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Martin Kaltschmitt

Wolfgang Streicher
Andreas Wiese Hrsg.

Erneuerbare
Energien
Systemtechnik · Wirtschaftlichkeit ·
Umweltaspekte
6. Auflage
Erneuerbare Energien
Martin Kaltschmitt  Wolfgang Streicher 
Andreas Wiese
(Hrsg.)

Erneuerbare Energien
Systemtechnik  Wirtschaftlichkeit 
Umweltaspekte

6., vollständig neu überarbeitete Auflage


Hrsg.

Prof. Dr.-Ing. Martin Kaltschmitt


Technische Universität Hamburg (TUHH)
Hamburg, Deutschland

Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. techn. Wolfgang Streicher


Universität Innsbruck
Innsbruck, Österreich

Prof. Dr.-Ing. Andreas Wiese


GOPA – International Energy Consultants GmbH
Bad Homburg, Deutschland

ISBN 978-3-662-61189-0 ISBN 978-3-662-61190-6 (eBook)


https://doi.org/10.1007/978-3-662-61190-6

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Vorwort

Die Nutzung regenerativer Energien zur Energieversorgung ist nicht neu; in der Geschich-
te der Menschheit waren erneuerbare Energien sehr lange Zeit die primär genutzte Mög-
lichkeit zur Energiebereitstellung. Dies änderte sich erst mit der industriellen Revolution,
in der die einfach erschließbaren Vorkommen an Braun- und Steinkohle zunehmend ge-
nutzt wurden und letztlich den Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert ermög-
lichten. Später kam Erdöl hinzu, das weltweit aufgrund seiner Vorteile u. a. in Bezug auf
Transport und Verarbeitung zum heute primär eingesetzten Energieträger wurde. In den
letzten Jahrzehnten gewann und gewinnt – unter den fossilen Energieträgern – Erdgas für
die Raumheizung und die Stromerzeugung aufgrund ausreichender Verfügbarkeit immer
mehr an Bedeutung. Mit dem deutlich zunehmenden Einsatz der fossilen Energieträger zur
Energieversorgung ging bis Ende des 20. Jahrhunderts zumindest in den Industriestaaten
sukzessive der Einsatz regenerativer Energien sowohl relativ als z. T. auch absolut zurück;
abgesehen von wenigen Ausnahmen hatten sie bezogen auf das Gesamtenergieaufkom-
men um die Jahrtausendwende sehr stark an Bedeutung verloren. Diese Tendenz scheint
sich aber in den letzten beiden Jahrzehnten kontinuierlich und nachhaltig umzukehren;
regenerative Energien gewinnen – energiewirtschaftlich relevant – erneut an Bedeutung
im globalen Energiesystem.
Die Nutzung fossiler Energieträger ist auch mit einer Reihe von Nachteilen verbunden,
die von einer bezüglich möglicher Umwelt- und insbesondere Klimagefahren zunehmend
sensibilisierten Industriegesellschaft in den zwanziger Jahren des 21. Jahrhunderts immer
weniger toleriert werden. Deshalb hat die Suche nach umwelt- und klimaverträgliche-
ren sowie allgemein akzeptierbaren Alternativen zur Energiebereitstellung aus fossilen
Energien – und darunter sind hier sowohl die fossil-biogenen (d. h. Erdöl, Erdgas, Stein-
und Braunkohle) als auch die fossil-mineralischen Energieträger (d. h. Uran) zu verste-
hen – weiter an Bedeutung gewonnen. Hier werden in die vielfältigen Möglichkeiten zur
Nutzung regenerativer Energien, die in den letzten Jahren immer weitergehend genutzt
wurden, große Hoffnungen und Erwartungen gesetzt – sowohl global als auch insbeson-
dere in Europa und hier im Speziellen im deutschsprachigen Raum.
Vor diesem Hintergrund ist es das Ziel des vorliegenden Buches, für wichtige Möglich-
keiten zur Nutzung regenerativer Energien zur Bereitstellung thermischer und elektrischer
Energie die physikalischen, technischen und systemischen Grundlagen und Zusammen-
V
VI Vorwort

hänge umfassend darzustellen. Dazu wird zunächst auf die Charakteristik des regenerati-
ven Energieangebots eingegangen. Anschließend werden die Techniken einer Wärmebe-
reitstellung aus passiven und aktiven Solarsystemen, aus der Umgebungswärme sowie aus
geothermischer Energie dargestellt. Auch wird auf die Verfahren zur Erzeugung elektri-
scher Energie aus solarer Strahlung über die Photovoltaik, aus der Windenergie, aus der
Wasserkraft und aus der tiefen Erdwärme eingegangen. Außerdem werden die Möglich-
keiten einer solarthermischen Stromerzeugung und einer Nutzung der Energien des Mee-
res diskutiert. Lediglich die Möglichkeiten einer energetischen Biomassenutzung werden
hier nicht detailliert dargestellt; hierzu sei auf Kaltschmitt et al. (2016)1 verwiesen. Da
regenerative Energien meist im Kontext übergeordneter Energiesysteme genutzt werden,
wird auch das Thema der Speicherung thermischer und elektrischer Energie adressiert.
Zusätzlich wird auf Energienetze eingegangen (d. h. elektrische Versorgungsnetze sowie
Nah- und Fernwärmenetze).
Für wesentliche Möglichkeiten zur Nutzung regenerativer Energien werden zusätz-
lich aktuelle Kennzahlen für eine ökonomische, ökologische und systemische Bewertung
zur Verfügung gestellt. Damit lassen sich die Chancen und Grenzen der verschiedenen
Optionen zur Nutzung des regenerativen Energieangebots – jeweils bezogen auf die Gege-
benheiten im deutschsprachigen Raum – auch im Vergleich zu den jeweils substituierbaren
Systemen auf Basis fossiler Energieträger besser beurteilen und bewerten.
Die hier vorliegende 6. Auflage stellt eine vollständig überarbeitete und teilweise neu
strukturierte sowie wesentlich erweiterte Fassung der 5. Auflage dar, die 2013 erschienen
ist. Neben der Nutzung des regenerativen Energieangebots wurden insbesondere die Mög-
lichkeiten einer Sonnenenergienutzung zur Wärmebereitstellung, einer Nutzung der Um-
gebungswärme, einer photovoltaischen Stromerzeugung, einer Onshore- und Offshore-
Windstromerzeugung und einer Stromerzeugung aus Wasserkraft den aktuellen techni-
schen, ökonomischen und ökologischen Entwicklungen angepasst; teilweise wurden die
Kapitel inhaltlich deutlich erweitert und bisher nicht adressierte Themen und Aspekte
integriert. Außerdem wurden die Energiespeicherung sowie die Energienetze neu aufge-
nommen, da mit einer zunehmenden Nutzung des regenerativen Energieangebots sich die
jeweiligen Energiesysteme stark verändern und dies unmittelbar die Verteilnetze und die
Speichernotwendigkeiten beeinflusst.
Die vorliegende Ausarbeitung wäre ohne die Unterstützung einer Vielzahl unterschied-
lichster Personen und Institutionen nicht möglich gewesen. Ihnen allen sei an dieser Stelle,
ebenso wie dem Verlag, für die kooperative, konstruktive und lösungsorientierte Zusam-
menarbeit und z. T. sehr weitgehende Unterstützung sehr herzlich gedankt. Unser größter
Dank gilt dabei den Autoren für die gute, engagierte und konstruktive Zusammenarbeit
und ihre große Geduld. Auch sei den Autoren, die in früheren Auflagen motiviert mit-
gewirkt haben, nochmals von Herzen gedankt; ohne ihre wertvolle Mitarbeit wäre die
6. Auflage dieses Buches nicht möglich gewesen. Letztlich sein insbesondere auch Nicol-

1
Kaltschmitt, M.; Hartmann, H.; Hofbauer, H (Hrsg.): Energie aus Biomasse; Springer, Berlin, Hei-
delberg, 2016, 3. Auflage.
Vorwort VII

le Brinkhus, Sarah Flashaar, Paula Alberts, Benjamin Klepsch, Yannick Piguel, Katharina
Geyer und Chiara Schenk für ihre große Unterstützung bei der Erstellung der vielen neu-
en Grafiken bzw. bei der Überarbeitung vorhandener Abbildungen, dem Recherchieren
aktueller Daten und beim Durchlaufen der unzähligen Korrekturschleifen sehr herzlich
gedankt.

Hamburg, Innsbruck, Frankfurt Martin Kaltschmitt


August 2020 Wolfgang Streicher
Andreas Wiese
Inhaltsübersicht

Teil I Erneuerbare Energien in Mitteleuropa

1 Einführung und Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3


1.1 Energiesystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
1.2 Nutzungsmöglichkeiten regenerativer Energien . . . . . . . . . . . . . . . . 23
1.3 Aufbau und Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
1.4 Konventionelle Vergleichssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots . . . . . . . . . . . . . . . . . 59


2.1 Energiebilanz der Erde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
2.2 Solare Strahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
2.3 Umgebungswärme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
2.4 Windenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
2.5 Lauf- und Speicherwasserangebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135
2.6 Photosynthetisch fixierte Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154
2.7 Erdwärme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188

3 Passive Sonnenenergienutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193


3.1 Physikalische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196
3.2 Systemtechnische Beschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
3.3 Potenziale und Nutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237

4 Solarthermische Wärmenutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239


4.1 Physikalische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
4.2 Systemtechnische Beschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
4.3 Ökonomische und ökologische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301
4.4 Potenziale und Nutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337

IX
X Inhaltsübersicht

5 Photovoltaische Stromerzeugung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339


5.1 Physikalische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339
5.2 Systemtechnische Beschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354
5.3 Ökonomische und ökologische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432
5.4 Potenziale und Nutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458

6 Stromerzeugung aus Windenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461


6.1 Physikalische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461
6.2 Systemtechnische Beschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481
6.3 Ökonomische und ökologische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542
6.4 Potenziale und Nutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 568
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 579

7 Stromerzeugung aus Wasserkraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583


7.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583
7.2 Systemtechnische Beschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 592
7.3 Ökonomische und ökologische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 656
7.4 Potenziale und Nutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 671
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 682

8 Nutzung von Umgebungswärme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 685


8.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 689
8.2 Systemtechnische Beschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 713
8.3 Ökonomische und ökologische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 763
8.4 Potentiale und Nutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 782
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 791

9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 793


9.1 Physikalische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 795
9.2 Systemtechnische Beschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 809
9.3 Ökonomische und ökologische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 875
9.4 Potenziale und Nutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 902
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 919

10 Zusammenfassender Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 923


10.1 Bereitstellung elektrischer Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 923
10.2 Bereitstellung thermischer Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 962

Teil II Erneuerbare Energien und Energiesystemkomponenten

11 Solarthermische Stromerzeugung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 995


11.1 Physikalische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 999
11.2 Parabolrinnen-Kraftwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1008
Inhaltsübersicht XI

11.3 Solarturmkraftwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1029


11.4 Dish / Stirling-Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1050
11.5 Aufwindkraftwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1056
11.6 Solarteiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1060
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1063

12 Nutzung der Energien des Meeres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1067


12.1 Wellennutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1067
12.2 Gezeitennutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1077
12.3 Weitere Nutzungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1082
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1087

13 Energetische Nutzung von Biomasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1089


13.1 Aufbau typischer Bereitstellungsketten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1090
13.2 Wandlungsmöglichkeiten in End- bzw. Nutzenergie . . . . . . . . . . . . .1092
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1095

14 Speicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1097
14.1 Direkte Energiespeicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1101
14.2 Magnetische Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1113
14.3 Mechanische Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1118
14.4 Physikalisch-chemische Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1128
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1151

15 Stromnetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1153
15.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1154
15.2 Netzelemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1162
15.3 Netzstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1191
15.4 Leistungsflüsse und Lastflussberechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1195
15.5 Leistungsbilanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1198
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1202

16 Wärmenetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1203
16.1 Charakterisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1204
16.2 Komponenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1209
16.3 Betrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1224
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1225

Energieeinheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1227

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1229
Inhaltsverzeichnis

Teil I Erneuerbare Energien in Mitteleuropa

1 Einführung und Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............. 3


Martin Kaltschmitt, Lucas Sens und Wolfgang Streichera
1.1 Energiesystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
1.1.1 Energiebegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
1.1.2 Weltweiter Energieverbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
1.1.3 Energieverbrauch in der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
1.1.4 Energieverbrauch in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
1.1.5 Energieverbrauch in Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
1.2 Nutzungsmöglichkeiten regenerativer Energien . . . . . . . . . . . . . . . . 23
1.2.1 Erneuerbare Energien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
1.2.2 Untersuchte Möglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
1.3 Aufbau und Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
1.3.1 Physikalische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
1.3.2 Systemtechnische Beschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
1.3.3 Ökonomische und ökologische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . 28
1.3.4 Potenziale und Nutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
1.4 Konventionelle Vergleichssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
1.4.1 Randbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
1.4.2 Techniken zur Strombereitstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
1.4.3 Techniken zur Wärmebereitstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots . . . . . . . . . . . . . . . . . 59


Beate Geyer, Klaus Jorde, Martin Kaltschmitt, Iris Lewandowski, Ben Norden,
Wolfgang Streicher und Andreas Wiesea
2.1 Energiebilanz der Erde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
2.1.1 Erneuerbare Energiequellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
2.1.2 Atmosphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
2.1.3 Bilanz der Energieströme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70

XIII
XIV Inhaltsverzeichnis

2.2 Solare Strahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72


2.2.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
2.2.2 Räumliche und zeitliche Angebotscharakteristik . . . . . . . . . . . 81
2.3 Umgebungswärme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
2.3.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
2.3.2 Räumliche und zeitliche Angebotscharakteristik . . . . . . . . . . . 102
2.4 Windenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
2.4.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
2.4.2 Räumliche und zeitliche Angebotscharakteristik . . . . . . . . . . . 120
2.5 Lauf- und Speicherwasserangebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135
2.5.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135
2.5.2 Räumliche und zeitliche Angebotscharakteristik . . . . . . . . . . . 142
2.6 Photosynthetisch fixierte Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154
2.6.1 Produktion organischer Masse durch Photosynthese . . . . . . . . . 155
2.6.2 Räumliche und zeitliche Angebotscharakteristik . . . . . . . . . . . 164
2.7 Erdwärme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
2.7.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
2.7.2 Räumliche und zeitliche Angebotscharakteristik . . . . . . . . . . . 182
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188

3 Passive Sonnenenergienutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193


Martin Kaltschmitt, Marina Stegelmeier und Wolfgang Streichera
3.1 Physikalische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196
3.1.1 Energiebilanz eines bestrahlten Körpers . . . . . . . . . . . . . . . . 196
3.1.2 Kenngrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
3.2 Systemtechnische Beschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
3.2.1 Systemelemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
3.2.2 Funktionale Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228
3.3 Potenziale und Nutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235
3.3.1 Potenziale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236
3.3.2 Nutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237

4 Solarthermische Wärmenutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239


Martin Kaltschmitt, Agis Papadopoulos, Lucas Sens und Wolfgang Streichera
4.1 Physikalische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
4.1.1 Optische Eigenschaften von Absorbern . . . . . . . . . . . . . . . . 240
4.1.2 Optische Eigenschaften von Abdeckungen . . . . . . . . . . . . . . 242
4.1.3 Energiebilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
4.1.4 Wirkungsgrad und solarer Deckungsgrad . . . . . . . . . . . . . . . 246
4.2 Systemtechnische Beschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
4.2.1 Kollektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
4.2.2 Weitere Systemelemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268
Inhaltsverzeichnis XV

4.2.3 Anlagenkonzepte und Anwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283


4.2.4 Energiewandlungskette und Verluste . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297
4.3 Ökonomische und ökologische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301
4.3.1 Referenzanlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301
4.3.2 Ökonomische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309
4.3.3 Ökologische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
4.4 Potenziale und Nutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324
4.4.1 Potenziale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324
4.4.2 Nutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337

5 Photovoltaische Stromerzeugung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339


Roland Bründlinger, Daniel Christ, Hubert Fechner, Martin Kaltschmitt, Jörg
Müller, Gerhard Peharz, Detlef Schulz und Lucas Sensa
5.1 Physikalische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339
5.1.1 Bändermodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340
5.1.2 Leiter, Nichtleiter und Halbleiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341
5.1.3 Leitungsmechanismen in Halbleitern . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345
5.1.4 Photoeffekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348
5.1.5 p-n-Übergang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350
5.1.6 Photovoltaischer Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351
5.2 Systemtechnische Beschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354
5.2.1 Photovoltaikzelle und -modul . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354
5.2.2 Weitere Systemkomponenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393
5.2.3 Gesamtsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420
5.2.4 Energiewandlungskette, Verluste und Leistungskennlinie . . . . . 429
5.3 Ökonomische und ökologische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432
5.3.1 Referenzanlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433
5.3.2 Ökonomische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434
5.3.3 Ökologische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438
5.4 Potenziale und Nutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446
5.4.1 Potenziale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446
5.4.2 Nutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458

6 Stromerzeugung aus Windenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461


Martin Kaltschmitt, Burcu Özdirik, Britta Reimers, Michael Schlüter, Detlef
Schulz und Lucas Sensa
6.1 Physikalische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461
6.1.1 Idealisierte Windenergiekonverter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462
6.1.2 Widerstands- und Auftriebsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468
6.1.3 Konverterregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478
XVI Inhaltsverzeichnis

6.2 Systemtechnische Beschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481


6.2.1 Systemelemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 482
6.2.2 Gesamtsystemaspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522
6.2.3 Energiewandlungskette, Verluste und Leistungskennlinie . . . . . 535
6.3 Ökonomische und ökologische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542
6.3.1 Referenzanlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543
6.3.2 Ökonomische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545
6.3.3 Ökologische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551
6.4 Potenziale und Nutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 568
6.4.1 Potenziale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 568
6.4.2 Nutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 572
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 579

7 Stromerzeugung aus Wasserkraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583


Markus Aufleger, Franz Joos, Klaus Jorde, Martin Kaltschmitt, Anne Rödl,
Michael Schlüter und Lucas Sensa
7.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583
7.2 Systemtechnische Beschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 592
7.2.1 Aufbau, Systematisierung und Bauformen . . . . . . . . . . . . . . . 592
7.2.2 Wasserbauliche Komponenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 604
7.2.3 Energietechnische Komponenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 616
7.2.4 Energiewandlungskette, Verluste und Leistungsplan . . . . . . . . . 650
7.3 Ökonomische und ökologische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 656
7.3.1 Referenzanlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 656
7.3.2 Ökonomische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 658
7.3.3 Ökologische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 661
7.4 Potenziale und Nutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 671
7.4.1 Potenziale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 672
7.4.2 Nutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 675
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 682

8 Nutzung von Umgebungswärme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 685


Martin Kaltschmitt, Lucas Sens, Wolfgang Streicher und Felix Zieglera
8.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 689
8.1.1 Grundlegende Zusammenhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 689
8.1.2 Prozesse mit mechanischem Antrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . 695
8.1.3 Prozesse mit thermischem Antrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 702
8.1.4 Kennzahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 707
8.2 Systemtechnische Beschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 713
8.2.1 Wärmequelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 713
8.2.2 Wärmepumpen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 735
8.2.3 Wärmesenke und Betriebsweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 749
Inhaltsverzeichnis XVII

8.2.4 Gesamtsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 754


8.3 Ökonomische und ökologische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 763
8.3.1 Referenzanlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 763
8.3.2 Ökonomische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 766
8.3.3 Ökologische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 773
8.4 Potentiale und Nutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 782
8.4.1 Potenziale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 782
8.4.2 Nutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 787
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 791

9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 793


Sebastian Janczik, Martin Kaltschmitt, Ben Norden und Lucas Sensa
9.1 Physikalische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 795
9.1.1 Wärmeübertragung im Gestein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 796
9.1.2 Physikalisch-hydraulische Gesteinseigenschaften . . . . . . . . . . 802
9.1.3 Physikalisch-chemische Aspekte der Geofluide . . . . . . . . . . . 807
9.2 Systemtechnische Beschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 809
9.2.1 Erschließung geothermischer Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . 812
9.2.2 Energetische Nutzung geothermischer Systeme . . . . . . . . . . . 836
9.2.3 Anlagenkonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 859
9.3 Ökonomische und ökologische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 875
9.3.1 Referenzanlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 875
9.3.2 Ökonomische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 880
9.3.3 Ökologische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 887
9.4 Potenziale und Nutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 902
9.4.1 Potenziale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 902
9.4.2 Nutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 911
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 919

10 Zusammenfassender Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 923


Martin Kaltschmitt und Lucas Sensa
10.1 Bereitstellung elektrischer Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 923
10.1.1 Energieangebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 924
10.1.2 Systemtechnische Beschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 928
10.1.3 Ökonomische und ökologische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . 943
10.1.4 Potenziale und Nutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 954
10.2 Bereitstellung thermischer Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 962
10.2.1 Energieangebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 963
10.2.2 Systemtechnische Beschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 968
10.2.3 Ökonomische und ökologische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . 973
10.2.4 Potenziale und Nutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 985
XVIII Inhaltsverzeichnis

Teil II Erneuerbare Energien und Energiesystemkomponenten

11 Solarthermische Stromerzeugung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 995


Tobias Hirsch, Martin Kaltschmitt, Matti Lubkoll und Gerhard Weinrebea
11.1 Physikalische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 999
11.1.1 Strahlungsreflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1000
11.1.2 Strahlungskonzentration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1001
11.1.3 Kreisprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1005
11.2 Parabolrinnen-Kraftwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1008
11.2.1 Parabolrinnen-Kollektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1009
11.2.2 Linear-Fresnel-Kollektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1012
11.2.3 Wärmeträgermedium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1014
11.2.4 Thermische Speicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1015
11.2.5 Wärme-Kraft-Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1019
11.2.6 Anlagenkonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1022
11.3 Solarturmkraftwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1029
11.3.1 Heliostaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1030
11.3.2 Heliostatenfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1033
11.3.3 Receiverturm und Strahlungsempfänger . . . . . . . . . . . . . . . .1037
11.3.4 Thermische Speicher und Wärme-Kraft-Prozess . . . . . . . . . . .1044
11.3.5 Anlagenkonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1045
11.4 Dish / Stirling-Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1050
11.4.1 Parabolkonzentrator (Dish) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1050
11.4.2 Receiver . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1051
11.4.3 Wärme-Kraft-Maschine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1053
11.4.4 Anlagenkonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1053
11.5 Aufwindkraftwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1056
11.6 Solarteiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1060
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1063

12 Nutzung der Energien des Meeres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1067


Jochen Bard, Kai-Uwe Graw und Martin Kaltschmitta
12.1 Wellennutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1067
12.1.1 Welleninduzierte Fallhöhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1071
12.1.2 Oszillierende Wassersäule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1073
12.1.3 Hydrodynamische Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1076
12.2 Gezeitennutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1077
12.2.1 Gezeitenkraftwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1078
12.2.2 Nutzung von Ebb- und Flutstrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1080
12.3 Weitere Nutzungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1082
12.3.1 Unterschiedliche Wassertemperaturen . . . . . . . . . . . . . . . . .1082
12.3.2 Meeresströmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1085
Inhaltsverzeichnis XIX

12.3.3 Salzgehaltsunterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1086


12.3.4 Meeresbiomasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1086
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1087

13 Energetische Nutzung von Biomasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1089


Martin Kaltschmitt
13.1 Aufbau typischer Bereitstellungsketten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1090
13.2 Wandlungsmöglichkeiten in End- bzw. Nutzenergie . . . . . . . . . . . . .1092
13.2.1 Thermo-chemische Umwandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1092
13.2.2 Physikalisch-chemische Umwandlung . . . . . . . . . . . . . . . . .1093
13.2.3 Biochemische Umwandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1094
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1095

14 Speicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1097
Jerrit Hilgedieck, Martin Kaltschmitt, Jelto Lange und Wolfgang Streichera
14.1 Direkte Energiespeicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1101
14.1.1 Elektrische Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1101
14.1.2 Thermische Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1104
14.2 Magnetische Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1113
14.3 Mechanische Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1118
14.3.1 Bewegungsenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1118
14.3.2 Potenzielle Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1120
14.3.3 Druckenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1123
14.4 Physikalisch-chemische Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1128
14.4.1 Sorptionsenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1128
14.4.2 Verbindungen mit unterschiedlichen Energieniveaus . . . . . . . .1130
14.4.3 Oxid und elementarer Reinstoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1140
14.4.4 Oxide und CH/NH-basierte Verbindungen . . . . . . . . . . . . . . .1146
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1151

15 Stromnetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1153
Christian Becker
15.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1154
15.1.1 Gleichstromsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1155
15.1.2 Wechselstromsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1157
15.1.3 Drehstromsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1160
15.2 Netzelemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1162
15.2.1 Drehstromkomponenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1162
15.2.2 Leistungselektronische Stromrichter . . . . . . . . . . . . . . . . . .1181
15.2.3 Hochspannungsgleichstromübertragung . . . . . . . . . . . . . . . .1189
15.3 Netzstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1191
XX Inhaltsverzeichnis

15.4 Leistungsflüsse und Lastflussberechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1195


15.5 Leistungsbilanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1198
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1202

16 Wärmenetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1203
Ingo Weidlich
16.1 Charakterisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1204
16.2 Komponenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1209
16.2.1 Rohrsysteme und deren Verlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1210
16.2.2 Pumpen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1216
16.2.3 Hausstationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1218
16.2.4 Speicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1220
16.2.5 Weitere Komponenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1222
16.3 Betrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1224
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1225

Energieeinheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1227

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1229

a
Autoren in alphabetischer Reihenfolge mit Beiträgen zum Kapitel; die Autorenzuordnung geht aus
den einzelnen Unterkapiteln hervor.
Mitarbeiterverzeichnis

Univ.-Prof. Dr.-Ing. Markus Aufleger Universität Innsbruck, Institut für Infrastruktur,


Innsbruck, Österreich

Dipl.-Phys. Jochen Bard Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystem-


technik, Kassel, Deutschland

Prof. Dr.-Ing. Christian Becker Technische Universität Hamburg (TUHH), Institut für
Elektrische Energietechnik, Hamburg, Deutschland

Dipl.-Ing. Roland Bründlinger Austrian Institute of Technology GmbH, Wien, Öster-


reich

M.Sc. Daniel Christ Technische Universität Hamburg (TUHH), Institut für Umwelttech-
nik und Energiewirtschaft (IUE), Hamburg, Deutschland

Dipl.-Ing. Hubert Fechner OurPower Energiegenossenschaft SCE mbH, Wien, Öster-


reich

Dr. Dipl.-Met. Beate Geyer Helmholtz-Zentrum Geesthacht – Zentrum für Material- und
Küstenforschung GmbH, Institut für Küstenforschung, Geesthacht, Deutschland

Prof. Dr.-Ing. habil. Kai-Uwe Graw Technische Universität Dresden, Institut für Was-
serbau und Technische Hydromechanik, Dresden, Deutschland

M.Sc. Jerrit Hilgedieck Technische Universität Hamburg (TUHH), Institut für Umwelt-
technik und Energiewirtschaft (IUE), Hamburg, Deutschland

Dr.-Ing. Tobias Hirsch Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Institut
für Solarforschung, Stuttgart, Deutschland

Dr.-Ing. Sebastian Janczik Bützower Wärme GmbH, Bützow, Deutschland


XXI
XXII Mitarbeiterverzeichnis

Prof. Dr.-Ing. Franz Joos Helmut-Schmidt-Universität – Universität der Bundeswehr,


Energietechnik, Laboratorium für Strömungsmaschinen, Hamburg, Deutschland

Dr.-Ing. Klaus Jorde KJ Consult, Klagenfurt, Österreich

Prof. Dr.-Ing. Martin Kaltschmitt Technische Universität Hamburg (TUHH), Institut


für Umwelttechnik und Energiewirtschaft (IUE), Hamburg, Deutschland

M.Sc. Jelto Lange Technische Universität Hamburg (TUHH), Institut für Umwelttechnik
und Energiewirtschaft (IUE), Hamburg, Deutschland

Prof. Dr. Iris Lewandowski Universität Hohenheim, Institut für Kulturpflanzenwissen-


schaften, Stuttgart, Deutschland

Dr. Matti Lubkoll Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Institut für
Solarforschung, Stuttgart, Deutschland

Prof. Dr.-Ing. Jörg Müller Technische Universität Hamburg (TUHH), Institut für Mi-
krosystemtechnik, Hamburg, Deutschland

Dr. Ben Norden Deutsches GeoForschungsZentrum (GFZ), Sektion „Geoenergie“, Pots-


dam, Deutschland

Dr.-Ing. Burcu Özdirik Siemens AG, Hamburg, Deutschland

Prof. Dr. Agis Papadopoulos Aristotle Universität Thessaloniki, Thessaloniki, Grie-


chenland

Mag. Dr. Gerhard Peharz Joanneum Research Forschungsgesellschaft mbH, Graz, Ös-
terreich

Dr.-Ing. Britta Reimers Northland Power Europe GmbH, Hamburg, Deutschland

Dr. Anne Rödl Technische Universität Hamburg (TUHH), Institut für Umwelttechnik
und Energiewirtschaft (IUE), Hamburg, Deutschland

Prof. Dr.-Ing. Michael Schlüter Technische Universität Hamburg (TUHH), Institut für
Mehrphasenströmungen, Hamburg, Deutschland

Prof. Dr.-Ing. habil. Detlef Schulz Helmut-Schmidt-Universität – Universität der Bun-


deswehr, Elektrische Energiesysteme, Hamburg, Deutschland
Mitarbeiterverzeichnis XXIII

M.Sc. Lucas Sens Technische Universität Hamburg (TUHH), Institut für Umwelttechnik
und Energiewirtschaft (IUE), Hamburg, Deutschland

Dipl.-Ing. Marina Stegelmeier BOB project management AG, Aachen, Deutschland

Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. techn. Wolfgang Streicher Universität Innsbruck, Institut für
Konstruktion und Materialwissenschaften, Innsbruck, Österreich

Prof. Dr.-Ing. Ingo Weidlich HafenCity Universität Hamburg (HCU), Infrastructural En-
gineering, Hamburg, Deutschland

Dr.-Ing. Gerhard Weinrebe Schlaich Bergermann und Partner GmbH, Stuttgart,


Deutschland

Prof. Dr.-Ing. Andreas Wiese GOPA-International Energy Consultants GmbH, Bad


Homburg, Deutschland

Prof. Dr.-Ing. Felix Ziegler Technische Universität Berlin, Institut für Energietechnik,
Berlin, Deutschland
Liste der Formelzeichen

a Ionenaktivität
a Laufindex
a1 Hilfskonstante 1
a2 Hilfskonstante 2
aOx Aktivität des Redoxpartners auf der Oxidationsseite
aRed Aktivität des Redoxpartners auf der Reduktionsseite
A Anode
A Fläche einer wärmeleitenden Schicht
A optisch wirksame Breite des Receivers
A Querschnittsfläche (u. a. einer Rohrleitung, eines Leiters)
A Skalierungsfaktor
AAbs Absorberfläche
AAp Aperturfläche
AG Albedo
AHP radioaktive Wärmeproduktion
Ai Flächen i
AAbd abstrahlende Abdeckungsoberfläche eines Solarkollektors
Ao,O oberirdischer Abfluss von der Oberfläche (O)
AM Air Mass
AHF Spiegelfläche des Heliostatenfeldes
AK Kontaktfläche
Au,O unterirdischer Abfluss von der Oberfläche (O)
AW Fläche des Wärmeübertragers
AWKA Fläche, die um eine Windkraftanlage freizuhalten ist
AZ Aufwandszahl
b Flügellänge
b Wärmeeindringkoeffizient
ca Auftriebsbeiwert
ca spezifische Wärmekapazität der Luft
ca;0 Auftriebsbeiwert bei unsymmetrischem Profil und 0ı Anströmwinkel
ca,Betrieb Auftriebsbeiwert in Betrieb
XXV
XXVI Liste der Formelzeichen

cK Konzentration von Kalium (K)


cp,Schmitz Leistungsbeiwert mit Berücksichtigung des Nachlaufeffektes
cp,th theoretischer Leistungsbeiwert
cp realer Leistungsbeiwert
cp spezifische Wärmekapazität
cp,Sp Wärmekapazität des speichernden Körpers Sp / der speichernden Materie Sp
cp,Betz Betz’scher Leistungsbeiwert
cp,ideal idealer Leistungsbeiwert
cp,max maximaler Leistungsbeiwert
cp,th,max theoretischer, maximaler Leistungsbeiwert
cT h Konzentration von Thorium (Th)
cU Konzentration von Uran (U)
cw Widerstandsbeiwert
cw,Betrieb Widerstandsbeiwert im Betrieb
C Formparameter
C Ionenkonzentration
C Kapazität (z. B. eines Kondensators)
C Kollektor
C Konzentrationsverhältnis
C Wärmekapazität
C1 Leiter-Erd-Kapazität Leiter 1
C12 Koppelkapazität zwischen Leiter 1 und Leiter 2
C2 Leiter-Erd-Kapazität Leiter 2
C23 Koppelkapazität zwischen Leiter 2 und Leiter 3
C3 Leiter-Erd-Kapazität Leiter 3
CB Betriebskapazität
CB0 Kapazitätsbelag
CE Leiter-Erd-Kapazität
Cflux Konzentrationsverhältnis bezogen auf die Strahlungsflussdichte
Cg Koppelkapazität
Cgeo geometrisches Konzentrationsverhältnis
Cid,2D theoretisch maximale Konzentration einachsig gekrümmter Konzentratoren
Cid,3D theoretisch maximale Konzentration zweiachsig gekrümmter Konzentratoren
CN Nennkapazität
CZK Kapazität im Gleichspannungszwischenkreis
COP Coefficient of Performance
d Dicke (z. B. einer wärmeleitenden Schicht, eines Bauteils)
d Dreieckschaltung auf der Unterspannungsseite
d Rohrdurchmesser
dh hydraulischer Rohrdurchmesser
dRot Rotordurchmesser einer Windkraftanlage
dS Durchmesser der Sonne
Liste der Formelzeichen XXVII

D Diffusionskoeffizient
D Diode
D Dreieckschaltung auf der Oberspannungsseite
D mittlerer Durchmesser der Turbine
D mittlerer Leiterabstand bei mehreren Leitern
D1 mittlerer Durchmesser der Turbine am Eintritt
Ds solarer Deckungsgrad (Definition 1)
Ds1 solarer Deckungsgrad (Definition 2)
e0 Elementarladung
E Elastizitätsmodul
E Elektrodenpotenzial
E Emitter
E Energie
E Energieniveau
E0 Standardelektrodenpotenzial
EDruck Druckenergie
Eg Energielücke, Bandabstand, Bandlücke
Ekin kinetische Energie
EKondensator Energiegehalt eines Kondensators
EL Energieniveau des Leitungsbandes
Ep,th theoretische Druckenergie
Eph Quantenenergie eines Photons
EPot potenzielle Energie
EPot,nutz nutzbare potenzielle Energie
ERotation Rotationsenergie
Esensibel sensible thermische Energie
ESpule Energiegehalt einer Spule
EV Energieniveau des Valenzbandes
EW a Energie des Wassers
EW i Energie des Windes
EWKA Energieertrag einer Windkraftanlage
f Aktivitätskoeffizient
f Brennweite
f Netzfrequenz
f Wölbung eines Profils
f1 Frequenz in Netz 1
f2 Frequenz in Netz 2
fL aktuelle Netzfrequenz
fL0 Netzfrequenz in einem bekannten Zustand 0
fp Primärenergiefaktor
F Brennpunkt
F Faraday-Konstante
XXVIII Liste der Formelzeichen

F Kraft
F Netzknotennummer der Fehlerstelle
FA Auftriebskraft
FA,max maximale Auftriebskraft
FA,s Schub-(Axial-)Komponente der Auftriebskraft
FA,t Tangential-Komponente der Auftriebskraft
FB Reaktionskraft
FC Abminderungsfaktor wegen Sonnenschutzvorrichtungen
FCoriolis Corioliskraft
FD Abminderungsfaktor wegen Scheibenverschmutzung
FF Abminderungsfaktor wegen Fensterrahmen
FFin Verschattungsfaktor durch seitliche Überstände
FGradient Gradientkraft
FHor Verschattungsfaktor für den Horizont
FK,U Sichtwinkel, unter dem sich die im Strahlungsaustausch befindlichen Flächen
„sehen“
FOv Verschattungsfaktor durch Überhänge
FR gesamte auf ein Rotorblatt einwirkende (resultierende) Kraft
FSh,ob Abminderungsfaktor wegen feststehender Verschattung
FSh,gl Abminderungsfaktor wegen flexibler Verschattung
FT gesamte auf ein Rotorblatt einwirkende Tangential-Kraft
FW Widerstandskraft
FW,s Schub-(Axial-)Komponente der Widerstandskraft
FW,t Tangential-Komponente der Widerstandskraft
FWi,Brems Kraft, mit der ein Windenergiekonverter die Windströmung abbremst
FWi,WKA gesamte auf eine Windkraftanlage einwirkende Windkraft
FZentrifugal Zentrifugalkraft
FF Füllfaktor
g Gravitationskonstante
g Energiedurchlassgrad (z. B. eines Bauteils; g-Wert)
g Gleichzeitigkeitsgrad
gdiffus diffuser Energiedurchlassgrad (diffuser g-Wert)
G Gate
G Leitwert
G0 Leitwertsbelag
GP ˛ von Körper / Material absorbierte Strahlung
GP  von Körper / Material reflektierte Strahlung
GP  den Körper transmittierte Strahlung
GP O Strahlungsleistung der Sonne am äußeren Rand der Erdatmosphäre (d. h. So-
larkonstante)
GP Df Diffusstrahlung auf die horizontale Empfangsfläche
GP Df,g,a Diffusstrahlung auf die geneigte, ausgerichtete Empfangsfläche
Liste der Formelzeichen XXIX

GP Dr Direktstrahlung auf die horizontale Empfangsfläche


GP Dr,g,a Direktstrahlung auf die geneigte, ausgerichtete Empfangsfläche
GP Dr,inc einfallende Direktstrahlung
GP Dr,refl reflektierte Direktstrahlung
GP G Globalstrahlung auf die horizontale Empfangsfläche
GP G,g,a Globalstrahlung auf die geneigte, ausgerichtete Empfangsfläche
GP G,Kol gesamte Globalstrahlung auf die Kollektorabdeckung
GP G,rel Globalstrahlung auf einen Quadratmeter Absorberfläche
GP G,Abs Globalstrahlung auf den Absorber
GP R,g,a auf die geneigte, ausgerichtete Empfangsfläche reflektierte Strahlung
GP S Strahlungsleistung der Sonne
GR Gammastrahlung
GZ gesetzliche Zeit
h Enthalpie
h geodätische Höhe
h Höhe eines Aquifers
h Planck’sches Wirkungsquantum
h Potenzialhöhe
h entsprechende Höhendifferenz
h spezifische Enthalpie
h1 geodätische Höhe am Bilanzpunkt 1 / Enthalpie des Zustandes 1
h1;SR geodätische Höhe am Saugrohranfang
h2 geodätische Höhe am Bilanzpunkt 2 / Enthalpie des Zustandes 2
h2;SR geodätische Höhe am Saugrohraustritt
h3 Enthalpie des Zustandes 3
h4 Enthalpie des Zustandes 4
h5 Enthalpie des Zustandes 5
h6 Enthalpie des Zustandes 6
h7 Enthalpie des Zustandes 7
hAntr Enthalpiedifferenz des Antriebs
hBrutto Bruttofallhöhe
hF Freihang
hGeo geodätischer Höhenunterschied zwischen Ober- und Unterwasser
hH Höhe eines Hügels
hi Auftrittswahrscheinlichkeit des Windes im Geschwindigkeitsintervall i
hi Zone i innerhalb eines Aquifers
hKond Enthalpiedifferenz des Kondensators
hNetto Nettofallhöhe
hnutz nutzbare Fallhöhe
hOW geodätische Höhe des Oberwasserspiegels
hR Verlusthöhe infolge des Rohrreibungsverlustes
href Referenzhöhe
XXX Liste der Formelzeichen

hT e geodätische Höhe am Turbineneingang (Te)


hTräger Höhe der Trägerkonstruktion
hU W geodätische Höhe des Unterwasserspiegels
hVerd Enthalpiedifferenz des Verdichters
H Atmosphärenhöhe
H Wärmeproduktion
H Wärmequelle bzw. Wärmesenke
HR Reaktionsenthalpie
i bestimmter Querschnitt innerhalb der Stromröhre
i Diskontrate
i Geschwindigkeitsintervall
i Netzknoten i
iO Scheitelwert des Stroms
iG Gate-Stromimpuls
i.t/ Momentanwert des Stroms
I Effektivwert der Stromstärke
I elektrischer Strom
I komplexer Effektivwert der Stromstärke
ID Strom im Gleichstromkreis
I0 Sättigungssperrstrom
I0 Leerlaufstrom
I1 Außenleiterstrom Leiter 1
I12 Strom zwischen Knoten 1 und Knoten 2
I2 Außenleiterstrom Leiter 2
I23 Strom zwischen Knoten 2 und Knoten 3
I3 Außenleiterstrom Leiter 3
I5 fünfstündiger Entladestrom
I10 zehnstündiger Entladestrom
I" emittierte Wärmestrahlung
I";schwarz emittierte Wärmestrahlung eines schwarzen Körpers
IAbs Strahlungsflussdichte des Absorbers
IAp Strahlungsflussdichte der Aperturebene
ID Strom durch die Diode (D)
IG Generatorstrom
Iges gesamter Investitionsaufwand
Iij Strom zwischen Knoten i und Knoten j
Ij i Strom zwischen Knoten j und Knoten i
Ij jährlicher Investitionsaufwand
IK Kurzschlussstrom
Il Leitungsstrom
IL Laststrom
IL Strom in der Zelle
Liste der Formelzeichen XXXI

IMPP Strom im Punkt maximaler Leistung (Maximum Power Point, MPP)


IN Nennstrom
IN Netzstrom
IN Neutralleiterstrom
IP h Photostrom
I Magnetisierungsstrom
IAP Ionenaktivitätsprodukt
j Netzknoten j
J Tag des Jahres
J Trägheitsmoment
J0 Nummer des betrachteten Tages im Jahr
Jx Trägheitsmoment um die Rotationsachse x
JAZ Jahresaufwandszahl
k Boltzmann-Konstante
k Kompressionsmodul
kA Abstandsfaktor
kA,x Abstandsfaktor in Richtung der bevorzugten Windrichtung
kA,y Abstandsfaktor quer zur bevorzugten Windrichtung
kf Durchlässigkeitskoeffizient
kf,i Durchlässigkeitskoeffizient der Zone i
kp Peukert-Konstante
kv Wellenvektor
K intrinsische Permeabilität
K Kathode
K Körper / Materie
KF Kapazitätsfaktor
KL Löslichkeitskonstante
l Durchflusslänge
l Länge (z. B. einer wärmeleitenden Schicht, eines Leiters, einer Rohrleitung)
l Profillänge
l1 Halbwertlänge
2
L Induktivität einer Spule
L Lebensdauer
L Leitungsband
L Modullänge
L1 Außenleiter 1
L2 Außenleiter 2
L3 Außenleiter 3
LB Betriebsinduktivität
LB0 Induktivitätsbelag
LD Diffusionslänge
LK Induktivität der Drosselspule
XXXII Liste der Formelzeichen

LN Netzanschlussdrossel
LSE Entfernung zwischen Sonne und Erde
LU spezifische (Umfangs-)Arbeit
LZK Induktivität im Gleichstromzwischenkreis
m Masse
P
m Massenstrom
P aus
m aus dem Becken ausfließender (Wasser-)Massenstrom
P ein
m in das Becken einfließender (Wasser-)Massenstrom
P ges
m gesamer Massenstrom
P Kol
m Massenstrom durch den Kollektor
mW a Masse des Wassers
mW i Luftmasse
PWi
m Massenstrom der Luft / des Windes
P Wi,1
m Massenstrom der Luft / des Windes an der Stelle 1
mWi,i Masse der Luft / des Windes an der Stelle i
P Wi,i
m Massenstrom der Luft / des Windes an der Stelle i
P Wi,frei
m Massenstrom der Luft / des Windes ohne Energieentzug
M Antriebsmoment, Drehmoment
MA Anfahrmoment
n Anzahl der Wohneinheiten
n Drehzahl
n Index für Nennwerte
n Konzentration der Elektronen
n Laufindex
nG Generatordrehzahl
ni Eigenleitungskonzentration
np,0 örtliche Verteilung der Elektronenkonzentration ohne Beleuchtung
nq spezifische Drehzahl
N Neutralleiter
N1 Windungszahl der Primärwicklung
N2 Windungszahl der Sekundärwicklung
NA Akzeptoren
ND Donatoren
NL effektive Zustandsdichte im Leitungsband
NMeer Niederschlag auf dem Meer
NO Niederschlag auf der Oberfläche (O)
NV effektive Zustandsdichte im Valenzband
O Oberfläche
p Druck
p Konzentration der Defektelektronen / der Löcher
p Druckdifferenz, Druckunterschied, Druckabsenkung, Druckverlust
p 0 Druckdifferenz im Laufrad
Liste der Formelzeichen XXXIII

p 00 Druckdifferenz im Leitrad
pn,0 örtliche Verteilung der Defektelektronen- / Löcherkonzentration ohne
Beleuchtung
p0 Druck am Bilanzpunkt 0
p1 Druck am Bilanzpunkt 1
p2 Druck am Bilanzpunkt 2
pa Wasserdruck an der Stelle a
pges gesamter Druckunterschied
pKol Druckunterschied des Kollektors
poben Druck oberhalb des Profilquerschnitts
pOW Umgebungsdruck am Oberwasser
pTat Druck am Turbinenaustritt
pT e Druck am Turbineneingang (Te)
p.t/ Momentanwert der Leistung
pU Umgebungsdruck
punten Druck unterhalb des Profilquerschnitts
pU W Umgebungsdruck am Oberwasser
pV Verlustdruck
pW a Wasserdruck
pW i Druckunterschied in der Rotorebene
pW i;0 wetterbedingter Winddruck
pW i;1 Winddruck an der Stelle 1
pW i;2 Winddruck an der Stelle 2
pWi,i Winddruck an der Stelle i
P Leistung, Wirkleistung
P Porosität
P12 Leistungsfluss von Knoten 1 nach Knoten 2
P23 Wirkleistungsfluss von Knoten 2 nach Knoten 3
PAntr Antriebsleistung des Verdichters einer Wärmepumpe
Pel elektrische Leistung
Pel,i elektrische Leistung des Windgeschwindigkeitsintervalls i
Pel,in prozessintern benötigte elektrische Leistung
Pel,out durch das Kraftwerk bereitgestellte elektrische Leistung
PG eingespeiste Wirkleistung
PG eingestrahlte Globalstrahlungsleistung
Pges Gesamtlast
PH Höchstlast
Pij Wirkleistungsfluss von Knoten i nach Knoten j
Pj i Wirkleistungsfluss von Knoten j nach Knoten i
PL umgesetzte Wirkleistung
PL0 umgesetzte Wirkleistung in einem bekannten Zustand 0
PMPP Leistung im Punkt maximaler Leistung (Maximum Power Point, MPP)
XXXIV Liste der Formelzeichen

Pnat natürliche Leistung


PReceiver auf den Receiver eingestrahlte Strahlungsleistung
Pri Bemessungsleistung der einzelnen Verbraucher
PRot Leistung des Rotors
PRot,th theoretische Leistung des Rotors
PTurbine Leistung an der Turbinenwelle
PVerlust Verlustleistung
Pv Leistung des Verbrauchers
PW a Leistung des Wassers
PWa,kin,th theoretische Wasserkraftleistung infolge des Geschwindigkeitsunter-
schieds vW a
PWa,kin,verl Verlustleistung der Wasserkraftanlage infolge der Strömungswiderstände
PWa,pot,th theoretische Wasserkraftleistung infolge des geodätischen Höhenunter-
schieds h
PWa,p,th theoretische Wasserkraftleistung infolge des Druckunterschieds p
PWa,tat tatsächlich nutzbare Leistung des Wassers
PWa,th theoretische Wasserleistung
PW i Windleistung
PW i;1 Windleistung an der Stelle 1
PW i;2 Windleistung an der Stelle 2
PWi,ent dem Wind durch den Rotor entzogene Leistung
PWi,i Leistung des Windes an der Stelle i
PWKA Leistung einer Windkraftanlage
PWKW,th theoretische Leistung eines Wasserkraftwerks
PE fossile Primärenergie
PI Produktivitätsindex
qP Wärmestromdichte, Wärmefluss
qi anteilige sekundäre Wärmeabgabe
qPkonv konvektiver Wärmestrom
qs Wärmestromdichte an der Erdoberfläche
qv volumetrische Kälteleistung
qW a Abfluss bzw. Durchfluss
qz vertikaler Anteil des Wärmestroms
qPzu zugeführter Wärmestrom
qP" emittierter Wärmestrom
Q absolutes Abflussvolumen pro Zeit
Q Blindleistung
Q Förderrate
Q Nettobetrag des Wärmestroms
QP Wärmeleistung
Q23 Blindleistungsfluss von Knoten 2 nach Knoten 3
QA Abgaswärme des Motors
Liste der Formelzeichen XXXV

QAbfuhr abgeführte Wärme


QP Abs Wärmegewinn des Absorbers
QP Antr thermische Antriebsenergie
QP Bedarf Wärmenachfrage
QC kapazitive Blindleistung
QG eingespeiste Blindleistung
QP G Wärmegewinn durch Einstrahlung in das Becken
QH Heizenergienachfrage
QP I Wärmestrom der Infiltration
Qij Blindleistungsfluss von Knoten i nach Knoten j
QP i n (hochexergetischer) Wärmestrom in den Kraftwerksprozess
Qj i Blindleistungsfluss von Knoten j nach Knoten i
QInt innere Wärme eines Raumes (z. B. Abwärme von Personen und Geräten)
QP Kond Wärmeleistung des Kondensators der Wärmepumpe
Qkonv konvektive Wärmeübertragung
QP Konv Konvektionsverluste
QP Konv,Abd Konvektionsverluste der Absorberabdeckung
QP Konv,Abs Konvektionsverluste des Absorbers an der Außenluft
QP Konv,Kol Konvektionsverluste des Kollektors
QP Konv,Rah Konvektionsverluste des Absorberrahmens
QK W Kühlwasserwärme des Motors
QL Wärmeverluste eines Gebäudes
QL umgesetzte Blindleistung
QP L Wärmeaustauschströme mit der Umgebung
QL0 Blindleistung in einem bekannten Zustand 0
QP Leit,Abs Wärmeleitungsverluste des Absorbers
QP Mensch Wärmegewinn durch Beckenbenutzer
QP Nutz nutzbarer Wärmestrom
QP out (niedrigexergetischer) Wärmestrom aus dem / in den Kraftwerksprozess
QP Quelle Wärmeleistung der Wärmequelle
QP rec solarer Wärmestrom in den Receiver
QP Refl,Abs Reflexionsverluste des Absorbers
QP Refl,Abd Reflexionsverluste der Absorberabdeckung
QP Refl,Kol Reflexionsverluste des Kollektors
QS solares Wärmeangebot an einen Raum
QP S von Körper abgestrahlte Wärme
QSenke Heizenergie
QP Senke Wärmeleistung der Wärmesenke
QP Solar in den Wärmespeicher eingebrachte Sonnenenergie
QP Str Wärmeverluste durch Abstrahlung
QP Str,Abd Strahlungsverluste durch langwellige Abstrahlung der Absorberabdeckung
QP Str,Abs Strahlungsverluste durch langwellige Abstrahlung des Absorbers
XXXVI Liste der Formelzeichen

QP Str,Kol Strahlungsverluste durch langwellige Abstrahlung des Kollektors


QP T r Transmissionswärmestrom
QT r Transmissionsverlustsumme
QP Trans;E Transmissionsverlustwärmeströme ins Erdreich
QP Umgebung Umgebungswärmestrom
QP Vd Wärmeverlustströme durch Verdunstung
QP Ve mechanische Lüftungsverlustströme bzw. -gewinnströme
QVe mechanische Lüftungsverluste bzw. -gewinne
QP Verd Wärmeleistung des Verdichters der Wärmepumpe
QWP Nutzenergie der Wärmepumpe
QZufuhr zugeführte Wärme
QP Zusatz Wärmestrom aus konventionellen (fossilen) Energieträgern
r Index für Bemessungswerte
r Radius (u. a. Leiterradius)
r Verdampfungsenthalpie
r1 Radius an der Stelle 1
r2 Radius an der Stelle 2
rk kinematischer Reaktionsgrad
R Außenleiter 1
R Gaskonstante
R Radius eines Rotors
R Widerstand
R0 Widerstandsbelag
RF e Eisenverlustwiderstand
RO Rückhalt bzw. Retention auf der Oberfläche (O)
RP Parallelwiderstand
RS Serienwiderstand
Rü Widerstand der Übertragungsleitung
Rv Widerstand des Verbrauchers
Rz Rauigkeit der Rohrinnenwand
Redh Reynolds-Zahl
ROT Rotorebene
s Entropie
s Schlupf
s Entropieunterschied
s Speed-up-Ratio
smax maximales Speed-up-Ratio
S Außenleiter 2
S durchströmte (Kreis-)Fläche
S Scheinleistung
S Scheitelpunkt einer Parabel
S Speicherkoeffizient
Liste der Formelzeichen XXXVII

S1 durchströmte (Kreis-)Fläche an der Stelle 1


S1 Schalter 1
S2 durchströmte (Kreis-)Fläche an der Stelle 2
S2 Schalter 2
S3 Schalter 3
S4 Schalter 4
SAbd Abdeckungsoberfläche
SAbs Absorberfläche
SF Korrekturfaktor, berücksichtigt die Fensterausrichtung
Sh minimale horizontale Hauptspannung
SH maximale horizontale Hauptspannung
Si durchströmte (Kreis-)Fläche an der Stelle i
SKol Kollektorfläche
SrG Bemessungsleistung des Generators
SRot Rotorfläche
SV Hauptspannung senkrecht zur Erdoberfläche
SI Mineralsättigungsindex
SPF Seasonal Performance Factor
St Stefan-Zahl
t Zeit
t Zeitintervall, Zeitraum, Zeitspanne
tB Betrachtungszeitraum
tF l Kompressionswellenlaufzeit des Porenfluides
tP,Ma Kompressionswellenlaufzeit der Matrix
T Außenleiter 3
T (absolute) Temperatur
T Transmissivität
T Temperaturdifferenz
T mittlere Grädigkeit
T0 Temperatur am Bilanzpunkt 0
T1 Temperatur am Bilanzpunkt 1
T1 unteres Temperaturniveau
T2 oberes Temperaturniveau
T; T1 ; T2 ; T3 ; T4 ; TAC ; TA ; TBC ; TBC Thyristor
TA Anlaufzeitkonstante
Tab abgeführtes Temperaturniveau
TAbd Temperatur der Absorberabdeckung
TAbs Absorbertemperatur (absolut)
TAntr Temperatur der antreibenden Wärme
Te externe Gegenstrahlungstemperatur (absolut)
Te,Str Oberflächentemperatur umschließender Flächen und Volumina
TH Temperaturhub
XXXVIII Liste der Formelzeichen

THimmel Himmelstemperatur
TK Temperatur eines Körpers K
TKond Temperatur am Kondensator
TKond Temperaturdifferenz am Kondensator
Tlog mittlere Temperaturdifferenz zwischen zwei wärmeaustauschenden Medien
TQuelle Temperatur der Wärmequelle
TSenke Temperatur der Wärmesenke
TSiede Siedetemperatur
Tsuper Temperatur am superkritischen Punkt
TU Temperatur der umgebenden Flächen U
Tzu zugeführtes Temperaturniveau
Te Turbineneintritt
ü Übersetzungsverhältnis eines Transformators, Bemessungsübersetzung
uO Scheitelwert der Spannung
U Effektivwert der Spannung
U elektrisches Potential
U Gegenstrahlungsflächen / Flächen, die einen Körper K / eine Materie K um-
geben
U Spannung
U Umfang einer Rohrleitung
U Wärmedurchgangskoeffizient (U -Wert)
U komplexer Effektivwert der Spannung
UD gleichgerichtete Spannung
U1 Leiter-Erd-Spannung an Knoten 1, Spannung an Knoten 1
U12 Außenleiterspannung zwischen Leiter 1 und Leiter 2
U13 Außenleiterspannung zwischen Leiter 1 und Leiter 3
U2 Leiter-Erd-Spannung an Knoten 2, Spannung an Knoten 2
U23 Außenleiterspannung zwischen Leiter 2 und Leiter 3
U3 Leiter-Erd-Spannung an Knoten 3
UAB1h Grundschwingung bzw. erste Harmonische der Ausgangswechselspannung
des Spannungsumrichters
UAB Ausgangswechselspannung des Spannungsumrichters
UD Diffusionsspannung
Ueff effektiver Wärmedurchgangskoeffizient
Ueq äquivalenter Wärmedurchgangskoeffizient (äquivalenter U -Wert)
Ug Wärmedurchgangskoeffizient bezogen auf die Verglasung eines Fensters
Ui Leiter-Erd-Spannung an Knoten i
Ui U -Wert für die entsprechende Fläche i der Gebäudehülle
Uj Leiter-Erd-Spannung an Knoten j
U  Kol Wärmedurchgangskoeffizient eines Kollektors
UKol temperaturabhängiger Wärmedurchgangskoeffizient eines Kollektors
Ukonv konvektive Wärmeübergangszahl
Ul Längsspannungsabfall an einer Leitung
Liste der Formelzeichen XXXIX

