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Clemens Lichter
Verschiedene Gebäude aus dem Neolithikum und der Kupferzeit Südosteuropas werden im wissenschaftlichen Schrifttum als
Tempel, Heiligtum oder Kultbau bezeichnet. Der Beitrag diskutiert die Problematik der Identifikation religiöser Architektur
und unterzieht die Argumentation mit denen die Bezeichnung Tempel oder Kultbau jeweils gerechtfertigt werden einer
Betrachtung und beleuchtet einige dieser Befunde. Dabei kommt der Autor zu dem Schluss, dass sich unter den ausgegrabenen
Häusern Südosteuropas kein ausschließlich dem Kult dienendes Gebäude befindet. Stattdessen spricht einiges dafür, dass in den
Wohnhäusern rituelle Handlungen vorgenommen wurden und diese zu bestimmten Anlässen auch besonders ausgeschmückt
wurden. Mit Blick auf die in den letzten Jahrzehnten entdeckten Kultgebäude des vorderasiatischen Frühneolithikums wird
ein Erklärungsansatz für deren Fehlen in Südosteuropa diskutiert.
K ult und Religion erfreuen sich in der prähistorischen Archäologie in den letzten Jahren eines gesteigerten
Interesses (z. B. Biehl u. a. 2001; Bradley 2005; Hansen 2003). Religiöse Deutungen waren lange Zeit nur
der „letzte“ Deutungsweg, Restkategorie für Befunde, die man sich auf keine andere Art und Weise erklären
konnte. Die systematische Beschäftigung mit religiösen oder ideologischen Aspekten ist nicht zuletzt auf eine
zunehmende Kenntnis ethnologischer Forschung und deren Einbeziehung in archäologische Fragestellungen
zurückzuführen. Der damit einhergehende Paradigmenwechsel lässt sich an zwei Beispielen demonstrieren:
Bis weit in die 70er und 80er Jahre des 20. Jh. galten bronzezeitliche Hortfunde als Depots von Bron-
zegießern bzw. Händlern oder als Versteckfunde, die unsichere, ökonomisch schwierige oder kriegerische
Zeiten anzeigen. Seit einigen Jahren wird diese Fundgattung vorrangig als Opfer- oder Weihefund inter-
pretiert; der vormals „profanen“ Deutung wird nun also eine „sakrale“ vorgezogen.
Das zweite Beispiel betrifft die Problematik der Neolithisierung. In den Anfängen unserer Disziplin
waren zunächst Werkstoffe (Stein), schließlich die Technologie (Steinschliff, Keramikherstellung) Defini-
tionskriterien für das Neolithikum. Mit den Arbeiten von V. G. Childe rückten sozioökonomische Krite-
rien in das Zentrum des Interesses, die das Neolithikum als Epoche der Nahrungsmittelproduktion und
der Sesshaftigkeit beschrieben und die bis heute in weiten Teilen Europas bestimmend sind. Childes Über-
legungen waren an sein Hauptinteressengebiet – das donauländische Neolithikum – geknüpft. Neben den
materiellen und ökonomischen wurden in der Folgezeit auch soziologische Kriterien zur Definition des
Neolithikums herangezogen. Neuerdings ist in der Forschung auch eine zunehmende Berücksichtigung
ideologischer Kriterien bzw. der geistigen Kultur festzustellen. Eine Erkenntnis ist z. B. die Bedeutung von
Kult und Religion bei der Entstehung des vorderasiatischen Neolithikums (Cauvin 1994; Gebel u. a. 2002)
oder der Ideologie bei der Ausbreitung der bäuerlichen Lebensweise. Wesentliche Schwierigkeit bleibt
hierbei allerdings, dass religiöse Aspekte sehr spezifisch und bei einer Beschränkung auf die überlieferte
materielle Kultur stark interpretationsabhängig sind. Eine allgemeine Anwendbarkeit oder Gültigkeit kann
daher nicht gewährleistet werden.
