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Wolfgang Streicher
Andreas Wiese Hrsg.
Erneuerbare
Energien
Systemtechnik · Wirtschaftlichkeit ·
Umweltaspekte
6. Auflage
Erneuerbare Energien
Martin Kaltschmitt Wolfgang Streicher
Andreas Wiese
(Hrsg.)
Erneuerbare Energien
Systemtechnik Wirtschaftlichkeit
Umweltaspekte
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te bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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Vorwort
Die Nutzung regenerativer Energien zur Energieversorgung ist nicht neu; in der Geschich-
te der Menschheit waren erneuerbare Energien sehr lange Zeit die primär genutzte Mög-
lichkeit zur Energiebereitstellung. Dies änderte sich erst mit der industriellen Revolution,
in der die einfach erschließbaren Vorkommen an Braun- und Steinkohle zunehmend ge-
nutzt wurden und letztlich den Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert ermög-
lichten. Später kam Erdöl hinzu, das weltweit aufgrund seiner Vorteile u. a. in Bezug auf
Transport und Verarbeitung zum heute primär eingesetzten Energieträger wurde. In den
letzten Jahrzehnten gewann und gewinnt – unter den fossilen Energieträgern – Erdgas für
die Raumheizung und die Stromerzeugung aufgrund ausreichender Verfügbarkeit immer
mehr an Bedeutung. Mit dem deutlich zunehmenden Einsatz der fossilen Energieträger zur
Energieversorgung ging bis Ende des 20. Jahrhunderts zumindest in den Industriestaaten
sukzessive der Einsatz regenerativer Energien sowohl relativ als z. T. auch absolut zurück;
abgesehen von wenigen Ausnahmen hatten sie bezogen auf das Gesamtenergieaufkom-
men um die Jahrtausendwende sehr stark an Bedeutung verloren. Diese Tendenz scheint
sich aber in den letzten beiden Jahrzehnten kontinuierlich und nachhaltig umzukehren;
regenerative Energien gewinnen – energiewirtschaftlich relevant – erneut an Bedeutung
im globalen Energiesystem.
Die Nutzung fossiler Energieträger ist auch mit einer Reihe von Nachteilen verbunden,
die von einer bezüglich möglicher Umwelt- und insbesondere Klimagefahren zunehmend
sensibilisierten Industriegesellschaft in den zwanziger Jahren des 21. Jahrhunderts immer
weniger toleriert werden. Deshalb hat die Suche nach umwelt- und klimaverträgliche-
ren sowie allgemein akzeptierbaren Alternativen zur Energiebereitstellung aus fossilen
Energien – und darunter sind hier sowohl die fossil-biogenen (d. h. Erdöl, Erdgas, Stein-
und Braunkohle) als auch die fossil-mineralischen Energieträger (d. h. Uran) zu verste-
hen – weiter an Bedeutung gewonnen. Hier werden in die vielfältigen Möglichkeiten zur
Nutzung regenerativer Energien, die in den letzten Jahren immer weitergehend genutzt
wurden, große Hoffnungen und Erwartungen gesetzt – sowohl global als auch insbeson-
dere in Europa und hier im Speziellen im deutschsprachigen Raum.
Vor diesem Hintergrund ist es das Ziel des vorliegenden Buches, für wichtige Möglich-
keiten zur Nutzung regenerativer Energien zur Bereitstellung thermischer und elektrischer
Energie die physikalischen, technischen und systemischen Grundlagen und Zusammen-
V
VI Vorwort
hänge umfassend darzustellen. Dazu wird zunächst auf die Charakteristik des regenerati-
ven Energieangebots eingegangen. Anschließend werden die Techniken einer Wärmebe-
reitstellung aus passiven und aktiven Solarsystemen, aus der Umgebungswärme sowie aus
geothermischer Energie dargestellt. Auch wird auf die Verfahren zur Erzeugung elektri-
scher Energie aus solarer Strahlung über die Photovoltaik, aus der Windenergie, aus der
Wasserkraft und aus der tiefen Erdwärme eingegangen. Außerdem werden die Möglich-
keiten einer solarthermischen Stromerzeugung und einer Nutzung der Energien des Mee-
res diskutiert. Lediglich die Möglichkeiten einer energetischen Biomassenutzung werden
hier nicht detailliert dargestellt; hierzu sei auf Kaltschmitt et al. (2016)1 verwiesen. Da
regenerative Energien meist im Kontext übergeordneter Energiesysteme genutzt werden,
wird auch das Thema der Speicherung thermischer und elektrischer Energie adressiert.
Zusätzlich wird auf Energienetze eingegangen (d. h. elektrische Versorgungsnetze sowie
Nah- und Fernwärmenetze).
Für wesentliche Möglichkeiten zur Nutzung regenerativer Energien werden zusätz-
lich aktuelle Kennzahlen für eine ökonomische, ökologische und systemische Bewertung
zur Verfügung gestellt. Damit lassen sich die Chancen und Grenzen der verschiedenen
Optionen zur Nutzung des regenerativen Energieangebots – jeweils bezogen auf die Gege-
benheiten im deutschsprachigen Raum – auch im Vergleich zu den jeweils substituierbaren
Systemen auf Basis fossiler Energieträger besser beurteilen und bewerten.
Die hier vorliegende 6. Auflage stellt eine vollständig überarbeitete und teilweise neu
strukturierte sowie wesentlich erweiterte Fassung der 5. Auflage dar, die 2013 erschienen
ist. Neben der Nutzung des regenerativen Energieangebots wurden insbesondere die Mög-
lichkeiten einer Sonnenenergienutzung zur Wärmebereitstellung, einer Nutzung der Um-
gebungswärme, einer photovoltaischen Stromerzeugung, einer Onshore- und Offshore-
Windstromerzeugung und einer Stromerzeugung aus Wasserkraft den aktuellen techni-
schen, ökonomischen und ökologischen Entwicklungen angepasst; teilweise wurden die
Kapitel inhaltlich deutlich erweitert und bisher nicht adressierte Themen und Aspekte
integriert. Außerdem wurden die Energiespeicherung sowie die Energienetze neu aufge-
nommen, da mit einer zunehmenden Nutzung des regenerativen Energieangebots sich die
jeweiligen Energiesysteme stark verändern und dies unmittelbar die Verteilnetze und die
Speichernotwendigkeiten beeinflusst.
Die vorliegende Ausarbeitung wäre ohne die Unterstützung einer Vielzahl unterschied-
lichster Personen und Institutionen nicht möglich gewesen. Ihnen allen sei an dieser Stelle,
ebenso wie dem Verlag, für die kooperative, konstruktive und lösungsorientierte Zusam-
menarbeit und z. T. sehr weitgehende Unterstützung sehr herzlich gedankt. Unser größter
Dank gilt dabei den Autoren für die gute, engagierte und konstruktive Zusammenarbeit
und ihre große Geduld. Auch sei den Autoren, die in früheren Auflagen motiviert mit-
gewirkt haben, nochmals von Herzen gedankt; ohne ihre wertvolle Mitarbeit wäre die
6. Auflage dieses Buches nicht möglich gewesen. Letztlich sein insbesondere auch Nicol-
1
Kaltschmitt, M.; Hartmann, H.; Hofbauer, H (Hrsg.): Energie aus Biomasse; Springer, Berlin, Hei-
delberg, 2016, 3. Auflage.
Vorwort VII
le Brinkhus, Sarah Flashaar, Paula Alberts, Benjamin Klepsch, Yannick Piguel, Katharina
Geyer und Chiara Schenk für ihre große Unterstützung bei der Erstellung der vielen neu-
en Grafiken bzw. bei der Überarbeitung vorhandener Abbildungen, dem Recherchieren
aktueller Daten und beim Durchlaufen der unzähligen Korrekturschleifen sehr herzlich
gedankt.
IX
X Inhaltsübersicht
14 Speicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1097
14.1 Direkte Energiespeicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1101
14.2 Magnetische Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1113
14.3 Mechanische Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1118
14.4 Physikalisch-chemische Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1128
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1151
15 Stromnetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1153
15.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1154
15.2 Netzelemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1162
15.3 Netzstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1191
15.4 Leistungsflüsse und Lastflussberechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1195
15.5 Leistungsbilanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1198
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1202
16 Wärmenetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1203
16.1 Charakterisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1204
16.2 Komponenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1209
16.3 Betrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1224
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1225
Energieeinheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1227
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1229
Inhaltsverzeichnis
XIII
XIV Inhaltsverzeichnis
14 Speicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1097
Jerrit Hilgedieck, Martin Kaltschmitt, Jelto Lange und Wolfgang Streichera
14.1 Direkte Energiespeicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1101
14.1.1 Elektrische Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1101
14.1.2 Thermische Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1104
14.2 Magnetische Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1113
14.3 Mechanische Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1118
14.3.1 Bewegungsenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1118
14.3.2 Potenzielle Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1120
14.3.3 Druckenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1123
14.4 Physikalisch-chemische Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1128
14.4.1 Sorptionsenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1128
14.4.2 Verbindungen mit unterschiedlichen Energieniveaus . . . . . . . .1130
14.4.3 Oxid und elementarer Reinstoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1140
14.4.4 Oxide und CH/NH-basierte Verbindungen . . . . . . . . . . . . . . .1146
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1151
15 Stromnetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1153
Christian Becker
15.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1154
15.1.1 Gleichstromsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1155
15.1.2 Wechselstromsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1157
15.1.3 Drehstromsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1160
15.2 Netzelemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1162
15.2.1 Drehstromkomponenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1162
15.2.2 Leistungselektronische Stromrichter . . . . . . . . . . . . . . . . . .1181
15.2.3 Hochspannungsgleichstromübertragung . . . . . . . . . . . . . . . .1189
15.3 Netzstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1191
XX Inhaltsverzeichnis
16 Wärmenetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1203
Ingo Weidlich
16.1 Charakterisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1204
16.2 Komponenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1209
16.2.1 Rohrsysteme und deren Verlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1210
16.2.2 Pumpen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1216
16.2.3 Hausstationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1218
16.2.4 Speicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1220
16.2.5 Weitere Komponenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1222
16.3 Betrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1224
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1225
Energieeinheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1227
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1229
a
Autoren in alphabetischer Reihenfolge mit Beiträgen zum Kapitel; die Autorenzuordnung geht aus
den einzelnen Unterkapiteln hervor.
Mitarbeiterverzeichnis
Prof. Dr.-Ing. Christian Becker Technische Universität Hamburg (TUHH), Institut für
Elektrische Energietechnik, Hamburg, Deutschland
M.Sc. Daniel Christ Technische Universität Hamburg (TUHH), Institut für Umwelttech-
nik und Energiewirtschaft (IUE), Hamburg, Deutschland
Dr. Dipl.-Met. Beate Geyer Helmholtz-Zentrum Geesthacht – Zentrum für Material- und
Küstenforschung GmbH, Institut für Küstenforschung, Geesthacht, Deutschland
Prof. Dr.-Ing. habil. Kai-Uwe Graw Technische Universität Dresden, Institut für Was-
serbau und Technische Hydromechanik, Dresden, Deutschland
M.Sc. Jerrit Hilgedieck Technische Universität Hamburg (TUHH), Institut für Umwelt-
technik und Energiewirtschaft (IUE), Hamburg, Deutschland
Dr.-Ing. Tobias Hirsch Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Institut
für Solarforschung, Stuttgart, Deutschland
M.Sc. Jelto Lange Technische Universität Hamburg (TUHH), Institut für Umwelttechnik
und Energiewirtschaft (IUE), Hamburg, Deutschland
Dr. Matti Lubkoll Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Institut für
Solarforschung, Stuttgart, Deutschland
Prof. Dr.-Ing. Jörg Müller Technische Universität Hamburg (TUHH), Institut für Mi-
krosystemtechnik, Hamburg, Deutschland
Mag. Dr. Gerhard Peharz Joanneum Research Forschungsgesellschaft mbH, Graz, Ös-
terreich
Dr. Anne Rödl Technische Universität Hamburg (TUHH), Institut für Umwelttechnik
und Energiewirtschaft (IUE), Hamburg, Deutschland
Prof. Dr.-Ing. Michael Schlüter Technische Universität Hamburg (TUHH), Institut für
Mehrphasenströmungen, Hamburg, Deutschland
M.Sc. Lucas Sens Technische Universität Hamburg (TUHH), Institut für Umwelttechnik
und Energiewirtschaft (IUE), Hamburg, Deutschland
Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. techn. Wolfgang Streicher Universität Innsbruck, Institut für
Konstruktion und Materialwissenschaften, Innsbruck, Österreich
Prof. Dr.-Ing. Ingo Weidlich HafenCity Universität Hamburg (HCU), Infrastructural En-
gineering, Hamburg, Deutschland
Prof. Dr.-Ing. Felix Ziegler Technische Universität Berlin, Institut für Energietechnik,
Berlin, Deutschland
Liste der Formelzeichen
a Ionenaktivität
a Laufindex
a1 Hilfskonstante 1
a2 Hilfskonstante 2
aOx Aktivität des Redoxpartners auf der Oxidationsseite
aRed Aktivität des Redoxpartners auf der Reduktionsseite
A Anode
A Fläche einer wärmeleitenden Schicht
A optisch wirksame Breite des Receivers
A Querschnittsfläche (u. a. einer Rohrleitung, eines Leiters)
A Skalierungsfaktor
AAbs Absorberfläche
AAp Aperturfläche
AG Albedo
AHP radioaktive Wärmeproduktion
Ai Flächen i
AAbd abstrahlende Abdeckungsoberfläche eines Solarkollektors
Ao,O oberirdischer Abfluss von der Oberfläche (O)
AM Air Mass
AHF Spiegelfläche des Heliostatenfeldes
AK Kontaktfläche
Au,O unterirdischer Abfluss von der Oberfläche (O)
AW Fläche des Wärmeübertragers
AWKA Fläche, die um eine Windkraftanlage freizuhalten ist
AZ Aufwandszahl
b Flügellänge
b Wärmeeindringkoeffizient
ca Auftriebsbeiwert
ca spezifische Wärmekapazität der Luft
ca;0 Auftriebsbeiwert bei unsymmetrischem Profil und 0ı Anströmwinkel
ca,Betrieb Auftriebsbeiwert in Betrieb
XXV
XXVI Liste der Formelzeichen
D Diffusionskoeffizient
D Diode
D Dreieckschaltung auf der Oberspannungsseite
D mittlerer Durchmesser der Turbine
D mittlerer Leiterabstand bei mehreren Leitern
D1 mittlerer Durchmesser der Turbine am Eintritt
Ds solarer Deckungsgrad (Definition 1)
Ds1 solarer Deckungsgrad (Definition 2)
e0 Elementarladung
E Elastizitätsmodul
E Elektrodenpotenzial
E Emitter
E Energie
E Energieniveau
E0 Standardelektrodenpotenzial
EDruck Druckenergie
Eg Energielücke, Bandabstand, Bandlücke
Ekin kinetische Energie
EKondensator Energiegehalt eines Kondensators
EL Energieniveau des Leitungsbandes
Ep,th theoretische Druckenergie
Eph Quantenenergie eines Photons
EPot potenzielle Energie
EPot,nutz nutzbare potenzielle Energie
ERotation Rotationsenergie
Esensibel sensible thermische Energie
ESpule Energiegehalt einer Spule
EV Energieniveau des Valenzbandes
EW a Energie des Wassers
EW i Energie des Windes
EWKA Energieertrag einer Windkraftanlage
f Aktivitätskoeffizient
f Brennweite
f Netzfrequenz
f Wölbung eines Profils
f1 Frequenz in Netz 1
f2 Frequenz in Netz 2
fL aktuelle Netzfrequenz
fL0 Netzfrequenz in einem bekannten Zustand 0
fp Primärenergiefaktor
F Brennpunkt
F Faraday-Konstante
XXVIII Liste der Formelzeichen
F Kraft
F Netzknotennummer der Fehlerstelle
FA Auftriebskraft
FA,max maximale Auftriebskraft
FA,s Schub-(Axial-)Komponente der Auftriebskraft
FA,t Tangential-Komponente der Auftriebskraft
FB Reaktionskraft
FC Abminderungsfaktor wegen Sonnenschutzvorrichtungen
FCoriolis Corioliskraft
FD Abminderungsfaktor wegen Scheibenverschmutzung
FF Abminderungsfaktor wegen Fensterrahmen
FFin Verschattungsfaktor durch seitliche Überstände
FGradient Gradientkraft
FHor Verschattungsfaktor für den Horizont
FK,U Sichtwinkel, unter dem sich die im Strahlungsaustausch befindlichen Flächen
„sehen“
FOv Verschattungsfaktor durch Überhänge
FR gesamte auf ein Rotorblatt einwirkende (resultierende) Kraft
FSh,ob Abminderungsfaktor wegen feststehender Verschattung
FSh,gl Abminderungsfaktor wegen flexibler Verschattung
FT gesamte auf ein Rotorblatt einwirkende Tangential-Kraft
FW Widerstandskraft
FW,s Schub-(Axial-)Komponente der Widerstandskraft
FW,t Tangential-Komponente der Widerstandskraft
FWi,Brems Kraft, mit der ein Windenergiekonverter die Windströmung abbremst
FWi,WKA gesamte auf eine Windkraftanlage einwirkende Windkraft
FZentrifugal Zentrifugalkraft
FF Füllfaktor
g Gravitationskonstante
g Energiedurchlassgrad (z. B. eines Bauteils; g-Wert)
g Gleichzeitigkeitsgrad
gdiffus diffuser Energiedurchlassgrad (diffuser g-Wert)
G Gate
G Leitwert
G0 Leitwertsbelag
GP ˛ von Körper / Material absorbierte Strahlung
GP von Körper / Material reflektierte Strahlung
GP den Körper transmittierte Strahlung
GP O Strahlungsleistung der Sonne am äußeren Rand der Erdatmosphäre (d. h. So-
larkonstante)
GP Df Diffusstrahlung auf die horizontale Empfangsfläche
GP Df,g,a Diffusstrahlung auf die geneigte, ausgerichtete Empfangsfläche
Liste der Formelzeichen XXIX
LN Netzanschlussdrossel
LSE Entfernung zwischen Sonne und Erde
LU spezifische (Umfangs-)Arbeit
LZK Induktivität im Gleichstromzwischenkreis
m Masse
P
m Massenstrom
P aus
m aus dem Becken ausfließender (Wasser-)Massenstrom
P ein
m in das Becken einfließender (Wasser-)Massenstrom
P ges
m gesamer Massenstrom
P Kol
m Massenstrom durch den Kollektor
mW a Masse des Wassers
mW i Luftmasse
PWi
m Massenstrom der Luft / des Windes
P Wi,1
m Massenstrom der Luft / des Windes an der Stelle 1
mWi,i Masse der Luft / des Windes an der Stelle i
P Wi,i
m Massenstrom der Luft / des Windes an der Stelle i
P Wi,frei
m Massenstrom der Luft / des Windes ohne Energieentzug
M Antriebsmoment, Drehmoment
MA Anfahrmoment
n Anzahl der Wohneinheiten
n Drehzahl
n Index für Nennwerte
n Konzentration der Elektronen
n Laufindex
nG Generatordrehzahl
ni Eigenleitungskonzentration
np,0 örtliche Verteilung der Elektronenkonzentration ohne Beleuchtung
nq spezifische Drehzahl
N Neutralleiter
N1 Windungszahl der Primärwicklung
N2 Windungszahl der Sekundärwicklung
NA Akzeptoren
ND Donatoren
NL effektive Zustandsdichte im Leitungsband
NMeer Niederschlag auf dem Meer
NO Niederschlag auf der Oberfläche (O)
NV effektive Zustandsdichte im Valenzband
O Oberfläche
p Druck
p Konzentration der Defektelektronen / der Löcher
p Druckdifferenz, Druckunterschied, Druckabsenkung, Druckverlust
p 0 Druckdifferenz im Laufrad
Liste der Formelzeichen XXXIII
p 00 Druckdifferenz im Leitrad
pn,0 örtliche Verteilung der Defektelektronen- / Löcherkonzentration ohne
Beleuchtung
p0 Druck am Bilanzpunkt 0
p1 Druck am Bilanzpunkt 1
p2 Druck am Bilanzpunkt 2
pa Wasserdruck an der Stelle a
pges gesamter Druckunterschied
pKol Druckunterschied des Kollektors
poben Druck oberhalb des Profilquerschnitts
pOW Umgebungsdruck am Oberwasser
pTat Druck am Turbinenaustritt
pT e Druck am Turbineneingang (Te)
p.t/ Momentanwert der Leistung
pU Umgebungsdruck
punten Druck unterhalb des Profilquerschnitts
pU W Umgebungsdruck am Oberwasser
pV Verlustdruck
pW a Wasserdruck
pW i Druckunterschied in der Rotorebene
pW i;0 wetterbedingter Winddruck
pW i;1 Winddruck an der Stelle 1
pW i;2 Winddruck an der Stelle 2
pWi,i Winddruck an der Stelle i
P Leistung, Wirkleistung
P Porosität
P12 Leistungsfluss von Knoten 1 nach Knoten 2
P23 Wirkleistungsfluss von Knoten 2 nach Knoten 3
PAntr Antriebsleistung des Verdichters einer Wärmepumpe
Pel elektrische Leistung
Pel,i elektrische Leistung des Windgeschwindigkeitsintervalls i
Pel,in prozessintern benötigte elektrische Leistung
Pel,out durch das Kraftwerk bereitgestellte elektrische Leistung
PG eingespeiste Wirkleistung
PG eingestrahlte Globalstrahlungsleistung
Pges Gesamtlast
PH Höchstlast
Pij Wirkleistungsfluss von Knoten i nach Knoten j
Pj i Wirkleistungsfluss von Knoten j nach Knoten i
PL umgesetzte Wirkleistung
PL0 umgesetzte Wirkleistung in einem bekannten Zustand 0
PMPP Leistung im Punkt maximaler Leistung (Maximum Power Point, MPP)
XXXIV Liste der Formelzeichen
THimmel Himmelstemperatur
TK Temperatur eines Körpers K
TKond Temperatur am Kondensator
TKond Temperaturdifferenz am Kondensator
Tlog mittlere Temperaturdifferenz zwischen zwei wärmeaustauschenden Medien
TQuelle Temperatur der Wärmequelle
TSenke Temperatur der Wärmesenke
TSiede Siedetemperatur
Tsuper Temperatur am superkritischen Punkt
TU Temperatur der umgebenden Flächen U
Tzu zugeführtes Temperaturniveau
Te Turbineneintritt
ü Übersetzungsverhältnis eines Transformators, Bemessungsübersetzung
uO Scheitelwert der Spannung
U Effektivwert der Spannung
U elektrisches Potential
U Gegenstrahlungsflächen / Flächen, die einen Körper K / eine Materie K um-
geben
U Spannung
U Umfang einer Rohrleitung
U Wärmedurchgangskoeffizient (U -Wert)
U komplexer Effektivwert der Spannung
UD gleichgerichtete Spannung
U1 Leiter-Erd-Spannung an Knoten 1, Spannung an Knoten 1
U12 Außenleiterspannung zwischen Leiter 1 und Leiter 2
U13 Außenleiterspannung zwischen Leiter 1 und Leiter 3
U2 Leiter-Erd-Spannung an Knoten 2, Spannung an Knoten 2
U23 Außenleiterspannung zwischen Leiter 2 und Leiter 3
U3 Leiter-Erd-Spannung an Knoten 3
UAB1h Grundschwingung bzw. erste Harmonische der Ausgangswechselspannung
des Spannungsumrichters
UAB Ausgangswechselspannung des Spannungsumrichters
UD Diffusionsspannung
Ueff effektiver Wärmedurchgangskoeffizient
Ueq äquivalenter Wärmedurchgangskoeffizient (äquivalenter U -Wert)
Ug Wärmedurchgangskoeffizient bezogen auf die Verglasung eines Fensters
Ui Leiter-Erd-Spannung an Knoten i
Ui U -Wert für die entsprechende Fläche i der Gebäudehülle
Uj Leiter-Erd-Spannung an Knoten j
U Kol Wärmedurchgangskoeffizient eines Kollektors
UKol temperaturabhängiger Wärmedurchgangskoeffizient eines Kollektors
Ukonv konvektive Wärmeübergangszahl
Ul Längsspannungsabfall an einer Leitung
Liste der Formelzeichen XXXIX
UL aktuelle Netzspannung
UL Leerlaufspannung
UL0 Netzspannung in einem bekannten Zustand 0
U Trägersignal
UMPP Spannung im Punkt maximaler Leistung (Maximum Power Point, MPP)
UN Nennspannung
UN Netzspannung
Ur1 primärseitige Bemessungsspannung
Ur2 sekundärseitige Bemessungsspannung
UsA normiertes Wechselspannungssignal
UsB inverses normiertes Wechselspannungssignal
u.t/ Momentanwert der Spannung
uT Spannung am Thyristor
UV Wärmedurchgangskoeffizient einer Verglasung
UW Wärmedurchgangskoeffizient eines Fensters (d. h. Verglasung und Rahmen)
v Geschwindigkeit
vA Anströmgeschwindigkeit
vc Lichtgeschwindigkeit
vOW Absinkgeschwindigkeit des Oberwassers
vP Kompressionswellengeschwindigkeit
vrel,1 Relativgeschwindigkeit des Wassers im Laufrad am Bilanzpunkt 1
vrel,2 Relativgeschwindigkeit des Wassers im Laufrad am Bilanzpunkt 2
vrel Relativgeschwindigkeit des Wassers im Laufrad
vS Geschwindigkeit der angeströmten Fläche (S)
vS Scherwellengeschwindigkeit
vu Umfangsgeschwindigkeit
vu,1 Umfangsgeschwindigkeit am Bilanzpunkt 1
vu,2 Umfangsgeschwindigkeit am Bilanzpunkt 2
vu,Spitze Umfangsgeschwindigkeit an der Rotorblattspitze
vW a Strömungsgeschwindigkeit des Wassers
vWa,0,ax Axialkomponente der Strömungsgeschwindigkeit des Wassers am Bilanz-
punkt 0
vWa,0 Strömungsgeschwindigkeit des Wassers am Bilanzpunkt 0
vWa,0,u Umfangskomponente der Strömungsgeschwindigkeit des Wassers am Bilanz-
punkt 0
vW a;1 Strömungsgeschwindigkeit des Wassers am Bilanzpunkt 1
vWa,1,ax Axialkomponente der Strömungsgeschwindigkeit des Wassers am Bilanz-
punkt 1
vWa,1,SR Strömungsgeschwindigkeit des Wassers am Saugrohranfang
vWa,1,th theoretische Strahlgeschwindigkeit
vWa,1,u Umfangskomponente der Strömungsgeschwindigkeit des Wassers am Bilanz-
punkt 1
XL Liste der Formelzeichen
Wirkungsgrad
Ausnutzungsgrad
0 Düsenwirkungsgrad
00 Laufschaufelwirkungsgrad
c Carnot-Wirkungsgrad
F Freihangwirkungsgrad
i innerer Gütegrad
i Prozessgüte
t h Wärmerückgewinnungseffizienz
WP Carnot-Gütegrad
PV photovoltaischer Wirkungsgrad
Turbine Turbinenwirkungsgrad
Schermodul
Schluckzahl
0 magnetische Feldkonstante
Photonenfrequenz
Poissonzahl
W a kinematische Viskosität des Wassers
Strömungswiderstand
Verlustbeiwert
Dif Verlustbeiwert für den Diffusor
EB Verlustbeiwert für das Einlaufbauwerk
RL Verlustbeiwert der Rohrleitung
W a spezifische Strömungsverluste des Wassers
Temperatur
0 Jahresdurchschnittstemperatur
1 Temperatur an der Stelle 1
2 Temperatur an der Stelle 2
a Sichthalbwinkel
Abs Absorbertemperatur
aus Austrittstemperatur
De Temperatur Decke
e Umgebungstemperatur
ein Eintrittstemperatur
Erdoberfläche Temperatur der Erdoberfläche
F b Temperatur Fußboden
Festkörper Temperatur eines Festkörpers
Fluid Temperatur eines Fluids
ges gesamter Temperaturunterschied
i Raumtemperatur
i,set gewünschte Raumtemperatur
Kol Temperaturunterschied des Kollektors
Körper Temperatur des Körpers / des Gesteins
Luft Temperatur der Luft
W i Temperatur Wintergarten
Kreiszahl
Reflexionskoeffizient
a Dichte der Luft
Abs Reflexionskoeffizient des Absorbers
F l Fluiddichte
I Reflexionskoeffizient im Bereich des infraroten Lichts
real tatsächlicher Reflexionskoeffizient
v Reflexionskoeffizient im Bereich des sichtbaren Lichts
s,g mit dem Solarspektrum gewichtete Reflektivität
Liste der Formelzeichen XLV
Ziel der Ausführungen dieses Buches ist es, die Möglichkeiten und Grenzen einer Nutzung
des regenerativen oder erneuerbaren Energieangebots umfassend darzustellen und vertieft
zu diskutieren. Deshalb werden sowohl die jeweiligen physikalischen und entsprechen-
den technischen Grundlagen dargestellt als auch unterschiedliche Kenngrößen abgeleitet
und quantifiziert, die eine umfassende Einordnung dieser Optionen untereinander und in
das Energiesystem ermöglichen. Um dem Anspruch einer einfachen, verständlichen und
transparenten Darstellung der z. T. sehr verschiedenartigen Möglichkeiten zur Nutzung
regenerativer Energien möglichst nahe zu kommen, sind die einzelnen Kapitel, in denen
die unterschiedlichen Varianten erläutert werden, vergleichbar strukturiert – soweit dies
möglich, sinnvoll und praktisch umsetzbar ist.
Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden zunächst auf das globale und deutsche
Energiesystem eingegangen; dadurch wird der Rahmen abgesteckt, in den eine Energie-
bereitstellung aus regenerativen Energien integriert werden muss. Anschließend werden
der grundsätzliche Aufbau, der den einzelnen Kapiteln dieses Buches zugrunde liegt, nä-
her erklärt sowie wesentliche energietechnische und -wirtschaftliche Begriffe, auf die in
den anschließenden Kapiteln immer wieder Bezug genommen wird, definiert. Auch wird
das jeweilige methodische Vorgehen vorgestellt, das der Bestimmung einzelner ökonomi-
scher und ökologischer Kennwerte zugrunde liegt, durch die die Möglichkeiten und auch
die Grenzen einer Nutzung des regenerativen Energieangebots charakterisiert werden kön-
nen. Abschließend werden zusätzlich die Techniken zur Nutzung fossiler Energieträger,
die durch die beschriebenen Optionen zur Nutzung regenerativer Energien am ehesten
substituiert werden könnten, kurz dargestellt sowie ebenfalls ökonomisch und ökologisch
charakterisiert; sie stellen quasi einen „Maßstab“ dar, mit dem die Optionen zur Nutzung
der erneuerbaren Energien bewertet werden können.
Autoren in alphabetischer Reihenfolge mit Beiträgen zum Kapitel; die Autorenzuordnung geht aus
den einzelnen Unterkapiteln hervor.
Martin Kaltschmitt, Lucas Sens, Hamburg, Deutschland
Wolfgang Streicher, Innsbruck, Österreich
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 3
M. Kaltschmitt, W. Streicher, A. Wiese (Hrsg.), Erneuerbare Energien,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-61190-6_1
4 M. Kaltschmitt et al.
1.1 Energiesystem
Martin Kaltschmitt
1.1.1 Energiebegriffe
Unter Energie wird allgemein die Fähigkeit eines Systems verstanden, äußere Wirkungen
hervorzubringen. Dabei kann unterschieden werden zwischen
Primärenergie Umwandlungsverl.
(z.B. Steinkohle, Braunkohle, Verteilungsverl.
Erdöl, Erdgas, Uran, Eigenbedarf
Wasserkraft, Solarstrahlung, Nicht-energ. Verbr.
Rohbiomasse)
Sekundärenergie
Umwandlungsverl.
Verteilungsverl. (z.B. Koks, Briketts, Benzin,
Biodiesel, Heizöl, Strom,
Eigenbedarf Stückholz, Fernwärme)
Nicht-energ. Verbr.
Endenergie
Umwandlungsverl. (z.B. Briketts, Benzin,
Verteilungsverl. Heizöl, Erdgas, Strom,
Eigenbedarf Hackschnitzel,
Nicht-energ. Verbr. Fernwärme)
Energiedienstleistung
Regel-, Steuerverl.
Energieeffizienz (z.B. warmer Raum, Personen-
bzw. Tonnenkilometer,
Gebäude Kühlleistung)
Nutzerverhalten
Abb. 1.1 Energiewandlungskette (Verl. Verluste; energ. energetischer; Verbr. Verbrauch; nach [1.1])
Unter einem Energieträger – und damit einem „Träger“ der oben definierten Energie
– wird ein Stoff verstanden, aus dem direkt oder durch eine oder mehrere Umwandlun-
gen End- bzw. Nutzenergie gewonnen werden kann. Energieträger werden daher nach
dem Grad der Umwandlung – und damit entlang der gesamten Bereitstellungskette von
der eigentlichen „Produktion“ bis zur finalen „Nutzung“ durch den Letztverbraucher –
unterteilt in Primär- und Sekundärenergieträger sowie Endenergieträger. Der jeweilige
Energieinhalt dieser Energieträger ist die Primärenergie, die Sekundärenergie und die
Endenergie. Letztere stellt dann zumeist die Nutzenergie für die final typischerweise ge-
wünschte Energiedienstleistung bereit. Diese einzelnen Begriffe sind wie folgt definiert
(Abb. 1.1; u. a. [1.1]).
Unter Primärenergieträgern werden Stoffe und unter der Primärenergie der Energiein-
halt der Primärenergieträger und damit der „primären“ Energieströme verstanden, die
noch keiner technischen Umwandlung unterworfen wurden. Aus Primärenergie (z. B.
Windkraft, Solarstrahlung) oder -trägern (z. B. Steinkohle, Braunkohle, Erdöl, Erdgas,
Biomasse) können direkt oder durch eine oder mehrere Umwandlungen Sekundärener-
gie oder -träger gewonnen werden.
Sekundärenergieträger sind Energieträger und Sekundärenergie ist der Energieinhalt
der Sekundärenergieträger oder der von Energieströmen, die direkt oder durch eine
oder mehrere Umwandlungen in technischen Anlagen aus Primär- oder aus anderen
Sekundärenergieträgern bzw. -energien hergestellt werden (z. B. Benzin, Heizöl, Raps-
6 M. Kaltschmitt et al.
Die gesamte der Menschheit prinzipiell zur Verfügung stehende Energie wird als Ener-
giebasis bezeichnet. Sie setzt sich aus der Energie der (meist endlichen) Energievorräte
und der (weitgehend regenerativen oder erneuerbaren) Energiequellen zusammen.
Energievorräte können unterteilt werden in fossile (aus dem lateinischen Wort fossilis
((aus)gegraben)) und rezente Vorräte (aus dem lateinischen Wort recens (soeben, kürzlich,
frisch)). Dies wird nachfolgend definiert.
masse resultieren (und damit letztlich originär aus der Sonnenenergie stammen)),
und
– fossil mineralischen Energievorräten (d. h. Vorräte mineralischen bzw. nicht biolo-
gischen / organischen Ursprungs, die potenziell aus sehr frühen Phasen der Erdent-
stehung resultieren (und damit letztlich nicht auf die eingestrahlte Sonnenenergie
zurückzuführen sind)).
Zu der ersteren Gruppe zählen u. a. die Stein- und Braunkohle- sowie die Erdgas- und
Erdöllagerstätten und zu der letzteren Kategorie u. a. die Energieinhalte der Uranlager-
stätten und die Vorräte an Kernfusionsausgangsstoffen.
Rezente Vorräte sind Energievorräte, die in gegenwärtigen Zeiten z. B. durch biologi-
sche, ggf. in Verbindung mit physikalisch-chemischen bzw. geologischen Prozessen,
die durch den Menschen nicht (unmittelbar) beeinflussbar sind, gebildet werden. Hier-
zu gehören z. B. der Energieinhalt der Biomasse oder die potenzielle Energie des Was-
sers eines natürlichen Stausees.
Unter erneuerbaren oder regenerativen Energien werden die Primärenergien bzw. Pri-
märenergieströme verstanden, die – gemessen in menschlichen Dimensionen – als
unerschöpflich angesehen werden. Sie werden laufend aus den der Menschheit ins-
gesamt zur Verfügung stehenden regenerativen Energiequellen „Gezeitenenergie“,
„geothermische Energie“ und „Solarenergie“ gespeist (Kapitel 2.1); insbesondere letzte-
re ist für eine Vielzahl weiterer erneuerbarer oder regenerativer Energien verantwortlich
(u. a. Windenergie, Wasserkraft, Biomasse). Die im Abfall bzw. im Müll enthaltene
Energie ist nur dann als erneuerbar zu bezeichnen, wenn sie nicht fossil biogenen oder
fossil mineralischen Ursprungs ist (d. h. nur die organische Abfall- bzw. Müllfrakti-
on wie z. B. der Biomüll der Haushalte, Gartenabfälle oder organische Abfälle aus
der Lebensmittelbe- und -verarbeitung zählen strenggenommen zu den erneuerbaren
Energien; vielfach wird aber auch das gesamte Müll- bzw. Abfallaufkommen – unab-
hängig von der Herkunft (ein Teil des anfallenden Mülls resultiert ursächlich auch aus
fossilen Energieträgern wie beispielsweise Kunststoffabfälle) – zu den erneuerbaren
Energien gezählt mit dem Argument, dass Müll immer wieder neu anfällt und damit
quasi „erneuerbar“ ist). Regenerativ im eigentlichen Sinne sind auch nur die natürlich
vorkommenden erneuerbaren Primärenergien, nicht aber die daraus resultierenden Se-
kundär- oder Endenergien bzw. -träger. Beispielsweise ist der mithilfe einer technischen
Umwandlungsanlage gewonnene elektrische Strom aus der solaren Strahlung oder den
strömenden Luftmassen (Windenergie) nicht regenerativ; er ist nur so lange verfügbar,
wie auch die entsprechende technische Umwandlungsanlage betrieben werden kann.
Trotzdem werden umgangssprachlich vielfach auch die aus erneuerbaren Energien ge-
wonnenen Sekundär- und Endenergieträger als regenerativ oder erneuerbar bezeichnet;
beispielsweise wird umgangssprachlich oft von regenerativem Strom gesprochen.
Im Folgenden werden die Dimension des globalen Energiesystems und dessen Entwick-
lung in den vergangenen Jahren dargestellt und diskutiert.
600
Asien und paz. Raum
550
Afrika
500 Mittlerer Osten
Europa und GUS
Primärenergieverbrauch in EJ/a
450
Zentral- und Südamerika
400 Nordamerika
350
300
250
200
150
100
50
0
1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015
Zeit in Jahren
Abb. 1.2 Entwicklung des weltweiten Verbrauchs an fossilen Primärenergieträgern sowie an Was-
serkraft und anderen regenerativen Energien (paz. pazifischer; GUS Gemeinschaft Unabhängiger
Staaten (ehemalige Sowjetunion); Daten nach [1.2]; ohne Berücksichtigung der traditionellen Bio-
massenutzung)
tigung der traditionellen Biomassenutzung) in den letzten 50 Jahren um mehr als den
Faktor 3 zugenommen. Ein merklicher Anstieg ist bei praktisch allen dargestellten Re-
gionen zu erkennen; die mit Abstand größte Zunahme des Primärenergieverbrauchs zeigt
aber Asien einschließlich des pazifischen Raums – und hier insbesondere China (und das
primär in dem Zeitraum zwischen der Jahrtausendwende und Anfang / Mitte der 2010er
Jahre) und eingeschränkter Indien. Deutlich wird auch, dass diese Energieverbrauchs-
zuwächse nicht stetig verlaufen sind, sondern durch die beiden Ölpreiskrisen 1973 und
1979/80 sowie die globale Finanzkrise 2008/09 spürbar beeinflusst wurden. Dabei hatte
sich Anfang der 1990er Jahre – im Vergleich zu den Vorjahren – der Anstieg des weltwei-
ten Primärenergieverbrauchs verlangsamt; dies war u. a. auf die schlechte konjunkturelle
Lage der Weltwirtschaft und die z. T. erheblichen Umbrüche und die daraus resultieren-
den Umstrukturierungsprozesse im ehemaligen Ostblock einschließlich der ehemaligen
UdSSR (Sowjetunion) zurückzuführen. Gleichzeitig ist im asiatischen Raum der fossi-
le Primärenergieeinsatz deutlich angestiegen. Gegen Mitte bis Ende der 1990er Jahre
ist es insgesamt wieder zu einem schnelleren Anstieg des weltweiten Primärenergiever-
brauchs gekommen, nachdem sich einzelne Volkswirtschaften nach den Umbrüchen Ende
der 1980er / Anfang der 1990er Jahre wieder neu aufgestellt hatten und wirtschaftliche
Prosperität zeigten. Diese Entwicklung hat sich dann in der ersten Hälfte der Nuller Jahre
(2000 bis 2010) fortgesetzt und z. T. noch verstärkt. In diesem Zeitraum ist es primär auf-
grund der guten wirtschaftlichen Entwicklung und des merklichen Bevölkerungswachs-
tums in Asien – dies gilt insbesondere für die Volksrepublik China – zu einem noch
stärkeren Verbrauchsanstieg gekommen, der nur durch die Finanzkrise 2008/09 kurzfristig
unterbrochen wurde.
Der Gesamtenergieverbrauch an fossilen Energieträgern sowie an Wasserkraft und an-
deren regenerativen Energien (ohne traditionelle Biomassenutzung) wurde im Jahr 2018
zu 34 % durch Erdöl, zu 24 % aus Erdgas, zu 27 % durch Kohlen (d. h. Braun- und Stein-
kohlen), zu 7 % durch elektrische Energie aus Wasserkraft, zu 4 % durch Kernkraft und
zu 4 % aus anderen regenerativen Energien gedeckt. Dabei variieren die Anteile jedoch
erheblich in Abhängigkeit von regionalen und nationalen Gegebenheiten, die aus der
nationalen Energiepolitik bzw. den regional unterschiedlich verfügbaren Primärenergie-
vorkommen resultieren (Abb. 1.3). Beispielsweise wird in Asien ein Großteil der fossilen
Primärenergie durch Kohlen (primär Steinkohlen) bereitgestellt (im Wesentlichen in der
Volksrepublik China), während dieser Energieträger z. B. im Mittleren Osten kaum Be-
deutung hat. Aufgrund der dortigen großen Vorkommen an Erdöl und -gas dominiert hier
der Einsatz von flüssigen und in den letzten Jahrzehnten verstärkt auch gasförmigen fos-
silen Kohlenwasserstoffen; da Erdöl leichter und mit etablierten Logistikketten auf den
internationalen Energiemärkten verkauft werden kann, wird Erdgas hier eher zur Deckung
der heimischen Nachfrage eingesetzt. Entsprechend ist auch der hohe Erdgaseinsatz in
Russland auf die dort vorhandenen großen Vorkommen zurückzuführen.
In den bisher dargestellten Angaben sind nur die auf den kommerziellen Weltenergie-
märkten gehandelten Energieträger (einschließlich der Biokraftstoffe, die im Transport-
sektor eingesetzt werden, wie u. a. Biodiesel und Bioethanol) sowie die Stromerzeugung
1 Einführung und Aufbau 11
250,6
124,8
118,6
37,8
19,3
Reg. Energien
29,4
Kernenergie
Kohle
Erdgas
Abb. 1.3 Weltweiter Primärenergieverbrauch nach Regionen und Energieträgern im Jahr 2018 (Da-
ten nach [1.2]; ohne Berücksichtigung der traditionellen Biomassenutzung mit einem Energieeinsatz
zwischen 56 und 64 EJ (2018))
650
Weitere reg. Energien
600
Unkonventionelle Biomasse
550 Wasserkraft
Primärenergieverbrauch in EJ/a
500 Kernenergie
Gas
450
Öl
400 Kohle
350
300
250
200
150
100
50
0
1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015
Zeit in Jahren
ckung des globalen Primärenergieverbrauches bei. Die Kernenergie hatte im Jahr 1965 mit
weniger als 0,2 % bezogen auf den globalen Primärenergieverbrauch kaum Bedeutung; im
Jahr 2018 wurden damit knapp 4 % der gesamten weltweiten Primärenergienachfrage ge-
deckt. Der Verbrauch von Kohlen ist von 68 EJ (1965) auf knapp 158 EJ (2018) und damit
um den Faktor 2,3 deutlich angestiegen; bezogen auf den gesamten Primärenergieverbrauch
ist er jedoch von rund 34 % im Jahr 1965 auf knapp 25 % im Jahr 2018 zurückgegangen.
Beim Mineralöl stieg der Verbrauch im gleichen Zeitraum von rund 65 EJ (1965) auf knapp
195 EJ (2018) an und hat sich damit etwa verdreifacht; der Anteil am gesamten Primärener-
gieverbrauch ist im gleichen Zeitraum von 38 auf 30 % gefallen. Aufgrund der Berücksich-
tigung der unkonventionellen Biomassenutzung unterscheiden sich diese Angaben von den
üblicherweise ausgewiesenen Anteilen, die sich oft nur auf den fossilen Primärenergieein-
satz – und damit einen Teil des gesamten Energiesystems – beziehen.
Elektrische Energie Die gesamte globale Bruttostromerzeugung lag im Jahr 2018 bei
etwa 26,6 PWh [1.3]; dabei werden etwas mehr als 42 % in den OECD-Staaten und die
verbleibenden knapp 58 % in den Nicht-OECD-Staaten erzeugt. Diese Bruttostromerzeu-
gung war in den letzten Jahrzehnten durch einen erheblichen und weitgehend konstanten
Zuwachs gekennzeichnet; beispielsweise wurden 1985 global nur rund 9,9 PWh erzeugt
und damit nur ca. 37 % bezogen auf die Stromerzeugung im Jahr 2018. Damit stieg die
Bruttostromerzeugung in den Jahren zwischen 1985 und 2018 im Durchschnitt um rund
0,5 PWh/a an (Abb. 1.5).
1 Einführung und Aufbau 13
Gas
20 Öl
Kohle
15
10
0
1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015
Bezogen auf die globale Bruttostromerzeugung im Jahr 2018 resultierten rund 3 % aus
dem Energieträger Erdöl, mehr als 23 % aus Erdgas, etwa 38 % aus Kohlen (Stein- und
Braunkohle), rund 10 % aus der Kernenergie, knapp 16 % aus der Wasserkraft und die ver-
bleibenden rund 10 % aus anderen erneuerbaren Energien. Damit tragen die erneuerbaren
Energien mit über 26 % – und folglich mit etwa einem Viertel – zur Deckung der globalen
Stromnachfrage bei.
Dieser Stromerzeugungsmix war die letzten Jahrzehnte durch stetige Veränderungen
gekennzeichnet. Während der Anteil der Stromerzeugung aus Erdöl sukzessive seit Mit-
te der 1980er Jahre abgenommen hat, ist beim Erdgas und bei den Kohlen (Stein- und
Braunkohlen) ein deutlicher Zuwachs zu verzeichnen; dies gilt relativ und absolut und im
Speziellen für die Kohleverstromung. Demgegenüber ist der absolute Beitrag der Kern-
energie mehr oder weniger konstant geblieben. Im Unterschied dazu wurde die Strom-
erzeugung aus Wasserkraft und aus den sonstigen erneuerbaren Energien in den letzten
Jahren merklich ausgebaut (Abb. 1.5).
Im Folgenden wird die Dimension des Energiesystems der EU-28 dargestellt und disku-
tiert.
Primärenergieverbrauch In der EU-28 wurden 2018 an fossil biogenen und fossil mi-
neralischen Primärenergieträgern (d. h. Erdöl, Erdgas, Kohlen, Kernenergie) rund 61,0 EJ
14 M. Kaltschmitt et al.
eingesetzt [1.2]. Werden zusätzlich noch die regenerativen Energien berücksichtigt, er-
rechnet sich ein gesamter Primärenergieverbrauch von 70,9 EJ (2018); d. h. rund 10 EJ
(2018) stammen aus regenerativen Energien (nicht berücksichtigt wurde dabei der unkon-
ventionelle Biomasseeinsatz und damit die Biomasse, die im Wärmemarkt hauptsächlich
in den ländlichen Gebieten Europas primär zur Wärmebereitstellung eingesetzt wird). Von
diesem gesamten Primärenergieverbrauch entfielen knapp 20 % auf Deutschland, etwas
mehr als 15 % auf Frankreich, knapp über 11 % auf Großbritannien, rund 9 % auf Italien
und etwas mehr als 8 % auf Spanien; der Rest verteilt sich auf die verbleibenden Mitglieds-
staaten der EU-28. Damit wird in diesen 5 Staaten knapp zwei Drittel der in der EU-28
eingesetzten Primärenergie (Erdöl, Erdgas, Kohlen, Kernenergie, regenerative Energien
ohne traditionelle Biomassenutzung) verbraucht.
Dieser Primärenergieverbrauch wurde im Jahr 2018 zu rund 38 % durch Erdöl, zu et-
wa 23 % aus Erdgas, zu ca. 13 % durch Kohlen (Braun- und Steinkohlen), zu rund 11 %
durch elektrische Energie aus Kernkraftwerken, zu knapp 5 % durch Strom aus Wasser-
kraft und zu den verbleibenden knapp 10 % aus sonstigen erneuerbaren Energien (ohne
traditionelle Biomasse) gedeckt. Dabei variieren die Anteile jedoch erheblich in Abhän-
gigkeit der jeweiligen nationalen Gegebenheiten, die aus der jeweiligen Energiepolitik
bzw. den national unterschiedlich vorhandenen und erschließbaren Primärenergievorkom-
men resultieren. Beispielsweise spielt in Frankreich die Kernenergie eine große Rolle im
Stromversorgungssystem und in Österreich trägt die Wasserkraft signifikant zur Deckung
der Nachfrage nach elektrischer Energie bei. Auch wird in Großbritannien vergleichswei-
se viel Erdgas und in Polen relativ gesehen viel Kohle zur Deckung der Nachfrage nach
elektrischer Energie verwendet.
In den letzten Jahrzehnten hat sich dieser Energieträgermix merklich verändert
(Abb. 1.6). Dies gilt insbesondere für Erdgas, das 1965 nur einen Anteil am Gesamt-
verbrauch an fossilen Energieträgern (einschließlich der Kernenergie) von unter 5 %
hatte und 2018 rund 23 % bereitstellte. Beim Mineralöl stieg der Verbrauch im gleichen
Zeitraum von ca. 16,8 EJ (1965) auf rund 27,2 EJ (2018). Damit hat er innerhalb dieser
Zeitspanne um mehr als den Faktor 1,6 zugenommen; der Anteil am Gesamtverbrauch
ist aber mit rund 38 % (2018) näherungsweise gleich geblieben. Im Unterschied dazu ist
der Verbrauch an Kohlen von 21,4 EJ (1965) auf rund 9,3 EJ (2018) deutlich gesunken;
bezogen auf den Gesamtverbrauch an fossilen Energieträgern (Erdöl, Erdgas, Kohlen,
Kernkraft) ging damit der Anteil von knapp 51 % (1965) auf rund 13 % im Jahr 2018
zurück. Demgegenüber hatte die Kernenergie im Jahr 1965 noch fast keine Bedeutung;
im Jahr 2018 wurden damit etwa 11 % der Primärenergienachfrage (d. h. Kohle, Erdöl,
Erdgas, Kernenergie, erneuerbare Energien, ohne traditionelle Biomassenutzung) in der
EU-28 gedeckt.
Elektrische Energie In der EU-28 wurde im Jahr 2018 eine Bruttostromerzeugung von
etwa 3,28 PWh realisiert [1.3] (Abb. 1.7). Diese Bruttostromerzeugung war im Verlauf
der 1980er, der 1990er und der 2000er Jahre – und damit quasi bis zur Weltfinanzkrise
2008/09 – durch einen stetigen und deutlichen Zuwachs gekennzeichnet; danach bewegte
1 Einführung und Aufbau 15
75
Primärenergieverbrauch in EJ/a
60
45
Weitere reg. Energien
Wasserkraft
Kernenergie
Gas
30
Öl
Kohle
15
0
1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015
Abb. 1.6 Primärenergieverbrauch in der Europäischen Union nach Energieträger (reg. regenerative;
ohne Kroatien und Slowenien bis 1990; Daten u. a. nach [1.2])
3,4
3,2
3
2,8
Bruttostromerzeugung in PWh/a
2,6
2,4
2,2
2
1,8
1,6
1,4
1,2
1
Weitere reg. Energien
0,8
Wasserkraft
0,6 Kernenergie
0,4 Gas
Öl
0,2
Kohle
0
1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015
Abb. 1.7 Entwicklung der Bruttostromerzeugung in der EU-28 nach Energieträger (ohne Kroatien
und Slowenien bis 1990; reg. regenerative; Daten u. a. nach [1.2])
Bezogen auf die Bruttostromerzeugung im Jahr 2018 resultierten unter 2 % aus Erdöl,
knapp 19 % aus Erdgas, ca. 20 % aus Kohlen (Stein- und Braunkohle), rund 25 % aus der
Kernenergie, etwa 10 % aus der Wasserkraft und die verbleibenden rund 23 % aus anderen
erneuerbaren Energien (u. a. Windkraft, Photovoltaik, Biomasse). Damit tragen die erneu-
erbaren Energien mit über 33 % – und damit mit etwa einem Drittel – zur Deckung der
Stromnachfrage in der EU-28 bei.
Dieser Stromerzeugungsmix war die letzten Jahrzehnte durch merkliche Veränderun-
gen gekennzeichnet. Der Anteil der Stromerzeugung aus Erdöl hat deutlich abgenommen
und ist heute nahezu bedeutungslos. Erdgas hatte zunächst merkliche Anteile am Strom-
erzeugungsmix gewonnen und dann in den letzten Jahren z. T. wieder verloren. Auch
Kohle hat relativ Marktanteile verloren; gleiches gilt – wenn auch in einem begrenzte-
ren Ausmaß – auch für die Kernenergie. Demgegenüber haben die erneuerbaren Energien
in den letzten Jahren merklich an Marktbedeutung gewonnen (Abb. 1.7).
Im Folgenden wird die Dimension des Energiesystems Deutschland dargestellt und dis-
kutiert.
Erdgas
24,3 %
Erdöl
36,2 %
1 Einführung und Aufbau 17
16
14
Primärenergieverbrauch in EJ/a
12
10
Stroms (elektrische Energie), zu geringeren Anteilen auch in der Fernwärme (z. B. aus
biogenen Festbrennstoffen, aus Biogas) und letztlich auch in den Kraftstoffen (u. a. Bio-
diesel, Bioethanol, Biogas). Bezogen auf den gesamten Endenergieverbrauch nehmen sie
einen durchaus energiewirtschaftlich relevanten Anteil ein (siehe oben).
Kernenergie
12,0 % Sonstige
2,4 %
Offshore Windkraft
Steinkohle 3,1 %
13,1 % Photovoltaik
7,3 %
Regenerative
Energien 35,9 %
Biomasse
Onshore Windkraft 7,1 %
Braunkohle 14,5 %
23,1 %
Wasserkraft
3,8 %
Erdgas
13,5 %
Abb. 1.10 Bruttostromerzeugung in Deutschland 2018 nach Energieträger (Daten u. a. nach [1.2])
1 Einführung und Aufbau 19
600
Bruttostromerzeugung in TWh/a
500
400
300
Abb. 1.11 Entwicklung der Bruttostromerzeugung in Deutschland nach Energieträger (reg. regene-
rative; Daten u. a. nach [1.2])
veränderte sich auch der Erzeugungsmix. Beispielsweise stammte 1950 in den alten Bun-
desländern jeweils rund ein Viertel der Brutto-Erzeugung der öffentlichen Versorgung
aus Wasserkraft- und Braunkohlekraftwerken und knapp die Hälfte aus mit Steinkoh-
len gefeuerten Kraftwerken; z. B. lag 1995 der Anteil der Wasserkraft (d. h. Erzeugung
aus Lauf- und Speicherwasserkraftwerken sowie aus Pumpspeicherkraftwerken) an der
Bruttostromerzeugung der öffentlichen Versorgung in den alten Bundesländern bei 5,0 %,
der der Braun- bzw. Steinkohlen bei 20,2 bzw. 29,6 %, der der Kernenergie bei 38,4 %
und der des Erdgases bei 4,7 %. Absolut gesehen wurde damit dieser Verbrauchsanstieg
an elektrischer Energie in den alten Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland im
Wesentlichen zunächst aus Stein- und Braunkohlen und später zunehmend aus der Kern-
energie gedeckt. Infolge der Setzung der energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen
(insbesondere durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG)) wurde in den Nuller Jahren
(2000 bis 2010) der Anteil der Bruttostromerzeugung aus regenerativen Energien auf mehr
als 20 % (2011) gesteigert. Dabei wurde im Wesentlichen die Windenergie, die Biomasse
und in diesem Jahrzehnt auch die Photovoltaik deutlich weitergehend genutzt. Zusätzlich
wurde 2011 der Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen (sogenannte Energiewende). In
den Jahren seit 2010 wurde die Nutzung des erneuerbaren Energieangebots dann wei-
ter ausgebaut. Dies gilt für nahezu alle Optionen; jedoch waren die absolut höchsten
Zuwächse bei der Windkraft – hier wurde die Offshore-Windstromerzeugung sukzessi-
ve entwickelt – und bei der Photovoltaik zu verzeichnen. Die Biomasse war nur durch
geringe Zuwächse gekennzeichnet und die Geothermie ist nach wie vor näherungsweise
vernachlässigbar.
20 M. Kaltschmitt et al.
Im Folgenden wird die Dimension des Energiesystems Österreich dargestellt und disku-
tiert.
Wasserkraft
9,8 %
Erdöl
40,5 %
Erdgas
22,6 %
1 Einführung und Aufbau 21
1,4
1,2
Primärenergieverbrauch in EJ/a
0,8
0,6
Weitere reg. Energien
Wasserkraft
0,4 Gas
Öl
Kohle
0,2
0
1990 1995 2000 2005 2010 2015
auch für die Wasserkraft und die weiteren erneuerbaren Energien. Im Unterschied dazu
hat die Kohle sowohl absolut als auch relativ an Anteilen im Energiesystem verloren.
Der Endenergieeinsatz im Energiesystem Österreichs war – ähnlich dem Verbrauch an
Primärenergie – im Verlauf der letzten vier Jahrzehnte erheblichen Veränderungen un-
terworfen. Er ist abgesehen von verschiedenen konjunkturell bedingten Einbrüchen zwi-
schen 1950 und 2004 weitgehend kontinuierlich angestiegen. Dabei war dieser Zeitraum
gekennzeichnet durch einen Energieträgermix, der sich weg von der Kohle als Endener-
gieträger hin zu Erdöl, Erdgas, elektrischer Energie und erneuerbaren Energien entwickelt
hat. Seit 2004 ist der Anteil an Erdöl ebenfalls zurückgegangen und wurde primär durch
Fernwärme und erneuerbare Energien substituiert. Auch ist der Verbrauch an Kohlen heu-
te sehr gering. Umgekehrt hat der Kraftstoffverbrauch in den letzten Jahrzehnten deutlich
zugenommen.
Elektrische Energie Die gesamte Bruttostromerzeugung in Österreich lag 2018 bei etwa
rund 64 TWh (brutto) (Abb. 1.14) [1.3]. Dabei resultierten etwa 9,9 TWh (2018) aus Erd-
gas (Anteil: 14,5 %), 3,6 TWh (2018) aus Steinkohlen (Anteil: 5,3 %), 0,64 TWh (2018)
aus Erdöl (Anteil: 1,0 %), geringe Mengen aus sonstigen Energien und der verbleibende
Rest aus erneuerbaren Energien (einschließlich sonstige Energieträger) (Anteil: 77,6 %).
Dabei wurden bei den erneuerbaren Energien rund 37,5 TWh (2018) aus der Wasserkraft
und etwa 12,2 TWh (2018) aus anderen erneuerbaren Energien erzeugt. Damit tragen
die erneuerbaren Energien 2018 mit über vier Fünfteln zur Deckung der Stromnachfra-
ge in Österreich bei. Dabei stammten 2018 rund 5,8 TWh aus Windenergie, 3,5 TWh
22 M. Kaltschmitt et al.
Sonstiges
1,6 % Regenerative
Erdöl
1,0 % Energien 77,6 % Photovoltaik
2,1 %
Steinkohle
5,3 %
Windkraft
8,8 %
Erdgas
14,5 % Biomasse
6,7 %
Wasserkraft
60,1 %
Abb. 1.14 Bruttostromerzeugung in Österreich 2018 nach Energieträger (Daten u. a. nach [1.2])
70
60
Bruttostromerzeugung in TWh/a
50
20
10
0
1990 1995 2000 2005 2010 2015
Abb. 1.15 Entwicklung der Bruttostromerzeugung in Österreich nach Energieträger (reg. regenera-
tive; Daten u. a. nach [1.2])
aus der Biomasse (d. h. feste Biomasse, Biogas, Pflanzenöl-BHKW), 37,7 TWh aus Was-
serkraft (davon 24,1 TWh aus Laufkraftwerken und der Rest aus Speicherkraftwerken),
1,4 TWh aus der Photovoltaik und 2,1 TWh aus Müll und anderen regenerativen Energien.
Abb. 1.14 zeigt die entsprechenden Anteile.
Dieses Aufkommen an elektrischer Energie in Österreich war in den letzten Jahrzehn-
ten starken Veränderungen unterworfen (Abb. 1.15). Beispielsweise kam es zwischen
1950 und 2018 zu einer Vervierzehnfachung des Inlandsstromverbrauchs. Gleichzeitig
veränderte sich auch der Erzeugungsmix. Beispielsweise stammte 1950 rund 80 % der
1 Einführung und Aufbau 23
Martin Kaltschmitt
Die Bereitstellung von End- bzw. Nutzenergie aus regenerativer oder erneuerbarer Ener-
gie ist möglich auf der Basis von Energieströmen, die durch die Massenanziehung und
die Bewegung von Himmelskörpern, durch die in der Erde gespeicherte bzw. von ihr frei-
gesetzte Wärme (d. h. geothermische Energie) und insbesondere durch die von der Sonne
eingestrahlte Energie (d. h. Solarstrahlung) hervorgerufen werden (Kapitel 2.1). Daraus
resultiert eine sehr große Bandbreite des auf der Erde potenziell nutzbaren regenerativen
Energieangebots u. a. hinsichtlich der Energiedichte sowie der zeitlichen und räumlichen
Variationen des Energieangebots – und damit oft zwingend auch der daraus gewinnba-
ren Sekundär- oder Endenergieträger bzw. der bereitstellbaren Endenergie. Entsprechend
muss jede Option zur Nutzbarmachung dieser regenerativen Energieströme bzw. -träger an
die entsprechende Charakteristik des jeweiligen Energieangebots angepasst sein; daraus
resultiert die erhebliche Variationsbreite dessen, was an Nutzungstechniken gegenwärtig
und u. U. zukünftig verfügbar bzw. möglich ist.
Im Folgenden werden die verschiedenen Quellen des regenerativen Energieangebots
eingeordnet. Dann wird diskutiert, welche daraus resultierenden Optionen zur Nutzung
dieses Energieangebots im Rahmen der weiteren Ausführungen dieses Buches näher be-
trachtet werden.
Aus den drei Quellen des regenerativen Energieangebots (Solarenergie, Erdwärme, Mas-
senanziehung und Bewegung von Himmelskörpern) werden durch z. T. sehr verschieden-
artige natürliche Umwandlungen innerhalb der Erdatmosphäre eine ganze Reihe völlig un-
24 M. Kaltschmitt et al.
Solarth. Wärmebereitst.
Wärmepumpe Mechanische
Verdunstung und
Energie
Niederschlag Wasserkraftwerk
Schmelzen Gletschereiskraftwerk
Wind Windenergiekonverter
Wellenbewegung Wellenkraftwerk
Meeresströmung Meeresströmungskraftwerk
Bioproduktion Konversionanlage
Massenanziehung
Elektrische
und Bewegung von Gezeiten Gezeitenkraftwerk
Energie
Himmelskörpern
Abb. 1.16 Ausgewählte Möglichkeiten zur Nutzung des regenerativen Energieangebots (links
(hellste Graustufe): regenerative Energiequellen, links, Mitte (dunkelste Graustufe): natürliche Um-
wandlung; rechts, Mitte (keine Graustufe): technische Umwandlung; rechts (mittlere Graustufe):
Endenergie; Solarth. Wärmebereitst. Solarthermische (Niedertemperatur-)Wärmebereitstellungsan-
lage; Solarthermisches Kraftwerk beinhaltet unterschiedliche Techniken bzw. Verfahren wie u. a.
Solarturmkraftwerk, Parabolrinnen-Kraftwerk oder Aufwindkraftwerk; Konversionsanlage für Bio-
masse inkludiert eine Vielzahl unterschiedlichster Techniken und Verfahren; nach [1.1])
Mit entsprechend angepassten Techniken können die einzelnen Energieströme bzw. Ener-
gieträger für den Menschen nutzbar gemacht und jeweils in einen Sekundär- oder Endener-
gieträger bzw. in Nutzenergie umgewandelt werden. Dabei variieren sowohl die entspre-
chenden Nutzungstechniken als auch deren Entwicklungsstand und die jeweils gegebenen
Perspektiven erheblich. Auch sind nicht alle Möglichkeiten überall bzw. unter allen gege-
benen Rand- und Rahmenbedingungen technisch sinnvoll einsetzbar.
Oft ist deshalb die Nutzung einer bestimmten regenerativer Energie bzw. eines spe-
ziellen Energiestroms nur für eine sehr begrenzte Anzahl von Umwandlungsmöglichkei-
ten technisch sinnvoll; nur diese aus gegenwärtiger Sicht vielversprechenden technischen
Nutzungsoptionen werden bei den folgenden Ausführungen näher betrachtet. Dazu zählen
Mit Ausnahme der Nutzung der Biomasse werden alle diese Möglichkeiten zur Nut-
zung des regenerativen Energieangebots im Rahmen dieses Buches ausführlich dargestellt
und diskutiert (Kapitel 3 bis 9). Zusätzlich wird kursorisch auf ausgewählte Optionen
einer Nutzung der Solarstrahlung über Kollektorsysteme zur Stromerzeugung (d. h. So-
larturmkraftwerke, Solarfarmanlagen, Dish / Stirling-Anlagen, Aufwindkraftwerke, Solar-
teichsysteme) und zur Nutzbarmachung der Energien des Meeres (u. a. Meereswärmeener-
gie, Gezeitenenergie, Meeresströmungsenergie) eingegangen. Auch werden die Möglich-
keiten der Biomassennutzung und damit der photosynthetisch fixierten Energie kurz im
Anhang dargestellt; eine detailliertere und umfassende Beschreibung der Möglichkeiten
einer energetischen Nutzung von organischen Stoffen findet sich in [1.4].
Viele Optionen zur Nutzung erneuerbaren Energien sind systembedingt durch z. T.
erhebliche räumliche und zeitliche Variationen gekennzeichnet, die – infolge der ange-
botsabhängigen Erzeugung – nur durch entsprechende Energienetze und / oder Speicher-
systeme zur Deckung der ebenfalls räumlichen und zeitlichen Schwankungen unterworfe-
nen Energienachfrage – im Rahmen entsprechender Energieversorgungssysteme – genutzt
werden können. Deshalb wird zusätzlich auf die Grundlagen elektrischer und thermischer
Energienetze sowie auf die wesentlichen Möglichkeiten zur Speicherung elektrischer und
thermischer Energie eingegangen. Beispielsweise ist ohne eine Speicherung der angebots-
orientiert verfügbaren regenerativen Energieströme eine sichere und verlässliche Deckung
einer definierten Versorgungsaufgabe mit einer hohen Versorgungssicherheit kaum mög-
lich. Außerdem werden Netze benötigt, damit die thermische und / oder elektrische Ener-
gie vom Ort der Bereitstellung zum Standort der Nachfrage transportiert werden kann.
Damit sind sowohl Netze als auch Speicher wesentliche Komponenten, die Energiever-
sorgungssysteme auf der Basis einer alleinigen Nutzung angebotsorientierter erneuerbarer
Energien – oder entsprechend hohen Anteilen an angebotsorientierten regenerativen Ener-
gien in fossil-regenerativen Mischsystemen – letztlich erst ermöglichen.
Martin Kaltschmitt
Aufgrund dieser Vielzahl unterschiedlicher Möglichkeiten zur Nutzung der Quellen des
regenerativen Energieangebots zur Deckung der End- bzw. Nutzenergienachfrage ist ei-
ne vergleichbare Darstellung der verschiedenen Techniken problematisch und z. T. auch
1 Einführung und Aufbau 27
Für die Möglichkeiten und Grenzen einer Technik zur Nutzbarmachung des regenerati-
ven Energieangebots sind die jeweiligen physikalisch-technischen Zusammenhänge der
Energiewandlung bestimmend. Sie werden deshalb für die betrachteten Nutzungsmög-
lichkeiten jeweils detailliert dargestellt und entsprechend anwendungsorientiert diskutiert.
Soweit möglich, werden dazu u. a. theoretisch maximale Wirkungsgrade angegeben. Die-
se Größe ist definiert als das Verhältnis zwischen der physikalisch maximal abgebbaren
Nutzleistung und der dazu eingesetzten Leistung.
Für unterschiedliche Optionen zur Nutzung des erneuerbaren Energieangebots sind
z. T. vergleichbare biologische, physikalische, chemische und / oder technische Grundla-
gen gültig. Sie werden im Rahmen der folgenden Ausführungen aber nur einmal disku-
tiert. Sollten die entsprechenden Grundlagen zusätzlich bei einer anderen Wandlungsop-
tion zur Nutzung des regenerativen Energieangebots zum Tragen kommen, wird auf die
jeweilige Textstelle in dem entsprechenden anderen Kapitel verwiesen. Beispielsweise
sind die physikalischen Effekte einer Strahlungsadsorption, -reflexion und -transmissi-
on für die passive Sonnenenergienutzung und die aktiven Systeme beispielsweise zur
Niedertemperaturwärmebereitstellung aus eingestrahlter Solarenergie gleichermaßen be-
stimmend; sie werden aber nur einmal diskutiert.
sentlich sind. Die entsprechenden Systemgrenzen der Betrachtung sind dabei immer das
verfügbare regenerative Energieangebot (z. B. Windenergie vor der Windkraftanlage, So-
larstrahlung auf den Kollektor) einerseits und die bereitstellbare Sekundär- bzw. Endener-
gie (z. B. elektrische Energie frei Windkraftanlage, Niedertemperaturwärme zur Deckung
der Wärmenachfrage).
Wärmebereitstellung Für die Optionen zur Wärmebereitstellung werden eine Reihe un-
terschiedlicher Versorgungsaufgaben definiert, da es keine überregionalen Verteilnetze
von Wärme gibt und die Wärmebereitstellung immer im Kontext mit der sicheren Versor-
gung eines Verbrauchers mit thermischer Energie (d. h. Raumwärme sowie Brauchwarm-
wasser) gesehen werden muss. Dazu werden nachfolgend verschiedene Modellgebäude
festgelegt. Zusätzlich wird das jeweilige regenerative Energieangebot, das mit den ent-
sprechend festgelegten Referenzanlagen genutzt werden kann, definiert. Hierzu werden
zwei Gebäudetypen (d. h. „Einfamilienhaus (EFH)“ und „Mehrfamilienhaus (MFH)“; Ta-
belle 1.1 und 1.2) mit jeweils unterschiedlichen Wärmedämmstandards festgelegt. Diese
Gebäudetypen unterscheiden sich sowohl in ihrer Wohnfläche als auch in der Anzahl der
jeweiligen Bewohner. Die Wärmedämmstandards sind bei beiden Gebäudetypen identisch
und repräsentieren Neubauten nach dem Passivhaus-Standard (EFH 0, MFH 0), nach un-
terschiedlichen Niedrigenergiehaus-Standards (EFH I bis EFH III, MFH I bis MFH III)
und nach einem Altbau mit einem Baujahr von ca. 1965 (EFH IV, MFH IV).
Auf dieser Grundlage wird aus der definierten Wohnfläche und der spezifischen Heiz-
wärmenachfrage die Nutzenergienachfrage der jeweiligen Gebäude ermittelt. Anschlie-
ßend wird daraus die Normheizlast berechnet, die ein Maß für die maximal im Jahres-
verlauf auftretende Heizleistung ist und zur Auslegung heiztechnischer Anlagen dient.
Zusätzlich wird die Nutzenergie zur Warmwasserbereitung auf Basis der spezifischen
Warmwasserwärmenachfrage berechnet; diese Energienachfrage ist im Jahresverlauf kei-
nen jahreszeitlichen Unterschieden unterworfen.
1 Einführung und Aufbau 29
Tabelle 1.1 Versorgungsaufgaben für eine Wärmebereitstellung bei den untersuchten Einfamilien-
häusern (EFH)
Einfamilienhaus (EFH) 0 I II III IV
2
Wohnfläche in m 150 150 150 150 150
Wohneinheiten (WE) 1 1 1 1 1
Anzahl Bewohner 3 3 3 3 3
Raumwärmenachfrage in MJ/(m2 a) 54 99 126 180 504
in GJ/a 8,1 14,9 18,9 27,0 75,6
Trinkwarmwasserwärmenachfrage in MJ/(m2 a) 45 45 45 45 45
in GJ/a 6,8 6,8 6,8 6,8 6,8
Summe Wärmenachfrage in GJ/a 14,8 21,6 25,6 33,7 82,3
Normheizlast in kW 1,8 3,0 4,0 5,0 13,0
Wärmeübergabe Fa Fa Fa Fa Rb
Vorlauf / Rücklauf in ı C 35/28 35/28 35/28 35/28 70/55
a
Fußbodenheizung; b Radiatorenheizung.
Tabelle 1.2 Versorgungsaufgaben für eine Wärmebereitstellung bei den untersuchten Mehrfamili-
enhäusern (MFH)
Mehrfamilienhaus (MFH) 0 I II III IV
Wohnfläche in m2 780 780 780 780 780
Wohneinheiten (WE) 12 12 12 12 12
Wohnfläche je WE in m2 /WE 65 65 65 65 65
Anzahl Bewohner 24 24 24 24 24
Raumwärmenachfrage (Gebäude) in MJ/(m2 a) 54 95 121 173 396
in GJ/a 42,1 74,1 94,4 134,9 308,9
Trinkwarmwasserwärmenachfrage in MJ/(m2 a) 58 58 58 58 58
in GJ/a 45,2 45,2 45,2 45,2 45,2
Summe Wärmenachfrage in GJ/a 87,3 119,3 139,6 180,1 354,1
Normheizlast in kW 7,8 19 22 29 57
Wärmeübergabe Fa Fa Fa Fa Rb
Vorlauf / Rücklauf in ı C 35/28 35/28 35/28 35/28 70/55
a
Fußbodenheizung; b Radiatorenheizung.
Als Verteilnetz für Raumwärme wird bei den Neubauten (EFH 0, I, II und III, MFH 0,
I, II und III) eine Fußbodenheizung mit Vorlauf- und Rücklauftemperaturen von 35
und 28 ı C angenommen. Bei den Bestandsgebäuden werden „klassische“ Radiatoren
zur Übergabe der Heizwärme in den Raum unterstellt, die mit Vorlauftemperaturen von
70 ı C und Rücklauftemperaturen von 55 ı C betrieben werden. Dies wird – da außer-
halb der hier definierten Systemgrenzen – bei der ökonomischen und der ökologischen
Analyse nicht direkt berücksichtigt, nimmt aber durch entsprechend unterschiedliche
Verluste zwischen Energienachfrage (d. h. Abgabe an den Raum bzw. an der Zapfstelle)
und dem korrespondierenden Endenergieaufwand (d. h. Verbrauch eines Energieträgers /
eines Energieflusses) in der Systemauslegung Einfluss auf das Ergebnis. Für die Trink-
bzw. Brauchwarmwasserbereitstellung wird von einer Warmwassernachfrage von rund
30 L/(Person d) bei einer Wassertemperatur von ca. 60 ı C bei Trinkwarmwasserspeichern
und von etwa 50 ı C bei Systemen mit Pufferspeichern ausgegangen.
Bei den untersuchten Nahwärmesystemen handelt es sich um drei Systeme für eine
ausschließliche Wärmeversorgung von Wohngebäuden, die einer Mischung der in den Ta-
bellen 1.1 und 1.2 definierten Nachfrager entsprechen. Die Wärmeverteilung in diesen
Netzen erfolgt mit einer durchschnittlichen Vorlauftemperatur von 70 ı C und einer Rück-
lauftemperatur von 50 ı C. Die Nahwärmenetze werden als Kunststoffmantelrohre mit
einem Mediumrohr aus Stahl, indirekter Netzanbindung und einer Brauchwarmwasser-
zwischenspeicherung in den jeweils versorgten Gebäuden ausgeführt. Die energetischen
Kenndaten der entsprechenden Wärmeverteilnetze zeigt Tabelle 1.3. Da es durch die Ver-
teilnetze zu Übertragungsverlusten – u. a. auch infolge der Verluste an den Hausüberga-
bestationen und am Warmwasserspeicher in den zu versorgenden Gebäuden – kommt, ist
die vom Heizwerk bereitzustellende Wärme (d. h. Wärme frei Heizwerk) größer als die
Summe der Wärmenachfrage aller angeschlossenen Verbraucher. Bei einem durchschnitt-
lichen Nutzungsgrad des Wärmeverteilnetzes von 85 % sowie der Hausübergabestationen /
Trinkwarmwasserbereitung von 95 % liegt diese vom Heizwerk bereitzustellende Wärme
bei 9,9 (NW I), 32,2 (NW II) sowie 64,4 TJ/a (NW III).
Strombereitstellung Bei den Systemen zur Strombereitstellung wird keine definierte Ver-
sorgungsaufgabe festgelegt, die mit einer bestimmten Versorgungssicherheit gedeckt wer-
1 Einführung und Aufbau 31
den muss. Damit wird hier als Systemgrenze der jeweilige Einspeisepunkt in das Netz der
öffentlichen Versorgung unterstellt; d. h. die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien
trägt mit einem bestimmten Anteil zur Deckung der gesamten Stromnachfrage eines be-
stimmten (großen) Versorgungsgebietes bei, das durch eine entsprechende Netzinfrastruk-
tur erschlossen ist (d. h. derzeitige Situation). Aspekte einer möglicherweise notwendigen
Netzverstärkung und ggf. anzudenkenden Veränderungen im konventionellen Kraftwerks-
park bleiben damit ebenso wie u. U. benötigte zusätzliche Kurz- und Langfristspeicher
für elektrische Energie (z. B. Pumpspeicher, Druckluftspeicher, Wasserstoffspeicher) au-
ßerhalb der hier realisierten Betrachtungen. Auch Fragen möglicher Kapazitätseffekte
bzw. der zur Gewährleistung der sicheren Deckung einer definierten Versorgungsaufga-
be notwendigen Eigenschaften des Versorgungssystems liegen damit außerhalb der hier
angestellten Untersuchungen.
i .1 C i/L
Ij D Iges (1.1)
.1 C i/L 1
oder Biomasse, die aus technischer Sicht – vergleichbar zu Kraftwerken auf der Basis fos-
siler Energieträger – nachfrageorientiert elektrische Energie bereitstellen können, da tiefe
Erdwärme und unter bestimmten Bedingungen auch Biomasse – ähnlich wie Kohlen oder
Erdgas – ein Energievorrat und kein Energiestrom / Energiefluss darstellen, wie es u. a. bei
der Solarstrahlung und der Windenergie der Fall ist.
Obwohl auch Stromerzeugungsanlagen, die das schwankende Energieangebot von
Sonne, Wind und Wasser nutzen, unter bestimmten Bedingungen nachfrageorientiert
betrieben werden können (z. B. gedrosselter Betrieb von Windkraftanlagen), werden
sie infolge der beispielsweise in Deutschland derzeit gültigen energiewirtschaftlichen
Rahmensetzung (Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG)) normalerweise mit dem Ziel der
Maximierung der Stromerzeugung – und damit der Erzielung einer maximalen Vergü-
tung – gefahren; d. h. die technisch nutzbare regenerative Primärenergie wird möglichst
maximal ausgenutzt. Die im Verbund damit betriebenen konventionellen Kraftwerke
stellen dagegen mit der ihnen vom Lastverteiler zugewiesenen Aufgabe (Bereitstellung
von Grundlast, Mittellast oder Spitzenlast bzw. Regelleistung) entsprechenden Volllast-
stundenzahlen exakt so viel elektrische Energie bereit, dass genau die aktuell gegebene
Nachfrage sicher gedeckt und somit die Netzfrequenz konstant auf dem Sollwert von
50 Hz gehalten werden kann.
Deshalb sagt ein direkter Vergleich der Stromgestehungskosten frei Einspeisestelle ins
Netz der öffentlichen Versorgung zwischen Anlagen auf der Basis fossiler Energieträ-
ger und angebotsabhängiger regenerativer Energien strenggenommen noch nichts über
die wirtschaftliche Vorteilhaftigkeit einer Stromerzeugungstechnologie im Vergleich zu
einer anderen Technologie aus. Letztlich dürfen – mit dem Ziel eines fairen Vergleiches
der jeweiligen Stromgestehungskosten – nur die spezifischen Kosten zur Deckung einer
definierten Versorgungsaufgabe mit einer festzulegenden Versorgungssicherheit gegen-
übergestellt werden. Darauf wird hier aber verzichtet.
Umwelteffekten, die mit Hilfe einer Lebenszyklus- oder Lebensweganalyse bzw. Öko-
bilanz quantifizierbar sind (bei dieser Umweltbewertungsmethode werden neben den
Umwelteffekten infolge der eigentlichen Konversionsanlage auch die der Anlagener-
richtung und -entsorgung sowie der jeweils vor- und ggf. nachgelagerten Prozesse (u. a.
Stahlherstellung, Bereitstellung der zum Bau benötigten Treib- und Brennstoffe bei-
spielsweise auf der Basis fossiler Energieträger) berücksichtigt) und
34 M. Kaltschmitt et al.
Sachbilanz Auswertung
Wirkungsabschätzung
Elementarflüsse sind definiert als Stoff- oder Energieströme, die aus der Umgebung in
das untersuchte System eintreten (z. B. Luft, Wasser) bzw. vom untersuchten System
an die Umgebung abgegeben werden (z. B. luftgetragene Emissionen wie Staub oder
Kohlenstoffdioxid), ohne danach bzw. zuvor durch menschliche Einflüsse verändert zu
werden [1.7, 1.8].
Produktflüsse können Input- (z. B. Stahl, Zement, Kohle, Transportdienstleistungen,
Instandhaltungsarbeiten) und Outputströme (z. B. Stahl aus Stahlwerk, Zement aus
Drehrohrofen) darstellen; d. h. derartige Produktflüsse wurden vor diesem Prozess z. T.
bereits technisch verändert und können nach Durchlaufen des aktuellen Prozesses wei-
tergehend durch andere technische Prozesse beeinflusst werden.
Da der Produktinput eines Prozesses aus dem Produktoutput eines anderen Prozesses
gebildet wird, und der Output dieses Prozesses üblicherweise wiederum Input eines an-
deren Prozesses ist, kann eine Prozesskette gebildet werden. Dies kann realisiert werden,
indem man die Prozesse, welche den Lebensweg eines Produktes darstellen, entsprechend
miteinander verbindet (Abb. 1.18). Jeder Prozess ist demnach durch Produktflüsse (d. h.
Inputs (z. B. Stahl, Beton) und Outputs (z. B. ein Fundament)) sowie in das System ein-
und austretende Elementarflüsse gekennzeichnet.
Prinzipiell ist mit einer derartigen Prozesskettenanalyse eine sehr hohe Genauigkeit
der Bilanzierung erreichbar, die von der Verfügbarkeit der Daten, den Kenntnissen über
(Zwischen-)Produkte und Prozesse sowie der Analysetiefe abhängt. Dementsprechend ist
die Prozesskettenanalyse ein sehr arbeitsaufwändiges Verfahren. Um den Bilanzierungs-
aufwand zu begrenzen und zu plausiblen und interpretierbaren Ergebnissen zu kommen,
müssen daher zwingend Systemgrenzen definiert werden. Dadurch werden beispielsweise
vor- und nachgelagerte Prozesse, die keinen relevanten Einfluss auf das Bilanzergebnis
haben, nicht oder nur sehr rudimentär berücksichtigt (z. B. Aufwendungen für den die
Anlage planenden Ingenieur).
Die Ergebnisse derartiger Lebenszyklusbilanzen können mithilfe unterschiedlicher
Umweltkenngrößen zusammengefasst werden. Nachfolgend werden die hier ausgewiese-
nen Größen definiert.
36 M. Kaltschmitt et al.
.........
.......
......
Fundament
Kies
Beton Bau
Zement Rotor
Stahl
Prozess
Output
Input (Produktfluss)
Abriss
Prozess
Elementarfluss
Unter dem Verbrauch erschöpflicher oder fossiler Energieträger wird hier der Ver-
brauch fossil biogener (d. h. Erdöl, Erdgas, Steinkohlen, Braunkohlen) und fossil mi-
neralischer Energieträger (d. h. Uran) verstanden. Berücksichtigt werden dabei neben
dem unmittelbaren Energieeinsatz (z. B. Energieinhalt des verfeuerten Erdöls) auch die
indirekten Aufwendungen, die bei der Herstellung der Anlagen (z. B. Bau des Kraft-
werks, Bau und Betrieb der Anlagen für Brennstoffförderung und -aufbereitung (u. a.
Raffinerie), Transport, Abriss) in den vorgelagerten Prozessketten anfallen. Das Ergeb-
nis einer derartigen Energiebilanz kann als „Verbrauch erschöpflicher (fossiler) Ener-
gieträger“ bzw. „primärenergetisch bewerteter kumulierter fossiler Energieaufwand“
bezogen auf die jeweils bereitgestellte End- bzw. Nutzenergie zusammengefasst wer-
den. In den folgenden Ausführungen wird dieser Indikator oft verkürzt als „Energie“
bezeichnet; dies kann missverständlich sein, da „Energie“ im Sinne dieses Wirkungs-
indikators nicht die gesamte innerhalb der Systemgrenzen befindlichen Energieströme
beinhaltet, sondern nur die der jeweils eingesetzten fossilen Energieträger, da nur deren
Nutzung mit einem Verbrauch endlicher Ressourcen (Reserven an z. B. Erdöl, Erdgas,
Kohlen) verbunden ist. Die unterschiedlichen fossilen Energieträger werden dabei über
ihren (unteren) Heizwert zu diesem Indikator aggregiert. Uran wird mit der Energie
bewertet, die mit Uranbrennstäben in einem modernen Kernkraftwerk in Form elektri-
scher Energie erzeugt werden kann (Wirkungsgrad von 33 %).
Eine Möglichkeit zur Energienachfragedeckung kann aus Sicht der damit verursachten
Umwelteffekte auch durch die im Verlauf des gesamten Lebensweges freigesetzten um-
weltwirksamen Stoffe beschrieben werden. Dazu werden neben den direkten Emissio-
nen der Konversionsanlage (z. B. Feinstaubemissionen einer Biomassefeuerung) auch
die in den vor- und ggf. nachgelagerten Prozessen (d. h. bei Bau, Betrieb und Ab-
riss) der Anlage freigesetzten luftgetragenen Stoffe berücksichtigt. Da im Verlauf eines
1 Einführung und Aufbau 37
Die Erarbeitung der Ökobilanzen erfolgt rechnergestützt. Bezüglich der zugrunde lie-
genden Basisdaten wird auf vorhandene Datenbanken (z. B. [1.9]) zurückgegriffen, in
denen die mit der Bereitstellung von energetischen und nicht energetischen Rohstoffen
anfallenden kumulierten Energieaufwendungen und Emissionen verfügbar gemacht wer-
den.
Zusätzlich werden für die einzelnen untersuchten Optionen die energetischen Potenziale
und die Nutzung des regenerativen Energieangebots auf einzelstaatlicher, europäischer
und globaler Ebene diskutiert.
Theoretisches
Potenzial
Technisches
Potenzial
Nachhaltiges
Potenzial
Wirtschaftliches
Potenzial
Erschließbares
Potenzial
Technisches Potenzial Die technischen Potenziale beschreiben den Anteil des theoreti-
schen Potenzials, der unter Berücksichtigung gegebener technischer Randbedingungen
nutzbar ist. Zusätzlich werden u. a. strukturelle Restriktionen sowie ggf. vorhandene ge-
setzliche und damit gesellschaftlich i. Allg. fest verankerte Vorgaben (z. B. Nutzungsre-
striktionen in Nationalparks) berücksichtigt, da sie letztlich auch – ähnlich den technisch
bedingten Eingrenzungen – aus heutiger Sicht „unüberwindbar“ sind. Nicht berücksichtigt
40 M. Kaltschmitt et al.
Bei einer ausschließlich auf Deutschland bezogenen Betrachtung (d. h. keine Ein-
bettung in den europäischen Stromverbund und damit kein Austausch elektrischer
Energie über die Landesgrenzen) resultiert das Endenergie- oder Nachfragepoten-
zial aus dem Erzeugungspotenzial abzüglich von etwaigen Speicherverlusten (d. h.
möglicher Ausgleich von Angebot und Nachfrage mit den vorhandenen Pumpspei-
cherkapazitäten), den jeweiligen Netzverlusten (d. h. Verluste zwischen dem durch-
schnittlichen Erzeugungs- und einem mittleren Nachfrageort) und der zeitabhängig
infolge der gegebenen Angebots- und Nachfragecharakteristik im Netz nicht nutz-
baren Anteile. Die durch die Verteilung und ggf. Speicherung bedingten Energiever-
luste werden hier pauschal mit jeweils rund 3 % unterstellt (d. h. 3 % Netzverluste
und 3 % Speicherverluste); diese Annahme ist – aufgrund der hier nicht mögli-
chen standortscharfen Betrachtung – nur eine erste grobe Abschätzung zur Aufzei-
gung der entsprechenden Größenordnungen. Beispielsweise kann Strom z. B. aus
dachmontierten Photovoltaikanlagen in unmittelbarer Anlagennähe – und damit un-
ter weitgehender Vermeidung möglicher Verluste – verbraucht werden; demgegen-
über benötigt z. B. Strom aus Offshore-Windparks einen weiträumigen Abtransport.
Übersteigt die Erzeugung die zeitgleiche Nachfrage, kommen Verluste aufgrund ei-
ner ggf. notwendigen Zwischenspeicherung hinzu. Derartige Effekte hängen aber
sehr stark u. a. von den lokalen Gegebenheiten am potenziellen Anlagenstandort ab.
Zusätzlich muss oft nicht der gesamte in Anlagen zur Nutzung fluktuierender re-
generativer Energien erzeugte Strom zwischengespeichert werden; bei Systemen,
die eine nachfrageorientierte Stromerzeugung ermöglichen (z. B. Geothermieanla-
gen) ist zudem überhaupt keine Speicherung notwendig, da die Primärenergie (z. B.
Erdwärme) natürlicherweise in einem „Speicher“ vorliegt und damit nachfrage-
bzw. marktorientiert genutzt werden kann. Diesen Randbedingungen tragen die hier
pauschal – auch aus Gründen des einfachen Vergleiches der Potenziale der ver-
schiedenen Nutzungsoptionen untereinander – unterstellten 6 % Verluste adäquat
Rechnung.
Vor dem Hintergrund der liberalisierten Energiemärkte und einer immer weiterge-
henden europäischen Integration auch im Strommarkt ist eine ausschließlich auf
Deutschland bezogene Betrachtung eher theoretischer Natur. Deshalb wird zusätz-
lich eine über die Grenzen Deutschlands hinausgehende Potenzialbetrachtung reali-
siert. Dabei wird unterstellt, dass die im Inland aus regenerativen Energien erzeugte
elektrische Energie, wenn sie die innerdeutsche Nachfrage übersteigt (d. h. Über-
schussenergie), vollständig und ohne netz- bzw. transportseitige Restriktionen in die
Nachbarländer verkauft und dort zeitgleich genutzt werden kann. Diese Annahme
ist dann gerechtfertigt, wenn die Erzeugungspotenziale in Deutschland klein sind
im Vergleich zu der europäischen Stromnachfrage. Dies bedingt aber die Unterstel-
lung, dass nicht alle europäischen Länder eine forcierte Strategie zum Ausbau des
regenerativen Energieangebots im Stromsektor realisieren bzw. die entsprechenden
Potenziale nicht vorhanden / erschließbar sind und deshalb in Europa noch aus-
reichend Möglichkeiten bestehen, unter Klimaschutzaspekten Strom aus Anlagen
42 M. Kaltschmitt et al.
auf der Basis fossiler Energieträger zu substituieren. Deshalb werden hier bei der
Berechnung dieses Potenzials mittlere Netzverluste von pauschal – auch aus Grün-
den des fairen Vergleiches der einzelnen Potenziale untereinander – 7 % unterstellt;
dies entspricht Verlusten, wie sie von potenziellen Standorten von Anlagen zur
Nutzung regenerativer Energien in Deutschland (deren konkrete Standorte nicht
bekannt sind) bis zu potenziellen Verteilknoten außerhalb Deutschlands (die jewei-
ligen potenziellen Nachfrager im Falle der Verfügbarkeit von Überschussenergie
sind ebenfalls nicht bekannt) anfallen können. Auch dies ist zwingend eine stark
vereinfachte Betrachtung, da u. a. vernachlässigt wird, dass z. B. netz- und strom-
marktbedingte Restriktionen einem entsprechenden Export der elektrischen Energie
aus erneuerbaren Energien entgegenstehen können; dies gilt u. a. auch aufgrund der
begrenzten Leistung der vorhandenen Netzverbindungen zwischen Deutschland und
seinen Nachbarländern.
– Bei Anlagen zur Bereitstellung thermischer Energie beschreibt das Endenergie- oder
Nachfragepotenzial den Anteil der aus technischer Sicht erzeugbaren thermischen
Energie, der vom Endverbraucher auch genutzt werden kann (d. h. beispielsweise
der Anteil der in solarthermischen Anlagen erzeugbaren Wärme, die der Verbrau-
cher unter Berücksichtigung der Speicherverluste auch nutzt). Damit errechnet sich
das Nachfrage- aus dem Erzeugungspotenzial auf der Basis der mittleren Nachfra-
gecharakteristik nach Niedertemperaturwärme sowie den jeweiligen Speicher- und
Verteilverlusten innerhalb des entsprechenden Hausverteilsystems.
Wirtschaftliches Potenzial Unter dem wirtschaftlichen Potenzial einer Option zur Nut-
zung regenerativer Energien wird der Anteil des technischen Potenzials verstanden, der im
Kontext der gegebenen energiewirtschaftlichen Rand- und Rahmenbedingungen auf der
Basis der jeweils gültigen Wirtschaftlichkeitskriterien genutzt werden kann. Neben den
Parametern, die auch das technische Potenzial beeinflussen, wird die Bandbreite dieses
Potenzials sehr stark von den konventionellen / alternativen Vergleichssystemen und den
jeweiligen (fossilen) Energieträgerpreisen beeinflusst; beide Größen sind z. T. erheblichen
Marktschwankungen unterworfen. Das wirtschaftliche Potenzial ist daher und aufgrund
der Abhängigkeit des technischen Potenzials vom betrachteten Zeitpunkt auch zeitabhän-
gig; d. h. strenggenommen verändert es sich mit den Schwankungen der globalen Ener-
giepreise. Außerdem ist die Wirtschaftlichkeit selbst eine relative Größe, da sie von einer
Reihe unterschiedlicher Parameter abhängig ist, die bei verschiedenen Unternehmen bzw.
Investoren durchaus erheblich unterschiedlich sein können (u. a. Zinssatz, Abschreibdau-
1 Einführung und Aufbau 43
Nachhaltiges (nutzbares) Potenzial Das nachhaltig nutzbare Potenzial kann unter Berück-
sichtigung bestimmter möglichst konsensual festzulegender Nachhaltigkeitsrestriktionen
ebenfalls aus dem technischen Potenzial und z. T. auch aus dem wirtschaftlichen Poten-
zial abgeleitet werden. Derartige Nachhaltigkeitsrestriktionen betreffen u. a. Produktions-
und Nutzungseinschränkungen aufgrund von Umweltschutzüberlegungen, aus Gründen
des Natur- und Bodenschutzes sowie wegen weitergehender ökologischer, ökonomischer
und sozialer Nachhaltigkeitsforderungen; ein Aspekt der sozio-ökonomischen Nachhal-
tigkeitseinschränkungen stellt beispielsweise die Sicherung einer kostengünstigen, um-
weltverträglichen und sozial akzeptablen Energieversorgung für eine steigende Weltbe-
völkerung dar. Aufgrund der schwierigen Abgrenzung der bei der Potenzialabschätzung
anzulegenden Nachhaltigkeitskriterien bzw. der jeweils zu definierenden Nachhaltigkeits-
zielvorgaben können diese Potenziale erheblichen Variationen unterliegen. Hinzu kommt,
dass bei vielen vorliegenden Potenzialuntersuchungen die zugrunde gelegten Nachhaltig-
keitskriterien oft unscharf bzw. ungenau und nicht genau definiert wurden bzw. definierbar
sind [1.4].
Nutzung Zur Abschätzung der noch gegebenen Möglichkeiten zur Nutzung des regenera-
tiven Energieangebots wird jeweils die gegenwärtige Nutzung dargestellt. Soweit möglich
und verfügbar wird auch diskutiert, wie sich die Nutzung der jeweiligen Option im Verlauf
der letzten Jahre entwickelt hat. Damit kann abgeschätzt werden, welchen Beitrag die je-
weilige regenerative Energie zur Deckung der Energienachfrage gegenwärtig bereits leistet
und welcher Anteil des gegebenen technischen Potenzials schon genutzt bzw. noch nutzbar
ist. Dabei wird unterschieden zwischen einer Nutzung auf einzelstaatlicher Ebene (exem-
plarisch werden Deutschland und Österreich dargestellt), in Europa (EU-28) und weltweit,
damit die sich abzeichnenden Entwicklungstendenzen und -trends deutlich werden.
44 M. Kaltschmitt et al.
Die in den folgenden Kapiteln betrachteten regenerativen Energien bzw. die zugehörigen
Techniken können zur Wärme- und / oder Strombereitstellung eingesetzt werden. Entspre-
chend substituieren sie Techniken bzw. Brennstoffe auf der Basis fossiler Energieträger.
Diese werden zusätzlich nachfolgend kurz beschrieben, um einen Vergleich zwischen den
hier betrachteten Optionen zur Nutzung regenerativer Energien und den jeweils substitu-
ierbaren Optionen auf der Basis fossiler Energieträger zu ermöglichen.
Dazu werden im Folgenden konventionelle Techniken zur Energiebereitstellung, wie
sie derzeit zum Einsatz kommen können bzw. würden, definiert und diskutiert. Ausgehend
davon werden technische, ökonomische und ökologische Kennzahlen bereitgestellt, die
einen Vergleich mit den Kenngrößen ermöglichen, die für die entsprechenden Optionen
zur Nutzung des regenerativen Energieangebots in den nachfolgenden Kapiteln erarbeitet
und diskutiert werden.
1.4.1 Randbedingungen
Tabelle 1.4 Energie- und Emissionsbilanzen der Prozessketten für die Bereitstellung von Materi-
alaufwendungen [1.9]
Material Stahla Kupferb Aluminiumc Betond
Energiee in GJ/t 18,20 166,99 99,36 0,77
SO2 in kg/t 4,91 293,75 24,62 0,12
NOx in kg/t 4,45 40,37 17,30 0,25
CO2 -Äquivalentef in t/t 1,89 8,41 6,52 0,09
SO2 -Äquivalenteg in kg/t 7,74 344,18 39,34 0,32
a
globaler Stahlmarkt, niedriglegiert; b globaler Kupfermarkt; c globaler Aluminiummarkt, Gussle-
gierung; d globaler Betonmarkt; e primärenergetisch bewerteter kumulierter fossiler Energieaufwand
(Verbrauch erschöpflicher Energieträger); f Charakterisierungsfaktor für einen Betrachtungszeit-
raum von 100 Jahren [1.22]; g Charakterisierungsfaktor Versauerungspotenzial [1.22].
Neben den Energieträgern sind auch die für den Bau der jeweiligen Konversionsanla-
gen eingesetzten Materialien hinsichtlich des mit ihrer Bereitstellung verbundenen Ener-
gieeinsatzes und der damit zusammenhängenden Emissionen „vorbelastet“. Für einige der
hier bilanzierten Stoffe zeigt dies exemplarisch Tabelle 1.4. Demnach ist beispielsweise
die Kupfer- bzw. Aluminium-Bereitstellung mit einem energetischen Aufwand von 177
bzw. 99 GJ erschöpflicher (fossiler) Energie pro Tonne Material verbunden. Dieser Ener-
gieeinsatz für die Materialherstellung führt auch zu entsprechenden Stofffreisetzungen mit
allen daraus resultierenden potenziellen Umweltauswirkungen. Diese liegen beispielswei-
se für Kupfer bzw. Aluminium bei 8,4 bzw. 6,5 t CO2 -Äquivalente und bei 344 bzw. 39 kg
SO2 -Äquivalente jeweils pro Tonne bereitgestelltem Material.
Von einigen Anlagen zur Wandlung des regenerativen Energieangebots wird während
des Betriebs elektrische Energie benötigt. Im Regelfall wird dieser elektrische Strom
aus dem Netz der öffentlichen Versorgung bezogen. Hier wird deshalb in Anlehnung an
die in Deutschland vorliegenden Gegebenheiten ein Stromerzeugungsmix aus mit fossi-
len Energieträgern (z. B. Steinkohle, Braunkohle) gefeuerten Kraftwerken, aus den noch
am Netz befindlichen Kernkraftwerken und Anlagen zur Nutzung regenerativer Energien
unterstellt, der durch einen durchschnittlichen Nutzungsgrad von der Primärenergie bis
zur Endenergiebereitstellung frei Verbraucher von rund 38 % gekennzeichnet ist. Dieser
Stromerzeugungsmix frei Entnahme aus der Mittelspannungsebene – ohne Berücksich-
tigung des Stromaußenhandelssaldos – ist im Jahr 2017 beispielsweise durch Freiset-
zungen an CO2 -Äquivalenten von 486 g/kWh, an SO2 von 0,233 t/GWh und an NOx
von 0,424 t/GWh gekennzeichnet [1.24]. Bei der Bilanzierung von Produkten, zu deren
Herstellung elektrische Energie benötigt wird, wird ebenfalls dieser Strommix zugrunde
gelegt.
Auch die Energieträgerpreise stellen eine wesentliche Kenngröße dar, durch die das
fossile Energieträgerangebot charakterisiert werden kann. Diese Aufwendungen zeigt Ta-
belle 1.5. Demnach lag der Grenzübergangspreis bei Steinkohle bzw. Erdgas im Durch-
schnitt in Deutschland innerhalb der Jahre 2008 bis 2017 bei rund 2,9 bzw. 7,0 C/GJ.
46 M. Kaltschmitt et al.
Tabelle 1.5 Jahresmittelwerte der Energiepreise für fossile Energieträger (2008 bis 2017) [1.15,
1.16, 1.17]
System Minimum Maximum Durchschnitt
Erdgas, Verbraucherpreis (Haushalte) in C/GJ 16,1 20,0 18,4
Erdgas, Importpreis in C/GJ 4,6 9,0 7,0
Steinkohle, Importpreis in C/GJ 2,3 3,8 2,9
Demgegenüber liegt das Preisniveau für deutsche Haushaltskunden höher. Der durch-
schnittliche Haushaltskunde musste in Deutschland im gleichen Zeitraum einschließlich
Mehrwertsteuer rund 18,4 C/GJ für Erdgas bezahlen. Hinzu kommt, dass die Energieprei-
se starken Schwankungen unterworfen sind. Dies gilt zum einen im Verlauf eines Jahres
infolge der Schwankungen der Rohöl- und damit der fossilen Energieträgerpreise. Zum
anderen sind die Energieträgerpreise auch stark von der jeweiligen Abnahmemenge an
Energie abhängig; werden beispielsweise große Mengen an Energie abgenommen (z. B.
Mehrfamilienhochhaus, Industriebetrieb) sind die Energiepreise i. Allg. spezifisch merk-
lich geringer im Vergleich zu sehr kleinen Abnahmemengen (z. B. Einfamilienhaus, Hand-
werksbetrieb). Infolge beider Aspekte treten erhebliche Variationen bei den in Deutsch-
land im Durchschnitt zu zahlenden Preisen für fossile Brennstoffe auf. Die minimalen
und maximalen Jahresmittelwerte der betrachteten Zeitspanne der Jahre 2008 bis 2017
sind deswegen ebenfalls in Tabelle 1.5 dargestellt.
Tabelle 1.6 Kenndaten der untersuchten Systeme zur Strombereitstellung aus fossilen Energie-
trägern
Steinkohlekraftwerk Erdgaskraftwerk
Brennstoff Steinkohle Erdgas
Kraftwerkstyp Staubfeuerung GuDa
Elektrische Nennleistung (netto) in MW 800 400
Technische Lebensdauer in a 30 30
Jahresmittlerer Systemnutzungsgrad in % (netto) 45 60
Volllaststunden in h/a 2 500–7 000 1 500–6 000
Brennstoffeinsatz in PJ/a 16,0–44,8 3,6–14,4
a
Gas- und Dampfturbinenkraftwerke.
Bei dem Steinkohlekraftwerk mit einer elektrischen Leistung von 800 MW bei einem
jahresmittleren Nutzungsgrad von 45 % (Tabelle 1.6) wird von einer Staubfeuerung ausge-
gangen. Dieses Kraftwerk repräsentiert damit Anlagen, wie sie derzeit am Markt vertreten
sind. Dabei wird von einer Spannbreite der jährlich realisierbaren Volllaststunden von
2 500 bis 7 000 h/a ausgegangen. Dies spiegelt etwa die derzeitigen Gegebenheiten in
Deutschland wider; im Jahr 2018 lagen die Jahresvolllaststunden der deutschen Stein-
kohlekraftwerke im Schnitt bei 3 260 h/a [1.14].
Als weitere charakteristische Anlage zur Stromerzeugung aus fossilen Energieträgern
wird ein gasgefeuertes Gas- und Dampfturbinen(GuD)-Kraftwerk mit einer Blockgrö-
ße von 400 MW und einem jahresmittleren Netto-Systemnutzungsgrad von rund 60 %
untersucht (Tabelle 1.6). Hier werden zwischen 1 500 und 6 000 h/a (Volllast) angenom-
men. Die durchschnittlichen Jahresvolllaststunden von Erdgaskraftwerken lagen 2018 in
Deutschland bei 2 190 h/a [1.14].
Ökonomische Analyse Zur Abschätzung der mit einer Stromerzeugung aus fossilen
Energieträgern verbundenen monetären Aufwendungen werden im Folgenden die va-
riablen und fixen Aufwendungen sowie die spezifischen Stromgestehungskosten der in
Tabelle 1.6 dargestellten Referenzanlagen diskutiert (Tabelle 1.7).
Tabelle 1.7 Kosten einer Stromerzeugung aus Steinkohle und Erdgas (vgl. Tabelle 1.6)
Steinkohlekraftwerk Erdgaskraftwerk
Gesamtinvestitionena in C/kW 1 300–2 000 800–1 100
Jährliche Kosten
Anteilige Investitionen in Mio. C/a 46–71 14–20
Betriebskostenb in Mio. C/a 35–54 11–18
Brennstoffkostenc in Mio. C/a 61–102 32–67
Summe in Mio. C/a 184–187 70–92
Stromgestehungskosten in C/kWh 0,033–0,093 0,038–0,117
a
einschl. Bauherrenkosten (u. a. Gelände, Genehmigung, Kohleentladung, Stromableitung, eigene
Planung); b u. a. Wartung, Versicherung, Personal; c Einfuhrpreis (vgl. Tabelle 1.5).
Ökologische Analyse Für die definierten Anlagen werden nachfolgend ausgewählte öko-
logische Aspekte diskutiert. Dies erfolgt im Rahmen einer Lebenszyklusanalyse. Zusätz-
lich werden ausgewählte weitere Umwelteffekte diskutiert.
Tabelle 1.8 Lebenswegbilanzen einer Stromerzeugung aus Steinkohle und aus Erdgas
Steinkohlekraftwerk Erdgaskraftwerk
2 500 h/a 7 000 h/a 1 500 h/a 6 000 h/a
Energiea in GJ/GWh 10 190 10 162 7 121 7 087
SO2 in kg/GWh 737 727 153 140
NOx in kg/GWh 791 783 308 295
CO2 -Äquivalente in t/GWh 877 874 410 407
SO2 -Äquivalente in kg/GWh 1 360 1 346 379 356
a
primärenergetisch bewerteter kumulierter fossiler Energieaufwand (Verbrauch erschöpflicher
Energieträger).
Weitere Umwelteffekte Kraftwerke setzen – wie alle anderen Energiewandler auf der Ba-
sis fossil biogener Energieträger – im ordnungsgemäßen Betrieb infolge der Oxidati-
on des Brennstoffs direkt an der Anlage Stoffe in einer signifikanten Größenordnung
frei. Deshalb zeigt Tabelle 1.9 exemplarisch ausgewählte direkte Emissionen der bei-
den untersuchten Anlagen. Demnach liegen beispielsweise die direkten Freisetzungen an
CO2 -Äquivalenten bei dem mit Steinkohle bzw. Erdgas gefeuerten Kraftwerk bei knapp
750 bzw. 340 t/GWh bereitgestellter elektrischer Energie.
Zusätzlich zu diesen direkten Stofffreisetzungen an der Anlage ist auch die Bereitstel-
lung fossiler Brennstoffe mit einer Reihe von weiteren Beeinträchtigungen der Umwelt
verbunden. Nachfolgend werden einige derartiger Umwelteffekte exemplarisch angeführt.
Kohlekraftwerke waren lange Zeit eine wesentliche Quelle anthropogener Staub-, NOx -
und SO2 -Emissionen in Europa. Erst durch strengere Emissionsgrenzwerte und dem
dadurch notwendigen Einbau umfangreicher Abgasreinigungssysteme konnten diese
Emissionen in den vergangenen Jahrzehnten stark gesenkt werden.
Tabelle 1.9 Direkter Energieverbrauch sowie direkte Emissionen und Äquivalent-Emissionen für
die in Tabelle 1.6 definierten Kraftwerke
Steinkohlekraftwerk Erdgaskraftwerk
a
Energie in GJ/GWh 8 000 6 000
SO2 in kg/GWh 525 3
NOx in kg/GWh 497 153
CO2 -Äquivalente in t/GWh 747 338
SO2 -Äquivalente in kg/GWh 904 110
a
Endenergie.
1 Einführung und Aufbau 51
Die übertägige Gewinnung von Braunkohle im Tagebau führt aufgrund des großen
Flächenverbrauchs und der erheblichen zu bewegenden Materialmengen zu umfang-
reichen Beeinträchtigungen des Landschaftsbilds und zu einer nachhaltigen Störung
des Grundwasserhaushalts. Durch Rekultivierungsmaßnahmen nach Ende des Kohle-
abbaus können diese Auswirkungen allerdings teilweise wieder kompensiert gemacht
werden; dabei wird der Charakter der Landschaft aber grundlegend verändert (z. B.
wird aus einer ausschließlichen Agrarlandschaft eine Seenlandschaft).
Beim Untertageabbau von Steinkohle kann es durch den zumindest in Deutschland über
Jahrzehnte realisierten Bruchbau u. a. zu Absenkungen der Erdoberfläche kommen, die
beispielsweise zu einer Störung der Grundwasserhorizonte oder einer Rissbildung in
an der Oberfläche befindlichen Gebäuden führen können bzw. eine Nutzung der be-
troffenen Flächen an der Erdoberfläche einschränken.
Die nach der Kohleverbrennung verbleibenden Aschen bzw. Stäube können u. a.
Schwermetalle sowie radioaktive Elemente enthalten. In Abhängigkeit von der Zusam-
mensetzung der Kohle kommt es dabei vor allem im Flugstaub zu einer Anreicherung
dieser gesundheitsschädlichen Stoffe. Derart kontaminierte Stäube müssen daher ord-
nungsgemäß verwertet bzw. deponiert werden.
Bei der Gewinnung von Erdgas kann es u. a. während der Erstellung der für die För-
derung notwendigen Bohrung(en) durch die Freisetzung von chemischen Hilfs- und
Betriebsstoffen (z. B. Bohrspülungen) zu einer Belastung des umliegenden Bodens
(Onshore) bzw. Meeres (Offshore) kommen. Außerdem können durch die Bohrakti-
vitäten mikroseismische Ereignisse ausgelöst werden. Darüber hinaus kann es beim
Erdgastransport zu Leckagen kommen, durch die das Klima beeinflusst wird.
Tabelle 1.10 Kenndaten der untersuchten Kleinanlagen für eine Wärmebereitstellung aus fossilen
Energieträgern für die untersuchten Einfamilienhäuser (EFH) (zur Definition der Nachfragefälle
EFH 0 bis EFH IV siehe Tabelle 1.1)
Einfamilienhaus (EFH) 0 I II III IV
Gesamte Wärmenachfragea in GJ/a 14,9 21,7 25,7 33,8 82,4
davon: Raumwärme in GJ/a 8,1 14,9 18,9 27,0 75,6
Warmwasser in GJ/a 6,8 6,8 6,8 6,8 6,8
AWZb Raumwärme 1,05c 1,05c 1,04c 1,04c 1,10
AWZb Warmwasser 1,86 1,86 1,86 1,86 1,99
System-AWZd 1,42 1,30 1,26 1,20 1,17
Brennstoffeinsatze in GJ/a 21,2 28,3 32,3 40,7 96,7
Hilfsenergie (Strom)f in kWh/a 500g 500g 500g 500g 300
Warmwasserspeicher in L 120 120 120 120 120
a
Nutzenergie; b AWZ Aufwandszahl; c Aufwandszahlen geringer durch Fußbodenheizung bzw.
Niedertemperaturheizung im Vergleich zum EFH IV, Unterschiede aufgrund höherer Verluste bei
geringerer Nachfrage und Nichtverfügbarkeit von Wärmeerzeugern kleinerer Leistung (siehe Text);
d
mittlere, gewichtete System-Aufwandszahl, sie ist definiert als der Brennstoffeinsatz durch die
gesamte Wärmenachfrage; e Brennstoffeinsatz an Erdgas; f für die Berechnung der Hilfsenergie
wird nach DIN V 4701-10 die Hilfsenergienachfrage ausschließlich auf die Wohnfläche bezogen
berechnet (d. h. Berücksichtigung der Hilfsenergie für die Wärmeverteilung; deshalb ist die Fuß-
bodenheizung durch einen höheren Hilfsenergieverbrauch im Vergleich zu der Radiatorenheizung
gekennzeichnet); eine Unterteilung in unterschiedliche Kesselgrößen erfolgt nach DIN V 4701-10
nicht; g höherer Stromverbrauch durch Fußbodenheizung im Vergleich zum EFH IV.
54 M. Kaltschmitt et al.
Tabelle 1.11 Kenndaten der untersuchten Kleinanlagen für eine Wärmebereitstellung aus fossilen
Energieträgern für die untersuchten Mehrfamilienhäuser (MFH) (zur Definition der Nachfragefälle
MFH 0 bis MFH IV siehe Tabelle 1.2)
Mehrfamilienhaus (MFH) 0 I II III IV
Gesamte Wärmenachfragea in GJ/a 87,3 119,3 139,6 180,1 354,1
davon: Raumwärme in GJ/a 42,1 74,1 94,4 134,9 308,9
Warmwasser in GJ/a 45,2 45,2 45,2 45,2 45,2
AWZb Raumwärme 1,04 1,04 1,03 1,03 1,08
AWZb Warmwasser 1,61 1,61 1,61 1,61 1,66
System-AWZc 1,34 1,26 1,22 1,18 1,15
Brennstoffeinsatzd in GJ/a 116,6 149,8 170,0 211,7 408,6
Hilfsenergie (Strom)e in kWh/a 1 150 1 150 1 150 1 150 800
Warmwasserspeicher in L 400 400 400 400 400
a
Nutzenergie; b AWZ Aufwandszahl; c mittlere, gewichtete System-Aufwandszahl, sie ist definiert
als der Brennstoffeinsatz durch die gesamte Wärmenachfrage; d Brennstoffeinsatz an Erdgas; e für
die Berechnung der Hilfsenergie wird nach DIN V 4701-10 die Hilfsenergienachfrage ausschließlich
auf die Wohnfläche bezogen berechnet (d. h. Berücksichtigung der Hilfsenergie für die Wärmever-
teilung; deshalb ist die Fußbodenheizung durch einen höheren Hilfsenergieverbrauch im Vergleich
zu der Radiatorenheizung gekennzeichnet); eine Unterteilung in unterschiedliche Kesselgrößen er-
folgt nach DIN V 4701-10 nicht, zur Erklärung der Größenordnung des Hilfsenergieeinsatzes siehe
Fußnoten in Tabelle 1.10; f höherer Stromverbrauch durch Fußbodenheizung im Vergleich zum
MFH IV.
Die Verluste des Trink- bzw. Brauchwarmwasserspeichers sowie der geringere Kesselnut-
zungsgrad der Trinkwarmwasserbereitung während der heizungsfreien Sommermonate
werden berücksichtigt. Speziell bei Gebäuden mit einer spezifisch niedrigen Heizwär-
menachfrage kann dadurch der jahresmittlere Systemnutzungsgrad deutlich unter dem
Kesselnutzungsgrad liegen.
Die definierten Nahwärmesysteme (Tabelle 1.3) werden hier nicht analysiert, da bei-
spielsweise in Deutschland kaum derartige Systeme vorhanden sind. Aus ökonomischen
Gründen (d. h. aufwändig – und damit teuer – zu installierende Nahwärmenetze, die zu-
dem insbesondere im Sommer aufgrund der geringen Nachfrage (d. h. nur Brauchwarm-
wasser, keine Raumwärme) durch z. T. sehr hohe Wärmeverluste gekennzeichnet sind)
werden derzeit eher dezentrale Lösungen realisiert.
Ökonomische Analyse Zur Abschätzung der mit einer Wärmeerzeugung aus fossilen
Energieträgern verbundenen monetären Aufwendungen werden im Folgenden die Inves-
titionen und Betriebskosten sowie die spezifischen Wärmegestehungskosten für die in
Tabelle 1.11 definierten Randbedingungen dargestellt.
Investitionen und Betriebskosten Für die in den Tabellen 1.10 und 1.11 dargestellten Sys-
teme werden zur Ermittlung der Investitionen die monetären Aufwendungen für Kessel,
Brenner, Trinkwarmwasserspeicherung, bauliche Einrichtungen (z. B. Gasanschluss) so-
wie die Montage und Installationskosten berücksichtigt (Tabelle 1.12 und 1.13). Demnach
1 Einführung und Aufbau 55
sind beispielsweise die Investitionen bei den EFH 0 bis EFH IV als identisch unterstellt,
da die jeweils zugrunde gelegten Brennwertkessel im Bereich bis ca. 15 kW i. Allg. im
gleichen Preissegment liegen.
Die Betriebskosten der untersuchten Kleinanlagen berücksichtigen u. a. die Aufwen-
dungen für Wartung und Instandhaltung. Zusätzlich fallen Brennstoffkosten und Kosten
für elektrische Energie zum Betrieb der Anlagen (u. a. Brenner, Gebläse, Zündtrafo) an;
56 M. Kaltschmitt et al.
sie sind in den Tabellen 1.12 und 1.13 getrennt von den restlichen Betriebskosten ange-
führt und orientieren sich an den in Tabelle 1.5 dargestellten fossilen Energieträgerpreisen.
Ökologische Analyse Für die definierten Anlagen werden nachfolgend ausgewählte öko-
logische Aspekte diskutiert. Dies erfolgt ebenfalls zunächst im Rahmen einer Lebenszy-
klusanalyse. Anschließend werden auch hier weitere Umwelteffekte exemplarisch disku-
tiert.
Bei der Bohrung nach bzw. Förderung von Erdgas können chemische Hilfs- und Zu-
satzstoffe sowie bei der Erdgasbohrung/-förderung das Gas selbst in den umliegenden
Boden (Onshore) bzw. das Meer (Offshore) und / oder in die Atmosphäre gelangen;
dies kann mit entsprechenden Umweltauswirkungen verbunden sein.
Beim Transport des Erdgases mithilfe von Pipelines kann es störungsbedingt zu Frei-
setzungen mit den entsprechenden Folgen für die aquatische Fauna und Flora kommen.
Entzünden sich Gasleckagen beispielsweise in geschlossenen Räumen kann es zu Gas-
explosionen kommen; dies kann erhebliche Konsequenzen für den Menschen und die
Umwelt haben.
Literatur
[1.1] Kaltschmitt, M.: Regenerative Energien; Skriptum zur Vorlesung; Institut für Umwelttechnik
und Energiewirtschaft (IUE). Technische Universität Hamburg (TUHH), Hamburg (2020).
Sommersemester
[1.2] BP (Hrsg.): BP statistical review of world energy 2018. BP, London (2019). www.
bp.com/en/global/corporate/energy-economics/statistical-review-of-world-energy.html. Zu-
gegriffen: 22. Sept. 2019
[1.3] BMWi (Hrsg.): Energiedaten. Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Berlin (2019).
www.bmwi.de. Zugegriffen: 15. Nov. 2019
[1.4] Kaltschmitt, M., Hartmann, H., Hofbauer, H. (Hrsg.): Energie aus Biomasse, 3. Aufl. Sprin-
ger, Berlin, Heidelberg (2016)
[1.5] Bundesministerium der Justiz (Hrsg.): Verordnung über energieeinsparenden Wärmeschutz
und energiesparende Anlagentechnik bei Gebäuden (Energieeinsparverordnung – EnEV).
Bundesministerium der Justiz, Berlin (2009)
[1.6] Wöhe, G., Döring, U.: Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 24. Aufl. Vah-
len, München (2010)
[1.7] EN ISO 14040:2006: Environmental Management – Life Cycle Assessment – Principles and
Framework. Beuth, Berlin (2006)
58 M. Kaltschmitt et al.
Die Energieströme auf der Erde speisen sich aus verschiedenen Quellen, die im Fol-
genden zunächst dargestellt werden. Insgesamt hat aber an der gesamten auf der Erde
umgesetzten Energie die Sonnenenergie einen Anteil von nahezu 100 %; d. h. sie domi-
niert eindeutig das „Energiesystem Erde“. Dabei trägt die Solarenergie nicht nur direkt,
sondern in vielerlei Hinsicht auch indirekt zum globalen Energiesystem bei; beispielswei-
se wird die von der Sonne auf die Erde eingestrahlte Energie innerhalb der Atmosphäre
geschwächt und dabei teilweise in andere Energieformen (z. B. Wind, Wasserkraft) umge-
wandelt. Deshalb wird im Folgenden auf den Aufbau und die wesentlichen Eigenschaften
der Erdatmosphäre ebenfalls näher eingegangen. Diesem schließt sich die Bilanzierung
der globalen Energieströme an, bevor die einzelnen potenziell von der Menschheit nutz-
baren Energieströme bzw. regenerativen Energien im Detail dargestellt werden. Dabei
wird jeweils auf die entsprechenden Grundlagen eingegangen, bevor die räumliche und
zeitliche Variationsbreite dargestellt wird, die letztlich die jeweilige technische Nutzung
(mit-)bestimmt.
Autoren in alphabetischer Reihenfolge mit Beiträgen zum Kapitel; die Autorenzuordnung geht aus
den einzelnen Unterkapiteln hervor.
Beate Geyer, Geesthacht, Deutschland
Klaus Jorde, Klagenfurt, Österreich
Martin Kaltschmitt, Hamburg, Deutschland
Iris Lewandowski, Stuttgart, Deutschland
Ben Norden, Potsdam, Deutschland
Wolfgang Streicher, Innsbruck, Österreich
Andreas Wiese, Bad Homburg, Deutschland
Martin Kaltschmitt
Die Energieströme auf der Erde speisen sich aus verschiedenen Quellen, die im Folgen-
den zunächst dargestellt werden. An der gesamten auf der Erde umgesetzten Energie hat
dabei die Sonnenenergie einen Anteil von über 99,9 %. Die von der Sonne auf die Erde
eingestrahlte Energie wird innerhalb der Atmosphäre geschwächt und teilweise in andere
Energieformen (z. B. Wind, Wasserkraft) umgewandelt. Deshalb wird auf den Aufbau und
die wesentlichen Eigenschaften der Erdatmosphäre ebenfalls näher eingegangen. Diesem
schließt sich die Bilanzierung der globalen Energieströme an.
Das regenerative Energieangebot wird aus insgesamt drei unterschiedlichen Quellen ge-
speist (Sonnenenergie, geothermische Energie, Energie aus der Massenanziehung und
Bewegung von Himmelskörpern). Diese drei unabhängigen Energiequellen, die einen
deutlich unterschiedlichen Beitrag zum Energiesystem Erde leisten, werden nachfolgend
kurz vorgestellt.
Sonnenenergie Die Sonne stellt den Zentralkörper unseres Planetensystems dar; sie ist
der der Erde nächstgelegene Stern. Sie ist ein Plasmaball, der aus Atomkernen und Elek-
tronen besteht, mit einem Durchmesser von rund 1,39 Mio. km; das ist etwa das 109-fache
des Erddurchmessers. Sie besteht im Wesentlichen aus Wasserstoff (H2 , ca. 75 %), Helium
(He, ca. 23 %) und sonstigen Elementen (ca. 2 %). Die mittlere Dichte liegt bei 1,4 g/cm3 .
Die Dichte ist aber sehr ungleichmäßig über den Sonnenkörper verteilt; beispielsweise ist
in der Kernregion der Sonne eine Dichte zwischen 80 und 100 g/cm3 – und im eigentlichen
Kernbereich eine noch deutlich höhere Dichte – wahrscheinlich. Zusammen mit weiteren
Kenngrößen kann daraus eine Sonnenmasse von rund 2 1033 g abgeschätzt werden; dies
ist etwa das 330 000-fache der Erdmasse. Daraus resultiert auf der Sonnenoberfläche eine
potenzielle Fallbeschleunigung von rund 275 m/s; das ist etwa das 28-fache der Fallbe-
schleunigung auf der Erde (9,81 m/s).
Den schematischen Aufbau der Sonne zeigt Abb. 2.1. Demnach herrschen in der Kern-
region Temperaturen von rund 8 bis 40 Mio. K bei einem Druck von etwa 1011 bar. Un-
ter diesen im Zentrum der Sonne gegebenen Bedingungen ist eine Materialdichte von
ca. 150 g/cm3 zu erwarten. Unter diesen extremen Bedingungen kann im Zentrum der
Sonne eine Kernfusion stattfinden, durch die Energie freigesetzt wird. Dabei verschmilzt
Wasserstoff zu Helium. Der resultierende Massenverlust wird in Energie E umgewandelt,
die aus der Masse m und dem Quadrat der Lichtgeschwindigkeit vc berechnet werden
kann (Gleichung (2.1)). Rund 650 Mio. t/s Wasserstoff bilden unter den genannten Bedin-
gungen etwa 646 Mio. t/s Helium; die Massendifferenz von ca. 4 Mio. t/s wird in Energie
umgewandelt und in Form von Strahlung im Kern der Sonne freigesetzt. Dass die Wahr-
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 61
Coronastrahlen
T = 1 Mio. K
Protu-
ind Flammenzungen
la rw beranzen (Spiculen)
So
H + H-
Emission
T = 10 000 K
Kontinuumlicht
T = 5 785 K
Energietransport
durch Konvektion
r
T = 2 Mio. K
Energietransport
r 0,7 r
0,23 durch Gamma- und
0,7
Rötgenstrahlung
r
T = 4 Mio. K
H
He
Kernfusion
0,23 H T = 8 bis 40 Mio. K
r p = 1011 bar
Photosphäre freiwerdende Energie
Chromosphäre Elektron, e-
Abb. 2.1 Schematischer Aufbau und wichtige Kenngrößen der Sonne (r Radius der Sonne, T Tem-
peratur, p Druck; u. a. nach [2.1])
scheinlichkeit, dass dieser Fusionsprozess im Sonneninneren abläuft, nicht sehr groß ist,
wird daran deutlich, dass in den letzten rund 4,5 Milliarden Jahren erst 6 % des Wasser-
stoffs der Sonne durch eine Kernfusion in Helium überführt wurde.
E D m vc2 (2.1)
Diese in der Kernregion der Sonne freigesetzte Energie wird innerhalb der Sonne
zunächst durch Strahlung bis zum etwa 0,7-fachen des Sonnenradius transportiert. Die
Weiterleitung bis zur Sonnenoberfläche erfolgt dann durch Konvektion; d. h. in dieser
Konvektionszone wird die Strahlung via Strömung weitergeleitet (heiße Sonnenmaterie
steigt auf in Richtung der Oberfläche der Sonne, kühlt sich dort ab und sinkt dann wieder
in Richtung zum Sonnenkern ab, wo sie erneut aufgeheizt wird). Anschließend wird die
derart an die Sonnenoberfläche transportierte Energie in den Weltraum abgegeben. Bei
diesem die Sonne verlassenden Energiestrom unterscheidet man zwischen Materiestrah-
lung und elektromagnetischer Strahlung (u. a.. [2.2]).
Die Materiestrahlung besteht aus Protonen und Elektronen, die von der Sonne mit einer
Geschwindigkeit von ca. 500 km/s abgegeben werden. Allerdings erreichen nur wenige
dieser elektrisch geladenen Teilchen die Erdoberfläche, weil das terrestrische Magnet-
feld dies weitgehend verhindert. Diese Tatsache ist für das Leben auf der Erde von
besonderer Bedeutung, da diese Materiestrahlung organisches Leben in seiner jetzigen
Form nicht erlauben würde.
62 B. Geyer et al.
Die elektromagnetische Strahlung, die im Wesentlichen von der Photosphäre (Abb. 2.1)
ausgesendet wird, überdeckt den gesamten Frequenzbereich von der kurzwelligen bis
zur langwelligen Strahlung. Diese Abstrahlung der Sonne entspricht etwa der eines
schwarzen Körpers. Die flächenspezifische Strahlungsleistung der Sonne GP S kann aus
der Temperatur in der Photosphäre (ca. 5 785 K), dem Emissionsgrad und der Stefan-
Boltzmann-Konstante berechnet werden; sie beträgt rund 63;5 106 W/m2 .
Geht man vom Durchmesser der Sonne dS bis zur Photosphäre aus (ca. 1;39 109 m)
und legt eine mittlere Entfernung zwischen der Sonne und der Erde (LSE ) von etwa 1;5
1011 m zugrunde, errechnet sich am oberen Rand der Erdatmosphäre eine flächenspezifi-
sche Strahlungsleistung von ca. 1 370 W/m2 (vgl. [2.1, 2.3]). Dieser Mittelwert wird als
Solarkonstante bezeichnet; zwischen verschiedenen Jahren variiert er aufgrund schwan-
kender Sonnenaktivität um deutlich weniger als 1 %.
Im Jahresverlauf ist die am Atmosphärenrand ankommende Sonnenstrahlung trotzdem
durch deutliche saisonale Unterschiede gekennzeichnet. Ursache ist die Ellipsenbahn, auf
der sich die Erde im Verlauf eines Jahres um die Sonne bewegt (Abb. 2.2); demnach ist der
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 63
1 420
Solarkonstante in W/m2
1 400
1 380
Jahresmittelwert
1 360
1 340
Monatsmittelwerte
1 320
u a r u a r M ä r z A p r il Ma
i
Jun
i i
J u l u g u s t m b e r to b e r m b e r m b e r
J a n Fe b r A e pte O k N ov e D e z e
S
Abstand zwischen der Sonne und der Erde etwa zur Zeit der Sommersonnenwende mit rund
152 Mio. km um etwa 5 Mio. km länger im Vergleich zu etwa dem Zeitpunkt der Winterson-
nenwende (147 Mio. km). Infolge dieser Ellipsenbahn der Erde um die Sonne ändert sich
der Abstand zwischen der Erde und der Sonne ständig. Dabei ist das Perihel definiert als
der Punkt auf dieser Umlaufbahn der Erde um die Sonne, an dem die Erde der Sonne am
nächsten ist; je nach dem konkreten Jahr wird dieser Punkt um den 3. Januar erreicht (mitt-
lere Schwankungen: 2. bis 5. Januar) (Abb. 2.2). Entsprechend ist das Aphel der Punkt auf
dieser Umlaufbahn, an dem die Erde am weitesten von der Sonne entfernt ist; er wird typi-
scherweise am 3. Juli erreicht (auch hier kann dieses Datum zwischen verschiedenen Jahren
um einige Tage abweichen). Dadurch schwankt auch die am äußeren Atmosphärenrand der
Erde ankommende Solarstrahlung, da die flächenspezifische Strahlungsintensität mit dem
Quadrat der Entfernung von der Sonne abnimmt; daraus resultieren die in Abb. 2.3 darge-
stellten Veränderungen in der Größe der Solarkonstanten. Damit wird die Solarkonstante
im Januar mit knapp 1 420 W/m2 maximal aufgrund der etwa am 3. Januar vorliegenden
kleinsten Entfernung zwischen Sonne und Erde (Perihel, Abb. 2.2). Umgekehrt nimmt sie
um den 3. Juli mit etwas mehr als 1 320 W/m2 ein Minimum an (Aphel).
Trotz der höheren Strahlungsintensität am äußeren Atmosphärenrand herrschen im
Winter auf der Nordhalbkugel im Schnitt deutlich niedrigere Temperaturen als im Som-
mer. Dies liegt darin begründet, dass die Rotationsachse der Erde mit der Ebene der
Umlaufbahn einen Winkel von 66,5ı bildet (Abb. 2.2). Dadurch ist während des Win-
terhalbjahres die Südhalbkugel mehr zur Sonne hin ausgerichtet als die Nordhalbkugel.
Daraus resultieren hier ein höherer Sonnenstand und eine längere Sonnenscheindauer.
Auf die Nordhalbkugel trifft die Sonnenstrahlung dagegen während dieser Jahreszeit
bei vergleichsweise (sehr) kurzen Tagen unter einem durchschnittlich flacheren Winkel
auf die Erdoberfläche. Die nördlichsten Gebiete verbleiben zeitweise im gesamten Tages-
64 B. Geyer et al.
Sonnenstand in °
Abb. 2.4 Sonnenstandsdiagramm am Beispiel von Köln (50ı 560 N, 06ı 570 O) [2.51]
verlauf auf der sonnenabgewandten Seite. Zur Wintersonnenwende herrscht für alle Orte
zwischen 66,5ı N und dem Pol die „Polarnacht“. Entsprechend geht auf der Südhalbkugel
südlich von 66,5ı S die Sonne nicht mehr unter („Polartag“).
Mit dem weiteren Lauf der Erde um die Sonne ändert sich ihre Position gegenüber dem
Zentralgestirn. Für die Nordhalbkugel beginnt die Sonne immer höher zu steigen; umge-
kehrt werden für die Südhalbkugel die Mittagshöhen zunehmend kleiner. Am 21. März
werden beide Pole von der Sonne beschienen. Die Nordhalbkugel ist danach immer mehr
zur Sonne hin ausgerichtet; d. h. der mittlere Sonnenstand über dem Horizont erreicht im-
mer größere Höhen. Dies hält bis zur Sommersonnenwende (21. Juni) an. Dann erhellt die
Mitternachtssonne die Nordpolargebiete, und in der Antarktis herrscht „ewige Nacht“.
In diesem Zusammenhang wird unter dem Solstitium der Zeitpunkt im Verlauf eines
Kalenderjahres verstanden, an dem die Sonne zur Mittagszeit (bei wahrer Ortszeit) ihren
jeweils höchsten oder tiefsten Stand erreicht.
Auf der Nordhalbkugel steht die Sonne im Sommer am 21./22. Juni (Sommersonnen-
wende) im nördlichen Wendepunkt (Abb. 2.2), dem sogenannten Solstitialpunkt; auf
der Südhalbkugel gilt sinngemäß das Gegenteil.
Im Winter – ebenfalls auf der Nordhalbkugel – steht sie am 21./22. Dezember (Win-
tersonnenwende) im südlichen Wendepunkt (Abb. 2.2); auf der Südhalbkugel ist es
entsprechend umgekehrt.
Die in Abb. 2.2 ebenfalls eingezeichnete Solstitiallinie ist damit die Verbindungslinie
zwischen den Erdpositionen jeweils zur Sommer- und zur Wintersonnenwende.
Aufgrund dieser Zusammenhänge und damit primär wegen der Neigung der Erdachse
gegenüber der Ekliptik unterliegt die extraterrestrische solare Einstrahlung in verschiede-
nen Regionen der Erde teilweise erheblichen jahreszeitlichen Schwankungen. Dies wird
auch in Abb. 2.4 deutlich, welche exemplarisch für Köln den Sonnenstand im Jahresver-
lauf zeigt.
Geothermische Energie Der aus dem Erdinneren an die Erdoberfläche dringende Ener-
giestrom speist sich aus drei verschiedenen Quellen. Zum einen ist dies die im Erdinneren
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 65
gespeicherte Energie, die aus der während der Erdentstehung frei gewordenen Gravita-
tionsenergie resultiert; dazu addiert sich der Anteil, der aus der ggf. von davor noch
vorhandenen sogenannten Ursprungswärme stammt (darunter ist die Wärme zu verste-
hen, die noch aus Zeiten von vor der eigentlichen Erdentstehung resultiert). Zum anderen
wurde und wird durch den Zerfall radioaktiver Isotope, die in der Erde (insbesondere in
der Erdkruste) natürlicherweise enthalten sind, im Verlauf erdgeschichtlicher Zeiträume
Wärme freigesetzt. Diese Wärme ist aufgrund der nur begrenzten Wärmeleitfähigkeit der
Gesteine zum überwiegenden Teil nach wie vor in der Erde gespeichert.
Die Erde entstand vor ungefähr 4,5 Mrd. Jahren durch die schrittweise Zusammenbal-
lung von Materie (Gesteinsbrocken, Gase, Staub) innerhalb eines vorhandenen Nebels.
Verlief dieser Vorgang am Anfang noch kühl, änderte sich dies durch die immer stärker
werdende mechanische Wucht der auftreffenden Materiekörper. Dabei dürfte die beim
Aufprall dieser Massen freigesetzte Gravitationsenergie fast vollständig in Wärme umge-
wandelt worden sein. Gegen Ende dieser Massenzusammenballung nach ca. 200 Mio. Jah-
ren war der oberste Teil der daraus entstandenen Erde abgeschmolzen. Dies führte dazu,
dass ein Großteil der freigesetzten Wärme wieder in den Weltraum abgestrahlt wurde.
Trotz aller Unsicherheiten über die Massenansammlung und die Energieabstrahlung wäh-
rend dieser Phase beträgt die in der Erde verbliebene Energie immer noch etwa zwischen
15 und 35 1030 J; der kleinere Wert entspricht einer kalten bis warmen, der größere einer
warmen bis heißen Ursprungserde.
Die Erde enthält radioaktive Elemente (u. a. Uran (U238 , U235 ), Thorium (Th232 ), Ka-
lium (K40 )), welche infolge radioaktiver Zerfallsprozesse über Zeiträume von Millionen
Jahren Energie abgeben. Diese in den oberflächennahen Erdschichten natürlich vorkom-
menden Isotope sind hauptsächlich in der kontinentalen Erdkruste angereichert. Die Mas-
senanteile von Uran bzw. Thorium in Granit z. B. betragen etwa 4,7 bzw. 20 ppm und in
Basalt 0,7 bzw. 2,7 ppm. Mit der entsprechenden Halbwertszeit, einer freigesetzten Ener-
gie von ca. 5,5 MeV für ein Zerfallsereignis und etwa 6 (Thorium) bzw. 8 (Uran) Zerfällen
bis zum Erreichen eines stabilen Zustandes ergibt sich eine Wärmeerzeugung von rund
1 J/(g a). Daraus errechnet sich beispielsweise in granitischen Gesteinen eine radiogene
Wärmeproduktionsleistung von ca. 2,5 W/m3 und in basaltischen Gesteinen von etwa
0,5 W/m3 .
Der Zerfall solcher natürlicher, langlebiger radioaktiver Isotope in der Erde produziert
damit permanent Wärme. Aufgrund derartiger radioaktiver Zerfallsprozesse hat die Erde
seit ihrer Entstehung rund 7 1030 J radiogene Wärme erhalten. Die potenzielle radiogene
Wärmeproduktion der noch vorhandenen radioaktiven Isotope beträgt etwa 12 1030 J.
Diese Zahlen sind jedoch mit großen Unsicherheiten behaftet, da über die Verteilung der
radioaktiven Isotope im Erdinneren bisher nur sehr wenig bekannt ist.
Bei einer Addition der heute noch vorhandenen Wärme aus der Erdentstehung bzw. der
Ursprungswärme und der schon freigesetzten und infolge des weiteren Zerfalls radioakti-
ver Isotope noch freisetzbaren Wärme errechnet sich ein Gesamtwärmepotenzial der Erde
von 12 bis 24 1030 J; davon befinden sich in der äußersten Erdkruste bis rund 10 000 m
Tiefe etwa 1026 J.
66 B. Geyer et al.
Energie aus Massenanziehung und Bewegung von Himmelskörpern Die beiden Him-
melskörper Erde und Mond kreisen um einen gemeinsamen Schwerpunkt. Er liegt auf-
grund der Massendisproportionalität (die Masse der Erde ist ca. 80 Mal so groß ist wie die
des Mondes) zwischen den beiden Himmelskörpern innerhalb des Erdkörpers (Abb. 2.5).
Bei der Rotation von Erde und Mond um diesen gemeinsamen Schwerpunkt bewegen sich
alle Punkte dieser beiden Himmelskörper auf Kreisen gleichen Radius um diesen Schwer-
punkt. Im Erdmittelpunkt ist dabei die Anziehungskraft durch den Mond genau so groß
wie die Zentripetalkraft, die für die Kreisbewegung der Erde benötigt wird. Dadurch er-
geben sich auf der dem Mond zu- bzw. abgewandten Seite die folgenden Effekte.
Auf der dem Mond zugewandten Seite ist die Anziehungskraft größer; daher versucht
alle Materie auf dieser Seite der Erde sich infolge der Massenanziehungskraft zum
Mond hin zu bewegen. Dadurch entsteht auf der Erde ein Flutberg, da die globalen
Wassermassen vergleichsweise mobil sind und relativ schnell dieser Kraft folgen kön-
nen; dieser Flutberg wird als Zenitflut bezeichnet. Auf dem offenen Meer machen sich
diese Flutberge nur begrenzt bemerkbar; sie sind nicht höher als etwa 50 cm und ver-
teilen sich auf eine Fläche von mehreren tausend Quadratkilometern.
Auf der dem Mond abgewandten Seite ist die Massenanziehungskraft des Mondes dem-
gegenüber kleiner als die Zentrifugalkraft, die infolge der sich drehenden Erde wirkt;
hier bewegt sich daher alle Materie auf der Erde vom Mond weg. Das liegt auch daran,
dass der Mond und die Erde sich um einen gemeinsamen Massenschwerpunkt drehen.
Dadurch entsteht auf der dem Mond abgewandten Seite der Erde ein Flutberg; er wird
Nadirflut genannt.
Wenn sich auf den beiden gegenüberliegenden Erdseiten infolge dieser physikalischen
Effekte jeweils ein Flutberg (Zenitflut und Nadirflut) ausbilden, muss aus den dazwischen
Polachse
Ebbe Rotationszeit
ca. 27 Tage
Massen-
anziehungs-
Fliehkraft kraft Erd-/Mond-
Achse
Flut Erdmittel- Massen- Flut
punkt schwerpunkt
Nadirflut Zenitflut
Ebbe
Abb. 2.5 Entstehung von Ebbe und Flut (Darstellung nicht maßstabsgetreu)
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 67
liegenden Gebieten das Wasser abfließen; d. h. dort stellt sich Ebbe ein. In der Summe
dieser Effekte resultiert daraus bei den beweglichen Wassermassen auf der Erdoberfläche
Ebbe und Flut (Abb. 2.5).
Der Erdkörper zieht sich unter der Wirkung dieser Kräfte etwas in die Breite. Die Ein-
stellzeit dieser Deformation, die innerhalb von 24 Stunden ihre Richtung um eine volle
Drehung ändern muss, ist aber zu groß, als dass es zu einer vollständigen Ausbildung der
sich theoretisch einstellenden Verzerrung kommt. Das Wasser dagegen folgt dieser De-
formation, allerdings mit einer geringen Verzögerung aufgrund der inneren Reibung der
Wassermassen, der Reibung am Meeresboden, des Anpralls an den Kontinentalrändern
und des Eindringens in Meeresengen und -buchten. Diese verzögernden Kräfte führen
deshalb zu einer Phasenverschiebung zwischen dem Mondhöchststand und der Flut und
damit auch zu einer Bremsung der Erdrotation.
Die jeweilige Lage der beiden Flutberge bzw. der entsprechenden Ebbezonen orientiert
sich an der Position des Mondes. Dabei dreht sich die Erdkugel täglich einmal in 24 Stun-
den um die eigene Achse. Dies bedingt, dass das Wasser der Ozeane von der Ebbe- zu den
Flutgebieten strömen muss. Zusätzlich bewegt sich der Mond in der gleichen Richtung
um die Erde, in der sie sich selbst dreht. Jedoch wandert der Mond während einer Erd-
umdrehung auf seiner Bahn um die Erde täglich ca. 1/28 weiter; d. h. der Mond braucht
28 Tage, um sich einmal um die Erde zu drehen. Diese Konstellation hat zur Folge, dass es
24 Stunden und 52 min dauert, bis der gleiche Punkt auf der Erde wieder dem Mond zuge-
wandt ist. Damit ist ein „Mondtag“ rund 50 Minuten länger als ein „Sonnentag“. Daraus
resultiert die zeitliche Verschiebung der Gezeiten zu dem „Sonnentag“.
Diese Energiequelle, die auf der Erde die Gezeiten hervorruft, resultiert also im We-
sentlichen aus der Kombination der Bewegung und der Massenanziehung der Himmels-
körper Erde und Mond untereinander.
2.1.2 Atmosphäre
Unter der Erdatmosphäre wird die von der Schwerkraft der Erde festgehaltene Gashülle
verstanden. Sie wird in verschiedene „Stockwerke“ eingeteilt (Abb. 2.6). Von besonde-
rem Interesse für die Nutzung regenerativer Energien auf der Erdoberfläche sind nur die
unteren Schichten; beispielsweise ist für die Windkraftnutzung die Atmosphäre bis zu
einer Höhe von allenfalls mehreren 100 m wesentlich. Jedoch wird innerhalb der gesam-
ten Atmosphäre die Sonnenenergie in andere Energieströme umgewandelt, die dann ggf.
technisch nutzbar gemacht werden können.
Den unteren Atmosphärenbereich bezeichnet man als Troposphäre. Sie ist die eigent-
lich wetterwirksame Schicht der Atmosphäre, in welcher sich vor allem die Wolken- und
Niederschlagsbildung vollzieht. Sie ist im zeitlichen und räumlichen Mittel durch eine
Abnahme der Temperatur mit zunehmender Höhe gekennzeichnet. Die Größe dieser Tem-
peraturänderung ist orts- und zeitabhängig. Der Temperaturgradient kann in relativ weiten
Grenzen um einen Mittelwert von 0,65 K/100 m schwanken. Unter bestimmten meteoro-
68 B. Geyer et al.
Luftdruck in mbar
-7 -6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3
10 10 10 10 10 10 10 10 10 10 10
160
140
Temperatur
Thermosphäre
120
Höhe in km 100
Mesopause
80
Luftdruck
Mesosphäre
60
Stratopause
40
Stratosphäre
20
Tropopause Mount Everest Wolken
Troposphäre
0
-200 -100 0 100 200 300 400 500 600 700
Temperatur in °C
Abb. 2.6 Querschnitt durch die Atmosphäre (Luftdruck: gepunktete Linie; Temperatur: gestrichelte
Linie; nach [2.4])
logischen Bedingungen treten auch vertikal eng begrenzte Schichten auf, in denen die
Temperatur mit wachsender Höhe nicht ab-, sondern zunimmt. Solche Inversionen treten
besonders häufig zwischen 1 000 und 2 000 m Höhe an der planetarischen Grenzschicht
(Kapitel 2.3.1) sowie unmittelbar über dem Erdboden („Bodeninversionen“) auf.
Die Troposphäre wird durch die Tropopause begrenzt, an die sich die Stratosphäre
anschließt. Innerhalb der Stratosphäre wird ein Temperaturmaximum zwischen 40 und
50 km Höhe erreicht. Die nächste Atmosphärenschicht ist die Mesosphäre; sie reicht bis
zum nächsten Temperaturextrem, einem Minimum in ca. 80 km Höhe. Über ihr liegt, ab-
gegrenzt durch die Mesopause, die Thermosphäre.
Die Atmosphäre setzt sich bis in etwa 100 km Höhe aus einem Gasgemisch zusammen
(Tabelle 2.1), dessen Mischungsverhältnis die Definiertheit einer chemischen Verbindung
hat. Dieses Gasgemisch ist – speziell in der Troposphäre – zeitlich und örtlich stark wech-
selnd mit Wasserdampf vermischt und von Aerosolen durchsetzt.
Die Grundmasse, trockene reine Luft, besteht aus einem Gemisch von Gasen, die unter
atmosphärischen Bedingungen nicht in die flüssige oder feste Phase übergehen können
(d. h. permanente Gase), weil ihre Verflüssigungs- bzw. Erstarrungstemperaturen weit
unterhalb der in der Atmosphäre vorkommenden Temperaturen liegen. Neben den Haupt-
bestandteilen Stickstoff (N2 ) und Sauerstoff (O2 ) sind darin zu geringen Anteilen noch
Argon (Ar) und Kohlenstoffdioxid (CO2 , umgangssprachlich auch als Kohlendioxid be-
zeichnet) enthalten. Zusätzlich kommen Spuren von weiteren Edelgasen wie Neon (Ne),
Helium (He), Krypton (Kr) und Xenon (Xe) sowie geringe Anteile an Ozon (O3 ) und Was-
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 69
serstoff (H2 ) in der Atmosphäre vor. Vor allem die zwei Letztgenannten variieren in ihren
Anteilen zeitlich und örtlich (u. a. [2.3, 2.4, 2.10, 2.11]).
In den letzten Jahrzehnten hat der Anteil an Kohlenstoffdioxid (CO2 ) in der Atmo-
sphäre deutlich zugenommen (Abb. 2.7). Dieser Anstieg resultiert u. a. aus der Nutzung
fossiler Energieträger (Öl, Gas, Kohle). Aber CO2 ist außer einem wesentlichen Produkt
der Verbrennung kohlenstoffhaltiger Energieträger auch ein Treibhausgas; d. h. es hat die
physikalische Eigenschaft, dass es wenig transparent ist für Infrarotstrahlung. Trifft nun
die von der Sonne kommende Energie in Form von kurzwelliger Strahlung auf die Erd-
oberfläche (die Atmosphäre ist für kurzwellige Strahlung weitgehend transparent), wird
sie dort in langwellige Wärmestrahlung umgewandelt. Sie kann dann – bei einem stei-
genden CO2 -Anteil in der Atmosphäre – immer weniger zurück in das Weltall abgegeben
werden, denn mit einem zunehmenden Anteil an Treibhausgasen in der Atmosphäre –
CO2 ist das hier wesentliche klimawirksame Spurengas, das im wesentlichen infolge der
Verbrennung fossiler Energieträger freigesetzt wurde und wird – wird diese für die von
der Erdoberfläche abgegebene langwellige Wärmestrahlung immer intransparenter. In der
Summe resultiert daraus, dass sich die Erde langsam erwärmt. Dieser physikalische Zu-
sammenhang wird auch als anthropogener Treibhauseffekt bezeichnet (anthropogen D
vom Menschen gemacht).
70 B. Geyer et al.
Die Energie, die aus den drei primären regenerativen Energiequellen Solarstrahlung, Erd-
wärme sowie Massenanziehung und Bewegung von Himmelskörpern stammt, kommt
auf der Erde in verschiedenen Erscheinungsformen (z. B. Wärme, fossile Energieträger,
Biomasse) vor bzw. ruft unterschiedliche Wirkungen hervor (z. B. Wellen, Verdunstung,
Niederschlag).
Zu den Primärenergiequellen zählen neben den regenerativen Energieströmen aus Son-
ne, Erdwärme sowie Massenanziehung und Bewegung von Himmelskörpern als nicht
regenerative Energiequelle die Energie, die aus Atomkernen entweder über eine Fusion
kleinerer in größere Kerne (potenziell während der Erdentstehung) oder eine Spaltung
größerer in kleinere Kerne (bei dem in der Erdkruste natürlicherweise vorhandenen In-
ventar an spaltbarem Material) in Form von Strahlung bzw. daraus resultierend als Wärme
verfügbar ist. Der Energiestrom von der Sonne – er kommt in Form primär kurzwelliger
Strahlung auf die Erde – ist Ursache für eine Vielzahl von weiteren Energieerscheinungs-
formen bzw. Wirkungen. Aus dieser auf die Erde auftreffenden solaren Strahlung sind im
Laufe der vergangenen Jahrmillionen u. a. die fossil biogenen Energieträger Kohle, Erdöl
und Erdgas entstanden. Sie bilden zusammen mit der Energie aus den Atomkernen (d. h.
den fossil mineralischen Energieträgern wie beispielsweise Wasserstoff für die Kernfusion
bzw. Uran für die Kernspaltung) die nicht regenerativen Energien bzw. Energieträger, die
heute als (begrenzter) Energievorrat auf der Erde vorhanden und potenziell nutzbar sind
(wenn dem nicht ökologische Aspekte entgegenstehen sollten). Alle anderen der Mensch-
heit zur Verfügung stehenden Optionen sind erneuerbare Energien bzw. Energieträger.
Ein Teil der gegenwärtig von der Sonne auf die Erde eingestrahlten Energie wird
innerhalb der Atmosphäre umgewandelt und ist letztlich u. a. für Verdunstung und Nieder-
schlag, Wind und Wellen verantwortlich. Die auf der Erde ankommende Globalstrahlung
erwärmt u. a. die Meere und die Erdoberfläche; daraus resultieren beispielsweise Mee-
resströmungen und das Pflanzenwachstum. Neben diesen Erscheinungsformen zählen zu
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 71
Sonnenstrahlung Abstrahlung
5,6 ∙ 1024 J/a = 100 %
Atmosphärenobergrenze
Massenanziehung Gezeiten
und Bewegung von 0,002 %
Himmelskörpern
Absorption in der Lufthülle
23 %
7 % Reflexion
Erdoberfläche 47 %
Erdwärme 0,02 %
0,009 %b
14 % 33 %
Biomasse 0,1 %
Energiereserven
fossil biogen
Kontinente Meere ca. 32,9 ∙ 1021 J
fossil mineralisch
ca. 4,4 ∙ 1024 Ja
17,8 %
12,5 %
2,7 %
2,9 %
Verdunstung 20,7 %
Abb. 2.8 Energiebilanz der Erde (a exemplarisch nur Kernspaltung mit Brütertechnologie
(1,5 TJ/kg Uran), zusätzlich wäre auch eine – hier nicht dargestellte – Fusion möglich; b Weltpri-
märenergieverbrauch an fossil biogenen und fossil mineralischen Energieträgern von rund 517 EJ
im Jahr 2018 [2.6]; verändert nach [2.53, 2.54])
den regenerativen Energien auch die Erdwärme sowie die Gezeitenenergie, die auf die
Massenanziehung und Bewegung von Himmelskörpern zurückzuführen ist.
Da die Erde sich annähernd in einem energetischen Gleichgewichtszustand befindet,
muss der zugeführten Energie eine entsprechend gleich große Abgabe gegenüberstehen.
Diese Energiebilanz des Energiesystems „Erde“ zeigt Abb. 2.8. Der mit Abstand größ-
te Teil der pro Jahr auf der Erde umgesetzten Energie stammt demnach von der Sonne
(über 99,9 %). Die aus der Massenanziehung und Bewegung von Himmelskörpern und
aus der Erdwärme resultierenden Energieströme liefern zusätzlich nur etwa 0,022 %; d. h.
sie sind im globalen Energiesystem nahezu vernachlässigbar (dies kann aber bei einer
konkreten Nutzung an einem definierten Standort anders sein). Durch den weltweiten Pri-
märenergieverbrauch aus der Nutzung der fossil biogenen und der fossil mineralischen
Energiereserven und -ressourcen kommen jährlich weitere rund 0,009 % bzw. ca. 517 EJ
(2018) hinzu [2.6].
Jährlich strahlt die Sonne etwa 5;6 1024 J auf die Erde. Davon werden etwa 23 % an
Wolken, Aerosolen usw. sowie der Atmosphäre selbst wieder zurück in den Weltraum re-
flektiert. Die verbleibenden Anteile dringen weiter in die Atmosphäre ein. Ein größerer
Teil davon erreicht die Erdoberfläche, während ein kleinerer Teil in der Atmosphäre ab-
72 B. Geyer et al.
sorbiert wird. Von der die Erdoberfläche erreichenden Strahlung wird zunächst ein kleiner
Teil (im Mittel etwa 7 %) wieder direkt zurück in die Atmosphäre reflektiert; dieser Anteil
ist insbesondere in den Wüsten- oder Eisgebieten der Erde deutlich höher. Der überwie-
gende Teil der die Erdoberfläche erreichenden Strahlung steht hier u. a. für Verdunstung,
Konvektion und Erwärmung zur Verfügung. Sie wird dazu in langwellige Wärmestrahlung
gewandelt und als diese wieder in den Weltraum abgestrahlt. Ein geringer Teil wird über
den Photosyntheseprozess in organische Substanz (Biomasse) umgewandelt; Biomasse ist
damit natürlicherweise gespeicherte Sonnenenergie. Dies gilt grundsätzlich auch für war-
mes Meerwasser, das ebenfalls die eingestrahlte Sonnenenergie über gewisse Zeiträume
speichern und durch die Meeresströmungen auch regional und global transportiert werden
kann.
Damit besteht näherungsweise ein Gleichgewichtszustand zwischen der zu- und ab-
geführten Energie auf der Erdoberfläche. Die zugeführte Energie ist dabei geringfügig
größer, da ein Teil der Energie in Form von Biomasse gespeichert wird; wird diese orga-
nische Substanz nicht in absehbarer Zeit wieder (natürlicherweise) biologisch abgebaut,
verbrannt oder anderweitig umgewandelt, kann sie im Verlauf geologischer Zeiträume in
fossil biogene Energieträger (d. h. Kohle, Öl, Gas) umgewandelt werden; dies betrifft z. B.
das im Meer gebildete Plankton, das teilweise auf den Meeresgrund absinkt und sich dort
einem schnellen natürlichen biologischen Abbau entzieht. Auch kann mit der Nutzung der
fossil biogenen und fossil mineralischen Energieträger kurzfristig mehr Energie freige-
setzt werden, als letztlich aus den beschriebenen regenerativen Energieströmen der Erde
zugeführt wird. Hinzu kommt, dass durch die steigenden Anteile an Kohlenstoffdioxid
(CO2 ), das durch die Verbrennung von Kohlenstoff fossilen Ursprungs gebildet wurde,
und weiteren Treibhausgasen (z. B. Methan (CH4 )) in der Atmosphäre zunehmend mehr
Wärmeenergie in der Atmosphäre gespeichert wird.
Ein Teil der von der Sonne auf die Erde eingestrahlten Energie trifft auf die Erdoberfläche
direkt in Form von Strahlung. Deshalb werden im Folgenden die wichtigsten Grundla-
gen des solaren Strahlungsangebots und wesentliche Eigenschaften, die aus Sicht einer
potenziellen technischen Nutzung relevant sind, diskutiert.
2.2.1 Grundlagen
Die von der Sonne auf den äußeren Rand der Erdatmosphäre auftreffende Solarstrahlung
kann – aufgrund der Beschaffenheit und Zusammensetzung der Atmosphäre – diese nur
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 73
100 %
Atmosphäre
50 %
0%
0,1 nm 1 nm 10 nm 100 nm 1 μm 10 μm 100 μm 1 mm 1 cm 1 dm 1m 10 m 100 m 1 km
Wellenlänge
Abb. 2.9 Durchlässigkeit der Atmosphäre für Solarstrahlung (verändert nach [2.8])
Radio-
Langwelle
Radio-
Gammastrahlung Kurzwelle
Mikrowelle
kosmische Röntgenstrahlung Radar
Höhenstrahlung
Fenster I Fenster II
hohe Energie niedrige Energie
-12 -6 -2 2
10 10 10 1 10 10 6
Wellenlänge in m
z. T. durchdringen und auf die Erdoberfläche auftreffen (Abb. 2.9); d. h. die Atmosphäre
ist für die aus dem Weltall auf den äußeren Rand der Atmosphäre auftreffende extra-
terrestrische Strahlung oft undurchlässig bzw. nur teildurchlässig; letzteres ist in zwei
Wellenlängenbereichen der Fall (sogenannte atmosphärische Fenster; Abb. 2.10).
Streuung. Unter Streuung versteht man die Ablenkung der Strahlung aus ihrer Einfalls-
richtung ohne Energieübertragung und damit ohne Energieverlust für die Strahlung;
d. h. es kommt ausschließlich zu einer Richtungsänderung (Abb. 2.11). Eine derartige
Streuung erfolgt u. a. an Luftmolekülen, Wassertröpfchen, Eiskristallen und Aerosol-
partikeln. Dabei wird zwischen der Rayleigh- und der Mie-Streuung unterschieden. Bei
der Rayleigh-Streuung handelt es sich um eine Streuung an Teilchen mit Radien, die
wesentlich kleiner sind als die Wellenlänge des einfallenden Lichts (z. B. Luftmolekü-
le). Die Mie-Streuung erfolgt an Teilchen, die Radien im Bereich der Wellenlänge des
einfallenden Lichts und größer haben (z. B. Aerosolpartikel). Je größer die Teilchen
werden, an denen das Sonnenlicht gestreut wird, desto stärker streuen sie in Vorwärts-
richtung. Die Mie-Streuung geht dann in eine Beugung über.
Absorption. Aus physikalischer Sicht wird unter Absorption die Aufnahme von elektro-
magnetischen Wellen durch einen absorbierenden Stoff verstanden. Da dieser Stoff die
absorbierte Solarstrahlung bzw. Energie nicht (vollständig) „behält“, wird sie – typi-
scherweise umgewandelt in andere Energieformen – wieder an die Umgebung (hier: die
Atmosphäre) abgegeben; i. Allg. wird die Sonnenenergie dabei in Wärme umgewan-
delt. Eine derartige Absorption der eintreffenden Solarstrahlung kann beispielsweise
an Aerosol-, Wolken- und Niederschlagspartikeln erfolgen. Zusätzlich ist auch eine se-
lektive Gasabsorption möglich (d. h. eine Absorption der Solarstrahlung an bestimmten
gasförmigen Bestandteilen der Atmosphäre); hier werden bestimmte Spektral- bzw.
Wellenlängenbereiche der solaren Strahlung von bestimmten Gasen absorbiert. Dies
gilt insbesondere für Ozon (O3 ) und Wasserdampf (H2 O); Ozon beispielsweise absor-
biert nahezu vollständig den Spektralbereich von 0,22 bis 0,31 m. Kohlenstoffdioxid
(CO2 ) absorbiert demgegenüber die solare Strahlung nur minimal.
Sonne
Partikelabsorption (z. B. Aerosol-,
Wolken-, Niederschlagspartikel)
Selektive Gasabsorption Direkt-
(z. B. Ozon, Wasserdampf) strahlung
Wärme-
strahlung Rayleigh-Streuung
(z. B. Luftmoleküle)
Mie-Streuung
(z. B. Aerosolpartikel)
Diffus-
strahlung
Erdoberfläche
Abb. 2.11 Weg der Solarstrahlung durch die Atmosphäre einschließlich der dort wirksamen Schwä-
chungseffekte
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 75
Diese Schwächung der Solarstrahlung durch Streuung und / oder Absorption wird
durch den Transmissionsfaktor G beschrieben (Gleichung (2.3)); er enthält summarisch
alle Schwächungseffekte, die innerhalb der Atmosphäre auf die an der äußeren Hülle
der Atmosphäre ankommende solare Globalstrahlung ausgeübt werden. GP G ist dabei die
Globalstrahlung und GP O die Solarkonstante.
GP G D GP O G (2.3)
2 500
O3 Absorptionsbanden
H2O
500 H2O
H2O
grün
gelb
blau
rot
H2O
CO 2
0
0 0,4 0,8 1,2 1,6 2 2,4 2,8 3,2
ultraviolett sichtbar nahes infrarot fernes infrarot
Wellenlänge in μm
Abb. 2.12 Energieverteilungsspektren der Sonnenstrahlung vor und nach dem Durchgang durch die
Erdatmosphäre (u. a. nach [2.3])
76 B. Geyer et al.
Der meteorologisch bedeutsame Spektralbereich liegt bei 0,3 bis 3 m; auf diesen Be-
reich entfallen etwa 96 % der gesamten extraterrestrischen Sonnenstrahlung.
Das Energiemaximum liegt im sichtbaren Spektralbereich bei 0,5 bis 0,6 m (grünes
bis gelbes Licht); das liegt darin begründet, dass entsprechend der Oberflächentem-
peratur der Sonne von knapp 5 800 K das rechnerische Maximum der Strahlung bei
etwa 0,5 m liegt (deshalb hat in diesem grünen Bereich das menschliche Auge seine
höchste spektrale Empfindlichkeit, da es von der Evolution an dieses Strahlungsmaxi-
mum angepasst wurde).
Mit abnehmender Wellenlänge (d. h. im ultravioletten Bereich) kommt es zu einer
raschen Abnahme der Strahlungsleistung, da diese sogenannte UV-Strahlung in den
oberen Schichten der Atmosphäre durch Ozon weitgehend absorbiert wird; nur etwa
6 % der gesamten auf die Erdoberfläche auftreffenden Solarstrahlung ist ultraviolette
Strahlung.
Bei zunehmender Wellenlänge (d. h. im infraroten Bereich) geht die Strahlungsleistung
langsamer zurück. Dabei wird die infrarote Strahlung vornehmlich durch Absorpti-
on vom in der Atmosphäre enthaltenem Wasserdampf und von Aerosolpartikeln ge-
schwächt; daraus resultieren die in Abb. 2.12 erkennbaren ausgeprägten Bandlücken
im Strahlungsspektrum.
In bestimmten Wellenlängenbereichen sind tiefe Einbrüche in der Energieverteilungs-
kurve vorhanden („dunkle Bereiche“). Sie werden durch die selektive Absorption des
Sonnenlichtes an einzelnen Atmosphärenbestandteilen hervorgerufen.
GP G D GP Df C GP Dr (2.5)
Wolken
Streuung an
Partikeln in der Streuung an
Atmosphäre Molekülen in der
Atmosphäre
Direkt-
strahlung
Diffus-
strahlung Globalstrahlung (gesamte
auf eine Empfangsfläche
Empfangsfläche auftreffende Strahlung)
Erdoberfläche
(z. B. Oberfläche eines Solarkollektors) eintreffen. Die von der Umgebung auf eine de-
finierte Empfangsfläche reflektierte Strahlung hat dabei oft nur eine geringe Bedeutung;
im Winter (Reflexionen an Eis und / oder Schnee) oder im Gebirge / in Wüstengebieten
(größere, glatte und reflektierende Oberflächen) kann die reflektierte Strahlung aber auch
größere Anteile an der Globalstrahlung einnehmen.
Der Anteil der Diffus- bzw. Direktstrahlung an der gesamten an einem bestimmten
Punkt auftreffenden Globalstrahlung ist tages- und jahreszeitlichen Schwankungen un-
terworfen. Abb. 2.14 zeigt deshalb jeweils beispielhaft den Jahresgang der Direkt-, der
Diffus- und der Globalstrahlung an einem Standort in Nord- und in Süddeutschland.
Demnach übersteigt in den mitteleuropäischen Breiten im Jahresdurchschnitt der diffuse
Strahlungsanteil den direkten Anteil erheblich. In den Wintermonaten besteht die Glo-
balstrahlung fast ausschließlich aus Diffusstrahlung. Im Sommer nimmt der Anteil der
direkten Strahlung jedoch deutlich zu.
Abb. 2.14 Jahresgang der Diffus-, der Direkt- und der Globalstrahlung (Summe aus Direkt- und
Diffusstrahlung) in Schleswig (links) und Stuttgart (rechts) (Mittelwerte der Jahre 1989 bis 2018;
Daten nach [2.5])
78 B. Geyer et al.
Direktstrahlung auf geneigte, ausgerichtete Flächen Die auf eine geneigte Empfangs-
fläche auftreffende direkte Sonnenstrahlung wird durch den Einfallswinkel bestimmt
(Abb. 2.15). Dieser wiederum ist abhängig von der Ausrichtung und dem Ort dieser Emp-
fangsfläche sowie vom aktuellen Sonnenstand. Es gilt Gleichung (2.6).
Dabei sind ˛ der Neigungswinkel, ˇ der Azimutwinkel (Abweichung von der Süd-
ausrichtung), ' der Breitengrad, ı die Sonnendeklination und !St der Stundenwinkel der
Sonne (Abb. 2.16). Der Stundenwinkel liegt bei Sonnenhöchststand bei 0ı und ist vormit-
tags positiv bzw. nachmittags negativ.
!St kann mit Hilfe der wahren Ortszeit (WOZ, in Stunden (h), Gleichung (2.7)), die
sich aus der gesetzlichen Zeit GZ ergibt, nach Gleichung (2.8) berechnet werden.
0
WOZ D GZ C
15ı =h
C 0;0066 C 7;3525 cos.J 0 C 85;9ı / C 9;9359 cos.2J 0 C 108;9ı /
C 0;3387 cos.3J 0 C 105;2ı / h (2.7)
!S t D .WOZ 12;00 h/15ı =h (2.8)
Tag des Jahres
J 0 D 360ı (2.9)
Zahl der Tage im Jahr
J 0 ist dabei die Nummer des betrachteten Tages des Jahres (1 . . . 365) (Gleichung (2.9))
im Jahresverlauf, 0 ist der Bezugsmeridian (15ı bei mitteleuropäischer Zeit (MEZ),
30ı bei mitteleuropäischer Sommerzeit (MESZ)) und der Längengrad des Standortes
der Empfangsfläche. Die Sonnendeklination ı, die den Winkelabstand des Sonnenhöchst-
standes vom Himmelsäquator beschreibt, berechnet sich nach Gleichung (2.10). Sie nimmt
Werte zwischen 23;45ı zur Winter- und C23;45ı zur Sommersonnenwende an.
2
ı D 23;45 cos .J C 10/ (2.10)
365;25
Liegt die Empfangsfläche für die Strahlung horizontal, vereinfacht sich Gleichung (2.6)
zu Gleichung (2.11). Dann kann der Zenitwinkel z wie folgt berechnet werden.
Die Umrechnung der solaren Direktstrahlung auf die geneigte, nach einer bestimmten
Himmelrichtung ausgerichteten Empfangsfläche GP Dr;g;a erfolgt aus der auf die horizontale
Empfangsebene auftreffenden Direktstrahlung GP Dr mit Hilfe des Strahlungseinfallswin-
kels , dem Neigungswinkel bezüglich der Horizontalebene ˛, dem Sonnenazimutwinkel
ˇ und der Ausrichtung der Flächennormalen bezüglich der Himmelsrichtung nach Glei-
chung (2.12).
Reflexionskörper
Moleküle
Partikel
α
Erdoberfläche Neigungswinkel der
Empfangsfläche
ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig, die zudem stark orts- und zeitabhängig sind
und auch kurzfristig starken Veränderungen unterliegen können; diese Umrechnung ist
daher i. Allg. nicht geschlossen analytisch darstellbar.
Deshalb wird häufig vereinfachend unterstellt, dass die Diffusstrahlung gleichmäßig im
Raum verteilt sei (was allerdings in der Realität nicht der Fall ist). Unter dieser Prämisse
trifft sie aus allen Richtungen zu gleichen Teilen auf einen bestimmten, definierten Punkt
auf der Erdoberfläche (isotropes Modell). Sie errechnet sich unter dieser stark verein-
fachten Randbedingung aus der Diffusstrahlung auf die horizontale Fläche GP Df und dem
Neigungswinkel der Empfangsfläche gegen die Horizontalebene ˛ nach Gleichung (2.13).
1
GP Df;g;a D GP Df .1 C cos ˛/ (2.13)
2
Die Annahme einer isotropen Strahlungsverteilung beschreibt jedoch nur einge-
schränkt die tatsächlichen Gegebenheiten; ist die Atmosphäre bei starker und gleich-
mäßiger Bewölkung nur von diffuser Strahlung erfüllt, ist es trotzdem im Bereich um
den jeweiligen Sonnenstand meist heller als am übrigen Himmel. Dies wird in Glei-
chung (2.14) berücksichtigt, bei der von einem gleichmäßig im Raum verteilten isotropen
Strahlungsanteil ausgegangen wird, dem ein sogenannter circumsolarer Anteil überlagert
wird (vgl. [2.1, 2.12, 2.13]). GP Df;g;a ist wieder der diffuse Anteil der Solarstrahlung,
der auf die geneigte und ausgerichtete Fläche auftrifft, GP Df die Diffusstrahlung auf die
horizontale Fläche, GP Dr;g;a die solare Direktstrahlung auf die geneigte, nach einer be-
stimmten Himmelrichtung ausgerichteten Empfangsfläche, GP O die Strahlungsleistung am
äußeren Rand der Erdatmosphäre (d. h. Solarkonstante), ˛ der Neigungswinkel und der
Strahlungseinfallswinkel.
! !!
1 GP Dr;g;a GP Dr;g;a cos
GP Df;g;a D GP Df 1 .1 C cos ˛/ C (2.14)
2 GP O GP O cos .90ı ˛/
Bei horizontaler Umgebung kann er aus der Albedo AG (d. h. dem Verhältnis von re-
flektierter zu eingefallener Globalstrahlung), der Globalstrahlung auf die horizontale
Empfangsfläche GP G und dem Neigungswinkel bezüglich der Horizontalen ˛ nach Glei-
chung (2.15) berechnet werden.
Die Albedo hängt von den Bedingungen an dem betrachteten Standort ab. Entsprechen-
de Werte bewegen sich z. B. bei Schnee zwischen 0,7 und 0,9, bei Sand zwischen 0,25 und
0,35 sowie bei Wald- und Ackerflächen zwischen 0,1 und 0,2.
Globalstrahlung auf geneigte, ausgerichtete Flächen Die auf eine geneigte und aus-
gerichtete Fläche, beispielsweise die Oberfläche eines Photovoltaikmoduls, auftreffende
Globalstrahlung setzt sich aus der ankommenden Direkt- (GP Dr;g;a , Gleichung (2.12)) und
Diffusstrahlung (GP Df;g;a , Gleichung (2.13) bzw. (2.14)) sowie der von der Umgebung auf
diese Empfangsfläche reflektierte Strahlung (GP R;g;a , Gleichung (2.15)) zusammen. Die
gesamte auf eine orientierte Fläche auftreffende Globalstrahlung GP G;g;a errechnet sich da-
mit nach Gleichung (2.16).
nicht bestrahlte Fläche, wird mit Hilfe elektrischer Energie auf die Temperatur der be-
strahlten Fläche erwärmt. Die Wärmeentwicklung ist dabei proportional dem Quadrat der
angelegten Stromstärke. Damit ist die Stromstärke äquivalent zu der absorbierten solaren
Strahlungsenergie. Pyrheliometer werden normal zur einfallenden Strahlung ausgerichtet
und sind so konstruiert, dass nur die Direktstrahlung auf die Empfangsfläche trifft; dies ist
beispielsweise durch eine Positionierung der Fläche in einer Röhre technisch möglich.
Die Globalstrahlung kann mithilfe von Pyranometern gemessen werden. Hier dient
als Empfangsfläche eine Thermosäule, deren Gegenlötstellen thermisch mit dem Gehäuse
verbunden sind. Der durch die Erwärmung der bestrahlten Fläche entstehende Tempe-
raturunterschied erzeugt eine Spannung, die ein Maß für die Globalstrahlung ist. Um
Witterungseinflüsse auf die Messung zu verhindern, wird die Empfangsfläche je nach zu
messendem Wellenlängenbereich mit Kalotten aus unterschiedlichem Material geschützt.
Für die Messung der kurzwelligen Strahlungsflüsse werden beispielsweise Halbkugeln
aus Quarzglas, der lang- und kurzwelligen Strahlungsflüsse Kalotten aus Lupolen und der
langwelligen Strahlungsflüsse Siliziumhalbkugeln verwendet. Die Pyranometer werden
meist horizontal ausgerichtet. Wird der direkte Anteil der Globalstrahlung z. B. durch ei-
nen Schattenring oder durch getrackte Schattenkugeln ausgeblendet, kann man mit diesen
Geräten auch die Diffusstrahlung messen. Durch Überkopfaufhängung kann der reflek-
tierte Anteil gemessen werden.
Zur Ermittlung der Strahlungsbilanz wird ein Pyranometer für den oberen und den
unteren Halbraum benötigt. Je nach Art der Abdeckung kann die Bilanz in verschiedenen
spektralen Bereichen ermittelt werden.
Oft wird lediglich nur die Sonnenscheindauer gemessen. Sie wurde früher z. B. durch
einen Sonnenscheinautographen nach Campbell-Stokes erfasst; hier entsteht durch eine
Konzentration der auftreffenden Solarstrahlung mittels einer Glaskugel auf einem in eine
Kalotte eingelegten Papierstreifen ein Brennstreifen. Heute werden Sonnenscheinsensoren
verwendet, welche die Andauerzeiten von Strahlungswerten >120 W/m2 aufzeichnen.
Tropengürtel der Erde z. T. merklich geringer; dies liegt an der hier oft deutlich stärkeren
Bewölkung und der damit auch größeren Strahlungsschwächung in der die Erde umge-
benden Lufthülle. Richtung Norden und Süden nimmt dann die jährlich durchschnittlich
eingestrahlte Globalstrahlung sukzessive ab, da mit zunehmendem Abstand vom Äquator
die mittlere Strahlungsleistung und der mittlere Sonnenstand über dem Horizont abnimmt.
In Deutschland ist der Süden durch das höchste solare Strahlungsangebot gekennzeich-
net; in Norddeutschland werden – mit Ausnahme der Nord- und Ostseeinseln – z. T.
deutlich geringere Strahlungssummen gemessen. Ursache für das höhere Strahlungsan-
gebot in Süddeutschland ist zum einen die südlichere Lage und damit die größere Nähe
zum Äquator mit der damit verbundenen höheren durchschnittlichen Strahlungsleistung.
Zum anderen ist hier im Durchschnitt die Wolkenbedeckung geringer. Beides zusammen
hat eine höhere Direktstrahlung und eine längere durchschnittliche Sonnenscheindauer
zur Folge. Im langjährigen Mittel variiert die Globalstrahlungssumme aufgrund der regio-
nalen Unterschiede zwischen unter 1 000 und über 1 200 kWh/(m2 a).
Zeitliche Variationen Das solare Globalstrahlungsangebot, das sich aus dem Direkt-
und Diffusanteil zusammensetzt, ist an einem bestimmten Standort erheblichen zeitlichen
Schwankungen unterworfen, die teils deterministischer und teils stochastischer Natur sind.
Abb. 2.20 verdeutlicht diese zeitliche Variabilität des solaren Strahlungsangebots an-
hand der gemessenen Globalstrahlungsleistungen an einem Standort in Norddeutschland.
300 300
2
2
Leistung in W/m
Leistung in W/m
m inutenm ittler e
minutenmittlere
250 250
200
Stundengang 200
150 150
100 100
50 50
Stundengang
0 0
0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60
Zeit in Minuten Zeit in Minuten
300 300
2
2
Leistung in W/m
Leistung in W/m
stundenmittlere
stundenm ittler e
250 250
200 200
Tagesgang
150
Tagesgang 150
100 100
50 50
0 0
0 3 6 9 12 15 18 21 24 0 3 6 9 12 15 18 21 24
Zeit in Stunden Zeit in Stunden
300
L e i s t u n g i n W/ m 2
Jahresgang
m o n at s- b z w .
250
t a g e s m it t le r e
200
150
100
50
0
0 30 60 90 120 150 180 210 240 270 300 330 360
Zeit in Tagen
Globalstrahlung in kWh/m²
schiedlichen Standorten auf 250
150
100
50
Würzburg Jakarta
Kapstadt Amman
0
Jan Feb Mär Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez
Der Jahresgang der tagesmittleren Strahlungsleistungen ist dabei durch ein geringes Strah-
lungsangebot in den Wintermonaten und ein merklich höheres Angebot im Verlauf des
Sommers gekennzeichnet. Die beiden exemplarisch dargestellten Tagesgänge der stun-
denmittleren Strahlungsleistung (30. Januar bzw. 30. Oktober) verdeutlichen, wie dieses
Strahlungsangebot im Verlauf eines Tages verteilt sein kann. Die zeitabhängige Cha-
rakteristik der flächenspezifischen Strahlungsleistung des Januartages war beispielsweise
ganztägig durch einen bedeckten Himmel bestimmt; die fast ausschließlich vorliegen-
de diffuse Strahlung ist durch geringe Leistungen in Kombination mit einer nur sehr
schwach ausgeprägten Variation im Zeitverlauf gekennzeichnet. Der 30. Oktober dage-
gen war weitgehend wolkenlos. Nur der Einbruch der Globalstrahlung um die Mittagszeit
deutet auf durchziehende Wolkenfelder hin. Der zusätzlich dargestellte Verlauf der mi-
nutenmittleren Strahlungsleistungen zur Mittagszeit bestätigt, dass der Januartag durch
einen gleichmäßig bedeckten Himmel mit daraus resultierender geringer, nur wenig va-
riierender Sonneneinstrahlung geprägt war. Demgegenüber war an dem Oktobertag die
Sonneneinstrahlung durchweg höher und entsprechend größeren Unterschieden infolge
der variierenden Bewölkung unterworfen.
Das solare Strahlungsangebot ist auch zwischen verschiedenen Jahren durch deutli-
che Unterschiede gekennzeichnet. Abb. 2.21 zeigt für unterschiedliche Standorte auf der
Nord- und Südhalbkugel exemplarisch den durchschnittlichen Jahresgang. Deutlich wird,
dass praktisch an jedem Ort ein mehr oder weniger ausgeprägter Jahresgang erkennbar ist
und damit merkliche jahreszeitliche Unterschiede vorhanden sind, die u. a. vom lokalen
Klima und der geografischen Lage beeinflusst werden. Aus der Darstellung geht auch her-
vor, dass der Jahresgang umso ausgeprägter ausfällt, je größer die Entfernung des Stand-
ortes vom Äquator ist; konsequenterweise zeigen deshalb die Standorte in Äquatornähe
die geringsten jahreszeitlichen Unterschiede. Gut erkennbar ist auch der spiegelbildliche
Verlauf des Jahresgangs der Solarstrahlung auf der Nord- und der Südhalbkugel infolge
der Ekliptik der Erde. Während beispielsweise Würzburg in Deutschland im Juni / Juli
maximale Werte zeigt, werden diese in Kapstadt in Südafrika in diesen Monaten minimal;
und im Dezember / Januar wird ein genau umgekehrtes Verhalten deutlich.
86 B. Geyer et al.
Zusätzlich zeigt Abb. 2.22 die Jahressummen der Globalstrahlung für vier Standorte in
Deutschland im Verlauf der letzten Jahrzehnte. Außerdem sind für diesen Zeitraum das
Mittel der Globalstrahlung, die zugehörige Standardabweichung sowie die aufgetretene
minimale und maximale Globalstrahlungssumme gezeigt. Aus der Darstellung lassen sich
u. a. die folgenden Schlüsse ziehen.
Abb. 2.23 zeigt den Verlauf der Monatssummen der Globalstrahlung im langjährigen
Mittel ebenfalls am Beispiel ausgewählter Messstationen. In Anlehnung an Abb. 2.22 sind
auch hier die Mittelwerte, die Standardabweichungen sowie die Minimal- und Maximal-
werte dargestellt. Neben den jahreszeitlichen Unterschieden des solaren Strahlungsange-
bots aufgrund des saisonal unterschiedlichen mittleren Sonnenstandes über dem Horizont
sind i. Allg. die Sommermonate durch größere Schwankungen im Solarstrahlungsange-
bot als die Wintermonate gekennzeichnet. Deutlich wird auch, dass die Unterschiede der
Globalstrahlungs-Monatssummen zwischen Dezember bzw. Januar und Juni bzw. Juli er-
heblich sind. Typischerweise zeigt sich im Mittel ein Unterschied um rund den Faktor 10;
d. h. in den Sommermonaten wird im Monatsmittel rund das 10-fache an Globalstrahlung
auf einen definierten Empfangspunkt (z. B. Photovoltaikmodul) eingestrahlt im Vergleich
zu den Wintermonaten. Dies liegt u. a. an den kürzeren Tagen im Winterhalbjahr im Ver-
88 B. Geyer et al.
Abb. 2.24 Mittlerer Tagesgang der solaren Strahlung an einem Standort in Norddeutschland (Insel
Norderney, Niedersachsen) und in Süddeutschland (Hohenpeißenberg, Bayern) (Daten nach [2.16])
Abb. 2.25 Monatsmittlerer Tagesgang des Sonnenstandes (links) und monatsmittlere Bedeckungs-
grade (rechts) im Jahresverlauf an einem süddeutschen Standort (Daten nach [2.16])
Unter ersterem ist der Anteil der Strahlung zu verstehen, der an einem bestimmten
Standort auf jeden Fall zu erwarten ist (d. h. der Diffusstrahlungsanteil, der bei voll-
ständiger Bedeckung im Verlauf des gesamten Tages eingestrahlt wird).
Unter letzterem wird der Anteil subsumiert, der zwischen dem deterministischen Anteil
und der natürlicherweise maximal möglichen Strahlung (d. h. maximal mögliche Strah-
lung bei vollständig klarem Himmel während des gesamten Tages) mit einer gewissen
Wahrscheinlichkeit gegeben ist.
Abb. 2.26 zeigt beispielhaft den Verlauf der minimal und maximal möglichen stunden-
mittleren Strahlungsleistung (d. h. Strahlungsleistung bei völlig klarem bzw. vollständig
bedecktem Himmel) an einem Standort in Süddeutschland für die Tage der Winter- und
der Sommersonnenwende. Außerdem enthält die Grafik exemplarisch einen Verlauf der
solaren Strahlungsleistung, wie er realistischerweise an einem derartigen Tag auftreten
könnte. Demnach ist die Bandbreite, innerhalb der die Solarstrahlung während der Tag-
stunden variieren kann, sehr groß; umgekehrt wird darin der doch beachtliche Einfluss der
Bedeckung auf die Strahlungsleistung deutlich. Außerdem bestätigt die Grafik auch die
erheblichen Unterschiede in der stundenmittleren Strahlungsleistung zwischen den ver-
schiedenen Jahreszeiten.
Die Stochastik der Solarstrahlung wird erheblich von den aktuellen groß- und klein-
räumigen meteorologischen Gegebenheiten beeinflusst. Diese Variationen sind daher an
unterschiedlichen nahe beieinander liegenden Zeitpunkten voneinander abhängig. So be-
einflusst die zu einem bestimmten Zeitpunkt vorliegende Bedeckung erheblich die Be-
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 91
Sonnenhöhe in °
60 10h
Horizont (nach [2.19]) 14h 21. Jan/Nov
50 21. Dez
21.Mar/Sept Horizont
8h
40 16h
Horizont
30
6h 18h
20
21.Dez
10
0
-180 -135 -90 -45 0 45 90 135 180
Nord Ost Süd West Nord
Azimut in °
deckung in der Atmosphäre in der darauffolgenden Stunde. Dieser Einfluss geht aber mit
zunehmender zeitlicher Distanz immer weiter zurück. Dies gilt auch für die räumliche Ab-
hängigkeit; die Bedeckung an unterschiedlichen, geografisch nahe beieinander liegenden
Orten ist in Abhängigkeit von den lokalen Bedingungen über die groß- und kleinräumigen
Zusammenhänge innerhalb der Atmosphäre gekoppelt.
Zur Beurteilung eines konkreten Standortes z. B. für die Installation einer Solaranlage
muss zusätzlich auch die Abschattung der direkten Sonneneinstrahlung u. a. durch Berge,
Gebäude und Bäume berücksichtigt werden. Hierzu werden sogenannte Sonnenwegs-
Diagramme (Abb. 2.27) verwendet. In derartigen Diagrammen ist für einen bestimmten
Breitengrad für den 21. Tag jeden Monats die Sonnenhöhe (d. h. der Winkel zwischen
der Sonneneinstrahlung und der Horizontalen) über dem Sonnenazimut (hier: der Ab-
weichung des Sonnenstandes von der Südrichtung) aufgetragen. Zusätzlich ist noch die
zugehörige Uhrzeit (Ortszeit) für den jeweiligen Sonnenstand angegeben.
In ein solches Sonnenwegs-Diagramm können nun die „Umrisse“ umliegender Erhö-
hungen eingezeichnet werden. Anschließend kann dann die für die Abschattung relevante
Jahres- und Tageszeit abgelesen werden. Beispielsweise kann damit für ein Haus, das z. B.
hohe passive Solarerträge erzielen soll, ermittelt werden, wie es zur optimalen Nutzung
der Sonnenstrahlung aufgestellt werden sollte, damit die Abschattung in den Zeiten, wäh-
rend denen die Sonnenenergie genutzt werden soll, möglichst gering ist.
Entscheidend für den Energieertrag einer Solaranlage ist auch ihre Ausrichtung.
Abb. 2.28 zeigt deshalb die monatliche Globalstrahlungssumme auf unterschiedlich
ausgerichtete Flächen. Demnach trifft auf nach Süden ausgerichtete senkrechte Flächen
in der Heizperiode die höchste Strahlung aller senkrechten Flächen und außerhalb der
Heizperiode eine geringere Einstrahlung als auf senkrechte Ost / West-Flächen. Auf senk-
rechte Nordflächen trifft während der Heizperiode nur diffuse Strahlung. 45ı nach Süden
geneigte Dachflächenfenster haben im Sommer eine sehr hohe Einstrahlung und im Win-
ter ähnelt die Einstrahlung der, die auf die senkrechte Südwand auftrifft. Deshalb haben
z. B. Wintergärten mit nach Süden ausgerichteter Schrägverglasung oft Überhitzungspro-
92 B. Geyer et al.
0
Jan Feb Mar Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez
bleme während der Sommermonate, wenn die Verglasung über keine Außenverschattung
verfügt. Die oberste Linie zeigt das Maximum einer zweiachsig nachgeführten Fläche. Im
Winter trifft auf die senkrechte Südfläche nur geringfügig weniger Solarstrahlung.
2.3 Umgebungswärme
Elektromagnetische Strahlung, wie sie beispielsweise von der Sonne kommt, durchdringt
reine Atmosphärenluft zu einem überwiegenden Anteil (Abb. 2.12). Durch die auf die Erd-
oberfläche auftreffende und dort absorbierte Solarstrahlung erwärmt sich diese. Die hier
in Wärme / thermische Energie umgewandelte Sonnenenergie wird dann teilweise wieder
an die bodennahen Luftschichten abgegeben und heizt diese auf. Damit wird die Luft-
temperatur in den bodennahen Atmosphärenschichten bestimmt durch den konvektiven
Wärmeübergang mit der Erdoberfläche. Deshalb werden im Folgenden zuerst die theo-
retischen Grundlagen der hierbei auftretenden Energieflüsse dargestellt und in weiterer
Folge die entsprechenden Außentemperaturen und deren zeitliche und räumliche Vertei-
lung beschrieben.
2.3.1 Grundlagen
Die physikalischen Vorgänge der Absorption von elektromagnetischer Strahlung (d. h. der
kurzwelligen Solarstrahlung) an Festkörpern und der anschließenden Speicherung in Form
von Wärme ist Voraussetzung zur konvektiven Wärmeabgabe an die bodennahen Luft-
schichten. Bei diesem Energiewandlungsvorgang spricht man auch von photothermischer
Wandlung. Dabei wird unter der Absorption allgemein das Aufnehmen einer Welle (z. B.
elektromagnetische Wellen, wie sie die Solarstrahlung darstellt) in einen Körper oder ei-
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 93
nen Stoff verstanden. Infolge dieser Absorption an der Oberfläche eines Körpers wird die
Energie der elektromagnetischen Welle in innere Energie dieses Körpers umgewandelt.
Dies äußert sich in einem Temperaturanstieg an der Oberfläche. Durch Wärmeleitung in-
nerhalb des Körpers wird die absorbierte Wärme in dem entsprechenden Körper verteilt
und ggf. dort gespeichert.
Steigt die Temperatur des Körpers über die Temperatur der umgebenden Luft, wird
diese Wärme wieder über Wärmestrahlung, Konvektion und Wärmeleitung an die Umge-
bung abgegeben. Damit strebt ein derartiges System im Verlauf längerer Zeiträume immer
ein Gleichgewicht an, bei dem der Wärmeeintrag durch Absorption und die Wärmeabgabe
an die Umgebungsluft gleich groß sind; infolge der Speicherwirkung des Bodens und des
Wassers kann es zu zeitlichen (und bei Ozeanen infolge der Meeresströmungen auch zu
räumlichen) Variationen zwischen Wärmeein- und -austrag kommen.
Nachfolgend werden die wesentlichen Prozesse, die diese Energiebilanz der Erdober-
fläche bestimmen, in Bezug auf den Einfluss auf die Außentemperatur diskutiert.
Absorption
Wärmeleitung
Speicherung
94 B. Geyer et al.
einem Material reflektierten (GP ) zu der auf den Körper / das Material einfallenden So-
larstrahlung (GPG ). Ist die Reflexion rein diffus, wie es bei nicht verspiegelten Körpern
der Fall ist, wird der Reflexionskoeffizient auch Albedo (AG ) genannt.
GP
D (2.18)
GP G
Aufgrund der Energieerhaltung ist die Summe des Absorptionsgrades ˛ und des Re-
flexionskoeffizienten beim bestrahlten opaken Körper immer gleich eins (Gleichung
(2.19); [2.2]).
Strahlungsemission Jeder Körper / jede Materie steht mit seiner / ihrer Umgebung (z. B.
den umgebenden Flächen) in einem Strahlungsaustausch. Dabei steigt die abgegebene
Strahlungsleistung mit der Temperaturdifferenz zwischen dem Körper (hier: Absorber)
und den Umgebungsflächen. Das Wellenlängenspektrum und die Strahlungsleistung der
abgegebenen Strahlung eines Körpers selber ist dabei abhängig von der Temperatur des
jeweiligen Körpers / der jeweiligen Materie (hier: Absorber); generell gilt, dass je höher
die Temperatur des Körpers ist, desto kurzwelliger und damit energiereicher wird das
Strahlungsspektrum.
Abb. 2.30 zeigt exemplarisch den Vergleich zwischen emittierter Strahlungsintensi-
tät und Wellenlängenspektrum eines idealen schwarzen Körpers bei knapp 5 800 K (d. h.
ca. 5 500 ı C; dies entspricht annähernd der Temperatur, die auf der Sonne dort vorherrscht,
9,0
Körpers bei 5 500 ° C in 107 W/(m² μm)
Strahlungsintensität des schwarzen
8,0 25
Körpers bei 15 ° C in W/(m² μm)
T = 5 500 ° C
7,0 Sonne
20
6,0 T = 15 ° C
Erdoberfläche
5,0 15
4,0
10
3,0
sichtbares Licht
violett 0,38 μm
rot 0,75 μm
2,0
5
1,0
0,0 0
0,1 1 10 100
Wellenlänge in μm
Abb. 2.30 Strahlungsspektrum und Intensität von zwei schwarzen Körpern unterschiedlicher Tem-
peratur (linke Kurve und linke Achse: Sonne 5 500 ı C (knapp 5 800 K) mit eingezeichnetem Bereich
des sichtbaren Lichtes; rechte Kurve und rechte Achse: mittlere Erdoberflächentemperatur 15 ı C; T
Temperatur)
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 95
wo die Solarstrahlung emittiert wird; siehe Kapitel 2.2) und einem Körper mit 288 K
Oberflächentemperatur (d. h. 15 ı C; dies entspricht der mittleren Temperatur der Erdober-
fläche). Ebenfalls ist der Bereich des sichtbaren Lichtes im Solarspektrum zwischen 0,38
und 0,75 m Wellenlänge eingezeichnet; d. h. die höchste solare Strahlungsintensität ist
im Bereich des sichtbaren Lichtes gegeben.
Aus der Kirchhoff’schen Regel, die besagt, dass in einem bestimmten Knotenpunkt
eines Netzwerkes die Summe der dort zufließenden Ströme gleich der Summe der dort
abfließenden Ströme ist, folgt, dass der Absorptionsgrad eines Körpers gleich dem Emis-
sionskoeffizienten bei gleicher Wellenlänge sein muss. Dabei kann u. a. zwischen schwar-
zen, grauen und farbigen Körpern unterschieden werden.
˛"1 (2.20)
Ein grauer Körper absorbiert nur einen Teil der einfallenden Strahlung; es liegt aber
keine Abhängigkeit der Absorption von der Wellenlänge vor. „Graue“ Materie mit
einem hohen Absorptionsgrad ˛ in einem bestimmten Wellenlängenbereich – und da-
mit bei einer bestimmten Temperatur T – zeigt im gleichen Wellenlängenbereich bzw.
bei der gleichen Temperatur T auch einen hohen Emissionskoeffizienten " [2.2]. Hier
gilt Gleichung (2.21).
˛ .T / D " .T / (2.21)
Die emittierte (d. h. abgegebene) Wärmestrahlung eines Körpers I " kann bezogen wer-
den auf die Emission des schwarzen Körpers I ";schwarz . Dieses Verhältnis ist dann der
Emissionskoeffizient " (Gleichung (2.23)).
I"
"D (2.23)
I";schwarz
96 B. Geyer et al.
Der emittierte Wärmestrom qP" ist proportional zur vierten Potenz der Temperatur T.
Folglich hängt der Energieaustausch zwischen einem Körper K / einer Materie K und
den ihn umgebenden Flächen U von der Temperaturdifferenz der jeweiligen Tempera-
turen zur vierten Potenz ab und lässt sich für einen grauen Körper nach Gleichung (2.24)
darstellen [2.2]. Hierbei ist " der äquivalente Emissionskoeffizient beider Flächen zu-
einander sowie T K und T U die Temperaturen (in K) des Körpers K / der Materie K und
der jeweils ihn umgebenden Gegenstrahlungsfläche U; ist die Stefan-Boltzmann-Kon-
stante (5;67 108 W=.m2 K4 /). F K;U ist der Sichtwinkel, unter dem sich die jeweils im
Strahlungsaustausch befindlichen Flächen „sehen“. Wird der emittierte Wärmestrom bei-
spielsweise ohne weitere Hindernisse (z. B. Bäume) gegen den Himmel abgestrahlt, ist
der Sichtwinkel in diesem Fall eins.
qP".K;U / D FK;U " TK4 TU4 (2.24)
Der äquivalente Emissionskoeffizient " ergibt sich z. B. bei zwei großen gegenüber
liegenden parallelen Flächen i und j nach Gleichung (2.25).
1
"D (2.25)
1
"i
C 1
"j
1
Feste Körper / feste Materie, die Solarenergie absorbieren (hier: primär die Boden-
oberfläche), verhalten sich i. Allg. wie farbige Körper, die über die im Solarspektrum
vorhandenen verschiedenen Wellenlängen unterschiedlich viel Strahlungsenergie absor-
bieren und emittieren. Zusätzlich reflektieren sie in der Regel den entsprechenden Anteil
der elektromagnetischen Strahlung diffus (d. h. richtungsunbestimmt). Sie unterscheiden
sich damit stark von schwarzen Körpern und auch von grauen Körpern.
Farbige Körper haben unterschiedliche Absorptionsgrade im sichtbaren Bereich der
Solarstrahlung. So absorbiert z. B. ein grüner Körper (beispielsweise Pflanzen) alle Wel-
lenlängen bis auf den grünen Bereich, der reflektiert wird; daher erscheint dieser Körper,
wenn er mit dem menschlichen Auge betrachtet wird, als grün. Zudem sind oft die Koef-
fizienten für die Absorption kurzwelliger und die Emission langwelliger Strahlung unter-
schiedlich. Dabei handelt es sich bei der Solarstrahlung zu einem großen Teil um kurz-
wellige Strahlung, die beim Strahlungsaustausch zwischen Körpern auf der Erde kaum
auftritt (Ausnahme: in Schneesituationen durch den hohen reflektierten Anteil), da vorwie-
gend langwellige Wärmestrahlung ausgetauscht wird. Während der kurzwellige Teil des
Solarspektrums vorwiegend absorbiert wird, gibt der Körper durch Emission vorwiegend
langwellige Strahlung an die Umgebung ab. Da der Energiegehalt lang- und kurzwelli-
ger Strahlung unterschiedlich ist, macht sich dies bei den entsprechenden Koeffizienten in
Form starker Unterschiede bemerkbar.
Verteilung der absorbierten Energie im Körper Die lokal durch Absorption der Son-
nenstrahlung an der Körper- / der Materialoberfläche aufgebaute innere Energie wird teil-
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 97
weise durch Wärmeleitung im Körper / im Material verteilt. Diese Verteilung der thermi-
schen Energie durch Wärmeleitung erfolgt in der Theorie so lange, bis sich eine über den
ganzen Körper konstante Temperatur eingestellt hat. Die dann gespeicherte Energie zeigt
auch Abb. 2.29; sie ist dort durch die graue Fläche unterhalb der schematisch gezeigten
Festkörperoberfläche dargestellt. Eine solche konstante Temperatur im gesamten Körper /
in der gesamten Materie kann jedoch nur erreicht werden, wenn die Umgebungstempe-
ratur gleich der Temperatur des Körpers ist – und damit nur nach unendlich langer Zeit
und unter konstanten Bedingungen. In der Realität wird sich die absorbierende Oberflä-
che (hier: die Bodenoberfläche) bei solarer Einstrahlung jedoch stets stärker aufwärmen
als der restliche Körper (hier: die tieferen Bodenschichten). Steigt die Temperatur dieser
(Boden-)Oberfläche über die der Umgebungstemperatur, findet sowohl eine Wärmeleitung
in den Körper / die Materie (d. h. die Wärme „wandert“ in größere Bodentiefen) als auch
eine Wärmeabgabe an die Umgebungsluft / die bodennahen Luftschichten über Wärme-
strahlung, Konvektion und Wärmeleitung statt. Sind Wärmeaufnahme und Wärmeabgabe
gleich, bleibt die Temperatur des Körpers konstant. Ist die Abgabe größer als die Aufnah-
me, sinkt die Temperatur des Körpers und die gespeicherte Wärme wird an die Umgebung
abgegeben; entsprechend ist auch der umgekehrte Fall möglich. Dabei gilt in jedem Mo-
ment immer die Energieerhaltung.
Diese Vorgänge der Wärmeleitung und Speicherung können durch den Fourier-
schen Erfahrungssatz der Wärmeleitung beschrieben werden. Exemplarisch beschreibt
Gleichung (2.26) die eindimensionale und stationäre Wärmeleitung q. P ist die Wärme-
leitfähigkeit, die Temperatur und x die Distanz der Wärmeleitung.
@
qP D (2.26)
@x
Die Differenz des aus einem Speicherelement ein- und ausfließenden Wärmestroms
P
@q=@x führt zu einer Erwärmung bzw. Abkühlung des Körpers / der Materie. Dies be-
schreibt Gleichung (2.27) [2.3]. Demnach ist die in einem Körper speicherbare Energie-
menge neben den Temperaturen von Körper / Materie und Umgebungsflächen auch von
den materialspezifischen Größen Wärmekapazität cp;Sp , Dichte Sp , der Wärmeleitfähig-
keit Sp des Körpers Sp / der Materie Sp und der Lade- und Entladezeit t abhängig. Steht
beispielsweise nur eine kurze Zeitspanne für Aufheizung und Abkühlung zur Verfügung,
wärmt sich der Körper nur an der Oberfläche auf; dann ist die insgesamt aufgenommene
Energiemenge gering.
@qP @2 @
D Sp 2 D Sp cp;Sp (2.27)
@x @x dt
ausdehnt. Da das erwärmte Fluid infolge der höheren Temperaturen nun leichter ist als das
weiter von der wärmeabgebenden Fläche entfernte, entsteht ein Auftrieb; d. h. das Fluid
strömt nach oben. In diesem Fall spricht man von Naturkonvektion (wird eine Strömung
über Ventilatoren oder Pumpen aufgeprägt, handelt es sich folglich um eine erzwungene
Konvektion).
Die treibende Kraft des konvektiven Wärmeübergangs ist die Temperaturdifferenz zwi-
schen dem Festkörper Festkörper (hier: der Boden) und dem Fluid Fluid (hier: die Um-
gebungsluft). Diese Temperaturdifferenz wird mit der konvektiven Wärmeübergangszahl
U konv multipliziert (Gleichung (2.28)), um den konvektiven Wärmestrom qPkonv zu erhal-
ten. Die Wärmeübergangszahl U konv (Einheit W=.m2 K/) beschreibt die flächenspezifische
Wärmeübertragungsleistung (d. h. pro Quadratmeter Übertragungsfläche) und pro Kelvin
Temperaturdifferenz. Der konvektive U-Wert ist abhängig von der Geometrie der Wärme-
übergangsfläche, vom Fluid bzw. wie leicht sich dessen Moleküle bewegen können (d. h.
der Viskosität), wie viel Wärme pro Volumeneinheit vom Fluid transportiert wird und
ebenso von der Temperaturdifferenz zwischen dem Festkörper und dem Fluid, da sich die
Bewegung des Fluids bei steigender Temperaturdifferenz erhöht.
qPkonv D Ukonv Festkörper Fluid (2.28)
Kurzwellige Strahlungsbilanz
Wärmebilanz der Erdoberfläche
der Erdoberfläche
langwelliger Strahlungs- konvektiver Wärme-
G,g,a austausch mit Himmels- übergang – erwärmt oder
solare
Einstrahlung Reflexion der solaren temperatur (Weltall, kühlt die bodennahe Luft
kurzwellig Einstrahlung (kurzwellig) Staubteilchen (Aerosole) je nach Temperatur von
zum Weltall und Treibhausgase) Oberfläche und angren-
Erdoberfläche (zumeist Auskühlung) zender Luft
Abb. 2.31 Energieflüsse an der Erdoberfläche (die einzelnen Mechanismen sind im Text erklärt;
dort findet sich auch die jeweilige mathematische Beschreibung der entsprechenden Zusammen-
hänge)
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 99
Luft
Luft
-0,3 -0,3
Wärmefluss 3:00 23:00 15:00 Wärmefluss
-0,1 5,364 kWh/d↑ 3:00 23:00 19:0011:00 15:00 Erdober- -0,1 Erdober-
0,609 kWh/d↑
0,1 0,118 kWh/d ↓ 7:00 fläche 0,1 19:00 0,097 kWh/d↑ fläche
7:00
11:00
0,3 0,3
Erdreich
Erdreich
Tiefe in m
Tiefe in m
0,5 0,5
0,7 0,7
0,9 0,9
1,1 1,1
absorbierte Solarstrahlung absorbierte Solarstrahlung
1,3 5,482 kWh/(m 2d) 1,3 0,512 kWh/(m 2d)
1,5 1,5
0 5 10 15 20 25 30 35 -7 -5 -3 -1 1 3 5 7
Temperatur in °C Temperatur in °C
Abb. 2.32 Tageszeitlicher Verlauf der Erdoberflächen- und Erdtemperaturen sowie der tagesmittle-
ren Energieflüsse für einen wolkenlosen Sommertag (links) und einen nebeligen Wintertag (rechts)
(im Sommerfall fließt netto Wärme in die Erde (d. h. es wird nur ein Teil der im Tagesverlauf
eingestrahlten Energie in Form von Wärme wieder an die bodennahe Atmosphäre abgegeben; im
dargestellten Beispiel fließen 0,118 kWh/d in die Erde und bedingen hier den in der linken Darstel-
lung deutlich werdenden Temperaturgradienten mit zunehmender Tiefe unter der Erdoberfläche);
im Winterfall fließt Wärme dagegen netto aus dem Erdreich in die oberflächennahe Umgebung
(d. h. der von der Erdoberfläche an die Umgebung abgegebene Wärmefluss setzt sich aus der ab-
sorbierten Solarstrahlung und dem Wärmestrom aus der Erde zusammen; im dargestellten Beispiel
fließen 0,097 kWh/d aus dem oberflächennahen Erdreich zur Erdoberfläche und bedingen den auf
der rechten Darstellung deutlich werdenden Temperaturverlauf im oberflächennahen Erdreich)) (ei-
gene Berechnungen)
Erwärmung. Erwärmt sich die Erdoberfläche nun über die Temperatur der darunterliegen-
den Bodenschichten, findet ein Wärmefluss in die Erde statt (d. h. in Richtung tieferer
Erdschichten). In der Nacht (d. h. keine kurzwellige Einstrahlung) kühlt sich die Erdober-
fläche dann infolge langwelliger Abstrahlung und konvektiver Wärmeabgabe wieder ab
und der Wärmefluss dreht sich von den Bodenschichten an die Erdoberfläche um. Die
Erde fungiert somit als Speichermasse sowohl über die tageszeitlichen als auch für die
jahreszeitlichen Schwankungen der solaren Einstrahlung. Der Wärmefluss und die Spei-
cherung in der Erde kann mit Gleichung (2.27) beschrieben werden. Die Eindringtiefe der
Temperaturschwankung ist dabei von der Wärmeleitfähigkeit , der spezifischen Wärme-
kapazität cp und der Dichte des Erdreichs sowie dem Zeitraum der Schwankung t (d. h.
der Zeit) abhängig.
Bedingt durch den kurzen Zeitraum der tageszeitlichen Schwankungen beträgt die Ein-
dringtiefe der Temperaturschwankung in die Erdschichten typischerweise nur maximal
50 cm. Abb. 2.32 zeigt exemplarisch die Temperaturverläufe über einen wolkenlosen Som-
mertag und einen nebeligen Wintertag für einen gut wärmeleitfähigen tonig / schluffigen
Boden. Demnach ist im Sommer die Bodenoberfläche generell wärmer als der tiefe Bo-
den und der Wärmefluss geht von der Oberfläche in die tieferen Erdschichten, die sich
langsam aufwärmen. Deutlich wird auch die große Erwärmung tagsüber aufgrund der ho-
hen und langen solaren Einstrahlung. Im Winter hingegen kühlen sich diese Erdschichten
ab und der Wärmefluss geht von den tieferen Schichten in Richtung Erdoberfläche (d. h.
100 B. Geyer et al.
er kehrt sich im Vergleich zum Sommer um). Durch den angenommenen nebeligen Tag
gibt es kaum solare Einstrahlung und die Schwankung der Erdoberflächentemperatur ist
gering.
Die Erdoberfläche steht zudem im langwelligen Strahlungsaustausch mit den jewei-
ligen „Umschließungsflächen“ nach Gleichung (2.24) und in einem konvektiven Wärme-
austausch mit der umgebenden Luft nach Gleichung (2.20); es gilt Festkörper D Erdoberfläche
und Fluid D Luft . Bei einem klaren Nachthimmel sind die Umschließungsflächen für den
langwelligen Strahlungsaustausch neben Staubteilchen und Wassertröpfchen in der At-
mosphäre in verschiedenen Höhen auch die die Erde umgebenden Massen im Weltall. Da
diese alle eine unterschiedliche Temperatur haben, spricht man hier von einer mittleren
Himmelstemperatur T Himmel . In klaren Nächten beträgt diese zwischen 20 und 40 ı C;
sie ist damit wesentlich niedriger als die Erdoberflächentemperatur; dies führt zu einer
Wärmeabgabe und damit Auskühlung der Erdoberfläche. Dabei kühlt sich bei einem kla-
ren Nachthimmel die Erdoberfläche viel stärker ab als in bewölkten Nächten, an denen die
Himmelstemperatur aufgrund der Wassertröpfchen der tieferliegenden Wolken wesentlich
höher ist.
Der konvektive Wärmeübergang parallel zum langwelligen Strahlungsaustausch findet
zwischen der Erdoberfläche und der umgebenden Luft statt; d. h. bei einer Erwärmung
der Erdoberfläche durch solare Einstrahlung erwärmt sich auch die die Erdoberfläche
unmittelbar umgebende Luft. Dieser konvektive Wärmeübergang bestimmt primär die
Lufttemperatur. In der Nacht kühlt sich die Erdoberfläche aufgrund der langwelligen Ab-
strahlung unter die Umgebungsluft ab und entzieht ihr somit Wärme. Ohne das Einbringen
von Luft mit anderen Temperaturen durch Wind kühlt sich somit die Außenluft in der
Nacht immer mehr ab, bis am nächsten Morgen die Solarstrahlung die Erdoberfläche wie-
der aufheizt. Die Außenluft hat damit ihre niedrigste Temperatur kurz vor Sonnenaufgang.
Am wärmsten ist es aufgrund der Speichermasse der Erde zwischen 13:00 und 15:00 (Son-
nenzeit). Dieser Speichermasseneffekt des Erdreichs zeigt sich auch in der jahreszeitlichen
Schwankung der Außenlufttemperatur. Deshalb ist in unseren Breiten typischerweise der
kälteste Monat der Januar, obwohl die potenziell geringste Solarstrahlung am 21. Dezem-
ber auftritt; entsprechend ist der heißeste Monat der Juli trotz einer potenziell maximalen
Solarstrahlung am 21. Juni.
Parallel dazu ist die Außenlufttemperatur natürlich auch von den klein- und großräu-
migen Atmosphärenbewegungen abhängig; so kann z. B. trotz sternklarer Nacht aufgrund
einer eintreffenden Warmfront die Temperatur in der Nacht zunehmen.
Als Beispiel für diese Zusammenhänge zeigt Abb. 2.33 den Verlauf von Solarstrahlung
(global und diffus), Außenlufttemperatur und relativer Luftfeuchtigkeit im Verlauf von 5
aufeinanderfolgenden Tagen. Am Tag 1 ist das Wetter tendenziell bewölkt und es herrscht
nur zeitweise direkter Sonnenschein; nur dann gibt es einen Direktstrahlungsanteil und die
Globalstrahlung ist höher als die Diffusstrahlung. Durch die solare Einstrahlung heizt sich
die Außenluft aufgrund der oben beschriebenen Mechanismen auf. In der Nacht zwischen
Tag 1 und Tag 2 sowie zwischen Tag 2 und Tag 3 kühlt sich die Luft aufgrund eines kla-
ren Nachthimmels stark ab. Die niedrigste Außenlufttemperatur tritt kurz vor Sonnenauf-
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 101
1000 30
Tag 1 Tag 2 Tag 3 Tag 4 Tag 5
900 Globalstrahlung
Diffusstrahlung 25
re lativ e Luftfe uchte in % 800
Außenlufttemperatur in °C
relative Luftfeuchtigkeit
Außenlufttemperatur
Strahlung in W/m²,
700
20
600
500 15
400
10
300
200
5
100
0 0
24 12 24 12 24 12 24 12 24 12 24
Tagesstunde in h
Abb. 2.33 Solarstrahlung (global und diffus), relative Luftfeuchtigkeit und Außentemperatur über
5 Tage (Daten nach [2.72])
gang auf. Tag 2 ist klar und wolkenlos; der Diffusstrahlungsanteil ist hier nur gering und
die Globalstrahlung ist durch einen hohen Direktstrahlungsanteil gekennzeichnet; damit ist
auch die Außenlufttemperatur entsprechend hoch; sie folgt aber aufgrund der beschriebe-
nen Speichermasseneffekte mit einem Zeitversatz von ca. drei Stunden der Einstrahlung. Da
sich die absolute Luftfeuchtigkeit kaum ändert, sinkt mit steigender Lufttemperatur auch
die relative Luftfeuchte. Tag 3 ist ebenfalls durch schönes und wolkenloses Wetter gekenn-
zeichnet. Allerdings ist hier entweder eine leichte Bewölkung oder mehr Dunst in der At-
mosphäre. Dies führt aufgrund der Strahlungsreflexion an den Staubteilchen zu einer Ver-
ringerung der Einstrahlung und zu einer Erhöhung des Diffusstrahlungsanteils. Tag 4 ist
bewölkt und zeigt deshalb nur eine sehr geringe direkte Solarstrahlung und Tag 5 ist ein reg-
nerischer Tag mit geringer und rein diffuser Einstrahlung. Deutlich wird, dass, je geringer
die Globalstrahlung ist, desto geringer auch die Aufheizung der Außenluft ist. Allerdings
kühlt sich die Luft auch in der Nacht aufgrund tiefstehender Wolken mit einer Gegenstrah-
lungstemperatur um die Erdoberflächentemperatur nicht ab. Den jahreszeitlichen Verlauf
der Erdreichtemperatur zeigt exemplarisch Abb. 2.104.
Die gleiche Energiebilanz kann prinzipiell auch an Wasseroberflächen aufgestellt wer-
den. Primäre Unterschiede zum Erdreich sind die geringere Albedo und damit größere
Strahlungsabsorption an der Wasseroberfläche und die größere Eindringtiefe der Tempe-
raturschwankungen (und damit höhere Wärmespeicherfähigkeit des Wassers) aufgrund
höherer Werte u. a. für der Wärmeleitfähigkeit und dem höheren Produkt aus spezifi-
scher Wärmekapazität cp und der Dichte im Vergleich zum Erdreich. Damit heizt sich
die Luft über Gewässern tagsüber nicht so stark auf wie an Land und kühlt auch nachts
nicht so stark aus. Diese Temperaturdifferenz von Luft über Erdreich- und Wasseroberflä-
chen ist der Grund für den tageszeitlichen Verlauf von Land- und Seewind (Abb. 2.45).
102 B. Geyer et al.
Bei der berührenden Messung berührt das Temperaturmessgerät das zu messende Me-
dium und über Wärmeleitung, in flüssigen Medien auch Konvektion und in gasförmi-
gen Medien zusätzlich Strahlungsaustausch, stellt sich im Messfühler des Messgerätes
nach unendlich langer Zeit die gleiche Temperatur wie in dem zu messenden Medium
ein. Als Messprinzipien kommen infrage
– die Wärmeausdehnung von Medien mit der Temperatur (z. B. Quecksilberthermo-
meter),
– die Änderung des elektrischen Widerstandes von Leitern mit der Temperatur (Wi-
derstandsthermometer; z. B. mit Platin Pt100 oder Pt1000 mit jeweils 100 bis
1 000 Nennwiderstand bei 0 ı C) oder
– ein Stromkreis (Thermoelemente), bei dem mit zwei verschiedenen elektrischen
Leitern bei unterschiedlichen Temperaturen an den jeweiligen Kontaktstellen eine
Spannung entsteht, die von der Temperaturdifferenz abhängig ist; das hier am häu-
figsten eingesetzte Stoffpaar sind Nickel-Chrom / Nickel (Typ K).
Die Temperaturmessung erfolgt aufgrund des langsamen Wärmetransports von Medi-
um zu Messfühler / Messgerät bei der berührenden Messung verzögert. Hinzu kommt,
dass auch das Messgerät selber eine gewisse thermische Trägheit hat. Deshalb sollte
das Messgerät immer fest mit dem zu messenden Gegenstand verbunden (angepresst)
sein. Auch muss bei schnellen Messungen angestrebt werden, dass der eigentliche
Messfühler nur eine sehr geringe Masse – und damit auch Trägheit – aufweist.
Die berührungslose Messung macht sich die langwellige Strahlung, die jeder Kör-
per abgibt, zunutze; d. h. konzeptbedingt können keine Gastemperaturen und damit
auch keine Lufttemperaturen gemessen werden. Das Wellenlängenspektrum, das von
einer Körperoberfläche ausgeht, ist von der Höhe der Temperatur abhängig (Kapi-
tel 2.3.1). Die Messung dieses Wellenlängenspektrums kann ohne Zeitverzögerung
erfolgen. Allerdings wird damit von einem entsprechenden Messgerät nicht die ei-
gentliche Temperatur des Objektes gemessen; vielmehr wird systembedingt nur die
Strahlung messtechnisch erfasst, die aus der Richtung des Objektes kommt. Diese
kann zusätzlich zum Messobjekt selbst auch aus an der Oberfläche des Messobjektes
reflektierter Strahlung bestehen. Heute häufig eingesetzte Messgeräte sind Infrarot-
Pyrometer und Thermographiekameras.
Berge (z. B. Anden, Himalaya). Die nun in nördlicher und südlicher Richtung folgenden
gemäßigten Breiten sind mit einem zunehmenden Äquatorabstand durch entsprechend sin-
kende Durchschnittstemperaturen gekennzeichnet, die mit zunehmender Polnähe immer
weiter abnehmen.
Ähnliche Tendenzen, wie sie in Abb. 2.34 auf globaler Ebene deutlich werden, zeigt
auch Abb. 2.35 für den deutschsprachigen Raum. Hier fällt zunächst auf, dass der Süden
durch Bereiche mit sehr geringen Jahresmitteltemperaturen gekennzeichnet ist; dies ist
auf die Höhenlagen der Alpen zurückzuführen, da die Jahresdurchschnittstemperatur mit
zunehmender Höhe über Grund i. Allg. zurückgeht. Aus vergleichbaren Gründen wer-
den auch in der Mitte Deutschlands verschiedene Gebietsflächen mit relativ geringeren
Temperaturen deutlich; dies ist auf die hier vorkommenden Mittelgebirge zurückzuführen
(z. B. Harz, Thüringer Wald, Erzgebirge). Erkennbar ist auch die norddeutsche Tiefebe-
ne, die nur geringe Temperaturunterschiede aufweist. Dagegen ist die Kölner Bucht durch
leicht höhere Jahresmittelwerte der Lufttemperatur gekennzeichnet. Entsprechend hohe
durchschnittliche Temperaturen werden auch im Oberrheingraben und im Wiener Becken
gemessen.
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 105
Abb. 2.36 Jahresgang sowie Tages- und Stundenganglinien gemessener Temperaturen am Beispiel
eines Standorts in Norddeutschland (nach [2.5])
106 B. Geyer et al.
Monatsmitteltemperatur in °C
Temperaturen an unterschied-
lichen Standorten auf der Erde 25
(Daten nach [2.72])
20
15
10
5 Würzburg Jakarta
Kapstadt Amman
0
Jan Feb Mär Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez
nigen Grad, der aber bereits in den frühen Abendstunden wieder zurückgegangen ist.
Demgegenüber war der ebenfalls detailliert gezeigte 30. Oktober durch einen deutlich
ausgeprägteren Tagesgang charakterisiert. Hier ist ebenfalls – leicht versetzt zum mittle-
ren Sonnenstand über dem Horizont – die Temperatur zu den Mittagsstunden / zum frühen
Nachmittag leicht angestiegen und dann nach Überschreiten eines Maximalwertes mit den
zunehmenden Abendstunden immer weiter zurückgegangen. Der zusätzlich dargestellte
Verlauf der minutenmittleren Temperaturmessungen zeigt, dass sich innerhalb einer Stun-
de die Umgebungstemperatur i. Allg. nur wenig ändert (d. h. die hier dargestellten Kurven
sind weitgehend linear); dies kann dann anders sein, wenn es beispielsweise zu einem
Temperatursturz infolge von Föhn kommt, Fronten durchziehen oder eine starke solare
Einstrahlung vorherrscht.
Die Temperatur ist auch zwischen verschiedenen Jahren durch deutliche Unterschie-
de gekennzeichnet. Abb. 2.37 zeigt exemplarisch für unterschiedliche Standorte auf der
Nord- und Südhalbkugel den durchschnittlichen Jahresgang aus Monatsmittelwerten der
bodennahen Lufttemperatur. Deutlich wird, dass an jedem der in Abb. 2.37 dargestellten
Standorte ein mehr oder weniger ausgeprägter Jahresgang gegeben ist und damit an allen
Standorten merkliche jahreszeitliche Unterschiede der Umgebungstemperatur vorhanden
sind, die u. a. von der geografischen Lage und vom lokalen Klima beeinflusst werden. In
der Darstellung wird aber auch deutlich, dass der Jahresgang der monatsmittleren Umge-
bungstemperatur an dem Standort, der in den Tropen liegt (Jakarta / Indonesien), nur sehr
schwach ausgeprägt ist. Demgegenüber sind die Standorte, die in den gemäßigten Brei-
ten liegen, durch deutlich ausgeprägtere Unterschiede im Jahresverlauf gekennzeichnet.
Deutlich wird auch, dass die monatsmittleren Temperaturen mit zunehmender Entfer-
nung des Standortes vom Äquator tendenziell immer niedrigere Werte annehmen; das
wird beispielsweise bei einem Vergleich der Verläufe der Monatsmittelwerte in Amman /
Jordanien und in Würzburg / Deutschland deutlich. Gut erkennbar ist auch der spiegel-
bildliche Verlauf des Jahresgangs auf der Nord- und der Südhalbkugel. Während bei-
spielsweise Amman und Würzburg im Juni / Juli maximale Werte zeigen, werden diese
in Kapstadt / Südafrika in diesem Zeitfenster minimal; und im Dezember / Januar wird ein
genau umgekehrtes Verhalten deutlich.
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 107
Zusätzlich zeigt Abb. 2.38 die jahresmittleren Temperaturen für vier Standorte in
Deutschland im Verlauf der letzten Jahrzehnte. Außerdem sind für diesen Zeitraum der
jeweilige Mittelwert, die zugehörige Standardabweichung sowie die aufgetretene mini-
male und maximale Monatsmitteltemperatur gezeigt. Aus der Darstellung lassen sich u. a.
folgende Schlüsse ableiten.
Von den dargestellten Standorten zeigt die südlichere der beiden Stadt-Messstationen
(Frankfurt) im langjährigen Jahresmittel eine Temperatur zwischen 10 und 11 ı C. Ver-
glichen damit ist die Mitteltemperatur an der Messstation Hamburg rund ein Grad
kühler (9 bis 10 ı C); dies liegt u. a. an der nördlicheren Lage. Im Unterschied dazu
zeigen die beiden Bergstandorte merklich niedrigere Temperaturen; sie werden stark
von der Höhe der jeweiligen Messstation bestimmt. Damit werden auf der Zugspit-
ze (Wettersteingebirge, Bayern; 2 962 m ü. NHN) im Jahresmittel Minuswerte (4 bis
5 ı C) und auf dem Kahlen Asten (Rothaargebirge, Nordrhein-Westfalen; 841,9 m ü.
NHN) Plusgrade (rund 5 ı C) gemessen.
Der Verlauf der Temperaturen zwischen den verschiedenen Standorten korreliert. Bei-
spielsweise wurden 2010 an allen dargestellten Messstationen deutlich unterdurch-
schnittliche Jahresmitteltemperaturen gemessen; entsprechend waren 2018 die Tempe-
raturen ohne Ausnahme merklich überdurchschnittlich in Bezug auf den dargestellten
Zeitraum. Nichtsdestotrotz kommen auch Jahre vor, an denen die Jahresmittelwerte
weitgehend unabhängig voneinander vom Mittel abweichen; dies ist dann vermutlich
auf den starken Einfluss lokaler meteorologischer Effekte zurückzuführen.
Die Standardabweichungen der Jahresdurchschnittstemperaturen an den vier in Abb.
2.38 dargestellten Standorten bezogen auf den jeweiligen Mittelwert der Temperatu-
108 B. Geyer et al.
ren im Verlauf des dargestellten Zeitraums erlauben Aussagen im Hinblick auf die
Berechnung des durchschnittlich zu erwartenden Energieertrags beispielsweise einer
luftgekoppelten Wärmepumpe. Dabei ist aber erkennbar, dass die Standardabweichun-
gen an den vier Stationen relativ ähnlich sind. Innerhalb Deutschlands ist somit die
relative Standardabweichung der Jahresmittelwerte der Temperatur näherungsweise
unabhängig von dem entsprechenden Standort. Dies gilt grundsätzlich nicht nur für
die Standardabweichungen, sondern auch für die Relation der Minimal- und Maximal-
werte zum Mittelwert.
Abb. 2.39 zeigt den Verlauf der Monatsmittelwerte einschließlich der entsprechenden
durchschnittlichen Variationen der bodennahen Lufttemperatur am Beispiel ausgewählter
Messstationen in Deutschland. Damit ist jede der in Abb. 2.39 dargestellten Wetterstatio-
nen durch einen typischen Jahresgang charakterisiert. Die Sommermonate sind folglich in
Deutschland nahezu unabhängig von lokalen Einflüssen bzw. dem jeweiligen konkreten
Standort durch merklich über dem Jahresmittel liegende Lufttemperaturen gekennzeich-
net. Demgegenüber herrschen im Verlauf des Winters im langjährigen Mittel deutlich un-
terdurchschnittliche Temperaturen vor. Deutlich werden auch die Unterschiede zwischen
den beiden Stadt-Standorten (Frankfurt und Hamburg) und den beiden Berg-Standorten
(Kahler Asten / Nordrhein-Westfalen und Zugspitze / Bayern).
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 109
2.4 Windenergie
Die solare Einstrahlung ist – neben dem Wasserkreislauf – auch für die globale und lokale
Bewegung der Luftmassen innerhalb der Erdatmosphäre verantwortlich. Von der gesam-
ten auf die Außenfläche der Atmosphäre auftreffenden Solarstrahlung werden etwa 2,5 %
oder 1;4 1020 J/a für die Atmosphärenbewegung verbraucht; daraus resultiert eine theore-
tische Gesamtleistung des Windes von etwa 4;4 1012 W (u. a. [2.7]). Die in den bewegten
Luftmassen enthaltene Energie, die beispielsweise durch Windkraftanlagen zunächst in
mechanische oder Bewegungsenergie des Rotors und dann in elektrische Energie am An-
lagenausgang umgewandelt werden kann, stellt also eine sekundäre Form solarer Energie
dar (d. h. indirekte Nutzung der Sonnenenergie). Ziel der folgenden Ausführungen ist es,
die wesentlichen Grundlagen des Windenergieangebots darzustellen und seine Angebots-
charakteristik im Hinblick auf eine technische Nutzung zu diskutieren.
2.4.1 Grundlagen
Bewegungsbahn
des Luftteilchens
Luftdrucks zu einem Punkt niedrigeren Luftdrucks in Bewegung. Es will damit von ei-
ner Isobare mit dem Druck p1 in Richtung einer Isobaren mit dem Druck p2 wandern
(Abb. 2.40). Bei der Bewegung zum gegenüber p1 niedrigeren Luftdruckniveau p2 be-
schleunigt die Gradientkraft das Luftteilchen; seine Geschwindigkeit nimmt damit ständig
zu. Gleichzeitig gewinnt aber die Corioliskraft immer mehr an Einfluss; sie resultiert aus
dem Produkt von Teilchenmasse, Winkelgeschwindigkeit des rotierenden Systems und der
Teilchengeschwindigkeit relativ zum rotierenden Bezugssystem. Da sie immer senkrecht
zur Bewegungsrichtung wirkt (Abb. 2.40), bedingt sie eine ständige Richtungsdrehung
des resultierenden Geschwindigkeitsvektors. Die dadurch hervorgerufene Änderung der
Bewegungsrichtung hält so lange an, bis der Betrag der Corioliskraft dem Betrag der
Gradientkraft entspricht (d. h. die beiden Kräfte sich gegenseitig ausgleichen). Das Luft-
teilchen ist dann keiner resultierenden Kraft mehr ausgesetzt; es befindet sich in einem
Kräftegleichgewicht. Seine Strömungsgeschwindigkeit und die Corioliskraft bleiben da-
mit unverändert; unter diesen Bedingungen bewegt es sich parallel zu den genannten
Isobaren mit dem Druck p1 und p2 . Einen derartigen Wind, bei dem sich Luft entlang
der Isobaren bewegt, nennt man den geostrophischen Wind (Abb. 2.41, links).
Je größer der Druckgradient in den Atmosphärenschichten ist, desto dichter liegen die
Isobaren beieinander und desto größer ist die Gradientkraft. Entsprechend stärker werden
die Luftteilchen beschleunigt. Damit erhöht sich auch die Geschwindigkeit des Teilchens,
das sich von der Isobare mit dem Druck p1 zur Isobare mit dem Druck p2 bewegen möch-
te. Der Betrag der Corioliskraft wiederum wächst proportional zur Geschwindigkeit des
Teilchens, an dem die Kraft angreift.
Deshalb stellt sich bei parallel verlaufenden Isobaren das Kräftegleichgewicht zwi-
schen Coriolis- und Gradientkraft und damit die geradlinige Bewegung des Luftteilchens
entlang der Isobaren unabhängig vom Druckunterschied bzw. der Gradientkraft immer
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 111
ein. Lediglich die Geschwindigkeit des geostrophischen Windes ist von der Größe der
Druckunterschiede abhängig (d. h. je größer die Luftdruckunterschiede sind, desto höher
ist die resultierende Windgeschwindigkeit).
Bei Gebieten mit einem Tief- oder Hochdruckkern sind die Isobaren gekrümmt. Dann
wirkt ergänzend zu den zwei bisher genannten Kräften noch eine dritte Kraft, die Zen-
trifugalkraft, auf das Luftteilchen; sie weist radial nach außen (Abb. 2.41, Mitte und
links). Man nennt den unter diesen Bedingungen entstehenden Wind den Gradientwind.
Er weht auf der Nordhalbkugel gegen den Uhrzeigersinn und auf der Südhalbkugel im
Uhrzeigersinn um ein Tief; beim Hoch sind diese Zusammenhänge umgekehrt. Da die
Zentrifugalkraft beim Hoch die Gradientkraft verstärkt, beim Tief dagegen schwächt, ist
die Windgeschwindigkeit des Gradientwindes im Hoch größer als im Tief [2.3, 2.10].
Bei einer nicht rotierenden Erde würde die Luft in Bodennähe von den Polargebieten
gegen den Äquator strömen. Hier würde sie in der beschriebenen Konvergenzzone geho-
ben und in den höheren Atmosphärenschichten wieder gegen die Pole abströmen. Durch
ein anschließendes Absinken in den Hochdruckgebieten über den Polen würde die Zirku-
lation geschlossen (vgl. Abb. 2.43).
Solche einfachen Strömungsverhältnisse können sich auf einer rotierenden Erde aber
nicht ausbilden. Deshalb wird in einer ersten Näherung nur eine „ideal“ rotierende Erde
ohne den Einfluss von Meer und Land betrachtet, auf der die Temperatur ausschließlich
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 113
nur durch den Breitengrad bestimmt wird. Die Luft strömt dann nahe dem Äquator gegen
die tropische Konvergenzzone. Sie wird aber durch die Corioliskraft abgelenkt. Daraus
resultieren praktisch über das ganze Jahr mit derselben Stärke wehende Luftströmungen
von Nordost und Südost (Nordost- und Südostpassate) in Richtung der innertropischen
Konvergenzzone (Abb. 2.42 bzw. 2.44). Die Passate strömen aus den sogenannten sub-
tropischen Hochdruckzellen, die auf jeder Erdhalbkugel jeweils im Bereich des 30. Brei-
tengrads liegen. Dieser subtropische Hochdruckzellengürtel ist durch schwache Winde
und klares Wetter charakterisiert. Auf seiner Polseite schließt sich eine Zone an, in der
die westlichen Winde der mittleren Breiten vorherrschend sind. In dieser Einflusszone
liegt auch der deutschsprachige Raum. Windrichtung und Windgeschwindigkeit wech-
seln hier stark in Abhängigkeit von den wandernden Zyklonen und Antizyklonen. Dieser
Westwindbereich wird polwärts jeweils durch eine Tiefdruckrinne begrenzt (Abb. 2.42
bzw. 2.44). In den Polargebieten sind die Windverhältnisse sehr wechselhaft. Im Durch-
schnitt herrschen hier in den tieferen Schichten schwache Hochdruckgebiete vor.
Infolge dieser komplexen Zusammenhänge, die durch die Einflüsse von Meer und Land
sowie von jahreszeitlichen und anderen Effekten erheblich beeinflusst werden, bildet sich
ein weltweites Luftzirkulationssystem aus. Es ist verantwortlich für den globalen Luft-
austausch (Abb. 2.42). Für eine energetische Nutzung sind aber nur die entsprechenden
Luftbewegungen in Bodennähe von Bedeutung, da es bisher technisch nicht möglich ist,
die Energie der bewegten Atmosphäre in den großen Höhen, in denen derartige globale
Luftzirkulationssysteme wirksam sind, nutzbar zu machen.
Tag Nacht H
H Isobare
T T
Isobare
Hö he
Isobare
Höhe
Relativ Isobare
warme Luft Relativ Landwind
Seewind Isobare
kalte Luft
T Relativ Isobare H Relativ
kalte Luft H warme Luft T
Land See Land See
immer stärker überlagert. Deshalb wird unterschieden zwischen der sogenannten freien
Atmosphäre in großen Höhen, wo die beschriebenen globalen Luftzirkulationssysteme
aus geostrophischem Wind und Gradientwind dann entstehen, wenn Druckgradient und
Corioliskraft dominieren, und der planetarischen Grenzschicht (auch als Reibungsschicht
bezeichnet), mit der die von der Erdoberfläche mehr oder weniger stark beeinflusste Luft-
schicht – und damit die dort vorherrschenden Windsysteme – beschrieben wird.
Innerhalb dieser Grenzschicht und damit in relativer Bodennähe entstehen Luftströ-
mungen, die man als antitriptische Winde bezeichnet. Zu ihnen gehören thermische Auf-
und Abwinde, Land- und Seewinde, Berg- und Talwinde. Derartige Luftbewegungen ent-
stehen meist nach dem gleichen Prinzip: Aufsteigende Luftmassen finden sich über Gebie-
ten, die sich infolge der Sonnenstrahlung rasch erwärmen (d. h. die Erdoberfläche hat eine
verhältnismäßig geringe Wärmekapazität; z. B. Land) und absteigende Luftmassen kom-
men dagegen über benachbarten Gebieten mit geringerer Erwärmung (z. B. mit größerer
Wärmekapazität wie beispielsweise das Meer) vor (Abb. 2.45). Tagsüber weht der Wind
von den letztgenannten zu den erstgenannten Zonen (z. B. Seewind) und nachts gilt die
Umkehrung (z. B. Landwind) [2.20]. Derartige lokale Luftzirkulationssysteme kommen in
unterschiedlicher Ausprägung praktisch überall auf der Erde vor. Sie sind aufgrund ihrer
Nähe zur Erdoberfläche für die Windkraftnutzung z. T. geeignet, häufig aber zu schwach
ausgeprägt für eine kommerzielle Windstromerzeugung.
Innerhalb der planetarischen Grenzschicht kommt es durch Reibung an der (rauen)
Erdoberfläche zu einer Verringerung des geostrophischen Windes bzw. der Luftbewegung
infolge lokaler Effekte bis zum Stillstand in unmittelbarer Nähe des Erdbodens. Das da-
raus im Mittel resultierende vertikale Profil der Windgeschwindigkeit ist in Abb. 2.46 für
ausgewählte Oberflächenverhältnisse dargestellt. Die Veränderung der Windgeschwindig-
keit mit der Höhe über Grund und und damit die Höhe der planetarischen Grenzschicht ist
abhängig von der Wetterlage, der Bodenrauigkeit und der Topografie. Die Grenzschicht-
dicke variiert zwischen ca. 500 und 2 000 m über Grund.
In dieser planetarischen Grenzschicht findet ein wesentlicher Teil des turbulenten, ver-
tikalen Austauschs von Wärme (d. h. Energie) und auch von Wasserdampf zwischen der
Erdoberfläche und der Atmosphäre statt. Diese Grenzschicht wird in drei Schichten unter-
teilt.
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 115
Freie Atmosphäre
2 000
Freie Atmosphäre
1 000 Freie Atmosphäre
500 4,5
490 0,4
v~ h
400
4,5 Planeta-
Höhe über Grund in m
100
Laminare Unterschicht. Diese erste Schicht ist sehr dünn; beispielsweise ist sie bei ei-
nem glatten Untergrund nur wenige Millimeter dick. Der Vertikalaustausch der Energie
der Luftströmung erfolgt durch den Impuls von Molekül zu Molekül. In dieser Schicht
ist die Luftströmung weitgehend turbulenzfrei.
Prandtl-Schicht. Die darüber liegende Prandtl-Schicht nimmt rund 10 % der Gesamt-
höhe der planetarischen Grenzschicht ein; damit liegt ihre Obergrenze in einigen 10
bis maximal ca. 100 m über Grund. Durch die in der Prandtl-Schicht turbulente Strö-
mung werden Impuls, Wärme und Wasserdampf transportiert. In diesem Höhenbereich
über Grund wird das Windprofil überwiegend durch die thermische Schichtung und
die Bodenrauigkeit bestimmt; es zeigt einen mit zunehmender Höhe annähernd loga-
rithmischen Verlauf (Abb. 2.47). Infolge dieser Geschwindigkeitszunahme erreicht die
Windgeschwindigkeit an der Obergrenze der Prandtl-Schicht bereits etwa 70 bis 80 %
der reibungsfreien Strömung, wie sie in der freien Atmosphäre (d. h. geostrophischer
Wind) vorherrscht.
Ekman-Schicht. Die Ekman-Schicht, die sich über die verbleibenden rund 90 % der
planetarischen Grenzschicht erstreckt, zeichnet sich insbesondere durch die Winddre-
hung aus. Während über Land der Bodenwind durchschnittlich mit einem Winkel von
30ı zu den Isobaren in den Tiefdruck hinein weht, findet in der Ekman-Schicht nahezu
116 B. Geyer et al.
Planetarische Grenzschicht
Ekman-
Schicht
Mittlerer Wind-
geschwindigkeits-
anstieg über Grund
für unterschiedliche
Rauigkeitslängen
z0 = 0,01 m
z0 = 0,1 m
z0 = 1 m
Prandtl-
Schicht
Laminare hohe Turbulenz
Unterschicht
Erdoberfläche
die vollständige Drehung des Windes in Richtung des geostrophischen Windes statt;
d. h. der Strömungswinkel zu den Isobaren verringert sich in der Ekman-Schicht mit
zunehmender Höhe und erreicht an der Obergrenze dieser Schicht die Richtung des
geostrophischen Windes. Damit wird die Geschwindigkeit des geostrophischen Win-
des am oberen Rand der Ekman-Schicht erreicht [2.56].
Die Rauigkeit des Bodens, die insbesondere die Zunahme der Windgeschwindigkeit
mit der Höhe über Grund in der aus Sicht der Windkraftnutzung wesentlichen Prandt-
Schicht mitbestimmt, wird u. a. von Bewuchs und Bebauung beeinflusst. Über Oberflä-
chen mit geringer Rauigkeit (z. B. Wasserflächen) nimmt die Windgeschwindigkeit in den
unteren 10 % der planetarischen Grenzschicht (Prandtl-Schicht) mit zunehmender Höhe
deshalb relativ schnell zu (Abb. 2.47). Unter diesen Bedingungen bildet sich nur eine re-
lativ dünne planetarische Grenzschicht aus. Im Unterschied dazu wird über Gebieten mit
hoher Bodenrauigkeit (z. B. Ortschaften) die Windgeschwindigkeit der freien Atmosphä-
re erst in größeren Höhen erreicht; die vertikale Zunahme der Windgeschwindigkeit über
Grund erfolgt hier weniger schnell.
Damit beeinflusst die Rauigkeit des Bodens / der Erdoberfläche die Zunahme der Wind-
geschwindigkeit über Grund. Deshalb wurde die sogenannte Rauigkeitslänge als ein Maß
für die Bodenrauigkeit / die Rauigkeit der Erdoberfläche definiert; dies ist dann gleich-
zeitig ein Indikator für die durchschnittliche Zunahme der Windgeschwindigkeit mit zu-
nehmender Höhe über Grund. Tabelle 2.2 zeigt einige typische Werte. Außerdem zeigt
Abb. 2.47 auch den Einfluss dieser Rauigkeitslängen auf den durchschnittlichen Anstieg
der Windgeschwindigkeit mit zunehmender Höhe über Grund. Demnach kommt es bei
geringeren Rauigkeitslängen zu einer relativ schnelleren höhenbedingten Windgeschwin-
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 117
das der Bereich von der Anlaufwindgeschwindigkeit bis vor Erreichen der Nennleistung
(Kapitel 6.2).
Zur quantitativen Beschreibung des vertikalen Windprofils der Prandtl-Schicht sind
verschiedene Ansätze entwickelt worden. Viele Beschreibungen des Windprofils in Ab-
hängigkeit von der Höhe über Grund sind jedoch aufgrund aufwändig zu bestimmender
Größen für den allgemeinen Gebrauch ungeeignet; sie versprechen zwar in der Theorie
gute Ergebnisse, sind aber vom einer Vielzahl für einen bestimmten Standort meist un-
bekannter Daten abhängig. Für ingenieurtechnische Anwendungen hat sich deshalb eine
halbempirische Potenzgleichung – die Hellmann’sche Höhenformel – durchgesetzt.
Der Ansatz nach Hellmann [2.23] (sogenannte Hellmann’sche Höhenformel) stellt eine
relativ einfache Beschreibung dar, wie die Windgeschwindigkeit mit zunehmender Höhe
über Grund zunimmt; er ist nach Gleichung (2.29) definiert. Dabei ist vWi;h die mittlere
Windgeschwindigkeit in der Höhe h und vWi;ref die Bezugsgeschwindigkeit in einer Re-
ferenzhöhe href (meistens 10 m). ˛Hell ist der Höhenwindexponent (Hellmann-Exponent,
Rauigkeitsexponent); er ist eine Funktion der Rauigkeitslänge und der thermischen Stabi-
lität in der Prandtl-Schicht.
h ˛Hell
vW i;h D vW i;ref (2.29)
href
Tabelle 2.3 zeigt Näherungswerte von ˛Hell für verschiedene Oberflächen in Küsten-
nähe und für unterschiedliche Schichtungen der Prandtl-Schicht bzw. der planetarischen
Grenzschicht.
Die genaue Einschätzung der Größe dieses Hellmann-Exponenten ist allerdings
schwierig. Für längerfristige Betrachtungen des zu erwartenden Mittelwertes der Wind-
geschwindigkeiten in einer bestimmten Höhe der planetarischen Grenzschicht ist der
Exponent ˛Hell primär eine Funktion der Rauigkeitslänge, da sich die anderen Einflüsse
im Jahresmittel weitgehend ausgleichen.
Trotz der mit Gleichung (2.29) verbundenen Unschärfen wird in der Praxis nach wie
vor mit dieser Näherungsgleichung gearbeitet, da sie für nicht zu extreme Verhältnisse
und nicht allzu große Höhen i. Allg. brauchbare Ergebnisse liefert [2.22, 2.24].
Hügel
hH
0,5 hH
…
l1/2 x
Für flache zweidimensionale Hügelketten bzw. dreidimensionale Hügel kann die Nä-
herung s D 2hH =l1=2 bzw. s D 1;6hH =l1=2 verwendet werden. Hier bezeichnet hH die
Höhe des Hügels über dem umliegenden Land und l1=2 die sogenannte Halbwertslänge
und damit die horizontale Distanz zwischen Gipfel und Halbwertshöhe (d. h. halber Höhe
des Hügels). Beispielsweise kann sich für typische Werte (hH D 100 m; l1=2 D 250 m)
eine Geschwindigkeitszunahme von rund 60 % oder mehr ergeben, die dann einen erheb-
lichen Einfluss z. B. auf den Energieertrag einer Windkraftanlage hat (Kapitel 6.2).
Die Höhe der maximalen Geschwindigkeitserhöhung über dem Gipfel liegt für die
meisten flachen Hügel im Bereich von 2,5 bis 5,0 m [2.27, 2.28].
120 B. Geyer et al.
1
EW i D 2
mW i vW i (2.31)
2
dx
P W i D S W i
m D S W i vW i (2.32)
dt
Mit den Gleichungen (2.31) und (2.32) kann damit die im Wind enthaltene Leistung
PWi errechnet werden (Gleichung (2.33)). Demnach ist die Windleistung proportional der
dritten Potenz der Windgeschwindigkeit; sie hängt außerdem von der Dichte der Luft Wi
und der durchströmten Fläche S ab.
1 1
PW i D P W i vW
m 2
i D
3
S W i vW i (2.33)
2 2
Aus Sicht einer technischen Nutzung der Windenergie ist die Dichte der Luft Wi nicht
beeinflussbar. Damit wird die an einem bestimmten Standort technisch nutzbare Leistung
von der vom Rotor überstrichenen Kreisfläche S und der Windgeschwindigkeit vWi beein-
flusst; da letztere mit der dritten Potenz in die Leistungsberechnung eingeht, ist sie die
wesentliche Windleistung – und damit letztlich auch die Leistung einer Windkraftanla-
ge – bestimmende Größe. Da die Windgeschwindigkeit zudem höhenabhängig ist (siehe
oben), waren die jeweils installierten Windkraftanlagen zur Stromerzeugung im Verlauf
der letzten Jahrzehnte durch immer größere Turmhöhen gekennzeichnet, damit an einem
gegebenen Standort eine höhere Windgeschwindigkeit – und damit eine entsprechend hö-
here Windleistung – technisch nutzbar gemacht werden kann. Gleichzeitig wurde die vom
Rotor einer Windkraftanlage überstrichende Kreisfläche immer größer. Dadurch wurden
die heute marktgängigen Multi-MW-Anlagen ermöglicht.
Mittelwertmesser sind
Abb. 2.49 Zonen ähnlicher Windgeschwindigkeit im Jahresmittel über Land in 105 m Höhe über
Grund (Daten nach [2.14])
Grund) gekennzeichnet. Auf den ost- und westfriesischen Inseln bzw. im Wattenmeer
und im Bereich der deutschen Ostseeinseln sind im langjährigen Durchschnitt mittlere
Luftströmungsgeschwindigkeiten zwischen 7 und 8 m/s und ggf. darüber gegeben. An der
Küste und im Binnenland liegen die Geschwindigkeiten niedriger. Beispielsweise werden
an der Nordseeküste im Schnitt mittlere Windgeschwindigkeiten zwischen 6 und 7 m/s
und im daran anschließenden Binnenland sowie an der Ostseeküste zwischen 5 und 6 m/s
gemessen. Windgeschwindigkeiten in dieser Größenordnung kommen im Binnenland nur
auf den Höhenlagen (bzw. den höchsten Erhebungen der Mittelgebirge sowie auf strö-
mungsgünstig gelegenen einzelnen Bergen) vor. Dies sind im Wesentlichen der Harz, das
Rothaargebirge, die Eifel, der Hunsrück, die Rhön, der Thüringer Wald, das Erzgebirge,
der Bayerische Wald, die Schwäbische Alb, der Schwarzwald und natürlich die höheren
Erhebungen der Alpen; letzteres wird insbesondere auch auf der Gebietsfläche Österreichs
und der Schweiz deutlich (Abb. 2.50). Auf der verbleibenden Gebietsfläche Deutschlands
herrschen im nördlichen Teil mittlere Windgeschwindigkeiten zwischen 4 und 5 m/s, im
südlichen Teil in einigen Gebieten sogar teilweise unter 3 m/s vor. In geschützten Flusstä-
lern in Süddeutschland oder in den Alpen können die jahresmittleren Geschwindigkeiten
stellenweise sogar unter 2 m/s liegen.