UL aktuelle Netzspannung
UL Leerlaufspannung
UL0 Netzspannung in einem bekannten Zustand 0
U Trägersignal
UMPP Spannung im Punkt maximaler Leistung (Maximum Power Point, MPP)
UN Nennspannung
UN Netzspannung
Ur1 primärseitige Bemessungsspannung
Ur2 sekundärseitige Bemessungsspannung
UsA normiertes Wechselspannungssignal
UsB inverses normiertes Wechselspannungssignal
u.t/ Momentanwert der Spannung
uT Spannung am Thyristor
UV Wärmedurchgangskoeffizient einer Verglasung
UW Wärmedurchgangskoeffizient eines Fensters (d. h. Verglasung und Rahmen)
v Geschwindigkeit
vA Anströmgeschwindigkeit
vc Lichtgeschwindigkeit
vOW Absinkgeschwindigkeit des Oberwassers
vP Kompressionswellengeschwindigkeit
vrel,1 Relativgeschwindigkeit des Wassers im Laufrad am Bilanzpunkt 1
vrel,2 Relativgeschwindigkeit des Wassers im Laufrad am Bilanzpunkt 2
vrel Relativgeschwindigkeit des Wassers im Laufrad
vS Geschwindigkeit der angeströmten Fläche (S)
vS Scherwellengeschwindigkeit
vu Umfangsgeschwindigkeit
vu,1 Umfangsgeschwindigkeit am Bilanzpunkt 1
vu,2 Umfangsgeschwindigkeit am Bilanzpunkt 2
vu,Spitze Umfangsgeschwindigkeit an der Rotorblattspitze
vW a Strömungsgeschwindigkeit des Wassers
vWa,0,ax Axialkomponente der Strömungsgeschwindigkeit des Wassers am Bilanz-
punkt 0
vWa,0 Strömungsgeschwindigkeit des Wassers am Bilanzpunkt 0
vWa,0,u Umfangskomponente der Strömungsgeschwindigkeit des Wassers am Bilanz-
punkt 0
vW a;1 Strömungsgeschwindigkeit des Wassers am Bilanzpunkt 1
vWa,1,ax Axialkomponente der Strömungsgeschwindigkeit des Wassers am Bilanz-
punkt 1
vWa,1,SR Strömungsgeschwindigkeit des Wassers am Saugrohranfang
vWa,1,th theoretische Strahlgeschwindigkeit
vWa,1,u Umfangskomponente der Strömungsgeschwindigkeit des Wassers am Bilanz-
punkt 1
XL Liste der Formelzeichen

vW a;2 Strömungsgeschwindigkeit des Wassers am Bilanzpunkt 2


vWa,2,ax Axialkomponente der Strömungsgeschwindigkeit des Wassers am Bilanz-
punkt 2
vWa,2,SR Strömungsgeschwindigkeit des Wassers am Saugrohraustritt
vWa,2,u Umfangskomponente der Strömungsgeschwindigkeit des Wassers am Bilanz-
punkt 2
vWa,Dif Geschwindigkeit des Wassers im Diffusor
vWa,EB Geschwindigkeit des Wassers in das Einlaufbauwerk
vWa,OW Geschwindigkeit des Oberwassers
vWa,RL Geschwindigkeit des Wassers in der Rohrleitung
vWa,Te Strömungsgeschwindigkeit des Wassers am Turbineneingang (Te)
vWa,u in Umfangsrichtung gerichtete Komponente der Strömungsgeschwindigkeit
vWa,UW Geschwindigkeit des Unterwassers
vW i Windgeschwindigkeit
vW i;1 Windgeschwindigkeit an der Stelle 1
vW i;2 Windgeschwindigkeit an der Stelle 2
vWi,a Windgeschwindigkeit an der Stelle a
vWi,axial Axialkomponente der Windgeschwindigkeit
vWi,h mittlere Windgeschwindigkeit in der Höhe (h)
vWi,i Windgeschwindigkeit an der Stelle i
vWi,ref mittlere Windgeschwindigkeit in einer Referenzhöhe (href )
vWi,Nord Windgeschwindigkeit, Nordhalbkugel
vWi,Rot Windgeschwindigkeit in der Rotorebene
vWi,Süd Windgeschwindigkeit, Südhalbkugel
vWi,umfang Umfangskomponente der Windgeschwindigkeit
vWi,x Windgeschwindigkeit an der Stelle x
v Fallhöhengeschwindigkeit
V Valenzband
V Volumen
V0 Volumen am Bilanzpunkt 0
V1 Volumen am Bilanzpunkt 1
VP Volumenstrom
VPges gesamter Volumenstrom
VPKol Volumenstrom des Kollektors
VMeer Verdunstung auf dem Meer
VO Verdunstung von der Oberfläche (O)
VSpeicher gespeichertes Wasservolumen
VPVe benötigter Volumenstrom für Lüftung
VPVerd Volumenstrom des Kältemittels
wt,T spezifische, durch die Turbine entnommene Arbeit
W elektrische Energie
W mechanische Energie des Motors
Liste der Formelzeichen XLI

W Änderung der elektrischen Energie


WP Antr mechanische Antriebsleistung
WOZ wahre Ortszeit
x Laufindex, Weg, Distanz
x Rotationsachse
x Wegspanne
xn Rand der Raumladungszone im n-dotierten Gebiet
xp Rand der Raumladungszone im p-dotierten Gebiet
X1 primärseitige Reaktanz
X2 sekundärseitige Reaktanz
XÜ induktiver Blindwiderstand der Übertragungsleitung
X Hauptreaktanz des Transformators
y Laufindex, Weg, Distanz
y Sternschaltung auf der Unterspannungsseite
Y Sternschaltung auf der Oberspannungsseite
YSch Schaufelarbeit
00
YSch Schaufelarbeit im Leitrad
YS t Stutzenarbeit
z Laufindex, Weg, Distanz
z Rotorblattanzahl
z Tiefenausdehnung
z Zickzackschaltung auf der Unterspannungsseite
z Teil der Tiefenausdehnung
z0 Rauigkeitslänge
ze Anzahl übertragener Elektronen
Z Zickzackschaltung auf der Oberspannungsseite
ZW Wellenwiderstand
˛ (spektraler) Absorptionskoeffizient
˛ Anströmwinkel
˛ Einfallswinkel
˛ Exponent entsprechend einer gegebenen Spannungsabhängigkeit der Wirk-
leistung
˛ Gesteinskompressibilität
˛ Neigungswinkel
˛ Wärmeübergangskoeffizient
˛ Zündwinkel
˛0 Reflexionswinkel
˛ 0 ; ˛ 00 Auftreffwinkel des Sonnenlichtes auf die Moduloberfläche zu bestimmten
Zeitpunkten
˛0 Strömungswinkel des Wassers in der Turbine an der Stelle 0
˛1 Strömungswinkel des Wassers in der Turbine an der Stelle 1
˛2 Strömungswinkel des Wassers in der Turbine an der Stelle 2
XLII Liste der Formelzeichen

˛a äußerer Wärmeübergangskoeffizient am Bauteil


˛Abs Absorptionskoeffizient des Absorbers
˛Betrieb betriebsbedingter Anströmwinkel
˛Hell Höhenwindexponent (Hellmann-Exponent, Rauigkeitsexponent)
˛I Absorptionskoeffizient im Bereich des infraroten Lichts
˛ideal idealer Absorptionskoeffizient
˛real tatsächlicher Absorptionskoeffizient
˛s Absorptionskoeffizient im Bereich des sichtbaren Lichts
˛ Absorptionskoeffizient in Abhängigkeit der Wellenlänge 
ˇ Arbeitszahl einer Wärmepumpe
ˇ Azimutwinkel
ˇ Exponent entsprechend einer gegebenen Frequenzabhängigkeit der Wirkleis-
tung
ˇ Kompressibilität des Fluides
ˇ Neigungswinkel des Photovoltaikmoduls
ˇ Winkel zwischen Kreissehne und Kreisbogen
ˇ1 Winkel an der Turbine an der Stelle 1
ˇ2 Winkel an der Turbine an der Stelle 2
ˇa Jahresarbeitszahl einer Wärmepumpe
 Ausrichtung der Flächennormalen
 Exponent entsprechend einer gegebenen Spannungsabhängigkeit der Blind-
leistung
 spezifische Dichte eines Fluides
 Verhältnis von Wärmegewinn zu Wärmeverlust
 Winkel zwischen Anströmgeschwindigkeit und Umfangsgeschwindigkeit
ı Exponent entsprechend einer gegebenen Frequenzabhängigkeit der Blindleis-
tung
ı Profilanstellwinkel
ı Sonnendeklination
ı Spannungswinkel (Nullphasenwinkel)
 Differenz
" Gleitzahl
" Leistungszahl einer Wärmepumpe
" Emissionskoeffizient
" äquivalenter Emissionskoeffizient
"0 elektrische Feldkonstante
"Abd Emissionskoeffizient Abdeckung
"Abs Emissionskoeffizient Absorber
"c Carnot-Leistungszahl
"ci innere Carnot-Leistungszahl
"i Emissionskoeffizient der Fläche i
"i innere Leistungszahl
Liste der Formelzeichen XLIII

"I Emissionskoeffizient im Bereich des infraroten Lichts


"j Emissionskoeffizient der Fläche j
"min minimale Gleitzahl
"s Emissionskoeffizient im Bereich des sichtbaren Lichts
"v Emissionskoeffizient im Spektrum der sichtbaren Sonnenstrahlung
" Emissionskoeffizient in Abhängigkeit der Wellenlänge 
Heizzahl einer Wärmepumpe
a Jahresheizzahl einer Wärmepumpe
c Carnot-Wärmeverhältnis
i Wärmeverhältnis des „inneren“ thermodynamischen Prozesses

Wirkungsgrad

Ausnutzungsgrad

0 Düsenwirkungsgrad

00 Laufschaufelwirkungsgrad

a Wirkungsgrad des Wärmepumpenantriebs

c Carnot-Wirkungsgrad

F Freihangwirkungsgrad

F l dynamische Viskosität des Fluids

h Wirkungsgrad der Wasserkraftanlage zwischen Ober- und Unterwasser

HF Wirkungsgrad eines Heliostatenfeldes

i innerer Gütegrad

i Prozessgüte

t h Wärmerückgewinnungseffizienz

WP Carnot-Gütegrad

mech.-elek. mechanisch-elektrischer Wirkungsgrad

PV photovoltaischer Wirkungsgrad

Rot Wirkungsgrad des Rotors

Turbine Turbinenwirkungsgrad

Vd äußerer Wirkungsgrad Verdichter

WKA Anlagenwirkungsgrad Wasserkraftanlage


spezifischer Leitwert
thermische Diffusivität
 Längengrad
 Laufzahl (Wasserturbinen)
 Rohrreibungszahl
 Schnelllaufzahl
 Wärmeleitfähigkeit
 Wellenlänge
0 Bezugsmeridian
Sp Wärmeleitfähigkeit des speichernden Körpers Sp / der speichernden
Materie Sp
 dynamische Viskosität
XLIV Liste der Formelzeichen

 Schermodul
 Schluckzahl
0 magnetische Feldkonstante
Photonenfrequenz
Poissonzahl
W a kinematische Viskosität des Wassers
Strömungswiderstand
Verlustbeiwert
Dif Verlustbeiwert für den Diffusor
EB Verlustbeiwert für das Einlaufbauwerk
RL Verlustbeiwert der Rohrleitung
W a spezifische Strömungsverluste des Wassers
 Temperatur
0 Jahresdurchschnittstemperatur
1 Temperatur an der Stelle 1
2 Temperatur an der Stelle 2
a Sichthalbwinkel
Abs Absorbertemperatur
aus Austrittstemperatur
De Temperatur Decke
e Umgebungstemperatur
ein Eintrittstemperatur
Erdoberfläche Temperatur der Erdoberfläche
F b Temperatur Fußboden
Festkörper Temperatur eines Festkörpers
Fluid Temperatur eines Fluids
ges gesamter Temperaturunterschied
i Raumtemperatur
i,set gewünschte Raumtemperatur
Kol Temperaturunterschied des Kollektors
Körper Temperatur des Körpers / des Gesteins
Luft Temperatur der Luft
W i Temperatur Wintergarten
 Kreiszahl
 Reflexionskoeffizient
a Dichte der Luft
Abs Reflexionskoeffizient des Absorbers
F l Fluiddichte
I Reflexionskoeffizient im Bereich des infraroten Lichts
real tatsächlicher Reflexionskoeffizient
v Reflexionskoeffizient im Bereich des sichtbaren Lichts
s,g mit dem Solarspektrum gewichtete Reflektivität
Liste der Formelzeichen XLV

Saug Dichte auf der Saugseite des Kompressors


Sp Dichte des speichernden Körpers / der speichernden Materie
Spiegel Spiegelreflektivität
W a Dichte des Wassers
W a;1 Dichte des Wassers an der Stelle 1
W a;2 Dichte des Wassers an der Stelle 2
W i Dichte der Luft / des Windes
W i;1 Dichte der Luft / des Windes an der Stelle 1
W i;2 Dichte der Luft / des Windes an der Stelle 2
Wi,i Dichte der Luft / des Windes an der Stelle i
 Schnellläufigkeit
 Stefan-Boltzmann Konstante
 Transmissionskoeffizient
 Lebensdauer der Ladungsträger
Abd Transmissionskoeffizient der Absorberabdeckung
e Transmissionskoeffizient eines transparenten Bauteils, Strahlungstransmissi-
onsgrad
e Transmissionskoeffizient eines transparenten Bauteils bezogen auf den senk-
rechten Strahlungseinfall
G Transmissionskoeffizient der Globalstrahlung
GA Transmissionskoeffizient der Gasabsorption
I Transmissionskoeffizient im Bereich des infraroten Lichts
MS Transmissionskoeffizient der Mie-Streuung
PA Transmissionskoeffizient der Partikelabsorption
RS Transmissionskoeffizient der Rayleigh-Streuung
v Transmissionskoeffizient im Spektrum der sichtbaren Sonnenstrahlung
' Breitengrad
' magnetischer Fluss
' Phasenverschiebung
cos ' Leistungsfaktor
'1 magnetischer Fluss in Phase 1
'2 magnetischer Fluss in Phase 2
'3 magnetischer Fluss in Phase 3
'Spannung Nullphasenwinkel der sinusförmigen Spannung
'Strom Nullphasenwinkel des sinusförmigen Stroms
˚eff effektive Porosität
Einfallswinkel
z Zenitwinkel
! Drehfrequenz, Kreisfrequenz
! Winkelgeschwindigkeit
!m,0 mechanische synchrone Nenn-Winkelgeschwindigkeit
!S t Stundenwinkel
Teil I
Erneuerbare Energien in Mitteleuropa
Einführung und Aufbau
1
Martin Kaltschmitt, Lucas Sens und Wolfgang Streicher

Ziel der Ausführungen dieses Buches ist es, die Möglichkeiten und Grenzen einer Nutzung
des regenerativen oder erneuerbaren Energieangebots umfassend darzustellen und vertieft
zu diskutieren. Deshalb werden sowohl die jeweiligen physikalischen und entsprechen-
den technischen Grundlagen dargestellt als auch unterschiedliche Kenngrößen abgeleitet
und quantifiziert, die eine umfassende Einordnung dieser Optionen untereinander und in
das Energiesystem ermöglichen. Um dem Anspruch einer einfachen, verständlichen und
transparenten Darstellung der z. T. sehr verschiedenartigen Möglichkeiten zur Nutzung
regenerativer Energien möglichst nahe zu kommen, sind die einzelnen Kapitel, in denen
die unterschiedlichen Varianten erläutert werden, vergleichbar strukturiert – soweit dies
möglich, sinnvoll und praktisch umsetzbar ist.
Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden zunächst auf das globale und deutsche
Energiesystem eingegangen; dadurch wird der Rahmen abgesteckt, in den eine Energie-
bereitstellung aus regenerativen Energien integriert werden muss. Anschließend werden
der grundsätzliche Aufbau, der den einzelnen Kapiteln dieses Buches zugrunde liegt, nä-
her erklärt sowie wesentliche energietechnische und -wirtschaftliche Begriffe, auf die in
den anschließenden Kapiteln immer wieder Bezug genommen wird, definiert. Auch wird
das jeweilige methodische Vorgehen vorgestellt, das der Bestimmung einzelner ökonomi-
scher und ökologischer Kennwerte zugrunde liegt, durch die die Möglichkeiten und auch
die Grenzen einer Nutzung des regenerativen Energieangebots charakterisiert werden kön-
nen. Abschließend werden zusätzlich die Techniken zur Nutzung fossiler Energieträger,
die durch die beschriebenen Optionen zur Nutzung regenerativer Energien am ehesten
substituiert werden könnten, kurz dargestellt sowie ebenfalls ökonomisch und ökologisch
charakterisiert; sie stellen quasi einen „Maßstab“ dar, mit dem die Optionen zur Nutzung
der erneuerbaren Energien bewertet werden können.

Autoren in alphabetischer Reihenfolge mit Beiträgen zum Kapitel; die Autorenzuordnung geht aus
den einzelnen Unterkapiteln hervor.
Martin Kaltschmitt, Lucas Sens, Hamburg, Deutschland
Wolfgang Streicher, Innsbruck, Österreich
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 3
M. Kaltschmitt, W. Streicher, A. Wiese (Hrsg.), Erneuerbare Energien,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-61190-6_1
4 M. Kaltschmitt et al.

1.1 Energiesystem

Martin Kaltschmitt

Unser gegenwärtiger Lebensstandard ist ohne einen entsprechenden Energieeinsatz zur


Deckung der gegebenen Energienachfrage bzw. die Bereitstellung der daraus resultieren-
den Energiedienstleistung (z. B. warmer Raum, Information, Mobilität) nicht möglich.
Dabei ist dieser Energieeinsatz zwingend mit einer Reihe von Umweltbeeinflussungen
und -auswirkungen verbunden, die von einer bezüglich potenzieller Umwelteffekte zuneh-
mend sensibilisierten europäischen Gesellschaft immer weniger toleriert werden. Deshalb
war und ist dieses untrennbar mit allen bisher bekannten Energiesystemen zwingend ver-
bundene „Umweltproblem“ in den energietechnischen, -wirtschaftlichen und -politischen
Diskussionen in Deutschland, Europa und z. T. auch weltweit immer noch ein bestimmen-
des Thema – und das mit – zumindest in einigen Weltregionen – zunehmender Bedeutung.
Daran wird sich auch zukünftig aus gegenwärtiger Sicht nichts ändern, wie sich u. a. an der
weltweiten Kontroverse um die möglichen Gefahren des anthropogenen Treibhauseffekts
und der stark emotionalisierten Diskussion um die Feinstaubemissionen beispielsweise
aus dem Verkehr oder dem Hausbrand zeigt. Eher ist mit steigendem Wissensstand und
einem immer schneller voranschreitenden wissenschaftlichen Erkenntnisprozess von einer
zunehmenden Problematisierung der mit der Energienutzung im weitesten Sinne zusam-
menhängenden Effekte auf den Menschen und die natürliche Umwelt auszugehen. Vor
diesem Hintergrund wird im Folgenden die Dimension des weltweiten, des europäischen,
des deutschen und des österreichischen Energiesystems dargestellt und diskutiert. Zuvor
werden jedoch die wesentlichen Energiebegriffe definiert.

1.1.1 Energiebegriffe

Unter Energie wird allgemein die Fähigkeit eines Systems verstanden, äußere Wirkungen
hervorzubringen. Dabei kann unterschieden werden zwischen

 mechanischer Energie (d. h. potenzielle und kinetische Energie),


 thermischer Energie,
 elektrischer Energie,
 chemischer Energie,
 Kernenergie und
 Strahlungsenergie.

In der praktischen Energieanwendung äußert sich die Arbeitsfähigkeit der Energie in


Form von Kraft, Wärme und Licht. Nur die Arbeitsfähigkeit der chemischen Energie
sowie der Kern- und Strahlungsenergie ist erst durch eine Umwandlung dieser Energie-
formen in mechanische und / oder thermische Energie gegeben.
1 Einführung und Aufbau 5

Primärenergie Umwandlungsverl.
(z.B. Steinkohle, Braunkohle, Verteilungsverl.
Erdöl, Erdgas, Uran, Eigenbedarf
Wasserkraft, Solarstrahlung, Nicht-energ. Verbr.
Rohbiomasse)

Sekundärenergie
Umwandlungsverl.
Verteilungsverl. (z.B. Koks, Briketts, Benzin,
Biodiesel, Heizöl, Strom,
Eigenbedarf Stückholz, Fernwärme)
Nicht-energ. Verbr.
Endenergie
Umwandlungsverl. (z.B. Briketts, Benzin,
Verteilungsverl. Heizöl, Erdgas, Strom,
Eigenbedarf Hackschnitzel,
Nicht-energ. Verbr. Fernwärme)

Verluste beim Nutzenergie


Verbraucher (z.B. Wärme, Kraft,
Licht)

Energiedienstleistung
Regel-, Steuerverl.
Energieeffizienz (z.B. warmer Raum, Personen-
bzw. Tonnenkilometer,
Gebäude Kühlleistung)
Nutzerverhalten

Abb. 1.1 Energiewandlungskette (Verl. Verluste; energ. energetischer; Verbr. Verbrauch; nach [1.1])

Unter einem Energieträger – und damit einem „Träger“ der oben definierten Energie
– wird ein Stoff verstanden, aus dem direkt oder durch eine oder mehrere Umwandlun-
gen End- bzw. Nutzenergie gewonnen werden kann. Energieträger werden daher nach
dem Grad der Umwandlung – und damit entlang der gesamten Bereitstellungskette von
der eigentlichen „Produktion“ bis zur finalen „Nutzung“ durch den Letztverbraucher –
unterteilt in Primär- und Sekundärenergieträger sowie Endenergieträger. Der jeweilige
Energieinhalt dieser Energieträger ist die Primärenergie, die Sekundärenergie und die
Endenergie. Letztere stellt dann zumeist die Nutzenergie für die final typischerweise ge-
wünschte Energiedienstleistung bereit. Diese einzelnen Begriffe sind wie folgt definiert
(Abb. 1.1; u. a. [1.1]).

 Unter Primärenergieträgern werden Stoffe und unter der Primärenergie der Energiein-
halt der Primärenergieträger und damit der „primären“ Energieströme verstanden, die
noch keiner technischen Umwandlung unterworfen wurden. Aus Primärenergie (z. B.
Windkraft, Solarstrahlung) oder -trägern (z. B. Steinkohle, Braunkohle, Erdöl, Erdgas,
Biomasse) können direkt oder durch eine oder mehrere Umwandlungen Sekundärener-
gie oder -träger gewonnen werden.
 Sekundärenergieträger sind Energieträger und Sekundärenergie ist der Energieinhalt
der Sekundärenergieträger oder der von Energieströmen, die direkt oder durch eine
oder mehrere Umwandlungen in technischen Anlagen aus Primär- oder aus anderen
Sekundärenergieträgern bzw. -energien hergestellt werden (z. B. Benzin, Heizöl, Raps-
6 M. Kaltschmitt et al.

öl, elektrische Energie). Dabei fallen u. a. Umwandlungs- und Verteilungsverluste an.


Sekundärenergieträger bzw. Sekundärenergien stehen Verbrauchern zur Umwandlung
in andere Sekundär- oder Endenergieträger bzw. -energien zur Verfügung.
 Unter Endenergieträgern werden Energieträger und unter Endenergie der Energieinhalt
der Endenergieträger bzw. der entsprechenden Energieströme verstanden, die der End-
oder Letztverbraucher bezieht (z. B. Heizöl im Öltank des Einfamilienhauses, Holz-
hackschnitzel vor der Feuerungsanlage, Fernwärme an der Hausübergabestation). Sie
resultieren aus Sekundär- oder ggf. Primärenergieträgern bzw. -energien, vermindert
um die Umwandlungs- und Verteilungsverluste, den Eigenverbrauch und den nicht-
energetischen Verbrauch (darunter wird eine stoffliche Nutzung der Energie / der Ener-
gieträger beispielsweise zur Herstellung von Kunststoffen in der chemischen Industrie
verstanden). Endenergieträger stehen dann für die Umwandlung in Nutzenergie beim
End- oder Letztverbraucher zur Verfügung.
 Mit Nutzenergie wird letztlich die Energie bezeichnet, die nach der letzten Umwand-
lung in den Geräten des Verbrauchers für die Befriedigung der jeweiligen Bedürfnisse
(z. B. Raumtemperierung, Nahrungszubereitung, Information, Beförderung, Beleuch-
tung) verfügbar ist. Sie wird gewonnen aus Endenergieträgern bzw. aus Endenergie,
vermindert um die Verluste dieser letzten Umwandlung (z. B. Verluste infolge der Wär-
meabgabe einer konventionellen Glühlampe für die Erzeugung von Licht, Verluste in
einer Hackschnitzelfeuerung bei der Bereitstellung von Wärme).
 Unter der Energiedienstleistung werden die aus dem Einsatz von Nutzenergie und an-
deren Produktionsfaktoren befriedigten Bedürfnisse (z. B. beheizte, klimatisierte und /
oder beleuchtete Räume), erzeugten Güter (z. B. Aluminium) bzw. bereitgestellten
Dienstleistungen (z. B. Transport eines bestimmten Gutes über eine definierte Entfer-
nung) verstanden. Eine Energiedienstleistung ist damit der physikalische Nutzeffekt
als Ergebnis der Kombination von Nutzenergie mit einer entsprechenden Technolo-
gie und / oder mit Maßnahmen, welche die erforderlichen Aktivitäten zur Erbringung
dieser Dienstleistung beinhalten können.

Die gesamte der Menschheit prinzipiell zur Verfügung stehende Energie wird als Ener-
giebasis bezeichnet. Sie setzt sich aus der Energie der (meist endlichen) Energievorräte
und der (weitgehend regenerativen oder erneuerbaren) Energiequellen zusammen.
Energievorräte können unterteilt werden in fossile (aus dem lateinischen Wort fossilis
((aus)gegraben)) und rezente Vorräte (aus dem lateinischen Wort recens (soeben, kürzlich,
frisch)). Dies wird nachfolgend definiert.

 Fossile Energievorräte sind Vorräte, die in vergangenen geologischen Zeitaltern durch


biologische, physikalische, chemische und / oder geologische Prozesse (wahrscheinlich
durch eine Kombination derartiger Prozesse) gebildet wurden. Dabei wird unterschie-
den zwischen
– fossil biogenen Energievorräten (d. h. Energievorräten, die biologischen / organischen
Ursprungs sind und damit ursächlich aus abgestorbener Pflanzen- und / oder Tier-
1 Einführung und Aufbau 7

masse resultieren (und damit letztlich originär aus der Sonnenenergie stammen)),
und
– fossil mineralischen Energievorräten (d. h. Vorräte mineralischen bzw. nicht biolo-
gischen / organischen Ursprungs, die potenziell aus sehr frühen Phasen der Erdent-
stehung resultieren (und damit letztlich nicht auf die eingestrahlte Sonnenenergie
zurückzuführen sind)).
Zu der ersteren Gruppe zählen u. a. die Stein- und Braunkohle- sowie die Erdgas- und
Erdöllagerstätten und zu der letzteren Kategorie u. a. die Energieinhalte der Uranlager-
stätten und die Vorräte an Kernfusionsausgangsstoffen.
 Rezente Vorräte sind Energievorräte, die in gegenwärtigen Zeiten z. B. durch biologi-
sche, ggf. in Verbindung mit physikalisch-chemischen bzw. geologischen Prozessen,
die durch den Menschen nicht (unmittelbar) beeinflussbar sind, gebildet werden. Hier-
zu gehören z. B. der Energieinhalt der Biomasse oder die potenzielle Energie des Was-
sers eines natürlichen Stausees.

Energiequellen liefern im Unterschied zu den genannten Energievorräten über einen


sehr langen Zeitraum Energieströme; sie werden deshalb – gemessen in menschlichen
Dimensionen – als „unerschöpflich“ (auch als „erneuerbar“ oder als „regenerativ“) an-
gesehen. Aber auch wenn diese Zeiträume sehr lang – in menschlichen Dimensionen
nahezu oder quasi „unendlich“ – sein sollten, sind sie letztlich – in geologischen Zeit-
räumen gemessen – immer zwingend endlich. Auch diese „erneuerbaren“ Energieflüsse
werden bzw. wurden ursächlich durch natürlich und vom Menschen unbeeinflussbar ab-
laufende Prozesse aus einem (endlichen) fossil mineralischen Energievorrat kontinuierlich
und technisch nicht steuerbar freigesetzt. Beispiele dafür sind die von der Sonne in den
Weltraum freigesetzte Strahlung, die aus der dort ablaufenden Kernfusion resultiert (Kapi-
tel 2.2), und die Wärmeproduktion infolge des radioaktiven Zerfalls bestimmter Elemente
(Kapitel 2.7), die z. B. in der Erdkruste natürlicherweise vorkommen können; dabei sind
sowohl die Kernfusionsausgangsstoffe auf der Sonne als auch die radioaktiven Elemen-
te in der Erdkruste bezüglich der insgesamt vorhandenen Mengen, die fusionieren bzw.
gespaltet werden können, begrenzt (d. h. endlicher Energievorrat).
Bei den verfügbaren Energien bzw. Energieträgern kann – analog zu den Vorräten – zu-
sätzlich unterschieden werden zwischen fossil biogener, fossil mineralischer und erneuer-
barer Energie bzw. fossil biogenen, fossil mineralischen und erneuerbaren Energieträgern.

 Unter fossil biogenen Energieträgern werden im Wesentlichen die Energieträger Kohle


(d. h. Braun- und Steinkohlen) sowie flüssige und gasförmige Kohlenwasserstoffe (u. a.
Erdöl, Erdgas, Erdölgas) verstanden. Weiterhin kann unterschieden werden zwischen
fossil biogenen Primärenergieträgern (z. B. Rohbraunkohle, Rohöl) und fossil biogenen
Sekundärenergieträgern (z. B. Steinkohlebrikett, Benzin, Diesel).
 Unter fossil mineralischen Energieträgern werden die Stoffe zusammengefasst, aus de-
nen durch eine Kernspaltung oder -fusion Energie bereitgestellt werden kann (u. a.
Uran, Thorium, Wasserstoff).
8 M. Kaltschmitt et al.

 Unter erneuerbaren oder regenerativen Energien werden die Primärenergien bzw. Pri-
märenergieströme verstanden, die – gemessen in menschlichen Dimensionen – als
unerschöpflich angesehen werden. Sie werden laufend aus den der Menschheit ins-
gesamt zur Verfügung stehenden regenerativen Energiequellen „Gezeitenenergie“,
„geothermische Energie“ und „Solarenergie“ gespeist (Kapitel 2.1); insbesondere letzte-
re ist für eine Vielzahl weiterer erneuerbarer oder regenerativer Energien verantwortlich
(u. a. Windenergie, Wasserkraft, Biomasse). Die im Abfall bzw. im Müll enthaltene
Energie ist nur dann als erneuerbar zu bezeichnen, wenn sie nicht fossil biogenen oder
fossil mineralischen Ursprungs ist (d. h. nur die organische Abfall- bzw. Müllfrakti-
on wie z. B. der Biomüll der Haushalte, Gartenabfälle oder organische Abfälle aus
der Lebensmittelbe- und -verarbeitung zählen strenggenommen zu den erneuerbaren
Energien; vielfach wird aber auch das gesamte Müll- bzw. Abfallaufkommen – unab-
hängig von der Herkunft (ein Teil des anfallenden Mülls resultiert ursächlich auch aus
fossilen Energieträgern wie beispielsweise Kunststoffabfälle) – zu den erneuerbaren
Energien gezählt mit dem Argument, dass Müll immer wieder neu anfällt und damit
quasi „erneuerbar“ ist). Regenerativ im eigentlichen Sinne sind auch nur die natürlich
vorkommenden erneuerbaren Primärenergien, nicht aber die daraus resultierenden Se-
kundär- oder Endenergien bzw. -träger. Beispielsweise ist der mithilfe einer technischen
Umwandlungsanlage gewonnene elektrische Strom aus der solaren Strahlung oder den
strömenden Luftmassen (Windenergie) nicht regenerativ; er ist nur so lange verfügbar,
wie auch die entsprechende technische Umwandlungsanlage betrieben werden kann.
Trotzdem werden umgangssprachlich vielfach auch die aus erneuerbaren Energien ge-
wonnenen Sekundär- und Endenergieträger als regenerativ oder erneuerbar bezeichnet;
beispielsweise wird umgangssprachlich oft von regenerativem Strom gesprochen.

1.1.2 Weltweiter Energieverbrauch

Im Folgenden werden die Dimension des globalen Energiesystems und dessen Entwick-
lung in den vergangenen Jahren dargestellt und diskutiert.

Primärenergieverbrauch Der weltweite Verbrauch an fossil biogenen (d. h. Stein- und


Braunkohle, Rohöl und Erdgas) lag 2018 bei 491,7 EJ [1.2]. Hinzu kommt ein Verbrauch
an fossil mineralischen Primärenergieträgern (d. h. Uran) von 25,6 EJ (2018) [1.2]. Wei-
terhin addiert sich dazu ein statistisch erfasster regenerativer Primärenergieverbrauch von
rund 39,7 EJ (2018) aus Wasserkraft und etwa 23,5 EJ (2018) aus anderen erneuerbaren
Energien [1.2]. Diese anderen erneuerbaren Energien verteilen sich zu 51 % auf die Wind-
kraft, zu 24 % auf die solare Stromerzeugung und zu 25 % auf sonstige erneuerbare Ener-
gien wie beispielsweise die Biomasse oder die Geothermie [1.2]. Nicht berücksichtigt in
diesen Zahlenangaben ist dabei die traditionelle und auch z. T. moderne Biomassenutzung
insbesondere im Wärmemarkt (u. a. Kochenergie beispielsweise in ländlichen Gebieten
von Entwicklungs- und Schwellenländern, Wärmeenergie zum Beheizen von Wohnungen
1 Einführung und Aufbau 9

600
Asien und paz. Raum
550
Afrika
500 Mittlerer Osten
Europa und GUS
Primärenergieverbrauch in EJ/a

450
Zentral- und Südamerika
400 Nordamerika

350

300

250

200

150

100

50

0
1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015
Zeit in Jahren

Abb. 1.2 Entwicklung des weltweiten Verbrauchs an fossilen Primärenergieträgern sowie an Was-
serkraft und anderen regenerativen Energien (paz. pazifischer; GUS Gemeinschaft Unabhängiger
Staaten (ehemalige Sowjetunion); Daten nach [1.2]; ohne Berücksichtigung der traditionellen Bio-
massenutzung)

in Entwicklungs- und Schwellenländern sowie in den Industriestaaten aus Einzelfeuerun-


gen, Nah- bzw. Fernwärme aus KWK-Anlagen (Kraft-Wärme-Kopplung, KWK) zur Nut-
zung biogener Festbrennstoffe und von Biogas primär in den Industriestaaten). Insgesamt
dürfte diese zusätzliche Biomassenutzung bei einem geschätzten Primärenergieäquivalent
von 56 bis 64 EJ (2018) liegen. Geht man für diesen Biomasseeinsatz im Wärmemarkt
für 2018 näherungsweise von im globalen Durchschnitt rund 60 EJ aus, errechnet sich ein
gesamter globaler Primärenergieeinsatz von etwa 640 EJ (2018).
Von dem gesamten Verbrauch an fossiler Primärenergie (d. h. Öl, Gas, Kohle, Kern-
energie) von knapp 517 EJ (2018) entfielen rund 21 % auf Europa und die GUS (Ge-
meinschaft Unabhängiger Staaten; primär Russland und andere Nachfolgestaaten der ehe-
maligen Sowjetunion) sowie knapp 21 % auf Nordamerika, ca. 4,1 % auf Zentral- und
Südamerika, etwa 7,3 % auf das Gebiet des Mittleren Ostens, rund 3,4 % auf Afrika und
etwas mehr als 43 % auf Asien und den pazifischen Raum; letzterer wird von Australien
und Neuseeland dominiert. Damit werden in Nordamerika, in Europa, in den GUS und in
Asien (einschließlich des pazifischen Raums) rund 85 % der derzeit weltweit eingesetzten
Primärenergie aus fossil biogenen und fossil mineralischen Energieträgern eingesetzt.
Nach Abb. 1.2 hat der Verbrauch an fossil biogener und fossil mineralischer Primär-
energie sowie an Wasserkraft und anderen regenerativen Energien (d. h. ohne Berücksich-
10 M. Kaltschmitt et al.

tigung der traditionellen Biomassenutzung) in den letzten 50 Jahren um mehr als den
Faktor 3 zugenommen. Ein merklicher Anstieg ist bei praktisch allen dargestellten Re-
gionen zu erkennen; die mit Abstand größte Zunahme des Primärenergieverbrauchs zeigt
aber Asien einschließlich des pazifischen Raums – und hier insbesondere China (und das
primär in dem Zeitraum zwischen der Jahrtausendwende und Anfang / Mitte der 2010er
Jahre) und eingeschränkter Indien. Deutlich wird auch, dass diese Energieverbrauchs-
zuwächse nicht stetig verlaufen sind, sondern durch die beiden Ölpreiskrisen 1973 und
1979/80 sowie die globale Finanzkrise 2008/09 spürbar beeinflusst wurden. Dabei hatte
sich Anfang der 1990er Jahre – im Vergleich zu den Vorjahren – der Anstieg des weltwei-
ten Primärenergieverbrauchs verlangsamt; dies war u. a. auf die schlechte konjunkturelle
Lage der Weltwirtschaft und die z. T. erheblichen Umbrüche und die daraus resultieren-
den Umstrukturierungsprozesse im ehemaligen Ostblock einschließlich der ehemaligen
UdSSR (Sowjetunion) zurückzuführen. Gleichzeitig ist im asiatischen Raum der fossi-
le Primärenergieeinsatz deutlich angestiegen. Gegen Mitte bis Ende der 1990er Jahre
ist es insgesamt wieder zu einem schnelleren Anstieg des weltweiten Primärenergiever-
brauchs gekommen, nachdem sich einzelne Volkswirtschaften nach den Umbrüchen Ende
der 1980er / Anfang der 1990er Jahre wieder neu aufgestellt hatten und wirtschaftliche
Prosperität zeigten. Diese Entwicklung hat sich dann in der ersten Hälfte der Nuller Jahre
(2000 bis 2010) fortgesetzt und z. T. noch verstärkt. In diesem Zeitraum ist es primär auf-
grund der guten wirtschaftlichen Entwicklung und des merklichen Bevölkerungswachs-
tums in Asien – dies gilt insbesondere für die Volksrepublik China – zu einem noch
stärkeren Verbrauchsanstieg gekommen, der nur durch die Finanzkrise 2008/09 kurzfristig
unterbrochen wurde.
Der Gesamtenergieverbrauch an fossilen Energieträgern sowie an Wasserkraft und an-
deren regenerativen Energien (ohne traditionelle Biomassenutzung) wurde im Jahr 2018
zu 34 % durch Erdöl, zu 24 % aus Erdgas, zu 27 % durch Kohlen (d. h. Braun- und Stein-
kohlen), zu 7 % durch elektrische Energie aus Wasserkraft, zu 4 % durch Kernkraft und
zu 4 % aus anderen regenerativen Energien gedeckt. Dabei variieren die Anteile jedoch
erheblich in Abhängigkeit von regionalen und nationalen Gegebenheiten, die aus der
nationalen Energiepolitik bzw. den regional unterschiedlich verfügbaren Primärenergie-
vorkommen resultieren (Abb. 1.3). Beispielsweise wird in Asien ein Großteil der fossilen
Primärenergie durch Kohlen (primär Steinkohlen) bereitgestellt (im Wesentlichen in der
Volksrepublik China), während dieser Energieträger z. B. im Mittleren Osten kaum Be-
deutung hat. Aufgrund der dortigen großen Vorkommen an Erdöl und -gas dominiert hier
der Einsatz von flüssigen und in den letzten Jahrzehnten verstärkt auch gasförmigen fos-
silen Kohlenwasserstoffen; da Erdöl leichter und mit etablierten Logistikketten auf den
internationalen Energiemärkten verkauft werden kann, wird Erdgas hier eher zur Deckung
der heimischen Nachfrage eingesetzt. Entsprechend ist auch der hohe Erdgaseinsatz in
Russland auf die dort vorhandenen großen Vorkommen zurückzuführen.
In den bisher dargestellten Angaben sind nur die auf den kommerziellen Weltenergie-
märkten gehandelten Energieträger (einschließlich der Biokraftstoffe, die im Transport-
sektor eingesetzt werden, wie u. a. Biodiesel und Bioethanol) sowie die Stromerzeugung
1 Einführung und Aufbau 11

250,6
124,8
118,6

37,8

19,3
Reg. Energien
29,4
Kernenergie

Kohle

Erdgas

Mineralöl Angaben in EJ/a

Abb. 1.3 Weltweiter Primärenergieverbrauch nach Regionen und Energieträgern im Jahr 2018 (Da-
ten nach [1.2]; ohne Berücksichtigung der traditionellen Biomassenutzung mit einem Energieeinsatz
zwischen 56 und 64 EJ (2018))

aus Wasserkraft, Windenergie, Solarstrahlung, Biomasse, Geothermie und Kernenergie


enthalten; d. h. unkonventionelle Energien (z. B. Brennholz und andere traditionell ge-
nutzte, aber typischerweise nicht bzw. nur sehr begrenzt überregional gehandelte Bio-
massen (u. a. Stroh, Dung)) sind damit nicht berücksichtigt, obwohl sie insbesondere zur
Bereitstellung von Wärme zum Kochen und / oder für die Raumheizung global gesehen ei-
nen durchaus erheblichen Beitrag zur Energienachfragedeckung in Entwicklungsländern,
in Schwellenländern und in den Industriestaaten leisten [1.21]. Über die Höhe und die
regionale Verteilung dieses Einsatzes an traditioneller Biomasse liegen bisher nur z. T.
sehr grobe Schätzungen vor, die – bezogen auf das Jahr 2018 – zwischen 56 und knapp
64 EJ (2018) schwanken [1.13]. Demnach trägt die traditionelle Nutzung der Biomasse
primär für den Wärmemarkt (d. h. Koch- und Heizenergie), die sich einer verlässlichen
statistischen Erfassung heute und potenziell auch zukünftig weitgehend entzieht, da diese
biogenen (Fest-)Brennstoffe nicht bzw. nur sehr eingeschränkt – im Vergleich zu ande-
ren (fossilen) Energieträgern – auf den überregionalen und internationalen kommerziellen
Energiemärkten gehandelt werden, mit rund 10 bis 11 % bezogen auf den weltweiten
Primärenergieeinsatz an fossil biogenen und fossil mineralischen Energieträgern zur De-
ckung der gegebenen Energienachfrage bei.
In den letzten 50 Jahren hat sich dieser weltweite Energieträgermix merklich verändert
(Abb. 1.4). Dies gilt insbesondere für Erdgas; dieser Energieträger hatte 1965 nur einen An-
teil am gesamten globalen Primärenergieverbrauch (einschließlich der unkonventionellen
Biomassenutzung) von knapp 14 % und trug im Jahr 2018 bereits mit knapp 22 % zur De-
12 M. Kaltschmitt et al.

650
Weitere reg. Energien
600
Unkonventionelle Biomasse
550 Wasserkraft
Primärenergieverbrauch in EJ/a

500 Kernenergie
Gas
450
Öl
400 Kohle

350

300

250

200

150

100

50

0
1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015
Zeit in Jahren

Abb. 1.4 Weltweiter Primärenergieverbrauch nach Energieträgern (reg. regenerative; Daten u. a.


nach [1.2])

ckung des globalen Primärenergieverbrauches bei. Die Kernenergie hatte im Jahr 1965 mit
weniger als 0,2 % bezogen auf den globalen Primärenergieverbrauch kaum Bedeutung; im
Jahr 2018 wurden damit knapp 4 % der gesamten weltweiten Primärenergienachfrage ge-
deckt. Der Verbrauch von Kohlen ist von 68 EJ (1965) auf knapp 158 EJ (2018) und damit
um den Faktor 2,3 deutlich angestiegen; bezogen auf den gesamten Primärenergieverbrauch
ist er jedoch von rund 34 % im Jahr 1965 auf knapp 25 % im Jahr 2018 zurückgegangen.
Beim Mineralöl stieg der Verbrauch im gleichen Zeitraum von rund 65 EJ (1965) auf knapp
195 EJ (2018) an und hat sich damit etwa verdreifacht; der Anteil am gesamten Primärener-
gieverbrauch ist im gleichen Zeitraum von 38 auf 30 % gefallen. Aufgrund der Berücksich-
tigung der unkonventionellen Biomassenutzung unterscheiden sich diese Angaben von den
üblicherweise ausgewiesenen Anteilen, die sich oft nur auf den fossilen Primärenergieein-
satz – und damit einen Teil des gesamten Energiesystems – beziehen.

Elektrische Energie Die gesamte globale Bruttostromerzeugung lag im Jahr 2018 bei
etwa 26,6 PWh [1.3]; dabei werden etwas mehr als 42 % in den OECD-Staaten und die
verbleibenden knapp 58 % in den Nicht-OECD-Staaten erzeugt. Diese Bruttostromerzeu-
gung war in den letzten Jahrzehnten durch einen erheblichen und weitgehend konstanten
Zuwachs gekennzeichnet; beispielsweise wurden 1985 global nur rund 9,9 PWh erzeugt
und damit nur ca. 37 % bezogen auf die Stromerzeugung im Jahr 2018. Damit stieg die
Bruttostromerzeugung in den Jahren zwischen 1985 und 2018 im Durchschnitt um rund
0,5 PWh/a an (Abb. 1.5).
1 Einführung und Aufbau 13

Weitere reg. Energien


25
Wasserkraft
Kernenergie
Bruttostromerzeugung in PWh/a

Gas
20 Öl
Kohle

15

10

0
1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015

Abb. 1.5 Weltweite Bruttostromerzeugung nach Energieträger (reg. regenerative; Daten u. a.


nach [1.2])

Bezogen auf die globale Bruttostromerzeugung im Jahr 2018 resultierten rund 3 % aus
dem Energieträger Erdöl, mehr als 23 % aus Erdgas, etwa 38 % aus Kohlen (Stein- und
Braunkohle), rund 10 % aus der Kernenergie, knapp 16 % aus der Wasserkraft und die ver-
bleibenden rund 10 % aus anderen erneuerbaren Energien. Damit tragen die erneuerbaren
Energien mit über 26 % – und folglich mit etwa einem Viertel – zur Deckung der globalen
Stromnachfrage bei.
Dieser Stromerzeugungsmix war die letzten Jahrzehnte durch stetige Veränderungen
gekennzeichnet. Während der Anteil der Stromerzeugung aus Erdöl sukzessive seit Mit-
te der 1980er Jahre abgenommen hat, ist beim Erdgas und bei den Kohlen (Stein- und
Braunkohlen) ein deutlicher Zuwachs zu verzeichnen; dies gilt relativ und absolut und im
Speziellen für die Kohleverstromung. Demgegenüber ist der absolute Beitrag der Kern-
energie mehr oder weniger konstant geblieben. Im Unterschied dazu wurde die Strom-
erzeugung aus Wasserkraft und aus den sonstigen erneuerbaren Energien in den letzten
Jahren merklich ausgebaut (Abb. 1.5).

1.1.3 Energieverbrauch in der EU

Im Folgenden wird die Dimension des Energiesystems der EU-28 dargestellt und disku-
tiert.

Primärenergieverbrauch In der EU-28 wurden 2018 an fossil biogenen und fossil mi-
neralischen Primärenergieträgern (d. h. Erdöl, Erdgas, Kohlen, Kernenergie) rund 61,0 EJ
14 M. Kaltschmitt et al.

eingesetzt [1.2]. Werden zusätzlich noch die regenerativen Energien berücksichtigt, er-
rechnet sich ein gesamter Primärenergieverbrauch von 70,9 EJ (2018); d. h. rund 10 EJ
(2018) stammen aus regenerativen Energien (nicht berücksichtigt wurde dabei der unkon-
ventionelle Biomasseeinsatz und damit die Biomasse, die im Wärmemarkt hauptsächlich
in den ländlichen Gebieten Europas primär zur Wärmebereitstellung eingesetzt wird). Von
diesem gesamten Primärenergieverbrauch entfielen knapp 20 % auf Deutschland, etwas
mehr als 15 % auf Frankreich, knapp über 11 % auf Großbritannien, rund 9 % auf Italien
und etwas mehr als 8 % auf Spanien; der Rest verteilt sich auf die verbleibenden Mitglieds-
staaten der EU-28. Damit wird in diesen 5 Staaten knapp zwei Drittel der in der EU-28
eingesetzten Primärenergie (Erdöl, Erdgas, Kohlen, Kernenergie, regenerative Energien
ohne traditionelle Biomassenutzung) verbraucht.
Dieser Primärenergieverbrauch wurde im Jahr 2018 zu rund 38 % durch Erdöl, zu et-
wa 23 % aus Erdgas, zu ca. 13 % durch Kohlen (Braun- und Steinkohlen), zu rund 11 %
durch elektrische Energie aus Kernkraftwerken, zu knapp 5 % durch Strom aus Wasser-
kraft und zu den verbleibenden knapp 10 % aus sonstigen erneuerbaren Energien (ohne
traditionelle Biomasse) gedeckt. Dabei variieren die Anteile jedoch erheblich in Abhän-
gigkeit der jeweiligen nationalen Gegebenheiten, die aus der jeweiligen Energiepolitik
bzw. den national unterschiedlich vorhandenen und erschließbaren Primärenergievorkom-
men resultieren. Beispielsweise spielt in Frankreich die Kernenergie eine große Rolle im
Stromversorgungssystem und in Österreich trägt die Wasserkraft signifikant zur Deckung
der Nachfrage nach elektrischer Energie bei. Auch wird in Großbritannien vergleichswei-
se viel Erdgas und in Polen relativ gesehen viel Kohle zur Deckung der Nachfrage nach
elektrischer Energie verwendet.
In den letzten Jahrzehnten hat sich dieser Energieträgermix merklich verändert
(Abb. 1.6). Dies gilt insbesondere für Erdgas, das 1965 nur einen Anteil am Gesamt-
verbrauch an fossilen Energieträgern (einschließlich der Kernenergie) von unter 5 %
hatte und 2018 rund 23 % bereitstellte. Beim Mineralöl stieg der Verbrauch im gleichen
Zeitraum von ca. 16,8 EJ (1965) auf rund 27,2 EJ (2018). Damit hat er innerhalb dieser
Zeitspanne um mehr als den Faktor 1,6 zugenommen; der Anteil am Gesamtverbrauch
ist aber mit rund 38 % (2018) näherungsweise gleich geblieben. Im Unterschied dazu ist
der Verbrauch an Kohlen von 21,4 EJ (1965) auf rund 9,3 EJ (2018) deutlich gesunken;
bezogen auf den Gesamtverbrauch an fossilen Energieträgern (Erdöl, Erdgas, Kohlen,
Kernkraft) ging damit der Anteil von knapp 51 % (1965) auf rund 13 % im Jahr 2018
zurück. Demgegenüber hatte die Kernenergie im Jahr 1965 noch fast keine Bedeutung;
im Jahr 2018 wurden damit etwa 11 % der Primärenergienachfrage (d. h. Kohle, Erdöl,
Erdgas, Kernenergie, erneuerbare Energien, ohne traditionelle Biomassenutzung) in der
EU-28 gedeckt.

Elektrische Energie In der EU-28 wurde im Jahr 2018 eine Bruttostromerzeugung von
etwa 3,28 PWh realisiert [1.3] (Abb. 1.7). Diese Bruttostromerzeugung war im Verlauf
der 1980er, der 1990er und der 2000er Jahre – und damit quasi bis zur Weltfinanzkrise
2008/09 – durch einen stetigen und deutlichen Zuwachs gekennzeichnet; danach bewegte
1 Einführung und Aufbau 15

75
Primärenergieverbrauch in EJ/a

60

45
Weitere reg. Energien
Wasserkraft
Kernenergie
Gas
30
Öl
Kohle

15

0
1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015

Abb. 1.6 Primärenergieverbrauch in der Europäischen Union nach Energieträger (reg. regenerative;
ohne Kroatien und Slowenien bis 1990; Daten u. a. nach [1.2])
3,4
3,2
3
2,8
Bruttostromerzeugung in PWh/a

2,6
2,4
2,2
2
1,8
1,6
1,4
1,2
1
Weitere reg. Energien
0,8
Wasserkraft
0,6 Kernenergie
0,4 Gas
Öl
0,2
Kohle
0
1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015

Abb. 1.7 Entwicklung der Bruttostromerzeugung in der EU-28 nach Energieträger (ohne Kroatien
und Slowenien bis 1990; reg. regenerative; Daten u. a. nach [1.2])

sich die Stromerzeugung – beeinflusst durch entsprechende konjunkturell bedingte Effek-


te – näherungsweise auf dem heutigen Niveau. Insgesamt war zwischen 1985 und 2018
ein Anstieg von 2,32 PWh (1985) auf 3,28 PWh (2018) – und damit um rund 30 % – zu
verzeichnen.
16 M. Kaltschmitt et al.

Bezogen auf die Bruttostromerzeugung im Jahr 2018 resultierten unter 2 % aus Erdöl,
knapp 19 % aus Erdgas, ca. 20 % aus Kohlen (Stein- und Braunkohle), rund 25 % aus der
Kernenergie, etwa 10 % aus der Wasserkraft und die verbleibenden rund 23 % aus anderen
erneuerbaren Energien (u. a. Windkraft, Photovoltaik, Biomasse). Damit tragen die erneu-
erbaren Energien mit über 33 % – und damit mit etwa einem Drittel – zur Deckung der
Stromnachfrage in der EU-28 bei.
Dieser Stromerzeugungsmix war die letzten Jahrzehnte durch merkliche Veränderun-
gen gekennzeichnet. Der Anteil der Stromerzeugung aus Erdöl hat deutlich abgenommen
und ist heute nahezu bedeutungslos. Erdgas hatte zunächst merkliche Anteile am Strom-
erzeugungsmix gewonnen und dann in den letzten Jahren z. T. wieder verloren. Auch
Kohle hat relativ Marktanteile verloren; gleiches gilt – wenn auch in einem begrenzte-
ren Ausmaß – auch für die Kernenergie. Demgegenüber haben die erneuerbaren Energien
in den letzten Jahren merklich an Marktbedeutung gewonnen (Abb. 1.7).

1.1.4 Energieverbrauch in Deutschland

Im Folgenden wird die Dimension des Energiesystems Deutschland dargestellt und dis-
kutiert.

Primärenergieverbrauch Der Primärenergieverbrauch in Deutschland lag im Jahr 2018


bei rund 12,9 EJ. Dieser Gesamtverbrauch an Primärenergie resultiert zu 34,1 % (4,39 EJ)
aus Mineralöl, zu 23,5 % (3,03 EJ) aus Erdgas, zu 21,6 % (2,78 EJ) aus Stein- und Braun-
kohlen (zu etwa gleichen Anteilen), zu 6,4 % (0,83 EJ) aus der Kernenergie und zu 14,0 %
(1,81 EJ) aus sonstigen Energieträgern (d. h. Wasserkraft und Windenergie, Biomasse, an-
dere erneuerbare Energien, Sonstiges (u. a. Import-Export-Saldo)) (Abb. 1.8). Damit trugen
erneuerbare Energien 2018 mit rund 14 % – und folglich in einer energiewirtschaftlich re-
levanten Größenordnung – zur Deckung der Primärenergienachfrage in Deutschland bei.

Abb. 1.8 Primärenergie- Weitere regenerative


verbrauch (12,9 EJ) nach Energien
Wasser- 12,2 % Kohle
Energieträgern in Deutsch- kraft 21,3 %
land im Jahr 2018 (Daten 0,5 %
nach [1.3]) Kern-
energie
5,5 %

Erdgas
24,3 %
Erdöl
36,2 %
1 Einführung und Aufbau 17

16

14
Primärenergieverbrauch in EJ/a

12

10

Weitere reg. Energien


4
Wasserkraft
Kernenergie
2 Gas
Öl
Kohle
0
1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015

Abb. 1.9 Primärenergieverbrauch in Deutschland nach Energieträger (reg. regenerative; Daten u. a.


nach [1.2])

In den letzten Jahrzehnten war der Primärenergieeinsatz im Energiesystem Deutsch-


land erheblichen Veränderungen unterworfen (Abb. 1.9). Lag er auf dem Gebiet der alten
Bundesländer 1950 noch bei rund 3,97 EJ, stieg er 1960 auf 6,20 EJ und 1970 auf 9,87 EJ
und damit im Verlauf dieser zwei Jahrzehnte um rund das Zweieinhalbfache. Infolge der
beiden Ölpreiskrisen in 1973 und 1979/80 kam es dann jedoch zu einem deutlichen Rück-
gang dieser Zuwachsraten. Mit 12,9 EJ (2018) lag der Primärenergieverbrauch im Jahr
2018 in Deutschland (d. h. alte und neue Bundesländer) sogar geringfügig unterhalb des
vergleichbaren Wertes des Jahres 1973 und nahm damit im Verlauf der letzten 30 Jah-
re einen vergleichsweise geringen Wert an. Unabhängig davon war aber seit 1990 der
Verbrauch an Primärenergie im wiedervereinigten Deutschland relativ konstant – bei ten-
denziell leicht fallender Tendenz – und schwankte in Abhängigkeit u. a. von den aktuellen
konjunkturellen Gegebenheiten zwischen minimal etwas mehr als 12 EJ und maximal rund
15 EJ [1.3].
Dem Primärenergieverbrauch stand 2018 ein Endenergieverbrauch in Deutschland von
9,0 EJ gegenüber. Davon entfielen 5,1 % (0,45 EJ) auf Stein- und Braunkohlen, 29,6 %
(2,67 EJ) auf Kraftstoffe, 0,1 bzw. 6,7 % (zusammen 0,61 EJ) auf schweres bzw. leichtes
Heizöl, 25,3 % (2,28 EJ) auf Brenngase, 20,5 % (1,85 EJ) auf Strom und 4,5 % (0,4 EJ)
auf Fernwärme sowie 8,3 % (0,74 EJ) auf sonstige Endenergieträger [1.3]. Unter letzteren
werden u. a. Holz, Klärschlamm, Solarthermie und Müll zusammengefasst, die als erneu-
erbar angesehen werden; zusätzlich finden sich erneuerbare Energien auch im Bereich des
18 M. Kaltschmitt et al.

Stroms (elektrische Energie), zu geringeren Anteilen auch in der Fernwärme (z. B. aus
biogenen Festbrennstoffen, aus Biogas) und letztlich auch in den Kraftstoffen (u. a. Bio-
diesel, Bioethanol, Biogas). Bezogen auf den gesamten Endenergieverbrauch nehmen sie
einen durchaus energiewirtschaftlich relevanten Anteil ein (siehe oben).

