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WEGE DER FORSCHUNG BEGRIFFSBESTIMMUNG DES

LITERARISCHEN REALISMUS
BAND CCXII

Herausgegeben von
RICHARD BRINKMANN

1987 1987

ISS! 'SCHAFTLICHE BUCHGESELLSCHAFT WISSENSCHAFTLICHE BUCHGESELLSCHAFT


DARMSTADT DARMSTADT
192 A. Iwastschenko: Kritischer und sozialist'15eher R eahsmus
.

den Menschen, der sich in V bereinstimmung mit d eh.


Entwi'delung befi nd et und imstande
· er ges ichtlichen Theodor W. Adorno, Nottn zur Littruur II, Frankfurt, Suhrkamp Vcrlag, 1%1, S. 1S2
ist Herr se · . bis 187. Mit frcundhchtr Gcochm,gunc des Suhrkamp V,rlagn, Frankfurt
"5 ' mes eigenen Schick-
sals zu werd en.

ERPRESSTE VERSOHNUNG

Zu Georg l11kacs: ,Wider den mißwrstandenen Realism11s'

Von THEODOR W. ADORNO

Den Nimbus, der den Namen von Georg Lukacs heute noch,
auch außerhalb des sowjetischen Machtbereiches, umgibt, verdankt
er den Schriften seiner Jugend, dem fusay-Band ,Die Seele und die
Formen', der ,Theorie des Romans', den Studien ,Ge chichte und
Klassenbewußtsein', in denen er als dialektischer Materialist die
Kategorie der Verdinglichung erstmals auf die philosophische Pro-
blematik prinzipiell anwandte. Ursprünglich etwa von Simmel und
Kassner angeregt, dann in der südwestdeutschen Schule gebildet,
setzte Lukacs bald dem psychologischen Subjektivismus eine ob-
jektivistische Ge chichtsphilosophie entgegen, die bedeutenden Ein-
fluß ausübte. Die ,Theorie des Romans' zumal hat durch Tiefe und
Elan der Konzeption ebenso wie durch die nach damaligen Begrif-
fen außerordentliche Dichte und lntensitac der D.ustellung einen
Maßstab philosophischer i\sthctik aufgerichtet, der seitdem nicht
wieder verloren ward. Als, schon in den frühen zwanziger Jahren,
der Lukacssche Objektivismus sich, nicht ohne anfanglichc Kon-
flikte, der offiziellen kommunistischen Doktrin beugte, hat Lukacs
nach östlicher Sitte jene Schriften rcvoliert ; hat die subalternstcn
Einwände der Parteihierarchie unter Mißbrauch Hegclscher Motive
sich gegen sich selbst zu eigen gemacht und jahrzehntelang in Ab-
handlungen und Büchern sich abgemüht, seine offenbar unverwüst-
liche Denkkraa dem trostlosen 'ivcau der so-a:jetischen Denkcrei
gleichzuschalten, die mittlerweile die Philosophie, welche sie im
Munde führte, zum bloßen Mittel fur Zvm:ke der Hernchafl degra-
diert hatte. ur um der unterdessen widerrufenen und von seiner
1
Partei mißbilligten Frühwerke "''illen aber "'·urde, was Lukacs
Ralph Fox, D er Roman und das Volk Dietz Verlag Berlm
· 1953, S· 96 während der letzten dreißig Jahre veröffentlichte, auch ein didtes
(Hervorg hObe · '
e n von mir, A. I.).
19◄ Theodor W. Adorno Erpreßte Versöhnung 195
Buch über den jungen Hegel, überhaupt diesseits des Ostblocks be- selbst nicht unberührt. Lukacs' offenbares Heimweh nach den frühen
achtet, obwohl in einzelnen seiner Arbeiten zum deutschen Realis- Schriften gerät dadurch in einen tristen Aspekt. Aus der ,Theorie
mus des neunzehnten Jahrhunderts, zu Keller und Raabe, das alte des Romans' kehrt die "Lebensimmanenz des Sinnes• wieder, aber
Talent zu spüren war. Am krassesten wohl manifestierte sich in heruntergebracht auf den Kernspruch, daß das Leben unterm sozia-
dem Budi ,Die Zerstörung der Vernunft' die von Lukacs' eigener. listisdien Aufbau eben sinnvoll sei - ein Dogma, gerade gut genug
Höchst und1alektisdi redinete darin der approbierte Dialektiker zur philosophisch tönenden Rechtfertigung der rosigen Positivität,
alle 1rracionaliscisdien Strömungen der neueren Philosophie in einem die in den volkssozialistischen Staaten der Kunst zugemutet wird.
Aufwasdien der Reaktion und dem Faschismus zu, ohne sich viel Das Budi bietet Halbgefrorenes zwischen dem sogenannten Tau-
dabei aufzuhalten, daß in diesen Strömungen, gegenüber dem aka- wetter und erneuter Kälte.
demischen Idealismus, der Gedanke auch gegen eben jene Verding- Den subsumierenden, von oben her mit Kennmarken wie kriti-
lichung ,·on Dasein und Denken sich sträubte, deren Kritik Lukacs' scher und sozialistischer Realismus operierenden Gestus teilt Lukacs,
eigene Sache war. Nietzsche und Freud wurden ihm schlidit zu trotz aller entgegenlautenden dynamischen Beteuerungen, nadi wie
Fasdiisten, und er bradite es über sich, im herablassenden Ton eines vor mit den Kulturvögten. Die Hegelsche Kritik am Kantischen
1lhelminischen Provinzialsdiulrats von Nietzsches "nicht alltäg- Formalismus in der Asthetik ist versimpelt zu der Behauptung, daß
lidier Begabung" zu reden. Unter der HülJe vorgeblich radikaler •n der modernen Kunst Stil, Form, Darstellungsmittel maßlos über-
Gesellschaftskritik schmuggelte er die armseligsten Cliches jenes sdiätzt seien (s. insbes. S. 15) - als ob nicht Lukacs wis~en müßte,
Konformismus wieder ein, dem die Gesellschaftskritik einmal galt. daß durch diese Momente Kunst als Erkenntnis von der wissen-
Das Budi , Wider den mißverstandenen Realismus' nun, das 1958 sdiafHichen sich unterscheidet; daß Kunstwerke, die indifferent wä-
1m Westen, im Claassen-Verlag herauskam, zeigt Spuren einer ver- ren gegen ihr Wie, ihren eigenen Begriff aufhöben. Was ihm ror-
andcnen Haltung des Fünfundsiebzigjährigen. Sie dürfte zusam- malismus dünkt, meint, durch Konstruktion der Elemente unterm
menhangen mit dem Konflikt, in den er durch seine Teilnahme an je eigenen Formgesetz, jene "Immanenz des Sinnes", der Lukacs
der 'agy-Regierung gerie . Nicht nur ist von den Verbrechen der nachhängt, anstatt, wie er selber es für unmöglich hält und doch
talm-Jl\ra die Rede, sondern es wird in früher undenkbarer For- objektiv verficht, den Sinn von außen dekretorisch im Gebilde hin-
mulierung sogar von einer "allgemeinen Stellungnahme für die einzuzerren. E r mißdeutet willentlich die formkonstituuvcn Mo-
Fmhe1t des Sdirifhurru" positiv gesprochen. Lukacs entdedct post• mente der neuen Kunst als Akzidentien, als zufällige Zutaten des
h m Gutes an seinem langjährigen Gegner Brecht und rühmt dessen aufgeblähten Subjekts, anstatt ihre objektive Funkuon im ästhe-
Ballade ,om toten Soldaten, die den Pankower Machthabern ein tischen Gehalt selber zu erkennen. Jene Objektivität, die er an der
ku turbolschcwistisdicr Greuel sein muß, als genial. Gleich Brecht modernen Kunst vermißt und die er vom Stoff und dessen .per-
m6chte tt den Begriff des sozialistisdien Realismus mit dem man spektivischer" Behandlung erwartet, fällt jenen die bloße Stoff-
t J2hrzehnten jeden ungebärdigen Impuls, alles' den Apparat· lichkeit auflösenden und damit erst sie in Perspektive rüdcenden
ks Unvemandliche und Verdäditige abwürgte so ausweiten, Verfahrungsweisen und Techniken zu, die er wegwischen ~öchcc.
da mehr darm Raum findet als nur der erbärmlichste Schund. Er Gleichgültig stellt er sich gegen die philosophische Frage, ob m der
~ Ich chterne, vorweg vom Bewußtsein der eigenen Ohnmadit Tat der konkrete Gehalt eines Kunstwerks eins sei mit der bloßen
mtc Oppo ition. Die Sdiüditernheit ist keine Takuk. Lukacs' · .
• W1dersp1egelung der obJe. k uven
· w·1rkl'..1.k · • (S · 108 '• an .deren
1cn e1t
neht uber allem Zweifel. Aber das begriffliche Gefüge, dem Idol er mit verbissenem Vulgärrnaterialismus festhält Sem etg~er
Intellekt opferte, 1st
· so verengt, da ß es ersuckt,
. .
was immer Text jedenfalls mißachtet all jene Normen verantwortlich_ •eprag-
fre er atmen mödite; das sacrifizio dell'intelletto laßt diesen ter Darstellung, die er durch seine Frühschriften zu statuieren gc-
196 Theodor W. Adorno Erpreßte Versöhnung 197