Zweifellos ist der Mensch ein religiöses Wesen, allerdings gehört der konkrete Nachweis religiöser Prak-
tiken in schriftlosen Kulturen zu den problematischsten Beweisführungen, die wir aus der prähistorischen
Archäologie kennen. Es spricht zunächst nichts dagegen anzunehmen, dass die Spuren religiösen Verhal-
tens im archäologischen Quellenmaterial genauso häufig sind, wie sie im Leben der damaligen Menschen
vorkamen. Die Schwierigkeit besteht vielmehr darin, diese zu erkennen, denn religionsgeschichtliche Que-
llen sind oftmals mehrdeutig und die überlieferten Artefakte und Befunde sind der materielle Niederschlag
ganz unterschiedlicher Handlungen.
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Kultbauten
Aus der Ethnologie sind zahlreiche Bauten, die mit dem Totenkult oder auch dem Ahnenkult in Verbindung
stehen, bekannt, aber auch solche, die mit anderen Riten des Lebens verbunden sind, z. B. Zeremonial-, Ge-
burts-, Menstruations- und Beschneidungshäuser. Die Schwierigkeiten einer allgemeingültigen Definition
für religiöse Architektur rühren nicht zuletzt aus dieser großen Variabilität, sondern auch aus der Tatsache,
dass die dahinter stehenden religiösen Vorstellungen beträchtlich voneinander differieren. Nicht zu ver-
gessen die Unterschiede hinsichtlich der an den Kultpraktiken Partizipierenden: Handelt es sich um eine
bestimmte Personengruppe oder um die ganze Gemeinschaft? Angesichts dieser Problematik ist es wenig
verwunderlich, dass in der Kulturanthropologie keine allgemeingültige Definition für Kultbauten existiert.
Ähnlich schwer tut man sich damit auch von Seiten der archäologischen Forschung. Im Folgenden
soll unter einem Kultgebäude ein Gebäude zur Ausübung religiöser Aktivitäten verstanden werden, wo-
bei der Raum ausschließlich für diese Handlungen bereitgestellt wird. Im Gegensatz zu anderen Klassifika-
tionstermini, wie z. B. Grab oder Gebäude, ist der Begriff „Kultbau“ auf einer anderen Ebene angesiedelt: Die
funktionale Bestimmung „Kultbau“ kann lediglich anhand des Einzelbefundes erfolgen. Betrachtet man die
Kriterien und Argumente, mit welchen z. B. an den Fundplätzen Căscioarele (Dumitreşcu 1970), Kormadin
(Jovanović 1991), Madžari (Sanev 1988), Mramor (Jovčevska 1993), Nea Nikomedea (Rutkowski 1986), Parţa
(Lazarovici u. a. 2001), Zelenikovo (Garašanin – Bilbija 1988), Zorlenţu Mare (Lazarovici – Lazarovici 2006)
oder Zuniver (Jovčevska 2006) die Bezeichnungen Tempel, Kultbau oder Heiligtum gerechtfertigt werden,
so zeigen sich mehrere Gemeinsamkeiten. Argumentiert wird mit der Größe des Gebäudes oder dessen
zentraler Position innerhalb der Siedlung, Wandverzierungen, der Innenausstattung und dem Inventar, den
„Tempel“ in der Jungsteinzeit und Kupferzeit Südosteuropas? 583
Abb. 1. Zeichnerische Rekonstruktion des Kultgebäudes aus Kormadin ( Jovanović 1991, 121, Abb. 1).
im Zusammenhang mit der Errichtung niedergelegten Bestattungen oder auch dem Einsatz von Feuer bei
der „Bestattung“ des Gebäudes (zusammenfassend: Lazarovici – Lazarovici 2006, 537–543).
In Parţa soll ein in „Bezug auf Ausmaße und Architektur beeindruckender Bau“ (Lazarovici 1989, 149)
das Vorhandensein eines Heiligtums beweisen. Jedoch sind die anderen Bauten aus Parţa (Lazarovici u.
a. 2001; Lazarovici – Lazarovici 2006, 217ff.) von identischer Konstruktion und besitzen eine ähnliche
Grundfläche wie die „Heiligtümer“.
Auch der „Tempel“ aus Madžari soll sich architektonisch von den übrigen Bauten der Siedlung deutlich
absetzen (Sanev 1988, 29), allerdings zeigen sich auch hier gar keine Größenunterschiede zwischen dem
„Shrine“ und den übrigen Bauten (zusammenfassend Lichter 1993, 123).