Elektrische Energie Die gesamte Bruttostromerzeugung in Deutschland lag im Jahr


2018 bei etwa über 619 TWh (brutto) [1.3]. Dabei resultierten 83 TWh (2018) aus Erdgas
(Anteil: 13,5 %), 229 TWh (2018) aus Stein- und Braunkohlen (Anteil: 36,2 %), 76 TWh
aus der Kernenergie (Anteil: 12 %) und der verbleibende Rest aus erneuerbaren Energien
und sonstigen Energieträgern (Anteil: 38,3 %) (Abb. 1.10). Dabei wurden bei den erneuer-
baren Energien rund 16,5 TWh (2018) aus der Wasserkraft (Anteil bezogen auf die gesam-
te Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien: 7,3 %), etwa 92,3 TWh aus der Onshore-
Windenergie (Anteil an der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien: 40,9 %), etwa
19,3 TWh aus der Offshore-Windenergie (Anteil an der Stromerzeugung aus erneuerba-
ren Energien: 8,6 %), etwa 46,2 TWh aus der Photovoltaik (Anteil an der Stromerzeu-
gung aus erneuerbaren Energien: 20,5 %), etwa 51,3 TWh aus der Biomasse (d. h. biogene
Festbrennstoffe zum Einsatz in Kraft- und Heizkraftwerken sowie Biogassubstrate zum
Einsatz des Biogases in Gasmotoren / Motor-BHKW) (Anteil an der Stromerzeugung aus
erneuerbaren Energien: 22,7 %) und rund 0,17 TWh (2018) aus der Geothermie (Anteil
an der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien: unter 0,1 %) erzeugt. Damit werden
die erneuerbaren Energien sehr divers genutzt und trugen 2018 mit über einem Drittel zur
Deckung der Stromnachfrage in Deutschland bei.
Dieses Aufkommen an elektrischer Energie war in den letzten Jahrzehnten starken Ver-
änderungen unterworfen (Abb. 1.11). Beispielsweise kam es zwischen 1950 und 1995
fast zu einer Vervierzehnfachung der Bruttostromerzeugung der Kraftwerke der öffent-
lichen Versorgung in den alten Ländern der Bundesrepublik Deutschland. Gleichzeitig

Kernenergie
12,0 % Sonstige
2,4 %
Offshore Windkraft
Steinkohle 3,1 %
13,1 % Photovoltaik
7,3 %

Regenerative
Energien 35,9 %

Biomasse
Onshore Windkraft 7,1 %
Braunkohle 14,5 %
23,1 %

Wasserkraft
3,8 %
Erdgas
13,5 %

Abb. 1.10 Bruttostromerzeugung in Deutschland 2018 nach Energieträger (Daten u. a. nach [1.2])
1 Einführung und Aufbau 19

600
Bruttostromerzeugung in TWh/a

500

400

300

Weitere reg. Energien


200
Wasserkraft
Kernenergie
100 Gas
Öl
Kohle
0
1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015

Abb. 1.11 Entwicklung der Bruttostromerzeugung in Deutschland nach Energieträger (reg. regene-
rative; Daten u. a. nach [1.2])

veränderte sich auch der Erzeugungsmix. Beispielsweise stammte 1950 in den alten Bun-
desländern jeweils rund ein Viertel der Brutto-Erzeugung der öffentlichen Versorgung
aus Wasserkraft- und Braunkohlekraftwerken und knapp die Hälfte aus mit Steinkoh-
len gefeuerten Kraftwerken; z. B. lag 1995 der Anteil der Wasserkraft (d. h. Erzeugung
aus Lauf- und Speicherwasserkraftwerken sowie aus Pumpspeicherkraftwerken) an der
Bruttostromerzeugung der öffentlichen Versorgung in den alten Bundesländern bei 5,0 %,
der der Braun- bzw. Steinkohlen bei 20,2 bzw. 29,6 %, der der Kernenergie bei 38,4 %
und der des Erdgases bei 4,7 %. Absolut gesehen wurde damit dieser Verbrauchsanstieg
an elektrischer Energie in den alten Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland im
Wesentlichen zunächst aus Stein- und Braunkohlen und später zunehmend aus der Kern-
energie gedeckt. Infolge der Setzung der energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen
(insbesondere durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG)) wurde in den Nuller Jahren
(2000 bis 2010) der Anteil der Bruttostromerzeugung aus regenerativen Energien auf mehr
als 20 % (2011) gesteigert. Dabei wurde im Wesentlichen die Windenergie, die Biomasse
und in diesem Jahrzehnt auch die Photovoltaik deutlich weitergehend genutzt. Zusätzlich
wurde 2011 der Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen (sogenannte Energiewende). In
den Jahren seit 2010 wurde die Nutzung des erneuerbaren Energieangebots dann wei-
ter ausgebaut. Dies gilt für nahezu alle Optionen; jedoch waren die absolut höchsten
Zuwächse bei der Windkraft – hier wurde die Offshore-Windstromerzeugung sukzessi-
ve entwickelt – und bei der Photovoltaik zu verzeichnen. Die Biomasse war nur durch
geringe Zuwächse gekennzeichnet und die Geothermie ist nach wie vor näherungsweise
vernachlässigbar.
20 M. Kaltschmitt et al.

1.1.5 Energieverbrauch in Österreich

Im Folgenden wird die Dimension des Energiesystems Österreich dargestellt und disku-
tiert.

Primärenergieverbrauch Der Primärenergieverbrauch in Österreich lag im Jahr 2018


bei rund 1,39 EJ (Abb. 1.12) und damit um rund eine Größenordnung unter dem Primär-
energieverbrauch Deutschlands. Dieser Gesamtverbrauch an Primärenergie resultiert zu
40,5 % aus Mineralöl (0,56 EJ (2018)), zu 8,6 % aus Stein- und Braunkohlen (0,12 EJ
(2018)), zu 22,6 % aus Natur- bzw. Erdgas (0,31 EJ (2018)) und zu dem verbleibenden
Rest aus erneuerbaren Energien; dies ist im Wesentlichen die Biomasse, die Wasser-
kraft und zunehmend auch andere erneuerbare Energien (d. h. Windenergie, Photovoltaik,
brennbare Abfälle, Umgebungswärme). Damit trugen erneuerbare Energien 2018 in Ös-
terreich mit knapp 30 % – und damit in einer energiewirtschaftlich relevanten Größenord-
nung, welche die in Deutschland merklich übersteigt – zur Deckung der Primärenergie-
nachfrage bei.
Ähnlich wie in Deutschland war dieser Energieverbrauch in den letzten Jahrzehnten
sowohl einem erheblichen Wachstum als auch beachtlichen strukturellen Veränderungen
unterworfen. Lag der Primärenergieeinsatz im Energiesystem Österreich 1950 noch bei
rund 0,43 EJ, stieg er 1973 auf 0,9 EJ und damit im Verlauf dieser zwei Jahrzehnte um
rund den Faktor 2,2. Infolge der beiden Ölpreiskrisen in 1973 und 1979/80 kam es dann
jedoch zu einem deutlichen Rückgang dieser Zuwachsraten. Mit 1,46 EJ lag der Primär-
energieverbrauch 2018 in Österreich etwa in Bereich des Wertes des Jahres 2005 und war
damit im Verlauf der letzten 15 Jahre annähernd konstant. Gleichzeitig stieg aber die Be-
völkerung in Österreich von 2005 (8,2 Mio.) auf 2018 (8,8 Mio.) an.
Auch die Struktur des Primärenergieverbrauchs – und damit der Energiemix – hat sich
in dem in Abb. 1.13 dargestellten Zeitraum merklich verändert. Dabei hat beispielsweise
Erdgas seit 1965 als Energieträger an Anteilen im Energiesystem gewonnen; gleiches gilt

Abb. 1.12 Primärenergie- Kohle


Weitere regenerative 8,6 %
verbrauch in Österreich nach Energien
Energieträger 2018 (Daten u. a. 18,5 %
nach [1.2])

Wasserkraft
9,8 %

Erdöl
40,5 %

Erdgas
22,6 %
1 Einführung und Aufbau 21

1,4

1,2
Primärenergieverbrauch in EJ/a

0,8

0,6
Weitere reg. Energien
Wasserkraft
0,4 Gas
Öl
Kohle
0,2

0
1990 1995 2000 2005 2010 2015

Abb. 1.13 Primärenergieverbrauch in Österreich nach Energieträger (reg. regenerative; Daten u. a.


nach [1.2])

auch für die Wasserkraft und die weiteren erneuerbaren Energien. Im Unterschied dazu
hat die Kohle sowohl absolut als auch relativ an Anteilen im Energiesystem verloren.
Der Endenergieeinsatz im Energiesystem Österreichs war – ähnlich dem Verbrauch an
Primärenergie – im Verlauf der letzten vier Jahrzehnte erheblichen Veränderungen un-
terworfen. Er ist abgesehen von verschiedenen konjunkturell bedingten Einbrüchen zwi-
schen 1950 und 2004 weitgehend kontinuierlich angestiegen. Dabei war dieser Zeitraum
gekennzeichnet durch einen Energieträgermix, der sich weg von der Kohle als Endener-
gieträger hin zu Erdöl, Erdgas, elektrischer Energie und erneuerbaren Energien entwickelt
hat. Seit 2004 ist der Anteil an Erdöl ebenfalls zurückgegangen und wurde primär durch
Fernwärme und erneuerbare Energien substituiert. Auch ist der Verbrauch an Kohlen heu-
te sehr gering. Umgekehrt hat der Kraftstoffverbrauch in den letzten Jahrzehnten deutlich
zugenommen.

Elektrische Energie Die gesamte Bruttostromerzeugung in Österreich lag 2018 bei etwa
rund 64 TWh (brutto) (Abb. 1.14) [1.3]. Dabei resultierten etwa 9,9 TWh (2018) aus Erd-
gas (Anteil: 14,5 %), 3,6 TWh (2018) aus Steinkohlen (Anteil: 5,3 %), 0,64 TWh (2018)
aus Erdöl (Anteil: 1,0 %), geringe Mengen aus sonstigen Energien und der verbleibende
Rest aus erneuerbaren Energien (einschließlich sonstige Energieträger) (Anteil: 77,6 %).
Dabei wurden bei den erneuerbaren Energien rund 37,5 TWh (2018) aus der Wasserkraft
und etwa 12,2 TWh (2018) aus anderen erneuerbaren Energien erzeugt. Damit tragen
die erneuerbaren Energien 2018 mit über vier Fünfteln zur Deckung der Stromnachfra-
ge in Österreich bei. Dabei stammten 2018 rund 5,8 TWh aus Windenergie, 3,5 TWh
22 M. Kaltschmitt et al.

Sonstiges
1,6 % Regenerative
Erdöl
1,0 % Energien 77,6 % Photovoltaik
2,1 %
Steinkohle
5,3 %
Windkraft
8,8 %

Erdgas
14,5 % Biomasse
6,7 %

Wasserkraft
60,1 %

Abb. 1.14 Bruttostromerzeugung in Österreich 2018 nach Energieträger (Daten u. a. nach [1.2])

70

60
Bruttostromerzeugung in TWh/a

50

Weitere reg. Energien


40 Wasserkraft
Gas
Öl
30
Kohle

20

10

0
1990 1995 2000 2005 2010 2015

Abb. 1.15 Entwicklung der Bruttostromerzeugung in Österreich nach Energieträger (reg. regenera-
tive; Daten u. a. nach [1.2])

aus der Biomasse (d. h. feste Biomasse, Biogas, Pflanzenöl-BHKW), 37,7 TWh aus Was-
serkraft (davon 24,1 TWh aus Laufkraftwerken und der Rest aus Speicherkraftwerken),
1,4 TWh aus der Photovoltaik und 2,1 TWh aus Müll und anderen regenerativen Energien.
Abb. 1.14 zeigt die entsprechenden Anteile.
Dieses Aufkommen an elektrischer Energie in Österreich war in den letzten Jahrzehn-
ten starken Veränderungen unterworfen (Abb. 1.15). Beispielsweise kam es zwischen
1950 und 2018 zu einer Vervierzehnfachung des Inlandsstromverbrauchs. Gleichzeitig
veränderte sich auch der Erzeugungsmix. Beispielsweise stammte 1950 rund 80 % der
1 Einführung und Aufbau 23

Bruttostromerzeugung der öffentlichen Versorgung aus Wasserkraftwerken und der Rest


aus mit Steinkohle gefeuerten thermischen Kraftwerken. Der Wasserkraftausbau wurde
etwa bis zum Jahr 2000 vorangetrieben und stagniert seither u. a. aufgrund von Land-
schaftsschutz und langwierigen Genehmigungsverfahren. Absolut gesehen wurde damit
dieser Verbrauchsanstieg an elektrischer Energie in Österreich im Wesentlichen bis zum
Jahr 2005 aus Wasserkraft sowie Steinkohlen und später aus mit Erdgas befeuerten Kraft-
werken gedeckt. Infolge der Setzung der energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen
(insbesondere durch die EU-Vorgaben) wurde seit dem Jahr 2005 der Anteil der Brutto-
stromerzeugung aus regenerativen Energien abseits der Wasserkraft auf rund 14 % (2018)
gesteigert. Dabei wurde im Wesentlichen die Windenergie, die Biomasse und in diesem
Jahrzehnt auch die Photovoltaik deutlich weitergehend genutzt.

1.2 Nutzungsmöglichkeiten regenerativer Energien

Martin Kaltschmitt

Die Bereitstellung von End- bzw. Nutzenergie aus regenerativer oder erneuerbarer Ener-
gie ist möglich auf der Basis von Energieströmen, die durch die Massenanziehung und
die Bewegung von Himmelskörpern, durch die in der Erde gespeicherte bzw. von ihr frei-
gesetzte Wärme (d. h. geothermische Energie) und insbesondere durch die von der Sonne
eingestrahlte Energie (d. h. Solarstrahlung) hervorgerufen werden (Kapitel 2.1). Daraus
resultiert eine sehr große Bandbreite des auf der Erde potenziell nutzbaren regenerativen
Energieangebots u. a. hinsichtlich der Energiedichte sowie der zeitlichen und räumlichen
Variationen des Energieangebots – und damit oft zwingend auch der daraus gewinnba-
ren Sekundär- oder Endenergieträger bzw. der bereitstellbaren Endenergie. Entsprechend
muss jede Option zur Nutzbarmachung dieser regenerativen Energieströme bzw. -träger an
die entsprechende Charakteristik des jeweiligen Energieangebots angepasst sein; daraus
resultiert die erhebliche Variationsbreite dessen, was an Nutzungstechniken gegenwärtig
und u. U. zukünftig verfügbar bzw. möglich ist.
Im Folgenden werden die verschiedenen Quellen des regenerativen Energieangebots
eingeordnet. Dann wird diskutiert, welche daraus resultierenden Optionen zur Nutzung
dieses Energieangebots im Rahmen der weiteren Ausführungen dieses Buches näher be-
trachtet werden.

1.2.1 Erneuerbare Energien

Aus den drei Quellen des regenerativen Energieangebots (Solarenergie, Erdwärme, Mas-
senanziehung und Bewegung von Himmelskörpern) werden durch z. T. sehr verschieden-
artige natürliche Umwandlungen innerhalb der Erdatmosphäre eine ganze Reihe völlig un-
24 M. Kaltschmitt et al.

Erdwärme Geothermisches Kraftwerk Thermische


Energie
Geothermisches Heizwerk

Solarenergie Strahlungsenergie Photovoltaikkraftwerk

Solarth. Wärmebereitst.

Erwärmung der Solarthermisches Kraftwerk


Oberfläche und
Atmosphäre Meereswärmekraftwerk

Wärmepumpe Mechanische
Verdunstung und
Energie
Niederschlag Wasserkraftwerk

Schmelzen Gletschereiskraftwerk

Wind Windenergiekonverter

Wellenbewegung Wellenkraftwerk

Meeresströmung Meeresströmungskraftwerk

Bioproduktion Konversionanlage
Massenanziehung
Elektrische
und Bewegung von Gezeiten Gezeitenkraftwerk
Energie
Himmelskörpern

Abb. 1.16 Ausgewählte Möglichkeiten zur Nutzung des regenerativen Energieangebots (links
(hellste Graustufe): regenerative Energiequellen, links, Mitte (dunkelste Graustufe): natürliche Um-
wandlung; rechts, Mitte (keine Graustufe): technische Umwandlung; rechts (mittlere Graustufe):
Endenergie; Solarth. Wärmebereitst. Solarthermische (Niedertemperatur-)Wärmebereitstellungsan-
lage; Solarthermisches Kraftwerk beinhaltet unterschiedliche Techniken bzw. Verfahren wie u. a.
Solarturmkraftwerk, Parabolrinnen-Kraftwerk oder Aufwindkraftwerk; Konversionsanlage für Bio-
masse inkludiert eine Vielzahl unterschiedlichster Techniken und Verfahren; nach [1.1])

terschiedlicher weiterer Energieströme bzw. auch Energieträger hervorgerufen. So stellen


beispielsweise die Windenergie und die Wasserkraft wie auch die Meeresströmungsener-
gie (jeweils Energieströme) und die Biomasse (als Energieträger; d. h. gespeicherte Son-
nenenergie) im Wesentlichen eine umgewandelte Form der Sonnenenergie dar. Abb. 1.16
zeigt eine Auswahl wesentlicher derartiger Umwandlungspfade, über die aus der regenera-
tiven Energiequelle – ggf. nach einer oder mehreren natürlichen (d. h. vom Menschen nicht
bzw. nur sehr indirekt beeinflussbaren) Umwandlungen (z. B. Wandlung der Solarener-
gie in die Energie der abfließenden Oberflächengewässer, Wandlung der Solarenergie in
Windenergie und diese teilweise weiter in Wellenenergie oder in Biomasse wie beispiels-
weise Holz) – mithilfe einer technischen Anlage (z. B. Windkraftwerk, Photovoltaikzelle,
solarthermischer Kollektor) thermische, mechanische und / oder elektrische Endenergie
bereitgestellt werden kann.
Die aus diesen Quellen direkt oder indirekt resultierenden und auf der Erde vorkom-
menden Energieströme unterscheiden sich z. T. erheblich. Da sich die folgenden Ausfüh-
rungen auf wesentliche Möglichkeiten zur Nutzung des regenerativen Energieangebots
beschränken müssen, werden auch nur die Energieströme bzw. die zugehörigen Wand-
1 Einführung und Aufbau 25

lungstechniken näher diskutiert, die im deutschsprachigen Raum bzw. in Mitteleuropa


auch sinnvollerweise genutzt werden könnten. Dazu zählen primär

 die solare Strahlung,


 die Windenergie,
 die Wasserkraft,
 die photosynthetisch fixierte Energie und
 die Erdwärme.

Diese verschiedenen Möglichkeiten sind durch sehr unterschiedliche Eigenschaften


gekennzeichnet. Deshalb werden zunächst in Kapitel 2 jeweils die physikalischen und
chemischen Grundlagen der Entstehung des jeweiligen erneuerbaren Energiestroms dis-
kutiert. Nach einem Exkurs über die jeweiligen Möglichkeiten der Messung der entspre-
chenden, diesen Energiestrom kennzeichnenden Größen vor Ort (z. B. durch ein Wind-
anemometer, durch ein Strahlungsmessgerät) wird auf die räumlichen und zeitlichen An-
gebotsvariationen eingegangen (Kapitel 2).

1.2.2 Untersuchte Möglichkeiten

Mit entsprechend angepassten Techniken können die einzelnen Energieströme bzw. Ener-
gieträger für den Menschen nutzbar gemacht und jeweils in einen Sekundär- oder Endener-
gieträger bzw. in Nutzenergie umgewandelt werden. Dabei variieren sowohl die entspre-
chenden Nutzungstechniken als auch deren Entwicklungsstand und die jeweils gegebenen
Perspektiven erheblich. Auch sind nicht alle Möglichkeiten überall bzw. unter allen gege-
benen Rand- und Rahmenbedingungen technisch sinnvoll einsetzbar.
Oft ist deshalb die Nutzung einer bestimmten regenerativer Energie bzw. eines spe-
ziellen Energiestroms nur für eine sehr begrenzte Anzahl von Umwandlungsmöglichkei-
ten technisch sinnvoll; nur diese aus gegenwärtiger Sicht vielversprechenden technischen
Nutzungsoptionen werden bei den folgenden Ausführungen näher betrachtet. Dazu zählen

 die solare Wärmebereitstellung mit passiven Systemen (d. h. Solararchitektur),


 die solarthermische Niedertemperatur-Wärmebereitstellung mit aktiven Systemen
(d. h. solarthermische Kollektorsysteme),
 die photovoltaische Umwandlung des Sonnenlichts in elektrische Energie (d. h. Photo-
voltaiksysteme),
 die Nutzung der Windenergie zur Stromerzeugung (d. h. Windkraftanlagen),
 die Stromerzeugung aus Wasserkraft zur Bereitstellung elektrischer Energie (d. h. Was-
serkraftwerke),
 die Nutzung der Umgebungsluft und der oberflächennahen Erdwärme zur Wärmebe-
reitstellung (d. h. Nutzung der niederthermalen Umweltwärme mit Hilfe von Wärme-
pumpen),
26 M. Kaltschmitt et al.

 die Nutzung der unterschiedlichen Vorkommensmodifikationen geothermischer Ener-


gie aus dem tiefen Untergrund zur Wärme- und / oder Stromerzeugung (d. h. Heizwer-
ke, Heizkraftwerke, Kraftwerke) und
 die Nutzung der photosynthetisch fixierten Energie zur Wärme-, Strom- und Kraft-
(stoff)bereitstellung (d. h. Energiebereitstellung auf der Basis organischer Stoffe (d. h.
Biomasse)).

Mit Ausnahme der Nutzung der Biomasse werden alle diese Möglichkeiten zur Nut-
zung des regenerativen Energieangebots im Rahmen dieses Buches ausführlich dargestellt
und diskutiert (Kapitel 3 bis 9). Zusätzlich wird kursorisch auf ausgewählte Optionen
einer Nutzung der Solarstrahlung über Kollektorsysteme zur Stromerzeugung (d. h. So-
larturmkraftwerke, Solarfarmanlagen, Dish / Stirling-Anlagen, Aufwindkraftwerke, Solar-
teichsysteme) und zur Nutzbarmachung der Energien des Meeres (u. a. Meereswärmeener-
gie, Gezeitenenergie, Meeresströmungsenergie) eingegangen. Auch werden die Möglich-
keiten der Biomassennutzung und damit der photosynthetisch fixierten Energie kurz im
Anhang dargestellt; eine detailliertere und umfassende Beschreibung der Möglichkeiten
einer energetischen Nutzung von organischen Stoffen findet sich in [1.4].
Viele Optionen zur Nutzung erneuerbaren Energien sind systembedingt durch z. T.
erhebliche räumliche und zeitliche Variationen gekennzeichnet, die – infolge der ange-
botsabhängigen Erzeugung – nur durch entsprechende Energienetze und / oder Speicher-
systeme zur Deckung der ebenfalls räumlichen und zeitlichen Schwankungen unterworfe-
nen Energienachfrage – im Rahmen entsprechender Energieversorgungssysteme – genutzt
werden können. Deshalb wird zusätzlich auf die Grundlagen elektrischer und thermischer
Energienetze sowie auf die wesentlichen Möglichkeiten zur Speicherung elektrischer und
thermischer Energie eingegangen. Beispielsweise ist ohne eine Speicherung der angebots-
orientiert verfügbaren regenerativen Energieströme eine sichere und verlässliche Deckung
einer definierten Versorgungsaufgabe mit einer hohen Versorgungssicherheit kaum mög-
lich. Außerdem werden Netze benötigt, damit die thermische und / oder elektrische Ener-
gie vom Ort der Bereitstellung zum Standort der Nachfrage transportiert werden kann.
Damit sind sowohl Netze als auch Speicher wesentliche Komponenten, die Energiever-
sorgungssysteme auf der Basis einer alleinigen Nutzung angebotsorientierter erneuerbarer
Energien – oder entsprechend hohen Anteilen an angebotsorientierten regenerativen Ener-
gien in fossil-regenerativen Mischsystemen – letztlich erst ermöglichen.

1.3 Aufbau und Vorgehen

Martin Kaltschmitt

Aufgrund dieser Vielzahl unterschiedlicher Möglichkeiten zur Nutzung der Quellen des
regenerativen Energieangebots zur Deckung der End- bzw. Nutzenergienachfrage ist ei-
ne vergleichbare Darstellung der verschiedenen Techniken problematisch und z. T. auch
1 Einführung und Aufbau 27

nicht möglich. Eine weitgehend einheitlich strukturierte Darstellung der unterschiedlichen


Nutzungstechniken muss daher entsprechend flexibel gehandhabt werden. Deshalb wird
im Folgenden das grundsätzlich diesem Buch zugrunde liegende Vorgehen dargestellt.
Außerdem werden wesentliche Begriffe definiert, die den entsprechenden Betrachtungen
jeweils zugrunde liegen.

1.3.1 Physikalische Grundlagen

Für die Möglichkeiten und Grenzen einer Technik zur Nutzbarmachung des regenerati-
ven Energieangebots sind die jeweiligen physikalisch-technischen Zusammenhänge der
Energiewandlung bestimmend. Sie werden deshalb für die betrachteten Nutzungsmög-
lichkeiten jeweils detailliert dargestellt und entsprechend anwendungsorientiert diskutiert.
Soweit möglich, werden dazu u. a. theoretisch maximale Wirkungsgrade angegeben. Die-
se Größe ist definiert als das Verhältnis zwischen der physikalisch maximal abgebbaren
Nutzleistung und der dazu eingesetzten Leistung.
Für unterschiedliche Optionen zur Nutzung des erneuerbaren Energieangebots sind
z. T. vergleichbare biologische, physikalische, chemische und / oder technische Grundla-
gen gültig. Sie werden im Rahmen der folgenden Ausführungen aber nur einmal disku-
tiert. Sollten die entsprechenden Grundlagen zusätzlich bei einer anderen Wandlungsop-
tion zur Nutzung des regenerativen Energieangebots zum Tragen kommen, wird auf die
jeweilige Textstelle in dem entsprechenden anderen Kapitel verwiesen. Beispielsweise
sind die physikalischen Effekte einer Strahlungsadsorption, -reflexion und -transmissi-
on für die passive Sonnenenergienutzung und die aktiven Systeme beispielsweise zur
Niedertemperaturwärmebereitstellung aus eingestrahlter Solarenergie gleichermaßen be-
stimmend; sie werden aber nur einmal diskutiert.

1.3.2 Systemtechnische Beschreibung

Das regenerative Energieangebot, dessen Grundlagen zunächst beschrieben werden (Ka-


pitel 2), kann mit Hilfe entsprechender Techniken, Systeme, Verfahren, Anlagen und
Konzepte in Sekundär- oder Endenergieträger oder ggf. direkt in Nutzenergie umgewan-
delt werden. Die dazu im jeweiligen Einzelfall zum Einsatz kommenden technischen
Möglichkeiten werden in den entsprechenden Kapiteln diskutiert; dabei wird der derzeiti-
ge Stand der Technik zugrunde gelegt.
Zunächst werden die einzelnen Systemkomponenten der jeweiligen Nutzungstechnik
erörtert und anschließend wird ihr systemtechnisches Zusammenspiel dargestellt; dazu
zählen u. a. die entsprechende Leistungskennlinie, der jeweilige Energiefluss und die je-
weils gegebenen Verluste im Verlauf der gesamten Bereitstellungs- bzw. Umwandlungs-
kette. Außerdem werden weitere mit der entsprechenden Technik zusammenhängende
Aspekte diskutiert, soweit sie für das Verständnis der jeweiligen Wandlungsoption we-
28 M. Kaltschmitt et al.

sentlich sind. Die entsprechenden Systemgrenzen der Betrachtung sind dabei immer das
verfügbare regenerative Energieangebot (z. B. Windenergie vor der Windkraftanlage, So-
larstrahlung auf den Kollektor) einerseits und die bereitstellbare Sekundär- bzw. Endener-
gie (z. B. elektrische Energie frei Windkraftanlage, Niedertemperaturwärme zur Deckung
der Wärmenachfrage).

1.3.3 Ökonomische und ökologische Analyse

Für eine ökonomische und ökologische Bewertung der jeweiligen Nutzungstechniken


werden exemplarisch ausgewählte Referenzanlagen untersucht. Die entsprechenden Be-
griffe bzw. die Festlegungen und die Vorgehensweise, die der Erstellung der ökonomi-
schen und ökologischen Bilanzen zugrunde liegen, werden im Folgenden definiert.

Definition von Referenzanlagen Ausgehend vom gegenwärtigen Marktspektrum wer-


den – auf der Basis des heutigen Standes der Technik – entsprechende Referenzanlagen
definiert. Diese für die gegenwärtigen Gegebenheiten im deutschsprachigen Raum typi-
schen Anlagen dienen dann als Basis für die anschließende ökonomische und ökologische
Analyse. Dabei wird zwischen einer Wärme- und einer Strombereitstellung unterschieden.
Dies wird nachfolgend diskutiert.

Wärmebereitstellung Für die Optionen zur Wärmebereitstellung werden eine Reihe un-
terschiedlicher Versorgungsaufgaben definiert, da es keine überregionalen Verteilnetze
von Wärme gibt und die Wärmebereitstellung immer im Kontext mit der sicheren Versor-
gung eines Verbrauchers mit thermischer Energie (d. h. Raumwärme sowie Brauchwarm-
wasser) gesehen werden muss. Dazu werden nachfolgend verschiedene Modellgebäude
festgelegt. Zusätzlich wird das jeweilige regenerative Energieangebot, das mit den ent-
sprechend festgelegten Referenzanlagen genutzt werden kann, definiert. Hierzu werden
zwei Gebäudetypen (d. h. „Einfamilienhaus (EFH)“ und „Mehrfamilienhaus (MFH)“; Ta-
belle 1.1 und 1.2) mit jeweils unterschiedlichen Wärmedämmstandards festgelegt. Diese
Gebäudetypen unterscheiden sich sowohl in ihrer Wohnfläche als auch in der Anzahl der
jeweiligen Bewohner. Die Wärmedämmstandards sind bei beiden Gebäudetypen identisch
und repräsentieren Neubauten nach dem Passivhaus-Standard (EFH 0, MFH 0), nach un-
terschiedlichen Niedrigenergiehaus-Standards (EFH I bis EFH III, MFH I bis MFH III)
und nach einem Altbau mit einem Baujahr von ca. 1965 (EFH IV, MFH IV).
Auf dieser Grundlage wird aus der definierten Wohnfläche und der spezifischen Heiz-
wärmenachfrage die Nutzenergienachfrage der jeweiligen Gebäude ermittelt. Anschlie-
ßend wird daraus die Normheizlast berechnet, die ein Maß für die maximal im Jahres-
verlauf auftretende Heizleistung ist und zur Auslegung heiztechnischer Anlagen dient.
Zusätzlich wird die Nutzenergie zur Warmwasserbereitung auf Basis der spezifischen
Warmwasserwärmenachfrage berechnet; diese Energienachfrage ist im Jahresverlauf kei-
nen jahreszeitlichen Unterschieden unterworfen.
1 Einführung und Aufbau 29

Tabelle 1.1 Versorgungsaufgaben für eine Wärmebereitstellung bei den untersuchten Einfamilien-
häusern (EFH)
Einfamilienhaus (EFH) 0 I II III IV
2
Wohnfläche in m 150 150 150 150 150
Wohneinheiten (WE) 1 1 1 1 1
Anzahl Bewohner 3 3 3 3 3
Raumwärmenachfrage in MJ/(m2 a) 54 99 126 180 504
in GJ/a 8,1 14,9 18,9 27,0 75,6
Trinkwarmwasserwärmenachfrage in MJ/(m2 a) 45 45 45 45 45
in GJ/a 6,8 6,8 6,8 6,8 6,8
Summe Wärmenachfrage in GJ/a 14,8 21,6 25,6 33,7 82,3
Normheizlast in kW 1,8 3,0 4,0 5,0 13,0
Wärmeübergabe Fa Fa Fa Fa Rb
Vorlauf / Rücklauf in ı C 35/28 35/28 35/28 35/28 70/55
a
Fußbodenheizung; b Radiatorenheizung.

Tabelle 1.2 Versorgungsaufgaben für eine Wärmebereitstellung bei den untersuchten Mehrfamili-
enhäusern (MFH)
Mehrfamilienhaus (MFH) 0 I II III IV
Wohnfläche in m2 780 780 780 780 780
Wohneinheiten (WE) 12 12 12 12 12
Wohnfläche je WE in m2 /WE 65 65 65 65 65
Anzahl Bewohner 24 24 24 24 24
Raumwärmenachfrage (Gebäude) in MJ/(m2 a) 54 95 121 173 396
in GJ/a 42,1 74,1 94,4 134,9 308,9
Trinkwarmwasserwärmenachfrage in MJ/(m2 a) 58 58 58 58 58
in GJ/a 45,2 45,2 45,2 45,2 45,2
Summe Wärmenachfrage in GJ/a 87,3 119,3 139,6 180,1 354,1
Normheizlast in kW 7,8 19 22 29 57
Wärmeübergabe Fa Fa Fa Fa Rb
Vorlauf / Rücklauf in ı C 35/28 35/28 35/28 35/28 70/55
a
Fußbodenheizung; b Radiatorenheizung.

Als Systemgrenzen für die ökonomischen und ökologischen Untersuchungen dienen


die jeweiligen Einspeisestellen in das Hausverteilungsnetz für Brauchwarmwasser (z. B.
Ausgang Speicher) bzw. Raumheizung (z. B. Ausgang Heizkessel). Zusätzlich berück-
sichtigt werden die Verluste der Wärmeverteilung in den jeweiligen Gebäuden sowie
der Stromverbrauch der Heizungsumwälzpumpen und der ggf. vorhandenen Trink- bzw.
Brauchwarmwasser-Zirkulationspumpen; diese Systemelemente werden für alle betrach-
teten Techniken auf der Basis fossiler Energieträger und regenerativer Energien als iden-
tisch unterstellt. Unter diesen Randbedingungen ist ein direkter Vergleich der jeweils
erarbeiteten und im weiteren Verlauf ausgewiesenen Ergebnisse möglich.
30 M. Kaltschmitt et al.

Tabelle 1.3 Energetische Kenndaten der untersuchten Nahwärmenetze


System NW I NW II NW III
Wärmenachfragea in GJ/a 8 000 26 000 52 000
Wärme ab Heizwerkb in GJ/a 9 900 32 200 64 400
Nutzungsgrad Wärmeverteilnetzc in % 0,85 0,85 0,85
Nutzungsgrad Übergabestationd in % 0,95 0,95 0,95
a
alle angeschlossenen Abnehmer; b unter Berücksichtigung der Verluste des Wärmenetzes und
der Hausübergabestationen; c durchschnittlicher Wert für das Gesamtjahr; d durchschnittlicher Nut-
zungsgrad aller angeschlossenen Verbraucher (Warmwasser 80 %, Raumheizung 98 %).

Als Verteilnetz für Raumwärme wird bei den Neubauten (EFH 0, I, II und III, MFH 0,
I, II und III) eine Fußbodenheizung mit Vorlauf- und Rücklauftemperaturen von 35
und 28 ı C angenommen. Bei den Bestandsgebäuden werden „klassische“ Radiatoren
zur Übergabe der Heizwärme in den Raum unterstellt, die mit Vorlauftemperaturen von
70 ı C und Rücklauftemperaturen von 55 ı C betrieben werden. Dies wird – da außer-
halb der hier definierten Systemgrenzen – bei der ökonomischen und der ökologischen
Analyse nicht direkt berücksichtigt, nimmt aber durch entsprechend unterschiedliche
Verluste zwischen Energienachfrage (d. h. Abgabe an den Raum bzw. an der Zapfstelle)
und dem korrespondierenden Endenergieaufwand (d. h. Verbrauch eines Energieträgers /
eines Energieflusses) in der Systemauslegung Einfluss auf das Ergebnis. Für die Trink-
bzw. Brauchwarmwasserbereitstellung wird von einer Warmwassernachfrage von rund
30 L/(Person d) bei einer Wassertemperatur von ca. 60 ı C bei Trinkwarmwasserspeichern
und von etwa 50 ı C bei Systemen mit Pufferspeichern ausgegangen.
Bei den untersuchten Nahwärmesystemen handelt es sich um drei Systeme für eine
ausschließliche Wärmeversorgung von Wohngebäuden, die einer Mischung der in den Ta-
bellen 1.1 und 1.2 definierten Nachfrager entsprechen. Die Wärmeverteilung in diesen
Netzen erfolgt mit einer durchschnittlichen Vorlauftemperatur von 70 ı C und einer Rück-
lauftemperatur von 50 ı C. Die Nahwärmenetze werden als Kunststoffmantelrohre mit
einem Mediumrohr aus Stahl, indirekter Netzanbindung und einer Brauchwarmwasser-
zwischenspeicherung in den jeweils versorgten Gebäuden ausgeführt. Die energetischen
Kenndaten der entsprechenden Wärmeverteilnetze zeigt Tabelle 1.3. Da es durch die Ver-
teilnetze zu Übertragungsverlusten – u. a. auch infolge der Verluste an den Hausüberga-
bestationen und am Warmwasserspeicher in den zu versorgenden Gebäuden – kommt, ist
die vom Heizwerk bereitzustellende Wärme (d. h. Wärme frei Heizwerk) größer als die
Summe der Wärmenachfrage aller angeschlossenen Verbraucher. Bei einem durchschnitt-
lichen Nutzungsgrad des Wärmeverteilnetzes von 85 % sowie der Hausübergabestationen /
Trinkwarmwasserbereitung von 95 % liegt diese vom Heizwerk bereitzustellende Wärme
bei 9,9 (NW I), 32,2 (NW II) sowie 64,4 TJ/a (NW III).

Strombereitstellung Bei den Systemen zur Strombereitstellung wird keine definierte Ver-
sorgungsaufgabe festgelegt, die mit einer bestimmten Versorgungssicherheit gedeckt wer-
1 Einführung und Aufbau 31

den muss. Damit wird hier als Systemgrenze der jeweilige Einspeisepunkt in das Netz der
öffentlichen Versorgung unterstellt; d. h. die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien
trägt mit einem bestimmten Anteil zur Deckung der gesamten Stromnachfrage eines be-
stimmten (großen) Versorgungsgebietes bei, das durch eine entsprechende Netzinfrastruk-
tur erschlossen ist (d. h. derzeitige Situation). Aspekte einer möglicherweise notwendigen
Netzverstärkung und ggf. anzudenkenden Veränderungen im konventionellen Kraftwerks-
park bleiben damit ebenso wie u. U. benötigte zusätzliche Kurz- und Langfristspeicher
für elektrische Energie (z. B. Pumpspeicher, Druckluftspeicher, Wasserstoffspeicher) au-
ßerhalb der hier realisierten Betrachtungen. Auch Fragen möglicher Kapazitätseffekte
bzw. der zur Gewährleistung der sicheren Deckung einer definierten Versorgungsaufga-
be notwendigen Eigenschaften des Versorgungssystems liegen damit außerhalb der hier
angestellten Untersuchungen.

Ökonomische Analyse Eine wesentliche Kenngröße jeder Möglichkeit zur Energiebe-


reitstellung stellen die Kosten dar. Sie werden deshalb jeweils detailliert erhoben. Dazu
wird zunächst auf die Investitionen für die einzelnen Systemkomponenten der jeweili-
gen Nutzungstechnik bzw. den gesamten Investitionsaufwand eingegangen; diese Größen
werden für die derzeit vorliegenden Gegebenheiten im deutschsprachigen Raum bzw. in
Mitteleuropa diskutiert.
Bei der Berechnung der spezifischen Energiebereitstellungskosten der verschiedenen
betrachteten Energiebereitstellungsoptionen wird immer eine reale Rechnung im Geld-
wert des Jahres 2018 durchgeführt; d. h. es werden inflationsbereinigte Kosten ermittelt.
Dabei wird von einer realen – also um die Inflationsrate bereinigten – Diskontrate i in
Höhe von 0,02 (d. h. 2,0 %) ausgegangen. Folglich werden hier nur volkswirtschaftliche
Kosten angegeben; d. h. die Systeme werden über die technische Lebensdauer L der je-
weiligen Anlage bzw. der jeweiligen Anlagenkomponente abgeschrieben; damit kann die
Abschreibdauer je nach Technik bzw. Systemkomponente – aufgrund einer jeweils unter-
schiedlichen technischen Lebensdauer infolge der entsprechend verschiedenartigen Tech-
nik – unterschiedlich sein. Steuern (z. B. Mehrwertsteuer), Subventionen (z. B. Zuschüsse
im Rahmen von Markteinführungsprogrammen, verbilligte Kredite) oder steuerliche Ab-
schreibungsmöglichkeiten bleiben damit definitionsgemäß unberücksichtigt. Ausgehend
davon wird immer eine annuitätische Berechnung der jährlich anfallenden Aufwendun-
gen aus den anfänglichen Gesamtinvestitionen realisiert. Damit errechnet sich auf der
Basis des Investitionsgesamtaufwandes I ges der im Laufe der technischen Lebensdauer
L jährlich anfallende monetäre Anteil I j nach Gleichung (1.1) (u. a. [1.6]).

i .1 C i/L
Ij D Iges (1.1)
.1 C i/L  1

Ausgehend von diesem jährlich im Verlauf der technischen Lebensdauer gegebenen


Investitionskostenanteil berechnen sich mit den jeweils zusätzlich anfallenden variablen
Kosten (u. a. Wartung, Betrieb) die gesamten in einem Jahr anfallenden Kosten; typischer-
32 M. Kaltschmitt et al.

weise fallen für den jeweils genutzten Primärenergieträger Erdwärme, Umgebungswärme,


Wasserkraft, Windenergie oder Solarstrahlung keine Brennstoffkosten an, die dann ggf.
zusätzlich zu berücksichtigen wären. Daraus ergeben sich mit der im Verlauf der tech-
nischen Lebensdauer bereitgestellten mittleren jährlichen Energie frei Anlagenausgang
(z. B. ins Netz eingespeiste elektrische Energie einer Windkraftanlage zur Nutzung der
Windenergie, ins Hausversorgungssystem eingespeiste Wärmeenergie einer Wärmepum-
pe zur Nutzung der oberflächennahen Erdwärme) die spezifischen Energiebereitstellungs-
kosten (d. h. Stromgestehungskosten in C/kWh, Wärmegestehungskosten in C/GJ bzw.
C/kWh).
Diese hier realisierte Betrachtungsweise mit konstanten Geldwerten führt zu niedrige-
ren, da inflationsbereinigten Kosten als die z. T. übliche Rechnung mit nominalen Werten;
Rangfolge und Relation der Kosten verschiedener Alternativen verändern sich dadurch
aber nicht. Das Rechnen mit realen Kosten hat jedoch den Vorteil, dass die Ergebnisse in
einem bekannten Geldwert vorliegen, nämlich in dem vorliegenden Fall dem des Jahres
2018.
Auch können die im Folgenden ausgewiesenen Energiegestehungskosten von den Er-
gebnissen anderer Untersuchungen und Analysen aufgrund unterschiedlicher finanzma-
thematischer Rahmenannahmen bzw. Kostenrechnungsverfahren, wegen anderer System-
grenzen bzw. Versorgungsaufgaben und / oder aufgrund der Berücksichtigung möglicher
zusätzlicher Einflussgrößen und / oder externer Effekte z. T. erheblich abweichen. Die im
weiteren Verlauf dieses Buches angegebenen Kosten sollten deshalb nur als eine durch-
schnittliche Größenordnung verstanden werden, durch die die gesamte Volkswirtschaft
belastet werden würde. In einem konkreten Einzelfall bzw. unter bestimmten standort-
spezifischen Gegebenheiten können durchaus z. T. größere Abweichungen von diesen
Angaben sowohl zu niedrigeren als auch zu höheren Werten auftreten.
Soweit es sich um Optionen primär zur Stromerzeugung aus dem regenerativen Ener-
gieangebot handelt, werden die spezifischen Stromgestehungskosten frei dem jeweils
anliegenden Netzknotenpunkt ermittelt und angegeben (siehe oben). Ansonsten werden
im Regelfall die Wärmegestehungskosten frei Anlage (d. h. Einspeisepunkt ins Haushei-
zungsnetz) berechnet und diskutiert (siehe oben).
Bei der Gegenüberstellung der Stromerzeugungskosten von Optionen zur Bereitstel-
lung elektrischer Energie aus regenerativen Energien (z. B. Windkraftwerke) mit denen
aus fossilen Energieträgern (z. B. Kohlekraftwerk, Gaskraftwerk) werden bei den „kon-
ventionellen“ Techniken mittlere und nicht maximal mögliche Volllaststundenzahlen un-
terstellt. Letztere liegen aus technischer Sicht deutlich höher; sie können im theoretischen
Maximalfall 8 760 h/a und realistischerweise immer noch rund 8 000 h/a und ggf. auch
mehr erreichen. Demgegenüber produzieren Stromerzeugungsanlagen auf der Basis an-
gebotsabhängiger erneuerbarer Energien immer entsprechend dem an einem potenziellen
Standort vorhandenen und technisch nutzbaren regenerativen Energieangebot (z. B. Wind-
angebot, Wasserangebot, Solarstrahlungsangebot) und damit abhängig vom natürlichen
meteorologischen Energiedargebot mit den standorttypisch maximal möglichen Volllast-
stundenzahlen; dies gilt aber nicht für Anlagen zur Stromerzeugung aus tiefer Erdwärme
1 Einführung und Aufbau 33

oder Biomasse, die aus technischer Sicht – vergleichbar zu Kraftwerken auf der Basis fos-
siler Energieträger – nachfrageorientiert elektrische Energie bereitstellen können, da tiefe
Erdwärme und unter bestimmten Bedingungen auch Biomasse – ähnlich wie Kohlen oder
Erdgas – ein Energievorrat und kein Energiestrom / Energiefluss darstellen, wie es u. a. bei
der Solarstrahlung und der Windenergie der Fall ist.
Obwohl auch Stromerzeugungsanlagen, die das schwankende Energieangebot von
Sonne, Wind und Wasser nutzen, unter bestimmten Bedingungen nachfrageorientiert
betrieben werden können (z. B. gedrosselter Betrieb von Windkraftanlagen), werden
sie infolge der beispielsweise in Deutschland derzeit gültigen energiewirtschaftlichen
Rahmensetzung (Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG)) normalerweise mit dem Ziel der
Maximierung der Stromerzeugung – und damit der Erzielung einer maximalen Vergü-
tung – gefahren; d. h. die technisch nutzbare regenerative Primärenergie wird möglichst
maximal ausgenutzt. Die im Verbund damit betriebenen konventionellen Kraftwerke
stellen dagegen mit der ihnen vom Lastverteiler zugewiesenen Aufgabe (Bereitstellung
von Grundlast, Mittellast oder Spitzenlast bzw. Regelleistung) entsprechenden Volllast-
stundenzahlen exakt so viel elektrische Energie bereit, dass genau die aktuell gegebene
Nachfrage sicher gedeckt und somit die Netzfrequenz konstant auf dem Sollwert von
50 Hz gehalten werden kann.
Deshalb sagt ein direkter Vergleich der Stromgestehungskosten frei Einspeisestelle ins
Netz der öffentlichen Versorgung zwischen Anlagen auf der Basis fossiler Energieträ-
ger und angebotsabhängiger regenerativer Energien strenggenommen noch nichts über
die wirtschaftliche Vorteilhaftigkeit einer Stromerzeugungstechnologie im Vergleich zu
einer anderen Technologie aus. Letztlich dürfen – mit dem Ziel eines fairen Vergleiches
der jeweiligen Stromgestehungskosten – nur die spezifischen Kosten zur Deckung einer
definierten Versorgungsaufgabe mit einer festzulegenden Versorgungssicherheit gegen-
übergestellt werden. Darauf wird hier aber verzichtet.

Ökologische Analyse In den energiewirtschaftlichen Diskussionen spielen die vielfäl-


tigen Umwelteffekte, die aus der Energiebereitstellung resultieren, eine erhebliche und
eine aus gesellschaftlicher Sicht oft letztlich entscheidende Rolle. Deshalb muss die Dis-
kussion bestimmter Optionen zur Energienachfragedeckung auch immer die Diskussion
zumindest ausgewählter Umweltaspekte inkludieren, die mit einer Energiebereitstellung
auf der Basis der jeweiligen Möglichkeit zur Nutzung regenerativer Energien verbunden
sind. Dabei wird hier unterschieden zwischen

 Umwelteffekten, die mit Hilfe einer Lebenszyklus- oder Lebensweganalyse bzw. Öko-
bilanz quantifizierbar sind (bei dieser Umweltbewertungsmethode werden neben den
Umwelteffekten infolge der eigentlichen Konversionsanlage auch die der Anlagener-
richtung und -entsorgung sowie der jeweils vor- und ggf. nachgelagerten Prozesse (u. a.
Stahlherstellung, Bereitstellung der zum Bau benötigten Treib- und Brennstoffe bei-
spielsweise auf der Basis fossiler Energieträger) berücksichtigt) und
34 M. Kaltschmitt et al.

 weiteren Umwelteffekten, die verbal-argumentativ dargestellt und erörtert werden, da


sie sich einer Lebenswegbetrachtung grundsätzlich entziehen; solche weiteren Um-
welteffekte sind z. B. der visuelle Einfluss einer Windkraftanlage auf das Erscheinungs-
bild der Landschaft oder die Schallbelastung von Meeressäugetieren bei der Installation
der Gründungspfähle von Offshore-Windkraftanlagen.

Lebenszyklusanalyse Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien sind beim Betrieb


i. Allg. mit relativ geringen „klassischen“ Umwelteffekten (z. B. Kohlenstoffdioxid(CO2)-
Emissionen, Stickstoffoxid(NOx )-Emissionen, Feinstaubemissionen, Schwefeldioxid-
(SO2 )-Emissionen) verbunden, da im Unterschied beispielsweise zur Verbrennung fossi-
ler Energieträger in vorhandenen thermischen Kraftwerken oft keine Stoffumwandlung
stattfindet (z. B. Windkraftnutzung, photovoltaische Stromerzeugung). Jedoch werden
beim Bau dieser Konversionsanlagen aktuell noch fossile Energieträger benötigt und
dabei zwingend entsprechende lokal und global wirksame luftgetragene Emissionen frei-
gesetzt; das Gleiche gilt sinngemäß auch für den Abriss und die Entsorgung der jeweiligen
Anlage. Damit kann eine Aussage über die relative Umweltvorzüglichkeit einer Möglich-
keit zur Nutzung regenerativer Energien im Vergleich zu einer anderen und / oder zu einer
Option zur Nutzung fossiler Energieträger nicht ohne weiteres getroffen werden.
Für eine daher notwendige umfassende Analyse der ökologischen Auswirkungen ei-
ner Nutzung erneuerbarer Energien sind deshalb die Emissionen und der Ressourcenver-
brauch über den gesamten Lebensweg der Energiegewinnung, inklusive der Errichtung
und des Rückbaus der Anlagen und der dabei benötigten Transportprozesse, zu berück-
sichtigen. Dies erfolgt hier mit Hilfe einer Lebensweg- oder Ökobilanz in Anlehnung an
die EN ISO 14040 und EN ISO 14044 [1.7, 1.8].
Die Ökobilanz betrachtet demnach den gesamten Lebensweg eines Produktes oder ei-
ner Dienstleistung von der Rohstoffgewinnung und -erzeugung über die Energieerzeugung
und Materialherstellung bis zur Anwendung, Abfallbehandlung und endgültigen Besei-
tigung (d. h. „von der Wiege bis zur Bahre“). Mit jeder dieser einzelnen Phasen des
entsprechenden Lebenszyklus sind weitere Stoffströme verbunden, wie z. B. die Auf-
wendungen für die Bereitstellung von Brennstoffen, die ebenfalls in die Bilanzierung
einfließen.
Derartige Ökobilanz- oder Lebensweguntersuchungen bestehen entsprechend der welt-
weit genormten Vorgehensweise aus vier Phasen: (1) der Festlegung des Ziels und Unter-
suchungsrahmens, (2) der Sachbilanz, (3) der Wirkungsabschätzung und (4) der Auswer-
tung. Der Zusammenhang zwischen diesen einzelnen Phasen zeigt Abb. 1.17.
Die Lebenszyklusanalyse oder Ökobilanz wird i. Allg. – und auch hier – mithilfe der
Prozesskettenanalyse erstellt. Dabei wird ein beliebig komplexes (Energiebereitstellungs-)
System (z. B. Wärme aus oberflächennaher Erdwärme, Strom aus Windkraftanlagen) in
endlich viele, überschaubare Teilsysteme (Prozesse) zerlegt. Diese Prozesse zeichnen sich
durch Zustandsänderungen aus: Eingangsgrößen eines Prozesses werden innerhalb dieses
Prozesses in Ausgangsgrößen umgewandelt. Dabei wird bei diesen Eingangs- und Aus-
gangsgrößen zwischen sogenannten Elementar- und Produktflüssen unterschieden.
1 Einführung und Aufbau 35

Abb. 1.17 Phasen einer Öko-


Festlegung des Ziels
bilanz oder Lebensweganalyse und Unter-
(nach [1.7, 1.8]) suchungsrahmens

Sachbilanz Auswertung

Wirkungsabschätzung

 Elementarflüsse sind definiert als Stoff- oder Energieströme, die aus der Umgebung in
das untersuchte System eintreten (z. B. Luft, Wasser) bzw. vom untersuchten System
an die Umgebung abgegeben werden (z. B. luftgetragene Emissionen wie Staub oder
Kohlenstoffdioxid), ohne danach bzw. zuvor durch menschliche Einflüsse verändert zu
werden [1.7, 1.8].
 Produktflüsse können Input- (z. B. Stahl, Zement, Kohle, Transportdienstleistungen,
Instandhaltungsarbeiten) und Outputströme (z. B. Stahl aus Stahlwerk, Zement aus
Drehrohrofen) darstellen; d. h. derartige Produktflüsse wurden vor diesem Prozess z. T.
bereits technisch verändert und können nach Durchlaufen des aktuellen Prozesses wei-
tergehend durch andere technische Prozesse beeinflusst werden.

Da der Produktinput eines Prozesses aus dem Produktoutput eines anderen Prozesses
gebildet wird, und der Output dieses Prozesses üblicherweise wiederum Input eines an-
deren Prozesses ist, kann eine Prozesskette gebildet werden. Dies kann realisiert werden,
indem man die Prozesse, welche den Lebensweg eines Produktes darstellen, entsprechend
miteinander verbindet (Abb. 1.18). Jeder Prozess ist demnach durch Produktflüsse (d. h.
Inputs (z. B. Stahl, Beton) und Outputs (z. B. ein Fundament)) sowie in das System ein-
und austretende Elementarflüsse gekennzeichnet.
Prinzipiell ist mit einer derartigen Prozesskettenanalyse eine sehr hohe Genauigkeit
der Bilanzierung erreichbar, die von der Verfügbarkeit der Daten, den Kenntnissen über
(Zwischen-)Produkte und Prozesse sowie der Analysetiefe abhängt. Dementsprechend ist
die Prozesskettenanalyse ein sehr arbeitsaufwändiges Verfahren. Um den Bilanzierungs-
aufwand zu begrenzen und zu plausiblen und interpretierbaren Ergebnissen zu kommen,
müssen daher zwingend Systemgrenzen definiert werden. Dadurch werden beispielsweise
vor- und nachgelagerte Prozesse, die keinen relevanten Einfluss auf das Bilanzergebnis
haben, nicht oder nur sehr rudimentär berücksichtigt (z. B. Aufwendungen für den die
Anlage planenden Ingenieur).
Die Ergebnisse derartiger Lebenszyklusbilanzen können mithilfe unterschiedlicher
Umweltkenngrößen zusammengefasst werden. Nachfolgend werden die hier ausgewiese-
nen Größen definiert.
36 M. Kaltschmitt et al.

.........
.......
......

Fundament
Kies
Beton Bau
Zement Rotor
Stahl

Turm Windkraftanlage bereitgestellte


Betrieb über Lebenszeit Energie in kWh

Prozess
Output
Input (Produktfluss)
Abriss
Prozess
Elementarfluss

Abb. 1.18 Prinzip der Prozesskettenanalyse am Beispiel einer Windkraftanlage

 Unter dem Verbrauch erschöpflicher oder fossiler Energieträger wird hier der Ver-
brauch fossil biogener (d. h. Erdöl, Erdgas, Steinkohlen, Braunkohlen) und fossil mi-
neralischer Energieträger (d. h. Uran) verstanden. Berücksichtigt werden dabei neben
dem unmittelbaren Energieeinsatz (z. B. Energieinhalt des verfeuerten Erdöls) auch die
indirekten Aufwendungen, die bei der Herstellung der Anlagen (z. B. Bau des Kraft-
werks, Bau und Betrieb der Anlagen für Brennstoffförderung und -aufbereitung (u. a.
Raffinerie), Transport, Abriss) in den vorgelagerten Prozessketten anfallen. Das Ergeb-
nis einer derartigen Energiebilanz kann als „Verbrauch erschöpflicher (fossiler) Ener-
gieträger“ bzw. „primärenergetisch bewerteter kumulierter fossiler Energieaufwand“
bezogen auf die jeweils bereitgestellte End- bzw. Nutzenergie zusammengefasst wer-
den. In den folgenden Ausführungen wird dieser Indikator oft verkürzt als „Energie“
bezeichnet; dies kann missverständlich sein, da „Energie“ im Sinne dieses Wirkungs-
indikators nicht die gesamte innerhalb der Systemgrenzen befindlichen Energieströme
beinhaltet, sondern nur die der jeweils eingesetzten fossilen Energieträger, da nur deren
Nutzung mit einem Verbrauch endlicher Ressourcen (Reserven an z. B. Erdöl, Erdgas,
Kohlen) verbunden ist. Die unterschiedlichen fossilen Energieträger werden dabei über
ihren (unteren) Heizwert zu diesem Indikator aggregiert. Uran wird mit der Energie
bewertet, die mit Uranbrennstäben in einem modernen Kernkraftwerk in Form elektri-
scher Energie erzeugt werden kann (Wirkungsgrad von 33 %).
 Eine Möglichkeit zur Energienachfragedeckung kann aus Sicht der damit verursachten
Umwelteffekte auch durch die im Verlauf des gesamten Lebensweges freigesetzten um-
weltwirksamen Stoffe beschrieben werden. Dazu werden neben den direkten Emissio-
nen der Konversionsanlage (z. B. Feinstaubemissionen einer Biomassefeuerung) auch
die in den vor- und ggf. nachgelagerten Prozessen (d. h. bei Bau, Betrieb und Ab-
riss) der Anlage freigesetzten luftgetragenen Stoffe berücksichtigt. Da im Verlauf eines
1 Einführung und Aufbau 37

derartigen Lebensweges grundsätzlich sehr viele Stoffe an die Umgebung freigesetzt


werden können, muss hier zwingend eine Auswahl getroffen werden. Daher werden
neben den klimarelevanten Spurengasen nur luftgetragene Stofffreisetzungen mit ver-
sauernder sowie human- und ökotoxischer Wirkung erhoben. Die im Lebensweg ermit-
telten Emissionen werden anschließend im Hinblick auf potenzielle Umweltwirkungen
aufsummiert. Dadurch können unterschiedliche Schadstoffe, die zu der gleichen Wir-
kungskategorie beitragen (z. B. anthropogener Beitrag zum Treibhauseffekt), zu einem
Umweltindikator zusammengefasst werden. Im Einzelnen werden jeweils die folgen-
den Wirkungskategorien untersucht.
– Viele Spurengase, die bei Energiewandlungsprozessen freigesetzt werden, wirken
toxisch auf den Menschen und / oder die natürliche Umwelt. Exemplarisch dafür
werden hier Schwefeldioxid (SO2 ) und Stickstoffoxide (NOx ) separat und unaggre-
giert betrachtet.
– Klimawirksame Spurengasfreisetzungen, die zum anthropogen verursachten (zu-
sätzlichen) Treibhauseffekt beitragen können, lassen sich entsprechend der Kli-
mawirksamkeit der Einzelsubstanzen relativ zu einer Referenzsubstanz (CO2 )
zusammenfassen. Hier wird die gewichtete Summe aus Kohlenstoffdioxid (CO2 ;
1 kg CO2 -Äquivalente/kg CO2 ), Methan (CH4 ; 29,7 kg CO2 -Äquivalente/kg CH4 )
und Distickstoffoxid (N2 O; 264,8 kg CO2 -Äquivalente/kg N2 O) bei einem Bezugs-
zeitraum von 100 Jahren in Form von CO2 -Äquivalenten angegeben [1.22].
– Gase mit Säurebildungspotenzial wirken versauernd auf Böden und Gewässer und
damit u. a. auf terrestrische Ökosysteme. Stofffreisetzungen mit derartigen Eigen-
schaften können – gewichtet mit ihrem jeweiligen Versauerungspotenzial – zu
SO2 -Äquivalenten zusammengefasst werden; hierbei werden Schwefeldioxid (SO2 ;
1 kg SO2 -Äquivalente/kg SO2 ) als Referenzsubstanz, Stickstoffoxid (NOx ; 0,7 kg
SO2 -Äquivalente/kg NOx ), Ammoniak (NH3 ; 1,88 kg SO2 -Äquivalente/kg NH3 )
und Chlorwasserstoff (HCl; 0,88 kg SO2 -Äquivalente/kg HCl) betrachtet [1.22].