holfen hatte.. Kein. bärtiger Geheimrat könnte k unstf remd er uber .. halts. Die forcierte Uneitelkeit eines Vortrags, der sich sachlich
Kunst peroneren; tm Ton des .Kathedergewohn t en, d er m·eht unter- glaubt, wofern er nur die Selbstreflexion versäumt, bemänt~lc ein-
brochen werd en darf, . vor
. .keinen längeren A usf··h u rungen zuru.. ck. zig, daß die Objektivität aus dem dialektischen Prozeß mit dem
schreckt
••ß und
· offens1chtl1di
. Jene Möglidikeiten d es Reag1erens
· ·
em- Subjekt herausgenommen ward. Der Dialektik wir~ Lippendie~st
bu te, .die. er an semen Opfern als ästhetizi·st·1seh, d ek a d ent und gezollt, aber sie ist für solches Denken vorentsch1eden. Es wird
formahst1sch
.. abkanzelt, die allein aber ein Ve r h··1 · zur K unst
a tms undialektisch.
uberhaup~ erst gestatten. _Während der Hegelsche Begriff des Kon- Dogmatisch bleibt der Kern der Theorie. Die gesamte moderne
kreten bei Lukacs nach .wie vor . hoch im Kurs steh t - ms · besond ere, Literatur, soweit auf sie nicht die Formel eines sei's kritischen, sei's
wenn. ..es darum geht, die D1ditung zur Abbi.ldu ng d er empms · · ehen sozialistischen Realismus paßt, ist verworfen, und es wird ihr ohne
Reahtat zu verhalten - , bleibt die Argumentat·10n seJber weit · h"m Zögern das Odium der Dekadenz angehängt, ein Schimpfwort, das
abstrakt.
. Kaum je unterwirft sidi der Text de r D.1sz1p · 1·m emes
· spe- nicht nur in Rußland alle Scheußlichkeiten von Verfolgung und
z1fisch~n Kunstwerks und seiner immanenten Probleme. Statt des- Ausmerzung deckt. Der Gebrauch jenes konser vativen Ausdrucks
sen ;"_ird :verfügt. Der Pedanterie des Duktus entspricht Schlam- ist inkompatibel mit der Lehre, deren Autorität Lukacs durch ihn,
pe~e• im ~mzel?en. Lukacs sdieut sidi nicht vor abgetakelten Weis- v.ie seine Vorgesetzten, der Volksgemeinschaft angleichen mödne.
heiten wie: ,,Eme Rede ist keine Schreibe"; er verwendet wieder- De Rede von Dekadenz ist vom positiven Gegenbild kraftstrotzen-
holt den aus der SPh··are d es K ommerzes und Rekords stammenden d r Natur kaum ablösbar; Naturkategorien werden auf gesell-
Ausdruck „Spitzenleistung" (S. 7); er nennt das Annullieren des schaftlich Vermitteltes projiziert. Eben dagegen jedoch geht der
Unte;schieds _von abstrakter und konkreter Möglichkeit „verhee- Tenor der Ideologiekritik von Marx und Engels. Selbst Reminis-
rend und erinnert daran, wie „eine solche Diesseitigkeit etwa ab zenzen an den Feuerbach der gesunden Sinnlichkeit hätten schwer-
9 1ott0_ das Allegorisieren der Anfangsperioden immer entschiedener lich dem sozialdarwinistischen Terminus Einlaß in ihre Texte ver-
schaffi:. Noch im Rohentwurf der Grundrisse der K ritik der poli-
~berwmdet" (S. 41 ). Wir nach Lukacs' Sprache Dekadenten mögen
Ja. Form und Stil arg u··berseh··atzen, a b er vor Prägungen wie „ab tischen Okonomie von 1857/58, also in der Phase des ,Kap1tals',
G1ott0• hat uns d as b.1s1ang ebenso bewahrt wie davor Kafka zu heißt es: 1 „Sosehr nun das Ganze dieser Bewegung als gesellschaft-
loben, weil er „glänzend beobachte" (S. 47). Auch von 'der „Reihe licher Prozeß erscheint, und sosehr die einzelnen Momente dieser
der außerordentlich vielen Affekte die zusammen zum Aufbau des Bewegung vom bewußten Willen und besonderen Zwecken der
mcnsdtlichen Innenlebens beitrage~" (S. 90), dürften A vantgardi- Individuen ausgehn, sosehr erscheint die Totalität des Prozesses als
sten nu~ selten etwas vermeldet haben. Man könnte angesichts sol- ein objektiver Zusammenhang, der naturwüchsig entsteht : zwar aus
d icr Spitzenleistungen, die sich jagen wie auf einer Olympiade, fra- dem Aufeinanderwirken der bewußten Individuen hervorgeht, aber
ge_n. ob Jemand, der so sdireibt, unkundig des Metiers der Literatur, weder in ihrem Bewußtsein liegt, noch als Ganzes unter sie sub-
":11t der e~ souverän umspringt, überhaupt das Recht hat, in litera- sumiert wird. Ihr eigenes Aufeinanderstoßen produziert ihnen eine
~tsch~n Dingen im Ernst mitzureden. Aber man fühlt bei Lukacs, über ihnen stehende, fremde gesellschaftliche Macht; ihre Wechsel-
wirkung als von ihnen unabhängigen Prozeß und Gev.·alt. Die ge-
r:t?mal gut schreiben konnte, in der Mischung aus Schulmeister-
1 eit und Unverantwortlichkeit die Methode des Justament, den sellschaftliche Beziehung der Individuen aufeinander als vcrsclb-
standigte Macht über den Individuen, werde sie nun vorgestellt als
~n~neerfüllten Willen zum Schlechtschreiben, dem er die magische
·l erkraft zutraut, polemisch zu beweisen, wer es anders hält und
• Karl Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Okonomie (Roh-
51
b . an strengt, sei ein Taugenichts. Stilistische Gleichgültigkeit ist
u ngens stets fast ein Symptom dogmatischer Verhärtung des In- cnt1''urf). 1857-1858, Berlin 1953, S. 111.
198 Theodor W. Adorno Erpreßte Versöhnung 199