In ähnlicher Weise wird auch bei dem „Shrine“ aus Nea Nikomedea argumentiert (Rutkowski 1986,
155–157). Dieser war jedoch im Vergleich mit den umliegenden Gebäuden nur wenige Quadratmeter
größer und zeichnet sich gegenüber den anderen Häusern in erster Linie durch die vollständige Erhaltung
des Grundrisses aus. Ebenso verhält es sich mit dem als Heiligtum bezeichneten Haus 4 aus Zorlenţu Mare
(Lazarovici – Lazarovici 2006, 155), das sich in der Grundfläche nicht von den umgebenden Häusern un-
terscheidet. Für Kormadin stellt Jovanović (1991, 120) selbst fest, dass es keine Beweise für eine besondere
Konstruktion oder Größe des „Heiligtums“ gibt.
Keines der aufgeführten „Heiligtümer“ setzt sich also hinsichtlich Größe und Grundriss signifikant von
den anderen Bauten einer Siedlung ab. Zudem ist es fraglich, inwieweit dieses Kriterium überhaupt angewen-
det werden kann, denn eine größere Gebäudegrundfläche ist nicht zwangsläufig Kennzeichen für eine andere
Gebäudefunktion, sondern kann auch andere Gründe haben, wie z. B. eine höhere Bewohnerzahl. Geht man
von einer anderen Nutzung des Gebäudes aus, ist die religiöse Verwendung wiederum nur eine Möglichkeit
unter vielen. Denkbar wäre etwa auch eine Funktion als Versammlungs- oder „Häuptlingshaus“.
Jovanović (1991) argumentiert, dass Heiligtümer stets im zentralen Teil der Siedlung errichtet worden
seien. Hierdurch sei es auch zu erklären, dass in Siedlungen wie Vinča oder Gomolava, wo die aufgedeckten
Flächen außerhalb des Siedlungszentrums lagen, trotz großer Grabungsflächen, bislang keine Heiligtü-
mer freigelegt wurden. Auch Ursulescu (2001) siedelt die Heiligtümer im Siedlungszentrum an. Um diese
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Vermutung zu belegen, müsste – unabhängig von den aufgedeckten Bauten – zunächst das Zentrum einer
Siedlung bestimmt werden. Andernfalls ist die Gefahr groß, das Zentrum dort zu vermuten, wo das ver-
meintliche Heiligtum zum Vorschein kam: ein Zirkelschluss, der die Argumentation unbrauchbar macht.
Darüber hinaus bedarf die Annahme, ein Heiligtum liege zentral in einer Siedlung, zunächst eines Belegs.
Die Verzierung von Wänden, ebenfalls ein häufig angeführtes Kriterium für einen Kultbau, stellt – wie
an anderer Stelle gezeigt (Lichter 1993, 48–49) – ein allgemeines Element der Bauten des südosteuro-
päischen Neolithikums und Chalkolithikums dar. Deren Überlieferung resultiert in erster Linie aus den
Erhaltungsbedingungen.
Verschiedene Teile der Innenausstattung oder des Inventars deuten nach Ansicht der jeweiligen Ausgrä-
ber auf Kultausübung innerhalb der Bauten hin: so z. B. ritzverzierte Lehmkästen (Kormadin Haus 1; Parţa
Heiligtum 2), Figurinen (Nea Nikomedeia „Shrine“), Hausmodelle (Madžari; Căscioarele), als „Kult-“ bzw.
„Libationstische“ gedeutete, ritzverzierte Kästen, oder auch Rinderschädel und -gehörne (Kormadin; Parţa).
In Parţa (Lazarovici 1998) sind es die plastischen Applikationen eines stilisierten menschlichen Gesichtes
und eines Stierschädels oder auch eine sichelförmige um ein Loch in der Wand gelegte Lehmapplikation,
die den Ausgräber annehmen lassen, dass dieses Gebäude als Tempel diente. Bemerkenswert sind hierbei vor
allem die verwendeten Bezeichnungen: Podien werden als „Altäre“ oder „Opfertische“ angesprochen (Parţa)
und Herdstellen zu kleinen „Opfertischen“ umgedeutet (Madžari). In Zelenikovo soll der „Opfertisch“ beim
späteren Umbau des „Heiligtums“ in ein Wohnhaus zu einer Herdstelle umgearbeitet worden sein.