Die Erarbeitung der Ökobilanzen erfolgt rechnergestützt. Bezüglich der zugrunde lie-
genden Basisdaten wird auf vorhandene Datenbanken (z. B. [1.9]) zurückgegriffen, in
denen die mit der Bereitstellung von energetischen und nicht energetischen Rohstoffen
anfallenden kumulierten Energieaufwendungen und Emissionen verfügbar gemacht wer-
den.

Weitere Umwelteffekte Zusätzlich zu den im Rahmen von Lebenszyklusbilanzen erfass-


baren Umweltkenngrößen können bei der Energiebereitstellung aus Anlagen zur Nutzung
regenerativer Energien weitere Umwelteffekte zum Tragen kommen. Diese werden im
Rahmen der gegebenen Möglichkeiten quantifiziert und – wenn sie sich einer Quantifizie-
rung entziehen – ausschließlich verbal-argumentativ diskutiert. Hierbei wird unterschie-
den zwischen den Umweltauswirkungen von Anlagen zur Nutzung regenerativer Energien
bei der Herstellung, im Normalbetrieb sowie infolge von Schadens- oder Störfällen und
bei Betriebsende.
38 M. Kaltschmitt et al.

1.3.4 Potenziale und Nutzung

Zusätzlich werden für die einzelnen untersuchten Optionen die energetischen Potenziale
und die Nutzung des regenerativen Energieangebots auf einzelstaatlicher, europäischer
und globaler Ebene diskutiert.

Potenziale Die Möglichkeiten des regenerativen Energieangebots zur Deckung der


Energienachfrage in Deutschland werden ganz wesentlich von den verfügbaren Ener-
giepotenzialen bestimmt. Unterschieden werden kann zwischen den theoretischen, den
technischen, den wirtschaftlichen, den erschließbaren und den nachhaltigen Potenzialen
(Abb. 1.19; u. a. [1.10, 1.23]). Sie werden im Folgenden definiert.
Potenziale können jeweils – z. T. je nach Fragestellung – als Flächen-, Rohstoff-, Brenn-
stoff- oder Energiepotenziale ausgewiesen werden. Da die Abgrenzungen zwischen den
einzelnen Potenzialen nicht zwingend präzise – und damit oft unscharf – und die Poten-
ziale zusätzlich zeitabhängig sind (z. B. hängen die energetischen Strohpotenziale von der
Getreideanbaufläche an, die zwischen unterschiedlichen Jahren variieren kann), zeichnen
sich vorliegende Potenzialangaben durch z. T. erhebliche Abweichungen aus, die u. a. in
unterschiedlichen Annahmen, Abgrenzungen und Rahmenannahmen begründet liegen.
Da die wirtschaftlichen und insbesondere die erschließbaren Potenziale – letztlich gilt
das auch für die nachhaltigen Potenziale – zusätzlich erheblich von den sich i. Allg. schnell
ändernden energiewirtschaftlichen und -politischen Rand- und Rahmenbedingungen ab-
hängig sind und von diesen beeinflusst werden, wird auf diese Potenziale bei den fol-
genden Ausführungen zu den jeweiligen Optionen zur Nutzung regenerativer Energien
nicht näher eingegangen; es werden ausschließlich die theoretischen sowie unterschiedli-
che technische Potenziale diskutiert. Auch werden diese ausschließlich exemplarisch für
die in Deutschland vorliegenden Gegebenheiten ausgewiesen; die jeweils zugrundeliegen-
de Methodik ist jedoch auch auf andere Länder und / oder Regionen übertragbar.

Theoretisches
Potenzial
Technisches
Potenzial
Nachhaltiges
Potenzial
Wirtschaftliches
Potenzial

Erschließbares
Potenzial

Abb. 1.19 Abgrenzung der unterschiedlichen Potenzialbegriffe (nach [1.23])


1 Einführung und Aufbau 39

Theoretisches Potenzial Das theoretische Potenzial einer regenerativen Energie be-


schreibt das innerhalb einer gegebenen Region zu einem bestimmten Zeitpunkt bzw.
innerhalb eines bestimmten Zeitraumes theoretisch physikalisch maximal nutzbare Ener-
gieangebot. Dabei kann bei der jeweiligen Option zur Nutzung erneuerbarer Energien
zwischen dem theoretischen Angebotspotenzial und dem entsprechenden Erzeugungspo-
tenzial unterschieden werden.

 Das theoretische Angebotspotenzial einer regenerativen Energie beschreibt das theo-


retisch verfüg- bzw. nutzbare natürliche Energieangebot. Dies kann z. B. die von der
Sonne auf die Erde eingestrahlte Energie innerhalb eines Jahres, die potenzielle Ener-
gie des in den Flüssen enthaltenen Wassers im Jahresverlauf, die kinetische Energie
des Windes im Jahresverlauf oder die insgesamt in den oberflächennahen Erdschichten
gespeicherte Energie sein. Da einige dieser Optionen durch eine unter- und überjäh-
rig stark variierende Charakteristik und damit z. T. erhebliche Angebotsunterschie-
de gekennzeichnet sind, bezieht sich das theoretische Angebotspotenzial oft auf ein
langjähriges, durchschnittliches Energieangebot (z. B. mittlere solare Einstrahlung in
Deutschland im 50 Jahres Durchschnitt).
 Das theoretische Erzeugungspotenzial beschreibt ausgehend vom theoretischen An-
gebotspotenzial den theoretisch maximal realisierbaren Beitrag der entsprechenden
Option zur Nutzung dieser regenerativen Energie zur Energiebereitstellung. Es wird
ausschließlich durch die physikalischen Nutzungsgrenzen bestimmt. Beispielsweise
errechnet sich das theoretische photovoltaische Erzeugungspotenzial einer definierten
Gebietsfläche aus der insgesamt in der betrachteten Zeitspanne theoretisch nutzbaren
eingestrahlten Solarenergie und dem theoretisch maximalen Wirkungsgrad einer Pho-
tovoltaikzelle / eines Photovoltaikmoduls. Vergleichbar dazu resultiert das theoretische
Erzeugungspotenzial der Windenergie aus der theoretisch nutzbaren Energie des Win-
des und dem physikalisch maximalen (theoretischen) Wirkungsgrad eines Rotors.

Wegen unüberwindbarer technischer, ökologischer, struktureller und administrativer


Schranken kann das theoretische Angebots- bzw. das daraus resultierende Erzeugungspo-
tenzial meist nur zu sehr geringen Teilen aufgrund der zwingend gegebenen technischen
Restriktionen auch wirklich erschlossen werden. Ihm kommt deshalb zur Beurteilung der
tatsächlichen Nutzbarkeit des erneuerbaren Energieangebots meist keine praktische Re-
levanz zu, da es nur eine theoretische Obergrenze des insgesamt potenziell Nutzbaren
darstellt.

Technisches Potenzial Die technischen Potenziale beschreiben den Anteil des theoreti-
schen Potenzials, der unter Berücksichtigung gegebener technischer Randbedingungen
nutzbar ist. Zusätzlich werden u. a. strukturelle Restriktionen sowie ggf. vorhandene ge-
setzliche und damit gesellschaftlich i. Allg. fest verankerte Vorgaben (z. B. Nutzungsre-
striktionen in Nationalparks) berücksichtigt, da sie letztlich auch – ähnlich den technisch
bedingten Eingrenzungen – aus heutiger Sicht „unüberwindbar“ sind. Nicht berücksichtigt
40 M. Kaltschmitt et al.

werden bei der Bestimmung der technischen Potenziale demgegenüber Akzeptanzproble-


me (z. B. bei Anwohnern), die bei der Installation von Anlagen zur Nutzung regenerativer
Energien auftreten können, da diese keine technische Einschränkung im eigentlichen Sinn
darstellen und zudem sich über die Zeit verändern können.
Hinsichtlich der Bezugsgröße für die Energie kann unterschieden werden in

 technische Primärenergiepotenziale (z. B. die auf die Moduloberfläche auftreffende So-


larstrahlung),
 technische Sekundärenergiepotenziale (z. B. die elektrische Energie am Ausgang einer
Photovoltaikanlage),
 technische Endenergiepotenziale (z. B. elektrische Energie aus Photovoltaikanlagen
beim Endverbraucher) und
 technische Nutzenergiepotenziale (z. B. Energie der heißen Luft aus dem Föhn, der mit
elektrischer Energie aus einer Photovoltaikanlage betrieben wird).

Aufgrund der Unterschiede zwischen der technisch möglichen Energiebereitstellung


einerseits und der in den vorhandenen Energiesystemen gegebenen nachfrage- bzw. be-
darfsbedingten Restriktionen andererseits kann bei den technischen Potenzialen zusätzlich
zwischen den technischen Angebots- oder Erzeugungspotenzialen und den technischen
Endenergie- oder Nachfragepotenzialen unterschieden werden.

 Angebots- oder Erzeugungspotenzial. Das technische Erzeugungs- oder Angebots-


potenzial beschreibt die unter Berücksichtigung von ausschließlich technischen und
strukturellen angebotsseitigen Restriktionen bereitstellbare Energie (z. B. die mit aus
ausschließlich technischer Sicht installierbaren Photovoltaiksystemen erzeugbare elek-
trische Energie) frei Einspeisepunkt in das jeweilige Verteilnetz.
 Endenergie- oder Nachfragepotenzial. Bei dem technischen Endenergie- oder Nachfra-
gepotenzial handelt es sich um den Anteil des Erzeugungs- oder Angebotspotenzials,
der auch von den Verbrauchern potenziell genutzt werden kann. Damit werden hier
zusätzlich nachfrageseitige Beschränkungen (z. B. Gegenläufigkeit von solarem Strah-
lungsangebot und damit solarthermisch bereitstellbarer Niedertemperaturwärme und
Heizwärmenachfrage) berücksichtigt. Hinzu kommen potenzielle Verluste, die zwi-
schen dem Einspeisepunkt der Erzeugungsanlage ins jeweilige Verteilnetz und einem
definierten Netzentnahmepunkt entstehen können. Dabei wird unterschieden zwischen
den Endenergie- oder Nachfragepotenzialen zur Bereitstellung elektrischer und ther-
mischer Energie.
– Bei Anlagen zur Bereitstellung elektrischer Energie aus regenerativen Energien be-
schreibt das Endenergie- oder Nachfragepotenzial z. B. die mit Windkraftanlagen
erzeugbare elektrische Energie, die im Energiesystem potenziell vom Verbraucher
auch genutzt werden könnte. Dabei wird unterschieden zwischen einer ausschließ-
lich auf Deutschland bezogenen Betrachtung und einer Analyse, bei der Deutsch-
land Teil des europäischen Elektrizitätsversorgungssystems bzw. Strommarktes ist.
1 Einführung und Aufbau 41

Bei einer ausschließlich auf Deutschland bezogenen Betrachtung (d. h. keine Ein-
bettung in den europäischen Stromverbund und damit kein Austausch elektrischer
Energie über die Landesgrenzen) resultiert das Endenergie- oder Nachfragepoten-
zial aus dem Erzeugungspotenzial abzüglich von etwaigen Speicherverlusten (d. h.
möglicher Ausgleich von Angebot und Nachfrage mit den vorhandenen Pumpspei-
cherkapazitäten), den jeweiligen Netzverlusten (d. h. Verluste zwischen dem durch-
schnittlichen Erzeugungs- und einem mittleren Nachfrageort) und der zeitabhängig
infolge der gegebenen Angebots- und Nachfragecharakteristik im Netz nicht nutz-
baren Anteile. Die durch die Verteilung und ggf. Speicherung bedingten Energiever-
luste werden hier pauschal mit jeweils rund 3 % unterstellt (d. h. 3 % Netzverluste
und 3 % Speicherverluste); diese Annahme ist – aufgrund der hier nicht mögli-
chen standortscharfen Betrachtung – nur eine erste grobe Abschätzung zur Aufzei-
gung der entsprechenden Größenordnungen. Beispielsweise kann Strom z. B. aus
dachmontierten Photovoltaikanlagen in unmittelbarer Anlagennähe – und damit un-
ter weitgehender Vermeidung möglicher Verluste – verbraucht werden; demgegen-
über benötigt z. B. Strom aus Offshore-Windparks einen weiträumigen Abtransport.
Übersteigt die Erzeugung die zeitgleiche Nachfrage, kommen Verluste aufgrund ei-
ner ggf. notwendigen Zwischenspeicherung hinzu. Derartige Effekte hängen aber
sehr stark u. a. von den lokalen Gegebenheiten am potenziellen Anlagenstandort ab.
Zusätzlich muss oft nicht der gesamte in Anlagen zur Nutzung fluktuierender re-
generativer Energien erzeugte Strom zwischengespeichert werden; bei Systemen,
die eine nachfrageorientierte Stromerzeugung ermöglichen (z. B. Geothermieanla-
gen) ist zudem überhaupt keine Speicherung notwendig, da die Primärenergie (z. B.
Erdwärme) natürlicherweise in einem „Speicher“ vorliegt und damit nachfrage-
bzw. marktorientiert genutzt werden kann. Diesen Randbedingungen tragen die hier
pauschal – auch aus Gründen des einfachen Vergleiches der Potenziale der ver-
schiedenen Nutzungsoptionen untereinander – unterstellten 6 % Verluste adäquat
Rechnung.
Vor dem Hintergrund der liberalisierten Energiemärkte und einer immer weiterge-
henden europäischen Integration auch im Strommarkt ist eine ausschließlich auf
Deutschland bezogene Betrachtung eher theoretischer Natur. Deshalb wird zusätz-
lich eine über die Grenzen Deutschlands hinausgehende Potenzialbetrachtung reali-
siert. Dabei wird unterstellt, dass die im Inland aus regenerativen Energien erzeugte
elektrische Energie, wenn sie die innerdeutsche Nachfrage übersteigt (d. h. Über-
schussenergie), vollständig und ohne netz- bzw. transportseitige Restriktionen in die
Nachbarländer verkauft und dort zeitgleich genutzt werden kann. Diese Annahme
ist dann gerechtfertigt, wenn die Erzeugungspotenziale in Deutschland klein sind
im Vergleich zu der europäischen Stromnachfrage. Dies bedingt aber die Unterstel-
lung, dass nicht alle europäischen Länder eine forcierte Strategie zum Ausbau des
regenerativen Energieangebots im Stromsektor realisieren bzw. die entsprechenden
Potenziale nicht vorhanden / erschließbar sind und deshalb in Europa noch aus-
reichend Möglichkeiten bestehen, unter Klimaschutzaspekten Strom aus Anlagen
42 M. Kaltschmitt et al.

auf der Basis fossiler Energieträger zu substituieren. Deshalb werden hier bei der
Berechnung dieses Potenzials mittlere Netzverluste von pauschal – auch aus Grün-
den des fairen Vergleiches der einzelnen Potenziale untereinander – 7 % unterstellt;
dies entspricht Verlusten, wie sie von potenziellen Standorten von Anlagen zur
Nutzung regenerativer Energien in Deutschland (deren konkrete Standorte nicht
bekannt sind) bis zu potenziellen Verteilknoten außerhalb Deutschlands (die jewei-
ligen potenziellen Nachfrager im Falle der Verfügbarkeit von Überschussenergie
sind ebenfalls nicht bekannt) anfallen können. Auch dies ist zwingend eine stark
vereinfachte Betrachtung, da u. a. vernachlässigt wird, dass z. B. netz- und strom-
marktbedingte Restriktionen einem entsprechenden Export der elektrischen Energie
aus erneuerbaren Energien entgegenstehen können; dies gilt u. a. auch aufgrund der
begrenzten Leistung der vorhandenen Netzverbindungen zwischen Deutschland und
seinen Nachbarländern.
– Bei Anlagen zur Bereitstellung thermischer Energie beschreibt das Endenergie- oder
Nachfragepotenzial den Anteil der aus technischer Sicht erzeugbaren thermischen
Energie, der vom Endverbraucher auch genutzt werden kann (d. h. beispielsweise
der Anteil der in solarthermischen Anlagen erzeugbaren Wärme, die der Verbrau-
cher unter Berücksichtigung der Speicherverluste auch nutzt). Damit errechnet sich
das Nachfrage- aus dem Erzeugungspotenzial auf der Basis der mittleren Nachfra-
gecharakteristik nach Niedertemperaturwärme sowie den jeweiligen Speicher- und
Verteilverlusten innerhalb des entsprechenden Hausverteilsystems.

Diese Unterscheidung zwischen den Erzeugungs- und den Endenergiepotenzialen ist


immer dann notwendig, wenn das regenerative Energieangebot die potenzielle Energie-
nachfrage übersteigt (z. B. kann unter ausschließlicher Berücksichtigung der gegebenen
technischen Restriktionen mit Hilfe solarthermischer Anlagen Wärme in Deutschland be-
reitgestellt werden, welche die Nachfrage nach Trinkwarmwasser mit Temperaturen unter
100 ı C deutlich übersteigt).

Wirtschaftliches Potenzial Unter dem wirtschaftlichen Potenzial einer Option zur Nut-
zung regenerativer Energien wird der Anteil des technischen Potenzials verstanden, der im
Kontext der gegebenen energiewirtschaftlichen Rand- und Rahmenbedingungen auf der
Basis der jeweils gültigen Wirtschaftlichkeitskriterien genutzt werden kann. Neben den
Parametern, die auch das technische Potenzial beeinflussen, wird die Bandbreite dieses
Potenzials sehr stark von den konventionellen / alternativen Vergleichssystemen und den
jeweiligen (fossilen) Energieträgerpreisen beeinflusst; beide Größen sind z. T. erheblichen
Marktschwankungen unterworfen. Das wirtschaftliche Potenzial ist daher und aufgrund
der Abhängigkeit des technischen Potenzials vom betrachteten Zeitpunkt auch zeitabhän-
gig; d. h. strenggenommen verändert es sich mit den Schwankungen der globalen Ener-
giepreise. Außerdem ist die Wirtschaftlichkeit selbst eine relative Größe, da sie von einer
Reihe unterschiedlicher Parameter abhängig ist, die bei verschiedenen Unternehmen bzw.
Investoren durchaus erheblich unterschiedlich sein können (u. a. Zinssatz, Abschreibdau-
1 Einführung und Aufbau 43

er, Eigenkapitalanteil, geforderte Eigenkapitalverzinsung). Das wirtschaftliche Potenzial


wird zusätzlich auch davon beeinflusst, aus welcher Sichtweise die Wirtschaftlichkeit je-
weils bestimmt wird. Deshalb ist zwischen einem wirtschaftlichen Potenzial aus volks-
und aus betriebswirtschaftlicher Sicht zu unterscheiden. Insgesamt gibt es damit eine Viel-
zahl an wirtschaftlichen Potenzialen.

Erschließbares Potenzial Das erschließbare bzw. Erschließungspotenzial von Möglich-


keiten zur Nutzung regenerativer Energien beschreibt den zu erwartenden tatsächlichen
Beitrag einer Option zur Nutzung regenerativer Energien zur Energieversorgung. Dieses
erschließbare Potenzial ist ebenfalls zeitabhängig und in der Regel geringer als das wirt-
schaftliche Potenzial; dies liegt darin begründet, dass das wirtschaftliche Potenzial i. Allg.
nicht sofort, sondern nur innerhalb eines längeren Zeitraums vollständig erschließbar ist.
Dies begründet sich u. a. mit den begrenzten Herstellkapazitäten, der Funktionsfähigkeit
von vorhandenen, noch nicht abgeschriebenen Konkurrenzsystemen sowie einer Vielzahl
weiterer Hemmnisse (z. B. mangelnde Information, rechtliche und administrative Begren-
zungen, emotionale Vorbehalte gegen eine bestimmte Technik).

Nachhaltiges (nutzbares) Potenzial Das nachhaltig nutzbare Potenzial kann unter Berück-
sichtigung bestimmter möglichst konsensual festzulegender Nachhaltigkeitsrestriktionen
ebenfalls aus dem technischen Potenzial und z. T. auch aus dem wirtschaftlichen Poten-
zial abgeleitet werden. Derartige Nachhaltigkeitsrestriktionen betreffen u. a. Produktions-
und Nutzungseinschränkungen aufgrund von Umweltschutzüberlegungen, aus Gründen
des Natur- und Bodenschutzes sowie wegen weitergehender ökologischer, ökonomischer
und sozialer Nachhaltigkeitsforderungen; ein Aspekt der sozio-ökonomischen Nachhal-
tigkeitseinschränkungen stellt beispielsweise die Sicherung einer kostengünstigen, um-
weltverträglichen und sozial akzeptablen Energieversorgung für eine steigende Weltbe-
völkerung dar. Aufgrund der schwierigen Abgrenzung der bei der Potenzialabschätzung
anzulegenden Nachhaltigkeitskriterien bzw. der jeweils zu definierenden Nachhaltigkeits-
zielvorgaben können diese Potenziale erheblichen Variationen unterliegen. Hinzu kommt,
dass bei vielen vorliegenden Potenzialuntersuchungen die zugrunde gelegten Nachhaltig-
keitskriterien oft unscharf bzw. ungenau und nicht genau definiert wurden bzw. definierbar
sind [1.4].

Nutzung Zur Abschätzung der noch gegebenen Möglichkeiten zur Nutzung des regenera-
tiven Energieangebots wird jeweils die gegenwärtige Nutzung dargestellt. Soweit möglich
und verfügbar wird auch diskutiert, wie sich die Nutzung der jeweiligen Option im Verlauf
der letzten Jahre entwickelt hat. Damit kann abgeschätzt werden, welchen Beitrag die je-
weilige regenerative Energie zur Deckung der Energienachfrage gegenwärtig bereits leistet
und welcher Anteil des gegebenen technischen Potenzials schon genutzt bzw. noch nutzbar
ist. Dabei wird unterschieden zwischen einer Nutzung auf einzelstaatlicher Ebene (exem-
plarisch werden Deutschland und Österreich dargestellt), in Europa (EU-28) und weltweit,
damit die sich abzeichnenden Entwicklungstendenzen und -trends deutlich werden.
44 M. Kaltschmitt et al.

1.4 Konventionelle Vergleichssysteme

Lucas Sens, Martin Kaltschmitt und Wolfgang Streicher

Die in den folgenden Kapiteln betrachteten regenerativen Energien bzw. die zugehörigen
Techniken können zur Wärme- und / oder Strombereitstellung eingesetzt werden. Entspre-
chend substituieren sie Techniken bzw. Brennstoffe auf der Basis fossiler Energieträger.
Diese werden zusätzlich nachfolgend kurz beschrieben, um einen Vergleich zwischen den
hier betrachteten Optionen zur Nutzung regenerativer Energien und den jeweils substitu-
ierbaren Optionen auf der Basis fossiler Energieträger zu ermöglichen.
Dazu werden im Folgenden konventionelle Techniken zur Energiebereitstellung, wie
sie derzeit zum Einsatz kommen können bzw. würden, definiert und diskutiert. Ausgehend
davon werden technische, ökonomische und ökologische Kennzahlen bereitgestellt, die
einen Vergleich mit den Kenngrößen ermöglichen, die für die entsprechenden Optionen
zur Nutzung des regenerativen Energieangebots in den nachfolgenden Kapiteln erarbeitet
und diskutiert werden.

1.4.1 Randbedingungen

Die Bereitstellung fossiler Energieträger frei Konversionsanlage (z. B. Kohlekraftwerk,


Erdgas-Brennwertkessel) ist zwingend mit einem gewissen energetischen Aufwand und
mit allen daraus resultierenden Umweltbelastungen verbunden. Auch können die entspre-
chenden Daten für die derzeit in Deutschland eingesetzten fossilen Energieträger je nach
regionalen Gegebenheiten und Herkunft der Brennstoffe stark variieren. Grundsätzlich ist
jedoch die Bereitstellung jedes Energieträgers notwendigerweise mit einem bestimmten
Einsatz energetischer und mineralischer Ressourcen verbunden; ersterer resultiert bei-
spielsweise bei der Steinkohle u. a. aus der bergmännischen Gewinnung und beim Erdgas
u. a. aus dem internationalen Transport in Pipelines (beispielsweise ist für die Bereit-
stellung fossiler Energieträger frei Konversionsanlage – je nach Brennstoff – ein fossiler
Primärenergieaufwand zwischen 6 und 18 % des Heizwertes notwendig (u. a. [1.9])) und
letzterer u. a. aus dem Bau der Kraftwerke (d. h. Stahl für den Kessel und Kupfer für den
Generator).
Mit diesem Material- und Energieaufwand sind auch zwingend entsprechende Um-
weltauswirkungen verbunden. Beispielsweise ist Steinkohle für den Einsatz in Kohle-
kraftwerken am Kraftwerksstandort bereits durch rund 11,2 g CO2 -Äquivalenten pro MJ
Brennstoffenergie belastet; diese Emissionen an Klimagasen werden zum überwiegenden
Teil durch die Freisetzung des in der Steinkohle gebundenen Methans und zu geringeren
Anteilen durch den Transport u. a. in Form von Kohlenstoffdioxid infolge der Verbren-
nung fossiler Kraft- bzw. Brennstoffe beispielsweise bei der Gewinnung im Tagebau oder
beim Schiffstransport verursacht. Auch die anderen fossilen Energieträger weisen entspre-
chende Vorbelastungen auf.
1 Einführung und Aufbau 45

Tabelle 1.4 Energie- und Emissionsbilanzen der Prozessketten für die Bereitstellung von Materi-
alaufwendungen [1.9]
Material Stahla Kupferb Aluminiumc Betond
Energiee in GJ/t 18,20 166,99 99,36 0,77
SO2 in kg/t 4,91 293,75 24,62 0,12
NOx in kg/t 4,45 40,37 17,30 0,25
CO2 -Äquivalentef in t/t 1,89 8,41 6,52 0,09
SO2 -Äquivalenteg in kg/t 7,74 344,18 39,34 0,32
a
globaler Stahlmarkt, niedriglegiert; b globaler Kupfermarkt; c globaler Aluminiummarkt, Gussle-
gierung; d globaler Betonmarkt; e primärenergetisch bewerteter kumulierter fossiler Energieaufwand
(Verbrauch erschöpflicher Energieträger); f Charakterisierungsfaktor für einen Betrachtungszeit-
raum von 100 Jahren [1.22]; g Charakterisierungsfaktor Versauerungspotenzial [1.22].

Neben den Energieträgern sind auch die für den Bau der jeweiligen Konversionsanla-
gen eingesetzten Materialien hinsichtlich des mit ihrer Bereitstellung verbundenen Ener-
gieeinsatzes und der damit zusammenhängenden Emissionen „vorbelastet“. Für einige der
hier bilanzierten Stoffe zeigt dies exemplarisch Tabelle 1.4. Demnach ist beispielsweise
die Kupfer- bzw. Aluminium-Bereitstellung mit einem energetischen Aufwand von 177
bzw. 99 GJ erschöpflicher (fossiler) Energie pro Tonne Material verbunden. Dieser Ener-
gieeinsatz für die Materialherstellung führt auch zu entsprechenden Stofffreisetzungen mit
allen daraus resultierenden potenziellen Umweltauswirkungen. Diese liegen beispielswei-
se für Kupfer bzw. Aluminium bei 8,4 bzw. 6,5 t CO2 -Äquivalente und bei 344 bzw. 39 kg
SO2 -Äquivalente jeweils pro Tonne bereitgestelltem Material.
Von einigen Anlagen zur Wandlung des regenerativen Energieangebots wird während
des Betriebs elektrische Energie benötigt. Im Regelfall wird dieser elektrische Strom
aus dem Netz der öffentlichen Versorgung bezogen. Hier wird deshalb in Anlehnung an
die in Deutschland vorliegenden Gegebenheiten ein Stromerzeugungsmix aus mit fossi-
len Energieträgern (z. B. Steinkohle, Braunkohle) gefeuerten Kraftwerken, aus den noch
am Netz befindlichen Kernkraftwerken und Anlagen zur Nutzung regenerativer Energien
unterstellt, der durch einen durchschnittlichen Nutzungsgrad von der Primärenergie bis
zur Endenergiebereitstellung frei Verbraucher von rund 38 % gekennzeichnet ist. Dieser
Stromerzeugungsmix frei Entnahme aus der Mittelspannungsebene – ohne Berücksich-
tigung des Stromaußenhandelssaldos – ist im Jahr 2017 beispielsweise durch Freiset-
zungen an CO2 -Äquivalenten von 486 g/kWh, an SO2 von 0,233 t/GWh und an NOx
von 0,424 t/GWh gekennzeichnet [1.24]. Bei der Bilanzierung von Produkten, zu deren
Herstellung elektrische Energie benötigt wird, wird ebenfalls dieser Strommix zugrunde
gelegt.
Auch die Energieträgerpreise stellen eine wesentliche Kenngröße dar, durch die das
fossile Energieträgerangebot charakterisiert werden kann. Diese Aufwendungen zeigt Ta-
belle 1.5. Demnach lag der Grenzübergangspreis bei Steinkohle bzw. Erdgas im Durch-
schnitt in Deutschland innerhalb der Jahre 2008 bis 2017 bei rund 2,9 bzw. 7,0 C/GJ.
46 M. Kaltschmitt et al.

Tabelle 1.5 Jahresmittelwerte der Energiepreise für fossile Energieträger (2008 bis 2017) [1.15,
1.16, 1.17]
System Minimum Maximum Durchschnitt
Erdgas, Verbraucherpreis (Haushalte) in C/GJ 16,1 20,0 18,4
Erdgas, Importpreis in C/GJ 4,6 9,0 7,0
Steinkohle, Importpreis in C/GJ 2,3 3,8 2,9

Demgegenüber liegt das Preisniveau für deutsche Haushaltskunden höher. Der durch-
schnittliche Haushaltskunde musste in Deutschland im gleichen Zeitraum einschließlich
Mehrwertsteuer rund 18,4 C/GJ für Erdgas bezahlen. Hinzu kommt, dass die Energieprei-
se starken Schwankungen unterworfen sind. Dies gilt zum einen im Verlauf eines Jahres
infolge der Schwankungen der Rohöl- und damit der fossilen Energieträgerpreise. Zum
anderen sind die Energieträgerpreise auch stark von der jeweiligen Abnahmemenge an
Energie abhängig; werden beispielsweise große Mengen an Energie abgenommen (z. B.
Mehrfamilienhochhaus, Industriebetrieb) sind die Energiepreise i. Allg. spezifisch merk-
lich geringer im Vergleich zu sehr kleinen Abnahmemengen (z. B. Einfamilienhaus, Hand-
werksbetrieb). Infolge beider Aspekte treten erhebliche Variationen bei den in Deutsch-
land im Durchschnitt zu zahlenden Preisen für fossile Brennstoffe auf. Die minimalen
und maximalen Jahresmittelwerte der betrachteten Zeitspanne der Jahre 2008 bis 2017
sind deswegen ebenfalls in Tabelle 1.5 dargestellt.

1.4.2 Techniken zur Strombereitstellung

Im Folgenden werden die wesentlichen Systemelemente von konventionellen Anlagen zur


Stromerzeugung dargestellt. Zusätzlich werden zwei Referenzsysteme definiert. Für diese
werden dann die mit Bau, Betrieb und Abriss einhergehenden Verbräuche erschöpflicher
Energieträger und Emissionen ausgewählter Luftschadstoffe ermittelt sowie anhand der
Investitions- und Betriebskosten die entsprechenden Stromgestehungskosten errechnet.
Dadurch wird eine Gegenüberstellung der Stromerzeugung in derartigen konventionellen
Anlagen mit den entsprechenden Optionen zur Nutzung des regenerativen Energieange-
bots ermöglicht.

1.4.2.1 Systemtechnische Beschreibung


Wärmekraftwerke wandeln einen Teil des Energieinhalts der eingesetzten Brennstoffe
(z. B. Stein- oder Braunkohlen, Erdgas, Erdöl) in elektrische Energie um. Hierzu kom-
men häufig Gas- und / oder Dampfturbinenkraftwerke zur Anwendung. Die wesentlichen
Systemmerkmale dieser Technologien werden im Folgenden kurz beschrieben. Demge-
genüber werden zur Stromerzeugung eingesetzte Verbrennungskraftmaschinen (z. B. Gas-
motoren), die u. a. zur Notstromversorgung, zur Stromerzeugung in Inselsystemen (z. B.
Berghütten) und teilweise zur Spitzenlastabdeckung in einigen Betrieben im Einsatz sind,
1 Einführung und Aufbau 47

aufgrund vergleichsweise geringer Bedeutung – bezogen auf die Gegebenheiten im mit-


teleuropäischen Energiesystem – nicht berücksichtigt.

Dampfkraftwerke Wesentliche Komponenten von Kohlen-, Erdgas- oder Erdöl-befeu-


erten Dampfkraftwerken sind die Feuerung, die Dampferzeugung, die Turbine, der Ge-
nerator, der Wasserkreislauf, die Abgasreinigung (je nach Brennstoff Staubfilter, Abgas-
entschwefelung und -entstickung) sowie die steuerungs- und elektrotechnischen Einrich-
tungen. Bei kohlebefeuerten Kraftwerken wird zusätzlich eine Brennstoffaufbereitung
benötigt. Als Feuerungssysteme werden bei den heute üblichen Stein- und Braunkoh-
lekraftwerken überwiegend Staubfeuerungen und für Anlagen unter 500 MW z. T. auch
Wirbelschichtfeuerungen eingesetzt. Öl- und gasbefeuerte Kessel werden meist mit ei-
ner Brennerfeuerung ausgeführt. Im nachgeschalteten Dampferzeuger wird die in der
Feuerung freigesetzte Energie auf den Wasserkreislauf übertragen und Wasserdampf er-
zeugt, welcher anschließend über eine mehrstufige Turbine entspannt wird. Die dadurch
in mechanische Energie umgeformte Wärmeenergie wird an einen Generator übertragen,
der diese weiter in elektrische Energie wandelt. Zur Schließung des Kreisprozesses wird
der aus der Turbine kommende Dampf in einem Kühlsystem kondensiert und über eine
Speisewasserpumpe wieder dem Dampferzeuger zugeführt [1.11]. Insgesamt erreichen
Dampfkraftwerke heute Netto-Wirkungsgrade über 45 %.

Gas- und Dampfturbinen(GuD)-Kraftwerke Gas- und Dampfturbinen(GuD)-Kraft-


werke bestehen im Wesentlichen aus einer im Regelfall mit Erdgas betriebenen Turbine,
die einen Generator antreibt. In dieser Turbine wird zunächst der Druck der angesaugten
Umgebungsluft erhöht. Diese verdichtete Luft wird anschließend in eine Brennkammer
geführt, wo sie mit dem Brennstoff chemisch unter Energie- bzw. Wärmefreisetzung re-
agiert. Anschließend wird das Reaktionsgas auf Umgebungsdruck entspannt; die dabei an
der Turbinenwelle frei werdende Energie wird in einem Generator in elektrische Energie
umgewandelt [1.11].
Die noch sehr heißen Abgase aus der Gasturbine werden durch einen Abhitzekessel
geführt, in dem überhitzter Dampf für den Einsatz in einem nachgeschalteten Dampfkraft-
prozess erzeugt wird, der im Wesentlichen dem eines konventionellen Dampfkraftwerks
entspricht. Mit diesem sogenannten GuD-Prozess lassen sich heute Nettowirkungsgrade
von über 60 % erreichen.

1.4.2.2 Ökonomische und ökologische Analyse


Die Bereitstellung elektrischer Energie in konventionellen Kraftwerken ist durch ent-
sprechende Kosten und Umwelteffekte gekennzeichnet. Sie werden im Folgenden kurz
diskutiert. Zuvor werden jedoch ausgewählte Referenzanlagen definiert.

Referenzanlagen Als für Deutschland derzeit typische konventionelle Stromerzeugungs-


anlagen werden hier jeweils ein mit Steinkohle und ein mit Erdgas gefeuertes Kraftwerk
nach dem aktuellen Stand der Technik (d. h. Anlagenneubau) betrachtet.
48 M. Kaltschmitt et al.

Tabelle 1.6 Kenndaten der untersuchten Systeme zur Strombereitstellung aus fossilen Energie-
trägern
Steinkohlekraftwerk Erdgaskraftwerk
Brennstoff Steinkohle Erdgas
Kraftwerkstyp Staubfeuerung GuDa
Elektrische Nennleistung (netto) in MW 800 400
Technische Lebensdauer in a 30 30
Jahresmittlerer Systemnutzungsgrad in % (netto) 45 60
Volllaststunden in h/a 2 500–7 000 1 500–6 000
Brennstoffeinsatz in PJ/a 16,0–44,8 3,6–14,4
a
Gas- und Dampfturbinenkraftwerke.

Bei dem Steinkohlekraftwerk mit einer elektrischen Leistung von 800 MW bei einem
jahresmittleren Nutzungsgrad von 45 % (Tabelle 1.6) wird von einer Staubfeuerung ausge-
gangen. Dieses Kraftwerk repräsentiert damit Anlagen, wie sie derzeit am Markt vertreten
sind. Dabei wird von einer Spannbreite der jährlich realisierbaren Volllaststunden von
2 500 bis 7 000 h/a ausgegangen. Dies spiegelt etwa die derzeitigen Gegebenheiten in
Deutschland wider; im Jahr 2018 lagen die Jahresvolllaststunden der deutschen Stein-
kohlekraftwerke im Schnitt bei 3 260 h/a [1.14].
Als weitere charakteristische Anlage zur Stromerzeugung aus fossilen Energieträgern
wird ein gasgefeuertes Gas- und Dampfturbinen(GuD)-Kraftwerk mit einer Blockgrö-
ße von 400 MW und einem jahresmittleren Netto-Systemnutzungsgrad von rund 60 %
untersucht (Tabelle 1.6). Hier werden zwischen 1 500 und 6 000 h/a (Volllast) angenom-
men. Die durchschnittlichen Jahresvolllaststunden von Erdgaskraftwerken lagen 2018 in
Deutschland bei 2 190 h/a [1.14].

Ökonomische Analyse Zur Abschätzung der mit einer Stromerzeugung aus fossilen
Energieträgern verbundenen monetären Aufwendungen werden im Folgenden die va-
riablen und fixen Aufwendungen sowie die spezifischen Stromgestehungskosten der in
Tabelle 1.6 dargestellten Referenzanlagen diskutiert (Tabelle 1.7).

Investitionen und Betriebskosten Steinkohlekraftwerke sind im Vergleich zu Erdgas-


gefeuerten GuD-Kraftwerken aufgrund der höheren Aufwendungen für u. a. die Kohleauf-
bereitung bzw. die Abgasreinigung durch deutlich höhere Investitions- und Betriebskosten
gekennzeichnet (Tabelle 1.7). Zusätzlich fallen laufende Kosten u. a. für Personal,
Instandhaltung, Anlagenerneuerungen, Abgasreinigung, Entsorgung von Verbrennungs-
rückständen und Versicherungen sowie insbesondere für den Brennstoff an. Aufgrund der
merklich geringeren spezifischen Brennstoffkosten liegen demgegenüber die spezifischen
Aufwendungen für den Brennstoff des betrachteten Steinkohlekraftwerks unter denen des
GuD-Kraftwerks.
1 Einführung und Aufbau 49

Tabelle 1.7 Kosten einer Stromerzeugung aus Steinkohle und Erdgas (vgl. Tabelle 1.6)
Steinkohlekraftwerk Erdgaskraftwerk
Gesamtinvestitionena in C/kW 1 300–2 000 800–1 100
Jährliche Kosten
Anteilige Investitionen in Mio. C/a 46–71 14–20
Betriebskostenb in Mio. C/a 35–54 11–18
Brennstoffkostenc in Mio. C/a 61–102 32–67
Summe in Mio. C/a 184–187 70–92
Stromgestehungskosten in C/kWh 0,033–0,093 0,038–0,117
a
einschl. Bauherrenkosten (u. a. Gelände, Genehmigung, Kohleentladung, Stromableitung, eigene
Planung); b u. a. Wartung, Versicherung, Personal; c Einfuhrpreis (vgl. Tabelle 1.5).

Stromgestehungskosten Ausgehend von den diskutierten Rahmenannahmen (Tabelle 1.6)


errechnen sich auf der Basis der unterstellten finanzmathematischen Randbedingungen
(Zinssatz 2 %) die im Verlauf der zugrunde gelegten technischen Lebensdauer von 30 Jah-
ren gegebenen Stromgestehungskosten frei Kraftwerk; sie sind ebenfalls in Tabelle 1.7
dargestellt.
Demnach ist das Kohlekraftwerk durch Stromgestehungskosten von ca. 0,03 bis
0,09 C/kWh gekennzeichnet; durchschnittlich liegen die Stromgestehungskosten aus
Steinkohle unter den hier unterstellten Rahmenannahmen und Randbedingungen bei
0,06 C/kWh. Im Vergleich dazu liegen die Kosten der Erdgasverstromung in einer ähnli-
chen Größenordnung und variieren unter den zugrunde gelegten Bedingungen zwischen
knapp 0,04 und 0,12 C/kWh; im Durchschnitt liegen sie bei rund 0,07 C/kWh (Tabel-
le 1.7).

Ökologische Analyse Für die definierten Anlagen werden nachfolgend ausgewählte öko-
logische Aspekte diskutiert. Dies erfolgt im Rahmen einer Lebenszyklusanalyse. Zusätz-
lich werden ausgewählte weitere Umwelteffekte diskutiert.

Lebenszyklusanalyse Für die beiden in Tabelle 1.6 definierten Referenztechniken zur


Strombereitstellung können entsprechende Lebenswegbilanzen erstellt werden (Tabel-
le 1.8).
Demnach sind mit Erdgas befeuerte GuD-Kraftwerke aufgrund des höheren Umwand-
lungswirkungsgrades vom Brennstoff in elektrische Energie und geringerer direkter Emis-
sionen (z. B. sind die spezifischen Kohlenstoffdioxidemissionen von Erdgas im Vergleich
zu denen von Steinkohle merklich niedriger) im Vergleich zu Steinkohlekraftwerken durch
einen geringeren Verbrauch fossiler Primärenergie sowie geringere luftgetragene Stoff-
freisetzungen gekennzeichnet. Beispielsweise sind die im Lebenswegverlauf freigesetzten
spezifischen CO2 -Äquivalent-Emissionen bei dem betrachteten Steinkohlekraftwerk mit
etwa 877 t/GWh mehr als doppelt so hoch wie bei dem Erdgas-GuD-Kraftwerk mit rund
410 t/GWh. Die Bilanzergebnisse werden dabei primär durch die direkten Emissionen
50 M. Kaltschmitt et al.

Tabelle 1.8 Lebenswegbilanzen einer Stromerzeugung aus Steinkohle und aus Erdgas
Steinkohlekraftwerk Erdgaskraftwerk
2 500 h/a 7 000 h/a 1 500 h/a 6 000 h/a
Energiea in GJ/GWh 10 190 10 162 7 121 7 087
SO2 in kg/GWh 737 727 153 140
NOx in kg/GWh 791 783 308 295
CO2 -Äquivalente in t/GWh 877 874 410 407
SO2 -Äquivalente in kg/GWh 1 360 1 346 379 356
a
primärenergetisch bewerteter kumulierter fossiler Energieaufwand (Verbrauch erschöpflicher
Energieträger).

bzw. die mit der Brennstoffbereitstellung verbundenen Energieaufwendungen (einschließ-


lich der Energie des Brennstoffs) bestimmt; d. h. der Brennstoffeinsatz bestimmt weit-
gehend das Bilanzergebnis. Dieses Ergebnis gilt – bei entsprechenden Variationen – für
nahezu alle Konversionsanlagen, bei denen der Brennstoff mitbilanziert werden muss.

Weitere Umwelteffekte Kraftwerke setzen – wie alle anderen Energiewandler auf der Ba-
sis fossil biogener Energieträger – im ordnungsgemäßen Betrieb infolge der Oxidati-
on des Brennstoffs direkt an der Anlage Stoffe in einer signifikanten Größenordnung
frei. Deshalb zeigt Tabelle 1.9 exemplarisch ausgewählte direkte Emissionen der bei-
den untersuchten Anlagen. Demnach liegen beispielsweise die direkten Freisetzungen an
CO2 -Äquivalenten bei dem mit Steinkohle bzw. Erdgas gefeuerten Kraftwerk bei knapp
750 bzw. 340 t/GWh bereitgestellter elektrischer Energie.
Zusätzlich zu diesen direkten Stofffreisetzungen an der Anlage ist auch die Bereitstel-
lung fossiler Brennstoffe mit einer Reihe von weiteren Beeinträchtigungen der Umwelt
verbunden. Nachfolgend werden einige derartiger Umwelteffekte exemplarisch angeführt.

 Kohlekraftwerke waren lange Zeit eine wesentliche Quelle anthropogener Staub-, NOx -
und SO2 -Emissionen in Europa. Erst durch strengere Emissionsgrenzwerte und dem
dadurch notwendigen Einbau umfangreicher Abgasreinigungssysteme konnten diese
Emissionen in den vergangenen Jahrzehnten stark gesenkt werden.

Tabelle 1.9 Direkter Energieverbrauch sowie direkte Emissionen und Äquivalent-Emissionen für
die in Tabelle 1.6 definierten Kraftwerke
Steinkohlekraftwerk Erdgaskraftwerk
a
Energie in GJ/GWh 8 000 6 000
SO2 in kg/GWh 525 3
NOx in kg/GWh 497 153
CO2 -Äquivalente in t/GWh 747 338
SO2 -Äquivalente in kg/GWh 904 110
a
Endenergie.
1 Einführung und Aufbau 51

 Die übertägige Gewinnung von Braunkohle im Tagebau führt aufgrund des großen
Flächenverbrauchs und der erheblichen zu bewegenden Materialmengen zu umfang-
reichen Beeinträchtigungen des Landschaftsbilds und zu einer nachhaltigen Störung
des Grundwasserhaushalts. Durch Rekultivierungsmaßnahmen nach Ende des Kohle-
abbaus können diese Auswirkungen allerdings teilweise wieder kompensiert gemacht
werden; dabei wird der Charakter der Landschaft aber grundlegend verändert (z. B.
wird aus einer ausschließlichen Agrarlandschaft eine Seenlandschaft).
 Beim Untertageabbau von Steinkohle kann es durch den zumindest in Deutschland über
Jahrzehnte realisierten Bruchbau u. a. zu Absenkungen der Erdoberfläche kommen, die
beispielsweise zu einer Störung der Grundwasserhorizonte oder einer Rissbildung in
an der Oberfläche befindlichen Gebäuden führen können bzw. eine Nutzung der be-
troffenen Flächen an der Erdoberfläche einschränken.
 Die nach der Kohleverbrennung verbleibenden Aschen bzw. Stäube können u. a.
Schwermetalle sowie radioaktive Elemente enthalten. In Abhängigkeit von der Zusam-
mensetzung der Kohle kommt es dabei vor allem im Flugstaub zu einer Anreicherung
dieser gesundheitsschädlichen Stoffe. Derart kontaminierte Stäube müssen daher ord-
nungsgemäß verwertet bzw. deponiert werden.
 Bei der Gewinnung von Erdgas kann es u. a. während der Erstellung der für die För-
derung notwendigen Bohrung(en) durch die Freisetzung von chemischen Hilfs- und
Betriebsstoffen (z. B. Bohrspülungen) zu einer Belastung des umliegenden Bodens
(Onshore) bzw. Meeres (Offshore) kommen. Außerdem können durch die Bohrakti-
vitäten mikroseismische Ereignisse ausgelöst werden. Darüber hinaus kann es beim
Erdgastransport zu Leckagen kommen, durch die das Klima beeinflusst wird.

1.4.3 Techniken zur Wärmebereitstellung

Im Folgenden werden die Techniken zur Wärmebereitstellung aus fossilen Energieträgern,


wie sie derzeit eingesetzt werden, dargestellt und diskutiert. Dabei wird zuerst kurz auf
die gegenwärtig primär genutzten Techniken bzw. Systeme eingegangen. Abschließend
werden diese Techniken anhand ökonomischer und ökologischer Größen analysiert.

1.4.3.1 Systemtechnische Beschreibung


Die wesentlichen Systemelemente von Anlagen zur Bereitstellung von Wärme aus dem
hier ausschließlich untersuchten Erdgas sind neben der Brennstoffversorgung der eigent-
liche Kessel zur alleinigen Raumwärmeversorgung sowie die entsprechende Trink- bzw.
Brauchwarmwasserbereitung.

Brennstoffversorgung Die Brennstoffversorgung von mit Erdgas befeuerten Wärmeer-


zeugern erfolgt in Europa bzw. in Deutschland praktisch ausschließlich über das Erdgas-
netz, das in Mitteleuropa sehr gut ausgebaut ist und die unterschiedlichen Gasfelder u. a.
in der Nordsee und in Sibirien mit den Verbrauchszentren in Mitteleuropa verbindet.
52 M. Kaltschmitt et al.

Wärmebereitstellung Nachfolgend werden wesentliche heute eingesetzte Wärmeerzeu-


ger auf der Basis des fossilen Energieträgers Erdgas diskutiert.

 Heizkessel mit Brenner. Im Heizkessel findet die Oxidation (Verbrennung) des


gasförmigen Brennstoffs unter Wärmefreisetzung statt. Diese Wärme wird über ei-
nen Wärmeübertrager auf ein geeignetes Wärmeträger- bzw. -verteilmedium (meist
Wasser) übertragen und durch dieses weiter zur Verbrauchsstelle transportiert. Zur
Raumwärme- und Trink- bzw. Brauchwarmwasserbereitung finden heute überwiegend
Brennwertthermen Verwendung. Als Brenner kommen Systeme mit und ohne Gebläse
zum Einsatz.
 Niedertemperaturkessel mit Gasbrenner. Niedertemperaturkessel (NT-Kessel) werden
in Abhängigkeit von der Außentemperatur mit gleitender Vorlauftemperatur von 75 bis
auf 40 ı C oder tiefer betrieben. Vor allem bei Kesseln mit Trinkwarmwassererwärmung
lassen sich dadurch die Abgas- und Bereitschaftsverluste während der heizungsfrei-
en Sommerzeit deutlich verringern und dadurch Jahresnutzungsgrade von 91 bis 93 %
(bezogen auf den unteren Heizwert) erreichen. Dies kann beispielsweise mit Gasgeblä-
sebrennern realisiert werden. Hier wird dem Verbrennungsgas vor der Verbrennung die
Verbrennungsluft durch ein Gebläse zugeführt. Gasbrenner ohne Gebläse – sogenannte
atmosphärische Gasbrenner – arbeiten demgegenüber mit Luftselbstansaugung (d. h.
die Verbrennungsluft wird durch den thermischen Auftrieb im Kessel von unten her in
den Brennraum geführt). Der Schornstein muss daher so viel Zug erzeugen, dass alle
Widerstände der Heizungsanlage überwunden werden können. Das Gas-Luft-Gemisch
wird dann in entsprechenden Düsen verbrannt. Die dabei freigesetzte Wärme wird an-
schließend dem Abgas entzogen und kann nutzbar gemacht werden.
 Brennwertherme. Die beste Ausnutzung der im Brennstoff enthaltenen Energie lässt
sich durch Brennwertthermen (BW-Therme) erzielen. Durch eine weitgehende Ab-
kühlung der heißen Abgase über den Rücklauf des Heizungssystems wird dabei die
fühlbare bzw. sensible Restwärme der Abgase sowie die latente Wärme (Verdamp-
fungswärme) des im Abgas des oxidierten Erdgases enthaltenen Wasserdampfs nahezu
vollständig genutzt. Diese Verdampfungswärme kann dabei allerdings nur dann sinn-
voll eingesetzt werden, wenn die Rücklauftemperatur des Heizungssystems unterhalb
der Taupunkttemperatur des Abgases liegt; nur dann kann ein Teil des im Abgas ent-
haltenen Wasserdampfes kondensieren. Derartige Brennwertthermen sind heute für den
Brennstoff Stand der Technik. Gasbrennwertthermen erreichen derzeit Jahresnutzungs-
grade bis zu 104 % bezogen auf den unteren Heizwert des Erdgases.

Trinkwarmwasserbereitung Die Trinkwarmwasserbereitung erfolgt meist durch Spei-


cher-Trinkwarmwasserbereiter, die über, unter oder neben dem Heizkessel angeordnet
werden. Die Erwärmung des Wassers kann dabei über eine im Speicher angeordnete
Heizfläche (direkt beheizter Speicher) oder über einen externen Wärmeübertrager (indi-
rekt beheizter Speicher) erfolgen. Daneben ist auch der Einsatz eines elektrisch beheizten
Trinkwarmwasserspeichers möglich.
1 Einführung und Aufbau 53

1.4.3.2 Ökonomische und ökologische Analyse


Die Bereitstellung von Wärme zur Trinkwarmwasserbereitung bzw. Raumheizung durch
erdgasgefeuerte Systeme ist – wie jede andere energietechnische Anlage auch – durch
entsprechende Kosten und Umwelteffekte gekennzeichnet. Sie werden im Folgenden kurz
diskutiert. Zuvor werden jedoch die hier betrachteten Referenztechniken definiert und dis-
kutiert.

Referenzanlagen Zur Deckung der definierten Versorgungsaufgaben (Tabelle 1.1 und


1.2) wird – je nach benötigter thermischer Leistung – ausschließlich ein Einsatz von mit
Erdgas betriebenen Brennwertthermen betrachtet (Tabelle 1.10 und 1.11). Die techni-
sche Lebensdauer dieser Brennwertthermen auf Erdgasbasis wird mit 20 Jahren unter-
stellt [1.12].
Die Trink- bzw. Brauchwarmwasserbereitung erfolgt über einen Speicher; dieser wird
beim System Mehrfamilienhaus (MFH) über einen externen Wärmeübertrager bzw. bei
den Einfamilienhäusern (EFH) über einen internen Wärmeübertrager beladen.
Die eingesetzte Brennstoffenergie ermittelt sich aus dem Produkt der an der Trink-
warmwasserzapfstelle entnommenen bzw. an den beheizten Raum abgegebenen Wärme
und dem Nutzungsgrad (hier: ausgedrückt als Aufwandszahlen) der gesamten Energie-
wandlungskette zwischen der Wärmeerzeugung, -verteilung, -speicherung und -übergabe.

Tabelle 1.10 Kenndaten der untersuchten Kleinanlagen für eine Wärmebereitstellung aus fossilen
Energieträgern für die untersuchten Einfamilienhäuser (EFH) (zur Definition der Nachfragefälle
EFH 0 bis EFH IV siehe Tabelle 1.1)
Einfamilienhaus (EFH) 0 I II III IV
Gesamte Wärmenachfragea in GJ/a 14,9 21,7 25,7 33,8 82,4
davon: Raumwärme in GJ/a 8,1 14,9 18,9 27,0 75,6
Warmwasser in GJ/a 6,8 6,8 6,8 6,8 6,8
AWZb Raumwärme 1,05c 1,05c 1,04c 1,04c 1,10
AWZb Warmwasser 1,86 1,86 1,86 1,86 1,99
System-AWZd 1,42 1,30 1,26 1,20 1,17
Brennstoffeinsatze in GJ/a 21,2 28,3 32,3 40,7 96,7
Hilfsenergie (Strom)f in kWh/a 500g 500g 500g 500g 300
Warmwasserspeicher in L 120 120 120 120 120
a
Nutzenergie; b AWZ Aufwandszahl; c Aufwandszahlen geringer durch Fußbodenheizung bzw.
Niedertemperaturheizung im Vergleich zum EFH IV, Unterschiede aufgrund höherer Verluste bei
geringerer Nachfrage und Nichtverfügbarkeit von Wärmeerzeugern kleinerer Leistung (siehe Text);
d
mittlere, gewichtete System-Aufwandszahl, sie ist definiert als der Brennstoffeinsatz durch die
gesamte Wärmenachfrage; e Brennstoffeinsatz an Erdgas; f für die Berechnung der Hilfsenergie
wird nach DIN V 4701-10 die Hilfsenergienachfrage ausschließlich auf die Wohnfläche bezogen
berechnet (d. h. Berücksichtigung der Hilfsenergie für die Wärmeverteilung; deshalb ist die Fuß-
bodenheizung durch einen höheren Hilfsenergieverbrauch im Vergleich zu der Radiatorenheizung
gekennzeichnet); eine Unterteilung in unterschiedliche Kesselgrößen erfolgt nach DIN V 4701-10
nicht; g höherer Stromverbrauch durch Fußbodenheizung im Vergleich zum EFH IV.
54 M. Kaltschmitt et al.

Tabelle 1.11 Kenndaten der untersuchten Kleinanlagen für eine Wärmebereitstellung aus fossilen
Energieträgern für die untersuchten Mehrfamilienhäuser (MFH) (zur Definition der Nachfragefälle
MFH 0 bis MFH IV siehe Tabelle 1.2)
Mehrfamilienhaus (MFH) 0 I II III IV
Gesamte Wärmenachfragea in GJ/a 87,3 119,3 139,6 180,1 354,1
davon: Raumwärme in GJ/a 42,1 74,1 94,4 134,9 308,9
Warmwasser in GJ/a 45,2 45,2 45,2 45,2 45,2
AWZb Raumwärme 1,04 1,04 1,03 1,03 1,08
AWZb Warmwasser 1,61 1,61 1,61 1,61 1,66
System-AWZc 1,34 1,26 1,22 1,18 1,15
Brennstoffeinsatzd in GJ/a 116,6 149,8 170,0 211,7 408,6
Hilfsenergie (Strom)e in kWh/a 1 150 1 150 1 150 1 150 800
Warmwasserspeicher in L 400 400 400 400 400
a
Nutzenergie; b AWZ Aufwandszahl; c mittlere, gewichtete System-Aufwandszahl, sie ist definiert
als der Brennstoffeinsatz durch die gesamte Wärmenachfrage; d Brennstoffeinsatz an Erdgas; e für
die Berechnung der Hilfsenergie wird nach DIN V 4701-10 die Hilfsenergienachfrage ausschließlich
auf die Wohnfläche bezogen berechnet (d. h. Berücksichtigung der Hilfsenergie für die Wärmever-
teilung; deshalb ist die Fußbodenheizung durch einen höheren Hilfsenergieverbrauch im Vergleich
zu der Radiatorenheizung gekennzeichnet); eine Unterteilung in unterschiedliche Kesselgrößen er-
folgt nach DIN V 4701-10 nicht, zur Erklärung der Größenordnung des Hilfsenergieeinsatzes siehe
Fußnoten in Tabelle 1.10; f höherer Stromverbrauch durch Fußbodenheizung im Vergleich zum
MFH IV.

Die Verluste des Trink- bzw. Brauchwarmwasserspeichers sowie der geringere Kesselnut-
zungsgrad der Trinkwarmwasserbereitung während der heizungsfreien Sommermonate
werden berücksichtigt. Speziell bei Gebäuden mit einer spezifisch niedrigen Heizwär-
menachfrage kann dadurch der jahresmittlere Systemnutzungsgrad deutlich unter dem
Kesselnutzungsgrad liegen.
Die definierten Nahwärmesysteme (Tabelle 1.3) werden hier nicht analysiert, da bei-
spielsweise in Deutschland kaum derartige Systeme vorhanden sind. Aus ökonomischen
Gründen (d. h. aufwändig – und damit teuer – zu installierende Nahwärmenetze, die zu-
dem insbesondere im Sommer aufgrund der geringen Nachfrage (d. h. nur Brauchwarm-
wasser, keine Raumwärme) durch z. T. sehr hohe Wärmeverluste gekennzeichnet sind)
werden derzeit eher dezentrale Lösungen realisiert.

Ökonomische Analyse Zur Abschätzung der mit einer Wärmeerzeugung aus fossilen
Energieträgern verbundenen monetären Aufwendungen werden im Folgenden die Inves-
titionen und Betriebskosten sowie die spezifischen Wärmegestehungskosten für die in
Tabelle 1.11 definierten Randbedingungen dargestellt.