Naturmacht, Zufall oder in sonst beliebiger Form, ist notwendiges Reaktion. So können wir den Begriff des sozial Gesunden finden,
Resultat dessen, daß der Ausgangspunkt nicht das freie gesellschaft- eben und zugleich als Grundlage aller wirklich großen Kunst, weil
!iche Individuum_ ist." Solche Kritik hält nicht inne vor der Sphäre, dieses Gesunde zum Bestandteil des historischen Bewußtseins der
m der der Schein der Naturwüchsigkeit von Gesellschaftlichem Menschheit wird." 3 Das Unkräftige dieses Versuchs ist offenbar:
affektiv besetzt, am hartnäckigsten sich behauptet und in der all; wenn es sich schon um historische Verhältnisse handelt, wären
Indignation über Entartung beheimatet ist, der der Geschlechter. Worte wie gesund und krank überhaupt zu vermeiden. Mit der
~1arx hat, etwas früher, die „Religion des neuen Weltalters" von Dimension Fortschritt/Reaktion haben sie nichts zu tun; sie werden
G. F. Daumer rezensiert und spießt einen Passus daraus auf: ,,Na- mitgeschleppt einzig um ihres demagogischen Appells willen. Ober·
tur und Weib sind das wahrhaft Göttliche im Unterschiede von dies ist die Dichotomie von gesund und krank so undialektisch wie
~1ensch und Mann ... Hingebung des Menschlichen an das Natür- die vom auf- und absteigenden Bürgertum, die ihre Normen selbst
liche, des Männlichen an das Weibliche ist die ächte, die allein einem bürgerlichen Bewußtsein entlehnt, das mit der eigenen Ent-
wahre Demuth und Selbstentäußerung, die höchste, ja einzige Tu- wicklung nicht mitkam. - Ich verschmähe es, darauf zu insistieren,
gend und Frömmigkeit, die es gibt." Dem fügt Marx den Kommen- daß Lukacs unter den Begriffen Dekadenz und Avantgardismus -
t~r hinzu: ., W:ir_ sehe~ hier, wie die seichte Unwissenheit des speku- beides ist ihm dasselbe - gänzlich Heterogenes zusammenbringt,
lierenden Rehg1onsmfters sich in eine sehr prononcierte Feigheit nicht nur als Proust, Kafka, Joyce, Beckett, sondern auch Benn,
,~r~an~el.t, Herr Daumer flüchtet sich vor der geschichtlichen Tra Jünger, womöglich Heidegger; als Theoretiker Benjamin und mich
~öd1_e, die ihm drohend zu nahe rückt, in die angebliche Natur, d. h. selber. Der heute beliebte Hinweis darauf, daß eine angegriffene
in_ die blöde Bauernidylle, und predigt den Kultus des Weibes um Sache gar keine sei, sondern in divergentes Einzelnes auseinander•
5t'lne eigene v,eibische Resignation zu bemänteln." t Wo immer g~gen falle, liegt allzu bequem zur Hand, um den Begriff aufzuweichen
Dekadenz gewettert wird, wiederholt sich jene Flucht. Lukacs wird und dem eingreifenden Argument mit dem Gestus: .,das bin ich gar
zu ihr gelwungen durch einen Zustand, in dem gesellschaftliches nicht" sich zu entziehen. Ich halte mich also, auf die Gefahr hin,
U~recht fortwährt, während es offiziell für abgeschaffi erklärt ist. durch den Widerstand gegen die Simplifizierung selbst zu simplifi-
Die Verantwortung wir
p
· d von d em von Menschen verschuldeten zieren, an den Nerv der Lukacsschen Argumentation und differen-
Zunand zurückgeschoben in Natur oder eine nach ihrem Modell ziere innerhalb dessen, was er verwirft, nicht viel mehr, als er es
kontr:ir ausgedachte Entartung. Wohl hat Lukacs versucht den tut, außer wo er grob entstellt.
1derspruch zwischen Marx1s · eher Th eone · und approbiertem
. 'Mar- Sein Versuch, dem sowjetischen Verdikt über die moderne, näm-
,_xismus zu eskamoueren,
· · d em er die Begriffe gesunder und kran-
m lich das naiv-realistische Normalbewußtsein schockierende Literatur
r.er Kunst krampfhaft ·m soz1a · 1e retrovertiert:
. . Beziehungen
,,Die • das philosophisch gute Gewissen zu machen, hat ein schmales In-
Z'lliischcn den Menschc
. ·
n sm d h" · eh
1stons veränderlich, und es ver- strumentarium, insgesamt Hegelschen Ursprungs. Für seine Att~cke
andcm sich dementsprechen d aueh d"1e geistigen . . und emotionalen auf die avantgardistische Dichtung als Abweichung von der Wirk-
Bcwcnungen dieser B . h D" lichkeit bemüht er zunächst die Unterscheidung von „abstrakter•
dodi k . ezie ungen. 1ese Erkenntnis beinhaltet je-
L __ •
einen Relativismus· I n emer· b est1mrnten
· . bedeutet eme
Ze1t . und „realerk Möglichkeit: ,,Zusammengehörigkeit, ~nterschied und
ucmmmtc menschliche Bez·1eh ung d en Fortschntt, • eme. .
andere die Gegensatz dieser beiden Kategorien ist vor allem ein~ T~tsache des
Lebens selbst. Möglichkeit 1st - abstrakt, bzw. subJekuv angese-
1
Karl 1arx Rezension d Sch fl
cltalt ' H mb er n G. F. Daumcrs. Die Religion des
crs. a urg 1 . N
1 . 50 Rh . . eh . a Georg Lukacs, Gesunde oder kranke Kunst? in: Georg Luk.ics zum
Bulin 1955, S. 107• ' ' n. eue e1ms e Zeitung. Nachdruck
siebzigsten Geburtstag. Berlin 1955, 243 f.
Erpreßte Versöhnung 201
200 Theodor W. Adorno
. . eh Moment einzig in der „Perspektive"' also einem
hen - immer reicher als die Wirklichkeit; Tausende und aber Tau- Stoff anu~heusl e d Sinnes geduldet, ohne daß diese Perspek-
sende Möglichkeiten scheinen für das menschliche Subjekt offenzu- Durws .L chemen assen es . . . 1· lb
. Z der Darstellung' bis m die Rea ien se er
stehen, deren verschwindend geringer Prozentsatz verwirklicht b. · die entren .
uve is in 1. . Mißbrauch der Hegelschen Untersehei-
werden kann. Und der moderne Subjektivismus, der in diesem . d .. e so resu uert ein . eh R .. _,_
ein rang ' . T aditionalismus, dessen ästhet1s e uix-
cheinreichtum die echte Fülle der menschlichen Seele zu erblidcen dung zugunsten eines r . .
vermeint, empfindet ihr gegenüber eine mit Bewunderung und Sym- .. . keit Index seiner historischen Unwahrheit ist. .
,tand1g . h b L kacs den Vorwurf des Ontolog1smus,
pathie gemischte Melancholie, während der Wirklichkeit, die die z al Jedoch er e t u . E .
entr li b die ganze avantgardistische Literatur auf die xi-
Erfüllung solcher Möglichkeit versagt, mit einer ebenfalls melan-
der ~~- e ~:narchaisierenden Heidegger festnageln möchte. Wfohl
cholischen Verachtung entgegengetreten wird." (S. 19) über diesen
stenua ien k1 h" der Mode her es käme darauf an zu ra-
Einwand ist, trotz des Prozentsatzes, nicht hinwegzugleiten. Hat auch Lu acs inter ' ·eh
rennt . M eh?" (S 16) ohne von den Spuren s1
Brecht etwa versucht, durch infantilistische Abkürzung gleichsam W s ist der ens . . ' eh d"
gehen: ck" a l ssen. Aber er modifiziert sie wenigstens d~r ie
reine Urformen des Faschismus als eines Gangstertums auszukristal- s re en zu a . d Menschen als eines ge-
lisieren, indem er den aufhaltsamen Diktator Arturo Ui als Expo- a.llbekannte AriS t otelische B~su~ung e~ rlich bestreitbare
nenten eines imaginären und apokryphen Karfioltrusts, nicht als 1
sellschaftlichen W:~ns. _Aus ihrl;::: e~i~ :ust:~: individuelle und
den ökonomisch mächtigster Gruppen entwarf, so schlug das un- Behauptung ab, ,, ie rem met d ' ß n Literatur „ihre künst-
re3Jistische Kunstmittel dem Gebilde nicht zum Segen an. Als Un- tvpisdie Eigena~t" ~er G~sta ~e~h er g~~nekreten Ve~urzeltsein in
ternehmen einer gewissermaßen gesellschaftlich exterritorialen und lerische Sinnfälhgke1t" sei „mit I rem 11 eh ftl"ch n Beziehun-
. • eh chl"chen gese s a I e
darum beliebig naufhaltsamen" Verbrecherbande verliert der Fa- den konkret histons en, mens 1 ..' " ) Völlig ent-
schismus sein Grauen, das des großen gesellschafHichen Zuges. Da- . b verknupft (a. a. 0 · · "
gen ihres Daseins untrenn ar d" l g·ische Inten-
durch wird die Karikatur kraftlos, nach eigenem Maßstab albern: . f·h fort 1e onto o
gegengesetzt" jedoch sei, so a rt er •" b · men bei den
der politische Aufstieg des Leichtverbrechers büßt im Stüdc selbst . ihr Gestalten zu emm •
tion, das menschliche Wesen er . . ·teratur Kurz ge-
die Plausibilität ein. Satire, die ihren Gegenstand nicht adäquat hat, lührenden Schriftstellern der avantgard1st1~te~ L~er sein~m Wesen
bleibt auch als solche ohne Salz. Aber die Forderung pragmatischer faßt: für sie ist ,der' Mensch: das von Edw1g e1tcht a'us allen gesell-
Treue kann sich doch nur auf die Grunderfahrung von der Realität . ll chi" chen un erst re
nach einsame, aus a en mens 1 l · eh _ von ihnen
und auf die membra disjecta der stofflichen Motive beziehen, aus r· onto og1s
ldiaftl'.~e~ Be~ie~ungen her~u~ge oste"-a.a.O.) Gestützt wird das
denen der chriftsteller seine Konstruktion fügt; im Fall Brecht also unabhang1g ex1suerende Individuum. __ ( d . rarisch Gestaltete
auf die Kenntnis des tatsächlichen Zusammenhangs von Wirtschaft . . 1·d ...eh . denfalls fur as 1ite
auf eme z1em 1 1 ton te, Je „b die Einsamkeit des
und Poliuk und darauf, daß die gesellschaftlichen Ausgangstat- unmaßgebliche Außerung Thomas Wolfe~ u eDr ei·ns Aber gerade
ehen sitzen; nicht aber auf das, was daraus im Gebilde wird. "chl"ch T
Menschen als unauswe1 1 e ats~ . eh
ehe seines as .
d ken müßte sehen,
Proust, bd dem genaueste „realistische" Beobachtung mit dem ästhe- d .k l h tons zu en
1 '
Lukacs, der beansprucht, ra a is_ . .d . • chen Gesellschaft,
uschrn Formgesetz. unwillkürlicher Erinnerung so innig sich ver- . . . lb • d mdivi ua 11st1s
daß Jene Emsamke1t se er, m er .ch geschichtlichem
b ndet, bietet das eindringlichste Beispiel der Einheit pragmatischer . l . d von wesent11
gesellschaftlich verm1tte t 1st un . .eh II Kategorien wie De-
Treue und - nach lukacsschen Kategorien - unrealistischer Ver- Gehalt. In Baudelaire, auf den schließh .. ~-de ·eren ging es nicht
fahrensweise. \Vird etwas von der Innigkeit jener Fusion nachge- · · zuruix au •
kadenz, Formalismus, Ast h euzismus . E" keit oder Gewor-
la n, wird die „konkrete Möglichkeit" im Sinn eines unreflek- ch seine msam . .
um das invariante Mens enwesen, d Wesen selbst 1st in
tierten, in s:arrer Betrachtung draußen vorm Gegenstand verhar- fenheit, sondern um das W esen vo n Mo erne. . D'
d esellschaftlich. ie
renden Realismus der Gesamtanschauung interpretiert und das dem .
dieser Dichtung kein abstra tes n SI • k A ·eh son ern g
202 Theodor W. Adorno
Erpreßte Versöhnung 203
objektiv in seinem Werk waltende Idee will erade . .
Fortgeschrittene, Neueste als das zu besch .. g d das htstonsch idealistische Sünde; daß manche Künstler idealistischen Philosophien
. eh d . woren e Urphänome . anhingen, besagt nichts über den Gehalt ihrer Werke. Sondern
1st, na em Ausd ruck BenJamins, ,,dialektisches Bild" . n, es
Kunst selber hat gegenüber dem bloß Seienden, wofern sie es nicht,
isches. Daher die ,Tableaux Parisiens' Sub ' kem archa-
'ch . , . . strat sogar von Jo . kunsrfremd, bloß verdoppelt, zum Wesen, Wesen und Bild zu sein.
m t, wie Lukacs ihm unterschieben möch . . yce ist
te, em ze1tloser Me eh Dadurch erst konstituiert sich das Aschetische; dadurch, nicht im
schi eehthin, sondern der höchst geschichtliche. Er fin . ns
Blick auf die bloße Unmittelbarkeit, wird Kunst zu Erkenntnis,
mschen Folklore, keine Mythologie jenseits d g'.~rt, trotz aller
nämlich einer Realität gerecht, die ihr eigenes Wesen verhängt und
ten Welt, sondern trachtet deren Wesen od eUr von 1 m dargestell -
. d . er nwesen zu beschwö was es ausspricht zugunsten einer bloß klassifikatorischen Ordnung
ren, m cm er sie selbst kraft des vo h . -
eh„ s ·li · '
ges atzten u sauonsprinzips, gewissermaß
m euugen Lukacs gering
h ..
unterdrückt. Nur in der Kristallisation des eigenen Formgesetzes,
m„ch d. G ß en myt mert Fast nicht in der passiven Hinnahme der ObJekce konvergiert Kunst mit
o_ te man ie rö e von avantgardistischer Dich . . dem Wirklichen. Erkenntnis ist in ihr durch und durch ästhetisch
tenum unterstellen, ob darin geschichtliche M tung dem Kn vtrmittelt. Selbst der vorgebliche Soltp•,1smus, Lukacs zufolge Rück-
wesenhaft gew d •eh . . omente als solche
f . o~ en,_ ni t zur Ze1tlos1gkeit verflacht sind Lukac fall auf die illusionäre Unmittelbarkeit des Subjekts, bedeutet in
~rug_te vern:i~thch_ die Verwendung von Begriffen wie W;sen un; der Kunst nicht, wie in schlechten Erkenntnistheorien, die Verleug-
B1!d m der Ästh~uk als idealistisch ab. Aber ihre Stellun i B - nung des Objekts, sondern intendiert dialektisch die Versöhnung
reich der Kunst ist grundverschieden von der . . g .m e mit ihm. Als Bild wird es ins Subjekt hineingenommen, anstatt,
Wesens oder de U b'ld m Ph1losoph1en des
Lukacs' Positi r h r i er, ~on a!lem aufgewärmten Platonismus. nach dem Geheiß der entfremdeten Welt, dinghaft ihm gegenüber
. U cho_n a_t wohl ihre innerste Schwäche darin daß er 2.u versteinern. Kraft des Widerspruchs zwischen diesem im Bild
d iesen nters 1ed meh h f h ' versöhnten, nämlich ins Subjekt spontan aufgenommenen Objekt
die sich aufs Verh„l . t ;e r estzu a_lten vermag und Kategorien,
auf die Kunst üba tn'._s es Be~ußtse1~s zur Realität beziehen, so und dem real unversöhnten draußen, kritisiert das Kunstwerk die
Kunst fi d 'eh .ertragt, als hießen sie hier einfach das gleiche. Realität. Es ist deren negative Erkenntnis. Nach Analogie zu einer
n et SI m der R
in sich .· lf"J .
r .. h 'h
ea itat, at I re Funktion in ihr ist auch
heute geläufigen philosophischen Redeweise könnte man von der
als Ku " 1e a tig zur Realit..
•h . · 1t. Gleichwohl
at verrrutte • aber' steht sie .iischetischen Differenz" ,·om Dasein sprechen: nur vermöge dieser
nst, i rem eigenen Beg .ff eh .h . Differenz, nicht durch deren Verleugnung, wird das Kunstwerk
was der F II· D h . n . na , ant1t et1sch dem gegenüber,
1st beides, Kunstwerk und ridniges Bewußtsein. Eine Kunsttheorie, die
tisdien Scha · b· das at die Philosoph'ie mit · d em Namen des ästhe-
ems e acht. Auch L k , . d k .. . das ignoriert, ist banausisch und ideologisch in eins.
nen daß d G h u acs wir aum uberspnngen kön
• er e alt von K 5t k . . Lukacs begnügt sich mit Schopenhauers Einsicht, das Prinzip des
wirklich i • d' un wer en mcht m demselben Sinn
. . GeseIIseha ft · w··are dieser . Unterschied . eh-
. st wie .. ie reale Solipsismus lasse sich nur .in der abstraktesten Philosophie mit
miniert
Yölliger Konsequ ·r z durchführen•, und „auch dort nur sophistisch,
Daß a~ d'veKr1ore Jegliche Bemühung um Asthetik ihr Substrat
50