Abb. 2.51 zeigt zusätzlich Zonen ähnlicher mittlerer Windgeschwindigkeit in Teilen der
Nord- und Ostsee. Dabei wird deutlich, dass insbesondere die Nordsee durch – verglichen
mit den Gegebenheiten im Binnenland – sehr hohe mittlere Geschwindigkeiten der strö-
124 B. Geyer et al.
Jahresmittlere 770
Windgeschwindigkeit
in 50m über Grund
1 - 4,0m/s
4,1 - 4,5m/s
4,5 - 5,0m/s
5,1 - 5,5m/s
5,5 - 6,0m/s
6,1 - 6,5m/s
>6,5 m/s
Höhenlinien
820
780
0
81
800
750
790
600
500
800
450
770
Abb. 2.52 Beispiel für eine Windgeschwindigkeitsverteilung im Jahresmittel bezogen auf 50 m Hö-
he über Grund im komplexen Gelände im Binnenland (nach [2.5])
menden Luftmassen gekennzeichnet sind. Aus der Darstellung geht aber auch hervor, dass
die durchschnittlichen Windgeschwindigkeiten mit zunehmender Küstennähe i. Allg. ab-
nehmen und immer geringere Werte zeigen. Auch kommen in der Ostsee im Durchschnitt
geringere mittlere Geschwindigkeiten vor als in der Nordsee; dies liegt an der insgesamt ge-
schützteren Lage der Ostsee aufgrund der sie nahezu vollständig umgebenden Landflächen.
Die in den Abb. 2.49, 2.50 und 2.51 dargestellten Windgeschwindigkeitsverteilungen
wurden auf der Grundlage vergleichsweise weniger Messpunkte mithilfe entsprechender
z. T. sehr komplexer Modelle ermittelt (u. a. [2.14, 2.29]). Bei einer kleinräumigen Analy-
se, wie es im Hinblick auf eine Nutzung der Windkraft bzw. für eine Evaluierung konkreter
Windkraftanlagenstandorte notwendig wäre, können sich deshalb diese Zusammenhänge
durchaus verschieben; dies gilt insbesondere im Binnenland und hier im Besonderen in
Mittelgebirgslagen aufgrund der sehr komplexen Orografie.
Abb. 2.52 zeigt exemplarisch die Verteilung der jahresmittleren Windgeschwindigkeit
für einen Geländeausschnitt mit komplexer Orografie bezogen auf 50 m Höhe über Grund.
Durch die eingetragenen Höhenlinien werden die innerhalb der Gebietsfläche befindlichen
Hügel und Täler deutlich. Bei dem dargestellten Beispiel liegt in den Tälern die jahresmitt-
lere Windgeschwindigkeit in der angegebenen Höhe aufgrund von Abschattungseffekten
unter 4 m/s. Im Gegensatz dazu sind die Hügelkuppen frei anströmbar, sodass dort höhe-
re Windgeschwindigkeiten im Bereich von z. T. über 6 m/s gegeben sind. Darüber hinaus
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 125
10
Geschwindigkeit in m/s
10
minutenmittlere
minutenmittlere
8 8
6 6
Stundengang
4 4
Stundengang
2 2
0 0
0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60
Zeit in Minuten Zeit in Minuten
Geschwindigkeit in m/s
10 10
Geschwindigkeit in m/s
stundenmittlere
stundenmittlere
8 8
6
Tagesgang
6
4 4
Tagesgang 2
2
0 0
0 3 6 9 12 15 18 21 24 0 3 6 9 12 15 18 21 24
Zeit in Stunden Zeit in Stunden
Windgeschwindigkeit in m/s
10
Jahresgang
8
monats- bzw.
tagesmittlere
0
0 30 60 90 120 150 180 210 240 270 300 330 360
Zeit in Tagen
mittleren Windgeschwin-
Windgeschwindigkeit in m/s
digkeiten an verschiedenen 10
0
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Zeit in Monaten
Helgoland, Germany (54°10'N 7°51'E) Lanzarote, Canary Islands (29°00'N 13°40'W)
Kuala Lumpur, Malaysia (3°38'N 101°41'E) Buenos Aires, Argentina (34°30'S 58°20'W)
Wellington, New Zealand (41°19'S 174°46'E)
langjährigen Mittelwert von rund 7,8 m/s; dabei sind in dem dargestellten Zeitraum Jah-
resmittelwerte zwischen maximal rund 9,1 m/s und minimal 6,4 m/s aufgetreten. Zu ähn-
lichen relativen Schwankungen kommt es auch an anderen Standorten innerhalb Deutsch-
lands. Im Unterschied dazu sind die jahresdurchschnittlichen Windgeschwindigkeiten bei-
spielsweise auf der Zugspitze (Wettersteingebirge, Bayern; 2 962 m ü. NHN) mit rund
7,2 m/s und auf dem Kahlen Asten (Rothaargebirge, Nordrhein-Westfalen; 841,9 m ü.
NHN) mit etwa 6 m/s entsprechend niedriger.
Insgesamt können damit die jahresmittleren Windgeschwindigkeiten – und damit letzt-
lich auch die daraus mittels Windkraftanlagen bereitstellbare elektrische Energie – er-
heblichen Variationen unterworfen sein. Abb. 2.54 zeigt auch, dass die Variationen der
dargestellten Jahresmittelwerte in einer ersten groben Näherung korreliert sind; häufig
zeigen im gleichen Jahr alle drei dargestellten Berg-Standorte relativ höhere oder rela-
tiv niedrigere Jahresdurchschnittswerte bezogen auf den langjährigen Durchschnittswert.
Dies lässt den Schluss zu, dass die Windgeschwindigkeiten an den dargestellten drei
Standorten auch wesentlich über die meteorologische Großwetterlage bestimmt werden.
Zusätzlich zu den drei Berg-Standorten zeigt Abb. 2.54 auch die Jahresmittelwerte der
Windgeschwindigkeit an einer Messstation in Hamburg. Trotz der Küstenlage Hamburgs
sind die hier gemessenen Werte im Vergleich zu den Berg-Standorten im Binnenland deut-
lich niedriger. Dies bestätigt den dargestellten Sachverhalt, dass exponierte Bergspitzen in
Zonen höherer mittlerer Windgeschwindigkeiten liegen (siehe oben).
Ebenso kann der Jahresgang in unterschiedlichen Jahren aufgrund der z. T. deutlich
voneinander abweichenden meteorologischen Gegebenheiten ein sehr unterschiedliches
Verhalten zeigen. Abb. 2.55 zeigt exemplarisch für fünf Standorte, die ein Spektrum der
global vorliegenden Gegebenheiten widerspiegeln, die monatsmittleren Windgeschwin-
digkeiten im Jahresverlauf. Demnach wird an allen hier untersuchten Standorten ein mehr
oder weniger ausgeprägter Jahresgang deutlich, der – je nach geografischer Lage – maxi-
128 B. Geyer et al.
schwindigkeit in m/s
Mittlere Windge-
Zeit in Monaten
male Werte in den Sommer- oder den Wintermonaten aufweisen kann. Auch zeigen die
Jahresgänge der Windgeschwindigkeiten je nach Standort ein signifikant unterschiedli-
ches Geschwindigkeitsniveau; dieses Niveau wird aber auch von den lokalen Gegeben-
heiten um die Messstation beeinflusst (u. a. Messhöhe, Abschattung).
Zusätzlich zeigt Abb. 2.56 die Monatsmittelwerte gemessener 10 Minuten-Messwerte
der Windgeschwindigkeit für Standorte in der Nord- und Ostsee. Deutlich wird, dass alle
dargestellten Messstationen durch einen deutlichen Jahresgang gekennzeichnet sind, der
minimale Windgeschwindigkeiten im Sommer und maximale Luftströmungsgeschwin-
digkeiten im Spätherbst bzw. im Winterhalbjahr zeigt. Im Vergleich zu den anderen darge-
stellten Jahresgängen auf Monatsbasis wird deutlich, dass die hier abgebildeten mittleren
Luftströmungsgeschwindigkeiten auf einem vergleichsweise sehr hohen Geschwindig-
keitsniveau von im Mittel zwischen 7 und 11 m/s liegen. Die Darstellung zeigt auch, dass
die Messwerte für das dargestellte Jahr bei den beiden Messstandorten in der Nordsee
deutlich besser korrelieren verglichen mit dem Ostseestandort. Dies liegt u. a. an der grö-
ßeren Entfernung zur Küste und den über der Ostsee – im Vergleich zur Nordsee – durch
die durchschnittlich dominierenderen Landflächen merklich stärkeren Abschattungseffek-
te.
Eine ähnliche Tendenz, wie sie bereits in Abb. 2.55 und 2.56 deutlich wurde, zeigen
auch die monatsmittleren Windgeschwindigkeiten, die, gemessen an vier Wetterstatio-
nen in Deutschland, zusammen mit dem jeweiligen Mittelwert in Abb. 2.57 gezeigt sind.
Zusätzlich sind die aufgetretenen Maximal- und Minimalwerte sowie die Standardabwei-
chungen dargestellt. Damit ist jede der in Abb. 2.57 präsentierten Wetterstationen durch
einen typischen Jahresgang charakterisiert. Die Sommermonate sind demnach in Deutsch-
land nahezu unabhängig von lokalen Einflüssen bzw. dem jeweiligen konkreten Standort
durch unter dem Jahresmittel liegende Windgeschwindigkeiten gekennzeichnet. Demge-
genüber herrschen im Verlauf des Winters im langjährigen Mittel überdurchschnittliche
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 129
7,5 7,5
Hohenpeißenberg
Stundenmittlere Windgeschwindigkeit in m/s 7,0 7,0
5,5 5,5
5,0 5,0
Maximalwert
4,5 Standardabweichung 4,5
Mittelwert
Standardabweichung
4,0 Minimalwert 4,0
3,5 3,5
Norderney
3,0 3,0
0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24
Zeit in Stunden Zeit in Stunden
dem Tagesgang der thermischen Schichtung bei störungsfreiem Wetter mit einer kräftigen
Durchmischung der bodennahen Luftschicht während des Tages und stabiler Schichtung
während der Nacht (u. a. [2.3, 2.10, 2.11]).
In exponierten Gipfellagen (z. B. Hohenpeißenberg, Abb. 2.58) sowie in topografisch
wenig gegliedertem Gelände oberhalb von 50 bis 100 m über Grund kehrt sich der Ta-
gesgang der Windgeschwindigkeit um und entspricht dem sogenannten Höhentyp. Das
Geschwindigkeitsmaximum wird in den Nachtstunden, das Minimum mittags oder nach-
mittags erreicht. Diese Umkehrung des mittleren Tagesgangs der Windgeschwindigkeit
beim Höhentyp im Vergleich zum Bodentyp erklärt sich wiederum aus der unterschied-
lichen thermischen Schichtung zwischen Tag und Nacht. Tagsüber weitet sich bei labiler
Schichtung die planetarische Grenzschicht auf, wodurch der Wind in der Höhe abgebremst
wird. Bei stabiler Schichtung in der Nacht ist die Luftströmung in der Höhe von der
bodennahen Schicht abgekoppelt und erreicht häufig sehr hohe mittlere Windgeschwin-
digkeiten [2.20].
Im Bereich zwischen 50 und 100 m über Grund entspricht der mittlere Tagesgang der
Windgeschwindigkeit dem sogenannten Übergangstyp. In dieser Höhenschicht tritt ei-
ne Doppelwelle mit zwei Geschwindigkeitsmaxima gegen Mittag und Mitternacht sowie
zwei Minima am Morgen und Abend auf; insgesamt sind die Amplituden aber jeweils
relativ klein [2.20].
Für eine Offshore-Windkraftnutzung ist die Abhängigkeit zwischen der Windge-
schwindigkeit und der Wellenhöhe ein wichtiges Kriterium für die Auslegung der
entsprechenden Windkraftanlagenfundamente. Deshalb zeigt Abb. 2.59 exemplarisch die
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 131
Signifikante Wellenhöhe in m
Windgeschwindigkeit in m/s
Abb. 2.59 Signifikante Wellenhöhe in Abhängigkeit der Windgeschwindigkeit bezogen auf 101 m
über dem mittleren Meeresspiegel (NHN) an einem typischen Offshore-Windkraftanlagenstandort
(hier: Standort der Forschungsplattform Fino 1 (N 54ı 000 53;500 , E 6ı 350 15;500 ) in der Nordsee
etwa 45 km nördlich von Borkum in einer Wassertiefe von ca. 30 m; N Norden, O Osten, S Süden,
W Westen) (Daten nach [2.57])
a N b N c N
330° 30° 330° 30° 330° 30°
300° 60°
W O
240° 120°
S S S
0 - 5 m/s 5 - 10 m/s 10 - 15 m/s 15 - 20 m/s > 20 m/s
Abb. 2.60 Häufigkeit der Windrichtung im langjährigen Durchschnitt (April 2004 bis Dezember
2017) am Messmast der Universität Hamburg in einer Höhe von 50 m (a), 100 m (b) und 175 m (c)
(Daten nach [2.58])
zunimmt, sich gleichzeitig aber die Windrichtungen nur sehr begrenzt verändern; dies gilt
insbesondere für eine Höhe von 100 und 175 m über Grund, da hier der Einfluss der rau-
en Erdoberfläche (u. a. Gebäudebestand) entsprechend geringer ist im Vergleich zu einer
Höhe von 50 m über Grund.
Zusätzlich zeigt Abb. 2.61a die langjährig vorherrschenden Windrichtungen auf 90 m
Höhe bei Fino 1; die Forschungsplattform Fino 1 befindet sich in der Nordsee etwa 45 km
nördlich von Borkum in einer Wassertiefe von ca. 30 m in unmittelbarer Nähe des dort
betriebenen Windparks Alpha Ventus, Borkum Riffgrund I und dem im Westen gelegenen
a N b N c N
330° 30° 330° 30° 330° 30°
300° 60°
W O
240° 120°
S S S
0 - 5 m/s 5 - 10 m/s 10 - 15 m/s 15 - 20 m/s > 20 m/s
Abb. 2.61 Windrichtungsverteilung auf Fino 1 (a), Fino 2 (b) und Fino 3 (c) im Durchschnitt des
Zeitraums 01/2008 bis 12/2017 (Fino steht für „Forschungsplattformen in Nord- und Ostsee“; Fino 1
(Nordsee): N 54ı 000 53;500 E 6ı 350 15;500 , Fino 2 (Ostsee): N 55ı 000 25;300 E 13ı 090 15;100 , Fino 3
(Nordsee): N 55ı 11;70 E 7ı 9;50 ) (Daten nach [2.59])
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 133
Windpark Borkum. Demnach sind hier die Luftströmungen durch eine deutliche Südwest-
Richtung geprägt. Dies gilt auch für den Standort Fino 2 (Abb. 2.61b); dieser Standort
liegt in der Ostsee am Südrand der Untiefe Kriegers Flak rund 33 km nördlich der Insel
Rügen im Dreiländereck Dänemark-Deutschland-Schweden in der Nähe des Windparks
Baltic 2 und des Windparks Kriegers Flak. Demnach dominieren auch in der Ostsee West-
und Südwest-Winde das Windregime (Abb. 2.61b). Fino 3, in der Nordsee rund 80 km
westlich von Sylt im näheren Umfeld der Windparks Butendiek, DanTysk und Sandbank
gelegen, weist im Unterschied zu den beiden anderen Offshore-Standorten auch größere
Anteile der Windrichtungen im Bereich Südwest bis Nordwest auf (Abb. 2.61c). Deutlich
wird an allen drei Standorten, dass Wind aus Nord / Nordnordost sehr unwahrscheinlich ist
und dass mit den jeweils höchsten Wahrscheinlichkeiten der Wind aus Nordwest / West /
Südwest weht.
14
Häufigkeit in %
12
10
8
6
4
2
0
Wind- 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
stille
Windgeschwindigkeit in m/s
28 28
Standort A Weibull
24 Standort B Rayleigh
24
Standort C
Relative Häufigkeit in %
Relative Häufigkeit in %
20 Standort D 20
16 16
12 12
8 8
4 4
0 0
0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20
Windgeschwindigkeit in m/s Windgeschwindigkeit in m/s
Gleichung (2.34) festgelegt. Dabei ist C der sogenannte Formparameter und A ein Skalie-
rungsfaktor (Tabelle 2.4). vWi beschreibt die Windgeschwindigkeit.
C vW i .C 1/ . vW i /C
f .vW i / D e A (2.34)
A A
Daraus ergeben sich beispielsweise für verschiedene Standorte in Deutschland die in
Tabelle 2.4 exemplarisch zusammengestellten Form- und Skalierungsfaktoren. Demnach
nimmt der Formfaktor mit abnehmender jahresmittlerer Geschwindigkeit i. Allg. kleinere
Werte an.
Von der gesamten auf die Erde eingestrahlten Sonnenenergie werden ca. 21 % bzw.
1;2 106 EJ/a für die Aufrechterhaltung des globalen Wasserkreislaufs aus Verdunstung
und Niederschlag umgesetzt. Als kinetische und potenzielle Energie, die in den Flüssen
und Seen der Erde gespeichert ist, stehen davon allerdings letztlich nur knapp 0,02 %
bzw. 200 EJ/a für eine potenzielle technische Nutzung durch den Menschen zur Verfü-
gung [2.32].
2.5.1 Grundlagen
Wasservorräte der Erde Die Wasservorräte der Erde, die fest (Eis), flüssig (Wasser)
und gasförmig (Wasserdampf) vorliegen, umfassen insgesamt ein Volumen von knapp
1;4 109 km3 [2.32].
Tabelle 2.5 zeigt die globale volumenmäßige Aufteilung der verschiedenen Vorkom-
mensmodifikationen von Wasser auf der Erde. Demnach nimmt der in der Atmosphäre
enthaltene Wasserdampf mit 0,001 % nur einen verschwindend kleinen Prozentsatz am
136 B. Geyer et al.
gesamten auf der Erde vorhandenen Wasser ein. Auch der Anteil des Eises ist mit 2,15 %
vergleichsweise gering. Demzufolge besteht der weitaus überwiegende Teil der globalen
Wasservorräte mit rund 97,8 % aus Wasser in flüssiger Form, das vorwiegend in den Mee-
ren konzentriert ist.
Wasserkreislauf Der dargestellte Vorrat an Wasser auf der Erde befindet sich infolge
der eingestrahlten Sonnenenergie in einem Kreislauf. Er wird im Wesentlichen durch eine
Verdunstung aus den Weltmeeren und u. a. den Pflanzen und den Gewässern auf den Kon-
tinenten gespeist (Abb. 2.64). Der größte Wasserlieferant der Atmosphäre sind dabei die
Meere. Aus ihnen verdunstet etwa das Siebenfache an Wasser wie über dem Land. Dieses
verdunstete Wasser wird als Wasserdampf innerhalb der Atmosphärenschichten infolge
der globalen und lokalen Luftbewegungen z. T. sehr weiträumig und / oder teilweise nur
lokal transportiert und schlägt sich anschließend u. a. als Regen, Schnee, Graupel oder Tau
erneut auf die Erdoberfläche nieder. Dabei regnet typischerweise über dem Meer etwas
jährlicher
Niederschlag
(Regen und Schnee) Atmosphäre
577·103 km3/a
Verdunstung Verdunstung
vom Meer Niederschlag vom Land
116·103 km3/a
3 3
Erdoberfläche
505·10 km /a
461·103 km3/a 72·103 km3/a
Erde
47·103 km3/a
Abb. 2.64 Wasserkreislauf der Erde (1 km3 D 1 000 Mrd. L; Datenquelle nach [2.60])
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 137
weniger Wasser ab als dort verdunstet; d. h. über den Weltmeeren fällt etwa 50 000 km3 /a
weniger Niederschlag als dort an Wasser verdunstet. Daraus resultieren entsprechend hö-
here Niederschläge auf dem Land und damit ein Nettoimport von Wasser von den Meeren
über die Atmosphäre auf die Kontinente. Diese Niederschläge nähren hier Schneefelder,
Gletscher, Bäche, Flüsse, Seen und Grundwasservorkommen. Das dadurch sich für die
Weltmeere ergebende Wasserdefizit wird ausgeglichen durch Wasserzuflüsse vom Land
zum Meer über Bäche und Flüsse sowie durch das Abschmelzen von Eis.
Wird der weltweite Gesamtniederschlag auf die Oberfläche der Erde bezogen, ergibt
sich ein durchschnittlicher Jahresniederschlag von rund 972 mm (1 mm entspricht 1 L/m2 ).
Diese Werte variieren lokal erheblich; beispielsweise fällt in Wüstengebieten z. T. im Ver-
lauf vieler Jahre überhaupt kein Regen; an exponierten Stellen u. a. an Bergaufstiegen
können demgegenüber bis zu 5 000 mm und mehr im Jahresverlauf niedergehen.
In Deutschland liegt das Jahresniederschlagsmittel bei etwa 766 mm und damit über
dem für die Kontinente geltenden Jahresmittelwert von rund 745 mm. Von dem über
Deutschland niedergehenden Wasservolumen von knapp 30 km3 /a verdunsten direkt oder
indirekt etwa 62 %; die verbleibenden 38 % fließen als Oberflächen- oder Grundwasser
ab. Dabei werden etwa 14 % des gesamten auf die Gebietsfläche Deutschlands nieder-
gehenden Wassers von den Menschen in unterschiedlichster Weise (u. a. Landwirtschaft,
Haushalte, Industrie) genutzt und anschließend zum größten Teil den Oberflächengewäs-
sern zugeführt.
Die potenzielle Energie, die das Wasser in den wolken- bzw. regenbildenden Schich-
ten der Atmosphäre erreicht, ist nur zu einem kleinen Teil nutzbar. Bei dem über den
Weltmeeren abregnenden Teil setzt sich diese Energie dort im Wesentlichen in nicht ge-
winnbare Wärme um. Von dem auf die Kontinente niedergehenden Anteil verdunstet
ein wesentlicher Anteil. Ein weiterer Teil versickert im Untergrund und nährt dort das
Grundwasser; die entsprechende potenzielle Energie dieses Niederschlagsanteils ist damit
ebenfalls nicht vollständig nutzbar, da Teile dieses Wassers erst an entsprechend tiefer ge-
legenen Quellen wieder zutage treten. Für eine potenzielle Nutzung steht deshalb letztlich
nur das abfließende Oberflächenwasser zur Verfügung und damit nur etwa 36 % des auf die
Kontinente niedergehenden Gesamtregenaufkommens. Davon ist nur die aus den jeweili-
gen Höhenunterschieden zwischen dem Ort des entsprechenden Niederschlags und dem
Meeresspiegel resultierende potenzielle Energie theoretisch nutzbar. Ohne eine technische
Nutzbarmachung wird diese Energie, die in den Wasserläufen bzw. den Seen gespeichert
ist, durch Erosion im Flussbett sowie durch Wirbelbildung in thermische Energie auf ei-
nem Temperaturniveau nahe der Umgebungstemperatur umgewandelt.
aneinander lagern (Koaleszenz) und nicht mehr von der Luftströmung getragen werden
können (u. a. [2.3, 2.10, 2.11]).
Je nach Größe und Entstehung des Niederschlags werden in der Meteorologie verschie-
dene Formen unterschieden.
Flüssiger Niederschlag. Bei Niederschlag in flüssiger Form spricht man von Regen. Es
wird zwischen Nieselregen mit Tropfenradien zwischen 0,05 und 0,25 mm und „ge-
wöhnlichem“ Regen mit Tropfenradien zwischen 0,25 und 2,5 mm unterschieden. Je
nach Entstehung, Dauer und Wirkung des Regens kann u. a. noch zwischen Dauer-
regen, Konvektionsregen oder Frontregen unterschieden werden. Derartiger flüssiger
Niederschlag kann auch aus Wolken fallen, die Eiskristalle enthalten (z. B. Gewitter-
wolken); auf dem Weg zur Erdoberfläche geht ein solcher Niederschlag dann i. Allg.
von der festen in die flüssige Phase über.
Fester Niederschlag. Kondensiert der Wasserdampf nicht zu Wasser, sondern zu Eis,
bilden sich Schneeflocken; diese sogenannte Resublimation kann nur bei Tempera-
turen unter 12 ı C stattfinden. Liegt die Lufttemperatur in den Luftschichten unter
den Wolken auch unter dem Gefrierpunkt, kommt es zu einem Niederschlag in fes-
ter Form. Darunter versteht man u. a. Schnee, Schneegriesel, Eisnadeln, Graupel und
Hagel. Schnee besteht dann aus Schneesternen oder anderen Arten von Eiskristallen,
die entweder einzeln oder zu Flocken zusammengewachsen sein können (u. a. [2.3,
2.10, 2.11]). Graupel besteht demgegenüber aus kleinen, unregelmäßig geformten, ge-
frorenen Körnchen, die zwischen 2 und 5 mm groß sind. Gefrieren Regentropfen und
lagert sich immer mehr Wasser an ihnen ab, das dann ebenfalls gefriert, entstehen Ha-
gelkörner. Sie bestehen damit aus verschiedenen gefrorenen Wasserschichten und sind
mindestens 5 mm groß.
Zusätzlich wird Wasser noch in Form von Tau bzw. Reif von der Atmosphäre auf die
Erdoberfläche abgegeben. Dies ist ebenfalls eine Form von Niederschlag, die sich durch
Kondensation bzw. Deposition von gasförmigem Wasser bildet, wenn die Temperatur ei-
ner Oberfläche in unmittelbarer Nähe des Erdbodens unter dem Tau- bzw. Reifpunkt liegt.
Konkret werden dabei unter Tau kleine Wassertröpfchen verstanden, die entstehen, wenn
Wasserdampf aus der Luft an Pflanzen oder anderen Oberflächen kondensiert. Gefriert
dieser Tau oder der sich ablagernde Wasserdampf und wird gleich zu Eis, nennt man das
Reif. Zusätzlich können Nebel oder Wolken Wasserablagerungen oder, bei Temperatu-
ren unter dem Gefrierpunkt, verschiedene Arten von Frostablagerungen bilden (u. a. [2.3,
2.10, 2.11]).
Vom Niederschlag zum Abfluss Das als Niederschlag auf eine Landfläche innerhalb
einer bestimmten Zeitspanne niedergehende Wasser wird im Boden oder kurzzeitig auf
der Vegetation gespeichert, verdunstet erneut oder fließt in Bächen und Flüssen ab. Dabei
kann für ein bestimmtes Gebiet (Abb. 2.65) das insgesamt verfügbare Wasser im Verlauf
eines bestimmten Zeitabschnitts über die Wasserhaushaltsgleichung beschrieben werden
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 139
A o,O
VMeer
Au,O
Meer
O
(Gleichung (2.35)). Dabei ist N O der Niederschlag auf die Oberfläche O eines bestimmten
Gebiets, Ao;O ist der oberirdische und Au;O der unterirdische Abfluss aus diesem Gebiet
während der Zeitdauer t. V O ist die Verdunstung von der Oberfläche dieser Gebietsfläche
und RO der Rückhalt bzw. die Retention (d. h. der im Boden zwischenzeitlich gespeicherte
Anteil) während des gleichen Zeitraums.
Unter dem Niederschlag ist hier Schnee, Eis und / oder Wasser zu verstehen. Wird die
Zeitdauer t genügend groß gewählt, kann der Rückhalt vernachlässigt werden, da er sich
in einem entsprechend langen Zeitraum näherungsweise ausgleicht.
Üblicherweise wird der Niederschlag allerdings in Form der Niederschlagshöhe aus-
gedrückt (d. h. als Quotient aus Niederschlagsvolumen und Oberfläche (N O /O) in mm).
Dies gilt auch für die Abflusshöhe, die den Anteil der Niederschlagshöhe beschreibt, der
effektiv zum Abfluss kommt und nicht verdunstet oder im Grundwasserstrom aus dem
betrachteten Gebiet abfließt. Der sogenannte Abflusskoeffizient, definiert als Quotient aus
Abfluss und flüssigem Niederschlag, beschreibt dabei, welcher Anteil der Niederschläge
letztlich zum Abfluss gelangt. Er hängt – neben einer Vielzahl weiterer Parameter – ins-
besondere von den Niederschlägen und der Beschaffenheit des betrachteten Gebiets (u. a.
Vegetation, Durchlässigkeit, Topografie) ab. Grundsätzlich steigt jedoch mit zunehmender
Niederschlagshöhe auch der Abflusskoeffizient.
Ausgehend von diesen Zusammenhängen kann das Abflussgeschehen eines bestimm-
ten Gebiets beschrieben werden. Mit Kenntnis der Niederschläge, der Verdunstung und
des Rückhalts lässt sich damit auch, zumindest qualitativ, das Abflussregime erklären; da-
runter wird der zeitliche Verlauf und die Größe der Abflüsse eines Flusses oder Baches
verstanden. Dazu muss die eindeutige Zuordnung des Einzugsgebiets zum entsprechen-
den abfließenden Gewässer bekannt sein. Der einem betrachteten Punkt eines Flusslaufs
zuströmende „Zufluss“ ist dabei gleich dem „Abfluss“ des betreffenden Einzugsgebiets;
140 B. Geyer et al.
er weist zeitliche Variationen auf, deren Umfang und Verlauf auch von Jahr zu Jahr i. Allg.
sehr unterschiedlich sein können.
Der Abfluss eines Einzugsgebiets hängt u. a. von der Fläche des Gebiets und von
den auftretenden Niederschlägen ab. Dabei ist zu beachten, dass die das Einzugsgebiet
begrenzende (oberirdische) Wasserscheide bei Vorliegen geneigter wasserundurchlässi-
ger Schichten von der unterirdischen Wasserscheide z. T. deutlich abweichen kann. Der
Abfluss eines bestimmten Gebietes kann dadurch z. T. erheblich vergrößert oder ggf. sig-
nifikant verkleinert werden.
Niederschläge und Abfluss eines bestimmten Einzugsgebiets stehen nur in einem mit-
telbaren Zusammenhang, da der niedergehende Regen nur z. T. sofort abfließt. In Zeiten
mit einem hohen Niederschlagsaufkommen treten durch die Bildung von Reserven Ab-
flussverzögerungen auf; zu Ausnahmen kommt es dann, wenn die Böden bereits stark mit
Wasser gesättigt sind. In Zeiten mit geringen Niederschlägen kommt durch Inanspruch-
nahme dieser Reserven ein vermehrter Abfluss zustande. Bei Temperaturen unter dem
Gefrierpunkt treten zusätzliche Abflussverzögerungen durch Bildung von Schnee und Eis
auf. Außerdem gehen Teile des Niederschlags für die Abflussbildung vollständig verloren
– u. a. durch unmittelbare Verdunstung, durch indirekte Verdunstung über den Pflanzen-
bewuchs oder durch vermehrte Verdunstung infolge von Bewässerungsmaßnahmen. Da-
durch und durch Stauungen ist der direkte Schluss von den fallenden Regenmengen auf
den Abfluss nicht zulässig; eine genauere Erfassung muss vielmehr durch entsprechende
Abflussmessungen erfolgen.
Von Bedeutung für das Abflussgeschehen eines bestimmten Gebiets ist auch der
Schneefall, da das im Schnee gespeicherte Wasser erst verspätet zum Abfluss kommt (d. h.
erst mit der Schneeschmelze). Beeinflusst wird das Abschmelzen der Schneedecke dabei
u. a. von der Lufttemperatur, der Globalstrahlung, dem Wind und der Topografie. Dabei
kann die (plötzlich) einsetzende Schneeschmelze über gefrorenem Boden – ebenso wie
ein starker Regen, der das Speichervermögen eines Gebiets übersteigt – zu Hochwasser-
ereignissen führen. Extreme Hochwässer treten deshalb häufig bei einer Kombination von
Schneeschmelze und starken Regenfällen, welche bei einer entsprechenden Schneedecke
den Tauprozess zusätzlich beschleunigen, auf, wie es in den deutschen Mittelgebirgen im
Frühjahr gelegentlich vorkommt.
Leistung und Arbeitsvermögen des Wassers Infolge der Schwerkraft fließt das Was-
ser in einem Bach oder Fluss von einem Ort größerer geodätischer Höhe zu einem Ort
niedrigerer Höhe. An beiden Orten besitzt das Wasser eine bestimmte, voneinander ver-
schiedene, potenzielle und kinetische Energie. Zur Bestimmung dieser Energiedifferenz
des abfließenden Wassers kann näherungsweise von einer stationären und reibungsfreien
Strömung ausgegangen und Inkompressibilität unterstellt werden. Dann ist die hydrodyna-
mische Druckgleichung nach Bernoulli [2.33] anwendbar; sie kann nach Gleichung (2.36)
geschrieben werden.
1
p C W a g h C W a vW 2
a D const: (2.36)
2
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 141
p ist der hydrostatische Druck, Wa die Dichte des Wassers, g die Erdbeschleunigung,
h die Fallhöhe und vWa die Fließgeschwindigkeit des Wassers. Gleichung (2.36) kann so
umgeformt werden, dass der erste Term die Druckhöhe, der zweite die Ortshöhe und der
dritte die Geschwindigkeitshöhe darstellt (Gleichung (2.37)).
2
p 1 vW
ChC a
D const: (2.37)
W a g 2 g
Mit Gleichung (2.37) kann beispielsweise die in einen bestimmten Flussabschnitt nutz-
bare Fallhöhe hnutz bestimmt werden. Sie berechnet sich nach Gleichung (2.38) aus der
geodätischen Höhendifferenz, den Druckunterschieden und den unterschiedlichen Fließ-
geschwindigkeiten des Wassers. Dabei handelt es sich um eine idealisierte Betrachtung
ohne Berücksichtigung der in Wirklichkeit immer gegebenen Verluste. Unter realen Ge-
gebenheiten ist deshalb von dieser Nutzfallhöhe noch die Verlustfallhöhe zu subtrahieren,
die aus den Verlusten durch die Reibung der Wassermoleküle untereinander und mit der
sie umgebenden Materie resultiert (Kapitel 7.1).
a;1 vW a;2
2 2
p1 p2 vW
hnutz D .h1 h2 / C C (2.38)
W a g 2g
PW a D W a g qP W a hnutz (2.39)
Durch Integration von Gleichung (2.39) über die Zeit erhält man das korrespondie-
rende Arbeitsvermögen der Wasserkraft. Es berechnet sich demnach aus der Dichte des
Wassers, der Erdbeschleunigung, dem Abfluss innerhalb eines bestimmten Zeitraums und
der nutzbaren Fallhöhe.
Aus Sicht der technischen Wasserkraftnutzung an einem bestimmten Standort ist die
Fallbeschleunigung g ebenso wie die Dichte des Wassers Wa unbeeinflussbar. Damit
wird die potenziell nutzbare Leistung eines Wasserkraftanlagenstandortes primär durch
142 B. Geyer et al.
die nutzbare Fallhöhe hnutz und den nutzbaren Abfluss qPW a bestimmt. Im Sinne einer Ma-
ximierung der potenziell erschließbaren Leistung bzw. der im Verlauf einer definierten
Zeitspanne (z. B. ein Jahr) nutzbaren Energie (Arbeit) muss damit einerseits die nutzbare
Fallhöhe maximiert (z. B. durch Aufstau und ggf. eine künstliche Eindeichung des Ge-
wässers) und / oder andererseits eine maximale Ausnutzung des nutzbaren Abflusses qPW a
(z. B. durch die Umleitung anderer Bäche / Flüsse an den genutzten Standort) realisiert
werden; beide Möglichkeiten werden – im Rahmen der vor Ort gegebenen Möglichkeiten
und des gesetzlich Erlaubten – auch typischerweise umgesetzt.
In einem natürlichen oder künstlichen Speicherbecken kann in niederschlagsreichen
Zeiten ein bestimmtes Wasservolumen V Speicher zurückgehalten werden. Auch für derar-
tige Speicher gilt die Wasserhaushaltsgleichung (Gleichung (2.35)), die den Zufluss, die
Abgabe und auftretende Sicker- und Verdunstungsverluste beinhaltet. Für die Leistung
und die Arbeit, die aus einem Speicherbecken bereitgestellt werden kann, gelten eben-
falls die bereits diskutierten Zusammenhänge. Die realisierbare Leistung bestimmt sich
daraus, in welchem Zeitraum der Speicher entleert wird. Die gespeicherte Arbeit EWa ist
dabei durch die Größe des Speicherbeckens (bzw. dem daraus entnehmbaren Inhalt) und
damit vom gespeicherten nutzbaren Wasservolumen sowie der nutzbaren Fallhöhe defi-
niert. Es gilt Gleichung (2.40). Aus energietechnischer Sicht ist damit ein Speicherbecken
umso vielversprechender, je höher die nutzbare Fallhöhe und je größer das Speicher- bzw.
das entnehmbare Wasservolumen ist.
Messung der Fließgeschwindigkeit. Der Durchfluss ergibt sich als Flächenintegral der
Fließgeschwindigkeit über der Durchflussfläche. Ist der Fließquerschnitt bekannt, kann
mit einem horizontal angeordneten Propeller, der von der Strömung angetrieben wird,
die Fließgeschwindigkeit gemessen und daraus der Durchfluss berechnet werden. Hier-
für können auch magnetisch induktiv arbeitende Messgeräte oder Akustik-Doppler
eingesetzt werden. Erfolgt dies bei unterschiedlichen Abflüssen, lässt sich die stand-
ortabhängige Wasserstands-Abfluss-Beziehung herleiten.
Wasserstandsmessung. Ist eine Beziehung zwischen Wasserstand und Abfluss vorhan-
den (z. B. aus Messungen, hydraulischen Berechnungen, Modellversuchen), genügt
eine Messung des aktuellen Wasserstands mittels Latten-, Schwimm- oder anderen
Pegeln. Aus der Abflusskurve kann dann der zugehörige Abfluss abgelesen werden.
Wegen dieser einfachen Vorgehensweise eignet sich die Wasserstandsmessung für die
langjährige automatische Aufzeichnung von Pegeldaten bzw. Abflüssen am besten.
Messung der Tracerkonzentration. Bei dieser Messmethode werden dem Fließgewässer
flussaufwärts Salze oder Farbstoffe beigegeben. Flussabwärts wird dann die entspre-
chende Konzentration dieser Stoffe gemessen. Unter der Annahme, dass die Salz- oder
Farbkonzentration über den gesamten Flussquerschnitt näherungsweise konstant und
der Abfluss stationär ist, kann auf der Basis einer Salz- bzw. Farbbilanz der Abfluss
bestimmt werden.
Bei der Bewegung eines elektrischen Leiters senkrecht zu den Kraftlinien eines Ma-
gnetfelds wird im Leiter eine Spannung induziert, die messtechnisch erfassbar ist.
Diese Spannungsänderung ist der Bewegung des elektrischen Leiters proportional. Io-
nen im Wasser stellen einen solchen Leiter dar. Sind der Rohrdurchmesser und die
magnetische Induktivität bekannt, errechnet sich aus der gemessenen Spannung der
Durchfluss.
Der Durchfluss durch eine Rohrleitung kann auch mit Hilfe von Ultraschall aufgrund
der unterschiedlichen Schallgeschwindigkeit des Wassers gegenüber der Rohrleitung
mit und gegen die Strömungsrichtung gemessen werden.
Mit in die Rohrleitung fest eingebauten Messflügeln, die über eine mechanische Ver-
bindung einen Zähler antreiben, kann der Durchfluss in einer Rohrleitung bestimmt
werden (z. B. Wasseruhren).
Abb. 2.66 Globale Verteilung der mittleren Niederschlagshöhen (Daten nach [2.14])
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 145
Abb. 2.67 Mittlere jährliche Niederschlagshöhen in Deutschland, Österreich und der Schweiz (Da-
ten nach [2.5])
wird und sich in Küstennähe abregnet; dies gilt häufig insbesondere dann, wenn die Küs-
ten zusätzlich gebirgig sind.
In Deutschland werden die Niederschläge vor allem durch die Orografie und durch
die Richtung Osten zunehmende Kontinentalität des Klimas beeinflusst (Abb. 2.67). Die
Niederschläge variieren zwischen rund 500 mm im nördlichen Teil des Rheintalgrabens
sowie Teilen von Brandenburg und mehr als 2 500 mm am Alpenrand. Regenreiche Gebie-
te befinden sich auch in den Mittelgebirgen; dies gilt beispielsweise insbesondere für den
Schwarzwald und den Harz (Abb. 2.67). Auch sind die Alpenrepubliken an den höheren
Erhebungen der Alpen durch entsprechend hohe Niederschlagsmengen gekennzeichnet.
In einzelnen Jahren können die Niederschlagshöhen erheblich von den in Abb. 2.67
dargestellten vieljährigen Mittelwerten abweichen. Dies wird in Abb. 2.68 deutlich; hier
sind die jährlichen Niederschlagshöhen an vier unterschiedlichen Standorten (Hamburg,
146 B. Geyer et al.
600
Monatlicher Niederschlag in mm
500
400
300
200
100
0
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Zeit in Monaten
Helgoland, Germany (54°10'N 7°51'E) Béchar, Algeria (31°38'N 2°18'W)
Abidjan, Ivory Coast (5°26'N 3°58'W) Kuala Lumpur, Malaysia (3°38'N 101°41'E)
Belém, Brazil (1°20'S 48°30'W)
Abb. 2.69 Mittlere monatliche Niederschlagshöhen an verschiedenen Standorten auf der Welt (un-
terschiedliche Datenquellen)
Abb. 2.70 zeigt die mittleren monatlichen Niederschlagshöhen der bereits in Abb. 2.68
dargestellten Standorte. Demnach sind die mittleren Monatssummen an allen Stationen
durch einen deutlichen Jahresgang gekennzeichnet; im Sommer und Spätsommer sind die
Niederschläge überdurchschnittlich hoch und im Winter entsprechend niedrig. Deutlich
ausgeprägter ist dieser saisonale Gang lediglich am Standort Hohenpeißenberg. Unab-
hängig vom Standort können zwischen verschiedenen Jahren die mittleren monatlichen
Niederschlagshöhen deutlich voneinander abweichen. Dies geht aus den dargestellten
Standardabweichungen, Minima und Maxima hervor.
Aufgrund der im Verlauf eines Tages sehr ungleichmäßig fallenden Niederschläge ist
die Angabe von mittleren Tagesganglinien nicht sinnvoll.
Flusssysteme, Abflusshöhe und -verlauf Die aus dem Regen bzw. der Schneeschmelze
und dem Abflussverhalten resultierende Abflusshöhe schwankt in einer ähnlichen Größen-
ordnung wie der Niederschlag. Eine große Abflussgenerierung ist besonders am Alpen-
rand und in den Mittelgebirgen anzutreffen. Dabei wird der Abfluss unter normalen Bedin-
gungen primär durch die Bäche und Flüsse realisiert. Deshalb zeigen die Abb. 2.71, 2.72
und 2.73 die wesentlichen Flusssysteme in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
In Deutschland sind die beiden größten Flusssysteme, an denen signifikante und ggf.
wasserwirtschaftlich nutzbare Abflüsse auftreten, zum einen der Rhein mit seinen Ne-
benflüssen Ruhr, Mosel, Main und Neckar (der Rhein mündet in die Nordsee) sowie
zum anderen die Donau mit den Nebenflüssen Salzach, Inn, Isar, Lech, Iller und Am-
148 B. Geyer et al.
per (die Donau mündet ins Schwarze Meer). Daneben gibt es kleinere Flusssysteme
wie das von Weser, Elbe und Oder mit ihren jeweiligen Nebenflüssen, die in die Nord-
bzw. Ostsee fließen. Viele der in Abb. 2.71 dargestellten Flüsse und deren Nebenflüsse
führen zum einem bestimmten (z. T. großen) Anteil Wasser mit sich, das in Gebieten
außerhalb Deutschlands als Niederschlag gefallen ist. Dieser sogenannte Fremdwas-
seranteil ist im Energieangebot, das sich aus den Niederschlägen über Deutschland
ergibt, nicht enthalten; an einigen Flüssen, beispielsweise am Rhein, ist er infolge der
Schmelzwässer u. a. aus der Schweiz beträchtlich.
Österreich verfügt über Fließgewässer mit einer Gesamtlänge von rund 100 000 km.
Ein Großteil (96 %) der hier vorhandenen Bäche und Flüsse liegen im Flusseinzugsge-
biet der Donau; nur einige wenige entwässern in Richtung Rhein und Elbe. Abb. 2.72
zeigt die wichtigsten Fließgewässersysteme Österreichs mit ihren jeweiligen Zuflüs-
sen. Der jeweilige Verlauf der dargestellten Fließgewässer wird dabei primär durch die
Orografie der Alpen bestimmt. Im Unterschied zu den Gegebenheiten in Deutschland,
das gewissermaßen Abfluss und damit auch Wasserenergie aus Österreich importiert,
ist dies aufgrund der geografischen Gegebenheiten in der Alpenrepublik nicht der Fall.
Auch in der Schweiz (Abb. 2.73) ist ein sehr weit verbreitetes und stark verästeltes
Flusssystem vorhanden. Dies liegt – ähnlich wie auch in Österreich – an der Orogra-
phie der Alpen und der hier relativ hohen Niederschlagsmenge begründet. Insgesamt
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 149
1 Rhein 11 March
2 Donau oberhalb des Inn 12 Leitha
3 Inn bis zur Salzach 13 Rabnitz und Raab
4 Salzach 14 Mur
5 Inn unterhalb der Salzach 15 Drau 10
6 Donau vom Inn bis zur Traun 11
10
7 Traun
8 Enns 6 10
9 Donau von der Traun bis zum
Kamp (ohne Enns) 9
10 Donau vom Kamp einschließlich
bis zur Leitha (ohne March)
5
12
2
4 8 13
1
3 14
15
Grenze des Flussgebiets
summieren sich in der Schweiz die Bäche und Flüsse auf eine Gesamtlänge von rund
65 000 km. Viele der eher bedeutsamen Flüsse entspringen dem Gotthardmassiv; dies
gilt u. a. für den Rhein, die Rhône und die Reus.
Tabelle 2.6 Mittlere, maximale und minimale jahresmittlere Ab- bzw. Durchflüsse im langjährigen
Durchschnitt an unterschiedlichen Pegeln (nach [2.34])
Flusskilometer Maximum Mittel Minimum Zeitraum
in km in m3 /s in m3 /s in m3 /s
Inn (Eschelbach) 87,7 631 369 288 1931–90
Mosel (Cochem) 51,6 607 311 138 1931–91
Rhein (Rheinfelden) 148,3 1 487 1 030 639 1931–94
Rhein (Maxau) 362,3 1 922 1 250 741 1931–94
Saar (Fremersdorf) 48,5 138 74 35 1953–91
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 151
Abb. 2.74 Jahresabflussmengen an unterschiedlichen Neckarpegeln zwischen 1970 und 2016 (Da-
ten nach [2.34])
zu Abweichungen von bis zu ca. C95 bzw. 60 % in der jahresmittleren Abflussmenge
kommen kann.
Abb. 2.74 zeigt exemplarisch die jährlichen Abflussmengen an unterschiedlichen Ne-
ckarpegeln. Auch hier werden die doch erheblichen natürlichen Schwankungen der Ab-
flussmenge zwischen verschiedenen Jahren am gleichen Standort deutlich; beispielsweise
variiert zwischen unterschiedlichen Jahren der Abfluss am Pegel in Rockenau um mehr
als den Faktor 3. Erkennbar ist aber auch, dass das Niveau, auf dem die Abflussmengen
liegen, zwischen den einzelnen in Abb. 2.74 dargestellten Neckarpegeln im Jahresverlauf
durchaus vergleichbar ist; d. h. fallen überdurchschnittlich viele Niederschläge und liegen
deshalb die Abflüsse über dem langjährigen Durchschnitt, dann ist dies i. Allg. an allen
dargestellten Messstellen des Neckars der Fall. Dies kann bei Flüssen, die eine größere
Gebietsfläche mit verschiedenartigeren meteorologischen und geografischen Gegebenhei-
ten überdecken, auch anders sein.
Diese doch z. T. erheblichen Schwankungen zwischen einzelnen Jahren können sich
auch innerhalb eines Jahres fortsetzen. Dies wird in Abb. 2.75 deutlich, die exemplarisch
für drei Fließgewässer in Österreich den langjährigen mittleren Jahresgang des Abflusses
an bestimmten Messpegeln zeigt. Demnach gibt es Flüsse bzw. Bäche, die durch einen
mehr oder weniger ausgeglichenen Jahresgang gekennzeichnet sind (d. h. im langjähri-
gen Mittel sind die Schwankungen zwischen den Monaten nur gering). Im Unterschied
dazu gibt es Fließgewässer, deren Abflüsse zwischen nahezu null in den Wintermonaten
(d. h. Eisbildung) und sehr großen Abflüssen aufgrund der abschmelzenden Schneemas-
sen während des Sommerhalbjahres schwanken können; die Gurgler Ache (Abb. 2.75)
ist ein derartiges Beispiel. Sinngemäß gilt dies auch für andere Gebiete auf der Erde, die
152 B. Geyer et al.
1,5
1,0
0,5
0,0
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Zeit in Monaten
beispielsweise durch eine Regen- und Trockenzeit gekennzeichnet sind und wo sich da-
durch ebenfalls erhebliche Effekte auf die Abflussmengen in den dortigen Fließgewässern
ergeben.
Diese in Abb. 2.75 dargestellten Abweichungen vom langjährigen Mittel können aber
in verschiedenen Jahren durch erhebliche Variationen und Unterschiede gekennzeichnet
sein. Abb. 2.76 zeigt deshalb die langjährigen Mittelwerte der monatsmittleren Durchflüs-
se und die entsprechenden durchschnittlichen und maximalen Schwankungsbreiten am
1 800 3 000
Abfluss in m3/s
Abfluss in m3/s
1 500 2 500
1 200 2 000
900 1 500
600 1 000
300 500
0 0
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Zeit in Monaten Zeit in Monaten
Abb. 2.76 Mittelwerte, mittlere und maximale Schwankungsbreiten des monatsmittleren Abflusses
beispielhaft für einen Pegel am Neckar (links) und einen Pegel am Rhein (rechts) (Mittl. Mittleres;
Daten nach [2.34])
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 153
700
Rockenau
Tagesmittlerer Abfluss in m /s
600 Rottweil
3
Plochingen
500
Lauffen
400
300
200
100
0
1 30 60 90 120 150 180 210 240 270 300 330 360
Zeit in Tagen
Beispiel der Pegel Rockenau am Neckar (Zeitraum von 1951 bis 1994) und Maxau am
Oberrhein (Zeitraum von 1931 bis 1994).
Neben der weit höheren Durchflüsse am Rhein geht aus Abb. 2.76 auch hervor, dass
die jahreszeitliche Abflusscharakteristik am Neckar und am Rhein grundsätzlich unter-
schiedlich ist. Der Rhein ist aufgrund der im Wesentlichen erst im späten Frühjahr sowie
im Früh- und insbesondere im Hochsommer einsetzenden Schneeschmelze in den Alpen
durch einen maximalen Durchfluss in den Monaten Juni und Juli gekennzeichnet. Damit
ist im (Hoch-)Sommer mit dem höchsten Wasserangebot des Rheins zu rechnen, obwohl
ein Teil des Abflusses in dieser Zeit dazu genutzt wird, die am Oberlauf in den Alpen lie-
genden Speicherbecken zu füllen. Im Gegensatz dazu ist das Wasserangebot des Neckars
durch ein Angebotshoch im Februar und März und durch einen minimalen Abfluss im
Herbst gekennzeichnet. Da der Neckar im Wesentlichen durch Mittelgebirge gespeist wird
(Schwarzwald, Schwäbische Alb), welche die Niederschläge in Form von Schnee kaum
bis zum Frühjahr speichern, wirken sich die Regenfälle im zeitigen Frühjahr zusammen
mit der gleichzeitigen Schneeschmelze unmittelbar auf die abfließende Wassermenge aus,
zumal dann bei gefrorenem Boden nahezu das gesamte oberirdisch vorhandene Wasser
abfließt (d. h. das Rückhaltevermögen des Bodens ist stark eingeschränkt). Das minimale
Wasserangebot ist demgegenüber im Herbst gegeben, wenn unterdurchschnittliche Nie-
derschläge fallen und außerdem die Verdunstung entsprechend hoch ist.
Diese monatsmittleren Abflüsse können z. T. stark variieren; Abb. 2.77 zeigt beispiel-
haft die gemessenen tagesmittleren Abflüsse verschiedener Pegel des Neckars eines be-
stimmten Jahres. Insbesondere das Frühjahr ist hier durch relativ hohe und stark schwan-
kende tagesmittlere Durchflüsse charakterisiert. Das Spätjahr ist demgegenüber durch
geringe tagesmittlere Ab- bzw. Durchflüsse gekennzeichnet, die sich zudem zwischen
154 B. Geyer et al.
Iris Lewandowski
Unter Biomasse im erweiterten Sinne wird jegliche Phyto- und Zoomasse verstanden, von
der schätzungsweise 1;841012 t Trockenmasse auf den Kontinenten existieren. Phyto- oder
Pflanzenmasse wird zum größten Teil von autotrophen Organismen gebildet, die in der Lage
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 155
sind, ihre Energie durch Umwandlung der Sonnenenergie im Prozess der Photosynthese zu
gewinnen. Heterotrophe Organismen dagegen, die primär die Zoomasse bilden, sind für den
Energiegewinn auf den Abbau anderer organischer Substanz angewiesen.
Biomasse kann in Primär- und Sekundärprodukte unterteilt werden. Erstere entste-
hen durch direkte photosynthetische Ausnutzung der Sonnenenergie. Im Hinblick auf
die Energiebereitstellung zählen dazu land- und forstwirtschaftliche Produkte aus einem
Energiepflanzenanbau (u. a. schnellwachsende Bäume, Energiegräser) oder pflanzliche
Rückstände, Nebenprodukte und Abfälle aus der Land- und Forstwirtschaft sowie der In-
dustrie und den Haushalten (u. a. Stroh, Rest- und Altholz, organische Bestandteile im
Haus- und Industriemüll). Sekundärprodukte entstehen durch Ab- oder Umbau der orga-
nischen Substanz in höheren Organismen (z. B. im Verdauungstrakt von Tieren); zu ihnen
gehören u. a. Gülle und Klärschlamm.
Aufbau und Zusammensetzung der Pflanze Die Pflanze besteht aus der Sprossach-
se, den Blättern und der Wurzel. Mit letzterer ist die Pflanze im Boden verankert und
über sie werden Wasser und Nährstoffe aufgenommen. Die Sprossachse trägt die Blätter,
versorgt sie von der Wurzel her mit Wasser und Mineralien und leitet in den Blättern ge-
bildete organische Substanzen zur Wurzel. Die Blätter dienen der Absorption des für die
Photosynthese notwendigen Sonnenlichts. Über sie findet der Gaswechsel von Kohlen-
stoffdioxid (CO2 ), Sauerstoff (O2 ) und Wasserdampf (H2 O) bei Photosynthese, Atmung
und Transpiration statt (Abb. 2.78). Zur Vermehrung bilden die Pflanzen Blüten, welche
die Fortpflanzungsorgane tragen.
Photosynthese Der wichtigste Prozess bei der Bildung von Biomasse ist die Photosyn-
these. Mit Hilfe von Lichtenergie wird durch diesen biologischen Prozess Kohlenstoff-
dioxid (CO2 ) aus der Luft aufgenommen und der darin enthaltene Kohlenstoff (C) in
die Pflanzensubstanz eingearbeitet (Assimilation); d. h. es findet eine Umwandlung von
Licht- bzw. Sonnenenergie in chemische Energie statt, indem aus gering-energetischen
hoch-energetische chemische Verbindungen synthetisiert werden.
Der Prozess der Photosynthese wird in die Prozesse der Licht- und der Dunkelreaktion
unterteilt.
Bei der Lichtreaktion produziert die Zelle durch photochemische Reaktionen die für
die Assimilation von Kohlenstoffdioxid (CO2 ) notwendige Energie. Hierbei entstehen
neben Sauerstoff (O2 ) die energiereichen Substanzen Adenosin-Triphosphat (ATP) und
Nicotin-Adenin-Dinucleotid-Phosphat (NADPH) sowie Wasserstoffionen (HC ).
Im Prozess der Dunkelreaktion, der ohne Licht stattfindet, werden die im ersten Prozess
gewonnenen energiereichen Substanzen für die Assimilation von Kohlenstoffdioxid
(CO2 ) wieder verbraucht.
Das Endprodukt der Photosynthese sind Hexosen bzw. Zucker (C6 H12 O6 ). Die Sum-
menformel für den Gesamtprozess beschreibt Gleichung (2.41).
Licht
6 CO2 C 6 H2 O ! C6 H12 O6 C 6 O2 (2.41)
Chlorophyll
Die Umwandlung von Kohlenstoffdioxid (CO2 ) und Wasser (H2 O) zu Hexosen fin-
det in den Chloroplasten statt, die das grüne, lichtabsorbierende Pigment Chlorophyll
enthalten. CO2 , das durch die Spaltöffnungen und die Zellzwischenräume (Interzellula-
ren) der Pflanzen an die photosynthetisch aktiven Zellen herandiffundiert, wird dort an
Ribulose-1,5-Diphosphat gebunden. Hierbei entsteht ein Molekül aus 6 Kohlenstoff-Ato-
men, das anschließend zerfällt. Unter Verbrauch von Adenosin-Triphosphat (ATP) und
Nicotin-Adenin-Dinucleotid-Phosphat (NADPH) entsteht Phosphoglycerin-Aldehyd, ei-
ne Komponente von Kohlenhydraten (wie z. B. Glucose). Diese Kohlenhydrate dienen den
Pflanzen sowohl als Energiequelle für ihre Stoffwechselprozesse wie auch als Bausteine
für die zu bildende Pflanzensubstanz [2.36].
Bei diesem Weg der Photosynthese handelt es sich um den C3 -Typ, wie er für einheimi-
sche europäische Kulturpflanzen typisch ist. Der Name rührt daher, dass zuerst Phospho-
glycerin-Säure, bestehend aus 3 C-Atomen, gebildet wird. Der sogenannte CO2 -Akzeptor
der C3 -Pflanzen, der die Aufgabe hat, das CO2 zu binden, ist Ribulose-1,5-Diphosphat. Ei-
nige Kulturpflanzen, wie Mais, Zuckerrohr oder Miscanthus, die meist aus subtropischen
Gebieten stammen, verwenden hingegen Phosphoenol-Benztraubensäure als CO2 -Akzep-
tor, das eine größere Affinität zu CO2 hat als der CO2 -Akzeptor der C3 -Pflanzen. Dabei
entstehen zuerst Verbindungen, die aus 4 C-Atomen zusammengesetzt sind. Des Weiteren
finden bei solchen sogenannten C4 -Pflanzen die Licht- und Dunkelreaktion in verschie-
denen, räumlich voneinander getrennten Chloroplastentypen statt. Dies erlaubt es der C4 -
Pflanze, in den Chloroplasten der im Blatt außen liegenden Mesophyllzellen die CO2 -Bin-
dung vorzunehmen und in den Chloroplasten der innen liegenden Bündelscheiden eine für
die Assimilation vorteilhafte hohe CO2 -Konzentration aufzubauen.
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 157
Der Nutzeffekt der Photosynthese gibt an, wie viel Prozent der Strahlung von den Pflan-
zen durch die Photosynthese in Form von chemischer Energie gespeichert werden kann.
Der Photosyntheseprozess verbraucht pro Gramm assimiliertem Kohlenhydrat 15,9 kJ. An
Einzelblättern erreicht die Strahlungsausnutzung der Photosynthese unter günstigen Be-
dingungen bis zu 15 % (C4 -Gräser bis 24 %). Meist liegt der Wirkungsgrad jedoch nur
bei 5 bis 10 % oder niedriger. Bezogen auf den gesamten Pflanzenbestand und unter Be-
rücksichtigung der zeitlich und örtlich wechselnden Assimilationsbedingungen schwankt
die photosynthetische Effizienz verschiedener Pflanzengesellschaften zwischen 0,04 %
in Wüstenregionen bis 1,5 % in Regenwäldern. Bei landwirtschaftlichen Kulturpflanzen
während ihrer Wachstumszeit liegt sie zwischen 1 und 3 % [2.37].
CO2 hat einen geringeren Energiegehalt als organische Moleküle. Diese Energiediffe-
renz wird von den Pflanzen bei der Atmung (d. h. beim Abbau der bei der Photosynthese
gebildeten Kohlenhydrate (Dissimilation)) genutzt. Diese Energie wird dann für Stoff-
wechselvorgänge und den Aufbau verschiedener Bestandteile der Pflanzenmasse (z. B.
Proteine, Fette, Zellulose) verwendet. Die Atmung, die mit steigender Temperatur zu-
nimmt, ist mit einem Substanzverlust verbunden. In der Regel ist aber der Substanzgewinn
durch die Photosynthese, die nur bei Licht stattfinden kann, größer als der Substanzver-
lust durch die Atmung, die sowohl bei Tag (Lichtatmung) als auch nachts (Dunkelatmung)
stattfindet. Die Nettophotosynthese ergibt sich aus der Bruttophotosynthese abzüglich der
Atmungsverluste. Sie beträgt bei C3 -Pflanzen bis zu 30 und bei C4 -Pflanzen 50 bis 90 mg
CO2 bezogen auf eine Blattfläche von 100 cm2 und eine Stunde [2.38]. Ein Grund für die
höhere Stoffproduktion der C4 -Pflanzen ist die durch die effektivere CO2 -Bindung und
die beschriebene Trennung der Chloroplasten-Typen bedingte geringere Lichtatmung im
Vergleich zu den C3 -Pflanzen. Weitere Energieverluste entstehen dadurch, dass sie lang-
wellige Rückstrahlung und Wärmeabgabe durch die Wasserverdampfung betreiben, um
die Temperatur auf physiologisch vertretbaren Werten zu halten.
Abb. 2.79 zeigt den Nettobiomassegewinn eines Ökosystems am Beispiel eines Hain-
buchenwaldes. Durch Ausnutzung von 1 % der eingestrahlten Sonnenenergie werden
24 t/(ha a) Biomasse (Trockenmasse) gebildet. Die Hälfte davon geht durch die Atmung
der Pflanzen verloren. Ein Teil davon wird dem Boden als Spreu zugeführt und von
den dort lebenden Mikroorganismen zersetzt. Die Nettospeicherung an Biomasse beträgt
ca. 5,7 t/(ha a) oberirdisch und 2,4 t/(ha a) in Form von Wurzeln und Humus unterirdisch.
Strahlung Die Nettophotosynthese hängt primär von der verfügbaren solaren Strahlung
ab. Grundsätzlich steigt sie mit zunehmender Strahlungsintensität; dies gilt bis zu ei-
nem pflanzenspezifischen Sättigungspunkt. Wird demgegenüber die Strahlung sehr ge-
158 B. Geyer et al.
Pflanzen-Atmung 12 t/(ha a)
Speicherung
überirdisch
60 Absorption
40
20
Reflexion
0
0,2 0,4 0,6 0,8 1,0 1,2 1,4 1,6 1,8 2,0 2,2 2,4
Wellenlänge in μm
ring, übersteigt die Veratmung zu Kohlenstoffdioxid (CO2 ) dessen Assimilation. Die so-
lare Strahlungsintensität, bei der die veratmete CO2 -Menge gleich der assimilierten ist,
wird Lichtkompensationspunkt genannt. Er liegt bei den meisten Pflanzen zwischen 4 und
12 W/m2 .
Von der Strahlung, die auf eine Pflanze fällt, wird nur ein Teil absorbiert; der Rest
wird reflektiert oder durchgelassen. Die Absorption von Strahlung im pflanzlichen Gewe-
be erfolgt selektiv (d. h. in Abhängigkeit von der Wellenlänge). Besonders im Bereich der
Infrarotstrahlung von 0,7 bis 1,1 m durchdringt sehr viel Energie den Pflanzenbestand,
ohne absorbiert zu werden (Abb. 2.80). Im Bereich des sichtbaren Lichts ist die Absorpti-
on im grünen Bereich besonders gering; deshalb erscheinen Pflanzenblätter als grün.
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 159
Die Nettoeinstrahlung ergibt sich aus der nicht reflektierten Gesamtstrahlung und der
langwelligen Rückstrahlung. Hierbei stellt der Reflexionskoeffizient das Verhältnis von
reflektierter zu eingestrahlter Energie dar. Er hängt vor allem von dem Einstrahlungswin-
kel, der Oberflächenbeschaffenheit und der Farbe ab. Bei einem grünen Pflanzenbestand
liegt der Reflexionskoeffizient zwischen 0,1 und 0,4.
Die CO2 -Assimilation einzelner Blätter verschiedener Pflanzen steigt in Abhängigkeit
von der Einstrahlung sowie vom Pflanzen- und vom Photosynthesetyp. Bei gleicher Ein-
strahlung ist dabei die Assimilation von C4 -Pflanzen höher als die von C3 -Pflanzen [2.41].
Dies wird auch in Abb. 2.81 deutlich; demnach ist beispielsweise Mais – im Unterschied
zu Schattenkräutern – eine Pflanze, die das Sonnenlicht sehr viel besser im Vergleich z. B.
zu Weizen ausnutzen kann.
Wasser Grüne Pflanzen bestehen zu ca. 70 bis z. T. mehr als 90 % aus Wasser. Dabei än-
dert sich der Wassergehalt mit Art und Alter des Pflanzenorgans. Es nimmt sehr wichtige
Funktionen in der Pflanze wahr; dazu zählen der Transport gelöster Stoffe und die Auf-
rechterhaltung des hydrostatischen Drucks, der das Gewebe straff hält. Wasser stellt auch
bei allen Stoffwechselvorgängen wie z. B. der Photosynthese ein wichtiges Rohmaterial
dar. Außerdem spielen sich fast alle biochemischen Reaktionen in wässriger Lösung ab.
Der Wasserhaushalt einer Pflanze wird bestimmt durch die Wasseraufnahme, vorwie-
gend über die Wurzel, und die Wasserabgabe; letztere findet hauptsächlich durch Transpi-
ration der Blätter statt. Ein Wasserdefizit entsteht, wenn die Wasserabgabe größer ist als
die Wasseraufnahme. Dies kann bei starker Transpiration, geringer Wasserverfügbarkeit
160 B. Geyer et al.
Trockenmasse in t/(ha a)
Trockenmasse in t/(ha a)
mittleren jährlichen Nieder-
schlag (links) und der mittleren 20 20
Jahrestemperatur (rechts)
(nach [2.42]) 15 15
10 10
5 5
0 0
1 000 2 000 3 000 4 000 -10 0 10 20 30
Mittlere Jahresniederschläge in mm Mittlere Jahrestemperatur in °C
im Boden oder einem gehemmten Stoffwechsel in der Wurzel der Fall sein. Die Wurzel
nimmt das Wasser aus dem Boden über die Saugkraft der Wurzelzellen auf. Die Wasser-
aufnahmefähigkeit endet am Welkepunkt; hier ist der Bodenwassergehalt so gering, dass
die Wasserhaltefähigkeit des Bodens die Saugkraft der Wurzel übersteigt.
Die Biomasseproduktion der Pflanzen hängt direkt von ihrer Wasserversorgung ab.
Jede Pflanzenart hat einen spezifischen Wasserverbrauch für die Massebildung. Der Tran-
spirationskoeffizient beschreibt in diesem Zusammenhang die Wassermenge, die von der
Pflanze für die Produktion von 1 kg Trockenmasse benötigt wird. C4 -Pflanzen wie Mais
und Chinaschilf haben mit 220 bis 350 L/kg gebildeter Trockensubstanz die effizientes-
te Wasserausnutzung und damit den niedrigsten Transpirationskoeffizienten. Dies ist u. a.
auf die dichte Anordnung ihrer photosynthetisch aktiven Zellen und dem damit verbun-
denen geringeren Transpirationsverlust zurückzuführen. C3 -Pflanzen wie Getreide und
die zu den schnellwachsenden Baumarten zählenden Weiden benötigen 500 bis 700 L/kg.
Potenziell ist die Biomasseproduktivität eines Standorts umso höher, je besser das Was-
serangebot ist (Abb. 2.82, links).
Temperatur Die Temperatur beeinflusst alle Lebensvorgänge; dies gilt insbesondere auch
für die Photosynthese, die Atmung und die Transpiration. Die Pflanzen zeigen in ihrer
Aktivität einen artspezifischen Optimumbereich (Abb. 2.83). C4 -Pflanzen zeichnen sich
dabei durch ein höheres Temperaturoptimum (über 30 ı C) als C3 -Pflanzen (ca. 20 ı C) aus.
Die untere Grenze für eine Photosyntheseaktivität, das Temperaturminimum, liegt bei
den Pflanzen, die im kalten und gemäßigten Klima wachsen, bei wenigen Grad unter Null.
Mit dem Anstieg der Jahresdurchschnittstemperatur (bis zu ca. 30 ı C) steigt auch das Bio-
masseertragspotenzial eines Standorts entsprechend an (Abb. 2.82, rechts); ob der Ertrag
an einem bestimmten Standort auch wirklich ansteigt, wird dann von einer Vielzahl wei-
terer Größen (u. a. Wasserversorgung) bestimmt.
Die Temperaturobergrenze für verschiedene Pflanzen liegt bei 38 bis 60 ı C, da oberhalb
dieser Temperatur eine Zerstörung der Eiweiße – und eine dadurch bedingte verminderte
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 161
Enzymaktivität – und die Beschädigung der Membranen erfolgen (d. h. bestimmte orga-
nische Makromoleküle, aus denen die Pflanze besteht, werden thermisch zerstört). Dies
führt zum Erliegen der Stoffwechselprozesse.
Boden und Nährstoffe Der Boden entsteht durch Verwitterung der Erdkruste unter Mit-
wirkung von Mikroorganismen (Biosphäre); er besteht aus Mineralien unterschiedlicher
Art und Größe sowie dem aus organischen Stoffen gebildeten Humus. Weiterhin enthält
er Wasser, Luft und verschiedene lebende Organismen. Den Pflanzen bietet der Boden
Wurzelraum, Verankerung und Versorgung mit Wasser, Nährstoffen und Sauerstoff.
Wachstum und Entwicklung bzw. die Ertragsbildung der Pflanzen wird stark von den
physikalischen, biologischen und chemischen Eigenschaften des Bodens beeinflusst. Zu
den physikalischen Eigenschaften zählt zum einen die Mächtigkeit des Bodens (d. h. die
Tiefe der oberen, für die Wurzeln der Pflanzen erschließbaren Schicht). Weitere phy-
sikalische Eigenschaften sind die Textur oder Körnungsgröße, der Anteil luftführender
Poren und die Fähigkeit des Bodens, Wasser zu halten sowie Wärme zu speichern bzw.
abzugeben. Für ein optimales Pflanzenwachstum ist ein genügend großer Wurzelraum
zur Erschließung von Nährstoffen und Wasser wichtig. Zu den chemischen Eigenschaf-
ten gehören u. a. der Nährstoffgehalt des Bodens und sein pH-Wert. Die biologischen
Eigenschaften des Bodens werden durch das Vorkommen und die Aktivität von Boden-
mikroorganismen bestimmt. Diese Organismen leben zum Großteil von der organischen
Substanz, die dem Boden über abgestorbene Pflanzen zugeführt wird. Durch mikrobielle
Aktivität werden Nährstoffe frei, welche die Pflanzen über ihre Wurzeln aufnehmen.
Die nicht-mineralischen Nährelemente Kohlenstoff (C) und Sauerstoff (O2 ) werden
von den Blättern der Pflanze aus der Luft aufgenommen. Im Gegensatz zum reichlich vor-
handenen Sauerstoff ist Kohlenstoffdioxid (CO2 ) mit nur rund 0,04 Vol.-% und damit in
einer sehr geringen Konzentration in der Luft vorhanden. Bei stärkerer Einstrahlung kann
deshalb die CO2 -Versorgung der Chloroplasten die Produktionsrate eines Pflanzenbe-
stands begrenzen (deshalb werden die Pflanzen in Gewächshäusern auch mit zusätzlichem
CO2 „gedüngt“).
162 B. Geyer et al.
Pflanzenbauliche
Standortbedingungen
Maßnahmen
Fruchtfolge
Wasser Bodenbearbeitung
Pflanzen-
Aussaat / Pflanzung
gesellschaft
Einstrahlung Düngung
Pflanzenschutz
Erntezeit und
Boden und Nährstoffe
-technologie
Eine quantitative Beziehung zwischen den Wachstumsfaktoren und den Erträgen land-
wirtschaftlicher Kulturpflanzen wurde durch Formulierung der Ertragsgesetze hergestellt.
Demnach hängen die Möglichkeiten zur Ertragssteigerung nicht nur vom Beheben jener
relativ im Mangel befindlichen Faktoren, sondern gleichzeitig auch von der Konstellation
aller übrigen Wachstumsfaktoren ab.
Angaben in g C/(m 2 a)
0 200 400 600 800 1 000 1 200
Abb. 2.86 Ertragsniveaus von Winterweizen (links) und Winterraps (rechts) in Deutschland (Daten
nach [2.44]; Bezugsjahr 2009)
sinkt die terrestrische Biomasseproduktivität zusätzlich vor allem durch eine Kombinati-
on aus niedrigen Temperaturen und kurzen Vegetationsperioden, um in Polnähe nahezu
auf null zu gehen.
Demgegenüber zeigen sich auf der Gebietsfläche Deutschlands deutlich geringere Va-
riationen der Biomasseproduktivität. Während hier die Niederschläge und Temperaturen
über größeren Gebieten nur relativ wenig variieren, differenziert aber die Bodengüte in
sehr kleinräumigen Dimensionen. Gebiete hoher Biomasseproduktivität sind hier meist
gekennzeichnet durch das Vorkommen von Böden mit hoher Güte bei einem ausreichen-
den Niederschlag. Verschiedene Kulturpflanzen haben jedoch sehr unterschiedliche An-
sprüche an die Bodenverhältnisse sowie die Temperatur und die Niederschlagsverhält-
nisse; deshalb kann es zu z. T. erheblichen Abweichungen von diesen generellen Trends
kommen.
Abb. 2.86 zeigt exemplarisch für die Biomasseproduktivität in Deutschland das Er-
tragsniveau für Winterweizen und Raps in Stadt- und Landkreisen. Wenn beispielsweise
Sandböden mit schlechter Wasserhaltekapazität und geringe Niederschlagsmengen zu-
sammentreffen (z. B. Brandenburg), dann ist die Biomasseproduktion i. Allg. gering.
Die Gebiete höherer Biomasseproduktivität beim Wintergetreideanbau sind meist ge-
kennzeichnet durch das Vorkommen von Böden mit hoher Güte, wie dies in Börden mit
Lößböden oder in Regionen mit Marschböden gegeben ist. Beispielsweise ist Schles-
wig-Holstein insbesondere durch eine hohe Bodengüte und weitgehend ausgeglichene
166 B. Geyer et al.
Globalstrahlung
6 8 10 12 14 16 18 h
Zeit im Tagesverlauf
Abb. 2.87 Schematischer Tagesverlauf des CO2 -Gaswechsels (unten) in Abhängigkeit vom Strah-
lungsangebot (oben) (nach [2.45])
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 167
Brutto
Netto
on
kti
du
pro 80
300 225 zen
an
Pfl
Lichtaufnahme in %
zi al
ten
Po
60
en
200 150 rw
eiz
40
nte
Wi
en
photosynthetisch 20
rüb
fel wirksamen Belichtung
ker
tof
(rechte Achse)
Zuc
Kar
0 0 0
April Mai Juni Juli Aug. Sept. Okt.
malfall in den Monaten Mai bis August ihren Höchststand, wenn sie nicht durch andere
Faktoren behindert wird (z. B. Trockenstress).
Abb. 2.88 zeigt exemplarisch anhand von Winterweizen, Kartoffeln und Zuckerrüben
unter den Bedingungen in Deutschland u. a. die potenzielle Biomasseerzeugung im Jahres-
verlauf. Dabei werden zunächst die doch signifikanten saisonalen Unterschiede deutlich.
Beispielsweise zeigt Winterweizen bereits vergleichsweise früh im Jahr ein durchaus be-
achtliches Wachstum, das sich im Mai / Juni weitgehend an die potenziell maximal mög-
liche Biomasseproduktion annähert und dann aber ab Mitte des Jahres pflanzenphysiolo-
gisch bedingt zu einem Stillstand kommt. Demgegenüber sind Zuckerrüben erst deutlich
später im Jahr durch hohe tägliche Zuwachsraten gekennzeichnet; sie erreichen erst im
August die potenziell maximale Biomasseproduktion, können diese aber bis nahezu Ende
Oktober (d. h. dem Erreichen der Temperaturuntergrenze des Biomassezuwachses) reali-
sieren.
Unter klimatischen Bedingungen, die von denen Mitteleuropas z. T. deutlich abwei-
chen, zeigt der Zuwachs aufgrund veränderter meteorologischer Gegebenheiten z. T. eine
völlig andere Charakteristik. Dies macht Abb. 2.89 deutlich. Hier ist der Biomassezu-
wachs (Trockenmassebezug) in unterschiedlichen klimatischen Zonen, wie sie auf der
Erde vorkommen können, gezeigt. Demnach ist beispielsweise in den humiden Tropen
im Verlauf des gesamten Jahres eine Biomasseproduktion auf einem vergleichsweise sehr
hohen Niveau möglich. Demgegenüber liegt der Biomassezuwachs im borealen, alpinen
Bereich auf einem deutlich niedrigeren Level; er beschränkt sich hier auf ein vergleichs-
weise kurzes Vegetationsaktivitätsfenster in den Hochsommermonaten.
Entsprechend können die Biomasseproduktivitäten auch zwischen verschiedenen Jah-
ren variieren, da an einem bestimmten Standort / einer definierten Region die Kombination
der unterschiedlichen Produktionsfaktoren, die aus den jeweiligen Standortbedingungen
und den pflanzenbaulichen Maßnahmen resultieren (Abb. 2.84), immer leicht unterschied-
168 B. Geyer et al.
120
Trockenmasse-Zuwachs in kg/(ha d) 80
40
0
Frühjahr Sommer Herbst Winter
Jahreszeit
lich sind. Diese überjährigen Variationen werden in Abb. 2.90 deutlich, welche die z. T.
durchaus erheblichen Abweichungen der Winterweizenerträge vom Ertragsmittel der letz-
ten 6 Jahre exemplarisch für Deutschland zeigt. Ähnliche Variationen kommen aber auch
in anderen Ländern vor.
100
90 0,20
80
0,15
70
0,10
Ertrag in dt/(ha a)
60
Abweichung
50 0,05
40
0,00
30
-0,05
20
-0,10
10 Abweichung vom 6-Jahres-Mittel
Absolutertrag
0 -0,15
2.7 Erdwärme
Neben dem Energiestrom von der Sonne – mit den daraus resultierenden sekundären
Energieströmen (z. B. Wind, Wasser) – und dem Energiestrom aus der Massenanziehung
und Bewegung von Himmelskörpern strömt aus dem Innern der Erde ein weiterer (Erd-
wärme-)Energiestrom zur Erdoberfläche; dieser ist neben den genannten Energiequellen
die dritte der Menschheit zur Verfügung stehende regenerative Energiequelle (Kapitel 2.1).
Im Folgenden werden die Grundlagen dieser geothermischen Ressource dargestellt und
diskutiert.
2.7.1 Grundlagen
In der Erde ist thermische Energie gespeichert. Der entsprechende Wärmeinhalt der Er-
de resultiert teilweise aus der Gravitationsenergie, die bei Entstehung der Erde vor etwa
4,5 Mrd. Jahren durch die Kontraktion von Gas, Staub und Gesteinsbrocken freigesetzt
und nicht ins Weltall abgegeben wurde. Hinzu kommt eine eventuell von davor noch vor-
handene sogenannte Ursprungswärme. Als weitere Wärmequelle, die zu dem in der Erde
heute vorhandenen Energievorrat beigetragen hat und nach wie vor beiträgt, wirkt die
Energiefreisetzung infolge des Zerfalls radioaktiver Isotope, die sich in der Erde befin-
den. Bei diesen radioaktiven Elementen handelt es sich um die natürlich vorkommenden
wärmeproduzierenden Isotope U238 und U235 des Urans, Th232 des Thoriums und K40 des
Kaliums. Ergänzend dazu wird in einem geringen Umfang auch durch chemische Prozes-
se, die ebenfalls in der Erde stattfinden, Wärme freigesetzt.
Im Laufe erdgeschichtlicher Zeiträume hat sich die Erde, die nach ihrer Entstehung
vermutlich sehr heiß war, sukzessive abgekühlt; d. h. im Verlaufe von Jahrmillionen wur-
de thermische Energie über die Erdoberfläche in den (kalten) Weltraum abgegeben. Da
die Wärme aber nur über die Erdoberfläche an den Weltraum abgegeben werden kann
und sie aus dem Erdinnern erst durch Wärmeleitung dorthin transportiert werden muss,
finden sich im Erdinnern auch heute noch entsprechend hohe Temperaturen. Deshalb
nimmt generell die Temperatur mit zunehmender Tiefe unter der Erdoberfläche zu; d. h.
nach wie vor findet ein Wärmetransport aus dem Inneren der Erde in Richtung zur Erd-
oberfläche statt. Da der Aufbau der Erde nicht homogen (und nicht statisch) ist und un-
terschiedliche Gesteine / Gesteinsschichten aufgrund unterschiedlicher Zusammensetzung
eine verschiedenartige Wärmeleitfähigkeit und eine unterschiedliche Wärmekapazität auf-
weisen, wird die Temperaturtiefenverteilung vor allem von den jeweiligen thermischen
Gesteinseigenschaften (u. a. der Wärmeleitfähigkeit, der Wärmekapazität und der natürli-
chen radiogenen Wärmeproduktion infolge des unterschiedlichen Gehalts an radioaktiven
Komponenten) und dem jeweiligen Wärmefluss aus dem Inneren der Erde beeinflusst.
Daraus ergibt sich, dass die Wärme innerhalb der Erde nicht gleichmäßig verteilt ist.
170 B. Geyer et al.
Tiefe in 1 000 km
S-Wellen
pressionswellen (P-Wellen) 2
und Veränderung ausgewählter Seismograph
3
petro-physikalischer Parameter
(Scher- und Kompressionswel- 4 P Wellen
o be
len, Dichte) im Erdinnern (u. a.
unt
ä
ere
rer M
5
uß
Kruste
nach [2.47]) S-Wellen
ere
r Mant
inn
er
antel
rK
er
6
Ke
er n
el
rn
6 5 4 3 2 1 0
Tiefe in 1 000 km
Erdaufbau Erdbeben verursachen Schallwellen, die als Abfolge von Verdichtungen der
Materie (sogenannte Kompressionswellen) oder als Bewegungen senkrecht zur Ausbrei-
tung (sogenannte Scherwellen) auftreten. Sie können mit auf der Erdoberfläche verteilten
Empfängern (sogenannte Seismometer) gemessen werden. Durch eine geophysikalische
Auswertung derartiger Messungen können im Erdinneren mehrere Diskontinuitäten loka-
lisiert werden; darunter sind Zonen / Bereiche zu verstehen, an denen sich die physikali-
schen Eigenschaften der Erde deutlich ändern. Ausgehend davon wurde der prinzipielle
konzentrische Schalenaufbau der Erde abgeleitet (Abb. 2.91).
Demnach reicht die Erdkruste – das ist die oberste Schale der Erde – unter den Konti-
nenten im Mittel bis in eine Tiefe von ca. 30 km; unter den Ozeanen, die etwas über 70 %
der Erdoberfläche einnehmen, ist die Erdkruste im Schnitt nur rund 10 km tief (Tabel-
le 2.7). Die sogenannte Mohorovičič-Diskontinuität trennt die Erdkruste vom Erdmantel;
an dieser Grenzfläche kommt es zu einem sprunghaften Anstieg der Geschwindigkeit seis-
mischer Kompressionswellen. Unter dem Erdmantel wird die in Richtung zum Erdinnern
nächste Schicht der Erde verstanden (Abb. 2.92). Dieser Erdmantel ist wie die Erdkruste
fest und reicht bis in eine Tiefe von ca. 3 000 km. Er umschließt den Erdkern, der sich
zumindest im äußeren Teil (ca. 3 000 bis 5 100 km) wie eine Flüssigkeit verhält, da sich
dort keine Scherwellen ausbreiten (Abb. 2.91).
Vorstellungen über die Zusammensetzung dieser „Schalen“ wurden u. a. durch Spek-
tralanalysen von Himmelskörpern, durch Messungen an vulkanisch ausgeworfenen Tie-
fengesteinen und durch Modellierungen von physikalischen und seismologischen Mes-
sungen erarbeitet. Bei einer vereinfachten Betrachtung besteht die obere Erdkruste bis
ca. 20 km Tiefe aus Gesteinen mit weitestgehend granitischer Zusammensetzung; d. h. aus
Sicht der chemischen Zusammensetzung überwiegen Silizium- und Aluminiumverbin-
dungen (ca. 70 % SiO2 , ca. 15 % Al2 O3 , ca. 8 % K2 O/Na2 O). Im unteren Teil der Erdkruste
nimmt dann der Silikatanteil ab und der Anteil an Eisenoxidverbindungen steigt an. Die
zugehörigen Gesteine weisen überwiegend einen basaltischen Chemismus auf (ca. 50 %
SiO2 , ca. 18 % Al2 O3 , ca. 17 % FeO/Fe2 O3 /MgO, ca. 11 % CaO). Der darunter liegende
Erdmantel besteht im Wesentlichen aus dem Gestein Peridotit, welches aus dem Mineral
Olivin mit der chemischen Mischformel (Mg,Mn,Fe)2 [Si2 O4 ] gebildet wird. Der Erdkern
besteht vermutlich überwiegend aus Eisen (Fe) und Nickel (Ni); er wird deswegen auch
als NiFe-Kern bezeichnet.
Der oberste Erdmantel und die Erdkruste bilden die weitgehend starre Lithosphäre.
Dies ist die äußerste Schicht bezogen auf den Schichtenaufbau der Erde (Abb. 2.91
bzw. 2.92). Sie umfasst die Erdkruste und den äußersten Teil des Erdmantels (d. h. den
lithosphärischen Mantel). Die Lithosphäre ist dabei aus einzelnen Platten zusammen-
gesetzt; sie werden als Lithosphärenplatten, tektonische Platten oder Kontinentalplatten
bezeichnet. Die Lithosphäre ist in den Gebieten der Ozeane i. Allg. weniger dick aus-
gebildet als unter den Kontinenten. Diese Lithosphärenplatten „schwimmen“ auf einer
weniger rigiden Schicht des obersten Erdmantels, der sogenannten Asthenosphäre, die
zum Erdinnern hin durch die Mesosphäre begrenzt wird. Durch thermisch-physikalische
Prozesse befinden sich diese einzelnen Kontinentalplatten dabei in Bewegung; dieser
Vorgang wird als Plattentektonik bezeichnet. Dabei kommen eine Vielzahl unterschied-
licher Effekte zum Tragen, die u. a. auch die Möglichkeiten einer Nutzung der tiefen
Erdwärme signifikant beeinflussen. Abb. 2.93 zeigt einige dieser Effekte; demnach gibt
es Bereiche der Erdkruste, an der das heiße Tiefengestein relativ weit an die Oberfläche
tritt und Gebiete, an denen das Gegenteil der Fall ist. Die diese Effekte beschreiben-
de Theorie der Plattentektonik liefert eine Erklärung für wesentliche geodynamische
Vorgänge wie z. B. die Bildung neuer Ozeane und neuer Erdkruste, das Abtauchen von
Platten oder den Vulkanismus an den Rändern von Lithosphärenplatten (z. B. den soge-
nannten „Ring of Fire“ um den Pazifik). Die Veränderung der geographischen Lage von
172 B. Geyer et al.
Kontinent
Ozean
Kruste
Kruste
Plattenbewegung
Gesteinsschmelzfluss
Abb. 2.93 Schematische Darstellung ausgewählter infolge der Plattentektonik stattfindender Ef-
fekte
Kontinenten über geologische Zeiträume hinweg bestimmte dabei die Ablagerung und
Versenkung von Sedimentgesteinen, welche heute als geothermische Reservoire genutzt
werden können.
Temperaturgradient Infolge des heißen Erdkerns und der kühleren Erdoberfläche stellt
sich ein Wärmefluss und damit ein Temperaturgradient zwischen dem Erdinnern und
der Erdoberfläche ein. Dies manifestiert sich in einer Temperaturzunahme innerhalb der
starren äußeren Erdkruste (Lithosphäre), die durch Tiefbohrungen nachgewiesen wer-
den kann. Dieser Temperaturanstieg beträgt im Mittel 30 K/km. Je nach der lokalen /
regionalen geologischen Situation und den jeweiligen thermischen Eigenschaften kann
diese als geothermischer Temperaturgradient bezeichnete Zunahme der Temperatur mit
der Tiefe sehr unterschiedlich sein (Abb. 2.94). Einige dieser z. T. erheblichen Unterschie-
de können dabei auch durch die Plattentektonik erklärt werden (Abb. 2.93). Während in
alten Kontinentalgebieten – dies sind Gebiete auf den einzelnen Lithosphärenplatten, die
weit entfernt von den jeweiligen Kontinentalrändern liegen (z. B. Kanada, Indien, Südafri-
ka) – kleinere Temperaturgradienten (z. B. 10 K/km) gemessen werden, sind in tektonisch
aktiven, jungen Krustengebieten an den Rändern dieser Lithosphärenplatten (z. B. Island,
Larderello in Italien (ca. 200 K/km)) oder in Grabenregionen (z. B. im Rheingraben bis
100 K/km) wesentlich höhere Gradienten anzutreffen.
Unterhalb der oberen Erdkruste (Abb. 2.92) muss der Anstieg des geothermischen Gra-
dienten deutlich abnehmen, da sonst unrealistisch hohe Temperaturen für das Innere der
Erde erreicht würden; für eine technische Nutzbarmachung der Erdwärme ist dies aber
praktisch irrelevant, da bisher nur Tiefen von rund 5 000 bis 7 000 m unter kommerziellen
Aspekten und rund 10 000 m im Rahmen von Forschungsbohrungen sicher erbohrt – und
damit aufgeschlossen – werden können. Der potenzielle Temperaturgradient im Erdmantel
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 173
Tiefe in m
4 000
Friedland
(Nordostdeutschland)
6 000
Kontinentale
Tiefbohrung Globaler
(Oberpfalz) Mittelwert
8 000
(Abb. 2.92) kann aus dessen geophysikalischen Eigenschaften abgeschätzt werden. Damit
muss die Temperatur unterhalb des Schmelzpunktes der Mantelsilikatgesteine liegen; da-
bei muss zusätzlich die Abhängigkeit der Schmelztemperaturen vom Druck berücksichtigt
werden. Der Temperaturgradient im Erdmantel wird daher auf maximal 1 K/km geschätzt
(Abb. 2.95).
Aus den Temperaturgradienten in Erdkruste und Erdmantel und der druckbereinig-
ten Schmelztemperatur für Eisen und Nickel im Erdkern kann das Temperaturprofil im
Erdinnern abgeschätzt werden (Abb. 2.95). Demnach herrschen im obersten Erdmantel
Temperaturen von rund 1 000 ı C vor. Im Erdinneren können Maximaltemperaturen von
über 5 000 ı C angenommen werden (Tabelle 2.7).
Wärmeinhalt und Verteilung der Quellen Unter der Annahme einer mittleren spezi-
fischen Wärmekapazität von 1 kJ/(kg K) und einer durchschnittlichen Dichte der Erde
von rund 5,5 kg/dm3 kann der Wärmeinhalt unseres Planeten auf rund 12 bis 24 1030 J
geschätzt werden. Für die äußerste Erdkruste bis rund 10 000 m Tiefe beträgt der Wärm-
einhalt etwa 1026 J.
Aufgrund von chemischer Zonierung infolge der Plattentektonik sind dabei die wärme-
produzierenden Isotope in der kontinentalen Kruste, die im Wesentlichen aus granitischen
und basaltischen Gesteinen besteht, angereichert. In granitischen Gesteinen beträgt die ra-
diogene Wärmeproduktionsrate im Mittel ca. 2,5 W/m3 und in basaltischen Gesteinen
ca. 0,5 W/m3 . Dagegen ist der obere Erdmantel an wärmeproduzierenden radioaktiven
Elementen verarmt; die Wärmeproduktion beträgt hier nur 0,02 W/m3 [2.69].
krustalen Einheiten bekannt, lassen sich mit dem terrestrischen Wärmestrom Tempera-
turprofile der tieferen und der oberflächennahen Kruste berechnen. Damit eignet sich die
terrestrische Wärmestromdichte auch als Planungsgrundlage in der Geothermie.
Die Wärmestromdichte setzt sich aus mehreren Anteilen zusammen: aus dem Wärme-
strom durch einen konduktiven oder einen konvektiven Transport und der innerhalb eines
bestimmten Tiefenbereichs stattfindenden radiogenen Wärmeproduktion (Kapitel 9.1).
Für die kontinentale Erdkruste ergibt sich ein Mittelwert der Wärmestromdichte von
ca. 65 mW/m2 an der Erdoberfläche.
Aufgrund der Zonierung der radioaktiven Elemente (siehe oben) sind die Isotope nicht
gleichmäßig in der Erde verteilt. Bei einer mittleren Wärmeproduktionsrate für Krusten-
gesteine von 1 W/m3 ergibt sich für eine Erdkruste von 35 km Dicke alleine aus dem
radioaktiven Zerfall eine Wärmestromdichte von ca. 35 mW/m2 . Damit dürfte der Haupt-
anteil der von der Erde an der Erdoberfläche bereitgestellten Wärme also in der Erdkruste
beim Zerfall der dort vorhandenen radioaktiven Elemente freigesetzt werden.
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 175
23 - 45 75 - 85
45 - 55 85 - 95
55 - 65 95 - 150
65 - 75 150 - 450 Angaben in mW/m2
Die ozeanische Erdkruste besteht zum großen Teil aus basaltischen Gesteinen. Trotz
der niedrigen radiogenen Wärmeproduktion in diesen Gesteinen ist die Wärmestrom-
dichte hier deutlich höher und beträgt im Mittel um die 100 mW/m2 . Hier kommt der
Wärme aus dem Aufstieg heißer Gesteinsmassen aus dem Erdmantel an den Rändern
von Lithosphärenplatten eine besondere Bedeutung für den Wärmestrom zu, da hierdurch
überdurchschnittlich hohe Temperaturen möglich sind (Abb. 2.93). Dies wird auch in
Abb. 2.96 deutlich, welche die globale Wärmestromdichte zeigt. Hier werden insbesonde-
re die merklich überdurchschnittlichen Wärmestromdichten an den Grenzen bestimmter
Lithosphärenplatten deutlich, die durch den Aufstieg heißen Tiefenmaterials in oberflä-
chennähere Bereiche verursacht werden. Die Darstellung zeigt aber auch, dass dies über-
wiegend in den Ozeanböden der Fall ist. Durchschneidet eine derartige Zone Land – wie
es beispielsweise bei Island der Fall ist – dann sind dort die Möglichkeiten einer Geother-
mienutzung vergleichsweise gut. Ähnlich zu dem bereits genannten Beispiel ist dies auch
u. a. in Neuseeland und in Ostafrika der Fall.
Besonders hohe Werte der Wärmestromdichte sind für vulkanisch aktive Gebiete (etwa
90 bis > 200 mW/m2 ) und – wie Abb. 2.96 zeigt – für ozeanische Riftzonen (im Durch-
schnitt etwa 100 bis 150 mW/m2 ) typisch. Demgegenüber sind deutlich geringere Werte
mit 25 bis 50 mW/m2 für alte Kontinentalgebiete (wie z. B. die russische Platte) charak-
teristisch (Abb. 2.97). Aus diesen Unterschieden wird deutlich, dass die Variationen im
heutigen Wärmefluss zwischen unterschiedlichen Regionen der Erde auf Unterschiede
in der tektonisch-magmatischen Aktivität, dem Bildungsalter der geologischen Einheiten
und den thermischen Eigenschaften der vorherrschenden Krustengesteine zurückzuführen
sind.
176 B. Geyer et al.
keine
> >150
150 mW/m² 60-80
60-80 mW/m²
Daten
100-150
100-150 mW/m² 40-60
40-60 mW/m²
80-100
80-100 mW/m² <<40
40 mW/m²
Umea
Trondheim
Bergen
Helsinki
Petersburg
Tallinn
Stockholm
Glasgow Goeteborg
Riga
Kopenhagen
Smolensk
Vilnius
Danzig
Hamburg Minsk
London
Amsterdam
Warschau
Berlin
Brüssel Leipzig
München
Bern Wien
Budapest Odessa
Lyon
Mailand Trieste
Sarajevo
Barcelona
Rom Sofia
Istanbul
Neapel Tirana
Abb. 2.97 Abgeschätzte terrestrische Wärmestromdichte für große Teile Europas (vereinfacht,
nach [2.48])
0 Erdoberfläche 100 % 0%
1 Bandbreite
10
Tiefe in m
mittlerer
Anteil
100
mittlerer Temperaturverlauf
1 000
mögliche Bandbreite
der Temperatur
10 000
-50 0 50 100 150 200 Temperatur in °C
Erdwärmestrom
dichte von ca. 86 mW/m2 die geothermische Strahlungsleistung der Erde ca. 44 1012 W;
damit liefert die Erde pro Jahr eine geothermisch bedingte Energie von rund 1 400 EJ, die
letztlich an die bodennahen Atmosphärenschichten abgegeben und danach in der Atmo-
sphäre verteilt wird. Demgegenüber liegt die Einstrahlung der Sonne auf die Erdoberfläche
bei rund dem 20 000-fachen dieses terrestrischen Wärmestroms. Die insgesamt abgegebe-
ne und aufgenommene Wärmestrahlung bestimmt das beobachtete Temperaturgleichge-
wicht von im Durchschnitt ca. 14 ı C an der Erdoberfläche.
Dies geht auch aus Abb. 2.98 hervor. Dabei wird i. Allg. in den obersten Metern die
Temperatur der Erde vom Wärmeeintrag aus der eingestrahlten Sonnenenergie dominiert.
Deutlich wird dies u. a. daran, dass beispielsweise in einigen Gebieten Deutschlands der
Boden im Winter bis in Tiefen von mehreren Dezimetern gefroren sein kann und im Som-
mer sich stellenweise auf erhebliche Temperaturen aufheizt (z. T. 50 ı C und mehr bei
entsprechend hoher Solarstrahlung). Dies hat seine Ursache ausschließlich in den jahres-
zeitlichen Unterschieden des solaren Strahlungsangebots und dem daraus resultierenden
Temperaturniveau in den bodennahen Atmosphärenschichten. Die Sonneneinstrahlung be-
einflusst dabei das Temperaturregime innerhalb der Erde bis zu einer Tiefe von 10 bis 20 m
(Jahresgang).
Im obersten Bereich der Erdkruste wird der Anteil am gesamten Erdwärmestrom, der
aus der Erdwärme (d. h. dem terrestrischen Wärmestrom) bzw. aus der eingestrahlten Son-
nenenergie resultiert, durch eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Effekte beeinflusst. Eine
wesentliche Einflussgröße ist der Regen. Das daraus resultierende Oberflächen- und in-
direkt auch das Grundwasser wird durch Sonnenenergie „aufgeheizt“ und transportiert
die solar eingestrahlte Energie in z. T. durchaus beachtliche Tiefen der oberflächennahen
Erdschichten. Erwärmte Oberflächenwässer können deshalb lokal die Temperaturen im
oberflächennahen Untergrund im Durchschnitt bis rund 20 m, in Ausnahmefällen auch
noch deutlich tiefer, beeinflussen.
178 B. Geyer et al.
In Porenleitern zirkuliert das Wasser in Poren, die beispielsweise schon während der
Ablagerung der Gesteine angelegt werden. Kenntnisse der Ablagerungsbedingungen
und der anschließend stattgefundenen gesteinsverändernden Prozesse erlauben eine
bessere Abschätzung der Eignung solcher poröser Reservoire für die geothermische
Nutzung.
In Kluftleitern erfolgt die Wanderung des Geofluids in Trennfugen von natürlichen oder
auch künstlich erzeugten Trennflächensystemen, die insbesondere durch geomechani-
sche Einwirkungen entstehen können.
Karstwasserleiter entstehen in Gesteinen, in denen sich durch chemische Lösungs-
vorgänge Hohlräume ausbilden können (z. B. in Kalksteinen). Beispielsweise können
entlang von Schwächezonen des Gesteins durch Niederschlagswässer Wegsamkeiten
und Kavernen entstehen, welche zur Bildung eines massiven Grundwasserleiters füh-
ren können.
externe
Fluide
+p +T
+p
+T
externe
Fluide
150 μm
Abb. 2.100 Mögliche Veränderungen der Porosität eines sedimentären Gesteins bei zunehmender
Versenkung (p Druck, T Temperatur)
(1) Systeme mit Temperaturen kleiner als 100 ı C. Sie sind beispielsweise im kontinen-
talen Umfeld (Sedimentbecken) anzutreffen. Bei derartigen geothermischen Syste-
men handelt es sich um Warmwasservorkommen (engl. low-temperature system),
die durch das Vorhandensein einer stark wasserführenden Gesteinsschicht gekenn-
zeichnet sind. In Deutschland existieren in Tiefen von bis zu rund 3 000 m derartige
Lagerstätten mit Temperaturen von 60 bis maximal 120 ı C.
(2) Systeme im mittleren Temperaturbereich (100 bis 180 ı C). Diese Systeme sind z. B.
auf Kontinenten anzutreffen, wenn weitere Wärmequellen (z. B. radioaktive Gesteins-
körper oder Zirkulation heißer Fluide entlang tiefreichender Störungen) vorhanden
sind (engl. intermediate-temperature system). Diese Systeme stellen in der Regel
Heißwasser-, Nassdampf- bzw. Heißdampfvorkommen dar.
(3) Systeme mit Temperaturen größer als 180 ı C. Diese sind vor allem an Zonen mit
aktivem Vulkanismus, beispielsweise an Kontinentalplattengrenzen, anzutreffen und
stellen Heißwasser- bzw. Heißdampfvorkommen dar (engl. high-temperature system).
Außer der Unterteilung nach der Temperatur können geothermische Vorkommen auch
anhand ausgewählter physikalisch-chemischer Eigenschaften eingeteilt werden.
aktivem Vulkanismus wegen ihrer geringeren Dichte von größeren Tiefen aufgestiegen
und bilden Magmavorkommen in 3 000 bis 10 000 m Tiefe. Die um Magmenkörper
meist vorhandenen Fluidsysteme mit ihren hohen Temperaturen könnten zur Bereit-
stellung von Wärmeenergie – und damit letztlich als Energiequelle – technisch genutzt
werden. Der Aufschluss derartiger Systeme (wie auch die Nutzung von hydrothermalen
submarinen Hochtemperatursystemen) ist aber noch in der Entwicklung.
Im deutschen Sprachgebrauch üblich ist auch eine Unterteilung in flache und tiefe Geo-
thermie. Reservoire bis ca. 400 m Tiefe und Temperaturen von weniger als 25 ı C werden
dabei als flache geothermische Reservoire bezeichnet. Dieses Wärmepotenzial wird bis
in eine Tiefe von rund 10 bis 20 m im Wesentlichen durch die solare Einstrahlung, durch
die Wärmeleitung im Boden und durch zirkulierende solar aufgeheizte Grundwässer be-
einflusst. Reservoire in größeren Tiefen und deutlich höheren Temperaturen rechnet man
dagegen zur tiefen Geothermie.
Die potenzielle technische Nutzung dieser verschiedenen geothermischen Energie-
vorkommen hängt – auch aufgrund von Wirtschaftlichkeitserwägungen – vom Energiege-
halt und damit von der Temperatur und der Fließrate ab.
Oberhalb von 130 bis 150 ı C, ggf. auch etwas unterhalb dieses Temperaturbereichs,
können geothermische Wärmevorkommen zur Stromerzeugung genutzt werden; dies wird
heute an dafür geeigneten Standorten mit besonders vielversprechenden geologischen Be-
dingungen bereits realisiert (u. a. Italien, Neuseeland, Costa Rica, Philippinen). Da es
dabei zu keinem Verbrennungsprozess kommt, die Wärme oft mit hohen thermischen
Leistungen und unabhängig von der Tages- und Jahreszeit sowie der aktuellen Witterung
zur Verfügung steht, können derartige Vorkommen umweltfreundlich und bei günstigen
geologischen Bedingungen vergleichsweise einfach und – auch ohne staatliche Unterstüt-
zung – wirtschaftlich genutzt werden. Dafür müssen jedoch geologische Voraussetzungen
vorliegen, wie sie in Deutschland bzw. in Mitteleuropa nur sehr eingeschränkt gegeben
sind.
Geothermische Wärme kann auch bei Temperaturen z. T. deutlich unterhalb von 150 ı C
mithilfe einer Vielzahl unterschiedlichster Möglichkeiten technisch sinnvoll genutzt wer-
den. Typische Beispiele sind:
Heizzentralen zur Bereitstellung von Nah- und Fernwärme für Haushalte (d. h. Heizung
und Trinkwasser), den GHD-Sektor (d. h. Gewerbe, Handel, Dienstleistungen bzw.
Kleinverbraucher; u. a. Gewächshausbeheizung, Erwärmung von Fischbecken) und die
Industrie (u. a. Holztrocknung, Klärschlammtrocknung, Tauchbeckenbeheizung),
erdgekoppelte Wärmepumpen u. a. zur Beheizung von Ein- und Mehrfamilienhäusern
oder zur industriellen Kühlung,
erdberührte Bauteile mit Wärmeübertragersystemen zur Klimatisierung (d. h. Heizen,
Kühlen) und
stoffliche Nutzung u. a. als Bade- und Heilwasser.
182 B. Geyer et al.
Abb. 2.101 Beispiel für den jahreszeitlichen Verlauf der Lufttemperatur in Bodennähe und der Bo-
dentemperatur in zwei unterschiedlichen Tiefen
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 183
weniger wird i. Allg. der Wärmezustand des eindringenden Wassers verändert und desto
mehr kann es erwärmend oder abkühlend auf das Grundwasser wirken; dies ist vor allem
der Fall bei sehr durchlässigen Deckschichten und Grundwasserleitern. Anders liegen die
Verhältnisse, wenn die Aufenthaltszeit im Untergrund vor Erreichen des Grundwassers
lang ist. Dann kann die Temperatur des Wassers weitgehend an die der umgebenden Ge-
steine angeglichen werden. Dringt das Wasser in Lockergesteine (z. B. Sande) ein, ist die
Kontaktfläche sehr groß und damit wird der Wärmeübertrag sehr begünstigt. Auch die
Oberflächenbeschaffenheit stellt eine wichtige Einflussgröße auf den Energieeintrag in die
oberflächennahen Erdschichten dar; dies beeinflusst vor allem das Klima im städtischen
Raum mit seinem hohen Anteil an versiegelter Fläche. So wird beispielsweise im Sommer
von einer asphaltierten Fläche deutlich weniger Energie z. B. über Verdunstung wieder ab-
geben als von einer begrünten Fläche; zugleich reflektiert der dunkle Asphalt meist weniger
Energie der Sonneneinstrahlung als ein bewachsener Boden. Deshalb zeigt Abb. 2.102 ex-
emplarisch die Temperaturverteilung in einer Tiefe von 20 m unter Geländeoberkante für
das deutsche Bundesland Berlin. Hier wird deutlich, dass mit einer zunehmenden urba-
nen Verdichtung die Temperatur im oberflächennahen Untergrund infolge der diskutierten
Effekte im Vergleich zu den eher ländlichen Randbereichen deutlich zugenommen hat.
Die Temperatur des oberflächennahen Erdreichs ist bis in eine Tiefe von rund 10 bis
20 m jahreszeitlichen Unterschieden unterworfen [2.47]; sie resultieren primär aus dem
im Jahresverlauf unterschiedlichen Strahlungsangebot der Sonne. Dabei machen sich die
Temperaturschwankungen in den bodennahen Luftschichten im oberflächennahen Erd-
reich nicht unmittelbar bemerkbar, da der Boden ein gewisses, lokal stark schwankendes
Energie- bzw. Wärmespeichervermögen besitzt. Dadurch bedingt folgt das sich einstellen-
de Temperaturprofil bis zu der ab einer Tiefe von 10 bis 20 m im ungestörten Erdreich im
deutschsprachigen Raum zu erwartenden Jahresmitteltemperatur von rund 9 bis 10 ı C mit
einer bestimmten Zeitverzögerung (infolge der Trägheit der Wärmeein- bzw. -ausspeiche-
rung) den jahreszeitlich wechselnden mittleren Lufttemperaturen (Abb. 2.103 und 2.104);
184 B. Geyer et al.
35
30 2 cm
10 cm
25
Temperaturi n°C
1m
20
15
12 m
10
0
Jan 16 Apr 16 Jul 16 Okt 16 Feb 17 Mai 17 Aug 17 Dez 17 Mrz 18 Jun 18 Sep 18
-5
Abb. 2.103 Jahresgang der Temperatur in verschiedenen Tiefen exemplarisch für den Standort
Potsdam (Messung der Bodentemperatur jeweils um 13:00 Uhr an den entsprechenden Tag; Mo-
natsmittelwerte) (Daten nach [2.68])
10
12
14
16
18
20
0 5 10 15 20
Temperatur in °C
die mittlere Temperatur, ab der keine jahreszeitlichen Unterschiede mehr erkennbar sind
(typischerweise 10 bis 20 m unter der Erdoberfläche), kann auch in Mitteleuropa lokal
auch etwas höher sein (dies gilt insbesondere für Verdichtungsräume, in denen anthro-
pogen sehr viel Wärme in den oberflächennahen Untergrund (z. B. durch Fernwärme-
leitungen, Abwasserleitungen, U- und S-Bahn-Tunnel) eingetragen wird (Abb. 2.102)).
Zusätzlich kann es in den obersten Zentimetern der Erde infolge der solaren Einstrahlung
auch im Tagesverlauf zu Temperaturunterschieden kommen. Sie nehmen mit zunehmen-
der Tiefe jedoch rasch ab und sind für eine energetische Nutzung der oberflächennahen
Erdwärme praktisch nicht von Bedeutung.
Der Tiefenbereich, in dem keine Jahresschwankung der Temperatur mehr auftritt, wird
neutrale Zone genannt. Nach DIN 4049 ist dies derjenige Bereich unterhalb der Erdober-
fläche, in dem der Jahresgang der Temperatur um nicht mehr als 0,1 K schwankt. Das
Abklingen der Temperaturschwankungen mit der Tiefe hängt wesentlich vom Wärme-
leitvermögen der Gesteine und der Grundwasserströmung ab und kann im Durchschnitt
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 185
in Tiefen zwischen 15 und knapp 40 m liegen. Unterhalb der neutralen Zone wird die
Temperatur primär durch den geothermischen Wärmefluss bestimmt. Die Temperatur im
Bereich der neutralen Zone entspricht angenähert der mittleren langjährigen Jahresdurch-
schnittstemperatur an der Erdoberfläche der entsprechenden Region (d. h. 9 bis 10 ı C unter
mitteleuropäischen Bedingungen) [2.47].
Die regionale Verteilung der Temperaturen in den obersten Metern des Erdreichs bzw.
im oberflächennahen Grundwasser innerhalb Deutschlands orientiert sich im Wesentli-
chen an den jeweiligen mittleren Umgebungstemperaturen, die je nach Standort z. T. un-
terschiedlich sein können.
KEINE DATEN
Temperatur in °C
50 60 70 80 90 100 110 120 130 140 150
186 B. Geyer et al.
KEINE DATEN
Temperatur in °C
120 130 140 150 160 170 180 190 200
exemplarisch in 2 000 und 5 000 m Tiefe für Deutschland zeigen. Auffällig sind die hohen
Temperaturen im Oberrheingraben, die durch advektive Prozesse hervorgerufen werden.
Weitere positive Temperaturanomalien liegen im Bereich der Schwäbischen Alb südlich
von Stuttgart bei Bad Urach und im norddeutsch-polnischen Becken; hier sind häufig
überwiegend konduktiv-thermische Prozesse durch Salzstrukturen im Untergrund Ursa-
chen für diese Temperaturanomalien. Das rezente Temperaturfeld ist bis in eine Tiefe von
2 000 bis 3 000 m noch von den Temperaturrandbedingungen der letzten Eiszeiten geprägt;
dies trifft vor allem für die Bereiche der ehemaligen Eisrandlagen zu; die Größenordnung
dieser absoluten rezenten Temperaturstörung beträgt für Norddeutschland vermutlich bis
etwa 4 ı C.
Für die technische Nutzbarmachung dieser Energie ist das jeweilige Temperaturniveau
allerdings nur ein Parameter. Auch entscheidend ist, ob die Wärme ausschließlich im Ge-
stein gespeichert oder ob sie auch in ggf. vorhandenen Poreninhaltsstoffen enthalten ist,
die gefördert werden können (d. h. Trägergestein mit hoher Porosität, Permeabilität und
verfügbarem Porenwasser). Für eine direkte technische Nutzbarmachung ist nämlich die
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 187
n
cke
Be
ne
er
o
ez
en
Ober- ss
hisches
Wi
a
österreic ol
!
Linz
b e ck e n M
Molasse Wien
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Mola ss e b e Salzburg !
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Bregenz
!
Innsbruck St
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Längenfeld rb e s
ec
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Klagenfurt n
Existenz von Aquiferen mit hinreichend großer Wasserführung in nicht zu großen Tiefen
die wesentliche Voraussetzung. Ein wichtiges Kriterium für eine potenzielle technische
Nutzbarmachung ist dabei auch die chemische Zusammensetzung dieser Tiefenwässer,
um einen nachhaltigen Betrieb geothermischer Anlagen sicherzustellen und beispielswei-
se Ausfällungen in der Anlage vermeiden zu können. Innerhalb Deutschlands findet man
geeignete Aquifere
in den großen Sedimentstrukturen des norddeutschen Beckens mit seinen Poren- und
Kluftspeichern,
im Oberrheingraben mit seinen hauptsächlichen Kluftspeichern sowie
im süddeutschen Molassebecken, wo bevorzugt Karstspeicher vorkommen (Abb. 2.107);
das hydrothermal interessanteste Gebiet ist dabei das Molassebecken zwischen der Do-
nau und den Alpen, wo vor allem das sehr gering mineralisierte Wasser des Malms,
einer geologischen Schicht mit kalkigen Gesteinen des oberen Juras, genutzt werden
kann.
Innerhalb Österreichs findet man potenziell geeignete Aquifere im Wiener und Steiri-
schen Becken sowie entlang der Molassezone vom nördlichen Niederösterreich bis zum
nördlichen Rheintal in Vorarlberg (Abb. 2.107).
Der geothermische Wärmestrom ist unabhängig von täglichen oder jahreszeitlichen
Einflüssen. Damit variiert das Energieangebot – gemessen in menschlichen Zeitdimensio-
nen – nicht. Lediglich in geologischen Zeiträumen ist der Erdwärmestrom Schwankungen
unterworfen. Dabei ist die langsame Abkühlung der Erde bzw. die Abnahme des von der
Erdentstehung noch im Erdinneren verbliebenen Wärmevorrats sicherlich der langfris-
tigste Vorgang. In kürzeren Zeiträumen – damit sind hier allerdings auch noch Zeiträume
bis vielleicht mehrere Millionen Jahre zu verstehen – kann die Wanderung der lokal be-
grenzten Wärmezentren innerhalb der Erdkruste z. B. durch plattentektonische Vorgänge
zu einer Veränderung der Lagerstätten führen. Auch spielen hierbei die Wärmetransport-
prozesse, die mit dem Aufstieg der Salze in den Sedimentbecken verbunden sind, eine
gewisse Rolle. Für eine energetische Nutzung haben aber alle diese – in menschlichen
Dimensionen sehr langsam ablaufenden – zeitlichen Änderungen des Wärmeinhaltes kei-
ne Bedeutung. Damit kann der geothermische Wärmestrom im Jahresverlauf als konstant
unterstellt werden.
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190 B. Geyer et al.
Aufgrund tages- und jahreszeitlich schwankender Solareinstrahlung auf ein beliebiges Ge-
bäude einerseits und ebenfalls variierender Wärmequellen und -senken im eigentlichen
Bauwerk andererseits treten in einem Gebäude eine Vielzahl unterschiedlicher Energie-
flüsse auf (Abb. 3.1). Der Wärmeenergieeintrag in ein Gebäude erfolgt dabei primär durch
die Wärmeabgabe der Heizung (sogenannte Heizwärme), durch die Wärmeabgabe von
Personen, Beleuchtung und Haushaltsgeräten (sogenannte innere Wärme) sowie durch die
passiven solaren Erträge durch transparente und opake Bauteile der Gebäudehülle (soge-
nannte passive Sonnenenergienutzung oder äußere bzw. solare Wärmegewinne). Während
der Wärmeeintrag durch die im Gebäude installierte Heizung jahreszeitlich abhängig gere-
gelt wird (dieser Wärmeeintrag in ein Gebäude kann genauso gut auch ein Wärmeaustrag
aus dem Gebäude durch eine installierte Kühlung sein), handelt es sich bei den inneren
Wärmequellen und den Solarenergiegewinnen immer, jahreszeitlich unabhängig, um un-
geregelte Wärmeeinträge in ein Gebäude.
Die solaren Wärmegewinne eines Gebäudes setzen sich dabei aus den beiden folgenden
Anteilen zusammen.
Die kurzwellige Solarstrahlung kann die transparenten Teile der Gebäudehülle (d. h.
Verglasung) passieren (transmittieren) und an den innenliegenden Wand-, Boden- und
Deckenflächen absorbiert werden; demgegenüber wird langwellige (Wärme-)Strahlung
von den Verglasungen reflektiert (d. h. langwellige Strahlung kann Glasscheiben nicht
durchdringen). Wird im Gebäudeinnern an Wand, Boden und / oder Decke die durch ab-
sorbierte Strahlung entstehende Wärme nur schlecht von der jeweiligen Oberfläche in
den Gebäudekörper abgleitet (Wärmedämmung) führt dies primär zu einer Erwärmung
Autoren in alphabetischer Reihenfolge mit Beiträgen zum Kapitel; die Autorenzuordnung geht aus
den einzelnen Unterkapiteln hervor.
Martin Kaltschmitt, Hamburg, Deutschland
Marina Stegelmeier, Aachen, Deutschland
Wolfgang Streicher, Innsbruck, Österreich
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 193
M. Kaltschmitt, W. Streicher, A. Wiese (Hrsg.), Erneuerbare Energien,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-61190-6_3
194 M. Kaltschmitt et al.
Wärmestrom
durch Wärmetaustausch
Heizung/ im Gebäude bei
21. Dezember Kühlung unterschiedlichen
Tenperaturen
Wärmetransport
Passive Solargewinne durch Innere durch Lüftung
Fenster (Solarstrahlung) Wärme-
quellen
Thermische
Passive Solargewinne durch Speicher-
Wände und Dach (Absorption und massen
nachgeschaltete Wärmeleitung) Wärmeaustausch
durch Infiltration der
Wärmeverluste zur Erde Gebäudehülle
durch Wärmeleitung
(Transmissionsverluste)
der Außen- und der Innentemperatur beeinflusst, die entlang der Gebäudehülle sehr
unterschiedlich sein kann (d. h. luft- oder erdberührte Bauteile).
Wärme wird auch infolge der Lüftung des Gebäudes ausgetauscht; diese ist i. Allg.
notwendig, um die im Gebäude geforderte Luftqualität u. a. in Bezug auf maximal
erlaubte Konzentrationen an Kohlenstoffdioxid (CO2 ), an bestimmten Schad- bzw. Ge-
ruchsstoffen und die relative Luftfeuchte zu gewährleisten. Es wird unterschieden in
mechanische Lüftung (d. h. kontrolliert über eine Lüftungsanlage zu- bzw. abgeführte
Energie) und in natürliche Lüftung (d. h. durch geöffnete Fenster und Türen mit der
Umgebung ausgetauschte Energie).
Ein weiterer Wärmeaustausch zwischen Gebäude und Umgebung findet durch die In-
filtration der Gebäudehülle statt. Hierbei strömt Luft durch die Poren und Undichtig-
keiten, wie sie z. B. im Bereich der Fenster- und Türrahmen gegeben sind, in das Innere
des eigentlichen Bauwerks. Dieser Wärmeaustausch ist abhängig von den Windverhält-
nissen am jeweiligen Standort sowie der Temperaturdifferenz und dem Druckgefälle
zwischen Außen- und Innenluft.
über die Solarenergie passiv in einem Gebäude nutzbar gemacht werden kann, erläutert.
Darauffolgend werden die unterschiedlichen Systemkomponenten und systemtechnischen
Ansätze, mit denen dies technisch umsetzbar ist, diskutiert; dazu werden transparente
Abdeckungen (Fenster und transparente Wärmedämmung), verschiedene Verschattungs-
varianten sowie Absorber und Speicher vorgestellt. Auch wird auf mögliche Systemkom-
binationen eingegangen.
Wolfgang Streicher
Nachfolgend werden wichtige Grundlagen aus dem Bereich der Absorption von Solar-
strahlung an Festkörpern dargelegt. Danach wird die Anwendung dieser Prozesse disku-
tiert und die weiteren wesentlichen Grundlagen, die bei der passiven Solarenergienutzung
in Gebäuden Anwendung finden, erläutert.
Die passive Solarenergienutzung nutzt die physikalischen Vorgänge der Transmission von
Solarstrahlung durch Verglasungen, der Absorption dieser Strahlung (d. h. der kurzwel-
ligen Solarstrahlung) an Festkörpern und der anschließenden Speicherung in Form von
Wärme; die beiden letzten Vorgänge wurden bereits in Kapitel 2.3 beschrieben. Durch die
Absorption an der Oberfläche eines Körpers wird die Energie einer elektromagnetischen
Welle in innere Energie des Körpers umgewandelt. Dies äußert sich in einem Tempera-
turanstieg an der Oberfläche. Durch Wärmeleitung wird die absorbierte Wärme in dem
Körper dann verteilt und dort gespeichert. Gleichzeitig bewirkt der daraus resultieren-
de Temperaturanstieg der Oberfläche dieses Körpers über die Umgebungstemperatur eine
Wärmeabgabe über Wärmestrahlung, Konvektion und Wärmeleitung an die Umgebung.
Die Temperatur des Körpers steigt damit infolge der auftreffenden Solarstrahlung so lan-
ge an, bis der Wärmeeintrag durch Absorption und die Wärmeabgabe gleich groß sind.
Abb. 3.2 zeigt die durch diese Vorgänge beispielsweise an einer Verglasung auftretenden
Energieströme.
Nachfolgend werden die wesentlichen Prozesse, die diese Energiebilanz bestimmen,
diskutiert.
Wärmeleitung
Speicherung
Transmission
Der Absorptionskoeffizient ˛ (Gleichung (3.1)) ist definiert als das Verhältnis der von
einem Körper / einem Material absorbierten (GP ˛ ) zur auf den Körper / das Material ein-
fallenden Strahlung (GP G ).
GP ˛
˛D (3.1)
GP G
Der Reflexionskoeffizient ist nach Gleichung (3.2) festgelegt als das Verhältnis der
von einem Körper / einem Material reflektierten (GP ) zu der auf den Körper / das Ma-
terial einfallenden Solarstrahlung (GP G ).
GP
D (3.2)
GP G
Der Transmissionskoeffizient beschreibt das Verhältnis der den Körper / die Materie
durchstrahlten, transmittierten Strahlung (GP ) zur gesamten solaren Einstrahlung (GP G ).
Es gilt Gleichung (3.3).
GP
D (3.3)
GP G
Aufgrund der Energieerhaltung ist die Summe des Absorptionskoeffizienten ˛, des
Reflexionskoeffizienten und des Transmissionskoeffizienten immer eins (Glei-
chung (3.4)) [3.2].
˛CC D1 (3.4)
Emission der absorbierten Strahlung Nach dem Kirchhoff’schen Gesetz (Kapitel 2.3)
ist der Absorptionskoeffizient ˛ eines Körpers gleich dem Emissionskoeffizienten " bei
gleicher Wellenlänge . Reale farbige Körper absorbieren über die im Solarspektrum
vorhandenen unterschiedlichen Wellenlängen unterschiedlich viel Strahlungsenergie.
Zusätzlich ist die Absorption von der Temperatur T abhängig. Unter diesen Bedingungen
gilt Gleichung (3.5).
Die emittierte (d. h. abgegebene) Wärmestrahlung eines Körpers I" kann bezogen wer-
den auf die Emission des schwarzen Körpers I";schwarz . Dieses Verhältnis ist dann der
Emissionskoeffizient " (Gleichung (3.6)).
I"
"D (3.6)
I";schwarz
Der emittierte Wärmestrom qP" ist proportional zur vierten Potenz der Temperatur. Der
Energieaustausch zwischen einem Körper K und den ihn umgebenden Flächen U ist von
der Temperaturdifferenz der jeweiligen Temperaturen zur vierten Potenz abhängig und
lässt sich für einen grauen Körper nach Gleichung (3.7) darstellen [3.2]. Hierbei ist "
der äquivalente Emissionskoeffizient beider Flächen zueinander sowie TK und TU die
Temperaturen (in K) des Körpers K / der Materie K und der jeweils ihn umgebenden
Gegenstrahlungsfläche U ; ist die Stefan-Boltzmann-Konstante (5;67108 W=.m2 K4 /).
FK;U ist der Sichtwinkel, unter dem sich die jeweils im Strahlungsaustausch befindlichen
Flächen „sehen“.
Verteilung der absorbierten Energie im Körper Die lokal durch Absorption an der
Körper- / Materialoberfläche aufgebaute innere Energie wird teilweise durch Wärmelei-
tung im Körper / im Material verteilt (dargestellt durch die Zickzack-Linien in Abb. 3.2).
Steigt die Temperatur der Oberfläche über die Umgebungstemperatur an, findet sowohl
eine Leitung in den Körper als auch eine Wärmeabgabe an die Umgebung über Wärme-
strahlung, Konvektion und Wärmeleitung statt; damit steigt die innere Energie des Körpers
nur mehr mit der Differenz aus Absorption und Wärmeabgabe an. Sind Wärmeaufnahme
und Wärmeabgabe gleich, bleibt die Temperatur des Körpers konstant. Ist die Abgabe
größer als die Aufnahme, sinkt die Temperatur des Körpers und die gespeicherte Wärme
wird an die Umgebung abgegeben. Es gilt jeweils die Energieerhaltung.
Diese Vorgänge der Wärmeleitung und Speicherung können durch den Fourier’schen
Erfahrungssatz der Wärmeleitung beschrieben werden. Beispielsweise beschreibt Glei-
chung (3.8) die eindimensionale und stationäre Wärmeleitung q. P ist die Wärmeleitzahl,
die Temperatur und x die zurückgelegte Wegstrecke.
@
qP D (3.8)
@x
Die Differenz des aus einem Speicherelement ein- und ausfließenden Wärmestroms
P
@q=@x führt zu einer Erwärmung bzw. Abkühlung des Körpers. Dies wird in Glei-
chung (3.9) beschrieben [3.3]. Demnach ist die in einem Körper speicherbare Energie-
menge neben den Temperaturen von Körper und Umgebungsflächen auch von den
materialspezifischen Größen Wärmekapazität cp , Dichte Sp , der Wärmeleitzahl und
der Lade- und Entladezeit abhängig. Steht beispielsweise nur eine kurze Zeitspanne zur
3 Passive Sonnenenergienutzung 199
Verfügung, wärmt sich der Speicher nur an der Oberfläche auf; dann ist die aufgenom-
mene Energiemenge gering. Ist die Wärmeleitzahl hoch, kann die Wärme leicht in den
Körper eindringen und wieder abgegeben werden. Bei hoher Wärmekapazität cp und
Dichte Sp kann ein Körper viel Energie speichern. Eine gute thermische Speichermasse
für einen Ausgleich der Temperaturschwankungen in einem Gebäude im Verlauf von
24 Stunden (Tag / Nacht) sollte daher hohe Werte von , cp , und Sp aufweisen.
@qP @2 @
D 2 D Sp cp (3.9)
@x @x dt
3.1.2 Kenngrößen
Zur Beschreibung der Lichtdurchlässigkeit von Gebäudebauteilen werden häufig die Be-
griffe opak, transparent und transluzent sowie solare Aperturfläche verwendet.
Im Folgenden werden ausgehend von diesen Festlegungen einige u. a. für die passive
Sonnenenergienutzung wichtige Kennzahlen bzw. Koeffizienten beschrieben.
qi D qP zu =GP ˛ (3.10)
g D e C qi (3.11)
Ueq D UW SF g (3.12)
202 M. Kaltschmitt et al.
Solares Wärmeangebot Der g-Wert einer Verglasung wird durch die Scheibenver-
schmutzung FD und eine mögliche feststehende (FS h;ob ) und flexible Verschattung
(FS h;gl ) abgemindert; beispielsweise muss selbst für häufig gereinigte Flächen eine
Reduktion des g-Wertes durch Verschmutzung von rund 5 % angenommen werden [3.8].
Das solare Wärmeangebot innerhalb einer bestimmten Zeitspanne eines beliebigen Rau-
mes QS berechnet sich unter Berücksichtigung dieser Verluste durch Verschattung und
Verschmutzung nach Gleichung (3.13) aus der Multiplikation der solaren Globalstrah-
lungsleistung innerhalb eines definierten Zeitraums t auf die Fensterfläche GP G;g;a ,
dem g-Wert und den Abminderungsfaktoren aus feststehender Verschattung FS h;ob
(Tabelle 3.10 und 3.11), Verschmutzung FD , Rahmenanteil FF und beweglichen Son-
nenschutzvorrichtungen FS h;gl .
X
m
QP T r D .Ui Ai .i;set e // (3.15)
i D1
3 Passive Sonnenenergienutzung 203
QH D QL
.QS C QI nt / (3.17)
Der Ausnutzungsgrad
(Gleichung (3.18)) berücksichtigt, dass nicht alle Solargewin-
ne zu einer Reduktion der Heizwärmenachfrage führen, sondern fallweise sich auch in
einer nicht nutzbaren Überhitzung des Raums auswirken können. Er ist vom Gewinn- zu
Verlustverhältnis des Gebäudes und von dessen Speichermassen abhängig. Analog kann
auch die Kühlenergienachfrage bestimmt werden, die u. a. durch die Überwärmung durch
passive Solargewinne im Sommer induziert wird.
D 1 0;3 (3.18)
Der Ausnutzungsgrad
(Gleichung (3.18)) kann für ein Verhältnis des Wärmege-
winns zum Wärmeverlust kleiner als 1,6 und gängige thermische Trägheiten aus diesem
Wärmegewinn- zu -verlustverhältnis (Gleichung (3.19)) überschlägig berechnet wer-
den [3.8]. QS ist die nutzbare Energiemenge aus der solaren Einstrahlung, QI nt die der
inneren Wärme und QL sind die Wärmeverluste.
Die passive Sonnenenergienutzung basiert auf der Absorption der Solarstrahlung entwe-
der im Inneren eines Gebäudes nach dem Durchgang durch eine transparente Außenfläche
oder an den opaken (d. h. nicht lichtdurchlässigen) Bauteilen der Gebäudehülle. Die absor-
bierte Solarenergie erwärmt die entsprechenden Bauteile, welche die thermische Energie
wiederum über Konvektion und langwellige Wärmestrahlung an die Umgebung abge-
ben. Das Ausmaß der aufgenommenen Sonnenenergie einer bestrahlten Fläche wird durch
die Ausrichtung, die Verschattung und den Absorptionskoeffizienten für die kurzwellige
Solarstrahlung der jeweiligen Absorberfläche bestimmt. Höhe und Zeitpunkt der Ener-
gieabgabe der Bauteile wird durch die Wärmeleitfähigkeit, die Dichte und die spezifische
Wärmekapazität des Absorbermaterials bzw. des dahinter liegenden Materials, dem Emis-
sionskoeffizienten der Oberfläche für langwellige Strahlung und der Temperaturdifferenz
zur Umgebung beeinflusst.
Nachfolgend werden unterschiedliche Systemelemente, die eine passive Nutzung der
Solarenergie ermöglichen und beim Bau eines Gebäudes berücksichtigt werden können,
dargestellt und diskutiert. Sie werden anschließend zu sogenannten funktionalen Syste-
men zusammengeführt, die ebenfalls präsentiert werden.
3.2.1 Systemelemente
Abb. 3.3 Beeinflussbare und nicht beeinflussbare Faktoren der passiven Solarenergiegewinne durch
Fenster (Sonnenschutzeinrichtungen: 1 außenliegende Jalousien, 2 innenliegende Jalousien, 3 im
Scheibenzwischenraum liegende Jalousien, 4 adaptive Fensterglaskonzepte, 5 Vorhang)
z.B. Hauswand
Normale Ψ
Fenstern spielen insbesondere die Ausrichtung des Fensters und der Glasflächenanteil
im Verhältnis zum Rahmenanteil eine Rolle.
Glasarten und -anordnung. Die Glasart bzw. die -anordnung beeinflusst die solaren
Energieeinträge in ein Gebäude. Während die früher üblichen Einfachverglasungen die
Strahlung über verschiedene Transportmechanismen nahezu ungehindert in das Ge-
bäude eindringen ließen, sind heute zur Verringerung der Wärmeverluste im Winter
Doppelt- und Dreifachverglasungen üblich, die z. T. mit einer Wärme- oder Sonnen-
schutzschicht versehen sind. Heutige Fenster lassen daher deutlich weniger Strahlung
in das Innere der Gebäude dringen. Zudem existieren adaptive Fensterkonzepte, wel-
che die Strahlungstransmission durch heutige Fenster steuern können, je nachdem, ob
die Wärmegewinne gewünscht (im Winter) oder unerwünscht (im Sommer) sind.
Bauliche Maßnahmen. Bei den baulichen Maßnahmen kann es sich um Dachüber-
stände bzw. bewusst verlängerte Dächer oder Balkone oder auch seitliche Überstände
handeln, welche die Verschattung der transparenten Bauteile eines Gebäudes zu be-
stimmten Jahreszeiten bewirken.
Sonnenschutzeinrichtungen. Unter Sonnenschutzeinrichtungen sind u. a. Jalousien zu
verstehen, die zum einen Blendschutz und zum anderen auch Wärmeschutz liefern sol-
len. Diese sind in der Regel variabel angebracht, sodass in der sonnenreichen Jahreszeit
die Sonnenstrahlung von den Fenstern abgeleitet werden kann, um passive solare Ener-
giegewinne zu vermeiden.
Beschattungen. Unter Beschattungen fallen weitgehend unbeeinflussbare Hindernisse
in der Umgebung eines Gebäudes, die das Sonnenlicht davon abhalten, auf der Gebäu-
dehülle absorbiert zu werden bzw. durch die Fenster hindurch zu transmittieren. Dabei
kann es sich z. B. um Bäume oder um andere Gebäude handeln.
Grundlagen Abb. 3.5 zeigt exemplarisch den Energiefluss durch eine Doppelglasschei-
be. Die auftreffende Solarstrahlung gelangt demnach nur zu einem bestimmten Teil in den
Innenraum; ein Teil wird an der Außenfläche der äußeren Scheibe an die Umgebung –
3 Passive Sonnenenergienutzung 207
und damit an die Atmosphäre – zurück reflektiert. Der Anteil der Strahlung, der direkt
durch beide Scheiben in den Innenraum gelangt, wird – im Verhältnis zur Einstrahlung
auf die Außenseite der Scheibe – durch den Transmissionskoeffizienten bzw. Strahlungs-
transmissionsgrad e beschrieben. Ein weiterer Teil der auftreffenden Solarstrahlung wird
an den Scheiben absorbiert und bewirkt eine Erwärmung des Scheibenzwischenraumes.
Daraus resultiert wiederum eine sekundäre Wärmeabgabe der Scheibe in den Innenraum
durch langwellige Strahlung, Konvektion und Wärmeleitung qi . Die gesamte Wärmeab-
gabe nach innen in Bezug auf die auftreffende Solarstrahlung beschreibt der g-Wert oder
der Energiedurchlassgrad des entsprechenden Glases.
Aus traditionell mitteleuropäischer, auf eine Minimierung der Heizenergienachfrage
ausgerichteter, Sichtweise haben transparente Abdeckungen im Gebäude die Aufgabe,
einen möglichst großen Anteil der sichtbaren solaren Strahlung selektiv in den Raum
durchzulassen und gleichzeitig einen möglichst guten Wärmeschutz nach außen zu ge-
währleisten. Dies bringt den Vorteil einer verminderten Heizenergienachfrage im Winter.
Gewünscht ist für diesen Fall also ein möglichst niedriger U -Wert und ein tendenziell
höherer g-Wert des Glases.
Hier ist jedoch auch die Ausrichtung der Fenster relevant. Nach Abb. 2.27 und 2.28
(Kapitel 2.2) fällt im Winter die Solarstrahlung praktisch nur an der Südseite an. Dadurch,
dass der U -Wert der Verglasung immer höher ist als der U -Wert der opaken gedämm-
ten Außenwände, ist der Wärmeverlust durch die Verglasungen auf der Nord-, Ost- und
Westseite im Winter wesentlich höher als die solaren Gewinne. Daher senkt nur eine nach
Süden ausgerichtete Verglasung im Winter die Heizwärmenachfrage signifikant.
Aufgrund steigender Außentemperaturen auch infolge des Klimawandels und tenden-
ziell immer größeren Glasflächenanteilen in der Fassade im Verlauf der letzten Jahrzehnte
208 M. Kaltschmitt et al.
wird auch die sommerliche Kühlenergienachfrage immer höher. Gewünscht ist für den
Sommerfall deshalb ein tendenziell geringer g-Wert des Glases, um die Überwärmung
und damit den einhergehenden Kühlbedarf gering zu halten. Nach Abb. 2.28 (Kapitel 2.2)
ist auch hier die Südausrichtung aufgrund geringerer Solarstrahlung im Sommer als Ost-
bzw. Westausrichtungen zu bevorzugen.
Die im Winter und im Sommer auftretenden Effekte des g-Wertes von transparenten
Abdeckungen auf die Energienachfrage in einem Gebäude sind also gegenläufig; bei-
spielsweise kann im Winter die Heizwärmenachfrage reduziert werden und im Sommer
wird dafür die Kühlnachfrage erhöht. Zielgröße ist aber jeweils die Minimierung der Ener-
gienachfrage für Heizung bzw. Kühlung des Gebäudes.
Nicht außer Acht gelassen werden sollte in diesem Zusammenhang aber auch die
thermische Behaglichkeit, die sich im jeweiligen Raum einstellt; sie kann durch die Emp-
findungstemperatur beschrieben werden [3.24]. Diese Empfindungstemperatur ermittelt
sich als Mittelwert der Raumtemperatur und der mittleren Oberflächentemperatur der
Raumumschließungsflächen (u. a. Wände, Decke, Boden, Glasflächen). Dabei treten hier
die folgenden Effekte im Jahresverlauf auf.
Im Winter wird die Glastemperatur bei sehr tiefen Außentemperaturen primär durch die
Transmissionswärmeverluste beeinflusst. Bei hohen U -Werten ist eine Glasfläche kalt
und damit unbehaglich auch in Relation zu anderen Raumumschließungsflächen. Die
Empfindungstemperatur sinkt ggf. unter die Lufttemperatur im Raum. Ein niedriger
Ug -Wert ist also auch aus Behaglichkeitsgründen sinnvoll; dies gilt insbesondere im
Winter
Im Sommer ist dieser niedrige Ug -Wert nicht hinderlich, denn die Behaglichkeit im
Sommerfall wird dominiert durch die Solargewinne durch die transparenten Abdeckun-
gen. U -Werte und g-Werte korrelieren in gewisser Weise miteinander. Drei-Scheiben
Verglasungen haben generell einen kleineren g-Wert als Zwei-Scheiben Verglasun-
gen, da die Solarstrahlung durch eine dritte Scheibe mit einer gewissen Absorption
durchtreten muss. Der g-Wert kann durch weitere Beschichtungen der Außenscheibe
verkleinert werden (Sonnenschutzverglasung, siehe unten). Bei hohen g-Werten wird
das Glas auf der Innenseite bei Ost- und Westausrichtung im Sommer sehr warm bis
heiß. Es entsteht ein Ungleichgewicht zu den anderen Raumumschließungsflächen, das
als unbehaglich wahrgenommen werden kann. Die Empfindungstemperatur steigt in
diesem Fall u. U. über die Raumlufttemperatur an. Ein niedriger U -Wert ist also auch
im Sommer aus Behaglichkeitsgründen sinnvoll. Allerdings reduziert ein niedriger
g-Wert auch die solaren Wärmegewinne im Winter. Besser ist es hier, für den Som-
merfall ein außenliegender Sonnenschutz vorzusehen und dadurch den Wärmeeintrag
im Sommer wesentlich zu reduzieren.
Welche Werte für Ug und g im Rahmen der gesetzlich geltenden Vorgaben (in erster
Linie die geltende Energieeinsparverordnung) genau zu verwenden sind, hängt folglich
vom Anwendungsfall des Gebäudes ab. Folgende Faktoren haben beispielhaft Einfluss
3 Passive Sonnenenergienutzung 209
auf das zu optimierende System (das Gebäude) und sollten (z. B. über eine dynamische
Gebäudesimulation oder über die überschlägigen Berechnungen für den Energieausweis)
aufeinander abgestimmt werden:
Eine Überwärmung kann aber auch einfach durch geringere Glasanteile, die richtige
Ausrichtung der Verglasungen primär nach Süden, da hier im Sommer eine geringere Ein-
strahlung als auf der Ost- und Westseite und im Winter die maximale Einstrahlung auftritt
(Kapitel 2.2), sowie eine außenliegende Verschattung vermieden werden. Eine Entwär-
mung in der Nacht ist einfach durch ein Öffnen der Fenster zu bewerkstelligen. Dies muss
allerdings konstruktiv möglich gemacht werden (u. a. Einbruchschutz, Schlagregenschutz,
Lärm). Durch nutzbare Speichermassen im Gebäude wird die Temperaturschwankung im
Raum zwischen Tag und Nacht gedämpft.
als die von Mehrfachverglasungen mit Gasfüllungen; eine simple Einfachverglasung liegt
etwa bei 75 %, während durch Zwei-Scheiben-Isoliergläser in etwa 65 % und durch Drei-
Scheiben-Isoliergläser in etwa 60 % erreicht werden können [3.9].
Zweifachwärmedämmverglasung Zweifachsonnenschutzverglasung
Sichtbares Licht
Solarstrahlung
Gesamtenergie-
UV-/ Infrarotstrahlung durchlässigkeit
Gesamtenergie-
Solarstrahlung durchlässigkeit
Transmissions-
wärmeverlust Transmissions- Heizenergie
Heizenergie wärmeverlust
Low ε
Beschichtung Sonnenschutz-
beschichtung
Dreifachwärmedämmverglasung Dreifachsonnenschutzverglasung
Sichtbares Licht
Solarstrahlung Solarstrahlung Gesamtenergie-
UV-/IR-Strahlung durchlässigkeit
Transmissions-
wärmeverlust Heizenergie Transmissions-
wärmeverlust Heizenergie
Low ε
Sonnenschutz- Low ε
Beschichtungen
beschichtung Beschichtung
Abb. 3.6 Strahlungsdurchgang durch Doppelt- und Dreifachverglasungen mit Wärme- und Son-
nenschutzbeschichtungen (UV ultraviolett; IR infrarot)
212 M. Kaltschmitt et al.
Tabelle 3.4 Diffuser g-Wert (gdiffus ), U -Wert des Fensters (UW ) und äquivalenter U -Wert (Ueq )
für verschiedene Verglasungen und Ausrichtungen (nach [3.12])
gdiffus UW Ueq Ueq Ueq
in W/(m2 K) in W/(m2 K) (Süd) (Ost / West) (Nord)
in W/(m2 K) in W/(m2 K) in W/(m2 K)
Einfachverglasung 0,87 5,8 3,7 4,4 5,0
Zweifachverglasung 0,78 2,9 1,0 1,6 2,2
(4 mm – 12 mm Luft –
4 mm)
Zweifach-Wärmeschutz- 0,60 1,5 0,1 0,5 0,9
verglasung (6 mm –
15 mm Argon – 6 mm)
Dreifach-Wärmeschutz- 0,48 0,9 0,3 0,1 0,4
verglasung (4 mm –
8 mm Krypton – 4 mm –
8 mm Krypton – 4 mm)
Dreifach-Wärmeschutz- 0,46 0,6 0,5 0,2 0,2
verglasung (4 mm –
16 mm Xenon – 4 mm –
16 mm Xenon – 4 mm)
In Tabelle 3.3 wird deutlich, dass eine erhöhte Wärmedämmung der Fenster durch
drei Glasscheiben einher geht mit deutlich geringeren passiven Strahlungsgewinnen. Da-
mit können zwar ganzjährig die Transmissionswärmeströme durch die Fenster minimiert
werden, aber im Winter kann die Heizenergienachfrage nur in einem etwas geringeren
Ausmaß durch die passiven Solarenergiegewinne abgedeckt werden.
Tabelle 3.4 zeigt exemplarisch die äquivalenten U -Werte für verschiedene Verglasun-
gen (Ueq ) in Abhängigkeit von der Ausrichtung des Fensters. Bei Verglasungen mit Süd-
ausrichtung sind demnach bereits bei Zweischeibenwärmedämmverglasungen Wärmever-
luste und Energiegewinne über das gesamte Jahr weitgehend ausgeglichen. Mit hochwer-
tigen Dreifachwärmedämmverglasungen können bereits nach Ost und West ausgerichtete
Fenster bei dem, dem äquivalenten U -Wert zugrunde gelegten, Referenzgebäude mehr
Energie gewinnen als sie abgeben.
Der in Tabelle 3.4 ebenfalls dargestellte diffuse g-Wert (gdiffus ) gilt nur für die eigentli-
che Verglasung; deshalb muss bei der Berechnung von Fenstern der Rahmenanteil von
der Fensterfläche abgezogen werden. Der U -Wert des Fensters (UW ) bezieht sich da-
bei auf eine Standardfenstergröße von 1,23 1,48 m mit einem Rahmenanteil von 30 %.
Bei Fenstern anderer Größe muss daher der UW -Wert über den Wärmedurchgangskoef-
fizienten (U -Wert) von Rahmen und Verglasung mit den anteiligen Flächen sowie unter
Berücksichtigung der zusätzlichen Wärmeverluste durch den Randverbund der Scheibe
neu berechnet werden [3.25].
3 Passive Sonnenenergienutzung 213
Tabelle 3.6 Diffuser g-Wert (gdiffus ) und Ug -Wert (auf Glasscheibe bezogen) verschiedener Ver-
glasungen und TWD-Materialien (TWD – transparente Wärmedämmung) [3.14]
gdiffus Ug -Wert
in W/(m2 K) in W/(m2 K)
Kunststoffkapillaren, 10 cm, ein Abdeckglas 0,67 0,90
Kunststoffwaben, 10 cm, ein Abdeckglas 0,71 0,90
Glaskapillaren, 10 cm, zwei Scheiben 0,65 0,97
Aerogel, 2,4 cm granular, zwei Scheiben mit Luft 0,50 0,90
Aerogelplatte, 2 cm evakuiert (100 mbar), zwei Scheiben 0,60 0,50
Der diffuse g-Wert (gdiffus ) wurde bei einer 4 mm dicken eisenarmen Frontscheibe gemessen und
der Ug -Wert bei einer Probenmitteltemperatur von 10 °C.
keit aus. Es ist aber leicht brüchig und wenig feuerfest. Aufgrund der relativ schlechten
mechanischen Stabilität kann es nur zwischen zwei stabilisierenden Glasscheiben ver-
baut werden [3.13].
Polycarbonat (PC). Polycarbonat, das ebenfalls mit einer Bienenwaben- oder Kapillar-
struktur ausgeführt werden kann, ist mechanisch stabil und kann deshalb ohne Glas-
abdeckung gefertigt werden. Das Material ist – verglichen mit Polymethylmethacrylat
(PMMA) – weniger gegen UV-Licht stabil und zeigt eine geringere Recyclingfähig-
keit; dafür ist die Feuerfestigkeit besser (d. h. temperaturbeständig bis 125 °C). Eine
abdeckende Schicht kann aus einem Acrylabbinder gemischt mit 2,5 bis 3 mm großen
Glaskugeln direkt auf die Polycarbonat(PC)-Struktur aufgebracht werden [3.13].
Glas. Geformt in Kapillaren kann auch Glas – ähnlich den Polymermaterialien – als
TWD-Material ausgeführt werden. Aufgrund der hohen Verarbeitungstemperaturen
ist der Herstellungsprozess allerdings energetisch aufwändig und technologisch an-
spruchsvoll. Aber das geformte Glas ist UV-stabil, temperaturbeständig und außerdem
gut recycelbar. Von Nachteil ist die mechanische Instabilität der Konstruktion [3.13].
Aerogel. Aerogele sind poröse Silikate, die zu 90 % aus Luft bestehen. Kombiniert
mit 2 bis 3 mm dicken Glasscheiben lassen sie sich als TWD-Materialien verarbeiten.
Evakuierte Varianten von Aerogelen werden im Scheibenzwischenraum einer Doppel-
verglasung eingebracht und auf die Fassade aufgebracht. Sie sind nicht entflammbar
und gut recycelbar. Die Lichtdurchlässigkeit ist aber nur halb so groß im Vergleich zu
den erwähnten Kapillaren oder wabenförmig verarbeiteten Materialien. Zusätzlich ist
die Feuchteempfindlichkeit der Aerogele problematisch [3.13].
Die sich für die oben beschriebenen Möglichkeiten ergebenden U - und g-Werte zeigt
Tabelle 3.6. Hierbei wird zur Beschreibung der Strahlungsdurchlässigkeit der diffuse
g-Wert herangezogen. Aufgrund des im Verhältnis zum Nutzen relativ hohen baulichen
Aufwands der Glasabdeckungen und notwendigen sommerlichen Verschattungen hat sich
die TWD bisher am Markt aber nicht durchsetzen können.
3 Passive Sonnenenergienutzung 215
Adaptive Verglasungen Der Strahlungsdurchgang durch ein Fenster ist durch die Ma-
terialeigenschaften des Glases und die jeweiligen Beschichtungen definiert und ändert
sich über das Jahr normalerweise nicht. Durch die Verwendung von Dreifachverglasun-
gen und besonders von Sonnenschutzbeschichtungen werden relativ niedrige g-Werte
erreicht. Demnach wird zwar eine sommerliche Überhitzung des Gebäudes vermieden;
gleichzeitig wird aber eine winterliche Heizungsunterstützung durch passive solare Ge-
winne erschwert. Für die Wintermonate wäre deshalb ein höherer g-Wert wünschenswert
und parallel dazu sollte für die Sommermonate der g-Wert weiter gesenkt werden. Um
diesen Anforderungen gerecht werden zu können, wurden Verglasungen entwickelt, die
ihren g-Wert in Abhängigkeit von den Umgebungsbedingungen aktiv oder passiv steuern
und dadurch höhere bzw. niedrigere Werte erreichen können. Diese sognannten adaptiven
Verglasungen werden im Folgenden beschrieben.
Die Änderung des g-Werts der Verglasung erfolgt durch eine Änderung der optischen
Eigenschaften in Abhängigkeit verschiedener externer Faktoren. Die Gläser trüben sich
dabei ein oder ändern ihre Farbe; dadurch lassen sie weniger kurzwellige Strahlung pas-
sieren. Bei diesen adaptiven Verglasungen kann zwischen aktiven und passiven Systemen
unterschieden werden.
Bei den aktiven Systemen gibt der Nutzer (aktiv) vor, wann das Glas einen bestimmten
g-Wert aufweisen soll; dafür sind in der Regel zusätzliche Systemelemente nötig.
Bei passiven Systemen erfolgt die Anpassung des g-Wertes in Abhängigkeit von be-
stimmten strahlungsabhängigen Faktoren (z. B. Temperatur).
Tabelle 3.7 Optische Kennwerte elektrochromer Verglasungen (v transmittierter Anteil des sicht-
baren Lichts, g Energiedurchlassgrad, U Wärmedurchgangskoeffizient, s reflektierter Anteil des
sichtbaren Lichts) [3.11]
Verglasungstyp Zustand v g U s
Zweifach- Klar 0,50 0,36 1,1 0,11
verglasung Maximalgefärbt 0,15 0,12 1,1 0,09
Dreifach- Klar 0,45 0,30 0,5 0,12
verglasung Maximalgefärbt 0,14 0,10 0,5 0,09
Tabelle 3.8 Optische Kennwerte von gasochromen Verglasungen (v transmittierter Anteil des
sichtbaren Lichts, e transmittierter Anteil des gesamten Lichts, g Energiedurchlassgrad, qi sekun-
däre Wärmeabgabe, U Wärmedurchgangskoeffizient) [3.15]
Zustand v e g qi U
Messung Gefärbt 0,60 0,38 0,47 0,09 –
Klar 0,17 0,10 0,17 0,07 –
Berechnung Gefärbt 0,57 0,36 0,46 0,10 0,9
Klar 0,13 0,08 0,13 0,05 0,9
wie bei den elektrochromen Verglasungen – ebenfalls aus Wolframtrioxid (WO3 ), die
hier allerdings mit einer Katalysatorschicht aus Platin überzogen ist. Bei der chemi-
schen Reaktion mit Wasserstoff (H2 ) entsteht ein Wasserstoff-Wolframtrioxid-Kom-
plex (Hx WO3 ), der eine blaue Färbung hervorruft, die dann den g-Wert verändert. Die
Entfärbung erfolgt durch Sauerstoffzugabe; dadurch reagiert der komplexierte Was-
serstoff zu Wasser und kann aus dem Verglasungssystem abgeführt werden. Dieses
Fensterkonzept ist konstruktiv relativ aufwändig, da zusätzliche Gasfördereinrichtun-
gen benötigt werden. Tabelle 3.8 zeigt exemplarisch heute erreichbare Kennwerte.
Thermotrope Verglasungen. Dieses passive System adaptiver Verglasungen schaltet
bei Erreichen einer bestimmten Temperatur im Inneren des Fensters. Dazu werden
thermotrope Materialien verwendet, die ab einer bestimmten Temperatur ihren Aggre-
gatzustand ändern, eine Strukturänderung durchlaufen und / oder ihren Brechungsindex
verändern. Dadurch wird eine Trübung des Fensters bewirkt. Nachfolgend werden ex-
emplarisch ausgewählte thermotrope Materialien diskutiert (Tabelle 3.9).
– Hydrogelschichten. Hydrogelschichten auf Wasserbasis sind im gemischten Zu-
stand durchsichtig. Sie haben aber die Eigenschaft, sich ab einer bestimmten
Temperatur zu entmischen. Danach erscheinen sie aufgrund von Brechungsun-
terschieden weiß-trüb.
3 Passive Sonnenenergienutzung 217
Elektrochrome Verglasungen sind am Markt erhältlich; sie sind jedoch noch relativ
teuer (beispielsweise ist ein seit 2015 kommerzieller Anwendungsfall die Verdunkelung
der Fenster in einigen Flugzeugtypen). Gasochrome und thermotrophe Verglasungen sind
noch nicht langzeitstabil und daher noch im Forschungsstadium.
Winter
verglaste Loggia
Sommer
Optional
Speichermassen
Süden
Optionaler
Wintergarten Wohnraum mit
Winter Isolierverglasung
Sommer nach Süden
Speichermassen
Wintergarten
Isolierverglasung
nach Süden
Speichermassen
Speichermassen
Abb. 3.7 Abschattung von transparenten Gebäudeflächen durch Dachüberstände (links: Einfami-
lienhaus, rechts: Mehrfamilienhaus; Pfeile beschreiben die mittlere Strahlungsrichtung der Direkt-
strahlung zur Mittagszeit in den jeweils angegebenen Jahreszeiten)
(auf der Nordhabkugel) kann dadurch i. Allg. im Sommer bei dem dann gegebenen ho-
hen Sonnenstand eine gute Verschattung und im Winter eine hohe Einstrahlung in das
Gebäude – infolge der dann tief stehenden Sonne – sichergestellt werden. Abb. 3.7 zeigt
exemplarisch die Verschattungszustände für Sommer- und Wintereinstrahlung für zwei
verschiedene Gebäudearten (siehe auch Abb. 2.27 und 2.28). Bei einer Ausrichtung nach
Osten oder Westen dringt demgegenüber auch im Sommer die tiefer stehende Sonne weit
ins Gebäude ein und im Winter kommt aus diesen Himmelsrichtungen nur eine geringe
Einstrahlung. Solche feststehenden Verschattungselemente vermindern allerdings auch
wiederum die Effizienz der passiven Sonnenenergienutzung, da sie in den Übergangszei-
ten (Frühling und Herbst), in denen eventuell noch eine Heizenergienachfrage gegeben
ist, für eine Teilverschattung der Verglasungen sorgen.
Die feststehende Verschattung von Gebäuden ist damit von folgenden Parametern bzw.
Einflussfaktoren abhängig; Abb. 3.8 definiert die hierbei relevanten Winkel.
Verschattung durch den Horizont FHor ; sie kann mit Hilfe des Sonnenwegs-Diagramms
(vgl. Abb. 2.27) oder nach Tabelle 3.10 ermittelt werden.
Verschattung durch herausragende Elemente; hier wird unterschieden zwischen Ver-
schattungen durch Überhänge FOv und durch seitliche Überstände FF i n (Tabelle 3.11).
Die gesamte Verschattung wird durch den sogenannten Verschattungsfaktor FS h;ob be-
schrieben (Gleichung (3.20)).
Gelände-
seitlicher
winkel
Überstandswinkel
Überhang-
winkel
Vertikal-
Abschnitt Horizontal-Abschnitt
Abb. 3.8 Definition der Winkel für die verschiedenen Verschattungskomponenten (links: Bestim-
mung des Winkels für den Teilverschattungsfaktor für den Horizont FHor ; Mitte: Bestimmung des
Winkels für den Teilverschattungsfaktor für Überhänge FOv ; rechts: Bestimmung des Winkels für
den Teilverschattungsfaktor für seitliche Überstände FF i n ; nach [3.6])
Tabelle 3.10 Teilverschattungsfaktor für die Verschattung durch den Horizont (FHor ) für verschie-
dene geografische Breiten, Fensterausrichtungen und Geländewinkel (S Süd, O Ost, W West, N
Nord; nach [3.6])
Gelände- 45° nördliche Breite 55° nördliche Breite 65° nördliche Breite
winkel S O/W N S O/W N S O/W N
0° 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00
10° 0,97 0,95 1,00 0,94 0,92 0,99 0,86 0,89 0,97
20° 0,85 0,82 0,98 0,68 0,75 0,95 0,58 0,68 0,93
30° 0,62 0,70 0,94 0,49 0,62 0,92 0,41 0,54 0,89
40° 0,46 0,61 0,90 0,40 0,56 0,89 0,29 0,49 0,85
Tabelle 3.11 Teilverschattungsfaktor für die Verschattung durch Überhänge (FOv ) und durch
seitliche Überstände (FF i n ) für verschiedene geografische Breiten, Fensterausrichtungen und Ge-
ländewinkel (S Süd, O Ost, W West, N Nord; Winkeldefinition nach Abb. 3.8; nach [3.6])
Gelände- 45° nördliche Breite 55° nördliche Breite 65° nördliche Breite
winkel S O/W N S O/W N S O/W N
Verschattung durch Überhänge (FOv )
0° 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00
30° 0,90 0,89 0,91 0,93 0,91 0,91 0,95 0,92 0,90
45° 0,74 0,76 0,80 0,80 0,79 0,80 0,85 0,81 0,80
60° 0,50 0,58 0,66 0,60 0,61 0,65 0,66 0,65 0,66
Verschattung durch seitliche Überstände (FF i n )
0° 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00
30° 0,94 0,92 1,00 0,94 0,91 0,99 0,94 0,90 0,98
45° 0,84 0,84 1,00 0,86 0,83 0,99 0,85 0,82 0,98
60° 0,72 0,75 1,00 0,74 0,75 0,99 0,73 0,73 0,98
220 M. Kaltschmitt et al.
Dieser Verschattungsfaktor setzt sich demnach nach Gleichung (3.20) aus dem Teilver-
schattungsfaktor für den Horizont FHor , dem Teilverschattungsfaktor für Überhänge FOv
und dem Teilverschattungsfaktor für seitliche Überstände FF i n zusammen. Außer durch
diese vereinfachte Gleichung kann die gesamte Verschattung eines Gebäudes auch mit
Hilfe dynamischer Gebäudesimulationen detaillierter ermittelt werden [3.6].
Direktes
Sommersonnenlicht
Reflektiertes
Tageslicht
Direktes
Winterposition
Wintersonnenlicht
Sommerposition
Sonnenschutz des
unteren Fensterbereichs
Abb. 3.9 Lichtumlenkung in einem zweigeteilten Raffstore zur Steuerung der solaren Energiege-
winne (nach [3.17])
lerdings ist bei innen liegenden Verschattungen die Solarstrahlung bereits im Raum
bzw. im Gebäude und eine Reflexion dieser Strahlung durch die Verschattungseinrich-
tung wird wiederum nur mit dem g-Wert nach außen durchgelassen. Dadurch wird
wesentlich mehr Solarenergie an den Raum bzw. das Gebäude abgegeben im Vergleich
zu außenliegenden Verschattungen; dies führt zu einem nur geringen Überhitzungs-
schutz. Daher liegt ihre Funktion primär im Blendschutz. Die meisten beweglichen
innenliegenden Verschattungseinrichtungen haben außerdem den Nachteil, dass bei
einer entsprechenden Neigung im Blendfall entsprechend weniger Tageslicht in den
Raum gelangt und ggf. das Kunstlicht im Raum angeschaltet oder hochgeregelt wer-
den muss. Auch ist die Aussicht durch die Lamelle ins Freie mehr oder minder stark
eingeschränkt. Hier können Lichtlenklamellen Abhilfe schaffen. Sie sind ebenso, wie
in Abb. 3.9 dargestellt, in einen oberen Teil, der durch eine offene Lamellenstellung Ta-
geslicht in den Raum hinein primär an die Decke leitet, und einen unteren Teil, der die
eigentliche Blendfreiheit für den Raum dahinter generiert, unterteilt. Im Unterschied zu
Standardverschattungen (u. a. Jalousien, Raffstores) können Lichtlenklamellen durch
spezielle Profil der Einzellamellen verschiedene Sonneneinfallswinkel im Tagesverlauf
gezielt reflektieren. Erst bei tieferen Einfallswinkeln als 30° gelangt direktes Sonnen-
licht in den Raum; in diesem Fall muss die Lamelle vom Nutzer leicht geneigt werden.
Den Großteil des Jahres kann die Lamelle jedoch in einer horizontalen Position stehen,
so dass eine gute Aussicht nach draußen gegeben ist. Zusätzlich gibt es die Möglich-
keit, prismatische Lamellen zu installieren; diese reflektieren die direkte Strahlung und
ermöglichen zusätzlich eine sehr gute Aussicht.
222 M. Kaltschmitt et al.
30
θi Jalousie aussenseitig
28 θ i Jalousie raumseitig θi ohne Verschattung
26
24
Temperatur in °C
22
20
18
16
θe
14
12
10
4080 4104 4128 4152 4176 4200 4224 4248
Zeit in h
Abb. 3.10 Einfluss der Verschattung durch innenliegende und außenliegende Jalousien (e Außen-
temperatur, i Raumtemperatur) [3.18]
Verschattungseinrichtung und außen eine vierte nach außen öffenbare Glasscheibe vor-
gesehen (Abb. 3.11). Die Öffenbarkeit der Verglasung zur Verschattung ist essentiell, um
Wartungs- und Reparaturarbeiten an der Verschattungseinrichtung durchführen und die
Verglasung um den Luftraum reinigen zu können. Durch die Lage der Verschattung gibt
der bei Einstrahlung aufgeheizte Verschattungszwischenraum seine Wärme primär über
die Einscheibenverglasung nach außen und nur zu einem geringen Teil durch die nach
innen gehende Drei-Scheiben-Wärmeschutzverglasung ab. Manchmal wird auch ein bie-
geschlaffer Behälter zur Aufnahme der Luft aus dem Luftspalt bei Erwärmung eingesetzt.
Letzteres verhindert eine langsame Verstaubung des Zwischenraumes und ermöglicht wie-
derum die Verwendung von Edelgas mit einem erhöhten Wärmedämmeffekt; allerdings ist
dann eine Wartung und / oder Reparatur der Verschattung praktisch unmöglich.
Bei fensterintegrierten Verschattungssystemen sind im Prinzip alle oben beschriebenen
Verschattungssysteme möglich. Insbesondere werden die folgenden Varianten für beweg-
liche Systeme eingesetzt.
Bewegliche und verstellbare Raffstore. Diese Variante wird bereits von vielen Fenster-
herstellern sowohl als Einzelfenster als auch als Fassadenelement am Markt angeboten.
Lichtlenksysteme. Diese Systeme sind aufgrund der höheren Kosten nur fallweise am
Markt anzufinden.
Licht erfährt eine Mehrfachreflexion im Inneren des Leiters, die zu einer Richtungsän-
derung führt (Abb. 3.12, links). Der Transmissionsgrad beträgt ca. 60 % und das Licht-
spektrum wird nicht verändert. Eine Durchsicht ist allerdings nicht möglich [3.17].
Mikroraster. Ein sehr feines, in den Scheibenzwischenraum integriertes, Reinstalu-
miniumgitter ist so geformt, dass Sonnenlicht aus steilen Winkeln nicht passieren
kann (Abb. 3.12, Mitte). Das Ergebnis ist eine blendfreie Tageslichtbeleuchtung,
die begrenzt sichtdurchlässig ist. Eine Lenkung des einfallenden Lichts findet nicht
statt [3.19].
Kapillarsystem. Im Scheibenzwischenraum eingebaute Kapillarröhrchen leiten dif-
fuses Licht nach innen und streuen es, um Blendungen weitgehend zu vermeiden
(Abb. 3.12, rechts). Diese Röhrchen können weiß oder auch transparent sein; dadurch
kann die Lichtfarbe beeinflusst werden. Die Röhrchen unterbinden einen konvektiven
Wärmeaustausch zwischen den Scheiben; dadurch können geringe U -Werte erreicht
werden. Der Ausblick ist wie bei opakem Weißglas begrenzt [3.19].
Absorber und Speicher Während bei aktiven Solarsystemen Absorber und Speicher als
technische Komponenten ausgeführt werden, sind sie bei passiven Systemen im Regel-
fall ein integraler Bestandteil der Gebäudekonstruktion. Als Absorberoberflächen eines
Systems zur passiven Solarenergienutzung dienen damit die Wand- oder Dachflächen, die
von der solaren Strahlung erreicht werden (u. a. Gebäudeaußenflächen, Raumumschlie-
ßungsflächen). Die innen liegenden Teile der Gebäudekonstruktion (d. h. die die Räume
umgebenden Fußböden, Decken und Innenwände) wirken dann als Wärmespeicher. Des-
halb sollten immer gut absorbierende Raumoberflächen und eine auf das Solarsystem
abgestimmte und gut die Wärme speichernde Gebäudekonstruktion angestrebt werden.
Die klassische Form der passiven Sonnenenergienutzung ist ungeregelt. Die durch die
Sonne aufgewärmten Speichermassen des Hauses geben die Wärme – zeitlich versetzt
zur solaren Einstrahlung und in der Amplitude abgeschwächt – ohne Einflussnahme des
Benutzers an den Innenraum ab. Bei derartigen passiven Speichern muss deshalb da-
rauf geachtet werden, dass keine zu hohen Temperaturen in den zu beheizenden Räumen
226 M. Kaltschmitt et al.
24
17 h
19 h
23
15 h
21 h
22
Temperatur in °C
13 h 19 h
17 h 23 h
11 h
21 23 h
9h
13 h
5h 7h
20
7h
1h
19
5h
Außen- Innen-
Wand bereich
bereich 3h
18
0 0,1 0,2 0,3 0,4
Wanddicke in m
Abb. 3.13 Temperaturverlauf einer Innenwand mit Einstrahlung und wechselnder Temperatur an
einer Seite (linke Wandseite) (die dargestellte Wand hat eine Dicke von rund 0,33 m; links von der
Wandoberfläche zur Raumseite hin befindet sich die Raumluft, deren Temperatur im Tagesverlauf
entsprechend der Sonneneinstrahlung variiert) [3.18]
auftreten können. Dazu müssen die zeitliche Verzögerung und die Dämpfung des Wär-
meflusses durch den passiven Speicher bekannt sein. Auch müssen zur Verminderung der
Energieaufnahme im Sommer meist zusätzlich (passive oder aktive) Abschattungseinrich-
tungen bzw. eine Fensternachtlüftung vorgesehen werden.
Indirekt beheizte Speichermassen (z. B. Innenwände, die nicht der Solarstrahlung aus-
gesetzt sind und nur durch die Aufnahme bereits vorher absorbierter und in Wärme um-
gewandelter emittierter Wärmestrahlung aufgeheizt werden) können nur dann sinnvoll
genutzt werden, wenn entsprechende Schwankungen in der Raumtemperatur zugelassen
werden. Bei hohen Raumtemperaturen fließt dabei die Wärme langsam in die Speicher-
masse und heizt diese vom Raum her allmählich auf. Sinken demgegenüber die Raumtem-
peraturen unter die Oberflächentemperatur der Speichermasse, gibt diese die gespeicherte
Wärme wieder an den Raum ab.
Abb. 3.13 zeigt exemplarisch die Raum- und Wandtemperaturen für eine Innenwand
aus Beton (Speicherwand) im Verlauf von 24 Stunden; innerhalb dieses Zeitraums variiert
die Temperatur um 6 K auf einer Raumseite. Die in der Wand in diesem Zeitraum unter den
zugrunde gelegten Randbedingungen gespeicherte und wieder abgegebene Energiemenge
beträgt dabei 0,076 kWh/(m2 d). Eine signifikante Änderung der Temperatur ist dabei nur
bis in ca. 15 cm Wandtiefe festzustellen. Diese hier betrachtete Wand dicker auszuführen
führt demnach zu keiner weiteren Wärmespeicherung.
Besondere Bedeutung kommt dabei den Speichermassen im Gebäude bei der Vermei-
dung der sommerlichen Überwärmung zu. Liegen die Nachttemperaturen unter 26 °C, was
3 Passive Sonnenenergienutzung 227
Bei allen diesen Systemen ist der Absorber mit dem Speicher identisch. Beide Kom-
ponenten können aber auch räumlich getrennt werden. Die Absorberfunktion wird dann
beispielsweise von einem schwarzen, ggf. selektiv beschichteten, Blech übernommen. Der
Wärmeträger (z. B. Warmluft) wird dann über einen Kanal oder ein aufwändiges Luft-
leitungssystem zu einem Speicher transportiert. Der Speicher kann ebenfalls Bestandteil
der Gebäudekonstruktion sein (z. B. wenn er als Hohldecke oder zweischalige Wand aus-
gebildet wird). Alternativ und / oder additiv dazu können auch spezielle Speicher in das
Gebäude integriert werden (z. B. Geröllspeicher); sie erbringen – im Unterschied zu der
anderen Variante – aber keinen „Doppelnutzen“, da sie nicht zur Baukonstruktion zählen.
In realen Systemen treten in der Regel Kombinationen der oben beschriebenen System-
komponenten auf. Abhängig von Ausbildung und Anordnung der einzelnen Komponenten
können unterschiedliche funktionale Systemgrundtypen, die aber z. T. ineinander überge-
hen, unterschieden werden. Diese werden im Folgenden beschrieben.
Oberlicht
aber deutlich kleiner als der Wärmegewinn durch transparente Oberflächen. In derarti-
gen Systemen werden meist zusätzlich Verschattungseinrichtungen für die transparenten
Oberflächen eingebaut, um bei zu hoher Einstrahlung die solaren Gewinne zu begren-
zen. Dementsprechend handelt es sich bei Direktgewinnsystemen um eine Kombination
aus den genannten Systemkomponenten, bei denen transparente Abdeckungen als größte
Quelle für die Nutzung der solaren Gewinne im Fokus stehen.
Vorteile derartiger Systeme sind ein einfacher Systemaufbau, der geringe Regelauf-
wand sowie die niedrigen Speicherverluste, da der größte Teil der Strahlungsenergie im
Rauminneren und damit direkt am Ort der Nutzung in Wärme gewandelt wird. Nachteilig
kann sich die geringe Phasenverschiebung zwischen Einstrahlung und Innentemperatur
auswirken. Direktgewinnsysteme lassen sich nur über eine Verschattung regeln, denn die
Wärmeabgabe der Speichermassen an den Raum ist nicht beeinflussbar. Im Sommer kann
es aber – je nach Fensterflächenanteil – auch bei Vorhandensein einer Verschattung zu
Überhitzungen kommen, die entweder akzeptiert werden (müssen) oder denen durch In-
stallation einer mechanischen Kühlung entgegengewirkt werden kann.
Die Anwendung von Direktgewinnsystemen ist folglich besonders sinnvoll, wenn Wär-
menachfrage und Einstrahlung zeitgleich auftreten, wie dies beispielsweise im Winter der
Fall ist. Hier zeigt sich allerdings immer auch der parallele Effekt, dass im Sommer keine
Wärme benötigt wird, aber die Solargewinne trotzdem ins Gebäude eingetragen werden;
dies kann dann zu entsprechenden Überhitzungen führen. Wird aus Nachhaltigkeits- und
Energieeffizienzgründen das Ziel verfolgt, auf eine aktive Kühlung im Sommer zu ver-
zichten, sollten der Fensterflächenanteil, die Ausrichtung der Fenster, die Verglasungsqua-
lität und die Verschattung so gewählt werden, dass die (unvermeidbaren) Überhitzungen
auf ein tolerierbares Maß reduziert werden.
Direktgewinnsysteme eignen sich außerdem zur Kombination mit Tageslichtsystemen
zur Einsparung von Beleuchtungsenergie.
in Wärme gewandelt. In dieser Solarwand fließt die Energie durch Wärmeleitung zur
raumseitigen Oberfläche des Speichers und wird dort an die Raumluft abgegeben. Innen-
temperatur- und Einstrahlungsveränderung sind durch die erforderliche Wärmeleitung
phasenverschoben. Diese Phasenverschiebung kann durch das jeweils eingesetzte Spei-
cherbauteilmaterial und die entsprechende Materialdicke beeinflusst werden. Wird die
Solarwand zusätzlich mit einer transparenten Abdeckung kombiniert, kann die Wärmeab-
gabe nach außen reduziert werden, da ohne eine transparente Abdeckung ein großer Teil
der absorbierten und umgewandelten Energie an die Außenluft abgegeben werden würde
und damit verloren wäre.
Abb. 3.15 zeigt drei verschiedene Möglichkeiten für die Installation einer derartigen
Solarwand. Die beiden oberen Varianten unterscheiden sich nur in der transparenten Ab-
deckung, während bei der unteren Variante (konvektionsunterstütztes System oder auch
Trombe-Wand) eine Solarwand verwendet wird, die einen Konvektionsluftstrom erzeugt,
der eine Luftzirkulation und damit eine im Vergleich zu den beiden anderen Optionen
verbesserte Wärmeübertragung ermöglicht.
Auch bei indirekten Gewinnsystemen werden Verschattungseinrichtungen installiert,
die bei zu hoher Einstrahlung die solaren Energiegewinne reduzieren sollen. Dement-
sprechend ist auch das indirekte Gewinnsystem eine Kombination aus allen genannten
Systemkomponenten, bei dem aber der Fokus auf die Absorption und Speicherung von
Strahlungsenergie gelegt wird.
Vorteile von Solarwandsystemen sind ihr einfacher Systemaufbau, die phasenverscho-
bene Raumerwärmung und die gegenüber Direktgewinnsystemen geringere Raumtem-
peraturamplitude. Nachteilig wirken sich die im Vergleich zum Direktgewinnsystem er-
höhten Wärmeverluste nach außen aus. Der Wärmeeintrag kann nur über entsprechende
Verschattungseinrichtungen geregelt werden; ist die Einstrahlung vom Speicherbauteil ab-
sorbiert, lässt sich die Wärmeabgabe an den dahinter liegenden Raum praktisch nicht
mehr beeinflussen. Bei konvektionsunterstützten Systemen muss zudem die Innenseite
der transparenten Abdeckung gereinigt werden können, da sich Raumluft und Heizluft
vermischen.
3 Passive Sonnenenergienutzung 231
Die Kombination von transparenten Abdeckungen und Absorbern bzw. Speichern eig-
net sich gut zur weiteren Verlängerung der Wärmeabgabe in den Raum. Vor allem bei eher
kontinuierlicher Wärmenachfrage (z. B. Wohnungen) bringen solche Systemkombinatio-
nen Vorteile.
Wärmegewinn Wärmegewinn
Wärmeabgabe
Wärmeabgabe
Speicherwand
Massive Wand Absorptionsschicht
Dämmung Luftspalt, fallweise
TWD-Material
Abb. 3.16 Vergleich von opaker (links) und transparenter Wärmedämmung (rechts) (TWD transpa-
rente Wärmedämmung)
232 M. Kaltschmitt et al.
Glasscheibe
Temperatur in °C
Absorber
dämmung) [3.18]
10
k -Wert 0,527
U-Wert 0,527 2 K)
W/m²K
W/(m
Ukeqeq-Wert
-Wert0,267
0,267W/(m 2 K)
W/m²K
5
Sonneneinstrahlung auf
Sonneneinstrahlung auf
Absorber 0,2 2 d)
Absorber 0,2kWh/(m
kWh/m²d
0
15 h
0 0,1 0,2 0,3 0,4
-5 3h Energiefluss
Energiefluss Energiefluss
Energiefluss
7h
kWh/(m2 d)
0,35 kWh/m²d 0,16 kWh/(m
0,16 2 d)
kWh/m²d
-10
Wanddicke in m
Dies bedeutet jedoch eine schlechte Wärmedämmung. Daher sind die Gesamt-U -Werte
einer TWD-Wand meistens höher als für eine konventionell gedämmte Wand. Nachts hat
diese Wand daher, wenn die Speichermassen bereits ausgekühlt sind, höhere Verluste als
eine konventionell gedämmte Wand. Die Wärmegewinne überkompensieren jedoch bei
gut ausgeführten TWD-Wänden diese Verluste in der Nacht, so dass die äquivalenten
U -Werte (Ueq ) (unter Berücksichtigung der solaren Gewinne) zumeist niedriger oder so-
gar negativ (Nettowärmegewinn) sind. In dem in Abb. 3.17 dargestellten exemplarisch
ausgewählten Beispiel liegt der U -Wert bei 0,527 W/(m2 K) und der äquivalente U -Wert
(Ueq ) an diesem ungünstigen Tag bei 0,267 W/(m2 K). Dies dürfte jedoch für eine bau-
rechtliche Zulassung nicht als Argument akzeptiert werden.
Bei Südorientierung und weitgehender Verschattungsfreiheit können durch TWD-So-
larwandsysteme z. B. jährliche Nutzenergieeinsparungen von etwa 350 bis 400 MJ/(m2 a)
bzw. 100 bis 110 kWh/(m2 a) bezogen auf die solare Aperturfläche im Vergleich zu üb-
lichen opaken Dämmsystemen (z. B. Wärmeverbundsystem oder vorgehängte und hinter-
lüftete Fassaden) erreicht werden. Bei speziellen Nutzungen mit hohen Innentemperaturen
werden Energieeinsparungen von mehr als 700 MJ/(m2 a) bzw. 200 kWh/(m2 a) erreicht.
Demnach handelt es sich bei transparenten Wärmedämmsystemen um ein funktionales
System aus den Komponenten transparente Abdeckung und Absorber / Speicher, die bei-
de eine in etwa gleich wichtige Stellung einnehmen und nur in der Kombination richtig
wirken können.
Wintergärten Wintergärten sind eine Kombination aus direkten und indirekten Gewinn-
systemen. Der eigentliche Wintergarten wird hauptsächlich durch direkte solare Gewinne
erwärmt. Da er oft als Wohnraum genutzt wird, kann man von einem Direktgewinnsystem
3 Passive Sonnenenergienutzung 233
21. Juni
sprechen. Die eigentlichen Wohnräume des Hauses werden im Gegensatz dazu durch die
solar erwärmte Luft aus dem Wintergarten beheizt; dementsprechend handelt es sich hier
um ein indirektes Gewinnsystem.
Bekanntestes Beispiel ist der unbeheizte Wintergarten, dessen Türen zum Wohnraum
dann geöffnet werden, wenn eine Heizenergienachfrage besteht und der Wintergarten ei-
ne höhere Temperatur als der angrenzende Wohnraum hat. Ein Wintergarten über zwei
oder mehr Stockwerke kann zudem für eine Luftumwälzung im Haus genutzt werden
(Abb. 3.18). Im Winter treten dabei Mindesttemperaturen um die 0 °C auf. Im Sommer
sollte die Wärme aus dem Wintergarten nach draußen abgegeben werden können, da sonst
sehr hohe Temperaturen (bis weit über 50 °C) auftreten können; insbesondere bei schräg
verglasten und nach Süden ausgerichteten Wintergärten ist aufgrund der zur Dachfläche
senkrechten Einstrahlung im Sommer ein sehr hoher Solarertrag gegeben. Deshalb sollten
auch keine schräg verglasten Wintergärten gebaut werden und das Dach sollte gut ge-
dämmt sein. Zudem ist es ungünstig, den Wintergarten nach Ost oder West auszurichten;
im Winter fällt dann nur eine geringe nutzbare solare Einstrahlung auf diese Flächen und
im Sommer ist eine Abschattung nur mit Jalousien, aber nicht mit einem Dachüberstand,
erreichbar.
Ein gut ausgelegter und optimal geregelter Wintergarten liefert über die Heizperiode
gleich viel oder etwas mehr Energie ans Haus, wie das Haus an ihn abgibt. Neben der
passiven Nutzung der Sonnenenergie senken unbeheizte Wintergärten auch die Heizlast
des Gebäudes, da das System Wand – Wintergarten – Wand im Normalfall einen kleineren
U -Wert (Wärmedurchgangskoeffizient) hat als die reine Außenwand. Ein beheizter als
Wohnraum genutzter Wintergarten zeigt hingegen aufgrund der großen Verglasungsfläche
mit einem hohen U -Wert im Normalfall erhöhte Wärmeverluste.
234 M. Kaltschmitt et al.
Temperatur in °C
im Sommer (zur Erklärung θ Fb θ De
der Formelzeichen siehe
Text) [3.23]
θe
θi
Im Sommer kommt es in Wintergärten, auch wenn sie durch Dachüberstände fix ver-
schattet sind, oft zu Übertemperaturen. Abb. 3.19 zeigt beispielhaft den Verlauf der Tem-
peraturen eines Wintergartens (W i ) nach Abb. 3.18, den der Wohnraumtemperaturen (i ),
den der Außentemperaturen (e ) und den der Fußboden- (F b ) und Deckentemperaturen
(De ) in einem Haus mit Fußbodenheizung an drei schönen Sommertagen. Trotz einer
zugrunde gelegten hohen Luftwechselrate nach außen steigt demnach die Temperatur im
Wintergarten auf über 40 °C an. Die dahinterliegende Wohnraumtemperatur liegt aber ma-
ximal bei 30 °C.
Wintergärten können auch als Verkehrsflächen (Flure) in Mehrfamilienhäusern genutzt
werden, da hier Raumtemperaturschwankungen eher akzeptabel sind als in Wohnräumen.
Bei solchen hohen freien Räumen muss jedoch auf die Temperaturverteilung im Winter-
garten geachtet und es müssen eventuelle Naturzirkulations-Luftströmungen berücksich-
tigt werden. Zumeist sind deshalb unten und oben mit Klappen versehene Öffnungen ins
Freie vorhanden; sie dienen zum Einlassen von Frischluft bzw. zum Auslassen von zu
stark aufgewärmter Luft ins Freie.
transparente Abdeckung
Solarsystem mit aktiven Kom-
ponenten (nach [3.22])
Absorber
Geröllspeicher
ren der Umwälzung, spricht man auch von semi-passiven Systemen. Die Wärmeabgabe
an den Raum lässt sich dann bei thermisch gedämmten Speichern unabhängig von der
Absorber- bzw. Speichertemperatur regeln.
Demnach treten bei kombinierten Solarsystemen sowohl transparente Oberflächen als
auch Absorber und Speicher als Systemkomponenten auf. Sie ähneln sehr den indirekten
Gewinnsystemen, weisen aber im Gegensatz zu diesen eine räumlich entkoppelte Absorp-
tion und Speicherung auf.
Der entscheidende Vorteil von kombinierten Systemen ist ihre gute Regelfähigkeit.
Aufgrund der Wärmedämmung zwischen Absorber und Innenraum sind außerdem die
nächtlichen Wärmeverluste gering. Dem stehen als Nachteile hohe bauliche Aufwen-
dungen, die Empfindlichkeit gegenüber Defekten (z. B. Undichtigkeiten) und die hohen
Temperaturen im Absorber entgegen.
Thermisch abgekoppelte Systeme eignen sich für Einsätze mit großen Phasenverschie-
bungen zwischen Einstrahlung und Wärmenachfrage. Sie sind auch vorteilhaft für solche
Gebäude, in denen separate Wärmespeicher bereits vorhanden sind oder einfach in die
Gebäudekonstruktion integriert werden können.
Die Systeme der passiven Sonnenenergienutzung können, zur Reduzierung der Energie-
nachfrage von Gebäuden, sowohl für Heizung und Kühlung als auch für die Tageslicht-
nutzung verwendet werden. Um dies zu erreichen, ist eine gemeinsame Planung von
Hausherr, Architekt sowie Haus- und Heizungstechniker von größter Bedeutung.
Die Planung beginnt bei der Auswahl des Grundstücks und der Lage des Hauses auf
diesem Grundstück. Während die Sonne im Winter möglichst ungehindert auf die Absor-
berfläche des Hauses strahlen sollte, ist im Sommer zumeist eine Abschattung vorzusehen,
um Überhitzungen zu vermeiden. Die Absorberflächen sollten daher nach Süden (˙15°)
ausgerichtet sein. Damit lässt sich einerseits in der Heizperiode ein hoher Energiegewinn
236 M. Kaltschmitt et al.
3.3.1 Potenziale
3.3.2 Nutzung
Abgesehen von der üblichen Befensterung von Gebäuden werden bisher passive So-
larsysteme nur in einem verschwindend geringen Umfang eingesetzt. Glasanbauten (Win-
tergärten) im Wohnungsbau werden zwar oft in Ein- oder Zweifamilienhäuser integriert.
Ziel ist aber vielfach eher eine Wohnwertsteigerung als primär eine Energieeinsparung.
Die mit transparenter Wärmedämmung in Deutschland insgesamt bedeckte Fassadenflä-
che ist gering.
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238 M. Kaltschmitt et al.
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[3.25] EN ISO 10077-1 „Wärmetechnisches Verhalten von Fenstern, Türen und Abschlüssen Be-
stimmung des Wärmedurchgangskoeffizienten“ (2017)
Solarthermische Wärmenutzung
4
Martin Kaltschmitt, Agis Papadopoulos, Lucas Sens und Wolfgang
Streicher
Wolfgang Streicher
Ein Teil der von der Sonne eingestrahlten Strahlungsenergie kann mit Hilfe von Absor-
bern in Niedertemperaturwärme umgewandelt werden. Im Zusammenspiel mit weiteren
notwendigen Systemkomponenten ergibt sich daraus eine solarthermische Anlage zur Be-
reitstellung von Niedertemperaturwärme für die Deckung der Wärmenachfrage privater
Haushalte und / oder ggf. industrieller Nachfrager. Thermische Solaranlagen sind damit
also Anlagen, die Solarstrahlung in Wärme wandeln und sie dadurch für eine Vielzahl
z. T. sehr unterschiedlicher Anwendungen nutzbar machen (z. B. Schwimmbadwasserer-
wärmung, Trinkwarmwasserbereitung, Raumwärmenachfragedeckung, Prozesswärmebe-
reitstellung, Verfügbarmachung von Antriebswärme für eine solare Kühlung). Thermische
Solaranlagen sind somit aktive solare Systeme, deren physikalisches Grundprinzip, wie
auch bei der passiven Solarenergienutzung (Kapitel 3), die Umwandlung von kurzwelliger
Solarstrahlung in thermische bzw. in Wärmeenergie ist. Dabei wird die solare Strahlung in
dem Absorber, der das Kernelement einer solchen Solaranlage darstellt, primär absorbiert,
aber z. T. auch reflektiert und fallweise transmittiert; die wesentlichen physikalischen
Grundlagen und Prinzipien, die weitgehend denen einer passiven Sonnenenergienutzung
entsprechen, werden bereits in Kapitel 3.1 diskutiert. Deshalb werden im Folgenden nur
die für thermische Solaranlagen spezifischen Grundlagen der Energiewandlung darge-
stellt, die über die in Kapitel 3.1 bereits diskutierten Aspekte hinausgehen.
Autoren in alphabetischer Reihenfolge mit Beiträgen zum Kapitel; die Autorenzuordnung geht aus
den einzelnen Unterkapiteln hervor.
Martin Kaltschmitt, Lucas Sens, Hamburg, Deutschland
Agis Papadopoulos, Thessaloniki, Griechenland
Wolfgang Streicher, Innsbruck, Österreich
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 239
M. Kaltschmitt, W. Streicher, A. Wiese (Hrsg.), Erneuerbare Energien,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-61190-6_4
240 M. Kaltschmitt et al.
Aufgabe von Absorbern ist es, die verfügbare Solarstrahlung aufzunehmen und einen
möglichst großen Teil davon in thermische Energie umzuwandeln (d. h. photothermische
Wandlung) – und das mit möglichst geringen Wärmeverlusten. Ein derartiger Absorber ist
u. a. durch eine Strahlungsundurchlässigkeit (d. h. Transmission D 0) gekennzeichnet;
unter diesen Bedingungen gilt Gleichung (4.1). Demnach werden in Absorbern – primär
aus Effizienzgründen – nur noch die Reflexion und die Absorption ˛ in Bezug auf die
eintreffende Solarstrahlung wirksam.
˛C D1 (4.1)
Für eine ideale (maximale) Aufnahme der auf einen Absorber auftreffenden Solarstrah-
lung reflektiert dieser im theoretischen Idealfall keine kurzwellige Strahlung (Reflexion
D 0); d. h. er absorbiert entsprechend Gleichung (4.1) in diesem Wellenlängenbe-
reich vollständig die ankommende solare Strahlung (Absorption ˛ D 1). Für langwellige
Strahlung oberhalb einer Absorber-spezifischen bestimmten Grenzwellenlänge sind die
Verhältnisse bei einem derartigen idealen Absorber gerade umgekehrt; hier reflektiert er
die Strahlung vollständig und absorbiert überhaupt nicht. Demnach ist auch die Emissi-
on in diesem Wellenlängenbereich und damit die Strahlungswärmeverluste des Absorbers
null (Kirchhoff’sches Strahlungsgesetz; dieses physikalische Gesetz beschreibt den Zu-
sammenhang zwischen Absorption und Emission eines realen Körpers, der sich in einem
thermischen Gleichgewicht befindet; es besagt, dass die Strahlungsabsorption und -emis-
sion bei einer gegebenen Wellenlänge einander entsprechen; d. h. ein Körper, der gute
Absorbereigenschaften hat, weist auch gute Emissionseigenschaften auf).
Abb. 4.1 zeigt für einen idealen und einen realen Absorber diese Abhängigkeit der
Absorptions- und Reflexionskoeffizienten von der Wellenlänge. Die Koeffizienten eines
idealen Absorbers springen demnach bei einer definierten Wellenlänge der eingestrahl-
ten Solarstrahlung von 3 m, die den Übergang von kurzwelligem zu langwelligem Licht
kennzeichnet (Grenzwellenlänge), von 0 auf 1 bzw. von 1 auf 0. Demgegenüber ist für
reale Absorber die Grenze zwischen minimaler und maximaler Absorption bzw. Refle-
xion fließend, so dass sich hier ein Übergangsbereich ähnlicher optischer Eigenschaften
zwischen etwa 1,8 und 4 m einstellt. In diesem Bereich liegen Absorptions- und Re-
flexionswerte eines Absorbers dichter beieinander. Demnach muss ein Absorbermaterial
zur Verwendung in Solarkollektoren ausgewählt werden, dessen Übergangspunkt bzw.
-zone zwischen minimaler und maximaler Absorption sich möglichst weit entfernt von
den Wellenlängen des sichtbaren Lichtes befindet, sodass die energieintensive kurzwelli-
ge Strahlung möglichst vollständig absorbiert wird.
Derartige ideale Verhältnisse lassen sich in der Realität nicht vollständig erreichen.
Sogenannte selektive Schichten kommen jedoch den optimalen Absorbereigenschaften
schon sehr nahe (Abb. 4.1). Im Bereich des sichtbaren Lichtes ist der Reflexionskoeffizient
4 Solarthermische Wärmenutzung 241
1
ideal
0,8
0,6
0,4
0,2
real
ideal
0
0,1 0,2 0,3 0,5 1 2 3 5 10
sichtbares Wellenlänge in μm
ultraviolett infrarot
Licht
Abb. 4.1 Absorptions- (˛) und Reflexionskoeffizient () eines idealen (ideal) und eines gängigen
realen Absorbers (real)
real nahe bei null und im infraroten Bereich in der Nähe von eins. Umgekehrt verhält sich
der Absorptionskoeffizient ˛real .
Tabelle 4.1 zeigt für verschiedene Materialien die Absorptions-, Transmissions-, Refle-
xions- und Emissionskoeffizienten für den sichtbaren (Index v) und den infraroten Bereich
(Index I) des Solarstrahlungsspektrums. Im Vergleich zu nicht selektiven Absorbern wei-
sen demnach selektive Absorberschichten hohe Verhältnisse ˛v ="I auf. ˛v ist dabei der
Absorptionskoeffizient im Spektrum der sichtbaren Sonnenstrahlung; "I stellt den Emis-
sionskoeffizienten im infraroten Strahlungsbereich dar. Solche Schichten werden deshalb
auch als ˛="-Schichten bezeichnet. Für die in Tabelle 4.1 dargestellten selektiven Absor-
ber liegen die Verhältnisse ˛v ="I zwischen 9 und 19. Titanoxidnitrit beispielsweise weist
mit 19 ein besonders hohes ˛v ="I -Verhältnis auf.
Tabelle 4.1 Optische Eigenschaften von Absorbern (zur Erklärung der Formelzeichen siehe Text)
Sichtbares Licht Infrarot-Strahlung ˛v ="I
˛v ("v ) v v ˛I ("I ) I I
Nichtselektiver Absorber 0,97 0 0,03 0,97 0 0,03 1,00
Selektive Absorber
Schwarznickel 0,88 0 0,12 0,07 0 0,93 12,57
Schwarzchrom 0,87 0 0,13 0,09 0 0,91 9,67
Aluminiumgitter 0,70 0 0,30 0,07 0 0,93 10,00
Titanoxidnitrid 0,95 0 0,05 0,05 0 0,95 19,00
242 M. Kaltschmitt et al.
Tabelle 4.2 Optische Eigenschaften von Abdeckungen (zur Erklärung der Formelzeichen siehe
Text)
Sichtbares Licht Infrarot-Strahlung
˛v ("v ) v v ˛I ("I ) I I
Fensterglas 0,02 0,97 0,01 0,94 0 0,06
Infrarotreflektierendes Glas (In2 O3 ) 0,10 0,85 0,05 0,15 0 0,85
Infrarotreflektierendes Glas (ZnO2 ) 0,20 0,79 0,01 0,16 0 0,84
Zur Verringerung der konvektiven Wärmeverluste eines Absorbers an die Umgebung (Ka-
pitel 4.1.3) sind Absorber in vielen solarthermischen Anwendungsfällen mit einer licht-
durchlässigen Abdeckung versehen. Ideale Abdeckungen weisen im sichtbaren Bereich
Transmissionskoeffizienten von eins auf ( D 1); Reflexions- und Absorptionskoeffizient
sind in diesem Wellenlängenbereich dementsprechend gleich null (˛ D D 0).
In der Realität lassen sich derartige Verhältnisse bisher nicht umsetzen. Tabelle 4.2
zeigt deshalb für verschiedene Abdeckmaterialien die zugehörigen Eigenschaften. Dem-
nach erfüllt Glas die gewünschten optischen Eigenschaften im Bereich des sichtbaren
Lichtes sehr gut. Infrarotlicht wird jedoch von Glas nicht durchgelassen, sondern weit-
gehend absorbiert. Entsprechend dem Kirchhoff’schen Gesetz ist jedoch bei einem hohen
Absorptionsgrad auch die Strahlungsemission entsprechend groß. Daraus folgt, dass bei
Fensterglas im Infrarotbereich auch der Abstrahlungsverlust an die Umgebung entspre-
chend hoch ist. Durch Aufdampfen von für Infrarotstrahlung undurchlässigen Schichten
können diese Verluste in der Praxis aber vermindert werden.
4.1.3 Energiebilanz
Bei der Darstellung der Energiebilanz eines Kollektors wird nachfolgend zunächst die
allgemeine Energiebilanz diskutiert, bevor konkret die eines Kollektors hergeleitet wird.
GP G;Abs ist dabei die gesamte auf die Absorberoberfläche auftreffende Globalstrahlung;
QP Nutz stellt den nutzbaren Wärmestrom dar. Daneben treten die vier nachfolgend darge-
stellten Verlustströme auf:
4 Solarthermische Wärmenutzung 243
Energiebilanz des Kollektors Bei solarthermischen Systemen ist der Absorber im Re-
gelfall Bestandteil eines Solarkollektors, der beispielsweise bei einem transparent abge-
deckten Flachkollektor zusätzlich aus den Komponenten Rahmen, Abdeckung und Isola-
tion besteht. Unter diesen Bedingungen wird im Folgenden die Energiebilanz vertieft, die
Abb. 4.2 anhand der wesentlichen Energieströme zeigt.
Die diskutierten vier verschiedenen Verlustströme erweitert auf den Kollektor lassen
sich wie folgt zusammenfassen:
Konvektionsverluste des Kollektors über die Abdeckung an die Außenluft (QP Konv;Abd ),
langwellige Abstrahlung der Kollektorabdeckung (QP S t r;Abd ),
Reflexionsverluste der Abdeckung (QP Ref l;Abd ) und Reflexionsverluste des Absorbers
QP Ref l;Abs , die durch die Abdeckung hindurchtreten und an die Außenluft abgestrahlt
werden,
Wärmeleitungsverluste über die Rückseite des Absorbers QP Lei t;Abs , die als konvektiver
Wärmestrom über den Rahmen die Systemgrenze „Kollektor“ verlassen und an die
Außenluft abgegeben werden (QP Konv;Rah).
Bei einem derartigen Solarkollektor wird die nutzbare Wärme durch ein Wärmeträger-
medium abgeführt, das den Kollektor durchströmt. Die Differenz zwischen der Energie
des eintretenden und des austretenden Wärmeträgermediums ist der vom Trägermedium
abgeführte Wärmestrom QP Nutz (Gleichung (4.3)). Dabei ist cp die spezifische Wärmeka-
Solare Einstrahlung
Abb. 4.2 Energiebilanz eines
solarthermischen Kollektors
Konvektion,
am Beispiel eines transparent Reflexion Wärmeleitung
abgedeckten Flachkollektors
Absorption
Transmission
Konvektion,
Reflexion Wärmestrahlung
Wärmeleitung
Absorption
Wärmeleitung im
Absorber
Photothermische Wandlung
Wärmeleitung
Nutzwärme
244 M. Kaltschmitt et al.
Abdeckung
Systemgrenze Absorber
Systemgrenze Kollektor
Abb. 4.3 Stationäre Energiebilanz am Kollektor bzw. Absorber (zur Erklärung der Formelzeichen
siehe Text)
P der Massenstrom des Wärmeträgermediums und ei n bzw. aus die Ein- bzw.
pazität, m
Austrittstemperatur, mit der das Medium in bzw. aus dem Kollektor strömt.
QP Nutz D cp m
P .aus ei n / (4.3)
Damit kann die Energiebilanz des Absorbers nach Gleichung (4.4) geschrieben werden
(Abb. 4.3).
Die auf den Absorber auftreffende Globalstrahlung GP G;Abs bestimmt sich aus der ge-
samten Globalstrahlung GP G;Kol auf die Kollektorabdeckung und dem zugehörigen Trans-
missionskoeffizienten Abd entsprechend Gleichung (4.5).
Die Reflexionsverluste des Absorbers QP Ref l;Abs , die näherungsweise denen des Kol-
lektors (QP Ref l;Kol ) entsprechen, können aus der auf den Absorber auftreffenden Strahlung
GP G;Abs und dem Reflexionsgrad des Absorbers berechnet werden; dies beschreibt Glei-
chung (4.6). Abd ist dabei der Transmissionskoeffizient der Abdeckung und Abs der
Reflexionskoeffizient des Absorbers. Dabei wird näherungsweise vernachlässigt, dass die
vom Absorber reflektierte Strahlung teilweise von der Abdeckung wiederum in Richtung
Absorber reflektiert wird. Außerdem sind Abs und Abd im Bereich des sichtbaren Lichtes
üblicherweise (sehr) klein (d. h. Abs 1, Abd 1).
QP Konv;Kol D UKol
.Abs e / AAbs (4.8)
Damit ergibt sich für die vom Wärmeträgermedium abgeführte Wärme QP Nutz Glei-
chung (4.9).
1
Abs D .ei n aus / (4.10)
2
Der Wirkungsgrad
der Umwandlung solarer Strahlungsenergie in nutzbare Wärme im
Kollektor ergibt sich als Quotient aus dem vom Wärmeträgermedium abgeführten Wär-
mestrom QP Nutz zu der auf den Kollektor eingestrahlten Globalstrahlung GP G nach Glei-
chung (4.12).
QP Nutz
D (4.12)
GP G
Ausgehend davon kann für einen Kollektor mit gegebenen Transmissions- und Ab-
sorptionskoeffizienten sowie Wärmedurchgangskoeffizienten der Wirkungsgrad mittels
Gleichung (4.10) bis (4.11) berechnet werden; dies beschreiben die Gleichungen (4.13)
bzw. (4.15). Wird die Energiebilanz auf eine Kollektorfläche von einem Quadratmeter
bezogen, ergeben sich Gleichung (4.14) bzw. (4.16). GP G;rel beschreibt dann die auf ei-
nen Quadratmeter auftreffende Globalstrahlung. Zusätzlich kann Gleichung (4.16) um den
langwelligen Strahlungsaustausch und die Windgeschwindigkeit um den Kollektor erwei-
tert werden [4.31]; dadurch lassen sich potenzielle Fehler minimieren. Darauf wird hier
aus Vereinfachungsgründen aber verzichtet.
4 Solarthermische Wärmenutzung 247
Zusätzlich muss angegeben werden, auf welche Fläche die auftreffende Solarstrahlung
bezogen wird. Dabei kann unterschieden werden zwischen den folgenden Kollektorbe-
zugsflächen.
Absorberfläche oder Nettokollektorfläche. Das ist die Fläche des eigentlichen Absor-
bers, die bei bestimmten Kollektortypen wesentlich kleiner als die Bruttokollektorflä-
che sein kann (z. B. Vakuumröhrenkollektoren).
Aperturfläche. Darunter ist die Öffnungsfläche des Kollektors zur solaren Einstrahlung
zu verstehen; sie ist größer als die Absorber- oder Nettokollektorfläche, da wegen der
Wärmeausdehnung des Absorbers ein Spalt zwischen Absorber und Kollektorwanne
benötigt wird.
Bruttokollektorfläche. Die Bruttokollektorfläche ist die Fläche, die sich auf die Außen-
abmessungen des Kollektorrahmens bezieht; sie ist für die Montage und den Aufbau
der Anlage von Bedeutung.
Diese unterschiedlichen Bezugsflächen bei Flach- und bei Vakuumröhren- bzw. CPC-
Vakuumröhrenkollektoren (zur Erklärung der Technik siehe Kapitel 4.2) zeigt Abb. 4.4.
Bei vorgegebenen Materialkenngrößen wird also ein umso höherer Wirkungsgrad er-
reicht, je kleiner die Temperaturdifferenz zwischen Absorber und Umgebung und je hö-
her die Einstrahlung ist. Aufgrund dieser physikalischen Randbedingungen müssen die
Systeme zur Nutzung von thermischer Sonnenenergie so gestaltet sein, dass die Tem-
peraturdifferenzen zur jeweiligen Umgebung möglichst gering gehalten werden, um den
Kollektor nicht mit unnötig hohen Temperaturen – und damit unerwünscht hohen Verlus-
ten – betreiben zu müssen. Bei Systemen zur Schwimmbadwasserbeheizung kann es sogar
vorkommen, dass die Temperaturdifferenz negativ wird (d. h. der Absorber ist kühler als
die Umgebung) und dann der Kollektor anstatt Wärmeverluste zusätzliche Wärmegewin-
ne über Konvektion und Leitung aus der Außenluft hat. Für solche (Extrem-)Fälle wäre
dann eine Abdeckung und Dämmung kontraproduktiv (deshalb benötigen Einfachstabsor-
ber i. Allg. auch keine Wärmedämmung; zur Beschreibung der Technik siehe Kapitel 4.2).
Oft ist auch der solare Deckungsgrad Ds von Bedeutung. Dieser kann – je nach kon-
kreter Fragestellung – unterschiedlich definiert werden. Hier wird darunter das Verhältnis
zwischen der durch die Wandlung von solarer Strahlung vom Solarsystem nach dem
248 M. Kaltschmitt et al.
Absorberfläche Absorberfläche
= Aperturfläche
Bruttokollektorfläche
Bruttokollektorfläche = Aperturfläche
QP Zusatz
Ds D 1 (4.17)
QP Bedarf
Oft wird der solare Deckungsgrad Ds1 auch als das Verhältnis von der in den Wärme-
speicher eingebrachten Sonnenenergie QP Solar zu der dem Speicher insgesamt zugeführten
thermischen Energie (d. h. solare (QP Solar ) und konventionelle Wärme (QP Zusatz )) definiert
(Gleichung (4.18)). Bei dieser Festlegung werden damit die Speicherverluste anteilig auf
die Solarenergie und die konventionelle Energie aufgeteilt.
QP Solar
Ds1 D (4.18)
QP Solar C QP Zusatz
4 Solarthermische Wärmenutzung 249
Neben dem aus unterschiedlichen Komponenten aufgebauten Kollektor besteht eine solar-
thermische Anlage aus einer Reihe weiterer Systemelemente. Unabdingbar sind dabei ein
flüssiges oder gasförmiges Wärmeträgermedium und die entsprechenden Leitungen zum
Transport des jeweils eingesetzten Wärmeträgermediums – und damit der solaren Wärme.
Im Regelfall sind weiterhin ein Wärmespeicher mit keinem, einem oder mehreren Wärme-
übertragern sowie bei vielen Konzepten Pumpen mit einem Antrieb zur Aufrechterhaltung
des Kreislaufs des Wärmeträgermediums sowie verschiedene Mess- und Regeleinrichtun-
gen notwendig. Diese einzelnen Systemelemente werden nachfolgend diskutiert.
4.2.1 Kollektoren
Aufbau Abb. 4.6 zeigt die wesentlichen Bauteile eines solarthermischen Kollektors am
Beispiel des „klassischen“ verglasten Flachkollektors. Demnach besteht er im Wesentli-
chen aus dem Absorber, der transparenten Abdeckung, dem Gehäuse und der Wärmedäm-
mung. Zusätzlich sind die Wärmeträgerzufuhr und -abfuhr sowie die zwingend benötigten
Befestigungsmöglichkeiten dargestellt. Je nach Kollektorbauart sind nicht immer alle in
Abb. 4.6 dargestellten Bauteile vorhanden. Unbedingt notwendig ist aber der Absorber mit
den entsprechenden Transport- und Abschlussleitungen für das Wärmeträgermedium. Bei
den meisten Bauarten sind allerdings auch die anderen der im Folgenden beschriebenen
Komponenten ebenfalls wesentliche Kollektorbestandteile.
Absorber Der Absorber dient zur Umwandlung von kurzwelliger Strahlung in Wärme
(photothermische Wandlung). Die Funktion „Strahlungsabsorption“ übernimmt ein Ab-
sorbermaterial mit einem möglichst hohen Absorptionsvermögen ˛Abs im Wellenlängen-
bereich der solaren Einstrahlung. Umgekehrt soll das Absorbermaterial ein niedriges Ab-
sorptions- und damit Emissionsvermögen "Abs im Wellenlängenbereich der Wärmestrah-
lung aufweisen. Zusätzlich muss der Absorber eine gute Wärmeleitung zum Wärmeträger
bzw. dem Wärmeträgermedium ermöglichen, um die Temperaturen zwischen den eigent-
lichen Absorberrohren und damit die thermischen Verluste gering zu halten. Zudem muss
er (hoch-)temperaturbeständig sein, da im Absorber bei Stagnation (d. h. keine Wärmeab-
nahme) und gleichzeitig hohen Einstrahlungen Temperaturen von über 200 ı C auftreten
können.
Entsprechend diesen Anforderungen kommen als Absorbermaterial für abgedeckte
Flachkollektoren vorwiegend Kupfer und Aluminium (fallweise auch Stahl) in Frage. Für
nicht abgedeckte Schwimmbadkollektoren (d. h. unverglaste (Einfachst-)Kollektoren),
deren Maximaltemperaturen unter 90 ı C liegen, wird vorwiegend UV-beständiger Kunst-
4 Solarthermische Wärmenutzung 251
Serpentinenabsorber
(völlflächiger Absorber) Kissenabsorber
Abb. 4.7 Mäander- oder Serpentinenabsorber (oben links), Harfenabsorber (unten links), Finnen-
oder Doppelharfenabsorber (unten rechts) sowie Kissenabsorber (oben rechts)
stoff (z. B. High Density Polyethylen (HDPE), Polypropylen (PP), Ethylen Propylen Dien
Kautschuk (EPDM)) eingesetzt. In diesem Fall werden aufgrund der geringen Wärme-
leitfähigkeit dieses Materials möglichst kleine bzw. keine Rippen zwischen den einzelnen
Rohren realisiert.
Das jeweilige Grundmaterial wird auf der strahlungsempfangenden Seite im einfachs-
ten Fall nur schwarz angestrichen. Insbesondere bei metallischen Absorbern wird diese
von der Solarstrahlung beschienene Seite aber auch selektiv beschichtet, um eine mög-
lichst hohe Absorption der kurzwelligen Solarstrahlung bei gleichzeitig geringen Emis-
sionen im langwelligen Bereich – und damit geringe Wärmeverluste – zu erreichen.
Das Wärmeträgermedium strömt durch Kanäle bzw. Röhren, die hinter oder im Inne-
ren des Absorbers angebracht sind. Der im Absorber in Wärme umgewandelte Anteil der
Energie der auftreffenden Solarstrahlung wird hier z. T. an dieses durchströmende Me-
dium (mittels Wärmeleitung im Absorber und Wärmeübergang vom Absorberrohr an das
jeweilige Wärmeträgermedium) abgegeben. Dieses Rohrleitungssystem im Absorber kann
sich hinsichtlich Rohrmaterial, Rohrquerschnitt, Rohrleitungslänge und Rohrleitungsan-
ordnung im Kollektor z. T. deutlich unterscheiden; beispielsweise kann zwischen mäan-
der- oder serpentinenförmiger, harfenförmiger (als Einfach- oder Doppelharfe) Rohrfüh-
rung unterschieden werden (Abb. 4.7) und zusätzlich dazu ist auch eine Umsetzung als
Kissenabsorber möglich.
Bei gleichem Volumenstrom pro Absorberrohr und identischer Einstrahlung ist die Auf-
heizung des Wärmeträgermediums in mäanderförmigen Absorbern aufgrund der längeren
Rohrführung – und damit dem relativ längeren Aufenthalt des Wärmeträgermediums in un-
mittelbarer Absorbernähe – wesentlich höher als bei harfenförmigen Absorbern. Dieser mä-
anderförmige Absorber hat deshalb auch traditionell den Markt in Europa dominiert. Al-
lerdings ist der harfenförmige Absorber in der Zwischenzeit fertigungstechnisch günstiger
herzustellen und drängt deswegen immer stärker auch auf dem europäischen Markt.
252 M. Kaltschmitt et al.
Durch eine entsprechende Serien- und / oder Parallelschaltung von einzelnen Kollek-
toren und einem vorgegebenen Volumenstrom des Wärmeträgermediums pro Kollektor
kann der gesamte Temperaturhub des Kollektorfeldes für eine bestimmte solare Einstrah-
lung eingestellt werden.
Abdeckung Die transparente Abdeckung eines Kollektors muss u. a. die folgenden Eigen-
schaften vorweisen und die entsprechenden Aufgaben erfüllen – und das über die gesamte
technische Lebensdauer eines entsprechenden Kollektors.
Die Abdeckung soll reflexionsarm und gleichzeitig UV-beständig sein (UV ultraviolet-
tes Licht).
Die Abdeckung soll eine langwellige thermische Abstrahlung vom Absorber zur Um-
gebung bzw. zum Himmel möglichst weitgehend verhindern.
Die Abdeckung soll eine hohe Stabilität bei mechanischer Beanspruchung haben (u. a.
Winddruck, Schnee- und Hagelfall, thermische Spannungen).
Gehäuse Aufgabe des Kollektorgehäuses ist die Aufnahme der für die Strahlungstrans-
mission, Strahlungsabsorption, Wärmeumwandlung, Wärmeabfuhr und Isolation notwen-
4 Solarthermische Wärmenutzung 253
Sonstige Komponenten Neben dem eigentlichen Kollektor werden für einen Kollektor
weitere Systemkomponenten benötigt. Hierzu zählen u. a. die nachfolgend dargestellten
Komponenten.
Wärmedämmung. Sie dient zur Minimierung der thermischen Verluste. Als Materiali-
en kommen z. B. Polyurethan, Glaswolle oder Mineralwolle zum Einsatz. Polyurethan
ist fertigungstechnisch flexibler und effizienter, weil es als Flüssigschaum eingespritzt
wird und einen relativ niedrigen Wärmeleitungskoeffizienten aufweist; demgegenüber
sind anorganische Faserstoffe wie Glas- oder Mineralwolle umweltfreundlicher und
kostengünstiger. Die Wärmedämmung darf sich bei der maximal auftretenden Absor-
bertemperaturen bei Stagnation nicht verändern.
Dichtungen. Sie sollen das Eindringen von Staub, Wasser, Insekten usw. in den Kollek-
tor verhindern. Als Dichtungsmaterialien werden hauptsächlich Silikonkautschuk und
Ethylen-Propylen-Dien (EPDM) Kautschuke benutzt.
Rohre. Rohrleitungen dienen zum Wärmeträgertransport und zur Wärmeträgerzu- und
-abfuhr. Am Wärmeträgeraustritt aus dem Kollektor (aber noch im Kollektor) sind
typischerweise Fühlerhülsen, die den einfachen Einbau von Temperaturfühlern ermög-
lichen, angebracht. Letztere werden für die Temperaturmessung im oder am Kollektor
benötigt, um die Anlage thermostatisch steuern zu können.
254 M. Kaltschmitt et al.
Sowohl die Flachkollektoren als auch die Vakuumröhrenkollektoren können auch als
CPC-Kollektoren (CPC compound parabolic concentrator; Solarkonzentrator) ausgeführt
werden; diese Option der Strahlungskonzentration hat insbesondere bei Vakuumröhren-
kollektoren eine gewisse Marktbedeutung erreicht.
Transparent mit Glas abgedeckte Flachkollektoren haben den mit Abstand größten
Marktanteil und damit die größte Marktbedeutung in Europa. Demgegenüber dominieren
Unverglaste 2
Kollektoren
1 7 7
5
Flachkollektoren,
ggf. auch als CPC- 3
Kollektoren 7
4 6
Bauarten 10
solarthermischer 4 9
Kollektoren 13
8
Sydney-Röhre
Vakuum- 14
röhrenkollektoren, 6
ggf. auch als CPC-
8 8
Kollektoren 9 9
Heatpipe 10
10
Kollektor 4
11
11 12
4
12 6
Abb. 4.8 Einteilung wesentlicher Bauarten von Flüssigkeitskollektoren (1 Material zur Fixierung
der Kollektorschläuche, 2 eigentlicher (Einfachst-)Kollektor (schwarzes Kunststoffrohr), 3 Kollek-
torgehäuse, 4 Absorber, 5 Kollektorabdeckung, 6 hochreflektierender CPC-Spiegel (CPC compound
parabolic concentrator), 7 solare Einstrahlung, 8 äußere Glasröhre, 9 innere Glasröhre, 10 Vakuum,
11 Heatpipe, 12 Wärmeleitblech, 13 Vorlauf, 14 Rücklauf; u. a. nach [4.3])
4 Solarthermische Wärmenutzung 255
Kunststoffabsorber Edelstahlabsorber
Kunststoffabsorber sind die einfachste am Markt erhältliche Bauart dieser Gruppe von
Kollektoren. Der grundsätzliche Aufbau besteht aus einer Absorbermatte oder Schläu-
chen aus UV-Strahlungs- und Chlorwasser-beständigem Kunststoff (z. B. High Density
Polyethylen (HDPE), Polypropylen (PP), Ethylen Propylen Dien Kautschuk (EPDM);
UV ultraviolett) mit einem entsprechend integrierten Rohrleitungssystem für das Wär-
meträgermedium (Abb. 4.8, oben). Die einzelnen Absorberrohre liegen typischerweise
eng beieinander, da Kunststoff ein relativ schlechter Wärmeleiter ist.
Edelstahlabsorber arbeiten nach dem gleichen Prinzip und zeigen die gleichen Merk-
male; sie werden entweder als Rohrregister oder als Kissenabsorber (Abb. 4.9, rechts)
hergestellt. Durch die bessere Wärmeleitung von Stahl können bei ersterer Bauweise
die Rohre hier jedoch – im Vergleich zu Kunststoffabsorbern – weiter auseinanderlie-
gend angebracht werden. Im Gegensatz zu einem Einfachstabsorber auf Kunststoffba-
sis sind Edelstahlabsorber allerdings teurer in der Anschaffung und in der Wartung.
Unverglaste Kollektoren finden in Europa bevorzugt bei der Beheizung von Freibädern
Anwendung. Da bei dieser Anwendung die Kollektorfluidtemperatur nur geringfügig über
oder sogar unter der Außentemperatur liegt, hat dieser Absorbertyp unter diesen sehr spe-
ziellen Bedingungen einen sehr guten Wirkungsgrad. Deshalb hat er in dieser Nische eine
sehr weite Verbreitung gefunden.
Anschluss
Rahmen
Absorberblech
(selektiv beschichtet)
Glasabdeckung
Solarstrahlung
Anschluss
Wärmeträger
Rahmen
Absorberstreifen
Reflektor
Registerrohre Absorberstreifen
Wärmeträger
Kondensator Wärmeableitung
Kondensator
Sammelrohr
Wärmegedämmter
Sammlerkasten
Heatpipe Glas
Aufsteigender Dampf Vakuum
Glas
Wärmeleitbleche
Absorberfläche
Evakuierte Glasdoppelröhre Heatpipe
Rückfließender, abgekühlter
Dampf
Leitflüssigkeit
Abb. 4.13 Funktionsweise (links) und Aufbau (rechts) solarthermischer Heatpipe-Kollektoren auf
der Basis einer vereinfachend dargestellten Sydney-Röhre ([4.1, 4.2], verändert)
Rohr. Alternativ dazu kann im Innern der innenliegenden Glasröhre auch ein metalli-
scher Absorber liegen, der als beschichtetes, gebogenes Blech ausgeführt ist und die
Wärme über ein U-förmig gebogenes Kupferrohr an ein dieses durchströmendes Wär-
meträgermedium abführt. Dadurch werden die das Vakuum umschließenden Wände
nicht von Rohrleitungen o. ä. durchdrungen. Dafür besteht ein größerer ungenutzter
Abstand von einem Absorber zum anderen. Abb. 4.12 zeigt den schematischen Aufbau
derartiger Röhrenkollektoren.
Heatpipe. Bei den Heatpipe-Kollektoren bringt die solare Wärme eine Flüssigkeit in ei-
nem Wärmerohr zum Sieden. Der dabei entstandene Dampf steigt auf und gibt die Wär-
me über Kondensation im Sammler an das dort durchströmende Wärmeträgermedium
des Solarkreises ab (Abb. 4.13). Als Absorber fungiert entweder ein im evakuierten
Hohlraum einer Glasröhre angebrachtes Heatpipe-Rohr mit Rippen oder ein im inne-
ren Glas einer Sydney-Röhre angebrachtes Blech, das die absorbierte Strahlung durch
Wärmeleitung zur Flüssigkeit im Wärmerohr transportiert. Durch die Verdampfung
der in der Heatpipe befindlichen Flüssigkeit kann Wärme bei sehr geringen Tempe-
raturdifferenzen übertragen werden. Zudem werden bei diesem Heatpipe-Prinzip die
Probleme durch eine Kollektorstagnation während einer entsprechenden solaren Ein-
strahlung (d. h. keine Wärme wird aus dem Kollektor abgeführt) entschärft, da nur der
Wärmeträger im Sammler verdampft. Abb. 4.13 zeigt den schematischen Aufbau und
die Funktionsweise eines derartigen Heatpipe-Kollektors.
der größeren Abstände zwischen den Absorbern, der bei Sydney-Röhren besteht, wird
damit hier durch den Einsatz dieses parabolisch gekrümmten Spiegelsystems hinter den
Absorberrohren abgemindert, das zudem eine leichte Konzentration der direkten Solar-
strahlung bewirkt.
Isoliertes Gehäuse
Wärmespeicher
Ablauf
Warmwasser
Zulauf Reflektor
Kaltwasser
260 M. Kaltschmitt et al.
Photovolatik(PV)-Modul zum
Antrieb des Ventilators für
die Sicherstellung des Wär- Solarpanel
meträgerflusses (die Pfeile Rippenabsorber
beschreiben den Strömungs-
Dämmung
weg des Wärmeträgermediums
(hier: Luft))
Auslassstutzen Ansaugöffnung
fläche ausgestattet ist, oder einer durchströmten porösen Matrixstruktur realisiert wer-
den (Abb. 4.15). Auch kann der Kollektor als Mehrpasssystem ausgeführt werden, bei
dem der Luftstrom ein- oder mehrmals im Kollektor umgelenkt wird und so mehrfach
Wärme vom Absorber aufnehmen kann. Da bei dem Wärmeträgermedium Luft keine
Frost-, Überhitzungs- und Korrosionsprobleme auftreten können, sind Luft- im Vergleich
zu Flüssigkeitskollektoren deutlich einfacher aufgebaut. Auch das Austreten des Wärme-
trägermediums durch Leckagen in die Umgebung ist vergleichsweise unproblematisch
(es erhöht aber die Kollektorverluste). Dem stehen als Nachteile die großen Kanäle, die
relativ große benötigte Wärmeübertrageroberfläche und die oft erheblichen Antriebsleis-
tungen für die Ventilatoren entgegen, die dem Wärmeträgermedium (d. h. der Luft) die
gewünschte Strömungsrichtung und -geschwindigkeit aufzwingen. Aufgrund des schlech-
ten Wärmeübergangs von Luft und den damit verbundenen Temperaturverlusten kann die
produzierte Wärme nur schwer gespeichert werden; d. h. es sollte eine zeitliche Überein-
stimmung von Solareinstrahlung und Energienachfrage geben sein.
Derartige Luftkollektoren kommen für die Gebäudebeheizung oder die Trinkwarm-
wasserbereitstellung in Mittel- und Nordeuropa auch deshalb kaum zum Einsatz, da über-
wiegend Heizungssysteme auf Basis von Warmwasserverteilungsnetzen üblich sind. Sie
werden lediglich in den Fällen angewendet, wo die genannten Voraussetzungen ideal zu-
treffen. Solche Beispiele sind die Beheizung von Sporthallen, Bürogebäuden und Waren-
häusern, in denen durch die direkte Zufuhr der erwärmten Luft gleichzeitig Raumheizung
und Belüftung realisiert werden können. Die Mehrkosten, die in solchen Gebäuden für die
Integration der Luftkollektoren in das Lüftungssystem entstehen, sind i. Allg. nicht sehr
hoch und oft lassen sich die Kollektoren in der Fassade integrieren. In den letzten Jahren
werden auch kleinere Anlagen für Wohngebäude auf dem Markt angeboten, die an die
mechanische Belüftung und die Wärmerückgewinnungsanlage gekoppelt werden können.
Auf diese Weise kann tagsüber die Energienachfrage für die Ventilation des Gebäudes
deutlich gesenkt und / oder zur Beheizung beigetragen werden. Eine andere Anwendung
ist in Ferien- oder Wochenendhäusern, wo mit Hilfe eines in der Fassade integrierten
Luftkollektors die Luftfeuchtigkeit unter Kontrolle gehalten wird, wenn die Häuser selten
benutzt werden. In diesem Fall wird oft auf dem Luftkollektor ein kleines Photovola-
tik(PV)-Modul integriert, dass für den Ventilatorantrieb sorgt (Abb. 4.15).
4 Solarthermische Wärmenutzung 261
Ein Problem bei allen Luftkollektoren ist die Wärmeabfuhr während des Sommers.
Zwar sind Stagnationsprobleme bei Luftkollektoren nicht so groß wie bei Wasserkollek-
toren (siehe unten). Trotzdem ist es, insbesondere bei größeren Anlagen, notwendig, die
Durchströmung der Kollektoren sicherzustellen, ohne die Warmluft in das Gebäude ein-
zuführen. Dies kann durch entsprechende by-pass-Schaltungen realisiert werden, durch
welche die Warmluft in die Umgebung zurück gegeben wird. Luftkollektoren werden auch
zur solaren Trocknung von Nahrungsmitteln (z. B. zur Vortrocknung von Früchten und
Gemüse, von Heu und Getreide) genutzt.
Daten und Kennlinien Der Kollektorwirkungsgrad wird durch die optischen und die
thermischen Verluste maßgeblich bestimmt.
Die optischen Verluste resultieren aus dem Produkt von Abdeckungstransmissions- und
Kollektorabsorptionskoeffizient. Dieser Verlustanteil ist material- und richtungsabhän-
gig; er ist aber näherungsweise unabhängig von der Höhe der Einstrahlung und der
Temperatur.
Die thermischen Verluste werden zusammen mit den sonstigen nicht konstanten Verlus-
ten durch eine konstante Wärmedurchgangszahl beschrieben (Gleichung (4.8)). Dieser
Verlustanteil ist in erster Näherung linear abhängig von der Differenz zwischen Absor-
ber- und Umgebungstemperatur und umgekehrt proportional zur solaren Einstrahlung
(Gleichung (4.13)).
0,8
600
lung auf die horizontale Emp-
fangsfläche; Abs Absorbertem- thermische Verluste
0,6
peratur; e Umgebungstem- 400
peratur; u. a. nach [4.5, 4.6]) 0,4
200
0,2 Nä
he
run
real g
0,0 0
0 20 40 60 80 100 120
Temperaturdifferenz θAbs – θe in K
262 M. Kaltschmitt et al.
1,0
Brauch- Raum- Prozesswärme
0,9 Schwimmbad-
warm- heizung absorber
wasser
Kollektorwirkungsgrad
0,8 Nicht selektiver
0,7 Flachkollektor
Selektiv besch.
0,6 Flachkollektor
Schwimmbadheizung
Vakuum-
0,5 Röhrenkollektor
0,4
0,3
0,2
0,1
0,0
0,00 0,02 0,04 0,06 0,08 0,10 0,12 0,14 0,16 0,18 0,20 0,22 0,24
.
Spez. Temperaturdifferenz ((θAbs - θe )/GG) in K/(W/m²)
Tabelle 4.3 zeigt einige typische Kenndaten und wichtige Anwendungsbereiche der in
Mittel- und Nordeuropa am häufigsten eingesetzten Flüssigkeitskollektoren. Die Tempe-
raturen des Wärmeträgermediums im Kollektor liegen – je nach meteorologischen Be-
dingungen und Kollektorbauart – im Betrieb zwischen 10 und etwa 100 ı C. Typische
Anwendungen sind die solare Freibadbeheizung, die teilweise Deckung der Trinkwarm-
wassernachfrage in Haushalten primär von Ein- und Mehrfamilienhäusern sowie die ge-
koppelte teilweise solarthermische Trinkwarmwasser- und Raumwärmebereitstellung (so-
lares Kombisystem). Zunehmend werden auch Anwendungen der Fernwärmeeinspeisung,
der Niedertemperaturprozesswärmebereitstellung und der thermischen Kühlung mittels
Absorptionswärmepumpen mit thermischen Solaranlagen unterstützt.
.
mKol
ΔθKol
ΔpKol
Serienschaltung Parallelschaltung
(Low-Flow-Prinzip) (High-Flow-Prinzip)
. . . .
mges = mKol mges = 4 mKol
Δθges = 4 ΔθKol Δθges = ΔθKol
Δpges = 4 ΔpKol Δpges = ΔpKol
. .
mges mges
Abb. 4.18 High-Flow (rechts) und Low-Flow (links) Anordnung (zur Erklärung der Formelzeichen
siehe Text) [4.6]
lektor führen; der dadurch entstehende Dampf blockiert dann die Durchströmung und
kann die Leistung des Kollektorfeldes reduzieren. Außerdem muss ein in das Gesamt-
system zu integrierendes Expansionsgefäß das entstehende Dampfvolumen aufnehmen
können, da ansonsten das erstandene Volumen über das Überdruckventil abgeblasen wird
und nachgefüllt werden muss.
Die Solarkollektoren können in Reihe oder parallel geschaltet werden; zusätzlich sind
auch Kombinationen möglich. Beides wird nachfolgend diskutiert.
Durch eine Serienschaltung von Kollektoren addieren sich die Temperaturhübe der ein-
zelnen Kollektoren Kol zum gesamten Temperaturhub im Kollektorfeld ges . Der
Gesamtmassen- bzw. der Gesamtvolumenstrom des Wärmeträgermediums m P ges bzw.
VPges entspricht dem Massen- bzw. Volumenfluss durch jeden Einzelkollektor mP Kol bzw.
P
VKol . Damit ist der spezifische Massen- bzw. Volumenstrom bezogen auf die Gesamtflä-
che des Kollektorfeldes vergleichsweise gering (Low-Flow) (Abb. 4.18). Dem Vorteil
gegenüber der Parallelschaltung, dadurch schnell warmes Wasser verfügbar machen
zu können, steht als Nachteil – aufgrund der größeren Temperaturdifferenz – ein hö-
herer Wärmeverlust vom Absorber an die Umgebung entgegen (d. h. insgesamt ein
niedrigerer Gesamtwirkungsgrad der entsprechenden Solaranlage). Der höhere Druck-
verlust von seriell geschalteten Kollektoren wird durch die geringeren Druckverluste
in der Rohrleitung aufgrund des kleineren Gesamtmassenstroms ausgeglichen. Bei
der Serienschaltung werden die Kollektorflächen auch typischerweise gleichmäßiger
4 Solarthermische Wärmenutzung 265
durchströmt. Dabei muss aber das hydraulische Layout auf den Gesamtmassenstrom
abgestimmt sein. Bei der Auswahl der Pumpen muss zudem auf die unterschiedli-
chen Charakteristiken von Serien- und Parallelschaltung Rücksicht genommen werden.
Low-Flow Anlagen mit einem hohen Temperaturhub (bis zu 40 K) werden mit ei-
nem Volumenstrom im Solarkreis zwischen 10 bis 15 L=.h m2Kollektorfläche / bzw. einem
Massenstrom von 10 bis 15 kg=.h m2Kollektorfläche/ betrieben (Abb. 4.18). Derartige Sys-
teme werden deshalb typischerweise so ausgelegt, dass sie die Speicher dergestalt
beladen, dass das im Kollektor auf hohe Temperatur aufgewärmte Wasser möglichst
ohne große Temperaturverluste (z. B. durch Mischung im Speicher, bei den Mischven-
tilen) bis zum Verbraucher geleitet wird. Dabei ist aber immer ein Wärmeübertrager
zwischen der Wasser-Frostschutz-Mischung des Kollektorfluids und dem bereitzustel-
lenden Heizungs- bzw. Trinkwarmwasser notwendig. Um die hohen Temperaturhübe
an den Speicher weiterzugeben, kommen externe oder interne Gegenstrom-Wärme-
übertrager gekoppelt mit Schichtladeeinheiten (siehe unten) zur Anwendung.
Durch die Parallelschaltung der Kollektoren (High-Flow) addieren sich die Massen-
bzw. Volumenströme m P Kol bzw. VPKol der Einzelkollektoren zu m
P ges bzw. VPges im Ge-
samtkollektorfeld. Hierbei ist der Temperaturhub des Gesamtfeldes ges gleich dem
Temperaturhub jedes einzelnen Kollektors Kol . High-Flow Anlagen werden meist
mit einem internen Wendelrohr-Wärmeübertrager zur Wärmeabgabe an den Wär-
mespeicher betrieben, da der Temperaturhub im Kollektorfeld nur vergleichsweise
gering ist und die Temperaturmischung im Speicher daher kaum zu Effizienzverlusten
im Kollektor führt. High-Flow Anlagen weisen mit einem maximalem Tempera-
turhub von 10 K Volumenströme ca. 50 L=.h m2Kollektorfläche / bzw. Massenströme von
50 kg=.h m2Kollektorfläche/ auf (Abb. 4.18). Kleine Anlagen in Einfamilienhäusern und /
oder mit weniger als 20 m2 Kollektorfläche werden zumeist nach diesem High-Flow
Prinzip ausgelegt. Die höheren hydraulischen Verluste, die durch den größeren Durch-
fluss entstehen, sind bei derartigen kleinen Anlagen wegen den insgesamt geringen
Verrohrungsbedürfnissen weitgehend vernachlässigbar.
Größere solarthermische Anlagen sind in der Regel nach dem Low-Flow Prinzip aus-
gelegt, weil dieser Ansatz für diesen Anwendungsfall eine Reihe von Vorteilen bietet.
Hier werden eine entsprechende Anzahl von Kollektoren als Module in Serie geschaltet
und die Kollektormodule ihrerseits werden parallel verschalten. Durch die hohe Anzahl
von in Serie geschalten Kollektoren ist der Verrohrungsaufwand relativ gering. Auch
werden infolge des geringen Durchflusses im Vergleich zum High-Flow Prinzip kleine-
re Rohrquerschnitte der Verbindungsleitungen, kleinere Pumpen (allerdings mit größerer
Förderhöhe) und weniger Flüssigkeit im Solarkreis benötigt. Das alles führt insgesamt zu
geringeren Investitionen im Vergleich zu High-Flow Anlagen.
Bei Großanlagen für Fernwärmenetze wird die Solaranlage oft auch mit einem varia-
blen Volumenstrom (Matched Flow) betrieben, durch den die Kollektoraustrittstemperatur
in einem weiten Bereich unabhängig von der Solarstrahlung auf die Solltemperatur des
Wärmeverbrauchers geregelt werden kann. Dadurch können nicht benötigte Übertempe-
266 M. Kaltschmitt et al.
muss die Statik des Daches die Kollektorlast sicher aufnehmen (Indachkollektoren sind
hierbei oft leichter als die ursprünglich im Regelfall vorgesehenen Dachziegel),
soll die Verankerung im Dach eine Abtrennung der Kollektoren vom Dach (z. B. bei
Wind) auf Dauer sicher vermeiden und
darf die Wärmedehnung der Kollektoren und Leitungen nicht behindert werden.
Die Dachintegration ist i. Allg. unauffälliger und billiger im Vergleich zu der Auf-
dachmontage. Sie wird bevorzugt bei Neubauten eingesetzt. Zusätzlich werden dabei die
Kosten der alternativ dazu notwendigen Dacheindeckung im Kollektorbereich eingespart.
Bei der nachträglichen Montage werden die Kollektoren oft über den Dachziegeln an-
gebracht. Bei dieser im Vergleich zu Indachinstallation einfacheren Montage wird die
Dachhaut nicht verletzt. Auch sind bei Undichtigkeiten des Kollektors oder Schäden an
der Kollektorverglasung Folgeschäden am Gebäude weitgehend ausgeschlossen.
Die Montage der Kollektoren auf ebenen Flächen (z. B. auf Flachdächern, in Gärten)
erleichtert gegenüber der Schrägdachmontage eine optimale Ausrichtung und Neigung
in Bezug auf die standortspezifische Solarstrahlung. Meist werden dabei standardisierte
Gestelle verwendet, in die der Kollektor bzw. die Kollektoren integriert werden. Bei der
Gestellanordnung müssen Abschattungen – sowohl extern z. B. von umgebenden Gebäu-
den oder Bäumen als auch intern beispielsweise der einzelnen Gestelle untereinander –
möglichst weitgehend vermieden werden. Hierbei kann es sinnvoll sein, die Kollektoren
nur vergleichsweise gering zu neigen (z. B. 20ı ). Infolge der hierdurch geringeren internen
Abschattung können dann auf der gleichen Grundfläche insgesamt größere Kollektor-
flächen aufgestellt und damit bei gegebener Dachfläche die Energieerträge maximiert
4 Solarthermische Wärmenutzung 267
Neigungswinkel (Grad)
West 90° 70° 50° 30° 10° 10° 30° 50° 70° 90° Ost
100 %
95 %
90 %
85 %
Südwest Südost
Himmelsrichtung
Süd
Abb. 4.19 Durchschnittliche Abminderung des maximalen solaren Deckungsgrads einer solarther-
mischen Trinkwarmwasserbereitungsanlage mit ca. 60 % solarem Deckungsgrad für einen Standort
in Mitteldeutschland infolge einer nicht direkten Südausrichtung (Azimut) und einer Variation der
Neigung der Kollektorfläche (nach [4.1], modifiziert)
werden. Außerdem sinken die Aufständerungskosten durch kleinere Gestelle und gerin-
gere Windlasten. Der Minderertrag durch eine gegenüber der optimalen Aufständerung
flachere Neigung der Absorberoberfläche ist bei Anlagen mit kleinen solaren Deckungs-
graden i. Allg. gering.
Die Kollektoren sollten für einen maximal nutzbaren Solarertrag möglichst nach Sü-
den ausgerichtet und unter mitteleuropäischen Bedingungen – je nach Breitengrad des
Standortes – mit einer Neigung zwischen 20 und 60ı zur Waagerechten installiert werden.
Bei höheren solaren Deckungsgraden und insbesondere bei der Nutzung der Solarener-
gie auch zu Heizzwecken verlagert sich der Nutzen auch in die Übergangszeit und den
Winter. Da jedoch in diesen Zeiträumen die Sonne auf der Nordhalbkugel in Tagesdurch-
schnitt (im Winterhalbjahr) flacher einstrahlt, sollten solche Kollektorfelder im Sinne einer
Maximierung der Energieerträge zu den Jahreszeiten mit Raumwärmenachfrage (d. h.
Übergangszeit und Winter) eher steiler geneigt werden.
Abb. 4.19 zeigt exemplarisch die Verläufe der Abminderung des maximalen solaren
Deckungsgrads einer solarthermischen Anlage zur ausschließlichen solaren Trinkwarm-
wasserbereitung mit etwa 60 % solarer Deckung – und daher der Hauptnutzung vorwie-
gend im Sommer – für einen Standort in Mitteldeutschland. Demnach ist die Deckungs-
gradabminderung in einem Bereich von ˙25ı Neigung und ˙35ı Ausrichtungsvariation
von der Südrichtung (Azimut) nur relativ gering. Solche Abweichungen von dieser Ideal-
ausrichtung wirken sich daher i. Allg. nicht signifikant auf den solaren Wärmeertrag aus.
Deshalb besteht in vielen Fällen die Möglichkeit, die Kollektoren dachintegriert – und
damit ohne eine separate Aufständerung – zu montieren; Dachneigung und -ausrichtung
eines Wohnhauses werden typischerweise nicht im Sinne einer Maximierung der Solarer-
träge realisiert.
268 M. Kaltschmitt et al.
Wasser erfüllt die meisten dieser Anforderungen sehr gut. Problematisch ist jedoch die
Einfrierungsgefahr bei Temperaturen unter 0 ı C. Wasser ohne Zusätze ist daher nur in den
wärmeren Zonen der Erde (d. h. Gebiete ohne Frostgefahr) problemlos einsetzbar.
In Mittel- und Nordeuropa werden aufgrund der Frostproblematik überwiegend Mi-
schungen aus Wasser und Frostschutzmittel verwendet. Dem Frostschutzmittel wird meis-
tens zusätzlich noch ein Korrosionsschutzmittel beigemischt, da Mischungen aus Was-
ser und Frostschutzmittel oft korrosiver wirken als reines Wasser. Die gängigsten Stoffe
sind Äthylenglykol und Propylenglykol; bei Trinkwarmwasseranlagen wird meistens das
lebensmittelechte Propylenglykol eingesetzt. Nachteile dieser Beimischung sind die im
Vergleich zu Wasser geringere spezifische Wärmekapazität, die höhere Viskosität und die
verringerte Oberflächenspannung des Flüssigkeitsgemischs. Die Mischung kann daher
durch Poren dringen, die für reines Wasser undurchlässig sind. Zudem sind die Druck-
verluste höher und der Wärmeübergang schlechter, so dass wesentliche Komponenten
(Pumpen, Leitungsquerschnitte, Wärmeübertrager) an dieses Gemisch angepasst werden
müssen. Mittlerweile sind auch speziell für Solaranlagen mit Stillstandsbetrieb bis 170 ı C
beständige vorgemischte Wärmeträgerflüssigkeiten auf Basis von Propylenglykol in Ver-
bindung mit Alkylenglykolen und vollentsalztem Wasser verfügbar.
Leitungen Kollektor und Speicher werden durch Leitungen miteinander verbunden. An-
lagengröße und Absorbermaterial bestimmen hier die Materialauswahl. Meistens werden
Rohre aus hartem oder weichem Kupfer oder Wellrohre aus Edelstahl eingesetzt; daneben
kommen auch Rohre aus Stahl und Polyethylen zur Anwendung. Letztere werden jedoch
nur bei Anlagen zur Schwimmbadwassererwärmung eingesetzt, da hier sicher keine Tem-
peraturen über 90 ı C auftreten können. Bestehen die Absorberrohre aus Aluminium, ist die
Verwendung von Kupferrohren aufgrund der damit verbundenen Korrosionsgefahr nicht
sinnvoll; zumindest muss aber eine galvanische Trennung realisiert werden. Hier kommen
zukünftig eventuell auch Aluminiumrohre zum Einsatz.
Querschnitt und Verlegungsart der Rohre bestimmen den zu überwindenden Druckab-
fall und die in den Leitungen enthaltene Masse bzw. Volumen des Wärmeträgermediums.
4 Solarthermische Wärmenutzung 269
Große Querschnitte vermindern den Druckabfall; sie erschweren aber die Regelung, da die
träge Masse des Rohrleitungsnetzes mit dem Querschnitt zunimmt. Außerdem vergrößert
sich dadurch auch die Leitungsoberfläche; dadurch steigen die Wärmeverluste entspre-
chend an.
Zur Verminderung von Wärmeverlusten sind die Leitungen des Kollektorkreislaufes zu
dämmen. Als Materialien kommen dafür Mineralwolle, Rohrschalen aus Polyurethan und
Schaumgummi in Frage. Zunehmend werden zur schnellen Montage vorisolierte Doppel-
rohre aus Edelstahl-Wellrohr mit inkludierter Kollektorfühlerleitung verwendet.
Die trotz Wärmedämmung noch auftretenden Wärmeverluste in den Leitungen liegen
bei den gängigen solarthermischen Anlagen zur Warmwasserbereitstellung bei etwa 10
bis 15 % der vom Kollektor abgegebenen Energie [4.6].
gar Antikorrelation von solarem Strahlungsangebot und der Wärmenachfrage der privaten
Haushalte bzw. der anderen angeschlossenen Wärmenachfrager.
Aufgabe eines derartigen Wärmespeichers ist es, die im Kollektor mittels Solarstrah-
lung erzeugte Wärme zwischen zu speichern und für die Zeitperioden bereitzuhalten, in
denen sie vom Konsumenten benötigt wird (Kapitel 14). Ein solcher Wärmespeicher be-
steht im Regelfall aus einem Wärmespeichermedium, einer festen, gut wärmegedämmten
Umhüllung sowie den entsprechenden Einrichtungen zur Wärmezu- und -abfuhr.
Für das Wärmespeichermedium ist die jeweilige spezifische Wärmekapazität eine
wichtige Kenngröße; darunter versteht man die Wärmemenge, die zur Temperaturer-
höhung einer bestimmten Stoffmenge um 1 K notwendig ist. Im Gebäudebereich ist
dabei immer die auf das Volumen bezogene Speicherkapazität relevant, da umbauter
Raum einen Kostenfaktor darstellt. Weitere Kriterien technischer Art, die den Einsatz
eines Materials als Wärmespeichermedium für diesen Anwendungsfall (mit-)bestimmen,
sind die kostengünstige Verfügbarkeit, die Verträglichkeit mit anderen Materialien (z. B.
Korrosionsgefahr) sowie die Umweltverträglichkeit.
Speicherbauarten können nach der Wärmespeicherungsart (chemisch, thermisch) und
dem Zustand des Speichermaterials unterschieden werden. Im Bereich der solaren Nieder-
temperaturwärmespeicherung (bis ca. 80 ı C) wird hauptsächlich die thermische Wärme-
speicherung angewendet. Hierfür kommen im Wesentlichen Flüssigkeitsspeicher (hier:
Wasserspeicher), Feststoffspeicher und in sehr seltenen Fällen auch Latentwärme- bzw.
Sorptionsspeicher vor (Kapitel 14). Sie werden nachfolgend diskutiert.
Volumen Wärme-
dämmung
ausschließ-
lich für die Temperatur-
fühler
Solaranlage
Wärme-
übertrager
Solaranlage
Nicht nutzba-
Kaltwasser-
res Volumen
zulauf
(„Totvolumen“)
Nachheizung befindet sich am oberen Ende des Speichers. Seine Größe bestimmt sich aus
der Leistung und der gewünschten Mindestlaufzeit der Nachheizung (Abb. 4.20).
Als korrosionsbeständiges und langlebiges Tankmaterial werden für Trinkwarmwas-
serspeicher Edelstahl bzw. emaillierter oder temperaturfest (ca. 120 ı C) beschichteter
Stahl eingesetzt; in Einzelfällen kann auch temperaturbeständiger glasfaserverstärkter
Kunststoff genutzt werden. Für Speicher mit Heizungswasser werden zumeist sogenannte
„schwarze“ Speicher verwendet; sie bestehen aus unbehandelt oder lackiertem Stahl. Ein
derart geringer Korrosionsschutz ist aufgrund des fehlenden dauernden Eintrags von im
Wasser gelösten Sauerstoff in geschlossenen Heizungssystemen möglich. Zusätzlich dazu
gibt es auch Entwicklungen für den Aufbau flexibler Speicher, die vor Ort mittels eines
Stahlgerüsts, einer Wärmedämmung in Bausteinen und einer innenverschweißten Folie
aufgebaut [4.8] oder aus einzelnen Segmenten zusammengesetzt werden.
Zumeist ist ein Tank außen mit Mineralwolle, Weichschaum oder Spezialkunststoffen
gedämmt. Zur Vermeidung von Wärmebrücken sind insbesondere auch Anschlussflansche
und Befestigungen gegen Wärmeverluste zu schützen. Die trotzdem noch vorhandenen
Wärmeverluste liegen bei richtig ausgelegten solarthermischen Anlagen zur Trinkwarm-
wasserbereitstellung im Jahresmittel zwischen 10 und 15 % der vom Kollektor an den
Speicher abgegebenen Wärme.
Wird die solare Wärme mit einem internen Wärmeübertrager im Speicher auf das Spei-
chermedium übertragen, ist aufgrund der Temperaturschichtung im Medium Wasser – das
spezifisch schwerere kalte Wasser befindet sich unten und das leichtere warme Wasser
oben – der Wärmeübertrager des Kollektorkreislaufs unten im Speicher anzuordnen. Da-
mit kann der Kollektor immer im tiefsten möglichen Temperaturniveau und damit mit
dem höchsten möglichen Wirkungsgrad betrieben werden. Das Temperaturprofil im Was-
serspeicher ist auch die Ursache dafür, dass sich der Kaltwasserzulauf immer unten und
der Trinkwarmwasserablauf oben im Speicher befinden. Der Wärmeübertrager für die in-
272 M. Kaltschmitt et al.
terne Nachheizung für den Fall, dass die Solaranlage beispielsweise im Winter aufgrund
geringer Solarstrahlung oder bei schlechtem Wetter nicht ausreichend Wärme liefert, be-
findet sich im oberen Bereich des Speichers und heizt nur das Bereitschaftsvolumen. Das
untere Volumen steht damit ausschließlich der Solaranlage zur Verfügung.
Die Größe des Bereitschaftsvolumens für die Nachheizung bemisst sich aus dem tägli-
chen Verbrauch (typischerweise 120 bis 150 L für einen Vier-Personen-Haushalt aufgrund
des Bedarfs einer Badewanne plus Reserve). Für alle größeren Warmwassersysteme muss
zur Erfüllung der gesetzlichen Vorgaben bzw. aus Hygienegründen (Legionellenproblema-
tik, siehe unten) eine tägliche Erhitzung des gesamten Trinkwarmwasserzulauf im System
auf über 60 ı C bzw. bei einer Zirkulationsleitung des Rücklaufs auf 55 ı C gewährleistet
werden [4.36, 4.37].
Wird die thermische Solaranlage sowohl für die Trinkwarmwasserbereitung als auch
die Raumheizung eingesetzt, können entweder separate Wärmespeicher für Trink-
warmwasser und für die Heizungsunterstützung oder kombinierte Speicher, sogenannte
Kombispeicher, verwendet werden. Bei letzterer Option ist sicherzustellen, dass die Hy-
gienevorschriften zur Trinkwarmwasserbereitstellung sicher eingehalten werden können.
Abb. 4.21 bis 4.23 zeigen beispielhaft die hydraulischen Möglichkeiten der Trinkwarm-
wasserbereitstellung, der Einbringung der vom Kollektorsystem kommenden Solarwärme
sowie der Entnahme für die Heizung für solche Kombispeicher. Dabei sollte immer die
oberste Zone des Kombispeichers für die Trinkwarmwasserbereitung reserviert sein, da
die meisten heute verwendeten Heizungssysteme geringere Temperaturen als die Trink-
warmwasserbereitung benötigen. Der mittlere Teil sollte der Heizung vorbehalten sein.
Der untere Teil dient dann für die Vorwärmung des Trinkwarmwassers; bei Niedertempe-
raturheizungen kann dieser Teil auch für die Heizung genutzt werden.
Trinkwarmwasser
Pumpe Wärme-
Trinkwarmwasser Trinkwarmwasser
übertrager
Speicher im
Speicher Kaltwasser
Kaltwasser Kaltwasser
Wärme-
über-
trager
Die Einbringung der Solarwärme in den Wärmespeicher ist abhängig von der Kollek-
torverschaltung. Nachfolgend werden deshalb unterschiedliche gängige technische Lö-
sungen dargestellt (Abb. 4.22). Alle diese Schichtladeeinheiten dienen dazu, dass das
im Kollektor auf eine relativ hohe Temperatur aufgeheizte Wasser im Speicher nicht auf
niedrigere Temperaturen heruntergemischt wird und dadurch entstehende entsprechende
Verluste vermieden werden.
274 M. Kaltschmitt et al.
vom
Kollektor
zum
Kollektor
Abb. 4.22 Möglichkeiten der Übergabe der Solarwärme in Kombispeichern (interner Spiral-
wärmeübertrager (links), interner Spiralwärmeübertrager mit Schichtlader (Mitte, links), externer
Wärmeübertrager (Mitte, rechts), externer Wärmeübertrager mit Schichtlader (rechts)), nach [4.35]
Speicher
Speicher
Schichtlader
Schichtlader
Warmwasser- Warmwasser- Warmwasser- Warmwasser-
Speicher entnahme Speicher entnahme entnahme entnahme
Abb. 4.23 Möglichkeiten der Entnahme der Heizungswärme in Kombispeichern (direkte Anbin-
dung (links), direkte Anbindung mit Rücklauf Schichtlader (Mitte, links), direkte Anbindung von
unten (Mitte, rechts), direkte Anbindung von unten mit Rücklauf Schichtlader (rechts)) (nach [4.35])
Bei solarthermischen Anlagen werden externe (d. h. der Wärmeübertrager ist außerhalb
des eigentlichen Speichers installiert) und interne Wärmeübertrager (d. h. der Wärmeüber-
trager ist innerhalb des eigentlichen Speichers installiert) eingesetzt.
der relativ kleine Wärmeübergang und die dadurch vergleichsweise große notwendige
Temperaturdifferenz und die beschränkte Größe.