Investitionen und Betriebskosten Für die in den Tabellen 1.10 und 1.11 dargestellten Sys-
teme werden zur Ermittlung der Investitionen die monetären Aufwendungen für Kessel,
Brenner, Trinkwarmwasserspeicherung, bauliche Einrichtungen (z. B. Gasanschluss) so-
wie die Montage und Installationskosten berücksichtigt (Tabelle 1.12 und 1.13). Demnach
1 Einführung und Aufbau 55

Tabelle 1.12 Kosten einer Wärmebereitstellung in Erdgas-Brennwertthermen in den untersuchten


Einfamilienhäusern (zur Definition der Nachfragefälle EFH 0 bis EFH IV siehe Tabelle 1.1)
Einfamilienhaus (EFH) 0 I II III IV
Investitionena
Kessel in C 3 500 3 500 3 500 3 500 4 000
Speicher, Kamin in C 3 400 3 400 3 400 3 400 3 400
Montage, Installation in C 1 500 1 500 1 500 1 500 1 500
Summe in C 8 400 8 400 8 400 8 400 8 900
Betriebskosten in C/a 200 200 200 200 200
Verbr. Kostenb in C/a 536 668 741 896 1 867
Annuität in C/a 473 473 473 473 504
Gesamtkosten in C/a 1 209 1 340 1 414 1 569 2 571
Wärmegestehungskostenc in C/GJ 81,1 61,8 55,0 46,4 31,2
in C/kWh 0,292 0,222 0,198 0,167 0,112
a
Kosten z. T. gleich, da keine kleineren Systeme am Markt erhältlich sind bzw. derartige Systeme
Kosten in der gleichen Größenordnung aufweisen; b verbrauchsgebundene Kosten (d. h. Brenn-
stoffkosten und Kosten für Hilfsenergie wie z. B. Strom); c bezogen auf die Nutzenergie (gesamte
Wärmenachfrage).

Tabelle 1.13 Kosten einer Wärmebereitstellung in Erdgas-Brennwertthermen in den untersuchten


Mehrfamilienhäusern (zur Definition der Nachfragefälle MFH 0 bis MFH IV siehe Tabelle 1.2)
Mehrfamilienhaus (MFH) 0 I II III IV
Investitionena
Kessel in C 3 500 4 000 4 000 4 500 6 000
Speicher, Kamin in C 4 100 4 300 4 300 4 500 4 700
Montage, Installation in C 1 500 1 500 1 500 1 800 2 000
Summe in C 9 100 9 800 9 800 10 800 12 700
Betriebskosten in C/a 200 200 200 200 200
Verbr. Kostenb in C/a 2 483 3 095 3 466 4 234 7 754
Annuität in C/a 508 549 549 607 721
Gesamtkosten in C/a 3 191 3 844 4 215 5 041 8 676
Wärmegestehungskostenc in C/GJ 36,5 32,2 30,2 28,0 24,5
in C/kWh 0,132 0,116 0,109 0,101 0,088
a
Kosten z. T. gleich, da keine kleineren Systeme am Markt erhältlich sind bzw. derartige Systeme
Kosten in der gleichen Größenordnung aufweisen; b verbrauchsgebundene Kosten (d. h. Brenn-
stoffkosten und Kosten für Hilfsenergie wie z. B. Strom); c bezogen auf die Nutzenergie (gesamte
Wärmenachfrage).

sind beispielsweise die Investitionen bei den EFH 0 bis EFH IV als identisch unterstellt,
da die jeweils zugrunde gelegten Brennwertkessel im Bereich bis ca. 15 kW i. Allg. im
gleichen Preissegment liegen.
Die Betriebskosten der untersuchten Kleinanlagen berücksichtigen u. a. die Aufwen-
dungen für Wartung und Instandhaltung. Zusätzlich fallen Brennstoffkosten und Kosten
für elektrische Energie zum Betrieb der Anlagen (u. a. Brenner, Gebläse, Zündtrafo) an;
56 M. Kaltschmitt et al.

sie sind in den Tabellen 1.12 und 1.13 getrennt von den restlichen Betriebskosten ange-
führt und orientieren sich an den in Tabelle 1.5 dargestellten fossilen Energieträgerpreisen.

Wärmegestehungskosten Die spezifischen Wärmegestehungskosten dieser Anlagen kön-


nen auf der Basis der unterstellten finanzmathematischen Rahmenannahmen (Zinssatz von
2,0 %, Abschreibungsdauer entspricht der technischen Lebensdauer) und ausgehend von
den unterstellten Randbedingungen (Tabelle 1.10 und 1.11) berechnet werden.
Für die untersuchte Erdgas-Brennwerttherme liegen die Wärmegestehungskosten zwi-
schen rund 25 C/GJ (MFH IV) und knapp 81 C/GJ (EFH 0; Tabelle 1.12 und 1.13).
Deutlich wird, dass die Wärmegestehungskosten erheblich von der installierten Leistung
abhängen. Deshalb steigen diese mit kleiner werdender thermischer Leistung (d. h. EFH 0
bzw. MFH 0 im Vergleich zu EFH IV bzw. MFH IV) – und damit einem besseren Wär-
medämmstandard – spezifisch deutlich an.

Ökologische Analyse Für die definierten Anlagen werden nachfolgend ausgewählte öko-
logische Aspekte diskutiert. Dies erfolgt ebenfalls zunächst im Rahmen einer Lebenszy-
klusanalyse. Anschließend werden auch hier weitere Umwelteffekte exemplarisch disku-
tiert.

Lebenszyklusanalyse Die Deckung der unterstellten Wärmenachfrage (Tabelle 1.1) durch


die mit den in den Tabellen 1.10 und 1.11 definierten Kenndaten der Erdgas-Brennwert-
thermen führt aufgrund der entsprechenden Energieeinsätze zu damit verbundenen Stoff-
freisetzungen sowohl in den vorgelagerten Prozessketten (z. B. Brennstoffbereitstellung)
als auch beim eigentlichen Verbrennungsvorgang.
Tabelle 1.14 zeigt die Bilanzergebnisse für eine Wärmeerzeugung zur kombinierten
Trinkwarmwasser- und Raumwärmebereitung in mit Erdgas gefeuerten Brennwertanla-
gen. Bezugsgröße ist dabei die bereitgestellte Wärme am Ausgang der Trinkwarmwasser-
zapfstelle bzw. die Nutzwärme im Gebäude.

Tabelle 1.14 Energie- und Emissionsbilanzen einer Wärmebereitstellung in Kleinanlagen mittels


Erdgas-Brennwertthermen (zur Definition der Nachfragefälle EFH 0 bis MFH IV siehe Tabelle 1.1
und 1.2)
Einfamilienhaus (EFH) Mehrfamilienhaus (MFH)
0 I II III IV 0 I II III IV
Energiea in GJ/TJ 2 231 1 929 1 706 1 596 1 456 2 226 1 963 1 548 1 478 1 415
SO2 in kg/TJ 66 55 45 42 36 68 58 38 37 35
NOx in kg/TJ 80 66 55 51 44 81 69 47 44 42
CO2 -Äq.b in t/TJ 132 114 100 94 87 132 117 92 87 84
SO2 -Äq.b in kg/TJ 125 104 86 79 68 132 113 73 70 66
a
primärenergetisch bewerteter kumulierter fossiler Energieaufwand (Verbrauch erschöpflicher
Energieträger); b Äq. Äquivalente.
1 Einführung und Aufbau 57

Wesentliche Einflussfaktoren auf die Bilanzergebnisse sind z. B. der Systemnutzungs-


grad, der von der jeweils eingesetzten Feuerungstechnologie und dem Anteil des Trink-
warmwassers am gesamten Wärmeverbrauch abhängt. Demgegenüber beeinflussen die
vorgelagerten Ketten und damit die Brennstoffbereitstellung die Bilanzergebnisse weni-
ger. Wesentlich werden die Lebenswegbilanzen aber von den brennstoffabhängigen Emis-
sionen, die während des Verbrennungsvorgangs der fossilen Brennstoffe entstehen, beein-
flusst.

Weitere Umwelteffekte Neben den dargestellten Energieverbräuchen und Schadstoffemis-


sionen werden beim Betrieb von erdgasbefeuerten Heizungsanlagen weitere Schadstoffe
mit sehr unterschiedlichen potenziellen Umwelteinwirkungen freigesetzt. Ein Beispiel ist
der mögliche Methanschlupf, der ebenfalls zum anthropogenen Treibhauseffekt beiträgt.
Zusätzlich ist auch die Bereitstellung fossiler Brennstoffe mit einer Reihe von negati-
ven Effekten für die Umwelt verbunden.

 Bei der Bohrung nach bzw. Förderung von Erdgas können chemische Hilfs- und Zu-
satzstoffe sowie bei der Erdgasbohrung/-förderung das Gas selbst in den umliegenden
Boden (Onshore) bzw. das Meer (Offshore) und / oder in die Atmosphäre gelangen;
dies kann mit entsprechenden Umweltauswirkungen verbunden sein.
 Beim Transport des Erdgases mithilfe von Pipelines kann es störungsbedingt zu Frei-
setzungen mit den entsprechenden Folgen für die aquatische Fauna und Flora kommen.
 Entzünden sich Gasleckagen beispielsweise in geschlossenen Räumen kann es zu Gas-
explosionen kommen; dies kann erhebliche Konsequenzen für den Menschen und die
Umwelt haben.

Literatur

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58 M. Kaltschmitt et al.

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spezifische-emissionsfaktoren-fuer-den-deutschen. Zugegriffen: 3. Febr. 2020
Grundlagen des regenerativen Energieangebots
2
Beate Geyer, Klaus Jorde, Martin Kaltschmitt, Iris Lewandowski, Ben
Norden, Wolfgang Streicher und Andreas Wiese

Die Energieströme auf der Erde speisen sich aus verschiedenen Quellen, die im Fol-
genden zunächst dargestellt werden. Insgesamt hat aber an der gesamten auf der Erde
umgesetzten Energie die Sonnenenergie einen Anteil von nahezu 100 %; d. h. sie domi-
niert eindeutig das „Energiesystem Erde“. Dabei trägt die Solarenergie nicht nur direkt,
sondern in vielerlei Hinsicht auch indirekt zum globalen Energiesystem bei; beispielswei-
se wird die von der Sonne auf die Erde eingestrahlte Energie innerhalb der Atmosphäre
geschwächt und dabei teilweise in andere Energieformen (z. B. Wind, Wasserkraft) umge-
wandelt. Deshalb wird im Folgenden auf den Aufbau und die wesentlichen Eigenschaften
der Erdatmosphäre ebenfalls näher eingegangen. Diesem schließt sich die Bilanzierung
der globalen Energieströme an, bevor die einzelnen potenziell von der Menschheit nutz-
baren Energieströme bzw. regenerativen Energien im Detail dargestellt werden. Dabei
wird jeweils auf die entsprechenden Grundlagen eingegangen, bevor die räumliche und
zeitliche Variationsbreite dargestellt wird, die letztlich die jeweilige technische Nutzung
(mit-)bestimmt.

Autoren in alphabetischer Reihenfolge mit Beiträgen zum Kapitel; die Autorenzuordnung geht aus
den einzelnen Unterkapiteln hervor.
Beate Geyer, Geesthacht, Deutschland
Klaus Jorde, Klagenfurt, Österreich
Martin Kaltschmitt, Hamburg, Deutschland
Iris Lewandowski, Stuttgart, Deutschland
Ben Norden, Potsdam, Deutschland
Wolfgang Streicher, Innsbruck, Österreich
Andreas Wiese, Bad Homburg, Deutschland

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 59


M. Kaltschmitt, W. Streicher, A. Wiese (Hrsg.), Erneuerbare Energien,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-61190-6_2
60 B. Geyer et al.

2.1 Energiebilanz der Erde

Martin Kaltschmitt

Die Energieströme auf der Erde speisen sich aus verschiedenen Quellen, die im Folgen-
den zunächst dargestellt werden. An der gesamten auf der Erde umgesetzten Energie hat
dabei die Sonnenenergie einen Anteil von über 99,9 %. Die von der Sonne auf die Erde
eingestrahlte Energie wird innerhalb der Atmosphäre geschwächt und teilweise in andere
Energieformen (z. B. Wind, Wasserkraft) umgewandelt. Deshalb wird auf den Aufbau und
die wesentlichen Eigenschaften der Erdatmosphäre ebenfalls näher eingegangen. Diesem
schließt sich die Bilanzierung der globalen Energieströme an.

2.1.1 Erneuerbare Energiequellen

Das regenerative Energieangebot wird aus insgesamt drei unterschiedlichen Quellen ge-
speist (Sonnenenergie, geothermische Energie, Energie aus der Massenanziehung und
Bewegung von Himmelskörpern). Diese drei unabhängigen Energiequellen, die einen
deutlich unterschiedlichen Beitrag zum Energiesystem Erde leisten, werden nachfolgend
kurz vorgestellt.

Sonnenenergie Die Sonne stellt den Zentralkörper unseres Planetensystems dar; sie ist
der der Erde nächstgelegene Stern. Sie ist ein Plasmaball, der aus Atomkernen und Elek-
tronen besteht, mit einem Durchmesser von rund 1,39 Mio. km; das ist etwa das 109-fache
des Erddurchmessers. Sie besteht im Wesentlichen aus Wasserstoff (H2 , ca. 75 %), Helium
(He, ca. 23 %) und sonstigen Elementen (ca. 2 %). Die mittlere Dichte liegt bei 1,4 g/cm3 .
Die Dichte ist aber sehr ungleichmäßig über den Sonnenkörper verteilt; beispielsweise ist
in der Kernregion der Sonne eine Dichte zwischen 80 und 100 g/cm3 – und im eigentlichen
Kernbereich eine noch deutlich höhere Dichte – wahrscheinlich. Zusammen mit weiteren
Kenngrößen kann daraus eine Sonnenmasse von rund 2  1033 g abgeschätzt werden; dies
ist etwa das 330 000-fache der Erdmasse. Daraus resultiert auf der Sonnenoberfläche eine
potenzielle Fallbeschleunigung von rund 275 m/s; das ist etwa das 28-fache der Fallbe-
schleunigung auf der Erde (9,81 m/s).
Den schematischen Aufbau der Sonne zeigt Abb. 2.1. Demnach herrschen in der Kern-
region Temperaturen von rund 8 bis 40 Mio. K bei einem Druck von etwa 1011 bar. Un-
ter diesen im Zentrum der Sonne gegebenen Bedingungen ist eine Materialdichte von
ca. 150 g/cm3 zu erwarten. Unter diesen extremen Bedingungen kann im Zentrum der
Sonne eine Kernfusion stattfinden, durch die Energie freigesetzt wird. Dabei verschmilzt
Wasserstoff zu Helium. Der resultierende Massenverlust wird in Energie E umgewandelt,
die aus der Masse m und dem Quadrat der Lichtgeschwindigkeit vc berechnet werden
kann (Gleichung (2.1)). Rund 650 Mio. t/s Wasserstoff bilden unter den genannten Bedin-
gungen etwa 646 Mio. t/s Helium; die Massendifferenz von ca. 4 Mio. t/s wird in Energie
umgewandelt und in Form von Strahlung im Kern der Sonne freigesetzt. Dass die Wahr-
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 61

Coronastrahlen
T = 1 Mio. K
Protu-
ind Flammenzungen
la rw beranzen (Spiculen)
So
H + H-
Emission
T = 10 000 K
Kontinuumlicht
T = 5 785 K

Energietransport
durch Konvektion

r
T = 2 Mio. K

Energietransport
r 0,7 r
0,23 durch Gamma- und

0,7
Rötgenstrahlung

r
T = 4 Mio. K

H
He
Kernfusion
0,23 H T = 8 bis 40 Mio. K
r p = 1011 bar
Photosphäre freiwerdende Energie
Chromosphäre Elektron, e-

Abb. 2.1 Schematischer Aufbau und wichtige Kenngrößen der Sonne (r Radius der Sonne, T Tem-
peratur, p Druck; u. a. nach [2.1])

scheinlichkeit, dass dieser Fusionsprozess im Sonneninneren abläuft, nicht sehr groß ist,
wird daran deutlich, dass in den letzten rund 4,5 Milliarden Jahren erst 6 % des Wasser-
stoffs der Sonne durch eine Kernfusion in Helium überführt wurde.

E D m vc2 (2.1)

Diese in der Kernregion der Sonne freigesetzte Energie wird innerhalb der Sonne
zunächst durch Strahlung bis zum etwa 0,7-fachen des Sonnenradius transportiert. Die
Weiterleitung bis zur Sonnenoberfläche erfolgt dann durch Konvektion; d. h. in dieser
Konvektionszone wird die Strahlung via Strömung weitergeleitet (heiße Sonnenmaterie
steigt auf in Richtung der Oberfläche der Sonne, kühlt sich dort ab und sinkt dann wieder
in Richtung zum Sonnenkern ab, wo sie erneut aufgeheizt wird). Anschließend wird die
derart an die Sonnenoberfläche transportierte Energie in den Weltraum abgegeben. Bei
diesem die Sonne verlassenden Energiestrom unterscheidet man zwischen Materiestrah-
lung und elektromagnetischer Strahlung (u. a.. [2.2]).

 Die Materiestrahlung besteht aus Protonen und Elektronen, die von der Sonne mit einer
Geschwindigkeit von ca. 500 km/s abgegeben werden. Allerdings erreichen nur wenige
dieser elektrisch geladenen Teilchen die Erdoberfläche, weil das terrestrische Magnet-
feld dies weitgehend verhindert. Diese Tatsache ist für das Leben auf der Erde von
besonderer Bedeutung, da diese Materiestrahlung organisches Leben in seiner jetzigen
Form nicht erlauben würde.
62 B. Geyer et al.

Abb. 2.2 Ellipsenbahn der


Erde um die Sonne (N Norden,
S Süden; nach [2.4])

 Die elektromagnetische Strahlung, die im Wesentlichen von der Photosphäre (Abb. 2.1)
ausgesendet wird, überdeckt den gesamten Frequenzbereich von der kurzwelligen bis
zur langwelligen Strahlung. Diese Abstrahlung der Sonne entspricht etwa der eines
schwarzen Körpers. Die flächenspezifische Strahlungsleistung der Sonne GP S kann aus
der Temperatur in der Photosphäre (ca. 5 785 K), dem Emissionsgrad und der Stefan-
Boltzmann-Konstante berechnet werden; sie beträgt rund 63;5  106 W/m2 .

Die flächenspezifische Strahlungsleistung der von der Sonne abgestrahlten Energie


nimmt – werden keine Verluste berücksichtigt – mit dem Quadrat der Entfernung ab.
Damit kann die Strahlungsleistung am äußeren Rand der Erdatmosphäre GP O nach Glei-
chung (2.2) berechnet werden.  ist die Kreiszahl und GP S ist die Strahlungsleistung der
Sonne.
GP S  dS2
GP O D (2.2)
 .2 LSE /2

Geht man vom Durchmesser der Sonne dS bis zur Photosphäre aus (ca. 1;39  109 m)
und legt eine mittlere Entfernung zwischen der Sonne und der Erde (LSE ) von etwa 1;5 
1011 m zugrunde, errechnet sich am oberen Rand der Erdatmosphäre eine flächenspezifi-
sche Strahlungsleistung von ca. 1 370 W/m2 (vgl. [2.1, 2.3]). Dieser Mittelwert wird als
Solarkonstante bezeichnet; zwischen verschiedenen Jahren variiert er aufgrund schwan-
kender Sonnenaktivität um deutlich weniger als 1 %.
Im Jahresverlauf ist die am Atmosphärenrand ankommende Sonnenstrahlung trotzdem
durch deutliche saisonale Unterschiede gekennzeichnet. Ursache ist die Ellipsenbahn, auf
der sich die Erde im Verlauf eines Jahres um die Sonne bewegt (Abb. 2.2); demnach ist der
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 63

1 420

Solarkonstante in W/m2
1 400

1 380
Jahresmittelwert

1 360

1 340

Monatsmittelwerte
1 320

u a r u a r M ä r z A p r il Ma
i
Jun
i i
J u l u g u s t m b e r to b e r m b e r m b e r
J a n Fe b r A e pte O k N ov e D e z e
S

Abb. 2.3 Solarkonstante im Jahresverlauf (nach [2.1])

Abstand zwischen der Sonne und der Erde etwa zur Zeit der Sommersonnenwende mit rund
152 Mio. km um etwa 5 Mio. km länger im Vergleich zu etwa dem Zeitpunkt der Winterson-
nenwende (147 Mio. km). Infolge dieser Ellipsenbahn der Erde um die Sonne ändert sich
der Abstand zwischen der Erde und der Sonne ständig. Dabei ist das Perihel definiert als
der Punkt auf dieser Umlaufbahn der Erde um die Sonne, an dem die Erde der Sonne am
nächsten ist; je nach dem konkreten Jahr wird dieser Punkt um den 3. Januar erreicht (mitt-
lere Schwankungen: 2. bis 5. Januar) (Abb. 2.2). Entsprechend ist das Aphel der Punkt auf
dieser Umlaufbahn, an dem die Erde am weitesten von der Sonne entfernt ist; er wird typi-
scherweise am 3. Juli erreicht (auch hier kann dieses Datum zwischen verschiedenen Jahren
um einige Tage abweichen). Dadurch schwankt auch die am äußeren Atmosphärenrand der
Erde ankommende Solarstrahlung, da die flächenspezifische Strahlungsintensität mit dem
Quadrat der Entfernung von der Sonne abnimmt; daraus resultieren die in Abb. 2.3 darge-
stellten Veränderungen in der Größe der Solarkonstanten. Damit wird die Solarkonstante
im Januar mit knapp 1 420 W/m2 maximal aufgrund der etwa am 3. Januar vorliegenden
kleinsten Entfernung zwischen Sonne und Erde (Perihel, Abb. 2.2). Umgekehrt nimmt sie
um den 3. Juli mit etwas mehr als 1 320 W/m2 ein Minimum an (Aphel).
Trotz der höheren Strahlungsintensität am äußeren Atmosphärenrand herrschen im
Winter auf der Nordhalbkugel im Schnitt deutlich niedrigere Temperaturen als im Som-
mer. Dies liegt darin begründet, dass die Rotationsachse der Erde mit der Ebene der
Umlaufbahn einen Winkel von 66,5ı bildet (Abb. 2.2). Dadurch ist während des Win-
terhalbjahres die Südhalbkugel mehr zur Sonne hin ausgerichtet als die Nordhalbkugel.
Daraus resultieren hier ein höherer Sonnenstand und eine längere Sonnenscheindauer.
Auf die Nordhalbkugel trifft die Sonnenstrahlung dagegen während dieser Jahreszeit
bei vergleichsweise (sehr) kurzen Tagen unter einem durchschnittlich flacheren Winkel
auf die Erdoberfläche. Die nördlichsten Gebiete verbleiben zeitweise im gesamten Tages-
64 B. Geyer et al.

Sonnenstand in °

Osten Süden Westen

Abb. 2.4 Sonnenstandsdiagramm am Beispiel von Köln (50ı 560 N, 06ı 570 O) [2.51]

verlauf auf der sonnenabgewandten Seite. Zur Wintersonnenwende herrscht für alle Orte
zwischen 66,5ı N und dem Pol die „Polarnacht“. Entsprechend geht auf der Südhalbkugel
südlich von 66,5ı S die Sonne nicht mehr unter („Polartag“).
Mit dem weiteren Lauf der Erde um die Sonne ändert sich ihre Position gegenüber dem
Zentralgestirn. Für die Nordhalbkugel beginnt die Sonne immer höher zu steigen; umge-
kehrt werden für die Südhalbkugel die Mittagshöhen zunehmend kleiner. Am 21. März
werden beide Pole von der Sonne beschienen. Die Nordhalbkugel ist danach immer mehr
zur Sonne hin ausgerichtet; d. h. der mittlere Sonnenstand über dem Horizont erreicht im-
mer größere Höhen. Dies hält bis zur Sommersonnenwende (21. Juni) an. Dann erhellt die
Mitternachtssonne die Nordpolargebiete, und in der Antarktis herrscht „ewige Nacht“.
In diesem Zusammenhang wird unter dem Solstitium der Zeitpunkt im Verlauf eines
Kalenderjahres verstanden, an dem die Sonne zur Mittagszeit (bei wahrer Ortszeit) ihren
jeweils höchsten oder tiefsten Stand erreicht.

 Auf der Nordhalbkugel steht die Sonne im Sommer am 21./22. Juni (Sommersonnen-
wende) im nördlichen Wendepunkt (Abb. 2.2), dem sogenannten Solstitialpunkt; auf
der Südhalbkugel gilt sinngemäß das Gegenteil.
 Im Winter – ebenfalls auf der Nordhalbkugel – steht sie am 21./22. Dezember (Win-
tersonnenwende) im südlichen Wendepunkt (Abb. 2.2); auf der Südhalbkugel ist es
entsprechend umgekehrt.

Die in Abb. 2.2 ebenfalls eingezeichnete Solstitiallinie ist damit die Verbindungslinie
zwischen den Erdpositionen jeweils zur Sommer- und zur Wintersonnenwende.
Aufgrund dieser Zusammenhänge und damit primär wegen der Neigung der Erdachse
gegenüber der Ekliptik unterliegt die extraterrestrische solare Einstrahlung in verschiede-
nen Regionen der Erde teilweise erheblichen jahreszeitlichen Schwankungen. Dies wird
auch in Abb. 2.4 deutlich, welche exemplarisch für Köln den Sonnenstand im Jahresver-
lauf zeigt.

Geothermische Energie Der aus dem Erdinneren an die Erdoberfläche dringende Ener-
giestrom speist sich aus drei verschiedenen Quellen. Zum einen ist dies die im Erdinneren
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 65

gespeicherte Energie, die aus der während der Erdentstehung frei gewordenen Gravita-
tionsenergie resultiert; dazu addiert sich der Anteil, der aus der ggf. von davor noch
vorhandenen sogenannten Ursprungswärme stammt (darunter ist die Wärme zu verste-
hen, die noch aus Zeiten von vor der eigentlichen Erdentstehung resultiert). Zum anderen
wurde und wird durch den Zerfall radioaktiver Isotope, die in der Erde (insbesondere in
der Erdkruste) natürlicherweise enthalten sind, im Verlauf erdgeschichtlicher Zeiträume
Wärme freigesetzt. Diese Wärme ist aufgrund der nur begrenzten Wärmeleitfähigkeit der
Gesteine zum überwiegenden Teil nach wie vor in der Erde gespeichert.
Die Erde entstand vor ungefähr 4,5 Mrd. Jahren durch die schrittweise Zusammenbal-
lung von Materie (Gesteinsbrocken, Gase, Staub) innerhalb eines vorhandenen Nebels.
Verlief dieser Vorgang am Anfang noch kühl, änderte sich dies durch die immer stärker
werdende mechanische Wucht der auftreffenden Materiekörper. Dabei dürfte die beim
Aufprall dieser Massen freigesetzte Gravitationsenergie fast vollständig in Wärme umge-
wandelt worden sein. Gegen Ende dieser Massenzusammenballung nach ca. 200 Mio. Jah-
ren war der oberste Teil der daraus entstandenen Erde abgeschmolzen. Dies führte dazu,
dass ein Großteil der freigesetzten Wärme wieder in den Weltraum abgestrahlt wurde.
Trotz aller Unsicherheiten über die Massenansammlung und die Energieabstrahlung wäh-
rend dieser Phase beträgt die in der Erde verbliebene Energie immer noch etwa zwischen
15 und 35  1030 J; der kleinere Wert entspricht einer kalten bis warmen, der größere einer
warmen bis heißen Ursprungserde.
Die Erde enthält radioaktive Elemente (u. a. Uran (U238 , U235 ), Thorium (Th232 ), Ka-
lium (K40 )), welche infolge radioaktiver Zerfallsprozesse über Zeiträume von Millionen
Jahren Energie abgeben. Diese in den oberflächennahen Erdschichten natürlich vorkom-
menden Isotope sind hauptsächlich in der kontinentalen Erdkruste angereichert. Die Mas-
senanteile von Uran bzw. Thorium in Granit z. B. betragen etwa 4,7 bzw. 20 ppm und in
Basalt 0,7 bzw. 2,7 ppm. Mit der entsprechenden Halbwertszeit, einer freigesetzten Ener-
gie von ca. 5,5 MeV für ein Zerfallsereignis und etwa 6 (Thorium) bzw. 8 (Uran) Zerfällen
bis zum Erreichen eines stabilen Zustandes ergibt sich eine Wärmeerzeugung von rund
1 J/(g a). Daraus errechnet sich beispielsweise in granitischen Gesteinen eine radiogene
Wärmeproduktionsleistung von ca. 2,5 W/m3 und in basaltischen Gesteinen von etwa
0,5 W/m3 .
Der Zerfall solcher natürlicher, langlebiger radioaktiver Isotope in der Erde produziert
damit permanent Wärme. Aufgrund derartiger radioaktiver Zerfallsprozesse hat die Erde
seit ihrer Entstehung rund 7  1030 J radiogene Wärme erhalten. Die potenzielle radiogene
Wärmeproduktion der noch vorhandenen radioaktiven Isotope beträgt etwa 12  1030 J.
Diese Zahlen sind jedoch mit großen Unsicherheiten behaftet, da über die Verteilung der
radioaktiven Isotope im Erdinneren bisher nur sehr wenig bekannt ist.
Bei einer Addition der heute noch vorhandenen Wärme aus der Erdentstehung bzw. der
Ursprungswärme und der schon freigesetzten und infolge des weiteren Zerfalls radioakti-
ver Isotope noch freisetzbaren Wärme errechnet sich ein Gesamtwärmepotenzial der Erde
von 12 bis 24  1030 J; davon befinden sich in der äußersten Erdkruste bis rund 10 000 m
Tiefe etwa 1026 J.
66 B. Geyer et al.

Energie aus Massenanziehung und Bewegung von Himmelskörpern Die beiden Him-
melskörper Erde und Mond kreisen um einen gemeinsamen Schwerpunkt. Er liegt auf-
grund der Massendisproportionalität (die Masse der Erde ist ca. 80 Mal so groß ist wie die
des Mondes) zwischen den beiden Himmelskörpern innerhalb des Erdkörpers (Abb. 2.5).
Bei der Rotation von Erde und Mond um diesen gemeinsamen Schwerpunkt bewegen sich
alle Punkte dieser beiden Himmelskörper auf Kreisen gleichen Radius um diesen Schwer-
punkt. Im Erdmittelpunkt ist dabei die Anziehungskraft durch den Mond genau so groß
wie die Zentripetalkraft, die für die Kreisbewegung der Erde benötigt wird. Dadurch er-
geben sich auf der dem Mond zu- bzw. abgewandten Seite die folgenden Effekte.

 Auf der dem Mond zugewandten Seite ist die Anziehungskraft größer; daher versucht
alle Materie auf dieser Seite der Erde sich infolge der Massenanziehungskraft zum
Mond hin zu bewegen. Dadurch entsteht auf der Erde ein Flutberg, da die globalen
Wassermassen vergleichsweise mobil sind und relativ schnell dieser Kraft folgen kön-
nen; dieser Flutberg wird als Zenitflut bezeichnet. Auf dem offenen Meer machen sich
diese Flutberge nur begrenzt bemerkbar; sie sind nicht höher als etwa 50 cm und ver-
teilen sich auf eine Fläche von mehreren tausend Quadratkilometern.
 Auf der dem Mond abgewandten Seite ist die Massenanziehungskraft des Mondes dem-
gegenüber kleiner als die Zentrifugalkraft, die infolge der sich drehenden Erde wirkt;
hier bewegt sich daher alle Materie auf der Erde vom Mond weg. Das liegt auch daran,
dass der Mond und die Erde sich um einen gemeinsamen Massenschwerpunkt drehen.
Dadurch entsteht auf der dem Mond abgewandten Seite der Erde ein Flutberg; er wird
Nadirflut genannt.

Wenn sich auf den beiden gegenüberliegenden Erdseiten infolge dieser physikalischen
Effekte jeweils ein Flutberg (Zenitflut und Nadirflut) ausbilden, muss aus den dazwischen

Polachse
Ebbe Rotationszeit
ca. 27 Tage

Massen-
anziehungs-
Fliehkraft kraft Erd-/Mond-
Achse
Flut Erdmittel- Massen- Flut
punkt schwerpunkt

Nadirflut Zenitflut

Ebbe

Abb. 2.5 Entstehung von Ebbe und Flut (Darstellung nicht maßstabsgetreu)
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 67

liegenden Gebieten das Wasser abfließen; d. h. dort stellt sich Ebbe ein. In der Summe
dieser Effekte resultiert daraus bei den beweglichen Wassermassen auf der Erdoberfläche
Ebbe und Flut (Abb. 2.5).
Der Erdkörper zieht sich unter der Wirkung dieser Kräfte etwas in die Breite. Die Ein-
stellzeit dieser Deformation, die innerhalb von 24 Stunden ihre Richtung um eine volle
Drehung ändern muss, ist aber zu groß, als dass es zu einer vollständigen Ausbildung der
sich theoretisch einstellenden Verzerrung kommt. Das Wasser dagegen folgt dieser De-
formation, allerdings mit einer geringen Verzögerung aufgrund der inneren Reibung der
Wassermassen, der Reibung am Meeresboden, des Anpralls an den Kontinentalrändern
und des Eindringens in Meeresengen und -buchten. Diese verzögernden Kräfte führen
deshalb zu einer Phasenverschiebung zwischen dem Mondhöchststand und der Flut und
damit auch zu einer Bremsung der Erdrotation.
Die jeweilige Lage der beiden Flutberge bzw. der entsprechenden Ebbezonen orientiert
sich an der Position des Mondes. Dabei dreht sich die Erdkugel täglich einmal in 24 Stun-
den um die eigene Achse. Dies bedingt, dass das Wasser der Ozeane von der Ebbe- zu den
Flutgebieten strömen muss. Zusätzlich bewegt sich der Mond in der gleichen Richtung
um die Erde, in der sie sich selbst dreht. Jedoch wandert der Mond während einer Erd-
umdrehung auf seiner Bahn um die Erde täglich ca. 1/28 weiter; d. h. der Mond braucht
28 Tage, um sich einmal um die Erde zu drehen. Diese Konstellation hat zur Folge, dass es
24 Stunden und 52 min dauert, bis der gleiche Punkt auf der Erde wieder dem Mond zuge-
wandt ist. Damit ist ein „Mondtag“ rund 50 Minuten länger als ein „Sonnentag“. Daraus
resultiert die zeitliche Verschiebung der Gezeiten zu dem „Sonnentag“.
Diese Energiequelle, die auf der Erde die Gezeiten hervorruft, resultiert also im We-
sentlichen aus der Kombination der Bewegung und der Massenanziehung der Himmels-
körper Erde und Mond untereinander.

2.1.2 Atmosphäre

Unter der Erdatmosphäre wird die von der Schwerkraft der Erde festgehaltene Gashülle
verstanden. Sie wird in verschiedene „Stockwerke“ eingeteilt (Abb. 2.6). Von besonde-
rem Interesse für die Nutzung regenerativer Energien auf der Erdoberfläche sind nur die
unteren Schichten; beispielsweise ist für die Windkraftnutzung die Atmosphäre bis zu
einer Höhe von allenfalls mehreren 100 m wesentlich. Jedoch wird innerhalb der gesam-
ten Atmosphäre die Sonnenenergie in andere Energieströme umgewandelt, die dann ggf.
technisch nutzbar gemacht werden können.
Den unteren Atmosphärenbereich bezeichnet man als Troposphäre. Sie ist die eigent-
lich wetterwirksame Schicht der Atmosphäre, in welcher sich vor allem die Wolken- und
Niederschlagsbildung vollzieht. Sie ist im zeitlichen und räumlichen Mittel durch eine
Abnahme der Temperatur mit zunehmender Höhe gekennzeichnet. Die Größe dieser Tem-
peraturänderung ist orts- und zeitabhängig. Der Temperaturgradient kann in relativ weiten
Grenzen um einen Mittelwert von 0,65 K/100 m schwanken. Unter bestimmten meteoro-
68 B. Geyer et al.

Luftdruck in mbar
-7 -6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3
10 10 10 10 10 10 10 10 10 10 10
160

140
Temperatur
Thermosphäre
120

Höhe in km 100

Mesopause
80
Luftdruck
Mesosphäre
60
Stratopause
40
Stratosphäre
20
Tropopause Mount Everest Wolken
Troposphäre
0
-200 -100 0 100 200 300 400 500 600 700
Temperatur in °C

Abb. 2.6 Querschnitt durch die Atmosphäre (Luftdruck: gepunktete Linie; Temperatur: gestrichelte
Linie; nach [2.4])

logischen Bedingungen treten auch vertikal eng begrenzte Schichten auf, in denen die
Temperatur mit wachsender Höhe nicht ab-, sondern zunimmt. Solche Inversionen treten
besonders häufig zwischen 1 000 und 2 000 m Höhe an der planetarischen Grenzschicht
(Kapitel 2.3.1) sowie unmittelbar über dem Erdboden („Bodeninversionen“) auf.
Die Troposphäre wird durch die Tropopause begrenzt, an die sich die Stratosphäre
anschließt. Innerhalb der Stratosphäre wird ein Temperaturmaximum zwischen 40 und
50 km Höhe erreicht. Die nächste Atmosphärenschicht ist die Mesosphäre; sie reicht bis
zum nächsten Temperaturextrem, einem Minimum in ca. 80 km Höhe. Über ihr liegt, ab-
gegrenzt durch die Mesopause, die Thermosphäre.
Die Atmosphäre setzt sich bis in etwa 100 km Höhe aus einem Gasgemisch zusammen
(Tabelle 2.1), dessen Mischungsverhältnis die Definiertheit einer chemischen Verbindung
hat. Dieses Gasgemisch ist – speziell in der Troposphäre – zeitlich und örtlich stark wech-
selnd mit Wasserdampf vermischt und von Aerosolen durchsetzt.
Die Grundmasse, trockene reine Luft, besteht aus einem Gemisch von Gasen, die unter
atmosphärischen Bedingungen nicht in die flüssige oder feste Phase übergehen können
(d. h. permanente Gase), weil ihre Verflüssigungs- bzw. Erstarrungstemperaturen weit
unterhalb der in der Atmosphäre vorkommenden Temperaturen liegen. Neben den Haupt-
bestandteilen Stickstoff (N2 ) und Sauerstoff (O2 ) sind darin zu geringen Anteilen noch
Argon (Ar) und Kohlenstoffdioxid (CO2 , umgangssprachlich auch als Kohlendioxid be-
zeichnet) enthalten. Zusätzlich kommen Spuren von weiteren Edelgasen wie Neon (Ne),
Helium (He), Krypton (Kr) und Xenon (Xe) sowie geringe Anteile an Ozon (O3 ) und Was-
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 69

Tabelle 2.1 Zusammensetzung der Luft (nach [2.4], aktualisiert)


Zeitlich und räumlich konstante Bestandteile
Stickstoff (N2 ) 78,08 Vol.-%; 75,53 Massen-%
Sauerstoff (O2 ) 20,95 Vol.-%; 23,14 Massen-%
Argon (Ar) 0,93 Vol.-%; 1,28 Massen-%
Weitere Edelgase (He, Ne, Kr, Xe) Spuren
Zeitlich und räumlich veränderbare Bestandteile
Wasserdampf (H2 O) je nach meteorologischen Gegebenheiten bis zu 4 %
Kohlenstoffdioxid (CO2 ) 0,04 Vol.-%; 0,06 Massen-%; Tendenz steigend
Beimengungen
Gase Ozon (O3 ) aus der Hochatmosphäre
Radon (Rn) aus radioaktiver Bodenatmung
Schwefeldioxid (SO2 ) z. B. aus Vulkanen, postvulkanischen Aktivitäten
Kohlenstoffmonoxid (CO) oxidiert kurzfristig zu Kohlenstoffdioxid (CO2 )
Methan (CH4 ) z. B. aus Tiermägen, Faulprozessen
Kohlenwasserstoffe von Pflanzen abgegeben
Aerosole Gasaerosole aus Gasreaktionen (Sulfate, Nitrate u. a.)
Staub u. a. Wüsten-, Steppen- oder Vulkanstaub
Pflanzenasche aus Wald- und Steppenbränden
Meersalz beim Brechen der Wellenkämme in Luft übergehend
Biomasse Mikroorganismen, Pollen
Massen-% Massenprozent; Vol.-% Volumenprozent.

serstoff (H2 ) in der Atmosphäre vor. Vor allem die zwei Letztgenannten variieren in ihren
Anteilen zeitlich und örtlich (u. a. [2.3, 2.4, 2.10, 2.11]).
In den letzten Jahrzehnten hat der Anteil an Kohlenstoffdioxid (CO2 ) in der Atmo-
sphäre deutlich zugenommen (Abb. 2.7). Dieser Anstieg resultiert u. a. aus der Nutzung
fossiler Energieträger (Öl, Gas, Kohle). Aber CO2 ist außer einem wesentlichen Produkt
der Verbrennung kohlenstoffhaltiger Energieträger auch ein Treibhausgas; d. h. es hat die
physikalische Eigenschaft, dass es wenig transparent ist für Infrarotstrahlung. Trifft nun
die von der Sonne kommende Energie in Form von kurzwelliger Strahlung auf die Erd-
oberfläche (die Atmosphäre ist für kurzwellige Strahlung weitgehend transparent), wird
sie dort in langwellige Wärmestrahlung umgewandelt. Sie kann dann – bei einem stei-
genden CO2 -Anteil in der Atmosphäre – immer weniger zurück in das Weltall abgegeben
werden, denn mit einem zunehmenden Anteil an Treibhausgasen in der Atmosphäre –
CO2 ist das hier wesentliche klimawirksame Spurengas, das im wesentlichen infolge der
Verbrennung fossiler Energieträger freigesetzt wurde und wird – wird diese für die von
der Erdoberfläche abgegebene langwellige Wärmestrahlung immer intransparenter. In der
Summe resultiert daraus, dass sich die Erde langsam erwärmt. Dieser physikalische Zu-
sammenhang wird auch als anthropogener Treibhauseffekt bezeichnet (anthropogen D
vom Menschen gemacht).
70 B. Geyer et al.

Abb. 2.7 Veränderung der

CO2-Anteil in der Atmosphäre in ppm


CO2 -Konzentration in der At-
mosphäre (dunklere Linie:
Jahresmittelwerte; hellere Li-
nie: Monatsmittelwerte; Daten
nach [2.52])

2.1.3 Bilanz der Energieströme

Die Energie, die aus den drei primären regenerativen Energiequellen Solarstrahlung, Erd-
wärme sowie Massenanziehung und Bewegung von Himmelskörpern stammt, kommt
auf der Erde in verschiedenen Erscheinungsformen (z. B. Wärme, fossile Energieträger,
Biomasse) vor bzw. ruft unterschiedliche Wirkungen hervor (z. B. Wellen, Verdunstung,
Niederschlag).
Zu den Primärenergiequellen zählen neben den regenerativen Energieströmen aus Son-
ne, Erdwärme sowie Massenanziehung und Bewegung von Himmelskörpern als nicht
regenerative Energiequelle die Energie, die aus Atomkernen entweder über eine Fusion
kleinerer in größere Kerne (potenziell während der Erdentstehung) oder eine Spaltung
größerer in kleinere Kerne (bei dem in der Erdkruste natürlicherweise vorhandenen In-
ventar an spaltbarem Material) in Form von Strahlung bzw. daraus resultierend als Wärme
verfügbar ist. Der Energiestrom von der Sonne – er kommt in Form primär kurzwelliger
Strahlung auf die Erde – ist Ursache für eine Vielzahl von weiteren Energieerscheinungs-
formen bzw. Wirkungen. Aus dieser auf die Erde auftreffenden solaren Strahlung sind im
Laufe der vergangenen Jahrmillionen u. a. die fossil biogenen Energieträger Kohle, Erdöl
und Erdgas entstanden. Sie bilden zusammen mit der Energie aus den Atomkernen (d. h.
den fossil mineralischen Energieträgern wie beispielsweise Wasserstoff für die Kernfusion
bzw. Uran für die Kernspaltung) die nicht regenerativen Energien bzw. Energieträger, die
heute als (begrenzter) Energievorrat auf der Erde vorhanden und potenziell nutzbar sind
(wenn dem nicht ökologische Aspekte entgegenstehen sollten). Alle anderen der Mensch-
heit zur Verfügung stehenden Optionen sind erneuerbare Energien bzw. Energieträger.
Ein Teil der gegenwärtig von der Sonne auf die Erde eingestrahlten Energie wird
innerhalb der Atmosphäre umgewandelt und ist letztlich u. a. für Verdunstung und Nieder-
schlag, Wind und Wellen verantwortlich. Die auf der Erde ankommende Globalstrahlung
erwärmt u. a. die Meere und die Erdoberfläche; daraus resultieren beispielsweise Mee-
resströmungen und das Pflanzenwachstum. Neben diesen Erscheinungsformen zählen zu
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 71

Sonnenstrahlung Abstrahlung
5,6 ∙ 1024 J/a = 100 %

Atmosphärenobergrenze

Reflexion an Wolken, Aerosolen usw.


23 %

Massenanziehung Gezeiten
und Bewegung von 0,002 %
Himmelskörpern
Absorption in der Lufthülle
23 %

7 % Reflexion
Erdoberfläche 47 %

Erdwärme 0,02 %
0,009 %b
14 % 33 %
Biomasse 0,1 %
Energiereserven
fossil biogen
Kontinente Meere ca. 32,9 ∙ 1021 J
fossil mineralisch
ca. 4,4 ∙ 1024 Ja
17,8 %

12,5 %
2,7 %

5,4 % Strahlung 17,9 %

2,9 %
Verdunstung 20,7 %

6,1 % Konvektion 8,8 %

Abb. 2.8 Energiebilanz der Erde (a exemplarisch nur Kernspaltung mit Brütertechnologie
(1,5 TJ/kg Uran), zusätzlich wäre auch eine – hier nicht dargestellte – Fusion möglich; b Weltpri-
märenergieverbrauch an fossil biogenen und fossil mineralischen Energieträgern von rund 517 EJ
im Jahr 2018 [2.6]; verändert nach [2.53, 2.54])

den regenerativen Energien auch die Erdwärme sowie die Gezeitenenergie, die auf die
Massenanziehung und Bewegung von Himmelskörpern zurückzuführen ist.
Da die Erde sich annähernd in einem energetischen Gleichgewichtszustand befindet,
muss der zugeführten Energie eine entsprechend gleich große Abgabe gegenüberstehen.
Diese Energiebilanz des Energiesystems „Erde“ zeigt Abb. 2.8. Der mit Abstand größ-
te Teil der pro Jahr auf der Erde umgesetzten Energie stammt demnach von der Sonne
(über 99,9 %). Die aus der Massenanziehung und Bewegung von Himmelskörpern und
aus der Erdwärme resultierenden Energieströme liefern zusätzlich nur etwa 0,022 %; d. h.
sie sind im globalen Energiesystem nahezu vernachlässigbar (dies kann aber bei einer
konkreten Nutzung an einem definierten Standort anders sein). Durch den weltweiten Pri-
märenergieverbrauch aus der Nutzung der fossil biogenen und der fossil mineralischen
Energiereserven und -ressourcen kommen jährlich weitere rund 0,009 % bzw. ca. 517 EJ
(2018) hinzu [2.6].
Jährlich strahlt die Sonne etwa 5;6  1024 J auf die Erde. Davon werden etwa 23 % an
Wolken, Aerosolen usw. sowie der Atmosphäre selbst wieder zurück in den Weltraum re-
flektiert. Die verbleibenden Anteile dringen weiter in die Atmosphäre ein. Ein größerer
Teil davon erreicht die Erdoberfläche, während ein kleinerer Teil in der Atmosphäre ab-
72 B. Geyer et al.

sorbiert wird. Von der die Erdoberfläche erreichenden Strahlung wird zunächst ein kleiner
Teil (im Mittel etwa 7 %) wieder direkt zurück in die Atmosphäre reflektiert; dieser Anteil
ist insbesondere in den Wüsten- oder Eisgebieten der Erde deutlich höher. Der überwie-
gende Teil der die Erdoberfläche erreichenden Strahlung steht hier u. a. für Verdunstung,
Konvektion und Erwärmung zur Verfügung. Sie wird dazu in langwellige Wärmestrahlung
gewandelt und als diese wieder in den Weltraum abgestrahlt. Ein geringer Teil wird über
den Photosyntheseprozess in organische Substanz (Biomasse) umgewandelt; Biomasse ist
damit natürlicherweise gespeicherte Sonnenenergie. Dies gilt grundsätzlich auch für war-
mes Meerwasser, das ebenfalls die eingestrahlte Sonnenenergie über gewisse Zeiträume
speichern und durch die Meeresströmungen auch regional und global transportiert werden
kann.
Damit besteht näherungsweise ein Gleichgewichtszustand zwischen der zu- und ab-
geführten Energie auf der Erdoberfläche. Die zugeführte Energie ist dabei geringfügig
größer, da ein Teil der Energie in Form von Biomasse gespeichert wird; wird diese orga-
nische Substanz nicht in absehbarer Zeit wieder (natürlicherweise) biologisch abgebaut,
verbrannt oder anderweitig umgewandelt, kann sie im Verlauf geologischer Zeiträume in
fossil biogene Energieträger (d. h. Kohle, Öl, Gas) umgewandelt werden; dies betrifft z. B.
das im Meer gebildete Plankton, das teilweise auf den Meeresgrund absinkt und sich dort
einem schnellen natürlichen biologischen Abbau entzieht. Auch kann mit der Nutzung der
fossil biogenen und fossil mineralischen Energieträger kurzfristig mehr Energie freige-
setzt werden, als letztlich aus den beschriebenen regenerativen Energieströmen der Erde
zugeführt wird. Hinzu kommt, dass durch die steigenden Anteile an Kohlenstoffdioxid
(CO2 ), das durch die Verbrennung von Kohlenstoff fossilen Ursprungs gebildet wurde,
und weiteren Treibhausgasen (z. B. Methan (CH4 )) in der Atmosphäre zunehmend mehr
Wärmeenergie in der Atmosphäre gespeichert wird.

2.2 Solare Strahlung

Martin Kaltschmitt, Wolfgang Streicher und Beate Geyer

Ein Teil der von der Sonne auf die Erde eingestrahlten Energie trifft auf die Erdoberfläche
direkt in Form von Strahlung. Deshalb werden im Folgenden die wichtigsten Grundla-
gen des solaren Strahlungsangebots und wesentliche Eigenschaften, die aus Sicht einer
potenziellen technischen Nutzung relevant sind, diskutiert.

2.2.1 Grundlagen

Die von der Sonne auf den äußeren Rand der Erdatmosphäre auftreffende Solarstrahlung
kann – aufgrund der Beschaffenheit und Zusammensetzung der Atmosphäre – diese nur
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 73

Für Gammastrahlen, Das auf der Infrarotstrahlung Kurzwellige Langwellige


Röntgenstrahlen und Erde sichtbare wird durch Gase in Radiowellen Radiowellen
ultraviolettes Licht ist Licht wird z. T. der Atmosphäre können die werden von den
die Atmosphäre un- in der Atmosphä- überwiegend Atmosphäre Luftschichten
durchlässig. re absorbiert. absorbiert. durchdringen. zurückgehalten.
Durchlässigkeit der

100 %
Atmosphäre

50 %

0%
0,1 nm 1 nm 10 nm 100 nm 1 μm 10 μm 100 μm 1 mm 1 cm 1 dm 1m 10 m 100 m 1 km
Wellenlänge

Abb. 2.9 Durchlässigkeit der Atmosphäre für Solarstrahlung (verändert nach [2.8])
Radio-
Langwelle
Radio-
Gammastrahlung Kurzwelle
Mikrowelle
kosmische Röntgenstrahlung Radar
Höhenstrahlung

Fenster I Fenster II
hohe Energie niedrige Energie
-12 -6 -2 2
10 10 10 1 10 10 6
Wellenlänge in m

mittel- und violett blau grün gelb rot kurzwelliges


langwelliges infrarot
ultraviolett
0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 5
0,29 0,38 0,44 0,57 0,78 Wellenlänge in μm

Abb. 2.10 Atmosphärische Fenster der Atmosphäre (nach [2.9])

z. T. durchdringen und auf die Erdoberfläche auftreffen (Abb. 2.9); d. h. die Atmosphäre
ist für die aus dem Weltall auf den äußeren Rand der Atmosphäre auftreffende extra-
terrestrische Strahlung oft undurchlässig bzw. nur teildurchlässig; letzteres ist in zwei
Wellenlängenbereichen der Fall (sogenannte atmosphärische Fenster; Abb. 2.10).

Atmosphärische Fenster Im optischen Wellenlängenbereich zwischen etwa 3,45 und


4,1 m sowie zwischen 8,2 und 13,0 m (Fenster I) und im Wellenlängenbereich von 102
bis 102 m (Fenster II) kann die extraterrestrische Strahlung die Atmosphäre teilweise oder
vollständig passieren (sogenannte atmosphärische Fenster der Atmosphäre; Abb. 2.10).
Von diesen beiden Bereichen ist für die Solarenergienutzung aus Leistungsgründen nur
das Fenster I von Bedeutung. Der wesentliche Teil dieses atmosphärischen Fensters um-
fasst den Bereich des sichtbaren Lichts von 0,38 bis 0,78 m (Abb. 2.9 und 2.10).
74 B. Geyer et al.

Strahlungsschwächung Innerhalb der Atmosphäre erfährt die Strahlung eine Schwä-


chung; dies wird als Extinktion bezeichnet. Hierbei sind verschiedene Mechanismen wirk-
sam (u. a. [2.3, 2.10, 2.11]).

 Streuung. Unter Streuung versteht man die Ablenkung der Strahlung aus ihrer Einfalls-
richtung ohne Energieübertragung und damit ohne Energieverlust für die Strahlung;
d. h. es kommt ausschließlich zu einer Richtungsänderung (Abb. 2.11). Eine derartige
Streuung erfolgt u. a. an Luftmolekülen, Wassertröpfchen, Eiskristallen und Aerosol-
partikeln. Dabei wird zwischen der Rayleigh- und der Mie-Streuung unterschieden. Bei
der Rayleigh-Streuung handelt es sich um eine Streuung an Teilchen mit Radien, die
wesentlich kleiner sind als die Wellenlänge des einfallenden Lichts (z. B. Luftmolekü-
le). Die Mie-Streuung erfolgt an Teilchen, die Radien im Bereich der Wellenlänge des
einfallenden Lichts und größer haben (z. B. Aerosolpartikel). Je größer die Teilchen
werden, an denen das Sonnenlicht gestreut wird, desto stärker streuen sie in Vorwärts-
richtung. Die Mie-Streuung geht dann in eine Beugung über.
 Absorption. Aus physikalischer Sicht wird unter Absorption die Aufnahme von elektro-
magnetischen Wellen durch einen absorbierenden Stoff verstanden. Da dieser Stoff die
absorbierte Solarstrahlung bzw. Energie nicht (vollständig) „behält“, wird sie – typi-
scherweise umgewandelt in andere Energieformen – wieder an die Umgebung (hier: die
Atmosphäre) abgegeben; i. Allg. wird die Sonnenenergie dabei in Wärme umgewan-
delt. Eine derartige Absorption der eintreffenden Solarstrahlung kann beispielsweise
an Aerosol-, Wolken- und Niederschlagspartikeln erfolgen. Zusätzlich ist auch eine se-
lektive Gasabsorption möglich (d. h. eine Absorption der Solarstrahlung an bestimmten
gasförmigen Bestandteilen der Atmosphäre); hier werden bestimmte Spektral- bzw.
Wellenlängenbereiche der solaren Strahlung von bestimmten Gasen absorbiert. Dies
gilt insbesondere für Ozon (O3 ) und Wasserdampf (H2 O); Ozon beispielsweise absor-
biert nahezu vollständig den Spektralbereich von 0,22 bis 0,31 m. Kohlenstoffdioxid
(CO2 ) absorbiert demgegenüber die solare Strahlung nur minimal.

Sonne
Partikelabsorption (z. B. Aerosol-,
Wolken-, Niederschlagspartikel)
Selektive Gasabsorption Direkt-
(z. B. Ozon, Wasserdampf) strahlung

Wärme-
strahlung Rayleigh-Streuung
(z. B. Luftmoleküle)
Mie-Streuung
(z. B. Aerosolpartikel)

Diffus-
strahlung

Erdoberfläche

Abb. 2.11 Weg der Solarstrahlung durch die Atmosphäre einschließlich der dort wirksamen Schwä-
chungseffekte
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 75

Diese Schwächung der Solarstrahlung durch Streuung und / oder Absorption wird
durch den Transmissionsfaktor G beschrieben (Gleichung (2.3)); er enthält summarisch
alle Schwächungseffekte, die innerhalb der Atmosphäre auf die an der äußeren Hülle
der Atmosphäre ankommende solare Globalstrahlung ausgeübt werden. GP G ist dabei die
Globalstrahlung und GP O die Solarkonstante.

GP G D GP O G (2.3)

Der Transmissionsfaktor G setzt sich aus den verschiedenen beschriebenen Schwä-


chungsmechanismen zusammen; d. h. er bestimmt sich aus dem Transmissionsfaktor der
Rayleigh-Streuung RS , dem der Mie-Streuung MS und dem der Gasabsorption GA sowie
der Partikelabsorption PA (Gleichung (2.4)).

G D RS MS GA PA (2.4)

Strahlungsspektrum Infolge der Strahlungsschwächung innerhalb der Erdatmosphäre


verändert sich das Energieverteilungsspektrum des Sonnenlichts auf dem Weg vom Welt-
all zur Erdoberfläche. Abb. 2.12 zeigt das Spektrum der Sonnenstrahlung vor und nach
dem Durchgang durch die Atmosphäre.

2 500

theoretische Strahlung eines


schwarzen Körpers bei 5 700 °C
Strahlungsleistung in W/(m 2 μm)

2 000 Sonnenstrahlung außerhalb


der Atmosphäre
von Bestandteilen der Atmosphäre
O3 hauptsächlich reflektierter Teil der Energie
O2
1 500
Sonnenstrahlung nach Durchgang
durch die Atmosphäre
O2
1 000

O3 Absorptionsbanden
H2O

500 H2O

H2O
grün
gelb
blau

rot

H2O
CO 2
0
0 0,4 0,8 1,2 1,6 2 2,4 2,8 3,2
ultraviolett sichtbar nahes infrarot fernes infrarot

Wellenlänge in μm

Abb. 2.12 Energieverteilungsspektren der Sonnenstrahlung vor und nach dem Durchgang durch die
Erdatmosphäre (u. a. nach [2.3])
76 B. Geyer et al.

Infolge der beschriebenen Schwächungsvorgänge innerhalb der Lufthülle der Erde


zeigt die Energieverteilung der Sonnenstrahlung, welche die Erdoberfläche erreicht, die
folgenden charakteristischen Eigenschaften.

