig überzeugend. Wenn der Käufer einer Liegenschaft, wie
gesagt, ausdrücklich zur Übernahme des taskä verpflichtet war, so ist
nicht einzusehen, wie ein Kauf zur Befreiung von Grundsteuer geführt
haben sollte.
3. mnätä d-malkä (Hahn schreibt stets mantha oder manta de-malkäl),
hebr. menät ha-m-melek: Bäbä bäträ 8a. Bäbä kammä 1 1 3 b sagt, wer in
der Scheune angetroffen werde, müsse den Königsanteil bezahlen. Gemeint
ist: für die Anderen, die nicht anwesend sind, dann aber dem Zahlenden
ihren Anteil ersetzen müssen 18 . Hahn hat auf den besonderen Fall der
Gesamthaftung verwiesen und richtig gesehen, daß diese Steuer in natura
gezahlt werden konnte 17 . ,a bödä zärä 71 a und L. Goldschmidt's Bemerkung
dazu 1 8 bestätigen den Sachverhalt.
Für die frühsasanidische Zeit ergeben sich somit folgende drei Steuern:
1. Kopfsteuer, krägä. Ob sie abgestuft war, läßt sich nicht erkennen,
ist jedoch wahrscheinlich. Sie wird in Geld entrichtet.
2. Bodensteuer, taskä. Ob sie abgestuft war, ist nicht zu erkennen.
Möglicherweise war sie nach der Grundfläche berechnet, wobei die nötige
Abstufung durch die Ertragsteuer gewährleistet wurde (vgl. unter 3). Dann
wäre der taskä eine Repartitionssteuer gewesen, allein die pars quanta
berücksichtigend. Er wurde in Geld entrichtet.
3. Ertragsteuer, mnätä d-malkä. Sie war reine Quotationssteuer, auf
der pars quota beruhend.
Nach Hahn's Ansicht 19 waren die Unterschiede staatsrechtlich bestimmt.
Als „einzig mögliche Lösung" schlägt er vor: ,,taskä war die Bodenrente
der königlichen Felder — χώρα βασιλική (Hahn setzt auf χώρα den Zirkum-
flex!) —, mnätä d-malkä (Hahn umschreibt auch hier mantäl) die dem König
gebührende Steuer der freien Bauern, oder im allgemeinen: aller nicht auf
königlichem Gebiet lebenden Personen". Taskä als Bodenrente, königliche
Felder und χώρα βασιλική, die freien Bauern — alles ist ohne Anhalt in
der Uberlieferung. Wir sehen keine Möglichkeit, diese Deutung auch nur
in Erwägung zu ziehen.
16
L. Goldschmidt, a. O. 6, 425 Anm. 89.
17
a. Ο. 154 f.
18
a. O. 7, 1030 Anm. 13g.
19
a. O. 156.
3·
36 IRAN ALS GESCHICHTLICHER HINTERGRUND
20
a. O. 156.
21
Altheim-Stiehl, Die aramäische Sprache 2. Lfg. 109f.
22
Altheim-Stiehl, a. O. 148 f.
a
Altheim-Stiehl, a. Ο. I40f.
24
Altheim-Stiehl, a. O. 1 4 5 ; 146 f.
26
Altheim-Stiehl, a. O. 145. Die dort angedeutete Alternative entfällt nunmehr.
2. S P Ä T E A R S A K I D E N , F R Ü H E SASANIDEN UND DIE HUNNEN 37
und diese fortzusetzen wünschte 2 ·. Kein Mensch dachte daran, den Gegen-
satz zwischen Repartitionssteuer (taskä) und Quotationssteuer (mnätä
d-malkä) zu beseitigen, der eine doppelte Erhebung vor und nach der Ernte
vorsah und sonst manch andere Unzuträglichkeit gebracht haben mag.
Erst die Übernahme des spätrömischen Systems der iugatio enthielt das
Neue. Jetzt wurden beide Arten von Steuer gleichsam auf einen Nenner
gebracht. Durch Einführung des Ertragssolls, das man mit jedem Grund-
stück verband, wurde man der Berücksichtigung jährlich wechselnder
Erträge ledig. Man hatte eine neue Art der Repartitionssteuer geschaffen.
Zugleich ist damit ausgesprochen, daß keinesfalls die frühsasanidische
Steuerordnung dahin qualifiziert werden darf, sie habe das Entscheidende
der spätsasanidischen Reform bereits enthalten. Vielmehr schuf erst die
Übernahme von Diokletians Neuerung die Voraussetzungen, die ein bisher
nicht dagewesenes System der Erhebung und ein ebensolches Ausmaß der
Besteuerung ermöglichten. Auch sehen wir keinen Anlaß, von „Herstellung
der uralten Rechte der orientalischen Despotie" 2 7 zu sprechen. Nichts von
dem, was man sonst von Chusrö I. Anösarvän weiß, führt in dieser Richtung.
Übernahme der spätrömischen Besteuerung geht vielmehr, wenn nicht alles
täuscht, mit seiner Teilnahme an spätantiker Philosophie (oben 3, 85 f.)
Hand in Hand.
antike 289 f.
" I. Hahn, a. O. 158f.
1 F. Altheim, Niedergang der Alten Welt 1 (1952), i8f.
38 IRAN ALS G E S C H I C H T L I C H E R HINTERGRUND
istorii 2/1960, 14 f.
2. S P Ä T E A R S A K I D E N , F R Ü H E S A S A N I D E N U N D D I E H U N N E N 39
(bäzis = mnätä d-malkä) beireit oder dieser unterworfen sind®. E s sei daran
erinnert: B ä b ä m s i ' ä n o a hatte von Grundstücken gesprochen, die im
Gegensatz zum sonst Üblichen dem taskä nicht unterliegen. Das damit
Gemeinte war zuvor unklar geblieben. Jetzt aber zeigt sich: die Kategorien
der Steuerbefreiung und der Steuerpflichtigkeit bestanden nicht nur für
die Grundsteuer, sondern auch für die Ertragsteuer.
Das Gesagte läßt sich noch schärfer fassen. Neben abäzbare und patbäzik
begegnet in den Ostraka noch eine dritte Kennzeichnung: patsäyik. Sie
muß sich nicht auf bäzis, τ α γ ή , mindä oder middä, mnätä d-malkä beziehen,
sondern auf eine andere Steuer. Man kennt sie aus neupers. säv, sä, und
mit der bäzis verbunden erscheint sie in der Wendung bäz u säv. Säv, sä
und patsäyik enthalten die im Avestischen belegte Verbalwurzel su-
, .benutzen". Wenn ein Grundstück patsäyik war, so besagte dies, daß es einer
„Benutzungsteuer" unterlag. D a m i t kann nur der taskä gemeint sein, auf
den die genannte Bezeichnung sachlich zutrifft. Denn der taskä mußte, so
hatte sich gezeigt, entrichtet sein, damit die Bebauung und Nutznießung
des Feldes beginnen konnte.
A u c h zwischen Nisä und den Angaben des babylonischen Talmud zeigt
sich eine völlige Übereinstimmung. A v r ö m ä n zeugt für Medien im Jahr
52-53 n. Chr., Nisä für Parthien seit den siebziger Jahren des 1. vorchrist-
lichen Jahrhunderts. Man darf die B e h a u p t u n g wagen, daß die achaimeni-
dische Steuerordnung in 'Iräk und Iran, will sagen: in den Oberen Satrapien
seit dem Untergang des altpersischen Reiches fortbestanden hat. Eine
andere Frage bleibt freilich, ob sie in nachachaimenidischer Zeit, demnach
begegnung in parthischer Zeit 12 und Anra. 37 Βαζιγράβαν δ έστι τελώνίΐον aus Isidor
von (,'harax 6 beigesteuert. Der „Greifer der bäziS" ist der lirheber der Ertragsteuer.
Die aramäischen Inschriften aus Hatra haben den parthischen Titel pigrb' (A. Caquot
in: Syria 30 [1954], 235 Nr. 28. 2) oder pzgryb' (ebenda 241 Nr. 36, 4) gebracht. Pigrb'
entspricht im ersten Glied neupers. subän, fbän ,,Hirt", mittelpers. spart, avest.
*fsu. päna-, vgl. armen. LW. spet, avest. *//«. paiti-, Pzgryb' zeigt den dialektischen
Wechsel von s (vgl. avest. pasav-) und ζ: P. Horn in: Grundr. Ir. Philol. 1, 2 (1898
bis 1901), 87 § 38, 7; 92 § 40, 7. Also liegt *pazu- zugrunde, mit erhaltenem Anlaut-
Labial wie ps-, pSu-, fsu- neben in-. Ohne solchen liegt, mit ζ statt das Wort in proto-
-bulgarischem und ungarischem ζονπταν. ζωπαν, ζουττάνος, slaw.-ungar. zupan (dazu:
G. Moravcsik, Byzantinoturcica 22 [1958], 131 f.) vor. Dessen langgesuchte Etymologie
ist damit gewonnen. Gegenüber iubän, ζουτταν und Verwandten sind psgrb' und pzgryb'
nicht der ,,Vieh-Herr", sondern der ,,Vieh-Greifer". Gemeint ist der Erheber der Vieh-
steuer, wie βαζιγράβαν nach dem „Greifer der bäzis" genannt ist. Uber das Greifen des
Viehs bei der Steuererhebung vgl. Altheim-Stiehl, Finanzgeschichte der Spätantike 136.
40 IRAN ALS GESCHICHTLICHER HINTERGRUND
3
U m das spätsasanidische Heer zu kennzeichnen, seien zwei A n e k d o t e n
angeführt. B e i einem Syrer u n d einem A r a b e r b e w a h r t , beide aus per-
sischen Munde gesprochen, kennzeichnen sie die E i n s i c h t , die die von den
A r a b e r n Besiegten ergriffen h a t t e . Beide Geschichten lassen erkennen, d a ß
das, w a s m a n z u n ä c h s t als V o r z u g jenes Heeres und seiner A u s r ü s t u n g
ansehen mochte, sich angesichts des neuen Gegners als N a c h t e i l erwies.
W i r lassen zuerst B a r h e b r a e u s (chron. S y r i a c . ι ο ί , 1 5 f . B e d j a n ) sprechen.
Die zweite Anekdote findet sich bei Baläduri (268, 21 f. Büläk) und be-
zieht sich gleichfalls auf die Schlacht bei Kädisiya. Sie stammt aus dem
Mund eines Kämpfers auf persischer Seite, der sich selbst als magü& be-
zeichnet. Danach habe der Pfeilregen, mit dem die Araber die Schlacht
eröffneten, seine Wirkung ausgeübt. Dann heißt es: „Und es schoß bei uns
ein Mann aus der Armbrust ('an il-kausi n-näwakiya), aber nicht bewirkte ihr
(der Armbrust) Bolzen mehr, als daß er sich verfing im Kleide eines
von ihnen (der Araber), wohingegen der Pfeil von ihren (der Araber)
Pfeilen den festen Panzer und den doppelten Küraß spaltete, den wir
trugen."
Das Gemeinsame beider Berichte ist, daß die bessere und modernere
Ausrüstung auf persischer Seite ist, daß aber die Araber dessen nicht achten
und die Geschosse mit ihrem weiten Gewand auffangen. Da sind die Panzer
oder gar die doppelten Panzer, denen wir bereits begegnet sind (oben 2, 77;
276). Man bedient sich verschiedener Waffen, von denen Bogen und Arm-
brust erwähnt werden. Letzte wurde in China erfunden, schon unter den
späten Chou 1 , und hatte von dort den Weg nach Japan angetreten2. Auch
im sasanidischen Heer hatte man sich um diese Waffe bemüht, wie der
Bericht zeigt. Da sonst von der Armbrust nichts berichtet wird 3 und sie
sich auch auf den sasanidischen Denkmälern nicht dargestellt findet, mag
sie gerade eingeführt worden sein. Die Durchschlagskraft des persischen
Bogens veranschaulicht Barhebraeus' Erzählung, und Prokop bestätigt sie.
Nicht nur schießen die Perser rascher als alle anderen Menschen, sondern,
obwohl ihre Bogen ohne Mühe zu handhaben sind, durchdringen die Pfeile
Panzer, Helm und Schild (bell. 1, 18, 32f.).
Um so mehr erstaunt man über die Worte, die bei Barhebraeus dem
Kundschafter in den Mund gelegt sind: men allähäi zäküthön (chron. Syriac.
101, 23 Bedjan). Alle technische Überlegenheit fruchtete wenig. Man unter-
lag den Arabern gleichwohl und glaubte, es im Voraus gewußt zu haben.
1 Η. H. Doubs in: T'oung Pao 36, 70 f.; W. W. Tarn, Hellenist. Military and Naval
110; 197.
® Vermutungen bei K. Huuri, a. O. 101; 103; 109. Das Bekanntwerden der Byzan-
tiner mit der Armbrust schildert Anna Komnena 10, 8 P. 291 A ; 2, 42, 1 3 L ; dazu
Ducange's gelehrte Anmerkung 605 f. Bonn.
2. S P Ä T E A R S A K I D E N , F R Ü H E S A S A N I D E N U N D D I E H U N N E N 43
Die Erörterung über Wert und Unwert der neuen Waffen war schon länger
im Gang. Ungleich zustimmender äußerte sich hundert Jahre vor Kädisiya
Prokop in der Einleitung zu seinem Geschichtswerk. Welch ein Unterschied,
meinte er, bestehe zwischen den Bogenschützen des Altertums und denen
seiner Zeit. In Panzer und Beinschienen zögen sie jetzt in den Kampf, rechts
den Köcher mit den Pfeilen, links das Schwert. Mancher habe noch einen
Speer und auf der Schulter einen kleinen Schild ohne Griff, um Gesicht und
Nacken zu schützen. Vom dahinsprengenden Pferd verstünden sie nach
jeder Seite zu schießen und den Gegner, sei es, daß man ihn verfolge, sei
es, daß man vor ihm fliehe, zu treffen. Den Bogen spanne man bis
zum rechten Ohr3": weder Schild noch Panzer widerstehe seiner Gewalt
(bell, ι, i, 12—15).
Das spätsasanidische Heer wurde mit den Mitteln aufgestellt und er-
halten, die Chusrö's I. Anösarvän Steuerreform zur Verfügung gestellt hatte.
An Geld fehlte es nicht, und so erhielten die Ritter eine Equipierungs-
summe, die ihnen eine Ausrüstung gestattete, derengleichen frühere Jahr-
hunderte nicht gekannt hatten. Gegen Anweisung von 4 000 Dirhem hatte
man auf gepanzertem Roß und selbst in doppelter Panzerung, in Harnisch
und darunter getragenem Kettenhemd, zur Musterung zu erscheinen. Arm-
und Beinpanzer sowie Helm, Schwert, Lanze, Schild, Keule und Streit-
kolben, Lasso und Bogentasche mit zwei Bogen und 30 Pfeilen, schließlich
zwei Ersatzsehnen vervollständigten die Wehr. Uber alles wurde ausführlich
Buch geführt 4 .
Neben den dehkän, die nur im Kriegsfall aufgeboten wurden, gab es
ein stehendes Heer. Es stand vornehmlich an den Grenzen, und den Rittern,
die in ihm dienten, waren Lehen zum Unterhalt zugewiesen. Ihre Regimenter,
die den Rückhalt der Verteidigung bildeten, wurden ergänzt durch die
Gardetruppen. Diese trugen klingende Namen, darunter den der „Un-
sterblichen" (oben 2, 24L und Prokop., bell. 1, 14,45; 49). a n die achai-
menidische Zeit erinnernd. Das Aufgebot der Vasallenkönige trat im Bedarfs-
fall hinzu, und besonders zeichneten sich die Lahmiden von Hira aus. Ihre
leichte arabische Reiterei kämpfte den Rittern zur Seite (Prokop., bell. 1, 17,
33
Shakespeare, Richard I I I . : 339 " D r a w , archers. draw your arrows to the head !
Spur your proud horses hard, and ride in blood! Amaze the welkin with your broken
stavt-s!"
4
Altheim-Stiehl, Ein asiatischer S t a a t ι (1954Κ ' 3 6 ί · ; Finanzgeschichte der Spät-
antike 62 t. hierzu und zum {olgenden.
44 IRAN ALS GESCHICHTLICHER HINTERGRUND
ι ; iS, i ; 30), und mit sasanidischer Hilfe war man dazu übergegangen,
auch eine gepanzerte Truppe aufzustellen®. Der massierte Stoß der Ritter·,
die geschlossene und tiefgegliederte Aufstellung (Prokop., bell. 1 , 1 3 , 23)
fanden damit überall Eingang.
Daneben standen angeworbene Truppen, die sich aus benachbarten
Barbarenstämmen rekrutierten. Man schätzte diese um ihrer kriegerischen
Tüchtigkeit willen, hatte aber meist mit Unzuverlässigkeit und Unbot-
mäßigkeit zu rechnen. Wieder waren Araber 7 darunter (oben 2, 1 4 ; 16;
1 7 ; 20f.). Aber schon die kädiSäye waren Hunnen des Ostens, und Hephtha-
liten bildeten unter K a v ä 5 1 . weithin den Kern des Heeres. Daneben
wurden kaukasische Hunnen angeworben (Sahiren), kriegerische Gesellen,
raublustig und wankelmütig. Niemand sonst wechselte so rasch und be-
denkenlos die Partei, wenn es um den eignen Vorteil ging. Man suchte sie
dadurch zu halten, daß man ihnen außer Sold noch Anteil an der Beute
gewährte, wenn auch nicht immer mit Erfolg (Agathias 4, 1 3 ; p. 234, 1 7 f .
Niebuhr; oben 2, 36f.). Auch die hephthalitischen und sabirischen Reiter
waren in Regimenter von 1000 Mann Sollstärke eingeteilt, darin der per-
sischen Ritterschaft gleich (Prokop., bell. 1 , 8, 1 3 ; vgl. 7, 33; 15, 1 = drei
Regimenter, und oben 2, 1 9 2 ! ) .
Eine Sonderstellung nahmen die Delamiten (Διλιμνΐται) ein, insofern sie
eine Fußtruppe bildeten. Sie entstammten den Gebirgsländern südlich des
Kaspischen Meeres, standen nicht unter sasanidischer Botmäßigkeit, stellten
sich aber bereitwillig zur Verfügung. Mit Lanzen und Sarissen, Schwert
und Dolch bewaffnet, deckten sie sich hinter einem größeren oder kleineren
Schild. Zwischen Leichtbewaffneten und Hopliten die Mitte haltend, waren
sie der verschiedensten Verwendung fähig. Nahkampf scheuten sie nicht,
und kaum weniger verstanden sie sich auf das Ferngefecht. Dichtgeschlossen
führten sie ihre Angriffe und kämpften gleichwohl in aufgelöster Ordnung,
wenn die Lage es verlangte. Doch ihre eigentliche Stärke lag in der Benut-
zung durchschnittenen und gebirgigen Geländes, dessen sie sich zu
jeder Unternehmung, vom schnellen Rückzug bis zum überraschenden
5
Altheim-Stiehl, Finanzgeschichte der Spätantike 117 f.
6
Altheim-Stiehl, a. O. 122.
7
Unsere Gleichsetzung der Tamüräye mit den arabischen Tamüd (oben 2, 20f.;
195f.) geben wir auf. Sie hat den Widerspruch G. Levi Deila Vidas (brieflich 9. 8. 60),
aber auch solcher Kenner wie G. und J . Ryckmans gefunden (oben 2, 21). Wir be-
kennen gern, daß J . Ryckmans' Erörterung über die Frage der tamüdischen Inschriften
in: Bibliotheca Orientalis 17 (i960), I99f. den letzten Entscheid gebracht hat.
2. S P Ä T E A R S A K I D E N , F R Ü H E SASANIDEN UND DIE HUNNEN 45
4
Eine Rückschau hat mit den Parthern zu beginnen. Der größte Teil
des Heeres bestand aus Unfreien (lustin. 41, 2, 4 ! ) , doch diese mußten
Reiten und Bogenschießen lernen gleich den Freigeborenen. Die berittenen
Bogenschützen der Parther begegnen auf Terrakotten, Dipinti und Grafitti,
aber auch in der Literatur. Sie bildeten die Hauptmasse des Heeres. Ge-
panzerte begegnen ihnen zur Seite, blieben aber an Zahl bei weitem zurück.
Sie bildeten nur einen geringen Bruchteil der berittenen Streitmacht.
Die Panzerung konnte sich auch auf das Pferd erstrecken (lustin. 41, 2,
10; vgl. Sallust. bei Serv. Aen. 1 1 , 7 7 1 ; Plutarch., Crass. 24, 1). H a u p t w a f f e
der schweren Truppe war die Stoßlanze. A b e r es g a b auch ungepanzerte
κοντοφόροι (Dio 40, 15, 2): „halfcataphractarian", wie man sie genannt
h a t 1 . Durch die Lanzenkämpfer vermochte man dem Feind im Nahkampf
gegenüberzutreten. H a t t e der Pfeilhagel der ihn allseitig umschwärmenden
Schützen den Gegner zermürbt, so w a r der Stoß der K a t a p h r a k t e n dazu
bestimmt, die Reihen seines Fußvolkes vollends aufzulösen 2 . Auf den
Höhepunkt hat diese T a k t i k der parthische Feldherr aus dem Geschlecht
der Süren gebracht, der den Legionen die Niederlage in der Schlacht bei
Karrhai zufügte. Tausend gepanzerte Reiter und neuntausend berittene
Schützen hatte er aus eignen Mitteln, teilweise aus den eignen Sklaven und
Hintersassen aufgestellt (Plutarch., Crass. 21, 7). Ein Z u g von tausend
Kamelen begleitete die Truppe: sie trugen die Pfeile, auf daß es den Schützen
nicht an Schießbedarf fehle (ebenda 21, 7; 25, 1).
Die Sasaniden hatten diese Kampfesweise zunächst übernommen. Wie
noch unter dem letzten Arsakiden (Herodian. 4, 14, 3; die Stelle ist korrupt),
so erscheinen unter Säpür I I . 363 neben den gepanzerten Lanzenreitern die
Bogenschützen zu Pferd (Amm. Marc. 25, 1, 12—13). Man weiß nicht, in
welchem zahlenmäßigen Verhältnis sie zueinander standen. Aber während
die Schwerbewaffneten am Platze hielten (ebenda 25, 1, 13), schwärmten
die Schützen zu Beginn des Kampfes aus (sagittarios procursus: ebenda 17).
Nichts davon verlautet, daß man, wie später, in geschlossener Ordnung
verharrte (Prokop., bell. 1, 13, 23), daß gepanzerte Schützen den Pfeilhagel
eröffneten und aushielten (ebenda 1, 14, 35), daß dann die gleiche Truppe
zur Lanze griff und das Handgemenge begann (ebenda 37). Berittene
Schützen und berittene Kataphrakten oder κοντοφόροι waren im 3. und
4. Jahrhundert noch geschieden.
Ausdrücklich wird gesagt, daß die Parther ihr Heer nur begrenzte Zeit
zusammenhielten (άτσκτον πλήθος και προσκαίρως ώρισμένον Hero-
dian. 4, 14. 7)· Es wurde zum Kampfe eigens aufgeboten (lustin. 41, 2, 5 f.);
stehende Truppen gab es nicht. Für die frühen Sasaniden galt das Gleiche.
Wenn man glaubte, die bestehende Aufgabe bewältigt zu haben, wurde das
einberufene Heer aufgelöst und nach Hause geschickt (Herodian. 6, 6, 5).
Sold wurde in keinem Falle gezahlt (loh. Lydus, de magistr. 3, 34 Bonn.) 3 .
Die Mängel der Steuerordnung, die zuvor dargelegt wurden, schlossen nach
wie vor die Aufstellung eines stehenden Heeres aus. Denn diese Mängel
galten, da die Steuerordnung parthischen Ursprungs von den Sasaniden
gleichfalls übernommen wurde, auch für die hier behandelte Zeit.
Nur in einem Fall war man schon in frühsasanidischer Zeit über die
überkommene Kampfesweise hinausgegangen. Die Bewaffnung der ge-
panzerten Lanzenträger wurde wesentlich verstärkt. Anders ausgedrückt:
neben den Kataphrakten trat der Klibanarier.
Schon dieser Name enthält einen zeitlichen Hinweis. In der lateinischen
Literatur tritt clibanarius bei Lactantius (de mort. 40, 5) und Eutropius
(6, 9), Teilnehmer an Iulians Perserzug 363 und magister memoriae unter
Valens, erstmals auf. 4 Das Wort ist Weiterbildung des spätgriechischen
* Th. Nöldeke, Übers. 442. Es ist zu berücksichtigen, daß Nöldeke die Unterschiede
der früh- und spätsasanidischen Zeit noch nicht erkannt hatte.
* Glosse zu Paneg. lat. 10, 22; SHA., v. Al. 56, 5 ; Thes. ling. Lat. 3, 1 3 4 1 t .
2. S P Ä T E A R S A K 1 D E N , F R Ü H E S A S A N I D E N U N D D I E H U N N E N 47
5
F. Altheim, Geschichte der lateinischen Sprache (1951) 91 f.
• F. Altheim, Helios und Heliodor von Emesa. Albae Vigil. 12, 40f.; Literatur
und Gesellschaft i, 108f.; 2, 272f.
7
Excavat. at Dura-Europos 1 9 3 0 — 3 1 , 2 i 5 f . ; Tai. 2 1 , 3; 22, 2.
48 I R A N ALS G E S C H I C H T L I C H E R HINTERGRUND
bilden den Kern des persischen Heeres und nehmen in der Schlachtordnung
die Mitte ein. Sie sind als Phalanx bezeichnet (259, 8; 261, 12) und gleichen
einer undurchdringlichen Mauer (259, 4f.). In dichtgeschlossener Masse
greifen sie im Galopp an (261, i2f.; 25!), und ihre Taktik besteht darin, im
ersten Ansturm alles zu überrennen (261, 28). Brechen die Pferde aus, so
ist die Ordnung und die Wucht des Ansturmes dahin (262, 17).
Nur ausgewählte Männer von besonderer Körperstärke werden in diese
Truppe eingereiht. Denn nur sie können die schwere Rüstung tragen. Der
Helm ist aus einem Stück gearbeitet; er schützt Kopf und Nacken. Vorn
bildet er das Gesicht eines Mannes gleich einer Maske nach (προσωττεϊον
259, v
gl· Amm. Marc. 25, 1, 12). In der Rechten hält der Reiter die
lange Stoßlanze, den κοντός; mit der Linken führt er den Zügel. An der
Seite hängt die persische Hiebwaffe, die κοττίς (259, ιό). Im Gegensatz
zum spätsasanidischen Ritter wird der Bogen nicht geführt.
Der Panzer bedeckt den ganzen Körper und besteht aus rechteckigen
σκυτάλαι (259, 19) in Spannengröße. Es handelt sich also um einen
Plättchenpanzer oder, wie man ihn neuerdings nennt, einen Lamellen-
panzer (split armour)8. Aus Eisen oder Bronze gefertigt, sind diese Lamellen
derart untereinander verbunden, daß sie sich mit ihren äußersten Rändern
(κατ' άκρα των πλευρών 259, 2ΐ) aneinanderfügen. Die oberen Lamellen
schließen sich dabei an die unteren, und ebenso passen sich beide an die
seitlichen lückenlos an. Die Verbindung geschieht durch Schnüre (£αφαί
259, 2 4)· die an der Innenseite der Panzerung verlaufen (υπό τάς έττιτττυχάς
259, 2 4)· Sie umfassen die einzelnen Lamellen schlaufenförmig und führen
so eine feste Verbindung herbei (τήν συμττλοκήν άγκιστρώσαντες 259, 24).
Die Panzerung, fährt Heliodor fort, bleibt durch die Art ihrer Ver-
knüpfung beweglich, sie dehnt sich nach Wunsch aus oder zieht sich zu-
sammen (259, 28). Wie ein Schuppenkleid umschließt sie den Körper und
läuft an den Armen in regelrechte Ärmel aus (259, 25; χειριδωτός 29), sie
reicht vom Nacken bis zum Schenkel. Der Panzerrock ist unten geteilt, um
das Sitzen im Sattel zu ermöglichen. Die Beine werden nicht durch Panzer-
hosen, wie man sie aus Dura-Europos kennt 9 , sondern durch Beinschienen10
geschützt. Diese reichen bis zum Knie; dort schließt sich der Panzerrock an.
β
B. Thordemann in: Acta Archaeolog. 4, 1 1 7 .
• E x c a v a t . at Dura-Europos 1930—31, Taf. 23; F. E. Brown, ebenda 444!.
10
Zum N a m e der Beinschiene F. Rundgren in: Orientalia Suecana 6 (1957), 55f- >
letzte Behandlung bei G. Widengren, Iranisch-semitische Kulturbegegnung in par-
thischer Zeit g i f . , w o Rundgrens Ausführungen zum eigenen Schaden übersehen sind.
2. S P Ä T E A R S A K I D E N . F R Ü H E S A S A N I D E N U N D D I E H U N N E N 49
A u c h das Pferd ist gepanzert. A n den Beinen trägt es Schienen und auf
dem Kopf ein Stirnblech (ττρομετωττίδιον 26ο, 5). Im übrigen ist das
Tier von einem Kettenpanzer geschützt (σκέπασμα σιδηρόττλοκον 26ο, 6),
der es durch seine Leichtigkeit nicht am Laufen hindert. Die Panzerung des
Reiters ist dagegen so schwer, daß er aus eigner K r a f t das Pferd nicht be-
steigen kann, sondern hinaufgehoben werden muß. Einmal gestürzt,
können die Reiter sich nicht mehr erheben; sie liegen wie „ K l ö t z e " (κορ-
μηδόν 202, 7 ; vgl. Zosim. i , 35, 4; A m m . Marc. 16, 12, 38). Beim Angriff
gibt der Reiter dem Tier die Zügel frei und stürzt sich auf diesem in vollem
Lauf gegen den Feind. Auf einem Grafitto aus Dura-Europos 1 1 sieht man,
wie Mann und R o ß dabei ihr Gewicht nach vorn verlegen.
Schließlich der κοντός. Der Vorderteil der offenbar sehr schweren
Lanze wird am Hals des Tieres festgeknüpft (δεσμω 260, i6) und so empor-
gehalten. Das Schaftende hängt an der Hinterhand des Tieres und ist dort
mittels einer Schlinge verankert. Die auf die beschriebene Weise einge-
hängte Lanze wird beim Angriff weit und plötzlich nach vorn gestoßen. Da
das Schaftende mit dem Pferd fest verbunden ist, kann es beim A u f s t o ß
nicht nachgeben. Die W a f f e wird mit der ganzen W u c h t des Rosselaufes
vorwärtsgetragen, wobei die Hand des Reiters ihr nur die Richtung gibt.
Die Gewalt des Stoßes ist so groß, daß die Lanze oft zwei Gegner
durchdringt (260, 23).
NACHTRAG
Das Voranstehende war geschrieben, als mir durch die Güte des Ver-
fassers die Untersuchung F. Rundgren's über clibanarius und Verwandte
in: Orientalia Suecana 6 (1957), 31 f. in die Hand kam. A u s ihr erfuhr ich zu-
nächst, daß E . Schwyzer, Griechische Grammatik 1, 39 clibanarius „als
einen mit dem doppelsinnigen aram. tannürä in Verbindung stehenden Fall
von sog. Sprach-Abklatsch (calque)" aufgefaßt hat (S. 51). Damit ist
unsere Deutung bereits vor uns ausgesprochen worden. Weiter ist zu sagen,
daß die Erwähnung der clibanarii S H A . , v. Alex. Sev. 56, 5, zumal sie in
einer Rede erscheint, nichts für die Zeit des Kaisers Alexander Severus
(222—235) besagt (S. 35), geschweige denn für parthische Zeit (S. 51); der
frühestmögliche Ansatz der V i t a fällt in Iulians Zeit, also gleichzeitig mit
der Erwähnung bei A m m . 16, 10, 8. Im übrigen geben wir Rundgrens
4 Altheim, Hunnen IV
50 I R A N ALS GESCHICHTLICHER HINTERGRUND
5
Es mag verwegen scheinen, von einem hunnischen Finanzwesen oder
einer Steuerordnung zu sprechen. Eine negative Feststellung ist vorab zu
machen. Die europäischen Hunnen kannten weder iugatio und capitatio
nach römischem Gebrauch noch haräg und gizya, wie Chusrö I. Anösarvän
sie eingeführt hatte. Vom einen wußten sie nichts, da sie mit dem Römerreich
nicht in Verbindung getreten waren, und vom anderen gleichfalls nichts,
denn Chusrö's Steuerordnung fiel anderthalb Jahrhunderte nach jenem
Zeitpunkt, da die Hunnen sich von dem hephthalitischen Verband gelöst
hatten. Dementsprechend kamen die Hunnen auch dort, wo sie römischen
Boden besetzten, zunächst nicht auf den Gedanken, die Steuerkraft des
ihnen zugefallenen Landes zu nutzen.
Sie standen darin im Gegensatz zu anderen Nomaden, die später sich
Teile anderer Reiche aneigneten. Da waren die Muslim, die unmittelbar
nach jeder Eroberung haräg und gizya einsammelten und keinen Augen-
blick zögerten, wie man zu verfahren habe. Und zwar gleichgültig, ob sie
sich auf dem Boden des sasanidischen Herrschaftsgebietes oder auf einst-
mals oströmischem sich niederließen. Ihr Prophet war ihnen, wie in anderem,
so auch darin vorangegangen. Als gewiegter Steuerpolitiker und Unter-
2. S P Ä T E ARSAKIDEN, FRÜHE SASANIDEN UND DIE HUNNEN 51
nehmer nicht weniger groß denn als religiöser Verkünder, war er zu dem
Araber geworden, der über die größten Einnahmen verfügte 1 .
Es besteht kein Zweifel, daß Mohammed und seine Nachfolger sich über
die Steuerordnung sowohl der Perser wie der Byzantiner vollkommen im
Klaren waren. Man hatte die Übernahme der iugatio und capitatio im Sasa-
nidenreich beobachtet und dementsprechend gehandelt. Dasselbe galt für
zwei hunnische Stämme, War und Chuni — anders ausgedrückt: die Awaren.
Als sie nach Westen wanderten, waren Chusrö's I. steuerliche Reformen
längst im Gebrauch. Man hatte im hephthalitischen Bereich nicht nur das
Wort dehkän als tägin übernommen, sondern mit ihm das System, das
zugrunde lag (oben 2, 273f.). Es sei an das früher behandelte Kapitel aus
Michael Syrus (oben 1, 85f.; dazu 2, 29t.) erinnert. Es ist von um so größerer
Bedeutung, als ihm der Bericht eines Zeitgenossen der Ereignisse, Iohannes'
von Ephesos, zugrunde liegt. Als die Awaren im oströmischen Bereich
Städte und Kastelle erobert hatten, sagten sie zu deren Bewohnern: ,,Geht
hinaus, säet und erntet, wir erheben (nur) die Hälfte der sunteliyyä von
euch". Mit der syrischen Entsprechung von συντέλεια war — das hat
sich gezeigt — nicht nur die capitatio, sondern in eins damit die iugatio
gemeint (oben 1, 93). Man hatte demnach auf awarischer Seite eine Vor-
stellung von den ländlichen Steuern und wußte deren Ertrag für die eigne
Kasse zu nutzen.
1 A l t h e i m - S t i e h l , F i n a n z g e s c h i c h t e der S p ä t a n t i k e I 2 8 f . ; I 3 4 f . ; F . A l t h e i m , U t o p i e
und Wirtschaft (1957) 2 3 2 f . Hinzukommen j e t z t die D a t t e l p r e i s e in d e n Nessana-
P a p y r i . E x c a v a t . a t N c s s a n a I I I , T h e N o n - I , i t e r a r v P a p v r i (1958) 262 f. A u c h P>ar-
h e b r a e u s , c h r o n . eccl. 3, 1 1 5 f. A b b e l o o s - L a m y e r g ä n z t d i e A n g a b e n h i n s i c h t l i c h d e r
K o p f s t e u e r d e r C h r i s t e n v o n N a g r f m : 4 züz f ü r die A r m e n , 12 f ü r K a u f l e u t e u n d R e i c h e .
4·
52 IRAN ALS GESCHICHTLICHER HINTERGRUND
2
W. Dittenberger, Orient. Graec. inscript. sei. 1, 2 8 5 ! . ; bisherige Datierung der In-
schrift: E. Littmann in: Deutsche Aksum-Expedition 1 (1923), 43 (erste Hälfte des
1. Jahrhunderts n. Chr.).
2. S P Ä T E A R S A K I D E N , F R Ü H E SASANIDEN UND DFE H U N N E N 53
Aber die Eroberer müssen noch einen Schritt weiter gegangen sein. Sie
haben sich nicht damit begnügt, den Besiegten das Land gegen Entrichtung
einer Bodensteuer zurückzugeben, sondern haben diese genötigt, darüber
hinaus für den Unterhalt der neuen Herren aufzukommen. Hier ist nicht
vom Eigentum des Bodens und dessen Überlassung an die bisherigen
Inhaber die Rede, sondern vom Ertrag. Man könnte daran denken, daß die
als „Geschenk" (mnätä, der achaimenidischen mindä und middä entsprechend)
bezeichnete Ertragsteuer gemeint ist. Diese pars quota mußte ständigen
Überforderungen ausgesetzt sein, wenn man die Wesensart der Hunnen
bedenkt. Die von Ammianus betonte cupiditas und avaritas des Volkes
hätte sich diesmal im Rahmen der steuerlichen Möglichkeiten ausgetobt.
Die Folgezeit sollte diese Seite veranschaulichen. Die Hunnen waren
Plagegeister, wo immer man es mit „Geschenken" an sie zu tun hatte, und
gerade Priskos konnte davon ein Lied singen. Aber auch die Erfordernisse
einer Politik, die große Teile der spätantiken Oikumene umfaßte, mochten
zur Erhöhung der Forderungen beigetragen haben. Solange man in der
Lage war, beide römische Reiche mit immer neuen Beutezügen heimzu-
suchen, waren die Summen gesichert, deren man zu weiterem Kriegführen
bedurfte. Aber nachdem die ersten Rückschläge eingetreten waren, blieben
Beutegelder und erpreßte Geschenke aus. Wenn man gleichwohl neue Unter-
nehmungen plante (Priskos fr. 9; Iordanes, Get. 225), mußte man die
eignen Untertanen schärfer heranziehen 3 . Darüber wird noch zu sprechen
sein.
Aus spätarsakidischer Zeit besitzt man keine Angaben, die etwas zur
Kampfesweise der Hunnen aussagen. Man sieht sich genötigt zu ver-
werten, was man über ihre Nachbarn und späteren Kriegsgefährten, die
Alanen, erfährt. Arrian, der gegen diese befehligte (oben 1, 12), gibt einige
Hinweise. Die Alanen besaßen gleich den Sarmaten eine Reiterei, die den
κοντός handhabte und den Gegner attackierte (έττελαύυουσιν tact. 4, 7).
Weitere Angaben findet man in der vom gleichen Autor verfaßten εκταξις
κατ' 'Αλανών. Da wird den eignen κοντοφόροι geraten, auf die Pferde,
3 Unter dem Druck des ersten punischen Krieges erhoben die Karthager die Hälfte
des Bodenertrages von den Libyern als Steuer und verdoppelten den φόρος für die
untertänigen Städte. Sie hielten darauf, daß keinerlei Nachlaß oder Stundung ge-
währt wurde (Polyb. I, 72, 2).
54 IRAN ALS GESCHICHTLICHER HINTERGRUND
nicht auf die Reiter zu zielen. Denn an deren Schild und Panzer (Ουρεώ
και καταφράκτω θώρακι) stumpfe die eigne Waffe a b 1 (16—17). Man sieht
auch, daß die alanischen Berittenen sich gegen das römische Fußvolk
wandten. In solchem Fall wird empfohlen, sie schon beim Herannahen
durch Geschoßhagel zu verwirren. Andernfalls müßten die ersten drei
Glieder sich hinter den Schilden zusammendrängen und den Anritt aus-
halten, während das vierte und auch noch das dritte Glied nach wie vor
mit Schuß und Stoß den Reitern zuzusetzen hätten (26). Besondere Vorsicht
lasse man, geht es weiter, bei der έτπστροφή des Feindes nach anfäng-
lichem Weichen walten, also bei der verstellten Flucht (28—29). Auch
müsse man sich vor dem Überflügeltwerden hüten, das die Alanen έττιστρα-
φέντες ές κύκλους versuchen.
Den Kataphrakten zur Seite begegnen ΣκύΟαι γυμνοί τε όντες και
τοϋς nrrrous γυμνούς εχοντες (31). Obwohl der T e x t an dieser Stelle
abbricht, wird man nicht fehlgehen, wenn man in dieser Truppe die be-
rittenen Bogenschützen erkennt. Diese hatten sich in der parthischen
Reiterei aus den Hintersassen der Grundherren rekrutiert und waren dem-
entsprechend ungepanzert. Was die soziale Stellung der alanischen γυμνοί
war, läßt sich nicht einmal vermuten.
Die Alanen kämpften demnach auf gleiche Weise wie die Parther. Man
darf vergleichen, was Herodian von einer der letzten Partherschlachten,
der gegen Macrinus, berichtet. Die Reiter greifen die Römer τοξεύοντές
τε και καθιτητεύοντες (4, ΐ5. ι) an. Man erkennt die beiden Formationen:
berittene Schützen und zum Stoß angesetzte Kataphrakten. Beide werden
denn auch genannt (4, 14, 3). Was an der korrupten Stelle nicht ganz
deutlich wird, zeigt eine spätere. Die Kataphrakten sitzen nicht nur auf
Pferden, sondern auch auf κάμηλοι (4, 15, 2), mag man darunter Dromedare,
mag man Kamele zu verstehen haben. Von oben her führten die Reiter
mittels langer Lanzen (έττιμήκεσι δόρασι) ihre Stöße. Die Schützen
hingegen wirken durch die Masse ihrer Geschosse. Auch das κυκλώσασθαι
wird geübt (4, 15, 4) und über die römischen Gegenmaßnahmen berichtet.
Überhaupt scheinen die Römer sich der gleichen Formen der Abwehr
bedient zu haben, die Arrian empfiehlt. Auch in einer späteren Schlacht
gegen das Heer Ardaser's I. wird die Verschildung angewandt (6, 5, 9—10),
freilich gegenüber dem überlegenen Gegner ohne Erfolg. Noch in dem
1 Έμτταγεντοί τοΰ κοντοΰ καΐ διά μαλακότητα τοΰ σιδήρου έττικαμφθέντοϊ be-
Treffen von Teil Besmai 503 begegnet das Verfahren, wiederum den hun-
nischen und arabischen Reitern gegenüber ohne Gelingen (oben 2, 14).
Glimpflicher mag das Unternehmen in einer von Iulian's Perserschlachten
363 ausgegangen sein (Amm. Marc. 25, 1, 17).
Die Hunnen, um nunmehr auf sie zu kommen, kannten den Pfeilhagel
der berittenen Schützen. Ihn wandten sie mit mörderischem Erfolg gegen
die Ostgoten bei den südrussischen Kämpfen des Jahres 375 an (Zosim.
4, 20, 4; oben 1, 350). Hingegen vermochte die mit Alanen und, wie sich
zeigen läßt (oben 1, 35if.), auch mit Hunnen vermischte 2 Reiterei der
Ostgoten in der Schlacht bei Adrianopel 378 gegen das feindliche Fußvolk
zu attackieren und dieses in einen Nahkampf (comminus) zu verwickeln
(Amm. Marc. 31, 12, 17). Zu concatervatis manipulis zusammengedrängt,
versuchte man sich des blitzartigen Ansturmes zu erwehren (ebenda 31, 13,
2). Von vornherein darf man vermuten, daß es sich bei den Reitern um
Kataphrakten handelte. Mutuis securium ictibus galeae perfringebantur et
loricae bestätigt, daß auch die Angreifer gepanzert waren. Noch auf einem
Wandgemälde aus Pangikant 3 stehen gepanzerte Lanzenreiter und Unge-
panzerte, gleichfalls zu Pferd, mit Bogentasche, geradem Schwert und
Nagajka ausgerüstet, nebeneinander.
Daneben erscheinen der überraschende Angriff und der ebenso über-
raschend eingeleitete Rückzug, also die verstellte Flucht:
acerrima nullo
Ordine mobilitas insperatique recursus
(Claudian., In Ruf. 1, 33of.). Sie war bei den Alanen begegnet. Der tumul-
tuarius primatium ductus der Hunnen, der ausführlich besprochen wurde,
(oben 1, 360—362), zeigt, daß das hunnische Aufgebot, wie nicht anders zu
erwarten, im Falle der Gefahr improvisiert wurde und improvisierter
Führung unterstand.
Es muß gefragt werden, ob man auf hunnischer Seite auch den Kli-
banarier und mit ihm den Lamellenpanzer, überhaupt die technisch ver-
feinerte Kampfesweise der schweren Reiterei übernommen habe. Der Zeit
nach wäre dergleichen möglich gewesen, und man sieht an den Hephtha-
liten, daß dies auch geschehen ist. Die Wandgemälde von Pangikant zeigen
2 Ε. Λ. Thompson, A History of A t t i l a and the Huns (1948) 25 kommt, von
anderen Voraussetzungen ausgehend, zum gleichen Ergebnis.
3 Α. M. Belenickij in: Materiali wtorogo sowestanija archaeologow i etnografow
Srednej Azii (1959) 201.
56 IRAN ALS GESCHICHTLICHER HINTERGRUND
7
Hinsichtlich der Bewaffnung wurden wichtige Feststellungen bereits
gemacht. Manches weist nach Mittelasien und weiter nach Osten, anderes
auf das arsakidische und frühsasanidische Iran.
Erst die Hunnen, so hatte sich gezeigt, haben den „Säbel mit gerader
Klinge" mitgebracht (oben 1, 200f.). Ostasien als Heimatland dieser
Waffe ist ebenso gesichert wie etwa die Herkunft der gegossenen Bronze-
4 A. von Le Coq, Bilderatlas zur K u n s t und Kulturgeschichte Mittelasiens (1925)
1 1 ; fig. 59; 6 3 — 6 5 ; 6 7 — 6 8 ; 70; 74; 76.
5 Μ. Hermanns, Die Nomaden von Tibet 165 und A b b . 4. Uber das Przewalski-
Pferd bei den Hiung-nu vgl. N. E g a m i in: Memoirs of the Research Departm. of the
T o y o Bunko 13 (1951), io3f.
2. S P Ä T E A R S A K I D E N , F R Ü H E SASANIDEN UND DIE HUNNEN 57
kessel. Über diese haben N. Fettich 1 , N. Egami 2 und zuletzt J . Werner 3 ge-
arbeitet und die Herkunftsfrage geklärt. Danach darf das Ordosgebiet als
Ausgangspunkt dieser Erzeugnisse betrachtet werden. Gleich jenem Säbel
sind sie ursprünglich den asiatischen Nomaden eigentümlich. Daneben ist
noch der hölzerne Sattel zu nennen.
Solche Sättel sind für die Hunnen bei Iordanes, Get. 2 1 3 (aus Priskos
stammend) bezeugt. Unter den Funden begegnen sie, mit goldenen oder ver-
goldeten Blechen beschlagen, von Borovoje in Kasakstan im Osten bis nach
Mundolzheim bei Straßburg im Westen 4 . In Ostasien ist der hölzerne Sattel
erst für 300—500 auf einem koreanischen Wandgemälde 5 , für 500—550 an
einer chinesischen Tonplastik®, weit später noch für Japan im Sösöin von
Nara 7 bezeugt. Dagegen weisen schon die Hiung-nu-Gräber von Noin Ula 8 ,
um die Zeitwende, Reste eines hölzernen Sattels auf. Dieser hat sich aus
dem weiteren mittelasiatischen Bereich nicht nur nach Westen, sondern
auch nach Osten verbreitet.
Für diesen Weg spricht nicht nur der Umstand, daß auf den Ton-
statuetten von Pferden und Reitern, die der frühen T'ang-Zeit ent-
stammen, der Holzsattel bei Darstellungen von reitenden Nomaden be-
gegnet, sondern auch, daß gelegentlich die zugehörigen Halteriemen, die über
Brust und Kruppe laufen, mit bronzenen Weinlaubblättern verziert sind.
A. Alföldi (unter dem 17. 4. 51) schrieb mir, als ich ihm die Aufnahme eines
derartigen Stückes zustellte9, er könne römische Belegstücke für derartigen
Pferdeschmuck im Fernen Osten nachweisen. E r plane darüber einen Auf-
satz mit eingehender Beweisführung (der indessen, soweit ich sehe, noch
nicht erschienen ist). Hingegen ist inzwischen von J . Hackin 1 0 aus Begram
1
In dem von G. N i m e t h herausgegebenen Sammelwerk: Attila £s Hunjdi (1940)
2 4 6 f . ; danach Archaeol. Hungar. 32 ( 1 9 5 3 ) , 141 f.
2
Die Kultur des alten Nordeurasien (japan. 1948) 3 8 7 ! . ; T a f . 5.
' Beiträge zur Archäologie des Attila-Reiches. Abh. Bayer. Akad. Wiss. N. F . 3 8
(1956) A 5 7 f .
4
J . Werner, a. O. 5 0 f . , besonders 52.
5
Werke der Weltkunst 7 (japan., T o k y o , o. J . ) Farbtafel 5.
β
Ebenda Taf. 53.
7
Verzeichnis der Schätze des Shösöin, herausg. vom Kaiserl. Hofministerium
(japan. 1 9 5 1 ) T a f . 29 (351).
8
J . Werner, a. O. 5 1 .
9
Abgebildet bei F . Altheim, Attila und die Hunnen ( 1 9 5 1 ) : Farbtafel vor dem
Titel.
10
Recherches ä Begram (Mem. Deleg. Arch. Fran^aise Afghan. I X ) pi. X X 46.
58 IRAN ALS GESCHICHTLICHER HINTERGRUND
NACHTRAG
Lautliche Einwände, die man gemacht hat, haben sich als gegenstandslos
erwiesen 7 .
M. Räsänen hat gemeint 8 , daß auch das Wort „Bier" hunnischen
Ursprungs sei. Wenn es sich dabei um das als camum bezeichnete Gersten-
bier gehandelt hat, so hätte dieses seinen Namen unter den Hunnen zu
unbekannter Zeit geändert.
darstellt, und zwar ihres καμηλαύκιον mit den gleichfalls kreuzweise sich
schneidenden Bändern (oben i , 324!.). Die Form hat auf arsakidische
und frühsasanidische Vorbilder (oben 1, 325) geführt, und die iranische
Herkunft der griechischen Bezeichnung 7 hat dies bestätigt.
Hier sei zunächst auf das Diadem hingewiesen, das zur Sammlung
Diergardt gehört: nach den vorhandenen Angaben soll es auf dem Mithri-
datesberg bei Kertsch bei einer männlichen Leiche mit Schädelverformung
gefunden worden sein8. Diese Verformung und der Fundort sprechen nicht
dafür, daß es sich bei dem Beigesetzten um einen Hunnen gehandelt habe;
es kommt eher ein Alane in Frage 9 . Auch was Werner gegen die Tatsache
einwendet, daß ein männliches Diadem vorliege, ist wertlos und
unzulässige Verallgemeinerung der Beobachtung, daß in einer Reihe von
Fällen sich Frauen als Träger feststellen lassen. Schließlich ist seine Deutung
des Diadems unrichtig. Er meint: , ,Die Stirnplatte des dreiteiligen Reifs ist
von einem wappenartigen Gebilde aus zwei Raubvogelköpfen überhöht,
dessen runde Augen gleich der rhombischen Mittelzelle mit grünem Glas
ausgelegt sind" 1 0 . Werner vergleicht das Diadem aus dem zweiten Kurgan
von Sipo wo 1 1 , wo indessen nur zwei Augen, nicht aber das seiner Deutung
widersprechende Gegenstück im Mittelteil vorhanden sind. Letztes schließt
die Deutung als zwei Vogelköpfe aus. Es muß sich um etwas anderes
handeln.
Es gehört zu den Merkwürdigkeiten von Werners Behandlung, daß er
bei allen Diademen die Möglichkeit, es könne sich um Herrschaftszeichen
gehandelt haben, fernzuhalten wünscht 12 . So übersieht er die Parallelen,
die die Forschung der letzten Jahre zur Verfügung stellt. Die neuen Tat-
sachen, die R. Göbl für die sasanidische Krone ermittelt hat 1 3 , sind un-
' Altheim-Stiehl, Finanzgeschichte der Spätantike 332 Anm. 166; oben 1,
3 2 5 f . ; 42g.
8
J. Werner, a. O. 62; 66; Β Tai. 29, 9.
* Altheim-Haussig, Die Hunnen in Osteuropa (1958) 3 7 f . ; dort über Kertsch
S. 38/0: oben 1, 77f.. wo die Ansicht vertreten ist, daß die Schädelverformung auf die
Alanen zurückgeht. Auch das Auftreten der Erscheinung bei den Germanen ent-
springt der Nachbarschaft zu dem nordiranischen Volk, beispielsweise bei den Bur-
gunden. Dazu vergleiche man, was hinsichtlich der Alanen L. Schmidt in seiner Unter-
suchung „Beobachtungen zu burgundischen Kaminen" in: Schweizer Volkskunde 41
(1951) 33 f. ermittelt hat, besonders 37.
10
a. ü. 62.
11
a. Ο. Β Taf. 6, 8.
12
a. O. 66 Anm. 1.
13
Bei Altheim-Stiehl, Ein asiatischer Staat 1 (1954), 58!.
62 IRAN ALS GESCHICHTLICHER HINTERGRUND
20 Ebenda 65.
21 Ebenda 63.
22 Ebenda 63.
28 Ebenda 65.
pür II. a.
25 Chron. 36, 7.
Tadzikskoj archaeolog. ekspedizii (1958) 219 hat jetzt eine soghdische Münze mit
iyipyr veröffentlicht, was unsere Deutung bestätigt. Auch R. N. Frye in: Harvard
Journ. Asiat. Stud. 19 (1956), 109 Anm. 14 hat die Lesung anerkannt. Zum Lautwan-
del $'u/Sbr> syspyr vgl. 1. Gershevitch, A Grammar of Manichean Sogdian (1954)
τ 4 § 106; 18 § 133 Χ ; 6 § 31.
27 Acta Arch. Hung. 1 (1951), 91 f.; 107L
woraus mit Schwund des Vokals in mittlerer, offener Silbe yabyu wurde.
So stehen yabäg und yabyu nebeneinander.
Hephthalitische Münzen geben die Form toiryo und tcrrryu34. Im ersten
Fall ist α vor u der folgenden Silbe zu 0 umgelautet 35 . Daneben begegnet die
Pehlewi-Legende y p g w ' 3 * . Mahmüd al-Kasgari hat y a f y u , mit soghdischem
Wandel zu / 37 . Nach ihm wurde damit eine Würde bezeichnet, die zwei
Stufen unter dem Chäqän stand. Ein neupersischer Wandel von y zu 7 liegt
der Form gabguwaihi zugrunde, die Tabari 3 8 und Ibn Hurdädbeh 39 bieten;
auch auslautendes -waihi weist auf iranische Herkunft 40 .
Der yabyu erscheint zum ersten Male in den chinesischen Nachrichten,
zunächst mit den Hiung-nu verbunden 41 . Arch.-chines. * * y j e p - g ' u , alt-
30
H a m z a Isf. 50, 14 f. Gottwald.
31
V. Altheim, Literatur und Gesellschaft 1, 206.
32
Zum Folgenden F . Altheim, a. O. 1, 2 0 8 f .
33
O. Szemerenyi bei F . Altheim, a. O. 1, 2 7 7 .
34
H. J u n k e r in: 1930, 6 6 5 ; R. Ghirshman, Les Chionites-Hephtalites (1948]
5 0 f . ; 6t>.
36
Α. V . Gabain, Alttürk. Gramm 4g § 22.
3
· H. Junker, a. O. 653. Ρ statt b ist der auch sonst bekannte Wechsel vor Kon-
sonanten: A . v. Gabain, a. O. 5 3 § 2 9 .
37
C. Brockelmann, Mitteltiirkischer Wortschatz 7 2 ; W. R. Henning in: B S O S .
10, 9 3 f .
38
Ann. 2. 1206. 9 ; dazu I. Guidi in den Addenda D C L X X X I I ; M. J . de Goeje
im Glossar C L V I I I ; J . Marquardt, Die Chronologie der alttürk. Inschriften 3 5 ;
57 Anm.
3
* 40, 10 de Goeje.
40
Th. Nöldeke in: S B A k . Wien 1 1 6 , 3 8 8 f .
41
J . J . M. de Groot, Chines. Urkunden zur Geschichte Asiens 1, 1 1 6 ; vgl. 2, 9 7 ;
zum Folgenden B. Karlgren, G r a m m a t a Serica Nr. 6 7 5 q ; 1 1 3 a.
2. S P Ä T E A R S A K I D E N . F R Ü H E S A S A N I D E N U N D D I E H U N N E N 65
προσεύξασθαι und vom dargebotenen Wein trinken; erst danach durften sie
den Saal betreten und sich als Gäste des Hunnenherrschers betrachten.
Was war mit dem προσεύξασθαι gemeint? Das Zutrinken angesichts
des Herrschers kennt man von Alexanders Hof. Man trank diesem zu und
machte stehend die Proskynesis. So berichtet Chares von Lampsakos,
Alexanders Zeremonienmeister (FGrHist 125 F 1 4 ; Plutarch., Alex. 54, 4;
Arrian., an. 4, 12, 3—5 und oben 2, 152 Anm. 2). In parthischer Zeit galt
Ähnliches. Zumindest Tiridates und sein Gefolge προς τ ω βήματι
προσστάντες ττροσεκύυησαν αϋτόν, will sagen: Kaiser Nero (Dio 63, 4, 3
und oben 2, 155). Auf einer jüngst veröffentlichten frlihsasanidischen
Trinkschale aus Silber47 begegnet der zur Proskynesis gehörige Grußgestus
(oben 2, 158f.), und wiederum scheint sich das Ineins dieser Proskynesis mit
dem Zutrinken zu bestätigen.
Jenes προσεύξασθαι am Hunnenhof war demnach nichts anderes als die
Proskynesis. Priskos wünschte nicht zu bekennen, daß er sie gleich den
anderen Geladenen vor Attila vollzogen hatte. Denn dies konnte dahin aus-
gelegt werden, daß er den Hunnen als δεσπότης anerkannt hatte. So
wählte Priskos den verschleiernden, aber sachlich gleichwohl eindeutigen
Ausdruck. Auch die Hunnen hatten demnach den Brauch der Proskynesis
ihrer iranischen Umgebung entlehnt, und die besonderen Umstände (Zu-
trinken) zeigen, daß sie es in frühsasanidischer Zeit taten. Hunnen und
Hephthaliten stimmten in der Kenntnis der Proskynesis überein. Damit
rundet sich das bisherige Ergebnis ab.
9
Von chinesischen Einfuhrstücken und darüber hinaus von Nachahmung
chinesischer Vorbilder auf den Fundstücken der Völkerwanderungszeit hat
zuletzt Z. Takäts gehandelt 1 . Er zieht in erster Linie heran, was der Boden
des Karpathenbeckens geliefert hat, ohne sich jedoch darauf zu beschränken.
Takäts weist die Hauptmasse dessen, was chinesischen Ursprungs ist oder
den Einfluß der chinesischen Formenwelt erkennen läßt, den Hunnen zu.
Dahin gehören die bereits erwähnten Bronzekessel in gegossener Arbeit
(oben 1, 7) sowie Werke der Metallkunst, die auf den Ausgang der Han-Zeit
47
S. Ia. Amiranaschwili in: Issledowanija po istorii kultury narodow wostoka
(i960) 254 Abb. 1 ; 285 Abb. 2.
1
In: East and West 11 (i960), 121 f.
2. S P Ä T E A R S A K I D E N . F R Ü H E S A S A N I D E N UND D I E H U N N E N 67
SASANIDISCHE IDEOGRAMME
Wer diese Ausführungen sich vornimmt, wird die Frage nicht unter-
drücken können, wie es zu dem bisweilen unbegreiflich anmutenden Ver-
fahren der ideographischen Schreibung gekommen sei. Selten wurde, so
wird man sagen, eine bizarrere Art, Sprache aufzuzeichnen, erdacht.
Henning tut nichts, um diesen Eindruck zu beseitigen. Eher scheint er es
darauf angelegt zu haben, das Fremdartige und sozusagen Unverständliche
zu unterstreichen. Obwohl es sich um aramäische Ideogramme handelt,
sprechen manche seiner Deutungen den Gesetzen der aramäischen Gram-
matik Hohn; sie scheinen sich nicht einmal zu bemühen, den Regeln des
Sprachgebrauches, denen jede aramäische Sprache unterliegt, sich zu fügen.