Externe Wärmeübertrager werden fast immer als Gegenstromwärmeübertrager ausge-
führt. Gebräuchlich sind Platten-, Rohrbündel- (für Großanlagen) und Koaxialwärme-
übertrager (Kapitel 8.2 und 9.2). Vorteile solcher externer Wärmeübertrager sind die
höheren Wärmeübertragungsleistungen bei relativ geringer Temperaturdifferenz sowie
die Möglichkeit, das erwärmte Wasser oben im Speicher einzubringen. Daher wer-
den sie bevorzugt bei Kollektorflächen über 15 bis 20 m2 eingesetzt. Auch kann eine
bessere Temperaturschichtung im Speicher als bei internen Wärmeübertragern erreicht
werden. Nachteilig sind die höheren Wärmeverluste, der größere Platzbedarf und eine
zusätzlich benötigte Pumpe im Sekundärkreis.
Da die Wärmekapazität von Beton oder Gestein deutlich niedriger ist als diejenige
von Flüssigkeiten (Kapitel 14), sind für die gleiche Speicherkapazität etwa zwei- bis
dreimal größere Volumina notwendig. Zudem erfordert die Wärmeein- und -ausbringung
bei geringen Temperaturdifferenzen große Wärmeübertragerflächen, die gleichmäßig im
Speicher verteilt sein müssen. In direkt mit dem Wärmeträger (d. h. der solartechnisch
erwärmten Luft) durchströmten Schüttungen und den Hypokausten entfällt dieser Wär-
meübertrager. Dem Nachteil des größeren Platzbedarfs steht als Vorteil die einfachere
Herstellung gegenüber, da der Gesteinsspeicher drucklos betrieben wird. Weiterhin wer-
den an ihn wenige Anforderungen bezüglich Dichtigkeit gestellt und er kann auch bei sehr
hohen Temperaturen betrieben werden.
Umwandlungswärme Umwandlungswärme
(latente Wärme) (latente Wärme)
Siedetemperatur
Schmelztemperatur
fest und flüssig flüssig und gasförmig
flüssig gasförmig
(schmelzen) (verdampfen)
fest
Wärmemenge
Derartige Latentwärmespeicher zeichnen sich bei der Ladung und der Entladung nahe
der Temperatur des Phasenwechsels durch eine hohe Energiedichte aus. Im rein flüssigen
oder ausschließlich festen Bereich haben sie dagegen bestenfalls ähnliche Stoffwerte wie
Wasser. Da die Phasenwechselmaterialien zumeist nicht gleichzeitig auch der Wärmeträ-
ger zum Wärmeerzeuger und / oder Wärmeverbraucher sind, müssen sie im Speicher vom
Wasser als das üblicherweise eingesetzte Wärmeträgermedium getrennt werden. Diese
Trennung kann entweder durch Behälter, in denen sich das Phasenwechselmaterial be-
findet, oder durch Speicher mit Phasenwechselmaterial realisiert werden, in denen vom
Wärmeträgermedium durchflossene Wärmeübertrager angebracht sind. Die Behälter kön-
nen dabei als Platten, Kugeln oder Zylinder mit maximal einigen cm Stärke oder als
Mikroverkapslung mit Kapseln von nur einigen µm Durchmesser realisiert werden. In
letzterem Fall können die Mikrokugeln auch als Suspension mit Wasser als Wärmeträger
gepumpt werden. Dann ist die maximale Anzahl derartiger Kugeln jedoch aufgrund der
Zähigkeit der Suspension mit ca. 35 % Anteil an Phasenwechselmaterial begrenzt.
Die Wärmezufuhr muss aufgrund des Wärmeübergangs vom Wärmeträgermedium
(meist Wasser) auf den Behälter mit Phasenwechselmaterial und des Wärmedurchgangs
im Phasenwechselmaterial bei höherer Temperatur als die Schmelztemperatur des Pha-
senwechselmaterials stattfinden. Umgekehrt kann bei der Entladung aus dem gleichen
Grund nur eine geringere Temperatur als die Erstarrungstemperatur genutzt werden. Die
daraus resultierenden Temperaturverluste sind umso größer, je höher die Wärmeleistung
in Bezug auf die Wärmeübertrageroberfläche ist. Damit können Wärmezu- und -abfuhr
nicht bei gleicher Temperatur vorgenommen werden.
Außerdem treten beim Phasenwechsel Volumenänderungen auf, die technisch be-
herrscht werden müssen. Hinzu kommen die Mehrkosten von Phasenwechselmaterial
und Containern bzw. Wärmeübertragern gegenüber den üblicherweise eingesetzten rei-
nen Wasserspeichern. Verschiedene Materialien können zudem bei der Wärmeabfuhr
unterkühlen; dies muss dann durch entsprechende Zusätze sicher verhindert werden.
Allerdings kann die Unterkühlung auch aktiv zur saisonalen Speicherung genutzt wer-
den. Wird das flüssige Phasenwechselmaterial auf Raumtemperatur – ohne zu erstarren
– abgekühlt, kann die latente Wärme beliebig lange gespeichert werden. Durch einen
Impuls kann dann der Erstarrungsvorgang ausgelöst und dann die dabei freiwerdende
Wärme entnommen werden. Die Wärme, die beim Auskühlen abgegeben wird, ist aller-
dings „verloren“. Außerdem benötigt ein solcher Saisonspeicher eine Segmentierung in
viele kleine Speicher, die der Reihe nach aktiviert werden können. Dieses Prinzip wird
z. B. bei den regenerierbaren Handwärmern angewendet. Werden anorganische Salze als
Phasenwechselmaterialien verwendet, treten zusätzlich Korrosionsprobleme auf [4.9].
Eine Spezialform des Latentwärmespeichers stellen Sorptionsspeicher dar, die den
Phasenübergang flüssig zu gasförmig nutzen. Als Sorbens kann z. B. Silikagel eingesetzt
werden. Bei der Beladung wird über eine Wärmezufuhr Wasser aus dem Silikagel als
Wasserdampf ausgetrieben. Dies erfolgt ab Temperaturen von 60 ı C; damit kann die Wär-
me, wie sie mithilfe von Sonnenkollektoren bereitgestellt werden kann, gut eingesetzt
werden. Das getrocknete Silikagel kann außerdem leicht gelagert werden. Zur Wärme-
4 Solarthermische Wärmenutzung 279
entnahme wird Wasserdampf über das Silikagel geführt, welches in einer exothermen
Reaktion das Wasser adsorbiert. Die hierbei entstehende Wärme, bei der es sich primär
um Kondensationswärme und zu einem geringeren Teil um chemische Bindungswärme
handelt, ist dann nutzbar. Der Wasserdampf kann aufgrund niedriger absoluter Betriebs-
drücke (10 bis 100 mbar) über Sonnenkollektoren auch im Winter erzeugt werden. Jedoch
wird nur geringfügig mehr Energie bei der Adsorption frei, als für die Erzeugung des
Wasserdampfs eingesetzt werden muss – allerdings bei bis zu 40 ı C höherer Temperatur.
Somit ist der Sorptionsspeicher beim Entladen eine Art Wärmepumpe (vgl. Kapitel 8).
Die Energiedichten werden mit 150 bis 250 kWh/m3 angegeben. Bisher sind jedoch noch
keine Latentwärmespeicher für Solaranlagen am Markt verfügbar [4.10].
Kurzzeitspeicher speichern Wärme lediglich für einige Stunden; ein typisches Beispiel
ist die direkte Speicherung im Estrich einer Fußbodenheizung.
Tagesspeicher sind in der Lage, Wärme einen bis mehrere Tage zu speichern; dies
ist der „klassische“ Anwendungsfall für solarthermische Trinkwarmwasseranlagen und
teilsolare Heizungsanlagen mit solaren Deckungsgraden von bis ca. 60 %.
Saisonale Wärmespeicher sollen Wärme im Verlauf eines Kalenderjahres (oder sogar
mehrjährig) speichern. Der typische bzw. „klassische“ Anwendungsfall für Solarsys-
teme ist die Speicherung der im Sommer eingelagerten Wärme bis in den Winter,
wo sie dann für die Raumwärmebereitstellung genutzt werden kann; d. h. saisona-
le Speicher werden vorrangig dann eingesetzt, wenn die solarthermische Anlage im
Jahresverlauf die gegebene Wärmenachfrage möglichst vollständig decken soll. Dazu
werden große Speichervolumina benötigt. Zur Anwendung können Wasser-, Aquifer-
und Sondenspeicher kommen (Abb. 4.25). Ein wesentliches Problem bei allen saiso-
nalen Speichern ist der z. T. erhebliche Temperatur- und damit der Energieverlust im
Verlauf des Speicherzeitraums [4.11]. Oft werden Großspeicher deshalb auch mit Wär-
mepumpen (vgl. Kapitel 8) kombiniert, um sie auch unter die notwendige Temperatur
der Nutzung abkühlen zu können. Nachfolgend werden die wesentlichen saisonalen
Speicheransätze kurz diskutiert (Abb. 4.25).
– Wasserspeicher können über- oder unterirdisch mit wärmegedämmter Stahl- oder
Betonumhüllung oder in abgeschlossenen Felskavernen angelegt werden.
– In natürlich vorhandenen Aquiferen (d. h. wasserdurchlässige, abgegrenzte Ge-
steinsformation wie z. B. ein oberflächennaher und stabiler Grundwasserleiter)
kann die Wärmespeicherung im Sommer durch die Entnahme von kaltem und die
Wiedereinleitung von mittels der Solaranlage erwärmtem Wasser über eine be-
stimmte lokal anzupassende Brunnenanordnung erfolgen; die Speicherentladung
im Winter wird genau umgekehrt realisiert (vgl. Kapitel 8). Um das typischerwei-
se gewünschte Temperaturniveau auf der Wärmenutzungsseite sicherzustellen, ist
dazu aber eine Wärmepumpe zwingend notwendig. Wichtig ist, dass das in den
280 M. Kaltschmitt et al.
Heißwasserspeicher Erdsondenspeicher
Winter Sommer Sommer Winter
Erdoberfläche
Erdoberfläche
unter- 30 bis
irdisches 100 m
Wasser-
becken Erdsonden
Aquifer-Wärmespeicher Kies/Wasser-Wärmespeicher
Wärmeübertrager Sommer Winter
Beladung Entladung Erdoberfläche
kalter warmer
Brunnen Erdoberfläche Brunnen
obere Gesteinsschicht
vorhandener
Aquifer
untere Gesteinsschicht Becken mit Kies-Wasser-Füllung
Mess- und Regeleinrichtungen Anzahl und Art der Mess- und Regeleinrichtungen
hängt weitgehend vom Anlagenkonzept ab. Naturumlaufanlagen beispielsweise benöti-
gen im Normalfall keine aktiven Regelungseinrichtungen. Bei Zwangsumlaufanlagen, die
in Mittel- und Nordeuropa hauptsächlich angewendet werden, wird der Kollektorkreis-
lauf meist mit einer Temperaturdifferenzregelung aktiv geregelt. Temperaturfühler im
Kollektor und im Speicher messen die Temperatur und setzen sie in elektrische Signale
um.
4 Solarthermische Wärmenutzung 281
Beim internen Wärmeübertrager wird die Temperatur im Speicher in Höhe des Wär-
meübertragers gemessen, von dem die Wärme vom Kollektorkreislauf an den Speicher
abgegeben wird.
Bei externen Wärmeübertragern wird die Temperatur etwas über der Stelle des Auslas-
ses zum Wärmeübertrager messtechnisch erfasst.
Im Kollektor sollte die Messung der Temperatur an der heißesten Stelle – und damit in
der Nähe des Ausgangs Richtung Speicher – erfolgen.
sicher zu erreichen, muss sich der Solarkollektor gut entleeren können. Im schlech-
testen Fall muss die gesamte Wärmeträgerflüssigkeit, die sich im Kollektor befindet,
verdampfen und im System wieder kondensiert werden. Dies geschieht normalerwei-
se im Wärmeübertrager zum Speicher. In diesem Fall muss das Ausdehnungsgefäß
zusätzlich das Volumen der Rohrleitungen aufnehmen können [4.13]. Ein derartiges
Ausdampfen ist in vielen Fällen ein normaler Betriebszustand. Vorteil ist, dass hierbei
keine Hilfsenergie benötigt wird. Seit etwa dem Jahr 2000 sind hierfür temperaturbe-
ständige Wärmeträger verfügbar, sodass bei dieser Betriebsweise auch keine Gefahr
einer vorzeitigen Alterung des Wärmeträgers besteht. Die Umwälzpumpe sollte nach
einem derartigen Kollektorstillstand erst wieder einschalten, wenn die Kollektortem-
peratur unter 100 ı C abgesunken ist, damit sich mit Sicherheit kein ausgedampftes
Medium mehr im Kollektor befindet.
Drain-Back-Systeme. Das Drain-Back-Kollektorsystem (Abb. 4.26) löst die Still-
standsproblematik dadurch, dass ein Gasvolumen (Stickstoff oder Luft) in die Leitung
vom Kollektor zum Speicher entweder im Speicher selbst oder in einem zwischen-
geschalteten Gefäß eingebunden wird. Beim ordnungsgemäßen Betrieb der Anlage
rinnt die Wärmeträgerflüssigkeit durch das Gasvolumen. Tritt infolge der Anlagen-
regelung Kollektorstillstand ein, bewegt sich das Gasvolumen in den Kollektor und
die Kollektorflüssigkeit füllt den vormaligen Gasraum. Dies geschieht ohne Zusatz-
energie, bedingt jedoch, dass sich der Kollektor bzw. das Kollektorfeld ebenfalls
selbsttätig entleeren kann (u. a. fallende Rohre, keine „Flüssigkeitssäcke“). Das Gas
im Kollektor kann sich nun auf die Stillstandstemperatur erhitzen, ohne dass das Wär-
meträgermedium verdampfen muss. Beim Wiederanfahren drückt die Umwälzpumpe
das Gasvolumen aus dem Kollektor wieder in den vorgesehenen Behälter bzw. das
Wärmeträgermedium erneut in den Kollektor. Die Pumpe muss daher eine größere
Förderhöhe (d. h. größere Leistung) als herkömmliche Umwälzpumpen aufweisen.
Das Gasvolumen dient gleichzeitig als Ausdehnungsgefäß. Ist das Volumen dieses
Kaltwasser
4 Solarthermische Wärmenutzung 283
Wärme-
System ohne Umlauf
tauscher
Warm-
wasser Kalt-
Wärmeabnehmer wasser
(z. B. druckloser Wärmeabnehmer
Speicher) (z. B. druckfester
b c Speicher)
Kalt- Überdruckventil
wasser Ausdehnungsgefäß
a
Warm-
wasser
Wärme-
abnehmer
Wärmeabnehmer Wärmetauscher (z. B. druck-
(z. B. Schwimmbad) fester
Speicher)
Pumpe
d e Kaltwasser
Abb. 4.27 Grundkonzepte aktiver solarthermischer Anlagen (u. a. nach [4.5, 4.6])
unterschieden werden. Wird demgegenüber die Ausbildung des Solarkreislaufs als Unter-
scheidungsmerkmal herangezogen, lassen sich
unterscheiden.
Ausgehend von diesen Unterscheidungsmerkmalen können fünf Grundprinzipien von
Solaranlagen definiert werden, auf die alle derzeit am Markt befindlichen Systeme zu-
rückgeführt werden können. Sie sind mit den für die Funktionsfähigkeit und den sicheren
Anlagenbetrieb unabdingbar notwendigen Anlagenkomponenten in Abb. 4.27 dargestellt.
Anlagen ohne Umlauf (Abb. 4.27a) Bei diesem einfachsten aller möglichen Grundprin-
zipien sind Wärmeträger und die tatsächlich vom Nutzer verwendete Flüssigkeit typi-
scherweise dasselbe Medium (d. h. Wasser). Hier wird innerhalb des normalen Trink-
oder Trinkwarmwasserkreislaufs ein entsprechender (einfacher) solarthermischer Kollek-
tor (z. B. unverglaster Kollektor) integriert. Beim Durchströmen des Kollektors wird das
Wasser erwärmt und kann anschließend genutzt werden. Dieses Grundprinzip wird bei-
spielsweise bei Speicherkollektoren oder bei Systemen zur Schwimmbadwassererwär-
mung angewendet.
4 Solarthermische Wärmenutzung 285
Da der Kreislauf von der Umgebung abgeschlossen ist, befindet er sich in der Regel
unter einem höheren Druck. Geschlossene Naturumlaufsysteme benötigen daher ein Aus-
dehnungsgefäß, ein Entlüftungsventil und ein Entleerventil im Wärmeträgerkreis.
Offene Zwangsumlaufsysteme (Abb. 4.27d) Kann der Wärmeabnehmer bzw. der Wärme-
speicher nicht oberhalb der Kollektoren angeordnet werden, muss dem Wärmeträgermedi-
um ein Umlauf aufgezwungen werden (daher: Zwangsumlauf); dies wird typischerweise
durch eine Pumpe realisiert. Der dadurch realisierbare Vorteil, Kollektoren und Wär-
meabnehmer unabhängig voneinander anordnen zu können, hat beispielsweise bei der
Beheizung von Freibädern Bedeutung, in denen die Kollektoren üblicherweise auf Dä-
chern (z. B. der Umkleidekabinen) oder auf Freiflächen oberhalb des Speichers angeordnet
sind. Da Solaranlagen für Freibäder im Winter entleert werden, kann das Beckenwasser
direkt durch den Kollektor gepumpt werden. Die mit dieser Praxis verbundene Korrosi-
onsproblematik (chlorhaltiges Wasser) wird durch die Verwendung von Kunststoffrohren,
-fittingen und -kollektoren vermieden.
Wenn sich das Fluid im Kollektor schneller abkühlt als im Vorlauf, kann es in der
Nacht – wenn die Pumpe nicht betrieben wird – zu einer Umkehrung des durch die Pumpe
dem System aufgezwungenen Kreislaufs kommen. In diesem Fall drückt kalte Flüssigkeit
aus dem Kollektor nach unten und entzieht dem Speicher bzw. dem Wärmeübertrager
warmes Fluid. Dieser normalerweise unerwünschte Effekt kann z. B. durch den Einbau
eines Rückschlagventils in der Kollektorrücklaufleitung verhindert werden.
Text) Q̇Vd
Q̇Mensch
ṁein
ṁaus
Q̇Abs Q̇Trans,E
Pumpe Filter
Kessel
peraturen (maximal ca. 28 ı C) aufgeheizt werden muss, bringt die Verwendung von ein-
fachen und kostengünstigen nicht abgedeckten Absorbermatten (unverglaste Kollektoren,
Einfachstabsorber), die beispielsweise auf dem Dach der Umkleidekabine installiert wer-
den, vergleichsweise hohe Energieerträge.
Abb. 4.28 zeigt das Schema und die Wärmeströme eines derartigen solarbeheizten Frei-
bades. Ob eine, wie in Abb. 4.28 dargestellte, Zusatzheizung auf der Basis fossiler oder
regenerativer Energieträger (z. B. Erdgas, Holzpellets) notwendig ist, hängt von den stand-
ortspezifischen Anforderungen ab. Demnach setzen sich die Wärmegewinne des Freibads
zusammen aus der von den Absorbern an das Becken abgegebenen Energie QP Abs , aus den
Wärmegewinnen durch die Einstrahlung in das Becken QP G und aus der Wärmeabgabe der
Badenden (d. h. Beckenbenutzer) QP Mensch . Dem stehen als Verluste die konvektiven Wär-
meverluste QP Konv , die Abstrahlungsverluste QP S t r und die Verdunstungsverluste an der
Wasseroberfläche QP Vd sowie die Transmissionsverluste in das Erdreich QP Trans;E entge-
gen. Durch den Wasserumlauf (m P aus ) geht ebenfalls ein kleiner Teil an Wärme
P ei n bzw. m
verloren, da das ins Beckenwasser hineinströmende Wasser kälter ist als das hinausströ-
mende Wasser.
Die Summe der Strahlungs- und Konvektionsverluste (QP S t r und QP Konv ) ist näherungs-
weise linear abhängig von der Differenz zwischen der Beckenwassertemperatur und der
mittleren Lufttemperatur. Liegt die Außentemperatur über der Temperatur des Becken-
wassers, kehrt sich der konvektive Wärmestrom um; dann nimmt das Beckenwasser aus
der Umgebung konvektiv Wärme auf. Die Wärmeverluste aufgrund von Verdunstung sind
abhängig von der Beckenoberfläche, der Windgeschwindigkeit, der Luftfeuchtigkeit und
der Temperaturdifferenz des Wassers zur Umgebung. Die Transmissionsverluste an das
Erdreich sind gering und machen i. Allg. rund 3 % der gesamten Verluste aus.
Durch eine nächtliche Beckenabdeckung können die Konvektions-, Abstrahlungs- und
Verdunstungsverluste deutlich vermindert werden. Eine zehnstündige Abdeckung mit
handelsüblichen Absorbermaterialen reduziert die Verdunstungsverluste um ca. 30 % und
zusätzlich die Abstrahlungs- und Konvektionsverluste um ca. 16 %.
288 M. Kaltschmitt et al.
Der Energiegewinn durch die ins Becken gestrahlte und dort absorbierte Solarstrah-
lung hängt ab von der Beckenoberfläche und dem Absorptionsgrad von Beckenwasser
und Beckenboden. Der Absorptionsgrad nimmt von weiß über hellblau nach dunkelblau
als Beckenboden bzw. Beckenwandfarbe sowie mit zunehmender Wassertiefe zu. Ein zu-
sätzlicher Energiegewinn ist durch die Wärmeabgabe der Badenden (z. B. Schwimmer)
gegeben; beispielsweise liegt je nach Bewegung die Wärmeleistung je Schwimmer zwi-
schen 100 und 400 W.
Die über diesen Energiegewinn hinausgehende Energienachfrage muss von den Ab-
sorbern oder einer Zusatzheizung auf der Basis fossiler (z. B. Erdgas) oder regenerati-
ver Energieträger (z. B. Holzpellets) geliefert werden. Wird von einer rund 130-tägigen
Badesaison ausgegangen, werden je Quadratmeter Beckenoberfläche zwischen 540 und
1 620 MJ/m2 benötigt. Dann sollte die Absorberfläche etwa 50 bis 70 % der Beckenober-
fläche betragen, um – je nach Beckenabdeckung – eine mittlere Temperaturerhöhung
zwischen 3 und 6 ı C zu erreichen [4.15].
Ausdehnungs-
gefäß
Entleerventil
4 Solarthermische Wärmenutzung 289
zeit bereits mehr als 50 % aller gebauten Solaranlagen den Kombisystemen zuzuordnen;
d. h. sie realisieren neben einer Trinkwarmwassererzeugung zu z. T. sehr unterschiedli-
chen Anteilen auch eine Heizungsunterstützung insbesondere in der Übergangszeit. Beide
Systeme werden nachfolgend diskutiert.
Bei der Auslegung solcher Systeme ist zu beachten, dass die Energienachfrage für
die Trinkwarmwasserbereitstellung tendenziell gleichmäßig verteilt über das Jahr anfällt;
dagegen ist die Raumwärmenachfrage mit dem solaren Strahlungsangebot i. Allg. weitge-
hend antikorreliert.
Entlüftungsventil thermostatisches
Mischventil
Temperaturfühler
or
kt
Trinkwarmwasser
le
Wärmeträgerkreislauf
ol
Speicher
K
Sicherheitsventil
Anschluss
an
Heizkessel
Wärmeträgerkreislauf
Temperatur-
Über-
steuerung druck-
ventil
Temperatur-
fühler
Rückschlagklappe
Manometer Rück-
Thermo-
Absperrventil
Für höhere solare Deckungsraten von rund 70 % wären für diesen Anwendungsfall
etwa 13 bis 15 m2 nicht selektiv beschichtete oder 10 bis 12 m2 selektiv beschichtete
Kollektorfläche notwendig. Das Speichervolumen sollte dann mindestens bei rund 500 L
liegen. Im Sommer muss man unter diesen Bedingungen allerdings mit regelmäßigen Kol-
lektorstillständen rechnen (d. h. nicht nutzbare Solarstrahlung).
Solar-
Solar- Solar-
speicher
temperatur- temperatur-
regelung regelung
Solar- Trink- Trink- Trink-
temperatur- warm- warm-
warm-
regelung wasser wasser Gasbrenn-
wasser Trinkwarm-
wasserspeicher wertkessel
Kalt-
was-
Raumheizung
ser
Raumheizung
Kessel
Kalt-
Kaltwasser
wasser
Solar- Heizungs-
speicher speicher Schichtladeeinheiten
Raumheizung
Kessel externer
Wärmeübertrager
Kollektor-
System System
sammelschiene
Heizung direkt, Heizung indirekt,
TW-Durchlauferhitzer TW-Speicher
Trink- Heizwasser-
warmwasser- verteilnetz
bereitung
Trink-
Heiz-
Nahwärme- warm-
kessel wasser-
Kollektoren verteilnetz
verteilnetz
Brennstoff
Heizzentrale
Fernwärme
Kurzzeit- Langzeit-
speicher wärme-
speicher
und auch in industriellen Prozessen; d. h. man findet sie überall dort, wo die Kälte- und
Wärmenachfrage bedeutend und relativ gleichmäßig über das ganze Jahr verteilt ist. Dabei
kann zwischen unterschiedlichen Konzepten unterschieden werden.
Veränderte Anforderungen Durch den rapiden Preisverfall der Photovoltaik (PV) und
der Batterien (Kapitel 5) im letzten Jahrzehnt und der im gleichen Zeitraum eher ge-
ringen Preisreduktionen bei der Solarthermie sind seit etwa Anfang / Mitte der 2010er
Jahre Solarthermieanlagen besonders bei Kleinanlagen aus wirtschaftlicher Sicht i. Allg.
gegenüber Photovoltaik(PV)-Anwendungen nicht mehr darstellbar; d. h. solare Wärme
wird zunehmend ausschließlich mithilfe von Photovoltaiksystemen bereitgestellt. Wer-
den hierbei Wärmepumpen eingesetzt, kann mit der gleichen Fläche an Photovoltaik etwa
die gleiche Wärmemenge wie bei Solarthermie bereitgestellt werden. Bei einer Strom-
Direktheizung ist der Ertrag aufgrund des geringeren Wirkungsgrades der Photovoltaik
gegenüber der Solarthermie nur etwa ein Drittel. Bei großen Anlagen für Fernwärmenet-
ze ist die Solarthermie gegenüber der Photovoltaik auch derzeit z. T. noch wirtschaftlich
darstellbar.
Der Strom von Photovoltaikanlagen kann auch für die Deckung der Haushaltsstrom-
nachfrage verwendet werden oder ggf. ins Stromnetz rückgespeist werden. Demgegenüber
kann bei Solarthermieanlagen der Überschuss insbesondere im Hochsommer nicht weiter
genutzt werden. Diese Entwicklung hat in Europa zu seit Jahren rückläufigen Märkten
und zu entsprechenden Firmenschließungen geführt. Solarthermieanlagen werden in Zu-
kunft deshalb deutlich billiger werden müssen, falls sie gegen Photovoltaik (PV) am Markt
bestehen wollen, zumal die Photovoltaik die gleichen Flächen verwendet wie die Solar-
thermie (z. B. Dachflächen, Fassadenflächen).
Verbraucher
der Energie tung Absor- transport Wärme- Speicher-
Strahlung
der Photonen ber / Wär- mittels träger / medium /
in thermische meträger- Wärme- Speicher- Trinkwarm-
Energie medium träger (So- medium wasser
(Absorber) (Kollektor) laranlage) (Speicher) (Speicher)
latente Wärme. Ein Teil dieser Wärme wird durch Wärmeleitung im Absorber zu den
Absorberrohren, die von einem Wärmeträgermedium durchflossen werden, transportiert.
Diese Wärme wird an das Wärmeträgermedium abgegeben und mit ihm durch die Anlage
zum Speicher transportiert, über einen Wärmeübertrager an ein Wärmespeichermedium
abgegeben und hier zwischengelagert. Bei Bedarf kann es über einen weiteren Wärme-
übertrager an das Trinkwarmwasser übertragen werden, das dann dem Verbraucher zur
Verfügung steht.
Verluste Die verschiedenen Verlustmechanismen bewirken, dass nur ein Teil der solaren
Einstrahlung als Wärme dem Verbraucher zur Verfügung steht. Abb. 4.34 zeigt exempla-
risch den Energiefluss einer solarthermischen Anlage mit Flachkollektor, Zwangsumlauf
und Ein- bis Zweitagesspeicher zur Unterstützung der Trinkwarmwasserbereitung für ei-
nen privaten Haushalt mit 3 bis 5 Personen. Bei einer Kollektorfläche von ca. 6 m2 beträgt
der solare Deckungsgrad im Jahresmittel 50 bis 60 %. Im Sommer liegt er entsprechend
höher – bei über 90 % – und im Winter sinkt er auf unter 15 % ab.
Die relativen Verlustangaben in Abb. 4.34 sind über das Jahr gemittelte Größen. Sie
gelten für mitteleuropäische meteorologische Verhältnisse und sind auf die Sonnenein-
strahlung auf den eigentlichen solarthermischen Kollektor bezogen. Große Verluste von
ca. 25 % entstehen durch einen Kollektorstillstand dann, wenn der Speicher bereits auf sei-
ne Maximaltemperatur aufgeheizt wurde oder die zum Beladen des Speichers notwendige
Temperatur im Kollektor noch nicht erreicht ist. Die größten Verluste mit zusammenge-
nommen rund 38 % treten im Kollektor bei der Umwandlung der solaren Strahlung in
Wärme bzw. vor ihrem Weitertransport durch das Wärmeträgermedium auf.
Insgesamt ergibt sich ein gesamter Systemnutzungsgrad derartiger Solarsysteme von
rund 25 % von der Sonneneinstrahlung bis zur nutzbaren Wärme des Trinkwarmwassers
(hierbei werden alle Verluste des Trinkwarmwasserspeichers der Solaranlage zugerech-
net) bzw. von 32 % bis zur Abgabe der Wärme des Kollektors in den Trinkwarmwasser-
speicher (d. h. ohne Berücksichtigung der Speicherverluste). Bei einer Einstrahlung auf
die Kollektorebene zwischen 3 760 und 4 520 MJ/(m2 a) entspricht dies einem jährlichen
4 Solarthermische Wärmenutzung 299
Energieertrag am Ausgang der Solaranlage zwischen 1 200 und 1 450 MJ/(m2 a) bzw. 330
bis 400 kWh/(m2 a).
Für den Gesamtsystemnutzungsgrad sind Anlagendimensionierung und Abstimmung
der einzelnen Anlagenkomponenten aufeinander entscheidend. Dabei beeinflussen sich
der Gesamtsystemnutzungsgrad und der solare Deckungsgrad einander wechselseitig. Bei
vorgegebener Kollektorfläche erhöht sich der solare Deckungsgrad mit einem zunehmen-
den Gesamtsystemnutzungsgrad (z. B. durch die Verwendung besserer Kollektoren, durch
eine Verringerung der Leitungsverluste, durch eine bessere Speicherwärmedämmung oder
eine Speichervolumenvergrößerung). Erhöht sich bei einem bereits ausgelegten System
der solare Deckungsgrad z. B. dadurch, dass die Trinkwarmwassernachfrage sinkt, ver-
ringert sich der Gesamtsystemnutzungsgrad. Ursache ist, dass unter diesen Umständen
der Kollektor im Sommer zu viel solare Strahlung in Wärme umwandelt, die nicht ge-
nutzt werden kann. Wird andererseits bei sonst gleicher Auslegung die Kollektorfläche
vergrößert, erhöht dies zwar den solaren Deckungsgrad, verringert aber ebenfalls den Ge-
samtsystemnutzungsgrad, da der weitaus größte Teil der zusätzlichen Wärme im Sommer
anfällt, in dem der solare Deckungsgrad schon nahe bei 100 % liegt. Damit geht im Som-
mer überschüssige Wärme verloren.
Solarer Deckungsgrad Unter dem solaren Deckungsgrad (auch als solare Deckungsrate
oder als Solardeckungsgrad bezeichnet) ist der prozentuale Anteil der Energienachfrage
(hier: der Niedertemperaturwärmenachfrage) zu verstehen, der durch Sonnenenergie be-
reitgestellt wird, bezogen auf die gesamte nachgefragte Energie (hier: die gesamte Nieder-
temperaturwärmenachfrage). Der Betrachtungszeitraum ist typischerweise ein Jahr. Der
300 M. Kaltschmitt et al.
Solarer Deckungsgrad in %
10
wasser(WW)-Bereitung über 60
7
Speichergröße und Kollek-
torfläche, beides bezogen auf 50 5
die Heizlast des Gebäudes 40 3
(die Ziffern an den Graphen 2
beschreiben die jeweilige spe- 30
zifische Kollektorgröße in 20 1
m2 /kWHeizlast ) [4.6, 4.34]
10
0
0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8
Spezifisches Puffer- und WW-Speichervolumen in m³/kWHeizlast
solare Deckungsgrad kann auf die Trinkwarmwassernachfrage (bzw. die dafür benötigte
Energie), die Raumwärmenachfrage oder auf beide gemeinsam – und damit die gesamte
Wärmenachfrage – bezogen werden (siehe auch Kapitel 4.1.4). Je höher der solare De-
ckungsgrad, desto höher ist der solare Anteil an der Energienachfragedeckung.
Für die Abschätzung des solaren Deckungsgrades beispielsweise von solaren Kom-
bisystemen zur Deckung der Nachfrage an Trinkwarmwasser und Raumwärme in Ab-
hängigkeit von der Heizlast des Hauses, der Kollektorfläche und der Speichergröße kann
näherungsweise Abb. 4.35 verwendet werden. Dieses Diagramm ist innerhalb der folgen-
den Grenzen nutzbar:
energetisch optimierte Anlagen ohne hydraulische Fehler, welche die Nachfrage nach
Heizwärme und Warmwasser vollständig abdecken;
mitteleuropäisches Klima;
Südausrichtung der Kollektorfläche ˙ 10ı ;
Neigung der Kollektorfläche 40ı bis 55ı ;
hochselektiv beschichteter Flachkollektor (es wird die Bruttokollektorfläche angenom-
men);
solarer Deckungsgrad 20 bis 75 %;
Ein- und Mehrfamilienhäuser (d. h. keine Nichtwohngebäude);
Heizwärmenachfrage von 10 bis 200 kWh=.m2 a/;
Niedertemperaturheizungssysteme (Vorlauftemperatur < 40 ı C);
Warmwassernachfrage von 100 bis 250 L=d und Wohneinheit;
Trinkwarmwassertemperatur zwischen 40 und 50 ı C;
getrennte und kombinierte Trinkwarmwasserspeicher und Solar-Pufferspeicher.
Dabei ist jeweils die Summe der Volumen aus dem Warmwasserspeicher und dem So-
lar-Pufferspeicher für das Diagramm zu verwenden (d. h. wird ein Heizungspufferspeicher
4 Solarthermische Wärmenutzung 301
von 1 m3 und ein Trinkwarmwasserspeicher von 300 L verwendet, sind 1,3 m3 für das
Diagramm zugrunde zu legen). Die Heizlast des Gebäudes (d. h. die benötigte Wärmeleis-
tung, um das Haus am (normierten) kältesten Tag auf Norminnentemperatur zu heizen) ist
gemäß [4.33] zu berechnen und in kW anzugeben. Um das Diagramm für beliebige Heiz-
lasten, Speichergrößen und Kollektorflächen verwenden zu können, werden spezifische
Werte der Speichergröße und der Kollektorfläche jeweils bezogen auf die Heizlast des
Hauses gebildet. Die Werte zwischen den Kennlinien dürfen linear interpoliert werden.
Beispielsweise ergibt sich für eine Heizlast von 8 kW, eine Summe aus Trinkwarmwas-
ser- und Heizungsspeicher von 1,6 m3 sowie eine Kollektorfläche von 32 m2 eine spezifi-
sche Speichergröße von 1,6 m3 =8 kW bzw. 0,2 m3 /kWHeizlast und eine spezifische Kollek-
torfläche von 32 m2 =8 kW bzw. 4,0 m2 /kWHeizlast . Daraus folgt ein solarer Deckungsgrad
von 37 %.
4.3.1 Referenzanlagen
Bei den hier durchgeführten Untersuchungen werden die im Folgenden dargestellten sie-
ben Anwendungsfälle, die zur Versorgung der in Kapitel 1 festgelegten Versorgungsaufga-
ben eingesetzt werden können, betrachtet. Ihre Systemkennwerte sind in den Tabellen 4.6
und 4.7 dargestellt. Die Anlagen werden unter Verwendung des Klimas von Würzburg
mittels einer dynamischen Anlagensimulation ausgelegt.
Tabelle 4.6 Technische Daten der untersuchten solarthermischen Anlagen zur ausschließlichen
solaren Trinkwarmwasserbereitstellung
Versorgungsaufgabe EFH 0 bis IV MFH 0 bis IV
Trinkwarmwassernachfrage in GJ/a 6,8 45,2
in L/d 90 720
Trinkwarmwassertemperatur in ı C 60 51
Installierte Nettokollektorfläche in m2 6,4 25,0
Solarer Deckungsgrad Trinkwarmwasser in % 60 60
Kollektorleitungen in m 20 50
Lebensdauer Kollektoranlage in a 20 20
Spezifischer Kollektorertrag in kWh/(m2 a) 260 330
Speicherart Solarer Trinkwarm- Solarer
wasserspeicher Pufferspeicher
Volumen Solarspeicher in L 300 1 500
Lebensdauer Speicher in a 25 25
Tabelle 4.7 Technische Daten der untersuchten solarthermischen Anlagen zur solaren Trinkwarm-
wasserbereitstellung und Heizungsunterstützung der Einfamilienhäuser (EFH)
Versorgungsaufgabe (EFH) 0 I II III IV
Trinkwarmwassernachfrage in GJ/a 6,8 6,8 6,8 6,8 6,8
in L/d 90 90 90 90 90
Trinkwarmwassertemperatur in ı C 60 60 60 60 60
Raumwärmenachfrage in GJ/a 8,1 14,9 18,9 27,0 75,6
Heizlast in kW 1,8 3,0 4,0 5,0 13,0
Solarer Deckungsgrad 20 %
Inst. Netto-Kollektorfläche in m2 3,4 4,7 5,4 7,8 34
Kollektorleitung in m 20 20 20 20 20
Lebensdauer Kollektoranlage in a 20 20 20 20 20
Spez. Kollektorertrag in kWh/(m2 a) 343 341 359 326 168
Speicherart Solarer Kombispeicher
Speichervolumen in L 300 400 500 600 1 000
Lebensdauer Solarspeicher in a 25 25 25 25 25
Solarer Deckungsgrad 45 %
Inst. Netto-Kollektorfläche in m2 10 17 22 31 a
a
Kollektorleitung in m 20 20 20 20
a
Lebensdauer Kollektoranlage in a 20 20 20 20
Spez. Kollektorertrag in kWh/(m2 a) 253 217 196 189 a
a
Speicherart Solarer Kombispeicher
a
Volumen Speicher in L 550 1 000 1 000 1 900
a
Lebensdauer Speicher in a 25 25 25 25
a
nicht sinnvoll; Inst. Installierte; Spez. Spezifischer.
4 Solarthermische Wärmenutzung 303
EFH IV) ergibt sich eine Nettokollektorfläche von 6,4 m2 und für den Fall „Mehrfami-
lienhaus“ (MFH 0 bis MFH IV) von 25 m2 . Die Speichergrößen werden mit 300 (EFH)
bzw. 1 500 L (MFH) unterstellt.
Zusätzlich werden für die Nachfragefälle „Einfamilienhaus“ (EFH 0 bis EFH IV)
jeweils ein solarthermisches Kombisystem zur Trinkwarmwasserbereitung und Hei-
zungsunterstützung nach Abb. 4.31, rechts, mit einer Kollektorfläche zwischen 3,4
und 34 m2 betrachtet (EFH 0: 3,4 m2 ; EFH I: 4,7 m2 ; EFH II: 5,4 m2 ; EFH III: 7,8 m2 ;
EFH IV: 34,0 m2 ). Die Heizlast zur Wärmeversorgung der Einfamilienhäuser liegt
zwischen 1,8 und 13 kW (EFH 0: 1,8 kW; EFH I: 3 kW; EFH II: 4 kW; EFH III: 5 kW;
EFH IV: 13 kW). Insgesamt sind die Systeme so ausgelegt, dass 20 % der gesamten
Wärmenachfrage für Trinkwarmwasser und Raumwärme bereitgestellt werden können
(Fall „Solarer Deckungsgrad 20 %“). Demnach können die Kollektorflächen z. T. klei-
ner ausfallen im Vergleich zu dem Fall „Ausschließliche Trinkwarmwasserbereitung“,
da bei einer zunehmenden Wärmedämmung der Häuser die Trinkwarmwassernach-
frage gegenüber der Heizenergienachfrage einen immer größeren Anteil einnimmt.
Daher kann bei einem 20 %-igen solaren Deckungsgrad für die Bereitstellung von Hei-
zung und Trinkwarmwasser weniger solare Energie benötigt werden im Vergleich zu
einer ausschließlichen Trinkwarmwasserbereitstellung mit einem solaren Deckungs-
grad von 60 %. Der spezifische Kollektorertrag liegt für EFH 0 bis zum EFH III
aufgrund der niedrigen Vor- und Rücklauftemperatur für die Heizung zwischen 326
und 359 kWh/(m2 a). Bei EFH IV hingegen ist die Solltemperatur der Heizung wesent-
lich höher; dies führt zu einer Reduktion des spezifischen Kollektorertrages und einer
merklichen Zunahme der entsprechend notwendigen Kollektorfläche.
Weiterhin werden für die Nachfragefälle „Einfamilienhaus“ (EFH 0 bis EFH III) vier
solarthermische Anlagen zur Trinkwarmwasserbereitung und Heizungsunterstützung
mit einer Kollektorfläche zwischen 10 und 31 m2 unterstellt (EFH 0: 10 m2 ; EFH I:
17 m2 ; EFH II: 22 m2 ; EFH III: 31 m2 ). Bei diesen solaren Kombisystemen zur Wär-
meversorgung der Einfamilienhäuser werden 45 % (d. h. solarer Deckungsgrad) der
gesamten Wärmenachfrage für Trinkwarmwasser und Raumwärme solar bereitgestellt
(Fall „Solarer Deckungsgrad 45 %“). Für das EFH IV würden bei einem derartigen
Deckungsgrad sehr hohe Kollektorflächen benötigt. Hier wäre dann eine vorherige
thermische Sanierung wesentlich kostengünstiger. Daher wird diese Variante hier nicht
weiter betrachtet.
Für Mehrfamilienhäuser mit solaren Kombisystemen und solarunterstütze Nahwärme-
netze werden lediglich die Nachfragefälle MFH 0, MFH I für einen solaren Deckungs-
grad von 20 und 45 % untersucht sowie für einen solaren Deckungsgrad von 14 % das
NW I betrachtet (zur Definition der Nahwärmenetze siehe Kapitel 1). Für einen solaren
Deckungsanteil von 20 % beträgt die Kollektorfläche 12,5 sowie 19,0 m2 und bei ei-
nem solaren Deckungsanteil von 45 % liegt die Kollektorfläche zwischen 49 und 88 m2
für die Nachfragefälle MFH 0 und MFH I. Die Kollektorfläche des Nahwärmenetzes
NW I beträgt für einen solaren Deckungsanteil von 14 % 2 000 m2 . Der spezifische Kol-
304 M. Kaltschmitt et al.
Tabelle 4.8 Technische Daten der untersuchten solarthermischen Anlagen zur solaren Trinkwarm-
wasserbereitstellung und Heizungsunterstützung der Mehrfamilienhäuser (MFH) sowie zur solaren
Heizungsunterstützung des Nahwärmenetzes (NW)
Versorgungsaufgabe MFH 0 MFH I NW I
a
Trinkwarmwassernachfrage in GJ/a 45,2 45,2
a
in L/d 720 720
Trinkwarmwassertemperatur in ı C 51 51 a
Tabelle 4.9 Aufwandszahlen (AWZ) und Energiemengen der untersuchten solarthermischen An-
lagen zur ausschließlichen Trinkwarmwasserbereitstellung in Kombination mit Brennwertthermen
auf der Basis fossiler Energieträger für die gesamte Versorgungsaufgabe Heizung (RW) und Trink-
warmwasserbereitung (TWW)
Einfamilienhaus (EFH) 0 I II III IV
AWZ TWW 1,51 1,51 1,51 1,51 1,54
AWZ RW 1,05 1,05 1,04 1,04 1,10
System-AWZ 1,26 1,19 1,16 1,13 1,14
Solare Energie TWW in GJ/a 4,1 4,1 4,1 4,1 4,1
Fossile Energie TWW in GJ/a 2,7 2,7 2,7 2,7 2,7
Fossile Energie RW in GJ/a 8,1 14,9 18,9 27 75,6
Fossile Endenergie TWW in GJ/a 4,1 4,1 4,1 4,1 4,2
Fossile Endenergie RW in GJ/a 8,5 15,6 19,7 28,1 83,2
Fossiler Gesamtend- in GJ/a 12,6 19,8 23,8 32,2 87,3
energieverbrauch
Erdgasverbrauch in m3 /a 324 508 611 828 2 247
Hilfsenergie (Strom) in kWh/a 600a 600a 600b 600b 450b
ckungsgrad der Solaranlage im Sommer und im Winter. Bei einem jährlichen Deckungs-
grad von rund 60 % für eine solare Trinkwarmwassererwärmung liegt beispielsweise der
Deckungsgrad in den Sommermonaten zwischen 80 und 100 % und im Winter teilweise
unter 20 %. Damit ist der Nutzungsgrad des mit fossilen Brennstoffen befeuerten Kessels
für die Trinkwarmwassererwärmung im Sommer niedriger als im Winter. Folglich ist der
mittlere Kesselnutzungsgrad in den Zeiten, in denen die Wärme auch durch eine Solaran-
lage bereitgestellt werden kann, geringer als im Jahresdurchschnitt.
4 Solarthermische Wärmenutzung 307
a
inklusive Hilfsenergiebedarf für die Wärmerückgewinnung aus der Abluft der Lüftungsanlagen;
b
keine Lüftungsanlage vorhanden; c nicht sinnvoll; TWW Trinkwarmwasserbereitung; RW Raum-
wärmebereitstellung; AWZ Aufwandszahl.
308 M. Kaltschmitt et al.
a
Wert höher als Raumwärmenachfrage aufgrund von Leitungsverlusten etc.; b solarer Deckungs-
anteil von 14 % für das Nahwärmenetz (NW I); c nicht sinnvoll; d inklusive Hilfsenergiebedarf für
die Wärmerückgewinnung aus der Abluft der Lüftungsanlagen; TWW Trinkwarmwasserbereitung;
RW Raumwärmebereitstellung; AWZ Aufwandszahl.
4 Solarthermische Wärmenutzung 309
Kollektor Die Aufwendungen für die heute auf dem Markt erhältlichen Kollektoren lie-
gen etwa zwischen rund 50 und etwa 1 200 C/m2 . Entscheidend ist dabei der Kollektortyp;
sehr einfache Absorbermatten weisen Kosten zwischen etwa 25 und ca. 80 C/m2 auf
und einfachverglaste Flachkollektoren mit schwarzen oder selektiven Absorbern kosten
dagegen zwischen etwa 200 und rund 400 C/m2 . Bei sehr effizienten Vakuumröhrenkol-
lektoren, mehrfach abgedeckten Flachkollektoren oder mit transparenter Wärmedämmung
verbesserten Solarkollektoren können die Aufwendungen auf über 700 C/m2 ansteigen.
Neben der eigentlichen Technik hängen die Kollektorkosten auch von der Kollektor-
größe ab. Großflächige Kollektormodule sind flächenspezifisch meist kostengünstiger als
kleine Kollektoren; in Einzelfällen wurden beispielsweise – einschließlich Montage und
Verrohrung – schon großflächige Kollektormodule mit 220 C/m2 , ggf. bei sehr großen
Kollektorflächen auch darunter (d. h. unter 200 C/m2 ), angeboten. Gängige Kosten liegen
derzeit aber tendenziell eher etwas über diesen Werten.
Die Kollektoren können u. a. auch als Bausatz geliefert und vom Betreiber eigenstän-
dig zusammengebaut werden. Dann liegen die Kosten für den Betreiber – vorausgesetzt,
er monetarisiert seine eigene Arbeitskraft nicht – erheblich niedriger. Derartige Selbst-
baukollektoren haben aber in den letzten Jahren zunehmend Marktanteile verloren, da die
fertig installierten Anlagen im Preis etwas günstiger wurden.
Speicher Die Aufwendungen für den Solarspeicher hängen zum einen vom Speichervolu-
men und zum anderen vom Speicherprinzip ab. Unter den Speicherprinzipien werden reine
Trinkwarmwasserspeicher, reine Pufferspeicher zur Erwärmung des Heizwassers, Kom-
bispeicher zur Heizungs- und Trinkwarmwassererwärmung sowie Speicher mit Schichtla-
deeinheit unterschieden.
Die Kosten für ausschließliche Trinkwarmwasserspeicher bewegen sich zwischen 1,5
und 4,0 C/L Speichervolumen. Bei dieser Technologie kommen beispielsweise im Ein-
310 M. Kaltschmitt et al.
Montage und Inbetriebnahme Wird die Anlage von einer Installationsfirma und damit
durch Fachkräfte errichtet, liegen die spezifischen Montagekosten bei rund 70 bis 300 C/m2
Kollektorfläche. Darin sind enthalten die Kollektormontage, die Leitungsverlegung, der
Anschluss an den Solarspeicher, die Installation der Mess- und Regeleinrichtungen sowie
der Pumpe, der Anschluss an die Nachheizung sowie die Befüllung und Inbetriebnahme.
Dabei nimmt die Verlegung der Rohrleitungen den größten Anteil ein. Die Aufwendungen
für die Kollektormontage liegen bei etwa 20 bis 30 % der Investitionen.
Bei zentraler solarthermischer Trinkwarmwasserunterstützung und größeren solaren
Nahwärmesystemen sind die spezifischen Kosten für Montage und Inbetriebnahme oft
geringer. Die Montagekosten größerer Kollektorfelder liegen zwischen etwa 10 und 20 %
der Kollektorkosten bzw. zwischen etwa 30 bis 50 C/m2 . Die gesamten Kosten für die
Montage und Inbetriebnahme dürften bei etwa 50 bis 75 C/m2 liegen.
Investitionen in €
EG (ohne Speicher)
mische Warmwasserbereitung Montage (EG+Sol)
und Heizungsunterstützung für 20 000
Einfamilienhäuser mit einem 15 000
solaren Deckungsgrad von
10 000
45 % bei Unterstützung durch
eine Erdgas-Brennwerttherme 5 000
(EG) 0
EFH 0 EFH I EFH II EFH III
Tabelle 4.12 Investitionen der untersuchten solarthermischen Anlagen zur ausschließlichen Trink-
warmwasserbereitung inklusive einer konventionellen Heizungsanlage (technische Daten der Refe-
renzsysteme vgl. Tabelle 4.6)
Einfamilienhaus (EFH) 0 I II III IV
Kollektorfläche in m2 6,4 6,4 6,4 6,4 6,4
Kollektoranlage in C 4 250 4 250 4 250 4 250 4 250
Solarspeicher in C 900 900 900 900 900
EG (ohne Speicher) in C 6 500 6 500 6 500 6 500 7 000
Montage (EG+Sol) in C 2 500 2 500 2 500 2 500 2 500
Summe (EG+Sol) in C 14 150 14 150 14 150 14 150 14 650
Mehrfamilienhaus (MFH) 0 I II III IV
Kollektorfläche in m2 25,0 25,0 25,0 25,0 25,0
Kollektoranlage in C 10 150 10 150 10 150 10 150 10 150
Solarspeicher in C 1 650 1 650 1 650 1 650 1 650
EG (ohne Speicher) in C 6 500 7 200 7 200 7 900 9 600
Montage (EG+Sol) in C 2 800 2 800 2 800 2 800 2 800
Summe (EG+Sol) in C 21 100 21 800 21 800 22 500 24 200
EG Erdgas-Brennwerttherme; Sol Solarsystem.
für die jeweiligen Systemkomponenten bei der gegebenen Konfiguration der untersuchten
Referenzanlagen nach Tabelle 4.6 bis 4.8. Die Montage erfolgt dabei durch einen gewerb-
lichen Betrieb; dies beinhaltet auch die Kollektor-, Speicher- und Heizkesselanbindung.
Tabelle 4.15 Betriebsgebundene und sonstige Kosten der solarthermischen Referenzsysteme zur
ausschließlichen Trinkwarmwasserbereitstellung inklusive der konventionellen Heizungsanlage
Einfamilienhaus (EFH) 0 I II III IV
Verbrauchsgeb. Kosten in C 409 540 614 769 1 740
Betriebsgeb., sonst. Kosten in C 200 200 200 200 200
Summe in C 609 740 814 969 1 940
Mehrfamilienhaus (MFH) 0 I II III IV
Verbrauchsgeb. Kosten in C 1 730 2 342 2 713 3 481 6 966
Betriebsgeb., sonst. Kosten in C 200 200 200 200 200
Summe in C 1 930 2 542 2 913 3 681 7 166
Verbrauchsgeb. Verbrauchsgebundene; Betriebsgeb. Betriebsgebundene; sonst. sonstige.
314 M. Kaltschmitt et al.
Tabelle 4.16 Betriebsgebundene und sonstige Kosten der solarthermischen Referenzsysteme zur
Trinkwarmwasserbereitung und Heizungsunterstützung der Einfamilienhäuser
Einfamilienhaus (EFH) 0 I II III IV
Solarer Deckungsgrad 20 %
Verbrauchsgeb. Kosten in C 453 558 617 741 1 511
Betriebsgeb., sonst. Kosten in C 200 200 200 200 200
Summe in C 653 758 817 941 1 711
Solarer Deckungsgrad 45 %
a
Verbrauchsgeb. Kosten in C 381 453 494 579
a
Betriebsgeb., sonst. Kosten in C 200 200 200 200
a
Summe in C 581 653 694 779
a
nicht sinnvoll; Verbrauchsgeb. Verbrauchsgebundene; Betriebsgeb. Betriebsgebundene; sonst.
sonstige.
Tabelle 4.17 Betriebsgebundene und sonstige Kosten der solarthermischen Referenzsysteme zur
Trinkwarmwasserbereitung und Heizungsunterstützung der Mehrfamilienhäuser und des Nahwär-
menetzes
Versorgungsaufgabe MFH 0 MFH I NW I
Solarer Deckungsgrad 20 %a
Verbrauchsgeb. Kosten in C 2 081 2 571 283 146
Betriebsgeb., sonst. Kosten in C 200 200 12 400
Summe in C 2 281 2 771 295 546
Solarer Deckungsgrad 45 %
b
Verbrauchsgeb. Kosten in C 1 589 1 926
b
Betriebsgeb., sonst. Kosten in C 200 200
b
Summe in C 1 789 2 126
a
Solarer Deckungsanteil von 14 % für das Nahwärmenetz (NW I); b nicht sinnvoll; Verbrauchsgeb.
Verbrauchsgebundene; Betriebsgeb. Betriebsgebundene; sonst. sonstige.
Verbrauchsgebundene Kosten Für den Betrieb der solarthermischen Anlage wird ver-
brauchsgebunden zum einen Hilfsenergie (Strom) benötigt, da das Wärmeträgermedium
im Normalfall durch den Kollektorkreis gepumpt werden muss (d. h. Zwangsumlaufsys-
teme). Zum anderen entfällt in der Regel ein wesentlich größerer Kostenanteil auf die
Kosten für den jeweils eingesetzten fossilen Brennstoff (d. h. Erdgas). Die verbrauchs-
4 Solarthermische Wärmenutzung 315
gebundenen Kosten hängen demnach wesentlich vom jeweiligen Strompreis und vom
entsprechenden Gaspreis ab. Der Strompreis wird hier mit 0,294 C/kWh angenommen
und für den Gaspreis werden 18,4 C/GJ unterstellt.
Bei der absoluten Höhe der verbrauchsgebundenen Kosten sind die Unterschiede zwi-
schen den verschiedenen Versorgungsaufgaben (z. B. EFH 0 bis EFH IV) erheblich. Ins-
gesamt liegen sie bei der Versorgungsaufgabe EFH 0, die im Vergleich der gesamten hier
untersuchten Versorgungsaufgaben immer die geringsten Werte annimmt, im mittleren
dreistelligen C-Bereich; beispielsweise steigen sie bei einem solaren Deckungsgrad von
20 % auf bis zu rund 1 500 C beim EFH IV an.
Zusätzlich zeigt Tabelle 4.19 die spezifischen Wärmegestehungskosten für die Syste-
me mit Trinkwarmwasserbereitstellung und Heizungsunterstützung. Auch diese variieren
innerhalb einer entsprechend großen Bandbreite. Beispielsweise ergeben sich bei diesen
Varianten mit Heizungsunterstützung z. T. gerade im hoch gedämmten Einfamilienhaus-
bereich relativ hohe Wärmegestehungskosten, die bei über 100 C/GJ liegen können.
Tabelle 4.18 bis 4.20 zeigen neben den Wärmegestehungskosten auch die äquivalenten
Brennstoffkosten. Unter letzteren werden die Kosten der solaren Nutzenergie am Spei-
cherausgang bewertet mit dem Nutzungsgrad des konventionellen Heizsystems auf der
Basis fossiler oder anderer regenerativer Energien (z. B. Pellets, Stückholz, Biomethan)
verstanden, das in Verbindung mit der Solaranlage Wärme bereitstellt. Für die Entschei-
dung eines Hausbesitzers für oder gegen die Investition in eine solarthermische Anlage
sind diese äquivalenten Brennstoffkosten letztlich – ein ökonomisch rationales Verhalten
unterstellt – die wesentliche maßgebende Größe, da damit und mit der zu erwartenden
jährlichen Brennstoffeinsparung direkt die Kosteneinsparung pro Jahr durch den Minder-
einsatz an fossilen oder biogenen Energieträgern berechnet werden kann. Damit kann die
solarthermische Wärmebereitstellung direkt mit den Brennstoffkosten für die vermiede-
nen fossilen und ggf. auch biogenen Energieträger verglichen werden.
Die in den Tabellen 4.18 bis 4.20 dargestellten Wärmegestehungskosten können – wie
bei derartigen Analysen üblich – nicht als allgemeingültige Mittel- oder Richtwerte ange-
sehen werden. In speziellen Anwendungsfällen können unter den dann lokal gegebenen
Rand- und Rahmenbedingungen erhebliche Abweichungen auftreten. Beispielsweise kann
der solare Wärmepreis bei Freibädern zwischen 7 und 14 C/GJ liegen. Damit ist in vielen
Fällen eine solare Freibadwassererwärmung bereits heute kostengünstiger als eine kon-
4 Solarthermische Wärmenutzung 317
ventionelle Beheizung auf der Basis fossiler Energieträger. Ursache hierfür ist, dass bei
Freibädern die Zeiten hohen Strahlungsangebots mit den Zeiten hoher Nachfrage nach
Niedertemperaturwärme – unter Wegfall eines Speichersystems – zusammenfallen, da
das Schwimmbadwasser als Wärmespeicher wirkt. Außerdem sind die bei Freibädern
verwendeten unverglasten Absorber (Einfachabsorber) kostengünstiger als „klassische“
Flachkollektoren mit einer entsprechenden Glasabdeckung.
Um den Einfluss der verschiedenen Größen besser abschätzen und bewerten zu kön-
nen, zeigt Abb. 4.37 eine Variation wesentlicher sensitiver Parameter. Dabei wird hier
exemplarisch von einer dezentralen solarthermischen Trinkwarmwasserbereitungsanlage
für das EFH III ausgegangen. Demnach beeinflussen eine Veränderung des Gaspreises,
der Investitionen sowie der Abschreibungsdauer die Wärmegestehungskosten am meis-
ten. In dem dargestellten Beispiel bewirkt eine Verringerung der Investitionen um 30 %
eine Reduzierung der spezifischen Wärmegestehungskosten von etwa 58 auf ca. 49 C/GJ.
Solarthermische Anlagen werden in den meisten Anwendungen mit Systemen auf der Ba-
sis fossiler Brennstoffe kombiniert, um eine Wärmebereitstellung auch in den Zeiten zu
gewährleisten, in denen die Solaranlage keinen oder nur einen geringen Teil der gesamten
Wärmenachfrage decken kann. Für diese kombinierten Systeme zur Deckung bestimm-
ter Versorgungsaufgaben (Kapitel 1.3.3 und 1.4.3) wird im Folgenden eine Bilanzierung
318 M. Kaltschmitt et al.
90
Mittlere Abschreibungsdauer (20,7 Jahre = 100 %)
85
Investitionen (14 000 € = 100 %)
Wärmegestehungskosten in €/GJ
65
60
55
50
45
40
50 60 70 80 90 100 110 120 130 140 150
Parametervariation in %
Abb. 4.37 Parametervariation wesentlicher Einflussgrößen auf die spezifischen Wärmekosten einer
solarthermischen Trinkwarmwasserbereitung für das Einfamilienhaus EFH III (vgl. Tabelle 4.18)
4.3.3.1 Lebenszyklusanalyse
Für die inTabelle 4.6 und 4.7 definierten Referenztechniken werden im Folgenden die
Energie- und Emissionsbilanzen einschließlich aller vorgelagerten Prozesse inklusive der
jeweiligen Zusatzheizsysteme auf der Basis fossiler Energieträger erstellt und diskutiert.
Bezugsgröße ist dabei 1 TJ bereitgestellte Wärme, die an den zu beheizenden Raum ab-
gegeben bzw. an der Trinkwarmwasserzapfstelle entnommen wird. Dabei wird dieselbe
Systemauslegung zugrunde gelegt wie bei der Betrachtung der Wärmegestehungskos-
ten. Dementsprechend sind die Wärmeverluste durch Erzeugung, Speicherung, Verteilung
und Übergabe energetisch berücksichtigt. Für die folgende Ökobilanzierung werden die
technischen Einrichtungen zur Verteilung und Übergabe bzw. der entsprechende Materi-
alaufwand nicht berücksichtigt, da dieser bei allen untersuchten Gebäuden als identisch
angenommen wird und damit die Relation der Systeme untereinander nicht beeinflusst.
Tabelle 4.21 bis 4.23 zeigen die Ergebnisse der entsprechenden Energie- und Emissi-
onsbilanzen einer solarthermischen Wärmebereitstellung. Dabei werden – entsprechend
der bisherigen Vorgehensweise – die spezifischen Emissionen dargestellt, die pro TJ er-
zeugter Wärme freigesetzt werden, wenn die kombinierten Heizungsanlagen aus Solaran-
4 Solarthermische Wärmenutzung 319
Tabelle 4.21 Energie- und Emissionsbilanzen der untersuchten Referenztechnologien zur aus-
schließlichen Trinkwarmwasserbereitstellung inklusive der konventionellen Heizungsanlage
Einfamilienhaus (EFH) 0 I II III IV
Energiea in GJ/TJ 1 543 1 457 1 420 1 369 1 355
SO2 in kg/TJ 68 56 52 46 38
NOx in kg/TJ 68 58 55 50 43
CO2 -Äq. in t/TJ 91 86 84 82 80
SO2 -Äq. in kg/TJ 118 99 92 83 70
Mehrfamilienhaus (MFH) 0 I II III IV
Energiea in GJ/TJ 1 198 1 212 1 210 1 199 1 275
SO2 in kg/TJ 44 40 38 36 34
NOx in kg/TJ 44 42 41 39 40
CO2 -Äq. in t/TJ 71 71 72 71 76
SO2 -Äq. in kg/TJ 77 71 69 66 64
a
primärenergetisch bewerteter kumulierter fossiler Energieaufwand (Verbrauch erschöpflicher
Energieträger); Äq. Äquivalente.
Tabelle 4.22 Energie- und Emissionsbilanzen der untersuchten Referenztechnologien zur Trink-
warmwasserbereitstellung und Heizungsunterstützung der Einfamilienhäuser
Einfamilienhaus (EFH) 0 I II III IV
Solarer Deckungsgrad 20 %
Energiea in GJ/TJ 1 781 1 542 1 457 1 345 1 213
SO2 in kg/TJ 67 55 51 47 45
NOx in kg/TJ 72 59 55 49 43
CO2 -Äq. in t/TJ 105 91 86 80 72
SO2 -Äq. in kg/TJ 120 99 92 84 78
Solarer Deckungsgrad 45 %
Energiea in GJ/TJ 1 413 1 217 1 147 1 055 b
b
SO2 in kg/TJ 72 66 65 62
b
NOx in kg/TJ 68 58 55 51
b
CO2 -Äq. in t/TJ 83 72 68 63
b
SO2 -Äq. in kg/TJ 121 109 106 101
a
primärenergetisch bewerteter kumulierter fossiler Energieaufwand (Verbrauch erschöpflicher
Energieträger); b nicht sinnvoll; Äq. Äquivalente.
lage und konventioneller Heizung auf der Basis fossiler Energieträger (d. h. Erdgas) für
die jeweiligen Häuser installiert werden würden. Zusätzlich zu den Treibhausgasemissio-
nen in CO2 -Äquivalenten werden – entsprechend der Vorgehensweise in anderen Kapiteln
– Emissionen mit versauernder Wirkung (SO2 -Äquivalente) und Emissionen mit toxischer
Wirkung (SO2 , NOx ) untersucht. Weiterhin wird für alle Systeme der Verbrauch erschöpf-
licher Energieträger – bezogen auf das entsprechende Primärenergieäquivalent – ermittelt
(vgl. Kapitel 1.3).
320 M. Kaltschmitt et al.
Tabelle 4.23 Energie- und Emissionsbilanzen der untersuchten Referenztechnologien zur Trink-
warmwasserbereitstellung und Heizungsunterstützung der Mehrfamilienhäuser und des Nahwärme-
netzes
Versorgungsaufgabe MFH 0 MFH I NW I
Solarer Deckungsgrad 20 %a
Energieb in GJ/TJ 1 428 1 341 1 418
SO2 in kg/TJ 50 45 46
NOx in kg/TJ 50 47 59
CO2 -Äq. in t/TJ 86 80 83
SO2 -Äq. in kg/TJ 95 86 91
Solarer Deckungsgrad 45 %
Energieb in GJ/TJ 1 147 1 069 c
c
SO2 in kg/TJ 54 53
c
NOx in kg/TJ 48 46
c
CO2 -Äq. in t/TJ 70 64
c
SO2 -Äq. in kg/TJ 97 95
a
solarer Deckungsanteil von 14 % für das Nahwärmenetz (NW I); b primärenergetisch bewerteter
kumulierter fossiler Energieaufwand (Verbrauch erschöpflicher Energieträger); c nicht sinnvoll; Äq.
Äquivalente.
Wichtige Einflussfaktoren auf die Bilanzergebnisse sind dabei die Anlagengröße so-
wie der solare Deckungsgrad. Beispielsweise sinken mit zunehmender Anlagengröße und
damit installierter Leistung (d. h. sinkendem Dämmstandard) die spezifischen Verbräuche
an erschöpflichen Energieträgern sowie die spezifischen Emissionen der hier betrachte-
ten Luftschadstoffe. Dies ist generell der Fall, kann sich allerdings bei den untersuchten
Varianten z. T. leicht verschieben, da bei den untersuchten Ein- und Mehrfamilienhäu-
sern zwischen Neu- und Bestandsbauten unterschieden wird (vgl. Kapitel 1.3). Durch die
deshalb verschiedenartigen Wärmeverteilsysteme und deren daher unterschiedlichen Be-
triebstemperaturen (Kapitel 1.3) fallen unterschiedlich hohe Wärmeverluste an, die den
Energieverbrauch in einigen Fällen merklich beeinflussen können. Umgekehrt sind So-
laranlagen mit geringeren solaren Deckungsgraden aufgrund höherer spezifischer Kollek-
torerträge durch niedrigere Aufwendungen erschöpflicher Energieträger bzw. Emissionen
gekennzeichnet.
Abb. 4.38 zeigt exemplarisch die Aufteilung der Treibhausgasemissionen in CO2 -Äqui-
valenten der untersuchten Referenzanlagen auf die Lebenswegabschnitte Anlagenbau und
Entsorgung (die beiden Lebenswegphasen sind hier zusammengefasst, da sie einzeln be-
trachtet verglichen mit den anderen Lebenswegabschnitten sehr klein ausfallen) sowie die
Betriebsphase exemplarisch für das Einfamilienhaus EFH III. Die Betriebsphase ist zu-
sätzlich in den Einsatz fossiler Brennstoffe (d. h. Erdgas), die Bereitstellung der fossilen
Energieträger und den Hilfsenergieverbrauch (Strom, u. a. zum Betrieb der Kollektorpum-
pe) unterteilt. Demnach verursacht der Betrieb meist weit über 50 % der Treibhausgas-
4 Solarthermische Wärmenutzung 321
CO2-Äquivalent-Emissionen in t/TJ
70
60
50
40
30
20
10
0
Solar TWW 60 % Solar TWW/RW 20 % Solar TWW/RW 45 %
Abb. 4.38 Aufteilung der CO2 -Äquivalent-Emissionen der in Tabelle 4.21 dargestellten Bilanz-
ergebnisse einer solarthermischen Wärmebereitstellung für das EFH III auf Bau / Entsorgung,
Erdgas-bedingte Emissionen, Erdgasbereitstellung und Hilfsenergie (primär Strom) (TWW Trink-
warmwasser, RW Raumwärme, Prozentangaben in der Balkenbeschreibung beziehen sich auf den
solaren Anteil)
emissionen. Dies gilt für jeden der hier untersuchten Fälle; typischerweise machen die
Treibhausgasemissionen, die durch die Verbrennung des jeweiligen fossilen Brennstoffs
verursacht werden, den größten Anteil an den gesamten Treibhausgasemissionen im Le-
bensweg aus. Auch ist der Anteil der Emissionen mit Klimawirksamkeit, der durch den
Anlagenbau und durch die Entsorgung der Anlage verursacht wird, generell sehr gering.
Dieses Verhalten ist bei schlecht gedämmten Häusern mit einer entsprechend hohen Wär-
menachfrage besonders ausgeprägt.
Für die Referenzsysteme der solarthermischen Trinkwarmwasserbereitung zeigt Abb.
4.39 zusätzlich eine detailliertere Aufteilung der CO2 -Äquivalent-Emissionen auf ein-
zelne Verursacher. Demnach nimmt die Herstellung der Kollektoranlage innerhalb des
Anlagenbaus sowie der Anlagenentsorgung immer den größten Anteil der Treibhausgas-
emissionen ein (zwischen etwa 47 und 66 %). Die Anteile, die durch den Wärmespeicher
und den Wärmeerzeuger verursacht werden, sind ebenfalls nennenswert; sie liegen aber
in einer deutlich kleineren Größenordnung. Die übrigen Anteile für den Gasanschluss (bei
den Systemen mit Erdgas-Brennwerttherme) sowie das Abgasrohr sind mit deutlich unter
5 % sehr gering.
Ähnliche Zusammenhänge wie für die Klimagasemissionen gelten auch für den Ver-
brauch erschöpflicher Energieträger sowie die NOx -Emissionen. Die SO2 -Emissionen
werden demgegenüber durch die Bereitstellung der für den Bau der Anlagen benötigten
Materialien dominiert. Speziell durch den hohen Kupferanteil der Kollektoren, Kollektor-
rohrleitungen und Wärmeübertrager zeigt die solarthermische Wärmebereitstellung ver-
gleichsweise hohe SO2 -Emissionen, da die Kupferproduktion sehr emmissionsintensiv ist.
322 M. Kaltschmitt et al.
50,4% Abgasrohr
Gasanschluss
11,7%
24,0%
65,9%
Abb. 4.39 Aufteilung der CO2 -Äquivalentemissionen der in Tabelle 4.21 dargestellten Bilanzer-
gebnisse einer solarthermischen Trinkwarmwasserbereitung auf die Phasen Bau und Entsorgung
oder bei der Zumischung von geringen Teilen Chlor zum Trinkwarmwasser aber schnell
absterben, ist es durch entsprechende technische Maßnahmen leicht möglich, diese Ge-
fahr zu begrenzen. Auch müssen erhöhte Aufenthaltszeiten in Speichern, die erheblich
unter den DVGW-Anforderungen (DVGW-Arbeitsblatt W 551 [4.40]) liegen, nicht zwin-
gend zu einem verstärkten Legionellen-Wachstum führen. Durch die Beachtung der ent-
sprechenden Regelwerke kann ein Legionellenwachstum sicher verhindert werden; diese
Anforderungen sind deshalb auch bei modernen Solaranlagen ausnahmslos umgesetzt.
Mehr als die Hälfte der beispielsweise in Deutschland am Markt angebotenen Solarkol-
lektoren sind mit dem Blauen Engel (RAL-ZU 73 [4.42]) ausgezeichnet. Damit werden
für das Wärmeträgermedium keine halogenierten Kohlenwasserstoffe eingesetzt und die
zur Dämmung der Kollektoren verwendeten Stoffe werden nicht unter dem Einsatz halo-
genierter Kohlenwasserstoffe hergestellt [4.23].
Zusammengenommen sind damit die potenziellen Umweltauswirkungen einer solar-
thermischen Wärmebereitstellung auch im Störfall gering.
In Anlehnung an die bisherige Vorgehensweise werden auch die theoretischen und tech-
nischen Angebotspotenziale einer solarthermischen Wärmebereitstellung ermittelt. Sie
werden nachfolgend – ebenso wie die derzeitige Nutzung – diskutiert.
4.4.1 Potenziale
Tabelle 4.26 Endenergienachfrage der Sektoren Haushalte, GHD (Gewerbe, Handel, Dienstleis-
tungen) und Industrie im Jahre 2017 und der davon theoretisch solarthermisch deckbare Anteil (d. h.
primär Niedertemperaturwärme) [4.25]
Verbrauchssektor Nutzenergieform Endenergienachfrage Solarthermisch
in PJ/a deckbarer Anteil
in PJ/a
Private Haushalte Raumwärme 1 601 1 601
Trinkwarmwasser 358 358
sonstige Prozesswärme 142 70
GHD Raumwärme 674 674
Trinkwarmwasser 68 68
sonstige Prozesswärme 101 56
Industrie Raumwärme 153 153
Trinkwarmwasser 17 17
sonstige Prozesswärme 1 795 358
Summe 4 909 3 355
328 M. Kaltschmitt et al.
Prozesswärme von insgesamt 2 481 PJ [4.25], Tabelle 4.27). In der Industrie könnten rund
375 PJ/a solarthermisch gedeckt werden (d. h. etwa 15 % der gesamten Trinkwarmwasser-
und Prozesswärmenachfrage von rund 2 282 PJ/a [4.25], Tabelle 4.26).
Bei der Industrie ist i. Allg. davon auszugehen, dass die gesamte solarthermisch deck-
bare Energienachfrage aufgrund der bei industriellen Nachfragern im Normalfall ver-
fügbaren großen Dach- und Fassadenflächen auch solarthermisch gedeckt werden kann;
Restriktionen bezüglich nicht verfügbarer Kollektoraufstellflächen werden deshalb hier
nicht unterstellt.
Bei GHD und insbesondere bei den Haushalten ist dies jedoch nicht notwendigerweise
der Fall. Insbesondere in Ballungs- und Verdichtungsräumen (u. a. Dorfkerne, Stadtzen-
tren, Hochhaussiedlungen) dürfte es vor dem Hintergrund der hier i. Allg. gegebenen
hohen Nachfragedichte nach Wärme kaum möglich sein, die gesamte Trinkwarmwasser-
und ggf. vorhandene Prozesswärmenachfrage aufgrund unzureichend vorhandener bzw.
nicht nutzbarer Dach- und Fassadenflächen (z. B. Denkmalschutz, Ensembleschutz, be-
reits als Dachterrasse genutzte Dachflächen) für eine potenzielle Kollektorinstallation so-
larthermisch bereitzustellen. Deshalb wird hier unterstellt, dass in rund 90 % der insgesamt
möglichen Fälle die gesamte Trinkwarmwasser- und ggf. vorhandene Prozesswärmenach-
frage bei GHD dort anfällt, wo auch prinzipiell die Möglichkeit besteht, Solarkollektoren
zu installieren (d. h. rund 90 % der entsprechenden Wärmenachfrage kann auch solarther-
misch gedeckt werden). Bei den Haushalten wird hier davon ausgegangen, dass Gebiete
mit lockerer Bebauung (rund 2 % der gesamten Gebäudeflächen in Deutschland) vollstän-
dig, Gebiete mit Einfamilienhäusern und nicht sehr dicht bebaute Dorfkerne (ca. 50 %
der gesamten Gebäudefläche) zu einem sehr hohen Anteil, Gebiete mit Randbebauung
und Wohnblocks (ca. 40 % der deutschen Gebäudefläche) zu einem ebenfalls erheblichen
Anteil und Gebiete mit einer hohen Bebauungsdichte (z. B. Stadtzentren, Sonderbauten;
rund 8 % der Gebäudefläche) zu weniger als der Hälfte genutzt werden können. Bei den
ausgeschlossenen Flächen besteht demnach keine technisch realistische Möglichkeit, So-
larkollektoren aufzustellen und damit die gegebene Wärmenachfrage zu decken. Damit
können nur bei rund 80 % der gesamten Trinkwarmwasser- und Prozesswärmenachfrage
bei den Haushalten Solarkollektorsysteme zur Deckung dieser Wärmenachfrage beitra-
gen.
4 Solarthermische Wärmenutzung 329
deckbare Wärmenachfrage bei der Industrie bei 53 bis 238 PJ/a, bei GHD zwischen 64
und 287 PJ/a und bei den Haushalten bei 122 bis 548 PJ/a. Zusammengenommen könnte
damit die Solarthermie 239 bis 1 073 PJ/a zur Deckung der gesamten Nachfrage an Raum-
und Prozesswärme im Niedertemperaturbereich sowie an Trinkwarmwasser in Deutsch-
land beitragen.
4.4.2 Nutzung
4.4.2.1 Welt
Die weltweit installierte thermische Leistung solarthermischer Systeme zur Heißwasser-
und – eingeschränkter – zur Raumwärmebereitstellung lag Ende 2018 bei insgesamt etwa
480 GW [4.27]. Obwohl derartige Systeme weltweit installiert werden, dominiert China
mit 338 GW bzw. ca. 70 % die global installierten Kapazitäten. Der potenzielle solare
Nutzenergieertrag dieses Anlagenparks beträgt ca. 1 426 PJ (2018) (Abb. 4.40). China hat
bei der insgesamt installierten solarthermischen Leistung mit rund 335 GW und bei dem
jährlichen Zubau von etwa 26 GW (2017) einen weltweiten Anteil von ca. 75 %. Aller-
dings ist auch in China – wie auch global – seit 2014 der Markt rückläufig.
Bei dem vorhandenen Anlagenbestand handelt es sich zu etwa 90 % um kleine, de-
zentrale Anlagen zur Bereitstellung von Brauchwarmwasser primär für den Einsatz in
Wohngebäuden. Anlagen zur Schwimmbadwassererwärmung oder zur Heizungsunter-
stützung sind global gesehen eher von untergeordneter Bedeutung; gleiches gilt auch für
solare Nahwärmesysteme, auch wenn diese – auf einem sehr niedrigen Niveau – nach wie
vor eine (nur sehr) begrenzte Bedeutung haben. Bei einem Großteil dieser Anlagen handelt
es sich um Naturumlaufsysteme. Weltweit wurden in der Vergangenheit primär Flachkol-
lektoren verbaut, während neue Anlagen u. a. in China und Indien heute überwiegend als
Vakuumröhrenkollektoren realisiert werden [4.27]. Im Jahr 2017 waren deshalb mit 71 %
Vakuum-Röhrenkollektoren der weltweit am häufigsten eingesetzte Kollektortyp gefolgt
von verglasten Flachkollektoren mit knapp 23 % und Schwimmbadkollektoren mit etwa
6 %. Dahingegen werden in Europa mit 80 bis 85 % primär verglaste Flachkollektoren
eingesetzt.
Insbesondere in Ländern mit einer vergleichsweise hohen Solarstrahlungsintensität
sind z. T. noch erhebliche unerschlossene Potenziale für die Installation solarthermischer
332 M. Kaltschmitt et al.
500 1500
jährlich neu installierte Leistung
1400
450 kummulierte Leistung
potenzielle jährliche Wärmeerzeugung 1300
400 1200
Wärmebereitstellung in PJ/a
Thermische Leistung in GW
1100
350
1000
300 900
800
250
700
200 600
500
150
400
100 300
200
50
100
0 0
2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018
Abb. 4.40 Weltweit installierte solarthermische Anlagenkapazität und Warmwasser- und deutlich
eingeschränkter zur Raumwärmebereitstellung [4.29]
Systeme vorhanden; aus Potenzialsicht steht einem weiteren Ausbau der Solarthermie
zur Warmwasserbereitstellung demnach nichts im Wege. Auch hat sich beispielsweise in
einigen südeuropäischen Ländern die Installation einer solarthermischen Brauchwarm-
wassererwärmung zur Standardlösung im Neubau entwickelt. Demgegenüber dürften,
global betrachtet, solare Nahwärmesysteme und / oder eine solare Prozesswärme- und
Kälteerzeugung u. a. aufgrund zu niedriger Energiepreise auch weiterhin keine signi-
fikante Marktbedeutung erlangen. Parallel dazu existiert aber eine weiter zunehmende
Konkurrenz in bestimmten Bereichen durch die Photovoltaik.
kummulierte Leistung
110
35 potenzielle jährliche Wärmeerzeugung
100
30 90
Thermische Leistung in GW
Wärmebereitstellung in PJ/a
80
25
70
20 60
50
15
40
10 30
20
5
10
0 0
2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018
Abb. 4.41 EU-weit installierte solarthermische Anlagenkapazität zur Warmwasser- und deutlich
eingeschränkter zur Raumwärmebereitstellung [4.29]
systeme auf Basis erneuerbarer Energien (u. a. sinkende Investitionen bei Wärmepumpen-
und bei Photovoltaiksystemen).
Zusätzlich zeigt Abb. 4.42 die regionale Verteilung des vorhandenen solarthermischen
Anlagebestandes in der EU. Demnach sind neben Deutschland auch Österreich, Spani-
en, Italien und Griechenland Länder, in denen solarthermische Wärme absolut in einem
nennenswerten Ausmaß genutzt wird. Im Unterschied dazu hat diese Optionen in einigen
osteuropäischen Ländern und in den baltischen Staaten praktisch keine Bedeutung.
4.4.2.3 Deutschland
Ende 2018 waren deutschlandweit insgesamt rund 20,5 Mio. m2 an Solarkollektorfläche
und in etwa 2,32 Mio. Solarthermieanlagen installiert. Auf der Basis mittlerer Energie-
erträge errechnet sich daraus eine bereitstellbare nutzbare Niedertemperaturwärme und
vereinzelt auch Prozesswärme von knapp 30 PJ (2018). Die tatsächliche Wärmebereitstel-
lung lag 2018 aber mit rund 32 PJ aufgrund der hohen Solareinstrahlung deutlich über
diesem Mittelwert (Abb. 4.43; [4.26]). Die durchschnittliche Kollektorfläche der 2018 in-
stallierten Anlagen lag bei knapp 7 m2 ; nur bei einem sehr untergeordneten Teil dieser
Kollektorfläche wurden Vakuumröhrenkollektoren verbaut.
Abb. 4.43 zeigt zusätzlich zur mittleren Niedertemperaturwärmebereitstellung die jähr-
lich neu installierte Kollektorfläche und den entsprechenden Gesamtbestand in Deutsch-
land im Zeitraum zwischen 2008 und 2018. Deutlich wird – neben dem merklichen Rück-
gang der jährlichen Neuinstallationen – insbesondere die Stagnation der absoluten Anla-
334 M. Kaltschmitt et al.
Abb. 4.42 EU-weit installierte solarthermische Anlagenkapazität zur Warmwasser- und deutlich
eingeschränkter zur Raumwärmebereitstellung (Daten nach [4.43])
Wärmebereitstellung in PJ/a
25
10
20
8
15
6
10
4
2 5
0 0
2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018
Abb. 4.43 Entwicklung der solarthermischen Nutzung in Deutschland (d. h. jährlich neu installierte
Kollektorfläche, Gesamtkollektorflächen) [4.26]
4.4.2.4 Österreich
Die Entwicklung des Solarthermiemarktes verläuft in Österreich ähnlich wie in Deutsch-
land. Die in der Alpenrepublik installierte Kollektorfläche belief sich im Jahr 2018 insge-
samt auf rund 5,1 Mio. m2 , wenn davon ausgegangen wird, dass Anlagen älter als 25 Jahre
bereits außer Betrieb genommen wurden. Hierbei handelt es sich bei knapp 92 % um
verglaste Flachkollektoren, bei etwa 6 bis 7 % um unverglaste Flachkollektoren und bei
weniger als 1,7 % um Vakuumröhren-Kollektoren (Abb. 4.44). Die kumulierte Wärme-
leistung beträgt ca. 3,6 GW (Abb. 4.45).
Der Markt in Österreich ist von Höchststand 2009 mit dem damals installierten
346 000 m2 an neu aufgebauter Kollektorfläche auf knapp 100 000 m2 an neu errichte-
336 M. Kaltschmitt et al.
6000
3000
2000
1000
Abb. 4.44 Entwicklung der solarthermischen Nutzung in Österreich (d. h. jährlich neu installierte
Kollektorfläche) [4.38]
4
jährlich neu installierte Leistung
Thermische Leistung in GW
3,5
kumulierte Leistung
2,5
1,5
0,5
0
2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018
ten Kollektorflächen im Jahr 2018 zurückgegangen. Damit sinkt auch seit etwa 4 Jahren
die insgesamt in Österreich installierte Kollektorfläche, wenn man eine technische Le-
bensdauer der vorhandenen Anlagen von 25 Jahren ansetzt.
56 % der vorhandenen Anlagen wurden im Einfamilien- und 38 % im Mehrfamilien-
hausbereich installiert. Hierbei kommen sowohl reine Trinkwarmwasser- als auch kom-
binierte Systeme zur Trinkwarmwasser- und Heizungsunterstützung zum Einsatz (Kom-
bisysteme). 4 % der existierenden Anlagen wurden im industriellen Bereich und 2 % im
Hotel- und Gastgewerbe installiert.
Auch in Österreich trugen die sinkenden Preise für Photovoltaik bei gleichbleibenden
Preisen für die Solarthermie zu dem starken Rückgang des Solarthermiemarktes bei. Die
Marktaussichten für Österreich entsprechen weitgehend denen in Deutschland.
4 Solarthermische Wärmenutzung 337
Literatur
[4.26] Lenz, V., Naumann, K., Denysenko, V., Daniel-Gromke, J., Rensberg, N., Janczik, S., Masla-
ton, M., Hilgedieck, J., Christ, D., Kaltschmitt, M.: Erneuerbare Energien – Erkenntnisstand
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[4.37] ÖNORM B 501 : 2017 02 15, Hygienerelevante Planung, Ausführung, Betrieb, Überwachung
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[4.39] Biermayr, P., Dißauer, C., Eberl, M., Enigl, M., Fechner, H., Fischer, L., Fürnsinn, B.,
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eurobserv-er.org/. Zugegriffen: 4. Febr. 2020
Photovoltaische Stromerzeugung
5
Roland Bründlinger, Daniel Christ, Hubert Fechner, Martin Kaltschmitt,
Jörg Müller, Gerhard Peharz, Detlef Schulz und Lucas Sens
Autoren in alphabetischer Reihenfolge mit Beiträgen zum Kapitel; die Autorenzuordnung geht aus
den einzelnen Unterkapiteln hervor.
Roland Bründlinger, Wien, Österreich
Daniel Christ, Martin Kaltschmitt, Lucas Sens, Hamburg, Deutschland
Hubert Fechner, Wien, Österreich
Jörg Müller, Hamburg, Deutschland
Gerhard Peharz, Graz, Österreich
Detlef Schulz, Hamburg, Deutschland
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 339
M. Kaltschmitt, W. Streicher, A. Wiese (Hrsg.), Erneuerbare Energien,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-61190-6_5
340 R. Bründlinger et al.
che Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit der photovoltaische Effekt stattfinden
kann und die dabei in dem Material freigesetzten Elektronen technisch nutzbar gemacht
werden können.
5.1.1 Bändermodell
Ein Atom besteht neben den positiv geladenen Protonen und den nicht geladenen Neu-
tronen aus negativ geladenen Elektronen. Diese Elektronen weisen jeweils definierte
Energien auf; d. h. sie nehmen diskrete Energieniveaus („Schalen“ oder „Orbitale“) ein,
die – so die bildhafte Vorstellung des Bändermodells – sich um den Atomkern her-
um anordnen (Abb. 5.1). Dabei ist aber die Anzahl der Elektronen, die ein bestimmtes
Energieniveau besetzen können, begrenzt; nach dem sogenannten Pauli-Prinzip kann ein
mögliches Energieniveau immer nur von höchstens zwei Elektronen besetzt werden, die
sich durch einen antiparallelen „Spin“ (d. h. Eigendrehimpuls) unterscheiden müssen
(u. a. [5.1, 5.2, 5.3, 5.4]).
Auch wenn Atome einen Festkörper bilden, gilt weiterhin dieses Pauli-Prinzip; d. h.
jedes dieser Elektronenpaare beansprucht ein eigenes Energieniveau E. Dafür weiten sich
aber diese Energieniveaus zu Energiebändern definierter Breite auf (Abb. 5.1). Da zudem
die Anzahl der Elektronen dem Volumen des Festkörpers proportional ist, verringert sich
der energetische Abstand der Energiezustände der Elektronen in den Bändern proportio-
nal zum Volumen. Zwischen diesen von den Elektronenpaaren besetzten Energiebändern
verbleiben wie beim Einzelatom jeweils Energielücken; sie werden auch als „verbote-
ne“ Bänder oder Bandlücken bezeichnet. Die Breite dieser Energiebänder ist umgekehrt
skaliert zu ihrem Abstand vom Kern; d. h. den inneren, stark an die Kerne gebundenen
E4
Energieniveau
E3
E2
E1
Lage im
Atomabstand
Material
5 Photovoltaische Stromerzeugung 341
Elektronen stehen schmale und den äußeren Elektronen breite erlaubte (Energie-)Bänder
zur Verfügung. Die Breite der verbotenen Bänder variiert in umgekehrter Weise; nahe an
den Atomkernen sind sie breit und mit immer höheren Energien werden sie zunehmend
schmaler. Dies kann letztlich bis zu einer Überlappung der äußersten Bänder führen. Da-
bei sind die energetischen Abstände der erlaubten Bänder bzw. die energetische Breite der
Energielücken und die Verteilung der Elektronen auf die erlaubten Bänder bestimmend
für die elektrischen und die optischen Eigenschaften des jeweiligen Festkörpers.
In den Energiebändern ist die Zahl der von Elektronen besetzbaren Energieniveaus,
also die Zahl der Plätze, nicht gleichmäßig verteilt; sie ist gering an den jeweiligen Band-
kanten und steigt zur Mitte hin an (cos2 -Funktion). Da die genaue energetische Lage
der Elektronen i. Allg. nicht wesentlich ist, benutzt man üblicherweise den integralen
Wert, die sogenannte „effektive“ Zustandsdichte. Aus energetischen Gründen (minima-
le Energie des Gesamtsystems) sind dabei die inneren Schalen bei Atomen bzw. die
Energiebänder der Festkörper mit niedrigen Energiezuständen vollständig mit Elektronen
besetzt. Hier können sich die Elektronen deshalb nicht frei bewegen – nur ein gegensei-
tiger Platztausch ist möglich. Diese Elektronen können aufgrund dieser Immobilität nicht
zur elektrischen Leitung beitragen. Das energiereichste voll besetzte Energieband wird als
Valenzband bezeichnet; hier befinden sich die Elektronen, die den chemischen Bindungs-
typ des jeweiligen Elements festlegen.
Soll ein Festkörper eine elektrische Leitfähigkeit aufweisen, bedarf es frei beweglicher
Elektronen in der festen Materie. Frei beweglich sind Elektronen aber nur dann, wenn sie
sich in einem nicht voll besetzten Energieband befinden, in dem sie höhere Energiezu-
stände (d. h. Beschleunigung im elektrischen Feld) annehmen können. Aus energetischen
Gründen wird dies vor allem in dem unmittelbar über dem Valenzband (d. h. dem letz-
ten voll besetzten Energieband) liegenden Energieband auftreten, da Elektronen aus dem
Valenzband z. B. durch die Aufnahme thermischer Energie dorthin gelangen können. Die-
ses durch frei bewegliche Elektronen – und damit durch Leitfähigkeit – charakterisierte
Energieband wird deshalb auch als Leitungsband bezeichnet.
Die Energielücke zwischen dem Valenzband und dem Leitungsband nennt man „Band-
abstand“ oder „Bandlücke“ (auch „energy gap“, Eg ) (Abb. 5.2). Sie entspricht der Min-
destenergie, die aufzubringen ist, um ein Elektron aus dem Valenzband in das Leitungs-
band zu befördern.
In Bezug auf die elektrische Leitfähigkeit eines bestimmten Materials kann eine Eintei-
lung in Leiter, Halbleiter und Nichtleiter (Isolatoren) erfolgen. Diese unterschiedlichen
Materialtypen unterscheiden sich in der Bandstruktur und in der Bänderbesetzung mit
Elektronen (Abb. 5.2). Dies wird nachfolgend näher erläutert.
342 R. Bründlinger et al.
Quecksilber Silizium
Quarz
Bernstein
Selen Glimmer
Eisen
-6 -4 -2 2 4 6 8 10 12 14 16
10 10 10 1 10 10 10 10 10 10 10 10
Leiter Halbleiter Nichtleiter Spezifischer Widerstand in Ω cm
Abb. 5.2 Valenz- und Leitungsband sowie Bandlücke (links) und spezifische Widerstände (rechts)
von Leitern, Halbleitern und Nichtleitern (nach u. a. [5.5])
das energiereichste Band (Leitungsband), in dem sich Elektronen aufhalten, nicht voll-
ständig besetzt, oder
das energiereichste, voll besetzte Band (Valenzband) und das darüber liegende Lei-
tungsband überlappen sich (d. h. es gibt keine Energielücke); dadurch liegt ebenfalls
ein teilbesetztes Band (Leitungsband) vor.
Der Transport elektrischer Ladungen erfolgt somit durch frei bewegliche Elektronen,
die im Kristallgitter unabhängig von der Temperatur des Materials in großer Zahl infolge
der beiden genannten Effekte vorhanden sind. Dadurch sind derartige elektrische Leiter
durch sehr geringe spezifische Widerstände gekennzeichnet. Bei steigender Materialtem-
peratur behindert jedoch die zunehmende thermische Schwingung der Atomrümpfe die
Bewegungsmöglichkeiten der Elektronen im Kristallgitter, das das jeweilige Leitermate-
rial ausbildet. Deshalb steigt der spezifische Widerstand beispielsweise bei Metallen mit
zunehmender Temperatur an.
Nichtleiter Nichtleiter (z. B. Gummi, Keramik, Glas) weisen ein mit Elektronen voll auf-
gefülltes Valenzband und einen großen Bandabstand (Eg > 3 eV) auf; sie sind damit durch
ein leeres Leitungsband gekennzeichnet. Bei Raumtemperatur besitzen Nichtleiter daher
praktisch keine frei beweglichen Elektronen (d. h. sie leiten keine elektrischen Ladungen).
Erst bei (sehr) hohen Temperaturen (starke „thermische Anregung“) gelingt es wenigen
Elektronen, die Energielücke zwischen dem Valenz- und dem Leitungsband zu überwin-
den. Deshalb zeigen z. B. Keramiken bei (sehr) hohen Temperaturen eine exponentiell mit
der Temperatur zunehmende Leitfähigkeit.
5 Photovoltaische Stromerzeugung 343
Bei direkten Halbleitern ist für den Wechsel eines Ladungsträgers vom Valenz- in das
Leitungsband nur die Zuführung von Energie von mindestens der Bandlücke Eg not-
wendig.
Bei indirekten Halbleitern ist zusätzlich und gleichzeitig noch die Übertragung eines
Impulses definierter Größe und Orientierung im Gitter auf den Ladungsträger erforder-
lich. In Abb. 5.3 ist dies durch den Pfeil in Richtung des Wellenvektors kv angedeutet.
Dieser Unterschied zwischen den direkten und indirekten Halbleitern liegt in der Struk-
tur der Bänder begründet. Bei direkten Halbleitern gilt die minimale Energie zum Über-
kv kv
344 R. Bründlinger et al.
a-Si:H CdS
102
101
1,0 1,4 1,8 2,2 2,6 3,0
Photonenenergie (hν) in eV
winden der Bandlücke für ruhende Teilchen; bei indirekten Halbleitern erfordert der zu-
lässige Energiezustand des Elektrons im Leitungsband zusätzlich einen definierten me-
chanischen Impuls.
Für die Funktion der Halbleitermaterialien als Basismaterial für die Herstellung von
Solarzellen hat dies erhebliche Konsequenzen. Während bei einem direkten Halbleiter
die Absorption eines einfallenden Photons ausreicht, um den Ladungsträger in das Lei-
tungsband zu heben (d. h. ausschließliche Energieübertragung durch das Photon), muss
beim indirekten Halbleiter gleichzeitig ein Impuls definierter Höhe übertragen werden.
Es ist hier also ein Drei-Teilchen-Prozess notwendig, bei dem der Ladungsträger Energie
ausreichender Höhe vom Photon und gleichzeitig den definierten mechanischen Impuls
durch ein Phonon übertragen bekommt (als Phononen werden die Energiequanten der
Gitterschwingung bezeichnet). Ein solcher Drei-Teilchen-Prozess ist aber um viele Grö-
ßenordnungen unwahrscheinlicher als die Zwei-Teilchen-Wechselwirkung bei direkten
Halbleitern. Damit wird der Weg des Photons im Halbleiter bis zu seiner Absorption bei
indirekten Halbleitern erheblich länger. Abb. 5.4 zeigt deshalb die spektralen Absorpti-
onskoeffizienten ˛ von für die Photovoltaik wichtigen Halbleitermaterialen.
Beispielsweise ist kristallines Silizium ein indirekter Halbleiter. Daher müssen kristal-
line Siliziumzellen relativ dick sein und / oder über eine Geometrie und Oberflächenbe-
schaffenheit verfügen, die eine Verlängerung der Weglänge durch (Mehrfach-)Reflexion
des Lichts im Festkörper ermöglicht. Materialien wie Gallium-Arsenid (GaAs), amorphes
Silizium, Cadmium-Tellurit (CdTe) oder CIS (Kapitel 5.2) sind dagegen direkte Halb-
leiter. Solarzellen aus diesen Materialien können daher deutlich unter 10 m dick sein,
während kristalline Siliziumsolarzellen typische Dicken von 150 bis 200 m aufweisen
müssen. Dünnere kristalline Silizium-Solarzellen befinden sich in der Entwicklung, müs-
sen dann aber über die genannten optischen Eigenschaften verfügen; dies macht deren
Herstellung entsprechend aufwändig.
5 Photovoltaische Stromerzeugung 345
EV
Elektron Defektelektron
346 R. Bründlinger et al.
Erzeugung eines frei beweglichen Elektrons und eines entsprechenden Lochs ist der ma-
terialspezifische Bandabstand Eg .
Für die Beschreibung der Eigenleitungskonzentration ni gelten die Gleichungen (5.1)
und (5.2). n ist die Konzentration der Elektronen und p die der Löcher. T ist die absolute
Temperatur.
p
Eg
n D p D ni D NL NV exp (5.1)
2kT
Eg
n p D ni D NL NV exp
2
(5.2)
kT
Ist beispielsweise die Valenzelektronenzahl des eingebauten Fremdatoms größer als die
des Gitteratoms (z. B. fünfwertiges Arsen (As) oder Phosphor (P) zu vierwertigem Si-
lizium (Si), Abb. 5.6), ist das „überschüssige“ Elektron des Fremdatoms nur schwach
an die Störstelle gebunden. Es löst sich infolge der thermischen Bewegung des Git-
ters leicht aus dem Kristallverbund und erhöht damit als frei bewegliches Elektron
die Leitfähigkeit des Kristalls – und das schon bei sehr niedrigen Temperaturen. Sol-
che Elektronen-abgebenden Fremdatome heißen Donatoren N D . Geben alle in einem
Halbleitermaterial vorhandenen Donatoren ihre Elektronen ab, wird die Elektronen-
konzentration mit n D ND deutlich größer als die der Löcher p, denn im thermodyna-
mischen Gleichgewicht gilt weiterhin Gleichung (5.2) bzw. (5.3). Dabei werden die in
sehr viel größerer Zahl vorhandenen Elektronen in diesem Falle Majoritätsträger ge-
nannt; Löcher sind entsprechend die Minoritätsträger. Da damit die Leitfähigkeit im
Halbleitermaterial hauptsächlich von negativ geladenen Teilchen, den freien Elektro-
nen, verursacht wird, spricht man von n-Leitung.
n2i
pD (5.3)
n
5 Photovoltaische Stromerzeugung 347
Defektelektron
Ge Ge Ge Ge Ge Ge Ge Ge Ge Ge
+
Ge Ge Ge Ge Ge Ge Ge Ge Ge Ge
+ -
Ge Ge As Ge Ge Ge Ge In Ge Ge
Ge Ge Ge Ge Ge Ge Ge Ge Ge Ge
-
Donatoren
Ge Ge Ge Ge Ge Ge Ge Ge Ge Ge
Elektron Akzeptoren
Elektron
Si Si Si Si Si Si Si Si Si Si
Si Si Si Si Si Si Si Si Si Si
-
Si Si P+ Si Si Si Si B- Si Si
Si Si Si Si Si Si Si Si Si Si
+
Si Si Si Si Si Si Si Si Si Si
Defektelektron
Abb. 5.6 Wirkungen von Donatoren (links) und Akzeptoren (rechts) (nach u. a. [5.5])
Durch die Zugabe von Donatoren (Abb. 5.5, Mitte) lässt sich also die Anzahl der Elek-
tronen im Leitungsband deutlich erhöhen. Die dadurch dann erforderliche – im Vergleich
zum undotierten Material geringere – Aktivierungsenergie für die Elektronen spiegelt sich
im Bändermodell (Abb. 5.5) darin wieder, dass deren Energieniveaus dann knapp un-
terhalb des Leitungsbandes liegen. Alternativ steigt durch die Zugabe von Akzeptoren
die Anzahl von Löchern im Valenzband (Abb. 5.5, rechts). Die Energieniveaus der Ak-
zeptoren liegen im Bändermodell knapp über dem Valenzband; sie sind also einfach mit
Elektronen zu besetzen.
Mit dem Einbau von Donatoren (n-Dotierung) bzw. Akzeptoren (p-Dotierung) lässt
sich damit die Leitfähigkeit von Halbleitermaterialien bei Raumtemperatur über meh-
rere Größenordnungen kontrolliert verändern. Da das Produkt aus Elektronendichte und
Löcherdichte dem Quadrat der temperaturabhängigen Eigenleitungskonzentrationsdichte
entspricht, verringert sich jeweils die Minoritätsträgerkonzentration umgekehrt proportio-
348 R. Bründlinger et al.
nal zur Erhöhung der Dotierung und damit der Majoritätsträgerkonzentration. Trotzdem
ergibt sich ein Zugewinn in der Leitfähigkeit, da diese näherungsweise durch die Sum-
me beider Ladungsträgerarten bestimmt wird. Wendet man allerdings beide Arten der
Dotierung (d. h. p- und n-Dotierung) gleichzeitig an, kompensieren sich Akzeptoren und
Donatoren gegenseitig und die Leitfähigkeit nimmt ab; dies wird noch verstärkt durch die
erhöhte Zahl von Verunreinigungen (u. a. [5.2, 5.3]). Typische Dotierungen liegen zwi-
schen 1015 und 1019 cm3 und damit deutlich über der Eigenleitungskonzentration.
5.1.4 Photoeffekt
Als Photoeffekt wird die Übertragung der Energie von Photonen (das sind die Quanten
elektromagnetischer Strahlung) auf Elektronen in Materie bezeichnet. Diese Photonen-
energie wird dabei in potenzielle und kinetische Energie von Elektronen umgewandelt.
Das Elektron übernimmt hierbei die gesamte Quantenenergie des Photons Eph , die als das
Produkt aus dem Planck’schen Wirkungsquantum h und der Photonenfrequenz nach
Gleichung (5.4) definiert ist.
Eph D h (5.4)
Dabei kann zwischen dem äußeren und dem inneren Photoeffekt unterschieden werden;
bei ersterem verlassen die Elektronen den Festkörper, bei letzterem nicht.
Eph D h Eg (5.5)
5 Photovoltaische Stromerzeugung 349
EV
hν
hν
x
Ist die durch die Absorption elektromagnetischer Strahlung zugeführte Energie grö-
ßer als die Bandlücke, können Valenzelektronen aus tieferen Zuständen des Valenzbandes
in höhere Zustände des Leitungsbandes gehoben werden. Die so generierten Elektronen-
Loch-Paare geben die überschüssige Energie aber sehr schnell durch Wechselwirkungen
mit dem Kristallgitter als Wärme an das Material ab, bis sie einen unbesetzten Platz bei der
jeweils niedrigsten Energie im Band gefunden haben (sogenannte thermische Relaxation).
Dieser innere Photoeffekt (Abb. 5.7) ist die Basis für den photovoltaischen Effekt und
damit für die Solar- oder Photovoltaikzelle. Durch ihn werden die Elektronen-Loch-Paare
erzeugt, die es letztlich ermöglichen, das Material als eine Stromquelle nutzen zu können.
Um daraus aber einen Photostrom zu generieren, der an der Materialoberfläche abge-
führt werden kann, müssen diese durch Absorption elektromagnetischer Strahlung frei-
gesetzten Ladungsträger durch ein elektrisches Feld getrennt werden (Abb. 5.8); d. h.
eine ansonsten aus thermodynamischen Gründen zwingend stattfindende Rekombination
muss verhindert werden. Außerdem müssen sie über eine elektrische Potenzialschwelle
Energie aufnehmen, damit sie den Photostrom durch einen Lastwiderstand treiben kön-
nen. Beide Voraussetzungen sind physikalisch erreichbar durch die Integration einer im
Halbleitermaterial befindlichen „Sperrschicht“, die vorzugsweise mit Hilfe eines p-n- oder
p-n-Hetero-Überganges (d. h. einen Übergang mit verschiedenem Leitfähigkeitstypus oder
zusätzlich zwischen zwei unterschiedlichen Materialien; Kapitel 5.1.6) aufgebaut werden
5.1.5 p-n-Übergang
Der p-n-Übergang ist die am häufigsten für Solarzellen genutzte Struktur zur Realisierung
einer derartigen Material-internen Sperrschicht oder Potenzialbarriere. Durch die gezielte
Zugabe von Donatoren bzw. Akzeptoren (Eindiffundieren, Legieren, Ionenimplantation,
Epitaxie) können in einem Halbleiterkristall aneinander angrenzende p- und n-Gebiete
erzeugt werden. Besonders abrupte Übergänge von einem Leitfähigkeitstyp zum anderen
sind z. B. mit der Epitaxie (d. h. dem schichtweisen Aufwachsen von Halbleiterstrukturen
vorzugsweise aus der Gasphase) möglich.
Bringt man ein p- und n-dotiertes Material in engen Kontakt, diffundieren aufgrund
eines starken Konzentrationsgefälles von Elektronen im Leitungsband und Defektelek-
tronen im Valenzband an der p-n-Grenzfläche Löcher aus dem p- in das n-Gebiet und
Elektronen aus dem n- in das p-Gebiet. Infolge dieses Diffusionsstroms kommt es auf
beiden Seiten der Grenzschicht zu einer Verarmung der jeweiligen Majoritätsträger. Die
an die ortsfesten Donatoren bzw. Akzeptoren gebundenen und damit zurückbleibenden
Ladungen erzeugen auf der p-Seite des Übergangs eine negative und auf der n-Seite eine
positive Raumladung.
Als Folge dieser Raumladung baut sich über die Grenzfläche hinweg ein elektrisches
Feld auf, welches einen Feldstrom in entgegengesetzter Richtung zum Diffusionsstrom
hervorruft. Im Gleichgewichtszustand sind der Diffusionsstrom und der Feldstrom gleich;
d. h. sie kompensieren sich gegenseitig. Die nicht mehr kompensierten ortsfesten Ladun-
gen der Donatoren und Akzeptoren definieren diese Raumladungszone; ihre Breite fällt
wegen der zunehmenden Ladungsdichte mit wachsender Dotierungskonzentration.
Abb. 5.9 zeigt diese Verhältnisse idealisiert. Vereinfachend wird hier angenommen,
dass die Dotierungskonzentrationen jeweils bis zum p-n-Übergang konstant (abrupter
p-n-Übergang) und die Majoritätsträgerdichten in der gesamten Raumladungszone und
insbesondere an den äußeren Rändern vernachlässigbar sind. Dies begründet sich aus der
exponentiellen Abhängigkeit der Konzentration vom lokalen Potenzial. Damit ist auch die
Raumladungsdichte in der Raumladungszone konstant. Abb. 5.9 zeigt den resultierenden
Verlauf des elektrischen Potenzials U und den Verlauf der Energie E. Diese Energie E
ist definiert als der mit der Elementarladung e0 (1;6021 1019 As) (Ladung eines Elek-
trons oder Lochs) multiplizierte Potenzial- bzw. Spannungsverlauf (Spannung U); es gilt
Gleichung (5.6).
E D e0 U (5.6)
Elektronen gewinnen in dieser Darstellung Energie, wenn sie sich „wie Kugeln“ zu
niedrigerer Energie (d. h. nach rechts) bewegen und Löcher, wenn sie „wie Blasen“ auf-
steigen (d. h. nach links).
5 Photovoltaische Stromerzeugung 351
p-Material n-Material
ortsfeste Ladungen:
an Akzeptoren an Donatoren
ohne Bestrahlung
Ausbildung einer Raumladungszone
freie Ladungsträger:
Löcher (p) Elektronen (n)
log Trägerdichte
Raumladung (idealisiert)
Diffusionsspannung (UD)
Elektronenenergie
EL(x)
Bestrahlung
e0 UD Energiebänderschema mit p-n-Übergang
EV(x) (die Diffusionsspannung trennt die vom
Licht erzeugten Ladungsträgerpaare)
EV(x) = Energieniveau des Valenzbandes
EL(x) = Energieniveau des Leitungsbandes
Generation durch
Lichtabsorption Diffussionszone
-xp xn
Abb. 5.9 p-n-Übergang in der Solarzelle (zur Erklärung der Abkürzungen siehe Text)
ln(n) ln(p)
tration mit (n, p) und ohne
Beleuchtung (np;0 , pn;0 ) (xp , xn
Ränder der Raumladungszone;
nach [5.7])
p
n
pn,0
np,0
-xp xn x
Die Diffusionslänge LD wird vom Halbleitermaterial bestimmt und ist zusätzlich stark
abhängig vom Fremdstoffgehalt – also auch von der Dotierung (je höher die Dotierung,
desto kleiner ist die Diffusionslänge) – und von der Kristallperfektion. Bei Silizium liegt
sie bei etwa 10 bis zu einigen 100 m. Ist die Diffusionslänge kleiner als der Weg der
Ladungsträger bis zum Rand der Raumladungszone, rekombinieren die meisten Mino-
ritätsträger. Die Zahl der lichtinduzierten Ladungsträger nimmt nach Durchlaufen einer
Strecke von einer Diffusionslänge auf 1/e ab, nach Durchlaufen von zwei Diffusionslän-
gen auf 1/e2 usw. Deshalb sollte die Diffusionslänge ein Mehrfaches der Absorptionstiefe
der auf eine Solarzelle auftreffenden Strahlung sein, um eine effektive Ladungsträgertren-
nung zu erreichen.
354 R. Bründlinger et al.
Roland Bründlinger, Daniel Christ, Hubert Fechner, Martin Kaltschmitt, Jörg Müller, Ger-
hard Peharz und Detlef Schulz
Zellenaufbau und Ersatzschaltbild Abb. 5.11 zeigt den grundsätzlichen Aufbau ei-
ner Solarzelle, bestehend aus p-dotiertem Basismaterial (hier können unterschiedliche
p-dotierte Zonen unterschieden werden) und einer dünnen n-dotierten Schicht auf der
Oberseite. Auf die Zellenrückseite wird ganzflächig ein metallischer Kontakt und auf der
beschienenen Seite ein gitterartiges Kontaktsystem, das optimiert ist, um die Abschat-
tungsverluste minimal zu halten, aufgebracht. Alternativ können dazu auch vollflächige,
transparente, leitfähige Schichten genutzt werden. Zur Minimierung von Reflexionsver-
lusten werden auf die Zellenoberfläche zusätzlich Antireflexschichten für den photonen-
reichsten Bereich des solaren Strahlungsspektrums (grün-gelb-rot) aufgebracht.
Das elektrotechnische Verhalten einer derartigen Solarzelle ähnelt dem einer Gleich-
spannungsdiode mit einer parallel geschalteten Stromquelle; das entsprechende verein-
fachte Ersatzschaltbild (Eindiodenmodell) zeigt Abb. 5.12.
Ohne Bestrahlung verhält sich die Solarzelle demnach wie eine normale Halblei-
ter-Gleichrichterdiode. Sie lässt in einer Spannungsrichtung, der „Flussrichtung“, einen
Stromfluss zu und in der Gegenrichtung sperrt sie. Der durch Lichteinstrahlung erzeugte
Photostrom I Ph wird im Ersatzschaltbild in Form einer zur Diode D parallel liegen-
den Stromquelle erfasst; I D ist der Diodenstrom. Der Serienwiderstand RS setzt sich
zusammen aus dem Widerstand der Kontakte und der Zuleitungen sowie dem des Halblei-
termaterials selbst; zur Minimierung dieser Verluste sollten die Zuleitungen deshalb einen
n-dotiert
p-dotiert Halbleitermaterial
p+ -dotiert
Rückseitenkontakt
5 Photovoltaische Stromerzeugung 355
Kennlinie Eine Solarzelle wird im beleuchteten Zustand als eine Stromquelle mit einer
parallel liegenden p-n-Diode idealisiert. Der Photostrom I Ph ist proportional zu dem auf
die Zelle auftreffenden Photonenfluss. In guter Näherung beschreibt die Diodengleichung
von Shockley [5.2] die Strom-Spannungs-Kennlinie (Gleichung (5.8)) einer Solarzelle.
e0 U
I D IP h I0 e kT 1 (5.8)
Dabei sind I der über die Kontakte fließende Strom, I Ph der Photostrom und U die
Spannung über der Diode. T ist die Temperatur, k die Boltzmann-Konstante (1;3806
1023 J/K) und e0 die Elementarladung (1;602176634 1019 C).
I 0 ist der Sättigungssperrstrom. Er wird von einer Reihe von physikalischen Größen
bestimmt und ist von elementarer Bedeutung bei der Beschreibung von Solarzellen. So
gehen in I 0 alle Rekombinationsströme der Solarzelle ein und ein hoher Wert für I 0 ist
gleichbedeutend mit hohen Rekombinationsverlusten in einer Photovoltaikzelle. Jedoch
lässt sich selbst in einer perfekten Solarzelle eine Rekombination nicht verhindern; im
idealen Grenzfall ist I 0 nur durch die Bandlücke Eg und die Temperatur bestimmt. Konkret
nimmt I 0 mit steigender Bandlücke exponentiell ab bzw. steigt I 0 mit der dritten Potenz
der Temperatur (I 0
T3 ). Diese Temperaturabhängigkeit des Sättigungssperrstroms I 0
bestimmt auch den Einfluss der Temperatur auf die Kennlinie einer Solarzelle. Für eine
gute Silizium-Solarzelle liegt der Wert für I 0 in der Größenordnung von 1012 A/cm2 .
Der Photostrom I Ph bzw. der Kurzschlussstrom steigt üblicherweise linear mit steigen-
der Bestrahlungsstärke der Solarzelle durch die auftreffende Solarenergie. Unter realen
Betriebsbedingungen gilt in der Regel I L I0 . I L ist der Strom in der Zelle.
In der Gleichung (5.8) ist das Vorzeichen des Stromes I vertauscht gegenüber der
konventionellen Schreibweise („Verbraucher“-Zählpfeilrichtung, verbrauchte Leistung
ist positiv) in die Generator-Zählpfeilrichtung (erzeugte Leistung ist positiv). Dies ist
auf eine in diesem Zusammenhang realisierte Konvention zurückzuführen, damit die
Strom(I)-Spannungs(U)-Kennlinie der Photovoltaikzelle im I. Quadranten dargestellt
werden kann.
356 R. Bründlinger et al.
PMPP
IK I-U-Kennlinie
Stromstärke I in A
Leistung P in W
IMPP
UMPP UL
Spannung U in V
IMPP UMPP
FF D (5.9)
IK UL
erreicht werden, wenn der Serienwiderstand relativ gering und der Parallelwiderstand aus-
reichend hoch ist. Zusätzlich wird der Füllfaktor von I 0 beeinflusst; dabei existiert selbst
bei idealen elektrischen Widerständen (RP D 1 und RS D 0 ) ein materialabhängiges
Limit (primär abhängig von der Bandlücke Eg und der Temperatur T) für Solarzellen. Da-
her können bei einer Temperatur von 300 K bzw. ca. 27 ı C „perfekte“ Siliziumsolarzellen
einen Füllfaktor von maximal etwa 0,85 erreichen, während dieses Limit für GaAs-Zel-
len bei etwa 0,89 liegt. Im Gegensatz dazu können Zellen aus Germanium (Bandlücke
ca. 0,6 eV) im besten Fall nur etwa 0,72 erreichen.
Wird Gleichung (5.8) umgeformt und die Spannung in Abhängigkeit des Stroms dar-
gestellt bzw. angenommen, dass unter realen Betriebsbedingungen IL I0 gilt, erhält
man Gleichung (5.10) für die offene Leerlauf- oder Klemmenspannung U L (d. h. U L D
U.I D 0/). k ist die Boltzmann-Konstante (1;380649 1023 J/K), T die absolute Tempe-
ratur und e0 die Elementarladung (1;602176634 1019 C).
kT IL
UL ln (5.10)
e0 I0
Demnach nimmt die Spannung logarithmisch mit dem Strom I L zu. Nachdem I L li-
near-proportional mit zunehmender Bestrahlungsstärke ansteigt, nimmt die Leistung einer
Solarzelle überproportional mit der Bestrahlungsstärke zu. Dieser Zusammenhang gilt je-
doch nur für den Fall, dass die Temperatur der Solarzelle konstant bleibt. Mit zunehmender
Temperatur verringert sich jedoch die Bandlücke Eg ; deshalb steigt I 0 mit der dritten Po-
tenz der Temperatur. Dadurch reduziert sich die Leerlaufspannung U L . Daher wird für
die meisten Solarzellen ein linearer Zusammenhang zwischen der Leerlaufspannung U L
und der Zellentemperatur T festgestellt. Man spricht von einem negativen Temperaturko-
effizienten, der für eine Silizium-Solarzelle beispielsweise bei etwa 2,1 mV/K liegt. Der
Kurzschlussstrom nimmt aufgrund des mit zunehmender Temperatur verringerten Band-
abstands und damit einer erhöhten Generationsrate aber nur geringfügig zu (0,01 %/K;
d. h. positiver Temperaturkoeffizient). Der Füllfaktor FF hat üblicherweise ebenfalls einen
negativen Temperaturkoeffizienten. Für Siliziumsolarzellen gilt daher, dass deren Leistung
pro Kelvin Temperaturerhöhung um etwa ein halbes Prozent abnimmt.
Ausgehend davon zeigt Abb. 5.14 den typischen Verlauf einer Strom(I)-Spannungs(U)-
Kennlinie für verschiedene Betriebszustände. Die Schnittpunkte der Kennlinie mit den
Achsen liefern bei U D 0 den Kurzschlussstrom I K (er ist in guter Näherung gleich dem
Photostrom I Ph ) und bei I D 0 die Leerlaufspannung U L . Bei gleicher Zelltemperatur sinkt
die maximale Leistung annähernd linear mit sinkender Einstrahlung und bei konstanter
Einstrahlung geht die maximale Leistung bei steigender Zelltemperatur zurück [5.4, 5.8].
2
1 000 W/m
273 K
0,0
0,0 0,25 0,5 0,75 1,0
Spannung bezogen auf Leerlaufspannung
Abb. 5.14 Einfluss von Strahlung und Temperatur auf die Strom(I)-Spannungs(U)-Kennlinie unter
Standardtestbedingungen (typischer Verlauf für eine Silizium-Solarzelle; nach [5.5])
Für Photonen mit geringerer Energie (d. h. einer Energie, die unter dieser Mindest-
energie liegt und damit kleiner ist als die Bandlücke) ist das Material transparent; d. h.
die Photonenenergie reicht nicht aus, um ein Valenzelektron soweit anzuregen, dass es
den Sprung ins Leitungsband schafft. Deshalb können derartige Photonen im Sinne der
Ladungsträgergenerierung in einem dotierten Halbleitermaterial nicht genutzt werden.
Haben demgegenüber die Photonen eine über die Energielücke Eg hinausgehende Ener-
gie (d. h. sie übersteigen die materialspezifische Mindestenergie), wird trotzdem pro
eingestrahltem Photon nur ein Elektron angeregt; d. h. die die Energielücke Eg überstei-
gende Energie kann üblicherweise nicht genutzt werden (beispielsweise kann durch die
Absorption eines hochenergetischen Photons ein Elektron im Halbleitermaterial relativ
hoch in das Leitungsband angeregt werden; dort gibt das angeregte Elektron jedoch die
über die Bandlücke hinausgehende Energie sehr schnell wieder über Thermalisierung
ab).
Die auf der Erde verfügbare solare Strahlung ist durch eine breite Spektralverteilung
(vgl. Abb. 2.12) gekennzeichnet; d. h. sie enthält Photonen sehr unterschiedlicher Ener-
gie. Die Aufgabe einer Solarzelle besteht nun darin, möglichst viele dieser Photonen zu
5 Photovoltaische Stromerzeugung 359
Wirkungsgrad in %
30
Einstrahlungsintensität von Cu2O
1 000 W/m2 und das Konzen- 25
trationsverhältnis C D 1 000 GaP
steht für einen Konzentrati- 20 C=1
onsfaktor von 1 000 bzw. eine CdS
Einstrahlungsintensität von 15
0
0 1 2 3
Bandabstand in eV
absorbieren und in elektrische Energie umzuwandeln. Diese Forderung wird umso besser
erfüllt, je kleiner die Bandlücke Eg ist. Da der Photostrom I Ph einer Solarzelle proportional
zur Zahl der pro Zeiteinheit absorbierten Photonen ist, steigt er mit sinkender Bandlücke.
Mit kleiner werdender Bandlücke sinkt jedoch auch die maximal generierbare Spannung
U. Umgekehrt wird damit bei großer Bandlücke zwar die Leerlaufspannung U L hoch,
aber dann wird nur ein geringer Teil des Sonnenspektrums absorbiert; dadurch erreicht
der absorbierte Photostrom I Ph nur geringe Werte.
Für ein gegebenes solares Spektrum (das vom Menschen quasi nicht beeinflussbar
ist) und eine definierte Solarzellentemperatur lässt sich folglich auf Basis fundamen-
taler Absorptions- und Rekombinationsmechanismen ein theoretisches Wirkungsgradli-
mit für unterschiedliche Bandlücken, das sogenannte Shockley-Queisser-Limit, berech-
nen. Abb. 5.15 zeigt dieses theoretische Wirkungsgradlimit für zwei verschiedene solare
Konzentrationsverhältnisse C. Dabei steht C D 1 für eine Einstrahlungsintensität von
1 000 W/m2 ; dies ist ein typischer Wert für die maximale spezifische solare Strahlungs-
leistung zur Mittagszeit an vielversprechenden Standorten auf der Erde. Demnach lassen
sich je nach eingesetztem Material für einfache Solarzellen für ein Konzentrationsverhält-
nis von C D 1 – je nach Halbleitermaterial – theoretisch maximale Wirkungsgrade von
ca. 30 % erreichen.
Diese Solarstrahlung lässt sich aber auch mit Hilfe von Linsen oder Spiegeln bündeln;
dadurch wird die Einstrahlungsintensität und in weiterer Folge die Generationsrate von
Ladungsträgern erhöht. Dabei steht ein Konzentrationsverhältnis von C D 1 000 für eine
1 000-fache Konzentration. In Abb. 5.15 wird deutlich, dass durch diese Erhöhung der Ge-
nerationsrate infolge der Strahlungskonzentration auch das erreichbare Wirkungsgradlimit
erhöht wird; demnach können durch eine 1 000-fache Konzentration der Solarstrahlung
360 R. Bründlinger et al.
Spektrale Bestrahlungsstärke
AM 1,5
Spektrale Bestrahlungsstärke
Thermalisierungsverluste
Thermalisierungsverluste
AM 1,5
mit Dreifachsolarzelle
in W/(m2 μm)
in W/(m2 μm)
Wellenlänge in nm Wellenlänge in nm
Abb. 5.16 Mit einer Siliziumsolarzelle energetisch nutzbarer Bereich des solaren Spektrums (links;
die schraffierten Flächen können aufgrund von Thermalisierungs- bzw. Transmissionsverlusten
nicht genutzt werden) und mit einer Dreifachsolarzelle (Ga0;50 In0;50 P/Ga0;99 In0;01 As/Ge) energe-
tisch nutzbarer Bereich (rechts)
kroelektronik (speziell für sehr schnelle Schaltungen) eingesetzt wird. Dieses Material
lässt sich in nahezu perfekter Qualität herstellen und es liegt mit einer Bandlücke von
1,4 eV ähnlich wie Silizium nahe dem Shockley-Queisser-Limit (Abb. 5.15). Gallium-
Arsenid (GaAs) hat zusätzlich den Vorteil, dass es – im Gegensatz zu Silizium – ein
direkter Halbleiter ist. Hier ist die Absorption von Photonen um Größenordnungen hö-
her; dies ist ein substanzieller Vorteil bei der Realisierung von effizienteren Solarzellen.
Beispielsweise liegt der mit einer Gallium-Arsenid(GaAs)-Laborsolarzelle realisierte Wir-
kungsgradrekord bereits sehr nahe am theoretischen Limit.
Der Wirkungsgrad einer Gallium-Arsenid(GaAs)-Solarzelle lässt sich noch signifikant
weiter steigern, wenn ein weiterer elementarer Verlustmechanismus eliminiert wird. Kon-
kret berücksichtigt das Shockley-Queisser-Limit strahlende Rekombination als nicht-ver-
meidbaren Umkehrprozess zu Absorption. Diese Annahme ist zwar richtig. Jedoch kön-
nen die bei der strahlenden Rekombination ausgesandten Photonen wieder re-absorbiert
werden. Durch den Einsatz von geeigneten photonischen Strukturen an der Oberfläche ei-
ner Gallium-Arsenid(GaAs)-Zelle, welche die Abgabe von Strahlung aus Rekombination
unterbindet und eine Re-Absorption bewirkt, könnte die Abgabe von Energie durch strah-
lende Rekombination weitgehend unterbunden werden. Dies hätte denselben Effekt auf
das Wirkungsgradlimit wie eine Erhöhung der Generationsrate bzw. der Konzentration.
Dadurch ließen sich auch mit einer Gallium-Arsenid(GaAs)-Einfachsolarzelle Wirkungs-
grade über 30 % erzielen.
n-dotiert
n+-dotiert
p+-dotiert Elektroden
als der Solarzelle und verhindert dadurch, dass Minoritätsladungsträger dort rekom-
binieren können. Das Problem mit dielektrischen Schichten ist, dass diese elektrisch
nicht leitfähig sind und damit Schwierigkeiten bei der elektrischen Kontaktierung ver-
ursachen. Eine alternative Variante zur Passivierung der Oberflächen ist deshalb die
Erhöhung der Dotierung an der Oberfläche; beispielsweise bewirkt die zusätzliche
p-Dotierung (pC -Dotierung) an der Rückseite die Ausbildung einer Energiebarriere
für Löcher vor dem Rückseitenkontakt. Dadurch wird die Rekombination von Löchern
am Kontakt auf der Rückseite der entsprechenden Zelle reduziert. Diese Barriere wird
häufig „Back-Surface-Field“ genannt.
Ein Teil der Oberfläche wird von den auf der Vorderseite aufgebrachten Kontaktleiter-
bahnen abgeschattet. Durch die Wahl kleiner Kontaktfinger mit einem möglichst gro-
ßen Abstand voneinander sollten diese Abschattungsverluste möglichst gering gehalten
werden. Dem steht allerdings entgegen, dass der Widerstand der Leiterbahn und der
Übergangswiderstand zwischen der Halbleiterschicht (d. h. der photovoltaisch aktiven
Schicht) und dem Kontaktfinger wegen des geforderten niedrigen Serienwiderstands
niederohmig sein sollten. Zusätzlich sollte der Serienwiderstand der Halbleiterschich-
ten (Schichtwiderstand) zwischen den Kontaktfingern möglichst gering sein.
Um solche Abschattungsverluste durch die auf der Vorderseite aufgebrachten Kontakt-
leiterbahnen zu vermeiden, können aus Siliziummaterial mit sehr hoher Diffusions-
länge Solarzellen gebaut werden, deren Frontseite vollständig mittels dielektrischen
Schichten passiviert sind. Hier befinden sich die p- und n-dotierten Bereiche bzw. Kon-
takte nur an der Rückseite derartiger Zellen. Dabei handelt es sich um lateral getrennte
p-n-Übergänge; Abb. 5.17 zeigt den vereinfachten Aufbau einer derartigen Zelle. Sol-
che Solarzellen werden „Interdigitated back contact“ (IBC) Solarzellen genannt; hier
treten keine optischen Verluste durch die Kontakte an der Vorderseite auf.
An der Grenzfläche zum Silizium treten Reflexionsverluste auf. Diese Verluste an
nutzbarer Strahlung lassen sich durch Antireflexschichten minimieren. Dazu werden
auf Zellen aus kristallinem Silizium häufig dünne Schichten aus Siliziumnitrid (SiN)
mittels plasmagestützten Verfahren abgeschieden. Die Dicke dieser dielektrischen An-
tireflexschicht wird dabei so gewählt, dass die Reflexionen im (solaren) Spektralbereich
mit der größten Photonenflussdichte minimiert werden. Zusätzlich wird die Oberfläche
364 R. Bründlinger et al.
Refl exi on i n %
40
30
20
10
0
300 450 600 750 900 1050 1200
Wellenlänge in nm
Seit einigen Jahren werden die Rekordwirkungsgrade mit Siliziumsolarzellen mit im-
mer größeren Zellen erzielt. Der Grund dafür ist, dass durch diese Technologie der
Verlustmechanismus der Rekombination von Minoritätsladungsträgern an den Rändern
der Solarzellen reduziert wird. Zellen mit zunehmend größerer Fläche haben relativ
gesehen weniger Randfläche als kleine Zellen und dadurch einen Vorteil aufgrund der
relativ gesehen kleineren diesbezüglichen Verluste. Das erklärt, weshalb eine Silizium-
Solarzelle mit einer industrierelevanten Fläche von 180 cm2 einen Wirkungsgrad von
26,6 % aufweist.
Der Wirkungsgrad einer Solarzelle kann auch durch eine Konzentration der Sonnen-
strahlung mittels optischer Systeme beispielsweise um den Faktor 10 bis 1 000 (20 bis
500) gesteigert werden (konzentrierende Photovoltaik (CPV) mit 10 bis 1 000-facher
Solarstrahlungserhöhung). Im Umkehrschluss kann dadurch die erforderliche Solarzel-
lenfläche um diesen Faktor reduziert werden. Bei einem geeigneten Halbleitermaterial
und angepassten Strukturen erhöht sich der Wirkungsgrad der Solarzelle mit zunehmen-
der Bestrahlungsstärke, sofern die Zellentemperatur nicht zu stark ansteigt; d. h. unter
ökonomischen Gesichtspunkten können dann für derartige Strahlungs-konzentrierende
Systeme aufwändigere Solarzellentechnologien (z. B. Tandem- und Triple-Zellen) ein-
gesetzt werden (und trotzdem kostengünstig Strom erzeugt werden). Die Solarstrahlung
kann dabei z. B. mit Spiegel- oder Fresnel-Linsensystemen konzentriert werden. Mit
wachsendem Konzentrationsfaktor müssen derartige Konzentrator-Systeme der Sonne
aber zunehmend genauer nachgeführt werden. Dies erfordert einen erhöhten Aufwand
für eine entsprechende mechanische Aufständerung und die benötigten Nachführungs-
einrichtungen. Da solche Systeme zur Strahlungskonzentration nur die direkte Strahlung
einfangen können, eignen sie sich z. B. in Nordeuropa wegen der hier im Jahresmittel
überwiegend vorhandenen Diffusstrahlung (Abb. Abb. 2.14) kaum. Generell muss bei
derartigen Systemen ein techno-ökonomischer Kompromiss zwischen den Mehrkos-
ten einer Strahlungskonzentration (einschließlich einer zweiachsigen Nachführung)
einerseits und einer reduzierten Solarzellenfläche (bei dann aber typischerweise hoch-
effizienten (und damit teuren) Solarzellen) andererseits gefunden werden.
Sonnenwinkel über
14,2° 30° 41,8° 61,1° 90° dem Horizont
Atmosphären-
AM 1
höhe H
Erdoberfläche Beobachtungs-
punkt
Die unter diesen definierten Standardtestbedingungen (STC) von der Solarzelle abge-
gebene Leistung nennt man die Spitzen- oder Peak-Leistung.
Standardtestbedingungen (STC) treten in der Praxis nur äußerst selten auf. Wenn ei-
ne Einstrahlung von beispielsweise 1 000 W/m2 vorliegt, erwärmen sich die Module je
nach Einbauart und Standort um 20 bis 50 K (und ggf. mehr). Bei Photovoltaikmodulen
wird daher neben dem STC-Wirkungsgrad (bzw. der STC-Leistung) in der Regel auch die
Leistung unter nominellen Bedingungen (NOCT) angegeben. Diese beziehen sich übli-
cherweise auf eine Einstrahlung von 800 W/m2 und eine Zelltemperatur von etwa 60 ı C.
Die Beurteilung der Leistungsabgabe eines Moduls unter den standorttypischen meteoro-
logischen Bedingungen ist zudem mit dem sogenannten Nutzungsgrad möglich. Dabei
werden die tatsächlich auftretenden Modultemperaturen, Einstrahlungen und Spektren
entsprechend ihrer Häufigkeit mit den produktspezifischen Parametern der Wirkungsgrad-
abhängigkeit von Temperatur, Einstrahlung und ggf. auch Spektrum gewichtet. Für den
Anlagenbetreiber ist letztlich dieser Nutzungsgrad relevant, da er den konkreten Ertrag
einer Solaranlage über einen längeren Zeitraum bestimmt.
Der Wirkungsgrad unter Standardtestbedingungen heute marktgängiger industrieller
Solarzellen liegt aktuell typischerweise zwischen 17 und 20 %; dies ist u. a. abhängig vom
5 Photovoltaische Stromerzeugung 367
Tabelle 5.1 Wirkungsgrade von Solarzellen; berücksichtigt sind nur Zellen mit einer Fläche größer
als 1 cm2 die von einem unabhängigen Kalibrierlabor gemessen wurden; Stand Ende 2018
Material Typ Wirkungsgrad Stand der Technik
Labor erreicht
in % im Jahr
Mono-Silizium, beidseitige Kontakte Einkristallin 25,7 2017 Industrielle Produktion
Poly-Silizium, beidseitige Kontakte Polykristallin 22,3 2017 Industrielle Produktion
Mono-Silizium, HIT bzw. IBC Einkristallin 26,7 2017 Industrielle Produktion
Silizium-Konzentratorzelle (IBC) Einkristallin 27,6 2004 Kleinserienproduktionf
Amorphes Silizium, einfach Dünnschicht 10,2 2014 Industrielle Produktionf
Tandem 2-Schicht, a-Si/c-Si Dünnschicht 11,9 2017 Industrielle Produktionf
GaAsa , beidseitige Kontakte Dünnschicht 28,8 2012 Laborproduktion
III-V Mehrfachsolarzelle Fünffachzelle 38,8 2013 Industrielle Produktiong
III-V Mehrfachsolarzelle Vierfachzelle 46,0 2014 Industrielle Produktiong
(Konzentrator)
CdTec Dünnschicht 21,0 2014 Industrielle Produktion
CIGSd Dünnschicht 21,7 2017 Industrielle Produktion
CZTSe Dünnschicht 10,0 2017 Laborproduktion
Organische Solarzelle Dünnschicht 11,2 2015 Kleinserienproduktion
Perovskit Dünnschicht 19,7h 2016 Laborproduktion
a
Gallium Arsenid; b GaInP / GaAs; c Cadmium Tellurid; d Kupfer Indium Gallium Diselenid bzw.
Sulfid; e Kupfer Zink Zinn Sulfid bzw. Selenid; f aktuell keine signifikanten Aktivitäten (mehr) zur
kommerziellen Produktion; g kommerziell produziert werden aktuell primär III-V Dreifachsolarzel-
len; h nicht stabil.
Solarzellen aus kristallinem Silizium Photovoltaikzellen auf der Basis kristallinen Silizi-
ums (vgl. [5.1, 5.6, 5.10]) werden in drei Schritten hergestellt:
Ausgangsmaterial für die Herstellung von hochreinem Silizium ist Quarzsand (SiO2 ).
Mit Hilfe eines Reduktionsverfahrens (Schmelzelektrolyse) wird daraus „metallurgisches
368 R. Bründlinger et al.
Silizium“ gewonnen, das eine Reinheit von bis zu 99 % aufweist; diese Reinheit reicht für
die Solarzellenherstellung aber nicht aus.
Für die Herstellung von Silizium für die Halbleiter- bzw. die Photovoltaikindustrie
sind deshalb weitere aufwändige Reinigungsschritte erforderlich; der Fremdstoffanteil in
Halbleiter-Silizium (Semiconductor-Grade Silizium: SeG-Si) muss unter 109 cm3 lie-
gen. Die dafür notwendige weitere Reinigung des Siliziums erfolgt beispielsweise mit
dem „Siemens-Prozess“, der mit der Umwandlung von metallurgischem Silizium mit Hil-
fe von HCl (Salzsäure) vorwiegend in Trichlorsilan beginnt. Dieses Trichlorsilan wird
anschließend einer fraktionierten Destillation unterzogen und kann dadurch mit einer
extremen Reinheit gewonnen werden. In einem Pyrolyseprozess, der in einer Wasserstoff-
atmosphäre bei hoher Temperatur und hohem Druck (bis zu 6 bar) abläuft und der speziell
für die Herstellung von Photovoltaik-Silizium entwickelt wurde, zerfällt das Trichlorsilan
dann an elektrisch beheizten Reinstsiliziumstäben in elementares polykristallines Silizi-
um und Salzsäure (HCl); letztere kann dann in den Prozess der Trichlorsilan-Herstellung
zurückgeführt werden. Dieses „Poly-Silizium“ erfüllt die Spezifikation „SeG-Si“ (Semi-
conductor-Grade Silizium); es weist Korngrößen im m-Bereich auf.
Das dadurch produzierte hochreine Poly-Silizium dient als Ausgangsmaterial für die
Herstellung von Silizium-Einkristallen. Im hierfür eingesetzten Standard-Verfahren, dem
Czochralski(CZ)-Prozess, wird das Poly-Silizium unter Schutzgas in einem Tiegel ein-
geschmolzen (Abb. 5.20). In diese Siliziumschmelze wird dann ein einkristalliner Sili-
ziumkeim eingetaucht. Von dort wird er unter kontrollierten Temperaturgradienten und
langsamem Tordieren von Keim und Schmelze gegeneinander zunächst langsam – mit
dem Ziel eines seitlichen Wachstums bis zum gewünschten Durchmesser – und dann un-
ter Beibehaltung dieses Durchmessers etwas schneller aus der Schmelze herausgezogen.
Dadurch erhält man runde monokristalline Siliziumstäbe mit ca. 150, 200 und 300 mm
Durchmesser. Diese Stäbe werden zunächst auf die gewünschten Durchmesser geschlif-
fen und mit Hilfe von speziellen Drahtsägen gleichzeitig in viele dünne (200 bis 300 m)
monokristalline Siliziumscheiben gesägt. Diese werden anschließend geläppt und poliert.
Der Photovoltaikindustrie dienen diese Scheiben zur Herstellung jeweils einer mono-
kristallinen Siliziumsolarzelle. Dafür werden die runden Scheiben zusätzlich noch be-
schnitten, um quadratische Platten mit – zur Minimierung des Materialverlustes – abge-
schrägten / abgerundeten Ecken zu erhalten (Pseudo-Rechteck-Form). Dadurch geht zwar
trotzdem Material verloren; durch die daraus resultierende bessere Flächenbedeckung
lassen sich aber insgesamt höhere Modulwirkungsgrade erzielen, da die Modulfläche ins-
gesamt besser mit aktivem Material bedeckt werden kann.
Für Solarzellen mit Rekordwirkungsgraden von über 26 % sind Siliziumscheiben aus
dem Czochralski(CZ)-Prozess qualitativ nicht hinreichend; sie weisen noch zu viele Ver-
unreinigungen auf. Dafür werden Einkristalle benötigt, die noch mehrfach einem Zo-
nenschmelzverfahren unterzogen wurden. Dabei wird der Kristall freitragend in einer zu
durchlaufenden Wärmezone induktiv aufgeschmolzen und wieder zum Einkristall erstarrt.
Durch den verminderten Einbau von Verunreinigungen der Schmelze in den Kristall er-
höht sich seine Reinheit mit jedem Durchlauf dieser Wärmezone. Dieses Verfahren erhöht
5 Photovoltaische Stromerzeugung 369
(1) p-dotierte Siliziumscheibe wird optisch auf (2) In einem nasschemischen Ätzprozess wird ein
Beschädigungen inspiziert. Teil der Siliziumoberfläche abgetragen und die
Oberfläche texturiert (Lichtfallenstruktur).
(3) Mittels Phosphordiffusion wird die Oberfläche n- (4) Das Phosphorglas an der Oberfläche wird
dotiert; dabei entsteht üblicherweise an der Oberfläche nasschemisch entfernt.
auch Phosphorglas.
(5) Die Ränder der Zelle werden in einem (6) In einem Plasmaabscheideprozess wird eine
Plasmaätzschritt isoliert bzw. die dotierte Schicht am Antireflexschicht auf eine Seite der Siliziumscheibe
Rand entfernt. aufgetragen.
(7) Mittels Siebdruck werden Elektroden auf die Zelle (8) In einem Ausheizprozess werden die gedruckten
gedruckt; dabei wird auf die Vorderseite ein Gitter aus Elektroden teilweise in die Oberfläche der Zelle
Silberbahnen und auf die Rückseite vollflächig eine einlegiert. An der Vorderseite werden die
Aluminiumpaste aufgebracht. Silberkontakte durch die Antireflexschicht
„gefeuert“. An der Rückseite bildet sich durch
Eindiffusion von Aluminium eine hoch p-dotierte
Rückseite aus, die eine Oberflächen-passivierende
Wirkung auf Löcher im p-Halbleiter hat (Back-
Surface-Field).
Abb. 5.20 Prozessschritte zur Herstellung einer industriellen Siliziumsolarzelle nach dem Sieb-
druckverfahren
370 R. Bründlinger et al.
aber die Materialkosten erheblich; dies spiegelt sich auch im Preis der entsprechenden
Siliziumsolarzellen wider.
Neben monokristallinen Scheiben verwendet die Photovoltaikindustrie mit gutem Er-
folg auch „multikristalline“ Halbleiterplatten. Statt der dargestellten Einkristallzucht wird
das aufgeschmolzene Polysilizium in Kokillen gegossen. Hier erstarrt es durch die Abfuhr
der Wärme, die nur über den Boden dieses Gefäßes realisiert wird, langsam und gerich-
tet. Dadurch entstehen multikristalline Blöcke mit ausschließlich vertikal verlaufenden
Korngrenzen und Kornquerschnitten im mm- bis cm-Bereich. Daraus werden quadrati-
sche multikristalline Platten gesägt. Dem Kostenvorteil durch diese im Vergleich zu den
monokristallinen Scheiben kostengünstigere Herstellung und bessere Materialausnutzung
durch die rechteckige Form steht ein um 2 bis 4 % geringerer Wirkungsgrad gegenüber;
die zahlreichen Korngrenzen des multikristallinen Materials stellen Rekombinationszen-
tren dar, die trotz Passivierung die Diffusionslänge der Minoritätsträger herabsetzen und
den erreichbaren Wirkungsgrad limitieren. In den vergangenen Jahren konnte der Abkühl-
prozess bei der Herstellung von multikristallinem Material aber soweit optimiert werden,
dass teilweise sehr große monokristalline Bereiche (> 10 cm) entstehen. Dieses Materi-
al wird häufig als quasi-mono charakterisiert, da einzelne Blöcke Materialeigenschaften
aufweisen, die weitgehend vergleichbar mit monokristallinem Material sind.
Seit etwa Mitte der 1960er Jahre gibt es Bestrebungen, Siliziumscheiben für die Pho-
tovoltaik unter Umgehung der Einkristallzucht bzw. des Blockgießens und des nachträgli-
chen Sägens direkt in Form von Bändern oder gegossenen bzw. gesinterten Platten herzu-
stellen. Im Zuge dieser Entwicklungen sind mehr als 20 verschiedene Bandzieh- bzw. Fo-
liengießverfahren entwickelt worden. Praktische Anwendung zur Solarzellenproduktion
erreichte in den Jahren vor 2010 nur das Verfahren des „Edge-defined Film-fed Growth“
(EFG-ribbon). Dieser Prozess liefert zunächst achteckige Siliziumrohre, die dann mit La-
sern in Bänder und Platten zerschnitten werden. Solarzellen aus diesem Bandmaterial
erreichen Wirkungsgrade von ca. 15 %. Ein wesentliches Problem bei allen derartigen Rib-
bon-Verfahren ist und war die mangelnde Planarität und Materialqualität der hergestellten
Siliziumscheiben. Aktuell wird deshalb an der industriellen Umsetzung weiterer Alter-
nativen zur Herstellung von hochqualitativen Siliziumscheiben gearbeitet. Beispielsweise
kann mit Chlorsilan eine beliebig dicke Siliziumschicht auf einem Wachstumssubstrat
(z. B. wiederverwendbare Siliziumscheibe) mithilfe eines Epitaxieprozesses abgeschie-
den werden. Diese aufgewachsene Siliziumschicht lässt sich danach auch ablösen, wenn
zuvor eine geeignete Ablöseschicht aufgebracht wurde.
Die Herstellung der eigentlichen Solarzelle aus einer derartigen Siliziumscheibe er-
fordert in ihrer einfachsten Variante nur wenige Prozessschritte (Abb. 5.20). Ausgangs-
material sind durch die Art ihrer Herstellung häufig schon p-dotierte (poly- oder einkris-
talline) Scheiben. Zunächst wird die Siliziumscheibe auf Beschädigungen inspiziert und
deren Oberfläche durch chemisches Ätzen gereinigt bzw. wird beim Ätzen die Oberflä-
che texturiert und es werden Lichtfallenstrukturen eingebracht. Anschließend wird der
p-n-Übergang durch eine ganzflächige Diffusion von Phosphor realisiert. Dabei wird die
p-Grunddotierung der Siliziumscheibe durch die eindiffundierenden Phosphoratome bis
5 Photovoltaische Stromerzeugung 371
zu einer Tiefe von 0,2 bis 0,5 m überkompensiert. Diese n-Dotierung wird anschließend
an den Rändern der Scheibe durch Plasmaätzen und das bei der Diffusion von Phosphor
in einer Sauerstoffatmosphäre auf der Oberfläche der Siliziumscheibe gewachsene Phos-
phorglas nasschemisch entfernt.
In einem plasmagestützten Verfahren wird eine Antireflexschicht bestehend aus Sili-
ziumnitrid auf einer Seite der Siliziumscheibe abgeschieden, die später die Vorderseite
definiert. Danach werden in einem Siebdruckprozess metallhaltige Pasten auf die Zell-
oberflächen gedruckt und dadurch die Elektroden definiert; d. h. auf der Rückseite wird
vollflächig eine Aluminiumschicht aufgebracht und auf der Vorderseite werden Kontakt-
finger aus Silber gedruckt. Der anschließende Sinterschritt (kurzzeitig bis zu 900 ı C) sorgt
auf der Rückseite dafür, dass die Aluminiumatome in das Silizium eindiffundieren und die
unerwünschte n-Dotierung der Rückseite überkompensieren (Aluminium ist als Element
der III Hauptgruppe des Periodensystems ein Donor für Silizium). Dadurch wird das Sili-
zium unter dem Aluminium stark p-dotiert. In der Konsequenz werden auf der Rückseite
die Löcher passiviert; dies wirkt sich günstig auf die effektive Diffusionslänge der Löcher
im p-dotierten Bereich der Solarzelle aus (man spricht hier auch von einem Aluminium
Back-Surface-Field). An der Vorderseite wird das Silber bei diesem Sinterschritt durch
die Antireflexschicht „gefeuert“ und formiert einen Kontakt zum n-dotierten Bereich. Ab-
schließend wird ihre Kennlinie und ihr Wirkungsgrad vermessen.
Dieses skizzierte Verfahren entspricht im Wesentlichen dem aktuellen Standardprozess
für die Herstellung industrieller Siliziumsolarzellen, das seit Jahrzehnten verwendet wird
und auch heute noch sehr weit verbreitet ist. In den letzten Jahren haben sich im Rahmen
der signifikanten Marktausweitung und des damit einhergehenden Preisverfalls einige Dif-
ferenzierungen entwickelt. Beispielsweise wird mittlerweile ein Laserschreibprozess zur
Kantenisolation realisiert, der üblicherweise nach dem Sintern der Kontakte angewandt
wird. Auch findet man zunehmend mehr Anbieter von n-Type-Zellen, die im Wesentli-
chen weitgehend vergleichbar hergestellt werden wie die oben beschriebenen Zellen mit
p-dotiertem Basismaterial. Dabei wird von einem schwach n-dotierten Grundmaterial aus-
gegangen und die Materialoberfläche p-dotiert. Der Vorteil von n-Type-Zellen ist, dass die
Lebensdauer des n-dotierten Materials höher ist als des p-dotierten Materials und deshalb
etwas höhere Wirkungsgrade erreicht werden. Technologisch gesehen gibt es keine prin-
zipiellen Nachteile von n-Type-Zellen; aber diese Zellen sind aktuell noch teurer, da die
Wertschöpfungsketten, die sich in den letzten Jahrzehnten für Siliziumsolarzellen etabliert
haben, nach wie vor stark von p-dotiertem Basismaterial geprägt sind.
Auch werden zunehmend mehr Zellen hergestellt, die keine vollflächige Rückelektrode
mehr aufweisen, sondern – analog wie an der Frontseite – eine Fingerstruktur. Derarti-
ge Zellen können elektrische Energie unabhängig von der Bestrahlungsrichtung (Vorder-
oder Rückseite) generieren; deshalb werden solche Zellen als „bifacial“ bezeichnet. Damit
können bifaciale Zellen zusätzlich Strahlung nutzen, die als Streulicht auf die Rückseite
fällt. Dadurch erhöht sich zwar nicht der eigentliche Wirkungsgrad des Halbleitermate-
rials; trotzdem kann durch die „Doppelbestrahlung“ signifikant (> 10 %) mehr Energie
generiert werden.
372 R. Bründlinger et al.
Gedruckte Elektroden sind relativ günstig und Siebdruck ist einer der kostengüns-
tigsten Druckprozesse, die heute bekannt sind. Jedoch ist es schwierig, mit gedruckten
Elektroden günstige Aspektverhältnisse zu erreichen (unter dem Aspektverhältnis versteht
man das Verhältnis aus der Tiefe bzw. Höhe einer Struktur zu ihrer (kleinsten) lateralen
Ausdehnung; je größer das Aspektverhältnis und je kleiner die absolute Größe einer Struk-
tur ist, desto schwieriger ist i. Allg. eine industrielle Fertigung). Speziell an der Vorderseite
einer Photovoltaikzelle sollten die Kontakte möglichst dick und verhältnismäßig schmal
sein, um einen relativ hohen Querschnitt bei geringer Abschattung zu ermöglichen. Der
marktübliche Siebdruck erlaubt aber typischerweise ein Verhältnis von Dicke zu Breite
eines Kontaktfingers von < 10; dies ist aus Sicht des Anwendungsfalls „Photovoltaik“ re-
lativ ungünstig. Daher wird z. T. zusätzlich ein Galvanikprozess realisiert, bei dem die
gedruckten Kontakte nachträglich „verstärkt“ werden. Dabei wird üblicherweise kein ex-
terner Strom angelegt, sondern die Zellen werden in einem Galvanikbad beleuchtet; d. h.
die benötigte galvanische Spannung bzw. der Strom wird von den Zellen selbst produ-
ziert. Derartige galvanisch verstärkte Kontaktfinger können ein Aspektverhältnis von 1
aufweisen; dadurch lassen sich sowohl die optischen Verluste (Abschattung) als auch die
Serienwiderstandsverluste reduzieren.
Bei der industriellen Produktion von derartigen Solarzellen muss ein Kompromiss zwi-
schen einer möglichst einfachen und damit kostengünstigen Prozessführung und einem
maximierten Wirkungsgrad gesucht werden. Aktuell liegen die Wirkungsgrade industriell
produzierter Silizium-Solarzellen mit gedruckten Kontakten zwischen 17 und 20 %; dabei
wird der Wirkungsgrad aber primär definiert durch das verwendete Basismaterial (mono-
oder multikristallines Silizium). Auch sind seit einigen Jahren industriell produzierte So-
larzellen mit Wirkungsgraden von z. T. deutlich über 20 % erhältlich. Für die Herstellung
dieser Zellen werden etwas aufwändigere Herstellungstechnologien eingesetzt, um kom-
plexere Solarzellenarchitekturen realisieren zu können.
Eine seit Jahrzehnten bekannte hocheffiziente Solarzellenarchitektur stellt die PERL-
Zelle dar (Abb. 5.21); PERL steht für „Passivated Emitter with Rear Locally Diffused“.
Bei einer derartigen PERL-Zelle sind sowohl die Vorder- als auch die Rückseite mit ei-
ner sehr effizienten dielektrischen Passivierung versehen (z. B. SiO2 ). Diese Passivierung
hat lokale Öffnungen; d. h. dort, wo das Halbleitermaterial lokal sehr hoch dotiert ist,
wird ein „lokales Back-Surface-Field“ realisiert. Zusätzlich wird der Halbleiter unter den
Frontkontakten hoch dotiert, um auch hier eine lokale Passivierung zu erzielen bzw. den
Kontaktwiderstand zu verbessern.
Eine PERL-Zelle ist ein Vertreter der Klasse der Solarzellen mit PERC-Architektur.
PERC steht für „Passivated Emitter and Rear Contact“. Der wesentliche Unterschied zu
der bisher am weitesten verbreiteten Siliziumzellen-Technologie (siehe oben) ist dabei die
Passivierung der Rückseite – die Vorderseite ist auch bei einer klassischen Siliziumzelle
bereits gut über die Siliziumnitridschicht passiviert. Konkret wird bei einer PERC-Zelle
die Rückseite nicht mit einem Aluminium Back Surface Field passiviert, sondern ähnlich
wie bei einer PERL-Zelle mit einer dielektrischen Passivierung versehen. Dabei werden
üblicherweise zusätzlich zu der in Abb. 5.22 skizzierten Prozessabfolge zwei weitere Pro-
5 Photovoltaische Stromerzeugung 373
n++ n+
SiO2
p-Basis
Aluminium
Local Back Surface Field (LBSF)
Elektrode n
zessschritte benötigt. Dies ist die Aufbringung einer dielektrischen Passivierung auf der
Rückseite und das lokale Öffnen dieser Passivierung (üblicherweise mittels Laser). PERC-
Zellen lassen sich inzwischen wirtschaftlich herstellen; zunehmend sind mehr derartige
Zellen mit Wirkungsgraden über 20 % am Markt verfügbar.
Ein weiteres Solarzellenkonzept basiert auf der sogenannten HIT-Struktur (Hetero-
junction with Intrinsic Thin Layer). Bei einer HIT-Zelle (Abb. 5.22) wird üblicherwei-
se sehr gering dotiertes (fast intrinsisch) kristallines Silizium verwendet, das eine sehr
hohe Diffusionslänge für Minoritätsladungsträger aufweist. Auf dieses kristalline Silizi-
um werden dünne Schichten von amorphen Silizium abgeschieden; d. h. auf eine Sei-
te wird n-dotiertes amorphes Silizium aufgebracht und auf die gegenüberliegende Seite
p-dotiertes amorphes Silizium. Zwischen dem kristallinen Silizium und dem dotierten
amorphen Silizium muss eine weitere sehr dünne Schicht aus intrinsisch dotiertem Si-
lizium aufgebracht werden. Die HIT-Architektur ermöglicht es, dass der größte Teil der
Strahlung in einem Bereich absorbiert wird, in dem Minoritätsladungsträger eine ausge-
zeichnete Diffusionslänge aufweisen. Durch den Heteroübergang an den Oberflächen der
Zelle wird zusätzlich eine sehr gute Potenzialbarriere realisiert, die nur in eine Richtung
374 R. Bründlinger et al.
für eine Art von Ladungsträger durchlässig ist bzw. für die jeweils andere Ladungsträger-
art wie eine Oberflächenpassivierung wirkt.
Auf die amorphe Siliziumschicht wird eine transparente leitfähige Elektrode aufge-
bracht (üblicherweise Indium-Zinn-Oxid oder Aluminium-Zinn-Oxid). Diese transparente
leitfähige Elektrode wird schließlich mit Kontaktfingern verstärkt. Industriell produzierte
HIT-Zellen erreichen Wirkungsgrade von über 20 % und weisen zusätzlich einen kleinen
Vorteil durch einen relativ geringen Temperaturkoeffizienten auf.
Seit wenigen Jahren werden sehr vielversprechende Ergebnisse mit einem Konzept
realisiert, das auf selektiven Tunnelkontakten basiert. Dabei befindet sich eine wenige
Nanometer-dicke dielektrische Schicht (z. B. SiO2 ) zwischen der Basis und dem Back Sur-
face Field. Diese dünne dielektrische Schicht verbessert die Passivierungseigenschaften
des Back Surface Fields deutlich. Sie ist aber so dünn, dass Ladungsträger die Barrie-
re überwinden können (quantenmechanischer Effekt); d. h. diese Kontakte weisen eine
sehr hohe Selektivität auf und sind durchlässig für Majoritätsladungsträger (Stromfluss),
aber gleichzeitig eine sehr effiziente Barriere für Minoritätsladungsträger. Das bisher be-
kannteste Konzept für selektive Tunnelkontakte wird TOPCon genannt und die derzeit
effizientesten Siliziumsolarzellen (sowohl mono- als auch multikristallin) mit beidseiti-
gen Kontakten wurden mithilfe des TOPCon Konzepts realisiert.
n-Typ
i-Typ a-SiGe:H
TCO Metallrückkontakt
p-Typ
p-Typ n-Typ n-Typ
TCO TCO
Stahlsubstrat
Glassuperstrat Glassuperstrat
Abb. 5.23 Schichtfolge verschiedener pin-Zellstrukturen aus amorphem Silicium (a-Si:H) (links:
Substratzelle auf rostfreiem Stahl, Mitte: Superstratzelle auf Glas, rechts: Tandemzelle aus a-Si:H
und a-SiGe:H auf Glassuperstrat; die Depositionsreihenfolge der Einzelschichten beginnt für alle
Zellen mit der untersten und endet mit der obersten Schicht; TCO transparentes, leitfähiges Oxid)
Inzwischen wurde jedoch erkannt, dass die Mobilität der Minoritätsladungsträger von der
Diffusion dominiert wird bzw. feldgetriebene Effekte eine untergeordnete Rolle spielen.
Abb. 5.23 zeigt die Schichtfolgen typischer a-Si:H-Solarzellen. Auf einem leit-
fähigen (nichttransparenten) Substrat wie z. B. einer Folie aus rostfreiem Stahl oder
metallbeschichtetem Polymer wird mittels PECVD (d. h. plasmaunterstützte chemische
Gasphasenabscheidung (engl. plasma-enhanced chemical vapour deposition)); dies ist
eine Sonderform der chemischen Gasphasenabscheidung, bei der die chemische Abschei-
dung durch ein Plasma unterstützt wird) eine Schichtfolge aus n-dotiertem, undotiertem
und p-dotiertem, wasserstoffpassiviertem, amorphem Silizium (a-Si:H) abgeschieden. Als
Kontakt auf der lichtzugewandten Seite dient ein transparentes, leitfähiges Oxid (TCO).
Bei den Superstrattechnologien (d. h. bei der Lichteinstrahlung durch ein transparentes
Substrat wie z. B. Glas) wird zunächst das leitfähige Oxid als transparenter Kontakt, dann
die Schichtfolge aus wasserstoffpassiviertem amorphem Silizium (a-Si:H) und zuletzt der
metallische Rückkontakt aufgebracht (Abb. 5.23 Mitte).
Neben Solarzellen mit einem einzelnen pin-Übergang sind auch Tandemsolarzellen
oder sogar Tripelsolarzellen im Gebrauch. Hierbei werden zwei bzw. drei pin-Strukturen
übereinander gestapelt, deren Bandlücken ggf. durch eine unterschiedlich starke Was-
serstoffsättigung oder Zulegieren von Germanium etwas variiert werden. Da der geringe
Wirkungsgrad von a-Si-Zellen maßgeblich durch den hohen Serienwiderstand bestimmt
376 R. Bründlinger et al.
wird, kann dessen Einfluss durch Reduktion des Stromes bei erhöhter Leerlaufspan-
nung verringert werden. Abb. 5.23, links, zeigt exemplarisch eine Tandemzelle, die zwei
pin-Strukturen aus wasserstoffpassiviertem amorphem Silizium (a-Si:H) und aus einer
a-SiGe:H-Legierung kombiniert.
Amorphes Silizium wird vorwiegend für Kleinanwendungen im „Consumer-Electro-
nics“-Bereich verwendet (Armbanduhren, Taschenrechner usw.). Für hohe Leistungen
sind der relativ niedrige Wirkungsgrad und dessen mangelnde Langzeitstabilität jedoch
problematisch. Bei Bestrahlung mit Solarstrahlung sinkt der Wirkungsgrad in den ersten
Betriebsmonaten um bis zu 30 % (Degradation); d. h. die elektrische Leitfähigkeit vermin-
dert sich signifikant und die ohmschen Verluste steigen (Stäbler-Wronski-Effekt) [5.13].
Bis ca. 2010 galt als erfolgversprechendste Alternative zu reinen a-Si-Zellen eine
Tandemzelle aus amorphem Silizium mit einer Bandlücke ähnlich dem kristallinen
(a-Si/c-Si). Zwar konnte so der Wirkungsgrad geringfügig gesteigert werden, aber
mit unter 12 % ist auch die beste a-Si-/c-Si-Laborzelle deutlich zu ineffizient, um
konkurrenzfähig zu sein zu industriell hergestellten Siliziumzellen oder alternativen
Dünnschichttechnologien (z. B. CIGS- oder CdTe-Zelle). Auch deshalb wurden mittler-
weile so gut wie alle Aktivitäten zur großflächigen Produktion von a-Si- bzw. c-Si-Zellen
eingestellt und a-Si-Solarzellen werden aktuell fast ausschließlich für Nischenanwendun-
gen nachgefragt.
Dünnschichtsolarzellen auf der Basis von Chalkogeniden und Chalkopyriten Sehr viel
effizienter als a-Si-Dünnschichtzellen sind solche mit polykristallinen Dünnschichten
aus direkten Halbleitern wie Cadmium-Tellurid (CdTe) und Kupfer-Indium-Diselenid
(CuInSe2 oder CIS) bzw. Kupfer-Indium-Gallium-Diselenid (CuInGaSe2 oder CIGS).
Solarzellen auf der Basis derartiger Materialien erreichen im Labormaßstab Wirkungs-
grade von über 20 % und großflächig werden Wirkungsgrade zwischen 14 und 18 %
erreicht.
Beide Materialien lassen sich bei Temperaturen um 600 ı C durch eine physikalische
Abscheidung auf Glas niederschlagen. Da es direkte Halbleiter sind, genügen Schicht-
dicken von wenigen m zur Absorption aller Photonen des Sonnenspektrums mit ei-
ner Energie oberhalb der Bandlückenenergie Eg des jeweiligen Absorbermaterials. Die
Bandlücke von Cadmium-Tellurid (CdTe) beträgt ca. 1,45 eV und diejenige von Kupfer-
Indium-Diselenid (CuInSe2 ) 1,04 eV. Bei den CIGS-Zellen (d. h. Kupfer-Indium-Gallium-
Diselenid) wird durch eine teilweise Substitution von Indium durch Gallium (20 bis 30 %)
die Bandlücke auf 1,13 eV und damit nahe dem theoretischen Maximum des Wirkungs-
grads eingestellt (vgl. Abb. 5.15; vgl. [5.14, 5.15]).
Sowohl Cadmium-Tellurid (CdTe) als auch Kupfer-Indium-(Gallium-)Diselenid
(CuIn(Ga)Se2 ) lassen sich für dünne Filme mit guter elektronischer Qualität nur als
p-Leitungstyp herstellen. Deshalb ist für die Herstellung einer Solarzelle ein zweites
n-leitendes Material erforderlich, das mit dem ersteren zu einem p-n-Heteroübergang
kombiniert wird. Dafür wird in beiden Fällen eine wenige Nanometer dünne Schicht aus
n-leitendem Cadmium-Sulfid (CdS) verwendet. Dieses n-dotierte Cadmium-Sulfid (CdS)
5 Photovoltaische Stromerzeugung 377
CdS CdS
ITO Cu(In,Ga)Se22
Metallrückkontakt
Glassuperstrat
Glassubstrat
einfallendes Licht
weist aber ungünstigerweise eine sehr geringe Diffusionslänge für Löcher auf. Deshalb
wird diese Schicht so dünn wie möglich ausgeführt, damit möglichst wenig Photonen dort
absorbiert werden.
Abb. 5.24, links, zeigt die Schichtfolge einer CdS / CdTe-Heterostruktur-Solarzelle. Bei
dieser Zelltechnologie handelt es sich um eine Superstratstruktur. Hier wird die trans-
parente, dem Licht zugewandte Frontelektrode aus Indium-Zinn-Oxid (ITO) oder Alu-
minium-Zink-Oxid (Al:ZnO) üblicherweise mit Hilfe der Kathodenzerstäubung zuerst
aufgebracht. Danach folgt die Deposition des Cadmium-Sulfids (CdS) zur Realisierung
des Heteroübergangs, gefolgt von der eigentlichen photovoltaisch aktiven Absorberschicht
aus Cadmium-Tellurid (CdTe). Normalerweise werden beide Schichten (d. h. das CdS mit
einer Dicke von 0,1 bis 0,2 m und das CdTe mit einer Dicke von ca. 3 m) mit der-
selben Technologie vorzugsweise in einem Sublimationskondensationsverfahren auf dem
Trägersubstrat aufgebracht. Um diese Schichten in ausreichender Qualität zu erhalten,
ist nach der Deposition ein auf einer Temperaturbehandlung in Anwesenheit von Cad-
mium-Chlorid (CdCl2 ) basierender Aktivierungsschritt notwendig. Abschließend wird die
Rückelektrode aus Graphit, Kupfer oder einer Mischung von beidem aufgebracht.
Abb. 5.24, rechts, zeigt die Schichtfolge einer derartigen Heterostruktursolarzelle. Die
Zellherstellung beginnt hier mit der Deposition eines Molybdänrückseitenkontaktes, ge-
folgt von der Abscheidung der photovoltaisch aktiven Cu(InGa)Se2 -Schicht mit einer
Dicke von weniger als 2 m. Für die industrielle Produktion werden vorzugsweise zwei
Abscheidemethoden eingesetzt:
das physikalische Ko-Verdampfen aller Elemente (d. h. Cu, In, Ga und Se) auf ein
geheiztes Substrat, sodass sich die Verbindung Cu(InGa)Se2 schon während des Auf-
dampfprozesses bildet;
die Deposition von Cu, In und Ga auf einem ungeheizten Substrat (z. B. durch Katho-
denzerstäubung); darauf folgt ein Aufheizen in einer Se-Atmosphäre, die sogenannte
Selenisierung, zur Bildung der Verbindung Cu(InGa)Se2 .
378 R. Bründlinger et al.
und in der Produktion von ca. 10 % erzielen. Da die Abscheidebedingungen und die Ab-
scheidetemperatur von nanokristallinem Silizium mit ca. 200 bis 300 ı C denjenigen vom
amorphem Silizium sehr ähnlich sind, können diese beiden Materialien wiederum zu Tan-
demzellen mit Wirkungsgraden für Laborzellen von über 12 % und in der Produktion von
über 10 % kombiniert werden.
Höhere Wirkungsgrade für Siliziumdünnfilmsolarzellen erfordern Korngrößen von ei-
nigen 10 m. Für die direkte Abscheidung so großer Siliziumkörner sind Abscheidetem-
peraturen von über 700 ı C erforderlich. Dann kommen kostengünstige Glassubstrate aber
nicht mehr in Frage [5.16]. Eine vielversprechende Alternative ist hier die Abscheidung
einer a-Si-Schicht mit einer hohen Abscheiderate bei niedriger Temperatur ohne Wasser-
stoffeinschluss auf einem Niedertemperaturglas. In einem anschließenden sehr schnellen
Prozess wird dieses Material dann durch eine Elektronenstrahl- oder Laserlinienquelle
aufgeschmolzen und in Form langer Kristalle in Ziehrichtung kristallisiert. Die linien-
förmige Schmelzzone (ca. 1 mm 100 mm) wird mit einigen mm/s über das Substrat
gezogen, so dass sich das Niedertemperaturglas kaum erhitzt [5.17].
Eine weitere Möglichkeit, einkristalline Dünnschichten für Solarzellen herzustellen,
bieten die sogenannten Transfertechniken [5.18, 5.19]. Hier wird eine typischerweise
20 bis 50 m dicke einkristalline Siliziumschicht auf einem vorbehandelten einkristal-
linen Siliziumsubstrat hergestellt. Sie wird anschließend abgelöst und auf ein beliebiges
Fremdsubstrat transferiert. Dieses Siliziumsubstrat kann mehrfach verwendet werden. So-
larzellen aus einkristallinem, transferiertem Silizium zeigen im Labormaßstab mit 16,6 %
die höchsten Wirkungsgrade von Dünnschichtsilizium auf Fremdsubstraten.
Industriell werden bisher aber so gut wie keine Dünnschichtzellen aus kristallinem Si-
lizium hergestellt und in den letzten Jahren hat sich die Transfertechnologie stärker in
die Richtung entwickelt, Wafer für klassische Siliziumsolarzellen zu entwickeln (siehe
oben). Unter einem Wafer werden in der Photovoltaik, aber auch in der Mikroelektronik
und der Mikrosystemtechnik, quadratische bis kreisrunde Scheiben aus mono- oder po-
lykristallinem Halbleitermaterial verstanden, die typischerweise deutlich dünner als ein
Millimeter sind; diese Wafer dienen als Grundplatte für die Herstellung beispielsweise
von Photovoltaikzellen, aber auch von elektronischen Bauelementen und von integrierten
Schaltkreisen.
Schichten und der daraus resultierenden hohen Flächenwiderstände kann so der für den
Wirkungsgrad kritische Serienwiderstand klein gehalten werden.
Die Serienverschaltung der Zellstreifen erfordert drei in die Zellherstellung integrierte
Strukturierungsschritte. Abb. 5.26 illustriert die prinzipielle Herstellungsweise am Bei-
spiel einer Dünnschichtsolarzelle (Superstrat-Aufbau). Zunächst wird auf das Glassu-
perstrat ein leitfähiges, transparentes Oxid (z. B. Al:ZnO) aufgebracht. Dieser spätere
Frontkontakt wird in einem ersten Strukturierungsschritt in regelmäßigen Abständen in
Streifen geteilt. Zur Strukturierung hat sich das Verdampfen mit einem gescannten La-
serstrahl durchgesetzt. Anschließend wird die photovoltaisch aktive Schicht („Absorber“)
abgeschieden. Es folgt ein zweiter Strukturierungsschritt mit einem gegenüber dem ersten
geringfügigen seitlichen Versatz, der die Absorberschicht bis zum Frontkontakt durch-
trennt. Schließlich wird der Rückkontakt aufgebracht, der jeweils den Frontkontakt eines
5 Photovoltaische Stromerzeugung 381
Zellstreifens mit dem Rückseitenkontakt des nächsten Streifens verbindet. In einem dritten
Laserschnitt wird die Verbindung zum nächsten Segment durchtrennt. Der substratbasierte
Aufbau ist analog.
Konzentratorlinse
PV-Zelle
Wärmesenke
382 R. Bründlinger et al.
larzellen in der Größe von ca. 10 10 cm2 , die mit der konzentrierten Solarstrahlung
bestrahlt werden, werden üblicherweise aktiv gekühlt.
In terrestrischen konzentrierenden Systemen findet man neben hocheffizienten Silizi-
umsolarzellen vorwiegend solche auf Gallium-Arsenid-Basis und zunehmend auch die
ursprünglich für Anwendungen im erdnahen Orbit entwickelten Tandem- und Triplestruk-
turen. Die hocheffizienten Siliziumsolarzellen erreichen Wirkungsgrade von bis zu 27 %
bei 140-facher Konzentration. Konzentratorzellen auf der Basis von GaAlAs-Heterostruk-
turen zeigen Wirkungsgrade von aktuell bis zu 46 % bei Konzentrationsfaktoren von 300
bis 500.
Konzentratorsysteme haben potenzielle Kostenvorteile in Gebieten mit hoher sola-
rer Einstrahlung und sind interessant für photovoltaische Kraftwerke. Jedoch macht es
der hohe Preisdruck bzw. die in den letzten Jahren realisierten Kostenreduktionen der
„klassischen“ kristallinen Siliziumphotovoltaikzellen allen alternativen Technologien
sehr schwer, konkurrenzfähig zu werden bzw. zu bleiben. Daher spielt die Konzentra-
tortechnologie nach wie vor nur eine untergeordnete Rolle bei der photovoltaischen
Energiegeneration.
Glas- 1
substrat
Energie
Grund-
einfallendes TiO2 zustand
Licht
Farbstoff Elektrolyt
5-10 μm
Abb. 5.28 Farbstoffsolarzelle aus nanoporösem TiO2 (die auf den TiO2 -Nanopartikeln mit ei-
nem Durchmesser ca. 20 nm adsorbierte monomolekulare Farbstoffschicht ist nicht gezeigt; (links))
und vereinfachtes Energieschema der primären Ladungstrennung durch einen Dreischritt-Prozess
(rechts): 1. Anregung des Farbstoffs, 2. Injektion des Elektrons aus dem angeregten Zustand des
Farbstoffs in das Leitungsband des TiO2 , 3. Regeneration des Farbstoffs aus dem Elektrolyten
Die photogenerierten Elektronen diffundieren durch das TiO2 -Netzwerk zum Front-
kontakt. Der Ladungsausgleich zum Elektrolyten erfolgt an der Platin(Pt)-Rückseitenelek-
trode.
Vorteile dieser Farbstoffsolarzellentechnologie sind die einfache und kostengünstige
Herstellung. Nach langjährigen Entwicklungen erreichen sie aktuell im Labor Wirkungs-
grade von etwa 12 %; kleine Module sind derzeit mit Wirkungsgraden von bis zu 5 %
verfügbar. Aufgrund des flüssigen Elektrolyten und der möglichen chemischen Reaktio-
nen ist die Langzeitstabilität dieses Solarzellentyps noch nicht abgesichert.
LUMO LUMO
HOMO HOMO
hν
x x
Abb. 5.29 Funktionsprinzip der organischen Solarzelle (links: im p-Leiter absorbiertes Photon
erzeugt ein Exziton (d. h. lokal verknüpftes Elektronen-Loch-Paar), das zum p-n-Übergang diffun-
diert; rechts: Elektron wird in den n-Leiter injiziert und diffundiert zum n-Kontakt, gleichzeitig
diffundiert das Loch zum p-Kontakt; nach [5.7])
grund von sehr niedriger Ladungsträgerkonzentration und -beweglichkeit sind die Schicht-
dicken allerdings auf rund 10 nm beschränkt, so dass derzeit organische Solarzellen als
Schichtsystem aufgebaut werden (Abb. 5.29). Dieses Schichtsystem ersetzt die zunächst
favorisierte nanoskalige Mischung von Absorber und Fulleren mit deren resultierender
starker Streuung des Elektronentransports und damit des Wirkungsgrades. Die Absorber
haben einen sehr hohen Extinktionskoeffizienten, so dass selbst in diesen dünnen Schich-
ten noch ca. 30 % des Lichts absorbiert wird. Um das bei derartigen dünnen Schichten
z. B. aufgrund von Substratrauigkeiten auftretende Kurzschlussrisiko zu vermindern, wer-
den die optisch aktiven Schichten beiderseits zwischen transparenten, p- bzw. n-leitenden
Polymeren mit höherer Leitfähigkeit von jeweils einigen 10 nm Dicke eingebettet. Als
transparente Kontakte werden ITO, neuerdings auch das hochleitende transparente Poly-
mer PEDOT verwendet. Als reflektierender Rückseitenkontakt dient eine dünne Au-Al-
oder Al-Ag-Schicht, der wegen der unvollständigen Absorption vorteilhaft ist.
Solche Zellen werden vorwiegend auf Glassubstraten bei Raumtemperatur aus der Gas-
phase abgeschieden. Es eignen sich aber auch PET-Folien als Träger. Wegen der grund-
sätzlichen Empfindlichkeit von Polymeren gegenüber hochenergetischer (UV-)Strahlung
und Feuchtigkeit sowie wegen der geringen Schichtdicken ist zur Gewährleistung ei-
ner ausreichenden Zuverlässigkeit die Einbettung in UV-absorbierende, Feuchtigkeits-
undurchlässige Materialien erforderlich (z. B. Glas- und Metallfolien).
Mit organischen Solarzellen lassen sich ebenso Mehrfachsolarzellen herstellen. Mit
derartigen Zellen werden auch die derzeit höchsten Wirkungsgrade dieser Gruppe von
Photovoltaikzellen von etwa 12 % erreicht. Jedoch ist die Herstellung von organischen
Solarzellen mit diesen Wirkungsgraden sehr aufwändig. Deshalb kommen derartige So-
larzellen primär für Nischenanwendungen in Frage, wo beispielsweise mechanische Fle-
xibilität gefordert ist (z. B. Integration in Kleidung).
Im Jahr 2009 wurde ein Material „wiederentdeckt“, das zunächst sehr gute Ergebnisse
als Farbstoff in einer Farbstoffsolarzelle (siehe oben) ermöglichte. Dabei handelt es sich
5 Photovoltaische Stromerzeugung 385
um ein Material mit einer Perovskit-Kristallstruktur, deren Gitterplätze sowohl aus anor-
ganischen Elementen als auch aus organischen Verbindungen bestehen. Konkret handelt
es sich um einen CH3 NH3 PbX3 Perovskit (X D Iod / Brom und / oder Chlor), bei dem das
Methylamin Kation (CH3 NHC 3 ) von einem oktaedrischen PbX6 umgeben ist. Dieses Per-
ovskit-Material kann auch als aktives Material in einem Aufbau wie bei einer organischen
Solarzelle (siehe oben) verwendet werden. Dabei stellte sich heraus, dass damit deutlich
höhere Wirkungsgrade erzielt werden konnten als mit den bisher verwendeten organischen
Materialien. Daher konnte mit diesem Perovskit-Material der Wirkungsgrad von 12 % im
Jahr 2012 auf etwa 20 % im Jahr 2017 gesteigert werden. Diese deutliche Wirkungsgrad-
zunahme macht dieses Material zu einem Hoffnungsträger in der Solarzellenforschung, da
es ein ähnliches Wirkungsgradpotenzial hat wie Silizium, jedoch potenziell kostengünsti-
ger ist.
Neben dem vielversprechenden Potenzial haben Perovskit-Solarzellen substanzielle
Herausforderungen. Das Material ist nicht sehr stabil; außerdem ist es sehr empfindlich
gegenüber Feuchtigkeit und erfordert deshalb eine hohe Sorgfalt bei der Verkapselung.
Auch ist die atomare bzw. molekulare Integrität dieses Materials relativ gering und hat die
Eigenschaft, sich auch ohne nennenswerte äußere Einwirkungen zu zerlegen. Außerdem
haben die Ionen in den bisher verwendeten Materialien eine relativ hohe Mobilität; dies
kann einerseits zu Hysterese-Effekten bei der elektrischen Vermessung der Zellen füh-
ren und ist andererseits auch verantwortlich für eine schnelle Degradation der Zellen. Die
aktuell vielversprechendsten Ergebnisse berichten von einer Zelle mit initial etwa 20 %
Effizienz, deren Wirkungsgrad sich nach 1 000 h simulierter Operationsbedingungen um
nur etwa 5 %relativ reduziert hat.
Ein weiteres Problem in Bezug auf die Perovskit-Solarzellen ist, dass die Materialien,
mit denen heute hohe Wirkungsgrade erzielt werden, Bleisalze enthalten; d. h. diese Ma-
terialien sind toxisch und stellen eine relativ hohe potenzielle Umweltgefahr dar. Deshalb
konzentriert sich die Forschung auch auf alternative, weniger toxische Perovskit-Solarzel-
lenmaterialien; beispielsweise lässt sich Blei durch Zinn, Zink oder Germanium ersetzen.
Bisher liegen die höchsten Wirkungsgrade dieser „bleifreien“ Perovskite aber nur bei et-
wa 10 %.
Aluminiumrahmen
Frontglas
Einbettungsfolie
(transparent)
Verschaltete
Photovoltaikzellen
Einbettungsfolie
Rückseitenfolie
Kabelanschlusskasten
Die Einbettung und die Randversiegelung müssen hohen Anforderungen genügen. Bei-
spielsweise muss innerhalb des im Jahresverlauf gegebenen Temperaturbereichs an der
Zellenoberfläche von rund –40 ı C im Winter bis etwa +80 ı C im Sommer für die gesamte
technische Lebensdauer von mindestens 20 bis 30 Jahren sichergestellt sein, dass keine
Feuchtigkeit (u. a. Regen, Kondenswasser) zu den Zellen vordringen kann. Auch müs-
sen sie mechanischen Beanspruchungen beispielsweise durch Hagelkörner von einigen
Zentimetern Durchmesser und durch Windböen von über 50 m/s sicher standhalten. Zu-
sätzlich ist eine hohe Isolationsfestigkeit (> 1 000 V) sicherzustellen. Außerdem dürfen die
verwendeten Materialien nicht durch Bakterien befallen oder von Tieren (z. B. Vögeln) an-
gefressen werden. Sie müssen auch langzeitstabil und damit beispielsweise unempfindlich
gegenüber UV-Strahlung (und anderen Witterungseinflüssen; UV ultraviolett) sein. Hin-
zu kommt, dass nicht nur bei einer Überkopfinstallation statische Sicherheitsaspekte zu
beachten sind. Angebotene Module erfüllen diese Bedingungen umfassend und gewähr-
leisten so einen sicheren Betrieb.
Aufgrund der vielfältigen Einsatzmöglichkeiten sind Module mit sehr unterschiedli-
chen Leistungen auf dem Markt. Dabei bestimmt die Anzahl der in Reihe geschalteten
Zellen, ausgehend von der Leerlaufspannung der jeweils eingesetzten Zellen, die Leerlauf-
spannung des Moduls (Abb. 5.31). Die Anzahl der parallel angeordneten Zellenstränge
legt den Kurzschlussstrom des entsprechenden Photovoltaikmoduls fest. Entsprechend
verändert sich die Strom-Spannungs-Kennlinie des Gesamtmoduls gegenüber der einer
einzelnen Zelle.
Die Gesamtzahl der in einem Modul vorhandenen Zellen bestimmt die maximale Mo-
dulleistung. Gegenwärtig sind Modulgrößen von etwa 1,6 m2 am weitesten verbreitet (d. h.
60 Solarzellen). Bei derartigen kristallinen Siliziumzellen werden Leistungen von typi-
scherweise 250 W unter Standardtest-Bedingungen (STC) gemessen.
Erzeugen einzelne Zellen in dieser Reihenschaltung nicht den gleichen Photostrom,
weil sie z. B. abgeschattet sind oder Defekte aufweisen, liefern sie keinen Beitrag zur
5 Photovoltaische Stromerzeugung 387
Strom in A
Strom in A
Strom in A
4 4 4
2 A Kurzschlussstrom und
einer Leerlaufspannung von -
0,6 V (nach [5.5]) 2 2 2
+ - + -
Leistungserzeugung. Unter diesen Bedingungen wirken sie als Last. In ungünstigen Fäl-
len können sie sich dabei zudem stark aufheizen („hot spot“-Effekt) und dadurch den
Wirkungsgrad und die Lebensdauer des Moduls stark beeinträchtigen. Sie werden dann,
je nach Verschaltungsart, entweder in Sperrrichtung (falsche Spannungsrichtung) oder
bei Spannungen oberhalb ihrer Leerlaufspannung (falsche Stromrichtung) betrieben. Dies
führt zu erheblichen Verlusten, da in der Reihenschaltung in guter Näherung der Strom
der schwächsten Zelle den Gesamtstrom bestimmt. Eine partielle Abschattung führt daher
zu deutlich höheren Verlusten als es dem Verhältnis von abgeschatteter zu Gesamtfläche
entspricht. Bei parallel geschalteten Strängen oder Zellen sind die Verluste dagegen nur
proportional zur abgeschatteten Fläche.
Besondere Beachtung muss der Abschattung im Bereich gebäudeintegrierter Zellen
geschenkt werden, die z. B. durch Fassadenelemente, Rahmen oder Fenster hervorgerufen
wird. Dies erfordert eine dynamische Verschaltung, um die Verluste gering zu halten.
Mögliche Schutzmaßnahmen für die Verschaltung mehrerer Module zeigt Abb. 5.32;
prinzipiell gelten diese Maßnahmen aber auch für die Verschaltung mehrerer Zellen zu
einem Modul. Beispielsweise kann durch Bypass- oder Freilaufdioden, die parallel zu
den Zellensträngen geschaltet werden, eine Überhitzung der abgeschatteten Solarzellen
vermieden werden. Die abgeschattete Zelle im mittleren Strang der Anlage in Abb. 5.32
liefert weder den für die Serienschaltung geforderten Strombeitrag noch die notwendige
Spannung. Die Freilauf-Diode führt den von den anderen Zellen im Strang gelieferten hö-
heren Photostrom an der abgeschatteten Zelle vorbei. Die gegenüber den anderen Strängen
verminderte Photospannung wird mit der Sperrdiode abgeblockt und damit ein Rück-
strom in den abgeschatteten Strang unterbunden. Blockier- oder Sperrdioden verhindern
Ausgleichsströme über Zellenstränge in der falschen Richtung, wenn durch partielle Ab-
schattung oder durch Eigenschaftsänderungen der Solarzellen niedrigere Spannungen als
in den Nachbarsträngen auftreten.
Erfahrungsgemäß kann auf Bypassdioden innerhalb einzelner Zellenstränge eines Mo-
duls und auf Sperrdioden am Ende eines jeden Strangs verzichtet werden. Solche Schutz-
388 R. Bründlinger et al.
Freilaufdiode
abgeschattetes Modul
Solarmodul
Sperrdiode
Sicherung
Verbraucher
Abb. 5.32 Verschaltung von Solarmodulen in einem Photovoltaikgenerator (die dunkelgrau darge-
stellten Dioden sind aktiv; nach [5.5])
maßnahmen erhöhen die Energieverluste und auch die Kosten. Bei der Verschaltung meh-
rerer Module zu größeren Einheiten (Arrays, Array-Felder, Generatoren) sind partielle
Verschattungen sehr viel wahrscheinlicher (z. B. durch Wolkenzug, durch einen im Ta-
gesverlauf auftretenden Schattenwurf von Gebäudeteilen, Bäumen usw. oder durch die
unterschiedliche Ausrichtung von Modulflächen). Jedes Modul wird dann mit einer Frei-
laufdiode überbrückt, die z. T. vom Hersteller bereits in das Modul integriert wird. Auf
Sperrdioden wird zumeist verzichtet, da die Ausgleichsströme sicherheitstechnisch unkri-
tisch sind. Zusätzlich werden jedoch noch Sicherungen an den plus- und minus-seitigen
Enden der Modulstränge angebracht, welche die Überlastung von Modulen und Zuleitun-
gen im Falle eines Kurzschlusses in einem Modulstrang verhindern.
Bei Verschattungsproblemen können seit einigen Jahren auch Leistungsoptimierer mit
distributed maximum power point tracking (DMPPT) eingesetzt werden; die Leistungs-
optimierung erfolgt dabei nicht auf String-, sondern auf Modulebene.
Die Leistung eines Photovoltaikmoduls wird in erster Näherung durch die Summe
der Leistungen der einzelnen Solarzellen definiert. Jedoch kann es bei der Verschaltung
der Solarzellen zu elektrischen Verlusten kommen (z. B. durch Serienwiderstände oder
Stromlimitierungen), die bei der Realisierung von Photovoltaikmodulen weitgehend ver-
mieden werden können. Weiter kommt es am Deckglas zu Reflexionsverlusten, die sich
mit einer Antireflexschicht reduzieren lassen. Durch eine Verkapselung von Solarzel-
len reduzieren sich auch die Reflexionsverluste an der Zelle. Zusätzlich kann Strahlung,
die an der Vorderseitenmetallisierung reflektiert wird, über Reflexionen (speziell interne
Totalreflexion) des Deckglases wieder in Richtung der Zellen zurückreflektiert werden.
5 Photovoltaische Stromerzeugung 389
Zusammenfassend spricht man bei dem Verhältnis der Summe der Zellleistungen zur
erzielten Modulleistung vom „Cell to Module (CTM)“ Verlustfaktor. Diese CTM-Ver-
lustfaktor, der damit die Verluste / die Gewinne infolge der Zusammenführung der Zellen
zu einem Modul beschreibt, beträgt je nach Bauart des Moduls typischerweise zwischen
0,9 und 1,0 (90 bis 100 %). Durch zusätzliche optische Maßnahmen kann auch Strahlung
genutzt werden, die auf Stellen neben den Zellen fällt; dadurch sind CTM-Faktoren von
über 100 % möglich.
Abgedeckte Module sorgen für einen höheren Widerstand für den Wärmefluss im
Modul; dies hat einen positiven Einfluss auf das realisierbare Temperaturniveau der
Wärmeenergie (d. h. es sind für eine potenzielle Wärmenutzung im Vergleich zu nicht
abgedeckten Kollektoren vorteilhaftere (d. h. höhere) Temperaturen erreichbar). Mit
steigender Modul- und damit auch Photovoltaikzellentemperatur geht allerdings der
elektrische Wirkungsgrad der Photovoltaikzellen zurück. Damit stellen abgedeck-
te Kollektoren modifizierte solarthermische (Flach-)Kollektoren (Kapitel 4.2) dar,
die zusätzlich eine Bereitstellung elektrischer Energie auf einem etwas geringeren
Wirkungsgradniveau ermöglichen. Oft wird ein derart reduzierter photovoltaischer
Glasabdeckung
Luftschicht
PV-Zellen
Absorber
Boden
Dämmung
Abb. 5.33 Abgedeckte (links) und nicht abgedeckte (rechts) PVT-Module (PV Photovoltaik;
PVT photovoltaisch-thermische)
390 R. Bründlinger et al.
Die Kühlung der PVT-Module kann durch gasförmige und flüssige Wärmeträgerflu-
ide realisiert werden. Umgebungsluft wird hierbei vor allem für abgedeckte Kollektoren
verwendet u. a. mit dem Ziel der Zuluftvorwärmung für Gebäudekomplexe. Nicht abge-
deckte Kollektoren verwenden aufgrund der angestrebten Kühlung überwiegend flüssige
Wärmeträgerfluide (Abb. 5.34). Hierbei kommt meist eine Wasser-Glykol-Mischung zum
Rückseite
Anschlußdose
(Strom)
Vorlauf
(Warmwasser) Absorberrohre
(Serpentinenform)
Absorberrohre
(Registerform)
Rücklauf
(Kaltwasser)
Vorderseite
1,036
Ertragsverhältnis [-]
1,035
1,05
1,034
Deutschland
1,033
Ertragsverhältnis zwischen
Jordanien
PVT- und PV- Modulen
1,04 1,032
1,031
1,03
1,03 11 13 15
Tagesverlauf in h
1,02
1,01
1
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Monat im Jahresverlauf
Einsatz, damit das Wärmeträgermedium frostsicher ist (Kapitel 4.2). Durch den Wärme-
transport vom Modul auf das flüssige Wärmeträgerfluid wird die Temperatur des PVT-
Moduls abgesenkt und dadurch der Wirkungsgrad der Photovoltaikzellen bzw. des Moduls
erhöht, wenn die Temperatur des Wärmeträgerfluids entsprechend gering (und damit po-
tenziell nicht direkt nutzbar) ist. Zu beachten ist bei allen potenziell einsetzbaren Fluiden
der notwendige Pump- und damit Energieaufwand zur Zwangsdurchströmung des je-
weiligen Kühlungskreislaufs. Mit erhöhter Wärmeträgerfluidgeschwindigkeit steigt die
notwendige Pumpenergie mit der dritten Potenz der Fluidgeschwindigkeit an. Deshalb
muss das Optimum aus elektrischem Mehrertrag und notwendiger Pumpenenergie Stand-
ort-abhängig ermittelt werden.
Aufgrund der bereits heute sehr geringen Investitionen für Photovoltaikmodule, des
Kostenvorteils durch den Eigenverbrauch des Photovoltaikstroms im Vergleich zum Netz-
strombezug (zumindest in Deutschland) und der im Vergleich zu abgedeckten PVT-Modu-
len relativ einfachen Konstruktion von nicht abgedeckten Modulen weisen diese den deut-
lich größeren Marktanteil auf. Der Schwerpunkt im Hinblick auf eine optimale gesamt-
energetische Nutzung der PVT-Module liegt damit in der effizienten Nutzung der an-
fallenden Niedertemperaturenergie. Hierbei ist das realisierbare Temperaturniveau des
Kühlmittels entscheidend. Hierbei haben jahreszeitliche Schwankungen große Auswir-
kungen auf das Temperaturniveau des Kühlfluids und eine detaillierte Abstimmung auf
die real nachgeschalteten Prozesse ist unabdingbar.
Abb. 5.35 zeigt exemplarisch das Verhältnis der elektrischen Leistung eines PVT- und
eines „klassischen“ (ungekühlten) Photovoltaikmoduls im Jahresverlauf als Ergebnis ent-
392 R. Bründlinger et al.
sprechender Simulationen. Um den Einfluss des Klimas bzw. der solaren Strahlung ver-
deutlichen zu können, zeigt die Darstellung Werte exemplarisch für deutsche meteoro-
logischen Gegebenheiten und zusätzlich Werte aus einem Solarstrahlungs-intensiveren
Land (Jordanien); dabei wird unterstellt, dass genügend Kühlflüssigkeit mit dem benö-
tigten Temperaturniveau verfügbar ist. Demnach gewinnt der elektrische Mehrertrag erst
im Jahresverlauf an Bedeutung; beispielsweise können durch eine entsprechende Kühlung
im Monatsmittel netto maximal 3 bis 4 % mehr elektrische Energie – in warmen Klima-
ten tendenziell etwas mehr im Vergleich zu eher gemäßigten Klimazonen – bereitgestellt
werden. Deutlich wird auch, dass der größte Effekt kurz nach der Mittagszeit auftritt,
wenn i. Allg. die Lufttemperatur die maximalen Werte im Tagesverlauf annehmen. Gene-
rell gilt, dass bei steigender solarer Strahlung und erhöhter Außenlufttemperatur sich der
positive Effekt durch die Kühlung verstärkt. Parallel zu der durch die Kühlung erhöhten
elektrischen Umwandlung tritt auch ein potenziell verwertbarer Wärmestrom auf, der im
Sinne einer gesamtsystemischen Optimierung sinnvoll genutzt werden sollte. Hier kann
durch die Variation der Wärmeträgerfluidgeschwindigkeit das realisierbare Temperaturni-
veau variiert und an eine entsprechende Endnutzung angepasst werden. Dabei muss für
jeden potenziellen Anwendungsfall immer ein Kompromiss zwischen dem mit sinkenden
Temperaturen möglichen solaren Strom-Mehrertrag und den mit steigender Temperatur
zunehmenden Möglichkeiten einer effizienten Wärmenutzung gefunden werden.
e- Solar- e- Solar-
- strahlung - strahlung
e Transparente e
e- Rückseitenfolie
- e-
e
- -
Verschaltete e Rückseitiger e e-
Zellen Stromfluss
e-
-
Reflektierte e
Weiße oder schwarze
Rückseitenfolie
Solarstrahlung
Hierfür wird die Rückseite poliert, passiviert und anschließend für die Kontaktpunkte neu
geöffnet.
Eine potenzielle Nutzung des rückseitig einfallenden Lichtes mithilfe derartiger bifazia-
ler Module ist insbesondere bei Flachdach- und Freiflächenanlagen relativ einfach möglich
– und damit bei aufgeständerten Modulen. Dabei wird der Mehrertrag stark von dem ent-
sprechend Bodenalbedo bestimmt; bei bestimmten Anwendungsfeldern kann er beispiels-
weise durch die Realisierung eines (besser) reflektierenden Untergrundes auch erhöht wer-
den. Wesentlich für den potenziell erreichbaren Mehrertrag ist auch der Aufstellwinkel der
Module. Während für einen maximalen rückseitigen Ertrag eine steilere Aufstellung vor-
teilhaft ist, nehmen die solaren Energieerträge der Vorderseite unter mitteleuropäischen Be-
dingungen im Jahresverlauf bei einem Aufstellungswinkel von mehr als 30ı wieder ab; des-
halb muss hier Standort-abhängig jeweils ein Optimum ermittelt werden.
Weitere positive Effekte auf die Ertragssteigerung eines bifazialen Moduls im Vergleich
zu „klassischen“ Standardmodulen werden durch einen erhöhten Bodenabstand (bei Frei-
flächenanlagen) sowie einen größeren Abstand der Zellen zueinander realisiert. Insgesamt
kann eine Ertragssteigerung zwischen 5 und 15 % erreicht werden.
Als einen idealen Anwendungsfall für bifaziale Photovoltaikmodule wird eine vertikale
Aufstellung in Ost-West-Richtung angesehen. Hierbei kann der Flächenbedarf reduziert
und die Fläche zwischen den aufgestellten Modulen weiterhin landwirtschaftlich genutzt
werden. Auch wird bei einer derartigen Installationsweise die typische Ertragsspitze zur
Mittagszeit auf zwei Ertragsspitzen aufgeteilt; dies kann ggf. Vorteile bei der Ausnutzung
höherer Börsenstrompreise nach sich ziehen. Zusätzlich sorgt eine vertikale Aufstellung
zu weniger Verlusten durch Verschmutzung und / oder Schneebedeckung. Nachteilig ist
aber der dadurch insgesamt erhöhte Flächenbedarf pro installierter Leistung (wenn auch
die Fläche in der Summe effizienter genutzt werden kann).
Spannung
Spannung
S1 S3 S1,S 4
230 V
50 Hz t
S2,S3
S2 S4
S1 S3 S1
230 V
50 Hz t
S4
S2 S4
Zeit in s
0,5
0,4
0,3
0,2
0,1
0,0
0,0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 1,0
Anteil der Ausgangsleistung an der Nennleistung
398 R. Bründlinger et al.
Netzwechselrichter Die Einspeisung von Solarstrom ins Netz der öffentlichen Versor-
gung oder in ein Industrie-Wechselstromnetz erfordert immer einen Wechselrichter zur
Umformung der erzeugten Gleichspannung in eine netzkonforme Wechselspannung. Im
5 Photovoltaische Stromerzeugung 399
Abb. 5.42 Prinzip einer Solar- Wechsel- Über- Netz der öffentlichen
generator richter wachung Versorgung
netzgekoppelten Photovol-
taik-Anlage
Ent-
spannung
spannung
spannung
Wechsel-
Wechsel-
kupp-
Gleich-
lungs-
schutz
Regelung Wechselspannung
(z. B. 220 V, 50 Hz)
men mit Schalter S4 und der Schalter S2 zusammen mit Schalter S3 geschaltet. Durch
abwechselndes Takten dieser Schalterkombination stellt sich im Mittel eine sinusförmige
Spannung und aufgrund der Filtercharakteristik sowie der Stromregelung ein sinusförmi-
ger Ausgangsstrom ein. Derartige Wechselrichter sind nicht auf ein vorhandenes „starres“
Netz angewiesen. Deshalb muss ein dauerhaftes Weiterarbeiten beim Ausfall des führen-
den Netzes durch geeignete Maßnahmen unbedingt verhindert werden. Um dieser Gefahr
der Ausbildung von Inselnetzen bei einem beispielsweise im Störungsfall abgeschalteten
Versorgungsnetz zu begegnen, ist beispielsweise in Deutschland die Verwendung eines
Netz- und Anlagenschutzes (NA-Schutz) vorgeschrieben. Dieser soll vor allem verhin-
dern, dass bei Arbeiten am Netz Bereiche, die als freigeschaltet angesehen werden, noch
unter Spannung stehen. Bei Anlagen mit einer Leistung kleiner 30 kVA kann diese Schutz-
funktion in den Photovoltaik-Wechselrichter integriert werden und ist dann als integrierte
selbsttätige Schaltstelle ausgeführt. Bei Anlagen mit einer Leistung größer 30 kVA ist ein
externer zentraler Netz- und Anlagenschutz (NA-Schutz) vorgeschrieben.
Netzgekoppelte Wechselrichter können vom Grundsatz her mit und ohne Transforma-
tor betrieben werden. Bei den Geräten mit Transformator unterscheidet man zwischen
Systemen mit einem 50 Hz-Transformator und mit einem Hochfrequenztransformator.
Bei entsprechend hoher Eingangsspannung kann ein netzgekoppelter Wechselrichter
auch ohne den zur Spannungsanpassung erforderlichen Transformator direkt in das Netz
der öffentlichen Versorgung einspeisen. Dies führt sowohl zu einer Kosten-, Gewichts-
und Volumeneinsparung als auch zu einer deutlichen Reduzierung des Eigenverbrauchs;
letzteres wiederum trägt zum verbesserten Wirkungsgrad im Teillastbereich bei. Deshalb
geht der Trend zu transformatorlosen Konzepten. Durch den Einsatz derartiger transfor-
matorloser Wechselrichter entstehen aber besondere Anforderungen an die Fehlerstrom-
und Isolationsüberwachung.
Heute erreichen Photovoltaik-Wechselrichter maximale Wirkungsgrade von über
98 %; dies gilt vor allem für transformatorlose Schaltungen und Dreipunktschaltun-
gen (Abb. 5.44). Zukünftig ist durch den Einsatz neuer Halbleitermaterialen (Silizium
Karbid (SiC), Gallium Nitrit (GaN)) mit Wechselrichterwirkungsgraden von über 99 %
zu rechnen.
5 Photovoltaische Stromerzeugung 401
100
Transformatorlos, unipolar,
mit SiC Transistoren
Wirkungsgrad in %
(HERIC, H5, 3 ~ NPC) 98
Transformatorlos, unipolar
(HERIC, H5, 3 ~ NPC) 96
Transformatorlos, bipolar 94
(H4, B6)
String Module
Inverter Inverter
Zentral
Inverter
Der Einsatz eines Modulwechselrichters bietet darüber hinaus noch weitere Vorteile,
die nachfolgend diskutiert werden.
5 Photovoltaische Stromerzeugung 403
Der Ausfall eines Modulwechselrichters betrifft nur den jeweils zugehörigen Teil der
entsprechenden Photovoltaikanlage. Der Rest der Stromerzeugungsanlage kann wei-
terhin elektrische Energie einspeisen.
Die Verkabelung der Module untereinander erfolgt auf der Wechselspannungsseite.
Dies stellt eine konventionelle Technik mit einem im Vergleich zur Gleichspannungs-
verkabelung verminderten Gefahrenpotenzial (Gleichspannungs-Lichtbogen) dar.
Die Massenfertigung vieler kleiner, gleicher Einheiten ermöglicht Kostenreduktionen.
Neben diesen Vorteilen gibt es aber auch eine Reihe von Nachteilen, die durch ein
aufwändigeres Design der Einzelgeräte kompensiert werden müssen.
speiseleistung oder der Netzspannung Blindleistung mit dem Netz austauscht. Dadurch
können die Versorgungsqualität erhöht und die Leitungsverluste reduziert werden und
es entsteht vor allem für die Netzbetreiber ein Mehrwert durch den Betrieb einer derar-
tigen Anlage. Im Niederspannungsnetz kann einer unzulässigen Spannungsanhebung
durch dezentrale Einspeiser mit Hilfe von Blindleistungseinspeisung entgegengewirkt
werden; dadurch lässt sich ein notwendiger Netzausbau vermeiden oder zumindest
abmildern bzw. es können in einem bestehenden Netz mehr Erzeugungsanlagen an-
geschlossen werden als ohne eine Blindleistungsregelung. Wird, um eine unzulässige
Spannungsanhebung zu vermeiden, auch die Wirkleistung abgeregelt, so spricht man
von einer P .U /-Regelung.
Bei zu lange anhaltenden anomalen Betriebszuständen (fehlende oder zu hohe Netz-
spannung, starke Frequenzabweichungen von der Sollfrequenz, Kurzschlüsse oder Iso-
lationsfehler) muss sich der Wechselrichter automatisch vom Netz trennen. Auch muss
die Bildung eines Inselnetzes sicher verhindert werden (siehe oben); dies ist durch
aktive Verfahren (z. B. das Frequency-Shift-Verfahren) oder passive Verfahren (z. B.
dreiphasige Netzüberwachung) möglich. Kurze Spannungseinbrüche in der Größen-
ordnung von einigen hundert Millisekunden bis wenigen Sekunden dürfen jedoch nicht
zu einer Trennung führen, damit diese Ereignisse nicht einen Systemstabilitäts-gefähr-
denden Ausfall hoher Erzeugungsleistungen zur Folge haben. Während des Netzfeh-
lers soll dabei kein Strom eingespeist werden. Unmittelbar nach Spannungswieder-
kehr nach einem Netzfehler ist die Einspeisung wieder aufzunehmen (low voltage ride
through – LVRT).
Photovoltaikwechselrichter, welche innerhalb einer Photovoltaikanlage über Transfor-
matoren an das Mittel- oder Hochspannungsnetz angeschlossen werden, müssen die
Anforderungen der Richtlinie VDE AR-N 4110 bzw. VDE AR-N 4120 erfüllen, die
über die Beteiligung an der statischen Spannungshaltung hinaus die vollständige dyna-
mische Netzstützung fordert. Darunter versteht man ein definiertes Einspeiseverhalten
einer Erzeugungsanlage bei kurzzeitigen Spannungseinbrüchen am Netzverknüpfungs-
punkt. Synchrongeneratoren liefern in diesem Fall einen Blindstrom, welcher der Span-
nungsstützung des Netzes und der Erhöhung des Kurzschlussstroms dient. Diese inhä-
renten Eigenschaften des Synchrongenerators werden als Anforderungen auf strom-
richterbasierte Erzeugungsanlagen wie z. B. in diesem Fall auf Photovoltaik-Anlagen
übertragen. Die Erzeugungsanlagen müssen die Netzspannung durch Einspeisung ei-
nes definierten Blindstromes stützen.
Weitere Sicherheitskomponenten (u. a. Isolationsüberwachung, allstromtauglicher Feh-
lerstrom-(FI)-Schutzschalter) sind abhängig vom Wechselrichterkonzept vorzusehen.
Rundsteuersignale, die vom Energieversorgungsunternehmen der Netzspannung auf-
geprägt werden, dürfen durch den Wechselrichter weder verfälscht werden noch diesen
im Betrieb stören.
Auf der Eingangsseite sollte eine möglichst gute Anpassung an den Solargenerator
vorliegen; dies ist z. B. durch ein Maximum Power Point Tracking (MPPT) möglich.
Üblicherweise eingesetzte MPPT-Algorithmen bestimmen den Punkt maximaler So-
largeneratorleistung, indem sie in bestimmten Abständen von z. B. einigen Sekunden
5 Photovoltaische Stromerzeugung 405
Abweichungen von der Südrichtung von weniger als 30ı sind demnach i. Allg. meist
unkritisch, da der Energieertrag dabei um weniger als 5 % zurückgeht.
Die optimale Neigung der Solarmodule hängt primär vom Breitengrad ab, auf dem
der Anlagenstandort sich befindet. Wählt man einen Neigungswinkel senkrecht zum
mittleren mittäglichen Sonnenstand, entspricht dies genau der geografischen Breite des
Standorts. Wird ein maximaler jährlicher Energieertrag angestrebt, ist wegen der im
Sommer höheren solaren Einstrahlung ein geringerer Neigungswinkel einzustellen.
70%
65%
80%
75%
50° 50°
Nutzungsgrad in %
15
Photovoltaikanlage unter
mitteleuropäischen Bedin-
10
gungen für unterschiedliche
Modulneigungen (d. h. flacher 65°
50°
Neigungswinkel: Energiemaxi- 5
35°
mierung im Sommerhalbjahr; 20°
steiler Neigungswinkel: 0
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Energiemaximierung im Win- Monat im Jahresverlauf
terhalbjahr)
Dachaufstellung Bei der Dachmontage ist eine Auf-Dach- und eine In-Dach-Montage
möglich. Abb. 5.48 zeigt diese beiden Optionen. Demnach werden bei der In-Dach-Instal-
lation die Dachziegel eingespart und bei der Auf-Dach-Montage kann durch den Spalt
zwischen dem Modul und der Dachhaut eine konvektive Kühlung realisiert werden.
408 R. Bründlinger et al.
Bei der Installation sollte auch der Energieverlust infolge erhöhter Erwärmung, wie
er beispielsweise durch einen nicht-optimalen Einbau auftreten kann, minimiert werden.
Beispielsweise ergeben sich bei Photovoltaikmodulen, die mit einem Abstand von etwa
10 cm auf einem Schrägdach (Auf-Dach-Montage) installiert sind, unter mitteleuropäi-
schen Witterungsbedingungen zusätzliche Verluste infolge einer Erwärmung durch die
eingestrahlte Sonnenenergie gegenüber einem freistehenden Modul gleicher Größe und
Orientierung von etwa 1,5 bis 2,5 % bezogen auf den Jahresenergieertrag. Bei vollständi-
ger Dachintegration ohne Hinterlüftung betragen die Verluste etwa 4 bis 5 % im Vergleich
zu einem freistehenden Generator und bei einem voll fassadenintegrierten Solargenerator
– ebenfalls ohne Hinterlüftung – sind es etwa 7 bis 10 %.
Metall- Metall-
gestell gestell
Photovoltaik- Photovoltaik-
modul modul
Freifläche
Freifläche
Beschwerung
(z. B. Betonelemente)
Erdanker
Abb. 5.49 Beispiele für eine Freiflächeninstallation von Photovoltaikmodulen (links: System mit
eingerammten Profilen, rechts: System mit Schwerkraftfundamenten)
Einfallendes
Sonnenlicht
PV-Modul
hTräger Aufstän-
derung
Aufständerung
Süd einschl. Fundamentierung
Nord
Abb. 5.50 Beispiel für eine Freiflächeninstallation (PV Photovoltaik; einschl. einschließlich)
410 R. Bründlinger et al.
Anstellwinkel verkleinert werden; jedoch wird damit pro Modulfläche der Jahresertrag
verringert.
Der Abstand zwischen den verschiedenen Reihen an Photovoltaikmodulen (Abb. 5.50)
hängt nach Gleichung (5.12) vom Aufstellwinkel der Module und der maximal zulässigen
Verschattung ab. Dabei bestimmt der Winkel ˛ 0 den minimalen Abstand zwischen den
Modulreihen. Als Richtwert auf der Nordhalbkugel dient typischerweise die Sonnenhöhe
zur Mittagszeit am 21. Dezember; für Mitteldeutschland entspricht dies einem Winkel ˛ 0
von ca. 15ı . Beispielsweise folgt damit dann nach Gleichung (5.12) bei einer Modullänge
L von 1,7 m ein Abstand zwischen den einzelnen Modulreihen von ca. 2,4 m bei einem
unterstellten Neigungswinkel der Module von 40ı .
sin .ˇ/
y D L cos .ˇ/ C (5.12)
cos .˛ 0 /
Zweiachsige
Nachführung
Einachsige
S N
Nachführung
S
achsigen Nachführung im
Vergleich zu einer festen Mo-
dulinstallation exemplarisch
Leistung
für einen Tag mit hoher Direkt-
strahlung Feste
Installation
insgesamt um 20 bis maximal 40 % erhöhen (Abb. 5.52). Bei einem hohen Direktstrah-
lungsanteil liegt der Anteil im oberen Bereich und bei niedrigen Direktstrahlungsanteilen
eher im unteren Bereich dieser Bandbreite.
Abb. 5.53 zeigt exemplarisch eine mögliche technische Lösung einer zweiachsigen
Nachführung. Demnach wird das Modulfeld durch je eine Drehbewegung um die Verti-
kal- und die Horizontalachse, die jeweils durch einen Elektromotor realisiert wird, dem
aktuellen Sonnenstand nachgeführt. Die Steuerung der entsprechenden Motoren kann über
einen an der Moduloberfläche angebrachten Einstrahlungssensor erfolgen, der die aktuel-
le Sonneneinstrahlung misst und in entsprechende Steuersignale umsetzt; beispielsweise
kann dann das Modul bei völliger Bewölkung (d. h. nur Diffusstrahlung) in eine Hori-
zontalstellung gefahren werden; bei diesen Bedingungen kann dadurch der Energieertrag
Einstrahlungssensor
Nachführung
Horizontalachse
Solar-
module
Nachführung
Vertikalachse
Nachführung
Vertikalachse
Fundament Fundament
400
350
Leistung in W
300
250
200
150
100
50
0
12.04. 13.04. 14.04. 15.04. 16.04.
Abb. 5.54 Gemessene Energieerträge einer starr ausgerichteten Photovoltaikanlage und eines zwei-
achsig nachgeführten Photovoltaiksystems am gleichen Standort in Mitteldeutschland Mitte April
maximiert werden. Andere Steuerungssysteme richten die Moduloberfläche auch bei aus-
schließlicher Diffusstrahlung immer in Richtung der maximalen Einstrahlung aus, da –
je nach den meteorologischen Gegebenheiten – die auf eine geneigte Empfangsfläche
auftreffende diffuse Strahlungsleistung je nach Neigung und Ausrichtung der Modulober-
fläche unterschiedlich sein kann. Alternativ dazu kann das Modul auch nach einem festen
Standort-abhängigen Fahrplan dem aktuellen Sonnenstand – und damit unabhängig von
den aktuellen meteorologischen Gegebenheiten – nachgefahren werden.
Abb. 5.54 macht deutlich, dass zweiachsig nachgeführte Photovoltaiksysteme insbe-
sondere bei klaren Witterungsverhältnissen (z. B. 14.04. in Abb. 5.54) merkliche Mehr-
erträge im Vergleich zu fest installierten Systemen zeigen. Dieser Vorteil kommt aber
bei einem bedeckten Himmel (d. h. hoher Diffusstrahlungsanteil) kaum zum Tragen. Dies
wird in Abb. 5.54 beispielsweise am 13. oder am 15.04. deutlich; hier ist der Mehrertrag
infolge der Nachführung insgesamt nur sehr begrenzt.
Durch zweiachsige Nachführsysteme sind damit zwar größere Energieausbeuten im
Vergleich zu fest installierten Modulen erzielbar; jedoch liegen einige der einachsigen
Nachführverfahren nur knapp unter denen der zweiachsigen Systeme. Der für die Nach-
führung notwendige Energieaufwand ist i. Allg. gering; er liegt im Jahresdurchschnitt
zwischen etwa 0,03 und 3 % der insgesamt nutzbaren elektrischen Energie.
Nachführsysteme werden mit fortschreitender Kostensenkung bei den Photovoltaik-
modulen tendenziell unattraktiver, da – im Vergleich zu nicht nachgeführten Systemen –
der Flächenverbrauch steigt, die Wartungskosten höher liegen und die Aufständerungs-
konstruktionen teuer sind; und das bei einem unter mitteleuropäischen Verhältnissen nur
geringen Kostensenkungspotenzial und einem nur begrenzten potenziellen Mehrertrag.
Bei Solarkraftwerken und damit bei großen Leistungen dominiert in Mitteleuropa bis-
her die starre Aufständerung. Wird der erzielbare Energieertrag den für die Nachführung
5 Photovoltaische Stromerzeugung 413
Die Familie der Lithium-Ionen-Batterien deckt eine weite Spanne an Leistungs- und
Energiedichten ab und stellt momentan die leistungsfähigste Technologie dar. Deshalb
hat sich diese Option in den vergangenen Jahren auch für den Einsatz in Photovolta-
iksystemen durchgesetzt, zumal auch die Marktpreise für die entsprechenden Systeme
deutlich gesunken sind [5.50].
414 R. Bründlinger et al.
100000
Leistungsdichte in W/kg
Li-Ion
10000 Very High Power
Blei
(spiralgewickelt)
Li-Ion
1000 High Power
NiCd
d
NiMH
100
Blei
Na/NiCl2 Li-Ion
10
High Energy
Abb. 5.55 Vergleich verschiedener Batterietypen hinsichtlich ihrer Energie- und Leistungsdichte
RT aOx
E D E0 C ln (5.13)
ze F aRed
416 R. Bründlinger et al.
Zellspannung in V
1,90
Funktion der entnommenen
Kapazität (normiert auf Nenn- 1,80
kapazität bei zehnstündigem 1,70 0,57 I10
4 I10 2 I10 I10
Entladestrom, Entladeschluss- 1,60
spannung 1,8 V/Zelle, DOD: 6 I10
1,50
depth of discharge bzw. Entla- 10 I10
1,40
detiefe) 20 I10 16 I10
1,30
0 20 40 60 80 100 120
Entnommene Kapazität (DOD) in %
Bei Stromfluss ergeben sich zusätzlich noch sogenannte Überspannungen. Dabei han-
delt es sich um die ohmschen Überspannungen an den Ableitern, dem Elektrolyten und
dem Aktivmaterial, die Durchtrittsüberspannungen, die beim Ein- bzw. Austritt von La-
dungsträgern aus der Elektrode entstehen, sowie die Überspannungen, welche durch die
Doppelschichtkapazität an den Grenzflächen zwischen Elektrode und Elektrolyt und durch
Diffusion aufgrund von Konzentrationsunterschieden auftreten [5.55].
Diese Überspannungen führen dazu, dass die Kapazität stromabhängig ist. Dies ist für
verschiedene Stromstärken in Abb. 5.56 am Beispiel der Bleibatterie dargestellt. Ströme
werden bei Batterien üblicherweise als ein Vielfaches der Kapazität C angegeben (d. h.
1 C (100 A bei einer 100 Ah Batterie) oder 0,5 C (50 A bei einer 100 Ah Batterie)). Sie
können auch als Strom I , abhängig von der Entladezeit, beschrieben werden; beispiels-
weise steht I 10 für den zehnstündigen Entladestrom (d. h. diejenige Stromstärke, bei der
die Batterie nach 10 h vom Vollladezustand auf die Entladeschlussspannung entladen wor-
den ist) und I 5 den fünfstündigen Entladestrom.
Die Stromabhängigkeit der Kapazität wird über die sogenannte Peukertgleichung be-
schrieben (Gleichung (5.14)) [5.34]. Die Entladezeit t wird demnach berechnet aus der
Nennkapazität CN , dem Nennstrom I N , der Peukert-Konstanten kP und dem konstanten
Entladestrom I. Die Peukertkonstante ist hierbei batteriespezifisch; zudem ist in einer
praktischen Anwendung die Abhängigkeit von der Temperatur zu beachten.
kP
CN IN
tD (5.14)
IN I
Kenngrößen Wichtige Größen bei Batterien sind die volumetrische und die gravimetri-
sche Energiedichte. Die Energiedichte wird bestimmt von der mittleren Entladespannung,
der Anzahl der Ladungsträger pro beteiligtem Ion, dem Gewicht des aktiven Materials,
der Ausnutzung des aktiven Materials, dem Gewicht der Elektroden pro gespeichertem
aktiven Material, der Elektrolytmenge, den Ableitern, dem Gehäuse und dem Separator.
Beispielsweise beträgt die theoretische Energiedichte eines Bleiakkumulators 161 Wh/kg;
in der Praxis sind jedoch nur 25 bis 45 Wh/kg realisierbar [5.29].
5 Photovoltaische Stromerzeugung 417
Der Energieinhalt einer Batterie wird durch die Kapazität und die Nennspannung be-
schrieben. Die Kapazität ist jene Strommenge, die der Akkumulator bis zum Erreichen
einer Entladeschlussspannung abgibt. Sie wird in Ampere-Stunden (Ah) (d. h. Stromstärke
(Ampere, A) mal Zeit (Stunden, h)) gemessen und ist u. a. abhängig vom Entladestrom, der
Temperatur und der definierten Entladeschlussspannung. Die Nennspannung ist definiert
durch die an der elektrochemischen Reaktion beteiligten Materialien und kann mit Hilfe
der Thermodynamik für den stromlosen Gleichgewichtszustand bestimmt werden. Wäh-
rend beispielsweise NiCd- und NiMH-Batterien nur eine Nennspannung von 1,2 V/Zelle
aufweisen, sind dies bei Bleibatterien immerhin 2,0 V/Zelle und bei den meisten Typen
von Lithium-Ionen-Batterien 3,6 V/Zelle. Die Nennspannung bestimmt auch direkt, wie
viele Zellen zum Erreichen des für die Verbraucher notwendigen Spannungsniveaus in
Serie verschaltet werden müssen.
Die nutzbare Energie einer Batterie ist stark vom relativen Entladestrom abhängig.
Ausgedrückt werden die Ströme in Einheiten der Dauer einer Entladung bei konstan-
tem Strom bis zur definierten Entladeschlussspannung. Je schneller entladen wird, desto
schneller fällt die Spannung. Die entnehmbare Ladungsmenge und damit auch die nutz-
bare Energie werden geringer.
terie) und Batterien für starke zyklische Belastungen (z. B. Elektroautos, Gabelstapler,
Rollstühle). Je nach Anforderungsprofil werden unterschiedliche Elektrodenbauformen
und Elektrodengeometrien verwendet.
Bleibatterien zeigen verschiedene Alterungsmechanismen. Bei hohen Spannungen und
damit hohen Ladezuständen kommt es zu einer verstärkten irreversiblen Korrosion der
positiven Elektrode. Bei tiefen Ladezuständen tritt aufgrund der Schwerkraft und der
unterschiedlichen Dichten eine sogenannte Säureschichtung auf; dadurch sehen einige
Abschnitte der Elektroden tiefere Ladezustände als andere. Da Bleibatterien sehr emp-
findlich auf tiefe Ladezustände reagieren, kommt es dadurch zu einer stark beschleunigten
Alterung, ohne dass dies an der Klemmenspannung ersichtlich wäre. Bei solchen tie-
fen Ladezuständen bilden sich u. a. große Sulfatkristalle, die sich nur schlecht wieder
auflösen lassen. Dies führt zu einer Erhöhung des Innenwiderstands und so zu einem Ka-
pazitätsverlust. Jedoch können spezielle Ladeverfahren bei erhöhten Spannungen diese
Sulfatkristalle wieder auflösen [5.16].
Derzeit sind primär die geschlossene und die verschlossene Bleiakkumulatoren-Bau-
form geläufig.
Bei der geschlossenen Bauform kann die Batterie (Abb. 5.57) über Stopfen im Gehäu-
sedeckel geöffnet werden. Der Elektrolyt ist flüssig und muss in regelmäßigen Abstän-
den nachgefüllt werden, da über die Gasungsreaktion Elektrolyt entweicht (Abb. 5.58).
Bei verschlossenen Batteriebauformen ist der Elektrolyt demgegenüber in einem Gel
oder einem Vlies festgelegt. Das Gehäuse ist fest verschlossen und der entstehende
Sauerstoff diffundiert über Mikrorisse im Gel oder Mikrokanäle im Vlies zur negati-
ven Elektrode und rekombiniert dort. Gleichzeitig entsteht nur sehr wenig Wasserstoff,
der dann nicht rekombiniert und über Überdruckventile entweicht. Solche Batterien
werden als „Valve regulated lead-acid batteries“ (VRLA) bezeichnet. Während Vlies-
batterien vor allem im Automobil als sogenannte AGM-Batterien eingesetzt werden,
kommen bei photovoltaischen Applikationen zumeist Blei-Gel-Batterien zum Einsatz,
da hier praktisch keine Säureschichtung auftritt.
5 Photovoltaische Stromerzeugung 419
negative Elektrode
negative Elektrode
positive Elektrode
positive Elektrode
schlossener Batterien mit Gel-
oder Vlies-Elektrolyt (rechts)
Auch ist die Kapazität einer Bleibatterie temperaturabhängig. Sie erhöht sich um etwa
0,6 % pro K Temperaturerhöhung (Bezugstemperatur je nach Hersteller oder Prüfstandard
20 bis 27 ı C) und reduziert sich entsprechend bei einer Abkühlung. Allerdings beschleu-
nigen sich die Alterungsprozesse und die Selbstentladung mit zunehmender Temperatur.
Eine optimale Betriebstemperatur von Bleibatterien in Photovoltaikanlagen liegt daher
eher im Bereich von 10 ı C.
Die Batterie speichert die zugeführte elektrische Energie mit einem Ah-Wirkungsgrad
(Coulomb’scher Wirkungsgrad) von rund 95 bis 98 %. Wird die Batterie in mittleren La-
dezuständen zyklisiert (< 80 % state of charge (SOC)), ist der Ah-Wirkungsgrad nahezu
100 %. Das Verhältnis von bezogener zu zugeführter Energie (typischer Wert 80 bis 90 %)
ist der Wh-Wirkungsgrad, der sich aus der gegenüber der Entladespannung höheren La-
despannung ergibt. Die Selbstentladung liegt bei 25 ı C bei etwa 2 bis 3 %/Monat.
Wesentlich für den Betrieb der Batterie ist der Laderegler. Laderegler müssen eine
Tiefentladung der Batterie verhindern (je nach Batterietechnologie sollten nicht mehr als
60 bis 80 % der Kapazität ausgenutzt werden), um eine vorzeitige Alterung zur vermei-
den. Zusätzlich ist der Laderegler für die Ladestrategie verantwortlich. Dabei wird die
Spannung so begrenzt, dass einerseits eine schnelle Aufladung der Batterie möglich ist
und andererseits die für die Batterie schädlichen Prozesse (z. B. Gasung, Korrosion) mög-
lichst gering bleiben. Wichtig ist hier auch eine Anpassung der maximalen Ladespannung
an die Batterietemperatur, da mit steigender Batterietemperatur die maximale Spannung
abgesenkt wird, um die Gasbildung zu begrenzen.
Daher werden an den Laderegler hohe Anforderungen an die Zuverlässigkeit und die
Algorithmen zum Tiefentlade- und zum Überladeschutz gestellt. Wichtig sind jedoch
ebenso Kriterien wie der Eigenstromverbrauch, die Anzeigen des Batteriezustands für den
Nutzer und die Sicherheit gegen fehlerhafte Verpolung. Gute Laderegler sollten zusätzlich
in der Lage sein, den Ladezustand der Batterie bestimmen zu können.
5.2.3 Gesamtsysteme
Wechselrichter
Beleuchtung Energiezähler
(PV) kWh
Hausverteilung
Netz
Energiezähler
Steckdosen (Einspeisung
kWh
und Bezug)
Hausanschlusskasten
Abb. 5.59 Kleine Photovoltaik(PV)-Anlage mit direkter Einspeisung in das Netz der öffentlichen
Versorgung
Die Kopplung von Photovoltaikanlagen an das Netz der öffentlichen Versorgung kann
auf der Basis unterschiedlicher Anlagenkonzepte realisiert werden, welche sich durch die
Anzahl der Photovoltaikmodule, die Wechselrichterkonfiguration und die Verortung des
Maximum Power Point Tracking (MPPT) unterscheiden (Abb. 5.60 und 5.61).
AC-Netz
AC-Netz
AC-Netz
MPPT
die Strings jeweils parallel miteinander verschaltet. Der Wechselrichter ist aufgrund
der größeren Leistung meist dreiphasig mit dem Versorgungsnetz verbunden.
Photovoltaikanlage mit distributed Maximum Power Point Tracking (DMPPT) und
Zentralwechselrichter (Abb. 5.61, Mitte). Wird auf Modulebene ein DC/DC-Steller
eingesetzt, welcher in der Lage ist, für jedes Modul einen separaten Arbeitspunkt maxi-
maler Leistung einzustellen, spricht man von einem distributed Maximum Power Point
Tracking (DMPPT). Dadurch können Verschattungseffekte sowie Mismatch-Verluste
aufgehoben werden und es kann sich ein höherer Energieertrag einstellen (Mismatch-
Verluste bezeichnen einen Leistungsverlust, der durch Unterschiede u. a. in der Leis-
tung der Photovoltaikmodule, in der Neigung der Module, in der Modulausrichtung
und der verwendeten Modulfabrikate in einem String verursacht werden; d. h. sind bei-
spielsweise Photovoltaikmodule mit verschiedenartiger Leistung in Reihe geschaltet,
begrenzt das Modul mit der geringsten Leistung die Leistungen der anderen in Reihe
geschalteten Module; dies ist mit (Mismatch-)Verlusten verbunden).
Photovoltaikanlage mit distributed Maximum Power Point Tracking (DMPPT) und
Modulwechselrichter (Abb. 5.61, rechts). Wird der Wechselrichter auf Modulebene
integriert, wird von einem Modulwechselrichter gesprochen. Dieser ist in der Lage,
einen Arbeitspunkt maximaler Leistung für jedes Modul einzustellen. Die einzelnen
Wechselrichter sind auf der Wechselstromseite miteinander verbunden.
MPPT MPPT
MPPT MPPT
MPPT
AC-Netz
AC-Netz
AC-Netz
MPPT MPPT
Spitzenzeiten können es Momentanwerte von bis zu 50 % oder mehr sein [5.52]. Richt-
linien für die Einspeisung von dezentralen Erzeugungsanlagen am Mittelspannungsnetz
(seit 2018 AR-N-4110) und Niederspannungsnetz (VDE-AR-N 4105 von 2018) insbe-
sondere für Photovoltaikanlagen wurden daher kontinuierlich erweitert bzw. neu erstellt
[5.53, 5.54]. Das Ziel dieser Richtlinien ist die verbesserte Netzintegration derartiger
Anlagen. Inhalt und Kern bilden netzstützende Funktionen für einen sicheren und zu-
verlässigen Netzbetrieb bei hoher dezentraler Erzeugungsleistung; d. h. dezentrale Er-
zeugungsanlagen müssen sich auch an der dynamischen Netzstützung und der statischen
Spannungshaltung beteiligen.
Reine Photovoltaiksysteme mit einem Batteriespeicher können jeweils nur so viel Ener-
gie zur Verfügung stellen, wie die Photovoltaikanlage infolge der solaren Einstrahlung
– abzüglich der Batteriespeicherverluste – insgesamt liefert. Somit ist die Menge der je-
weils verfügbaren Nutzenergie – entsprechend der Jahreszeiten bzw. den Großwetterlagen
und der Größe des Batteriespeichers – Schwankungen ausgesetzt. Demgegenüber kann
mit Hybridsystemen eine gleichmäßigere und potenziell die Nachfrage jederzeit deckbare
Energieversorgung sichergestellt werden. Damit werden unter derartigen Hybridkonzep-
ten Energieversorgungssysteme verstanden, bei denen mehr als ein Energieträger / mehr
als eine Strombereitstellungsoption für die Deckung der Stromnachfrage verantwortlich
ist.
Nachfolgend wird exemplarisch ein reines Photovoltaik- und ein Hybridsystem cha-
rakterisiert.
chers
Batterie Laderegler
426 R. Bründlinger et al.
Photovoltaik-
generator Wechselstrom-
verbraucher
Gleichstrom-
verbraucher
Gleichstromschiene
Blei- Lade-
batterie regler
WKA
Wechselstromschiene
Wechsel-
richter
Motor - Gleich-
generator richter
Abb. 5.63 Exemplarisches Blockschaltbild eines Hybridsystems mit Gleichstrom- und Wechsel-
stromschiene (WKA Windkraftanlage)
5 Photovoltaische Stromerzeugung 427
Repeater- und Basisstationen für Mobilfunknetze Der wichtigste Markt für kommerzi-
elle, industrielle Anwendungen für netzferne Photovoltaikanlagen ist die Telekommuni-
kation. Mit der nach wie vor wachsenden Verbreitung von Mobiltelefonen und anderen
leitungsungebundenen Telekommunikationsdienstleistungen und der gleichzeitigen For-
derung nach möglichst flächendeckender Verfügbarkeit der Netze steigt die Nachfrage an
autonomen Stromversorgungen für die Infrastruktur der Telekommunikationsnetze. Da-
bei werden sehr hohe Anforderungen an die Verfügbarkeit derartiger Versorgungssysteme
gestellt. Dieser Forderung kann durch eine entsprechende Überdimensionierung des So-
largenerators und des Batteriespeichers adäquat Rechnung getragen werden. Um solche
Anlagen zuverlässig und wirtschaftlich betreiben zu können, werden die Anlagen mit Al-
gorithmen zur Selbstdiagnose und zur Fernüberwachung ausgerüstet, so dass eine gezielte
Wartung der Anlagen bei Bedarf durchgeführt werden kann.
Solar Home Systeme Hohe Investitionen in die Netzinfrastruktur bei gleichzeitig niedri-
ger Stromnachfrage verhindern einen Netzanschluss in abgelegenen und kaum besiedelten
Gebieten insbesondere in Entwicklungs- und Schwellenländern; dies gilt für rund 2 Mrd.
Menschen, die bisher keinen Zugang zum Stromnetz der öffentlichen Versorgung haben.
Und diese Zahl dürfte in den nächsten Jahrzehnten nicht abnehmen. Daher gewinnen Insel-
lösungen für eine Versorgung mit elektrischem Strom immer mehr an Bedeutung. Für eine
derartige Basiselektrifizierung ländlicher Gebiete von Entwicklungs- und Schwellenlän-
dern stellt das Solar Home System eine gute technische und oft auch wirtschaftliche Option
dar, den Grundbedarf der Haushalte nach Beleuchtung und Information zu decken. Dabei
besteht ein Solar Home System typischerweise aus einem Solarmodul mit 40 bis 70 W,
einer 12 V-(Blei-)Batterie mit etwa 60 bis 120 Ah Kapazität, einem Laderegler sowie den
jeweils angeschlossenen Verbrauchern. Als Verbraucher werden beispielsweise energie-
sparende Lampen, Kühlschränke, Radio und Fernseher betrieben. Zentral im Ort kann es
zusätzlich Gemeinschaftseinrichtungen wie Wasserpumpen, spezielle Kühleinrichtungen
beispielsweise für Medikamente und Medizingeräte oder Funkanlagen geben. Bei solchen
Systemen werden in den meisten Fällen Gleichstromverbraucher mit hoher Energieeffi-
zienz verwendet. Es kommen aber auch Wechselrichter mit 150 bis 500 W Nennleistung
zum Einsatz; Vorteile sind hier die Möglichkeit des Einsatzes beliebiger kommerzieller
Verbraucher und ein wirksamer Schutz der Batterie gegen Fehlnutzung, da ein direkter
Anschluss der Verbraucher an die Batterie nicht möglich ist. Die Technologie für derartige
Anwendungen ist heute weitgehend zuverlässig und einsatzfähig, wenn Komponenten ho-
her Qualität eingesetzt werden; die Gründe einer nach wie vor eingeschränkten Verbreitung
liegen mehr auf der sozio-ökonomischen und sozio-technischen Seite.
licher Energiemenge mehr Leistung zur Verfügung stellen. Die zentrale Stromversorgung
ist typischerweise als Hybridsystem aufgebaut und vereinigt die für den Standort opti-
mal einsetzbaren Stromerzeuger. Nicht zu vernachlässigen sind hier aber mögliche soziale
Konflikte bei der Verteilung der vorhandenen Energiemenge auf mehrere Benutzer.
Direktstrahlung
Wandlung
Stromerzeugung (elek. elektri-
Diffus-und
Photonenener- von Gleich- elek. in
sche; nach [5.5]) gie in höher- in Wechsel- elektrische
energetische strom Energie
Elektronen (Inverter) (Trafo)
(Halbleiter) (optional) (optional)
Netz
Strahlungs- Elektrische Ener- Elek. Energie Elek. Energie
energie der gie im Halbleiter- im Gleich- im Wechsel-
Sonne material stromnetz stromnetz
Verluste Die beschriebenen Verlustmechanismen bewirken, dass nur ein Teil der solar
eingestrahlten Energie als elektrischer Strom an der Einspeisestelle ins Netz abgegeben
wird. Abb. 5.65 zeigt deshalb die wesentlichen Verluste im gesamten Energiefluss einer
Photovoltaikanlage und ihre jeweilige Größenordnung. Die dargestellten Verluste sind da-
Abb. 5.65 Energiefluss einer photovoltaischen Anlage mit monokristallinen Zellen (Verluste der
Solarzelle als Mindestverluste unter Standardtestbedingungen; nach [5.5])
5 Photovoltaische Stromerzeugung 431
bei als Mittelwerte von Technologien und verschiedenen Betriebszuständen, die sich im
Jahresverlauf ergeben (Temperatur, Einstrahlung etc.), zu verstehen, die im realen Betrieb
höher oder auch niedriger liegen können; sie beziehen sich auf die solare Einstrahlung auf
die Oberfläche des entsprechenden Solarmoduls.
Demnach nehmen diejenigen Verluste, die bei der Umwandlung der solaren Strah-
lungsenergie in elektrischen Gleichstrom in der eigentlichen Photovoltaikzelle auftreten,
den mit Abstand größten Anteil ein. Daraus resultiert bei dem dargestellten Beispiel, be-
zogen auf die ankommende Solarenergie, ein Wirkungsgrad der Solarzelle von rund 17
bis 19 %; im Jahresmittel dürfte er jedoch etwas niedriger liegen.
Die Verluste außerhalb der Zelle setzen sich im Wesentlichen aus den ohmschen Ver-
lusten in den Gleichstromleitungen, dem Wechselrichter und den notwendigen Wech-
selstromleitungen zusammen. Bezogen auf die eingestrahlte Sonnenenergie sind diese
Verluste gering und liegen zusammengenommen bei wenigen Prozent. Daraus ergeben
sich durchschnittliche Gesamtsystemwirkungsgrade (D jahresmittlere Nutzungsgrade) bei
diesem Beispiel zwischen 15 und 16 %.
multikristalline
Zellen
Globalstrahlungssumme
432 R. Bründlinger et al.
Berücksichtigt man die typische Korrelation zwischen hoher Einstrahlung und hoher
Umgebungstemperatur wird deutlich, warum der Wirkungsgrad bei hohen Einstrahlun-
gen (primär in den Sommermonaten) im Mittel merklich unter dem bei geringen Ein-
strahlungen (primär im Winter) liegen. Dies äußert sich in Abb. 5.66 in der mit größer
werdenden Globalstrahlungssummen leicht abknickenden Leistungskennlinie; d. h. die
Leistungskennlinie steigt unter realen Gegebenheiten – im Unterschied zu der Standard-
testbedingungen – nicht linear mit ansteigender Einstrahlung. Allerdings verbessert sich
der Wirkungsgrad bei geringer solarer Einstrahlung mit steigender Einstrahlung durch die
mit der Strahlung logarithmisch ansteigende Ruhespannung erheblich. Auch dies ist in
Abb. 5.66 im Bereich kleiner Strahlungssummen zu sehen.
Gemäß Abb. 5.66 führt damit eine Zunahme der solaren Einstrahlung auf die Modu-
loberfläche bei multi- oder polykristallinen Zellen zu einem entsprechenden Anstieg der
Gleichstromerzeugung. Bei einer Verdopplung der Bestrahlungsstärke ergibt sich jedoch
aufgrund der damit verbundenen Temperaturerhöhung der Zellen – infolge der diskutier-
ten Zusammenhänge – keine genaue Verdopplung der Gleichstromerzeugung. Ähnlich
sind die Gegebenheiten bei den ebenfalls in Abb. 5.66 dargestellten Modulen auf der Basis
monokristalliner Zellen; hier ist aber aufgrund der höheren Wirkungsgrade die flächenspe-
zifische Stromerzeugung insgesamt leicht höher.
Aus Abb. 5.66 wird auch deutlich, dass bei gleicher Einstrahlung die jeweilige
flächenspezifische Wechselstromerzeugung gegenüber der entsprechenden Gleichstrom-
erzeugung geringfügig niedriger ist. Dies liegt in den Wechselrichterverlusten begründet.
Sollen Photovoltaikanlagen zur Deckung der Nachfrage nach elektrischer Energie in ei-
ner energiewirtschaftlich relevanten Größenordnung beitragen, müssen aufgrund der ver-
gleichsweise geringen Energiedichte der solaren Strahlung eine Vielzahl von Anlagen
(d. h. modularer Ausbau) installiert werden. Daraus resultiert ein entsprechender Material-
und letztlich auch Energieaufwand – mit allen damit im gesamten Lebensweg freigesetz-
ten Emissionen – sowie entsprechende Kosten einer elektrischen Energiebereitstellung.
Deshalb werden im Folgenden für ausgewählte photovoltaische Anlagen, die typisch für
das derzeitige Marktspektrum sind, die spezifischen Stromgestehungskosten und ausge-
wählte Umweltaufwendungen dargestellt und diskutiert.
Die ökonomische und ökologische Bilanzierung von Inselanlagen (d. h. nicht netzge-
koppelte Systeme), wie sie auch in Mitteleuropa beispielsweise in Form von Parkschein-
automaten, Fischteichbelüftungen, beleuchteten Hausnummern oder auch von nicht an das
Netz gekoppelte Berghütten in den letzten Jahren sehr vereinzelt umgesetzt wurden, ist im
Vergleich zu netzgekoppelten Systemen wesentlich schwieriger und wird sehr stark von
den jeweiligen standortspezifischen Bedingungen – und den dort vorliegenden Gegeben-
heiten – beeinflusst. Zudem fehlt häufig auch ein fester, leicht festzustellender Vergleichs-
5 Photovoltaische Stromerzeugung 433
rahmen für die ökologische und ökonomische Bewertung. Während bei netzgekoppelten
Systemen derartige Größen i. Allg. direkt mit anderen vorhandenen bzw. potenziellen Op-
tionen im Strombereitstellungssystem verglichen werden können, ist dies bei Inselanlagen
damit typischerweise ungleich schwieriger. So werden z. B. bei Solar Home Systemen
durch das photovoltaisch erzeugte Licht oftmals der Einsatz von Kerzen, Kerosinlam-
pen und Primärbatterien ersetzt. Bei Inselanlagen kann daher im Wesentlichen davon
ausgegangenen werden, dass sie nur dort eingesetzt werden, wo sie einen ökonomischen
Vorteil gegenüber einer Netzerweiterung bieten. Bei einer entsprechenden ökonomischen
Betrachtung wird dann auch schnell klar, dass weniger die eigentlichen Stromgestehungs-
kosten als die Kosten für die Stromverteilung relevant zu dem vom Endverbraucher zu
zahlenden Preis beitragen. Derartige Systeme werden im Folgenden deshalb nicht näher
betrachtet; d. h. es werden ausschließlich netzgekoppelte Systeme untersucht.
5.3.1 Referenzanlagen
vorgegebenen oft nicht optimalen Neigung und Ausrichtung sowie möglicher Abschat-
tungseffekte durch z. B. Bäume oder Schornsteine im Durchschnitt geringere Erträge
aufweisen als Anlagen auf Freiflächen mit einer ebenen Aufstandsfläche und dadurch
einer einfach möglichen optimierten Ausrichtung. Außerdem weisen Wechselrichter mit
hohen installierten Leistungen in der Regel leicht höhere Wirkungsgrade auf. Die techni-
sche Lebensdauer der Solarmodule wird mit 30 Jahren angesetzt. Demgegenüber werden
die Wechselrichter aufgrund ihrer geringeren technischen Lebensdauer nach 15 Jahren
ausgewechselt. Die technischen Daten zu den hier unterstellten Referenzanlagen sind in
Tabelle 5.4 zusammenfassend dargestellt.
Als Ausgangsmaterial für die Solarzellenherstellung wird Solar-Grade Silizium ver-
wendet, das mit weniger Energie- und Materialaufwendungen im Vergleich zu SeG-Sili-
zium (Semiconductor-Grade Silizium) aus der Halbleiterindustrie verbundenen ist. Die
Fertigung der Solarzellen und der daraus hergestellten Solarmodule erfolgt entsprechend
der derzeitigen Marktgegebenheiten in China; sie werden dann per Schiff, Bahn und Lkw
zu einem bestimmten Standort in Mitteleuropa transportiert.
Bei diesen Anlagen (Tabelle 5.4) wird eine technische Verfügbarkeit von 99 % unter-
stellt; d. h. nur an 1 % des Jahres ist störungs- oder wartungsbedingt keine Stromerzeugung
möglich. Dies ist u. a. auch deshalb realistisch, da die sehr seltenen Wartungsarbeiten z. T.
bei laufendem Betrieb und teilweise auch dann durchgeführt werden können, wenn auf-
grund des nicht vorhandenen Strahlungsangebots keine elektrische Energie bereitgestellt
werden kann (z. B. Abendstunden im Winterhalbjahr).
Im Folgenden werden die variablen und fixen Aufwendungen sowie die spezifischen
Stromgestehungskosten exemplarisch für eine 5 kW- bzw. 5 000 kW-Photovoltaikanlage
5 Photovoltaische Stromerzeugung 435
entsprechend der Anlagendefinition nach Tabelle 5.4 dargestellt. Abhängig von der
Anlagengröße, den lokalen Preisen des örtlichen Installationsunternehmens und der
eingesetzten Technologie können diese im Einzelfall z. T. erheblich davon abweichen, da
nachfolgend nur mittlere volkswirtschaftliche Preise angegeben werden können.
Tabelle 5.5 Mittlere Investitionen und Betriebskosten sowie Stromgestehungskosten für die unter-
suchten Photovoltaikgeneratoren (zur Definition der betrachteten Referenzanlagen vgl. Tabelle 5.4)
Dach-installierte Anlagen Freiflächenkraftwerke
Monokrist. Polykrist. Monokrist. Polykrist.
Si-Module Si-Module Si-Module Si-Module
Leistung in kW 5 5 5 000 5 000
Jahresertrag in kWh/kW 900 900 950 950
Investitionen
Module in k C 1,75 1,55 1 300 1 150
Wechselrichter in k C 0,8 0,8 500 500
Gestelle in k C 0,7 0,8 500 600
Sonstigesa in k C 1,25 1,35 750 800
Summe in k C 4,5 4,5 3 050 3 050
Annuitätb in C/a 227 227 152 770 152 770
Betriebskostenc in C/a 250 250 40 000 40 000
Stromgestehungskosten in C/kWh 0,106 0,106 0,041 0,041
Monokrist. Si-Module monokristalline Siliziummodule, Polykrist. Si-Module polykristalline Silizi-
ummodule; a Kosten für sonstige Systemkomponenten (u. a. Verkabelung, Netzanschluss), Planung
und Installation; b bei einem Zinssatz von 2 % und einer Abschreibung über die technische Le-
bensdauer von 15 Jahren für Wechselrichter und 30 Jahren für die restlichen Anlagenkomponenten;
c
Betrieb, Wartung, Sonstiges.
436 R. Bründlinger et al.
1000
Sonstiges
900 Gestelle
800 Wechselrichter
Investitionen in €/kW Module
700
600
500
400
300
200
100
0
5 kW (mono Si) 5 kW (poly Si) 5 MW (mono Si) 5 MW (poly Si)
Abb. 5.67 Spezifische Investitionen der in Tabelle 5.4 dargestellten Referenzanlagen (mono Si mo-
nokristalline Siliziummodule, poly Si polykristalline Siliziummodule)
Mittel bei rund 260 bis 350 C/kW. In einer ähnlichen Größenordnung – jedoch auf einem
geringfügig geringeren Niveau – liegen mit 230 bis 310 C/kW momentan die Preise für
polykristalline Module. Damit tragen die Aufwendungen für die Module zu etwa 34 bis
43 % zu den Gesamtinvestitionen der vollständigen Anlage bei (u. a. [5.34, 5.35]). Dabei
sind die Modulpreise beispielsweise zwischen 2012 und 2019 um rund 62 % gefallen und
gleichzeitig ist der durchschnittliche Wirkungsgrad merklich angestiegen [5.34]. Diese
Entwicklung wurde vor allem durch Skaleneffekte einer Ausweitung der Produktionska-
pazitäten aufgrund des global stark anziehenden Marktes begünstigt. Außerdem tragen
Verbesserungen im Produktionsprozess und Effizienzsteigerungen durch neue Solarzel-
lendesigns zur Kostensenkung bei.
Einen merklichen Anteil an den Gesamtkosten nehmen die auch in Tabelle 5.5 aufge-
führten Wechselrichterkosten ein; sie liegen in Abhängigkeit der Leistungsklasse derzeit
im Mittel bei ca. 160 C/kW für kleinere dachgekoppelte Anlagen und bei rund 100 C/kW
für größere Solarkraftwerke. Sie haben damit einen Anteil zwischen 16 und 18 % an den
Gesamtinvestitionen eines Photovoltaiksystems.
Neben diesen Kosten für die photovoltaischen Module und den bzw. die Wechselrich-
ter fallen für die Befestigungsgestelle – je nach benötigter Technik (Schrägdach- oder
Freiflächeninstallation) – zwischen 16 und 20 % der Gesamtinvestitionen an. Zusätzlich
fallen Aufwendungen für die Installation der Photovoltaikanlage an. Die Angaben in Ta-
belle 5.5 beinhalten dabei sowohl die komplette Montage als auch die Elektroinstallation
einschließlich Zählerkasten, Zählereinbau und Kabelkosten bis zur Kopplung an das Netz
der öffentlichen Versorgung. Die Planungsaufwendungen können – ein bestimmtes Erfah-
rungspotenzial bei dem ausführenden Unternehmen vorausgesetzt – mit maximal 2 % der
gesamten Anlageninvestitionen veranschlagt werden.
Abb. 5.67 zeigt eine zusammenfassende Darstellung der spezifischen Investitionen der
hier untersuchten Referenzanlagen nach Tabelle 5.4 bzw. 5.5.
5 Photovoltaische Stromerzeugung 437
Betriebskosten Die Betriebskosten errechnen sich aus den Wartungs- und Instandhal-
tungskosten und den sonstigen Aufwendungen (z. B. Reparaturen, Modulreinigung, Zäh-
lermiete, Versicherung). Für Photovoltaikgroßanlagen können zusätzlich Kosten für Pacht,
Betriebsführung, Personal und ggf. Fremdfinanzierung anfallen [5.36]. Die jährlichen
Betriebskosten liegen je nach Aufstellungsart und Größe der Anlage zwischen 8 und
50 C/kW. Für die untersuchten Referenzanlagen folgen daraus laufende Kosten (Tabel-
le 5.5) von etwa 250 C/a für jede der beiden 5 kW-Anlagen bzw. 40 000 C/a für jede der
beiden 5 000 kW-Anlagen.