r ie• unst von d er unm1tte · lbaren Realität, in der sie ein-· rabulistisch" (S. 18). Aber seine Argumentation chlagt sich selber:
mal als M
r .
tcr, ist wede •hr .d ' . a itauv si·c1i sond erte, ihr Scheincharak-
ag1e enrsprang qu wenn der Solip ,MUS nicht durchzuhalten ist; wenn in diesem sich
I reproduziert, was er zunachst, nach phanomenologischer Redeweise,
hinzugefügte; ; d eologisch~r Sündenfall noch ein ihr äußerlich
den Anspruch \;x, so al_s w iederholte sie bloß die Welt, nur ohne
„ausklammert•, dann braucht man ihn als Stilisierungspr'.inzip auch
nicht zu fürchten. Die Auntgardisten haben sich denn auch über
tralnive Vors' sl~ er unmmelbar wirklich zu sein. Eine solche sub-
die ihnen von Lukacs i.ugeschriebenc Position objektiv in ihren
traffi die 0-ff te ung spräche aller Dialektik Hohn. Vielmehr be-
1 ercnz von empms · · ehem Dasein und Kunst deren inner- Werken hinausbewegt. Proust dekomponiert die Einheit des Sub-
ste Zusanune jekts vermöge dessen eigener Introspektion: es ~erv.·andelt sich
nsetzung. Gibt sie Wesen, ,,Bilder", so ist das keine
2C4 Theodor W. Adorno
Erpreßte Versöhnung 20S
schließlich in einen Schauplatz erscheinender O bjektivität S .
· d ' 'd 1· · eh W k · d en. ein polemischen Darstellung heraufdämmernder Sinnlosigkeit bestehen
m 1,·1 ~-a 1ms . es e~ . w'.r. zu~ ~egenteil d essen, als was Lukacs
es schmahc: wird ant1-10d1v1duahst1sch. Der monologue · , • und verlorengehen, sobald er, wäre es auch nur indirekt durch
• ,., 1 I • k • 1nteneur
die 'w e r 0s1g e1t der neuen Kunst, über die Lukacs sieb .. ' .. Per~pekti ve", \\'ie in der didaktischen Antithese richtigen und fal-
. b 'd W h h . d eh . entruscec
1st e1 es, a r e1t un S em der losgelösten SubJ'ektivit" w h ' schen Lebens bei Tolscoi seit der ,Anna Karcnina', positiv geserzc,
h . ·t . d II
en, we1 m er a erorten atomistischen Weltverfassun d' E
at. a r-
ah daseiend hypostasiere wird. Luk:ks' alte I ieblingsidee einer
{rem dung u"ber den Mensehen waltet und w eil sie _ g ·ie nt- • Immanenz des Sinnes" veni.·eist auf eben jene fragwürdige Zu-
L k . wie man
Lu k acs onzed1eren mag - darüber zu Schatten w d ständlichkeit, die seiner eigenen Theorie iufolge zu destruieren
L __ , .. • • er en. Sch ein·
~ocr(: d;s lo~elos;e SubJekt, weil objektiv die gesellschafl:liche wäre. Konzeptionen wie die Bcdteus jedoch sind objektiv-pole-
mi~ch. Lukics fälscht sie zur .einfachen Darstellung des Patholo-
ota •h~ t d emch mze nen vorgeordnet ist und durch die Entfrem-
d ung m ur , den gesellschaftlichen Widerspruch gischen, d e r Perversitat, des Idiotismus als t) pi eher Form der ,con-
-.1..1 • . . . , zusammenge-
WJ ossen wird und sich reproduziert Diesen Schein de s b · k · · ··
dition humaine' (S. 31), nach dem Usus des F,lmz.ensor, der das
d eh chi d' ß . r u Je tlv1tat Dargestellte der Darstellung zur Last sdireibc. Vollends die \'cr-
ur s agcn ie gro en avantgardistischen Kunstwerke •·nd .
d H f tr k . d ' cm SIC mcngun g mir dem Seinskultus, und gar mit drm minderen Vitalis-
er •~ a ig c1c es bio~ Einzelnen Relief verleihen und zugleich
mus Montherlancs (a.a.O.), bezeugt Blindheit gegen d:u Phanomcn.
m ihm Jenes Ganze.ergreifen, dessen Moment d as Einzelne ist und
Sie rührt d her, daß l.ukacs ver codl:t ich 11.eigert, der literarisdien
,on dem es_ doch_nichts wissen kann. Meint Lukacs, es werde bei
Technik ihr zentrales Recht z.u?.uspredien. tatt dessen halt er sich

bl~:o::c
Jice Du~hn, bei Kafka und Musil die H absburger Monarchie als
b~csß Gesche~ens" gleichsam progra mmwidrig fühlbar,
J b O sekundares Nebenprodukt, so macht er um seines
unverdrossen ans I rzahlte. Aber dnzig durdi • Technik• rcalis1c.rc
die Intencion des Dargestellten - d s, as Lukics drm lbst n-
rüchigen Begriff „Perspektive• zum1ßt - m der Dichtung sich
t hema pro andum wille d ' • f
d b . n ie negauv a u steigende epische Fülle überhaupt. Wohl möchte man erfahren, as ,on der amsdien Tr:t•
as u sta nucllc, zur Nebc eh D B 'ff '
Kafka überha „ nsa e. er egn der Atmosphäre ist gödie übrigbliebe, die Luk:ks gleich Hegel kanom ien, v.c.nn man
upt hochsc unangemessen. Er stammt aus einem Im- zu ihrem Kriterium die J abcl erhebt, die auf der traße bg. 1cht
Pr ionismus, den Kafka ge d d eh . b'
de aufs geschichtliche r~ e ur seine o JCktive Tendenz, minder konstituiere den traditionellen, selbst dm nach Luk es'
1 eh be' 'h . Wesen, uberholt. Selbst bei Beckett - viel- Schema „realistisdien" Roman - I-lauberc - Komposmon und
e 1 1 m am mem en eh . b ll
Bestand "ck • . :-, wo s cm ar a e konkreten h1stori- Seil. Heute, da die bloße empiri ehe ZuH.rla I cit zur l assaden-
stu e e11mm1crt . . . s· .
halten ,i,eisen d ld . .' nur pnmit1ve 1tuat1onen und Ver- Reporcage herabsank, hu die Relevanz. ,cnes foments e trmi ich
ge u et smd ist d ' h' . eh gesteigert. Konstruktion kllnn hoffen, die Zuf:ill, kett d bloß In-
, kauve Gev . d ' ie un 1stons e Fassade das pro-
oemc11 es von reak . .. Phil . dividuellen immanent z.u bemci tern, cn d,e Lu i CJfert Er
schl--'- h' . .. tlonarer osophie vergötztcn
CUJt m. Der Pnmm . . d
abrupt anheben .. . . vismus, m1t em seine Dichtungen zieht nicht die ganze Konscquen?. aus der EiDSJdit, die im lettten
' prasenuerc sich als E d h . . Kapitel des Buches durdibricht : daß wider die Zuf U. at mcht
a 1.u deutlich in F' d . n P ase emer Regression, nur
' m e parne' wo . d . d hilft, einen vermeintlich objcku,:eren uandpunkt cnudilossen z.u
versundl'ch . ' wie aus er weiten Ferne es
• en eme tcr . eh K beziehen. Lukacs sollte der Gc.chn e ,om chlünc.lch2raktcr dc.r
rd Seine Urmensch . res_rns e a tastrophe vorausgesetzt
'll;a Horkhcimer u d e~ si ~d die letzten. Thematisch ist bei ihm, Entfaltung der technischen Produkuvkrafce ahrhall ,;enraut n.
K , r en?. de nI
I
m der ,Dialektik der Aufklärung' die Gev.·iß ~•ar er auf die matcnelle, mdit uf d,e ccuu c Produ uon
r tota von der K 1 • d gemünzt. Kann a~ LuU tm Ern t 11ch da en perrcn, daß
"""11K11~tt nm den R k. . u tunn ustrie eingefangenen Ge-
ca uonswe Is d L auch die künstlensdie Tcduuk nach c ener k ,eh anfaltet,
ttelle Gehalt ein K en er urche nannten. Der sub-
es unScwerks ka nn in der exakten wortlos und sich einreden, die abstrakte Betcuerun , mncrhalb emc.r ,icr
'
206 Theodor W. Adorno Erpreßte Versöhnung 207