1
Altheim-Stiehl, Die aramäische Sprache unter den Achaimeniden 1. Lfg. (1959),
4f.; 3 3 f . ; East and West 10 (1959), 243f.
2
In: Handbuch der Orientalistik 4, 1 (1958), 3of.
70 IRAN ALS GESCHICHTLICHER HINTERGRUND
anbot. Wie immer: mit dieser T a t war, Henning zufolge, das Ideogramm
geschaffen.
Man war damit in den Besitz fester Wortbilder geraten, dazu bestimmt,
mitteliranische Wörter wenigstens in der Schreibung zu ersetzen. A b e r das
Verfahren genügte nicht, und man entschloß sich, einen letzten Schritt zu
tun. Denn man wünschte nicht nur Wortbilder, sondern empfand die Not-
wendigkeit, deren syntaktische Funktion innerhalb des Satzes zu kennzeich-
nen. Man erfand — nein: es entwickelte sich das „phonetische K o m p l e m e n t " .
Anders ausgedrückt: man fügte die iranische Wortendung an die „fest-
gefrorenen" aramäischen Ideogramme. Der Vorteil des eingeschlagenen
Verfahrens bestand darin, wenn man Henning Glauben schenkt, daß man
den „radikalen B r u c h " mit der Vergangenheit, will sagen: der aramäischen
Schriftsprache, vermied und sich in allmählicher Entwicklung auf eine
mitteliranische Schriftsprache zu bewegte.
Eine seltsame Welt, in die man geraten ist! Man steht in den Jahr-
hunderten, da von Palästina bis zum Persischen Golf Aramäisch gesprochen
und geschrieben wurde. Die Targume, die im babylonischen T a l m u d ver-
einigte Überlieferung waren im Entstehen, die midraschische Literatur be-
diente sich, wie das Genesis-Apokryphon gezeigt hat, seit dem Beginn des
i . vorchristlichen Jahrhunderts des Aramäischen 1 ; in der gleichen Sprache
trug Jesus seine Verkündigung vor und schrieb Iosephus die originale
Fassung seines „Jüdischen K r i e g e s " ; eine unabsehbare syrische Literatur,
Mani's originale Schriften und die Anfänge des mandäischen Corpus traten
hinzu. Nicht genug damit: die Hauptstadt des arsakidischen Reiches lag
inmitten des Sawäd und das besagte: inmitten des aramäischen Sprach-
gebietes. Nichts war leichter, als sich einen Untertan aus diesem Gebiet zu
nehmen und ihn zu verwenden. Hunderte, wenn nicht tausende geeigneter
Hände und K ö p f e standen zur Verfügung.
Ungewollt, aber eben darum schlüssig liefert G. Widengren's Unter-
suchung über „Iranisch-semitische Kulturbegegnung in parthischer Z e i t " 2
die Ergänzung, falls solche noch benötigt werden sollte. Gleich als wolle er
uns Beihilfe leisten, spricht Widengren von der „neuen großen Periode des
Aramäischen", die unter den Parthern beginne 3 . E s folgen umfangreiche
1
W. W. Tarn in: CAH. 9, 580; R. H. McDowell, Coins from Seleucia 57.
2
G. Le Rider in: Numismatique Susienne (i960) 26f.
3
G. Le Rider, a. Ο. 31 f.
76 IRAN ALS GESCHICHTLICHER HINTERGRUND
sehen Unterkönige mit dem Titel malkä*. Uber die Persis ist nichts über-
liefert, aber das Abbrechen der Prägungen seitens der Frätadära und
dasselbe Auftreten parthischer Unterkönige wird seit alters dahin gedeutet,
daß Mithridates auch die Persis erobert habe (oben i , 379). Schließlich hat
dieser, nach 140 und vor seinem Tod 138-7, größere Teile des baktrischen
Reiches sich angeeignet. Denn darauf bezieht sich die Nachricht Iustins,
daß die Bactriani noch zur Zeit Mithridates' I. non regnurn tantum, verum
etiam libertatem verloren (41, 6, 3). Auch Strabons Nachricht, daß die
Parther άφείλουτο . . . της Βακτριανής μέρος wird hierher zu stellen
sein (515).
Alle Ereignisse fallen in die spätesten Jahre des Partherkönigs. Erst
seit 139 gehörten ihm Babylonien, die Persis und Teile Baktriens. Ein Jahr
später starb er. Die von Mithridates angehäufte Ländermasse ging unter
seinem Nachfolger Phraates II. wieder verloren, als dieser 129/8 gegen die
Skythen fiel. Das parthische Reich tat einen tiefen Sturz, aus dem es erst
Mithridates II. emporheben sollte.
Hätte Henning mit seinem Hinweis recht, so wäre die ideographische
Schreibung in den beiden letzten Regierungsjahren Mithridates' I. ge-
schaffen worden. Also innerhalb einer kurzen Spanne, die eine vorüber-
gehende Vereinigung ostiranischer Gebiete mit dem parthischen Reich
erbracht hatte. In diesen zwei Jahren müßte die „tatsächliche Ähnlichkeit,
die zwischen dem Parthischen einerseits und dem Soghdischen anderer-
seits obwaltet" — zumindest Henning zufolge — erwachsen sein. Von
vornherein ist dies wenig wahrscheinlich, und es wird ausgeschlossen durch
zwei weitere Feststellungen.
Welche Teile Baktriens Mithridates I. nach seinem Sieg an sich gerissen
habe, ist unbekannt. In Balch hat man bekanntlich in seinem Namen ge-
prägt: 140/39 und 139/85. Aber in Balch und ebensowenig in dem von
Henning als solches bezeichneten Baktrischen · zeigt sich nicht die Spur ideo-
graphischer Schreibung. Sie zeigt sich fürs Soghdische. Doch daß die Sog-
diane damals den Parthern zugefallen wäre, bleibt unbeweisbar. Und das-
selbe gilt für Hennings Behauptung, daß man eben damals jene Schreibung
fürs Soghdische eingeführt habe. Alles ist aus der Luft gegriffen.
4 G. Le Rider, a. Ο. i8f.
5 W. Wroth, BMC. Parthia I 2 f . Nr. 48f. ü b e r eine fälschlich der dortigen Münz-
stätte zugewiesene Prägung Mithridates' I. vgl. G. Le Rider, a. Ο. 12 Nr. 50.
• In: B S A O S . 23 (i960), 47.
3· S A S A N I D I S C H E IDEOGRAMME 77
Unnötig zu sagen, daß die von Henning bemerkten „tatsächlichen Ähn-
lichkeiten" zwischen Parthisch und Soghdisch in der vorliegenden Frage
nichts besagen. Was immer man anführe — Gemeinsamkeiten in der
Schreibweise, in der Form der Ideogramme und in der Femininendung —,
es bleibt für geschichtliche Folgerungen wertlos. Denn daß diese Gemein-
samkeiten in Mithridates' I. Zeit zurückgehen, müßte erst bewiesen werden.
Und daß sie gar den vermißten Beweis für die Eroberung der Sogdiane
durch diesen König erbrächten, wird niemand Henning abnehmen. Es ist
bezeichnend für seine Art, daß er eine Seite später die Verwandtschaften
zwischen den drei mitteliranischen Sprachen zusätzlich „als die natürliche
Folge eines einigermaßen regen Briefverkehrs zwischen den verschiedenen
Ländern" erklärt (a. O. 35).
Dazu kommt eine zweite Feststellung. Aus der Zeit nach der Wieder-
herstellung des Partherreiches, aus den Jahren um die Mitte des 1. vor-
christlichen Jahrhunderts, stammen die Ostraka von Nisä. Träfe es zu, daß
unter Mithridates I. die ideographische Schreibung in Parthien, in der Persis
und der Sogdiane eingeführt wurde, so müßte man erwarten, diese auf der
Beschriftung der Ostraka zu finden. Es muß daran erinnert werden, daß
Henning solche Schreibung zu erkennen glaubt 7 . Aber schon I. N. Winnikow,
im Gegensatz zu Henning ein Kenner des Aramäischen, hat sich dafür aus-
gesprochen, daß Texte in dieser Sprache und nichts anderes vorlägen 8 .
Wir haben Hennings Deutungen, soweit sie hinsichtlich der Ostraka auf den
Nachweis ideographischer Schreibung abzielten, eingehend widerlegt*. Es
ist uns nicht bekannt geworden, daß er sich nochmals dazu geäußert, auch
nur seine alte Behauptung aufrecht erhalten hätte. Zuletzt sind die Heraus-
geber der Ostraka, I. M. Diakonow, Μ. M. Diakonow und W. A. Liwsiz,
erneut für den aramäischen Charakter eingetreten 10 . Damit hat sich die
Sache erledigt. Die Tatsache, daß man in parthischen Urkunden aus dem
1. Jahrhundert v. Chr. noch aramäisch schrieb und nichts von ideogra-
phischer Schreibung wußte, schließt aus, daß sie unter Mithridates I. in
den ihm zuletzt zugefallenen Ländern eingeführt wurde.
Auf anderem Blatt steht der Zusammenhang mit den sumerischen
Ideogrammen des Akkadischen. An solche können gleichfalls Endungen
7 a. O. 2 7 t .
das dort Übliche mutatis mutandis auf jede mitteliranische Sprache über-
tragen werden. G e n a u : es konnte dies geschehen, auch ohne daß es sich
um gleichzeitige und zusammenhängende Maßnahmen handelte. Anders
hingegen steht es mit den Ideogrammen selbst. Sie zeigen im Mittelper-
sischen und Soghdischen eine originale Konzeption, die jeweils von den
Gegebenheiten der beiderseitigen Flexion ausging, dabei zu überzeugenden
und sinnvollen Lösungen kam. D a s Parthische hingegen erweist sich in
seinen Ideogrammen als äußerliche Angleichung an das, was man im Mittel-
persischen und Soghdischen unter Eingehen auf die geschichtliche S t r u k t u r
der Sprache durchgeführt hatte.
E s läßt sich die Probe aufs E x e m p e l machen. Henning ging bei seinen
Aufstellungen noch von der Voraussetzung aus, daß sämtliche Urkunden
aus arsakidischer Zeit — von den Ostraka aus Nisä bis zur Inschrift aus
Susa aus dem J a h r e 2 1 5 n. Chr. — sich der ideographischen Schreibung
bedient hätten. W i r haben den eingehenden Nachweis geführt, daß davon
nichts zutrifft 8 . Alle für das Bestehen solcher Schreibung beanspruchten
T e x t e sind rein aramäisch: es gibt keine Ideogramme aus arasakidischer
Zeit. Widerspruch hat Henning nicht mehr erhoben, und es wäre wohl auch
nicht geraten, dies zu tun. Denn wenn es noch nötig gewesen sein sollte,
hätte die „zweite " I n s c h r i f t aus M c h e t ' a bestätigt, daß man damals Ara-
mäisch schrieb und las und daß von ideographischer Schreibung keine
Rede sein kann (oben 10f.).
Noch ein zweites Ergebnis hatte sich uns eingestellt. Die erste ideo-
graphische Schreibung, die sich fassen lasse, finde sich in der dritten und
vierten Serie der Unterkönige, die in spätarsakidischer Zeit über die Persis
herrschen®. Hier könne erstmals, unter Mißachtung der korrekten Genetiv-
Verbindung, d'ryw MLK' Β RH wtprdt MLK' gesagt werden. Das größere
Alter der mittelpersischen Ideogramme bestätigte sich sich alsdann gegen-
über dem Parthischen. . . . E s war die einzige Konzession an Henning, die
wir damals noch für nötig hielten. Doch zeigen die aramäischen Inschriften
Hatra's, aus dem 2. und dem Anfang des 3. Jahrhunderts stammend:
7 h{y)' Sntruk mlk(') „für das Leben des Königs S a n a t r ü k " ; 'm' 'bdsmy'
„Mutter des 'bdsmy'" ; nsr' blgs „Sieg des Vologeses" und anderes mehr 1 0 .
Das Ostaramäische der Zeit konnte demnach die korrekte Constructus-
8
Altheim-Stiehl, Die aramäische S p r a c h e i. L f g . , 3 3 f . ;
• Altheim-Stiehl, Die aramäische S p r a c h e 1. L f g . , 5 1 f.;
10
A . C a q u o t in: S y r i a 3 0 ( 1 9 5 3 ) , 2 3 4 f · N r . 28, 4 t . ; 28, 1 f . ; 3 3 ; 3 4 , j i .
β Altbeim, Hannen IV
82 I R A N ALS GESCHICHTLICHER HINTERGRUND
Verbindung und deren Ersatz durch d oder dy außer acht lassen. Damit
entfällt der Beweis, daß es auf den Münzlegenden sich um ideographische
Schreibung handelt [über BRH = br sogleich]. Was man dafür hielt, war
wiederum eine ostaramäische Eigentümlichkeit.
Die Ubereinstimmung zwischen den mittelpersischen Ideogrammen
und dem Mandäischen wird sich im Folgenden bestätigen. Sie verwehrt,
an reichsaramäischen Ursprung zu denken, und sie wird auch für die Alters-
bestimmung der mitteliranischen ideographischen Schreibung von ent-
scheidender Bedeutung sein. Bei anderer Gelegenheit 11 haben wir auf die
Äußerung F. Rosenthals verwiesen, wonach dort Schreibungen auftreten,
„die s o n s t . . . nur aus dem Mandäischen bekannt sind, im Reichsaramäischen
aber sich sonst nirgendwo, nach heutigem Material zu urteilen, nach-
weisen lassen, wie die Benutzung von Älaf zur Bezeichnung des ä im Inlaut
und von 'Ain für e (t), ferner auch die Ersetzung des t durch t und des k
durch k, die sich schon meistens in mitteliranischen Inschriften findet" 12 .
In jüngster Zeit ist der Hinweis G. Widengren's 13 hinzugekommen, daß
parth. padgätn ebenso im Mandäischen pwgd'm' wie im paytäm des Fra-
hang-i Pahlavik mit Metathese begegne. Er bemerkt dazu, es sei gewiß kein
Zufall, daß die mandäische „mit der im Frahang belegten Form grundsätz-
lich übereinstimmt, da ja Ebeling sehr beachtliche Gründe für einen baby-
lonischen Ursprung des im Frahang enthaltenen aramäischen Materials
angeführt hat". Es folgt ein Verweis auf E. Ebeling, Das aramäisch-mittel-
persische Glossar Frahang-i-Pahlavik im Lichte der assyriologischen
Forschung (1941) 35.
4
Nunmehr muß Hennings Ansicht besprochen werden, derzufolge die
Ideogramme für „Sohn" (mittelpers. pus, parth. puhr), wörtlich übersetzt,
nicht dies, sondern mittelpers. brh „sein Sohn", parth. bry „mein Sohn"
bedeuten 1 . Es ist zuzugeben, daß beide dies bedeuten können. Aber sie
müssen es nicht, und wieder erhebt sich die Frage, ob eine offenkundige
Sinnlosigkeit hinzunehmen sei. Demgegenüber sei daran erinnert, daß
Henning anderslautende Deutungen bereits vorlagen.
Es handelt sich um Η. H. Schaeders Iranische Beiträge I (Schriften d.
Königsb. Gel. Gesellsch. 6,5 [1930]), eine Studie, die Henning wiederholt
anführt. Dort ist der Wechsel zwischen h und Älaf als Bezeichnung des
auslautenden -ä ausführlich erörtert 2 . Schaeder verweist darauf, daß das-
selbe Schwanken in den Ideogrammen begegne, und äußert sich dahin,
daß dort auslautendes -h auch als Älaf sich auffassen lasse. „ D a n a c h ist nun
meines Erachtens auch in Fällen wie pahl. 'trh == vyäk ,Ort', pars, brh = pus
,Sohn' (neben pahl. bry = puhr), gdh = farr .Glorie, Majestät', pars, ydh
(neben pahl. yd') = dast , H a n d ' , ' y n h (geschrieben 'ynh) = casrn ,Auge', rglh =
Päd ,Fuß', pwmh = dahän ,Mund' u. a. m. das h als Bezeichnung für das
-ä des stat. emph. anzusehen, — nicht, wie Nyberg will, für das -eh des
Suffixes der 3. sing. masc." 3 . Brh wäre demnach nichts anderes als br' und
hieße „(der) Sohn".
Von vornherein darf gesagt werden, daß jede Deutung, die ermöglicht,
den aramäischen Ideogrammen die gleiche Bedeutung zu sichern wie den
entsprechenden mitteliranischen Wörtern, den Vorrang zu beanspruchen
hat gegenüber solchen, von denen dies nicht gilt. Es ist ebenso einleuch-
tend, daß das Ideogramm brh = br' „ S o h n " bedeutet, wie es sinnlos ist, daß
man hier „sein Sohn" zu übersetzen habe. Insofern ist Schaeders Deutung
unbedingt der Vorzug gegenüber der Hennings zu geben. Nur eine Schwierig-
keit bleibt bestehen, -h im Wechsel mit Älaf beim St. emph. ist zunächst eine
Besonderheit des Reichsaramäischen und des Biblisch-Aramäischen, und
nur auf diese hat sich Schaeder berufen. Inzwischen hat sich erwiesen, daß
die angenommene Verbindung der mitteliranischen Ideogramme mit der
aramäischen Verwaltungssprache der achaimenidischen Zeit nicht besteht.
Das Verbindungsglied, nämlich die behauptete ideographische Schreibung
unter den Arsakiden, hat sich als Fehlinterpretation enthüllt. Alle dafür in
Anspruch genommenen Texte sind aramäisch; sie sind in dieser Sprache
geschrieben und gelesen worden. Auf den reichsaramäischen Wechsel
zwischen h und Älaf sich zu berufen, unterhegt nunmehr Bedenken. Es
müßte zuvor erwiesen werden, daß sich dieser Wechsel in den aramäischen
β·
84 I R A N ALS GESCHICHTLICHER HINTERGRUND
Urkunden der arsakidischen Zeit fortgesetzt und auf diesem Wege bis in
sasanidische Zeit erhalten habe.
Theoretisch wäre dergleichen durchaus möglich. Aber das Erhaltene
zeigt ein anderes Bild. Die Ostraka von Nisä schreiben hwt' und krm']das
Pergament von Avrömän hat yrh', krm', kl'; die aramäische Inschrift
von Mchet'a (oben S. 8f.) br'; der Silberteller von Bori tb'; Tang-i
Sarvak s/m', kwrsy', kwrs', 'hr'\ 'hyryn'; myd'; S'ys'; 'mwn ; die Inschrift
von Susa mlk'. Das Ergebnis dieser Durchmusterung ist eindeutig. Außer
bei den Pronomina zeigt sich auslautendes -h nirgends. Die Substantiva
im Stat. emph., auf die es hier ankommt, schreiben ausnahmslos im
Auslaut Älaf. So scheint keine Verbindung von einem brh der achaimenidi-
schen Zeit zu dem gleichlautenden Ideogramm zu führen.
Damit ist jedoch die Deutung des Ideogramms brh als br' keineswegs
erledigt. Denn fürs Jüd.-Aramäische gilt wieder, daß h und Älaf im
Wechsel für auslautendes -ä stehen 4 . Und dasselbe läßt sich in Hatra 6
und an den magischen Texten beobachten®. Beide Schreibweisen gehören
in die gleiche Zeit, aus der die mitteliranischen Belege bezeugt sind. Brh ist
demnach die Form, die fürs zeitgenössische Aramäisch Babyloniens möglich
und belegt ist. Man ist auf dasselbe Ergebnis gestoßen, das sich im vorigen
Abschnitt einstellte 7 . Die Sprache der Ideogramme ist zunächst die des
späteren Ostaramäisch, nichts anderes.
Es bleibt bry, Henning zufolge „mein Sohn". Es steht nicht allein,
sondern hat eine Reihe ähnlicher Bildungen neben sich: 'hy „Bruder",
mr'y (in wechselnder Schreibung) „Herr", mr'ty „Herrin" und andere mehr.
Es stellt sich die Frage, ob man „mein Herr" oder „Herr", „meine Herrin"
oder „Herrin" übersetzen soll, und dasselbe gilt für bry. Zweifellos gibt es
Fälle, wo die Anredeform des Typus „mein Herr" zum Titel erstarrt ist. Der
Vergleich mit monseigneur, monsieur, monsignore und Verwandtem drängt
sich auf. Mr'y als Titel begegnet in den Elephantine-Papyri, in den ArSäma-
Pergamenten. Im Syrischen kennt man mry als Titel von Geistlichen 8 .
In den Asoka-Inschriften von Taxila und Kandahar und in den In-
5
Henning folgt in dem Abschnitt über die „schwachen Verben" 1 fast
völlig dem, was zuvor Η. H. Schaeder dargelegt hatte 2 . Gemeint sind, um
zunächst die Bezeichnung richtigzustellen, die Verba tertiae infirmae.
Grundform der Ideogramme, soweit sie dieser Klasse angehören und nicht
• A . Caquot in: Syria 32 (1955), 50, Nr. 43, 1 u a m . ; ebenso mrln „unsere Herrin".
10 Altheim-Supplementum Aramaicum 16 f ; 95.
1 1 Altheim-Stiehl, a. O. 72 und Anm. 32.
1 a. O. 35 f.
1 Iranische Beiträge 1, 37 f.
86 I R A N ALS GESCHICHTLICHER HINTERGRUND
* a. Ο. 39.
4 a. Ο. 36.
3· SASANIDISCHE IDEOGRAMME 87
in Armenien; es gibt die Ostraka von Nisä, das Pergament von Avrömän.
Nirgendwo läßt sich jenes Urideogramm, bislang unbekannte Species
innerhalb der grammatischen Fauna, fassen. Daß angebliches BNYt sich
inzwischen als einfaches aramäisches bnyt = banyat oder bnet erwiesen
hat, wird sich sogleich zeigen.
Nicht minder seltsam sind die Umstände, die bei einem zweiten Ausflug
in die gleichen Jahrhunderte zutage getreten sind. Denn daß die Vorstellung,
man habe sich damals aramäischer Sprachkenntnisse zusehends entäußert,
alle Wahrscheinlichkeit gegen sich hat, konnte zuvor gezeigt werden.
Henning beansprucht gerade die Jahrhunderte für seine sprachliche Ver-
wahrlosung, die als Blütezeit aramäischer Sprachen und aramäischen
Schrifttums gelten dürfen. Indessen, Urideogramm und Verwahrlosung
vereint verleihen den Vertretern der bisherigen Theorie, Schaeder und
mehr noch Henning selbst, sozusagen einen Freibrief. Kraft dessen ist
gestattet, Endungen des Imperfekts (oder was man dafür hält) an die
2. Sing, des Imperativs treten zu lassen, Endungen der 2. Plur. des Impe-
rativs wiederum an die 2. Sing, desselben Modus zu fügen oder Partizipien
mit der gleichen Endung zu versehen. Das zur Kennzeichnung dieses Ver-
fahrens gebrauchte Wort „ideogrammatisch" soll verdecken, daß es sich um
eine grammatische Sinnlosigkeit handelt. So wird dem geduldigen Leser
denn auch wenig erspart. Das — wohlgemerkt: iranische — Komplement -t
wird mittels des -«, -wn der aramäischen Imperfektformen zu -tn, -twn er-
erweitert, wohingegen Nöldeke, nüchterner Grammatiker alten Schlages,
das derart entstandene HZYTWN noch als 2. Plur. Perf. erklärt hatte 5 .
Niemandem scheinen gegenüber diesem Verfahren Bedenken gekommen zu
sein, und Henning spricht gar angesichts der Form HZYTWN davon, man
müsse sie ,,zwiebelgleich auswickeln", um zum „Urideogramm" H Z Y zu
gelangen.
Ein Appell ans philologische Gewissen scheint nachgerade erforderlich.
Bevor man sich zur Anerkennung grammatischer Anarchie versteht, sollte
man fragen, ob sich nicht doch ein Weg zur Erklärung aus der Ge-
schichte der aramäischen Sprache und ihrer Grammatik finden lasse. Und
bevor man die Sinnlosigkeit (ob „ideogrammatisch" oder nicht, bleibt eins)
der Erklärung substituiert, sollte man sich einen Augenblick überlegen, ob
nicht doch dem Verfahren ein Sinn zugrunde liege. Endlich: wenn Deutungen
aus dem Aramäischen der achaimenidischen Zeit nicht gelingen wollen,
s In: WZ KM. 16, 3.
88 IRAN ALS GESCHICHTLICHER HINTERGRUND
hätte man zu erkunden, ob nicht spätere Spielarten der Sprache die ver-
mißten Möglichkeiten bieten.
H. S. Nyberg* ist eine Deutung gelungen, die an den Anfang gestellt sei.
E r hat HZYTWN als häzettön verstanden, demnach als Pluralform häzen
des Part. Act. P e 'al mit verkürztem Pronomen der 2. Plur. attön. Es be-
deutete dann: „ihr seid sehend, ihr seht". Schaeder 7 hat dagegen eingewandt,
derartige Bildungen kämen zwar im Ostaramäischen, aber nicht im älteren
Aramäisch vor. Das trifft zu. Aber was einstmals als Einwand gelten mochte,
dient heute zur Empfehlung. Nachdem die unmittelbare Verknüpfung der
Ideogramme mit der achaimenidischen Zeit sich gelöst, überhaupt das
Bestehen von Ideogrammen in arsakidischer Zeit sich ins Nichts ver-
flüchtigt hat, ist die Bedeutung des Ostaramäischen zur Erklärung der
überlieferten Formen zusehends deutlich geworden.
Nybergs Erklärung gestattet, andere Formen einzubeziehen. Zunächst,
was selbstverständlich ist, die sonstigen Angehörigen von Schaeders vierter
Gruppe, also MHYTN, KRYTN, SGYTN und andere mehr. Aber auch
die zweite Gruppe läßt sich anschließen. Zunächst mit -t: parth. H Z Y Τ wäre
häzet(t) „du siehst", RMYT: rämet(t) „du wirfst", demnach Part. Akt. P c 'al
mit den verkürzten Formen des Personalpronomens der 2. Sing. at(t). Auf die
Entsprechungen im Syrischen 8 , Mandäischen8 und Jüd.-Aramäischen 10 sei
verwiesen. Es trifft sich gut, daß auch Hennings BNYt der Inschrift von
Susa sich erledigt hat 1 1 . Der Satrap, der auf dieser Inschrift den König
anredet, sagt: bnyt hztk = banyat hzätäk „dein Bildnis (wurde) errichtet.
Oder es kann verstanden werden: bnet hzätäk „ich habe dein Bildnis er-
richtet".
Dem zur Seite treten die Formen mit -w. Denn die Erklärung der Verben
mzbnw, zbnw des Pergaments von A v r ö m ä n als ideographische Schreibung
mußte inzwischen gleichfalls fallen. Man hat in beiden Wörtern das Partizip
mit dem als Kopula verwandten Pronomen der 3. Sing, zu erkennen:
mzbn + {h)w, zbtt + ( h ) w 1 2 , demnach eine im Ostaramäischen zur Genüge
belegte Konstruktion. Danach besteht keine Schwierigkeit, parth. HZYW
als häze-(h)ü „er ist sehend, er sieht" oder RMYW als räme-{h)ü ,,er
w i r f t " , zu erklären 1 3 .
Den bisher erklärten Typen von Verbalideogrammen ist eigentümlich,
daß sie sämtlich praesentische Bedeutung besitzen, aber die Personen
wechseln können: HZYT, HZYW und HZYTN1* stehen nebeneinander.
Zwanglos schließt sich hier Schaeders dritte Gruppe an, die aramäischen
Imperfekte enthaltend: parth. YMT'H, YB'H, mittelpers. Y'TN, Y'
TWN, YHMTWN. Wieder wechselt die Person, aber die praesentische
Bedeutung ist diesen Formen mit den zuvor behandelten gemeinsam.
Damit bestätigt sich, was zuvor gesagt wurde: daß es nirgends auf
die Person ankam, überall aber auf die praesentische Bedeutung. Hier
wird nützlich sein, die ausgezeichneten Bemerkungen heranzuziehen, die
F . Rundgren in seiner Untersuchung über „ D a s altsyrische V e r b a l s y s t e m " 1 5
gemacht hat 1 6 : In dem Maß, wie die Form die ursprünglich den
konstativen Aspekt, gleichmäßig für Gegenwart und Vergangenheit, um-
faßte, in Richtung auf ein Praeteritum hin sich entwickelte, wurde das
zugehörige *yiktul mehrdeutig. E s mußte langsam dazu übergehen, neben
dem kursiven Aspekt, f ü r Gegenwart und Vergangenheit, auch den kon-
stativen für die Gegenwart zu übernehmen. Dem hat bereits im Bibl.-
Aramäischen entgegengewirkt, daß das aktive Partizip mit der Form
*yiktul in Wettbewerb trat. Das aktive Partizip wurde im Sinne eines
generellen Praesens, eines Praesens der echten Gegenwart gebraucht17.
Dementsprechend findet sich im Syrischen, in den ostaramäischen Mund-
14
Altheim-Stiehl, Supplementum Aramaicum 65; an den zuvor, gen. 0.38 und
249. Es sei bemerkt, daß die Schreibung -w, also hw ohne h, sich auch im Syrischen
belegen läßt: dhilü in der Biographie des Mär Yaballähä 53, 15 Bedjan.
11
Über '$THW vgl. unten.
14
Das Ideogramm für däStan, von Nyberg YHSNW = yahsenü(tt), von Junker
YHSNN gelesen, ist zweifellos das zweite, wie jetzt die Synagogeninschriften von
Dura-Europos bestätigen: Altheim-Stiehl, Philologia sacra 60.
14
Ur Spräkvetenskapliga Sällskapets i Uppsala Förhandlingar 1958—60, 49 f.
" F. Rundgren, a. O. 57f.
17
Bauer-Leander, Gramm, des Bibl.-Aramäischen 290 f.
90 I R A N ALS GESCHICHTLICHER HINTERGRUND
NACHTRAG
6
Was zuvor dargelegt wurde, bezog sich zunächst, ausgehend von den
Darlegungen Hennings und Schaeders, auf die Verben tertiae infirmae.
Was wir an Neuem und, wie wir annehmen, an Richtigem an die Stelle des
21 Th. Nöldeke, a. O. 258.
92 IRAN ALS GESCHICHTLICHER HINTERGRUND
Bisherigen gesetzt haben, beansprucht indessen, auch für die übrigen Ver-
balideogramme zu gelten. Darum sei zur Kontrolle durchmustert, was der
Frahang an die Hand gibt 1 .
In diesem ist, sozusagen als Normalfall, die Endung -wn durchgeführt.
Also nicht nur bei dem Typus HZYTWN, SDYTWN, wo -twn als ver-
kürztes attön legitim ist, sondern auch für alle Fälle, die bisher dem Typus
HZYW = häze + (h)ü zugerechnet wurden. Von auslautendem -w haben
sich nur vereinzelte Spuren erhalten (sämtlich vom Herausgeber verkannt):
1. ZBNW 24 und MZBNW 31, von Junker ZBNN und MZBNN verlesen,
aber durch zbnw und mzbnw des Avrömän-Pergamentes gesichert;
2. THNW = ärtan 32, von Junker als THNN verlesen;
3. MDMHW = sahistan 30 von Junker als MDMHN verlesen. Ein P a " e l
von dmä in der Bedeutung „similis fuit" ist fürs Ostaramäische be-
zeugt: C. Brockelmann, Lexic. Syriac. 2 157 1. Also mdamme-(h)ü, wobei
Nyberg das Partizip richtig beurteilt hat 3 .
Daneben stehen einige Fälle, die gesonderte Betrachtung verlangen.
HYMNW 13 (von Junker als HYMNN verlesen) gehört zu HYTYW und
ist wie dieses zu beurteilen (oben S. 90 Anm. 19). Sodann *§MHW = aS-
nütan und 'STHW — Wartan. Nyberg 3 erklärt das erste als 'ceSmä -f· ü, das
zweite als 'ceSte + w; an anderer Stelle werden beide mit schließendem -w
umschrieben 4 . Da ist zunächst festzustellen, daß bei 'STHW das zu Anfang
stehende 'Ain ein Älaf vertritt 6 * und damit auf syr., jüd.-aram. etti
verweist &b . Der Vorschlag ist nicht nur in diesen beiden aramäischen
Dialekten möglich®, sondern auch im Mandäischen, wo entsprechend
"STHW neben Älaf auch 'Ain, obzwar weniger oft, erscheint 7 . Da eine
3. Plur. Masc. nicht in Betracht kommt, muß man sich nach anderer Er-
klärung umsehen. Das Jüd.-Aramäische bietet 'yUh, „er trank" 8 . Aber
auch von dort scheint kein Weg zu 'STHW ZU führen.
Neben 'ysth bietet das Jüd.-Aramäische die Form it' ,,er trank"*, ent-
sprechend syr. Stä neben eStl. D a ß man diese Form auch sonst schrieb, zeigt
d a s O s t r a k o n Η 125 Α aus Dura-Europos 1 0 . Sein T e x t beginnt m i t : hmrn g
XX Stn. Nachdem man nicht mehr genötigt ist, ideographische Schreibung
für die arsakidische Zeit anzunehmen, kann man den T e x t ungezwungen ara-
mäisch lesen und verstehen (das Ostrakon mag in das 2. Jahrhundert n. Chr.
gehören oder in den Beginn des 3.). W i r verzichten darauf, anderweitige und
uns durchaus bekannte Vorschläge, die alle von der Voraussetzung ideogra-
phischer Schreibung ausgehen, zu kritisieren. Denn das Richtige bietet sich
an. Hmrn ist der zu erwartende Singular des allein im Plural erhaltenen syr.
hamräne11. Die A b k ü r z u n g g ist die Bezeichnung eines Maßes, und da es sich
um Wein handelt, wird syr. gräbä , , K r u g " gemeint sein, das in anderen ara-
mäischen Dialekten und in arab. giräb, äthiop. geräb seine Entsprechung be-
s i t z t 1 2 . Stn endlich ist entweder Plur. masc. Part. Act. P " a l (Säten) oder die-
selbe Form des passiven Partizips (Sten) zu Stä „trinken". Die korrekte
Bildung und die defective Schreibung wird durch die Parallelen des Jüd.-
Aramäischen gewährleistet 1 3 . Man hat demnach zu übersetzen: „(an) Wein
20 K r ü g e haben sie getrunken" oder „wurden getrunken". Das aktive Parti-
zip vertritt hier die Dauer in der Vergangenheit („sie haben nach und nach
entleert"), das passive wie üblich das Perfekt 1 4 . Die Schreibung des vorge-
schlagenen 'Ain ist also spätere Hinzufügung, nach dem Vorbild der genann-
ten ostaramäischen Formen; die Vertretung von Älaf durch h wurde bespro-
chen. h als Vokalstütze für i (e) zeigt das genannte 'ySth. 'STHWmt sich
demzufolge ungezwungen als Säte-(h)ü erklären. Die Folgerung für
lautet, daß auch da 'Ain späterer Vorschlag ist; er begegnet erstmals
auf der oben 3, 36f. behandelten Synagogen-Inschrift aus Dura-Europos.
A u s dem Mandäischen kennt man Erhaltung von 'Ain im Auslaut durch
Umwandlung in A 1 5 . Also * $ M H W < $ M ' W = Säme-(h)ü.
In den übrigen Formen ist statt -w die Endung -wn durchgeführt. Man
hat demnach die Formen auf -w als 3. Plur. Masc. mißverstanden. Da die
Perfekt-Endung -w in den ostaramäischen Dialekten durch -wn ersetzt wer-
den konnte — nicht nur im Syrischen, sondern auch im Jüd.-Aramäischen
und Mandäischen1· —, führte man die Endung bei den Ideogrammen durch.
Gleichwohl läßt sich, über das Gesagte hinaus, an einer Reihe von
Ideogrammen erkennen, daß ursprünglich die Verbindung eines Part. Act.
P " a l mit dem als Kopula verwendeten Personalpronomen der 3. Sing. Masc.
gemeint war. Jenes Partizip wird auf den beiden Inschriften von Mchet 'a,
wie wir gezeigt haben 17 , in der zweiten Silbe plene geschrieben: m'yt = tnä 'et,
n$yh = näseh, *byd = 'äbed, tnlyk = mälek. Diese Piene-Schreibung
kennt man bei dem gleichen Partizip im Jüd.-Aramäischen 18 und im
M a n d ä i s c h e n 1 9 . F o r m e n wie NBY'WN vextan 1 — 2 , 'BYDWN = kartan 1,
'RYKWN = virextan 2 zeigen somit, daß sie einstmals die Part. Act. P " a l
näbe', 'äbed, 'ärek als vorderes Glied enthielten.
Damit ist unsere Auseinandersetzung mit Hennings Darlegungen beendet.
Ähnlich wie bei den vorsasanidischen .Ideogrammen', hat sich auch bei
den sasanidischen gezeigt, daß bei genügender Kenntnis der aramäischen
Sprache sich sämtliche Formen grammatisch und sprachgeschichtlich ein-
wandfrei deuten lassen.
Es erübrigt sich, auf den Abschnitt, der die Verwechslung von 'Ain
und Älaf 20 behandelt, einzugehen. Die Übereinstimmungen mit dem Tal-
mudischen und Mandäischen21 sind zu augenfällig, als daß sie sich über-
sehen ließen. Wir dürfen sie als Bestätigung dessen werten, was im Vor-
angegangenen nachgewiesen wurde: daß das Aramäische der sasanidischen
Ideogramme in allem Wesentlichen mit dem Ostaramäischen übereinstimmt.
7
Die vorliegende Untersuchung folgt einer Reihe anderer, die das Ver-
hältnis der europäischen Hunnen zur frühsasanidischen Kultur behandeln.
Soviel ist deutlich geworden, daß die Ideogramme nicht das Ergebnis einer
Th. Nöldeke, Mandäische Gramm. 223.
17
Altheim-Stiehl, Supplementum Aramaicum 82; Die aramäische Sprache 1. Lfg.
42f.; 45; oben 1, 249; 2, 178 und in diesem Band S. 11.
18
G. Dalman, a. O. 230.
" Th. Nöldeke, a. O. 230.
10
a. O. 36 f.
11
Th. Nöldeke, a. O. 57t. und 58 Anm. 2; 6gi.
3. S A S A N I D I S C H E IDEOGRAMME 95
8
Es ist nun so, daß die ideographische Schreibung auf die europäischen
Hunnen nicht eingewirkt hat und nicht einwirken konnte. Dies gilt un-
beschadet der Feststellung, daß die älteste Schrift sich an das Vorbild des
4 Die aramäische Sprache i. L f g . , 59. G. Le Rider in: Numismatique Susienne
(i960) 18 liest auf Prägungen des parthischen Unterkönigs der E l y m a i s , Orodes' I I . :
„Orodes roi, fils d'Orodfes" wie f o l g t : URUD MALKA BaRi URUD. Hoffentlich
läßt sich dadurch niemand zur Annahme ideographischer Schreibung veranlassen.
Nach Ausweis von T a f . 2, 138 steht d a : wrwd bry zy mlh' wruid.
7 Altheim, Bannen IV
98 I R A N ALS GESCHICHTLICHER HINTERGRUND
• Altheim-Stiehl, a. O. 63 f.
7·
ZWEITES BUCH
Die Cornuti und mit ihnen die Bracchiati und die Petulantes gehörten
ursprünglich dem gallischen Heer an. Konstantins Sieg an der Milvischen
Brücke wurde durch dieses Heer erfochten. Die Münzen, die man bei dieser
Gelegenheit schlug, feiern die virtus exercitus Gallicani5. Auch der Triumph-
bogen des Kaisers war dem Gedächtnis dieser Schlacht geweiht. Das Trup-
penwappen der Sockelreliefs zeige, so meint Alföldi, daß die Cornuti und
Petulantes an ihr entscheidenden Anteil nahmen. Davon schreibe sich ihr
späterer Ruhm her.
* 7, 6, 4-
4 In: Germania 1935, 324!.; zustimmend Polaschek in: RE. 17, 1109.
6 A. Alföldi in: 25 Jahre Rom.-germ. Komm. 13.
Truppenkörper; die Batavi betrachteten sie als ihre conturmales1. Auch das
Schildzeichen, das die Cornuti führen, muß ein germanisches, zum mindesten
ein keltisch-germanisches sein8. Alföldi sucht es als Stangenbekrönung zu
deuten und erinnert daran, daß solche Feldzeichen bei anderen indoger-
manischen Völkern, aber auch bei den nordasiatischen Nomaden vor-
kommen. Für die gegenständigen und verwandten Bildungen wird die
keltische La Tene-Kunst herangezogen, die seit dem 2. Jahrhundert überall
an Boden gewonnen und auch auf die Germanen gewirkt hatte. Daneben
wird der „Rolltiere" in der Steppenkunst gedacht und die Möglichkeit
offen gelassen, daß in der asiatischen Heimat der Reitervölker die Heimat
auch des Schildzeichens zu suchen sei*.
Bei der Wichtigkeit von Alföldis Aufstellungen ist ein erneutes Durch-
denken unerläßlich. Es wird sich zeigen, daß sie einen Hinweis geben, daß
aber erhebliche Abstriche gemacht werden müssen.
Es ist niemandem verwehrt, die Geschichte der Cornuti und der ihnen
nahestehenden Truppenkörper bis in den Beginn des 4.'Jahrhunderts zu-
rückzuverfolgen. Aber es muß daran erinnert werden, daß die Überlieferung
von einer Teilnahme an der Schlacht bei der Milvischen Brücke nichts
weiß. Das erste Auftreten erfolgte in der Schlacht bei Straßburg.
Wie die Schildzeichen der Cornuti, Petulantes und Bracchiati aussahen,
zeigt das römische Heeres- und Staatshandbuch des ausgehenden 4. und
des beginnenden 5. Jahrhunderts: die Notitia dignitatum. Unter den ver-
schiedenen Truppenwappen, die sie gibt, erscheint or. 6, 9 bei den Cornuti
ein Doppeltier der Art, die auf Konstantinsbogen entgegengetreten war.
Dasselbe ist der Fall bei dem berittenen Teil der Zwillingstruppe, den
Bracchiati occ. 6, 4 1 0 . Doch beide Male besteht kein Anzeichen dafür, daß
Böcke oder auch nur hörnerbewehrte Tiere dargestellt sind. Die weitere
Frage, was die gegenständigen Doppeltiere der Cornuti und Bracchiati
bedeuten und wo ihr Ursprung zu suchen sei, bleibe unerörtert. Es ist
durchaus möglich, daß es sich um Standartenaufsätze handelt und daß die
11 A. Alföldi in: Eur. Sept. Ant. 9, 285^; J. Wiesner in: Germanien 1942, 210.
1J W. Krause in: Germanien u. Indog. 2, s86f.; Runeninschr. im alt. Futhark
I9f. Nr. 8 — 1 0 ; Arntz-Zeiß, D. einheim. Runendenkm. d. Festl. i f . ; Altheim-
Trautmann, Kimbern u. Runen* 55f.
1 1 7, 18, 19; unrichtig A. Menz in: Rhein. Mus. 86, 202 Anm. 22.
14 In: Herrn. 24, 205 Anm. 3 = Schrift. 6, 216 Anm. 1; H. Omont in der Pariser
stad 22 . Auf diesem, der noch in der Mitte des 5. Jahrhunderts zu setzen ist,
besteht die /-Rune „aus zwei kurz umgebogenen, ineinandergreifenden
Haken, von denen der oben links befindliche ungefähr senkrecht steht,
während der untere schräg nach links unten verweist; die beiden umge-
bogenen Enden der Haken stehen sehr nahe aneinander"23. Das ist das
gleiche Zeichen, das der Schild der Ascarii aufweist.
Ein zweites Mal begegnet eine Rune auf dem Truppenwappen der
Vindices. Diese findet man einmal occ. 41, 18 unter den limitanei, die dem
dux Moguntiacensis unterstanden. Ihr Standort ist mit Nemetis (Speyer)
angegeben. Die Nemeter waren trotz ihres keltischen Namens germanischen
Ursprungs. Sie gehörten zu Stämmen, die Ariovist über den Rhein führte24.
Tacitus 25 kennt schon unter Claudius auxiliaris Nemetas im römischen
Heer. Bei der örtlichen Rekrutierung, die für die limitanei galt, darf man
in den Vindices einen ursprünglich germanischen Truppenteil erkennen.
Eine mehr oder minder starke Keltisierung ist darum nicht ausgeschlossen2*.
Des weiteren erscheinen die Vindices or. 6, 16 unter den auxilia palatina.
Sie führen, ähnlich den Cornuti und Bracchiati, ein Doppeltier im Schild.
Oberhalb desselben erkennt man die Rune $ , also die Odalrune des gemein-
germanischen Futhark 27 . Freilich ist die Überlieferung hier nicht einheit-
lich. Von den Abschriften des Archetypus der Notitia, des Spirensis28,
gibt nur der Monacensis lat. 10 291 die Odalrune den Vindices. Im Parisinus
lat. 9961, der ältesten Abschrift, führen dagegen die Mattiaci iuniores die
Rune 29 . Aber auch sie waren Germanen30.
Von hier aus läßt sich das Wappen der Cornuti or. 6, 9 verstehen. Diese
führen, wie gesagt, ein Doppeltier; die Köpfe zeigen eine vogelähnliche
Bildung. Der Mittelteil wird von einem Rund eingenommen, das auch bei
den Anglevarii or. 5,18 und den Falchovarii occ. 6, 18, ebenfalls germani-
22 W. Krause, a. O. 566 f. Nr. 64.
23W. Krause, a. O. 567.
24 Caes., b. G. i, 51; R. Much in: Paul u. Braunes Beitr. 17, 1031.; 105!.; D. Germ,
1102 f.
2» H. Omont, a. O. Taf. 22.
sehen Truppenteilen 31 , begegnet. Doch während bei diesen das Rund leer
bleibt, wird es bei den Cornuti von einem Zeichen eingenommen.
Zunächst muß die Uberlieferung behandelt werden. Am deutlichsten
spricht der Monacensis lat. 10 291, und zwar in den Miniaturen der zweiten
Fassung 32 . Zwei gegenständige, nach außen offene Halbkreise sind so in-
einandergeschoben, daß sie sich zweimal schneiden. Schwieriger zu deuten
scheint das Zeichen im Parisinus lat. 9961. Eine Nachprüfung am Original
ließ darüber keinen Zweifel, daß auch da die gegenständigen, sich schneiden-
den Kreisbögen vorliegen. Nur sind diese beiderseitig am oberen Ende zu
einer abwärts schwingenden Kurve verlängert. Die Holzschnitte in den
Ausgaben des Gelenius (Basel 1552) und Panciroli (Venedig 1593), für die
der Spirensis gleichfalls noch die Vorlage abgab, haben das ihnen unver-
ständliche Zeichen kurzerhand weggelassen.
Hält man sich an den Monacensis, so hegt die Bedeutung zu Tage.
Gemeint sein kann allein die Rune ng. Meist als Kreis oder Quadrat ge-
bildet, erscheint sie auf dem Themsemesser (um 700) und überhaupt auf
den angelsächsischen Denkmälern als £ 33 Das Schildzeichen gäbe dann die
gerundete Bildung wieder.
Lange hat man im 5 des Themsemessers die älteste Form der ng-Rune
erkennen wollen 34 . Als Beweis führte man den Stein von Opedal 35 aus der
Mitte oder der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts an. Aber nach der neuesten
Aufnahme 3 * scheint es zweifelhaft zu sein, ob dort wirklich die gerundete
Form erscheint. Man kann lediglich an der unteren Seite eine Verlängerung
der anzusetzenden Halbkreise über den Schnittpunkt hinaus erkennen.
Krause 37 hat darum angenommen, daß die Kreisform der ng-Rune die
älteste war. Vielleicht gestattet das Schildzeichen der Cornuti eine andere
Auffassung.
Sind die Cornuti Ingwäonen gewesen ? Nachdem man nicht mehr damit
rechnen muß, daß die Truppe schon bei der Milvischen Brücke mitkämpfte,
darf man die Regierungsjähre Constantins' II. ins Auge fassen. Unter ihm
Zosim. 3, 1, 1.
" Iulian., or. 1, 34 p. 51 Bidez; L. Schmidt. Gesch. d. dten. Stämme, 2, 1, 40;
E. Stein, Gesch. d. spätröm. Reiches 1, 217.
40 Artemii passio 15 bei Philostorg. p. 59 Bidez; Aur. Vict. 42, 17; E. Stein, a. O.
1, 221.
41 Spätere Rekrutierung von Sachsen war immer möglich. Sachsenkämpie des
älteren Theodosius bezeugt eine Inschrift aus Stobi (R. Egger in: Byzant. 5, <)1.;
15): es heißt dort μέγα δίμα Σαξονίίης.
41 Η. Arntz, a. Ο. 89.
die Nemeter noch ihre ursprüngliche germanische Art bewahrt hatten und
noch nicht der Keltisierung erlegen waren 47 . So ist durchaus möglich, daß
die «g-Rune der Cornuti die älteste Form überhaupt darstellt.
Längst wurde vermutet, daß die Ingwäonen eben die ng- oder /ng-Rune
als Schildzeichen besessen hätten. Das mochte, als es ausgesprochen wurde,
als Kühnheit erscheinen48. Heute läßt sich manches dafür sagen. Die
Ingaevones, wie man heute einhellig nach der bei Plinius 4 ' vorliegenden
Uberlieferung schreibt60, gehen auf den «-Stamm Ingu- zurück. Er liegt
daneben in Inguiomerus, in dem adtnordischen Yngwi-Freyr, dem Ingunar-
Freyr der Lokasenna und in der Form enguz der Salzburg-Wiener Hand-
schrift vor. 5 1 Ingu- steht neben dem o-Stamm Ing-, wie in den italischen
Gottesnamen Ianus, Picus und Sancus u- und o-Stämme nebeneinander
erscheinen62. Krause" nimmt an, daß die /ng-Rune als altes, vorrunisches
Sinnbild nach dem Gott und Ahnherrn der Ingwäonen benannt war. Daß
man diese Rune als Schildzeichen tragen konnte, bestätigen die Cornuti.
Eine letzte Beobachtung wird K. A. Eckardt M verdankt. Er stellt fest,
„daß außer dem altgermanischen Himmelsgott Tyr (*Teiwaz) und dem
neuen Runengott Odin (*Wödanaz), den wir mit dem isländischen Runenlied
für den Träger der Asenrune halten dürfen, nur Ingwi der Ehre gewürdigt
worden ist, einer Rune den Namen zu geben." Er folgert daraus mit Recht,
daß die Runen von einem ingwäonischen Stamm geschaffen wurden. Daß
dies zur Auffassung vom kimbrischen Ursprung der Runen aufs beste
stimmt, wurde bereits bei anderer Gelegenheit hervorgehoben86.
Bisher wurden die Cornuti als Angehörige eines germanischen Stammes
betrachtet. Aber sie waren zugleich Angehörige einer Abteilung des spät-
römischen Heeres. Auch als solche wollen sie angesehen und gewürdigt
werden.
Baesecke in: ZdA., Anz. 1939, 5; Vor- und Frühgesch. d. dten Schrifttums 1, 102;
H. Arntz, Handb. d. Runenkde. 2 228.
" Altheim-Trautmann, Kimbern und Runen' 11; Kimbern als Ingwäonen: Plin.,
n. h. 4, 99; E. Norden, Altgermanien 285; oben 1, 298f.
110 HEIDENTUM UND CHRISTENTUM
Euseb., v. Const. 3, 7, 1.
67
58 v. Const. 4, 5.
Paul. Diac., hist. Langob. 1, 20; G. Baesecke, Vor- und Frühgesch. d. dten.
Schrifttums 1, 323 f.
4- G E R M A N I S C H E G Ö T T E R NACH I H R E R GESCHICHTL. S T E L L U N G Hl
Roms, sondern auch auf die Germanen. Die schweren Helme von Vendel
und Valsgärde in Mittelschweden, bedeckt mit den verschlungenen Bändern
und Gliedmaßen des nordgermanischen Tierstils, lassen sich auf die gleiche
Form zurückführen. Vor allem ein bei De Peel, Deurne in Brabant ge-
fundenes Stück, seiner Inschrift zufolge, den auch in der Notitia dignitatum
genannten equites Stablcsiani gehörig70, hat das Vorbild für die skandi-
navischen Nachahmungen abgegeben71.
Mit dem Helm Konstantins hat man den germanischen Königshelm des
frühen Mittelalters bereits zusammengestellt72. Paulus' Zeugnis wurde
dabei übersehen. Und doch bestätigt erst dieses die Verknüpfung. Denn
bei Rodulf erscheint der Helm nicht allein, sondern wie bei Konstantin:
galea und vexittum verbunden. Der Herulerkönig steht geradewegs in der
Nachfolge des ersten christlichen Kaisers.
Auch der Schild wurde unter Konstantin, gleich Labarum und Helm,
zum Träger des Christusmonogrammes. Clypeorum insignia scripserat...
Christus, sagt noch Prudentius 7 '. Es bedeutet eine weitere Bestätigung,
daß auch der Schild im germanischen Bereich fortgewirkt hat.
Die /«g-Rune der Cornuti steht auf einem Schild. Als Rune und ins-
besondere als runisches Begriffszeichen ist sie eine nota1*. Das erinnert
daran, daß Konstantin vor der Schlacht an der Milvischen Brücke Christum
notat in scutis7&, also das Christusmonogramm auf die Schilde seines Heeres
malen ließ. Dieses Monogramm war gleich der /«g-Rune eine nota und,
darin ebenfalls mit ihr übereinstimmend, das Zeichen eines Gottes. Das
älteste unter den erhaltenen Christusmonogrammen Konstantins, auf dem
Silbermedallion von Ticinum aus dem Jahre 3I57*, ist am Helm innerhalb
eines Rundes angebracht. Das Monogramm auf dem Labarum, das Eusebios
beschreibt77, ist von einem Kranz aus Gold und Edelsteinen umgeben.
Kaum darf es als Zufall gelten, wenn auch die /«g-Rune der Cornuti,
anders als die übrigen Runen auf den Schilden der Notitia dignitatum,
innerhalb eines Rundes oder Medaillons erscheint. Und ebensowenig, daß
sie auf einem Schildzeichen des spätrömischen Heeres, unter christlichen
Kaisern, auftritt.
Sicherlich haben die Germanen von sich aus Runen auf Schilden an-
gebracht. Dazu bedurfte es keines äußeren Anstoßes, und die anderen runi-
schen Schildzeichen, die zuvor behandelt wurden, bestätigen es. Aber bei
der Tng-Rune der Cornuti treffen so viele Besonderheiten zusammen, daß
die Vermutung gerechtfertigt ist, daß ihre Anbringung nach christlichem
Vorbild erfolgt ist.
Anderes läßt sich diesem Ergebnis einordnen 78 . Gregor von Tours be-
zeichnete Chlodwig bei seiner Taufe als „neuen Konstantin". In der Sage
von Wolfdietrich, wie sie seit dem 6. Jahrhundert sich bildete, sind der
erste christliche Kaiser und der Frankenkönig sogar gleichgesetzt, wohnt
dieser in Konstantinopel. Und in dem französischen Epos von Floovent aus
dem 12. Jahrhundert heißt der Vater des Helden abwechselnd Clovis und
Constantin. Auch das zeigt, wie mächtig dieser im Gedächtnis der Germanen
fortgewirkt hat.
Jüngst hat E. Schaffran 79 , die Bronzestatuette eines sitzenden Ger-
manenfürsten veröffentlicht. Er glaubt in ihm (was sachlich und chrono-
logisch nicht ohne Weiteres überzeugt) einen langobardischen König aus
der Wende des 6. zum 7. Jahrhunderts zu erkennen. Wie immer: der Dar-
gestellte trägt Bestandteile der spätrömischen Kaisertracht. Die linke Hand
stützt er auf einen Rundschild, darauf wiederum die beiden gegenständigen
Bocksköpfe, den halbkreisförmig geschwungenen Hälsen entwachsend, an-
gebracht sind. Also das Gegenstück zum Truppenwappen des Konstantins-
bogens und zum Schildzeichen der Cornuti. Nur das diesmal nicht die
/«g-Rune, sondern das Christusmonogramm in der altertümlichen Form
erscheint. Also mit quergestelltem X , das zum Kreuz wird und dessen oberes
Ende zum Ρ umgebogen ist 80 . Der Dargestellte hat sich nicht nur das
spätrömische Truppenwappen, sondern auch die älteste, konstantinische
Form des Monogramms angeeignet 81 .
1 A. Alföldi in: Germania 1935, 324f.; Polaschek in: R E . 17, 1109; F. Altheim
bei J. Kollwitz in: Gnomon 18, iogf.
4 Maßgebende Ausgabe von O. Seeck 1876.
4 Grundlegend P. Schnabel in: S B A W . 1926, 242f.
4 A . W . B y v a n c k in: Mnemosyne 1940, 87f.
4 Occ. 5, 60.
• Monac. lat. 10291; O. Seeck a. Ο. X X V I I I ; F . Altheim. Literatur und Gesell-
schaft 1 T a i . X X I I I unten.
7 Η. P. L'Orange in: S y m b . Osloens. 13, i o s f . ; Η. P. L'Orange und A. von Gerkan,
Der spät, antike Bildschmuck des Konstantinbogens 45 f.
4· G E R M A N I S C H E G Ö T T E R N A C H I H R E R G E S C H I C H T L . S T E L L U N G 115
1 1 Or. 6, 21 = 62.
M Or. 5, 25 = 66.
15 Or. 9, 41·
1· Symb. Osloens. 16, io5f.; Roma 1936, n " j i . ; L'Orange-v. Gerkan, a. O. 4 5 !
17 Vgl. Gnomon 18, iogf.
" Herodian, 1, 15, 2; 3, 3, 4; 7, 2, 1.
β·
116 H E I D E N T U M U N D CHRISTENTUM
sie auf der Trajanssäule 19 . Es kommt hinzu, daß gerade auf der Gegenseite,
im Heer Maxentius', nicht in dem Konstantins, die Anwesenheit von
Mauren bezeugt ist 20 . Auch wird der Begriff der Mauren niemals auf die
Stämme am oberen Nil ausgedehnt, auch bei späteren Autoren nicht 21 .
Eine entsprechende Truppe ist weder inschriftlich noch literarisch be-
legt. Die equites sagittarii indigenae, die unter dem Dux der Thebais in der
Notitia dignitatum erscheinen 22 , scheiden aus, da es sich um eine Reiter-
truppe handelt. Eine Vermutung sei immerhin gewagt. Der Sieg an der
Milvischen Brücke wurde auf den Münzen Konstantins durch die Auf-
schrift virtus exercitus Gallicani gefeiert 23 . Vielleicht kommen darum die
sagittarii Gallicani24 in Frage, in deren Namen sich die einstige Zugehörig-
keit zum exercitus Gallicanus ausdrückt. Damit ist über ihre Herkunft noch
nichts gesagt. Aber auf ihrem Schildzeichen erkennt man zwei sich gegen-
überstehende Mohren, und das würde zur Herkunft der Bogenschützen und
ihre Kampfesweise passen. Die gleichen Mohren erscheinen unter dem
comes limitis Aegypti als Wappenzeichen von Parembole 25 in Oberägypten.
Bisher wurde nur das Schildzeichen betrachtet, das die felices Valen-
tinianenses in der ersten Fassung der Münchener Handschrift der Notitia
dignitatum führen. Nicht genügend beachtet ist, daß die Pariser Ab-
schrift des Speyerer Archetypus 28 ein ganz anderes Zeichen gibt. Auch da
sieht man einen stehenden Krieger in Vorderansicht. Wieder hebt er die
linke Hand und hält in der rechten die Waffe. Aber sonst bestehen eigen-
tümliche Verschiedenheiten. Während in der Münchener ersten Fassung die
Linke einen Zeigegestus macht, hält sie hier eine kreisförmige Scheibe
empor. Und die Waffe ist kein Bogen, sondern eine mit der Spitze abwärts
gerichtete Lanze. Der Pfeilkranz als Kopfschmuck fehlt, und statt der
Tunika erscheint ein langer, vorn geschlossener und karierter Umhang.
Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß sowohl die Form des
Schildzeichens, das in der Münchener Handschrift erscheint, wie das, was
14
Cichorius 2, 295f.
ϊ0
Lact., De mort. persccut. 44, 3; vgl. Zos. 2, 15, 2 Καρχηδόνιοι.
21
Weinstock in: RE. 14, 2350; Claudian., De cons. Stilich. 1, 2481. bildet gewiß
keine Gegeninstanz.
Or. 3 1 , 25 f.
a
A. Alföldi in: 25 Jahre röm.-germ. Kommiss. 13.
M
Or. 5 , 1 3 — 1 4 ; 54—55·
" Or. 28, 10.
!
· Paris, lat. 9661. Abgeb. bei F. Altheim, a. Ο. 1 Taf. XVI; P. H. Schramm,
Herrschaftszeichen und Staatssymbolik 1 (1954) Taf. 8 g.