0,22
Mittlere Abschreibungsdauer (27,4 Jahre = 100 %)
0,2 Investitionen (4500 € = 100 %)
Stromgestehungskosten in €/kWh
0,14
0,12
0,1
0,08
0,06
50 60 70 80 90 100 110 120 130 140 150
Parametervariation in %
Abb. 5.68 Parametervariation der wesentlichen Einflussgrößen auf die spezifischen Stromgeste-
hungskosten am Beispiel eines 5 kW-Photovoltaikgenerators mit polykristallinen Modulen (Tabel-
len 5.4 und 5.5)
einen untergeordneten Einfluss auf die Kosten der photovoltaischen Stromerzeugung. Be-
triebskosten und Investitionen zeigen dahingegen einen deutlich größeren Einfluss auf die
Gestehungskosten der photovoltaisch erzeugten elektrischen Energie. Ebenso beeinflusst
die Abschreibungsdauer die Stromgestehungskosten.
Aus Abb. 5.68 lässt sich aber auch ableiten, dass die Stromgestehungskosten in den
Gegenden der Erde, die im Vergleich zu Mitteleuropa durch eine (deutlich) höhere So-
larstrahlung gekennzeichnet sind (z. B. Südeuropa, Nordafrika), beispielsweise bei einer
etwa 50 % höheren solaren Einstrahlung bei nur gut 67 % der Kosten liegen, wie sie
in Deutschland gegenwärtig aufzubringen sind. Daraus, zusammen mit beträchtlichen
Skaleneffekten und günstigen Finanzierungsbedingungen, resultieren heute Stromgeste-
hungskosten für photovoltaischen Strom an Standorten beispielsweise in den Vereinigten
Arabischen Emiraten von unter 0,02 C/kWh.
5.3.3.1 Lebenszyklusanalyse
Die vergleichsweise geringe Energiedichte der an der Oberfläche der Photovoltaikzellen
auftreffenden solaren Strahlungsenergie hat zur Folge, dass eine relativ große photovol-
taisch aktive Oberfläche notwendig ist, um hohe elektrische Leistungen zu realisieren.
Dies ist mit einem entsprechenden Materialeinsatz und dem damit korrespondierenden
Ressourcenverbrauch verbunden. Dabei beeinflusst sowohl die Menge als auch die Art
des jeweils eingesetzten Materials erheblich die jeweiligen Energieaufwendungen und die
daraus resultierenden Emissionen im Lebensweg.
Bei den nachfolgend dargestellten Bilanzen werden – vergleichbar zu der bisherigen
Vorgehensweise – sämtliche mit der Herstellung, dem Betrieb und der Entsorgung der
Anlagen verbundenen Energie- und Stoffströme berücksichtigt. Die Bilanzierung erfolgt
ausschließlich für eine Photovoltaikstromerzeugung frei Netzeinspeisepunkt auf der Nie-
derspannungsebene bei den dachmontierten Anlagen und auf der Mittelspannungsebene
bei den Freiflächenkraftwerken (zur Definition der Referenzanlagen siehe Tabelle 5.4).
Zusätzliche Aufwendungen, die sich aus der Integration einer solaren Stromerzeugung
in das Elektrizitätsversorgungsnetz ergeben können (z. B. Netzdienstleistungen zum Aus-
gleich der fluktuierenden Erzeugung), werden nicht berücksichtigt.
Tabelle 5.6 zeigt die resultierenden kumulierten Primärenergieaufwendungen einer
photovoltaischen Stromerzeugung am Beispiel der beiden Referenzanlagen und der be-
trachteten Modul- bzw. Zellentypen. Demnach ist im Durchschnitt der energetische
Aufwand bei monokristallinen Modulen größer als bei polykristallinen Solarmodulen;
der höhere Wirkungsgrad der monokristallinen Zellen kann damit den höheren Energie-
aufwand bei der Herstellung im Vergleich zu den anderen Zellentypen im Verlauf des
gesamten Lebensweges bzw. Lebenszyklus nicht vollständig kompensieren.
Die realtiv höheren Werte der monokristallinen Solarzellen ergeben sich zum einem
durch die bei der Herstellung anfallenden Sägeverluste, die vor einer Wiederverwendung
erneut gereinigt werden müssen. Zum anderen ist der Prozess des Ziehens eines Mono-
Tabelle 5.6 Energie- und Emissionsbilanzen einer photovoltaischen Stromerzeugung (zur Defini-
tion der untersuchten Referenzanlagen vgl. Tabelle 5.4)
Dach-installierte Anlagen Freiflächenkraftwerk
Monokrist. Polykrist. Monokrist. Polykrist.
Si-Module Si-Module Si-Module Si-Module
Energie in GJprim /GWha 683 523 643 492
SO2 in kg/GWh 82 72 81 73
NOx in kg/GWh 72 61 67 58
CO2 -Äq. in t/GWh 42 33 40 31
SO2 -Äq. in kg/GWh 141 123 138 120
Äq. Äquivalente; Monokrist. Si-Module Monokristalline Siliziummodule, Polykrist. Si-Module Po-
lykristalline Siliziummodule; a primärenergetisch bewerteter kumulierter fossiler Energieaufwand
(Verbrauch erschöpflicher Energieträger).
440 R. Bründlinger et al.
45
Abriss
40 Betrieb
CO2-Äquivalent-Emissionen in t/GWh Bau
35
30
25
20
15
10
0
5 kW (mono Si) 5 kW (poly Si) 5 MW (mono Si) 5 MW (poly Si)
Abb. 5.69 Beiträge von Bau, Betrieb und Abriss an den gesamten CO2 -Äquivalent-Emissionen der
Anlagen nach Tabelle 5.6 und 5.4 (mono Si monokristalline Siliziummodule, poly Si polykristalline
Siliziummodule)
kristalls aus der Siliziumschmelze energieintensiver als das Gießen von Blöcken, wie es
bei der Herstellung der polykristallinen Zellen realisiert wird.
Ähnlich den energetischen Aufwendungen können auch die mit der Herstellung, dem
Betrieb und der Entsorgung photovoltaischer Anlagen verbundenen Emissionen bzw.
Äquivalent-Emissionen ermittelt werden. Von der Vielzahl freigesetzter Stoffe werden
dabei in Anlehnung an die bisherige Vorgehensweise (Kapitel 1.3 und 1.4) exemplarisch
für Luftschadstoffe mit toxikologischer Wirkung Schwefeldioxid (SO2 ) und Stickstoff-
oxide (NOx ), unter dem Aspekt „Anthropogener Treibhauseffekt“ die CO2 -Äquivalent-
Emissionen sowie unter dem Aspekt „Versauerung von Böden und Gewässern“ die SO2 -
Äquivalent-Emissionen betrachtet (Kapitel 1.3 und 1.4).
Abb. 5.69 zeigt exemplarisch für die Klimagasemissionen im Lebensweg die Auftei-
lung der Stofffreisetzungen auf die Lebenswegabschnitte Bau bzw. Herstellung, Betrieb
und Abriss bzw. Entsorgung. Demnach treten Stofffreisetzungen in einer relevanten Grö-
ßenordnung bei der photovoltaischen Stromerzeugung im Wesentlichen bei der Anlagen-
herstellung auf. Dabei handelt es sich zum einen um die Emissionen, die durch den ener-
getischen Aufwand für die Herstellung der Solarmodule verursacht werden. Zum anderen
werden infolge des Energieeinsatzes für die Bereitstellung der benötigten Materialien
(z. B. Reinstsilizium) luftgetragene Schadstoffe emittiert. Dazu kommen noch die Emis-
sionen für die Bereitstellung der benötigten Hilfsenergie (z. B. elektrische Energie aus
dem Netz der öffentlichen Versorgung mit den damit verbundenen Emissionen des jewei-
ligen Kraftwerksparks). Mit den technischen Verfügbarkeiten, Lebensdauern und Volllast-
5 Photovoltaische Stromerzeugung 441
stundenzahlen sind daraus die auf die insgesamt erzeugte elektrische Energie bezogenen
luftgetragenen Stofffreisetzungen bestimmbar. Neben diesen der Herstellung zuzuordnen-
den freigesetzten Stoffe werden auch – allerdings in einem deutlich geringeren Umfang
– beim Betrieb und bei der Entsorgung photovoltaischer Generatoren Stoffe emittiert.
Obwohl es während des Betriebs der Anlagen technikbedingt zu nahezu keinen Stoff-
freisetzungen kommt, werden in Abb. 5.69 dennoch Emissionen deutlich. Dies liegt in
der Annahme begründet, dass im Verlauf der technischen Lebensdauer der Wechselrichter
einmal ausgetauscht werden muss, da er – im Unterschied zu den Photovoltaikmodulen,
die eine technische Lebensdauer von 30 Jahren aufweisen – nur durch eine technische
Lebensdauer von 15 Jahren gekennzeichnet ist. Damit resultieren die in Abb. 5.69 unter
Betrieb ausgewiesenen Emissionen letztlich primär aus der Anlagenherstellung des Wech-
selrichters.
Nach Tabelle 5.6 liegen die spezifischen kumulierten SO2 -Emissionen unter den in
Mitteleuropa derzeit gegebenen Strahlungsverhältnissen bzw. erreichbaren Volllaststun-
denzahlen und für die zugrunde gelegten Referenztechniken und den definierten Rah-
menannahmen zwischen 72 und 82 kg/GWh und die NOx -Emissionen zwischen 58 und
72 kg/GWh. Die unter Klimaschutzaspekten bilanzierten CO2 -Äquivalent-Emissionen lie-
gen je GWh erzeugter elektrischer Energie bei 31 bis 42 t und die SO2 -Äquivalent-Emis-
sionen im Bereich zwischen 120 und 141 kg/GWh. Eine Strombereitstellung aus poly-
kristallinen Modulen ist dabei i. Allg. durch geringere spezifische Emissionen bzw. Äqui-
valent-Emissionen gekennzeichnet als durch monokristalline Module. Deutlich wird in
Tabelle 5.6 auch, dass aufgrund u. a. der höheren Erträge die Stromerzeugung mit Groß-
anlagen – im Wesentlichen infolge der hier möglichen exakten Südausrichtung – geringere
spezifische Emissionen im Vergleich zu den Hausdachanlagen möglich sind.
Exemplarisch für den Verbrauch erschöpflicher Energieträger zeigt Abb. 5.70 detail-
lierter die Aufteilung der Aufwendungen auf unterschiedliche Lebenswegabschnitte der
untersuchten 5 kW-Photovoltaikanlage auf der Basis monokristalliner Zellen. Dabei ent-
fallen knapp 95 % der energetischen Aufwendungen auf den Bau der Anlagen, wobei der
überwiegende Anteil (83 %) durch die Modulherstellung bestimmt wird (MG-Silizium,
Polysilizium, monokristalliner Ingot, Wafer, Zellen, Module; unter Letzterem werden alle
die Prozessschritte zusammengefasst, die notwendig sind, um aus der eigentlichen Zelle
das Modul zu produzieren). Im Vergleich dazu sind die Aufwendungen für die sonstigen
Anlagenkomponenten (u. a. Gestelle, Wechselrichter, Verkabelung) von untergeordneter
Bedeutung. Dies gilt auch für den Betrieb sowie für Abriss und Entsorgung.
Modul
15,1%
Polysilizium
17,8%
Zellen
9,9%
monokristalliner Ingot
Wafer 26,3%
10,2%
Abb. 5.70 Aufteilung des Verbrauchs erschöpflicher Energieträger einer Bereitstellung elektrischer
Energie durch die in Tabelle 5.4 definierte 5 kW-Photovoltaikanlage mit monokristallinen Silizium-
modulen
weltaspekten bei der Herstellung, dem Normalbetrieb und einem Störfall sowie bei Be-
triebsende unterschieden.
CIS-Zellen und Tellur bei den CdTe-Zellen; diese Elemente sind auf unserem Plane-
ten entsprechend des gegenwärtigen Kenntnisstandes nur in einem begrenzten Umfang
vorhanden. Deshalb laufen Forschungsarbeiten mit dem Ziel, diese Elemente in den ent-
sprechenden Solarzellen zu ersetzen.
Hinsichtlich der Toxizität kann bei kristallinen Siliziumtechnologien von geringen Um-
welteffekten ausgegangen werden. Demgegenüber sind aber die CdTe- und CIS-Zellen-
Technologien aufgrund der relativ hohen Anteile an Cadmium (Cd), Selen (Se), Tellur (Te)
und Kupfer (Cu) als problematischer einzuschätzen. Auch können bei der CIS-Modulher-
stellung beispielsweise gasförmige toxische Stoffe (z. B. Selenwasserstoff (H2 Se)) entste-
hen, denen ein bestimmtes Umweltgefährdungspotenzial angelastet werden muss.
Zusammengenommen entsprechen aber die Umwelteffekte, die mit der Herstellung
von Solarzellen verbunden sind, weitgehend denen der Halbleiterindustrie. Und diese sind
infolge der geltenden Umweltschutzvorgaben – und der Notwendigkeit, bei der Solarzel-
lenherstellung die geforderte Materialreinheit zu garantieren – gering. Dies gilt z. T. auch
für das von der Herstellung ausgehende Gefahrenpotenzial bei einem Störfall.
Betriebsende Aus gegenwärtiger Sicht ist ein weitgehendes Recycling der Solarmodu-
le möglich. Beispielsweise wird die Wiederverwertung des Glasanteils der Module bei
einem nur geringen Aufwand als möglich angesehen. Für das Recycling der weiteren Mo-
dulkomponenten sind demgegenüber aufwändige chemische Trennverfahren erforderlich.
Amorphe rahmenlose Module sind dabei am recyclingfreundlichsten, da sie sich ohne
Vorbehandlung in ein Hohlglasrecycling überführen lassen. Mögliche Verfahren für das
Recycling der „klassischen“ Photovoltaikmodule sind u. a. die Trennung der Solarwafer
aus dem Verbund mit Säure, die Überführung von rahmenlosen Modulen in Ferrosilizi-
um, das zur Stahlherstellung eingesetzt werden kann, sowie eine vollständige Trennung
der Module in die Komponenten Glas, Metalle und Siliziumwafer. Demgegenüber ist bei
446 R. Bründlinger et al.
5.4.1 Potenziale
Theoretisches Potenzial Das theoretische Potenzial errechnet sich aus der insgesamt auf
die Erdoberfläche Deutschlands eingestrahlten Solarenergie. Wird eine Fläche von rund
357 582 km2 für Deutschland und eine durchschnittlich einfallende Globalstrahlung von
1 055 kWh/(m2 a) auf dieser Gebietsfläche unterstellt, errechnet sich das theoretische so-
lare Strahlungsangebot mit rund 1 358 EJ/a (vgl. Kapitel 4.4.1) [5.56].
Aus diesem theoretischen Strahlungsangebot kann ein theoretisches Stromerzeugungs-
potenzial auf der Grundlage physikalisch maximaler Wirkungsgrade von monokristallinen
Systemen (Tabelle 5.7) errechnet werden. Wird von nicht konzentrierenden monokristal-
linen Zellen unter Standardtestbedingungen im Bestpunkt ausgegangen, kann daraus ein
5 Photovoltaische Stromerzeugung 447
Gebäudedächer. Die auf Dächern installierbaren Modulflächen leiten sich aus dem
statistisch erfassten Gebäudebestand [5.39, 5.40], der durchschnittlichen Dachfläche,
der Dachform und -neigung sowie unter Berücksichtigung der bautechnischen (z. B.
Kamine, Dachfenster) und solartechnischen Restriktionen (z. B. Südausrichtung, Ab-
schattungseffekte, Sicherheitsabstände) ab (u. a. [5.41]). Wird von dem insgesamt vor-
handenen Dachflächenpotenzial auf Wohngebäuden (3 154 km2 ) und auf Nichtwohn-
gebäuden (1 078 km2 ) ausgegangen und die diskutierten bau- und solartechnischen
Restriktionen berücksichtigt, errechnet sich ein solartechnisch nutzbares Flächenpoten-
zial von rund 800 km2 ; davon entfallen ungefähr 208 km2 auf Flachdächer und 592 km2
auf Schrägdächer. Dieses solartechnisch nutzbare Flächenpotenzial steht in Konkurrenz
zu einer solarthermischen Niedertemperaturwärmegewinnung mithilfe von Solarkol-
lektoren; d. h. die vorhandene Dachfläche kann – sofern wie hier unterstellt keine
PVT-Module installiert werden (Kapitel 5.2.1) – entweder nur für Photovoltaikmodule
oder für Solarthermieanlagen genutzt werden und damit sind entsprechende Strom-
erzeugungs- und Wärmebereitstellungspotenziale (Kapitel 4.4.1) nicht addierbar.
Fassaden. Neben den verfügbaren Dachflächen stehen auch Fassadenflächen für eine
Photovoltaiknutzung grundsätzlich zur Verfügung. In Deutschland sind rund 5 552 km2
an Fassadenflächen vorhanden (Tabelle 5.8); diese können anhand des statistisch er-
fassten Gebäudebestands [5.39, 5.40] abgeschätzt werden. Unter Berücksichtigung von
Faktoren, die eine photovoltaische Nutzung verhindern bzw. einschränken, resultieren
daraus nur ca. 361 km2 , die vielversprechend solartechnisch genutzt werden könn-
ten. Dabei wird u. a. berücksichtigt, dass eine möglichst schattenfreie Südorientierung
solartechnisch genutzter Fassadenflächen gegeben sein sollte; Abschattungseffekte er-
geben sich hier u. a. durch Nachbargebäude und einen ggf. vorhandenen Baumbestand.
Hinzu kommen Restriktionen bezüglich der baulichen Einbindung in den bestehenden
Gebäudebestand; dies liegt u. a. an den vorhandenen bautechnischen Gegebenheiten
wie der Lage von Fenstern, Türen und Brandschutzwänden.
Landwirtschaftliche Freiflächen. Zusätzlich kann eine solare Stromerzeugung auch
auf einem Teil der (aus ökonomischen Gründen minderwertigen) landwirtschaftlichen
Nutzflächen potenziell realisiert werden. Dabei wurden 2018 rund 51 % der Gesamt-
fläche Deutschlands landwirtschaftlich genutzt; das sind 182 637 km2 . Jedoch würde
sich die energetische Nutzung im Wesentlichen auf solche Flächen beschränken, die
5 Photovoltaische Stromerzeugung 449
Tabelle 5.8 Theoretische Dach- und Fassadenflächenpotenziale von Wohn- und Nichtwohngebäu-
den in Deutschland
Flachdach- Schrägdach- Fassaden- Gesamt-
fläche fläche fläche fläche
in km2 in km2 in km2 in km2
Wohngebäude
. . . mit einer Wohnung 73 1 678 2 233 3 984
. . . mit 2 Wohnungen 26 597 903 1 526
. . . mit 3 & mehr Wohnungen 133 647 1 664 2 444
Gesamtfläche 232 2 922 4 800 7 954
Nichtwohngebäude
Anstaltsgebäude 7 36 15 58
Büro-, Verwaltungsgebäude 26 128 57 211
Landw. Betriebsgebäude 70 84 148 302
Nichtlandw. Betr.gebäude 487 148 487 1 122
Sonstige Nichtwohngebäude 70 22 45 137
Gesamtfläche 660 418 752 1 830
Gesamtsumme 892 3 340 5 552 9 784
Landw. Landwirtschaftlich; Betr.gebäude Betriebsgebäude.
nicht (mehr) für eine Nahrungsmittelproduktion benötigt werden und / oder keine
andere schützenwerte bzw. signifikante Ökosystem-relevante Funktion erfüllen. Bei
den Acker- und Grünlandflächen, die insgesamt 165 000 km2 der Landesfläche von
Deutschland einnehmen, sind (kleine) Anteile (u. a. ertragsarmes Ackerland, aus der
Erzeugung genommenes Dauergrünland) theoretisch für eine photovoltaische Nutzung
aus technischer Sicht nutzbar. Werden bei diesem (kleineren) Anteil des in Deutsch-
land vorhandenen Acker- und Grünlands zusätzlich solartechnische Restriktionen (u. a.
schlechte Infrastrukturanbindung, ungünstige Bodenverhältnisse, Abschattungseffek-
te, Nordorientierung bei Hängen, vorhandener Baumbestand) berücksichtigt, errechnet
sich daraus eine solartechnisch nutzbare Fläche von ungefähr 15 138 km2 . Von dieser
potenziellen Kraftwerksgrundfläche müssen weitere Abschläge u. a. für Servicewege,
Wechselrichterstandplätze und einzuhaltende Modulabstände berücksichtigt werden.
Damit ergibt sich eine solartechnisch installierbare Modulfläche von ca. 3 787 km2 .
Sonstige Freiflächen. Unter dieser Kategorie werden hier – zusätzlich zu den disku-
tierten landwirtschaftlichen Freiflächen – in Deutschland vorhandene Freiflächen ver-
standen, die zumindest zu einem kleinen Teil potenziell nutzbar wären. Dazu zählen
zunächst die Siedlungs- und Verkehrsfläche. Sie ist die drittgrößte Flächennutzungs-
art in Deutschland und nahm 2018 knapp 14 % bzw. 49 254 km2 der Gesamtfläche
Deutschlands in Anspruch. Dazu zählen neben Flächen für Wohnen, öffentliche Zwe-
cke oder Gewerbe auch Erholungsflächen, Friedhöfe und Verkehrsflächen (u. a. Hun-
deübungsplätze, historische Anlagen, land- und forstwirtschaftliche Betriebsflächen
450 R. Bründlinger et al.
5.4.2 Nutzung
Die Photovoltaik wurde ursprünglich für die Energieversorgung von Satelliten und da-
mit für den erdnahen Orbit entwickelt. In den Fokus der öffentlichen Diskussion – und
damit für eine potenzielle terrestrische Anwendung – ist sie aber erst nach der zweiten Öl-
preiskrise getreten. Ab diesen Zeitpunkt erfolgte dann eine forcierte Förderung zunächst
der technologischen Weiterentwicklung (primäres Ziel: Kostenreduktion und Wirkungs-
gradsteigerung) und später parallel dazu einer forcierten Markteinführung. Nachfolgend
wird die gegenwärtige Nutzung der Photovoltaik zur Bereitstellung elektrischer Energie
im globalen und im nationalen Kontext diskutiert (nach [5.42, 5.43]).
5.4.2.1 Welt
Die Photovoltaik-Stromerzeugung hat – neben der Windenergienutzung – seit Mitte der
2000er Jahre weltweit eine zentrale Rolle beim Ausbau regenerativen Energien zur Strom-
erzeugung übernommen und zunehmend gefestigt. Ende 2018 waren global mehr als
480 GW installiert; das ist ein Zuwachs von 94 GW im Vergleich zu 2017 (d. h. Zunah-
me der weltweit installierten Kapazität um rund ein Viertel). Damit ist die Photovoltaik
seit 5 Jahren in Folge die weltweit am schnellsten wachsende Technologie zur Strom-
erzeugung aus erneuerbaren Energien. Mit durchschnittlich 1 100 bis 1 600 h/a (Volllast)
errechnet sich daraus eine potenzielle Stromerzeugung zwischen 528 und 768 TWh (2018)
(Abb. 5.71). Potenziell wurden – auch aufgrund des erheblichen Ausbaus im Jahr 2018
600
500
Strombereitstellung in TWh/a
500
kumulierte Leistung
400
Bruttostromerzeugung
Leistung in GW
300
300
200
200
100
100
0 0
2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018
Abb. 5.71 Entwicklung der weltweit installierten Photovoltaik-Leistung und der korrespondieren-
den Stromerzeugung
5 Photovoltaische Stromerzeugung 453
(d. h. nicht die gesamte Ende des Jahres installierte Photovoltaikleistung war auch im
gesamten Jahr verfügbar) – 585 TWh (2018) global erzeugt. Bezogen auf die weltweite
Bruttostromerzeugung sind dies 2,2 % (nach [5.42]).
Der größte Einzelmarkt war 2018 wie auch in den Jahren zuvor China. Dort sind mit
175 GW die höchsten vorhandenen Photovoltaikkapazitäten installiert; dies sind deutlich
mehr im Vergleich zu den in der Vergangenheit größten Photovoltaik-Nutzern Japan, USA
und Deutschland. Verglichen damit waren in den USA insgesamt 49,7 GW, in Deutschland
insgesamt 45,9 GW und in Japan insgesamt 55,5 GW installiert. Aber auch andere Länder
zeigen erhebliche installierte Leistungen (z. B. Indien mit insgesamt knapp 27 GW). Diese
regionale Verteilung zeigt, dass durch das schnelle Wachstum der wenigen bisher relevan-
ten Photovoltaikmärkte in Asien (China, Japan, Indien, Thailand, Südkorea) mittlerweile
über 275 GW (dies entspricht einer Verdoppelung innerhalb von zwei Jahren) installiert
sind. Europa folgt mit etwas weniger als der halben Leistung. Weit weniger bedeutend
sind – trotz potenziell hoher Solarausbeuten – Australien, der Mittlere Osten und Afrika.
Von der aus diesem Anlagenpark resultierenden globalen photovoltaischen Erzeugung
elektrischer Energie wurden in Asien und den pazifischen Raum knapp 54 % realisiert. Da-
bei war China mit Abstand der größte Einzelproduzent; allein in der Volksrepublik China
wurde 2018 etwas mehr als 30 % des weltweiten Photovoltaikstroms erzeugt. Ein weiterer
global relativ bedeutender Akteur, wenn auch nicht zwingend im Vergleich zu China, war
Japan. Hier wurde 2018 etwas mehr als 12 % der globalen Solarstromerzeugung realisiert.
Verglichen damit ist die photovoltaische Stromerzeugung in allen anderen Ländern in Asi-
en und dem pazifischen Raum eher von untergeordneter Bedeutung. Länder mit einer
nennenswerten Erzeugung sind nur noch Indien (5,3 % des weltweit erzeugten Photovol-
taikstroms), Australien (2,1 % des weltweit erzeugten Photovolatikstroms) und Südkorea
(1,6 % des weltweit erzeugten Photovoltaikstroms). Damit wird in Südkorea mehr Strom
aus Photovoltaikanlagen erzeugt als im gesamten Afrika, das nur mit ca. 1,5 % zur globa-
len solaren Stromerzeugung beiträgt. Noch begrenzter sind die Anteile im Nahen Osten
und den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion; beide Gebietsflächen tragen mit
jeweils 1,0 und 0,2 % zur weltweiten Photovoltaikstromerzeugung bei.
Nordamerika trägt mit etwa 17,6 % zur globalen Stromerzeugung aus Photovoltaik-
anlagen bei. Der wesentliche Akteur ist dabei die USA, die allein knapp 16,6 % der
weltweiten solaren Stromerzeugung realisiert. Kanada und Mexiko zusammen tragen nur
mit rund 1,0 % bei. Ähnlich begrenzt ist auch die Erzeugung in Südamerika mit einem
Anteil von etwa 2,1 % an der weltweiten Erzeugung; der wesentliche Erzeuger ist hier
Brasilien mit knapp 1 %.
In Europa bzw. der EU-28 wird ca. 23,8 % bzw. 21,9 % der weltweiten Photovol-
taikstromerzeugung realisiert. Wichtige Akteure sind hier Deutschland (7,9 %), Italien
(4,0 %), das Vereinigte Königreich (2,2 %), Spanien (2,1 %) und Frankreich (1,7 %, je-
weils bezogen auf die globale Erzeugung).
454 R. Bründlinger et al.
Tabelle 5.9 Beispiele für große Photovoltaikanlagen (UAE Vereinigte Arabische Emirate)
Land Projekt Installierte elektrische Leistung
Indien Bhadla Industrial Solar Park 2 255 MW
Indien Pavagada Solar Park 2 000 MW
China Tengger Solar Park 1 547 MW
UAE Mohammed bin Rashid Al Maktoum Solar Park 1 000 MW
Indien Kurnool Ultra Mega Solar Park 1 000 MW
den letzten Jahren gegebenen erhöhten solaren Einstrahlungen infolge des vergleichsweise
guten Wetters.
5.4.2.3 Deutschland
In Deutschland waren Ende 2018 rund 45,3 GW mit einer potenziellen Stromerzeu-
gung von 41,7 TWh (2018) in deutlich über 1,7 Mio. Photovoltaikanlagen installiert
(nach [5.43]). Aufgrund des 2018 realisierten Ausbaus und einer im Vorjahresvergleich
deutlich erhöhten Solarstrahlung haben diese Anlagen 2018 etwa 46,2 TWh eingespeist
(Abb. 5.74).
Der Anteil der Kleinanlagen mit einer Leistung unter 10 kW, die typischerweise von
Privatpersonen auf Ein- und Zweifamilienhausdächern installiert werden, nimmt rund
79 % aller 2018 neu installierten Anlagen ein. Demgegenüber liegt der Anteil der Anlagen
mit 10 bis 40 kW bei rund 12 %. Der Prozentsatz der Anlagen mit 40 kW bis 10 MW auf
Gebäuden oder Fassaden beträgt 9 %; die Anzahl der Anlagen mit über 1 MW nimmt nur
rund 0,2 % ein.
456 R. Bründlinger et al.
140 140
120 120
100 100
Strombereitstellung in TWh/a
jährlich neu installierte Leistung
Leistung in GW
kumulierte Leistung
80 80
Bruttostromerzeugung
potenzielle jährliche Stromerzeugung
60 60
40 40
20 20
0 0
2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018
Abb. 5.73 Entwicklung der installierten Photovoltaik-Leistung und der korrespondierenden Strom-
erzeugung in der Europäischen Union (EU-28)
In Bayern ist mit 12,5 GW 2018 die höchste Photovoltaikleistung in einem deutschen
Bundesland installiert. Danach folgt Baden-Württemberg mit 5,8 GW, Nordrhein-Westfa-
len mit 4,9 GW, Brandenburg mit 3,7 GW und Sachsen-Anhalt mit 2,5 GW. Alle anderen
Bundesländer haben verglichen damit eine geringere Bedeutung; beispielsweise sind im
Saarland nur 0,46 GW und in Hamburg nur 0,045 GW installiert. Die mit diesem An-
lagenpark realisierte Stromerzeugung trug mit rund 7,3 % zur Deckung der Stromnach-
frage in Deutschland bei; die Photovoltaikstromerzeugung ist damit eine wichtige Säule
zur Deckung der Nachfrage nach elektrischer Energie in Deutschland. Dabei sind nicht
nur in Süddeutschland deutlich höhere Photovoltaikleistungen installiert; auch die Voll-
laststunden sind – infolge der höheren Sonnenstunden und des leicht höheren mittleren
Sonnenstandes – entsprechend höher; beispielsweise lagen die mittleren Volllaststunden
in Schleswig-Holstein 2018 bei 745 h/a und in Bayern bei 897 h/a.
Zusätzlich dazu werden noch Eigenstromanlagen mit und ohne Netzkopplung betrie-
ben. Bisher waren in diesem Zusammenhang primär nicht-netzgekoppelte Systeme (z. B.
Parkscheinautomaten, Straßen- und Aushangbeleuchtung, mobile Verkehrssignalanlagen,
Camping-Stromversorgung, Photovoltaik-Ladegeräte für Mobiltelefone) von Bedeutung.
Die hier zugebauten Leistungen führen aber weiterhin im Vergleich zu den netzgekop-
pelten Anlagen ein Nischendasein. Zusätzlich dazu erlangen jedoch Eigenversorgungs-
5 Photovoltaische Stromerzeugung 457
45 45
40 40
Strombereitstellung in TWh/a
35 35
kumulierte Leistung
Bruttostromerzeugung
Leistung in GW
30 30
potenzielle jährliche Stromerzeugung
25 25
20 20
15 15
10 10
5 5
0 0
2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018
Abb. 5.74 Entwicklung der installierten Photovoltaik-Leistung und der korrespondierenden Strom-
erzeugung in Deutschland
anlagen zunehmend und schnell an Bedeutung, die ggf. mittels Batteriespeichern und /
oder Power-to-Heat-Anwendungen keine Einspeisung ins Netz realisieren und z. T. den
Strombezug der jeweiligen Betreiber reduzieren. Da kein Stromverkauf an Dritte vorge-
sehen ist, dürften viele derartiger Anlagen nicht offiziell angemeldet sein. Und weil sich
für Haushaltskunden selbst Einzelmodulanlagen zum Anschluss an das Hausnetz über ei-
ne Steckdose ökonomisch rechnen können, wächst dieses Segment weiterhin stark und
schnell an. Für Ende 2018 kann damit eine installierte Photovoltaikleistung in derartigen
Anlagen, die nicht über eine öffentliche Umlage vergütet werden, von rund 0,1 GW ver-
mutet werden.
5.4.2.4 Österreich
In der Republik Österreich waren Ende 2018 rund 1,4 GW an Photovoltaikleistung instal-
liert, mit der knapp 1,6 TWh (2018) erzeugt wurden. Bezogen auf die Bruttostromerzeu-
gung in der Alpenrepublik sind das rund 2,1 %. Die Volllaststundenzahl dieses Anlagen-
parks liegt bei rund 1 100 h/a. Abb. 5.75 zeigt auch, dass in Österreich das Jahr 2018 durch
ein relativ hohes Strahlungsangebot gekennzeichnet war; die solare Stromerzeugung hat
die potenzielle Erzeugung, die auf der Basis durchschnittlicher Witterungsverhältnisse be-
rechnet wird, leicht überstiegen. Die meisten Anlagen waren Ende 2018 in der Steiermark
installiert (337,6 MW) gefolgt von Niederösterreich (284,9 MW) und von Oberösterreich
(270,4 MW).
458 R. Bründlinger et al.
1,6
1,4
1,4
1,2 jährlich neu installierte Leistung
Strombereitstellung in TWh/a
kumulierte Leistung
1,2
Bruttostromerzeugung
1,0
potenzielle jährliche Stromerzeugung
Leistung in GW
1,0
0,8
0,8
0,6
0,6
0,4
0,4
0,2
0,2
0,0 0,0
2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018
Abb. 5.75 Entwicklung der installierten Photovoltaik-Leistung und der korrespondierenden Strom-
erzeugung in Österreich
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Nov. 2017
Stromerzeugung aus Windenergie
6
Martin Kaltschmitt, Burcu Özdirik, Britta Reimers, Michael Schlüter,
Detlef Schulz und Lucas Sens
Autoren in alphabetischer Reihenfolge mit Beiträgen zum Kapitel; die Autorenzuordnung geht aus
den einzelnen Unterkapiteln hervor.
Martin Kaltschmitt, Lucas Sens, Hamburg, Deutschland
Burcu Özdirik, Hamburg, Deutschland
Britta Reimers, Hamburg, Deutschland
Michael Schlüter, Hamburg, Deutschland
Detlef Schulz, Hamburg, Deutschland
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 461
M. Kaltschmitt, W. Streicher, A. Wiese (Hrsg.), Erneuerbare Energien,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-61190-6_6
462 M. Kaltschmitt et al.
Windleistung Infolge der Massenerhaltung muss der Luftdurchsatz (d. h. der Massen-
strom mP Wi ) in jedem Querschnitt i der gedachten Stromröhre S gleich groß sein (mit i D 1
weit vor dem Rotor, i D Rot in der Rotorebene und i D 2 weit hinter dem Rotor; Abb. 6.1).
Diese Massenerhaltung gilt damit auch für die Kreisflächen S1 ; SRot und S2 . Unter Nut-
zung der Kontinuitätsgleichung ergibt sich unter diesen Bedingungen Gleichung (6.1).
Dabei beschreibt Wi;i die Dichte der Luft und vWi;i die Geschwindigkeit der strömenden
Luftmassen jeweils an der Stelle i der Stromröhre.
Die Leistung des Windes PWi kann aus dem Satz von der Erhaltung der Energie abge-
leitet werden; dieser postuliert, dass Energie nicht „erzeugt“, sondern nur umgewandelt
werden kann. Demnach muss die in einer Strömung an jeder Stelle i enthaltene Windleis-
tung PWi;i konstant sein (d. h. Bernoulli-Gleichung; vgl. Kapitel 7.1). Die Windleistung
S1
. SRot
mWi . S2
mWi .
mWi
6 Stromerzeugung aus Windenergie 463
setzt sich dabei zusammen aus der Summe der kinetischen Leistung ( 12 .m P Wi;i vWi;i 2 /), der
Druckleistung (.m P Wi;i pWi;i /=Wi;i ) und der potenziellen Leistung.
Mit der Kontinuitätsbedingung kann dann die Leistungsbilanz des Windes an einer be-
liebigen Stelle i zwischen der betrachteten Stelle weit vor (S1 ) und weit hinter dem Rotor
(S2 ) erstellt werden (Gleichung (6.2)). PWi;ent beschreibt dabei die vom Rotor der Wind-
kraftanlage dem Wind entzogene Leistung. Bei dieser vereinfachten Betrachtung nach
Gleichung (6.2) wird die potenzielle Leistung (d. h. Höhenänderung) des Windes vernach-
lässigt.
1 P Wi pWi;1
m 1 P Wi pWi;2
m
PWi;i D const. D P Wi vWi;1 2 C
m D mP Wi vWi;2 2 C C PWi;ent (6.2)
2 Wi;i 2 Wi;i
Dem Wind entziehbare Leistung Für die folgenden Überlegungen zur Abschätzung
der theoretisch maximal von einem Windenergiekonverter (z. B. Rotor) aus dem Wind
entziehbaren Leistung wird – unabhängig von den tatsächlichen Verhältnissen am ei-
gentlichen Windenergiewandler – von den nachfolgend dargestellten Idealisierungen und
Annahmen ausgegangen:
Ausgehend davon lässt sich die physikalisch theoretisch maximal mögliche Wind-
leistungswandlung mit Hilfe einer Modellvorstellung ableiten, die unabhängig von der
technischen Realisierung einer Windkraftanlage ist. Werden demnach die dargestellten
Vereinfachungen in Gleichung (6.2) berücksichtigt, kann die dem Wind durch den Wind-
energiekonverter (z. B. Rotor) entzogene Leistung PWi;ent , die infolge der Leistungserhal-
tung der theoretischen Rotorleistung PRot;th entsprechen muss, nach Gleichung (6.3) aus
der Differenz der Windleistung weit vor (PWi;1 ) und weit hinter (PWi;2 ) dem Windenergie-
konverter berechnet werden.
S1 SRot S2
physikalischen Gründen kann nur die kinetische Leistung des Windes (d. h. die Bewe-
gungsenergie der strömenden Luftmassen) technisch genutzt werden.
Damit die Massenerhaltung – und damit Gleichung (6.1) – erfüllt ist, muss sich bei
einem Leistungsentzug aus den strömenden Luftmassen durch den Rotor einer Windkraft-
anlage die Stromröhre zwingend aufweiten, um die Reduktion der Windgeschwindigkeit
zu kompensieren. Diese aus der Massenerhaltung sich notwendigerweise ergebende Ver-
größerung des Querschnitts der Stromröhre ist dabei stetig, da die Windgeschwindigkeit
nicht sprungartig abgebremst werden kann.
Die im Wind enthaltene kinetische Leistung PWi bezüglich der frei durchströmten Ro-
torkreisfläche SRot errechnet sich dann nach Gleichung (6.4).
1 1
PWi D P Wi;frei vWi;1 2 D Wi SRot vWi;1 3
m (6.4)
2 2
mP Wi;frei bezieht sich auf den Massendurchsatz der frei durchströmten Stromröhre ohne
Energieentzug (m P Wi;frei D Wi SRot vWi;1 ). Demnach hängt die Leistung des Windes von
der dritten Potenz der Windgeschwindigkeit ab (PWi
vWi 3 ); dies ist für die Wahl eines
Windkraftanlagenstandorts und die Windkraftanlagentechnik bzw. die Auslegung eines
Windenergiekonverters von entscheidender Bedeutung.
Wird die Windströmung von weit vor dem Rotor (S1 ) kontinuierlich bis weit hinter
dem Rotor (S2 ) verfolgt (Abb. 6.1 und 6.2), muss die Windgeschwindigkeit vWi nach
Gleichung (6.2) stetig abnehmen. Damit nimmt konsequenterweise aber der Winddruck
entsprechend zu. In der Rotorebene SRot wird jedoch der Windströmung die theoretische
Rotorleistung PRot;th annähernd sprungartig entzogen. Die Windgeschwindigkeit kann sich
an dieser Stelle jedoch aus physikalischen Gründen nicht unstetig (d. h. nicht sprunghaft)
ändern. Daraus folgt, dass der Leistungsentzug in der Rotorebene mit einem Drucksprung
pWi verbunden sein muss (Abb. 6.2). Unabhängig davon herrscht weit vor und weit hinter
der Windkraftanlage der wetterbedingte Winddruck pWi;0 .
Neben der Energieerhaltung muss zwingend auch die Impulserhaltung gelten (der Im-
pulserhaltungssatz postuliert in einem System, das keine Kräfte aus seiner Umgebung
erfährt, die Konstanz des Gesamtimpulses). Damit ist ein weiterer grundlegender phy-
6 Stromerzeugung aus Windenergie 465
sikalischer Zusammenhang auf diesen Anwendungsfall verfügbar, mit dem die maxi-
mal mögliche Leistung berechnet werden kann. Ausgehend davon muss die Impulskraft
F Wi;WKA , die vom Wind auf den Windenergiekonverter ausgeübt wird, der Kraft F Wi;Brems ,
mit welcher der Windenergiekonverter die Windströmung abbremst, entsprechen. Es gilt
Gleichung (6.5). m P Wi ist der Massenstrom des Windes und vwi;1 die Windgeschwindigkeit
weit vor und vwi;2 weit hinter der Rotorebene SRot .
FWi;WKA D FWi;Brems D m
P Wi .vWi;1 vWi;2 / (6.5)
Die Impulskraft des Windes F Wi;WKA bewirkt in der Rotorebene SRot mit der dort vor-
herrschenden Windgeschwindigkeit vWi;Rot eine Leistung, die der theoretischen Rotorleis-
tung PRot;th bzw. der durch den Rotor dem Wind entzogenen Leistung PWi;ent entsprechen
muss (Gleichung (6.6)).
Durch Gleichsetzen der Gleichungen (6.3) und (6.6) ergibt sich die Windgeschwindig-
keit in der Rotorebene vWi;Rot als arithmetisches Mittel aus vWi;1 und vWi;2 (Froude-Ran-
kin’sches Theorem; es gilt: vWi;Rot D 12 .vWi;1 C vWi;2 /). Mit dem Massendurchsatz m P Wi
nach Gleichung (6.1) – bezogen auf die Rotorebene – errechnet sich daraus die theore-
tische Rotorleistung PRot;th bzw. die durch den Rotor entzogene Leistung PWi;ent gemäß
Gleichung (6.7) aus der Windgeschwindigkeit vWi;1 weit vor und vWi;2 weit hinter der Ro-
torebene, der Rotorkreisfläche SRot und der Dichte der Luft Wi .
1 vWi;1 C vWi;2
PWi;ent D PRot;t h D Wi SRot vWi;1 2 vWi;2 2 (6.7)
2 2
Das technische (und ökonomische) Ziel der Windkraftnutzung muss es sein, einen
möglichst großen Anteil der im Wind enthaltenen Leistung aus diesem zu entziehen. Da-
bei können jedoch die durch die Rotorebene strömenden Windmassen aus physikalischen
466 M. Kaltschmitt et al.
Leistungsbeiwert cp,th
Geschwindigkeitsverhältnis-
ses der Windgeschwindigkeit
weit vor (vWi;1 ) und weit hin-
ter (vWi;2 ) dem Rotor (d. h. des cp,th,max
Abminderungsfaktors) nach
Gleichung (6.8) (zur Erklärung
der Formelzeichen siehe Text)
1/3 1,0
Geschwindigkeitsverhältnis vWi,2 /vWi,1
Gründen dort nicht vollständig abgebremst werden; dies hätte ein „Verstopfen“ des Rotors
und damit letztlich keinen kontinuierlichen Energieentzug zur Folge. Andererseits muss
nach Gleichung (6.3) die Strömungsgeschwindigkeit der bewegten Luftmassen zwingend
reduziert werden, soll der strömenden Luft Leistung entzogen werden (dies ist ja letztlich
das primäre Ziel der Windkraftnutzung). Folglich muss es ein Geschwindigkeitsverhältnis
zwischen der Windgeschwindigkeit weit vor und weit hinter dem Rotor (d. h. einen Ab-
minderungsfaktor) geben, bei dem der theoretische Leistungsbeiwert cp;th und damit der
Energieentzug aus dem Wind maximal wird.
Um diese theoretisch maximal den strömenden Luftmassen durch den wie auch im-
mer zu konstruierenden Windenergiekonverter (Rotor) einer Windkraftanlage entziehbare
Leistung PWi;ent zu bestimmen, kann Gleichung (6.7) nach vWi;2 abgeleitet werden. Wird
diese dann gleich Null gesetzt, ergibt sich Gleichung (6.9).
1 h i
Wi SRot 2vWi;1 vWi;2 C vWi;1 2 3vWi;2 2 D 0 (6.9)
4
Durch Auflösen von Gleichung (6.9) zeigt sich, dass die energetisch günstigste Wind-
geschwindigkeit vWi;2 hinter dem Rotor bei einem Drittel der Windgeschwindigkeit vWi;1
vor dem Rotor liegt. Damit gilt Gleichung (6.10).
vWi;2 1
D (6.10)
vWi;1 3
Diesen Zusammenhang zeigt auch die in Abb. 6.3 aufgetragene Funktion. Demnach
wird der theoretische Leistungsbeiwert cp;th bei einem Verhältnis der Windgeschwindig-
keiten weit hinter und weit vor dem Rotor von einem Drittel maximal (d. h. maximaler
Leistungsbeiwert cp;th;max ).
Mit diesem Verhältnis ergibt sich nach Gleichung (6.8) ein Maximum des theoretischen
Leistungsbeiwertes cp;th von 16/27; das bedeutet, dass der theoretisch größte Wert der
Leistungsentnahme aus dem Wind bei knapp 60 % (59,26 %) der theoretischen Windleis-
tung nach Gleichung (6.4) liegen kann. Dies gilt aber nur, wenn die Windgeschwindigkeit
6 Stromerzeugung aus Windenergie 467
vWi,axial
vWi,umfang
vWi,1 vWi,2
Abb. 6.4 Tatsächliche An- und Abströmbedingungen der Luftströmung am Windrad (vWi;1 Wind-
geschwindigkeit weit vor dem Rotor, vWi;2 Windgeschwindigkeit weit hinter dem Rotor, vWi;axial
Axialkomponente der Windgeschwindigkeit, vWi;umfang Umfangskomponente der Windgeschwindig-
keit)
weit vor dem Rotor auf ein Drittel der Strömungsgeschwindigkeit weit hinter dem Rotor
abgebremst wird (Gleichung (6.10)). Im Umkehrschluss sind damit aufgrund grundsätz-
licher physikalischer Restriktionen, die auch prinzipiell nicht überwindbar sind, immer
mindestens mehr als 40 % der in der ungestörten Luftströmung enthaltenen Leistung auf
der von einem Windenergiekonverter überstrichenen Fläche nicht nutzbar.
Die optimale Windabbremsung auf ein Drittel der Ursprungswindgeschwindigkeit ist
jedoch auch für einen perfekten Rotor nur unter idealen Bedingungen (u. a. Rotordrehzahl
in Relation zur Windgeschwindigkeit) möglich. Deshalb wird dies als idealer Leistungs-
beiwert bezeichnet (cp;ideal D cp;t h;max D cp;Bet z D 0; 593).
Diese theoretische Herleitung der maximal dem Wind entziehbaren Leistung, die letzt-
lich völlig unabhängig von der Art des eigentlichen Windenergiekonverters ist, wurde
erstmals in den 1920er Jahren von Albert Betz (u. a. [6.2]) veröffentlicht; deshalb spricht
man oft auch vom Betz’schen Leistungsbeiwert.
In Wirklichkeit – und im Unterschied zu den bisher gemachten Annahmen – wird die
Energie von der Luftströmung auf den Rotor durch eine Umlenkung der Absolutgeschwin-
digkeit übertragen. Da die Anströmung des Windrades entsprechend den bisherigen An-
nahmen drallfrei erfolgt, muss die Abströmung aber drallbehaftet sein, da sonst aufgrund
der physikalischen Gegebenheiten keine Arbeit vom Wind auf das Windrad übertragbar
ist. Hinter dem Rotor einer Windkraftanlage ist folglich der Wind nicht nur abgebremst
(d. h. die Windgeschwindigkeit reduziert), wie bei der Herleitung des Betz’schen Leis-
tungsbeiwertes angenommen, sondern auch – entgegen den bisherigen Vereinfachungen –
mit einem Drall behaftet (Abb. 6.4).
Der Drall stellt einen Verlust dar, da er Turbulenzen in der Strömung hinter der Anlage
erzeugt. Dieser Nachlaufdrall reduziert daher die theoretisch optimal dem Wind entzieh-
bare Leistung. Er ist abhängig von der Schnelllaufzahl (Gleichung (6.22)), die das
Verhältnis der Umdrehungsgeschwindigkeit der Rotorblattspitze zur Windgeschwindig-
keit beschreibt. Dabei ist der Drallverlust sehr hoch bei kleinen Schnelllaufzahlen (d. h.
Langsamläufer, < 2; 5). Demgegenüber ist er aber relativ gering bei hohen Schnell-
468 M. Kaltschmitt et al.
Leistungsbeiwert cp
laufzahl ohne (cp;Betz ) und 0,6
mit Berücksichtigung des 0,5
Nachlaufeffektes (cp;Schmitz ) 0,4 cp,Schmitz
(nach [6.4, 6.23]; zur Erklä- 0,3
rung der Formelzeichen siehe
0,2
Text)
0,1
0
0 5 10
Schnelllaufzahl λ
laufzahlen, wie sie bei den Rotoren moderner Windkraftanlagen realisiert werden (d. h.
Schnellläufer, > 5). Deshalb kann in einer guten Näherung der Betz’sche Leistungsbei-
wert auch für heutige Windenergieanlagen als potenzieller Grenzwert angesehen werden.
Zusätzlich kann der Betz’sche Leistungsbeiwert um diese Drallverluste korrigiert wer-
den; er wird dann als cp;Schmitz bezeichnet (Abb. 6.5; [6.3]). Dabei wird auch hier un-
terstellt, dass der Wind weit nach der Windrotorebene – wie in dem Betz’schen Ansatz
gefordert – auf ein Drittel des Betrages weit vor dem Windrotor abgebremst wird.
Das Widerstandsprinzip nutzt die Windwiderstandskraft aus, die auf eine durch die
strömenden Luftmassen angeströmten Fläche wirkt.
Das aerodynamische oder Auftriebsprinzip basiert – wie bei einem Flugzeugflügel –
auf der zur absoluten Windbewegung senkrecht wirkenden Auftriebskraft.
Letzteres Prinzip ist die heute vorherrschende Methode zur Nutzbarmachung der im
Wind enthaltenen Energie zur Stromerzeugung, da die Leistungsausbeute im Vergleich
zum Widerstandsprinzip bei gleicher durchströmter Querschnittsfläche etwa zwei- bis
dreifach höher ist. Deshalb werden in Kapitel 6.2 ausschließlich Systeme zur Nutzbarma-
chung der im Wind enthaltenen Energie diskutiert, die auf der Basis des Auftriebsprinzips
arbeiten. Trotzdem werden im Rahmen der folgenden Ausführungen beide Prinzipien er-
läutert, um die grundsätzlichen Unterschiede zu diskutieren und die damit verbundenen
Wirkungsgraddifferenzen zu erklären bzw. die jeweiligen physikalischen Begrenzungen
aufzuzeigen.
6 Stromerzeugung aus Windenergie 469
PWi D FW vS (6.11)
Wi
FW D cw .vWi vS /2 S (6.12)
2
Daraus kann die dem Wind nach dem Widerstandsprinzip maximal entzogene Leistung
PWi;ent nach Gleichung (6.13) berechnet werden. S ist angeströmte Fläche, Wi die Dichte
0,16
cp,max
0,14
Beiwertsverhältnis cp /cw
0,12
0,10
FB
0,08
FW 0,06
vS
vWi
0,04
0,02
S
0,00
0,0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0
Geschwindigkeitsverh. vS /v Wi,Rot
Abb. 6.6 Strömungsverhältnisse und Kräfte beim Widerstandsprinzip (links) und Verlauf des
zugehörigen Leistungsbeiwerts (rechts) (Geschwindgkeitsverh. Geschwindgkeitsverhältnis; zur Er-
klärung der Formelzeichen siehe Text; vgl. [6.4, 6.5, 6.6])
470 M. Kaltschmitt et al.
des Windes, vWi die Wind- und vS die Geschwindigkeit der angeströmten Fläche und cw
der Luftwiderstandsbeiwert.
Wi
PWi;ent D FW vS D cw .vWi vS /2 S vS (6.13)
2
Diese den bewegten Luftmassen entzogene Leistung kann in Relation zu der im Luft-
strom enthaltenen Leistung PWi gesetzt werden (Gleichung (6.4)). Daraus ergibt sich der
Leistungsbeiwert cp (d. h. das Verhältnis der dem Wind entzogenen Leistung PWi;ent zu der
im Wind enthaltenen Leistung PWi ) nach Gleichung (6.14).
PWi;ent cw .vWi vS /2 vS
cp D D (6.14)
PWi vWi 3
Durch Differenzieren nach der Geschwindigkeit der angeströmten Fläche vS und Null-
setzen kann daraus die dem Wind nach dem Widerstandsprinzip maximal entziehbare
Leistung ermittelt werden. Demnach wird auch hier der Leistungsbeiwert cp dann ma-
ximal, wenn sich die angeströmte Fläche S mit einer Geschwindigkeit bewegt, die einem
Drittel der Windgeschwindigkeit entspricht (d. h. Abbremsen der Windgeschwindigkeit
um zwei Drittel, Abb. 6.6). Dies liegt darin begründet, dass die Ableitung nach Betz unab-
hängig von der Art des Windenergiekonverters ist. Bei diesem Geschwindigkeitsverhältnis
errechnet sich entsprechend Gleichung (6.15) ein maximaler Leistungsbeiwert cp;max von
14,8 % des Luftwiderstandsbeiwerts cw .
4
cp;max D cw (6.15)
27
Eine unendlich große Platte hat beispielsweise einen Widerstandsbeiwert von 2,01;
unter diesen Bedingungen würde der maximale Leistungsbeiwert etwa 0,3 bzw. knapp
30 % annehmen. Demgegenüber werden bei real ausgeführten Widerstandsläufern für die
Rotorblätter Widerstandsbeiwerte von maximal 1,3 erreicht. Der korrespondierende Leis-
tungsbeiwert beträgt dann im besten Fall 0,2 bzw. 20 %. Mit dem Widerstandsprinzip kann
demnach nur rund ein Drittel des idealen Leistungsbeiwertes von 0,593 bzw. 59,3 % aus-
genutzt werden. Aufgrund dieses physikalisch bedingten geringen Wirkungsgrades hat der
Widerstandläufer bei energietechnischen Anwendungen heute praktisch keine Bedeutung.
Diese theoretische Betrachtung wird durch die konstruktive Umsetzung des Prinzips
für praktische Anwendungen noch weiter erheblich eingeschränkt. Um Arbeitsmaschinen
anzutreiben, benötigt man i. Allg. eine drehende Bewegung. Folglich muss die angeström-
te Fläche zwingend um eine Achse rotieren (Abb. 6.6). Üblich sind hier beispielsweise
mehrere sternförmig angeordnete Rotorblätter. Bei der Drehung wird jedoch nur etwa die
Hälfte des Rotors vom Wind voran bewegt; die andere Hälfte läuft dem Wind zwingend
entgegen. Deshalb muss man entweder die gegenlaufende Hälfte abdecken oder mit ei-
nem deutlich kleineren Widerstandsbeiwert als die angetriebene Rotorblattseite auslegen.
Nur unter diesen Bedingungen entsteht eine resultierende Vorwärtskraft. Und nur dann,
wenn diese vorhanden ist, ergibt sich ein antreibendes Drehmoment. Dadurch wird aber
6 Stromerzeugung aus Windenergie 471
die Güte der Leistungskonvertierung (d. h. der cp -Wert) weiter (deutlich) vermindert. Da-
her kommt das Widerstandsprinzip heute nur für sehr wenige Anwendungszwecke (z. B.
Schalenkreuzanemometer) zur Anwendung.
ZR
M Dz FT .r/¸; r dr (6.16)
rD0
Die von einem realen Windkonverter dem Wind tatsächlich über den Rotor entnom-
mene Leistung PRot kann aus diesem Antriebsmoment M und der Rotordrehzahl n gemäß
Gleichung (6.17) bestimmt werden. Der Wirkungsgrad
Rot beschreibt dabei die real auf-
tretenden Drall- und Reibungsverluste gegenüber der Leistung des idealen Rotors PRot;th .
PRot D 2 n M D PRot;t h
Rot (6.17)
M/z dr
r
R
472 M. Kaltschmitt et al.
Erst bei unsymmetrischer Anströmung (d. h. wenn das Rotorblattprofil um einen Win-
kel ˛ zur Windströmung angestellt bzw. verdreht wird) kommt es zu einem Auftrieb
(Abb. 6.8, Mitte). Betrachtet man unter diesen Bedingungen (d. h. ˛ > 0) in erster Nä-
herung ein laminares, verlustfreies Strömungsfeld (d. h. keine Wirbelbildungen, keine
Reibungseffekte), bildet sich infolge der Verformung der Stromlinien des Luftströmungs-
feldes entlang der Oberflächenkontur des entsprechenden Rotorblattes ein Druckgradient
aus. Dessen Konsequenz ist, dass sich unterhalb des umströmten Rotorblattquerschnitts
ein höherer Druck (punten ) als oberhalb (poben ) einstellt (d. h. punten > poben ). Dieser Druck-
unterschied hat eine Auftriebskraft F A zur Folge, die senkrecht zur Anströmrichtung der
bewegten Luftmassen auf das Rotorblatt wirkt. Zusätzlich zu dieser Auftriebskraft wird
am Profilquerschnitt aber auch die Widerstandskraft F W wirksam (siehe oben); sie ist aber
i. Allg. deutlich kleiner im Vergleich zur Auftriebskraft F A .
Diese Zusammenhänge bezogen auf das Rotorblatt einer Windkraftanlage zeigt
Abb. 6.9. Demnach erzeugt die am Rotorblatt wirksam werdende relative Anströmungs-
geschwindigkeit vA des Windes dort eine senkrecht auf ihr stehende Auftriebskraft F A und
eine parallel zur relativen Anströmgeschwindigkeit wirkende Widerstandskraft F W . Beide
Kräfte (d. h. Auftriebskraft F A und Widerstandskraft F W ) sind proportional zur Dichte der
Luft Wi , zur tragenden Flügelfläche, zum Quadrat der Anströmgeschwindigkeit vA und
zu dem vom Anströmwinkel ˛ beeinflussten Auftriebswert ca bzw. Widerstandsbeiwert
cw (Gleichungen (6.18) und (6.19)).
1
FA D Wi vA2 ca .˛/ l b (6.18)
2
Die Anströmungsgeschwindigkeit vA des rotierenden Rotorblattes – auch als relativer
Wind bezeichnet – ergibt sich als vektorielle Summe aus der Windgeschwindigkeit vWi;Rot
in der Rotorebene und der Umfangsgeschwindigkeit des Rotors vu an einer bestimmten
6 Stromerzeugung aus Windenergie 473
e
Profilsehn
Umfangs-(Dreh-)Richtung
δ FA,t FW,t
vWi,Rot
FT
FW,s
FW,t
FW
FA,s
b FR
vWi,Rot FA FA,t FW
α
l vA
γ vu
Abb. 6.9 Strömungsverhältnisse und Kräfte beim Auftriebsprinzip (zur Erklärung der Formelzei-
chen siehe Text)
Stelle. Dabei hat diese tragende Fläche (dies entspricht der Profiltiefe l mal der Flügellän-
ge b; Abb. 6.9 (unten links)) des Rotorblattes in der experimentellen Aerodynamik eine
große Bedeutung, da die Windkanal-Messwerte von Auftriebskraft und Widerstandskraft
auf die gleiche tragende Flügelfläche bezogen werden (Gleichungen (6.18) und (6.19)).
Die Profildicke hat in der Nähe des Maximums einen gewissen negativen Einfluss auf den
Auftriebs- ca (senkend) und Widerstandsbeiwert cw (erhöhend); exemplarisch zeigt dies
Abb. 6.10 für ausgewählte Profile.
1
FW D Wi vA2 cw .˛/ l b (6.19)
2
Der Anströmwinkel ˛ wird durch die Profilsehne und die Richtung des relativen Win-
des aufgespannt. Soll dieser Anströmwinkel an jeder Stelle des Rotorblatts etwa gleich
groß sein, muss der Profilanstellwinkel ı wegen der zur Drehachse hin geringer werden-
den Umfangsgeschwindigkeit des Rotors vu von der Blattspitze zur Nabe hin stetig größer
werden; dies ist der Grund für die üblicherweise bei realisierten Rotorblättern von Wind-
kraftanlagen umgesetzte Rotorblattverwindung relativ zur Rotorblattlänge.
Die am Rotorblatt wirksam werdende Auftriebskraft F A (Gleichung (6.18)) und Wi-
derstandskraft F W (Gleichung (6.19)) können zusätzlich in eine Tangentialkomponente in
Umfangsrichtung F A;t bzw. F W;t und eine Schub-(Axial-)Komponente F A;s bzw. F W;s in
Richtung der Windanströmgeschwindigkeit vWi;Rot zerlegt werden. Daraus kann dann die
auf das Rotorblatt wirkende Tangential- und Axialkraft abgeleitet werden. Beispielsweise
setzt sich die effektive auf das Rotorblatt wirkende Tangentialkraft F T aus der Differenz
zwischen den Tangentialkomponenten der Widerstandskraft F W;t und der Auftriebskraft
F A;t zusammen (Abb. 6.9, oben rechts).
474 M. Kaltschmitt et al.
Widerstandsbeiwert c w
vom Anstellwinkel ı für 1,5
Auftriebsbeiwert ca
24
unterschiedliche Breiten- b 1,0
und Längenverhältnisse l aus cw ca
Windkanalmessungen [6.4]
0,5 1,0
0,0
0,5
-0,5
-1,0 0,0
-90 -45 0.0 45 90
Anstellwinkel δ
Die gesamte am Rotorblatt wirksame Kraft F R (d. h. resultierende Kraft) ergibt sich
dann als vektorielle Summe der Widerstands- (F W ) und der Auftriebskraft (F A ), die dann
über die gesamte Rotorblattlänge aufintegriert werden.
Die Beiwerte ca und cw in den Gleichungen (6.18) und (6.19) sind durch das Rotorpro-
fil (u. a. Form, Oberflächenrauigkeit) vorgegeben. Zusätzlich sind sie vom Anströmwinkel
˛ abhängig. Die entsprechenden Zusammenhänge können grafisch in Form der sogenann-
ten Lilienthal’schen Polaren (Abb. 6.11, links) dargestellt werden. Zusätzlich ist hier auch
die aufgelöste Polare (Abb. 6.11, rechts) dargestellt. Demnach kann bei einem bestimm-
ten betriebsbedingten Anströmwinkel ˛Betrieb die Kombination dieser beiden Polaren zur
Festlegung des jeweiligen Auftriebs- ca und Widerstandsbeiwerts cw herangezogen wer-
den. Dies verdeutlicht schematisch Abb. 6.11.
Wird demgegenüber nicht von einem symmetrischen Rotorblattprofil (Abb. 6.11,
rechts, oben), sondern von einer gewölbten Profilform (Abb. 6.11, rechts, unten) aus-
ca ca l
Stall α
ca,Betrieb
ca,0
α l
f
cw,Betrieb cw α Betrieb α
gewölbtes Profil β
Profilsehne
symetrisches Profil
Abb. 6.11 Lilienthal’sche Polare (links) und aufgelöste Profilpolare (Mitte) eines symmetrischen
(rechts, oben) und eines gewölbten Profils (rechts, unten) (zur Erklärung der Formelzeichen siehe
Text)
6 Stromerzeugung aus Windenergie 475
gegangen, entsteht bereits bei einem Anströmwinkel von 0ı eine Auftriebskraft F A und
damit ein Auftriebsbeiwert ca;0 . Ein solches Abweichen von der Profilsymmetrie in
Richtung einer stärkeren Strömungsumlenkung führt damit zu einer Auftriebsvergröße-
rung, die sich in der Profilpolaren durch eine Verschiebung der Kurve hin zu größeren
Auftriebsbeiwerten auswirkt.
Beispielsweise ergibt sich demnach der Auftriebsbeiwert ca gemäß Gleichung (6.20)
für ein Kreisbogenprofil der Wölbung f und der Länge l (Abb. 6.11, rechts, unten) [6.7].
Er hängt folglich ab vom Anströmwinkel ˛ und vom Winkel ˇ zwischen der Kreissehne
und dem Kreisbogen.
Der vereinfachte Zusammenhang nach Gleichung (6.20) kann in guter Näherung für
gängige Profile verwendet werden, wenn der Anstellwinkel nicht zu groß wird. Demnach
wächst der Auftrieb linear mit dem Anstellwinkel ˛ und der relativen Wölbung f/l. Dabei
verkleinert die Widerstandskraft F W aber auch immer die nutzbare tangentiale Umfangs-
kraft F T .
Bei Windkraftanlagen sind in der Nähe der Blattspitze z. T. annähernd symmetrische
Profile üblich. Sie lassen im nicht angestellten Bereich (˛ D 0ı ) nur eine geringe Wider-
standskraft und folglich auch nahezu keine Auftriebskraft erwarten. Deshalb zeigen sie
bei einem starken Wind bzw. bei Sturm im Abregel-Betrieb eine gutmütige Regelbarkeit
und kleinere axiale Schubbelastungen. Mit zunehmender Anstellung (˛ > 0ı ) nehmen
Auftriebs- und Widerstandsbeiwert – und damit auch Auftriebs- und Widerstandskraft –
entsprechend zu. Ab einer bestimmten Grenze des Anstellwinkels ˛ steigt der Auftrieb
nicht mehr linear an. Bei noch größeren Werten des Winkels ˛ bricht er schließlich ganz
zusammen (sogenannter „Stall-Effekt“; Abb. 6.8, unten und Abb. 6.11, Mitte). Praktisch
bedeutet dies, dass die am Profil anliegende Umströmung des Windes abreißt; d. h. die
Stromlinien können nicht mehr der Kontur des Rotorblattprofils folgen (Abb. 6.8, unten).
Dieser „Zusammenbruch“ des Auftriebs ist mit einer erheblichen mechanischen Belas-
tung (d. h. einem starken „Schütteln“) des Rotors – und damit potenziell auch sämtlicher
sonstiger Bauteile einer Windkraftanlage – verbunden; dies führt zu potenziell sehr hohen
Materialbeanspruchungen und kann in deren Folge ggf. ein mechanisches Versagen bedin-
gen. Die Nutzung dieses sogenannten Stall-Effekts, der früher zur Leistungsbegrenzung
von Windkraftanlagen bei Sturm bewusst eingesetzt wurde und durch die Konstruktion
des Windrotors quasi im Rotor „eingebaut“ war (sogenannte Stall-geregelte Anlagen), ist
aus diesen Gründen heute nicht mehr üblich und praktisch vom Markt verschwunden.
Durchgesetzt hat sich die sogenannte Pitch-Regelung, bei der ein Anstellwinkel im Teil-
last-Bereich – also bei Schwachwind – kurz vor dem Maximalwert gewählt wird, damit im
Sturmfall der Anstellwinkel und damit die Auftriebskraft auf kleine bis sehr kleine Werte
abgeregelt werden kann.
Abb. 6.10 und 6.12 zeigen exemplarisch für ein bestimmtes Profil den mit Werten
hinterlegten Zusammenhang zwischen dem Anstellwinkel ˛ und dem Auftriebs- bzw.
476 M. Kaltschmitt et al.
Widerstandsbeiwert (cw)
Funktion des Anströmwinkels
Auftriebsbeiwert (ca)
˛ (für den Auftriebs- und den 1,0 0,20
ca (α)
Widerstandsbeiwert sind in der 0,8 0,16
Grafik unterschiedliche Skalen
gewählt; nach [6.7, 6.23]) 0,6 0,12
0,4 0,08
cw (α)
0,2 0,04
0,0 0,00
-0,2 0,04
-10 -5 0 5 10 15 20
Anströmwinkel (α)
Widerstandsbeiwert (ca bzw. cw ). Demnach nimmt in dem Beispiel in Abb. 6.12 der Auf-
triebsbeiwert – und damit die Auftriebskraft – bis zu einem Anstellwinkel von etwa 13ı
linear zu, erreicht bei etwa 15ı seinen Höhepunkt und nimmt dann infolge eines Abrei-
ßens der Strömung auf der Oberseite des Profils wieder ab. Im Unterschied dazu wird der
Widerstandsbeiwert bei einem Anstellwinkel von 4ı minimal und nimmt nach beiden
Seiten annähernd quadratisch zu.
Das Verhältnis von Widerstands- zur Auftriebsbeiwert (d. h. cw zu ca ) ist definiert als
die Gleitzahl " eines Profils. Diese kann nach Gleichung (6.21) auch als das Verhältnis der
Widerstandskraft F W zur Auftriebskraft F A beschrieben werden.
cw FW
" tan " D D (6.21)
ca FA
Für kleine Gleitzahlen gilt wieder die übliche Näherung für kleine Winkel (" D tan ").
Abb. 6.13 zeigt dazu die Polare des Profils nach Abb. 6.12. Diese wiederum kann entspre-
0,8
Gleitzahl ε ≈ tan ε = cw /ca = FW /FA
0,6
min
0,4
0,2
-0,2
0 0,05 0,1 0,15 0,2 0,25
Widerstandsbeiwert (cw)
6 Stromerzeugung aus Windenergie 477
Demnach wird die Schnelllaufzahl umso höher gewählt, je geringer die Rotorblatt-
anzahl wird. Die Verwendung eines aerodynamisch schlechteren Profils (z. B. " D 0;1)
vermindert die Werte der optimalen Schnelllaufzahlen und des maximalen Leistungsbei-
werts um etwa 50 % gegenüber besseren Gleitzahlen.
Ausgehend davon kann schließlich die nutzbare Leistung PWKA einer Windkraftanla-
ge nach Gleichung (6.24) berechnet werden. Dabei werden die mechanischen Verluste
u. a. durch Lager- und Getriebereibung sowie alle Verluste im elektrischen Anlagenteil
durch den entsprechenden Wirkungsgrad
mech.-elek. berücksichtigt. Die aerodynamischen
Verluste gehen bereits in den Leistungsbeiwert cp ein.
PWKA D cp
mech.-elek. PWi (6.24)
6.1.3 Konverterregelung
Windgeschwindigkeit Windgeschwindigkeit
Stillstand kleiner als Nennwind- größer als Nennwind-
geschwindigkeit geschwindigkeit
Stall-
Regelung
vWi
vWi
-vu -vu
vA vA
vWi vWi
abgerissene Strömung anliegende Strömung abgerissene Strömung
Pitch-
Regelung
vWi
vWi
α -vu -vu
vA α
vA
vWi vWi
Fahnenstellung optimaler Anstellwinkel Anstellwinkel verringert
(F=0)
(F A= 0) (F(F=F)
=F
AAmax ) (F<F)
(F <F
AAmax )
A A A,max A A,max
Vielmehr wird die Rotordrehzahl vom Regelsystem so eingestellt, dass sich eine maxima-
le Leistung an der Rotorwelle ergibt. Mit Erreichen von Nenndrehzahl und Nennleistung
wird – bei weiter zunehmender Windgeschwindigkeit – die Leistung begrenzt durch ein
kontinuierliches Verdrehen der Rotorblätter in Richtung Fahnenstellung. Damit wird dem
Wind gerade so viel Energie entnommen, damit die installierte Generatornennleistung
genau eingehalten wird (Abb. 6.14).
Oft kann es auch sinnvoll sein, die Anlagen anhand mehrerer Kriterien weitergehend zu
spezifizieren. Abb. 6.15 zeigt exemplarisch eine Einteilung unterschiedlicher Windrotoren-
bzw. Windkraftanlagenkonzepte nach der Schnelllaufzahl (d. h. das Verhältnis der Blatt-
spitzengeschwindigkeit des Rotors zur Geschwindigkeit des anströmenden Windes) und
der Anzahl der Rotorblätter z, die primär nach dem Auftriebsprinzip konzipiert sind. Deut-
lich wird, dass in der Vergangenheit eine Vielzahl unterschiedlicher Rotor- und ausgehend
davon auch Windkraftanlagenkonzepte entwickelt wurden, die sich anhand der genannten
Kriterien z. T. deutlich unterscheiden. Davon hat sich im Bereich des Wasserpumpens der
sogenannte Westernrotor und für Anlagen zur Stromerzeugung der Dreiblattrotor weltweit
weitgehend durchgesetzt; alle anderen Rotorkonzepte sind aus Sicht der globalen Märkte –
wenn überhaupt – nur durch ein Nischendasein gekennzeichnet.
Derzeit wird der globale Windenergieanlagenmarkt durch Systeme zur Stromerzeu-
gung dominiert. Diese Anlagen werden nahezu ausschließlich in Horizontalachsenbau-
weise realisiert und sind typischerweise mit einem Dreiblattrotor ausgestattet; dieses An-
lagenkonzept hat sich in den letzten Jahren weltweit durchgesetzt und ist heute marktbe-
stimmend. Nichtsdestotrotz unterscheiden sich die verschiedenen marktgängigen Wind-
kraftanlagen erheblich. Nachfolgend wird aufgrund der derzeitigen Marktgegebenheiten
nur auf derartige Horizontalachsenmaschinen mit Dreiblattrotoren eingegangen und diese
anhand des heutigen Standes der Technik dargestellt.
6.2.1 Systemelemente
Rotorbremse
Statortragring Elektrische Schaltanlagen
Ständerpaket Rotornabe mit und Regelungssystem
Blattverstell- Polschuhe Blattverstell- Getriebe
antrieb Rotortragring
mechanismus
Rotorbremse Windmesser
Windmesser
Elektrische Schaltanlagen
Generator
Rotorlagerung und Regelungssystem
Gondel-Lagerung Rotorlager Gondel-Lagerung
Gondel-
Verstellantrieb
Rotorblatt Rotorblatt
Turm Turm
Netzanschluß Netzanschluß
Fundament Fundament
Abb. 6.16 Schema marktgängiger Horizontalachsenanlagen mit (rechts) und ohne Getriebe (links)
(aus Gründen der besseren Übersichtlichkeit sind jeweils nur zwei Rotorblätter pro Rotor dargestellt,
obwohl heute nahezu ausschließlich Dreiblattrotoren eingesetzt werden; nach [6.1])
Windkraftanlagen auch bei den ungünstigen Randbedingungen auf See zuverlässig und
betriebssicher arbeiten. Deshalb wird bei den folgenden Ausführungen jeweils auf die Un-
terschiede in der Anlagentechnik – soweit sie vorhanden sind – zwischen einem Einsatz
an Land (Onshore) und auf See (Offshore) hingewiesen.
6.2.1.1 Rotorsystem
Unter der Bezeichnung „Rotorsystem“ werden hier alle drehenden Komponenten, die sich
vor dem eigentlichen Maschinenhaus befinden, zusammengefasst. Hierzu zählen die Ro-
tornabe, die daran befestigten Rotorblätter und der Blattverstellmechanismus (Abb. 6.16).
Das Rotorsystem steht am Anfang der Wirkungskette einer Windenergieanlage und wan-
delt die im Wind enthaltene kinetische Energie in eine rotatorische Drehbewegung um
(physikalische Grundlagen: siehe Kapitel 6.1).
Dazu wird – nach dem Auftriebsprinzip (Kapitel 6.1) – mit Hilfe der Rotorblätter den
bewegten Luftmassen ein Teil der Bewegungs- bzw. kinetischen Energie entzogen. Dies
wird mit einem Wirkungsgrad bezogen auf die kinetische Energie der freien Luftströmung
auf die Rotorfläche (Gleichung (6.8)) von maximal 0,593 bzw. 59,3 % realisiert; im Re-
484 M. Kaltschmitt et al.
Rotorkonzepte Der Rotor einer Windkraftanlage besteht aus den eigentlichen Rotorblät-
tern (in unterschiedlicher Anzahl, meist drei Stück) und der Rotornabe. Für jede mögliche
Rotorkonfiguration gibt es für jede Windgeschwindigkeit eine optimale Drehzahl, bei der
die Leistung des jeweiligen Rotors maximal wird; bei größeren und kleineren Rotor-
drehzahlen nimmt die dem Wind bei der entsprechenden Luftströmungsgeschwindigkeit
jeweils entnommene Leistung – und damit auch der Leistungsbeiwert – des jeweiligen
Rotors entsprechend ab.
Wird beispielsweise der Leistungsbeiwert über der Schnelllaufzahl (d. h. das Verhält-
nis der Blattspitzengeschwindigkeit des Rotors zur Geschwindigkeit des anströmenden
Windes; Gleichung (6.22)) aufgetragen, ergibt sich für jeden Rotor ein charakteristischer
Kurvenverlauf (vgl. Abb. 6.47). Das Maximum dieser Wirkungsgradkurve liegt in etwa bei
der Nennleistung. Bei einer schrittweisen Erhöhung der Blattzahl von Auftriebsläufern er-
höht sich damit auch das Maximum der Leistungsbeiwertkurve; dabei ist die Differenz des
maximalen Leistungsbeiwerts zwischen einem Dreiflügler und einem Zweiflügler weitaus
geringer als die Differenz des Leistungsbeiwerts zwischen einem Zwei- und einem Ein-
flügler.
Da die Schwingungsdynamik von Zwei- und insbesondere Einblattrotoren aufgrund
der ungünstigen Massenverteilung technisch herausfordernd bzw. zur sicheren techni-
schen Beherrschung mit einem entsprechend großen Aufwand verbunden ist, haben sich
die relativ langsam drehenden Dreiblattrotoren mit gelenkloser (starrer) Nabe als wirt-
schaftlich-technisches Optimum auf dem Markt durchgesetzt. Rotoren mit mehr als drei
Blättern werden aufgrund des mit steigender Blattanzahl proportional zunehmenden Ma-
terialeinsatzes – und damit steigender Materialkosten – zur netzgekoppelten Stromerzeu-
gung praktisch nicht eingesetzt.
Im Folgenden werden kurz die zwei Rotorkonzepte, wie sie in modernen Windkraftan-
lagen zur Stromerzeugung eingesetzt werden können, beschrieben.
Gurtlaminat (CFK)
Vorderkante Oberschale (GFK)
Kleber
Hinterkante
Steg (GFK) Unterschale (GFK)
Rotorblattspitze
Unterdruckseite
Anströmkante
größte
Blatttiefe
Profilhinterkante
Übergangszone
Rotorblattwurzel
Für die Herstellung der Schalenlaminate werden aktuell die nachfolgend diskutierten
zwei Verfahren eingesetzt.
zum Einsatz. Auch können weitere Blattanbauteile eingesetzt werden, um die Aerodyna-
mik der eher fertigungsoptimierten Bereiche zu verbessern und damit den Energieertrag
insgesamt zu erhöhen. Auf der Saugseite des Rotorblattes werden beispielsweise kleine,
meist dreieckige Elemente (sogenannte Vortex-Generatoren oder Spoiler) geklebt, um die
Strömungsablösung bei steigender Anströmgeschwindigkeit zu verzögern bzw. teilweise
ganz zu verhindern und damit den Auftrieb im Bereich der Nennwindgeschwindigkeit zu
erhöhen. Auf der Druckseite hingegen werden Abrisskanten angeklebt, um einen geziel-
teren Strömungsabriss herbeizuführen.
Rotornabe Die Verbindung der Rotorblätter mit der Rotorwelle, und demzufolge dem
Triebstrang (Abb. 6.16), erfolgt über die Rotornabe; Abb. 6.18 zeigt exemplarisch ei-
ne starre Rotornabe, wie sie bei den heute üblichen Dreiblattrotoren eingesetzt wird.
Sie überträgt die Energie aus den Rotorblättern über einen angeschraubten Flansch an
die Rotorwelle, auf der sie montiert wird. Bei den heute üblichen Anlagen mit akti-
ver Blattverstellung sind zusätzlich die für die Rotorblattverstellung (Pitch-Regelung)
notwendigen Verstellkomponenten – wie elektrische Stellmotoren oder hydraulische Stell-
zylinder – sowie die dann zwischen der Narbe und dem jeweiligen Rotorblatt benötigten
Wälzlager in der Nabe verbaut.
Die Rotornabe ist somit das Bauteil, das den gesamten im Rotor auftretenden Kräften
und Momenten nahezu punktförmig standhalten muss. Deshalb wird speziell hier eine sehr
hohe Ermüdungsfestigkeit des Materials gefordert. Daher wird die Rotornabe vorrangig
konstruktiv aus Stahlguss hergestellt; in der Vergangenheit wurden aber auch geschweißte
Stahlblechkonstruktionen sowie geschmiedete Naben verbaut [6.8].
Grundsätzlich kann die Rotornabe als eine starre oder gelenklose Nabe, als eine Schlag-
und / oder Schwenkgelenknabe oder als eine Pendelnabe ausgeführt werden.
Starre Naben werden beim Dreiblatt- und z. T. auch beim Zweiblattrotor verwendet. Sie
sind vergleichsweise einfach herzustellen, sehr robust und deshalb wenig störanfällig.
Daher konnte sie sich bei den heute marktgängigen Pitch-geregelten Anlagen global
durchsetzen. Hinzu kommt, dass der Blattverstellmechanismus (d. h. die Pitch-Rege-
lung) eine Entlastung der Rotorblätter durch das Herausdrehen der Blätter aus dem
Wind ermöglicht und damit die Übertragung der i. Allg. hohen Biegewechsellasten auf
die Nabe und weitere Komponenten des Triebstrangs über die Rotorwelle verhindert.
Bei der Schlag- oder Schwenkgelenknabenkonstruktion werden die Rotorblätter ein-
zeln mit Hilfe von Schlaggelenken an der Nabe befestigt. Dadurch sind sie relativ
unabhängig voneinander und in ihrer Einspannung in Schlagrichtung frei von Biege-
momenten. Derartige Nabenkonstruktionen finden aufgrund des hohen konstruktiven
Aufwands und des schwer beherrschbaren dynamischen Verhaltens bei marktgängigen
Dreiblattrotoren kaum noch Anwendung.
Bei der Pendelnabe handelt es sich um eine halbstarre Nabenkonstruktion, die speziell
bei Zweiblattrotoren eingesetzt wird. Hier werden die Rotorblätter pendelnd (karda-
nisch) aufgehängt. Sie können sich somit innerhalb einer bestimmten Bandbreite um
die (starre) Rotorwelle bewegen; dadurch werden asymmetrische Rotorlasten stark re-
duziert. Aber auch diese Nabenkonstruktion hat heute praktisch keine Marktbedeutung
mehr.
Muss bei einer direkten Netzkopplung an ein frequenzstarres Netz die Drehzahl kon-
stant oder nahezu konstant gehalten werden, ist die dem Wind durch den Rotor entnom-
mene Leistung entsprechend zu regeln bzw. bei hohen Luftströmungsgeschwindigkei-
ten auf die Generatornennleistung zu begrenzen; d. h. sie darf die installierte Leistung
des Generators nicht übersteigen, da dieser sonst thermisch überlastet und damit letzt-
lich zerstört werden würde.
Ist demgegenüber bei einer indirekten Netzkopplung (d. h. Netzkopplung beispiels-
weise über einen Umrichter) die Rotordrehzahl innerhalb gewisser Grenzen variabel
(Tabelle 6.2), muss das Überschreiten einer maximalen Drehzahl vermieden werden,
um einer mechanischen Zerstörung des Rotors bzw. anderer bewegter Teile vorzubeu-
gen. Zudem muss die Leistung überwacht werden.
Die Leistungsaufnahme des Rotors einer Windkraftanlage kann über die Veränderung
des aerodynamischen Anstellwinkels ˛ (Kapitel 6.1) geregelt und somit begrenzt werden.
490 M. Kaltschmitt et al.
Beides ist durch eine Stall- bzw. eine Pitch-Regelung möglich (Kapitel 6.1). Die system-
technische Umsetzung dieser beiden Möglichkeiten wird nachfolgend kurz diskutiert; zu
beachten ist dabei, das eine Stall-Regelung aus den in Kapitel 6.1 diskutierten Gründen
bei den heute marktgängigen Windkraftanlagen nicht mehr realisiert wird.
Stall-Regelung Die Leistungsaufnahme aus dem Wind kann durch den sogenannten
„Stall-Effekt“ (d. h. bewusste Strömungsablösung an der Blattoberfläche) begrenzt wer-
den (Kapitel 6.1). Voraussetzung dafür ist, dass der Windkraftanlagenrotor unabhängig
von der Windgeschwindigkeit mit konstanter Drehzahl betrieben wird. Dadurch verändern
sich bei wechselnden Windgeschwindigkeiten die Anströmverhältnisse an den einzelnen
Blättern des konstant drehenden Rotors derart, dass die Luftströmung ab bestimmten
(hohen) Windgeschwindigkeiten abreißt und die laminare in eine turbulente Strömung
übergeht; d. h. der Rotor bremst sich infolge der durch einen derartigen Strömungsabriss
entstehende Wirbel (Turbulenzen) „selbst“. Die Folge sind entsprechend (hohe) mecha-
nische Belastungen für den Rotor; deshalb muss er entsprechend stark dimensioniert
werden.
Infolge des – wegen der dynamischen Windverhältnisse, der variierenden Lufttempe-
ratur und der schwankenden Luftfeuchtigkeit, einer möglichen Rotorblattverschmutzung,
den unterschiedlichen Einstellwinkeln bei der Montage und einer Vielzahl an weiteren
Einflussgrößen – nicht vollständig determinierbaren Auftretens des Stall-Effekts kann da-
durch die Leistungsbegrenzung des Generators nur innerhalb eines bestimmten Bereichs
eingehalten werden. Daraus ergibt sich der charakteristische und in Abb. 6.19 (links) dar-
gestellte Verlauf der Leistungskennlinie einer Stall-geregelten Windkraftanlage.
Um Stall-geregelte Windenergieanlagen sicher gegen eine Überdrehzahl zu schützen,
werden neben dem in dem Rotordesign integrierten Auslösen des Stall-Effekts zusätzlich
entsprechende aerodynamische Bremsmechanismen (sogenannte Tip-Bremsen) meist in
die Rotorblattspitzen integriert, die bei zu hohen Rotordrehzahlen durch einen Fliehkraft-
mechanismus ausgelöst werden und einer mechanischen Zerstörung des Rotors vorbeugen
sollen.
Pitch-geregelten Windkraftan-
lage (rechts) (100 % Leistung 80 80
entspricht der installierten
60 60
Generatornennleistung der
Windkraftanlage; nach [6.1]) 40 40
20 20
0 5 10 15 20 25 0 5 10 15 20 25
Windgeschwindigkeit in m/s Windgeschwindigkeit in m/s
6 Stromerzeugung aus Windenergie 491
Zahnkranz
Rotorblatt-
antrieb
Rotorblatt
Blattverstellantrieb Die mechanische Energie zum Verstellen der Rotorblätter kann elek-
tro-mechanisch oder hydraulisch bereitgestellt werden. Bei hydraulischen Systemen wer-
den Stellzylinder in die Rotornabe montiert, die entweder direkt oder über entsprechende
Umlenkhebel ein Verdrehen der Rotorblätter ermöglichen.
Bei Multi-Megawatt-Anlagen kommen aufgrund der präziseren Regelungsmöglich-
keiten meist elektro-motorische Antriebe zum Einsatz, bei denen die Rotorblätter bei-
spielsweise über eine durch einen zentralen Elektromotor angetriebene Mechanik (z. B.
Zahnradgetriebe) verstellt werden (Abb. 6.20). Üblicherweise wird jedoch jedes Rotor-
blatt durch einen jeweils separaten Antrieb gedreht (Abb. 6.26). Die jeweiligen Antriebe
sind entweder in der eigentlichen Nabe oder auch außen an der Nabe montiert. Dadurch
kann jedes einzelne Blatt je nach den aktuellen Erfordernissen optimal auf den Wind aus-
gerichtet werden.
Notverstellsystem Das Notverstellsystem hat die Aufgabe, bei einem „Netzabwurf“ (d. h.
störungsbedingte Trennung vom Netz) oder einer sonstigen Störung ein gefahrloses und
sicheres Herunterfahren der Anlage und ein Feststellen des Rotors zu gewährleisten. Dabei
werden beispielsweise die Rotorblätter in Fahnenstellung gedreht, wodurch das „Durch-
drehen“ des dann lastlosen Rotors vermieden wird und die Anlage weitestgehend zum
Stillstand kommt. Aufgrund der geforderten redundanten Auslegung von Sicherheitssys-
temen ist üblicherweise zusätzlich noch eine mechanische Bremse eingebaut.
Blitzschutzsystem Mit zunehmender Größe der Windkraftanlagen und damit auch der
Rotorblätter gewinnen Blitzschutzmaßnahmen immer mehr an Bedeutung, da sich die
nichtleitende Eigenschaft von Glasfaserverbundmaterial nur als ein ungenügender Schutz
gegen Blitzschlag erwiesen hat. Deshalb sind die heute verbauten Rotorblätter mit einem
Blitzschutzsystem ausgestattet, das aus mehreren Rezeptoren längs des Rotorblattes be-
steht, die über einen metallischen Draht („Blitzableiter“) zur Blattwurzel geführt werden,
um von dort aus mit dem Erdungssystem verbunden zu werden [6.8]. Bei der partiellen
Verwendung von Kohlenstofffaser-verstärkten Werkstoffen werden aufgrund der erhöhten
Leitfähigkeit des Materials im Bereich der Blattspitze zusätzlich zu den Rezeptoren auch
Gewebe aus Kupferdraht in die Rotorblätter mit eingearbeitet.
6.2.1.2 Triebstrang
Unter dem Begriff „Triebstrang“ werden die mechanischen Komponenten der Leistungs-
übertragung vom Rotor zum Generator zusammengefasst. Dazu zählen neben der Rotor-
welle und deren Lagerung das Getriebe, sofern vorhanden, die Kupplung, die Bremse und
schließlich der Generator (einschließlich der Generatorwelle). Dieser Triebstrang ist übli-
cherweise in einem Maschinenhaus untergebracht, das sich am oberen Ende eines Turms
befindet (Abb. 6.21).
Die räumliche Anordnung der einzelnen Komponenten innerhalb des Triebstrangs wird
von dem der jeweiligen Anlage zugrunde liegenden Designkonzept bestimmt. Angesichts
der Vielzahl von unterschiedlichen Parametern, welche die Wahl des Triebstrangkonzepts
beeinflussen, verfolgen unterschiedliche Hersteller verschiedene Konstruktionsphiloso-
phien [6.8]. Dies gilt auch im Hinblick auf eine Bauart mit Getriebe oder ein getriebeloses
Triebstrangkonzept sowie der Positionierung einzelner Komponenten im Maschinenhaus
oder im Turmfuß. Tabelle 6.1 zeigt eine Auswahl derzeit marktüblicher Triebstrangkon-
zepte. Deutlich wird beispielsweise, dass heute praktisch alle unterschiedlichen konzep-
tionellen Lösungen einen Umrichter in das jeweilige Anlagenkonzept integrieren.
Unabhängig davon kann bei den marktgängigen Anlagen – je nach Hersteller- bzw.
Konstruktionsphilosophie – zwischen einer integrierten und einer aufgelösten Bauform
6 Stromerzeugung aus Windenergie 495
Integrierte Bauweise. Bei der integrierten Triebstrangbauform wird die Funktion von
Rotorwelle, Lager, Bremse und Kupplung als eine Komponente entweder innerhalb des
Getriebes oder bei getriebelosen Anlagen innerhalb der Rotor-Generator-Einheit zu-
496 M. Kaltschmitt et al.
Generator
Maschinenträger
Getriebeauflager Windnachführung
Integrierte Bauweise
Stirnradgetriebe
Rotornabe Generator
Maschinenträger
Windnachführung
sammengefasst. Der Triebstrang ist hier sehr kurz ausgeführt und die Rotorwelle ist auf
dem Achszapfen gelagert (Einlager-Konzept). Diese Konstruktion lässt sich kompakt
bauen und individuell gestalten bzw. anpassen. Außerdem kann der Maschinenträger,
auf dem der Triebstrang befestigt wird, vergleichsweise kurz realisiert werden; dies
führt zu Material- und damit Gewichts- bzw. Kosteneinsparungen. Aus dieser kom-
pakten Bauweise resultieren eine relativ einfachere Montage und ein vergleichsweise
unproblematischer Transport. Von Nachteil ist ein hoher Wartungs- bzw. Instandset-
zungsaufwand auch schon bei geringen Schäden, da aufgrund der Kompaktbauweise
oft der gesamte Maschinenträger demontiert werden muss. Zudem sind viele der ver-
bauten Komponenten überwiegend Sonderbauformen und es können nur wenige kos-
tengünstigere Standardlösungen verwendet werden.
Aufgelöste Bauweise. Die aufgelöste Triebstrangbauform ist durch separat angeord-
nete und leicht zugängliche Komponenten gekennzeichnet. Die hier häufig realisierte
doppelte Lagerung der Rotorwelle führt zur Entlastung des Getriebes. Damit ist die
aufgelöste Bauweise durch ein vergleichsweise einfaches und übersichtliches Konzept,
den gut möglichen Austausch einzelner Triebstrangkomponenten sowie die typischer-
weise realisierte Verwendung von meist standardisierten Lager- und Getriebeeinheiten
6 Stromerzeugung aus Windenergie 497
gekennzeichnet. Von Nachteil ist der im Vergleich zur integrierten Bauweise höhere
(kostenintensive) Materialeinsatz – und damit auch das höhere Gewicht, das der Turm
letztlich tragen muss – insbesondere bei der Rotorwelle und dem Maschinenträger.
Teilintegrierte Bauweise. Eine Mischform beider Konzepte stellen teilintegrierte Bau-
formen dar. Beispielsweise wird hier die Rotorwellenlagerung teilweise in das Getriebe
integriert; dies kann z. B. anhand einer Dreipunktlagerung realisiert werden. Sie be-
steht aus dem vorderen Rotorlager, das den Hauptteil des Triebstranggewichts trägt,
und den seitlichen Getriebeauflagern, die das Getriebe mit dem Maschinenträger ver-
binden. Von Vorteil ist die im Vergleich zur aufgelösten Bauweise verkürzte Rotorwelle
und die damit verbundene Material- und Gewichtseinsparung. Nachteilig sind die auf-
wändigere Fertigung und das neben der herkömmlichen Beanspruchung des Getriebes
durch das Drehmoment auftretende Biegemoment.
Nachfolgend werden die einzelnen Komponenten des Triebstrangs, wie sie in den heute
marktgängigen Windkraftanlagen zu finden sind, diskutiert.
Rotorwelle Die Rotorwelle verbindet die Rotornabe mit dem Getriebe (Abb. 6.22). Sie
besteht aufgrund der auftretenden hohen Belastungen in der Regel aus geschmiedetem
oder gegossenem Stahl. Maßgeblich für die jeweils realisierte Konstruktion der Rotorwel-
le ist das Triebstrangkonzept und das Bestreben nach einem möglichst geringen Material-
aufwand, um dementsprechend das Gewicht und somit die Lasten auf die Gesamtstruktur
möglichst weitgehend zu reduzieren. Deshalb kommen bei den Multi-Megawatt-Anlagen
– im Unterschied zu den älteren und heute vom Markt verschwundenen Windkraftanla-
gen im Bereich einiger 100 kW installierter elektrischer Leistung, bei denen ausschließ-
lich Vollwellen eingesetzt wurden – überwiegend Hohlwellen zum Einsatz. Hohlwellen
sind im Vergleich zu Vollwellen zum einen durch deutliche Gewichtseinsparungen ge-
kennzeichnet und zum anderen ermöglichen sie eine einfache Durchführung der nötigen
Versorgungsleitungen für u. a. die Blattverstellung in der Nabe.
Die entstehende thermische Energie muss bei Multi-Megawatt-Anlagen über eine Küh-
lung des Schmieröls mithilfe entsprechender Ölkühler sicher abgeführt werden.
Schallemissionen an die Umgebung lassen sich durch konstruktive Maßnahmen redu-
zieren. Dabei ist insbesondere ein Übergang der Schallwellen vom Getriebe auf den
„Körper“ der Windkraftanlage (d. h. Gondel, Turm) möglichst weitgehend zu vermei-
den, damit diese Systemkomponenten nicht als Resonanzkörper wirken und dadurch
die Schallwellen verstärken können. Deshalb muss durch konstruktive Maßnahmen
eine schalltechnische Entkopplung zwischen dem Getriebe und anderen Windkraft-
anlagenkomponenten realisiert werden (z. B. Schalldämpfungs- bzw. -entkopplungs-
komponenten zwischen Getriebe und Maschinenrahmen). Zusätzlich sollten die Schall-
emissionen der Gondel durch Schall-isolierende Maßnahmen reduziert werden.
Das Getriebe wird – aufgrund der von der Natur vorgegebenen Windcharakteristik
– mit hohen und stark variierenden Lasten beaufschlagt, aus denen sich schnell verän-
dernde Betriebszustände resultieren können. Deshalb muss das Getriebe hinsichtlich der
Verzahnung, der Lagerung und der Schmierung ausreichend dimensioniert sein, damit es
im Verlauf der technischen Lebensdauer der Windkraftanlage nicht zu einem Versagen
kommt.
Kupplung Durch die Kupplung wird eine „elastische“ Verbindung zwischen Getriebe
und Generator geschaffen. Dadurch sollen mögliche Fluchtungsfehler zwischen diesen
beiden Triebstrangkomponenten sowie eventuelle Dämpfungsunterschiede ausgeglichen
werden. Hierzu werden heute größtenteils Lamellen- oder Scheibenkupplungen einge-
setzt, die drehsteif und biegeelastisch ausgeführt werden. Zudem wird oft eine Überlast-
sicherung zum Schutz von Getriebe und Generatoren in Form einer Schutzkupplung oder
eines Scherbolzen integriert [6.4].
6 Stromerzeugung aus Windenergie 499
Generator Der Generator wandelt die mechanische Energie des Triebstrangs (d. h. die
Drehbewegung) in elektrische Energie um (Abb. 6.21). Auswahlkriterien für den Ein-
satz dieses Bauelements sind ein möglichst hoher Konversionswirkungsgrad (d. h. geringe
Verluste), der geforderte Drehzahlbereich (d. h. Anpassung an die Ausgangsdrehzahl des
Getriebes bzw. bei getriebelosen Anlagen an die Rotordrehzahl), eine gute Regelbarkeit,
das dynamische Verhalten am frequenzstarren Netz (wenn kein Umrichter realisiert wird,
wie es heute aber weitgehend Stand der Technik ist), das Blindleistungsverhalten, die Her-
stellungs- und Wartungskosten bzw. der Wartungsaufwand, das Volumen, die Masse sowie
die technische Zuverlässigkeit.
Bei Anlagen mit Getriebe werden meist schnellläufige handelsübliche Industriegenera-
toren verwendet. Demgegenüber kommen bei den getriebelosen Anlagen speziell für den
Einsatz in Windkraftanlagen konstruierte Ringgeneratoren zum Einsatz. Da sie vom Ro-
tor direkt (d. h. mit der relativ niedrigen Rotordrehzahl) angetrieben werden, benötigen sie
aus physikalischen bzw. elektrotechnischen Gründen eine hohe Anzahl an Polpaaren. Sie
sind somit um ein Vielfaches größer und schwerer (und damit teurer) als marktgängige
schnellläufige Generatoren; dafür kann das Getriebe – und die damit verbundenen Kosten
– eingespart werden.
Die beiden hauptsächlich in einer Windkraftanlage eingesetzten Generatortypen sind
Synchron- und Asynchrongeneratoren [6.6]. Sie unterscheiden sich im Wesentlichen
durch die Art der Erzeugung des elektrischen Feldes im rotierenden Läufer [6.8] und
werden nachfolgend diskutiert.
Permanenterregte Generatoren zeichnen sich durch eine kompakte Bauweise und einen
höheren Wirkungsgrad im Vergleich zu fremderregten Generatoren aus. Für die Ferti-
500 M. Kaltschmitt et al.
Rotorleistung in %
Nennleistung 12
(nach [6.4, 6.6, 6.8]) 100
drehzahlvariabler Betrieb
11 (Gleichstromzwischenkreis)
ien
75 drehzahlsteifer Betrieb
ennlin
10
mit Asynchrongenerator
50 9 drehzahlsteifer Betrieb
Rotork
mit Synchrongenerator und
8 Polpaarzahlumschaltung
25 7 drehzahlsteifer Betrieb
6 mit Synchrongenerator
4 5
0
Rotordrehzahl
gung dieser Generatoren bedarf es aber sehr leistungsstarker Magneten, die bisher nur
mit einem entsprechend hohen Anteil an Metallen aus der Gruppen der seltenen Erden
(u. a. Neodym) hergestellt werden können.
Bei fremderregten Synchrongeneratoren wird dem Läufer (Rotor) meistens über
Schleifringe Gleichstrom zugeführt, der in der Läuferwicklung ein Magnetfeld aufbaut
(d. h. Erregung). Aus Wartungsgründen wird der Einsatz der früher hierfür üblicher-
weise verwendeten Schleifringe zur Übertragung der elektrischen Energie auf den
Läufer heute häufig dadurch umgangen, dass sogenannte bürstenlose Synchronge-
neratoren eingesetzt werden; hier ist auf der drehenden Generatorwelle eine kleine
mitrotierende „Erregermaschine“ mit Diodengleichrichter installiert. Dafür wird bei
Windkraftanlagen ein vielpoliger Ringgenerator verwendet, der in Kombination mit
einem Umrichter drehzahlvariabel betrieben werden kann. Durch das Entfallen der
Drehzahlübersetzung kann bei Windkraftanlagen, ausgerüstet mit dieser Technik, auf
das Getriebe verzichtet werden. Derartige fremderregte Synchrongeneratoren wer-
den vor allem in Multi-Megawatt-Anlagen verbaut und gelten als eine Alternative zu
schnellläufigen Generatoren.
Beide Bauarten benötigen eine aufwändige Kühlung, da ein Teil der mechanischen
bzw. elektrischen Energie als Verlust in Form von Wärme anfällt. Bei Onshore-Anlagen
erfolgt die deshalb notwendige Generatorkühlung i. Allg. mit (gereinigter) Umgebungs-
luft. Dies ist aber bei einem Offshore-Einsatz so nicht unmittelbar möglich, da u. a. der
Wasser- und insbesondere Salzgehalt in der Luft die Korrosion fördert und dadurch die
technische Lebensdauer der Anlage reduzieren kann. Hier müssen entsprechende tech-
nische Lösungen gefunden und so technisch umgesetzt werden, dass sie möglichst war-
tungsarm sind.
Ein Vorteil des Synchrongenerators ist, dass er auch Blindleistung liefern kann. Sie
wird zum Betrieb konventioneller Kraftwerke und verschiedener Verbraucher (z. B. Mo-
toren) am Netz benötigt. Der Synchrongenerator ist außerdem im Regelfall durch ge-
ringfügig höhere Wirkungsgrade im Vergleich zum Asynchrongenerator gekennzeichnet
(Tabelle 6.2).
6 Stromerzeugung aus Windenergie 501
Tabelle 6.2 Drehzahlbereich und elektrische Wirkungsgrade von Generatorsystemen für Wind-
kraftanlagen im unteren einstelligen Megawatt-Leistungsbereich (nach [6.8])
Drehzahl- Maximaler
bereich Wirkungsgrad
(Generator / Umrichter)
Asynchrongenerator (Kurzschlussläufer) 100 ˙ 0,5 % 96,5 %
Doppeltgespeister Asynchrongenerator mit Gleichspan- 100 ˙ 50 % 95,5 %
nungszwischenkreis
Synchrongenerator mit Gleichspannungszwischenkreis 100 ˙ 50 % 95,0 %
Direkt vom Rotor angetriebener elektrisch erregter Syn- 100 ˙ 50 % 94,0 %
chrongenerator mit Gleichspannungszwischenkreis
Direkt vom Rotor angetriebener Synchrongenerator (Per- 100 ˙ 50 % 96,0 %
manenterregung) und Gleichspannungszwischenkreis
doppelt gespeisten Asynchrongenerators. Dieser Generator kann sowohl unter- als auch
übersynchron generatorisch arbeiten.
Aufgrund dieser Zusammenhänge bei der Erregung sind bei Asynchrongeneratoren
Spannung und Strom nicht in Phase; somit wird das Netz durch den dadurch benötigten
Blindleistungsbedarf belastet. Je nach Leistung sind deshalb entsprechende Kondensa-
toren zu- oder abzuschalten. Beim Betrieb an einem starken Netz kann der jeweilige
Fehlbetrag an Blindleistung auch durch die dort laufenden Kraftwerke mit Synchrongene-
ratoren ausgeglichen werden. Werden Asynchrongeneratoren mit Frequenzumrichtern an
das Netz gekoppelt, tritt dieses Problem nicht auf, da die Blindleistung mit der netzseitigen
Leistungselektronik kompensiert werden kann.
Dieses aufgrund des Schlupfes „weiche“ Betriebsverhalten (Abb. 6.23) von unmittel-
bar netzgekoppelten Asynchrongeneratoren ist an einem steifen Netz (z. B. 50 Hz-Netz in
Deutschland bzw. Europa) wünschenswert, um die u. a. bei böigem Wind in der Wind-
kraftanlage – und hier insbesondere im Triebstrang – auftretenden Belastungen zu redu-
zieren.
Ohne besondere Maßnahmen haben jedoch nur sehr kleine Asynchrongeneratoren ei-
nen Schlupf von bis zu ca. 10 %. Mit zunehmender Maschinengröße nimmt der Schlupf
aber i. Allg. ab. Die heute eingesetzten Generatoren mit Leistungen im Multi-Megawatt-
Bereich haben einen Schlupf unter 1 % [6.8] und sind damit bei einem direkt netzgekop-
pelten Betrieb fast so steif wie Synchrongeneratoren; d. h. der diskutierte Vorteil kommt
nicht wirklich zum Tragen.
Durch das Einbringen von Widerständen in den Läuferkreis kann der Schlupf bewusst
vergrößert werden. Damit wird aber die dort anfallende Verlustwärme erhöht (welche an
die Atmosphäre abgeführt werden muss); dadurch wird auch der Gesamtwirkungsgrad re-
duziert und die Anlagenkomplexität erhöht. Werden diese Widerstände des Läuferkreises
direkt im Läufer untergebracht, muss dieser deshalb zu Kühlungszwecken zwangsweise
mit Luft durchströmt werden. Da die angesaugte Umgebungsluft insbesondere bei Küs-
tenstandorten salzhaltig sein kann, kann diese Bauweise zu Korrosionsproblemen bei der
Wicklungsisolation führen. Deshalb sind Offshore-Anlagen mit einer Luftreinigungsan-
lage ausgestattet, die Wasser und Salzpartikel von der Außenluft abscheiden soll und sie
temperiert, bevor sie ins Maschinenhaus gelangt.
Doppelt gespeiste Asynchrongeneratoren stellen eine weitere Möglichkeit dar, den
Schlupf zu beeinflussen. Hier wird die Schlupfleistung über einen Umrichter ins Netz
eingespeist oder aus dem Netz bezogen, indem der Stator direkt und der Läufer oder Ro-
tor über einen Umrichter mit dem Netz verbunden wird. Dadurch ist eine dynamische
Regelung des Schlupfes – und damit eine Variabilität der Drehzahl – und die Erzeugung
von Blindleistung möglich (Tabelle 6.2 und 6.3). Aufgrund dieser Vorteile haben sich
bei Anlagekonzepten mit Getriebe hauptsächlich doppelgespeiste Asynchrongeneratoren
durchgesetzt.
Eine Zwischenlösung stellt der Asynchrongenerator als übersynchrone Stromrichter-
kaskade dar. Hier wird die Schlupfleistung nur in eine Richtung, nämlich ins Netz, einge-
speist (Tabelle 6.2 [6.6]).
6 Stromerzeugung aus Windenergie 503
Tabelle 6.3 Vergleich von direkter und indirekter Netzkopplung in Abhängigkeit der verwendeten
Generatorbauart (u. a. nach [6.6])
Synchrongenerator Asynchrongenerator
Direkte nG D f nG D .1 s/; 0 s 0;01
Netzkopplung konstante Drehzahl; leicht nachgiebige Drehzahl, die mit zunehmender Ge-
harte Netzkopplung neratorgröße abnimmt; einfache Netzsynchronisation;
Blindleistungsverbraucher; relativ harte Netzkopplung
Indirekte 0;5f nG 1;2f 0;8f nG 1;2f
Netzkopplung drehzahlvariabel; drehzahlvariabel; Kurzschlussläufermaschinen
Netzkopplung über über Gleichstromzwischenkreis oder Direktumrichter
einen Gleichrichter (Blindleistungsverbraucher); Schleifringläufer-
mit anschließen- maschinen über dynamische Schlupfregelung,
dem Wechselrichter übersynchrone Stromrichterkaskade (jeweils Blind-
(d. h. Gleichstrom- leistungsverbraucher) oder als doppeltgespeister
zwischenkreis oder Asynchrongenerator mit direkter Stator- und indirekter
Direktumwandler); Rotorkopplung (z. B. über Gleichstromzwischenkreis)
weiche Netzkopplung (Blindleistungsabgabe); weiche Netzkopplung
nG Generatordrehzahl; s Schlupf (Abweichung von der Nenndrehzahl); f Netzfrequenz.
Netzkopplung Für die Anbindung der Windkraftanlage an das Netz der öffentlichen Ver-
sorgung oder ein beliebiges Inselnetz wird zwischen direkter und indirekter Netzkopplung
unterschieden (Tabelle 6.3 [6.6]).
werden; mehrstufige Systeme sind im Vergleich zu den einstufigen teurer, aber flexibler
nutzbar, da durch eine Polpaarzahlumschaltung grundsätzlich andere Drehzahlen mög-
lich sind und diese dann den sich mit verändernden Windgeschwindigkeiten ändernden
Rotorwirkungsgraden Rechnung tragen können (Abb. 6.23). Auch wirkt sich wegen
der direkten Netzkopplung jede Änderung der Windgeschwindigkeit als veränderlicher
Strom auf der Netzseite aus und führt dort zu entsprechenden Spannungsschwankun-
gen. Deshalb sind direkt an das Netz gekoppelte Windkraftanlagen heute nicht mehr
zulässig.
Bei der indirekten Netzkopplung kann der Generator mit variabler Drehzahl bzw. Fre-
quenz betrieben werden, so dass eine Anpassung an die variablen und sich damit
laufend verändernden Windverhältnisse einfach möglich ist und damit eine Ertrags-
optimierung aus Sicht des Rotorwirkungsgrades erfolgen kann (Abb. 6.23). Der durch
eine veränderliche Drehzahl dann aber zwangsläufig entstehende Wechselstrom mit
variabler Frequenz muss anschließend jedoch mit Hilfe eines Umrichters umgewandelt
werden, damit die erzeugte elektrische Energie unter Einhaltung der jeweiligen Netz-
spezifikationen ins entsprechende Verteilungsnetz eingespeist werden kann. Umrichter
oder AC-DC-AC Konverter (AC Wechselstrom (alternate current), DC Gleichstrom
(direct current)) bestehen im Wesentlichen aus drei Hauptkomponenten (Abb. 6.24).
– Einem gesteuerten Gleichrichter, der die frequenzvariable Spannung gleichrichtet
und somit aus Wechselspannung eine Gleichspannung erzeugt.
– Einem Gleichspannungszwischenkreis, der zur Entkopplung von Systemen mit un-
terschiedlichen Frequenzen dient. Hierbei dient ein Kondensator einerseits zur Glät-
tung der Spannung und gleichzeitig andererseits als Pufferspeicher.
– Einem Wechselrichter, der den Gleichstrom in dreiphasigen Wechselstrom umwan-
delt und somit auf die Spannung und Frequenz des örtlichen Versorgungsnetzes
wechselrichtet, in das die Windkraftanlage einspeist.
Technik deshalb keine Rolle mehr [6.8]. Heute kommen überwiegend Umrichter mit ei-
nem Spannungszwischenkreis zum Einsatz, welche vielfach regelbar sind und die vom
Generator erzeugte Frequenz von der Netzfrequenz vollständig entkoppeln. Infolge neue-
rer Entwicklungen bei den Leistungshalbleitern werden sie mit Wechselrichtern realisiert,
die Wechselstrom mit sehr geringen Verzerrungen liefern und abhängig von ihrer Topo-
logie und Auslegung zusätzlich in einem gewissen Umfang Blindleistung bereitstellen
können (z. B. IGBT-Wechselrichter mit Pulsweitenmodulation (PWM)).
Bei einer derartigen indirekten Netzkopplung wird grundsätzlich Wechselspannung
über einen Gleichrichter in Gleichspannung und anschließend über einen Wechselrich-
ter erneut in Wechselspannung mit den geforderten Netzspezifikationen bezüglich Span-
nungsamplitude und Frequenz umgewandelt. Dadurch kann der Rotor innerhalb einer
Drehzahlspanne von 50 bis 120 % der Nenndrehzahl aerodynamisch optimal betrieben
werden. Aufgrund der variablen Drehzahl ist zudem eine gute Anpassung an das jeweili-
ge von der Windgeschwindigkeit abhängige Leistungsmaximum möglich. Nachteilig sind
die zusätzlichen Kosten für die Leistungselektronik und die dadurch bedingten höheren
elektrischen Verluste. Trotzdem stellt die Netzanbindung über einen Frequenzumrichter
bei mittleren bis großen Anlagen die heute übliche Technik dar; vornehmlich kommen
dabei Synchron- und doppelt gespeiste Asynchrongeneratoren zum Einsatz.
Gondel Die Gondel – auch als Maschinenhaus bezeichnet – besteht aus dem Maschinen-
träger und der Maschineneinhausung (Abb. 6.16 und 6.21).
Der Maschinenträger übernimmt die tragende Funktion in der Gondel (Abb. 6.16
und 6.21); d. h. er sichert die statische Festigkeit der Gesamtkonstruktion. Der Ma-
schinenträger dient damit zur Aufnahme des Triebstrangs und der Rotormomente. Die
typischerweise hohen auftretenden Rotormomente erfordern dabei eine besonders steife
Bauweise dieser Systemkomponente. Bei modernen Anlagen ist der Maschinenträger des-
halb häufig als Gusskonstruktion ausgeführt; dies weist auch hinsichtlich der Möglichkeit
einer Serienfertigung Kostenvorteile gegenüber Schweißkonstruktionen auf.
506 M. Kaltschmitt et al.
Großwälzlager
Maschinenträger
Zahnkranz (nicht dargestellt)
Verstellgetriebe
(Azimut)
Rotornabe Turm
Die Einhausung (Abb. 6.21 und 6.26), die auf diesen Maschinenträger montiert wird,
schützt die in ihr untergebrachten Komponenten (u. a. Triebstrang, Regeleinrichtungen)
vor Umwelteinflüssen und isoliert sie von äußeren klimatischen Bedingungen (z. B. Nie-
derschlag). Um dies auch bei den rauen meteorologischen Bedingungen bei einem Off-
shore-Einsatz sicherzustellen (d. h. ein Eindringen von Wasser und insbesondere Salz in
die Gondel sicher zu verhindern), kann sie unter Überdruck gesetzt werden. Dabei über-
nimmt die Einhausung in der Regel keine tragende (d. h. statische) Funktion. Aus Kosten-
und Gewichtsgründen wird sie häufig aus Glasfaserverbundwerkstoffen (GFK) gefertigt.
mus ausüben und somit die technische Lebensdauer reduzieren könnten, verhindert wer-
den. Damit ist auch ein Feststellen der Gondel zur Überbrückung längerer Stillstandszei-
ten (z. B. Wartung) möglich.
Das Azimut- oder Turmkopflager ist bei größeren Anlagen als Wälzlager, bei kleineren
Konvertern teilweise auch als Gleitlager mit Gleitkörpern ausgeführt.
Die gesamte Windrichtungsnachführung wird über ein spezielles Regelungssystem ge-
steuert, das mit einem Anemometer, das üblicherweise außen auf der Gondel angebracht
ist, mit den entsprechenden Daten versorgt wird.
Turm Die Hauptaufgabe des Turms ist es, einerseits die Windenergienutzung in einer
ausreichenden Höhe über Grund zu ermöglichen (dies ist aufgrund der Zunahme der mitt-
leren Windgeschwindigkeit mit zunehmender Höhe über Grund (Kapitel 2.4) wesentlich)
sowie andererseits die statischen und dynamischen Belastungen des Rotors, Triebstrangs
und des Maschinenhauses / der Gondel aufzunehmen und sicher in das Fundament – und
damit den Untergrund – abzuleiten (Abb. 6.16 und 6.27). Darüber hinaus sind im Turm die
Kabel für die Stromübertragung und die Steigleiter bzw. der Aufzug untergebracht. Bei
größeren Anlagen können zusätzliche elektrische Komponenten (z. B. der Transformator
mit Kühlsystem sowie die benötigten Schaltschränke) in dieser Windkraftanlagenkom-
ponente integriert werden. Weitere Bestimmungsgrößen für die Turmauslegung und die
Turmkonstruktion sind die Eigenschwingungsgrößen des Turm-Gondel-Rotor-Gesamt-
systems, um Resonanzerscheinungen insbesondere beim An- und Abfahren des Rotors
sicher zu vermeiden. Im Falle des Offshore-Einsatzes sind auch die Einflüsse durch Wel-
lengang und Strömungen, die über die Schwingungen des Fundamentes weitergeleitet
werden können, zu berücksichtigen. Hinzu kommen die durch den Transport limitierten
Abmessungen und Gewichte sowie die damit nutzbaren Straßen und Wege, die Errich-
tungsmethode bzw. die zur Verfügung stehenden Kräne sowie die Zugänglichkeit zur
Gondel. Außerdem zählen die Langzeiteigenschaften bezüglich Witterungseinflüssen und
Materialermüdung dazu.
Als Material für den Turm wird hauptsächlich Stahl und / oder Beton eingesetzt. Als
mögliche Bauformen aus Stahl kommen – neben einer heute zumindest in Europa prak-
tisch nicht mehr eingesetzten Gittermastbauweise – üblicherweise freitragende Stahlrohr-
türme in geschlossener, meist konischer Form zur Anwendung.
Gittertürme wurden vor allem in der Anfangsphase des Windkraftanlagenbaus einge-
setzt. Durch ihren geringeren Materialverbrauch sind sie leichter im Vergleich zu den
Stahlrohrtürmen und zudem einfacher zu transportieren. Sie eignen sich auch für gro-
ße Turmhöhen von bis zu 160 m. Aufgrund des hohen Montageaufwandes und der mit
Gittertürmen verbundenen Geräuschemissionen infolge der durch die Gitterkonstruktion
strömenden Luftmassen hat sich diese Bauweise – zusammen mit anderen Gründen (u. a.
optischer Eindruck) – aber zumindest auf dem europäischen Markt nicht durchsetzen kön-
nen.
Freitragende Stahlrohrtürme sind die heute primär eingesetzte, marktdominierende Va-
riante. Sie sind in bis zu fünf Segmente (sog. Turmschüsse) unterteilt. Diese Segmen-
508 M. Kaltschmitt et al.
te bestehen aus einzelnen Stahlplatten, die zunächst gerollt und schließlich zusammen-
geschweißt werden; dies wird i. Allg. im großtechnischen, industriellen Maßstab reali-
siert. Diese einzelnen Turmsegmente werden anschließend vor Ort transportiert und dort
mit dem Fundament bzw. den anderen Segmenten mittels entsprechender Flansche ver-
schraubt.
Betontürme bestehen aus Stahlbeton und können bis zu sechsmal so schwer wie gleich-
hohe Stahlrohrtürme sein. Im Vergleich zu letzteren weisen sie i. Allg. bessere Schwin-
gungseigenschaften auf und führen dadurch zu einer Reduktion der Schallemissionen.
Beton findet derzeit aber üblicherweise lediglich in der Hybridbauweise Anwendung. Um
sehr hohe Nabenhöhen zu erreichen (mehr als 150 m), besteht hier etwa das untere Drittel
des Turms aus Betonsegmenten in Fertigteilbauweise. Es wird durch Stahlsegmente im
oberen Teil ergänzt. Reine Stahlrohrtürme in dieser Größenordnung, die zudem die üb-
lichen Transportabmaße erfüllen, haben sich derzeit noch nicht durchsetzen können, da
sich deren Eigenfrequenzen sehr nahe an den Betriebsfrequenzen der Windenergieanlage
befinden und zudem die Kosten aufgrund der benötigten großen Stahlmengen relativ hoch
sind.
Die Mindesthöhe des Turms ist durch den Rotorradius festgelegt. Die darüber hin-
ausgehende Turmhöhe ergibt sich durch einen (ökonomischen) Kompromiss zwischen
den mit größerer Nabenhöhe über Grund steigenden Kosten für den Turm und den zu-
nehmenden mittleren Windgeschwindigkeiten (Kapitel 2.4) und damit dem ansteigenden
Stromertrag. Folglich muss ein ökonomisches Optimum zwischen einem (möglichst) ho-
hen Energieertrag und akzeptablen Turmkosten gefunden werden. In der Regel überwiegt
aber der zusätzliche Energieertrag gegenüber den größeren Kosten mit steigender Turm-
höhe. Restriktionen können sich jedoch durch die Beeinträchtigung des Landschaftsbildes
und den aufgrund von gesetzlichen Vorgaben einzuhaltenden Abständen zu Bauwerken
der Umgebung oder Aspekten des Natur- und Tierschutzes ergeben. Damit variieren die
heute üblichen Turmhöhen je nach den gegebenen Bedingungen am Standort erheblich;
sie bewegen sich meist zwischen etwa 80 und rund 130 m und mehr. Dabei werden im
Binnenland – infolge der hier stärkeren Zunahme der Windgeschwindigkeit mit zuneh-
mender Höhe über Grund im Vergleich zu Küstenstandorten (Kapitel 2.4) – zunehmend
größere Turmhöhen (z. B. 160 m) realisiert.
Bei einer Offshore-Aufstellung ermöglichen die auf dem Meer gegenüber einer Land-
aufstellung veränderten Windverhältnisse – aufgrund der geringeren Rauigkeit der Was-
seroberfläche – eine Verringerung der Nabenhöhe im Vergleich zum Onshore-Fall (d. h.
Turmhöhen von 85 bis 110 m). Aufgrund der rauen Witterungsbedingungen bei einer
Offshore-Aufstellung werden ausschließlich Stahlrohrtürme eingesetzt, da sie u. a. relativ
schnell aufgestellt werden können. Um die Korrosionsanfälligkeit infolge der salzhaltigen
Umweltbedingungen möglichst weitgehend zu minimieren, ist die Oberfläche derartiger
Stahlrohrtürme mit einer alkalibeständigen und nicht hydrolisierbaren Schicht überzogen.
Fundament Das Fundament, mit dem der Turm und damit die Windkraftanlage im Un-
tergrund verankert wird, hängt von der Anlagengröße, den zu erwartenden meteorolo-
6 Stromerzeugung aus Windenergie 509
Fundament
Gründungspfähle
Untergrund
gischen und betrieblichen Belastungen sowie von den örtlichen Bodenverhältnissen ab.
Dabei sind die technischen Lösungen zwischen einer Onshore- und einer Offshore-Funda-
mentierung einer Windkraftanlage stark unterschiedlich. Deshalb werden beide Varianten
nachfolgend getrennt diskutiert.
Onshore-Fundamente Bei einer Onshore-Aufstellung wird zwischen einer Flach- und ei-
ner Tief- oder Pfahlgründung unterschieden (Abb. 6.27); beide Varianten sind Stand der
Technik. Dabei wird durch eine entsprechende Baugrunduntersuchung die optimale Ge-
staltung des Fundaments festgelegt.
Bei einem festen tragfähigen Grund wird i. Allg. eine Flachgründung realisiert (Abb.
6.27, rechts). Dazu wird in einer Baugrube ein Betonfundament gegossen, das einen
Ankerkäfig aus Metall einschließt, der die Verbindung zum Turm bildet und somit die
von dort kommenden Belastungen in den Untergrund überträgt.
Bei weniger tragfähigem Untergrund wird eine Tiefgründung eingesetzt (Abb. 6.27,
links); diese bietet aufgrund von in den Untergrund gerammten Pfählen mehr Halt.
Diese Gründungspfähle selbst sind aus bewehrtem Beton. Dabei werden entweder Fer-
tigbetonpfähle verwendet oder es wird ein verschlossenes Stahlrohr in den Boden ge-
rammt, das anschließend innen bewehrt und mit Ortbeton gefüllt wird. Danach wird
das Stahlrohr entfernt und nur der untere Verschluss des Stahlrohrs verbleibt im Unter-
grund. Demgegenüber findet eine besondere Art der Tiefgründung bei einem felsigen
Untergrund Anwendung. Hier wird das benötigte Fundament durch eine Fundament-
platte aus Stahlbeton erzeugt, die durch eine Vielzahl von in den Felsen getriebener
Stahlanker fixiert wird. Über einen Stahladapterkäfig wird anschließend der Turm ver-
schraubt.
Schwerkraftfundament (Abb. 6.28 und 6.29 sowie Tabelle 6.4). Beim Gravitations-
oder Schwerkraftfundament wird primär die Gravitationskraft ausgenutzt. Dazu wird
ein (sehr) schwerer Körper hergestellt, der auf dem Meeresboden abgestellt wird und
die Windkraftanlage trägt. Solche Schwerkraftfundamente können in Beton- oder in
Stahlrahmenbauweise (Senkkästen) ausgeführt sein; letztere Variante wird am Einsatz-
ort zusätzlich mit Ballast versehen. Für Standorte mit einem potenziell starken Eisgang
sollte das aus dem Wasser ragende Teil des Fundaments eine konische Bauform aufwei-
Bootsanleger
Internes
Kabelanschluss-Rohr
Kolkschutz
Untergrund
sen, damit es dem Eisdruck besser Stand halten kann [6.8]. Ein derartiges Fundament
wird entweder auf einer schwimmenden Barge oder schwimmend an den potenziellen
Anlagenstandort gebracht bzw. gezogen und dort auf einer geebneten und ggf. mit ei-
ner Ausgleichsschicht versehenen Fläche auf den Meeresboden abgesetzt. Durch diese
Art der Aufstellung werden keine Zugkräfte auf den Meeresboden übertragen; deshalb
ist dieses System sensibel gegenüber hydrodynamischen Extremlasten. Die maximal
mögliche Wellenhöhe, die ein wesentliches Auslegungskriterium für das Fundament
ist und damit für die auf die Anlage und folglich das Fundament einwirkenden Kräfte
mitverantwortlich ist, hängt u. a. von der Wassertiefe ab; i. Allg. steigt sie überpropor-
tional mit zunehmender Wassertiefe. Daraus resultiert eine starke Vergrößerung der
Fundamente mit größer werdender Tiefe unter dem mittleren Wasserspiegel; deshalb
Tabelle 6.4 Einsatz von Fundamenten für Anlagen der Multi-Megawatt-Klasse in Abhängigkeit
der Wassertiefe und ihrer Masse (nach [6.13, 6.15])
Schwerkraft- Monopile Tripod Jacket Tripile Suction
fundament Bucket
Wassertiefe 10–40 m < 40 m 20–50 m 20–60 m 25–50 m 25–45 m
Gewicht
5 MW-Klasse > 2 000 t 200–500 t ca. 750 t ca. 500 t ca. 500 t ca. 500 t
9 MW-Klasse > 8 000 t 1 000–1 500 t – 750–1 000 t – 1 000–1 250 t
512 M. Kaltschmitt et al.
Zwischenstück
Kabelan-
schluss-Rohr
Kolkschutz
Untergrund
Gründungspfahl
6 Stromerzeugung aus Windenergie 513
Säulenelement
Bootsanleger
Pfahlführung
Gründungspfähle
Untergrund
514 M. Kaltschmitt et al.
Arbeitsplattform
Zwischenplattform
Bootsanleger
Kabelan-
schluss-Rohr
Pfahlführung
Gründungspfähle
Untergrund
Bootsanleger
Seitenwand des
Stahlzylinders
Unterspülung
Meersuntergrund
nem sogenannten Stützkreuz zusammen, auf dem dann der Turm der Windkraftanlage
angebracht wird. Das Fundament wird im Meeresboden verankert, indem die drei ein-
zelnen Rohre in den Untergrund gerammt werden (d. h. drei Monopiles, die über dem
Meeresspiegel zusammengeführt werden). Dieser Fundamenttyp zeichnet sich durch
eine kompakte „Leichtbauweise“ aus. Er hat aber am Markt insgesamt nur sehr be-
grenzte Verbreitung gefunden.
Suction-Bucket (Abb. 6.28 und 6.33 sowie Tabelle 6.4). Bei der sogenannten „Suction-
Bucket“-Gründungsstruktur handelt es sich um eine Saugglockenkonstruktion, bei der
das Fundament durch Unterdruck ausgespült wird und sich dadurch am Meeresboden
festsaugt. Für die Aufstellung sind deshalb keine Rammarbeiten erforderlich und der
Rückbau kann in der Theorie durch das Einpumpen von Luft und die dadurch erziel-
te Loslösung des Fundaments erfolgen. Voraussetzung hierfür ist allerdings ein sehr
homogener Meeresboden mit einem geringen Steinanteil, um ein gleichmäßiges An-
saugen dieser Stahlkonstruktion am Untergrund zu ermöglichen.
halbtauchfähige Zugspannungsverankerte
Spiertonne
Barge Gitterkonstruktion Platform (Tension Leg
(Spar Buoy)
(Semi-Submersible) Platform)
auch gut zum Ausbau der Offshore-Windkraftnutzung unter schwierigen geologischen Be-
dingungen (z. B. steiniger Untergrund), bei denen sich eine Installation von bodenverbun-
denen Fundamenten konstruktions- und installationsseitig sehr kostenaufwändig gestalten
kann. In der Zwischenzeit liegen verschiedene Konzepte für derartige schwimmende Fun-
damente vor, die z. T. den Forschungszustand überschritten haben und sich langsam in
Richtung auf das ökonomisch Machbare bewegen. Abb. 6.34 zeigt exemplarisch vier der-
artiger Konzepte. Die ersten drei Ansätze unterscheiden sich im Wesentlichen durch die
im Wasser liegende Konstruktion; dies kann eine Plattform (Barge), eine halbtauchfähi-
ge Gitterkonstruktion (Semi-Submersible) oder eine Pfahl-Boje (Spar-Buoy) sein. Allen
diesen Ansätzen gemeinsam ist, dass sie nur locker im Meeresboden verankert sind; sie
unterscheiden sich jedoch in der Anzahl der Verankerungen und / oder in den verwendeten
Materialen. Das letzte Konzept zeichnet sich im Wesentlichen über steife Verbindungen
zum Meeresboden (Tension Leg Platform) aus; dies führt zu einer höheren Stabilität in
der Gründungsstruktur. Der Einsatz von derartigen schwimmenden Fundamenten stellt ei-
ne Kostensenkung in den Bereichen Herstellung, Installation sowie Betrieb in Aussicht;
jedoch müssen diese Vorteile in den kommenden Jahren durch entsprechende Entwick-
lungs- und Optimierungsarbeiten erst noch erschlossen werden.
6.2.1.4 Netzanbindung
Windkraftanlagen können entweder als Einzelanlagen oder in Form von Windparks in
das Netz der öffentlichen Versorgung eingebunden werden. Dazu ist am jeweiligen Netz-
6 Stromerzeugung aus Windenergie 517
Bei kleineren Windparks werden die Einzelanlagen in der Regel mittels Niederspan-
nungsleitungen miteinander verbunden (sogenannte interne Verkabelung). Anschlie-
ßend wird der gesamte Windpark über einen ggf. notwendigen Transformator mithilfe
WEA- Hochspannungs-
Transformator Transformator
IWEA 1
HS-Netz
Niederspannung Mittelspannung 110-380 kV
400 V / 690 V 6-35 kV
IWEA n
Abb. 6.35 Netzeinspeisung von Windenergieanlagen (WEA) in das Hoch- oder Höchstspannungs-
netz (HS-Netz) (nach [6.60])
518 M. Kaltschmitt et al.
Jede Windkraftanlage ist hinsichtlich ihrer Steuerung so auszulegen, dass ihr Netz-
fehler (u. a. Ausfall des Netzes, Kurzschluss im Netz) keinen Schaden zufügen können.
Ferner sollte durch eine vollständige Trennung vom Netz ein sicheres Arbeiten des Be-
dien- und Wartungspersonals gewährleistet sein.
Im Kern des Kabels befindet sich der stromdurchflossene Leiter, der aus Leitaluminium
oder weichgeglühtem Elektrolytkupfer besteht. Dieser Leiter kann massiv (d. h. ein
Einzeldraht) oder aus mehreren verseilten Einzeldrähten gefertigt sein.
Nun folgen eine sogenannte innere Leitschicht aus einem Halbleitermaterial, die Isola-
tion und eine weitere Leitschicht als Isolationsschirm. Diese beiden Halbleiterschichten
dienen der Feldkontrolle; sie sorgen für einen gleichmäßigen Kontakt von Leiter und
6 Stromerzeugung aus Windenergie 519
Insgesamt ergibt sich daraus ein Kabeldurchmesser von beispielsweise 12 cm; davon
nehmen der Leiter und die Isolationsschicht den Großteil ein. Typische Bandbreiten für
das Kabelgewicht liegen zwischen 15 und 80 kg/m.
Die einzelnen Anlagen eines Windparks werden z. T. untereinander und mit der Off-
shore-Umspannstation über derartige Kabel verbunden. Beispielsweise können 5 bis
20 Anlagen miteinander verkabelt und dann über eine gemeinsame Verbindung an die
Umspannstation angeschlossen werden. Die Kopplung der Windkraftanlagen unterein-
ander kann strahlenförmig, ringförmig, sternförmig oder in verschiedenen Mischformen
realisiert werden (Abb. 6.37; [6.17]).
Sternformation
Radiale Anordnung
Ringanordnung
die betreffende Anlage freigeschaltet und die verbleibenden Anlagen werden durch
das Schließen des Schalters mit dem jeweils anderen Halbring verbunden. Durch den
redundanten Kabelweg können beim Ausfall eines einzelnen Kabels die restlichen An-
lagen über den zweiten Halbring mit der Umspannstation verbunden werden.
Die Offshore-Verkabelung besteht aus speziell für den Einsatz unter Wasser konzi-
pierten kunststoffummantelten Seekabeln, die mit Spezial-Kabelverlegeschiffen ca. 1 bis
3 m unter den Meeresboden vergraben und / oder mit Hilfe eines Wasserstrahls einge-
spült werden. Die verlegten Kabel müssen hinreichend gegen Beschädigungen z. B. durch
Schleppnetze gesichert sein; dies schließt die Ausführung der Kabel selbst wie auch ihre
Verlegung mit ein. Auch müssen sie so dimensioniert werden, dass eine maximale Tem-
peraturerhöhung durch den Stromtransport einen Wert von 2 K in einer Meeresbodentiefe
von 20 cm in der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) bzw. 30 cm in der 12 sm-Zone
einschließlich dem Wattenmeer (sogenannter „Aufpunkt“) bei einer durchschnittlichen
Verlegetiefe des Kabels von rund 150 cm Tiefe unter der Meeresbodenoberfläche nicht
überschreitet.
Für die Übertragung der elektrischen Energie zum landseitigen Verknüpfungspunkt ist
– neben einer konventionellen Wechselstromübertragung – eine Hochspannungs-Dreh-
strom- (HDÜ) oder eine Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) möglich; dazu
werden entsprechende Umspannstationen mit passenden Fundamenten im Meer benötigt,
an der auch die interne Windparkverkabelung zusammenläuft. Dazu sind je nach Leistung
des Windparks bzw. der Spannungsebene der Übertragung (33 bis 66 kV) zwischen dieser
Umspannstation und der entsprechenden Station an Land ein oder mehrere Seekabel zu
verlegen. Die Offshore-Windparks werden mit dem Verbundnetz an Land zunächst auf der
Hochspannungsebene (110 kV) verbunden. Für zukünftige Projekte im Gigawatt-Bereich
ist demgegenüber eine Anbindung an das Höchstspannungsnetz (> 220 kV) angedacht.
Nachfolgend werden die Übertragungsformen für Hochspannungs-Gleichstrom und
Hochspannungs-Drehstrom erläutert (Abb. 6.38).
6 Stromerzeugung aus Windenergie 521
Offshore-Windpark
mit Wechselstrom-
Anbindung
Offshore-Windpark
mit HGÜ-Anbindung
Trafostation
Trafostation
HGÜ-Kabel
Übertragungsnetz
Übertragung ist dieses Konzept technisch weniger aufwändig. Dafür ist eine solche
Realisierung jedoch nicht für längere Seekabelstrecken technisch und wirtschaftlich
sinnvoll, da die für Drehstrom-Kabel typische hohe kapazitive Blindleistung kompen-
siert werden muss.
In Abwägung der jeweiligen Vor- und Nachteile dieser beiden Konzepte muss jeweils
fallspezifisch ein technisch und ökonomisch optimales Konzept identifiziert werden. Oft
wird derzeit von einer wirtschaftlichen Übertragung der elektrischen Energie mittels
Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) ab etwa 80 km Entfernung ausgegan-
gen, wobei die HGÜ-Technik aus ökonomischen Gründen in Form einer Punkt-zu-Punkt
Übertragung genutzt wird.
Die Gestaltung der Offshore-Umspannstationen und der Integration in das nationale
Stromversorgungsnetz orientiert sich an den Vorgaben der diversen Ausbaupläne. Diese
bestimmen auch größtenteils die Rahmenbedingungen, ob ein Offshore-Windpark eine
eigene Umspannstation hat, in welcher Übertragungsform die elektrische Energie wei-
tergeleitet wird und ob die Kabelanbindung zu Land durch den Netzbetreiber oder im
Rahmen des Offshore-Windparks realisiert wird.
6.2.2 Gesamtsystemaspekte
Nachfolgend wird die Windkraftanlage als Teil eines Windparks – und damit als ein
gesamtes Stromerzeugungssystem – betrachtet. Ausgehend davon werden das Windpark-
design und weitere Aspekte (u. a. Aufbau, Betrieb und Instandhaltung) beschrieben. Dabei
wird zwischen On- und Offshore-Windparks unterschieden. Auch wird auf Installations-
sowie Betriebs- und Wartungsaspekte eingegangen.
Hauptwindrichtung
Nebenwindrichtung
Windkraft-
konverter-
standort
einzuhaltende Abstandsfläche
Liegt, wie es beispielsweise im Binnenland der Fall sein kann, keine bevorzugte Wind-
richtung vor und stehen einer optimierten Anlagenaufstellung keine topografischen, infra-
strukturellen und sonstigen Einschränkungen entgegen, müssen die Abschattungseffekte
hinsichtlich aller Himmelsrichtungen möglichst minimiert werden. Um jede Windkraft-
anlage sollte deshalb eine – näherungsweise – kreisförmige Gebietsfläche freigehalten
werden. Sie kann vereinfachend durch ein regelmäßiges Sechseck beschrieben werden
(Abb. 6.39, links). Der bei dieser Anlagenaufstellung einzuhaltende Abstandsfaktor kA
variiert im Regelfall innerhalb einer vergleichbaren Bandbreite wie bei der Anlagenauf-
stellung mit bevorzugter Windrichtung (d. h. je nach den lokalen Gegebenheiten und den
Windverhältnissen vor Ort zwischen 6 und 15). Die infolge dieser Zusammenhänge not-
wendigerweise freizuhaltende Fläche um eine Windkraftanlage errechnet sich dann nach
Gleichung (6.26).
r
3
AWKA D .kA dRot /2 (6.26)
4
6 Stromerzeugung aus Windenergie 525
Windparkerrichtung Die Errichtung von Windparks setzt sich zusammen aus den Kern-
elementen (a) Transport der Teilkomponenten einer Windenergieanlage, (b) Bereitstellung
benötigter Hebekräne sowie (c) Montage und (d) Inbetriebnahme. Neben dem Komponen-
tentransport bestimmen die Gegebenheiten vor Ort (z. B. Bodenbeschaffenheit, Wetterbe-
dingungen) maßgeblich die Errichtung [6.8].
Bei der Installation einer Windenergieanlage oder eines Windparks muss neben einem
logistischen auch immer ein technisch-wirtschaftlicher Kompromiss gefunden werden;
526 M. Kaltschmitt et al.
d. h. einerseits müssen die Montagearbeiten vor Ort durch ein hohes Maß an Vormontage
minimiert werden und andererseits ermöglicht eine Segmentierung der großen Kompo-
nenten (u. a. Turm, Rotorblätter, Maschinenhaus) erst einen Transport.
sentlichen zusätzlichen einschränkenden Faktor für den Transport und für die Montage
darstellt. Weiterhin wird – ebenfalls im Unterschied zu einer Onshore-Installation – eine
entsprechende Versorgungsinfrastruktur benötigt, die vorhanden bzw. verfügbar gemacht
werden muss. Dies umfasst einen entsprechend ausgebauten Hafen sowie die Bereitstel-
lung des erforderlichen Equipments bzw. der benötigten Gerätschaften für Transport und
Montage. Der Hafen muss so ausgebaut sein, dass die bis 30 m hohen Turmsektionen,
die teilweise über 90 m langen Rotorblätter, die Gründungsstrukturen, das Maschinenhaus
sowie die benötigten Kabel und das Umspannwerk problemlos zwischengelagert werden
können, bevor sie an den Aufstellungsort transportiert werden. Dabei wird i. Allg. eine
möglichst weitgehende Vormontage der einzelnen Komponenten der Windkraftanlage an
Land realisiert, um Montagearbeiten auf See möglichst weitgehend zu minimieren.
Der Transport der segmentierten Windkraftanlagenkomponenten zum Standort des
Windparks auf hoher See kann mittels Hubplattformen mit Großkränen – sogenannten
Jack-up Barges – oder mit Kranschiffen (d. h. Schwimmkränen) realisiert werden. Erstere
können durch ihre bis zu 80 m langen ausfahrbaren Beine auf dem Meeresboden aufge-
stellt werden (Abb. 6.43). Dadurch wird der Schwimmkörper der Jack-up Barge über die
Wasseroberfläche angehoben und ist damit nicht mehr den Wellen ausgesetzt. Somit wird
beispielsweise ein sicheres Rammen der Pfähle sowie ein Installieren der verschiedenen
Anlagenkomponenten ermöglicht. Problematisch in Bezug auf die Witterungsbedingun-
gen ist i. Allg. der Transport der Jack-up Barge an den potenziellen Errichtungsstandort,
da ein Umsetzen und ein Ausfahren der Beine aus Sicherheitsgründen bei höchstens 1,5
bis 2 m Wellenhöhe realisiert werden kann. Sind die Beine jedoch ausgefahren und ist
der Schwimmkörper über die Wasseroberfläche angehoben, ist der Seegang kaum noch
limitierend.
Zusätzlich ist die Windgeschwindigkeit für Hebearbeiten – wie auch bei einer Aufstel-
lung an Land – bestimmend; für die Errichtung der Türme liegt die Grenze bei rund 10 m/s
und die des Rotors sowie der Blätter bei ca. 8 m/s. Im Allgemeinen gilt, dass Arbeiten im
Zusammenhang mit dem Meeresuntergrund durch die Wellenhöhe und dass Hebearbeiten
über der Wasseroberfläche durch die Windgeschwindigkeit beschränkt werden.
Die einzelnen Schritte zur Errichtung einer Windenergieanlage vor der Küste sind in
Abb. 6.40 exemplarisch für die Montage mit einer Tripile- sowie einer Monopile-Grün-
dungstruktur dargestellt. Demnach werden nach der Aufstellung der Jack-up Barge die
Gründungspfähle – mit einem hydraulisch angetriebenen Großhammer – in den Meeres-
grund gerammt. Die Anzahl der Schläge variiert – je nach Pfahldurchmesser und -anzahl
– zwischen 3 000 und 5 000. Insgesamt werden – je nach den Untergrundgegebenheiten –
derartige Gründungspfähle bis zu 40 m in den Meeresuntergrund verankert. Wird ein Tri-
pile und kein Monopile installiert, wird nach dem Rammen der drei Pfähle das Stützkreuz
– d. h. der Tripile – auf diese Gründungspfähle gesetzt. Bei der Monopile-Gründung wird
nach dem Rammen des eigentlichen Monopiles das Transition Piece auf diesen Einpfahl
aufgesetzt und justiert; dies ist in Abb. 6.40 nicht dargestellt.
Die Errichtung eines Jackets ist im Vergleich dazu etwas aufwändiger und variiert je
nach Installationskonzept. Hier wird zuerst die Jacketstruktur auf dem Meeresgrund ab-
528 M. Kaltschmitt et al.
gesetzt und entsprechend der lokalen Gegebenheiten ausgerichtet. Erst danach werden die
Gründungspfähle durch die Pfahlhülse in den Meeresuntergrund gerammt (sogenanntes
Post-Piling). Im Anschluss daran werden die Pfähle mit den Pfahlhülsen entweder durch
Spezialbeton („Grout“) oder durch ein sogenanntes „Swaging“ verbunden. Eine Alterna-
tive dazu wäre es, zuerst die Pfähle zu rammen und anschließend das Jacket aufzusetzen
(sogenanntes Pre-Piling) [6.9, 6.21].
Ist das jeweilige Fundament fest im Boden verankert, wird zunächst der aus mehreren
Teilen bestehende Turm sukzessive errichtet. Danach wird das Maschinenhaus auf der
Turmspitze installiert. Nun wird der Rotor entweder als ganzer Rotorstern (Abb. 6.40)
oder die Rotornabe nach Präferenz mit vorerst einem oder zwei Blättern und anschließend
den restlichen Rotorblättern angeflanscht.
Vergleichbar dazu ist auch die Installation von Schwerkraftfundamenten (Abb. 6.41).
Parallel zur Herstellung dieser Fundamente muss der potenzielle Anlagenstandort vor-
bereitet werden, damit das Schwerkraftfundament dann möglichst passgenau auf dem
Meeresboden platziert werden kann. Danach wird es beispielsweise mit Steinen beschwert
und der Kabelanschluss an den Windpark bzw. den nächsten Netzknoten realisiert. Paral-
lel dazu wird dann die Windkraftanlage – vergleichbar zu der Installation auf einem Jacket
oder einem Monopile – auf dem Fundament mithilfe beispielsweise einer Jack-up Barge
errichtet. Final wird der Kolkschutz aufgebracht und die Anlage in Betrieb genommen.
6 Stromerzeugung aus Windenergie 529
Kabelverlegeschiff Begleitschiff
Kabeltrommel
Seekabel
Spülschlitten Verlegerichtung
Abb. 6.42 Installation von Seekabeln zum Anschluss von Offshore-Windkraftanlagen an das Netz
Parallel zu der Installation der Fundamente und der Anlagen werden die Verkabe-
lung innerhalb des Windparks sowie die Verbindung zum Offshore-Umspannwerk und
deren Verbindung zum Onshore-Umspannwerk mit Hilfe von Kabelverlegschiffen sowie
Tauchrobotern vorgenommen. Abb. 6.42 zeigt die dabei realisierte grundsätzliche Vorge-
hensweise.
Bei der Offshore-Kabelverlegung hängt die anzuwendende Methode stark von der je-
weiligen Beschaffenheit des Bodens ab. Entsprechend fallen die angewendeten Methoden
bei einem rein sandigen Boden im Vergleich zu einem schlammigen Meeresboden oder
530 M. Kaltschmitt et al.
einem Boden mit viel Geröll und Steinen unterschiedlich aus. Die heute angewendeten
Methoden der Kabelverlegung sind: Vorverlegen der Kabel mit anschließender Vergra-
bung, eine simultane Verlegung und Vergrabung oder die Hebung eines Grabens im Voraus
mit anschließender Kabellegung.
Der anschließende Inbetriebnahme setzt sich – wie bei Onshore-Anlagen – aus der
Montage- und Funktionsprüfung, dem Probebetrieb, der unabhängigen technischen Be-
gutachtung sowie der Abnahme und Übergabe zusammen [6.8].
Betrieb und Instandhaltung Damit die einzelnen Anlagen eines Windparks im Laufe
der rund 20 bis 25-jährigen Laufzeit (d. h. technische Lebensdauer) Strom ohne signifi-
kante störungsbedingte Unterbrechungen erzeugen können, ist eine regelmäßige Wartung
sowie die Instandsetzung auftretender Fehler und Defekte zwingend notwendig.
Die Stromerzeugung einer Windkraftanlage kann anhand der Ressource Wind – die
in menschlichen Dimensionen gemessen als unbeeinflussbar gilt – und der technischen
Verfügbarkeit der Anlage – die sehr wohl anthropogen kurzfristig beeinflusst werden kann
– bestimmt werden. Die „technische Verfügbarkeit“ wird – sowohl bei einer On- als auch
einer Offshore-Installation – über das Verhältnis der aufsummierten Zeit mit operativer
Funktionsfähigkeit der Anlage zu einer entsprechend festzulegenden Nennzeit (meist ein
Jahr) definiert. Sie gilt damit als eine Messgröße für die technisch bedingten Ausfallzeiten
von Windenergieanlagen.
Die technische Verfügbarkeit ist somit eine durch den Betrieb und die Instandhaltung
beeinflussbare Kenngröße. Sie wird nachfolgend anhand ihrer wesentlichen Einflussfak-
toren erläutert.
Wartungs- und Servicefreundlichkeit Eine effektive und schnelle Wartung kann Schäden
vorbeugen und somit die technische Verfügbarkeit beeinflussen. Unter der Wartung wer-
den dabei Maßnahmen verstanden, welche den Sollzustand bewahren bzw. die technische
6 Stromerzeugung aus Windenergie 531
Abnutzung hemmen. Zu diesen Maßnahmen gehören i. Allg. das Reinigen, das Schmieren
sowie das Einstellen und das Justieren der Komponenten, die Überholung von Hauptkom-
ponenten und das Ersetzen verschlissener Teile. Deshalb werden Wartungsarbeiten sowie
eine umfassende Inspektion – je nach den Vorgaben des Anlagenherstellers bzw. den ver-
traglichen Vereinbarungen im jeweiligen Betriebsführungs- und / oder Wartungsvertrag –
halbjährlich oder jährlich durchgeführt.
Um aufgrund der schwierigen Zugänglichkeit die Wartungsintervalle für auf hoher See
installierte Anlagen tendenziell zu erweitern, muss die Lebensdauer von Verschleißteilen
(z. B. die Bürsten im Generator) verlängert und beispielsweise Filteranlagen, Schmier-
und Hydrauliksysteme wartungsärmer ausgelegt werden, als es beispielsweise an Land
der Fall ist. Hier können einfachere Wartungsabläufe und ein Materiallager im Turm mit
Ersatzteilen und Werkzeugen die Wartungs- und Serviceeinsätze verkürzen und somit zu
geringeren Zeitspannen des Stillstands im Wartungsfall führen. Perspektivisch könnten
auch Systeme für eine automatisierte Wartung bestimmter Standardkomponenten (z. B.
Öl-, Bürsten- und Filterwechsel) entwickelt und installiert werden.
Instandsetzbarkeit Maßnahmen (z. B. das Ausbessern oder das Austauschen), die nach ei-
nem Schaden den Ausgangszustand wiederherstellen, beschreibt man mit der Instandsetz-
barkeit. Sie wird beispielsweise durch die für die Reparatur erforderliche Stundenanzahl
quantifiziert.
Zur Durchführung vieler Instandsetzungsmaßnahmen sind Windenergieanlagen im
Multi-Megawatt-Bereich mit einem Kran in der Gondel ausgestattet. Solche Kräne haben
eine Tragkraft von bis zu 3,5 t und mehr. Damit lassen sich die meisten Komponenten
der Anlage aus bzw. in die Gondel der Windkraftanlage bewegen; kostenintensive externe
Hebezeuge werden deshalb i. Allg. nicht benötigt [6.9]. Für einige große Komponenten
(z. B. Getriebe, Generator, Rotorblätter) sind dennoch externe Großkräne erforderlich.
Offshore handelt es sich dabei um Spezialschiffe, die u. a. auch für die Installation von
Windenergieanlagen verwendet werden. Sie müssen bestimmten Anforderungen wie
Hubhöhe, Hebelasten, Transportkapazität und Transportgeschwindigkeit erfüllen [6.22].
Eine verfügbare Variante derartiger Spezialschiffe ist ein Schwimmkran, der durch eine
hohe Hubkraft und gleichzeitig aber auch eine hohe Wellenempfindlichkeit gekennzeich-
net ist (Abb. 6.43, rechts). Eine weitere Option ist die Hubplattform (Jack-up Barge), die
durch ihre ausfahrbaren Beine weniger anfällig bezüglich des Seegangs ist (Abb. 6.43,
links); diese Variante kann auch als Jack-up Schiff ausgeführt werden (Abb. 6.43, Mitte).
Schwimmkran und Hubplattform können entweder über einen eigenen Antrieb verfügen
oder müssen durch einen Schlepper verlegt werden; Anfahrt und Positionswechsel sind
damit – auch aufgrund der i. Allg. geringen Schleppergeschwindigkeit – zeitaufwändig
und damit teuer.
Eine Alternative dazu ist ein mobiler „add on crane“, der von dem im Maschinenhaus
der Windkraftanlage fest montierten Kran geringer Traglast oder einer Seilwinde hochge-
zogen und anschließend dort zusammengebaut und montiert wird.
532 M. Kaltschmitt et al.
Abb. 6.43 Schematische Darstellung einer Jack-up Barge (links), eines Jack-up Schiffs (Mitte) und
eines Schwimmkrans (rechts)
Die Instandsetzungsdauer hängt neben der Reparaturdauer und der Zeit für die Er-
satzteilbeschaffung – vor allem Offshore – stark von der Wahl und Verfügbarkeit der
Transportmittel und den Witterungsbedingungen ab.
Der Überstieg mit Hilfe des Boatlanding ist das am meisten genutzte Verfahren, um
Personal auf die Offshore-Windenergieanlage überzusetzen. Hierbei drückt das Ser-
viceboot durch Vorwärtsschub mit dem mit Gummipuffern (Federn) verstärkten Bug
gegen zwei vertikale Rohre des Bootanlegers oder eine andere angepasste Struktur an
der Anlage. Während das Boot in Position gehalten wird, steigen die Techniker über
eine Treppe oder Leiter auf die im Meeresuntergrund verankerte Anlagenstruktur. Das
benötigte Werkzeug wird über einen Kran überführt, der beispielsweise am Transition
Piece angebracht werden kann. Hauptanforderung an die hierbei eingesetzten Service-
boote sind hohe Geschwindigkeiten, geringe Anschaffungs- und Unterhaltungskosten
6 Stromerzeugung aus Windenergie 533
sowie eine gute Stabilität auch bei bewegter See, um einen sicheren Übergang zu ge-
währleisten. Die einzelnen derzeit diskutierten Serviceschiffstypen unterscheiden sich
hauptsächlich durch ihre Rumpfkonzepte (Abb. 6.44).
– Monohulls (Einrumpfschiffe) sind bisher am meisten verbreitet. Durch ihren großen
Tiefgang bieten sie einen relativ hohen Wellenwiderstand. Daraus resultieren zwar
niedrigere Reisegeschwindigkeiten, aber gute Möglichkeiten für eine hohe Zula-
dung. Beschränkungen der signifikanten Wellenhöhe für Einrumpfkonzepte liegen
bei ca. 1 bis 1,5 m.
– Katamarane haben im Vergleich zu Monohulls einen geringeren Tiefgang und ein
rechteckiges Deck. Dies bietet mehr Platz für Zuladungen und Aufenthaltsräume.
Die zwei kleineren Rümpfe ermöglichen eine höhere Reisegeschwindigkeit und eine
geringere Anfälligkeit hinsichtlich Bewegungen um die Querachse. Dadurch ist eine
Zugänglichkeit bis etwa 2 m signifikanter Wellenhöhe gegeben.
– SWATH-Schiffe (small waterplane area twin hull) sind eine Weiterentwicklung des
Zweirumpfkonzeptes. Durch zwei torpedoförmige Schwimmkörper werden verbes-
serte Manövrier- und Fahreigenschaften bei rauer See erreicht. Diese Rumpfform
kann helfen, die Bewegungen des Bootes bei einem hohen Wellengang um vier
Fünftel im Vergleich zu den Monohulls zu reduzieren. Dadurch erhöht sich die To-
leranz hinsichtlich der signifikanten Wellenhöhe auf 2 bis 2,5 m [6.22].
Der Personentransport kann auch über Versorger (die zum Transport von kleinen
bis mittelgroßen Ersatzteilen eingesetzt werden) und Krananlagen bzw. Kranschiffen
(Transport von Großkomponenten) durchgeführt werden.
Gangway Docking-Systeme ermöglichen auch bei größeren Wellenhöhen (2 oder
2,5 m) einen Überstieg. Der Personenübergang ist hier beispielsweise mittels einem
auf dem Boot installierten Laufsteg (Gangway) möglich, die z. T. mit hydraulisch
wellenkompensierenden Systemen ausgestattet sind. Derartige Gangway Docking-
Systeme vermeiden den direkten Kontakt zwischen Schiff und Anlagenstruktur und
stellen quasi eine Brücke dar. Vergleichbar dazu sind Roboter-Systeme, wie sie derzeit
in der Entwicklung sind, bei denen mittels eines Roboterarms ein Mannkorb vom
Schiff aus an die Anlage herangeführt wird.
534 M. Kaltschmitt et al.
Durch das Herunterseilen (Winschen) der Techniker von einem Helikopter auf eine auf
dem Maschinenhaus der Windkraftanlage montierte Hubschrauberabseilplattform aus
etwa 10 m Höhe kann der Seeweg in kürzester Zeit überbrückt werden. Dadurch ist
eine sehr hohe Zugänglichkeit erreichbar. Jedoch ist diese Option mit hohen Kosten
und einem Sicherheitsrisiko für die Techniker – u. a. aufgrund der Nähe zu den Rotor-
blättern – verbunden. Auch können Werkzeug oder anderes schweres Equipment nicht
bzw. nur sehr begrenzt mitgeführt werden.
ausgeschöpft. Das vorzeitige Wissen über den Zustand einzelner Komponenten und die
Planung von Einsätzen ermöglicht eine effizientere Gestaltung der Instandhaltung in Be-
zug auf Verfügbarkeit der Transportmittel und Kräne, wetterbedingte Wartezeiten sowie
die Ersatzteilbeschaffung. Hierfür werden Condition Monitoring Systeme (CMS) – die an
Überwachungspunkten vom Triebstrang, Hauptlager, Generator, Turm und Rotorblättern
angebracht werden können – eingesetzt.
Netz
Kinetische Mechanische Mechanische Elektrische Energie
Energie des Energie im Energie an der im Generator bzw.
Windes Rotor Welle Netz
536 M. Kaltschmitt et al.
jedoch auch eine indirekte Netzkopplung über einen Gleichstromzwischenkreis oder ei-
nen Direktumrichter möglich, dem dann ggf. noch ein Transformator nachgeschaltet sein
kann.
Abb. 6.46 Energiefluss einer Windkraftanlage (Verlustangaben beziehen sich auf den Auslegungs-
punkt; bei Teillast können sie auch höher sein; nach [6.1])
6 Stromerzeugung aus Windenergie 537
Die aerodynamischen Verluste ergeben sich u. a. aufgrund der innerhalb der gesamten
vom Rotor überstrichenen Fläche nie optimalen Flügelform; sie sind im realen Leis-
tungsbeiwert enthalten (d. h. der Anteil der im Luftstrom enthaltenen Leistung, der
unter Berücksichtigung des idealen Leistungsbeiwertes und der gegebenen Verluste
von der Windkraftanlage dem Wind entzogen werden kann). Der Leistungsbeiwert ist
im Wesentlichen von der Anzahl und der Form der Rotorblätter (und damit der Schnell-
laufzahl) abhängig und somit bei verschiedenen Rotorbauarten z. T. sehr unterschied-
lich. In Abb. 6.47 ist deshalb der Leistungsbeiwert cp gegen die Schnelllaufzahl (d. h.
das Verhältnis der Rotorblatt-Spitzengeschwindigkeit zur aktuellen Windgeschwindig-
keit) aufgetragen. Daraus ergeben sich die dargestellten typischen cp ()-Kennlinien
von Windrotoren unterschiedlicher Bauarten. Hierbei wesentliche Parameter sind u. a.
die Anzahl der Rotorblätter, die aerodynamischen Profileigenschaften und der Verwin-
dungslauf der Rotorblätter [6.4, 6.5, 6.8].
In Abb. 6.47 werden auch die großen Unterschiede bei den Leistungsbeiwerten der
dargestellten Rotorbauarten deutlich. Diese Unterschiede zwischen dem maximalen
Leistungsbeiwert nach Betz cp;Betz und dem maximalen Leistungsbeiwert eines idea-
len Windrades cp;Schmitz ergeben sich im Wesentlichen aus den Drallverlusten (Kapi-
tel 6.1). Erst danach kommen zusätzlich die jeweils spezifischen Verlustmechanismen
der verschiedenen Rotorbauarten zum Tragen. Insbesondere werden in Abb. 6.47 da-
her auch die Vorteile der Schnellläufer (d. h. Windkraftanlagen mit hohen Drehzahlen
und wenigen Rotorblättern; z. B. Zwei- oder Dreiblattrotoren) im Vergleich zu den
Langsamläufern mit wesentlich höheren Verlusten deutlich (d. h. Anlagen mit geringen
Drehzahlen und hoher Blattzahl; z. B. Holländer-Windmühlen, amerikanische Wes-
ternrotoren). Günstig wirkt sich bei schnelllaufenden Anlagen die jeweils maximal
erreichbare Höhe des Leistungsbeiwertes aus, der bestenfalls bei knapp 50 % liegen
cp,Betz
Rotorleistungsbeiwert cp
cp,Schmitz
Schnelllaufzahl λ
Windgeschwindigkeit in m/s
Phase III Aufgrund der Leistungsbeschränkung des Generators infolge der jeweiligen
Anlagenauslegung darf die vom Rotor einer Windkraftanlage aufgenommene Leistung
in einem längeren Zeitraum nicht die installierte Generatornennleistung übersteigen.
Deshalb muss bei einem über der Nennwindgeschwindigkeit und unterhalb der Ab-
schaltwindgeschwindigkeit der Windkraftanlage liegenden Windenergieangebot, das
theoretisch eine über die installierte Generatornennleistung hinausgehende Energieauf-
nahme erlauben würde, die Leistungsaufnahme der Windkraftanlage aus dem Wind durch
technische Maßnahmen begrenzt werden. Deshalb wird durch eine entsprechende Rege-
lung (heute: Pitch-Regelung; d. h. aktives Verdrehen der Rotorblätter) sichergestellt, dass
höchstens die installierte Generatornennleistung von der Rotorachse an den Generator ab-
gegeben wird. In diesem Windgeschwindigkeitsbereich entspricht somit die abgegebene
elektrische Leistung näherungsweise der installierten Generatornennleistung. Die Ab-
schaltwindgeschwindigkeit, die diese Betriebsphase zu höheren Windgeschwindigkeiten
hin begrenzt, liegt bei etwa 24 bis 30 m/s.
Die Minimierung der Energieverluste durch die a priori begrenzte Generatornennleis-
tung ist ein wesentliches Auslegungskriterium für eine Windenergieanlage. Dazu muss
der Rotordurchmesser an die Nennleistung des Generators angepasst werden. Wird bei-
spielsweise die Nennleistung des Generators sehr hoch gewählt und die Anlage im Bin-
nenland mit i. Allg. selten vorkommenden hohen mittleren Windgeschwindigkeiten einge-
540 M. Kaltschmitt et al.
setzt, kann der zusätzliche Energiegewinn den erhöhten Aufwand für den Generator und
den Triebstrang meist nicht kompensieren. Wird dagegen der Generator zu klein ausge-
legt und die Windenergieanlage an der Küste mit hohen mittleren Windgeschwindigkeiten
betrieben, überwiegen im Regelfall die energetischen Verluste (d. h. die nicht erzeugbare
elektrische Energie) im Vergleich zu dem dann reduzierten technischen Aufwand. Damit
sollte der Rotordurchmesser und die Nennleistung der Windenergieanlage abhängig vom
jeweiligen Einsatzgebiet der Anlage aufeinander angepasst werden; dies spiegelt auch die
derzeitige Marktentwicklung wider; derzeit werden auf Binnenland- und Küstenstandor-
te angepasste Windkraftanlagen angeboten. Daher variiert die spezifische Nennleistung
(d. h. die Nennleistung bezogen auf die Rotorfläche) marktgängiger Anlagen zwischen
200 und 600 W/m2 . Anlagen, deren Absatzpotenzial primär im Binnenland liegt, haben
Werte von 350 W/m2 und darunter. Demgegenüber sind hohe Werte von über 400 W/m2
charakteristisch für Anlagen, die bevorzugt an Standorten mit einer hohen jahresmittleren
Windgeschwindigkeit eingesetzt werden, wie sie beispielsweise an besonders windreichen
Küsten- oder an Offshore-Standorten vorkommen können.
Energieertrag Ausgehend von einer derartigen Leistungskennlinie (Abb. 6.48) kann die
mit einer Windkraftanlage innerhalb einer bestimmten Zeitspanne zur Verfügung gestell-
te elektrische Energie (Abb. 6.49) dann bestimmt werden, wenn von dem potenziellen
Standort die entsprechende Häufigkeitsverteilung der Windgeschwindigkeit (Kapitel 2.4;
Abb. 2.62 und 2.63) bekannt ist. Eine solche Häufigkeitsverteilung beschreibt die Wahr-
6 Stromerzeugung aus Windenergie 541
Energieertrag
b
Auftrittswahrscheinlichkeit
a Leistung
Windgesch
windigkeit
Windgesch
windigkeit
Windgesch
windigkeit
Abb. 6.49 Ermittlung des Energieertrags (c) für einen bestimmten Zeitraum aus der Häufig-
keitsverteilung der Windgeschwindigkeit (a; vgl. Abb. 2.63) und der Leistungskennlinie (b; vgl.
Abb. 6.48) (nach [6.4])
scheinlichkeit, mit der eine bestimmte Windgeschwindigkeit bzw. ein definiertes Windge-
schwindigkeitsintervall innerhalb einer festgelegten Zeitspanne auftritt.
Der elektrische Energieertrag einer Windkraftanlage EWKA kann damit nach Glei-
chung (6.27) berechnet werden. hi ist dabei die Auftrittswahrscheinlichkeit des Windes
innerhalb eines bestimmten Geschwindigkeitsintervalls i im Verlauf der untersuchten
Zeitspanne t. Pel;i beschreibt die diesem definierten Windgeschwindigkeitsintervall i
entsprechend der Leistungskennlinie zuzuordnende elektrische Leistung. Der gesamte
Energieertrag bestimmt sich damit durch eine Addition des jeweiligen intervallspezi-
fischen Produktes aus Windangebot und korrespondierender Leistung innerhalb einer
bestimmten Zeitspanne im Verlauf sämtlicher betrachteter Windgeschwindigkeitsinter-
valle.
X
n
EWKA D hi Pel;i t (6.27)
i D1
Der potenzielle Energieertrag einer Windkraftanlage kann auch durch den sogenann-
ten Kapazitätsfaktor K F beschrieben werden. Er ist definiert als der elektrische Jahres-
energieertrag EWKA bezogen auf die installierte elektrische Nennleistung Pel;n und den
Betrachtungszeitraum tB (z. B. 8 760 h bzw. ein Jahr) nach Gleichung (6.28). Derartige
Kapazitätsfaktoren können durch Multiplikation mit dem Betrachtungszeitraum in die
Volllaststunden der jeweiligen Windkraftanlage überführt werden.
EWKA
KF D (6.28)
Pel;n tB
542 M. Kaltschmitt et al.
Onshore-Windenergieanlagen waren innerhalb der letzten vier Jahrzehnte aus Sicht der
installierten elektrischen Anlagenleistung durch eine beachtliche Entwicklung gekenn-
zeichnet. Lag die installierte elektrische Leistung in den 1980er Jahren noch im unteren
zweistelligen kW-Bereich, sind derzeit erste Anlagen an vielversprechenden Onshore-
Standorten in Betrieb, die den oberen einstelligen MW-Bereich abdecken (Abb. 6.50).
Demgegenüber geht bei den Offshore-Windenergieanlagen, deren Entwicklung sich – be-
dingt durch die anspruchsvollen Umweltbedingungen auf dem offenen Meer – erst in den
letzten beiden Jahrzehnten etwas von der der Onshore-Anlagen abkoppelt hat, die Tendenz
klar hin zu Anlagen mit Leistungen im unteren zweistelligen MW-Bereich. Hinzu kommt,
dass im Laufe dieser technischen Entwicklung die Windkraftanlagentechnik professiona-
lisiert und technisch immer weiter perfektioniert wurde; auch wurde die Netzkopplung
deutlich verbessert und der Wirkungsgrad der Anlagen maximiert. Diese Entwicklung hat
entsprechende ökonomische und ökologische Konsequenzen, die anhand definierter heute
marktgängiger Referenzanlagen für den On- und Offshore-Einsatz nachfolgend untersucht
werden.
Rotordurchmesser
Nabenhöhe
1980 1990 1995 2000 2005 2008 2011 2013 2017 2017 2019a
Nennleistung in kW 30 250 600 1 500 3 000 6 000 7 500 7 800 7 850 7 850 11 000
Rotordurchmesser in m 15 30 46 70 90 126 126 113 180 180 193
Nabenhöhe in m 30 50 78 100 105 135 160 149 177 177 100
Stromproduktion in MWh/a 35 95 1 250 3 500 6 900 20 000 28 500 28 900 31 400 31 400 44 000
Abb. 6.50 Entwicklung der Windenergieanlagen (jeweils das Jahr der Errichtung eines Prototyps
bzw. der Marktverfügbarkeit; a nur für den Offshore-Einsatz konzipiert; aktualisiert nach [6.23, 6.24,
6.43])
6 Stromerzeugung aus Windenergie 543
6.3.1 Referenzanlagen
Die heute für die Stromerzeugung eingesetzten Windkraftanlagen ähneln sich stark hin-
sichtlich ihrer Ausführungsform; praktisch dominieren derzeit ausnahmslos netzgekop-
pelte Dreiblattrotoren mit Rotorblättern aus Glasfaser- und z. T. auch Kohlenstofffaser-
verstärktem Kunststoff (GFK und CFK) mit Stahlrohrtürmen den Markt. Diese marktgän-
gigen Anlagen unterscheiden sich hauptsächlich in der jeweils installierten elektrischen
Leistung. Vor diesem Hintergrund werden für die weiteren Untersuchungen jeweils drei
auf dem Festland betriebene Windkraftanlagen (d. h. Onshore-Aufstellung) unterschied-
licher Leistung (3,5, 4,5 und 5,5 MW) und drei vor der Küste betriebene Anlagen (d. h.
Offshore-Aufstellung) unterschiedlicher Leistung (6, 8 und 10 MW) definiert, die dann
den folgenden Analysen zugrunde gelegt werden. Diese Windkraftanlagen werden in ei-
nem Windpark mittlerer Größe installiert; für eine Onshore-Aufstellung wird dabei eine
Parkgröße von 5 Anlagen und für eine Offshore-Aufstellung von 50 Anlagen unterstellt.
Bei der Herstellung der Windkraftanlagen wird von einer Serienfertigung ausgegangen,
mit der Anlagen mit einem „klassischen“ Triebstrang mit Getriebe und Asynchrongene-
rator produziert werden. Die Anlagen werden, im Falle einer Onshore-Aufstellung, auf
normal tragfähigem Boden errichtet; unter diesen Bedingungen sind Flachfundamente
für einen sicheren Anlagenbetrieb ausreichend. Für eine Offshore-Aufstellung wird als
Gründungsstruktur bei allen drei Anlagenklassen ein Monopile-Fundament unterstellt und
eine Küstenentfernung von 50 km sowie eine mittlere Wassertiefe von 30 m angenom-
men. Die nachfolgend diskutierten Analysen basieren ausschließlich auf der Basis dieser
Annahmen und können bei der Auswahl anderer Materialien, unterschiedlicher Herstel-
lungsverfahren, variierender Anlagenkonzepte und / oder abweichender sonstiger Rand-
und Rahmenbedingungen durchaus auch erheblich anders ausfallen. Außerdem werden
die in Kapitel 1.3 und 1.4 definierten finanzmathematischen Rahmenannahmen auch hier
zugrunde gelegt.
Tabelle 6.5 zeigt die jeweiligen Kenngrößen für die unterstellten Onshore-Refe-
renzwindkraftanlagen. Demnach wird beispielsweise u. a. von einer technischen Verfüg-
barkeit der Anlagen von 98 % und einem Windparkwirkungsgrad von 93 % ausgegangen.
Darüber hinaus werden Übertragungsverluste für die Stromerzeugung von 3 % angenom-
men.
Neben der Anlagennennleistung hängt die Windstromerzeugung stark vom Windener-
gieangebot ab. Deshalb werden hier jeweils drei Referenzstandorte mit jahresmittleren
Windgeschwindigkeiten von 6,5, 7,5 und 8,5 m/s, bezogen auf eine Messhöhe von 100 m
über Grund, betrachtet. Diese jahresmittleren Windgeschwindigkeiten werden dann auf
die jeweilige Nabenhöhe extrapoliert.
In Deutschland spiegelt eine jahresmittlere Windgeschwindigkeit von 8,5 m/s (bezogen
auf 100 m über Grund) die Gegebenheiten an sehr guten Standorten an der Küste wieder.
Durchschnittliche Luftströmungsgeschwindigkeiten von 7,5 m/s (bezogen auf 100 m über
Grund) beschreiben gute Standorte, die sich in Deutschland ebenfalls in Küstennähe oder
544 M. Kaltschmitt et al.
Investitionen Die Investitionen setzen sich aus den Aufwendungen ab Werk, den Kos-
ten für Transport und Montage, für das Fundament und für die Netzanbindung sowie den
sonstigen Kosten (u. a. Planungskosten, Wegekosten, Betriebsgebäude) zusammen. Die
Kostenstruktur wird dabei entscheidend von der Größe der Anlage sowie den örtlichen
Gegebenheiten (mit-)bestimmt. Die jeweils ansetzbaren Kosten liegen derzeit in den in
Tabelle 6.7 und 6.8 illustrierten Größenordnungen. Die Investitionen werden dabei aus-
gehend von einem repräsentativen Marktquerschnitt für Windparkkosten bezogen auf die
jeweils in Tabelle 6.5 und 6.6 festgelegten Referenzanlagen abgeschätzt.
Onshore-Windparks mit Anlagen mit einer installierten Leistung von 3,5 MW weisen
demnach im Mittel Gesamtkosten (d. h. Anlagenkosten einschließlich Netzanbindung,
Anlageninstallation und Sonstiges) von 4,1 Mio. C (1 173 C/kW) auf; davon entfallen
mehr als drei Viertel auf die eigentliche Windkraftanlage und der verbleibende Rest auf
die sonstigen Aufwendungen. Bei einer Anlage der 4,5 MW-Klasse liegen die Gesamt-
kosten bei rund 5,8 Mio. C (1 286 C/kW); auch hier stammt mit einem Anteil von mehr
als drei Viertel der größte Teil der Kosten aus der eigentlichen Windkraftanlage (im We-
546 M. Kaltschmitt et al.
sentlichen Turm, Gondel und Rotor). Bei der Anlage mit 5,5 MW installierter elektrischer
Leistung liegen die Gesamtinvestitionen bei ungefähr 7,1 Mio. C (1 295 C/kW).
Die Investitionsnebenkosten beinhalten die Aufwendungen für die Netzanbindung, das
Fundament sowie für Erschließung und Planung (d. h. Sonstiges). Derartige Aufwendun-
gen variieren naturgemäß stark je nach Art des Projekts (Anlagenanzahl, -größe) und
insbesondere den örtlichen Gegebenheiten. Die Netzanbindungskosten stellen dabei in der
6 Stromerzeugung aus Windenergie 547
Regel die größte Kostenposition dar; durch eine zunehmende Anlagengröße und -anzahl
entsteht dabei typischerweise ein größerer Aufwand – für u. a. den Bau eines Umspann-
werks und die Ankopplung an eine höhere Spannungsebene – im Vergleich zu kleineren
Anlagen. Insgesamt liegen die Netzanbindungskosten heute i. Allg. zwischen 5 und 10 %
der Anlagenkosten. Die Aufwendungen für die Fundamente betragen ca. 6 %, die der Er-
schließung ca. 3 bis 6 % und die der Planung ca. 2 bis 4 % der Anlagenkosten. Sonstige
Kosten belaufen sich auf 6 bis 9 % der Investitionen für eine Windkraftanlage. Insgesamt
liegen die Anlagenkosten für Onshore-Windkraftanlagen in einer Spannbreite von 75 bis
85 % bezogen auf die gesamten Investitionen.
Bei Offshore-Windparks sind Kosten für Gründung, Netzanbindung und Installation
deutlich höher. Zwar haben die Anlageninvestitionen immer noch den größten Anteil
mit rund der Hälfte der gesamten Investitionen. Aber die Anteile der einzelnen Kos-
tenpositionen sind im Vergleich zu einer Onshore-Aufstellung merklich ausgeglichener
(Tabelle 6.8). Die Höhe der Kosten werden zusätzlich in einem hohen Maße von der
Bodenbeschaffenheit, der Wassertiefe, der Entfernung zur Küste, geeigneten Transport-
mitteln sowie der an den entsprechenden Häfen benötigten Infrastruktur bestimmt.
Die Netzanbindungskosten liegen zwischen 10 bis 15 % der Gesamtkosten und wer-
den über die Investitionen für einen Windpark auf die jeweiligen Anlagen umgerechnet.
Die Aufwendungen für die Gründung betragen ca. 20 % und die sonstigen Kosten für die
Erschließung, Planung und Installation belaufen sich auf ca. 15 % der Investitionen ei-
ner Offshore-Windkraftanlage. Die Gesamtinvestitionen pro kW installierter elektrischer
Leistung liegen bei Offshore-Windparks zwischen 2 300 und 2 800 C/kW.
Werden die Kosten der eigentlichen Windkraftanlage auf den m2 Rotorfläche bezogen,
zeigen kleinere, an Land aufgestellt Anlagen günstigere Werte im Vergleich zu vor der
Küste installierten Großanlagen. Anlagen an Land mit einer Leistung von 3,5 MW sind
beispielsweise durch Werte um die 300 C/m2 gekennzeichnet. Demgegenüber steigt diese
Kenngröße bei größeren Anlagen für den Offshore-Einsatz auf bis zu 900 C/m2 für die
8 MW-Klasse.
Abb. 6.51 zeigt eine zusammenfassende Darstellung der spezifischen Investitionen
der hier untersuchten Onshore- respektive Offshore-Referenzanlagen nach Tabelle 6.7
und 6.8. Deutlich wird auch hier die doch merkliche Dominanz der Investitionen für die
eigentlichen Windkraftkonverter, die letztlich für die Gesamtkosten eines Windparks –
und das insbesondere bei einer Offshore-Installation – bestimmend sind.
Betriebskosten Die Betriebskosten setzen sich u. a. aus den Aufwendungen für Pacht,
Versicherung, Wartung, Instandhaltung und Instandsetzung sowie für die technische Be-
triebsführung zusammen. Im letzten Jahrzehnt konnten aufgrund der gesammelten Be-
triebserfahrungen die durchschnittlichen jährlichen Betriebskosten deutlich reduziert wer-
den. Bezogen auf die Gesamtinvestitionssumme ist derzeit von Betriebskosten von 1 bis
2,5 % auszugehen. Dabei spielen diese Kosten insbesondere eines Offshore-Betriebs we-
gen der hohen Aufwendungen für die maritime Logistik, die Wartung und die Instandhal-
tung sowie zusätzlicher Wartezeiten aufgrund einer wetterseitig begrenzten Zugänglich-
548 M. Kaltschmitt et al.
2500 Windkraftanlage
Fundamente
Netzanbindung
2000 Sonstiges
Investitionen in €/kW
1500
1000
500
0
3,5 MW-Klasse 4,5 MW-Klasse 5,5 MW-Klasse 6 MW-Klasse 8 MW-Klasse 10 MW-Klasse
Onshore Onshore Onshore Offshore Offshore Offshore
Abb. 6.51 Spezifische Investitionen der in Tabelle 6.7 und 6.8 dargestellten Onshore- und Offshore-
Referenzanlagen
keit sowie hoher Versicherungsprämien eine erhebliche Rolle; deshalb sind sie auch bei
einer Offshore-Installation eher am oberen Ende der genannten Bandbreite anzusiedeln.
Auch sind sie nach wie vor durch große Unsicherheiten gekennzeichnet.
0,06
Mittlere Abschreibungsdauer (20 Jahre = 100 %)
Investitionen (5 786 k€ = 100 %)
Zinssatz (2 % Zinsen = 100 %)
Stromgestehungskosten in €/kWh
0,04
0,03
0,02
0,01
50 60 70 80 90 100 110 120 130 140 150
Parametervariation in %
0,1
Mittlere Abschreibungsdauer (25 Jahre = 100 %)
Investitionen (19 787 k€ = 100 %)
0,09 Zinssatz (2 % Zinsen = 100 %)
Stromgestehungskosten in €/kWh
0,07
0,06
0,05
0,04
0,03
0,02
50 60 70 80 90 100 110 120 130 140 150
Parametervariation in %
Neben den technischen und ökonomischen Gegebenheiten sind für eine Technik zur Ener-
giebereitstellung in zunehmendem Maße auch andere Kriterien bestimmend. Aufbauend
auf den in Kapitel 6.3.1 getroffenen Definitionen werden daher im Folgenden ökologi-
sche Effekte einer windtechnischen Stromerzeugung diskutiert. Dazu werden zunächst
Ökobilanzen für die drei definierten Anlagenklassen jeweils für einen On- und einen Off-
shore-Einsatz (Tabelle 6.5 und 6.6) und für alle drei untersuchten Standorte einschließlich
aller vorgelagerten Prozesse erstellt und diskutiert. Anschließend werden weitere Umwelt-
effekte der Stromerzeugung durch Windenergie diskutiert.
6.3.3.1 Lebenszyklusanalyse
Nachfolgend werden für die betrachteten Windkraftanlagen, die typisch für das derzeitige
Marktspektrum sind, die Energie- und Emissionsbilanzen im Rahmen einer Lebenszy-
klusanalyse bestimmt. Die Ökobilanzierung wird dabei ausschließlich für eine alleinige
Stromerzeugung aus Windkraft durchgeführt. Aufgrund der Vielzahl unterschiedlichster
Ausführungsformen von Windkraftanlagen, wie sie derzeit am Markt angeboten wer-
den, sowie der für jede Anlage spezifischen Randbedingungen sowohl in Bezug auf die
Herstellung als auch hinsichtlich des potenziellen Standorts und den dort vorliegenden
Gegebenheiten sind die nachfolgend dargestellten Bilanzergebnisse nur als mögliche –
realitätsnahe – Größenordnungen der tatsächlichen Gegebenheiten anzusehen. Im Einzel-
fall können die Ergebnisse aber trotzdem von den hier diskutierten sowohl zu größeren als
auch niedrigeren Werten abweichen; dies gilt auch bei der Unterstellung anderer System-
grenzen oder Betrachtungszeiträume.
Tabelle 6.9 zeigt für die in Tabelle 6.5 definierten Anlagen die Energie- und Emissi-
onsbilanzen einer Stromerzeugung aus Onshore-Windkraft und Tabelle 6.10 die Bilanzen
der in Tabelle 6.6 festgelegten Offshore-Windkraftanlagen. Aus der Vielzahl von mög-
licherweise freigesetzten Stoffen werden in Anlehnung an die bisherige Vorgehensweise
neben dem Verbrauch erschöpflicher Primärenergieträger nur die toxikologisch relevanten
Luftschadstoffe SO2 und NOx sowie – unter Klimaschutzaspekten – die CO2 -Äquivalent-
Emissionen und – unter dem Aspekt „Versauerung von Böden und Gewässern“ – die SO2 -
Äquivalent-Emissionen betrachtet. Die zugrundeliegende methodische Vorgehensweise
ist in Kapitel 1.3 dargestellt.
Nach den Tabellen 6.9 und 6.10 bewegt sich der kumulierte fossile Energieauf-
wand einer Windstromerzeugung für die hier untersuchten Anlagen zwischen 89 und
145 GJprim /GWh für die Onshore- und zwischen 136 und 190 GJprim /GWh für die Off-
shore-Anlagen. Unter den zugrunde gelegten Rahmenannahmen liegen die spezifischen
kumulierten SO2 -Emissionen zwischen 21 und 34 kg/GWh für die Onshore-Anlagen und
zwischen 44 und 63 kg/GWh für die Offshore-Windkraftanlagen. Die NOx -Emissionen
liegen zwischen 19 und 32 kg/GWh für eine Onshore- und zwischen 28 und 39 kg/GWh
für eine Offshore-Windkraftnutzung. An klimarelevanten Emissionen werden – ausge-
drückt in CO2 -Äquivalent-Emissionen – je GWh erzeugter elektrischer Energie Onshore
552 M. Kaltschmitt et al.
Tabelle 6.9 Energie- und Emissionsbilanzen einer windtechnischen Stromerzeugung für die in
Tabelle 6.5 definierten Onshore-Referenzanlagen
Nennleistung in kW 3 500 4 500 5 500
Windgeschw. in m/sa 6,5 7,5 8,5 6,5 7,5 8,5 6,5 7,5 8,5
Energie in GJprim /GWhb 145 117 100 130 105 90 132 105 89
SO2 in kg/GWh 34 27 23 31 25 21 31 25 21
NOx in kg/GWh 32 26 22 29 23 20 29 23 19
CO2 -Äq. in t/GWh 9 7 6 8 6 6 8 6 5
SO2 -Äq. in kg/GWh 63 51 44 57 46 39 58 46 39
a
bezogen auf 100 m Höhe über Grund für typische Standorte in Deutschland; b primärenergetisch
bewerteter kumulierter fossiler Energieaufwand (Verbrauch erschöpflicher Energieträger); Windge-
schw. Windgeschwindigkeit; Äq. Äquivalente.
Tabelle 6.10 Energie- und Emissionsbilanzen einer windtechnischen Stromerzeugung für die in
Tabelle 6.6 definierten Offshore-Referenzanlagen
Nennleistung in kW 6 000 8 000 10 000
Windgeschw. in m/sa 9,5 10,5 11,5 9,5 10,5 11,5 9,5 10,5 11,5
Energie in GJprim /GWhb 190 174 163 170 154 141 162 146 136
SO2 in kg/GWh 63 59 54 57 51 47 53 48 44
NOx in kg/GWh 39 36 34 34 31 28 33 30 28
CO2 -Äq. in t/GWh 14 13 12 13 12 11 13 11 11
SO2 -Äq. in kg/GWh 120 112 103 108 98 90 102 92 85
a
bezogen auf 100 m Höhe über dem Meeresspiegel für typische Standorte in Deutschland; b pri-
märenergetisch bewerteter kumulierter fossiler Energieaufwand (Verbrauch erschöpflicher Energie-
träger); Windgeschw. Windgeschwindigkeit; Äq. Äquivalente.
rund 5 bis 9 t (Offshore: 11 bis 14 t) und an Gasen mit versauernder Wirkung – umge-
rechnet in SO2 -Äquivalent-Emissionen – zwischen 39 und 63 kg/GWh (Offshore: 85 bis
120 kg/GWh) freigesetzt.
Der Anteil an den insgesamt freigesetzten CO2 -Äquivalent-Emissionen, welcher durch
die Produktion der einzelnen Komponenten der untersuchten Windkraftanlage sowie
durch den Betrieb und den Abriss verursacht werden, zeigt Abb. 6.54 exemplarisch an-
hand der definierten Referenzanlagen für die 3,5 MW-Klasse (Onshore-Aufstellung) und
die 6 MW-Klasse (Offshore-Aufstellung). Unter dem Begriff „Fundament“ werden dabei
hier neben den eigentlichen Aufwendungen für die Verankerung der Windkraftanlage
im Untergrund (u. a. Beton, Stahl, Aushub) auch der maschinentechnische Einsatz zur
Aufstellung des entsprechenden Konverters verstanden. Der Netzanschluss beinhaltet alle
elektrotechnischen Komponenten sowie alle anteiligen Aufwendungen für das Umspann-
werk – hierfür wird ausschließlich das Umspannwerk auf See betrachtet – zur Einbindung
der Windkraftanlage in das Netz der öffentlichen Versorgung.
Aus Abb. 6.54 wird deutlich, dass der Abriss einschließlich der Entsorgung der Wind-
kraftanlage mit unter 5 % kaum zu den kumulierten CO2 -Äquivalent-Emissionen beiträgt.
6 Stromerzeugung aus Windenergie 553
0
Onshore 3,5 MW-Klasse Offshore 6 MW-Klasse
Der Betrieb, der einen Anteil von rund 20 bis 30 % an den Gesamtemissionen einnimmt,
umfasst u. a. die Wartung und den Austausch defekter Komponenten (einschließlich der
benötigten (anteiligen) Transportmittel) sowie die im Verlauf der technischen Lebensdauer
eingesetzten Verbrauchsmittel. Klimagasemissionen, die durch die Netzanbindung verur-
sacht werden, übersteigen für Offshore-Windparks aufgrund der benötigten Seekabel und
des zusätzlich notwendigen Offshore-Umspannwerks das Vierfache der durch die Netz-
anbindung bedingten Klimagasemissionen im Onshore-Fall – ca. 20 % für den Offshore-
und rund 5 % für den Onshore-Fall. Dementsprechend stammt der größte Teil an klimare-
levanten Emissionen aus der eigentlichen Windkraftanlage; für die Onshore-Anlage liegt
dieser Wert bei ca. 64 % und für die Offshore-Anlage bei rund 56 % der insgesamt frei-
gesetzten Emissionen. Hiervon nehmen das Fundament und der Turm in der Summe ca.
42 % der klimarelevanten Emissionen bei der Onshore-Anlage und rund 28 % bei der Off-
shore-Anlage ein. Turbine- und Rotor-bedingte klimarelevante Emissionen liegen bei der
Onshore-Anlage bei 22 % und bei der Onshore-Anlage bei 27 %.
Hörschall Windkraftanlagen mit drehenden Rotoren sind Schallquellen. Der Schall be-
steht vorrangig aus aerodynamischem Lärm, der an den Rotorblättern entsteht, und aus
der Schallabstrahlung von Getriebe und Generator; hier wird der Schall ursächlich primär
durch Reibung verursacht.
Die Geräuschentwicklung letzterer Schallquelle kann und wird bei modernen Anlagen
durch eine konstruktive Trennung zwischen Getriebe und Generator einerseits und der
Gondel der Windkraftanlage andererseits deutlich reduziert. Dadurch wirkt die Gondel
nicht länger als Resonanzkörper und die Körperschallbelastung wird damit – im Vergleich
zu Anlagen, die Anfang der 1990er Jahre angeboten wurden – signifikant vermindert.
Aerodynamische Geräuschemissionen von Windkraftanlagen resultieren aus der Strö-
mung der bewegten Luftmassen um die Rotorblätter und aus dem Hindurchtreten des Ro-
torblatts durch den Turmstau; sie treten hauptsächlich bei mittleren und höheren Blattspit-
zengeschwindigkeiten auf. Für die Umwelt maßgeblich ist dabei meist nur die Geräusch-
entwicklung bei niedrigen und mittleren Windgeschwindigkeiten, da bei höheren Luft-
strömungsgeschwindigkeiten das natürliche Windgeräusch dominiert und die Geräusch-
entwicklung der Windkraftanlage i. Allg. übertönt. Dieser aerodynamisch erzeugte Schall
kann durch eine Schalloptimierung der Rotorblätter, der jeweiligen Rotorblattspitze und
des entsprechenden Anstellwinkels verringert werden. Insgesamt konnten durch diese und
weitere Maßnahmen die Geräuschemissionen um ca. 5 bis 10 dB(A) in den letzten Jah-
ren reduziert werden (u. a. [6.25]). Deshalb sind heute Windkraftanlagen nur noch bei
6 Stromerzeugung aus Windenergie 555
35 dB(A)
N 40 dB(A)
45 dB(A)
W O
Untere
Schattengrenze
bei höchstem Schattenbereich
Sonnenstand am 21. Juni Schallgrenzen
pegel von 45 dB(A) zu erwarten, der dann in einer Entfernung von 500 m bzw. 900 m auf
40 dB(A) bzw. 35 dB(A) abfällt; ersteres entspricht dem Schallpegel, der nach der TA
Lärm nachts in einem Dorf- und Mischgebiet maximal erreicht werden darf und letz-
teres dem Schallschutzpegel, der in einem reinen Wohngebiet nachts maximal zulässig
ist [6.62].
Da Schallemissionen Menschen schädigen können und deshalb gesetzlich bestimmte
maximale Schallemissionen festgelegt sind, stellen die von Windkraftanlagen ausge-
henden Schallemissionen einen wesentlichen Planungsfaktor dar. Beispielsweise ist es
durch eine günstige Anordnung der Windkraftanlagen und einer entsprechenden Anla-
genauswahl möglich, bei konstanter Stromerzeugung eine Schallpegelminderung von
ca. 10 dB(A) im Vergleich zu einem Fall ohne entsprechende Maßnahmen zu erreichen.
Von verschiedenen Menschen werden Geräuschen z. T. sehr unterschiedlich wahrge-
nommen. Es gibt Geräusche (z. B. von einem Rockkonzert), die ein bestimmte Person
kaum stören, aber für eine andere Person eine extreme Belästigung darstellen; dies ist
auch nicht zwingend nur von der Lautstärke der jeweiligen Geräusche abhängig (z. B.
tropfender Wasserhahn, Vogelgezwitscher an den frühen Morgenstunden). Häufig wird
die Störung durch bestimmte Geräusche auch durch die innere Einstellung und die aktuel-
le emotionale Verfassung beeinflusst. Entsprechend empfand die Mehrheit der in der Nähe
eines vorhandenen Windparks befragten Personen die Geräusche durch diesen Windpark
nicht als belästigend; die wurden wie Verkehrslärm wahrgenommen [6.63].
Für eine Offshore-Aufstellung von Windkraftanlagen sind im Vergleich zur Onshore-
Installation reduzierte Anforderungen an die Hörschallemissionen zu erwarten. Beispiels-
weise kann deshalb bei einer Anlagenaufstellung auf dem Meer eine Erhöhung der Ro-
tordrehzahl zugelassen werden; eine derartige Begrenzung der maximalen Rotordrehzahl
ist eine von vielen Maßnahmen zur Reduktion von Schallemissionen für Onshore-Anla-
gen. Diese Maßnahme kann sich wiederum aufgrund des verringerten Antriebsmoments
reduzierend auf die Massen im Turmkopf (d. h. Masse des Triebstrangs) auswirken. Dem-
gegenüber ist aber zu erwarten, dass die Köperschallübertragung, also die Übertragung
von Schwingungen der Windenergieanlage über den Turm und das Fundament auf das
Medium Wasser, im Unterschied zu einer Nutzung an Land, von erhöhter Relevanz sein
dürfte. Technische Maßnahmen, dies zu minimieren und damit zum Schutz der Meeresum-
welt beizutragen, sind beispielsweise eine weitergehende Körperschallentkopplung (z. B.
im Bereich zwischen Turm und Fundament).
Die Wahrnehmungsgrenze des Menschen liegt bei etwa 20 Hz; d. h. Menschen kön-
nen Infraschall nicht hören, da unser Gehör nicht dafür ausgelegt ist [6.26]. Betroffene,
die derartigem Infraschall ausgesetzt sind, berichten aber z. T. über ein Pulsieren oder ein
Druckgefühl auf dem Trommelfell und auch auf der Brust. Es deutet sich an, dass die
Wahrnehmung der tiefen Frequenzen offenbar bei einigen Personen von einem Hören zu
einem Fühlen übergeht; beschallte Personen klagen auch über Vibrationen, Erschütterun-
gen oder ein Unsicherheitsgefühl [6.65].
Messungen ergaben in einer Entfernung von 180 m für eine 3,2 MW Windkraftanlage
40 bis 60 dB(A). Wegen der im Rahmen der Baugenehmigung einzuhaltenden Abstände
infolge der Vorgaben der TA Lärm gehen damit keine wissenschaftlich eindeutig quanti-
fizierbaren Belastungen für den Menschen durch Infraschall aus. Auch die Tierwelt wird
– nach gegenwärtigem Kenntnisstand – durch Infraschall nur wenig belastet.
Gemessen wird der Schattenwurf damit durch die theoretisch maximal mögliche Ein-
wirkzeit (d. h. maximal mögliche Beschattungsdauer) und der realen Einwirkzeit (d. h.
meteorologisch wahrscheinliche Beschattungsdauer). Je nach Standort kann dabei die
wahrscheinliche Beschattungsdauer bei rund 20 % der theoretisch möglichen absoluten
Schattenwurfdauer liegen.
Abb. 6.55 zeigt exemplarisch den maximal möglichen Beschattungsbereich einer
marktgängigen Windkraftanlage mit einer Bauhöhe von 140 m. Dabei ist zu beachten,
dass der jeweils mögliche Schattenwurf im dargestellten potenziellen Beschattungsberei-
ches abhängt vom tages- und jahreszeitlichen Sonnenstand; d. h. er ist zur Mittagszeit im
Sommer, wenn die Sonne näherungsweise im Zenit steht, sehr klein und beispielsweise in
den Abendstunden, wenn die Sonne sich dem Horizont nähert, entsprechend größer.
Die obere begrenzende Linie in Abb. 6.55 beschreibt die „obere“ Grenze des beschat-
teten Bereichs. An dieser Schattengrenze entlang bewegt sich der nur bei klarem Wetter
gegebene Schatten bei dem am 21. Dezember eines jeden Jahres gegebenen niedrigsten
Sonnenstand zwischen dem Sonnenauf- und dem Sonnenuntergang. Entsprechend wan-
dert der Schatten der hier untersuchten Windkraftanlage beim höchsten Sonnenstand am
21. Juni eines jeden Kalenderjahres entlang der unteren Linie (d. h. untere Schattengren-
ze). Damit wandert – jeweils klares, wolkenloses Wetter vorausgesetzt – der Schatten
täglich entsprechend Abb. 6.55 von links nach rechts; d. h. es wird also nur ein kleiner
Teilbereich des dargestellten Gebietes an dem jeweiligen Tag überstrichen. Dieser bei Wit-
terungsbedingungen, die einen Schattenwurf erlauben, beschattete Bereich bewegt sich im
Verlauf eines Jahres zwischen der Winter- und der Sommersonnenwende von oben nach
unten und zurück (Abb. 6.55).
Aufgrund des sich im Tagesverlauf verändernden Sonnenstandes sind insbesondere in
westlicher und östlicher Richtung zu einer Windkraftanlage vergleichsweise große Reich-
weiten des Schattens möglich. Dabei wird allerdings die Schattenintensität mit zunehmen-
der Entfernung immer geringer. Deshalb wird häufig eine potenzielle „Belästigungsgren-
ze“ in einer gewissen Entfernung vom Anlagenstandort definiert, bei der der Schattenkon-
trast so gering ist, dass von keiner Belästigung mehr ausgegangen werden kann.
Der Schattenwurf wird insbesondere durch die Anwohner als störend empfunden, da
der Schatten des bewegten Rotors – im Unterschied zu unbewegten Gegenständen – pe-
riodische Helligkeitsschwankungen hervorruft. Der menschliche Organismus kann auf
6 Stromerzeugung aus Windenergie 559
Eisabwurfrisiko An den Flügeln einer Windkraftanlage kann sich unter bestimmten me-
teorologischen Bedingungen Eis ansetzen, das sich dann bei nachfolgendem Tauwetter bei
stehender und als Eiswurf bei anlaufender Anlage ablösen kann. Die dadurch ausgehende
Gefahr ist im Wesentlichen abhängig von den meteorologischen Randbedingungen und
damit u. a. vom Standort (z. B. Mittel- oder Hochgebirge). Das Risiko, durch einen derar-
tigen Eisbruch in z. B. 200 m Entfernung zur Anlage zu Schaden zu kommen, ist jedoch
vergleichsweise gering und entspricht etwa dem Risiko eines Blitzschlags [6.30]. Unab-
hängig davon soll eine pauschale Abstandsregelung von der eineinhalbfachen Summe der
Nabenhöhe plus Rotordurchmesser für die derzeit primär eingesetzten Multi-Megawatt-
Anlagen an Land mögliche derartige Zwischenfälle während des Betriebs ausschließen
[6.45]. Zusätzlich können an Standorten mit einem erhöhten Gefährdungspotenzial Verei-
560 M. Kaltschmitt et al.
sungssensoren auf der Gondel angebracht werden, die im Falle einer Vereisung die Anlage
abschalten. Die Windkraftanlage kann dann erst nach einer Sichtprüfung wieder in Betrieb
genommen werden. Zusätzlich können Enteisungssysteme in Form von beheizbaren Ro-
torblättern implementiert und Warnschilder mit aktivierten Blinklicht bei entsprechenden
Gefährdungslagen aufgestellt werden [6.45, 6.46].
flach und ausgeräumt oder bergig und stark strukturiert, einem permanenten jahreszeitli-
chen und auch überjährigen Wandel; letzteres gilt insbesondere, weil der Mensch in dicht
besiedelten Räumen (z. B. Mitteleuropa) diese laufend nach seinen Vorstellungen und
Raumansprüchen verändert [6.68]. Dabei wird die ästhetische Qualität von Landschaft
einerseits – u. a. durch die Literatur, durch Fotografie und durch Film und Fernsehen –
kultiviert und z. T. auch konserviert. Andererseits verändert sich mit der Zeit auch das
Schönheitsempfinden; waren Ende des vorletzten Jahrhunderts rauchende Schornsteine
noch das Symbol für Fortschritt, Wohlstand und Prosperität, ist das heute nicht notwendi-
gerweise mehr der Fall. Diese Dynamik beeinflusst nicht nur das ästhetische Empfinden
des Betrachters einer Windkraftanlage, sondern als Folge auch den planerischen Umgang
mit dem Landschaftsbild [6.68].
In Deutschland wird das Landschaftsbild insbesondere durch das Bundesnaturschutz-
gesetz (BNatSchG) geschützt. Demnach sind erhebliche Beeinträchtigungen der Land-
schaft weitmöglichst zu vermeiden. Für unvermeidbare Eingriffe sieht das Gesetz u. a.
einen monetären Ausgleich vor. Diese Regelungen auf Bundesebene werden durch die
Naturschutzgesetze auf Landesebene ergänzt und ausgestaltet; damit können Form und
Höhe von Kompensationsmaßnahmen für Eingriffe in das Landschaftsbild durch Wind-
energieanlagen zwischen verschiedenen Bundesländern variieren.
Beeinflussung des Mikroklimas Der Einfluss von Windkraftanlagen auf das Mikroklima
gilt als begrenzt. An einem bestimmten Standort wurden im Winter lokale Temperatur-
veränderungen von bis zu ˙0,3 ı C sowie Niederschlagsveränderungen um bis zu 5 %
ermittelt [6.53]. Für einen texanischen Windkraftanlagenpark wurde eine nächtliche Er-
wärmung um 0,5 ı C des lokalen Bodens direkt unter den Windkraftanlagen gemessen.
Damit sind die Windkraftanlagen-spezifischen Auswirkungen auf das Mikroklima deut-
lich geringer als die natürliche lokale Klimavariabilität sowie die durch anthropogene
Treibhausgasfreisetzungen implizierten Klimaveränderungen.
kung des Windparks und einer möglicherweise daraus resultierenden Routenänderung der
Zugvögel – und dessen Auswirkung auf das Zug- und im weiteren auf das Brutverhalten
– beobachtet werden [6.29].
Weitere Auswirkungen auf die Tierwelt Ein Massenanflug von wandernden Insekten an
Windkraftanlagen konnte bei Standortuntersuchungen bisher nicht festgestellt werden.
Auch gravierende Störwirkungen auf in der Nähe von Windkraftanlagen lebende Wild-
tiere (z. B. Feldhase, Rehwild, Rotfuchs, Rebhuhn, Rabenkrähe) waren bis heute nicht
nachweisbar [6.34]. Eine Kollisionsgefahr für Fledermäuse ist stark standortabhängig und
konnte bislang – aufgrund begrenzt verfügbarer systematischer Untersuchungen – nicht
auf die Zugzeiten zurückgeführt und somit nicht genau bestimmt werden [6.29]. Damit
sind nach dem bisherigen Kenntnisstand die potenziellen Auswirkungen auf die Tierwelt
als gering zu bezeichnen.
Strömung Strömung
Schwachstellen
Übertragungsweg
Übertragungsweg
Meeresboden
Meeresboden
Abb. 6.56 Technische Möglichkeiten zur Realisierung eines Blasenschleiers (links: großer Blasen-
schleier, Mitte: kleiner, gestufter Blasenschleier, rechts: geführter Blasenschleier (nach [6.36]))
6 Stromerzeugung aus Windenergie 565
tischen Netzen (z. B. flexible Vorhänge) befestigt, die den zu rammenden Pfahl
vollständig umgeben. Durch die Verwendung von Ballons mit fest definierten Grö-
ßen und / oder bestimmten Gasen kann eine gezielte Dämpfung der gewünschten
Frequenzen erreicht werden. Dieses Verfahren soll die Nachteile des Blasenschleiers
(u. a. Verdriftung der Blasen bei Strömung, Frequenzabhängigkeit der Blasengröße
und -verteilung) ausgleichen [6.36].
Die Auswirkungen des Betriebs von Windkraftanlagen auf Lebensgemeinschaften des
Meeresbodens und auf die Fischfauna sind nicht stärker als Folgen durch Aufwirbe-
lungen der Fischerei und der Schifffahrt. Außerdem stellen die Unterwasserstruktu-
ren neue Lebensräume dar, in denen sich eine veränderte Artenzusammensetzung von
Lebensgemeinschaften herausbilden kann; beispielsweise konnte in vorhandenen Off-
shore-Windparks bereits die Ansiedlung von seltenen Fischarten beobachtet werden.
Hier werden laufende Forschungsvorhaben in den kommenden Jahren neue Erkennt-
nisse liefern.
Auch das Verlegen der Kabeltrassen für die Netzanbindung beeinträchtigt die Meeres-
umwelt. Die Eingriffe erfolgen hierbei jedoch sehr kleinräumig und die Kabel werden
nur in Tiefen von 1 bis 3 m verlegt. Nach derzeitigem Kenntnisstand erfolgt dadurch
keine anhaltende Wirkung auf die Meeresumwelt.
Das mögliche Kollisionsrisiko von Schiffen wird weitestgehend im Vorfeld der Wind-
parkerrichtung geprüft. Windparks werden deshalb nur in einem ausreichenden Ab-
stand zu den Hauptschifffahrtswegen genehmigt.
Aus gegenwärtiger Sicht ist tendenziell eher von i. Allg. geringeren Umwelteffekten
im Vergleich zu einer Onshore-Windstromerzeugung auszugehen. Jedoch werden die Ent-
wicklungen in den nächsten Jahren – besonders vor dem Hintergrund des geplanten Aus-
baus einer Offshore-Windstromerzeugung – zeigen, inwieweit es durch eine Offshore-
Windkraftnutzung zu signifikanten Umweltauswirkungen kommen wird, die sich bisher
nicht bzw. nur begrenzt abzeichnen.
Akzeptanz Der Grad der Akzeptanz von Windkraftanlagen ist ein Indiz ihrer Wirkun-
gen auf den Menschen und seine Umwelt. Dabei ist in den letzten Jahren ein vermehrtes
Auftreten von Bürgerprotesten gegen neue Windkraftanlagen zu verzeichnen. Durch die
sichtbaren Änderungen des Landschaftsbildes werden häufig Sorgen um den Wertverlust
der eigenen Immobilie, einer reduzierten Wohnqualität, einem Rückgang der Tourismus-
branche sowie persönlichen Gesundheitsrisiken ausgelöst. Meistens erfolgt hieraus eine
Ablehnung der lokalen Windkraftanlagen, wenngleich eine grundsätzliche Zustimmung
zu erneuerbaren Energien vorliegt. Deshalb ist eine frühzeitige Aufklärung der betroffenen
Bürger wichtig, um eine durch Unwissenheit und / oder Falschinformationen ausgelöste
Angst zu vermeiden. Außerdem hilft es häufig, wenn die jeweiligen Anwohner finanziell
und planerisch beteiligt werden [6.46, 6.54].
Auch wurde der Zusammenhang zwischen einer Windkraftnutzung und dem Tourismus
wiederholt untersucht. Demnach werden derzeit Urlaubslandschaften mit Windkraftanla-
6 Stromerzeugung aus Windenergie 567
gen emotional als weniger attraktiv eingeschätzt als solche ohne bzw. mit anderen Stö-
rungen. Jedoch ist eine Windkraftnutzung nicht ein Grund, den Urlaubsort zu wechseln.
Windkraftanlagen besitzen außerdem oft ein positives Image als eine Form einer umwelt-
freundlichen und nachhaltigen Energieerzeugung, das den Attraktivitätsverlust mehr als
aufwiegen kann [6.37]. Damit konnte bisher kaum ein wissenschaftlich belastbarer Beleg
für eine Gefährdung des Tourismus durch Windkraftanlagen gefunden werden („Tou-
rist(inn)en sind schlichtweg daran gewöhnt, auf einer Reise nicht nur stereotype Land-
schaftserwartungen erfüllt zu bekommen und begreifen daher Windkraftanlagen, wie auch
Straßen oder sonstige technische Infrastruktur als normale Bestandteile der Alltagswelt
des Reiseziels. Im Gegensatz zu Einheimischen, welche die Veränderungsprozesse der
physischen Grundlagen ihrer heimatlichen Normallandschaft miterleben und auf dieser
Grundlage Vergleiche zwischen heute und früher anstellen können . . . “ [6.70]).
6.4.1 Potenziale
Theoretisches Potenzial Über der Gebietsfläche Deutschlands ist ein theoretisches Po-
tenzial der Windenergie zwischen 47 und 76 EJ/a gegeben. Aus diesem theoretischen
Windenergieangebot ergibt sich ein theoretisches Stromerzeugungspotenzial zwischen 8
und 13 PWh/a (Tabelle 6.11). Jedoch ist dieses Potenzial aufgrund technisch unvermeid-
barer Verluste nur teilweise erschließbar; aussagekräftiger ist deshalb das technische Po-
tenzial, welches das letztlich „technisch Machbare“ beschreibt (Kapitel 1.3).
net sich daraus ein technisches Stromerzeugungspotenzial von insgesamt rund 971 TWh/a
(Tabelle 6.11).
Ohne Berücksichtigung einer möglichen Offshore-Installation liegen rund zwei Drit-
tel und damit der größte Anteil dieses Onshore-Stromerzeugungspotenzials in Gebieten,
die durch ein Windgeschwindigkeitsmittel zwischen 6 und 7 m/s (bezogen auf 100 m Hö-
he über Grund) gekennzeichnet sind. Nennenswerte Potenziale sind aber auch noch bei
mittleren Windgeschwindigkeiten zwischen 7 und 8 m/s (bezogen auf 100 m Höhe über
Grund) gegeben; das bei diesem Windenergieangebot vorliegende Stromerzeugungspo-
tenzial entspricht etwas mehr als einem Viertel des gesamten verfügbaren Potenzials. Bei
noch höheren Windgeschwindigkeiten sind die technischen Potenziale mit unter 10 % der
Gesamtpotenziale merklich kleiner.
Dieses technische Stromerzeugungspotenzial aus Windkraft ist innerhalb Deutschlands
durch sehr große regionale Unterschiede gekennzeichnet. Die größten Stromerzeugungs-
potenziale liegen in den Küstenländern. Im Binnenland sind die Möglichkeiten der wind-
technischen Stromerzeugung gering und beschränken sich häufig auf die Höhenlagen der
Mittelgebirge und andere exponierte Standorte.
Dieses Stromerzeugungspotenzial errechnet sich auf der Basis der verfügbaren Wind-
geschwindigkeitsverteilung, die auf der Grundlage relativ weniger Messstationen und
570 M. Kaltschmitt et al.
ohne Berücksichtigung lokaler Effekte ermittelt wurde. Da die regionale Topografie und
die lokale Oberflächenbeschaffenheit insbesondere im Binnenland das Windenergieange-
bot wesentlich beeinflussen und damit de facto ein anderes Windenergieangebot gegeben
sein kann als das, das in den zugänglichen Karten der in Deutschland vorhandenen Wind-
ressourcen ausgewiesen wird, kann sich bei einer detaillierteren Betrachtung auch das
korrespondierende Stromerzeugungspotenzial entsprechend verändern. Bei einer erheb-
lich weitergehend disaggregierteren Vorgehensweise ist deshalb zu erwarten, dass sich
insbesondere im Binnenland die Potenziale u. U. deutlich verändern könnten.
Dieses Potenzial dürfte durch weitere Restriktionen zusätzlich reduziert werden. Wird
beispielsweise in Anbetracht der in Deutschland gegebenen Restriktionen (u. a. Schutz-
gebiete, Siedlungen, Wälder) eine Flächennutzung von ca. 2 % der Fläche Deutschlands
(rund 700 000 ha) für die Windenergienutzung unterstellt [6.39], errechnet sich ausgehend
davon eine installierbare Windenergieleistung von bis zu 175 GW (d. h. knapp 60 % der in
Tabelle 6.11 ausgewiesenen technischen Potenziale). Dies entspricht einem korrespondie-
renden Stromerzeugungspotenzial – bei einer mittleren Windgeschwindigkeit von 6,5 m/s
bezogen auf 100 m über Grund – von rund 525 TWh/a (d. h. 54 % des technischen Strom-
erzeugungspotenzials nach Tabelle 6.11).
Tabelle 6.12 Technisch nutzbare Flächen in der Nord- und Ostsee nach Küstenentfernung und
Wassertiefe [6.40]
Wassertiefe in m 0–10 10–20 20–30 30–40
Flächenpotenziale in ha
Küstenentfernung in km 20–30 3 800 180 600 86 500 60 700
30–40 15 000 80 000 75 000 40 000
40–50 15 000 15 000 90 000 60 000
50–60 15 000 60 000 70 000
60–70 2 000 60 000 90 000
70–80 30 000 120 000
80–90 2 000 120 000
90–100 60 000
> 100 3 000 230 000
Summe 33 800 292 600 406 500 850 700
6 Stromerzeugung aus Windenergie 571
zu 40 m und einer maximalen Entfernung von der Küste von bis zu 100 km und mehr von
ca. 1,58 Mio. ha ausgegangen werden. Diese Fläche berücksichtigt Verkehrswege, Pipe-
lines sowie Seekabel, Plattformen und Naturschutzgebiete [6.40].
Bei einer durchschnittlichen Flächeninanspruchnahme von rund 19 ha pro MW in-
stallierter Windkraftanlagenleistung, die auch den zukünftig größeren Rotordurchmes-
sern und den damit einhergehenden größeren Abstandsfaktoren Rechnung trägt, ergibt
sich ein technisches Potenzial von über 85 GW installierbarer Leistung für die Offshore-
Windstromerzeugung. Auf diesen Flächen kann von jahresdurchschnittlichen Windge-
schwindigkeiten von 10,5 m/s in 100 m Höhe ausgegangen werden. Daraus errechnet sich
mit einer korrespondierenden durchschnittlichen Volllaststundenzahl von ca. 4 300 h/a ein
technisches Stromerzeugungspotenzial von rund 366 TWh/a (Tabelle 6.11).
Ansatz II beruht darauf, dass eine über die in das Stromversorgungssystem weitgehend
problemlos integrierbaren 167 bis 189 TWh/a hinausgehende Windstromerzeugung in
Wasserstoffspeichern mit einem Wirkungsgrad von 40 % zwischengespeichert wird;
zusätzlich ist eine Speicherung in vorhandenen Pumpspeicherkraftwerken in den Al-
pen und in Norwegen bis zu einem gewissen Anteil möglich (Wirkungsgrad 80 %,
zuzüglich Netzverluste). Insgesamt errechnet sich unter diesen Rahmenannahmen ein
technisches Nachfragepotenzial von rund 470 TWh/a.
6.4.2 Nutzung
6.4.2.1 Welt
Ende 2018 betrug die weltweit installierte Windenergieleistung 564 GW (Abb. 6.57). Die-
ser Anlagenpark ist durch ein durchschnittliches Stromerzeugungspotenzial – berechnet
600 1400
1200
500
400 Bruttostromerzeugung
potenzielle jährliche Stromerzeugung
800
300
600
200
400
100
200
0 0
2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018
auf der Basis mittlerer Volllaststunden – von ca. 1,18 PWh (2018) gekennzeichnet. Auf-
grund von vom langjährigen Mittel abweichenden Windverhältnissen wurde 2018 eine
Stromerzeugung aus Windkraft von global rund 1,27 PWh realisiert; das sind leicht mehr
im Vergleich zu dem Erwartungswert. Mit einem Anteil von rund 96 % ist der Großteil
aller Windkraftanlagen auf dem Festland (Onshore) installiert; d. h. der Anteil der Off-
shore-Windkraftanlagen betrug 2018 nur 4 % (nach [6.71]).
Von dieser globalen Erzeugung elektrischer Energie wurden in Asien und den pazifi-
schen Raum rund 36 % realisiert. Dabei war hier China mit Abstand der größte Einzelpro-
duzent; allein die Volksrepublik China hat 2018 knapp 29 % des weltweiten Windstroms
erzeugt. Ein weiterer relativ großer Akteur, wenn auch im Vergleich zu China eher un-
bedeutend, war Indien. Hier wurden 2018 knapp 5 % der globalen Windstromerzeugung
realisiert. Verglichen damit ist die Stromerzeugung in allen anderen Ländern in Asien und
dem pazifischen Raum eher von untergeordneter Bedeutung. Eine Ausnahme stellt Austra-
lien dar; hier wurden 1,3 % des weltweit erzeugten Windstroms ins Netz gespeist. Dies ist
etwas mehr als im gesamten Afrika, das nur mit ca. 1,2 % zur globalen Windstromerzeu-
gung beiträgt. Noch geringer sind die Anteile im Nahen Osten und den Nachfolgestaaten
der ehemaligen Sowjetunion; beide Gebietsflächen tragen mit jeweils unter 0,1 % zur
Welt-Windstromerzeugung bei (nach [6.71]).
Nordamerika trägt mit etwa einem Viertel zur globalen Stromerzeugung aus Windkraft
bei. Der wesentliche Akteur ist dabei die USA, die allein knapp 22 % der weltweiten
Windstromerzeugung realisiert. Kanada und Mexiko folgen mit sehr bescheidenen Antei-
len von 2,5 und 1,0 %. Verglichen mit Nordamerika ist die Windstromerzeugung in Süd-
amerika mit einem Anteil von etwa 5,2 % an der weltweiten Erzeugung deutlich geringer;
der wesentliche Erzeuger ist hier Brasilien, das ca. 3,8 % zur globalen Windstromerzeu-
gung beiträgt (nach [6.71]).
In Europa bzw. der EU-28 wird knapp 32 % bzw. knapp 30 % der weltweiten Wind-
stromerzeugung realisiert. Wichtige Akteure sind hier Deutschland (8,8 %), das Vereinigte
Königreich (4,5 %), Spanien (4,0 %), Frankreich (2,2 %) und Italien (1,4 %, jeweils bezo-
gen auf die globale Erzeugung).
In der Summe werden knapp 59 % der weltweiten Windstromerzeugung in den OECD-
Staaten und die verbleibenden etwas mehr als 41 % in den Nicht-OECD-Staaten erzeugt.
Bezogen auf die gesamte weltweite Bruttostromerzeugung stammen knapp 5 % aus der
Energie des Windes (nach [6.71]).
Während global immer noch primär die Onshore-Windenergie ausgebaut wird, ge-
winnt in Europa die Offshore-Windkraftnutzung zunehmend an Bedeutung. Bisher sind
Ende 2018 global knapp 23 GW an installierter Offshore-Windkraftleistung vorzufinden,
wovon mit rund 18 GW knapp 80 % auf den europäischen Raum entfallen. Die restliche
Offshore-Windkraftleistung ist vornehmlich im asiatischen Raum installiert. Der weltwei-
te Zubau an Offshore-Windkraftleistung betrug 2018 rund 4,5 GW. Wird eine weltweite
durchschnittliche Jahresvolllaststundenzahl von 3 300 h/a für die Offshore-Windkraftanla-
gen unterstellt, errechnet sich eine erzeugte Energiemenge von rund 76 TWh (2018) (nach
[6.71]).
574 M. Kaltschmitt et al.
200 400
140
Strombereitstellung in TWh/a
250
120
100 200
80
150
60
100
40
50
20
0 0
2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018
Abb. 6.58 Jährlich und gesamte installierte Windkraftanlagenleistung im der EU-28 [6.41]
6 Stromerzeugung aus Windenergie 575
Im Bereich Offshore nimmt – wie auch in den Vorjahren – das Vereinigte Königreich
mit rund 8 GW an insgesamt installierter Leistung die Spitzenposition ein. Darauf folgen
Deutschland mit 6,4 GW und Dänemark mit 1,7 GW (nach [6.71]).
Die Windstromerzeugung in der EU-28 trägt – bezogen auf die gesamte Bruttostrom-
erzeugung – mit einem Anteil von 11,5 % zur Deckung der Nachfrage nach elektrischer
Energie bei. Damit ist die Windstromerzeugung eine wichtige Option zur Stromerzeugung
aus regenerativen Energien in der EU.
Die durchschnittliche Anlagenleistung variiert sehr stark; in Norwegen beträgt die
gemittelte Leistung 3,6 MW pro Turbine, wohingegen in Litauen und Griechenland durch-
schnittlich nur 2 MW Turbinen verbaut werden. Demgegenüber weist die größte in der
EU-28 installierte Einzelanlage eine Nennleistung von 8,8 MW auf (Stand 2018). Im
Onshore-Bereich dominieren heute Anlagen im Bereich 3 bis maximal 6 MW. Demgegen-
über liegt im Offshore-Bereich die durchschnittliche Anlagenleistung inzwischen bei rund
7 MW für neu installierte Anlagen. Aktuell werden bereits Anlagen mit 10 MW und mehr
angeboten [6.24]. Neben höheren Nennleistungen der Einzelanlagen konzentrieren sich im
576 M. Kaltschmitt et al.
Offshore-Bereich die Entwicklungen auf eine weitere Material- und letztliche Kostenredu-
zierung sowie einen wartungsärmeren und ausfallsicheren Betrieb. Bei den Fundamenten
geht der Trend nach wie vor zum Monopile, der in immer größeren Wassertiefen einge-
setzt wird und derzeit den Markt dominiert.
6.4.2.3 Deutschland
Die Nutzung der Windenergie zur Bereitstellung elektrischer Energie hat ihre ersten
Schritte bereits in den 1920er Jahren gemacht; auch in den 1950er Jahren wurden ver-
schiedene Prototypen errichtet und erprobt. Der kommerzielle Einsatz begann jedoch erst
im Jahr 1982 in Folge der zweiten Ölpreiskrise. Bis zum Jahr 1986 wurden jedoch nur sehr
vereinzelt Anlagen mit einer sehr kleinen installierten elektrischen Leistung errichtet. Die
Implementierung des Breitentests 100 MW-Wind (Förderprogramm) in Deutschland im
Jahr 1989, das anschließend auf 250 MW erweitert wurde, und das Stromeinspeisegesetz
vom 1. Januar 1991, das später zum Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) weiterentwi-
ckelt wurde, führten dann aber zu einem sprunghaften Anstieg der Windenergienutzung
in Deutschland. Diese Entwicklung wurde durch eine wohlwollende gesetzliche und
administrative Rahmensetzung unterstützt (z. B. Privilegierung im Außenbereich). Der
Windkraftanlagenausbau wird seit Mitte 2017 durch das Ausschreibungsmodell, wie es in
dem entsprechend novellierten Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) gesetzlich verankert
wurde, staatlich reguliert; diese Gesetzesänderung hat zu einer starken Abschwächung
des Ausbaus in den letzten Jahren geführt (nach [6.72]).
Ende 2018 waren insgesamt 29 213 Onshore-Windkraftanlagen mit einer potenziellen
jährlichen Stromerzeugung von rund 88 TWh und einer elektrischen Gesamtleistung von
52,9 GW in Betrieb (Abb. 6.60). Die tatsächlich eingespeiste elektrische Energie lag bei
rund 93,9 TWh. Diese im Vergleich beispielsweise zu 2017 rund 7 % höhere Netzein-
speisung bei einem Leistungszubau (netto) von rund 5 % ist anhand der besseren Wind-
verhältnissen in 2018 gegenüber 2017 zu begründen [6.42, 6.43]. Die durchschnittliche
Anlagenleistung lag 2018 bei 3,2 MW. Die mittlere Nabenhöhe variierte in Abhängigkeit
des jeweiligen Bundeslandes zwischen 91 m in Hamburg bis 145 m in Hessen.
In Niedersachen waren mit 11,2 GW 2018 die meisten Onshore-Anlagen installiert.
Danach folgt Brandenburg mit 7,1 GW, Schleswig-Holstein mit 6,9 GW, Nordrhein-West-
falen mit 5,8 GW und Sachsen-Anhalt mit 5,1 GW. Alle anderen Bundesländer haben
verglichen damit eine deutlich geringere Bedeutung; beispielsweise waren Ende 2018 in
Bayern nur 2,5 GW und in Baden-Württemberg nur 1,5 GW installiert. Die mit diesem
Anlagenpark realisierte Stromerzeugung trug mit rund 14,5 % zur Deckung der Strom-
nachfrage in Deutschland bei; die Windstromerzeugung ist damit eine wichtige Säule zur
Deckung der Nachfrage nach elektrischer Energie.
Neben dem Ausbau der Onshore-Windenergienutzung setzt die deutsche Politik auf
einen Ausbau der Offshore-Windenergienutzung. Ende 2018 waren insgesamt 1 305
Offhore-Windkraftanlagen mit einer potenziellen jährlichen Stromerzeugung von rund
20,9 TWh (2018) und einer kumulierten netzgekoppelten elektrischen Anlagenleistung
von rund 6,4 GW in Betrieb (Abb. 6.61). Die tatsächlich eingespeiste elektrische Energie
6 Stromerzeugung aus Windenergie 577
60 100
jährlich neu installierte Leistung
davon jährlich im Repowering installierte Leistung 90
kumulierte Leistung
50
Bruttostromerzeugung 80
potenzielle jährliche Stromerzeugung
Strombereitstellung in TWh/a
70
Elektrische Leistung in GW
40
60
30 50
40
20
30
20
10
10
0 0
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018
7 25
jährlich neu installierte Leistung
kumulierte Leistung
Bruttostromerzeugung
6
potenzielle jährliche Stromerzeugung
20
Strombereitstellung in TWh/a
Elektrische Leistung in GW
15
4
3
10
0 0
2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018
lag bei rund 19,4 TWh (2018). Die mit diesem Offshore-Windkraftanlagenpark reali-
sierte Bereitstellung elektrischer Energie trug 2018 mit rund 3,1 % zur Deckung der
Elektrizitätsnachfrage in Deutschland bei. Die mittlere Anlagenleistung der im Jahr 2018
neu angeschlossenen Offshore-Windkraftanlagen betrug 7,1 MW und wuchs somit deut-
lich um 26 % an (2017: 5,6 MW), während sich die mittlere Nabenhöhe um 10 % auf
106 m in 2018 steigern konnte (2017: 96 m). Der Trend zu größeren Turbinenleistungen
ist somit weiterhin unverkennbar. Demgegenüber scheinen sich als Fundamenttyp die
Monopiles grundsätzlich durchzusetzen. Die Wassertiefen der im Jahr 2018 realisierten
Offshore-Windkraftprojekte variierte zwischen 20 bis 40 m, während die Küstenentfer-
nung zwischen 20 bis 120 km betrug.
6.4.2.4 Österreich
Die erste Windkraftanlage Österreichs ging 1994 ans Netz. Mit dem Ökostromgesetz star-
tete dann 2002 der Windkraftausbau. Infolge dieser gesetzlichen Vorgaben waren in der
Republik Österreich Ende 2018 knapp 3,1 GW an Windleistung installiert, mit denen etwa
5,9 TWh (2018) erzeugt wurden. Bezogen auf die Bruttostromerzeugung in der Alpenre-
publik sind das rund 8,8 %. Die Volllaststundenzahl dieses Anlagenparks liegt bei rund
1 920 h/a. Abb. 6.62 zeigt auch, dass in Österreich das Jahr 2018 relativ windschwach
war, da die Stromerzeugung trotz eines Anstiegs der installierten Leistung relativ leicht
zurückgegangen ist. Die meisten Anlagen waren Ende 2018 in Niederösterreich installiert
(1,66 GW) gefolgt vom Burgenland (1,09 GW) und von der Steiermark (0,24 GW).
3,5 7
2,5 5
Strombereitstellung in TWh/a
Elektrische Leistung in GW
2,0 4
1,5 3
1,0 2
0,5 1
0,0 0
2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018
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Neue Énerg. 10(4), 24 (2001)
[6.35] Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) (Hrsg.): Untersuchung der Auswir-
kungen von Offshore-Windenergieanlagen auf die Meeresumwelt (StUK 3). BSH, Hamburg,
Rostock (2007)
[6.36] Koschinski, S., Lüdemann, K.: Stand der Entwicklung schallminimierender Maßnahmen
beim Bau von Offshore-Windenergieanlagen. Studie. Bundesamt für Naturschutz (BfN),
Nehmten (2011)
[6.37] Institut für Tourismus- und Bäderforschung in Nordeuropa (Hrsg.): Touristische Effekte von
On- und Offshore-Windkraftanlagen in Schleswig-Holstein. Institut für Tourismus- und Bä-
derforschung in Nordeuropa, Kiel (2000)
[6.38] Albers, H., Seifert, H., Greiner, S., Kühne, U.: Recycling von Rotorblättern aus Windener-
gieanlagen – Fakt oder Fiktion? Dewi Mag. 34(2), 32–41 (2009)
[6.39] Bundesverband Windenergie (BWE): Studie zum Potenzial der Windenergienutzung an
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[6.40] Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) (Hrsg.): Offshore Windenergie-
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(2001)
[6.41] Hilgedieck, J., Magdowski, A., Janczik, S., Christ, D., Witt, J., Kaltschmitt, M.: Erneuerbare
Energien weltweit – Globaler Stand 2018. BWK 71(9), 18–40 (2019)
[6.42] Lenz, V., Naumann, K., Denysenko, V., Daniel-Gromke, J., Rensberg, N., Janczik, S., Masla-
ton, M., Hilge-dieck, J., Christ, D., Kaltschmitt, M.: Erneuerbare Energien – Erkenntnisstand
2018 in Deutschland. BWK 71(6), 60–88 (2019)
[6.43] Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energietechnik: Windenergie-Report Deutsch-
land (2011-18) (2018)
[6.44] Landesamt für Umwelt, Naturschutz und Geologie (LUNG) Mecklenburg-Vorpommern:
Hinweise zur Ermittlung und Beurteilung der optischen Immissionen von Windenergie-
anlagen (WEA-Schattenwurf-Hinweise). https://www.lung.mv-regierung.de/dateien/wea_
schattenwurf_hinweise.pdf. Zugegriffen: 12. Nov. 2019
6 Stromerzeugung aus Windenergie 581
7.1 Grundlagen
Typischerweise kann das Wasser jedoch nur bis auf die Höhe des Unterwasserspiegels
hUW (z. B. Wasserspiegel unterhalb des Wehrs, Wasserspiegel am Auslauf des Krafthau-
Autoren in alphabetischer Reihenfolge mit Beiträgen zum Kapitel; die Autorenzuordnung geht aus
den einzelnen Unterkapiteln hervor.
Markus Aufleger, Innsbruck, Österreich
Franz Joos, Hamburg, Deutschland
Klaus Jorde, Klagenfurt, Österreich
Martin Kaltschmitt, Anne Rödl, Lucas Sens, Hamburg, Deutschland
Michael Schlüter, Hamburg, Deutschland
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 583
M. Kaltschmitt, W. Streicher, A. Wiese (Hrsg.), Erneuerbare Energien,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-61190-6_7
584 M. Aufleger et al.
ses eines Speicherwasserkraftwerks) genutzt werden. Damit errechnet sich die theoretisch
insgesamt nutzbare potenzielle Energie EPot;nutz des Wassers an einem bestimmten Stand-
ort nach Gleichung (7.2).
Ausgehend davon kann mit der Dichte des Wassers Wa (998 kg/m3 ) die vom Volu-
menstrom qPWa abhängige theoretische Wasserkraftleistung PWa;pot;th ermittelt werden, die
zwischen der geodätischen Höhe h des Ober- (OW) und des Unterwassers (UW) nutzbar
ist (Gleichung (7.3)).
Zusätzlich zu dieser potenziellen oder Lageenergie ist auch insbesondere bei Lauf-
wasserkraftwerken die kinetische Energie des strömenden Wassers potenziell energetisch
nutzbar. Strömt beispielsweise Wasser mit der Masse mWa und der Geschwindigkeit des
Oberwassers vWa;OW , ergibt sich die darin enthaltene kinetische Energie Ekin nach Glei-
chung (7.4).
1
Ekin D mWa vWa;OW
2
(7.4)
2
Wird in einer Wasserkraftanlage z. B. die potenzielle und die Druckenergie an einer
Düse in kinetische Energie umgewandelt, wie dies beispielsweise bei der Peltonturbine
(Kapitel 7.2) geschieht, und wird diese Strömungsgeschwindigkeit des Wassers reduziert
auf eine (dann geringere) Geschwindigkeit des Unterwassers vWa;UW , kann die aus dem
strömenden Wasserstrom theoretisch nutzbare Leistung PWa;kin;th entsprechend Gleichung
(7.5) quantifiziert werden.
1 2
PWa;kin;th D qPWa Wa vWa;OW vWa;UW
2
(7.5)
2
Ist zwischen Oberwasser und Unterwasser das Umgebungsdruckniveau nicht gleich
(z. B. bei einem Speicherwasserkraftwerk, bei dem das Speicherbecken im Hochgebirge
und das Krafthaus mit Unterwasser im Tal liegt), muss der jeweilige Umgebungsdruck
zwischen dem Ober- pOW und Unterwasser pUW zusätzlich beachtet werden; dies führt zur
theoretischen Druckenergie Ep;th gemäß Gleichung (7.6)
bzw. zur theoretischen Druckleistung PWa;p;th gemäß Gleichung (7.7). Wa ist wieder
die Dichte des Wassers (998 kg/m3 ).
Bei freier Oberfläche herrscht jeweils der Umgebungsdruck pU ; ist er damit beim Ober-
und Unterwasser gleich (nämlich der jeweilige Umgebungsdruck), kommt der Anteil der
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 585
Druckenergie bzw. der Druckleistung (Gleichung (7.6) bzw. (7.7)) nicht zum Tragen (d. h.
der Term „verschwindet“). Wird jedoch lediglich über die Turbine bilanziert, ist dieser
Anteil zwingend zu beachten, da in diesem Fall die Druckdifferenz über die Turbine zu
berücksichtigen ist (Kapitel 7.2).
Damit leitet sich die theoretische Wasserkraftleistung PWa;th an einem bestimmten
Standort nach Gleichung (7.8) ab. Sie setzt sich demnach aus den Termen der Was-
serkraftleistung aufgrund der theoretischen potenziellen Leistung PWa;pot;th (Gleichung
(7.3)), der theoretischen kinetischen Leistung PWa;kin;th (Gleichung (7.5)) und der theoreti-
schen Druckleistung PWa;p;th zwischen dem Ober- und dem Unterwasser (Gleichung (7.7))
zusammen.
Ausgehend davon kann die Bilanz zwischen Ober- und Unterwasser nach Gleichung
(7.9) abgeleitet werden.
1
qPWa pOW C W a g hOW C Wa vWa;OW
2
2
1
D qP Wa pU W C Wa g hU W C Wa vWa;UW
2
C Wa w t;T (7.9)
2
Hierbei bezeichnet wt;T die spezifische Arbeit, die durch die Turbine entnommen wird.
Aufgrund von physikalisch unvermeidbaren Umwandlungsverlusten in der Wasserkraft-
anlage einschließlich der jeweils vor- und nachgelagerten Anlagenkomponenten kann nur
ein Teil dieser theoretischen Leistung nutzbar gemacht werden. So verursacht jeder Strö-
mungswiderstand
einen Druckverlust p, der von der Strömungsgeschwindigkeit des
Wassers vWa abhängig ist (Gleichung (7.10)).
1
p D
2
Wa vWa (7.10)
2
Für die Verlustleistung infolge der Strömungswiderstände einer Wasserkraftanlage
PWa;kin;verl folgt daraus Gleichung (7.11).
1
PWa;kin;verl D
qPWa Wa vWa
2
(7.11)
2
Dabei wird durch die jeweiligen Strömungswiderstände kinetische Energie in Wär-
meenergie umgewandelt, die dann im fließenden Wasser dissipiert; d. h. sie entzieht sich
hierdurch einer weiteren technischen Nutzbarmachung. Die Bilanz der Wasserkraftanlage
verschlechtert sich durch diesen Verlustmechanismus gemäß Gleichung (7.12). Dies ist
dann die Druckform der Bernoulli-Gleichung erweitert mit dem Volumenstrom des Ab-
flusses.
1
qPWa pOW C Wa g hOW C Wa vWa;OW
2
2
1 2 1
D qP Wa pU W C Wa g hU W C Wa vWa;UW C
Wa vWa2
C Wa w t;T (7.12)
2 2
586 M. Aufleger et al.
Die Differenz zwischen dem Energieniveau des Oberwassers (OW) und des Unterwas-
sers (UW) beschreibt dann die nutzbare Fallhöhe hnutz an einem bestimmten Standort,
die durch den entsprechenden Energiewandler ausgenutzt werden kann. Es gilt Gleichung
(7.13).
pOW pU W 2
vWa;OW vWa;UW
2
hnutz D .hOW hU W / C C (7.13)
Wa g 2g
Diese nutzbare Fallhöhe hnutz ist damit letztlich die standortspezifische Kenngröße, die
zusammen mit dem nutzbaren Volumenstrom / Abfluss die theoretische Leistung PWKW;th
der jeweiligen Wasserkraftanlage definiert. Wa ist die Dichte des Wassers und qP Wa ist der
Volumenstrom des nutzbaren Abflusses; g ist die Gravitationskonstante. Demnach ist an
einem Standort die theoretische Leistung eines Wasserkraftwerks (Gleichung (7.14)) im
Wesentlichen definiert durch den nutzbaren Abfluss und die nutzbare Fallhöhe; beides
sind standortabhängige Größen.
Wird lediglich der Verlauf vom Oberwasser bis zum Turbineneinritt (Te) (d. h. dem ei-
gentlichen Energiewandler) betrachtet, ergibt sich durch Umformen von Gleichung (7.12)
die Energiegleichung (Kapitel 2.4.1) in der sogenannten Höhenform (Gleichung (7.15)).
2 2
pOW vWa;OW pT e vW a;T e v2
C hOW C D C hT e C C
Wa (7.15)
g Wa 2g g Wa 2g 2g
pTe ist der Druck am Turbineneingang (Te), hTe die entsprechende geodätische Höhe
und vWa;Te die Strömungsgeschwindigkeit des Wassers an dieser Stelle. In dieser Höhen-
form der Energiegleichung sind alle Terme der Bernoulli-Gleichung in der Einheit einer
geometrischen Länge dargestellt; dadurch sind sie grafisch darstellbar (Abb. 7.1). Die Ter-
me (Gleichung (7.15)) bekommen hierdurch anschaulich die Bedeutung einer Druckener-
giehöhe pOW =.g Wa /, einer geodätischen Höhe h, einer Geschwindigkeitsenergiehöhe
2 2
vWa /(2 g) und einer Verlustenergiehöhe
vWa /(2 g) für das betrachtete Leitungsstück. Das
nutzbare Gefälle hnutz entspricht der entziehbaren spezifischen Turbinenarbeit (wt;T /g).
Energielinie
Ober- Verlustenergiehöhe
wasser Geschwindigkeitshöhe
1 Druck-
Rechen 2
nutzbares
energie-
Gefälle
höhe
Generator Geschwindig-
geodätische Höhe
keitshöhe
des Stromfadens
geodätische
Höhe des Energielinie
Wassers
3 Unter-
4 5 wasser
Turbine Saugrohr
Bezugsniveau
Abb. 7.1 Physikalische Zusammenhänge an einer Wasserkraftanlage (zur Erklärung der Zahlen sie-
he Text)
Die strichpunktierte Linie in Abb. 7.1 stellt die geodätische Höhe des Wassers auf sei-
nem Weg vom Oberwasser durch die Anlage ins Unterwasser dar. Sie folgt unmittelbar
der tatsächlich realisierten Wasserführung in der Anlage.
Von der Oberfläche des Oberwassers bis zu der des Unterwassers verläuft die soge-
nannte Energielinie. An ihrem Verlauf werden anschaulich die einzelnen Verlustme-
chanismen deutlich, die in einer derartigen Wasserkraftanlage typischerweise auftreten.
Zunächst zeigt die Energielinie einen kleinen Sprung am Einlaufbauwerk, der aus den
dort bei der Wassererfassung auftretenden Verlusten resultiert. Zusätzlich weist die
Energielinie auf dem Weg zur Turbine eine leichte Neigung auf; dies ist auf die Strö-
mungsverluste in der Triebwasserleitung zurückzuführen. Dann ist die Energielinie in
der Turbine – und damit dem eigentlichen Energiewandler – durch einen erheblichen
„Sprung“ gekennzeichnet. Er wird durch die angestrebte bzw. realisierte möglichst ma-
ximale Entnahme von Energie aus dem Triebwasser durch die Turbine hervorgerufen;
dieser „Sprung“ entspricht dem an der Turbine de facto nutzbaren Gefälle. Nach der
Turbine zeigt die Energielinie erneut einen leichten Abfall, wenn auch auf einem deut-
lich geringeren Niveau als vor der Turbine; dies liegt in den Strömungsverlusten im
Saugrohr bzw. im Saugschlauch begründet. Die Energielinie nähert sich danach der
Oberfläche des Unterwassers an; der in Abb. 7.1 hier deutlich werdende kleine Sprung
ergibt sich aufgrund der Verluste infolge des Austritts aus dem Saugrohr ins Unterwas-
ser.
588 M. Aufleger et al.
Die gestrichelte Linie, die unterhalb der Energielinie ebenfalls in Abb. 7.1 dargestellt
ist, verdeutlicht den Anteil der Energie, der durch die Beschleunigung des Wassers in
kinetische bzw. Strömungsenergie gewandelt wird. Dies wird beispielsweise am Ein-
laufbauwerk deutlich, wo das Wasser aufgrund der Querschnittsverengung beschleu-
nigt wird und demzufolge die kinetische Energie des Triebwassers ansteigt. Im Saug-
rohr bzw. im Saugschlauch wird ein Teil der nach dem Turbinendurchtritt im Trieb-
wasser noch enthaltenen kinetischen Energie durch die bautechnisch realisierte Quer-
schnittserweiterung und die dadurch verursachte reduzierte Strömungsgeschwindigkeit
für die Nutzung in der Wasserkraftanlage zurückgewonnen. Ähnlich wie im Oberwas-
ser, wo die Energie- und die Geschwindigkeitslinie identisch sind, endet im Unterwas-
ser die Geschwindigkeitslinie ebenfalls bei der Energielinie, die dem Unterwasserni-
veau entspricht.
Die Differenz zwischen der geodätischen Höhe (strichpunktierte Linie, Abb. 7.1) und
der Geschwindigkeitshöhe (gestrichelte Linie, Abb. 7.1) ist dann letztlich die Druck-
energiehöhe.
Wassereinlauf Das Einlaufbauwerk stellt die Verbindung zwischen dem Oberwasser und
dem Turbinenzulauf her. Am Anfang des Einlaufbauwerks befindet sich im dargestellten
Beispiel (Abb. 7.1) ein Rechen, der Schwemmgut von der Anlage fernhält (zur Erklärung
siehe Kapitel 7.2).
In diesem Einlaufbauwerk findet eine teilweise Umwandlung der potenziellen Ener-
gie des aus dem Oberwasser zufließenden Triebwassers in kinetische Energie statt (Bi-
lanzpunkt 1 bis Bilanzpunkt 2; Abb. 7.1). Aufgrund der Einlaufverluste und des Strö-
mungswiderstandes am Rechen geht dabei ein Teil der insgesamt theoretisch nutzbaren
Energie verloren. Diese Verluste können zu dem Verlustbeiwert
EB für das Einlaufbau-
werk zusammengefasst werden. Sie machen sich in einer geringfügigen Reduzierung der
Druckenergiehöhe bemerkbar. Dies wird in Abb. 7.1 durch einen kleinen Sprung in der
Energielinie am Bilanzpunkt 1 deutlich.
Druckrohrleitung Mit Hilfe der Druckrohrleitung wird das Wasser vom Einlaufbauwerk
zur Turbine geleitet (Bilanzpunkt 2 bis Bilanzpunkt 3; Abb. 7.1). Dabei findet im Trieb-
wasser eine Umwandlung von potenzieller Energie in kinetische Energie und Druck-
energie statt. Aufgrund der Rohrreibung geht hierbei ein weiterer Teil der theoretisch
insgesamt nutzbaren Energie verloren. Der dies beschreibende Druckverlustbeiwert der
Rohrleitung
RL resultiert primär aus der Rohrreibungszahl der vor Ort realisierten bzw.
verbauten Rohrleitung. Er steigt proportional zur Leitungslänge l und umgekehrt propor-
tional zum hydraulischen Durchmesser dh gemäß Gleichung (7.16).
l
RL D (7.16)
dh
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 589
Dimensionslose Rauigkeit
Rohrreibungszahl
rau
laminar hydraulisch
glatt
fiktive laminare
Strömung
Reynoldszahl
Der hydraulische Durchmesser dh errechnet sich nach Gleichung (7.17) aus der Quer-
schnittsfläche A und dem Umfang U der jeweiligen Rohrleitung. Er entspricht für kreis-
förmige Rohrleitungsquerschnitte genau dem Rohrdurchmesser d.
4A
dh D (7.17)
U
Die Rohrreibungszahl wird u. a. durch die Oberflächenrauigkeit der Rohrleitung be-
einflusst. Sie ist damit abhängig von der Reynolds-Zahl Redh der Rohrströmung und somit
vom hydraulischen Durchmesser der Rohrleitung dh , der Geschwindigkeit des Triebwas-
sers vWa und der kinematischen Viskosität des Wassers Wa . Die Reynolds-Zahl (Glei-
chung (7.18)) beschreibt dabei das Verhältnis der an den Strömungsteilchen angreifenden
Trägheitskräfte zu den Zähigkeitskräften (Reibungskräften); d. h. die Reynolds-Zahl er-
laubt u. a. Aussagen, ob eine bestimmte Strömung laminar (d. h. kleiner als die kritische
Reynolds-Zahl) oder turbulent (d. h. größer als die kritische Reynolds-Zahl) ist. Die kri-
tische Reynolds-Zahl wird empirisch ermittelt und ist beispielsweise bei der Wasserströ-
mung in einem glatten Rohr ca. 2 300.
vW a dh
Redh D (7.18)
Wa
Die Rohrreibungszahl und die Reynolds-Zahl Redh hängen voneinander ab. Die-
ser Zusammenhang wird im sogenannten Moody-Diagramm [7.32] deutlich (Abb. 7.2).
Demnach gilt für hydraulisch glatte Bedingungen für die Rohrreibungszahl D 64/Redh .
Bei größeren Reynolds-Zahlen verändert sich die Strömungsform hin zu einer turbulen-
ten Strömung. Durch diesen Umschlag steigt die Rohrreibungszahl schlagartig auf den
Wert der turbulenten Strömung. Hier kommt nun der Beschaffenheit der Rohrwand und
der sie beschreibenden Rauigkeit Rz eine wichtige Bedeutung zu. Tabelle 7.1 zeigt deshalb
exemplarisch einige Rauheitswerte.
590 M. Aufleger et al.
Nach Abb. 7.2 nimmt die Rohrreibungszahl mit zunehmender Rauheit zu – und damit
auch der Strömungswiderstand. Ausgehend davon wird auch der Druckverlust entspre-
chend größer. Ab einer bestimmten Reynolds-Zahl treten die Rauheitsspitzen dann aus
der laminaren Wandschicht heraus (vollrauer Bereich) und dominieren unter diesen Be-
dingungen die Rohrreibungszahl; unter diesen Gegebenheiten ist die Rohrreibungszahl
dann unabhängig von der Reynolds-Zahl (dunkelgrau markierter Bereich in Abb. 7.2).
Die dimensionslose Rauigkeit ist hierbei die auf den Rohrdurchmesser d bezogene Rau-
igkeit Rz (d. h. Rz /d).
Während die Länge der Druckrohrleitung i. Allg. von den anlagenspezifischen Ge-
gebenheiten – und damit weitgehend vom Standort – abhängt, kann der Durchmesser
typischerweise einfacher variiert werden. Dabei nehmen mit einem zunehmenden Rohr-
durchmesser die Reibungsverluste ab und somit die an einem bestimmten Standort rea-
lisierbare Leistung der Turbine zu (Gleichung (7.15)). Gleichzeitig steigen jedoch die
Kosten für die Rohrleitung; deshalb wird hier in der Realität immer ein technisch-öko-
nomisches Optimum angestrebt. Bei Flusskraftwerken mit geringen Fallhöhen entfällt die
Rohrleitung, da das Wasser direkt vom Einlaufbauwerk in die Turbine strömt.
Befinden sich in der Rohrleitung zusätzlich Krümmer, Abzweigungen, Vereinigungen,
Schieber oder andere Einbauten, erhöht sich der Druckverlust aufgrund des entsprechen-
den zusätzlich davon hervorgerufenen Strömungswiderstandes. Die für diese Einbauten
zugrundeliegenden Druckverlustbeiwerte
sind von der jeweiligen Geometrie und Ober-
flächenbeschaffenheit der entsprechenden Komponenten abhängig; sie werden vom Her-
steller angegeben bzw. können der Literatur entnommen werden (z. B. [7.3]). Bei gegebe-
ner Rohrleitung sind die Verluste proportional zum Quadrat der Fließgeschwindigkeit und
damit abflussabhängig (Gleichung (7.10)).
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 591
Turbine In der Turbine findet die Umwandlung der Druckenergie in mechanische bzw. ki-
netische Energie an der Turbinenwelle statt (Bilanzpunkt 3 bis Bilanzpunkt 4; Abb. 7.1).
Die Verluste dieser Umwandlung werden durch den Turbinenwirkungsgrad
Turbine be-
rücksichtigt (Kapitel 7.2). Er beschreibt nach Gleichung (7.19) den Anteil der im Wasser
gespeicherten Leistung PWa , der in mechanische Leistung an der Turbinenwelle PTurbine
umgewandelt werden kann.
PTurbine D
Turbine PWa (7.19)
Die im Triebwasser unmittelbar vor der Turbine gespeicherte Leistung ergibt sich aus
dem Volumenstrom des Wassers qPWa und dem aktuell vorhandenen Wasserdruck pa gemäß
Gleichung (7.20).
Der aktuell an dieser Stelle vorhandene Wasserdruck pa berechnet sich aus der nutzba-
ren Fallhöhe hnutz vor der Turbine nach Gleichung (7.21).
Wasserauslauf Im Unterwasser ist die Energielinie durch die geodätische Höhe des Un-
terwassers und den Umgebungsdruck festgelegt (Abb. 7.1). Beim Eintritt in das Unterwas-
ser verliert das Triebwasser einen Teil der noch vorhandenen kinetischen Energie durch
Verwirbelungen. Dies wird in Abb. 7.1 durch den Sprung in der Energielinie am Bilanz-
punkt 5 deutlich. Die dabei auftretenden Verluste im Diffusor werden mit dem Verlustterm
Dif berücksichtigt. Bei Überdruckturbinen (z. B. Kaplanturbinen, Francisturbinen; zur
Erklärung siehe Kapitel 7.2) besteht die Möglichkeit, durch ein sogenanntes Saugrohr
kinetische Energie zurückzugewinnen und die Fallhöhe somit besser auszunutzen. Da der
Fließquerschnitt am Ausgang des Saugrohrs zum Unterwasser größer ist als direkt hinter
der Turbine, nimmt die Fließgeschwindigkeit hier aufgrund der Massenerhaltung ab. Das
Saugrohr oder der Saugschlauch bewirkt also eine Verzögerung des Triebwassers vor dem
Eintritt in das Unterwasser. Dadurch wird der Druck am Turbinenaustritt kleiner als der
durch das Unterwasser festgelegte Druck am Saugrohraustritt.