 Der meteorologisch bedeutsame Spektralbereich liegt bei 0,3 bis 3 m; auf diesen Be-
reich entfallen etwa 96 % der gesamten extraterrestrischen Sonnenstrahlung.
 Das Energiemaximum liegt im sichtbaren Spektralbereich bei 0,5 bis 0,6 m (grünes
bis gelbes Licht); das liegt darin begründet, dass entsprechend der Oberflächentem-
peratur der Sonne von knapp 5 800 K das rechnerische Maximum der Strahlung bei
etwa 0,5 m liegt (deshalb hat in diesem grünen Bereich das menschliche Auge seine
höchste spektrale Empfindlichkeit, da es von der Evolution an dieses Strahlungsmaxi-
mum angepasst wurde).
 Mit abnehmender Wellenlänge (d. h. im ultravioletten Bereich) kommt es zu einer
raschen Abnahme der Strahlungsleistung, da diese sogenannte UV-Strahlung in den
oberen Schichten der Atmosphäre durch Ozon weitgehend absorbiert wird; nur etwa
6 % der gesamten auf die Erdoberfläche auftreffenden Solarstrahlung ist ultraviolette
Strahlung.
 Bei zunehmender Wellenlänge (d. h. im infraroten Bereich) geht die Strahlungsleistung
langsamer zurück. Dabei wird die infrarote Strahlung vornehmlich durch Absorpti-
on vom in der Atmosphäre enthaltenem Wasserdampf und von Aerosolpartikeln ge-
schwächt; daraus resultieren die in Abb. 2.12 erkennbaren ausgeprägten Bandlücken
im Strahlungsspektrum.
 In bestimmten Wellenlängenbereichen sind tiefe Einbrüche in der Energieverteilungs-
kurve vorhanden („dunkle Bereiche“). Sie werden durch die selektive Absorption des
Sonnenlichtes an einzelnen Atmosphärenbestandteilen hervorgerufen.

Direkt-, Diffus- und Globalstrahlung Die Streuungsmechanismen innerhalb der Atmo-


sphäre bewirken, dass auf die Erdoberfläche letztlich diffuse und direkte Strahlung auf-
trifft. Unter Direktstrahlung wird dabei die direkt von der Sonne kommende und an einem
bestimmten Punkt auftreffende Strahlung verstanden (Abb. 2.13). Bei der Diffusstrahlung
handelt es sich demgegenüber um Strahlung, die durch Streuung in der Atmosphäre ent-
steht und einen bestimmten Empfangspunkt indirekt erreicht (Abb. 2.13). Die Summe
aus Direktstrahlung GP Dr und Diffusstrahlung GP Df , jeweils bezogen auf die horizontale
Empfangsfläche, wird als Globalstrahlung GP G bezeichnet (Gleichung (2.5)). Die Diffus-
strahlung GP Df setzt sich dabei aus der in der Atmosphäre gestreuten Strahlung und aus
der von der Umgebung und den Wolken reflektierten Strahlung zusammen.

GP G D GP Df C GP Dr (2.5)

Bei Berechnungen der an einem bestimmten Punkt auftreffenden Globalstrahlung


muss damit zwischen direkter und diffuser Strahlung unterschieden werden, da sie mit
einem unterschiedlichen mittleren Einfallswinkel auf eine bestimmte Empfangsfläche
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 77

Abb. 2.13 Aufteilung der


Globalstrahlung in Direkt- und
Diffusstrahlung Sonne

Wolken
Streuung an
Partikeln in der Streuung an
Atmosphäre Molekülen in der
Atmosphäre
Direkt-
strahlung

Diffus-
strahlung Globalstrahlung (gesamte
auf eine Empfangsfläche
Empfangsfläche auftreffende Strahlung)
Erdoberfläche

(z. B. Oberfläche eines Solarkollektors) eintreffen. Die von der Umgebung auf eine de-
finierte Empfangsfläche reflektierte Strahlung hat dabei oft nur eine geringe Bedeutung;
im Winter (Reflexionen an Eis und / oder Schnee) oder im Gebirge / in Wüstengebieten
(größere, glatte und reflektierende Oberflächen) kann die reflektierte Strahlung aber auch
größere Anteile an der Globalstrahlung einnehmen.
Der Anteil der Diffus- bzw. Direktstrahlung an der gesamten an einem bestimmten
Punkt auftreffenden Globalstrahlung ist tages- und jahreszeitlichen Schwankungen un-
terworfen. Abb. 2.14 zeigt deshalb jeweils beispielhaft den Jahresgang der Direkt-, der
Diffus- und der Globalstrahlung an einem Standort in Nord- und in Süddeutschland.
Demnach übersteigt in den mitteleuropäischen Breiten im Jahresdurchschnitt der diffuse
Strahlungsanteil den direkten Anteil erheblich. In den Wintermonaten besteht die Glo-
balstrahlung fast ausschließlich aus Diffusstrahlung. Im Sommer nimmt der Anteil der
direkten Strahlung jedoch deutlich zu.

Abb. 2.14 Jahresgang der Diffus-, der Direkt- und der Globalstrahlung (Summe aus Direkt- und
Diffusstrahlung) in Schleswig (links) und Stuttgart (rechts) (Mittelwerte der Jahre 1989 bis 2018;
Daten nach [2.5])
78 B. Geyer et al.

Direktstrahlung auf geneigte, ausgerichtete Flächen Die auf eine geneigte Empfangs-
fläche auftreffende direkte Sonnenstrahlung wird durch den Einfallswinkel bestimmt
(Abb. 2.15). Dieser wiederum ist abhängig von der Ausrichtung und dem Ort dieser Emp-
fangsfläche sowie vom aktuellen Sonnenstand. Es gilt Gleichung (2.6).

cos D .cos ˛ sin '  cos ' cos ˇ sin ˛/ sin ı


C .sin ' cos ˇ sin ˛ C cos ˛ cos '/ cos ı cos !S t (2.6)
C sin ˇ sin ˛ cos ı sin !S t

Dabei sind ˛ der Neigungswinkel, ˇ der Azimutwinkel (Abweichung von der Süd-
ausrichtung), ' der Breitengrad, ı die Sonnendeklination und !St der Stundenwinkel der
Sonne (Abb. 2.16). Der Stundenwinkel liegt bei Sonnenhöchststand bei 0ı und ist vormit-
tags positiv bzw. nachmittags negativ.
!St kann mit Hilfe der wahren Ortszeit (WOZ, in Stunden (h), Gleichung (2.7)), die
sich aus der gesetzlichen Zeit GZ ergibt, nach Gleichung (2.8) berechnet werden.

  0
WOZ D GZ C
15ı =h

C 0;0066 C 7;3525 cos.J 0 C 85;9ı / C 9;9359 cos.2J 0 C 108;9ı /

C 0;3387 cos.3J 0 C 105;2ı / h (2.7)
!S t D .WOZ  12;00 h/15ı =h (2.8)
Tag des Jahres
J 0 D 360ı (2.9)
Zahl der Tage im Jahr

Abb. 2.15 Geometrische


Zusammenhänge der Sonnen-
einstrahlung auf geneigte, nach
Süden ausgerichtete Emp-
fangsflächen (nach [2.1])
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 79

Abb. 2.16 Stundenwinkel


und Deklination im ortsfesten
äquatorialen Koordinatensys-
tem (in Anlehnung an [2.71],
verändert)

J 0 ist dabei die Nummer des betrachteten Tages des Jahres (1 . . . 365) (Gleichung (2.9))
im Jahresverlauf, 0 ist der Bezugsmeridian (15ı bei mitteleuropäischer Zeit (MEZ),
30ı bei mitteleuropäischer Sommerzeit (MESZ)) und  der Längengrad des Standortes
der Empfangsfläche. Die Sonnendeklination ı, die den Winkelabstand des Sonnenhöchst-
standes vom Himmelsäquator beschreibt, berechnet sich nach Gleichung (2.10). Sie nimmt
Werte zwischen 23;45ı zur Winter- und C23;45ı zur Sommersonnenwende an.
2
ı D 23;45 cos .J C 10/ (2.10)
365;25
Liegt die Empfangsfläche für die Strahlung horizontal, vereinfacht sich Gleichung (2.6)
zu Gleichung (2.11). Dann kann der Zenitwinkel z wie folgt berechnet werden.

cos z D sin ' sin ı C cos ' cos ı cos !S t (2.11)

Die Umrechnung der solaren Direktstrahlung auf die geneigte, nach einer bestimmten
Himmelrichtung ausgerichteten Empfangsfläche GP Dr;g;a erfolgt aus der auf die horizontale
Empfangsebene auftreffenden Direktstrahlung GP Dr mit Hilfe des Strahlungseinfallswin-
kels , dem Neigungswinkel bezüglich der Horizontalebene ˛, dem Sonnenazimutwinkel
ˇ und der Ausrichtung der Flächennormalen bezüglich der Himmelsrichtung  nach Glei-
chung (2.12).

GP Dr;g;a D GP Dr .sin cos ˛  sin ˛ cos sin .ˇ  // (2.12)

Diffusstrahlung auf geneigte, ausgerichtete Flächen Die Umrechnung des diffusen


Anteils der Solarstrahlung auf die geneigte und ausgerichtete Fläche GP Df;g;a (Abb. 2.17)
80 B. Geyer et al.

Abb. 2.17 Diffusstrahlung auf Sonne Moleküle


die geneigte Empfangsfläche Direktstrahlung
Diffus-
strahlung

Reflexionskörper
Moleküle
Partikel

α
Erdoberfläche Neigungswinkel der
Empfangsfläche

ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig, die zudem stark orts- und zeitabhängig sind
und auch kurzfristig starken Veränderungen unterliegen können; diese Umrechnung ist
daher i. Allg. nicht geschlossen analytisch darstellbar.
Deshalb wird häufig vereinfachend unterstellt, dass die Diffusstrahlung gleichmäßig im
Raum verteilt sei (was allerdings in der Realität nicht der Fall ist). Unter dieser Prämisse
trifft sie aus allen Richtungen zu gleichen Teilen auf einen bestimmten, definierten Punkt
auf der Erdoberfläche (isotropes Modell). Sie errechnet sich unter dieser stark verein-
fachten Randbedingung aus der Diffusstrahlung auf die horizontale Fläche GP Df und dem
Neigungswinkel der Empfangsfläche gegen die Horizontalebene ˛ nach Gleichung (2.13).
1
GP Df;g;a D GP Df .1 C cos ˛/ (2.13)
2
Die Annahme einer isotropen Strahlungsverteilung beschreibt jedoch nur einge-
schränkt die tatsächlichen Gegebenheiten; ist die Atmosphäre bei starker und gleich-
mäßiger Bewölkung nur von diffuser Strahlung erfüllt, ist es trotzdem im Bereich um
den jeweiligen Sonnenstand meist heller als am übrigen Himmel. Dies wird in Glei-
chung (2.14) berücksichtigt, bei der von einem gleichmäßig im Raum verteilten isotropen
Strahlungsanteil ausgegangen wird, dem ein sogenannter circumsolarer Anteil überlagert
wird (vgl. [2.1, 2.12, 2.13]). GP Df;g;a ist wieder der diffuse Anteil der Solarstrahlung,
der auf die geneigte und ausgerichtete Fläche auftrifft, GP Df die Diffusstrahlung auf die
horizontale Fläche, GP Dr;g;a die solare Direktstrahlung auf die geneigte, nach einer be-
stimmten Himmelrichtung ausgerichteten Empfangsfläche, GP O die Strahlungsleistung am
äußeren Rand der Erdatmosphäre (d. h. Solarkonstante), ˛ der Neigungswinkel und der
Strahlungseinfallswinkel.
! !!
1 GP Dr;g;a GP Dr;g;a cos
GP Df;g;a D GP Df 1 .1 C cos ˛/ C (2.14)
2 GP O GP O cos .90ı  ˛/

Reflexionsstrahlung auf geneigte, ausgerichtete Flächen Ein gewisser Anteil der in


der Umgebung einer geneigten und ausgerichteten Empfangsfläche auftreffenden Global-
strahlung wird auf diese geneigte und ausgerichtete Empfangsfläche reflektiert (GP R;g;a ).
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 81

Bei horizontaler Umgebung kann er aus der Albedo AG (d. h. dem Verhältnis von re-
flektierter zu eingefallener Globalstrahlung), der Globalstrahlung auf die horizontale
Empfangsfläche GP G und dem Neigungswinkel bezüglich der Horizontalen ˛ nach Glei-
chung (2.15) berechnet werden.

GP R;g;a D AG GP G sin2 .˛=2/ (2.15)

Die Albedo hängt von den Bedingungen an dem betrachteten Standort ab. Entsprechen-
de Werte bewegen sich z. B. bei Schnee zwischen 0,7 und 0,9, bei Sand zwischen 0,25 und
0,35 sowie bei Wald- und Ackerflächen zwischen 0,1 und 0,2.

Globalstrahlung auf geneigte, ausgerichtete Flächen Die auf eine geneigte und aus-
gerichtete Fläche, beispielsweise die Oberfläche eines Photovoltaikmoduls, auftreffende
Globalstrahlung setzt sich aus der ankommenden Direkt- (GP Dr;g;a , Gleichung (2.12)) und
Diffusstrahlung (GP Df;g;a , Gleichung (2.13) bzw. (2.14)) sowie der von der Umgebung auf
diese Empfangsfläche reflektierte Strahlung (GP R;g;a , Gleichung (2.15)) zusammen. Die
gesamte auf eine orientierte Fläche auftreffende Globalstrahlung GP G;g;a errechnet sich da-
mit nach Gleichung (2.16).

GP G;g;a D GP Dr;g;a C GP Df;g;a C GP R;g;a (2.16)

2.2.2 Räumliche und zeitliche Angebotscharakteristik

Strahlungsmessung Um die kurz- und langwelligen Strahlungsflüsse durch die Atmo-


sphäre bestimmen zu können, stehen eine Reihe verschiedener Messgeräte zur Verfügung.
Dabei wird zwischen Relativ- und Absolutgeräten unterschieden (u. a. [2.3, 2.4, 2.10,
2.11]).
Soll die Strahlungsenergie absolut gemessen werden, muss die eingestrahlte Ener-
gie zunächst in eine messbare Größe konvertiert werden. Bei den meisten derartigen
Strahlungsmessgeräten wird deshalb die Strahlungsenergie von einer geschwärzten Flä-
che absorbiert und dabei in Wärme umgewandelt. Dadurch steigt die Temperatur dieser
schwarzen Fläche an. Entsprechend wird dann eine der eingestrahlten Sonnenenergie ent-
sprechende Wärmemenge pro Zeiteinheit durch Wärmeleitung im Instrument oder an die
Luft durch Temperaturstrahlung abgegeben; bei konstanter Solarstrahlung stellt sich ein
Gleichgewichtszustand ein. Die resultierende Temperaturerhöhung ist damit ein Maß für
die Strahlungsenergie. Derartige Relativgeräte müssen in regelmäßigen Abständen geeicht
werden.
Für die Messung der direkten Sonnenstrahlung (d. h. des Direktstrahlungsanteils der
Globalstrahlung) werden Pyrheliometer (früher auch als Aktinometer bezeichnet) ver-
wendet. Hierbei wird von zwei gleichen geschwärzten dünnen Flächen eine der direkten
Sonnenstrahlung ausgesetzt. Durch die eingestrahlte Energie erwärmt sie sich. Die andere,
82 B. Geyer et al.

nicht bestrahlte Fläche, wird mit Hilfe elektrischer Energie auf die Temperatur der be-
strahlten Fläche erwärmt. Die Wärmeentwicklung ist dabei proportional dem Quadrat der
angelegten Stromstärke. Damit ist die Stromstärke äquivalent zu der absorbierten solaren
Strahlungsenergie. Pyrheliometer werden normal zur einfallenden Strahlung ausgerichtet
und sind so konstruiert, dass nur die Direktstrahlung auf die Empfangsfläche trifft; dies ist
beispielsweise durch eine Positionierung der Fläche in einer Röhre technisch möglich.
Die Globalstrahlung kann mithilfe von Pyranometern gemessen werden. Hier dient
als Empfangsfläche eine Thermosäule, deren Gegenlötstellen thermisch mit dem Gehäuse
verbunden sind. Der durch die Erwärmung der bestrahlten Fläche entstehende Tempe-
raturunterschied erzeugt eine Spannung, die ein Maß für die Globalstrahlung ist. Um
Witterungseinflüsse auf die Messung zu verhindern, wird die Empfangsfläche je nach zu
messendem Wellenlängenbereich mit Kalotten aus unterschiedlichem Material geschützt.
Für die Messung der kurzwelligen Strahlungsflüsse werden beispielsweise Halbkugeln
aus Quarzglas, der lang- und kurzwelligen Strahlungsflüsse Kalotten aus Lupolen und der
langwelligen Strahlungsflüsse Siliziumhalbkugeln verwendet. Die Pyranometer werden
meist horizontal ausgerichtet. Wird der direkte Anteil der Globalstrahlung z. B. durch ei-
nen Schattenring oder durch getrackte Schattenkugeln ausgeblendet, kann man mit diesen
Geräten auch die Diffusstrahlung messen. Durch Überkopfaufhängung kann der reflek-
tierte Anteil gemessen werden.
Zur Ermittlung der Strahlungsbilanz wird ein Pyranometer für den oberen und den
unteren Halbraum benötigt. Je nach Art der Abdeckung kann die Bilanz in verschiedenen
spektralen Bereichen ermittelt werden.
Oft wird lediglich nur die Sonnenscheindauer gemessen. Sie wurde früher z. B. durch
einen Sonnenscheinautographen nach Campbell-Stokes erfasst; hier entsteht durch eine
Konzentration der auftreffenden Solarstrahlung mittels einer Glaskugel auf einem in eine
Kalotte eingelegten Papierstreifen ein Brennstreifen. Heute werden Sonnenscheinsensoren
verwendet, welche die Andauerzeiten von Strahlungswerten >120 W/m2 aufzeichnen.

Räumliche Strahlungsverteilung Weltweit und innerhalb Deutschlands wird an einer


Vielzahl von Standorten die Globalstrahlung gemessen. Werden diese gemessenen Strah-
lungswerte, die als stündliche, tägliche oder monatliche Mittelwerte vorliegen, jeweils
über das Jahr aufsummiert und die langjährigen Mittelwerte gebildet, erhält man das an
diesem Standort durchschnittlich zu erwartende Strahlungsangebot. Die Verteilung dieses
langjährigen mittleren solaren Strahlungsangebots im globalen Kontext bzw. innerhalb
des deutschsprachigen Raums zeigen die Abb. 2.18 und 2.19.
Global werden demnach die höchsten Globalstrahlungssummen in den Wüstengebie-
ten der Erde gemessen, die nördlich und südlich an die Tropen angrenzen. Hier können
Werte von mehr als 2 200 kWh/m2 erreicht werden, da durch eine hier meist klare, wol-
kenlose und durch menschliche Aktivitäten wenig belastete Atmosphäre die am äußeren
Atmosphärenrand auftreffende Solarstrahlung nur wenig geschwächt wird und die ankom-
mende Strahlung trifft in weiten Teilen des Jahres vergleichsweise senkrecht auf eine ho-
rizontale Empfangsfläche auf. Verglichen damit sind die mittleren Strahlungssummen im
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 83

Abb. 2.18 Durchschnittliche Globalstrahlungssummen im globalen Kontext (nach [2.14])

Abb. 2.19 Verteilung der langjährigen Mittelwerte der Globalstrahlungssummen im deutschspra-


chigen Raum (nach [2.15])
84 B. Geyer et al.

Tropengürtel der Erde z. T. merklich geringer; dies liegt an der hier oft deutlich stärkeren
Bewölkung und der damit auch größeren Strahlungsschwächung in der die Erde umge-
benden Lufthülle. Richtung Norden und Süden nimmt dann die jährlich durchschnittlich
eingestrahlte Globalstrahlung sukzessive ab, da mit zunehmendem Abstand vom Äquator
die mittlere Strahlungsleistung und der mittlere Sonnenstand über dem Horizont abnimmt.
In Deutschland ist der Süden durch das höchste solare Strahlungsangebot gekennzeich-
net; in Norddeutschland werden – mit Ausnahme der Nord- und Ostseeinseln – z. T.
deutlich geringere Strahlungssummen gemessen. Ursache für das höhere Strahlungsan-
gebot in Süddeutschland ist zum einen die südlichere Lage und damit die größere Nähe
zum Äquator mit der damit verbundenen höheren durchschnittlichen Strahlungsleistung.
Zum anderen ist hier im Durchschnitt die Wolkenbedeckung geringer. Beides zusammen
hat eine höhere Direktstrahlung und eine längere durchschnittliche Sonnenscheindauer
zur Folge. Im langjährigen Mittel variiert die Globalstrahlungssumme aufgrund der regio-
nalen Unterschiede zwischen unter 1 000 und über 1 200 kWh/(m2 a).

Zeitliche Variationen Das solare Globalstrahlungsangebot, das sich aus dem Direkt-
und Diffusanteil zusammensetzt, ist an einem bestimmten Standort erheblichen zeitlichen
Schwankungen unterworfen, die teils deterministischer und teils stochastischer Natur sind.
Abb. 2.20 verdeutlicht diese zeitliche Variabilität des solaren Strahlungsangebots an-
hand der gemessenen Globalstrahlungsleistungen an einem Standort in Norddeutschland.

300 300
2
2

Leistung in W/m
Leistung in W/m
m inutenm ittler e

minutenmittlere

250 250

200
Stundengang 200

150 150

100 100

50 50
Stundengang
0 0
0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60
Zeit in Minuten Zeit in Minuten

300 300
2
2

Leistung in W/m
Leistung in W/m

stundenmittlere
stundenm ittler e

250 250

200 200
Tagesgang
150
Tagesgang 150

100 100

50 50

0 0
0 3 6 9 12 15 18 21 24 0 3 6 9 12 15 18 21 24
Zeit in Stunden Zeit in Stunden

300
L e i s t u n g i n W/ m 2

Jahresgang
m o n at s- b z w .

250
t a g e s m it t le r e

200

150
100
50

0
0 30 60 90 120 150 180 210 240 270 300 330 360
Zeit in Tagen

Abb. 2.20 Jahresgang sowie Tages- und Stundenganglinien gemessener Globalstrahlungsleistun-


gen am Beispiel eines Standorts in Norddeutschland (nach [2.5])
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 85

Abb. 2.21 Monatssummen 300


der Globalstrahlung an unter-

Globalstrahlung in kWh/m²
schiedlichen Standorten auf 250

der Erde (Daten nach [2.72])


200

150

100

50
Würzburg Jakarta
Kapstadt Amman
0
Jan Feb Mär Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez

Der Jahresgang der tagesmittleren Strahlungsleistungen ist dabei durch ein geringes Strah-
lungsangebot in den Wintermonaten und ein merklich höheres Angebot im Verlauf des
Sommers gekennzeichnet. Die beiden exemplarisch dargestellten Tagesgänge der stun-
denmittleren Strahlungsleistung (30. Januar bzw. 30. Oktober) verdeutlichen, wie dieses
Strahlungsangebot im Verlauf eines Tages verteilt sein kann. Die zeitabhängige Cha-
rakteristik der flächenspezifischen Strahlungsleistung des Januartages war beispielsweise
ganztägig durch einen bedeckten Himmel bestimmt; die fast ausschließlich vorliegen-
de diffuse Strahlung ist durch geringe Leistungen in Kombination mit einer nur sehr
schwach ausgeprägten Variation im Zeitverlauf gekennzeichnet. Der 30. Oktober dage-
gen war weitgehend wolkenlos. Nur der Einbruch der Globalstrahlung um die Mittagszeit
deutet auf durchziehende Wolkenfelder hin. Der zusätzlich dargestellte Verlauf der mi-
nutenmittleren Strahlungsleistungen zur Mittagszeit bestätigt, dass der Januartag durch
einen gleichmäßig bedeckten Himmel mit daraus resultierender geringer, nur wenig va-
riierender Sonneneinstrahlung geprägt war. Demgegenüber war an dem Oktobertag die
Sonneneinstrahlung durchweg höher und entsprechend größeren Unterschieden infolge
der variierenden Bewölkung unterworfen.
Das solare Strahlungsangebot ist auch zwischen verschiedenen Jahren durch deutli-
che Unterschiede gekennzeichnet. Abb. 2.21 zeigt für unterschiedliche Standorte auf der
Nord- und Südhalbkugel exemplarisch den durchschnittlichen Jahresgang. Deutlich wird,
dass praktisch an jedem Ort ein mehr oder weniger ausgeprägter Jahresgang erkennbar ist
und damit merkliche jahreszeitliche Unterschiede vorhanden sind, die u. a. vom lokalen
Klima und der geografischen Lage beeinflusst werden. Aus der Darstellung geht auch her-
vor, dass der Jahresgang umso ausgeprägter ausfällt, je größer die Entfernung des Stand-
ortes vom Äquator ist; konsequenterweise zeigen deshalb die Standorte in Äquatornähe
die geringsten jahreszeitlichen Unterschiede. Gut erkennbar ist auch der spiegelbildliche
Verlauf des Jahresgangs der Solarstrahlung auf der Nord- und der Südhalbkugel infolge
der Ekliptik der Erde. Während beispielsweise Würzburg in Deutschland im Juni / Juli
maximale Werte zeigt, werden diese in Kapstadt in Südafrika in diesen Monaten minimal;
und im Dezember / Januar wird ein genau umgekehrtes Verhalten deutlich.
86 B. Geyer et al.

Abb. 2.22 Jahressummen der Globalstrahlung an vier unterschiedlichen Standorten in Deutschland


zwischen 1980 und 2018 (Daten nach [2.16])

Zusätzlich zeigt Abb. 2.22 die Jahressummen der Globalstrahlung für vier Standorte in
Deutschland im Verlauf der letzten Jahrzehnte. Außerdem sind für diesen Zeitraum das
Mittel der Globalstrahlung, die zugehörige Standardabweichung sowie die aufgetretene
minimale und maximale Globalstrahlungssumme gezeigt. Aus der Darstellung lassen sich
u. a. die folgenden Schlüsse ziehen.

 Von den dargestellten Standorten zeigt die südlichste Station Hohenpeißenberg im


langjährigen Jahresmittel mit rund 1 170 kWh/m2 die größte Globalstrahlungssumme,
während in Schleswig, dem nördlichsten Standort in Abb. 2.22, die geringste mittle-
re Jahressumme der Globalstrahlung (ca. 970 kWh/m2 ) zu verzeichnen ist. Die hohe
Strahlungssumme auf dem Hohenpeißenberg ist allerdings nicht nur auf die im Ver-
gleich zu den anderen Standorten südlichste Lage zurückzuführen, sondern liegt auch
in der exponierten Lage dieser Messstation (Bergstation) begründet.
 Der Verlauf der Globalstrahlungssummen an den verschiedenen Standorten zeigt oft
Ähnlichkeiten. Beispielsweise wurden 1987 an allen dargestellten Standorten deut-
lich unterproportionale Strahlungssummen im Jahresverlauf gemessen; entsprechend
waren 2018 die Strahlungssummen – mit Ausnahme von Würzburg – merklich über-
proportional. Nichtsdestotrotz kommen auch Jahre vor, an denen die Jahressummen
der Globalstrahlung völlig unkorreliert sind; dies ist dann vermutlich auf den starken
Einfluss lokaler meteorologischer Effekte zurückzuführen.
 Die Standardabweichungen der Jahressummen der Globalstrahlung an den vier in
Abb. 2.22 dargestellten Standorten bezogen auf den jeweiligen Mittelwert der Global-
strahlungssummen erlauben Aussagen im Hinblick auf die Berechnung des durch-
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 87

Abb. 2.23 Monatsmittlere Globalstrahlungssummen an vier Standorten in Deutschland (Mitte-


lungszeitraum 1961 bis 1998, Daten nach [2.16])

schnittlich zu erwartenden solaren Energieertrags. Dabei wird deutlich, dass die


Standardabweichungen an den vier Stationen relativ ähnlich sind. Innerhalb Deutsch-
lands ist somit die relative Standardabweichung der Globalstrahlungsjahressummen
näherungsweise unabhängig von der Jahressumme der Globalstrahlung. Dies gilt
grundsätzlich nicht nur für die Standardabweichungen, sondern auch für die relativen
Abweichungen der Minimal- und Maximalwerte vom jeweiligen Mittelwert.

Abb. 2.23 zeigt den Verlauf der Monatssummen der Globalstrahlung im langjährigen
Mittel ebenfalls am Beispiel ausgewählter Messstationen. In Anlehnung an Abb. 2.22 sind
auch hier die Mittelwerte, die Standardabweichungen sowie die Minimal- und Maximal-
werte dargestellt. Neben den jahreszeitlichen Unterschieden des solaren Strahlungsange-
bots aufgrund des saisonal unterschiedlichen mittleren Sonnenstandes über dem Horizont
sind i. Allg. die Sommermonate durch größere Schwankungen im Solarstrahlungsange-
bot als die Wintermonate gekennzeichnet. Deutlich wird auch, dass die Unterschiede der
Globalstrahlungs-Monatssummen zwischen Dezember bzw. Januar und Juni bzw. Juli er-
heblich sind. Typischerweise zeigt sich im Mittel ein Unterschied um rund den Faktor 10;
d. h. in den Sommermonaten wird im Monatsmittel rund das 10-fache an Globalstrahlung
auf einen definierten Empfangspunkt (z. B. Photovoltaikmodul) eingestrahlt im Vergleich
zu den Wintermonaten. Dies liegt u. a. an den kürzeren Tagen im Winterhalbjahr im Ver-
88 B. Geyer et al.

Abb. 2.24 Mittlerer Tagesgang der solaren Strahlung an einem Standort in Norddeutschland (Insel
Norderney, Niedersachsen) und in Süddeutschland (Hohenpeißenberg, Bayern) (Daten nach [2.16])

gleich zum Sommerhalbjahr, dem dann zusätzlich durchschnittlich flacheren Sonnenstand


über dem Horizont (und der dadurch stärkeren Strahlungsschwächung bei Durchgang der
Solarstrahlung durch die Atmosphäre) und der oft stärkeren Bewölkung (siehe unten).
Abb. 2.23 macht auch deutlich, dass bei den nördlicheren Standorten die höchsten Mo-
natssummen der Globalstrahlung im Juni und bei den beiden südlicheren Orten im Juli im
Verlauf des dargestellten Zeitraums gemessen wurden.
Das solare Strahlungsangebot ist zusätzlich durch einen ausgeprägten Tagesgang ge-
kennzeichnet. Abb. 2.24 zeigt am Beispiel zweier Standorte in Deutschland für verschie-
dene Monate den monatsmittleren Tagesgang der stundenmittleren Strahlungsleistungen
im 10-jährigen Durchschnitt.
In der Darstellung wird der bekannte typische Tagesverlauf mit einem Anstieg des so-
laren Strahlungsangebots in den Morgenstunden, einem Maximum zur Mittagszeit und
einem Rückgang in den Nachmittags- und Abendstunden deutlich. Dabei sind in den
Sommermonaten die Strahlungsmaxima, der tägliche Strahlungszeitraum sowie damit die
insgesamt von den Kurven eingeschlossenen Flächen, welche die täglich eingestrahlte
Energie wiedergeben, am höchsten. Im Winter sind sie entsprechend gering. Dies erklärt
auch die in Abb. 2.23 deutlich werdenden jahreszeitlichen Unterschiede der monatsmitt-
leren Globalstrahlungssummen (siehe oben).
Der typische Jahresgang sowie die unterschiedlichen Tagesgänge im Frühjahr, im Som-
mer, im Herbst und im Winter resultieren überwiegend aus der Schieflage der Erdrotati-
onsachse gegenüber der Sonne (ca. 23,5ı Abweichung von der Vertikalen auf der Ebene
der Umlaufbahn, Abb. 2.2). Dadurch bedingt, liegt der mittlere Sonnenstand über dem
Horizont im Winter deutlich niedriger als im Sommer. Zusätzlich sind deshalb auch die
Zeitspannen, in denen die Sonne überhaupt die Gebietsfläche Deutschlands oder Mittel-
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 89

Abb. 2.25 Monatsmittlerer Tagesgang des Sonnenstandes (links) und monatsmittlere Bedeckungs-
grade (rechts) im Jahresverlauf an einem süddeutschen Standort (Daten nach [2.16])

europas im Tagesverlauf während der Wintermonate bescheint, kürzer als im Sommer.


Dies wird in Abb. 2.25 deutlich; die linke Seite dieser Grafik zeigt den stundenmittleren
Sonnenstand über dem Horizont im Monatsdurchschnitt an einem Standort in Süddeutsch-
land. Für die Wintermonate ist sowohl der kurze Zeitraum, in dem die Sonne überhaupt
über dem Horizont steht, als auch der im Vergleich zum Sommer niedrigere Sonnenstand
über dem Horizont erkennbar. Dies ändert sich im Sommer, da dann die Nordhalbkugel
der Sonne zugewandt ist.
Da die Schwächung der Solarstrahlung innerhalb der Erdatmosphäre in erster Nähe-
rung proportional dem Strahlungsweg durch die Lufthülle ist, erreicht im Sommer wegen
des höheren mittleren Sonnenstands und damit des durchschnittlich kürzeren Strahlungs-
wegs ein größerer Teil der überhaupt auf die Gebietsfläche Deutschlands am oberen Atmo-
sphärenrand eintreffenden Strahlung auch letztlich die Erdoberfläche. Zusätzlich dazu ist
die Strahlungsabsorption bzw. -reflexion in der Atmosphäre abhängig vom Wassergehalt
in der Atmosphäre und damit von der Bedeckung; d. h. Wasser, das sich in den Luftschich-
ten beispielsweise in Form der Wolken befindet, absorbiert solare Strahlung. Die Bede-
ckung ist jedoch aufgrund der meteorologischen Gegebenheiten, wie sie in Deutschland
bzw. in Mitteleuropa i. Allg. vorherrschen, deutlichen jahreszeitlichen Schwankungen un-
terworfen. Abb. 2.25, rechts, zeigt deshalb die Auftrittswahrscheinlichkeit bestimmter
Bedeckungsgrade im Monatsmittel an einem süddeutschen Standort. Die Bedeckungsgra-
de, die ein meteorologisches Maß für die Bewölkung darstellen, bewegen sich zwischen 0
(wolkenlos) und 8/8 (vollständig bedeckt). Bei einem Vergleich der in Abb. 2.25, rechts,
dargestellten Auftrittswahrscheinlichkeiten wird deutlich, dass im Mittel der Himmel in
den Wintermonaten deutlich stärker bedeckt ist als im Sommer. Diese Aussage lässt sich
vom Grundsatz her im Durchschnitt auch auf andere Standorte und Jahre übertragen.
Zusammengenommen ist folglich der Winter im Vergleich zum Sommer sowohl durch
kürzere Sonnenscheindauern und geringe Strahlungseinfallswinkel als auch im Durch-
schnitt durch eine überproportionale Bedeckung und damit Strahlungsschwächung in der
Atmosphäre gekennzeichnet.
90 B. Geyer et al.

Abb. 2.26 Deterministischer 1000 Wintertag Sommertag


und stochastischer Anteil der
Solarstrahlung schematisch für

Stund emittlere Leis tun g in W/m²


einen Standort in Süddeutsch- 800
land (MEZ Mitteleuropäische
Zeit, MESZ Mitteleuropäische Stochastischer
Sommerzeit; Theo. Theoreti- 600
Anteil
sches; Tatsächl. Tatsächlicher;
nach [2.5])
400 Deterministischer
Anteil
Theo.
Maximum
200
Tatsächl.
Verlauf
Theo.
Minimum
4 8 12 16 20 4 8 12 16 20
Zeit in h (MEZ) Zeit in h (MESZ)

Beeinflusst u. a. durch die dargestellten Zusammenhänge setzt sich die Globalstrahlung


aus einem deterministischen und einem stochastischen Anteil zusammen. Beide Anteile
sind z. T. erheblichen jahres- und tageszeitlichen Unterschieden unterworfen.

 Unter ersterem ist der Anteil der Strahlung zu verstehen, der an einem bestimmten
Standort auf jeden Fall zu erwarten ist (d. h. der Diffusstrahlungsanteil, der bei voll-
ständiger Bedeckung im Verlauf des gesamten Tages eingestrahlt wird).
 Unter letzterem wird der Anteil subsumiert, der zwischen dem deterministischen Anteil
und der natürlicherweise maximal möglichen Strahlung (d. h. maximal mögliche Strah-
lung bei vollständig klarem Himmel während des gesamten Tages) mit einer gewissen
Wahrscheinlichkeit gegeben ist.

Abb. 2.26 zeigt beispielhaft den Verlauf der minimal und maximal möglichen stunden-
mittleren Strahlungsleistung (d. h. Strahlungsleistung bei völlig klarem bzw. vollständig
bedecktem Himmel) an einem Standort in Süddeutschland für die Tage der Winter- und
der Sommersonnenwende. Außerdem enthält die Grafik exemplarisch einen Verlauf der
solaren Strahlungsleistung, wie er realistischerweise an einem derartigen Tag auftreten
könnte. Demnach ist die Bandbreite, innerhalb der die Solarstrahlung während der Tag-
stunden variieren kann, sehr groß; umgekehrt wird darin der doch beachtliche Einfluss der
Bedeckung auf die Strahlungsleistung deutlich. Außerdem bestätigt die Grafik auch die
erheblichen Unterschiede in der stundenmittleren Strahlungsleistung zwischen den ver-
schiedenen Jahreszeiten.
Die Stochastik der Solarstrahlung wird erheblich von den aktuellen groß- und klein-
räumigen meteorologischen Gegebenheiten beeinflusst. Diese Variationen sind daher an
unterschiedlichen nahe beieinander liegenden Zeitpunkten voneinander abhängig. So be-
einflusst die zu einem bestimmten Zeitpunkt vorliegende Bedeckung erheblich die Be-
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 91

Abb. 2.27 Sonnenwegs- 90 21. Jun


21. Mai/Jul
Diagramm für Standorte mit 80 21. Apr/Aug
48ı nördlicher Breite mit ex- 70 12h 21. Mar/Sep
emplarisch eingezeichnetem 21.Jun 21. Feb/Okt

Sonnenhöhe in °
60 10h
Horizont (nach [2.19]) 14h 21. Jan/Nov
50 21. Dez
21.Mar/Sept Horizont
8h
40 16h
Horizont
30
6h 18h
20
21.Dez
10

0
-180 -135 -90 -45 0 45 90 135 180
Nord Ost Süd West Nord
Azimut in °

deckung in der Atmosphäre in der darauffolgenden Stunde. Dieser Einfluss geht aber mit
zunehmender zeitlicher Distanz immer weiter zurück. Dies gilt auch für die räumliche Ab-
hängigkeit; die Bedeckung an unterschiedlichen, geografisch nahe beieinander liegenden
Orten ist in Abhängigkeit von den lokalen Bedingungen über die groß- und kleinräumigen
Zusammenhänge innerhalb der Atmosphäre gekoppelt.
Zur Beurteilung eines konkreten Standortes z. B. für die Installation einer Solaranlage
muss zusätzlich auch die Abschattung der direkten Sonneneinstrahlung u. a. durch Berge,
Gebäude und Bäume berücksichtigt werden. Hierzu werden sogenannte Sonnenwegs-
Diagramme (Abb. 2.27) verwendet. In derartigen Diagrammen ist für einen bestimmten
Breitengrad für den 21. Tag jeden Monats die Sonnenhöhe (d. h. der Winkel zwischen
der Sonneneinstrahlung und der Horizontalen) über dem Sonnenazimut (hier: der Ab-
weichung des Sonnenstandes von der Südrichtung) aufgetragen. Zusätzlich ist noch die
zugehörige Uhrzeit (Ortszeit) für den jeweiligen Sonnenstand angegeben.
In ein solches Sonnenwegs-Diagramm können nun die „Umrisse“ umliegender Erhö-
hungen eingezeichnet werden. Anschließend kann dann die für die Abschattung relevante
Jahres- und Tageszeit abgelesen werden. Beispielsweise kann damit für ein Haus, das z. B.
hohe passive Solarerträge erzielen soll, ermittelt werden, wie es zur optimalen Nutzung
der Sonnenstrahlung aufgestellt werden sollte, damit die Abschattung in den Zeiten, wäh-
rend denen die Sonnenenergie genutzt werden soll, möglichst gering ist.
Entscheidend für den Energieertrag einer Solaranlage ist auch ihre Ausrichtung.
Abb. 2.28 zeigt deshalb die monatliche Globalstrahlungssumme auf unterschiedlich
ausgerichtete Flächen. Demnach trifft auf nach Süden ausgerichtete senkrechte Flächen
in der Heizperiode die höchste Strahlung aller senkrechten Flächen und außerhalb der
Heizperiode eine geringere Einstrahlung als auf senkrechte Ost / West-Flächen. Auf senk-
rechte Nordflächen trifft während der Heizperiode nur diffuse Strahlung. 45ı nach Süden
geneigte Dachflächenfenster haben im Sommer eine sehr hohe Einstrahlung und im Win-
ter ähnelt die Einstrahlung der, die auf die senkrechte Südwand auftrifft. Deshalb haben
z. B. Wintergärten mit nach Süden ausgerichteter Schrägverglasung oft Überhitzungspro-
92 B. Geyer et al.

Abb. 2.28 Globalstrahlung 250

Monatliche Einstrahlung in kWh/m²


auf unterschiedlich ausgerich- zweiachsig nachgeführt
tete senkrechte (Nord, Ost, 200
Süd, West), 45ı geneigte (Süd horizontal
45ı ) und horizontale sowie 150
zweiachsig nachgeführte Flä- Süd 45°
chen für Mitteleuropa (Klima Ost West
100
Graz; nach [2.19])
Süd
50
Nord

0
Jan Feb Mar Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez

bleme während der Sommermonate, wenn die Verglasung über keine Außenverschattung
verfügt. Die oberste Linie zeigt das Maximum einer zweiachsig nachgeführten Fläche. Im
Winter trifft auf die senkrechte Südfläche nur geringfügig weniger Solarstrahlung.

2.3 Umgebungswärme

Wolfgang Streicher und Martin Kaltschmitt

Elektromagnetische Strahlung, wie sie beispielsweise von der Sonne kommt, durchdringt
reine Atmosphärenluft zu einem überwiegenden Anteil (Abb. 2.12). Durch die auf die Erd-
oberfläche auftreffende und dort absorbierte Solarstrahlung erwärmt sich diese. Die hier
in Wärme / thermische Energie umgewandelte Sonnenenergie wird dann teilweise wieder
an die bodennahen Luftschichten abgegeben und heizt diese auf. Damit wird die Luft-
temperatur in den bodennahen Atmosphärenschichten bestimmt durch den konvektiven
Wärmeübergang mit der Erdoberfläche. Deshalb werden im Folgenden zuerst die theo-
retischen Grundlagen der hierbei auftretenden Energieflüsse dargestellt und in weiterer
Folge die entsprechenden Außentemperaturen und deren zeitliche und räumliche Vertei-
lung beschrieben.

2.3.1 Grundlagen

Die physikalischen Vorgänge der Absorption von elektromagnetischer Strahlung (d. h. der
kurzwelligen Solarstrahlung) an Festkörpern und der anschließenden Speicherung in Form
von Wärme ist Voraussetzung zur konvektiven Wärmeabgabe an die bodennahen Luft-
schichten. Bei diesem Energiewandlungsvorgang spricht man auch von photothermischer
Wandlung. Dabei wird unter der Absorption allgemein das Aufnehmen einer Welle (z. B.
elektromagnetische Wellen, wie sie die Solarstrahlung darstellt) in einen Körper oder ei-
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 93

nen Stoff verstanden. Infolge dieser Absorption an der Oberfläche eines Körpers wird die
Energie der elektromagnetischen Welle in innere Energie dieses Körpers umgewandelt.
Dies äußert sich in einem Temperaturanstieg an der Oberfläche. Durch Wärmeleitung in-
nerhalb des Körpers wird die absorbierte Wärme in dem entsprechenden Körper verteilt
und ggf. dort gespeichert.
Steigt die Temperatur des Körpers über die Temperatur der umgebenden Luft, wird
diese Wärme wieder über Wärmestrahlung, Konvektion und Wärmeleitung an die Umge-
bung abgegeben. Damit strebt ein derartiges System im Verlauf längerer Zeiträume immer
ein Gleichgewicht an, bei dem der Wärmeeintrag durch Absorption und die Wärmeabgabe
an die Umgebungsluft gleich groß sind; infolge der Speicherwirkung des Bodens und des
Wassers kann es zu zeitlichen (und bei Ozeanen infolge der Meeresströmungen auch zu
räumlichen) Variationen zwischen Wärmeein- und -austrag kommen.
Nachfolgend werden die wesentlichen Prozesse, die diese Energiebilanz der Erdober-
fläche bestimmen, in Bezug auf den Einfluss auf die Außentemperatur diskutiert.

Absorption und Reflexion Trifft elektromagnetische Strahlung (z. B. Solarstrahlung)


auf die Oberfläche eines nicht-transparenten (opaken) Körpers, wird ein Teil absorbiert
und der verbleibende Anteil reflektiert. Der absorbierte Anteil führt dabei zu einer Erwär-
mung der Oberfläche dieses Körpers; dies entspricht einer Speicherung. Abb. 2.29 zeigt
die durch diese Vorgänge an der Oberfläche eines nicht für solare Strahlung transparenten
Festkörpers (z. B. Boden) sich ergebende Aufteilung der auftretenden Energieströme.

 Die absorbierte Strahlung kann mithilfe des Absorptionsgrades ˛ berechnet werden.


Hier wird er nach Gleichung (2.17) definiert als das Verhältnis der von einem Kör-
per / einem Material absorbierten (GP˛ ) zur auf den Körper / das Material einfallenden
Strahlung (GPG ).
GP ˛
˛D (2.17)
GP G

 Die reflektierte Strahlung berechnet sich mittels des Reflexionskoeffizienten . Er ist


entsprechend Gleichung (2.18) festgelegt als das Verhältnis der von einem Körper /
opaker Festkörper Umgebungsluft

Abb. 2.29 Aufteilung der


Energieströme an der Oberflä-
che eines bestrahlten opaken Solar-
Körpers strahlung Reflexion

Absorption
Wärmeleitung

Speicherung
94 B. Geyer et al.

einem Material reflektierten (GP ) zu der auf den Körper / das Material einfallenden So-
larstrahlung (GPG ). Ist die Reflexion rein diffus, wie es bei nicht verspiegelten Körpern
der Fall ist, wird der Reflexionskoeffizient auch Albedo (AG ) genannt.

GP 
D (2.18)
GP G

Aufgrund der Energieerhaltung ist die Summe des Absorptionsgrades ˛ und des Re-
flexionskoeffizienten  beim bestrahlten opaken Körper immer gleich eins (Gleichung
(2.19); [2.2]).

˛ C  D 1 bzw: ˛ D1 (2.19)

Strahlungsemission Jeder Körper / jede Materie steht mit seiner / ihrer Umgebung (z. B.
den umgebenden Flächen) in einem Strahlungsaustausch. Dabei steigt die abgegebene
Strahlungsleistung mit der Temperaturdifferenz zwischen dem Körper (hier: Absorber)
und den Umgebungsflächen. Das Wellenlängenspektrum und die Strahlungsleistung der
abgegebenen Strahlung eines Körpers selber ist dabei abhängig von der Temperatur des
jeweiligen Körpers / der jeweiligen Materie (hier: Absorber); generell gilt, dass je höher
die Temperatur des Körpers ist, desto kurzwelliger und damit energiereicher wird das
Strahlungsspektrum.
Abb. 2.30 zeigt exemplarisch den Vergleich zwischen emittierter Strahlungsintensi-
tät und Wellenlängenspektrum eines idealen schwarzen Körpers bei knapp 5 800 K (d. h.
ca. 5 500 ı C; dies entspricht annähernd der Temperatur, die auf der Sonne dort vorherrscht,

9,0
Körpers bei 5 500 ° C in 107 W/(m² μm)
Strahlungsintensität des schwarzen

Strahlungsintensität des schwarzen

8,0 25
Körpers bei 15 ° C in W/(m² μm)

T = 5 500 ° C
7,0 Sonne
20
6,0 T = 15 ° C
Erdoberfläche
5,0 15

4,0
10
3,0
sichtbares Licht
violett 0,38 μm

rot 0,75 μm

2,0
5
1,0

0,0 0
0,1 1 10 100
Wellenlänge in μm

Abb. 2.30 Strahlungsspektrum und Intensität von zwei schwarzen Körpern unterschiedlicher Tem-
peratur (linke Kurve und linke Achse: Sonne 5 500 ı C (knapp 5 800 K) mit eingezeichnetem Bereich
des sichtbaren Lichtes; rechte Kurve und rechte Achse: mittlere Erdoberflächentemperatur 15 ı C; T
Temperatur)
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 95

wo die Solarstrahlung emittiert wird; siehe Kapitel 2.2) und einem Körper mit 288 K
Oberflächentemperatur (d. h. 15 ı C; dies entspricht der mittleren Temperatur der Erdober-
fläche). Ebenfalls ist der Bereich des sichtbaren Lichtes im Solarspektrum zwischen 0,38
und 0,75 m Wellenlänge eingezeichnet; d. h. die höchste solare Strahlungsintensität ist
im Bereich des sichtbaren Lichtes gegeben.
Aus der Kirchhoff’schen Regel, die besagt, dass in einem bestimmten Knotenpunkt
eines Netzwerkes die Summe der dort zufließenden Ströme gleich der Summe der dort
abfließenden Ströme ist, folgt, dass der Absorptionsgrad eines Körpers gleich dem Emis-
sionskoeffizienten bei gleicher Wellenlänge sein muss. Dabei kann u. a. zwischen schwar-
zen, grauen und farbigen Körpern unterschieden werden.

 Ein schwarzer Körper absorbiert die einfallende Solarstrahlung vollständig (Absorpti-


onsgrad ˛ über alle Wellenlängen gleich eins) und wärmt sich dabei auf. Der Emissi-
onskoeffizient " ist ebenfalls über alle Wellenlängen eins (Gleichung (2.20)). Da die
von einem Körper / von Materie emittierte Strahlung von der Oberflächentemperatur
des Körpers / der Materie zur vierten Potenz abhängt, ist die einfallende Solarstrahlung
wesentlich größer als die emittierte Strahlung der Erdoberfläche. Durch die zusätzliche
Wärmeabgabe über Konvektion und Wärmeleitung kommt es aber bereits bei relativ
geringen Körperübertemperaturen zur Umgebung zu einem Ausgleich der aufgenom-
menen und abgegebenen Energieströme.

˛"1 (2.20)

 Ein grauer Körper absorbiert nur einen Teil der einfallenden Strahlung; es liegt aber
keine Abhängigkeit der Absorption von der Wellenlänge  vor. „Graue“ Materie mit
einem hohen Absorptionsgrad ˛ in einem bestimmten Wellenlängenbereich – und da-
mit bei einer bestimmten Temperatur T – zeigt im gleichen Wellenlängenbereich bzw.
bei der gleichen Temperatur T auch einen hohen Emissionskoeffizienten " [2.2]. Hier
gilt Gleichung (2.21).

˛ .T / D " .T / (2.21)

 Farbige Körper absorbieren über die im Solarspektrum vorhandenen unterschiedlichen


Wellenlängen  unterschiedlich viel Strahlungsenergie. Unter diesen Bedingungen gilt
Gleichung (2.22).

˛ .; T / D " .; T / (2.22)

Die emittierte (d. h. abgegebene) Wärmestrahlung eines Körpers I " kann bezogen wer-
den auf die Emission des schwarzen Körpers I ";schwarz . Dieses Verhältnis ist dann der
Emissionskoeffizient " (Gleichung (2.23)).
I"
"D (2.23)
I";schwarz
96 B. Geyer et al.

Der emittierte Wärmestrom qP" ist proportional zur vierten Potenz der Temperatur T.
Folglich hängt der Energieaustausch zwischen einem Körper K / einer Materie K und
den ihn umgebenden Flächen U von der Temperaturdifferenz der jeweiligen Tempera-
turen zur vierten Potenz ab und lässt sich für einen grauen Körper nach Gleichung (2.24)
darstellen [2.2]. Hierbei ist " der äquivalente Emissionskoeffizient beider Flächen zu-
einander sowie T K und T U die Temperaturen (in K) des Körpers K / der Materie K und
der jeweils ihn umgebenden Gegenstrahlungsfläche U;  ist die Stefan-Boltzmann-Kon-
stante (5;67  108 W=.m2 K4 /). F K;U ist der Sichtwinkel, unter dem sich die jeweils im
Strahlungsaustausch befindlichen Flächen „sehen“. Wird der emittierte Wärmestrom bei-
spielsweise ohne weitere Hindernisse (z. B. Bäume) gegen den Himmel abgestrahlt, ist
der Sichtwinkel in diesem Fall eins.
 
qP".K;U / D FK;U "  TK4  TU4 (2.24)

Der äquivalente Emissionskoeffizient " ergibt sich z. B. bei zwei großen gegenüber
liegenden parallelen Flächen i und j nach Gleichung (2.25).

1
"D (2.25)
1
"i
C 1
"j
1

Feste Körper / feste Materie, die Solarenergie absorbieren (hier: primär die Boden-
oberfläche), verhalten sich i. Allg. wie farbige Körper, die über die im Solarspektrum
vorhandenen verschiedenen Wellenlängen unterschiedlich viel Strahlungsenergie absor-
bieren und emittieren. Zusätzlich reflektieren sie in der Regel den entsprechenden Anteil
der elektromagnetischen Strahlung diffus (d. h. richtungsunbestimmt). Sie unterscheiden
sich damit stark von schwarzen Körpern und auch von grauen Körpern.
Farbige Körper haben unterschiedliche Absorptionsgrade im sichtbaren Bereich der
Solarstrahlung. So absorbiert z. B. ein grüner Körper (beispielsweise Pflanzen) alle Wel-
lenlängen bis auf den grünen Bereich, der reflektiert wird; daher erscheint dieser Körper,
wenn er mit dem menschlichen Auge betrachtet wird, als grün. Zudem sind oft die Koef-
fizienten für die Absorption kurzwelliger und die Emission langwelliger Strahlung unter-
schiedlich. Dabei handelt es sich bei der Solarstrahlung zu einem großen Teil um kurz-
wellige Strahlung, die beim Strahlungsaustausch zwischen Körpern auf der Erde kaum
auftritt (Ausnahme: in Schneesituationen durch den hohen reflektierten Anteil), da vorwie-
gend langwellige Wärmestrahlung ausgetauscht wird. Während der kurzwellige Teil des
Solarspektrums vorwiegend absorbiert wird, gibt der Körper durch Emission vorwiegend
langwellige Strahlung an die Umgebung ab. Da der Energiegehalt lang- und kurzwelli-
ger Strahlung unterschiedlich ist, macht sich dies bei den entsprechenden Koeffizienten in
Form starker Unterschiede bemerkbar.

Verteilung der absorbierten Energie im Körper Die lokal durch Absorption der Son-
nenstrahlung an der Körper- / der Materialoberfläche aufgebaute innere Energie wird teil-
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 97

weise durch Wärmeleitung im Körper / im Material verteilt. Diese Verteilung der thermi-
schen Energie durch Wärmeleitung erfolgt in der Theorie so lange, bis sich eine über den
ganzen Körper konstante Temperatur eingestellt hat. Die dann gespeicherte Energie zeigt
auch Abb. 2.29; sie ist dort durch die graue Fläche unterhalb der schematisch gezeigten
Festkörperoberfläche dargestellt. Eine solche konstante Temperatur im gesamten Körper /
in der gesamten Materie kann jedoch nur erreicht werden, wenn die Umgebungstempe-
ratur gleich der Temperatur des Körpers ist – und damit nur nach unendlich langer Zeit
und unter konstanten Bedingungen. In der Realität wird sich die absorbierende Oberflä-
che (hier: die Bodenoberfläche) bei solarer Einstrahlung jedoch stets stärker aufwärmen
als der restliche Körper (hier: die tieferen Bodenschichten). Steigt die Temperatur dieser
(Boden-)Oberfläche über die der Umgebungstemperatur, findet sowohl eine Wärmeleitung
in den Körper / die Materie (d. h. die Wärme „wandert“ in größere Bodentiefen) als auch
eine Wärmeabgabe an die Umgebungsluft / die bodennahen Luftschichten über Wärme-
strahlung, Konvektion und Wärmeleitung statt. Sind Wärmeaufnahme und Wärmeabgabe
gleich, bleibt die Temperatur des Körpers konstant. Ist die Abgabe größer als die Aufnah-
me, sinkt die Temperatur des Körpers und die gespeicherte Wärme wird an die Umgebung
abgegeben; entsprechend ist auch der umgekehrte Fall möglich. Dabei gilt in jedem Mo-
ment immer die Energieerhaltung.
Diese Vorgänge der Wärmeleitung und Speicherung können durch den Fourier-
schen Erfahrungssatz der Wärmeleitung beschrieben werden. Exemplarisch beschreibt
Gleichung (2.26) die eindimensionale und stationäre Wärmeleitung q. P  ist die Wärme-
leitfähigkeit,  die Temperatur und x die Distanz der Wärmeleitung.