4· GERMANISCHE GÖTTER NACH I H R E R GESCHICHTL. STELLUNG 117
die Pariser Fassung bietet, auf dasselbe Vorbild zurückgehen. In der Grund-
haltung stimmen beide Kriegergestalten überein. Der senkrechte Bogen
dort entspricht der Lanze hier; beide Male ist der linke Arm erhoben. Und
in der straffen, aufwärts gerichteten Formgebung des Haares auf Seiten der
Pariser Fassung glaubt man etwas wie ein Rudiment der zuvor besproche-
nen Pfeilkrone zu erkennen.
Ist die Pariser Fassung die schlechtere, und gibt die Münchener Kopie
die originale Zeichnung des Spirensis richtiger wieder? Seeck hat hier der
ersten Fassung der Münchener Handschrift den Vorzug gegeben und sie
den Wiedergaben seiner Ausgabe zugrunde gelegt27. Aber es ist daran zu
erinnern, daß der Pfalzgraf Ottheinrich (1544—1559) in der für ihn an-
gefertigten Abschrift die Zeichnungen des Spirensis noch einmal wieder-
holen ließ, da die im Geschmack der Zeit angefertigte erste Kopie
ihm an Genauigkeit nicht genügte28. Es spricht gegen Seecks Ver-
fahren 2 ·, wenn man sieht, daß in der zweiten Fassung der Münchener
Handschrift das Schildzeichen weitgehend mit dem des Parisinus über-
einstimmt. Wieder sieht man einen Mann in langem, kariertem Umhang. Er
hat die linke Hand mit geöffneten Fingern erhoben und trägt in der Rechten
einen länglichen Gegenstand, der schwer zu bestimmen ist 30 . Das Fehlen
von Lanze und Scheibe bildet einen Unterschied. Aber sonst stimmen die
zweite Münchener und Pariser Fassung überein. Bezeichnenderweise
erscheint beide Male dasselbe straff aufwärts gerichtete Haupthaar.
Einen weiteren Anhalt bildet der Holzschnitt in der Ausgabe des
Gelenius (Basel, Froben 1552) S1 , dem gleichfalls noch der Spirensis vorlag.
Der lange Umhang stimmt mit der Pariser Kopie und der zweiten Münchener
Fassung, der Stab (oder die Lanze) in der Linken (die Figur ist im Gegen-
sinn gegeben) mit der Pariser, der Zeigegestus der Rechten wieder mit der
zweiten Münchener Fassung überein. Eine Besonderheit bildet die Zacken-
krone, offenbar eine Umstilisierung der Haartracht.
Damit scheint sich zu erweisen, daß die Pariser Kopie das Original am
genauesten wiedergibt. Die Haltung, der lange, karierte Umhang, die Haar-
tracht, die Lanze finden anderswo ihre Bestätigung. Einzigartig bleibt
" a. Ο. X X V I I I f.
» O. Seeck, a. Ο. IX.
" a. Ο. X X I X .
10
Notitia dignit., ed. E. Böcking, 2 Α p. ig.
" Abgeb. bei F. Altheim, a. Ο. 1 Tai. X X I I (unten rechts).
118 HEIDENTUM UND CHRISTENTUM
nur die Scheibe in der linken Hand. Hier sprechen die anderen Wieder-
gaben für eine Hand mit geöffneten Fingern; aber auch für die Scheibe
wird sich vielleicht die Möglichkeit einer Deutung ergeben. In der Tat ist
die Pariser Abschrift die älteste, die man von dem Spirensis besitzt. Da
sie sich spätestens 1451 im Besitz des Pier Candido Decembrio befand,
muß sie bereits in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts 32 , nicht erst um
die Mitte des 16., wie der Monacensis, entstanden sein 33 . War die Zeichnung
des Schildzeichens im Spirensis, was die verschiedene Wiedergabe der Ab-
schriften nahelegt, im Laufe der Zeit undeutlich geworden oder teilweise
zerstört, so muß, wenn irgendeine Abschrift, die älteste und damit der
Parisinus die ursprüngliche Form am reinsten erhalten haben. Es kommt
hinzu, daß nicht nur die erste Münchener Fassung, sondern auch die anderen,
vor allem die Pariser, sinnvoll sind und durch andere Denkmäler bestätigt
werden.
Im Typenvorrat der spätrömischen Kunst wird man freilich vergeblich
nach einer Entsprechung suchen. Die nur in einer Nachzeichnung erhaltenen
Darstellungen des kleinen Goldhornes von Gallehus in Nordschleswig 34
zeigen auf ihrem breitesten, am oberen Rand verlaufenden Bildstreifen
einen Krieger in Vorderansicht. Wiederum hält er in der rechten Hand die
mit der Spitze abwärts gekehrte Lanze, mit der Linken eine Scheibe oder
einen Ring. Auf dem Kopfe trägt er zwei Hörner. Die Bilder des Gold-
hornes geben inhaltlich manches Rätsel auf. Immerhin scheint so viel
deutlich zu sein, daß es selbst kultischem Gebrauch diente 35 . In den
gleichen Bereich verweist die hörnertragende Gestalt. A. Olrik3* hat sie
mit Odin, dem Besitzer des Speeres Gungnir und des Ringes Draupnir, in
Verbindung gebracht. Der Helm von Sutton Hoo gibt eine ähnliche Gestalt,
aber die Bearbeiter haben auf eine Deutung verzichtet 37 .
Hier scheint sich ein Anhaltspunkt für die Deutung auch unseres
Schildzeichens zu ergeben. Freilich müssen zuvor einige Schwierigkeiten
32
P. Schnabel, a. O. 2 4 4 ! . ; vgl. R. Sabbadini in: Stud, di filol. class. 1 1 , 261
Anm. 1.
33
P. Schnabel, a. O. 247.
34
Zuletzt W . Krause, Runeninschriften im älteren Futhark 172, Nr. 76. — Der
hier folgenden Deutung hat K. Hauck bei P. H. Schramm, a. O. 167 f.; 203 Anm. 264
zugestimmt.
35
W. Krause, a. O. 174.
" Gudefremstillingar p& Guldhornene og andre celdre Mindesmaerker. In: Danske
Studier 1918.
37
The Sutton Hoo Ship Burial 25 Abb. 7.
4· G E R M A N I S C H E G Ö T T E R N A C H I H R E R G E S C H I C H T L . S T E L L U N G 119
geklärt werden. Man hat auf Grund einiger Einzelmotive, die mit süd-
russischen Funden übereinstimmen, bei den beiden Hörnern von Gallehus
auf jede Erklärung aus der germanischen Überlieferung verzichten wollen38.
Aber das ist schon angesichts der Inschrift des nordgermanischen Ver-
fertigers 39 :
ekhlewagastiR j holtijaR | horna J tawido |
,,Ich Hlewegast, Holtes Sohn, verfertigte das Horn" — ein kühnes Unter-
fangen. Mit Recht hat jüngst 0. Höfler 40 an Olriks Deutung festgehalten.
Stärkeres Gewicht scheinen einige Einzelheiten zu haben, in denen beide
Darstellungen, der Odin von Gallehus und das Schildzeichen der felices
Valentinianenses, sich unterscheiden. Das Schildzeichen gibt seine Krieger-
gestalt in langem, mantelartigem Umhang, der auf dem Gallehuser Horn
fehlt. Aber nicht nur Speer und Ring bilden die Abzeichen Odins. Auch der
Mantel gehört dazu 41 : nach ihm wird er geradezu als heklumadr „Mantel-
mann" bezeichnet42. K. Hauck, der der hier gegebenen Deutung zuge-
stimmt hat, denkt an einen Mantel aus Pelzflecken43. Auf der anderen
Seite trägt Odin des Goldhornes einen Ring an der linken Hand und
das Hörnerpaar auf dem Haupte. Beides fehlt auf dem Schildzeichen,
vielleicht ist der Ring dort durch die emporgehobene Scheibe ersetzt.
Längst hat man gesehen, daß auf den südskandinavischen hällristningar
eine ähnliche Gestalt erscheint44. Am bekanntesten ist das Felsbild von
Litlesby 45 . Eine gewaltige Figur von phallischer Bildung trägt hier die
Lan: e mit der Spitze schräg abwärts. Daneben erscheint sie, zumal auf den
bronzezeitlichen Felsbildern Östergötlands, in waagrechter Haltung 4 ·. In
vielen Fällen ist die Lanze übergroß gebildet. Das zeigt, daß sie eine beson-
dere Bedeutung besaß. Die germanische Religionswissenschaft ist geneigt,
in diesem „Speer"- oder ,,Lanzen-Träger" einen göttlichen Vorgänger
Odins mit der Lanze Gungnir zu erkennen 47 .
Man hat freilich eingewandt, daß die phallische Darstellung der Fels-
bilder bei dem späteren Wodan und Odin keine Entsprechung finde. Nach
Adam von Bremen war Fricco (aisl. Freyr) der Schweden im Tempel
zu Uppsala cum ingenti priapo dargestellt (neben Thor cum sceptro und
Wodan als armatus). Andererseits könne der Lanzengott nicht mit Fricco-
Freyr wesenseins sein, da dieser als pacem voluptatemque largiens mortalibus
gedacht wurde. So habe die Verbindung von Lanze und Phallos keine Ent-
sprechung in der späteren nordischen Religion. Darauf ist zu erwidern,
daß der Phallos auf den Felsbildern keine besondere Bedeutung hat, sondern
einfach den Mann und somit auch die Gottheit männlichen Geschlechtes
bezeichnet. Der göttliche Beilträger, in dem man den Vorgänger Thors
und seines Hammers Mjollnir erblickt, ist ebenso mit dem aufgerichteten
Phallos dargestellt wie der Lanzengott 4 8 .
Auf drei Felsbildern aus Tanum 4 9 begegnet bei diesem Lanzenträger
auch die senkrechte Haltung der Waffe, mit der Spitze nach unten. Hier
ist die Ubereinstimmung mit der entsprechenden Gestalt des Gallehuser
Goldhornes und des Schildzeichens der felices Valentinianenses deutlich.
Sie bestätigt Olriks Auffassung und zieht die des Schildzeichens nach sich.
Auch der auf ihm erscheinende Lanzenträger wäre als Odin oder Wodan
anzusprechen. Zugleich ergibt sich die Deutung der Horner, die der Gott
auf dem Goldhorn trägt. Ihre lange, geschweifte Form weist auf Stier-
hörner: vielleicht bestand ein innerer Zusammenhang zwischen dieser an
sichtbarer Stelle angebrachten Darstellung und dem Goldhorn selbst, das
gleichfalls die Form eines Stierhornes besaß. Verbindungen zwischen Wodan
und dem Stier lassen sich ziehen. Die Berserker des Gottes tragen Stier-
hörner oder kämpfen in Tiergestalt 50 . Auf dem Felsbild von Kalleby bei
Tanum 5 1 (Bohuslän) erscheint eine riesige Gestalt, die ihre Lanze senkrecht
Trautmann, Vom Ursprung der Runen Abb. 52; F. Altheim, Italien und Rom i 1 ,
Abb. 2.
50 M. Ninck, a. O. 7; 40; 46; 256.
Vom Ursprung d. Runen 47 f.; Italien und d. Dor. Wanderung 21 f.; Kimbern und Ru-
nen2 13 t.
" Altheim-Trautmann, Vom Ursprung d. Runen 64!.
58 Altheim-Trautmann, a. O. Abb. 51—52.
• 3 W. Krause, a. O. 40 f. Nr. 26 f.
• 4 W . Krause, a. O. 31 f. Nr. ιγί.
·* W. Krause, a. O. 47 f.
" W . Krause, a. O. 39; 40; 47.
· ' W. Krause, a. O. 33 Anm. 1 zu Nr. 1 7 ; 34 zu Nr. 20 („Hakenkreuz . . . das die
Sphäre der Asen symbolisiert"); 36 zu Nr. 22 (Hakenkreuz); 37 zu Nr. 23 (Haken-
kreuz); 38 zu Nr. 24 (Hakenkreuz); 39 zu Nr. 25 (Hakenkreuz); vgl. 40; 48 zu Nr. 32
und 33 (Hakenkreuz).
,e
W. Krause, a. O. 42 zu Nr. 28.
· · W . Krause, a. O. 4 3 f . ; Abb. 37.
70
S. Gutenbrunner, D. german. Götternamen d. antik. Inschriften 5 2 f . ; J . de
Vries, a. O. 1, i66f.
71
Altheim-Trautmann, a. O. 74f.; 83f.
4· GERMANISCHE GÖTTER NACH IHRER GESCHICHTL. STELLUNG 123
deutet die Ansis ausdrücklich als semidei. Ungleich wichtiger aber ist ein
Anderes. Von römischer Seite ließe sich das Erscheinen des Wodan am
besten erklären, wenn man an die Aufstellung der felices Valentinianenses
unter Valentinian II. denkt 78 . Zu Beginn seiner Herrschaft war dieser der
heidnischen Senatspartei nicht abgeneigt und hatte als magister militum
den Franken Bauto, einen Heiden. Und wenn der Kaiser sich auch von
einem Feind zu einem Freund des Ambrosius wandelte und asketische
Neigung entwickelte, so setzte doch mit dem späteren magister militum
Arbogast, dem Landsmann, Kriegsgefährten und Glaubensgenossen Bauto's,
eine neue heidnische Reaktion ein. Unter dem Regiment eines dieser beiden
Männer könnte durchaus der germanische Gott auf den Schild der neu-
geschaffenen Truppe gebracht worden sein. Daß Wodan nach alter Art zu
Fuß, nicht zu Pferde dargestellt ist, bedeutet eine Bestätigung. Denn
gerade die Franken haben am Fußkampf langehin festgehalten 79 und haben
ihren Gott entsprechend wiedergegeben.
Arbogasts Name ist mit dem letzten Kampf des römischen Heidentums,
das mit der Erhebung des Flavius Eugenius zum Kaiser und mit der
Schlacht am Frigidus 394 sein Ende fand, verknüpft. Wenn die zuvor
geäußerte Vermutung zutrifft, so würde das Bündnis zwischen dem heid-
nischen Franken und der römischen Senatspartei 80 in einem neuen Licht
erscheinen. Nicht nur unter dem Zeichen der römischen Götter hätte man
gegen Theodosios gefochten. Wie man auf den Pässen der Alpen geweihte
Iupiterstatuen 81 mit vergoldeten Blitzen in den Händen 82 gegen den heran-
nahenden Feind errichtete 83 , so führte man auch den lanzentragenden
Germanengott gegen ihn im Wappen. Iupiter und Wodan vereint wären
an den Ufern der Wippach gegen das christliche Heer zum Kampf angetreten.
Und sowenig man trotz des Sieges die Iupiteradler der alten Gardetruppe,
der Ioviani, antastete, sowenig scheint es mit dem Gott der felices Valen-
tinianenses geschehen zu sein.
78
E . Siein, Gesch. d. spätröm. Reiches 1, 3 1 1 ; 3 2 0 ; 3 2 5 .
' * Prokop., b. Goth. 2, 2 3 , 27.
80
F . Klinger, Vom Geistesleben im R o m des ausgehenden Altertums 3 2 f.
81
Augustin, De civ. Dei 5, 26: Iovis simulacra, quae adversus eum (sc. Theodosium)
fuerant nescio quibus riiibus velut consecrala et in Alpibus constituta.
82
Augustin., 1. c.: fulmina quod aurea fuissent.
88
Wielange sich in der Kaiserresidenz Trier die heidnische Vorstellungswelt
unter bereits christlichen Kaisern gehalten hat, zeigt das Trierer Kornmarkt-Mosaik:
J . Moreau, Das Trierer Kornmarktmosaik (Monum. Artis R o m . 2, i960) 5 ; 26.
4· GERMANISCHE GÖTTER NACH IHRER GESCHICHTL. STELLUNG 125
las. „Sie steht auf einem Stein, der über einem Eisenmeteorstein befestigt
ist, in Dölzig bei Leipzig. Cand. phil. Eberhard Pinder in Leipzig hat sie bei
der Landesaufnahme für seine Dissertation entdeckt, und ich bin dann mit
ihm an dem Stein gewesen. Äußere Zeichen von Unechtheit können wir
nicht entdecken; ein Fälscher möchte im allgemeinen auch etwas Ver-
ständlicheres zuwege bringen und schwerlich etwas, das wie eine Bombe in
unsere 1939er Runentheorien einschlägt." E. Pinder bestätigte in einem
Brief vom 5. 7. 39 den Fund. Die Deutung gab H. Arntz: „(t)k Ingus wäre
die ostgermanische Form, die wir dort erwarten müßten." Er nahm an, daß
die Inschrift „ehedem wohl länger gewesen" sei.
Während des Krieges ruhten die Nachforschungen. Erst am 25. 8. 1945
untersuchte Dr. Η. E. Giesecke, als Kenner des Ostgermanentums, auf meine
Bitte hin erneut den Stein. Er fand ihn im Garten des Arnoldschen An-
wesens in Dölzig, Auenstraße 28, in seinem früheren Zustand vor. Er gab
folgende Beschreibung:
„Unregelmäßiger runder Stein mit konzentrischen Schleifspuren auf
der die ursprüngliche Oberfläche bildenden helleren Oberseite. An der
unteren Seite ist durch Absprengung diese Schicht verloren. Buntsandstein,
an der linken Kante springt ein Stück amorphen blauen Gesteins (Schiefer,
Basalt ?) vor. Etwas darüber ist auf der Oberfläche des Steins ein etwa 2 qcm
großer Kalksteineinschluß erkennbar. Die ganze Rückseite ist dicht mit
kristallinischen Kupferblendestücken, 0,5—3 mm groß, besät. Die In-
schrift wurde nach erfolgter Absprengung an der Unterseite angebracht.
Außer den auf der Aufnahme von E. Pinder erkennbaren t I und γ S Π f ,
wobei zwischen | und Y keine Schriftreste auf der abgesprengten Ober-
1 Abgebildet nach einer Aufnahme E. Pinder's bei F. Altheim, Literatur und Ge-
sellschaft 1 Taf. X V I I I oben.
126 HEIDENTUM UND CHRISTENTUM
fläche erkennbar sind, weist die Rückseite etwa gegenüber der Ing-Rune
nochmals ein Y mit einer langen, möglicherweise von Korrosion herrüh-
renden senkrechten Hasta auf. Links von dieser sind zwei Punkte wage-
recht nebeneinander eingehauen. Die Inschrift ist nachträglich teilweise
mit Silberbronze ausgezogen."
Die erste Frage muß die nach der Echtheit des Stückes sein. Arntz und
Pinder glaubten keinen Grund zum Zweifel zu finden, betonten aber beide,
daß erst eine genaue Untersuchung der Verwitterungsrinde Klarheit
schaffen könne. Infolge Weigerung des damaligen (1939) und des
späteren Besitzers (1945) war eine solche Untersuchung bis jetzt nicht
möglich. Auch hat die nachträgliche Ausziehung gerade der wichtigsten
Schriftzeichen mit Silberfarbe die Voraussetzungen dafür erschwert. Bei
dieser Sachlage muß man sich auf innere Gründe beschränken. Sie scheinen
den Eindruck, den Arntz und Pinder hatten, zu bestätigen.
• Arntz-Zeiß, a. O. 427f.
' W. Krause, a. O. 15; 17; 44; 183; 197; 205; H. Arntz, a. O. 88.
' W. Krause, a. O. 205 Anm.
• Arntz-Zeiß, a. O. 305; 307; 101.
10 Altheim-Trautmann, V. Ursprung d. Runen 85.
1 5 Arntz-Zeiß, a. O. 251.
geben sie mit ek oder ik den Runenmeister, auf nordischen Denkmälern da-
neben auch den Toten. Im ersten Fall wird zuweilen eine Besonderheit
hinzugefügt, die Macht verleiht. So hebt der Runenmeister seine Abkunft,
etwa als Heruler, hervor oder seine Eigenschaft als „Geweihter", als
Zauberpriester.
All dies führt in sakralen Bereich. Der Stein von Dölzig tritt als weiteres
Glied der Gruppe hinzu. Nur nennt er weder Runenmeister noch Toten,
sondern einen Gott. Das gibt diesem Denkmal von vornherein eine be-
sondere Stellung. Formal steht die Inschrift der Fibel von Bratsberg (B)
mit ek erilaz am nächsten. Mim hat ihren Wortlaut bisher ergänzt zu: ,,ich
ritze die Runen" oder „ich weihe den Schmuck" 24 . Keine der beiden Er-
gänzungen kommt für den Dölziger Stein in Betracht. Er enthält lediglich
die Selbstvorstellung des Gottes „ich (bin) Ingus". Und es muß gefragt
werden, ob dann ek erilaz, wenn es gleichfalls allein dasteht, nicht auch:
„ich (bin) ein Heruler" bedeutet hat.
Eine vergleichbare Form der Selbstvorstellung findet sich im christ-
lichen und dem ihm gleichzeitigen Schrifttum. Es handelt sich um den,
wie man ihn genannt hat, soteriologischen Redetypus έγώ είμι28. Die
bekannten Belege seien in Kürze wiederholt. Έ γ ώ είμι ή θεοί/ Trais
ή πνεύμα θείον, läßt Celsus 2 · seine Christenfeinde sprechen. Häufig ist der
Gebrauch in johanneischen Reden 27 . Aber auch in den Synhedrion- und
Pilatusberichten der Synoptiker erscheint an betonter Stelle eine Abwand-
lung des Redetypus έγώ είμι28. Dazu kommen Belege aus gnostischer
und hermetischer Literatur 2 ·. Rückwärts läßt sie sich bis zu den Inschriften
der Achaimeniden oder denen vonMchet'a, vorwärts bis zu den Tatenberich-
ten der aksümitischen Könige 80 , des nubischen Königs Silko 31 und zur Ver-
kündigung Mohammeds verfolgen82.
" Arntz-Zeiß, a. O. 430.
15 E. Norden, Agnostos Theos i89f.; E. Schweizer, Ego eimi (Forsch, z. Relig. u.
Literat, des Alten und Neuen Test. N. F. 38). Hinweis von J. Schniewind.
1 1 Orig., adv. Cels. 7, 8f.; vgl. R. Reitzenstein, Poimandres 222f.; E. Norden,
a. O. 188 f.
27 E. Norden, a. O. 190.
i s E. Norden, a. O. 194 f.
2 · E. Norden, a. O. i 9 o f .
, 0 "Ezänä spricht zwar auf seinen Tatenberichten in erster Person. Aber die feier-
liche Selbstpraedikation mit ana „ i c h " begegnet erst bei Ha?änl Dan'Sl: E. Littmann
in: Deutsche Aksum-Expedition 4 (1913), 42f.
W. Dittenberger, Orient. Graec. inscript. sei. 1 Nr. 300.
M E. Norden, a. O. 2131.; igif.; E. Schweizer, a. O. i 2 f .
β Althelm, Hannen IV
130 HEIDENTUM UND CHRISTENTUM
Hat dieser Redetypus bei den Runenschriften der Form ek erilaz und
(i)k ingus Pate gestanden ? Zumindest die Möglichkeit kann nicht geleugnet
werden. Freilich fällt ins Gewicht, daß bei den Runeninschriften die Kopula
fehlt, während sie an den angeführten Stellen der gotischen Bibelüber-
setzung stets vorhanden ist. Hier gab die griechische Fassung, wiederum in
sämtlichen Fällen, das Vorbild. Nur aus dem Buch der gnostischen
Peraten, das den Titel ΤΤροάστειοι trug, hat Hippolytos 34 die Wendung
erhalten: έ γ ώ φωνή έξυπνισμοΟ έν τ ω αΙών: της νυκτός. Weit
zahlreicher sind die Belege aus der griechischen Übersetzung des Alten
Testamentes3®. Und damit stößt man auf den Kern der Frage: im Fehlen
des Verbums hegt ein Semitismus vor. Es verdient hervorgehoben zu
werden, daß die Runeninschriften hier gegenüber der Ulfilasübersetzung
das Ursprüngliche bewahrt haben.
Dafür geben jetzt die beiden Inschriften von Mchet'a den gewünschten
Beleg. Beide sind in einer semitischen Sprache abgefaßt. Der aramäische
Teil der Bilinguis und die zuvor mitgeteilten Teile der zweiten, ausschließ-
lich aramäisch abgefaßten Inschrift machen vom Redetypus έ γ ώ ε!μι
reichlich Gebrauch. Sie verwenden ihn in der semitischen Form, will sagen:
sie setzen 'nh ohne Kopula. Sprachlich könnte hier das Vorbild vorliegen,
und insofern darf dieser Hinweis den Vorrang beanspruchen. Es bleibt nur
die Frage, ob sich eine Verbindung herstellen läßt. Damit ist man bei der
Frage nach dem Alter und der Stammeszugehörigkeit des Dölziger Steines
angelangt.
Seiner äußeren Form nach erinnert er am ehesten an den Stein von Prex.
Aber der Vergleich hilft nicht weiter, da dieses Denkmal sich zeitlich nicht
bestimmen läßt3®. Die Form der Ing-Rune in Dölzig ist jünger als die auf
dem Schildzeichen der Cornuti. Dieses führt in die Zeit nach dem ersten Auf-
treten der Truppe in der Schlacht bei Straßburg 357. Auf der Schnalle von
Szabadbattyan hingegen erscheint bereits eine Form, die aus | i und ^ ng
zusammengesetzt, also jünger als das ^ von Dölzig ist. In Szabadbattyan
hat man noch, im Gegensatz zum späteren Gebrauch, den Lautwert ing37,
wie das der Zusammensetzung des Zeichens entspricht. Beide Formen,
^ und die jüngere, haben also ihren ursprünglichen Lautwert ing zugunsten
von ng aufgegeben. Gleichwohl läßt sich aus der Schnalle von Szabadbat-
tyan kein Terminus ante quem für Dölzig gewinnen. Denn der Brakteat
Nr. 22 von Vadstena zeigt, daß damals (Mitte des 6. Jahrhunderts) noch
^ geschrieben werden konnte 38 . Und zwar, wie der gleichzeitige Brakteat
von Grumpan 3 9 beweist 40 , neben der jüngeren Form. So bleibt es bei der
ziemlich weiten Zeitspanne zwischen 357 und etwa 550. Immerhin wird
der Stein eher ans Ende denn an den Anfang des Zeitraumes gehören.
Auch die Frage der Stammeszugehörigkeit ist vielleicht zu bestimmen.
Dölzig liegt nahe der östlichen Grenze eines geschlossenen Siedlungsge-
bietes beiderseits der Saale 41 . In den ersten Jahrhunderten n. Chr. wohnten
hier die Hermunduren 42 . Seit 400 sind die Thüringer geschichtlich bezeugt.
Gleichgültig, ob beider Namen etymologisch zusammengehören oder
nicht 4 3 : Funde aus dem 4.—6. Jahrhundert müssen von vornherein den
Thüringern zugewiesen werden.
β·
132 H E I D E N T U M UND C H R I S T E N T U M
48 Germ. 40.
*' G. Baesecke, a. O. 1, 75 f.
50 n. h. 4, 99; R. Much in: Hoops Reallex. 4, 484.
O b e r d e u t s c h e n n ä h e r s t a n d als d e r S p r a c h e d e r F r a n k e n M. I s t der D ö l z i g e r
S t e i n w a r n i s c h , so ist die N e n n u n g des I n g u s eine E r i n n e r u n g an die einstige
N a c h b a r s c h a f t m i t d e n I n g w ä o n e n . F ü r den h a s d i n g i s c h e n T e i l d e r W a n -
dalen sind V e r b i n d u n g e n m i t Ing literarisch b e z e u g t M , u n d selbst die G o t e n
k a n n t e n n a c h A u s w e i s der S a l z b u r g e r H a n d s c h r i f t den N a m e n enguz··.
E b e n s o darf m a n es f ü r die W a r n e n a n n e h m e n , die e i n m a l einen U n t e r -
s t a m m d e r W a n d a l e n g e b i l d e t h a b e n . A u f die s k a n d i n a v i s c h e n U r s p r ü n g e
d a g e g e n v e r w e i s t die o s t g e r m a n i s c h e S p r a c h e des D e n k m a l s . Auch die
W a n d a l e n sind, w i e die B e n u t z u n g d e r g o t i s c h e n B i b e l t i b e r s e t z u n g z e i g t ,
darin ihrer A b k u n f t bis z u l e t z t t r e u g e b h e b e n .
A n sich sind i m S a a l e g e b i e t a u c h a n d e r e B e r ü h r u n g e n m i t den O s t -
g e r m a n e n erfolgt® 7 . A b e r die W a r n e n d ü r f t e n d e n V o r r a n g b e a n s p r u c h e n .
54 G. Baesecke, a. Ο. i, 81; Paul u. Braunes Beitr. 59, 90f.; Das Hildebrandlied
58 f.; einen Rest bildet die Sprache der oberitalienischen „Zimbem": B. Schweizer,
Zimbrische Sprachreste 1, besonders S. 8.
" H. Arntz, Handb. d. Runenkde.* 227, mit weiteren Angaben: oben 1, 299£.
" H. Arntz, a. O. 226.
6 ' Ich gebe das Wichtigste, wiederum nach den Mitteilungen W. Schulz'. —
Im 3. Jahrhundert breitet sich eine von der mitteldeutsch-saaleländischen abweichende
Kultur von Osten her bis zur Schwarzen Elster (Kr. Liebenwerda) und westlich über die
Elbe hinaus aus (W. Schulz bei H. Reinerth, a. O. 412; Vor- und Frühgesch. Mittel-
deutschlands 197; Jahresschr. Halle 19, 62f.). Es zeigen sich Zusammenhänge mit der
Lausitz. Nach Kossinas Vorgang wird diese ostgermanische Gruppe allgemein mit der Aus-
breitung der Burgunder in Zusammenhang gebracht (zuletzt D. Bohnsack bei H. Reinerth,
a. O. 3, io33f.; i n 5 f . ) . Die Funde brechen im allgemeinen nach 400 ab (D. Bohnsack,
а. O. 1131). K. Ziegel (in: Mannus 32, 282f.) weist im Begräbnisplatz von Stößen,
Kr. Weißenfels, ein burgundisch beeinflußtes Tongeiäß noch im 5. Jahrhundert nach. —
Das archäologische Material spricht dafür, daß die Langobarden aus ihren Sitzen an
der unteren Elbe (Bardengau-Altmark) um 400 flußaufwärts nach Böhmen gezogen
sind. Von hier aus entwickeln sich im 5. bis 6. Jahrhundert enge Beziehungen zu den
Thüringern (W. Schulz bei H. Reinerth, a. O. 1, 430L; Vor- und Frühgesch. Mittel-
deutschlands 199; 200; F. Kuchenbuch in: Jahresschr. Halle 27, 63; 64). Bei Dresden
wurden zwei langobardische Gräber des 5. Jahrhunderts aufgedeckt (G. Bierbaum in:
Schumacher-Festschrift 337f.). Verbreitungskarte der langobardischen Bodenfunde im
б. Jahrhundert: E. Beninger bei H. Reinerth, a. O. 3, 831. — Gotische und alaman-
nische Verbindungen sind bei den Thüringern allgemein während des 5.—6. Jahr-
hunderts in Schmuck und Keramik nachzuweisen (N. Aberg, D. Franken u. Westgoten
i. d. Völkerwanderungszeit 79; W. Schulz in: I P E K 1928, 37f.; Vor- und Frühgesch.
Mitteldeutschlands 202f.). Schon vorher, im 4. Jahrhundert, zeigen die Fürstengräber
von Haßleben und Leuna Beziehungen zu den Germanen und Sarmaten im Donauraum
sowie zu den Goten in Südrußland (W. Schulz bei H. Reinerth, a. O. 1, 4i4f.; 430;
Frühgesch. Mitteldeutschlands i87f.; i92f.). — Endlich begegnen im 6. Jahrhundert
ostskandinavische Einflüsse (Fibeln von Aller und Wulfen: W. Schulz bei H. Reinerth,
a. O. 1, 431; nordische Goldbrakteaten: W. Schulz, Vor- und Frühgesch. Mitteldeutsch-
lands Abb. 255; 275).
134 HEIDENTUM UND CHRISTENTUM
4
Der „eisernen Standarte" aus dem Schiffsgrab von Sutton Hoo (um
650—660) haben jüngst W. Berges und A. Grauert eine eigene Untersuchung
gewidmet 1 . Beide Verfasser lehnen die Deutung als Fackel oder Lampen-
ständer ab. Für eine Standarte spreche die Länge des Stabes (1,95 m) und
die Bildung des Fußes (S. 240f.). Sie führen Bildzeugnisse an, die als Stangen-
aufsätze einen Widder, Hahn, Stier, Vögel (insbesondere Adler), Eber und
Drachen zeigen (S. 240—244). In keinem Fall begegnet der Hirsch, der in
Sutton Hoo an sichtbarster Stelle steht. Auch die Musterung der Uterarischen
Zeugnisse erbringt keine Klärung dieses Punktes. Man hört von effigies,
ferarum imagines, Löwe, Drache und Adler (S. 240—247), aber wiederum
nichts von Hirschen. Auch was im Abschnitt „Ethnologische Vergleichs-
stücke" (S. 251—255) zusammengestellt ist, hilft nicht weiter. Denn weder
die „Kommandostäbe des eiszeitlichen Kunstgewerbes" mit Ritzungen von
Rentieren, Elchen und Hirschen bilden eine Parallele noch die Hirsch-
standarten von Alaca Höyük aus dem 3. Jahrtausend v . C h r . (S. 252 f.);
über die Tierzeichen der Nordiranier (S. 233) wird noch zu sprechen sein.
Und doch ließe sich manches anführen; insbesondere sei auf das Kapitel
„Hirschsagen" in: Literat, und Gesellsch. 2 (1950), 15—39 hingewiesen.
In der Notitia dignitatum führt der Truppenteil der Cornacenses (occ. 5,
122; 7, 102) das Geweih eines Schauflers im Wappen. Uber die Geschichte
dieses Truppenteils; über die unterpannonische Stadt, nach der er hieß;
über ihren illyrischen Namen ist an anderer Stelle 2 das Nötige gesagt
worden. Einen Schritt weiter gelangt man mit dem Schildzeichen der
Cornuti or. 6, 9 (oben S. io6f.). Diese führen, wie sich gezeigt hat, einen
Standartenaufsatz in Form eines „Rolltieres" im Schild, der die ger-
manische Jng-Rune im weißen Feld enthält. Ähnliche Standartenauf-
sätze aus Bronze kannte bereits Luristan im 1. Jahrtausend v. Chr., und
ein weiteres Stück haben das neugefundene Relief mit Hadad und Atargatis
sowie ein weiteres mit Adler und Standarte aus Hatra gebracht 3 . Auch an
die vorrunischen Sinnbilder der skandinavischen und verwandter Fels-
1 Bei P. E. Schramm, Herrschaftszeichen und Symbolik 1 (1954), 238f. Die folgen-
den Ausführungen waren abgeschlossen, als P. Paulsen auf S. Lindquist, Kungl. Hu-
manist. Vetenskaps-Samfundet, Uppsala, Arbok 1951, 77f. und K. Hauck, Jahrb. f.
fränk. Landesforsch. 14 (1954), 9f· verwies. Es schien geraten, von Änderungen abzu-
sehen und eine Auseinandersetzung, sofern nötig, auf später zu verschieben. Den unten
angezogenen Denkmälern begegnet man in beiden Aufsätzen nicht: notwendig ent-
springt daraus ein anderes Ergebnis. Beides vereint rechtfertigt eine Darlegung wie
die folgende, mag sie auch unter begrenzterem Blickwinkel angestellt sein.
2 F. A l t h e i m , L i t e r a t u r und Gesellsch. 2, 21. Z u l e t z t C. D a i c o v i c i u in: Journ. R o m .
S t u d . 1961, 64 E d i t o r . N o t e .
3 A Survey of Persian Art 1, 41 A, C, D.; vgl. unten S. 138L
136 HEIDENTUM UND CHRISTENTUM
Es gibt ein weit älteres Paar bronzener Feldzeichen, das dieselbe Sym-
bolik 14 aufweist.Sie entstammen Luristan und gehören ins i. Jahrtausend
v. Chr.; das eine Stück befindet sich im Louvre 15 , das zweite gehörte zur
einstigen Sammlung F. Sarre 1 ·. Den Mittelteil der Standartenbekrönung
nimmt ein kreisförmiger Reifen in, dessen Inneres durch vier senkrecht
zueinander gestellte und sich gegenseitig an den Händen haltende, mensch-
liche Sitzfiguren gegliedert ist 17 . Auf dem Reifen eine liegende Hinde;
darunter zwei Stiere, die das Ganze tragen. Beide Stücke sind über ein
Jahrtausend älter als die Standarte von Sutton Hoo. Aber die entscheiden-
den Bestandteile sind bereits da: Hirsch oder Hinde auf der Spitze, der
Sonnenkreis, die Vierteilung und der Stier darunter.
R. Dussaud, der zuletzt die beiden Feldzeichen behandelt und sie mit
Verwandten zusammengestellt hat 1 8 , denkt an Sonnensymbolik. Seine
Deutung ist auch für das Stück von Sutton Hoo von Bedeutung. Es be-
stätigt sich, daß in der Standarte ein mythisches „Modell" ähnlicher Art
vorliegt. Oben die Sonne, vergegenständlicht im Kreis; darunter die Him-
melsrichtungen. Oben auch der Sonnenhirsch, Ausdruck des höchsten
Gestirns. Darunter die Häupter des Stiers, Bild der Kraft, darum dem
Königtum zugeordnet.
Natürlich führt von den beiden Standarten aus Luristan keine unmittel-
bare Verbindung zu der von Sutton Hoo. Man darf nach Zwischengliedern
suchen, und solche finden sich in parthischer und sasanidischer Zeit. Die
neugefundenen Reliefs aus Hatra haben mehrere Darstellungen von Stan-
darten erbracht 1 *. Es hat sich zeigen lassen, daß Ubereinstimmungen mit
dem von Lukian beschriebenen Stück aus dem Heiligtum der Syrischen
Göttin in Hierapolis bestehen20. Adler in der Mondsichel zuoberst, dann
das Bild des Sonnengottes und mehrere, die Planeten darstellende Scheiben
bilden die gemeinsamen Merkmale. Eine zugehörige Inschrift spricht von
14 In: Saeculum 6 (1955), 197f. hat K. Hauck einiges über Stiersymbolik zusam-
mengestellt.
15 A Survey of Persian Art 4, 12.
1β F. Sarre in: Klio 3 (1903), 363^
17 Zu „Männerpaaren über K r e u z " vgl. E . Graf Oxenstierna, a. O. i o i f . ; 108f.
18 In: A Survey of Persian Art ι , 261 f.
H. Ingholt, Parthian Sculptures from Hatra (Yale University Press 1954)
11
Taf. 7, ι — 3 ; La Nouvelle Clio 4 (1954), 260 Taf. 1; East and West 11 (i960) PI. 20.
20 H. Ingholt, a. O. 24 f.
4· G E R M A N I S C H E G Ö T T E R NACH I H R E R GESCHICHTL. STELLUNG 139
206f.; A. Caquot in: Syria 32 (1955), 59f.; G. Ryckmans in: Journ. Semit. Stud. 3
(1958), 225f.
22 F. Sarre, a. O. 3, 357f.; fig. 20; Ph. Ackermann, a. Ο. 2271. Über sasanidische
Ein Relief aus Dura-Europos mit der Darstellung der sitzenden Hadad
und Atargatis zeigt im Hintergrund den Oberteil einer Standarte, wie sie
auch sonst neben und in den Händen der beiden Gottheiten erscheint*4.
Der Schaft dieser Standarte, mit runden Emblemen geschmückt, weist
darüber einen waagrechten Querbalken auf, an dessen Enden je eine Quaste**
oder ein herabhängendes Fahnentuch befestigt ist. Der Spitze des Schaftes
sitzt ein kreisförmiger Ring auf. Schon er stellt die Beziehung zur Standarte
von Sutton Hoo her, und dasselbe gilt für die beiden Quasten oder wohl
richtiger: Fahnen.
Die Verfasser werfen einmal die Frage auf (S. 255-256), ob die angel-
sächsische Standarte mit einem Fahnentuch ausgestattet war. Sicherlich
hatten die beiden überschießenden Stäbe rechts und links etwas zu tragen,
das an oder über ihnen hing. Nur so erklärt sich, daß sie mit einer Ver-
strebung abgestützt waren. Wenn irgendwo, so darf man sich an beiden
Stangen ein Fahnentuch angebracht denken. Es wäre dann mit seinem
oberen Rande an ihnen befestigt gewesen, gleich dem Fahnentuch des
konstantinischen Labarum, das gleichfalls an solcher Querstange hing.
Gewiß hat für jede Einzelheit der Standarte von Sutton Hoo sich die
Entsprechung, sei es im achaimenidischen, sei es im sasanidischen Bereich
auffinden lassen. Gewiß auch zeigt sich hier wie sonst die starke Einwirkung
iranischer Form und iranischer Vorbilder auf die germanische Welt 2 ·. Aber
Nachweis der einzelnen Teile besagt noch nichts über die besondere und
einmalige Verbindung, die diese Teile im Rahmen eines neuen Ganzen
eingegangen sind. So eindeutig die Teile sich auf iranischer Seite wieder-
finden lassen, teilweise sogar in der Zusammenstellung, die auf der Standarte
begegnet, so wenig findet sich eine Entsprechung, die in allen Einzelheiten
übereinstimmte. Um die Standarte von Sutton Hoo wirklich zu erklären,
muß noch ein weiteres Vorbild herangezogen werden.
deutet bandum geradezu als vexillum, und dieses erinnert schon äußerlich
an das quadratische Fahnentuch, das nach Eusebios vom Querstab des
Labarum herabhing (v. Const, ι , 3 1 , 2). Die Münzen unterrichten über sein
Aussehen 32 .
Doch in der Standarte von Sutton Hoo liegt zweifellos kein christliches
Feldzeichen vor. Eher ist die Absicht zu erkennen, dem christlichen Labarum
ein heidnisches Gegenstück entgegenzustellen. Das führt in einen neuen
Zusammenhang.
N . Fettich 3 3 zufolge hatten die Hunnen versucht, neben der politischen
auch die geistiger Führung des nördlichen Europa an sich zu reißen. Damals
habe sich die Möglichkeit abgezeichnet, daß heidnisches Geistesleben eine
Neublüte erlebte, in einem Ausmaß und von einer Bedeutung, die sich nur
mit der europäischen Kultur der Hochbronzezeit, zwischen Rhein und
Wolga, vergleichen lasse.
Nach Attila und von ihm angeregt habe das heidnische Leben Europas
seinen Gipfel erstiegen. Damals seien die maßgebenden germanischen
Heldenlieder geschaffen worden (darüber im neunten Kapitel). Der zweite
und dritte Stil der germanischen Tierornamentik, sogar die Kunst des
ösebergschiffes besäßen ihre Voraussetzungen in der hunnischen Helden-
zeit.
Neben dem ösebergschiff darf jetzt als Fund von gleicher Bedeutung
Sutton Hoo genannt werden. Unmittelbar nach seiner Aufdeckung wurde
bereits die in den Funden sich äußernde bewußte Betonung des Heidnischen
erkannt 34 . Diesem Bild fügt sich die vorgetragene Deutung der Standarte ein.
5
Einer Bemerkung bedarf noch Attilas Stellung zu seinen germanische
Untertanen und Gefolgsleuten. E s fehlt nicht an Bezeugungen 1 , und was
diese aussagen, ist merkwürdig genug. Zuvor war von dem ostgotischen
Schwur gesprochen worden, demzufolge kein E i d mit den Hunnen jemals
gelten solle. Dem Volke, das die gotischen Lande gleich Wölfen heimgesucht
und dessen Bewohner zu knechtischer Arbeit für ihre Herren genötigt habe
(oben S. 5if.). Es ist die Stimmung des einfachen Mannes, die darin sich aus-
spricht. Anders sieht es aus, sobald man sich den herrschenden Schichten
zuwendet. Der Gepidenkönig Ardarich habe um seiner unbedingten Treue
willen zum engsten Rat des Hunnenherrschers gehört. Auch Walamir,
König der Ostgoten, sei wegen seiner Verschwiegenheit, seines ansprechen-
den Wesens und seiner Anschlägigkeit geschätzt worden. Die Quellen sagen
geradezu, Attila habe Walamir geliebt, und noch ein Jahrhundert danach
rühmte Cassiodor seine Treue2. Während die übrigen Vasallenfürsten in
Furcht und Schrecken den Befehlen des Gewaltigen sich fügten 8 , waren es
zwei Germanenfürsten, die seinem Herzen nahestanden. So nahe, daß Attila
auf Walamirs und seines Volkes Treue im Kampf gegen die westgotischen
Vettern zählen durfte 4
Der Gegensatz des Urteils dürfte sich ungezwungen erklären. Der ein-
fache Gote hatte die Nachteile hunnischer Herrschaft zu ertragen. Ihn
traf die Verwüstung des Landes am härtesten, und er hatte in der Folge
jene Fron zu leisten, die den hunnischen Eroberern zugute kam. Die Könige
hingegen waren mit Attilas Zustimmung eingesetzt. Er wußte sich ihrer
Treue gewiß, denn nur darum hatte er darin eingewilligt. Gotischer und
gepidischer König sein hieß damals nicht mehr und nicht weniger, als für
den Gehorsam des eignen Volkes Gewähr leisten. Man war nicht nur Vasall,
sondern auch Vertreter der hunnischen Herrschaft.
Gleichwohl hat die Überlieferung daran keinen Anstoß genommen.
Hunimund, Sohn oder Enkel Ermanarichs, trug den Namen der Hunnen
in den seinen. Er, der „unter dem Mund der Hunnen stand" 6 , war wenig
mehr als ihr Statthalter. Iordanes' Worte sprechen dies aus: ita... ut
genti Gothorum semperum proprius, quamvis Hunnorum consilio, imperaret
(Get. 48, 249). Und doch hat Hunimund als „tapfer im Krieg und am ganzen
Körper von blühender Schönheit" im Gedächtnis seines Volkes gelebt*.
Wie anders Safrax oder Safrac, der mit einem Teil der Ostgoten und Alanen
sich dem hunnischen Joch entzogen und den Westgoten angeschlossen hatte
(oben 1, 352f.). Die Sage schildert ihn als den ungetreuen Sabene, alsWider-
4
Var. 11, 1.
* lord., Get. 38, 200.
4
lord., Get. 48, 253.
6
J. Marquart, Osteuropäische und ostasiatische Streifzüge 375.
• lord., Get. 48, 250; Cassiod., var. 1, 11, 19.
144 HEIDENTUM UND CHRISTENTUM
sacher Wolfdietrichs und der Berchtunge, als bösen Ratgeber seines Vaters
und seiner Brüder 7 .
Dem entspricht, daß Attila in der germanischen Sage eine ehrenvolle
Stellung erhalten hat. Fast sieht es so aus, als hätten ihn die Germanen
als einen der Ihren betrachtet. Welch andere Stellung nimmt Attila in ihrer
Uberlieferung ein als der mächtigste König aus den eignen Reihen: Erma-
narich. Dieser war der grausame Tyrann 8 , und als solcher ist er in die Sage
eingegangen.
Während die kirchliche Legende das Bild der virga furoris Dei, des
flagellum Dei zeichnete, ersteht im Hildebrandlied des 8. Jahrhunderts und
im Waithariepos eine „Eroberergestalt von episch gemessener, heroischer
Bewegungsform"·. Attila wird zum Völkerhirten und Heldenvater Etzel.
Er ist der unwiderstehliche Eroberer, der machtgeladene Weltherrscher,
aber gerade das Waithariepos, das in seiner Einleitung diese Züge heraus-
stellt, läßt ihn alles kriegerische Handeln seiner germanischen Umgebung
übertragen. Waither, die „Säule des Reichs", erficht für Attila die Siege.
Attila ist nicht dazu gekommen, sich alle Germanenstämme einzuver-
leiben. Priskos 1 0 legt Romulus, dem in Gesandtschaften und Geschäften
Erfahrenen, das Wort in den Mund, bis zu den Inseln des Ozean (oben i , 245
Anm. 28), will sagen: über ganz Germanien hinweg, erstrecke sich Attilas
Herrschaft, und dazu komme das gesamte Skythenland. Das Lied von
Attilas Tod spricht von den „skythischen und germanischen Königreichen",
die der Gewaltige „mit vordem unerhörter Machtfülle" besaß (oben 1, 244!).
In Wahrheit hatte der Ausgang der katalaunischen Schlacht solchen Plänen
eine Grenze gesetzt. Dennoch läßt sich die Wirkung auf die germanische
Gesamtheit kaum unterschätzen. Attila hat ihr die Frage nach ihrer
geschichtlichen Existenz aufgenötigt und den Entscheid darüber abver-
langt. Seitdem vollzog sich unter den Germanen die Trennung zwischen
solchen, die sich dem europäischen Westen und Süden, der Spätantike, dem
Katholizismus anschlossen, und jenen anderen, die einen eignen Weg
gingen.
Denn alle Stämme, die sich gegen die Hunnen stellten, haben entweder
ihren arianischen Glauben zugunsten des katholischen aufgegeben, wie
J. Marquart, a. O. 376.
7
Burgunden und Westgoten. Oder sie haben sich diesem über kurz oder lang
zugewandt wie Franken oder Sachsen. Sie öffneten sich der spätrömischen
Kultur, verschmolzen mit der romanischen Bevölkerung, schufen gemein-
sam die germanisch-romanische Welt. Anders schon die Wandalen, die mit
den Alanen vereint in Nordafrika sich eine neue Heimat suchten. Sie ließen
nicht von ihrem Arianertum, steigerten sich zur Verfolgung alles Katho-
lischen und vermieden ein Aufgehen in fremden Volkstum. Darin sind
ihnen die Ostgoten gefolgt, die gleichfalls Arianismus und Trennung von
den Romanen beibehielten.
10 Altbelm, Hunnen IV
5. K A P I T E L
ne sont pas interdites 11 . Dans ce volume, du moins, le seul chapitre que l'on
puisse aborder est precisement celui qui tenterait de cerner l'histoire du
Christianisme daco-scythique dans ses rapports non-latins et non-helleniques.
Notre hypotl^se de travail se presente de la fa9on suivante: n'est-il pas
permis de supposer que sur le terrain de la preparation evangelique il y a
eu d'autres forces ä l'ceuvre 12 , qui ont contribue ä la floraison du Christia-
nisme? Autrement dit, les indigenes thraces non atteints par l'hellenisme
ni par la romanite, les divers peuples barbares, etablis dans la region (Goths,
Huns) et qui ont eu des contacts d'intensite variable avec l'activite mission-
naire, peuvent-ils etre consideres — et jusqu'ä quel point — comme des
elements constitutifs des assises spirituelles de la region ? Pour repondre ä
ces questions la demarche de la demonstration doit n6cessairement aborder
les et apes suivantes: i ° independance ethno-linguistique des populations
non-latines et non-helleniques, 2° degre de permeabilite & la parole du
Christ, 3° conditions du syncrötisme religieux.
Le probl^me ainsi pose, l'on n'aura pas l'ambition de le traiter dans toute
son ampleur; on se contentera d'un faisceau de faits qui pourraient servir
de cadre ä des developpements ulterieurs. Plus exactement, il sera question
ici: de l'emploi du parier thrace (besse) en tant que langue liturgique, du
culte de Diane et de sa survie, enfin de quelques t6moignages sur l'atmo-
sph£re de l'aube du Christianisme sur les deux rives du Danube.
Premiere question: le besse a-t-il servi ä la diffusion de la foi chr6tienne
dans les provinces danubiennes ? Les temoignages invoqu^s ä l'appui d'une
r6ponse affirmative sont connus depuis W. Tomaschek et Β. P. Hasdeu;
ils sont au nombre de quatre et attesteraient la survie de la langue de
peuplades thraces jusqu'au V I ' si£cle ap. J.-C. 1S . Rappelons-les. Antonin
de Plaisance, poursuivant en 570 son Itinerarium Hierosolymitanum
11
Cf. l'opinion de Μ. Η. Mihaescu: „dans les provinces danubiennes, le chris-
tianisme s'est propage sous une forme latine et non pas grecque" art. cit. Recueil p.
148. — Une troisidme possibilitö n'est pas envisag^e.
11
Comme en Afrique oü l'on peut suivre 1'ascension des „kohanim pheniciens eclairös
par la sagesse grecque, vers la rtvölation divine". G. Ch. Picard, Les religions de
l'Afrique antique, Paris, 1954, Ρ· 2 57·
N. Iorga a entrevu cette possibiliti: „tout le christianisme balkanique avant
Constantin sera reli6 au rivage de la mer, aux grandes stations des routes imperiales,
i l'existence des anciennes synagogues juives". Histoire 2 pp. 107—108.
M
La bibliographie antirieure eher I. I. Russu, Dispari^ia limbii §i a popula^iilor
traco-dace, Stud, cercet. ist. veche 8 (1957) PP· 2 5 3 — 2 6 5 e t surtout: Linjba traco-
dacilor. Bucure^ti, 1959, pp. n o — h i .
5· A U X ORIGINES DU CHRISTIANISME DACO-SCYTHIQUE 149
arrive . . . in uallem inter Horeb et Sina ad cuius montes pedes est fons ubi
Moyses adaquabat oues, quando uidit rubum ardentem. Qui fons est inclusus
infra monasterium, in quo sunt tres abbates scientes linguas, id est Grxcam,
Latinam, Syram, Mgyptiacam et Bessatn1*. D'autre part, St. Theodose 15 ,
«apr£s avoir parcouru une grande partie du desert est arriv4 ä l'endroit que
l'on appelle Cutila, et aux rives de l'6tang d'asphalte» (τήν π ο λ λ ή υ δέ διαβάς
της έρήμου γ η ν άχρι τ ο υ λεγομένου Κουτιλδ, καΐ τ ω ν της Άσφαλτίδος
λίμνης όχθων). C'est lä que le saint homme fondaun monast^re avec quatre
eglises; dans la deuxieme le peuple des Besses elevait des pri£res dans sa
langue au maitre commun ( Έ ν τ ω δευτέρφ δέ τ ό τ ω ν Βεσσών γένος τ η
σφετέρα φωνή τ ω κοινω Δεσπότη τάς εύχάς άπεδίδου). On ne saurait dire
si la subiba Bessorum et le monasterium Bessorum que mentionnent deux
moines syriensdu Jourdain—selon la relation de Joannes Moschus 1 ·—peuvent
etre identifi6s avec l'6tablissement monacal du lieu-dit Cutila. En tout cas le
thracisme de ce dernier ne peut pas etre contest6 17 ; aux archeologues et
toponymistes de la Terre Sainte de le localiser18. La meme imprecision
entoure la personnalitd de 'Ανδρέας έλέω Θευ πρεσβύτερος, καΐ ήγούμενος
μονής τ ω ν Βεσσών, signataire de la sentence du synode de Constantinople
14 PL vol. 72, col. 911—912. Cf. la note de l'iditeur: „Quid si pro Bessa lingua,
legas Persam seu Persicatn ?" A-t-on remarqu£ que ce volume de la PL parut en 1849;
il est done antirieur au volume 114 de la PG (1864) — que l'^diteur ne connut pas —
et oü il est de nouveau question des chants liturgiques des Besses (cf. ci-aprAs) ?
— Cf. l'opinion de Al. Philippide Orig. Rom. ι p. 453. D'autre part Eb. Nestle croyait
qu'il s'agissait plutöt des langues „abyssinienne" ou „iWrique". (Zeit, deutsch. Morgen-
land. Ges. 61 [1907] pp. 500—501). La conjecture n'est pas plus convaincante.
1 1 Symeon Metaphrastes, Vita saneti Theodosii Coenobiarchae, 9, 37. PG vol. 114,
col. 505—506.
1 1 Joannes Moschus, De uitis patrum, 10, 157. PL vol. 74, col. 199.
17 W. Tomaschek, Über Brumalia und Rosalia. Nebst Bemerkungen über den
indice sur certaines relations culturelles nous est fourni par Dion Chry-
sostome qui remarquait des «Scythes» parmi son public d'Alexandrie 23 .
Mais c'est surtout l'encadrement militaire de ces deux provinces qui les
met, a partir des I"—IP siecles ap. J.-C., de plain-pied avec la partie Orien-
tale de 1'Empire. On n'a que l'embarras du choix pour citer les corps
d'armee orientaux qui y stationnerent 24 . Iis devaient integrer moralement et
meme artistiquement la Dacie et le littoral pontique k la Mediterranee
Orientale28. Les exemples de soldats danubiens presents dans les unites
d'Orient ne manquent pas. Citons au moins: cohors I Vlpia Dacorum en
157 en Syrie (CIL X V I 106), uexillatio Dacorum Parthica (CIL III 1193).
De plus, on peut invoquer le temoignage des Res Gests diui Saporis2*.
En 260, apres le desastre d'Edesse, le cesar l'empereur Valerien fut fait prison-
nier, avec son armee, par l'empereur Säpür. Parmi les 70000 hommes
qui la composaient il y avait des soldats originaires du Norique, de Dacie
(άττό Δακείας 26νους), de Pannonie, de Mysie, etc (§§ 19—24) 27 . Iis
23 Discours 33, 40 (έά. Lceb vol. 3 p. 208). Le rhiteur ne se trompait pas sur
l'appartenance ethnique (cf. § 44). II connaissait bien la region pontique occidentale
grace ä son voyage ä Olbia; chez lui le terme de „Scythe" n'avait pas l'acception
vague que lui donnaient les Anciens, k savoir „nordique". Cf. aussi le discours 9, 5
sur les habitants de Borysthfene qui participaient aux jeux Isthmiens et rendaient visite
ä Diogines.
24 Enumeration chez D. Tudor, Oltenia pp. 265—281. A relever que le Numerus
surorum sagittariorum (ibid. p. 278) est reste en Dacie Inf6rieure pendant toute la
Periode romaine, depuis la conquete jusqu'ii l'abandon. II lui ichut la defense du limes
alutanus. Pour V. Pärvan (Dacia p. 191) la colonisation de la Dacie avec des Orientaux
s'expliquait par le souci des Romains de confier le terrain L· des „spicialistes". Autre-
ment dit les sentinelles des deserts mauritanien et scythique avaient a remplir la meme
täche. L'organisation du Fossatum Dacise ne devait pas etre tris diffirente de Celle
du Fossatum Africse.
24 L'histoire des cultes orientaux en Dacie a 6t6 faite par Oct. Floca, I culti orien-
tali nella Dacia, Eph. DR 5 (1935) pp. 204—239. — Selon M. G. Ch. Picard les dico-
rateurs du tropseum d'Adamklissi auraient έίέ igalement des Orientaux. Cf. Les
trophies romains, Paris, 1957, pp. 404—405.
2 · id. A. Maricq, Syria 35 (1958) pp. 295—360.
27 LÄ-dessus cf. Μ. Rostovtzeff, Res Gestie diui Saporis and Dura, Berytus 8
(1943—1944) pp. 17—80, qui, en discutant l'origo des soldats captures — ils apparte-
naient k 29 lieux d'origine — n'exclut pas la possibility que cette liste fut compile
„from documents of the military archives of the Roman forteresses and of the Roman
military camp captured by Shapur, and from oral information supplied by captured
Roman officers and soldiers". II y a certes une part de vantardise Orientale dans la
longue enumeration de Säpür, mais on ne peut oublier que Trajan avait profits, dans
la lutte contre les Parthes, de „l'expirience dacique" de ses soldats (cf. M. Cornelius
Fronto, Epist. 6d. Lceb 2 p. 204). II n'y a rien d'extraordinaire 4 ce que Valerien l'ait
imit6.
152 HEIDENTUM UND CHRISTENTUM
etait avait quelque competence dans les affaires danubiennes. L'on peut meme supposer
que dans son ermitage palestinien il a longuement r£fl6chi aux souffrances de sa patrie
d6vast£e. De plus il y garda des rapports. Voir sa correspondance avec S u n j a et Frithila,
membres de l'Eglise gothique de Constantinople, qui lui soumettaient leurs doutes au
sujet des divergences de traduction des Ecritures (Epist. 106). J . Zeiller, Orig. pp. 5 6 6 —
567.
4 1 Contrib. ep. pp. 1 7 6 — 1 7 7 .
tyrannorum, et Scythse gentes omnesque usque ad Oceanutn per circuitum barbarse na-
tiones Moysen prophetasque cognouerant (Epist. 133,9).
156 H E I D E N T U M UND CHRISTENTUM
te / barbari discunt resonare Christum / corde Romano (Poem. 18, 261 ss). Bessus exultat]
quod humi manuque / ante quserebat, modo mente cselo / conligit aurum (18, 214—217).