Die wenigen Beispiele genügen, um die Schwierigkeiten bei der Argumentation anhand der Innenaus-
stattung und des Inventars aufzuzeigen. Gebäude werden, wegen der darin befindlichen „Kultobjekte“, als
„Tempel“ oder „Kultbauten“ interpretiert. Umgekehrt werden Objekte als sakral gedeutet weil sie in „Kult-
bauten“ belegt sind: ein klassischer Zirkelschluss. Schließlich wäre die Verwendung der genannten Objekte
im Kult für jede Kultur erst noch zu untersuchen und zu belegen, bevor man sich der Frage widmet, ob das
Gebäude auch tatsächlich zu Kultzwecken errichtet wurde.
Bánffy (2001) konnte anhand einiger Beispiele aus dem Karpatenbecken zeigen, dass sogenannte Kult-
objekte Spuren von Gebrauch zeigen. Es handelt sich also nicht um (passive) Ornamente, sondern um
Gebrauchsobjekte, auch wenn deren Verwendung vielleicht außerhalb der Nahrungsmittelproduktion oder
anderer Aspekte des alltäglichen Lebens stattfand. Aus den zahllosen Fragmenten ist zu folgern, dass diese
Objekte in großer Zahl produziert, benutzt und weggeworfen wurden. Auch wenn die Kenntnis über die
neolithische Kultpraxis letztlich dünn bleibt, so ist eine Beobachtung hervorzuheben (Bánffy 2001): Viele
der „Kultobjekte“ sind ausschließlich in Siedlungen belegt, aus Häusern, Hauszwischenräumen, Bothroi,
meist jedoch aus Abfallgruben. Dies deute darauf hin – so Bánffy weiter –, dass sich neolithischer Kult im
häuslichen Umfeld abspielte und nicht als kommunale Aktivität in „Heiligtümern“ (Bánffy 2001, 209–217).
Schließlich dokumentieren in den „Heiligtümern“ gefundene Mahlsteine, Vorratsgefäße, Webgewichte,
Schleuderkugeln und Backöfen, dass eine Unterscheidung von den übrigen Bauten nicht möglich ist, da
selbst hier „profane“ Tätigkeiten praktiziert wurden. Den Ausführungen über kultisches Mahlen oder sym-
bolische Webstühle (Lazarovici 1989, 150–151; Lazarovici – Lazarovici 2006, 540–541) kann nicht gefolgt
werden. „Kulttischchen“, Figurinen und Bukranien aus Haus 2 in Kormadin deuten ebenfalls darauf hin, dass
in diesen Gebäuden nicht nur praktisch-ökonomische Tätigkeiten (Wohnen, Nahrungsmittelzubereitung,
Getreidelagerung, Fertigung von Geräten und Werkzeugen oder Herstellung von Gewebe usw.) sondern
auch rituelle oder religiöse Handlungen vorgenommen wurden. Es spricht also viel dafür, dass die religiösen
Handlungen im häuslichen Bereich stattfanden. In ähnlicher Weise interpretierten dies für den Bereich der
Vinča-Kultur bereits verschiedene Autoren (Chapman 1981, 66; Stevanović – Tringham 1997, 198).
Bestattungen, einzelne menschliche Knochen innerhalb von Gebäuden oder Gräber, die mit der Errich-
tung oder der Nutzung eines Gebäudes in Zusammenhang stehen, werden ebenfalls als Indiz für die kulti-
sche Verwendung eines Hauses angeführt. Siedlungsbestattungen und Bestattungen innerhalb von Häusern
sind jedoch ein allgemeines, in der Urgeschichte in vielen Kulturen belegtes Phänomen, und kein Beleg für
eine besondere Gebäudefunktion (allgemein: Veit 1992; für den südosteuropäischen Raum: Lichter 2001).