592 M. Aufleger et al.
Hierbei wird unterstellt, dass der Umgebungsdruck am Ober- und Unterwasser etwa
gleich ist (pOW D pUW ) sowie die Absinkgeschwindigkeit des Oberwassers vernachlässigt
werden kann (vOW D 0). Die Verluste hängen somit von den lokalen Strömungsgeschwin-
digkeiten ab und können folglich durch eine optimierte Anlagengestaltung und -auslegung
minimiert werden. Die an der Turbinenwelle abnehmbare Leistung folgt schließlich aus
der tatsächlich verfügbaren Leistung des Wassers und dem Turbinenwirkungsgrad gemäß
Gleichung (7.19).
Krafthaus
Oberwasser
elektrische
Energie
Generator
p1 vWa,1
Zuleitung
Staubauwerk
Getriebe
h1
Unterwasser
Ableitung
Turbine
p2
h2
vWa,2
Abb. 7.3 Aufbau einer Wasserkraftanlage (h1 , h2 geodätische Höhe des mittleren Wasserspie-
gels vor (1) bzw. hinter (2) dem Krafthaus; p1 , p2 Druck vor (1) bzw. hinter (2) dem Krafthaus;
vWa;1 , vWa;2 Strömungsgeschwindigkeit des Treibwassers vor (1) bzw. hinter (2) dem Krafthaus; Tur-
bine, Generator: zwingend benötigte Komponenten; Getriebe: optionale Komponente; nach [7.8])
die genannten Systemelemente unter dem Wehr oder Staubauwerk, mit dem eine techni-
sche Nutzbarmachung der Fallhöhe i. Allg. erst ermöglicht wird, und dem Krafthaus, das
typischerweise die maschinen- und elektrotechnischen Komponenten beinhaltet, zusam-
mengefasst werden.
Die an einem bestimmten Anlangenort nutzbare Fallhöhe kann in die Brutto- und Net-
tofallhöhe unterteilt werden.
Als Brutto- oder Rohfallhöhe hBrutto wird die Differenz zwischen den Wasserspiegeln
am Beginn und am Ende der von der Wasserkraftanlage genutzten Gewässerstrecke
bezeichnet.
Bei der Nettofallhöhe hNetto wird die Bruttofallhöhe durch die – je nach Bauart der
Wasserkraftanlage unterschiedlichen – hydraulischen Verluste im Zulaufbereich zur
Turbine und in deren Ablauf korrigiert; diese Verluste können insbesondere bei langen
Triebwasserwegen (d. h. vor allem bei Hochdruckanlagen) beträchtlich werden.
Unter Berücksichtigung weiterer Verluste resultiert aus der Nettofallhöhe letztlich die
an einem speziellen Standort nutzbare Fallhöhe hnutz ; sie ist die für eine Anlagenauslegung
final entscheidende Größe.
An der eigentlichen Energiewandlung in einer typischen Wasserkraftanlage sind im
Wesentlichen zwei Systemkomponenten beteiligt: neben der Turbine, die dem Wasser die
Druckenergie und die kinetische Energie entzieht und in mechanische Energie umwandelt,
ist dies der Generator. Durch ihn erfolgt die weitere Umwandlung der mechanischen in
elektrische Energie; dies ist letztlich die typischerweise gewünschte Endenergieform (in
(sehr) alten Wasserkraftwerken war demgegenüber die Bereitstellung ausschließlich me-
chanischer Energie das Ziel (z. B. bei Säge- oder Hammerwerken); heute ist das – unter
kommerziellen Gesichtspunkten – aber praktisch nicht mehr der Fall (Ausnahme: Tou-
594 M. Aufleger et al.
Wasserkraftanlagen
Zusammen-
Aufgelöste Überströmte
hängende
Kraftwerke Kraftwerke
Kraftwerke
Laufwasserkraftwerke Speicherwasserkraftwerke
gänzt werden kann. Die nutzbare Fallhöhe ergibt sich aus dem Aufstau im Bereich
der Talsperre und den gegenüber dem Gewässerlauf deutlich geringeren hydraulischen
Verlusten im Triebwasserweg.
Umgehungsgewässer
Rechen Krafthaus
(u.a. Turbinen,
Generator)
Ein- Aus-
Kraftwerk lauf lauf
Trennpfeiler
Strömungs-
richtung Wehr-
Wehr felder
Stauhaltungsdamm
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 597
In der Blockbauweise bzw. in der konventionellen Bauweise (Abb. 7.6, oben links) sind
Kraftwerk und Wehr nebeneinander angeordnet.
Übertrifft die zur Abfuhr des Bemessungshochwassers notwendige Breite des Wehrs
die Flussbreite, wird das Kraftwerk seitlich neben dem eigentlichen Flussbett ange-
ordnet (Buchtenkraftwerk, Abb. 7.6, oben rechts). Dies kann insbesondere auch aus
baubetrieblichen Gründen vorteilhaft sein, da die Anlage zunächst im Trockenen ge-
baut werden kann. Ist die Anordnung der Anlage in einer Flusskurve erforderlich, sollte
das Kraftwerk aufgrund des hier geringeren Geschiebetriebes an der Kurvenaußenseite
angeordnet werden.
Gerade an Grenzflüssen findet man die Anordnung von jeweils einem Kraftwerksteil
an beiden Flussufern (zweigeteiltes Kraftwerk; Abb. 7.6, unten links).
Pfeilerkraftwerke sind im Vergleich zu den anderen Varianten relativ aufwändig in der
Konstruktion und im Betrieb. Sie besitzen aber aufgrund ihrer Verteilung über den
Fließquerschnitt des Flusses Vorteile hinsichtlich der Anströmung der Turbineneinläufe
(Abb. 7.6, unten rechts).
Aus optischen Gründen (d. h. im Hinblick auf eine bessere Akzeptanz) können Kraft-
werke auch überströmbar ausgeführt werden; zumindest ein Teil des Hochwasserab-
flusses wird dann über die oberhalb des Kraftwerks befindliche Wehranlage abgeführt.
nen Laufwasserkraftwerke mehr; sie sind bedingt spitzenbetriebsfähig und können das
Abflussregime unterhalb des Kopfspeichers zumindest im Tages- oder Wochenverlauf ver-
ändern. Man spricht hier auch von einem „Schwellbetrieb“.
Oberwasserkanal Unterwasserkanal
Restwasser-
kraftwerk
Umgehungs-
gewässer
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 599
K W
K
K
W
Hochdruck-Laufwasser-Ausleitungskraftwerke Hochdruck-Laufwasser-Ausleitungs-
kraftwerke besitzen keine Stauräume zur Bewirtschaftung; sie zeigen daher hinsichtlich
des notwendigen räumlichen Eingriffs Vorteile (Abb. 7.9); d. h. eine nachfrageorientierte
Stromerzeugung ist bei derartigen Anlagen ebenso wie bei den Niederdruckanlagen nicht
gegeben. Aufgrund der hohen Fallhöhen müssen größere Feststoffe (Steine und Sand)
durch Geschiebeabweiseinrichtungen am Einlauf und einen ausreichend dimensionierten
Sandfang aus dem Triebwasser entfernt werden; alternativ dazu kann der Einlauf als
Coanda-Rechen (zur Erklärung siehe unten) ausgebildet sein.
Im Anschluss an den Sandfang wird der Abfluss häufig über einen Niederdruckstollen
bis zu einem Wasserschloss geführt, von welchem ein möglichst kurzer Druckschacht bis
zum eigentlichen Krafthaus führt, in dem sich Turbine(n) und Generator(en) sowie sonsti-
ge Systemkomponenten befinden. Das Wasserschloss ist eine wasserbauliche Systemkom-
ponente im Triebwasserweg von Wasserkraftwerken, die größere Gefälle überwinden; es
hat die Aufgabe, den Druckstoß in Druckstollen und Druckleitungen zu vermindern, der
600 M. Aufleger et al.
Sand- Wasser-
fang Kraft-
Wehr schloss
haus
Restwasserstrecke
(ursprüngliches Bachbett)
beim Öffnen oder Schließen von Armaturen entstehen können; d. h. es dient der Reduktion
hoher dynamischer Druckbeanspruchungen im Zuleitungssystem.
In Abhängigkeit von lokalen topographischen und geologischen Randbedingungen gibt
es eine Vielzahl von Bauweisen bzw. Anordnungen von Hochdruck-Laufwasser-Auslei-
tungskraftwerken. In alpinen Bereichen kann es beispielsweise vorteilhaft sein, anstatt
einer Wehranlage eine überströmbare Wasserfassung (d. h. Tiroler Wehr; zur Erklärung
siehe unten) anzuordnen. In anderen Fällen kann es günstig sein, anstelle eines Druckstol-
lens eine Freispiegelleitung oder einen offenen Oberwasserkanal zu realisieren; anstatt
eines Wasserschlosses wird dann am Übergang in den Druckschacht ein ausreichend gro-
ßes Becken angeordnet.
Talsperre
(Staubecken /
Reservoir)
Einlauf /
Rechen / Druck-
Verschluss Druckstollen schacht
Wasser- Kraft-
Absperrbauwerk schloss haus
(Staudamm /
Staumauer)
Hochwasser-
entlastungs- Restwasserstrecke
anlage
Wasser-
schloss
Stau- Druckstollen
becken
Einlauf
Rechen
Verschluss Druck -
schacht
Krafthaus
Talsperre
(Staubecken /
Reservoir)
Einlauf,
Rechen
Absperrbauwerk
(Staudamm /
Kraft- Staumauer)
haus
Hochwasser-
entlastungs-
anlage
einer der Böschungen im Staubecken angeordnet. Er wird mit einem Rechen und einem
Verschluss versehen, welcher entweder über eine an der Böschung verlaufende Gleit- oder
Rollbahn oder aber aus einer Schieberkaverne im Gebirge bedient werden kann. Alternativ
kommen insbesondere bei Staudämmen auch Einlauftürme zur Anwendung.
602 M. Aufleger et al.
Pumpbetrieb Turbinenbetrieb
Oberbecken Oberbecken
Netz Netz
Turbine
Pumpe
Motor Generator
Unterbecken
zum natürlichen Zufluss (primär aus der Schneeschmelze) das ganze Jahr über immer dann
Wasser in die oberen Speicher gepumpt wird, wenn Strom gespeichert werden soll bzw.
Wasser über die Turbinen in das darunterliegende Höhenniveau abgelassen wird, wenn
elektrische Energie nachgefragt wird.
Insgesamt können damit Pumpspeicherkraftwerke Strom in einer energiewirtschaftlich
relevanten Größenordnung speichern, wenn ein entsprechendes Überangebot am Markt
vorhanden ist (z. B. geringe Nachfrage nach elektrischer Energie und hohe solare Strom-
erzeugung). Umgekehrt können sie dann Strom aus dem gespeicherten Wasser bereitstel-
len, wenn eine entsprechende Marktnachfrage gegeben ist. Zusätzlich können die großen
rotierenden Massen der Turbinen und Generatoren und die schnelle Regelbarkeit der Tur-
binen zur Frequenzhaltung bzw. -stabilisierung im Netz beitragen.
der an dieser Stelle über eine (in Abb. 7.7 nicht eingezeichnete) Fischtreppe abzugeben ist,
kann jedoch auch mit einer derartigen Turbine nicht genutzt werden. Dabei sollte der Ab-
fluss, der aus der Dotierturbine kommt, mit der Lockströmung für die Fischtreppe sinnvoll
kombiniert werden. Der Vorteil bei konstanten oder jahreszeitlich gestaffelten Mindest-
wasserabgaben ist, dass aufgrund des konstanten Dotierabflusses vergleichsweise einfach
gebaute – und damit preiswerte – Turbinen verwendet werden können.
Wehre Wehre sind i. Allg. niedriger als Talsperren; üblicherweise reichen die Höhen von
weniger als 1 m bis maximal ca. 20 bis 30 m. Gleichzeitig werden aber Talsperren mit
mehr als 15 m Höhe bereits als „große Talsperren“ bezeichnet; d. h. hier gibt es Über-
schneidungen.
Ein Wehr muss hinsichtlich seiner Leistungsfähigkeit so bemessen sein, dass das unter
Beachtung der Regeln der Technik bestimmte Bemessungshochwasser zuverlässig ab-
geführt werden können, ohne dass der Oberwasserstand über ein vorgegebenes Niveau
ansteigt und es damit zu Überflutungen kommt. Wehranlagen werden über Wehrwan-
gen mit den angrenzenden Bauelementen bzw. dem Gelände verbunden. Die ober- und
unterwasserseitigen Übergänge sollten möglichst strömungsgünstig ausgebildet werden
(Abb. 7.13). Ein Vorboden an der oberwasserseitigen Flusssohle verhindert Erosionen
infolge erhöhter Schubspannungen im Bereich der Wasserspiegelabsenkungen im Zu-
lauf zu den Wehröffnungen. Im Tosbecken unterwasserseitig des Wehrkörpers bzw. eines
etwaigen Verschlusses (Abb. 7.13 und 7.14) wird die in der beschleunigten Wasserströ-
mung enthaltene Energie durch hohe Turbulenz schadlos umgewandelt. Dabei muss das
Tosbecken ausreichend groß bemessen sein, damit weitere Sohl- bzw. Ufererosionen in
der anschließenden Gewässerstrecke sicher vermieden werden. Ein Kolkschutz (i. Allg.
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 605
Oberwasser-Wehrwange
(im Grundriss z. B. Viertelkreis) Wehrwange
Unterwasser-Wehrwange
Stau- Überfall- (im Grundriss z. B. Viertelellipse)
haltungs- krone
damm
Tosbecken
Vorboden Kolkschutz
Wehrkörper
Untergrundabdichtung
(z. B. Dichtwand)
aus Wasserbausteinen) im Anschluss an das Tosbecken sorgt hier für einen zusätzlichen
Schutz der Sohle am unmittelbaren Übergang zwischen dem Bauwerk und dem Flussbett.
Wehre können als feste und als bewegliche Wehre errichtet werden (Abb. 7.13
und 7.14); dementsprechend werden diese beiden Varianten unterschieden.
Feste Wehre (Abb. 7.13) besitzen einen starren Wehrkörper, der üblicherweise aus Be-
ton besteht. Ältere Wehre wurden auch aus Kombinationen von Holzpfählen und Stein-
packungen mit einem Deckwerk aus Beton oder Brettern hergestellt. Von besonderer
Bedeutung ist die Formgebung der Überfallkrone, weil sie die Abflussleistung beein-
flusst. Feste Wehre zeichnen sich durch eine hohe Betriebssicherheit aus, da keinerlei
Steuerung vorhanden ist. Der Oberwasserspiegel kann dabei jedoch nicht reguliert wer-
den. Er hängt allein davon ab, wie viel Wasser über das Wehr fließt. Beispielsweise
steigt bei Hochwasser der Oberwasserspiegel deutlich über die Höhe der Überfallkro-
ne an.
Bewegliche Wehre (Abb. 7.14) sind im Unterschied zu festen Wehren mit Wehrver-
schlüssen versehen. Durch Anheben oder Absenken bzw. Drehen der Verschlüsse kann
der Abfluss durch die Wehranlage gesteuert werden. Bewegliche Wehre bedingen einen
deutlich höheren Aufwand bei der Errichtung und dem Betrieb der Anlage. Durch die
Steuerungsmöglichkeit kann jedoch der Wasserspiegel im Oberwasser des Wehrs nach
den jeweiligen Erfordernissen eingestellt werden; hieraus ergeben sich in der Regel
Oberwasser-Wehrwange
(im Grundriss z. B. Viertelkreis)
Wehrverschluss
(hier Zugsegment mit Aufsatzklappe)
Stau-
haltungs- Unterwasser-Wehrwange
damm (im Grundriss z. B. Viertelellipse)
Vorboden Tosbecken
Wehr- Kolkschutz
Untergrundabdichtung Wehrkörper
(z. B. Dichtwand) schwelle
c d
erhebliche energie- bzw. wasserwirtschaftliche Vorteile. Bei der Wahl des Wehrver-
schlusses sind insbesondere die hydraulischen und betrieblichen Randbedingungen vor
Ort zu berücksichtigen. Abb. 7.15 zeigt einige Beispiele.
Staumauern sind aus Beton und müssen im und auf Fels gegründet werden. Abhän-
gig von der Talform und der Gebirgsfestigkeit können sie als Bogen-, Gewichts- oder
Pfeilerstaumauern ausgeführt werden (Abb. 7.16). In konventioneller Bauweise werden
Staumauern in einzelnen Betonierblöcken erstellt. Insbesondere für Gewichtsstaumau-
ern hat sich im internationalen Talsperrenbau die Walzbetonbauweise (Roller Compac-
ted Concrete) durchgesetzt. Hierbei wird der Massenbeton kontinuierlich mit typischen
Erdbaugeräten transportiert (z. B. mit Muldenkippern), verteilt (mit Bulldozern) und
verdichtet (Vibrationswalzen). Bei guter Planung, Ausführung und Qualitätskontrolle
kann damit eine sehr gute Betonqualität erreicht werden.
Staudämme werden aus Erd- oder Felsmaterialien geschüttet und verdichtet. Sie kön-
nen auch an schwierigen Sperrenstellen (d. h. bei ungünstigem Baugrund, bei breiten
Talquerschnitten) errichtet werden. In typischen Staudammquerschnitten und insbe-
damms
Staubecken
sondere bei hohen Dämmen lassen sich der Stützkörper (Lastabtragung) und das Dich-
tungselement (Dichtkern) klar unterscheiden (Abb. 7.17). Als Dichtung werden neben
natürlichem Material (ausreichend gering durchlässige und verdichtbare feinkörnige
Böden) auch künstliche Baustoffe (insbesondere Asphaltbeton, Beton, Kunststoffdich-
tungsbahnen) eingesetzt; hierbei sind sowohl Innen- als auch Oberflächendichtungen
möglich. Besondere Aufmerksamkeit bedingt der Anschluss des Staudammes – insbe-
sondere der Dichtungszone – an den Untergrund und die entsprechende Untergrund-
abdichtung. Durchdringungen der Schüttkörper des Damms beispielsweise durch Lei-
tungen sollten im Hinblick auf die Vermeidung unerwünschter Sickerströmungen mög-
lichst vermieden werden.
Speicherraum Der Stauraum des Speicherbeckens kann nach den Erfordernissen des
Energiemarktes genutzt werden. Generell gilt, dass je höher das Verhältnis des nutzbaren
Speichervolumens zum Gesamtvolumen des Jahreszuflusses ist, umso flexibler kann die
Talsperre energiewirtschaftlich bewirtschaftet werden.
608 M. Aufleger et al.
Arbeitsbereich Absetzbereich
Abb. 7.18 Beispiel für ein Seilwinde
Konzept zur kontinuierlichen
Abführung von Sedimenten
aus einem Speicherbecken
eines Speicherkraftwerks (nach Pumpeneinheit
[7.39])
Saugkopf
Sediment
Die Bandbreite der Speicher reicht von Anlagen, die bei Hochwasser innerhalb weniger
Minuten gefüllt sind bis hin zu solchen Systemen, die das gesamte Abflussvolumen eines
Flusses über 2 oder 3 Jahre speichern können. Man unterscheidet daher zwischen Tages-,
Wochen-, Jahres- und Mehrjahresspeichern. Beispielsweise wird in einem Jahresspeicher
das Wasser aus der Schneeschmelze im Frühjahr und Sommer zwischengespeichert, um
damit im darauffolgenden Winter Strom zur Deckung der dann typischerweise in Euro-
pa überdurchschnittlich hohen Nachfrage nach elektrischer Energie erzeugen zu können.
Dabei gilt, dass je größer die verfügbare Fallhöhe ist, umso kleiner kann bei gleichem
Arbeitsvermögen der bewirtschaftete Speicherraum sein.
Die meisten großen Speicher sind Mehrzweckprojekte; d. h. sie dienen nicht nur der
Wasserkraftnutzung, sondern auch der Speicherung von Wasser z. B. für die Trinkwas-
serversorgung oder die Bewässerung in der Landwirtschaft. Andere Speicher, z. B. in
den Alpen, dienen der marktorientierten Bereitstellung von Strom beispielsweise zu Spit-
zenlastzeiten. Derzeit werden global gesehen zwar laufend neue Speicherbecken gebaut;
insgesamt geht aber derzeit mehr Speichervolumen durch Verlandung verloren als neu
zugebaut wird. Diese Entwicklung ist mittel- bis langfristig nicht nachhaltig; deshalb müs-
sen zukünftig vermehrt entsprechende Gegenmaßnahmen (z. B. Geschiebeumleitstollen
oder Spülungen und Baggerungen zur Sedimentabfuhr) realisiert werden. Abb. 7.18 zeigt
exemplarisch ein Beispiel für ein Konzept, mit dem das Sediment aus dem Speicherbe-
cken kontinuierlich aufgenommen und kurz vor dem Turbineneinlass wieder abgegeben
wird. Da vor dem Turbineneinlass höhere Fließgeschwindigkeiten und Turbulenzen im
Vergleich zum gesamten Speicherbecken vorherrschen, setzen sich die Sedimente an der
Stelle nicht wieder ab und können mit dem Triebwasser durch die Turbine(n) in das Unter-
wasser abgegeben werden. Dadurch kann der Verlust an Speichervolumen reduziert oder
verhindert werden [7.39]. Ein derartiger Lösungsansatz ist jedoch grundsätzlich nur mit
sehr feinen Sedimenten technisch möglich, weil ansonsten die Turbinenerosion durch die
Sedimentpartikel zu groß wird.
Schiffsschleuse Boots- oder Schiffsschleusen sind dann erforderlich, wenn das Wehr
bzw. das Wasserkraftwerk an einem schiffbaren Fließgewässer (z. B. Bundeswasserstraße)
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 609
a
Oberwasser
b Oberwasser
c Oberwasser
d
Kammer
Kammer
Kammer
Kammer
Unterwasser
Unterwasser
Unterwasser Unter-
wasser
Abb. 7.19 Betriebsweise einer Schleuse (a Schiff fährt aus dem Oberwasser in die Schleuse ein, die
oberwasserseitigen Schleusentore sind offen; b Schiff befindet sich in der Schleuse, die oberwas-
serseitigen Schleusentore sind geschlossen und das Wasser in der Schleuse wird ins Unterwasser
abgelassen; c der Pegel in der Schleuse entspricht dem des Unterwassers und die unterwasserseiti-
gen Schleusentore können geöffnet werden; d das Schiff fährt aus der Schleuse in das Unterwasser)
liegt. Beispielsweise ist am Neckar oder am Main die Schifffahrt heute nur deshalb mög-
lich, weil diese relativ kleinen Flüsse, auf denen im ursprünglichen Zustand kaum eine
kommerzielle Schifffahrt möglich gewesen wäre, durch einen Staustufenausbau mit Was-
serkraftnutzung und der Installation entsprechender Schiffsschleusen schiffbar gemacht
wurden.
Boots- oder Schiffsschleusen ermöglichen es Wasserfahrzeugen, den durch das Wehr
geschaffenen geodätischen Höhenunterschied in einem Fließgewässer zu überwinden. Ty-
pisches Kennzeichen einer Schleuse ist eine zwischen Ober- und Unterwasser angebrachte
ausreichend dimensionierte flutbare Kammer, die mit je einem beweglichen Schleusentor
nach oben (d. h. zum Oberwasser) und nach unten (d. h. zum Unterwasser) wasserdicht
verschließbar ist. Während eines Schleusungsvorgangs fährt ein Wasserfahrzeug vom Un-
terwasser- oder vom Oberwasserniveau in diese Kammer; dazu ist das entsprechende
Schleusentor geöffnet und das jeweils andere Tor geschlossen (Abb. 7.19). Befindet sich
das Wasserfahrzeug in der Kammer, wird das jeweils offene Tor ebenfalls geschlossen.
Danach wird durch mit Schiebern versehene Öffnungen der Wasserspiegel in der Kammer
durch Zuströmung vom Oberwasser angehoben bzw. durch Ablassen ins Unterwasser ab-
gesenkt, bis der Wasserspiegel in der Kammer das Ober- bzw. Unterwasserniveau erreicht
hat. Anschließend kann das entsprechende Tor geöffnet werden und das Wasserfahrzeug
verlässt die Kammer auf dem entsprechenden Unterwasser- bzw. Oberwasserniveau. Der
Schleusungsvorgang ist damit abgeschlossen.
610 M. Aufleger et al.
Fischauf- und -abstieg In Europa und zunehmend auch in anderen Ländern müssen
Wasserkraftanlagen so ausgerüstet sein oder nachgerüstet werden, dass Fische und an-
dere Gewässerorganismen schadlos aufwärts und / oder abwärts wandern können. Dafür
ist die Installation naturnaher oder künstlicher Gerinne üblich, die je nach den in dem
jeweiligen Fluss(abschnitt) vorkommenden Fischarten bestimmte hydraulische Kriterien
erfüllen müssen. Abb. 7.20 zeigt ein entsprechendes Beispiel, bei dem der Fischaufstieg
über eine Fischtreppe realisiert wird, die aus einer Aneinanderreihung von kleinen Becken
besteht, die wasserseitig miteinander verbunden sind. Dabei muss sichergestellt werden,
dass die Fische den Einstieg in die Fischtreppe finden können. Dann schwimmen sie durch
die durchströmten Verbindungen zwischen den Einzelbecken zum Oberwasser.
Bei großen Fallhöhen und / oder sehr beengten Platzverhältnissen kommen auch Fisch-
lifte oder Fischschleusen zum Einsatz.
Wasserfassung
Krafthaus Oberwasserkanal
Fischtreppe
Wehr-
anlage
Unter- Ableitung
wasser- Überschuss/
kanal Restwasser
Ursprüngliches
Flussbett
Absturz
(für Fische
unpassierbar)
Bei Kombinationen der beiden Bauformen wird das Becken mit den Fischen – wie das
Schiff bei einer Schiffsschleuse – angehoben bzw. abgesenkt und danach die Fische ins
Ober- bzw. Unterwasser entlassen.
Für beliebig große Fallhöhen wird derzeit das „Whoosh Fish Passage System“ erprobt,
bei dem die Fische mithilfe eines leichten Luftüberdrucks durch passende Schläuche ge-
fahrlos und schnell über beliebige Höhen und Distanzen transportiert werden können.
Der Fischabstieg ist wesentlich schwieriger sicherzustellen, weil die Fische von sich
aus der Hauptströmung folgen und so in die Turbinen gelangen können; dort können sie
– je nach Turbinenart, Druckunterschied und Drehzahl – mehr oder weniger geschädigt
und im schlimmsten Fall getötet werden. Obwohl intensiv an der Entwicklung fisch-
freundlicher Turbinen gearbeitet wird, muss es das generelle Ziel sein, die Fische an den
Turbinen vorbei sicher ins Unterwasser zu bringen. Bei kleineren Wasserkraftanlagen, die
zum Schutz ihrer Turbinen ohnehin über Rechen mit geringen Stababständen verfügen,
können die Rechendurchlässe so weit verringert werden, dass selbst kleinere Fische nicht
durch den Rechen und damit in die Turbine gelangen können. Dadurch werden sie am
Rechen entlang zu einer Rinne geleitet, über die sie ins Unterwasser gespült werden. Bei
großen Flusskraftwerken sind solche engen Rechenstababstände nicht möglich. Hier wird
mit Leiteinrichtungen experimentiert, die das Verhalten der Fische so beeinflussen sol-
len, dass sie zu einer Abstiegsrinne gelangen. Demgegenüber ist bei großen Talsperren
der Fischabstieg weitgehend ungelöst. Da jedoch die Talsperren in den Alpen meist ober-
halb bzw. im obersten Bereich der natürlichen Fischvorkommensgrenzen liegen, ist das
Problem dort weniger akut.
Einlauf- oder Entnahmebauwerk Das Einlauf- oder Entnahmebauwerk dient der Ent-
nahme des Triebwassers aus dem Fluss oder dem Speicher. Bei geschiebeführenden Flüs-
sen hat das Entnahmebauwerk zusätzlich die Funktion, das Geschiebe soweit wie möglich
im Flussbett zu lassen und nur das Wasser in die Triebwasserwege zu leiten. Im Anschluss
an das Einlauf- oder Entnahmebauwerk befindet sich bei Hochdruckwasserkraftanlagen
ein Sandfang. Beim sogenannten Coanda-Rechen (siehe unten) sind Wehr, Entnahmebau-
werk und Sandabweiser in einem Bauwerk kombiniert.
Sandfang oder Entsander Der Sandfang ist typischerweise ein langgestrecktes Be-
cken, in dem die Strömungsgeschwindigkeit des Wassers soweit reduziert wird, dass sich
Schwebstoffe mit einem Durchmesser über z. B. 0,2 mm bis zum Ende des Beckens an der
Sohle absetzen. Dadurch gelangen sie nicht in die Druckrohrleitungen und damit zu den
Turbinen, wo sie infolge der hohen Fließgeschwindigkeiten zu Abrasionsschäden führen
würden. Erreichen die Ablagerungen im Sandfang ein bestimmtes kritisches Niveau, wird
das Becken gespült und dadurch der abgelagerte Sand in das Flussbett zurückgeleitet.
Üblicherweise werden zwei oder mehr Sandfänge parallel installiert, so dass einer davon
immer betriebsbereit ist, während der andere gespült wird.
612 M. Aufleger et al.
Rechen und Rechenreiniger Vor der Turbine ist im Regelfall immer ein Rechen ange-
ordnet, der verhindern soll, dass Treibgut und andere Fremdkörper, welche die Turbine
beschädigen könnten, in diese gelangen. Der maximal zulässige Stababstand der Rechen
ist damit von der jeweils installierten Turbine abhängig; z. T. werden Abstände der verti-
kal oder horizontal angeordneten Rechenstäbe von 2 cm oder weniger realisiert. Zusätzlich
dienen Rechen bei kleineren Kraftwerken auch dazu, Fische von den Turbinen fernzuhal-
ten (siehe oben).
Abb. 7.21 zeigt exemplarisch eine derartige Rechenanlage. Demnach befindet sich vor
oder im Triebwasserkanal der eigentliche Rechen, der dann durch eine automatisierte
Rechenreinigungsanlage von den im Triebwasser befindlichen und sich am Rechen an-
sammelnden Geschwemmsel bzw. Treibgut gereinigt wird. Dieses abgetrennte und im
dargestellten Beispiel in einem Container gesammelte Material muss dann ordnungsge-
mäß entsorgt werden.
Je kleiner der Rechenstababstand, umso schneller sammeln sich am Rechen Blätter,
Gras, Laub und anderes Geschwemmsel an. Deshalb entfernen automatische Rechenreini-
gungsmaschinen derartige angelagerte Partikel und befördern diese in einen Abfallbehäl-
ter oder über eine Schwemmrinne in Richtung Unterwasser. Dabei muss die entsprechende
Reinigungsmaschine an die Rechengeometrie angepasst werden.
Ein spezieller Rechentyp sind sogenannte Coanda-Rechen. Er besteht aus horizon-
tal angeordneten Rechenstäben mit Stababständen zwischen 0,4 und 2 oder 3 mm. Der
Rechen macht sich den sogenannten Coanda-Effekt (Wandhaftungseffekt) zunutze. Dazu
wird das Wasser aus dem Flussbett über die horizontal angeordneten, scharfkantigen und
filigranen Rechenstäbe geleitet, die in der Gesamtkontur einem konkaven Profil folgen
(Abb. 7.22). Jeder Stab ist gegenüber dem oberhalb liegenden leicht verdreht. Dadurch
ragt die Kante des Stabprofils in das darüber strömende Wasser hinein und von dem Was-
serstrom wird jeweils ein bestimmter Teil abgeschert (Abb. 7.22). Coanda-Rechen haben
daher ein relativ geringes Schluckvermögen und werden deshalb nur bei kleinen Entnah-
memengen bis ca. 5 m3 /s eingesetzt. Ihr Vorteil besteht aber darin, dass kein Rechenreini-
Container
Rechen
Schmutzgreifer
Wasserzulauf
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 613
Detail (a)
Detail (a)
ger erforderlich ist und Geschiebepartikel, die zu Turbinenabrasion führen könnten, durch
den Rechen bereits abgeschieden werden. Wenn durch die Installation eines derartigen
Rechens auf einen Sandfang verzichtet werden kann, kann dies zu kostengünstigeren Ge-
samtlösungen führen.
Ob Coanda-Rechen auch geeignet sind, Fische gefahrlos ins Unterwasser zu beför-
dern, ist bisher nicht abschließend untersucht. Auch die tatsächliche Abscheidung von
Geschiebepartikeln bestimmter Größe in Abhängigkeit vom Rechenstababstand ist nicht
vollständig geklärt und derzeit Thema wissenschaftlicher Untersuchungen.
Ein sogenanntes Tiroler Wehr ist ein Wehr mit einem liegenden Rechen, das spezi-
ell zur Wasserentnahme aus Gebirgsbächen mit großem Grobgeschiebetrieb und einem
starken Gefälle entwickelt wurde (Abb. 7.23); es dient damit kaum der Wasserstauung,
sondern vielmehr primär zur Wasserentnahme und Weiterleitung in einem entsprechen-
den Kanal / Druckstollen. Die Rechenstäbe bestehen aus massiven Stahlprofilen, so dass
Steine und Geröll bei Hochwasser einfach über den Rechen hinweg gespült werden, wäh-
rend das Triebwasser und kleinere Geschiebepartikel nach unten in den Ableitungskanal
gelangen. In steilen Gewässerstrecken wird der Abfluss dann über einen Sandfang in ei-
ne Druckrohrleitung eingeleitet, welche ohne Wasserschloss direkt ins Krafthaus oder in
einen größeren Speicher geführt wird.
Steinschlagrechen
Rechen
Vorbecken
Wehr-
kanal
Zulauf
Entsanderkammer und Spülkanal
über ein System von offenen Kanälen, schwach geneigten Freispiegel- oder Niederdruck-
stollen oder stark geneigten bzw. senkrechten Hochdruckschächten oder Druckrohrlei-
tungen zur Turbine geleitet. Druckschächte und Stollen können – je nach Druckniveau –
mit Stahl gepanzert oder auch ungepanzert sein. Rohrleitungen werden typischerweise
– in Abhängigkeit des Durchmessers und der jeweiligen Druckstufe – aus Glasfaser-
verstärktem Kunststoff, duktilem Gusseisen oder Stahl gefertigt. Vereinzelt werden bei
Niederdruckanlagen auch Rohrleitungen verwendet, die aus Holzstäben bestehen, die mit
umlaufenden Spannringen fixiert werden.
Die jeweils optimalen technisch-wirtschaftlichen Kombinationen für die Realisierung
der Bauelemente Kanäle, Stollen und Schächte sowie Druckrohrleitungen ergeben sich
aus der jeweiligen Topographie und der lokal vorliegenden Gesteinsfestigkeit sowie dem
anstehenden Druck, der sich aus der Fallhöhe ergibt. Alle Systeme werden so dimen-
sioniert, dass die hydraulischen Verluste aufgrund der Wandreibung (d. h. die Fallhöhen-
verluste) soweit reduziert werden bis der Leitungsdurchmesser erreicht ist, bei dem der
zusätzliche energetische Nutzen die höheren Baukosten nicht mehr rechtfertigt.
Wasserschloss
Schieberhaus
Druckstollen
Krafthaus Das Krafthaus ist das Gebäude, in dem sich Turbinen, Generatoren und al-
le Hilfs- und Nebenaggregate sowie die automatischen Turbinenregler und die Steuerung
befinden. Bei großen Flusskraftwerken sind beispielsweise die eingesetzten Kaplanturbi-
nen oft mehrere Stockwerke hoch, so dass das Gebäude sozusagen um die Turbine herum
gebaut ist. Gleiches gilt für stehende Francisturbinen bei großen Mitteldruckanlagen. Bei
größeren Fallhöhen und kleineren Abflüssen werden die Turbinen entsprechend kleiner.
Dann realisiert das Krafthaus die Umhausung für die elektromechanischen Komponenten,
die in dem Gebäude auf speziellen Fundamenten montiert werden und dem Einleiten der
auftretenden Kräfte in den Baugrund dienen. Krafthäuser brauchen damit entsprechende
Zufahrtsmöglichkeiten und geeignete Krananlagen sowie ausreichende Räumlichkeiten,
um die Turbinen und Generatoren anliefern und einbauen sowie später – zum Zweck von
Wartung und Reparaturen – wieder ausbauen zu können.
Saugrohr oder Saugschlauch Saugrohr oder Saugschlauch stellen die hydraulische Ver-
bindung zwischen dem Turbinenlaufrad von beispielsweise einer Kaplan-, Francis- oder
Durchströmturbine und dem Unterwasser her. Der Fließquerschnitt des Saugrohrs wird da-
bei zum Ausgang zum Unterwasser hin als Diffusor ausgeführt (Abb. 7.1). Dadurch wird
die Geschwindigkeit des Triebwassers vor dem Eintritt in das Unterwasser verzögert. Am
Turbinenaustritt, an dem eine höhere Geschwindigkeit herrscht, stellt sich dadurch ein
Druck ein, der unter dem Umgebungsdruck liegt; d. h. die treibende Druckdifferenz über
der Turbine wird vergrößert. Die richtige Dimensionierung des Saugrohrs ist daher wichtig
für die vollständige Ausnutzung der Fallhöhe und für einen optimalen Gesamtwirkungs-
grad der Wasserkraftanlage. Das Saugrohr dient in Summe letztlich dazu, dass möglichst
wenig nicht genutzte Restenergie an das Unterwasser abgegeben wird.
Unterwasserkanal Wenn das Kraftwerk nicht im Flussbett oder direkt daneben errich-
tet ist, wird das Triebwasser vom Kraftwerk nach dem Austritt aus dem Saugrohr über
einen offenen Unterwasserkanal wieder dem entsprechenden Fließgewässer (z. B. Fluss)
616 M. Aufleger et al.
zugeführt. In manchen Fällen – und insbesondere dann, wenn Turbinen wegen der Kavita-
tionsgefahr deutlich unter dem Unterwasserspiegel im Fluss liegen – können auch längere
Niederdruckstollen, sozusagen verlängerte Saugrohre, der Rückführung des Triebwassers
zu dem jeweiligen Fließgewässer dienen.
7.2.3.1 Turbinen
Nachfolgend werden die Turbinen, wie sie in Wasserkraftanlagen zum Einsatz kommen,
vertieft sowohl bezüglich der Grundlagen als auch im Hinblick auf eine technische Um-
setzung diskutiert.
Grundlagen Die hydraulische Maschine, welche die Energie des Triebwassers in eine
Drehbewegung und damit in mechanische Energie umwandelt, wird als Turbine oder als
Strömungsmaschine bezeichnet. Vorläufer der Turbinen waren die Wasserräder, die bei
kleinen Gefällen und niedrigen Durchflüssen sehr vereinzelt nach wie vor eingesetzt wer-
den (siehe unten).
Strömungsmaschinen, zu denen die Turbinen zählen, dienen der kontinuierlichen
Wandlung von Strömungsenergie (d. h. Energie, die in einem Fluid enthalten ist) in me-
chanische Energie, die dann an der Maschinenwelle für eine weitergehende Nutzung (z. B.
zur Stromerzeugung mithilfe eines Generators) zur Verfügung steht. Damit stellen Turbi-
nen Energie aus dem strömenden Wasser an der Turbinenwelle zur Verfügung, während
Pumpen oder Verdichter – als eine andere Kategorie der Strömungsmaschinen – vorhan-
dene oder speziell dafür bereitgestellte mechanische Energie an ein Fluid übertragen,
indem die an der Welle anliegende Energie in Druck- und / oder in kinetischer Energie
umgewandelt wird. Kann der Strömungsvorgang als dichtebeständig angesehen werden
(d. h. die Dichte des Fluides ändert sich nicht beim Durchströmen der Maschine), wie dies
bei Wasserturbinen immer der Fall ist, vereinfacht sich die physikalische Beschreibung.
Eine Turbine besteht immer aus einer einem Laufrad vorgestellten Leiteinrichtung, die
einerseits die Druckenergie des Wassers in kinetische Energie umwandelt und andererseits
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 617
die beschleunigte Strömung in einem optimalen Winkel auf die sich bewegende Laufrad-
beschaufelung lenkt. Diese sich bewegende Laufradbeschaufelung lenkt die Wasserströ-
mung selbst wiederum derart um, dass sie im nachfolgenden, nicht drehenden Abflussrohr
aus Effizienzgesichtspunkten möglichst drallfrei abströmt. Diese starke Umlenkung be-
wirkt das Drehmoment auf die Welle.
Die mögliche Übertragung von Arbeit von einem Fluid zur Strömungsmaschine – und
damit in mechanische Arbeit an der Welle – kann durch die Massenerhaltung (d. h. die
Masse bleibt im Verlauf der gesamten Energiewandlungskette erhalten), die Energieer-
haltung (d. h. Energie kann nur umgewandelt, aber nicht „erzeugt“ werden) sowie die
Impuls- bzw. Momentenerhaltung (d. h. die Summe der Impulse bzw. der Momente eines
Bezugspunktes ist konstant) beschrieben werden. Dabei ist unter stationären Bedingungen
bei einer dichtebeständigen Strömung (hier: Wasser, Wa) mit der Geschwindigkeit vWa in
einer durchströmten Fläche S der Volumenstrom qP Wa konstant (Gleichung (7.23); siehe
Kapitel 7.1).
Gleichung (7.24) kann durch Integration vom Strömungszustand 1 bzw. 0 zum Zu-
stand 2 zu Gleichung (7.25) umgeformt werden. Da die aus einer gegebenen Strömung
erzielbare Turbinenleistung gesucht ist, wird über die Turbine bilanziert. Als Bilanzgren-
ze gilt der Eintritt ins Laufrad (Index 1) bzw. ins Leitrad (Index 0) sowie der Austritt aus
dem Laufrad (Index 2).
1 2
v vW
2
a;1 C .pW a;2 pW a;1 / =Wa C g .h2 h1 / C
Wa C LU D 0 (7.25)
2 W a;2
Diese Energiebilanz (Gleichung (7.25)) unter Berücksichtigung der spezifischen Arbeit
LU beschreibt, wie viel der Strömungsenergie zur Umwandlung in mechanische Energie
an der Turbinenwelle zur Verfügung steht. Sie berücksichtigt aber nicht, auf welche Art
dies geschehen könnte. Um dies zu konkretisieren, kann die Strömungsführung zur Rea-
lisierung der Energiewandlung über das Momentengleichgewicht festgelegt werden.
Die Turbinenleistung PTurbine , die an der Turbinenwelle anliegt, ist proportional der
spezifischen Arbeit am Umfang der Beschaufelung der Strömungsmaschine LU und dem
Massendurchsatz m P D Wa qP Wa des Wassers. Es gilt Gleichung (7.26).
Die Turbinenleistung PTurbine ist aber auch definiert durch die Impulsänderung
(mP vWa;u ) zwischen dem Strömungszustand über dem Laufrad vom Eintritt 1 zum Aus-
tritt 2, die am Radius r anliegt, bei einer Drehfrequenz !. Sie kann durch Gleichung (7.27)
beschrieben werden.
PTurbine D m
P .r2 vW a;u;2 r1 vW a;u;1 / ! (7.27)
Demnach leistet lediglich die in Umfangsrichtung gerichtete Komponente vWa;u der ab-
soluten Strömungsgeschwindigkeit vWa einen Beitrag zum Drehmoment, nicht aber die
radial bzw. axial gerichteten Strömungskomponenten. Auch kann der Impuls der Einströ-
mung (Index 1) auf einem zur Ausströmung (Index 2) unterschiedlichen Radius angreifen.
Gleichung (7.26) und (7.27) können unter Kürzen des Massenstroms m P gleichgesetzt
werden. Zusätzlich zur Strömungsgeschwindigkeit des Wassers vWa muss dabei berück-
sichtigt werden, dass sich die angeströmte Schaufel selbst mit einer Umfangsgeschwin-
digkeit vu (r, !) bewegt, die sowohl vom Radius der betrachteten Stelle r als auch von
der Kreisfrequenz ! des sich drehenden Rotors bestimmt wird. Für diese sogenannte Um-
fangsgeschwindigkeit der Schaufel gilt vu D r !. Hieraus ergibt sich die von Leonhard
Euler bereits im 18. Jahrhundert hergeleitete Euler’sche Turbinenhauptgleichung der Strö-
mungsmaschinen (Gleichung (7.28)).
0 1 2
Leitschaufel
vrel,2
Laufschaufel vu,2
vWa,0
vWa,0,u
vWa,0,ax
vWa,2,u
vWa,2,ax
vWa,1,ax
vWa,1,u
vrel,1
vu,1
vWa,1
der Geschwindigkeit des Wassers vWa;1 und die Abströmung entsprechend mit vWa;2 . Die
Arbeitsübertragung vom Fluid auf das Laufrad wird einerseits durch die Strömungsumlen-
kung und andererseits durch die Impulsänderung zwischen An- und Abströmung realisiert.
Um diese Arbeitsweise zu veranschaulichen, werden die Geschwindigkeitsvektoren des
Laufrades in einer Darstellung zusammengefasst.
Abb. 7.26 zeigt den allgemeinen Fall einer Turbine mit Änderung des Radius des
durchströmten Ringquerschnitts. Im feststehenden Leitrad (Abb. 7.26b) wird der ankom-
menden Strömung eine starke Drallkomponente hinzugefügt, um im bewegten Laufrad
(Abb. 7.26a) eine entsprechende Umlenkung realisieren zu können; dies erhöht den Wir-
kungsgrad deutlich.
Die Schaufel des Laufrades bewegt sich mit der Umfangsgeschwindigkeit am Radi-
us r mit vu D r !. Sollen Strömungszustände beurteilt werden, die in der Strömung des
Laufradkanals auftreten (z. B. Reibungsverluste), muss man die Relativgeschwindigkeit
des Wassers vrel im Laufrad kennen. Diese Relativgeschwindigkeit errechnet sich aus
der Strömungsgeschwindigkeit des Wassers abzüglich der Umfangsgeschwindigkeit der
Schaufel vrel D vWa vu .
Die Strömung trifft mit der Geschwindigkeit vWa;0 und dem Anströmwinkel ˛0 auf
das Leitrad und verlässt es mit der Geschwindigkeit vWa;1 . Subtrahiert man somit von der
Anströmgeschwindigkeit des Wassers vWa;1 die Umfangsgeschwindigkeit vu;1 der Schau-
620 M. Aufleger et al.
vrel,1,u
lung der Beschaufelung (links β1
vWa,1
unten) und dem Geschwin- vu,2
digkeitsdreieck des Laufrades
vWa,1,u
vu,1 β2
(rechts) (zur Erklärung der
Formelzeichen siehe Text)
α1
vrel,2,u
vrel,2
vu
vWa,0
vWa,2,u
vWa,2
α0 α2
vWa,2,ax
Demnach muss zur Arbeitsübertragung in Axialmaschinen die Strömung von der Ein-
trittsebene zur Austrittsebene des Laufrades bezogen auf das ruhende Absolutsystem um-
gelenkt werden (vWa;2;u ¤ vWa;1;u ). Derart gestaltete Turbinen erzielen Wirkungsgrade von
deutlich über 90 %. Dies ist mit den folgenden Konsequenzen verbunden.
Soll mit einer Turbine ein maximaler Anteil der Energie aus dem Fluid an die Wel-
le übertragen werden, muss im Laufrad eine möglichst starke Umlenkung vorgesehen
werden. Dazu muss die Strömungsrichtung am Eintritt in Drehrichtung und die Strö-
mungsrichtung am Austritt entgegen der Drehrichtung erfolgen, um für die Schaufel-
arbeit bei einem möglichst hohen Betrag ein negatives Vorzeichen zu erhalten. Die
starke Verdrallung am Eintritt kann durch ein stehendes Leitgitter, das z. T. auch als
Düse bezeichnet wird, erzielt werden; es ist dem Laufrad vorgeschaltet.
Ein starker Drall in der Abströmung beinhaltet noch viel kinetische Energie, die an
dieser Stelle als Verlust anzusehen ist. Deshalb sollte die Strömung im Laufrad so
ausgerichtet werden, dass sich eine drallfreie Abströmung im Absolutsystem einstellt
(vWa;2;u D 0). Dadurch kann Gleichung (7.28) zu Gleichung (7.30) vereinfacht werden.
Schnellläufigkeit. Die Schnellläufigkeit ist definiert als das Verhältnis des Volumen-
stroms des Wassers zur zugeführten Energie. Sie dient als dimensionslose Drehzahl
und kann nach Gleichung (7.32) beschrieben werden. n ist die Drehzahl der Turbine,
g die Fallbeschleunigung, hnutz die nutzbare Fallhöhe und qPWa der durch die Turbine
strömende Volumenstrom.
p
2 n qPWa
D (7.32)
.2 g hnutz /3=4
Ist die Anströmgeschwindigkeit des Wassers vWa;1 größer als die Umfangsgeschwin-
digkeit der Schaufel (vWa;1 > vu;1 ), dann spricht man von einem Langsamläufer. Ist sie
demgegenüber kleiner (vWa;1 < vu;1 ) handelt es sich um einen Schnellläufer. Gelegent-
lich wird diese Unterscheidung auch über die Laufzahl definiert (siehe unten).
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 623
4 qP Wa
D p (7.34)
D 2 2 YS t
D vu =vWa (7.35)
Bei der Übertragung der Daten einer Turbinenausführung auf eine andere können nicht
alle Ähnlichkeitsanforderungen erfüllt werden. Deshalb können die erzielbare Leistung
und vor allem die zu erwartenden Wirkungsgrade nicht einfach übertragen werden. Hier-
zu sind spezifische Korrelationen, sogenannte Aufwerteformeln erforderlich, die entweder
als Korrelationen aus bisherigen Erfahrungen gebildet oder durch physikalische Überle-
gungen hergeleitet werden [7.37].
Zusätzliche Herausforderungen beim Betrieb von modernen Wasserturbinen stellen
Kavitation sowie Abrasion dar.
dass je feiner das Sieb vor dem Einlauf ist, desto größer ist der Druckverlust des Was-
serstroms und umso höher ist die Gefahr einer Verstopfung des Rechens. Deshalb stellt
die Sandabrasion eine weitere Herausforderung dar, die beispielsweise die Düsen und
Becher von Pelton-Rädern, aber auch die Leit- und Laufradschaufeln von Francis-Tur-
binen betrifft (zur Erklärung der Turbinentypen: siehe unten). Auch die Abrasion lässt
sich nicht zwingend vollständig verhindern.
Einteilung und Abgrenzung Aufgrund der sehr unterschiedlichen Fallhöhen und ver-
schiedenartigen Durchflussmengen – und der daraus resultierenden extrem verschiedenar-
tigen Druck- und Geschwindigkeitsverhältnisse des jeweils genutzten Wassers – wurden
in den letzten rund 200 Jahren unterschiedlichste Turbinenbauformen entwickelt, die oft
nach den sie in den Markt einführenden Personen oder Firmen benannt wurden. Sie wer-
den nachfolgend diskutiert.
Turbinen können nach ihrer grundsätzlichen Betriebsweise in zwei Gruppen unterteilt
werden.
Durchqueren des Laufrades nicht. Der Name Gleichdruck- oder Aktionsturbinen re-
sultiert deshalb daraus, dass der Druck vor und hinter dem Laufrad der Turbine nahezu
gleich ist; er entspricht bei einem einseitig offenen Umlenkkanal etwa dem Atmo-
sphärendruck. Zu den Gleichdruckturbinen zählen die klassische Peltonturbine, die
schneller laufende Peltonturbine, die auch als Turgoturbine bezeichnet wird, sowie
die Durchströmturbinen (zur Erklärung der einzelnen Turbinentypen: siehe unten). Die
größten derzeit technisch möglichen Leistungen liegen bei Peltonturbinen pro Einheit
bei rund 500 MW.
Mit derartigen Turbinen werden heute Fallhöhen von 1 bis knapp 1 900 m ausge-
nutzt [7.5, 7.6]. Die üblichen Einsatzbereiche für mittlere und größere Leistungen sind in
Abb. 7.27 dargestellt und werden nachfolgend kurz zusammengefasst.
Peltonturbinen: ca. 600 bis 1 900 m
Durchströmturbinen: ca. 1 bis 200 m
Francisturbinen: ca. 30 bis 700 m
Kaplanturbinen, vertikalachsig: ca. 10 bis 60 m
Kaplanturbinen, diagonal: ca. 30 bis 130 m
Kaplanturbinen, horizontalachsig, Rohrturbine: ca. 2 bis 25 m
Bei kleineren Leistungen werden Peltonturbinen auch schon ab rund 50 m und Francis-
turbinen ab ca. 6 m, bei alten Kleinwasserkraftwerken auch schon ab etwa 2 m Fallhöhe
eingesetzt.
2000
Le
1400
Peltonturbine
is
tu
1
ng
1000 00
2
0
00
700 M
W
0
e
M
üs
en
W
en
en
20
1D
500
üs
0 50
üs
üs
2D
M 0
4D
6D
10 W M
300 0 W
50 M
W
Fallhöhe in m
M
200 W
20 Francisturbine
140 M
10 W
M Diagonalturbine
100 W
5
M
W
50 2 vertikale
M
1 W Kaplanturbine
Durchström- M
turbine 50 W
0
kW
20
20
10 0
0 kW
kW Rohrturbine
10 50
kW
5
0,5 1 2 5 10 20 50 100 200 500 1000
Volumenstrom in m3 /s
80 Durchströmturbine
70
Wirk ungsgrad in %
Francis schnelllaufend Wasserrad
60
Francis langsamlaufend
50
40
30
20
10
0
0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 1
Verhältnis von Durchfluss zu Auslegungsdurchfluss
(30 bis 100 % Leistung) mit vergleichsweise hohen Wirkungsgraden betrieben werden;
dies ist ein wesentlicher Vorteil dieser Turbinenbauart insbesondere bei einem Einsatz an
Standorten mit einem jahreszeitlich stark schwankenden Abfluss. Nachfolgend werden
wesentliche derartige Turbinen vertieft dargestellt.
Kaplanturbine Die Kaplanturbine und die auf ihr basierenden Turbinenbauarten wurden
im Prinzip von der Schiffsschraube (Abb. 7.29) abgeleitet. Vom Oberwasser strömt das
Wasser durch den nicht rotierenden Leitapparat in die eigentliche Turbine. Dieser Leitap-
parat ist mit verstellbaren Leitschaufeln ausgerüstet, die an die beispielsweise schwanken-
den Wasserdurchflüsse angepasst werden können. Je nach technischer Ausführung kann
dieser Leitapparat radial, diagonal oder auch axial angeströmt werden. In jedem Fall wird
in diesem Leitapparat die Wasserströmung stark verdrallt, bevor das Wasser in das da-
nach angeordnete Laufrad (d. h. die eigentliche Kaplanturbine) strömt. Dabei handelt es
sich immer um eine Axialturbine; jedoch sind sowohl vertikale und horizontale als auch
geneigte Achsenstellungen möglich.
628 M. Aufleger et al.
Turbinenwirkungsgrad
zahl (gestrichelte Linie:
0,6
Wirkungsgradverlauf bei
gleichbleibender Laufschau-
felstellung)
0,4
0,2
0
0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5
Schluckzahl
Bei der Axialturbine kann auch die Beschaufelung des Laufrades verstellbar ausge-
führt werden; d. h. die Laufradschaufeln sind an der Turbinenwelle drehbar angebracht.
Man erzielt hierdurch sogenannte doppelt regulierbare Turbinen, durch die eine sehr gute
Anpassung an infolge eines stark variierenden Abflusses sehr unterschiedliche Beauf-
schlagungen bei einem gleichzeitig hohen Wirkungsgrad möglich ist.
Die Verstellbarkeit der Laufschaufeln ist bei der hohen Schnellläufigkeit (Gleichung
(7.32)) der Kaplanturbinen eine zur Verbesserung des Teillastverhaltens notwendige Er-
gänzung der Leitradverstellung. Wird der Wirkungsgrad einer derartigen Turbine mit
festen Laufschaufeln über dem Volumenstrom oder über der Schluckzahl (Gleichung
(7.34)) aufgetragen, zeigt sich, dass der Kurvenverlauf des Wirkungsgrades mit wach-
sender Schnellläufigkeit immer spitzer wird (Abb. 7.30); d. h. der Wirkungsgrad fällt
demnach von einem Maximum aus immer steiler nach beiden Seiten ab. Bei Kaplantur-
binen mit ihrer hohen Schnellläufigkeit ist ein derartiger Verlauf besonders ausgeprägt;
das enge Maximum lässt sich aber aufweiten, indem die Laufschaufelstellung verstellbar
ausgeführt wird. Damit ergibt sich der Wirkungsgradverlauf der Kaplanturbine durch eine
Laufschaufelverstellung als die Umhüllende der in Abb. 7.30 gestrichelt dargestellten
Wirkungsgradkurven und erweist sich dann als besonders flach.
Ähnlich wie bei Volumenstromänderungen fällt der Wirkungsgrad auch bei Verände-
rungen der Fallhöhe von ihrem Auslegungswert ab. Auch hier wird durch die doppelte
Verstellmöglichkeit ein günstiger Wirkungsgradverlauf erreicht, der auch nötig ist, da sich
bei den kleinen Fallhöhen der Kaplanturbinen Gefälleschwankungen besonders stark aus-
wirken können; Änderungen von ˙ 20 % sind hier keine Seltenheit.
Der Gefälleanteil unterhalb des Laufrades ist bei Kaplanturbinen nicht verloren. In
der Austrittsebene des Saugrohres (SR), das als Diffusor ausgeführt ist (Abb. 7.29,
7.31 und 7.32), entsteht ein dem Höhenunterschied zwischen Saugrohraus- und -ein-
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 629
Wa 2
pT at D pU Wa g .h1;SR h2;SR / vW a;1;SR vW
2
a;2;SR C pV (7.36)
2
Einstiegs-
schacht
Generator-
gehäuse Laufrad mit beweg-
lichen Laufschaufeln
Unter-
wasser
Wasserzulauf
Generator
Saugrohr
Turbinenwelle
Generator-
Leitapparat mit beweg-
lagerung
lichen Leitschaufeln
Turbine
Turbinen- Generator
schaufel Getriebe
Wasser-
zulauf
Turbinenwelle
Turbinen-
schaufel
Saug-
rohr
Straflo-Turbine; die „Birne“ ist jedoch im Vergleich zur Straflo-Turbine deutlich größer,
da die Turbinenlagerung und der Generator dort untergebracht sind.
Straflo-Turbinen Straflo-Turbinen – Straflo ist die Abkürzung von straight flow (engl.
direkter Fluss) – haben einen vergleichbaren mechanischen Systemaufbau wie Kaplan-
turbinen. Sie werden im Gegensatz zu diesen jedoch mit einem Außenkranzgenerator
betrieben; d. h. der Rotor des Generators sitzt auf einem Ring, der um die Laufradschau-
feln der Turbine angeordnet ist. Dieser Aufbau wird auch in Abb. 7.33 deutlich. In der
„Birne“ im Leitapparat befindet sich – im Unterschied zur Rohrturbine – dann nur noch die
Lagerung für die Turbine. Ein Nachteil dieser Bauart ist aber die aufwändige Abdichtung
zwischen dem Laufrad und dem Generator. Infolge ihres Aufbaus ist bei Straflo-Turbinen
ein sehr flacher Wirkungsgradverlauf realisierbar, der insgesamt auf einem vergleichswei-
se hohen Niveau liegt.
Oberwasser
Generator
Stator
Rechen
Leitapparat
Unter-
wasser
Generator Laufrad
Rotor Saugrohr
vWa,1
Ø D1
vu,1
vrel,1
σ = 0,184
Ø D1
vWa,1
vu,1
vrel,1
σ = 0,26
Ø D1
vWa,1
vu,1
vrel,1
σ = 0,355
Ø D1
vWa,1
vu,1
vrel,1
σ = 0,5
Ø D1
vWa,1
vu,1
vrel,1
σ = 0,7
h g hnutz
nD (7.38)
D1 vW a;1;u
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 633
Daraus kann dann die Schnelllaufzahl nach Gleichung (7.39) ermittelt werden. Dabei
ist qP Wa der Volumenstrom des Wassers Wa.
p p
4
2 g hnutz
h qPWa
D p (7.39)
D1 vW a;1;u
Da der Wirkungsgrad nur schwach von der Schnellläufigkeit abhängt, und die nutzbare
Fallhöhe hnutz und der Volumenstrom qPWa im vorliegenden Vergleich als unverändert vor-
ausgesetzt wurden (hnutz D const., qPWa D const.), sind die einzigen Größen, mit denen die
Schnellläufigkeit beeinflusst werden kann, der mittlere Durchmesser am Laufradeintritt
D1 und die Umfangskomponente der Eintrittsgeschwindigkeit vWa;1;u . Die Meridianschnit-
te und die zugehörigen Geschwindigkeitspläne (Abb. 7.34) zeigen, wie beide Größen
abnehmen, um größere Schnellläufigkeiten zu erreichen. Demnach sind die Laufschau-
feln bei kleiner Schnellläufigkeit gegen die Drehrichtung durchgebogen, bei mittlerer
Schnellläufigkeit fast gerade und bei großer Schnellläufigkeit entgegengesetzt gekrümmt.
Die absolute Eintrittsgeschwindigkeit vrel;1 nimmt i. Allg. mit der Schnellläufigkeit ab;
d. h. ein immer kleinerer Anteil des Gesamtgefälles wird in den Leitschaufeln in kinetische
Energie umgesetzt und der kinematische Reaktionsgrad rk , der über den Energieumsatz,
beschrieben durch die spezifische Schaufelarbeit Y Sch , definiert wird, sinkt. Es gilt Glei-
chung (7.40).
ˇ 00 ˇ
ˇY ˇ 2
vu;1 vu;2
2
vrel;1
2
C vrel;2
2
sch
rk D D (7.40)
.p 0 C p 00 / = 2 jYsch j
2
vrel;2 vrel;1
2
rk D (7.41)
2 jYSch j
Bei kleineren Schaufelflächen (d. h. Schnellläufer) wächst deren Belastung durch Un-
terdruckspitzen; dies erhöht die Kavitationsgefahr. Da gleichzeitig auch die Austrittsge-
schwindigkeit aus der Turbine ansteigt, wird die im Saugrohr umzusetzende kinetische
Energie erhöht. Die Saugrohre der Schnellläufer sind deshalb länger und ihre Querschnitte
nehmen stärker zu. Die Maschinen können daher nicht mit so großen Saughöhen betrieben
werden wie Langsamläufer, da ansonsten unzulässig niedrige Drücke am Laufradaustritt
auftreten würden und Kavitation die Folge wäre.
Da mit steigender Drehzahl die Abmessungen von Turbine und Generator – und damit
die Kosten – abnehmen, wählt man für einen bestimmten Anwendungsfall i. Allg. die
höchstmögliche Drehzahl und geht bis an die Kavitationsgrenze.
Zur Anwendung kommen damit – je nach Anwendungsfall – sowohl langsam als auch
schnell drehende Turbinenräder, sogenannte Langsam- und Schnellläufer. Da die an der
Welle abgegebene Leistung PTurbine vom Drehmoment M und von der Drehzahl n abhängt
(PTurbine D 2 M n), sind im Regelfall bei Francisturbinen hohe Drehzahlen des Laufrads
anzustreben. Sie erfordern lediglich kleine Drehmomente an der Turbinenachse und so-
mit kleinere Maschinenabmessungen; dadurch können die Turbinenkosten und ggf. die
Aufwendungen für andere Kraftwerkskomponenten reduziert werden.
Francisturbinen können normalerweise ab 40 % der maximalen Auslegungsleistung be-
trieben werden (Abb. 7.28). Bei Schnellläufern sind hohe Wirkungsgrade typischerweise
erst bei etwa 60 % des maximalen Auslegungsdurchflusses gegeben.
Da Francisturbinen bereits Mitte des 19. Jahrhunderts patentiert wurden (dies war für
die Kaplanturbine erst rund 60 Jahre später der Fall), finden sich insbesondere in alten
Laufwasserkraftwerken häufig auch Francisturbinen bei sehr niedrigen Fallhöhen (bis un-
ter 2 m); hier würden heute auf jeden Fall Kaplanturbinen eingesetzt werden. Trotzdem
werden beim Austausch derartiger Turbinen im Zuge einer Anlagensanierung in solchen
Fällen meistens auch wieder Francisturbinen eingebaut, um die Umbaukosten am Beton-
bau zu minimieren, da bei kleinen Maschinen und sehr niedrigen Fallhöhen die Turbine
ohne Spirale einfach in einem Schacht sitzt. Abb. 7.35 zeigt beispielhaft ein Laufwasser-
kraftwerk mit einer derartigen Francis-Schachtturbine. Die Verstellung des Leitapparats
erfolgt hier über eine drehbare Welle neben der Turbinenwelle, durch die der Leitapparat
geöffnet und geschlossen werden kann. Horizontalachsige Francisturbinen wurden früher
auch häufig mit zwei Läufern auf einer gemeinsamen Achse – und damit als sogenannte
Zwillingsturbinen – realisiert.
Bei größeren Maschinen und großen Fallhöhen erfolgt der Zulauf zum Leitapparat über
eine Spirale. Die eigentliche Turbine ist dann in der Regel horizontalachsig aufgebaut.
Abb. 7.36 zeigt ein entsprechendes Beispiel. Das Triebwasser wird hier dem Laufrad über
eine Einlaufspirale aus Stahl radial zugeführt und verlässt das Laufrad in axialer Richtung
durch den sich aufweitenden Saugkanal, der in den Unterwasserbereich abbiegt. Diese
Zulaufspirale wird auch in Abb. 7.37 deutlich.
Zusätzlich zeigt Abb. 7.37 exemplarisch das Schema einer Mitteldruckanlage mit einer
großen Francisturbine, bei der die Zulaufspirale in den Betonbau integriert ist. Deutlich
wird das Staubauwerk, der Zulauf zu der Turbine und der Einlaufkanal des Wassers in den
Leitapparat, der auch die Umlenkung des Triebwasserstroms in die Vertikale realisiert.
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 635
Generator
Verstell-
einrichtung
Rechen Leitapparat
Leit-
apparat Saugrohr
Francis-
turbine
Danach durchströmt das Wasser in vertikaler Richtung den Laufapparat mit den starren
Laufschaufeln. Nach diesem Turbinendurchlauf wird das nun abgearbeitete Wasser nach
einer erneuten Umlenkung in die Horizontale durch das Saugrohr, das einer Maximierung
des Wirkungsgrades durch eine Reduzierung der Strömungsgeschwindigkeit dient, in das
Unterwasser abgleitet.
636 M. Aufleger et al.
Wartungskran
Ober- Staubau- Netz-
wasser werk anschluss
Einlauf
Generator Zulauf-
spirale
Unter-
wasser
Saugrohr
Turbine
Peltonturbinen Findet im Laufrad der Turbinen keine Beschleunigung des Fluids, son-
dern lediglich eine Umlenkung statt, wie es bei den Peltonturbinen der Fall ist, ändert sich
der anstehende Druck über dem Laufrad nicht. Man spricht deshalb von Gleichdruck-
bzw. von Impulsturbinen.
Anhand der Funktionsweise der Peltonturbine als weit verbreitete „klassische“ Gleich-
druckturbine wird nachfolgend zunächst das entsprechende Betriebsverhalten unter idea-
lisierten Bedingungen dargestellt. Bezeichnet hGeo den geodätischen Höhenunterschied
zwischen Ober- und Unterwasser sowie hR die Verlusthöhe infolge des Reibungsverlustes
in der Druckrohrleitung und hF den Freihang entsprechend Abb. 7.38, ergibt sich aus der
Bernoulli-Gleichung der Zusammenhang nach Gleichung (7.42).
2
vW a;1;t h
g hnutz D C g hF (7.42)
2
vWa;1;th ist die theoretische Strahlgeschwindigkeit. Sie berechnet sich nach Gleichung
(7.43). hnutz ist die nutzbare Fallhöhe (Kapitel 7.1), hF der Freihang und g die Fallbe-
schleunigung.
p
vW a;1;t h D 2 g .hnutz hF / (7.43)
Die Rohrleitungsverluste sind der Turbine nicht anzulasten, so dass für die nutzbare
Fallhöhe hnutz der Freihang hF abzuziehen ist.
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 637
hnutz
hGeo
Pelton-
turbine
Druck-
rohr-
leitung
hF
Unterwasser
2
vrel;2 2
vrel;1 p p
D
00 I vrel;2 D
00 vrel;1 D
00 .vW a;1 vu / (7.46)
2 2
Das Drehmoment M ergibt sich mit r D r1 D r2 (r ist der mittlere Radius der
Laufschaufel) nach Gleichung (7.47). Außerdem ist aufgrund der Anströmung in Um-
fangsrichtung die Umfangskomponente der Anströmgeschwindigkeit gleich der Anström-
geschwindigkeit; es gilt vWa;1 D vWa;1;u . m
P D Wa qPWa ist der Massenstrom des Wassers.
Wirkungsgrad ηh
der Laufzahl (zur Erklärung
der Formelzeichen siehe Text;
nach [7.38])
Laufzahl λ
vWa;2;u D vu Cvrel;2 cos ˇ2 . Damit kann das Moment M nach Gleichung (7.48) geschrieben
werden.
Der Freihangwirkungsgrad
F ist definiert als
F D .1 hF =hnutz ). Zusätzlich kann die
dimensionslose Laufzahl als das Verhältnis der Umfangskomponente
p der Strömungsge-
schwindigkeit vu durch die Fallhöhengeschwindigkeit v (v D 2 g hnutz ) geschrieben
werden. Daraus folgt der Zusammenhang nach Gleichung (7.50).
M p p
D
0
F 1
00 cos ˇ2 (7.50)
Pr
v m
Das Moment M ist damit linear von der Laufzahl abhängig (Abb. 7.39). Sein Ma-
ximalwert bei D 0, der als Anfahrmoment M A bezeichnet wird, erreicht in etwa das
Doppelte des Auslegungswertes. Das Moment verschwindet bei einer Laufzahl von D
p 0
F 0;97. In diesem als Durchgang bezeichneten Betriebszustand ist vu D vW a;1
und vrel;1 D 0. Die Zurückweichgeschwindigkeit der Laufschaufel entspricht somit der
Strahlgeschwindigkeit, so dass keine Impulsänderung durch eine Umlenkung mehr auf-
tritt.
Nach der Euler’schen Hauptgleichung ergibt sich die Schaufelarbeit Y Sch nach Glei-
chung (7.51).
Daraus kann die folgende Schreibweise für die spezifische Schaufelarbeit Y Sch abgelei-
tet werden (Gleichung (7.52)).
p p
Ysch D
0
F vu v vu2 1
00 cos ˇ2 (7.52)
0 ist der Düsenwirkungsgrad,
00 der Laufradwirkungsgrad,
F der Freihangwirkungs-
grad, vu die Umfangsgeschwindigkeit und v die Fallhöhengeschwindigkeit. ˇ2 ist der
Austrittswinkel aus dem Laufrad im Relativsystem (d. h. der Winkel der Abströmkante
des Laufrades). Daraus kann dann auch der Wirkungsgrad
h nach Gleichung (7.53) be-
rechnet werden.
Ysch 2Ysch p p
h D D 2 D2
0
F 2 1
00 cos ˇ2 (7.53)
Y v
Neben den in
h berücksichtigten Verlusten treten zusätzlich weitere innere Verluste
auf. Hierzu zählen Ventilationsverluste und Zusatzverluste, die dadurch entstehen, dass
beim Durchgang durch den Strahl die Geschwindigkeiten nicht wie bisher unterstellt pa-
rallel verlaufen.
Da die Verluste vor allem von der Laufzahl abhängen, ist die Abhängigkeit des
Wirkungsgrades bei einem Betrieb mit konstanter Drehzahl und Fallhöhe, aber einem
variablen Volumenstrom, relativ unverändert. Allerdings nehmen die Drosselverluste der
Düsennadel mit stärkerer Androsselung und die Zusatzverluste mit einem wachsenden
Strahldurchmesser zu. Dennoch hat die Peltonturbine ein gutes Teillastverhalten.
Becher der
Peltonturbine
bewegliche
Nadel
Düse
Wasserstrahl
abgearbeitetes
Wasser
Das Wasser fließt nach der Energieabgabe an das Laufrad nahezu energiefrei nach
unten ab. Aus Effizienzgründen (d. h. Vermeidung von Rührverlusten) dürfen die Tur-
binenschaufeln nicht in das abfließende Wasser eintauchen. Dadurch reduziert sich die
nutzbare Druckhöhe in etwa um den Radius des Laufrades. Typischerweise sind diese
durch den sogenannten Freihang verursachten Verluste nicht sehr bedeutend, da Pelton-
turbinen üblicherweise für große Fallhöhen eingesetzt werden, von denen der Freihang
nur einen sehr geringen Bruchteil einnimmt.
Die Peltonturbine ist durch einen relativ flachen Wirkungsgradverlauf gekennzeichnet
(Abb. 7.28); sie ist deshalb gut für stark schwankende Zuflüsse geeignet, die zwischen
ca. 10 und 100 % des Ausbaudurchflusses variieren können.
Peltonturbinen können auch in Kleinwasserkraftwerken eingesetzt werden – dann je-
doch in niedrigeren Fallhöhenbereichen als bei großen Wasserkraftwerken (Abb. 7.41).
Fallhöhen ab 30 m können hier bereits ausreichen, um kleine Peltonturbinen anzutreiben.
Bei größeren Abflüssen und insbesondere größeren Fallhöhen kommen auch mehrdüsi-
ge Ausführungen zum Einsatz (Abb. 7.42). Dabei werden ein- oder zweidüsige, z. T. auch
dreidüsige Peltonturbinen meistens horizontalachsig ausgeführt, während Peltonturbinen
mit drei bis sechs Düsen im Regelfall vertikalachsig gebaut werden.
Bei einer liegenden Welle gibt es Ausführungen mit einem und mit zwei Laufrädern,
die dann beiderseits des Generators angeordnet sind. Je Laufrad können ein oder zwei
Düsen vorgesehen werden. Bei größeren Leistungen ist dabei i. Allg. eine vertikalachsige
Aufstellung vorzuziehen. Damit das aus den Laufschaufeln austretende Wasser in die-
sem Fall ohne Störung abfließen kann, lassen sich bis zu sechs Düsen über den Umfang
verteilen. Dabei werden generell mit der Anzahl der Düsen die Abmessungen und damit
die Kosten kleiner. Auch können bei der vertikalachsigen Anordnung die Düsen sym-
metrisch über den Umfang verteilt werden. Dadurch wird eine einseitige Lagerbelastung
vermieden, die bei nur einer Düse unvermeidlich ist. Schließlich ist bei vertikalachsiger
Aufstellung auch der Platzbedarf für die Maschine geringer; dadurch können ggf. die Kos-
ten für das gesamte Kraftwerk reduziert werden.
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 641
Turbinen-
welle
Turbinen-
laufrad
Unterwasser
Einlassventil
Düse
Zulaufrohr
möglich. Dadurch wird die Größe des Wasserstrahls nicht – wie bei der Peltonturbine – limi-
tiert durch die Bechergröße abzüglich des abfließenden Wasserstroms. In der Konsequenz
können – wieder im Vergleich zur Peltonturbine – die Turbinenlaufräder kleiner und kom-
pakter konstruiert werden. Dafür ist aber die Konstruktion und Fertigung derartiger Turbi-
nenlaufräder technisch anspruchsvoller. Mit kleineren Turbinen, die zudem schneller lau-
fen, ist auch eine direkte Kopplung an einen entsprechenden Generator möglich.
Turgoturbinen werden bei Fallhöhen zwischen 50 und 300 m eingesetzt und decken
den Übergangsbereich zwischen Francis- und Peltonturbinen ab. Ähnlich wie Peltonturbi-
nen können sie in einem weiten Leistungsbereich mit einem relativ hohen Wirkungsgrad
betrieben werden. Im Vergleich zu Francisturbinen haben sie außerdem ein verbessertes
Teillastverhalten. In Europa findet man Turgoturbinen aber bisher eher selten.
Durchströmturbinen Bei der Durchströmturbine (auch nach ihren Erfindern als Ossber-
ger- oder Bánki-Turbine bezeichnet) durchströmt das vom Leitapparat zugeführte Wasser
die Laufradbeschaufelung zuerst von außen nach innen und nach Durchqueren des freien
Radinnern ein zweites Mal von innen nach außen (Abb. 7.44).
Diese Wasserströmung durch das zylinderförmige Laufrad hat einen selbstreinigenden
Effekt. Verunreinigungen, die beim Wassereinlauf in das Laufrad zwischen die Schau-
feln eindringen, werden nach einer halben Raddrehung durch die ausfließende Strömung
wieder herausgeschwemmt und vom durchlaufenden Wasser aus dem Laufradbereich ins
Unterwasser abgeleitet.
Ähnlich wie bei der Peltonturbine muss auch bei der Durchströmturbine vermieden
werden, dass das Laufrad durch das Unterwasser abgebremst wird. Dies reduziert auch bei
dieser Turbinenbauform die mögliche Druckhöhe um rund den Durchmesser des Laufra-
des.
Das Laufrad selbst ist walzenförmig ausgebildet (Abb. 7.45) und kann – bei hochwerti-
gen Maschinen – in Achsrichtung im Verhältnis zwei zu eins in zwei Kammern unterteilt
sein. Es eignet sich deshalb besonders gut für den Einsatz bei stark schwankenden Zuflüs-
sen. Es kann – je nach vorhandenem Triebwasser – durch Beaufschlagung der kleinen,
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 643
Gehäuse
Freihang
Unterwasser
der großen oder beider Kammern problemlos und mit einem relativ hohen Wirkungsgrad
unter Teillast betrieben werden; d. h. es ergibt sich ein sehr flacher Verlauf des Turbi-
nenwirkungsgrads (Abb. 7.28). Allerdings sind die absoluten Wirkungsgrade aufgrund
des fehlenden Leitapparates insbesondere beim zweiten Durchfluss von innen nach außen
nicht so hoch wie bei den anderen Turbinenbauarten. Zudem können sehr kleine Fallhöhen
infolge der beschriebenen Restriktionen nicht vollständig genutzt werden.
Wegen der guten Anpassungsmöglichkeiten an stark schwankende Zuflüsse und der
einfachen und robusten – und damit preisgünstigen – Bauweise wird die Durchströmtur-
bine häufig bei Kleinwasserkraftanlagen eingebaut. Bei mittleren und kleinen Fallhöhen
ist dabei zur Verbesserung des Wirkungsgrades wiederum ein Saugrohr notwendig. Die-
ses dient sowohl zur Absicherung des Maschinenraums gegen Überflutungen als auch
zur Nutzung der nahezu gesamten Fallhöhe. Um einen breiten Anwendungsbereich zu
erzielen, muss die Wassersäule im Saugrohr steuerbar sein. Dies erfolgt über das zur
644 M. Aufleger et al.
Wasserräder Da die Turbinen neben der erforderlichen Infrastruktur der Einlauf- und
Ablaufbauwerke die teuersten Anlagenteile bei einer kleinen Wasserkraftanlage darstel-
len, können hier nach wie vor auch die viel günstiger herzustellenden Wasserräder zum
Einsatz kommen. Sie eignen sich für Fallhöhen bis maximal rund 10 m; zu kleineren Fall-
höhen hin sind technisch gesehen praktisch keine Grenzen gesetzt. Die Abflüsse, die in
einem konventionellen einzelnen Rad abgearbeitet werden können, reichen bis maximal
ca. 2 m3 /s. Dabei werden unterschlächtige, mittelschlächtige und oberschlächtige Was-
serräder – entsprechend der vorhandenen Fallhöhe – eingesetzt (Abb. 7.47). Ober- bzw.
mittelschlächtige Wasserräder können Wirkungsgrade von 70 bis 80 % erreichen, während
die Wirkungsgrade der als Widerstandsläufer betriebenen unterschlächtigen Räder kaum
20 % erreichen.
Wasserräder laufen mit geringen Umdrehungsgeschwindigkeiten n von ca. 5 bis
8 min1 . Daher sind große Durchmesser erforderlich, um über das Drehmoment M eine
entsprechende Leistung an der Welle PTurbine zu erzielen (PTurbine D 2M n). Außerdem
sind typischerweise Getriebe oder Riementriebe erforderlich, um die für den Generator-
antrieb erforderlichen höheren Drehzahlen erreichen zu können.
Wasserräder wurden anfangs ausschließlich aus Holz gebaut. Bald setzten sich jedoch
Achsen, Radkränze und Speichen aus Stahl durch. Die Schaufeln selbst werden jedoch
auch heute noch oft aus Holz gefertigt.
Wasserräder sind üblicherweise beidseitig gelagert und sollten, falls die Gefahr starker
Eisbildung besteht, in einer geschlossenen Radstube untergebracht sein. Eine neuere Ent-
wicklung stellen einseitig gelagerte Wasserräder dar, die mit einem seriell hergestellten
Getriebe und einer Generatoreinheit gekoppelt sind. Von Vorteil ist, dass die komplet-
te Rad-Generator-Getriebe-Einheit vorgefertigt zur Einbaustelle angeliefert werden kann.
Bauseitig ist nur der Zulauf, das Radgerinne selbst und das Auflagerfundament herzu-
stellen. Die komplette Einheit wird dann eingesetzt und kann praktisch unmittelbar den
Betrieb aufnehmen.
Generator
Rotor
Profil
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 647
Düse bzw. ein feststehendes Vorleitrad aufwiesen, ist in diesem Fall ein Vorleitrad nicht
besonders wirksam, da der Durchsatz durch diese Anordnung letztendlich vom Durch-
strömverlust abhängt und ein höherer Druckabbau zur Beschleunigung des Fluids in der
Vorleitreihe den Durchsatz verringert, da das Fluid vermehrt außen vorbeiströmen würde.
Auch die Auswirkungen des Saugrohres sind aus diesem Grund nicht so wirksam wie bei
den umschlossenen Wasserturbinen.
In Fließgewässern laufen derzeit einige wenige Anlagen, bei denen es sich um horizon-
talachsige, propellerartige Turbinen handelt, die in einem Mantelrohr laufen (Abb. 7.48).
Der drehzahlvariable Unterwassergenerator läuft hierbei auf derselben Achse wie das Tur-
binenlaufrad. Die gesamte Einheit ist über Stützen mit dem Mantelrohr verbunden. Die
Anlage ist entweder über Ketten, Seile und Schwimmkörper im Flussbett oder auf dem
Meeresboden befestigt oder wird vom Ufer aus fixiert.
Leistungsbestimmend sind die Strömungsgeschwindigkeit, die mit der dritten Potenz
in die Leistung eingeht (Kapitel 6.1), sowie die Laufradanströmfläche. Bisher sind aber
die technisch realisierbaren Leistungen derartiger Maschinen auf wenige kW pro Einheit
begrenzt. Dies liegt an der relativ geringen Energie, die sich aus der Fließgeschwindig-
keit allein gewinnen lässt. Die Flüsse, an denen diese Anlagen eingesetzt werden könnten,
führen aber zeitweise Hochwasser und Treibgut. Weiterhin sind Eisgang, Geschiebetrieb,
Konflikte mit Boots- und Badebetrieb usw. mit Einschränkungen der Nutzbarkeit solcher
Kraftwerke verbunden. Und letztendlich sind die Kosten für die Einbindung in das Strom-
netz sowie für gelegentliche Reparaturen und Wartungsarbeiten angesichts der insgesamt
geringen Stromausbeute ein weiteres Hindernis für den verstärkten Einsatz solcher Ma-
schinen. Es bleibt daher abzuwarten, ob und wieweit sich diese Technologien in der Praxis
und insbesondere in europäischen Flüssen einsetzen lassen.
Wellenkupplung und Getriebe Turbine und Generator können direkt gekuppelt auf ei-
ner Achse sitzen. Alternativ dazu können sie über ein Getriebe, welches zusätzlich die
Drehzahl auf der Generatorseite erhöht, verbunden sein. Ob ein derartiges Getriebe not-
wendig ist oder nicht, ergibt sich aus der (konstant gehaltenen) Drehzahl der Turbine
und der Drehzahl des jeweils angeschlossenen Generators. Da der Generator elektrischen
Strom mit konstanter Frequenz (z. B. 50 oder 60 Hz) erzeugen muss, wenn er netzgekop-
pelt / netzparallel betrieben wird, ist seine tatsächliche (bei stabiler Frequenz konstante)
Drehzahl durch die Anzahl seiner Polpaare vorgegeben.
Große Generatoren können – schon allein aus Platzgründen – viele Polpaare haben;
dies bedingt entsprechend geringe Drehzahlen. Derartige vielpolige Generatoren wer-
den i. Allg. speziell für eine konkrete Wasserkraftanlage angefertigt und die Drehzahl der
Turbinen wird auf die entsprechende Generatordrehzahl abgestimmt. Unter diesen Bedin-
648 M. Aufleger et al.
gungen sind nur flexible Wellenkupplungen notwendig, mit denen die beiden Maschinen
in Störungs- und Wartungsfall sicher voneinander getrennt werden können.
Kleine Generatoren dagegen haben nur einen begrenzten Platzbedarf (d. h. geringe Pol-
paarzahl) und müssen daher entsprechend schneller drehen; hier kommen dann häufig
standardisierte, marktgängige Asynchrongeneratoren mit fest vorgegebener Drehzahl zum
Einsatz. Unter diesen Bedingungen ist ein Getriebe erforderlich, um die vergleichsweise
niedrige Turbinendrehzahl auf die erforderliche Generatorendrehzahl zu übersetzen, damit
ein Netzparallelbetrieb ermöglicht wird.
Heute werden Zahnradgetriebe bei größeren und Zahnrad- oder Riemenantriebe bei
kleinen Maschineneinheiten am häufigsten verwendet. Bei bestimmten Turbinentypen
kommen auch Planetengetriebe zum Einsatz. Hierbei liegen die Achsen beider Maschinen
auf einer Linie; sie haben jedoch unterschiedliche Drehzahlen.
Der Getriebewirkungsgrad je Getriebestufe bei Nennleistung liegt bei ca. 95 bis 98 %.
Er ist definiert als Quotient aus der Leistung an der Getriebeausgangswelle und der Leis-
tung an der Turbinenwelle.
Riementransmissionen haben sich bis ca. 50 kW elektrischer Leistung gut bewährt
und werden heute auch für deutlich größere Leistungen eingesetzt. Sie sind etwas preis-
günstiger als Getriebe; sie haben aber i. Allg. kürzere Standzeiten und einen höheren
Wartungsaufwand, können jedoch von mobilen Wartungseinheiten innerhalb kürzester
Zeit repariert oder ausgetauscht werden.
Generator Im Generator wird die mechanische Energie der Turbinen- bzw. Getriebewel-
le in elektrische Energie gewandelt. Dabei können Synchron- und Asynchrongeneratoren
zum Einsatz kommen (Funktionsbeschreibung vgl. Kapitel 6.2.1.2).
Insgesamt muss bei beiden Bauarten beachtet werden, dass bei einem Netzabwurf
Überdrehzahlen auftreten können, denen die Generatoren standhalten müssen.
Der Generatorwirkungsgrad ist definiert als die Leistung an der Generatorklemme be-
zogen auf die Leistung an der Getriebewelle. Die entsprechenden Generatorwirkungs-
grade der heute zur Anwendung kommenden Standardgeneratoren für kleine Wasser-
kraftanlagen liegen bei Nennleistung etwa zwischen 90 und 95 %; bei Großanlagen sind
Generatorwirkungsgrade zwischen 95 und 99 % möglich.
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 649
Transformator Ein Transformator (auch als Umspanner oder kurz Trafo bezeichnet) ist
ein elektrotechnisches Bauteil, das aus zwei oder mehr Spulen (Wicklungen) besteht, die
auf einem gemeinsamen Ferrit- bzw. Eisenkern angeordnet sind. Ein derartiger Transfor-
mator wandelt eine Eingangswechselspannung, die an einer der beiden Spulen angelegt
wird, in eine Wechselspannung auf der Ausgangsseite – und damit der anderen Spule –
um. Das Verhältnis von Eingangs- zu Ausgangsspannung entspricht dem Verhältnis der
Windungszahlen der beiden Spulen; d. h. aus einer (nahezu) beliebigen Eingangsspan-
nung kann durch ein entsprechendes Design der Wicklungszahlen eine (nahezu) beliebi-
ge Ausgangsspannung bereitgestellt werden. Transformatoren dienen typischerweise zur
Spannungswandlung in Energieversorgungsanlagen.
In Wasserkraftanlagen kommt ein Transformator dann zum Einsatz, wenn die Aus-
gangsspannung der Generatoren eines Wasserkraftwerks nicht mit der Spannung des Ver-
teil- oder Übertragungsnetzes übereinstimmt, in das eingespeist werden soll. Ein solches
Bauelement ist durch Wirkungsgrade von bis zu 99 % gekennzeichnet und ist standard-
mäßig am Markt verfügbar.
7.2.3.3 Betriebsweisen
Wasserkraftanlagen werden in Deutschland und Europa fast ausnahmslos gekoppelt mit
dem Netz der öffentlichen Versorgung oder an das Netz der Deutschen Bahn AG bzw.
650 M. Aufleger et al.
am Wehr anstehendes
Wandlung Wandlung Wandlung Wandlung Wandlung
potenzieller kinetischer mech. in mechani- elektr. in
Wasser
Energie in Energie in mech. scher in elektr.
kinetische & Druck- & Energie elektrische Energie
Druckenergie mech. Ener- (Getriebe) Energie (Trafo)
(Leitung) gie (Turbine) (optional) (Generator) (optional)
Netz
Bewegungs-/ Bewegungs-/ Mechanische Elektrische Energie
Lageenergie Druckenergie Energie an der im Generator bzw.
des Wassers des Wassers Turbinenwelle Netz
einem Transformator (Trafo) notwendig sein, durch die eine Einspeisung der elektrischen
Energie beispielsweise in das Netz der öffentlichen Versorgung auf dem dort vorherr-
schenden Spannungsniveau erst ermöglicht wird.
Demnach setzen sich die Verluste in der Anlage im Wesentlichen aus denen in der
Wassererfassung und den Rechen, in den Rohrleitungen und den Absperrorganen (soweit
vorhanden), in der oder den Turbinen, ggf. in dem oder den Getrieben und in dem oder
den Generatoren zusammen. Bei größeren Anlagen fallen ggf. noch die entsprechenden
Umwandlungsverluste in dem oder den Transformatoren an. Als weiterer Verlust kommt
die potenzielle Energie hinzu, die im über das Wehr geleiteten Wasser (z. B. in Hochwas-
serperioden) enthalten ist. Damit sind insbesondere die Energieverluste im hydraulischen
Teil sehr standort- und anlagenspezifisch. Eine allgemein gültige und übertragbare Anga-
be der Größenordnung dieser Verluste ist daher nicht möglich; günstigstenfalls liegen sie
aber nur bei wenigen Prozent.
Zusammengenommen sind unter Berücksichtigung sämtlicher Verluste in den verschie-
denen Systemkomponenten Gesamtwirkungsgrade im Volllastbereich von mehr als 80 %
mit moderner Technik – eine optimale Anlagenauslegung vorausgesetzt – heute problem-
los erreichbar; teilweise sind auch 90 % und mehr möglich. Unter dem Gesamtwirkungs-
grad ist dabei hier der Quotient aus der elektrischen Arbeit am Anlagenausgang und der
momentan verfügbaren hydraulischen Arbeit zwischen Ober- und Unterwasser abzüglich
des ggf. ungenutzt über das Wehr geleiteten Wassers zu verstehen. Da Wasserkraftanlagen
aber oft unter Teillast betrieben werden, liegen im Jahresdurchschnitt die entsprechenden
Nutzungsgrade i. Allg. niedriger; bei modernen und richtig ausgelegten Wasserkraftwer-
ken bewegen sie sich zwischen 70 und maximal 90 %; bei älteren Anlagen – und hier
insbesondere im kleineren Leistungsbereich – können sie mit 50 bis 70 % aber auch auf
einem deutlich niedrigeren Niveau liegen. Bezogen auf das gesamte Arbeitsvermögen des
Wassers sind die Nutzungsgrade wesentlich geringer, da ein Teil des ankommenden Was-
sers (u. a. Hochwasserabfluss) ungenutzt über das Wehr geleitet wird.
Turbinendurchfluss, Leistung
elektrische
Abfluss, Fallhöhe,
gesamter Leistung
Abfluss
Turbinendurchfluss
bzw. nutzbarer Abfluss
nutzbare Fallhöhe
ar ar rz r il i ni li st er er er er
nu b ru Mä Ap Ma Ju Ju gu emb tob emb emb
Ja Fe Au p t O k v z
Se No De
Abb. 7.51 Schematischer Betriebsplan eines Laufwasserkraftwerks (im Februar, im März und
insbesondere im April übersteigt der gesamte Abfluss den nutzbaren Abfluss bzw. den Turbinen-
durchfluss (d. h. das ankommende Wasser übersteigt die Schluckwassermenge der Turbine(n)); in
den anderen Monaten entspricht der Abfluss gleich dem nutzbaren Abfluss und damit dem Turbi-
nendurchfluss (d. h. es wird kein Wasser ungenutzt über das Wehr abgeleitet)); nach [7.8]
Abb. 7.51 zeigt das Zusammenspiel dieser Größen einschließlich des entsprechen-
den Turbinendurchflusses im Jahresverlauf. Der Einfachheit halber sind hier jeweils nur
monatlich konstante Mittelwerte des Abflusses dargestellt. Demnach steigt bei dem darge-
stellten Beispiel die Fallhöhe in den Sommermonaten an, da bei dem dann typischerweise
sinkenden Abfluss – und damit dem von der Anlage nutzbaren Wasserangebot – der
Unterwasserspiegel zurückgeht. Aufgrund der Gegebenheiten am Wehr wird dabei der
Oberwasserspiegel durch eine entsprechende Anlagenregelung normalerweise konstant
gehalten. Entsprechend geht die Fallhöhe im Winter und Frühjahr zurück; hier nimmt der
Abfluss im dargestellten Beispiel zu, und damit steigt der Unterwasserspiegel geringfügig
an (d. h. Antikorreliertheit von nutzbarer Fallhöhe und Abfluss).
Der Turbinendurchfluss ist an das nutzbare Wasserangebot gekoppelt; er geht deshalb
im Sommer entsprechend dem sinkenden Abfluss zurück. Da die Turbine auf einen maxi-
malen Durchfluss (sogenannter Ausbauabfluss oder Schluckvermögen) ausgelegt werden
muss, kann auch bei einem über dem Ausbaudurchfluss liegenden Wasserangebot nur das
maximale Schluckvermögen bzw. die aus technischer Sicht größtmögliche Schluckwas-
sermenge verarbeitet bzw. energietechnisch genutzt werden. Das zusätzlich ankommende
Wasser (d. h. der deshalb nicht nutzbare Abfluss) muss dann ungenutzt über das Wehr ab-
geleitet werden; dies ist bei dem in Abb. 7.51 dargestellten Beispiel im Februar, im März
und insbesondere im April der Fall.
Die mechanische und damit letztlich die elektrische Leistung der Wasserkraftanlage
ist näherungsweise proportional zum Durchfluss (Gleichung (7.14)); deshalb geht sie in
dem in Abb. 7.51 dargestellten Beispiel in den Sommermonaten zurück, da die nutzbaren
Abflüsse hier jahreszeitlich bedingt absinken. Die Leistung eines Wasserkraftwerks hängt
aber auch von der nutzbaren Fallhöhe ab (Gleichung (7.14)); da diese sich jedoch in die-
654 M. Aufleger et al.
auslegung
Anlagen-
Ab fluss, Du rc hfluss, Leistung
Auslegungsfallhöhe Fallhöhendauerlinie
Auslegungsleistung
nutzbare Fallhöhe
Auslegungsabfluss
nutzbarer Abfluss
Abb. 7.52 Leistungsdiagramm eines kleineren Laufwasserkraftwerks mit nur einer installierten
Turbine (u. a. nach [7.6])
Fallhöhendauerlinie
Turbinenwirkungsgrad
Leistungsdauerlinie
Abflussdauerlinie
für das Regeljahr
Unterwasserspiegel
0 365
Zeit in Tagen
Bei bezogen auf den Auslegungsdurchfluss zunehmendem Abfluss nimmt die Strom-
erzeugung ebenfalls ab. Die installierte Turbine kann kein größeres Wasseraufkommen
als das jeweilige Schluckvermögen bei Auslegungsbedingungen (d. h. maximaler Wasser-
durchfluss durch die Turbine) verarbeiten. Da aber zusätzlich bei zunehmendem Wasser-
durchfluss der Unterschied zwischen dem Ober- und Unterwasserspiegel abnimmt (Anti-
korreliertheit; d. h. Oberwasserspiegel bleibt konstant, Unterwasserspiegel steigt an) und
damit die nutzbare Fallhöhe insgesamt leicht absinkt, geht die Leistung der Anlage ent-
sprechend zurück, da nach Gleichung (7.14) die Leistung einer Anlage primär proportio-
nal zum Durchfluss und zur Fallhöhe ist (und der Durchfluss unter diesen Bedingungen
konstant ist). Das zusätzlich ankommende Wasser muss über das Wehr abgeleitet werden
und ist damit energetisch nicht mehr nutzbar. Im Extremfall ist sogar keine Stromerzeu-
gung mehr möglich, da der Höhenunterschied zwischen Ober- und Unterwasser zu gering
wird und deshalb kein wirtschaftlicher Betrieb der Turbine mehr realisiert werden kann;
dies wird auch in Abb. 7.52 deutlich. Dies ist normalerweise dann gegeben, wenn das
Wehr bei Hochwasserereignissen geöffnet werden muss.
Ist in einem Laufwasserkraftwerk mehr als eine Turbine installiert, kann sich die Anla-
ge durch Zu- und Abschalten einzelner Turbinen besser an den sich verändernden Abfluss
anpassen und insgesamt das vorhandene Wasserdargebot typischerweise effizienter nut-
zen. Abb. 7.53 zeigt exemplarisch den Leistungsplan einer Laufwasserkraftanlage mit drei
Turbinen. Er folgt ebenfalls im Wesentlichen den bereits beschriebenen Grundsätzen und
Zusammenhängen. Deutlich wird aber auch, dass durch das intelligente Zu- bzw. Abschal-
ten der einzelnen Turbinen ein im Vergleich zu nur einer installierten Turbine ein in der
Summe höherer Gesamtwirkungsgrad erreicht werden kann; dafür ist aber der anlagen-
technische Aufwand infolge der Installation von drei Turbinen entsprechend höher.
656 M. Aufleger et al.
Wasserkraftanlagen tragen bereits seit über 150 Jahren zur Deckung der Energienachfrage
nicht nur in Deutschland bei; lange Zeit war die Wasserkraft eine wesentliche Energie-
quelle für die zunehmende Industrialisierung. Welche Kosten derzeit damit verbunden
sind und wie die entsprechenden Umweltauswirkungen nach heutigen Kenntnisstand zu
bewerten sind, wird nachfolgend analysiert. Zuvor werden jedoch ausgewählte Anlagen
definiert, für die diese ökonomischen und ökologischen Analysen durchgeführt werden.
Dabei ist zu beachten, dass es sich bei Laufwasserkraftwerken – im Gegensatz z. B. zu
Windkraftkonvertern oder Photovoltaikanlagen – um Kraftwerke handelt, die erheblich
von den jeweiligen Gegebenheiten und Bedingungen an einem potenziellen Anlagenstand-
ort bestimmt werden. Damit können die Materialeinsätze (z. B. aufgrund unterschiedlicher
Bauaufwendungen) – und damit auch die Kosten – bei an unterschiedlichen Orten instal-
lierten Laufwasserkraftanlagen mit gleicher Leistung z. T. stark voneinander abweichen.
Übertragbare Aussagen sind deshalb hier nur begrenzt möglich.
7.3.1 Referenzanlagen
wasserkraftanlagen mit einer installierten elektrischen Leistung von 110 bzw. 260 kW und
zwei größeren Anlagen mit 10 bzw. 100 MW Leistung unterschieden.
Die Volllaststunden der untersuchten Anlagen orientieren sich dabei an für Mitteleuro-
pa typischen Größenordnungen. Die technische Lebensdauer der baulichen Anlagenteile
wird mit 80 Jahren und die der maschinentechnischen Anlagenteile mit 40 Jahren unter-
stellt. Zur Deckung des Eigenbedarfs der Wasserkraftanlagen werden 1 % der erzeugten
elektrischen Energie benötigt.
658 M. Aufleger et al.
Investitionen Die investiven Anlagenkosten setzen sich im Wesentlichen aus den Auf-
wendungen für die baulichen Anlagen (u. a. Krafthaus, Wehr, Wasserfassung, Wehrver-
schluss), für die maschinenbaulichen Komponenten (u. a. Absperrorgane, Turbinen), für
die elektrotechnischen Einrichtungen (u. a. Generator, Transformator, Steuerung, Energie-
ableitung) und den sonstigen Nebenkosten (u. a. Grunderwerb, Planung, Genehmigung)
zusammen.
Diese Kosten sind in einem sehr hohen Maße standortabhängig; pauschale und all-
gemeingültige Richtsätze lassen sich deshalb kaum festlegen. In vielen Fällen machen
jedoch die Baukosten rund 50 bis 60 % der Gesamtaufwendungen aus. Der Maschinen-
bau (d. h. Turbinen, Getriebe, Regler) nimmt bei größeren Anlagen rund 20 bis 25 %
und bei Kleinwasserkraftwerken bis zu 30 % der gesamten anfallenden Investitionskos-
ten ein. Für die elektrotechnischen Einrichtungen sind rund 5 bis 10 % aufzubringen.
Der verbleibende Rest sind sonstige Kosten (u. a. Planungskosten, Baunebenkosten, Ge-
meinkosten). Davon unabhängig können die Kosten für die heute verstärkt geforderten
ökologischen Ausgleichsmaßnahmen bei 10 bis 20 % der Anlagenkosten liegen. Insbeson-
dere bei Flusskraftwerken mit einem entsprechend großen Rückstaubereich können diese
Aufwendungen (z. B. durch eine sich an ökologischen Kriterien orientierenden Stauraum-
gestaltung sowie durch Fischtreppen) die Gesamtinvestitionen deutlich erhöhen.
Die aufgezeigte große Bandbreite der Investitionen ist überwiegend eine direkte Folge
der hohen Standortabhängigkeit. Neben der Nennleistung sind die Kosten für Laufwas-
serkraftwerke aber auch stark von der Fallhöhe an einem potenziellen Standort abhängig;
beispielsweise erfordern Anlagen mit gleicher Nennleistung mit zunehmender Fallhöhe
bei ansonsten gleichen Bedingungen in der Regel geringere spezifische Investitionen.
Im Allgemeinen kann davon ausgegangen werden, dass eine zunehmende Anlagengrö-
ße zu sinkenden spezifischen Investitionen führt. Typische Anhaltswerte für die spezifi-
schen Investitionen für große Wasserkraftwerke (> 10 MW) liegen zwischen 5 000 und
7 000 C/kW installierter elektrischer Leistung.
Im Unterschied zum Zubau neuer Anlagen liegen die Kosten einer Revitalisierung von
Altanlagen bzw. einer Modernisierung erheblich niedriger. Für die Revitalisierung von
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 659
Tabelle 7.3 Investitionen und Betriebskosten sowie Stromgestehungskosten der untersuchten Was-
serkraftanlagen
Referenzanlage I II III IV
Nennleistung in MW 0,11 0,26 10 100
Jahresertrag (netto) in GWh/a 0,54 0,75 39 594
Investitionen
baul. Komponenten in Mio. C 1,459 2,053 38,92 433,26
elektr. Anlagen etc.a in Mio. C 0,751 1,058 20,05 223,20
Summe in Mio. C 2,210 3,111 58,97 656,46
Annuitätb in Mio. C/a 0,068 0,096 1,812 20,176
Betriebskostenc in Mio. C/a 0,028 0,020 0,996 3,805
Stromgestehungskosten in C/kWh 0,175 0,155 0,073 0,040
a
elektrische Anlagen und Maschinen sowie Kosten für Planung etc.; b bei einem Zinssatz von 2 %
und einer Abschreibung über die technische Anlagenlebensdauer (bauliche Komponenten 80 Jah-
re, elektrische Anlagen und Maschinen 40 Jahre); c u. a. Betrieb, Wartung; baul. bauliche; elektr.
elektrische.
Anlagen zwischen 1 und 10 MW werden Kosten von etwa 1 500 bis 1 800 C/kW und für
eine Anlagenmodernisierung zwischen rund 1 000 und 1 200 C/kW genannt. Die Revi-
talisierungskosten sind in einem hohen Maß davon abhängig, welche Anlagenteile noch
vorhanden und nutzbar sind; sie können deshalb auch noch innerhalb einer größeren Band-
breite schwanken.
Stromgestehungskosten Aus den Gesamtinvestitionen ergeben sich die über die Ab-
schreibungsdauer einer Wasserkraftanlage konstanten jahresmittleren realen Kosten (d. h.
die Annuität). Dabei wird eine technische Lebensdauer der baulichen Anlagen von 80 Jah-
ren und der maschinellen und elektrischen Anlagenteile von 40 Jahren unterstellt (Tabel-
le 7.3). In Anlehnung an die bisherige Vorgehensweise wird von einem Zinssatz von 2 %
ausgegangen (Kapitel 1.3 und 1.4). Ausgehend davon können die resultierenden Strom-
gestehungskosten für derzeit neu zu errichtende Wasserkraftwerke unter Berücksichti-
gung der Annuität und den jährlich anfallenden Betriebskosten sowie dem zu erwartenden
660 M. Aufleger et al.
Stromertrag errechnet werden. Für die untersuchten Referenzanlagen liegen diese Geste-
hungskosten für die elektrische Energie zwischen 0,040 und 0,175 C/kWh (Tabelle 7.3).
Beispielsweise ergeben sich bei der exemplarisch betrachteten Wasserkraftanlage mit
einer installierten elektrischen Leistung von 110 kW (Kraftwerk I) (Tabelle 7.2) spezifi-
sche Stromgestehungskosten von rund 0,175 C/kWh (Tabelle 7.3); geringere Gestehungs-
kosten sind – aufgrund der hohen Anlageninvestitionen – nur bei höheren Volllaststunden
oder bei geringeren Betriebskosten (z. B. keine monetäre Bewertung des Anlagenbetriebs
beispielsweise bei einem privaten Betreiber) zu erzielen. Demgegenüber entstehen bei
der hier untersuchten Kleinwasserkraftanlage mit 260 kW Nennleistung (Kraftwerk II) für
die bereitgestellte elektrische Energie Kosten von rund 0,155 C/kWh; diese Kleinwasser-
kraftanlage ist durch relativ geringe Betriebskosten gekennzeichnet, da unterstellt wird,
dass sie von einer als gemeinnützig anerkannten Gemeinschaft betrieben wird (demge-
genüber werden bei den anderen Anlagen die Betriebskosten rein kommerziell wirtschaf-
tender Betreiber unterstellt [7.33]). Die beispielhaft betrachtete größere Anlage mit einer
installierten elektrischen Leistung von 10 MW (Kraftwerk III) zeigt, dass die Stromgeste-
hungskosten von Anlagen mit zunehmender Anlagenleistung i. Allg. zurückgehen; diese
Anlage ist durch spezifische Stromgestehungskosten von 0,073 C/kWh gekennzeichnet.
Die niedrigsten spezifischen Stromgestehungskosten sind in der größten der hier unter-
suchten Anlagen (d. h. Kraftwerk IV mit einer installierten Leistung von 100 MW) zu
verzeichnen. Durch die hohe Auslastung im Jahresverlauf und die damit verbundene hohe
Stromproduktion ergeben sich trotz der insgesamt sehr hohen Investitionen vergleichswei-
se geringe spezifische Stromgestehungskosten von rund 0,04 C/kWh (Tabelle 7.3).
Die spezifischen Stromgestehungskosten sind meist dann niedriger, wenn bereits vor-
handene Anlagen reaktiviert oder lediglich modernisiert werden können. Trotz der großen
Standortabhängigkeit dürften unter solchen Bedingungen die Stromgestehungskosten –
bei jedoch einer sehr großen Abhängigkeit u. a. von der Anlagengröße, dem Zustand vor
der Maßnahme und den umzusetzenden Umbauten – zwischen 0,03 und 0,08 C/kWh lie-
gen; die untere Grenze dieser Bandbreite bestimmen dabei typischerweise wiederum die
Anlagen im größeren Leistungsbereich und die obere Grenze die Klein- und Kleinstwas-
serkraftanlagen. Müssen nur die Maschinensätze im Rahmen einer Generalüberholung
erneuert werden, sind noch niedrigere Gestehungskosten möglich; sie dürften in Abhän-
gigkeit der jeweiligen Gegebenheiten vor Ort zwischen rund 0,025 C/kWh bei Anlagen im
Megawattbereich und etwa 0,05 bis 0,08 C/kWh bei Klein- und Kleinstwasserkraftwerken
im Bereich weniger 10 bis einiger 100 kW liegen.
Die Stromgestehungskosten werden von einer Vielzahl unterschiedlichster Einflussgrö-
ßen bestimmt. Um deren Einfluss zu veranschaulichen, sind in Abb. 7.54 die wesentlichen
Parameter am Beispiel eines neu zu bauenden Laufwasserkraftwerks mit einer instal-
lierten Leistung von 10 MW (Kraftwerk III; Tabelle 7.2 und 7.3) variiert. Dabei zeigt
sich, dass die Volllaststunden und damit der Jahresenergieertrag den größten Einfluss auf
die spezifischen Stromgestehungskosten ausüben. Dadurch führt z. B. bei einem Auslei-
tungskraftwerk die z. T. gesetzlich geforderte Erhöhung der Restwassermenge zu einer
wesentlichen Steigerung der Stromgestehungskosten und kann damit auf einen Ausbau
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 661
0,10
0,08
0,06
0,04
50 60 70 80 90 100 110 120 130 140 150
Parametervariation in %
prohibitiv wirken. Neben den jährlichen Energieerträgen haben auch die gesamten In-
vestitionen einen deutlichen Einfluss auf die Stromkosten. Nehmen beispielsweise die
Gesamtinvestitionen um 20 % zu, steigen die spezifischen Stromgestehungskosten, bei-
spielsweise bei dem hier untersuchten Kraftwerk III, von 0,073 auf 0,082 C/kWh und
damit um rund 13 % an. Demgegenüber beeinflussen die Betriebskosten die spezifischen
Stromgestehungskosten kaum. Auch die Abschreibungsdauer hat nur vergleichsweise ge-
ringe Auswirkungen auf die spezifischen Kosten der bereitgestellten elektrischen Energie.
Neben den technischen und ökonomischen Gegebenheiten sind für eine Technik zur Ener-
giebereitstellung zunehmend auch andere Kriterien – und hier insbesondere ökologische
(und soziale) Aspekte – bestimmend. Aufbauend auf den in Kapitel 7.3.1 getroffenen
Definitionen werden daher im Folgenden die Ökobilanzen – und damit ausgewählte Um-
welteffekte im Lebensweg – einer wassertechnischen Stromerzeugung für die definierten
Anlagen (Tabelle 7.2) einschließlich aller vorgelagerten Prozesse dargestellt. Zusätzlich
werden weitere, eher lokale Umwelteffekte der Wasserkraft diskutiert.
7.3.3.1 Lebenszyklusanalyse
Nachfolgend werden für die betrachteten Wasserkraftanlagen (Tabelle 7.2) die Energie-
und Emissionsbilanzen bestimmt [7.34]. Die Ökobilanzierung wird dabei ausschließlich
662 M. Aufleger et al.
Tabelle 7.4 Energie- und Emissionsbilanzen einer Stromerzeugung aus Wasserkraft für die in Ta-
belle 7.2 definierten Referenzanlagen
Referenzanlage I II III IV
Nennleistung in MW 0,11 0,26 10 100
Energie in GJprim /GWha 123 157 44 43
SO2 in kg/GWh 17 21 10 9
NOx in kg/GWh 36 43 19 17
CO2 -Äquivalente in t/GWh 9,0 11,6 3,6 2,8
SO2 -Äquivalente in kg/GWh 43 53 24 21
a
primärenergetisch bewerteter kumulierter fossiler Energieaufwand (Verbrauch erschöpflicher
Energieträger).
für eine alleinige Stromerzeugung aus Wasserkraft durchgeführt. Dabei ist immer zu be-
achten, dass aufgrund der Vielzahl unterschiedlichster Ausführungsformen von Wasser-
kraftanlagen sowie der für jede Anlage spezifischen Randbedingungen – infolge der doch
deutlichen Ortsabhängigkeit, durch die Wasserkraftanlagen gekennzeichnet sind – die dar-
gestellten Bilanzergebnisse nur als mögliche (realistische) Größenordnungen der tatsäch-
lichen Gegebenheiten angesehen werden können. Im Einzelfall können die Ergebnisse von
den hier diskutierten Werten z. T. erheblich abweichen.
Tabelle 7.4 zeigt für die in Tabelle 7.2 definierten Anlagen die Energie- und Emis-
sionsbilanzen einer Stromerzeugung aus Wasserkraft einschließlich aller vorgelagerten
Prozesse. Aus der Vielzahl von möglicherweise freigesetzten Stoffen werden in Anleh-
nung an die bisherige Vorgehensweise neben der Energie nur die toxikologisch relevanten
Luftschadstoffe SO2 und NOx sowie zusätzlich unter Klimaaspekten die CO2 -Äquiva-
lent-Emissionen und unter dem Aspekt „Versauerung von Böden und Gewässern“ bzw.
„Versauerung terrestrischer Ökosysteme“ die SO2 -Äquivalent-Emissionen betrachtet (Ta-
belle 7.4).
Sowohl der spezifische fossile Energieaufwand als auch die betrachteten spezifischen
Emissionen werden dabei von der Anlagengröße und von der Bauweise (u. a. Ausleitungs-
oder Flusskraftwerk) des jeweils untersuchten Laufwasserkraftwerks beeinflusst. Generell
sinken diese Kenngrößen bei Anlagen ähnlicher Bauweise mit zunehmender installier-
ter Leistung aufgrund des mit zunehmender Größe geringeren spezifischen Material- und
Energieeinsatzes für Bau, Betrieb und Abriss. Auch nehmen die fossilen Energieaufwen-
dungen bzw. Emissionen bei Anlagen ähnlicher Leistung mit einem zunehmenden Druck-
niveau und damit einer steigenden Fallhöhe i. Allg. ab. Große Durchflüsse bei kleinen
Fallhöhen bedingen groß dimensionierte Turbinen bzw. Wehranlagen und deshalb große
Kraftwerksbauten mit einem entsprechend hohen Material- (vor allem Beton und Stahl)
und damit Energieeinsatz. Mit zunehmender Fallhöhe ergeben sich für Laufwasserkraft-
werke gleicher Leistung kleinere Durchflüsse und folglich kleinere Kraftwerksbauten. Die
Aufwendungen für die Druckrohrleitungen zur Triebwasserzuführung sind dabei i. Allg.
wesentlich geringer als die Aufwendungen für den Bau einer Niederdruckanlage ähnlicher
Leistung.
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 663
12000
CO2-Äquivalent-Emissionen in kg/GWh
10000
8000
Abriss
6000 Betrieb
Bau
4000
2000
0
i II III IV
Referenzanlage
Abb. 7.55 Aufteilung der CO2 -Äquivalent-Emissionen einer Stromerzeugung aus Wasserkraft auf
Bau, Betrieb und Abriss der in Tabelle 7.2 definierten Referenzanlagen
Bei allen betrachteten Laufwasserkraftanlagen stammt ein Großteil der mit der Bereit-
stellung von elektrischer Energie aus Wasserkraft verbundenen Verbräuche erschöpflicher
Energieträger bzw. freigesetzter Schadstoffemissionen aus der Herstellung der Anlagen-
komponenten. Betrieb sowie Abriss und Entsorgung zeigen hingegen einen vergleichs-
weise geringen Beitrag. Abb. 7.55 zeigt dazu exemplarisch die Verteilung der CO2 -Äqui-
valent-Emissionen auf Bau, Betrieb und Abriss der in Tabelle 7.4 dargestellten Bilanzer-
gebnisse.
Zwischen knapp 64 und 76 % der CO2 -Äquivalent-Emissionen entfallen demnach auf
den Bau der Anlagen und weitere ungefähr 13 bis 25 % der Treibhausgasemissionen auf
den Betrieb (u. a. Wartung und Instandhaltung, Entsorgung von Rechengut). Die restlichen
rund 10 % der CO2 -Äquivalent-Emissionen entstehen durch den Abriss und die Entsor-
gung der Kraftwerkskomponenten.
Die Verteilung der CO2 -Äquivalent-Emissionen auf den Bau der einzelnen Anlagen-
komponenten eines Wasserkraftwerkes sowie auf Betrieb und Abriss ist in Abb. 7.56
anhand der Bilanzergebnisse der Referenzanlage II (260 kW) detaillierter dargestellt.
Der Bau des Referenzkraftwerks II setzt sich dabei aus den Aufwendungen für das
Stauwehr einschließlich der Stauklappen, der Schütze und Verschlüsse, der Verkabelung
sowie den maschinentechnischen Anlagenteilen (u. a. Turbinen, Generatoren und Trans-
formatoren) und den sonstigen elektrischen Komponenten zusammen. Zusätzlich zeigt
Abb. 7.56 die Anteile an den gesamten CO2 -Äquivalent-Emissionen, die durch den Ver-
brauch von Diesel in Baumaschinen sowie für elektrische Energie beim Bau dieses Was-
serkraftwerks freigesetzt werden. Demnach tragen im Wesentlichen die baulichen Maß-
nahmen (vor allem für die Erstellung des Rückstaubereichs und der Baugrube, den Bau
des Krafthauses und der Wehranlage) zu den hier untersuchten Stofffreisetzungen bei.
664 M. Aufleger et al.
Generatoren
1,7%
Elektrische
Komponenten
0,7%
Bau- und
Transportenergie
4,7%
Stauwehr inkl.
Stauklappen
Kabel
65,9%
16,1%
Schütze und
Verschlüsse
0,6%
Transformatoren
1,3% Turbinenanlage
8,9%
Abb. 7.56 Aufteilung der CO2 -Äquivalent-Emissionen einer Stromerzeugung aus Wasserkraft
durch das Referenzkraftwerk II
Auch die weiteren betrachteten Emissionen sowie der Verbrauch erschöpflicher Ener-
gieträger zeigen Tendenzen, wie sie in Abb. 7.55 und 7.56 dargestellt sind.
auf einem vergleichsweise geringen Niveau bzw. sind sehr weitgehend geregelt. Auch
das Störfallpotenzial bei der Herstellung ist i. Allg. – von einigen wenigen Ausnahmen
(z. B. Stahlverhüttung) abgesehen – relativ gering und bei Einhaltung der entsprechenden
administrativen Vorgaben i. Allg. lokal begrenzt.
Hinzu kommen die Umwelteffekte, die mit dem Bau der Wasserkraftanlagen – und hier
insbesondere von Speicherwasserkraftanlagen – am potenziellen Anlagenstandort verbun-
den sind. Hierunter sind u. a. folgende mögliche Umweltwirkungen im Zusammenhang
mit dem Neubau, der Reaktivierung und der Modernisierung von Wasserkraftanlagen
während der Bauphase zu nennen [7.13].
Stauhaltungen Bei Fluss- und bei Ausleitungskraftwerken wird aufgrund der Wehranla-
gen auch ohne Speicherung ein Aufstau erzeugt, der sich auf die Lebensbedingungen in
666 M. Aufleger et al.
men. Das hat eine Spiegelabsenkung des mit dem Fließgewässer in Verbindung stehenden
Grundwasserkörpers zur Folge, was z. B. zur Trockenlegung von Auenwäldern und zur
Veränderung der Auenvegetation führen kann. Neben dem Rückhalt von Geschiebe und
Feinsedimenten führt der Aufstau auch zu einer Unterbrechung des Totholztransports.
Das dadurch verursachte Totholzdefizit in den Fließgewässern unterhalb einer derartigen
künstlichen Barriere trägt zusätzlich zur Strukturarmut des Lebensraumes bei.
Zusätzlich wirkt sich die Erhöhung des Wasserspiegels im Staubereich im Zusammen-
hang mit der geringeren Fließgeschwindigkeit negativ auf die Variabilität der Uferstruktur
wie Prall- und Gleitufer aus; dadurch geht die Vielfalt der natürlichen Standortbedingun-
gen mit wichtigen Teillebensräumen für viele Fischarten verloren. Auch führt die Regelung
der Staubereiche auf konstante Wasser- und Grundwasserspiegel zum Verschwinden der für
Auegebiete typischen Pionierstandorte, Wasserwechselzonen sowie Auegewässer. Verän-
derungen in der Artenzusammensetzung und der Vegetationszonierung sind die Folge.
Besonders gravierend sind die Auswirkungen bei einer Hintereinanderschaltung meh-
rerer Kraftwerke (d. h. Kraftwerkskette). Dann verliert eine längere Flussstrecke ihre
Fließgewässercharakteristik; die Stauwurzel der einen Wehranlage reicht oft bis zum
nächsten flussabwärts gelegenen Kraftwerk. Dies ist u. a. an einigen Voralpenflüssen
(z. B. Lech) der Fall.
Werden Staubereiche naturnah gestaltet, können sich dort zwar wertvolle neue pflanz-
liche und tierische Lebensgemeinschaften einstellen. Diese sind jedoch keine typischen
Fließgewässerbiotope mehr; vielmehr stellen sich den Stillgewässern ähnliche Lebensge-
meinschaften ein [7.15].
Für Wanderfische, die z. B. zum Laichen kleine Seitengewässer aufsuchen, stellen die
Wehre massive Barrieren dar; hier sind Fischaufstiegsanlagen wie z. B. naturnahe Um-
gehungsgerinne oder Vertical-Slot-Pässe (Fischtreppen) eine mögliche Gegenmaßnahme.
Damit Fischtreppen ihre Wirkung voll entfalten können, müssen sie richtig angeordnet
und dimensioniert werden. Da deren Funktionalität in der Vergangenheit oftmals nicht
gegeben war, werden jetzt vermehrt Umgehungsgerinne gebaut, die trotz geringerer Was-
serführung als das Hauptgewässer ähnliche Habitate wie dieses bieten können.
Der Verlust der Durchgängigkeit des Fließgewässers durch eine Wehranlage hat auch
Auswirkungen auf die Abwanderung von Fischen. Beispielsweise können sich Fische, die
in schnellströmenden Gewässern leben, auf Grund der geringeren Strömungsgeschwin-
digkeit in den Staubereichen schlechter orientieren. Auch kann es zu Fischverletzungen
kommen, wenn die Wassertiefe unterhalb des Wehrabsturzes nicht genügend groß ist. Dies
kann z. B. durch Fischleitsysteme, Fischschutz- und Fischabstiegsanlagen, welche die Fi-
sche unbeschadet dem Unterwasser zuführen sollen, vermieden werden.
Darüber hinaus ergibt sich für Fische beim Durchgang durch die Turbine eine Ge-
fährdung vor allem durch die dort vorherrschenden Druck- und Strömungsverhältnisse;
zusätzlich kann es zu mechanischen Verletzungen am Fischkörper kommen. Dies kann
durch enge Rechenstababstände vor den Turbineneinläufen bzw. durch entsprechend an-
geordnete Abweiser z. T. verhindert werden.
abgabe zu einem Abschwemmen von Organismen (vor allem benthische Wirbellose) kom-
men; dies kann zu einer Verarmung bzw. Auslöschung der entsprechenden Lebensgemein-
schaft führen. Bei größeren Speichern kommt hinzu, dass durch die Abgabe von warmem
Oberflächenwasser oder kaltem Tiefenwasser eine abrupte Änderung der Temperaturver-
hältnisse hervorgerufen werden kann. Diese raschen Temperaturänderungen können viele
aquatische Organismen nicht tolerieren; sie verenden.
Um die durch den Schwalleinfluss bedingten Umweltauswirkungen zu reduzieren sind
bauliche Maßnahmen möglich (z. B. Bau von Schwallausgleichsbecken, Ausgleichsmaß-
nahmen am Vorfluter); nachteilig ist der hohe Aufwand für einen derartigen Bau von
Ausgleichsbecken sowie die häufig fehlenden räumlichen Möglichkeiten. Zusätzlich kön-
nen die Auswirkungen von Schwall und Sunk durch betriebliche Maßnahmen gemindert
werden. Dazu gehört u. a. ein maximal erlaubtes Verhältnis zwischen Schwall (maximaler
Abfluss) und Sunk (minimaler Abfluss) innerhalb einer vorgegebenen Zeitspanne. Zusätz-
lich dazu steht noch ein maximal erlaubter Schwallanstiegs- bzw. Auslaufgradient sowie
eine mögliche Kombination beider Vorgaben zur Diskussion.
nur zu einer räumlich sehr begrenzten Gefährdung von Mensch und Umwelt. Hingegen
können die Auswirkungen eines Versagens von Staudämmen oder -mauern weiträumige
Folgen für die Bevölkerung bzw. Flora und Fauna haben. Hier ist ein entsprechend z. T.
sehr großes Störfallgefahrenpotenzial gegeben, das durch die geltenden – in Deutschland
sehr weitgehenden – Vorschriften möglichst umfassend begrenzt werden soll.
7.4.1 Potenziale
Diese Begriffsdefinitionen decken sich allerdings nicht bzw. nur eingeschränkt mit den
in Kapitel 1.3 festgelegten Potenzialbegriffen. Um trotzdem eine Vergleichbarkeit der
nachfolgend dargestellten Größen mit den anderen Möglichkeiten einer Nutzung rege-
nerativer Energien zu ermöglichen, orientieren sich die folgenden Ausführungen primär
an den Potenzialdefinitionen von Kapitel 1.3. Dadurch kann es ggf. zu Abweichungen von
den in Deutschland sonst üblichen Definitionen der Wasserkraftpotenziale kommen.
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 673
Tabelle 7.5 Theoretische Potenziale sowie technische Angebots- und technische Endenergiepoten-
ziale einer Stromerzeugung aus Lauf- und Speicherwasserkraft in Deutschland
Theoretisches Potenzial in PJ/a 333,4
Theoretisches Stromerzeugungspotenzial in TWh/a 92,6
Technisches Stromerzeugungspotenzial in TWh/a 33,2–42,1
Technisches Endenergiepotenzial in TWh/a 31,5–40,0
Theoretisches Potenzial Das theoretische Potenzial der Wasserkraft lässt sich entweder
als Flächen- oder als Linienpotenzial darstellen. Niederschlags- bzw. Abflussflächenpo-
tenziale stellen dabei die oberste Grenze des theoretischen Potenzials dar; sie ergeben
sich aus dem mittleren jährlichen Niederschlag pro Flächeneinheit abzüglich ggf. der Ver-
dunstung und Versickerung und dem Höhenunterschied der Flächeneinheit zu dem Punkt,
an dem das dort niederfallende Wasser das betrachtete Gebiet verlässt. Linienpotenziale
beinhalten die mittleren jährlichen Abflüsse der erfassten Fließgewässer und die Höhen-
unterschiede, die sie bis zum nächsten Vorfluter oder bis zum Verlassen des untersuchten
Gebietes überwinden. Sie haben gegenüber den Flächenpotenzialen eine höhere Aussage-
kraft, da sehr kleine Gewässer unberücksichtigt bleiben können und Fremdwasseranteile,
die über die Grenzen des Untersuchungsgebiets eingebracht werden, erfasst werden.
Das theoretisch verfügbare Linienpotenzial aller deutschen Gewässer mit einer Ein-
zugsgebietsgröße über 10 km2 liegt bei ca. 333,4 PJ/a im Regeljahr (Tabelle 7.5 [7.19]);
davon entfallen rund 63,5 % auf die großen Gewässer wie beispielsweise Rhein (22,8 %),
Donau (6,2 %), Inn (5,9 %) und Elbe (4,7 %).
Werden ein theoretisch maximaler Umwandlungswirkungsgrad der Wasserkraftwerke
von 100 % und ein lückenloser Ausbau aller Gewässer in Deutschland unterstellt, re-
sultiert aus dem Linienpotenzial ein theoretisches Stromerzeugungspotenzial von rund
92,6 TWh/a (Tabelle 7.5).
Tabelle 7.6 Theoretische und technische Potenziale in großen und mittelgroßen bis kleinen Ge-
wässern in Deutschland
Große Mittelgroße und Gesamt-
Gewässer kleine Gewässer potenzial
in TWh/a in TWh/a in TWh/a
Theoretisches Linienpotenzial 58,8 33,8 92,6
Technisches Potenzial 28,4–36,0 4,8–6,1 33,2–42,1
Genutztes Potenziala 17,5 3,4b 20,9
Ungenutztes Potenzial 10,9–18,5 1,4–2,7 12,3–21,2
Potenzial der „frei fließenden“ Strecken 9,5–12,0 0,77–1,49c
Technisches Verbesserungspotenzial 2,55 0,56
Zubaupot. an ungen. Querbauwerken 0,12 0
Neubaupotenzial (Restpotenzial) 1,3 0,07–0,66
Realisierbares Zubaupotenziald 4,0 0,63–1,22 4,6–5,2
a
durchschnittliche Jahresarbeit nach [7.19]; b inklusive der durch den natürlichen Zufluss von
Pumpspeicherkraftwerken erzeugten elektrischen Energie von 0,6 TWh/a; c inklusive des Potenzials
für ökologische Abflüsse von 0,07 bis 0,135 TWh/a; d beim realisierbaren Zubaupotenzial werden
die Potenziale der „frei fließenden“ Strecken sowie bei den mittelgroßen und kleinen Gewässern
auch das Potenzial der ökologischen Abflüsse nicht berücksichtigt; Zubaupot. Zubaupotenzial; un-
gen. ungenutzten.
nisches Potenzial von etwa 12,3 bis 21,2 TWh/a. Dieses bisher nicht genutzte technische
Stromerzeugungspotenzial setzt sich zusammen aus dem Potenzial der technischen Anla-
genoptimierung, dem Zubaupotenzial an vorhandenen, aber derzeit zur Stromerzeugung
ungenutzten Querbauwerken, dem Neubaupotenzial sowie dem Potenzial der „frei flie-
ßenden“ Strecken (d. h. der bisher unverbauten Gewässerabschnitte) (Tabelle 7.6).
Die Ausschöpfung des Potenzials der „frei fließenden“ Strecken bedarf einer gesell-
schaftlichen Abwägung zwischen der Nutzung der regenerativen Energie „Wasserkraft“
und anderer Nutzungsoptionen (z. B. Siedlungen, Grundwasserhaltung, Erhalt bzw. Ver-
besserung des ökologischen Zustandes dieser Strecken) [7.19]. Sollen diese „frei fließen-
den“ Strecken aus ökologischen Gründen erhalten bleiben, beträgt das technisch reali-
sierbare Zubaupotenzial bei großen Gewässern noch 4,0 TWh/a und bei mittelgroßen und
kleinen Gewässern noch 0,6 bis 1,2 TWh/a. Unter diesen Bedingungen liegt das techni-
sche Potenzial aller deutschen Gewässer nur noch zwischen 25,5 und 26,1 TWh/a.
Für die Gebietsfläche einzelner Bundesländer wurden eine Vielzahl unterschiedlichs-
ter konkretisierender Studien (u. a. [7.20, 7.21, 7.22, 7.23, 7.24, 7.25, 7.26]) durchge-
führt, in denen die technischen Wasserkraftpotenziale ermittelt, Bestandsaufnahmen der
vorhandenen Anlagen durchgeführt und die noch ausbauwürdigen Potenziale detailliert
und teilweise Standort-scharf abgeschätzt wurden. Gleiches gilt auch für Deutschland
(u. a. [7.27, 7.28]). Demnach liegen die technischen Potenziale einer wassertechnischen
Stromerzeugung aller dieser Untersuchungen zwischen knapp 21 und maximal 35 TWh/a.
Damit bewegen sich die Potenziale diesen Untersuchungen zufolge etwas unterhalb der
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 675
hier primär zitierten Untersuchung [7.19]. Diese Abweichung kann z. T. mit Unterschie-
den in der Untersuchungsmethodik (z. B. Standortmethode, Linienpotenzialmethode) der
verschiedenen Studien begründet werden.
Das Potenzial der Wasserkraft in Deutschland ist durch große regionale Unterschiede
gekennzeichnet. Im Norden Deutschlands gibt es nur wenige Möglichkeiten einer was-
sertechnischen Stromerzeugung. Demgegenüber sind im Süden beachtliche Potenziale
gegeben; mehr als drei Viertel sind in Bayern (über 50 % des Gesamtpotenzials) und Ba-
den-Württemberg vorhanden [7.19, 7.28].
7.4.2 Nutzung
Die Wasserkraft wurde schon vor mehr als 2 000 Jahren für die Bereitstellung mechani-
scher Energie genutzt. Damals wurde die in einem Flusslauf vorhandene Energie zunächst
mit Hilfe von Wasserrädern direkt in mechanische Energie umgewandelt und diente zum
Heben von Wasser oder zum Mahlen von Getreide. Die hier ausschließlich betrachtete
Wasserkraftnutzung zur Stromerzeugung hat aber erst mit der Industrialisierung – dann
aber schnell – an erheblicher Bedeutung gewonnen bzw. diese z. T. erst ermöglicht bzw.
zumindest maßgeblich unterstützt. Nachfolgend wird deshalb nur die Wasserkraftnutzung
zur Bereitstellung elektrischer Energie im globalen, im EU-weiten und im deutschen so-
wie österreichischen Kontext diskutiert [7.29, 7.30].
7.4.2.1 Welt
Im Jahr 2018 waren global rund 1 175 GW an elektrischer Leistung in Wasserkraftan-
lagen installiert (Abb. 7.57); zusätzlich dazu waren weitere ca. 118 GW an in Pump-
speicherkraftwerken installierten Kapazitäten vorhanden. Insgesamt wurden damit etwa
4 200 TWh (2018) Strom erzeugt; dies entspricht ca. 3 250 h/a (Volllast) [7.29, 7.31].
676 M. Aufleger et al.
1,2 6
jährlich neu installierte Leistung
kumulierte Leistung
1,0 Bruttostromerzeugung 5
Elektrische Leistung in T W
Stromerzeugung in PWh/a
0,8 4
0,6 3
0,4 2
0,2 1
0,0 0
Abb. 7.58 zeigt zusätzlich die Verteilung der Ende 2018 installierten Wasserkraftwerks-
leistungen nach Ländern. Demnach sind in China, aber auch in den USA, in Brasilien und
in Kanada erhebliche elektrische Leistungen in Wasserkraftanlagen installiert. Allein in
China ist folglich derzeit mehr als ein Viertel der global vorhandenen Wasserkraftleistung
vorhanden; mit 8,5 GW (davon 1,5 GW in Pumpspeicherkraftwerken) wurde beispielswei-
se 2018 hier auch der höchste Zubau weltweit realisiert.
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 677
140 450
400
120
Elektrische Leistung in GW
350
Stromerzeugung in TWh/a
100
300
80 250
60 200
150
40
jährlich neu installierte Leistung
100
kumulierte Leistung
20 Bruttostromerzeugung
50
0 0
7.4.2.3 Deutschland
In Deutschland wurden bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts einfache Turbinen ent-
wickelt, an die dann später Generatoren zur Stromerzeugung angeschlossen wurden. Die
erzeugte elektrische Energie wurde zunächst nur in einem eng begrenzten Bereich um
das Kraftwerk genutzt. Erst durch die Möglichkeit, Strom verlustarm über weite Strecken
transportieren zu können, setzte sich die Nutzung der Wasserkraft in einem größeren Um-
fang durch. Dies gelang erstmals 1891, als die in einem Wasserkraftwerk bei Lauffen am
Neckar erzeugte elektrische Energie bis nach Frankfurt / Main zur Weltausstellung trans-
portiert wurde. Nun konnte auch die Versorgung der Bevölkerung mit elektrischer Energie
aus Wasserkraft realisiert werden.
Seither hat sich die in Wasserkraftanlagen installierte Leistung in Deutschland kon-
tinuierlich erhöht. Abb. 7.61 zeigt die Entwicklung der in Lauf- und Speicherwasser-
kraftanlagen der öffentlichen Versorgung in Deutschland installierten Leistungen sowie
die korrespondierende Stromerzeugung in der Zeit von 1990 bis 2018. Deutlich wird die
nur geringe Zunahme der in Laufwasserkraftwerken der öffentlichen Versorgung instal-
lierten Leistung. Im Unterschied dazu schwankt die realisierte Stromerzeugung aufgrund
des zwischen verschiedenen Jahren z. T. stark unterschiedlichen Wasserangebots teilwei-
se erheblich; im Durchschnitt hat sie aber in den letzten nahezu drei Jahrzehnten kaum
zugenommen, wenn durchschnittliche Abflüsse unterstellt werden.
Die Bruttostromerzeugung aus Lauf- und Speicherwasserkraft (inklusive des natürli-
chen Zuflusses in Pumpspeicherkraftwerken) betrug 2018 rund 16,5 TWh [7.30]; sie lag
damit mit 18 % deutlich unter dem Vorjahreswert von 20,2 TWh (2017), der sich knapp
6 25
5
20
Stromerzeugung in TWh/a
4
15
Elektrische Leistung in GW
5
1
0 0
1991
1990
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2017
2014
2015
2016
2018
über dem langjährigen Mittelwert von 19,8 TWh/a bewegte (Abb. 7.61). Dies liegt in dem
allgemein sehr warmen und niederschlagsarmen Jahr 2018 begründet.
In den letzten Jahren sind auch in Deutschland keine größeren Wasserkraftwerke neu
ans Netz angeschlossen oder modernisiert worden. Dementsprechend liegt die installierte
Leistung zur Stromerzeugung aus dem an deutschen Fließgewässern technisch genutzten
Abfluss weiterhin bei rund 4,4 GW (ohne Pumpspeicherkraftwerksleistung) bzw. 5,6 GW
einschließlich der Leistung von Pumpspeicherkraftwerken mit natürlichem Zufluss.
Derzeit kann von einer Gesamtanlagenzahl von rund 7 600 ausgegangen werden. Da-
von besitzen jedoch nur rund 400 Anlagen eine Leistung von mindestens 1 MW; diese
Anlagen speisen aber mehr als 90 % des im Netz vorhandenen Wasserkraftstroms ein. Der
Großteil (über 80 %) dieses Anlagenbestands wird in Süddeutschland betrieben; allein in
Bayern sind rund 3 500 Anlagen am Netz. Hier wird damit der Löwenanteil an elektrischer
Energie aus regenerativer Lauf- und Speicherwasserkraft der öffentlichen Versorgung und
der Industrie erzeugt.
Im langjährigen Mittel werden rund 16,5 TWh/a in Wasserkraftanlagen mit mindes-
tens 1 MW elektrischer Leistung – dabei handelt es sich bei etwa 20 % um Speicher- und
bei etwa 80 % um Laufwasserkraftwerke – und rund 2,7 TWh/a aus Kleinwasserkraftan-
lagen mit weniger als 1 MW elektrischer Leistung bereitgestellt. Der natürliche Zufluss in
Pumpspeicherkraftwerken liegt im Mittel bei rund 0,6 TWh/a [7.30].
Der überwiegende Teil (ca. 84 %) der durchschnittlich generierten Jahresarbeit der re-
generativen Wasserkraft in Deutschland stammt aus großen Wasserkraftanlagen mit einer
Anlagenleistung gleich oder größer 1 MW [7.19]. Ein Großteil der hier erzeugten Ener-
gie wird an den neun großen Flüssen gewonnen; allein der Inn trägt dazu mit rund 20 %
und die Flüsse Rhein und Donau mit 17 % bzw. knapp 14 % bei (Abb. 7.62). Insgesamt
stellen die neun großen Flüsse im langjährigen Durchschnitt 15 TWh/a an regenerativen
Wasserkraftstrom bereit (d. h. knapp 87 % am gesamten Regelarbeitsvermögen der großen
Wasserkraftanlagen von 17,5 TWh/a [7.19]).
Eine weitergehende Erschließung des noch begrenzt vorhandenen Wasserkraftpoten-
zials in Deutschland ist allerdings oft sehr schwierig, da die Erfüllung der gesetzlichen
Naturschutzanforderungen häufig den Planungs- und Genehmigungsprozess deutlich er-
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 681
schwert und merklich verlängert. Dies ist wiederum mit erheblichen Kosten verbunden,
die auf Neubauprojekte prohibitiv wirken. Deshalb dürften die vorhandenen Potenziale in
den kommenden Jahren kaum erschlossen werden.
7.4.2.4 Österreich
Die Wasserkraft hat auch in Österreich eine lange Tradition. Bereits 1880 wurde ein erstes
Wasserkraftwerk in Steyr errichtet. Nach dem Wegfall der Kohlereviere durch die Auf-
teilung des Gebiets der österreichischen Monarchie nach dem 1. Weltkrieg begann der
großtechnische und forcierte Ausbau der Wasserkraft zur Energieversorgung für die im-
mer mehr aufkommende Industrie.
Die Wasserkraft trägt heute in der Alpenrepublik bei einer Stromerzeugung von
37,6 TWh (2018) mit 9,5 % zum Energie-Bruttoinlandsverbrauch bei. Hiervon stammen
ca. 75 % aus Laufwasserkraftwerken und 25 % aus Speicherwasserkraftwerken. Bezogen
auf die Nachfrage nach elektrischer Energie entspricht dies einem Wasserkraftanteil von
knapp 57 % (2017) [7.32].
Im Jahr 2018 waren 93 Laufwasserkraftwerke (über 10 MW Einzelleistung) mit einer
insgesamt installierten elektrischen Leistung von knapp 4,6 GW und 66 Speicherwas-
serkraftwerke (über 10 MW Einzelleistung) mit in Summe 8,3 GW Engpassleistung in
Betrieb. Dazu kommen noch ca. 460 kleinere Laufkraftwerke und 50 kleinere Speicher-
kraftwerke. Die Gesamtengpassleistung der österreichischen Wasserkraftwerke beträgt
damit in Summe 14,1 GW (2018). Die mit diesem Anlagenpark realisierte Stromproduk-
tion (Abb. 7.63) schwankt – wie auch in Deutschland – von Jahr zu Jahr aufgrund der
klimatisch bedingten unterschiedlichen Wasserführung der Flüsse [7.33].
15 50
14
45
13
12 40
Elektrische Leistung in GW
Stromerzeugung in TWh/a
11
35
10
9 30
8
25
7
6 20
jährlich neu installierte Leistung
5
kumulierte Leistung 15
4
Bruttostromerzeugung
3 10
2
5
1
0 0
Insgesamt stagniert die Stromerzeugung aus Wasserkraft in Österreich seit etwa dem
Jahr 2000, da aus Naturschutzgründen und aufgrund anderer rechtlicher Restriktionen kei-
ne größeren neuen Kraftwerke mehr gebaut wurden (Abb. 7.63). Auch sind die Potenziale
der Großwasserkraft weitgehend ausgebaut. Kleinere und mittlere Kraftwerke werden je-
doch auch weiterhin gebaut; beispielsweise wurde 2019 ein neues Laufkraftwerk mittlerer
elektrischer Leistung (17,7 MW) an der Mur in Graz in Betrieb genommen.
Literatur
[7.1] Schröder, W., Euler, G., Schneider, K.: Grundlagen des Wasserbaus, 4. Aufl. Werner, Düssel-
dorf (1999)
[7.2] Quaschning, V.: Regenerative Energiesysteme: Technologie – Berechnung – Simulation,
7. Aufl. Hanser, München (2011)
[7.3] Giesecke, J., Heimerl, S., Mosony, E.: Wasserkraftanlagen – Planung, Bau und Betrieb,
5. Aufl. Springer, Berlin, Heidelberg (2009)
[7.4] Bundesamt für Konjunkturfragen (Hrsg.): Einführung in Bau und Betrieb von Kleinstwas-
serkraftanlagen. Bundesamt für Konjunkturfragen. Bundesamt für Konjunkturfragen, Bern
(1993)
[7.5] Patt, H., Gonsowski, P.: Wasserbau – Grundlagen, Gestaltung von wasserbaulichen Bauwer-
ken und Anlagen, 7. Aufl. Springer, Berlin, Heidelberg (2011)
[7.6] von König, F., Jehle, C.: Bau von Wasserkraftanlagen – Praxisbezogene Planungsunterlagen,
4. Aufl. C. F. Müller, Heidelberg (2005)
[7.7] Strobl, T., Zunic, F.: Wasserbau: Aktuelle Grundlagen – Neue Entwicklungen. Springer, Ber-
lin, Heidelberg (2006)
[7.8] Kaltschmitt, M.: Regenerative Energien; Vorlesung, Institut für Umwelttechnik und Energie-
wirtschaft. Technische Universität Hamburg-Harburg, SoSe, Hamburg (2012)
[7.9] Firmenunterlagen: Voith Siemens Hydro Power Generation (2005)
[7.10] Voith (Hrsg.): Francis-Schachtturbinen in standardisierten Baugrößen. Werksschrift 2519.
Voith, Heidenheim (1985)
[7.11] Voith: Peltonturbinen in standardisierten Baugrößen. Werksschrift 2517. Voith, Heidenheim
(1985)
[7.12] Firmenunterlagen: CINK Hydro-Energyk.s.
[7.13] Zaugg, C., Leutewiler, H.: Kleinwasserkraftwerke und Gewässerökologie, 2. Aufl. Bundes-
amt für Energiewirtschaft, Bern (1998)
[7.14] Stigler, H., et al.: Energiewirtschaftliche und ökonomische Bewertung potenzieller Aus-
wirkungen der Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie auf die Wasserkraft. Institut für
Elektrizitätswirtschaft und Energieinnovation der Technischen Universität, Graz (2005)
[7.15] Bunge, T., et al.: Wasserkraft als erneuerbare Energiequelle – Rechtliche und ökologische
Aspekte. UBA Texte 01/01. Umweltbundesamt, Berlin (2001)
[7.16] Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft: EU
Wasserrahmenrichtlinie 2000/60/EG. Österreichischer Bericht der Ist-Bestandsaufnahme.
Zusammenfassung der Ergebnisse für Österreich. Bundesministerium für Land- und Forst-
wirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, Wien (2005)
[7.17] Strobl, T., et al.: Ein Beitrag zur Festlegung des Restabflusses bei Ausleitungskraftwerken.
Wasserwirtschaft 80(1), 33–39 (1990)
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 683
Unter dem Begriff „Umgebungswärme“ wird der Energieinhalt der Umgebungsluft, des
oberflächennahen Erdreichs, von Grundwässern (Aquiferen) oder auch von fließenden
oder stehenden Oberflächengewässern verstanden. Diese in unserer unmittelbaren Um-
gebung enthaltene thermische Energie ist im Sinne der Energietechnik und nach mensch-
lichen Maßstäben erneuerbar und damit unerschöpflich; d. h. es ist regenerative, klima-
neutrale Energie. Aufgrund des typischerweise geringen Temperaturniveaus ist aber diese
thermische Energie nicht unmittelbar zur Deckung der Wärmenachfrage für den Men-
schen nutzbar; zur technisch sinnvollen Nutzbarmachung wird deshalb i. Allg. eine weite-
re Systemkomponente, eine sogenannte Wärmepumpe, benötigt.
Wärme kann natürlicherweise ohne technische Hilfe nur von einem Punkt höherer
Temperatur zu einem Punkt niedrigerer Temperatur strömen; dies ist vergleichbar mit
Wasser, das natürlicherweise nur von einem höheren geodätischen Niveau auf ein nied-
rigeres geodätisches Niveau fließen kann (Kapitel 7.1 und 7.2). Wenn diese natürliche
Fließrichtung umgedreht werden soll und damit thermische Energie mit einer höheren
Temperatur aus thermischer Energie mit einer niedrigeren Temperatur bereitgestellt wer-
den soll, ist eine technische Maschine zwingend nötig. Beim Wasserstrom ist dies eine
Wasserpumpe und beim Wärmestrom eine Wärmepumpe (Abb. 8.1). Damit ist eine Wär-
mepumpe eine technische Komponente, die unter Aufwendung von externer Antriebsener-
gie thermische Energie aus einem Reservoir mit niedrigerer Temperatur aufnimmt und –
zusammen mit der Antriebsenergie – als Wärme auf einem höheren Temperaturniveau
wieder abgibt.
Autoren in alphabetischer Reihenfolge mit Beiträgen zum Kapitel; die Autorenzuordnung geht aus
den einzelnen Unterkapiteln hervor.
Martin Kaltschmitt, Lucas Sens, Hamburg, Deutschland
Wolfgang Streicher, Innsbruck, Österreich
Felix Ziegler, Berlin, Deutschland
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 685
M. Kaltschmitt, W. Streicher, A. Wiese (Hrsg.), Erneuerbare Energien,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-61190-6_8
686 M. Kaltschmitt et al.
Höhe Temperatur
Nutzwärme
höheres
geodätisches höhere
Niveau Temperatur
Antriebs- Antriebs-
energie energie
Wasser-
niedrigeres pumpe Wärme-
geodätisches niedrigere pumpe
Niveau Temperatur
Wasser Umgebungs-
wärme
Höhe in m
1000
Sonnenstrahlung
100
Energie 10
der Umge-
bungsluft Atmosphäre
1
Erdoberfläche
Oberflächenwasser
Beeinflussung durch
Oberflächen- -1 Speicherung der
nahe Solarenergie
Erdwärme -10
Erdwärme
-1000
Tiefe in m
Tiefe
Erd- -10000 Geothermische Energie
wärme
der (tiefen) Erdwärme in mehr als 400 m Tiefe durch die Übernahme des Bohrrisikos ge-
fördert; und da es lange Zeit keine Anlagen mit Tiefen zwischen rund 200 und ca. 500 m
gab, wurde hier eine sinnvolle Grenze gesehen. Dieser Wert von 400 m als ungefähre Un-
tergrenze der Nutzung der oberflächennahen Erdwärme hat auch in andere Richtlinien
Eingang gefunden (z. B. VDI-Richtlinie 4640). In Deutschland wird auch oft eine Gren-
ze von 100 m zwischen der oberflächennahen und der tiefen Geothermie genannt, da ab
100 m Tiefe das Bundesberggesetz greift und der Genehmigungsprozess für eine derartige
Anlage sich damit ändert; aus diesem Grund sind viele Erdwärmesonden zur Nutzung der
oberflächennahen Erdwärme in Deutschland maximal rund 99 m tief. In der praktischen
Umsetzung wird die oberflächennahe Erdwärme typischerweise mit kleinen, dezentra-
len Systemen, die alle auf einer Wärmepumpe als Kernkomponente basieren, genutzt;
demgegenüber erfolgt die Nutzbarmachung der tiefen Geothermie in großen Anlagen,
bei denen wegen der höheren Temperaturen möglicherweise keine Wärmepumpen benö-
tigt werden, und die im Regelfall an ein Wärmeverteilnetz (Nah- oder Fernwärmenetz)
gekoppelt sind, damit die dort realisierbaren großen thermischen Leistungen bzw. Ener-
giemengen zum Endverbraucher transportiert werden können (Kapitel 9). Damit unter-
scheiden sich auch die Nutzungskonzepte der oberflächennahen und der tiefen Geothermie
deutlich.
Ein typisches, charakteristisches Kennzeichen der Umgebungswärme ist es damit, dass
sie auf einem für die technische Nutzung typischerweise zu niedrigem Temperaturniveau
vorliegt. Die größte Bedeutung hat aber die Nutzung der Umgebungswärme tatsächlich
als Wärme zur Deckung der Nachfrage nach Raumwärme und / oder Brauchwarmwasser.
Hierfür muss jedoch die thermische Energie der Umgebung (d. h. die dort vorhandene
688 M. Kaltschmitt et al.
der Wärmequellenanlage, mit welcher der Entzug der thermischen Energie aus der Um-
gebung auf einem (sehr) geringen Temperaturniveau ermöglicht wird,
der Wärmepumpe selbst und
der Wärmesenkenanlage; darunter wird die Anlage zur Einspeisung und / oder Verwen-
dung der durch die Wärmepumpe auf ein höheres Temperaturniveau gebrachten Wärme
verstanden. Derartige Wärmesenkenanlagen sind zwar typischerweise Standardanla-
gen, wie sie üblicherweise zur Gebäudebeheizung und / oder Trinkwarmwasserberei-
tung standardmäßig verbaut werden; sie müssen aber auf die technischen Eigenschaften
der Wärmepumpe angepasst werden.
Ausgehend davon werden zuerst in Kapitel 8.1 die physikalischen Grundlagen von
Wärmepumpen zur Nutzung von Umgebungswärme erklärt. Danach wird in Kapitel 8.2
die Technik zur Nutzung dieser Energiequelle besprochen. Dies gilt zuerst für die Mög-
lichkeiten zum „Ernten“ der Umgebungswärme (Kapitel 8.2.1), um danach auf die we-
sentlichen Komponenten der wichtigsten Bauarten von Wärmepumpen einzugehen (Ka-
pitel 8.2.2). In Kapitel 8.2.3 werden aufbauend darauf die einzuhaltenden Wärmepum-
pen-relevanten Randbedingungen für die Wärmesenke sowie einige Beispiele für ent-
sprechende Gesamtsysteme vorgestellt. Im Kapitel 8.3 schließt sich die ökonomische und
ökologische Analyse und in Kapitel 8.4 eine Betrachtung der Potenziale und der derzeiti-
gen Nutzung an.
8 Nutzung von Umgebungswärme 689
8.1 Grundlagen
Ziel der folgenden Ausführungen ist eine Darstellung der Grundlagen der Wärmepumpen.
Dabei wird auf Systeme mit einem mechanischen und einem thermischen Antrieb vertieft
eingegangen; auch werden entsprechende Kenngrößen beschrieben. Zuvor werden aber
grundlegende Zusammenhänge diskutiert.
In den meisten Bauarten von Wärmepumpen (eine Ausnahme ist der Peltier-Prozess,
der aber nur in der Kältetechnik eine Rolle spielt) durchläuft dabei ein Arbeitsstoff (meist
690 M. Kaltschmitt et al.
bei einer bestimmten (niedrigeren) Temperatur Wärme aus der Wärmequelle (Umge-
bung) aufgenommen,
hochwertige Antriebsenergie (z. B. elektrische Energie) zugeführt und
nun die auf dem geringeren Temperaturniveau aufgenommene Wärmeenergie ein-
schließlich der – in Wärme umgewandelten – eingesetzten Antriebsenergie in Form
von thermischer Energie auf einem höheren Temperaturniveau der Wärmesenke zur
Nutzung bereitgestellt wird.
Prozesseffizienz Während also ein Teil (nämlich die Umweltwärme) der zum Heizen
genutzten Energie bei einer Wärmepumpe immer regenerativen Ursprungs ist, gilt das
für den anderen Teil, die Antriebsenergie, nicht notwendigerweise. Darum werden Wär-
mepumpen oft nicht vollständig als „regenerative“ Technologien bewertet. Hier ist das
Verhältnis aus bereitgestellter Nutzwärme QP Nutz zu benötigter mechanischer bzw. ther-
mischer Antriebsenergie WP Antr bzw. QP Antr eine typische Kennzahl zur entsprechenden
Bewertung einer derartigen Wärmepumpe. Sie wird bei einem mechanischen Antrieb (das
ist der weitaus häufigste in der Praxis vorkommende Fall) Leistungszahl "i (Gleichung
(8.1)) und bei einem thermischen Antrieb Wärmeverhältnis i (Gleichung (8.2)) genannt.
Der Index i in den beiden Kenngrößen bedeutet, dass es sich um Kennzahlen lediglich für
den „inneren“ thermodynamischen Prozess handelt; d. h. Verluste des Antriebs werden
nicht berücksichtigt.
QP Nutz
"i D (8.1)
WP Antr
QP Nutz
i D (8.2)
QP Antr
Diese beiden Kennzahlen sind nicht mit dem „klassischen“ Wirkungsgrad zu verwech-
seln, da hierbei der Teil der dem Prozess aus der (regenerativen) Wärmequelle (z. B.
Umgebungsluft, oberflächennahe Erdwärme) zugeführten thermischen Energie nicht be-
rücksichtigt wird. Die Leistungszahl "i oder das Wärmeverhältnis i sind eher von der
Praxis motivierte Kennzahlen, da die Antriebsenergie (z. B. elektrische Energie aus dem
Netz oder eine dezentrale Photovoltaikanlage für die Bereitstellung der mechanischen
Energie) im Regelfall zu bezahlen ist und die Umwelt- oder Umgebungswärme dahin-
gegen typischerweise gratis genutzt werden kann. Die jeweils bereitgestellte Nutzwärme
ist im Heizungsfall die Wärmeabgabe auf dem angestrebten hohen Temperaturniveau (und
8 Nutzung von Umgebungswärme 691
im Kühlfall die der Wärmequelle entzogene Wärme auf einem gewünschten tiefen Tempe-
raturniveau). In besonders günstigen Fällen (z. B. Supermarkt mit gleichzeitiger Kühlung
der Kühltruhen und Heizung des Raums oder in Wohngebäuden mit einem gleichzeitigen
Kühlen der Wohnungen und einer Trinkwarmwasserbereitung) kann sowohl die Wärme
als auch die Kälte als Nutzenergie genutzt werden; in solchen günstigen Fällen sind die
Leistungszahlen bzw. Wärmeverhältnisse sehr hoch.
In Gleichung (8.1) und (8.2) wurden nicht Energien, sondern Leistungen verwendet,
weil diese Definitionen strenggenommen nur für die Energieströme in einem momen-
tanen Betriebszustand gelten. Wird bei konstanten Betriebsbedingungen über die Zeit
integriert, gelten die Gleichungen aber auch für Energiemengen; bei der Betrachtung län-
gerer Zeiträume mit wechselnden Bedingungen werden aber andere Begriffe verwendet
(Kapitel 8.1.4).
Auch wird die Umgebungswärme in dieser Definition nicht als Aufwand im Sinne eines
Wirkungsgrades gezählt. Es kann aber bei Systemvergleichen sinnvoll oder sogar nötig
sein, die benötigte (kostenlose) Umweltwärme zusätzlich zur (kostenpflichtigen) Hilfs-
energie zu berücksichtigen (Kapitel 8.2).
TSenke
"c D (8.3)
TSenke TQuelle
Bei thermisch angetriebenen Wärmepumpen muss zusätzlich noch die Temperatur der
antreibenden Wärme T Antr , berücksichtigt werden. Angewendet auf den thermisch ange-
triebenen Wärmepumpenprozess lässt sich dann das theoretisch maximal mögliche Wär-
meverhältnis als Carnot-Wärmeverhältnis c nach Gleichung (8.4) beschreiben.
Leistungszahl εc
peraturen der Wärmequelle 10
-5 °C TQuelle = +10 °C
(T Quelle ) und der Wärmesenke 8
(T Senke ) 6
4
-20 °C
2
0
20 30 40 50 60 70 80
Temperatur der Wärmesenke in °C
Damit kann die Carnot-Leistungszahl "c nach Gleichung (8.6) und das Carnot-Wärme-
verhältnis c nach Gleichung (8.7) geschrieben werden.
TSenke
"c D (8.6)
TH
TSenke TAntr TQuelle
c D (8.7)
TH TAntr
Dieser Zusammenhang nach Gleichung (8.6) ist auch in Abb. 8.3 dargestellt. Hier ist
die Carnot-Leistungszahl "c für drei Wärmequellentemperaturen über der Wärmesenken-
temperatur aufgetragen. Bei einer typischen Wärmesenkentemperatur von 40 ı C würde
bei einer (eher sommerlichen) Quellentemperatur von 10 ı C dann eine Leistungszahl von
über 10 erreicht werden; d. h. weniger als ein Zehntel der Nutzwärmeleistung müsste als
Antriebsleistung bereitgestellt werden.
Der Anteil der Umgebungswärmeleistung an der Nutzwärmeleistung zeigt Abb. 8.4
über der Leistungszahl "i . Dieser Anteil berechnet sich ganz allgemein nach Gleichung
(8.8). QP Umgebung ist die Umgebungswärme und QP Nutz die Nutzwärme. "i ist die Leistungs-
zahl.
QP Umgebung "i 1
D (8.8)
P
QNutz "i
0,9
bungswärme in Abhängigkeit
0,8
von der Leistungszahl "i
0,7
0,6
0,5
0,4
0,3
0,2
0,1
0,0
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Leistungszahl εi
8 Nutzung von Umgebungswärme 693
Im Falle des idealen Prozesses lässt sich Gleichung (8.8) weiter vereinfachen zu
Gleichung (8.9). Demnach entspricht das Verhältnis zwischen der Umgebungswärme
QP Umgebung und der Nutzwärme QP Nutz dem Verhältnis zwischen Quellentemperatur T Quelle
und Senkentemperatur T Senke . Analog kann dies auch für das Wärmeverhältnis i abgelei-
tet werden.
QP Umgebung TQuelle
D (8.9)
P
QNutz TSenke
TSenke C T TSenke C T
"ci D D (8.10)
TSenke C T TQuelle T TH C 2T
Grundsätzlich ist immer "ci < "c , weil der innere Prozess für die Irreversibilitäten der
Wärmeübertragung zur Senke und von der Quelle aufkommen muss. Dieser Zusammen-
hang nach Gleichung (8.10) ist exemplarisch in Abb. 8.5 für eine Grädigkeit T von 5 K
aufgetragen; eine derartige Grädigkeit ist für viele Auslegungen bei Wärmeübertragern
und auch bei Wärmepumpen typisch. Daraus resultiert, dass sich die Leistungszahl des
oben genannten Beispiels (Wärmesenkentemperatur von 40 ı C und eine (eher sommerli-
che) Quellentemperatur von 10 ı C) infolge dieses Verlustmechanismus von über 10 auf
rund 8 reduziert (d. h. um rund 20 %).
Generell gilt, dass je kleiner die Wärmeübertrager ausgelegt werden, desto größer
ist die benötigte Temperaturdifferenz, um die gleiche Wärme zu übertragen. Dieser aus
technischer Sicht wesentliche Zusammenhang beschreibt Gleichung (8.11). QP ist die zu
694 M. Kaltschmitt et al.
Leistungszahl εci
Wärmepumpe in Abhängig- 12
QP D U AW Tlog (8.11)
Zudem hat jeder Prozess Irreversibilitäten (d. h. interne Verluste), die sich u. a. aus Ab-
weichungen des Realprozesses vom idealen Prozess, aus Druckverlusten im System und
aus Verlusten von Kompressor und Antriebselektronik ergeben. Diese internen Verluste
verringern die Leistungszahl zusätzlich. Diese Verluste werden durch die Prozessgüte
i
nach Gleichung (8.12) beschrieben. "ci ist wieder die innere Carnot-Leistungszahl und "i
die Leistungszahl.
"i D
i "ci (8.12)
Mit einer für heute marktgängige Wärmepumpen realistische Prozessgüte von rund
60 % ergibt sich Abb. 8.6. Demnach ist bei einer Senkentemperatur von 40 ı C die Leis-
tungszahl bei einer Quellentemperatur von 10 ı C (gleiches Beispiel wie oben) nun knapp
Die in Kapitel 8.1.1 dargestellten grundlegenden Zusammenhänge werden nun für Wär-
mepumpen mit einem mechanischen Antrieb vertieft. Derartige mechanisch angetriebe-
ne Wärmepumpen können grundsätzlich als Kaltdampf- oder Kaltgasanlagen oder auch
als transkritische Prozesse ausgeführt werden. Im einfachsten und am häufigsten in der
Praxis verwendeten Kaltdampfprozess (Plank-Prozess) erfährt das in der Wärmepumpe
eingesetzte Kreislauf- oder Kältemittel sowohl bei der Wärmeaufnahme als auch bei der
Wärmeabgabe einen Phasenwechsel zwischen dem flüssigen und dem gasförmigen Zu-
stand. Demgegenüber bleibt beim Kaltgasprozess das Kältemittel im Verlauf des gesamten
Kreisprozesses immer gasförmig; der Kaltgasprozess hat aber für Wärmepumpen keine
praktische Bedeutung und wird deshalb hier nicht weiter betrachtet. Der transkritische
Prozess ist ein Sonderfall des Kaltdampfprozesses, bei dem bei der Wärmeaufnahme, aber
nicht bei der Wärmeabgabe ein Phasenwechsel auftritt.
Die Verwendung eines Phasenwechsels des Kreislauf- oder Kältemittels zwischen
dem flüssigen und dem gasförmigen Zustand als physikalisch maßgeblichen Effekt dieses
Kreisprozesses hat folgende Vorteile.
696 M. Kaltschmitt et al.
einem Verdampfer,
einem Verdichter mit Antrieb,
einem Kondensator (Verflüssiger) und
einer Drossel (Expansionsventil).
Dieser Prozess ist in Abb. 8.7 bildhaft dargestellt. Die Zahlen in der Abbildung benen-
nen unterschiedliche thermodynamische Zustände und sind im Text erklärt.
Wärme zu Wärmesenke
(hohe Temperatur)
von Wärmesenke zu Wärmesenke
(Nutzung) (Nutzung)
4 3 2 1
flüssig
Kondensator
hoher Expansions-
Temperaturbereich ventil
Druck des hoch
Kältemittels
niedrig
niedriger Verdichter
Temperaturbereich Antriebs-
Verdampfer energie
zirkulierendes
Arbeits-
medium Dampf und flüssig Dampf
(Kältemittel)
5 6 7
zu Wärmequelle von Wärmequelle
Abb. 8.7 Kaltdampfprozess (zur Erklärung der Zahlen siehe Text; nach [8.4, 8.23])
8 Nutzung von Umgebungswärme 697
Demnach wird auf der Niederdruckseite (untere Bildhälfte in Abb. 8.7) im Verdampfer
V bei konstanter (niedriger) Temperatur Wärme durch das verdampfende Kälte- oder
Kreislaufmittel aus der Wärmequelle (z. B. oberflächennahes Erdreich) aufgenommen
(Änderung des Zustandes 5 nach Zustand 6, Abb. 8.7). Die für diese Verdampfung not-
wendige Umgebungswärme wird entweder über einen Wärmeträgerzwischenkreislauf
oder – bei der Direktverdampfung – aus der Wärmequelle unmittelbar bereitgestellt;
die Wärme der Wärmequelle fließt dazu im Verdampfer zum kälteren Kältemittel. An-
schließend wird das Kältemittel zumeist noch etwas überhitzt (Änderung des Zustandes 6
nach Zustand 7, Abb. 8.7). Dadurch wird sichergestellt, dass keine Flüssigkeitströpfchen
mehr im Kreislaufmittel enthalten sind, da dies den nachfolgend angeordneten Verdichter
schädigen würde. Bei hermetischen oder halb-hermetischen Verdichtern passiert diese
Überhitzung im Verdichter selbst (Kapitel 8.2).
Das verdampfte und leicht überhitzte Kältemittel wird anschließend von einem Ver-
dichter angesaugt und auf einen höheren Druck gebracht (Änderung des Zustandes 7 nach
Zustand 1, Abb. 8.7). Der Druck muss dabei mindestens so hoch sein, dass die zugehörige
Kondensationstemperatur ausreicht, dass die Kondensationswärme an die Wärmesenke,
also die Wärmenutzungsanlage, abgegeben werden kann. Bei der Verdichtung steigt aus
thermodynamischen Gründen die Temperatur des Kältemitteldampfes – abhängig von den
Moleküleigenschaften und Irreversibilitäten der Verdichtung – normalerweise über die
Kondensationstemperatur an.
Auf diesem Druck- und Temperaturniveau strömt das Kältemittel dann zum Konden-
sator. Hier wird die Wärme des Kreislaufmittels vom Kondensator an die zu beheizende
Wärmesenke abgegeben; d. h. es fließt wieder Wärme von einem hohen zu einem etwas
niedrigeren Temperaturniveau. Hierbei wird das Kältemittel von dem überhitzten Zustand
am Ende des Kompressors zuerst so weit abgekühlt, dass es die Kondensationstemperatur
bei dem gegebenen Druck erreicht (Änderung des Zustandes 1 nach Zustand 2, Abb. 8.7).
Anschließend wird es bei dieser Temperatur unter Wärmeabgabe an die Wärmesenke
kondensiert (Änderung des Zustandes 2 nach Zustand 3, Abb. 8.7) und zumeist leicht
unterkühlt (Änderung des Zustandes 3 nach Zustand 4, Abb. 8.7).
Anschließend wird es durch eine Strömungsdrossel isenthalp (adiabat irreversibel) ent-
spannt (Änderung des Zustandes 4 nach Zustand 5, Abb. 8.7). Bei dieser Entspannung
betritt das Kondensat das Nassdampfgebiet und verdampft zu einem Teil wieder. Durch
diese Teilverdampfung kühlt es sich bis auf die Verdampfertemperatur ab; dabei steht aber
nur noch ein Teil der Verdampfungsenthalpie zur Kälteerzeugung zur Verfügung (Dros-
selverlust). Damit ist der Kreisprozess geschlossen.
2
Abb. 8.8 Kaltdampfprozess 10
im lg.p/; h-Diagramm am Bei-
Δ h Kond
spiel des Kältemittels R134a
0,9
Druck in bar
(zur Erklärung der Formelzei-
70 °C
chen siehe Text) [8.23]
1,0
1 43 2 1
10 40 °C
1,1
12,7 °C
)
gK
/(k
5 -7,8 °C 67
kJ
0,2 0,4 0,6 0,8
1 ,2
Δ h Verd Δ h Antr
s=
0
10
50 100 150 200 250 300 350
Enthalpie (h) in kJ/kg
einer entsprechenden Software zu bestimmen. Der Massenstrom skaliert dann die Größe
bzw. Leistung der Anlage.
Die Leistungszahl "i nach Gleichung (8.12) lässt sich ebenfalls direkt aus dem
lg.p/; h-Diagramm (Abb. 8.8) ablesen. Es gilt Gleichung (8.16).
1
0,0
2
des Kältemittels R134a (zur 80
0,0
0,0 4
0,0
0,1 6
Temperatur in °C
Erklärung der Formelzeichen 70
1
siehe Text) [8.23] 60
50
³/kg
3 12 bar 2
40 4
5m
0,1
30
v=
20
5 bar
10
0 3 bar 7
5 6
-10 2 bar 0,2 0,4 0,6 0,8
höhere Temperatur als bei der anschließenden Kondensation (Änderung des Zustandes 2
nach Zustand 3, Abb. 8.7) herrscht. In dieser Grafik werden die bei reversiblem Pro-
zessverlauf die umgesetzten Wärmemengen als Flächen zwischen den Kurven und der
Temperaturachse abgelesen.
Das T,h-Diagramm (Temperatur(T)-Enthalpie(h)-Diagramm, Abb. 8.10) vereint nun
die Vorteile des lg(p),h- (Abb. 8.8) mit denen des T,s-Diagramms (Abb. 8.9). Hier können
sowohl die Energieumsätze als Differenzen der spezifischen Enthalpien als auch die Tem-
peraturen des Prozesses abgelesen werden. Gleichzeitig lassen sich auch die Verläufe von
Wärmesenke und Wärmequelle darstellen und so die Temperaturverluste zwischen Kon-
densationstemperatur und Wärmesenke bzw. Verdampfungstemperatur und Wärmequelle
identifizieren.
Demnach wird nur bei einer kleinen Aufheizung der Wärmesenke und einer Tempera-
turabsenkung der Wärmequelle eine geringe Grädigkeit (Temperaturverlust) bei Konden-
sator und Verdampfer erreicht (Gleichung (8.10)). Wird eine größere Aufheizung an der
Wärmesenke angestrebt, bedeutet dies bei gleicher Wassereintrittstemperatur eine erhöh-
J / (k
80
mequelle und Wärmesenke
s=
Temperatur in °C
70 Δ h Kond
am Beispiel des Kältemittels 60
1
R134a (zur Erklärung der For- 50 Kältemittel
3 12 bar 2
melzeichen siehe Text) [8.23] 40 4
30 Wärmesenke
20
5 bar
10 Wärmequelle
0 3 bar 7
-10 2 bar 5 6
0,2 0,4 0,6 0,8
-20 Δ h Verd Δ h Antr
-30
50 100 150 200 250 300 350
Enthalpie (h) in kJ/kg
8 Nutzung von Umgebungswärme 701
Temperatur
Temperatur
Pinch
TKond Point
Pinch
Point ΔTKond 40 °C
TKond
35 °C
30 °C 30 °C
te Kondensationstemperatur und damit eine geringere Leistungszahl (Abb. 8.11); dies tritt
beispielsweise auch immer dann auf, wenn der Massenfluss durch den Kondensator z. B.
durch die Koppelung mit einem Mischventil hin zur Heizung reduziert wird. Daher soll-
te der Massenfluss wärmesenken- und auch wärmequellenseitig durch die Wärmepumpe
immer gleich hoch bleiben. Der dargestellte Pinch Point in Abb. 8.11 ist der Ort mit dem mi-
nimalen Temperaturunterschied zwischen Kältemittel und Wärmesenke für den gesamten
Wärmeübertrager. Er ergibt sich aus dem Betriebszustand, der Fläche des Wärmeübertra-
gers und dem U-Wert; er liegt bei typischen Auslegungen zwischen 3 und 10 K.
Aufgrund der hohen Verdichter-Austrittstemperatur des Kältemittels kann ein (kleiner)
Teil der Wärmesenke auch auf einem wesentlich höheren Temperaturniveau liegen als
die Kondensationstemperatur. Dies kann erreicht werden, indem der Kondensator in ei-
nen Enthitzer- und einen Kondensationsteil geteilt wird (Abb. 8.12). Fließt jetzt durch den
Enthitzerteil ein geringerer heizungsseitiger Massenfluss als durch den Kondensator, heizt
sich das Heizungswasser stärker auf und kann weit über die Kondensationstemperatur er-
wärmt werden. Eine solche Schaltung wird auch als Enthitzerschaltung bezeichnet und
findet bei der kombinierten Heizungswasser- und Trinkwarmwasserbereitung mit z. B.
60 ı C Austrittssolltemperatur für das Trinkwarmwasser (Legionellenschutz) und tiefere
Austrittstemperatur für die Heizung (Abb. 8.12; 35 ı C) Anwendung. Nachteilig ist, dass
das Verhältnis aus Wärme aus dem Kondensationsteil und Wärme aus dem Enthitzerteil
aus dem Verhältnis der Enthalpiedifferenzen vorgegeben ist und zumeist nicht dem realen
Verhältnis der in einem konkreten Anwendungsfall gegebenen Nachfragecharakteristik
entspricht.
Im Falle eines transkritischen Prozesses (auch Lorentzen-Prozess genannt; Abb. 8.13)
findet keine Kondensation statt. Hier ist der kritische Druck p des Kältemittels niedriger
als der Betriebsdruck des Kältemittels auf der Hochdruckseite. Das technische Fließbild
in Abb. 8.8 ändert sich dadurch nicht; aber der wärmeabgebende Wärmeübertrager wird
nun nicht mehr Kondensator, sondern Gaskühler genannt. Während der Hochdruck beim
Plank-Prozess durch die Kondensationstemperatur festgelegt wird, ist er beim Lorentzen-
Prozess frei und kann variiert und optimiert werden. Die Nummerierung des Kreislaufs
702 M. Kaltschmitt et al.
Nieder-
temperatur-
heizung 100
90
80 Δ h Kond Δ h Enth
Temperatur in °C
Wärme- 70
quelle Δ h Heizung 1
ein 60
Vor- Trinkwarm-
Verdichter 50
lauf wasser 3 2
60 °C 40
Enthitzer
4
Enthitzer
30
Heizung
Verdampfer
Vor- 20
Wärme- lauf
pumpe 10 Wärmequelle
35 °C Speicher
Kondensator
0 7
-10 5 6
0,2 0,4 0,6 0,8
Wärme- -20
quelle Rücklauf Δ h Verd Δ h Antr
Expansions- 30 °C
aus Frisch- -30
ventil
wasser 50 100 150 200 250 300 350
Enthalpie (h) in kJ/kg
Abb. 8.12 Wärmepumpe mit Enthitzerschaltung im Flussbild (links) und im T; h-Diagramm mit
Wärmequelle und Wärmesenke (rechts) exemplarisch für das Kältemittel R134a (zur Erklärung der
Formelzeichen siehe Text) [8.23]
20
4
50 bar
10
0 7
5
30 bar
-10
-350 -300 -250 -200 -150 -100 -50 0
Enthalpie (h) in kJ/kg
folgt den vorherigen Schaltbildern. Die Punkte 2 und 3 fehlen aufgrund der fehlenden
Kondensation und Punkt 6 ist nicht vorhanden, da keine Überhitzung im Verdampfer an-
genommen wird. Der Vorteil dieses Prozesses liegt darin, dass die Wärmequelle eine große
Aufheizung haben kann; dies ist z. B. für die Trinkwarmwasserbereitung mit einer Kalt-
wassereintrittstemperatur von 10 ı C und einer Trinkwarmwasser-Austrittstemperatur von
60 ı C notwendig.
ist dabei grundsätzlich etwas geringer, da ein größerer Temperaturhub durch eine höhere
Antriebstemperatur kompensiert werden kann und muss. Aber auch thermisch angetrie-
bene Wärmepumpen können als Gasprozesse oder Dampfprozesse ausgeführt werden.
Ein Beispiel für einen Gasprozess ist der Vuilleumier-Prozess. Die weitaus überwiegende
Zahl von thermisch angetriebenen Wärmepumpen sind aber Sorptionswärmepumpen, die
mit Dämpfen arbeiten. Derartige Sorptionswärmepumpen werden unterteilt in Absorpti-
ons- und Adsorptionswärmepumpen, je nachdem, ob das sogenannte Sorptionsmittel (ein
zweites Arbeitsmittel des Prozesses) flüssig oder fest ist. Beide Typen werden nachfolgend
dargestellt.
8.1.3.1 Absorptionswärmepumpe
Absorptionskälteprozesse (Abb. 8.14) als wichtigste Vertreter der wärmegetriebenen Wär-
mepumpen bestehen aus einem Verdampfer, einem Absorber sowie dem Austreiber und
dem Kondensator. Für den Betrieb sind außerdem zwei Expansionsventile und eine Lö-
sungsmittelpumpe erforderlich. Außerdem gibt es zur Verbesserung der Effizienz mindes-
tens einen zusätzlichen inneren Wärmeübertrager, den Lösungsmittel-Wärmeübertrager.
Kondensator, Drosseleinrichtung und Verdampfer funktionieren wie bei der Kompres-
sionswärmepumpe. Während allerdings zur Druckerhöhung des Kältemitteldampfes bei
der Kompressionswärmepumpe ein mechanischer Verdichter verwendet wird, geschieht
dies bei der Absorptionswärmepumpe durch den sogenannten Lösungskreislauf zwischen
Austreiber und Absorber. Dieser Kreislauf wird daher manchmal auch als thermischer
Verdichter bezeichnet.
Austreiber
Dampf & flüssig Dampf (Generator,
Desorber)
zirkulierendes Kondensator
Arbeitsmedium Lösungsmittel-
(Kältemittel) Wärmeübertrager
Expansions- hoch
Druck Lösungs-
ventil niedrig
M mittel-
pumpe
reiche
Verdampfer Lösung Expansions-
ventil
arme Lösung
Dampf & flüssig Dampf
Absorber
VP p
Pel D (8.19)
Die Reinheit des Arbeitsmittels beim Eintritt in den Kondensator ist entscheidend da-
für, dass im Verdampfer die angestrebten niedrigen Temperaturen erreicht und damit ein
effizienter Wärmepumpenbetrieb sichergestellt werden kann. Diese Reinheit hängt von
8 Nutzung von Umgebungswärme 705
der sogenannten relativen Flüchtigkeit (d. h. dem Verhältnis der Dampfdrücke der beiden
Stoffe) oder dem Abstand der Siedepunkte der beiden Partner des Stoffgemisches ab. Wird
beispielsweise ein Salz als Absorptionsmittel (z. B. Lithiumbromid als Absorptionsmittel
für Wasser) eingesetzt, ist dieser Abstand extrem groß und das Arbeitsmittel Wasser liegt
in reiner Form vor, falls der Dampf nicht durch Tröpfchenflug verunreinigt wird. Aller-
dings darf bei der Verwendung von Wasser die Wärmequelle nicht unter 0 ı C fallen, da
das Wasser sonst im Verdampfer gefrieren würde, falls keine Gegenmaßnahmen getroffen
werden [8.5]. Aufgrund der niedrigen Dampfdrücke von Wasser muss die Anlage auch im
Unterdruck betrieben werden. Dies bedeutet relativ große Volumina der Bauteile, um die
Druckverluste bei der Dampfströmung gering zu halten.
Beim Einsatz von Ammoniak (NH3 ) und Wasser übernimmt das Ammoniak, da es
durch den niedrigeren Siedepunkt gekennzeichnet ist, die Rolle des Arbeitsmittels. Der-
artige Anlagen arbeiten deshalb außer bei sehr tiefen Quellentemperaturen vollständig im
Überdruck und können daher mit sehr kompakten Apparaten realisiert werden. Wegen des
geringen Siedepunktabstandes zwischen Ammoniak und Wasser ist allerdings eine Rek-
tifikationseinrichtung nach dem Austreiber notwendig, mit der mitverdampfendes Wasser
aus dem Dampf wieder entfernt wird.
8.1.3.2 Adsorptionswärmepumpe
Auch in Adsorptionswärmepumpen werden vorwiegend Wasser oder Ammoniak als Käl-
temittel verwendet. Als Sorptionsmittel für Wasser werden üblicherweise Silikagele oder
Zeolithe und für Ammoniak typischerweise Aktivkohle eingesetzt. Da das Sorptionsmit-
tel nun fest ist, ist es normalerweise im Adsorber und Austreiber fixiert und kann nicht
umgepumpt werden. Wenn es mit Kältemittel im Adsorber angereichert wurde, wechselt
der Adsorber durch Umschalten von Ventilen seine Funktion und wird zum Austreiber,
so dass das Sorptionsmittel regeneriert werden kann, ohne den Apparat zu verlassen.
Gleichzeitig wird der bisherige Austreiber zum Adsorber, so dass das gerade abgereicher-
te Sorptionsmittel nun adsorbieren kann. Es wird also ein quasi-kontinuierlicher Betrieb
durch ständiges Umschalten der Funktionen zwischen Adsorber und Austreiber erreicht.
Ein entsprechendes Schaltbild mit zwei Sorptionsreaktoren und getrenntem Kondensator
und Verdampfer zeigt Abb. 8.15. Der Sorptionsreaktor 1 ist in diesem Fall der Desorber;
ihm wird die Wärmemenge QP Antr auf einem hohen Temperaturniveau zugeführt. Das aus-
getriebene Kältemittel kondensiert im Kondensator unter Wärmeabgabe von QP Kond . Das
flüssige Kältemittel expandiert in den Verdampfer, wo es dann unter Wärmezufuhr QP Verd
bei tiefer Temperatur verdampft. Der Dampf wird im Sorptionsreaktor 2 unter Wärmeab-
gabe QP Senke adsorbiert.
Der Prozess kann apparatetechnisch noch vereinfacht werden. Da sowohl die Wär-
mequelle als auch die Wärmesenke eine große Wärmespeicherfähigkeit haben, ist ein
quasi-kontinuierlicher Betrieb nicht notwendig. Es genügt also ein Sorptionsreaktor, der
mit einem Apparat gekoppelt ist, der abwechselnd als Verdampfer und Kondensator ar-
beiten kann. Dies ist in Abb. 8.16 dargestellt. Es gibt eine Adsorptionsphase und eine
Desorptionsphase. In der Desorptionsphase befinden sich beide Apparate auf dem hö-
706 M. Kaltschmitt et al.
Expansions-
ventil
Q̇ Verd Q̇ Senke
Verdampfer Sorptionsreaktor 2
(hier Adsorber)
heren Druckniveau des Kondensators. Der Sorptionsreaktor wird geheizt und die Kon-
densationswärme des desorbierten Dampfes wird vom Kondensator an die Wärmesenke
abgegeben. Danach muss das Apparatepaar abgekühlt werden, so dass der Druck auf das
niedrigere Niveau absinkt. In der folgenden Adsorptionsphase wird Umgebungswärme
aus der Wärmequelle in den Verdampfer gespeist und der entstehende Dampf wird adsor-
biert. Die freiwerdende Adsorptionswärme wird auch an die Wärmesenke abgegeben.
8.1.3.3 Absorptionswärmetransformator
Der Prozess der Absorptionswärmepumpe kann auch im thermodynamischen Sinne um-
gedreht werden. Der dadurch entstehende sogenannte Wärmetransformator ist auch eine
Wärmepumpe. Abb. 8.17 zeigt das entsprechende Fließbild.
Bei einem mittleren Temperaturniveau wird Wärme (QP Verd und QP Antr ) dem Verdampfer
und Generator zugeführt. Etwa die Hälfte dieser Wärme kann bei einer höheren Tempe-
ratur aus dem Absorber abgeführt werden (QP Senke ) und die andere Hälfte muss bei einer
niedrigeren Temperatur abgegeben werden (QP Verd ).
Normalerweise werden diese Geräte in einem begrenzten Ausmaß zur industriellen
Wärmerückgewinnung eingesetzt. Es ist aber auch denkbar, dass im Winter aus dem
Erdreich (Austreiber) Wärme aufgenommen und für die Heizung (Absorber) hochtrans-
formiert wird. Die Wärmeabgabe kann dann an die noch kältere Umgebungsluft (Kon-
densator) erfolgen. Es ist eine besonders günstige Eigenschaft dieses Prozesses, dass er in
dieser Anwendung umso effektiver ist, je kälter die Umgebungsluft ist.
8 Nutzung von Umgebungswärme 707
Absorber
Lösungsmittel-
Kondensat- Wärmeübertrager
pumpe
Lösungsmittel- Lösungsmittel-
Expansionsventil pumpe
Austreiber,
Generator
Kondensator
8.1.4 Kennzahlen
Neben der bereits in den vorherigen Kapiteln diskutierten Leistungszahl bzw. dem Wär-
meverhältnis wurden in der Vergangenheit weitere Kenngrößen definiert, mit denen die
Effizienz bzw. der Betrieb einer Wärmepumpe vergleichend charakterisiert werden kann.
Wirkungsgrade – als die „klassische“ Kenngröße eines technischen Prozesses – sind
normalerweise definiert als das Verhältnis aus „Nutzen“ zu „Aufwand“. Der „Nutzen“ ei-
ner Wärmepumpe ist unzweifelhaft die Nutzwärme. Demgegenüber ist der „Aufwand“
weniger klar definiert; er kann die Antriebsenergie (z. B. elektrische Energie, Wärme) (für
die der Anlagebetreiber i. Allg. bezahlen muss) und / oder die Summe aus Antriebsener-
gie und die Umgebungs- / Umweltwärme sein (letztere ist typischerweise kostenlos). Für
letzteren Fall wäre die Leistungszahl immer gleich Eins, falls keine Wärmeverluste auf-
treten (d. h. idealer, verlustfreier Prozess). Diese Definition wäre zwar thermodynamisch
richtig, aber ohne wirkliche Aussagekraft, da der eigentliche monetäre Aufwand der An-
trieb ist. Da aber der Aufwand immer nur einen Teil des Nutzens ausmacht, ergeben sich
für die Leistungszahl und daraus abgeleitete Kenngrößen im Normalfall Werte größer als
eins (Kapitel 8.1.1). Dies ist der Grund, weshalb für die Beschreibung der energetischen
Kenngrößen von Wärmepumpen statt dem „klassischen“ Wirkungs- oder Nutzungsgrad
andere Namen verwendet werden: die Leistungszahl, die Arbeitszahl und die Heizzahl
sowie als Kehrwert von der Leistungs- bzw. Arbeitszahl die Aufwandszahl bzw. die Jah-
resaufwandszahl (Tabelle 8.1). Wesentliche derartige Kennzahlen werden im Folgenden
näher erläutert.
Leistungszahl und abgeleitete Kenngrößen Die Leistungszahl " ist für elektromoto-
risch angetriebene Wärmepumpen definiert als das Verhältnis der abgegebenen Nutzwär-
meleistung QP Nutz zur aufgenommenen elektrischen Antriebsleistung Pel des Verdichters
bei bestimmten Wärmequellen- und Wärmesenkentemperaturen. Sie ist damit am ehesten
mit dem Wirkungsgrad z. B. einer Elektroheizung zu vergleichen. Im Unterschied dazu ist
708 M. Kaltschmitt et al.
sie jedoch größer als Eins und sehr viel stärker abhängig von den Betriebsbedingungen
der Anlagen.
Die wichtigsten Ursachen für die Verminderung der realen Leistungszahl gegenüber
der Carnot-Leistungszahl sind
von Wärmequelle und Wärmesenke. Dabei muss aber für die Bestimmung der Carnot-
Leistungszahl im konkreten Fall noch berücksichtigt werden, dass sowohl Wärmesenke
als auch Wärmequelle keine konstante Temperatur, sondern eine Temperaturspreizung
(Differenz zwischen Eintritts- und Austrittstemperatur) aufweisen. Meist wird dabei die
Eintrittstemperatur aus der Wärmequelle in den Verdampfer benutzt, weil sie von der
Wärmepumpe noch nicht beeinflusst ist, und die Heizungsvorlauftemperatur (d. h. die
Austrittstemperatur aus dem Kondensator in die Wärmesenke), weil sie die Heizungs-
anlage charakterisiert.
Berücksichtigt man dies und die Grädigkeit werden Gütegrade zwischen 0,24 und
0,45 erreicht. Die niedrigsten Werte des Gütegrades gelten entsprechend für Wärme-
pumpen mit Luft als Wärmequelle und Wärmesenke, da hier aufgrund des schlechteren
Wärmeübergangskoeffizienten zumeist größere Grädigkeiten zwischen Quelle und ver-
dampfendem Kältemittel auftreten. Demgegenüber sind die Gütegrade von Wasser-Was-
ser-Wärmepumpen eher im oberen Bereich angesiedelt.
Nicht nur die Leistungszahl sinkt bei zunehmender Temperaturdifferenz zwischen Ver-
dampfer und Kondensator, sondern auch die absolute Leistung der Wärmepumpe. Nach
Gleichung (8.13) sind die Leistungen im Kältekreislauf vom Massenstrom des Kältemit-
tels mP und der Enthalpiedifferenz h des jeweiligen Teilprozesses abhängig. Bei abneh-
mendem Verdampferdruck sinkt die Dichte Saug des vom Kompressor angesaugten Ar-
beitsmittels und damit bei konstantem Saug-Volumenstrom der Kältemittel-Massenstrom
mP und damit die Leistung. Dieser Effekt wird in der Kältetechnik durch die volumetrische
Kälteleistung qv beschrieben. Es gilt Gleichung (8.22). QP Quelle ist die Wärmeleistung der
Wärmequelle, VPVerd der Volumenstrom des Kältemittels im Verdichter, hVerd die Enthal-
piedifferenz im Verdichter und r die spezifische Verdampfungsenthalpie, die sich aber nur
schwach ändert. Bei Wärmepumpen ist qv damit die auf den Volumenstrom des Verdich-
ters bezogene Umweltwärmeleistung.
QP Quelle hVerd
qv D D Saug r (8.22)
VPVerd 1=Saug
Ein weiterer Effekt, der die Leistung einer Wärmepumpe beeinflusst, wird maßgeblich
durch den sogenannten „schädlichen“ Raum verursacht. Dies ist bei Kolbenverdichtern
das im oberen Totpunkt des Kolbens im Zylinder verbleibende Volumen. Je höher das
Druckverhältnis im Verdichter (und damit der Temperaturhub von Wärmequelle zu Wär-
mesenke) wird, desto geringer wird aufgrund von Rückexpansion des schädlichen Raums
und Undichtigkeiten der geförderte Volumenstrom. Damit sinken auch der geförderte
Massenstrom m P und folglich alle Leistungen. Es ist also eine ungünstige Eigenschaft aller
mechanisch angetriebenen Wärmepumpen, dass bei steigendem Temperaturhub sowohl
die Leistung der Wärmepumpe als auch die entsprechende Leistungszahl sinkt. Abb. 8.18
zeigt diesen Zusammenhang anhand einer Luft-Wasser-Wärmepumpe (Wärmequelle: Au-
ßenluft, Wärmesenke: Warmwasserheizung). Die untypischen Verläufe zwischen 0 und
7 ı C Außentemperatur sind auf die zusätzlichen Verluste durch das Abtauen der Außen-
8 Nutzung von Umgebungswärme 711
40 5,0
35 35 35 4,5
45 Heizleistung 45
4,0
55 30 55
Leistung in kW
60 60 3,5
Leistungszahl ε
25
3,0
20 2,5
15 2,0
Antriebsleistung
1,5
10
1,0
5
0,5
0 0,0
-20 -15 -10 -5 0 5 10 15 20 -20 -15 -10 -5 0 5 10 15 20
Außenlufttemperatur in °C Außenlufttemperatur in °C
Abb. 8.18 Heizleistung und Antriebsleistung (links) sowie Leistungszahl (rechts) einer realen
Luft-Wasser-Wärmepumpe in Abhängigkeit von der Außenlufttemperatur und der Heizungs-Vor-
lauftemperatur (nach [8.25])
Vorlauftemperaturen L-10W40 (z. B. für die Heizung) bzw. L-15W60 (z. B. für die Trink-
warmwasserbereitung in kalten Klimaten) zur Verfügung stehen. Deutlich wird, dass bei
einer solchen Auslegung die Wärmepumpe die restliche Zeit des Jahres eine wesentlich zu
hohe Leistung liefert. Aus diesem Grund werden verstärkt Wärmepumpen mit drehzahl-
geregelten Kompressoren und damit regelbaren Leistungen eingesetzt. Dadurch können
die Leistungen auf bis zu 30 % der Nennleistung im jeweiligen Betriebspunkt reduziert
werden.
8.2.1 Wärmequelle
Im Rahmen der nachfolgenden Ausführungen wird zunächst die Erschließung der Wär-
mequelle Erdreich und Grund- bzw. Oberflächenwasser diskutiert, bevor auf die Wärme-
quelle Luft und anschließend auf Möglichkeiten der Abwärmenutzung eingegangen wird.
Tabelle 8.2 Varianten der Erschließung der Energie des flachen Untergrunds
Tiefe in m Wärmeträger Bemerkungen
Geschlossene Systeme
Erdwärmekollektoren 1,2–2,0 Solea Klimaeinfluss, große Fläche, Grä-
(horizontal) digkeit (Temperaturverlust) in
zusätzlichem Wärmeübertrager
Direktverdampfung 1,2–2,0 Wärmepumpen- Material Kupfer, ggf. beschichtet,
(horizontal) Arbeitsmittel Klimaeinfluss, große Fläche
Erdwärmesonden
gerammt 5–30 Solea Material Stahl, ggf. Kunststoff, nur in
(vertikal oder schräg) Lockergestein
gebohrt (vertikal) 25–250 Solea , Material HDPEb , Kupfer, ideal in
ggf. Wasser Festgestein
Wärmeübertragerpfähle 5–30 Wasser, statische Funktion hat Vorrang, Frost-
(„Energiepfähle“; ggf. Solea temperaturen vermeiden
horizontal oder vertikal)
Offene Systeme
Grundwasserbrunnen 4–100 Wasser mindestens 2 Brunnen (Förder- und
(Dublette) Schluckbrunnen), Unterwasserpumpe
Sonstige Systeme
Koaxialbrunnen 120–250 Wasser hohe Bohrkosten, nicht überlastbar
(vertikal)
Gruben- / Tunnelwasser Wasser Möglichkeiten lokal begrenzt
Luftvorheizung/ 1,2–2,0 Luft Rohre im Erdreich, durch welche Luft
-kühlung (horizontal) gesaugt wird
Die Tiefenangaben beziehen sich auf typische Mittelwerte; a Wasser-Frostschutz-Gemisch (früher
Salze, heute eher Alkohole oder Glykole); b High Density Polyethylen.
im Untergrund. Wegen des direkten Eingriffs in den Grundwasserhaushalt ist die Ge-
nehmigung von offenen Systemen seltener als von geschlossenen Systemen.
Sonstige Systeme. Zusätzlich können in der Praxis weitere Varianten vorkommen, die
nicht exakt in die bisherige Einteilung einpassen. Dazu gehören Anlagen, die nicht
vollständig vom Grundwasser abgeschlossen sind, Systeme, die Wasser aus künstli-
chen Hohlräumen unter Tage nutzen, und das System der Luftvorheizung, bei dem das
Wärmeträgermedium gegenüber dem Untergrund zwar abgeschottet ist, jedoch nicht
zirkuliert, da immer neue Luft angesaugt wird.
-2 K -2 K
-4 K -4 K
-6 K -6 K
-8 K -8 K
0.3 m
Heizsaison (Jahre)
Abb. 8.19 Gemessene und simulierte Änderungen der Untergrundtemperatur (Abkühlung ge-
genüber der ungestörten Temperatur) in 50 m Tiefe in unterschiedlichen Entfernungen von der
Erdwärmesonde für 30 Betriebsjahre und 25 Ruhejahre nach Betriebsende [8.11]
4 bis 8 m
5 bis 20 m
Abb. 8.20 Tiefenhorizonte unterschiedlicher Optionen zur Nutzung der oberflächennahen Erdwär-
me (Tiefenangaben sind durchschnittliche Näherungswerte, die in einem konkreten Einzelfall ggf.
abweichen können)
Abb. 8.20 zeigt, dass die unterschiedlichen in Tabelle 8.2 dargestellten Systeme jeweils
verschiedenartige Tiefen nutzen. Generell gilt, dass mit zunehmender Tiefe der Jahres-
gang der Temperatur der Wärmequelle abnimmt (Kapitel 2.7) und gleichzeitig die mittlere
nutzbare Temperatur zunimmt; parallel dazu steigt mit zunehmender Tiefe i. Allg. der Er-
schließungsaufwand an. Dies gilt nur begrenzt für die Nutzung von Grundwasser, das
typischerweise keine bzw. nur sehr geringe jahreszeitlich bedingte Temperaturschwan-
kungen zeigt.
Die bei Direktverdampfungsanlagen aus Metall (beschichtet) und bei Anlagen mit So-
lezwischenkreis zumeist aus Kunststoff bestehenden Rohre werden in einer Tiefe von etwa
0,5 m unter der Frosttiefe (im Normalfall zwischen 1,0 und 1,5 m unter der Erdoberfläche)
in das Erdreich eingebracht; der Abstand der einzelnen Rohre sollte dabei etwa 0,5 bis
1,0 m betragen. Um Beschädigungen zu vermeiden, werden diese i. Allg. in eine Sand-
schicht eingebettet.
Die benötigte Erdkollektorfläche ergibt sich aus der Heizlast des Gebäudes und der
jeweiligen Bodeneigenschaften. Je nach Bodenbeschaffenheit und Jahresbetriebsstunden
schwanken die entziehbaren maximalen Wärmeleistungen zwischen 8 und 40 W/m2 (Ta-
belle 8.3). Diese Bandbreite ergibt sich aus dem je nach Volllaststunden und Leistungszahl
der Kälteanlage unterschiedlichen Wärmeentzug bzw. den unterschiedlichen Wärmeleit-
eigenschaften verschiedenartiger Böden. Je besser der Boden thermische Energie leitet,
desto geringer sind die nötigen treibenden Temperaturdifferenzen vom Erdreich zum Kol-
lektorrohr und die mögliche entziehbare Leistung steigt.
Aus dem Erdreich lassen sich so während der Heizperiode etwa 400 MJ/m2 Wärme
gewinnen. Wird von einem Einfamilienhaus ausgegangen, das jährlich etwa 1 000 L/a
Heizöl bzw. grob 35 000 MJ/a Energie benötigt und von einem erdgekoppelten Wärme-
pumpensystem mit einer guten Jahresheizzahl von 4 (d. h. eine sehr gut ausgelegte Anlage)
ausgegangen, würden rund 75 % der Nutzwärme aus der Wärmequelle „Boden“ kom-
men; dafür wären dann etwa 80 m2 Fläche an Erdreich nötig. Anders betrachtet werden
bei einem typischen Auslegungs-Heizbedarf von 20 bis 60 W/m2 Nutzfläche und etwa
1 800 h/a (Volllast) des Heizungssystems etwa 36 bis 110 kWh/m2 oder 130 bis 400 MJ/m2
Nutzfläche benötigt. Da bei einer Jahresheizzahl von 4 wiederum nur rund 75 % aus der
regenerativen Wärmequelle gedeckt würden, sollte die Fläche des Erdkollektors (d. h. der
Wärmequelle) je nach lokalen Bodenverhältnissen etwa halb so groß bis doppelt so groß
wie die beheizte Fläche des zu versorgenden Gebäudes sein. Zu berücksichtigen ist da-
bei, dass hier die Entzugsleistung aus dem Boden unter den Auslegungsbedingungen des
jeweiligen Hauses angegeben sind. Beispielsweise ergibt sich für das Referenzgebäude
EFH I mit 3 kW Auslegungsheizlast und 150 m2 Wohnfläche (Kapitel 1.3) eine Entzugs-
leistung aus dem Boden von ca. 2,3 kW aufgrund der Leistungszahl der entsprechenden
Wärmepumpe. Damit würde sich ein Erdreich-Flächenbedarf von ca. 115 m2 bei feuchtem
und bindigem Boden (und einer Wärmeerzeugung einschließlich einer Trinkwarmwasser-
bereitung) ergeben.
718 M. Kaltschmitt et al.
Graben-
verlegung
B
Schnitt A-A Schnitt B-B
Verfüllung
Erdreich
Eine deutliche Verringerung des Flächenbedarfs kann durch das ebenfalls in Abb. 8.21
dargestellte Verlegemuster eines Grabenkollektors erreicht werden. Bei diesem Konzept
werden die Wärmeübertragerrohre an den Seitenwänden eines ca. 2,5 m tiefen und 3,0 m
breiten Grabens verlegt. Die erforderliche Grabenlänge hängt von der Bodenbeschaf-
fenheit und der Heizleistung der Wärmepumpe ab. Als Richtwert kann eine spezifische
Grabenlänge von 2 m/kW Heizleistung angesehen werden.
Eine weitere Möglichkeit zur Verringerung des Flächenbedarfs derartiger Erdkollekto-
ren ist eine spiralförmige Rohrverlegung. Hier sind im Wesentlichen die folgenden zwei
Bauarten von Spiralkollektoren üblich (Abb. 8.22).
Beim Künettenkollektor (Abb. 8.22, rechts) wird eine handelsübliche Rolle Kunststoff-
rohr auf den Boden eines breiten Grabens gelegt und seitlich (senkrecht zur Wickelach-
se) so auseinandergezogen, dass die Windungen sich jeweils überlappen. Anschließend
wird der Graben wieder verfüllt. Ein solcher Kollektor kann auch senkrecht gestellt in
einen schmalen, schlitzförmigen Graben eingelassen werden.
Beim Erdwärmekorb (Abb. 8.22, links) wird ein Kunststoffrohr bereits bei der Her-
stellung auf eine sich nach unten verjüngende walzenförmige Halterung aufgewickelt
(Abb. 8.20). Beim Einbau in eine vorbereitete Vertiefung wird dieser Erdwärmekorb
im oberflächennahen Erdreich fixiert; anschließend wird das Loch wieder verfüllt.
8 Nutzung von Umgebungswärme 719
Der Wärmeentzug und -transport kann mittels eines Zwischenkreislaufs durch ein Wär-
meträgermedium („Sole“) erfolgen, das im erdgekoppelten Wärmeübertrager aus dem
Erdreich Wärme aufnimmt und an den Wärmepumpenverdampfer wieder abgibt; da-
zu wird es durch den Wärmeübertrager gepumpt. In Deutschland hat sich hierfür eine
Mischung von Monopropylenglykol und Wasser (teilweise auch Monoethylenglykol)
durchgesetzt; diese Mischung ist bei einem Anteil von 25 % Glykol bis ca. 10 ı C und
bei 38 % bis etwa 20 ı C frostsicher. Für den Erdreichwärmeübertrager werden in die-
sem Fall Kunststoffschläuche mit Außendurchmessern von bis zu 40 mm eingesetzt.
Diese Materialien weisen eine ausreichende Alterungs- und Korrosionsbeständigkeit
auf und sind bei den auftretenden Temperaturen elastisch und chemisch stabil. Die
Verbindung der einzelnen Rohrleitungen erfolgt durch Verschweißen oder durch Ver-
schrauben.
Der Wärmeentzug und -transport kann auch über eine sogenannte „Direktverdamp-
fung“ realisiert werden. Dann zirkuliert in den Rohren des Erdreichwärmeübertragers
direkt das Arbeitsmittel der Wärmepumpe; es verdampft dann im Erdkollektor und
entzieht dadurch dem Erdreich Wärme. Damit befindet sich bei diesem Konzept der
Verdampfer der Wärmepumpe im Erdreich – und damit unmittelbar bei der eigentli-
chen Wärmequelle. Dafür werden typischerweise Kupferrohre verwendet, die mit einer
Kunststoffhülle vor Korrosion geschützt werden. Der Vorteil einer derartigen Direkt-
verdampfung liegt in dem geringeren apparativen Aufwand und einer höheren erreich-
baren Jahresarbeitszahl der Wärmepumpe, da die Grädigkeit bzw. der dadurch bedingte
Temperaturverlust im Wärmeübertrager zwischen Sole und Arbeitsmittel wegfällt. Al-
lerdings bedarf es einer kältetechnisch genau angepassten Anlagenrealisierung, damit
die Rückführung des vom Verdichter in den Kältekreislauf abgegebenen Öls gewähr-
720 M. Kaltschmitt et al.
leistet ist. Weiterhin sind die Füllmengen des Arbeitsmittels wesentlich höher als bei
Anlagen mit Zwischenkreislauf; große Füllmengen sind jedoch bei einem nennenswer-
ten Treibhauspotenzial, einer potenziellen Toxizität oder bei Brennbarkeit des Arbeits-
mittels zu vermeiden.
Durch gerammte Stahlsonden und durch Bohrungen mit kleinem Gerät (bis etwa 30 m
Tiefe) lässt sich eine Anordnung nach Abb. 8.23 rechts, realisieren. Typischerweise
wird bei einem weichen Untergrund eher gerammt und bei einem sehr steinigen bzw.
felsigen Untergrund tendenziell gebohrt, da Rammen hier technisch nicht sinnvoll ist.
Dabei wird das Ramm- bzw. Bohrgerät an einem Punkt drehbar aufgebaut und kann
gebohrte
Sonden gerammte Sonden
8 Nutzung von Umgebungswärme 721
Sandbett
etwa 140 mm
Bohrungsdurchmesser
50-70 mm
70-80 mm
U-Sonde Doppel-U-Sonde
ca. 46 mm ca. 70 mm
Auch bei Erdwärmesonden besteht die Gefahr, dass durch Unterdimensionierung und
einem entsprechend zu großen Wärmeentzug das Erdreich zu stark abkühlt und dadurch
die Leistung und die Arbeitszahl der Wärmepumpe leiden. Anders als bei den in 1,0 bis
1,5 m Tiefe verlegten horizontalen Wärmeübertragern bzw. Erdreichkollektoren können
sich dann im Sommer die tieferen Schichten nicht mehr vollständig regenerieren. Falls
die Sonde auch zur Kühlung verwendet werden soll, kann aus diesem Nachteil allerdings
ein Vorteil werden, weil das kühlere Erdreich im Sommer mehr Wärme aufnehmen kann.
Kommt es um die Sonde temporär zu einer Vereisung, lockert beim anschließenden
Auftauen beispielsweise über Sommer das Erdreich um die Sonde auf und der Wärme-
übergang zur Sonde wird dadurch verschlechtert. Dies muss die Wärmepumpe dann mit
einer tieferen Verdampfungstemperatur und damit einer schlechteren Leistungszahl aus-
gleichen. Im Extremfall kann dies zu einer dauerhaften Vereisung rund um die Sonde
führen und es kann dadurch zu Hebungen im Bereich der Erdwärmesonde kommen. In
diesem Fall wird die Wärmepumpe immer nur kurz laufen und dann auf Störung wegen
zu tiefer Verdampfungstemperatur gehen.
Tabelle 8.4 zeigt für kleinere Anlagen Richtwerte des möglichen Wärmeentzugs für
unterschiedliche Bodenarten. Um auch langfristig den Gleichgewichtszustand zu halten,
darf – bei einer ausschließlichen Regeneration durch von der Erdoberfläche eindringen-
de Sonnenenergie und von der Tiefe nachströmende Erdwärme je nach den jeweiligen
Untergrundeigenschaften – eine jährlich entzogene Wärmemenge zwischen 180 und
650 MJ/(m a) nicht überschritten werden.
Die in Tabelle 8.5 dargestellten Werte können nur erste grobe Anhaltspunkte geben.
Eine genauere Bestimmung der spezifischen Entzugsleistungen muss daher bei Kenntnis
der thermischen Untergrundeigenschaften durch eine Berechnung erfolgen, die den Ge-
gebenheiten vor Ort Rechnung trägt. Für größere Erdwärmesondenanlagen kommen zur
Anlagenauslegung ohnehin nur Berechnungen in Frage, um die notwendige Anzahl und
Länge der Erdwärmesonden sicher bestimmen zu können. Für schwierige Fälle sollte die
Simulation mit numerischen Modellen erfolgen; dies gilt insbesondere dann, wenn der
Einfluss fließenden Grundwassers berücksichtigt werden muss. Um verlässliche Eingabe-
parameter für derartige Berechnungen zu erhalten, müssen die thermischen Untergrund-
parameter am Standort ermittelt werden; dafür wurde der sogenannte „Thermal Response
Test“ entwickelt. Der Thermal Response Test ist ein Verfahren zum in-situ-Nachweis der
thermischen Untergrundparameter und damit der effektiven Wärmeleitfähigkeit der in ei-
ner konkreten Bohrung anstehenden geologischen Schichten. Dazu wird eine konstante
Wärmemenge in die Bohrung und damit in den durch die jeweilige Bohrung aufgeschlos-
senen Untergrund eingetragen (d. h. Wärmeeinspeisung). Dabei wird die sich ergebende
Veränderung der Untergrundtemperatur gemessen. Eine derartige Wärmeeinspeisung er-
folgt über eine Zeitperiode von 50 h und mehr. Damit sind belastbare Aussagen über die
Wärmeleitfähigkeit des Untergrunds möglich, aus denen dann die Auslegungsparameter
für eine entsprechende Erdwärmesondenanlage abgeleitet werden können.
Exemplarisch zeigt Abb. 8.26 Ergebnisse einer Berechnung der thermischen Unter-
grundeigenschaften. Demnach wäre bei einer messtechnisch ermittelten Wärmeleitfähig-
724 M. Kaltschmitt et al.
Tabelle 8.4 Spezifische Entzugsleistungen für Erdwärmesonden in kleineren Anlagen für verschie-
dene Volllastbenutzungsstunden (in Anlehnung an VDI 4640)
1 800 h/ab 2 400 h/ac
Entzugsleistungen in W/m Entzugsleistungen in W/m
Allgemeine Richtwerte
Schlechter Untergrund (trockene 25 20
Lockergesteine)
Festgesteins-Untergrund, wasser- 60 50
gesättigtes Lockergesteine
Festgestein mit hoher Wärme- 84 70
leitfähigkeit
Einzelne Gesteinea
Kies, Sand, trocken < 25 < 20
Kies, Sand, wasserführend 65–80 55–65
Kies, Sand, starker Grundwasserfluss, 80–100 80–100
für Einzelanlagen
Ton, Lehm, feucht 35–50 30–40
Kalkstein (massiv) 55–70 45–60
Sandstein 65–80 55–65
Saure Magmatite (z. B. Granit) 65–85 55–70
Basische Magmatite (z. B. Basalt) 40–65 35–55
Gneis 70–85 60–70
Voraussetzung für die Anwendung der Tabelle: nur Wärmeentzug (Heizung einschließlich Trink-
warmwasser); Länge der einzelnen Erdwärmesonden zwischen 40 und 100 m; kleinster Abstand
zwischen zwei Erdwärmesonden mindestens 5 m bei Erdwärmesondenlängen von 40 bis 50 m bzw.
mindestens 6 m bei Erdwärmesondenlängen über 50 bis 100 m; als Erdwärmesonden kommen Dop-
pel-U-Sonden mit Durchmessern der Einzelrohre von 25 oder 32 mm oder Koaxialsonden mit min-
destens 60 mm Durchmesser zum Einsatz. a Werte können durch die Gesteinsausbildung wie Klüf-
tung, Schieferung, Verwitterung erheblich schwanken; b ohne Trinkwarmwasserbereitung; c mit
Trinkwarmwasserbereitung.
80
50
Werte nach VDI 4640
40
Werte ohne Grundwasserabfluss
30
20
Werte nach VDI 4640
10
0
1 1,5 2 2,5 3 3,5 4
Wärmeleitfähigkeit des Untergrunds in W/(m K)
keit des Untergrunds von 2,5 W/(m K) unter der Maßgabe, dass in dem konkreten Fall
ein Grundwasserabfluss gegeben ist, eine Entzugsleistung der Erdwärmesonde von rund
55 W/m realistisch. Daraus kann dann bei bekannter Wärmenachfrage der zu versorgen-
den Wärmesenke die benötigte Sondenlänge abgeschätzt werden.
Das Bohrverfahren zum Abteufen der Erdwärmesonden richtet sich nach dem zu er-
wartenden Schichtenaufbau und den vorhandenen Platzverhältnissen.
Im Lockergestein können die Bohrungen mit einer Hohlbohrschnecke niedergebracht
werden. Der Bohrmeißel ist hohl und das Bohrgut wird in diesem Hohlraum mit Hilfe von
Wendeln aus dem Bohrloch nach Übertage transportiert und / oder verdrängt.
Beim ebenfalls im Lockergestein einsetzbaren Spülbohrverfahren wird mit der Spülung
das Bohrgut kontinuierlich durch den Ringraum zwischen Bohrgestänge und Bohrloch-
wand (der Meißel hat einen größeren Durchmesser als das Gestänge) aus dem Bohrloch-
tiefsten ausgetragen. Außerdem wird durch die in das Bohrloch gepumpte Spülung die
Bohrlochwand standfest und kalibergerecht gehalten sowie die Bohrwerkzeuge gekühlt
und geschmiert. Gleichzeitig werden die Grundwasserleiter durch den bei einem Über-
druck im Bohrloch gegenüber dem umgebenden Erdreich entstehenden Filterkuchen an
der Bohrloch-Mantelfläche gegen die Bohrung abgedichtet. Als Spülung wird im Regel-
fall Wasser eingesetzt, dem ggf. bestimmte Stoffe (z. B. Filterkuchenbildner) zugesetzt
werden (z. B. Bentonite; vgl. auch DVGW-Regelwerke W 115 und W 116); dies gewähr-
leistet, dass die Spülung die beschriebenen Eigenschaften und Aufgaben besser erfüllen
kann und gleichzeitig keine die Umwelt belastenden Stoffe in den Untergrund eingetragen
werden.
Im Festgestein hat sich die Imlochhammerbohrung weitgehend durchgesetzt. Als Spü-
lung dient Luft, durch die der Bohrhammer angetrieben und das Bohrklein mit Auf-
stiegsgeschwindigkeiten von 15 bis 20 m/s nach Übertage transportiert wird. Je nach Im-
726 M. Kaltschmitt et al.
lochhammer sind Luftdrücke von mehr als 10 bar und Luftmengen von über 10 m3 /min
erforderlich. Der Luft kann – falls erforderlich – auch ein Schäumungsmittel zum besse-
ren Bohrkleinaustrag und zur Vermeidung von Nachfall beigemischt werden.
Die Bohrungen müssen gegenüber dem Erdreich gut abgedichtet sein um z. B. die Ver-
bindung zweier Aquifere durch die Bohrung dauerhaft zu unterbinden. Ebenso können
Anhydridschichten, die mit Aquiferen verbunden werden, durch Aufquellen zu Hebungen
und dadurch zu Schäden an Gebäuden führen.
Vorlauf
Wärmeträger
Rücklauf
Wärmeträger
Bohrungs-
pfahl
nicht Bewehrungs-
tragfähiger korb
Baugrund
Grundwasserleiter
Wärme-
tragfähiger übertrager
Baugrund
Bohrungspfähle / Energiepfähle
raum im Pfahl eingebracht werden können, erlauben dagegen die Nutzung der gesamten
Pfahllänge; sie schränken jedoch den verfügbaren Durchmesser für die Rohre ein.
Neben Gründungspfählen können noch andere Betonbauteile in der Erde als Wär-
meübertrager benutzt werden (z. B. Baugrubenumschließungen aus Schlitzwänden oder
Pfahlwänden), falls diese Einbauten nach Fertigstellung des Gebäudes im Erdreich be-
lassen werden. Auch Stützwände, Kellerwände oder Fundamentplatten können als Wär-
meübertrager für eine erdgekoppelte Wärmepumpennutzung eingesetzt werden. Dabei ist
jedoch, ebenso wie bei Sammelleitungen von Energiepfahlanlagen unter der Bodenplatte,
eine gute Isolierung zum Innenraum hin notwendig, damit die Wärme tatsächlich aus dem
Untergrund entzogen wird und nicht z. B. der Keller kalt und dadurch feucht wird.
Offene Systeme Bei offenen Systemen für die oberflächennahe Erdwärmenutzung han-
delt es sich um die Nutzung von Grund- oder Oberflächenwasser. Beide Optionen kön-
nen als Wärmequelle genutzt werden; sie werden nachfolgend diskutiert. Generell eignet
sich aber Oberflächenwasser aufgrund der z. T. erheblichen Verschmutzungsgefahr (u. a.
Algen, Schwebestoffe) nur in Ausnahmefällen. Außerdem besteht die Gefahr, dass die
Temperatur im Jahresverlauf stark schwankt (z. B. Schneeschmelze im Winter). Im Un-
terschied dazu hat Grundwasser im Jahresverlauf eine (nahezu) konstante Temperatur, die
mit etwa 8 bis 10 ı C relativ hoch ist und im Vergleich zu Erdkollektorsystemen eine hohe
Leistungszahl verspricht.
Grundwasser kann mithilfe entsprechender Grundwasserbrunnen verfügbar gemacht
werden, wenn die genehmigungsrechtlichen Voraussetzungen dafür vorliegen. Einschrän-
kungen bestehen hier ggf. durch die Verfügbarkeit der Wärmequelle, da ausreichend ergie-
bige Grundwasserleiter (Aquifere) mit einer geeigneten Wasserqualität in nicht zu großer
Tiefe nicht überall vorhanden sind. Weitere Eingrenzungen können sich durch regionale
wasserrechtliche Bestimmungen ergeben; oft dürfen die u. a. zur Trinkwassergewinnung
genutzten Grundwässer nicht thermisch genutzt werden.
Die Wärmequellenanlage zur Grundwassernutzung besteht aus einem Förderbrunnen,
aus dem das Grundwasser entnommen wird, und einem Schluckbrunnen, durch den das
abgekühlte Wasser wieder den grundwasserführenden Schichten zugeführt wird (Dublet-
te). Entnahme- und Schluckbrunnen müssen ausreichend weit voneinander entfernt nie-
dergebracht werden, um einen thermisch-hydraulischen Kurzschluss zu vermeiden. Der
Entnahmebrunnen sollte sich außerdem nicht in der Kältefahne des Schluckbrunnens (der
Bereich, durch den das in den Schluckbrunnen eingebrachte, abgekühlte Wasser langsam
abfließt) befinden, da sonst die Effizienz der Wärmepumpenanlage absinkt.
Die Brunnenleistung muss eine Dauerentnahme für den Nenndurchfluss der ange-
schlossenen Wärmepumpe gewährleisten. Die Ergiebigkeit eines Brunnens hängt dabei
von den örtlichen geologischen Gegebenheiten ab. Im Allgemeinen werden etwa 0,2 bis
0,3 m3 /h für jedes kW Verdampferleistung benötigt, da die Temperaturveränderung des
in den bzw. die Schluckbrunnen zurückgeleiteten Grundwassers typischerweise 6 K nicht
überschreiten darf; lokal können aber auch andere Vorschriften zum Tragen kommen.
728 M. Kaltschmitt et al.
Tonsperre
Ruhewasserspiegel
Förderwasserspiegel
Förderrohr
Unterwasserpumpe
Filterkiesschüttung
Filterrohr
Sumpfrohr
Sonstige Systeme Unter sonstigen Systemen wird hier eine Nutzung des Grundwassers
mit Koaxialbrunnen, eine Nutzung von Gruben- und / oder Tunnelwasser und eine Luft-
vorheizung bzw. -kühlung im oberflächennahen Erdreich verstanden.
Lockersedimente
gekapseltes
Bohrloch
ungekapseltes
Bohrloch
Grundwasser-
spiegel
Tauchpumpe
Festgestein
Ringraum
perforierter
Filter
mit einem entsprechend hohen Energieaufwand für den Betrieb der Pumpen führen kann.
In der Regel muss das Wasser nach der Abkühlung über eine weitere Bohrung wieder in
das Grubengebäude zurückgeleitet werden; zwischen Entnahme- und Einleitbohrung soll-
te sich dabei ein möglichst langer Fließweg befinden (z. B. Bohrungen in verschiedenen
Sohlen). Bei Bergwerken in Mittelgebirgen, die durch Stollen aus Tälern aufgefahren wer-
den, kann auch das natürlich ausfließende Wasser dieser Stollen als Wärmequelle genutzt
werden.
Wasser aus großen Tunnelbauwerken fließt meist entsprechend dem Gefälle zu den
Portalen und kann dort als Wärmequelle genutzt werden. Bei einigen Alpentunneln hat
dieses Wasser Temperaturen erheblich über der jahresmittleren Lufttemperatur, wie sie
am Tunnelausgang gegeben ist.
8.2.1.2 Luft
Luft als Wärmequelle ist generell überall verfügbar. Sie kann einen weiten Bereich an ge-
wünschter Wärmemenge liefern, jedoch bei sehr unterschiedlichen Temperaturen. Für die
optimale Bemessung wird daher der jahres- und tageszeitliche Verlauf der Lufttempera-
tur und möglichst auch der Luftfeuchte, der durch Kondensation latente Wärme entzogen
werden kann, benötigt. Die Nutzung der Wärmequelle „Umgebungsluft“ ist jedoch mit
einigen speziellen Problemen behaftet (u. a. [8.5]).
Die geringe spezifische Dichte (Wasser weist die 800-fache Dichte von Luft auf) und
die um den Faktor 4 kleinere spezifische Wärmekapazität ebenfalls im Vergleich zu
732 M. Kaltschmitt et al.
Abdeckschicht
Luftdurchlässige
Schüttung (z.B.
Schotterbett,
Bauschutt)
Erdreich
Rohre
Luftströmungsrichtung
Wasser erfordern große Luftvolumenströme und sind der Grund für relativ geringe
Wärmeübergangskoeffizienten; dies bedingt – im Vergleich zu Wasser als Wärmequel-
le – deutlich größere Apparate.
In den meisten Ländern, in denen luftgekoppelte Wärmepumpen eingesetzt werden,
schwanken die Außentemperaturen während der Heizsaison stark. Sehr tiefe und sehr
hohe Temperaturen treten zwar nur selten auf und die größte Auftrittswahrscheinlich-
keit der Außentemperatur liegt beispielsweise in Deutschland im Bereich von 3 bis
+11 ı C. Dennoch bedingen diese natürlichen Temperaturschwankungen stark variie-
rende Leistungen und Leistungszahlen an der Wärmepumpe.
Für die Gebäudebeheizung als einen wesentlichen Anwendungsfall kommt die ausge-
prägte Divergenz zwischen der durch die Außentemperatur beeinflussten Heizleistung
der Wärmepumpe und der Heizwärmenachfrage eines Hauses hinzu. Je tiefer die Au-
ßentemperatur ist, desto größer ist die Heizwärmenachfrage. Gleichzeitig erhöht sich
die Temperaturdifferenz zwischen Wärmequelle und Wärmesenke (d. h. hohe Vorlauf-
temperatur der Wärmenutzungsanlage wegen der hohen Heizwärmenachfrage des Hau-
ses und niedrige Vorlauftemperatur der Wärmequelle „Umgebungsluft“ an sehr kalten
Tagen). Mit einer erhöhten Temperaturdifferenz ist ebenfalls eine geringere Heizleis-
tung und eine geringere Leistungszahl der Wärmepumpe verbunden (Abb. 8.31).
8 Nutzung von Umgebungswärme 733
Wärmestrom
schen der Heizleistung von Heizleistung der
Wärmepumpen zur Nutzung Wärmepumpe
der Umgebungsluft und der
Heizwärmenachfrage eines
Gebäudes (nach [8.3])
Heizwärmebedarf
von Gebäuden
Außentemperatur
Der Umgebungsluft kann auf verschiedene Arten die Wärme entzogen werden. Am
häufigsten umströmt die Außenluft direkt den Verdampfer der Wärmepumpe, welcher ihr
die Wärme entzieht. Der Verdampfer ist zumeist als von Kältemittel durchflossenes Rohr-
bündel mit Rippen auf der Luftseite (Lamellenrohr-Wärmeübertrager) ausgeführt. Der
Luftdurchsatz von Wärmepumpenverdampfern sollte bei 300 bis 500 m3 /h pro kW Wär-
mequellenleistung (Verdampferleistung) liegen. Die Durchströmungsgeschwindigkeit der
Luft durch den Wärmeübertrager sollte aus Gründen der Geräuschentwicklung und des
Strombedarfs für den Lüfter, der ein integraler Bestandteil der Wärmepumpe ist, unter
2 m/s betragen. Außerdem sollten energieeffiziente Ventilatoren verwendet werden.
Wird die Luft an den Wärmeübertragerflächen unter ihren Taupunkt abgekühlt, kon-
densiert die Luftfeuchtigkeit und die Kondensationsenergie kann von der Wärmepumpe
zusätzlich genutzt werden. Das dabei anfallende Wasser muss dann natürlich ablaufen
können. Wird die Luft auf unter 0 ı C abgekühlt, gefriert das Kondensat und setzt sich als
Reif an den Verdampferlamellen ab. Dies kann bereits bei Lufteintrittstemperaturen unter
6 ı C vorkommen. Dadurch erhöhen sich der Wärmewiderstand und der Druckverlust für
die Luftströmung. Um ein entsprechendes „Zuwachsen“ des Verdampfers mit Eis zu ver-
hindern, muss er deshalb bei einem solchen Betriebszustand periodisch abgetaut werden.
Dadurch ergeben sich Heizleistungs- und Effizienzverluste; d. h. während des Abtauens
wird keine Nutzleistung erzeugt und durch die zum Abtauen nötige Energie wird die Ar-
beitszahl verschlechtert (vgl. auch Abb. 8.18).
Wird auf den Ventilator verzichtet, spricht man von „stillen“ Verdampfern. Die Umge-
bungsluft wird hier nur durch freie Konvektion bewegt; dies hat einen geringeren Wärme-
übergangskoeffizienten zur Folge. Solche „stillen“ Verdampfer benötigen zwar infolge des
dadurch bedingten geringeren luftseitigen Wärmeübergangs eine größere Wämeübertra-
gerfläche, arbeiten dafür aber völlig geräuschlos und ohne Nebenstromverbrauch für den
Ventilator. Diese Verdampfervariante kann aber wegen des großen Bauvolumens Akzep-
tanzprobleme haben. Auch dauert das Abtauen eines stillen Verdampfers deutlich länger.
Für die Nutzung von Umgebungsluft als Wärmequelle können drei Aufstellungsvari-
anten unterschieden werden.
734 M. Kaltschmitt et al.
Heizung Heizung
Heizung
Verdampfer
Wärmepumpe
Luftkanäle
Kompressor, Wärmespeicher Wärmepumpe Wärmespeicher
Wärmespeicher Kondensator
Abb. 8.32 Wärmepumpe mit Umgebungsluft als Wärmequelle (links: Außenaufstellung, Mitte:
Split-Aufstellung, rechts: Innenaufstellung)
Eine kombinierte Form der Nutzung von Umgebungsluft und Sonneneinstrahlung stel-
len Flächenabsorber mit integrierten Verdampferrohren dar. Oft wird auch ein Solekreis
zwischen Absorber und Verdampfer geschaltet, da es schwierig ist, die Ölrückführung in
den Kältemittelkreislauf aus den Flächenabsorbern zu gewährleisten. Da Flächenabsorber
sowohl die diffuse als auch die direkte Sonneneinstrahlung mitnutzen, sind Aufstellungs-
ort und -richtung wichtig. Zudem muss das am Absorber anfallende Kondensat abgeführt
werden.
Eine spezielle den Flächenabsorbern zuzuordnende Form des Umgebungswärmeüber-
tragers stellen Massivabsorber dar. Bei diesem Absorbertyp sind die Wärmeübertragerroh-
re in massive Bauteile (typischerweise aus Beton) eingebettet und nutzen somit indirekt
die über die Betonaußenflächen aufgenommene Umweltwärme mit einem hohen Anteil
an solarer Strahlungsenergie. Die Massivabsorber sind durch die großen Bauteilmassen in
der Lage, große Mengen an Wärme zu speichern und damit die Schwankungen der Um-
gebungslufttemperatur und der Sonnenstrahlung weitgehend auszugleichen. In der Regel
übernehmen Massivabsorber auch eine bauliche Funktion des Hauses; so können z. B.
Grundstückseinfriedungen, Schallschutzmauern, Außenmauern von Gebäuden oder Be-
tongaragen als Massivabsorber ausgeführt werden.
8.2.1.3 Abwärme
Besonders günstig ist es, wenn als Wärmequelle für die Wärmepumpe ein Abwärme-
strom zur Verfügung steht. Am technisch einfachsten und vielversprechendsten ist hier
der Einsatz in Gebäuden mit mechanischer Lüftung, da hier die Abluft des Gebäudes als
Wärmequelle verwendet werden kann. Die Wärmepumpe wird dann als Luft-Luft-Wär-
mepumpe zwischen dem Abluft- und Zuluftstrom des belüfteten Gebäudes geschaltet; dies
wird normalerweise in Kombination mit einem Wärmeübertrager zur Abluftwärmerück-
gewinnung realisiert (Abb. 8.33). Demnach wird die kalte Frischluft aus der Umgebung
zuerst in einem Wärmeübertrager mit der warmen Abluft vorgewärmt. Anschließend wird
sie weiter, meist direkt (manchmal auch über einen Zwischenkreis) vom Wärmepumpen-
kondensator auf Zulufttemperatur erwärmt. Die Abluft aus dem Gebäude heizt zuerst
wiederum die Frischluft über die Abuftwärmerückgewinnung vor, bevor sie durch den
Wärmepumpenverdampfer meist direkt, manchmal aber auch über einen Solekreis, wei-
ter abgekühlt wird und als Fortluft an die Umgebung geht. Die Leistung einer solchen
Wärmepumpe ist aber begrenzt, da zum einen die Volumenströme relativ klein sind und
zum anderen die Abluft aufgrund der Abhängigkeit der Leistungszahl vom Temperaturhub
zwischen Wärmequelle und Wärmesenke nicht zu stark abgekühlt werden kann.
8.2.2 Wärmepumpen
Neben der Wärmequellenanlage ist die Wärmepumpe ein weiterer integraler Bestandteil
von Anlagen zur Nutzung der Umgebungswärme; diese wird nachfolgend dargestellt.
736 M. Kaltschmitt et al.
Zuluft
Abluftwärme- Wärmesenke
rückgewinnung (z.B.
Einfamilienhaus)
Frischluft Abluft
Verdichter
Verdampfer
Fortluft
8.2.2.1 Wärmepumpenkomponenten
Eine Wärmepumpe ist – wie praktisch jede andere technische Anlage auch – aus ver-
schiedenen Systemelementen aufgebaut. Die wichtigsten technischen Eigenschaften die-
ser einzelnen Komponenten werden im Folgenden näher erläutert. Dies geschieht in der
Reihenfolge Wärmeübertrager (Verdampfer und Kondensator (Verflüssiger)), Verdichter
und Drossel. Neben den genannten Hauptbestandteilen und den für den Betrieb notwendi-
gen steuer- und regelungstechnischen Komponenten werden weitere Systembestandteile
und Hilfseinrichtungen wie Ventile, Manometer, Sicherheitseinrichtungen und sonstige
Armaturen, Kältemittelsammler, Filter, Kältemitteltrockner usw. benötigt. Diese werden
hier nicht besprochen.
Der mechanische Antrieb für den Verdichter erfolgt mit einem Elektro- oder Verbren-
nungsmotor. Bei verbrennungsmotorischen Antrieben kann die Abgas- und Kühlwärme
(d. h. Wasser- und Ölkühler), die beim Motorbetrieb anfällt, ebenfalls in den Heizprozess
eingekoppelt werden.
Gleichstrom
Kreuzstrom
chende Mischformen vor, durch die optimale Betriebseigenschaften für den jeweiligen
konkreten Anwendungsfall erreicht werden sollen.
Wenn der Wärmeträger von der Wärmequelle zum Verdampfer Sole oder Wasser
ist, können Rohrbündel-, Platten- oder Koaxial-Wärmeübertrager verwendet werden.
Abb. 8.35 zeigt die grundsätzliche Funktionsweise dieser unterschiedlichen Bauarten.
Fluid 1 Fluid 2
abgekühlt erwärmt
Umlenk-
bleche
Fluid 2 Fluid 1
kalt warm
Innenrohr Ein
Außenrohr Aus
Außenrohr Ein
Innenrohr Aus
wärmere Luft
QP D U AW Tlog (8.23)
740 M. Kaltschmitt et al.
Dies gilt auch für einen Verdampfer ohne nennenswerte Überhitzung. Kondensatoren
müssen dagegen normalerweise in einen Enthitzungsabschnitt, einen Kondensationsab-
schnitt und einen Unterkühlungsabschnitt aufgeteilt werden; für jeden Abschnitt kann
dann bei einer Gegenstrombauweise Gleichung (8.24) verwendet werden.
Die mittlere treibende Temperaturdifferenz ergibt sich überschlagsmäßig aus der
Temperaturdifferenz (Grädigkeit) zwischen dem abgekühlten Wärmeträger und der Ver-
dampfungstemperatur beim Verdampfer bzw. zwischen der Verflüssigungstemperatur und
der Temperatur des erwärmten Wärmeträgers beim Kondensator. Bei einer vorgegebenen
Leistung des Wärmeübertragers ist demnach nach Gleichung (8.23) eine kleine Grädig-
keit und damit eine große Wärmeübertragungsfläche erforderlich. Zur Erzielung einer
hohen Leistungszahl der Wärmepumpe sollte die Grädigkeit im Verdampfer und Kon-
densator möglichst klein ausfallen, damit der zu bewältigende Temperaturhub zwischen
Kondensator und Verdampfer nicht zu groß wird. Hier haben sich Werte von rund 5 K als
ein vernünftiger Kompromiss erwiesen.
Verdichter Verdichter (oft auch als Kompressor bezeichnet) ist eine Arbeitsmaschine,
die einem eingeschlossenen Gas mechanische Arbeit zuführt. Dadurch wird der Druck
und die Dichte des Gases erhöht; es wird komprimiert (demgegenüber werden Maschinen,
durch die der Druck von Flüssigkeiten erhöht wird, als Pumpen bezeichnet).
Im Wärmepumpenverdichter wird das in einem geschlossenen Kreislauf zwischen Ver-
dampfer und Kondensator bewegte, gasförmige Arbeits- oder Kältemittel verdichtet. Hier-
8 Nutzung von Umgebungswärme 741
Verdränger- Strömungs-
verdichter verdichter
Schieber verkleinert. Dieser Verdichtertyp wird bevorzugt bei kleinen Leistungen ein-
gesetzt. Auch Rollkolbenverdichter haben Ventile.
In Schraubenverdichtern kämmen zwei Schnecken miteinander. Das zwischen den
Gängen der Schnecken und dem Gehäuse eingesperrte Gas wird – wie in einem
Fleischwolf – gegen eine Stirnplatte gefördert und dabei solange verdichtet, bis die
Gänge die Auslassbohrung in der Stirnplatte erreichen. Die Verdichter sind ebenfalls
ventillos. Zur Anpassung an die Druckverhältnisse und auch zur Leistungsregelung
werden Regelschieber eingebaut. Die Verwandtschaft von Schraubenverdichtern mit
Getrieben hat zur Folge, dass Schraubenverdichter mit sehr viel Öl betrieben werden.
Das Öl schmiert und dichtet die Schrauben gegeneinander und gegen das Gehäuse
ab. Wegen dieser relativ großen benötigten Ölmenge müssen Ölabscheider auf der
Druckseite nach dem Verdichter eingesetzt werden, die oft die Größe des eigentlichen
Verdichters überschreiten. Schraubenverdichter fördern die größten Volumenströme
unter den Verdrängerverdichtern.
Turboverdichter werden meist für große Leistungen, also große Volumenströme, ein-
gesetzt. Sie sind im Gegensatz zu den vorgenannten Typen Strömungsmaschinen mit
einer oder mehreren Verdichterstufen. Eine Verdichterstufe besteht dabei aus einem
Laufrad mit rotierender Beschaufelung zur Wandlung der Antriebsarbeit in Druck-
energie und kinetische Energie der Strömung. Hinzu kommen nicht rotierende Leit-
schaufeln zur Umwandlung dieser kinetischen Energie ebenfalls in Druckenergie. Bei
Wärmepumpen werden fast ausschließlich Radialturboverdichter mit wenigen Stufen
verwendet, da sie pro Verdichterstufe ein höheres Druckverhältnis erreichen. Axial-
verdichter sind geeignet für sehr große Volumenströme, benötigen aber deutlich mehr
Stufen für das gleiche Druckverhältnis. Bei einer Drehzahländerung, die heute bei allen
Verdichtern zur stufenlosen Leistungsregelung möglich ist, können die Leitschaufeln
und / oder zusätzliche Vor-Leitschaufeln im Ansaugstutzen verstellt werden. Da beim
Turboverdichter nur die Lager geschmiert werden müssen, ist damit eine schmierölfreie
Verdichtung des Arbeitsmittels möglich und das Lösungsvermögen des Arbeitsmittels
für das Schmieröl spielt keine Rolle. Vorteile der Turboverdichter sind der geringe Ver-
schleiß, bedingt durch die einfache Konstruktion, die stufenlose Leistungsregelung im
Bereich von ca. 10 bis 100 % sowie der bei hohen Leistungen verhältnismäßig geringe
Platzbedarf.
Verdichter können, falls erforderlich, auf drei unterschiedliche Weisen miteinander ge-
koppelt werden.
Zur Leistungserhöhung lassen sich die Verdichter einfach parallel schalten; durch eine
Teilabschaltung wird ein gutes Teillastverhalten erzielt.
Bei der mehrstufigen Verdichtung werden mehrere Verdichter in Reihe geschaltet; dies
ist insbesondere dann sinnvoll, wenn der Druckunterschied zwischen Verdampfungs-
und Kondensationsdruck von einem Verdichter alleine nicht mehr bewältigt werden
kann.
744 M. Kaltschmitt et al.
Drossel Die Drossel ist ein Regelorgan. Generell wird eine Drossel bzw. ein Drosselven-
til verwendet, um damit Volumenströme zu regulieren. Typischerweise ist eine Drossel
eine regelbare Verengung des Leitungsquerschnitts in einer Strömungsleitung; d. h. es ist
praktisch ein örtlicher Strömungswiderstand.
In der Drossel soll der in einer Wärmepumpe vom Kondensator zurück zum Verdamp-
fer zirkulierende Arbeitsmittelmassenstrom gerade so geregelt werden, dass er gleich dem
gasförmig vom Verdichter angesaugten und zum Kondensator transportiertem Massen-
strom ist. Damit wird sichergestellt, dass Kondensator und Verdampfer weder trocken
laufen noch überfüllt werden. Gleichzeitig gewährleistet die Drossel jeder Bauart, dass im
Kondensator das Kältemittel immer unterkühlt. Gelangen Gasblasen aus dem Kondensa-
tor zur Drossel, bleibt zwar der Volumenstrom durch die Drossel gleich; durch die geringe
Dichte des gasförmigen Kältemittels sinkt aber der Massenstrom drastisch ab. Dies hat zur
Folge, dass durch die Drossel wesentlich weniger Massenstrom als durch den Verdichter
fließt; dadurch steigt der Kondensationsdruck. Dadurch wiederum erhöht sich die Tem-
peraturdifferenz zur Wärmesenke; d. h. der Kondensator kann also mehr Wärme abgeben
und damit das Kältemittel wieder vollständig kondensieren.
Die Auswahl der Drossel erfolgt in Abhängigkeit von Kältemittel sowie Verdichter-
größe bzw. Wärmeleistung der Wärmepumpe. Mögliche Bauformen sind thermostatische
bzw. elektronische Expansionsventile oder Kapillarrohre. In Sonderfällen können auch
durch Füllstand geregelte Ventile eingesetzt werden.
Statt des Ventils wird immer wieder diskutiert, eine Expansionsmaschine einzusetzen,
die es erlauben würde, einen Teil der Verdichtungsenergie zurückzugewinnen. Derartige
technische Lösungen sind aber bislang nur von größeren Kälteanlagen insbesondere mit
CO2 als Arbeitsmittel (hier sind die Druckdifferenzen sehr hoch) bekannt geworden.
8.2.2.2 Arbeitsmittel
Das Arbeitsmittel durchläuft den thermodynamischen Kreisprozess (Kapitel 8.1); d. h. es
wird in der Wärmepumpe umgepumpt. Dabei sollte es die folgenden – sich teilweise wi-
dersprechenden – thermophysikalischen und chemischen Eigenschaften erfüllen, die gute
Arbeitsmittel ausmachen (nach [8.7]).
Die Dampfdrücke des Arbeitsmittels sollten aus technischen Gründen bei den Tempe-
raturen der jeweiligen Anwendung zwischen 1 und etwa 25 bar liegen. Nur bei CO2
(R744) als Kältemittel werden wesentlich höhere Drücke akzeptiert.
746 M. Kaltschmitt et al.
Tabelle 8.6 zeigt eine Auswahl von Arbeitsmittel, wie sie in der Vergangenheit bzw.
derzeit eingesetzt werden können. Demnach unterscheiden sich diese Arbeitsmittel z. T.
erheblich in Bezug auf die Siedetemperatur und insbesondere im Hinblick auf die damit
verbundenen Umweltauswirkungen.
Die Nomenklatur der Arbeits- bzw. Kältemittel nach DIN 8962 bezieht sich auf die
chemische Zusammensetzung dieser Stoffe. Die sich an den Buchstaben „R“, die Abkür-
zung für Refrigerant (Kältemittel), anschließenden Zahlen und / oder Buchstaben geben
die atomare Zusammensetzung des Kältemittels wieder. Die erste Ziffer ist die Anzahl
der Kohlenstoff(C)-Atome vermindert um eins, die zweite Ziffer die Anzahl der Was-
serstoff(H)-Atome erhöht um eins und die dritte Ziffer die Anzahl der Fluor(F)-Atome.
Die übrigen freien Valenzen des Kohlenstoffs sind als Chlor(Cl)-Atome anzusetzen. Bei
Fluor-Chlor-Methan-Verbindungen (ein Kohlenstoff(C)-Atom) entfällt die Null als erste
8 Nutzung von Umgebungswärme 747
brennbar
chlorfrei
Wasserstoff Fluor
nicht brennbar, nicht toxisch,
kein ODP, teilhalogeniert
er (die durch Fluor gefördert wird), durch einen hohen anthropogenen Treibhauseffekt
(GWP, Global Warming Potential) gekennzeichnet.
Aufgrund der Variationsmöglichkeiten der organischen Chemie kommen immer wieder
neue organische Kältemittel auf den Markt, mit denen ein besserer Kompromiss zwischen
den technischen und den ökologischen Anforderungen gesucht wird. Enthalten sie vie-
le Wasserstoffatome, sind sie in der Regel brennbar. Bei hohen Anteilen von Chlor und /
oder Fluor ist mit einer langen Lebensdauer in der Atmosphäre und einem entsprechend
großem anthropogenen Treibhauspotenzial zu rechnen. Zusätzlich ist das stratosphärische
Ozonabbaupotenzial hoch bei einem hohen Chloranteil. Die Einordnung einiger Kältemit-
tel nach diesen Kriterien zeigt Abb. 8.38. Primär aufgrund dieser Umweltaspekte kommen
aus gegenwärtiger Sicht neben halogen- und chlorfreien Arbeitsmitteln vor allem HFKW-
Gemische in Frage. Die entsprechenden gesetzlichen Vorgaben werden – da immer neue
Zusammenhänge bekannt werden – aber immer wieder verändert, so dass die Zukunft
auch dieser Gemische aus heutiger Sicht unsicher ist. Seit 2015 gilt die EU-Verordnung
Nr. 517/2014 über fluorierte Treibhausgase (sogenannte F-Gase-Verordnung). Hierdurch
sollen die Emissionen (CO2 -Äquivalente) fluorierter Treibhausgase bis zum Jahr 2030 auf
etwa ein Drittel gesenkt werden [8.19]. Bis auf Spezialanwendungen und für kleine An-
lagen untersagt die Verordnung deshalb beispielsweise die Verwendung von fluorierten
Treibhausgasen mit einem Treibhausgaspotenzial von 2 500 oder mehr ab dem 01. Januar
2020.
In neuen Wärmepumpenanlagen werden in Deutschland daher heute oft die Arbeitsmit-
tel Propan (R290) und Propen (R1270) genutzt. Auch vom deutschen Umweltbundesamt
(UBA) wird die Verwendung von Propan propagiert [8.20]. Propan (R290) und Propen
(R1270) besitzen kein stratosphärisches Ozonabbaupotenzial und nur ein sehr geringes
anthropogenes Treibhauspotenzial. Sie sind auch mit den bisher verwendeten Werkstof-
fen und Schmiermitteln i. Allg. gut verträglich. Hinzu kommt, dass die Füllmenge im
Vergleich zu dem früher üblichen teilhalogenierten Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoff R22
deutlich reduziert werden kann; beispielsweise liegen die benötigten Mengen bei Anla-
gen bis rund 10 kW nur noch bei etwa 1 kg. Wegen der Brennbarkeit der Arbeitsmittel
8 Nutzung von Umgebungswärme 749
R290 und R1270 müssen – abhängig von der Füllmenge – besondere sicherheitstechnische
Maßnahmen getroffen werden, die in der Praxis jedoch weitgehend problemlos umsetzbar
sind. Für größere Anlagen wird auch Iso-Butan (R600a) eingesetzt. Weiterhin sind das
klassische Kältemittel Ammoniak, das zwar sehr gute thermophysikalische Eigenschaf-
ten besitzt, aber brennbar und giftig ist, und CO2 (R744), welches ebenfalls sehr gute
kältetechnische Eigenschaften aufweist, aber sehr hohe Drücke erfordert, in der Diskussi-
on. CO2 wird in der Heizungsanwendung als überkritischer Prozess mit einer gleitenden
Temperatur auf der Wärmesenkenseite betrieben (vgl. Abb. 8.11).
Bei der Diskussion speziell um den anthropogenen Treibhauseffekt der Kältemittel
muss auch beachtet werden, dass der Einsatz von Heizungs-Wärmepumpen zunächst den
Einsatz fossiler Energie – und folglich die damit verbundenen energiebedingten Emissio-
nen – reduziert; d. h. der damit verbundene anthropogene Treibhauseffekt wird ebenfalls
verringert. Allerdings beeinflusst das Arbeitsmittel auch die Leistungszahl der Wärme-
pumpe und damit letztlich die damit mögliche Primärenergieeinsparung. Der anthropoge-
ne Treibhauseffekt, der durch einen möglichen Übertritt des Arbeitsmittels durch Lecks
oder Havarie an die Umwelt (direkter Treibhauseffekt) entsteht, sollte daher immer zu-
sammen mit demjenigen anthropogenen Treibhauseffekt, der durch den Energieverbrauch
der Wärmepumpe entsteht (indirekter Treibhauseffekt) betrachtet und bewertet werden.
Bei Kälteanlagen spricht man hier vom Total Equivalent Warming Impact (TEWI) [8.21].
Bei Wärmepumpen zur Deckung der Niedertemperaturwärmenachfrage muss man dabei
immer den Energieverbrauch bzw. die damit verbundenen anthropogenen Klimagasfrei-
setzungen in Vergleich zu einem typischen Referenzheizsystem untersuchen; dies kann
beispielsweise eine Wärmenachfragedeckung durch die Verbrennung von leichtem Heiz-
öl oder von Erdgas sein.
Eng mit der Auswahl der Kältemittel verbunden ist die Wahl des Öls, da es mit dem
Kältemittel verträglich sein muss; ohne dieses Schmiermittel würden die meisten Ver-
dichter sehr schnell verschleißen. Zusätzlich müssen Dichtungs- und Kühlungsaufgaben
erfüllt werden. Da außerdem bei ölgeschmierten Verdichtern trotz der Verwendung von
Ölabscheidern immer etwas Öl in den Kältekreislauf abgegeben wird, muss sichergestellt
sein, dass das Öl durch den gesamten Kältekreislauf gefördert wird, in der Drossel nicht
ausfällt, und auch aus dem Verdampfer wieder zurück in den Verdichter kommt.
Da die Leistungszahl und auch die Leistung von Wärmepumpen vom Temperaturhub zwi-
schen Wärmequelle und Wärmesenke abhängt, sollten bei der Wärmesenke grundsätzlich
keine zusätzlichen Temperaturverluste bis zum Endverbraucher auftreten (d. h. Wärme-
übertrager (jeweils ca. 3 bis 5 ı C Temperaturverlust) oder Mischventile, mit denen das von
der Wärmepumpe produzierte Warmwasser zum Endverbraucher hin heruntergemischt
wird, sollten so gut es geht vermieden werden). Damit ist eine möglichst direkte Nut-
zung der produzierten Wärme anzustreben. Allfällig verwendete Wärmespeicher sollten
750 M. Kaltschmitt et al.
ebenfalls so konstruiert sein, dass es nicht zu einer Vermischung von warmen und kalten
Wasser kommt.
Anwendung finden Wärmepumpensysteme überwiegend im Bereich der Raumwärme-
und -kälte sowie der Trinkwarmwasserbereitung. Die Erzeugung von gewerblicher und in-
dustrieller Prozesswärme und Fernwärme – auch im Niedertemperaturbereich – hat bisher
zwar nur eine geringe Verbreitung; dies könnte sich aber zukünftig ändern.
Außentemperaturfühler
Heizung
Temperatur- Flächenheizung
fühler Selbstregeleffekt
Speicher
Speicher
Wärme- Wärme-
pumpe pumpe Raum-
temperatur-
fühler
Wärmepumpe wird durch ihre Leistung, die Speichergröße sowie der momentanen
Wärmenachfrage des zu versorgenden Gebäudes bestimmt.
– Bei Flächenheizungen (z. B. Fußbodenheizung) kann eine sehr einfache Regelung
angewandt werden – der sogenannte Selbstregeleffekt. Hier gibt es nur einen Raum-
temperaturfühler für das ganze Haus, der in einem nicht von der Sonne beschienenen
Raum angebracht ist. Fällt die Temperatur in diesem Raum unter dessen Einschalt-
Solltemperatur (z. B. 20 ı C), dann schaltet die Wärmepumpe ein; liegt demgegen-
über die Raumtemperatur über der Ausschalt-Solltemperatur (z. B. 21 ı C), schaltet
die Wärmepumpe aus. Scheint in einen Raum ohne Temperaturfühler die Sonne,
heizt sich dieser Raum auf. Bei Flächenheizungen ist die Temperaturdifferenz zwi-
schen der großen Heizoberfläche und dem Raum aber sehr gering (bei Häusern nach
heutigem Baustandard maximal 3 ı C und bei Passivhäusern nur 0,5 ı C). Wenn sich
nun ein Raum aufheizt, wird diese Temperaturdifferenz schnell sehr klein oder sogar
negativ und damit wird die Wärmeabgabe an den Raum automatisch kleiner oder
sogar negativ. Im letzten Fall nimmt die Heizfläche sogar Wärme aus dem Raum
auf. Für solche Heizungen nach dem Selbstregeleffekt können der Pufferspeicher
und eine Pumpe entfallen. Die Laufzeit der Wärmepumpe wird durch ihre Leistung
und durch die thermischen Speichermassen der Flächenheizung und des Gebäudes
bestimmt.