M. D. M. Pippidi d£montre (Contrib. ist. p. 262), contre V. Pärvan, que ces Bessi
aurileguli vivaient dans la region de R£mösiana et non en Dacie nord-danubienne.
4e F. Altheim, ci-dessus 1 pp. 286—289.
47 Sur 1'Episode Mgendaire de la legio XII Fulminata (Dion Cassius Epit. 72, 14, 9)
et qui a έίέ souvent cit6 comme une preuve de la presence d'Orientaux Chretiens sur le
Moyen-Danube dfes le I e r si6cle, cf. J. Zeiller, Orig. pp. 42—46.
Pour la Thrace cf. ce passage de Pan. Lat. 21, 21: I toque sicut pridem tuo, Diocle-
tiane auguste iussu impleuit deserta Thracias translatis incolis A six. . . . et la remarque
de Ν. Iorga, Histoire 2 p. 44: „or, ceci repr^sente pour la propagation du christianisme,
itant άοηηέ ce que l'Asie Mineure reprisentait pour la nouvelle doctrine, un fait
jusqu'ici non-observ6, qui est de la plus haute importance". A rapprocher ici l'ins-
cription chritienne de Plovdiv sur Ζηνόβι(ο)5 Άντιοχεύξ publice par Μ. D. Tsont-
schev, Latomus 19 (i960) p. 119 ainsi que sa remarque: cette inscription et d'autres
semblables indiquent „qu'il y eut autrefois k Philippopolis des έmigrέs venus de tous les
endroits de l'Asie Antirieure".
5- A U X O R I G I N E S DU CHRISTIANISME DACO-SCYTHIQUE 157
44 ibid. p. 268.
" Le nora d'Ulfila „ W ö l f l e i n " , pose aussi une inigme qui a passionnö bien des
esprits. M. Mircea Eliade suggfere (Les Daces et les loups. Numen 6, 1 (1959) pp. 1 5 — 3 1 )
que le nom ethnique des Daces signifie δάους „ l o u p " comme le voyaient Strabon
et Hösychius. C'est possible: l'onomastique indo-europienne connatt d'autres exemples
de noms-totems cf. thrace Oroles „ f a u c o n " . Par ce biais on arrive aux racines d'une
curieuse confusion ethnique, a savoir Get® = Gothi. Etait-elle due uniquement k un
rapprochement phon^tique ? Ou bien 6tait-elle, au contraire, le rdsultat normal de la
vie en commun de deux peuples qui partageaient les nourritures terrestres et spirituelles ?
Etrange hasard — si c'en est un — qui fit de ce „ W ö l f l e i n " l ' i v e q u e des Goths, devenus
„G6tes", eux-memes proches parents des Δάοι!
s · N. Iorga, Histoire 2 p. 109. J. Zeiller, Orig. p. 518. On pourrait alllguer comme
41
Cf. V. Velkov, Nouvelles inscriptions latines de Montana (Moesia Inferior).
A r c h e o l o g i a 7, 1 (1955) PP· 9 1 — 1 0 1 • D i d i c a c e 4 Diana Regina d u e ä un uexillarius
equitum legionis I Italicx.
42
D. Detschew, Der Artemiskult im Gebiet des mittleren Strymon, Serta Ka-
zarowiana, Sofia, 1955, vol. 2 pp. 95—109, resumi par VI. Popovici et Ch. Picard,
Rev. Arch. 2 (1958) pp. 124—125. — Κ. Kertnyi, Die Göttin Diana im nördlichen
Pannonien, Pannonia 4 (1939) pp. 203—221. — Η . Petricovits, Zur Religionsgeschichte
der Adrialänder im Altertum, Wien, 1933, thfese inidite. Cf. G. Stadtmüller, Historia 3
p. 247 n. 5. — H. Kenner, Die Götterwelt der Austria Romana. Jahreshefte Öst. Arch.
Inst. Wien, 43 (1958) pp. 68—70, sur Diana Nemesis. — A. Alföldi, Diana Nemorensis.
Am Journ. Arch. 64,2 (i960) pp. 137-144.
ω
Ecole Pratique de Hautes Etudes, Paris, M. Rebuffat, Le culte de Diane dans
Tarmie [romaine]. Cf. Annuaire 1956—1957 p. 29. — Nous sommes seul responsable
des ces renseignements, notes lors de l'exposö oral fait par l'auteur a l'Ecole.
M
Cf. B. Latysev, Insc. Or® Sept. Ponti Eux. I l l n " 344, 421.
w
II y avait meme un mois dönomm^ 'Αρτεμισιών. D. Μ. Pippidi, Contrib. ist.
pp 119—120.
· · Originaire des Carpathes: Transdanuuiana infestantibus Carpis in Daciam
nouam transiecto amne confugerat ( D e m o r t . p e r s . 9 , 2 ) .
47
Commentaire k De mort. pers. vol. 2 pp. 267—268.
· · Ces cir6monies ont eu lieu done ä Rome, peu de temps avant l'ödit de Nico-
midie (311). Des manifestations paiennes se prolongferent au sifcele suivant. Cf. A.
160 H E I D E N T U M UND CHRISTENTUM
Alföldi, A festival of Isis in Rome under the Christian Emperors of the IV t h century.
Diss. Pann. 2, 7.
·* Sur Silvain en Dacie cf. V. Pärvan, Dacia p. 187.
70 En dernier lieu cf. Dacia pp. 146—147.
71 J. Bayet, Hist. pol. rel. rom. pp. 39—40.
7a R. Grousset, L'Empire du Levant, p. 34.
73 E. Qabej, Kult und Fortleben der Göttin Diana auf den Balkan, Leipziger
Vierteljahr. S.—O. Eur. 5 (1941) pp. 229—241. Cf. aussi avec les reserves du Ρ* V.
Laurent, Byz. Zeit. 51, 2 (1958) p. 452: M. Delcourt, Le complexe de Diane dans
l'hagiographie chr6tienne, Rev. Hist. Rel. 153, 1 (1958) pp. 1—33.
74 Th. Capidan, Top. mac6do-roum. p. 71. II va de soi qu'on ne doit pas n^cessaire-
il rösume aussi: C. Gerojannis, Die Station ,,ad Dianam" in Epirus, Wiss. Mitt. aus
Bosnien u. Herz. 8 (1902) pp. 204—207. — Cf. aussi Zana (Diana Veteranorum) en
Afrique et la statio ad Dianam prfes le golfe d'Aquaba, portorium de Syrie.
5· AUX ORIGINES DU CHRISTIANISME DACO-SCYTHIQUE 161
entre paiens et chretiens etait assez tendue83. Les paysans, devots du dieu
Silvain, qui massacrerent Valeria84 ont du reellement apparaitre comme des
dianatici «les possedes de Diane» ( > roum. zänateci «fous, exaltes»)85. II
n'y a qu'eux pour croire ä la «saintete» de la deesse chasseresse. En lui
donnant un visage mi-chretien, mi-mythologique il importait aussi de lui
conferer une existence plus ou moins legale dans le calendrier. C'est ä ce
moment que la confusion avec St. Jean eut lieu. La phonetique fut assez
complaisante et y contribua86. Ainsi, dans les exorcismes roumains actuels
du type zdne, zdne de cäne c'est peut-etre l'ancienne Nemesis potentissima
qui survit.
Les textes qui nous decrivent cette transformation ne manquent pas.
St. Ambroise rapporte les faits suivants sur 1 'eveque de Poetovio: Vtasseritur,
et brachiale, Gothica profanatus impietate, more indutus gentilium, ausus sit in
conspectu exercitus prodire Romani: quod sine dubio non solum in sacerdote sac-
rilegium, sed etiam in quocumque christiano est; etenim abhorret a more Romano
(Epist. 10,9). Salvien precise, de son cöte, qu'il s'agit bien plus que del'aspect
extferieur: Et quamuis ab his ad quos confugiunt discrepant ritu, discrepant
lingua, ipso etiam, ut ita dicam corporum atque indumiarum barbaricarum
fetore dissentiant, malunt tarnen in barbaris pati cultu dissimilem, quam in
Romanis iniustitiam szuientem (De gub. 5, 5. PL 53, col. 99). II y a cer-
tainement dans ces foudres £piscopales d'un cöte un reste de l'horreur
aristotelicienne de la «barbarisation» et de l'autre quelque exageration,
commandee par un ton plus hausse, ex ambono. Mais les contaminations
culturelles exist£rent, comme, par exemple, le rite gothique du service ä
l'aube selon une vieille tradition germanique87 ou la celebration de la f£te
de St. Felix avec des peruigilia paiens88. La formule concise de St. Optat
tiens e t des Pontiques e t s'adonnaiet a u x moeurs b a r b a r e s " : TOOS μέν ούν
έγκαταλεχθέντα; τοις βαβάροις καΐ μετ' α ύ τ ώ ν έν αΙχμαλωσιφ έττΐλθόντα$, έτπλαθο-
μένου;, ότι ήσαν Ποντικοί καΐ Χριστιανοί έκβαρβαρωθένταξ . . . St. Grigoirc le
T h a u m a t u r g e , Epist. can. 7. P G vol. 10, col. 1040.
** Comme partout ailleurs, cf. P. de Labriolle, L a röaction paienne. E t u d e sur la
polemique antichrötienne du I e r au V I e sifecle. Paris, 1948.
84 J. Zeiller, Paganus. E t u d e de terminologie chritienne. Freiburg, Paris, 1917,
prend ainsi un caractere realiste: Nom enim respublica est in Ecclesia, sed
Ecclesia in republica est (De schism. Don. 3, 40), avec les compromis
qui s'ensuivent. Iis vont jusqu'ä des episodes tristes, comme celui de
l'eveque de Margum qui, en 4 4 1 — 4 2 , livra sa ville aux Huns 8 9 . On pourrait
facilement multiplier les exemples de ce passage au Christianisme qui «est
souvent une simple traduction du paganisme anterieur» 90 . On se contentera
d'un symbole: le labarum constantinien, veritable survi vance de Γ art triom-
phal, ä la fois uexillum et trophee 91 .
Voici, pour conclure, quelques points de vue dont nous n'ignorons
pas le caractere provisoire. L a diffusion du Christianisme dans la region
danubienne aussi dans la langue des indigenes insuffisamment romanises
apparait comme une possibilite. On ne peut pas apporter la preuve
decisive sur l'emploi du thrace, ou de l'un de ses «dialectes», en tant
que langue liturgique. L'on peut supposer, sans trop de risques, qu'au
moins quelques prieres ont ete traduites et dites en un quelconque
parier de la region. L'atmosphere plurilingue sur les bords du Da-
8i
J . Zeiller, Orig. pp. 1 5 1 — 1 5 2 .
90
N. Iorga, Histoire 2 p. 103, id. 1 p. 93, oü, en interpretant Clement d'Alexandrie,
Strom. 4, 3, l'auteur considfere que l'ambassade des Thraces a Zalmoxis constituait
une „preparation aux martyrs chritiens". Pour les survivances linguistiques ä carac-
t£re paien cf. S. Pu^cariu, Limba rom. pp. 356—357.
G. Michailidis, Vestiges du culte solaire parmi les Chretiens d'Egypte. Bull. soc.
arch, copte 13 (1948—1949) pp. 3 7 — n o . Sur la fete des 'Ρουσάλια, au X I e sifecle
chez les Chretiens du Khorassan cf. J . Dauvillier, Byzantins d'Asie centrale et d'Ex-
treme-Orient au Moyen-Age, Rev. Et. Byz. 1 1 (1953) p. 65. — En Syrie on est alle
si loin qu'une veritable symbiose franco-musulmane s'itablit. R. Grousset, Bilan de
l'histoire, p. 218.
Pour la fusion des caractöristiques architecturales et melodiques cf. E. Dyggve,
Dödekult, Kejserkult og Basilika, Kobenhavn, 1943. — C. Heeg, Les rapports de la
musique chr^tienne et de la musique de Γ Antiquity classique, Byzantion 25—27
(1955—1957) pp· 383—452·
Cf. l'exemple parallele africain. D'aprfes M. G. Ch. Picard les sanctuaires consti-
tuent „une fusion definitive des traditions puniques avec le spiritualisme gr^co-romain
et les influences orientales". Rel. Afr. pp. 152—164.
M
G. Ch. Picard, Les trophies, p. 505 ss. — H. Leclercq, Diet, d'arch. chrit. s. v.
labarum, 8, 1.
Cf. cette opinion de Μ. G. Ch. Picard: „le d^veloppement du culte des saints et des
reliques, au haut Moyen-Age [a 6te] partout nourri souvent d'emprunts ä des mythes
et des rites locaux, de quality religieuse fort suspecte". Rel. Afr. p. 256. Cela eut lieu
meme avec une certaine complicity du clerge qui n'y voyait que des „fraudes pieuses"
qu'il acceptait „pour ne pas chagriner outre mesure des populations bien disposees a
recevoir la foi, mais attaches ä des habitudes ancestrales, somme toute innocentes"
ibid.
11·
164 HEIDENTUM UND CHRISTENTUM
de Praes. P L vol. 2, col. 66). Cf. M. Popescu, Le colinde della pietra. (Tracce del culto
di Mithra petrogenitus e Sol inuictus nel folklore romeno). Soc. Acad. Dacorom. Acta
Phil, ι (1958) pp. 55—62·
·* Le problfeme des Ecritures pose tout simplement celui de l^criture. Le christi-
anisme danubien tenait-il de la γραφή ou du λόγος ? Les Daces ont-il connu l'icriture
pour pouvoir fournir les bases d'une tradition autochtone ? (Cf. l'article, inacces-
sible , de Μ. C. Daicoviciu, Au cunoscut Dacii scrisul ? Steaua, Cluj, n 0 · 5—8 (1954)
pp. 121—124). Υ a-t-il eu riellement au I V e sifecle au sud du Danube des 6coles oü un
Auxence de Durostorum ait pu recevoir son instruction ? (cf. H. Mihiescu, art. cit.
supra n. 6). Faut-il aller jusqu'& Tridentum, Lauriacum, et Ovilava pour trouver des
scriptoria et la continuiti d'une certaine tradition Erudite ? (cf. G. Capovilla, Stud! sul
Noricum. Fontes Ambros. 25 (1951) p. 410). Ou bien doit-on g£n£raliser la remarque
de Dion Chrysostome sur les Gfetes ? „Ces hommes n'6taient pas betes mais ils n'avaient
pas le temps pour les discours" (Disc. 12, 16—21, id. Loeb vol. 2 pp. 20—24).
II est assez illogique de croire que la population de Dacie et de Scythie Mineure
ait attendu le döbut du deuxiftme millönaire et le contact avec les Slaves pour commencer
& icrire. Placöe entre les Huns et les Goths, en marge de l'Empire romano-byzantin,
chritienne des longue date, eile a dü icrire avant les X c — X I e siicles. Cf. St. Pa$ca,
Contributii la istoria tnceputului scrisului romtnesc, Cercet. ling. (Cluj) 1 (1956)
PP· 79—9°·
** Preface k G. Ch. Picard, Rel. Afr. p. VI.
5· AUX ORIGINES DU CHRISTIANISME DACO-SCYTHIQUE 165
·* ibid.
6. K A P I T E L
VIDEVDAT
UND DIE ZARATHUSTRISCHE WIEDERGEBURT
I.
1
Zuletzt: F. Altheim, Zarathustra und Alexander (Fischer Bücherei i960) 21.
1
Oben 1, 410 Anm. 1; Altheim-Stiehl, Die aramäische Sprache 1' Lfg. 32.
a
In: Transactions of the Philol. Soc. 1942 (ersch. 1944) 49*·
4
F. Altheim. Literatur und Gesellschaft 2 (1950), 202f.; R. Stiehl, ebenda 204f.
5
In: F. Altheim, Aus Spätantike und Christentum (1951) 1 5 3 f . ; O. Szemerenyi
in: Altheim-Stiehl, Geschichte Mittelasiens im Altertum (1970) 736ff.
6. V I D ß V D Ä T U N D D I E Z A R A T H U S T R I S C H E W I E D E R G E B U R T 167
Henning die von ihm vertretene Ansicht aufgeben. Es kann kein Zweifel da-
ran bestehen, daß die Sogdizismen erst nachträglich, bei der Umschrift vom
aramäischen Konsonanten-Alphabet ins avestische, das Vokale schreibt, in
die avestischen Texte gelangt sind.
Diese Umschrift hat in Ostiran und in der zweiten Hälfte des 2. nach-
christlichen Jahrhunderts begonnen. Was wir auf Grund anderweitiger
Beobachtungen festgestellt hatten 4 , wurde durch die Auffindung einer In-
schrift in Surx Kotal bestätigt 7 . Schon vorher hatte O. Szemerenyi
sich unserer Datierung angeschlossen8. Indessen muß damit gerechnet
werden, daß jene Umschrift ins neugeschaffene avestische Vokal-Alphabet
einen Vorgang bildete, der sich längere Zeit hinzog. So darf eine zweite, von
Szemerenyi wenigstens angedeutete Möglichkeit erwogen werden. Danach
könnten die Sogdizismen erst nach dem Sturz der Sasaniden in die avestischen
Texte gelangt sein. Da dieser Zeitpunkt mit dem Beginn der zarathustri-
schen Wiedergeburt in der Sogdiane zusammenfällt, darf jene zweite Mög-
lichkeit nicht von vornherein abgewiesen werden.
Die zweite Hälfte des 2. und die erste des 3. Jahrhunderts waren die
Blütezeit der Küsän. Die Münzen zeigen die Stellung, die die zarathustrischen
Götter einnahmen9, und ein umfassendes Unternehmen wie die Schaffung
des neuen Vokal-Alphabets und die Umschrift der heiligen Texte in dieses
vermag man sich zu jener Zeit durchaus vorzustellen. Die Angriffe der ersten
Sasaniden und der Einbruch der Hephthaliten haben demgegenüber einen
politischen und kulturellen Rückschlag bedeutet. Notwendigerweise mußte
sich dergleichen auch in der Arbeit am Avesta auswirken. Umschrift und
die dazu gehörige Redaktion der Texte werden für eine Weile zum Erliegen
gekommen sein. Es trat hinzu, daß die Hephthaliten sich dem Buddhismus
zuwandten. Auch dann noch, als ihre Herrschaft gebrochen war, hingen
8
F. Altheim, Literatur und Gesellschaft 2, 197 f.
7
Altheim-Stiehl, Philologia sacra (1958) 2gf. Unsere Deutung ist W. B. Henning
in: BSOS. 23 (rg6o), 50 Anm. 9 unbekannt geblieben. Dort macht er den Versuch,
die gleiche Sprache wie auf der g r o ß e n Inschrift von Surx Kotal wiederzufinden.
Ζηνοβιδοι will er parth. zynpty, mittelpers. zynpt gleichsetzen. Henning muß indessen
zugeben, daß σηνο- dasteht. Damit scheidet seine Erklärung des ersten Kompositions-
bestandteiles aus. Zugunsten von Hennings Deutung des zweiten Bestandteiles könnte
auf Γορσζιβιδ der Siegesinschrift Säpür's I. in Naks-i Rustam verwiesen werden (W.
Eilers bei Altheim-Stiehl, a. O. 28). Doch auf der Inschrift wird die intervokalische
Tenuis in der Kompositionsfuge erhalten, nicht zur Media verschoben: βαγοττουροι.
8
a. Ο. 166.
• R. Gobi bei Altheim-Stiehl, Finanzgeschichte der Spätantike 1 9 3 ; 2 5 1 .
168 HEIDENTUM UND CHRISTENTUM
ins heute gebrauchte Alphabet schon vor Beginn der sasanidischen Kodifi-
kation lassen sich nicht mehr bestreiten. A n den erzielten Ergebnissen wird
sich, fürchte ich, sowenig etwas ändern wie an der Erkenntnis, daß es
Ideogramme in vorsasanidischer Zeit nicht gegeben hat 1 4 . Doch das Er-
reichte darf darüber nicht täuschen, daß die eigentliche Arbeit noch aus-
steht. Solange das jungavestische Schrifttum nach Zeit und Herkunft eine
rudis indigestaque moles bildet, läßt sich eine avestische Text- und Über-
lieferungsgeschichte nicht schreiben.
1 E. Schwyzer, a. O. 5.
3 a. O. 6.
4 a. O. 35.
4 a. O. 34.
170 HEIDENTUM UND CHRISTENTUM
hat, kann es bei der unbestimmten Zeitangabe, mit der sich Schwyzer
zufrieden geben mußte, nicht bleiben. Aber auch die Tatsache, die für ihn
vorab feststand, daß es sich um eine sasanidische Redaktion handeln müsse,
bedarf der Nachprüfung.
Zunächst sei an die Erörterung über den Namen der Stadt Buchara er-
innert. Im Gegensatz zu R. N. Frye·, der die bisherige Ableitung von vihära-
vertrat, haben wir bei verschiedener Gelegenheit an alttürk. buuqrq = buqaraq
erinnert, jene Form, die in den Orchon-Inschriften erscheint7. Mit der
„Stadt des Stieres" ließ sich avest. gäum yim suyöö.Sayanam Vd. i, 4
vergleichen. Wenn dieser Vergleich zutrifft, dann kann mit gava- nur
Buchara gemeint gewesen sein.
Gava- ist, so zeigte sich, im ersten Kapitel des Videvdät genannt. Es
bildet den zweiten Ortsnamen einer Reihe (1—7), die sich mit airyamm
vaejö beginnend, über maryav, bäxdi und nisäya hinzieht. Sollte man bereit
sein, in airyanam vaejö Chwärezm zu erblicken8, so begänne die Aufzählung
mit dieser Landschaft, die zu beiden Seiten des unteren Oxos liegt. Sie ginge
zunächst auf dem Nordufer nach Buchara, griffe dann auf das Südufer
mit Merw und Balch über und holte zuletzt das zwischen beiden gelegene
Nisä nach. Vergleichen läßt sich Yt. 10, 14 gaomca suxfomca x^äirizdtnca.
Chr. Bartholomae9 faßte zwar suxösmca als interpoliert, und F. Wolff folgt
dem in seiner Ubersetzung 10 . Aber es kann kein Zweifel daran bestehen,
daß die Sogdiane und Chwärezm neben dem „haräivatischen Maryav" und
gava-, also Merw und Buchara, genannt sind 11 . Das entspräche genau dem,
was im ersten Kapitel des Videvdät 1—7 aufgeführt ist. Über die Form
suxda-, die Bartholomae Anstoß geboten hat, wird zunächst zu sprechen
sein.
Suxda- statt des üblichen suyda- weist einen Lautwechsel auf, den
man aus dem Soghdischen kennt. Dort schwankt die Schreibung zwischen
den stimmhaften Spiranten β und γ und den stimmlosen / und x12. Hier
kommt allein der Wandel γ: χ in Frage. Er zeigt sich insbesondere vor t und
• Harv. Journ. Asiat. Stud. 19 (1956), io6f.
7 F. Altheim, Aus Spätantike und Christentum (1951) i n f . ; Altheim-Stiehl, Ein
Es fällt auf, daß Y t . 10, 14 gava- neben der Sogdiane steht und daß
Vd. 1, 4 betont wird, es sei von Soghdern bewohnt. Bekanntlich wurde
Buchärä zu Anfang der dreißiger Jahre des 7. Jahrhunderts von einem
westtürkischen Fürsten gegründet 15 . Wer Buchärä neben der Sogdiane
stehen ließ, wußte davon, und wer hinzufügte, es sei von Soghdern bewohnt,
versuchte die türkische Gründung gleichwohl für diese zu reklamieren.
Wenn gava- nichts anderes als Buchärä ist, so bedeutet dies, daß die ent-
sprechende Stelle erst nach dem ersten Drittel des 7. Jahrhunderts ge-
schrieben worden sein kann. Das gilt für Y t . 10, 14 ebenso wie für Vd. 1, 4.
Hier soll die Folgerung fürs erste Kapitel des Videvdät gezogen werden.
Die Erwähnung von gava- kann kein Einschub oder Zusatz gewesen sein.
Sie steht fest im Zusammenhang. Sie zieht die Folgerung nach sich, daß
das ganze erste Kapitel in jenem Jahrhundert geschrieben worden sei.
Es wurde zuvor bemerkt, suxdamca Y t . 10, 14 sei einer der Sogdizismen
des Avesta. Zumindest von ihm läßt sich sagen, daß er aufs spätere 7. Jahr-
hundert weist. Er bestätigt die Folgerung, die für die Parallelstelle Vd. 1, 4
gezogen wurde. Aber es läßt sich noch ein zweiter Beweis erbringen, daß
das ganze Kapitel später verfaßt sein muß.
An 16. Stelle wird im Kapitel genannt: (1,19) upa aoöaesu ran hayä
yö asärö aiwyäxsayeinti ,,an den Quellen der Ranha, wo die wohnen, die
ohne Herren leben". Der sagenhafte Nordfluß 1 · wurde, wie Ptolemaeus'
13 I. Gershevitch, a. O. 7 § 56.
14 I. Gershevitch, a. O. 6 § 5 1 ; vgl. 39 §245, 4; §268—9.
1 5 Altheim-Stiehl, Finanzgeschichte der Spätantike 262f.; oben 2, 281.
(geogr. 5, 9, 12; 17; 19; 21; 6, 14, 1; 4) 'Ρδ zeigt, irgendwann zum Namen
der Wolga. Ihm entspricht, wie H. Jacobsohn gesehen hat 1 7 ; mordwin.
rava. Aber an unserer Stelle kann davon nicht gesprochen werden. Das
zeigt der weitere Fortgang der Strophe, darin taoiyä . . . dainhuL aiwiStära
„die taofischen Landesherren" erwähnt werden.
Bartholomae 18 hat mit dem Wort taoZya- (so Jp 1, Mf 2, Ρ ίο, L 4a. 2,
Br 1, Ml 2) nichts anfangen können. Der Name begegnet unter verschie-
dener Form. Arabische Verse Bahräm's V. Gör, die an anderem Ort be-
handelt wurden 1 ·, sprechen von der Aufteilung der Welt und sagen: „und
Tüg wurden gegeben die Türken". Ibn Hurdädbeh, der diese Verse anführt,
sagt: „Tü§ — und er ist Tüg — regierte im Osten, und die Könige der
Türken und Chinas20 sind seine Nachkommen" (15, 12 f. de Goeje). F. Justi
verzeichnet Tüg bei Tabari, ann. 1, 226, 14; Fihrist 12, 19 Flügel; Berüni,
chron. 102, 19 und einer Reihe anderer arabischer Autoren 21 . Er nimmt
mit Recht an, daß Tüc (päzend töi) des BundahiSn 78, 6; 9; 16; 79, 3 aus
arabischer Quelle stammt. Berüni, chron. 104,13 hat geradezu tüi at-turki
erhalten: in allen Handschriften. Taoiya- ist eine Vriddhi-Bildung zum
Namen und bezeichnet den Nachkommen eines *Tüi. Auf jeden Fall ist
die Bezeichnung erst in arabischer Zeit statt avest. Hürya- (zu Hura-) auf-
gekommen; auch in den Versen Bahräm's V. Gor können die überlieferten
Formen an die Stelle eines älteren Tür getreten sein22. Die Bemerkung
über die taoiyä . .. daimhuS. atwiStära Vd. 1, 19 kann demnach erst in arabi-
scher Zeit, also in der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts geschrieben worden
sein.
Sachlich meint sie türkische, genauer westtürkische Oberherren23.
Sie entspricht damit der zuvor gemachten Feststellung, daß Buchärä
von einem westtürkischen Fürsten gegründet war. Daß das ganze
erste Kapitel des Videvdät erst jener Spätzeit entstammt, hat sich bestätigt.
Dann kann auch die Redaktion des Videvdät, die dieses Kapitel enthält,
also die uns vorliegende, erst aus der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts
stammen. Daß ältere und teilweise sehr alte Bestandteile von ihr erfaßt
wurden, bezweifelt niemand. Aber die vorliegende Schlußredaktion gehört in
die Jahrzehnte, da der muslimische Eroberer in Iran stand.
hatte sich auch gezeigt, daß der ganze Süden Ostirans dem Zarathustrismus
verloren war und weiterhin der Lehre Buddhas anhing. Auch das tritt in
unserem Kapitel hervor, und zwar in der Art der Landplagen (paitiyära-),
die der böse Geist über sie verhängt hat. Nisäya kennt die „üble Zweifel-
sucht" (7), Haetumant und Vaekarata Zauberer beiderlei Geschlechts
(13:9), und Harax T aiti und Caxra (wenn Gazna) wollen vom Begraben
oder Kochen der Leichen nicht lassen (12; 16). Auch die zeitliche An-
setzung stimmt zu dem, was sich jetzt zu ergeben scheint. Ob es zuvor eine
sasanidische Redaktion des Videvdät (oder noch andere und ältere) gab,
läßt sich bestenfalls vermuten. Was wirklich vorliegt, ist nur verständlich,
wenn man es als Werk der zarathustrischen Wiedergeburt betrachtet, die
in Ostiran mit dem zweiten Drittel des 7. Jahrhunderts einsetzte.
Man steht in der Zeit der großen Gesetzeskodifikationen überhaupt.
Auf römischer Seite folgen sich der Codex Theodosianus 438 e , die Novellae
Posttheodosianae und um die Jahrhundertwende die Kodifikationen dreier
Germanenreiche: das Edictum Theoderici, die Lex Romana Wisigotorum
506 und die Lex Romana Burgundionum 516. Im Jahre 529 wird der Codex
Iustinianus, 533 werden Institutionen und Digesten, im Jahr darauf der
Codex repetitae praelectionis veröffentlicht. Dem schließen sich die Epitome
Tuliani und das Authenticum, frühestens unter Tiberios II. die griechische
Novellensammlung an. Dem gleichen Zeitraum gehören die östlichen
Kodifikationen an. Der Abschluß des babylonischen Talmud wurde ans
Ende des 5. Jahrhunderts verlegt 7 . Zuvor hatte sich gezeigt (oben S. 32f.),
daß in ihm noch Chusrö's I. Anösarvän Steuerreform berücksichtigt ist.
Man wird demnach in die erste Hälfte des 6. herabgehen müssen 8 . Am Ende
der Reihe steht das Videvdät. Die Sammlung und Redaktion aller Gesetzes-
werke ist in der vergleichsweise kurzen Spanne von wenig mehr als etwa
zwei Jahrhunderten vor sich gegangen.
Fast allen ist gemein, daß Bestandteile in sie aufgenommen wurden,
die der abschließenden Redaktion zeitlich weit vorausliegen. Es sind nicht
nur ältere, sondern teilweise älteste Bestandteile einbezogen und so erhalten
worden. Gerade auch von der avestischen Sammlung darf dies gelten.
H. Lüders hat eine Anschauung aus arischer Zeit an einer der Stellen
aufgezeigt, an der daneben eine spätere Umgestaltung und Erweiterung
nachgewiesen werden konnte (oben S. 169)8. Doch nicht nur einzelne Be-
stimmungen müssen in alte Zeit zurückgehen. Es scheint so, als sei es früh-
zeitig auch zu eigentlichen Kodifikationen gekommen. Xerxes spricht in
einer Inschrift aus Persepolis vom Gesetz, das Ahuramazda aufgestellt
habe (XPh 51 f.); der König tut es anläßlich der Zerstörung eines Heiligtums
der daiva10. Als guten Gesetzgeber seines Volkes nennt Piaton im 7. Brief
Dareios I. (332 B), und diese Bewertung wiederholt er in den Gesetzen
(695 C) 1 1 . Man hat gar das heutige Videvdät unter Dareios ansetzen wollen 12
oder doch an ein Ur-Videvdät gedacht 1 3 . Davon ist das Zweite eine Möglich-
keit, für die sich außer den beiden platonischen Stellen die nicht wenigen,
aus dem Altiranischen ins Aramäische übernommenen oder dort nachgebilde-
ten juristischen Ausdrücke anführen lassen. Hierhin gehören aram. data dl
malkä, i'rösüji, s'rösitä1*, "fars'käye oder rahhlk min und S"cl in der
Bedeutung „peinlich befragen 1 5 : sie zeigen, daß auf iranischer Seite
eine rechtliche Terminologie entwickelt war. Hingegen ist die erste der
beiden Möglichkeiten ausgeschlossen. Denn die Schlußredaktion des vor-
liegenden avestischen Gesetzbuches fällt fast 13 Jahrhunderte nach Dareios'
Zeit. Dies darf als gesichertes Ergebnis der vorangegangenen Erörterungen
festgehalten werden.
4
Die Bezeichnung des Magiers erscheint innerhalb der erhaltenen Teile
des Avesta nur einmal, und sie ist überdies in einem Kompositum erhalten:
moyu. tbis- „der die Magier, die Angehörigen des magischen Stammes, aus
dem die Priester hervorgehen, befeindet", Yasna 65, 7 1 . Demgegenüber
steht das Vorkommen von magav- innerhalb der Achaimeniden-Inschriften
und in der griechischen Literatur, später in der mittelpersischen, syrischen
• In: S B A W . 1917, 347f., besonders 367—372.
10 Altheim-Stiehl, Die aramäische Sprache 1. Lfg. 95.
1 1 J . Irmscher in seiner Übersetzung (i960) 62 Anm. 2.
1 2 Η. H. Schaeder, Das persische Weltreich (1942) 26; wieder abgedruckt in: Der
Bücherei i960) 50 f.
1 4 F. Rundgren in: Vetus Testamentum 7 (1957), 4°°f·
1 5 G. Rundgren in: Ztschr. f. alttestam. Wiss. 70 (1958), 209f.
1 Chr. Bartholomae, Altiranisches Wörterbuch 1176.
176 HEIDENTUM UND CHRISTENTUM
und Feueranbeter"®. Die herbaö waren gleich den möbad10 Bewahrer der
schriftlichen Überlieferung, gerade auch der geschichtlichen, die Berum im
Auge hat. Nur daß er den Ausdruck möbad vermeidet und an dessen Stelle
herbaö setzt, wie er denn auch magüS nicht verwendet, sondern dafür
kataba setzt. Tabari schließt sich dem an und verwendet ahbär. All dies ist
nur unter der Voraussetzung verständlich, daß es in Chwärezm keine
Magier gab.
Erst ganz zuletzt treten diese in Ostiran auf, und auch dann nur inner-
halb eines festbegrenzten Bereichs. Tabari (ann. 2, 1442, 6) kennt den Ort
Muyün in der Nähe Dabüsiya's, also zwischen Buchara und Samarkand,
(oben 2, 119). Darin wurde zuvor der Name der Magier erkannt (oben
2,122 Anm. 1). Nur dürfte sich empfehlen, in ihm nicht ein Suffix -wn, δη
zu suchen, sondern -(a)«, das Platznamen bezeichnet: w'crn ,,bäzär",
prsprn ,.ground, floor" 1 1 . Also *moyav-an „Ort der Magier". Dazu wurde
der Name des Berges Muy gestellt, im gleichen Raum und zu gleicher Zeit
bezeugt. Narsahi liefert dazu die Ergänzung, indem er zur Zeit der arabischen
Eroberung und danach von Magiern in Buchara und dessen nächster Um-
gebung berichtet 12 . Und die soghdischen Manichäer sprechen von mwy 'nch
dynh, der „magischen Religion" 1 3 .
Dieses späte Magiertum Ostirans kann wohl nur die zarathustrische
Wiedergeburt des 7. Jahrhunderts geschaffen haben. Sie hat Einrichtungen
des iranischen Westen übernommen und ihrer kurzlebigen Schöpfung ein-
gefügt. Aber noch Narsahi scheidet den soghdischen Kalender von dem der
Magier, also dem persischen 14 , damit dessen nachträgliche Einführung und
zugleich die der Magier selbst bezeugend.
Damit kehren wir zum Ausgang zurück. Es hatte sich gezeigt, daß
Yasna 65,7 in dem Kompositum moyu. tbii- die einzige Erwähnung der
Magier enthält, die im erhaltenen Avesta sich findet. Es bleibt zu fragen,
wie die Stelle zu beurteilen ist, anders ausgedrückt: ob das Wort zum ur-
sprünglichen Bestand gehört.
12 Altheim, Hunnen IV
178 HEIDENTUM UND CHRISTENTUM
der Verdacht liegt nahe, hier könne soghd. mwy, muy „Magier", neupers.
muy, möy eingewirkt haben. Er liegt um so näher, als die Tatsache jüngeren
Einschubes sich bereits aus der Analyse des metrischen und gedanklichen
Aufbaus ergeben hatte. Jetzt wird man sagen dürfen, daß moyu.tbiS- ent-
weder bei der sasanidischen Redaktion des Yasna eingeschoben werden
konnte (das würde zu pers. muy, möy stimmen) oder aber zur Zeit der
zarathustrischen Wiedergeburt in der Sogdiane (dann würde man in moyu-
ein soghd. mwy, muy zu sehen haben).
Noch ein Letztes ergibt sich. Der in Ostiran und im Avesta ursprüngliche
Ausdruck für den Angehörigen der Priesterzunft war haxay-, haSi-, haS-
,,Genösse, Freund". Wo er durch „Magier" ersetzt ist, stoßen wir auf eine
jüngere Entwicklungsstufe. Zugleich bestätigt sich, was zuvor vermutet
wurde. Tabari gebraucht für die zarathustrischen Priester in Chwärezm
das Wort ahbär. Es hatte sich gezeigt, daß er damit magüi vermeiden
wollte. In hibr, Plur. ahbär liegt nichts anderes als jüd.-aram. habrä, syr.
habrä vor. Das bedeutet aber nichts anderes als ,,Genösse, Gefährte,
Freund" 1 9 und meint im Zusammenhang Tabari's den Angehörigen der
zarathustrischen Priesterzunft. Es zeigt sich: noch im 7. Jahrhundert dachte
man in Chwärezm nicht daran, von Magiern zu sprechen. Sondern man
wählte das Wort, das avest. haxay-, haii-, hai- entsprach.
NACHTRAG
19 J. Levy, a. Ο. 2, 8f.
1 Abhandl. ζ. Kunde d. Morgenl. 33, 4 (i960).
12·
180 HEIDENTUM UND CHRISTENTUM
Nach dem Lautbild drängt sich der Vergleich mit neupers. farmüdan,
farmä-yam, farmä-yad „befehlen" auf, wozu man altpers. pramäna- und
kurd. farml „befahl" 6 stellen mag. Aber die Bedeutung bereitet unüber-
steigliche Schwierigkeiten. Vom „Befehlen" zum,, Verstehen" führt kein
Weg. So muß eine andere Erklärung gesucht werden.
* a. O. 105.
* Gramm, der neusyrischen Sprache (1868) 258.
* A. Socin in: Grundr. Iran. Philol. 1, 2, 351.
* M. L. Margolis, Lehrbuch der aramäischen Sprache des babylonischen Talmuds
(1910) 56 § 40.
7 Th. Nöldeke, Mandäische Gramm. 266 § 194.
6. VIDEVDÄT UND DIE ZARATHUSTRISCHE WIEDERGEBURT 181
Er nennt neben nbmy „trauern" als zweites Verbum der gleichen Art nkry
„entfremden" unter Hinweis auf die syrische Entsprechung, und das
Syrische zeigt denn auch, daß es sich bei den vierradikaligen mit y als
viertem Radikal um Denominative handelt: nakrl „abalienavit, separavit"
von nukräyä „fremd", baiti οίκειοΰν von baitäyä οίκεϊος zu baitä „Haus" 8 .
Im Falle prmy kommt als zugrundeliegendes Nomen, soweit sich feststellen
läßt, nur pwrm' ,,forma] edictum imperatoris" (C. Brockelmann, Lexic.
Syriac. 2 598 1.) in Frage. Die Bildung des Verbum prmy muß über ein
anzusetzendes *pormäyä „zu forma gehörig" erfolgt sein. Als lateinisches
Lehnwort ist pwrm' nur zweimal in der Literatur belegt, beidemale inner-
halb der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts. Einmal in den Homilien des
461 gestorbenen Ishäk von Antiochien (1, 440, 1 Bedjan), und dann in der
um 500 verfaßten Biographie Petrus des Iberers (57, 19 Raabe). Die Ent-
wicklung der Bedeutung wird man so zu verstehen haben, daß es sich darum
handelte, die forma zu vollziehen oder auszuführen. Dabei galt als Voraus-
setzung, das kaiserliche Edikt, das, wie forma im Gegensatz zum später
gebrauchten τνττος zeigt, lateinisch verfaßt war, sprachlich und inhaltlich
zu erfassen, will sagen: zu „verstehen". Bezeichnend ist, daß syr. pwrm'
mit seinen beiden Belegen in eine Zeit fällt, da das Lateinische als Ver-
waltungs- und Rechtssprache innerhalb des oströmischen Reiches auf der
Höhe seiner Wirksamkeit stand.
Weiterbildungen von pwrm' finden sich innerhalb des Syrischen nicht.
Sie sind erst nach der Abtrennung der am Urmia-See angesiedelten syrischen
Nesiorianer erfolgt und gehören zu der damit einsetzenden Sonderent-
wicklung. Damit steht man erneut der Frage gegenüber, wann beide
anzusetzen sind. Die geringe Lebensdauer des lateinischen Lehnwortes
nötigt, die Entwicklung eines denominativen prmy möglichst kurz nach
der letzten Bezeugung um 500 anzusetzen. Das Nomen pwrm' mußte noch
in lebendigem Gebrauch sein, wenn ihm eine verbale Ableitung entsprungen
war. Unterste Grenze, die in Betracht kommt, ist das Ende des 6. Jahrhun-
derts, da die lateinische Spracheinwirkung auf den Osten ihren Höhepunkt
überschritten hatte (oben 2, 203!). Die sich damit ergebenden Grenzen —
zwischen 500 und 600 — für die Entstehung eines denominativen prmy
lassen sich mit der zuvor erwähnten Feststellung, derzufolge nestorianische
Gemeinden kurz vor der Mitte des 6. Jahrhunderts in ÄSurbaiyän erstmals
begegnen, aufs Beste vereinigen.
8 Th. Nöldeke, Kurzgef. syr. Gramm.2 125 § 180, 4.
182 HEIDENTUM UND CHRISTENTUM
Eines Wortes bedarf noch das talmud. forma ,.forma, L a r v e " . Es geht
auf das gleiche E t y m o n zurück, aber das lateinische W o r t ist in anderer
Bedeutung übernommen. A u c h diese Übernahme ist datiert, diesmal durch
die abschließende Redaktion des babylonischen T a l m u d (oben S. 32; 174).
Wieder kommt man in die Zeit vor der Mitte des 6. Jahrhunderts.
Erst nach dem Umbruch wurden die Aufsätze H. Humbach's in: W Z K M . 4 (i960)
36f.; 5 (1961), 68f. bekannt, die zu dem auf S. 1 7 0 — 1 7 3 Behandelten heranzuziehen
sind. Die Gleichsetzung von Bccyai (var. 1. Γάβαι) bei Arrian., an 4, 17, 4 mit gava-
ist sprachlich und sachlich, auch wenn man Γάβαι lesen wollte, unmöglich.
DRITTES BUCH
Die Hunnen waren nördlich von Iran durch die Steppe gezogen; Aralsee
und Kaspisches Meer hatten sie links gelassen. Von Osten her traf ihr Stoß
Alanen und Goten, und nach Westen setzte er sich fort. Die Balkanhalb-
insel südlich der Donau, also das Kerngebiet des oströmischen Reiches
und dessen Hauptstadt, lag zunächst im toten Winkel. Dies besagt
nicht, daß es völlig unbehelligt geblieben wäre. Doch erwiesen sich die
dortigen Ereignisse als von geringerer Bedeutung. Um so folgenreicher war
der Druck auf alles, was weiter westlich lag. War schon der Sturz des
Gotenreiches von kaum absehbarer Bedeutung, so setzte, was folgte, eine
Lawine in Bewegung.
Ein Blick wenigstens mag auf das Land hinter den Karpathen geworfen
werden. Die drei dazischen Provinzen, nördlich der Donau einen römischen
Brückenkopf bildend, hatte Aurelian geräumt. Die Besatzungen und ein
Teil der Bewohner waren über den Strom abgezogen. Ein Restbestand hielt
sich im Bereich der Muntii Apuseni, den westlichen Bergen Siebenbürgens.
Zusammen mit dem Land an der unteren Donau bewahrte er die romanische
Sprache auf diesem fernsten Außenposten. Westgoten (Terwingen), Viktu-
alen, Gepiden und Wandalen drangen in die freigewordenen Räume; den
Germanen folgten Karpen und Dazier nach. Als die Hunnen erschienen, zogen
die Wandalen und Westgoten ab; ihnen schlossen sich die Taifalen an. Die
Gepiden unterwarfen sich den Siegern und breiteten sich, ohne von diesen
gehindert zu werden, bis in den Süden Siebenbürgens aus. Nach Attilas
Tod wurden sie zu Herren des Landes 1 .
begonnen und 413 vollendet. Weit wichtiger war, daß man daran ging,
die Hunnen in eignen Sold zu nehmen.
Theodosios I. hatte 388 seinen Sieg über den Ursurpator Maximus mit
hunnischer Hilfe gewonnen; am flachen Ufer der Save konnte sich die
Kampfkraft der Reiter voll entfalten. Auch daran ist zu erinnern, daß
Uldis mit seinen Hunnen den Rebellen Gainas, der bereits über die Donau
entkommen war, gestellt und getötet hat. Gainas' abgeschnittener Kopf,
von Uldis mit der Bitte um Entlohnung nach Konstantinopel gesandt,
wurde dort am 3. Januar 401 öffentlich zur Schau gestellt. Ein entsprechen-
des Bild bot der römische Westen.
Schon unter Valentinian II. wurden durch hunnische Scharen die Ju-
thungen aus Raetien herausgeschlagen. Als beide Rivalen in Ost und West,
Rufinus und Stilicho, sich mit hunnischen Leibwachen umgaben, war es
doch der zweite, der ungleich größeren Gebrauch von der barbarischen
Kraft machte 4 . Stilichos hunnische Reiter bewährten sich in der Schlacht
bei Faesulae gegenüber Radagaisus' Scharen, Anfang 406. Sie schnitten
dem Feind die Verpflegung ab, und zuletzt bewirkten sie durch eine Flanken-
bewegung dessen Umzingelung und völlige Vernichtung. Der Hunnenkönig
Huldin, vermutlich kein anderer als Uldis, erlöste nach dem Sieg für jeden
Gefangenen nur einen Goldsolidus; so groß war das Angebot menschlicher
Ware.
Auch nach Stilichos Ermordung, vor der die hunnische Leibwache
eigens beseitigt werden mußte, mochte man von hunnischer Hilfe nicht
lassen. An der Spitze von dreihundert Hunnen trat der Minister des Kaisers
Honorius, Olympius, dem Schwager Alarichs, Athaulf, mit Erfolg entgegen.
Im gleichen Jahr 409, genügte das Erscheinen von angeblich 10 000
Hunnen 5 , um Alarich selbst von seinem geplanten Marsch gegen Rom ab-
zuhalten. In der Folgezeit war es die Kenntnis hunnischer Wesensart, der
inneren Verhältnisse und zweifellos auch wichtiger Persönlichkeiten, die
Aetius' Taten entscheidend bestimmte. Seine größten Erfolge hat er zu-
nächst mit Hilfe der Hunnen, dann gegen sie errungen.
Der junge Aetius gehörte zu den Geiseln, die von römischer Seite
gestellt wurden, als Stilicho sich vertraglich hunnischen Beistand sicherte.
4 Es überzeugt nicht, wenn Ε. A. Thompson, a. O. 35 aus Chunnorum, quo fulcie-
batur, praesidio (Chronic, min. ι p. 650 Mommsen) darauf schließt, „ t h a t the force
was of considerable dimensions".
5 Zur Zahl oben 1, 367.
188 H U N N E N UND B U R G U N D E N
Im römischen Reich hatte das städtische Wesen geführt, bis diesem die
Einfalle und Prätendentenkämpfe des 3. Jahrhunderts schwere Schläge zu-
gefügt hatten 1 . Der Rückgang war allgemein, politisch und wirtschaftlich,
gesellschaftlich und kulturell. Die einst offenen und unbehindert sich aus-
breitenden Städte wurden jetzt mit Mauern umgeben. Diese setzten dem
Wachstum Schranken: man war, schon um der besseren Verteidigung willen,
genötigt, sich auf engstem Raum zusammenzudrängen. So entstand jener
Stadttypus, den man an Histria am Schwarzen Meer ebenso beobachten
kann wie am spätrömischen Straßburg. Die mittelalterliche Stadt — dumpf
und ungesund, aber wehrhaft und kaum mehr zu überrumpeln — war
damit geboren. Ihre neuen Freiheiten sollte sie freilich erst gewinnen.
Vorerst begannen sich Regierang und Bürokratie immer stärker in die
inneren Angelegenheiten einzumischen. Sie spannen das Netz ihrer Kontrolle
enger, und ständig nahm ihre Einflußnahme zu.
Auch die wirtschaftlichen Grundlagen begannen zu schwinden. Der Ein-
nahmen, die den Städten aus ihren Landgebieten zuflössen, mußten sie sich
zugunsten des Staates entäußern. Handwerk und Handel, Grundlagen jeder
städtischen Blüte, hatten unter den Schlägen des 3. Jahrhunderts schwer
gelitten. Eine auf ihre, wenn auch begrenzte Autonomie stolze Bürgerschaft
war wirtschaftlich aufs schwerste getroffen. Unaufhaltsam begann sich der
Schwerpunkt des Lebens aufs Land zu verlegen 2 .
Auch dort hatte die Reichskrise tiefe Veränderungen gezeitigt. Kleinere
Bauerngüter waren verschwunden oder hatten sich in Abhängigkeit begeben.
So war es zu gewaltigen Zusammenballungen gekommen. Auf dem Land
bestimmten Latifundien von erheblicher Ausdehnung, zuweilen von der
Größe einer Provinz, das Bild. Die Landsitze, auf denen die großen Eigen-
tümer lebten, wurden zu neuen Mittelpunkten des wirtschaftlichen und
geistigen Lebens. Die geschlossene Gutsherrschaft begann sich herauszu-
bilden. Sie stellte, was sie brauchte, mit geringen Ausnahmen selbst her
und machte sich von der städtischen Manufaktur unabhängig. Alsbald
1
Das Folgende ist der ausgezeichneten Besprechung, die P. Lambrechts (l'Antiquiti
classique 1949, 109!.) Μ. A. Piganiol's „L'empire chr6tien" (1947) gewidmet hat,
überall verpflichtet. Besonders S. 1 1 2 f. sind bis in die Formulierungen hinein benutzt
worden.
ä
Zum Folgenden K. F. Stroheker, Der senatorische Adel im spätantiken Gallien
(1948)·
190 HUNNEN UND BURGUNDEN
war die völlige Geldentwertung da. Unter Gallienus kamen Prägungen auf,
deren Kupfer mit einem Silberabsud überzogen war, der im Verkehr rasch
schwand. Beamten und Militär weigerten sich, diese Münzen als Zahlung
anzunehmen. Sie verlangten, was in ihren Augen Wert besaß: Getreide,
Fleisch, ö l , Wein, Kleidung. Folge war, daß der Staat, um die verlangten
Lieferungen leisten zu können, seinerseits darauf bedacht sein mußte, das
Steueraufkommen zumindest zu einem Teil in Naturalien zu erhalten. So
war es unter Diokletian zur iugatio und capitatio gekommen, die eine
Abgabe vom Bodenertrag mit einer personalen, auf der bäuerlichen Arbeits-
kraft lastenden verknüpfte. Die Steuer war nach allem, was man weiß, hoch.
Aber der Staat in seiner finanziellen Zwangslage konnte auf nichts, auf den
Ertrag keines einzigen iugum verzichten. Er hielt an der Bindung des
Kolonen an die ihm zugeordnete Scholle und damit an seinen Herrn un-
erbittlich fest.
3
Es lag nahe, die hunnischen Scharen auch gegen die Germanen ein-
zusetzen, die auf gallischem Boden Aetius schwer zu schaffen machten.
In unmittelbarem Anschluß an den Bagaudensieg ging Litorius gegen die
Westgoten im Süden vor. Auch diesmal schien sich der Sieg an seine Fahnen
zu knüpfen. Theoderich I. wurde gezwungen, die Belagerung von Narbonne
aufzuheben; die schwerbedrängte Stadt wurde sogleich neu verproviantiert.
Drei Jahre stetiger Erfolge schlossen sich an, und 439 standen Litorius'
Hunnen vor der Hauptstadt des Feindes, Toulouse. Die Stadt lag inmitten
eines dichten und geschlossenen westgotischen Siedlungsgebietes1. Vor
Toulouse schlug das Kriegsglück um. Die Schlacht schien glücklich zu ver-
laufen, da geriet Litorius in die Gewalt des Gegners. Nach dem Verlust des
Anführers wurde das hunnische Heer nahezu vernichtet. Erst Aetius per-
sönliches Eingreifen stellte die Lage wieder her und führte zum Friedens-
schluß2.
Mit den Hunnen verknüpft sich noch ein drittes Ereignis in der Geschichte
des damaligen Gallien: die Vernichtung der Burgunden. Zeitlich fällt sie
noch vor die Beendigung der Kämpfe mit Bagauden und Westgoten.
1
W. v. Wartburg, Die Entstehung der romanischen Völker 82 f.
2
Darauf bezieht Th. Mommsen die Kämpfe, die Merobaudes, Paneg. 2, 57 er-
wähnt; vgl. die Adnotatio zu v. 57.
8. KAPITEL
I
Von unserem Nibelungenlied her ist es eine vertraute Vorstellung, daß
Worms der Sitz der Burgundenkönige sei. Diese Vorstellung war so fest
eingewurzelt, daß man sie ohne weiteres von der Welt der Sage auf die
Geschichte übertrug. Auch das Herrschaftsgebiet des Burgundenkönigs
Guntiarios oder Gundicharius, der 436 die vernichtende Niederlage durch
die Hunnen erlitt, ebenso den Ort dieser Niederlage setzte man von jeher
in der Umgebung von Worms an. Erst in jüngster Zeit hat diese Ansicht
einen Stoß erlitten Statt Worms und der Provinz Germania prima nahm
man jetzt die Germania secunda für die ältesten linksrheinischen Sitze der
Burgunden in Anspruch. Zustimmung2 und Widerspruch3 haben seitdem
gewechselt.
Die neue Behauptung gründet sich zunächst auf einer textkritischen
Beobachtung. Olympiodor fr. 17 4 berichtet von der Erhebung des Gegen-
kaisers Iovinus, die 411 mit Hilfe der Alanen unter Goar und des Burgunden-
fürsten Guntiarius erfolgte. Bisher wurde „unter der Zwangsvorstellung,
daß Worms damals die Königsresidenz der Burgunder gewesen sei 5 ", diese
Erhebung auf Grund einer Konjektur David Hoeschel's in Mainz an-
gesetzt. Erst durch Hinweis auf die Überlieferung: έυ Μουνδιακω της έτέρας
Γερμανίας stellte sich heraus, daß nicht Mainz in der Germania prima,
sondern der in der Germania secunda gelegene Ort Mundiacum gemeint war·.
1 Zuerst J. R . Dieterich, D . Dichter d. Nibelungenliedes 26 f.
J E . Stein in: Ber. röm.-germ. Kommission 1928, 9 7 f . ; E . Norden, Altgermanien
18 Anm. 2; H . Grögoire in: Byzantion 9, i f . : 2 i 5 f . ; 7 7 5 ! . ; F . Ganshof in: R e v . beige
de philol. et d'hist. 14, 195 f.
' H. Nesselhauf in: A b h B A W . 1938, 2, 74 Anm. 1; A. W. B y v a n c k , Nederland in
den romeinschen tijd 2, 687; unklar: Mnemosyne 1943, 9 3 f . : L. Schmidt, D. Ostger-
manen 2, i 3 4 f . ; G. Baesecke, Vor- und Friihgesch. d. dt. Schrifttums 2, 243.
* F H G . 4, 64 M.
5 E . Stein, a. O. 98.
* E . Steins Versuch, a. O. 98f., Olympiodor mit Beobachtungen aus der Notitia
dignitatum zu stützen, ist durch H . Nesselhauf, a. O. 6 6 f . ; 74f. widerlegt. Doch vgl.
A. W . B y v a n c k in: Mnemosyne 1943, 88f.
13 Altheim, Hunnen IV
194 HUNNEN UND BURGUNDEN
Sollte die Inschrift 1 8 des Hariulf, Sohn des Hanhavald, Neffe des Reutilo,
in Trier — regalis gentis Burgundionum und jetzt den protectores domestici
angehörig — einen weiteren Hinweis geben ?
Das bleibt zunächst nur eine Möglichkeit, wenn auch eine wahrschein-
liche. Hier springt das Zeugnis Sidonius Apollinaris' über Aerius'
Burgundensieg ein 19 . Von Sidonius' Schwiegervater Avitus, dessen Thron-
erhebung der Panegyricus feiert, heißt es, er sei den Fahnen Aerius' gefolgt.
Zusammen mit Avitus habe Aerius den Belgier befreit, den der trotzige
Burgunde vergewaltigt hatte. Dieses Zeugnisses wurde zuvor gedacht.
Dann geht es weiter: „Besiegt wird dort im Lauf der Heruler, der
Hunne im Geschoßwurf und der Franke im Schwimmen, der Sauromate
im Schildkampf, der Salier zu Fuß und im Kampf mit der falx der
Geloner".
Die gesuchte Ausdrucksweise des Sidonius macht nicht leicht, zu er-
kennen, was gemeint ist. Seit Tillemont 20 bis zu den letzten Äußerungen 21
hat man zwischen zwei Möglichkeiten geschwankt. Entweder standen die
genannten Stämme auf Seiten der Burgunden und wurden mit ihnen zu-
sammen besiegt. Oder aber: der Sieg im Wetteifer war gegen den gemein-
18
E. A. Thompson, A Hist, of Attila and the Huns 65 hat bei seiner Behandlung
(1948) die gesamte neuere Literatur übersehen.
17
Η. Nesselhauf, a. Ο. 74·
18
Fiebiger-Schmidt, Inschriftenslg. ζ. Gesch. d. Ostgoten Nr. 72; H.-E. Giesecke,
D. Ostgerm. u. d. Arianism. 140 Anm. 4.
" carm. 7, 23of.
20
Histoire des empereurs 6, 2 i o f .
21
Rappaport in: R E . 8, 1 1 5 3 ; L. Schmidt, D. Ostgerm. 2 559.
IS·
196 HUNNEN UND BURGUNDEN
samen Feind errungen. Dann wären die Stämme als Bundesgenossen Aetius'
im Kampf gegen die Burgunden zu verstehen.
Vincitur . . . Francusque natatu läßt sich veranschaulichen durch Chlo-
tachars II. Sieg über den Sachsenherzog Bertoald an der Weser22. Der
König selbst durchschwamm als Erster auf einem Roß den Strom, und
nur mit Mühe folgte das Heer ihm nach. Das Beispiel zeigt, daß durch
besseres Schwimmen kein Gegner besiegt wird, wohl aber, daß Kampf-
genossen sich darin in gemeinsamem Wetteifer gegenseitig übertreffen
können. Also waren die Franken mit Aetius verbündet, und während des
Feldzuges gelang, nach Ansicht des Sidonius, ihre große Fertigkeit im
Schwimmen, im Überschreiten von Gewässern durch eigene Leistung in
den Schatten zu stellen.
Es ist deutlich, daß v. 235 iUic sich auf die Gegend bezieht, da gegen
die Burgunden gefochten wurde. Also waren alle Völker, die an dieser Stelle
genannt wurden, an dem Kampf gegen die Burgunden beteiligt. Waren sie
deren Nachbaren ? Die Nachbarschaft zumindest eines Teiles der Hunnen
bildete die Voraussetzung der Katastrophe von 436. Daß mit den Sauro-
maten und Gelonen die Alanen, Hauptstamm der Sarmaten23, gemeint ist,
bleibt das wahrscheinlichste24. Sie begegneten soeben mit den Burgunden
vereint im Jahre 411. Deutlich sind sodann die West-Heruler, Franken
und Salier, die alle am Niederrhein saßen 25 . Faßt man auch sie als Nachbarn
der Burgunden, so erfährt das Zeugnis Olympiodors eine Bestätigung.
Nicht nur 411, sondern auch nach der Ansiedlung von 413 hätten die
Burgunden in der Germania secunda gesessen.
Die Hunnen waren seit dem Jahr 433 2i ständige Bundesgenossen für
Aetius. Dasselbe muß man für den Burgundersieg des Jahres 435 annehmen.
Aetius hätte dann ein Bündnis der Hunnen, Heruler, Franken, Salier und
Alanen, also der benachbarten Stämme gegen die Burgunden zusammen-
gebracht und dadurch das Übergreifen auf beide oder eine der Belgicae
verhindert. In Verfolgung dieser Politik hätte entweder Aetius 436 die
Hunnen nochmals gegen die Burgunden aufgehetzt und damit deren Ver-
2 i Lib. Hist. Franc. 41; ganz anders die Situation bei Paul. Diac., hist. Langob. i,
15, wo Lamassio mit der Amazone kämpft (in fluvio natatu pugnasse tamque peremisse).