änderten Gesellschaft gälten automatisch und en bloc andere ästhe- Paradigmen hochgehaltenen Romane des früheren neunzehnten
tische Kriterien, reiche aus, jene Entwicklung der technischen Pro- Jahrhunderts, Dickens und Balzac, gar nicht so realistisch. Dafür
duktivkräfte auszulöschen und ältere, nach der immanenten Logik mochten sie Marx und Engels, in der Polemik gegen die zu ihrer
der Sache überholte, als verbindlich zu restaurieren? Wird nicht Zeit florierende, marktgängige Romantik halten. Heute sind an
unterm Diktat des sozialistischen Realismus gerade er Anwalt einer beiden Romanciers nicht nur romantische und ardiai~tisch-vorbür-
Invariancenlehre, die von der von ihm mit Grund abgelehnten gerliche Züge hervorgetreten, sondern die gesamte ,Comedie hu-
nur durch größere Grobheit sich unterscheidet? maine' von Balzac zeigt sich als eine Rekonstruktion der entfrem-
So_ rednmäßig auch Lukacs in der Tradition der großen Philo- deten, nämlich vom Subjekt gar nicht mehr erfahrenen Realität aus
sophie Kunst als Gestalt von Erkenntnis begreift, nicht als schlecht- Phantasie•. Insofern ist er nicht durchaus verschieden von den
?in Irrationales der Wissenschaft kontrastiert, er verfängt sich dabei avantgardistischen Opfern der Lukacsschen Klassenjustiz.: nur daß
in eben der bloßen Unmittelbarkeit, deren er kurzsichtig die avant- Balzac, der Formgesinnung seines Werkes nach, seine Monologe für
g~rdistisdie Produktion zeiht: der der Feststellung. Kunst erkennt Weltfülle hielt, während die großen Romanciers des zwanzigsten
mcht dadurch die Wirklichkeit, daß sie sie, photographisch oder Jahrhunderts ihre Weltfülle im Monolog bergen. Danach bricht
~pcnpcktivi~", ~bb~ldet, sondern dadurch, daß sie vermöge ihrer Lukacs' Ansatz zusammen. Unvermeidlich sinkt seine Idee von
autonomen Konstitution ausspricht, was von der empirischen Ge- .Perspektive" zu dem herab, wovon er im letzten Kapitel der
sult der Wirklichkeit verschleiert wird. Noch der Gestus der Un- SdiriA: so verzweifelt sie zu differenzieren trachtet, zur aufge-
erkennbarkeit der Welt, den Lukacs an Autoren wie Eliot oder pfropften Tendenz oder, in seinen Worten, zur „Agitation•. Seine
Joyce so unverdrossen bemängelt, kann zu einem Moment von Er- Konzeption ist aporetisch. Er kann des Bewußtseins nicht sich ent·
kenn:ni~ :werden, de~ des Bruchs zwischen der übermächtigen und sdilagen, daß ästhetisch die gesellschaftliche Wahrheit nur in auto-
un:usim1herbaren Dtngwelt und der hilflos von ihr abgleitenden nom gestalteten Kunstwerken lebt. Aber diese Autonomie führt im
Erfahrung. Lukacs vereinfacht die dialektische Einheit von Kunst konkreten Kunstwerk heute notwendig all das mit sich, was er
7
und \\ issenschafl zur blanken Identität, so als ob die Kunstwerke unterm Bann der herrschenden kommunistischen Lehre nach wie
d~rch P~rs~ktive bloß etwas von dem vorwegnähmen, was dann vor nicht toleriert. Die Hoffnung, rüdmändige, immanent-ästhe-
die Soz1alw1sscnschaften brav einholen. Das Wesentliche jedoch, tisdi unzulängliche Mittel legitimierten sich, weil sie in einem _an-
odurch das Kunstwerk als Erkenntnis sui generis von der wissen- deren Gesellschaftssystem anders stünden, also von außen her, Jen-
sdufUichen sich unterscheidet, 1st eben, daß nichts Empirisches un- sets ihrer immanenten Logik, ist bloßer Aberglaube. Man darf nicht
, erwande.lt bleibt, daß die Sachgehalte objektiv sinnvoll werden wie Lukacs als Epiphänomen abtun, sondern muß selber objekt_iv
er t als m1 t d. er sub"ck
J tJ· ven I ntencion verschmolzene. Grenzt Lukacs erklären daß 1 was sich im sozialistischen Realismus als fortgeschnc-
1e10m Realismus vom •
schall atura1·1smus a b, so versäumt er, Rechen- tener St;nd d es Bewußtseins deklariert, nur mit den brüchigen und
dnon zu geben, daß der Realismus wenn der Unterschied faden Relikten bürgerlicher Kunstformen aufw~rt~t. Jener R~alis-
emn..1.
rmemt• in. mit ,enen
i sub'Jek uven
· ' Intentionen
. .
notwendig mus stammt nicht sowohl, wie es den kommumsmchen Klerikern
ui a ~ am1en die e · d d paßte, aus einer gesellschaftlich heilen und genesenen ~c:lt, _als
6c:h • r Wte erum aus em Realismus verscheuchen
mhoL~:_Oberbaupt ist der von ihm inquisitorisch zum Richtmaß aus der Zurüdcgebliebenheit der gesellschaftlichen Produkt_1vk raftc
er ucnc G.-..mun
• -.,
I' ._-1_
rea 1su=er und „formalistischer" Verfahrungs- und des Bewußtseins in ihren Provinzen Sie benutzen die These
euend ~ t :z.u _retten. Erweist sich die ästhetisch ob,·ektive Funk- vom qualitativen Bruch zwischen Sozialismus und Bürgertum nur
l n tt rorm
th • · d'ieLukics als unrealistisch und idealistisch
pnnzipien,
;uu enu sind, 50 sind umgekehrt die von ihm unbedenklich als 4 Vgl. Th. W. Adorno, Bah:ac-Lektüre, No1en zur Literatur II, <; 19 f.
208 Theodor W. Adorno Erpreßte Versöhnung 209

dazu, jene Zurückgebliebenheit, die längst nicht mehr erwähnt wer- wirken. Darin vertrügen sie sich mit Lukacs gar nicht so schlecht.
den darf, ms Fortgeschrittenere umzufälschen. Daß die Einsamkeit als Formapriori bloßer Schein, daß sie selbst
Mit dem Vorwurf des Ontologismus verbindet Lukacs den des gesellschaftlich produziert ist; daß sie über sich hinausgeht, sobald
Individualismus, eines Standpunkts unreflektierter Einsamkeit, sie sich als solche reflektiert, ist Lukacs zuzugestehen. 5 Aber hier
nach dem Modell von Heideggers Theorie der Geworfenheit aus genau wendet die ästhetische Dialektik sich gegen ihn. Nicht ist an
, ein und Zeit'. Lukacs übt am Ausgang des literarischen Gebildes dem einzelnen Subjekt, durch Wahl und Entschluß, über die kollek-
vom poet.,chen Subjekt in seiner Zufälligkeit jene Kritik (S. 54), tiv determinierte Einsamkeit hinauszugelangen. Wo Lukacs mit der
der stringent genug Hegel einst den Ausgang der Philosophie von Gesinnungspoesie der standardisierten Sowjetromane abrechnet,
der sinnlichen Gewißheit des je Einzelnen unterworfen hatte. Aber klingt das vernehmlich genug durch. Insgesamt wird man bei der
gerade weil die~e Unmittelbarkeit in sich bereits vermittelt ist, ent- Lektüre des Buches, vor allem der passionierten Seiten über Kafka
hält sie, verbindlich im Kunstwerk gestaltet, die Momente, die Lu (s. etwa S. 50 f.), den Eindruck nicht los, daß er auf die von ihm als
kacs an ihr vermißt, während andererseits dem dichterischen Sub dekadent verpönte Literatur reagiert wie das legendäre Droschken-
jekt der Ausgang vom ihm Nächsten notwendig ist um der anu pferd beim Ertönen von Militärmusik, ehe es seinen Karren weiter•
zipienen Versöhnung der Gegenständlichkeit mit dem Bewußtsein zieht. Um ihrer Attraktionskraft sich zu erwehren, stimmt er in den
willen. Die Denunziation des Individualismus dehnt Lukacs bis auf Kontrollchor ein, der seit dem von ihm selber unter die A Yantgar•
Dostoje11iski aus. "Aus dem Dunkel der Großstadt" sei „eine der disten eingereihten Kierkegaard, wenn nicht seit der Empörung über
ersten D.amellungcn des dekadent einsamen Individuums." (S. 67) Friedrich Schlegel und die Frühromantik, auf dem Interessanten her·
Durch die Verkopplung von dekadent und einsam wird aber die umhackt. Die Verhandlung darüber wäre zu revidieren. Daß eine
tm Prinzip der bürgerlichen Gesellschaft selbst entspringende Ato- Einsicht oder eine Darstellung den Charakter des Interessanten trägt,
misierung zur bloßen Verfallserscheinung umgewertet. Darüber ist nicht blank auf Sensation und geistigen Markt zu redu:r.icrcn, die
hinaus suggeriert das Wort „dekadent" biologische Entartung Ein- gewiß jene Kategorien beförderten. Kein Siegel der Wahrheit, ist sie
zelner: Parodie dessen, daß jene Einsamkeit vermutlich weit hinter doch heute zu deren notwendiger Bedingung geworden; das, was "mca
du: burgerliche Gesellschaft zurückreicht, denn auch die Herden• interest", was das Subjekt angeht, anstatt daß es mit der übermäch-
uere sind, nach Borchardts Wort, ,,einsame Gemeinde", das zoon tigen Gewalt des Vorherrschenden, der Waren, abgespeist würde.
poliukon ist ein ent Herzustellendes. Ein historisches Apriori aller Unmöglich könnte Lukacs loben, was ihn an Kafka lockt, und
neuen Kunst, das sich selber nur dort transzendiert wo sie es un· ihn dennoch auf seinen Index setzen, hätte er nicht insgeheim, wie
emildert anerkenne, er~chemt als vermeidbarer Fehier oder gar als skeptische Spätscholastiker, eine Lehre von. zweierlei Wahr_heit _be-
burgerliche Verblendung. S bald jedoch Lukacs auf die jüngste reit: ,,Diese Betrachtungen gehen immer wieder von der historisch
ru sehe Literatur sich emläßt, entdeckt er, daß jener Struktur• bedingten künstlerischen Oberlegung des sozialistischen Realismus
cchsel, den er untemellt, nicht stattfand. Nur lernt er daraus aus. (Es kann allerdings nicht oft genug gegen Auslegungen Ver-
mdn, auf Begriffe wie den der dekadenten Einsamkeit zu verzich- wahrung eingelegt werden, die aus dieser historischen Ge~~~üb~r-
ten Die Position der YOn ihm getadelten Avantgardisten - nach stellung unmittelbare Schlüsse auf die künstlerische Quahtat e_m·
K'tner fruheren Terminologie: ihr "transzendentaler Ort" - ist im zelner Werke - sei es im bejahenden, sei es im verneinenden Smn
treu der Richtungen die geschichtlich vermittelter Einsamkeit, - ziehen wollen.) Die weltanschauliche Grundlage dieser Ober·
n du d e ontologische. Die Ontologen von heutzutage sind nur allzu
eam mn Bindungen, die, dem Sein als solchem zugeschrieben, allen ' Vgl. Theodor W. Adorno, Philosophie der neuen Musik. 2. Auflage,
liehen heteronomen Autoritäten den Schein des Ewigen er· Fr;i.nkfurt am Main 1958, S. 49 ff
210 Theodor W. Adorno Erpreßte Versöhnung 211