Feuerspuren werden z. T. ebenfalls als Indiz für eine kultische Funktion eines Gebäudes gewertet (Chap-
man 1999; Gheorghiu 2007). Die Häufigkeit, mit der Brandspuren an jungstein- und kupferzeitlichen Bau-
ten Südosteuropas in Erscheinung treten, läge – so Chapman – weit über der Zahl zufällig verbrannter
Bauten, was auf Brandstiftung und damit ein gezieltes Niederbrennen der Gebäude hindeute. Als Indiz
hierfür wurden Experimente gewertet (Chapman 1999 und die dort zitierte Literatur), wonach ein zufällig
„Tempel“ in der Jungsteinzeit und Kupferzeit Südosteuropas? 585
Abb. 2. Zeichnerische Rekonstruktion des Heiligtums 2 aus Parţa (Lazarovici u. a. 2001, 220 u. Fig. 180).
entstehender Brand eines neolithischen oder kupferzeitlichen Gebäudes ohne unterstützende Maßnah-
men (Zufuhr von Brennstoff; Anbringen von Öffnungen in Wänden und Dach) nicht jene verheerenden
Ausmaße annähme, wie sie bei den Befunden häufig beobachtet wurden. An dieser Schlussfolgerung sind
aufgrund der Versuchsanordnung allerdings Zweifel angebracht. Denn das Brandverhalten experimentell
errichteter Bauten mit einer relativ kurzen Standzeit unterscheidet sich ohne Zweifel von Gebäuden, die
erst nach mehreren Jahren oder gar Jahrzehnten einem Brand zum Opfer fallen. Darüber hinaus sind aber
auch noch andere Gründe denkbar, weshalb ein Gebäude in Brand gesetzt wurde. Als Beispiel angeführt sei
hier die Vernichtung von Schädlingen und Schimmel oder gewaltsame Auseinandersetzungen. Der hese
Chapmans, das Niederbrennen der Bauten als gezielten symbolischen Akt des Neolithikums und der Kup-
ferzeit zu interpretieren, kann also nicht unbedingt gefolgt werden. Schließlich konnte Schier zeigen, dass
bspw. in Uivar (Schier 2006) lediglich 5% der dortigen Bauten einem Brand zum Opfer fielen, das vermeint-
liche Ritual des intentionellen Niederbrennens im besten Fall doch nur sehr selektiv praktiziert wurde.
Bei einer kritischen Bewertung der Befunde zu den Kultbauten in Südosteuropa kann eine menschliche
Komponente – das Bestreben vieler Forscher etwas Besonderes zu finden und zu präsentieren – nicht außer
Acht gelassen werden. Schließlich fällt auch auf, dass „Heiligtümer“ in einigen Gegenden scheinbar gehäuft
auftreten (z. B. in Makedonien: Madžari, Mramor, Zelenikovo, Zuniver) oder immer von bestimmten For-
schern oder deren Schülern freigelegt werden, während sie andernorts fehlen.
Darüber hinaus bedingt ein Abbrennen von Lehm- und Holzarchitektur gute Erhaltungsbedingungen
und damit auch besondere Befundsituationen, wie z. B. konservierte Wandverzierungen oder ein erhaltenes
Hausinventar. Die Besonderheit der „Heiligtümer“ aus Parţa, Madžari und Kormadin besteht in erster Li-
nie in ihrer, durch Brand bedingten, außergewöhnlich guten Konservierung. Eine spezielle Gebäudefunk-
tion kann daraus aber nicht abgeleitet werden. Sondergebäude, die sich durch Größe, Ausgestaltung oder
Inventar aus dem allgemeinen Erscheinungsbild der Bauten in Südosteuropa herausheben und damit eine
Ansprache als „Heiligtum“, „Kultgebäude“ oder „Tempel“ tatsächlich rechtfertigen, konnten bislang nicht
beobachtet werden. Stattdessen spricht viel für die Deutung, dass in den so genannten „Heiligtümern“ ne-
ben der Wohn- und Wirtschaftsfunktion zeitweise auch kultische Handlungen praktiziert wurden.