Dazu G. Baesecke, a. O. 1, 322.
» M. Rostovtzeff, CAH. 11, 93 £.
24 Alanen und Gelonen zusammen genannt ep. 4, 1, 4.
1 E. N o r d e n , A l t g e r m a n i e n 18 A n m . 2. F r e i l i c h : H . Gregoires B e h a u p t u n g (in:
B y z a n t . 10, 227), d a ß H a g e n der χαγαη, qayan der A l a n e n und mithin G o a r bei O l y m -
piodur sei, glaube ich nicht. A l a n e n sind keine T ü r k e n .
2 D a s F o l g e n d e n a c h A . Heusler, N i b e l u n g e n s a g e und N i b e l u n g e n l i e d 7 f . ; 44 f. —
teilweise u n t e r B e n u t z u n g seiner F o r m u l i e r u n g e n . U b e r D . v . K r a l i k s N i b e l u n g e n f o r -
s c h u n g e n W . Mohr in: D i c h t , u. V o l k s t u m 42, 8 3 f . ; H . S c h n e i d e r i n : Z d A . IQ41, SQf.
3 A . H e u s l e r , a. O. 13f.
4 M. L i n t z e l , D . hist. K e r n d. Siegfriedsage (Histor. S t u d . 245); z u s t i m m e n d A .
H e u s l e r , a. O. 1 3 f . ; H. Gregoire i n : B y z a n t . i o , 222f.
5 G . B a e s e c k e , V o r - und F r ü h g e s c h . d. d t e n . S c h r i f t t . 1, 249.
• A . Heusler, a. O. 15.
8. D E R B U R G U N D E N UNTERGANG 199
1 1 G. Baesecke, a. O. 249.
14 G. Baesecke, a. O. 243.
14 A. Heusler, a. O. 51.
17 A. Heusler, a. O. 59f.; G. Baesecke, a. O. 252; 273.
18 G. Baesecke, a. Ο. 2 7 6 I
1§ G. Baesecke, a. O. 251.
" lord., Get. 191.
8. D E R B U R G U N D E N U N T E R G A N G 201
Der Tod zahlreicher Männer führte dazu, daß alle Rechtssachen, die vor die
Schlacht fielen, durch die Lex Burgundionum als verfallen erklärt wurden 21 .
Durch die Erkenntnis, daß die alten Sitze der Burgunden nicht in Worms
und Umgebung, sondern in der Germania secunda und am Niederrhein
lagen, erklären sich jetzt auch die Fäden, die zwischen Brünhild- und
Burgundendichtung hin- und herliefen22. Franken und Burgunden waren
unmittelbare Nachbarn. Aus dem Burgundenland entnahm der Dichter der
Brünhildsage die geschichtlichen Namen der Burgundenkönige28. Um-
gekehrt entstammen mythische Gestalten wie Siegfried, Hagen und der
Nibelungenhort, wo sie im geschichtlichen Rahmen des Burgundenliedes
begegnen, der fränkischen Brünhildsage24. Das Überkommene ist in beiden
Fällen Fremdgut geblieben. Beide Lieder, das fränkische und das bur-
gundische, verband nur ein äußerlicher Motivzusammenhang. Erst der
Dichter des „baiwarischen Burgundenliedes", dem Mythos und Geschichte
in eins übergegangen waren und dem der Stammesunterschied zwischen
Franken und Burgunden nichts mehr bedeutete, hat den entscheidenden
Schritt vorwärts getan. Durch Umdeutungen und Neuschöpfungen schuf er
die Voraussetzungen für das einheitliche Nibelungenlied, das wir besitzen 26 .
3
Die Burgundendichtung setzt den Tod Attilas voraus, kann also erst
nach 453 entstanden sein. Damals saß der Stamm nicht mehr am Nieder-
rhein, sondern in dem „Tannenland" 1 Sapaudia. Aetius hatte dem Teil,
der der Katastrophe von 436 entgangen war, dort eine neue Stätte ange-
wiesen. In der Sapaudia muß man sich demnach die Dichtung geschaffen
und vorgetragen denken.
Sprachliche Zeugnisse bestätigen diesen Schluß. Die Personennamen
und die französischen Ortsnamen burgundischer Herkunft zeigen, „daß die
Heldennamen des Nibelungenliedes altes burgundisches Sprachgut sind" 2 .
Mehr noch: daß die Sage den savoyischen Burgunden gegenwärtig war; daß
11 Lex Burg., 1. const. 17, 1; Μ. G. Leg. 1, 2, 1 p. 55; L. Schmidt, a. O.* 139.
** G. Baesecke, a. O. 252 f.
* A. Heusler, a. O. 14.
1 4 A. Heusler, a. O. 51.
1 1 A. Heusler, a. O. 57f.; H. Baesecke, a. O. 275f.
1 R. Thurneysen bei F. Staehelin, Die Schweiz in römischer Zeit* § 15 Anm.;
L. Weisgerber, Die Sprache der Festlandkelten (20. Ber. Röm.-germ. Komm. 1931)208.
1 E. Gamillscheg, Romania Germanica 3. Vorwort.
202 HUNNEN UND BURGUNDEN
sie in ihr lebten. Denn nicht nur die Namen der Burgundenkönige sind
vorhanden 3 : Gibika (latinisiert Gebica*); Gundiharjis als Gundicarius,
Gondaharius, Gondaarius5; Gundrihamns in Gödhramns und dem Ortsnamen
Gondrane; Gislaharjis in Gislaharius und den Ortsnamen Gillarens1. Hagen
lebt, ebenso wie bei den Franken, so auch bei den Burgunden in reicher
Bezeugung fort 8 . Und zahlreich ist der Nibelungenname belegt 9 . Ihn trägt
in der Dichtung des Seneschall des Burgundengrafen Girard von Roussillon:
Nom. Neblos, Neblas, Akk. Nebion. Er erscheint in den Ortsnamen: Neu-
blans und Noblens, in Nivelungus und Nivelongus; das Grundwort Nibils
latinisiert als Nibilus. Vielleicht am meisten gibt zu denken, daß der Sohn
Sigmunds, der in der Völsunga-Saga Sinfjötli, im Ahd. Sintarfizzilo, Sinter-
fezzil heißt, im Ortsnamen Senarclens erhalten zu sein scheint 10 .
Das neue Burgundenreich unterschied sich von den anderen Germanen-
reichen auf gallischem Boden durch seine Aufgeschlossenheit gegenüber den
Romanen und ihrer Kultur 1 1 . Im Gegensatz zu Goten und Franken waren
Eheschließungen zwischen Burgunden und Romanen erlaubt 12 . Volks-
mäßig war man in der Minderzahl, vor allem in den Städten. Eine dichte
burgundische Bevölkerung saß nur nördlich des Genfer Sees 13 . Römische
Villen, wie die von Carouge bei Genf, hielten sich bis in burgundische Zeit 1 4 .
In Genf richtete man das einstige Prätorium zu einem burgundischen
Palast ein 15 . Ebenso war Lyon eine romanische Stadt geblieben, mochte
dort auch der König Hof halten. Die burgundischen Lehnwörter des Süd-
ostfranzösischen zeigen den Wortschatz des kleinen Mannes, besonders des
Bauern 1 4 ; Adel und Königshaus wurden rasch romanisiert. Syagrius, der
„burgundische Solon" 1 7 , sprach das Germanische fließend, — angeblich
β Ε. Gamillscheg, a. Ο. 8ι.
7 Ε. Gamillscheg, a. Ο. 122.
8 Ε. Gamillscheg, a. Ο. 126.
9 Ε. Gamillscheg, a. Ο. 141.
1 5 L. Blondel, a. O. 69 f.
1 β E. Gamillscheg, a. O. 64 f.
Gaule i n ; 138.
22 carm. 12, 4 t.; G. Baesecke, a. O. 93 f.
23 E. Gamillscheg, a. O. 66.
wert, die Krone zu besitzen, er hatte sie gewonnen, aber Ildibad geschenkt.
Gunther, der Siegfried alles verdankt, läßt ihn ermorden. Ildibad, der
Uraja alles verdankt, läßt ihn ermorden. Die Ermordung Siegfrieds ist
die Folge eines Streites seiner Gemahlin mit der Gattin Gunthers;
die Ermordung Urajas ist die Folge eines Streites seiner Gemahlin
mit der Gattin Ildibads. Der Zank der burgundischen Frauen spielt sich im
Bade ab, die Gemahlin Siegfrieds stellt sich über die Königin, und diese
fordert Rache; der Zank der gotischen Frauen spielt sich im Bade ab, die
Gemahlin Urajas stellt sich über die Königin, und diese fordert Rache.
Siegfried wird des Verrates gegen Gunther beschuldigt und stirbt un-
schuldig; Uraja wird des Verrates gegen Ildibad beschuldigt und stirbt
unschuldig. Siegfried fällt durch Meuchelmord, seinen Schatz nimmt
Gunther an sich, und Siegfried findet keinen Rächer; Uraja fällt durch
Meuchelmord, seinen Schatz nimmt Ildibad an sich und Uraja findet keinen
Rächer".
Wenn diese Übereinstimmungen zutreffen — und es läßt sich nicht
sehen, was dagegen eingewandt werden könnte — , so sind wesentliche
Teile der Siegfried-Brünhilddichtung der Geschichte des Uraja nachgeformt.
Da sein Tod ins Jahr 540-41 fällt, kann die Dichtung erst danach ent-
standen sein. Sie ist also wesentlich später als das Lied von der Burgunden
Untergang entstanden. Der Terminus post quem liegt für beide Dichtungen
fast hundert Jahre auseinander.
Damit erklärt sich ein Umstand, der zuvor bereits unterstrichen wurde.
Beide Dichtungen, die von Brünhild und die von der Burgunden Untergang,
waren durch mancherlei Fäden miteinander verknüpft, ohne daß darum jene
dramatische Straffung vorläge, die die mittelhochdeutsche Dichtung aus-
zeichnet. Es waren im wesentlichen einige Personen und Sagenzüge, die eine
lose, rein stoffliche Verbindung herstellten. Sobald man bedenkt, daß zur
Abfassungszeit des Burgundenliedes das andere Lied noch nicht bestand,
wird der Hergang klar. Die Sage von Siegfried und Brünhild hatte noch
nicht ihre maßgebende dichterische Gestaltung, hatte nicht einmal feste
Form erhalten. So konnte sie auf das stofflich sich anschließende Lied von
der Burgunden Untergang noch keinen Einfluß besitzen.
Mit den Jahren nach der Mitte des 6. Jahrhunderts kommt man in eine
Zeit, da die spätrömische Kultur, insbesondere die Literatur einen immer
stärkeren Einfluß auf die Franken auszuüben begann. Um 575 fing Gregor
von Tours an, seine Frankengeschichte zu schreiben, und in die erste Hälfte
206 HUNNEN UND BURGUNDEN
,2
carm. 8, 8, 2 ; 9, 1 1 ; 10, 2, 10; 7, 2 ; 10, 14 u. a. m.; eine genauere Erklärung
10, 6, i f . ; vgl. 16.
ss
Ähnlich F. Schneider, Rom und Romgedanke im Mittelalter 121 f.
V I E R T E S BUCH
DICHTUNG
g. KAPITEL
I
Kennzeichen unserer Zeit ist, daß sie den Erfolg hoch bewertet. Ihr
wohnt ein durchgängiges Streben inne, das auf Leistungssteigerung zielt.
Man erkennt dieses Streben ebenso in der Vermehrung der Erzeugung oder
der Ausfuhr wie darin, daß man bestehende Rekorde zu brechen und neue
aufzustellen wünscht: sportliche Rekorde oder solche der Geschwindigkeit,
Rekorde der Eheschließungen oder Scheidungen, der Geburtenzahl oder was
sonst in Betracht kommen mag.
Hand in Hand mit allgemeiner Leistungssteigerung geht das Ringen um
beruflichen oder wirtschaftlichen Aufstieg des Einzelnen. Auch er läßt sich
dem Bild einordnen, demzufolge Erfolg den Maßstab jeder Bewertung
bildet. Menschliche Wertschätzung fügt sich gleichfalls dem damit ge-
zogenen Rahmen. Auch da bilden Aufstieg und Erfolg selbstverständliche
Wertmesser, oft den einzigen, den man gelten läßt. Daß einer erreichte, was
er sich vorgesetzt hat, scheint zu besten Empfehlungen zu gehören, die man
einem Heutigen mitgeben kann. Diese Kennzeichnung wird mit solcher
Selbstverständlichkeit hingenommen, daß man die Frage nicht einmal
stellt, ob nicht die Art seiner Wünsche den Menschen stärker kennzeichne als
die zufällige Tatsache, daß er diesen Wünschen zur Erfüllung verholfen
habe.
Erfolg wird, gleich als gehöre es sich nicht anders, auch als geschicht-
licher Maßstab übernommen. Nur solchen, die gestellte Aufgaben oder die
Wirklichkeit überhaupt — wie man zuweilen hört — gemeistert haben, ist
man geneigt, die Ruhmespalme zu überreichen. Wohingegen wer unterlag,
verdientermaßen im Parterre der Geschichte seinen Platz erhält.
Dieser, wie nochmals gesagt sei, widerspruchslos hingenommene Maß-
stab hat zu Umwertungen geführt, die Gegenwart oder jüngste Vergangen-
heit in Gegensatz zu dem bringen mußte, was ältere Zeiten anders ein-
geschätzt hatten. Es ist noch erinnerlich, welchen Einbruch Mommsens
14 Altheim, Hunnen IV
210 DICHTUNG
nung des Tragischen liegt. Nirgendwo gelang es, die Ereignisse zu solcher
Sicht zu läutern.
Blickt man umher und fragt, wann wohl zum letzten Male ein geschicht-
liches Ereignis als tragisch empfunden wurde, so muß man über ein Jahr-
hundert zurückgehen. Hoffmannsthal hat von dem „letzten großen euro-
päischen Phänomen" gesprochen und Napoleon gemeint. Schwerlich ist
Zufall, daß Napoleon auch die letzte tragische Gestalt der europäischen
Geschichte gebheben ist. Der Name Waterloo drängt sich auf die Lippen.
„Wunderbare Niederlage, bei der der Ruhm der Vernichteten höher strahlt
als der des Siegers! Bei der der Ruhm die Niederlage überdauert und der
Name des Siegers vielleicht im Triumphe untergeht". So äußert sich der
Verbannte auf St. Helena schon ein Jahr später, damit vorwegnehmend,
was erst die Folgezeit ihm gewähren sollte.
Selten mochten die Chancen geringer erscheinen, daß solche Voraussage
sich erfüllte. Endgültige Niederwerfung des Usurpators, das Ausharren des
eisernen Herzogs, Blüchers versprochene und trotz mancher Widrigkeiten
gewährte Hilfe, nächtliche Flucht des Besiegten: sie überstrahlten zu-
nächst alles. Glorioses Finale eines Befreiungskampfes, schien Waterloo
seiner geschichtlichen Einordnung gewiß zu sein. Und doch ist die Wende
gekommen.
Dichter waren es, die sich immer auf die Seite des Gestürzten geschlagen
haben. Goethe vor allem, aber auch Byron, Balzac, selbst Heine und nicht
zuletzt jener Abbate Monti, dessen Ode im Sterbejahr 1821 Europa daran
gemahnte, daß einer seiner Großen hingegangen war. Dazu kamen die
Lithographen und Holzschneider, Meister einer volkstümlichen Kunst und
Träger der rasch sich bildenden napoleonischen Legende. Sie haben die
Bilder geschaffen, die von Waterloo unzertrennlich sind: den heraufziehen-
den Abend, ein zurückflutendes Heer, das Sterben der Garde, die mit dem
Trauerflor verhüllten Standarten, der Kaiser im Viereck der letzten Getreuen.
Keine offiziöse Darstellung, kein Siegesdenkmal hat diesem Strom der
Vorstellungen gegenüber sich zu behaupten vermocht. Nicht der verzweifelte
Spieler, der nochmals gewagt und endgültig verloren hat, sondern der vom
Schicksal getroffene, dadurch erhöhte und in seiner Größe erst sichtbar
gemachte Titan ist es, was der metallisch dröhnende Name des Schlachtorts
wachruft.
Vergleiche stellen sich ungerufen ein. Wer an der Brücke von Benevent
steht oder auf dem Feld von Tagliacozzo, wird eher Manfreds und Konradins
9. TRAGIK ALS GESCHICHTLICHE FORM 213
gedenken als des siegreichen Anjou. Und der einsame Turm von Astura
gemahnt an das Schicksal des Verratenen, nicht an den schmachvollen
Lohn des Frangipani. Auch Chaironeia und die Thermopylen bleiben mit
dem Namen der Besiegten verknüpft, vor denen die Sieger ins Dunkel
treten.
Wie weit ist man hier von heutiger Uberschätzung des Erfolges entfernt!
Es sind die Erfolglosen, so scheint es, denen Unsterblichkeit gebührt. Den
Unterlegenen wendet sich das Mitgefühl zu, und an ihre Spuren heftet
sich der Ruhm. Nur ihm, der im Untergang sich treu bleibt und dem
Großen verhaftet, das sein Leben bestimmt hatte, ist Dauer und Unsterb-
lichkeit gewährleistet.
2
Man erwarte nicht, daß geschichtliche Tragik definiert werde. Solche
Festlegung würde mehr beengen als weiterhelfen. Was gemeint ist, kann,
wie so oft, nicht umgrenzt, sondern allein im Vollzug erfahren werden.
In einer Zeit, da man mit den fragwürdigen Erzeugnissen einer abstrakten
Kunst gespeist wird, tut es wohl, für eine Weile sein Auge auf einem Werk
der gegenständlichen ruhen zu lassen. Und während man gehalten ist,
sich an die „Kunst im Unterwegs" zu gewöhnen, erfreut man sich des
sozusagen verpönten Genusses einer Darstellung, die noch ganz im Bann
einer großen Uberlieferung steht. Girodet, einer der Meister der französischen
Romantik, hat den blutigen Kampf festgehalten, mittels dessen Bonaparte
die ägyptischen Aufständigen in der Hakim-Moschee niederwarf. Diese ,, Re-
vokes de Caire" laden auch darum zur Betrachtung ein, weil große Histo-
rienmalerei von den Fanatikern der modernen Kunst verschmäht wird. Man
darf dem mit Gewißheit entnehmen, daß ein bedeutender Gegenstand des
Entdeckers harrt.
Aus dem Kampfgewimmel, das den Rahmen zu sprengen scheint, sei die
Mittelgruppe herausgegriffen. Ein junger, vornehmer Mameluke ist unter
tödlichem Stoß zusammengesunken. Bleich, mit edlen Gesichtszügen, hebt
er sich durch seinen angeborenen Adel von den dunkelhäutigen Arabern
und den braungebrannten Dragonern ab, die gegen ihn andrängen. Zirkassier
oder Lesghier, wie die Mameluken zumeist, entstammt er einer reineren
und edleren Welt. Wie alles Vollendete, trägt er den frühen Tod in sich.
Klaglos sinkt er zurück, nichts entstellt das im Sterben verklärte Antlitz.
214 DICHTUNG
Ein Krummsäbel entfällt der Rechten, und das kostbare, mit den Pelzen
seiner nördlichen Heimat umsäumte Gewand umhüllt den Gefallenen gleich
einem Bahrtuch. Der Tod ihres Herrn hat die Diener zu wilder Rachsucht
entflammt. Ein unbekleideter Hüne hat mit der Linken den niedersinkenden
Körper des Toten gefaßt, mit der Rechten holt er zum Hieb aus.
Aber schon entblößt er in verhängnisvoller Unachtsamkeit die eigne
Flanke, sich nackt dem wohlgezielten Stoß darbietend. Der andrängende
Dragoner, mit einem Helm nach römischer Art angetan, hat den Umhang
des Bedrohten ergriffen. Im nächsten Augenblick wird die Wagrechte des
gezückten Degens in das muskulöse Fleisch des Gegners eingedrungen sein,
wird über dem gefallenen Herrn der getötete Diener zusammensinken.
Vergeblich sucht ein schwarzer Sklave, ans Bein des stehenden Genossen
sich klammernd, vom Boden her mit gezücktem Handschar gegen den
andringenden Sieger einen Stoß zu führen. Der Neger umfängt mit der
Linken seine Beute, den abgeschnittenen Kopf eines Franzosen. Doch man
weiß: ein zweites Mal wird ihm solcher Triumph nicht zufallen. Die Schlacht
zu seinen Häupten ist, obwohl noch in der Schwebe, in Wahrheit bereits
entschieden.
Furchtbarer Kampf der Leidenschaften: entfesselter Orient, der um das
nackte Leben kämpft; demgegenüber die disziplinierte Truppe in antikischer
Bewaffnung, gleich einem ehernen Fatum vorrückend und den Gegner
niederwerfend. Hier verzerrte Wut und funkelndes Auge, dort die grau-
same Entschlossenheit, der kein Erbarmen in den Weg tritt. Nur im Tod
verklärt sich, was im Leben Beute der Leidenschaften und menschlichen
Geworfenheit war. Dem Antlitz des zusammensinkenden Mameluken ent-
spricht der Ausdruck des abgetrennten Hauptes, das in der Hand des
Negers ein eignes Leben weiterführt: erstarrt gleich der Meduse und von
der geheimnisvoll-wissenden Schönheit Johannes des Täufers, wie ihn
Leonardo gemalt hat.
Seltsame Umkehr dessen, was man erwartet. Der Sieger bleibt gleichsam
im Dunkel der Anonymität. Er gewinnt den Kampf, aber er gewinnt, ohne
dafür die Anteilnahme des Künstlers und des Betrachters einzutauschen.
Man registriert die Tatsache, aber man tut nicht mehr. Der riesenhafte
Kämpfer, der gegen den Untergang mit aller Kraft seines aufgereckten
Körpers sich stemmt, und mehr noch sein Herr, den die Majestät des Todes
bereits umfängt, beanspruchen ausschließlich das Mitgefühl. Auch der
Franzose, der dieses Bild geschaffen hat oder für den es bestimmt war —
9- TRAGIK ALS GESCHICHTLICHE FORM 215
überhaupt jeder, der die Szene in sich aufnimmt, muß auf die Seite des
Besiegten treten. Niemand würde bereit sein, diesen die geringsten Chancen
zu gewähren. Doch eben die Unausweichlichkeit eines Geschicks, das sie
jeder nach seiner Weise auf sich nehmen, sichert ihnen die Teilnahme.
Es wurde gesagt, Girodets Werk stehe innerhalb einer langen Über-
lieferung. Da sind die Amazonenkämpfe auf den Reliefplatten des Mauso-
leums von Halikarnassos. Man hat im Britischen Museum oftmals vor
ihnen gestanden. Bei aller Bewunderung für die gestrafften, langgliedrigen
Körper ihrer Gegner, ihrer kriegerischen Leidenschaft, der Bravour ihrer
Posen, versammelt sich alles Mitgefühl auf Seiten der kämpfenden Frauen.
Man weiß, daß ihre Tapferkeit aussichtslos ist, und man zittert um ihr
Schicksal. Unvergeßlich die hochaufgerichtete Schöne, die mit dem Doppel-
beil sich wehrt. Kämpferische Leidenschaft hat ihre herrlichen Gluteen den
Blicken freigegeben: angesichts des Unterganges enthüllt sie ihr Geheimstes,
gleich dem apollinischen Schwan, dem erst die Todesstunde die Gabe des
Gesanges entbindet.
Das Mosaik mit der Alexanderschlacht in Neapel — wie fern ist auch
auf ihm der Sieger gerückt. Am linken Rand auftauchend, drängt er heran,
die Niederlage des Gegners zu vollenden. Und doch scheint eine Fügung
ihren Lauf zu nehmen. Mit weitgeöffneten Auge erschaut Alexander, was
sich vor ihm abspielt, was den Blick auch des Betrachters fast ausschließlich
festhält. Der Großkönig zur Flucht mahnend, wobei sein Gefährt sich rück-
wärts kehrt; ineins damit Verwirrung der Seinen, die auf ihren Herrn schauen
und der Gefahr des eignen Lebens nicht achten. Während der Makedone
mit seinen Reitern gestreckten Laufes herbeieilt, wendet sich das königliche
Gefährt langsam, fast widerwillig: weder das Drängen des Inhabers noch
die Geißel des Wagenlenkers vermag den Vorgang zu beschleunigen, von
dem doch alles abhängt. In diesem Augenblick opfern sich zwei der Getreuen:
der eine, indem er sich der Lanze des Siegers entgegenwirft; der andere,
indem er das eigne Pferd dem bangenden Herrscher zur Verfügung
stellt.
Dieses Pferd, in kühner, aber überzeugender Verkürzung gegeben, weist
erneut auf das Gefährt hin. Es akzentuiert die Situation, rückt den König
in den Mittelpunkt, aber indem es rechtwinklig zur Bildfläche gestellt ist,
verbindet es, was auf dieser sich abspielt, mit dem Beschauer. Dem besiegten
Herrscher wird, wenn er das Tier besteigt, der Ausweg zu uns offenstehen,
die wir seine Rettung mit Spannung verfolgen. Gleich jener Amazone, die
216 DICHTUNG
in höchster Not den Rücken dem Betrachter zukehrt, als finde sie bei diesem
Deckung und Rückhalt. Indessen schreitet auch in dieser Schlacht das
Schicksal voran: ein Gehege von Lanzen, aufrechter und gefällter, umrahmt
und umzackt, was sich an Unabwendbarem vollzieht.
Lanzen und senkrecht zur Bildebene gestelltes Pferd vermitteln den
Schritt zu Velasquez' „Übergabe von B r e d a " ; die Lanzen hatten dem
Bild einst den Namen gegeben. Erneut diese Teilnahme am Schicksal des
Unterlegenen, und der spanische Sieger erweist sich als solcher, indem er
seiner Teilnahme ritterlichen Ausdruck verleiht. Auch Goyas „Erschießung
der Geiseln" gehört in diese Reihe. Licht fällt auf die Todgeweihten allein,
während die Exekutoren sich zur bloßen Kulisse, zur Maschine zusammen-
schließen, die erhaltene Befehle mechanisch ausführen.
Merkwürdig, daß Verherrlichung des Sieges in antiker und europäischer
Kunst kaum jemals sich durchzusetzen vermochte. Das gilt von Raffaels
Stanze, die Konstantins Sieg an der Milvischen Brücke darstellt; die Be-
deutung des Heliodor-Freskos liegt in anderem als geschichtlichen Bereich.
Siegesszenen der Neueren haben ohnedies ihren Lohn dahin. Was wiegen,
darstellerisch gesehen, Napoleons Schlachten erfolge gegenüber der Tragödie
von Waterloo!
Nun das Gegenbild! Die Kunst der Pharaonen hat nur einen geschicht-
lichen Vorgang gekannt, den sie in unzähligen Fassungen mehr wiederholte
als daß sie ihn abgewandelt hätte. Auf den Pylonen der Tempel von Medinet
Habu und Luxor, auf den Pylonen und dem Säulensaal des großen Tempels
von Karnak sieht man den Herrscher hoch zu Wagen als Jäger und sieg-
reichen Kämpfer. Wildes Getier und den menschlichen Gegner wirft er
mit dem Streitkolben nieder, ereilt er mit nimmer fehlendem Schuß, tritt
er in den Staub. Der besiegte Feind demütigt sich vor dem Gottgleichen,
die Gefangenen krümmen sich unter den Fesseln oder werfen sich zur Erde.
Nirgendwo ein Zug, der verriete, daß menschliches Schicksal, menschliche
Tragik auch hier walte: alles erschöpft sich im gnadenlosen Ausdruck groß-
königlicher Gewalt.
Selten zeigt sich derart, welche Weiten uns von dieser Kunst trennen.
Bebilderte Bücher von heute wählen zumeist den Ausschnitt aus der
Gesamtdarstellung, um diese erträglich zu machen. Gebärde und Physio-
gnomie der Gefangenen, Bittflehenden, Dahingeschleppten, der Todes-
kampf des getroffenen Wildes treten — unwillkürlich, möchte man sagen —
in den Vordergrund; sie bringen uns dieses Fremde, dieses so ganz anders
9· T R A G I K ALS GESCHICHTLICHE FORM 217
Geartete „nahe", indem sie es aus dem Zusammenhang reißen und ver-
fälschen. A m Bilde des siegenden Pharao hat noch niemand Gefallen zu
gewinnen vermocht.
Man weiß vom tragischen Zeitalter der Griechen; man weiß auch von
den Berührungen zwischen Tragödie und Geschichtschreibung, Sophokles
und Herodot, Euripides und Thukydides. Weniger geläufig ist, daß sich
eine der großen Ubergangsepochen der Weltgeschichte als tragisch ver-
standen hat. Gemeint sind die Jahrhunderte, da das ausgehende Altertum
sich anschickte, von der geschichtlichen Bühne abzutreten und einer neuen
Welt Platz zu machen. Spätantike und mittelalterliche Frühe haben eine
Reihe von Gestaltungen geschaffen, die alle den tragischen Untergang des
eignen Volkes gestalten. Die ihn weder zu erklären noch zu entschuldigen,
ihn auch nicht psychologisch zu deuten suchen, sondern den Vorgang in
seiner ungebrochenen Größe groß und einfach hinstellen.
ΙΟ. K A P I T E L
HELDENLIED
Das Lied von der Burgunden Untergang steht in einer langen Reihe
ähnlicher Heldenlieder. Im Gegenstand berührt es sich mit dem altnor-
dischen Lied von der Hunnenschlacht (oben i , 354f.): beidemale geht es
um die kämpferische Auseinandersetzung mit dem unheimlichen asiatischen
Volk. Wie manches andere Stück der altnordischen Dichtung hat man das
Lied von der Hunnenschlacht auf ein gotisches Vorbild zurückgeführt 1 .
Und mit den Goten ist man zu dem germanischen Stamm gelangt, der das
Heldenlied, der allgemeinen Ansicht nach, zugleich geschaffen und auf
seinen ersten Höhepunkt geführt hat 2 .
Durch neue Beobachtungen und nicht zuletzt durch neue Funde hat
sich dieses Bild gewandelt. Den Goten als Schöpfern des Heldenliedes
scheinen in den Nordiraniern und in deren Gefolge auch in den Hunnen
Mitbewerber zu erwachsen. Die Beantwortung der Frage, von wem der
Anstoß ausgegangen sei: den Ostgermanen oder ihren Gegnern jenseits des
Don, ist um so schwieriger, als beide in unmittelbarer Nachbarschaft
wohnten. Das Lied von der Hunnenschlacht spielt auf diese Nachbarschaft
an, und eben die Ostgoten, die von beiden Stämmen zunächst als Schöpfer
des älteren Liedes in Betracht kommen, saßen bis zum Don. Pervasis
Halanorum regionibus quos Greuthungis confines Tanaitas consuetude nomi-
navit läßt Ammianus Marcellinus (31, 3, 1) die Hunnen nach Westen vor-
dringen.
Von vornherein dürfen Alanen und Hunnen die frühesten Zeugnisse
für sich buchen. Attilas Grablied (oben 1, 240f.) zeigt das Bestehen einer
Liedform, die nicht nur Alter, sondern auch hohen Rang beanspruchen kann.
Sie besitzt bereits einen festen Stil, und dessen, was diesen prägt, weiß man
Begräbnis und Leichenkult unverkennbar. Wenn noch nötig, ist die Ent-
stehung all dieser Dichtung bewiesen: Heldenlied war ursprünglich ein
Totenlied. Aber erneut muß vermerkt werden, daß nicht weniger deutlich
als solcher Ausgangspunkt die nachträgliche Lösung von diesem sich fest-
stellen läßt.
Es ist der in beiden Inschriften, besonders in der aramäischen, ver-
wandte Redetypus έ γ ώ είμι, der den Hinweis gibt. Die Verwendung dieser
Form bedeutet eine Besonderheit gegenüber dem germanischen Lied und
dem hunnischen, zumindest dem westhunnischen. Denn im hunnischen
Osten stellt sich sofort die Entsprechung ein. Eigner Lobpreis, der aus dem
Mund des hephthalitischen Königs von Sümän ertönt, bedient sich gleich-
falls der feierlichen Ich-Prädikation (oben 2, 96f.). Zugegeben, dieser
König spricht seine Worte, bevor ihn der Untergang ereilt. Aber er
ahnt nichts von dem Kommenden, und nur für den, der dem Lauf der
Ereignisse folgt, besteht dieser Zusammenhang. Anders ausgedrückt: ein
Bezug auf den Tod ist noch vorhanden, und gerade für den Hörer, der diese
Worte vernahm, mochte diese Beziehung sich einstellen. Er mochte ahnen,
daß Unvermeidliches bevorstand. Aber die Ich-Prädikation folgte nicht
dem Tod, sondern ging ihm voran. Jetzt war auch sie aus der Verhaftung
mit dem Grabkult gelöst und folgte in ihrer Anordnung rein dichterischer
Gesetzlichkeit.
Aus der gleichen Zeit wie der Untergang des Königs von Sümän mögen
jene Lieder stammen, von denen Narsahi wußte: kln-i Siyävus, von der
Magierschaft Buchärä's am Neujahrsfest gesungen. Sie feierten Jahr für
Jahr den Tod des Helden, wurden von Priestern einer Religion vorgetragen
und von deren Gemeinde vernommen (oben 2, 97). Davon hat sich der
Tod des Hephthalitenkönigs von Sümän gelöst, ebenso, wie er sich der
dinglichen Verhaftung mit Grabstein und dessen Inschrift entledigt hat.
Geblieben ist nur eines: jenes Tragische, das mit dem Untergang eines
Helden gegeben zu sein pflegt. Aber dieser Tod ist nicht mehr Einzelfall:
er steht für den Untergang des eignen Volkes, seiner Größe und seiner Frei-
heit. Und so ist denn nicht nur der König Sümän's, sondern als dessen
Gegenbild, der Herrscher Samarkands, in das Geschehen einbezogen.
Wiederum kann nicht gezweifelt werden, daß die Stufe, darin allein die
ideale Gesetzlichkeit der Dichtung sich ausdrückt, erreicht ist. Mehr noch:
was aus dem angeführten Stück spricht: der Schmerz um den Untergang
des Volkes, dessen Unvermeidlichkeit, aber auch tragisches Geschehen und
ΙΟ. HELDENLIED 221
tragische Stimmung stellen die Verbindung zum Lied von der Burgunden
Untergang her. Alles, was das germanische Heldenlied kennzeichnet, ist
irgendwo in dessen hunnischen und alanischen Vorgängern bereits vor-
handen. Kämpferische Tat ebenso wie das große Schicksal über ihr; eigne
Macht und Stärke, die an dem, was ,die Nome sprach', zerbricht und zu-
gleich sich behauptet; ins Tragische gesteigertes Heldentum als Maß der
Dinge 4 . Seltsam und zugleich kennzeichnend, daß diese Form auch an der
Auseinandersetzung mit dem hunnischen Gegner gewachsen ist, und wenn
die vorgetragene Auffassung zutreffen sollte, mittels einer dichterischen
Form, die dieselben Hunnen zuvor geprägt hatten.
In der Tat stehen die beiden Inschriften aus Mchet'a in einer weit
zurückreichenden Überlieferungskette. Beide bedienen sich des Redetypus
έ γ ώ ε(μι, und beide zeigen Verse, die in einem Fall der Prosa eingefügt sind.
Während die Bilinguis eine Grabinschrift ist, gibt die zweite Inschrift
einen Tatenbericht. Zwei altaramäische Inschriften, die eine der ersten
Hälfte des 8. Jahrhunderts v. Chr., die andere dem 7. zugehörig, geben
für beide Fälle die ältesten Beispiele.
* F. R. Schröder, a. O. 351.
222 DICHTUNG
Das jüngere Stück ist eine Grabinschrift, gemeinhin als Nerab II be-
zeichnet. 2 . Sie ist von einem Priester des Mondgottes gesetzt. A u c h sie
spricht zunächst in der 3. Person: „(Stele) A g b a r ' s , Priesters des Mondgottes
in Nerab. Dieses ist sein Bildnis". Dann setzt auch hier der Ich-Stil ein:
„Meiner Gerechtigkeit zufolge . . . " und so fort bis zum Ende der zehn Zeilen
umfassenden Inschrift. Der Ich-Stil ist mit äußerster Folgerichtigkeit durch-
geführt. Wird doch betont, um seine A n w e n d u n g zu erklären, daß der
T o t e sehen und sprechen könne. Es folgt die Frage: „Mit meinen Augen,
was sehe ich ? " Der T o t e sieht alle, die an seinem Grabe trauern. Z u m Schluß
wendet er sich an solche, die der Versuchung unterliegen sollten, sein G r a b
zu schänden. Die Götter würden ihnen schlimmen T o d schicken und die
Nachkommen verderben.
Bisher hat man die Inschrift als Prosa gelesen, zumal sich eine Abteilung
von Versen nicht erkennen läßt. Wenn liier Verse vermutet werden 3 , so
hegt eine Schwierigkeit darin, daß man die Vokalisierung meist schwer
fassen kann. W o die Matres lectionis fehlen, ist man auf Rückschlüsse a u s
späteren S p r a c h s t u f e n angewiesen. Immerhin scheint es möglich, wenn
auch nicht die genaue A u s s p r a c h e , so doch die Silbenzahl der W o r t e m i t
hinlänglicher Sicherheit festzulegen.
V o n vornherein darf man Siebensilbler erwarten, u n d diese stellen sich
denn auch bei der V e r f l u c h u n g s f o r m e l z u m S c h l u ß ohne Weiteres ein:
man at(t) ti'tak w-tihnasnl η
ihar w-nekal w-nuSku yhab'&ü η
mmätteh w-ahnteh ti'bad η
„ W e r immer du m i c h schädigst und r a u b s t ,
N e k a l und N u s k u sollen schlimm gestalten
seinen T o d , und seine N a c h k o m m e n s c h a f t soll zugrunde g e h e n " .
Die V e r f l u c h u n g s f o r m e l , aus d e m A k k a d i s c h e n ü b e r n o m m e n , ist hier in
Verse u m g e s e t z t w o r d e n 4 .
Vergleicht m a n d a m i t die beiden Inschriften aus M c h e t ' a , so zeigt sich,
d a ß die Bilinguis als Grabinschrift z u N e r a b I I , die zweite Inschrift als
T a t e n b e r i c h t zur Stele des Ζ kr gehört. D i e R e d e in i . Person ist beidemale
g e w a h r t und im F a l l der Bilinguis auch die Verse. N u n erscheinen diese
auch in der zweiten Inschrift. D i e V e r w e n d u n g solcher Verse zugleich im
T a t e n b e r i c h t ist Ü b e r t r a g u n g aus der Grabinschrift, w o sie ursprünglich
heimisch sind. D a s ist eine Neuerung, und d a ß sie in Grusinien geschehen
ist, zeigen die sonstigen T a t e n b e r i c h t e , die, im Ich-Stil a b g e f a ß t , aus der
Folgezeit erhalten sind 5 .
D a sind die meisten der altpersischen Königsinschriften, vor allem
D a r e i o s ' I. Inschrift von B i s u t ü n : T a t e n b e r i c h t e , darin der Herrscher in
i . Person spricht. In ihrer N a c h f o l g e stehen die Inschriften der frühen
Sasaniden, darin wiederum der G r o ß k ö n i g sich in der I c h - R e d e vernehmen
l ä ß t . E s folgen die Inschrift (Adulitana II) des ungenannten K ö n i g s von
A k s ü m , die K o s m a s Indikopleustes (104 Cf.) b e w a h r t h a t ; dann die R e i h e
der griechischen, sabäisch und äthiopisch geschriebenen T a t e n b e r i c h t e des
' E z ä n ä · u n d in dessen A r t , aber weit später v e r f a ß t , die des Hasäni D ä n ' e l 7 ,
sei daran erinnert, daß C. C. Torrey gezeigt hat, daß das Vaterunser in Lukas' Fassung,
übersetzt man es ins Aramäische zurück, siebensilbige Verse ergibt: Zeitschrift für
Assyriologie 28 (1913), 312f.; vgl. Journ. Amer. Orient. Soc. 46 (1926), 241.
5 W . Dittenberger, Orient. Gr. Inscr. sei. 1, 285f.
7 E. Littmann, a. O. 43t.
224 DICHTUNG
aus Aksüm. Den Abschluß bildet die Inschrift König Silko's von Nubien 8 .
Alle sind sie in Prosa abgefaßt, gewiß in feierlich und kunstvoll stilisierter,
aber der Vers ist gemieden. Nur dort ist er geblieben, wo er mit der zweiten
Inschrift von Mchet'a eingedrungen war: bei den Nachbarn der Alanen,
will sagen: den Hunnen. Die beiden Sänger, die an Attilas Hof άσματα
πεποιημένα über die Taten und Siege des Herrschers vortrugen, haben dies
in Versen getan. Sie haben noch einen zweiten und dritten Schritt getan:
sie haben sich von der Inschrift gelöst, und sie haben von dem, dessen
Lob sie sangen, in 3. Person gesprochen 9 .
Damit ist man erneut an das Heldenlied nahe herangekommen. Natürlich
müssen nicht die beiden, uns unbekannten Sänger die Neuerungen ein-
geführt haben. Es mögen mittelbare oder unmittelbare Vorgänger gewesen
sein; das entzieht sich der Ermittlung. Entscheidend ist, daß der Bruch
mit dem Vorbild, das die aramäische Dichtung darbot, von den Nomaden
Osteuropas, Alanen und Hunnen, vollzogen wurde. Und daß dem so ist,
zeigen einige Angaben, die über ein weiteres Nomadenvolk, das im gleichen
Raum erstmals hervortrat, sich erhalten haben. Wir verdanken den Hinweis
unserem Freunde M. de Ferdinandy: es sind die alten Ungarn.
C. A. Macartney 1 0 bemerkt über die ältesten geschichtlichen Erinnerun-
gen, von denen man hört: ,,A salient trait of this type of .literature' was
its personal character. It dealt almost exclusively with the origins and the
exploits of individual champions. To this fact — which we could in any
case have deduced from the character of the material which has come
down to us — we have the explicit witness of more than one chronicler.
Anonymus, in what is almost certainly a quotation from some old epic,
writes of certain of his heroes that, after a victory, ,they rejoiced greatly,
and held a banquet, and each one extolled himself for this victory'. Another
writer explains the belief that Hungary was conquered by seven captains
alone by saying that the seven chief leaders had songs made up in their
own praise, in order to monopolize the credit".
Die erste der angeführten Stellen findet sich beim Anonymus im 22.
Kapitel 1 1 und lautet: Tunc Tuhutum et füius suus Horca de Ziloc egressi
venerunt in partes Mezesinas ad Zobolsum et Thosum et, cum se invicem
8 W. Dittenberger, a. Ο. 1 Nr. 301.
• Die griechische Fassung der Bilinguis steht auf besonderem B l a t t , vgl. oben
1, 248.
10 The Medieval Hungarian Historians (1953) 2.
11 SS. rer. Hung. 1, 64.
10. H E L D E N L I E D 225
15 Altheim, Hunnen I V
226 DICHTUNG
16·
228 DICHTUNG
χαγαη, genauer eines solchen der Akatziren, als unrichtig erwiesen14. Aber
daß Wendungen und Vorstellungen aus Säpür 's I. Tatenbericht in Naks-i
Rustam sowie der Inschrift von Päiküli übernommen sind, steht außer
Zweifel 17 .
Mehr noch: Attila's Grablied spricht von dem, der dahingegangen ist, in
der 3. Person wie das entstehende Heldenlied. Die Hochschätzung derer,
die im Kampf gefallen waren, zeigt Claudians occisos pulchrum iurare
parentes (In Ruf. 1, 328). Von dieser Wertung hat sich das Lied gelöst
(oben 1, 246), aber die Beziehung zum Begräbnis beibehalten. Einen end-
gültigen Schritt bedeutet die Geschichte des letzten Königs von Sümän:
diesmal fehlt die Beziehung zu Grab und Totenklage, und vom Geschehen
wird in der 3. Person berichtet. Nur dem König wird im Rahmen der
Erzählung die Ichrede und das Selbstlob in den Mund gelegt. Aber beides
ist zu etwas Neuem geworden: zum Ausdruck einer tragischen Verkennung
dessen, was dem Sprechenden bevorsteht. Es geht nach Stoff und Gehalt
dem Heldenlied parallel und, wenn man den Vergleich mit den Magiern und
ihrem kin-i SiyävuS anerkennt, war es geradezu Gegenstand einer Lied-
dichtung. Dann wäre man erneut in den Bereich des Heldenliedes ge-
langt. Und es hätte sich bestätigt, was sich im ersten Abschnitt ergeben
hatte.
Unnötig, über das Gesagte hinaus die Entwicklung der Grabinschrift
zu verfolgen. Immerhin darf darauf verwiesen werden, daß die beiden
alttürkischen Orchoninschriften zu Gräbern gehören 18 . Der Tote spricht
nach alter Art in der 1. Person, aber die Dichtung ist verschwunden, und an
ihre Stelle ist der Tatenbericht in ausgeprägter Form getreten. Auch darin,
daß die prosaische Form wieder erscheint und damit gleichsam das Älteste
zurückgekehrt ist. Die gemeinsame Geschichte der ursprünglich getrennten
Formen, des Tatenberichtes und der Grabinschrift, ist noch einen Schritt
weiter geführt.
Noch ein Letztes mag bemerkt werden. Zuvor hatte sich die Scheidung
zwischen spätarsakidischer und frühsasanidischer Form einerseits, spät-
sasanidischer andererseits ergeben. Dabei war an Geldwesen und Heer
gedacht worden, und jetzt scheint sie sich auch für die Dichtung als wesent-
16 W. B. Henning, „A Farewell to the Khagan of Aq-Aqatäran", in: BSOS.
14, 501. Dazu vgl. den Anhang: „A Farewell to Niqätör Äwänä" S. 229 f.
17 Dazu vgl. den ausführlichen Nachweis oben 1, 243—245.
18 Thomsen-Schaeder in: ZDMG 78 (1924), 138; 140.
ΙΟ. HELDENLIED 229
Anhang: A F a r e w e l l t o N i q ä t ö r Ä w ä n ä
ι
Der Titel nimmt jenes ,,A Farewell to the Khagan of Aq-Aqatärän" auf,
das W. B. Henning über seinen Beitrag zur Minorsky-Festschrift gesetzt
hat 1 . Dieser Aufsatz besitzt das Verdienst 2 , E. Herzfeld's Lesung von
Päiküli 18: ]n 'L h'k'n ZY {'kk)tl'[n\. L..ph[ und die Deutung auf den
Qayan der Ά κ ά τ ζ ι ρ ο ι beseitigt zu haben. Henning schlägt stattdessen vor,
unter Verbindung der mittelpersischen mit der parthischen Fassung zu
lesen:
Mittelpers. 18: ]« 'L h'd'n ZY. dktl'.
Parth. i 6 \ ]r HWHnt hmy'bdyn[
„they all ( = hmy-'bdyn) came to Häyän of . D K T L ' . " Gemeint sind der
Hargupet Säpuhr „und die anderen Perser und Parther", die Narseh bis
zu dem genannten Ort entgegenkamen. Henning gibt dazu eine ausführ-
liche sprachliche Erläuterung. Sie soll im Folgenden geprüft werden.
Zunächst beschäftigt sich Henning mit der Deutung des von ihm ge-
lesenen h'd'n3. Er zieht zwei unveröffentlichte manichäische Bruchstücke
in mittelpersischer Sprache heran, in denen h'y'n'n und h'y['n begegnen.
Diesen weist er die Bedeutung „couch", „resting place", „mansion" zu und
bringt sie mit h'd'n zusammen. Daran schließt sich eine Ableitung von
*hädan- oder *hädäna- unter Hinweis auf altind. sädana-, altpers. und
awest. hadiü-, Ιδος, sedes. Als Grundbedeutung sei „seat" anzunehmen.
Sogleich stellen sich Einwände ein. Gleichsetzung von häyän und h'd'n
ist gewiß nicht zu beanstanden, wohl aber die vorgeschlagene Ableitung.
Sowohl *hädan- wie *hädäna- befriedigen nicht. Im ersten Fall bleibt der
lange Vokal in der zweiten Silbe von häyän unerklärt; im zweiten bestätigt
1 B S O A S . 14, 501.
1 D a ß der Teil des Aufsatzes, darin Akatziren und Chazaren behandelt sind, nicht
zutrifft, ist: E i n asiatischer Staat 1, 288f. und unten S. 2 7 4 ! gezeigt worden.
» a. O. 5i6f.
230 DICHTUNG
Vergleich mit altind. sädana-, daß man auf diesem Weg zu h'd'n, häyän
mit langvokaliger zweiter Silbe nicht gelangt. Henning selbst sind Bedenken
gekommen. An späterer Stelle 4 bemerkt er: „the ending -än, in place of the
expected -an, made that explanation not too attractive; it was merely in
the nature of a working hypothesis".
Statt dessen wird eine zweite Deutung vorgeschlagen. Doch bevor darauf
eingegangen sei, mag auf den Namen der Stadt Mekka hingewiesen werden,
der nach seiner Bedeutung eine Parallele zu dem von Henning angezogenen
h'y'n'n und h'y['n bildet.
Im Syrischen bedeutet mak (mkk) trans, „stravit, prostravit, extendit",
intrans. „subsedit", makkä „humilis" und makkätä „humilitas". Makkä
wird in örtlichem Sinn von den syrischen Geoponikern (ed. Lagarde [i860]
29, 17) gebraucht (C. Brockelmann, Lexic. Syriac. 2 384 r.). Dem ent-
spricht die Verwendung von jüd.-aram. makkik: es begegnet als Attribut
zu türä „ B e r g " , also türayyä makklkayyä (J. Levy, a. Ο. 3, 113 1.). Setzt
man makkä oder makkät(ä) „Niederung" an, so ergäbe sich die zu verlan-
gende Bedeutung des Namens Mekka. Das ,,kornlose T a l " (Sur. 14, 40)
hätte, gleich seiner Nachbarstadt Medina, einen aramäischen Namen ge-
tragen. Dieser hätte die Senkung bezeichnet, den batnu makka, darin
K a ' b a und Brunnen Zamzam liegen, und wenn Sure 3, 90 dafür bakka,
Niketas Choniates (Migne, Patrol, graeca 140, 132) Βάκχε bringen, so ist
das Übersetzung ins Arabische. Denn bakka bezeichnet wiederum das
Tal Mekkas und gehört zu bakka, das trans, „presser", intrans. „com-
pressus fuit" bedeutet.
Daß Makoraba bei Ptolemaeus, geogr. 6, 7, 32 (var. 1. Μακόβαρα)
nichts mit dem Namen makka zu tun hat, ist anerkannt (Buhl-Schaeder,
Das Leben Mohammeds [1930] I02f.). Glasers Deutung als „Heiligtum"
gründet sich auf äthiop. mekräb „locus propinquus, propinquitas, locus
ubi conveniunt" (C. F. A. Dillmann, Lexic. ling. Aethiop. [1955] 427). Nach
F. Praetorius in: ZDMG. 61 (1907), 6 2 i f . bedeutet das Wort auch „Heilig-
tum, Tempel". Sab. mkrb = mikräb, makrab scheidet wegen des anderen
Gutturals und der Vokalisierung aus. Grohmann in: R E . 14, 807f. führt
noch Plin., n. h. 6, 150 portus Mochorbae (var. 1. Mocorbe, Machorbae) an.
Auch da macht der Guttural Schwierigkeiten, und es ist nicht gesichert, ob
es sich um Mekka handelt. Ammian. 23, 6, 47 (bei Grohmann mit falscher
4 a. O. 520 Anm. 3.
10. H E L D E N L I E D 231
Stellenangabe) baraba muß zwar den Namen Mekkas enthalten, ist jedoch
verderbt. Arab, mukärab, makrab, makraba und makrüb scheiden aus
Gründen der Vokalisation oder der Bedeutung aus.
2
Damit kommen wir zur zweiten Deutung, die Henning vorgeschlagen
hat. Seinen Ausgangspunkt bildet diesmal der syrische Ortsname Nikätör-
Äwänä, für den er sich auf G. Hoffmann beruft 1 : ,,a place of unknown
situation within the confines of the Nestorian metropolity of Bet Garmai,
to which Paikuli and its neighbourhood belonged". Während .iktV. zu
Ny]dktl ergänzt wird ( = Nlkätör), soll jetzt h'd'n mit jenem äwänä von
Nikätör-Äwänä gleichgesetzt werden. Die Begründung lautet: altpers.
ävahana- „settlement, village" sei zu *ävän geworden, das in avana der
Kharosthi-Dokumente 2 , armen, awan, talmud. 'wwn', mand. 'w'n' und
dem entsprechenden syrischen Wort bewahrt sei. Im Mittelpersischen habe
sich *ävän zu *äyän, häyän weitergebildet.
Erneut stellen sich Bedenken ein. Das syrische Wort lautet nicht äwänä,
wie Henning vorgibt, sondern auwänä (awwänä), mit kurzem Vokal in der
ersten Silbe und nachfolgender Doppelkonsonanz. Dazu stimmt talmud.
'wwn'. Beides, kurzer Vokal und Verdoppelung von w, schließen eine Ver-
bindung mit ävahana- und *ävän aus 3 . Damit entfällt auch Henning's
Behauptung, auwänä sei ein iranisches Lehnwort im Aramäischen. Das
Syrische (um sich darauf zu beschränken) zeigt, daß eine gut bezeugte ein-
heimische Wortsippe vorliegt: ewä (vergl. arab. awä), auyä, auyütä, auwänä'it
uam. 4 Sie bestätigt, daß von einem iranischen Lehnwort nicht die Rede
sein kann. Der Tatbestand ist seit Th. Nöldeke's Darlegung unbestritten 5 .
1
Auszüge aus syr. Akten pers. Märtyrer 48 Nr. 4 1 7 ; 277.
2
T. Burrow in: BSOS. 7, 779.
s
Hennings Ansicht wird nachgesprochen v o n G. Widengren, Iranisch-semi-
tische Kulturbegegnung in parthischer Zeit 90. Da steht äwänä, wo es doch awwänä
heißt, im Syrischen und sonst, und keine Kunst kann dergleichen mit einem mittel-
iranischen ävän gleichsetzen. Die Sache ist von uns längst geklärt worden: Acme 8
(1955). 2 3f-; Südostforschungen 15 (1956) 6gf. Anhang 1. Das Richtige gibt F. Rund-
gren in: Orientalia Suecana 6 (1957), 56 Anm. 1. Bei dieser Gelegenheit sei bemerkt,
daß es mit der Schreibung des Syrischen auch sonst bei Widengren hapert: apadnä
S. 3of. und 1 5 7 statt äpadnä; aparsän S. 29 und 1 5 7 statt äparsänä; m'güüäyi S. 5 1
und 158 statt m'güläye, raurbäne S. 30 und 158 müßte gemäß der sonst bei Widengren
befolgten Schreibung raurbäne lauten.
4
C. Brockelmann, Lexic. Syriac.* 7.
6
Neue Beitr. z. semit. Sprachwiss. 190; Mand. Gramm. 136 und Anm. 1.
232 DICHTUNG
• a. O. 520 Anm. i.
7 Th. Nöldeke, Kurgef. syr. Gramm. 2 i 6 i f . § 212.
» a. O. 48.
• RE. s. ν. Νικοττόριον öpos S. 283.
1 0 G. Hoffmann, a. O. 277.
1 1 G. Hoffmann, a. O. 48.
RITTERROMAN
Mas'üdi 1 spricht von einem Buch der Perser, das von den Geschichten
(ahbär) des Bahräm Cöbin handelt. Gemeint war demnach ein in Pahlawi
abgefaßtes Buch 2 ; von einer Übersetzung sagt Mas'üdi nichts, obwohl er
seine Kenntnis nur aus einer solchen haben konnte. Genaueres gibt der
Fihrist. Auch er weiß von einem Buch des Bahräm Cöbin 3 ; wieder gehörte
es zu den persischen4, also in Pahlaw! geschriebenen. Als arabischen Über-
setzer nennt er Gabala b. Sälim, den Schreiber des Hisäm, der auch
sonst vom Persischen ins Arabische übersetzte5. In Hi§äm hat man den
berühmten Philologen und Antiquar, Hiääm b. Muhammad, genannt
Ibn al-Kalbi (gest. 206 H.), erkannt·.
Genauere Angaben über den Inhalt vermittelt allein Mas'üdi. Danach
las man darin von den Listen Bahräm's (makäyid) während seines Auf-
enthalts im Land der Türken. Genannt wird ein Ereignis: die Befreiung
der Tochter des Türkenkönigs von einem Wesen in Gestalt einer Ziege. Die
Prinzessin war von dem Untier geraubt worden, als sie sich inmitten der
Sklavinnen in ihrem Garten erging. Abschließend fügt Mas'üdi hinzu, das
Buch habe Bahräm's Leben vom Beginn bis zum Tod umfaßt und überdies
seine Abstammung mitgeteilt.
Das war also ein rechtes Buch der Abenteuer, das an mancherlei Fabu-
losem nicht vorüberging. Aber es bleibt zu fragen, ob es dies immer und
überall war. Möglicherweise gab es verschiedene Fassungen. Nöldeke, dessen
Abhandlung über den Roman Bahräm Cöbin's7 noch immer die Grundlage
* 305, 8.
5 244. 31 f-
* T. Nöldeke, Übers. 475.
* Übers. 474 f.
II. RITTERROMAN 235
bildet, nahm an, daß ein einheitliches Werk in verschiedenen Auszügen
vorliege: bei Dinawari und dessen „schwindelhafter" Erweiterung in der
Nihäyat al-irab fi ahbär al-Furs wa-l-'Ara}fi; im persischen Tabari; Firdüsi;
dann bei Tabari selbst und bei Ya'kübi.
Die Verschiedenheiten, die diese Autoren aufweisen, suchte Nöldeke
dadurch zu überbrücken, daß er von mehr oder weniger umfangreichen
Auszügen sprach 9 . Die Nihäyat hätte einen vollständigeren Text vor sich
gehabt als Dinawari; manche Handschriften des persischen Tabari hätten
die Geschichten Bahräm's einläßlicher gegeben als andere, und Mas'üdi
habe sich auf einzelne Züge beschränkt. So konnte Nöldeke glauben, die
Erzählung sei im ganzen überall die gleiche gewesen. Und doch mußte er
zugeben, daß Abweichungen im einzelnen vorhanden seien, „wie das bei
einem orientalischen Werk der Art von vornherein zu erwarten war 1 0 ".
Die Annahme mehr oder weniger vollständiger Auszüge steht im Wider-
spruch zu der Beobachtung, daß „Abweichungen in einzelnen Zügen" er-
kennbar seien, sofern es sich dabei um inhaltliche Unterschiede handelt.
Der erste Fall setzt ein gleichbleibendes Original, der zweite hingegen vor-
aus, daß dieses sich verändert hat. Eben dahin zielte die Vermutung, die
oben geäußert wurde.
Für die Unterschiedlichkeit ein Beispiel: Wie entstand der Konflikt
zwischen Bahräm und König Hormizd ? Nöldeke zufolge 11 wurde im Roman
des Königs Argwohn durch den Verdacht erregt, daß B. das meiste der
Beute aus dem Türkenkrieg unterschlagen habe. Die absichtlich zurück-
haltende Formulierung Nöldekes vermeidet die Entscheidung darüber, ob
jener Argwohn berechtigt war oder nicht. Und doch ist dies für Bahräm's
Beurteilung entscheidend, und dasselbe gilt für den Konflikt zwischen ihm
und Hormizd. Es besteht kein Zweifel darüber, daß Dinawari Bahräm
eine Unterschlagung nicht zuweist. Im Gegenteil: der Urheber des Ver-
dachts mußte sich diesem gegenüber entschuldigen (86, 1 4 ! ) und konnte
auf gütige Annahme rechnen (87, 12f.). Ebenso die Nihäyat 1 2 , aber anders
Ya'kübi. Hier heißt es, daß der Sohn des Chäkän, der Bescheid wissen
mußte, Hormizd über die Unterschlagung Bahräm's unterrichtet und daß
des Königs Vertraute (umanä') diesen Bericht bestätigen (1, 189, I5f.).
* E. G. Browne in: J R A S . 1900, 233f.
* übers. 476.
10 a . O .
M E. G. Browne, a. O. 237f.
236 DICHTUNG
M a. O. 241.
25a. O. 237 f.
" Th. Nöldeke. Ubers. 475!.