legenheit liegt in der klaren Einsidit, die die sozialistische Welt- Lukacs zitiert, zustimmend, meine Arbeit über das Altern der
anschauung, die Perspektive des Sozialismus für die Literatur be- neuen Musik, um meine dialektischen Überlegungen, paradox ähn-
sitzt: die Möglichkeit, das gesellscha-ftliche Sein und Bewußtsein, lich wie Sedlmayr, gegen die neue Kunst und gegen meine eigene
die Menschen und die menschlichen Beziehungen, die Problematik Absidlt auszuschlachten. Das wäre ihm zu gönnen: ,.Wahr sind
des menschlichen Lebens und ihre Lösungen umfassender und tiefer nur die Gedanken, die sich selber nicht verstehen"•, und kein
zu spiegeln und darzustellen, als es der Literatur auf Grundlage Autor hat an ihnen Besitztitel. Aber die Argumentation Lukacs'
früherer Weltanschauungen gegeben sein konnte." (S. 126) Künst- entreißt diesen mir denn doch wohl nicht. Daß Kunst sich auf der
lerische Qualität und künstlerische Überlegenheit des sozialistischen Spitze des reinen Ausdrucks, die unmittelbar identisch ist mit Angst,
Realismus wären demnach zweierlei. Getrennt wird das literarisch nicht einrichten kann, stand in der ,Philosophie der neuen Musik', 7
Gültige an sich von dem sowjetliterarisch Gültigen, das gewisser- wenngleich ich nicht den offiziellen Optimismus Lukacs' teile,
maßen durch einen Gnadenakt des Weltgeistes dans le vrai sein soll. geschichtlich wäre zu solcher Angst heute weniger Anlaß; die „de-
oldie Doppelschlächtigkeit steht einem Denker, der pathetisch die kadente Intelligenz" brauchte sich weniger zu fürchten. Ober das
Einheit der Vernunft verteidigt, schlecht an. Erklärt er aber einmal pure Dies der Expression hinausgeh~n kan_n jed~ch we~er. spa~-
die Unausweichlichkeit jener Einsamkeit - kaum verschweigt er, nungslose, dinghafte Instaurierung eines Stils meinen, ~1e .ich ~1e
daß sie von der gesellschaftlichen Negativität, der universalen Ver- der alternden neuen Musik vorwarf, noch den Sprung in eine 1m
dinglichung vorgezeichnet ist - und wird er zugleich Hegelisch Hegelschen Sinn nicht substantielle, nicht authentische, nidlt vor
ihre objektiwn Scheincharakters inne, so drängte der Schluß sich aller Reflexion die Form konstituierende Positivität. Die Konse-
auf, daß jene Einsamkeit, zu Ende getrieben, in ihr eigenes Negat quenz aus dem Altern der neuen Musik wäre nicht der Rekurs ~uf
umschlage; daß das einsame Bewußtsein, indem es im Gestalceten die veraltete sondern ihre insistente Selbstkritik. Von Anbeginn
als das Verborgene aller sich enthüllt, potentiell sich selbst aufhebe. jedoch war die ungemilderte Darstellung der Angst zuglei_dl audl
Genau das ist an den wahrhaft avantgardistischen Werken evident. mehr als diese ein Standhalten durchs Ausspredlen, durch die Kraft
1e objekti,·ieren sich in rückhaltloser, monadologischer Versenkung des unbeirrte~ Nennens: Gegenteil alles dessen, was die Hetz-
iru je eigene Formgesetz, ästhetisch und vermittelt dadurch auch parole „dekadent• an Assoziationen aufstachelt. Luk.i~ hält i_m-
ihrem gescllschafHidlen Substrat nach. Das allein verleiht Kafka, merhin der von ihm gelästerten Kunst zugute, daß sie auf eine
Jo~cc, Bcckeu, dt· großen neuen Musik ihre Gewalt. In ihren negative Wirklichkeit, die Herrschaft des „Abscheulidlen•: negativ
fonologen hallt d , Stunde, die der Welt geschlagen hat: darum antworte . .,Indem jedoch", fährt er fort, ,.der Avantgard1smus all
erregen sie so viel r. ehr, als was mineilsam die Welt schildert. Daß diese in seiner verzerrten Unmittelbarkeit widerspiegelt, indem er
soldler .Übergang 21. Ob ektivität kentemplativ bleibt, nicht prak- Formen ersinnt die diese Tendenzen als alleinherrsdlende Mächte
tisch wird, grundet 1m Zustand einer Gesellschaft, in der real, aller- des Lebens zum' Ausdruck bringen, verzerrt er die Verzerrtheit über
onen trotz der \'t, .cherung des Gegenteils, der monadologische deren Phänomenalität in der objektiven Wirklichkeit hinaus, läßt
Zustand fortdauert, überdies dürfte gerade der klassizistische alle Gegenkräfte und Gegentendenzen, die in ihr real wirks~m
Lukaa ,on Kunstwerken heute un41 hier kaum erwarten, daß sie sind als unbeträchtliche, als ontologisch nicht relevante verschwin-
die Kontemplation durchbrächen. Seine Proklamation der künstle- den.'" (S. 84 f.). Der offizielle Optimismus der Gegenkräfte und
rischen Qualttat ist unvereinbar mit einem Pragmatismus, der gegen-
ubcr der fongcschrittencn und verantwortlichen Produktion sich • Theodor W. Adorno, ,.Minima Moralia". Frankfurt .lm fain 1951,
mn dem ,crhandlungsloscn Urteilsspruch „bürgerlich, bürgerlich, S.364. f
bur erhch• begnügte, 1 Theodor W. Adorno, ,.Philosophie der neuen :.'\.fusik•, .l, .l, 0., S. 51
Theodor W. Adorno Erpreßte Versöhnung 213
212