Trinkwarmwasser. Wärmepumpen zur Trinkwarmwasserbereitung (Abb. 8.40) werden
als Kompaktgeräte angeboten und setzen als Wärmequelle i. Allg. Umgebungsluft ein.
Die Aufstellung erfolgt oft in Kellerräumen, deren Luft oft auch als Wärmequelle ver-
wendet wird. Dies ist jedoch kritisch zu sehen, da sich der Kellerraum dadurch stark
abkühlt und damit der Temperaturhub dieser Wärmepumpe groß und somit die Lei-
tungszahl klein wird. Zudem kann es zu einer Abkühlung der Räume oberhalb des
Kellers führen; dann verwendet die Wärmepumpe nicht mehr Umgebungswärme, son-
dern Heizungswärme als Wärmequelle. Thermodynamisch günstiger ist es deshalb,
auch für Trinkwarmwasserwärmepumpen Erdreich oder Umgebungsluft als Wärme-
quelle heranzuziehen. Bei Lufttemperaturen unter beispielsweise 10 ı C könnte die
Wärmepumpe auch außer Betrieb gehen und die im Trinkwarmwasserspeicher vorzu-
sehende Elektroheizung übernimmt die Wassererwärmung. Dadurch kann die Wärme-
pumpe etwas kleiner ausgelegt werden. Zusätzlich können dann kurzfristig und einfach
– zur Vermeidung von Legionellenbildung – auch höhere Wassertemperaturen erzeugt
werden. Ob eine Energieeinsparung erzielt wird, ist wegen der relativ hohen nötigen
Vorlauftemperaturen allerdings im Einzelfall zu prüfen.
Raumwärme und Trinkwarmwasser. Eine gleichzeitige Trinkwarmwasser- und Raum-
wärmebereitung über Flächenheizungen über die Heizungswärmepumpe mit einem
Wärmeübertrager bedarf aufgrund des i. Allg. höheren nachgefragten Temperaturni-
veaus des Trinkwarmwassers und den daraus resultierenden niedrigeren Arbeitszahlen
eine umschaltbare Erzeugung von kühlerem Heizungs- und wärmeren Trinkwarmwas-
ser. Zweckmäßig ist daher eine Trennung von Trinkwarmwasser- und Raumwärmebe-
reitung auf zwei Speicher bzw. einen Trinkwarmwasserspeicher und die Heizung im
Selbstregeleffekt. Wird die erzeugte Wärme in den Heizungsspeicher oder im Selbst-
regeleffekt direkt an die Heizung abgegeben, ist eine geringere Kondensatortemperatur
als bei einer Abgabe an den Trinkwarmwasserspeicher notwendig. Die Wärmepumpe
kann also im Heizungsbetrieb mit hoher Arbeitszahl betrieben werden. Abb. 8.41 zeigt
eine derartige Schaltung mit zwei Speichern. Alternativ dazu können auch zwei Wär-
mepumpen, eine für die Trinkwarmwasserbereitung und eine für die Heizung installiert
werden. Die beste Möglichkeit zur kombinierten Raumwärme- und Trinkwarmwas-
serbereitung stellt die Enthitzerschaltung nach Abb. 8.12 dar, welche die Nutzung
der bei hohen Temperaturen nach dem Verdichter in der Enthitzung des Kältemittels
bis zur Kondensation freiwerdende Wärme in einem eigenen Wärmeübertrager zur
Trinkwarmwassererwärmung nutzt. Die eigentliche Kondensation dient dann zur Heiz-
wassererwärmung. Allerdings passt in dieser Schaltung das Verhältnis aus gelieferter
Heizwärme und Trinkwarmwasser selten mit der gegebenen Nachfrage überein, sodass
dieser Vorteil nur fallweise voll genutzt werden kann.
Heizung
Speicher
Trinkwarm-
wasser Elektro-
heizstab
Speicher
Zapfstelle
Heizung
Trinkwarm-
Wärme- wasser
pumpe
Kaltwasser-
zulauf
Abb. 8.41 Hydraulische Einbindung von Wärmepumpen zur Trinkwarmwasserbereitung und Hei-
zung über zwei Speicher (nach [8.23])
8 Nutzung von Umgebungswärme 753
Verdichter Verdichter
Verdampfer Kondensator
Außenseite
zusätzlich kommen Mischformen vor. Die bivalente Betriebsweise hat aufgrund der
doppelten Kosten für die Wärmeerzeugung nur eine sehr geringe Bedeutung; sie kann
lediglich bei größeren Anlagen interessant werden.
– Beim bivalent-alternativen Betrieb deckt die Wärmepumpe bis zu einer bestimmten
Umschalttemperatur die Wärmenachfrage vollständig; anschließend übernimmt ei-
ne alternative Zusatzheizung die gesamte Wärmelieferung (z. B. ein mit Erd- oder
Biogas befeuerter Heizkessel). Die Wärmepumpenanlage wird dabei nur auf einen
bestimmten Prozentsatz der maximalen Wärmenachfrage ausgelegt; die Zusatzhei-
zung muss jedoch 100 % der Wärmenachfrage decken können.
– Bei der bivalent-parallelen Betriebsweise wird ab einer bestimmten Temperatur die
Wärmenachfrage gleichzeitig durch die Wärmepumpe und ein Zusatzheizsystem
gedeckt.
Monoenergetische Betriebsweise. Dies ist ein typischer Spezialfall der bivalenten Be-
triebsweise, bei der im Fall der Elektrowärmepumpe die Zusatzheizung eine elektrische
Widerstandsheizung ist. Da bei Sorptionswärmepumpen immer der Gasbrenner die
Spitzen übernimmt, sind diese immer durch eine monoenergetische Betriebsweise ge-
kennzeichnet.
Grundsätzlich lassen sich bei Beachtung der Rücklauftemperaturen und bei einem aus-
reichend großen Wärmespeicher auch verschiedene weitere Wärmequellen in eine Wär-
mepumpenanlage einbinden (z. B. Sonnenkollektoren, offener Kamin).
Erdgekoppelte Wärmepumpen, aber auch Außenluftwärmepumpen, werden in der Re-
gel monovalent betrieben. Dieses ist möglich, da das Erdreich nur geringe jahreszeitliche
Temperaturschwankungen aufweist und damit im Verlauf des gesamten Jahres verfügbar
ist. Der bivalent-alternative Betrieb ist nur bei Anlagen mit nicht angepasstem Heizsys-
tem (Hochtemperatur) sinnvoll. Beim bivalent-parallelen Betrieb wird die Nutzwärme
der Wärmepumpe in den Heizungsrücklauf eingespeist, so dass die Wärmepumpe mit
einer guten Leistungszahl auf einem niedrigen Temperaturniveau arbeiten kann. Das Hei-
zungswasser wird dann vom Kessel weiter erwärmt. Gerade bei größeren Anlagen mit
ausgeprägten Nachfragespitzen kann diese Betriebsweise ökonomisch sinnvoll sein. Auch
bei der Nutzung von Umgebungsluft kann über einen bivalenten Betrieb die Versorgungs-
sicherheit auf wirtschaftliche Weise gewährleistet werden.
8.2.4 Gesamtsystem
Wärmepumpe
(Erdreich)
Wärmepumpe
ca. 78 %
Nutzwärme ca. 80 %
Umweltenergie
Energie nach Kondensator
(Umgebungsluft)
ca. 32 %
Wärmepumpe
Nutzwärme ca. 82 %
Elektrische Antriebsenergie
Ventilator Wärmequelle ca. 4 %
ren von der verschiedenartigen Wärmepumpenart her, aber auch von der unterschiedlichen
Wärmequelle.
System mit Elektrowärmepumpe und Erdsonde (Abb. 8.43, oben). Bei erdgekoppelten
Systemen mit Solezwischenkreis wird zunächst die im oberflächennahen Erdreich ent-
haltene thermische Energie auf das in den Erdsonden zirkulierende Wärmeträgermedi-
um übertragen. Um dieses im oberflächennahen Erdboden erwärmte Wärmeträgerme-
dium zum Verdampfer der Wärmepumpe zu fördern, muss dem System Hilfsenergie
zugeführt werden, mit der die Solepumpe angetrieben wird. In dem in Abb. 8.43,
oben, gezeigten Beispiel nimmt diese elektrische Energie etwa 10 % der zum Antrieb
des Wärmepumpenkompressors erforderlichen elektrischen Energie ein. Die dann in
der eigentlichen Wärmepumpe „aufgewertete“ Wärme geht zu einem Teil (hier 12 %)
durch nicht perfekte Dämmung an die Umgebung verloren. Vom verbleibenden Rest
werden 90 % vom Kondensator an einen Heißwasserspeicher übergeben und dort zwi-
schengespeichert; die dortige Speicherung ist mit thermischen Verlusten von etwa 8 %
verbunden. Damit sind insgesamt rund 80 % an Nutzwärme verfügbar.
System mit Absorptionswärmepumpe und Umgebungsluft (Abb. 8.43, unten). Für die
Erschließung der Wärmequelle Luft fällt bei einer luftgekoppelten Wärmepumpe kein
Antriebsstrom für eine Solepumpe an. Dafür wird elektrische Energie für den Ventilator
benötigt, welche die Umgebungsluft zum Verdampfer der Wärmepumpe leitet. Nutz-
wärme wird dabei bei der Sorptionswärmepumpe nicht nur vom Kondensator, sondern
auch vom Absorber abgegeben. In Abb. 8.43, unten, wurden im Vergleich zu der zuvor
dargestellten Wärmepumpe etwas geringere Wärmeverluste unterstellt. In der Summe
resultiert daraus eine geringfügig größere Nutzenergie, die aber zu einem größeren Teil
aus der Antriebsenergie und zu einem kleineren Teil aus der Umgebung stammt – und
damit in diesem Beispiel aus regenerativer Energie stammt.
Der wichtigste Unterschied zwischen den beiden in Abb. 8.43 dargestellten Syste-
men ist die Größe der benötigten Wärmequelle. Da in der Kompressionswärmepumpe
die primäre Energiewandlung der von der Wärmepumpe benötigten Hilfsenergie in ei-
nem Kraftwerk zur Erzeugung elektrischer Energie erfolgt, muss ein weitaus größerer
Anteil der Heizenergie durch die Umgebungswärme bereitgestellt werden als dies bei der
Sorptionswärmepumpe der Fall ist. Dies ist ein systemtechnischer Vorteil der Sorptions-
wärmepumpe, da die Wärmequelle deutlich kleiner ausfällt. Die Jahresheizzahl wird im
gezeigten Beispiel durch die stark saisonal schwankende Temperatur der Umgebungsluft
reduziert; im Winter bei der höchsten bereitzustellenden Wärmemenge arbeitet die Sorpti-
onswärmepumpe aufgrund der niedrigen Lufttemperaturen weniger effizient als bei mäßi-
gen Temperaturen (ggf. kann sie bei zu geringen Temperaturen sogar ihre Betriebsgrenze
erreichen und muss dann abgeschaltet werden). Bei derart geringen Außentemperaturen
wird ein Großteil der Heizenergie über die Erdgasverbrennung bereitgestellt und nur ein
kleiner Teil stammt originär aus der Umgebungsluft (trotzdem ist eine derartige Anlage
im Vergleich zu einem Gaskessel aus Klimasicht und Umweltsicht im Regelfall immer
8 Nutzung von Umgebungswärme 757
wahlweise
thermische
Solaranlage
angesaugte
Aussenluft
kalte Fortluft
Trinkwarm-
wasser-
speicher
wahlweise
Erdreichwärmeübertrager
zur Luftvorwärmung Ver- Elektro-
damp- heizpatrone
fer
nicht so stark abkühlen kann. Die Ventilatoren sind so angeordnet, dass ihre Abwärme
zur Heizung beiträgt (d. h. im Abluftstrang vor dem Wärmeübertrager der Abluftwärme-
rückgewinnung und im Zuluftstrang nach dem Kondensator). Steht genug Heizwärme für
das Haus zur Verfügung, schaltet die Wärmepumpe auf den Kondensator der Trinkwarm-
wasserbereitung um. Außerdem kann wahlweise zusätzlich eine thermische Solaranlage
für die Trinkwarmwasserbereitung zum Einsatz kommen. Für kalte und bewölkte Winter-
perioden steht eine Elektroheizpatrone als Notlösung für die Trinkwarmwasserbereitung
zur Verfügung. Derartige Wärmepumpensysteme erreichen Jahresarbeitszahlen von bis
zu 3,5 [8.9].
Die Heizleistung ist mit der Abkühlung der Abluft und der Luftwechselrate des Lüf-
tungssystems limitiert. Um die Heizleistung zu erhöhen, kann auf der Außenluftseite ein
Umluftteil hinzugefügt werden. Damit kann der Volumenstrom auf der Außenluftseite
erhöht und damit die Verdampfer- und Kondensatorleistung erhöht werden. Eine solche
Anlage stellt eine Kombination aus Abluftwärmepumpe und Außenluftwärmepumpe dar.
Solche Kompaktgeräte sind derzeit in der Entwicklung und können dann z. B. dezentral
wohnungsweise bei der Sanierung von Mehrfamilienhäusern ohne Zentralheizungssystem
eingesetzt werden.
Fußbodenheizung
kaltes
Heizungsregelgerät Wasser
Außentemperatur-geführt
Kompressor
Kondensator
Verdampfer
Motor
Duplex-Speicher
für Brauchwasser
Expansionsventil
Sole/Wasser-Wärmepumpe komplett
mit Umwälzpumpen und Armaturen
Erdreich-
wärmeübertrager
Im Winter wird über die Wärmepumpe geheizt, der Untergrund kühlt sich ab (Heizmo-
dus in Abb. 8.46). Man kann dies als Kältespeicherung bezeichnen.
In der Übergangszeit oder – bei entsprechend ausgelegten Anlagen mit nicht zu gro-
ßer Kühlleistung – während der ganzen Kühlperiode kann Wärme aus dem Gebäu-
de dem natürlichen Temperaturgefälle folgend in den Untergrund eingeleitet werden;
das Gebäude wird hierdurch gekühlt (direkte Kühlung; Kühlmodus 1 in Abb. 8.46).
Die Temperatur des Wärmeträgermediums kann dabei über die ursprüngliche (vor der
Kältespeicherung vorliegende) Temperatur des Erdreichs ansteigen. Dies ist möglich,
solange sie niedrig genug ist, um die gewünschte Kühlung des Gebäudes noch sicher-
zustellen. Eine Entfeuchtung der Zuluft bei direkter Kühlung (Kühlmodus 1) ist meist
nicht möglich, da die Taupunkttemperatur von 14 bis 16 ı C in einem Luftregister in
diesem Fall nur zu Beginn der Kühlperiode sicher unterschritten wird.
760 M. Kaltschmitt et al.
Wärme Kälte
Wärmepumpe
Heizung Kälte
(Kältemaschine)
In Kühlmodus 2 nach Abb. 8.46 arbeitet die Wärmepumpe als Kältemaschine; Raum-
luft wird über den Wärmepumpenverdampfer gekühlt und die entstehende Wärme wird
in den Untergrund eingeleitet. Bei dieser Betriebsart kann jede Betriebsbedingung –
wie bei einer konventionellen Kühlanlage – erreicht werden (einschließlich Luftent-
feuchtung). Von Vorteil ist die Einsparung an Antriebsenergie gegenüber herkömmli-
chen Kältemaschinen mit der Abgabe der Kondensatorwärme an die Umgebungsluft.
Die effizienteste Nutzung besteht, wenn gleichzeitig eine Kühl- und eine Heiznachfrage
bestehen, da dann sowohl Verdampfer- als auch Kondensatorleistung Nutzenergie darstellt
und nur der Strominput für den Kompressor Aufwand ist. Solche Situationen sind z. B.
im Sommer im Kühlbetrieb (Verdampfer) bei gleichzeitiger Warmwasserbereitung (Kon-
densator) gegeben. Solche Randbedingungen kommen speziell in feucht-heißen Klimaten
oft vor. Ein weiterer derartiger Anwendungsfall sind Supermärkte. Hier ist der Verdamp-
fer in den verschiedenen Kühlgeräten aufgeteilt und der Kondensator wird im Winter zur
Raumheizung verwendet. Auch im industriellen Umfeld kann ein solcher „Doppelnutzen“
bestehen.
Kühlwasser
Wärme-
Motor
pumpe
Abgas
Wärmequelle
Da die Antriebsenergie des gesamten Heizsystems Erdgas oder leichtes Heizöl ist, wird
die Effizienz über die Jahresheizzahl a definiert (Gleichung (8.26)). PE ist die zugeführte
fossile Primärenergie.
QSenke
a D (8.26)
PE
Die Antriebsenergie der eigentlichen Wärmepumpe ist die mechanische Energie des
Motors W, die sich aus der zugeführten Primärenergie PE und dem mechanischen Wir-
kungsgrad
errechnen lässt (Gleichung (8.27)). Mit der (mittleren) inneren Leistungszahl
"i der Wärmepumpe resultiert daraus die Nutzenergie der Wärmepumpe QWP (Gleichung
(8.27)).
QA C QK W D
t h .1
/ PE (8.28)
Damit kann die Heizzahl a (Gleichung (8.25) und (8.26)) nach Gleichung (8.29) be-
rechnet werden.
a D "i
C
t h .1
/ D
t h C
."i
t h / (8.29)
Die Heizzahl a nach Gleichung (8.29) ist in Abb. 8.48 gegen die Leistungszahl "i auf-
getragen. Gestrichelt dargestellt sind die Werte für eine schlechte Wärmerückgewinnung
th von 50 % und durchgezogen gezeichnet sind die Werte für eine sehr gute Rückgewin-
nung der Wärme von 95 %. Auch die mechanische Effizienz
des Motors wurde zwischen
20 und 40 % variiert (Abb. 8.48); diese Variationsbreite umfasst den Stand der Technik.
762 M. Kaltschmitt et al.
verbrennungsmotorisch an-
η = 0,4
Jahresheizzahl ζa
getriebener Wärmepumpen
als Funktion von innerer Leis- 2 η = 0,3
ηth = 0,95
tungszahl "i , Effizienz des η = 0,2
Motors
und der Wärmerück-
gewinnungseffizienz
th 1
ηth = 0,5
0
1 2 3 4 5
Leistungszahl εi
0,0
1 2 3 4 5
Leistungszahl εi
Die auf Primärenergie bezogenen Heizzahlen lassen demnach eine deutliche Energieein-
sparung gegenüber konventionellen Heizsystemen erkennen; nur wenn alle Kennzahlen,
also sowohl die Wärmerückgewinnung als auch die Motoreffizienz und die Leistungszahl,
im unteren Variationsbereich sind, ergeben sich Heizzahlen kleiner als 1. In günstigen
Fällen werden dagegen sogar Heizzahlen von über 2 erreicht. Auch bei einer schlechten
Leistungszahl von 2 und einem mittleren Motorwirkungsgrad von 30 % ist für eine gute
Wärmerückgewinnung (95 %) die Jahresheizzahl etwa 1,3.
Vergleicht man diese Werte mit elektrisch angetriebenen Kompressionswärmepum-
pen, muss die für die Stromerzeugung benötigte Primärenergie berücksichtigt werden.
Ist dies Erdgas, muss die Leistungszahl der Kompressionswärmepumpe mit dem Strom-
erzeugungs- und Verteilwirkungsgrad aus Erdgas (gesamt ca. 55 %) multipliziert werden.
Der Anteil der Umgebungswärme QUmgebung an der Nutzwärme QNutz ist besonders bei
schlechter Motoreffizienz und hoher Wärmerückgewinnungseffizienz klein. Es gilt Glei-
chung (8.30). Abb. 8.49 zeigt die entsprechenden Zusammenhänge.
QUmgebung
."i 1/
D (8.30)
QNutz
"i C
t h .1
/
Bei den oben genannten Parametern, also einer Leistungszahl von 2, einem Motorwir-
kungsgrad von 30 % und einer Wärmerückgewinnung von 95 % ist der Anteil an Um-
8 Nutzung von Umgebungswärme 763
gebungswärme nur 25 %; dadurch wird, wie bei den Sorptionswärmepumpen, nur eine
kleine Wärmequellenanlage benötigt.
Nachteilig bei verbrennungsmotorisch betriebenen Wärmepumpen ist der hohe War-
tungsaufwand. Volllaststunden von 2 000 h/a, wie sie für Raumheizung und Warmwasser-
bereitung typisch sind, entsprechen eine Fahrleistung im Auto von ca. 50 000 km. Daher
muss praktisch jedes Jahr eine komplette Wartung des Motors erfolgen, und die technische
Lebensdauer ist auf ca. 10 Jahre begrenzt.
8.3.1 Referenzanlagen
Tabelle 8.8 Systemdetails der untersuchten Wärmepumpentechnologien (zur Definition der Nach-
fragefälle Ein- und Mehrfamilienhaus siehe Tabelle 8.7)
Einfamilienhaus (EFH) Mehrfamilienhaus (MFH)
0 I II III IV 0 I II III IV
Elektro-Wärmepumpe mit Erdkollektor bzw. Erdsonde
Wärmepumpe
Nennleistung in kW 1,8 3,0 4,0 5,0 13,0 7,8 19,0 22,0 29,0 57,0
Lebensdauer in a 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20
Wärmequellenanlage
Kollektorfläche in m2 120 200 267 333 867 a a a a a
2 a a a a a
Entzugsleist. Koll. in W/m 15 15 15 15 15
a a a a a
Sondenlänge in m 156 380 440 580 1 140
a a a a a
Entzugsleist. Sonde in W/m 50 50 50 50 50
Lebensdauer in a 40 40 40 40 40 40 40 40 40 40
Speicher
Volumen in L 300 300 300 375 975 1 000 1 425 1 650 2 175 4 275
Lebensdauer in a 25 25 25 25 25 25 25 25 25 25
Elektro-Luftwärmepumpe
Wärmepumpe
Nennleistung in kW 1,8 3,0 4,0 5,0 13,0 7,8 19,0 22,0 29,0 57,0
Lebensdauer in a 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20
Speicher
Volumen in L 300 300 300 375 975 1 000 1 425 1 650 2 175 4 275
Lebensdauer in a 25 25 25 25 25 25 25 25 25 25
Sorptions-Gaswärmepumpe (Luft)
Wärmepumpe
b
Nennleistung in kW 3,0 4,0 5,0 13,0 b 19,0 22,0 29,0 57,0
b b
Lebensdauer in a 15 15 15 15 15 15 15 15
Speicher
b b
Volumen in L 300 300 375 975 1 425 1 650 2 175 4 275
b b
Lebensdauer in a 25 25 25 25 25 25 25 25
a
nicht betrachtet; b nicht sinnvoll; Entzugsleist. Entzugsleistung; Koll. Kollektor.
(MFH 0: 156 m; MFH I: 380 m; MFH II: 440 m; MFH III: 580 m; MFH IV: 1 140 m).
Diese insgesamt benötigte Sondenlänge wird durch mehrere Einzelsonden dargestellt,
deren Länge durch die durch die lokalen Bodenverhältnisse definierten techno-öko-
nomischen Bedingungen vorgegeben ist. Auch bei diesem Fall wird eine elektrisch
betriebene Kompressionswärmepumpe verwendet, die mit Hilfe der Erdkollektor-Wär-
mequellenanlage die Nachfrage nach Warmwasser und Raumwärme deckt. Als Wär-
mespeicher werden ebenfalls Kombispeicher (d. h. Raumwärmespeicherung mit inte-
griertem Trinkwarmwasserspeicher) eingesetzt.
766 M. Kaltschmitt et al.
Für die Anlagenauslegung werden zur Berücksichtigung der Verluste für Erzeugung,
Speicherung, Verteilung und Übergabe die Aufwandszahlen nach DIN 4701-10 angesetzt.
Daraus können die zur Bereitstellung der geforderten Energiemengen für Trinkwarm-
wasser und Raumwärme benötigten Endenergiemengen (Strom und Erdgas) abgeschätzt
werden. Tabelle 8.9 zeigt diese sowie die entsprechenden Aufwandszahlen und die für alle
Systeme unterstellten Hilfsenergieverbräuche (z. B. Strom für die Solepumpe).
Zur Abschätzung der mit einer Bereitstellung von Niedertemperaturwärme durch Wär-
mepumpensysteme verbundenen monetären Aufwendungen werden nachfolgend die In-
vestitionen und Betriebskosten sowie die spezifischen Wärmegestehungskosten für die in
Tabellen 8.7, 8.8 und 8.9 definierten Referenzanlagen dargestellt. Aufgrund der spezi-
fischen geologischen Gegebenheiten vor Ort (u. a. Bodenbeschaffenheit, Wärmeleitfähig-
keit des lokalen Untergrunds, Abstand des Grundwasserleiters von der Geländeoberkante)
kann es dabei zu deutlichen Unterschieden in der Auslegung der Wärmequellenanla-
ge und damit in der Kostenstruktur des Gesamtsystems kommen. Zusätzlich zeigen die
Kosten für die elektrische Energie (d. h. Stromtarife nach Arbeits- und Leistungspreis)
und der Anschluss der Wärmepumpe an das Stromnetz (d. h. Anschlussgebühren) eine,
vom jeweiligen Versorger abhängige, z. T. sehr breite Streuung; letzteres gilt insbesondere
auch in unterschiedlichen Staaten. Die nachfolgend diskutierten Kosten können daher nur
Größenordnungen bzw. durchschnittliche Anhaltswerte darstellen, wie sie derzeit z. B. in
Deutschland im Durchschnitt erwartet werden können. In Einzelfällen und in Abhängig-
keit der lokalen Rand- und Rahmenbedingungen sind deshalb durchaus auch günstigere,
aber ggf. ebenfalls höhere Wärmegestehungskosten möglich.
bestimmt. Generell gilt, dass mit zunehmender Anlagengröße die spezifischen Kosten
tendenziell sinken. Dies trifft vor allem für das Wärmepumpenaggregat inklusive der
Trinkwarmwasserbereitung zu, die eine deutliche Kostendegression mit der Anlagengrö-
ße zeigen. Demgegenüber sind die Wärmequellenanlagen nur durch eine vergleichsweise
geringe Kostendegression charakterisiert.
Tabelle 8.10 zeigt die hier zugrunde gelegten absoluten Investitionen der untersuchten
Technologievarianten. So liegen etwa die spezifischen Kosten der betrachteten Sole-Was-
ser-Wärmepumpen zwischen 500 und 3 900 C/kW. Dabei fallen für die Einfamilienhäuser
EFH 0 bis EFH II jeweils dieselben absoluten Investitionen für die Wärmepumpe an, da es
auf dem Markt bisher keine Wärmepumpen im Leistungsbereich kleiner als 4 kW gibt und
deshalb unterstellt wird, dass diese Anlagengröße installiert wird, obwohl aus technischer
Sicht eine kleinere Anlage für diesen Nachfragefall benötigt werden würde; dies führt zu
spezifisch deutlich höheren Investitionen für die gut gedämmten Gebäudevarianten.
768 M. Kaltschmitt et al.
Tabelle 8.10 Investitionen der untersuchten Wärmepumpentechnologien (zur Definition der Nach-
fragefälle Ein- und Mehrfamilienhaus siehe Tabelle 8.7)
Einfamilienhaus (EFH) Mehrfamilienhaus (MFH)
0 I II III IV 0 I II III IV
Elektro-Wärmepumpe mit Erdkollektor bzw. Erdsonde
WP in C 7 000 7 000 7 000 7 500 8 500 8 500 10 000 12 000 16 000 28 000
WQ in C 4 500 4 800 5 100 5 300 7 500 19 000 30 000 33 000 40 000 68 000
KS in C 900 900 900 1 050 1 700 1 750 1 950 2 000 2 200 3 300
Montage in C 2 500 2 500 2 500 2 500 3 000 3 000 3 000 3 000 3 000 5 000
Summe in C 14 900 15 200 15 500 16 350 20 700 32 250 44 950 50 000 61 200 104 300
Elektro-Luftwärmepumpe
WP in C 8 000 8 000 9 000 9 000 10 000 9 000 11 000 19 000 24 000 32 000
KS in C 900 900 900 1 050 1 700 1 750 1 950 2 000 2 200 3 300
Montage in C 1 800 1 800 1 800 1 800 1 800 1 800 1 800 1 800 1 800 3 000
Summe in C 10 700 10 700 11 700 11 850 13 500 12 550 14 750 22 800 28 000 38 300
Sorptions-Gaswärmepumpe (Luft)
a a
WP in C 15 500 15 500 15 500 15 500 16 500 16 500 16 500 17 800
a a
Abgasrohr in C 1 050 1 050 1 050 1 050 1 550 1 550 1 550 1 550
a a
KS in C 900 900 1 050 1 700 1 950 2 000 2 200 3 300
a a
Montage in C 2 150 2 150 2 150 2 150 2 150 2 150 2 150 3 450
a a
Summe in C 19 600 19 600 19 750 20 400 22 150 22 200 22 400 26 100
a
nicht sinnvoll; WP Wärmepumpe; WQ Wärmequelle; KS Kombispeicher.
Neben den Investitionen für die Wärmequellenanlage und die Wärmepumpe fallen
noch Kosten für den Wärmespeicher an. Hinzu kommen Kosten für Montage und In-
stallation, die anteiligen Aufwendungen für den Aufstellungsort im Keller der versorgten
Gebäude sowie die Kosten, die sich aus der hydrologischen Einreichung bzw. Anzeige der
das Erdreich nutzenden Wärmepumpenanlage bei der zuständigen Behörde ergeben. Mit
zunehmender Systemgröße verschiebt sich dabei der Hauptteil der Kosten von der Wärme-
pumpe hin zur Wärmequellenanlage. Während z. B. bei der betrachteten Referenzanlage
des Systems EFH I etwa 46 % der Gesamtkosten für die eigentliche Wärmepumpe zu ver-
anschlagen sind, liegt dieser Anteil beim System MFH I bei etwa 22 %. Der Anteil der
Investitionen für die Wärmequellenanlage steigt demgegenüber von 32 auf 67 %.
Tabelle 8.11 Kosten der Wärmepumpen-Heizungssysteme in der Betriebsphase aufgeteilt nach ver-
brauchsgebundenen (verbr.) sowie betriebsgebundenen (betr.) und sonstigen (sonst.) Kosten (zur
Definition der Nachfragefälle Ein- und Mehrfamilienhaus siehe Tabelle 8.7)
Einfamilienhaus (EFH) Mehrfamilienhaus (MFH)
0 I II III IV 0 I II III IV
Elektro-Wärmepumpe mit Erdkollektor bzw. Erdsonde
Verbr. Kosten in C/a 500 600 660 1 060 2 160 2 510 2 950 3 230 5 240 9 220
Betr., sonst. Kosten in C/a 50 50 50 50 50 50 50 50 50 50
Summe in C/a 550 650 710 1 110 2 210 2 560 3 000 3 280 5 290 9 270
Elektro-Luftwärmepumpe
Verbr. Kosten in C/a 500 620 690 1 100 2 360 2 580 3 190 3 550 5 510 10 070
Betr., sonst. Kosten in C/a 50 50 50 50 50 50 50 50 50 50
Summe in C/a 550 670 740 1 160 2 410 2 630 3 240 3 600 5 560 10 120
Sorptions-Gaswärmepumpe (Luft)
Verbr. Kosten in C/a a 530 610 730 1 530 a
2 650 3 000 3 590 6 110
Betr., sonst. Kosten in C/a a 100 100 100 100 a
100 100 100 100
Summe in C/a a 630 710 830 1 630 a
2 750 3 100 3 690 6 210
a
nicht sinnvoll.
Wärmegestehungskosten Ausgehend von einem Zinssatz von 2,0 % und einer Abschrei-
bung über die technische Lebensdauer berechnen sich – auf der Basis einer annuitätischen
Betrachtung (vgl. Kapitel 1.3 und 1.4), wie sie bisher bei allen anderen Kostenanalysen
immer unterstellt wurde – für die untersuchten Referenzanlagen aus Tabelle 8.7 die in
Tabelle 8.12 dargestellten Wärmegestehungskosten. Für die Wärmequellenanlagen wird
dabei eine technische Lebensdauer von 40 Jahren, für die Wärmepumpen von 20 Jah-
ren (Ausnahme: Sorptionswärmepumpe mit 15 Jahren) und für die Wärmespeicher von
25 Jahren unterstellt.
In Tabelle 8.12 wird u. a. deutlich, dass die Annuitäten der Elektro-Wärmepumpe mit
Erdsonde bzw. Erdkollektor bei den Nachfragefällen „Einfamilienhäuser“ nicht signifi-
kant höher sind als bei dem Wärmeträger Umgebungsluft. Dies liegt darin begründet, dass
sich die Investitionen bei diesen Nachfragefällen nicht so stark unterscheiden. Die Wär-
mequellenanlage fällt zwar bei den luftgekoppelten Wärmepumpensystemen weg; dafür
ist aber die Wärmepumpe entsprechend teurer im Vergleich zu den Wärmepumpen, die
bei den erdgekoppelten Systemen zum Einsatz kommen. Wird zusätzlich noch berück-
sichtigt, dass die Wärmequellenanlage eine technische Lebensdauer von 40 Jahren hat,
ist der Einfluss auf die Annuität gering. Außerdem sind die Betriebskosten (d. h. betriebs-
8 Nutzung von Umgebungswärme 771
und verbrauchsgebundene Kosten) bei den luftgekoppelten Anlagen leicht höher. Deshalb
ergeben sich hier etwas erhöhte Annuitäten bei den Systemen, welche die Umgebungsluft
nutzen.
In Abhängigkeit von der Anlagengröße und Jahresarbeitszahl (bzw. Aufwandszahl)
(Tabelle 8.7 bis 8.10) liegen die Wärmegestehungskosten – je nach installierter Leis-
tung – zwischen rund 22 und 142 C/GJ. Die Bandbreite ist demnach sehr groß; dies gilt
insbesondere für die Gas-Sorptionswärmepumpe. Aber die Schwankungen der Wärme-
gestehungskosten in Abhängigkeit des Dämmstandards – und damit der nachgefragten
thermischen Energie – ist deutlich geringer bei den mit elektrischer Energie betriebenen
Wärmepumpen. Hier muss bei besonders großen Anlagen (MFH IV) mit etwa 35 bzw.
38 C/GJ für die bereitgestellte Wärme gerechnet werden und bei den kleinsten Anlagen
(EFH 0) mit etwa 80 bzw. 85 C/GJ. Systeme mit Sorptions-Wärmepumpen zeigen hierbei
bei allen Einfamilienhäusern die höchsten Wärmegestehungskosten. Demgegenüber lie-
gen sie im Mehrfamilienhausbereich in einer näherungsweise vergleichbaren Größenord-
nung (Abb. 8.50). Für die Bestands-Mehrfamilienhäuser (MFH III und MFH IV) ergeben
sich sogar geringere Wärmegestehungskosten der mit Erdgas betriebenen Sorptions-Wär-
mepumpensysteme. Die Kosten für die Bereitstellung der thermischen Energie mittels
elektrisch betriebener Wärmepumpensysteme unterscheiden sich im Einfamilienhausbe-
reich nahezu nicht. Erst im Mehrfamilienhausbereich – und damit bei deutlich höheren
nachgefragten thermischen Energiemengen – wird das erdreichgekoppelte System teurer
als das luftgekoppelte System.
Um den Einfluss verschiedener Größen auf die Wärmegestehungskosten besser ab-
schätzen und bewerten zu können, zeigt Abb. 8.51 eine Variation der wesentlichen sensi-
772 M. Kaltschmitt et al.
100
80
60
40
20
0
EFH 0 EFH I EFH II EFH III EFH IV MFH 0 MFH I MFH II MFH III MFH IV
75
Mittlere Abschreibungsdauer (28 Jahre = 100 %)
Investitionen (16 350 € = 100 %)
70 Zinssatz (2 % Zinsen = 100 %)
Betriebskosten (50 €/a = 100%)
Wärmegestehungskosten in €/GJ
60
55
50
45
40
50 60 70 80 90 100 110 120 130 140 150
Parametervariation in %
Abb. 8.51 Parametervariation der wesentlichen Einflussgrößen auf die spezifischen Wärmegeste-
hungskosten am Beispiel einer 5 kW-Elektrowärmepumpenanlage mit Erdwärmekollektor (Refe-
renzanlage EFH III)
Für die bisher betrachteten Anlagen zur Nutzung der Umgebungsluft bzw. der oberflä-
chennahen Erdwärme (Tabelle 8.7 und 8.8) wird nachfolgend eine Bilanzierung ausge-
wählter Umweltkenngrößen im Verlauf des gesamten Lebensweges durchgeführt. An-
schließend werden weitere mit einer Energiebereitstellung aus derartigen Systemen ver-
bundene Umwelteffekte diskutiert.
8.3.3.1 Lebenszyklusanalyse
Im Folgenden wird für die bisher betrachteten Anlagen (Tabelle 8.7 und 8.8) eine Bi-
lanzierung der spezifischen kumulierten Energieströme und Stofffreisetzungen im Verlauf
der gesamten Anlagenlebensdauer einschließlich aller vorgelagerten Prozesse – und damit
im Rahmen einer Lebenswegbetrachtung (Kapitel 1.3 und 1.4), wie sie bei den ande-
ren Kapiteln auch realisiert wurde – durchgeführt. Bezugsgröße ist dabei 1 TJ an der
Trinkwarmwasserzapfstelle entnommene bzw. vom Heizkörper an den Raum abgegebene
Wärme.
In Anlehnung an die bisherige Vorgehensweise werden dabei als Maß für den Beitrag
zum anthropogenen Treibhauseffekt die CO2 -Äquivalent-Emissionen, für Emissionen mit
versauernder Wirkung die SO2 -Äquivalent-Emissionen und unter dem Aspekt human- und
ökotoxikologischer Auswirkungen die Emissionen an SO2 und NOx bilanziert. Aufgrund
der Vielzahl möglicher Einflussfaktoren auf die technische Umsetzung von Wärmepum-
penanlagen (u. a. geologische Bedingungen am potenziellen Standort) sind die hierbei
untersuchten Referenzanlagen nur als Beispiele einer Nutzung der Umgebungsluft und
der oberflächennahen Erdwärme zu sehen.
Tabelle 8.13 zeigt die Ergebnisse der Bilanzierung für eine Wärmebereitstellung zur
Trinkwarmwasser- und Raumwärmebereitung für die in Tabelle 8.7 und 8.8 definierten
Wärmepumpensysteme. Für die elektrische Antriebsenergie wird der deutsche Strom-
erzeugungsmix des Jahres 2018 zugrunde gelegt.
Der Energieverbrauch und die spezifischen Emissionen werden demnach bei allen An-
lagen primär von der Jahresarbeitszahl bzw. der Aufwandszahl und damit dem Anteil der
zugeführten elektrischen Antriebsenergie an der gesamten Wärmeerzeugung bestimmt.
Wärmepumpenanlagen mit systembedingt niedrigeren Arbeitszahlen bzw. hohen Auf-
wandszahlen (z. B. Wärmepumpensysteme unter Nutzung der Umgebungsluft) sind damit
durch höhere Aufwendungen erschöpflicher Energieträger sowie Emissionen der betrach-
teten Schadstoffe gekennzeichnet im Vergleich zu Wärmepumpensystemen mit niedrige-
ren Aufwandszahlen (z. B. erdgekoppelte Systeme mit Solekreislauf); umgekehrt werden
der Energieverbrauch und die Emissionen dann relativ gering, wenn die Arbeitszahlen
entsprechend groß werden. Dies liegt primär darin begründet, dass ein Großteil des Ver-
brauchs an erschöpflichen Energieträgern bzw. der hier untersuchten Emissionen bzw.
Äquivalent-Emissionen aus dem Betrieb der Anlagen und hier wiederum aus der Bereit-
stellung der für den Betrieb benötigten elektrischen Energie stammen.
774 M. Kaltschmitt et al.
Abb. 8.52 zeigt die gesamten CO2 -Äquivalent-Emissionen aller untersuchten Wärme-
pumpentechnologien exemplarisch für die Nachfragefälle Einfamilienhaus EFH I und
EFH IV unterteilt nach den verschiedenen Lebenswegabschnitten. Demnach hat der Bau
der Anlagen generell einen geringen Anteil an den hier betrachteten Stofffreisetzungen.
Meist befindet sich dieser Anteil der Emissionen, die aus der Anlagenherstellung resul-
tieren, unterhalb von 15 % der Gesamtemissionen. Neben der Wärmepumpentechnologie
bestimmt dabei insbesondere der untersuchte Dämmstandard (d. h. die Nachfrage nach
thermischer Energie) den Anteil der Lebenswegphasen Bau und Entsorgung an den ge-
samten im Lebenszyklus freigesetzten Emissionen bzw. am gesamten fossilen Energie-
aufwand. Dies liegt daran begründet, dass mit steigender Raumwärmenachfrage auch die
insgesamt benötigte Betriebsenergie (d. h. Wärmepumpenstrom, Erdgas, elektrische Hilfs-
energie) sich deutlich stärker bemerkbar macht und somit der diskutierte Anteil abnimmt.
Insgesamt ist die Betriebsphase generell für den Großteil der im Lebensweg freigesetz-
ten Emissionen (bzw. den kumulierten fossilen Energieaufwand) verantwortlich. Sie ist
hier unterteilt in den zur Wärmebereitstellung verbrauchsbedingt benötigten Anteil (d. h.
8 Nutzung von Umgebungswärme 775
60
50
40
30
20
10
0
Elektro-WP Elektro-WP Gas-WP Luft Elektro-WP Elektro-WP Gas-WP Luft
Erde (EFH I) Luft (EFH I) (EFH I) Erde (EFH IV) Luft (EFH IV) (EFH IV)
6,8%
Speicher Speicher
14,6%
29,8%
Wärmeerzeuger
55,6%
Wärmeerzeuger
29,8%
Wärmequelle 63,4%
Wärmequelle
Speicher Speicher
15,3% 9,6%
82,1% 88,9%
Wärmeerzeuger Wärmeerzeuger
Abb. 8.53 Aufteilung der CO2 -Äquivalent-Emissionen der Lebenszyklusphase Bau und Ent-
sorgung nach verschiedenen Bauteilen der Wärmepumpenheizung für die Versorgungsaufgaben
EFH IV (links) und MFH IV (rechts) versorgt durch erdgekoppelte Elektrowärmepumpen (oben)
und durch mit Erdgas betriebene Sorptions-Luftwärmepumpen (unten)
Herstellung Die industrielle Herstellung der Wärmepumpe ist mit den in der Maschinen-
bauindustrie heute üblichen Umwelteffekten verbunden, die sich zwischenzeitlich infolge
der z. T. weitgehenden gesetzlichen Vorgaben auf einem vergleichsweise geringen Niveau
und innerhalb der vom Gesetzgeber vorgegebenen Grenzen bewegen (müssen). Gleiches
gilt sinngemäß auch für die anderen bautechnischen, energietechnischen und elektro-
technischen Komponenten; zumindest in der EU sind die Grenzen der vom Gesetzgeber
tolerierten Umweltauswirkungen der produzierenden Industrie i. Allg. gering.
Die Umweltwirkungen bei der Installation einer Wärmepumpenanlage zur Nutzung der
Umgebungswärme konzentrieren sich bei der Nutzung von Wasser als Wärmequelle sowie
bei Erdwärmesonden auf das Einbringen der Bohrungen. Mögliche Umweltwirkungen bei
Bohrarbeiten sind Schadstoffeinträge in den Untergrund durch Bohrgerät, Bohrgestänge
und Zubehör sowie chemisch-biologische Veränderungen durch Spülungszusätze. Solche
Schadstoffeinträge lassen sich aber durch eine Einhaltung der entsprechenden Vorsichts-
maßnahmen (DIN EN ISO 22475-1:2007-01) zur Verhinderung von Kontaminationen,
bakteriologischen Verunreinigungen bzw. chemisch / biologischen Veränderungen im Un-
tergrund u. ä. sowie ein angepasstes Bohrverfahren weitgehend verhindern oder zumindest
minimieren; zusätzlich müssen die entsprechenden Grundwasserschutz-relevanten Vor-
schriften sicher eingehalten werden [8.12]. Des Weiteren kann es zu Lärmeinwirkungen
kommen, die sich jedoch bei Einhaltung der TA Lärm in den gesetzlich vorgegebenen
Grenzen bewegen.
Hinzu kommt, dass bei einer unsachgemäßen Durchteufung des Untergrunds eine Ver-
bindung zwischen unterschiedlichen Bodenschichten – und damit beispielsweise potenziell
zwischen Grundwasserleitern mit einer unterschiedlichen Wasserqualität – geschaffen wer-
den kann. Dies kann u. a. zu einem hydraulischen Kurzschluss verschiedener Grundwasser-
leiter führen (siehe unten), der aber bei der sachgemäßen Komplettierung der Sonde nach
dem Stand der Technik wieder sicher geschlossen werden kann. Auch kann es zu einer Ver-
bindung von wasserführenden Schichten und solchen Schichten kommen, die bisher vom
Grundwasser völlig abgetrennt waren. Ein Mineral, das in solchen Schichten beispielsweise
vorkommen kann, ist Anhydrit (d. h. wasserfreier, dehydrierter Gips). Wird dieses Mine-
ral mit Wasser versetzt, bindet es dieses Wasser chemisch im Mineral; d. h. es lagert bzw.
„baut“ Wasser in seine Kristallstruktur ein. Dadurch nimmt das Volumen des Anhydrids zu
(d. h. es kommt zur Quellung). Werden beispielsweise durch eine unsachgemäße Bohrung
– bei entsprechenden Untergrundverhältnissen – unterirdische Fließwege für Grundwasser
hin zu derartigen bisher völlig trockenen Bodenschichten, die beispielsweise signifikante
Anteile an Anhydrit enthalten, geschaffen, kann diese Quellung weiträumig vonstatten ge-
hen; damit kann die Volumenzunahme ggf. bis an die Tagesoberfläche übertragen werden
und sich dort in einer punktuellen oder auch z. T. flächigen Hebung bemerkbar machen. Da-
durch wird die Erdoberfläche bezogen auf den unbeeinflussten Zustand deformiert. Passiert
dies in bebauten Gebieten (Siedlungsgebieten, Innenstadtbereich), entstehen durch diese
Hebungen des Untergrunds an den dort vorhandenen Häusern Risse. Derartige Effekte kön-
nen durch eine fachmännische Niederbringung einer Erdwärmesonde nach dem Stand der
Technik aber sicher vermieden werden.
778 M. Kaltschmitt et al.
Die Installation der Wärmepumpenanlage selbst ist prinzipiell mit keinen anderen als
den normalerweise auch bei der Montage einer konventionellen Heizung auftreten Um-
weltbelastungen verbunden. Gefährdungsmomente, die früher durch die ozonschädigende
Wirkung des Kältemittels z. B. bei der Befüllung bestanden, sind nach dem Verbot dieser
Kältemittel weggefallen; ist das Kältemittel noch durch ein Treibhauspotenzial gekenn-
zeichnet, ist jedoch eine potenzielle Gefährdung des Klimas nicht auszuschließen.
Thermische Auswirkungen auf Boden, Grundwasser und Atmosphäre Die Nutzung der im
Boden, im Grundwasser, in Oberflächengewässern oder in den bodennahen Atmosphären-
schichten enthaltenden Niedertemperaturwärme durch Wärmepumpen führt infolge des
Wärmeentzugs zu einer entsprechenden Abkühlung des jeweiligen Mediums.
Beispielsweise treten bei Erdwärmesondenanlagen Temperaturabsenkungen in bei-
spielsweise 2 m Abstand von der eigentlichen Sonde von bis zu 2 K auf [8.13]. Bei
korrekt dimensionierten Anlagen stellt sich langfristig aber ein thermisches Gleichge-
wicht im Untergrund ein; außerdem bleibt der Einfluss des Wärmeentzuges i. Allg. lokal
begrenzt. Weiterhin hat eine gemäßigte Abkühlung des Bodens keinen bekannten Ein-
fluss auf seine Struktur. Bei Eisbildung aufgrund übermäßigen Wärmeentzuges infolge
falsch ausgelegter Anlagen und nachfolgenden Tauens können sich jedoch die Strukturen
in feinkörnigen Böden (z. B. Ton) verändern; dies kann Absenkungen des Bodens um
die eingebrachten Erdwärmesonden zur Folge haben. Im Gegensatz dazu kann ein dau-
erhaftes Einfrieren des Bodens bei wesentlich zu klein ausgeführtem Erdreichvolumen
im Verhältnis zum Wärmeentzug zu einer Hebung des Erdreichs bis an die Oberfläche
führen. Da sich in den typischerweise genutzten Tiefen jedoch meist keine Lebewesen
und Pflanzenteile befinden, führt die Abkühlung aber zu keinen bekannten ökologischen
Beeinträchtigungen (sie kann aber technische Auswirkungen auf den Betrieb bzw. die
Betriebssicherheit der Wärmepumpenanlage haben). Außerdem ist der Einfluss der Tem-
peraturreduktion zur Erdoberfläche hin typischerweise vernachlässigbar klein und wird
von dem Wärmeeintrag aus der Sonneneinstrahlung i. Allg. deutlich überlagert. Ein ne-
gativer Einfluss auf das Grundwasser ist bei nach dem Stand der Technik realisierten
Anlagen nach dem heutigen Kenntnisstand ebenfalls auszuschließen.
Bei Erdwärmekollektoren kommt es zu einer gewissen Beeinflussung von Bodenfauna
und Vegetation. Der Umfang dieser Einwirkungen ist aber ebenfalls ganz wesentlich von
der Anlagenauslegung abhängig. Bei einer Unterdimensionierung der Kollektoren verrin-
gert sich – infolge eines übermäßigen Abkühlens des Bodens – das Aktivitätsniveau der
Bodenfauna (z. B. das der Regenwürmer) deutlich. Auch tritt dann eine merkliche Ver-
spätung der Vegetation und eine Verringerung von Ernten, Blütenumfang usw. ein [8.13].
Bei der immer anzustrebenden sachgemäßen Auslegung solcher Systeme sind aber der-
artige Wirkungen vergleichsweise gering; so wurde beispielsweise keine systematische
Änderung von bestimmten Käferpopulationen durch einen Wärmeentzug mit Wärmepum-
pen-gekoppelten Erdwärmekollektoren festgestellt. Außerdem wird im Sommer – eine
nachhaltige Systemauslegung unterstellt – das gleiche Temperaturniveau wie ohne Kol-
lektoren erreicht. Ein wesentlicher Einfluss auf das Grundwasser kann – aufgrund der
geringen Verlegetiefen – ebenfalls ausgeschlossen werden.
Ähnliches gilt auch für den Wärmeentzug aus der Atmosphäre. Hier ist jedoch – im
Vergleich zu einem Wärmeentzug aus dem Boden bzw. dem Grundwasser – der natür-
liche Austausch zwischen einzelnen, unterschiedlich warmen Luftpartien innerhalb der
oberflächennahen Atmosphärenschichten deutlich intensiver im Vergleich beispielsweise
zum Grundwasser, so dass ein möglicher Einfluss einer Abkühlung sich im Normalfall
unmittelbar bzw. sehr zeitnah wieder ausgleicht. Diesbezügliche negative Umwelteffek-
780 M. Kaltschmitt et al.
te sind deshalb bisher nicht bekannt geworden. Maximal können empfindliche Pflanzen,
die sich direkt in der Abluftzone des von der Wärmepumpe abgekühlten Luftstroms befin-
den, in ihrer Entwicklung aufgrund der hier gegebenen geringeren Temperaturen gehemmt
werden. Zudem wird die der Außenluft entzogene Heizwärme über das Haus – jedoch in
Abhängigkeit des jeweiligen Dämmstandards deutlich zeitverzögert – inklusive der Ener-
gie aus der Stromaufnahme wieder als Wärme an die Umgebungsluft abgegeben.
Durch Kultureinflüsse ist die Temperatur des Bodens, des Grundwassers oder auch
der bodennahen Atmosphärenschichten vielerorts angestiegen, so dass eine entsprechen-
de Abkühlung auch einen positiven Effekt darstellen kann. Bisher sind jedenfalls noch
keine signifikanten negativen Aspekte einer Abkühlung von Boden, Grundwasser oder
der bodennahen Atmosphärenschichten durch Wärmepumpenanlagen bekannt geworden.
einen Einbau von Sperren lässt sich eine mögliche Gefährdung des Grundwassers jedoch
weitgehend verhindern; dies ist auch Stand der Technik und in den einschlägigen Regel-
werken klar geregelt.
Unfälle an der Gesamtanlage verhindern bzw. deren Auswirkungen auf den Menschen
und die Umwelt minimieren.
Zusätzlich können Umweltbelastungen für Boden und Grundwasser im Störfall durch
Schmiermittel hervorgerufen werden. Durch den Einsatz von entsprechenden Spezialölen
lassen sich durch deren geringe Wassergefährdung und deren gute biologische Abbau-
barkeit jedoch auch derartige Umweltgefahren weitgehend minimiert werden. Das spielt
besonders im Zusammenhang mit Direktverdampfungs-Systemen eine Rolle, da dort grö-
ßere Mengen Öl zum Einsatz kommen.
Zusammengenommen sind damit auch im Störfall die potenziellen Umweltauswirkun-
gen in Bezug auf das absolute Schadensausmaß begrenzt; außerdem kommen sie zudem
nur am Anlagenstandort – und damit nur lokal – zum Tragen.
8.4.1 Potenziale
Oberflächennahe Erdwärme Für die Abschätzung des theoretischen Potenzials der ober-
flächennahen Erdwärmenutzung auf Basis von Erdwärmesonden wird hier vereinfacht
eine Sondentiefe von 100 m angenommen sowie eine durchschnittliche spezifische Wär-
meentzugsleistung von 40 W/m und ein Sondenabstand von 12 m unterstellt; daraus lässt
sich ein Flächenbedarf pro Sonde von 141 m2 abschätzen. Für die gesamte Gebietsfläche
der Bundesrepublik Deutschland von 357 582 km2 ergibt sich daraus ein theoretisches Po-
tenzial von rund 320 EJ/a (d. h. an Wärme, die dem Untergrund theoretisch entziehbar ist).
Mit einer unterstellten theoretisch ggf. erreichbaren Jahresarbeitszahl von 5 von erdgekop-
pelten Wärmepumpenanlagen errechnet sich daraus eine bereitstellbare Nutzenergie von
rund 400 EJ/a.
784 M. Kaltschmitt et al.
Oberflächennahe Erdwärme Sind nur Flächen, die in der Nähe potenzieller Verbraucher
liegen, nutzbar und sind diese durch die Gebäude- und ihnen zugeordneten Freiflächen be-
schreibbar, lassen sich die aus technischer Sicht mit Wärmepumpensystemen zur Nutzung
der oberflächennahen Erdwärme nutzbaren Gebietsflächen sinnvoll eingrenzen. Zusätz-
lich können aufgrund der vorhandenen Gebäudestrukturen und sonstiger Restriktionen
nur ein kleinerer Teil der vorhandenen Gebäude- und Freiflächen auch technisch sinn-
voll genutzt werden; hier wird ein Nutzungsanteil von etwa 40 % unterstellt. Dabei wird
u. a. berücksichtigt, dass eine Nutzung der oberflächennahen Wärme in Gebieten mit sehr
hoher Bebauungsdichte (z. B. im Innenstadtbereich) nicht oder nur mit Einschränkungen
möglich ist. Außerdem können Sonden zur Nutzung der oberflächennahen Erdwärme ggf.
nicht bei jeder Bodenstruktur ohne weiteres abgeteuft werden (z. B. felsiger Untergrund).
Grundwasserschutzgebiete, in denen eine Nutzung aufgrund der gesetzlichen Vorgaben
eingeschränkt ist, reduzieren die verbleibende Fläche weiter. Damit ist näherungsweise
nur knapp ein Drittel der Gebäude- und Freiflächen in Deutschland für eine Nutzung der
oberflächennahen Erdwärme unter Berücksichtigung derartiger technischer und systemi-
scher (quasi-technischer) Restriktionen auch technisch verfügbar.
Außerdem kann eine lückenlose Erschließung dieser verbleibenden Flächen aufgrund
von sich im Untergrund befindlichen Infrastrukturelementen (u. a. Versorgungsleitungen
für Zu- und Abwasser, Gas, Strom, Kommunikation) und anderweitiger Nutzung (z. B.
Garten, Lagerhallen, Kellerräume) teilweise zu technischen Problemen führen. Aufgrund
derartiger Effekte wird hier vereinfachend unterstellt, dass von den verbleibenden Flächen
nur rund zwei Fünftel (40 %) auch tatsächlich technisch nutzbar sind.
8 Nutzung von Umgebungswärme 785
Damit ergibt sich ein nutzbares technisches Angebotspotenzial von 749 PJ/a bei den
Haushalten, von 492 PJ/a bei GHD (Gewerbe, Handel, Dienstleistungen) und bei der In-
dustrie von 205 PJ/a. Insgesamt beträgt unter den getroffenen Annahmen das gesamte
technische Angebotspotenzial der oberflächennahen Erdwärme rund 1 446 PJ/a. Wird die-
ses technische Erzeugungspotenzial aller Nutzungsarten durch Wärmepumpenanlagen mit
einer durchschnittlichen Jahresarbeitszahl von 4 erschlossen, lässt sich daraus eine Nutz-
wärme von insgesamt rund 1 928 PJ/a (d. h. Nutzenergie) bereitstellen.
Tabelle 8.15 Endenergienachfrage der Sektoren Haushalte, GHD (Gewerbe, Handel, Dienstleis-
tungen) und Industrie im Jahre 2017 und der davon theoretisch durch Wärmepumpen (WP) deckbare
Anteil (d. h. primär Niedertemperaturwärme) [8.15]
Verbrauchssektor Nutzenergieform Endenergienachfrage Mittels WP-Systemen
in PJ/a deckbarer Anteil
in PJ/a
Private Haushalte Raumwärme 1 601 1 601
Trinkwarmwasser 358 358
sonstige Prozesswärme 142 70
GHD Raumwärme 674 674
Trinkwarmwasser 68 68
sonstige Prozesswärme 101 56
Industrie Raumwärme 153 153
Trinkwarmwasser 17 17
sonstige Prozesswärme 1 795 358
Summe 4 909 3 355
786 M. Kaltschmitt et al.
Umgebungsluft Obwohl die Verfügbarkeit der Umgebungsluft in der Regel nicht be-
schränkt ist, stehen einer vollständigen Deckung des gesamten Nachfragepotenzials eine
Reihe von Restriktionen entgegen. Zur Abschätzung der entsprechenden Potenziale wird
deshalb hier zwischen dezentralen und zentralen Systemen unterschieden.
Dezentrale Anlagen sind in den Räumen von Gebäuden installiert und können als
Wand-, Decken-, Truhen-, Kanal- oder Schrankgeräte ausgeführt sein. Sie sind meist
als Luft-Luft-Geräte konzipiert. Der Einsatz derartiger Anlagen ist aus technischer
Sicht nicht bzw. kaum beschränkt. Begrenzungen können sich jedoch aus baulichen
oder rechtlichen Gründen ergeben; z. B. lassen sich Umgebungsluft-Wärmeübertrager
nicht überall anbringen (u. a. Denkmalschutz). Kann nur in 85 % aller Fälle Raum-
wärme durch derartige Geräte bereitgestellt werden, resultiert daraus ein technisches
Nachfragepotenzial an Nutzenergie bei den Haushalten von 1 361 PJ/a, beim GHD von
573 PJ/a und in der Industrie von 130 PJ/a; dies entspricht bei einer Arbeitszahl von
3,3 (monovalenter Betrieb) einer aus der Umgebungsluft entzogenen (regenerativen)
Wärme von 1 439 PJ/a.
Zentrale Wärmepumpenanlagen, welche die Umgebungsluft nutzen, können als Kom-
paktgeräte für die Innen- oder Außenaufstellung sowie als Splitgeräte ausgeführt wer-
den. Voraussetzung dafür ist ein geeignetes Wärmeverteilungsnetz im Gebäude. Im
Haushaltssektor werden rund 17 % der Wohnflächen durch Ein- und Mehrraumöfen
oder Etagenheizungen beheizt. Da in solchen Gebäuden i. Allg. kein Wärmeverteilnetz
existiert, reduziert sich die durch zentrale Wärmepumpenanlagen deckbare Nutzwärme
(d. h. Raumwärme, Trinkwarmwasser, sonstige Prozesswärme) auf 1 684 PJ/a. Auch
wurde etwa die Hälfte des Bestands der nicht einzelbeheizten Wohnflächen vor 1970
erbaut; in diesen Gebäuden wird die Heizungsanlage oftmals mit Vorlauftemperaturen
von 70 bis 90 ı C betrieben. Da im Haushaltssektor aufgrund des geringen Leistungs-
bedarfs fast ausschließlich Elektrowärmepumpen eingesetzt werden, diese jedoch nur
Wärme bis maximal etwa 65 ı C bereitstellen können, muss deshalb für die vor 1970
erstellten Gebäude ein bivalenter Betrieb (Arbeitszahl 3,5) unterstellt werden; hier
wird von einem Deckungsanteil der Wärmepumpe an der gesamten Wärmenachfrage
von 70 % ausgegangen. Für die andere Hälfte der Wohnflächen wird ein monova-
lenter Wärmepumpenbetrieb (Arbeitszahl 3) unterstellt. Daraus ergibt sich für den
Haushaltssektor ein Nachfragepotenzial an Nutzenergie, die mittels Wärmepumpen-
systemen deckbar ist, von rund 1 431 PJ/a; dies entspricht einer der Umgebungsluft
entziehbaren Wärme von 982 PJ/a. Im GHD- und Industriesektor werden die Gebäude
vorwiegend zentralbeheizt; aufgrund der durchschnittlich größeren Wärmenachfrage
der Einzelobjekte wird hier eine Versorgung mit gas- oder dieselmotorisch betriebe-
nen Wärmepumpen unterstellt. Durch derartige Anlagen kann wegen der im Vergleich
zu Elektrowärmepumpen deutlich höheren möglichen Vorlauftemperaturen die gesam-
te theoretisch deckbare Nutzenergienachfrage (d. h. Raumwärme, Trinkwarmwasser,
sonstige Prozesswärme) in diesen Sektoren von 1 326 PJ/a gedeckt werden; dies ent-
spricht bei einer Heizzahl von 1,4 einer der Umgebungsluft entzogenen Wärme von
8 Nutzung von Umgebungswärme 787
379 PJ/a. Sind zusätzlich aufgrund baulicher, administrativer und sonstiger Restriktio-
nen nur rund 85 % dieses Potenzials bei den Haushalten, bei GHD (Gewerbe, Handel,
Dienstleistungen) und bei der Industrie erschließbar, errechnet sich ein gesamtes tech-
nisches Nachfragepotenzial an Nutzenergie durch zentrale Wärmepumpenanlagen von
2 343 PJ/a (d. h. 1 157 PJ/a aus der Umgebungsluft).
8.4.2 Nutzung
Die oberflächennahe Erdwärme wird bereits seit vielen Jahren primär in den Industrie-
staaten der westlichen Welt genutzt. Nachfolgend wird diese Nutzung im globalen, im
europäischen und im deutschen bzw. österreichischen Kontext diskutiert [8.16, 8.17].
8.4.2.1 Welt
Ende 2018 wurden weltweit geschätzte 4,8 Mio. erdgekoppelte Wärmepumpen mit ei-
ner thermischen Leistung von rund 58 GW betrieben. Die Nutzwärmebereitstellung lag
788 M. Kaltschmitt et al.
bei rund 376 PJ (2018) [8.16]. Diese Option zur Nutzung regenerativer Energien – und
damit von Niedertemperaturwärme aus dem oberflächennahen Erdreich und aus der Um-
gebungsluft – wurde in den USA (19,5 GW, 82 PJ (2018)) und China (14 GW, 123 PJ
(2018)) am meisten genutzt. Wegen der unterschiedlichen Betriebsweisen derartiger Wär-
mepumpenanlagen ist in den USA eine signifikant höhere thermische Leistung im Ver-
gleich beispielsweise zum chinesischen Markt installiert; trotzdem wird dort aber weniger
Nutzwärme bereitgestellt. Diese unterschiedlichen Betriebsweisen resultieren aus der Art
der bereitgestellten Energie. So werden in großen Teilen der USA Wärmepumpen zur
Kühlung eingesetzt; die Wärmebereitstellung hat hier nur eine untergeordnete Bedeu-
tung. Die entsprechenden Wärmepumpenanlagen sind dann für eine Wärmebereitstellung
deutlich überdimensioniert – und das führt dann wiederum zu deutlich geringeren Voll-
laststunden (USA: 2 000 h/a; Kapazitätsfaktor 0,23) im Vergleich zu einem „klassischen“
Heizbetrieb. Demgegenüber werden in China und in Europa Wärmepumpenanlagen pri-
mär zur Deckung der Wärmegrundlast ausgelegt; derart konzipierte Aggregate erreichen
deshalb oft signifikant höhere Volllaststunden als in den USA (Europa: 6 000 h/a, Kapazi-
tätsfaktor 0,68).
8.4.2.3 Deutschland
Ende 2018 waren in Deutschland rund 925 000 Heizungswärmepumpen im Einsatz
(Abb. 8.55). Bei einem geschätzten Energieeinsatz von 72 PJ (2018) aus Strom und Um-
gebungswärme wurden zusammengenommen rund 48 PJ (2018) an regenerativer Wärme
aus oberflächennaher Erdwärme (einschließlich Grund- und Oberflächenwasser) und aus
Umgebungsluft bereitgestellt [8.17].
8 Nutzung von Umgebungswärme 789
Abb. 8.54 Luft- und erdgekoppelte Wärmepumpenanlagen in der EU (Stand 2018) [8.32]
1100 14
jährlich neu installierte Anlagen
1000 Gesamtanzahl der Anlagen
jährliche Wärmeerzeugung 12
900
Anzahl der Anlagen in Tausend
Wärmebereitstellung in PJ/a
800 10
700
8
600
500
6
400
300 4
200
2
100
0 0
2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018
Dabei zeichnet sich in den letzten Jahren im Segment der Heizungswärmepumpen ein
deutlicher Zuwachs an Wärmepumpensystemen ab, die Umgebungsluft als regenerative
Energiequelle nutzen; hier wurden beispielsweise 2018 in Summe rund 60 500 Anlagen
verbaut. Dabei handelte es sich überwiegend um Splitgeräte. Demgegenüber nehmen die
Absatzzahlen erdgekoppelter Systeme nur sehr moderat zu. Insgesamt wurde damit der
Wärmepumpenmarkt in Deutschland klar durch luftgekoppelte Systeme dominiert; bei-
spielsweise lag der Anteil der Neuinstallationen 2018 bei rund 72 %.
Weiterhin waren Ende 2018 rund 189 000 Anlagen zur ausschließlichen Brauchwarm-
wasserbereitstellung im Einsatz, mit denen ca. 2,4 PJ (2018) an Nutzwärme bereitgestellt
wurden; der Beitrag der dadurch genutzten erneuerbaren Umgebungswärme lag bei ge-
schätzten knapp 1,4 PJ [8.17].
8.4.2.4 Österreich
Ende 2018 waren in Österreich rund 304 000 Wärmepumpen für Brauchwasser, Heizung,
Wohnraumlüftung und Industrie im Einsatz (Abb. 8.56). Hierbei wurden 7,6 PJ Strom und
21,6 PJ (2018) an regenerativer Wärme aus oberflächennaher Erdwärme (einschließlich
Grund- und Oberflächenwasser) und aus Umgebungsluft eingesetzt [8.27]. Primärener-
getisch wurden hierbei bei einem österreichischen Strom Primärenergiefaktor von 1,63
[8.28] und 0 für Umgebungswärme 12,4 PJ (2018) genutzt.
Dabei zeichnet sich in den letzten Jahren im Segment der Heizungswärmepumpen ein
deutlicher Zuwachs der Luft-Wasser-Wärmepumpen ab; hier wurden beispielsweise 2018
in Summe 14 862 Anlagen verbaut. Demgegenüber nehmen die Absatzzahlen erdgekop-
pelter Systeme nur sehr moderat zu. Insgesamt wurde damit der Wärmepumpenmarkt in
Österreich – ähnlich wie in Deutschland – klar durch luftgekoppelte Systeme dominiert;
beispielsweise lag der Anteil der Neuinstallationen 2018 bei rund 72 %.
Weiterhin waren Ende 2018 rund 89 000 Anlagen zur ausschließlichen Brauchwarm-
wasserbereitstellung im Einsatz, mit denen ca. 1,6 PJ (2018) an Nutzwärme bereitgestellt
wurden; der Anteil der dadurch genutzten erneuerbaren Umgebungswärme lag bei ge-
schätzten knapp 1,1 PJ [8.16].
350
jährlich neu installierte Anlagen
Anzahl der Anlagen in 1000
300
Gesamtanzahl der Anlagen
250
200
150
100
50
0
2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018
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Nutzung tiefer geothermischer Systeme
9
Sebastian Janczik, Martin Kaltschmitt, Ben Norden und Lucas Sens
Neben der Sonnenenergie und der aus der Massenanziehung und Bewegung von Him-
melskörpern resultierenden Energie zählt auch die im Erdinneren gespeicherte Wärme zu
den regenerativen Energiequellen. Diese geothermische Energie kann mit Hilfe offener
und geschlossener Systeme nutzbar gemacht werden.
Unter offenen Systemen sind Konzepte zu verstehen, mit denen die im tiefen Unter-
grund ggf. vorhandenen Tiefenwässer gefördert, als Energieträger genutzt (d. h. ab-
gekühlt) und anschließend wieder in den Untergrund verpresst werden (d. h. das im
Untergrund natürlicherweise vorhandene Tiefenwasser dient als Wärmeträgermedium
für den Transport der Erdwärme nach Übertage). Ist der Wassergehalt im Untergrund
zu gering für eine aus techno-ökonomischer Sicht ausreichende Förderung, kann auch
Oberflächenwasser in den Untergrund gepumpt und dort erwärmt werden, wenn ein
entsprechend großer Wärmeübertrager im Untergrund vorhanden ist; dabei vermischt
es sich mit den im tiefen Untergrund bereits vorhandenen Wässern. Anschließend wird
diese Mischung aus erwärmtem Oberflächen- und Tiefenwasser wieder nach Übertage
gefördert. Voraussetzung für ein derartiges Konzept ist, dass das geothermische Spei-
chergestein eine ausreichende Durchlässigkeit (Permeabilität) aufweist; dies muss ggf.
zuvor durch entsprechende technische Maßnahmen (z. B. Fracen) sichergestellt wer-
den. Charakteristisch für derartige Systeme ist immer, dass sie „offen“ sind bezüglich
des Untergrunds und damit das geförderte Geofluid im direkten Kontakt mit dem Ge-
stein bzw. den darin enthaltenen Poreninhaltsstoffen steht bzw. mit diesen identisch ist
(d. h. Stoffaustausch und Wärmeübertrag).
Autoren in alphabetischer Reihenfolge mit Beiträgen zum Kapitel; die Autorenzuordnung geht aus
den einzelnen Unterkapiteln hervor.
Sebastian Janczik, Bützow, Deutschland
Martin Kaltschmitt, Lucas Sens, Hamburg, Deutschland
Ben Norden, Potsdam, Deutschland
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 793
M. Kaltschmitt, W. Streicher, A. Wiese (Hrsg.), Erneuerbare Energien,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-61190-6_9
794 S. Janczik et al.
Als geschlossene Systeme werden Konzepte bezeichnet, bei denen von Übertage ein
Wärmeträgermedium (z. B. aufbereitetes Wasser (d. h. entionisiertes Wasser mit Kor-
rosionsinhibitoren, wie es beispielsweise auch in Fernwärmenetzen eingesetzt wird))
in einem geschlossenen Kreislauf durch die warmen oder heißen Gesteinsschichten
des tiefen Untergrunds geleitet wird, sich dabei erwärmt und dadurch diese thermische
Energie für eine übertägige technische Nutzung verfügbar macht. Hier kommt es im
Unterschied zu den offenen Systemen nicht zu einem unmittelbaren Kontakt zwischen
dem Wärmeträgermedium und dem Gestein (d. h. Wärmeträgermedium und Porenin-
haltsstoffe sind nicht identisch). Das eingesetzte Wärmeträgermedium dient nur zum
Transport der geothermischen Wärme und steht nicht im hydraulischen Kontakt mit den
im Untergrund ggf. vorhandenen Tiefenwässern (d. h. kein Stoffaustausch, sondern nur
ein Wärmeübertrag).
Damit kann bei geschlossenen Systemen konzeptbedingt nur der jeweils am Standort
zur Verfügung stehende geothermische Wärmestrom (er beträgt im Mittel für die Konti-
nente etwa 65 mW/m2 ; Kapitel 2.7) technisch nutzbar gemacht werden. Deshalb haben
derartige Systeme zur Nutzung geothermischer Energie i. Allg. nur sehr geringe thermi-
sche Leistungen in der Größenordnung von bis zu maximal 1 MW. Im Unterschied dazu
kann mit offenen Systemen zusätzlich zum geothermischen Wärmestrom die im Unter-
grund u. a. in den dort ggf. vorhandenen Poreninhaltsstoffen gespeicherte Wärme z. T.
nutzbar gemacht werden (d. h. zusätzlich zum geothermischen Wärmestrom kann – ver-
gleichbar zu einem bergmännischen Abbau von Rohstoffen – die im Untergrund gespei-
cherte Energie genutzt („abgebaut“) werden); daraus resultieren Systeme mit thermischen
Leistungen im oberen einstelligen und unteren zweistelligen MW-Bereich. Deshalb haben
offene im Vergleich zu geschlossenen Systemen bisher eine deutlich höhere Marktbedeu-
tung bei der Nutzung der tiefen Geothermie.
Ist die aus dem Untergrund entnommene Wärmemenge größer als die Wärmeneu-
bildungsrate (und das ist bei offenen Systemen sehr wahrscheinlich), kann sich nach
Betriebszeiten von mehreren Jahrzehnten an der Förderbohrung ein langsames Absin-
ken der Temperatur bemerkbar machen (dies gilt nicht bei geschlossenen Systemen, die
verfahrensbedingt – wenn sie nachhaltig betrieben werden – nur die terrestrische Wärme-
stromdichte nutzen (können) und damit auf Dauer (in der Theorie) die gleiche thermische
Leistung bringen). Die Nutzung geothermischer Wärmevorkommen mittels offener Sys-
teme ist daher – in menschlichen Zeiträumen betrachtet – nicht notwendigerweise regene-
rativ, da letztlich konzeptbedingt mehr Wärme aus dem Untergrund entnommen werden
kann (d. h. Wärme wird – bildlich gesprochen – ähnlich wie mineralische Rohstoffe „ab-
gebaut“) als natürlicherweise durch den geothermischen Wärmestrom nachfließt. Da sich
aber nach einer Einstellung des geothermischen Energieentzugs der abgekühlte Unter-
grund im Verlauf von Jahrhunderten bis Jahrtausenden durch den natürlichen Wärmestrom
aus dem Erdinnern thermisch zwingend regeneriert, wird auch die Nutzung der Energie
des tiefen Untergrunds mittels offener Systeme i. Allg. zu den regenerativen Energien ge-
zählt und als nachhaltig bezeichnet.
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 795
Bei der hydrothermalen Geothermie wird die geothermische Wärme dem tiefen Un-
tergrund primär zusammen mit dem in dem porösen und permeablen Tiefengestein
natürlicherweise enthaltenen heißen Fluid (z. B. flüssiges Wasser, Wasserdampf) ent-
nommen. Die hydrothermale Geothermienutzung funktioniert damit vom Grundsatz
her wie ein Thermalwasserbrunnen; dies gilt trotz der Tatsache, dass das (abgekühlte)
Tiefenfluid (d. h. nach der energetischen Nutzung) typischerweise erneut in den produ-
zierenden Horizont u. a. zur Druck- und Massenerhaltung injiziert wird. Entsprechend
dieser Definition zählt zur hydrothermalen Geothermie damit auch die Förderung von
trockenem heißen Dampf oder von Dampf-Wasser Gemischen (Nassdampf); eine sol-
che Förderung eines Hochenthalpiefluids ist aber in Mitteleuropa – mit ganz wenigen
Ausnahmen (Toskana / Italien) – aus geologischen Gründen kaum möglich.
Bei petrothermalen Systemen erfolgt die Nutzbarmachung der Erdwärme aus dem
tieferen Untergrund (nahezu) unabhängig von Wasser-führenden Horizonten. Die kon-
zeptionelle Idee ist hier eine (weitgehend) Standort-unabhängige Nutzbarmachung der
– in (nahezu) beliebig tiefen Gesteinsformationen mit z. T. geringer Porosität und ggf.
sehr kleiner Permeabilität vorhandenen – thermischen Energie. Dazu muss dieser Ge-
steinshorizont durch eine Stimulation (z. B. Fracen) aufgeschlossen und dadurch ein
technisch nutzbarer Wärmeübertrager im tiefen Untergrund geschaffen werden.
Als Oberbegriff, der vom Grundsatz her sowohl hydrothermale als auch petrotherma-
le Systeme umfasst, gewinnt der Ausdruck Enhanced Geothermal Systems (EGS) immer
mehr an Bedeutung. Darunter werden grundsätzlich – unabhängig von den Untergrundei-
genschaften – stimulierte geothermische Systeme verstanden. Da auch bei „klassischen“
hydrothermalen Systemen häufig in der einen oder anderen Form Stimulationsmaßnah-
men zur Verbesserung der förderbaren Tiefenwassermengen (d. h. der Schüttung) – und
damit der Wirtschaftlichkeit der entsprechenden Anlagen – realisiert werden, scheint sich
dieser Begriff sukzessive durchzusetzen.
Um die Nutzung geothermischer Energie sicher planen, nachhaltig gestalten und zugleich
kostengünstig durchführen zu können, müssen die physikalischen Grundlagen des Wär-
metransportes im Untergrund bekannt sein. Geothermische Anlagen, bei denen offene
Systeme umgesetzt werden, greifen, in welcher Form auch immer, in den Untergrund ein,
indem sie im Verlauf des Nutzungszeitraums physikalische Grundgrößen wie beispiels-
weise Temperatur oder Druck verändern. Diese Änderungen können dann im bewirtschaf-
796 S. Janczik et al.
Wärmeleitung erfolgt über frei vorhandene Valenzelektronen, die nur lose an den Ato-
men, aus denen die jeweiligen Gesteine bestehen, gebunden sind. Diese können ver-
gleichsweise leicht bewegt werden und dadurch kinetische Energie transportieren. Die-
se Art der Wärmeleitung wird Elektronenleitung genannt und ist z. B. in Metallen sehr
effektiv wirksam; dies erklärt deren hohe Wärmeleitfähigkeit. Diese Wärmeleitung ist
aber auch in Flüssigkeiten wirksam; sie ist hier jedoch lange nicht so effektiv.
Wärme wird auch über die Atome eines Festkörpers weitergeleitet. Die Atome befin-
den sich dabei in einer bestimmten Anordnung (Gittergeometrie), ohne jedoch in ihrer
Position völlig fixiert zu sein; mit zunehmender Temperatur bewegen sie sich immer
mehr (d. h. sie vibrieren). Dadurch wird ebenfalls Wärme übertragen.
Zusammengenommen stellt die konduktive Wärmeleitung somit eine diffusive Art des
Wärmetransportes dar, in der Moleküle (eines Festkörpers) die kinetische Energie über
die Kollision mit anderen Molekülen weiterleiten.
durch die dabei stattfindende Wärmeleitung übertragene Wärmeleistung kann mithilfe des
Fourier’schen Gesetzes beschrieben werden. Demnach verhält sich die Wärmeleistung QP
(d. h. der Wärmefluss pro Einheitsfläche und -zeit) an einem Punkt in einem Körper direkt
proportional zu dem vorhandenen Temperaturgradienten. Wird beispielsweise ein zylin-
drischer Körper betrachtet, der an seinen Enden die konstante Temperatur 1 (wärmeres
Ende) bzw. 2 (kälteres Ende) aufweist (1 > 2 ) und wird angenommen, dass entlang sei-
P
ner Länge keine seitlichen Verluste auftreten, ist der Nettobetrag des Wärmestroms (Q),
der innerhalb einer gewissen Zeit t den Körper passiert, direkt abhängig von der Tempera-
turdifferenz zwischen den Enden (1 2 ), der Querschnittsfläche des Zylinders (A), dem
betrachteten Zeitraum (t) und invers abhängig von der Länge des Körpers (x). Es gilt
Gleichung (9.1).
1 2
QP D A t (9.1)
x
H t D C (9.3)
Mit der spezifischen Wärmekapazität cp (d. h. der Wärmemenge, die benötigt wird, um
beispielsweise die Temperatur eines Einheitskörpers mit einer Einheitsmasse um eine Ein-
heitstemperatur zu erhöhen) lässt sich Gleichung (9.3) umformulieren zu Gleichung (9.4).
d
H D cp V (9.4)
dt
Dabei ist die Dichte und V das Volumen des betrachteten Körpers. Übertragen auf
eine geothermische Anwendung wird das Volumen V durch die Fläche des Körpers (A)
und seiner vertikalen Ausdehnung (der Tiefe z) beschrieben. Daraus folgt Gleichung (9.5).
H d
D cp z (9.5)
A dt
Die linke Seite der Gleichung (9.5) beschreibt dabei die Wärmeenergie pro Fläche und
damit den Wärmefluss. Betrachtet man nun nur einen sehr kleinen Teil des Körpers (z),
dessen Temperatur sich ändert, wird jeweils ein geringer Teil des Wärmeflusses (Q) P
absorbiert oder emittiert. Dann gilt Gleichung (9.6).
d QP d
D cp (9.6)
dz dt
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 799
d d 2
D (9.7)
dt cp p dz 2
In der Gleichung (9.7) stellt der Term (/(cp p)) die thermische Diffusivität des Kör-
pers dar. Dabei handelt es sich um eine physikalische Größe, welche die Schnelligkeit
kontrolliert, mit der sich die Wärme durch das betreffende Material ausbreitet. Da die
Temperatur sowohl von der Tiefe z als auch von der Zeit t abhängig ist, kann Gleichung
(9.7) als partielle Differentialgleichung geschrieben werden (Gleichung (9.8)).
@ @2
D 2 (9.8)
@t @z
Gleichung (9.8) wird in dieser Form häufig als Fourier-Gleichung (engl. heat-flow
equation) bezeichnet.
@ @2 AHP
D 2 C (9.9)
@t @z cp
Für den dreidimensionalen Fall kann Gleichung (9.9) in die anderen Raumrichtungen
erweitert werden. Diese Form dieser Gleichung wird auch als dreidimensionale Wärme-
gleichung oder Fourier-Biot-Gleichung bezeichnet. Daraus lassen sich je nach zutreffen-
der Situation die entsprechend gültigen Beziehungen ableiten; sie sind für den eindimen-
sionalen Fall in Tabelle 9.3 aufgeführt.
Der größte Anteil des Wärmetransports in der Erdkruste erfolgt über Konduktion. Bei
Kenntnis der thermischen Eigenschaften (der repräsentativen Wärmeleitfähigkeit und
der radiogenen Wärmeproduktion AHP ) sowie der entsprechenden Randbedingungen (z. B.
Jahresdurchschnittstemperatur 0 und der Wärmestromdichte an der Oberfläche qs ) wer-
z2 qs
D AHP Cz C 0 (9.12)
2
Konvektiver Wärmetransport Ein konvektiver Wärmetransport findet über die Bewe-
gung eines Mediums statt, das die thermische Energie mitführt. Beispielsweise können
Grundwasserströmungen (oder allgemeiner: sich bewegende Flüssigkeiten und Gase) fla-
chere, kältere Gesteinsschichten, die sie durchströmen, aufwärmen. Grundsätzlich kann
hierbei zwischen freier und erzwungener Konvektion unterschieden werden.
Bei der freien Konvektion bestimmt ein Temperaturunterschied die damit verbundenen
Dichteunterschiede.
Bei der erzwungenen Konvektion wird die Strömung durch einen dominanten Druck-
unterschied bestimmt.
Für die Bewertung und Nutzung geothermischer Energie ist neben der Kenntnis des vor-
herrschenden terrestrischen Wärmeflusses auch eine ausreichende Kenntnis der thermi-
schen und hydraulischen Gesteinseigenschaften von Nutzhorizont (Reservoir) und be-
nachbarter Tiefenhorizonte notwendig. Fragen, die dadurch beantwortet werden können,
sind u. a. wie gut die Wärme über die Tiefengesteine (Reservoir und umgebendes Gestein)
konduktiv an eine potenzielle Förderbohrung herangeführt und wie gut das Tiefenflu-
id (als Wärmeübertragermedium) aus dem geothermischen Reservoir gewonnen werden
kann. Daher sollten neben den thermischen Eigenschaften (u. a. Wärmeleitfähigkeit, Wär-
mekapazität, Wärmestromdichte, Temperaturgradienten) standortabhängig weitere Eigen-
schaften wie Dichte, Porosität, Durchlässigkeit, elektrische Leitfähigkeit, akustische Ei-
genschaften und der Speicherkoeffizient untersucht werden bzw. bekannt sein.
Die jeweiligen Gesteinseigenschaften werden bestimmt durch die entsprechende che-
mische Zusammensetzung des Festkörpers und seinem jeweiligen Anteil am Gestein, dem
entsprechenden Anteil und Inhalt (der Füllung) vorhandener Poren sowie den vorherr-
schenden physikalischen Randbedingungen. Wesentliche Gesteinseigenschaften können
wie folgt festgelegt werden.
Die Gesteinsdichte ist definiert als Masse pro gesamter Gesteinsvolumeneinheit (also
der Gesteinsmatrix mit Poren bzw. Porenfüllung) (Gesamtdichte). Beispielsweise wei-
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 803
sen Sandsteine je nach Porosität oftmals eine Gesteinsdichte von 2 100 bis 2 600 kg/m3
auf, während Kalksteine häufig dichter sind (2 300 bis 2 800 kg/m3 ).
Die Porosität eines Gesteins ist eng mit der Eigenschaft der Dichte verwandt. Dabei
werden mehrere Porositätsarten unterschieden; nachfolgend werden wesentliche Arten
definiert. Daneben werden weitere Porositäten (u. a. die Kluftporosität) unterschieden,
die aber einen jeweils anderen räumlichen Bezug haben.
– Die Gesamtporosität ist definiert als das Verhältnis von dem insgesamt in einem
Gestein vorhandenen Porenvolumen zu dem gesamten Gesteinsvolumen.
– Die effektive Porosität beschreibt nur das Verhältnis der miteinander verbundenen
Poren zum Gesamtvolumen.
– Die Totporosität umfasst nur die nicht verbundenen Poren (und damit den nicht
zugänglichen Porenraum) im Verhältnis zum Gesamtvolumen.
Die mit der Porosität verbundenen strukturellen Eigenschaften des Gesteins spielen
insbesondere für die Betrachtung möglicher Wechselwirkungen zwischen Gestein und
Tiefenfluid eine wesentliche Rolle.
– Die spezifische Oberfläche ist definiert als das Verhältnis zwischen der inneren
Oberfläche der Poren zu dem Matrixvolumen. Sie bestimmt die Reaktionsfläche für
mögliche chemische und elektrische Gesteinswechselwirkungen.
– Die am Festkörper wirkenden Oberflächenspannungen und -energien beeinflussen
u. a. das Rückhaltevermögen von Stoffen. Die Kapillardrücke an den Porendurch-
gängen haben beispielsweise einen starken Einfluss auf das frei verfügbare Wasser;
d. h. mit dieser Größe können z. B. Durchlässigkeiten abgeschätzt werden.
– Die Ionenaustauschkapazität beschreibt die Eigenschaft elektrisch geladener Ober-
flächen, Ionen binden zu können.
Die intrinsische Permeabilität ist unabhängig von den Fluideigenschaften und wird in
m2 oder in Darcy (1 D D 9;87 1013 m2 ) angegeben. Die Durchlässigkeit eines Ge-
steins wird über das Darcy-Gesetz definiert (Gleichung (9.14)). Dabei bedeuten QP das
absolute Abflussvolumen pro Zeit, A die Querschnittsfläche und h/l der hydrauli-
sche Gradient (d. h. das Verhältnis von Potenzialhöhen zur Durchflusslänge).
Q h
D kf (9.14)
A l
804 S. Janczik et al.
Der Koeffizient der Durchlässigkeit kf ist von den Poreneigenschaften des Gesteins
und den Fluideigenschaften der Poreninhaltsstoffe abhängig. Es gilt Gleichung (9.15).
K ist die intrinsische Permeabilität, Fl die Fluiddichte,
Fl die dynamische Viskosität
des Fluids und g die Erdbeschleunigung.
F l
kf D K g (9.15)
F l
Die Permeabilität natürlicher Gesteine deckt eine weite Bandbreite ab (Abb. 9.1). In
Abhängigkeit von den jeweiligen geologischen Standortbedingungen lässt sich für ein
Reservoir ein spezifischer individueller Zusammenhang zwischen Porosität und Permea-
bilität bestimmen. Dies ist von Vorteil, da die Bestimmung der Permeabilität mit deutlich
mehr Aufwand verbunden ist als die Abschätzung bzw. die Bestimmung der Porosität. In
sogenannten hydraulischen Tests (d. h. in Bohrungen durchgeführte Beobachtungen von
Förder- und / oder Injektionsraten und den dazugehörigen Absenkungen bzw. Wasserspie-
gelanstiegen) wird zunächst eine Durchlässigkeit bestimmt, die abhängig von der Dicke
des Aquifers (d. h. seiner Mächtigkeit h) ist. Diese Profildurchlässigkeit wird Transmis-
sivität T genannt. Ist ein Aquifer homogen aufgebaut, gilt T D kf h. Lassen sich im
Aquifer einzelne Zonen unterschiedlicher Mächtigkeit (hi ) und Durchlässigkeit (kf ;i ) un-
terscheiden, gilt Gleichung (9.16).
X
T D kf;i hi (9.16)
MAGMATITE &
METAMORPHITE
Ungeklüftet Geklüftet
Kalkstein
Sandstein
Tonstein
Ton
Lockergestein
Abb. 9.1 Permeabilitätsbereiche natürlicher Gesteine und einiger Reservoirtypen (verändert und
ergänzt nach [9.35])
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 805
Demnach verringert sich bei höherem absolutem hydrostatischem Druck der Speicher-
raum; d. h. der Speicherkoeffizient S wird niedriger. Und je kleiner S wird, desto größer
muss bei einer bestimmten Entnahmemenge die Fläche des Entnahmetrichters sein. Die
Speichereigenschaften können sich also dynamisch verändern. Dies hängt u. a. von der
Änderung des Spannungsfeldes z. B. durch große Entnahmemengen ab; u. a. auch deshalb
wird in der geothermischen Nutzung des tiefen Untergrunds mithilfe eines Dublettenbe-
triebs auf eine Druckhaltung im Untergrund geachtet.
SH
Sh Sh
SH SH Sh
Abb. 9.2 Orientierung von Hauptspannungsrichtungen und Wegsamkeiten in der Erdkruste (zur
Erklärung der Formelzeichen siehe Text)
sich dabei nach Art und Zusammensetzung der Tiefenwässer und der geplanten geother-
mischen Nutzung. Oftmals zeigen die (heißen) Tiefenwässer einen hohen Mineralstoff-
anteil und haben (auch aufgrund der in größeren Tiefen herrschenden höheren Drücke)
z. T. eine hohe Gassättigung. Die meisten physikalisch-chemischen Reaktionen von Tie-
fenwässern finden sehr schnell statt.
Ein wichtiger Aspekt zur Beschreibung von Fluiden ist das Reaktionsgleichgewicht.
Unter gegebenen Druck- und Temperaturbedingungen und der jeweiligen Konzentration
werden zwei Ionen C und D miteinander reagieren und die Ionen Y und Z erzeugen:
C C D • Y C Z. Die Lage dieser Gleichgewichtsreaktion (ob mehr Ausgangs- oder
Reaktionsprodukte vorliegen) wird durch die Gleichgewichtskonstante (Verhältnis der
Produkte zu den Edukten) beschrieben. Einen Sonderfall der Gleichgewichtskonstante für
feste Stoffe, die in einer wässrigen Lösung gelöst werden können, stellt die Löslichkeits-
konstante K L dar. Diese gibt die Konzentration einer gesättigten wässrigen Lösung (für
bestimmte Druck- und Temperaturbedingungen, meist für Laborbedingungen von 25 ı C
und 1,013 bar) an. Hohe Löslichkeitskonstanten bedeuten, dass es sich um ein leicht lösli-
ches Salz und niedrige Löslichkeitskonstanten, dass es sich um ein schwer lösliches Salz
handelt. Die Löslichkeitskonstanten werden dabei für eine Komponente (z. B. Karbonat,
CaCO3 • Ca2C C CO2 3 ) angegeben. Das Verhalten von derartigen Ein-Stoff-Kompo-
nentensystemen ist in der Regel gut untersucht und voraussagbar. In der Realität stellen
geothermische Fluide jedoch häufig komplexe Multi-Komponentensysteme dar, und das
Verhalten der einzelnen Stoffe unter den komplizierten, sich dynamisch ändernden physi-
kalisch-chemischen Rahmenbedingungen ist nicht immer stimmig vorhersehbar.
Zu einer geothermischen Fluidanalyse gehört daher zunächst die Ermittlung der grund-
sätzlichen Fluidparameter der Lagerstätte: Temperatur, Druck, Dichte, Viskosität, Kom-
pressibilität und Wärmeleitfähigkeit. Die Fluiddichte gibt dabei erste Hinweise auf die
mögliche Gesamtmineralisation, die über eine Bestimmung der Kationen und Anionen,
vorhandener dissoziierter Komponenten sowie des Gasgehaltes und der -zusammenset-
zung genauer bestimmt wird. Physikalisch-chemische Eigenschaften wie die elektrische
Leitfähigkeit oder der pH-Wert (Maß für den sauren bzw. basischen Charakter der wäss-
rigen Lösung) und das Redoxpotenzial (als Summe aller Redoxreaktionen innerhalb der
Lösung ein guter Indikator für Veränderungen) geben Hinweise auf die Stabilität von Ver-
bindungen. Ein wichtiger Indikator ist auch der Mineralsättigungsindex (SI). Dieser wird
bestimmt aus der Messung der Ionenkonzentration C und der Ionenaktivität a (die von
der Ionenkonzentration abhängig ist: a D f C mit f als dem Aktivitätskoeffizienten) und
dem daraus gebildeten Ionenaktivitätsprodukt IAP, das in Relation mit dem Löslichkeits-
produkt der Verbindung gesetzt wird (Gleichung (9.20)).
Bei hohen Salinitäten ist das Ionenaktivitätsprodukt (IAP) niedriger als das Löslich-
keitsprodukt (K L ). Ist der Mineralsättigungsindex SI kleiner als Null, dann geht die Ver-
bindung in Lösung. Beträgt der SI demgegenüber genau Null, befindet sich die Lösung
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 809
mit dem Mineral im Gleichgewicht. Und ist der SI größer als Null, kommt es zur Mine-
ralausfällung.
Die geochemische Charakterisierung hat dabei zum Ziel, mögliche Effekte von Än-
derungen der Druck- und Temperaturbedingungen auf die Stabilität der geothermischen
Anlagenkomponenten, wie den thermischen Fluidkreislauf und die Reinjektion von Flu-
iden sicherzustellen. Computerprogramme können helfen, den chemischen Zustand ei-
nes Thermalwassers mit dem theoretischen Gleichgewichtszustand zu vergleichen und
so möglicherweise zu erwartende unerwünschte Änderungen mit geeigneten Maßnah-
men begegnen zu können. Neben den natürlichen Komponenten gehören für eine sichere
Nutzung auch Untersuchungen zur Stabilität der Tiefenwässer und von möglichen elek-
trochemischen Wechselwirkungen dieser Wässer mit verbauten Komponenten wie Rohre,
Wärmeübertrager und Ventile.
Im Folgenden werden zunächst die wesentlichen Konzepte dargestellt, mit denen die
Energie des tiefen Untergrundes genutzt werden kann; dabei wird zwischen offenen und
geschlossenen Systemen unterschieden. Anschließend werden die Verfahren und Techno-
logien für den Speicheraufschluss (d. h. Bohrtechnik, Stimulation) und die der energeti-
schen Nutzbarmachung der Thermalwässer diskutiert.
Offene Systeme Bei offenen Systemen wird das Thermalwasser aus einem Speicherge-
stein / Speicherhorizont im Untergrund über mindestens eine Förderbohrung nach Über-
tage gefördert und in der Regel durch mindestens eine Verpress- oder Injektionsbohrung
wieder in die gleiche Gesteinsschicht / den gleichen geothermischen Horizont eingeleitet.
Das Wiedereinbringen der energetisch genutzten Thermalwässer in die (gleiche) Unter-
grundschicht ist i. Allg. notwendig, um die Druckverhältnisse im tiefen Untergrund zu
bewahren und die Massenbilanz nicht nachhaltig zu stören. Zudem können die geförder-
ten Thermalwässer sehr salz- bzw. mineralhaltig sein; unter diesen Bedingungen können
sie Übertage nicht oder nur mit einem entsprechend großen Aufwand entsorgt werden.
Besteht eine geothermische Energiewandlungsanlage aus jeweils einer Förder- und ei-
ner Injektionsbohrung, spricht man von einer Dublette (Abb. 9.3). Werden Kombinationen
aus zwei Förder- und einer Injektions- oder zwei Injektions- und einer Förderbohrung rea-
lisiert, wird dies als Triplette bezeichnet. Zusätzlich sind grundsätzlich auch noch größere
Systeme (z. B. zwei Förder- und zwei Injektionsbohrungen, sog. Bohrlochfelder) mög-
lich. Derartige größere Konzepte wurden in Deutschland aber bisher aus Kostengründen
(noch) nicht realisiert, sind aber bei den entsprechenden geologischen Bedingungen (d. h.
ausreichend große Aquiferspeicher oder aus techno-ökonomischer Sicht sinnvoll nutzba-
rer Gesteinsformationen) grundsätzlich umsetzbar.
810 S. Janczik et al.
Ob die dazu benötigten Bohrungen nahezu senkrecht von zwei Lokationen, wie in
Abb. 9.3 schematisch dargestellt, oder abgelenkt von einer Bohrlokation aus abgeteuft
werden, ist eine Frage der übertägigen logistischen Gegebenheiten und somit der Mi-
nimierung des ökonomischen Aufwandes und damit der Investitionen für die gesamte
geothermische Energieanlage; d. h. dies ist mit wenigen Ausnahmen keine grundlegende
konzeptionelle Frage. Werden z. B. die Förder- und Injektionsbohrung jeweils als Ablenk-
bohrungen von einer Lokation aus niedergebracht, kann die übertägige Trassenführung
auf ein Mindestmaß reduziert werden; dafür steigen unter diesen Bedingungen dann aber
die Bohrkosten.
Losgelöst davon ist die Frage zu beantworten, wie das geothermische System möglichst
optimal erschlossen werden kann, um bei den gegebenen geologischen Bedingungen eine
möglichst hohe Förderrate zu erreichen (z. B. direkte Speicherdurchteufung, Speichersti-
mulation, Horizontalbohrung im Speicher).
In der Regel nutzt eine Dublette (oder Triplette) den gleichen Gesteins- bzw. Spei-
cherhorizont im tiefen Untergrund. Wenn dies die geologischen Bedingungen zulassen
(u. a. entsprechende Gesteinsschichten sind vorhanden und es gibt keine Probleme mit
der Druckhaltung und der Erhaltung der Massenbilanz), sind aber auch Systeme denkbar,
welche aus einer Gesteinsschicht Thermalwässer fördern und in eine andere wieder inji-
zieren (Abb. 9.4, links). Bei einem derartigen Konzept kann dann theoretisch die Förder-
mit der Injektionsbohrung identisch sein; z. B. wird dann im inneren Teil einer derarti-
gen Sonde das Thermalwasser gefördert und im äußeren Ringraum wieder zurück in den
Untergrund verbracht (Abb. 9.4, Mitte). Derartige Zwei-Schicht-Konzepte wurden aber
bisher – zumindest in Deutschland – noch nicht realisiert.
Zusätzlich zu diesen Ein-Bohrloch-Konzepten sind auch solche in der Diskussion, bei
denen der Injektions- und Förderhorizont zwar in unterschiedlichen Tiefen lokalisiert ist,
beide Horizonte aber über eine künstlich geschaffene (und / oder ggf. natürlicherweise
vorhandene) Verbindung (d. h. einen Frac) miteinander verbunden sind (Abb. 9.4, rechts).
Beispielsweise kann dann in eine Schicht Wasser injiziert werden und aus einem anderen
Horizont das dann erwärmte Fluid gefördert werden. Ist die Aufschlussbohrung ausrei-
chend dimensioniert, kann das Verpressen und das Fördern zudem mit einer einzigen
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 811
Injektionsbohrung
Injektion Injektion
künstlich
geschaffener
Riss
Bohrung realisiert werden. Derartige innovative Konzepte sind aber noch in der Entwick-
lung und eine kommerzielle Umsetzung ist in den kommenden Jahren nicht zu erwarten.
3 – 5 km
10 – 15 km
Abb. 9.5 Möglichkeiten zur Erschließung des tiefen Untergrunds mittels geschlossener Systeme
(Durchflusssysteme (links) und Rezirkulationssysteme (rechts))
mittelbar (d. h. über die Verrohrung und die Zementation) mit dem Untergrund in Kon-
takt (deshalb: geschlossenes System). Auf der Mantelfläche der Bohrung nimmt es über
Wärmeleitung von Gebirge zu dem Wärmeträgermedium den natürlichen geothermi-
schen Wärmestrom auf und macht ihn dadurch technisch nutzbar.
Für eine Energiebereitstellung aus tiefer Geothermie müssen die in Frage kommenden
geothermischen Lagerstätten zunächst aufgesucht, erschlossen und für eine energetische
Nutzung verfügbar gemacht werden. Entsprechende Verfahren und die dabei genutzten
Techniken und Komponenten werden nachfolgend beschrieben (vgl. [9.2]).
9.2.1.1 Exploration
Ziel der Exploration ist es, ein möglichst detailliertes Wissen über die Struktur des tie-
fen Untergrunds zu erlangen, um einen vielversprechenden Standort für eine Anlage zur
Nutzung geothermischer Energie zu identifizieren.
In einem ersten Schritt werden hierzu zunächst Literaturrecherchen und bereits durch-
geführte Untersuchungen bzw. vorliegende Studien detailliert analysiert. Werden ausge-
hend davon erfolgversprechende Lokationen ermittelt, werden dann i. Allg. geophysikali-
sche Verfahren durchgeführt; derartige Methoden erlauben es, ein verlässliches Bild des
Aufbaus des Untergrundes zu erarbeiten.
Das „klassische“ geophysikalische Explorationsverfahren ist die Seismik. Bei diesem
Verfahren werden gezielt Schallwellen – z. B. über Rüttelfahrzeuge oder ggf. über lo-
kale Sprengungen – in den tieferen Untergrund eingeleitet. Diese Schallwellen werden
dann an den unterschiedlichen Gesteinsschichten, aus denen der Untergrund aufgebaut
ist, z. B. aufgrund einer unterschiedlichen mineralogischen Zusammensetzung, verschie-
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 813
denartig reflektiert. Die Übertage messbaren Schallreflektionen können dann entlang einer
beliebigen Messlinie mit im Boden verankerten Geophonen aufgezeichnet werden.
Für die Durchführung derartiger seismischer Messungen sind zunächst die benötigten
Genehmigungen (u. a. Bergamt, Straßenbehörden, Betretungserlaubnis der Grundbesit-
zer) einzuholen. Dann müssen u. a. die Linienführung und die einzelnen Messparameter
(Punktabstände, Aufnehmerkanäle usw.) anhand u. a. von Satellitenbildern, Karten und
Geländebegehungen genau festgelegt werden.
Nach der messtechnischen Erfassung der aus dem Untergrund zurückkommenden
Schallreflektionen erfolgt eine softwaregestützte Auswertung dieser Vielzahl an Mess-
werten. Auch müssen u. a. andere Schallereignisse herausgefiltert und eine entfernungs-
abhängige Korrektur der Messwerte vorgenommen werden. Die nach einer derartigen
Dateninterpretation erhaltenen Ergebnisse werden dann mit ggf. bereits vorhandenen
Daten des tiefen Untergrundes abgeglichen. Dadurch kann dann letztlich ein detailliertes
zwei- und in einem weiteren Schritt auch dreidimensionales Abbild des Aufbaus des
Untergrunds (d. h. Struktur- und Blockmodelle) erarbeitet werden.
Aufbauend auf einem derartigen Modell des Untergrunds können Gesteinsschichten
identifiziert werden, die aus Sicht einer geothermischen Nutzung potenziell vielverspre-
chend sind. Bei diesem Interpretationsprozess werden oftmals zusätzliche Daten und In-
formationen verwendet, die ggf. mit anderen geophysikalischen Verfahren (z. B. Mes-
sung des lokalen Magnetfeldes) erfasst wurden und / oder beispielsweise aus vorhandenen
Erdöl- oder Erdgasbohrungen (oder anderen Bohrungen) im näheren oder weiteren Um-
feld um die untersuchte Lokation bereits vorliegen. Das Ziel dieser Bemühungen ist es,
einen konkreten Standort zu identifizieren, der die geforderten geologischen Kenngrößen
(u. a. Temperatur, Porosität, Permeabilität, Poreninhaltsstoffe mit bestimmten Eigenschaf-
ten, Anschluss an eine Störungszone) für einen technisch sicheren und potenziell wirt-
schaftlichen Anlagenbetrieb bietet.
9.2.1.2 Tiefbohranlage
In der Regel werden geothermische Systeme mit den gleichen Techniken und Verfahren
erschlossen, wie dies auch bei der Erschließung von konventionellen Erdöl- und Erdgas-
vorkommen der Fall ist. Eine derartige Standard-Tiefbohranlage wird im Wesentlichen an
Hand der geplanten Endteufe (d. h. Endtiefe) sowie des Bohrlochenddurchmessers bzw.
die Abfolge der Bohrlochdurchmesser ausgelegt. Dabei wird der Bohrlochdurchmesser
typischerweise in Hinblick auf die später angestrebte Förderung der Thermalwassermenge
primär unter Kostenaspekten festgelegt. Ist das Bohrloch beispielsweise zu klein dimen-
sioniert, führt dies zu einer Einschränkung der späteren Produktionsrate, da dem auf-
wärtsströmenden Thermalwasser ein zu hoher Widerstand entgegengesetzt wird. Zu große
Bohrlochgeometrien sind dagegen oft sehr kostspielig und stellen damit ein entsprechend
hohes finanzielles Risiko dar.
Eine derartige Rotary-Bohranlage – und auch alle davon abgeleiteten Modifikationen
– ist mobil. Nach der Fertigstellung der Bohrung, Komplettierung und Umrüstung auf
814 S. Janczik et al.
den Förderbetrieb wird sie zu einer anderen Lokation transportiert. Die Wartungsarbeiten
während des Förderbetriebs werden dann über fahrbare Windeneinheiten durchgeführt.
Obwohl typischerweise eine für die Erbohrung von Erdöl oder Erdgas konzipierte
Bohranlage auch bei der Erschließung von Geothermievorkommen eingesetzt wird, kön-
nen die Anforderungen an die Bohrtechnik hier z. T. anders sein. Nachfolgend werden
einige dieser Unterschiede zum „klassischen“ Erbohren von Kohlenwasserstoffvorkom-
men diskutiert.
Außer bei Druckwassersystemen werden fast alle geothermischen Bohrungen bei ei-
nem vergleichsweise niedrigen Gebirgsdruck abgeteuft.
Die meisten geothermischen Bohrungen sind durch deutlich höhere Bohrlochtempera-
turen im Vergleich zu Erdöl- bzw. Erdgasbohrungen gekennzeichnet.
Die, mit dem Ziel der Geothermienutzung, zu erbohrenden Gesteine können erupti-
ven oder metamorphen Ursprungs sein; d. h. eine geothermische Bohrung wird nicht
zwingend in Sedimenten abgeteuft.
Im Bohrloch können mineralhaltige, aggressive Dämpfe und Flüssigkeiten vorhanden
sein, die originär aus dem Untergrund kommen.
Unabhängig davon erfolgt der Aufschluss eines geothermischen Systems häufig mit
dem Rotary-Bohrverfahren, welches durch die folgenden charakteristischen Eigenschaf-
ten gekennzeichnet ist.
Das Bohrwerkzeug (d. h. der Bohrmeißel) erfährt durch die Bohranlage eine kontinu-
ierliche Drehbewegung.
Das dafür benötigte Drehmoment wird übertägig mittels eines Drehtischs bzw. eines
Topdrives auf das Bohrgestänge und damit letztlich das Bohrwerkzeug übertragen.
Der Bohrstrang kann prinzipiell beliebig verlängert oder verkürzt werden. Er ist hohl,
damit in seinem Innern die Bohrspülung ins Bohrlochtiefste gepumpt werden kann.
Das Bohrwerkzeug bzw. der Bohrmeißel wird mit einem u. a. an die zu erbohrende
Formation und die Tiefe angepassten Druck an die Bohrlochsohle angepresst. Das dazu
erforderliche Gewicht wird durch Schwerstangen, die unmittelbar über dem Bohrwerk-
zeug angeordnet sind, aufgebracht.
Ein kontinuierlicher Spülstrom sorgt für den Abtransport des Bohrkleins von der Bohr-
lochsohle und für die Kühlung des Bohrwerkzeugs. Der Spülstrom wird dabei durch
das hohle Gestänge (d. h. den Bohrstrang) zum Bohrwerkzeug geleitet und steigt mit
Bohrklein beladen im Ringraum zwischen den Bohrstrang und dem Gebirge wieder
nach Übertage. Zusätzlich muss die Spülung u. a. eine Abdichtung der Bohrung gegen
das Gebirge (durch die Bildung eines Filterkuchens) und eine Reduzierung der Reibung
zwischen Bohrstrang und Gebirge sicherstellen.
dingungen zum Einsatz kommen können. So kann der Bohrmeißel auch über einen Bohr-
lochsohlenantrieb (z. B. Bohrturbine, Moineaumotor) angetrieben werden; dadurch kann
das Bohrloch deutlich einfacher im Hinblick auf die Einhaltung bestimmter Zielkoordina-
ten, wie sie insbesondere bei gerichteten / abgelenkten Bohrungen sicher einzuhalten sind,
ausgerichtet werden.
Nachfolgend werden die unterschiedlichen Komponenten, durch die eine Tiefbohran-
lage gekennzeichnet ist, dargestellt.
Bohrplatzerstellung und -einrichtung Als Ergebnis der seismischen und weiterer geo-
physikalischer Analysen wird zunächst eine Bohrlokation definiert und der Bohrplatz her-
gerichtet. Hierzu muss ein Anschluss an die vorhandene Infrastruktur (u. a. Zufahrtswege,
Versorgungsleitungen für Energie (primär Strom) sowie Zu- und Abwasser) sichergestellt
werden.
In der Regel umfasst der Bohrplatz eine standardisierte Flächengröße, die u. a. von der
Bohrtiefe und damit der Auslegung der Bohranlage definiert wird. Auf dieser Bohrplatz-
fläche muss der Untergrund durch Aushub und Aufschüttung einer etwa 30 cm mächtigen
Kiesschicht vorbereitet werden. Der sogenannte innere Bereich eines derartigen Bohrplat-
zes (d. h. Fundamentbereich der Bohranlage einschließlich des gefährdeten Bereichs für
Kontamination mit Treibstoffen, Ölen, Spülung, Lagerstättenwässer usw.) wird zusätzlich
meist mit Beton oder Bitumen versiegelt, um ein mögliches Eindringen kontaminierter
Fluide in den Untergrund sicher zu verhindern.
Auch die technischen Einrichtungen eines Bohrplatzes sind standardisiert und werden
i. Allg. um das Bohrloch so angeordnet, dass ein störungsfreier und effizienter Arbeits-
ablauf gewährleistet ist. Zu den Hauptkomponenten zählen die Bohranlage mit Unterbau
und Mast, das Lager für das Bohrgestänge mit Gestängetisch und -wagen sowie der (Die-
sel-)elektrische Antrieb (Abb. 9.6). Ein Großteil der Fläche nimmt der Spülungskreislauf
mit Konditioniertanks, Rücklauf- und Ansaugtank sowie die Bohrklein-Separationsein-
richtungen und die Vorratscontainer und -silos für chemische Spülungszusätze, Schwer-
spat, Zement u. a. ein.
Netz. Die Einrichtungen genügen den vier Grundoperationen beim Bohren: Heben, Dre-
hen, Spülen und Messen.
Nachfolgend werden die wesentlichen übertägigen Komponenten kurz dargestellt und
diskutiert.
Bohrmast Der Bohrmast dient u. a. dazu, den Bohrstrang im Verlauf der Bohrung zu fi-
xieren und bei einem Meißelaustausch zu „ziehen“; dazu befindet sich im Bohrmast ein
entsprechend dimensioniertes Hebesystem (siehe unten). Dazu werden heute Masthöhen
von bis zu 40 m bevorzugt. Sie erlauben es, bei einem Roundtrip (d. h. Ausbau des gesam-
ten Bohrgestänges, Austausch des Bohrmeißels, erneuter Einbau des gesamten Gestänges)
drei Bohrstangen mit je 9 m Länge in einem Stück zu „ziehen“, zu entschrauben und im
Turm abzustellen. Dadurch kann die für das Ein- und Ausbauen der Rohrtouren benötigte
Zeit im Vergleich zu einem Entschrauben jedes einzelnen Rohrstücks merklich reduziert
werden. Unter dem eigentlichen Bohrmast befindet sich ein Unterbau, dessen Höhe (12
bis 14 m) u. a. durch die Bauhöhe der Blow-Out-Preventer (BOP) Anlage bestimmt wird.
Drehtisch Der Drehtisch hat die Aufgabe, eine kontinuierliche Drehbewegung auf den
Bohrstrang zu übertragen und es gleichzeitig zu ermöglichen, dass der Bohrstrang dem
Bohrfortschritt folgen kann (d. h. der Bohrstrang muss sich trotz der Übertragung ei-
ner Drehbewegung vertikal bewegen können, damit der Bohrmeißel jederzeit auf dem
Bohrlochtiefsten aufliegen und damit dem Bohrfortschritt folgen kann). Diese deshalb rea-
lisierte formschlüssige Übertragung der Drehbewegung auf den Bohrstrang unter gleich-
zeitiger Ermöglichung eines vertikalen Vortriebs – und damit eines Bohrfortschritts – wird
realisiert durch die sogenannte Mitnehmer- oder Kellystange (d. h. Vier- oder Sechskant-
stange). Sie stellt die oberste Verbindung zwischen dem Bohrstrang und dem Drehtisch
dar (Abb. 9.6; siehe auch weiter unten). Damit ist der ohne Veränderungen am eigentlichen
Bohrstrang technisch mögliche Bohrfortschritt begrenzt auf die Länge dieser Mitnehmer-
818 S. Janczik et al.
oder Kellystange, die üblicherweise bei maximal 12 m liegt. Ist diese Länge abgebohrt,
muss der Bohrstrang um eine weitere Bohrstange verlängert werden und das Bohrloch
kann erneut um die Länge der Kellystange vertieft werden.
Um sicherzustellen, dass diese Aufgabe der Einbringung der Drehbewegung in den
Bohrstrang sicher erfüllt werden kann, müssen insbesondere beim Bohren im kristallinen
Grundgebirge – derartige Gesteinsformationen werden nur bei der Geothermie und nicht
beim Erbohren von Erdöl- oder Erdgaslagerstätten durchteuft – die Zahnräder, Ketten,
Wellen und Kupplungen auf hohe Belastungen durch starke Stöße und Drehmoment-
schwankungen ausgelegt sein. Unter diesen Bedingungen empfiehlt sich zur Absorption
der Meißelstöße und damit Dämpfung dieser Relativbewegungen zwischen Antrieb und
Drehtisch eine Flüssigkeitskupplung bzw. ein unabhängiger Drehtischantrieb.
Kraftdrehkopf (Topdrive-System) Außer über den Drehtisch und die Mitnehmer- bzw. Kel-
lystange kann der Bohrstrang auch über einen Kraftdrehkopf angetrieben werden. Dies ist
ein elektrisch oder hydraulisch angetriebener Motor, der in Kombination mit dem Bohrha-
ken an einer Lafette im Bohrmast montiert ist. Durch die Verbindung mit dem oberen Ende
des Bohrstranges wird es ermöglicht, die Drehbewegung des Stranges und die Vertikalbe-
wegung über die gesamte Fahrhöhe der Lafette zu kombinieren. Dies erlaubt ein deutlich
verbessertes bohrtechnisches Vorgehen insbesondere bei gebirgsbedingten Schwierigkei-
ten im Bohrloch. Üblicherweise umfasst eine derartige Lafette eine Länge von drei Bohr-
stangen (etwa 30 m), die dann „am Stück“ abgebohrt werden können (d. h. ohne eine Ver-
änderung am Bohrstrang vornehmen zu müssen). Damit sind moderne Anlagen mit Top-
drive-Antrieb in der Lage, Rotation und vertikale Bewegung in der maximalen Fahrhöhe
des Bohrmastes auszuführen. Im Vergleich zum „klassischen“ Rotary-Bohren mithilfe ei-
nes Drehtisches können damit die Rüstzeiten deutlich verkürzt und parallel dazu die Bohr-
zeiten erhöht werden; damit sind i. Allg. Kostenreduktionen verbunden.
Kreislauf beginnt erneut. Das anfallende Bohrklein wird von den Feststoffkontrollgeräten
direkt in geeignete Transport-Container übergeben oder nach einer Zwischenlagerung in
abgedichteten Betonbecken über Muldenkipper zur Entsorgung transportiert.
Der von den Spülungspumpen aufzubringende Pumpendruck wird in Abhängigkeit von
Durchmesser und Tiefe der Bohrung, dem Bohrkleinmaterial und den im Kreislauf auf-
tretenden Druckverlusten eingestellt. Hohe Leistungen werden den Pumpen besonders bei
einem großen Durchmesser der Bohrung und hohen Spülungstemperaturen abverlangt, da
dann hohe Volumenströme benötigt werden, damit die Temperatur begrenzt werden kann,
da viele Spülungen bei höheren Temperaturen die gewünschten Eigenschaften verlieren.
große Durchlässe für den Einbau von Casing-Touren mit großen Durchmessern,
hohe Volumenströme an Flüssigkeiten,
resistent gegen stark korrosive und abrasive Flüssigkeiten und
hohe Temperaturbeständigkeit gegen Spülung oder austretenden Dampf.
9.2.1.3 Bohrtechnik
Der Bohrlochsohlendruck und die Temperatur im Bohrloch beeinflussen die untertägige
Bohrlochausrüstung merklich; dies gilt insbesondere für
die Spülungseigenschaften,
die Hydratationszeit des Zementes,
die Expansion / Kontraktion jeglichen Stahls beim Bohren und Fördern,
die Lebensdauer von Bohrmeißeln und Down Hole Motoren und
die Einsetzbarkeit von Messgeräten und Sonderwerkzeugen.
Die Druck- und Temperatureinflüsse werden überlagert von möglichen Reaktionen des
durchbohrten Gesteinsmaterials. Abfolgen von Salz, Anhydrit und / oder Ton können sich
kriech- oder quellfähig verhalten und zu einer Verengung des Bohrlochs und zum Festset-
zen des Bohrstranges führen.
Als Bohrwerkzeug werden meist Dreikegel-Rollenmeißel und seltener Diamantbohr-
und Kernbohrwerkzeuge eingesetzt. Die Sicherung der gebohrten Strecke erfolgt ab-
schnittsweise durch Einbringen und Zementation von Futterrohren. Beide Aspekte werden
nachfolgend diskutiert. Unter bestimmten Bedingungen kann es sinnvoll sein, das Rotary-
Bohrverfahren z. B. durch den Einsatz von Bohrmotoren bzw. Bohrlochsolenantrieben zu
modifizieren. Dazu können entweder Turbinen (hydrodynamische Antriebe) oder Moi-
neaumotoren (hydrostatische Antriebe) eingesetzt werden. Auch die damit verbundenen
Möglichkeiten werden im Folgenden dargestellt.
achteckigen Querschnitt, die sich in axialer Richtung frei bewegen kann und durch den
Drehtisch der Rotary-Bohranlage formschlüssig in eine definierte Rotation versetzt wird.
Sie ist hohl, damit in Innern die Bohrspülung über den Spülkopf und den anschließenden
Bohrstrang bis zum Bohrmeißel gepumpt werden kann.
Während des Bohrvorganges werden zwischen dieser Mitnehmerstange und der obers-
ten Bohrstange weitere Bohrstangen nachgesetzt (Abb. 9.8). Dafür wird der Bohrprozess
unterbrochen und der Bohrstrang um die Länge der abgebohrten Stange angehoben.
Um den Bohrstrang unter Zugspannung halten und auf den Bohrmeißel eine definierte
Auflast geben zu können, sind im unteren Teil des Bohrstrangsystems (d. h. in der Nähe
des Bohrmeißels) besonders dickwandige Bohrstangen (sogenannte Schwerstangen) in-
stalliert (Abb. 9.8). Hier sind ebenfalls alle übrigen Bohrstrangelemente (u. a. Stabilisato-
ren, Räumer, Stoßdämpfer, Schlagschere, Mess- und Steuerelemente sowie ggf. Bohrloch-
sohlenantriebe) untergebracht. Stabilisatoren und Räumer sichern die Richtungsstabilität
des Bohrstranges. Weiterhin können eine unmagnetische Schwerstange zur Richtungskon-
822 S. Janczik et al.
trolle der Bohrung, ein Stoßdämpfer zur Dämpfung von Schlägen auf die Bohrstange und
eine Schlagschere, die helfen soll, einen eventuell festgesetzten Schwerstangenstrang zu
lösen, eingebaut werden. Stoßdämpfer und Schlagschere sind Spezialkonstruktionen, die
speziell auf die hohen Temperaturen bei Geothermalbohrungen angepasst werden müs-
sen [9.2].
bis zum Meißel gepumpt wird, strömt durch den Rollenmeißel hindurch und tritt in der Nä-
he der Bohrlochsohle in das Bohrloch aus. Dabei kühlt sie das Bohrwerkzeug (insbeson-
dere die einzelnen Meißelrollen; Abb. 9.9), schmiert es und transportiert das Bohrklein,
das durch den Meißelbetrieb von der Bohrlochsohle gelöst wurde, vom Bohrlochtiefsten
durch den Ringraum zwischen Bohrstrang und Bohrungswandung bzw. Verrohrung nach
Übertage. Die Einsatzgrenze der Rollenmeißel liegt in einem Temperaturbereich von 200
bis 250 ı C. Höhere Temperaturen bewirken einen sehr schnellen Verschleiß der Lager und
der Stahlzähne bzw. der Wolframkarbideinsätze. Die Rollen- und Kugellager der Kegel-
rollen werden entweder durch die direkt durchtretende Spülung geschmiert oder aber in
gekapselter Form zwangsgeschmiert.
Diamantbohrwerkzeuge können demgegenüber bis zu einer Temperatur von rund
500 ı C eingesetzt werden. Sie zeigen i. Allg. längere Standzeiten im Vergleich zu Rol-
lenmeißeln. Zusätzlich ermöglichen sie höhere Drehzahlen. Auch können sie an die zu
bohrende Formation u. a. durch die Form der Diamantmeißel, die Anordnung und den
Querschnitt der Wasserwege, den Überstand der Diamanten (Exposure) sowie die Quali-
tät und Größe der Diamanten angepasst werden. Der höhere Preis von Diamantmeißeln
im Vergleich zu Rollenmeißeln kann z. T. durch die Einsparung von Roundtrips (d. h. ein
Meißelwechsel einschließlich dem vollständigen Aus- und Einbau des Bohrgestänges)
ausgeglichen werden; dies gilt insbesondere bei zunehmenden Teufen, da dann die Kosten
für Roundtrips deutlich zunehmen.
Der polykristalline Diamantmeißel (PCD-Meißel) ist eine Weiterentwicklung der
„klassischen“ Diamantmeißel. Hier werden aus synthetischen Diamanten Plättchen in
großer Härte hergestellt und auf Hartmetallzylinder aufgelötet. PCD-Bohrmeißel sind für
den Einsatz in weichen oder mittelharten Gesteinen geeignet; sie halten Temperaturen
von bis zu 700 ı C stand.
Rotor
Antriebswelle Antriebswelle
Bohrturbinen In einer Bohrturbine sind mehrere Stufen von Leit- und Laufrädern hinter-
einandergeschaltet. Die Laufräder werden durch die hindurchtretende Spülung bewegt und
übertragen über eine Welle das Drehmoment auf das Bohrwerkzeug, während die Leiträ-
der am Turbinengehäuse fixiert sind (Abb. 9.10, links). Befestigt wird die Turbine am
Ende des Bohrgestänges; dieses sorgt für den notwendigen Bohrandruck. Aufgrund der
i. Allg. hohen Drehzahlen werden beim Turbinenbohren bevorzugt Diamantmeißel einge-
setzt. Der Einsatz von Bohrturbinen bei der tiefen Geothermie ist in den letzten Jahren
allerdings rückläufig.
Gerichtetes Bohren In den 1980er Jahren hat sich der steuerbare Meißeldirektantrieb
für gerichtetes Bohren und dabei zur Erstellung von Kurvensektionen, Tangenten und Ho-
rizontalen zum Bohrstandard entwickelt, da die Abteufung von Bohrungen mit langer
lateraler Reichweite mit der konventionellen Rotary-Bohrtechnik nicht umsetzbar ist.
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 825
besondere, wenn die Bohrung senkrecht zur Streichrichtung dieser Fließwege abgelenkt
wird. Man erhöht dadurch die Chance beträchtlich, hochergiebige Klüfte oder Karsthohl-
räume zu erbohren, und kann u. U. Produktivitätssteigerungen um eine Größenordnung
oder mehr gegenüber einer Vertikalbohrung erreichen.
Die Richtbohrtechnik kann auch als Sekundärmaßnahme nach dem Niederbringen und
dem erfolglosen Testen einer Vertikalbohrung eingesetzt werden. Die Vertikalbohrung
wird dazu i. Allg. im unteren Teil zementiert und meist aus der Verrohrung heraus seit-
lich abgelenkt.
Die konkreten Aufgaben der Bohrspülung werden durch das jeweilige Ziel der Boh-
rung und die Eigenschaften der zu durchlaufenden geologischen Formationen bestimmt;
deshalb ist auch die Spülungschemie auf den zu erwartenden geochemischen Charakter
des jeweils anzutreffenden Gesteins einzustellen. Auch können nicht in allen Fällen alle
genannten Forderungen maximal erfüllt werden.
Bei Temperaturen bis 150 ı C wird bei Tiefbohrungen beispielsweise eine Tonspülung
als Bentonit-Wasser-Suspension oder als selbstgehende Ton-Süßwasserspülung infolge
des Durchteufens tonhaltiger Formationen eingesetzt. Zusätze wie Kalium verhindern das
Aufquellen und Destabilisieren von quellfähigen Tonmineralen. Es wird meist in Form
von Kalisalz (KCl) oder Kaliumkarbonat (umgangssprachlich häufig Pottasche, K2 CO3 )
der Bohrspülung beigefügt.
Zur Verminderung von Korrosion werden Wärmeübertrager genutzt, welche die Belüf-
tung bzw. den Sauerstoffeintrag in die Spülung verringern.
Spülungsverlusten in zerklüfteten Horizonten wird je nach Ausmaß unterschiedlich
begegnet. Der Spülung können Quellstoffe (z. B. zermahlene Nussschalen, Cellophane,
Baumwolle, Holzspäne, Torf) beigegeben werden. Sobald derartige Additive die absor-
bierenden Schichten nicht schließen, wird eine Zementation im Niveau der undichten
Formation notwendig. Ist der zu durchbohrende Untergrund jedoch zu stark zerklüftet und
sind so die genannten Maßnahmen deshalb wirtschaftlich nicht mehr vertretbar, muss ohne
zurückkehrende Spülung gebohrt werden [9.4]. Dabei wird, solange eine niedrige Visko-
sität und Dichte ausreichen, Wasser eingesetzt; ansonsten muss bis zum Zielhorizont eine
kostenintensive Tonspülung und im Zielhorizont eine säuerbare (d. h. mit Marmormehl
versetzte) Spülung verwendet werden.
Bohrspülungen auf der Basis einer Bentonit-Wasser-Suspension erreichen beim
Durchteufen von elektrolytabgebenden Formationen (Gips, Salz) und insbesondere bei
steigenden Temperaturen einen instabilen Zustand (d. h. Ausflockung des Bentonits und
damit die Trennung der Spülung in eine flüssige und in eine feste Phase). Additive,
die einer solchen Ausflockung entgegenwirken und zusätzlich die Fließeigenschaf-
ten und den Wasserverlust günstig beeinflussen, sind Schutzkolloide wie z. B. Stärke
und Stärkederivate, Celluloseäther (z. B. Carboxymethylcellulose (CMC), Carboxy-
methylhydroxyethylcellulose (CMHEC), Biopolymere, Acrylat / Acrylamid-Polymere,
Vinylsulfonat / Vinylamid-Polymere). Beispielsweise haben Stärke und Stärkederivate
eine stabilisierende Wirkung bis ca. 120 ı C; danach werden sie wirkungslos. Carboxy-
methylcellulose (CMC) und Carboxymethylhydroxyethylcellulose (CMHEC) werden
demgegenüber erst bei Temperaturen von 140 bis 160 ı C wirksam.
Um ein Vergelen der Spülungen im Temperaturbereich über 150 ı C zu verhindern,
können obertägige Kühltürme oder andere Kühlaggregate zur Senkung der Spülungstem-
peratur installiert werden.
Bei hohen Bohrlochtemperaturen und elektrolytabgebenden Formationen werden auch
Sepiolith- und Attapulgit-Spülungen eingesetzt. Dabei handelt es sich um nicht quellfähi-
ge Salzwassertone, die bei hohen Temperaturen nicht ausflocken. Dann sind jedoch teure,
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 829
Verrohrung Die Verrohrung hat die Aufgabe, die Bohrlochwand zu stützen und da-
mit das Bohrloch zu stabilisieren, freie Bohrlochstrecken zu schützen, das Bohrloch ge-
gen flüssigkeitsführende Gesteinsschichten abzudichten, den Gesteinsnachfall zu verhin-
dern und den späteren Einbau von technischen Hilfsgeräten für die Förderung zu erleich-
tern. Dazu wird in die aufgeschlossene Bohrung ein Stahlrohr mit einem leicht kleineren
Durchmesser eingebracht (sogenannte Rohrtour), das aus unterschiedlichen Rohrstücken
zusammengeschraubt wird. Diese Rohrtour wird anschließend in das Gebirge zementiert.
Die Verrohrung kann entweder bis Übertage geführt und abgesetzt oder als sogenannter
Liner in einem bereits abgesetzten und zementierten Rohrstrang im Bohrloch eingehängt
werden. Die Durchmesser der einzelnen einzubauenden Rohrtouren, die teleskopartig in-
einandergreifen, werden durch den für die Erschließung des geothermischen Speicherho-
rizonts geforderten Enddurchmesser einer Bohrung bestimmt. Den einzelnen Rohrtouren
(Abb. 9.12) sind bestimmte Bezeichnungen zugeordnet.
Das Standrohr hat die Aufgabe, den oberen Teil des Bohrlochs zu stabilisieren und die
unterhalb der Erdoberfläche meist lockeren und verwitterten Schichten abzudecken.
Es wird bis in Tiefen von etwa 30 m und mehr eingebaut. Typischerweise wird diese
Rohrtour in den Untergrund gerammt.
Für eine zuverlässige Befestigungsmöglichkeit für die Sondenkopfarmaturen und den
Blow-Out-Preventer (BOP) wird danach die Leitrohr- oder Ankerrohrtour durch das
Standrohr eingebaut und im Gebirge mithilfe von Zement befestigt.
Die technische oder Zwischenrohrtour trennt Schichten mit vergleichbaren geologi-
schen Eigenschaften von solchen Bereichen, die abweichende Eigenschaften aufweisen
(z. B. Trennung von Süß- und Salzwasserhorizonten).
830 S. Janczik et al.
Zementation
2 180 m
Technische
Rohrtour
Zementation
3 726 m
Ringraum
Unverrohrtes
Bohrloch
4 393 m
Eine feste Verbindung der Verrohrung mit dem Gebirge wird durch ein gleichmäßiges
und lückenloses Einbringen von Zement zwischen der Verrohrung und der Bohrlochwand
(d. h. dem Gebirge) sichergestellt. Die Zementation isoliert außerdem durchlässige Forma-
tionen voneinander, um den Fluss zwischen diesen Formationen zu verhindern und nimmt
die axialen und radialen Lasten auf, die auf die Rohrtour wirken.
Komplettierung Unter der Komplettierung werden alle zur Instandhaltung und zur För-
derung benötigten technischen Installationen zusammengefasst (u. a. Förderrohrstrang,
Erschließungstechniken in der Lagerstätte).
Ein wesentlicher Teil der Komplettierung ist der Anschluss des Nutzhorizonts an das
Bohrloch. Hier kann zwischen der Open Hole und der Cased Hole Komplettierung un-
terschieden werden (Abb. 9.13). Ist der Nutzhorizont im Gebirge standfest, kann der
Speicherbereich unverrohrt bleiben (d. h. Open Hole Komplettierung). Ist das Gebirge
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 831
Speicher
Speicher
Bohrloch- Bohrloch-
wand wand
Filterkopfstück
Aufsatzrohr
Wickeldrahtfilter
unterschnittener
Bereich
Filterkiespackung
Filtersumpf
demgegenüber nicht standfest (z. B. der Nutzhorizont sandet ab), muss die Bohrung auch
im Speicherbereich verrohrt werden. Deshalb müssen anschließend durch die Bohrung er-
neut Fließwege geschaffen werden (d. h. Cased Hole Komplettierung). Bei der Schaffung
derartiger Fließwege in einer Cased Hole Komplettierung kann unterschieden werden zwi-
schen punktierten und schlitzförmigen Öffnungen im Speicherbereich (d. h. Loch- oder
Schlitzliner).
Beim Einbau eines Filterrohres mit Kiesschüttung, durch die ein weitergehender Aus-
trag von Feststoffen (z. B. Sand) aus dem Nutzhorizont verhindert werden soll, spricht
man von einer Gravel Pack Komplettierung (Abb. 9.14). Vor dem Einbau des Filterrohres
und dem Einbringen des Filterkieses wird dazu der Speicherbereich unterschnitten und
gereinigt.
832 S. Janczik et al.
nur von der Problemstellung ab, sondern wird wesentlich auch vom Grad der Kenntnis-
se über den Speicher bestimmt. Diese sind in der Planungsphase einer geothermischen
Anlage zunächst sehr begrenzt. Erst durch die Erschließung des Speichers und durch die
Auswertung der diskutierten Teste werden detailliertere Erkenntnisse gewonnen, die ent-
scheidenden Einfluss auf die Modellauswahl haben.
Geologische Störungen als signifikante Randbedingungen, Wechselwirkungen mit be-
nachbarten Aquiferen und Wechsellagerungen innerhalb des Aquifers erfordern eine de-
taillierte Modellierung, die nur noch durch eine örtliche Diskretisierung auf der Basis nu-
merischer Lösungsverfahren durchgeführt werden kann. Insbesondere zur Beschreibung
des Langzeitverhaltens sind kompliziertere Modelle unter Berücksichtigung komplexer
geologischer Verhältnisse von Bedeutung.
Die 3-D-Modelle CFEST (Coupled Flow, Energy and Solute Transport) [9.39],
PETREL [9.40] und TOUGH3 (Transport of Unsaturated Groundwater and Heat) [9.41]
haben sich dabei als geeignete Simulatoren für Geothermie-spezifische Probleme erwie-
sen, beispielsweise ist PETREL (oder näherungsweise vergleichbar dazu ECLIPSE) ein
Tool für die geologisch-seismische Modellierung, das nicht für Strömungssimulationen
oder thermische Berechnungen, wie die anderen hier gelisteten Softwarepakete, geeig-
net ist. Für Aufgabenstellungen bei einem geringen geologischen Kenntnisstand in der
Planungsphase bzw. bei homogener Schichtenausbreitung und Parameterverteilung sind
auch 2-D-Modelle verfügbar.
9.2.1.6 Stimulation
Werden in einem geothermischen Reservoir nicht die erwarteten Lagerstättenparameter
erreicht, kommen Techniken und Verfahren zum Einsatz, mit denen die Durchlässigkeit
(d. h. Permeabilität) des Untergrunds verbessert werden soll mit dem Ziel, eine höhere
Produktionsrate zu erzielen. Beim (erfolgreichen) Einsatz von derartigen Stimulations-
maßnahmen spricht man anschließend von sogenannten Enhanced Geothermal Systems
(EGS). Dazu werden neben der Richtbohrtechnik (siehe oben) mechanische (Hydraulic-
Fracturing) und chemische Verfahren (Säureinjektion) eingesetzt.
Überlagerndes
Gebirge Frackflüssigkeit
Trägergestein
Hauptspannung) statt. Da der horizontale Gebirgsdruck i. Allg. kleiner ist als der Vertikal-
druck, bildet sich damit im Normalfall ein vertikaler Riss aus, der senkrecht zur Richtung
der kleineren der beiden horizontalen Hauptspannungen gerichtet ist.
Wurde der zu stimulierende Speicher vertikal durchteuft (Abb. 9.15, links), wird
durch diese Stimulationsmaßnahme primär der bohrlochnahe Bereich aufgebrochen; da-
durch kann ein besserer Anschluss des Trägergesteins an das Bohrloch erfolgen. Wurde
demgegenüber der Speicher beispielsweise mit einer Horizontalbohrung aufgeschlossen
(Abb. 9.15, rechts), kann der Speicher über deutlich größere Bereiche stimuliert werden;
der dafür zu realisierende technische Aufwand ist aber verglichen mit der ersten Variante
auch deutlich höher – dies gilt sowohl für die Abteufung der Horizontalbohrung als auch
für die Speicherstimulation.
Typische Betriebsparameter bei der Stimulation von Erdöl- oder Erdgasbohrungen sind
Injektionsraten zwischen 10 und 100 L/s und Injektionsdrücke von bis zu 100 MPa. Dabei
werden bei einer derartigen Stimulationsmaßnahme mehrere hundert Kubikmeter Flüssig-
keit in den Speicher verpresst.
Mit diesem Verfahren werden typische Rissöffnungsweiten von einigen bis zu zehn
Millimetern erreicht. Die Risslänge ist i. Allg. kleiner als 100 m. In hochporösen Sand-
steinen kann damit eine Produktivitätssteigerung um den Faktor 2 bis 3 erreicht werden.
In klüftigen oder verkarsteten Gesteinen ist bei niedriger Ausgangsproduktivität eine sehr
viel höhere relative Produktivitätssteigerung möglich; dies liegt auch daran, dass durch
eine derartige Stimulation die Bohrung an eine schon natürlicherweise vorhandene Stö-
rungszone angeschlossen werden kann.
Um die Risse offen zu halten, kann der verpressten Flüssigkeit ein Stützmittel (z. B.
Sand) zugemischt werden. Es verteilt sich in den aufgeweiteten bzw. entstandenen Riss-
flächen und soll ein Schließen der Risse nach der Druckentlastung auch bei einem hohen
äußeren Gebirgsdruck weitgehend verhindern. Insbesondere die Frage der Rückförderung
des Stützmaterials aus den Rissen infolge der hohen Strömungsgeschwindigkeiten bei der
Förderung des Geofluids ist aber bisher nicht ausreichend untersucht.
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 835
Die aus der Erdöl- und Erdgasindustrie vorhandenen Erfahrungen zum hydraulischen
Fracen sind nur begrenzt auf die gering-permeablen Gesteinsschichten übertragbar, die
typischerweise zur geothermischen Energieerzeugung genutzt werden. Ein wesentlicher
Unterschied zu dem in der Kohlenwasserstoffwirtschaft üblichen Stimulation liegt in der
Art des Gesteins; bei der Geothermie muss auch kristallines Gestein gefract werden, wäh-
rend Erdöl und Erdgas ausschließlich in Sedimentgesteinen vorkommt. Die Grundlagen
der Ausbreitung der Gesteinsrisse im Kristallin – und insbesondere ihre Beeinflussbarkeit
– sind aber noch weitgehend unbekannt bzw. werden derzeit erforscht. Auch müssen für
eine ökonomisch darstellbare Geothermienutzung die Rissflächen deutlich größer als die
der Erdöl- / Erdgasindustrie sein und zusätzlich weitaus größere Durchlässigkeiten (Per-
meabilitäten) aufweisen.
Generell gilt, dass eine geringe Permeabilität im Trägergestein das Fracen erleich-
tert. Dann sind geringere Pumpraten notwendig als bei einer hohen Permeabilität. Dieser
Vorteil lässt sich übertragen auf das Fracen von kristallinem Gestein gegenüber dem Se-
dimentgestein. Beispielsweise zeigen bisher vorliegende Erfahrungen, dass sich auch mit
einfacher Technik (d. h. nur durch die Injektion von Wasser ohne Stützmittelzusatz) gute
Ergebnisse im Hinblick auf die Flächengröße und die Durchlässigkeit der Risse erzielen
lassen. Auch bei der Flächengröße des Risses – hier werden möglichst große Risse an-
gestrebt – wirkt sich eine niedrige Matrixdurchlässigkeit günstig aus. Diese begrenzt die
Flüssigkeitsverluste bei der Rissausbreitung, die letztlich die Flächengröße begrenzen.
Auch schließen sich unter diesen Bedingungen einmal geöffnete Risse nicht mehr voll-
ständig, sondern behalten eine beträchtliche Restdurchlässigkeit. Das ist auf die starke
Rauigkeit und die Unebenheit der Rissoberflächen geothermischer Speichergesteine zu-
rückzuführen. Deshalb werden bei Fracmaßnahmen zur Verbesserung der Eigenschaften
des geothermisch zu nutzenden Tiefenhorizonts nicht zwingend Stützmittel zugegeben,
durch die die erzielten Risse typischerweise offengehalten werden sollen.
Säureinjektion Säurebehandlungen (d. h. das Einleiten von Säure in die zu nutzende Ge-
steinsformation) dienen vor allem der Beseitigung von Permeabilitätsschädigungen bzw.
-reduktionen der Formation in Bohrlochnähe, wie sie durch den Bohrvorgang, während
der Zementation oder durch hydraulische Teste verursacht werden können. Als Erfolg
kann schon gewertet werden, wenn dadurch die Produktivität der ungestörten Formati-
on wiederhergestellt wird. Lediglich in klüftigen Karbonatgesteinen lässt sich durch das
Herausätzen von Fließwegen in bereits vorhandenen Klüften oder Rissen eine weiter ins
Gebirge reichende Wirkung infolge einer Säureinjektion erzielen. Stehen in nicht allzu
großer Entfernung von der Bohrung hochdurchlässige Karsthohlräume oder Kluftzonen
an, kann auf diese Weise eine hohe Produktivitätssteigerung erreicht werden. Um eine
verstärkte Korrosion im Bereich der Verrohrung zu vermeiden, muss der Kontakt zur
Säure technisch möglichst weitgehend unterbunden werden. Um einen säureinduzierten
Verschleiß bis hin zu Leckagen zu verhindern werden zur Sicherheit nach der Säurestimu-
lation meist entsprechende Messungen im Bohrungsbereich durchgeführt.
836 S. Janczik et al.
Die Art und Anzahl der übertägig zu installierenden Systemkomponenten werden vom je-
weils zu Grunde liegenden Nutzungskonzept (z. B. offene Systeme, geschlossene Systeme),
den Eigenschaften des Wärmeträgermediums sowie der Art der bereitgestellten Endener-
gie (d. h. Wärme, Strom, Wärme und Strom) bestimmt. Nachfolgend werden zunächst die
Systemtechnik der geothermischen Heizwerke und im Anschluss daran die zusätzlich be-
nötigten Komponenten für geothermische Kraft- und Heizkraftwerke erläutert.
Feinfilter
M
Wärmeübertrager
Druckhaltung Grobfilter
Injektions-
pumpen
Dynamischer
Spiegel
Pumpensteigleitung
Rückschlagventil
Pumpenkabel Anschraubkopf
Kabelführung Pumpe
Zementierte
Rohrtour
Einlass
Protektor
Motor
Zentrierstück
Nutzhorizont
Endteufe
Prinzipiell ist aber auch ein Einsatz von Turbinenpumpen denkbar, bei denen ein Teil des
Thermalwasserförderstroms übertägig komprimiert und als Treibstrom der untertägig in-
stallierten Turbinen- / Pumpeneinheit zugeführt wird. Derartige Turbinenpumpen werden
derzeit allerdings nicht kommerziell angeboten.
Bohrloch-Motorpumpen zeichnen sich typischerweise durch eine hohe Effizienz aus.
Zudem besteht keine Tiefenbegrenzung und die Aggregate können einfach installiert bzw.
demontiert werden; dafür muss aber der gesamte Förderstrang „gezogen“ werden. Nach-
teile sind u. a. das Fehlen einer aktiven Kühlung (die heißen Tiefenwässer dienen als
Kühlmedium) und die damit verbundene hohe Sensitivität hinsichtlich Temperaturände-
rungen des Thermalwassers.
Die als Standardgerät eingesetzte Bohrloch-Motorpumpe besteht aus den Hauptbau-
gruppen Pumpe, Protektor und Motor. Sie wird an einer im Bohrungskopf abgehängten
Steigleitung unterhalb des Thermalwasserspiegels installiert. Die benötigte elektrische
Energie wird der Pumpe über ein Kabel zugeführt, das im Ringraum zwischen der in
das Gebirge zementierten Rohrtour und der Pumpensteigleitung von Übertage zur Pumpe
geführt wird.
Bei der Pumpe handelt es sich i. Allg. um eine vielstufige Kreiselpumpe, deren Stu-
fenzahl die mögliche Förderhöhe und deren Laufradgestaltung den Volumenstrom be-
einflussen. Die Motoren sind meist Drehstrom-Asynchronmotoren. Das darin enthaltene
Spezialöl sorgt dafür, dass die Motorwicklungen isoliert und die Motorlager geschmiert
werden sowie dass die beim Motorbetrieb entstehende Wärme an das Gehäuse abgegeben
wird. Der interne Öldruck schwankt infolge von Volumenänderungen der Motorölfüllung
bei unterschiedlichen Temperaturen (In- und Außerbetriebnahme). Damit trotzdem kein
Wasser in den Motor eindringen kann, muss die Pumpe mit einem System ausgerüstet
werden, das einen Ausgleich zwischen dem Thermalwassereintrittsdruck und dem inter-
nen Öldruck bewirkt. Üblicherweise enthält dieser Protektor ein Kaskadensystem, das
durch eine Ausnutzung des Dichteunterschieds zwischen Thermalwasser und Öl ein Ein-
dringen von Wasser in den Motor sicher verhindern soll.
Die notwendige Einbautiefe der Pumpe in der Bohrung hängt von der zu erwarten-
den maximalen Absenkung des Wasserspiegels bei Pumpenbetrieb und der notwendigen
Mindesteintauchtiefe ab. Der Wasserspiegel sinkt beim Betrieb der Anlage volumenstrom-
abhängig z. T. deutlich unter sein Niveau bei Stillstand. Der Grund hierfür sind die Rei-
bungsdruckverluste in der Bohrung bis zum Pumpeneinlauf und der Druckabfall zwischen
dem unbeeinflussten Speicherbereich und dem Bohrlochtiefsten. Weiterhin sind Spie-
geländerungen infolge temperaturbedingter Dichteänderungen der Flüssigkeitssäule zu
beachten.
Die Pumpenauslegung orientiert sich an der notwendigen Förderhöhe bis zum Boh-
rungskopf einschließlich der Druckverluste in der Pumpensteigleitung und der zum
Durchströmen der übertägigen Anlage notwendigen Förderhöhe. Enthält das Förderme-
dium größere Gasmengen, sollte der Gasentlösungspunkt nicht unterhalb der Pumpen-
einbautiefe liegen, um ein Ausgasen des Thermalwassers – mit allen damit verbundenen
technischen Herausforderungen – sicher zu verhindern. Entsprechend den geologischen
840 S. Janczik et al.
Warmwasserkreislauf
Kaltwasserkreislauf
ausreichende Druckstabilität für die in der Geothermie üblichen Drücke von über
16 bar,
geringen Wasserinhalt, der im Schadens- oder Revisionsfall aufbereitet bzw. entsorgt
werden muss und
gute Revisionsmöglichkeiten der Plattenoberfläche durch leichte Demontage.
Als Material hat sich vor allem Titan durchgesetzt, welches weitgehend stabil gegen-
über den meist hochkorrosiven Thermalwässern ist.
Um den Übertritt von Thermal- ins Heizungswasser bei Leckagen auszuschließen,
wird der Wärmeübertrager mit Überdruck auf der Heiznetzseite betrieben. Wo das nicht
möglich bzw. ineffizient ist, müssen andere Maßnahmen ergriffen werden (z. B. eine per-
manente Überwachung der elektrischen Leitfähigkeit des Heiznetzwassers oder der Ein-
satz von Wärmeübertragern mit doppelten Wänden zwischen den Medien; letzteres ver-
schlechtert aber den Wärmeübergang beträchtlich) [9.7].
Leckageüberwachung Wichtig ist die Absicherung der Dichtheit des Systems bzw., als
Folgereaktion bei auftretenden Schäden, die schnelle Eindämmung des austretenden Ther-
malwassers. Notwendig ist eine Kombination aus
korrosionsresistenten Rohrleitungsmaterialien,
sicherer Rohrleitungstechnologie (stabile Rohrverbindungen, Doppelrohrsysteme
usw.) und
Lecküberwachungsanlagen (sie müssen eine permanente Kontrolle garantieren und
große Leckagen sehr schnell sowie kleine Leckagen örtlich präzise und zuverlässig
identifizieren).
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 843
Slopsystem Das Slopsystem nimmt die außerhalb der Rohrleitungen anfallenden Ther-
malwässer auf und stellt sie für den Abtransport zur Deponie bereit bzw. führt sie aufbe-
reitet in den Kreislauf zurück. Slopwässer entstehen
Sicherung der Qualität des Reinjektionswassers Die Reinjektion des ausgekühlten Ther-
malwassers (d. h. das Abströmen des Wassers durch die Bohrungskomplettierung, den
bohrungsnahen Bereich und das Durchströmen des Speichergesteins) kommt einem Fil-
trationsvorgang gleich. Deshalb muss auf jeden Fall eine Blockierung des Speichers durch
einen Feststoffeintrag sicher verhindert oder zumindest möglichst lange verzögert werden.
Die Thermalwässer stehen mit dem Speichergestein in einem chemischen Gleich-
gewicht. Im Thermalwasserkreislauf ist aber das geothermisch genutzte Tiefenwasser
Druck- und Temperaturschwankungen unterworfen. Dadurch kommt es zu einer
Durch die Druckentlastung während der Förderung sind auch Entgasungen möglich,
die zu pH-Wert- und Redoxpotenzial-Veränderungen führen können. Sauerstoffzutritt
führt zusätzlich zu einer Erhöhung des Redoxpotenzials.
Eine Sicherung der Qualität des Reinjektionswassers ist (a) durch die weitgehende Ver-
meidung eventuell auftretender Verunreinigungen und (b) durch eine Filtration möglich.
Beide Varianten werden im Folgenden kurz diskutiert.
Reinjektion des Thermalwassers Bei der Reinjektion von Thermalwasser in das Träger-
gestein des geologischen Speicherhorizonts sind die Druckverluste in den Rohrleitungen
der Injektionsbohrung zu überwinden. Hinzu kommt der notwendige Überdruck im Spei-
cherbereich zwischen dem Inneren der Bohrung und dem unbeeinflussten Speicher. Diese
beiden Größen sind für eine vorgegebene Konstellation Funktionen des Volumenstroms.
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 845
ne Jahresdauerlinie eines
Thermische Leistung in MW
2
geothermischer Teil
der Anlage
0
1000 2000 3000 4000 5000 6000 7000 8000
Zeit in Stunden
846 S. Janczik et al.
möglich, die hier exemplarisch dargestellte Versorgungsaufgabe, die mehr oder weniger
typisch für Haushaltskunden in Deutschland bzw. Mitteleuropa ist, vollständig mithilfe
geothermischer Energie zu decken. Auch ist im Vergleich zur insgesamt nachgefragten
und damit in das angeschlossene Nah- oder Fernwärmenetz eingespeisten Wärme der
im Verlauf des gesamten Jahres von der Spitzenlastanlage gelieferte Wärmeanteil relativ
klein. Dadurch kann aber die Geothermieanlage mit einer vergleichsweise hohen Volllast-
stundenzahl betrieben und damit der Betrieb der Gesamtanlage i. Allg. wirtschaftlicher
gestaltet werden.
Heiz-
werk
Heiz- Heiz-
werk werk
Heiz- Heiz-
werk werk
nur teilweise erschlossen ist. Zum anderen ist eine Trassierung von Haus zu Haus möglich;
diese Variante kann bei dichter Bebauung sinnvoll sein. Hier werden Häuser zu Gruppen
zusammengefasst und nur ein Haus an das Nah- bzw. Fernwärmenetz angeschlossen. Von
diesem netzgekoppelten Haus aus werden dann die anderen Häuser angebunden, so dass
insgesamt weniger Abzweige von der Verteilleitung notwendig sind (Abb. 9.21). In der
Regel wird eine Mischform aus den beiden Trassenführungssystemen gewählt, um die
Vorteile beider Systeme vor dem Hintergrund der lokal vorliegenden Gegebenheiten zu
kombinieren.
Die Hauptgruppen der Verlegeverfahren für mit geothermischer Energie betriebene
Nah- und Fernwärmeleitungen sind Freileitungssysteme sowie kanalgebundene und ka-
nalfreie Systeme. Freileitungen bzw. oberirdisch verlegte Leitungen werden in Deutsch-
land wegen Sichtbelästigung und möglicher Nutzungseinschränkungen des Grundstücks
kaum mehr neu verlegt; in einigen Städten sind sie aber aus historischen Gründen nach
wie vor vorhanden und in Betrieb. Kanalfreie oder auch direkt erdverlegte Systeme haben
sich aus Kostengründen, wegen des geringeren Platzbedarfs und der kürzeren Bauzei-
ten, gegenüber kanalgebundenen Systemen vor allem im Leistungsbereich unter 20 MW
thermischer Leistung – und damit im Bereich von Geothermie-Nahwärmeversorgungssys-
temen – durchgesetzt [9.9].
Wegen des oft feuchten Erdreichs ist die Korrosionsbeständigkeit die wichtigste An-
forderung an das Leitungssystem. Dabei muss eine Durchfeuchtung der Isolierung wegen
daraus resultierender erhöhter Wärmeverluste sicher vermieden werden.
Heute werden für Nah- bzw. Fernwärmetrassen primär Kunststoffmantelrohre mit
Stahlmediumrohr eingesetzt. In Konkurrenz dazu stehen Kunststoffmediumrohre. Im
Bereich der Unterverteilung und der Hausanschlussleitungen können flexible Metall-
oder Kunststoffmediumrohre verwendet werden. Diese werden von „der Rolle“ verlegt;
dadurch entfallen anfällige, erdverlegte Verbindungen. Außerdem beschleunigt dies die
Verlegung, senkt die Schadensanfälligkeit und trägt zunehmend zur Wirtschaftlichkeit des
Gesamtsystems bei.
Letztlich sind noch Hausübergabestationen als Bindeglieder zwischen dem Nah- bzw.
Fernwärmenetz und der Hausanlage (Heizungsanlage) notwendig. Diese werden standar-
disiert und vorgefertigt inklusive aller Anlagenkomponenten geliefert und mit der Haus-
anlage verbunden. Dabei können direkte und indirekte Systeme unterschieden werden.
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 849
Bei direkten Systemen durchströmt das Heizwasser die Anlagenteile der Hausstati-
on; die Temperaturregelung erfolgt durch Zumischen von kälterem Wasser aus dem
Hausanlagenrücklauf. Dies stellt meist die kostengünstigere Variante dar [9.2]; derarti-
ge Systeme werden aber aufgrund ihrer technischen Anfälligkeit zunehmend weniger
verbaut.
Bei indirekten Systemen wird ein Wärmeübertrager zwischen Nah- bzw. Fernwärme-
netz und Hausanlage geschaltet. Für dieses System sprechen vor allem die Unabhän-
gigkeit von den Druckverhältnissen im Netz und der Wasserbeschaffenheit.
trockener Dampf
Tropfenabscheider
Flash-Behälter
Wasser-
Dampf-
Gemisch
feuchter Dampf
Flüssigkeit
Flüssiges Wasser
850 S. Janczik et al.
Druck des Gemischs abgesenkt wird. Dadurch geht ein Teil des flüssigen Wassers in die
Gasphase über und kann am oberen Teil des Flash-Behälters abgezogen werden; dieser
Dampf kann dann direkt oder indirekt – dann erfolgt eine Wärmeübertragung an ein
sekundäres Wärmeträgermedium – dem nachgeschalteten Kraftwerksprozess oder einer
anderen Wärmenutzung zugeführt werden. Am unteren Ende des Behälters wird dann das
heiße Wasser abgeführt; es kann entweder zurück in den Untergrund geleitet oder einer
weiteren technischen Nutzung zugeführt werden.
Bei der Frischwasserkühlung erfolgt die Wärmeabfuhr aus dem Prozess mithilfe von
Oberflächenwasser (Abb. 9.23). Diese Option ist damit an das Vorhandensein von
entsprechend großen Mengen an thermisch belastbarem Oberflächenwasser gebunden
(z. B. Fluss, See, Meer). Aufgrund der in den letzten Jahren zunehmend verschärften
wasserschutzrechtlichen Vorgaben ist diese technische Möglichkeit – zumindest unter
mitteleuropäischen Gegebenheiten – heute praktisch bedeutungslos, da sie nicht (mehr)
genehmigungsfähig ist [9.11].
Bei der Verdunstungskühlung wird in einem separaten Kreislauf ein Kühlmedium (z. B.
Wasser) umgewälzt (Abb. 9.24); deshalb ist hier die Verfügbarkeit von thermisch be-
lastbarem Oberflächenwasser nur in einem begrenzten Maße erforderlich. Das Kühl-
wasser nimmt im Kondensator die abführbare thermische Energie auf und gibt diese
in einem Kühlturm an die Umgebungsluft ab. Dabei kann zwischen Nass-, Trocken-
Kondensator
Dampf-
schwaden
(Kurzregelstrecke) Streben
Kühlturmtasse Luft Luft
Abflut
Fließgewässer
Kondensat
Ventilatoren
und Hybridkühltürmen unterschieden werden. Bei einem Nasskühlturm findet der Wär-
meübergang in einem offenen Kreislauf durch Konvektion und Verdunstung statt; das
dabei verdunstete Wasser muss jeweils ersetzt werden. Bei einem Trockenkühlturm
wird dieser Wärmeübergang ausschließlich durch Konvektion in einem geschlossenen
Kreislauf realisiert. Der Hybridkühlturm stellt eine Kombination aus Nass- und Tro-
ckenkühlturm dar [9.11].
Bei der Trockenkühlung wird die Wärme an die Umgebungsluft in Form von strömen-
den Luftmassen abgegeben (Abb. 9.25). Im Vergleich zu einer Wasserkühlung sind
aber wegen der merklich geringeren Wärmekapazität des Kühlmediums Luft deut-
lich größere Wärmeübertragerflächen notwendig (d. h. große Bauvolumina). Derartige
Kühlaggregate sind aber standortunabhängig und praktisch überall einsetzbar (Luft als
Kühlmedium ist praktisch immer vorhanden). Bei abzuführenden Wärmemengen unter
200 MWth werden Ventilatoren eingesetzt, mit denen Temperaturdifferenzen zwischen
der zur Kühlung verwendeten Luft und dem gekühlten Medium von rund 10 bis 20 K
erreicht werden können [9.11].
Speisepumpe Die Druckerhöhung des Kreislaufmediums vor dem Verdampfer wird über
eine Speisepumpe realisiert. Hierzu wird i. Allg. eine radial bzw. halbaxial durchström-
te Drehzahl-variable Kreiselpumpe eingesetzt. Der Antrieb erfolgt durch einen Elektro-
motor.
Bei ORC-Kraftwerken wird je nach eingesetztem Arbeitsmittel ein oberer Prozess-
druck von bis zu 35 bar realisiert (z. B. Isobutan). Bei Kalina-Anlagen mit einem Ammo-
niak-Wasser-Gemisch als Arbeitsfluid können die realisierten Betriebsdrücke demgegen-
über bei 50 bar und mehr liegen. Um saisonal bedingte Lastschwankungen auszugleichen
(d. h. veränderter Kondensatordruck) werden die Pumpen meist Drehzahl-variabel betrie-
ben.
insbesondere kein Ozonabbaupotenzial (ODP) und kein oder nur ein sehr geringes Treib-
hauspotenzial (GWP) aufweisen [9.43].
Typisch für eine Nutzung in mit Erdwärme betriebenen Organic Rankine Cycles
(ORC), in denen üblicherweise ein Reinstoff als Kreislaufmedium eingesetzt wird, sind
derzeit beispielsweise Kreislaufmedien wie u. a. Isobutan (R600a), Isopentan (R601a)
und 1,1,1,3,3-Pentafluoropropan (R245fa).
Im Unterschied zu Wasser als feuchtes Fluid mit einer negativen Steigung der Taulinie
besitzen die Mehrzahl der für eine geothermische Nutzung in Frage kommenden orga-
nischen Fluide eine positive Steigung der Taulinie. Derartige Medien werden dann als
retrograde Medien bezeichnet. Solche Fluide sind durch einen niedrigen kritischen Punkt
gekennzeichnet und eine Entspannung in das Zweiphasengebiet ist oft nicht möglich. Da-
durch ist eine klassische Überhitzung, wie es bei mit fossilen Brennstoffen gefeuerten
Kraftwerken, die mit einem Dampfkraftprozess auf Wasserbasis ausgestattet sind, i. Allg.
realisiert wird, oft nicht notwendig bzw. sinnvoll.
Demgegenüber wird in einem Kalina-Cycle ein Gemisch aus Wasser und Ammoni-
ak als Kreislaufmedium verwendet. Ein Einsatz derartiger Fluidgemische hat den Vorteil,
dass sowohl die Verdampfung als auch die Kondensation des Arbeitsmediums nicht, wie
bei reinen Stoffen (d. h. organische Arbeitsmittel (Reinstoff), Wasser) isotherm vonstat-
tengehen, sondern dass gleitende Temperaturen auftreten [9.13].
Generator
Schaltschema eines ORC
Turbine G
(Organic Rankine Cycle)
(nach [9.2])
Verdampfer Kondensator
Wärmezufuhr Wärmeabfuhr
Speise-
pumpe
16%
15%
Heber/Kalifornien (USA)
W ir kungsgr ad der Str omer zeugung ( nett o)
14%
Second Imperial Field,
13% zweistufig
12%
11% Nagqu/China
Wabuska/
10%
Nevada (USA) Mammoth/Kalifornien (USA)
9%
8% Takigami/Japan
Altheim/
7% Österreich
Wendel/
6% Kalifornien (USA) Bad Blumau/
5% Österreich
4%
3% Birdsville/Australien
2%
1% Bezug auf 80 °C Injektionstemperatur
0%
80 100 120 140 160 180 200
Thermalwassertemperatur in °C
12%
Stromerzeugungswirkungsgrad (netto)
11%
10%
9%
8%
7%
6%
5%
4%
turdifferenz – sowie der höheren Aufwendungen für die Hilfsantriebe die entsprechenden
Wirkungsgrade um bis zu 0,25 bzw. 0,5 %-Punkte.
Derartige ORC-Standardkonzepte können mithilfe verschiedener nachfolgend disku-
tierter innovativer Ansätze optimiert werden, die sich bisher in einem sehr unterschiedli-
chen technischen Reifegrad befinden und alle noch nicht großtechnisch umgesetzt werden.
Kalina-Prozess Der Kalina-Prozess nutzt ebenso wie der ORC-Prozess ein Arbeitsmittel,
das in einem vom Thermalfluid abgeschlossenen Kreislauf zirkuliert. Als Arbeitsmedium
wird hier aber im Unterschied zum ORC (Organic Rankine Cycle) ein Stoffgemisch aus
Ammoniak (NH3 ) und Wasser verwendet. Abb. 9.29 zeigt den Prozess in seiner einfachs-
ten Form.
Das Zweistoffgemisch wird demnach in einem Wärmeübertrager vom Thermalfluid
vorgewärmt und verdampft. Wegen der Siedepunktabstände der beiden Komponenten in
diesem Stoffgemisch entstehen ein Ammoniak-reicher Dampf und eine Ammoniak-arme
Flüssigkeit, die anschließend voneinander getrennt werden. Der Dampf wird einer Tur-
bine zugeführt und dort unter Abgabe von Arbeit entspannt. Im Anschluss daran werden
der abgearbeitete Dampf und die Ammoniak-arme Flüssigkeit wieder zusammengeführt
und gemeinsam zum Kondensator geleitet. Hier wird das Stoffgemisch komplett verflüs-
sigt und danach auf den Verdampferdruck gebracht. Zur Verbesserung der energetischen
Effizienz werden in der Schaltung Rekuperatoren eingesetzt, von denen in Abb. 9.29 einer
zwischen der heißen Ammoniak-armen Lösung und der kalten Grundlösung dargestellt
ist.
Die erreichbaren Wirkungsgrade derartiger Kalina-Prozesse liegen zwischen ca. 5,0 %
bei rund 120 ı C und etwa 8,5 % bei rund 180 ı C Thermalwassertemperatur (Abb. 9.30);
die Ressourcennutzung erreicht bei diesen Temperaturen Werte zwischen 500 (t/h)/MW
und 70 (t/h)/MW. Diese vergleichsweise hohen Wirkungsgrade konnten jedoch bisher
nicht im praktischen Anlagenbetrieb verifiziert werden.
Separator
Generator
Turbine
Verdampfer
Wärmezufuhr NH3-reiche
NH3-arme Lösung
Lösung
Kondensator
Wärmeabfuhr
Speisepumpe
9%
Stromerzeugungswirkungsgrad (netto)
90 % NH3 83 % NH3 75 % NH3
8%
7%
6%
5%
4%
3%
110 120 130 140 150 160 170 180
Thermalwassertemperatur in °C
siedendes Wasser
(Reinstoff) Ammoniak-
Wasser Wasser-
(flüssig) Gemisch
Wärmeübertragung
Der Vorteil dieses Prozesses liegt darin, dass die Verdampfung und die Kondensation
des Arbeitsmediums nicht isotherm, wie bei reinen Stoffen (ORC-Prozess) vonstattenge-
hen, sondern dass gleitende Temperaturen auftreten (Abb. 9.31).
Die Temperaturverläufe des Thermalfluids auf der einen Seite (z. B. Abkühlung von
150 auf 85 ı C) und die des auf der anderen Seite im Gegenstrom geführten verdamp-
fenden Gemischs (bei geeigneter Konzentration der Grundlösung z. B. Erwärmung von
75 auf 145 ı C) können dadurch einander angepasst werden. Das vermindert die mittlere
Temperaturdifferenz zwischen beiden Stoffströmen und damit die Verluste der Wärme-
übertragung.
Gegenüber dem Einsatz reiner Stoffe erhöht sich die mittlere Temperatur der Verdamp-
fung. Gleichzeitig vermindert sich die durchschnittliche Temperatur der Kondensation.
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 859
Dies führt zur Verbesserung des Carnot-Wirkungsgrades des Prozesses (d. h. des theo-
retisch maximalen Wirkungsgrades).
Neben den energetischen hat der Prozess auch bautechnische Vorteile. Wegen der Ähn-
lichkeit der hier entscheidenden Stoffeigenschaften von Wasser und Ammoniak für die
Entspannung können Wasserdampfturbinen verwendet werden. Darüber hinaus finden
Ammoniak-Wasser-Gemische seit langem in anderen Gebieten der Technik (z. B. Kälte-
technik) breite Anwendung. Die damit verbundenen technischen Herausforderungen sind
damit bekannt und sollten deshalb grundsätzlich lösbar sein.
Von Nachteil sind die wegen der geringeren Temperaturdifferenzen in den Wärme-
übertragern und des schlechteren Wärmeübertragungsverhaltens deutlich größeren Ap-
parate im Vergleich beispielsweise zu einem ORC (Organic Rankine Cycle). Auch gibt
es weltweit bisher nur sehr wenige derartiger Anlagen; das insgesamt global vorhandene
Erfahrungspotenzial mit dieser Kraftwerkstechnik ist sehr gering.
9.2.3 Anlagenkonzepte
9.2.3.1 Wärmebereitstellungskonzepte
Geothermische Wärmebereitstellungskonzepte lassen sich unterteilen in offene und ge-
schlossene Systeme. Im Folgenden werden die verschiedenen Anlagenkonzepte diskutiert.
Geothermische
Heizzentrale
Nahwärmenetz
Wärme-
Filter über-
trager Abnehmer
Filter
Slopsystem
Förder-- Korrosions- Injektions-
Tief- bohrung schutz (z.B. N2) bohrung
pumpe
Förderhorizont
Förderhorizont
Abb. 9.32 Exemplarisches Systemlayout einer geothermischen Heizzentrale zur Nutzung hydro-
thermaler Vorkommen im tiefen Untergrund (nach [9.15])
eingeleitet, damit dort die Massenbilanz erhalten bleibt und sich das Druckniveau nicht
signifikant verändert.
Aufgrund der mit derartigen geothermischen Heizzentralen erreichbaren thermischen
Leistungen im oberen einstelligen und unteren zweistelligen MW-Bereich können durch
eine solche Heizzentrale entsprechend große Heizleistungen bzw. Wärmemengen bereit-
gestellt werden. Deshalb werden dementsprechend große Wärmesenken benötigt, damit
eine solche geothermische Anlage unter kommerziellen Gesichtspunkten betrieben wer-
den kann. Dies können sowohl eine Vielzahl von Haushaltskunden und Kleinverbrauchern
(d. h. GHD-Sektor) sein, die dann über entsprechende Nah- bzw. Fernwärmenetze zu
erschließen sind; müssen diese neu installiert werden, ist dies aber i. Allg. sehr teuer
und oft auch zeitaufwändig. Alternativ – oder besser noch additiv – können auch grö-
ßere Gewerbe- und Industriebetriebe an die entsprechenden Verteilnetze oder möglichst
sogar unmittelbar an die Geothermieheizanlage angeschlossen werden, die durch eine ho-
he und im Jahresverlauf gleichmäßige Niedertemperaturwärmenachfrage gekennzeichnet
sind. Versorgungssysteme mit 10 MW thermischer Nennanschlussleistung müssen dabei
i. Allg. als eine untere Grenze angesehen werden, sofern keine ausgesprochen günsti-
ge Jahresdauerlinie der Wärmenachfrage mit hoher Volllaststundenzahl vorliegt (z. B.
industrielle Niedertemperaturwärmenachfrage im Dreischichtbetrieb) oder sonstige Mög-
lichkeiten der Thermalwassernutzung (z. B. stoffliche Nutzung des Thermalwassers; ggf.
Heilbad) gegeben sind.
Eine mit fossilen Brennstoffen befeuerte Spitzenlast- und Havariekesselanlage ergänzt
i. Allg. das Gesamtsystem der Wärmebereitstellung aus hydrothermalen Erdwärmelager-
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 861
stätten; sie sollte entsprechend der Maximallast des Heiznetzes ausgelegt sein, damit
jederzeit die gesamte Wärmenachfrage – beispielsweise bei einer störungsbedingten Un-
terbrechung der Geothermieanlage – bereitgestellt werden kann.
Geothermische Heizzentralen sind Grundlastanlagen. Um die installierte thermische
Leistung – auch aufgrund von Wirtschaftlichkeitsüberlegungen – maximal zu nutzen, sind
hohe Volllaststundenzahlen der geothermisch installierten Leistung anzustreben. Außer-
dem sollte die Erdwärme weitestgehend im energetisch effizienten direkten Wärmeüber-
gang vom Thermalwasser an das Heiznetzwasser übertragen werden. Dazu sind aufgrund
der Lagerstättentemperaturen (z. B. 40 bis 80 ı C im norddeutschen Becken) geringe Rück-
lauftemperaturen im Nah- oder Fernwärmenetz von unter 40 ı C vorteilhaft; d. h. es ist ein
Anschluss der Geothermieanlage an ein Niedertemperaturnetz anzustreben.
Sind die Thermalwassertemperaturen zu gering, um die geforderten Vorlauftempera-
turen im direkten Wärmeübertrag sicherzustellen, können Wärmepumpen eingesetzt wer-
den. Abb. 9.33 zeigt exemplarische Schaltungsbeispiele, wie eine geothermische Heizzen-
trale als Komplex von Grund- und Spitzenlastsystem gestaltet werden kann. Die Anlagen
können demnach aus einem oder mehreren Wärmeübertragern für den direkten Wärme-
übergang bestehen. Optional folgen Wärmepumpen; hier sind Absorptionswärmepumpen
und elektro- oder gasmotorische Kompressionswärmepumpen einsetzbar (Kapitel 8.2).
Die Entscheidung für die jeweils zu nutzende Technik muss standortabhängig getroffen
werden und wird u. a. von der Höhe des Energieträgerpreisniveaus und vor allem den Re-
lationen zwischen den Strom- und den Brennstoffpreisen bestimmt.
Die mit einem Heißwasserkessel angetriebenen Absorptionswärmepumpen haben da-
bei den Vorteil, dass der Antriebskessel kostengünstig als Spitzenlastkessel dimensioniert
werden kann. Er kann damit potenziell auch Aufgaben bei einer störungsbedingten Unter-
brechung des Thermalwasserkreislaufs übernehmen.
In einer geothermischen Heizzentrale kann ein Blockheizkraftwerk (BHKW) zur Ei-
genstromversorgung installiert werden, da vor allem die zur Thermalwasserförderung und
-injektion erforderliche Antriebsenergie von 80 bis 1 000 kW über lange Zeiträume und
damit mit einer hohen Volllaststundenzahl benötigt wird. Nachteilig ist, dass dabei zusätz-
lich in KWK-Niedertemperaturwärme anfällt, die aus ökonomischen Gründen vorrangig
bzw. zusätzlich zu der geothermischen Wärme genutzt werden muss; d. h. die Geother-
miewärme und die KWK-Wärme bedienen beide die Wärmegrundlast und machen sich
damit ggf. gegenseitig „Konkurrenz“.
Die Systemauslegung einer derartigen geothermischen Heizzentrale muss standortab-
hängig erfolgen. Allgemein gültige Richtlinien können aufgrund der Vielzahl der gege-
benen und möglichen Einflussgrößen (u. a. die Qualität der geologischen Ressource, die
Thermalwassercharakteristik, die Größe und Nachfragecharakteristik des Abnehmersys-
tems, die Heiznetzparameter, das auch regional bedingte Energieträgerpreisniveau bzw.
die lokal anlegbaren Wärmepreise, die Organisationsstruktur des Anlagenbetreibers) nur
in einem sehr begrenzten Umfang der Orientierung dienen.
862 S. Janczik et al.
Wärmepumpe
BHKW
Wärmepumpe
zunehmende Tiefe
Erdwärmestrom
Erdwärmestrom
Erdwärmestrom
zogen werden, wie infolge des natürlichen Wärmestroms nachfließt; ein Stoffaustausch,
wie es bei offenen Systemen (z. B. der hydrothermalen Erdwärmenutzung) der Fall ist, fin-
det wegen der für das Wärmeträgermedium undurchdringbaren Rohrwandung nicht statt.
Als Wärmeträgermedium, das in der tiefen Sonde zirkuliert, wird meist Wasser ver-
wendet. Es wird im Regelfall jedoch aufbereitet und mit Inhibitoren versehen, um eine
Korrosion der untertägigen Einrichtungen möglichst zu vermeiden. Hier kann auf Erfah-
rungen aus der Fernwärmetechnik zurückgegriffen werden.
Über den Tubingstrang, die sogenannte Steigleitung, gelangt das Wärmeträgermedium
– „beladen“ mit Erdwärme – anschließend vom Bohrlochtiefsten wieder nach oben. Damit
eine möglichst hohe Temperatur beim Austritt am Bohrlochkopf erreicht werden kann und
die Wärmeverluste minimiert werden können, sollte der Tubingstrang über die gesamte
Länge wärmeisoliert sein.
Durch das durch die Bohrung fließende Wärmeträgermedium wird in unmittelbarer
Umgebung um das Bohrloch die Temperatur im Gebirge abgesenkt. Diese Temperatur-
absenkung ermöglicht trotz der relativ geringen Wärmeleitfähigkeiten des Gesteins einen
Wärmeeintrag in das zirkulierende Wärmeträgermedium, der bis zu 200 W/m betragen
kann [9.2]. Das umgebende Gebirge steht damit – aufgrund dieser Temperaturabsenkung
– aber nicht mit seiner initialen Temperatur zur Verfügung; d. h. das Wärmeträgermedium
kann nur eine Temperatur deutlich unterhalb derjenigen des ungestörten Gebirges errei-
chen.
Die aus technischer Sicht einer derartigen tiefen Erdwärmesonde konkret umsetzbare
thermische Leistung wird beeinflusst durch
geologische Parameter, wie den lokal gegebenen geothermischen Gradienten und die
vorliegenden wärmephysikalischen Eigenschaften des in der jeweiligen Bohrungstiefe
anstehenden Gesteins,
864 S. Janczik et al.
den technischen Aufbau der Bohrung (u. a. Durchmesser und Materialien, Isolations-
eigenschaften der verwendeten Rohre, Wärmeübergang zwischen dem Grundgebirge,
der Zementation und der Verrohrung) und vor allem
die Betriebsweise des Gesamtsystems.
Für übliche Tiefen von Bohrungen im Bereich von 1 000 bis 4 000 m können geother-
mische Leistungen von 50 bis 400 kW bei durchschnittlichen geologischen Bedingungen
erwartet werden; entsprechende Variationen zu größeren und auch kleineren Werten sind
aber möglich.
Der Wärmeträgerumlauf wird mit Hilfe einer Pumpe realisiert; sie stellt das wesentli-
che Systemelement der übertägigen Installationen einer tiefen Sonde dar. Die erforderliche
Pumpenleistung ist dabei niedriger als im Falle der Umwälzpumpe bei der hydrothermalen
Nutzung, da keine großen Druckverluste im eigentlichen Wärmeübertrager auftreten und
– im Unterschied zur Thermalwasserförderung – eine geschlossene Rohrleitung durch-
strömt wird.
Da die Temperatur am Bohrungsausgang in der Regel weniger als 40 ı C beträgt, ist der
Einsatz einer Wärmepumpe zwingend erforderlich, damit die Wärmenachfrage, wie sie
typischerweise bei Haushalts- oder GHD-Kunden gegeben ist, gedeckt werden kann. Im
Regelfall wird dabei aufgrund der relativ geringen thermischen Leistungen von einigen
100 kW eine elektrisch oder gasmotorisch betriebene Kompressionswärmepumpe einge-
setzt (Kapitel 8.2). Damit wird das aus der tiefen Sonde geförderte Wärmeträgermedium
möglichst weitgehend abgekühlt und gleichzeitig die gewonnene Wärme auf ein für die
Wärmeversorgung bei dem / den angeschlossenen Verbraucher/n nutzbares Temperaturni-
veau transformiert. Um eine möglichst hohe Arbeitszahl der Wärmepumpe zu realisie-
ren, sind dabei nicht zu hohe Temperaturen am Wärmepumpenausgang von Vorteil (d. h.
geringe Vor- und Rücklauftemperaturen des Wärmeverteilsystems). Sollte die Heiznetz-
rücklauftemperatur deutlich geringer als die Bohrlochkopf-Temperatur sein, kann optional
auch ein Direktwärmeübertrager – vor der Wärmepumpe – installiert werden. Abb. 9.35
zeigt beispielhaft, wie eine tiefe Erdwärmesonde in ein Wärmebereitstellungssystem ein-
gebunden werden kann.
Aufgrund der hohen Kapitalintensität, durch die eine tiefe Erdwärmesonde gekenn-
zeichnet ist, sollte sie in einem Wärmebereitstellungssystem nur zur Deckung der Grund-
last eingesetzt werden (d. h. hohe Volllaststunden). Die Bereitstellung der Spitzenlast im
Winter übernimmt dann ein konventioneller, mit fossilen oder biogenen Brennstoffen
gefeuerter Heizkessel, durch den die Heiztemperatur weiter angehoben werden kann.
Daher ist die tiefe Erdwärmesonde aus ökonomischen Gründen sinnvollerweise (nur)
dort einzusetzen, wo eine ausreichend große Leistungsnachfrage des / der angeschlossenen
Wärmeverbraucher/s (z. B. Nahwärmenetz, große Einzelabnehmer, Gewerbe, kommunale
Einrichtungen) gegeben ist.
Abgas
Tiefe
Sonde
Erdgas
Wärmepumpen-
antrieb
Stromerzeugung
Kondensator
Offenes System
(Direktdampfnutzung,
Single Flash, Double Flash)
Thermalwasser
abgekühltes
Thermalwasser
Pumpe
Wärmebereitstellung
Filter Filter
Förderbohrung Injektionsbohrung
Abb. 9.36 Konzept einer kombinierten geothermischen Strom- und Wärmebereitstellung [9.16]
Damit handelt es sich bei derartigen Systemen strenggenommen nicht um eine „klas-
sische“ Kraft-Wärme-Kopplung (KWK), da die Wärmebereitstellung quasi unabhängig
ist von der Stromerzeugung (d. h. beide Systeme können vom Grundsatz her unabhängig
voneinander betrieben werden); trotzdem wird üblicherweise auch bei solchen Systemen
von Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) gesprochen.
Die Anlagentechnik, die für die geothermische Stromerzeugung zum Einsatz kommt,
lässt sich in die folgenden drei Gruppen unterteilen:
500
ORC
Stromerzeugung in (t/h)/MW
400 Double flash-System
Kalina
300
250
200
150
100
50
0
100 120 140 160 180 200 220 240
Temperatur des geförderten Thermalwassers in °C
Direkte Dampfnutzung Kann überhitzter Dampf unmittelbar aus dem Untergrund geför-
dert werden oder ist der Dampfanteil am geförderten Fluid sehr hoch, kann die geother-
mische Energie direkt in einem Dampfkraftprozess genutzt werden. Dazu gelangt der
geothermische Dampf bzw. das Dampf-Wasser-Gemisch im Anschluss an die Förderung
und nach einer Tropfen- bzw. Feststoffabscheidung direkt auf die Turbine und wird hier
unter Abgabe von Arbeit entspannt. Das abgekühlte Geofluid wird anschließend – wenn
eine Einleitung in Oberflächengewässer z. B. aus Umweltschutzgründen nicht möglich ist
und / oder die natürlichen Zuflüsse im Untergrund nicht sehr hoch sind – erneut in den
Untergrund verpresst.
Single Flash-Prozess ohne Kondensation Kann nur heißes Wasser bzw. ein sehr nasses
Wasser-Dampf-Gemisch aus dem Untergrund gefördert werden, muss dieses zunächst
in einem Flash-Behälter teilentspannt und dadurch der Dampfanteil erhöht werden.
Anschließend werden die dampfförmige und die flüssige Phase getrennt. Während
die abgetrennte Flüssigkeit meist unmittelbar wieder in den Untergrund reinjiziert
wird, gelangt der Dampf zur Turbine. Hier wird er unter Arbeitsleistung auf Atmo-
sphärendruck entspannt und anschließend beispielsweise über einen Diffusor in die
Atmosphäre abgegeben. Dabei versteht man unter einem Diffusor ein Bauteil, das Gas- /
868 S. Janczik et al.
Single Flash-Prozess mit Kondensation Bei diesem Single Flash-Prozess wird die aus
dem Untergrund kommende heiße Flüssigkeit in einen Flash-Behälter hinein entspannt.
Auf einem unter Förderniveau liegenden Druck entsteht eine kleinere Menge trocken ge-
sättigter Dampf und eine größere Menge siedendes Wasser. Der Dampf wird dann von der
Flüssigkeit separiert und der Turbine zugeführt, wo er Arbeit leistet (Abb. 9.38).
Die Temperaturparameter der Rückkühlung des Kondensators bestimmen das mini-
male Niveau des Enddrucks der Entspannung, der meist weit im Vakuumbereich liegt.
Inwieweit dieses niedrige Druckniveau ausgenutzt werden kann, hängt nicht zuletzt auch
Gasab-
scheidung
Feinfilter
Förderbohrung Injektionsbohrung
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 869
davon ab, mit welchem Aufwand nicht kondensierbare Gase aus dem Kondensator abführ-
bar sind.
Neben dem technischen und ggf. Umweltproblem der Ableitung nicht kondensierbarer
Gase haben Single Flash-Prozesse oft den Nachteil, dass beim Flashen Feststoffe aus-
fallen. Sie verbleiben als Beläge auf den Ausrüstungen und beeinflussen die Sicherheit
negativ bzw. müssen entsorgt werden.
Gegenüber der direkten Nutzung von überhitztem Dampf wird ein beträchtlicher Teil
der Energie des geförderten Thermalfluids (d. h. die separierte und wieder in den Unter-
grund verpresste Flüssigkeitsmenge) keiner energetischen Nutzung zugeführt. Dies be-
dingt vergleichsweise geringe Gesamtsystemnutzungsgrade.
Double Flash-Prozess mit Kondensation Der Nachteil der nur geringen Ausnutzung der
Energie des gesamten Förderstromes kann dadurch gemindert werden, indem das aus dem
ersten Flash-Behälter (Separator) ablaufende und siedende Wasser ein zweites Mal ent-
spannt und der entstehende Dampf in einem weiteren Behälter erneut separiert wird. Der
abgetrennte Dampf wird dann in einer zweiten (Niederdruck-)Turbine oder in einem er-
gänzenden Niederdruckteil der Hochdruckturbine entspannt (Abb. 9.39).
Der Umfang, mit dem die zusätzliche Entspannung wirksam wird, wird wiederum be-
stimmt durch die Temperaturen im Kondensator und dadurch, dass ihr Ausgangspunkt
oberhalb des Atmosphärendrucks liegen sollte.
Obwohl die untere Grenze des Einsatzes von Flash-Systemen i. Allg. bei 175 bis 180 ı C
gezogen wird, ist gerade der Double Flash-Prozess in der Lage, die bei niedrigen Ressour-
centemperaturen auftretenden Probleme des geringen Flash-Druckes und des niedrigen
spezifischen Volumens des Dampfes zu beherrschen. Double Flash-Anlagen zeigen da-
mit auch bei geringen Temperaturen durch ihre einfache Bauart, ihre geringen Betriebs-
und Instandhaltungskosten und ihre Fähigkeit, das eigene Kühlturmwasser zu erzeugen,
Kondensator 1 Kondensator 2
Feinfilter
Förderbohrung Injektionsbohrung
870 S. Janczik et al.
Vorteile vor allem gegenüber binären Systemen. Unabhängig davon ist es aber eine Frage
der ökonomischen Optimierung, da der höheren potenziellen Stromerzeugung von Dou-
ble Flash-Anlagen im Vergleich zu alternativen Systemen höhere Investitionen durch die
zusätzliche Turbine bzw. Turbinenstufen, die zusätzlichen Behälter, Rohrleitungen, Rege-
lung, etc. gegenüberstehen.
Vor- Kondensator
wärmer
Grobfilter Feinfilter
Förderbohrung Injektionsbohrung
laufmedien im Vergleich zu Wasser. Auch müssen Vorkehrungen gegen eine erhöhte Kor-
rosivität an Turbine und Wärmeübertragern getroffen werden. Gleiches gilt für die Ab-
dichtung der Systeme.
Die mittleren Bruttowirkungsgrade derartiger ORC-Prozesse (Organic Rankine Cycle)
liegen zwischen rund 5,5 % bei etwa 80 ı C und ca. 12 % bei 180 ı C Thermalwassertempe-
ratur. Die Nettowirkungsgrade der Stromerzeugung ausgeführter Anlagen sind allerdings
deutlich niedriger. Sie erreichen bei etwa 200 ı C rund 13 bis 14 % bei einer weitgehen-
den Nutzung des technisch nutzbaren Wärmeinhaltes des Fluids, also der Erreichung der
angestrebten Auskühlungstemperatur.
Kalina-Prozess Der Kalina-Prozess nutzt ebenso wie der ORC-Prozess (Organic Rankine
Cycle) ein Arbeitsmittel, das in einem vom Thermalfluid abgeschlossenen Kreislauf zir-
kuliert; im Unterschied dazu wird aber ein Zweistoffgemisch verwendet. Abb. 9.41 zeigt
den Prozess in seiner einfachsten Form.
Das Zweistoffgemisch aus Ammoniak (NH3 ) und Wasser wird in einem Wärmeüber-
trager vom Thermalfluid vorgewärmt und verdampft. Wegen der Siedepunktabstände der
beiden Komponenten des Zweistoffgemischs entstehen ein Ammoniak-reicher Dampf und
eine Ammoniak-arme Flüssigkeit, die anschließend voneinander getrennt werden. Der
Dampf wird einer Turbine zugeführt und dort unter Abgabe von Arbeit entspannt. Im
Anschluss daran werden Dampf und Flüssigkeit wieder zusammengeführt und gemein-
sam zum Kondensator geleitet. Hier wird das Stoffgemisch verflüssigt und danach erneut
auf den Verdampferdruck gebracht.
Die erreichbaren Bruttowirkungsgrade liegen zwischen ca. 8,5 % bei rund 80 ı C und
etwa 12 % bei ca. 160 ı C Thermalwassertemperatur. Diese Wirkungsgrade konnten jedoch
bisher nicht praktisch verifiziert werden.
872 S. Janczik et al.
Ammoniak-
reicher Dampf Turbine
Grund- G
Separator
lösung
(Dampf) Generator
Verdampfer
Kühlturm
Thermalwasser
Ammoniak-arme
Flüssigkeit Kühlkreislauf
Thermalwasser
abgekühltes
Konden-
sator
Speisepumpe
Grundlösung Kühlwasser-
(flüssig) pumpe
Grobfilter Feinfilter
Förderbohrung Injektionsbohrung
Kombinierte Systeme Bei derartigen Konzepten wird ein Single Flash-Prozess bei-
spielsweise mit einem binären Prozess kombiniert. Dabei sind insgesamt z. T. sehr
unterschiedliche Schaltungsvarianten denkbar. So kann der Entspannungsdampf nach
der Dampfturbinenstufe als Wärmequelle des ORC-Prozesses dienen oder der Flüssig-
keitsablauf der ersten Separationsstufe wird nicht ein zweites Mal entspannt, sondern
beheizt den Verdampfer der ORC-Anlage. Der Vorteil derartiger Systeme sind vergleichs-
weise hohe Wirkungsgrade; dafür ist der anlagentechnische Aufwand entsprechend groß
(d. h. es muss immer ein tragfähiger Kompromiss zwischen dem technisch Möglichen und
dem ökonomisch Darstellbaren gefunden werden).
Thermische Energie
Thermische Energie
Energie im Thermalwasser
an Wärmenetz
Energie im Thermalwasser
an Heizwerk
Nutzwärme ca. 54 %
am Bohrlochkopf
(Reservoir)
100 %
Verluste Wärmeverteilung ca. 15 %
Elektrischer Eigenbedarf
(Förderpumpe, Wärmeverteilung) ca. 1 %
Auskühlungsverluste ca. 28 %
Verluste Steigleitung
(standort- & anlagenspezifisch)
Abb. 9.42 Exemplarischer Energiefluss einer geothermischen Wärmebereitstellung aus einer La-
gerstätte mit einem hohen Temperaturniveau (d. h. es werden keine nachgeschalteten Einrichtungen
wie z. B. Wärmepumpen zur Temperaturanhebung benötigt)
vergleichsweise gering ist. Jedoch handelt es sich bei der im Geofluid enthaltenen thermi-
schen Energie um Niedertemperaturwärme mit relativ geringer Exergie und bei der daraus
– verlustbehaftet – bereitgestellten elektrischen Energie um reine Exergie. Zusätzlich wer-
den auch die Verluste aufgrund des zur Thermalwasserförderung benötigten Pumpstroms
und die doch erheblichen Abwärmemengen deutlich, die nahe der Umgebungstemperatur
an die Atmosphäre abgegeben werden. Bei den ebenfalls gezeigten Auskühlungsverlusten
handelt es sich um die im Thermalwasser vorhandene thermische Energie, die aus thermo-
dynamischen Gründen nicht zur Stromerzeugung genutzt werden kann. Sie ist in diesem
Fall deshalb auch als Verlust zu werten.
Im Folgenden werden die mit einer geothermischen Wärme- bzw. gekoppelten Wärme-
und Strombereitstellung verbundenen Investitionen und Betriebskosten sowie die Wärme-
bzw. Stromgestehungskosten als auch die daraus resultierenden Umweltauswirkungen ex-
emplarisch untersucht. Zuvor werden die untersuchten Referenzanlagen definiert.
9.3.1 Referenzanlagen
Referenzanlage Wärme NW II. Die hier betrachtete Geothermieanlage nutzt eine För-
der- und eine Injektionsbohrung mit einer Endteufe von 2 250 m bei einem Abstand
zwischen den beiden Bohrungen von 1 000 m. Das energetisch nutzbare Thermalwasser
hat eine Temperatur von etwa 90 ı C. Je nach Wärmelast können bis zu maximal 30 L/s
gefördert werden. Die Förder- und Injektionsbohrung ist jeweils mit dem geothermi-
schen Heizwerk durch oberirdische Rohrleitungen verbunden. Die Wärmeauskopplung
im Erdwärmeheizwerk erfolgt über zwei lastabhängig geschaltete Titan-Plattenwär-
meübertrager mit einer maximalen thermischen Leistung von zusammen 3,8 MW. Die
Einbindung in das zu versorgende Nahwärmenetz erfolgt über einen Zwischenkreis-
lauf; dies erlaubt eine optimale Anpassung der Thermalwasserparameter Temperatur
und Mengenstrom an die aktuell benötigte Leistung des Wärmeverteilnetzes. Etwa
85 % der im Jahresverlauf bereitgestellten Wärme resultieren aus dem Thermalwasser
(und damit aus der Geothermie). Die verbleibenden rund 15 % werden über eine mit
leichtem Heizöl befeuerte Spitzenlastanlage abgedeckt; Erdgas kann an dem untersuch-
ten Standort nicht eingesetzt werden, da kein Gasanschluss vorhanden ist. Insgesamt ist
in der geothermischen Heizzentrale eine thermische Leistung von ca. 7,2 MW instal-
liert, wovon etwa 3,8 MW aus dem direkten Wärmeübertrag mit dem Thermalwasser
stammen. Die Wärmeverteilung zu den Endkunden erfolgt über ein Nahwärmenetz
(Tabelle 9.7).
Referenzanlage Wärme NW III. Bei diesem System, das im süddeutschen Molasse-
becken angesiedelt sein könnte, wird 95 ı C heißes Thermalwasser bei einem Volu-
menstrom von 50 L/s aus einer Tiefe von etwa 2 500 m mit einer in 400 m Tiefe ein-
gehängten Tauchkreiselpumpe gefördert (Tabelle 9.6). Das Tiefenwasser wird dann
zur geothermischen Heizzentrale gepumpt, wo ihm über Wärmeübertrager 7,6 MW
an thermischer Leistung direkt entzogen und dadurch in dem angeschlossenen Wär-
meverteilnetz eine Vorlauftemperatur von 70 ı C bereitgestellt wird. Das abgekühlte
Thermalwasser wird anschließend erneut in eine Tiefe von rund 2 500 m verpresst.
Zur Deckung von Verbrauchsspitzen bzw. zur Gewährleistung der Wärmeversorgung
bei Ausfall des geothermischen Anlagenteils werden zwei mit leichtem Heizöl be-
feuerte Heizkessel eingesetzt; hier ist der Erdgasanschluss ebenfalls nicht vorhanden.
878 S. Janczik et al.
Verdampfer
Kühlmediums
Kreislauf des
Vorwärmer Kondensator
wärme-
Nah-
netz
Pumpe
Speisepumpe
Filter
Pumpe
Förderbohrung Reinjektionsbohrung
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 879
Tabelle 9.9 Kenngrößen der geothermischen Referenzanlagen zur gekoppelten Wärme- und
Stromerzeugung mit einem Standard-ORC (Angaben gerundet)
Fall 1 Fall 2 Fall 3
ORC-Konzept Standard Standard Zweistufig
Elektrische Leistung in MW 3,6 3,4 4,1
Elektrische Arbeit in GWh/a 26,7 25,5 30,8
Thermische Leistung in MW 11,7 21,0 21,0
(gesamt)
Thermische Leistung in MW 5,0 9,0 9,0
(Geothermie)
Thermische Leistung in MW 6,7 12,0 12,0
(Spitzenlast / Redundanz)
Thermische Arbeit in TJ/a 43,2 77,7 77,7
Volllaststunden (Wärme) in h/a 2 000 2 000 2 000
Volllaststunden (Strom) in h/a 7 500 7 500 7 500
von etwa 3,4 bzw. 4,1 MW bereitgestellt werden. Zusätzlich dazu können jeweils rund
9 MW thermischer Leistung erzeugt werden. Zusammen mit dem mit Heizöl befeuer-
ten Spitzenlastkessel sind so insgesamt rund 21 MW an thermischer Leistung für das
Nahwärmenetz NW III verfügbar.
de) sowie der Siedlungsstruktur innerhalb einer sehr großen Bandbreite. Näherungsweise
kann für das Nahwärmenetz von rund 400 C/m ausgegangen werden. Die Investitionen
für die Gebäudeanbindung schließen den Hausanschluss mit Übergabestation sowie die
Aufwendungen innerhalb der versorgten Gebäude (z. B. Brauchwarmwasserspeicher) mit
ein (Tabelle 9.10).
Wärmenetz, Thermalwasserkreislauf (Rohrsysteme, Förder- und Injektionspumpen,
Slop- und Filtersysteme) sowie die Anlagenplanung zeigen einen geringeren Einfluss auf
die Investitionen. Die Kosten für Baumaßnahmen (Gebäude einschließlich Grundstück)
sowie die Wärmeübertrager spielen hingegen nur noch eine vergleichsweise untergeord-
nete Rolle.
Die dargestellten Investitionen einer Wärmebereitstellung aus Erdwärme und – zur
Spitzenlastabdeckung – aus fossilen Energieträgern berücksichtigen zusätzlich die Auf-
wendungen für die Spitzenlastanlage (u. a. Kessel, Brenner, Brennstofflagerung).
882 S. Janczik et al.
0,45
Mittlere Abschreibungsdauer (31,5 Jahre = 100 %)
Investitionen (16 710 k€ = 100 %)
Zinssatz (4 % Zinsen = 100 %)
0,40
Wärmegestehungskosten in €/kWh
0,35
0,30
0,25
0,20
0,15
50 60 70 80 90 100 110 120 130 140 150
Parametervariation in %
Den größten Einfluss auf die Wärmekosten zeigen demnach die Investitionen sowie
die Volllaststunden. Die Volllaststundenzahl und damit die nutzbare Wärme kann inner-
halb eines durch die thermische Leistung des Heizwerks bzw. die Wärmekapazität des
Verteilnetzes vorgegebenen Systems über die Veränderung der Abnehmerstruktur variiert
werden. Wird z. B. ein Teil der Wärme an Industrie- oder Gewerbeunternehmen mit einem
jahreszeitlich ausgeglichenen Wärmeverbrauch (z. B. Molkerei, Wäscherei) abgegeben,
kann eine Erhöhung der Anlagenausnutzung (d. h. jährliche Volllaststunden) und damit
eine Senkung der Wärmegestehungskosten erreicht werden. Zinssatz bzw. Abschreibungs-
dauer zeigen – da dies sehr Inestitions-intensive Energiesysteme sind – ebenfalls einen er-
heblichen Einfluss auf die Gestehungskosten einer geothermischen Wärmebereitstellung.
Die Betriebs- und Brennstoffkosten sind hingegen von vergleichsweise untergeordneter
Bedeutung.
Investitionen Im Wesentlichen setzen sich die Aufwendungen zur Errichtung von geo-
thermischen Anlagen für eine kombinierte Strom- und Wärmebereitstellung aus den In-
vestitionen für die Herstellung der Bohrung (u. a. Bohrkosten, Einrichtung des Bohrplat-
zes, Bohrlochvermessung, Produktionstests, Stimulation, Unvorhergesehenes), des Ther-
malwasserkreislaufs (u. a. Slop- und Filtersysteme, Thermalwasserkreislauf, Förderpum-
pe), der Energiebereitstellungsanlage (u. a. Konversionsanlage, Spitzenlastkessel, Wärme-
auskopplung, Anbindung ans Netz) und ggf. sonstigen Aufwendungen (Gebäude, Pla-
nung) zusammen.
Dabei werden die Investitionen derartiger Anlagen in der Regel durch die Aufwen-
dungen zur Herstellung der Bohrung dominiert (i. Allg. bis zu 58 %). Diese wiederum
sind stark abhängig von den konjunkturabhängigen Bohrraten; übertragbare Aussagen
sind deshalb nur sehr eingeschränkt möglich. Sicher ist aber, dass die Kosten einer Boh-
rung maßgeblich durch die Bohranlagenmiete (einschließlich Personal- und Energiekos-
ten) bestimmt werden, die durchschnittlich 36 % der Gesamtkosten einer Tiefbohrung
ausmachen. Auf die Bohrplatzeinrichtung und dessen Wiedernutzbarmachung nach dem
erfolgreichen Abteufen entfallen ca. 4 % der Gesamtkosten, auf Meißel und Richtbohr-
service rund 15 %, auf Spülungs- und Zementationsservice etwa 12 %, auf Verrohrung
einschließlich Steigrohre ca. 20 % und auf die Sondenkopfkomplettierung ca. 12 % der
gesamten Kosten. Je nach den lokalen Gegebenheiten können sich diese Anteile aber z. T.
merklich verschieben. Ausgehend davon fallen für die dargestellten Anlagen Investitionen
in einer Bandbreite von 18,6 bis 21,5 Mio. C für die Herstellung der Bohrungen an.
Noch unsicherer sind die verfügbaren Kostenangaben für die Stimulation, da hier je
nach den Gegebenheiten vor Ort u. a. mit unterschiedlichen Techniken, Drücken, Ma-
terialien und Verpressmengen gearbeitet werden muss. Außerdem sind die angedachten
Verfahren zwar Stand der Technik in der Erdöl- und Erdgasindustrie, jedoch nicht im Be-
reich der Geothermie. Deswegen werden hier die Kosten für einen Frac pauschal mit rund
0,8 Mio. C abgeschätzt. Hinzu kommen die Aufwendungen für Produktionstests von hier
pauschal unterstellten 0,3 Mio. C. Zusammengenommen errechnen sich für die diskutier-
ten Anlagen somit Gesamtaufwendungen für die Erschließung der untertägigen Lagerstät-
ten von rund 23,5 bis ca. 26,9 Mio. C (Tabelle 9.11).
Die Investitionen für den Thermalwasserkreislauf setzen sich ebenfalls aus einer Viel-
zahl unterschiedlicher Komponenten zusammen. Für die zu verlegenden Rohrleitungen
sind Investitionen von jeweils rund 0,6 Mio. C zu veranschlagen. Für die benötigten
Slop- und Filtersysteme bewegen sich die Aufwendungen zwischen 0,7 und 0,9 Mio. C.
Die Aufwendungen der Tiefpumpen werden primär durch die geologischen Parameter
bestimmt; für die diskutierten Anlagen fallen hierfür Investitionen zwischen 0,9 und
1,6 Mio. C an.
Die Kosten für die luftgekühlten Kraftwerksanlagen auf Basis eines Organic Rankine
Cycle (ORC) werden für die Standard-Anlagen mit 9,5 bis 9,7 Mio. C abgeschätzt. Da-
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 885
bei resultieren die Unterschiede maßgeblich aus der installierten elektrischen Leistung
und damit der unterschiedlichen Dimensionierung der apparativen Einzelkomponenten.
Wird eine zweistufige Kraftwerksanlage verbaut (Fall 3) erhöhen sich die Investitionen
auf rund 10,6 Mio. C. Grund hierfür sind die aufwändigere Kraftwerks- und Verfahrens-
technik sowie die höhere Anzahl der Einzelkomponenten im Prozess. Für die erforderliche
Netzanbindung fallen Kosten in Höhe von jeweils rund 0,5 Mio. C an. Für die gekoppel-
te Wärmebereitstellung zur Einspeisung in das vorhandene Niedertemperaturwärmenetz
werden für alle Anlagen zusätzlich 0,25 Mio. C berücksichtigt. Die Investitionen des Nah-
wärmenetzes NW II bzw. NW III betragen 2,4 bzw. 4,8 Mio. C. Für den Spitzenlastkessel
sind 0,3 bis 0,4 Mio. C zu investieren.
886 S. Janczik et al.
Weiterhin sind Kosten für die Planung und alle weiteren notwendigen Vorarbeiten
(z. B. geologische Gutachten, Gebühren für Bergämter), die Bauausführung und zusätzli-
che Gebäude zu berücksichtigen. Hier werden sonstige Aufwendungen von rund 1,6 bis
1,8 Mio. C unterstellt.
Ausgehend von den diskutierten Annahmen ergeben sich für die untersuchten Konfi-
gurationen somit gesamte Anlageninvestitionen in der Größenordnung zwischen 40,4 und
48,4 Mio. C.
Betriebskosten Die jährlichen Betriebskosten setzen sich aus den Aufwendungen für
Personal, Versicherung, Wartung und Verwaltung zusammen. Weiterhin sind Brennstoff-
kosten für die Spitzenlastanlage zu berücksichtigen. Wird für die Anlagenkonfigurationen
eine Einspeisung der Bruttostromerzeugung ins Netz der öffentlichen Erzeugung unter-
stellt, muss zusätzlich der Eigenstrombedarf, der dann aus dem öffentlichen Stromnetz
bezogen werden muss, berücksichtigt werden.
Die Instandhaltungskosten für die einzelnen Anlagenteile werden für die Bohrungen
mit 0,5 %, für die Rohrleitungen, die Wärmeübertrager und Sonstiges mit 4 % sowie für
die ORC- bzw. anderen Energiebereitstellungsanlagen und das Gebäude mit 1 % der In-
vestitionen unterstellt.
Insgesamt errechnen sich daraus für die diskutierten Anlagenkonfigurationen jährliche
Betriebskosten von 2,3 bis 3,0 Mio. C (Tabelle 9.11).
0,40
Mittlere Abschreibungsdauer (17,7 Jahre = 100 %)
Investitionen (40 430 k€ = 100 %)
Zinssatz (4 % Zinsen = 100 %)
0,35 Bohrkosten (18 630 k€ = 100 %)
Stromgestehungskosten in €/kWh
0,30
0,25
0,20
0,15
0,10
50 60 70 80 90 100 110 120 130 140 150
Parametervariation in %
Abb. 9.47 Parametervariation für eine Brutto-Strombereitstellung bezogen auf die Referenzanla-
ge 1 (d. h. Fall 1)
Für die bisher betrachteten Anlagen zur Nutzung der Erdwärme wird im Folgenden ei-
ne Bilanzierung ausgewählter Umweltkenngrößen im Verlauf des gesamten Lebensweges
durchgeführt. Dabei wird wieder die in Kapitel 1.3 dargestellte Vorgehensweise zugrunde
gelegt. Anschließend werden weitere mit einer Energiebereitstellung aus derartigen Sys-
temen verbundene Umwelteffekte diskutiert.
Lebenszyklusanalyse Für die bisher betrachteten Anlagen werden nun die spezifischen
kumulierten Energieströme (d. h. Verbrauch fossiler Energieträger) und ausgewählte Stoff-
freisetzungen im Verlauf der gesamten Anlagenlebensdauer einschließlich aller vorge-
lagerten Prozesse im Rahmen einer Lebenswegbetrachtung (Kapitel 1.3) bilanziert. Be-
zugsgröße ist dabei einerseits die bereitgestellte Wärme aus geothermischer Energie und
andererseits die gesamte Wärme zur Deckung der jeweiligen Versorgungsaufgabe an der
Schnittstelle zum hausinternen Wärmeverteilnetz der durch ein Fernwärmenetz versorgten
Gebäude.
In Anlehnung an das bisherige Vorgehen werden dabei als Maß für den Beitrag zum
anthropogenen Treibhauseffekt die CO2 -Äquivalent-Emissionen, für Emissionen mit ver-
sauernder Wirkung die SO2 -Aquivalent-Emissionen und unter dem Aspekt human- und
888 S. Janczik et al.
CO2-Äquivalent-Emissionen in t/GWhth
Rückbau Betrieb Bau
30
20
10
Abb. 9.48 Aufteilung der CO2 -Äquivalent-Emissionen auf Bau, Betrieb und Abriss der in Tabel-
le 9.12 dargestellten Bilanzergebnisse (zur Definition der Kürzel siehe Tabelle 9.12) [9.17, 9.18]
Injektions-/
Förderbohrung
14 %
Gebäude,
Sonstiges
4%
Instandhaltung
16 %
Abriss
2%
Strom
29 %
Die durch den Betrieb der geothermischen Anlagen verursachten Verbräuche erschöpf-
licher Energieträger sowie Emissionen der betrachteten Luftschadstoffe werden nahezu
ausschließlich durch den Verbrauch an elektrischer Energie (u. a. Förderpumpe) bestimmt.
Damit dominiert der zugrunde gelegte Stromerzeugungsmix für den Strombezug die Er-
gebnisse; hier wurde der deutsche Strommix unterstellt (Kapitel 1.3).
Abb. 9.49 zeigt zusätzlich eine Aufteilung der CO2 -Äquivalent-Emissionen für die Re-
ferenzanlage NW II EFH III/IV auf Bau (Nahwärmenetz und Hausanschlüsse, Komplet-
tierung der Injektions- und Förderbohrung, Energieeinsatz für das Abteufen der Bohrung,
Gebäude und Sonstiges einschließlich sämtlicher technischer Anlagen wie Wärmeüber-
trager, Pumpen oder Rohrleitungen), Betrieb (Instandhaltung, elektrischer Strom) und
Abriss.
Mit insgesamt rund 45 % nimmt dabei die für den Betrieb benötigte elektrische Energie
und die Instandhaltung der Anlage fast die Hälfte an den freigesetzten CO2 -Äquivalent-
Emissionen ein. Der Anteil der Emissionen aus dem Bau der geothermischen Heizzentrale
liegt mit rund 53 % bei etwas über der Hälfte der Stofffreisetzungen. Der Abriss trägt mit
ca. 2 % nur vergleichsweise wenig zu den gesamten Klimagasemissionen bei. Auch die
anderen betrachteten Emissionen sowie der Verbrauch erschöpflicher Energieträger zeigen
Tendenzen, wie sie in Abb. 9.49 deutlich werden.
50
CO2-Äquivalent-Emissionen in t/GWhth
Rückbau Betrieb Bau
40
30
20
10
Abb. 9.50 Aufteilung der CO2 -Äquivalent-Emissionen auf Bau, Betrieb und Abriss der in Tabel-
le 9.13 dargestellten Bilanzergebnisse (zur Definition der Kürzel siehe Tabelle 9.13) [9.17, 9.18]
Spitzenlastanlage Strom
0,5 % 23,5 %
NW Netz und
Anschlüsse
Instandhaltung
10,1 %
7,9 %
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 893
Herstellung (Anlagenerrichtung) Für das Abteufen der Bohrungen werden die aus der
Erdöl- und Erdgasexploration sowie z. T. der Wassergewinnung aus tieferen Erdschich-
ten bekannten Verfahren eingesetzt. Dies ist aber bei der Errichtung einer hydrothermalen
Anlage der Arbeitsschritt, von dem die größten potenziellen Umweltgefahren ausgehen.
Durch Bohrtiefen von bis zu 4 000 m und ggf. mehr besteht die Gefahr z. B. eines hydrau-
lischen Kurzschlusses unterschiedlicher Schichten im Untergrund; die diesbezüglichen
Umweltbeeinträchtigungen lassen sich jedoch durch die Einhaltung der entsprechenden
berggesetzlichen Bestimmungen minimieren. Die z. T. merklichen Lärmwirkungen durch
das Abteufen der Bohrung beschränken sich auf den Zeitraum der Bohrungsabteufung.
Die zusätzlich auftretende Beeinflussung der Umwelt durch Geräteeinsatz, Spülungszwi-
schenlagerung, Flächenbelegung usw. ist kurz und lokal begrenzt. Nach dem Abteufen
und der Komplettierung der Bohrung wird auf dem Gelände um den Sondenkopf der ur-
sprüngliche Zustand wieder hergestellt.
Zusätzlich kann es beim Aufschluss eines geothermischen Reservoirs zu seismischen
Ereignissen kommen. Dabei kann unterschieden werden zwischen dem bohrtechnischen
und den reservoirtechnischen Aufschluss.
Beim bohrtechnischen Aufschluss eines geothermischen Speichers (z. B. Aquifers) im
tiefen Untergrund wurden bisher keine seismischen Aktivitäten nachgewiesen. Bei den
über 1 000 ausgeführten Kohlenwasserstoffbohrungen beispielsweise im Oberrheingra-
ben – welche vom Prinzip denen einer geothermischen Erschließung entsprechen – wur-
den bislang ebenfalls keine seismischen Ereignisse festgestellt. Vermutlich ist die Störung
des Untergrunds durch die Bohrung und die damit einhergehenden Aktivitäten nicht aus-
894 S. Janczik et al.
reichend, um seismische Ereignisse zu induzieren. Dies muss aber nicht zwingend für
Gebiete gelten, in denen bereits eine hohe Spannung im Untergrund vorhanden ist und
deren Ausgleich theoretisch durch eine Bohrung induziert werden könnte; dies ist aber
zumindest in Deutschland noch nicht aufgetreten.
Im Gegensatz dazu ist es während der Stimulation des geothermischen Reservoirs zu
fühlbaren seismischen Ereignissen gekommen; bei der geothermischen Energiegewinnung
unter mitteleuropäischen geologischen Bedingungen nimmt die Stimulation des Tiefenge-
steins eine Schlüsselrolle ein, da i. Allg. erst dadurch Fließraten realisiert werden können,
die einen wirtschaftlichen Betrieb ermöglichen. Bei einer solchen Stimulation werden sehr
große Wassermengen (bis zu 100 L/s) unter sehr hohem Druck (bis 500 bar) in das Spei-
chergestein verpresst. Dadurch wird das Gestein im Untergrund aufgebrochen und als
Folge davon die Permeabilität erhöht. Damit werden durch derartige Maßnahmen gewollt
genau solche Ereignisse ausgelöst, die in Form von Erdbeben wahrgenommen werden.
Beispielsweise kam es 2003 in Soultz-sous-Forêts (Elsass) zu derartigen seismischen Er-
eignissen. Hier wurden im Verlauf von 11 Tagen 40 000 m3 Wasser mit maximal 80 L/s
in den Untergrund gepresst. Dadurch wurden mehrere seismische Ereignisse mit einer
maximalen Stärke von 2,9 (Richterskala) ausgelöst.
Neben einer thermo-elastischen Beanspruchung des warmen bzw. heißen Untergrunds
durch kalte Fluide und einer chemisch bedingten Änderung der Kluftoberfläche im sti-
mulierten Speicher – beiden Ursachen kann durch Spülungszusätze vorgebeugt werden –
wird die injektionsinduzierte Seismizität vorwiegend durch die Erhöhung des Flüssig-
keitsdrucks auf existierenden Kluftflächen verursacht. Dafür müssen im Untergrund zu-
sammenhängende natürliche Kluftflächen in einer ausreichenden Größe mit zumindest
geringer hydraulischer Durchlässigkeit vorhanden sein. Zudem müssen die Kluftflächen
ausreichend hart sein und tektonische Scherspannungen auf diese wirken. Seismizität tritt
somit immer dann auf, wenn das Verhältnis von Scherspannung zur effektiven Normal-
spannung den Reibungskoeffizienten auf einer Kluftfläche überschreitet.
Hinzu kommt, dass durch eine derartige Stimulation bereits im Untergrund vorhande-
ne Spannung abgebaut und dadurch natürliche seismische Ereignisse vorfristig ausgelöst
werden können. Dieser Fall ist mit hoher Wahrscheinlichkeit beispielsweise in Basel /
Schweiz 2006 aufgetreten. Hier wurde der geothermische Speicher bei 296 bar mit ma-
ximal 63 L/s stimuliert und dadurch ein Erdbeben der Stärke 3,4 auf der Richterskala
ausgelöst. Da Basel am Rande des Rheintalgrabens liegt, der traditionell tektonisch ak-
tiv ist (in der Region um Basel wurden 2007 531 seismische Ereignisse unterschiedlicher
Stärke registriert), liegt die Vermutung nahe, dass die, bei dem 2006 stattgefundenen Be-
ben, freigesetzte Energie bereits zum überwiegenden Teil im Untergrund vorhanden war
und durch die Stimulation lediglich das ausgelöst wurde, was natürlicherweise zu einem
späteren Zeitpunkt vermutlich mit einer größeren Stärke stattgefunden hätte. Dennoch
sprich man hier nicht von einem „getriggerten“ Ereignis, da die Bruchfläche wahrschein-
lich die Dimension des Reservoirs nicht überschritten hat.
Damit sind an der Oberfläche spürbare seismische Ereignisse insbesondere bei der Sti-
mulation des geothermischen Reservoirs nicht mit Sicherheit zu vermeiden. Speziell bei
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 895
einer derartigen Stimulation ist es ja gerade das Ziel, das Gestein im Untergrund aufzu-
brechen und dadurch Fließwege zu schaffen. In der Regel finden geothermisch induzierte
seismische Ereignisse aber in wenigen Kilometern Tiefe statt. Sie haben meist nur geringe
Amplituden und bisher keine (anerkannten) Schäden ausgelöst [9.19].
Thermische Beeinflussung des Aquifers. Durch die systembedingte Injektion des abge-
kühlten Wassers in das Aquifer kommt es im Betriebsverlauf einer hydrogeothermalen
Anlage zu einer kontinuierlichen Abnahme der initialen Speichertemperaturen und so-
mit zu einem zeitlich variierenden Temperaturgradienten zwischen dem Speicher und
dessen Umgebungsschichten. Das hat einen konduktiven Wärmefluss aus den Deck-
schichten in das Reservoir zur Folge, der zu einer teilweisen Wiedererwärmung der
896 S. Janczik et al.
injizierten Wässer und gleichzeitig zu einer Abkühlung der Deckschichten führt. Die
analytische Berechnung von Eindringtiefen in die Umgebungsschichten im Rahmen
eines „Worst-Case“ Szenario zeigt, dass nach 30 Betriebsjahren maximal 160 m ther-
misch beeinflusst werden und Temperaturabnahmen von mehr als 10 K lediglich in
Eindringtiefen von weniger als 70 m auftreten. Außerdem sind bisher keine direkten
Umwelteffekte auf die Biosphäre aufgetreten, die aus der Abkühlung des tiefen Unter-
grunds resultieren. Auch ist bisher kein organisches Leben, das unter diesen Lagerstät-
tenbedingungen existieren und dadurch geschädigt werden kann, bekannt geworden.
Thermische Beeinflussung der Bohrungsumgebung. Die eigentliche Bohrung gibt Wär-
me an die Umgebung ab und beeinflusst diese thermisch. Beispielhaft für die Bohrung
„GHZ Neustadt-Glewe“ wurde aufgezeigt, dass im Maximalfall zum Betriebsbeginn
230 kW und im 30. Betriebsjahr 180 kW an die unmittelbare Bohrungsumgebung abge-
geben werden. Nach 30 Betriebsjahren und ununterbrochener Erwärmung würde dies
zu einer thermischen Beeinflussung, die durch das Verhältnis der Fluidtemperatur zur
ungestörten Gebirgstemperatur charakterisiert wird, von 60 m um die Bohrung kom-
men. Die thermische Störung wäre in einem Abstand von 10 m auf ca. 56 % und in ei-
nem Abstand von 20 m bereits auf ca. 34 % abgeklungen. Damit ist eine weitreichende
thermische Beeinflussung durch geothermische Förder- oder Reinjektionsbohrungen
nicht gegeben. Außerdem könnte dies nur in der Kreisfläche in unmittelbarer Umge-
bung um die Bohrung mögliche – geringe – Auswirkungen auf Flora und Fauna haben,
die bisher jedoch nicht beobachtet wurden.
Geomechanische Einflüsse. Um das Injektionsbohrloch herum breitet sich im Aquifer
mit zunehmender Injektionsdauer ein Kaltwasserbereich aus, der zur Kontraktion der
Speicherschichten führt. In dessen Folge kann es theoretisch zu einer Reduzierung der
Schichtmächtigkeit kommen; eine Absenkung der Erdoberfläche wäre die Folge. Si-
mulationen zeigen jedoch, dass solche Absenkungen, wenn sie überhaupt auftreten, nur
sehr gering und nur innerhalb sehr langer Zeiträume gegeben sind. Sie liegen bei ma-
ximal wenigen Zentimetern bei Neigungen von ca. 1 bis 3 mm/100 m Aquifermächtig-
keit. Verglichen mit Absenkungen, wie sie aus dem Steinkohle-, Erz- und Kalibergbau
bzw. aus der Erdöl- und Erdgasförderung bekannt sind bzw. im Zusammenhang mit
Baugrundsetzungen auftreten, sind diese Auswirkungen vernachlässigbar. Auch sind
gebirgsmechanisch verursachte Folgeerscheinungen in der Nachbetriebsphase nicht zu
erwarten. Aufgrund des angestrebten Bilanzausgleichs im Dublettenbetrieb sind geo-
mechanisch bedingte Auswirkungen auf die Oberfläche damit meist nicht erkennbar.
Eine Beeinflussung der Erdoberfläche, die sich beispielsweise in einer Schädigung der
Gebäudeinfrastruktur bemerkbar machen könnte, ist damit sehr unwahrscheinlich.
Schwach radioaktive Filterrückstände. Mit dem Thermalwasser können radioaktive
Stoffe aus dem Untergrund nach Übertage transportiert werden. Hier können diese in
Form von Ablagerungen (Scales) in den überirdischen Rohrleitungen und als Filter-
rückstände anfallen. Sie müssen dann ordnungsgemäß entsorgt werden. Diesem Prob-
lem kann durch den Einsatz von auf das Thermalwasser abgestimmten Materialen
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 897
Störfall Im Störfall kann es zu einem Austreten der heißen Tiefenwässer an der Erdober-
fläche kommen. Wegen der z. B. im norddeutschen Becken meist hohen Salinität kann
dieses Tiefenwasser bei einer Einleitung in Oberflächengewässer zu einer Schädigung der
dortigen Flora und Fauna führen. Durch entsprechende Planungen und Überwachungs-
maßnahmen (Leckageüberwachungssysteme, Druckbilanzierung, Slopsystem usw.) las-
sen sich derartige Gefährdungen jedoch deutlich einschränken.
Umweltbeeinflussungen sind außerdem denkbar, wenn aufgrund hoher Mineralgehalte
des geförderten Wassers zur Beseitigung der Ausfällungen und Verstopfungen der Rohr-
leistungssysteme umweltschädigende Chemikalien eingesetzt werden müssen. Da diese
dann i. Allg. wieder mit dem abgekühlten Thermalwasser in den Untergrund verpresst
werden, halten sich die damit verbundenen Umweltauswirkungen jedoch in Grenzen.
Weiterhin kann es durch Brände an den elektrischen Anlagenteilen (z. B. Kabel) zu
begrenzten Stofffreisetzungen an die Umwelt kommen, die allerdings nicht spezifisch für
geothermische Anlagen sind und bei einer Einhaltung der gültigen Brandschutzvorgaben
weitgehend vermeidbar sind [9.21].
Tabelle 9.14 Energie- und Emissionsbilanzen einer geothermischen Strom- und Wärmeerzeugung
für die definierten Referenzanlagen (Nettostromeinspeisung) (zur Definition der Fälle siehe Tabel-
le 9.8 bzw. Kapitel 9.3.1.2) [9.17, 9.18]
Fall 1 Fall 2 Fall 3
Energie in GJprim /GWh 1 119 3 328 2 736
SO2 in kg/GWh 22 155 124
NOx in kg/GWh 72 51 39
CO2 -Äquivalente in t/GWh 120 273 225
SO2 -Äquivalente in kg/GWh 28 252 201
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 899
Bau Übertage
18,8 %
Bau Untertage
70,6 %
zifische Umweltkennwerte gegeben. Dieser Unterschied resultiert in erster Linie aus den
direkten Emissionen, die mit dem Betrieb und dem Rückbau der Arbeitsmittel verbunden
sind. R245fa hat beispielsweise ein rund um den Faktor 200 höheres Treibhauspotenzial
(GWP) als Kohlenwasserstoffe [9.43].
Wird für die untersuchten Anlagen eine Netzeinspeisung der Bruttostromerzeugung un-
terstellt, sind i. Allg. höhere Emissionen festzustellen. Dann muss die über das öffentliche
Netz bezogene elektrische Energie zur Abdeckung der elektrischen Eigenenergienach-
frage der geothermischen Anlage zusätzlich berücksichtigt werden. Diese ist in Abhängig-
keit des unterstellten Strommixes mit einem vergleichsweise höheren kumulierten fossilen
Energieaufwand sowie höheren Emissionen verbunden.
Wird exemplarisch die kombinierte Strom- und Wärmebereitstellung für Fall 1 de-
taillierter betrachtet, wird deutlich, dass die CO2 -Äquivalente wesentlich vom Bau der
Anlage verursacht werden (ca. 71 % der CO2 -Äquivalente; Abb. 9.52). Einen dominieren-
den Anteil stellt dabei die Energie zur Abteufung der Bohrungen, die Stofffreisetzungen
aus dem für die Bohrungen benötigten Material (u. a. Stahl-, Beton-, Bentonitbereitstel-
lung (letzteres wird für die Bohrspülung benötigt)) sowie die Emissionen, die u. a. aus
dem Antransport der Rohre und der Bohrgeräte, der Materialbereitstellung für die Ther-
malwasserpumpen, der Stimulation und der Errichtung des Bohrplatzes resultieren. Dem-
gegenüber beeinflussen der Bau der übertägigen Anlage mit ca. 19 %, der gesamte Betrieb
(primär Wärmebereitstellung aus Spitzenlast) mit rund 10 % und die Entsorgung mit rund
0,4 % die Klimagasbilanzen vergleichsweise gering.
Weitere Umwelteffekte Bei den sonstigen Umwelteffekten wird auch hier unterschie-
den zwischen den Umwelteffekten bei der Anlagenerrichtung, im Normalbetrieb, durch
Störfälle und bei dem Rückbau der Anlage [9.21]. Bereits diskutierte Umwelteffekte im
Zusammenhang mit einer geothermischen Wärmebereitstellung werden nicht erneut dar-
900 S. Janczik et al.
gestellt; deshalb wird nachfolgend auf den Bau und den Rückbau der Anlage nicht weiter
eingegangen.
Störfall Bei einer geothermischen Stromerzeugung kann es zusätzlich zu den für eine
geothermische Wärmebereitstellung bereits genannten diesbezüglichen Umwelteffekten
zu einem Austritt von Arbeitsmittel und anderen Betriebsstoffen kommen. Da es sich je-
doch bei ORC- bzw. Kalina-Kraftwerken um überwachungsbedürftige Anlagen handelt,
sind entsprechende gesetzliche Vorschriften zu beachten. Damit bewegen sich die poten-
ziellen Umwelteffekte innerhalb der durch den Gesetzgeber definierten Vorgaben.
902 S. Janczik et al.
9.4.1 Potenziale
Aufgrund der derzeit noch nicht großtechnisch verfügbaren Technik zur Nutzbarmachung
der in den heißen, tiefen Gesteinsschichten vorhandenen Energie ist eine Abschätzung
der technisch nutzbaren Potenziale mit großen Unsicherheiten behaftet. Deshalb handelt
es sich bei den folgenden Angaben nur um eine grobe Abschätzung der in Deutschland
gegebenen Größenordnungen.
Norddeutsches Becken. Das norddeutsche Becken nimmt mit ca. 136 000 km2 ein Vier-
tel der deutschen Landesfläche und einen etwa viermal größeren Raum als das süd-
deutsche Molassebecken und der Oberrheingraben zusammen ein. Werden die aus
dem Untergrund extrahierbaren Wärmemengen abgeschätzt, errechnet sich für dieses
Sedimentbecken ein technisches Erzeugungspotenzial von 328 EJ bzw. bei einer unter-
stellten 100 bzw. 1 000-jährigen Nutzungsdauer von 3 280 PJ/a bzw. 328 PJ/a [9.2].
Süddeutsches Molassebecken. Aus den Aquiferen mit einer Temperatur von min-
destens 30 ı C und einer unterstellten Reinjektionstemperatur des Thermalwassers von
15 ı C ergibt sich für die Schichten des oberen Jura (Malmkarst) eine technisch gewinn-
bare Wärmemenge von ca. 53,6 EJ [9.2]. Zusätzlich dazu könnten aus den Schichten
des Tertiärs und der Kreide Wärmemengen von etwa 45,4 EJ gewonnen werden [9.2].
Insgesamt folgt daraus ein technisch gewinnbares Erzeugungspotenzial von etwa 99 EJ.
Mit einer unterstellten technischen Nutzungsdauer von 100 bzw. 1 000 Jahren ergibt
sich daraus ein Energieaufkommen von 990 PJ/a bzw. 99 PJ/a.
Oberrheingraben. Im Oberrheingraben liegen die interessantesten Aquifere im Bunt-
sandstein und im oberen Muschelkalk sowie im Südteil im Jura (Hauptrogenstein).
Das technische Erzeugungspotenzial liegt hier bei etwa 67 EJ [9.2] bzw. bei einer un-
terstellten 100 bzw. 1 000-jährigen Nutzungsdauer bei rund 670 PJ/a bzw. 67 PJ/a.
Gebiete mit potenziellen Vorkommen. Weitere Vorkommen werden in der subherzynen
Senke und in der süddeutschen Senke sowie im Thüringer Becken vermutet. Wer-
den für diese geologischen Großräume auf der Basis der vorhandenen Informationen
die technisch entziehbaren Wärmemengen konservativ abgeschätzt, errechnet sich ein
technisches Erzeugungspotenzial von etwa 20 EJ bzw. 200 PJ/a (20 PJ/a) bei einer un-
terstellten 100-jährigen (1 000-jährigen) Nutzungsdauer [9.2].
Tabelle 9.15 Technische Potenziale der Nutzung hydrothermaler Erdwärme bei einer unterstellten
technischen Nutzungsdauer von 100 bzw. 1 000 Jahren (GHD Gewerbe, Handel, Dienstleistun-
gen) [9.2, 9.27, 9.28]
Norddeutsches Molasse- Oberrhein- Potenzielle Summe
Becken becken graben Vorkommen in PJ/a
in PJ/a in PJ/a in PJ/a in PJ/a
Erzeugungspotenzial
100 Jahre 3 280 990 670 200 5 140 (4 940a )
1 000 Jahre 328 99 67 20 514 (494a )
Nachfragepotenzial
Haushalte & GHD 342 40 86 468
Industrie 194 11 68 273
Summe 536 51 154 741
a
ohne potenzielle Vorkommen.
Theoretische Potenziale Wird unterstellt, dass aus gegenwärtiger Sicht eine Tiefe von
ca. 10 000 m eine technisch-ökonomische Obergrenze einer Erdwärmenutzung mit tiefen
Sonden darstellt, kann die im Untergrund Deutschlands gespeicherte Energie mit rund
1 200 000 EJ abgeschätzt werden, wenn unterstellt wird, dass überall durchschnittliche
Temperaturverhältnisse vorherrschen (d. h. ein Temperaturgradient von 3 K pro 100 m).
Bei einer Erschließung im Verlauf von rund 100 bzw. 1 000 Jahren entspricht dies einem
theoretischen Potenzial von rund 12 000 EJ/a bzw. 1 200 EJ/a.
9.4.1.3 Stromerzeugung
Die Potenziale einer geothermischen Stromerzeugung werden in Anlehnung an die der
ausschließlichen Wärmebereitstellung diskutiert. Zusätzlich wird bei dem technischen
Endenergiepotenzial unterschieden zwischen dem technischen Potenzial einer ausschließ-
lichen Stromerzeugung und dem Potenzial einer gekoppelten Wärme- und Stromproduk-
tion (KWK).
Theoretische Potenziale Insgesamt dürfte bis in eine Tiefe von 10 000 m unter der Ge-
bietsfläche Deutschlands eine Energie von rund 1 200 000 EJ gespeichert sein; dabei wird
unterstellt, dass dem Gestein die Wärme bis auf rund 20 ı C entzogen werden könnte
(d. h. bei einer Erschließung im Verlauf von rund 100 bzw. 1 000 Jahren sind dies rund
12 000 EJ/a bzw. 1 200 EJ/a). Davon ist jedoch zur Stromerzeugung – aufgrund unüber-
brückbarer thermodynamischer Beschränkungen – nur der kleinere Teil nutzbar; wird
deshalb ein theoretischer Wirkungsgrad von im Mittel maximal 10 % unterstellt, errechnet
sich ein theoretisches Stromerzeugungspotenzial von insgesamt ca. 33 EWh. Im Verlauf
der unterstellten 100 bzw. 1 000 Jahre sind dies 333 PWh/a bzw. 33 PWh/a (Tabelle 9.17).
Zusätzlich könnte ein erheblicher Teil der dabei anfallenden Abwärme technisch nutzbar
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 907
gemacht werden. Damit ist das theoretische Potenzial einer geothermischen Stromerzeu-
gung bzw. gekoppelten Strom- und Wärmeerzeugung sehr hoch.
aus Industrie, GHD (Gewerbe, Handel, Dienstleistungen) und Haushalten nutzbar ge-
macht werden können. Unter diesen Prämissen, die auch denen einer ausschließlichen
geothermischen Wärmebereitstellung entsprechen, ist das technische Nachfragepoten-
zial einer geothermischen KWK durch die Wärmemengen determiniert, die sinnvoll
durch Wärmeverteilnetze zu den jeweiligen Endverbrauchern aus der Industrie, den
GHD und / oder den Haushalten transportiert werden können. Um diese Wärmemenge
abzuschätzen wird ausgegangen von der im Haushalts-, im GHD- sowie im Industrie-
sektor nachgefragten Wärmemenge in Deutschland (ca. 4 909 PJ im Jahr 2018). Die
Wärmenachfrage der Haushalte und im GHD liegt dabei i. Allg. in einem Temperatur-
bereich, der durch geothermische in KWK bereitgestellte Wärme darstellbar ist. Somit
wird die in diesem Bereich mögliche nutzbare Wärme durch die technisch-ökonomi-
schen Möglichkeiten einer Verteilung dieser Wärme mit entsprechenden Wärmever-
teilnetzen bestimmt. Um diese abzuschätzen, können die in Deutschland vorhandenen
Siedlungsstrukturen untersucht und bewertet werden. Im Ergebnis können – wird un-
terstellt, dass nur bestimmte Siedlungsstrukturen mit einer bestimmten (hohen) Wär-
menachfragedichte für eine Wärmeverteilung mit Verteilnetzen aus technischer und
ökonomischer Sicht sinnvollerweise in Frage kommen – nur 63 bzw. 47 % der Wär-
menachfrage der Haushalte und im GHD durch geeignete Verteilnetze gedeckt werden.
Daraus ergibt sich eine über Verteilnetze an Haushalte und GHD aus technisch-öko-
nomischer Sicht transportierbare Wärmemenge von ca. 2 000 PJ/a. Im Industriesektor
muss eine Abschätzung, welche Anteile der nachgefragten Wärmemenge durch Geo-
thermie deckbar sind, durch eine Temperatureingrenzung erfolgen. Lediglich Wärme,
die auf einem Temperaturniveau nachgefragt wird, welches durch in KWK bereitge-
stellte geothermische Wärme bereitstellbar ist (bis ca. 150 ı C), kann hier abgesetzt
werden. Werden diese anhand des Wärmeanteils des Industriesektors an der Gesamt-
endenergienachfrage und dem Anteil an Niedertemperaturwärme des jeweiligen Sek-
tors durch Geothermie ersetzbaren Anteile errechnet, zeigt sich, dass im Industriesektor
eine Wärmemenge von ca. 530 PJ/a durch Geothermie abgesetzt bzw. genutzt werden
kann. Die Summe aus Haushalten, GHD und Industrie ergibt sich eine gesamte durch
Verteilnetze sinnvoll nutzbare Wärmemenge von 2 530 PJ/a. Dies entspricht einer da-
mit gekoppelten Stromproduktion von ca. 66 TWh/a.
Minimalabschätzung. Die Entwicklung der letzten Jahre hat gezeigt, dass aus ökonomi-
schen Gründen und wegen der sehr weitgehenden Nutzung von Erdgas als leitungsge-
bundenem Energieträger kaum noch neue Wärmeverteilnetze gebaut wurden. Deshalb
kann eine untere Grenze der technischen Nachfragepotenziale durch die Unterstel-
lung der Bereitstellung der Wärme in heutigen Fernwärmenetzen durch geothermi-
sche Anlagen abgeschätzt werden. Dabei lag der Endenergieverbrauch an Fernwärme
im Jahr 2018 bei rund 400 PJ [9.31]; unter Berücksichtigung der jeweiligen Netz-
verluste (ca. 30 PJ (2018)) wurde entsprechend mehr Wärme in die Fernwärmenetze
eingespeist. Würde diese in die Netze eingespeiste Wärmemenge durch Geothermie
bereitgestellt und gleichzeitig in KWK Strom produziert, entspricht dies einer Strom-
erzeugung von knapp 15 TWh/a.
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 911
9.4.2 Nutzung
Nachfolgend wird die gegenwärtige Nutzung einer geothermischen Wärme- sowie kom-
binierten Strom- und Wärmebereitstellung in Deutschland und weltweit diskutiert (nach
[9.32, 9.33, 9.42]).
9.4.2.1 Welt
Bei der nachfolgend dargestellten weltweiten Nutzung der tiefen Geothermie wird un-
terschieden zwischen einer Nutzung zur ausschließlichen Wärmegewinnung sowie zur
Stromerzeugung (nach [9.32, 9.33]).
30 300
Installierte geothermische Leistung in GW
25 250
Wärmeerzeugung in PJ/a
20 200
15 150
10 100
5 thermische Leistung 50
thermische Energie
0 0
2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018
Abb. 9.53 Weltweite kumulierte thermische Leistung und weltweite Wärmeerzeugung aus tiefer
Geothermie (nach [9.33])
912 S. Janczik et al.
18
16 80
Installierte geothermische Leistung in GW
14
Stromerzeugung in TWh/a
12 60
10
8 40
4 20
elektrische Leistung
2 geothermische Stromerzeugung
0 0
2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018
Abb. 9.54 Weltweite kumulierte elektrische Leistung und produzierte Strommenge aus tiefer Geo-
thermie (nach [9.33])
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 913
auf Indonesien (ca. 2 GW und ca. 1,4 GW; jeweils ca. 9,6 TWh (2018)) sowie in Mexiko
und Italien (1,1 und 0,9 GW; 6,4 und 5,9 TWh (2018)) sind erhebliche elektrische Leis-
tungen verbaut. Zusätzlich sind in der Türkei 1,3 GW installiert, die rund 8,5 TWh (2018)
bereitstellten. In den meisten Ländern trägt Strom aus Geothermie aber insgesamt gese-
hen nur wenig zur Deckung der Stromnachfrage bei. Eine Ausnahme bildet Island; hier
werden etwa 25 % des gesamten Stromverbrauchs durch Geothermie gedeckt.
Eine Stromerzeugung aus tiefer Geothermie wird damit überwiegend in Ländern /
Gebieten mit besonders günstigen geologischen Randbedingungen (d. h. Hochenthal-
pie-Vorkommen) realisiert; für eine thermodynamisch effiziente Stromerzeugung sind
Hochenthalpie-Vorkommen eine zwingende Voraussetzung. Liegen derartige Vorkommen
vor, ist die Realisierung eines solchen Kraftwerksprojektes zwar immer noch technisch
anspruchsvoll, aber in der Regel wirtschaftlich möglich und vergleichsweise weniger risi-
koreich. Liegen demgegenüber lediglich durchschnittliche geologische Ressourcen (z. B.
Niedrigenthalpie-Vorkommen; u. a. in Deutschland und Frankreich) vor, ist die Projekt-
realisierung in der Regel technisch sehr viel anspruchsvoller; daraus resultieren deutlich
höhere spezifische Investitionen und höhere Risikoaufschläge, die einer kommerziellen
Umsetzung eines derartigen Projektes oft prohibitiv entgegenstehen.
Abb. 9.55 Installierte thermische und elektrische Leistungen in Anlagen zur Nutzung der tiefen
Geothermie in der EU (Stand 2018) (Daten nach [9.34])
Portugal (29 MW; 0,2 TWh (2018)) und Frankreich (17 MW; 0,12 TWh (2018)) instal-
liert. Dabei ist zu beachten, dass einige der genannten Anlagenleistungen nicht zwingend
auf dem europäischen Festland, sondern ggf. auch in den Überseegebieten, die von einigen
EU-Mitgliedsstaaten verwaltet werden, installiert sein können (z. B. französisch verwalte-
te Überseegebiete in der Karibik).
Beispielsweise gehört Deutschland und auch Österreich traditionell nicht zu den Län-
dern mit einer starken Geothermienutzung, obwohl die Potenziale in einigen Regionen
durchaus nennenswert sind. Deshalb liegt der Anteil der z. B. in Deutschland realisierten
Strombereitstellung an der Geothermiestromerzeugung der EU bei unter 3 %.
9.4.2.3 Deutschland
Bei der Nutzung der tiefen Geothermie in Deutschland wird unterschieden zwischen einer
Nutzung zur ausschließlichen Wärmeerzeugung und zur Stromerzeugung (und gekoppel-
ten Strom- und Wärmeerzeugung) (nach [9.33, 9.34]).
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 915
4,5
Heizwerk
4,0
Heizkraftwerk
3,5
Wärmeeinspeisung in PJ/a
3,0
2,5
2,0
1,5
1,0
0,5
0,0
2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018
Deutschland auch balneologisch genutzt; energiewirtschaftlich ist diese Nutzung aber nur
von untergeordneter Bedeutung.
In den vergangenen Jahren wurde die geothermische Wärmebereitstellung nur ver-
einzelnd ausgebaut. Dies könnte sich aber in den kommenden Jahren tendenziell än-
dern. Standorte, an denen in den übersehbaren Zukunft geothermische Anlagen für eine
ausschließliche Wärmebereitstellung errichtet werden könnten, sind beispielsweise Mün-
chen, Icking, Tittmoning (alle Bayern, süddeutsches Molassebecken) sowie Schwerin und
Rostock (beide Mecklenburg-Vorpommern). Beispielsweise soll in München die größ-
te Geothermieanlage Deutschlands entstehen; hier soll ein geothermisches Heizwerk mit
zusammengenommen 6 Bohrungen errichtet werden. Dazu wurden am Standort HKW
Süd in Thalkirchen bereits zwei Bohrungen erfolgreich abgeteuft. Dieses zu errichtende
Heizwerk soll eine thermische Leistung von insgesamt rund 50 MW haben und drei Fern-
wärme(teil)netze im Großraum München mit Fernwärme versorgen. Auch in Icking wird
intensiv an der Errichtung einer geothermischen Heizzentrale gearbeitet; Start der geo-
thermischen Wärme- (und Strom)-bereitstellung soll bereits 2021 sein. Zusätzlich dazu
soll in Tittmoning ein Geothermieprojekt entstehen; hier laufen derzeit erste Voruntersu-
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 917
50 350
jährlich installierte Leistung
gesamte installierte Leistung
300
Bruttostromerzeugung
40
potenzielle jährliche Strombereitstellung
250
Stromerzeugung in GWh/a
Elektrische Leistung in MW
30
200
150
20
100
10
50
0 0
2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018
Abb. 9.57 Installierte elektrische Leistung und bereitgestellter Strom aus tiefer Geothermie in
Deutschland
kirchen 2018 den Regelbetrieb für eine kombinierte Strom- und Wärmebereitstellung auf.
Weiterhin liefert die Anlage in Kirchweidach bereits Wärme; das entsprechende Kraft-
werk ist in der Projektion.
9.4.2.4 Österreich
In Österreich wird die tiefe Geothermie seit den späten 1970er Jahren genutzt. Bis En-
de 2018 wurden insgesamt 77 unterschiedliche hydrothermale Quellen erschlossen sowie
insgesamt rund 135 km Bohrungen zur Erschließung dieser Vorkommen abgeteuft.
Im Jahr 2018 wurden insgesamt 10 Anlagen zur geothermischen Energiegewinnung
genutzt, die sich im Molassebecken und im Steirischen Becken befinden. Die hier zur
geothermischen Wärmegewinnung installierte Leistung liegt bei rund 95,1 MW und die
gewonnene Wärmemenge bei deutlich unter 1 PJ (2018). Gleichzeitig war eine elektri-
sche Leistung von rund 1,2 MW installiert, mit der eine elektrische Stromerzeugung von
2,7 GWh (2018) realisiert wurde [9.44].
Für die kommenden Jahre ist auch in Österreich von keinem weiteren signifikanten
Zuwachs der geothermischen Energiegewinnung auszugehen; dies gilt sowohl für die
Wärme- als auch die Stromerzeugung. Danach könnte eine weitergehende Nutzung im
Wiener Becken realisiert werden.
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9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 921
In den Kapiteln 3 bis 9 werden verschiedene Möglichkeiten zur Wärme- und / oder Strom-
erzeugung aus erneuerbaren Energien detailliert diskutiert; dabei werden jeweils die phy-
sikalischen Grundlagen und die Technik bzw. Systemtechnik umfassend dargestellt sowie
ausgewählte ökonomische und ökologische sowie weitere Energiesystem-relevante Zu-
sammenhänge und Kenngrößen ermittelt. Damit ist noch keine Aussage darüber getroffen,
wie die einzelnen Techniken für die Nutzbarmachung erneuerbarer Energien untereinan-
der und im Vergleich zu den jeweiligen Möglichkeiten zur Nutzung fossiler Energieträger
– im Hinblick auf die Erfüllung einer bestimmten Versorgungsaufgabe – zu bewerten sind.
Daher werden im Folgenden einzelne der hier untersuchten Möglichkeiten zur Nutzung er-
neuerbarer und fossiler Energien kursorisch gegenübergestellt. Dabei können aber immer
nur Systeme bzw. Techniken sinnvoll miteinander verglichen werden, welche die gleiche
End- bzw. Nutzenergie bereitstellen (d. h. Strom, Wärme). Deshalb wird bei der folgen-
den Gegenüberstellung im Wesentlichen unterschieden zwischen den Möglichkeiten zur
Stromerzeugung, ggf. auch im Rahmen einer Kraft-Wärme-Kopplung (KWK), und einer
Wärmebereitstellung.
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 923
M. Kaltschmitt, W. Streicher, A. Wiese (Hrsg.), Erneuerbare Energien,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-61190-6_10
924 M. Kaltschmitt und L. Sens
10.1.1 Energieangebot
Das meteorologische Energieangebot, das für die photovoltaische, die windtechnische und
die wassertechnische Stromerzeugung bestimmend ist, unterscheidet sich sowohl bezüg-
lich der zeitlichen Angebotscharakteristik als auch hinsichtlich der regionalen Verteilung
erheblich. Dies gilt untereinander und im Vergleich zum geothermischen Energieangebot.
Beides wird im Folgenden analysiert.
G e s c h w in d i g k e it
Windgeschwindigkeit
Solarstrahlung
S t r a h lu n g
Abfluss
Wasserabfluss
Angebot
Erdwärmeangebot
Zeit in Tagen im Jahresverlauf Zeit in Stunden im Wochenverlauf
Abb. 10.1 Beispielhafte Jahresgänge aus Monats- und Tagesmitteln (links) sowie Wochengänge
aus Tages- und Stundenmitteln (rechts) der Windgeschwindigkeit (oben), der Solarstrahlung (Mitte,
oben), des Wasserabflusses (Mitte, unten) und des Erdwärmeangebots (unten)
ein hoher Wasserabfluss mit entsprechenden Niederschlägen einhergeht, die dann eine
hohe solare Strahlungsleistung verhindern, oder
hohe mittlere Windgeschwindigkeiten oft keine sehr hohen Niederschläge und keine
maximale Solarstrahlung erlauben.
Variationen im Monatsverlauf Bei einer Analyse der Variationen des Windes, der Solar-
strahlung, des Wasserabflusses und der Erdwärme in Deutschland zwischen verschiedenen
Tagen (beispielsweise im Verlauf eines Monats) wird deutlich, dass die Windgeschwin-
digkeiten und die solare Strahlung im Vergleich zum Wasserabfluss und insbesondere
zur Erdwärme durch deutlich größere Schwankungen gekennzeichnet sind. Im Normal-
fall ist demgegenüber der Abfluss eines Fließgewässers vergleichsweise ausgeglichen und
kaum durch schnelle Änderungen gekennzeichnet; größere Schwankungen gibt es nur bei
Hochwasserereignissen und damit in Ausnahmesituationen, die zudem im Regelfall keine
Stromerzeugung mehr erlauben. Noch ausgeglichener ist das Energieangebot aus geother-
mischer Energie; hier sind praktisch keine Variationen in diesem Zeitbereich gegeben.
Dies ist bei der Windgeschwindigkeit grundsätzlich anders. Hier kann es zu erheblichen
Geschwindigkeitsunterschieden der bewegten Luftmassen an verschiedenen Tagen kom-
men. Dies gilt grundsätzlich auch für das solare Strahlungsangebot; die an einem bestimm-
ten Empfangspunkt in Mitteleuropa eintreffende Strahlungssumme kann an aufeinander
folgenden Tagen aufgrund des großen Einflusses der teilweise erheblich variierenden Be-
deckung ebenfalls deutlich schwanken.
Variationen im Tagesverlauf Wird der zeitliche Verlauf des Angebots dieser verschiede-
nen regenerativen Energien während eines Tages betrachtet, zeigen sich ähnliche Zusam-
menhänge (Abb. 10.1, rechts). Auch hier sind das solare Strahlungsangebot und insbe-
sondere die Windgeschwindigkeit durch erheblich größere Schwankungen charakterisiert
als der Abfluss und insbesondere die Erdwärme. Dabei können die Angebotsunterschie-
de an zwei aufeinanderfolgenden Stunden beim Wind noch erheblich größer sein als bei
der Solarstrahlung; dies gilt insbesondere bei böigem Wind. Bei der Sonneneinstrahlung
kommt es aber infolge des deterministisch sich verändernden Sonnenstandes über dem
10 Zusammenfassender Vergleich 927
Horizont ohnehin zu entsprechenden Variationen, die jedoch i. Allg. nicht sehr sprunghaft
verlaufen; außer bei durchziehenden Wolkenfeldern, die Schlagschatten verursachen, ver-
ändert sich die Bedeckung und damit die Solarstrahlung meist nur langsam und tendenziell
stetig.