238 DICHTUNG
Daxaufhin fragt der König, warum Bahräm sich mit so wenigen Leuten
gegenüber 300 000 Türken begnüge. Bahräm antwortet mit Hinweisen auf
mythische Beispiele (82, 8f.). Rustam habe in ähnlichem Fall 27 auch mit
nur 12 000 gegen 200 000 gekämpft; ebenso Isfandiyär und Kaihusrau, der
mit 12 000 über 300 000 gesiegt. Anführung und Beweiskraft des mythischen
Beispiels werden noch öfter begegnen. Sie gehören zur ritterlichen Welt
dieses Romans. Hormizd entläßt Bahräm mit Ratschlägen und Ermahnun-
gen in den Krieg.
Der Chäqän der Türken, inzwischen durch einen gerissenen persischen
Unterhändler hingehalten (83, 4f.), versucht einen Gegenzug. Er bietet
Bahräm die persische Krone an (83, 13 f .). Dieser lehnt ab: Königtum gebühre
nur Angehörigen des königlichen Hauses, es sei nicht gestattet, daß es von
ihnen auf Andere übergehe (83, 14f.). Damit klingt zum erstenmal ein Haupt-
motiv an. Bahräm nimmt eindeutig Stellung im Sinn der im Roman ver-
tretenen These: der unbedingten Treue zum Sasanidenhaus. Er bewährt
sich als Gefolgsmann seines Herrschers. Hormizds Mahnung, das Maß nicht
zu überschreiten, denn Überheblichkeit treffe den Urheber (82, 17f.), hat
er beherzigt.
Aber neben der These steht die Antithese. Ebenso unbezweifelt wie die
Verpflichtung dem König gegenüber ist der einzigartige Rang des Helden.
Tragik beider ist, daß sie zusammenstoßen sollten.
Auch als Heerführer und Kämpfer bewährt sich Bahräm, indem er in
der Schlacht die Reihen der Türken durchbricht, den Chäqän mit eigner
Hand tötet (84, 1 f.). Nach dem Sieg äußert er sich friedliebend und maßvoll.
Einst hätten die Türken König Peröz getötet28, und die Perser mußten
mit ihnen Frieden schließen; jetzt sei der Chäqän gefallen, und die Türken
sollten sich gleichfalls zum Frieden bereitfinden (84, 8f.). Das geschieht
denn auch (84, 15 f.).
Hier zeigt sich eine weitere Eigentümlichkeit dieses ritterlichen Romans,
Perser und Türken werden gleichwertig eingeschätzt; der ritterliche Feind
wird geachtet. Alles vollzieht sich unter zeremoniösen Formen. Das zeigt
sich im Verkehr zwischen den Siegern, Hormizd und Bahräm, und dem
27
Zur Geschichte von Käwüs und Rustam vgl. Th. Nöldeke in: Arch. f. Reli-
gionswiss. 18, 5 7 7 f . ; R. Bleichsteiner in: Arch. f. Völkerkunde 8, 70 f.
28
Also waren hier „Türken" und Hephthaliten gleichgesetzt. Vgl. R. Ghirshman,
Les Chionites-Hephthalites 96f. Unrichtig M. J . Higgins, The Persian War of the Em-
peror Maurice 35 f.
II. RITTERROMAN 239
M Wir lesen 'wlw statt Guirgass' 'wlw'; vgl. Z. 17: kissat awwali hawärigihim.
a4 Offenbar hielt man solchen Münzstempel vorrätig für den Fall, daß der re-
gierende König stürbe.
II. RITTERROMAN 241
ab, um noch die Möglichkeit der Wiedereinsetzung Hormizds offen zu lassen. Ohne
diese Möglichkeit wäre die im folgenden beschriebene Handlung Bahräms, der die Her-
stellung der Herrschaft Hormizds erstrebt, unverständlich. Erneut soll die Hoffnung
erweckt werden, daß sich doch noch alles zum Guten wenden könnte.
je Altheim, Hunnen I V
242 DICHTUNG
griffen, sondern haben auch dem Sohn zum Thron verholten. Diese Haltung
werden sie beibehalten.
Als Bahräm von Hormizds Absetzung hört, fällt aller Zorn von ihm ab.
Ihn ergreift Scham und Mitleid: er zieht sofort gegen Chusrö in der Absicht,
Hormizd wieder auf den Thron zu setzen (89, if.). Als Chusrö davon hört,
verheimlicht er dem Vater Bahräm's Anmarsch und bereitet sich selbst
vor, den Gegner zu bestehen.
Bahräm's Absicht ist vorerst nur, Unrecht zu rächen und Hormizd
wieder einzusetzen. Seine Sache ist gerecht, was von der Chusrös nicht in
gleichem Maße sich sagen läßt. Im Roman gilt es als ausgemacht, daß das
Gerechte über kurz oder lang siegt. Vor allem gilt gegenüber dem Königtum,
daß dessen Sache ipso facto und immer die rechte bleibt. Solange Hormizd
lebt, hat er allein Anspruch auf die Krone, auch gegenüber Chusrö. Bahräm's
Tragik besteht freilich darin, daß eben die Treue zum alten König ihn in
Gegensatz zum neuen, zu Chusrö bringen wird.
Aber noch ist Bahräm eindeutig Anwalt und Vorkämpfer der Gerechtig-
keit. Dementsprechend erhält er jetzt eine Aristie, die ihn in hellstem Licht
strahlen läßt. Sein Bild spiegelt sich zunächst im Bericht; dann tritt er mit
eigner Tat und Rede hervor.
Denn das ist es, was der Kundschafter meldet: Bahräm's Heer hält im
Marsch feste Ordnung, vergreift sich nicht an der Bevölkerung und das
Erstaunlichste: der Feldherr verlangt, wenn er in sein Quartier eingeritten,
nach belehrender Lektüre, dem Buch Kalila wa-Dimna (89, 8f.). Chusrö
kann sich des tiefen Eindrucks nicht erwehren. Zu Bindöe und Bistäm
bemerkt er (89, 12f.): „Nie fürchtete ich Bahräm so sehr, wie ich ihn jetzt
fürchte, da ich höre, daß er das Buch Kalila wa-Dimna studiert. Denn dieses
Buch gibt dem Mann besseres Urteil und größere Festigkeit, als er zuvor
besaß, dieweil es feinsinnige und kluge Gedanken enthält".
Bei Nahrawän kommt es zur Schlacht. Bahräm reitet vor Chusrös
Reihen und ruft: ,,Zum Teufel mit euch, Perser, die ihr euren König ver-
schmäht. Auf, Leute: bereut vor (Gott), eurem Herrn, was ihr getan habt.
Kommt zu mir alle, auf daß wir die Herrschaft eurem König zurückgeben,
bevor Gott auf euch seine Strafe herabsendet" (89, 20—90, 2). Darauf ver-
lassen Chusrö alle außer wenigen, darunter Bindöe und Bistäm. Bahräm
hat sich erneut bewährt: er hat zur Königstreue zurückgefunden.
Chusrös verbliebene Anhänger raten ihm zur Flucht. Bei der Brücke des
GüSarz kommt es noch einmal zu einem Scharmützel (90, 11 f.) und dabei zu
II. RITTERROMAN 243
Später wird die Szene ihr Gegenstück erhalten, wenn Bahräm, gestürzt
und auf der Flucht, in der Bauernhütte einkehrt. Er wird dann, aus dem
Munde eines alten Weibes, das Urteil über sein Tun erhalten. Etwas
Ähnliches erwartet man auch für Chusrö in Hit, nur daß dessen Laufbahn
nicht abgeschlossen ist, sondern erst beginnt. Die Nihäyat hat an dieser
Stelle die Weissagung eines Mönchs3·, der Chusrö die Heirat mit der Tochter
des Kaisers, Niederwerfung der Feinde innerhalb einer bestimmten Zeit-
spanne und seine Regierungsdauer voraussagt. Ist darin etwas Ursprüng-
liches bewahrt? Dann müßte auch, was sich anschließt — die Äußerung
über Chusrös Nachfolger und die Herrschaft der Araber bis zum jüngsten
Tag 3 7 — , echt und ursprünglich sein.
Den Ausschlag gibt die Tatsache, daß der Mönch sich für seine Voraus-
sagen auf eine Danielapokalypse beruft. Daniel ist der Prophet, der von der
Abfolge der Reiche kündet, die alle ihre Zeit und ihre Stunde haben, von
denen aber keines Dauer besitzt. Yazdgard III. soll im Traum vor Gott
und Mohammed darum gefeilscht haben, wieviel Jahre er dem persischen
Volk noch gebe38. Es ist nur passend, daß der Mönch den Untergang der
Sasaniden heraufbeschwört und das Reich, das sie ablösen wird. So wie es
auch paßt, daß ihm, dem Apokalyptiker, der „Tag des Gerichts" als Abschluß
sich darstellt.
Also war der Roman erst unter arabischer Herrschaft verfaßt, und das
wird einen Schlüssel seines Verständnisses abgeben. Dann muß auch eine
weitere Prophezeiung des Mönchs ursprünglich sein: Bistäm, an dessen
Schulter sich der flüchtige Chusrö lehnt, werde sich gegen seinen Herrn
erheben. Daraufhin nimmt dieser Bistäm den Eid ab, solches nie zu tun.
Auch diesem Treuesten wird dereinst der Konflikt nicht erspart bleiben.
Zukünftiges, das sich — vorerst nur in dunklem Bilde — abhebt, bestätigt
sich durch das, was mit dem zweiten Getreuen, was mit Bindöe sich er-
eignet.
Die Mönche melden das Nahen von Reitern. Bahräm hatte in der Haupt-
stadt Hormizd tot vorgefunden, was Bahräm's Zorn gegen Chusrö noch
vermehrt. Er schickt seinen Namensbruder Bahräm, Sohn des Siyäwuä 39 ,
mit ι ooo Reitern hinter den Flüchtigen her. Jetzt sind diese von Übermacht
86 E. G. Browne, a. O. 239.
87 Von Browne in der Originalfassung mitgeteilt.
88 Tabari, ann. 1, 2681, 4 f.
8* 91, 17 f. und öfter steht bahräm ibn siyäwuiän.
II. RITTERROMAN 245
40 Nöldekes Einwand (Übers. 282 Anm. 2) hat nur die geschichtlichen Vorgänge
im Auge. Aber der R o m a n geht ihnen gegenüber hier und sonst eigene Wege.
41 Über ihn Th. Nöldeke, Übers. 285 Anm. 3; Honigmann-Maricq, Recherches sur
les Res gestae D i v i Saporis 90.
42 Dazu Th. Nöldeke, Übers. 285 Anm. 3.
246 DICHTUNG
und stellt ein Heer, um den Vertriebenen auf den Thron zurückzuführen.
Anführer ist des Kaisers Sohn Theodosios; er zieht über Armenien nach
ÄSurbaiyän, wo sich die Königstreuen, Bindöe (inzwischen aus dem Ge-
fängnis entkommen) und Müsel an der Spitze, versammelt haben (96, 13f.).
Bahräm ist sofort zur Stelle. Er weicht dem Kampf nicht aus; beide
Heere rücken gegeneinander vor. Chusrö und Theodosios sitzen, allem
Volk weithin sichtbar, auf goldenem Thron (96, 15f.): sie sind Vertreter
königlicher Legitimität. Aber noch einmal strahlt Bahräm's Heldentum in
hellstem Glanz. Einem der zehn hazärmardän, die dem römischen Heer
beigegeben sind (96, 11 f.), spaltet er mit einem Schlag Helm und Rumpf,
so daß des Feindes Hälften rechts und links niedersinken (97, 2f.). Dem
„Schlag" Bahräm's rühmt Chusrö, Gegner und doch dem gleichen Land
entsprossen, vor dem Römer Theodosios.
Am dritten Tag fordert Bahräm Chusrö selbst heraus (97, 11 f.). Er ruft
das Gottesurteil des Zweikampfes an, und Chusrö geht darauf ein, trotz
Theodosios' Abmahnen. Aber auch Chusrö muß Bahräm's Kraft weichen 44 .
Vom siegreichen Gegner verfolgt, wird er diesem entzogen und von einer
übernatürlichen „Macht" (96, 16) über den Gipfel eines Berges hinweg
gerettet. Das Verständnis des Vorganges hat Nöldeke 45 erschlossen, indem er
darauf verwies, daß anstelle der „Macht" im persischen Tabari ein Engel,
bei Firdüsi Srös erscheine. Das Gottesurteil, das beide angerufen, vollzieht
sich, aber anders, als der Herausforderer Bahräm es sich dachte. Nicht der
Zweikampf entscheidet, sondern der Eingriff eines der Himmlischen. Er
erweist Chusrö durch seinen Beistand als den gottgeliebten König und damit
als den echten, allein berechtigten.
Alsbald vollzieht sich der Umschlag. Am vierten Schlachttag siegt
Chusrös Heer über das Bahräm's (96, 19 f.). Auf Bindöes Rat gewährt der
Sieger allen Überläufern Sicherheit. In der Nacht entweichen alle bis auf
4 000, die bei Bahräm ausharren. Das Gottesurteil erhält seine Bestätigung
durch das Heer. Zugleich wiederholt sich im Gegensinn, was sich zuvor
nach Chusrös Niederlage ereignet hat. Die strenge Entsprechung im
Geschehen zeichnet sich ab. Sie ist die gegebene Form einer Geschichte, die
sich in tragischen Gegensätzen entfaltet.
Am folgenden Morgen erblickt Bahräm das leere Lager und entschließt
sich zur Flucht (98, 8f.). Ein Reiterkorps, das Chusrö zur Verfolgung ab-
44 Y a ' k ü b i i, 192, i 6 f . „und er war dem Tode nahe".
45 übers. 286 Anm. 3.
248 DICHTUNG
4* ann. 1, 997, 18f.; dazu Th. Nöldeke, Übers. 279 Anm. 5; vgl. 271 Anm. 2.
60 1, 997, 6f.; 141.
S1 ann. 1, 998, 2 f.; vgl. Ya'lfübi 1, 191, 6f.
250 DICHTUNG
Gleichwohl oder, wenn man will: gerade darum ist dieser Teil des
Romans von besonderer Schönheit. Bahräm treibt durch seinen Tadel des
Chäqäns Bruder, der den Herrscher durch sein freies Benehmen gekränkt
hat, zum Zweikampf. Der Getadelte fordert heraus; Bahräm nimmt unter
der Bedingung an, daß ihm der Tod des Gegners nicht vergolten werde;
der Chäqän widerspricht, aber der Herausforderer besteht auf seinem Ver-
langen (100, 6f.). Es entfaltet sich alles Zeremoniell einer ritterlichen Aus-
einandersetzung, und höfische Sitte strahlt um so leuchtender, als sie sich
angesichts des Todes zu bewähren hat. Der wahre Held verzichtet auf
Blutrache; er läßt dem Gegner den Vortritt; er verbeißt sich den Schmerz
(101, iof.). Wenn Bahräm je Vorbild war, so hier, wo ihm die letzte Aristie
zufällt. Der Entscheid steht auf des Messers Schneide: da spannt Bahräm
den Bogen (101, 21 f.), wie nur er ihn zu spannen vermag (Bahräm war einer
der drei Perser, die berühmte Pfeilschüsse taten 5 2 ; überdies wurde ihm ein
Buch über die Schießkunst zugewiesen53). Sein Gegner fällt, und der Chäqän
spricht das Urteil über seinen toten Bruder und Gegner: „Gott möge keinen
anderen verfluchen als jenen, dem ich die Dreistigkeit untersagte und der
sich nicht daran kehrte" (102, 5f.).
Unterdessen ordnet Chusrö, was nach dem Sieg zu ordnen ist. Bindöe
erhält die gesamte Schatzverwaltung, Bistäm bekommt Choräsän (wo
Karin bleibt, wird nicht gesagt), Kömis, Gurgän und Tabaristän (102, i3f.).
Chusrös treueste Helfer empfangen ihren Lohn; wie es mit Hormizds Er-
mordung und der Strafe für sie gehalten werden soll, wird nicht erörtert.
Denn vorerst lastet auf dem neuen König die Sorge um Bahräm. Hoch-
geschätzt beim Chäqän, so fürchtet Chusrö, könne der gefährliche Feind
mit türkischer Hilfe den Kampf erneuern (102, i6f.). Ein Gesandter geht
zum Hof des Chäqän ab, um dem entgegenzuwirken (102, 18f.), wird aber
von diesem mit zornigen Worten abgewiesen (103, 8f.). Solidarität der
Könige untereinander, die sich bisher bewährt hatte, zerbricht. Chusrös
Gesandter muß andere Wege suchen.
Als letzte Zuflucht bleibt ihm die Chätün, Gattin des Chäqän (103, 13f.).
E r erinnert sie an ihren Onkel, Vater Yiltägins, der durch Bahräms Hand
fiel und Thron und Schätze an diesen verlor (103, I7f.). Es gelingt ihm, die
Chätün auf seine Seite zu bringen, denn (um die Bemerkung zu wieder-
holen) „bei den Weibern herrscht mangelnder Verstand und Undankbarkeit
52
Tabari, ann. i, 992, 1 2 f . ; dazu Th. Nöldeke, Übers. 271 Anm. 2 — 3 .
53
Fihrist 3 1 4 , 2 1 ; Th. Nöldeke, Übers. 272 Anm. 1.
II. RITTERROMAN 251
für Wohltaten" (103, 13f.). Sie sendet einen der Ihren, um Bahräm zu
ermorden. Dieser weiß um den Tag seines Todes, den Sterndeuter ihm ver-
kündeten, und hat sich gesichert. Trotzdem findet der Mörder Zugang und
tötet ihn (104, if.).
Chusrö hat gesiegt, denn er mußte es als rechtmäßiger König. Gegen diesen
Anspruch und gegen der Götter Hilfe vermochte auch ein Bahräm nicht
anzukämpfen. Er ist daran gescheitert und hat den Tod gefunden. Aber
auch Chusrös Glanz erlischt. Es zeigte sich zuvor: seines Verhaltens wurde
schonend gedacht. Er hatte sich seinem Vater gegenüber nicht loyal ver-
halten, aber dieser hatte ihm verziehen. Er hatte dem Vater die wahren Ab-
sichten Bahräms verheimlicht, aber Hormizd hatte dem Sohn geglaubt.
Es wurde die Fiktion aufrechterhalten, Chusrö habe von Bindöes und
Bistäms Mordplänen nichts gewußt. Aber von dem Mord an Bahräm
wußte er, und nach dessen Tode fällt die Maske. Im festen Besitz der Herr-
schaft, hatte Chusrö nichts anderes im Sinn, als seinen Vater Hormizd zu
rächen (105, 10f.). Dieser Wunsch drängt alle Dankespflicht, die er Bindöe
und Bistäm schuldet und zu der er sich noch zuletzt bekannt hat, in den
Hintergrund.
Zehn Jahre lang hat Chusrö seine Absicht geheimgehalten (105, 13) 5 4 .
Endlich findet er die rechte Gelegenheit. Bindöe weigert sich, eine königliche
Laune mit unsinnigen Summen zu honorieren (105, 15f.). Chusrö läßt ihm
darauf Hände und Füße abschlagen. Bindöe in seinem Blut liegend, schmäht
Chusrö und dessen Vater (er weiß also sofort, warum ihn das Gericht
traf) und höhnt die Treulosigkeit der Sasaniden und ihre Hinterlist (106, 1 f.).
Als Chusrö davon hört, meint er: „Bindöe behauptet, die Sasaniden seien
Verräter und Wortbrüchige. Aber er vergißt des eignen Verrats an dem
König, meinem Vater. Ist er doch bei ihm zusammen mit seinem Bruder
Bistäm eingebrochen. Sie warfen ihm die Schlinge um den Hals und er-
würgten ihn, feindlich und gewalttätig, um dadurch meiner Gunst teilhaftig
zu werden — gleich als wäre es nicht mein Vater gewesen" (106, 5f.).
Daraufhin reitet Chusrö zur Stelle, da Bindöe liegt, und läßt ihn steinigen
(106, 9f.).
51
Daß die Angabe in dieser Form ungeschichtlich ist, dürfte anerkannt sein: T h .
Nöldeke, Ubers. 4 8 7 ; P. Goubert, Byzance avant l'islam 1, 1 6 3 ; 2 8 3 f . — Gouberts
Behandlung der arabischen Quellen steht auf einem anderen Blatt. Der Verfasser
eines Buches, das den Islam im Titel trägt, scheint des Arabischen wenig oder gar nicht
mächtig zu sein. Auch W . Enßlins Zustimmung in: B y z . Ztschr. 1 9 5 3 , 384 erklärt sich
aus demselben Grund.
252 DICHTUNG
In dieser Wechselrede ist über das Für und Wider alles gesagt. Chusrö
hat sich in dem Konflikt der Pflichten entschieden. Bindöe hat seine Strafe
erhalten — eine Strafe, die nach den Anschauungen des Romans unum-
gänglich war. Aber Chusrö geht aus dieser Prüfung alles andere als makellos
hervor. Beim Sieger über Bahräm ist alles, was an diesem gerade und
aufrichtig war, zu Niedertracht und Hinterlist verkehrt. Wie groß und edel
war Bahräm noch dort, wo er irrte, und wie schmählich vergreift sich dieser
Chusrö selbst da, wo er der Gerechtigkeit freien Lauf läßt. Dieser Roman
hat tragische Dissonanzen überall aufklingen lassen und hat nichts getan,
ihnen den schrillen Ton zu nehmen. Aber eines schien bis jetzt makellos zu
bleiben: die königliche Majestät. Nun beginnt auch sie zu wanken.
Bistäm bleibt noch zu erledigen. Chusrö, entschlossen, auch ihn zu
verderben, und jetzt dazu genötigt, läßt den Bruder des Gemordeten durch
ein geheimes Schreiben eilig zu sich entbieten (106, n f . ) . Kurz vor dem Ziel
trifft Bistäm auf Bindöes Verwalter und erfährt, was geschehen ist. Er
kehrt sofort um und begibt sich nach Delam.
Delam ist die unzugängliche Gebirgslandschaft südwestlich des Kas-
pischen Sees, die nie von den Sasaniden bezwungen wurde. Nachbarland
Ä<5urbaiyän*s, ist es gleich diesem zur Stätte geworden, da sich alle, die mit
den Zuständen unzufrieden sind, sammeln. Dorthin sind Bahräm's Ge-
nossen nach der Ermordung ihres Herrn gegangen, um, wie sie sagen,
„Rache an unseren Königen zu nehmen, die uns vertrieben haben" (104,
20f.). Gurdiya, Schwester und Gattin 6 5 Bahräm's führt sie an: in ihres
Bruders Waffen und auf seinem Streitroß zieht sie ihnen vorauf (105, if.).
In Delam findet Bistäm offene Aufnahme. Man zögert nicht, ihm die
Königswürde anzubieten. „Warum besäße Chusrö mehr Anrecht auf die
Herrschaft als du ? Denn du bist der Sohn Säpürs, Sohnes des Churbundäd
vom Stamm der Nachkommen Bahman's, Sohnes des Isfandiyäd, und ihr
seid Brüder der Sasaniden und deren Genossen in der Herrschaft. Wohlauf,
wir wollen mit dir einen Bund machen und dir Gurdiya, Bahräm 's Schwester,
zur Frau geben. Wir haben einen goldenen Thron, den Bahräm aus der
Hauptstadt mitbrachte: setz dich darauf und wirb für dich! Siehe, die
Angehörigen deines Hauses sind Nachkommen des Därä, Sohnes Bahman's:
sie werden sich um dich scharen" (107, if.).
66
Th. Nöldeke, Übers. 279 Anm. 6; M. Th. Houtsma in seiner Ya'kübi-Ausg. 1 ,
195 adn. a.
II. RITTERROMAN 253
56 ann. 1, 868, 19f. Dazu Th. Nöldeke, Übers. 109 Anm. 1 ; Arrian, Parth. fr. 1,
leitet die Arsakiden von Artaxerxes 11. Mnemon ab (Bahman b. Isfandiyä^l ist
Artaxerxes 1 : Altheim-Stiehl, Die aramäische Sprache 2. L f g . [1960] 191).
67 Th. Nöldeke, Übers. 279 Anm. 5.
68 E . G. Browne, a. O. 239.
254 DICHTUNG
Der Roman drängt zum Abschluß. Chusrö ist alles mißlungen: List,
Überredung und Gewalt. Da hilft ihm der Bruder Bahräm's, des „Ver-
brechers", wie er ihn noch gerade genannt. Gurdöe, Bruder nicht nur des
Toten, sondern auch der Gurdiya, jetztigen Gemahlin Bistäms, war Chusrö
immer treu geblieben (109, 2f., vgl. 90, 8f.). Er erfindet eine List, und mit
Hilfe seines Weibes (109, I4f.) gewinnt er Gurdiya für den Anschlag.
Bistäm fällt von Gurdiyas Hand, diese wird Chusrös Gattin, ihr Sohn soll
die Nachfolge erhalten (109, 10).
(aus dem Feindesland) Zuflucht zur Rebellion, und als er nach R a y ge-
kommen war, schlug er Dirhem, darauf der N a m e seines Sohnes — Chusrö's
Aßarvez, Sohnes Hormizd's — und sein Bildnis (zu sehen waren), und
schickte sie heimlich nach al-Madä'in. Sie kamen in die Hände des Volkes,
und es gelangte die Nachricht zu Hormizd, d a machte er sich daran, seinen
Sohn zu ergreifen. Dies erfuhr sein Sohn und floh nach Ä S u r b a i y ä n .
(444, ι Scher) Hormizd's Zorn bedrückte das Heer: er behandelte sie
(dessen Angehörige) rigoros und nahm ihnen ihren Besitz. E r tötete seine
Brüder, setzte die Oberen gefangen und nahm ihnen ihre Liegenschaften. E r
erbaute in A h w ä z und Mihragä Gefängnisse und setzte dort die Oberen der
L e u t e seines Reiches gefangen, pflegte sie mit Brot zu speisen, darin As'
(Kiesel? Die Parallelstelle 465, 4 f . spricht von „ B r o t , darein Gips, al-gass,
gemischt w a r " ) war, und ihnen bitterschmeckendes Wasser als T r a n k zu
geben. D a setzten sie (die Großen des Heeres) ihn gefangen und schrieben
an Chusrö Aßarvez, daß er käme. E r k a m zu ihnen und wurde König
über sie. Nicht fühlte das Heer sich sicher, daß von Hormizd eine
List angewandt würde: darum blendeten sie ihn. Dies erfuhr B a h r ä m
Cöbin (Söbtn): da zog er heran inmitten seines Heeres, vorgebend, erzürnt
zu sein über das, was dem König zugestoßen war. D a stellte sich ihm (Bah-
räm) A ß a r v e z entgegen, und A ß a r v e z mußte angesichts seiner (Bahräm's)
die Flucht ergreifen. E r eilte zu Maurikios, dem Kaiser R o m s , indem er
ihn um Hilfe bat gegen den, der ihm (Chusrö) das Königtum entrissen
hatte. D a schickte er (Maurikios) mit ihm (Chusrö) das Heer, nachdem er
sein (Maurikios') Schwiegersohn geworden war durch seine Tochter Maria —
Maurikios' Tochter. E r (Chusrö) gelangte nach al-Madä'in, B a h r ä m wurde
in die Flucht geschlagen, und sie errangen den Sieg über ihn. Ihm
(Chusrö) wurde das Königtum wieder zugestellt".
Nach ausdrücklicher Angabe entstammt der Bericht dem sasanidi-
schen Königsbuch. Aus diesem hat der Redaktor der Chronik oder
schon Daniel b. M a r y a m das Stück in seine Erzählung eingelegt. Quelle
bildete, wie schon der Beiname Cöbxns zeigt (oben 2, 33), der R o m a n
B a h r ä m Cöbin 's selbst, und abgesehen von der starken Verkürzung unter-
scheidet sich diese Fassung nur in unwesentlichen Einzelheiten von der
Dinawari's. Nöldeke, dem die Chronik von S e ' e r t noch nicht vorlag, hatte
bereits erkannt, daß T a b a r i ' s Vorlage, also das Königsbuch, den R o m a n
seiner Darstellung eingearbeitet hatte 2 .
2
Übers. 476.
II. R I T T E R R O M A N 257
Von den beiden syrischen Berichten (oben 2, 28) geben wir den aus
Barhebraeus' Chronicon Syriacum in Ubersetzung:
,,(92, 1 Bedjan) In Maurikios' achtem Jahr rebellierten die Perser
gegen Hormizd, ihren König, nahmen ihn durch List gefangen und blendeten
ihn; er starb. Nach zehn Monaten war jenen, die ihn (Hormizd) getötet
hatten wegen seiner vielen Missetaten, sein Sohn Chusrö willkommen, und sie
machten ihn zum König über sie (die Perser) für 38 Jahre. Bahräm aber,
einer der Großen des persischen Heeres, fügte sich Chusrö nicht und rebel-
lierte wider ihn auf gewalttätige Art mit viel Volks. Da nahm Chusrö
bei den Römern Zuflucht: er sandte insgeheim (die Bedeutung nicht bei
Brockelmann) an Maurikios, daß er bereit sei zu ihm zu kommen, wenn
er es erlaube. Als Maurikios dies hörte, freute er sich und schrieb, daß er
ihn mit allem unterstütze. Chusrö brach freudig auf und begab sich nach
Urhäi (Edessa). Es nahm ihn in seinem Hause auf Iohannes von Rü-
säpä und ehrte ihn hoch. Er (Chusrö) schrieb an Maurikios, daß er ihm gegen-
über wie ein Knecht sei. Maurikios aber antwortete, daß wie ein Vater
seinen Sohn er ihn ehren werde. Er schickte zu ihm (Chusrö) Iohannes, den
Heerführer der Thraker, mit einem Heer von 20000 (Mann) und Anastasios,
indem dieser mit sich führte an Armeniern und Bulgaren (weitere) 20000.
Er (Maurikios) schickte an Gold vierzig kantinäre, daß es fürs Heer auf-
gewandt würde (la-npakteh: über die Bedeutung von npak\ Altheim-
Stiehl, Die aramäische Sprache 2. Lfg. 140!). Als Chusrö all dieses empfan-
gen hatte, brach er auf zu seinem Ort, und es kam zu ihm Hormizän der
Perser mit 20000 (Mann). Als aber die Rebellen (dies) hörten, rüsteten sie
sich zum Kampf: sie wurden besiegt und flohen (C. Brockelmann, Lexic.
Syriac. 2 250 r. unter hassä). Die Anführer unter ihnen wurden gefangen und
getötet, was übrig blieb, ging zu Chusrö über. Chusrö gab viele Ge-
schenke den Römern, und große Gaben sandte er an Maurikios sowie
seltene (C. Brockelmann, a. 0. 308 1. unter 4) Steine. Er gab zurück Därä
und Res'ainä den Römern. Chusrö ersuchte Maurikios, und dieser gab
ihm seine Tochter Maria zum Weibe; Bischöfe brachten sie. Auch mit
Theodosios' Tochter (l-barteh d-teödösiös corr. Bedjan; la-breh t. codd.)
feierte er eine höchst prächtige Hochzeit. Der Patriarch (von Konstanti-
nopel) setzte ihr (Maria) eine Krone auf. Chusrö baute drei große Kirchen:
der Gottesgebärerin, den Aposteln und dem Hl. Sergios, dem Märtyrer, und
es weihte sie der Patriarch von Antiocheia. Es verbreitete sich der christ-
liche Glaube in ganz Persien".
17 Altheim, Hunnen IV
258 DICHTUNG
17·
260 DICHTUNG
Edelmut und in der Hoffnung, daß du dich gütig zeigest gegenüber einem
gleich mir; daß du mir mit deinen Truppen zu Hilfe kommst, damit ich
mittels ihrer den Feind zu bekämpfen vermag, und auf daß ich dir ein
folgsamer und gehorchender Sohn werde, so Gott (erhaben ist er) will'.
Nachdem (155, 1 Pocock) Maurikios den Brief Chusrö's, Hormizd's Sohnes,
gelesen hatte, entschloß er sich, seiner (Chusrö's) Bitte (mas'alatihi corr.) zu
entsprechen, weil er zu ihm (Maurikios) geflohen war. E r kam ihm zu Hilfe
mit 20000 Mann, schickte ihm an Geld 40 Talente Goldes und schrieb ihm
einen Brief, dessen T e x t lautete: „ V o n Maurikios, dem Knecht Iesu, des
Messias, an Chusrö, König der Perser, meinen Sohn und meinen Bruder,
Gruß! Deinen Brief habe ich gelesen, und ich habe vernommen, was du in
ihm berichtet hast über das T u n deiner Knechte, die sich wider dich er-
hoben haben, und daß sie die Wohltaten deiner Väter und deiner Vor-
fahren mißachteten; daß sie gegen dich zu Felde gezogen sind und dich
aus deinem Königtum verjagt haben, und es hat mir eingeleuchtet. Dies
hat mich veranlaßt, mit dir Mitleid zu empfinden . . . und dir mit dem
zu helfen, um was du mich gebeten hast. W a s aber deine Worte angeht, daß
sich zu bergen unter den Fittichen eines feindlichen Königs und um Schutz
zu suchen an seiner Seite ehrenvoller sei als in die Hände aufsässiger Knechte
zu fallen, daß auch der Tod durch die Hand von Königen rühmlicher sei
als durch die Hand von Knechten, du aber das rühmlichere Verhalten ge-
wählt und uns darin angefleht habest, so halten wir dein Wort für aufrichtig,
nehmen deine Rede an, billigen deine Hoffnung, erfüllen deinen Wunsch,
führen aus, wessen du bedarfst, loben deinen Vorsatz, danken dir für die
gute Meinung, die du in diesem Fall über uns hegst, und schicken dir, was
du an Truppen und Geld erbeten hast. Ich mache dich zu meinem Sohn und
bin dir ein Vater. Nimm das Geld dir zum Segen, ebenso die Truppen, und
mach dich auf unter Gottes Segen und seiner Hilfe. Nicht mögen dich
Mißmut und Ungeduld befallen, vielmehr rege dich gegen deine Feinde und
laß nicht nach (156, 1 Pocock) in dem, das du tun mußt, da du von deinem
Rang gesunken und von deiner Würde herabgestiegen bist. Siehe, ich hoffe,
daß Gott dir den Sieg über deine Feinde bringe, daß er sie werfe unter das
Unterste deiner Füße, daß er zurückstoße ihre List in ihren Hals und daß
er dich zurückkehren lasse zu deiner Würde, in der Hoffnung auf Gott
(erhaben ist er)'. Nachdem die Truppen für Chusrö da waren, er die Gelder
erhalten und Mut gefaßt hatte beim Lesen von Maurikios' Brief, zog er mit
den Truppen der Römer gegen Bahräm und traf ihn zwischen Madä'in und
II. R I T T E R R O M A N 261
Wäsit. Da ergriff Bahräm die Flucht, und er (Chusrö) tötete alle seine
(Bahräm's) Genossen. Chusrö gab frei (zur Plünderung) die Heerlager
Bahräm's, kehrte zurück zu seinem Königtum, saß in ihm, und die Leute 3
versicherten ihn insgesamt ihres Gehorsams. Er (Chusrö) rief alle Römer,
gab ihnen Geschenke, sandte sie (die Römer) heim zu ihrem Herrn und
schickte an Maurikios an Geschenken und Geld die doppelte Menge, die er von
ihm erhalten hatte. E r (Chusrö) gab Därä und Mayäfärikin an die Römer
zurück, baute zwei Kirchen für die Christen in Madä'in und weihte die eine
von beiden der Herrin (Maria) und die andere dem Heiligen Sergios, dem
Märtyrer".
3
Der Roman gehört zu den geschichtlichen Vorwürfen, die ihren Be-
arbeiter zugleich anziehen und mutlos werden lassen 1 . Es läßt sich
nicht verhehlen, daß die Geschichte des Romans ein kaum überseh-
bares Feld darstellt. Sie gleicht einem Weltreich, dessen Provinzen mit
Erdteilen zusammenfallen. Wenige, die sich dem europäischen und ameri-
kanischen Roman der Neuzeit widmen, vergegenwärtigen sich, daß den
vorderasiatischen und ostasiatischen Romanen die gleiche Bedeutung
zukommt. Es will schon einiges bedeuten, wenn man der antiken und
mittelalterlichen Vertreter gedenkt. Umfangreiche Funde sind auch im
näheren Bereich an der Tagesordnung, wofür genüge, an den mittelhoch-
deutschen Lancelot zu erinnern2. Und wer hätte sich an eine litera-
rische und geschichtliche Deutung des Romanes gewagt, der von Bahräm
Cöbin's Schicksalen handelt 3 ! Und doch geht es um eine Dichtung, die, an
der Grenze von Spätantike und Mittelalter stehend, all jene Entscheidungen
in sich schließt, vor der man angesichts solcher Grenzlage sich gestellt zu
sehen pflegt.
s
D . h . der Adel: Altheim-Stiehl, Die aramäische Sprache i. Lfg., 93f.
1
Die Verfasser glauben aus Erfahrung sprechen zu können. Sie haben mancherlei
veröffentlicht: F. Altheim, Epochen der röm. Gesch. 2 (1935), 26;>f.; Helios und Helio-
dor von Emesa (1942); Literatur und Gesellschaft 1 (1949), 11 — 1 2 4 f . (zusammen mit
U. Schneider-Menzel); Roman und Dekadenz (1951); R. Stiehl in: W Z K M . 53 (1956),
4 — 2 2 ; Altheim-Stiehl, Die aramäische Sprache 2. Lfg. (i960), 1 8 3 — 2 2 2 .
2
Lancelot, herausgeg. von R. Kluge (1948).
* Zuletzt Altheim-Stiehl, Ein asiatischer Staat 1 (1954), 2 ° 6 — 2 2 6 ; F. Altheim in:
East and West 9 (1958), 1 2 9 — 1 4 4 .
262 DICHTUNG
Dieser Roman hat mit dem Lied von der Burgunden Untergang gemein,
daß den Hunnen oder Hephthaliten eine bedeutsame Rolle zugewiesen ist.
Beidemale sind sie die Gegner, bald sind sie Verhängnis, bald der Hinter-
grund, der sich nicht wegdenken läßt. Sie begrenzen und bestimmen den
geschichtlichen Raum, darin das Geschehen abläuft, und hier wie dort
verhelfen sie dazu, daß Akzente gesetzt, Wertungen eingeführt und der
Spruch des Schicksals vollzogen werden. Mit dieser Feststellung ist man be-
reits inmitten der Fragen, deren Beantwortung der Roman aufgibt. In
dieser Betrachtung, in der es ums Grundsätzliche geht, mag vom Vor-
gänger und Gegenüber, dem Heldenlied, ausgegangen werden 4 .
Das Lied von der Burgunden Untergang zeigt (wofern man sich auf die
altnordische Fassung stützen darf) noch nichts von der höfisch-ritterlichen
Färbung und dem Reichtum der Episoden, die das mittelhochdeutsche
Nibelungenepos kennzeichnen. Im Lied ist alles, Personen und Geschehen,
„rund und da". Es ist auf die eigne Mitte bezogen, sich selbst genügend,
geschlossen und in dieser Geschlossenheit hingenommen. Handeln ge-
schieht aus der unmittelbaren Gegenwart, geradlinig und ohne Schwanken,
und in gleicher Haltung wird getragen, was an Gegenwirkungen und
Folgen sich einstellt. Wirklichkeit wird unbezweifelt gelassen; sie ist ab-
gemessen und überschaubar, gibt sich gegenständlich, greifbar und deutlich
umrissen. Hell und Dunkel, Geradheit und Hinterlist sind eindeutig auf-
geteilt. Anspielungen und Perspektiven gibt es ebensowenig wie einen
Aufbau, der sich erst im gegenseitigen Bezug erhellt. Was dasteht, steht
für sich und bleibt, was es ist; Innen und Außen, Stufen einer seelischen
oder charakterlichen Entwicklung sind ungeschieden. Nirgendwo eröffnet
sich ein Weg in fernes Land oder gar ins Uferlose: auf begrenztem Raum
hat man zu leben und sich zu behaupten. Zusammenstöße führen fast immer
zum Untergang dessen, dem zu unterliegen bestimmt ist. Daß der Betroffene
auch dann sich treu bleibt und, solange er atmet, sich nichts abdingen läßt,
sichert seinem Untergang den Kranz, der als höchster gilt: die tragische
Größe.
Von gleicher Art ist, was sich an Vorstufen oder älteren Formen des
Heldenliedes beobachten läßt. Allenfalls die Geschichte des Königs von
Sümän überschreitet die gesetzten Grenzen, jüngere Zeitgenossin des
Romans von Bahräm Cöbin, die sie ist. Denn hier setzt die gegenseitige
4 Wie bekennen gern, daß M. Wehrli's Betrachtung zum mittelalterlichen R o m a n
(Neue Zürcher Zeitung 30. 4. i960, Lit.-Blatt) uns angeregt hat.
II. RITTERROMAN 263
Cöbin's Schicksal behandeln, zeigen, daO erst der Roman Treue als sittlichen,
den feudalen Staat und seine Gesellschaft erhaltenden Wert zum Maßstab
der Beurteilung werden ließ. Während Bahräm sonst als Rebell erscheint,
der bedenkenlos persönlichem Machtstreben folgt, auch die neben ihm Auf-
tretenden kein anderes Verhalten kennen, hat im Roman alles durch Be-
zogenheit auf die Treueverpflichtung eine neue und eigne Mitte erhalten.
Bahräm ist der gehorsame Lehnsmann König Hormizds; als solcher hat
er trotz der Schmach, die ihm angetan wurde, die Treue gewahrt. Die
gleiche Haltung nimmt Bahräm am Hof des Chäqän ein, und dieser er-
widert dem Verbannten und Gestürzten mit Gleichem. Unerschütterliche
Treue kennzeichnet Gurdöe, Bahräm's Bruder. Auch Bindöe und Bistäm
halten unverbrüchlich zu Chusrö, verlassen ihn im Unglück nicht und
schlagen für ihn ihr Leben in die Schanze. Chusrö selbst mahnt seinen
Gegner Bahräm, nach geschehenem Abfall auch Bistäm zu gleichem Ver-
halten und erinnert an die großen Vorbilder der iranischen Sage. Diese
wird damit zur Norm alles Tuns und seiner Bewertung erhoben.
Doch der Roman wäre schwerlich, was er ist, hätte sich ihm nicht, was er
erhoben und festgelegt hatte, wieder ins Reflektierte und Vielschichtige
gewandelt. Indem Treue zu beherrschendem Rang aufstieg, wurde sie
anfällig, setzte sie sich der Versuchung und Entwertung aus. Bezeichnend
ist, daß sich Treuekonflikte ergeben. Verpflichtung tritt in Widerstreit mit
anderer Verpflichtung, und was eindeutig zu sein schien, erweist sich, vor
die Bewährung gestellt, als verschiedener Auslegung zugänglich. Nicht nur
Chusrö hat zwischen Rache und Treue zu wählen. Auch Karin sieht sich
der Frage gegenüber, ob er Bahräm oder Chusrö stärker verpflichtet sei.
Die aufsässigen Delamiten vollends sprechen aus, daß die Verpflichtung
gegenüber Arsakiden und Sasaniden sich durchaus die Wage halten.
Einschneidender noch ist, daß leuchtender Bewährung der Treue der
eindeutige Verrat gegenübersteht. Bahräm mißachtet Chusrö gegenüber die
Verpflichtung, die ihn an Hormizd gebunden hat. Auch Chusrö's Verhalten
i^t angesichts der Versuchungen, die Macht und eigenem Vorteil ent-
springen, anfällig. Daß er Bindöe und Bistäm dem eignen Vater gegenüber
gewähren läßt, daß er zuvor schon Hormizd die Wahrheit vorenthalten hat,
wirft einen schweren Schatten auf seine Sohnestreue. Dann bricht er, vor
den Entscheid gestellt, ob er den Vatermord rächen oder Vasallentreue
halten soll, den bisherigen Anhängern gegenüber das gegebene Wort.
Bistäm, bisher der Treuesten einer, wird daraufhin zum Rebellen, zu einem
II. RITTERROMAN 267
ATTILA
12. KAPITEL
I
Nach längerer Unterbrechung kehrt die Darstellung zu den Hunnen
zurück. Uber sie gebot Rua in seinen letzten Jahren als Alleinherrscher;
sein Mitregent war vor ihm gestorben. Sofort machte sich ein Anziehen der
Zügel bemerkbar. Als die oströmischen Truppen in Nordafrika gegen die
Wandalen eingesetzt wurden,benutzte Rua die Entblößung der Balkanfront,
um durch seinen Unterhändler Esla in Konstantinopel Forderungen anzu-
melden (434). Die Oströmer sollten seiner Herrschaft gewisse Stämme
wieder zustellen, die zu ihnen geflohen seien. Als solche Stämme nannte
Esla die Amilzuren, Itimaren, Tunsuren und Boisker. Bei Nichterfüllung
der Forderung drohte man mit Krieg.
Alle Stämme tragen türkische Namen und waren Hunnen (oben 1,8)l.
Im Jahre 375 saßen sie nördlich des Asowschen Meeres, aber alles spricht
dafür, daß sie von dort mit den anderen Hunnen weitergezogen sind (oben
r> 35°)z· Offenkundig befand sich ihre wehrhafte Mannschaft auf ost-
Rua nicht mehr, er war im Frühling 434 gestorben. Noch einmal traten zwei
Könige das Erbe an: Rua's Neffen Bleda und Attila (oben 1, 364 f.).
Beide waren von verschiedener Wesensart. Was man von Bleda weiß,
spricht nicht für ihn. Liebster Besitz war ihm ein maurischer Zwerg namens
Zerkon, an dessen stammelnder Sprache und verkrüppeltem Gang der
Hunne unbändige Freude hatte. Zerkon wurde alles verziehen und gewährt.
Was immer er tat oder wünschte, bildete den Anlaß zu nicht enden wollendem
Gelächter. Mochte Zerkon entfliehen und in Ketten zurückgebracht werden,
mochte er sich ein Weib wünschen oder eine Rüstung erhalten, immer war
er Gegenstand roher Späße, barbarischen Übermuts.
Als Plintha mit dem Rhetor Epigenes, von dessen Fähigkeiten man sich
daheim Großes versprach, die beiden Hunnenkönige traf, fand er sich neuen
Forderungen gegenüber. Nicht nur wurde man zu dem Versprechen ge-
nötigt, keine hunnischen Flüchtlinge fürderhin aufzunehmen und die bis-
herigen zurückzusenden. Auch die aus hunnischem Gewahrsam entlaufenen
Kriegsgefangenen, die zu den oströmischen Grenzen zurückgefunden hatten,
mußte man ausliefern oder den überhöhten Preis von acht Goldstücken für
jeden erlegen. Mit keinem Volk, das sich mit den Hunnen im Kriegszustand
befand, durfte Ostrom ein Bündnis schließen. Damit nicht genug, ward ein
alter Vertrag hervorgeholt, der den Hunnen Handelsrechte in bestimmten
römischen Marktplätzen zusicherte. Er wurde erneuert und dahin ergänzt,
daß den hunnischen Händlern Gleichberechtigung mit den römischen zu-
stand und überdies Handelssicherheit gewährt wurde. Die jährlichen Zah-
lungen seitens des Reiches, die unter Rua 350 Goldpfunde betragen hatten,
wurden verdoppelt.
Der Vertrag offenbarte die gesteigerten Ansprüche eines Volkes und
seiner Herrscher, die sich ihrer Macht bewußt geworden waren. Sie erhoben
Forderungen gegenüber dem oströmischen Nachbarn, die mit dessen An-
spruch, den ersten Rang einzunehmen, kaum noch sich vereinen ließen.
Man spürt Attilas Hand hinter dem, wofür er zusammen mit dem Bruder
verantwortlich zeichnete. Die Politik, die der künftige Alleinherrscher
betreiben sollte, zeichnete sich ab.
2
Nach Abschluß des Vertrages von 435 machten sich Bleda und Attila
daran, die Völker ganz Skythiens zu unterwerfen und führten Krieg mit den
Sorosgern. So sagt Priskos, und seine knappe Angabe bedarf der Erklärung.
Wer die Sorosger waren, besagt allein der Name, und nach diesem waren sie
Hunnen 1 . Dagegen ist deutlich, was mit den Völkern ganz Skythiens
gemeint war. Sie bildeten die Gesamtheit der hunnischen, überhaupt der
Nomadenstämme Osteuropas bis hinauf in die Waldzone. Die beiden Hunnen-
könige setzten damit die Politik der Einigung fort, die sich ihr Vorgänger
Rua hatte angelegen sein lassen.
1 Σορόσγους Priskos in Exc. de legat. 122, 22 de Boor. Sie sind in G. Moravcsik's
Byzantinoturcica nicht aufgeführt. Den ersten Teil bildet das oben 1 , 8 behandelte
iur ,.Fürst, Held"; den zweiten alttürk. osuy „Art". Das Ganze bildet ein Bahuvrihi-
Kompositum der oben 1, 10 behandelten Form: *6or-osyu „solche, deren Art Helden
(oder Fürsten) sind".
Althelm, Hannen IV
274 ATTILA
bringer hatte bei der Verteilung nicht die rechte Reihenfolge innegehalten:
ού κατά τάξιν έκάστω των βασιλέων του Ιθνους δίδωσιν. Die Akatziren
hatten demzufolge Könige, und zwar das Gesamtvolk, έθνος, nicht die
zuvor genannten φυλά καΐ γένη. Dann geht es weiter: ώστε τόν Κουρί-
δαχον πρεσβύτερον δντα τ ή άρχή, τά δώρα δεξάμενον δεύτερον, οία
δή περιοφθέντα καΐ τών σφετέρων στερηθέντα γερών, έπικαλέσασθαι
τόν Ά τ τ ή λ α ν κατά τών συμβασιλευόντων. Der Komparativ πρεσβύτερος
zeigt, daß es nur zwei Könige gab, und δεύτερος bestätigt es. Wenn im
Folgenden von συμβασιλεύοντες gesprochen wird, so widerspricht es der
gezogenen Folgerung nicht. Wenn der vermeintlich Geschädigte Attila
anruft „in Beziehung auf die zugleich Regierenden", so sind er und der
zweite König gemeint. Das Doppelkönigtum legt von vornherein nahe,
daß es sich um Hunnen handelt.
Eine Angabe über die Wohnsitze der Akatziren findet sich in Iordanes'
Getica 5, 36. Sie steht inmitten der Beschreibung Skythiens, die mit 5, 30
einsetzt. Mommsen 5 (dessen Ausführungen über Iordanes' Quellen Henning
unbegreiflicherweise übersieht) hat gezeigt, daß der Beginn sich an eine
geographische Karte hält. Diese Karte war der Peutingerschen ähnlich
und ging ins 2. Jahrhundert n. Chr. zurück. Es ist nicht deutlich, ob
Cassiodor, dessen Werk Iordanes ausgezogen hat, selbst die Beschreibung
nach der Karte angefertigt oder ob er eine ihm schon vorliegende Beschrei-
bung benutzt hat*. Mit 5, 34 quorum nomine, licet nunc per varias familias
mutentur setzen Ergänzungen ein, die den Angaben der älteren Karte solche
aus der Zeit der Schreiber hinzufügen. Daß wiederum Cassiodor zugrunde
liegt, zeigt der Sprachgebrauch 7 .
Seine zwölf Bücher gotischer Geschichte wurden zwischen 526 und 533
abgeschlossen 8 . Dazu stimmt, daß nach 5, 37 die Bulgaren supra mare
Ponticum wohnen. Gemeint ist die παλαιά oder μεγάλη Βουλγαρία, die sich
nach Nikephoros (p. 33 de Boor) παρά τή ν Μαιώτιν λίμνην κατά τόν Κώφι να
ποταμόν bis zum Don erstreckte. Seine Angaben werden durch Theophanes
(P· 357 de Boor) bestätigt. Die dortigen Bulgaren waren Nachfolger der
hunnischen Kutriguren oder, wie Nikephoros sie nennt, der Kotragen.
Prokop läßt die Wohnsitze der Kutriguren sich vom rechten Ufer des
* In der Einleitung X X X I f.
« Th. Mommsen, a. Ο. X X X I I I .
7
Th. Mommsen, a. O. 63 Anm. 1—2.
8
Th. Mommsen, a. O. X L I .
18·
276 ATTILA
Don bis zur Donau erstrecken (bell. Goth. 4, 5, 15f.). Diese Zeugnisse
bestätigen die Rückführung von 5, 37 auf Cassiodor von der chronologischen
Seite 9 .
Henning 10 scheint zu glauben, der ganze Abschnitt gehe auf Iordanes
selbst zurück. Seine Gründe sind unwesentlich, denn die quellenkritische
Analyse zeigt, daß Cassiodor und damit ein Zeuge ersten Ranges vorliegt.
Gerade für unseren Abschnitt gilt das in besonderem Maße. Hat doch
Cassiodors Herr, Theoderich, selbst mit den Bulgaren gekämpft 1 1 und zu-
dem seinen Kanzler Schreiben an die Aesti (vgl. 5, 36) richten lassen (var.
5- 2) 1 2 .
Genug: Iordanes, oder richtiger Cassiodor, weiß von einer Abfolge von
drei Völkern, die sich von Norden nach Süden zieht. Am Oceanus, also an
der Ostsee, sitzen die bereits genannten Aesti, südlich von ihnen 13 die
A catziri, und diesen schließen sich bis zum Pontus die Bulgaren an (5,36—37).
Die Akatziren wohnen also tief im Binnenland, in der Mitte eines Streifens,
der von der Ostsee zum Schwarzen Meer verläuft.
Ein weiteres Zeugnis gibt Priskos. Die Άκάτζιροι waren von einer
bestimmten Zeit ab Attila unterworfen, der seinen ältesten Sohn als Herr-
scher bestellte 14 . Dabei erfährt man, daß sie mit anderen Stämmen zu-
sammen τ η ν ττρός τον ΓΤόντον Σκυθική ν bewohnten 15 . Henning übersetzt:
„the Scythian lands on the Black Sea" 1 ®, und glaubt dem entnehmen zu
müssen, daß Iordanes' und Priskos' Angaben in unvereinbarem Wider-
spruch stehen. Henning entscheidet sich für Priskos; er glaubt, Iordanes'
Zeugnis jeden Wert absprechen zu dürfen.
8
Zum Zeitansatz G y . Moravcsik, a. Ο. 21, 1 7 1 . Danach W . B. Henning, a. O. 5 0 3
unten; vgl. Iordan., Rom. 363.
10
a. O. 503 f.
11
Ennodius, M G H . , auct. ant. 7, 205 t. Henning spielt auf dieses Zeugnis an (a. O.
unten), hat es aber ersichtlich nicht nachgeschlagen, sonst hätte er auf die Zusammen-
hänge stoßen müssen.
12
Th. Mommsen, a. O. 63 A n m . 1.
13
Daß quibus in austrum adsidet ursprünglich nicht auf die Aesti, sondern auf
einen anderen, uns unbekannten Volksnamen gefolgt sei (W. B . Henning, a. O. 503),
ist bloße Behauptung.
14
F G H . 4 p. 8 2 b , i 8 f . Müller, vgl. 8 9 a , i 6 f . Ich zitiere nach dieser textkritisch
unzulänglichen Ausgabe, weil Henning es tut und der Leser damit die Möglichkeit erhält,
unser beider Beweisgang zu vergleichen.
15
F H G . 4, p. 8 9 a , 1 7 .
1β
a. O. 5 0 3 ; derselbe Fehler bei J . H a r m a t t a in: A c t a arch. Hung. 2 , 297.
12. A T T I L A UND OSTROM 277
den Chazaren zu tun haben, wird schon dadurch widerlegt, daß man über
deren Herkunft ausgezeichnete Nachricht besitzt. Theophanes (p. 358) und
Nikephoros (p. 34) lassen sie aus Βερζυλιά kommen, worin J . Marquart
Daghestan erkannt hat 23 . Mas'üdi in dem berühmten 17. Kapitel seiner Μurüg
führt einen Schritt weiter. Danach entstammte der Kern der Chazaren, der
islamische Kriegeradel, der Nachbarschaft vonChwärezm 24 . Diese Nachricht
hat sich jüngst von sprachlicher Seite bestätigt. Bestandteil der Chazaren
bildeten, nach ausdrücklicher Bezeugung des Porphyrogenneten 25 , die
Magyaren. Nach O. Szemerenyi's Nachweis 28 enthält ihre Sprache eine
Reihe iranischer Lehnwörter, die dem ältesten Chwärezmisch entstammten.
Iohannes' von Ephesos Angaben, in verschiedener Brechung vorliegend,
(oben 1, 85f.; 2, 2gi.), haben den Nachweis erbracht, daß die Chazaren
erst 585 aus dem nordöstlichen Iran nach Westen gewandert sind. Daß
sich damit Hennings Auffassung endgültig erledigt, wurde zuvor bemerkt
(oben 1, 96f.). Tabari (ann. 1, 2876, 12) kennt noch im Todesjahr Yazd-
gard's III. in Nordost-Iran einen malika l-hazar. Unter denen, die Hilfs-
gesuche seitens des letzten Sasaniden erhalten, erscheint der Chazarenkönig
nach dem von Feryäna, vor dem von Kabul und dem dehkärt Merws.
Es bleibt der Name der Akatziren. Henning 27 deutet ihn als Zusammen-
setzung von alttürk. aq „weiß" und dem Namen der Chazaren. Ursprünglich
*xacir lautend, habe er sich über *xasir (vgl. syr. hasir, hasar) zu *xazir
entwickelt. Henning meint: „he would be a bold man who asserted that
a sound change of intervocalic -c- to -s- (and further to -z-) was impossible
in the language of the Khazars, or that it had not possessed the sound -c-".
Henning deutet den ersten Bestandteil von Άκάτζιροι aus dem Alt-
türkischen. Dann müßte auch der Rest dort seine Erklärung finden. Um
so mehr, als die Inschriften aus Nowotscherkask (oben 1, 274f.) zeigen, daß
die Chazaren tatsächlich diese Sprache gesprochen haben. Umsomehr bedeutet
der Einwand, daß das Alttürkische nirgends und mehr noch: daß keine
einzige Türksprache den von Henning geforderten Wandel von intervoka-
lischem c zu s und ζ kennt. Wo c (ts) auftritt, ist es eine Modifikation von c.
23
Osteurop. und ostasiat. Streifzüge 489f.; vgl. 485; zuletzt Κ. H. Menges in:
Byzantion 17, 2y6i.
24
2, 10, 2 Barb.; oben 1, 2jji.
25
De admin. 38—40 Moravcsik; dazu F. Altheim, Geschichte der latein.
Sprache 87 f.
" Bei F. Altheim, a. O. 66f.
17
a. O. 506.
12. A T T I L A U N D O S T R O M 279
Und von diesem hebt M. Räsänen 28 ausdrücklich hervor, daß es fast überall
sich erhalten hat.
Was Henning darüber hinaus anführt, trägt gleichfalls nicht. Denn daß
ksr bei Zacharias Rhetor „evidently" eine ältere Form des Chazarennamens
sei (syr. hasir, hasar), mag gelten, beweist aber nicht den Wandel von c zu s.
Und Geogr. Rav. 168, 13 f. quos Chazaros ... Iordanis Agaziros vocat, mutet
dem Verfasser eine Angabe zu, die sich bei diesem nicht findet. Im Übrigen
hat sie sich sachlich und sprachlich als gleich unzutreffend erwiesen. Damit
entfällt auch Hennings sprachlicher Beweis, und der Weg zur Erkenntnis —
richtiger: zur Wiederherstellung des Richtigen ist frei.
Priskos bezeichnet die Akatziren einmal als Σκυθικών έθνος 29 , ein zwei-
tes Mal eindeutig als Άκατίρους Οΰννους 30 . Henning scheint anzunehmen,
die Sprache der Hunnen habe sich vom Türkischen unterschieden 31 . Der-
gleichen bedarf heute keiner Widerlegung mehr, und positiv gewendet
besagt dies, daß der Name der hunnischen Akatziren aus dem Türkischen
erklärt werden darf. Ein zweiter Anhaltspunkt ergibt sich aus den Wohn-
sitzen des Stammes. Es zeigte sich: er lebte im russischen Binnenland, zwischen
Ostsee und Schwarzem Meer, und zwar mehr nach diesem zu. Damit ergibt
sich die Möglichkeit, daß sie bereits in der Waldzone saßen. Henning hat
eingewandt 32 , daß Iordanes' Kennzeichnung als gens ... frugum ignara
quae pecoribus et venationibus victitat (Get. 5, 36) dem widerspreche. Indessen
passen Jagd und Fehlen des Ackerbaus durchaus zur Waldzone. Daß auch
Viehzucht es tut, zeigt das Bild der Gorodischtsche-Kultur, das typisch für
die Waldzone ist M .
So kommt man wieder auf *ayac-äri „Waldleute". Uber die Gegenüber
dieser zu den „Feldleuten" braucht nach dem vielen, das zuvor darüber
gesagt wurde (oben 1, i n ; 341; 346f.), nicht mehr gehandelt zu werden.