In ähnlicher Weise sind vermutlich auch einige Befunde aus Mitteleuropa zu deuten, wie z. B. die be-
malte und plastisch verzierte Hauswand aus Bodman-Ludwigshafen (Schlichtherle 2006). Lüning (2009)
interpretiert aufgrund einiger Indizien den Nordwestteil bandkeramischer Bauten aus Mitteleuropa als
Bereich, in dem die häusliche Ahnenverehrung stattfand. Bei einem Flomborn-zeitlichen Hausbefund
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aus Nieder-Mörlen (Hessen) mündet der Nordwestteil eines Gebäudes in einen Palisadenkreis mit einem
Durchmesser von 30 m. Diese Anlage, sowie einige weitere Befunde aus anderen Orten, sieht er als band-
keramische Kultbauten, für die er – aufgrund der Seltenheit solcher Befunde – eine „Zuständigkeit“ für die
ganze Siedlung oder sogar darüber hinaus annimmt. Letztlich bleibt die kultische Nutzung dieser Bauten
mit „Ring-“ oder „Rechteckanlagen“, deren Gleichzeitigkeit mit dem Langhaus im Einzelfall natürlich
schwierig zu beweisen ist, aufgrund fehlender Funde aber nur eine Vermutung, ebenso wie deren „Zustän-
digkeit“ für die ganze Siedlung.
Im Entstehungsgebiet des Neolithikums – den „Hilly Flanks“ des Fruchtbaren Halbmondes und insbeson-
dere im so genannten „Goldenen Dreieck“ (Aurenche 2007) – zeigt sich seit dem ausgehenden 10. bis zum
8. Jt. v. Chr. ein ganz anderes Bild. Mit dem „Terrazzogebäude“, dem „Schädelgebäude“ und dem „Flagstone
building“ (Schirmer 1983) kennen wir allein aus Çayönü (Özdoğan 1999) drei Gebäude, die sich hinsichtlich
Größe, Grundriss, Monumentalität, Konstruktion und angewandter Technologie (Terrazzofußboden), wie
auch des Inventars von den übrigen Wohnspeicherbauten (Sicker-Akman 2007; Bıçakçı 2001) unterscheiden
und die weder zu Wohnzwecken noch als Wirtschaftsgebäude dienten, sondern vermutlich eine religiöse
Funktion besaßen. Aus Nevalı Çori ist ebenfalls ein entsprechendes Kultgebäude überliefert (Hauptmann
1993; 1999), das sich deutlich von den anderen Bauten der Siedlung absetzen lässt. Weitere und auch ältere
Beispiele kennen wir mittlerweile auch aus den nordsyrischen Fundplätzen Jerf-el-Ahmar und Tell Abr
(Stordeur u. a. 2000) oder dem Göbekli Tepe (Schmidt 2006; 2007) bei Şanlıurfa. Eine Tradition solcher
„Sondergebäude“ kann also bis in das 10. vorchristliche Jahrtausend verfolgt werden. Im Ursprungsgebiet
des Neolithikums in Obermesopotamien existieren demnach seit dem ausgehenden Epipaläolithikum, si-
cher aber seit Beginn des akeramischen Neolithikums Bauwerke, die sich von der Wohnarchitektur in
nahezu allen Aspekten unterscheiden und die keinesfalls für Wohn- oder Arbeitszwecke konstruiert wur-
den. Verschiedene Indizien wie z. B. die Errichtung übereinander, die Unversehrtheit der Grundrisse ohne
„Steinraub“, Blockade der Türen und das Zusetzen mit Lehmziegeln wie auch das Hinterlassen bestimm-
ter Gegenstände in den Gebäuden, lassen eine regelrechte „Bestattung“ dieser Bauten vermuten (Özdoğan
– Özdoğan 1998). Alles in allem Anzeichen für einen erheblichen Arbeitsaufwand, der keinesfalls von den
Mitgliedern eines einzelnen Haushaltes betrieben wurde, sondern die Zusammenarbeit größerer Verbände
erforderlich machte. Ob diese Bauaktivitäten unter der Kontrolle einer „Elite“ gestanden haben, ist zwar zu
vermuten, am Bauprozess selbst vorläufig aber nicht zu verifizieren (Kurapkat 2009).