Ähnliche Aussagen gelten auch für die Betrachtung noch kürzerer Zeitintervalle. Im
Minutenbereich ändert sich beispielsweise der Abfluss im Normalfall nur unwesentlich
(außer bei Hochwasserereignissen, wenn beispielsweise ein Wehr geöffnet wird oder
ein Damm bricht). Dies trifft jedoch nicht für die Solarstrahlung und auch nicht für
die Windgeschwindigkeit zu; beide Größen können, wenn entsprechende meteorologi-
sche Bedingungen vorliegen, z. T. erheblichen Variationen unterworfen sein (z. B. böiger
Wind, Schattenwurf infolge durchziehender Wolkenfelder).
Die Zusammenhänge bei der Wasserkraft sind damit genau umgekehrt zu denen der
Windenergie. Sie unterscheiden sich wiederum von der Geothermie und der Solarstrah-
lung. Die letzten beiden Optionen variieren innerhalb des deutschsprachigen Raums we-
niger stark im Vergleich insbesondere zur Windenergie und – in einem besonderen Maße
– zur Wasserkraft. Trotzdem kommt es beispielsweise auch bei der Solarstrahlung u. a. in-
folge mikroklimatischer Einflüsse zu entsprechenden regionalen Variationen (z. B. durch
eine starke, in bestimmten Flussniederungen gegebene Nebelneigung); außerdem nimmt
die Strahlungsleistung in Mitteleuropa mit sinkendem Breitengrad tendenziell zu. Wäh-
rend das jahresmittlere solare Strahlungs- und das geothermische Energieangebot damit
auf einer lokal begrenzten Gebietsfläche kaum variiert, kann sich die jahresmittlere Wind-
geschwindigkeit bei entsprechenden geografischen und topologischen Bedingungen schon
innerhalb weniger Meter ggf. erheblich ändern. Noch größere Unterschiede – auf kleins-
tem Raum – gibt es beim Wasserangebot.
Der derzeitige Stand der Technik für die Bereitstellung elektrischer Energie aus Solar-
strahlung, Windenergie, Wasserkraft und Geothermie und damit die ihn beschreibenden
technischen Kenngrößen unterscheiden sich z. T. erheblich. Tabelle 10.1 zeigt einen Ver-
gleich typischer, die jeweilige Energiewandlungstechnik derzeit charakterisierender Grö-
ßen.
10 Zusammenfassender Vergleich 929
Tabelle 10.1 Vergleich technischer Kenngrößen einer photovoltaischen, wind- und wassertechni-
schen sowie geothermischen Stromerzeugung unter mitteleuropäischen Gegebenheiten
Leistungen Nutzungsgrad Volllaststunden
in kW in % in h/a
Photovoltaikd 1– > 1 000 000a 17–20e 900–1 100b
Windenergief 2 500– > 9 500a 32–40 1 400– > 5 000g
Wasserkraft 10– > 500 000a 70–90h 4 500–7 500i
Geothermiej 100– > 5 000a max. 10–15k max. 8 760
a
jeweils bezogen auf eine Anlage zur netzgekoppelten Stromerzeugung, bei der Photovoltaik bezo-
gen auf ein Photovoltaikkraftwerk; b deutschsprachiger Raum (kann in Gebieten mit einer höheren
Solarstrahlungsleistung (z. B. Naher Osten) auch größer als 2 000 h/a sein); d nur netzgekoppelte
Anlagen; e untere Grenze bei der Verwendung polykristalliner Solarzellen und oberer Wert für mo-
nokristalline Solarzellen; f moderne, heute marktgängige Anlagen; g Bandbreite zwischen Onshore-
und Offshore-Standorten; bei letzteren ggf. noch höher; h abhängig von der Auslegung und den was-
serrechtlichen Vorgaben; i Volllaststunden werden i. Allg. durch die Anlagenauslegung bestimmt
(maximal wären 8 760 h/a möglich); j bezogen auf die in Deutschland vorliegenden geologischen
Gegebenheiten; k ausschließliche Stromerzeugung unter sehr guten Bedingungen in Deutschland
(d. h. keine Kraft-Wärme-Kopplung).
Anlagenleistungen Die Anlagenleistung ist eine typische Kenngröße, mit der Konversi-
onsanlagen zur Stromerzeugung beschrieben werden können; sie werden im Folgenden
entsprechend dem gegenwärtigen Stand der Technik diskutiert. Auch wird der Bezug zu
den Techniken zur Stromerzeugung aus fossilen Energieträgern hergestellt.
Tabelle 10.1 zeigt einen Vergleich der Nennleistungen von Anlagen zur Stromerzeu-
gung aus Solarstrahlung über eine photovoltaische Wandlung, aus Windenergie, aus Was-
serkraft und aus Geothermie. Diese werden nachfolgend kurz diskutiert.
Anlagen zur Stromerzeugung aus fossilen Energieträgern sind durch elektrische An-
lagenleistungen gekennzeichnet, die sich in den allermeisten Fällen zwischen wenigen
100 kW (z. B. Erdgas-BHKW) und maximal rund 1 GW (z. B. Steinkohlekraftwerk) pro
Anlage bewegen. Ausgehend von dem vorhandenen Anlagenpark machen der Anzahl
nach dabei kleinere Anlagen im Bereich von einigen 10 bis insbesondere einigen 100 MW
10 Zusammenfassender Vergleich 931
den größeren Anteil aus; dies liegt darin begründet, dass nach wie vor noch eine Vielzahl
an relativ alten Anlagen mit aus heutiger Sicht relativ geringen elektrischen Anlagenleis-
tungen – häufig auch in Kraft-Wärme-Kopplung – betrieben werden. Der überwiegende
Teil der aus fossilen Brennstoffen bereitgestellten elektrischen Energie wird in Deutsch-
land jedoch in Kraftwerken mit installierten Leistungen von einigen 100 MW und z. T.
deutlich darüber erzeugt; das sind dann z. T. neuere Anlagen. Dabei ist eine große Band-
breite der installierten Leistungen am Markt zu beobachten.
Zusammengenommen weisen demnach alle hier diskutierten Strombereitstellungstech-
niken auf der Basis erneuerbarer Energien, wie sie in Mitteleuropa heute zum Einsatz
kommen, im Regelfall deutlich geringere Leistungen im Vergleich zu mit fossilen Brenn-
stoffen gefeuerten Stromerzeugungsanlagen auf.
Diese Zusammenhänge können sich – wie es auch in der Vergangenheit der Fall war
– zukünftig ändern; Energiesysteme i. Allg. und Stromversorgungssysteme im Speziellen
sind einem laufenden Wandel unterworfen und müssen in einem permanenten evolutionä-
ren Prozess an die sich verändernden Gegebenheiten angepasst werden.
Die Wasserkraftnutzung hat bereits eine technische Entwicklung von deutlich mehr
als 100 Jahren hinter sich. In Verlauf dieser Zeitspanne wurden Anlagen entwickelt
und optimiert, die praktisch alle in der Praxis vorkommenden Einsatzfelder effizient
abdecken können. Hier ist somit zukünftig nicht von einer weiteren Veränderung der
Anlagenleistungen auszugehen.
Demgegenüber war die kommerzielle Windkraftnutzung in den letzten 30 Jahren
durch erhebliche technische Innovationen charakterisiert. Diese Entwicklung nahm
ihren Ausgangspunkt bei Anlagen mit installierten Leistungen von wenigen 10 kW;
heute sind Anlagen mit einer installierten Leistung von rund 10 MW – insbesondere im
Hinblick auf eine Offshore-Installation auch mit der zeitnahen Perspektive Richtung
20 MW – in einer fortgeschrittenen Markteinführungsphase. Deshalb ist zu erwarten,
dass die elektrischen Anlagennennleistungen einer Windstromerzeugung tendenziell
weiter zunehmen werden; dies ist mit potenziellen ökonomischen und systemischen
Vorteilen verbunden. Aus gegenwärtiger Sicht ist offen, wann und bei welchen Leis-
tungen diese Entwicklung enden könnte, da eine Obergrenze der in Windkraftanlagen
installierbaren Anlagenleistungen für eine Offshore-Aufstellung bisher kaum erkenn-
bar ist. Aufgrund der erheblichen und mit einem weiteren Upscale stark zunehmenden
technischen Herausforderungen u. a. bezüglich der Rotorblattdimensionen und der
immer größer werdenden Turmkopfmassen dürfte diese Entwicklung aber mit wei-
ter steigender elektrischer Anlagenleistung irgendwann an eine techno-ökonomische
Grenze kommen. Im Unterschied zu diesen Entwicklungstendenzen bei der Offshore-
Windkraftnutzung hat eine Windkraftnutzung an Land diese techno-ökonomische
Grenze z. T. bereits erreicht; in den letzten Jahren hat sich das Spektrum der jeweils
installierten elektrischen Leistungen von Onshore-Windkraftanlagen kaum verändert,
da eine Installation der heute Markt-dominanten Anlagen der 3 bis 5 MW-Klasse für
eine Aufstellung an vielen Binnenlandstandorten aufgrund der Anlagendimensionen
932 M. Kaltschmitt und L. Sens
im Kontext der oft nur begrenzten logistischen Zugänglichkeit bereits heute teilweise
sehr herausfordernd ist und eine Installation noch größerer Anlagen stark limitiert.
Im Unterschied zu Windkraftkonvertern und Wasserkraftwerken sind Anlagen zur pho-
tovoltaischen Stromerzeugung durch einen modularen Aufbau gekennzeichnet, der ei-
ne Installation von Photovoltaiksystemen zur netzgekoppelten und auch nicht netzge-
koppelten Stromerzeugung mit fast beliebigen Leistungen ermöglicht. An dieser sehr
großen Bandbreite möglicher Nennleistungen dürfte sich zukünftig nichts Grundsätz-
liches ändern; es ist lediglich davon auszugehen, dass – falls die Kosten weiter signifi-
kant reduziert und entsprechende Aufstellflächen verfügbar gemacht werden können –
die pro Kraftwerk installierte Nennleistung weiter zunehmen wird, da dann Synergie-
effekte mit den daraus resultierenden Kostenreduktionspotenzialen erschlossen werden
können; die Entwicklung der letzten Jahre bestätigt diese Tendenz in beeindruckender
Weise.
Im Gegensatz dazu ist die Entwicklung bei den in geothermischen Kraftwerken instal-
lierten Leistungen weitgehend offen, da die Möglichkeit einer geothermischen Strom-
erzeugung noch sehr am Anfang der technischen Entwicklung steht. Aufgrund zu er-
wartender ökonomischer Grenzen in Bezug auf die erreichbare Bohrtiefe, die Anzahl
der abzuteufenden Bohrungen pro Geothermie-Kraftwerk und die begrenzten techni-
schen Möglichkeiten zur Speicherstimulation ist aber aus gegenwärtiger Sicht nicht
davon auszugehen, dass solche Anlagen in Mitteleuropa kurz- bis mittelfristig flächen-
deckend elektrische Blockleistungen im zweistelligen MW-Bereich erreichen dürften.
und technisch realisierbare Nutzungsgrade von unter 8 bis rund 12 %. Ist die anfal-
lende Wärme zusätzlich z. B. in einem angeschlossenen Nah- oder Fernwärmenetz
oder durch industrielle Niedertemperaturwärmeverbraucher nutzbar, sind auch erheb-
lich höhere energetische Wirkungs- bzw. Nutzungsgrade (d. h. Strom und Wärme)
möglich.
Im Vergleich dazu liegen die Wirkungs- und Systemnutzungsgrade von Anlagen zur
Wandlung der in fossil biogenen Energieträgern enthaltenen Energie in elektrische Energie
zwischen etwa 43 bis 46 % bei modernen mit Braun- oder Steinkohle gefeuerten Anlagen
und etwa 55 bis etwas mehr als 60 % bei mit Erdgas betriebenen GuD-Kraftwerken.
Damit liegen die Wirkungs- und Systemnutzungsgrade von Anlagen zur Nutzung der
Wasserkraft über und bei der Photovoltaik und der Geothermie unter denen von Anla-
gen zur Konversion fossiler Energieträger in elektrische Energie. Die Werte einer Strom-
erzeugung aus Windenergie liegen ebenfalls unterhalb derjenigen der konventionellen
Kraftwerke; allerdings ist die Differenz geringer als bei Anlagen zur photovoltaischen
Stromerzeugung. Aber ein derartiger Vergleich ist nur sehr bedingt sinnvoll, da dabei Kon-
versionsanlagen mit völlig unterschiedlichen Umwandlungskonzepten – und damit auch
vollkommen anderen physikalischen Begrenzungen – einander gegenüber gestellt werden.
Hinzu kommt, dass die genannten Stromerzeugungsoptionen auf sehr unterschiedli-
chen Stufen der natürlichen Umwandlungskette der Sonnenenergie ansetzen, die ja letzt-
lich – mit Ausnahme der Geothermie – die energetische Basis für alle diese Anlagen
darstellt.
Die Photovoltaik nutzt die von der Sonne auf die Erde eingestrahlte Energie unmittel-
bar; d. h. das eingestrahlte Sonnenlicht kann mit einem Wirkungsgrad von 17 bis 20 %
in elektrische Energie – und damit in nahezu universell nutzbare Exergie – umgewan-
delt werden.
Die Windenergie nutzt die Strömungsgeschwindigkeiten der bewegten Luftmassen –
und das näherungsweise mit einem Wirkungs- bzw. Nutzungsgrad, der grob doppelt
so hoch ist im Vergleich zu dem der Photovoltaik. Da jedoch die Atmosphärenbewe-
gungen – d. h. die Luftströmungen – letztlich durch die eingestrahlte Sonnenenergie
verursacht werden (es werden rund 23 % der eingestrahlten Solarenergie innerhalb der
Atmosphäre absorbiert und ein Teil dieser Energie verursacht, vom Menschen nicht
bzw. nur sehr eingeschränkt beeinflussbar, u. a. die globalen und lokalen Luftströ-
mungen), ist der auf die Sonnenenergie als die letztlich ursächliche „Primärenergie“
bezogene Wirkungs- bzw. Nutzungsgrad deutlich geringer im Vergleich zur Photovol-
taik.
Ähnlich wie bei der Stromerzeugung aus Windenergie ist auch die Situation auch bei
der Wasserkraft. Anlagen zur Nutzung der in den Fließgewässern enthaltenen Energie
machen sich den oberirdischen Wasserabfluss – mit einem sehr hohen Wirkungs- bzw.
Nutzungsgrad von 70 bis 90 % – zunutze. Dieser Abfluss resultiert dabei primär aus
dem globalen / regionalen Wasserkreislauf, durch den – ebenfalls nahezu ausschließ-
10 Zusammenfassender Vergleich 935
lich mithilfe der von der Sonne kommenden Strahlungsenergie – Wasser über eine
Verdunstung und einen atmosphärischen Transport (mithilfe der Windkraft) auf ein
höheres geodätisches Niveau gehoben wird. Infolge des nur sehr kleinen Anteils des
Wassers, das durch den globalen Wasserkreislauf bewegt wird und potenziell durch
Wasserkraftanlagen theoretisch nutzbar wäre, ist damit hier der Wirkungs- bzw. Nut-
zungsgrad bezogen auf die eingestrahlte Sonnenenergie nochmals deutlich geringer im
Vergleich zur Windenergie.
Aufgrund der zunehmenden Erfahrung mit dem Bau und Betrieb von Photovoltaikan-
lagen – insbesondere als Folge des in den letzten Jahren global stark expandierenden
Marktes – sowie wegen der bereits realisierten und zukünftig zu erwartenden For-
schungserfolge ist in den kommenden Jahren mit einer sukzessiven weiteren Zunahme
der Wirkungs- und Systemnutzungsgrade derartiger Strombereitstellungssysteme zu
rechnen. Werden die derzeit absehbaren Entwicklungen umgesetzt, dürfte in absehbarer
Zukunft ein Systemnutzungsgrad zwischen 17 und 23 % bei marktgängigen Anlagen –
mit nach wie vor weiter steigender Tendenz – mit hoher Wahrscheinlichkeit erreichbar
sein.
Infolge der laufenden technischen Weiterentwicklungen – insbesondere für einen Ein-
satz im Offshore-Bereich, der mit sehr großen Herausforderungen für einen sicheren
und wartungsarmen Anlagenbetrieb verbunden ist – ist auch bei der Windkraftnutzung
zu erwarten, dass zukünftig die Konvertertechnik weiter verbessert werden wird. Dies
936 M. Kaltschmitt und L. Sens
gilt u. a. hinsichtlich der Effizienz der Windkraftnutzung und im Hinblick auf einen
zuverlässigen Betrieb auch unter ungünstigen Umwelt- bzw. Umgebungsbedingungen
(z. B. Offshore-Einsatz in der Nordsee). Damit wird es auch zu einem leichten Anstieg
der Systemnutzungsgrade kommen. Hier könnten – lassen sich die derzeit erkennbaren
innovativen Ansätze auch erfolgreich technisch umsetzen – in übersehbarer Zukunft
Nutzungsgrade zwischen etwa 35 und knapp über 40 % erreicht werden.
Aufgrund der im Verlauf der letzten 100 Jahre schon sehr weit fortgeschrittenen An-
lagenoptimierung von Wasserkraftanlagen ist zukünftig nicht davon auszugehen, dass
sich die Wirkungs- und Nutzungsgrade einer Stromerzeugung aus Wasserkraft erheb-
lich verbessern lassen. Trotzdem wird es bei neu zu bauenden oder grundlegend zu re-
novierenden Wasserkraftwerken zu einer Verbesserung der Wirkungs- und Systemnut-
zungsgrade kommen; dies liegt u. a. in der zunehmend strömungsgünstigeren Gestal-
tung der wasserseitigen Anlagenteile, einer verbesserten Regeltechnik und den langsa-
men Übergang auf verlustärmere Turbinentypen begründet.
Auch bei der geothermischen Stromerzeugung dürften sich – wenn derartige Anlagen
zukünftig in einem größeren Maßstab in Deutschland kommerziell installiert werden
sollten – die Wirkungs- und Nutzungsgrade potenziell verbessern lassen. Zwar sind
die maximalen Wirkungsgrade aufgrund der vergleichsweise geringen nutzbaren Tem-
peraturdifferenzen aus physikalischen / thermodynamischen Gründen stark begrenzt.
Jedoch wurde die Anlagentechnik – da es in den vergangenen Jahren kaum einen signi-
fikanten Markt z. B. für ORC-Anlagen für derartige Anwendungsfälle in Mitteleuropa
gab – noch nicht sehr weitgehend optimiert; dies gilt u. a. bezüglich neuer Kreislaufme-
dien und Verbesserungen bei der Kreisprozessgestaltung (z. B. Zwischenüberhitzung).
Deshalb ist zukünftig, wenn es zu einem forcierten Durchlaufen der Lernkurve infol-
ge von deutlich zunehmenden Anlagenneuinstallationen kommen sollte, zu erwarten,
dass solche Anlagen aus technischer Sicht effizienter arbeiten werden – und damit auch
zunehmend höhere Wirkungs- und Nutzungsgrade zeigen dürften.
Technische Verfügbarkeiten Die Verfügbarkeit ist ein Maß für die Anlagenzuverlässig-
keit und damit letztlich die Betriebssicherheit bzw. die Störungsanfälligkeit von Konver-
sionsanlagen.
Die Verfügbarkeit ist bei der Photovoltaik sowie bei der Windenergie- und Wasserkraft-
nutzung – im Unterschied zu Anlagen zur Nutzung der Erdwärme – gegenwärtig bereits
sehr hoch.
Die Wasserkraft ist aufgrund der langen Entwicklungsgeschichte und dem daraus re-
sultierenden hohen Erfahrungspotenzial durch Verfügbarkeiten von über 99 % gekenn-
zeichnet; ein störungsbedingter Anlagenstillstand kommt bei den heute betriebenen
Anlagen damit kaum vor. Dies gilt jedoch nur für den Normalbetrieb; werden nicht
geplante Betriebsstillstände (z. B. bei Hochwasser) berücksichtigt, die aber aus nicht-
technischen Gründen verursacht werden und vom Menschen praktisch nicht unmittel-
bar beeinflussbar sind, können diese Werte deutlich niedriger liegen.
10 Zusammenfassender Vergleich 937
Auch bei Anlagen zur Nutzung der Onshore-Windenergie ist die technische Verfügbar-
keit mit 97 bis 99 % ebenfalls bereits heute sehr hoch. Infolge der in den letzten Jahren
gewonnenen Erfahrungen konnten die Anlagen soweit technisch verbessert und syste-
misch optimiert werden, dass trotz der teilweise komplexen Anlagentechnik und der
Vielzahl der bewegten Teile im Mittel nur für wenige Stunden des Jahres mit einem
störungsbedingten Anlagenausfall gerechnet werden muss. Dieser Optimierungspro-
zess wurde bei einer Offshore-Installation auch weitgehend, teilweise aber noch nicht
vollständig durchlaufen. Deshalb können die technischen Verfügbarkeiten hier im Ver-
gleich zu Onshore-Anlagen z. T. noch geringfügig niedriger liegen, zumal auch die
Umweltbedingungen auf dem Meer anspruchsvoller und damit herausfordernder im
Vergleich zu einer Onshore-Installation sind. Aber auch für den Windkraftanlagenbe-
trieb auf dem Meer dürften die Verfügbarkeiten mit einem zunehmenden Erfahrungs-
horizont sukzessive weiter verbessert werden.
Photovoltaische Systeme weisen eine ähnlich hohe Verfügbarkeit wie eine Onshore-
Windstromerzeugung auf. Dies liegt u. a. an den Erfahrungen, die im Rahmen der in
den beiden letzten Jahrzehnten realisierten Anlagen gewonnen werden konnten und die
insgesamt zu einer deutlichen Verbesserung der einzelnen Anlagenkomponenten und
der entsprechenden Systemtechnik geführt haben. Zusätzlich weisen Photovoltaiksys-
teme keine bewegten Teile – und damit praktisch keinen mechanischen Verschleiß –
auf. Dadurch können hier technische Zuverlässigkeiten erreicht werden, die – obwohl
diese Technik im Vergleich beispielsweise zu einer Wasserkraftnutzung noch relativ
am Anfang der großtechnischen Markteinführung steht – im Bereich einer Onshore-
Windstromerzeugung und z. T. leicht darüber liegen.
Geothermische Kraftwerke existieren in Deutschland bisher nur in einem sehr be-
grenzten Ausmaß. Aussagen über die technische Verfügbarkeit sind deshalb nur ein-
geschränkt möglich. Jedoch haben die bisherigen Erfahrungen gezeigt, dass die Zuver-
lässigkeit der wenigen im deutschsprachigen Raum vorhandenen Anlagen – aufgrund
einer Vielzahl an „Kinderkrankheiten“ und anderer nicht-technischer bzw. geologi-
scher Gründe – eher gering war bzw. ist. Sie wird aber – und das zeigen die bisher
in anderen Ländern vorliegenden Erfahrungen sehr deutlich – mit zunehmender Markt-
durchdringung und dadurch verbesserter Technik und einem zunehmenden Erfahrungs-
stand sukzessive ansteigen.
Im Vergleich dazu liegen die technischen Verfügbarkeiten der mit fossilen Brennstoffen
gefeuerten Kraftwerke etwa bei 95 bis 98 %. Sie bewegen sich somit in einer Größenord-
nung, die mit der von Anlagen zur Nutzung der Windkraft und der solaren Strahlung sehr
gut vergleichbar ist und die etwas unterhalb der von Anlagen zur Stromerzeugung aus
Wasserkraft liegt. Damit sind bezüglich der technischen Verfügbarkeiten keine wesent-
lichen Unterschiede zwischen Anlagen zur Nutzung fossiler Energieträger und regene-
rativer Energien gegeben, wenn die geothermische Stromerzeugung außer Acht gelassen
wird; letztere Stromerzeugungsoption steht noch sehr am Anfang der technischen Ent-
938 M. Kaltschmitt und L. Sens
wicklung, sodass ein derartiger Vergleich unter Fairnessaspekten schwierig und letztlich
nicht angemessen möglich ist.
Aufgrund der bereits gegenwärtig sehr hohen technischen Verfügbarkeiten der solar-,
wind- und wassertechnischen Stromerzeugung sind zukünftig nur noch geringfügige wei-
tergehende Verbesserungen zu erwarten. Deshalb ist bei der Wasserkraftnutzung auch in
Zukunft unverändert von technischen Verfügbarkeiten von über 99 % auszugehen. Bei neu
zu installierenden Anlagen zur photovoltaischen und zur windtechnischen Stromerzeu-
gung erscheint demgegenüber zukünftig eine geringfügige Verbesserung der durchschnitt-
lichen Anlagenverfügbarkeit infolge des technischen Fortschritts und des ansteigenden
Erfahrungshorizonts möglich, so dass langfristig hier ähnliche Werte erreicht werden kön-
nen, wie sie bei Wasserkraftwerken derzeit gegeben sind.
auf die horizontale Empfangsfläche. Da im verbleibenden Rest des Jahres die solare
Einstrahlung entsprechend (deutlich) geringer ist, resultieren daraus die in Tabelle 10.1
dargestellten – im Vergleich zu den anderen gezeigten Stromerzeugungsoptionen – re-
lativ geringen Volllaststunden.
Demgegenüber kann die installierte elektrische Leistung von Windkraftanlagen bei ei-
ner Nennwindgeschwindigkeit erreicht werden, die erheblich unter der meteorologisch
maximal möglichen Windgeschwindigkeit liegt. Außerdem ist – da im Unterschied zur
Solarenergie Windkraft auch in der Nacht verfügbar sein kann – eine Windstromerzeu-
gung zu jeder Stunde des Jahres grundsätzlich möglich. Aufgrund derartiger grundsätz-
licher Unterschiede liegen die Volllaststundenzahlen von Windkraftanlagen deutlich
über denen photovoltaischer Stromerzeugungsanlagen. Aufgrund der stark schwanken-
den Windgeschwindigkeiten, einer selbst an guten Standorten gewissen Flautenwahr-
scheinlichkeit und der Tatsache, dass Windkraftkonverter aufgrund technisch unüber-
windbarer Verluste erst ab einer bestimmten Mindestwindgeschwindigkeit anlaufen,
existieren hier aber ebenfalls physikalisch / technisch bedingte maximale Obergrenzen.
Diese werden jedoch in einem erheblichen Ausmaß vom jeweiligen lokalen Windener-
gieangebot determiniert und sind damit u. a. abhängig vom Standort, der eingesetzten
Anlagentechnik (z. B. Turmhöhe) und von der Jahreszeit.
Die Wasserkraftnutzung weist aufgrund des deutlich gleichmäßigeren Wasserangebots
und dem Bezug der Anlagenleistung auf einen Nenndurchfluss, welcher unter dem ma-
ximalen Abfluss des jeweiligen Fließgewässers liegt, im Durchschnitt erheblich höhere
Volllaststunden auf; vorhandene Anlagen erreichen – je nach Anlagenauslegung und
den standortbedingten Gegebenheiten – Volllaststunden von rund 4 500 h/a und z. T.
deutlich mehr. Aber es können auch – jedoch weniger unter den in Deutschland i. Allg.
gegebenen Bedingungen – deutlich geringere Volllaststunden vorkommen (z. B. bei ei-
nem saisonalen Austrocknen des Wasserlaufs).
Im Vergleich dazu sind Anlagen zur geothermischen Stromerzeugung aufgrund des
Energieangebots ohne tages- oder jahreszeitliche Angebotsvariationen bezüglich der
im Jahresverlauf erreichbaren Volllaststunden keinen grundsätzlichen Beschränkungen
infolge des regenerativen Energieangebots unterworfen. Derartige Kraftwerke können
damit theoretisch im gesamten Jahresverlauf mit der installierten elektrischen Leistung
betrieben werden (maximal 8 760 h/a). Realistischerweise dürften – unter den derzei-
tigen Bedingungen im Energiesystem – die Anlagen mit rund 7 000 bis 8 000 h/a, ggf.
auch 8 200 h/a, betrieben werden (d. h. Fahrweise zu Maximierung der Standort-spe-
zifischen Stromerzeugung zur Maximierung der Erlöse infolge einer Einspeisung der
elektrischen Energie ins Netz der öffentlichen Erzeugung (EEG-Vergütung)).
keiten jederzeit verfügbar ist (d. h. Lieferengpässe werden ausgeschlossen) und dass die
Anlage vom Grundsatz her im gesamten Jahresverlauf betrieben werden kann (z. B. eine
Kühlwassernichtverfügbarkeit, wie sie im Hochsommer infolge der gesetzlich vorgege-
benen maximalen Fließgewässertemperatur vorkommen kann, wird ebenfalls nicht unter-
stellt); damit besteht diesbezüglich kein Unterschied zu Anlagen zur Nutzung der tiefen
geothermischen Energie. Folglich können derartige Anlagen (d. h. Anlagen zur Nutzung
fossiler Energieträger, zur Nutzung der Erdwärme und auch zur Nutzung biogener Fest-
brennstoffe) abhängig von der jeweiligen Nachfrage elektrische Energie sicher – unter
Beachtung der diskutierten Einschränkungen – bereitstellen. Damit sind bei solchen An-
lagen fast beliebige Volllaststunden möglich (maximal 8 760 h/a); üblicherweise werden
derartige Anlagen aber mit maximal 7 000 bis 8 000 h/a, ggf. auch etwas mehr, betrieben.
Zukünftig können die Volllaststunden einer Stromerzeugung Veränderungen unterwor-
fen sein. Jedoch sind die Volllaststunden einer Wasserkraftstromerzeugung derzeit bereits
hoch; hier ist deshalb auch langfristig von keiner wesentlichen Steigerung auszugehen.
Infolge der zunehmend gesetzlich geforderten größeren Restwassermengen muss an eini-
gen Standorten vielmehr von einem Rückgang der Volllaststunden ausgegangen werden;
dies gilt auch aufgrund der Tatsache, dass Anfang des 20. Jahrhunderts Wasserkraftan-
lagen im Hinblick auf hohe Volllaststunden und heute mit dem Ziel einer maximalen
Energiebereitstellung bzw. einer maximalen Ausnutzung der an einem gegebenen Stand-
ort verfügbaren Wasserenergie ausgelegt werden. Daher weisen die in den letzten Jahren
in Deutschland sanierten Wasserkraftanlagen meist eine höhere installierte Leistung und
damit einen potenziell höheren Energieertrag, aber deutlich geringere Volllaststunden auf.
Demgegenüber ist bei der Windkraftnutzung infolge besserer Technik und größerer Hö-
he des Rotors über Grund sowie einer immer größeren Rotorfläche tendenziell von einer
weiteren leichten Zunahme der Volllaststunden auszugehen.
Die Bandbreite, innerhalb der die Volllaststundenanzahl aufgrund des regenerativen
Energieangebots variiert, ist bei der Solarstromerzeugung derzeit und zukünftig im Un-
terschied zu der der wind- und wassertechnischen Erzeugung vergleichsweise klein. Das
Wind- und Wasserangebot – und damit auch die Volllaststundenzahl der entsprechenden
Anlagen zur Bereitstellung elektrischer Energie – kann im Gegensatz zu dem solaren
Strahlungsangebot zwischen verschiedenen Standorten erheblich größeren Unterschieden
unterworfen sein.
no r m . E rz eu g un g
Windtechnische Stromerzeugung
Photovoltaische Stromerzeugung
norm . Erzeug ung
Geothermische Stromerzeugung
Abb. 10.2 Beispielhafte Jahres- (links) und Wochengänge (rechts) einer wind- (oben) und was-
sertechnischen (Mitte, oben) sowie einer photovoltaischen (Mitte, unten) und geothermischen
Stromerzeugung (unten) (norm. normierte; Erz. Erzeugung)
Die deutlich werdenden Unterschiede in den einzelnen Zeitbereichen können wie folgt
zusammengefasst werden.
Tabelle 10.2 Vergleich der zeitlichen Charakteristik einer photovoltaischen, wind- und wassertech-
nischen sowie geothermischen Stromerzeugung unter mitteleuropäischen Gegebenheiten
Photovoltaik Windenergie Wasserkraft Geothermie
a
Fluktuationen
Kurzfristigb sehr hoch extrem hoch kaum keine
Mittelfristigc sehr hoch extrem hoch gering keine
Langfristigd hoch sehr hoch meist gering keine
Jahresverlaufe gering hoch hoch keine
Variationenf
Tagesgang sehr ausgeprägt wenig ausgeprägt kaum vorhanden keine
Jahresgang sehr ausgeprägt kaum ausgeprägt teilweise ausgeprägt keine
a
Fluktuationen der Stromerzeugung in Mitteleuropa; b im Minutenbereich innerhalb einer Stunde;
c
im Stundenbereich innerhalb eines Tages; d im Tagesbereich innerhalb eines Jahres; e im Jahres-
verlauf zwischen verschiedenen Jahren; f Variationen der Erzeugungscharakteristik.
denen Tagen und damit beispielsweise im Verlauf eines Monats erheblich; hier sind
i. Allg. bei der Nutzung der Windenergie größere Variationen als bei der Elektrizi-
tätserzeugung aus Solarstrahlung möglich. Verglichen damit ist die wassertechnische
Stromerzeugung durch eine vergleichsweise gleichmäßige und nur in Grenzen schwan-
kende Stromerzeugung und die geothermische Erzeugung durch keine Variationen an
unterschiedlichen Tagen gekennzeichnet (Tabelle 10.2).
Variationen im Tagesverlauf. In Abb. 10.2, rechts, wird deutlich, dass die stunden-
mittlere Stromerzeugung aus Wasserkraft im Verlauf der dargestellten Maiwoche nur
sehr geringe Unterschiede und die geothermische Stromerzeugung keine Variationen
zeigt. Demgegenüber schwankt die Photovoltaikstromerzeugung zwischen verschie-
denen Stunden im Tagesverlauf erheblich; diese deutlichen Unterschiede korrelieren
dabei direkt mit dem Strahlungsangebot am jeweiligen Anlagenstandort. Im Vergleich
dazu ist die Stromerzeugung aus Windkraft noch größeren Unterschieden unterworfen
(Tabelle 10.2). Infolge der notwendigen Anlaufwindgeschwindigkeit von Windkraft-
konvertern und der Abhängigkeit der Windleistung von der dritten Potenz der Windge-
schwindigkeit ist der zeitliche Verlauf der Windstromerzeugung bei entsprechenden
Windgeschwindigkeiten tendenziell noch größeren Variationen als die entsprechen-
de Windgeschwindigkeit unterworfen. Nur bei relativ höheren durchschnittlichen Ge-
schwindigkeiten kann die windtechnische Stromerzeugung – im Vergleich zur Windge-
schwindigkeit – auch deutlich geringer bzw. kaum schwanken; variiert beispielsweise
die Windgeschwindigkeit zwischen der Nennwindgeschwindigkeit und der Abschalt-
windgeschwindigkeit (Kapitel 6.2), bleibt die Generatorleistung – und damit die elek-
trische Erzeugungsleistung – trotz Windgeschwindigkeitsvariationen näherungsweise
konstant, da der Generator nur mit der installierten Nennleistung betrieben werden
kann und damit nur diese ins Netz einspeisen kann.
10 Zusammenfassender Vergleich 943
Im Unterschied dazu sind bei Anlagen zur Stromerzeugung aus fossilen Energieträ-
gern derartige Variationen nicht gegeben. Konventionelle Kraftwerke können – infolge
der unterstellten jederzeit gegebenen Primärenergieverfügbarkeit aufgrund der einfachen
Transportier- und Speichermöglichkeit fossiler (und biogener) Brennstoffe und damit ver-
gleichbar zu Geothermie-Kraftwerken – angepasst an die jeweils gegebene Nachfrage
gefahren werden. Damit ergibt sich ein Jahres-, Monats- bzw. Tagesgang, der nicht durch
das Kraftwerk und damit die Primärenergieverfügbarkeit, sondern durch die Nachfrage
nach elektrischer Energie vorgegeben wird.
Zukünftig dürfte sich an diesen Zusammenhängen nichts ändern, da die physikalischen
Grundlagen und Zusammenhänge sich selbst bei einem merklichen technischen Fortschritt
nicht verändern. Auch ist aus gegenwärtiger Sicht nicht davon auszugehen, dass sich das
Energieangebot von Sonne, Wind, Wasser und Erdwärme, das letztlich für die Stromerzeu-
gungscharakteristik primär verantwortlich ist, mittelfristig signifikant verändern wird;
langfristig kann dies bei einem akzelerierenden Klimawandel auch anders sein.
Ausgehend von den in den einzelnen Kapiteln diskutierten ökonomischen und ökologi-
schen Analysen ist es das Ziel der nachfolgenden Ausführungen, die bei den einzelnen
Optionen zur Nutzung regenerativer Energien diskutierten Ergebnisse zusammenzufas-
sen.
ziumsolarzellen – betrachtet. Die Volllaststunden liegen bei 900 bzw. 950 h/a (Kapi-
tel 5.3).
Windkraft. Bei der windtechnischen Bereitstellung elektrischer Energie werden drei
Anlagen mit 3,5, 4,5 und 5,5 MW elektrischer Nennleistung für die Onshore-Aufstel-
lung und drei Konvertergrößen mit 6, 8, und 10 MW Nennleistung für eine Offshore-
Aufstellung betrachtet. Als Volllaststunden werden – je nach unterstellter mittlerer
Windgeschwindigkeit – zwischen 2 900 h/a für die 3,5 MW-Onshore-Anlage (mittlere
Windgeschwindigkeit von 6,5 m/s bezogen auf 100 m Höhe über Grund) und 4 900 h/a
für die 10 MW-Offshore-Anlage (mittlere Windgeschwindigkeit von 11,5 m/s bezogen
auf 100 m Höhe über dem Meeresspiegel) unterstellt (Kapitel 6.3).
Wasserkraft. Bei der Stromerzeugung aus Wasserkraft werden vier Wasserkraftwerke
in Niederdruckbauweise (110, 260, 10 000 und 100 000 kW Nennleistung) untersucht.
Die Volllaststunden schwanken zwischen 2 885 h/a (260 kW-Anlage) und 6 000 h/a
(100 MW-Anlage) (Kapitel 7.3).
Geothermie. Hier werden drei Anlagen, die an unterschiedlichen Standorten in
Deutschland errichtet werden, mit einer installierten Leistung von 3,4, 3,6 und 4,1 MW
betrachtet. In allen Fällen wird eine Volllaststundenanzahl von 7 500 h/a angenom-
men und eine Wärmeauskopplung (d. h. Kraft-Wärme-Kopplung (KWK)) realisiert
(Kapitel 9.3).
Zusätzlich werden ein Steinkohle- und ein Erdgas-GuD-Kraftwerk (Gas- und Dampf-
turbinen-Kraftwerk) mit 800 bzw. 400 MW elektrischer Nennleistung, mit Volllaststunden
von 2 500 und 7 000 h/a bzw. 1 500 und 6 000 h/a sowie mit Systemnutzungsgraden von
45 % (Steinkohle) bzw. 60 % (Erdgas-GuD) untersucht (Kapitel 1.4).
Ökonomische Analyse Die Kosten stellen ein wesentliches Kriterium für jede energie-
wirtschaftliche Bewertung einer Strombereitstellungsoption aus regenerativen Energien
und / oder fossilen bzw. biogenen Energieträgern dar. Werden die Stromgestehungskosten
für eine photovoltaische, eine wind- und eine wassertechnische sowie eine geothermi-
sche Stromerzeugung vergleichbar auf der Basis einer volkswirtschaftlichen Kostenrech-
nung (realer Zinssatz 2 % (Ausnahme: geothermische Stromerzeugung 4 % aufgrund des
deutlich größeren technischen Risikos), Abschreibungsdauer entspricht der technischen
Anlagenlebensdauer) und den derzeitigen Gegebenheiten bestimmt, ergeben sich die in
Abb. 10.3 dargestellten durchschnittlichen Stromgestehungskosten. Sie werden nachfol-
gend diskutiert.
0,25
Stromgestehungskosten in €/kWh
0,20
0,15
0,10
0,05
0,00
Abb. 10.3 Stromgestehungskosten von Anlagen zur Nutzung regenerativer Energien und fossiler
Energieträger (schwarze Linien geben die Bandbreite von minimalem zu maximalem Wert an);
PV photovoltaische Stromerzeugung (Kapitel 5.3); Wind windtechnische Stromerzeugung (Kapi-
tel 6.3); Wasser Stromerzeugung aus Wasserkraft (Kapitel 7.3); EW Stromerzeugung aus Erdwärme
(Kapitel 9.3); Steinkohle Stromerzeugung aus Steinkohle (Kapitel 1.4); Erdgas Stromerzeugung aus
Erdgas (Kapitel 1.4)
Erdwärme und zur Nutzung fossiler Energieträger können – ebenso wie Anlagen zur Nut-
zung der Biomasse – die Nachfrage nach elektrischer Energie jederzeit sicher decken.
Demgegenüber können Anlagen zur Stromerzeugung aus Solarstrahlung über die Photo-
voltaik, aus Wind und aus Wasser – aufgrund des fluktuierenden Energieangebots – nur
ansatzweise entsprechend der gegebenen Nachfrage im Netz elektrische Energie liefern.
Eine solche angebotsorientierte Stromerzeugung ist – um der gesetzlich verankerten
Vorgabe einer jederzeit sicheren und zuverlässigen Stromversorgung gerecht zu werden
– deshalb nur im Kontext von Kraftwerken und / oder Speichern sinnvoll einzusetzen,
die orientiert an den jeweiligen Gegebenheiten in einem integrierten Stromversorgungs-
system betrieben werden können und damit für einen entsprechenden Ausgleich sorgen.
Dieses sogenannte Backup-System, das damit zwingend benötigt wird, verursacht eben-
falls Kosten, die u. a. von der Angebotscharakteristik des regenerativen Energieangebots
einschließlich der genutzten regenerativen Energien, der jeweils installierten Konversi-
onstechniken und der realisierten Anlagenfahrweise, der Struktur des Backup-Systems,
den vorhandenen überregionalen Transportleitungen und vom Anteil der Stromerzeugung
aus diesen angebotsorientierten Energieströmen am gesamten Stromaufkommen abhängt.
Diese Kosten wären im Rahmen eines fairen Vergleichs zwischen den einzelnen Optionen
den in Abb. 10.3 ausgewiesenen Stromgestehungskosten der Optionen einer angebotsori-
entierten Stromerzeugung aus regenerativen Energien grundsätzlich noch anzulasten.
Infolge der technischen Weiterentwicklung wird es zukünftig zu entsprechenden Ver-
änderungen der spezifischen Stromgestehungskosten kommen. Dabei sind die zu erwar-
tenden Kostenänderungen zwischen den betrachteten Möglichkeiten einer Energiebereit-
stellung aus Solarstrahlung, Wind, Wasser und Erdwärme jedoch unterschiedlich.
Bei der Wasserkraft kann auch langfristig nicht von wesentlichen Kostensenkungen
ausgegangen werden, da diese Technik seit Jahrzehnten technisch optimiert wird. Es ist
deshalb vielmehr damit zu rechnen, dass die spezifischen Stromgestehungskosten der
Wasserkraft auch zukünftig real weitgehend auf dem gegenwärtigen Niveau bleiben
bzw. infolge zunehmender staatlicher Umweltschutzauflagen und -vorgaben tendenzi-
ell ansteigen werden.
Dies gilt nicht für die Windkraftnutzung. Aufgrund zu erwartender weiter sinkender
spezifischer Investitionen (bzw. von konstanten spezifischen Investitionen bei zuneh-
mend verlässlicherer Technik) und tendenziell ansteigenden Systemnutzungsgraden ist
von einer weiteren Reduktion der spezifischen Stromgestehungskosten auszugehen.
Diese weitergehenden Kostenreduktionen für eine Onshore-Installation von Windkraft-
anlagen dürften aber – aufgrund der schon realisierten erheblichen Verminderungen
der Anlageninvestitionen in den letzten beiden Jahrzehnten und des hohen technischen
Standes, den Windkraftanlagen schon erreicht haben – wahrscheinlich nicht mehr in
der in den vergangenen Jahren bereits realisierten Größenordnung möglich sein. Dem-
gegenüber dürfte der Lernkurveneffekt für eine Offshore-Windstromerzeugung noch
ausgeprägter sein; d. h. hier sind potenziell noch weitergehende Kostenreduktionen
denkbar.
10 Zusammenfassender Vergleich 949
Bei der photovoltaischen Erzeugung elektrischer Energie wurden in den letzten Jahren
sehr deutliche Kostensenkungen realisiert; dies gilt sowohl bezüglich der Investitionen
als auch hinsichtlich der noch erschließbaren Optimierungspotenziale bei der Tech-
nik der einzelnen Systemelemente und bei der Systemtechnik (d. h. dem optimalen
Zusammenspiel der einzelnen Systemelemente). Dies führt insgesamt dazu, dass die
Photovoltaik im netzgekoppelten Betrieb heute schon sehr kostengünstig zur Deckung
der Nachfrage nach elektrischer Energie in Deutschland beitragen kann. Trotzdem ist
zu erwarten, dass auch bei der Photovoltaik – infolge des global sehr stark und sehr
schnell wachsenden Marktes – in den kommenden Jahren die Stromgestehungskosten
weiter – wahrscheinlich nochmals merklich – sinken werden.
Bei der geothermischen Stromerzeugung sind die Kosten bisher noch vergleichswei-
se sehr hoch. Aufgrund des hohen technischen Aufwandes zum Aufschluss der geo-
thermischen Ressourcen ist jedoch immer von vergleichsweise hohen Investitionen
auszugehen; sie müssen dann, um spezifische niedrige Stromgestehungskosten zu rea-
lisieren, möglichst auf eine hohe Stromerzeugung infolge einer hohen Volllaststunden-
zahl der entsprechenden Geothermieanlage und eine zusätzliche Wärmenutzung (d. h.
Kraft-Wärme-Kopplung (KWK)) umgelegt werden. Insbesondere letzteres am Markt
umzusetzen wird in Deutschland vor dem Hintergrund einer potenziell rückläufigen
Wärmenachfrage aufgrund verbesserter Dämmung potenziell herausfordernder.
Ökologische Analyse In den letzten Jahren haben die mit der End- bzw. Nutzenergiebe-
reitstellung verbundenen Umwelteffekte in den öffentlichen Diskussionen global, Europa-
weit und auch national erheblich an Bedeutung zugenommen; heute wird kaum eine ener-
gietechnische oder gar energiepolitische Entscheidung ohne Berücksichtigung der mit der
Energiebereitstellung jeweils verbundenen – oder vermiedenen – Umwelteffekte getrof-
fen. Dies gilt insbesondere für die Klimagasemissionen, die sich in den letzten Jahren in
der EU zu einem sehr wesentlichen Bewertungskriterium von Optionen zur Energie- bzw.
Strombereitstellung entwickelt haben. Deshalb werden im Folgenden ausgewählte Um-
weltkenngrößen – jeweils unter Berücksichtigung vor- und nachgelagerter Prozesse (d. h.
im Rahmen einer Lebenswegbetrachtung) – für die bisher untersuchten Möglichkeiten ei-
ner Stromerzeugung diskutiert. Entsprechend der bisherigen Vorgehensweise wird dabei
unterschieden zwischen den Wirkungskategorien „Verbrauch erschöpflicher Energieträ-
ger“ (d. h. primärenergetisch bewerteter kumulierter fossiler Energieaufwand), „Beitrag
zum anthropogenen Treibhauseffekt“ (d. h. CO2 -Äquivalent-Emissionen), „Versauerung
terrestrischer Ökosysteme“ (d. h. SO2 -Äquivalent-Emissionen) und „human- und ökoto-
xische Wirkung“ (d. h. NOx - und SO2 -Emissionen; Kapitel 1.3). Sie werden nachfolgend
diskutiert.
10000
Energie in GJ/GWh
8000 1500
6000 1000
500
4000
0
2000
0
-2000
-4000
-6000
Abb. 10.4 Verbrauch erschöpflicher (fossiler) Energieträger von Anlagen zur Stromerzeugung aus
regenerativen Energien und fossilen Energieträgern (schwarze Linien geben die Bandbreite von
minimalem zu maximalem Wert an; PV photovoltaische Stromerzeugung (Kapitel 5.3); Wind wind-
technische Stromerzeugung (Kapitel 6.3); Wasser Stromerzeugung aus Wasserkraft (Kapitel 7.3);
EW Stromerzeugung aus Erdwärme mit Kraft-Wärme-Kopplung (Kapitel 9.3); Steinkohle Strom-
erzeugung aus Steinkohle (Kapitel 1.4); Erdgas Stromerzeugung aus Erdgas (Kapitel 1.4))
Infolge des technischen Fortschritts dürften sich diese Bilanzen zukünftig zu tenden-
ziell geringeren Werten hin entwickeln; bisher haben bei allen Stromerzeugungsoptionen
infolge besserer Technik die Wirkungs- und Nutzungsgrade typischerweise zugenommen
und umgekehrt proportional zu diesen Effizienzgewinnen sinkt i. Allg. der Verbrauch er-
schöpflicher Energieträger. Dies gilt sowohl für die Stromerzeugungsoptionen auf der
Basis regenerativer Energien als auch aus fossilen Energieträgern. Tendenziell muss aber
zwingend davon ausgegangen werden, dass auch in Zukunft eine Stromerzeugung aus
fossilen Energieträgern durch einen deutlich höheren Verbrauch an erschöpflichen Ener-
gieträgern gekennzeichnet sein wird.
900
CO2-Äquivalent-Emissionen in t/GWh
750 100
80
600 60
450 40
20
300
0
150
0
-150
-300
-450
Abb. 10.5 CO2 -Äquivalent-Emissionen von Anlagen zur Stromerzeugung aus regenerativen Ener-
gien und fossilen Energieträgern (schwarze Linien geben die Bandbreite von minimalem zu
maximalem Wert an; PV photovoltaische Stromerzeugung (Kapitel 5.3); Wind windtechnische
Stromerzeugung (Kapitel 6.3); Wasser Stromerzeugung aus Wasserkraft (Kapitel 7.3); EW Strom-
erzeugung aus Erdwärme mit Kraft-Wärme-Kopplung (Kapitel 9.3); Steinkohle Stromerzeugung
aus Steinkohle (Kapitel 1.4); Erdgas Stromerzeugung aus Erdgas (Kapitel 1.4))
SO2-Äquivalent-Emissionen in kg/GWh
1400
1200
1000
800
600
400
200
0
-200
-400
Abb. 10.6 SO2 -Äquivalent-Emissionen von Anlagen zur Nutzung regenerativer und fossiler Ener-
gien (schwarze Linien geben die Bandbreite von minimalem zu maximalem Wert an; PV photovol-
taische Stromerzeugung (Kapitel 5.3); Wind windtechnische Stromerzeugung (Kapitel 6.3); Wasser
Stromerzeugung aus Wasserkraft (Kapitel 7.3); EW Stromerzeugung aus Erdwärme mit Kraft-
Wärme-Kopplung (Kapitel 9.3); Steinkohle Stromerzeugung aus Steinkohle (Kapitel 1.4); Erdgas
Stromerzeugung aus Erdgas (Kapitel 1.4))
SO2 - und NOx -Emissionen Das Verhältnis der SO2 -Äquivalent-Emissionen zwischen
einer Stromerzeugung aus Solarstrahlung, Windenergie, Geothermie und Wasserkraft
gilt annähernd auch für die SO2 - und die NOx -Emissionen. Dementsprechend zeigt die
photovoltaische Stromerzeugung Emissionen der beiden Gase mit human- und ökotoxi-
scher Wirkung, die über denen der Windstromerzeugung liegen. Im Unterschied dazu
sind die kumulierten Emissionen der Stromerzeugung aus Wasserkraft geringer als dieje-
nigen der Nutzung der Windenergie. Demgegenüber bewegen sich die SO2 -Emissionen
der geothermischen Strom- und Wärmeerzeugung unter denen der anderen regenerati-
ven Erzeugungstechniken bzw. liegen im negativen Bereich (d. h. Netto-Emissionssenke)
(Abb. 10.7). Bei der Betrachtung der NOx -Emissionen der geothermischen Strom- und
Wärmeerzeugung können je nach betrachteter Variante die Emissionen im geringfügig
positiven oder im leicht negativen Bereich liegen (Abb. 10.8).
Verglichen damit sind die Freisetzungen bei der Kohlestromerzeugung deutlich höher.
Bei der Erdgasverstromung sind demgegenüber die SO2 - und NOx -Freisetzungen etwas
geringer, da Erdgas u. a. nahezu schwefelfrei ist.
Bezüglich der möglichen zukünftigen Veränderungen ist auch hier zu erwarten, dass
diese Emissionen tendenziell – infolge des technischen Fortschritts und damit einer weiter
zunehmenden auch ökologischen Effizienz im gesamten Energiesystem – langsam weiter
sinken werden.
954 M. Kaltschmitt und L. Sens
800
SO2-Emissionen in kg/GWh
700
600
500
400
300
200
100
0
-100
-200
Abb. 10.7 SO2 -Emissionen von Anlagen zur Nutzung regenerativer und fossiler Energien (schwar-
ze Linien geben die Bandbreite von minimalem zu maximalem Wert an; PV photovoltaische
Stromerzeugung (Kapitel 5.3); Wind windtechnische Stromerzeugung (Kapitel 6.3); Wasser Strom-
erzeugung aus Wasserkraft (Kapitel 7.3); EW Stromerzeugung aus Erdwärme mit Kraft-Wärme-
Kopplung (Kapitel 9.3); Steinkohle Stromerzeugung aus Steinkohle (Kapitel 1.4); Erdgas Strom-
erzeugung aus Erdgas (Kapitel 1.4))
800
NOx-Emissionen in kg/GWh
700
600
500
400
300
200
100
0
-100
Abb. 10.8 NOx -Emissionen von Anlagen zur Nutzung regenerativer und fossiler Energien (schwar-
ze Linien geben die Bandbreite von minimalem zu maximalem Wert an; PV photovoltaische
Stromerzeugung (Kapitel 5.3); Wind windtechnische Stromerzeugung (Kapitel 6.3); Wasser Strom-
erzeugung aus Wasserkraft (Kapitel 7.3); EW Stromerzeugung aus Erdwärme mit Kraft-Wärme-
Kopplung (Kapitel 9.3); Steinkohle Stromerzeugung aus Steinkohle (Kapitel 1.4); Erdgas Strom-
erzeugung aus Erdgas (Kapitel 1.4))
Potenziale Entsprechend der bisherigen Vorgehensweise wird auch bei dem Vergleich
der Potenziale unterschieden zwischen dem theoretischen Potenzial sowie den technischen
Stromerzeugungs- und den Endenergiepotenzialen.
10 Zusammenfassender Vergleich 955
Tabelle 10.3 Potenziale regenerativer Energien zur Stromerzeugung (nur in Deutschland für
Deutschland (d. h. keine Berücksichtigung eines potenziell technisch möglichen Imports beispiels-
weise photovoltaisch erzeugter elektrischer Energie z. B. aus Nordafrika nach Deutschland); jeweils
nur maximale technische Nachfragepotenziale der einzelnen Optionen im Rahmen einer Singulär-
betrachtung; Stand Ende 2019)
Theoretische Technische Technische
Potenziale Erzeugungspotenziale Nachfragepotenziale
in PWh/a in TWh/a (in GW) in TWh/a (in PJ/a)
Wasserkraft ca. 0,093 33–42 (4,7–14) 31–40
Windenergie 8–12 971 (296)a 167–189
366 (85)b
Solarstrahlungc ca. 109 95–125 (104–136)d 69–90
31–40 (47–61)e
562–735 (591–773)f
Erdwärmeg ca. 33h 321 (40–46)i 369j
66 (2 530)k
a
Onshore-Aufstellung (Kapitel 6.4); b Offshore-Aufstellung (Kapitel 6.4); c photovoltaische Strom-
erzeugung (Kapitel 5.4); d Systeme auf Dachflächen; e Systeme an Fassaden; f Systeme auf Freiflä-
chen; g Stromerzeugung mit ORC-Anlagen (Kapitel 9.4); h unterstellte Nutzungsdauer 1 000 Jahre;
i
Summe aus Aquiferen, Störungszonen und Kristallin; j ausschließliche Stromerzeugung in der
Grundlast; k ausschließliche Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) unter Deckung der gesamten deckba-
ren Niedertemperatur-Wärmenachfrage in Deutschland.
Auf solartechnisch nutzbaren Dach-, Fassaden- bzw. Freiflächen ist ein photovoltai-
sches Erzeugungspotenzial zwischen 95 und 125 TWh/a, zwischen 31 und 40 TWh/a
bzw. zwischen 562 und 735 TWh/a gegeben; die dafür zu installierenden Leistungen
liegen zusammengenommen bei 742 bis 970 GW.
Wird ein Anlagenmix aus marktgängigen Windkraftkonvertern unterstellt, errechnet
sich auf dem Festland der Bundesrepublik Deutschland für eine windtechnische Strom-
erzeugung ein Potenzial von rund 971 TWh/a; dies entspricht einer zu installierenden
Leistung von rund 296 GW. Zusätzlich ist eine Offshore-Aufstellung von Windkraft-
anlagen vor der deutschen Nord- und Ostseeküste möglich. Hier wären bis zu einer
mittleren Wassertiefe von rund 40 m und einer Entfernung vom Festland von maxi-
mal 100 km weitere etwa 366 TWh/a bereitstellbar; dafür wären dann ca. 85 GW an
elektrischer Leistung in Offshore-Windkraftkonvertern zu installieren.
Das technische Erzeugungspotenzial aus Laufwasserkraft liegt bei knapp 33 bis
42 TWh/a. Bei unterstellten 3 000 bis 7 000 Volllaststunden entspricht dies einer in
Wasserkraftwerken in Deutschland zu installierenden elektrischen Leistung von rund
4,7 bis etwa 14 GW.
10 Zusammenfassender Vergleich 957
Aus der im tiefen Untergrund in Aquiferen gespeicherten Wärme könnten ca. 2,6 PWh,
aus Störungszonen weitere 12,2 PWh und aus dem Kristallin zusätzliche 306,6 PWh an
elektrischer Energie erzeugt werden. Für Deutschland folgt daraus ein geothermisches
Stromerzeugungspotenzial von ca. 321 PWh. Wird unterstellt, dass dieses Potenzial im
Verlauf von 1 000 Jahren nachhaltig erschlossen werden kann, errechnet sich ein jähr-
liches technisches Stromerzeugungspotenzial von rund 321 TWh/a. Bei unterstellten
Volllaststunden von 7 000 bis 8 000 h/a entspricht dies einer zu installierenden elektri-
schen Leistung zwischen 40 und 46 GW.
Die Photovoltaik ist damit durch ein sehr großes, die Windenergie und die Geothermie
durch ein ebenfalls großes und die Wasserkraft durch ein deutlich kleineres technisches
Stromerzeugungs- bzw. Angebotspotenzial gekennzeichnet.
Zusammengenommen liegt das technische Erzeugungspotenzial einer Stromerzeugung
aus Wasserkraft, Windenergie, Solarstrahlung und Geothermie zwischen rund 2 379 und
etwa 2 600 TWh/a; dabei werden definitionsgemäß ausschließlich technische Aspekte
berücksichtigt und nachfrageseitige Restriktionen sowie sonstige Beschränkungen (z. B.
nicht verfügbare Produktionskapazitäten für Anlagen zur Stromerzeugung aus regenerati-
ven Energien, Konkurrenz um die nicht unbegrenzt verfügbaren Landflächen, mangelnde
Übertragungs- und Speicherkapazitäten) außer Acht gelassen.
Bei einem regionalen Vergleich der technischen Potenziale wird deutlich, dass im
Durchschnitt der Süden der Bundesrepublik Deutschland durch hohe wassertechni-
sche und geringe windtechnische Stromerzeugungspotenziale gekennzeichnet ist. Im
Norden kehren sich diese Verhältnisse gerade um; aufgrund der hohen mittleren Wind-
geschwindigkeiten sowie der flachen und im Vergleich zum Süden häufig weniger
bewaldeten Landschaft sind hier hohe Potenziale einer Windstromerzeugung gegeben.
Demgegenüber ist ein photovoltaisches Stromerzeugungspotenzial fast auf der gesamten
Gebietsfläche Deutschlands vorhanden. Die regionale Verteilung der technischen Erzeu-
gungspotenziale dachmontierter Photovoltaikgeneratoren wird dabei im Wesentlichen
von der Siedlungs- bzw. der Gebäudebestandsdichte bestimmt; in Großstädten (u. a. Ber-
lin, Hamburg) und Verdichtungsräumen (z. B. Ruhrgebiet, Rhein-Main-Gebiet, Mittlerer
Neckarraum) sind höhere und in den eher ländlich strukturierten Gebieten (z. B. Meck-
lenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein) geringere technische Potenziale gegeben. Die
Stromerzeugungspotenziale auf Freiflächen korrelieren demgegenüber näherungsweise
mit der landwirtschaftlichen Nutzfläche, wenn diese teilweise als potenzielle Kraftwerks-
grundfläche unterstellt wird. Ackerflächen sind zwar nahezu überall in Deutschland
verfügbar, nehmen aber in eher ländlichen Gegenden mit einem geringen Waldanteil
überdurchschnittlich hohe Anteile ein; hier sind deshalb die technischen Stromerzeu-
gungspotenziale von Photovoltaikkraftwerken überdurchschnittlich hoch, wenn unterstellt
wird, dass derartige Flächen anteilig nutzbar wären. Tendenziell gilt aber für die Photo-
voltaikstromerzeugung in Deutschland, dass das Strahlungsangebot i. Allg. umso besser
– und damit die flächenspezifische Stromerzeugung umso höher – wird, je südlicher der
potenzielle Anlagenstandort liegt. Vergleichbar damit ist eine geothermische Stromerzeu-
958 M. Kaltschmitt und L. Sens
gung grundsätzlich auf der gesamten Gebietsfläche Deutschlands möglich. Jedoch ist
insbesondere der Oberrheingraben, das süddeutsche Molassebecken und ggf. das nord-
deutsche Becken durch vergleichsweise günstigere Bedingungen gekennzeichnet als der
Rest von Deutschland.
Zukünftig können sich diese Stromerzeugungspotenziale dann verändern, wenn im Zu-
ge des technischen Fortschritts die Wirkungs- und damit auch die Systemnutzungsgrade
ansteigen. Da dies bei der Wasserkraft kaum zu erwarten ist, kann hier auch langfristig
von einem technischen Potenzial zwischen 33 und 42 TWh/a ausgegangen werden. Dies
ist bei der Photovoltaik und bei der Windenergie sowie insbesondere bei der Geothermie
aufgrund begrenzter noch unerschlossener technischer Entwicklungspotenziale nicht der
Fall. Bei einer Windstromerzeugung ist – infolge der nach wie vor gegebenen Tendenz
zu immer größeren installieren Anlagenleistungen – langfristig ein Anstieg der techni-
schen Erzeugungspotenziale zu erwarten. Dies gilt auch für die photovoltaische und die
geothermische Stromerzeugung. Gelingt es bei letzterer, den Untergrund einfacher und
kostengünstiger – und vor allem sicher – zu erschließen und dadurch effizienter der Erde
mehr Wärme zu entziehen und diese Übertage mit einem höheren Systemnutzungsgrad in
elektrische Energie zu wandeln, könnten sich die Potenziale deutlich erhöhen.
Unter diesen Randbedingungen sind bei der Bestimmung der technischen Endener-
gie- bzw. Nachfragepotenziale der Wasserkraftstromerzeugung näherungsweise nur die
Netzverluste zu berücksichtigen, während bei der photovoltaischen und windtechnischen
Stromerzeugung auch andere Restriktionen zu beachten sind (Tabelle 10.3). Dies gilt auch
für die geothermische Stromerzeugung, die – trotz der grundsätzlich nachfrageorientiert
möglichen Stromerzeugung aus Erdwärme – durch Restriktionen begrenzt wird, die aus
der derzeitigen Charakteristik der Nachfrage nach elektrischer Energie im Netz der öffent-
lichen Versorgung resultieren.
Nachfolgend werden die technischen Endenergie- bzw. Nachfragepotenziale im Rah-
men einer Singulärbetrachtung zusammengefasst (d. h. jede Option wird allein für sich
betrachtet).
Tabelle 10.4 Nutzung regenerativer Energien zur Stromerzeugung einschließlich der installierten
elektrischen Leistungen (Stand: Jahr 2018)
Welt EU-28 Deutschland Österreich
in TWh/a (GW) in TWh/a (GW) in TWh/a (GW) in TWh/a (GW)
Wasserkraft 4 200 (1 293) 344 (130) 16,5 (5,6) 37,6 (14,1)
Windenergie 1 270 (564) 362 (179) 113 (59,3) 5,9 (3,1)
Solarstrahlunga 585 (480) 128 (122) 46,2 (45,3) 1,6 (1,4)
Tiefe Geothermie 82 (14,6) 7 (1,2) 0,172 (0,042) 0,003 (0,001)
Gesamte Stromerzeugungb 26 460 3 210 620 67,6
a
photovoltaische Stromerzeugung (Kapitel 5); b berücksichtigt die gesamte Stromerzeugung aus
erneuerbaren Energien und fossilen Energieträgern.
abschwächen wird. Die Geothermie wird aus Ressourcen- und aus ökonomischer Sicht
auch zukünftig nur eine Randrolle einnehmen, die aber unter bestimmten lokalen Gege-
benheiten auch marktbestimmend sein kann (z. B. Island).
Welt Die Stromerzeugung aus Wasserkraft trägt mit 4 200 TWh (2018) zur gesamten
Stromerzeugung weltweit bei und ist durch das mit Abstand größte aus erneuerbaren
Energien erzeugte Stromaufkommen gekennzeichnet. Die in den entsprechenden Wasser-
kraftwerken, die diese Erzeugung realisierten, installierte Leistung lag 2018 bei 1 293 GW.
Die zweitgrößte Stromerzeugung aus regenerativen Energien erfolgte mit 1 270 TWh
(2018) durch die Windkraft; dafür waren weltweit 564 GW an elektrischer Leistung in-
stalliert. Insgesamt lag diese Windstromerzeugung allerdings lediglich bei rund einem
Drittel der Strommenge, die aus Wasserkraft im Jahr 2018 generiert wurde. Allerdings
war die Windkraft in den letzten Jahren – im Gegensatz zur Wasserkraft – durch deutlich
höhere relative Zuwachsraten gekennzeichnet. Der gleiche Sachverhalt gilt sinngemäß
auch für die photovoltaische Stromerzeugung; hier wurden 2018 rund 585 TWh bei einer
installierten elektrischen Leistung von 480 GW erzeugt. Dahingegen ist der Anteil der
globalen geothermischen Stromerzeugung mit rund 82 TWh und 14,6 GW installierter
Leistung im Jahr 2018 vernachlässigbar gering.
Europäische Union In den EU-28-Staaten erzeugten im Jahr 2018 sowohl die Wasserkraft
mit 344 TWh bei einer installierten Leistung von 130 GW als auch die Windenergie mit
362 TWh bei einer installierten Leistung von 179 GW jeweils einen merklichen Anteil
an der gesamten Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien. Zusätzlich stellten Systeme
zur photovoltaischen Stromerzeugung 2018 bei einer installierten Leistung von 122 GW
insgesamt 128 TWh bereit. Dahingegen ist die Stromerzeugung mittels Geothermie mit
7 TWh (2018) und einer installierten Leistung von 1,2 GW EU-28-weit sehr gering und im
Hinblick auf die gesamte Nachfrage nach elektrischer Energie in der EU-28 (Tabelle 10.4)
nahezu vernachlässigbar.
962 M. Kaltschmitt und L. Sens
Deutschland Im Jahr 2018 wurden aus erneuerbarer Wasserkraft (d. h. Lauf- und Spei-
cherwasserkraft ohne Erzeugung aus gepumptem Wasser in Pumpspeicherkraftwerken)
rund 16,5 TWh bei einer installierten Leistung bei etwa 5,6 GW in das Netz der öffent-
lichen Versorgung eingespeist. Im Unterschied zur EU-28 oder der global gegebenen
Situation trägt die Wasserkraft in Deutschland somit – geographisch bedingt – nicht den
größten Beitrag zu Stromerzeugung aus regenerativen Energien bei; dies war 2018 die
Windkraft. Insgesamt waren Ende 2018 knapp 29 213 netzgekoppelte Onshore-Windkraft-
anlagen mit rund 52,9 GW in Deutschland installiert; der gesamte Jahresenergieertrag
dieses Anlagenparks liegt bei knapp 94 TWh/a. Hinzu kommen 1 305 Offshore-Wind-
kraftanlagen, die Ende 2018 mit einer Anlagenleistung von 6,4 GW im Betrieb waren
und einen Jahresertrag von rund 19,4 TWh aufwiesen. Insgesamt waren somit Ende 2018
30 518 Windkraftanlagen mit einer installierten Gesamtleistung von 59,3 GW und einem
Jahresenergieertrag von knapp 113 TWh (2018) am Netz. Die zweitgrößte erneuerbare
Stromerzeugungstechnologie in Deutschland ist die Photovoltaik. Ende 2018 waren netz-
gekoppelte Photovoltaikgeneratoren mit einer geschätzten Leistung von etwa 45,3 GW
installiert; dies entspricht einer 2018 erzeugten elektrischen Energie von rund 46,2 TWh.
Neben den netzgekoppelten Systemen werden auch nicht netzgekoppelte Systeme (z. B.
Parkscheinautomaten) betrieben, in denen 2018 geschätzte 100 MW an photovoltaischer
Leistung installiert waren. Die geothermische Stromerzeugung ist dahingegen in Deutsch-
land sehr gering. Insgesamt war 2018 rund 42 MW an geothermischer Stromerzeugungs-
leistung installiert. Von diesen Anlagen wurden 2018 geschätzte 0,172 TWh ins Netz der
öffentlichen Versorgung eingespeist.
Österreich Die Stromerzeugung aus Wasserkraft betrug in Österreich im Jahr 2018 bei
einer installierten Leistung von 14,1 GW rund 37,6 TWh und ist somit – geographisch
bedingt – mit einem Anteil von 56 % an der gesamten Stromerzeugung in Österreich
(Tabelle 10.4) die mit Abstand wichtigste Stromerzeugungstechnologie. Die zweitgröß-
te Stromerzeugungsoption auf der Basis regenerativer Energien 2018 war die Windkraft
mit einer Stromerzeugung von 5,9 TWh, die mit einer installierten Leistung von 3,1 GW
realisiert wurde. Dahingegen trägt die photovoltaische Bereitstellung elektrischer Energie
2018 mit 1,4 GW und einer daraus realisierten Stromerzeugung von 1,6 TWh mit einem
deutlich geringeren Anteil zur Deckung der Stromnachfrage in Österreich bei. Die geo-
thermische Stromerzeugung ist auch hier mit einer Leistung von 1,2 MW im Jahr 2018
und einer korrespondierenden Stromerzeugung von rund 2,7 GWh sehr gering.
ist aber nicht Gegenstand der vorliegenden Ausführungen und wird deshalb auch hier nicht
näher betrachtet) – untersucht. Hierbei werden in den Kapiteln 4, 8 und 9 ausgewählte
technische, ökonomische und ökologische Kenngrößen sowie die vorhandenen Potenziale
und die derzeitige Nutzung ermittelt und diskutiert. Damit ist aber weder eine Aussa-
ge darüber getroffen, wie die einzelnen Wärmebereitstellungsoptionen untereinander zu
bewerten sind noch wo sie im Vergleich zu den Techniken zur Nutzung fossiler Energie-
träger (z. B. Erdgas) stehen. Im Folgenden werden daher die hier betrachteten Wärme-
erzeugungssysteme – für die definierten Versorgungsaufgaben (Kapitel 1.3) – einander
vergleichend gegenüber gestellt (d. h. solarthermische Wärmebereitstellung, Nutzung der
Umgebungsluft und der oberflächennahen Erdwärme, Nutzung der tiefen Erdwärme) und
mit den jeweils substituierbaren Optionen zur Nutzung fossiler Energieträger (d. h. erd-
gasgefeuerte Heizungsanlage) verglichen.
Für die verschiedenen untersuchten Optionen wird im Folgenden zunächst das jewei-
lige regenerative Energieangebot diskutiert. Dann werden ausgewählte technische Kenn-
größen der Konversionsanlagen gegenübergestellt. Anschließend werden die Ergebnisse
der ökonomischen und der ökologischen Analyse vergleichend diskutiert. Darauf aufbau-
end erfolgt eine Gegenüberstellung der jeweiligen Potenziale und der Nutzung.
10.2.1 Energieangebot
Tabelle 10.5 Vergleich der räumlichen und zeitlichen Angebotscharakteristik des solaren Strah-
lungsangebots, des Energieangebots der Umgebungsluft und des geothermischen Wärmeangebots
Solarthermie Umgebungsluft Geothermie
Oberflächennahe Tiefe
Erdwärme Erdwärme
Substundenbereich ausgeprägt kaum ausgepr. nicht vorh. nicht vorh.
Stundengang ausgeprägt ausgeprägt kaum vorh. nicht vorh.
Tagesgang ausgeprägt ausgeprägt kaum ausgepr. nicht vorh.
Jahresgang ausgeprägt ausgeprägt schw. ausgepr. nicht vorh.
Lokal vorhanden vorhanden schw. ausgepr. vorhandena
Regional vorhanden vorhanden schw. ausgepr. vorhandena
a
von der eingesetzten Erschließungstechnik und der betrachteten Region abhängig; ausgepr. ausge-
prägt; schw. schwach; vorh. vorhanden.
gie der Umgebungsluft gegeben. Obwohl es sich auch bei dieser Art der oberflächennahen
Erdwärmenutzung grundsätzlich weitgehend um eine, wenn auch indirekte, Nutzung der
Sonnenenergie handelt, werden die stündlichen und täglichen Angebotsunterschiede der
eingestrahlten Sonnenenergie in den obersten Metern der Erdkruste – infolge der Spei-
cherwirkung des Bodens – weitgehend ausgeglichen. Dadurch ergibt sich im Regelfall
ein Jahresgang, der mit einer bestimmten Zeitverzögerung und unter Ausgleich der Ex-
tremwerte näherungsweise dem mittleren Jahresgang der wochen- bzw. monatsmittleren
Lufttemperatur an der Erdoberfläche des entsprechenden Standortes folgt. Dieser Jahres-
gang ist mit zunehmender Tiefe unter der Erdoberfläche immer weniger ausgeprägt, da
der Einfluss der Solarstrahlung mit der Tiefe ab- und der der Erdwärme zunimmt. Deshalb
macht er sich bei einer Nutzung der oberflächennahen Erdwärme mit Hilfe von Erdwär-
mesonden bzw. mit einer Grundwassernutzung nur noch sehr eingeschränkt bzw. kaum
noch bemerkbar.
Im Unterschied zu der Nutzung der Solarenergie, der Umgebungsluft und der ober-
flächennahen Erdwärme ist eine Energiebereitstellung aus dem tiefen Untergrund (d. h.
tiefe Geothermie) durch keine zeitlichen Angebotsvariationen gekennzeichnet; dies gilt
für alle Möglichkeiten zur Erschließung des Untergrunds. Unabhängig von der Tages-
und Jahreszeit ist beispielsweise in Thermalwasseraquiferen Wärme in einem gleichen
Maße verfügbar. Jedoch kann es bei der Nutzung des tiefen Untergrunds mit offenen Sys-
temen (z. B. hydrothermale Erdwärmenutzung) im Verlauf mehrerer Jahrzehnte zu einer
langsamen Abnahme der Temperatur des geförderten Geofluids kommen; geothermische
Lagerstätten können – bei einer entsprechenden Auslegung der jeweiligen Konversions-
anlagen, wie es bei offenen Systemen üblicherweise der Fall ist – schneller „abgebaut“
werden, als sie sich infolge des natürlichen Wärmestroms von rund 65 mW/m2 aus dem
Erdinnern regenerieren; damit kann vom Grundsatz her bei derartigen offenen Systemen
lokal mehr thermische Energie aus dem tiefen Untergrund entnommen werden als infol-
ge des natürlichen Erdwärmestroms zufließt. Werden im Unterschied dazu geschlossene
Systeme (z. B. tiefe Sonden) betrachtet, ist die Erdwärme im Verlauf der gesamten tech-
nischen Lebensdauer einer derartigen Anlage in einem gleichen Ausmaß verfügbar; wird
eine anzustrebende nachhaltige Auslegung einer derartigen Anlage unterstellt, wird durch
eine solches geschlossenes System nur die thermische Energie dem Untergrund entnom-
men, die auch durch den natürlichen Wärmestrom zu- bzw. nachfließt.
Zusammengenommen ist damit im Unterschied zur solaren Strahlung und der Energie
der Umgebungsluft die Erdwärme keinen tages- oder jahreszeitlichen Variationen unter-
worfen. Dies gilt jedoch für die oberflächennahe Erdwärme nur eingeschränkt, da hier
eine jahreszeitliche Abhängigkeit infolge des Einflusses der solaren Strahlung gegeben
ist; dieser Einfluss geht aber mit zunehmender Tiefe unter der Erdoberfläche zurück und
macht sich in Tiefen von etwa 20 bis 30 m kaum noch bemerkbar. Kurz- oder mittelfris-
tige Fluktuationen, wie sie bei der Solarstrahlung sehr ausgeprägt gegeben sind und ein
typisches Kennzeichen dieses Energieangebots darstellen, sind bei der tiefen Erdwärme
aber nicht vorhanden.
966 M. Kaltschmitt und L. Sens
mengenommen entspricht die Fläche, auf der derartige Sedimentbecken nach dem gegen-
wärtigen Kenntnisstand sicher vorkommen, beispielsweise etwa 35 % der Gesamtfläche
Deutschlands. Aber auch in den Gebieten, in denen solche hydrothermalen Vorkommen
mit hoher Wahrscheinlichkeit gegeben sind, kann es infolge von geologisch bedingten
Unregelmäßigkeiten im porösen und permeablen Trägergestein, in dem sich die warmen
bzw. heißen Tiefenwässer befinden, zu signifikanten Angebotsunterschieden auch auf en-
gem und engstem Raum kommen (z. B. kann sich die Porosität und die Permeabilität (d. h.
Durchlässigkeit) des thermalwasserführenden Trägergesteins innerhalb weniger Meter än-
dern). Unabhängig davon können aber auch in anderen Gebieten, die außerhalb dieser
Bereiche liegen, geologische Bedingungen gegeben sein, die eine Nutzung klüftig-porö-
ser Vorkommen möglich erscheinen lassen.
Im Unterschied dazu ist eine Nutzung des tiefen Untergrunds mithilfe von Stimulati-
onsverfahren prinzipiell auf der gesamten Gebietsfläche Mitteleuropas möglich. Regio-
nale Unterschiede sind aber auch hier infolge unterschiedlicher geologischer Strukturen
und durch eine unterschiedliche Temperaturzunahme mit zunehmender Tiefe im Unter-
grund (d. h. verschiedene geothermische Gradienten) gegeben. Deshalb ist der Aufschluss
des Untergrunds in Gebieten mit geothermischen Anomalien in Bezug auf eine überdurch-
schnittliche Temperaturzunahme mit zunehmender Tiefe, wie es z. B. im Oberrheingraben,
der im Südwesten Deutschlands liegt, der Fall ist, besonders vielversprechend. Damit gibt
es sehr wohl regionale Angebotsunterschiede, die in der aus geologischen Gründen unter-
schiedlichen Zunahme der Temperatur mit der Tiefe begründet liegen.
Grundsätzlich ist auch eine Nutzung der Erdwärme mit Hilfe tiefer Sonden (d. h. ge-
schlossene Systeme) auf der gesamten Gebietsfläche Mitteleuropas denkbar. Regionale
Unterschiede im jeweils vorliegenden Temperaturniveau sind bei dieser Nutzungsoption
nur insofern gegeben, als dass auf der betrachteten Gebietsfläche die Temperaturzunah-
me mit der Tiefe variieren kann (z. B. ist der Oberrheingraben durch eine überdurch-
schnittliche Zunahme der Temperatur mit zunehmender Tiefe beispielsweise im Vergleich
zum norddeutschen Becken gekennzeichnet). Daraus resultiert ein regional teilweise un-
terschiedliches Energieangebot, das mit derartigen geschlossenen Systemen erschlossen
werden könnte.
Zusammengenommen ist damit die bei der solarthermischen Technik genutzte Primär-
energie (d. h. die solare Strahlung) prinzipiell überall in Mitteleuropa nutzbar. Dies gilt
auch für das Energieangebot der Umgebungsluft und der oberflächennahen Erdwärme.
Mit wenigen Einschränkungen aufgrund geologischer Unterschiede und des bisher z. T.
noch geringen Kenntnisstandes trifft dies vom Grundsatz her auch für die Nutzung der
Energie des tiefen Untergrunds zu, obwohl es hier Gebiete gibt, die infolge überdurch-
schnittlich hoher Temperaturen und / oder den lokal unterschiedlichen Gegebenheiten im
tiefen Untergrund für eine Nutzung eher prädestiniert sind als andere. Weniger trifft dies
auf die Nutzung klüftig-poröser Speicher (z. B. hydrothermale Erdwärmenutzung) zu, da
die entsprechenden geologischen Strukturen nicht auf der gesamten betrachteten Gebiets-
fläche gegeben sind.
968 M. Kaltschmitt und L. Sens
Die technischen Kenngrößen der betrachteten Optionen zur Bereitstellung von Wärme,
ggf. auch unter gleichzeitiger Stromerzeugung in Kraft-Wärme-Kopplung, unterschei-
den sich erheblich. Nachfolgend werden daher wesentliche technische Größen, bei denen
ein Vergleich möglich und sinnvoll ist, einander gegenübergestellt. Dies wird sowohl im
Quervergleich der einzelnen Optionen untereinander als auch im Vergleich zu den ent-
sprechenden Alternativen zur Nutzung fossiler Energieträger realisiert.
Technische Verfügbarkeiten Die technische Verfügbarkeit als ein Maß für die Anlagen-
zuverlässigkeit ist bei allen hier untersuchten Techniken gegenwärtig bereits sehr hoch.
Dies gilt jedoch nur eingeschränkt für die Techniken und Verfahren, die sich noch in ei-
nem Forschungs- und Entwicklungsstadium befinden bzw. dieses erst vor relativ kurzer
Zeit verlassen haben.
Die hohe technische Verfügbarkeit aller hier untersuchten Optionen zur Wärmebe-
reitstellung aus regenerativen Energien liegt im Wesentlichen an den erfolgreichen Ent-
wicklungsarbeiten der letzten Jahrzehnte und der Markteinführung begründet. Dadurch
konnten die anfänglichen z. T. erheblichen technischen und systemischen Probleme zwi-
schenzeitlich weitgehend überwunden werden und in der Zwischenzeit liegt ein breiter
Erfahrungsschatz vor. Heute sind voll funktionsfähige Anlagen auf dem Markt verfügbar,
die eine definierte Versorgungsaufgabe mit einer hohen Wahrscheinlichkeit sicher decken
können.
Bei der Solarthermie ist die hohe technische Verfügbarkeit ein wesentliches Ergebnis
sowohl der Verbesserungen an einzelnen Systemelementen als auch der Systemtechnik
und damit des optimalen Zusammenspiels der einzelnen Systemelemente untereinander
bzw. miteinander. Damit sind heute technische Verfügbarkeiten möglich, die im Bereich
von mit fossilen Brennstoffen gefeuerten Anlagen zur Wärmenachfragedeckung liegen.
Auch ist die technische Lebensdauer der entsprechenden Anlagen weitgehend vergleich-
bar mit der der fossilen Pendants.
Die geringe Störungsanfälligkeit marktgängiger Wärmepumpensysteme zur Nutzung
der Umgebungsluft und der oberflächennahen Erdwärme hat ihre Ursache primär in der
deutlich verbesserten Wärmepumpentechnik im Vergleich zu den Anlagen, die Anfang bis
Mitte der 1980er Jahre angeboten wurden (nach der zweiten Ölpreiskrise 1979/80 fand in
Deutschland ein erster Wärmepumpenboom statt) und noch zahlreiche „Kinderkrankhei-
ten“ aufwiesen. Zusammen mit dem ebenfalls zwischenzeitlich optimierten Zusammen-
spiel der einzelnen Systemelemente (d. h. der Wärmequellenanlage und der Wärmepumpe
in optimaler Abstimmung mit der Wärmesenkencharakteristik) zeigen Anlagen zur Nut-
972 M. Kaltschmitt und L. Sens
zung der Umgebungsluft und der oberflächennahen Erdwärme heute Verfügbarkeiten, die
denen von Wärmebereitstellungsanlagen entsprechen, die mit fossilen Energieträgern be-
trieben werden. Dies gilt grundsätzlich auch für Anlagen, welche Erdwärme mit Hilfe
tiefer Sonden nutzen.
Auch bei Anlagen zur Nutzung der Energie des tiefen Untergrunds (z. B. hydrother-
male Erdwärmevorkommen) ist eine hohe technische Verfügbarkeit gegeben. Hier kann
es aber u. a. infolge der insbesondere im norddeutschen Becken oft korrosiven Ther-
malwässer zu entsprechenden Materialabzehrungen und / oder bei Sauerstoffzutritt in den
Thermalwasserkreislauf zu Ausfällungen kommen. Auch ist die Tiefpumpe ein relativ
stark beanspruchtes Systemelement, das ggf. in bestimmten Abständen innerhalb der tech-
nischen Lebensdauer der Gesamtanlage auszutauschen ist. Trotz erheblicher technischer
Fortschritte in den letzten Jahren kann es deshalb auch bei ordnungsgemäß durchgeführten
Wartungsarbeiten zu (i. Allg. aber nur seltenen) Anlagenausfällen kommen. Unabhängig
davon wird aber auch bei derartigen Anlagen ein sehr hohes Maß an Betriebssicherheit
realisiert, das nahezu in der Größenordnung von vergleichbaren mit fossilen Brennstoffen
gefeuerten Anlagen liegt; dies liegt nicht zuletzt auch darin begründet, dass derartige An-
lagen oft über einen mit Erdgas betriebenen Notfall-Wärmeerzeuger verfügen, damit auch
im Störungsfall eine Versorgung sichergestellt werden kann.
Im Unterschied dazu liegen bisher noch wenige Erfahrungen über die technische Zu-
verlässigkeit von Anlagen zur gekoppelten Strom- und Wärmebereitstellung aus Erd-
wärme vor. Hier werden die derzeit laufenden Aktivitäten u. a. in Deutschland und in
Österreich neue Erkenntnisse und entsprechende Erfahrungen bringen, die es erlauben
werden, auch bei diesen Anlagen die Zuverlässigkeit deutlich zu verbessern. Infolge des
bisher noch vergleichsweise frühen Entwicklungsstadiums sind hier sicherlich noch uner-
schlossene Optimierungspotenziale vorhanden, deren Erschließung einen sichereren An-
lagenbetrieb ermöglichen sollte.
Zukünftig wird es bei allen hier untersuchten Möglichkeiten zur Energiebereitstellung
aus Solarstrahlung, Umgebungsluft und Erdwärme zu einer weiteren Zunahme der tech-
nischen Verfügbarkeit kommen. Aufgrund der z. T. schon erreichten sehr hohen Standards
erscheint dies bei vielen Optionen jedoch nur noch in einem entsprechend geringen Aus-
maß möglich.
gekennzeichnet. Hier kann jedoch durch die einfache (und übliche) Speichermöglichkeit
solarthermisch bereitgestellter Wärme mithilfe von Wasser ein tageszeitlich insgesamt
ausgeglichener und damit innerhalb bestimmter Zeitfenster (unter ökonomischen Aspek-
ten derzeit im Regelfall maximal im Wochenverlauf) angebotsunabhängiger Verlauf der
Wärmebereitstellung realisiert werden. An diesen Zusammenhängen dürfte sich in Zu-
kunft wenig ändern, da nicht davon auszugehen ist, dass das regenerative Energieangebot
in überschaubaren Zeiträumen signifikanten Variationen unterworfen sein wird und die ty-
pische Systemauslegung von solarthermischen Anlagen sich aus ökonomischen Gründen
in Hinblick auf deutlich größere Speicherkapazitäten signifikant verändern wird.
Ausgehend von den Analysen in den Kapitel 4, 8 und 9 ist es das Ziel der nachfolgenden
Ausführungen, die bei den einzelnen Optionen zur Wärmebereitstellung mit regenerativen
Energien diskutierten Ergebnisse zusammenzufassen. Außerdem werden sie im energie-
wirtschaftlichen Kontext diskutiert.
Tabelle 10.6 Definierte Versorgungsaufgaben für Raumwärme und Trinkwarmwasser (Kapitel 1.3)
(TWW Trinkwarmwasser, RW Raumwärme)
Versorgungsaufgabe Einfamilienhaus (EFH) Mehrfamilienhaus (MFH)
0 I II III IV 0 I II III IV
TWW-Nachfrage in GJ/a 6,8 6,8 6,8 6,8 6,8 45,2 45,2 45,2 45,2 45,2
RW-Nachfrage in GJ/a 8,1 14,9 18,9 27,0 75,6 42,1 74,1 94,4 134,9 308,9
Heizleistung in kW 1,8 3,0 4,0 5,0 13,0 7,8 19,0 22,0 29,0 57,0
974 M. Kaltschmitt und L. Sens
Tiefe Geothermie. Hier wird eine Anlage zur Nutzung der hydrothermalen Erdwär-
me mit einem mit leichtem Heizöl gefeuerten Spitzenlastkessel (Nachfragefall NW II;
Kapitel 1.3) untersucht, die sich mit einer Bohrlochtiefe von 2 250 m und einer Ther-
malwassertemperatur von 90 ı C an einem Standort im norddeutschen Becken befindet
und eine thermische Leistung von 3,4 MW bereitstellt. Weiterhin wird ein Wärmever-
sorgungssystem betrachtet, dass aus einer 2 500 m tiefen Bohrung einen Thermalwas-
servolumenstrom von 50 L/s nutzt (Nachfragefall NW III; Kapitel 1.3). Diese Anlage
stellt eine thermische Leistung von 7,6 MW bereit, mit der die jährliche Wärmenach-
frage zu 85 % gedeckt werden kann. Der verbleibende Rest wird mithilfe eines mit
leichtem Heizöl gefeuerten Spitzenlastkessels bereitgestellt (Kapitel 9.3).
Diese Techniken zur Nutzung des regenerativen Energieangebots werden einer klein-
technischen Wärmebereitstellung mittels Erdgas-Brennwertkessel ebenfalls für die Syste-
me EFH 0 bis MFH IV gegenübergestellt (Kapitel 1.4).
Wärmegestehungskosten in €/GJ
0 20 40 60 80 100 120 140
0
I
II
TWW 60 %
III
IV
Versorgungsaufgabe EFH
0 Versorgungsaufgabe MFH
I Versorgungsaufgabe NW
II
III
IV
Solarthermie
0
TWW/RW 20 %
I
II
III
IV
0
I
I
Erdkollektor TWW/RW 45 %
0
I
II
III
0
I
0
I
II
III
IV
0
Elektro-Wärmepumpen
Erdsonde
I
II
III
IV
0
I
II
III
IV
Luft
0
I
II
III
IV
I
Wärmepumpem
Sorptions-Gas-
II
III
IV
I
II
III
IV
Geo-
ther.
II
III
0
I
II
Erdgas-BW
III
IV
0
I
II
III
IV
Abb. 10.9 Wärmegestehungskosten von Anlagen zur Nutzung regenerativer Energien und fossi-
ler Energieträger als Backup-System (zur Definition vgl. Kapitel 1.3) (TWW Trinkwarmwasser,
RW Raumwärme, Prozentangaben beziehen sich auf den solaren Deckungsanteil (Kapitel 4.3); NW
Nahwärmenetz; Geother. Geothermie mit 85 % geothermischen Deckungsanteil; Erdgas-BW Brenn-
wertkessel mit Erdgas (Kapitel 1.4))
10 Zusammenfassender Vergleich 977
Wärmegestehungskosten in €/GJ
120
100
80
60
40
20
Abb. 10.10 Wärmegestehungskosten von Anlagen zur Nutzung regenerativer Energien und fossiler
Energieträger als Backup-System für den Anwendungsfall EFH II (zur Definition vgl. Kapitel 1.3)
(TWW Trinkwarmwasser, RW Raumwärme, Prozentangaben beziehen sich auf den solaren An-
teil (Kapitel 4.3); WP Wärmepumpe (Kapitel 8.3); NW Nahwärmenetz, Prozentangaben beziehen
sich auf den geothermischen Deckungsanteil (Kapitel 9.3); Erdgas-BW Brennwertkessel mit Erdgas
(Kapitel 1.4))
delt, da viele Optionen zur Nutzung regenerativer Energien alleine eine definierte Versor-
gungsaufgabe (hier: die sichere, nachfrageorientierte Bereitstellung von Raumwärme und
Trinkwarmwasser im Verlauf eines gesamten Kalenderjahres) nicht zwingend mit einer
hohen Versorgungssicherheit im gesamten Jahresverlauf decken können.
Eine solarthermische Wärmebereitstellung ist demnach mit 65 bis 76 C/GJ durch die
nahezu höchsten Wärmegestehungskosten charakterisiert. Bei einer solarthermischen
Trinkwarmwasserbereitstellung und Heizungsunterstützung kann auf das mit fossilen
Brennstoffen gefeuerte Backup-System nicht verzichtet werden. Damit kommen die
Kosten für die Anschaffung einer solaren Wärmebereitstellung zu denen einer Wärme-
erzeugung aus fossilen Energieträgern hinzu. Durch die solare Wärme kann folglich
nur der entsprechend dafür benötigte fossile Brennstoff (hier: das Erdgas) – und damit
die dafür aufzuwendenden Kosten (hier: die für das Erdgas) – substituiert werden.
Etwas günstiger sind die Wärmebereitstellungskosten einer Nutzung der Umgebungs-
luft und der oberflächennahen Erdwärme mittels Elektrowärmepumpen; sie bewegen
sich unter den zugrunde gelegten Randbedingungen bei rund 55 C/GJ. Deutlich teu-
rer sind die Wärmegestehungskosten für Sorptionswärmepumpen auf Erdgasbasis mit
etwa 100 C/GJ; diese relativ hohen Kosten liegen an den bisher noch sehr hohen Inves-
titionen dieser Wärmepumpentechnik begründet.
Verglichen damit sind die spezifischen Kosten einer Bereitstellung thermischer Energie
aus Erdwärmevorkommen geringer. Sie werden wesentlich beeinflusst durch die geo-
logischen Bedingungen, die u. a. für die notwendige Bohrtiefe (und damit die Bohrkos-
978 M. Kaltschmitt und L. Sens
ten) bzw. die erreichbare Thermalwassertemperatur verantwortlich sind, und die Sys-
temkonzeption (Integration einer Wärmepumpe und / oder eines BHKW’s). Auch wer-
den die Wärmegestehungskosten frei Hausübergabepunkt beim Endverbraucher (d. h.
Versorgungsfall EFH 0 bis MFH IV) wesentlich von den Kosten für die zwingend
benötigten Wärmeverteilnetze beeinflusst, deren Größe wiederum durch die unterstell-
te Wärmenachfragedichte bestimmt wird. Würden beispielsweise höhere Bohrkosten
(d. h. größere Bohrtiefen) und insgesamt höhere Wärmeverteilkosten betrachtet, wür-
den die Wärmegestehungskosten frei Verbraucher merklich ansteigen und die einer
Wärmebereitstellung mittels Wärmepumpen deutlich übersteigen.
Wärmegestehungskosten in €/GJ
70
60
50
40
30
20
10
Abb. 10.11 Wärmegestehungskosten von Anlagen zur Nutzung regenerativer Energien und fossiler
Energieträger als Backup-System für den Anwendungsfall MFH II (zur Definition vgl. Kapitel 1.3)
(TWW Trinkwarmwasser, Prozentangaben beziehen sich auf den solaren Anteil (Kapitel 4.3);
WP Wärmepumpe (Kapitel 8.3); NW Nahwärmenetz, Prozentangaben beziehen sich auf den geo-
thermischen Deckungsanteil (Kapitel 9.3); Erdgas-BW Brennwertkessel mit Erdgas (Kapitel 1.4))
suchten Systeme bei dieser Versorgungsaufgabe mit Ausnahme von der tiefen Geothermie
infolge der höheren Wärmenachfrage und der damit geringeren spezifischen Investitionen
in einer Größenordnung zwischen 30 und 40 C/GJ ein. Die bereits für den Versorgungsfall
EFH II diskutierten Zusammenhänge gelten hier sinngemäß.
Infolge von technischen Weiterentwicklungen sind zukünftig entsprechende Verän-
derungen der spezifischen Wärmegestehungskosten wahrscheinlich. Dabei sind die zu
erwartenden Kostenänderungen zwischen den betrachteten Möglichkeiten jedoch unter-
schiedlich.
Bei der solarthermischen Wärmeerzeugung sind – auch aufgrund des schon erreich-
ten hohen technischen Standes – nur vergleichsweise geringe Kostenreduktionen zu
erwarten. Allerdings werden sich im Zuge der laufenden (begrenzten) technischen
Weiterentwicklungen sukzessive mögliche weitere Kostensenkungen realisieren lassen,
sodass in den kommenden Jahren von tendenziell leicht fallenden oder zumindest weit-
gehend konstanten solarthermischen Wärmegestehungskosten auszugehen sein könnte.
Ähnliches gilt auch für eine Wärmebereitstellung aus Umgebungsluft und oberflächen-
naher Erdwärme mit Wärmepumpen. Auch hier sind die Kosten in den letzten Jahren
tendenziell gefallen – bei gleichzeitig weiter aus technischer Sicht verbesserter Tech-
nik. Deshalb ist hier auch in den kommenden Jahren davon auszugehen, dass geringe
Reduktionen der realen Investitionen am Markt realisiert werden können, die sich dann
auch in entsprechend geringeren Wärmegestehungskosten bemerkbar machen dürften.
Grundsätzlich vergleichbare Aussagen können auch in Bezug auf eine Wärmebereit-
stellung aus tiefer Erdwärme gemacht werden. Solche Systeme sind, bei jedoch erheb-
980 M. Kaltschmitt und L. Sens
lichen Einflüssen der jeweiligen Gegebenheiten vor Ort (das gilt für die Gegebenheiten
Untertage und Übertage), noch durch begrenzte Kostenreduktionspotenziale gekenn-
zeichnet, die bei einer merklichen Marktausweitung ggf. erschlossen werden könn-
ten. Diese Kostensenkungsmöglichkeiten dürften jedoch deutlich geringer sein als der
durch die Standortgegebenheiten vorgegebene Kostenrahmen.
Ökologische Analyse Nach wie vor bestimmen die mit der End- bzw. Nutzenergiebe-
reitstellung verbundenen Klima- und Umwelteffekte die öffentlichen Diskussionen im
deutschsprachigen Raum, in der EU und darüber hinaus. Deshalb werden im Folgenden
ausgewählte Umweltkenngrößen – jeweils unter Berücksichtigung vor- und nachgelager-
ter Prozesse (d. h. Lebenswegbetrachtung) – für die untersuchten Optionen einer Wärme-
bereitstellung vergleichend diskutiert (zur Methodik siehe Kapitel 1.3).
Abb. 10.12 zeigt exemplarisch die Klimagasemissionen für alle betrachteten Anlagen
und Nachfragefälle. Ähnlich wie bei den Wärmegestehungskosten wird deutlich, dass die
Emissionen vom Nachfragefall EFH 0 bzw. MFH 0 bis zum Fall EFH IV bzw. MFH
IV tendenziell abnehmen, da mit einem zunehmenden Wärmedämmstandard die Wär-
menachfrage sinkt. Obwohl dabei typischerweise die spezifischen Emissionen zunehmen,
sinken demgegenüber die absoluten Emissionen zur Deckung der jeweiligen Wärmenach-
frage der entsprechenden Versorgungsaufgabe im Jahresverlauf. Die Darstellung macht
auch deutlich, dass eine geothermische Wärmebereitstellung durch die geringsten Treib-
hausgasemissionen gekennzeichnet ist und dass mit allen Optionen zur Nutzung rege-
nerativer Energien – im Vergleich zu der fossiler Energieträger – die mit der Deckung
einer bestimmten Versorgungsaufgabe verbundenen Klimagasfreisetzungen reduziert wer-
den können.
Ausgewählte Umweltkenngrößen werden im Folgenden – da sich bei allen hier unter-
suchten Fällen ähnliche Tendenzen ableiten lassen – exemplarisch nur für den Anwen-
dungsfall EFH II vertieft diskutiert.
CO2-Äquivalent-Emissionen in t/TJ
0 20 40 60 80 100 120 140
0
I
II
TWW 60 %
III
IV
Versorgungsaufgabe EFH
0 Versorgungsaufgabe MFH
I Versorgungsaufgabe NW
II
III
IV
Solarthermie
0
TWW/RW 20 %
I
II
III
IV
0
I
I
Erdkollektor TWW/RW 45 %
0
I
II
III
0
I
0
I
II
III
IV
0
Elektro-Wärmepumpen
Erdsonde
I
II
III
IV
0
I
II
III
IV
Luft
0
I
II
III
IV
I
Wärmepumpem
II
Sorptions-Gas-
III
IV
I
II
III
IV
Geo-
ther.
II
III
0
I
II
Erdgas-BW
III
IV
0
I
II
III
IV
Abb. 10.12 Treibhausgasemissionen von Anlagen zur Nutzung regenerativer Energien und fossi-
ler Energieträger als Backup-System (zur Definition vgl. Kapitel 1.3) (TWW Trinkwarmwasser,
RW Raumwärme, Prozentangaben beziehen sich auf den solaren Deckungsanteil (Kapitel 4.3);
NW Nahwärmenetz; Geother. Geothermie mit 85 % geothermischen Deckungsanteil; Erdgas-BW
Brennwertkessel mit Erdgas (Kapitel 1.4))
982 M. Kaltschmitt und L. Sens
1800
1600
Energie in GJ/TJ
1400
1200
1000
800
600
400
200
0
Abb. 10.13 Verbrauch erschöpflicher Energieträger von Anlagen zur Wärmebereitstellung zur De-
ckung der Versorgungsaufgabe EFH II (zur Definition vgl. Kapitel 1.3) (TWW Trinkwarmwasser,
RW Raumwärme, Prozentangaben beziehen sich auf den solaren Anteil (Kapitel 4.3); WP Wärme-
pumpe (Kapitel 8.3); NW Erdwärmenutzung mit Nahwärmenetz, Prozentangaben beziehen sich auf
den geothermischen Anteil (Kapitel 9.3); Erdgas-BW Brennwertkessel mit Erdgas (Kapitel 1.4))
gieeinsatz für die Herstellung der Solaranlage; letztere ist verglichen mit ersterer Ein-
flussgröße i. Allg. jedoch nur von untergeordneter Bedeutung.
Der Verbrauch an erschöpflichen (fossilen) Energieträgern für die Nutzung von Um-
gebungsluft und oberflächennaher Erdwärme liegt in einem ähnlichen Bereich wie bei
der Nutzung der solarthermisch unterstützten Wärmebereitstellung. Er wird – bei nä-
herungsweise vergleichbaren Wärmepumpensystemen und aufgrund der Tatsache, dass
die Energiebilanz dieser Wärmebereitstellungsoptionen durch den Anlagenbetrieb (und
nicht die Anlagenherstellung) dominiert wird – primär von der jeweils erreichbaren
Jahresarbeitszahl (und damit dem Anteil der Umgebungswärme an der frei Einspeise-
stelle bereitgestellten Wärme) bestimmt.
Die Bereitstellung thermischer Energie aus tiefer Erdwärme ist – im Vergleich aller hier
untersuchten Optionen untereinander – durch den geringsten Aufwand an erschöpf-
lichen Energieträgern gekennzeichnet. Dieser Aufwand wird sehr wesentlich durch
den geothermischen Deckungsgrad (d. h. Anteil der Wärme, die aus dem Untergrund
stammt, in Bezug auf die gesamte gelieferte Wärme frei Anlagenausgang) bestimmt,
der hier mit 85 % unterstellt wird.
CO2-Äquivalent-Emissionen in t/TJ
120
100
80
60
40
20
Abb. 10.14 CO2 -Äquivalent-Emissionen von Anlagen zur Wärmebereitstellung zur Deckung der
Versorgungsaufgabe EFH II (zur Definition vgl. Kapitel 1.3) (TWW Trinkwarmwasser, RW Raum-
wärme, Prozentangaben beziehen sich auf den solaren Anteil (Kapitel 4.3); WP Wärmepumpe
(Kapitel 8.3); NW Erdwärmenutzung mit Nahwärmenetz, Prozentangaben beziehen sich auf den
geothermischen Anteil (Kapitel 9.3); Erdgas-BW Brennwertkessel mit Erdgas (Kapitel 1.4))
Die Klimagasemissionen der betrachteten Systeme werden dominiert durch den Be-
trieb der jeweiligen Anlage. Dies liegt im Wesentlichen darin begründet, dass alle betrach-
teten Versorgungssysteme zu einem mehr oder weniger großen Anteil fossile Energie-
träger (einschließlich elektrischer Energie, die ebenfalls u. a. aus fossilen Energieträgern
bereitgestellt wird) einsetzen und diese im Verlauf der technischen Anlagenlebensdauer
deutlich mehr Emissionen verursachen als die Anlagenerrichtung. Demgegenüber trägt
der Bau und insbesondere der Abriss der Anlage i. Allg. nur wenig zu den gesamten Frei-
setzungen an Treibhausgasemissionen bei.
Diese aufgezeigten Größenordnungen und Zusammenhänge werden sich zukünftig im
Zuge des technischen Fortschritts mit hoher Wahrscheinlichkeit verändern. Zum einen
werden fossile Energieträger aufgrund höherer Energieaufwände zur Förderung aus weni-
ger ergiebigen Lagerstätten mit höheren Klimagasfreisetzungen bereitgestellt. Zum ande-
ren werden die Wärmebereitstellungssysteme selbst effizienter und können damit zukünf-
tig aus der gleichen eingesetzten Primärenergie mehr End- bzw. Nutzenergie bereitstellen
(bzw. die gleiche End- bzw. Nutzenergie mit weniger Primärenergie bereitstellen).
SO2-Äquivalent-Emissionen in kg/TJ
200
180
160
140
120
100
80
60
40
20
0
Abb. 10.15 SO2 -Äquivalent-Emissionen von Anlagen zur Wärmebereitstellung zur Deckung der
Versorgungsaufgabe EFH II (zur Definition vgl. Kapitel 1.3) (TWW Trinkwarmwasser, RW Raum-
wärme, Prozentangaben beziehen sich auf den solaren Anteil (Kapitel 4.3); WP Wärmepumpe
(Kapitel 8.3); NW Erdwärmenutzung mit Nahwärmenetz, Prozentangaben beziehen sich auf den
geothermischen Anteil (Kapitel 9.3); Erdgas-BW Brennwertkessel mit Erdgas (Kapitel 1.4))
SO2 - und NOx -Emissionen Dieses Verhältnis der SO2 -Äquivalent-Emissionen aller be-
trachteten Varianten zur Wärmebereitstellung gilt annähernd auch für die SO2 - und die
NOx -Emissionen (Abb. 10.16 und 10.17). Dementsprechend liegen die solarthermisch un-
terstützenden Systeme mit Erdgas-Brennwertthermen auf einem ähnlich tiefen Niveau wie
die konventionellen mit Erdgas befeuerten Systeme. Mit Heizöl-befeuerten Spitzenlast-
kesseln unterstützte geothermische Systeme weisen dagegen wesentlich höhere Emission
auf. Die SO2 - und die NOx -Emissionen der Wärmepumpen befinden sich dagegen abhän-
gig vom System in einem unteren bis mittleren Bereich.
Potenziale Entsprechend der bisherigen Vorgehensweise wird auch bei dem folgenden
Vergleich der Potenziale zwischen dem theoretischen Potenzial, dem technischen Ange-
bots- bzw. Wärmeerzeugungspotenzial und dem technischen Nachfrage- bzw. Endener-
giepotenzial unterschieden.
100
SO2-Emissionen in kg/TJ
90
80
70
60
50
40
30
20
10
0
Abb. 10.16 SO2 -Emissionen von Anlagen zur Wärmebereitstellung zur Deckung der Versorgungs-
aufgabe EFH II (zur Definition vgl. Kapitel 1.3) (TWW Trinkwarmwasser, RW Raumwärme,
Prozentangaben beziehen sich auf den solaren Anteil (Kapitel 4.3); WP Wärmepumpe (Kapitel 8.3);
NW Erdwärmenutzung mit Nahwärmenetz, Prozentangaben beziehen sich auf den geothermischen
Anteil (Kapitel 9.3); Erdgas-BW Brennwertkessel mit Erdgas (Kapitel 1.4))
160
NOx-Emissionen in kg/TJ
140
120
100
80
60
40
20
0
Abb. 10.17 NOx -Emissionen von Anlagen zur Wärmebereitstellung zur Deckung der Versorgungs-
aufgabe EFH II (zur Definition vgl. Kapitel 1.3) (TWW Trinkwarmwasser, RW Raumwärme,
Prozentangaben beziehen sich auf den solaren Anteil (Kapitel 4.3); WP Wärmepumpe (Kapitel 8.3);
NW Erdwärmenutzung mit Nahwärmenetz, Prozentangaben beziehen sich auf den geothermischen
Anteil (Kapitel 9.3); Erdgas-BW Brennwertkessel mit Erdgas (Kapitel 1.4))
Potenzial der Umgebungsluft, wenn unterstellt wird, dass die 128 PJ entziehbare Wärme
in Deutschland mehrmals pro Tag im Verlauf des Jahres der Umgebung entzogen werden
würde.
Demgegenüber beträgt der zugängliche Energievorrat der Erde unter der Fläche
Deutschlands bis zu einer heute sinnvoll bohrtechnisch erschließbaren Tiefe von rund
10 000 m etwa 1 200 000 EJ bzw. 1 200 EJ/a bei einer unterstellten (nachhaltigen) Nut-
zungsdauer von 1 000 Jahren. Verglichen damit ist das theoretische Potenzial einer
hydrothermalen Erdwärmenutzung mit 1,6 EJ/a deutlich geringer, da nutzbare Heiß-
wasseraquifere nur unter rund 35 % der Gebietsfläche Deutschlands sicher vermutet
werden und mit hydrothermalen Heizwerken nur ein Teil der insgesamt im Untergrund
vorhandenen Wärme auch genutzt werden kann.
Tabelle 10.7 zusätzlich das jeweilige technische Nachfragepotenzial. Die hier ausgewiese-
nen Potenziale werden im Rahmen einer Singuläranalyse erhoben und decken die gleiche
Wärmenachfrage; sie dürfen damit nicht addiert werden, da eine gegebene Niedertempera-
turwärmenachfrage z. B. nur geothermisch oder nur solarthermisch (oder in Kombination
der beiden Möglichkeiten) – und folglich aber nur einmal – gedeckt werden kann.
Von den hier untersuchten Optionen ist die Solarthermie durch die geringsten Potenzia-
le gekennzeichnet; dies liegt begründet an der weitgehenden Antikorrelation von solarem
Energieangebot und Wärmeenergienachfrage sowie den bisher nur eingeschränkten (tech-
nisch und ökonomisch darstellbaren) saisonalen Speichermöglichkeiten für Niedertempe-
raturwärme. Durch die Möglichkeiten zur Nutzung der Umgebungsluft und der Erdwärme
könnte demgegenüber eine Wärmemenge in Deutschland bereitgestellt werden, die bei
allen untersuchten Optionen z. T. deutlich über 1 000 PJ/a liegt; auch ist diese Wärme (na-
hezu) im Verlauf des gesamten Jahres verfügbar.
Die deutlichen Unterschiede zwischen den Nachfragepotenzialen, die sich bei Zu-
grundelegung unterschiedlicher Nutzungstechniken bzw. -konzepten ergeben, resultieren
daraus, dass einige Optionen (z. B. tiefe Sonde) innerhalb der gesamten Fläche Deutsch-
lands genutzt werden können und andere (z. B. hydrothermale Erdwärmenutzung) nur auf
einem (kleineren) Teil der deutschen Gebietsfläche sinnvoll nutzbar sind. Dabei bedienen
eine oberflächennahe Erdwärmenutzung, eine Erdwärmenutzung mit tiefen Sonden und
eine mit Geothermieanlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) jeweils unterschiedliche
Wärmemärkte (d. h. oberflächennahe Erdwärmenutzung: dezentrale Lösungen tendenziell
für Ein- und Mehrfamilienhäuser; tiefe Sonden: Lösungen mit Nahwärmenetzen; KWK
aus tiefer Geothermie: Lösungen mit Fernwärmenetzen im MW-Bereich). Daraus resul-
tieren die in Tabelle 10.7 deutlich werdenden Unterschiede in der absoluten Höhe der
technischen Nachfragepotenziale.
Zukünftig werden sich diese Nachfragepotenziale verändern, sofern es zu einem An-
stieg – oder einem Rückgang – der Niedertemperaturwärmenachfrage in Deutschland
kommt. Dabei sind derzeit zwei unterschiedliche und gegenläufige Tendenzen zu beob-
achten. Einerseits nimmt die statistisch pro Einwohner bewohnte (Wohn-)Fläche nach
wie vor zu; damit steigt auch die entsprechende Nachfrage nach Niedertemperaturwärme.
Andererseits nimmt die spezifische Wärmenachfrage des vorhandenen Gebäudebestandes
infolge zunehmend besserer Wärmedämmung – u. a. aufgrund verschärfter gesetzlicher
Vorgaben (d. h. Wärmeschutzverordnung) – ab und gleichzeitig wurden die Winter in
den Zehner Jahren dieses Jahrhunderts (2010 bis 2020) in Mitteleuropa zunehmend mil-
der. Wird unterstellt, dass sich die Auswirkungen dieser gegenläufigen Trends auf die
Nachfragepotenziale weitgehend ausgleichen, ist zukünftig von keinen wesentlichen Ver-
änderungen beim technischen Nachfragepotenzial auszugehen.
Welt Ende 2018 lag die weltweit installierte Leistung zur solarthermischen Wärmegewin-
nung bei rund 480 GW. Mit den entsprechenden Anlagen wurde 2018 insgesamt 1 426 PJ
an Niedertemperaturwärme bereitgestellt. Damit ist die solarthermische Wärmegewin-
nung, abgesehen von der Wärmegewinnung aus Biomasse, die wichtigste erneuerbare
Energie zur Deckung der Wärmenachfrage. Mit großem Abstand folgt die mittels Wär-
mepumpen bereitgestellte regenerative Wärme aus der Umgebungswärme (d. h. aus Um-
gebungsluft und aus oberflächennaher Erdwärme). Hier wurden 2018 global insgesamt ca.
376 PJ Wärme mit einer installierten Leistung von etwa 58 GW erzeugt. In einer ähnlichen
Größenordnung belief sich 2018 auch die Wärmegewinnung aus der tiefen Geothermie.
Hier waren rund 24,4 GW weltweit installiert. Die entsprechenden Anlagen stellen etwa
296 PJ (2018) an Wärme bereit.
Österreich Ähnlich wie in Deutschland wurde 2018 auch in Österreich die Wärmeerzeu-
gung aus regenerativen Energien – wird auch hier die thermischen Biomassenutzung, die
in Österreich eine große energiewirtschaftliche Bedeutung hat – durch thermische Ener-
gie dominiert, die mittels Wärmepumpen bereitgestellt wurde. Insgesamt konnten rund
21,6 PJ (2018) an Wärme durch derartige Systeme aus der Umgebung gewonnen und nutz-
bar gemacht werden. Demgegenüber wurden mithilfe solarthermischer Systeme bei einer
installierten Wärmeleistung von etwa 3,6 GW insgesamt rund 9,0 PJ (2018) an Wärme aus
der eingestrahlten Solarenergie bereitgestellt und dadurch nutzbar gemacht. Ein weiteres
Mal spielt die aus tiefer Geothermie gewonnene Wärme mit etwa 1,1 PJ (2018) bei einer
installierten Leistung von ca. 95 MW eine sehr untergeordnete Rolle.
Teil II
Erneuerbare Energien und
Energiesystemkomponenten
Solarthermische Stromerzeugung
11
Tobias Hirsch, Martin Kaltschmitt, Matti Lubkoll und Gerhard Weinrebe
Hohe Temperaturen ermöglichen bei den Anlagen, die auf einem „klassischen“
Wärme-Kraft-Prozess aufbauen, in der Theorie einen hohen Wirkungsgrad (d. h. eine
hohe nutzbare Temperaturdifferenz erlaubt nach Carnot hohe Wirkungsgrade des ent-
sprechenden Kreisprozesses). Derartige hohe Temperaturen können durch eine Erhöhung
der Flussdichte der auf einen Kollektor einfallenden Solarstrahlung erreicht werden; man
spricht von konzentrierter Strahlung bzw. konzentrierenden Kollektoren. Als Alternative
können aber auch niedrigere Temperaturen – und damit geringere Umwandlungswir-
kungsgrade – zur Anwendung kommen; dies setzt für entsprechende thermische bzw.
elektrische Leistungen allerdings großflächige und damit kostengünstig herstellbare Kol-
lektoren voraus.
Konzentrierende Kollektoren für solarthermische Kraftwerke arbeiten auf einem ver-
gleichbaren Temperaturniveau wie konventionelle, mit fossilen Energieträgern beheizte
thermische Kraftwerke. Dies hat zur Folge, dass bei den Komponenten für den verwen-
deten „klassischen“ Wärme-Kraft-Prozesses auf Systemelemente aus der „klassischen“
Kraftwerkstechnik zurückgegriffen werden kann. Im Folgenden wird daher nur auf den
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 995
M. Kaltschmitt, W. Streicher, A. Wiese (Hrsg.), Erneuerbare Energien,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-61190-6_11
996 T. Hirsch et al.
Abb. 11.1 Konzentrierendes solarthermisches Kraftwerk (CSP) mit den drei Kraftwerkselemen-
ten Konzentrator (links), Wärmeübertragungskreis (Mitte) und Kraftwerksblock (rechts) (M Motor,
G Generator, Pel;in prozessintern benötigte elektrische Leistung, QP rec solarer Wärmestrom in den
Receiver, QP i n (hochexergetischer) Wärmestrom in den Kraftwerksprozess, QP out (niedrigexergeti-
scher) Wärmestrom aus dem in den Kraftwersprozess, Pel;out durch das Kraftwerk bereitgestellte
elektrische Leistung)
elektrische Leistung in GW
8 Rest der Welt
6 Südafrika
USA
5
Spanien
4
3
2
1
0
1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020
Jahr der Inbetriebnahme
Abb. 11.3 Beispiel der sich ergänzenden Produktion eines Solarturmkraftwerks mit Speicher und
einer einachsig nachgeführten Photovoltaik-Anlage in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE)
(im dargestellten Beispielfall ist eine Stromerzeugung des Solarturmkraftwerks zwischen 10:00 und
16:00 Uhr nicht gestattet; PV Photovoltaik; CSP Concentrated Solar Power (konzentrierte Solar-
strahlung))
beladen, die dann zwischen 16:00 und 10:00 Uhr am nächsten Morgen zur Stromerzeu-
gung genutzt werden. Die Kombination von sehr günstiger Photovoltaik-Stromerzeugung
und Backup-Strom aus dem Solarturmkraftwerk kann insgesamt nachfragegerecht Strom
für den Markt liefern. Abb. 11.3 zeigt qualitativ, wie sich diese beiden solaren Strom-
erzeugungsoptionen ergänzen können.
Insgesamt geht die aktuelle Entwicklung bei der solarthermischen Stromerzeugungs-
technologie u. a. in Richtung einer Kombination aus Photovoltaik-Anlage und solar-
thermischer Anlage. Eine derartige Kombination führt den Vorteil der kostengünstigen
Stromerzeugung aus Photovoltaik-Kraftwerken mit der flexiblen Bereitstellung von
Strom durch solarthermische Kraftwerke zusammen. Dabei werden verschiedene In-
tegrationsgrade diskutiert, die von der reinen Installation beider Anlagen am gleichen
Netzanschlusspunkt bis hin zu einer starken Integration des Photovoltaik-Stroms in den
Betrieb des Solarkraftwerks selbst reichen. Aktuell existieren nur schwach integrierte
Anlagen; Konzepte mit einer stärkeren Integration sind in der Entwicklung. Diese reichen
von der Verwendung des erzeugten Photovoltaik-Stroms zur Deckung des elektrischen
Eigenbedarfs des solarthermischen Kraftwerks bis hin zur Überhitzung des beispiels-
weise im Solarturmkraftwerk erzeugten Dampfes durch spezielle Überhitzer, die durch
Photovoltaik-Strom gespeist werden. Die Ausstattung des Salzspeichers mit elektrischen
Heizgeräten ermöglicht darüber hinaus die Verwendung von Überschussstrom im Netz
zur Beladung des Speichers oder zur Anhebung des Temperaturniveaus der gespeicher-
ten Wärme. In den nächsten Jahren werden potenziell mehr derartiger Hybridanlagen
realisiert werden.
Aus einer Reihe verschiedener möglicher Geometrien für den solaren Konzentrator
und Empfänger haben sich die Technologien Parabolrinne, Linear Fresnel, Solarturm und
11 Solarthermische Stromerzeugung 999
Der Prozess der solarthermischen Stromerzeugung lässt sich im Wesentlichen in die fol-
genden Schritte unterteilen:
Sammeln der solaren Strahlung mit Hilfe eines Kollektorsystems und ggf. Erhöhung
der Strahlungsflussdichte durch eine Strahlungskonzentration.
Transport der ggf. konzentrierten Strahlung auf einen Strahlungsempfänger (Receiver)
und dortige Absorption der auftreffenden Strahlung; d. h. Umwandlung der Strahlungs-
energie in thermische Energie bzw. in Hochtemperaturwärme.
Transport dieser thermischen Energie zu einem Wärmeträgermedium und dessen Wei-
terleitung zu einer (zentralen) Energiewandlereinheit.
Umwandeln der thermischen Energie in mechanische oder Rotationsenergie mit Hilfe
einer Wärme-Kraft-Maschine (z. B. Dampfturbine) oder einem anderen Wandler (z. B.
nach dem Auftriebsprinzip; Kapitel 6.1).
Umwandlung der mechanischen bzw. Rotationsenergie in elektrische Energie durch
einen Generator in netzkompatible elektrische Energie.
Abb. 11.4 zeigt die beschriebene grundsätzliche Energiewandlungskette, die allen Op-
tionen zur solarthermischen Stromerzeugung zugrunde liegt.
Nachfolgend werden physikalischen Grundlagen wesentlicher Aspekte dieser Energie-
wandlungskette diskutiert, soweit dies nicht in anderen Kapiteln bereits geschehen ist.
11.1.1 Strahlungsreflexion
Bestimmte Gegenstände können, je nach Material und Art der Oberfläche, einen unter-
schiedlich großen Teil des auf sie fallenden Sonnenlichts zurückwerfen. Diesen Vorgang
bezeichnet man als Strahlungsreflexion. Wird (nahezu) das gesamte auf einen reflektie-
renden Gegenstand einfallende Licht zurückgeworfen, wird das auch Spiegelung genannt.
Jede glatte, ebene Fläche (z. B. glatte Metallplatte, ruhige Wasseroberfläche, Fensterschei-
be) wirkt vom Grundsatz her wie ein ebener Spiegel.
Trifft Sonnenlicht mit einer definierten Richtung auf sehr glatte, ebene Oberflächen,
wird es in eine ebenfalls definierte Richtung zurückgeworfen. Man bezeichnet eine sol-
che Reflexion auch als reguläre Reflexion. Ist demgegenüber die Oberfläche, auf die das
Licht auftrifft, uneben oder rau, wird das einfallende Licht in verschiedene Richtungen
reflektiert. Eine solche Reflexion wird auch als diffuse Reflexion benannt.
Reflexion am ebenen Spiegel Für ebene, glatte Spiegel gilt das sogenannte Reflexions-
gesetz, das besagt, dass jeder auftreffende Lichtstrahl den Spiegel im gleichen Winkel,
wie er aufgetroffen ist, wieder verlässt (d. h. Einfallwinkel entspricht dem Ausfallwinkel).
Einfallswinkel ˛ und Reflexionswinkel ˛ 0 werden dabei ausgehend von der Senkrech-
ten zu der spiegelnden / reflektierenden Oberfläche angegeben. Die Abbildung am ebenen
Spiegel verändert Größe und Form des Bildes nicht.
Reflexion am Hohlspiegel Das Reflexionsgesetz gilt auch an nicht ebenen Flächen. Trifft
ein Lichtstrahl beispielsweise in einen Hohlspiegel, wird er gemäß dem Reflexionsge-
setz am Einfallslot gespiegelt (das Einfallslot beschreibt die Senkrechte bezogen auf die
Tangentialebene am Auftreffpunkt des Lichtstrahls). Dies gilt für die gesamte Hohlspie-
geloberfläche. Ist die Oberfläche des Hohlspiegels parabolisch gekrümmt, wird jeder re-
flektierte Strahl durch einen Brennpunkt F geleitet. Dies gilt für alle parallel zur optischen
Achse des Spiegels einfallenden Strahlen. Alle anderen, schräg einfallenden Strahlen wer-
den ebenfalls reflektiert, jedoch nicht auf einen einheitlichen Brennpunkt.
Durch eine spezielle Form des Spiegels und der dadurch realisieren Reflexion der ein-
fallenden Strahlung kann eine Strahlungskonzentration auf einen Brennpunkt oder eine
Brennlinie erreicht werden. Bei einem einachsig parabolisch geformten Spiegel ergibt
sich eine Brennlinie, auf die dann sämtliche auf den Spiegel unter bestimmten Bedin-
gungen auftreffende Strahlung konzentriert wird (Abb. 11.5). Bei einer zweidimensional
gekrümmten Fläche (Paraboloid) wird die Strahlung auf einen Punkt (Brennpunkt) kon-
zentriert. Dieser Brennpunkt F befindet sich auf der optischen Achse des Spiegels im
Abstand f vom Scheitelpunkt S der Parabel. Der Abstand f heißt Brennweite des Spie-
gels.
Wird im Brennpunkt bzw. in der Brennlinie ein Strahlungsempfänger, beispielswei-
se ein Absorberrohr, angebracht, erfährt dies eine hohe Strahlungsflussdichte. Die hohe
Leistung pro Fläche kann dazu genutzt werden, den Receiver auf hohe Temperaturen zu
bringen und mit seiner Hilfe ein Arbeitsmedium zu erhitzen.
11 Solarthermische Stromerzeugung 1001
f
F S
solare Direktstrahlung
Dabei lässt sich mit zweiachsig parabolisch geformten Flächen grundsätzlich eine hö-
here Strahlungskonzentration und damit Receivertemperatur erreichen als mit einachsig
gekrümmten Spiegeln. Damit ist eine derartige Strahlungskonzentration Grundlage der
konzentrierenden solarthermischen Stromerzeugung. Die einzelnen eingesetzten Spiegel-
technologien unterscheiden sich dabei in der Art der Krümmung (einachsig oder zwei-
achsig) und in der technischen Ausgestaltung. Für alle diese Strahlungs-konzentrierenden
Technologien gilt, dass die Spiegelfläche kontinuierlich dem Sonnenstand nachgeführt
werden muss, da nur parallel zur optischen Achse einfallende direkte Sonnenstrahlung im
Spiegel auf den Brennpunkt konzentriert werden kann. Aufgabe der sogenannten Nach-
führung ist es, die optische Achse des Konzentrators immer auf den aktuellen Stand der
Sonne auszurichten.
11.1.2 Strahlungskonzentration
AAp
Cgeo D (11.1)
AAbs
IAp
Cflux D (11.2)
IAbs
1
Cid;2D D (11.3)
sin a
1
Cid;3D D (11.4)
.sin a /2
Da der Sichtwinkel für die Sonne auf der Erdoberfläche rund 2a D 4;7 mrad be-
trägt, ergeben sich theoretisch maximale ideale Konzentrationsfaktoren von etwa 210
für zweidimensionale Geometrien (d. h. linienfokussierende Parabolrinne) und 45 300 für
dreidimensionale Geometrien (d. h. punktfokussierende Systeme).
Bei der technischen Umsetzung muss aber – im Vergleich zum bisher betrachteten
Idealfall – der Akzeptanzwinkel des Konzentrators vergrößert werden. Dadurch reduziert
sich zwangsläufig das tatsächlich erreichbare Konzentrationsverhältnis. Dies liegt u. a. in
den folgenden Aspekten begründet.
0,8 0,8
C=25
0,7 0,7
Wirkungsgrad des Kollektors
C=20
0,6 0,6 C=10
C=5
0,5 0,5
C=25
C=2
0,4 0,4
C=20
0,3 C=10 0,3
C=5
0,2 0,2
0,0 0,0
300 350 400 450 500 550 600 650 700 300 350 400 450 500 550 600 650 700
Absorbertemperatur in K Absorbertemperatur in K
die einfallende Strahlung auf einen Punkt oder eine Linie reflektieren und damit fokussie-
ren; dies ist aber systembedingt nur mit der solaren Direktstrahlung möglich (d. h. diese
Option erlaubt keine Nutzung der Diffusstrahlung). Eine derartige Strahlungskonzentrati-
on durch Reflexion ist mithilfe von Parabol- und Hyperbelprofilen möglich (Abb. 11.7a).
Um dabei ein möglichst hohes Konzentrationsverhältnis – und damit hohe Temperaturen
und hohe Wirkungsgrade (Abb. 11.6) – zu erreichen (d. h. das Verhältnis von Reflektorflä-
che zur Absorberfläche sollte maximal werden), werden diese Profile als Rotationskörper
ausgeführt (Abb. 11.7e). Alternativ dazu kann das reflektierende Profil auch „extrudiert“
werden, so dass der Fokus nicht punkt-, sondern linienförmig ist. Diese entsprechenden
Möglichkeiten sind in Abb. 11.7c, d dargestellt.
Je flacher eine Parabel geformt ist, umso weiter ist der Fokus vom Scheitelpunkt die-
ser Parabel entfernt. Flache Parabelprofile haben gegenüber steileren Profilen ein gerin-
geres Verhältnis von Reflektorfläche zu Öffnungsfläche (d. h. effektive Kollektorfläche).
Dadurch sinkt der spezifische Materialverbrauch. Dennoch ist eine bestimmte Tiefe des
Profils und damit ein nicht unerheblicher technischer Aufwand unvermeidbar. Um dem
entgegenzuwirken, werden alternativ segmentierte Parabolprofile – auch lineare Fresnel-
profile genannt – verwendet (Abb. 11.7b). Dabei wird das Parabolprofil in kleinere Seg-
mente unterteilt, welche die gleiche Steigung wie das Profil an derselben Stelle haben,
sich jedoch auf der gleichen Ebene befinden. Durch gegenseitige Blockierung von sowohl
einfallender als auch reflektierter Strahlung liegen i. Allg. die Reflexionswirkungsgrade
(d. h. der Quotient von Strahlung auf die Aperturfläche und konzentrierter Strahlung) deut-
lich niedriger als bei ausgeführten Parabolprofilen. Die Realisierung solcher segmentierter
Profile ist in Abb. 11.7d für extrudierte Profile und in Abb. 11.7f für Rotationsprofile sche-
matisch dargestellt.
Vorteil der Rotationsprofile sind i. Allg. größere Konzentrationsfaktoren und damit hö-
here erreichbare Temperaturen. Allerdings müssen die Konzentratoren zweiachsig der
Sonne nachgeführt werden; dies bedingt einen entsprechenden technischen Aufwand. Li-
nienfokussierende Systeme werden demgegenüber nur einachsig der Sonne nachgeführt;
dies bedeutet – zumindest in der Theorie – geringere Wirkungsgrade aufgrund niedrigerer
erreichbarer Konzentrationsfaktoren und damit geringerer Temperaturen.
11 Solarthermische Stromerzeugung 1005
11.1.3 Kreisprozesse
Sind Anfangs- und Endzustand des Kreisprozesses identisch und das Arbeitsmedium
kann diesen erneut durchlaufen, spricht man von einem geschlossenen Kreisprozess.
Verlässt das Arbeitsmedium den Prozess mit einem anderen Zustand als dem Eingangs-
zustand, handelt es sich um einen offenen Kreisprozess. Die letzte Zustandsänderung
wird damit in ein sogenanntes „unerschöpfliches“ Reservoir (z. B. Umgebungsluft) aus-
gelagert und findet dort statt.
Beim Carnot-Prozess wird der zugeführten Wärme die gesamte Exergie entzogen; er ist
deshalb der ideale Kreisprozess und damit die „Messlatte“ für alle anderen Kreispro-
zesse. Dazu wird eine isentrope Kompression (Aufnahme von Druckänderungsarbeit;
Punkt 1 nach Punkt 2, Abb. 11.8, links), eine isotherme Wärmezufuhr (Punkt 2 nach
Temperatur (T)
Punkt 3, Abb. 11.8, links), eine isentrope Entspannung (Verrichtung von Druckände-
rungsarbeit; Punkt 3 nach Punkt 4, Abb. 11.8, links) und anschließend eine isotherme
Wärmeabfuhr (Punkt 4 nach Punkt 5 bzw. 1, Abb. 11.8, links) realisiert. Je größer die
Differenz der isothermen Wärmeübertragungen, desto höher ist der Carnot-Wirkungs-
grad
c , der nach Gleichung (11.5) definiert werden kann. Tzu beschreibt das zugeführte
und Tab das abgeführte Temperaturniveau.
Mit einem derartigen Prozess kann in der Theorie die volle Arbeitsfähigkeit eines der-
artigen Kreisprozesses nutzbar gemacht werden. Unter realen Bedingungen sind vor
allem die isentrope Kompression und Entspannung nicht umzusetzen (Abb. 11.9a).
Der Ericson-Prozess nähert sich dem Carnot-Prozess an. Während beim Carnot-Pro-
zess die Kompression und Entspannung als jeweils eine isentrope Zustandsänderung
angesehen wird, tritt beim Ericson-Prozess eine isobare Zustandsänderung auf. Die
hierfür benötigte Wärmezu- bzw. -abfuhr wird von einer inneren Wärmeübertragung
unterstützt (Abb. 11.9b).
11 Solarthermische Stromerzeugung 1007
Der Stirling-Prozess ist dem Ericson-Prozess sehr ähnlich. Jedoch wird hier die Kom-
pression und Entspannung als isochore Zustandsänderung angenommen; d. h. die Tem-
peratur geht mit einer Druckerhöhung bei konstantem Volumen einher (Abb. 11.9c).
Der Joule-Prozess setzt sich aus einer isentropen Verdichtung, einer isobaren Wärme-
zufuhr (Verbrennung), einer isentropen Expansion und einer isobaren Wärmeabfuhr
zusammen (Abb. 11.9d). Dieser Prozess ist der Vergleichsprozess der Gasturbine und
des Strahltriebwerks.
Der Clausius-Rankine-Prozess oder auch nur Rankine-Prozess (Dampfkraftprozess /
Zweiphasenprozess) nutzt den Phasenwechsel von Stoffen. Während eines solchen
Phasenwechsels wird Wärme isotherm übertragen und das spezifische Volumen stark
verändert. Zusätzlich zu den isothermen Wärmeübertragungen findet eine isentrope
Kompression und Entspannung statt (Abb. 11.9e, f). Solche Prozesse sind technisch
vergleichsweise einfach realisierbar.
11.2 Parabolrinnen-Kraftwerke
Ständer mit
einachsiger Parabolrinnen-
Nachführung Konzentrator
mit reflektierender
Oberfläche
11 Solarthermische Stromerzeugung 1009
Öl als Wärmeträgermedium, bei denen die Verstromung der erzeugten Wärme mittels ei-
nes Dampfturbinenprozesses bei thermischen Wirkungsgraden von ca. 40 % erfolgt. Ein
Großteil dieser derzeit betriebenen Kraftwerke verfügt über einen thermischen Speicher,
der eine Stromproduktion auch in den Abend- und Nachstunden erlaubt. In den folgenden
Ausführungen werden wichtige Systemkomponenten und Anlagenkonzepte vorgestellt.
11.2.1 Parabolrinnen-Kollektoren
Reflektor Bei diesem Kollektortyp konzentriert ein parabolisch geformter Reflektor die
einfallende Strahlung auf ein in der Brennlinie angeordnetes Rohr (Abb. 11.10).
Der Reflektor selbst besteht aus einer Vielzahl gekrümmter Spiegelsegmente, die auf
einer metallischen Tragstruktur montiert sind. Üblich ist eine Unterteilung in vier oder
sechs Segmente über die Aperturbreite. In axialer Richtung haben die Spiegelsegmente
eine Länge von 1 bis 1,5 m.
Die Spiegelsegmente bestehen typischerweise aus rückseitenversilbertem Weißglas mit
einem niedrigen Eisenanteil, um hohe Reflektivitätswerte im Solarspektrum zu erreichen.
Stand der Technik sind heute im sauberen Zustand solar gewichtete Reflexionsgrade von
94,5 % für 4 mm dicke Glasspiegel; gemessene Spitzenwerte liegen bei 95,1 % [11.22].
Aufgrund der Witterungsbeständigkeit des Glases ändert sich der Reflexionsgrad des ge-
reinigten Reflektors auch über der Zeit praktisch nicht. Das Glas ist rückseitig mit einer
Silberschicht verspiegelt, die durch eine Kupfer- und drei Lackschichten aus Kunstharz
gegen Witterungseinflüsse geschützt wird. Zusätzlich sind Keramikscheiben mit eingelas-
senen Gewindemuttern als Halterung auf die Spiegelrückseite aufgeklebt. Für die damit
mögliche Befestigung der Spiegelsegmente auf der Kollektorstruktur wurden Konzepte
entwickelt, die eine schnelle und gleichzeitig präzise Montage erlauben.
Ein kompletter Kollektor setzt sich aus einer Anzahl von Kollektorelementen (z. B. 12)
zusammen, die jeweils eine Länge von üblicherweise 12 bis 20 m haben. Abb. 11.11 zeigt
exemplarisch einen Schnitt durch einen derartigen Kollektor (EuroTrough-Bauart), der die
technische Basis für viele derzeit am Markt verfügbare Kollektoren darstellt. Diese Bauart
ist durch ein Rahmentragwerk charakterisiert, welches für die erforderliche Torsionsstei-
figkeit in axialer Richtung sorgt.
Neben diesem Grundkonzept ist auch eine Bauart mit einem Torsionsrohr verbreitet
(Abb. 11.12). Die Rahmenstruktur wird dabei durch ein axiales Rohr mit Durchmessern
von ca. 40 bis 50 cm ersetzt. An diesem Rohr sind Kragarme befestigt, welche die Reflek-
toren tragen; ein Beispiel für diese Kollektorklasse ist der HeliTrough-Kollektor mit einer
Länge von 191 m und einer Aperturweite von 6,8 m [11.5].
Der Antrieb zur Nachführung des Kollektors ist in der Mitte angebracht, sodass nach
beiden Seiten bis zu 100 m Kollektorstruktur durch diesen einen Antrieb mitgedreht wer-
den müssen. Als Antrieb haben sich heute Hydraulikzylinder durchgesetzt, da sie neben
einer hohen Präzision einfache, dezentrale Konzepte für eine Notfall-Defokussierung er-
lauben.
1010 T. Hirsch et al.
Abb. 11.11 Ansicht und Schnitte eines Parabolrinnenkollektors mit Rahmenkonstruktion (Zahlen-
angaben in m)
Jede Kollektoreinheit verfügt standardmäßig über einen Winkelsensor, der die aktuelle
Stellung des Kollektors wiedergibt. Viele Kollektoren sind mit zusätzlichen Sonnensen-
soren ausgestattet, die für eine Feinjustierung des Kollektors im Hinblick auf den ak-
tuellen Sonnenstand eingesetzt werden. Der Trend geht jedoch zum Verzicht auf diese
mit Unsicherheit behafteten Sensoren. Vielmehr werden vermehrt kalibrierte Winkelge-
ber zusammen mit einem Sonnenstands-Algorithmus für die Nachführung der Kollektoren
eingesetzt.
Joints) oder als flexible Schläuche ausgeführt. Die Drehgelenke erfordern eine kontinuier-
liche Wartung, um die Dichtheit der Graphitdichtungen zu gewährleisten und gleichzeitig
ein niedriges Verdrehmoment sicherzustellen.
11.2.2 Linear-Fresnel-Kollektoren
Kühlung
Linear-
Fresnel-
Kollektoren
11 Solarthermische Stromerzeugung 1013
tormodule haben darin eine Breite von etwa 16,6 m und eine Länge von rund 45 m. Sie
bestehen aus 16 einzelnen, nebeneinander angeordneten Reflektorstreifen (d. h. Primär-
spiegel) von je etwa 0,72 m Breite, welche die Solarstrahlung von der horizontalen Ebene
auf das mittig angeordnete Absorberrohr konzentrieren. Dieses befindet sich 7,4 m über
der Ebene der Primärspiegel. Zwischen 5 und 22 Kollektormodule werden dabei in Reihe
geschaltet. Damit ergeben sich Gesamtlängen pro Kollektorstrang von bis zu 1 000 m.
Die wesentlichen Vorteile eines derartigen Linear Fresnel-Kollektors können wie folgt
zusammengefasst werden:
Das Absorberrohr ist fest an einer Stelle montiert und bewegt sich, im Gegensatz zur
Anordnung bei der Parabolrinne, nicht mit den Spiegeln. Der technische Aufwand für
bewegliche, mit Druck beaufschlagte Verbindungen zwischen den einzelnen Kollek-
toren entfällt. Längsbewegungen infolge der Längenänderung der Absorber aufgrund
großer Temperaturschwankungen sind aber auch hier auszugleichen.
Die Fertigung der Spiegelelemente wird vereinfacht, weil die einzelnen Segmente nur
eine sehr geringe Krümmung benötigen. Diese lässt sich bei Dünnglas elastisch her-
stellen, während bei den Spiegeln für Parabolrinnen-Kollektoren aufwändigere Form-
gebungsprozesse erforderlich sind. Außerdem sind die Spiegel dünner (typisch 3 statt
4 mm [11.13]). Dadurch steigt die Reflektivität etwas an.
Aufgrund der tiefen bodennahen Anordnung der Spiegel werden die Windlasten klei-
ner.
Insgesamt werden größere Spiegelflächen je Längeneinheit der (teuren) Absorberrohre
möglich und damit kann bei gleichbleibender Leistung der Absorber (HCE) insgesamt
verkürzt werden. Dieser Vorteil ist allerdings beim Vergleich mit aktuellen Parabol-
rinnen-Kollektoren nur gering und unter Berücksichtigung der Kosinusverluste bei
tieferen Sonnenständen praktisch gar nicht mehr gegeben.
Diesen Vorteilen steht eine Reihe von Nachteilen gegenüber, die nachfolgend diskutiert
werden.
11.2.3 Wärmeträgermedium
Sonnenenergie ist durch einen ausgeprägten Tages- und Jahresgang gekennzeichnet (Kapi-
tel 2.2). Der Tagesgang ist aufgrund der Erdrotation (Tag / Nacht) deterministisch; er wird
aber aufgrund meteorologischer Einflüsse (u. a. Wolken, Aerosole) stochastisch variiert
(Kapitel 2.2). Um die daraus resultierenden Fluktuationen zumindest z. T. auszugleichen,
können bei solarthermischen Kraftwerken thermische Speicher eingesetzt werden. Da der-
artige Solarthermie-Kraftwerke ohnehin mit Wärme als Energieform arbeiten, bietet sich
eine deratige Lösung an. Diese Speichertechnologie (Kapitel 14) unterscheidet sich damit
grundlegend z. B. von der Photovoltaik, bei der bisher typischerweise elektrische Energie
gespeichert wird. Deshalb hat sich in den letzten Jahren die Speicherung von Hochtem-
peraturwärme als das Schlüsselelement für solarthermische Kraftwerke entwickelt, da
dadurch ein spezifischer Vorteil gegenüber anderen Stromerzeugungsoptionen auf der
Basis erneuerbarer Energien darstellbar ist. Daher ist auch die Integration thermischer
Speicher eine der wesentlichen Besonderheiten und derzeit ein Alleinstellungsmerkmal
der Strombereitstellung mittels solarthermischer Rinnen-, Linear-Fresnel- und Solarturm-
kraftwerke. Derartige Speicher machen die solare Stromerzeugung bis zu einem gewissen
Ausmaß plan- und steuerbar; d. h. die Kombination aus solarthermischem Kraftwerk und
thermischem Speicher ermöglicht eine – in Abhängigkeit von der Speichergröße – nach-
frageorientierte Strombereitstellung (Abb. 11.16).
1000 100
Solarstrahlung
900 90
800 80
Thermische Leistung in MW
Elektrische Leistung in MW
Direktstrahlung in W/m2
700 70
600 60
Stromerzeugung
500 50
400 Wärme 40
vom
300 Thermische Leistung Solarfeld Speicher in 30
den
200 Krawerks- 20
Solarwärme in den Speicher block
100 10
0 0
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24
Stunde des Tages
Abb. 11.16 Einsatz eines thermischen Speichers in einem solarthermischen Kraftwerk, um die
Stromerzeugung vom Vormittag auf die abendliche Nachfragespitze zu verschieben, wie sie in vie-
len arabischen Ländern gegeben ist
1016 T. Hirsch et al.
Ein direkter Speicher ist dadurch charakterisiert, dass das Wärmeträgermedium, wel-
ches im Solarkreislauf genutzt wird, gleichzeitig auch als Wärmespeichermedium zum
Einsatz kommt. Typischerweise handelt es sich bei diesem Typ Speicher um eine Kom-
bination von Heißtank und Kalttank. Im Beladebetrieb wird kaltes Fluid aus dem Kalt-
tank im Solarfeld erwärmt und im Heißtank eingelagert. Für die Stromproduktion wird
heißes Fluid aus dem Heißtank zur Erzeugung von Dampf entnommen. Typische Ver-
treter dieses Systems findet man in Flüssigsalzkreisläufen, wo das flüssige Salz als
Wärmeträgermedium und auch als Speichermedium eingesetzt wird.
Bei den indirekten Speichern versucht man die Vorteile eines meist günstigeren Spei-
chermaterials ausnutzen, sodass die Wärmespeicherung in einem anderen Material als
dem Wärmeträgermedium erfolgt. Dieses Speicherkonzept findet sich heute in den
meisten Parabolrinnenkraftwerken. Hier erfolgt die Wärmespeicherung in einem Zwei-
tank-Flüssigsalzspeicher, während im Solarfeld und im Dampferzeuger jedoch Ther-
moöl zum Einsatz kommt (vgl. Abb. 11.23). Der Zweitank-Salzspeicher ist über einen
Wärmeübertrager mit dem Ölkreislauf verbunden.
Neben den thermophysikalischen Eigenschaften ist der Preis des Materials von hoher
Bedeutung. Da die Kosten des Speichertanks entscheidend von seiner Größe abhängen,
werden Medien mit hoher volumetrischer Speicherkapazität und geringem Preis pro ge-
speicherter kWh bevorzugt. Da die Speicherkapazität von der auf das Material angewen-
deten Temperaturspreizung abhängt, muss beim Vergleich von Speicherkonzepten immer
die vom Prozess vorgegebene Temperaturspanne berücksichtigt werden. Bei Thermoöl-
Kraftwerken liegt die Speichertemperatur üblicherweise zwischen 285 und 385 ı C (d. h.
ca. 100 K). Bei Flüssigsalzsystemen mit direktem Speicher liegen die Betriebstemperatu-
ren demgegenüber zwischen ca. 290 und 500 ı C und damit bei einer Temperaturdifferenz
von 210 K. Bei gleichen Materialeinsatz an Flüssigsalz für den Speicher lässt sich also
bei einem Flüssigsalz-Kraftwerk fast doppelt so viel Energie speichern wie beim einem
Thermoöl-Kraftwerk.
Die heute im Bereich der Parabolrinnenkraftwerke verwendeten Speicherkonzepte wer-
den nachfolgend erläutert.
Kaltsalzpumpe Heißsalzpumpe
Kaltlagertank Heißlagertank
trager wird sowohl für die Beladung als auch in umgekehrter Durchströmungsrichtung
für die Entladung genutzt. Bei der Entladung wird Salz aus dem heißen Tank (ca. 385 ı C)
über den Wärmeübertrager in den kalten Tank geleitet. Dabei nimmt der Thermoölstrom
die Wärme auf. Der danach heiße Thermoölstrom (ca. 380 ı C) wird dann auf den Dampf-
erzeuger geleitet. An dieser Stelle wird die Besonderheit des indirekten Speichersystems
deutlich. Zwischen der Beladung mit 390 ı C heißem Öl und der Entladung bei 380 ı C
liegt eine Temperaturdifferenz von 10 K. Dies führt kraftwerksseitig zu niedrigeren Pro-
zesstemperaturen und damit zu reduzierten Wirkungsgraden; die erzeugte Leistung eines
Parabolrinnenkraftwerks auf Thermoölbasis weist daher einen typischen Rückgang der
Stromproduktion beim Umschalten von einem Solarfeld- auf einen Speicherbetrieb auf.
Auch müssen durch die Verwendung nur eines Wärmeübertragers für Be- und Entladung
Umschaltzeiten zwischen den beiden Vorgängen in Kauf genommen werden, die zu einem
leichten Einbruch in der Produktion während des Umschaltprozesses führen. Das Spei-
chersystem ist hoch wärmegedämmt; es kommt daher mit Wärmeverlusten von ca. 1 %
pro Tag aus.
Direkte Flüssigsalzspeicher Den für den indirekten Speicher diskutierten Nachteilen des
Temperaturverlusts und der eingeschränkten Betriebsflexibilität kann man mit direkten
Speichern begegnen. Dort wird das Wärmeträgerfluid direkt in den Speichertanks ver-
wendet, sodass auf den Wärmeübertrager verzichtet werden kann. Da Thermoöl wegen
der geringen Speicherkapazität und der hohen Kosten als direktes Wärmeträgermedi-
um heute ausscheidet (einige der ersten Rinnenkraftwerke aus den 1980er Jahren in den
USA nutzten dieses Medium noch zur Speicherung), ist dieses Konzept nur bei Verwen-
dung alternativer Wärmeträgermedien einsetzbar. Im Bereich der Solarturmkraftwerke hat
sich die Verwendung von Flüssigsalz als Wärmeträgermedium etabliert. Auch im Para-
bolrinnenbereich existieren erste Anlagen mit diesem Konzept. Wegen der tendenziell
niedrigeren Betriebstemperatur werden bei den Rinnenkraftwerken neben dem im Turm-
bereich eingesetzten „Solarsalz“ auch andere Salzmischungen verwendet, die niedrigere
Schmelzpunkte aufweisen. Im Vergleich zu den bei niedrigen Temperaturen arbeitenden
Salzspeichern bei Ölrinnenanlagen müssen insbesondere die Heißtankspeicher zusätzliche
Anforderungen an die Isolierung und an gekühlte Fundamente erfüllen.
In der Erforschung befindet sich aktuell beispielsweise der Thermocline-Speicher, bei
denen ein einziger Speichertrank für den Kalt- und Heißteil verwendet wird. Die beiden
Teile sind durch eine thermisch isolierte Trennschicht voneinander getrennt. Eine Variante
dieses Speicherkonzepts sieht ein Füllmaterial aus Festkörpern vor, welches die eigentli-
che Wärmespeicherung übernimmt, während das Flüssigsalz nur für den Wärmetransport
zuständig ist.
von flüssigem Wasser für sensible Wärme zunutze. Zum Entladen wird Dampf dann durch
Druckabsenkung der gesättigten Flüssigkeit erzeugt. Da Wasser sowohl als Speicher- als
auch als Arbeitsmedium verwendet wird, sind große Entladeleistungen möglich; die Spei-
cherkapazität hingegen ist durch das Volumen und das darstellbare maximale Druckniveau
des Druckbehälters begrenzt.
Die volumenspezifische Energiedichte eines derartigen Speichers hängt stark von der
Sättigungstemperatur ab, die sich durch den Druckabfall beim Entladen ändert; typische
Werte liegen hier zwischen 20 und 30 kWh/m3 .
Der Ladevorgang kann direkt durch Dampf oder gesättigtes Wasser erfolgen. Wird
überhitzter Dampf genutzt, steigt der Druck im Speicher, während sich die Masse des darin
befindlichen flüssigen Wassers nur geringfügig ändert. Wird demgegenüber der Dampf-
speicher mit gesättigtem, flüssigem Wasser beschickt, bleibt der Druck konstant.
Derartige Dampfspeicher lassen sich auch indirekt beladen. Dazu wird ein Wärmeüber-
trager im Speichervolumen des flüssigen Wassers integriert. Das Wärmeträgermedium im
Wärmeübertrager muss dann nicht zwangsläufig Wasser sein; auch Wärme einer Wär-
mequelle, die unter einem niedrigeren Druck steht, kann verwendet werden. In solchen
Gleitdruckspeichern (Ruths-Speicher; Abb. 11.18) wird beim Entladen dann gesättigter
Dampf entnommen.
Dampfspeicher haben sich im Bereich der solarthermischen Kraftwerke bisher nicht
durchgesetzt. Einige wenige Anlagen verwenden derartige Speicher als Kurzzeitpuffer
(rund 1 h Kapazität), da der Speicher spezifisch sehr teuer ist und Bauart-bedingt nur ge-
sättigten Dampf erzeugt. Für den Einsatz mit überhitztem Dampf müssten weitere sensible
Speicherbausteine ergänzt werden.
11.2.5 Wärme-Kraft-Prozess
Luftgekühlte Systeme führen die Wärme an die Umgebungsluft ab. Die damit erreich-
bare untere Temperaturgrenze (d. h. minimale Kühltemperatur) ist durch die Trocken-
kugeltemperatur begrenzt (d. h. die physikalisch geringste Temperatur, die sich durch
eine Luftkühlung erreichen lässt).
Bei der Nasskühlung wird das Verdunsten von Wasser zur Wärmeabgabe genutzt. Da-
durch können Temperaturen bis nahe an die Feuchtkugeltemperatur erreicht werden
(d. h. die physikalisch tiefste Temperatur, die sich durch eine Verdunstungskühlung
erreichen lässt und damit die Temperatur, die mit einem befeuchteten Thermometer in
strömender Luft gemessen wird). Dabei steht die Wasserabgabe einer feuchten Oberflä-
che mit dem Wasseraufnahmevermögen der umgebenden Luft im Gleichgewicht (d. h.
die umgebende Luft wird mit Wasserdampf gesättigt). Wegen der Verdunstungskälte
liegt die Feuchtkugeltemperatur – in Abhängigkeit von der relativen Luftfeuchte – un-
terhalb der Lufttemperatur. Der Unterschied ist dabei umso größer, je trockener die
umgebende Luft ist (d. h. der Unterschied zwischen Feucht- und Trockenkugeltempe-
ratur hängt von der Umgebungsluftfeuchte ab; bei 100 % relativer Luftfeuchtigkeit sind
11 Solarthermische Stromerzeugung 1021
Turbine
Dampf
Oberflächen-
Turbine
kondensator
Dampf
Kondensat Kondensat
Nasskühlturm
beide identisch und in allen anderen Fällen ist die Feuchtkugeltemperatur niedriger als
die Trockenkugeltemperatur).
Tabelle 11.2 zeigt eine Gegenüberstellung der wichtigen Eigenschaften und Unter-
schiede zwischen den genannten Kühlungsarten. Demnach zeichnet sich die Nasskühlung
durch einen höheren Prozesswirkungsgrad, aber auch einen größeren Wasserverbrauch
aus. Bei der Trockenkühlung ist es gerade umgekehrt. Deutlich wird auch, dass die beiden
Konzepte kombiniert werden können (sogenannte Hybridkühlung). Abb. 11.19 zeigt eine
schematische Darstellung der Trocken- und der Nasskühlung.
Während viele der aktuell in Betrieb befindlichen Solarkraftwerke eine Nasskühlung
nutzen, geht der Trend bei Neubauprojekten klar zur Trockenkühlung. Da die bevorzugten
sonnenreichen Standorte eher trocken sind, werden dann knappe Wasserressourcen nicht
für den Einsatz im Kühlsystem genutzt.
1022 T. Hirsch et al.
11.2.6 Anlagenkonzepte
Der Großteil des derzeit kommerziell erzeugten solarthermischen Stroms wird in Para-
bolrinnenanlagen produziert. In der Mojave-Wüste Kaliforniens (USA) wurden ab Mitte
der 1980er Jahre neun sogenannte SEGS-Anlagen (Solar Electricity Generation Systems)
errichtet. Zusätzlich wurden ab 2000 weitere Kraftwerke realisiert, deren grundsätzliche
Funktionsweise den SEGS-Kraftwerken weitgehend entspricht. Diese neueren Anlagen
sind aber durch höhere Wirkungsgrade und z. T. die Integration großer thermischer Spei-
cher gekennzeichnet. Auch sie werden nachfolgend exemplarisch diskutiert. Abschließend
wird noch auf einige Sonderformen und absehbare Entwicklungen eingegangen. Zuvor
wird aber der grundsätzliche Energiefluss durch derartige Anlagen dargestellt.
Abb. 11.20 zeigt den grundsätzlichen Energiefluss einer exemplarischen Parabolrin-
nenanlage. Dargestellt sind die über ein Jahr gemittelten Werte. Die Energieverluste bei
den Kollektoren liegen demnach bei rund 50 %. Darunter fallen die Kosinusverluste, die
auftreten, weil im Betrieb die Spiegel so ausgerichtet sind, dass die einfallende Solar-
strahlung auf das Absorberrohr reflektiert wird (i. Allg. treffen die Sonnenstrahlen nicht
orthogonal auf die Spiegel). Dadurch reflektiert effektiv nur die in die Ebene senkrecht zur
Einfallsrichtung der Solarstrahlung projizierte Spiegelfläche. Damit ist die vom Spiegel
reflektierte Solarstrahlung proportional zum Kosinus des Winkels zwischen der Spiegel-
normalen und der Richtung der einfallenden Direktstrahlung (d. h. Kosinuseffekt). Hin-
zu kommen die optischen Verluste. Diese resultieren aus der nicht hundertprozentigen
Reflektivität der Spiegel, der nicht vollständigen Transmissivität des Hüllrohrs und des-
Kraftwerksblocks
Eingang des
Thermische
Energie am
Absorbierte
Energie der solaren Strahlung
Energie
100 %
sen Absorptionsgrad, dem Intercept Faktor (d. h. der nicht vollständigen Trefferquote
der direkten Sonnenstrahlen auf das Absorberrohr) und den Endverlusten (d. h. Verluste
aufgrund der begrenzten Kollektorlänge) sowie der gegenseitigen Abschattung der Kol-
lektoren. Die Spiegelreflektivität berücksichtigt, dass die auf die Kollektoren auftreffen-
de Direktstrahlung von den Spiegeln nicht vollständig reflektiert wird. Die Reflektivität
Spiegel der Spiegel ist dabei nach Gleichung (11.7) definiert als Quotient aus reflektierter
Direktstrahlung GP Dr;refl und einfallender Direktstrahlung GP Dr;inc .
GP Dr;refl
Spiegel D (11.7)
GP Dr;inc
Ein Solarfeld wird oft mit der zeitlich gemittelten, mit dem Solarspektrum gewichteten
Reflektivität s;g charakterisiert. Typische Werte liegen bei 0,88 bis 0,94. Je nach Spiegel-
typ, Installationskonzept (u. a. Abschattung), Umwelteinwirkungen (Regen, Tau, Staub)
sowie Spiegelreinigungsverfahren und -häufigkeit können die tatsächlichen Werte jedoch
auch deutlich davon abweichen. Abschatten bedeutet, dass auf einen Teil der Spiegelflä-
che eines Kollektors keine direkte Solarstrahlung trifft, weil ein benachbarter Kollektor
einen Schatten auf die Spiegelfläche wirft. Dies tritt üblicherweise in den Morgen- und
Abendstunden bei niedrigem Sonnenstand (< 20ı über dem Horizont) auf.
Die thermischen Verluste hängen vom Temperaturniveau im Solarfeld und der Qualität
der Absorberrohre und Rohrleitungsisolierung ab. Bei Anlagenkonzepten, die bis 500 ı C
Austrittstemperaturen arbeiten, sind die thermischen Verluste relevanter, da sie mit einer
zunehmenden Temperaturdifferenz zwischen Wärmeträgermedium und Außenlufttempe-
ratur entsprechend zunehmen.
Neben den Verlusten im Solarfeld entstehen wie bei allen thermischen Kraftwerken
große Verluste bei der Umwandlung der thermischen in elektrische Energie. Dampftur-
binenkreisläufe arbeiten hier heute im Bereich zwischen 38 und 40 % (Ölrinnensysteme)
und bis zu 43 % (Salzrinnensysteme).
Parabolrinnenanlagen mit Thermoöl In den Jahren 1985 bis 1991 wurden mit neun
SEGS-Anlagen (Tabelle 11.3) insgesamt 354 MW elektrischer Leistung (ursprüngliche
Nennleistung; heute werden sie mit höherer Leistung betrieben) in der kalifornischen
Mojave-Wüste installiert [11.12]. Diese Anlagen dienen bis heute zur kommerziellen
Stromerzeugung.
Sämtliche SEGS-Anlagen werden mit einem synthetischen Wärmeträgeröl betrieben,
das im Umlauf durch das Solarfeld gepumpt wird. Bei der ersten Anlage (SEGS I) wurde
noch ein mineralisches Öl gewählt, das zwar nur mit niedrigeren Temperaturen betrieben
werden kann, aber keinen druckbeaufschlagten Betrieb erfordert. Die für den Betrieb der
Dampfturbine erforderliche Überhitzung wird bei SEGS I in einem mit Erdgas befeuerten
Kessel vorgenommen, der auch den stetigen Betrieb der gesamten Anlage sicherstellt.
Zusätzlich war das verwendete Öl so günstig, dass ein einfacher thermischer Speicher von
120 MWhth implementiert werden konnte.
1024 T. Hirsch et al.
Für die folgenden Kraftwerke wurden sowohl das verwendete Wärmeträgermedium als
auch die Kraftwerkskonfiguration geändert. Das heute eingesetzte synthetische Thermoöl
gestattet Betriebstemperaturen von maximal 400 ı C; dazu muss es aber mindestens unter
12 bar Druck gehalten werden.
Zusätzlich wurde ab der SEGS VI Anlage ein solar beheizter Zwischenüberhitzer ein-
geführt, der – zusammen mit den verbesserten Frischdampfparametern – den thermischen
Wirkungsgrad des Kraftwerksprozesses von 30,6 auf 37,5 % anhebt. Abb. 11.21 zeigt die
Leistungskennlinie (bereitgestellte elektrische Energie in Abhängigkeit von der auf die
Kollektoren auftreffenden Direktstrahlungssumme) dieses Kraftwerkstyps.
Typische Frischdampfparameter sind rund 100 bar und 385 ı C. Diese Werte sind im
Vergleich zu konventionellen Dampfkraftprozessen relativ niedrig. Sie können durch ei-
nen erhöhten technischen Aufwand im Kraftwerksblock dennoch gut in Leistung um-
gesetzt werden. Dies beinhaltet für eine Anlage dieser Leistungsgröße eher unübliche
11 Solarthermische Stromerzeugung 1025
Energieabgabe in kWh/(m²d)
tische Darstellung) 1,00
0,80
0,60
0,40
0,20
0,00
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Direktstrahlung in kWh2/(m d)
391 °C 371 °C
Zwischenüber- 17 bar
hitzer (Erdgas)
Zwischenüber-
hitzer (solar)
Generator
G
Konden-
Thermoöl-Kreislauf
Erdgas
solare
Vorwärmung
283 °C Dampfkreislauf
Pumpe Pumpe
Abb. 11.22 Anlagenschema eines Parabolrinnen-Kraftwerks (SEGS VI, VII) (nach [11.12])
1026 T. Hirsch et al.
391 °C 385 °C
25 bar
Zwischen-
überhitzer Dampftrubine
385 °C Generator
Heißer Salztank
Überhitzer 100 bar
Wärme-
Speicher- übertrager
Solarfeld Salzkreislauf
Kondensator
Verdampfer
Vorwärmer
Flüssigsalz
Kalter Salztank Thermoöl
283 °C Dampf
Thermoöl-Kreislauf Dampf-Kreislauf
510 °C 500 °C
35 bar
Zwischen-
überhitzer Dampftrubine
500 °C Generator
Heißer Tank Überhitzer 140 bar
Solarfeld
Kondensator
Verdampfer
Vorwärmer
Flüssigsalz
Kalter Tank
290 °C Dampf
Salzkreislauf Salzkreislauf
Dampf-Kreislauf
Solarfeld Kraftwerk
Temperatur bei ca. 242 ı C. Als unterste Betriebstemperatur im Solarfeld werden daher
270 bis 290 ı C angestrebt. Nachts und in Schlechtwetterperioden muss das Solarfeld ent-
sprechend temperiert werden, was primär durch die thermische Energie des Speichers
erfolgt. Untersuchungen mit alternativen Salzmischungen laufen und könnten speziell für
linienfokussierende Systeme Vorteile durch niedrigere Schmelzpunkte und damit geringe-
re Wärmeverluste während des Stillstands liefern.
Solarfeld
Kondensator
Kühlturm
Pumpe
11 Solarthermische Stromerzeugung 1029
11.3 Solarturmkraftwerke
ze oder Wasser / Dampf, Gase wie Luft oder CO2 und Partikel) übertragen. Diese Wär-
me wird dann verwendet, um einen konventionellen Wärme-Kraft-Prozess anzutreiben
(Abb. 11.26).
Heutige Solarturmkraftwerke verfügen über entsprechend groß dimensionierte Wärme-
speicher, die häufig eine Speicherleistung von mehr als 10 h (Volllast) aufweisen. Dadurch
werden geringere Stromgestehungskosten erzielt, die Planbarkeit der Stromproduktion
erhöht und die thermische Wechselbeanspruchung auf das Kraftwerk reduziert. Um kon-
stante Prozessparameter zu gewährleisten, kann neben einem Wärmespeicher zusätzlich
eine Zufeuerung mit fossilen oder biogenen Energieträgern (z. B. Erdgas, Biomethan) rea-
lisiert werden.
Grundsätzlich entspricht das Aufbauschema in seinen Systemkomponenten dem Para-
bolrinnenkraftwerk. Daher werden nachfolgend nur die Anlagenteile diskutiert, die sich
davon signifikant unterscheiden.
11.3.1 Heliostaten
Heliostaten sind reflektierende Flächen, die durch ihre zweiachsige Nachführung immer
so ausgerichtet werden, dass sie das auf sie fallende direkte Sonnenlicht auf einen defi-
nierten Punkt im Raum lenken. Dies ist üblicherweise ein sogenannter Receiver; darunter
wird der Wärmeübertrager von der auftreffenden Solarstrahlung zum Wärmetransportme-
dium verstanden. Zudem konzentrieren Heliostaten im Normalfall durch eine Krümmung
der reflektierenden Fläche bzw. einer entsprechenden Ausrichtung von Teilflächen (Facet-
11 Solarthermische Stromerzeugung 1031
Abb. 11.27 Facettierter Glas-Metall-Heliostat (links) mit einer Azimut-Elevation Nachführung über
die vertikale Primärachse (Mitte) und mit einer fixierten horizontalen Nachführung über die hori-
zontale Primärachse (rechts)
ten) das Sonnenlicht auf einen Punkt in einem gewissen Abstand (sogenannte Brennweite)
vom Heliostaten. Dadurch wird die Strahlungsflussdichte an dieser Stelle erhöht.
Heliostaten bestehen aus der Reflektorfläche (Spiegel, Spiegelfacetten oder sonstige
das Sonnenlicht reflektierende Oberflächen) und einer Nachführeinheit. Letztere besteht
aus der Tragstruktur mit einem entsprechenden Fundament, den benötigten Antrieben
und einer Steuerelektronik. Die jeweilige Ausrichtung des Heliostaten wird beispielswei-
se von einem Zentralrechner basierend auf dem aktuellen Sonnenstand, der räumlichen
Position der Heliostaten und des Zielpunktes (d. h. der auf dem Turm befindliche Re-
ceiver) bestimmt und über eine Kommunikationsleitung oder per Funk an die jeweiligen
Antriebseinheiten übermittelt. Alternativ dazu kann auch eine lokale Recheneinheit des
Heliostaten die Berechnung der Ausrichtung übernehmen. Mit zunehmender Kostenre-
duktion rechenstarker Hardware kleiner Baugröße stellt diese Steuerungskonfiguration
einen klaren Trend dar.
Ein facettierter Heliostat (Abb. 11.27, links) besteht üblicherweise aus einer Anzahl
einzelner reflektierender Facetten, die auf einer Fachwerk-Stahlstruktur befestigt sind;
letztere ist wiederum auf einem Trägerrohr montiert, das sich auf einer Tragstruktur befin-
det, mit der der Heliostat im Untergrund fixiert ist. Diese reflektierenden Facetten werden
üblicherweise als Einzelspiegel mit einer Größe zwischen 1 und 7 m2 ausgeführt. Die Aus-
richtung der Einzelspiegel auf der jeweiligen Trägerstruktur (das sogenannte Canting) ist
aufgrund der diskreten Position bei jedem Heliostaten innerhalb eines Heliostatenfeldes
unterschiedlich und daher typischerweise sehr aufwändig zu realisieren.
Bei dem exemplarisch in Abb. 11.27, links, abgebildeten Heliostaten beträgt die Brei-
te des Reflektors 12,8 m und die Höhe 8,94 m. Die Größe der 32 einzelnen Facetten ist
jeweils 3 m auf 1,1 m. Das Gesamtgewicht ohne Fundament liegt bei etwa 5 t [11.25].
Die Aktualisierung der Ausrichtung des Heliostaten erfolgt meist im Abstand von ei-
nigen Sekunden; einige Konzepte sehen auch eine kontinuierliche Nachführung vor. Die
Bündelung der eintreffenden Solarstrahlung mithilfe von Heliostaten auf einen gemeinsa-
men Zielpunkt ermöglicht eine Konzentration von weit mehr als dem Faktor 1 000. Durch
1032 T. Hirsch et al.
eine zielpunktbasierte Steuerung der Heliostaten kann die damit einhergehende Gefahr für
Materialien und die verbesserte Systemeffizienz durch eine homogenisierte Strahlungs-
flussdichte über den gesamten Receiver erreicht werden. Die Steuerung der einzelnen
Heliostaten erfolgt hierbei in Gruppen oder diskret. In der Praxis bedeutet dies, dass wäh-
rend des Betriebes nicht alle Heliostaten auf den gleichen Punkt des Receivers zielen; sie
werden vielmehr so gesteuert, dass eine gleichmäßige Verteilung über die gesamte Recei-
verfläche erreicht wird [11.19].
Heute haben derartige Heliostaten Reflektoroberflächen zwischen 1 und 120 m2 ; bis-
her wurden maximal 200 m2 technisch realisiert. Da das Heliostatenfeld einen Großteil der
Kosten eines derartigen Kraftwerks verursacht, wurden und werden große Anstrengungen
unternommen, kostengünstige Heliostaten mit guter optischer Qualität, hoher Zuverläs-
sigkeit und langer Lebensdauer zu entwickeln. Aufgrund wirtschaftlicher Überlegungen
ging dabei der Trend in der Vergangenheit zu großen Heliostaten mit Flächen zwischen
100 und 200 m2 und ggf. darüber. Aktuell gibt es aber auch Ansätze, kleinere Heliosta-
ten mit Reflektoroberflächen im Bereich von 1 bis etwa 20 m2 zu fertigen mit dem Ziel,
die Kosten durch die rationellere Fertigung großer Stückzahlen zu senken [11.57]. Dies
wird auch durch den genannten Trend hin zu einer erheblichen Kostenreduktion von Elek-
tronikkomponenten unterstützt. Weiterhin ist bei kleineren Heliostaten der Einsatz von
Linearaktuatoren von Vorteil, durch die eine hohe Genauigkeit beim Nachführen erreicht
wird, aber hohe Kosten für akkurate Getriebe wegfallen.
Die Heliostaten werden im Regelfall zentral mit elektrischer Energie versorgt. Al-
ternativ wurden aber auch zunehmend Heliostaten entwickelt, deren Energieversorgung
individuell lokal erfolgt. Die für den Antrieb benötigte Energie wird dabei aus paral-
lel zur Reflektoroberfläche montierten Photovoltaikmodulen gewonnen und in Batterien
(zwischen-)gespeichert. Dieser Trend verstärkt sich zunehmend mit sinkenden Kosten der
Photovoltaik-Module und der Batterien. Dabei scheint die CO2 -Bilanz eines solchen auto-
nomen Systems (Kommunikation über Funk, Versorgung über Photovoltaik und Batterie)
geringer auszufallen als für fest verkabelte, konventionelle Heliostaten, da kilometerlange
Signal- und Stromleitungen im Boden wegfallen [11.59].
Die Nachführung der Spiegelgruppe erfolgt je nach Aufständerung des Trägerrohrs
entsprechend dem gewünschten Azimut- und Elevationswinkel durch die Rotation um
zwei senkrecht zueinander stehende Achsen. Üblicherweise wird eine technische Lö-
sung nach Abb. 11.27, Mitte, realisiert; hier erfolgt die Drehung durch ein horizontales
Trägerrohr (Elevationsachse) und eine vertikale Stütze (Azimutachse). Heliostaten mit Li-
nearaktuatoren verwenden dagegen häufig die in Abb. 11.27, rechts, dargestellte Variante
mit horizontaler Primärachse. Bei dieser technischen Lösung befindet sich auf der vertika-
len Pylone nicht mehr das Azimutlager, sondern eine horizontale Lagerachse. Alternativ
zu diesen Ansätzen wird die Verwendung einer zum Receiver gerichteten Achse und einer
senkrecht dazu angeordneten Achse untersucht [11.24]; aber auch andere Achsanordnun-
gen sind in der Diskussion und Entwicklung.
11 Solarthermische Stromerzeugung 1033
11.3.2 Heliostatenfelder
Das Heliostatenfeld besteht aus einer Vielzahl (mehrere hundert bis mehrere zehntausend)
einzelner Heliostaten. Abhängig von der geografischen Breite des Standorts sowie der ge-
wünschten thermischen Leistung des Heliostatenfeldes werden die Heliostaten entweder
als Polarfeld oder Rundumfeld angeordnet. Beim Polarfeld befinden sich die Heliostaten
auf der der Sonne zugewandten Seite des Turms (Nordfeld auf der nördlichen Hemisphä-
re, Südfeld auf der südlichen Hemisphäre). Ein derartiges Nordfeld ist schematisch in
Abb. 11.28, links, dargestellt; deutlich wird, dass der Turm am Rand des Heliostatenfel-
des errichtet wird. Außerdem zeigt Abb. 11.28, Mitte, den schematischen Aufbau eines
Rundumfeldes. Bei ausgeführten Anlagen auf der Nordhalbkugel ist hierbei der Turm in
der Regel exzentrisch nach Süden versetzt, da der jahresmittlere optische Wirkungsgrad
der Heliostaten nördlich des Turms höher ist.
Das Layout eines derartigen Heliostatenfeldes ist aber letztlich das Ergebnis einer
techno-ökonomischen Optimierung. Die dem Turm am nächsten stehenden Heliostaten
weisen dabei die geringste gegenseitige Verschattung auf und die auf der Nordhalbku-
gel nördlich (auf der Südhalbkugel südlich) des Turms gelegenen Heliostaten haben die
geringsten Kosinusverluste (siehe unten). Weiter vom Solarturm entfernt installierte He-
liostaten benötigen demgegenüber eine äußerst hohe Nachführgenauigkeit und müssen,
je nach geografischer Lage und Turmhöhe, weiter von den jeweiligen Nachbarheliostaten
entfernt sein. Die Kosten für die Kraftwerksgrundfläche und die Nachführ- und Ausricht-
genauigkeit der Heliostaten bestimmen somit die wirtschaftlich darstellbare Größe des
Feldes und die optimale Anordnung der Heliostaten im Feld.
Anders als beim Parabolrinnenkraftwerk kann bei der Gestaltung des Heliostatenfeldes
auf die Umgebungsbedingungen stärker eingegangen werden. So ist Terrassierung des
Standorts üblicherweise hinfällig und eine Bodenbearbeitung ist nur für Fundamente oder
Kabelgräben notwendig (auch dies ist bei einem autonomen System hinfällig). Die drei
Solarturmkraftwerke des Projekts Ivanpah (Ivanpah Solar Electric Generating System in
der Nähe von Ivanpah / USA) zeigen exemplarisch, wie die jeweiligen Heliostatenfelder
an die Umgebung angepasst wurden, um dadurch eine verbesserte Integration in die Land-
schaft zu ermöglichen; dies gilt sowohl im Hinblick auf die Begrenzungen des Standorts
als auch durch die Limitationen der angrenzende Berge (Abb. 11.28, rechts).
Bei den bisher realisierten Pilotanlagen (zwischen rund 30ı und 40ı nördlicher Breite)
wurden für kleinere Leistungen (ohne Speicher) bis zu etwa 20 MWth Polarfelder reali-
siert. Für größere Leistungen bzw. Anlagen mit großer Speicherkapazität werden bisher
Rundumfelder bevorzugt, da dann bei Polarfeldern gleicher Leistung die Abstände der
nördlichsten Heliostaten und die damit verbundenen ortsabhängigen optischen Verluste
durch atmosphärische Abschwächung der reflektierten Solarstrahlung zu groß und deshalb
enorme Turmhöhen notwendig werden. Eine Zwischengröße scheint das südafrikanische
Khi Solar One (50 MW) zu sein, welches drei Receiversegmente über je ein Polarfeld
bestrahlt.
Der Wirkungsgrad eines derartigen Heliostatenfeldes
HF ist nach Gleichung (11.8)
definiert als der Quotient aus der auf den Receiver eingestrahlten Strahlungsleistung
Pin;Receiver und dem Produkt aus der gesamten Spiegelfläche des Heliostatenfelds AHF so-
wie der Direktstrahlungsleistung auf die geneigte, ausgerichtete Empfangsfläche GP Dr;g;a .
Pin;Receiver
HF D (11.8)
AHF GP Dr;g;a
Der Feldwirkungsgrad wird aus der gemittelten Spiegelreflektivität und dem optischen
Wirkungsgrad berechnet. Dabei werden die Verlustmechanismen Spiegelreflektivität, at-
mosphärische Abschwächung, Kosinusverluste, Abschatten und Blocken sowie Spillage
berücksichtigt. Sie werden nachfolgend erläutert.
(z. B. durch Staub in der Luft). Die atmosphärische Abschwächung ist abhängig von der
Sicht (d. h. dem Trübungsfaktor der Atmosphäre) und der Länge des optischen Pfades in
der Erdatmosphäre. Der optische Pfad in der Erdatmosphäre kann in zwei Teilstrecken
unterteilt werden.
Die Strecke von dem Punkt, an dem das Sonnenlicht in die Erdatmosphäre eindringt,
bis zum Heliostaten. Sie ist an einem bestimmten Standort abhängig vom Sonnenele-
vationswinkel und damit von der Tages- und Jahreszeit.
Die Strecke zwischen dem Heliostat und dem Receiver, die abhängt von der Position
des Heliostaten im Heliostatenfeld und der Höhe des Receivers bezüglich des Heliosta-
ten.
Die atmosphärische Abschwächung wird für jede Heliostatengruppe als Funktion der
Sonnenposition und der relativen Position der Heliostaten bezüglich des Receivers abge-
schätzt.
Üblicherweise nimmt die Konzentration von Partikeln in der Atmosphäre in Richtung
auf die Erdoberfläche zu. Daher sind derartige Effekte für Solarturmkraftwerke relevant,
da hier ein vom Receiverturm entfernterer Heliostat Sonnenlicht über Entfernungen von
über 1 km nahezu horizontal und das relativ sehr nahe dem Boden zum Receiver reflektiert.
Im Vergleich dazu ist dieser Abstand bei einem Parabolrinnenkollektor nur wenige Me-
ter. Derartige Effekte können daher in staubintensiven Regionen (z. B. Nordafrika, Naher
Osten, Indien) einen erheblichen Einfluss auf die auf den Receiver auftreffende Solarstrah-
lung – und damit letztlich die Stromgestehungskosten – haben; auch bildet die gemessene /
simulierte Solarstrahlung aus Wetterdaten diesen Effekt nicht ab.
Kosinusverluste Die Heliostaten werden im Betrieb immer so ausgerichtet, dass die So-
larstrahlung auf den Receiver reflektiert wird. Da die von der Sonne kommenden Strahlen
aber i. Allg. nicht orthogonal auf die Spiegeloberfläche der Heliostaten auftreffen, reflek-
tiert aus optischen Gründen effektiv nur die in die Ebene senkrecht zur Einfallsrichtung
der Solarstrahlung projizierte Spiegelfläche. Folglich ist die von einem Heliostaten auf
den Receiver reflektierte Solarstrahlung proportional zum Kosinus des Winkels zwischen
der Spiegelnormalen und der Richtung der einfallenden Direktstrahlung. Dies bezeichnet
man als Kosinuseffekt.
Steht beispielsweise bei einem Rundumfeld auf der Nordhalbkugel die Sonne im Win-
ter um die Mittagszeit im Süden (tief) am Horizont, sind die Heliostaten im Norden des
Heliostatenfeldes nahezu orthogonal zur einfallenden direkten Solarstrahlung ausgerich-
tet; sie haben dann einen Kosinuswirkungsgrad von nahezu eins. Im Gegensatz dazu sind
die Spiegel der Heliostaten im Süden des Feldes nahezu parallel zum Erdboden ausgerich-
tet und haben deshalb einen sehr niedrigen Kosinuswirkungsgrad.
Da der Großteil der jährlichen solaren Einstrahlung erfolgt, wenn die Sonne (hoch)
im Süden steht, ist der mittlere Kosinuswirkungsgrad für den nördlichen Teil des He-
liostatenfeldes am höchsten. Deshalb werden normalerweise Heliostatenfelder auf der
1036 T. Hirsch et al.
Nordhalbkugel so ausgelegt, dass im Norden des Turmes mehr Heliostaten stehen als im
Süden.
Abschatten und Blocken Die mit Abschatten und Blocken bezeichneten Effekte treten
dann auf, wenn sich ein Heliostat im optischen Pfad eines anderen Heliostaten befindet.
Abschatten bedeutet, dass auf einen Teil der Spiegelfläche eines Heliostaten keine
direkte Solarstrahlung trifft, weil ein benachbarter Heliostat einen Schatten auf die
Spiegelfläche wirft (Abb. 11.29, links).
Blocken bedeutet, dass Solarstrahlung, die bereits von einem Heliostaten in Richtung
Receiver reflektiert wurde, durch einen zweiten Heliostaten blockiert wird und deshalb
den Receiver nicht erreicht (Abb. 11.29, rechts).
Spillage Ein Teil der reflektierten Solarstrahlung verfehlt den Receiver z. B. aufgrund
von optischen Spiegel- und Nachführfehlern. Diese Verluste werden als Spillage bezeich-
net. Sie sind vor allem abhängig von der Nachführgenauigkeit und der optischen Güte der
Heliostaten sowie von der scheinbaren Größe der Sonnenscheibe (Sunshape) und der ver-
wendeten Zielpunktstrategie. In Abhängigkeit vom Sonnenstand (Elevationswinkel) und
der atmosphärischen Trübung (z. B. durch Staub und Wolken) erscheint die Sonnenschei-
be vom Erdboden aus betrachtet unterschiedlich groß. Auch die Intensitätsverteilung der
Solarstrahlung über dem Durchmesser der Sonnenscheibe variiert. Je größer nun die Son-
nenscheibe erscheint, umso größer ist auch das von den Heliostaten reflektierte Abbild der
Sonne am Receiver und damit auch die Spillageverluste.
Um die gewünschte gleichmäßige Intensitätsverteilung auf der Receiveroberfläche zu
gewährleisten, zielen die Heliostaten normalerweise nicht alle auf den selben Punkt (z. B.
11 Solarthermische Stromerzeugung 1037
die Mitte) des Receivers, sondern auf mehrere, auf der Receiveroberfläche verteilte, Ziel-
punkte. Das Verfahren, nach dem diese Zielpunkte ausgewählt und den einzelnen Heli-
ostaten bzw. Heliostatengruppen zugeteilt werden, wird Zielpunktstrategie genannt.
Um Spillage zu minimieren, ist ein gemeinsamer zentraler Zielpunkt günstig. Dies
bedeutet aber an diesem Punkt eine vergleichsweise hohe Strahlungsflussdichte. Dies
wiederum stellt eine hohe thermische Belastung des Receivers dar und dadurch werden
auch die Verluste durch thermische Strahlung vergrößert. Im schlimmsten Fall sind lo-
kale Receiverschäden nicht auszuschließen. Soll die Belastung des Receivers durch ein
gleichmäßiges Verteilen der Zielpunkte und damit der konzentrierten Strahlung reduziert
werden, steigen damit auch zwangsläufig die Verluste durch Strahlung, die den Receiver
verfehlt. Die Zielpunktstrategie beeinflusst also sowohl die Verluste durch Spillage als
auch die thermische Belastung und damit die Lebensdauer des Receivers.
Auch hier wird in der Regel kraftwerkspezifisch ein Kostenoptimum erarbeitet. Dabei
wird typsicherweise ein gewisses Maß an Spillage gezielt in Kauf genommen, um teure
Komponenten wie etwa den Receiver besser auszulasten und schonender betreiben zu
können. Gleichzeitig können somit Gradienten in der Strahlungsflussdichte reduziert und
der Receiverwirkungsgrad erhöht werden.
Receiverturm Die Höhe des Turms, auf dem der Strahlungsempfänger montiert wird,
ist ebenfalls das Resultat einer technisch-ökonomischen Optimierung. Prinzipiell ist ein
hoher Turm vorteilhaft, da dadurch größere und dichtere Heliostatenfelder mit gerin-
geren Verschattungsverlusten realisiert werden können. Dem stehen die Kosten für den
(höheren) Turm und die (längere) Verrohrung, die auftretenden (größeren) Pump- und
Wärmeverluste sowie die etwas erhöhten Anforderungen an die Nachführgenauigkeit der
einzelnen Heliostate gegenüber. Übliche Turmhöhen liegen bei etwa 50 bis 250 m. Zum
Einsatz kommen sowohl Betonkonstruktionen als auch Stahl(gitter)türme.
Die Kosten für die Verrohrung bzw. die technischen Herausforderungen einer auf der
Turmspitze montierten Wärme-Kraft-Anlage können dadurch umgangen werden, dass an
der Turmspitze ein Sekundärreflektor montiert wird, der die einfallende Strahlung auf ei-
nen am Boden befindlichen Receiver leitet (Beam-down Verfahren). Dadurch werden die
Kosten für Turm, Rohrleitung und Wärme-Kraft-Maschine reduziert. Gleichzeitig wird
aber durch zusätzliche ggf. erhebliche optische Verluste im Sekundärreflektor und durch
den weiteren Weg der Strahlung durch die Atmosphäre der Gesamtwirkungsgrad des He-
liostatenfeldes vermindert. Hinzu kommen die Kosten für Bau, Betrieb und Wartung des
Sekundärreflektors. Derzeit werden die ersten Türme eines 50 MW Kraftwerks in China
in Betrieb genommen, das nach diesem Konzept realisiert wird; hier versorgen 15 Beam-
down Solarturmkraftwerke einen zentralen Kraftwerksblock.
Möglich ist auch die gleichzeitige Auslegung des Solarturms als Kühlturm. Dies wurde
beim südafrikanischen Solarturmkraftwerk Khi Solar One realisiert. Dort dient der etwa
1038 T. Hirsch et al.
200 m hohe Solarturm mit mehreren Dutzend Metern Durchmesser als Kamin für den
unten verbauten luftgekühlten Kondensator. Da seit Inbetriebnahme 2016 keine weite-
ren vergleichbaren Konzepte bekannt wurden, dürften sich aber derartige Lösungen nicht
durchsetzen.
Reflexionsverluste des Receivers liegen darin begründet, dass das Absorbermaterial des
Receivers – und damit die Receiveroberfläche – nicht als idealer schwarzer Körper aus-
geführt werden kann. Deshalb wird ein bestimmter Teil der auf die Absorberoberfläche
auftreffenden konzentrierten solaren Einstrahlung wieder in die Umgebung reflektiert.
Diese Reflexionsverluste werden wesentlich vom Absorptionsgrad des Absorbermate-
rials bestimmt.
Durch eine thermische Abstrahlung treten am Receiver weitere Verluste auf. Sie
können über das Plank’sche Strahlungsgesetz für graue Körper näherungsweise abge-
schätzt werden.
Konvektionsverluste, die am Receiver auftreten, entstehen aus der Temperaturdifferenz
zwischen der Receiver-Außenfläche und der Umgebungsluft. Derartige Verluste kön-
nen durch eine freie Konvektion und durch einen Windeinfluss entstehen. Sie werden
wesentlich vom Wärmeübergangskoeffizienten zwischen dem Receivermaterial und
der Umgebungsluft beeinflusst.
Parasitäre Verluste ergeben sich u. a. aus den zum Betrieb des Receivers benötigten
Hilfsenergien.
Wärmeüber-
trager-Rohre
Verteiler
Salz (kalt)
eingesetzt wird, verdampft und, je nach Anlagenkonzept, überhitzt. Die Rohre müssen
aufgrund der hohen Energieflussdichten großen thermischen Spannungen widerstehen;
deshalb werden (teure) Spezialstähle eingesetzt. Da bei der Überhitzung des Dampfes
Schwierigkeiten durch starke Änderungen des Wärmeübergangs auftreten können und der
Betrieb während des Anfahrens bzw. im Teillastbetrieb eine aufwändige Regelung erfor-
dert, werden bei manchen Projekten potenzielle Probleme dadurch vermieden, dass auf
eine Überhitzung verzichtet und nur Sattdampf erzeugt wird [11.56]. Damit lassen sich
aber nur vergleichsweise niedrige Wirkungsgrade beim Kraftwerksprozess realisieren.
Aufgrund der hohen Kosten für die Speicherung von Dampf (d. h. Druckbehälter unter
hohen Temperaturen) – und das insbesondere unter hohen Temperaturen und Drücken, wie
sie aus thermodynamischen Gründen vorteilhaft für die Effizienz des Kraftwerksblocks
sind – sind direktverdampfende Systeme nicht mehr Stand der Technik.
peraturen von annähernd 1 000 ı C denkbar. Der Vorteil der Verwendung von Flüssigme-
tallen liegt in den hohen Wärmeübergangskoeffizienten im Receiver, die eine kompakte
Receiverbauform und damit reduzierte Abstrahlverluste ermöglichen. Die Aufhebung flu-
idbedingter Temperaturgrenzen erleichtert zudem den Schritt zu höheren Temperaturen
und kann die Auslegung von Wärmeübertragern wegen des höheren Temperaturgefälles
vereinfachen.
Aufgrund negativer Erfahrungen beim Umgang mit diesem Wärmeträger (Brandge-
fahr) wurden solche Ansätze über Jahrzehnte kaum mehr verfolgt. Eine australische Firma
hat jedoch mittlerweile ein modulares auf Natrium basierendes System kommerzialisiert
und eine aus fünf Türmen bestehende Pilotanlage in Australien aufgebaut. Die fünf So-
larturmsysteme versorgen hierbei gemeinsam einen zentralen Kraftwerksblock [11.55].
Ein weiteres Flüssigmetallsystem mit integriertem metallischem Latentwärmespeicher ist
ebenfalls für kleine modulare Kraftwerke in der Entwicklung [11.50]. Dabei bilden Re-
ceiver, Speicher und Kraftwerksblock eine Einheit. Dies funktioniert durch die Nutzung
eines Stirling-Motors. Diese integrierte Lösung ermöglicht es damit auch, das System
von der Solarthermieanlage zu entkoppeln und lokal als thermische / Carnot-Batterie zu
nutzen. Die hohen zulässigen Temperaturen durch das Flüssigmetall ermöglichen zudem
brauchbare Wirkungsgrade des Stirling-Motors.
Dampftrommel
Konzentrierte Receiver
Solarstrahlung
Luftrück-
führung
Infrarot- Wärme-
Rückstrahlung
Kanalbrenner
Metalldrahtgestrick- Gebläse
Temperatur
Absorber Absorber
Turmplattform
Luft
Absorbertiefe
Abb. 11.31 Offener volumetrischer Luftreceiver nach dem Phoebus-Prinzip (nach [11.27])
sen sorgen diese auch für ein günstiges Anfahrverhalten der Anlage. Eine Versuchsanlage
in Jülich / Deutschland arbeitet nach diesem Prinzip.
Anlagen mit einem offenen volumetrischen Receiver bieten weiterhin den Vorteil, dass
Steinschüttungen als kostengünstige thermische Speicher genutzt werden können. Eine
Wärmespeicherung in Steinschüttungen ist potenziell erheblich günstiger darstellbar als
etwa in den heute eingesetzten Flüssigsalzspeichersystemen [11.49].
Partikelreceiver
Partikelspeicher
1 000 °C
(heiß)
Partikelheizer Wärmeübertrager
(elektrisch oder
Zu- und Rücklauf vom
mit Verbrenner)
Verbrauchsprozess
Partikelspeicher
300 °C (kalt)
ermöglichen und generell durch Rekuperatoren für die Einführung warmer Luft vor der
Brennkammer ausgelegt sind. Bisher hat kein Gasturbinenhersteller angedeutet, Gasturbi-
nen mit hohen Leistungen für solarthermische Anwendungen entwickeln zu wollen. Die
hierbei bei heutigen Turbinen zu erwartenden hohen Temperaturen von bis zu 1 500 ı C
werden von auch von derartigen Solarkraftwerken nicht erreicht. Auch macht die daher
notwendige Zufeuerung von meist fossilen Brennstoffen diesen Ansatz nicht mehr zeitge-
mäß. Deshalb dürften große geschlossene Luftreceiversysteme zur Stromerzeugung keine
Zukunft haben; sie könnten jedoch in der Marknische der Mikrogasturbinen Einsatz fin-
den.
Receiver mit Partikelsystemen Auch feste Partikel können in solchen Kraftwerken als
ein Wärmeträgermedium genutzt werden (Abb. 11.32). Hierfür werden Bauxit-Partikel
verwendet (Partikeldurchmesser von unter 1 mm bis zu wenigen mm). Sie zeichnen sich
durch eine hohe Temperaturstabilität bis deutlich über 1 000 ı C aus. Auch dürfte die Li-
mitierung der solaren Flussdichte auf die Partikel so hoch liegen, dass sie in der Praxis
nicht relevant ist. Aufgrund dieser Vorteile wurden jüngst verstärkt Konzepte entwickelt,
die Partikel nicht nur als Wärmeträgermedium, sondern auch direkt als Absorbermaterial
vorschlagen. Dadurch kommt der Vorteil zum Tragen, dass sämtliche Receiverkomponen-
ten nicht mehr dem hohen solaren Energiefluss ausgesetzt sind, um danach die Wärme
auf das Wärmeträgermedium zu übertragen, sondern sich hinter diesem Partikelfilm in
einem vergleichsweiße kühlen Bereich befinden. Entsprechende Kostenreduktionen sind
die Folge.
Zwei Ansätze zum direkt absorbierenden Partikelreceiver haben sich bisher als vielver-
sprechend herausgestellt.
1044 T. Hirsch et al.
Fallfilm-Receiver. Hier wird ein stabiler Partikelfilm über einen Fallfilm (Falling
Curtain Receiver) erzeugt. Dieser Fallfilm kann mit einer beliebigen Breite erzeugt
werden und durch einen homogen eingeregelten Partikelfall entsteht ein dichter Vor-
hang. Dieser wird dem gebündelten Sonnenlicht der Heliostaten ausgesetzt und die
Partikel während des Falls durch die gebündelte Solarstrahlung erhitzt. Dabei muss die
Filmdicke ausreichend dimensioniert sein, dass bei gegebener Fallhöhe möglichst we-
nig konzentrierte Sonnenenergie auf die dahinterliegende Wand trifft. Jedoch führt eine
hohe Filmdicke zu einem erheblichen Temperaturgradienten über den Film [11.53].
Zentrifugalreceiver. Hierbei werden die Partikel in eine nach unten geneigte, rotierende
Trommel eingelassen und über die Zentrifugalkraft an die Wand gedrückt. Aufgrund
der Receiverneigung entsteht an der inneren Trommelwand ein Fluss in axialer Rich-
tung bis zum Auslass an der entgegengesetzten Receiveröffnung, an der die erhitzten
Partikel gesammelt werden. Mit dieser Bauart lassen sich über die Drehzahl und den
Partikelfluss sehr flexibel zahlreiche Betriebszustände einstellen. Aufgrund der Rotati-
on durchfahren auch alle Partikel sämtliche Bereiche des solaren Flussdichteeintrags.
Somit kann beständig ein homogener Temperaturauslass mit geringen Temperaturgra-
dienten erzeugt werden.
11.3.5 Anlagenkonzepte
Receiver Brennkammer
Generator
V
R R Abhitze-
kessel
Speicher
Dampf-
G
Generator
turbine
Konden-
sator
G
Gas-
turbine
Solarturm
Solarfeld
Abb. 11.33 Hybrides Turm-Solarkraftwerk mit geschlossenem volumetrischem Receiver (VRR vo-
lumetric reactor receiver, G Generator; nach [11.31])
1046 T. Hirsch et al.
Tabelle 11.4 Technische Kenngrößen ausgeführter und eines im Bau befindlichen Solarturm-Kraft-
werks (Stand Anfang 2020; u. a. [11.56])
PS10 PS20 Gemasolar Ivanpah Crescent
(3 Anlagen) Dunes
Inbetriebnahme 2007 2009 2011 2014 2015
Land Spanien Spanien Spanien USA USA
Leistung in MWa 11 20 20 377 110
Kühlung nass nass nass trocken Hybrid
Turmhöhe in mb 115 165 140 140 195
Apertur Heliostat in m2 120 120 120 15 115,7
Anzahl Heliostaten 624 1 255 2 650 173 500 10 347
Wärmeüberträger- Wasser / Wasser / Flüssigsalz Wasser / Flüssigsalz
medium Dampf Dampf Dampf
Maximale Fluid- 300 300 565 565 565
temperatur in ı C
Speicherkapazität 1 1 15 0 10
in Volllaststunden
Remuneration in 2018 0,44 0,44 0,42 0,14 0,14
US$/kWh
Die Vielzahl verschiedener Anlagenkonzepte ist nach wie vor steigend; Tabelle 11.4
gibt einen Überblick über laufende Projekte. In der Vergangenheit wurden zahlreiche
Solarturmanlagen im Rahmen entsprechender Forschungs- und Entwicklungsvorhaben
realisiert. Zunehmend werden aber auch kommerzielle Anlagen gebaut und betrieben.
11 Solarthermische Stromerzeugung 1047
Energieabgabe in kWh/(m2 d)
1,00
0,80
0,60
0,40
0,20
0,00
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
Direktstrahlung in kWh/(m2 d)
Solar One Solar One war ein Turm-Solarkraftwerk mit 10 MW elektrischer Leistung,
das von 1982 bis 1988 in der kalifornischen Mojave-Wüste bei Daggett / USA betrieben
wurde. Mit dieser Anlage konnte die grundsätzliche Machbarkeit der solarthermischen
Stromerzeugung mit Turmanlagen im MW-Maßstab demonstriert werden. Als Wärmeträ-
germedium im Receiver kam Wasser zum Einsatz. Bei der Anlage zeigten sich Probleme
u. a. dann, wenn der Betrieb bei Wolkendurchgängen aufrechterhalten werden sollte.
Abb. 11.34 zeigt die Leistungskennlinie der Solar One Anlage als ein typisches Beispiel
für den grundsätzlichen Kennlinienverlauf von Solarturmkraftwerken. Demnach wird bei
dieser Anlage elektrische Leistung erst ab einer Tagessumme der Direktstrahlung von et-
wa 4 bis 5 kWh/(m2 d) abgegeben. Mit weiter steigender direkter Sonnenstrahlung nimmt
die abgegebene elektrische Leistung näherungsweise linear mit der eingestrahlten Solar-
energie zu. Die Schwelle, ab der elektrische Leistung abgegeben wird, wird weitgehend
durch die hier eingesetzte Wasser-Dampf-Rohrreceiver-Technologie bestimmt. Durch die
Verwendung von Salzschmelzen oder insbesondere von volumetrischen Receivern kann
dieser Schwellenwert gesenkt werden (d. h. die Verluste reduziert werden), da der energe-
tische Aufwand, das System auf Betriebstemperatur zu bringen, vermindert wird.
Solar Two Mit dem Ziel, die bei der Anlage Solar One aufgetretenen Probleme zu lö-
sen, wurde das Kraftwerk 1995 zur Anlage Solar Two umgebaut. Als Wärmeträger- und
-speichermedium wurde nun eine Salzschmelze aus 40 % Kalium- und 60 % Natriumni-
trat eingesetzt. Durch die Verwendung eines thermischen Energiespeichers können Strah-
lungsangebot und Energienachfrage (weitgehend) entkoppelt werden.
1048 T. Hirsch et al.
Sonne
Receiver
565 °C
Generator
Turbine
Dampfkreislauf
Salz-Tank G
(heiß)
Salzkreislauf
Dampfkreislauf
Turm Dampf-
erzeuger
290 °C
Heliostat Salz-Tank
Konden-
Salzkreislauf (kalt)
sator
Abb. 11.35 Solarturmkraftwerk mit einer Salzschmelze als Wärmeträger- und -speichermedium
(die dargestellten Temperaturen beziehen sich auf die Anlage Solar Two) (nach [11.32])
Das Prinzip des Kraftwerks Solar Two zeigt Abb. 11.35. Salz wird demnach aus ei-
nem „kalten“ Salzspeicher auf den Turm und dort durch den Receiver gepumpt, wo es
erwärmt wird. Es gelangt dann in den „heißen“ Tank. Von dort aus wird bei Bedarf
heißes Salz – und damit Energie – entnommen und durch einen Dampferzeuger gelei-
tet, der Frischdampf für einen konventionellen Dampfturbinen-Kreisprozess erzeugt. Das
im Dampferzeuger abgekühlte Salz gelangt anschließend erneut in den „kalten“ Salz-
speicher.
Grundsätzlich lässt sich mit diesem Konzept nicht nur tagsüber, sondern bei entspre-
chender Größe des Energiespeichers und des Solarfeldes auch 24 h am Tag Strom bereit-
stellen. Solar Two produzierte eine elektrische Leistung von 10 MW, die durch den in der
Anlage vorhandenen Energiespeicher bis zu drei Stunden mit Volllast nach Sonnenunter-
gang aufrechterhalten werden kann. Die Anlage wurde 2009 abgebaut.
Abb. 11.36 zeigt den Energiefluss durch eine derartige Anlage. Demnach liegen die
Verluste bei der Sammlung der solaren Energie und deren Bündelung auf den Absorber
bei zusammengenommen etwa 63 %. Hinzu kommen noch die Verluste der Wärme-Kraft-
Maschine bei der Umwandlung der thermischen in elektrische Energie von ca. 24 %.
Insgesamt entspricht dies Gesamtwirkungsgraden in der Größenordnung von rund 13 %.
Eingang des
Kraftwerks-
Thermische
Energie am
Absorbierte
Energie
blocks
Energie der solaren Strahlung
100 %
Abb. 11.36 Energiefluss durch ein Solarturmkraftwerk (Mech. Mechanische; Elektr. Elektrische)
diese Anlage das momentan größte Solarturmkraftwerk weltweit. Aufgrund der relativ
kleinen eingesetzten Heliostaten von 15 m2 Aperturfläche ergibt sich eine Gesamtzahl von
173 500 Heliostaten. Der Empfänger befindet sich jeweils auf einer Turmhöhe von etwa
140 m und verfügt über drei vertikal angeordnete Zonen, Zwischenüberhitzer, Verdampfer
und Überhitzer. Durch den Phasenübergang von Wasser zu Dampf kann der Verdampfer
erheblich mehr Wärme abführen und ist daher mittig – d. h. in der Zone erhöhter Strah-
lungsflussdichte – angeordnet. Das Kraftwerk verfügt über keinen thermischen Speicher;
dies wurde durch die Integration eines Gasbrenners ausgeglichen [11.56].
Gemasolar Bei dieser Anlage wird aufgebaut auf dem bei der Anlage Solar Two gewon-
nenen Know-how (Salz als Wärmeträger- und -speichermedium). Dieses Turm-Solarkraft-
werk mit Flüssigsalz-Rohrreceiver, das eine elektrische Leistung von 20 MW aufweist, ist
mit einem 15 h-Speicher (Zweitank-Salzschmelze) ausgestattet. Das Heliostatenfeld ist als
Rundumfeld mit 2 650 Heliostaten mit einer Fläche von je 120 m2 konzipiert. Der Receiver
mit einer thermischen Leistung von 120 MW ist als zylindrischer Flüssigsalz-Rohrrecei-
ver ausgeführt [11.56]; er befindet sich auf einem 140 m hohen Turm. Das Kraftwerk
ist seit April 2011 in Betrieb. Der 24 h-Betrieb konnte erfolgreich demonstriert werden.
Die Receiver-Austrittstemperatur beträgt 565 ı C und die Einlasstemperatur 290 ı C. Die
Anlage hat erfolgreich einen 36 Tage andauernden Dauerbetrieb des Kraftwerksblocks
absolviert.
1050 T. Hirsch et al.
Bei den segmentierten Paraboloiden werden mehrere Spiegelsegmente auf eine tragen-
de Struktur aufgebracht, einzeln gestützt und ausgerichtet. Diese einzelnen Elemente
können auch nach dem Ausrichten zu einer steifen Schale verbunden werden. Die Spie-
gelsegmente können dabei aus verspiegeltem Vollglas oder mit reflektierender Folie
bzw. Dünnglasspiegeln überzogenen Trägern bestehen. Alternativ dazu können die Fa-
cetten auch aus Sandwichelementen aus glasfaserverstärktem Epoxidharz aufgebaut
und anschließend mit Dünnglasspiegeln beklebt werden [11.34].
Beim vollflächigen Paraboloid wird die ganze Konzentratorfläche in einem Formge-
bungsprozess in eine parabolisch gekrümmte Form gebracht. Dies wird mit einer vor-
gespannten Membran aus Metall oder Kunststoff (Stretched Membrane Technology)
realisiert. Derartige Membranen sind beidseitig auf einem stabilen Ring befestigt. Sie
werden mittels eines Formgebungsprozesses plastisch verformt und mit Unterdruck
stabilisiert. Mit einer solchen Metallmembrankonstruktion werden bei den flächenhaft
gestalteten Konzentratoren hohe Steifigkeiten und eine gute optische Leistungsfähig-
keit bei einem geringen Gewicht erzielt.
Bei der azimutalen Nachführung wird der Konzentrator über eine Achse parallel zur
Erdoberfläche (Elevationsachse) und einer zweiten senkrecht zur Erdoberfläche (Azi-
mut) bewegt.
Bei der polaren (oder parallaktischen) Nachführung verläuft eine Achse parallel zur
Erdrotationsachse (polare Achse) und die andere senkrecht dazu (Deklinationsachse).
11.4.2 Receiver
Der Receiver absorbiert die vom Konzentrator reflektierte Solarstrahlung und wandelt sie
in technisch nutzbare Wärme mit Temperaturen von 600 bis 800 ı C um. Mit dieser Wärme
wird dann das Arbeitsmedium der Wärme-Kraft-Maschine direkt erhitzt oder ein Wärme-
trägermedium erfährt eine Temperaturerhöhung und / oder einen Phasenwechsel.
Die Intensitätsverteilung der konzentrierten Strahlung im Brennfleck ist aufgrund von
unvermeidbaren Spiegelfehlern nie ganz gleichmäßig. Auf der Absorberfläche können da-
her große Temperaturgradienten auftreten. Durch geeignete Konzentratorformen sowie
1052 T. Hirsch et al.
Absorber-
rohre
Kapillarstruktur
konzentrierte
Direktstrahlung Natriumdampf
konzentrierte
Direktstrahlung
Arbeitsgas-
Absorber eintritt
Erhitzer
Anschluss-
flansch Arbeitsgas-
austritt
Abb. 11.38 Receiver-Typen für Dish / Stirling-Systeme (links: Rohrreceiver, rechts: Heat Pipe Re-
ceiver, jeweils schematisch (nach [11.35]))
portiert die Wärme, indem es aus der Flüssigphase verdampft. Dadurch wird die latente
Verdampfungswärme von der bestrahlten Absorberfläche bei fast konstanter Tempe-
ratur zum Erhitzer der Wärme-Kraft-Maschine transportiert. Dort kondensiert dieses
Wärmeträgermedium und gibt seine Wärme auf einem relativ konstanten Temperatur-
niveau ab. Das Kondensat wird dann durch eine Kapillarstruktur zur Heizzone zurück
transportiert [11.36].
11.4.3 Wärme-Kraft-Maschine
Die durch die Konzentration der Solarstrahlung bereitgestellte thermische Energie kann
mit Hilfe eines Stirling-Motors mit angekoppeltem Generator in elektrische Energie um-
gewandelt werden. Der Stirling-Motor gehört zu der Gruppe der Heißgasmaschinen und
arbeitet mit einem geschlossenen Wärmeträgerkreislauf [11.37]; d. h. die Energiezufuhr
muss durch eine äußere Wärmezufuhr erfolgen.
Der Stirling-Motor nutzt den Effekt, dass Gas bei einer Temperaturänderung eine ent-
sprechende Volumenänderungsarbeit verrichtet. Der Arbeitsprozess kann durch eine iso-
therme Verdichtung des kalten und eine isotherme Entspannung des heißen Mediums bei
Wärmezufuhr unter konstantem kleinen und bei Wärmeabfuhr unter konstantem großen
Volumen (isochor) beschrieben werden. Eine periodische Temperaturänderung – und da-
mit ein kontinuierlicher Betrieb – kann erreicht werden, indem ein Arbeitsgas zwischen
einem Raum mit konstant hoher Temperatur und einem Raum mit konstant niedriger Tem-
peratur hin- und her bewegt wird.
Grundlegende Systemelemente sind damit der erhitzte Arbeitszylinder, der gekühlte
Kompressionszylinder und ein Regenerator, der zur Energiezwischenspeicherung dient.
Der Regenerator ist meist ein hochporöser Körper mit einer hohen Wärmekapazität; die-
ser poröse Körper weist eine thermische Masse auf, die bedeutend größer ist als die Masse
des Gases, die ihn durchströmt. Je vollständiger der wechselnde Wärmeübergang im Re-
generator erfolgt, umso größer ist die mittlere Temperaturdifferenz zwischen Arbeits- und
Kompressionszylinder – und damit der Wirkungsgrad des Stirling-Motors.
Wird der Verdrängerkolben über ein Triebwerk oder ein schwingfähiges System im
richtigen Phasenwinkel zum Arbeitskolben gekoppelt, kann das gesamte System als
Wärme-Kraft-Maschine arbeiten.
Die für Dish / Stirling-Systeme eingesetzten Maschinen arbeiten mit Helium oder Was-
serstoff als Arbeitsgas bei Temperaturen von 600 bis 800 ı C. Die Leistungsregelung wird
meist durch eine Variation des Drucks des Arbeitsgases realisiert.
11.4.4 Anlagenkonzepte
Übliche elektrische Leistungen von einzelnen Dish / Stirling-Systemen liegen bei wenigen
kW bis einigen 10 kW. Sie konkurrieren aufgrund der stark gefallenen Preise insbeson-
1054 T. Hirsch et al.
dere mit Photovoltaiksystemen, die heute deutlich kostengünstiger und am Markt sehr
weitgehend präsent sind. Deshalb haben Dish / Stirling-Systeme heute praktisch keine
Marktbedeutung.
Dish / Stirling-Systeme können auch zur Bereitstellung größerer Wärme- bzw. Strom-
mengen miteinander verschaltet werden. Tabelle 11.5 zeigt exemplarisch Kenngrößen
ausgewählter Dish / Stirling-Anlagen. Der bisher größte Park wurde 1984 in Kaliforni-
en / USA in Betrieb genommen und hatte mit 700 Einzelkollektoren und einer zentralen
Wärme-Kraft-Maschine eine elektrische Gesamtleistung von knapp 5 MW. Beispiele für
weitere Dish / Stirling-Kraftwerke sind das Maricopa Solar Project in Arizona / USA mit
11 Solarthermische Stromerzeugung 1055
10 kW-Dish / Stirling-Systems
10
Bruttoleistung in kW
8
4 Runterfahren
am Nachmittag Anfahren am Vormittag
2
0
0 100 200 300 400 500 600 700 800 900 1000
Direktstrahlung in W/m2
luste bei der Sammlung der solaren Energie und deren Bündelung auf. Jedoch sind die
thermischen und mechanischen Verluste in der Wärme-Kraft-Maschine (Stirling-Motor)
größer als in dem Wärme-Kraft-Prozess, wie er beispielsweise in einem Rinnenkraftwerk
eingesetzt wird. Insgesamt können ca. 22 % der in der solaren Strahlung enthaltenen Ener-
gie in Strom umgewandelt werden.
11.5 Aufwindkraftwerke
Bei einem Aufwindkraftwerk wird unter einem flachen, kreisförmigen, am Umfang offe-
nen Glasdach, das zusammen mit dem darunter liegenden Boden einen Warmluftkollektor
bildet, Luft durch die Sonnenstrahlung erwärmt (Abb. 11.41). In der Mitte des Dachs steht
senkrecht eine Kaminröhre mit großen Zuluftöffnungen am Fuß. Das Dach ist luftdicht an
den Kaminfuß angeschlossen. Da warme Luft im Vergleich zu kalter eine geringere Dich-
te hat, steigt sie im Kamin auf. Durch den Kaminsog wird gleichzeitig warme Luft aus
dem Kollektor nachgesaugt; entsprechend strömt von außen kalte Luft in das außen of-
fene Glasdach. Dadurch kommt es zu einem kontinuierlichen Aufwind im Kamin. Die in
der Luftströmung enthaltene Energie kann dann mit druckgestuften Turbinen, die am Fuß
des Kamins angebracht sind, in mechanische und über Generatoren in elektrische Energie
umgewandelt werden.
Das Aufwindkraftwerk besteht damit aus den drei Hauptkomponenten Kollektor (ggf.
mit Speicher), Turm und Turbine. Die elektrische Ausgangsleistung eines derartigen Auf-
windkraftwerks ist dabei proportional zum Volumen des von der Turmhöhe und der Kol-
lektorfläche aufgespannten Zylinders. Damit kann eine bestimmte Leistung entweder mit
einem hohen Turm in Kombination mit einem kleineren Kollektor oder mit einem großen
Kollektor und einem kleineren Turm erzielt werden.
Die in einem Aufwindkraftwerk genutzte Warmluft wird durch den Treibhauseffekt
in einem einfachen Luftkollektor erzeugt. Dieser besteht aus einem horizontalen transpa-
Kaminröhre
Kollektor Turbine
Kollektor
11 Solarthermische Stromerzeugung 1057
renten Glas- oder transparenten Kunststoffdach in etwa 2 bis 6 m Höhe über dem Boden
(Abb. 11.42).
Die Höhe des Luftkollektors nimmt zum Turm hin zu, so dass die Strömungsgeschwin-
digkeit nicht zu sehr ansteigt (d. h. Minimierung der Reibungsverluste). Anschließend
wird die Luft mit möglichst geringen Reibungsdruckverlusten in die Vertikale umgelenkt.
Das transparente Dach ist durchlässig für die Solarstrahlung, aber undurchlässig für die
vom – durch die Sonne aufgeheizten – Kollektorboden emittierte langwellige Wärme-
strahlung. Dadurch erwärmt sich bei einer entsprechenden Sonnenstrahlung der Boden
unter dem Dach und gibt diese Wärme an die radial von außen zum Turm strömende Luft
ab.
Der Erdboden unter dem Kollektordach wirkt als natürlicher Wärmespeicher, der die
Stromerzeugung der Anlage im Tagesverlauf vergleichmäßigt. Wird beispielsweise ei-
ne weniger ausgeprägte Leistungsspitze um die frühe Nachmittagszeit, wie sie sich oh-
ne besondere Speichermaßnahmen aufgrund der Speicherwirkung des Bodens einstellt
(Abb. 11.43), und eine höhere Stromerzeugung am Abend und in der Nacht gewünscht,
können wassergefüllte Wasserschläuche oder -kissen auf dem Kollektorboden ausgelegt
werden. Das Wärmespeichervermögen von Wasser ist wesentlich größer als das des Bo-
dens und kann – bei einer entsprechenden Dimensionierung der eingebrachten Wasser-
menge – einen im Verlauf von 24 h weitgehend ausgeglichenen Betrieb eines Aufwind-
kraftwerks ermöglichen, sofern keine signifikanten Änderungen des Wetters auftreten.
Der Kamin ist die eigentliche „Wärme-Kraft-Maschine“ des Aufwindkraftwerks. Hier
wird die thermische Energie der warmen Luft aus dem Kollektor in Strömungsenergie der
durch den Kamin strömenden Luft gewandelt. Dazu ist ein einfacher Hohlzylinder erfor-
derlich. Dabei stellen für diesen Anwendungsfall Stahlbetonröhren die wahrscheinlichste
Lösung dar [11.41].
Die am Turmfuß installierten Turbinen eines Aufwindkraftwerks arbeiten als umman-
telter druckgestufter Windturbogeneratorsatz; d. h. hier wird ähnlich wie bei einem Was-
1058 T. Hirsch et al.
licher Speichermaßnahmen
ohne
elektrische Leistung in %
auf die Stromerzeugung ei- 80 Speicherung
nes Aufwindkraftwerks im
Wasserschicht
Tagesverlauf (Wasserschicht 60 Wasserschicht
10 cm
20 cm
10 cm bzw. 20 cm bedeu-
tet eine durchschnittliche 40
Wasserschicht unter dem kreis-
förmigen Kollektor in dieser 20
Höhe)
0
0:00 3:00 6:00 9:00 12:00 15:00 18:00 21:00 0:00
Zeit im Tagesverlauf
serkraftwerk der statische Druck abgebaut. Dabei ist sowohl eine einzelne Vertikalachs-
enturbine in der Turmröhre als auch eine größere Anzahl von Horizontalachsenturbinen,
die am Übergang zwischen Kollektor und Turm konzentrisch um den Turm angeordnet
werden, technisch möglich. Letztere Option erlaubt der Einsatz von Turbinen üblicher
Abmessungen.
In den Jahren 1981/82 wurde in Manzanares / Spanien (ca. 150 km südlich von Ma-
drid) eine Experimentieranlage eines Aufwindkraftwerks mit einer elektrischen Leistung
von 50 kW errichtet [11.42, 11.43, 11.44]. Hierzu wurde ein Kamin mit 195 m Höhe und
10 m Durchmesser gebaut, umgeben von einem Kollektor mit 240 m Durchmesser (Tabel-
le 11.6).
Abb. 11.44 zeigt den Zusammenhang zwischen Aufwindgeschwindigkeit, abgegebener
elektrischer Leistung und verfügbarer Globalstrahlung und Abb. 11.45 wesentliche Be-
triebsdaten (d. h. Solarstrahlung, Aufwindgeschwindigkeit, elektrische Leistung) für einen
typischen Tag. Demnach korreliert für diese Anlage ohne zusätzlichen thermischen Spei-
cher die elektrische Leistung während des Tages eng mit der Solarstrahlung (Abb. 11.45).
Aber auch während der Nacht (d. h. wenn keine Globalstrahlung vorhanden ist) herrscht
Auftrieb, der zur Stromerzeugung in den frühen Nachtstunden genutzt werden kann.
11 Solarthermische Stromerzeugung 1059
60 9
Aufwindgeschwindigkeit in m/s
8
Elektrische Leistung in kW
50
7
40 6
5
30
4
20 3
2
10
Messdaten vom Protoypen Manzanares: 1
8. Juni 1987
0 0
0 100 200 300 400 500 600 700 800 900 1000 1100
Globalstrahlung in W/m2
Abb. 11.44 Solarstrahlung und Leistung für das Aufwindkraftwerk in Manzanares / Spanien (Auf-
windgeschw. Aufwindgeschwindigkeit)
60 1200
Messdaten vom Protoypen Manzanares:
Aufw indgeschwindigkeit in m/s
8. Juni 1987
Globalstrahlung in W/m2
Elektrische Leistung in kW
50 1000
40 800
Global-
strahlung
30 600
elektrische
Leistung
20 400
10 200
Aufwindgeschwindigkeit
0 0
00:00 03:00 06:00 09:00 12:00 15:00 18:00 21:00 00:00
Uhrzeit in h
Abb. 11.45 Messwerte der Globalstrahlung, der Aufwindgeschwindigkeit und der elektrischen
Leistung für einen typischen Tag für das Aufwindkraftwerk in Manzanares / Spanien
Thermische
Energie am
Vom Boden absorbierte
eingang
Turm-
Energie der solaren Strahlung
Elektrische Verluste im
Generator und Transformator
ca. 0,1 %
Energie
100 %
erreicht werden. Die auf die gesamte Kraftwerksfläche bezogene spezifische installierte
Leistung liegt bei rund 20 bis 50 kW/ha und die jährlich bereitgestellte elektrische Ener-
gie bei rund 100 bis 200 MWh/(ha a).
Seither wurde keine weitere Kraftwerksanlage dieses Typs errichtet. Kostengünstigere
Optionen zur Nutzung des regenerativen Energieangebots haben eine Umsetzung verhin-
dert. Daran dürfte sich aus heutiger Sicht auch in den kommenden Jahren wenig ändern.
11.6 Solarteiche
Bei Solarteichen dient als Kollektor und Wärmespeicher ein mit Sole (d. h. einem Wasser-
Salz-Gemisch) gefülltes Becken. Dabei wird das Salzwasser am Grund dieses Solarteiches
als primäres Wärmeträger- und Speichermedium genutzt, dem die Arbeitswärme für den
angeschlossenen Kreisprozess entnommen wird. Die tieferen Wasserschichten und der
Grund des Solarteichs selbst dienen als Absorber für die auf die Teichoberfläche auf-
treffende direkte und diffuse Solarstrahlung. Durch unterschiedliche Salzkonzentration,
durch die das Salzwasser innerhalb des Beckens gekennzeichnet ist und die zum Grund
des Solarteiches hin stark zunimmt, wird die natürliche Konvektion und der damit verbun-
dene Wärmeverlust an der Oberfläche infolge Verdampfung, Konvektion und Strahlung
minimiert. Aus der Speicherzone am Beckengrund, die aufgrund der genannten Salz-
konzentrationsunterschiede relativ stabil ist, kann daher Wärme bei etwa 80 bis 90 ı C
(Stagnationstemperatur ca. 100 ı C) entnommen werden. Mit Hilfe geeigneter thermo-
11 Solarthermische Stromerzeugung 1061
3
10 13 Dichte in g/cm 30 60 90 Temperatur in °C
dynamischer Kreisprozesse (z. B. Organic Rankine Cycle bzw. ORC-Prozess) kann die
Solarwärme dann zur Stromerzeugung genutzt werden.
Bei einem derartigen Teichkollektor handelt es sich um natürliche oder künstlich an-
gelegte Seen, Teiche oder Becken, die durch eine Schichtung des Salzwassers infolge
unterschiedlichen Salzgehaltes wie ein Flachkollektor wirken. Die der solaren Einstrah-
lung zugewandten Wasserschichten an der Teichoberfläche, die durch einen relativ ge-
ringeren Salzgehalt gekennzeichnet sind, werden zur Unterdrückung von Wellen oft mit
Kunststoffgittern oder -netzen versehen. Diese obere Durchmischungszone eines solchen
Teichkollektors ist üblicherweise rund 0,5 m stark. Die sich daran anschließende Über-
gangszone hat eine Dicke von etwa 1 bis 2 m und die untere Speicherzone von 1,5 bis
5 m.
Werden in einem gewöhnlichen (Süßwasser-)Teich oder See die tieferen Wasserschich-
ten von der Sonne erwärmt, steigt das erwärmte Wasser zur Oberfläche des entsprechenden
Gewässers auf, da warmes im Vergleich zu kaltem Wasser eine geringere Dichte aufweist.
An der Wasseroberfläche wird dann in solchen Seen ohne Salzgehaltsunterschiede die in
unterschiedlichen Wassertiefen von der Sonne dem Wasser zugeführte Wärme wieder an
die Atmosphäre abgegeben. Dadurch entspricht unter diesen Bedingungen die Wassertem-
peratur im Mittel etwa der Umgebungstemperatur.
Demgegenüber wird in einem Solarteich diese Wärmeabgabe an die Atmosphäre durch
in den tieferen Wasserschichten mit einem steigenden Anteil gelösten Salzes (d. h. Salz-
gehaltsgradient) verhindert, da durch das im Wasser gelöste Salz die Dichte des Wassers
am Boden des Teichs so groß ist, dass es nicht an die Oberfläche aufsteigen kann. Dies gilt
selbst dann, wenn es von der Sonne auf Temperaturen nahe dem Siedepunkt aufgeheizt
wird.
Die Salzkonzentration in den unterschiedlichen Wasserschichten / Wassertiefen derarti-
ger Solarteiche muss deshalb gezielt so eingestellt werden, dass sie mit der Tiefe zunimmt
(Abb. 11.47). Dadurch stellt sich eine stabile Wasserschichtung ein. Die obere, nahezu
salzlose Wasserschicht wirkt dabei als transparente, wärmeisolierende Abdeckung der tie-
feren Wasserschichten.
Damit die Schichtung des Solarteichs stabil bleibt, darf die Temperaturzunahme mit der
Tiefe nicht größer sein als die Zunahme der Dichte (d. h. des Salzgehalts). Deshalb müssen
die relevanten Parameter kontinuierlich überwacht werden, um rechtzeitig entsprechende
Maßnahmen (Wärmeentnahme, Salzzufuhr) ergreifen zu können.
1062 T. Hirsch et al.
Damit ist eine ausreichend dimensionierte Wärmeübertragereinheit für den Betrieb ei-
nes Solarteichs unumgänglich. Insbesondere zu Zeiten sehr hoher Einstrahlung (d. h. zur
Mittagszeit) muss gewährleistet sein, dass dem Teich sicher genug Wärme entzogen wer-
den kann, damit kein Phasenübergang stattfindet und / oder die Schichtung instabil wird.
Zur Wandlung der thermischen Solarenergie in mechanische und weiter in elektrische
Energie werden üblicherweise ORC-Prozesse (Organic Rankine Cycle) eingesetzt. Dies
sind „klassische“ Dampfturbinenprozesse, in denen aber nicht Wasser, sondern ein nied-
rig siedendes Arbeitsmittel meist organischen Ursprungs als Kreislaufmittel eingesetzt
wird (vgl. Kapitel 9.2). Derartige Kreisprozesse erlauben es, auch bei den geringen hier
nutzbaren Temperaturdifferenzen elektrische Energie bereitzustellen.
Den schematischen Aufbau einer Anlage zur Stromerzeugung mithilfe eines Solartei-
ches zeigt Abb. 11.48. Demnach absorbiert das Wasser ähnlich wie der Absorber eines
konventionellen Solarkollektors die eintreffende direkte und diffuse Solarstrahlung und
11 Solarthermische Stromerzeugung 1063
Dampfkreislauf
Dampf-
Solarteich
erzeuger
kaltes Wasser
Übergangszone
heißes Wasser
Konden-
sator
Kaltwasser-Kreislauf
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Nutzung der Energien des Meeres
12
Jochen Bard, Kai-Uwe Graw und Martin Kaltschmitt
Die Nutzung der Meeresenergie umfasst sehr verschiedenartige Ressourcen im Meer, die
in unterschiedlichen Energieformen (mechanisch, thermisch und chemisch) auftreten kön-
nen. Demzufolge sind auch die jeweiligen Technologien zur Nutzung dieser Ressourcen
sehr unterschiedlich. Dies umfasst neben Anlagen zur Nutzung der Gezeiten, der Meeres-
wellen und der Meeresströmungen auch Systeme, welche die Differenz im Salzgehalt von
Süßwasser und Meerwasser nutzen sowie Anlagen, welche die Temperaturdifferenz zwi-
schen dem warmen Oberflächenwasser und dem kalten Tiefenwasser beispielsweise zur
Breitstellung elektrischer Energie ausnutzen. Nachfolgend werden ausgewählte derartige
Nutzungsprinzipien bzw. -konzepte dargestellt.
12.1 Wellennutzung
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 1067
M. Kaltschmitt, W. Streicher, A. Wiese (Hrsg.), Erneuerbare Energien,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-61190-6_12
1068 J. Bard et al.
Abb. 12.1 Theoretisches Wellenleistungspotenzial (Daten nach [12.11, 12.12], modifiziert nach
[12.13])
zum Quadrat und der Wellenperiode. Wird für die Verknüpfung von Wellenhöhe und
-periode ein Standardspektrum zugrunde gelegt, kann die Leistung bzw. die Energie ei-
ner derartigen Welle mit vereinfachenden charakteristischen Werten angegeben werden.
Beispielsweise ist demnach an der deutschen Nordseeküste bei einer mittleren Wellen-
periode von 6,2 s eine signifikante Wellenhöhe von 2,11 m typisch. Dies entspricht eine
Gesamtleistung der Welle von etwa 14 kW/m Wellenfront.
Um den Äquator entlang der äquatorialen Tiefdruckrinne treten im Mittel geringere
Windgeschwindigkeiten auf, sodass in diesen Regionen auch typischerweise weniger in-
tensive Wellen vorkommen und damit die Wellenergie nur relativ geringe energetische
Potenziale aufweist (Abb. 12.1). Demgegenüber entstehen auf den großen Ozeanen in den
mittleren Breiten wie z. B. im Nordatlantik oder um den 40. Breitengrad auf der Südhalb-
kugel Wellenspektren mit den global durchschnittlich höchsten Energiedichten. Diese als
Dünung bezeichneten Wellenspektren mit Wellenperioden von über 10 s und mittleren
Wellenhöhen von rund 5 m können bis zu 100 kW/m Wellenfront erreichen. Die mittlere
Wellenlänge beträgt dabei rund 150 m. Erreicht die Dünung in der Nähe der Küste flaches
Wasser, tritt Bodenreibung auf; dadurch reduziert sich die Wellenenergie.
In der Nordsee überlagert sich die aus Nordwesten einlaufende – aber bereits ab-
geschwächte – atlantische Dünung mit der typischerweise aus Südwesten einlaufenden
lokalen Windsee. In der Summe entsteht also ein Wellenspektrum mit zwei um ca. 90°
zueinander versetzen Wellenmaxima, die jeweils unterschiedliche Wellenhöhen und -peri-
oden aufweisen.
Gelänge es im theoretischen Maximalfall, die gesamte Energie einer Wellenfront von
der Länge der deutschen Nordseeküste (ca. 250 km) zu nutzen, könnten diesen modellhaf-
ten theoretischen Überlegungen zufolge ca. 3,6 GW Leistung bereitgestellt werden [12.1].
Tatsächlich kann aber nur ein kleiner Teil dieser Wellenenergie auch technisch genutzt
werden – typischerweise angenommene Anteile liegen zwischen 20 und 30 % des vorhan-
12 Nutzung der Energien des Meeres 1069
denen theoretischen Potenzials. Jedoch bestimmen große Unsicherheiten bei der Bestim-
mung der Ressourcen und die Vielfalt der technologischen Ansätze eine weite Bandbreite
bei diesen ermittelten technischen Potenzialen. Weltweit geben Schätzungen einen Be-
reich zwischen 7 und 331 EJ/a (1,9 bis 92 PWh/a) an. Für Europa wurden theoretische
Potenziale der Wellenenergie zwischen 3,6 und 5,4 EJ/a (1 000 bis 1 500 TWh/a) abge-
schätzt. Die größten Potenziale befinden sich dabei entlang der europäischen Atlantikküs-
te. In der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) beträgt das Wellenpotenzial
nur wenige TWh.
Eine besondere Herausforderung einer potenziellen technischen Nutzbarmachung stel-
len die bei Sturm auftretenden Extremwerte der Wellen dar. Beispielsweise kommen in
der Nordsee bei Sturm signifikante Wellenhöhen von 6 m vor; aber einzelne Wellen kön-
nen dann das Doppelte dieses Wertes erreichen. In der Folge können Extremereignisse
auftreten, bei denen die Wellenleistung bis zum 100-fachen des Mittelwertes betragen
kann. Das bedeutet für Anlagen zur Nutzung dieser Wellenenergie, dass sie konstruktiv
auf Lastereignisse ausgelegt werden müssen, die signifikant über den Lasten bei Nenn-
betrieb liegen (d. h. sehr hoher Materialeinsatz). Entscheidend ist dabei auch, wie sich
die Wellenleistung über dem jeweiligen Wellenspektrum auf z. B. den Schwimmkörper
eines Wellenenergiekonverters auswirkt. Bei schwimmenden Konzepten kann dies bei-
spielsweise zu sehr starken Auslenkungen der Schwimmkörper oder einer extremen Drift
der Anlage führen. Bei ortsfesten Anlagen können durch Extremwellen auch extreme
Druckstöße auf die Struktur ausgeübt werden. Letztlich ist die Überlebensfähigkeit von
Wellenenergiekonvertern einer der wichtigsten Designaspekte, der je nach Konzept auch
einen entscheidenden Kostenfaktor darstellt. Unter der Überlebensfähigkeit ist dabei die
Anlagenauslegung zu verstehen, mit der eine derartige Anlage solche hohen Lasten gerade
noch voll funktionsfähig überlebt.
Die Umwandlung dieser Wellenenergie in typischerweise elektrische Energie erfolgt
mit sehr unterschiedlichen technologischen Ansätzen, die teilweise nur die kinetische
Energie der Wellen, nur die potenzielle Wellenenergie oder ggf. auch beide Energieformen
nutzen. Hinzu kommt, dass sehr unterschiedliche Wellenspektren in verschiedenen Was-
sertiefen auftreten können. Daraus wird unmittelbar klar, dass diese Vielfalt von Standort-
bedingungen nicht mit einem einzigen Typ / Konzept von Wellenenergiekonverter – und
das auch unter zusätzlicher Berücksichtigung von Kostenaspekten – genutzt werden kann.
Der Schwerpunkt der Entwicklung von Anlagen zur Wellenenergienutzung liegt nach
Jahrzehnten der Technologieentwicklung und der Realisierung von zahlreichen Pilot- und
Demonstrationsanlagen weltweit auf der Skalierung der jeweiligen Anlagenkonzepte, ei-
ner Erhöhung der Zuverlässigkeit sowie weiterer Ansätze zur Kostenreduktion durch zu-
sätzlich verbesserte Konzepte, Komponenten und Installationsmethoden sowie der Redu-
zierung des Wartungsaufwandes. In jüngster Zeit ist zudem eine neue Entwicklungslinie
entstanden, die auf die Energieversorgung von Inseln oder entlegenen Küstenstandorten
abzielt; hierbei sollen die unter diesen Bedingungen typischerweise hohen spezifischen
Energiekosten bei gleichzeitig eher moderaten Stromverbräuchen und der hohen Verfüg-
1070 J. Bard et al.
barkeit der Wellenenergie vor Ort günstige Voraussetzungen für die Markteinführung von
Wellenenergiekonvertern schaffen.
Die kommerzielle Anwendung der Wellenenergie scheitert bisher meist an einer Viel-
zahl von Anforderungen, die sich wie folgt zusammenfassen lassen.
Nachfolgend wird eine Auswahl unterschiedlicher Systeme zur Nutzung der Wellenen-
ergie diskutiert [12.4, 12.5]. Die genannten Systeme sind zumeist kennzeichnend für eine
Vielzahl von Konstruktionen, die häufig eine Variation bestimmter Basisprinzipien sind.
Aus physikalischer Sicht kann dabei primär zwischen den folgenden Nutzungsprinzipien
unterschieden werden.
Welleninduzierte Fallhöhe. Hier ist es das Ziel, mithilfe der Wellenenergie eine tech-
nisch nutzbare Fallhöhe zu schaffen, die dann mit Ansätzen aus der „klassischen“
Wasserkraftnutzung (Kapitel 7) zur Erzeugung elektrischer Energie genutzt werden
kann (Kapitel 12.1.1).
Oszillierende Wassersäule. Durch die Wellenbewegung der Wasseroberfläche wird in-
nerhalb einer Kammer Luft komprimiert, die dann über eine Turbine – und damit unter
Verrichtung von Arbeit – wieder entspannt wird (Kapitel 12.1.2).
12 Nutzung der Energien des Meeres 1071
Bei den Speicherbeckensystemen ist es das primäre Ziel, mithilfe der Wellenenergie das
Meerwasser auf ein höheres geodätisches Niveau zu heben. Dadurch wird eine nutzbare
Fallhöhe gegenüber dem (mittleren) Meeresspiegel geschaffen, die dann zur Bereitstel-
lung mechanischer und ausgehend davon elektrischer Energie genutzt werden kann (Ka-
pitel 7). Für diese Umwandlung der potenziellen Energie des Meerwassers in elektrische
Energie kommen der „klassischen“ Stromerzeugung aus Wasserkraft grundsätzlich ver-
gleichbare Systemkomponenten zum Einsatz (Kapitel 7).
Nachfolgend werden exemplarisch zwei Beispiele derartiger Systeme dargestellt, die
aber aufgrund des damit verbundenen spezifisch hohen technischen Aufwandes in den
letzten Jahren an Bedeutung verloren haben. Dabei wird exemplarisch ein Konzept für
den Küsteneinsatz und eines für die Verwendung auf dem offenen Meer diskutiert.
Turbinen-
Klippen haus
Keilrinneneinlauf
Meerauslass
1072 J. Bard et al.
mittlerer Wasserspiegel einige Meter über dem mittleren Meeresspiegel liegt. Aus die-
sem Speicherbecken kann das – im Vergleich zum mittleren Meeresniveau – auf einem
höheren potenziellen Energieniveau gesammelte Meereswasser anschließend durch eine
Turbine wieder in das Meer zurücklaufen; diese Energiewandlung entspricht vom Grund-
satz her der einer „klassischen“ Wasserkraftnutzung (Kapitel 7.2).
Das System benötigt aufgrund des Speicherbeckens mehr Platz als die meisten anderen
Wellenenergiewandlungssysteme. Es kann auch aufgrund der Einlaufverluste (einschließ-
lich der Flachwassereffekte) zwingend nur einen begrenzten Teil der anfänglich (d. h. im
tiefen Wasser) zur Verfügung stehenden Energie der Welle nutzen. Durch die Abfluss-
vergleichmäßigung des Speicherbeckens und die einsetzbare Niederdruckwasserturbine,
die Stand der Technik ist, ist diese Option jedoch im Vergleich zu anderen Systemen zur
Brandungs- bzw. Wellenenergienutzung relativ problemlos zu realisieren und zu betrei-
ben. Auch sind die Systemkomponenten, die zur Energieproduktion letztlich eingesetzt
werden, nicht den Bedingungen des offenen Meeres ausgesetzt; dies bedingt für eine sol-
che Anlage u. a. eine längere Haltbarkeit und bessere Wartungsmöglichkeiten. Außerdem
kommen keine beweglichen Teile mit den Wellen in Kontakt und die Umwandlung von
kinetischer in potenzielle Energie findet durch Stahlbetonelemente statt, aus denen die
genannte Keilrinne aufgebaut ist; dadurch hält die Anlage potenziell auch schwerem Wet-
ter mit den damit verbundenen hohen Wellen-induzierten Belastungen stand. Zusätzlich
ist die gesamte Anlage von Land aus zugänglich. Wegen der ständigen Zufuhr frischen
Meerwassers besteht weiterhin die Möglichkeit, in dem Becken eine Fischfarm zu betrei-
ben. Ein wesentlicher Vorteil eines derartigen Wellen- oder Brandungsenergiekraftwerks
mit einem spitz zulaufenden Einlaufkanal anstelle einer zu den Wellenkämmen parallelen,
geraden Überlaufkante ist, dass praktisch alle Wellen irgendwann die notwendige Höhe
erreichen, um über den Keilrinnenrand zu strömen und das erhöht liegende Speicherbe-
cken zu füllen.
Die grundsätzliche Funktionsweise einer derartigen Anlage wurde bei der 1986 auf
Toftestallen in der Nähe von Bergen / Norwegen realisierten TAPCHAN-Anlage demons-
triert. Aufgrund der mit dieser Pilotanlage gemachten Erfahrungen (u. a. teilweise Zerstö-
rung des Bauwerks bei Sturm) wird dieses Konzept – auch aufgrund der hohen Baukosten,
um einer potenziellen Schädigung bei schwerem Sturm bzw. starkem Wellengang vorzu-
beugen – in den letzten Jahren nicht mehr intensiv weiter verfolgt.
Turbinen
Sammelbecken
Rampe
Wellenreflektor
Höhenunterschied
Sammelbecken/
Meeresoberfläche
offenes Meer
Zufluss
Speicherbecken
Turbinenausfluss
Auch deshalb schwankt die Durchströmung der Turbinen (dies gilt ebenfalls mit der Ver-
änderung des Seegangs) – und damit die potenziell mögliche Stromerzeugung – sehr stark.
Die technische und wirtschaftliche Herausforderung liegt in der robusten und kos-
tengünstigen Realisierung der wesentlichen konstruktiven Elemente wie dem Wellenre-
flektor, der Rampe und dem Sammelbecken sowie die sichere Verankerung der Gesamt-
struktur. Wichtig ist dabei, dass die Anlage so robust ausgelegt wird, dass sie auch einen
schweren Sturm mit dem daraus resultierenden Wellengang überleben kann; damit muss
ein entsprechend hoher (teurer) Materialeinsatz realisiert werden.
Die grundsätzliche Funktionsweise dieses System wurde im Rahmen einer relativ klei-
nen Pilotanlage erfolgreich demonstriert. Durch das hohe Verhältnis von für eine Großan-
lage benötigtem Stahl (stabile Bauweise zur Vermeidung einer Sturm-bedingten Zerstö-
rung) zu der damit realisierbaren elektrischen Leistung ist eine kommerzielle Umsetzung
derartiger Großanlagen wirtschaftlich sehr herausfordernd und bisher nicht gelungen; u. a.
deshalb wird das Konzept auch derzeit nicht weiter verfolgt.
Eine weitere Möglichkeit zur Nutzung der Wellen- oder Brandungsenergie ist das Prinzip
der oszillierenden Wassersäule, die häufig mit OWC entsprechend der englischen Bezeich-
nung „Oscillating Water Column“ abgekürzt wird. Das OWC-System fand bereits 1910
Anwendung und dürfte damit das erste genutzte Wellenenergiekraftwerk überhaupt sein.
Auch wird diese Technik der oszillierenden Wassersäule zur Stromerzeugung aus Mee-
reswellen seit Jahrzehnten für die Energieversorgung von Leuchtbojen eingesetzt; hier
werden aber nur sehr geringe elektrische Leistungen genutzt. Nachfolgend werden zu-
nächst diese Bojen und anschließend eine auf diesem Prinzip arbeitende großtechnische
Stromerzeugung an der Küste und im offenen Meer diskutiert.
1074 J. Bard et al.
Ein technischer Lösungsansatz, der neben den OWC-Systemen auch vielen anderen
derartigen Wellenenergiewandler-Konzepten gemeinsam ist, liegt in der Übersetzung der
(relativ) langsamen Wellenbewegung mit hohen Kräften und hohen Momenten in eine
schnellere Bewegung mit deutlich reduzierten Momenten, die dann zur Stromerzeugung
in Form von schnell rotierenden Generatoren genutzt werden können. Die direkte Nut-
zung der langsamen Auslenkung z. B. eines Schwimmkörpers ist aus technischer Sicht mit
elektromechanischen und / oder hydraulischen Konstruktionen sehr aufwändig und des-
halb insbesondere für kleine Leistungen im Regelfall wirtschaftlich nicht darstellbar. Die
Übersetzung der Wellenbewegung beim OWC-System in eine schnelle Bewegung erfolgt
daher über die beim ansteigenden Wasserspiegel innerhalb einer Kammer zunächst kom-
primierten Luft und die dadurch induzierte Luftströmung durch eine dafür vorgesehene
Strömungsöffnung. Beim Absinken des Wasserspiegels entsteht entsprechend ein Unter-
druck gegenüber dem Umgebungsdruck; dadurch kehrt sich die Strömungsrichtung der
Luft durch diese Strömungsöffnung um. Die Umwandlung der Energie der durch diese
Öffnung aus- und einströmenden Luft in mechanische Energie wird mithilfe von Im-
puls- oder Reaktionsturbinen unterschiedlicher Bauart und Geometrie realisiert, die dann
einen elektrischen Generator zur Stromerzeugung antreiben. Diese oszillierende Luftströ-
mung stellt aber besondere Anforderungen an die Gestaltung dieser Luftturbinen – neben
einer effizienten Nutzung beider Strömungsrichtungen und einer hohen Korrosionsbestän-
digkeit gegen Salzwasser ist auch ein guter Teillastwirkungsgrad zur Anpassung an den
unterschiedlichen Seegang ein wichtiges Entwicklungsziel.
OWC-Boje Die OWC-Boje basiert auf einem vertikalen, eingetauchten Rohr, in dem sich
die darin eingeschlossene aber hydraulisch mit der Umgebung kommunizierende Wasser-
säule beim Durchgang einer Welle auf und ab bewegt. Die am Meeresgrund verankerte
Boje kann der Wellenbewegung nicht folgen; dadurch oszilliert die Wassersäule im In-
neren gegenüber dieser. Eine im oberen, über dem Wasserspiegel liegenden Bereich des
Rohres eingebaute Luftturbine wird durch diese Auf- und Abbewegung in Drehung ver-
setzt und treibt einen Generator zur Stromerzeugung an (Abb. 12.4).
Derartige nach dem OWC-System arbeitende Leuchtbojen haben bereits mehr als
20 Jahre Einsatz auf See überstanden. In dieser Ausführung einer OWC-Boje wird durch
ein sehr langes Rohr der Einfluss der Wellen auf den Wasserspiegel im Inneren unter-
drückt. Stattdessen bewegt sich die Boje selbst in Folge der sternförmigen Verankerung
auf und ab, wodurch wiederum eine Relativbewegung entsteht, welche die Luftströmung
antreibt. Die in den Bojen eingesetzten kleinen Luftturbinen sind meist äußerst langlebig
und sehr kostengünstig.
OWC als Küstenbauwerk Bei der Suche nach Lösungen zur großmaßstäblichen Nut-
zung der Wellenenergie wurden OWC-Wellenenergiekraftwerke als feste Bauwerke an
der Küste erforscht. Dazu wird das OWC-System z. B. als eine auf dem Meeresboden
beispielsweise an einer Steilküste stehende Konstruktion ausgeführt. Die Energie fort-
schreitender Wasserwellen dringt durch eine unter dem Wasserspiegel liegende Öffnung
in eine große Kammer ein und versetzt die hier eingeschlossene Wassersäule mit der Fre-
quenz der Wellen in Bewegung. Die Luftmasse über dem Wasserspiegel wird durch dessen
Auf- und Abbewegung durch eine dafür vorgesehene Öffnung „ein- und ausgeatmet“.
Diese Strömungsenergie der angesaugten bzw. ausgeblasenen Umgebungsluft wird dann
mithilfe einer geeigneten Turbine (z. B. Wells-Turbine) teilweise in elektrische Energie
mit einer stark variierenden Charakteristik umgewandelt. Die Stromerzeugung ist optimal,
wenn die natürliche Eigenfrequenz des Schwingungssystems, das durch Einlass, Wasser-
säule, Luftmasse, Turbine und Auslass gebildet wird, mit der Frequenz der ankommenden
Wellen übereinstimmt.
Abb. 12.5 zeigt exemplarisch das Prinzip einer OWC-Anlage, wie sie in mehreren Pi-
lotvorhaben an europäischen Küsten (Portugal, Spanien, Schottland) errichtet wurden. Für
die „Limpet“-Anlage an der schottischen Küste wurde oberhalb und unterhalb des Wasser-
spiegels an einem geeigneten Steilküstenabschnitt der Fels teilweise weggesprengt. In die
dadurch entstandene Höhlung wurde eine Luftkammer mit einem Querschnitt von 50 m2
einbetoniert. Zwischen 3,5 und 7 m unter der normalen Seehöhe liegt die Öffnung, durch
die das infolge der Wellen variierende Meerwasser in diese Luftkammer eindringen kann.
Der Oszillationsspielraum der Wellen in der Kammer (d. h. die Differenz des Wasserstands
nach [12.1])
Luft
1076 J. Bard et al.
zwischen Wellenberg und Wellental) beträgt rund 3,5 m. Diese in Schottland realisierte
Anlage wurde komplett aus Stahlbeton realisiert und aus betriebstechnischen Gründen
wurde eine horizontale Turbinenachse eingebaut. Der Betonkörper der Luftkammer kann
aber auch nach oben durch einen geschlossenen Stahlzylinder verlängert werden, in dessen
Spitze bei diesem Konstruktionsansatz dann die mit einem Generator gekoppelte Turbi-
ne installiert ist. In dieser Bauform wurden 2011 im nordspanischen Hafenort Mutriku
16 Turbinen mit einer Leistung von jeweils 18,5 kW in einem Küstenschutzbauwerk in
Betrieb genommen.
Die Wellenenergie kann auch mithilfe eines oder mehrerer miteinander verbundener
Schwimmkörper genutzt werden, die jeweils der Wellenbewegung folgen. Ziel ist es
hier, zu einer Relativbewegung innerhalb dieser mechanischen Konstruktion zu kommen,
die dann technisch – z. B. mittels hydraulischer Systeme – zur Stromerzeugung nutzbar
gemacht werden kann. Einige derartige Überlegungen werden nachfolgend diskutiert.
Gewässer
12 Nutzung der Energien des Meeres 1077
Generator
Windkessel
Umkehrpunkt
der Welle
Gelenk
Hydraulikzylinder
Wellenberg
12.2 Gezeitennutzung
Die auf die Erde einwirkenden Massenanziehungskräfte des Mondes und der Sonne füh-
ren, verbunden mit der Erdrotation (d. h. Massenanziehung und Bewegung von Himmels-
körpern; vgl. Kapitel 2), zu periodischen Wasserstandsänderungen der Weltmeere. Die
dadurch induzierte Gezeitenwelle macht im offenen Meer aber nur wenig mehr als 1 m
1078 J. Bard et al.
Abb. 12.8 Durchschnittlicher Tidenhub (Daten nach [12.11, 12.12], modifiziert nach [12.13])
Höhenunterschied aus. Die Festlandmassen hingegen wirken bremsend auf diese Gezei-
tenwelle und erzeugen an den Ufergebieten einen Aufstau. Dadurch können in Extrem-
fällen Wasserstandsänderungen von 10 m und mehr zustande kommen. An bestimmten
Küstenregionen (z. B. Meeresbuchten, Flussmündungen) kann es deshalb zu einem Ti-
denhub – u. a. infolge von Resonanzerscheinungen und Trichterwirkungen – von z. T. bis
zu 20 m kommen. Dies zeigt Abb. 12.8. Demnach kommt es infolge der beschriebenen
Effekte beispielsweise in der Normandie in Frankreich, an der Pazifikküste von Alaska
und in Patagonien in Argentinien zu einem erheblichen und deutlich überdurchschnittli-
chen Tidenhub; dies wären dann auch mögliche Gebiete für eine potenzielle technische
Nutzung der Gezeitenenergie.
Dabei sind zwei grundsätzlich unterschiedliche Arten einer Energiegewinnung aus die-
ser Gezeitenwelle denkbar: die Nutzung der potenziellen Energie eines Aufstaus durch
Gezeitenkraftwerke und die Nutzung der aus der Welle resultierenden Strömungsenergie.
Beide Nutzungsprinzipien werden nachfolgend diskutiert.
12.2.1 Gezeitenkraftwerke
Die in den Gezeiten enthaltene potenzielle Energie (d. h. der Tidenhub) kann durch die
nachfolgend diskutierten drei verschiedenen Möglichkeiten genutzt werden.