Daß auch bei den südrussischen Türken „Feldleute" gegenüberstanden,
hat O. Szemerenyi an den Yazar nachgewiesen 34 .
Noch einmal muß auf den Vertrag von 435 eingegangen werden. Die
Unterhändler hatten sich in Margos, einer Stadt der Moesia Prima, an der
Mündung der Morawa in die Donau gelegen, zusammengefunden. Man traf
sich außerhalb der Stadtmauern, und die beiden Hunnenkönige bestanden
für ihre Person darauf, die Verhandlungen zu Pferd zu führen. Die ost-
römischen Beauftragten hatten sich dem anpassen müssen, so ungewohnt die
Sitte ihnen sein mochte. Die Verhandlung zu Pferde war die Art eines Reiter-
volkes, und nicht nur für die Hunnen ist sie bezeugt 1 . Erst in der Folgezeit
erhielt die hunnische Diplomatie einen Zuschnitt, der den an sie gestellten
Anforderungen besser entsprach.
Zunächst hatte der hunnische Adel sich nach seiner Zusammensetzung
geändert. Die einstigen Stammes- und Familienhäupter waren zurückgetre-
ten; nirgendwo stehen jene κοττά φΰλα και γένη άρχοντες im Vordergrund,
von denen Priskos anläßlich der Akatziren berichtet. Schon vor Attila 2 hob
sich ein neuer geschlossener Stand ab, den Priskos als λογάδες bezeichnet.
Sie waren Mitglieder des Hofes und wurden als Beauftragte ihres Herrn in
Kriegsführung, Steuereintreibung und in diplomatischen Aufträgen ver-
wandt. Die Forschung hat diesen λογάδβς frühzeitig ihr Augenmerk zu-
heit, der die Auswahl entnommen ist. Es kann diese Gesamtheit auch weg-
gelassen werden, zumal dann, wenn sie selbstverständlich ist. Aber auch
dann wird sie mitgemeint wie in den φωναί λογάδες, λέξεις λογάδες, von
denen Photios spricht. Herodian verbindet έπίλεκτοι λογάδες und έπίλεκτοι
και λογάδες (2, 13, 2 ΐ ; 8, 5, n ) und bestätigt damit das Ergebnis.
Bei Priskos liegt der gleiche Gebrauch vor. Nur daß er dort, wo er von
den λογάδες der Hunnen spricht, nicht nur diese als größere Gesamtheit
meint, sondern Attila als den Auswählenden hinzutreten läßt. Keine Rede
davon, daß damit etwas den sasanidischen äzädän Entsprechendes gemeint
war. Ein äzäö war Berichos, insofern er als τταρά Σκύθαις ευ γεγονώς άνήρ
bezeichnet wird, und äzädän waren die an anderer Stelle genannten κατά
γένος διαφέροντες. "Αριστος und μέγιστος, was man am ehesten mit vazurg
verbinden möchte, erschienen nie absolut verwandt (was doch solche
Gleichsetzung erst erwiese): μέγιστα κατά πόλεμον έργα διαπραξάμενος und
τ ά κατά ττόλεμον άριστος, beide Male von Edekon gebraucht. Im Gegensatz
zu den übrigen Hunnen (Σκύθαι) werden Edekon, Orestes und Skottas
και ετεροι τ ώ v έ v α ύ τ o ϊ ς λ o γ ά δ ω v z u s a m m e n g e ί a ß t (Exc. delegat. 125,22f.),
und neben Attila stehen πάντες ol άμφ' αϋτόν λογάδες (ebenda 147, 26).
Das läßt sich nur so verstehen, daß diese aufs engste zum Herrscher gehören
und, wenn von irgendeinem, so von ihm ausgewählt sind. Unverkennbar
ist der Tatbestand in Edekons Worten: ώς και επιτήδειος είη τ ω Ά τ τ ή λ ς ι
και τ η ν αύτοΰ τοΤς είς τ ο ΰ τ ο άποκεκριμένοις λ ο γ ά σ ι ν έμττιστεύεται φυλα-
κήν (ebenda 580, 16). Hier ist die ursprüngliche Bedeutung einer Auswahl
deutlich und darüber hinaus, daß die Auswahl für Attila oder durch ihn
erfolgt ist. Darum kann sich Edekon auch als θεράπων seines Herrn, als
έπιτήδειος und daneben als dessen πεπιστευμένος bezeichnen. Hier kennt
man sogar die alttürkische Entsprechung: inaneu zu inanmaq „vertrauen" 8 .
Alles weist auf unmittelbare Beziehung zu Attila, der Edekon und die
übrigen λογάδες aus der Gesamtheit der Hunnen ausgewählt hat. Die Be-
stätigung erbringt eine letzte Stelle (Exc. de legat. 136, if.). Danach war
es so geordnet, daß τους . . . άλόντας ά π ό τ ω ν ευπόρων μετά τον Ά τ τ ή λ α ν
έκκρίτους είχον οί τ ω ν Σκυθών λογάδες.. Die „Ausgewählten" unter den
Hunnen hatten nach dem Herrscher selbst die „Auswahl" unter den
Gefangenen und durften sich die Reichsten nehmen, die das höchste Lösegeld
brachten. Man erkennt ein überlegtes Spiel mit der Bedeutung. Wie Attila
seine λογάδες auslas, so wählten sich diese unmittelbar nach ihrem κύριος
die beste Beute.
Daß der Vergleich mit den vazurgän ud äzäöän nicht zutrifft, hat sich
gezeigt. Diese gab es bei den Hunnen, aber sie fielen nicht mit den λογάδες
zusammen. Doch auch im Sasanidenreich gab es „Ausgewählte". Tabari
(ann. i, 898, 3) sagt, Chusrö I. Anösarvän habe sich seine Richter, Beamten
{'ummäl) und Statthalter ausgewählt (tahayyara). Beamter ('ämil) und
Statthalter (wäli) war auch Onegesios, einer der λογάδες, der mit einem
Sohn Attilas zu den Akatziren gesandt wurde. Er sollte diesen dort als
König einsetzen (καταστησαι: Exc. de legat. 130, 25; 1 3 1 , 23f.), Berichos,
dessen vornehme Geburt zuvor erwähnt worden war, bezeichnet Priskos
an anderer Stelle (ebenda 1 4 7 , 1 1 ) als άνδρα τ ω ν λογάδων και ττολλών ευ x f j
Σκυθική κωμών άρχοντα. Er gehörte zu den λογάδες um Attila, verwaltete
demnach in dessen Auftrag jene Dörfer als dessen 'ämil oder wäli.
Man hätte demnach eine Übereinstimmung zwischen einer hunnischen
und einer spätsasanidischen, unter Chusrö I. bezeugten Einrichtung. Das
wiederspräche der bisher vertretenen Auffassung, wonach die (europäischen)
Hunnen im Gegensatz zu den im Osten verbliebenen Hephthaliten und
den in deren Verband lebenden Stämmen sich allein mit der frühsasani-
dischen Kultur berührt hätten. Es ist darum hervorzuheben, daß die Ein-
richtung der λογάδες weit früher bezeugt ist. Priskos zufolge (ebenda 154)
sandte Perözdem Kidaritenkönig mit der falschen Königstochter 300 άνδρας
τ ω ν λογάδων. Auch sie sind „Ausgewählte", und wie es bei solchem Ver-
fahren zuging, zeigt Dinawari (82, 3f.) nach dem Roman Bahräm Cöbin's.
Dieser, mit der Führung des Krieges gegen die Türken (Hephthaliten)
beauftragt, erhält Zugang zur Stammrolle des Heeres (diwän al-gund),
damit er sich auswähle (li-yahtära), wer ihm zusage. Nach Heranziehung
der marzbän und Obersten (al-aSräf) wählt er (intahaba) 12 000 Ritter aus.
Es bleibt noch Harmatta's Behauptung zu besprechen, wonach Attilas
λογάδες nicht hunnischer, sondern entweder gotischer oder römischer Her-
kunft gewesen seien. Zumindest in seiner früheren Abhandlung hatte er
diese Auffassung vertreten 9 , in seiner späteren jedoch sie fallen gelassen.
Harmatta gab von den Namen der Edekon, Eslas, Berichos, Onegesios
und Skottas gotische Etymologien. Er hätte auch daran erinnern kön-
nen, daß einmal λογάδες der Goten erwähnt werden (Priskos fr. 39,
FHG. 4, 108). Aber diese waren eben solche der Goten, nicht der Hunnen.
Edekon wird von Priskos ausdrücklich als άνήρ Σκύθης und τ ο ϋ Oüvvou γέ-
νους bezeichnet. Damit entfällt die Wahrscheinlichkeit eines germanischen
Namens: die Gleichsetzung mit alttürk. ädgü bleibt bestehen 10 . Ebenso ist
Berichos Hunne (παρά ΣκύΘαις ευ γεγονότος άνδρός), und auch von seinem
Namen läßt sich eine alttürkische Etymologie geben 11 . Von Onegesios gilt
dasselbe, denn er gehört zu den Σκυθών λογάδες; er gibt einem griechischen
Gefangenen κατά τόν παρά ΣκύΟαις νόμον die Freiheit. Sein Name läßt sich
als alttürk. *on-iyiz deuten 12 . Skottas ist Onegesios' Bruder und damit
Hunne wie dieser, selbst wenn er einen gotisch klingenden Namen oder
wohl eher Beinamen „Schütze" (altnord. skyti, ahd. scuzzo, ags. scytta)13
getragen haben sollte. Immerhin darf darauf verwiesen werden, daß die
Handschriften nicht die Form mit doppeltem, sondern mit einfachem τ
geben 14 . Damit ergibt sich auch da die Möglichkeit einer alttürkischen
Etymologie. Die verbale Wurzel oz- „fliehen, entkommen, erretten, sich
befreien" wäre alsdann mit faktitivem -ytttu erweitert (neben oz-yur-, oz-
-qur-) und am Schluß mit dem deverbalen Nominalsuffix a14 versehen. Dem-
nach *ozyuta „Erretter, Befreier". Es bleibt Eslas (Ήσλας). Ein itazistisch
zu sprechendes *isla- kann keinem urgerman. *aisila > *esla17 gleichgesetzt
werden. Es kommt nur alttürk. iS, if „Tat, Geschäft, Unternehmen, Dienst"
und la, lä als Adjektivsuffix in Betracht 1 8 . Also *islä oder Hsla.
Damit entfällt die Aussicht, in den λογάδες Goten zu erkennen. Es bleibt
Orestes, aus Pannonien stammend und Vater des letzten weströmischen
Kaisers Romulus Augustulus 19 . Er wird ausdrücklich als einer der λογάδες
bezeichnet. Priskos nennt ihn zudem όττάονά τε καΐ ύττογραφέα Ά τ τ ή λ α
und sagt ausdrücklich, er habe an Ansehen einem gebürtigen Hunnen wie
Edekon gegenüber zurückstehen müssen. Für den Anonymus Valesianus
1 0 F. Altheim, Literatur und Gesellschaft i , 217; G. Moravcsik, Byzantinoturcica
2 2 , 121. Ein Skire Edika im 6. Jahrhundert bei O. Höfler in: Paul und Braunes Beitr.
77, 53, mit Literatur.
1 1 G. Moravcsik, a. O. 2 2 , 89 f.
bei seiner gotischen Etymologie die itazistische Aussprache des η, aber nicht die des y .
1 5 J. Harmatta, a. O. 148; G. Moravcsik, a. O. 2 2 , 279.
1 1 A. v. Gabain, a. O. 70 § 106.
1 7 J. Harmatta, a. O. 145 r.
1 8 G. Moravcsik, a. O. 2 2 , 133.
war Orestes Attilas notarius. Daß ein Römer in den Kreis der λογάδες
aufgenommen wurde, freilich ohne volle Gleichberechtigung zu genießen,
hatte seinen Grund. Es wird sich noch zeigen, daß Attila nicht nur die
Anfänge eines Feudalsystems, sondern auch die einer Bürokratie und
Kanzlei geschaffen hat.
Dagegen erhob sich eine Erbitterung, wie man sie kaum erwartet hatte.
Damals mögen die Ostgoten den Schwur getan haben, daß fürderhin keine
Abmachung mit ihren Unterdrückern gelten solle. Ihnen, die sich selbst
um keinen Landbau gekümmert, die aber gotisches Land gleich Wölfen
heimgesucht und dessen Bewohner als Hörige (θεραπόντων τάξιν ϋχονταξ)
286 ATTILA
4
Zuvor wurde gesagt, Attila habe nicht nur die Anfänge eines Feudal-
systems, sondern auch eine Kanzlei und damit die Grundlage einer Büro-
kratie geschaffen. Auch diese Behauptung bedarf der Erläuterung.
Priskos sagt ausdrücklich, daß die Hunnen eine Schrift besaßen 1 . An
Attilas Hof wurden Listen geführt, und diese wurden von einem ύττογραφεύς
verlesen. Es hat sich gezeigt (oben 1, 283^), daß das Vorbild der alttürki-
schen Runen das armazische Alphabet in seiner spätesten Form war, das sich
bereits dem Pärsik genähert hatte. Da ab Mitte des 3. Jahrhunderts die ar-
mazische Schrift zu verschwinden begann, sie sich immer stärker dem Pärsik
angeglichen hat und zuletzt ihm gegenüber zurückgetreten ist, müssen die
nördlich des Kaukasus sitzenden Hunnen um oder nach 300 das Vorbild
kennengelernt haben, dem sie die Runen nachbildeten. Eine Bestätigung
hat die armazische Inschrift auf dem Gefäß von Lad&nybene geliefert (oben
i , 296). Auch die aus dem gleichen Bereich nach der Theißebene vorge-
drungenen Alanen hatten das armazische Alphabet im Lauf des 3. Jahr-
hunderts oder schon vorher übernommen. Daß im weiter südlich gelegenen
Iberien sich dies schon im 1. Jahrhundert vollzogen hatte, hat die ältere der
Inschriften aus Mchet'a erwiesen (oben S. 8 f.).
Wer waren die Schreiber ? Bei den Osttürken konnte, viele Jahrhunderte
später, solch ein Schreiber vornehmen Standes sein. Für die beiden großen
Inschriften des Bilgä qayan nennt sich Υ ο ΐ ϊ γ tägin als derjenige, der sie
1
Priskos in: E x c . de legat. 1 2 8 , 1 8 f . de Boor. Weiteres bei F . Altheim, Literatur
und Gesellsch. I, 2 1 6 A n m . 1 5 . D a die genannten Listen zunächst für den inneren Be-
darf geführt wurden, kam Aufzeichnung in griechischer oder römischer Schrift nicht
in Betracht. Prokop., b. Goth. 4, 19, 8 f . spricht nicht dagegen: mit den „ H u n n e n "
sind die Utiguren gemeint. Richtig G. Moravczik, a. Ο. 2 1 , 21, unrichtig Ε . A. Thomp-
son, a. O. 4.
12. ATTILA UND OSTROM 287
• Jabari, ann. 1, 1024, 14!.; Ibn Kutaiba, lib. poes. 114, 2f. de Goeje.
288 ATTILA
vornehmer Mann aus Hira, was zeigt, daß auch er von den dortigen Vasallen-
königen zur Verfügung gestellt wurde. Dazu stimmt, daß er von den
Arabern in natura entlohnt wurde. Zwei rote Füllen, frische Trüffel zu
jeder Jahreszeit, getrocknete dicke Milch und andere Erzeugnisse werden
genannt 10 . Man verfuhr demnach ähnlich, wie sich Aetius verhalten hatte.
Man mag den Gedanken noch weiter führen. Wenn Attila und Bleda bei
den Verhandlungen vor der Stadt Margos einen alten Vertrag hervorholten,
den Rua mit den Oströmern geschlossen hatte, um ihn sich bestätigen zu
lassen und ihn zu erweitern, so muß es eine Stelle gegeben haben, da man
solche Schriftstücke bewahrte. Auch am Sasanidenhof gab es ein Archiv,
darin die Korrespondenz aufgehoben wurde 1 1 . Dawäwin sind vermutlich
Kopierbücher gewesen, darin die Abschriften der Originale eingetragen
wurden. Immerhin muß daran erinnert werden, daß diese Einrichtung
erst aus spätsasanidischer Zeit bezeugt ist, den Hunnen also kaum aus Iran
zugekommen sein kann 1 2 .
Die Anfänge eines Schreiberstandes spiegeln gleich den übrigen λογάδες
den Aufbau eines organisierten Staatswesens. An Rang konnten sich diese
Schreiber, trotz ihrer Unentbehrlichkeit, mit den λογάδες, soweit diese
dem Adel oder gar dem Herrscherhause entstammten, — den „königlichen
Skythen", wie Priskos mit herodoteischer Wendung sagt 1 3 — nicht messen.
Daß ein Verwandter des Herrschers als Schreiber aufgetreten wäre wie der
zuvor erwähnte Yoliy tägin, war undenkbar. Und doch begannen auch die
Schreiber ihre Ansprüche zu stellen. Das zeigt die Begebenheit zwischen
Edekon und Orestes, die Priskos berichtet 14 . Gegenüber einem echtbürtigen
und adeligen Hunnen (Edekon, also ädgü, bezeichnet den άριστος) wagte
der halbgriechische Schreiber, Gleichwertigkeit zu beanspruchen. Man mag
das Aufkommen der aramäischen Schreiberkaste im Achaimenidenreich
vergleichen, die neben den persischen Adel, die „Häuser", trat 1 5 . An
anderer Stelle wurde gezeigt, daß in der Revolte des Gaumäta, was sie sonst
bestimmt haben mochte, auch jene beiden Kasten sich entgegentraten 16 .
10
Tabari, ann. i, 1024, 1 5 ί .
11
Tabari, ann. 1, 1026, i6f.
12
Einschränkend gegenüber Altheim-Stiehl, Ein asiatischer Staat, 1, 267.
13
Priskos, 1. c. 1 4 1 , 1 3 f . ; Ε . Λ. Thompson, a. O. 10.
14
Priskos, 1. c. 123, 7 f.
15
F. Altheim, Weltgeschichte Asiens 1, 1 5 4 ; Altheim-Stiehl. Die aramäische
Sprache 1. Lfg. 7 5 f . ; 92f.
16
Altheim-Stiehl, a. O. 95 f.
12. ATTILA UND OSTROM 289
5
lim was es den Hunnen ging, hatte der Vertrag von Margos 435 gezeigt.
In erster Linie verlangten sie Auslieferung der Stammesgenossen, die über-
gelaufen und in oströmische Dienste getreten waren. Die Römer sträubten
sich, solange es ging, denn diese Männer gehörten zu den besten Soldaten,
über die man verfügte. Die Uberläufer selbst waren alles andere als gewillt,
in eigner Person Attilas Forderung nachzukommen. Sie wußten, was ihnen
jenseits der römischen Grenze bevorstand. Mama und Atakam, aus Attilas
Verwandtschaft, hatten die Römer lange in der Festung Carsum, unfern
von Troesmis in der Dobrudscha, in Haft gehalten und dann ausgeliefert:
sie wurden alsbald gekreuzigt. Andere, die in Attilas Hand fielen, wurden
gepfählt. Es kam so weit, daß die Römer die Hunnen in ihren Reihen, die
fest entschlossen waren, nicht zu den Ihren heimzukehren, lieber umbrachten
als sie auslieferten. Im übrigen vergalt man Gleiches mit Gleichem. Die
Bürgerschaft von Asemos tötete sämtliche Hunnen, die in ihre Hand fielen,
um sie nicht dem Feind zu neuer Verwendung zurückgeben zu müssen.
hand gefallen; die Grenzstädte waren zerstört und von ihren Bewohnern
verlassen; andere, die im Binnenland lagen, hatten von den Hunnen Furcht-
bares erlitten. So mußte man in Attilas Forderung willigen. Die zu räumende
Zone reichte von Singidunum im moesischen Westen bis nach Novae im
Osten. Landeinwärts erstreckte sie sich in einer Tiefe von fünf Tages-
märschen. Das besagt, daß die neue Grenze bei Naissos (Nisch) begann:
die Verteidigung der Donaufront mußte auf die Vorhöhen des Balkan
zurück verlegt werden.
Aber damit waren die Verhandlungen nicht beendet. Neue Forderungen
und Beschwerden des Siegers schlossen sich an. Man verweigere nach wie
vor die Auslieferung der hunnischen Überläufer, man räume die ödzone
nicht rasch und vollständig genug, hieß es jetzt; persönliche Wünsche des
Hunnenherrschers oder seiner Gefolgsleute traten hinzu. Bei diesen Ver-
handlungen entfalteten sich Verschlagenheit und Brutalität; alle Künste
des Zauderns und der Verschleppung, der Menschenbehandlung und der
Bestechung; hohe und niedrige Beweggründe . . . Priskos, der selbst an
einer Gesandtschaft beteiligt war, hat davon das anschaulichste Bild hinter-
lassen.
Ammianus 1 sagt von den Hunnen, sie hielten sich an Verträge nicht
und wendeten sich jeder neu auftauchenden Möglichkeit sofort mit
Leidenschaft zu. Was ehrenhaft sei oder nicht, wüßten sie nicht; ihre
Rede sei undurchsichtig und verschiedener Ausdeutung fähig; keine Religion,
nicht einmal ein Aberglaube lege ihnen Bindungen auf, und ihre Gier nach
Gold sei unermeßlich. Ihre Gesinnung schwanke derart, daß sie ihre
Freunde, ohne daß diese ihnen Anlaß dazu gegeben hätten, verrieten und
am gleichen Tage, ohne daß man sich darum bemüht habe, zu ihnen zurück-
kehrten. Jeder Satz aus Priskos bestätigt, daß diese Zeichnung zutrifft.
Da sind die hunnischen Unterhändler, Edekon und Orestes, die im Früh-
jahr 449 nach Konstantinopel reisen, um den Forderungen ihres Herrn
Nachdruck zu geben. Beide gehörten zu Attilas λογάδες. Edekon wird von
dem kaiserlichen Eunuchen Chrysaphios, pritnicerius sacri cubiculi und
spatharius2, insgeheim ein Plan unterbreitet, der auf Attilas Ermordung
abzielt. Der Hunne geht darauf ein, zumal ihm Geld und anderes mehr
versprochen wird. Er schwört Geheimhaltung, scheint geneigt, das Vor-
haben auszuführen, aber er ist nicht allein. Neben Edekon ist Orestes in
1
31, 2, I I .
2 Über seine Stellung Ε. A. Thompson, a. O. 99 Anm. 4.
294 ATTILA
Empfindlich sind diese Hunnen, wenn sie glauben, man übersehe ihren
Rang und bringe ihnen nicht die nötige Achtung entgegen. D a erwachen
Mißtrauen und gekränkter Stolz des Barbaren. Sie lassen sich, wenn über-
haupt, so wiederum nur durch entsprechende Zahlungen und Geschenke
beruhigen. Orestes beklagt sich über Bevorzugung Edekon's, Edekon
darüber, daß man Attila nicht die gebührende Ehre zukommen lasse. Ein
großangelegter Versuch, durch Zahlungen das Volk der Akatziren auf kaiser-
liche Seite herüberzuziehen, scheitert daran, daß man die verfügbare Summe
nicht nach dem Rang verteilt. Kuridachos 3 , der sich mißachtet fühlt, nimmt
zwar das Geld, aber macht Attila von den Vorgängen Mitteilung. Eifer-
süchtig wachen die Hunnen darüber, daß die oströmische Gesandtschaft ihr
Zelt nicht an einem Orte aufschlage, der höher als das Lager ihres Herrschers
liegt 4 . Immer kehrt die Klage wieder, daß man von Konstantinopel aus
Gesandte schicke, die nicht höchsten Ranges seien. Die Gegenseite sucht
sich zu rechtfertigen, mit wenig Geschicklichkeit und noch weniger Glück.
War es doch unverkennbar, daß hohe Würdenträger sich zu der beschwer-
lichen und gefahrvollen Reise ins Hunnenland nicht eben drängten. Und
begreiflicherweise wollte man das Leben eines der viri illustres nicht aufs
Spiel setzen, wenn man der Gesandtschaft insgeheim den Mordauftrag
mitgab.
tinopel zu einer reichen Ehe zu verhelfen. Auch nachdem der Plan zunächst
fehlgeschlagen ist, hält Attila an ihm fest. E r erlebt es schließlich, daß
sein Untergebener eine seinen Wünschen entsprechende Partie erhält 5 .
Die Episode bedarf auch darum der Erwähnung, weil der sasanidische
Schreiber für die arabischen Angelegenheiten von den Arabern selbst ent-
lohnt wurde (oben S. 287f.). Man sieht sogleich: Attila hegte dieselbe Vor-
stellung über die Honorierung seines Schreibers. Constantius, der den Brief-
wechsel mit den Römern erledigte, sollte seitens dieser durch eine reiche
Partie mit einer Römerin entschädigt werden.
Auf der anderen Seite fand man sich in dieser fremden Welt nicht so-
gleich zurecht. Man rechnete am Kaiserhof nicht genügend mit der Ver-
schlagenheit des Gegners; man erwartete von einem Hunnen Vertrauen,
und man erwartete es gerade da, wo man selbst es aufs schnödeste brach.
Vor allem fehlte es an Männern, die mit der hunnischen Sprache vertraut
waren. Nur aus diesem Mangel erklärt es sich, daß der einzige Dolmetscher,
den man besaß, Bigilas, seine unheilvolle Rolle spielen durfte. Man wertete
diesen Menschen niedrig genug, um ihn allein, im Gegensatz zu den höher-
gestellten Mitgliedern der Gesandschaft, in das Komplott gegen Attila ein-
zubeziehen. Denn ein Maximinos, ein Priskos mochten sich schwerlich zu
dergleichen hergeben. Aber man überschätzte Bigilas auch dann noch.
Seine Tätigkeit, die Priskos so ergötzlich schildert, war ein Mißgriff, eine
Ahnungslosigkeit und Taktlosigkeit nach der anderen. Wie schon in Serdica
alles verraten ist; wie die Anzeichen sich mehren, daß da etwas nicht stim-
men könne; wie der Betrüger selbst hintergangen wird; wie er sich seiner
Stellung bei Attila rühmt und dessen Zorn zu spüren bekommt; wie er in
seiner Ahnungslosigkeit das Geschehene nicht begreift und zuletzt noch in
die ihm gelegte Falle geht, alles gestehen muß — das möge man bei Priskos
selbst nachlesen.
® Zuletzt Ε. A. Thompson, a. O. 1 2 1 f.
12. A T T I L A UND OSTROM 297
ersten Empfang dürfen die Gesandten dem Hofzug nicht folgen 6 , denn der
hohe Herr trägt sich mit Heiratsplänen. Zu seinen vielen Frauen wird sich
als weitere die Tochter Eskam's gesellen, und er gedenkt sich darin durch
die Anwesenheit einer oströmischen Mission nicht stören zu lassen. Diese
muß ihren eigenen Weg gehen und macht dabei, durchaus unfreiwillig, die
Bekanntschaft einer weiteren Königsfrau. Von einem nächtlichen Orkan
überrascht, sucht man, völlig durchnäßt, in einem Dorfe Schutz, und es
erweist sich, daß es einer der Witwen, die Attilas Bruder hinterlassen hat,
gehört. Man findet bei ihr freundliche Aufnahme, und mehr als das: hübsche
Weiber, mit denen der Umgang den Gästen freigestellt wird . . . Priskos
fügt hinzu, daß dergleichen bei den Skythen eine Ehrung bedeute. Obdach,
Speise und Trank nahmen die Reisenden mit Dank; auf die Ehrung in-
dessen verzichteten sie und begnügten sich damit, die angebotenen Ge-
fährtinnen zum Mahle zu laden.
Schließlich gelangte man zu Attilas Residenz. Man war nicht allein, denn
Gesandtschaften aus aller Welt kamen dort zusammen. Neben der ost-
römischen war eine solche aus dem Westen anwesend; eine weitere, diesmal
von Barbaren geschickt, kam hinzu. Der Aul des Hunnenherrschers lag in
einer weiten bäum- und steinlosen Ebene, darin Reiter sich tummeln
konnten. Nach Überschreitung mehrerer Flüsse (die sich heutigen schwer
gleichsetzen lassen) kam die Gesandtschaft an und schlug außerhalb
der Umwallung ihr Zelt auf. Die Siedlung 7 war größer als irgendeine, zu
der man bisher gekommen war. Attilas eigenes Haus stand auf einer Er-
hebung, war sorgfältiger als die anderen aus geglätteten Brettern gefügt;
ein Palisadenzaun mit hölzernen Türmen umgab das Ganze 8 . Ein zweiter
Palisadenzaun, diesmal ohne Türme, schützte Onegesios' Haus. Ihm zur
Seite stand ein aus Steinen errichtetes Badehaus. Die Werkstücke hatte man
mit unendlicher Mühe aus Pannonien herbeigebracht, und ein römischer
Architekt, Gefangener aus Sirmium, hatte das Wunder aufgeführt. Er hatte
gehofft, sich damit die Freiheit zu verdienen. Aber ihn erwartete Schlim-
meres : er war zum Bademeister seines Herrn bestellt worden.
• Uber den W e g der Gesandtschaft, insbesondere über die Ansetzung der von ihr
überschrittenen Flüsse: I. I. Russu in: Cercetäri lingwistica 2 (1958). Die Arbeit war
dem Verfasser nicht zugänglich.
7 Über die Lage von Attilas Residenz zuletzt R. Browning in: Journ. Hell. Stud.
73, i 4 3 f . ; Ε. A. Thompson, a. O. 2 2 i f .
* F. Altheim, Lit. u. Gesellschaft 1, 223 Anm. 40a.
298 ATTILA
In dieser Residenz spielte sich ein bewegtes Leben ab. Als Attila heim-
kehrte, empfing ihn ein Mädchenchor, hunnische Lieder singend. In Reihen
schritt dieser einher, während andere Weiber feines und weißes Linnen über
den Häuptern der Sängerinnen hielten. Onegesios' Gattin begrüßte den
Herrscher inmitten ihrer Mägde, die Speisen und Wein brachten: er nahm
von dem Angebotenen, zu Pferde sitzend, wobei Platten und Weinkelch
ihm hinauf gereicht wurden. Attilas Gattin Kreka 9 bewohnte ein eignes
Haus innerhalb des Palisadenzaunes, der Attilas Besitz umgab. Hier nahm
sie die Gaben der Gesandtschaft entgegen, auf weicher Decke gelagert,
während wollene Teppiche den Boden bedeckten (das Zeugnis ist bedeutsam
für das Alter des Nomadenteppichs, 9e vgl. oben 2,105; 280). Im Kreise saßen
ihre Mägde, die Leinen mit bunten Farben bestickten; diese Borten und
Besätze sollten der hunnischen Kleidung zum Schmuck dienen. Noch
weitere Gebäude gab es in diesem, dem Herrscher vorbehaltenen Teil zu
sehen; darunter solche, die man aus Balken blockhausmäßig errichtet
hatte; an den Außenseiten waren hölzerne Arkaden vorgeblendet 10 . Man
konnte Attila beobachten, wie er Rechtsuchenden seine Entscheidung
mitteilte oder fremde Gesandschaften empfing. Priskos fiel sein stolzer
Gang auf und der herrscherliche Bück, den er ringsrum schweifen ließ.
Weitere Gelegenheit, den Herrscher zu beobachten, bot die Aufforderung
zur Teilnahme an einem Bankett im Palast selbst. Auch die Weströmer
waren geladen, und zu festgesetzter Stunde stellte man sich ein. Nach
hunnischer Sitte wurde ein Trunk gereicht, und es mußte die Proskynesis
vollzogen werden, bevor man den Saal betrat und sich zum Mahle setzte.
Beiderseits an den Wänden der Halle saßen die Hunnen und ihre Gäste; in
der Mitte stand eine Kline, auf der Attila saß. Geradeaus blickte er auf die
Eingangstür, während hinter ihm sich eine zweite Kline befand, die un-
besetzt blieb. Stufen führten zu einem Alkoven empor, der mit Vorhängen
verschlossen war. Man befand sich in einem regelrechten Iwan nach ira-
nischer Art, der von der einen Schmalseite aus zugänglich war und dessen
Gegenseite der königliche Sitz einnahm.
Der Ehrensitz zu Attilas Rechten wurde durch Onegesios eingenommen.
Die Römer aus beiden Teilen des Reiches mußten sich mit Sitzen zur
• Zur Namensform und deren Varianten: G. Moravcsik, a. O. 2 2 , 173.
·* Der große Knüpfteppich aus P a z y r y k im Altai, die Filzteppiche aus Noin Ula
in der Mongolei, die Funde A. Steins in Ostturkestan, die sowjetischen in T o p r a k - K a l a ,
die Fresken von Bäzäklik und Tun-huang erbringen die Bestätigung,
1 0 Priskos bei Konstant. Porphyrog., de legat. 139, 26£., wobei ich δοκών lese.
12. A T T I L A U N D O S T R O M 299
Linken begnügen, wobei der Hunne Berichos noch einen Platz über ihnen
einnahm. Onegesios gegenüber saßen auf einem Stuhl zwei jüngere Söhne
Attilas; ein anderer, der schon älter war, hatte neben dem Vater auf der
Kline Platz genommen, aber aus Scheu vor diesem wagte er nur am äußer-
sten Rand zu sitzen und hielt die Augen gesenkt 1 1 . Dann wurde
Attila eine Schale Weines gebracht, und er trank einem jeden der Gäste zu.
Der jeweils Geehrte mußte sich erheben und durfte sich nicht eher setzen,
als bis der Herrscher dem Mundschenk die Schale zurückgereicht hatte.
Nach Abschluß dieser Begrüßung wurden die Tische hereingebracht, für
drei oder vier der Geladenen je einer, bedeckt mit Brot, Fleisch und Zukost.
Serviert wurde auf silbernen Tellern, wohl römischem Beutegut; nur
Attila speiste von einer hölzernen Platte und begnügte sich mit Fleisch.
Auch bediente er sich statt der goldenen und silbernen Becher, die den
Gästen vorgesetzt wurden, eines solchen aus Holz. Dieselbe Einfachheit
zeigte Attilas Kleidung. Sie unterschied sich in nichts von der jedes anderen
Hunnen. Auch fehlte an Schwert, Schuhen und Zaumzeug der Besatz von
Edelsteinen, den die Vornehmen zur Schau trugen 12 . Nachdem man dem
Mahl kräftig zugesprochen, wurde der Ehrentrank für den Gastgeber
wiederholt.
Als aber der Abend heraufkam, fährt der Bericht fort, wurden die
Fackeln entzündet, und zwei Sänger traten vor Attila und sangen von
seinen Siegen und Heldentaten. Und die Gäste sahen zu ihnen hin, wobei die
einen sich an den Gesängen erfreuten; in anderen wurde die Erinnerung an
vergangene Kriege wach, während die, welche das Alter von Kampf und
Feldzügen ausschloß, in Tränen ausbrachen . . . Andere Darbietungen
folgten, die stürmisches Gelächter erregten. Das Gelage dauerte bis tief in
die Nacht. Die Gesandten zogen sich vor seinem Abschluß zurück, da sie
nicht dem Trinken sich übers Maß hingeben mochten.
Weitere Einladungen schlossen sich an. Kreka sah die oströmischen
Gäste in kleinerem Kreise um sich, und Attila gab ihnen zu Ehren ein
zweites Bankett der gleichen Art. Nur saß neben ihm auf der Kline nicht
1 1 So ist die Stelle 143, 25f. zu deuten, vgl. 146, 18f. Πρεσβύτερος ist in beiden
der ältere Sohn, sondern sein Oheim Oebarsios. Drei Tage später erhielten
die Gesandten ihre üblichen Geschenke und machten sich auf den Heimweg
nach Konstantinopel.
6
Für Attilas Zeit bis herab zu dem Untergang seines Reiches steht eine
Quelle zur Verfügung, an die keine andere heranreicht : die Byzantinische
Geschichte des Priskos von Panion. Bruchstücke und Auszüge, die allein
erhalten sind, umfassen die Zeit von 434—471. Sie betreffen vornehmlich
das Gebiet, darin Priskos Autorität war: die Geschichte Attilas und der
Hunnen. Auch die späteren Geschichtsschreiber, wo immer sie auf das
Volk zu sprechen kommen, entnahmen ihre Kenntnis dem Werk, das nun
einmal maßgebend geworden war. Cassiodor hat seiner Gotengeschichte
große Teile aus Priskos einverleibt, und sie sind noch im Auszug des Ior-
danes kenntlich.
Priskos hat sich nicht entschließen können, von der leidigen Gewohn-
heit der spätantiken Geschichtsschreibung zu lassen, die die Barbaren ihrer
Zeit mit längstvergangenen, aber durch klassische Muster geheiligten
Namen bezeichnete. Er sprach nebeneinander von Hunnen und Skythen;
sogar die herodoteische Wendung von den königlichen Skythen konnte er
sich, wie schon vor ihm Zosimos, nicht versagen. Vielleicht hat er geschieden,
und den Namen der Hunnen dem Herrenvolk, den der Skythen der Masse
der unter sich recht verschiedenen Untertanen vorbehalten (sicher ist es
keineswegs). Mißverständnisse der Neueren waren die Folge, und oft
bedurfte es eines Neufundes, um Aufklärung zu verschaffen. Aber der-
gleichen wiegt wenig gegenüber den Vorzügen des Mannes.
Kein Zweifel: Priskos hat über ausgezeichnete Unterrichtung verfügt.
An einer Reihe von Begebenheiten hat er selbst teilgenommen. Hier ge-
winnt seine Schilderung eine Genauigkeit und Anschaulichkeit, die zu-
weilen erreicht, aber nie übertroffen wurde. Uberhaupt darf man sie den
Meisterwerken hellenistischer Geschichts- und Völkerbeschreibung zur
Seite stellen. Nur ein Vorurteil, das die Spätwerke griechischer Literatur in
Bausch und Bogen einschätzte, hat verursacht, daß ihm der Platz unter den
Großen, auf den er Anspruch hat, vorenthalten wurde 1 . Aber auch von
sios' Tischgenosse gefalle ihm sein gegenwärtiges Leben mehr als sein
früheres. Denn bei den Skythen lebe man, wenn der Krieg vorüber sei,
ungestört, ein jeder genieße das Vorhandene, und nie oder selten falle man
sich gegenseitig zur Last. Hingegen riskiere man bei den Römern in einem
Krieg das Leben, denn man müsse seine Hoffnung auf andere setzen, da
doch die dortigen Gewalthaber niemals zuließen, daß alle Waffen trügen;
und noch schlimmer sei die Lage derer, die die Waffen tragen dürften: infolge
der Untüchtigkeit der Feldherren, die den Krieg nicht zu führen verstünden.
Im Frieden liefen die Dinge noch schlechter als im Krieg infolge der er-
barmungslosen Steuereintreibung und wegen des Schadens, den die Bös-
willigen anrichteten. Sei doch das Gesetz nicht allen gegenüber gleich,
sondern wenn einer zu den Reichen gehöre, dann brauche er für sein Ver-
gehen keine Strafe zu entrichten; sei er aber arm, so müsse er, da er nichts
von Rechtshändeln verstehe, die vom Gesetz bestimmte Strafe gewärtigen,
es sei denn, daß er vor dem Urteil das Zeitliche segne, nachdem viel Zeit vor
Gericht habe vertan und viel Geld habe aufgewandt werden müssen 3 . Was
aber das Schlimmste von allem sei: nur gegen Zahlung könne man sein
Recht erhalten. Nicht einmal dem Geschädigten öffne sich der Zugang zum
Gericht, wenn er nicht zuvor für den Richter und seine Gehilfen eine Summe
entrichtet habe."
So weit die Worte von Priskos' Unterredner. Es ist eine Stimme, wie man
sie selten vernimmt; um so eindrucksvoller wirkt sie. Bei Priskos' Antwort
darf man sich kürzer fassen. Sie geht dahin, daß die Männer, die Roms Ver-
fassung geschaffen hätten, weise und gut gewesen seien. Sie hätten es so
geordnet, daß ein Teil des Volkes zu Wächtern über das Gesetz bestellt
würde, ein anderer das Waffenhandwerk ausübe und ein weiterer sich dem
Ackerbau widme und zugleich die Verteidiger des Landes ernähren müsse.
* Eine ähnliche Äußerung hörte ich 1938, als ich mich bei dem Oberscheich der
Sammär, 'Ägil (M. v. Oppenheim, Die Beduinen 1, 150f.), in K a l ' a t Sergät als Geist
aufhielt. Da wurde mir bedeutet, daß im Gegensatz zum europäischen Gerichtsverfah-
ren ('Ägil hatte eine längere Europareise gemacht), das Zeit und Kosten verschlinge,
der Scheich nach der Väter Art entscheide. Er kenne alles geschriebene und unge-
schriebene Recht der Stämme und sei in der Lage, jeden Rechtsfall sofort zu ent-
scheiden. Nie komme es dazu, daß eine der Parteien unzufrieden sei. Ich wurde auf-
gefordert, einer solchen Rechtssprechung am nächsten Morgen beizuwohnen. Da
hockten im Morgengrauen die Rechtsuchenden in langen Reihen vor dem Schloß des
Scheichs, Gewehr und Patronengurt umgetan und vor sich ein gefesseltes Lamm als
Sportel. Der Scheich entschied nach Anhörung beider Parteien sofort; auch ich konnte
kein Zeichen bemerken, daß man sich dieser Entscheidung nicht gefügt hätte.
304 ATTILA
Die Gerichte seien gewissenhaft und gerecht, und die lange Dauer der
Prozesse rühre davon her, daß man eine hastige und ungerechte Entschei-
dung vermeiden wolle. Daß man ihnen für ihre Mühe eine Entschädigung
zukommen lasse, sei nur angemessen. Ferner sei unrichtig, der Rechts-
sprechung Voreingenommenheit für die Reichen vorzuwerfen, unterstehe
doch der Kaiser selbst dem Recht. Endlich verhielten sich die Römer
menschlicher gegen ihre Sklaven als die Hunnen gegen ihre Untertanen. Sie
ständen zu den Sklaven gleich Vätern und Lehrern, und sie suchten sie zu
erziehen und zu bessern, wie sie es mit den eignen Kindern täten. Auch der
Weg zur Freiheit stehe den Sklaven offen.
Gibbon hat diese Antwort ,,a feeble and prolix declamation" genannt.
In der Tat, sie schmeckt nach der Rhetorenschule, und man faßt einen
anderen Priskos, den Verfasser rhetorischer Übungen (wovon die Suda
berichtet). Auch hier zeichnet sich sein Unterredner durch klareren Blick
aus. „Er antwortete unter Tränen, daß die Gesetze schön und die römische
Verfassung gut seien, aber die Herrschenden dächten nicht wie einst und
hätten diese Verfassung entstellt und ins Schlechte gewandt."
13- KAPITEL
1 Charakteristisch die Funde aus der oberen Schicht von Winetie am I.acha-See:
Α. Μ Tallgren in· F,ur. Sept. Ant. το. i^qf. (um die Zeitwende).
2 Zusammenfassend Α. M. Tallgren in: Eur. Sept. Ant. 10, 171 f.
20 Althoim, Hunnen IV
306 ATTILA
Es ist das Land, über das hinweg die Steppenwinde aus dem Innern
Asiens brausen. Im Sommer bedecken die turmhohen Sand wölken den
ganzen Strich zwischen Kasan und Astrachan: sie gestatten nur in den
ersten Tagen des Frühlings ein kurzes Grünen. Im Winter fegen die Schnee-
stürme bis zur Ukraine und über sie hinaus. Sie lassen es zu keiner Schnee-
decke kommen und rauben dem Land den wärmenden Schutz. Bitterste
Kälte wird von unvorstellbarer Hitze und Dürre abgelöst, und vom
furchtbaren Wechsel der Klimagegensätze, von ihrer Härte und Er-
barmungslosigkeit scheint das Land auch den Nomaden, die es durch-
ziehen, mitzuteilen. Durch Anlage von Waldgürteln, riesiger Wasser-
reservoire über und unter der Erde, durch eine neue Form des Frucht-
wechsels ist erst unsere Zeit diesen Plagen zuleibe gegangen.
Doch dieses Land ist zugleich das eines rauschhaften Frühlings, der das
Herz des Menschen ergreift und ihn hineinreißt in den Freudentaumel der
wieder erwachenden Natur. In Versen, die (mögen auch persische Gaselen
mitgewirkt haben) in der türkischen Dichtung einzig dastehen und die den
Vergleich mit den Frühlingsliedern eines Walther von der Vogelweide
20·
308 ATTILA
7 ι p. 23, 63f. Rahm. Das Stück verdient eine eigene Übersetzung, die die Fehler
Danach verteilten sich die Rollen beider Gebiete im Lauf der Geschichte·
Verwies schon die Natur Pannoniens nach Italien, so war kein Zufall·
daß die Römer hier Fuß faßten. Dionysos, seit alters in Pannonien Herr-
scher, hat sich in zahlreichen Darstellungen bis ins Mittelalter erhalten.
Auch was man als Form der ungarischen Kunst bezeichnet hat: den Sinn
für das Volle und Runde, die Freude am schön Gewölbten, in Malerei,
Plastik und in der Volkskunst — ist zu einem guten Teil römisches Erbe,
durch das römische Pannonien vermittelt. Sinnlichkeit und Körpergefühl
der Antike haben sich darin erhalten.
Umgekehrt sind die Nomadenvölker, soviele ihrer im Lauf der Jahr-
hunderte ungarisches Land betraten, südlich und westlich der Donau nie
heimisch geworden. Es war etwas Besonderes, daß Ärpäd seinen eignen
Stamm zwang, auch im transdanubischen Land festen Fuß zu fassen. Aber
in den weiten Gefilden von Alföld und Pußta ließen sich die Rosse tummeln,
weidete man die Herden und schlug das wechselnde Zeltlager auf. Skythen,
Sarmaten, dann Awaren und Magyaren haben hier ihren Wohnsitz genom-
men ; alle sind sie aus dem Steppengebiet Südrußlands hierher vorgedrun-
gen. Dasselbe gilt von denen, die danach kamen: Petschenegen und
Kumanen; auch sie haben sich in den flachen Niederungen zwischen
Theiß und Donau heimisch gemacht.
In ihrer Reihe stehen die Hunnen. Sie folgten damit dem Gesetz, dem sie
und alle ihresgleichen unterstanden. Attila war es, der sie erstmals diesen
Bereichen entreißen sollte. Er ist daran gescheitert.
310 ATTILA
1
Priskos bei Konst. Porphyrog., de legat. 128, 20 f.; E . A. Thompson, a. a. O. 109,
hat die Bedeutung der Stelle nicht erkannt.
2
„Ses menaces obscures etaient des pr^paratifs strat6giques" : R. Grousset, L'em-
pire des steppes 1 2 2 .
312 ATTILA
Nicht nur im originalen Priskos, noch im Auszug des Iordanes tritt die
gleiche Auffassung hervor. Durch Mord an seinem Bruder Bleda sei Attila
zur Alleinherrschaft gekommen, habe alle Hunnen unter sich vereint, und
mit dieser Macht, verstärkt durch den Zuzug untertäniger Stämme, habe er
den Angriff gegen Römer und Westgoten geplant. Dann heißt es weiter:
er habe sich Großes zugetraut, aber sein Selbstvertrauen sei noch vermehrt
worden durch die Auffindung der Waffe des Kriegsgottes. Seitdem stand es
für ihn fest, er sei zum Herrn der Welt berufen, und durch des Gottes
Schwert werde ihm die Gewalt über die Kriege gegeben. Als schon der Plan
der Welteroberung festlag, habe ihn Geiserich zum Kriege gegen die West-
goten gehetzt, deren Rache zu fürchten er Ursache hatte. Denn der Wandale
hatte die ihm angetraute Tochter des Westgotenkönigs, auf den bloßen
Verdacht eines Mordversuchs hin, verstümmelt dem Vater wieder zugesandt
und sich so einen erbitterten Feind geschaffen.
Thompson, a. Ο. 132, ialsch gedeutet). Sie erscheint als Augusta auf den Münzen:
O. Ulrich-Bansa, Moneta Mediolanensis 226f.; 227 Anm. 19; 234 Anm. 38.
5 Prosper a. 451, Chron. Min. 1, 481; Ε. A. Thompson, a. O. 131; 135.
13- ATTILA UND WESTROM 315
es mit den Hunnen in römischen Diensten oder seine Söhne es mit den ab-
gefallenen Ostgoten taten. Genug: diese zunächst aufrecht erhaltene
Fiktion mußte, wenn sie jemals bestand, bald aufgegeben werden.
Denn gleichzeitig mit der Gesandtschaft nach Konstantinopel war eine
solche an Westrom gegangen (vermutlich an Valentinian III. selbst, nicht
an seinen Patricius Aetius). Auf die Nachricht von dem, was dem Eunuchen
Hyacinthus widerfahren war, legte sich Attila dahin fest, daß Honoria
nichts Unrechtes getan habe. Sie habe sich ihm als Braut versprochen, und
er werde für sie eintreten, wenn man ihr nicht Anteil an der kaiserlichen
Herrschaft gewähre. Der Schritt der Ungeratenen, die Übersendung des
Siegelringes hatten damit eine neue Deutung erhalten. Doch man ant-
wortete nun auch im Westen abschlägig. Honoria könne Attila nicht zur
Ehe gegeben werden, da sie mit einem anderen Mann verheiratet sei. Mit
der Kaiserwürde habe sie nichts zu schaffen, denn in Rom komme diese
allein Männern zu.
Es war deutlich, daß Attila, wenn er auf seiner Forderung beharrte,
im Westen nicht mit einem, sondern mit zwei Gegnern zu tun haben
werde. Immerhin, Feindschaft mit Valentinian III. bedeutete nicht not-
wendig auch solche mit seinem Patricius. Aber auch da ließ es Attila zum
Bruch kommen. Streitpunkt war die Thronnachfolge bei den ripuarischen
Franken. Attila begünstigte den älteren Sohn des letzten Königs, Aetius den
jüngeren. Priskos wußte von dem Knaben, dem er im Schmuck seines langen
und dichten Blondhaares in Rom selbst begegnet war. Aetius hatte den
fränkischen Königssohn als Sohn angenommen und, was mehr war: Kaiser
und Patricius trafen sich in ihrer Wahl, überhäuften den jungen Mann mit
Geschenken und gewannen ihn für sich. Offenbar verfügte dieser Günst-
ling Roms über den größeren Anhang unter seinem Volk®. Denn Attila sah
• Priskos fr. 16 spricht von dem Grund des Krieges gegen die Franken. Damit ist
gesagt, daß die Ripuarier bei der Entscheidung auf der Seite von Attilas Gegner
standen (vgl. lord.. Get. 191), der jüngste Bewerber also die Krone erhielt. Im
zweiten Teil des Fragments wird von der letzten Gesandtschaft an Westrom berichtet.
Den Übergang nimmt Priskos in der Weise vor, daß er auf den einleitenden Satz, der
von dem Kriegsgrund gegenüber den Franken sprach, zurückgreift: „aus diesen Gründen
den Krieg unternehmend" usw. Daß damit nicht mehr als Wiederaufnahme und Ab-
schluß des Bisherigen gemeint ist, bestätigt der Schlußsatz des Ganzen. Danach
steht Attila erst in den Vorbereitungen. Alle Schlüsse, die Ε. A. Thompson, a. O.
137 und 138, auf Grund seiner falschen Interpretation des Fragmentes zieht, entfallen
damit. — Daß ich Malal. p. 358 Bonn, und Chron. Pasch, i , 587 (Ε. A. Thompson,
a. O. 137) keine Bedeutung zumesse, bedarf hoffentlich keiner Begründung.
316 ATTILA
sich durch den für ihn ungünstigen Verlauf des Thronstreits veranlaßt, seine
anderen Forderungen gegenüber Westrom um so nachdrücklicher zu ver-
folgen. Honoria sei seine Braut, so ließ sich eine neue Gesandtschaft ver-
nehmen, Beweis dessen sei der eingehändigte Siegelring; ihr gebühre die
Hälfte des weströmischen Reiches, die ihr der Bruder vorenthalte. Dem-
gegenüber traten Valentinian I I I . und Aetius vereint auf: man beschied auch
die neuen Forderungen abschlägig.
Anm. 4), den die zarathustrische Geistlichkeit dem gleichen Manne zu-
gelegt hat.
Da behauptet wurde (0. Maenchen-Helfen in: Journ. Amer. Orient. Soc.
79 [1959], 298 1.), der hunnische Einfall von 395 ins Perserreich sei eins
mit dem der Basich und Kursich, von denen Priskos (Exc. de legat. 1 4 1 ,
10 f. de Boor) berichtet, sei dieser haltlose Einfall richtiggestellt. Während
der syrische Autor die Hunnen auf der Rückkehr von einem Vorstoß, der
sie bis Galatien geführt hat, ins Perserreich einfallen läßt, geschieht der
Einfall bei Priskos von der Μαιωτϊς λίμνη aus. Nach dem Syrer gelangen
sie bis in den Sawäd und stehen zuletzt vor Madä'in, nach Priskos kommen
sie ές τήν Μηδικήν (1. c. 18). Bei dem Syrer kämpfen die Hunnen gegen
das Römerreich, bei Priskos verhandeln sie mit Rom um Waffenhilfe
gegen die Perser (13 f.; 'Ρωμαίων . . . μή συμβαλλόντων n f . ) . Das schließt
vorherige Verwüstung des römischen Gebietes, wie sie der Syrer beschreibt,
aus. Hinsichtlich der Datierung von Basich's und Kursich's Unternehmen
wird es bei dem oben 1, 1 2 f. Gesagten bleiben. Daß es das ältere ist, ergibt
sich schon daraus, daß damals die Hunnen den Persern noch standzuhalten
suchten und erst dem überlegenen Pfeilhagel wichen, im Jahre 395 es aber
auf einen Kampf gar nicht mehr ankommen ließen.
3
Früh im Jahre 451 begann der geplante Feldzug. Über die Stärke von
Attilas Streitmacht gibt es keine sicheren Angaben. Neben den Hunnen
zogen Ostgoten, Alanen und Gepiden, Skiren und Rugier, vermutlich auch
Thüringer (oben S. 134) mit; ob noch mehr, läßt sich nicht ausmachen. Die
Teilnahme der rechtsrheinischen Burgunden ist nicht bezeugt. Ebensowenig
erfährt man, ob Attila sich zuerst gegen die ripuarischen Franken wandte
und wo er den Rhein überschritt. Wir wissen nur, daß er einen neuen
diplomatischen Schritt unternahm, um der drohenden Vereinigung seiner
beiden Hauptfeinde, der Römer und Westgoten, zuvorzukommen. E r ließ
gleichzeitig an Valentinian III. und den Westgotenkönig Theoderich Briefe
abgehen, in denen er beiden versicherte, er kämpfe nicht mit dem jeweiligen
Adressaten, sondern mit dem Anderen. Dieser Schritt, allzu schlau erdacht,
führte dazu, daß man von römischer Seite den entscheidenden Schritt zur
Verständigung mit Aetius' bisherigem Feind, den Westgoten, tat. Der Ver-
such scheint nicht von dem Patricius, sondern von Valentinian III. aus-
320 ATTILA
gegangen zu sein 1 . Der Hof übernahm die Vermittlung zwischen den auf-
sässigen Foederaten und dem Reichsfeldherrn. In elfter Stunde kam es zum
Bündnis, und die Westgoten stießen mit ihrer ganzen Macht zu dem Heer,
das sich unter Aetius' Führung auf den Katalaunischen Gefilden ver-
sammelte.
Der Patricius hatte sich zuvor in Italien aufgehalten. Die feste Haltung,
die man allseitig gegen Attila einnahm, das gemeinsame Handeln, zu dem
sich Valentinian III. und Aetius im ripuarischen Thronstreit zusammen-
fanden, setzten voraus, daß beide in engster Verbindung standen. Aetius
konnte nur wenige Truppen aus Italien mitbringen. Was zusammenkam,
stammte fast ausschließlich aus Gallien. Neben ripuarischen Franken,
einigen salischen Genossen und Westgoten meldeten sich die Burgunden
und Bagauden. Beide waren sie gleich den Westgoten erbitterte Feinde
Aetius' gewesen. Aber sie hatten im Krieg mit ihm erfahren, was ein hun-
nischer Gegner bedeutete, und so fanden sie sich gleich den anderen zu
einem Bündnis bereit. Wenn Attila gehofft haben sollte, über den zu ihm
geflohenen Arzt Eudoxius auf die Bagauden in gegenteiligem Sinn ein-
zuwirken, so war das vergeblich geblieben. Auch die Sachsen an der Loire
und die Alanen, die Aetius 442 in der Nähe vön Orleans angesiedelt hatte,
brachten Zuzug, ebenso weitere Stämme germanischer und keltischer
Herkunft, die im einzelnen nicht aufgezählt werden. Iordanes nennt noch
die Liticianer und Olybrionen — , einstmals römische Soldaten, jetzt aber
den Auxilien zugerechnet ; über sie lassen sich bestenfalls Vermutungen
anstellen 2 .
Der Feind war inzwischen herangekommen und hatte am 7. April Metz
eingenommen. Der nächste Stoß richtete sich gegen Orleans. Der Alanen-
könig Sangibanus 28 verhandelte insgeheim mit Attila und plante, die ihm
unterstellte Stadt den Hunnen auszuliefern 3 . Doch der Anschlag ward
ruchbar und Sangibanus mit seinem Kontingent unter scharfe Bewachung
genommen. Orleans* Mauern erhielten durch gewaltige Anschüttungen die
1 D a ß Α v i t u s die V e r s t ä n d i g u n g h e r b e i g e f ü h r t h a b e , b l e i b t u n b e w e i s b a r , wie E .
A . T h o m p s o n , a. O. 139 A n m . 2, richtig e r k e n n t .
2 K . Zeuss, D i e D e u t s c h e n und ihre N a c h b a r s t ä m m e 57g f.
ordnete man sich derweilen zum Kampf. Theoderich führte den linken
Flügel, Aetius den rechten; den unsicheren Sangibanus hatte man in die
Mitte genommen. Von zuverlässigen Mannschaften bewacht, sollte ihm die
Möglichkeit zur Flucht abgeschnitten, sollte er zum Standhalten gezwungen
werden. Ihnen gegenüber stand im Zentrum Attila selbst mit den Hunnen,
dem Kern seines Heeres; die Kontingente der Vasallen standen auf die
Flügel verteilt. Es war so geordnet, daß die Ostgoten und Gepiden unter
ihren Königen Walamir und Ardarich Theoderichs Westgoten entgegen-
traten. Erneut begann der Kampf um die Hügelkuppe. Thorismund,
Theoderichs Sohn, und Aetius gelang jetzt die Besetzung; die angreifenden
Hunnen sahen sich zurückgeschlagen.
Nun wurde man auf der ganzen Linie handgemein. Attila selbst hetzte
die Seinen zum Kampf. Hochbetagt fiel Theoderich, als er durch die Reihen
der Seinen ritt, um sie anzufeuern; der Wurfspieß eines Ostgoten soll ihn
vom Pferd geworfen haben. In dem erbitterten Streit, der folgte, verschwand
sein Körper unter den Leichenhügeln, die sich häuften; erst am nächsten
Tage fand man ihn heraus. Jene Westgoten, die bis dahin neben den Alanen
gestanden hatten (um sie zu bewachen), trennten sich jetzt von diesen und
stürzten sich auf die ihnen gegenüberstehenden Hunnen 9 . Es gelang ihnen
um ein Geringes, Attila selbst zu töten; die Hunnen wurden in ihre Wagen-
burg zurückgeworfen. Bis in die Nacht dauerte der Kampf (wie es Attilas
Plan gewesen war), und wenig fehlte, daß Thorismund und Aetius, die beide
im Dunkel umherirrten, in der Feinde Gewalt gerieten.
Am Morgen übersah man, was geschehen war. Das Feld war voller Leichen,
die Hunnen hatten sich in ihre Wagenburg zurückgezogen und wagten nicht,
sich erneut zum Kampf zu stellen. Man erkannte, daß man den Sieg errun-
gen hatte. Aber noch stand der Besiegte in seiner Verschanzung: er ließ
seine Trompeten blasen, und es schien, als könne er nochmals beginnen.
Priskos vergleicht ihn mit einem Löwen, den die Speere seiner Verfolger in
eine Höhle gedrängt haben: er bewacht ihren Zugang, wagt nicht mehr
anzugreifen, aber sein unaufhörliches Brüllen schreckt seine Gegner und
hält sie in Schach. Westgoten und Römer beschlossen, den Gegner aus-
zuhungern, da ein Sturm aufs Lager wegen der ausgezeichnet postierten
Schützen keinen Erfolg verhieß. Attilas Mut war so weit gesunken, daß er
sich aus hölzernen Pferdesätteln einen Scheiterhaufen errichten ließ, ent-
schlossen, sich lieber der Flamme als dem siegreichen Gegner auszuliefern.