Gegentendenzen nötigt Lukacs, den Hegelschen Satz zu verdrängen, , k fhaft die Augen zu. Wo er einmal auf spezifische
Lukacs ramp · lb d h
die Negation der Negation - "Verzerrung der Verzerrung" - sei • · ht streicht er rot an was unm1tte ar aste t,
Dichtungen emge , ' . .. · "ß
die Posicicon. Dieser erst bringt den fatal irrationalistischen Termi- un d verfe hl t dad urch den Gehalt. Er lamenuerc uber ein gew1
nus "Vielschichtigkeit" in der Kunst zu seiner Wahrheit: daß der recht bescheidenes Gedicht von Benn, das lautet:
Ausdruck des Leidens und das Glück an der Dissonanz, das Lukacs
als "Sensationslüsternheit, die Sehnsucht nach dem Neuen um des O daß wir unsere Ururahnen wären.
Neuen willen" (S. 113) schmäht, in den authentischen neuen Kunst- Ein Klümpchen Schleim in einem warmen Moor.
werken unauflöslich sich verschränken. Das wäre zusammenzuden- Leben und Tod, Befruchtung und Gebären
ken mit jener Dialektik von ästhetischem Bereich und Realität, der glitte aus unseren stummc:n Säften vor.
Lukacs ausweicht. Indem das Kunstwerk nicht unmittelbar Wirk-
liches zum Gegenstand hat, sagt es nie, wie Erkenntnis sonst: das 1st Ein Algenblatt oder ein Dünenhügel,
so, sondern: so ist es. Seine Logizität ist nicht die des prädikativen vom Wind geformtes und nach unten schwer.
Urteils, sondern der immanenten Stimmigkeit: nur durch diese hin- Schon ein Libellenkopf, ein Mövenflügcl
wäre zu weit und litte sdion zu sehr.
durch, das Verhältnis, in das es die Elemente rückt, bezieht es Seel
Jung. Seine Antithese zur empirischen Realität, die doch in es fällt
Daraus liest er „die Richtung auf ein jeder Gesellscha~lichkeit
und in die es selber fällt, ist gerade, daß es nicht, wie geistige Formen,
starr gegenübergestelltes Urtümliches", im Sinn :·on He1degger,
die unmittelbar auf die Realität gehen, diese eindeutig als dies oder
Klages und Rosenberg, ~chli_eßlich eine „Verh.~rrhchung des Ab-
jenes bestimmt. Es spricht keine Urteile; Urteil wird es als Ganzes.
normalen; einen Antihumamsmu S 32), wahrend_ do~, s_elbst
Das Moment der Unwahrheit, das nach Hegels Aufweis in Jedem
wenn man d as G e d I"cht dur...1..-us
ul<l · t inem Inhalt 1dent16:lleren .
einzelnen Urteil enthalten ist, weil nichts ganz das ist, was es im
wollte die letzte Zeile Sd1openhauerisdi die höhere Stufe der Indi-
eim:elnen Urteil sein soll, wird insofern von der Kunst korrigiert,
vidua:ion als Leiden anklagt und während die Sehnsucht nach der
als das Kunstwerk seine Elemente synthesiert, ohne daß das eine
Urzeit bloß dem unerträglichen Druck des Gegenwärtig~ e~t-
Moment vom anderen ausgesagt würde: der heute im Schwang be-
spricht. Die moralistisdie 1-arbe von ~ukäc_s' k~i~is~en Bc~;11fen _m
findliche Begriff der Aussage ist amusisch. Was als urteilslose Syn-
die all seiner Lamentationen über die subJekuv1susche „ \X cltlosi~-
thesis die Kunst an Bestimmtheit im einzelnen einbüßt, gewinnt
keic•: als hätten die Avantgardisten budutäblidi ver~bt, w~: m
sie zurück durch größere Gerechtigkeit dem gegenüber, was das Husserls Phanomcnologie, grotesk genug, methodologische \X _clc-
Urteil sonst wegschneidet. Zur Erkenntnis wird das Kunstwerk erst vernichtung heih So wird Musil angeprangert: .Der Held seines
als Totalität, durch alle Vermittlungen hindurch, nicht durch seine großen Romans, Lind antwortet auf die Frage, was er tu~ wurd~,
Einzelintentionen. Weder sind solche aus ihm zu isolieren, noch ist wenn das \\"'eltregiment in seinen Händen wäre: ,Es wurd~ mir
es nach ihnen zu messen. So aber verfährt Lukacs prinzipiell, trotz nidits übrig bleiben, als die Wirklidikeit ab2.usdiaffe11.' ?aß Jic ab-
seines Protestes gegen die vereidigten Romanschreiber, die in ihrer geschaffte Wirklichkeit von der Seite der Außenwcl_t cm Kompl~-
schriftstellerischen Praxis so verfahren. Während er das Inadäquate ment zur subjektiven Existenz. ,ohne Eigenschaften' 1st, bc~:uf ~e'.-
an ihren Standardprodukten sehr wohl bemerkt, kann seine eigene ncr ausführlichen Erörterung." (S. 23) D.abci meint der inkrimi-
Kunstphilosophie jener Kurzschlüsse gar nicht sich erwehren, vor nierte atz offensichtlich \'enweiflung, sich überschlagenden dt-
deren Effekt, dem verordneten Schwachsinn, ihm dann schaudert. chmerz, Liebe in ihrer Negati, itat. Lukacs , erschv. eigt. das und
. Gegenüber der essentiellen Komplexität des Kunstwerks, die operiert mit einem wirklich nun .unmittelbaren•, ganzlidi unre--
nidu als akzidentieller Einzelfall zu bagatellisieren wäre, sperrt
21-4 Theodor W. Adorno
Erpreßte Versöhnung 215
ßckticrtcn Begriff des Normalen, und dem zugehörigen der patho-
Bewußtseins, das einmal zum fortgeschrittensten rechnete, objektiv
logisdtcn Verzerrung. Nur ein von jedem Rest der Psyd:ioanal se
den Schatten der drohenden RegreS)ion des europäischen Geistes
glüdtlich gereinigter Geisteszustand kann den Zusammenhang z~i-
ausdrückt, jenen Schatten, den die unterentwickelten Linder über
sdtcn jenem Normalen und der gesellschaftlid:ien Repression ver-
die entwickelteren werfen, die bereits beginnen, an jenen sich aus-
kennen, welche die Partialtriebe ächtete. Eine Gesellschaftskritik
zurichten: oder ob darin etwas über das Schicksal von Theorie sel-
die ungeniert von normal und pervers daherredet, verharrt selbs;
ber sich verrät, die nicht nur ihren anthropologischen Voraussetzun-
im Bann dessen, was sie als überwunden vorspiegelt. Lukacs' Hege-
gen, also dem Denk vermögen der theoretischen Menschen nach ver-
lianisdte, kraftvoll-männliche Brusttöne über den Primat des sub-
kümmert, sondern deren Substanz auch objektiv einsdtrumpft in
stantiellen Allgemeinen vor der scheinhaften, hinfälligen „schlech-
einer Verfassung des Da~eins, an der es mittlerweile weniger auf die
ten Existenz• bloßer Individuation mahnen an die von Staatsan-
Theorie ankommt als auf Praxis, die unmittelbar eins wäre mit der
wälten, welche die Ausmerzung des Lebensumüd:irigen und der Ab-
Verhinderung der Katastrophe.
weichung verlangen. Ihr Verständnis von Lyrik ist zu bezweifeln.
Vor Lukacs' Neo-Naivität ist audt der umschmeichelte Thomas
Die Zeile .o, daß wir unsere Ururahnen wären" hat im Gedicht
Mann selbst den er mit einem Pharisäismus gegen Joyce ausspielt,
einen völlig anderen Stellenwert, als wenn sie einen buchstäblichen
vor dem es dem Epiker des Verfalls gegraust hatte, nicht gefeit. Die
Wunsch ausdrückte. Im Wort „ Ururahnen" ist Grinsen mitkom- von Bergson ausgelöste Kontroverse über die Zeit wird wie der
ponien. ~ic _Regung des poetischen Subjekts gibt sich - übrigens gordische Knoten traktiert. Da Lukacs nun einmal ein guter Obje~-
ehe~ altv~ter1sch denn modern - durch die Stilisierung als komisch tivist ist, muß die objektive Zeit partout recht behalten und die
uncigentl1ch, als schwermütiges Spiel. Gerade das Abstoßende des- subjektive bloße Verzerrung aus Dekadeni; sein. Die Unerträglidi-
~n, ""?hin der J?ichter sich zurückzuwünschen fingiert und wohin keit jener dinghafi entfremdeten, sinnleeren Z~it, ~ic ~er junge ~u-
man sich gar mcht zurückwünschen kann verleiht dem Protest kacs einmal an der Education sentimentale so emdrmglach besdtncb,
gegen g~ichtlich produzierte Leiden N~cbdruck. All das will hatte Bergson zur Theorie der Erlebniszeit genötigt, nicht etwa, wie
c ~ wie ~er montagehafte „Verfremdungseffekt" im Gebrauch der staatsfromme Stumpfsinn jeglicher Observanz sich das vorstel-
wusensdtaftlachcr Worte und Motive bei Benn mitgefühlt werden len mag, der Geist subjektivistischer Zersetzung. Nun entrichtete
Durch Obenrcibung suspendiert er die Regression die Lukacs ge~ aber auch Thomas Mann im Zauberberg dem Bergsonschcn tcmps
rad "h · '
ewegs I m zuschreibt. Wer solche Obertöne überhört, ähnelt dur~e seinen Tribut. Damit er für Lukics' These vom kritischen
Jt'n~ sub~lterncn Schriftsteller sich an, der Thomas Manns Schreib- Realismus gerettet wird, erhalten manche 1-iguren aus dem Z:iuber-
weise beflissen und geschI.ck eh h d .. .
1-..1- d t na a mt un uber den dieser emmal berg eme gute Note, weil sie auch „subjektiv ein normales, objek-
.auien sagte· Er sch "b . "eh b
. . •• re1 L genau wie 1 , a er er meint es ernst." tives Zeiterleben haben". Dann heißt es wörtlich: ,.Bei Zienusen ist
1mplafiz1erungcn vo T d
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ltrkcnnen mcht Nua
m ypus es Lukacsschen Benn-Exkurses
d . .
,ogar die Ahnung einer Bewußtheit vorhanden, daß das moderne
be d ncen, son ern mit diesen das Kunstwerk sel- Zeiterlebnis einfach eine folge der abnormalen, ,·on der Alltags-
. d s· . d . eh
f r,d'asVcm durch die Nuancen emes .
wir . 1e sm symptomaus praxis hermetisch getrennten Lcbensweis~ d~ San_atoriums ist."
ur ic erdummung d' eh d 1·· . .. .
Wcuungen
. . • ie au· 1· en , S. 5◄ ) Die Ironie, unter der insg~m_t ~•e. Figur Z1~msscns st~ht,
wie der z • K ugsten widerfahrt, sobald sie
• ..1.._ h um soz1a 1st1schen Realismus parieren. Früher i,t dem Astheciker entgangen; der soz1al1susche Realismus hat ahn
KlJOD auc Lukacs d' . .
uih . . • um ie moderne D1d:itung des Faschismus zu selbst gegen den gepriesenen kritischen abgcst_umpfl Der ~rankte
cn, triumphierend 'eh · chi
sucht, um d . h si em s echtes Gedicht von Rilke ausge- Offizier, eine Art nach-Gocthischer Valcnun, der als Soldat und
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natte. Off bl ib u~ute~ wie der Elefant in der Wiener Werk- brav, wenngleich im Bett, stirbt, wird i~ un~iuclbar zum Sp~c-
en <'I t, ob die be1 Lukacs spürbare Rückbildung emes cher richtigen Lebens, etwa so v.·ie Tolsto1s Lcwm geplant und m1ß-
216 Theodor W. Adorno 217
Erpreßte Versöhnung
Jungen war. In Wahrheit hat Thomas Mann ohne alle Refl ·
. höch' S ·b·1· .. ex1on, Asthetische als Individuiertes, dem eigenen Prinzip, der eigenen
a ber ":11t .. . ster ens1 1 1ta~ d_as Verhältnis der beiden Zeitbegriffe Allgemeinheit nach immer Ausnahme wäre, während, was unmit-
so zw1espalt1g und doppelbod1g dargestellt, wie es seiner A t d telbar einer allgemeinen Regelhaftigkeit entspricht, eben dadurch
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seinem 1a e us en Ver ältnis zu allem Bürgerlichen g".ma••ß 1st.
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· . als Gestaltetes bereits sich disqualifiziert. Ausnahmeerscheinungen
Recht und Unrecht sind beide geteilt zwischen dem dinghaften Zeit- sind demselben Vokabular entlehnt wie die Spitzenleistungen. Der
bewußtsein des Philisters, der vergebens aus dem Sanatorium in sei- verstorbene Franz Borkenau sagte nach seinem Bruch mit der Kom-
nen Ber~f flüchtet, und der phantasmagorischen Zeit derer, die irn munistischen Partei einmal, er hätte nicht länger ertragen können,
Sanatonum, der Allegorie von Boheme und romantischem Sub·ek- daß man über Stadtverordnetenbeschlüsse in Kategorien der I lcgcl-
tivismus, verbleiben. Weise hat Mann weder die beiden Zeiten ~er- schen Logik und über die Hcgelsche Logik im Geist von Stadtver-
söhnt noch für eine gestaltend Partei ergriffen. ordnetenversammlungen verhandle. Dergleichen Kontaminationen,
Da_ß Lukacs. a~ ästhet_ischen Gehalt selbst seines Lieblingstextes die freilich bis auf Hegel selbst zurüdtdatiercn, ketten Lukacs an
dr~sn~~ vorbe1philos~ph1er~, gründet in jenem vorästhetischen parti jenes Niveau, das er so gern mit seinem eigenen ausgliche. Die Hc-
pm fur Stoff und M1tgete1ltes der Dichtungen, den er mit ihrer gelsche Kritik am „unglüdtlichen Bewußtsein", de: I~puls der ~pc•
künstlerischen Objektivität verwechselt. Während er sich um Stil- kulativen Philosophie, das scheinhaftc Ethos der isolierten Subick-
mittel wie jene~ keinesw~gs allzu versteckte der Ironie, geschweige tivität unter sich zu lassen, wird ihm unter den Händen 1:ur Ideolo-
denn um exponiertere, nicht kümmert, belohnt ihn für solchen Ver- gie für bornierte Parteibeamte, die es mm Subjekt noch gar nicht
zicht kein vom subjektiven Schein gereinigter Wahrheitsgehalt der gebracht haben. Ihre gewalttatige Beschränktheit, ~üdtstand . des
Werke, sondern er wird mit ihrer kargen Neige abgespeist, dem Kleinbürgertums vom neunzehnten Jahrhundert, erhoht er zu einer