Die einfachste Methode ist das Ein-Becken-System mit Einwegnutzung (Abb. 12.9,
oben). Hierzu wird eine möglichst natürlicherweise vorhandene Bucht durch einen Damm
vom offenen Meer abgetrennt; sie ist dann nur noch durch eine oder mehrere Schleu-
se(n) und eine oder mehrere Turbine(n) mit dem Meer verbunden. Die Regelung von
Turbine(n) und Schleuse(n) ist derart, dass das Wasser nur durch die Schleuse(n) in die
12 Nutzung der Energien des Meeres 1079
Schleuse
Energieproduktion
Schleuse
Energieproduktion
abgetrennte Bucht einströmt und nur durch die Turbine(n), die sich (jeweils) in einem
Krafthaus befindet, wieder aus der Bucht ins offene Meer herausströmen kann; in einer
derartigen Turbine wird die Strömungsenergie des Wassers dann mit den aus der „klassi-
schen“ Wasserkraftnutzung bekannten Optionen in mechanische Energie (Kapitel 7) und
diese weiter mit einem Generator in elektrische Energie umgewandelt. Nachteil dieses
Konstruktionsprinzips ist die nur im Verlauf vergleichsweise kurzer Zeiträume mögliche
Energieproduktion (Abb. 12.9, oben). Von Vorteil ist die einfache Turbinenkonstruktion.
Trotzdem konnte sich dieses Konstruktionsprinzip bisher unter kommerziellen Gesichts-
punkten nicht durchsetzen.
Alternativ dazu kann aber auch eine Turbine verwendet werden, die in beiden Rich-
tungen durchströmt werden und hierbei jeweils mechanische Energie bereitstellen kann,
die dann weiter in elektrische Energie umgewandelt werden kann (Abb. 12.9, Mitte). Die
ebenfalls vorhandene Schleuse dient in diesem Fall nur dazu, das Ein- und Ausströmen des
Wassers in das vom Meer abgetrennte Speicherbecken in den Zeiten, in denen nahezu kein
Höhenunterschied zwischen dem Becken und dem offenen Meer besteht (Abb. 12.9, Mit-
te rechts), zu beschleunigen. Mit einem derartigen Konzept kann über wesentlich längere
Zeiträume elektrische Energie erzeugt werden; trotzdem ist konzeptbedingt aber keine
kontinuierliche Stromerzeugung möglich. Die insgesamt bereitgestellte mechanische bzw.
elektrische Energie wird jedoch infolge des beim Ein- und Ausströmen des Wassers in das
bzw. aus dem Speicherbecken vergrößerten Widerstands verringert, da es jeweils durch
die Turbine strömt und dabei Arbeit verrichtet.
Als weitere mögliche Konstruktion eines Gezeitenkraftwerkes ist auch eine Zwei-
Becken-Lösung denkbar (Abb. 12.9, unten). Hierbei befindet sich die Turbine in einem
Damm oder in einem Verbindungskanal zwischen zwei Becken, die zusätzlich jeweils mit
1080 J. Bard et al.
dem offenen Meer in Verbindung stehen. Das Ein- und Ausströmen des Meerwassers in
die beiden Becken wird so gesteuert, dass das Wasser durch die Tide in ein Becken ein-
und bei Ebbe aus dem anderen Becken ausströmt, nachdem es zwischenzeitlich die ent-
sprechenden Turbinen passiert hat. Hierdurch kann die Energieproduktion im Vergleich
zu den beiden anderen Konzepten (Abb. 12.9, oben und Mitte) weiter vergleichmäßigt
werden; d. h. es ist dadurch vom Grundsatz her eine kontinuierliche Stromerzeugung
möglich (Abb. 12.9, unten rechts). Dem stehen jedoch ein erhöhter Platzbedarf und ein
höherer bautechnischer Aufwand für die Erstellung der beiden miteinander verbundenen
Becken gegenüber.
Die Errichtung derartiger Anlagen mit Speicherbecken, in denen die Wassermassen
zwischengespeichert werden bis sich außerhalb des Beckens und damit im offenen Meer
wieder ein entsprechend niedrigerer Wasserstand eingestellt hat, scheitert meist an den
Kosten und den zu großen Umweltauswirkungen dieser sehr flächenintensiven Kraft-
werkskonstruktionen. Derzeit werden deshalb weltweit nur zwei Gezeitenkraftwerke mit
einer größeren elektrischen Leistung betrieben; ein Kraftwerk an der Rance-Mündung bei
St. Malo in Frankreich seit 1966 und ein Kraftwerk in Korea („Sihwa“) seit 2011 [12.8].
Bei dem erstgenannten Gezeitenkraftwerk sind bei einem mittleren Tidenhub von rund
8,5 m 240 MW installiert.
Alternative Konzepte, die immer wieder in die Diskussion kommen, gehen von ei-
nem ringförmigen Staudamm in geringer Wassertiefe vor der Küste aus; d. h. es wird eine
künstliche Lagune angedacht, die dann als Gezeitenkraftwerk ausgebaut werden soll. Das
weltweite Potenzial derartiger Lösungen wäre erheblich größer im Vergleich zu den Op-
tionen einer Nutzung vorhandener natürlicher Becken (z. B. Flussbecken). Allerdings ist
der bautechnische Aufwand aus ökonomischer Sicht bisher prohibitiv hoch.
Insgesamt erscheint das technische Potenzial von Gezeitenkraftwerken bei den welt-
weit identifizierten rund 100 geeigneten Küstenstandorten zu gering, als dass sie wesent-
lich zur globalen Energieversorgung beitragen könnten; lokal kann dies unter günstigen
Bedingungen jedoch anders sein. So wurde in Großbritannien über Jahrzehnte hinweg
immer wieder das Severn-Barrage Projekt diskutiert. Es sollte mit einer installierten Leis-
tung von bis zu 8,67 GW entlang einer fast 16 km langen Staumauer annähernd 5 % der
britischen Stromnachfrage decken. Auf Grund der hohen wirtschaftlichen und technischen
Risiken und den befürchteten Umweltauswirkungen wurde das Projekt aber in der Zwi-
schenzeit aufgegeben. An den deutschen Küsten ist die Errichtung derartiger Anlagen
wegen des zu geringen mittleren Tidenhubs technisch und wirtschaftlich nicht sinnvoll
darstellbar.
Die Nutzung der Gezeitenenergie unter Abschluss z. B. einer Bucht durch ein Dammbau-
werk stellt einen großen Eingriff in die Umwelt dar. Konzepte, die auf der Nutzung von
Meeresströmungen – und damit der Wasserbewegungen, die mit Ebbe und Flut einherge-
12 Nutzung der Energien des Meeres 1081
hen – basieren, vermeiden diesen Nachteil. Allerdings treten für die wirtschaftliche Nut-
zung relevante Meeresströmungen nur in Meerengen bzw. in flacheren Küstenabschnitten
lokal begrenzt auf, sodass deren Potenzial zur Stromerzeugung deutlich geringer ist als
z. B. das der Wellenenergie; für Europa sind das beispielsweise nur rund 150 TWh/a.
Für die Gezeitenströmung kann, wie für jede andere Strömung, die Leistung PW a
des durch einen bekannten Querschnitt (hier den Rotorquerschnitt des Strömungsenergie-
wandlers) strömenden Meerwassers nach Gleichung (12.1) analog einer Windkraftanlage
(Kapitel 6.1) aus der Dichte des Wassers W a , dem Strömungsquerschnitt SRot und der
Strömungsgeschwindigkeit des Wassers vW a in der dritten Potenz berechnet werden.
1
PW a D 3
W a SRot vW a (12.1)
2
Demnach ist es dann sinnvoll, die Leistung eines Ebb- und Flutstroms auszunutzen,
wenn ausreichende Strömungsgeschwindigkeiten zur Verfügung stehen, da dies nach
Gleichung (12.1) die wesentliche Leistungs-bestimmende und durch den Standort be-
einflussbare Größe darstellt. Im Fall der Gezeitenströmungen, die sinusförmige Verläufe
der Strömungsgeschwindigkeit aufweisen, sind Standorte mit Maximalwerten größer als
2 m/s interessant.
Ein Konzept zur Nutzung dieser in den Meeresströmungen enthaltenen Energie sind
„Unterwasserwindräder“; darunter sind hier senkrecht zur Meeresströmung installierte
Rotoren zu verstehen, die vergleichbar zu den Vertikalachsenrotoren sind, mit denen die
Windenergie genutzt werden kann (Kapitel 6.2). Abb. 12.10 zeigt das grundsätzliche Prin-
zip eines derartigen Meeresströmungsenergiewandlers. Bisher wurden dafür insbesondere
Anlagen mit horizontaler Rotorachse bis in den MW-Bereich hinein skaliert und erfolg-
reich getestet. Beispielsweise wurde vor der schottischen Küste 2016 ein Anlagenpark mit
vier 1,5 MW-Anlagen installiert (MeyGen Projekt Phase 1A) [12.14].
Beispielsweise treten an der Küste von North Devon (Wales, Vereinigtes Königreich)
(Standort der Seaflow-Anlage [12.15]) Strömungsgeschwindigkeiten von bis zu 2,7 m/s
auf. Auf Grund der beschriebenen Abhängigkeit der Leistung von der dritten Potenz der
Strömungsgeschwindigkeit (Gleichung (12.1)) werden in einer dort installierten derarti-
gen Strömungsturbine rund 96 % der Energie bei mehr als 1 m/s und immer noch etwa
66 % der Energie bei Geschwindigkeiten größer 2 m/s erzeugt. Eine 1 MW-Anlage hat
dabei einen Rotordurchmesser von rund 20 m; d. h. Meeresströmungsturbinen besitzen
im Vergleich zu Windenergieanlagen (Kapitel 6) deutlich kleinere Rotordurchmesser;
Abb. 12.10 zeigt deshalb auch einen Größenvergleich einer 1 MW Meeresströmungstur-
bine zu einer Offshore-Windkraftanlage gleicher Leistung (Kapitel 6.2).
Weiterhin unterscheiden sich derartige Konzepte durch Größe und Anzahl der Roto-
ren pro Anlage sowie durch die Möglichkeit einer Drehzahlregelung oder Blattverstellung
des Rotors. Der höheren Komplexität gut regelbarer Konzepte – vergleichbar mit großen
Windkraftanlagen (Kapitel 6.2) – stehen aber z. T. deutlich höhere Kosten gegenüber. Die
technische Option einer Leistungsbegrenzung begrenzt aber auch die mechanischen Las-
1082 J. Bard et al.
Wasserspiegel
20 m
ten auf den Rotor und die Struktur und führt – außer zu entsprechenden Kostenreduktionen
– auch zu deutlich höheren Volllaststunden.
Noch größere physikalisch begründete Nachteile haben Systeme, die versuchen, die
Strömungsenergie mit sich auf- und abwärts bewegenden Flügeln oder Klappen zu nut-
zen [12.10]. Aber während bei der Windkraftnutzung der nutzbare Strömungsquerschnitt
„nach oben offen“ ist, sind Tideströmungen nur in einem schmalen Band zwischen Bo-
deneffekten und Oberflächeneinflüssen (Wellen) sinnvoll nutzbar – und hier sind auch nur
räumlich eng begrenzte Strömungsbereiche so energiereich, dass eine technische Nutzung
lohnend erscheint. Deshalb könnten sich letztendlich auch derartige unkonventionelle An-
sätze zukünftig ggf. als sinnvoll herausstellen.
Neben den bisher diskutierten Optionen sind grundsätzlich weitere Möglichkeiten vor-
handen, die in den Meeren gespeicherte Energie zur Stromerzeugung nutzbar zu machen.
Diese werden nachfolgend kurz diskutiert.
Ein großer Teil der auf die Erde eingestrahlten solaren Strahlungsenergie wird in der At-
mosphäre und in den festen und flüssigen Bestandteilen der Erdoberfläche in Form von
Wärme gespeichert. Etwa 20 % der gesamten eingestrahlten Solarenergie wird allein in
12 Nutzung der Energien des Meeres 1083
Abb. 12.11 Geeignete Meeresflächen für die Nutzung von Temperaturgradienten mit mindestens
20 K mittlerer Temperaturdifferenz zwischen der Wasseroberfläche und in höchstens 1 000 m Was-
sertiefe (Daten nach [12.16], Auswertung nach [12.17])
1 000
1 500
2 000
2 500
3 000
Warmwasser-
Warmwasser- einlass Elektrische Energie
einlass
Wasserauslass G
25 °C Hochdruck Niederdruck
30 m Durchmesser NH3-Dampf NH3-Dampf 7 °C
Turbine
700 - 1 000 m
20 °C 10 °C
Ver- Konden-
dampfer sator
10 °C 10 °C
10 m Durchmesser Hochdruck Niederdruck
Flüssig-NH3 Pumpe Flüssig-NH3
23 °C 5 °C
7 °C
Kaltwasser-
einlass
Warmwasser-
Kaltwasser-
auslass
Kaltwassereinlass auslass
Diese in den Ozeanen vorhandene thermische Energie kann mithilfe offener oder ge-
schlossener Rankine-Prozesse (ORC-Prozesse) zur Stromerzeugung genutzt werden (Ka-
pitel 9.2). Mit solchen Kreisprozessen wird die Temperaturdifferenz zwischen dem war-
men Oberflächenwasser von maximal 22 bis rund 28/30 °C und dem kalten Tiefenwasser
von rund 4 bis 7 °C ausgenutzt (Abb. 12.13). Da der Wirkungsgrad von Kreisprozessen
aus physikalischen Gründen abhängig ist von der nutzbaren Temperaturdifferenz, sind
mit derartigen Anlagen – wegen der geringen verfügbaren Temperaturdifferenzen von
etwa 20 K und der daraus resultierenden technischen Begrenzungen – nur sehr kleine Wir-
kungsgrade von 1 bis maximal 3 % technisch möglich. Gleichzeitig müssen dann aber –
um entsprechende elektrische Leistungen bzw. Energiemengen zu realisieren – sehr große
(Wasser-)Volumenströme umgewälzt werden. Zudem muss das Wasser aus großen Tiefen
an die Meeresoberfläche transportiert bzw. dorthin gepumpt werden; dies bedingt entspre-
chend aufwändige Konstruktionen und einen hohen Prozessenergieverbrauch.
Der Einsatz derartiger Meereswärmekraftwerke ist aus Energietransportgründen zu-
dem meist auf küstennahe Gebiete eingeschränkt. Außerdem muss auch ein nahegelegener
Zugang zum kalten Tiefenwasser gegeben sein, das für den Betrieb des Kreisprozesses be-
nötigt wird. Diese Randbedingungen schränken die technischen Nutzungsmöglichkeiten
bzw. die Standortauswahl stark ein.
Die relativ geringe Energieausbeute bei den großen zu bewegenden Wassermengen ist
mit ein wesentlicher Grund, weswegen diese Technik, die i. Allg. als OTEC (Ocean Ther-
mal Energy Conversion) bezeichnet wird, bis heute nicht wirtschaftlich einzusetzen ist.
Auch sind für den erfolgreichen Betrieb derartiger Meereswärmekraftwerke noch tech-
nische Herausforderungen zu lösen. Beispielsweise müssen aus ökonomischer Sicht die
Anlagen sehr groß werden; für die dann benötigten sehr großen Rohrleitungen, die bis in
eine Meerestiefe von rund 1 000 m reichen sollten, sind beispielsweise noch keine effizi-
enten Herstellungs- und Installationsmethoden verfügbar.
12 Nutzung der Energien des Meeres 1085
Die Nutzung der Meere als reine Wärme- oder Kältesenke – auch in Kombination
mit Wärmepumpen – ist hingegen seit Jahrzehnten eine etablierte und wirtschaftliche
Methode.
12.3.2 Meeresströmungen
Die technische Nutzbarmachung der durch die unterschiedliche Wärmebilanz der Ozea-
ne erzeugten Meeresströmungen zur Stromerzeugung ist ebenfalls möglich; dies erscheint
insbesondere an Meeresengen sinnvoll, wo entsprechend hohe Strömungsgeschwindigkei-
ten gegeben sind. Abb. 12.14 zeigt bedeutende kalte und warme Meeresströmungen.
Beispielsweise weist der nicht in Abb. 12.14 eingezeichnete Floridastrom an seiner
schmalsten Stelle eine Breite von 80 km auf. Hier beträgt der Wasserdurchsatz zwischen
20 und 30 Mio. m3 /s bei einer mittleren Geschwindigkeit von 0,9 m/s. Aus einem derarti-
gen Meeresstrom von durchschnittlich 50 km Breite und einer mittleren Tiefe von 120 m
bei einer Geschwindigkeit im Kern der Strömung von etwa 2 m/s könnte durch entspre-
chende Umwandlungsanlagen eine elektrische Leistung von etwa 2 000 MW erschlossen
werden [12.5]. Aus dieser geringen Geschwindigkeit der Meeresströmung ergibt sich je-
doch auch eine entsprechend geringe Energiedichte. Sie liegt selbst in dessen Kern nicht
über 2,2 kW/m2 . Daraus folgt, dass entsprechende Konversionsanlagen beträchtliche Aus-
maße aufweisen müssen.
Grundsätzlich entspricht die Nutzung dieser regenerativen Energie der zur Nutzung
von Tideströmungen (Kapitel 12.2.2).
Brackwasser
Membranmodule
G
Turbine
Membran
Netz
Süßwasser
Salzwasser
Wasserfilter
Süßwasser
Abb. 12.15 Prinzip zur Nutzung der Salzgehaltsunterschiede zwischen Süß- und Salzwasser
(G Generator)
12.3.3 Salzgehaltsunterschiede
Der globale Wasserkreislauf führt zur Erzeugung von großen Mengen Süßwassers, die
sich zuletzt, wenn sich bei der Mündung der Flüsse ins Meer der Wasserkreislauf er-
neut schließt, wieder mit Salzwasser vermischen. Die Abtrennung des Süßwassers vom
Salzwasser erfordert Energie, die in den entmischten Wassermengen gespeichert ist. Aus-
gehend davon gibt es Vorschläge, diese an den Mündungen der Flüsse ins Meer durch
die Vermischung von Salz- und Süßwasser wieder frei werdende Energie technisch zu
nutzen. Im Prinzip kann man (über den Effekt des osmotischen Drucks) diese chemische
Energie in potenzielle Energie umsetzen und diese (durch Wasserkraftwerke) in elektri-
sche Energie umwandeln (Abb. 12.15). Derzeit wird versucht, dieses Prinzip technisch zu
realisieren. Dabei geht es vornehmlich darum, die notwendigen semipermeablen Mem-
branen zu entwickeln und zu testen sowie die damit verbundenen Kosten zu reduzieren.
12.3.4 Meeresbiomasse
Ähnlich wie Meerestiere und Algen durch Aquafarming als Nahrungsmittel bereitgestellt
werden können, ist es auch möglich, Biomasse zur energetischen Nutzung im Meer zu
produzieren. Bisher stehen diese Überlegungen jedoch noch sehr am Anfang.
12 Nutzung der Energien des Meeres 1087
Literatur
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[12.2] Graw, K.-U.: About the development of wave energy breakwaters. LACER – Leipzig An-
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[12.13] https://www.iee.fraunhofer.de/. Zugegriffen: 6. Febr. 2020
[12.14] https://simecatlantis.com/projects/meygen/. Zugegriffen: 6. Febr. 2020
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[12.16] https://www.noaa.gov/. Zugegriffen: 6. Febr. 2020
[12.17] https://www.iee.fraunhofer.de/de/kompetenzen/energieverfahrenstechnik.html. Zugegrif-
fen: 6. Febr. 2020
[12.18] https://worldoceanreview.com/de/wor-1/klimasystem/grose-meeresstroemungen/. Zuge-
griffen: 6. Febr. 2020
Energetische Nutzung von Biomasse
13
Martin Kaltschmitt
Unter dem Begriff „Biomasse“ werden Stoffe organischer Herkunft (d. h. kohlenstoffhal-
tige Materie) zusammengefasst. Biomasse beinhaltet damit
die in der Natur lebende Phyto- und Zoomasse (Pflanzen und Tiere),
die daraus resultierenden Rückstände, Nebenprodukte und Abfälle (z. B. tierische Ex-
kremente),
abgestorbene (aber noch nicht fossile) Phyto- und Zoomasse (z. B. Stroh) und
im weiteren Sinne alle Stoffe, die beispielsweise durch eine technische Umwandlung
und / oder eine stoffliche Nutzung entstanden sind bzw. anfallen (z. B. Papier und Zell-
stoff, Schlachthofabfälle, organische Hausmüllfraktion, Pflanzenöl, Alkohol).
Die Abgrenzung der Biomasse gegenüber den fossilen Energieträgern beginnt beim
Torf, dem fossilen Sekundärprodukt der Verrottung. Damit zählt Torf im strengeren Sinn
dieser Begriffsabgrenzung nicht mehr zur Biomasse; dies widerspricht der in einigen
Ländern (u. a. Schweden, Finnland) üblichen Praxis, wo Torf durchaus als Biomasse be-
zeichnet wird.
Biomasse kann zusätzlich in sogenannte Primär- und Sekundärprodukte unterteilt wer-
den [13.1].
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 1089
M. Kaltschmitt, W. Streicher, A. Wiese (Hrsg.), Erneuerbare Energien,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-61190-6_13
1090 M. Kaltschmitt
Sekundärprodukte beziehen dagegen ihre Energie nur indirekt von der Sonne; sie wer-
den durch den Ab- oder Umbau organischer Substanz in höheren Organismen (z. B.
Tiere) gebildet. Zu ihnen gehören z. B. die gesamte Zoomasse, deren Exkremente (z. B.
Gülle, Festmist) und Klärschlamm.
Eine Bereitstellungs- oder Versorgungskette, mit der Energie aus Biomasse bereitgestellt
werden kann, umfasst alle Prozesse beginnend mit der Produktion der Energiepflanzen
bzw. der Verfügbarmachung von Rückständen, Nebenprodukten oder Abfällen organi-
scher Herkunft bis zur Bereitstellung der Endenergie (z. B. Fernwärme, Strom). Sie be-
schreibt damit den „Lebensweg“ der organischen Masse von der Produktion und da-
mit der Primärenergie bis zur Bereitstellung der entsprechenden End- bzw. Nutzenergie
(Abb. 13.1).
BIOMASSE
Energiepflanzen Nebenprodukte & Rückstände Abfälle
(z. B. Mais, Pappel, Zuckerrohr, Algen) (z. B. Stroh, Gülle, Waldrestholz) (z. B. Klärschlamm, org. Hausmüllfraktion)
Abb. 13.1 Möglichkeiten einer Energiebereitstellung aus Biomasse (Kästen mit runden Ecken:
Energieträger bzw. End- oder Nutzenergie, Kästen mit nicht-runden Ecken: Umwandlungsprozes-
se; vereinfachte Darstellung ohne Licht als Nutzenergie; HEFA Hydrierte Ester und Fettsäuren;
thermo-chem. thermo-chemische; physik.-chem. physikalisch-chemische; org. organische; Umw.
Umwandlung; die in Brennstoffzellen ablaufenden Reaktionen werden dabei als eine „kalte“ Ver-
brennung angesehen) (nach [13.1])
13 Energetische Nutzung von Biomasse 1091
Das Ziel einer derartigen Biomasse-Bereitstellungs- bzw. Versorgungskette ist es, eine
gegebene, ggf. schwankende End- bzw. Nutzenergienachfrage zu decken und die dazu
erforderliche(n) Konversionsanlage(n) mit der benötigten Menge und Qualität der jeweils
eingesetzten organischen Stoffe zu versorgen [13.1].
Jede Bereitstellungskette besteht aus den Lebenswegabschnitten Biomasseproduktion
bzw. -verfügbarmachung, Bereitstellung, Nutzung sowie Verwertung bzw. Entsorgung der
anfallenden Rückstände, Nebenprodukte bzw. Abfälle. Jeder einzelne Abschnitt setzt sich
im Regelfall wiederum aus zahlreichen Einzelprozessen zusammen. Beispielsweise er-
fordert die Produktion von Energiepflanzen u. a. eine Saatbettbereitung, die Ausbringung
von Düngemitteln und bestimmte Pflegemaßnahmen. Da die verschiedenen Lebensweg-
abschnitte im Normalfall nicht am gleichen Ort angesiedelt sind, müssen die jeweiligen
Entfernungen durch entsprechende Transporte (z. B. mit Lkw, über Rohrleitungen) über-
brückt werden.
Eine bestimmte Bereitstellungskette wird damit letztlich durch die Randbedingungen
festgelegt, die von der Biomasseproduktion (Angebotsseite) einerseits und der Endener-
giebereitstellung (Nachfrageseite) andererseits vorgegeben werden. Dazu kommen als
weitere wesentliche Bestimmungsgrößen ökonomische und technische (und adminis-
trative) Randbedingungen, welche die praktische Umsetzung bzw. Realisierung einer
bestimmten Versorgungskette signifikant beeinflussen. Beispielsweise wird die Wahl
der Konversionstechnologie u. a. durch den oder die bereitzustellenden Endenergieträ-
ger (z. B. thermische Energie, elektrische Energie) bzw. die entsprechende Nutzenergie
(z. B. Wärme, Kraft) und – ganz wesentlich – auch durch die gesetzlichen Umwelt-
schutzvorgaben bzw. sonstige administrative Vorgaben (z. B. Wasserschutz, Bodenschutz)
beeinflusst. Zusätzlich kann die erforderliche Entsorgung von Stoffen, die im Verlauf der
Bereitstellung und / oder bei der Nutzung anfallen (z. B. ausgefaulte Gülle bei der Bio-
gasgewinnung, Rostasche bei der Verbrennung von biogenen Festbrennstoffen), für eine
bestimmte Bereitstellungskette bestimmend sein. Aus den möglichen Entsorgungswegen
für die entstehenden Rückstände, Nebenprodukte und Abfälle und / oder der Konversions-
technologie leiten sich wiederum Anforderungen an die Eigenschaften der Biomasse ab
(z. B. Stückigkeit, Wassergehalt), die im Regelfall durch eine vorherige Aufbereitung be-
reitgestellt werden müssen. Hier ist es u. U. erforderlich, zunächst einen entsprechenden
Sekundärenergieträger mit definierten Eigenschaften zu produzieren (z. B. Holzpellets,
Hackschnitzel bzw. Hackgut, Strohballen); dies kann mit technischen, energetischen,
ökonomischen und / oder ökologischen Vorteilen verbunden sein. Daneben sind Art (z. B.
holz- oder halmgutartig) und Qualität (z. B. Wassergehalt, Zusammensetzung) der verfüg-
baren Biomasse von Bedeutung sowie der zeitliche Verlauf der Energienachfrage bzw. des
Biomasseangebots vor dem Hintergrund der jeweils gegebenen jahreszeitlichen Unter-
schiede. Daraus resultieren wiederum möglicherweise bestimmte Lagernotwendigkeiten;
u. U. kann auch eine Trocknung der Biomasse sinnvoll sein oder sogar notwendig werden,
damit eine Lagerstabilität gewährleistet werden kann. Zusätzlich muss die letztlich gefun-
dene Kombination unter den gegebenen Randbedingungen vor Ort ökonomisch tragfähig,
genehmigungsfähig sowie sozial akzeptabel sein [13.1].
1092 M. Kaltschmitt
Die verfügbare Biomasse kann im Verlauf einer Bereitstellungskette auf sehr unterschied-
liche Weise aufgearbeitet und letztlich in die gewünschte End- bzw. Nutzenergie umge-
wandelt werden; hierfür sind eine Vielzahl unterschiedlichster Möglichkeiten und Optio-
nen gegeben [13.1].
Im einfachsten Fall wird beispielsweise Lignozellulose-haltige Biomasse im Anschluss
an eine mechanische Aufbereitung (u. a. Zerkleinerung, Verdichtung) direkt in einer Feue-
rungsanlage verbrannt. Für zahlreiche vielversprechende Anwendungen (z. B. die mobi-
le Kraftbereitstellung im Pkw- oder Lkw-Motor, die hocheffiziente Stromerzeugung in
einer Gasturbine) ist es aber sinnvoll oder sogar notwendig, flüssige oder gasförmige
Sekundärenergieträger aus der organischen Masse herzustellen. Der eigentlichen finalen
Umwandlung in End- bzw. Nutzenergie werden somit spezifische Aufbereitungs- bzw.
Veredelungsprozesse vorgeschaltet, bei denen die Energieträger hinsichtlich einer oder
mehrerer der folgenden Eigenschaften aufgewertet werden: Energiedichte, Handhabung,
Speicher- und Transporteigenschaften, Umweltverträglichkeit der energetischen Nutzung,
Potenzial zur Substitution fossiler Energieträger, Verwertbarkeit von anfallenden Rück-
ständen, Nebenprodukten oder Abfällen.
Bei den heute verfügbaren Verfahren zur Umwandlung organischer Stoffe in feste,
flüssige oder gasförmige Sekundärenergieträger als Zwischenstufe vor der Umwandlung
in die letztlich gewünschte End- bzw. Nutzenergie kann zwischen thermo-chemischen,
physikalisch-chemischen und biochemischen Veredelungsverfahren unterschieden wer-
den (Abb. 13.1).
Pyrolyse Bei der Pyrolyse werden biogene Festbrennstoffe unter dem Einfluss von ther-
mischer Energie in eine unter Normalbedingungen feste, flüssige und gasförmige Fraktion
zerlegt. Insbesondere durch die Aufheizrate, aber auch durch andere Einflussgrößen (z. B.
Katalysatoren) kann der Anteil der einzelnen Produktfraktionen an dem gesamten Pro-
duktspektrum beeinflusst werden.
Bei der schnellen Pyrolyse werden biogene Festbrennstoffe mit dem Ziel einer mög-
lichst hohen Ausbeute an flüssigen Komponenten thermisch behandelt. Derartigen Ver-
fahren liegt die sehr schnelle pyrolytische Zersetzung der organischen Makromoleküle,
aus denen feste Biomasse aufgebaut ist, unter Sauerstoffabschluss zugrunde; d. h. die
Lignozellulose wird in gasförmige (z. B. Kohlenstoffmonoxid, Kohlenstoffdioxid, Was-
serstoff, Methan), flüssige (z. B. Bioöl oder Pyrolyseöl, Wasser) und feste Komponenten
(z. B. Holzkohle) aufgespalten; infolge der kurzen Verweilzeiten in der heißen Zone wird
das chemische Gleichgewicht nicht erreicht und dadurch der Anteil an Flüssigkomponen-
ten im jeweiligen Produktspektrum im Vergleich zur langsamen Pyrolyse maximiert. Die
produzierten flüssigen Sekundärenergieträger können – nach einer entsprechenden weiter-
gehenden Aufbereitung, damit die gültigen Treibstoffnormen sicher eingehalten werden –
als Treibstoff in Motoren eingesetzt werden und dort fossile Kraftstoffe ersetzen.
Bei der langsamen Pyrolyse von fester Biomasse, z. T. auch als Verkohlung bezeichnet,
wird diese wärmeinduziert mit dem Ziel einer möglichst hohen Ausbeute an Festbrenn-
stoff (Holzkohle) behandelt. Auch dabei wird die organische Masse thermisch zersetzt,
jedoch wird hier – im Unterschied zur schnellen Pyrolyse – das chemische Gleichgewicht
i. Allg. erreicht. Die erforderliche Prozesswärme wird dabei häufig durch eine Teilver-
brennung des Rohstoffs (d. h. durch die bei der thermischen Zersetzung freigesetzten
gasförmigen und flüssigen Zersetzungsprodukte) bereitgestellt. Die langsame Pyrolyse
unterscheidet sich damit nicht grundsätzlich von der Vergasung oder der schnellen Py-
rolyse; die Bedingungen, unter denen die thermo-chemische Umwandlung hier realisiert
wird, werden nur so gesetzt, dass bei den Reaktionsprodukten der Feststoffanteil maxi-
miert wird. Der dadurch hergestellte Biokoks bzw. beim Einsatz von Holz die Holzkohle
kann anschließend in entsprechenden Anlagen zur effizienteren und besser kontrollierba-
ren Wärmebereitstellung (z. B. als Grillholzkohle) eingesetzt werden. Alternativ ist auch
eine stoffliche Nutzung möglich (z. B. Aktivkohle).
weils ölhaltige Biomassen dar (z. B. Rapssaat, Sonnenblumensaat, Sojasaat). Dabei muss
zunächst immer die Ölphase aus der Ölfrucht bzw. der ölhaltigen organischen Masse
abgetrennt werden. Beispielsweise kann dies durch ein mechanisches Auspressen reali-
siert werden, bei dem z. B. bei der Rapssaat das Rapsöl durch Druck abgetrennt wird
und ein sogenannter Rapskuchen (d. h. ein fester Pressrückstand) verbleibt. Bei der al-
ternativ oder additiv möglichen Extraktion wird der ölhaltigen Saat oder dem ölhaltigen
Presskuchen der Ölinhalt mit Hilfe eines Lösemittels entzogen. Öl und Lösemittel müssen
anschließend z. B. durch eine Destillation getrennt werden. Als Feststoff bleibt nach der
Extraktion das sogenannte Extraktionsschrot zurück, das typischerweise stofflich (z. B.
als Futtermittel) genutzt wird. Das derart gewonnene Pflanzenöl ist in seiner Reinform in
Pflanzenöl-tauglichen Motoren und nach einer chemischen Umwandlung (z. B. Umeste-
rung) zu Pflanzenölmethylester (PME) in Motoren als Dieselzu- bzw. -ersatz – und damit
als Treibstoff – energetisch nutzbar. Alternativ dazu sind auch weitere großtechnische
Umwandlungsoptionen (z. B. Hydrierung und anschließende Isomerisierung) vorhanden,
die auf „konventioneller“ Raffinerietechnik aufbauen und mit denen aus dem Pflanzenöl
ein normenkonformer Kraftstoff (d. h. drop-in fähiger) erzeugt werden kann [13.1].
kraftstoff im Bereich unter 10 % (z. B. E7- oder E10-Kraftstoff) oder – beispielsweise bei
Flexfuel-Fahrzeugen – auch mit beliebigen Mischungsverhältnissen möglich.
Anaerober Abbau Beim anaeroben Abbau organischer Stoffe (d. h. dem Abbau unter
Sauerstoffabschluss) entsteht durch die Tätigkeit bestimmter Bakteriengruppen – und da-
mit ebenfalls durch eine biologisch induzierte Aufspaltung der organischen Masse – ein
wasserdampfgesättigtes Mischgas (Biogas), das typischerweise zu etwas mehr als der
Hälfte aus Methan (CH4 ) besteht; der Rest in hauptsächlich Kohlenstoffdioxid (CO2 ).
Dieser Prozess läuft natürlich z. B. auf dem Grund von Seen oder im Pansen von Wie-
derkäuern und technisch u. a. in Bio- oder Klärgasanlagen bzw. in Deponien ab, in denen
organische Stoffe abgelagert wurden. Das entstandene Gasgemisch kann – nach einer ggf.
notwendigen Reinigung bzw. Aufbereitung – beispielsweise in stationären Motoren (z. B.
Blockheizkraftwerken (BHKW)) als Energieträger zur Stromerzeugung oder in Fahrzeu-
gen (z. B. CNG-Autos) als Erdgaser- oder -zusatz genutzt werden. Das vergorene Substrat
kann, ähnlich wie Gülle, als Wirtschaftsdünger auf landwirtschaftlichen Nutzflächen ein-
gesetzt werden.
Literatur
[13.1] Kaltschmitt, M., Hartmann, H., Hofbauer, H. (Hrsg.): Energie aus Biomasse, 3. Aufl. Sprin-
ger, Berlin, Heidelberg (2016)
Speicher
14
Jerrit Hilgedieck, Martin Kaltschmitt, Jelto Lange und Wolfgang
Streicher
Energiespeicher sind bereits seit langem etablierte und oft auch zwingend notwendige
Bestandteile von Energieversorgungsstrukturen. Sie werden unabhängig von der Art der
Energiebereitstellung in Energiesystemen standardmäßig eingesetzt, um beispielsweise
angebotsorientiert bereitgestellte elektrische Energie von lastschwachen in laststarke Zei-
ten zu verschieben (z. B. durch Pumpspeicherkraftwerke) oder die durch eine Ein-Aus-
Fahrweise bereitgestellte Wärme zur sicheren Deckung der Wärmenachfrage zwischen zu
speichern (z. B. durch einen Warmwasserspeicher).
Dabei kann bei Energieversorgungssystemen, die fossile (z. B. Erdöl, Erdgas, Koh-
le) oder regenerative Energieträger (z. B. biogene Festbrennstoffe, heiße Tiefenwässer;
d. h. hier liegt die regenerative Energie in einer speicherbaren / gespeicherten Form vor)
nutzen, der jeweils eingesetzte Primär- und / oder Sekundärenergieträger schon als En-
ergiespeicher interpretiert und auch entsprechend verwendet werden (d. h. infolge der
Speicherfähigkeit beispielsweise von Steinkohlebriketts, Heizöl, Stückholz oder Pellets
kann der entsprechende daraus erzeugbare Endenergieträger Strom oder Wärme dann be-
reitgestellt werden, wenn eine entsprechende Nachfrage gegeben ist). Im Unterschied dazu
fällt bei einem fluktuierenden und durch den Menschen quasi nicht bzw. nicht unmittel-
bar beeinflussbaren Primärenergieangebot, wie es beispielsweise bei der Solarstrahlung
oder der Windkraft gegeben ist, diese Option weg; d. h. hier werden keine (speicherba-
ren) Energieträger, sondern ((weitgehend) unbeeinflussbare) Energieströme genutzt. Aber
auch die Energienachfrage ist fluktuierend (z. B. Trinkwarmwasser, Heizung, Schicht-
oder Batchbetrieb in der Industrie, Aufladen von Elektrofahrzeugen). Unter diesen Bedin-
gungen nimmt die Notwendigkeit, Speicher in entsprechende Energieversorgungssysteme
zu integrieren, deutlich zu, da nur so auch mit diesen Gegebenheiten eine sichere De-
ckung der jeweiligen Endenergienachfrage gewährleistet werden kann. Im Rahmen des
sich immer deutlicher abzeichnenden globalen Transformationsprozesses hin zu höheren
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 1097
M. Kaltschmitt, W. Streicher, A. Wiese (Hrsg.), Erneuerbare Energien,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-61190-6_14
1098 J. Hilgedieck et al.
Anteilen einer Endenergiebereitstellung aus fluktuierenden Quellen wird damit mittel- bis
längerfristig die Speicherung von Energie – und das gilt aus heutiger Sicht nicht nur für
die Speicherung von Strom bzw. elektrischer Energie, sondern auch für Wärme – suk-
zessive mehr an Bedeutung gewinnen, da nur hier noch energiewirtschaftlich relevante
Potenziale unter kommerziellen Gesichtspunkten zur Energiebereitstellung erschlossen
werden können (d. h. primär Photovoltaik- und Windstromerzeugung). Soll aber unter
diesen sich merklich verändernden Bedingungen der derzeit in Europa realisierte Grad
an Versorgungssicherheit auch zukünftig beibehalten werden, müssen in den kommen-
den Jahren – bei immer höheren Anteilen einer angebotsorientierten Erzeugung – die
entsprechend zunehmenden kurz-, mittel- und langfristigen Schwankungen der fluktuie-
renden und dargebotsorientierten Strom- und Wärmeerzeugung sowie der fluktuierenden
Nachfrage vermehrt ausgeglichen werden; und das ist nur durch entsprechende Speicher-
systeme möglich.
Damit wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zukünftig die Notwendigkeit einer
kurz-, mittel- und langfristigen Speicherung elektrischer sowie thermischer Energie
potenziell deutlich zunehmen; d. h. es ist sowohl eine zunehmend größere Technolo-
gievielfalt am Markt als auch eine größer werdende Anzahl an direkten und ggf. auch
indirekten Speicherkonzepten zu erwarten. Entsprechende Tendenzen sind bereits heute
im Energiesystem und insbesondere in der Forschung erkennbar. Ausgehend von diesen
sich abzeichnenden Notwendigkeiten und Entwicklungstendenzen wird im Folgenden
ein Überblick über die physikalischen Grundprinzipien der Speicherung von Strom
und Wärme – einschließlich der jeweils zusätzlich vor und ggf. nach der eigentlichen
Energiespeicherung nötigen Energiewandlungsschritte – gegeben. Außerdem werden
exemplarisch jeweils verschiedene technische Anwendungsfälle der entsprechenden phy-
sikalischen Speicherprinzipien dargestellt.
Die folgenden Ausführungen orientieren sich an Abb. 14.1, die einen Überblick über
die wesentlichen Optionen der Energiespeicherung gibt. Darin sind die folgenden fünf
Ebenen eines Speichervorgangs dargestellt.
Auf der ersten Ebene (Abb. 14.1) sind die Energieformen gezeigt, die im Rahmen der
Energiespeicherung zwischengespeichert werden sollen. Diese sind hier als dargebots-
orientiert unterstellt und werden zum jeweiligen Zeitpunkt der Einspeicherung vom
Strom- bzw. Wärmemarkt unterhalb der angebotsseitigen Erzeugungsmöglichkeiten
nachgefragt.
Die zweite Ebene in Abb. 14.1 beschreibt die Energiewandlung für den Vorgang des
Einspeicherns; beispielsweise wird elektrische Energie oft nicht unmittelbar als sol-
che gespeichert, sondern vorher in eine andere Energieform (z. B. potenzielle Energie)
umgewandelt.
Die dritte Ebene (Abb. 14.1) beschreibt die Energieform, in der die jeweilige darge-
botsorientierte elektrische oder thermische Energie final gespeichert wird.
14
Speicher
Abb. 14.1 Möglichkeiten einer Speicherung von thermischer und elektrischer Energie
1099
1012
1100
Leistung in W
SW
Syngas, Methan
Akkumulator CAES
1 Wasserstoff
103 PCM TCS
CH/NH-basierte PCMa
Wirkungsgrad in %
Kondensator TCS
Stoffe
0.10
0.1
20%
20
Spule
TCS
Abb. 14.2 Technische Eigenschaften verschiedener Energiespeicher zur Einspeicherung von Strom (dargestellt sind üblicherweise technisch realisierte
Leistungen und Speicherkapazitäten, spezifische Leistungs- und Energiedichten, Wirkungsgrad und Speicherdauer sowie die reziproke Selbstentladung
und die Reaktionszeit; CAES: Compressed Air Energy Storage / Druckluftspeicherkraftwerk; PCM: Phase change material / Phasenwechselmaterial;
PSKW: Pumpspeicherkraftwerk; SW: sensible Wärme; PtHtP: Power-to-Heat-to-Power / Strom zu Wärme zu Strom; TCS: thermo-chemische Speiche-
rung) (*PCM Saisonspeicher mit Unterkühlungseffekt weisen nach einmaliger Abkühlung keine Verluste mehr auf) nach [14.1, 14.2, 14.3, 14.4, 14.5,
14.6, 14.7, 14.8]
J. Hilgedieck et al.
14 Speicher 1101
Die vierte Ebene in Abb. 14.1 konkretisiert die Rücktransformation der gespeicherten
Energie in die jeweilige Sekundär- oder Endenergieform, in der die zwischengespei-
cherte Energie letztlich genutzt werden soll.
Die fünfte und letzte Ebene (Abb. 14.1) steht abschließend für die Energie, die bedarfs-
orientiert durch die Energiespeicherung verfügbar gemacht wird.
Abb. 14.1 beschreibt damit die unterschiedlichen Optionen, mit denen Strom oder
Wärme für eine spätere Nutzung kurz-, mittel- und / oder langfristig gespeichert werden
können. Demnach findet immer zunächst eine Energiewandlung der dargebotsorientiert
bereitgestellten Energie in eine speicherbare Energieform und anschließend eine Energie-
wandlung der entsprechend gespeicherten Energie in eine Nachfrage-orientiert verfügbare
Energieform statt. Im Folgenden werden entsprechend der Struktur von Abb. 14.1 ver-
schiedene Konzepte der Energiespeicherung diskutiert und anhand eines oder mehrerer
entsprechender technischer Anwendungsfälle näher erläutert.
Zusätzlich zeigt Abb. 14.2 für die verschiedenen in Abb. 14.1 dargestellten Speicher-
möglichkeiten die jeweiligen Bereiche wesentlicher charakterisierender technischer und
systemischer Kenngrößen; diese einzelnen Größen werden nachfolgend detaillierter dis-
kutiert. Deutlich wird aber bereits hier, dass eine Vielzahl von Optionen zur Energiespei-
cherung verfügbar ist, die jeweils z. T. deutlich unterschiedliche Kenngrößen aufweisen.
Das impliziert, dass für die Bewältigung der bestehenden Anforderungen voraussichtlich
nicht eine einzige, sondern eine Vielzahl verschiedener Speichertechnologien eingesetzt
werden dürfte, da verschiedene Technologien jeweils unterschiedliche Vor- und Nach-
teile aufweisen bzw. jeweils verschiedenartige Anforderungen im Energiesystem optimal
abdecken können. Für die großtechnische Speicherung beispielsweise eigenen sich eher
Pumpspeicherkraftwerke sowie Wasserstoff und synthetisches Methan (SNG), da hier
hohe Speicherkapazitäten und zumindest beim Wasserstoff und synthetischen Methan
hohe spezifische Energiedichten realisiert werden können; gleichzeitig sind die Lager-
verluste / die Selbstentladung gering. Dem gegenüber stehen u. a. Kondensatoren / Spulen,
welche zwar hohe Selbstentladungen aufweisen, jedoch hohe spezifische Energiedichten
und Wirkungsgrade bei extrem kurzen Reaktionszeiten bieten; d. h. sie können Energie
gut kurzfristig und mit höheren Leistungen zwischenspeichern.
Thermische oder elektrische Energie kann unmittelbar in Form von Wärme oder Strom
gespeichert werden. Nachfolgend werden die entsprechenden Optionen diskutiert.
Die einzige technische Möglichkeit einer direkten Speicherung elektrischer Energie (d. h.
ohne Umwandlung der elektrischen Energie in eine andere Energieform wie beispielswei-
1102 J. Hilgedieck et al.
1
EKondensator D C U2 (14.1)
2
Technische Umsetzung Neben den „klassischen“ Kondensatoren (Keramik-, Folien- und
Elektrolytkondensatoren), die in vielen elektronischen Bauelementen integriert sind und
die typischerweise nur sehr geringe elektrische Leistungen bzw. Energiemengen zwi-
schenspeichern können, werden heute aus Sicht einer großtechnischen Energiespeiche-
rung primär sogenannte Superkondensatoren (engl. Supercapacitors, kurz Supercaps) dis-
kutiert. Da hier der Fokus auf der großtechnischen Energiespeicherung liegt, wird nach-
folgend ausschließlich auf diese Supercaps eingegangen.
Im Unterschied zu klassischen Kondensatoren besitzen Supercaps kein Dielektrikum
im herkömmlichen Sinne. Stattdessen befinden sich die beiden Elektroden in einem flüs-
sigen Elektrolyten, der die Aufgabe des „klassischen“ Dielektrikums übernimmt. Die
Speicherfähigkeit bei Supercaps basiert hierbei auf zwei sich ergänzenden Speicherprin-
zipien.
Zum einen wird die elektrische Energie durch eine Ladungstrennung – ähnlich wie bei
den klassischen Kondensatoren – gespeichert. Die an den Supercap an den jeweiligen
Elektroden angelegte Spannung führt zu einem Elektronenübergang auf den Elektro-
lyten an der negativ geladenen Elektrode. Ausgehend davon bildet sich an der positiv
geladenen Elektrode mit den hydratisierten Elektronen eine starre sowie eine diffuse
Doppelschicht, die sogenannte Helmholtz-Doppelschicht, aus (Abb. 14.3). Damit ste-
hen sich hier genau zwei Ladungsschichten gegenüber, die – wie in jedem Kondensator
– ein entgegengesetztes Vorzeichen tragen.
Zum anderen spielt die sogenannte Pseudokapazität eine Rolle. Dabei lagern sich
nicht geladene Moleküle im Elektrolyten, Wassermoleküle sowie Ionen durch Van-
der-Waals-Kräfte an der Elektrode an. Dadurch kommt es zu einer Redoxreaktion. Da
hierdurch zwar die Speicherkapazität erhöht, aber elektrische Energie in Form von
chemisch gebundener Energie gespeichert wird und eine Energiewandlung stattge-
funden hat, spricht man von Pseudokapazität. Obwohl dabei strenggenommen eine
14 Speicher 1103
positiver
negativer Ladungsträger
Dielektrikum Ladungsträger dielektrische
Elektrolyt Schicht
Elektrode
+ + +
+ + +
+ + +
+ + +
Spannung Spannung
Abb. 14.3 Aufbau eines klassischen Kondensators (links) und eines Supercaps (rechts) (die Kreise
stellen eine angeschlossene Spannungsquelle dar; nach [14.5])
wird und somit weder beim Lade- noch beim Entladevorgang eine Energiewandlung statt-
findet (unter der Prämisse, dass die Pseudokapazität als elektrische Energiespeicherung
zählt), weisen Superkondensatoren sehr hohe Speicherwirkungsgrade (95 bis 99 %) und
insgesamt sehr geringe Reaktionszeiten (< 10 ms) auf. Weiterhin sind derartige Speicher-
elemente durch sehr hohe Leistungsdichten (bis zu 15 kW/L) und gleichzeitig nur sehr
geringe Energiedichten (2 bis 10 Wh/L) gekennzeichnet [14.3]. Durch diese vergleichs-
weise sehr geringen Energiedichten ist eine Speicherung großer Energiemengen bisher
unter kommerziellen Aspekten nicht sinnvoll möglich. Aus heutiger Sicht ist nicht davon
auszugehen, dass eine großtechnische Speicherung von elektrischer Energie im Elektrizi-
tätsversorgungssystem zukünftig durch den Einsatz von Kondensatoren umgesetzt werden
wird. Die Nutzung von Supercaps und von Kondensatoren i. Allg. wird daher aller Voraus-
sicht nach auch weiterhin auf sehr spezielle Anforderungsbereiche beschränkt bleiben, in
denen z. B. spezifische Anforderungen an hohe Leistungsdichten bestehen (u. a. Netzsta-
bilisierung, Abfangen von Leistungsspitzen) bzw. elektrische Energie mit hoher Leistung
nur für kurze Zeit gespeichert werden muss.
Wärme kann auch unmittelbar in Form von thermischer Energie gespeichert werden; dies
ist bei dieser Energieform auch die am weitesten verbreitete und genutzte Option. Energie-
technische Anwendungen umfassen typischerweise den „klassischen“ Wärmesektor (z. B.
zur Flexibilisierung der Wärmebereitstellung, zur zeitlichen Entkopplung von Erzeugung
und Nachfrage). Typischerweise wird dabei sensible (fühlbare) und / oder latente (verbor-
gene) Wärme gespeichert (Abb. 14.4).
Sensible Wärme ist die Wärme, die beispielsweise mit einem Thermometer mess-
technisch erfassbar ist. Sie beschreibt die thermische Energie, die unmittelbar mit der
Temperaturänderung eines Mediums (z. B. Luft, Wasser) verbunden ist. Bei einer sen-
siblen Wärmespeicherung führt folglich eine Energiezu- oder -abfuhr in Form von
Wärme unmittelbar zu einer Temperaturzu- oder -abnahme des jeweiligen Mediums.
14 Speicher 1105
Temperatur
gespeicherten thermischen En- Energiespeicherung ohne
ergiemenge bei sensibler und Phasenübergang
latenter Wärmespeicherung
Temperaturniveau des
Phasenübergangs
latent
thermische
Energiespeicherung
mit Phasenübergang
gespeicherte Energie
Die latente Wärme ist die thermische Energie, die bei einem Phasenübergang und da-
mit bei der Änderung fester, flüssiger oder gasförmiger Aggregatzustände benötigt
oder freigesetzt wird. Beispielsweise wird in der Klimatologie unter latenter Wär-
me die bei der Verdunstung des in der Luft enthaltenen Wasserdampfes notwendige
Energie verstanden, die dann bei der natürlichen Kondensation dieses Wasserdamp-
fes erneut in fühlbare Wärme überführt wird. Je nach Art der Zustandsänderung wird
von Verdunstungswärme (flüssig in gasförmig), Schmelzwärme (fest in flüssig) oder
Sublimationswärme (fest in gasförmig) gesprochen.
Die Summe aus der sensiblen und der latenten Wärmeenergie ergibt die Enthalpie; sie
ist ein Maß für die Energie eines thermodynamischen Systems.
Ein Wärmetransport findet grundsätzlich nur dann statt, wenn eine Temperaturdifferenz
zwischen den beiden Orten gegeben ist, zwischen denen die Wärme transportiert werden
soll. Hierbei fließt Wärme immer nur von hoher zu niedriger Temperatur (2. Hauptsatz der
Thermodynamik); sich schnell bewegende Atome oder Moleküle (d. h. hohe Temperatur)
stoßen dabei die daneben befindlichen sich langsamer bewegenden Atome oder Moleküle
(d. h. niedrigere Temperatur) an und es kommt dadurch auf Dauer zu einem Ausgleich der
Bewegung (d. h. Temperaturausgleich). Die Temperaturdifferenz ist damit die treibende
Kraft für einen Wärmetransport. Je größer die Temperaturdifferenz ist, desto größer ist die
übertragene Wärme pro Zeit (Wärmeleistung Q). P Dieser Austausch ist auch vom jeweili-
gen Stoff abhängig. Dieser Einfluss wird durch die Wärmeleitfähigkeit charakterisiert.
Sie beschreibt, welche Wärmeleistung QP pro Länge l eines Stoffes und Temperaturdiffe-
renz übertragen wird. Je größer die Länge l über die gleiche Temperaturdifferenz wird,
desto kleiner wird die spezifische Temperaturdifferenz pro Länge und damit die treibende
Kraft des Wärmetransports. Außerdem wird die Leistung umso größer, je größer die Flä-
che A ist, über die die Wärme strömen kann. Die übertragene Wärmeleistung ergibt sich
dann nach Gleichung (14.2).
QP D A (14.2)
l
1106 J. Hilgedieck et al.
Dieser Zusammenhang ist bei der Wärmespeicherung insofern wichtig, als sowohl
beim Beladen als auch beim Entladen eines Wärmespeichers ein Temperaturverlust statt-
findet. Ist der Wärmespeicher ein Festkörper, muss die Wärme auch von der Stelle des
Wärmeeintrags in den Speicher hinein und hinaus fließen; dies ist mit einem Tempe-
raturverlust verbunden. Ist der Wärmespeicher eine Flüssigkeit, wird die Wärme über
Konvektion ohne großen Temperaturverlust in den Speicher hinein transportiert (d. h. die
Wärmeleitfähigkeit der Flüssigkeit ist für das Be- und Entladen unerheblich); hier gibt es
nur einen Temperaturverlust, falls sich ein Wärmeübertrager zwischen dem Wärmeträger-
medium der Wärmequelle und dem Speichermedium befindet. Dieser Temperaturverlust
des Be- und Entladens ist auch Teil des Speicherwirkungsgrades des thermischen Spei-
chers. Er ist umso höher, je größer die zu übertragene Leistung pro Übertragungsfläche
wird bzw. je kleiner die Wärmeleitfähigkeit wird.
Der zweite Teil der Energieverluste entsteht während der Speicherung. Da es aus tech-
nischer Sicht keine ideale bzw. verlustfreie Wärmeisolierung geben kann, gibt ein hei-
ßer Speicher an die kühlere Umgebung immer Wärme ab. Dies ist wieder nach Glei-
chung (14.2) abhängig vom der Wärmeleitfähigkeit , der Wärmedämmung, der Dicke
der Dämmschicht d, der Außenfläche des Speichers A sowie als treibende Kraft der Tem-
peraturdifferenz zwischen Speicher und Umgebung ().
Nachfolgend werden Optionen zur Speicherung sensibler und latenter Wärme darge-
stellt und diskutiert.
Z2
Esensibel D m cp d (14.3)
1
Für eine Vielzahl von Anwendungen lässt sich Gleichung (14.3) unter der Annahme ei-
ner konstanten spezifischen Wärmekapazität cp zu Gleichung (14.4) vereinfachen. Diese
Vereinfachung ist oft gerechtfertigt, da sich bei vielen Stoffen die spezifische Wärmeka-
pazität in Abhängigkeit der Temperatur nur wenig ändert und damit der potenzielle Fehler
typischerweise klein ist.
Demnach kann durch eine Erhöhung der Speichermasse oder der Temperaturdifferenz
bzw. durch die Wahl eines Speichermediums mit einer hohen spezifischen Wärmekapazi-
tät die Menge der gespeicherten Energie ausgeweitet werden.
Folglich ist auch die Wärmekapazität eine wesentliche spezifische Kenngröße derar-
tiger Speicher. Tabelle 14.1 zeigt deshalb exemplarisch für ausgewählte Stoffe die Wär-
14 Speicher 1107
Tabelle 14.1 Wärmekapazität und Dichte unterschiedlicher Wärmespeichermedien bei einer Tem-
peratur von 20 °C (nach [14.9])
Spezifische Wärmekapazität Dichte
in kJ/(kg K) in kJ/(m3 K) in kWh/(m3 K) in kg/m3
Wasser 4,18 4 175 1,16 998
Kies, Sand 0,71 1 278–1 420 0,36–0,39 1 800–2 000
Granit 0,75 2 063 0,57 2 750
Ziegelstein 0,84 1 176–1 596 0,3–0,44 1 400–1 900
Eisen 0,47 3 655 1,02 7 860
Öl 1,6–1,8 1 360–1 620 0,38–0,45 850–900
Kies-Wasser 1,32 2 895 0,80 2 200
(37 Vol.-% Wasser)
mekapazität und die Dichte , die letztlich die Masse des Speichermaterials bestimmt.
Ein gutes Wärmespeichermedium muss also hohe Werte der spezifischen Wärmekapa-
zität und der Dichte aufweisen; ein Feststoffspeicher sollte zudem auch durch eine gute
Wärmleitfähigkeit gekennzeichnet sein. Wasser hat die mit Abstand höchste Wärmekapa-
zität und auch das für das Speichervolumen relevante Produkt aus Wärmekapazität und
Dichte ist das höchste der hier dargestellten Wärmespeichermedien. Es bietet sich deshalb
zur Wärmespeicherung an; daher wird auch bei den meisten kommerziell verfügbaren
Speichersystemen Wasser als Speichermedium genutzt.
Technische Umsetzung Das am weitesten verbreitete Konzept zur Speicherung von sen-
sibler Wärme besteht in der unmittelbaren Speicherung von erwärmtem Wasser in isolier-
ten Speichertanks. Entsprechende kommerziell verfügbare Lösungen sind vorhanden für
Anwendungen in privaten Haushalten mit Volumina von teils weniger als 100 L bis hin zu
Fernwärmespeichern mit einem Inhalt von über 100 000 m3 .
Wasser als Speichermedium weist dabei sehr vielversprechende Eigenschaften auf
[14.10].
Die spezifische Wärmekapazität von Wasser ist im Vergleich zu anderen Fluiden sehr
hoch (ca. 4,18 kJ/(kg K)); dies beeinflusst unmittelbar die Speicherenergiedichte.
Die Wärmeleitfähigkeit von Wasser ist vergleichsweise gering (ca. 0,56 W/(m K)).
Dadurch können Wasserspeicher als Schichtenspeicher ausgeführt werden, da warme
Wasserschichten über kalten Schichten ihre Wärme nur langsam an die kalten Schich-
ten abgeben. Dies wird dadurch unterstützt, dass kaltes Wasser schwerer ist als warmes
Wasser; d. h. kaltes Wasser kann unten im Speicher eingebracht / abgezogen werden
und warmes Wasser weiter oben. In Verbindung mit der niedrigen Wärmeleitfähigkeit
kann somit auch ein nur teilweise gefüllter Schichtenspeicher Wasser auf (konstant)
hohem Temperaturniveau aufnehmen und abgeben.
Wasser ist ungiftig, unbedenklich für die Umwelt, kostengünstig und weist in der Regel
eine hohe Verfügbarkeit auf. Es ist auch technisch sehr gut beherrscht.
1108 J. Hilgedieck et al.
Da Wasser sowohl Speichermedium als auch Wärmetransportmedium ist, kann oft auf
Wärmeübertrager mit den damit zwingend verbundenen Temperaturverlusten beim Be-
und Entladen verzichtet werden.
dann insgesamt deutlich effizienter (und damit auch potenziell kostengünstiger), wenn
thermische Energie vor der eigentlichen Verstromung gespeichert wird (anstatt mittels
elektrischer Energie bereitgestellte Wärme zu speichern), wie es bei den solarthermischen
Kraftwerken heute schon z. T. realisiert wird.
Die niedrigen Wirkungsgrade für solche „Strom zu Wärme zu Strom“ Anwendungen
sind wesentlich darauf zurückzuführen, dass zum einen das Speichern von Hochtem-
peraturwärme technisch herausfordernd und die Selbstentladung potenziell relativ hoch
sind und zum anderen besonders die Energiewandlung (thermisch zu elektrisch) mittels
Kreisprozessen aus thermodynamischen Gründen (d. h. Carnot-Wirkungsgrad) stark ver-
lustbehaftet ist. Da thermische Energie nicht beliebig in elektrische Energie gewandelt
werden kann, wird bei dieser Rückwandlung i. Allg. deutlich weniger als die Hälfte der
thermischen Energie in Form elektrischer Energie verfügbar gemacht. Insgesamt (mit
allen Wandlungs- und Speicherschritten) ergeben sich somit nur sehr niedrige Gesamt-
system-Speicherwirkungsgrade für derartige „Strom zu Wärme zu Strom“ Anwendungen.
Dem stehen – verglichen mit anderen Konzepten – potenziell relativ niedrige Kosten ge-
genüber, sodass ein energiewirtschaftlicher Nutzen a priori nicht gänzlich ausgeschlossen
werden kann. Allerdings muss entsprechend mehr Strom erzeugt werden, um die Verlus-
te durch die Speicherung auszugleichen; dies muss bei einer Gesamtbetrachtung dieser
Speicher berücksichtigt werden.
In Verbindung mit der zunehmenden Notwendigkeit an Flexibilität im Energieversor-
gungssystem wird der Einsatz von Wärmespeichern voraussichtlich weiter an Bedeutung
gewinnen. In Wärmenetzen kann dadurch bei Anlagen, die elektrische und thermische
Energie in Koppelproduktion bereitstellen (Kraft-Wärme-Kopplung, KWK), die elektri-
sche und thermische Energiebereitstellung flexibilisiert werden. Dadurch kann die Nach-
frage nach Heiz- und damit nach thermischer Energie zeitlich stärker von der Wärmebe-
reitstellung entkoppelt werden; d. h. die gekoppelte Strom- und Wärmeproduktion lässt
sich vermehrt stromgeführt ausgestalten und in Zeiten verlagern, in denen eine Nachfrage
nach elektrischer Energie gegeben ist. Aber auch im privaten Bereich könnte eine Nutzung
zunehmen (in Verbindung mit einer solaren Wärmebereitstellung beispielsweise mithilfe
von Photovoltaiksystemen).
Einordnung Abb. 14.5 gibt einen Überblick über die technischen Parameter derartiger
thermischer Energiespeicher. Dabei ist – auch im Vergleich zu den anderen Speichertech-
nologien – zu berücksichtigen, dass hier (ausgenommen sind Power-to-Heat-to-Power
(PtHtP) Anwendungen) thermische Energie ein- und ausgespeichert wird. Eine direkte
Vergleichbarkeit zu Strom-zu-Strom Speichern ist daher nicht gegeben.
1012
106
109
Speicher
Salzschmelze /
andere
Hochtemperatur
103
SW PCM
106 SW
Feststoff
Leistung in W
Wasser
Wasser Feststoff
Nieder-
temperatur
PCM
103 1
PCM 100.00
100
80%
80
SW
10.00
10
60%
60
1.00
1 SW
40%
40 PtHtP
Wirkungsgrad in %
PCMa
0.10
0.1
20%
20
Reziproke Selbstentladung in Tag/%
0%0 0.01
0.01
Sekunden Minuten Stunden Tage Wochen 0.001 0.01-2
10 0.1 11 10 1002
10 1000 104
Speicherdauer Reaktionszeit in s
Abb. 14.5 Technische Eigenschaften thermischer Energiespeicher (dargestellt sind üblicherweise technisch realisierte Leistungen und Speicherka-
pazitäten, spezifische Leistungs- und Energiedichten, Wirkungsgrad und Speicherdauer sowie die reziproke Selbstentladung und die Reaktionszeit;
PCM: Phase Change Material / Phasenwechselmaterialien; PtH: Power-to-Heat / Strom zu Wärme; PtHtP: Power-to-Heat-to-Power / Strom zu Wärme
zu Strom) (a PCM Saisonspeicher mit Unterkühlungseffekt weisen nach einmaliger Abkühlung keine Verluste mehr auf)
1111
1112 J. Hilgedieck et al.
Elektrische Energie kann auch in Form magnetischer Energie gespeichert werden. Dazu
wird die zu speichernde elektrische Energie durch eine elektromagnetische Wandlung in
einer Spule als magnetisches Feld gespeichert. Um diese gespeicherte magnetische Ener-
gie wieder in Form elektrischer Energie bereitstellen zu können, wird das magnetische
Feld in der Spule über eine erneute magnetisch-elektrische Wandlung rücktransformiert
und somit nachfragegerecht zur Verfügung gestellt.
Um potenzielle Speicherverluste zu minimieren, muss die Spule aus supraleitenden
Materialien bestehen. Supraleitung bedeutet, dass beim Unterschreiten einer kritischen
Temperatur (der sogenannten Sprungtemperatur) der elektrische Widerstand in dem ent-
sprechenden (Spulen-)Material abrupt auf null abfällt; d. h. Supraleiter haben die Eigen-
schaft, dass sie unterhalb dieser Sprungtemperatur keine Verluste bei der Leitung elek-
trischer Ströme aufweisen. Damit ist die eigentliche Energiespeicherung unter diesen
1114 J. Hilgedieck et al.
Kühlanlage Netzan-
schluss
14 Speicher 1115
metallische Supraleiter haben aber den Vorteil, dass sich daraus leicht Drähte formen
lassen, wie sie beispielsweise zur Konstruktion von Spulen benötigt werden, die letzt-
lich das Kernelement supraleitender magnetischer Energiespeicher darstellen. Inzwischen
wurde nachgewiesen, dass auch Schwefelwasserstoff (H2 S) bei hohen Drücken (100
bis 300 GPa) Eigenschaften eines metallischen Leiters mit einer Sprungtemperatur von
70 °C (203,15 K) aufweist. Auch Lanthanhydrid (LaH10 ) zeigt unter hohem Druck
(170 GPa) eine hohe Sprungtemperatur von etwa 23 °C (250,15 K). Zusätzlich wei-
sen auch bestimmte keramische Materialien diese supraleitenden Eigenschaften auf; ein
derartiger Vertreter ist beispielsweise Yttriumbariumkupferoxid (YBa2 Cu3 O7ı ; Supra-
leitfähigkeit wird für ı D 0;05 bis 0,65 beobachtet). Die technische Umsetzung in Spulen
ist aufgrund der Sprödigkeit des Keramikmaterials herausfordernd, aber unter bestimm-
ten Bedingungen möglich. Zusätzlich können auch Verbindungen aus Eisen, Lanthan,
Phosphor und Sauerstoff supraleitende Eigenschaften haben; hier kann durch bestimm-
te Beimischungen (z. B. Arsen) eine Sprungtemperatur von bis zu 217,15 °C (56 K)
erreicht werden.
Um den Effekt der Supraleitung jederzeit zu gewährleisten, muss der gesamte Strom-
kreis (d. h. Spule sowie alle Leiter) und damit der vollständig supraleitende Speicher
auf Temperaturen unterhalb der Sprungtemperatur des jeweiligen Speicher- bzw. Spulen-
materials gekühlt werden. Dementsprechend besteht die zwingende Notwendigkeit, alle
supraleitenden Elemente permanent, also sowohl während der Speicherphase als auch im
Standby-Betrieb, stark zu kühlen; dies bedingt notwendigerweise eine dauerhafte Ener-
gienachfrage, die bei einer Gesamtbilanz den Speicherwirkungsgrad merklich reduziert.
Bei den bisher vorliegenden Konzepten mit Tieftemperatursupraleitern soll dies über ei-
ne Kühlung durch flüssiges Helium realisiert werden; technisch ist das machbar, wenn
auch anspruchsvoll. Alternativ können Hochtemperatursupraleiter mit Sprungtemperatu-
ren oberhalb von 196,15 °C (77 K) auch mit flüssigem Stickstoff gekühlt werden. Dies
ist im Vergleich zum flüssigen Helium deutlich einfacher und kostengünstiger realisier-
bar (Faktor 10 und mehr). Allerdings ist die Herstellung von Hochtemperatursupraleitern
aufwändiger und kostenintensiver als die von Tieftemperatursupraleitern.
Beim Ladevorgang wird der Wechselstrom aus dem Netz der öffentlichen Versorgung
zunächst gleichgerichtet. Der erzeugte Gleichstrom fließt anschließend in die supraleiten-
de Spule. Dadurch wird ein Magnetfeld aufgebaut, in dem die Energie dann eingespeichert
wird. Nach dem Ladevorgang fließt der das Magnetfeld erzeugende Strom prinzipiell
verlustlos im hergestellten Stromkreis durch die Spule. Aufgrund der für die permanent
notwendige Tieftemperaturkühlung benötigen Energie (der Siedepunkt von Stickstoff liegt
bei 195,8 °C (77,35 K) und der von Helium bei 268,9 °C (4,25 K)) ist jedoch nichts-
destotrotz keine verlustfreie Speicherung möglich.
Beim Entladen wird durch das Schaltsystem eine externe Last an das System angelegt,
sodass durch das sich abbauende Magnetfeld ein Strom erzeugt wird (magnetisch-elektri-
sche Wandlung). Dieser elektrische Strom wird dann wieder mithilfe des Wechselrichters
1116 J. Hilgedieck et al.
1012
106 Kondensator
Speicher
109
Einzelschicht
-Kondensator Doppelschicht-
Kondensator
Spule
103
106
Spule
Leistung in W
103 1
Spule 100.00
100
80%
80
10.00
10
60%
60
1.00
1
40%
40
Wirkungsgrad in %
Kondensator
0.10
0.1
20%
20
Spule
Reziproke Selbstentladung in Tag/%
0%0 0.01
0.01
Sekunden Minuten Stunden Tage Wochen 0.001 0.01-2
10 0.1 11 10 1002
10 1000 104
Speicherdauer Reaktionszeit in s
Abb. 14.7 Technische Eigenschaften elektrischer und magnetischer Energiespeicher (dargestellt sind üblicherweise technisch realisierte Leistungen
und Speicherkapazitäten, spezifische Leistungs- und Energiedichten, Wirkungsgrad und Speicherdauer sowie die reziproke Selbstentladung und die
Reaktionszeit)
1117
1118 J. Hilgedieck et al.
Elektrische Energie kann auch in Form von mechanischer Energie gespeichert werden; da-
runter wird hier sowohl potenzielle oder Lageenergie als auch kinetische oder Bewegungs-
energie verstanden. Für das Speichern von elektrischer in Form von mechanischer Energie
mit anschließender erneuter Verfügbarmachung als elektrische Energie ist dann zusätzlich
eine elektromechanische Wandlung (beim Einspeichern) und eine mechanisch-elektrische
Energiewandlung (beim Ausspeichern) notwendig. Da die entsprechenden Energietrans-
formationen i. Allg. sehr verlustarm sein können (sowohl mechanische als auch elektrische
Energie sind reine Exergie), kann die Speicherung von elektrischer in Form von mechani-
scher Energie eine relativ effiziente Speichermöglichkeit darstellen, zumal diese Energie-
form auch relativ verlustarm speicherbar ist. Nachfolgend werden beide Speicheroptionen
– d. h. sowohl in Form von kinetischer als auch von potenzieller Energie – diskutiert.
14.3.1 Bewegungsenergie
Wird einer bestimmten Masse Bewegungsenergie zugeführt, wird diese in eine mecha-
nische Bewegung versetzt; dies kann beispielsweise in Form einer translatorischen oder
einer rotatorischen Bewegung realisiert werden. Für Anwendungen in Energiesystemen
wird insbesondere die Speicherung von Energie in Form einer rotatorischen oder einer
Drehbewegung diskutiert (u. a. Momentanreserve).
Das Einspeichern der elektrischen Energie in Form von Bewegungsenergie erfolgt
beispielsweise mithilfe eines elektromechanischen Wandlers (z. B. Elektromotor). Die ro-
tatorische Energie wird dann in der bewegten Masse gespeichert. Indem die rotierende
Masse anschließend bei der Ausspeicherung durch einen elektrischen Generator abge-
bremst wird, kann die Bewegungsenergie zurück in elektrische Energie gewandelt werden.
Die in der rotatorischen Bewegung gespeicherte Energie ERotation berechnet sich nach
Gleichung (14.6). Jx beschreibt das Trägheitsmoment des rotierenden Körpers um die
Rotationsachse x; es ist von der Masse des bewegten Körpers und dem Radius bezogen
auf die Rotationsachse abhängig. ! ist die Winkelgeschwindigkeit.
1
ERotation D Jx ! 2 (14.6)
2
Designansätze zur Erhöhung der Speicherkapazität können damit entweder eine Er-
höhung der Winkelgeschwindigkeit und / oder des Trägheitsmoments verfolgen. Dabei
nehmen die auf den rotierenden Körper wirkenden Kräfte mit der Winkelgeschwindig-
keit und dem Radius zu; d. h. einer Vergrößerung einer oder beider Einflussgrößen sind
aus Sicht des jeweils eingesetzten Materials bestimmte stoffspezifische Grenzen gesetzt.
Lagerung
Motor / Netzan-
Generator schluss
Schwungrad
Vakuum-
pumpe
Lagerung Welle
gerte Masse (z. B. ein Metallzylinder) mithilfe eines Elektromotors in eine Rotation
versetzt. Um potenzielle Lagerverluste zu minimieren, muss die Luft- und Lagerreibung
möglichst weitgehend reduziert werden; dazu kann die rotierende Masse in einem eva-
kuierten Gehäuse untergebracht und mit (supraleitenden) Magnetlagern gelagert werden.
Ein entsprechendes Funktionsschema zeigt Abb. 14.8. Hier ist der Elektromotor, der die
Umwandlung der elektrischen in mechanische (rotatorische) Energie realisiert, auf der
gleichen Welle wie die beweg- bzw. rotierbare Masse angebracht. Dadurch kann die Be-
wegungsenergie des Elektromotors unmittelbar in eine rotatorische Energie übertragen
und in dieser Form dann gespeichert werden. Die Rücktransformation erfolgt, indem die
elektrische Maschine als Generator betrieben wird. Dadurch kann elektrische Energie
ausgespeichert und damit erneut bereitgestellt werden.
Mit Ausnahme von verschiedenen Forschungsprojekten haben bisher derartige Spei-
cher nur eine geringe Verbreitung im Markt erfahren. Der technische Aufwand, der für
den angestrebten Speichereffekt notwendig ist, ist unter den derzeitigen Gegebenheiten
im Energiesystem nicht kommerziell darstellbar.
Einordnung Abb. 14.11 zeigt eine Einordnung in die technischen Eigenschaften me-
chanischer Energiespeicher und Abb. 14.2 in die sämtlicher Speichersysteme. Demnach
haben Schwungradspeicher Vorteile bei kurzfristigen Speichereinsätzen und geringen Re-
aktionszeiten. Im Vergleich zu anderen Energiespeichern dieser Gruppe zeigen sie aller-
dings vor allem bei der längerfristigen Speicherung mittlerer bis großer Energiemengen
erhebliche Nachteile.
Indem eine Masse (z. B. Wasser) von einem niedrigen geodätischen Niveau auf ein hö-
heres geodätisches Niveau transportiert wird, lässt sich Energie in Form von Lageenergie
speichern. Vorteilhaft ist dabei, dass eine elevierte Masse i. Allg. keine (bzw. nur sehr
wenig) Energie verliert, da sowohl die Höhe als auch die Masse zeitlich (weitestgehend)
konstant sind. Deshalb können generell (sehr große) Energiemengen sehr lange ohne sig-
nifikante Verluste gespeichert werden.
Die gespeicherte potenzielle Energie EPot berechnet sich nach Gleichung (14.7). Darin
beschreibt m die Masse, g die Fallbeschleunigung und hNutz die jeweils nutzbare geodäti-
sche Höhe.
Damit wird die speicherbare Energiemenge von der Masse und / oder der nutzbaren Hö-
he, auf welche die Masse gebracht wird, definiert (die Erdbeschleunigung ist quasi nicht
beeinflussbar). In dem konkreten Anwendungsfall eines Pumpspeicherkraftwerks (siehe
14 Speicher 1121
unten) bedeutet dies beispielsweise, dass die speicherbare Energiemenge umso größer
wird, je mehr Wasser in ein umso höher gelegenes Becken gepumpt werden kann.
Oberbecken
Turbine Unterbecken
Rohrleitung
Netzan-
schluss
in den Alpen verstärkt abschmelzenden Gletscher frei werden, dafür genutzt werden dür-
fen.
Weitere Konzepte Elektrische Energie kann auch in Form von potenzieller Energie
durch den Transport fester Materie auf ein höheres geodätisches Niveau gespeichert wer-
den. Dazu ließe sich beispielsweise mithilfe eines Elektromotors elektrische Energie über
eine Bewegung in Lageenergie transformieren. Mithilfe eines Generators würde dann die
Rückwandlung erfolgen.
14.3.3 Druckenergie
Elektrische Energie kann auch in Form eines auf einen erhöhten Druck gebrachten Fluides
in einem geschlossenen Behälter (z. B. einer Kaverne) als mechanische Energie gespei-
chert werden. Die Druckerhöhung bewirkt dabei ein Einspeichern von Energie und das
1124 J. Hilgedieck et al.
Ablassen des Drucks ein Ausspeichern. Die Erhöhung des Fluiddrucks in dem geschlos-
senen Behälter stellt unter Einsatz einer elektromotorischen Pumpe bzw. eines elektromo-
torischen Verdichters die eigentliche elektromechanische Energiewandlung dar. Mithilfe
eines mit einer Turbine gekoppelten Generators wird der Überdruck daraufhin beim Aus-
speichern erneut von der mechanischen in elektrische Energie gewandelt. Dadurch kann
nachfrageorientiert elektrische Energie bereitgestellt werden.
Die gespeicherte Energie EDruck berechnet sich vereinfacht nach Gleichung (14.8). Da-
rin ist p der Druck in dem Volumen des geschlossenen Körper und V ist das Volumen
dieses Körpers.
EDruck D p V (14.8)
Die insgesamt in einem derartigen System eingespeicherte Energie wird damit im We-
sentlichen durch das Druckniveau bzw. die Druckerhöhung und / oder durch die Größe /
das Volumen des eingeschlossenen Körpers bestimmt. Beiden Größen sind bei der ent-
sprechenden technischen Lösung bestimmte Grenzen gesetzt.
Bei der Kompression vieler (gasförmiger) Fluide erhöht sich neben dem Druck zwangs-
läufig auch die Temperatur und bei der Entspannung wird parallel zum Druck auch die
Temperatur reduziert; dieses Verhalten ist eine stoffspezifische Eigenschaft. Dieser phy-
sikalische Effekt wird als Joule-Thomson-Effekt bezeichnet; generell beschreibt er die
Veränderung der Temperatur eines Gases bei einer isenthalpen Druckminderung (d. h.
keine Veränderung der Enthalpie des Gases). Dabei bestimmen die Stärke der anziehen-
den und abstoßenden Kräfte zwischen den einzelnen Molekülen des verdichteten bzw.
entspanntes Gases Richtung und Stärke dieses Effekts. Ein Großteil entsprechender Rein-
gase bzw. Gasmische weisen unter Normalbedingungen die Eigenschaft auf, dass eine
Druckentspannung mit einer Temperaturabsenkung einhergeht bzw. analog die Gastempe-
ratur bei einer Verdichtung ansteigt. Demgegenüber gilt z. B. bei Wasserstoff oder Helium
das gegenteilige Verhalten. Diesem Umstand muss bei der technischen Realisierung ent-
sprechender physikalischer Konzepte Rechnung getragen werden, da die freigesetzte bzw.
benötigte thermische Energie einen erheblichen Verlustmechanismus des gesamten Spei-
cherkonzepts darstellen kann.
Abb. 14.10 Funktionsschema des diabaten (links) und adiabaten Druckluftspeichers (rechts)
Arbeit beispielsweise über eine Turbine verrichtet, die dann über einen Generator wie-
der in elektrische Energie gewandelt werden kann. Jedoch kühlt sich die Luft bei diesem
Entspannungsvorgang entsprechend stark ab. Um eine daraus resultierende Vereisung der
Turbine zu verhindern, muss die Temperatur der verdichteten Luft vor der Entspannung
entsprechend angehoben werden. In diabaten Systemen erfolgt dies durch Verbrennung
(bzw. Zufeuerung) konventioneller oder bio- bzw. strombasierter Energieträger (z. B. gas-
förmige Energieträger wie u. a. Erd-, Bio- oder Synthesegas). In adiabaten Systemen wird
der bei der Einspeicherung beladene Wärmespeicher entladen und mit der thermischen
Energie das Temperaturniveau angehoben. Abb. 14.10 zeigt ein Funktionsschema eines
diabaten (links) und eines adiabaten (rechts) Druckluftenergiespeicher-Systems. Demnach
ist das adiabate System deutlich aufwändiger, da letztlich zwei Speicher benötigt werden
(d. h. der Druckluftspeicher und der Wärmespeicher). Da letzterer verlustbehaftet ist, ist
dieses Konzept nur dann ökonomisch darstellbar, wenn der Zusatzaufwand für Installation
und Betrieb des Wärmespeichers die dadurch erreichbaren Speicherwirkungsgradgewinne
nicht überkompensiert.
Insgesamt sind aktuell weltweit lediglich zwei Druckluftenergiespeicher-Systeme in-
stalliert (McIntosh, USA, mit 110 MW und Huntorf, Deutschland, mit 320 MW). Bei
beiden Anlagen wurden aus Kostengründen diabate Systeme umgesetzt (d. h. beim Aus-
speichern wird zusätzlich fossiles Erdgas verbrannt) [14.14, 14.16]. Adiabate Systeme
sind aktuell (noch) nicht in Betrieb und entsprechende Forschungsprojekte wurden auf-
grund potenziell zu hoher Kosten wiederholt eingestellt (z. B. [14.17]).
beliebig tief entladen werden, da zur Erhaltung des Kavernenvolumens jederzeit ein Min-
destdruck in der Kaverne gegeben sein muss); dadurch lassen sich bestimmte Anteile der
ursprünglich eingebrachten Druckenergie (bei der Erstbeladung) nicht zurückgewinnen.
Die Reaktionszeit von Druckluftenergiespeicher-Systemen beträgt wenige Minuten (3 bis
10 min). Die Selbstentladung in der eigentlichen Salzkaverne ist sehr gering; demgegen-
über sind die thermischen Verluste des Wärmespeichers bei adiabaten Systemen häufig
deutlich höher. Die Speicherdichte beläuft sich für einen Speicherdruck von 200 bar auf
ca. 6 Wh/L.
Ein Nachteil von (großtechnischen) Druckluftenergiespeicher-Systemen ist die Abhän-
gigkeit von den geografischen Gegebenheiten. Für die Installation derartiger Systeme ist
das Vorhandensein einer Salzkaverne zwingende Voraussetzung, da andere Formen von
Großbehältern für die Hochdruckspeicherung von Gasen typischerweise noch deutlich
teurer sind; dafür müssen aber entsprechende geologische Gegebenheiten (d. h. Vorhan-
densein von technisch nutzbaren Salzstrukturen im bohrtechnisch erschließbaren Unter-
grund) in Gebieten mit einer Speichernotwendigkeit gegeben sein. Für sehr kleinvolumige
Druckluftenergiespeicher-Systeme ist auch die Installation und Nutzung eines Druckbe-
hälters grundsätzlich möglich; unter diesen Bedingungen sind die spezifischen Behälter-
kosten jedoch verhältnismäßig hoch – und das insbesondere in Hinblick auf die darin
gespeicherten Energiemengen und die damit realisierbaren Speicherleistungen. Aber auch
bei Salzkavernen-Systemen stellen die relativ hohen Investitionen ein deutliches Hindernis
dar, das eine weitere Verbreitung hemmt. Zusammen mit den eher bescheidenen Spei-
cherwirkungsgraden konnte sich diese Speicheroption daher bisher unter kommerziellen
Bedingungen nicht behaupten. Dies könnte sich ggf. dann ändern, wenn die Speicher-
dienstleistung am Strommarkt zukünftig merklich höher vergütet werden würde, da die
Technik verfügbar ist und z. B. in Norddeutschland, wo gleichzeitig ein hohes Windkraft-
potenzial vorhanden ist, gut nutzbare Salzstrukturen im Untergrund vorhanden sind.
Weitere Konzepte Das Speichern von elektrischer Energie in Form von Druckenergie
kann auch in anderer Form ausgestaltet werden. Ein Ansatz geht von der Installation gro-
ßer, hohler Betonkugeln in großen Wassertiefen aus. Diese Kugeln werden mithilfe von
elektromotorisch betriebenen Pumpen gegen den hydraulischen Druck entleert. Dadurch
wird elektrische Energie in Form von Druckenergie eingespeichert. Eine Ausspeicherung
dieser Energie erfolgt, indem über Turbinen Wasser zurück in die evakuierten Kugeln
fließt; dazu wird die Luft an die Atmosphäre abgegeben [14.19]. Eine kommerzielle An-
wendung des Konzeptes ist derzeit jedoch noch nicht in Sicht.
Einordnung Abb. 14.11 zeigt zusammenfassend die technischen Eigenschaften der dis-
kutierten mechanischen Energiespeicher und Abb. 14.2 eine Einordnung in sämtliche hier
diskutierten Speichersysteme. Demnach weisen derartige Speicher bezüglich speicherba-
rer Leistungs- und Arbeitsmengen ein sehr breites Spektrum auf. Auch die Ansprechzeiten
sind verschiedenartig. In der Regel bieten insbesondere das Pumpspeicherkraftwerk und
der Druckluftenergiespeicher als mechanische Energiespeicher vor allem die Option ei-
14
1012
106
CAES
Speicher
109 PSKW
Schwungrad
103 PSKW
106
Leistung in W
CAES
103 1
Schwungrad 100.00
100 PSKW
80%
80
PSKW
10.00
10 CAES
60%
60
CAES
1.00
1
40%
40
Wirkungsgrad in %
0.10
0.1
20%
20
Reziproke Selbstentladung in Tag/%
Schwungrad
0%0 0.01
0.01
Sekunden Minuten Stunden Tage Wochen 0.001 0.01-2
10 0.1 11 10 1002
10 1000 104
Speicherdauer Reaktionszeit in s
Abb. 14.11 Technische Eigenschaften mechanischer Energiespeicher (dargestellt sind üblicherweise technisch realisierte Leistungen und Speicherka-
pazitäten, spezifische Leistungs- und Energiedichten, Wirkungsgrad und Speicherdauer sowie die reziproke Selbstentladung und die Reaktionszeit;
CAES: Compressed Air Energy Storage / Druckluftspeicherkraftwerk; PSKW: Pumpspeicherkraftwerk)
1127
1128 J. Hilgedieck et al.
ner längerfristigen Speicherung bzw. Vorhaltung mittlerer bis großer Energiemengen bzw.
Leistungen; die Speicherung großer Energiemengen für längere Zeiträume erfolgt dabei
mit vergleichsweise hohen Systemwirkungsgraden (d. h. die Speicherung von Energie in
Form von mechanischer Energie ist i. Allg. verhältnismäßig verlustarm).
Ein großes Feld der Energiespeicherung besteht in der Speicherung von elektrischer und /
oder thermische Energie in Form von chemischer Bindungsenergie. Dabei wird bei der
Einspeicherung der thermischen oder elektrischen Energie eine chemische Verbindung
mit einer bestimmten chemischen Bindungsenergie durch eine chemische Reaktion in eine
Verbindung oder einen Reinstoff mit einem im Vergleich zum Edukt höheren Energieni-
veau überführt. Die dann nachfrageorientiert mögliche Rücktransformation in die jeweils
gewünschte Energieform (Strom oder Wärme) erfolgt ebenfalls durch eine chemische Re-
aktion (z. B. Oxidationsreaktion). Insgesamt kann diese chemische Reaktion reversibel
oder irreversibel sein. Werden derartige chemische Verbindungen oder Reinstoffe als En-
ergiespeicher genutzt, bietet dies i. Allg. ein großes Potenzial für sehr hohe Energiedichten
und – sind die Verbindungen stabil – zusätzlich eine verlustarme bzw. -freie Energiespei-
cherung.
14.4.1 Sorptionsenergie
Energie kann mittels Sorption bestimmter Stoffe untereinander gespeichert werden. Dabei
ist Sorption ein Oberbegriff für die Anreicherung eines Stoffes (bzw. von Kolloiden oder
von Partikeln) in einem Phasengrenzgebiet, die über die Konzentrationen innerhalb der
Phasen hinausgeht; d. h. eine Sorption kann an den Grenzflächen zwischen flüssiger und
fester, zwischen gasförmiger und fester bzw. zwischen flüssiger und gasförmiger Phase
vorkommen. Die sorbierende Phase ist das Sorbens, der Sorbent oder das Sorptionsmit-
tel. Der aufzunehmende, noch nicht sorbierte Stoff wird als Sorptiv bezeichnet und der
an- oder eingelagerte (sorbierte) Stoff als Sorbat [14.20]. Sie lässt sich unterteilen in die
Prozesse der Physisorption und Chemisorption (Abb. 14.12).
Bei der Physisorption erfolgt die Anlagerung eines Adsorbats an die Oberfläche ei-
nes Adsorbens aufgrund physikalischer Effekte. Dabei wird das adsorbierte Molekül
durch Van-der-Waals-Kräfte an einem Substrat gebunden; d. h. hier werden Kräfte
wirksam, die keine chemische Bindung bewirken. Die Anlagerung ist in der Regel mit
der Freisetzung thermischer Energie (zumeist Kondensationswärme) verbunden und
kann durch die Einbringung von Wärme reversiert werden. Ein Vorteil der Physisorp-
tion besteht in der prinzipiell verlustfreien Speicherung über viele Jahre.
14 Speicher 1129
gesättigte
Bindung
Physisorption Chemisorption
Bei der Chemisorption wird ein Adsorbat durch chemische Bindungen an ein Adsor-
bens gebunden. Dabei werden das Adsorbat und / oder das Adsorbens chemisch verän-
dert. Im Unterschied zur Physisorption ist die Chemisorption nicht immer reversibel.
Die beim Adsorbieren frei werdende bzw. beim Desorbieren benötigte Bindungsener-
gie beträgt typischerweise rund 800 kJ/mol; im Unterschied dazu liegt diese bei der
Physisorption nur bei ca. 80 kJ/mol. Durch den dabei stattfindenden Auf- bzw. Abbau
starker chemischer Bindungen können große Energiemengen ein- bzw. ausgespeichert
werden.
Technische Umsetzung Nachfolgend wird jeweils exemplarisch ein Beispiel für die
technische Umsetzung im Rahmen von Energiespeichern für die Physisorption und die
Chemisorption diskutiert.
Physisorption Ein Stoff, der häufig für die Speicherung thermischer Energie über Phy-
sisorption eingesetzt wird, ist Silikagel. Dieses auch als Kieselgel oder Kieselsäuregel
bezeichnete Material besteht aus farblosem, amorphem Siliziumdioxid (SiO2 ) von gel-
artiger, gummiartiger bis fester Konsistenz. Dieses Gel besitzt eine sehr große innere
Oberfläche (ca. 600 m2 /g [14.21]) und ist stark hygroskopisch (d. h. es zieht Wasserdampf
an). Indem thermische Energie in mit Wasser gesättigtem Silikagel eingebracht wird, wird
dieses getrocknet (und somit im Hinblick auf die Energiespeicherung beladen). Bei der
erneuten Anlagerung von Wasserdampf an die Oberfläche von trockenem Silikagel (d. h.
Ausspeicherung der Wärme) wird die Kondensationswärme und ein geringer Anteil an
Wärme der chemischen Anbindung frei; d. h. Energie (Wärme) wird ausgespeichert. Da-
mit kann Silikagel als thermochemischer Energiespeicher verwendet werden. Eingesetzt
1130 J. Hilgedieck et al.
Eigenschaften Sorptionsspeicher weisen hohe Energiedichten von 130 bis 180 Wh/L
auf. Durch die hohe Reaktionsenthalpie bei der Ad- und Desorption bezogen auf Masse
und Volumen des Speichermediums lassen sich folglich auch auf kleinem Raum größere
Energiemengen speichern. Hygroskopische Materialien wie Silikagel werden dabei z. T.
als Option für Kurzzeitspeicher in der Gebäudeklimatisierung diskutiert. Dort können sie
eingesetzt werden, um einerseits die Raumwärme zu regenerieren und andererseits auch
die Luftfeuchte bei Abluftwärmerückgewinnungsanlagen zurückzugewinnen. Auch für
Langzeitspeicherung können Sorptionsspeicher eingesetzt werden, da die Sorptionsstoffe
häufig im geladenen Zustand stabil sind und eine geringe Selbstentladungsrate aufweisen.
Nachteilig ist, dass bei der Entladung zuerst Wasserdampf bei geringer Temperatur in
einem Vakuum erzeugt werden muss und die Einlagerung in das Silikagel zwar zu einer
Temperaturerhöhung, aber praktisch nur zum Freiwerden der gleichen Energiemenge, die
zur Wasserdampferzeugung aufgewendet wurde, führt. Daher sind Sorptionsspeicher bei
der Entladung eher als Wärmepumpen und weniger als „echter“ Energiespeicher zu sehen.
Nur wenn der Wasserdampf bei geringen Temperaturen kostenfrei zur Verfügung steht
(z. B. feuchte Luft) kann von einer Speicherung gesprochen werden.
Einordnung In Abb. 14.19 ist ein Überblick über diese Möglichkeiten (Sorptionswärme
wird als Aspekt einer thermochemischen Speicherung (TCS) dargestellt) einer Energie-
speicherung und in Abb. 14.2 eine Einordnung in alle hier diskutierten Optionen darge-
stellt.
riante dieser Option zur Speicherung von Energie ist die galvanische Zelle. Darin findet
eine Redoxreaktion (d. h. eine chemische Reaktion mit Elektronenübergang) statt. Ne-
ben dieser Option besteht jedoch auch die Möglichkeit der Speicherung von thermischer
Energie in (festen, flüssigen oder gasförmigen) chemischen Verbindung mit einem un-
terschiedlichen Energieniveau; die dabei stattfindenden Reaktionen sind jedoch i. Allg.
nicht geprägt von einem Elektronenübergang. Im Folgenden wird daher zuerst die Ener-
giespeicherung in chemischen Verbindungen mit einem unterschiedlichen Energieniveau
diskutiert, bei der die zugrunde liegende Reaktionsgleichung keinen Elektronenübergang
beinhaltet. Daraufhin wird detaillierter auf die Energiespeicherung eingegangen, bei der
die zugrunde liegende Reaktionsgleichung eine Redoxreaktion (d. h. eine Reaktion mit
Elektronenübergang) ist.
Technische Umsetzung Als ein entsprechendes technisches Beispiel kann die Abspal-
tung von Kohlenstoffdioxid aus Karbonaten angeführt werden. Beim Ladevorgang wird
z. B. Bariumcarbonat auf etwa 1 300 °C (1 573,15 K) erhitzt, sodass sich Bariumoxid und
Kohlenstoffdioxid nach Gleichung (14.9) bilden.
Bei der Entladung wird dem Bariumoxid Kohlenstoffdioxid zugeführt. Durch die dann
stattfindende exotherme Reaktion wird die gespeicherte Energie in Form von Wärme
wieder frei. Bei dieser Reaktion liegen die beiden Reaktanden im Speicherzustand in un-
terschiedlichen Aggregatzuständen vor (fest und gasförmig). Dies erleichtert die Trennung
und anschließende Lagerung.
Eigenschaften Eine chemische Speicherung von Wärme in getrennten Stoffen bietet sehr
hohe Speicherdichten, da die zu speichernde Energie in hochenergetischen chemischen
Bindungen eingespeichert wird. Die Speicherdichten liegen etwa 5 bis 10 mal höher als
bei sensiblen Speichern und rund 3 bis 5mal über denen der Latentwärmespeicher [14.23].
Allerdings ist die Speicherung thermischer Energie in mehreren Stoffen bisher noch nicht
1132 J. Hilgedieck et al.
Stand der Technik und eher ein Forschungsthema. Großtechnische, kommerzielle Anla-
gen wurden bisher nicht realisiert und werden aus heutiger Sicht auch in naher Zukunft
wahrscheinlich nicht umgesetzt. Dennoch gibt es eine Vielzahl an Möglichkeiten der Nut-
zung dieses physikalischen Speicherkonzeptes; beispielsweise gehören zu den möglichen
Reaktionsarten u. a. das Dehydratisieren von Salzhydraten oder die Decarboxylierung
von Zink-, Magnesium- oder Kalziumkarbonaten zu Metalloxiden. Die Reaktionen wei-
sen ein breites Temperaturspektrum zwischen 100 und über 1 000 °C (373,15 und über
1 273,15 K) auf.
Einordnung Abb. 14.19 zeigt einen Überblick über diese Möglichkeiten (die Speiche-
rung thermischer Energie in chemischen Verbindungen mit einem unterschiedlichen Ener-
gieniveau wird als Aspekt einer thermochemischen Speicherung TCS dargestellt) einer
Energiespeicherung und Abb. 14.2 eine Einordnung in alle hier diskutierten Optionen.
e- e-
Ionenbrücke Kation
e-
Ionen der Ionen der
unedleren e- + - edleren
Elektrode in Elektrode in
e- +
Lösung + Lösung
Minuspol die Reduktion statt (er fungiert unter diesen Bedingungen als Kathode). Eine
derartige galvanische Zelle liefert folglich nur so lange eine Spannung, bis sich ein chemi-
sches Gleichgewicht eingestellt hat. Fließt kein Strom, obwohl eine Elektrodenspannung
anliegt, liegt das elektrochemische Gleichgewicht vor.
Bleibatterie Die Blei(Pb)-Batterie hat die elektrochemische Besonderheit, dass der Elek-
trolyt an der Reaktion teilnimmt. Die Elektroden bestehen hier aus metallischem Blei,
auf welchem sich im ungeladenen Zustand eine Schicht aus Blei(II)-Sulfat (PbSO4 ) bil-
det. Beim Ladevorgang werden an der positiv geladenen Elektrode Blei-Ionen zu Bleioxid
(PbO2 ) oxidiert, während an der negativ geladenen Elektrode Blei-Ionen zu metallischem
Blei (Pb) reduziert werden. Die Gesamtreaktion beschreibt Gleichung (14.10); hier findet
nach rechts die Entladung und nach links die Ladung statt. Demnach nehmen nicht nur
die positive Elektrode PbO2 und die negative Elektrode Pb an der chemischen Lade- und
Entladereaktion teil, sondern auch die Schwefelsäure.
Die wichtigste Nebenreaktion bei Bleibatterien ist die Gasung. Aufgrund der Verwen-
dung eines wässrigen Elektrolyten und einer Zellspannung von 2 V entstehen Wasserstoff
1134 J. Hilgedieck et al.
Bleigitter
poröses
poröser
Bleioxid
Bleischwamm
(Aktivmasse)
(Aktivmasse)
Elektrolyt
(verdünnte
Schwefelsäure)
poröser Separator
und Sauerstoff; d. h. Wasser wird in seine Komponenten aufgespalten. Dies lässt sich we-
gen der hohen Zellspannung aufgrund der elektrochemischen Spannungsreihe auch nicht
vermeiden. Daher wird die Zellspannung beim Laden auf 2,4 V begrenzt.
Den grundsätzlichen Aufbau einer Bleibatterie zeigt Abb. 14.14. Im geladenen Zustand
besteht die positive Elektrode aus porösem Bleidioxid (PbO2 ) und die negative Elektrode
aus porösem Bleischwamm (Pb). Die Porosität liegt in beiden Elektroden bei gut 50 %
und die Aktivmassen müssen eine feinkristalline Struktur aufweisen, um eine hohe aktive
Oberfläche zu erreichen. Eingetaucht sind die Elektroden in den ionenleitenden Elektro-
lyten aus verdünnter Schwefelsäure (H2 SO4 ). Die Elektroden sind durch einen für Ionen
durchlässigen Separator voneinander getrennt; dadurch wird ein Kurzschluss verhindert.
Durch den elektrochemischen Prozess beim Laden und Entladen findet somit eine Um-
wandlung des elektronischen in einen ionischen Stromfluss statt.
Bleibatterien werden in einer großen Zahl verschiedener Bauformen mit unterschied-
lichen Leistungsmerkmalen angeboten. Zu unterscheiden ist zwischen Batterien für eine
sehr hohe Leistungsabgabe (wichtigster Vertreter ist hier die Starterbatterie für Kraftfahr-
zeuge), Batterien für hohe Lebensdauern im Bereitschaftsparallelbetrieb (vor allem für
unterbrechungsfreie Stromversorgungen mit einer nur sehr seltenen Entladung der Bat-
terie) und Batterien für starke zyklische Belastungen (z. B. Elektroautos, Gabelstapler,
Rollstühle). Je nach Anforderungsprofil werden unterschiedliche Elektrodenbauformen
und Elektrodengeometrien verwendet; weit verbreitet sind hier die Elektrodenbauformen
Gitterplatte und Röhrchenplatte.
Bei Gitterplatten wird das aktive Material in ein Gitter aus Hartblei (Bleilegierung mit
Antimon oder Kalzium mit weiteren Zusätzen) eingepasst. Vorteile dieser Konstruktion
sind eine kostengünstige Herstellung und die Möglichkeit, hohe Leistungsdichten zu
realisieren.
14 Speicher 1135
Die Kapazität einer Bleibatterie ist temperaturabhängig. Sie erhöht sich um etwa 0,6 %
pro K Temperaturerhöhung (Bezugstemperatur je nach Hersteller oder Prüfstandard 20
bis 25 °C) und reduziert sich entsprechend bei einer Abkühlung. Allerdings beschleuni-
gen sich die Alterungsprozesse und die Selbstentladung mit zunehmender Temperatur.
Eine optimale Betriebstemperatur liegt daher eher im Bereich von 10 °C (283,15 K). Blei-
batterien speichern die zugeführte elektrische Energie mit einem Ah-Wirkungsgrad (Cou-
lomb’scher Wirkungsgrad) von rund 95 bis 98 %. Wird die Batterie in mittleren Ladezu-
ständen zyklisiert, ist der Ah-Wirkungsgrad nahezu 100 %. Das Verhältnis von bezogener
zu zugeführter Energie (typischer Wert 75 bis 90 %) ist der Wh-Wirkungsgrad, der sich
aus der gegenüber der Entladespannung höheren Ladespannung ergibt. Die Verwendung
von Blei führt zu einer geringeren massenbezogenen Energiedichte als bei anderen Ak-
kumulatortechnologien (25 bis 40 Wh/kg). Die volumetrische Energiedichte ist jedoch
vergleichbar (40 bis 100 Wh/L). Leistungsdichten von Blei-Säure-Akkumulatoren liegen
zwischen 0,4 und 0,6 kW/L und die Selbstentladungsrate bewegt sich typischerweise weit
unter 0,5 %/d; bei 25 °C (298,15 K) liegt sie bei etwa 2 bis 3 %/Monat.
Bleibatterien gehören zu den am längsten eingesetzten Akkumulatoren. Neben dem
günstigen Preis und der weiten Verbreitung sind weitere Vorteile eine hohe Zellspannung
von 2 V, ein guter Wirkungsgrad, eine hohe Sicherheit, prinzipiell hohe Lebensdauern
und das gut ausgebaute Recycling. Dem stehen die relativ geringe Energiedichte, die bei
bestimmten Anwendungen relativ geringe Lebensdauer und die schlechte Lagerbarkeit
gegenüber.
Lithium-
Ion
Sauer-
stoff
Separator
Kohlen-
Metall stoff
Entladerichtung Laderichtung
Elektrode. Hier werden sie dann im Metalloxid eingelagert. Dargestellt ist dieses Prinzip
in Abb. 14.15.
Die insgesamt dabei ablaufende reversible chemische Reaktion beschreibt Gleichung
(14.11). Die Entladung findet von links nach rechts und die Ladung von rechts nach links
statt.
Weitere Konzepte Die technische Ausgestaltung von Akkumulatoren erlaubt eine Viel-
zahl unterschiedlicher Kombinationsmöglichkeiten von Materialien sowie Bauformen.
Neben der bereits vorgestellten Bleibatterie und dem Lithium-Ionen-Akkumulator wer-
den im Folgenden die technisch relevantesten Varianten bzw. Materialkombinationen
diskutiert.
Na2 S5 $ 2 Na C 5 S (14.13)
2 Zn C O2 C 2 H2 O ! 2 Zn.OH/2 (14.14)
„Klassische“ Zink-Luft-Batterien sind nicht reversibel nutzbar; d. h. sie können nur als
Primärzellen einmalig genutzt werden. Soll eine Wiederaufladbarkeit erreicht werden,
muss die Batterie mechanisch zerstört werden. Eine elektrische Wiederaufladbarkeit
ist aber prinzipiell innerhalb eines wässrigen alkalischen Elektrolyten möglich; dazu
müssen die sich bei der Entladung bildenden Dendriten, die Kurzschlüsse verursachen
können, vermieden werden. Zink-Luft-Batterien haben hohe Energiedichten und zeich-
nen sich durch eine sehr konstante Entladungskurve aus. Sie werden z. B. häufig als
Knopfzellen für Hörgeräte verwendet.
Redox-Flow-Akkumulator. Beim Redox-Flow-Akkumulator wird ein grundlegend an-
derer Ansatz im Vergleich zu den bisher genannten Akkumulatortypen realisiert. Hier
werden zwei getrennte Elektrolytflüssigkeiten, die aus in sauren Lösungsmitteln ge-
lösten Salzen bestehen und in separaten Tanks gespeichert werden, an eine Membran
geleitet, mit der zwei Halbzellen voneinander getrennt werden (Abb. 14.16). Diese
Membran verhindert eine Vermischung der beiden Elektrolyten und dient zum Ionen-
bzw. Ladungsaustausch. Sie ist entweder ein mikroporöser Separator, der für alle Ionen
14 Speicher 1139
V2C C VOC C
2 C 2H $ V
3C
C VO2C C H2 O (14.15)
Tabelle 14.2 gibt einen Überblick über die verschiedenen Akkumulatortypen sowie de-
ren relevante Kenngrößen. Demnach sind die verschiedenen technischen Optionen durch
z. T. erhebliche Unterschiede in Bezug auf die erreichbare Zyklenzahl, den Speicherwir-
kungsgrad, die Energiedichte und die Selbstentladung gekennzeichnet.
Einordnung Abb. 14.19 zeigt eine Einordnung der diskutierten Akkumulatoren unterein-
ander und Abb. 14.2 in die hier diskutierten Speichersysteme insgesamt. Demnach eignen
sie sich besonders zur Speicherung moderater Energiemengen bei moderaten bis hohen
Lade- und Entladeleistungen. Sie können schnell auf bestehende Speicheranforderungen
reagieren und die Selbstentladung ist in der Regel begrenzt. Durch ihre hohe leistungssei-
tige Flexibilität, die hohen Wirkungsgrade in Kombination mit einem modularen Aufbau
bieten sie sich zur kurz- bis mittelfristigen Speicherung von Energie an.
Eine weitere Möglichkeit der chemischen Energiespeicherung stellt die Erzeugung eines
elementaren Reinstoffs aus einem Oxid dar, der dann gespeichert und anschließend bei
der Ausspeicherung erneut oxidiert werden kann. Der am meisten diskutierte Vertreter
dieser Gruppe ist Wasserstoff (H2 ), der bei der Einspeicherung durch Energie aus dem
entsprechenden Oxid (Wasser, H2 O) hergestellt wird. Grundsätzlich können auch andere
elementare Reinstoffe (z. B. Aluminium) erzeugt werden, die dann problemlos speicherbar
sind und aus denen dann durch eine erneute Oxidation die dafür aufgewendete Energie
(teilweise) wieder verfügbar gemacht werden kann. Nachfolgend wird nur das Beispiel
Wasserstoff näher erläutert; diese Option hat derzeit und potenziell auch in Zukunft die
mit Abstand größte Bedeutung. Dies gilt insbesondere auch deshalb, da Wasserstoff als
Edukt für eine Vielzahl weiterer chemischer Energiespeicherpfade genutzt werden kann.
Bei der Wasserstofferzeugung mithilfe von elektrischer Energie – und damit beim Ein-
speichervorgang der elektrischen Energie – findet eine strominduzierte Auftrennung der
chemischen Verbindung Wasser (d. h. des Wasserstoffoxids) in einem Elektrolyseur statt.
Die bei einer erneuten Oxidation dieses Reinstoffs (d. h. Wasserstoff) freisetzbare che-
14 Speicher 1141
mische Energie stellt dann die gespeicherte Energie dar (d. h. die bei der Oxidation von
Wasserstoff zu Wasser freiwerdende Energie). Dieses Gas kann dann z. B. in Druckbe-
hältern zwischengelagert werden. Zur erneuten Verfügbarmachung der Oxidationsenergie
in Form elektrischer Energie (d. h. Ausspeicherung in Form von elektrischem Strom)
gibt es verschiedene Wandlungspfade (z. B. die chemisch-elektrische Wandlung in einer
Brennstoffzelle, die Konversion in einem rechtsläufigen thermodynamischen Kreispro-
zess (Verbrennungsmotor / Gasturbine oder Dampfkraftprozess)), die durch jeweils unter-
schiedliche Vor- und Nachteile gekennzeichnet sind.
2 H2 O $ 2 H2 C O2 (14.16)
Die Wasserspaltung wird somit nur auf der Anodenseite realisiert (Abb. 14.17). Auf
der Kathodenseite reagieren die Protonen zu Wasserstoff. Allerdings ist die Kathodensei-
te meist noch mit Wasser beladen. Trotzdem kann eine hohe Reinheit des Wasserstoffs
erreicht werden.
Für die Entladung der gespeicherten Energie wird bei dem Reinstoff Wasserstoff typi-
scherweise der Einsatz von Brennstoffzellen vorgeschlagen. Brennstoffzellen sind spe-
zielle galvanische Zellen, in denen die chemische Reaktionsenergie eines zugeführten
Brennstoff- und Oxidationsmittelstromes in Form von elektrischer Energie freigesetzt
wird. Im Gegensatz zu einer Verbrennung, die einen nachgeschalteten rechtsläufigen ther-
modynamischen Kreisprozess für die Bereitstellung von Arbeit / elektrischer Energie be-
nötigt, kann in einer Brennstoffzelle die chemische Energie direkt in elektrische gewandelt
werden; dieser Prozess ist nicht durch den Carnot-Faktor begrenzt und kann dadurch
potenziell im Vergleich dazu höhere Wirkungsgrade erreichen. Eine verbreitete Brenn-
stoffzellentechnologie stellt die Wasserstoff-Sauerstoff-Brennstoffzelle dar, in der Was-
serstoff den Brennstoff darstellt, der unter Zufuhr von Sauerstoff oxidiert wird. Mit einem
1142 J. Hilgedieck et al.
bipolare Platte
H2 lage (GDL) -
e eingravierte
H2O e- Kanäle
e-
e- +
H+ H ½ O2
e-
H+ e- +
H+ e-
e-
Kathode
Anode H2O
Katalysator
protonleitende
Polymer-Elektrolyt-Membran (PEM)
Speicherung als Reinstoff Für die Speicherung reinen Wasserstoffs bestehen verschiedene
Optionen, die für eine Erhöhung der volumetrischen Energiedichte auf Kompression und /
oder Kühlung setzen.
plex. Obwohl die Erzeugung der hohen Drücke einen energetischen Aufwand bedeutet,
sind derartige Druckgasspeicher verhältnismäßig effizient. Eine Option der Speiche-
rung sehr großer Energiemengen besteht in der Druckspeicherung in unterirdischen
Kavernen wie beispielsweise Salzkavernen.
Flüssiggasspeicher. Die Verflüssigung von Wasserstoff ermöglicht eine Speicherung
mit hohen volumetrischen Energiedichten und geringen Drücken. Die wesentliche An-
forderung stellt dabei die starke Kühlung des Wasserstoffs dar, die für eine Kondensa-
tion und damit Verflüssigung notwendig ist; Wasserstoff kondensiert unter atmosphäri-
schem Druck bei einer Temperatur von 252 °C (21,15 K). Für eine Speicherung muss
der Tank folglich konstant auf Temperaturen bei circa 253 °C (20,15 K) gehalten wer-
den. Der Wärmeeintrag in den Speicher führt daher zu einer direkten Reduktion der
Speichereffizienz, da entsprechende Wärmeströme unter Energieaufwand abgeführt
werden müssen.
Kryo-komprimierter Wasserstoff. Eine weitere Möglichkeit der Speicherung von Was-
serstoff als Reinstoff besteht im Speichern kryogenen Wasserstoffs bei hohen Drücken.
Dadurch können verhältnismäßig hohe Energiedichten erreicht werden, ohne einen
Phasenwechsel des Wasserstoffs handhaben zu müssen. Die Speicherung erfolgt dabei
im Regelfall bei Temperaturen um 223 °C (50,15 K) und Drücken entsprechend dem
Druckgasspeicher. Insgesamt stellt die Speicherung kryo-komprimierten Wasserstoffs
damit eine technisch aufwendige Variante dar, die einen erheblichen Energieaufwand
für Kühlung und Speicherung erfordert. Der volumetrische Energiegehalt lässt sich je-
doch im Vergleich zu den anderen Varianten der Speicherung als Reinstoff noch einmal
steigern.
Die Reaktion ist exotherm (d. h. HR > 0). Um den Wasserstoff aus dem Metallhy-
drid (d. h. Reaktion von rechts nach links) zurückzugewinnen, muss daher Energie in
Form von Wärme in das System übertragen werden. Insgesamt ist daher das thermische
Management des Metallhydridspeichers sehr wichtig für die Effizienz der Speiche-
rung. Metallhydridspeicher können potenziell hohe volumetrische Speicherdichten für
Wasserstoff erreichen. Vor einer kommerziellen Markteinführung müssen noch einige
technische Herausforderungen bewältigt werden (z. B. derzeit niedrige Zyklenzahl).
1144 J. Hilgedieck et al.
Eigenschaften Wasserstoff stellt eine vielfältige Option der Energiespeicherung dar. Ne-
ben der Möglichkeit der Energiespeicherung dient Wasserstoff als Ausgangsprodukt von
Power-to-Gas (PtG) bzw. Power-to-Liquid (PtL) Verfahren (Kapitel 14.4.4). Durch die
chemische Speicherung der Energie in dem elementaren Reinstoff Wasserstoff ist die En-
ergiedichte in dieser Speicherform hoch. Die elektrolytische Erzeugung von Wasserstoff
selbst kann Wirkungsgrade von 60 bis zu maximal 90 % erreichen. Jedoch ist der Gesamt-
wirkungsgrad bei einer potenziellen Speicherung und anschließenden Rückverstromung
entsprechend geringer. Wasserstoff als Gas kann i. Allg. sehr lange mit sehr kleinen Spei-
cherverlusten gelagert werden; diese Eigenschaft macht die Speichervariante als Saisonal-
bzw. Langzeitspeicher interessant, obwohl die Speicherdichte im Vergleich zur Flüssig-
wasserstoffspeicherung wesentlich geringer ist.
Kathode
Anode
Membran
H2O KOH ½ O2
H2O
OH-
+
H2 OH-
e- e-
e- e- e- e-
OH-
alkalischer
H2O OH- Elektrolyt
KOH
2 H2O
zepte von Elektrolyseuren. Ein Beispiel stellt die alkalische Elektrolyse (AEL) dar, bei
der beide Halbzellen mit einem flüssigen Elektrolyten gefüllt sind, der in der Regel aus
einer 20 bis 40 %igen Kaliumhydroxidlösung besteht. Getrennt sind beide Halbzellen
durch eine gegenüber Gas dichte Membran (Abb. 14.18), die ionenleitende Eigenschaften
aufweist; d. h. die entstehenden Ionen können diese Membran passieren, aber ein Gasaus-
tausch wird sicher unterbunden.
Beim Betrieb reagiert Wasser an der negativ geladenen Elektrode unter Elektronen-
aufnahme zu Wasserstoff und Hydroxidionen. Diese wandern nun durch den Elektrolyten
sowie die gasdichte Membran auf die Seite der positiv geladenen Elektrode. Hier reagieren
sie unter Elektronenabgabe zu elementarem Sauerstoff sowie Wasser. Für die Elektroden
werden meist sogenannte DSA-Elektroden (dimensionsstabile Anoden, z. B. aus Titan)
genutzt. Dabei handelt es sich um Streckmetalle, die mit einem Edelmetall-Katalysator-
oxid (z. B. Rutheniumoxid) beschichtet sind. Die Zellspannung beträgt mindestens 1,5 V.
Die alkalische Elektrolyse wird bereits heute weltweit technisch umgesetzt, da sie
im Vergleich zu anderen Elektrolyseurtechnologien geringere Investitionen aufweist und
großtechnisch erprobt ist. Derartige Elektrolyseure müssen in der Regel mit einer Min-
destteillast von 20 % betrieben werden. Sie sind auch wenig flexibel bzw. dynamisch zu
betreiben in Bezug auf die Schwankungen in der elektrischen Eingangsleistung.
Eine weitere technische Umsetzung der elektrolytischen Wasserspaltung ist die Hoch-
temperatur-Elektrolyse (engl. High Temperature Electrolysis of Steam, kurz HTES). Im
Gegensatz zu den beiden bisher vorgestellten Elektrolyseurkonzepten, die bei Temperatu-
ren zwischen 20 und 100 °C (293,15 und 373,15 K) operieren können, benötigt die Hoch-
temperaturelektrolyse Betriebstemperaturen von rund 900 °C (1 173,15 K). Demnach wird
hier nicht flüssiges Wasser, sondern Wasserdampf gespalten. Die für den Betrieb benö-
tige Wärme wird meist extern zugeführt (z. B. durch industrielle Prozesswärme); d. h.
der (energieintensive) Phasenübergang des Wassers von flüssig zu gasförmig muss dann
nicht mithilfe elektrischer Energie erzeugt werden. Dadurch kann die elektrische Ener-
1146 J. Hilgedieck et al.
Einordnung Abb. 14.19 gibt einen Überblick und eine Einordnung dieser Optionen in
die Möglichkeiten der Energiespeicherung in Form von chemischer Energie und Abb. 14.2
eine Einordnung in die insgesamt verfügbaren Energiespeichermöglichkeiten. Demnach
ist die Speicheroption, bei der ein Oxid (hier: Wasser) zu einem chemischen Reinstoff
(hier: Wasserstoff) reduziert wird, dann in dieser Form gespeichert werden kann und an-
schließend wieder rückverstromt wird, vielversprechend insbesondere im Hinblick auf ei-
ne großtechnische Speicherung von Energie; d. h. die Lade- und Entladeleistungen können
sehr hohe Werte annehmen. Auch wenn die Gesamtspeicherwirkungsgrade eher moderat
sind, bieten sich chemische Reinstoffe deshalb gut zur saisonalen Speicherung von Ener-
gie an.
Elektrische Energie kann auch in Form von unter Standardbedingungen gasförmigen oder
flüssigen CH- bzw. NH-Verbindungen gespeichert werden. Die entsprechenden Optionen
werden auch unter den Begriffen Power-to-Gas (PtG) bzw. Power-to-Liquid (PtL) Techno-
logien zusammengefasst. Die in Form derartiger chemischer Verbindungen zu speichernde
elektrische Energie wird zunächst mithilfe eines Elektrolyseurs in Wasserstoff umgewan-
delt; dies gilt für beide Varianten. Dieser wird dann mit einer Power-to-Gas (PtG) bzw.
Power-to-Liquid (PtL) Anlage weiter zu gasförmigen bzw. flüssigen Kohlenwasserstoffen
(CH-Verbindungen) bzw. zu Ammoniak (NH3 ; d. h. NH-Verbindung) weiterverarbeitet;
dazu muss beispielsweise bei der Bereitstellung von CH-Verbindungen ein weiterer Stoff
(hier: CO2 ) reduziert werden, was ebenfalls mit einem entsprechenden Energieaufwand
einhergeht. Das final erzeugte (Brenn-)Gas (z. B. Methan (CH4 )) bzw. die bereitgestell-
ten (brennbaren) Flüssigkeiten (z. B. Fischer-Tropsch(FT)-Crude, Methanol) sind i. Allg.
chemisch stabil und mit vorhandener Technik gut lagerfähig. Damit wird die zu spei-
chernde elektrische Energie in den chemischen Bindungen des erzeugten Gases bzw. der
bereitgestellten Flüssigkeiten gespeichert. Da diese Stoffe bereits heute großtechnisch im
Energiesystem in Größenordnungen genutzt werden (auch wenn sie bisher aus anderen
(fossilen) Quellen stammen), ist eine Ausspeicherung der Energie bzw. eine Rückverstro-
14
1012
106
Wasserstoff
Speicher
109 Kavernenspeicher
Syngas , Methan
Kaver- Natrium-
nen- Porenspeicher Schwefel
Akkumulator speicher Akkumulator
103
Redox–Flow Natrium- Organic-Flow Lithium–
106 Schwefel Ionen
TCS
Blei-Säure
Leistung in W
Natrium/NiCl2
Natrium/NiCl2 Lithium–
Redox– Syngas, Methan
Druck- Ionen
Flow TCS
behälter Wasserstoff
Auto
Stahlflasche 1
103 Blei-Säure
10.00
10 Akkumulator
60%
60
Wasserstoff
TCS
Wirkungsgrad in %
0.10
0.1
20%
20
Reziproke Selbstentladung in Tag/%
0%0 0.01
0.01
Sekunden Minuten Stunden Tage Wochen 0.001 0.01-2
10 0.1 11 10 1002
10 1000 104
Speicherdauer Reaktionszeit in s
Abb. 14.19 Technische Eigenschaften physikalisch-chemischer Energiespeicher (dargestellt sind üblicherweise technisch realisierte Leistungen und
Speicherkapazitäten, spezifische Leistungs- und Energiedichten, Wirkungsgrad und Speicherdauer sowie die reziproke Selbstentladung und die Reak-
tionszeit; TCS: Thermo-chemische Speicherung)
1147
1148 J. Hilgedieck et al.
Power-to-Gas (PtG) Der Power-to-Gas (PtG) Prozess stellt eine Erweiterung der Was-
serstofferzeugung dar (siehe oben); d. h. der beschriebenen Wasserstoffbereitstellung wird
ein weiterer Prozessschritt nachgeschaltet, um das hier gewünschte Speichermolekül Me-
than (CH4 ) zu erzeugen. Dazu wird Wasserstoff (H2 ) aus einer Wasserelektrolyse zu-
sammen mit Kohlenstoffdioxid (CO2 ) zunächst zu Kohlenstoffmonoxid (CO) und Wasser
(H2 O) (d. h. reverse Wasser-Gas-Shift-Reaktion) umgewandelt. Grundvoraussetzung für
eine derartige Prozesskaskade ist das Vorhandensein von Kohlenstoffdioxid (CO2 ). Dieses
kann aus der Luft, aus mit kohlenstoffhaltigen Brennstoffen betriebenen Kraft-, Heizkraft-
oder Heizwerken oder aus Industrieprozessen (z. B. Zementherstellung, Kalkbrennerei)
stammen. Das als Zwischenprodukt erzeugte Kohlenstoffmonoxid (CO) wird anschlie-
ßend in einer Methanisierungsstufe mit weiterem Wasserstoff katalysatorgestützt zu dem
gewünschten Methan (CH4 ) unter Freisetzung von Wasser (H2 O) umgewandelt. Es gilt
die Summenreaktionsgleichung (14.18).
Power-to-Liquid (PtL) Der Power-to-Liquid (PtL) Prozess ist ebenfalls eine Erweite-
rung der Wasserstofferzeugung (siehe oben); d. h. auch hier wird – vergleichbar zu dem
Power-to-Gas (PtG) Prozess – eine Wasserstoffbereitstellung mit weiteren Prozessschritten
kombiniert, um die mit dieser Prozesskombination bzw. -kaskade zu erzeugende Spei-
chermolekülgruppe „flüssige Kohlenwasserstoffe“ zu erzeugen. Dazu wird auch hier
14 Speicher 1149
Eigenschaften Power-to-Gas (PtG) und Power-to-Liquid (PtL) Prozesse bieten ein sehr
hohes Potenzial in Bezug auf die Speicherkapazitäten, da beispielsweise Methan in vor-
handenen Großspeichern (z. B. Kavernenspeicher) und Diesel oder Benzin in entspre-
chenden Tanks gut und problemlos lagerbar ist. Von besonderem Vorteil der flüssigen
PtL-Energieträger sind die relativ hohen Energiedichten und das insgesamt vergleichswei-
se einfache Handling im Verlauf der gesamten nachgelagerten Nutzungskette. Außerdem
kann hier auf eine bereits vorhandene und gut ausgebaute funktionierende Infrastruktur
zurückgegriffen werden (Speicherkapazität des deutschen Erdgasnetzes rund 130 TWh;
unter Berücksichtigung der vorhandenen Speicher summiert sich dies auf rund 360 TWh
[14.26]). Daher besteht eine sehr gute Skalierbarkeit für eine großtechnische Speicherung
derartiger PtG- und PtL-Produkte.
Problematisch ist durch die notwendige Verkettung von mehreren (energieintensiven)
Prozessschritten der damit einhergehende vergleichsweise niedrige Wirkungsgrad von
rund 54 % bei der Einspeicherung von PtG-Methan und leicht unter 50 % für PtL-Kraft-
stoffe. Für eine potenzielle Gesamtkette Strom-Gas(PtG-Methan)-Strom bzw. Strom-Flüs-
sigkeit(PtL-Produkt)-Strom sind aus heutiger Sicht Wirkungsgrade von rund 30 bis 40 %
realistisch; diese Gesamtwirkungsgrade sind aber potenziell nur erreichbar, wenn das
benötigte Kohlenstoffdioxid in Form einer ausreichend großen Punktquelle verfügbar ge-
macht werden kann; muss es beispielsweise aus der Luft über entsprechende Waschpro-
zesse gewonnen werden, ist der Gesamtwirkungsgrad nochmals merklich geringer. Kann
demgegenüber die bei unterschiedlichen Prozessstufen anfallende Abwärme technisch
sinnvoll nutzbar gemacht werden, kann der Speicherwirkungsgrad der Gesamtkette bei
entsprechend integrierten Prozesskaskaden insgesamt leicht verbessert werden.
1150 J. Hilgedieck et al.
Weitere Konzepte Neben der elektrolytischen Erzeugung von Wasserstoff bzw. Methan
gibt es auch die Möglichkeit der mikrobiellen Methanisierung. Hier wird die oben gezeig-
te chemische Reaktion durch Archaebakterien beispielsweise in Bioreaktoren umgesetzt.
Derartige Archaeen weisen eine hohe Selektivität auf und können dadurch auch bei ge-
ringen Konzentrationen der Edukte das Produkt Methan bereitstellen. Dazu müssen aber
entsprechende physiologische Bedingungen sichergestellt werden. Insgesamt liegen je-
doch die Methanbildungsraten z. T. deutlich unter denen der technischen Methanisierung.
Deshalb machen derartige Prozesse aus heutiger Sicht nur in Kombination beispielsweise
mit einer schon vorhandenen Biogasanlage Sinn.
Darüber hinaus besteht die Möglichkeit der Flüssiggasherstellung aus dem aus elektri-
scher Energie produzierten synthetischen Methan. Dazu wird das PtG-Methan bei mindes-
tens 161,5 °C (111,65 K) in einem mehrstufigen Kühlprozess verflüssigt. In dem dadurch
gewährleisteten flüssigen Zustand hat es im Vergleich zum Gas eine deutlich höhere En-
ergiedichte. Es ist dann chemisch identisch mit LNG (Liquefied Natural Gas) und kann in
den gleichen Einsatzfeldern eingesetzt werden.
Alternativ kann auch die technisch ausgereifte strominduzierte Ammoniaksynthese
nach dem Haber-Bosch-Verfahren als Speicherkonzept realisiert werden. Hierbei reagie-
ren Stickstoff (N) und Wasserstoff (H2 ), der aus strombasierten Prozessen resultiert (siehe
oben), zu Ammoniak (NH3 ); es gilt Gleichung (14.20).
N2 C 3 H2 $ 2 NH3 (14.20)
Der eingesetzte Stickstoff stammt dabei aus der Umgebungsluft. Der Wasserstoff
kommt – wie bei den anderen Optionen auch – aus der Wasserelektrolyse. Das daraus
großtechnisch herstellbare Ammoniak – das Haber-Bosch-Verfahren wird global heu-
te im Millionen-Tonnen-Maßstab umgesetzt – kann dann in geeigneten Behältern auch
großtechnisch gespeichert werden. Diese Stickstoffverbindung kann bei der Ausspeiche-
rung – beispielsweise in entsprechenden Brennstoffzellen – zur nachfrageorientierten
Stromerzeugung eingesetzt werden. Von Vorteil ist die großtechnisch umgesetzte und gut
beherrschte Ammoniaksynthese. Auch eine großtechnische Lagerung des Ammoniaks
sollte technisch – ausgehend von den schon in der chemischen Industrie vorliegenden
Erfahrungen – möglich und umsetzbar sein. Demgegenüber spielt Ammoniak im Ener-
giesystem bisher praktisch keine Rolle.
Einordnung Abb. 14.19 zeigt eine Übersicht über die zuvor beschriebenen Möglich-
keiten und Abb. 14.2 einen Gesamtüberblick über alle Speicheroptionen. Folglich ist
eine Energiespeicherung mit CH- bzw. NH-basierten Energieträgern – ähnlich wie eine
Speicherung in chemischen Reinstoffen (Wasserstoff) – durch eine hohe Speicherdichte
und geringe Speicherverluste selbst bei langen Speicherzeiträumen gekennzeichnet. Dafür
sind die Speicherwirkungsgrade – wird die Systemgrenze vom Strom zum Strom gezogen
– mit rund 50 % und z. T. weniger noch eher bescheiden. Dafür steht aber teilweise ein
speicherfähiger Energieträger zur Verfügung, der vollständig kompatibel mit dem heu-
14 Speicher 1151
tigen Energiesystem ist und hier vielfältige Anwendungsfelder finden kann (d. h. nicht
nur den Strommarkt). Deshalb bietet es sich unter Effizienzgesichtspunkten bei diesen
Speichervarianten häufig an, eine Energiespeicherung mit einem Einsatz des speicherfä-
higen Energieträgers in anderen Sektoren des Energiesystems zu kombinieren (d. h. Sek-
torenkopplung). Werden hier vielversprechende Einsatzfelder identifiziert, kann dies die
begrenzten Speicher- bzw. Umwandlungswirkungsgrade ggf. zumindest teilweise kom-
pensieren.
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Stromnetze
15
Christian Becker
Die folgenden Ausführungen befassen sich mit den technischen Grundlagen, Komponen-
ten und Wirkungsweisen elektrischer Energienetze. Zunächst werden einführende phy-
sikalische Grundlagen erläutert, bevor daran anschließend alle wichtigen Komponenten
für Drehstromnetze vorgestellt werden. Darin werden auch leistungselektronische Strom-
richter beschrieben, die insbesondere zur Netzanbindung erneuerbarer Energieumwand-
lungsanlagen, aber auch in Netzreglern und Gleichstrom-übertragenden Netzelementen
eingesetzt werden. Nach der Darstellung wichtiger Netzstrukturen werden der Begriff des
Leistungsflusses sowie die Netzberechnung eingeführt. Abschließend werden elementare
Zusammenhänge zu Leistungsbilanzen in elektrischen Energienetzen im Hinblick auf das
systemische Zusammenwirken der Netzkomponenten grundlegend erläutert.
Die in diesem Kapitel behandelten Aspekte spannen insgesamt ein komplexes und
weitläufiges Themenfeld auf, das für eine vollständige Durchdringung eine detaillier-
tere und mit mathematischen Methoden unterstützte Betrachtung erfordert. Dies kann
aber nicht Ziel dieses Kapitels sein. Vielmehr soll hier ein grundlegendes Verständnis
der Funktionsweise der verschiedenen Netzelemente und ihres Zusammenwirkens im Ge-
samtsystem erreicht werden, ohne dass ein tiefgehendes elektrotechnisches Grundlagen-
und Fachwissen vorausgesetzt wird. Die einzelnen Kapitel beschränken sich deshalb le-
diglich auf wesentliche Grundzüge.
In übersichtlicher Form werden elektrische Energienetze in einem sogenannten An-
lagenbild in einpoliger Darstellung skizziert (Abb. 15.1, links). Ein solches Anlagenbild
zeigt die Zusammenschaltung von Leitungen, Transformatoren, Erzeugern, Lasten und
weiteren Komponenten (z. B. Sammelschienen, Schaltgeräte). Das Anlagenbild kann in
eine abstrakte Form, einen Graphen, bestehend aus Zweigen, die Leitungen oder Trans-
formatoren repräsentieren, sowie Knoten bzw. Netzknoten, welche in der Regel Schalt-
anlagen bzw. die darin enthaltenen Sammelschienen repräsentieren, übertragen werden
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 1153
M. Kaltschmitt, W. Streicher, A. Wiese (Hrsg.), Erneuerbare Energien,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-61190-6_15
1154 C. Becker
Gene- Wind-
G G PV-Anlage
rator energie-
anlage
senkrechte
Zweige Knoten
Doppelleitung
Zweig
Transformator Lastabnehmer
Abb. 15.1 Anlagenbild bzw. einpolige Darstellung eines Beispiel-Netzes (links) und Darstellung
dieses Beispiel-Netzes durch einen Graphen mit Knoten und Zweigen (rechts) (PV Photovoltaik)
(Abb. 15.1, rechts). Zweige sind Verbindungen zwischen zwei Knoten, Transformatoren
werden auch als „senkrechte Zweige“ bezeichnet, da sie in einem Netz die Verbindung
zwischen zwei unterschiedlichen Spannungsebenen darstellen. Hierfür ist auch der Be-
griff Knoten-Zweig-Darstellung gebräuchlich.
15.1 Grundlagen
Elektrische Energienetze transportieren und verteilen elektrische Energie von den Erzeu-
gungsanlagen zu den Verbrauchern. Diese Transporte ergeben sich durch Stromflüsse
über elektrische Leiter in Folge elektrischer Spannungen. Zwischen zwei Punkten mit
einem unterschiedlichen elektrischen Potenzial besteht eine elektrische Spannung. Eine
derartige Spannung zwischen zwei Punkten resultiert in einer elektrischen Feldstärke. Bei
Vorhandensein einer leitfähigen Verbindung zwischen diesen beiden Punkten verursacht
die elektrische Feldstärke wiederum eine Kraft auf die Ladungsträger des Leiters; dadurch
können sich diese gerichtet bewegen. Diese Bewegung der Ladungsträger bezeichnet man
als elektrischen Strom. In metallischen Leitern sind die Ladungsträger Elektronen, die
aufgrund ihrer Energie nicht mehr an den Atomkern gebunden sind. Im Energiebänder-
Modell für Festkörper ordnet man sie dem Leitungsband zu; sie können sich frei im Leiter
bewegen (Kapitel 5.1) [15.1].
15 Stromnetze 1155
15.1.1 Gleichstromsysteme
Der elementare Zusammenhang, der bei der Energieübertragung wirkt, kann am besten
anhand eines einfachen Gleichstromsystems, bestehend aus einer idealen Spannungsquel-
le, einer verlustbehafteten Leitung und einem Verbraucher nach Abb. 15.2 veranschaulicht
werden.
Die Spannungsquelle U 1 erzeugt einen Stromfluss I 12 durch die gesamte in Abb. 15.2
dargestellte Schaltung, in der die Leitung zwischen den Klemmenpaaren 1 und 2 durch
einen ohmschen Widerstand Rü dargestellt ist. Der Verbraucher ist ebenfalls durch einen
Widerstand Rv repräsentiert. Die Klemmenpaare können auch jeweils als Knoten verstan-
den werden, so dass diese Schaltung ein zweiknotiges System mit einem Erzeuger an
Knoten 1, einem Verbraucher an Knoten 2 und einer Leitung zwischen den Knoten 1
und 2 darstellt.
Bei Planung und Betrieb von Netzen und Betriebsmitteln elektrischer Energiesysteme
ist die elektrische Leistung eine auslegungsrelevante Größe. Der Zusammenhang zwi-
schen Energie W und Leistung P kann nach Gleichung (15.1) geschrieben werden.
W
P D (15.1)
t
t ist das Zeitintervall, in welchem eine Änderung der Energie W betrachtet wird. In
Gleichstromsystemen ist die elektrische Leistung P durch die elektrischen Größen Strom-
stärke I und Spannung U nach Gleichung (15.2) definiert.
PDUI (15.2)
Die im System von der Spannungsquelle ausgehende Leistung P12 wird somit über die
Leitung zwischen den Knoten 1 und 2 in Richtung des Verbrauchers übertragen. Die dort
ankommende und von ihm verbrauchte Leistung wird mit Pv bezeichnet und ist kleiner als
die Leistung P12 , da ein Teil dieser Leistung P12 durch die verlustbehaftete Leitung (d. h.
ihren Widerstand Rü ) in Wärme umgesetzt wird.
Die entsprechenden Leistungen lassen wie folgt berechnen. Die von der Quelle in dem
einfachen System erzeugte Leistung P12 ergibt sich nach Gleichung (15.3).
Der darin vorkommende Strom I 12 kann über das Ohm’sche Gesetz einerseits bei
Kenntnis des Verbraucherwiderstandes Rv gemäß Gleichung (15.4) berechnet werden.
U1
I12 D (15.4)
Rü C Rv
U12
I12 D (15.5)
Rü
Die beiden Gleichungen (15.4) und (15.5) führen nach Gleichung (15.6) zu dem glei-
chen Ergebnis.
U12 U1 U2 U1 U1 RüRCR
v
U1
I12 D D D v
D (15.6)
Rü Rü Rü Rü C Rv
Der in der Gleichung (15.6) verwendete Ausdruck für U 2 folgt dabei direkt aus der
Spannungsteilerregel. Damit ergibt sich die Leistung P12 über beide Rechenwege nach
Gleichung (15.7).
U12
P12 D (15.7)
Rü C Rv
Aus Gleichung (15.8) ist ersichtlich, dass wegen U 2 < U 1 der bereits oben erwähn-
te Zusammenhang gilt, dass die verbrauchte Leistung kleiner ist als die von der Quelle
abgegebene Leistung.
Die Differenz von P12 und Pv ist die im Widerstand Rü umgesetzte Leistung, die beim
Transport als sogenannte Verlustleistung PVerlust nach Gleichung (15.9) entsteht.
Der Transport elektrischer Energie durch ein elektrisches Netz wird also erst durch
das Anliegen einer Spannung ermöglicht, die von Energieerzeugungsanlagen, die bei-
spielsweise Generatoren enthalten, erzeugt wird. Weiterhin erfolgt der elektrische Ener-
gietransport in realen Systemen stets verlustbehaftet. Die Netzverluste müssen daher im
Gesamtsystem berücksichtigt bzw. auf Seiten der Erzeugung mit eingeplant werden.
15 Stromnetze 1157
15.1.2 Wechselstromsysteme
Analog ist der Momentanwert einer Spannung mit sinusförmiger Zeitabhängigkeit u(t)
definiert nach Gleichung (15.12). û ist der Scheitelwert der Spannung, ! die Kreisfre-
quenz, t die Zeit. Der Nullphasenwinkel 'Spannung ist wegen 'Strom D 0 und Gleichung
(15.10) identisch mit der Phasenverschiebung ' zwischen Spannung und Strom, so dass
im Argument der Sinusfunktion in Gleichung (15.12) statt 'Spannung die Phasenverschie-
bung ' geschrieben werden kann.
Nun wird angenommen, dass die Spannung u(t) an einem allgemeinen Zweipol gemäß
Abb. 15.3 bestehend aus beliebigen Schaltungen ohmscher, kapazitiver und induktiver
Komponenten anliegt und der Strom i(t) in diesen Zweipol hineinfließend positiv gezählt
wird.
1158 C. Becker
iO
I Dp (15.13)
2
uO
U Dp (15.14)
2
1 O p
SD uO i D U I D P 2 C Q2 (15.16)
2
Durch eine Umformung des Ausdruckes für die Momentanleistung (Gleichung (15.15))
mit Hilfe trigonometrischer Funktionen kann gezeigt werden, dass diese mit der doppel-
ten Netzkreisfrequenz 2! oszilliert. Dasselbe gilt für ihre beiden Leistungsbestandteile
(d. h. den Wirkanteil und den Blindanteil). Der zeitliche Mittelwert des Wirkanteils ergibt
die Wirkleistung. Demgegenüber ist der zeitliche Mittelwert des Blindanteils Null. Die
Blindleistung gibt damit die Höhe des oszillierenden Blindanteils an.
Im Falle induktiver oder ohmsch-induktiver Verbraucher und dem in der Elektrotechnik
gebräuchlichen sogenannten Verbraucherzählpfeilsystem, wie es auch beim Zweipol in
Abb. 15.3 angewendet wird, ist die Blindleistung aufgrund der positiven Phasenverschie-
bung positiv. Bei kapazitiven oder ohmsch-kapazitiven Verbrauchern ist die Blindleistung
demgegenüber negativ.
Wichtige mit der Blindleistung in Wechselstromkreisen zusammenhängende Effekte
und Ursachen können wie folgt zusammengefasst werden.
In diesem Zusammenhang werden die folgenden zwei Begriffe Nennwerte und Bemes-
sungswerte eingeführt und wie folgt definiert:
Nennwerte (englisch: nominal values) bezeichnen die vom Hersteller oder Betreiber
spezifizierten Werte physikalischer Größen einer Anlage im Normalbetrieb (gekenn-
zeichnet mit Index n).
Bemessungswerte (englisch: rated values) bezeichnen die im Dauerbetrieb maximal
zulässigen Werte physikalischer Größen einer Anlage, die zu keiner Beeinträchtigung
führen (gekennzeichnet mit Index r).
Üblicherweise findet bei der Berechnung von Strömen, Spannungen und Leistungen
in Wechselstromsystemen die komplexe Wechselstromrechnung Anwendung; darauf wird
hier im Sinne einer allgemein verständlichen Beschreibung aber bewusst verzichtet. Wenn
im Folgenden unterstrichene Symbole angegeben werden, bezeichnen diese komplexe
Größen. Für die vorliegenden Ausführungen genügt es, zu verstehen, dass dadurch si-
nusförmige Wechselgrößen gekennzeichnet werden und die Symbole deren jeweilige Ef-
fektivwerte und Nullphasenwinkel beschreiben.
1160 C. Becker
15.1.3 Drehstromsysteme
Werden in einem System mehrere Wechselspannungsquellen verwendet und wählt man ih-
re Beträge und Nullphasenwinkel sowie ihre Verschaltung nach ganz bestimmten Regeln
aus, erhält man ein sogenanntes Drehstromsystem. Gemäß der gängigen Drehstrom-Kon-
vention besteht ein derartiges Vierleiter-Drehstrom-System aus drei Außenleitern L1, L2
und L3 oder R, S und T, die auch als Phasen bezeichnet werden, und einem Neutral-
leiter N, die an Wechselspannungsquellen (z. B. Drehstromgenerator) angeschlossen sind
(Abb. 15.4).
Die Wechselspannungsquellen sind so beschaffen, dass die Spannungen U 1 , U 2 und
U 3 jeweils eine Phasenverschiebung von 120ı zueinander aufweisen und einen jeweils
exakt gleichen Betrag haben. Diese Spannungen werden Leiter-Erd-Spannungen genannt.
Zwischen den drei Phasen können drei weitere Spannungen, die sogenannten verkette-
ten Spannungen oder Außenleiterspannungen
p U 12 , U 23 und U 31 abgegriffen werden. Sie
sind betragsmäßig um den Faktor 3 größer als die Leiter-Erd-Spannungen und weisen
ebenfalls Phasenverschiebungen von 120ı zueinander auf. Somit liegen insgesamt sechs
verschiedene Spannungen vor, die in einem Vierleiter-Drehstromsystem verwendet wer-
den können.
Alle sechs Spannungen können auch in einem Zeigerdiagramm dargestellt werden
(Abb. 15.5). Aus diesem lassen sich die Spannungsbeträge sowie die jeweiligen Phasen-
tem
I2
L2 (S)
U2 U 23
I3 U31
L3 (T)
U3
IN
N
L2
15 Stromnetze 1161
Generator
ter-Drehstrom-Systems als U1
Einphasensystem
IN
N
Dabei ist U der Betrag der verketteten Spannung und I der Außenleiterstrom. Dies
wird daran deutlich, dass die Größen jeweils nicht mit einem Index versehen sind; dies
entspricht der in der elektrischen Energietechnik üblichen Konvention.
Unter der Voraussetzung ideal symmetrischer Verhältnisse ist es aus Gründen der Über-
sichtlichkeit üblich, für ein Vierleiter-Drehstrom-System in der einphasigen Darstellung
mit sogenannten einphasigen Ersatzschaltbildern zu arbeiten. Dadurch wird das Dreh-
stromsystem durch ein Wechselstromsystem modelliert und somit nur die Verhältnisse in
einer Phase unter Zuhilfenahme des Neutralleiters als Rückleiter betrachtet (Abb. 15.6).
Dies ist eine zulässige Vereinfachung, da aufgrund der Symmetrie in jeder Phase, ab-
gesehen von anderen Nullphasenwinkeln, dieselben Verhältnisse vorherrschen; dies gilt
insbesondere in Bezug auf die Leistung.
Demzufolge können für Drehstrom-Betriebsmittel bei ideal symmetrischen Verhältnis-
sen sogenannte einphasige Ersatzschaltbilder abgeleitet werden, die in den nun folgenden
Kapiteln auf Basis der physikalischen Effekte für die wichtigsten Drehstrom-Betriebsmit-
tel elektrischer Energienetze angegeben werden.
1162 C. Becker
15.2 Netzelemente
15.2.1 Drehstromkomponenten
l
RD (15.22)
A
In ein einphasiges Ersatzschaltbild für eine Drehstrom-Freileitung ist der Widerstand
im Längszweig einzusetzen, da die durch ihn repräsentierte Verlustleistung durch den Lei-
terstrom verursacht wird.
Zusätzlich produziert elektrischer Strom, der durch einen metallischen Leiter fließt,
ein magnetisches Feld, das sich kreisförmig um den Leiter herum ausbildet. Bei drei
oder vier Leitern liegen Leiterschleifen vor, die von den magnetischen Feldern der ein-
zelnen Leiter durchsetzt werden. Werden die Leiter mit Wechselstrom betrieben, ergeben
15 Stromnetze 1163
a b c
1 1 1
Abb. 15.7 Kapazitäten einer Drehstromleitung: Koppel- und Leiter-Erd-Kapazitäten (a), Koppel-
(C0g ) und Leiter-Erd-Kapazitäten (C0E ) nach Stern-Dreieck-Umwandlung der Koppelkapazitäten (b)
und zusammengefasste Teilkapazitäten (c)
0 D
LB D ln l (15.23)
2 r
Die Leiter einer Drehstromleitung stellen darüber hinaus Elektroden dar, zwischen
denen sich bei anliegender Spannungen elektrische Felder ausbilden. Somit ist es nahelie-
gend, Kapazitäten zu definieren, die sowohl jeweils zwischen den Außenleitern unterein-
ander (Koppel-Kapazitäten) als auch zwischen den Außenleitern und elektrisch neutralen
Körpern und Flächen (z. B. dem Erdboden) also sogenannte Leiter-Erd-Kapazitäten gese-
hen werden können (Abb. 15.7).
Bei symmetrischen Verhältnissen sind die Koppelkapazitäten der Außenleiter zueinan-
der gleich groß. Dies gilt auch für die Leiter-Erd-Kapazitäten. Die Teilkapazitäten kön-
nen nach einer äquivalenten Stern-Dreieck-Umwandlung gemäß Abb. 15.7 durch Paral-
lelschaltung zusammengefasst werden und ergeben schließlich die sogenannte Betriebs-
kapazität CB , die sich nach Gleichung (15.24) angenähert für Drehstromfreileitungen
1164 C. Becker
berechnen lässt. Die darin verwendeten Formelsymbole bezeichnen die bereits erwähn-
ten physikalischen Parameter einer Leitung. "0 ist die elektrische Feldkonstante. Für die
Modellierung in einem einphasigen Ersatzschaltbild ergibt sich somit eine Kapazität zwi-
schen dem Leiter und dem Rückleiter (d. h. im Querzweig).
2 "0 l
CB (15.24)
ln Dr
LB
LB0 D (15.25)
l
CB
CB0 D (15.26)
l
R
R0 D (15.27)
l
G
G0 D (15.28)
l
15 Stromnetze 1165
Ein einphasiges Ersatzschaltbild für elektrisch kurze Leitungen ergibt sich somit gemäß
Abb. 15.8.
Bei Anlegen einer sinusförmigen Wechselspannung an eine elektrische Leitung er-
gibt sich aufgrund der endlichen Ausbreitungsgeschwindigkeit und des Entstehens einer
elektromagnetischen Welle entlang der Leitung eine Abhängigkeit der Spannung von der
Position auf der Leitung. Nur wenn die Leitungslänge sehr klein ist im Vergleich zur sich
ergebenden Wellenlänge, sind die Voraussetzungen für elektrisch kurze Leitungen gege-
ben und eine Modellierung nach den oben gezeigten Zusammenhängen ist gerechtfertigt.
Bei Freileitungen ist dies in der Regel für Längen unter 100 km gegeben und bei Kabeln,
abhängig von den jeweiligen Kabelparametern, für Längen unter 50 km. Anderenfalls er-
gibt sich eine kompliziertere Modellierung aus der Lösung der Wellengleichungen (u. a.
[15.2]).
Diese Modellierung von Leitungen verdeutlicht, dass in den entsprechenden Leitungen
neben den ohmschen Verlusten auch Blindleistung umgesetzt wird. Für Leitungen wird
für den idealisierten verlustfreien Fall die sogenannte natürliche Leistung Pnat definiert
(Gleichung (15.29)). Darin bezeichnet U N die Nennspannung der Leitung und Z W ihren
sogenannten Wellenwiderstand.
UN2
Pnat D (15.29)
ZW
Die natürliche Leistung ist ein Vergleichsmaß zur Beurteilung der Übertragungsleis-
tung von Leitungen. Wird eine Leitung mit ihrer natürlichen Leistung betrieben (d. h.
wenn sie genau diese Leistung überträgt), benötigt sie keine von außen zugeführte Blind-
leistung. Die Kapazitäten der Leitung geben in diesem Fall exakt so viel Blindleistung ab
wie die Induktivitäten der Leitung benötigen.
1166 C. Becker
Überträgt eine Leitung weniger als die natürliche Leistung, wird sie unternatürlich be-
trieben und erscheint von außen als ein ohmsch-kapazitiver Verbraucher, falls ohmsche
Leitungsverluste modelliert sind; ihre gesamte Blindleistung ist also kapazitiv.
Wird eine Leitung hingegen übernatürlich betrieben, ist ihre gesamte Blindleistung in-
duktiv; d. h. sie wirkt ohmsch-induktiv, falls auch ohmsche Leitungsverluste modelliert
sind.
Die natürliche Leistung darf keinesfalls mit der maximalen Belastbarkeit einer Lei-
tung verwechselt werden, die sich aus dem thermischen Grenzstrom ergibt. Aufgrund
ihrer spezifischen Parameter Kapazitätsbelag C0B und Induktivitätsbelag L0B und der da-
mit unterschiedlichen Größenordnungen der natürlichen Leistungen werden Freileitungen
in der Regel übernatürlich und Kabel unternatürlich betrieben. Tabelle 15.1 zeigt einige
Beispiel-Zahlenwerte für natürliche Leistungen von Freileitungen.
Zur technischen Umsetzung von Drehstrom-Leitungen ist grundsätzlich zwischen Frei-
leitungen (Abb. 15.9 zeigt exemplarisch typische Mastbilder und in Abb. 15.10 sind ent-
sprechende Freileitungsseile dargestellt) und Kabeln zu unterscheiden. Freileitungen sind
in allen Spannungsebenen zu finden; in Deutschland gilt dies vornehmlich auf den Ebenen
der Höchst- und Hochspannung sowie auch der Mittelspannung und nur in eher ländlichen
Regionen ebenfalls in der Niederspannungsebene.
Bei der Modellierung von belasteten Freileitungen in elektrischen Netzen können häu-
fig die Querelemente im Ersatzschaltbild vernachlässigt werden, so dass sich das Ersatz-
schaltbild zu der in Abb. 15.11 gezeigten Darstellung vereinfacht.
Speziell für Höchstspannungsfreileitungen gilt, dass die induktiven Blindwiderstände
X Ü gegenüber den Wirkwiderständen RÜ der Übertragungsleitungen deutlich, beispiels-
weise um den Faktor 10, größer sind. Das sogenannte R/X-Verhältnis ist dann viel kleiner
als eins.
Leitungen in Form von Kabeln existieren in den unterschiedlichsten Ausführungen.
Die einzelnen Leiter sind im Gegensatz zu Freileitungen wesentlich dichter beieinander
angeordnet und sind einzeln isoliert und ggf. auch geschirmt. Die Isolierung besteht in
der Regel aus Kunststoff. Kabel existieren in Deutschland auf allen Spannungsebenen
von der Niederspannung bis zur Hochspannung und inzwischen auch auf der Höchst-
spannungsebene mit 380 kV. Im Querschnitt eines Kabels sind neben den Aluminium-
oder Kupferleitern noch weitere Schichten angeordnet, die beispielsweise zur Homogeni-
15 Stromnetze 1167
a b c d
e f g h
Abb. 15.9 Verschiedene Bauarten (a bis h) von Freileitungsmasten (im Speziellen: Einebenenmas-
ten (b, c), Deltamast (d), Donaumasten (e, g, h), Tonnenmast (f))
a b c d
sierung des elektrischen Feldes, zur Schirmung oder Verdrängung eintretenden Wassers
eingelassen werden. Abb. 15.12 zeigt ein Beispiel.
Ein häufiges Problem beim Einsatz von Kabeln ist die im Vergleich zur Leitungsin-
duktivität hohe Kapazität aufgrund des geringen mittleren Leiterabstandes. Dadurch kann
es bei schwach belasteten und auch einseitig leerlaufenden Kabelleitungen zu unzulässig
hohen Spannungen kommen, welche die Isolierung gefährden. Um diesen sogenannten
„Ferranti-Effekt“ abzuschwächen, müssen in regelmäßigen Abständen Kompensations-
drosselspulen installiert werden, welche die kapazitive Blindleistung der Leitungskapazi-
täten, die sogenannte Ladeleistung, teilweise kompensieren. Der Ferranti-Effekt tritt auch
bei Freileitungen auf; dort ist er aber deutlich schwächer ausgeprägt im Vergleich zu Ka-
beln.
Das R/X-Verhältnis von Kabeln der Mittel- und Niederspannung ist größer als bei Frei-
leitungen. Typische R/X-Werte bei Mittelspannungskabeln liegen beispielsweise zwischen
0,5 und 2,5.
Transformatoren Aus Gründen der Wirtschaftlichkeit und Zuverlässigkeit wird mit hö-
herer zu übertragender elektrischer Leistung eine höhere Spannung gewählt. Abb. 15.34
zeigt die verschiedenen Netzebenen mit den zugehörigen Nennspannungen. In den Netz-
ebenen 2, 4 und 6, den Umspannebenen, finden sich Transformatoren, die zur Wandlung
der Spannungen und damit zur Verbindung zwischen den jeweiligen Spannungsebenen
verwendet werden. Transformatoren für dreiphasige elektrische Energienetze sind eben-
falls dreiphasig ausgeführt und besitzen demzufolge mehrere Anschlüsse. Man unterschei-
det die Anschlüsse der Oberspannungsseite und die Anschlüsse der Unterspannungsseite.
Anstelle dieser beiden Begriffe werden auch die Bezeichnungen Primär- und Sekundärsei-
te verwendet, wobei die Größen der Primärseite mit dem Index 1 und die der Sekundärseite
mit dem Index 2 gekennzeichnet sind.
Transformatoren übertragen elektrische Leistungen und verändern die Größenordnun-
gen elektrischer Wechselspannungen und Wechselströme zwischen der Ober- und der
Unterspannungsseite, ohne dass dabei die Frequenz verändert wird. Bei symmetrischen
Streufluss
Verhältnissen kann auch hier auf die einphasige Darstellung übergegangen werden. Die
Wirkung eines einphasigen Transformators kann anhand von Abb. 15.13 illustriert wer-
den.
Das Grundprinzip der Wandlung von U 1 und I 1 in U 2 und I 2 beruht auf der magne-
tischen Kopplung zwischen Primär- und Sekundärseite. Beide Seiten besitzen jeweils
Wicklungen, die einen gemeinsamen Eisenkern umgeben, und sind galvanisch vonein-
ander getrennt (d. h. sie haben keine leitfähige Verbindung untereinander). Die Energie-
übertragung geschieht rein durch die magnetische Kopplung zwischen den beiden Seiten.
Die Wirkungsweise beruht auf den Prinzipien der Selbst- und der Gegeninduktion. Ent-
scheidend für die magnetische Kopplung ist, dass sich in dem gemeinsamen Eisenkern ein
magnetischer Hauptfluss ausbildet, der beide Spulen, also die der Primär- und die der Se-
kundärseite, durchsetzt. In einem idealen Transformator ergibt sich damit der Zusammen-
hang nach Gleichung (15.31) und (15.32) zwischen den Effektivwerten der Spannungen
und der Ströme der Primär- und der Sekundärseite. ü ist das Übersetzungsverhältnis des
entsprechenden Transformators.
U1 D U2 ü (15.31)
1
I1 D I2 (15.32)
ü
Das Übersetzungsverhältnis ü ist definiert als das Verhältnis der Windungszahlen N 1
und N 2 der Primär- bzw. Sekundärwicklung (Gleichung (15.33)).
ü D N1 =N2 (15.33)
Die Übertragung elektrischer Leistung geschieht beim idealen Transformator also ver-
lustfrei, da die Produkte aus Strom und Spannung primär- und sekundärseitig jeweils
gleich sind.
Entsprechend Abb. 15.13 existieren neben dem magnetischen Hauptfluss jedoch auf
beiden Seiten zusätzlich magnetische Streuflüsse, die jeweils nur die eigene (d. h. die ver-
ursachende) Wicklung durchsetzen. Sie schließen sich durch die Luft und sind somit nicht
1170 C. Becker
Streufreier Transformator
Φ
UR1 UX1 UR2 UX2
I1 I2
R1 X1 R2 X2
U1 Uq1 Uq2 U2
Realer Transformator
Abb. 15.14 Einphasiger Transformator mit primär- und sekundärseitig gekennzeichneten ohmschen
und induktiven Komponenten für Kupfer- und Streuverluste (nach [15.3])
mit der Wicklung der anderen Seite verkettet. Weiterhin haben sowohl Primär- als auch
Sekundärwicklungen ohmsche Widerstände, da sie aus metallischen Leitern (in der Regel
aus Kupfer) bestehen. Beide Effekte können anschaulich berücksichtigt werden, indem
Abb. 15.13 zu Abb. 15.14 verändert wird, indem primär- und sekundärseitig die ohmschen
Widerstände R1 und R2 und die Induktivitäten mit den Reaktanzen X 1 und X 2 hinzugefügt
werden. Die damit verbundenen Verluste bezeichnet man als Kupfer- bzw. Streuverluste.
Der Transformator in der Mitte repräsentiert somit nur noch den magnetischen Hauptfluss
und die Wandlung der Spannungen U q1 und U q2 sowie der Ströme I 1 und I 2 . Er wird dann
als streufreier Transformator bezeichnet.
Für die Darstellung des Transformators in elektrischen Netzen ist es einfacher, anstelle
des hier vorgestellten galvanisch entkoppelten Modells ein galvanisch gekoppeltes, ein-
phasiges Ersatzschaltbild abzuleiten, welches bezüglich seines Klemmenverhaltens den-
noch den realen Gegebenheiten eines Transformators entspricht. Dies gilt, obwohl im
realen Transformator Primär- und Sekundärseite galvanisch entkoppelt sind. Dazu wer-
den die elektrischen Größen und Bauteile der Sekundärseite auf die Größenordnung der
Primärseite umgerechnet bzw. „bezogen“. Dies wird jeweils durch den hochgestellten In-
dex 1 im Ersatzschaltbild gekennzeichnet. Die Umrechnung geschieht nach Gleichung
(15.34) bis (15.37) (Abb. 15.15).
U21 D U2 ü (15.34)
1
I21 D I2 (15.35)
ü
R2 D R2 ü2
1
(15.36)
X21 D X2 ü 2
(15.37)
die Primärseite durch Hinzufügen eines idealen Transformators mit dem Übersetzungs-
verhältnis ü wieder rückgängig gemacht werden (Abb. 15.16).
In den Längszweigen befinden sich die entsprechenden Elemente zur Berücksichtigung
von Kupfer- und Streuverlusten auf beiden Seiten. Zusätzlich enthält das Ersatzschaltbild
(Abb. 15.16) einen Querzweig. In diesem befinden sich eine sogenannte Hauptindukti-
vität und ein Eisenverlustwiderstand. Die Hauptinduktivität mit der Reaktanz X nimmt
den Magnetisierungsstrom I auf, der den Eisenkern auch bei leerlaufender Sekundärseite
(d. h. offenen, sekundärseitigen Klemmen) magnetisiert. Durch den parallel geschalteten
Eisenverlustwiderstand RFe werden Verluste durch Ummagnetisierung und Wirbelströme
berücksichtigt, die zwangsläufig in realen Transformatoren mit Eisenkernen entstehen und
diese erwärmen; sie werden als Eisenverluste bezeichnet. Im sekundärseitigen Leerlauf
wird dadurch der primärseitig aufgenommene Leerlaufstrom I 0 des Transformators be-
stimmt.
Bei realen Transformatoren sind die Größenverhältnisse der im Ersatzschaltbild vor-
kommenden Elemente sehr unterschiedlich. Die Elemente des Querzweiges sind wesent-
lich größer als die Elemente im Längszweig. Aus diesem Grund wird bei sekundärseitig
belasteten oder kurzgeschlossenen Transformatoren auf den Querzweig oft verzichtet,
so dass sich das vereinfachte Ersatzschaltbild des Transformators nach Abb. 15.17 er-
gibt. Darin werden die Wirk- und Blindwiderstände des primär- und sekundärseitigen
Längszweiges zusammengefasst zu jeweils einem gemeinsamen Widerstand R und einer
1 1
UR1 UX1 UR2 UX2 1
I1 I2
I0 1 1
R1 X1 R2 X2
Iμ IFe
1 1
U1 Xμ Uq1 Uq2 RFe U2 U2
Abb. 15.16 Einphasiges Ersatzschaltbild eines realen Transformators mit tatsächlichen sekundär-
seitigen Größen Strom und Spannung
1172 C. Becker
Ur1
üD (15.38)
Ur2
˚1 C ˚2 C ˚3 D 0 (15.39)
Φ2
Φ1
U2
Φ3
U1
U3
Bei der Sternschaltung (Y, y) liegt an jeder Wicklung die Leiter-Erd-Spannung an.
Bei der Dreieckschaltung (D, d) liegt an jeder Wicklung die verkettete Spannung an.
Bei den Bezeichnungen von Transformatoren sind dafür die Kurzzeichen Y sowie
D üblich; Großbuchstaben kennzeichnen die Verschaltung der Oberspannungsseite und
Kleinbuchstaben die der Unterspannungsseite. Weiterhin gibt es noch eine sogenannte
Zickzackschaltung (Z, z), bei der jede Wicklung eines Stranges auf zwei Schenkeln ge-
führt wird. Die jeweils zu einer Schaltgruppe gehörende Kennzahl (z. B. 5 bei Yd5) gibt
an, um welches Vielfache von 30ı die Spannungen auf der Unterspannungsseite gegen die
mit gleichem Buchstaben auf der Oberspannungsseite nacheilend phasenverschoben sind.
Bei hohen
p Spannungen wird die Sternschaltung bevorzugt, da dann die Isolation nur für
das 1= 3-fache der Außenleiterspannung ausgelegt werden
p muss. Bei hohen Strömen ist
die Dreieckschaltung günstiger, da wegen der um das 3-fache größeren Strangspannung
der Strangstrom entsprechend geringer ist. Netzkupplungstransformatoren sind daher üb-
licherweise in Yy-Schaltung aufgebaut. Für Maschinen- bzw. Blocktransformatoren in
Kraftwerken wird entsprechend die Yd-Schaltung bevorzugt. Für Verteilungstransforma-
toren mit Bemessungsleistungen über 250 kVA wird typischerweise die Yd-Schaltung
gewählt und darunter die Yz-Schaltung bevorzugt. Die Zickzackschaltung wird bevorzugt
eingesetzt, wenn unsymmetrische Belastungen zu erwarten sind, wie es in der Niederspan-
nungsebene in der Regel der Fall ist [15.3, 15.4].
Schalter Zur Unterbrechung des Stromflusses und zur Herstellung von Spannungsfrei-
heit an Teilen elektrischer Energieanlagen und elektrischen Energienetzen werden Schal-
1174 C. Becker
ter eingesetzt. In Drehstromnetzen bezeichnet man als „Schalter“ eine Schalteinheit für
alle drei Phasen. In der elektrischen Energietechnik existieren unterschiedliche Schalter-
Typen für verschiedenartige Aufgaben, die nachfolgend dargestellt werden.
Für die Modellierung muss zwischen idealen und realen Schaltern unterschieden wer-
den.
Ideale Schalter öffnen und schließen ohne zeitliche Verzögerungen und sind im ge-
schlossenen Zustand ideal leitfähig (d. h. sie haben keinen elektrischen Widerstand).
Im geöffneten Zustand isoliert ein idealer Schalter unendlich gut zwischen den Schalt-
kontakten. Die Unterbrechung eines Wechselstromes gelingt ihm zu jedem Zeitpunkt.
Reale Schalter hingegen schalten nur mit zeitlicher Verzögerung, besitzen einen end-
lichen Widerstand im geschlossenen Zustand und zeigen nur ein begrenztes Isolier-
vermögen. Auszuschaltende Wechselströme kommen erst beim auf den Schaltvorgang
folgenden Nulldurchgang des Stromes zum Erliegen. Zuvor entsteht ggf. ein Lichtbo-
gen zwischen den sich voneinander lösenden Schaltkontakten. Auch unterliegen sie im
Betrieb einem gewissen Verschleiß.
Für den Einsatz in elektrischen Energienetzen sind folgende Schalter-Typen von Be-
deutung.
Abb. 15.19 Schaltzeichen eines Leistungsschalters (oben, links), eines Trennschalters (oben,
rechts), eines Lastschalters (unten, links) und eines Lasttrennschalters (unten, rechts) (nach DIN
EN 60617-7)
15 Stromnetze 1175
rer Strom fließt oder keine wesentliche Änderung der Spannung zwischen den Schalt-
kontakten eintritt. Unter normalen und abnormalen Betriebsbedingungen müssen sie
die im Stromkreis auftretenden Betriebs- und Fehlerströme sicher führen können; sie
können weder normale Betriebsströme noch abnormale Fehlerströme ausschalten. Ih-
re wesentliche Aufgabe besteht darin, nach dem Schalten des Leistungsschalters eine
sichtbare Trennstrecke zu erzeugen. Daher treten sie immer in Kombination mit Leis-
tungs- bzw. Lastschaltern auf. Das Schaltzeichen eines Trennschalters zeigt Abb. 15.19
(oben, rechts).
Lastschalter müssen unter normalen Bedingungen die im Netz auftretenden Betriebs-
ströme einschalten, führen und ausschalten können. Für eine bestimmte Zeit müssen sie
Fehlerströme führen und eventuell auch einschalten können. Abnormale Fehlerströme
können sie nicht ausschalten; diese Funktion ist den Leistungsschaltern vorbehalten.
Das Schaltzeichen eines Lastschalters ist in Abb. 15.19 (unten, links) dargestellt. Last-
schalter sind immer mit Trennschaltern zu kombinieren und können auch mit diesen
zusammen in einem Betriebsmittel als sogenannte Lasttrennschalter ausgeführt sein.
Das entsprechende Schaltzeichen für diese Art der Ausführung zeigt Abb. 15.19 (un-
ten, rechts).
Leistungsschalter
Stromwandler
Spannungswandler
Trennschalter
Erdungsschalter
Betriebsmittel, z. B. Leitung
den nach dem Öffnen des Trennschalters geschlossen. Aus Redundanzgründen können
Abzweige in den meisten Fällen an zwei getrennte Sammelschienen, ein sogenanntes
Doppelsammelschienensystem, angeschlossen werden. Der Abzweig teilt sich dann von
der Leitung aus gesehen hinter dem Leistungsschalter und kann über je einen Sammel-
schienentrennschalter mit den beiden Sammelschienen verbunden werden. Der Vorteil
eines Doppelsammelschienensystems besteht darin, dass ein Fehler in einer der beiden
Sammelschienen sowie eine wartungsbedingte Freischaltung einer Sammelschiene von
allen Abzweigen zu keiner Unterbrechung des Energieflusses über die angeschlossenen
Zweige führt. Dies wird dadurch ermöglicht, dass die noch in Betrieb befindliche Sam-
melschiene die Aufgabe der außer Betrieb befindlichen Sammelschiene übernehmen kann.
Ein Abzweig in einer Schaltanlage mit den zugehörigen Geräten wird auch als Schaltfeld
bezeichnet.
Abb. 15.21 zeigt ein Beispiel einer Umspannanlage zwischen der Höchst- und der
Hochspannungsebene. Die Umspannanlage besteht aus zwei Transformatoren und je ei-
ner Schaltanlage für die Höchst- und die Hochspannung, welche ihrerseits jeweils aus
einem Doppelsammelschienensystem, den Schaltfeldern und den Transformatorfeldern
bestehen.
In Freiluftschaltanlagen werden die spannungsführenden Teile durch die umgebende
Luft gegeneinander isoliert; daher nehmen sie vergleichsweise viel Fläche in Anspruch.
Ist das Platzangebot für Schaltanlagen und Freileitungen begrenzt (z. B. innerhalb von
Städten), greift man auf gasisolierte Schaltanlagen (GIS-Anlagen) zurück. In ihnen sind
die spannungsführenden Teile wie Sammelschienen und Abzweige mit ihren jeweils zu-
gehörigen Geräten platzsparend in gekapselter Bauweise realisiert und innerhalb der Kap-
selung mit SF6 -Gas (SF6 Schwefelhexafluorid) als Isoliermedium umgeben. Im Vergleich
zu einer 380 kV-Freiluftschaltanlage benötigt eine 380 kV-GIS-Anlage deutlich weniger
Fläche; in einem Beispielprojekt wird nur etwa ein Fünftel der Fläche veranschlagt [15.6].
15 Stromnetze 1177
Umspannanlage
Schaltanlage Schaltanlage
Höchstspannung Hochspannung
Schaltfeld Sammelschiene
gender Zeiträume zurück. Damit sind heute Prognosegenauigkeiten mit einem niedrigen
einstelligen Prozentwert möglich [15.4].
Die Wirk- und Blindleistungsumsätze von Lasten sind durch das Verhalten der Verbrau-
cher bestimmt und unterliegen dadurch einer gewissen zeitlichen Abhängigkeit. Zusätz-
lich sind sie aber auch von Spannung und Netzfrequenz an ihrem jeweiligen Anschluss-
punkt abhängig. Um die Auswirkungen dieser Einflussgrößen auf die Leistungen einer
Last oder einer Lastgruppe abzubilden, hat sich das spannungs- und frequenzabhängige
Lastmodell nach Gleichung (15.40) durchgesetzt, welches die umgesetzte Wirkleistung
PL und Blindleistung QL jeweils in Abhängigkeit der aktuellen Netzspannung U L und der
Netzfrequenz f L ausdrückt.
UL ˛ fL ˇ
PL D PL0
UL0 f0
ı
UL fL
QL D QL0 (15.40)
UL0 f0
Die mit dem Index 0 gekennzeichneten Größen PL0 , QL0 , U L0 und f L0 bezeichnen je-
weils die Größen in einem bekannten Ausgangszustand. Die Exponenten ˛, ˇ, und ı
werden entsprechend der gegebenen Spannungs- bzw. Frequenzabhängigkeit der Wirk-
und Blindleistung gewählt. Bei Spannungs- bzw. Frequenzunabhängigkeit werden diese
Variablen zu 0 gesetzt. Verhält sich die Last wie eine konstante Impedanz, muss ˛ D 2
und D 2 gesetzt werden. Nimmt die Last konstante Blind- und Wirkströme auf, sind
˛ D 1 und D 1 zu setzen. Für Lastgruppen ist die genaue Festlegung der Parameter oft
schwierig; hier finden dann Erfahrungswerte oder durch Messungen gewonnene Ergeb-
nisse Anwendung. Die Exponenten liegen dabei typischerweise in folgenden Intervallen
[15.4]: ˛, 2 Œ0I 2, ˇ 2 Œ0I 1; ı 2 Œ1I 1.
Ein weiterer wichtiger Faktor, der bei der Nachbildung von Lasten eingesetzt wird, ist
der Gleichzeitigkeitsgrad g. Dieser berücksichtigt, dass ein Lastgebiet (z. B. ein Wohnge-
biet) zu einem Zeitpunkt immer nur einen Bruchteil der insgesamt an das Netz angeschlos-
senen elektrischen Leistungen bezieht. Je mehr Wohneinheiten n einbezogen werden,
desto kleiner ist die zu erwartende gleichzeitig abgenommene Last, die Höchstlast PH ,
im Verhältnis zur Summe Pges der Bemessungsleistungen Pri der einzelnen Verbraucher.
Die Summe der Bemessungsleistungen errechnet sich nach Gleichung (15.41).
X
m
Pges D Pri (15.41)
i D1
Die Höchstlast PH ist definiert nach Gleichung (15.42). n ist die Anzahl der Wohnein-
heiten und g der Gleichzeitigkeitsgrad.
PH D n g Pges (15.42)
15 Stromnetze 1179
0;93
g D 0;07 C (15.43)
n
Kompensationsanlagen In elektrischen Energiesystemen gibt es Erzeuger-, Verbrau-
cher- und Netz-seitige Situationen, in denen es unerwünschte, mit der Blindleistung
zusammenhängende, Effekte gibt, die durch den Einsatz weiterer Betriebsmittel abge-
schwächt oder sogar gänzlich vermieden werden sollen. Dazu zählen Leistungskonden-
satoren und Drosselspulen, die zur sogenannten Blindleistungskompensation verwendet
werden. Die unterschiedlichen Einsatzgebiete dieser Betriebsmittel werden im Folgenden
erläutert.
ΔU l
los regelbar sind und somit auch eine Relevanz hinsichtlich ihres dynamischen Verhaltens
für den zu kompensierenden Verbraucher oder die Netzelemente haben.
zur Blindleistungskompensation oder auch als Schutzschalter eingesetzt werden und wird
vor allem für Anwendungen mit besonders hohen Leistungen über 3 000 MVA und hohen
Spannungen über 500 kV verwendet.
Thyristoren arbeiten wie alle Halbleiter-Bauelemente nicht verlustfrei. Die auftretende
Verlustleistung setzt sich aus Durchlassverlusten und Schaltverlusten zusammen.
Durchlassverluste sind die Verluste, die während des leitenden Zustandes durch Strom-
wärmeverluste entstehen.
Unter Schaltverlusten versteht man die Verluste, die während des Ein- und Ausschal-
tens aufgrund nicht ideal steiler Schaltflanken der Spannung und des Stromes entste-
hen.
Als Bauelemente, die auch gezielt abschaltbar sind, wurden zwischenzeitlich Gate-
Turn-Off(GTO)-Thyristoren entwickelt. Ein solches Bauelement kann zusätzlich zur
schon beschriebenen Funktionsweise eines konventionellen Thyristors mit einem negati-
ven Stromimpuls am Gate abgeschaltet werden.
In vielen Anwendungsbereichen in Elektroenergiesystemen werden vorwiegend In-
sulated Gate Bipolar Transistoren (IGBT) eingesetzt. Ein IGBT ist vereinfacht ein Bi-
plolar-Transistor, der über einen im selben Bauelement integrierten Feldeffekt-Transistor
angesteuert wird. Sein Schaltsymbol ist in Abb. 15.25, rechts, dargestellt. Ein IGBT wird
damit – im Gegensatz zu einem Thyristor – mit einer Spannung statt mit einem Stromim-
puls gesteuert. Dadurch ergibt sich eine sehr geringe Ansteuerleistung. Er kann mit einer
positiven Spannung ein- und mit einer Spannung von 0 V ausgeschaltet werden. Zudem
zeichnet er sich durch geringe Durchlassverluste aus. Idealisiert kann er damit für strom-
richtertechnische Anwendungen als gutes Schaltelement verwendet werden. Anlagen mit
IGBT existieren heute im Bereich von über 1 000 MVA und bis zu 300 kV [15.7].
In den folgenden Kapiteln werden zwei wichtige grundsätzliche Stromrichterschal-
tungstypen mit ihren Eigenschaften vorgestellt, in denen die hier behandelten leistungs-
elektronischen Bauelemente Anwendung finden.
Wechselrichter (Wechselstrom-)Umrichter
15 Stromnetze 1183
I=
T1 T3 LZK → ∞
IN L
UN UN U=
U=
T2 T4
Abb. 15.27 Netzgeführter Stromumrichter (Schaltung der Thyristor-Halbbrücken (links) und Sym-
bol (rechts)) (nach [15.7])
UN
α α
IN
0
ωt
Zeitbereich 1 Zeitbereich 2
Damit wird klar, warum diese Form des Stromrichters „netzgeführter Stromumrich-
ter“ (englisch: Line Commutated Converter – LCC) genannt wird. Maßgeblich für die
Funktionsweise ist der konstante Gleichstrom auf der Gleichstromseite und die der Netz-
wechselspannung U N folgende Kommutierung nach dem Zündwinkel.
Damit ergibt sich auf der Wechselspannungsseite ein Wechselstrom I N mit einem recht-
eckförmigen Verlauf. Auf der Gleichspannungsseite bildet sich ein Spannungsverlauf, der
abwechselnd abschnittsweise dem sinusförmigen Verlauf der netzseitigen Wechselspan-
nung U N und ihrem (1)-fachen Verlauf folgt. Der Mittelwert der Spannung ist demnach
ungleich Null, so dass diese Spannung U D zu Recht als Gleichspannung bezeichnet wer-
den kann. Der rechteckförmige Verlauf des netzseitigen Wechselstroms kann über eine
Fourier-Reihenentwicklung in seine Grundschwingung und Oberschwingungen zerlegt
15 Stromnetze 1185
α
P
werden. Ein Vergleich der Nullphasenwinkel der Grundschwingung von I N mit U N zeigt,
dass der Wechselstrom I N der Wechselspannung U N nacheilt. Dieses Nacheilen entspricht
exakt dem Zündwinkel ˛. Damit verhält sich der Stromrichter stets induktiv und nimmt
folglich Blindleistung aus dem Wechselspannungsnetz auf, außer bei ˛ = 0ı und ˛ =
180ı . Der gewählte Wert von ˛ bestimmt damit die Höhe der induktiven Blindleistung.
Diese Blindleistung bezeichnet man deshalb als Steuerblindleistung. Ob die Schaltung als
Gleich- oder als Wechselrichter arbeitet, wird nicht durch die Richtung des Gleichstrom-
flusses bestimmt, denn diese ist ja stets konstant, sondern folglich durch die Polarität des
Mittelwertes von U D . Diese ist ebenfalls durch ˛ bestimmt. Im Bereich 0ı ˛ < 90ı ist
sie positiv, so dass in diesem Bereich Gleichrichterbetrieb vorliegt. Im Bereich 90ı ˛ <
180ı ist sie negativ; dies entspricht einem Wechselrichterbetrieb.
Eine Variation des Zündwinkels beeinflusst erkennbar nicht den Betrag der Grund-
schwingung von I N , da dieser durch die Höhe des Gleichstroms vorgegeben ist, sondern
nur ihren Nullphasenwinkel und damit die Phasenverschiebung zwischen I N und U N . Da
der Betrag der Netz-Wechselspannung U N ebenfalls fest vorgegeben ist, bleibt für alle
gewählten Zündwinkel ˛ die Scheinleistung stets konstant. Es ändert sich mit dem ge-
wählten Zündwinkel ˛ nur die Phasenverschiebung zwischen Strom und Spannung und
folglich die Aufteilung in Wirk- und Blindleistung. Daher kann ein Betriebsdiagramm des
netzgeführten Stromumrichters entsprechend Abb. 15.29 angegeben werden.
Demnach ist der im Netzbetrieb interessierende Wirkleistungsfluss über den Strom-
umrichter über den Zündwinkel ˛ regelbar; dies geht aber immer auch mit einer von
der Wirkleistung abhängigen nicht beeinflussbaren Blindleistungsaufnahme aus dem Netz
einher. Diese Blindleistung kann beispielsweise durch kapazitiv wirkende Blindleistungs-
kompensationsanlagen in Verbindung mit dem netzgeführten Stromumrichter bereitge-
stellt werden.
Der netzgeführte Stromumrichter ruft aufgrund des in der Realität annähernd recht-
eckförmigen Stromverlaufes netzseitig einen hohen Stromoberschwindungsanteil hervor.
Dies macht zusätzlich die Installation aufwändiger Filter erforderlich, die diese Strom-
oberschwingungen aus Sicht des Wechselspannungsnetzes weitgehend unterdrücken müs-
sen.
Wird diese Schaltung schließlich durch weitere Thyristorbrücken mit entsprechend
phasenverschobener Ansteuerung für einen Anschluss an ein Dreiphasen-Wechselstrom-
system erweitert, kann auch die Wandlung zwischen Gleichstrom und einem symmetri-
schen Drehstromsystem realisiert werden.
1186 C. Becker
a b
LN TA+ TB+
IN
A
UAB IGBT
UN U= c
CZK → ∞
B
UN U= C
TA- TB-
Die gesamte umsetzbare Scheinleistung ist durch die Dimensionierung der verwen-
deten Bauelemente begrenzt, so dass sich im P-Q-Diagramm ein Kreis als Begrenzung
ergibt. Innerhalb dieses Kreises kann der Betriebspunkt frei eingestellt werden; dadurch
ist ein Vierquadrantenbetrieb möglich. Das Betriebsdiagramm gilt nur für eine feste Netz-
anschlussspannung.
Um durch gezielte Ansteuerung der IGBT’s die gewünschte Wechselspannung U AB
erzeugen zu können, wird zunächst ein in Bezug auf die gewünschte Spannung U AB
normiertes Wechselspannungssignal U sA sowie ein dazu inverses Signal U sB von der An-
steuereinheit des Umrichters generiert. Diese Spannungssignale haben die Frequenz der
Netzspannung U N und werden als Steuerspannungen bezeichnet (Abb. 15.32). Zusätzlich
wird ein Trägersignal als Dreieck-Wechselspannung mit einem Vielfachen der Netzfre-
quenz erzeugt. Dieses Trägersignal U ist ebenfalls in das Diagramm der Steuergrößen
eingezeichnet.
Die Steuerspannungen als Schaltfunktionen für die vier IGBT T AC , T A , T BC und T B
werden nun aus Größenvergleichen der Momentanwerte der Steuerspannungen U sA und
U sB mit dem Momentanwert des Trägersignals U folgendermaßen ermittelt:
UsA UΛ
tierenden Ausgangsspannung UΛ
U AB des Spannungsumrichters 0
(nach [15.7]) ωt
UsB
UsA
TB+
TB-
UAB
UAB 1h
ωt
1188 C. Becker
Die Bereiche, in denen die IGBT jeweils eingeschaltet sind, sind im oberen Diagramm
von Abb. 15.32 jeweils oberhalb und unterhalb der Verläufe durch Pfeile gekennzeichnet.
Werden diese Schaltfolgen der IGBT auf den Spanungsumrichter gemäß der Schaltung
nach Abb. 15.32 appliziert, wird im Ergebnis die Gleichspannung U D in kurzen oder
längeren Phasen innerhalb einer Periodendauer mal positiv und mal negativ direkt auf
den Ausgang AB des Umrichters geschaltet. Die daraus resultierende und dort anliegende
Wechselspannung weist demnach einen pulsförmigen Verlauf mit mehreren Rechteckpul-
sen auf, der für die gezeigten Steuergrößen in Abb. 15.32, unten, skizziert ist. Zerlegt man
dieses Pulsmuster in seine spektralen Bestandteile gemäß einer Fourier-Reihe, kann als
Grundschwingung bzw. erste Harmonische die ebenfalls eingezeichnete Spannung U AB1h
ermittelt werden. Diese Spannung ist die maßgeblich am Ausgang AB erzeugte Wechsel-
spannung U AB .
Der Nullphasenwinkel der resultierenden Spannung U AB1h ist gleich dem Nullphasen-
winkel des Steuersignals U sA . Vergrößert man die Amplitude der Steuerspannung U sA ,
werden die positiven und negativen Reckteck-Spannungspulse breiter. Wird die Amplitu-
de verkleinert, werden sie schmaler. Die Grundschwingung reagiert darauf mit größerer
bzw. kleinerer Amplitude. Auf diese Weise ist also neben dem Nullphasenwinkel auch die
Amplitude der erzeugten Wechselspannung U AB1h über die Steuerspannung im Rahmen
der durch die verwendeten Bauteile vorgegebenen Grenzen frei einstellbar.
Damit kann diese Form der Schaltung ohne führendes Netz kommutieren, und im
Gleichstromzwischenkreis ist die konstant vorherrschende Gleichspannung bestimmend
für die Arbeitsweise; daher stammt die Bezeichnung „selbstgeführter Spannungsumrich-
ter“ (englisch: Voltage Source Converter – VSC). Das beschriebene Verfahren zur Erzeu-
gung einer gewünschten Wechselspannung aus Spannungspulsen mit variierender Breite
wird Pulsweitenmodulation (PWM) genannt.
Beim zuvor beschriebenen netzgeführten Stromumrichter kann die Richtung der Ener-
gieübertragung bei konstantem Strom durch Umkehr der Polarität der Gleichspannung des
Zwischenkreises umgekehrt werden. Beim hier behandelten selbstgeführten Spannungs-
umrichter ist die Zwischenkreisspannung stets konstant. Daher wird hier die Richtung
der Energieübertragung durch Umkehr der Richtung des Gleichstroms im Zwischenkreis
umgekehrt.
Durch das Pulsmuster mit seinen steilen Schaltflanken können höhere Frequenzanteile
der Ausgangsspannung entstehen. Sie müssen durch entsprechende Filter auf ein mit dem
Netz verträgliches Maß reduziert werden. Durch Vergrößerung der Taktfrequenz (d. h. der
Frequenz des Trägersignals) wird die Grundschwingung der gewünschten Spannung bes-
ser nachgebildet. Dadurch ergibt sich eine Möglichkeit zur Verringerung des Oberschwin-
gungsgehalts. Üblich sind Pulsweitenmodulations(PWM)-Schaltfrequenzen von bis zu
2 kHz [15.8].
Insgesamt existieren mehrere weitere Schaltungsvarianten und Ausführungen pulswei-
tenmodulierter netzgeführter Spannungsumrichter. Damit können der gewünschte sinus-
förmige Verlauf der Ausgangsspannung auch aus drei verschiedenen Gleichspannungs-
Niveaus mit Pulsweitenmodulation noch genauer nachgebildet werden und dadurch die
15 Stromnetze 1189
15.2.3 Hochspannungsgleichstromübertragung
Wenn elektrische Energie über große Entfernungen transportiert oder eine Übertragungs-
leitung zwischen nicht zueinander synchronen Drehstromnetzen errichtet werden soll,
werden oftmals Hochspannungsgleichstromübertragungen (HGÜ) gewählt.
Diese HGÜ bieten im Vergleich zur Hochspannungsdrehstromübertragung verschiede-
ne Vorteile. Beispielsweise macht sich gerade bei langen Strecken deutlich bemerkbar,
dass bei einer HGÜ weniger Leitermaterial als bei einer Drehstromleitung erforderlich
ist. Außerdem existiert in Gleichstromkreisen keine Blindleistung, so dass die bei langen
Drehstromkabeln problematische Ladeleistung bei HGÜ-Kabeln nicht beherrscht werden
muss. Somit sind lange HGÜ-Kabelstrecken im Vergleich zu langen Drehstrom-Kabel-
strecken in dieser Hinsicht einfacher zu realisieren, da keine Kompensationseinrichtungen
mit Drosselspulen erforderlich sind, die bei langen Drehstrom-Kabelleitungen in regel-
mäßigen Abständen installiert werden müssen (Kapitel 15.2.1). Dieser Vorteil kommt
insbesondere auch bei längeren Seekabelverbindungen zum Tragen. Während Offshore-
Windparks in der Nähe der Küste noch mit Drehstrom-Kabeln an das Netz angebunden
werden können, wird bei Entfernungen ab 60 bis 80 km zwischen der Offshore-Anschluss-
plattform und der landseitigen Netzverknüpfung die HGÜ-Technik bevorzugt in Betracht
gezogen. Weiterhin besteht bei HGÜ-Leitungen im Gegensatz zu Drehstromleitungen bei
hoher Auslastung nicht die Gefahr des Eintretens von Stabilitätsproblemen. Auch können
keine induktiven Längsspannungsabfälle entstehen. Als zusätzlicher Vorteil ist die Regel-
barkeit der HGÜ für die übertragene Leistung zu erwähnen.
Diesen Vorteilen stehen jedoch auch einige Nachteile der HGÜ-Technologie gegen-
über. Zunächst sind hier die hohen Aufwände und Kosten für Umrichter und Filter für
HGÜ zu erwähnen. Die Anlagen benötigen zudem deutlich mehr Platz im Vergleich zu
Schaltfeldern einer Schaltanlage in reiner Drehstromtechnik; für jede Umrichterstation ei-
nes exemplarischen netzgeführten HGÜ-Systems müssen ca. 25 m2 /MW Bemessungsleis-
1190 C. Becker
a
Netz 1 Netz 2
f1 ≈ 50 Hz f2 ≈ 50 Hz
b Q P Q
AC AC
DC-Kreis mit vorgegebener Stromrichtung
c Q P Q
AC AC
DC-Kreis mit vorgegebener Spannungspolarität
die beiden grundsätzlichen HGÜ-Technologien LCC und VSC (Abb. 15.33, Mitte und
unten).
Da Thyristoren (Kapitel 15.2.2) für höhere Leistungen verfügbar sind als IGBT, sind
existierende HGÜ-Anlagen großer Leistungen (d. h. einiger GW gleichstromseitiger Über-
tragungsleistung) in netzgeführter Technik realisiert. Mit beiden Technologievarianten
lässt sich der Wirkleistungsfluss nach Betrag und Richtung regeln. Die HGÜ-LCC-Tech-
nologie benötigt dazu noch Blindleistung, wohingegen bei der HGÜ-VSC-Technologie
die Blindleistung an beiden Enden, die auch „Kopfstationen“ genannt werden, geregelt
werden kann. Dies ist in Abb. 15.33, Mitte und unten, durch entsprechende Pfeile je-
weils angedeutet. Damit ist neben der Wirkleistungsflussregelung auch eine Regelung der
Spannung an den Netzanschlusspunkten sowie eine Erhöhung der Übertragungskapazität
in den umgebenden Drehstrom-Netzen möglich. Die HGÜ-VSC-Technologie ermöglicht
in netztechnischer Hinsicht folglich einen vielfältigeren und flexibleren Einsatz.
HGÜ-Leitungen können sowohl in Form von Gleichstrom-Freileitungen als auch mit
Gleichstrom-Kabeln realisiert werden. Es existieren für beide hier vorgestellten Techno-
logievarianten monopolare Ausführungen mit nur einer Leitung und Rückleitung über das
Erdreich oder Meerwasser oder auch zwei metallischen Leitern [15.8]. Monopolare Lei-
tungen sind aus ökologischen Erwägungen heute vor allem in Industrieländern nicht mehr
genehmigungsfähig.
Eine besondere Variante der Hochspannungsgleichstromübertragung (HGÜ) ist die
Kopplung zweier asynchroner Netze mit der Möglichkeit einer Leistungsflussregelung
ohne die Notwendigkeit, elektrische Energie in einem Gleichstromkreis über eine größere
Entfernung zu transportieren. Dazu werden zwei HGÜ-Kopfstationen dicht beieinan-
der, beispielsweise in derselben Anlage oder im selben Gebäude, platziert mit nur einer
sehr kurzen Gleichstrom-Verbindung. Diese Variante wird daher als Gleichstrom-Kurz-
kupplung oder Back-to-Back(BtB)-HGÜ bezeichnet. Einsatzgebiet einer BtB-HGÜ ist
beispielsweise die Leistungsflussregelung in direkt angeschlossenen oder benachbarten
Drehstromleitungen in vermaschten Netzstrukturen.
15.3 Netzstrukturen
S1
S2
S3
gelt. Diese Netzentgelte richten sich nach den Kosten des Netzes in dieser Netzebene und
den Netzebenen darüber. Das jeweilige Netzentgelt wird anteilig zur Leistungsentnahme
durch einen Verbraucher bezüglich der gesamten über eine Netzebene übertragenen Leis-
tung bestimmt.
Größere mit fossilen Brennstoffen betriebene Kraftwerke oder auch große Wasser-
kraft- und Kernkraftwerke sowie größere Windparks (z. B. Offshore-Windparks) speisen
in die Höchstspannungsebene ein (Abb. 15.34). Etwas kleinere thermische Kraftwerke und
Windparks bis ca. 300 MW Nennleistung sind typischerweise mit der Hochspannungs-
ebene verbunden. Dezentrale Energieumwandlungsanlagen bis ca. 10 MW Nennleistung
werden üblicherweise an die Mittelspannungsebene angeschlossen. Kleine Stromerzeu-
gungsanlagen (z. B. Photovoltaik-Anlagen von Wohnhäusern) speisen in das Niederspan-
nungsnetz ein [15.4].
Derartige elektrische Energienetze können unterschiedliche Strukturen aufweisen.
Ganz allgemein unterscheidet man zwischen einem Strahlen-, einem Ring- und einem
Maschennetz, die exemplarisch in Abb. 15.35 gezeigt sind [15.9].
Strahlennetz-Strukturen finden sich in vielen Niederspannungsnetzen. Eine Transfor-
mator-Netzstation versorgt dabei mehrere Strahlen, die als Abgänge über die unterspan-
nungsseitige Sammelschiene an den Transformator angeschlossen sind. Dies ist eine wirt-
schaftliche Netzform, bei der zusätzlich die Fehlerortung vergleichsweise einfach ist.
Bei Leitungsausfällen kommt es jedoch zwangsweise zu Versorgungsausfällen der ange-
schlossenen Endverbraucher. Abhängig von den versorgten Verbrauchern und dezentralen
Erzeugern kann zudem die Spannungshaltung problematisch werden. Dies kann sich in
zweifacher Hinsicht äußern. Einerseits kann bei großen Belastungen an den Enden der
Strahlen die Spannung aufgrund der Spannungsabfälle entlang der Leitungslänge zu stark
1194 C. Becker
Im täglichen Betrieb der Netze ist es aus Sicht der Netzbetreiber essentiell, Spannungen,
Ströme und Leistungen, die sich bei wechselnden Erzeugungs- und Belastungssituatio-
nen sowie bei Betriebsmittelausfällen und Änderungen der Schaltzustände ausbilden, zu
kennen. Diese Problematik wird nachfolgend diskutiert.
In Kapitel 15.1.1 werden für ein einfaches Gleichstromsystem Leistungen definiert und
berechnet. In beliebigen wechsel- bzw. drehstrombetriebenen Energienetzen können ana-
log dazu Leistungen und Leistungsflüsse definiert werden. Ein Leistungsfluss über ein mit
Wechsel- oder Drehstrom betriebenes Betriebsmittel innerhalb eines Netzes, beispiels-
weise eine Drehstrom-Übertragungsleitung, kann verstanden werden als Wirk- und / oder
Blindleistung, die von einem Punkt des Betriebsmittels aus gesehen über das Betriebsmit-
tel transportiert wird. Abb. 15.36 verdeutlicht dies für eine Drehstrom-Übertragungslei-
tung zwischen den Knoten i und j, an denen die Spannungen U i und U j vorherrschen. Die
Stromflüsse I ij und I ji sind ebenfalls kenntlich gemacht sowie die Wirk- und Blindleis-
tungsflüsse Pij , Qij , Pji und Qji .
Unter der Voraussetzung, dass für jedes elektrische Betriebsmittel in einem Netz zwi-
schen zwei Knoten die Spannungen an den Knoten bekannt sind, können mit Hilfe des
elektrischen Ersatzschaltbildes des Betriebsmittels Wirk- und Blindleistungsflüsse sowie
Stromflüsse über das Betriebsmittel mittels grundlegender elektrotechnischer Gesetze
(u. a. Ohm’sches Gesetz, Kirchhoff’sche Knotenregel) berechnet werden.
Die genannte Voraussetzung der Kenntnis der Knotenspannungen in einem Netz ist ge-
nerell jedoch nicht zwangsläufig gegeben, so dass die Knotenspannungen nach Betrag und
Nullphasenwinkel in der Regel mit geeigneten Netzberechnungsverfahren, sogenannten
Lastflussberechnungen, ermittelt werden müssen. Hierfür existieren verschiedene Algo-
rithmen, die in kommerziell verfügbaren Softwareprodukten implementiert sind und für
Netzplanungsaufgaben und betriebliche Aufgaben, wie beispielsweise die Überprüfung
der oben beschriebenen (n1)-Ausfallsicherheit von Netzen, eingesetzt werden können.
Lastflussberechnungsalgorithmen lösen die algebraischen Netzgleichungen, welche li-
neare und nichtlineare Gleichungen enthalten, mittels numerischer Verfahren. Gängige
Standard-Verfahren sind die Lastflussberechnung nach Newton-Raphson, die schnelle ent-
A B
A B
L
L L
L
D
C C D
Schalterstellungen, Betriebsmittel
Knoten, Zweige
(Transformatoren, Leitungen etc.)
Abb. 15.37 Bestimmung der Netzwerktopologie aus Knoten und Zweigen für eine nachfolgende
Lastflussberechnung
koppelte Lastflussberechnung nach Stott sowie einfachere Verfahren wie das Stromitera-
tionsverfahren oder die Gleichstrom-Lastflussberechnung. Als Eingangsgrößen für diese
Verfahren ist zunächst die genaue Topologie des zu berechnenden Netzes festzulegen (d. h.
eine abstrakte Beschreibung des Netzes in Form von Knoten und Zweigen, welche Verbin-
dungen zwischen den Knoten darstellen). Für jede Verbindung muss der Betriebsmitteltyp
(z. B. Leitung, Transformator) bekannt sein mit dem entsprechenden Ersatzschaltbild und
den Parametern der Elemente des Ersatzschaltbildes. Wichtig ist, dass sich die aktuelle
Topologie neben den eingesetzten Betriebsmitteln auch aus den Stellungen der Schaltele-
mente des Netzes ergibt (Abb. 15.37).
Zusätzlich müssen Leistungswerte von Einspeisungen (PG , QG ) und Lasten (PL , QL )
bekannt sein. Dazu gilt es, die entsprechenden Größen für die Knoten zu bestimmen, an
denen Erzeugungsanlagen und Verbraucher angeschlossen sind. Abb. 15.38 zeigt typische
Darstellungen sogenannter Einspeiseknoten und Lastknoten in einer einpoligen Darstel-
lung für ein elektrisches Energienetz.
Einspeiseknoten können zusätzlich auch angeschlossene Lasten enthalten (Abb. 15.38,
links). Aufgrund der Regelbarkeit der Generatorklemmenspannung ist es für Einspeise-
knoten vorgesehen, auch die eingestellten Sollwerte der Knotenspannungen (in Abb. 15.38,
links, der Betrag der Spannung U i ) vorzugeben. Zusammen mit den Werten der Wirk-
leistungen sowie den Wirk- und Blindleistungen an den Lastknoten sind damit alle Ein-
gangsparameter für eine Lastflussberechnung vorgegeben, so dass sie auf dieser Basis
15 Stromnetze 1197
SG Generator 1 SG
Auslastung: 36%
PG = 57,5 MW
57.5 150.0
49.0 QG = 49 MVAr 25.0
0.330 IG = 0,33 kA 0.628
Bus 1 Bus 2
132.0 139.7
1.00 1.06
0.0 78.2 -20.7 24.2 125.8 7.6
30.7 18.3 -16.3 41.3
0.367 0.121 Line 1-2 (120 km) 0.121 0.547
12,1 %
Leistungfluss
Line 1-3 (10 km) Line 2-3 (60 km) P23 = 125,8 MW
36,7 % 54,7 % Q23 = 41,3 MVAr
I23 = 0,547 kA
Bus 3
130.7
0.99
200.0 -0.9
50.0
0.910
Last Knoten 3
PL = 200 MW Spannungsbetrag: 130,7 kV
QL = 50 MVAr Spannungsbetrag (bezogen): 0,99 p.u.
IL = 0,91 kA Load Spannungswinkel: -0,9°
Abb. 15.39 Exemplarisches Ergebnis einer Lastflussberechnung für ein dreiknotiges Netz (zur Er-
klärung der Formelzeichen siehe Text) [15.11]
ausgeführt werden kann. Als Ergebnis der Berechnung liegen dann die gesuchten Span-
nungen nach Betrag und Nullphasenwinkel an allen Knoten vor. Daraus werden sodann
direkt auch die ebenfalls gesuchten Leistungsflüsse über die Betriebsmittel abgeleitet und
als Ergebnis der Berechnungen ausgegeben. Das Ergebnis einer derartigen Lastflussrech-
nung ist damit immer nur genau für eine einzige Situation gültig. Diese Situation bestimmt
sich aus dem Einspeise- und Lastmuster, welches als Eingabedatensatz vorgegeben wird,
und einer Netzwerktopologie. Eine Lastflussberechnung ist damit ein quasi-stationäres
Netzberechnungsverfahren. Wenn zeitveränderliche Einspeisungen und Belastungen aus-
gewertet werden sollen, müssen diese zeitlich diskretisiert werden, so dass dann für alle
Zeitschritte einzelne Lastflussberechnungen sukzessive durchgeführt werden müssen.
Für ein einfaches dreiknotiges Netz ist im Folgenden die Netztopologie und das Er-
gebnis einer Lastflussberechnung für eine beispielhaft gewählte Betriebssituation gezeigt
(Abb. 15.39). An den Knoten 1 und 2 sind jeweils Einspeisungen angeschlossen, am Kno-
ten 3 eine Last.
1198 C. Becker
In der einpoligen Darstellung der Berechnungsergebnisse des Netzes sind die Wirk-
und Blindleistungswerte der Einspeisungen und Lasten sowie die zugehörigen Beträge
der Ströme angegeben. An jedem Knoten finden sich nun die berechneten Spannungen
nach Betrag und Nullphasenwinkel. Die Spannungsbeträge werden ebenfalls normiert
in per-unit(p.u.)-Größen ausgegeben. Für jede Leitung sind die Zahlenwerte für Wirk-
und Blindleistungsflüsse sowie Strombeträge an beiden Enden eingetragen. Auf Basis
der Strombeträge und maximal zulässigen Betriebsströme werden für Generatoren und
Leitungen die prozentualen Auslastungen ermittelt. Bei den Leistungsflüssen der Leitun-
gen ist zu erkennen, dass die Wirkleistungsflüsse an beiden Enden einer Leitung jeweils
voneinander abweichen. Der Grund dafür liegt in der verlustbehafteten Modellierung der
Leitungen (d. h. sie wurden mit endlichen ohmschen Widerständen modelliert). Aus den
Differenzen der Wirkleistungen der Leitungen können somit die einzelnen Leitungsver-
luste ermittelt werden. Addiert man sie auf, ergeben sich die gesamten ohmschen Verluste
des Netzes.
Das gezeigte einfache dreiknotige Netz wurde gewählt, um die Aufgabe der statio-
nären Netzberechnung generell vorzustellen und die damit zu erzielenden Ergebnisse zu
zeigen. Kommerzielle Programmpakete erlauben die Berechnung von Netzen mit einigen
hundert oder einigen tausend Knoten, so dass praxisrelevante Planungs- und Betriebs-
führungsaufgaben gelöst werden können. Oftmals sind dazu viele einzelne Berechnungen
auszuführen mit variierenden Leistungsvorgaben der Einspeisungen und Lasten. Gleiches
gilt aber auch für eine variierende Topologie eines Netzes. Denn für die Überprüfung, ob
in einem großen Netz die (n1)-Sicherheit gegeben ist, müssen sukzessive alle Betriebs-
mittel nacheinander als ausgefallen angenommen und die Lastflussberechnung jeweils
neu durchgeführt werden. Für jedes Lastfluss-Ergebnis muss damit überprüft werden,
ob Knotenspannungsbeträge innerhalb ihrer Grenzen (z. B. innerhalb von +/ 10 % des
Nennwertes) liegen und die Belastungen der Betriebsmittel kleiner sind als ihre jeweili-
gen thermischen Grenzströme, die einer Auslastung von 100 % entsprechen.
15.5 Leistungsbilanzen
Für die Bilanzen von Wirk- und Blindleistungen und ihre Auswirkungen in einem elektri-
schen Energienetz können einige grundlegende Zusammenhänge gefunden werden, deren
Kenntnis bei der Interpretation von ermittelten Netzberechnungsergebnissen hilfreich ist
und bei der Beseitigung unerwünschter Effekte helfen kann. Sie werden nachfolgend ohne
detaillierte Herleitungen erläutert [15.2, 15.3, 15.4, 15.9].
Nach Kapitel 15.2.1 gilt speziell in Hoch- und Höchstspannungsnetzen, dass die in-
duktiven Blindwiderstände X Ü gegenüber den Wirkwiderständen RÜ der Übertragungslei-
tungen deutlich größer sind. Das R/X-Verhältnis ist dann viel kleiner als eins. Unter dieser
Voraussetzung führen Wirkleistungstransporte über Hoch- / Höchstspannungsleitungen
hauptsächlich zu einer Vergrößerung der Differenz der Nullphasenwinkel der Span-
nungen an den Netzknoten. Blindleistungstransporte hingegen führen hauptsächlich
15 Stromnetze 1199
P U, δ P U, δ
Q |U| Q |U|
starke Kopplung schwache Kopplung
Abb. 15.40 Einflüsse von Wirk- und Blindleistungen auf Spannungsbeträge und Spannungswinkel
in Hoch- und Höchstspannungsnetzen (R=X -Verhältnis 1 (links)) und Niederspannungskabel-
netzen (R=X -Verhältnis 1 (rechts))
Spannung U
angestrebt
unerwünscht
Knotennummer F
Einges peis te
Überfrequenz
Drehstromnetzen mit syn-
chrongeneratorbasierter
Erzeugung f < 50 Hz
Unterfrequenz
Abgenommene
Wirkleistung
Das dynamische Verhalten der Netzfrequenz hängt von vielen verschiedenen Faktoren
ab und bietet Raum für detaillierte Systemmodellierungen und Analysen einschließlich
wirkender Regelungen. Wichtig in Ergänzung zu den Betrachtungen zu Leistungsbilanzen
ist die Kenntnis eines grundsätzlichen Zusammenhangs zwischen Wirkleistungsungleich-
gewichten und dem dynamischen Verhalten der Netzfrequenz. Hierbei spielt die Trägheit
des Gesamtsystems eine besondere Rolle. Die Trägheit jeder an ein elektrisches Energie-
system angeschlossenen Synchronmaschine ist über ihre sogenannte Anlaufzeitkonstante
T A definiert (Gleichung (15.44)). J ist das Trägheitsmoment des rotierenden Teils der
Erzeugungseinheit bestehend aus Rotor, Generatorwelle und Turbine. Die Variable !m;0
bezeichnet die mechanische synchrone Nenn-Winkelgeschwindigkeit und SrG die Bemes-
sungsleistung des Generators.
2
J !m;0
TA D (15.44)
SrG
Aus dieser Definition lässt sich die Netzanlaufzeitkonstante eines elektrischen Energie-
systems mit mehreren Synchrongeneratoren und weiteren rotierenden Massen ableiten.
Dazu wird von einem gemeinsamen und örtlich nicht variierenden dynamischen (d. h.
kohärenten) Verhalten der Generatoren ausgegangen. Die Netzanlaufzeitkonstante ergibt
sich dann als Summe der einzelnen Anlaufzeitkonstanten, sofern diese jeweils auf die-
selbe Leistung des Gesamtsystems bezogen sind. Sie bestimmt maßgeblich das dynami-
sche Verhalten der Netzfrequenz nach Änderungen der Wirkleistungsbilanz. Dies ist aus
physikalischen Betrachtungen an einem aus einer rotierenden Masse bestehenden schwin-
gungsfähigen System ableitbar.
Für ein solches gilt ebenfalls der in Abb. 15.42 für einen Generator gezeigte Zusam-
menhang zwischen der Summe der angreifenden Momente und der Winkelbeschleuni-
gung. Je größer das gesamte Trägheitsmoment des Systems (d. h. die Anlaufzeitkonstante)
ist, desto langsamer ändert sich die Frequenz nach einer Änderung der Wirkleistungsbi-
lanz.
Im Ergebnis folgt nach einer kleinen sprunghaften Vergrößerung der Wirklast bei
gleichbleibender Erzeugungsleistung ein Absinken der Netzfrequenz und eine Stabilisie-
rung auf einen konstanten Wert nach einiger Zeit durch die Wirkung frequenzabhängiger
1202 C. Becker
Lasten (Kapitel 15.2.1) und die Wirkung von Frequenzregeleinrichtungen. Bei großer
Netzanlaufzeitkonstante ist der eintretende Frequenzgradient kleiner, und die minimale
Frequenz, die nach einigen Sekunden erreicht wird, größer als bei kleiner Netzanlaufzeit-
konstante [15.12].
Daraus folgt, dass sich Wirkleistungsungleichgewichte in Systemen mit kleiner Netz-
anlaufzeitkonstante viel stärker auf die Änderungsgeschwindigkeit und die maximale Fre-
quenzabweichung auswirken als in Netzen mit großer Anlaufzeitkonstante. Synchron-
generator-gekoppelte Erzeugungsanlagen tragen in einem Netz zur Trägheit und damit
einem Erhalt einer gewissen Höhe der Netzanlaufzeitkonstante bei. Für Anlagen, die über
leitungselektronische Stromrichter an das Netz gekoppelt sind, trifft dies ohne Weite-
res nicht zu. Eine Änderung der Leistungsabgabe mit der Netzfrequenz müsste explizit
in der Regelung als Funktion vorgesehen werden und könnte unter Umständen den Er-
trag von Erzeugungsanlagen schmälern. Werden immer mehr Anlagen über Stromrichter
angeschlossen und sinkt gleichzeitig der Anteil der Erzeugung über direkt gekoppelte
Synchrongeneratoren, ist damit zu rechnen, dass die Netzanlaufzeitkonstante des ent-
sprechenden Verbundnetzes sinkt. Die daraus direkt resultierende höhere Sensitivität der
Netzfrequenz gegenüber Störungen des Wirkleistungsgleichgewichts wird folglich an Be-
deutung gewinnen. Im Sinne der Einhaltung der Anforderungen an die Netzfrequenz und
ihre natürlichen Schwankungen muss dieser Herausforderung durch geeignete systemi-
sche Maßnahmen begegnet werden.
Literatur
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Bd. 09/2016. Electrosuisse und Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen VSE,
Schweiz, S. 36–39 (2016)
Wärmenetze
16
Ingo Weidlich
Wärmenetze dienen der leitungsgebundenen Verteilung von thermischer Energie. Sie ver-
binden Wärmequellen mit Wärmeabnehmern. Diese Wärmeverteilung erfolgt vorrangig
mit dem Ziel der Deckung der Nachfrage nach Raumwärme und Brauchwarmwasser so-
wie für industrielle Anwendungen. Im Vergleich zu individuellen, dezentralen Lösungen
ergeben sich für Wärmenetze immer dann Vorteile, wenn hohe Wärmenachfragedich-
ten vorliegen und / oder lokal / regional „überschüssige“ Wärme vorhanden ist; darunter
ist beispielsweise Abwärme aus Kraft-Wärme-Kopplungs-Prozessen (KWK-Prozessen)
zu verstehen, die am Standort der Konversionsanlage nicht energiewirtschaftlich genutzt
werden kann und deshalb als „Abfall“ oder ggf. als „Nebenprodukt“ anzusehen ist. Ho-
he Wärmenachfragedichten, die eine Nutzung dieser Abwärme ökonomisch vielverspre-
chend erscheinen lassen, finden sich beispielsweise in stark besiedelten Siedlungsgebieten
und in Industriegebieten; deshalb sind in den großen europäischen Städten bzw. in den
entsprechenden Metropolregionen in der Regel derartige Wärmenetze vorhanden [16.1].
Hierbei handelt es sich typischerweise um Netzstrukturen, die aufgrund der erforderli-
chen Wärmemengen mit relativ hohen Temperaturen (T > 90 ı C) und über viele Kilometer
Entfernung betrieben werden. Diese Wärmenetze werden daher oft als Fernwärmenetze
bezeichnet. Überschüssige Wärme kann außer im städtischen Raum auch in ländlichen
Gebieten anfallen; hier sind es oft aber teilweise merklich geringere Wärmemengen, die
z. T. auch mit einer Betriebstemperatur von deutlich unter 90 ı C anfallen. Diese begrenzt
verfügbare Wärme wird dann meist lokal verteilt; daher werden Netze dieser Art häufig
als Nahwärmenetze bezeichnet. Eine eindeutige Abgrenzung zwischen Nah- und Fernwär-
menetzen existiert aber bisher nicht [16.2, 16.3, 16.4]. Im Rahmen dieser Ausführungen
wird daher nur der Begriff „Wärmenetze“ verwendet.
Vor diesem Hintergrund werden nachfolgend derartige Wärmenetze zunächst detailliert
charakterisiert, bevor die einzelnen Komponenten solcher Netze vertieft diskutiert werden.
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 1203
M. Kaltschmitt, W. Streicher, A. Wiese (Hrsg.), Erneuerbare Energien,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-61190-6_16
1204 I. Weidlich
16.1 Charakterisierung
Wärmequelle
Kunden
Strahlennetz
Ringnetz
Maschennetz
Für die Bereitstellung der Wärme zur Verteilung können sehr unterschiedliche Kon-
versionstechnologien zum Einsatz kommen. Hierzu gehören auf der Seite der Erzeuger,
die fossile Brennstoffe nutzen, mit Erdgas, mit Stein- oder Braunkohle oder mit Heiz-
öl betriebene Heizkessel. Auf der Seite der erneuerbaren Energien sind solarthermische,
geothermische und Biomasse- / Biogas-basierte Systeme zu nennen; bei der Geothermie
kann weiterhin unterschieden werden zwischen Systemen zur Nutzung der oberflächen-
nahen oder der tiefen Erdwärme (erstere benötigen typischerweise eine Wärmepumpe).
Teilweise wird auch der Siedlungsabfall vollständig oder teilweise zu den regenerativen
Energien gezählt (Abfall enthält erneuerbare Komponenten wie beispielsweise organische
Abfälle). Alternativ oder additiv kann auch Abwärme aus Industrieprozessen und aus der
Stromerzeugung in ein Wärmenetz eingespeist werden; dadurch können Effizienzpoten-
ziale ausgenutzt und die Umwandlungswirkungsgrade verbessert werden. Beispielsweise
ist die gekoppelte Erzeugung von Strom und Wärme eine solche Konversionstechnologie
mit einer effizienten Brennstoffausnutzung; sie wird als Kraft-Wärme-Kopplung (KWK)
bezeichnet (siehe oben). Spezifische Eigenschaften mit Blick auf die Wärmeerzeugung
ergeben sich daher aus dem Anteil erneuerbarer Brennstoffe in der verteilten Wärme im
Vergleich zur den eingesetzten fossilen Brennstoffen. Ein Maß hierfür ist der (fossile)
Primärenergiefaktor f p für das jeweilige Wärmenetz; er ist umso geringer, je weniger
fossile Brennstoffe für die (Fern- oder Nah-)Wärmeerzeugung eingesetzt werden. Für
seine Berechnung stehen unterschiedliche Methoden zur Verfügung, die von verschie-
denartigen Rahmenbedingungen ausgehen, zu unterschiedlichen Ergebnissen führen und
entsprechend kontrovers diskutiert werden [16.5, 16.6, 16.7, 16.18, 16.19]. Damit ist in
Deutschland der Primärenergiefaktor der erneuerbaren Energien konventionsbedingt null.
Das ist allerdings aus physikalischer Sicht nicht gerechtfertigt. In Österreich wird deshalb
zwischen einem erneuerbaren und einem fossilen Primärenergiefaktor unterschieden.
Soll ein Wärmenetz hinsichtlich der Betriebsweise charakterisiert werden, ist die ma-
ximal auftretende Betriebstemperatur eine einfache und häufig genutzte Kenngröße. Diese
maximale Betriebstemperatur ist bei der Netzplanung sorgfältig zu wählen. Einerseits be-
stimmt sie u. a. die maximal mögliche Wärmemenge, die in einem Netz verteilt werden
kann. Andererseits muss das Wärmenetz den aus den Temperaturbelastungen resultie-
renden Beanspruchungen sicher über die gesamte technische Lebensdauer des Systems
Stand halten. Die Betriebstemperatur steht daher auch in einem direkten Zusammen-
hang mit der konstruktiven Ausbildung des Wärmenetzes. Typischerweise gilt, dass mit
der Betriebstemperatur die Sicherheitsansprüche und die Anforderungen an die Rohr-
leitungen – sowie die Wärmeverluste – ansteigen. Deshalb führten wirtschaftliche und
sicherheitstechnische Überlegungen in den letzten Jahren zu einer kontinuierlichen tech-
nischen Weiterentwicklung hin zu Wärmenetzen mit niedrigeren Betriebstemperaturen; je
niedriger die Netztemperatur, desto mehr Wärmequellen lassen sich identifizieren, die po-
tenziell an das Netz angeschlossen werden können (d. h. an Niedertemperaturwärmenetze
kann typischerweise im Vergleich zu einem Hochtemperaturwärmenetz eine deutlich he-
terogenere und disloziertere Erzeugungsstruktur realisiert werden) und desto effizienter
können die Netze betrieben werden.
1206 I. Weidlich
Dampfspeicher
Dampferzeugung Dampfabnehmer
Leitungssystem
RL
VL
VL = Vorlauf
RL = Rücklauf
Abb. 16.2 Wärmenetze der ersten Generation (1880 bis 1930; Temperatur: 100 ı C < T < 200 ı C)
Wärmenetze der ersten Generation (1880 bis 1930; Abb. 16.2). Ursprünglich wurden
Wärmenetze als Dampfnetze errichtet, die für die Wärmeversorgung von Gebieten
mit besonders hoher Wärmenachfragedichte vorgesehen wurden. Dies waren in der
Regel innerstädtische Netze, an denen mehrstöckige Hochhäuser angeschlossen wur-
den. Der Wärmetransport mittels Dampf war notwendig, um auch noch in den geodä-
tisch hoch liegenden oberen Stockwerken ausreichend Wärme zur Verfügung stellen
zu können. Dampfnetze gibt es auch heute noch in einigen europäischen Großstädten
für die Raumwärmebereitstellung in Hochhäusern, für die Prozessdampfversorgung in
Industriegebieten und als Versorgungsleitung für Wärmenetze mit niedrigeren Tem-
peraturen. Die Dampfleitung muss sicher, robust und tragfähig sein; deshalb werden
hierfür Stahlmantelrohre (SMR) mit einem konzentrisch innenliegenden Stahlmedi-
umrohr verwendet. Derartige Dampfleitungen wurden traditionell als Freileitungen und
Kanalleitungen ausgeführt. Dampfnetze lassen sich nur dann mit Wärmequellen auf der
Basis erneuerbarer Energien verbinden, wenn hohe Temperaturen erreicht werden kön-
nen (z. B. Biomasse- / Biogaskessel, Hochtemperatur-Solarthermie-Kollektoren); dies
ist aber in der Regel unter den derzeitig vorherrschenden energiewirtschaftlichen Rand-
bedingungen und unter den meteorologischen Bedingungen in Mitteleuropa im Regel-
fall unwirtschaftlich.
Wärmenetze der zweiten Generation (1930 bis 1980; Abb. 16.3). Die starke Konkur-
renz um die Nutzung von Oberflächen – insbesondere in Gebieten mit einer hohen
Wärmenachfragedichte – erfordert oft eine unterirdische Leitungsverlegung. Die für
Wärmenetze der ersten Generation üblichen Kanäle sind bau- und betriebstechnisch
aber relativ aufwändig und damit teuer. Daher wurde in der weiteren Entwicklung ange-
strebt, auf Kanalbauwerke zu verzichten und die Leitungen direkt erdverlegt zu führen.
Als Wärmenetze der zweiten Generation werden daher Netze angesehen, die sich zwar
16 Wärmenetze 1207
Abnehmer
Speicher
Heißwassernetz
RL VL
VL = Vorlauf
RL = Rücklauf
Abb. 16.3 Wärmenetze der zweiten Generation (1930 bis 1980; Temperatur T > 100 ı C) (KWK
Kraft-Wärme-Kopplung)
noch durch hohe Betriebstemperaturen auszeichnen (Größenordnung T > 100 ı C), de-
ren Leitungssystem aber direkt erdverlegt wird. Das hierfür entwickelte Rohrsystem
ist das Kunststoffmantelrohr (KMR); es besteht aus einem Stahlmediumrohr, einer
Wärmedämmung und einem Kunststoffmantelrohr und stellt heute den größten An-
teil der unterirdisch verlegten Rohrsysteme für die Wärmeverteilung beispielsweise in
den europäischen Metropolregionen dar. Die innerstädtische Netzstruktur wurde da-
mit folglich um Heißwassernetze erweitert. Auf der Erzeugungsseite wurde der reinen
Dampferzeugung die Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) und der Heißwasserproduktion
wurden reine Heizwerke für die Deckung von bei tiefen Außentemperaturen auftreten-
den Spitzenlasten hinzugefügt. Hierdurch konnten neue Effizienzpotenziale – insbeson-
dere bei gleichzeitiger Erzeugung von Wärme und Strom (KWK) – gehoben werden.
In Wärmenetzen der zweiten Generation lässt sich Wärme aus erneuerbaren Energien
(z. B. aus Biomasse / Biogas, tiefer Geothermie) einbinden, wenn ausreichend hohe
Temperaturen erreicht werden. Ist dies nicht möglich oder zu aufwändig, kann Wärme
aus regenerativen Energien mit zu niedrigen Temperaturen mithilfe von Wärmepumpen
auf das erforderliche Temperaturniveau gebracht werden. Insgesamt sind aber die tech-
nologischen und wirtschaftlich sinnvollen Lösungen für die Kombination von Wärme
aus erneuerbaren Energien und Hochtemperaturwärmenetzen eher begrenzt.
Wärmenetze der dritten Generation (1980 bis 2020; Abb. 16.4). Die Entwicklung der
Wärmenetze hin zur dritten Generation zeichnet sich durch eine weitere Absenkung der
Betriebstemperatur aus. Hierdurch sollen potenzielle Wärmeverluste weiter reduziert
werden; außerdem soll die Möglichkeit geschaffen werden, weitere Wärmequellen
bzw. Erzeugungsoptionen an das Wärmenetz anzuschließen. Die Betriebstemperatur
dieser Netze der dritten Generation wird mit 60 ı C < T < 90 ı C angegeben. Durch Tem-
peraturen unter 90 ı C können zudem kostengünstigere oder flexiblere Materialien für
die erdverlegten Rohrsysteme eingesetzt werden; dies kann auch mit Kostenvorteilen
1208 I. Weidlich
Solarthermie
Abnehmer
Speicher
RL RL VL
+ VL = Vorlauf
RL = Rücklauf
VL
Abb. 16.4 Wärmenetze der dritten Generation (1980 bis 2020; Temperatur: T < 100 ı C)
verbunden sein. Solche Wärmenetze der dritten Generation wurden in den vergange-
nen Jahren insbesondere im ländlichen Raum stark ausgebaut. Sie eignen sich gut für
eine flächenhafte Verteilung von Wärme aus erneuerbaren Energien (z. B. aus Biogas-
Blockheizkraftwerken).
Wärmenetze der vierten Generation (2020+; Abb. 16.5). Die vierte Generation der
Wärmenetze ist durch eine weitere Reduktion der Betriebstemperaturen auf bis zu 40
bis 60 ı C charakterisiert. Derart niedrige Temperaturen sind vorteilhaft, wenn viele
Niedertemperaturwärmequellen verfügbar sind und diese Wärme noch einer Nutzung
zugeführt werden kann; insbesondere Abwärmepotenziale, die andernfalls ungenutzt
bleiben würden, können dadurch besser erschlossen werden. Das größte Problem die-
ser Niedertemperaturnetze ist die mikrobiologische Belastung des Transportwassers;
in dem genannten Temperaturbereich kann es zu einem exponentiellen Wachstum bei-
spielsweise von Bakterien kommen [16.9]; d. h. der Wasserhygiene muss beim Betrieb
von Niedertemperaturnetzen besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Beispiels-
weise kann die Unbedenklichkeit bei der Trinkwassererwärmung durch ein lokales
Erhitzen der Trinkwassermengen auf T 60 ı C und spezielle Ultrafiltrationsanlagen
sichergestellt werden [16.10, S. 15]. Aber durch die niedrigen Betriebstemperaturen
des Wärmenetzes steigen die technischen Möglichkeiten deutlich, Konversionstechno-
logien auf der Basis erneuerbarer Energien anschließen zu können. Dies kann zu einem
sehr heterogenen und dislozierten Erzeugungspark für die Wärme führen, der dann für
einen effizienten Betrieb hohe Ansprüche an die Steuerungs- und die Kommunikations-
technik zwischen Erzeuger und Verbraucher stellen muss (Abb. 16.5). Um bei solchen
geringeren Temperaturen im Wärmenetz beim Abnehmer trotzdem höhere Tempera-
turen für die Trinkwarmwasserbereitung zu ermöglichen, müssen fallweise dezentra-
le Wärmepumpen zur lokalen Temperaturerhöhung eingesetzt werden. Nachteilig bei
16 Wärmenetze 1209
Solarthermie
Saisonaler
Großwärme-
Speicher
pumpe
Wind
PV
Abnehmer
Niedertemperatur-
Überschussstrom
Wärmequelle
(Power-to-Heat)
Speicher
KWK, Müll,
Biomasse Tiefe
Abnehmer Geothermie
Abwärme Plusenergie-
häuser
Innovativer Leitungsbau
Innovative
RL Bettung
VL = Vorlauf
RL VL
VL RL = Rücklauf
Neue Materialen
Abb. 16.5 Wärmenetze der vierten Generation (2020+; Temperatur: T < 50 bis 60 ı C (70 ı C))
16.2 Komponenten
Der Betrieb eines Wärmenetzes erfordert die Komponenten der Erzeugungsanlagen, der
Speicher, des Netzes und der Übergabestationen beim Endkunden. Die wesentlichen Be-
griffe dieses Systems zeigt Abb. 16.6 [16.16].
Im Wärmenetz selbst wird der Bereich der Hauptleitung, der Verteilleitung und der
Hausanschlussleitung unterschieden [16.20]. Diese verschiedenartigen Leitungsbereiche
können sehr individuelle Eigenschaften haben und hängen maßgeblich von der Größe des
1210 I. Weidlich
Sekundärnetz
Unterstation
Haupt- Haus-
(transport-) Verteil- anschluss- Übergabe- Haus-
leitung leitung leitung station zentrale
Wärme-
erzeugungs-
anlage Primärnetz Hausstation Hausanlage
Netzes und der Größe der zu versorgenden Objekte ab. Daher lassen sich Rohrsysteme und
deren Dimensionen nicht eindeutig einem Leitungsbereich zuordnen; tendenziell werden
die Dimensionen von der Hauptleitung über die Verteilleitung hin zur Hausanschlusslei-
tung jedoch kleiner.
Nachfolgend werden die heute eingesetzten Rohrsysteme und deren Verlegung diskutiert.
16.2.1.1 Rohrsysteme
Zwischen Wärmequelle und Verbraucher ist die Rohrleitung das wichtigste Verbindungs-
element; darüber wird letztlich die thermische Energie transportiert. Thermodynamik und
Hydraulik des Rohrsystems müssen auf diese Aufgabe so abgestimmt sein, dass jeder-
zeit eine sichere und wirtschaftliche Versorgung der Nachfrager mit Wärme gewährleistet
werden kann [16.20, 16.21].
Die Rohrsysteme der Wärmeverteilung sind wärmegedämmt, damit die Wärmeverluste
minimiert werden können. Charakteristik des Rohrsystems ist deshalb eine Sandwich-
konstruktion aus einem Mediumrohr, in dem das heiße Wasser fließt, einer umliegenden
Wärmedämmung und einem Mantelrohr zum Schutz der Dämmung; d. h. das Mediumrohr
liegt möglichst konzentrisch in diesem Mantelrohr. Diese für Wärmenetze typische Rohr-
konstruktion wird deshalb auch Mantelrohrsystem genannt. Mediumrohr, Dämmung und
auch Mantelrohr können aus unterschiedlichen Materialien bestehen. Beispielhaft zeigt
Abb. 16.7 ein derartiges Mantelrohrsystem einschließlich der exemplarisch dafür einsetz-
barer Materialien.
16 Wärmenetze 1211
Mediumrohr
(z. B. Stahl P235GH)
falls zur Wärmedämmung beiträgt. Gleichzeitig wird über das Vakuum die Dichtheit des
Systems dauerhaft überwacht und die Korrosionsgefahr gemindert; d. h. durch das Entfer-
nen der Luft mit dem darin enthaltenen Wasser und Sauerstoff wird die Korrosionsursache
beseitigt (und dadurch auch die technische Lebensdauer erhöht). Stahlmantelrohre gelten
als robust und beständig; sie sind aber auch relativ teuer in der Anschaffung. Werden
Stahlmantelrohrsysteme unter technisch einwandfreien Bedingungen errichtet, wird in
der Regel von einer Gebrauchsdauer von mindestens 50 Jahren (technische Lebensdauer)
und mehr ausgegangen. Bau und Verlegung von Stahlmantelrohrsystemen werden durch
verschiedene Standards und Richtlinien reguliert (z. B. [16.27]).
des Wellrohres seine Flexibilität. Es gilt deshalb als selbstkompensierend und eignet sich
für die Verwendung in engen Gräben und im Hüllrohr. Die Rohrverbindungen werden
mittels spezieller Kupplungen realisiert.
Dehnungen, die keine Statik erfordern; das System gilt als „selbstkompensierend“. Die
Mediumrohrwerkstoffe PE-X (vernetztes Polyethylen) und PB-1 (thermoplastisches Po-
lybuten nach [16.23]) haben sich über Jahrzehnte bewährt. Diese Systeme werden daher
in der Wärmeverteilung bis zu einem Mediumaußendurchmesser von 125 mm verwen-
det. Polymere Mediumrohr(PMR)-Systeme werden als Ringbunde auf Trommeln oder als
Rohrstangen angeliefert. Um die Diffusion von Wasserdampf und Sauerstoff durch das
polymere Mediumrohr zu verringern wird eine Sperrfolie aus Ethylenvinylalkohol auf das
Mediumrohr aufgetragen, die beim Biegen oder Kürzen nicht beschädigt werden darf.
Die Diffusionsrate steigt mit der Temperatur und hängt zudem von den Wasserdampf-
differenzdrücken innerhalb und außerhalb des Mantelrohres ab. Der Dämmschaum ist
entweder ein Polyurethan(PUR)-Schaumstoff oder ein Polyolefindämmstoff. Nur beim
Polyurethan-Schaumstoff werden Mediumrohr und Mantelrohr kraftschlüssig miteinan-
der verbunden [16.24, 16.28].
16.2.1.2 Verlegung
Rohrsysteme für Wärmenetze können als Freileitungen überirdisch oder unter der Gelän-
deoberfläche als erdverlegtes System geführt werden. Freileitungen befinden sich oft auf
Industriegeländen. Außerhalb der Industrieanlagen sind sie seltener; Rohrsysteme wer-
den dort infolge anderer Flächennutzungen und auch aus ästhetischen Gründen vermehrt
unterirdisch geführt. Als erdverlegtes System hat die leitungsgebundene Wärmevertei-
lung eine Entwicklung vollzogen, in der sowohl die Tragfähigkeit der Rohrleitung als
auch die Tragfähigkeit des umgebenden Bodens als Bettungsmaterial genutzt werden.
Das Weiterdenken des Rohrsystems als Rohr-Boden-System macht heutige wirtschaft-
liche Konstruktionen erst möglich.
Der Verlegung eines Wärmenetzes muss neben der wirtschaftlichen Machbarkeit eine
ingenieurwissenschaftliche Untersuchung vorausgehen. Diese Untersuchung muss enthal-
ten:
Freileitungen Leitungen auf Werksgeländen und Leitungen mit einem hohen Gefähr-
dungspotenzial für die Bevölkerung, Umwelt oder Wirtschaft werden oft frei verlegt.
Derartige Leitungen unterliegen automatisch einer optischen Kontrolle und sind leicht
zugänglich; dies bietet Vorteile bei der Wartung und auch beim Eintreten eines Schadens-
falls kann sofort gehandelt werden. Außerdem werden die Tiefbaukosten bei Freileitungen
reduziert. Den verminderten Tiefbauaufwendungen stehen aber erhöhte Lagerungs- und
Halterungskosten gegenüber.
16 Wärmenetze 1215
Ein Freileitungssystem besteht neben der Leitung selbst aus Rohranschluss, Lager, Zwi-
schenkonstruktion und Bauwerksanschluss zur Ableitung der Kräfte und Momente. Bei den
Lagern wird zwischen den Funktionen Hängen, Stützen, Gleiten, Führen und Dämpfen un-
terschieden. Die erforderlichen Auflagerabstände bzw. Stützweiten ergeben sich aus den
Rohreigenschaften und der Belastung. Die zulässigen Stützweiten werden teilweise durch
die Rohrhersteller für das gefüllte Rohr angegeben. Für die reine Vertikalbelastung kön-
nen die Stützweiten berechnet werden, indem das Rohrleitungssystem als mehrfach gela-
gerter Durchlaufträger mit Kreisringprofil idealisiert wird. Für die Dimensionierung von
Freileitungen ist in der Regel der Betriebszustand maßgebend. Alle auftretenden Lasten
müssen durch das Rohrsystem und konstruktive Maßnahmen sicher aufgenommen werden.
Für Freileitungen sind deshalb immer rohrstatische Untersuchungen vorzunehmen.
Oberirdisch geführte Leitungen werden oft als Stahlrohrkonstruktion ausgeführt. Diese
sind robust und übernehmen oft zusätzliche Tragfunktionen (z. B. bei einer Rohrbrücke).
Werden metallische Leitungen verwendet ist die EN 13480 zu beachten [16.21].
Erdverlegte Leitungen Bei der Kanalbauweise waren die Rohre vor dem anstehenden
Erddruck geschützt. Die direkte Erdverlegung von Kunststoffmantelrohren ohne Kanal hat
demgegenüber eine ausgeprägte Interaktion mit dem umgebenden Baugrund zur Folge.
Für die statische Auslegung sind deshalb die auftretenden Reibungskräfte und Bettungs-
drücke am Rohrmantel zu berücksichtigen. Der Rohrmantel ist über den Polyurethan
(PUR)-Schaum schubfest mit dem Mediumrohr verbunden. Die Größenordnung der im
Boden wirkenden Kräfte muss möglichst genau bekannt sein, da eine Fehleinschätzung
ggf. zum vorzeitigen Versagen des Rohrleitungssystems führen kann.
Die Reibungskräfte im Boden werden durch die Ausdehnung der Rohre infolge Tempe-
raturlast mobilisiert. Im Bogenbereich werden aufgrund der Dehnungen Bettungsdrücke
aktiviert. Die auftretenden Reibungskräfte reduzieren einen Teil der temperaturbedingten
Ausdehnungen und minimieren dadurch die Biegemomente im Bogenbereich. Gleich-
zeitig treten die verhinderten Dehnungen als Druckspannungen im Rohrquerschnitt auf.
Gesucht ist demnach bei der Auslegung das Optimum aus zulässigen Axialspannungen
am geraden Rohrquerschnitt und den auftretenden Biegemomenten im Bogenbereich.
Dabei ist die Wechselwirkung zwischen Rohrleitung und Boden primär von der auf-
tretenden Temperaturlast abhängig. Je höher die Betriebstemperatur ist, desto intensiver
ist die Interaktion mit dem umgebenden Bettungsmaterial. Eine rohrstatische Auslegung
ist für Wärmenetze der zweiten und dritten Generation daher unbedingt erforderlich (z. B.
EN13941).
Im Umkehrschluss nehmen die Belastungen mit sinkender Betriebstemperatur ab. Die
Bedeutung der Rohrstatik nimmt dann gleichermaßen ab, da die Lasten, sofern sie klein
genug sind, innerhalb des Rohrsystems ohne individuelle statische Nachweise aufgenom-
men werden können. Die für die Bemessung eines Wärmenetzes der vierten Generation
maßgebende Größe ist dann primär der Wärmeverlust pro Meter Leitung. Die hydrau-
lische und thermodynamische Bemessung bleibt für einen erfolgreichen Betrieb eines
Wärmenetzes auch bei niedrigen Temperaturen weiterhin erforderlich.
1216 I. Weidlich
16.2.2 Pumpen
Druck
Druck
Wärmeübertrager
Ruhedruck
Pumpe Abnehmer
Abb. 16.8 Formen der Einbindung von Umwälzpumpen in ein Wärmenetz [16.31]
16 Wärmenetze 1217
Mittendruckhaltung Die Mittendruckhaltung (Abb. 16.8, rechts) ist eine Mischung aus
beiden Anordnungen und zeichnet sich sowohl durch eine höhere Sicherheit gegen
Ausdampfen als auch einem nicht zu hohen maximalen Systemdruck aus.
Bei Nassläufer-Pumpen erfolgt die Kühlung des Antriebs durch das geförderte Medium
selbst. Derartige Pumpen eignen sich für Mediumtemperaturen bis 110 ı C.
In Wärmenetzen mit höheren Betriebstemperaturen werden Trockenläufer-Pumpen
eingesetzt, bei denen der Antrieb nicht mit dem Medium in Berührung kommt.
Förderhöhe
Förderhöhe
Parallelbetrieb Reihenschaltung
Drehzahl
n= 100 % Anlagenkennlinie
zwei Pumpen
100 % Pumpen-
zwei Pumpen Betriebspunkt kennlinie
25 % n= 50 %
eine Pumpe eine Pumpe
100 %
Fördervolumenstrom Fördervolumenstrom 50 % Fördervolumenstrom
16.2.3 Hausstationen
Beim direkten Anschluss ist der Wärmeträger des Versorgungsnetzes identisch mit dem
Heizmedium der Kundenanlage (Abb. 16.10). Die Entwicklung der Wärmenetze hin zu
niedrigeren Temperaturen wird durch direkte Anschlüsse begünstigt; sinkt z. B. durch
eine bessere Dämmung die Wärmenachfrage der Gebäude kann auch direkt die Be-
triebstemperatur des Netzes angepasst und abgesenkt werden.
Bei einem indirekten Anschluss sind die Systeme hydraulisch getrennt. Zwischen Kun-
denanlage und Versorgungsnetz ist ein Wärmeübertrager installiert (Abb. 16.11). Eine
derartige hydraulische Trennung kann insbesondere dann sinnvoll sein, wenn der Wär-
meträger des Netzes aus hygienischen oder gesundheitlichen Gründen nicht in das
Gebäude gelangen soll. Beispielsweise wird das Wasser als Wärmeträger in Wärme-
netzen in der Regel aufbereitet, um das Leitungsnetz maximal gegen Korrosion zu
schützen. Dazu wird insbesondere der pH-Wert bei 9,0 bis 10,5 eingestellt sowie der
Sauerstoffgehalt und die Summe der Erdalkalien im Wasser begrenzt [16.29]; dies
dient dem Schutz der Stahlelemente im Gesamtsystem. Auch können bei niedrigen
Betriebstemperaturen mikrobiologische Belastungen des Wassers durch eine hydrauli-
sche Entkopplung aus dem Gebäude heraus gehalten werden.
16 Wärmenetze 1219
Eigentumsgrenze
Wärmenetz
T T
V
Heizungs-
vorlauf
T
M
Heizungs-
rücklauf
Abb. 16.10 Direkter Anschluss eines Wärmenetzes an die Kundenanlage (M Motor, T Temperatur)
Wärmenetz
T
Vorlauf
Klima- und
Lüftungsanlage
T
M
Rücklauf
B
Abb. 16.11 Indirekter Anschluss eines Wärmenetzes an die Kundenanlage (M Motor, T Tempera-
tur)
Die kundenseitige Technik kann auch weitgehend unabhängig von den technischen
Randbedingungen des vorgelagerten Versorgungsnetzes gewählt werden. Beispielsweise
kann auch die Trinkwassererwärmung an das Wärmenetz angeschlossen werden. Hier-
bei bieten sich die Möglichkeiten des Anschlusses mit Speicher, im Durchlaufprinzip
1220 I. Weidlich
Übergabestation Hausanlage
Eigentumsgrenze
Zirkulationsanlage
Verteilungsleitung
Vorlauf
0,5 h
0,3 h
Rücklauf
*
Kaltwasserzufluss
oder im Speicher-Lade-Prinzip an. Abb. 16.12 zeigt exemplarisch einen Anschluss mit
Trinkwassererwärmung und Speicher-Lade-System. Ein derartiges Speicher-Lade-Sys-
tem ermöglicht es, das erforderliche Speichervolumen zu reduzieren; hierdurch werden
die Investitionen gesenkt. Es ist effizienter als konventionelle Speicherlösungen, da die
Spitzenlasten für die Trinkwassererwärmung nur gelegentlich auftreten. Gleichzeitig wird
verhindert, dass kaltes Trinkwasser aus einem entleerten Speicher in das Wärmenetz ein-
dringt.
16.2.4 Speicher
Thermische Speicher werden in Gebäuden und in Netzen eingesetzt. Sie haben die Auf-
gabe des Lastgangmanagements, indem sie Differenzen zwischen der Wärmeerzeugung
und der Wärmeabnahme ausgleichen. Dies zeigt Abb. 16.13 für zeitlich getrenntes Be-
und Entladen links und zeitgleiches Be- und Entladen rechts. Dabei stehen grundsätzlich
verschiedene Technologien der thermischen Speicherung zur Verfügung (Kapitel 14).
Als wirtschaftlichste und sicherste Art der thermischen Speicherung in Wärmenetzen
haben sich Speicher sensibler Wärme durchgesetzt (Kapitel 4.2 und 14). Sie finden sich in
kleinen Größen von wenigen 100 L in Einfamilienhäusern bis hin zu Großwärmespeichern
mit mehreren 10 000 m3 Rauminhalt. Sie können als Speicher unter atmosphärischem
Druck oder als überdruckbeaufschlagte Speicher ausgeführt werden. Je nach Größe die-
nen sie als Kurzzeit- / Pufferspeicher (einige Stunden bis Tage), als Langzeitspeicherung
(einige Tage bis Wochen) oder als saisonale Speicherung (mehrere Monate).
16 Wärmenetze 1221
Temperatur T,
Temperatur T,
Volumenstrom V̇
Volumenstrom V̇
Beladen Beladen
Speichern Speichern
Entladen Entladen
T T
Zeit t Zeit t
Abb. 16.13 Be- und Entladen eines Speichers (links: zeitlich getrennt, rechts: gleichzeitig)
Zur Erhöhung der Flexibilität von Erzeugungsanlagen und Wärmenetz (z. B. für eine
strompreisorientierte Fahrweise) kommen in Wärmenetzen vermehrt saisonale Großwär-
mespeicher zum Einsatz. Unterschieden werden
schen und exergetischen Verlustprozessen [16.14]. Während der Wärmetransport über die
Speicherwand als echter Speicherverlust bilanziert werden kann, führen Wärmetransport-
mechanismen innerhalb des Speichers zu einem Temperaturausgleich zwischen den einzel-
nen Temperaturschichten, der als exergetischer Verlust bezeichnet werden kann.
Der Schieber ist eine Armatur mit einem Abschlusskörper, der sich geradlinig und quer
zur Strömungsrichtung bewegt.
Beim Hahn dreht sich der Abschlusskörper quer zur Strömungsrichtung.
Die Klappen erfüllen Absperrfunktionen, indem sich eine kreisförmige Scheibe inner-
halb eines zylindrischen Gehäuses um die eigene Achse dreht.
Ventile dichten die Leitung ab und können auch für Regelaufgaben verwendet werden.
16.3 Betrieb
Der Betrieb von Wärmenetzen hat einen hohen Anspruch an die zu realisierende Si-
cherheit; u. a. darf die Unversehrtheit von Betriebspersonal und Bevölkerung nicht be-
einträchtigt werden und die sichere sowie unterbrechungsfreie Versorgung der Kunden
muss sichergestellt sein. Deshalb ist eine Planung der Betriebssicherheit erforderlich.
Auch nimmt das Gefährdungspotenzial mit den Betriebstemperaturen ab; daher ist die
Festlegung der Betriebstemperaturen auch in Bezug auf die Gefährdung zu bewerten und
die entsprechenden Sicherheitsvorschriften sind einzuhalten [16.15, 16.16].
Für den Erhalt der Versorgungssicherheit ist die Wärmenachfrage zu decken. Sie ist
saisonal unterschiedlich und sinkt typischerweise im Sommer. Wärmenetze werden daher
meist in einem Sommer- und einem Winterbetrieb gefahren. Die transportierte Wärme-
menge muss daher durch den Betrieb wetterabhängig reguliert werden. Hierfür werden
drei Arten von Fahrweisen unterschieden.
Welche Fahrweise gewählt wird, hängt von den Kunden- und den Erzeugungsanlagen
ab. Abb. 16.14 zeigt unterschiedliche Fahrweisen in Abhängigkeit der Außentemperatur.
Da bei konstanter Fahrweise die Wärmeverluste höher als bei der gleitenden Fahrweise
sind, aber bei der gleitenden Fahrweise wiederum höhere Pumpkosten auftreten, wird in
der Regel eine Mischfahrweise gewählt.
Vorlauftemperatur
gleitend
konstant
gleitend konstant
gleitend konstant (alte Fahrweise)
(moderne Fahrweise)
Sinkende Steigende
Außentemperatur Außentemperatur
16 Wärmenetze 1225
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1226 I. Weidlich
Umrechnungsfaktoren
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 1227
M. Kaltschmitt, W. Streicher, A. Wiese (Hrsg.), Erneuerbare Energien,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-61190-6
Stichwortverzeichnis
1229
1230 Stichwortverzeichnis
I K
Idealisierter Windkonverter, 462 Kabel, 839, 1166
IGBT-Wechselrichter, 505 Kabelloses Überwachungsverfahren, 843
Indachkollektor, 266 Kabeltrasse, 566
Indirekte Netzkopplung, 504 Kabelverlegschiff, 529
Indirektes Gewinnsystem, 229 Kalina-Prozess, 853, 857, 871
Induktivitätsbelag, 1164 Kaltdampf-Kompressionswärmepumpe, 696
Infiltration, 195 Kältemittel, 778
Infraschall, 556 Kanalbrenner, 1045
Innerer Photoeffekt, 348 Kanalfreies System, 848
Inselbetrieb, 650 Kanalgebundenes System, 848
Inselwechselrichter, 394, 397 Kanalkraftwerk, 598
Instandhaltungsstrategie, 534 Kapazitätsbelag, 1164
Insulated Gate Bipolar Transistor (IGBT), 1182 Kapazitätsfaktor, 541
Integrated Solar Combined Cycle System Kapazitätsverlust, 418
(ISCCS), 1029 Kapillarsystem, 224
Integrierte Serienverschaltung, 379 Kaplanturbine, 627
Integrierte Triebstrangbauweise, 495 Karstwasserleiter, 178
Intercept Faktor, 1023 Kaskadensystem, 839
Interdigitated back contact (IBC) Solarzelle, Kavitation, 623
363 Kegelradturbine, 630
intrinsische Permeabilität, 803 Keilrinne, 1071
Investition Keilrinnenrand, 1071
geoth. Stromerz., 884 Kellystange, 817
1238 Stichwortverzeichnis
Stromrichter Tagesgang
leistungselektronischer, 1181 Solarstrahlung, 88
Strom-Spannungs-Kennlinie, 357 Windgeschwindigkeit, 129
Modul, 386 Tageslichtsystem, 229
Stromtransport, 342 Tagesspeicher, 279, 608
Stromumrichter Talsperrenkraftwerk, 595, 600
netzgeführter, 1183 Talwinde, 114
Strömungsabriss, 479, 480, 490, 491 Tandemsolarzelle, 375
Strömungsmaschine, 616 Tangentialkraft, 471, 473
Strömungsumlenkung, 475 Tankmaterial, 271
Strömungsverdichter, 742 TAPCHAN-Anlage, 1072
Strömungswiderstand, 588 Tauchgenerator, 603
Strukturierungsschritt, 380 Taulinie, 853
Stufenzahl, 839 Technische Verfügbarkeit, 530
S-Turbine, 630 Teichkollektor, 1061
Subherzyne Senke, 903 Teilabschattung, 402
Sublimationskondensationsverfahren, 377 Teilbeaufschlagung, 628
Substrat, 379 Teilintegrierte Triebstrangbauweise, 497
Suction-Bucket, 515 Teillast, 643
Süddeutschen Senke, 903 Teilverschattungsfaktor, 220
Süddeutsches Molassebecken, 876, 877 Tellur, 443
Südostpassat, 113 Temperaturdifferenzregelung, 280
Sulfidausfällung, 844 Temperaturgleichgewicht, 177
Sunshape, 1036 Temperaturgradient, 172
Supercap, 1102 Temperaturmessung, 102
Superconducting Magnetic Energy Storage, Temperaturspreizung, 710
1114 Temperaturverteilung, 182
Superstrat, 379 Terrestrische Wärmestromdichte, 173
Superstratstruktur, 377 Theoretisches Potenzial
Superstrattechnologie, 375 geoth. Stromerz., 906
Supraleitung, 1113 hydroth. Erdwärme, 902
Süßwasser, 1086 oberfl. Erdwärme, 783
Swaging, 528 Photovoltaik, 446
SWATH-Schiff, 533 Solarthermie, 324
Sydney-Röhre, 257 Strombereitstellung, 955
Synchrongenerator, 499, 648 Umgebungsluft, 782
Syphonprinzip, 837 Wärmebereitstellung, 985
System mit Absorptionswärmepumpe und Wärmepumpe, 782
Umgebungsluft, 756 Wasserkraft, 673
System mit Elektrowärmepumpe und Erdsonde, Windenergie, 568
756 Theoretisches Stromerzeugungspotenzial
Systemnutzungsgrad Photovoltaik, 446
Solaranlage, 298 Windenergie, 568
Wasserkraft, 651 Thermal Response Test, 723, 806
Systemwirkungsgrad, 430 Thermalfluid, 854
Thermalwasserförderung, 837
Thermalwasserreinjektion, 844
T Thermalwassertransport, 840
TA Lärm, 555 Thermische Anemometer, 121
1248 Stichwortverzeichnis
X Zugänglichkeit, 532
Xenon, 68 Zündwinkel, 1183
Zusatzstromerzeuger, 426
Zustandsorientierte Instandhaltung, 534
Z Zuverlässigkeit, 530
Zementation, 830 Zwangsumlauf, 286
Zenitflut, 66 Zwangsumlaufanlage, 283
Zentralwechselrichter, 401, 421 Zwei-Becken-System, 1079
Zentrifugalkraft, 111 Zweiblattrotor, 485
Zeotropes Stoffgemisch, 856 Zwei-Leiter-Netze, 293
Zerfall radioaktiver Isotope, 65, 169 Zweileitersystem, 847
Zink-Luft-Batterie, 1138 Zweispeicherschaltung, 291
Zink-Phthalozyanin, 383 Zwei-Teilchen-Wechselwirkung, 344
Zonenschmelzverfahren, 368 Zwischenspeicher, 597
Zoomasse, 1089 Zyklone, 113
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