Weiter westlich, im zentralanatolischen, rund 1000 Jahre jüngeren Çatal Höyük (Mellaart 1967;
Hodder 2006), zeigt das Neolithikum hinsichtlich des Siedlungstyps, der Architekturtradition wie auch des
Artefaktensembles ein völlig anderes Erscheinungsbild (Hauptmann 2002). Die Unterschiede gegenüber
Obermesopotamien betreffen sowohl die materielle Kultur als auch die Kultpraxis. Denn in Çatal Höyük
lassen sich – entgegen der zahlreichen, vom ersten Ausgräber James Mellaart als „Shrine/Heiligtum“ be-
zeichneten Gebäude (Mellaart 1967) – keine Sondergebäude wie etwa in Obermesopotamien ausmachen
(Hodder 2005; 2006). Dieser Negativbefund könnte natürlich auch durch die Wahl der Grabungsflächen, die
Sondergebäude nicht erfasste, zustande gekommen sein. Denn ein Indiz, dass es solche Sondergebäude auch
in Zentralanatolien gegeben haben könnte, liefert ein Gebäudebefund aus dem weiter östlich liegenden, etwa
1000 Jahre älteren Aşıklı Höyük (Esin – Harmankaya 1999). Hinsichtlich der Gebäudeausstattung erinnert
der Fußboden – eine Mischung aus dem im Untergrund anstehenden Tuff mit Wasser und dem Auftrag von
rotem Lehm – an das „Terrazzogebäude“ von Çayönü oder das Kultgebäude aus Nevalı Çori.
Die in Çatal Höyük mit Wandmalereien, Stierschädeln oder anderen plastischen Darstellungen ausge-
schmückten Gebäude besitzen – wie die übrigen Bauten auch – sowohl Wohn- als auch Wirtschaftsfunkti-
on. Die einzelnen Bauten präsentieren sich als selbstständig wirtschaftende Einheiten, mit Arbeitsbereichen
zur Nahrungszubereitung, Bevorratung und der Produktion etwa von Steingeräten bis hin zur Lagerung
der Rohmaterialien. Die Unabhängigkeit gegenüber anderen Haushalten zeigt sich ebenfalls bei den für
den Hausbau verwendeten Lehmziegeln. Für jedes Haus kamen andere Ziegelformate zum Einsatz, woraus
abgeleitet werden kann, dass jeder Haushalt seinen eigenen Setzkasten verwendete und die Lehmziegel für
jedes Bauprojekt eigenständig produziert wurden. Wandmalerei und plastische Ausgestaltung der Räume
„Tempel“ in der Jungsteinzeit und Kupferzeit Südosteuropas? 587
Abb. 3. Zeichnerische Rekonstruktion des Kultinnenraumes von Nevalı Çori (Badisches Landesmuseum 2007, 32).
interpretiert Hodder (2005, 13) aufgrund verschiedener Indizien als zeitlich begrenzte Ausschmückung der
Wohnräume anlässlich bestimmter, für die Hausgemeinschaft wichtiger Rituale. Anlass könnten etwa Ini-
tiationsriten junger Männer gewesen sein, in deren Rahmen eine Jagd veranstaltet wurde, die im Anschluss
bildlich festgehalten wurde. „Gefährliche Teile“ von Tieren, wie z. B. Stierschädel, wurden für eine begrenz-
te Zeit als Erinnerung an den Wänden angebracht. Wichtiges Indiz dafür, dass diese Jagden in erster Linie
rituelle oder gesellschaftliche Bedeutung hatten, ist der Umstand, dass die dargestellten Wildtiere für die
Subsistenz keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielten. Darüber hinaus fanden sich in einzelnen Ge-
bäuden zahlreiche Mal- und Putzschichten, die zeigen, dass die Innenwände häufig neu verputzt wurden,
die Wandmalerei also nur für einen relativ kurzen Zeitraum von wenigen Wochen oder Monaten sichtbar
war und dann wieder übermalt wurde (Hodder 2006).
Anknüpfend an die o. g. Überlegungen Chapmans zur Feuerbestattung von Gebäuden in Südosteuropa
sei noch ergänzend angeführt, dass es auch in Çatal Höyük keine Belege für intentionellen Brand bei Ge-
bäuden gibt (Twiss u. a. 2008).
Auch die „Heiligtümer“ aus Höyücek (Duru – Umurtak 2005) können baulich nicht von anderen Häu-
sern der Siedlung unterschieden werden. Die Identifikation als „Heiligtum“ wird ausschließlich anhand der
Funde – in diesem Fall zahlreicher Figurinen – geführt.
Vergleicht man die „Kultgebäude“ des akeramischen Neolithikums aus Obermesopotamien mit den dorti-
gen Wohnspeicherbauten, so lassen sich hinsichtlich Grundriss, Größe und Ausstattung deutliche Unterschie-
de feststellen. Diese Unterscheidung oder gar Kategorisierung ist bei den Bauten aus dem zentralanatolischen
Çatal Höyük jedoch ebenso wenig zu erkennen, wie bei Gebäuden aus Westanatolien oder Südosteuropa.