Sachgehalt, dessen sie freilich bedürfen, um den Wahrheitsgehalt zu der Beschränktheit bloßer Individualität enthobenen Angemessen•
erlangen. So gern Lukacs auch die Rückbildung des Romans verhin- htit ans Wirkliche. Aber der dialekcisdie Sprung ist keiner aus der
dern möchte, er betet Katechismusartikel nach wie den sozialisti- Dialektik heraus, der auf Kosten der objektiv gc~ctzten gc.-sellschaft-
schen Realismus, die weltanschaulich sanktionierte Abbildtheorie lichen und technischen Momente der kun tlerisdien Produktion
der Lrkenntnis und das Dogma von einem mechanischen, nämlich durch bloße Gesinnung das unglüdtlidlc BcwußtSein in glüdtlichcs
~on_der unterdessen abgewürgten Spontaneität unabhängigen Fort- Einver~t.indnis verwandelte. Der vermeintlich höhere Standpunkt
~chrm der Menschheit, obwohl der »Glauben an eine letzthinnige muß, nach einer von Lukacs kaum wohl bezweifelten Hcgelschen
immanente_ Vernünftigkeit, Sinnhaftigkeit der Welt, ihre Aufge- Lehre, notwendig abstrakt bleiben. Der desperate Tiefsinn, den er
sdtl~ssenhe1t, Begreifbarkeit für den Menschen" (S. 44) angesichts wider den Schwachsinn der boy meets tractor-Literatur aufbietet,
der _irrevokabeln Vergangenheit einiges zumutet. Dadurch nähert bev,ahrt ihn denn auch nicht vor Deklamationen, aburakt z.ugleich
er sich zwanghaft doch wieder jenen infantilen Vorstellungen von und kindisch: ,,Je mehr der behandelte Stoff ein gemeinsamer i t,
~er Kunst, die ihm an den minder versierten Funktionären peinlich je mehr die Schriftsteller von verschiedenen citen dieselben Ent-
sind. Vergebens sucht er aus7Ubrechen. Wie weit sein eigenes ästhe- wicklungsbedingungen und -richtungen derselben Wirklichkeit cr-
tisches. Bewußtsein bereits beschädigt ist, verrät etwa eine Stelle fonchen, je starker sich diese, mit allen geschilderten Trennungen,
uber die Allegorese in der byzantinischen Mosaikkunst; Kunstwerke in eine überwiegend oder rein sozialisusdie „erwandeh, desto naher
dieses Typus von ähnlich hohem Rang könnten in der Literatur muß der kritische Realismus dem sozialistischen kommen, desto
,. nur_Ausnahmeerscheinungen" (S. 42) sein. Als ob es in der Kunst, mehr muß sich seine negative (bloß: nicht ablehnende) Pcnpekthc,
es ~ 1 denn in der von Akademien und Konservatorien, den Unter- durch viele Obergange, in eine positi,e (bejahende), in eine soz.ia-
schied von Regel und Ausnahme überhaupt gäbe; als ob nicht alles listische verwandeln." (S. 125) Der jesuiti~die Unterschied zwischen
218 Theodor W. Adorno Erpreßte Versöhnung 219
der negativen, nämlich „bloß nicht ablehnenden" und der positiven, ex cathedra doziert, den Avantgardisten verübelt; grotesk, daß er
nämlich „bejahenden" Perspektive verlagert die Fragen der litera- trotzdem immer noch den „Antirealismus der Dekadenz• ,.besie-
rischen Qualität genau in jene Sphäre vorschriftsmäßiger Gesinnung, gen• will. Er kommt sogar einmal der Einsicht nahe, die russis~e
der Lukacs entrinnen möchte. Revolution habe keineswegs einen Zustand herbeigeführt, der eine
An seinem Willen dazu freilich ist kein Zweifel. Man wird dem „positive• Literatur verlange und trage: "Vor allem darf ma~ die
Buch nur dann gerecht, wenn man sich vergegenwärtigt, daß in Län- sehr triviale Tatsache nicht vergessen, daß diese Maditergre1fung
dern, wo das Entscheidende nicht beim Namen genannt werden zwar einen ungeheuren Sprung vorstellt, daß aber die Mensdien in
darf, die Male des Terrors all dem eingebrannt sind, was anstelle ihrer Mehrheit, also audi die Künstler dadurdi allein nodi keine
jenes Entscheidenden gesagt wird; daß aber andererseits dadurch wesenclidie Umwandlung durchmadien.• (S. 112) Gemildert zwar,
selbst unkräftige, halbe und abgebogene Gedanken in ihrer Kon- als handele es sidi um einen bloßen Auswudi,, plaudert er danadt
uellation eine Kraft gewinnen, die sie a la lettre nicht besitzen. dodi aus, was es mit dem sogenannten sozialistisdien Realismus auf
Unter diesem Aspekt muß das gesamte dritte Kapitel gelesen wer- sidi hat: ,.Es entsteht dabei eine ungesunde und minderwertige Va-
den, trotz aller Disproportion des geistigen Aufwands zu den be- riante des bürgerlidien Realismus oder wenigstem eine äußerst pro-
handelten Fragen. Zahlreiche Formulierungen brauchte man nur blematische Annäherung an seine Ausdrucksmittel, wobei natur-
weiter zu denken, um ins Freie zu kommen. So die folgende: ,.Eine gemäß gerade dessen größte Tugenden fehlen müssen.• (S. 127] In
bloße Aneignung des Marxismus (gar nicht zu sprechen von einer dieser Literatur werde der „ Wirklidikcitscharakter der Perspekuve"
bloßen Teilnahme an der sozialistischen Bewegung, von einer bio • verkannt. D, w.ll sagen, ,.daß viele Sdiriflsteller das, was zwar
ßen Parteizugehörigkeit) zahlt allein, für sich genommen, so gut als eine in die Zukunft weisende Tendenz, aber nur als eine solche,
wie nichts. Für die Persönlichkeit des Schriftstellers können die auf vorhanden I t, die eben darum, richtig aufgefaßt, den entsdieiden-
solchen Wegen erworbenen Lebenserfahrungen, durch sie erweckten den Standpunkt zur Bewegung der gcgenwartigen Etappe ergeben
intellektuellen, moralischen usw. Fähigkeiten sehr wertvoll werden, könnte, einfach mit der Wirklichkeit selbst identifizieren, die oll
dazu beitragen, diese Möglichkeit in eine Wirklichkeit zu verwan- nur im Keime vorhandenen Ansätze als vollentfahete Realitäten
deln. Aber man ist in einem verhängnisvollen Irrtum, wenn man darstellen, mit einem Wort, daß sie Perspektive und Wirklidikeit
meint, der Prozeß der Umsetzung eines richtigen Bewußtseins in einander medianisdi gleich etzen" (S. 128). Aus der tenninologi-
eine richtige realistische, künstlerische Widerspiegelung der Wirk- sdien Versdialung gelöst, heißt das nichts anderes, als daß die Pro-
lichkeit sei prinzipiell direkter und einfacher als der eines falschen zeduren des sozialistisdien Realismus und der von Lukacs als deren
BewußtSeins" (S. 101 f.) Oder, gegen den sterilen Empirismus des Komplement erkannten so:z.i:ilistisdien Romantik idcologisdie Ver-
heute überall gedeihenden Reportageromans: .,Es ist ja auffallend, klärung eines schlechten Bestehenden sind. Der offiz.ielle Objekti-
d;i.ß auch im kritischen Realismus das Auftreten eines Ideals der vismus totalitärer Literaturbetrachtung erweist sidi für Lukacs als
monographischen Komplettheit, etwa bei Zola, ein Zeichen der selber bloß subjektiv. Ihm kontrastiert er einen mcnsdienwürdige-
inneren Problematik war, und wir werden später zu zeigen ver- ren ästhctisdien Objekti'-itatsbcgriff: ,.Denn die l·ormgcsetze der
su~en, daß das Eindringen solcher Bestrebungen für den sozia- Kumt in all ihren komplizierten \\"'echsclbcziehun en von Inhalt
ltst~en Realismus noch problematischer geworden ist." (S. 106) und f~rm, von Weltanschauung und astheuschem Wesen usw., si_nd
Urgiert Lukacs in solchem Zusammenhang, mit der Terminologie ebenfalls von objektiver Wesensart. Ihre Verletz.uns hat zwar keine
semer Jugend, den Vorrang der intensiven Totalität vor der exten- derart unmittelbaren praktischen Konsequenz.en, wie das lißach-
ten der Gesetze der Okonomie, sie bringt aber ebenso z.wangslaufig
s~ven, so brauchte er seine Forderung nur ins Gestaltete selbst hin-
problematische, ja einfach mißlungene, minderwertige Werke her-
emzuverfolgen und würde zu eben dem genötigt, was er, solange er
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Erpreßte Versöhnung
vor.• (S. 129) Hier, wo der Gedanke die Courage zu sich selbst hat,
tung der Welt eintritt und in ihr sich einen ange~essenen Stand~
fällt Lukacs weit triftigere Urteile als die banausischen über die
punkt erwirbt."' (S. 122) Daran sdlließt Lukacs die Refle ~-n an·
moderne Kunst: ,,Das Zerreißen der dialektischen Vermittlung In einem bestimmten Sinn widersprechen viele der besten burger-
bringt dadurch sowohl in der Theorie wie in der Praxis eine falsche iichen Romane dieser Feststellung Hegels, in einem anderen, ebenso
Polarisation hervor: auf dem einen Pole erstarrt das Prinzip aus bestimmten Sinn, bestätigen sie wiederum seine Aussage. Sie ;"ider-
einer ,Anleitung zur Praxis' zu einem Dogma, auf der anderen ver- sprechen, indem der Abschluß der von ihnen gestalt:ten ~rnehung
schwindet das Moment der Widersprüchlichkeit (oft auch das der keineswegs immer eine derartige Anerkennung der burge_rhchen Ge-
Zufälligkeit) aus den einzelnen Lebenstatsachen." (S. 130) Er nennt sellschaft beinhaltet. Der Kampf um eine den Jugendtraumen und
bündig das Zentrale: ,,Die literarische Lösung wächst also nicht aus Oberzeugungen entsprechende Wirklichkeit wird von _de~ ~esell-
der widerspruchsvollen Dynamik des gesellschaftlichen Lebens her- schaA:lichen Gewalt abgebrochen, die Rebellen oA: auf die Knie, oA:
aus, sie soll vielmehr zur Illustration einer im Vergleich zu ihr ab- zur Flucht in die Einsamkeit etc. gezwungen, aber die Hegelsche
strakten Wahrheit dienen." (S. 132) Schuld daran sei die „Agitation Versöhnung wird doch nicht von ihnen erpre~t. Allcrd~ngs, indem
als Urform", als Vorbild von Kunst und Gedanken, die dadurch der Kampf mit Resignation endet, kommt ein Er~ebnis ?cm He-
erstarren, einschrumpfen, praktizistisch-schematisch werden. ,,An- gelschen doch nahe. Denn einerseits siegt die objektive soziale Rea-
stelle einer neuen Dialektik steht eine schematische Statik vor uns.• litä t dann doch über das bloß Subjektive der individuellen Bestre-
(S, 135) Kein Avantgardist hätte dem etwas hinzuzufügen. bungen, andererseits ist die ~on I_-Iegel ~roklamicrt~. ~er öhnun!
Bei all dem bleibt das Gefühl von einem, der hoffnungslos an sei- schon bei die• cm einer Res1gnauon keineswegs volhg fremd.
nen Ketten zerrt und sich einbildet, ihr Klirren sei der Marsch des (a.a.O.) Das Postulat einer ohne Bruch zwischen Subjekt und Ob-
Weltgeistes, Ihn verblendet nicht nur die Macht, die, wenn sie über- jekt darzustellenden und um solcher Bru~losigkei~ will;n, ~ach
haupt den unbotmäßigen Gedanken Lukacs' Raum gewährt, sie Lukacs hartnäckigem Sprachgebrauch, ,.w1den.usp1~gcln W_1rk-
kaum kulturpolitisch beherzigen wird. Sondern die Kritik Lukacs' lichkeit jedoch, das oberste Kriterium seiner .i\.schet~k, _PO~tuhert,
bleibt in dem Wahn befangen, die heutige russische Gesellschaft, die daß jene Versöhnung geleimt, daß die Ges:llscha~ nchug_ m.'. daß
in Wahrheit unterdrückt und ausgepreßt wird, sei, wie man es in das Subjekt, wie Lukacs in einem anti-askcuschen l.xku:s e!nraumc,
China ausgeklügelt hat, zwar noch widerspruchsvoll, aber nicht zu dem Seinen komme und in seiner Welt zu Hause sei. Nur dann
antagonistisch. All die Symptome, gegen die er protestiert, werden verschwände aus der Kunst jenes Moment von Resignation, das
selber hervorgebracht von dem propagandistischen Bedürfnis der Lukacs an Hegel gewahrt und das er erst r_echt am" Urbild se~nes
Diktatoren und ihres Anhangs danach, jene These, die Lukacs mit Begriffs von Realismus, an Goethe, konstatieren mußt_c, der __Ent-
dem Begriff des sozialistischen Realismus implizit billigt, den Mas- sagung verkündigte. Aber die Spaltung, der Ancagoms~us _uber-
sen einzuhammern und aus dem Bewußtsein zu vertreiben, was dauert, und es ist bloße Lüge, daß er in den Osmaatcn, wie sie das
immer sie irr machen könnte. Die Herrschaft einer Doktrin, die so 50 nennen überwunden ei. Der Bann, der Luk&cs umfangt und
reale Funktionen erfüllt, wird nicht gebrochen, indem man ihre Un- ihm die e;sehnte RückkunA: zur Utopie seiner Jugend vers~errt.
,i. ahrheit dartut. Lukacs zitiert einen zynischen Satz von Hegel, wiederholt die erpreßte Versöhnung, die er am absoluten Idealismus
der den sozialen Sinn des Prozesses ausspricht, wie ihn der ältere durchschaut.
burgerliche Erziehungsroman beschreibt: ,, ,Denn das Ende solcher
Lehrjahre besteht darin, daß sich das Subjekt die Hörner abläuft,
mn seinem Wünschen und Meinen sich in die bestehenden Verhält-
nisse und die Vernünftigkeit derselben hineinbildet, in die Verket-

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