9 Α. E. Thompson's Schilderung (a. O. 141) ist hier ungenau.
13- A T T I L A UND W E S T R O M 323
Es kam anders. Die Westgoten, über den Tod ihres Königs erbittert,
wünschten die Vernichtung des Gegners. Es war kein Zweifel, daß, wenn
überhaupt, so jetzt die Voraussetzungen dafür gegeben waren. Eben das
war es, was Aetius vermeiden mußte. Anders als sein barbarischer Gegner,
der den Kampf trotz warnendem Seherspruch in der Hoffnung auf des
Patricius Tod begonnen hatte, wünschte dieser, aus wohlerwogenen Gründen,
dem Besiegten eine Brücke zu bauen. Aetius konnte nichts daran gelegen
sein, den Sieg der Westgoten vollständiger zu machen, als er war. So bewog
er Thorismund zum Abzug, mit dem Hinweis, daß die Regelung der Nach-
folge seine Anwesenheit daheim nötig mache. Bei dem jungen Frankenkönig
gelang ihm dasselbe Manöver. Auch dieser begab sich nach Hause: Aetius
hatte ihm vorgestellt, die Hunnen könnten beim Rückzug sein Land heim-
suchen.
Attila fand den Weg frei. Uber seinen Rückmarsch hörte man nichts.
Aber es war klar, daß er den Kampf nicht fortsetzen konnte; er räumte
das Feld. Zum ersten Male war ein hunnisches Heer in offener Schlacht
geworfen und zum Abzug gezwungen worden.
Zu Hause mußte Attila feststellen, daß man in Konstantinopel trotz allen
Drohungen festgeblieben war. Man war entschlossen, keinen weiteren
Tribut zu entrichten. Der Hunne schäumte vor Wut. Apollonios, den Ge-
sandten des Kaisers Marcianus, weigerte er sich zu empfangen. Trotzdem
stellte Attila die Forderung, die für ihn bestimmten Geschenke abzuge-
ben; andernfalls habe Apollonios den Tod zu gewärtigen. Aber die Zeiten
waren andere geworden. Apollonios gab zur Antwort, die Hunnen könn-
ten entweder Geschenke oder Beute erhalten. Damit deutete er an, daß sie
Geschenke bekämen, wenn sie ihn als Gesandten empfingen; daß sie sich
aber mit geraubtem Gut begnügen müßten, falls sie ihn töteten und, was
sie wünschten, mit Gewalt nähmen. Apollonios' Festigkeit triumphierte:
es blieb nichts übrig, als ihn unbehelligt ziehen zu lassen.
4
Die Schilderung der Katalaunischen Schlacht wurde Iordanes* Bericht
zugrunde gelegt (Get. 194—218). Es ist der einzige, der zählt, und ist
darum vielmals behandelt worden. Die Akten über ihn scheinen geschlossen
— es sei denn, es träte ein völlig Neues ins Blickfeld 1 . Bisher nicht beob-
1 R. de Coudenhove-Kalergi, der gegenwärtig an einer Geschichte Europas schreibt,
wird eine Zuschrift verdankt, die den Verfasser zu neuem Durchdenken eines oft
21·
324 ATTILA
erörterten Falles veranlaßt hat. In seinem Brief (vom i. 7. 61) geht es darum, ob
nicht der Sieg über die Hunnen auf den Katalaunischen Feldern zu den großen Frage-
zeichen der Geschichte gehöre. E s wird vermutet, „daß die Hunnen in dieser Durch-
bruchsschlacht Sieger waren, daß aber die römischen Kriegsberichterstatter diesen
hunnischen Sieg in eine Niederlage umgelogen haben; sie hatten damit Erfolg, da die
Kriegsberichte Attilas nicht vorliegen".
Im einzelnen wird so argumentiert: ,,Die Hunnen unternahmen einen Plünde-
rungszug nach Gallien. Sie erreichten Orleans, zogen sich aber von dort . . . nach
Deutschland oder Ungarn zurück, um nicht nach Niederbrennung aller Dörfer im
ausgeplünderten Gallien zu verhungern. Aetius und seine Westgoten wollten ihm
den Rückzug verlegen, sein Heer vernichten und sich seiner reichen Beute bemäch-
tigen. Aber es gelang Attila, sich siegreich durchzuschlagen und seine ganze Beute
zu retten. Schon die Tatsache, daß er im nächsten Jahr einen neuen Plünderungszug
nach Italien wagen konnte, spricht gegen seine angebliche Niederlage".
Die weiterhin angeführten Parallelen aus der neuen Geschichte dürfen beiseite-
bleiben. Die Antwort auf de Coudenhove-Kalergi's Brief fiel aus, wie sie ausfallen mußte.
E s wurde darauf verwiesen, was Iordanes' Bericht — der einzige, der ausführlicher
gehalten ist — bestätigt, was er widerlegt und worin er schweigt. Das Ungenügen,
das der die Antwort Erteilende bei derartiger Auskunft empfindet, sei nicht geleugnet.
Immerhin war deutlich, daß solche Fragen, wie sie der nachdenkliche Betrachter
von heute zu stellen pflegt und sie wohl auch stellen muß, die antike Darstellung
aus ihrer Zurückhaltung nicht herauszulocken vermögen. Will man ihr über das
Bisherige hinaus etwas abgewinnen, so darf man sie nicht nach dem abtasten, was
uns heute am Herzen liegt. Sondern man muß versuchen, ob durch geduldige Inter-
pretation eine Absicht ihres Verfassers aufscheine, die sich uns noch nicht ab-
gezeichnet hat. Mit anderen Worten: man sollte nicht danach fragen, was wir wissen
wollen, sondern danach, was der antike Autor sagen will. Erst dann darf man er-
warten, daß das derart erzielte Ergebnis auch etwas zu dem beitrage, was der Heutige
zu erfahren wünscht.
13. ATTILA UND WESTROM 325
das Orakel beschränkt und im übrigen sich des eignen Verstandes bedient,
beruft Xerxes einen Kriegsrat (Herod. 8, 67—69). Trotz Artemisias R a t
läßt er es zur Schlacht kommen. Doch den letzten Anstoß gibt auch hier
ein Trug: die Botschaft, die Themistokles dem König zukommen läßt
(Herod. 8, 75).
Eine Einzelheit sei hinzugefügt. Iordanes' Wendung: diffidens suis
co-piis metuit inire conflictum entspricht Artemisias Hinweis, daß Ägypter,
Kyprier, Kiliker und Pamphyler nichts taugen. Aber Xerxes meint, wenn
auch seine Flotte bei Euboia, wo er nicht zugegen war, der Tapferkeit
ermangelt habe, so werde sie nunmehr, wo er selbst zuschaue, es daran
nicht fehlen lassen (Herod. 68—69). Auch Attilas Gegenwart läßt keinen
im Kampf zaudern. Trotz des Schrecklichen, das bevorsteht, praesentia
tarnen regis cunctationem morantibus auferebat (Get. 207). Ebenso kämpfen
die Perser tapfer, denn sie fürchten sich vor Xerxes und glauben, daß der
König geradewegs auf sie blicke (Herod. 8, 86; 89).
Die Mitte des Katalaunischen Feldes nimmt ein Hügel ein: erat autem
•positio loci declivi tumore in editum Collis excrescens (Get. 197). Beide Teile
wünschen ihn zu besetzen, quia loci opportunitas non parvutn beneficium
confert. Attila unternimmt als erster den Angriff. Aber Thorismund
(Thorismud) und Aetius kommen dem zuvor, venientesque Hunnos montis
beneficio facile turbaverunt (Get. 201; vgl. 211). Diesem Hügel entspricht
bei Herodot die Insel Psyttaleia. Sie liegt zwischen Salamis und dem
Festland. Die Perser besetzen sie als erste; sie tun es, um die dort während
der Seeschlacht angetriebenen Menschen und Schiffstrümmer entweder zu
retten oder zu vernichten (Herod. 8, 76). Doch auch ihnen wird die Insel,
durch Aristeides, entrissen (Herod. 8, 95). Alle auf Psyttaleia gelandeten
Perser werden erschlagen.
Nicht nur Attila mißtraut seinen Truppen. Auch auf Seiten der nach-
maligen Sieger gibt es Unzuverlässige: Sangibanus mit seinen Alanen
(Get. 197; vgl. 194). Dem entspricht bei Herodot Adeimantos, Feldherr der
Korinther. E r soll vor Beginn der Schlacht in seiner Angst davongefahren
sein, und als er dann, von den Göttern gemahnt, zurückkehrte, sei die
Schlacht schon vorüber gewesen. Herodot gibt dieser Nachricht den Vorzug,
obwohl er von einer anderen und besseren weiß, derzufolge die Korinther
in der Schlacht tapfer mitkämpften (8. 94).
Andererseits streiten auf Seiten der Besiegten solche, von denen man
zunächst annehmen möchte, sie gehörten nach ihrer Nationalität auf die
326 ATTILA
pugnae, hostes iam Hunni desiderantur. Attila selbst bezeichnet die West-
goten als den eigentlichen Feind. In Vesegothas incumbite, ruft er aus: inde
nobis cita victoria quaerere (Get. 205). Der Angriff der Westgoten bringt
die Entscheidung. Sie greifen die hunnischen Kerntruppen an, und fast
wäre Attila selbst ihnen erlegen (Got. 210). Aetius fürchtet nach dem Sieg,
ne Hunnis funditus interemptis a Gothis Romanum praemeretur Imperium
(Get. 21(>). Er gibt darum Attila den Rückzug frei, nachdem er Thoris-
mund bewogen hat, nach Hause abzuziehen. Auch bei Salamis haben
nicht die Athener, nach Herodots Ansicht die wahren Sieger (Herod. 8,
123—124), befehligt, sondern der Spartaner Eurybiades. Sie drängen auf
sofortige Verfolgung und Ausnützung des Sieges. Aber gleich Aetius be-
schließt dieser Eurybiades, dem flüchtigen König goldene Brücken zu bauen,
ihm die Heimkehr freizugeben (Herod. 8, 108).
Weder Aetius noch Thorismund wissen, daß sie gesiegt haben. Beide
geraten in der hereinbrechenden Nacht in tödliche Gefahr, der sie nur
infolge der allseitigen Verwirrung entrinnen (Get. 211—212). Erst am
nächsten Morgen werden sie der Leichenhaufen gewahr und sehen, daß
sich die Hunnen nicht mehr aus ihrer Wagenburg hervorwagen. Sie er-
kennen, daß sie gewonnen haben: suam arbitrantes victoriam scientesque
Attilam nonisi magna clade confossum bella confugere (Get. 212). Man hält
daraufhin Kriegsrat, wie man mit Attila verfahren solle (Get. 213). Ebenso
nach dem Ende des Schlachttages von Salamis. Die Griechen glauben,
daß Xerxes am nächsten Tag den Kampf fortsetzen werde (Herod. 8, 96;
108). Dann erfahren sie, daß die persischen Schiffe abgefahren sind, und
werden erst dadurch ihres Sieges gewiß (Herod. 108). Auch sie beraten
über die Verfolgung. Doch wie Attila, so wird Xerxes der Heimweg frei-
gegeben. Darüber wurde zuvor gesprochen.
Was besagen die aufgezählten Übereinstimmungen ? Man könnte an-
führen, daß sie sich, zumindest teilweise, auf Einzelheiten beziehen. Aber
in diesem Zusammenhang ist keine Einzelheit belanglos, sondern jede
bedeutungsvoll und erhellend. Man mag hinzufügen, daß es sich um andere
Zeiten und um andere Schlachten handle; was für eine Landschlacht gelte,
tue es nicht ohne weiteres für eine zur See. Aber diese Unterschiede wiegen
wenig, so wenig wie der Umstand, daß die Gegner einmal Römer und
Hunnen, das andere Mal Hellenen und Perser heißen; daß zwischen Aetius
und Eurybiades keinerlei Beziehung besteht. Denn um so stärker leuchtet
die zwischen Attila und Xerxes ein, die beide, gewaltige Könige des Ostens,
328 ATTILA
Aber nicht nur diese Führer sind als Menschen Geworfene und Irrende.
In einer Stunde, da guter Rat nicht gehört wird und da die sichersten
Pläne sich nicht erfüllen, da das Obere zum Niederen sich kehrt und Irr-
lichter den Menschen ins Verderben locken, steht auch die Gefolgschaft
auf der falschen Seite. Da gibt es Unzuverlässige, die der Sache derer, die
siegen werden, weil sie siegen sollten, zur Unzeit mißtrauen. Wie denn die
anderen, die sich der falschen Seite verschrieben haben, gleichwohl die
tapfersten Streiter sind, über die man dort verfügt.
I
Endlich die Sieger. Auch sie erliegen dem Trug. Sie ahnen nicht, was
ihnen zugefallen ist. Der Sieg ist eine Überraschung, die erst der nächste
Morgen bringt. Sie selbst sind seiner nicht gewahr geworden, und auch
als der Erfolg da ist, erkennen sie ihn allein daran, daß der Gegner auf
Fortsetzung des Kampfes verzichtet hat. Es kommt hinzu, daß nicht
gewonnen hat, wer den Oberbefehl in Händen hielt, sondern andere, die
solchem Befehl sich gefügt haben. Die Fraglichkeit beider, denen zufällt,
13. ATTILA U N D WESTROM 329
dessen sie schwerlich wert sind, bestätigt sich daran, daß sie den voll-
ständigen Sieg aus den Händen lassen.
Fraglichkeit und Geworfenheit, und doch eine weltgeschichtliche Ent-
scheidung hier wie dort — eine Entscheidung, die die folgenden J a h r -
hunderte bestimmen sollte. Beidemale unterliegt der Herrscher des Ostens,
der ungezählte Scharen der verschiedenartigsten Völker (Get. 198: multi-
plices populi et diversae gentes) zum Kampf heranführt. Kein Zweifel kann
daran bestehen, daß, wer dieses Bild der katalaunischen Schlacht als weit-
tragendes Ereignis gestaltete — Wirken der geschichtlichen Notwendigkeit
über alles Planen und Irren der Handelnden hinweg —, sie nach dem
Vorbild der salaminischen Schlacht modellierte. Wer diese Darstellung schuf,
hatte Herodot vor sich. Aber wer war es?
Daß es Priskos gewesen sei, hat Mommsen behauptet. Niemand wird
leugnen, daß Priskos zu großer Geschichtsschreibung imstande war.
Herodoteische Nachahmung ist bei ihm bezeugt (G. Moravcsik, Bvzan-
tinoturcica l 1 , 297), und in der Schilderung der Katalaunischen Schlacht
hat sie sich bestätigt. Doch Mommsen selbst hat darauf verwiesen, daß,
wenn an der Stelle Get. 209 der Sieg den Ostgoten zugeschrieben werde,
dies nicht auf Priskos zurückgehen könne (Praef. p. XXXV). Prosper von
Aquitanien wisse von solchem Verdienst der Goten nichts; nur Cassiodorus
sei es, der sage, daß Attila virtute Gothorum superatus abscessit (Chron. zum
J a h r 451; vgl. Mommsens Bemerkung in seiner Iordanesausgabe 111
Anm. 1). Die entscheidende Rolle der Goten zeigt sich nicht nur an dieser
Stelle: sie durchzieht die gesamte Darstellung. Gesagtes bedarf der Wieder-
holung nicht, aber ergänzt mag werden, daß auch die Schilderung der Toten-
feier, die die Westgoten ihrem gefallenen König ausrichten, in der bei
Iordanes vorliegenden Form nur von Cassiodorus, niemals von Priskos
stammen kann. Nachdem die gleiche Begehung an Attilas Grab dem ersten
zugewiesen ist (oben 1, 427f,), wird es nicht schwer fallen, hier und dort
die gleiche Hand zu erkennen.
Als Möglichkeit bliebe, daß Iordanes beide Vorlagen, Priskos und
Cassiodor, ineinandergearbeitet habe. Aber man wird sie nur anführen, um
sie sogleich zu verwerfen.Was sich ergibt, ist, daß Cassiodor Priskos be-
nutzt und in seinem Sinn umgearbeitet hat. Von Priskos aber stammt jene
Verwendung des herodoteischen Vorbildes, die hier zur Erörterung stand.
Ihm ist damit ein Schicksalsgemälde gelungen, das sich Herodot auch an
innerem Wert zur Seite stellen läßt.
i4. KAPITEL
1 Die neuerliche Bestreitung durch L. Vidman in: Griech. Städte und einheim.
Völker des Schwarzmeergebietes (her. von J. Irmscher und D. B. Schelow 1961) 155.,
kann hier nicht behandelt werden.
14· U N T E R G A N G UND NACHFOLGE 331
kam sein Vormarsch vor der wohlverwahrten, hinter Fluß und Kanälen
gedeckten 1 " Stadt zum Stehen. Während die Soldateska vor den Toren die
Rebstöcke und Fruchtbäume umhieb 2 und so die Grundlagen des wirt-
schaftlichen Wohlstandes vernichtete, ermannte sich die Bürgerschaft zu
entschlossenem Widerstand. Man setzte die Mauern instand 3 , die in langer
Friedenszeit verfallen waren; alles legte Hand an, sowohl die ansässige
Bevölkerung als auch die Masse der Landleute und Fremden, die in der
Stadt Zuflucht gesucht hatte 4 .
Städter pflegen in offenem Feld selten geeignetes Soldatenmaterial
abzugeben. In der Verteidigung des heimischen Bodens liegt ihre Stärke.
Der „aquileische K r i e g " , wie die Zeitgenossen ihn nannten 5 , ward Maximin
und seinem Hause zum Verderben. Vor den Mauern holten sich die Illyrier
blutige K ö p f e ; furchtbar wütete das brennende Pech unter den Stürmen-
den®. In Aquileia wußte man wohl, was der Stadt im Falle der Eroberung
bevorstand: sie war zur Einöde und zur Weide für das Vieh bestimmt 7 .
Erneut stand man jetzt einem furchtbaren Feind gegenüber. Wieder
setzte man alles in Verteidigungszustand, und auch diesmal schien den
Bürgern und der Besatzung Erfolg beschieden. Schon wurden unter den
Belagerern Stimmen laut, die äußerten, man müsse von weiterem Angriff
abstehen. Da, so erzählt Priskos 8 , beobachtete Attila bei einem Erkundungs-
ritt, wie Störche, die auf den Dächern der Stadt nisteten, gegen ihre sonstige
Gewohnheit ihre Jungen aus der Stadt landeinwärts trugen. Für ihn
lag darin ein Zeichen, daß die Stadt dem Untergang bestimmt war
(oben i , 223f.). Er wußte seine Überzeugung dem Heer mitzuteilen. Man
baute Belagerungsmaschinen, holte aller Art Torsionsgeschütz herbei und
begann den Ansturm von neuem. Endlich brach man ein, die Stadt wurde
geplündert und zerstört.
Die Geschichte Aquileias war damit nicht beendet 9 . Flüchtlinge, denen
es gelungen war, nach Grado zu entkommen, bauten die Stadt aus ihren
u
Herodian. 8, 2, 3 ; 4, 1 f.
2
Herodian. 8, 4, 5.
3
Herodian. 4, 2, 5.
4
Herodian. 4, 2, 4.
5
R . Paribeni in: Nsc. 1928, 3 4 4 ; A . Stein in: Hermes 1930, 2 2 8 f .
8
Herodian. 4, 4, 9.
7
Herodian. 4, 4, 8.
8
lord., Get. 220/21.
' G. Brusin. Aquileia 16 f.; R. Egger, Der heilige Hermagoras 68 f.; Ε . A. Thompson,
a. O. 1 4 5 , äußert sich, als habe er von Ausgrabungen in Aquileia nichts gehört.
332 ATTILA
Trümmern wieder auf. Hundert Jahre danach traten ein Mauerring und
einige Türme hinzu. Erst 568 vollendeten die Langobarden die Verwüstung
und damit das Schicksal Aquileias.
Ein Wort noch über Attilas Verhalten. Erneut ist es so, daß das Tier
mit seinem Wissen um Zukünftiges in menschliches Geschehen eingreift.
Wie die Kuh das verlorene Schwert des Kriegsgottes wiedergefunden, wie
Eingeweide und Knochen der Opfertiere den Ausgang der Schlacht um
Gallien vorausgesagt hatten, so wiesen diesmal Vögel dem Hunnenherrscher
den Weg. Die irrationale Bedingtheit seines Wesens sollte sich damit nicht
zum letzten Male äußern.
Oberitalien und mehr noch: die ganze Halbinsel lag Attila offen. Con-
cordia und Altinum fielen; es folgten Patavium und Verona, Brixia und
Bergamum. Auch Ticinum und Mailand kamen in hunnische Hand, wurden
aber im Gegensatz zu den vorigen nicht zerstört. Als Attila den kaiserlichen
Palast von Mailand betrat, ruhte sein erstaunter Blick auf einem Gemälde,
das die Kaiser von Ost- und Westrom auf dem Thron und die Skythen zu
ihren Füßen darstellte. Attila, so wird erzählt, ließ das Bild ummalen,
derart, daß jetzt er auf dem Thron zu sehen war, während die beiden
Kaiser zu seinen Füßen Gold aus einem Sack schütteten 10 .
Noch einmal erscheint bei Attila der Anspruch auf die Weltherrschaft.
Der Tribut der beiden Römerreiche ist bereits in seinem Totenlied begegnet
(oben 1, 244^). Doch wieder wurden die Grenzen sichtbar, an denen der
Eroberer scheiterte. Sie lagen in ihm, und sie lagen außerhalb, und beide
vereint haben auch den letzten Zug sinnlos werden lassen.
Wieder vernehmen wir Priskos. Attila habe geplant, auch gegen Rom
zu ziehen. Aber seine Nächsten, die es weniger um das Schicksal der Ewigen
Stadt als um das ihres Königs bangte, hätten ihn an den Ausgang des
Westgotenkönigs Alarich gemahnt, der nach Roms Eroberung rasch den
Tod gefunden habe. Erneut stößt man auf diesen besonderen Bereich in
Attilas Wesen . . . Während er noch schwankte, sei eine Gesandtschaft aus
Rom eingetroffen, in der niemand anderes als Papst Leo sich befunden habe.
Es ist ein Augenblick von sinnbildhafter Prägung. Hier der große Eroberer;
der Name, um den sich noch einmal das Heidentum des nördlichen und
östlichen Europa scharte; zugleich ein Mann, der den religiösen Vorstellungen
seines Volkes tief ergeben war. Auf der anderen Seite der Vertreter einer
10
O. Ulrich-Bansa, Moneta Mediolanensis 228 Anm. 22.
14- U N T E R G A N G UND NACHFOLGE 333
verschied. Dann umarmte ich sein Haupt auf dem Kopfkissen und stand
auf, mir Brust und Gesicht schlagend zusammen mit den Frauen 2 ".
Die Hunnen, als sie des Toten ansichtig wurden, so fährt Iordanes fort,
Schoren sich das Haar und zerfleischten sich die Wangen 3. Denn über einen
so gewaltigen Krieger solle nicht mit Weiberklagen und Tränen, sondern
mit Mannesblut getrauert werden. Attilas Leiche ward in freiem Feld unter
einem Zelt von chinesischer Seide aufgebahrt und zur Schau gestellt. Aus-
erlesene Reiter vollzogen den Umritt um den Toten und sangen von seinen
Taten in einem Lied, dessen Wortlaut in lateinischer Übersetzung erhalten
ist (oben, i , 240f.).
Nachdem das Totenlied beendet, bereiteten sich die Hunnen einen ge-
waltigen Totentrunk 4 , wobei sie nach ihrer Weise Klage und Scherz
mischten (es ist die Form der Trauer, die man seit Usener als „Lachen
und Weinen" kennt) 8 . Der Leichnam wurde bei Nacht in einem goldenen
Sarg, den ein silberner und ein eiserner umgaben, beigesetzt. Beigegeben
waren Waffen der getöteten Feinde, Attilas Rosseschmuck und seine
Abzeichen. Auf daß menschliche Habsucht nicht geweckt werde, tötete
man alle, die am Grabe mitgearbeitet hatten.
Das Totenlied hat auf alttürkische Vorstellungen geführt (oben 1, 240f.),
und der Bestattungsritus tut es nicht minder. Den Umritt ums Grab kannten
die mittelasiatischen Türken, nahe Verwandte der Hunnen®. Wenn die
gleiche Sitte daneben im Beowulf 7 erscheint, so haben sie die Germanen
von den Reiterstämmen des Ostens übernommen. Es ist derselbe Vorgang,
2 Ibn Hisäm IOII, i 8 f . W ü s t e n f e l d .
3 W e n d u n g e n , wie die, d a ß das Herz zerreißt (yüräk yirtüur), oder, d a ß die geheilte
W u n d e aufreißt (yätmiS baity qartadi), begegnen in der K l a g e über A l p Är T o n g a ,
die C. Brockelmann aus Mahmüd al-Käägari wiedergewonnen h a t (Hirth A n n i v e r s a r y
Vol. 4f.). Dazu die A n g a b e über die Osttürken bei S. Julien in: Journal asiatique
1864, 331.
4 Über strava l o r d . , Get. 49, 258; zuletzt F. A l t h e i m , Literatur und Gesellschaft 1,
3
Priskos erzählt, wie A t t i l a bei den groben Spaßen des Mauren Zerkon
inmitten des Gelächters seiner Hofleute ungerührt blieb. Erst als er seinen
jüngsten Sohn Ernas hereinkommen sah, ließ er sich eine Gemütsregung
anmerken. E r faßte den K n a b e n an der W a n g e und zog ihn zu sich heran,
ihn mit sanftem Blick betrachtend. Die Seher hatten A t t i l a verkündet, sein
Geschlecht werde einen tiefen Fall tun, aber in diesem K n a b e n werde es
sich erneut erheben.
Priskos führte sein Geschichtswerk bis zum Jahre 471 herab, kann es
demnach erst danach abgeschlossen haben. W a n n er die letzte Hand daran
legte, weiß man nicht. Doch was die Weissagung über den Fall von A t t i l a s
Haus und sein Wiedererstehen im jüngsten Sproß betraf, so war sie eine
vaticinatio ex eventu. Im Jahre 471 waren die entscheidenden Ereignisse
bereits vorüber.
A l s A t t i l a dahingegangen war, verteilten seine Söhne das Reich unter
sich. Ihre Zahl war groß: sie waren, da A t t i l a auch darin sich keine Be-
schränkung auferlegen mochte . . . fast ein eignes V o l k , bemerkt Iordanes.
Bei der Teilung ging man in einer Weise vor, die nach den Betroffenen
wenig fragte. Derselbe Iordanes sagt, man habe kriegserfahrene Könige mit
ihren Völkern verteilt, als sei es u m die Dienerschaft eines Hauses gegangen.
E s dauerte wenige Monate, und diese Völker merkten, d a ß die Zügel von
schwächeren Händen geführt wurden. Streitigkeiten der Erben traten hinzu.
Bald gärte es unter den Ostgoten, die man in der Theißebene angesiedelt
hatte. Seit der katalaunischen Schlacht wußte die Welt, d a ß man Hunnen
im offenem Feld bestehen konnte. Gewicht gewann die Erhebung, als der
Gepidenkönig Ardarich zu den Aufständischen übertrat und die unter-
jochten germanischen Stämme zur Freiheit aufrief. Ardarich war einer der
Getreuen Attilas gewesen. A b e r wenn er sich dem Gewaltigen unterworfen
hatte, so war er nicht bereit, dem Haufen jugendlicher Söhne die gleiche
22 Altheim, Hunnen IV
338 ATTILA
begegnet, bei einem Germanenstamm also, auf dem der Hunnen Hand
schwer gelastet hatte. Es kann hier nicht untersucht werden, inwieweit die
düsteren Züge des burgundischen und des ostgotischen Attilabildes mit-
einander verknüpft sind. Genug, ob gemeinsamer Wurzel entsprungen
oder ob voneinander unabhängig: diese Züge haben die Zeichnung der
skandinavischen Sage entscheidend bestimmt. Der hunnische Erbfeind, den
die gotischen Freiheitskämpfer in Attila sahen, hat in der Sage des germa-
nischen Nordens sich gehalten.
Große Teile der geschlagenen Hunnen stellten sich den Oströmern
zur Verfügung. Dort gliederte man sie bereitwillig ins Heer ein. Emnetzur
und Ultzindur, Verwandte der königlichen Hunnen, fanden Aufnahme in
der Provinz Dacia Ripensis südlich der Donau. Hier vertraute man ihnen
drei Festungen an: sie wurden Grenzbefehlshaber in römischen Diensten.
Auch andere Gruppen fanden südlich der Donau Aufnahme; unter ihnen
werden die Hunni Fossatisii erwähnt. Ihr Beiname ist gebildet von fossatum,
das ursprünglich das militärische Lager bezeichnet. Aber im Albanesischen
bedeutet das davon abgeleitete fiat, und ebenso im Rumänischen sat, das
Dorf 4 . Von dem zum Grenzer und Kolonen her abgesunkenen Soldaten
wurde das Wort an den Bauern weitergegeben. Was einst das mit Gräben
umgebene Standlager gewesen war, wurde jetzt zur ländlichen Siedlung.
Auch jene Hunnen waren diesen W e g gegangen: die Fossatisii waren erst
zu Grenzern, dann zu Bauern und Dörflern geworden.
Im gleichen Zusammenhang fällt der Name Ernac's. Mit einem Teil
der Hunnen fand er eine Heimat am äußersten Rand von Klein-Skythien 5 .
A m Rand, denn der Hauptteil war von anderen Stämmen: Skiren, Sada-
gariern* und Alanen besetzt. Klein-Skythien aber ist nichts anderes als die
heutige Dobrudscha. E r n a c saß demnach an der Donaumündung, zunächst
südlich des Flusses'. E r nahm hier keine andere Stellung ein als Emnetzur
und Ultzindur. Seine Hunnen bildeten eine Truppe in oströmischen Diensten;
er selbst war ihr Befehlshaber an der Donaugrenze.
Aber es scheint, daß sich E r n a c auf diese Stellung nicht beschränkt
hat. Bald muß er nördlich der Donau übergegriffen und sich dort eine
eigene Herrschaft gegründet haben 8 . D a s zeigt die Nachricht, wonach er
zusammen mit den anderen Söhnen Attilas den Kaiser Leo (457—474)
darum bat, man möge ihnen und ihrem Volk einen Markt an der Donau
gewähren. A l s die Bitte abgeschlagen wurde, entschloß sich Dengizich zum
Krieg. E r n a c aber hielt sich zurück, weil K ä m p f e im eignen L a n d ihn be-
schäftigten 9 . Demnach lag der Schwerpunkt seiner Herrschaft außerhalb
der römischen Grenzen und das will sagen: nördlich der Donau. E r war hier
Nachbar des restlichen Hunnenvolkes, das beiderseits des Dnjepr s a ß 1 0 ;
E m a c s Herrschaft wird etwa bis zum Dnjestr gereicht haben 1 1 . Aus der
gleichen Gegend hört man von einem letzten Hunneneinfall unter dem
Kaiser Zenon ( 4 7 4 — 4 9 1 ) 1 2 .
lord.. Get. 265—267 Ereignisse schildere, die erst 466, als zehn Jahre nach der Schlacht
am Nedao, einzusetzen seien. Nach dem Wortlaut ist dazu kein Anlaß. Der Beginn:
Sauromatae vero . . . (265) schließt sich an die Niederlassung der Ostgoten in Pannonien
an (264), grammatisch (vero) und sachlich, denn diese Goten erhalten wie alle im folgen-
den genannten Gruppen ihre neue Sitze mit kaiserlicher Einwilligung. Die Festsetzung
der Ostgoten in Pannonien aber setzt auch F. (S. 412) unmittelbar nach der Schlacht
am Nedao an. Wenn dann geschildert wird, wie die Skirell 466 nördlich der Donau von
den Ostgoten eine Niederlage erleiden, so korrigiert die Bemerkung über die Skiren,
qui tunc super Danubium consedebant (275), durch ihr tunc die frühere Ansetzung der
skirischen Sitze in Klein-Skythien und Nieder-Mösien (265). — Schließlich gibt F.
selbst zu, daß Priskos fr. 36 voraussetzt, daß Ernac mit den anderen Attila-Söhnen
nördlich der Donau wohne (S. 414). Nur sehe ich keinen Grund zu der Annahme, daß
er sich ,,noch" am Nordufer befindet. Wie die Skiren. so hatte auch er nachträglich
über den Fluß hinweg ausgegriffen. Zuletzt V. Besevliev in: In Memor. C. Daicoviciu
(1974) 35ff-
9 Priskos fr. 36. Zum Ausgang von Dengizichs Unternehmen: Chron., Pasch. 598,
1 1 Hier sind die Funde hunnischer Kessel aus der Kleinen Walachei und Nachbar-
22·
340 ATTILA
Ernac ist der jüngste Sohn Attilas und mithin derselbe, der bei Priskos
Ernach oder in gräzisierender Forma Ernas heißt. Im Alttürkischen bezeichnet
ärnäk, äräväk, ärängäk den „Finger", „Däumling", wörtlich: „Männchen";
dies ist, dächte ich, kein schlechter Name für den jüngsten und damit kleinsten
Sohn 13 . Das Gebiet, das ihm zufiel, war von altersher ein bevorzugter Sitz
für Stämme von ähnlicher Art wie die Hunnen. Das zeigt die Bezeichnung
als Klein-Skythien: hier hatte das iranische Reitervolk, nach seiner Be-
siegung durch die Sarmaten, eine letzte Zuflucht gefunden.
Das Innere der Dobrudscha entspricht dem Bild, das man danach
erwarten darf. Es bildet eine Steppe ohne Baum und Strauch. Der Hoch-
sommer wandelt es zur braungebrannten Öde. Einsame Fischadler ziehen
ihre Kreise über den Lagunen. Nur die großen Herden durchbrechen die
Einförmigkeit der Landschaft oder die Kurgane, einzige Hinterlassenschaft
der nomadischen Bewohner; als größere oder kleinere Kuppen zeichnen sie
sich gegen den Horizont ab.
Doch ein anderes darf nicht vergessen werden. Das Gebiet zu beiden
Seiten der unteren Donau gehört zusammen mit den Bergen des westlichen
Siebenbürgen zu den Keimzellen des Rumänentums. Hier war es, wo roma-
nisches Volkstum und romanische Sprache sich auch nach Räumung der
dakischen Provinzen nördlich der Donau hielten (oben 2, I97f ).
Diese Vorgänger der Rumänen waren Hirten, mochten sie auch weit-
gehend seßhaft sein. Die Hunnen legten sich demnach als Herrenvolk
über eine wirtschaftlich gleichartige Unterschicht romanischer Herkunft.
Da die Untertanen auch nördlich der Donau saßen, folgten ihnen die Herren
dorthin 14 .
NACHTRAG 1
erwähnt j a k u t . irgäx aus *erkäk „ M ä n n c h e n " . Ä h n l i c h ist von är „ M a n n " mittels der
S u f f i x e -)- °y und + ° A , q (A. v. G a b a i n , A l t t ü r k . G r a m m . 2 65 § 78; 62 § 57 Diminu-
tivum) ärnäk gebildet.
14 Sommer- und Winterweide mit L a n d w i r t s c h a f t , „ t r a n s h u m a n c e " mit Seß-
haftigkeit verbunden schildert E . 0. Curven an den Verhältnissen auf der Isle of L e w i s :
Plough and Pasture (1946) 82 f.
14- U N T E R G A N G U N D NACHFOLGE 341
Parteien in der Schlacht und der im Nahkampf errungene Sieg der ver-
einigten Goten, Gepiden und Rugier nicht geschildert werden.
Mit dieser Interpretation ist das Verständnis der Stelle — wie ich hoffe —
endgültig gesichert. Bestätigt wird die Interpretation dadurch, daß in
beiden Parteien die Vorkämpfer jeweils an zweiter Stelle stehen: Gepiden
(b) und Hunnen (e). Überdies haben die Alanen (f) mit Sicherheit auf
hunnischer Seite gekämpft.
Schon der kunstvolle Aufbau zeigt, daß die Schlachtenschilderung nicht
auf Iordanes' Rechnung zu setzen ist. Es kommt hinzu, daß 261 ein be-
rühmtes Bild aufgenommen wird. Dividuntur regna cum -populis, fiuntque
ex uno corpore membra diversa, nec quae unius passioni compaterentur, sed
quae exciso capite in invicem insanirent. Unter dem Kennwort sine suo
capite membra habe ich Iordanes' Vorgänger zusammengestellt 3 . Ihre Reihe
reicht von Plutarch über Curtius Ruf us bis zum lateinischen Panegyricus
auf Konstantin d. Gr. Man wird nicht fehlgehen, wenn man annimmt, daß
Bild und Schlachtenschilderung auf einen der letzten Kenner der antiken
Uberlieferung: auf Iordanes' Quelle Cassiodor zurückgehen. Der Fortgang
bestätigt, daß am Nedao die Goten Waffenbrüder der Gepiden waren.
Wieder hat Rosenfeld Entscheidendes nicht beachtet.
Die Gepiden sind es allein, die velut victores (264) die Früchte der
hunnischen Niederlage ernten. Sie sichern sich Dazien. Im Gegensatz dazu
(vero) gehen die Goten leer aus. Sie müssen zusehen, wie die Gepiden die
früheren Sitze der Hunnen beanspruchen (Hunnorum sedes sibi defendere)
und wie die Hunnen die einstige Heimat der Goten, das litus Pontici maris
(263: ubi prius Gothos sedisse descripsimus), einnehmen. Die Hunnen
kommen damit den Goten zuvor, oder wie dies Iordanes ausdrückt: Hunno-
rumque populum suis (i. e. Gothorum) antiquis sedibus occupare (264). Die
Goten verzichteten darauf, ihre Ansprüche durchzusetzen (cum suo dis-
crimine invadere alienas sc. terras) und weichen nach Pannonien aus. Dort
lassen sie sich mit römischer Erlaubnis nieder; ebenso finden die anderen
am Kampf beteiligten Stämme (265—267) auf römischen Boden südlich
der Donau neue Heimstätten.
Doch die Hunnen kehren wieder. Sie kümmern sich freilich weder um
die Gepiden, noch um Freund und Feind, die sich jenseits der Donau an-
gesiedelt haben. Sie stürzen sich auf die Ostgoten: quasi desertores domina-
tions suae, velut fugacia mancipia requirentes (268). Mehr noch, die Hunnen
3 F. Altheim, Rom. Religionsgesch. 2 (1953), 302 f.
344 ATTILA
lassen von den drei Brüdern, die über die Goten herrschen, Thiudemer
und Videmir, unbeachtet und greifen ignaris aliis fratribus Valamir allein
an. Dieses Verhalten ist nur verständlich, wenn die Hunnen in Valamir
einen besonderen Gegner erblicken. Dieser war gleich dem Gepidenkönig
Ardarich einst Attilas Vertrauter gewesen (200—201). Die hunnische
Gegnerschaft erklärt sich, wenn Valamir gleich Ardarich von ihnen abge-
fallen war. Die zuvor gemeldete Feststellung, daß Gepiden und Goten am
Nedao gemeinsam gegen die Hunnen standen, hat sich bestätigt. Was
Valamir im besonderen angeht, so wird sich zeigen, daß Paulus Diaconus
(hist. Rom. 15, 11) ihn noch vor Ardarich als Urheber der Erhebung gegen
die Hunnen nennt.
Der Angriff der Hunnen bleibt erfolglos. Valamir, obwohl auf sich
gestellt, besiegt sie (269) und besiegt den Hunnenkönig Dintzic noch ein
zweites Mal (272—273). Die Hunnen verschwinden endgültig aus dem Ge-
sichtsfeld (269; 273). Auch die Sueven bekommen die gotische Kraft zu
spüren (273—274).
Es folgt ein neuer Waffengang. Valamir fällt gegen die Skiren (275),
aber diese werden im Anschluß von den Goten geschlagen (276). Es kommt
zum Bündnis zwischen Sueven, Sarmaten, Skiren, Gepiden und Rugiern.
Aber alle erliegen den Goten (277—279).
Man erkennt eine Steigerung gotischer Erfolge. Zuerst ein Sieg unter
Führung der Gepiden, aber unter Beteiligung der Goten. Es war eine
victoria inopinata. Das gepidisch-gotische Bündnis zerfällt infolge der
eigensüchtigen Haltung der Gepiden. Die Goten stehen den Hunnen allein
gegenüber. Trotzdem schlagen sie den Feind. Der Sieg ist diesmal der
vollständigste, der sich denken läßt. Die Hunnen treten zu neuem Waffen-
gang nicht mehr an. Es kommt zu einer dritten Auseinandersetzung.
Wiederum stehen die Goten allein: den Skiren, sodann hunnischen Bundes-
genossen (Sueven, Sarmaten), schließlich den eignen Waffenbrüdern
(Gepiden, Rugiern) gegenüber. Sie erweisen sich auch den vereinten Feinden
und Freunden von einst als überlegen.
Rosenfeld ist also im Unrecht, wenn er die Ostgoten zunächst auf hunni-
scher Seite fechten läßt 4 . Was er sonst zugunsten seiner Ansicht vorbringt,
4 Rosenfeld hatte die Freundlichkeit, seine Argumente brietlich zu präzisieren. Sie
lauten: „1.) Jordanes sagt nichts von der Beteiligung der Goten am Sieg, während er
die Gepiden als Sieger ausdrücklich nennt und sonst stets Siege der Goten aus-
drücklich heraustellt. 2.) Die Sueven können ihrer geographischen Lage und
ihrer Bundesgenossenschaft mit den Gepiden nach unmöglich auf hunnischer Seite
I4. UNTERGANG UND NACHFOLGE 345
gekämpft haben. 3.) Da die Feindschaft der Goten und Gepiden die Geschichte
vor und nach Nedao erfüllt, ist ein gemeinsames Handeln ausgerechnet in der Schlacht
am Nedao unwahrscheinlich. 4.) Die Gepiden haben seit jeher die Gotensitze in Dacien
begehrt. Deshalb müssen die Goten die Hunnen unterstützen, um ihre angestammten
dacischen Sitze gegen die Gepiden zu verteidigen. Infolge der Niederlage der Hunnen
müssen die Goten aus Dacien fliehen und neue Sitze suchen; das beweist eindeutig, daß
sie eben nicht aui der Seite der Sieger, sondern auf der der Geschlagenen gekämpft
haben."
Darauf sei erwidert: i. lordanes nennt die Goten als Gegner der Hunnen an erster
Stelle. 2. Sueb en sind mit den Gepiden nicht mehr verbündet: Paul. Diac. i , 21; lord.,
Get. 273—74 kämpfen die Sueven allein gegen die Goten, und als sie 2 7 7 — 7 9 zum
zweitenmal, zusammen mit Verbündeten, zum Kampf antreten, erscheinen unter
diesen Gepiden und Rugier erst nach Sarmaten und Skiren. 3. Der Gepide Ardarich
und der Gote V'alamir begegnen zusammen in Attilas nächster Umgebung (200—01).
Nach dem Tode ihres Herrn waren beide in gleicher Lage. Nichts ist wahrscheinlicher,
als daß sie aus solcher Lage heraus gemeinsame Entschlüsse faßten. D a ß eine Koalition
nach der Beseitigung des gemeinsamen Gegners sich auflöst, ist eine bekannte Er-
scheinung. 4. In Dazien saßen seit der Räumung durch Aurelian Westgoten, nicht
Ostgoten. Die Westgoten waren nach dem Hunnensturm 376 auf römisches Gebiet
übergetreten. Dazien war also aufgegeben und konnte nach der hunnischen Niederlage
am Nedao besetzt werden. lordanes sagt kein Wort davon, daß die Ostgoten ihren
westgotischen Vettern im Besitz Daziens gefolgt seien, nennt vielmehr allein das
luus Pontici maris 263 als einstige Heimat der Ostgoten.
5 Brieflich formuliert Rosenfeld: „ W e n n die Hunnen sich für die Tötung Ellaks
und die Niederlage am Nedao hätten rächen wollen, hätten sie sich auf Ardarich
stürzen müssen, der zum mindesten der Hauptinitiator war und nach lordanes eigen-
händig Ellak erschlagen hatte. Wenn die Hunnen aber auf die Goten als entlaufene
Sklaven sich stürzen statt auf die Gepiden, so läßt das nur die eine Deutung zu, daß jene
länger als die Gepiden Untertanen waren, also noch am Nedao den Hunnen die Treue
hielten". Ich bestreite das Zwingende dieses Gedankenganges. Entlaufene Sklaven
waren für hunnische Auffassung sowohl Goten wie Gepiden. Wenn die Hunnen Valamir
angriffen, so darum, weil sie hier größere Aussichten auf Erfolg vermuten durften,
zumal da sie ihn tgnaris aliis fratribus fassen konnten.
346 ATTILA
NACHTRAG 2
Das Vorangehende war geschrieben, als mir durch die Güte des Ver-
fassers G. Labuda, Zrödla sagi i legendy do najdawnieszych dziejöw Polski
(i960) zuging. Labuda behandelt die Stellen Iordan., Get. 260—262; 264;
268 in meinem Sinn (und gegen Rosenfeld) S. 145 f. Schon vorher hatte er
die Frage nach der örtlichkeit des altnordischen Hunnenliedes im gleichen
Sinn (vgl. oben i, 354!) entschieden (a. O. i2of.) 1 . Eine Zusammenfassung
in französischer Sprache findet man S. 302 f.
NACHTRAG 3
Die Deutung des Namens Ernas, Ernac als „Männchen" (oben S. 340)
führt weiter. Dareios III. trägt bei lustin. 10, 3, 3 die zusätzliche Bezeich-
nung Codomannus. Wenn man von einem Versuch (Philol. N. F. 10, 186)
• a. O. 222.
1
Über den Myrkwiä „Finsterwald" jetzt noch G. Widengren, Iranisch-semitische
Kulturbegegnung in parteiischer Zeit 60; O. Klima in: Archiv Orientalin 28 (i960), 305.
14- UNTERGANG UND NACHFOLGE 347
absieht, ist noch nichts vorgeschlagen worden. Es sei an die oben 1, 325f.;
429 gegebene Erklärung des καμηλαύκιον erinnert, abgeleitet von dem
dae vischen Wort für den Kopf: avest. ka-marada-, eigentlich „was für ein
Kopf", „scheußlicher Kopf", vergleichbar italien. testaccio (Chr. Bartho-
lomae, Altiranisches Wörterbuch 440). Uber die Form der Bildung hat
W. Schulze in: KZ. 33, 244 gehandelt. Codomannus wäre dementsprechend
als *ka-däman- oder *kö-daman- „Was für ein Geschöpf", „Mißgeschöpf"
anzusehen. Arrian., anab. g, 22, 2 kennzeichnet ihn als μαλθακός και ου
φρηνήρης. Man war in ähnlichem Fall auch sonst den Achaimeniden gegen-
über nicht zurückhaltend. Dareios II. trug den Beinamen νόθος, und in
der arabischen Übersetzung aus Porphyrios' Chronik bei Eutychios 1, 74,
lOf. Cheikho (Altheim-Stiehl, Supplementum Aramaicum 45f.) erscheinen
er und Arses mit der Bezeichnung näkit (Dozy 2, 720).
ANHANG
NACHTRÄGE
ZUM D R I T T E N BAND
(orat. 7 p. 228 D; dazu in: Historia 4 [1955], 845 Anm. 1). Der dort erzählte Mythos
geht zweifellos auf Konstantin und seine Söhne. Aber wohlgemerkt: der Vater ver-
nachlässigt nur die von den Vorfahren erbauten Heiligtümer (όλιγωρηθέντα "πρότερον
ύττό του πατρός), erst die Söhne reißen sie ein (228 Bf.). Das ist deutlich, und deutlich
ist auch der zu Helios gesprochene Satz: δ$ σε άττολιπών α ύ τ ω τε καΐ γένει καΐ τταισίν
αίτιο; έγένετο των τηλικούτων παθημάτων (228 D). Man muß nur Griechisch können.
Άττολιπών ist Aorist, und dies besagt:,, In dem Augenblick, da er dich (Helios) verließ'',
hat er sich und seinen Söhnen die geschilderten παθήματα gebracht. Wer wollte über-
sehen, daß die Taufe auf dem Sterbebett gemeint ist ? Und weiter: daß mit der Wen-
dung gespielt wird ? Man sollte homerisches λιττών φάος ήελίοιο kennen und heraus-
hören, um das doppeldeutige Wort und in ihm die Anspielung auf die Todesstunde zu
verstehen. Denn nun wird αύτω sinnvoll. Es war der entscheidende Augenblick, den der
Aorist festhält, und dies besagt, daß in den Augen selbst dieses schärfsten Kritikers
ein Festhalten an Helios bis zu jenem letzten Zeitpunkt bestand. Die Stelle beweist
wieder einmal das Gegenteil dessen, was sie beweisen soll.
S. 99. Freilich brachte die Abhängigkeit der Nestorianer vom König mit sich, daß
Chusrö II. ParvSz einfach bestimmte, wen die Synode zum Katholikos wählen mußte:
Chron. min. 1, 17, 18 Guidi.
S. 105. In den letzten Jahren Yazdgard's I I I . bekehrte Elias, Metropolit von Merw,
viele Türken und solche anderen Stammes: Chron. min. 1, 34, 12f. Guidi.
S. 114 Anm. 2. Die von E. Sachau aus der Handschrift angeführte Stelle aus Elias'
von Nisibis Chronographie findet sich in Brooks-Chabot's Ausgabe 2, 128, l f . Danach
berechnete Anianus von Alexandreia den Abstand von Adam bis zum Beginn der Ära
Alexanders auf 5181 Jahre.
S. 130. Eine Schilderung Merw's zum Ausgang der Sasanidenzeit gibt Chron. min.
1. 34, 13f. Guidi.
S. 191. O. Szemertnyi schreibt unter dem 17. 7. 61: „Ich verstehe nicht ganz, was
die Ionier und Phryger in Byzanz sollen. Kann prögäye nicht f ü r prng- stehen und sich
auf das Reich der Franken beziehen ? Also auf das lateinische Kaiserreich in der ersten
Hälfte des 13. Jahrhunderts ? Oder sollen wir an parth. prwtn = Fröm (Hröm) denken ?
Auch die Ionier scheinen mir schwierig, kann aber nichts Besseres sehen." Keiner der
Vorschläge, für die ihrem Urheber gedankt sei, dürfte zutreffen. Es handelt sich um das
Kaiserreich Nikaia, das die einstmals ionische Küste und den Nordteil des alten Phry-
gien umfaßte. Rabban Saumä hat sich einer gelehrten Ausdrucksweise bedient, wie er
es auch getan hat, als er den „Wir"-Bericht anwandte (S. 203 Anm. 45). Bei dem Wett-
streit, wer Konstantinopel von der Herrschaft der Lateiner befreien würde, siegte
Nikaia über den Despotat Epeiros. Als Vertreter und Erben des Kaiserreiches von Ni-
kaia walteten die Palaiologen in Konstantinopel.
S. 191 Anm. 7. Eine kellitä hat auch Bischof Kyriakos von Nisibis; sie wird mit
dem Schatzhaus der Metropolitie zusammen genannt: Chron. min. 1, 31, 13; 15 Guidi.
"Ερημον οίκοϋσι τόττον καΐ τ ά κέλλια έκ διαστήματος ίχουσιν, cos μηδένα γνωρίζεσθαι
ττόρρωθεν ύ φ ' έτέρου heißt es von den Eremiten der nitrischen Wüste in der Historia
monachorum in Aegypto 20, 7 p. 170 Festugifcre.
S. 193 Anm. 13. Dazu die edessenische Chronik z. J. 636: Chron. min. 1, 4, lOf.
Guidi.
S. 199 Anm. 31. Ebenso loh. Ephes. 3, 183, 5f. Brooks: 'atnmä . . . d-l(au wä
ba-fhömä ma4nhäyä 4-febis (Thebais) da-l-gau men mefr in.
NACHTRÄGE 366
S. 285 f. Dem Brief eines amerikanischen Freundes (unter dem 10. 1. 61) entnehme
ich folgende Stelle: „Ich glaube, es ist für Sie von Interesse, was mir unser lieber
Vernadsky (13.12.60) schreibt:, A poisonous review of my Origins of Russia' appeared
in No. 91 of Slavonic Review of London (July 1960). Contrary to my habit, I decided
to write a letter to the Editor — not to argue with the reviewer (D. M. Lang) but to
reveal his falsehoods and distortions of facts. I sent them my letter on Sept. 1. They
kept thinking over until October 25 when they answered that they 'shall not be able'
to publish my letter because of 'the general policy of the Review not to publish corre-
spondance of any kind'.' Er schrieb auch seinem französischen Verleger, der antwortete:
,Je constate que pour votre travail, il existe une sorte de cabale.' Vernadsky schließt:
,A British friend of mine writes me that he thinks that the originator of the 'cabale' is
Henning'." Den Gewährsleuten muß die Verantwortung im Einzelnen überlassen
bleiben. Aber das gezeichnete Bild stimmt zu dem, was sich mir ergeben hat.
23·
366
DRUCKFEHLER -VERZEICHNIS
ZUM D R I T T E N BAND
S. 68 Zeile 14: einzelne
S. 294 Zeile 17 links: καλουμένην όζολίμνην
S. 304 Zeile 24: kirchlichen
ABBILDUNGSTEIL
ABBILDUNGSTEIL 359
360 ABBILDUNGSTEIL
24 Altheim, Hunnen IV
370 REGISTER
Boraner 161 Anm. 82 Anm. 32. 185. 192. 203. 204. 219. 221.
Bretagne 191 274. 292. 320. 330. 334. 335. 338
Britannier 153 Anm. 32, 155 Anm. 44 Getae 158 Anm. 58—59. 164 Anm. 93
Bulgaren 3of. 257f. Goten, gotisch 51—53. 6of. n o f . 133.
Burgunden, burgundisch 61 Anm. 9. 133 133 Anm. 57. 142. 148. 155 Anm. 40.
Anm. 57. 145. 188 Anm. 11. 192. 193— i56f. 158. 158 Anm. 58—59. 161 Anm.
206. 320. 338 82. 162. 164. 164 Anm. 93. i85f. 202.
Byzanz, Byzantiner, byzantinisch 42 218. 306. 316. 337· 338. 341—343
Anm. 3. i n . 152. 254. 263. 28gi. 354 Greutungen 218. 307. 308
Grusinien 26
Chazaren 3of. 229 Anm. 2. 274—279 Gurgän 96. 173. 250
Chinesen, China, chinesisch 42, 57. 65.
66—68. 172. 335 Haeduer 191
Chioniten 28. 62. 219 Hasdinger, (h)asdingisch 133. 134
Choräsän 29. 163 Anm. 90. 173. 273. 250 H a u r ä n 98
Chwärezm, chwärezmisch 62. 166. 170. Hephthaliten 3. 14. 22. 28—31. 44. 50. 62.
173. 176. 278. 308 64f. 66. 96. 134. i67i. 173. i8o. 220. 238
Anm. 28. 253. 254. 262. 263
Dacia Ripensis 292. 338 Hermunduren 131
Daghestan 278 Heruler, Eruier 110. 1 1 2 . 126. 129. 141.
Dalmatien 188 i95f. 196 Anm. 25. 341—343
Δάοι 158 Anm. 58 Higäz 334
Dardaner 150 Anm. 20 Hiung-nu 57. 64
Dazien, dazisch 146—165. 185. 340. 343. H o t t a l 352
345 Anm. 4
Delam, Delamiten 44f. 252. 254. 264. 266 J a p a n 42
Dobrudscha 289. 339. 340 Jassen 3—8
Dromedarnomaden 98 Iberien 24—27. 30
Ildico 334
Elam, Elymais, Elymäer 75. 97 Anm. 4.
Illyrier, illyrisch 135. 302. 331
153 Anm. 32
Ingwäonen 107—109. 123. 132 f.
Epeiros, Despotat 354
Ioner 326. 354
Euboia 325
"Irälf 39. 97· 258
F e r y ä n a 58. 278. 307 Iran, Iranier, iranisch 3. 3of. 39. 56. 66.
Franken 124. 133. 195—197. 198—201. 69. 72f. 86. 97. 98. 125. 140. 185. 263.
202. 203. 204. 205f. 316. 323. 334 266. 278
—, ripuarische 315. 315 Anm. 6. 316. 320 Isaurier 290
—, salische 320 Italien 186. 188. 309. 330
Friesen 197 Itimaren 271
Truppenteile
Anglevarii 106 Celtae 104 Anm. 8
Ascarii seniores i o s f . 108. 123 cohors I Ulpia Dacorum 151
Auxilien 320 Cornacenses 135
Bogenschützen 41—43. 45!. i i 4 f . Cornuti io3f. 106—109. i i 2 f . 123. 131.
Bracchiati io3f. 106 135. 136
REGISTER 377
Sachen
Hahn 135 Stier 135. 136t. 138t. 138 Anm. 14. 14t
Hirsch, Hinde 135 f. 137. 138 f. 312 Storch 312. 331
Hörnerpaar 118. 1 1 9 — 1 2 1 . 139
Tierstil 112. 142
Kamel 54
K u h 312 Widder 135
2. P H I L O L O G I S C H E S REGISTER
jass. dan, \v. osset. o. osset. don 7 avest. maet-, maeüana-, mae&anvä- 15
dehkän 43. 51 altpers. magav- 175
mittelpers. diz-i redän igf. jass. manauona 6
avest. maryav- 170
jass. Furduh, Φούρταζ η
Μεσχίθα, Μεστχητα i s
w. osset. furt, o. osset. firt, φουρτ j
avest. moyu. tbii- 1 7 5 — 1 7 9
jass., w. osset. fus, o. osset. fts 5
soghd. Muyün< *mcryav-an 177
osset. gäs 12 soghd. mury'nch dynh 177
avest. gava- 170 f. 182 soghd. mvuy, muy, neupers. muy, möy 179
REGISTER 385
altpers. naiba- iS avest. xturya-, ltura- 172
Νέοκνος i8
avest. urvd 173
parth. nhwdr 15
avest. «ζ- 15. 16 Anm. 51
avest. nisäya- 170
osset. niv 18 avest. vaektrita-, Βαγάρδα 173. 174
armen. Nixorahan, Nixavrakan 15 avest. vartna- 173
avest. vihrkäna- 173
parth. paöyäm 82
avest. paitiyära- 174 w. osset. xecau, o. osset. xicau 5
avest. pasuS 5 Ξηφαρυούγου, Gen. Sing. 12, 14. 19
parth. patbälik 38 f. Anm. 80. 25
ΠστιζεΙθηξ 13 avest. xnmta- 173
parth. patsäyik 39 w. osset. x'ädäg 7
mitteliran. pitaxf, bitaxS 13. 20. 23—27 avest. xvaidya- 5
τπτιάξης 2o. 24 avest. xväiriza- 170
alan. 7
' P ä 172 soghd. *u>/;y(y) 5
avest. ragay- 173
avest. ravha- 171 f. o. osset. yäfs, w. osset. tf/sdi 7
osset. sär 12 soghd. alan. -yt 15. 17
mitteliran. sardär 12
avest. zaena-, mittelpers. zen, neupers. zin
chwärezm. S'wübr, SäwvSfar 63. 63 Anm. 26
17
osset. saxar 16
Ζηκας, ΖΙχ i2
mittelpers. ipan 39 Anm. 6
ζηνοβιδοι 167 Anm. 7
armen. Spet 39 Anm. 6
Ζηουάχου, Ζευάχη; η. 12. 13. 14
neupers. Subän, Subän 39 Anm. 6
armen. Zik 12
avest. suxSa- 170 f.
ο. osset. zmis 15
soghd. Syipyr 63 Anm. 26
parth. znpty, mp. zynpt 167 Anm. 7
avest. taoiya- 172 jass. Zuagan 7
mittelpers. *«£, päzend <öi 172 jass. Zudah 7
Germanisch
Griechisch
κάμοξ 59 Σηραττείτις 14
κλίβανος, κλίβανον 4 7 — 5 ° σκυτάλαι 48
κοντό? 4 Η · 53 σ τ α θ μ ό ς 233
κ ο ν τ ο φ ό ρ ο ι 45· 4 6 · 53 συντέλεια 51
κοττίζ 4 8
κ υ κ λ ώ σ α σ θ α ι 54 τ α γ ή 3^. 39
τότταρχοι 38
λ ο γ ά δ ε ς 25- 2 8 ο — 2 8 6 . >88
μελεδωνώς 13 ύτταρχος 24
μ ι ξ ο β ά ρ β α ρ ο ς 158
χ ε ι ρ α ν ά ξ ι ο ν 33· 3 6
Ποττλίκιος Α γ ρ ί τ π τ α 14 X o ö v o i 28
τΓρομετωττΙδιον 49 χ ώ ρ α β α σ ι λ ι κ ή 35
Türksprachen