@
qP D  (2.26)
@x
Die Differenz des aus einem Speicherelement ein- und ausfließenden Wärmestroms
P
@q=@x führt zu einer Erwärmung bzw. Abkühlung des Körpers / der Materie. Dies be-
schreibt Gleichung (2.27) [2.3]. Demnach ist die in einem Körper speicherbare Energie-
menge neben den Temperaturen  von Körper / Materie und Umgebungsflächen auch von
den materialspezifischen Größen Wärmekapazität cp;Sp , Dichte Sp , der Wärmeleitfähig-
keit Sp des Körpers Sp / der Materie Sp und der Lade- und Entladezeit t abhängig. Steht
beispielsweise nur eine kurze Zeitspanne für Aufheizung und Abkühlung zur Verfügung,
wärmt sich der Körper nur an der Oberfläche auf; dann ist die insgesamt aufgenommene
Energiemenge gering.
@qP @2  @
D Sp 2 D Sp cp;Sp (2.27)
@x @x dt

Wärmeaustausch durch Konvektion Zu einem konvektiven Wärmeübergang von ei-


nem Medium auf ein anderes kann es nur dann kommen, wenn sich zumindest eines der
beiden involvierten Medien bewegen kann. Eine solche Bewegung kann auf natürlichem
Weg entstehen; dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn sich über Wärmeleitung von
einem Festkörper zu einem Fluid (Flüssigkeit oder Gas) dieses erwärmt und sich somit
98 B. Geyer et al.

ausdehnt. Da das erwärmte Fluid infolge der höheren Temperaturen nun leichter ist als das
weiter von der wärmeabgebenden Fläche entfernte, entsteht ein Auftrieb; d. h. das Fluid
strömt nach oben. In diesem Fall spricht man von Naturkonvektion (wird eine Strömung
über Ventilatoren oder Pumpen aufgeprägt, handelt es sich folglich um eine erzwungene
Konvektion).
Die treibende Kraft des konvektiven Wärmeübergangs ist die Temperaturdifferenz zwi-
schen dem Festkörper Festkörper (hier: der Boden) und dem Fluid Fluid (hier: die Um-
gebungsluft). Diese Temperaturdifferenz wird mit der konvektiven Wärmeübergangszahl
U konv multipliziert (Gleichung (2.28)), um den konvektiven Wärmestrom qPkonv zu erhal-
ten. Die Wärmeübergangszahl U konv (Einheit W=.m2 K/) beschreibt die flächenspezifische
Wärmeübertragungsleistung (d. h. pro Quadratmeter Übertragungsfläche) und pro Kelvin
Temperaturdifferenz. Der konvektive U-Wert ist abhängig von der Geometrie der Wärme-
übergangsfläche, vom Fluid bzw. wie leicht sich dessen Moleküle bewegen können (d. h.
der Viskosität), wie viel Wärme pro Volumeneinheit vom Fluid transportiert wird und
ebenso von der Temperaturdifferenz zwischen dem Festkörper und dem Fluid, da sich die
Bewegung des Fluids bei steigender Temperaturdifferenz erhöht.
 
qPkonv D Ukonv Festkörper  Fluid (2.28)

Erwärmung / Abkühlung der bodennahen Luft Die Temperatur der Umgebungsluft an


der Erdoberfläche (d. h. der bodennahen Luftschichten) ergibt sich durch einen konvekti-
ven Wärmeübergang mit der Erdoberfläche, da sowohl die kurzwellige Solarstrahlung als
auch die langwellige Abstrahlung der Erdoberfläche von der Außenluft vernachlässigt
werden können.
Abb. 2.31 zeigt die für die Energiebilanz an der Erdoberfläche wesentlichen Energie-
flüsse. Die Solarstrahlung GP G;g;a wird abhängig vom Reflexionskoeffizienten  bzw. von
der Albedo AG (d. h. dem Verhältnis von reflektierter zu eingefallener Globalstrahlung,
Kapitel 2.2) an der Erdoberfläche (d. h. vom Boden) absorbiert und führt dort zu einer

Kurzwellige Strahlungsbilanz
Wärmebilanz der Erdoberfläche
der Erdoberfläche
langwelliger Strahlungs- konvektiver Wärme-
G,g,a austausch mit Himmels- übergang – erwärmt oder
solare
Einstrahlung Reflexion der solaren temperatur (Weltall, kühlt die bodennahe Luft
kurzwellig Einstrahlung (kurzwellig) Staubteilchen (Aerosole) je nach Temperatur von
zum Weltall und Treibhausgase) Oberfläche und angren-
Erdoberfläche (zumeist Auskühlung) zender Luft

Wärmebilanz Erdoberfläche wärmer als Erdreich:


absorbierte Strahlung
Æ Wärmeleitung in das Erdreich
Erdreich führt zu einer Aufheizung
der Erdoberfläche Erdoberfläche kälter als Erdreich:
Æ Wärmeleitung aus dem Erdreich

Abb. 2.31 Energieflüsse an der Erdoberfläche (die einzelnen Mechanismen sind im Text erklärt;
dort findet sich auch die jeweilige mathematische Beschreibung der entsprechenden Zusammen-
hänge)
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 99

Erdreich Ton/Schluff Juni sonnig Erdreich Ton/Schluff Januar Nebel

Luft
Luft
-0,3 -0,3
Wärmefluss 3:00 23:00 15:00 Wärmefluss
-0,1 5,364 kWh/d↑ 3:00 23:00 19:0011:00 15:00 Erdober- -0,1 Erdober-
0,609 kWh/d↑
0,1 0,118 kWh/d ↓ 7:00 fläche 0,1 19:00 0,097 kWh/d↑ fläche
7:00
11:00
0,3 0,3

Erdreich

Erdreich
Tiefe in m

Tiefe in m
0,5 0,5
0,7 0,7
0,9 0,9
1,1 1,1
absorbierte Solarstrahlung absorbierte Solarstrahlung
1,3 5,482 kWh/(m 2d) 1,3 0,512 kWh/(m 2d)
1,5 1,5
0 5 10 15 20 25 30 35 -7 -5 -3 -1 1 3 5 7
Temperatur in °C Temperatur in °C

Abb. 2.32 Tageszeitlicher Verlauf der Erdoberflächen- und Erdtemperaturen sowie der tagesmittle-
ren Energieflüsse für einen wolkenlosen Sommertag (links) und einen nebeligen Wintertag (rechts)
(im Sommerfall fließt netto Wärme in die Erde (d. h. es wird nur ein Teil der im Tagesverlauf
eingestrahlten Energie in Form von Wärme wieder an die bodennahe Atmosphäre abgegeben; im
dargestellten Beispiel fließen 0,118 kWh/d in die Erde und bedingen hier den in der linken Darstel-
lung deutlich werdenden Temperaturgradienten mit zunehmender Tiefe unter der Erdoberfläche);
im Winterfall fließt Wärme dagegen netto aus dem Erdreich in die oberflächennahe Umgebung
(d. h. der von der Erdoberfläche an die Umgebung abgegebene Wärmefluss setzt sich aus der ab-
sorbierten Solarstrahlung und dem Wärmestrom aus der Erde zusammen; im dargestellten Beispiel
fließen 0,097 kWh/d aus dem oberflächennahen Erdreich zur Erdoberfläche und bedingen den auf
der rechten Darstellung deutlich werdenden Temperaturverlauf im oberflächennahen Erdreich)) (ei-
gene Berechnungen)

Erwärmung. Erwärmt sich die Erdoberfläche nun über die Temperatur der darunterliegen-
den Bodenschichten, findet ein Wärmefluss in die Erde statt (d. h. in Richtung tieferer
Erdschichten). In der Nacht (d. h. keine kurzwellige Einstrahlung) kühlt sich die Erdober-
fläche dann infolge langwelliger Abstrahlung und konvektiver Wärmeabgabe wieder ab
und der Wärmefluss dreht sich von den Bodenschichten an die Erdoberfläche um. Die
Erde fungiert somit als Speichermasse sowohl über die tageszeitlichen als auch für die
jahreszeitlichen Schwankungen der solaren Einstrahlung. Der Wärmefluss und die Spei-
cherung in der Erde kann mit Gleichung (2.27) beschrieben werden. Die Eindringtiefe der
Temperaturschwankung ist dabei von der Wärmeleitfähigkeit , der spezifischen Wärme-
kapazität cp und der Dichte  des Erdreichs sowie dem Zeitraum der Schwankung t (d. h.
der Zeit) abhängig.
Bedingt durch den kurzen Zeitraum der tageszeitlichen Schwankungen beträgt die Ein-
dringtiefe der Temperaturschwankung in die Erdschichten typischerweise nur maximal
50 cm. Abb. 2.32 zeigt exemplarisch die Temperaturverläufe über einen wolkenlosen Som-
mertag und einen nebeligen Wintertag für einen gut wärmeleitfähigen tonig / schluffigen
Boden. Demnach ist im Sommer die Bodenoberfläche generell wärmer als der tiefe Bo-
den und der Wärmefluss geht von der Oberfläche in die tieferen Erdschichten, die sich
langsam aufwärmen. Deutlich wird auch die große Erwärmung tagsüber aufgrund der ho-
hen und langen solaren Einstrahlung. Im Winter hingegen kühlen sich diese Erdschichten
ab und der Wärmefluss geht von den tieferen Schichten in Richtung Erdoberfläche (d. h.
100 B. Geyer et al.

er kehrt sich im Vergleich zum Sommer um). Durch den angenommenen nebeligen Tag
gibt es kaum solare Einstrahlung und die Schwankung der Erdoberflächentemperatur ist
gering.
Die Erdoberfläche steht zudem im langwelligen Strahlungsaustausch mit den jewei-
ligen „Umschließungsflächen“ nach Gleichung (2.24) und in einem konvektiven Wärme-
austausch mit der umgebenden Luft nach Gleichung (2.20); es gilt Festkörper D Erdoberfläche
und Fluid D Luft . Bei einem klaren Nachthimmel sind die Umschließungsflächen für den
langwelligen Strahlungsaustausch neben Staubteilchen und Wassertröpfchen in der At-
mosphäre in verschiedenen Höhen auch die die Erde umgebenden Massen im Weltall. Da
diese alle eine unterschiedliche Temperatur haben, spricht man hier von einer mittleren
Himmelstemperatur T Himmel . In klaren Nächten beträgt diese zwischen 20 und 40 ı C;
sie ist damit wesentlich niedriger als die Erdoberflächentemperatur; dies führt zu einer
Wärmeabgabe und damit Auskühlung der Erdoberfläche. Dabei kühlt sich bei einem kla-
ren Nachthimmel die Erdoberfläche viel stärker ab als in bewölkten Nächten, an denen die
Himmelstemperatur aufgrund der Wassertröpfchen der tieferliegenden Wolken wesentlich
höher ist.
Der konvektive Wärmeübergang parallel zum langwelligen Strahlungsaustausch findet
zwischen der Erdoberfläche und der umgebenden Luft statt; d. h. bei einer Erwärmung
der Erdoberfläche durch solare Einstrahlung erwärmt sich auch die die Erdoberfläche
unmittelbar umgebende Luft. Dieser konvektive Wärmeübergang bestimmt primär die
Lufttemperatur. In der Nacht kühlt sich die Erdoberfläche aufgrund der langwelligen Ab-
strahlung unter die Umgebungsluft ab und entzieht ihr somit Wärme. Ohne das Einbringen
von Luft mit anderen Temperaturen durch Wind kühlt sich somit die Außenluft in der
Nacht immer mehr ab, bis am nächsten Morgen die Solarstrahlung die Erdoberfläche wie-
der aufheizt. Die Außenluft hat damit ihre niedrigste Temperatur kurz vor Sonnenaufgang.
Am wärmsten ist es aufgrund der Speichermasse der Erde zwischen 13:00 und 15:00 (Son-
nenzeit). Dieser Speichermasseneffekt des Erdreichs zeigt sich auch in der jahreszeitlichen
Schwankung der Außenlufttemperatur. Deshalb ist in unseren Breiten typischerweise der
kälteste Monat der Januar, obwohl die potenziell geringste Solarstrahlung am 21. Dezem-
ber auftritt; entsprechend ist der heißeste Monat der Juli trotz einer potenziell maximalen
Solarstrahlung am 21. Juni.
Parallel dazu ist die Außenlufttemperatur natürlich auch von den klein- und großräu-
migen Atmosphärenbewegungen abhängig; so kann z. B. trotz sternklarer Nacht aufgrund
einer eintreffenden Warmfront die Temperatur in der Nacht zunehmen.
Als Beispiel für diese Zusammenhänge zeigt Abb. 2.33 den Verlauf von Solarstrahlung
(global und diffus), Außenlufttemperatur und relativer Luftfeuchtigkeit im Verlauf von 5
aufeinanderfolgenden Tagen. Am Tag 1 ist das Wetter tendenziell bewölkt und es herrscht
nur zeitweise direkter Sonnenschein; nur dann gibt es einen Direktstrahlungsanteil und die
Globalstrahlung ist höher als die Diffusstrahlung. Durch die solare Einstrahlung heizt sich
die Außenluft aufgrund der oben beschriebenen Mechanismen auf. In der Nacht zwischen
Tag 1 und Tag 2 sowie zwischen Tag 2 und Tag 3 kühlt sich die Luft aufgrund eines kla-
ren Nachthimmels stark ab. Die niedrigste Außenlufttemperatur tritt kurz vor Sonnenauf-
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 101

1000 30
Tag 1 Tag 2 Tag 3 Tag 4 Tag 5
900 Globalstrahlung
Diffusstrahlung 25
re lativ e Luftfe uchte in % 800

Außenlufttemperatur in °C
relative Luftfeuchtigkeit
Außenlufttemperatur
Strahlung in W/m²,

700
20
600

500 15

400
10
300

200
5
100

0 0
24 12 24 12 24 12 24 12 24 12 24
Tagesstunde in h

Abb. 2.33 Solarstrahlung (global und diffus), relative Luftfeuchtigkeit und Außentemperatur über
5 Tage (Daten nach [2.72])

gang auf. Tag 2 ist klar und wolkenlos; der Diffusstrahlungsanteil ist hier nur gering und
die Globalstrahlung ist durch einen hohen Direktstrahlungsanteil gekennzeichnet; damit ist
auch die Außenlufttemperatur entsprechend hoch; sie folgt aber aufgrund der beschriebe-
nen Speichermasseneffekte mit einem Zeitversatz von ca. drei Stunden der Einstrahlung. Da
sich die absolute Luftfeuchtigkeit kaum ändert, sinkt mit steigender Lufttemperatur auch
die relative Luftfeuchte. Tag 3 ist ebenfalls durch schönes und wolkenloses Wetter gekenn-
zeichnet. Allerdings ist hier entweder eine leichte Bewölkung oder mehr Dunst in der At-
mosphäre. Dies führt aufgrund der Strahlungsreflexion an den Staubteilchen zu einer Ver-
ringerung der Einstrahlung und zu einer Erhöhung des Diffusstrahlungsanteils. Tag 4 ist
bewölkt und zeigt deshalb nur eine sehr geringe direkte Solarstrahlung und Tag 5 ist ein reg-
nerischer Tag mit geringer und rein diffuser Einstrahlung. Deutlich wird, dass, je geringer
die Globalstrahlung ist, desto geringer auch die Aufheizung der Außenluft ist. Allerdings
kühlt sich die Luft auch in der Nacht aufgrund tiefstehender Wolken mit einer Gegenstrah-
lungstemperatur um die Erdoberflächentemperatur nicht ab. Den jahreszeitlichen Verlauf
der Erdreichtemperatur zeigt exemplarisch Abb. 2.104.
Die gleiche Energiebilanz kann prinzipiell auch an Wasseroberflächen aufgestellt wer-
den. Primäre Unterschiede zum Erdreich sind die geringere Albedo und damit größere
Strahlungsabsorption an der Wasseroberfläche und die größere Eindringtiefe der Tempe-
raturschwankungen (und damit höhere Wärmespeicherfähigkeit des Wassers) aufgrund
höherer Werte u. a. für der Wärmeleitfähigkeit  und dem höheren Produkt aus spezifi-
scher Wärmekapazität cp und der Dichte  im Vergleich zum Erdreich. Damit heizt sich
die Luft über Gewässern tagsüber nicht so stark auf wie an Land und kühlt auch nachts
nicht so stark aus. Diese Temperaturdifferenz von Luft über Erdreich- und Wasseroberflä-
chen ist der Grund für den tageszeitlichen Verlauf von Land- und Seewind (Abb. 2.45).
102 B. Geyer et al.

2.3.2 Räumliche und zeitliche Angebotscharakteristik

Temperaturmessung Die Temperatur kann berührend und berührungslos gemessen wer-


den; beide Möglichkeiten werden nachfolgend kurz diskutiert.

 Bei der berührenden Messung berührt das Temperaturmessgerät das zu messende Me-
dium und über Wärmeleitung, in flüssigen Medien auch Konvektion und in gasförmi-
gen Medien zusätzlich Strahlungsaustausch, stellt sich im Messfühler des Messgerätes
nach unendlich langer Zeit die gleiche Temperatur wie in dem zu messenden Medium
ein. Als Messprinzipien kommen infrage
– die Wärmeausdehnung von Medien mit der Temperatur (z. B. Quecksilberthermo-
meter),
– die Änderung des elektrischen Widerstandes von Leitern mit der Temperatur (Wi-
derstandsthermometer; z. B. mit Platin Pt100 oder Pt1000 mit jeweils 100 bis
1 000  Nennwiderstand bei 0 ı C) oder
– ein Stromkreis (Thermoelemente), bei dem mit zwei verschiedenen elektrischen
Leitern bei unterschiedlichen Temperaturen an den jeweiligen Kontaktstellen eine
Spannung entsteht, die von der Temperaturdifferenz abhängig ist; das hier am häu-
figsten eingesetzte Stoffpaar sind Nickel-Chrom / Nickel (Typ K).
Die Temperaturmessung erfolgt aufgrund des langsamen Wärmetransports von Medi-
um zu Messfühler / Messgerät bei der berührenden Messung verzögert. Hinzu kommt,
dass auch das Messgerät selber eine gewisse thermische Trägheit hat. Deshalb sollte
das Messgerät immer fest mit dem zu messenden Gegenstand verbunden (angepresst)
sein. Auch muss bei schnellen Messungen angestrebt werden, dass der eigentliche
Messfühler nur eine sehr geringe Masse – und damit auch Trägheit – aufweist.
 Die berührungslose Messung macht sich die langwellige Strahlung, die jeder Kör-
per abgibt, zunutze; d. h. konzeptbedingt können keine Gastemperaturen und damit
auch keine Lufttemperaturen gemessen werden. Das Wellenlängenspektrum, das von
einer Körperoberfläche ausgeht, ist von der Höhe der Temperatur abhängig (Kapi-
tel 2.3.1). Die Messung dieses Wellenlängenspektrums kann ohne Zeitverzögerung
erfolgen. Allerdings wird damit von einem entsprechenden Messgerät nicht die ei-
gentliche Temperatur des Objektes gemessen; vielmehr wird systembedingt nur die
Strahlung messtechnisch erfasst, die aus der Richtung des Objektes kommt. Diese
kann zusätzlich zum Messobjekt selbst auch aus an der Oberfläche des Messobjektes
reflektierter Strahlung bestehen. Heute häufig eingesetzte Messgeräte sind Infrarot-
Pyrometer und Thermographiekameras.

Für die Messung der Außenlufttemperatur müssen berührende Messgeräte eingesetzt


werden. Bei derartigen Systemen kann aber der Messwert durch verschiedene Effekte
stark verfälscht werden. Trifft auf den Messfühler beispielsweise zusätzlich Solarstrah-
lung, dann heizt er sich aufgrund der entsprechenden Strahlungsabsorption über die Luft-
temperatur auf. Wird der Messfühler demgegenüber durch z. B. Regen befeuchtet, wird die
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 103

zumeist gegenüber der Lufttemperatur niedrigere Feuchttemperatur der Luft gemessen.


Liegt im Unterschied dazu Schnee auf dem Messfühler, wird ebenfalls nicht die wirkliche
Lufttemperatur gemessen. Aus diesen Gründen muss der Messfühler einer Lufttempe-
raturmessstelle abgeschattet, belüftet und regen- bzw. schneegeschützt montiert werden;
diese Anforderung kann z. B. durch ein luftdurchlässiges Gehäuse realisiert werden. Da-
mit sich das Gehäuse selbst nicht durch Solarstrahlung aufheizt, muss es weiß und damit
für Solarstrahlung hochreflektierend gestrichen sein und viele Luftdurchlässe aufweisen,
damit sich die Lufttemperatur im Gehäuse möglichst gering von der Außentemperatur un-
terscheidet. Außenlufttemperaturfühler sollten ebenfalls nicht in der Nähe von Fenstern
oder Lüftungsauslässen montiert sein, da hier ebenfalls andere Temperaturen auftreten
können als in der ungestörten Außenluft.

Räumliche Temperaturverteilung Weltweit werden an einer nicht überschaubaren


Vielzahl an Standorten die bodennahen Lufttemperaturen gemessen. Werden Teile dieser
messtechnisch erfassten Temperaturwerte, die als Momentanwerte und / oder als stünd-
liche, tägliche oder monatliche Mittelwerte vorliegen können, jeweils über das Jahr
aufsummiert und daraus dann die langjährigen Mittelwerte gebildet, erhält man die an
diesem Standort durchschnittlich zu erwartenden Jahrestemperaturen. Deren regionale
Verteilung im globalen Kontext bzw. innerhalb des deutschsprachigen Raums zeigen die
Abb. 2.34 und 2.35.
Abb. 2.34 macht deutlich, dass die bodennahen Lufttemperaturen im Jahresmittel vom
Äquator in Richtung Nord- bzw. Südpol merklich abnehmen. Typischerweise werden die
höchsten Lufttemperaturen in den Tropen und in den daran Richtung Norden und Sü-
den anschließenden Subtropen gemessen. Ausnahmen bilden hier typischerweise nur hohe

Abb. 2.34 Durchschnittliche Jahresmitteltemperaturen im globalen Kontext (Daten nach [2.14])


104 B. Geyer et al.

Abb. 2.35 Verteilung der langjährigen Mittelwerte bodennaher Lufttemperaturen im deutschspra-


chigen Raum (Daten nach [2.17])

Berge (z. B. Anden, Himalaya). Die nun in nördlicher und südlicher Richtung folgenden
gemäßigten Breiten sind mit einem zunehmenden Äquatorabstand durch entsprechend sin-
kende Durchschnittstemperaturen gekennzeichnet, die mit zunehmender Polnähe immer
weiter abnehmen.
Ähnliche Tendenzen, wie sie in Abb. 2.34 auf globaler Ebene deutlich werden, zeigt
auch Abb. 2.35 für den deutschsprachigen Raum. Hier fällt zunächst auf, dass der Süden
durch Bereiche mit sehr geringen Jahresmitteltemperaturen gekennzeichnet ist; dies ist
auf die Höhenlagen der Alpen zurückzuführen, da die Jahresdurchschnittstemperatur mit
zunehmender Höhe über Grund i. Allg. zurückgeht. Aus vergleichbaren Gründen wer-
den auch in der Mitte Deutschlands verschiedene Gebietsflächen mit relativ geringeren
Temperaturen deutlich; dies ist auf die hier vorkommenden Mittelgebirge zurückzuführen
(z. B. Harz, Thüringer Wald, Erzgebirge). Erkennbar ist auch die norddeutsche Tiefebe-
ne, die nur geringe Temperaturunterschiede aufweist. Dagegen ist die Kölner Bucht durch
leicht höhere Jahresmittelwerte der Lufttemperatur gekennzeichnet. Entsprechend hohe
durchschnittliche Temperaturen werden auch im Oberrheingraben und im Wiener Becken
gemessen.
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 105

Zeitliche Variationen Die bodennahen Lufttemperaturen können an einem bestimmten


Standort erheblichen zeitlichen Schwankungen unterworfen sein; dies gilt im Stunden-,
Tages-, Monats- und im Jahresverlauf – und zusätzlich kann es zwischen verschiedenen
Jahren zu merklichen Unterschieden kommen.
Abb. 2.36 verdeutlicht diese zeitliche Variabilität der Lufttemperatur anhand von Mess-
werten exemplarisch für einen Standort in Norddeutschland. Der Jahresgang der tages-
mittleren Temperaturen ist dabei durch ein geringes Temperaturniveau in den Winter-
monaten und durch merklich höhere Werte im Verlauf des Sommers gekennzeichnet;
beispielsweise liegen in Abb. 2.36 die monatsmittleren Werte im Januar knapp über 0 ı C
und im Juli bei etwa 20 ı C. Jedoch werden z. T. erhebliche Abweichungen der Tages-
mittelwerte von den Monatsmittelwerten deutlich; dies gilt in Bezug sowohl auf höhere
als auch auf niedrigere Werte. Die beiden exemplarisch dargestellten Tagesgänge der
stundenmittleren Temperaturen (30. Januar bzw. 30. Oktober) verdeutlichen, wie sich
die Temperaturen im Verlauf eines Tages verändert haben. Der zeitabhängige Verlauf
der stundenmittleren Messwerte des dargestellten Januartages war beispielsweise nahe-
zu ganztägig durch Temperaturen unter dem Gefrierpunkt gekennzeichnet und nur in
den frühen Nachmittagsstunden kam es zu einem leichten Temperaturanstieg von we-

Abb. 2.36 Jahresgang sowie Tages- und Stundenganglinien gemessener Temperaturen am Beispiel
eines Standorts in Norddeutschland (nach [2.5])
106 B. Geyer et al.

Abb. 2.37 Monatsmittlere 30

Monatsmitteltemperatur in °C
Temperaturen an unterschied-
lichen Standorten auf der Erde 25
(Daten nach [2.72])
20

15

10

5 Würzburg Jakarta
Kapstadt Amman
0
Jan Feb Mär Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez

nigen Grad, der aber bereits in den frühen Abendstunden wieder zurückgegangen ist.
Demgegenüber war der ebenfalls detailliert gezeigte 30. Oktober durch einen deutlich
ausgeprägteren Tagesgang charakterisiert. Hier ist ebenfalls – leicht versetzt zum mittle-
ren Sonnenstand über dem Horizont – die Temperatur zu den Mittagsstunden / zum frühen
Nachmittag leicht angestiegen und dann nach Überschreiten eines Maximalwertes mit den
zunehmenden Abendstunden immer weiter zurückgegangen. Der zusätzlich dargestellte
Verlauf der minutenmittleren Temperaturmessungen zeigt, dass sich innerhalb einer Stun-
de die Umgebungstemperatur i. Allg. nur wenig ändert (d. h. die hier dargestellten Kurven
sind weitgehend linear); dies kann dann anders sein, wenn es beispielsweise zu einem
Temperatursturz infolge von Föhn kommt, Fronten durchziehen oder eine starke solare
Einstrahlung vorherrscht.
Die Temperatur ist auch zwischen verschiedenen Jahren durch deutliche Unterschie-
de gekennzeichnet. Abb. 2.37 zeigt exemplarisch für unterschiedliche Standorte auf der
Nord- und Südhalbkugel den durchschnittlichen Jahresgang aus Monatsmittelwerten der
bodennahen Lufttemperatur. Deutlich wird, dass an jedem der in Abb. 2.37 dargestellten
Standorte ein mehr oder weniger ausgeprägter Jahresgang gegeben ist und damit an allen
Standorten merkliche jahreszeitliche Unterschiede der Umgebungstemperatur vorhanden
sind, die u. a. von der geografischen Lage und vom lokalen Klima beeinflusst werden. In
der Darstellung wird aber auch deutlich, dass der Jahresgang der monatsmittleren Umge-
bungstemperatur an dem Standort, der in den Tropen liegt (Jakarta / Indonesien), nur sehr
schwach ausgeprägt ist. Demgegenüber sind die Standorte, die in den gemäßigten Brei-
ten liegen, durch deutlich ausgeprägtere Unterschiede im Jahresverlauf gekennzeichnet.
Deutlich wird auch, dass die monatsmittleren Temperaturen mit zunehmender Entfer-
nung des Standortes vom Äquator tendenziell immer niedrigere Werte annehmen; das
wird beispielsweise bei einem Vergleich der Verläufe der Monatsmittelwerte in Amman /
Jordanien und in Würzburg / Deutschland deutlich. Gut erkennbar ist auch der spiegel-
bildliche Verlauf des Jahresgangs auf der Nord- und der Südhalbkugel. Während bei-
spielsweise Amman und Würzburg im Juni / Juli maximale Werte zeigen, werden diese
in Kapstadt / Südafrika in diesem Zeitfenster minimal; und im Dezember / Januar wird ein
genau umgekehrtes Verhalten deutlich.
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 107

Abb. 2.38 Jahresmittlere Temperaturen an vier unterschiedlichen Standorten in Deutschland zwi-


schen 1961 und 2018 (Daten nach [2.16])

Zusätzlich zeigt Abb. 2.38 die jahresmittleren Temperaturen für vier Standorte in
Deutschland im Verlauf der letzten Jahrzehnte. Außerdem sind für diesen Zeitraum der
jeweilige Mittelwert, die zugehörige Standardabweichung sowie die aufgetretene mini-
male und maximale Monatsmitteltemperatur gezeigt. Aus der Darstellung lassen sich u. a.
folgende Schlüsse ableiten.

 Von den dargestellten Standorten zeigt die südlichere der beiden Stadt-Messstationen
(Frankfurt) im langjährigen Jahresmittel eine Temperatur zwischen 10 und 11 ı C. Ver-
glichen damit ist die Mitteltemperatur an der Messstation Hamburg rund ein Grad
kühler (9 bis 10 ı C); dies liegt u. a. an der nördlicheren Lage. Im Unterschied dazu
zeigen die beiden Bergstandorte merklich niedrigere Temperaturen; sie werden stark
von der Höhe der jeweiligen Messstation bestimmt. Damit werden auf der Zugspit-
ze (Wettersteingebirge, Bayern; 2 962 m ü. NHN) im Jahresmittel Minuswerte (4 bis
5 ı C) und auf dem Kahlen Asten (Rothaargebirge, Nordrhein-Westfalen; 841,9 m ü.
NHN) Plusgrade (rund 5 ı C) gemessen.
 Der Verlauf der Temperaturen zwischen den verschiedenen Standorten korreliert. Bei-
spielsweise wurden 2010 an allen dargestellten Messstationen deutlich unterdurch-
schnittliche Jahresmitteltemperaturen gemessen; entsprechend waren 2018 die Tempe-
raturen ohne Ausnahme merklich überdurchschnittlich in Bezug auf den dargestellten
Zeitraum. Nichtsdestotrotz kommen auch Jahre vor, an denen die Jahresmittelwerte
weitgehend unabhängig voneinander vom Mittel abweichen; dies ist dann vermutlich
auf den starken Einfluss lokaler meteorologischer Effekte zurückzuführen.
 Die Standardabweichungen der Jahresdurchschnittstemperaturen an den vier in Abb.
2.38 dargestellten Standorten bezogen auf den jeweiligen Mittelwert der Temperatu-
108 B. Geyer et al.

Abb. 2.39 Monatsmittlere Temperaturen an vier Standorten in Deutschland

ren im Verlauf des dargestellten Zeitraums erlauben Aussagen im Hinblick auf die
Berechnung des durchschnittlich zu erwartenden Energieertrags beispielsweise einer
luftgekoppelten Wärmepumpe. Dabei ist aber erkennbar, dass die Standardabweichun-
gen an den vier Stationen relativ ähnlich sind. Innerhalb Deutschlands ist somit die
relative Standardabweichung der Jahresmittelwerte der Temperatur näherungsweise
unabhängig von dem entsprechenden Standort. Dies gilt grundsätzlich nicht nur für
die Standardabweichungen, sondern auch für die Relation der Minimal- und Maximal-
werte zum Mittelwert.

Abb. 2.39 zeigt den Verlauf der Monatsmittelwerte einschließlich der entsprechenden
durchschnittlichen Variationen der bodennahen Lufttemperatur am Beispiel ausgewählter
Messstationen in Deutschland. Damit ist jede der in Abb. 2.39 dargestellten Wetterstatio-
nen durch einen typischen Jahresgang charakterisiert. Die Sommermonate sind folglich in
Deutschland nahezu unabhängig von lokalen Einflüssen bzw. dem jeweiligen konkreten
Standort durch merklich über dem Jahresmittel liegende Lufttemperaturen gekennzeich-
net. Demgegenüber herrschen im Verlauf des Winters im langjährigen Mittel deutlich un-
terdurchschnittliche Temperaturen vor. Deutlich werden auch die Unterschiede zwischen
den beiden Stadt-Standorten (Frankfurt und Hamburg) und den beiden Berg-Standorten
(Kahler Asten / Nordrhein-Westfalen und Zugspitze / Bayern).
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 109

 Hamburg ist im Vergleich zu Frankfurt durch merklich geringere Durchschnittstem-


peraturen im Verlauf der Sommermonate gekennzeichnet. Im Unterschied dazu unter-
scheiden sich die Monatsmittel in den Wintermonaten nur wenig.
 Die Zugspitze mit einer Höhe von 2 962 m ü. NHM zeigt deutlich geringere monats-
mittlere Temperaturen im Vergleich zum Kahlen Asten (841,9 m ü. NHM); dies liegt
primär in der größeren Höhe begründet. Auch zeigt die Zugspitze – im Unterschied zu
den anderen dargestellten Standorten – im Februar die geringsten Durchschnittstempe-
raturen.

2.4 Windenergie

Martin Kaltschmitt, Andreas Wiese und Beate Geyer

Die solare Einstrahlung ist – neben dem Wasserkreislauf – auch für die globale und lokale
Bewegung der Luftmassen innerhalb der Erdatmosphäre verantwortlich. Von der gesam-
ten auf die Außenfläche der Atmosphäre auftreffenden Solarstrahlung werden etwa 2,5 %
oder 1;4  1020 J/a für die Atmosphärenbewegung verbraucht; daraus resultiert eine theore-
tische Gesamtleistung des Windes von etwa 4;4  1012 W (u. a. [2.7]). Die in den bewegten
Luftmassen enthaltene Energie, die beispielsweise durch Windkraftanlagen zunächst in
mechanische oder Bewegungsenergie des Rotors und dann in elektrische Energie am An-
lagenausgang umgewandelt werden kann, stellt also eine sekundäre Form solarer Energie
dar (d. h. indirekte Nutzung der Sonnenenergie). Ziel der folgenden Ausführungen ist es,
die wesentlichen Grundlagen des Windenergieangebots darzustellen und seine Angebots-
charakteristik im Hinblick auf eine technische Nutzung zu diskutieren.

2.4.1 Grundlagen

Mechanismen Wind entsteht als Ausgleichsströmung, wenn sich, hauptsächlich infolge


unterschiedlicher Erwärmung der Erdoberfläche, Luftdruckunterschiede ausgebildet ha-
ben. Die Luftmassen strömen dann entsprechend dem entstehenden Druckgradienten von
Gebieten höheren Luftdrucks in Gebiete mit einem tieferen Luftdruck.
Auf ein Luftteilchen wirkt dabei die durch den Druckgradienten hervorgerufene soge-
nannte Gradientkraft. Zusätzlich wird auf jedes Teilchen in einem rotierenden Bezugssys-
tem, wie es die Erde darstellt, die Corioliskraft ausgeübt; sie wirkt immer senkrecht zur
Bewegungsrichtung und senkrecht zur Drehachse. Sie tritt zusätzlich zur Zentrifugalkraft
auf, wenn ein massebehaftetes Teilchen innerhalb eines rotierenden Bezugssystems nicht
ruht (also wenn es nicht einfach nur „mitrotiert“), sondern sich relativ zum Bezugssystem
bewegt.
Besteht nun in der Atmosphäre beispielsweise in großen Höhen ein Druckgefälle,
setzt sich ein diesem Druckgefälle ausgesetztes Luftteilchen von einem Punkt höheren
110 B. Geyer et al.

Isobare mit Luftdruck p 2 < p1

Bewegungsbahn
des Luftteilchens

Vektor der Gradientkraft


Vektor der Corioliskraft
Resultierender Vektor aus
Gradient- und Corioliskraft
Geschwindigkeitsvektor
Luftteilchen Isobare mit Luftdruck p1

Abb. 2.40 Entstehung des geostrophischen Windes (Nordhalbkugel; nach [2.11])

Luftdrucks zu einem Punkt niedrigeren Luftdrucks in Bewegung. Es will damit von ei-
ner Isobare mit dem Druck p1 in Richtung einer Isobaren mit dem Druck p2 wandern
(Abb. 2.40). Bei der Bewegung zum gegenüber p1 niedrigeren Luftdruckniveau p2 be-
schleunigt die Gradientkraft das Luftteilchen; seine Geschwindigkeit nimmt damit ständig
zu. Gleichzeitig gewinnt aber die Corioliskraft immer mehr an Einfluss; sie resultiert aus
dem Produkt von Teilchenmasse, Winkelgeschwindigkeit des rotierenden Systems und der
Teilchengeschwindigkeit relativ zum rotierenden Bezugssystem. Da sie immer senkrecht
zur Bewegungsrichtung wirkt (Abb. 2.40), bedingt sie eine ständige Richtungsdrehung
des resultierenden Geschwindigkeitsvektors. Die dadurch hervorgerufene Änderung der
Bewegungsrichtung hält so lange an, bis der Betrag der Corioliskraft dem Betrag der
Gradientkraft entspricht (d. h. die beiden Kräfte sich gegenseitig ausgleichen). Das Luft-
teilchen ist dann keiner resultierenden Kraft mehr ausgesetzt; es befindet sich in einem
Kräftegleichgewicht. Seine Strömungsgeschwindigkeit und die Corioliskraft bleiben da-
mit unverändert; unter diesen Bedingungen bewegt es sich parallel zu den genannten
Isobaren mit dem Druck p1 und p2 . Einen derartigen Wind, bei dem sich Luft entlang
der Isobaren bewegt, nennt man den geostrophischen Wind (Abb. 2.41, links).
Je größer der Druckgradient in den Atmosphärenschichten ist, desto dichter liegen die
Isobaren beieinander und desto größer ist die Gradientkraft. Entsprechend stärker werden
die Luftteilchen beschleunigt. Damit erhöht sich auch die Geschwindigkeit des Teilchens,
das sich von der Isobare mit dem Druck p1 zur Isobare mit dem Druck p2 bewegen möch-
te. Der Betrag der Corioliskraft wiederum wächst proportional zur Geschwindigkeit des
Teilchens, an dem die Kraft angreift.
Deshalb stellt sich bei parallel verlaufenden Isobaren das Kräftegleichgewicht zwi-
schen Coriolis- und Gradientkraft und damit die geradlinige Bewegung des Luftteilchens
entlang der Isobaren unabhängig vom Druckunterschied bzw. der Gradientkraft immer
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 111

Geostrophischer Wind Gradientwind


Isobare mit Luftdruck p2
Isobare mit Luftdruck p2
Tiefdruck
Isobare mit FGradient +
FGradient Luftdruck p2 < p1 Luftdruck p2 FZentrifugal

vWi,Süd vWi,Nord FCoriolis


vWi,Süd vWi,Nord FGradient vWi,Süd vWi,Nord

FCoriolis FCoriolis + Hochdruck


FZentrifugal Isobare mit
Luftdruck p1
Isobare mit Luftdruck p1
Isobare mit Luftdruck p1

FGradient Vektor der Gradientkraft vWi,Nord Geschwindigkeitsvektor, Nordhalbkugel


FCoriolis Vektor der Corioliskraft vWi,Süd Geschwindigkeitsvektor, Südhalbkugel
FZentrifugal Vektor der Zentrifugalkraft

Abb. 2.41 Geostrophischer Wind und Gradientwind (nach [2.5])

ein. Lediglich die Geschwindigkeit des geostrophischen Windes ist von der Größe der
Druckunterschiede abhängig (d. h. je größer die Luftdruckunterschiede sind, desto höher
ist die resultierende Windgeschwindigkeit).
Bei Gebieten mit einem Tief- oder Hochdruckkern sind die Isobaren gekrümmt. Dann
wirkt ergänzend zu den zwei bisher genannten Kräften noch eine dritte Kraft, die Zen-
trifugalkraft, auf das Luftteilchen; sie weist radial nach außen (Abb. 2.41, Mitte und
links). Man nennt den unter diesen Bedingungen entstehenden Wind den Gradientwind.
Er weht auf der Nordhalbkugel gegen den Uhrzeigersinn und auf der Südhalbkugel im
Uhrzeigersinn um ein Tief; beim Hoch sind diese Zusammenhänge umgekehrt. Da die
Zentrifugalkraft beim Hoch die Gradientkraft verstärkt, beim Tief dagegen schwächt, ist
die Windgeschwindigkeit des Gradientwindes im Hoch größer als im Tief [2.3, 2.10].

Globale Luftzirkulationssysteme Die beschriebenen Mechanismen einer Luftbewe-


gung in den Atmosphärenschichten bedingen durch die in unterschiedlichen Regionen der
Erde verschiedenartige Solarstrahlungsintensität ein weltweites Zirkulationssystem der
unteren Atmosphärenschichten (Abb. 2.42).
Die Erdoberfläche erwärmt sich global gesehen dort am stärksten, wo die Sonne im
Zenit steht (d. h. im Gebiet um den Äquator). Es entsteht dadurch eine Zone mit tiefem
Luftdruck nahe dem Äquator, in die von Norden und von Süden kühlere Luft einströmt.
Ohne die durch die Kontinente verursachten Einflüsse würde sich diese äquatoriale Kon-
vergenzzone in Form eines Gürtels um den Erdäquator erstrecken und sich mit einer
gewissen Verzögerung infolge des sich jahreszeitlich ändernden Sonnenstands zwischen
den Wendekreisen parallel verschieben (Abb. 2.42 bzw. 2.44). Aufgrund der tatsächlich
gegebenen Einflüsse der Meere und Kontinente ist diese Konvergenzzone fast ständig
nördlich des Äquators; sie bewegt sich allerdings tatsächlich mit dem Wechsel der Jah-
reszeiten.
112 B. Geyer et al.

Abb. 2.42 Planetarische


Strömung und Druckgebilde
(nach [2.3])

Abb. 2.43 Luftzirkulation


infolge unterschiedlicher Luft-
druckgebiete (Nordhalbkugel)

Bei einer nicht rotierenden Erde würde die Luft in Bodennähe von den Polargebieten
gegen den Äquator strömen. Hier würde sie in der beschriebenen Konvergenzzone geho-
ben und in den höheren Atmosphärenschichten wieder gegen die Pole abströmen. Durch
ein anschließendes Absinken in den Hochdruckgebieten über den Polen würde die Zirku-
lation geschlossen (vgl. Abb. 2.43).
Solche einfachen Strömungsverhältnisse können sich auf einer rotierenden Erde aber
nicht ausbilden. Deshalb wird in einer ersten Näherung nur eine „ideal“ rotierende Erde
ohne den Einfluss von Meer und Land betrachtet, auf der die Temperatur ausschließlich
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 113

Abb. 2.44 Planetarische Strömungszonen zwischen Äquator und Pol

nur durch den Breitengrad bestimmt wird. Die Luft strömt dann nahe dem Äquator gegen
die tropische Konvergenzzone. Sie wird aber durch die Corioliskraft abgelenkt. Daraus
resultieren praktisch über das ganze Jahr mit derselben Stärke wehende Luftströmungen
von Nordost und Südost (Nordost- und Südostpassate) in Richtung der innertropischen
Konvergenzzone (Abb. 2.42 bzw. 2.44). Die Passate strömen aus den sogenannten sub-
tropischen Hochdruckzellen, die auf jeder Erdhalbkugel jeweils im Bereich des 30. Brei-
tengrads liegen. Dieser subtropische Hochdruckzellengürtel ist durch schwache Winde
und klares Wetter charakterisiert. Auf seiner Polseite schließt sich eine Zone an, in der
die westlichen Winde der mittleren Breiten vorherrschend sind. In dieser Einflusszone
liegt auch der deutschsprachige Raum. Windrichtung und Windgeschwindigkeit wech-
seln hier stark in Abhängigkeit von den wandernden Zyklonen und Antizyklonen. Dieser
Westwindbereich wird polwärts jeweils durch eine Tiefdruckrinne begrenzt (Abb. 2.42
bzw. 2.44). In den Polargebieten sind die Windverhältnisse sehr wechselhaft. Im Durch-
schnitt herrschen hier in den tieferen Schichten schwache Hochdruckgebiete vor.
Infolge dieser komplexen Zusammenhänge, die durch die Einflüsse von Meer und Land
sowie von jahreszeitlichen und anderen Effekten erheblich beeinflusst werden, bildet sich
ein weltweites Luftzirkulationssystem aus. Es ist verantwortlich für den globalen Luft-
austausch (Abb. 2.42). Für eine energetische Nutzung sind aber nur die entsprechenden
Luftbewegungen in Bodennähe von Bedeutung, da es bisher technisch nicht möglich ist,
die Energie der bewegten Atmosphäre in den großen Höhen, in denen derartige globale
Luftzirkulationssysteme wirksam sind, nutzbar zu machen.

Lokale Luftzirkulationssysteme Die für die Windentstehung verantwortlichen Kräfte


werden überall in der Atmosphäre wirksam. Mit zunehmender Nähe zur Erdoberfläche
werden sie aber von Effekten im Zusammenhang mit der (rauen) Oberflächenstruktur
114 B. Geyer et al.

Tag Nacht H
H Isobare
T T
Isobare
Hö he

Isobare

Höhe
Relativ Isobare
warme Luft Relativ Landwind
Seewind Isobare
kalte Luft
T Relativ Isobare H Relativ
kalte Luft H warme Luft T
Land See Land See

Abb. 2.45 See- und Landwind

immer stärker überlagert. Deshalb wird unterschieden zwischen der sogenannten freien
Atmosphäre in großen Höhen, wo die beschriebenen globalen Luftzirkulationssysteme
aus geostrophischem Wind und Gradientwind dann entstehen, wenn Druckgradient und
Corioliskraft dominieren, und der planetarischen Grenzschicht (auch als Reibungsschicht
bezeichnet), mit der die von der Erdoberfläche mehr oder weniger stark beeinflusste Luft-
schicht – und damit die dort vorherrschenden Windsysteme – beschrieben wird.
Innerhalb dieser Grenzschicht und damit in relativer Bodennähe entstehen Luftströ-
mungen, die man als antitriptische Winde bezeichnet. Zu ihnen gehören thermische Auf-
und Abwinde, Land- und Seewinde, Berg- und Talwinde. Derartige Luftbewegungen ent-
stehen meist nach dem gleichen Prinzip: Aufsteigende Luftmassen finden sich über Gebie-
ten, die sich infolge der Sonnenstrahlung rasch erwärmen (d. h. die Erdoberfläche hat eine
verhältnismäßig geringe Wärmekapazität; z. B. Land) und absteigende Luftmassen kom-
men dagegen über benachbarten Gebieten mit geringerer Erwärmung (z. B. mit größerer
Wärmekapazität wie beispielsweise das Meer) vor (Abb. 2.45). Tagsüber weht der Wind
von den letztgenannten zu den erstgenannten Zonen (z. B. Seewind) und nachts gilt die
Umkehrung (z. B. Landwind) [2.20]. Derartige lokale Luftzirkulationssysteme kommen in
unterschiedlicher Ausprägung praktisch überall auf der Erde vor. Sie sind aufgrund ihrer
Nähe zur Erdoberfläche für die Windkraftnutzung z. T. geeignet, häufig aber zu schwach
ausgeprägt für eine kommerzielle Windstromerzeugung.
Innerhalb der planetarischen Grenzschicht kommt es durch Reibung an der (rauen)
Erdoberfläche zu einer Verringerung des geostrophischen Windes bzw. der Luftbewegung
infolge lokaler Effekte bis zum Stillstand in unmittelbarer Nähe des Erdbodens. Das da-
raus im Mittel resultierende vertikale Profil der Windgeschwindigkeit ist in Abb. 2.46 für
ausgewählte Oberflächenverhältnisse dargestellt. Die Veränderung der Windgeschwindig-
keit mit der Höhe über Grund und und damit die Höhe der planetarischen Grenzschicht ist
abhängig von der Wetterlage, der Bodenrauigkeit und der Topografie. Die Grenzschicht-
dicke variiert zwischen ca. 500 und 2 000 m über Grund.
In dieser planetarischen Grenzschicht findet ein wesentlicher Teil des turbulenten, ver-
tikalen Austauschs von Wärme (d. h. Energie) und auch von Wasserdampf zwischen der
Erdoberfläche und der Atmosphäre statt. Diese Grenzschicht wird in drei Schichten unter-
teilt.
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 115

Freie Atmosphäre
2 000
Freie Atmosphäre
1 000 Freie Atmosphäre

500 4,5
490 0,4
v~ h

400
4,5 Planeta-
Höhe über Grund in m

370 0,28 rische


v~ h
Grenz-
300 schicht
4,5
240 0,16
200
v~ h

100

1,4 2,2 3,1


35
0

große Gebäude Bäume Häuser große Wasserflächen


und Ebenen

Abb. 2.46 Höhenabhängigkeit der Windgeschwindigkeit (v Windgeschwindigkeit [m/s], h Höhe


über Grund [m]; nach [2.5])

 Laminare Unterschicht. Diese erste Schicht ist sehr dünn; beispielsweise ist sie bei ei-
nem glatten Untergrund nur wenige Millimeter dick. Der Vertikalaustausch der Energie
der Luftströmung erfolgt durch den Impuls von Molekül zu Molekül. In dieser Schicht
ist die Luftströmung weitgehend turbulenzfrei.
 Prandtl-Schicht. Die darüber liegende Prandtl-Schicht nimmt rund 10 % der Gesamt-
höhe der planetarischen Grenzschicht ein; damit liegt ihre Obergrenze in einigen 10
bis maximal ca. 100 m über Grund. Durch die in der Prandtl-Schicht turbulente Strö-
mung werden Impuls, Wärme und Wasserdampf transportiert. In diesem Höhenbereich
über Grund wird das Windprofil überwiegend durch die thermische Schichtung und
die Bodenrauigkeit bestimmt; es zeigt einen mit zunehmender Höhe annähernd loga-
rithmischen Verlauf (Abb. 2.47). Infolge dieser Geschwindigkeitszunahme erreicht die
Windgeschwindigkeit an der Obergrenze der Prandtl-Schicht bereits etwa 70 bis 80 %
der reibungsfreien Strömung, wie sie in der freien Atmosphäre (d. h. geostrophischer
Wind) vorherrscht.
 Ekman-Schicht. Die Ekman-Schicht, die sich über die verbleibenden rund 90 % der
planetarischen Grenzschicht erstreckt, zeichnet sich insbesondere durch die Winddre-
hung aus. Während über Land der Bodenwind durchschnittlich mit einem Winkel von
30ı zu den Isobaren in den Tiefdruck hinein weht, findet in der Ekman-Schicht nahezu
116 B. Geyer et al.

Abb. 2.47 Abhängigkeit der Freie Atmosphäre Geostrophischer

Höhe über Grund


Windgeschwindigkeitszunah- Wind

me von der Höhe über Grund kaum


von der Rauigkeit der Erdober- bis geringe
Turbulenz
fläche (z0 Rauigkeitslänge)

Planetarische Grenzschicht
Ekman-
Schicht
Mittlerer Wind-
geschwindigkeits-
anstieg über Grund
für unterschiedliche
Rauigkeitslängen
z0 = 0,01 m
z0 = 0,1 m
z0 = 1 m
Prandtl-
Schicht
Laminare hohe Turbulenz
Unterschicht

Erdoberfläche

die vollständige Drehung des Windes in Richtung des geostrophischen Windes statt;
d. h. der Strömungswinkel zu den Isobaren verringert sich in der Ekman-Schicht mit
zunehmender Höhe und erreicht an der Obergrenze dieser Schicht die Richtung des
geostrophischen Windes. Damit wird die Geschwindigkeit des geostrophischen Win-
des am oberen Rand der Ekman-Schicht erreicht [2.56].

Die Rauigkeit des Bodens, die insbesondere die Zunahme der Windgeschwindigkeit
mit der Höhe über Grund in der aus Sicht der Windkraftnutzung wesentlichen Prandt-
Schicht mitbestimmt, wird u. a. von Bewuchs und Bebauung beeinflusst. Über Oberflä-
chen mit geringer Rauigkeit (z. B. Wasserflächen) nimmt die Windgeschwindigkeit in den
unteren 10 % der planetarischen Grenzschicht (Prandtl-Schicht) mit zunehmender Höhe
deshalb relativ schnell zu (Abb. 2.47). Unter diesen Bedingungen bildet sich nur eine re-
lativ dünne planetarische Grenzschicht aus. Im Unterschied dazu wird über Gebieten mit
hoher Bodenrauigkeit (z. B. Ortschaften) die Windgeschwindigkeit der freien Atmosphä-
re erst in größeren Höhen erreicht; die vertikale Zunahme der Windgeschwindigkeit über
Grund erfolgt hier weniger schnell.
Damit beeinflusst die Rauigkeit des Bodens / der Erdoberfläche die Zunahme der Wind-
geschwindigkeit über Grund. Deshalb wurde die sogenannte Rauigkeitslänge als ein Maß
für die Bodenrauigkeit / die Rauigkeit der Erdoberfläche definiert; dies ist dann gleich-
zeitig ein Indikator für die durchschnittliche Zunahme der Windgeschwindigkeit mit zu-
nehmender Höhe über Grund. Tabelle 2.2 zeigt einige typische Werte. Außerdem zeigt
Abb. 2.47 auch den Einfluss dieser Rauigkeitslängen auf den durchschnittlichen Anstieg
der Windgeschwindigkeit mit zunehmender Höhe über Grund. Demnach kommt es bei
geringeren Rauigkeitslängen zu einer relativ schnelleren höhenbedingten Windgeschwin-
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 117

Tabelle 2.2 Exemplarische Art der Bodenbedeckung Rauigkeitslänge in cm


Rauigkeitslängen verschiede- Glatte Oberfläche 0,002
ner Oberflächen (u. a. [2.21])
Schneefläche 0,01–0,1
Sandfläche 0,1–1,0
Wiese (je nach Bewuchs) 0,1–10
Getreidefelder 5–50
Wälder und Städte 50–300

digkeitszunahme im Unterschied zu größeren Rauigkeitslängen. Aus Sicht der Windkraft-


nutzung hat dies die praktische Konsequenz, dass über dem Meer die mittleren Turmhöhen
von Windkraftanlagen deutlich geringer ausfallen können im Vergleich zu einer Onshore-
Windkraftnutzung, da es infolge der geringen Rauigkeit auf See zu einer schnellen Wind-
geschwindigkeitszunahme mit der Höhe kommt.
Ebenso wie die Rauigkeitslänge hat die thermische Schichtung in den bodennahen At-
mosphärenschichten einen Einfluss auf die vertikale Änderung der Windgeschwindigkeit
in der Prandtl-Schicht und damit im unteren Teil der planetarischen Grenzschicht, in der
letztlich eine Windkraftnutzung heute technisch möglich ist. Beträgt z. B. die vertikale
Temperaturabnahme 0,98 K/100 m, spricht man von einem (trocken-)adiabatischen Tem-
peraturgradienten. Die Atmosphäre ist dann neutral geschichtet. In diesem Fall hat die
thermische Schichtung keinen Einfluss auf das vertikale Windprofil. Ist demgegenüber
der vertikale Temperaturgradient kleiner als der adiabatische Gradient, herrscht stabile
Schichtung vor. Die Windgeschwindigkeit nimmt unter diesen Bedingungen schneller mit
der Höhe zu. Bei labiler Schichtung (d. h. einem größeren vertikalen Temperaturgradi-
enten als im adiabatischen Fall) fällt demgegenüber die Geschwindigkeitszunahme des
Windes mit der Höhe geringer aus.
Die Stabilität der thermischen Schichtung variiert mit der herangeführten Luftmasse,
aber auch innerhalb einer solchen im Tagesverlauf. Dabei ist aber beispielsweise über
dem Meer kein nennenswerter Tagesgang der Schichtungsstabilität zu verzeichnen, da die
hohe spezifische Wärmekapazität von Wasser in Verbindung mit dem turbulenten Wär-
metransport im Wasser dafür sorgen, dass sich die Temperatur der Wasseroberfläche im
Tagesverlauf nur wenig ändert. Im Jahresverlauf hingegen wird aufgrund der verzögerten
Temperaturänderung der Wasseroberfläche im Frühjahr eine Tendenz zu stabilen und im
Spätherbst zu labilen Verhältnissen beobachtet. Über Landflächen ist der Tagesgang der
Schichtungsstabilität bei kräftiger Sonneneinstrahlung demgegenüber sehr viel intensiver
ausgeprägt, da die Wärmekapazität des Bodens i. Allg. deutlich geringer ist im Vergleich
zu einem Gewässer.
Dabei ist bei höheren Windgeschwindigkeiten i. Allg. die Annahme einer neutralen
Schichtung gerechtfertigt, da aufgrund der turbulenten Durchmischung der Luftschichten
Abweichungen vom neutralen Zustand weniger stark ausgeprägt sind [2.22]. Im unteren
Geschwindigkeitsbereich kann jedoch eine Einbeziehung der Schichtungsstabilität in die
Betrachtung des vertikalen Windprofils durchaus sinnvoll sein; bei Windenergieanlagen ist
118 B. Geyer et al.

Tabelle 2.3 Näherungswerte für Hellmann-Exponenten in Abhängigkeit vom Standort im Küsten-


bereich und der Schichtungsstabilität (nach [2.22])
Stabilität Freie Wasserfläche Flache, offene Küste Städte, Dörfer
Labil 0,06 0,11 0,27
Neutral 0,10 0,16 0,34
Stabil 0,27 0,40 0,60

das der Bereich von der Anlaufwindgeschwindigkeit bis vor Erreichen der Nennleistung
(Kapitel 6.2).
Zur quantitativen Beschreibung des vertikalen Windprofils der Prandtl-Schicht sind
verschiedene Ansätze entwickelt worden. Viele Beschreibungen des Windprofils in Ab-
hängigkeit von der Höhe über Grund sind jedoch aufgrund aufwändig zu bestimmender
Größen für den allgemeinen Gebrauch ungeeignet; sie versprechen zwar in der Theorie
gute Ergebnisse, sind aber vom einer Vielzahl für einen bestimmten Standort meist un-
bekannter Daten abhängig. Für ingenieurtechnische Anwendungen hat sich deshalb eine
halbempirische Potenzgleichung – die Hellmann’sche Höhenformel – durchgesetzt.
Der Ansatz nach Hellmann [2.23] (sogenannte Hellmann’sche Höhenformel) stellt eine
relativ einfache Beschreibung dar, wie die Windgeschwindigkeit mit zunehmender Höhe
über Grund zunimmt; er ist nach Gleichung (2.29) definiert. Dabei ist vWi;h die mittlere
Windgeschwindigkeit in der Höhe h und vWi;ref die Bezugsgeschwindigkeit in einer Re-
ferenzhöhe href (meistens 10 m). ˛Hell ist der Höhenwindexponent (Hellmann-Exponent,
Rauigkeitsexponent); er ist eine Funktion der Rauigkeitslänge und der thermischen Stabi-
lität in der Prandtl-Schicht.  
h ˛Hell
vW i;h D vW i;ref (2.29)
href

Tabelle 2.3 zeigt Näherungswerte von ˛Hell für verschiedene Oberflächen in Küsten-
nähe und für unterschiedliche Schichtungen der Prandtl-Schicht bzw. der planetarischen
Grenzschicht.
Die genaue Einschätzung der Größe dieses Hellmann-Exponenten ist allerdings
schwierig. Für längerfristige Betrachtungen des zu erwartenden Mittelwertes der Wind-
geschwindigkeiten in einer bestimmten Höhe der planetarischen Grenzschicht ist der
Exponent ˛Hell primär eine Funktion der Rauigkeitslänge, da sich die anderen Einflüsse
im Jahresmittel weitgehend ausgleichen.
Trotz der mit Gleichung (2.29) verbundenen Unschärfen wird in der Praxis nach wie
vor mit dieser Näherungsgleichung gearbeitet, da sie für nicht zu extreme Verhältnisse
und nicht allzu große Höhen i. Allg. brauchbare Ergebnisse liefert [2.22, 2.24].