588 Clemens Lichter
Ausblick
Ausschließlich religiösen Praktiken gewidmete Gebäude, die sich in Grundriss, Bauweise und Ausstattung
von den übrigen Bauten unterscheiden, sind für das jungsteinzeitliche oder kupferzeitliche Südosteuropa
bislang nicht freigelegt worden. Es spricht viel dafür, dass religiöse Zeremonien u. a. in den normalen Wohn-
häusern stattfanden, die zu bestimmten Anlässen besonders ausgeschmückt und hergerichtet wurden. Mit
Blick auf die Sondergebäude des vorderasiatischen Frühneolithikums gilt es, sich von der evolutionistisch
geprägten Vorstellung, nach der Heiligtümer als Kennzeichen einer höher stehenden Kultur am Ende einer
Entwicklung stehen und damit grundsätzlich als jünger einzustufen sind, zu lösen. In der Frühzeit war es
in Vorderasien, im Entstehungsgebiet des Neolithikums, im „Land of plenty“ (Gebauer – Price 1992, 8),
einer größeren Gemeinschaft möglich, sich über einen längeren Zeitraum an einem Ort aufzuhalten, was
die Herausbildung der Großsiedlungen begünstigte und beförderte. Der Zusammenhalt in diesen Groß-
siedlungen wurde u. a. durch gemeinschaftlich errichtete und genutzte Sondergebäude gefestigt. Außerhalb
des neolithischen Kerngebietes waren die naturräumlichen Voraussetzungen für solche Großsiedlungen
„Tempel“ in der Jungsteinzeit und Kupferzeit Südosteuropas? 589
nicht gegeben, was andere gesellschaftliche Lösungen für eine erfolgreiche neolithische Produktionsweise
erforderlich machte: Institutionalisierter Kult und damit die gemeinschaftliche Errichtung besonderer Ge-
bäude waren dort zunächst kein hema. Hinzu kommt, dass die häufige Verlagerung des Siedelgeschehens
eine Herausbildung ortskonstanter, etablierter Kultplätze verhindert hat. So kennen wir etwa aus Europa
zwar ebenfalls gemeinschaftlich errichtete Bauwerke, wie z. B. Kreisgrabenanlagen oder Erdwerke, die von
größeren Verbänden errichtet wurden. Im Unterschied zu Vorderasien sind diese aber jeweils nur von ver-
gleichsweise kurzer Dauer.
Betrachten wir die weitere Entwicklung, die etwa im Vorderen Orient ab dem 5. Jt. v. Chr. stattgefunden
hat, so zeigen sich auf den ersten Blick erstaunliche Parallelen. Denn die Institution „Tempel“ – der insti-
tutionalisierte Kult – bildet in Vorderasien vielfach den Kristallisationskern und damit den Ausgangspunkt
der Stadtkulturen Mesopotamiens oder auch der Staatenbildung. Vergleichbare Entwicklungen haben in
anderen Gegenden erst sehr viel später stattgefunden. Angesichts dieser Beobachtung ist man versucht
Ursachen hierfür in den bereits im frühen Neolithikum bestehenden Unterschieden in der Kultpraxis zu
vermuten und die Kultbauten des vorderasiatischen akeramischen Neolithikums gleichsam als Vorläufer
der späteren monumentalen Tempelanlagen des Syro-mesopotamischen Raumes anzusehen (Özdoğan
– Özdoğan 1998). Die Sondergebäude des akeramischen Neolithikums wären dabei der archäologische Be-
fund für eine Mentalität, die – vergleichbar unserer heutigen Vorstellungswelt – Religiöses vom Profanen
trennt. Diese Trennung existierte jedoch außerhalb der neolithischen Kernzone nicht. Um diese Vermutung
zu bestätigen, wäre aber zunächst eine Befundlücke an Sondergebäuden zwischen dem 7. und dem 5. Jt. v.
Chr. zu schließen. Dagegen spricht, dass die dahinter stehenden gesellschaftlichen Strukturen stark vonein-
ander differieren – aber das ist eine andere Geschichte.
Bibliographie