Einfluss der Geländestruktur Die Strömungsvorgänge in der planetarischen Grenz-


schicht werden zusätzlich von der Geländestruktur (d. h. der Orografie) beeinflusst, da
aufgrund der nur geringen Kompressibilität der Luft das Strömungsfeld durch die lokale
Orografie verändert wird. Dabei werden durch den Einfluss der (rauen) Erdoberfläche bei-
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 119

Abb. 2.48 Anstieg der mitt-


leren Windgeschwindigkeit Δh Δh
mit zunehmender Höhe über
vWi (Δh)
Grund im flachen Gelände
(links) und auf einem über- vWi (Δh) + Δs (Δh)
strömten Hügel (rechts); zur
Erklärung der Formelzeichen
siehe Text; nach [2.26]
Δsmax

Hügel
hH
0,5 hH

l1/2 x

spielsweise auf beiden Seiten eines zu umströmenden Hindernisses Vertikalbewegungen


bei den strömenden Luftmassen erzeugt. Zusätzlich wird die Horizontalströmung über der
Luvseite beschleunigt und über der Leeseite abgebremst. Auch werden horizontale Um-
lenkungen der Strömung hervorgerufen [2.25].
Eine geschlossene analytische Beschreibung der Strömungsverhältnisse über beliebi-
gen Geländeerhebungen ist jedoch nur schwer möglich, da die Form des Hindernisses in
der Praxis kaum exakt zu erfassen ist; außerdem kann sie durch die Vegetation im Jah-
resverlauf verändert werden. Hinzu kommt, dass das Windprofil zusätzlich u. a. durch die
Anströmrichtung, die Schichtungsstabilität und die Bodenrauigkeit beeinflusst wird.
Deshalb wird der Effekt der Geschwindigkeitsänderung (Abb. 2.48) infolge der Oro-
grafie z. B. über dem Kamm einer Erhebung oft relativ angegeben und als Speed-Up-Ratio
s oder kurz Speed-Up bezeichnet (Gleichung (2.30)). Hierbei bezeichnet vWi die mitt-
lere Windgeschwindigkeit und h die entsprechende Höhe über Grund. Der Laufindex x
bezeichnet den Schnitt durch die Erhebung; Gleichung (2.30) ist nur gültig, wenn x > 0 ist.
Der Index a bezeichnet einen Punkt auf der Luvseite des Hügels, an dem die Strömung
von diesem unbeeinflusst ist.

vW i;x .h/  vW i;a .h/


s D (2.30)
vW i;a .h/

Für flache zweidimensionale Hügelketten bzw. dreidimensionale Hügel kann die Nä-
herung s D 2hH =l1=2 bzw. s D 1;6hH =l1=2 verwendet werden. Hier bezeichnet hH die
Höhe des Hügels über dem umliegenden Land und l1=2 die sogenannte Halbwertslänge
und damit die horizontale Distanz zwischen Gipfel und Halbwertshöhe (d. h. halber Höhe
des Hügels). Beispielsweise kann sich für typische Werte (hH D 100 m; l1=2 D 250 m)
eine Geschwindigkeitszunahme von rund 60 % oder mehr ergeben, die dann einen erheb-
lichen Einfluss z. B. auf den Energieertrag einer Windkraftanlage hat (Kapitel 6.2).
Die Höhe der maximalen Geschwindigkeitserhöhung über dem Gipfel liegt für die
meisten flachen Hügel im Bereich von 2,5 bis 5,0 m [2.27, 2.28].
120 B. Geyer et al.

Windleistung Infolge der beschriebenen Zusammenhänge befinden sich die Luftmas-


sen der Atmosphäre in einer permanenten Bewegung; dies gilt auch für die bodennahen
Atmosphärenschichten, die einer Windkraftnutzung grundsätzlich zugänglich sind. Die
kinetische Energie EWi dieser bewegten Luftmassen ist von der Luftmasse mWi und vom
Quadrat der Windgeschwindigkeit vWi abhängig (Gleichung (2.31)).

1
EW i D 2
mW i vW i (2.31)
2

Der durch eine bestimmte Fläche hindurch tretende Luftmassenstrom m P W i bestimmt


sich aus der durchströmten Fläche S, der Dichte der Luft Wi und der Windgeschwindigkeit
vWi entsprechend Gleichung (2.32).

dx
P W i D S W i
m D S W i vW i (2.32)
dt

Mit den Gleichungen (2.31) und (2.32) kann damit die im Wind enthaltene Leistung
PWi errechnet werden (Gleichung (2.33)). Demnach ist die Windleistung proportional der
dritten Potenz der Windgeschwindigkeit; sie hängt außerdem von der Dichte der Luft Wi
und der durchströmten Fläche S ab.

1 1
PW i D P W i vW
m 2
i D
3
S W i vW i (2.33)
2 2

Aus Sicht einer technischen Nutzung der Windenergie ist die Dichte der Luft Wi nicht
beeinflussbar. Damit wird die an einem bestimmten Standort technisch nutzbare Leistung
von der vom Rotor überstrichenen Kreisfläche S und der Windgeschwindigkeit vWi beein-
flusst; da letztere mit der dritten Potenz in die Leistungsberechnung eingeht, ist sie die
wesentliche Windleistung – und damit letztlich auch die Leistung einer Windkraftanla-
ge – bestimmende Größe. Da die Windgeschwindigkeit zudem höhenabhängig ist (siehe
oben), waren die jeweils installierten Windkraftanlagen zur Stromerzeugung im Verlauf
der letzten Jahrzehnte durch immer größere Turmhöhen gekennzeichnet, damit an einem
gegebenen Standort eine höhere Windgeschwindigkeit – und damit eine entsprechend hö-
here Windleistung – technisch nutzbar gemacht werden kann. Gleichzeitig wurde die vom
Rotor einer Windkraftanlage überstrichende Kreisfläche immer größer. Dadurch wurden
die heute marktgängigen Multi-MW-Anlagen ermöglicht.

2.4.2 Räumliche und zeitliche Angebotscharakteristik

Windrichtungs- und -geschwindigkeitsmessung Die Windrichtung wird mit Hilfe von


Windfahnen gemessen, die sich unter dem Winddruck bezüglich der jeweiligen Wind-
richtung ausrichten und dadurch die auf die Windfahne ausgeübte Kraft minimieren. Das
Ergebnis kann mechanisch oder elektrisch auf ein Registriergerät übertragen werden.
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 121

Bei Windgeschwindigkeitsmessern (Anemometern) unterscheidet man Momentan-


wertmesser und Mittelwertmesser. Momentanwertmesser sind u. a.

 Druckplatten-Anemometer, bei denen der Winddruck eine senkrecht zur Windrichtung


pendelnde Platte auslenkt;
 Staudruckmesser, bei denen entweder der Pitot-Druck (d. h. der Druck im vorderen
Staupunkt eines angeströmten Körpers (Pitot-Rohr)) oder der Staudruck gemessen
wird (d. h. die Differenz zwischen Pitot-Druck und statischem Umgebungsdruck
(Prandtl’sches Staurohr));
 thermische Anemometer, bei denen sich die Temperatur von Heizdrähten o. ä. infolge
der vorbeiströmenden Luftmassen ändert und diese Änderung messtechnisch erfasst
wird;
 Ultraschall-Anemometer messen die Geschwindigkeit in den drei Raumrichtungen; da-
raus kann die Horizontal- und die Vertikalgeschwindigkeit sowie die Windrichtung
berechnet werden; außerdem können auch Turbulenzmaße bestimmt werden; derartige
Messgeräte zeichnen sich durch eine sehr hohe Genauigkeit aus.

Mittelwertmesser sind

 Schalenkreuz-Anemometer, die entweder den Mittelwert der Windgeschwindigkeit


über einige Sekunden (etwa 10 bis 30 s) oder den Windweg (d. h. das Produkt aus
mittlerer Windgeschwindigkeit und Zeit) messen (Schalenkreuz-Anemometer sind die
derzeit hauptsächlich eingesetzten Geräte zur Messung sowohl der 10 min-Mittelwerte
als auch der 2 s-Bö);
 Flügelrad-Anemometer, die grundsätzlich die gleichen Möglichkeiten bieten wie Scha-
lenkreuz-Anemometer.

Windverteilung Werden an verschiedenen Orten gemessene langjährige Jahresmittel der


Windgeschwindigkeit in 100 m über Grund auf die gesamte Gebietsfläche übertragen, zei-
gen sich die in Abb. 2.49 weltweit und in Abb. 2.50 für den deutschsprachigen Raum
dargestellten Zusammenhänge.
Bei der Analyse der in Abb. 2.49 gezeigten globalen Verteilung der Windgeschwin-
digkeit wird deutlich, dass die Küstengebiete der Erde oft vergleichsweise hohe mittlere
Luftströmungsgeschwindigkeiten zeigen. Auch nehmen die Windgeschwindigkeiten vom
Äquator, wo i. Allg. relativ geringe Luftströmungen vorkommen, ausgehend tendenziell
in Richtung Norden und Süden zu. Weiterhin sind in Gebieten mit hohen Gebirgen die
durchschnittlichen Geschwindigkeiten der strömenden Luftmassen i. Allg. höher im Ver-
gleich zu Tiefebenen; diese generellen Tendenzen müssen aber nicht zwingend gegeben
sein, wie ein Vergleich zwischen dem mittleren Westen Nordamerikas und dem Himalaya
deutlich macht. Deutlich wird auch, dass die Windgeschwindigkeiten im Westwindgürtel
überdurchschnittlich hoch sind.
In Deutschland (Abb. 2.50) ist die Nordsee weit vor der Küstenlinie durch jahresmitt-
lere Windgeschwindigkeiten von über 8 m/s (Angaben jeweils bezogen auf 100 m über
122 B. Geyer et al.

Abb. 2.49 Zonen ähnlicher Windgeschwindigkeit im Jahresmittel über Land in 105 m Höhe über
Grund (Daten nach [2.14])

Abb. 2.50 Zonen ähnlicher Windgeschwindigkeit im Jahresmittel in Deutschland, Österreich und


der Schweiz bezogen auf 105 m Höhe über Grund (nach [2.29])
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 123

Abb. 2.51 Zonen ähnlicher Windgeschwindigkeit in Teilen Mitteleuropas im Jahresmittel bezogen


auf eine Höhe von 116 m über NHN

Grund) gekennzeichnet. Auf den ost- und westfriesischen Inseln bzw. im Wattenmeer
und im Bereich der deutschen Ostseeinseln sind im langjährigen Durchschnitt mittlere
Luftströmungsgeschwindigkeiten zwischen 7 und 8 m/s und ggf. darüber gegeben. An der
Küste und im Binnenland liegen die Geschwindigkeiten niedriger. Beispielsweise werden
an der Nordseeküste im Schnitt mittlere Windgeschwindigkeiten zwischen 6 und 7 m/s
und im daran anschließenden Binnenland sowie an der Ostseeküste zwischen 5 und 6 m/s
gemessen. Windgeschwindigkeiten in dieser Größenordnung kommen im Binnenland nur
auf den Höhenlagen (bzw. den höchsten Erhebungen der Mittelgebirge sowie auf strö-
mungsgünstig gelegenen einzelnen Bergen) vor. Dies sind im Wesentlichen der Harz, das
Rothaargebirge, die Eifel, der Hunsrück, die Rhön, der Thüringer Wald, das Erzgebirge,
der Bayerische Wald, die Schwäbische Alb, der Schwarzwald und natürlich die höheren
Erhebungen der Alpen; letzteres wird insbesondere auch auf der Gebietsfläche Österreichs
und der Schweiz deutlich (Abb. 2.50). Auf der verbleibenden Gebietsfläche Deutschlands
herrschen im nördlichen Teil mittlere Windgeschwindigkeiten zwischen 4 und 5 m/s, im
südlichen Teil in einigen Gebieten sogar teilweise unter 3 m/s vor. In geschützten Flusstä-
lern in Süddeutschland oder in den Alpen können die jahresmittleren Geschwindigkeiten
stellenweise sogar unter 2 m/s liegen.
Abb. 2.51 zeigt zusätzlich Zonen ähnlicher mittlerer Windgeschwindigkeit in Teilen der
Nord- und Ostsee. Dabei wird deutlich, dass insbesondere die Nordsee durch – verglichen
mit den Gegebenheiten im Binnenland – sehr hohe mittlere Geschwindigkeiten der strö-
124 B. Geyer et al.

Jahresmittlere 770
Windgeschwindigkeit
in 50m über Grund
1 - 4,0m/s
4,1 - 4,5m/s
4,5 - 5,0m/s
5,1 - 5,5m/s
5,5 - 6,0m/s
6,1 - 6,5m/s
>6,5 m/s
Höhenlinien

820
780
0
81

800
750

790
600
500
800
450

770

Abb. 2.52 Beispiel für eine Windgeschwindigkeitsverteilung im Jahresmittel bezogen auf 50 m Hö-
he über Grund im komplexen Gelände im Binnenland (nach [2.5])

menden Luftmassen gekennzeichnet sind. Aus der Darstellung geht aber auch hervor, dass
die durchschnittlichen Windgeschwindigkeiten mit zunehmender Küstennähe i. Allg. ab-
nehmen und immer geringere Werte zeigen. Auch kommen in der Ostsee im Durchschnitt
geringere mittlere Geschwindigkeiten vor als in der Nordsee; dies liegt an der insgesamt ge-
schützteren Lage der Ostsee aufgrund der sie nahezu vollständig umgebenden Landflächen.
Die in den Abb. 2.49, 2.50 und 2.51 dargestellten Windgeschwindigkeitsverteilungen
wurden auf der Grundlage vergleichsweise weniger Messpunkte mithilfe entsprechender
z. T. sehr komplexer Modelle ermittelt (u. a. [2.14, 2.29]). Bei einer kleinräumigen Analy-
se, wie es im Hinblick auf eine Nutzung der Windkraft bzw. für eine Evaluierung konkreter
Windkraftanlagenstandorte notwendig wäre, können sich deshalb diese Zusammenhänge
durchaus verschieben; dies gilt insbesondere im Binnenland und hier im Besonderen in
Mittelgebirgslagen aufgrund der sehr komplexen Orografie.
Abb. 2.52 zeigt exemplarisch die Verteilung der jahresmittleren Windgeschwindigkeit
für einen Geländeausschnitt mit komplexer Orografie bezogen auf 50 m Höhe über Grund.
Durch die eingetragenen Höhenlinien werden die innerhalb der Gebietsfläche befindlichen
Hügel und Täler deutlich. Bei dem dargestellten Beispiel liegt in den Tälern die jahresmitt-
lere Windgeschwindigkeit in der angegebenen Höhe aufgrund von Abschattungseffekten
unter 4 m/s. Im Gegensatz dazu sind die Hügelkuppen frei anströmbar, sodass dort höhe-
re Windgeschwindigkeiten im Bereich von z. T. über 6 m/s gegeben sind. Darüber hinaus
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 125

werden die bewegten Luftmassen beim Überströmen von Hügelformationen beschleunigt.


Dies und die freie Anströmbarkeit führen auf den Bergkuppen zu diesen vergleichsweise
hohen Windgeschwindigkeiten. Auf ebenen Flächen liegen demgegenüber die mittleren
Geschwindigkeiten des Windes im Bereich von 4 bis 5 m/s.
Derartige Karten der regionalen Verteilung der langjährigen Jahresmittel der Windge-
schwindigkeit enthalten aufgrund der notwendigerweise gegebenen Unschärfen nur erste
Anhaltspunkte zur Identifikation von Gebieten bzw. potenziellen Windkraftanlagenstand-
orten mit einem hohen Windenergieangebot. Für eine konkrete Standortevaluierung er-
setzen sie deshalb keinesfalls eine Messung der lokalen Windgeschwindigkeiten, da diese
von der Oberflächenrauigkeit in der Standortumgebung, eventuellen Hindernissen im Nah-
bereich, dem Geländerelief sowie von der Höhe über Grund erheblich beeinflusst werden;
diese Größen sind in einem erheblichen Ausmaß von den lokalen Bedingungen vor Ort
abhängig. Solche exemplarisch in Abb. 2.52 dargestellten Windgeschwindigkeitsvertei-
lungen ermöglichen aber die Identifikation von Gebieten und ggf. von Standorten, an
denen eine weitergehende Untersuchung bzw. eine Messung der Windgeschwindigkeits-
verhältnisse im Jahresverlauf sinnvoll sein könnte.

Zeitliche Variationen Abb. 2.53 zeigt am Beispiel eines Standorts in Norddeutschland


den Jahresgang mit monats- bzw. tagesmittleren Windgeschwindigkeiten, zwei Tages-
gänge mit stundenmittleren Luftströmungsgeschwindigkeiten (30. und 300. Tag) und
Geschwindigkeit in m/s

10
Geschwindigkeit in m/s

10
minutenmittlere

minutenmittlere

8 8

6 6
Stundengang
4 4
Stundengang
2 2

0 0
0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60
Zeit in Minuten Zeit in Minuten
Geschwindigkeit in m/s

10 10
Geschwindigkeit in m/s

stundenmittlere
stundenmittlere

8 8

6
Tagesgang
6

4 4
Tagesgang 2
2

0 0
0 3 6 9 12 15 18 21 24 0 3 6 9 12 15 18 21 24
Zeit in Stunden Zeit in Stunden
Windgeschwindigkeit in m/s

10
Jahresgang
8
monats- bzw.
tagesmittlere

0
0 30 60 90 120 150 180 210 240 270 300 330 360
Zeit in Tagen

Abb. 2.53 Jahresgang sowie Tages- und Stundenganglinien gemessener Windgeschwindigkeiten


am Beispiel eines Standorts in Norddeutschland (nach [2.5])
126 B. Geyer et al.

Abb. 2.54 Jahresmittlere Windgeschwindigkeiten an verschiedenen Standorten in Deutschland


(Daten nach [2.18])

zwei Stundenganglinien auf der Basis minutenmittlerer Geschwindigkeiten (jeweils für


die 12. Stunde). Demnach ist die Windgeschwindigkeit an diesem Standort durch einen
schwach ausgeprägten typischen Jahresgang gekennzeichnet; d. h. in den Wintermonaten
sind die Durchschnittswindgeschwindigkeiten etwas höher im Vergleich zu den Som-
mermonaten. In dem in Abb. 2.53 dargestellten Beispiel sind die Monate November
und Dezember durch die merklich höchsten monatsmittleren Windgeschwindigkeiten
gekennzeichnet. Demgegenüber zeigen die stunden- und minutenmittleren Windge-
schwindigkeiten hier nur sehr eingeschränkt einen typischen Verlauf, der an einem
speziellen bzw. konkreten Tag als charakteristisch erkennbar ist; das deutlich werden-
de Verhalten kann eher als stochastisch bezeichnet werden.
Aus der Darstellung (Abb. 2.53) geht auch die Variationsbreite hervor, innerhalb der die
tages-, stunden- und minutenmittleren Windgeschwindigkeiten während des dargestell-
ten Zeitraums schwanken können. Werden beispielsweise die Variationen der minuten-
mittleren Luftströmungsgeschwindigkeiten bezüglich des Stundenmittelwertes analysiert,
ergeben sich Variationen von ˙30 bis 40 %. Erkennbar ist aber auch, dass insbesonde-
re die stundenmittleren Werte im Tagesverlauf an zwei aufeinanderfolgenden Stunden
nicht signifikant voneinander abweichen; bei einem aufziehenden Gewitter und bei einem
Frontdurchgang kann das aber ganz anders aussehen.
Auch die jahresmittleren Windgeschwindigkeiten verschiedener Jahre sind durch sehr
starke Unterschiede gekennzeichnet. Abb. 2.54 zeigt die Jahresmittel der Windgeschwin-
digkeiten an vier Standorten im Verlauf mehrerer Jahrzehnte. Beispielsweise schwank-
ten demnach die jahresmittleren Windgeschwindigkeiten innerhalb des betrachteten Zeit-
raums auf dem Feldberg (Schwarzwald, Baden-Württemberg; 1 493 m ü. NHN) um einen
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 127

Abb. 2.55 Jahresgänge der 12

mittleren Windgeschwin-

Windgeschwindigkeit in m/s
digkeiten an verschiedenen 10

Standorten auf der Erde (Daten


8
nach [2.14])

0
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Zeit in Monaten
Helgoland, Germany (54°10'N 7°51'E) Lanzarote, Canary Islands (29°00'N 13°40'W)
Kuala Lumpur, Malaysia (3°38'N 101°41'E) Buenos Aires, Argentina (34°30'S 58°20'W)
Wellington, New Zealand (41°19'S 174°46'E)

langjährigen Mittelwert von rund 7,8 m/s; dabei sind in dem dargestellten Zeitraum Jah-
resmittelwerte zwischen maximal rund 9,1 m/s und minimal 6,4 m/s aufgetreten. Zu ähn-
lichen relativen Schwankungen kommt es auch an anderen Standorten innerhalb Deutsch-
lands. Im Unterschied dazu sind die jahresdurchschnittlichen Windgeschwindigkeiten bei-
spielsweise auf der Zugspitze (Wettersteingebirge, Bayern; 2 962 m ü. NHN) mit rund
7,2 m/s und auf dem Kahlen Asten (Rothaargebirge, Nordrhein-Westfalen; 841,9 m ü.
NHN) mit etwa 6 m/s entsprechend niedriger.
Insgesamt können damit die jahresmittleren Windgeschwindigkeiten – und damit letzt-
lich auch die daraus mittels Windkraftanlagen bereitstellbare elektrische Energie – er-
heblichen Variationen unterworfen sein. Abb. 2.54 zeigt auch, dass die Variationen der
dargestellten Jahresmittelwerte in einer ersten groben Näherung korreliert sind; häufig
zeigen im gleichen Jahr alle drei dargestellten Berg-Standorte relativ höhere oder rela-
tiv niedrigere Jahresdurchschnittswerte bezogen auf den langjährigen Durchschnittswert.
Dies lässt den Schluss zu, dass die Windgeschwindigkeiten an den dargestellten drei
Standorten auch wesentlich über die meteorologische Großwetterlage bestimmt werden.
Zusätzlich zu den drei Berg-Standorten zeigt Abb. 2.54 auch die Jahresmittelwerte der
Windgeschwindigkeit an einer Messstation in Hamburg. Trotz der Küstenlage Hamburgs
sind die hier gemessenen Werte im Vergleich zu den Berg-Standorten im Binnenland deut-
lich niedriger. Dies bestätigt den dargestellten Sachverhalt, dass exponierte Bergspitzen in
Zonen höherer mittlerer Windgeschwindigkeiten liegen (siehe oben).
Ebenso kann der Jahresgang in unterschiedlichen Jahren aufgrund der z. T. deutlich
voneinander abweichenden meteorologischen Gegebenheiten ein sehr unterschiedliches
Verhalten zeigen. Abb. 2.55 zeigt exemplarisch für fünf Standorte, die ein Spektrum der
global vorliegenden Gegebenheiten widerspiegeln, die monatsmittleren Windgeschwin-
digkeiten im Jahresverlauf. Demnach wird an allen hier untersuchten Standorten ein mehr
oder weniger ausgeprägter Jahresgang deutlich, der – je nach geografischer Lage – maxi-
128 B. Geyer et al.

schwindigkeit in m/s
Mittlere Windge-

Zeit in Monaten

Abb. 2.56 Monatsmittelwerte gemessener 10 Minuten-Windgeschwindigkeitsmesswerte in 100 m


Höhe (Bezugsjahr 2010; Fino steht für „Forschungsplattformen in Nord- und Ostsee“; Fino 1 (Nord-
see): N 54ı 000 53;500 E 6ı 350 15;500 , Fino 2 (Ostsee): N 55ı 000 25;300 E 13ı 090 15;100 , Fino 3
(Nordsee): N 55ı 11;70 E 7ı 9;50 ) [2.30]

male Werte in den Sommer- oder den Wintermonaten aufweisen kann. Auch zeigen die
Jahresgänge der Windgeschwindigkeiten je nach Standort ein signifikant unterschiedli-
ches Geschwindigkeitsniveau; dieses Niveau wird aber auch von den lokalen Gegeben-
heiten um die Messstation beeinflusst (u. a. Messhöhe, Abschattung).
Zusätzlich zeigt Abb. 2.56 die Monatsmittelwerte gemessener 10 Minuten-Messwerte
der Windgeschwindigkeit für Standorte in der Nord- und Ostsee. Deutlich wird, dass alle
dargestellten Messstationen durch einen deutlichen Jahresgang gekennzeichnet sind, der
minimale Windgeschwindigkeiten im Sommer und maximale Luftströmungsgeschwin-
digkeiten im Spätherbst bzw. im Winterhalbjahr zeigt. Im Vergleich zu den anderen darge-
stellten Jahresgängen auf Monatsbasis wird deutlich, dass die hier abgebildeten mittleren
Luftströmungsgeschwindigkeiten auf einem vergleichsweise sehr hohen Geschwindig-
keitsniveau von im Mittel zwischen 7 und 11 m/s liegen. Die Darstellung zeigt auch, dass
die Messwerte für das dargestellte Jahr bei den beiden Messstandorten in der Nordsee
deutlich besser korrelieren verglichen mit dem Ostseestandort. Dies liegt u. a. an der grö-
ßeren Entfernung zur Küste und den über der Ostsee – im Vergleich zur Nordsee – durch
die durchschnittlich dominierenderen Landflächen merklich stärkeren Abschattungseffek-
te.
Eine ähnliche Tendenz, wie sie bereits in Abb. 2.55 und 2.56 deutlich wurde, zeigen
auch die monatsmittleren Windgeschwindigkeiten, die, gemessen an vier Wetterstatio-
nen in Deutschland, zusammen mit dem jeweiligen Mittelwert in Abb. 2.57 gezeigt sind.
Zusätzlich sind die aufgetretenen Maximal- und Minimalwerte sowie die Standardabwei-
chungen dargestellt. Damit ist jede der in Abb. 2.57 präsentierten Wetterstationen durch
einen typischen Jahresgang charakterisiert. Die Sommermonate sind demnach in Deutsch-
land nahezu unabhängig von lokalen Einflüssen bzw. dem jeweiligen konkreten Standort
durch unter dem Jahresmittel liegende Windgeschwindigkeiten gekennzeichnet. Demge-
genüber herrschen im Verlauf des Winters im langjährigen Mittel überdurchschnittliche
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 129

Abb. 2.57 Mittelwerte gemessener monatsmittlerer Windgeschwindigkeiten (Mittelungszeitraum


zwischen 1961 und 1998; Daten nach [2.16])

Luftströmungsgeschwindigkeiten vor. Beispielsweise schwanken die Monatsmittel der


Windgeschwindigkeit auf dem Feldberg zwischen unter 6 m/s im Juli und August und
über 9 m/s im Dezember und Januar. Auch die jeweiligen monatsmittleren Windgeschwin-
digkeiten können in unterschiedlichen Jahren deutlich variieren; d. h. der in Abb. 2.57
deutlich werdende Jahresgang muss nicht zwingend in dieser Deutlichkeit an einem kon-
kreten Jahr erkennbar sein.
Oft ist ein Standort im langjährigen Mittel durch einen charakteristischen mittleren
Tagesgang gekennzeichnet, der jedoch an einem konkreten Tag teilweise deutlich, meist
aber nur sehr eingeschränkt bzw. überhaupt nicht erkennbar ist; d. h. der in Abb. 2.58
deutlich werdende Tagesgang ist i. Allg. nur im langjährigen Mittel erkennbar. Mit Aus-
nahme weniger Standorte zeigt ein derartiger mittlerer Tagesgang einen Verlauf, der dem
sogenannten Niederungs- oder Bodentyp entspricht (z. B. Norderney, Abb. 2.58). Wäh-
rend der Nachtstunden bis 6 Uhr früh weist die Windgeschwindigkeit hier ihr Minimum
auf und steigt danach allmählich an. Um 9 Uhr morgens wird i. Allg. der Tagesmittelwert
erreicht. Am frühen Nachmittag zwischen 14 und 16 Uhr ist die Geschwindigkeit dann
maximal und fällt danach wieder ab. Zwischen 19 und 20 Uhr erreicht sie wieder den Ta-
gesmittelwert und gegen Mitternacht bzw. kurz danach ihr Minimum. An einzelnen Tagen
kann der Tagesgang der Windgeschwindigkeit wetterlagenbedingt erheblich von diesem
mittleren jährlichen Tagesgang abweichen. Der beschriebene Tagesgang entspricht damit
130 B. Geyer et al.

7,5 7,5
Hohenpeißenberg
Stundenmittlere Windgeschwindigkeit in m/s 7,0 7,0

Stundenmittlere Windgeschwindigkeit in m/s


Maximalwert
6,5 6,5 Standardabweichung
Mittelwert
6,0 6,0 Standardabweichung
Minimalwert

5,5 5,5

5,0 5,0
Maximalwert
4,5 Standardabweichung 4,5
Mittelwert
Standardabweichung
4,0 Minimalwert 4,0

3,5 3,5
Norderney
3,0 3,0
0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24
Zeit in Stunden Zeit in Stunden

Abb. 2.58 Mittelwerte gemessener tagesmittlerer Windgeschwindigkeiten an unterschiedlichen


Standorten (Daten nach [2.16])

dem Tagesgang der thermischen Schichtung bei störungsfreiem Wetter mit einer kräftigen
Durchmischung der bodennahen Luftschicht während des Tages und stabiler Schichtung
während der Nacht (u. a. [2.3, 2.10, 2.11]).
In exponierten Gipfellagen (z. B. Hohenpeißenberg, Abb. 2.58) sowie in topografisch
wenig gegliedertem Gelände oberhalb von 50 bis 100 m über Grund kehrt sich der Ta-
gesgang der Windgeschwindigkeit um und entspricht dem sogenannten Höhentyp. Das
Geschwindigkeitsmaximum wird in den Nachtstunden, das Minimum mittags oder nach-
mittags erreicht. Diese Umkehrung des mittleren Tagesgangs der Windgeschwindigkeit
beim Höhentyp im Vergleich zum Bodentyp erklärt sich wiederum aus der unterschied-
lichen thermischen Schichtung zwischen Tag und Nacht. Tagsüber weitet sich bei labiler
Schichtung die planetarische Grenzschicht auf, wodurch der Wind in der Höhe abgebremst
wird. Bei stabiler Schichtung in der Nacht ist die Luftströmung in der Höhe von der
bodennahen Schicht abgekoppelt und erreicht häufig sehr hohe mittlere Windgeschwin-
digkeiten [2.20].
Im Bereich zwischen 50 und 100 m über Grund entspricht der mittlere Tagesgang der
Windgeschwindigkeit dem sogenannten Übergangstyp. In dieser Höhenschicht tritt ei-
ne Doppelwelle mit zwei Geschwindigkeitsmaxima gegen Mittag und Mitternacht sowie
zwei Minima am Morgen und Abend auf; insgesamt sind die Amplituden aber jeweils
relativ klein [2.20].
Für eine Offshore-Windkraftnutzung ist die Abhängigkeit zwischen der Windge-
schwindigkeit und der Wellenhöhe ein wichtiges Kriterium für die Auslegung der
entsprechenden Windkraftanlagenfundamente. Deshalb zeigt Abb. 2.59 exemplarisch die
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 131

Signifikante Wellenhöhe in m

Windgeschwindigkeit in m/s

Abb. 2.59 Signifikante Wellenhöhe in Abhängigkeit der Windgeschwindigkeit bezogen auf 101 m
über dem mittleren Meeresspiegel (NHN) an einem typischen Offshore-Windkraftanlagenstandort
(hier: Standort der Forschungsplattform Fino 1 (N 54ı 000 53;500 , E 6ı 350 15;500 ) in der Nordsee
etwa 45 km nördlich von Borkum in einer Wassertiefe von ca. 30 m; N Norden, O Osten, S Süden,
W Westen) (Daten nach [2.57])

signifikante Wellenhöhe in Abhängigkeit der Windgeschwindigkeit an einem typischen


Windkraftanlagenstandort in der Nordsee. Deutlich wird die nahezu direkt proportionale
Zunahme der signifikanten Wellenhöhe mit der mittleren Luftströmungsgeschwindigkeit.
Demnach können beispielsweise bei Windgeschwindigkeiten um die 25 m/s signifikante
Wellenhöhen von mehr als 7 m erreicht werden. Die Darstellung zeigt aber auch die doch
erhebliche Abhängigkeit der signifikanten windgeschwindigkeitsabhängigen Wellenhöhe
von der Windrichtung. Beispielsweise werden bei diesem Standort bei einer bestimmten
Windgeschwindigkeit bei nordwestlichen Windrichtungen i. Allg. die höchsten Wellen-
höhen und bei Südost-Windrichtungen bei der gleichen Windgeschwindigkeit die relativ
kleinsten signifikanten Wellenhöhen erreicht.
Die strömenden Luftmassen sind auch durch eine sich jeweils mit der Zeit verändern-
de Strömungs- oder Windrichtung gekennzeichnet. Bestimmte Standorte können durch
eine bevorzugte Windströmungsrichtung gekennzeichnet sein und andere durch Wind-
richtungen, die im Jahresverlauf zwischen den vier Windrichtungen näherungsweise aus-
geglichen sein können. Exemplarisch zeigt Abb. 2.60 die windrichtungsabhängige Wind-
geschwindigkeitsverteilung in unterschiedlichen Höhen (50 m, 100 m, 175 m Höhe über
Grund), die am Messmast der Universität Hamburg im Mittel der Jahre 2004 bis 2017
gemessen wurden. Demnach kommt an diesem Standort der Wind primär aus westli-
cher Richtung; Wind aus nördlicher Richtung ist demgegenüber sehr unwahrscheinlich.
Auch wird deutlich, dass die Windgeschwindigkeit mit zunehmender Höhe über Grund
132 B. Geyer et al.

a N b N c N
330° 30° 330° 30° 330° 30°

300° 60°

W O

240° 120°

210° 150° 210° 150° 210° 150°

S S S
0 - 5 m/s 5 - 10 m/s 10 - 15 m/s 15 - 20 m/s > 20 m/s

Abb. 2.60 Häufigkeit der Windrichtung im langjährigen Durchschnitt (April 2004 bis Dezember
2017) am Messmast der Universität Hamburg in einer Höhe von 50 m (a), 100 m (b) und 175 m (c)
(Daten nach [2.58])

zunimmt, sich gleichzeitig aber die Windrichtungen nur sehr begrenzt verändern; dies gilt
insbesondere für eine Höhe von 100 und 175 m über Grund, da hier der Einfluss der rau-
en Erdoberfläche (u. a. Gebäudebestand) entsprechend geringer ist im Vergleich zu einer
Höhe von 50 m über Grund.
Zusätzlich zeigt Abb. 2.61a die langjährig vorherrschenden Windrichtungen auf 90 m
Höhe bei Fino 1; die Forschungsplattform Fino 1 befindet sich in der Nordsee etwa 45 km
nördlich von Borkum in einer Wassertiefe von ca. 30 m in unmittelbarer Nähe des dort
betriebenen Windparks Alpha Ventus, Borkum Riffgrund I und dem im Westen gelegenen

a N b N c N
330° 30° 330° 30° 330° 30°

300° 60°

W O

240° 120°

210° 150° 210° 150° 210° 150°

S S S
0 - 5 m/s 5 - 10 m/s 10 - 15 m/s 15 - 20 m/s > 20 m/s

Abb. 2.61 Windrichtungsverteilung auf Fino 1 (a), Fino 2 (b) und Fino 3 (c) im Durchschnitt des
Zeitraums 01/2008 bis 12/2017 (Fino steht für „Forschungsplattformen in Nord- und Ostsee“; Fino 1
(Nordsee): N 54ı 000 53;500 E 6ı 350 15;500 , Fino 2 (Ostsee): N 55ı 000 25;300 E 13ı 090 15;100 , Fino 3
(Nordsee): N 55ı 11;70 E 7ı 9;50 ) (Daten nach [2.59])
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 133

Windpark Borkum. Demnach sind hier die Luftströmungen durch eine deutliche Südwest-
Richtung geprägt. Dies gilt auch für den Standort Fino 2 (Abb. 2.61b); dieser Standort
liegt in der Ostsee am Südrand der Untiefe Kriegers Flak rund 33 km nördlich der Insel
Rügen im Dreiländereck Dänemark-Deutschland-Schweden in der Nähe des Windparks
Baltic 2 und des Windparks Kriegers Flak. Demnach dominieren auch in der Ostsee West-
und Südwest-Winde das Windregime (Abb. 2.61b). Fino 3, in der Nordsee rund 80 km
westlich von Sylt im näheren Umfeld der Windparks Butendiek, DanTysk und Sandbank
gelegen, weist im Unterschied zu den beiden anderen Offshore-Standorten auch größere
Anteile der Windrichtungen im Bereich Südwest bis Nordwest auf (Abb. 2.61c). Deutlich
wird an allen drei Standorten, dass Wind aus Nord / Nordnordost sehr unwahrscheinlich ist
und dass mit den jeweils höchsten Wahrscheinlichkeiten der Wind aus Nordwest / West /
Südwest weht.

Häufigkeitsverteilung Gemessene Windgeschwindigkeiten können zu unterschiedli-


chen Zeitpunkten und an verschiedenen Orten – trotz eines z. T. erkennbaren Tages-
und Jahresgangs – sehr verschiedenartig sein; eine Vergleichbarkeit gemessener Zeitrei-
hen ist nur schwer möglich. Aus Sicht einer Windkraftnutzung gilt dies insbesondere
auch deshalb, weil letztlich die an einem potenziellen Standort nutzbare Windleistung
bzw. der daraus über der Zeit erzielbare Energieertrag die primäre Zielgröße der An-
lagenauslegung ist und hierbei die Windgeschwindigkeit mit der dritten Potenz in die
Leistungsberechnung eingeht (Gleichung (2.33)). Deshalb werden Windgeschwindig-
keitsmessreihen unterschiedlicher zeitlicher Auflösung durch ihre Verteilungsfunktionen
charakterisiert; sie sind auf dieser Basis dann besser miteinander vergleichbar und auch im
Hinblick auf einen potenziellen Windenergieertrag einfacher interpretierbar. Dazu werden
die Messwerte klassifiziert und die Auftrittswahrscheinlichkeit der verschiedenen Klassen
bezogen auf die Gesamtanzahl der Messdaten über diese Windgeschwindigkeitsklassen
aufgetragen. Dabei zeigt sich immer ein typischer Verlauf dieser Häufigkeitsverteilung.
Abb. 2.62 zeigt schematisch derartige Häufigkeitsverteilungen für einen Binnenland-
(geringste jahresmittlere Windgeschwindigkeit), einen Mittelgebirgs- (mittlere jah-
resmittlere Windgeschwindigkeit) und einen Küstenstandort (höchste jahresmittlere
Windgeschwindigkeit). Demnach flachen die Häufigkeitsverteilungen mit ansteigender
mittlerer Windgeschwindigkeit immer mehr ab; das Maximum der Kurve der Häufigkeits-
verteilung sinkt hin zu geringeren Auftrittswahrscheinlichkeiten.
Abb. 2.63, links, zeigt exemplarisch gemessene Verteilungen stundenmittlerer Ge-
schwindigkeitsmesswerte an unterschiedlichen Standorten in einem Mittelgebirge. Dabei
sind im Bereich der jahresdurchschnittlichen Windgeschwindigkeit jeweils die höchsten
Auftrittswahrscheinlichkeiten gegeben. Sind die mittleren Luftströmungsgeschwindig-
keiten relativ niedrig, nehmen diese Wahrscheinlichkeiten vergleichsweise schnell hohe
Werte an, die jedoch nur auf einen kleinen Geschwindigkeitsbereich beschränkt sind. Mit
zunehmender mittlerer Strömungsgeschwindigkeit nimmt die absolute Höhe der maxima-
len Auftrittswahrscheinlichkeit dann ab; gleichzeitig kommt es aber auch hier zu einem
deutlich flacheren Verlauf der Häufigkeitsverteilung.
134 B. Geyer et al.

20 Küste (Nord- und Ostsee, Schleswig-Holstein)


18 Mittelgebirge (ohne Hochlagen)
16 Alpenvorland (600 ... 1 000 m Nordwest-Schwarzwald)

14
Häufigkeit in %

12
10
8
6
4
2
0
Wind- 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
stille
Windgeschwindigkeit in m/s

Abb. 2.62 Schematische Häufigkeitsverteilungen der Windgeschwindigkeit an unterschiedlichen


Standorten

28 28
Standort A Weibull

24 Standort B Rayleigh
24
Standort C
Relative Häufigkeit in %

Relative Häufigkeit in %

20 Standort D 20

16 16

12 12

8 8

4 4

0 0
0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20
Windgeschwindigkeit in m/s Windgeschwindigkeit in m/s

Abb. 2.63 Häufigkeitsverteilung von gemessenen Windgeschwindigkeiten für unterschiedliche


Standorte (links) und eine entsprechende Annäherung für Standort B (rechts); nach [2.5]

Solche Verteilungen können mit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitsdichtefunktio-


nen, die durch wenige Parameter beschreibbar sind, angenähert werden. Für die Wind-
geschwindigkeitsverteilung kommen dabei die Weibull- oder die Rayleigh-Verteilung in
Frage (Abb. 2.63, rechts). Dabei wird meistens die Weibull-Verteilung als die allgemeiner
definierte Verteilungsfunktion herangezogen. Die entsprechende Dichtefunktion ist nach
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 135

Tabelle 2.4 Form- und Skalierungsfaktoren der Häufigkeitsverteilung der Windgeschwindigkeit


für verschiedene Standorte in Deutschland [2.31]
Standort Jahresmittlere Geschwindigkeit Skalierungsfaktor A Formfaktor C
in m/s in m/s
Helgoland 7,2 8,0 2,09
List 7,1 8,0 2,15
Bremen 4,3 4,9 1,85
Braunschweig 3,8 4,3 1,83
Saarbrücken 3,4 3,9 1,82
Stuttgart 2,5 2,8 1,24

Gleichung (2.34) festgelegt. Dabei ist C der sogenannte Formparameter und A ein Skalie-
rungsfaktor (Tabelle 2.4). vWi beschreibt die Windgeschwindigkeit.

C  vW i .C 1/ . vW i /C
f .vW i / D e A (2.34)
A A
Daraus ergeben sich beispielsweise für verschiedene Standorte in Deutschland die in
Tabelle 2.4 exemplarisch zusammengestellten Form- und Skalierungsfaktoren. Demnach
nimmt der Formfaktor mit abnehmender jahresmittlerer Geschwindigkeit i. Allg. kleinere
Werte an.

2.5 Lauf- und Speicherwasserangebot

Martin Kaltschmitt, Klaus Jorde und Beate Geyer

Von der gesamten auf die Erde eingestrahlten Sonnenenergie werden ca. 21 % bzw.
1;2  106 EJ/a für die Aufrechterhaltung des globalen Wasserkreislaufs aus Verdunstung
und Niederschlag umgesetzt. Als kinetische und potenzielle Energie, die in den Flüssen
und Seen der Erde gespeichert ist, stehen davon allerdings letztlich nur knapp 0,02 %
bzw. 200 EJ/a für eine potenzielle technische Nutzung durch den Menschen zur Verfü-
gung [2.32].

2.5.1 Grundlagen

Wasservorräte der Erde Die Wasservorräte der Erde, die fest (Eis), flüssig (Wasser)
und gasförmig (Wasserdampf) vorliegen, umfassen insgesamt ein Volumen von knapp
1;4  109 km3 [2.32].
Tabelle 2.5 zeigt die globale volumenmäßige Aufteilung der verschiedenen Vorkom-
mensmodifikationen von Wasser auf der Erde. Demnach nimmt der in der Atmosphäre
enthaltene Wasserdampf mit 0,001 % nur einen verschwindend kleinen Prozentsatz am
136 B. Geyer et al.

Tabelle 2.5 Wasservorräte auf der Erde [2.32]


Volumen in 103 km3 Volumenanteil in %
Wasserdampf in der Atmosphäre (gasförmig) ca. 13 ca. 0,001
Wasser (flüssig) in Flüssen und Bächen ca. 1 ca. 0,00001
Süßwasserseen ca. 125 ca. 0,009
Grundwasser ca. 8 300 ca. 0,61
Meeren ca. 1 322 000 ca. 97,2
Eis (fest) in Polareis und Gletschern ca. 29 200 ca. 2,15
Gesamtmenge ca. 1 360 000 100,0

gesamten auf der Erde vorhandenen Wasser ein. Auch der Anteil des Eises ist mit 2,15 %
vergleichsweise gering. Demzufolge besteht der weitaus überwiegende Teil der globalen
Wasservorräte mit rund 97,8 % aus Wasser in flüssiger Form, das vorwiegend in den Mee-
ren konzentriert ist.

Wasserkreislauf Der dargestellte Vorrat an Wasser auf der Erde befindet sich infolge
der eingestrahlten Sonnenenergie in einem Kreislauf. Er wird im Wesentlichen durch eine
Verdunstung aus den Weltmeeren und u. a. den Pflanzen und den Gewässern auf den Kon-
tinenten gespeist (Abb. 2.64). Der größte Wasserlieferant der Atmosphäre sind dabei die
Meere. Aus ihnen verdunstet etwa das Siebenfache an Wasser wie über dem Land. Dieses
verdunstete Wasser wird als Wasserdampf innerhalb der Atmosphärenschichten infolge
der globalen und lokalen Luftbewegungen z. T. sehr weiträumig und / oder teilweise nur
lokal transportiert und schlägt sich anschließend u. a. als Regen, Schnee, Graupel oder Tau
erneut auf die Erdoberfläche nieder. Dabei regnet typischerweise über dem Meer etwas

jährlicher
Niederschlag
(Regen und Schnee) Atmosphäre
577·103 km3/a

Verdunstung Verdunstung
vom Meer Niederschlag vom Land
116·103 km3/a
3 3
Erdoberfläche
505·10 km /a
461·103 km3/a 72·103 km3/a

Erde
47·103 km3/a

Abb. 2.64 Wasserkreislauf der Erde (1 km3 D 1 000 Mrd. L; Datenquelle nach [2.60])
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 137

weniger Wasser ab als dort verdunstet; d. h. über den Weltmeeren fällt etwa 50 000 km3 /a
weniger Niederschlag als dort an Wasser verdunstet. Daraus resultieren entsprechend hö-
here Niederschläge auf dem Land und damit ein Nettoimport von Wasser von den Meeren
über die Atmosphäre auf die Kontinente. Diese Niederschläge nähren hier Schneefelder,
Gletscher, Bäche, Flüsse, Seen und Grundwasservorkommen. Das dadurch sich für die
Weltmeere ergebende Wasserdefizit wird ausgeglichen durch Wasserzuflüsse vom Land
zum Meer über Bäche und Flüsse sowie durch das Abschmelzen von Eis.
Wird der weltweite Gesamtniederschlag auf die Oberfläche der Erde bezogen, ergibt
sich ein durchschnittlicher Jahresniederschlag von rund 972 mm (1 mm entspricht 1 L/m2 ).
Diese Werte variieren lokal erheblich; beispielsweise fällt in Wüstengebieten z. T. im Ver-
lauf vieler Jahre überhaupt kein Regen; an exponierten Stellen u. a. an Bergaufstiegen
können demgegenüber bis zu 5 000 mm und mehr im Jahresverlauf niedergehen.
In Deutschland liegt das Jahresniederschlagsmittel bei etwa 766 mm und damit über
dem für die Kontinente geltenden Jahresmittelwert von rund 745 mm. Von dem über
Deutschland niedergehenden Wasservolumen von knapp 30 km3 /a verdunsten direkt oder
indirekt etwa 62 %; die verbleibenden 38 % fließen als Oberflächen- oder Grundwasser
ab. Dabei werden etwa 14 % des gesamten auf die Gebietsfläche Deutschlands nieder-
gehenden Wassers von den Menschen in unterschiedlichster Weise (u. a. Landwirtschaft,
Haushalte, Industrie) genutzt und anschließend zum größten Teil den Oberflächengewäs-
sern zugeführt.
Die potenzielle Energie, die das Wasser in den wolken- bzw. regenbildenden Schich-
ten der Atmosphäre erreicht, ist nur zu einem kleinen Teil nutzbar. Bei dem über den
Weltmeeren abregnenden Teil setzt sich diese Energie dort im Wesentlichen in nicht ge-
winnbare Wärme um. Von dem auf die Kontinente niedergehenden Anteil verdunstet
ein wesentlicher Anteil. Ein weiterer Teil versickert im Untergrund und nährt dort das
Grundwasser; die entsprechende potenzielle Energie dieses Niederschlagsanteils ist damit
ebenfalls nicht vollständig nutzbar, da Teile dieses Wassers erst an entsprechend tiefer ge-
legenen Quellen wieder zutage treten. Für eine potenzielle Nutzung steht deshalb letztlich
nur das abfließende Oberflächenwasser zur Verfügung und damit nur etwa 36 % des auf die
Kontinente niedergehenden Gesamtregenaufkommens. Davon ist nur die aus den jeweili-
gen Höhenunterschieden zwischen dem Ort des entsprechenden Niederschlags und dem
Meeresspiegel resultierende potenzielle Energie theoretisch nutzbar. Ohne eine technische
Nutzbarmachung wird diese Energie, die in den Wasserläufen bzw. den Seen gespeichert
ist, durch Erosion im Flussbett sowie durch Wirbelbildung in thermische Energie auf ei-
nem Temperaturniveau nahe der Umgebungstemperatur umgewandelt.

Niederschlag In der Erdatmosphäre sind in verschiedenen Atmosphärenschichten unter-


schiedliche Volumina an Wasserdampf enthalten. Dieser Wasserdampf geht dann in eine
sichtbare Form über, wenn die Lufttemperatur unter den Taupunkt des Wassers sinkt und
sich Wassermoleküle an Kondensationskernen (d. h. feinen, schwebenden Aerosolparti-
keln) anlagern und kleine Wassertröpfchen bilden. Liegen die Temperaturen oberhalb des
Gefrierpunktes, kann es dann zu Niederschlägen kommen, wenn sich Wolkentröpfchen
138 B. Geyer et al.

aneinander lagern (Koaleszenz) und nicht mehr von der Luftströmung getragen werden
können (u. a. [2.3, 2.10, 2.11]).
Je nach Größe und Entstehung des Niederschlags werden in der Meteorologie verschie-
dene Formen unterschieden.

 Flüssiger Niederschlag. Bei Niederschlag in flüssiger Form spricht man von Regen. Es
wird zwischen Nieselregen mit Tropfenradien zwischen 0,05 und 0,25 mm und „ge-
wöhnlichem“ Regen mit Tropfenradien zwischen 0,25 und 2,5 mm unterschieden. Je
nach Entstehung, Dauer und Wirkung des Regens kann u. a. noch zwischen Dauer-
regen, Konvektionsregen oder Frontregen unterschieden werden. Derartiger flüssiger
Niederschlag kann auch aus Wolken fallen, die Eiskristalle enthalten (z. B. Gewitter-
wolken); auf dem Weg zur Erdoberfläche geht ein solcher Niederschlag dann i. Allg.
von der festen in die flüssige Phase über.
 Fester Niederschlag. Kondensiert der Wasserdampf nicht zu Wasser, sondern zu Eis,
bilden sich Schneeflocken; diese sogenannte Resublimation kann nur bei Tempera-
turen unter 12 ı C stattfinden. Liegt die Lufttemperatur in den Luftschichten unter
den Wolken auch unter dem Gefrierpunkt, kommt es zu einem Niederschlag in fes-
ter Form. Darunter versteht man u. a. Schnee, Schneegriesel, Eisnadeln, Graupel und
Hagel. Schnee besteht dann aus Schneesternen oder anderen Arten von Eiskristallen,
die entweder einzeln oder zu Flocken zusammengewachsen sein können (u. a. [2.3,
2.10, 2.11]). Graupel besteht demgegenüber aus kleinen, unregelmäßig geformten, ge-
frorenen Körnchen, die zwischen 2 und 5 mm groß sind. Gefrieren Regentropfen und
lagert sich immer mehr Wasser an ihnen ab, das dann ebenfalls gefriert, entstehen Ha-
gelkörner. Sie bestehen damit aus verschiedenen gefrorenen Wasserschichten und sind
mindestens 5 mm groß.

Zusätzlich wird Wasser noch in Form von Tau bzw. Reif von der Atmosphäre auf die
Erdoberfläche abgegeben. Dies ist ebenfalls eine Form von Niederschlag, die sich durch
Kondensation bzw. Deposition von gasförmigem Wasser bildet, wenn die Temperatur ei-
ner Oberfläche in unmittelbarer Nähe des Erdbodens unter dem Tau- bzw. Reifpunkt liegt.
Konkret werden dabei unter Tau kleine Wassertröpfchen verstanden, die entstehen, wenn
Wasserdampf aus der Luft an Pflanzen oder anderen Oberflächen kondensiert. Gefriert
dieser Tau oder der sich ablagernde Wasserdampf und wird gleich zu Eis, nennt man das
Reif. Zusätzlich können Nebel oder Wolken Wasserablagerungen oder, bei Temperatu-
ren unter dem Gefrierpunkt, verschiedene Arten von Frostablagerungen bilden (u. a. [2.3,
2.10, 2.11]).

Vom Niederschlag zum Abfluss Das als Niederschlag auf eine Landfläche innerhalb
einer bestimmten Zeitspanne niedergehende Wasser wird im Boden oder kurzzeitig auf
der Vegetation gespeichert, verdunstet erneut oder fließt in Bächen und Flüssen ab. Dabei
kann für ein bestimmtes Gebiet (Abb. 2.65) das insgesamt verfügbare Wasser im Verlauf
eines bestimmten Zeitabschnitts über die Wasserhaushaltsgleichung beschrieben werden
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 139

Abb. 2.65 Wasserkreislauf


mit Niederschlag N, Verduns-
tung V und unter- (u) bzw. NO N Meer

oberirdischer (o) Abfluss A auf


einem Gebiet mit der Oberflä- VO
che O (nach [2.32])

A o,O
VMeer

Au,O
Meer
O

(Gleichung (2.35)). Dabei ist N O der Niederschlag auf die Oberfläche O eines bestimmten
Gebiets, Ao;O ist der oberirdische und Au;O der unterirdische Abfluss aus diesem Gebiet
während der Zeitdauer t. V O ist die Verdunstung von der Oberfläche dieser Gebietsfläche
und RO der Rückhalt bzw. die Retention (d. h. der im Boden zwischenzeitlich gespeicherte
Anteil) während des gleichen Zeitraums.

NO D .Ao;O C Au;O / C VO ˙ RO (2.35)

Unter dem Niederschlag ist hier Schnee, Eis und / oder Wasser zu verstehen. Wird die
Zeitdauer t genügend groß gewählt, kann der Rückhalt vernachlässigt werden, da er sich
in einem entsprechend langen Zeitraum näherungsweise ausgleicht.
Üblicherweise wird der Niederschlag allerdings in Form der Niederschlagshöhe aus-
gedrückt (d. h. als Quotient aus Niederschlagsvolumen und Oberfläche (N O /O) in mm).
Dies gilt auch für die Abflusshöhe, die den Anteil der Niederschlagshöhe beschreibt, der
effektiv zum Abfluss kommt und nicht verdunstet oder im Grundwasserstrom aus dem
betrachteten Gebiet abfließt. Der sogenannte Abflusskoeffizient, definiert als Quotient aus
Abfluss und flüssigem Niederschlag, beschreibt dabei, welcher Anteil der Niederschläge
letztlich zum Abfluss gelangt. Er hängt – neben einer Vielzahl weiterer Parameter – ins-
besondere von den Niederschlägen und der Beschaffenheit des betrachteten Gebiets (u. a.
Vegetation, Durchlässigkeit, Topografie) ab. Grundsätzlich steigt jedoch mit zunehmender
Niederschlagshöhe auch der Abflusskoeffizient.
Ausgehend von diesen Zusammenhängen kann das Abflussgeschehen eines bestimm-
ten Gebiets beschrieben werden. Mit Kenntnis der Niederschläge, der Verdunstung und
des Rückhalts lässt sich damit auch, zumindest qualitativ, das Abflussregime erklären; da-
runter wird der zeitliche Verlauf und die Größe der Abflüsse eines Flusses oder Baches
verstanden. Dazu muss die eindeutige Zuordnung des Einzugsgebiets zum entsprechen-
den abfließenden Gewässer bekannt sein. Der einem betrachteten Punkt eines Flusslaufs
zuströmende „Zufluss“ ist dabei gleich dem „Abfluss“ des betreffenden Einzugsgebiets;
140 B. Geyer et al.

er weist zeitliche Variationen auf, deren Umfang und Verlauf auch von Jahr zu Jahr i. Allg.
sehr unterschiedlich sein können.
Der Abfluss eines Einzugsgebiets hängt u. a. von der Fläche des Gebiets und von
den auftretenden Niederschlägen ab. Dabei ist zu beachten, dass die das Einzugsgebiet
begrenzende (oberirdische) Wasserscheide bei Vorliegen geneigter wasserundurchlässi-
ger Schichten von der unterirdischen Wasserscheide z. T. deutlich abweichen kann. Der
Abfluss eines bestimmten Gebietes kann dadurch z. T. erheblich vergrößert oder ggf. sig-
nifikant verkleinert werden.
Niederschläge und Abfluss eines bestimmten Einzugsgebiets stehen nur in einem mit-
telbaren Zusammenhang, da der niedergehende Regen nur z. T. sofort abfließt. In Zeiten
mit einem hohen Niederschlagsaufkommen treten durch die Bildung von Reserven Ab-
flussverzögerungen auf; zu Ausnahmen kommt es dann, wenn die Böden bereits stark mit
Wasser gesättigt sind. In Zeiten mit geringen Niederschlägen kommt durch Inanspruch-
nahme dieser Reserven ein vermehrter Abfluss zustande. Bei Temperaturen unter dem
Gefrierpunkt treten zusätzliche Abflussverzögerungen durch Bildung von Schnee und Eis
auf. Außerdem gehen Teile des Niederschlags für die Abflussbildung vollständig verloren
– u. a. durch unmittelbare Verdunstung, durch indirekte Verdunstung über den Pflanzen-
bewuchs oder durch vermehrte Verdunstung infolge von Bewässerungsmaßnahmen. Da-
durch und durch Stauungen ist der direkte Schluss von den fallenden Regenmengen auf
den Abfluss nicht zulässig; eine genauere Erfassung muss vielmehr durch entsprechende
Abflussmessungen erfolgen.
Von Bedeutung für das Abflussgeschehen eines bestimmten Gebiets ist auch der
Schneefall, da das im Schnee gespeicherte Wasser erst verspätet zum Abfluss kommt (d. h.
erst mit der Schneeschmelze). Beeinflusst wird das Abschmelzen der Schneedecke dabei
u. a. von der Lufttemperatur, der Globalstrahlung, dem Wind und der Topografie. Dabei
kann die (plötzlich) einsetzende Schneeschmelze über gefrorenem Boden – ebenso wie
ein starker Regen, der das Speichervermögen eines Gebiets übersteigt – zu Hochwasser-
ereignissen führen. Extreme Hochwässer treten deshalb häufig bei einer Kombination von
Schneeschmelze und starken Regenfällen, welche bei einer entsprechenden Schneedecke
den Tauprozess zusätzlich beschleunigen, auf, wie es in den deutschen Mittelgebirgen im
Frühjahr gelegentlich vorkommt.

Leistung und Arbeitsvermögen des Wassers Infolge der Schwerkraft fließt das Was-
ser in einem Bach oder Fluss von einem Ort größerer geodätischer Höhe zu einem Ort
niedrigerer Höhe. An beiden Orten besitzt das Wasser eine bestimmte, voneinander ver-
schiedene, potenzielle und kinetische Energie. Zur Bestimmung dieser Energiedifferenz
des abfließenden Wassers kann näherungsweise von einer stationären und reibungsfreien
Strömung ausgegangen und Inkompressibilität unterstellt werden. Dann ist die hydrodyna-
mische Druckgleichung nach Bernoulli [2.33] anwendbar; sie kann nach Gleichung (2.36)
geschrieben werden.
1
p C W a g h C W a vW 2
a D const: (2.36)
2
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 141

p ist der hydrostatische Druck, Wa die Dichte des Wassers, g die Erdbeschleunigung,
h die Fallhöhe und vWa die Fließgeschwindigkeit des Wassers. Gleichung (2.36) kann so
umgeformt werden, dass der erste Term die Druckhöhe, der zweite die Ortshöhe und der
dritte die Geschwindigkeitshöhe darstellt (Gleichung (2.37)).

2
p 1 vW
ChC a
D const: (2.37)
W a g 2 g

Mit Gleichung (2.37) kann beispielsweise die in einen bestimmten Flussabschnitt nutz-
bare Fallhöhe hnutz bestimmt werden. Sie berechnet sich nach Gleichung (2.38) aus der
geodätischen Höhendifferenz, den Druckunterschieden und den unterschiedlichen Fließ-
geschwindigkeiten des Wassers. Dabei handelt es sich um eine idealisierte Betrachtung
ohne Berücksichtigung der in Wirklichkeit immer gegebenen Verluste. Unter realen Ge-
gebenheiten ist deshalb von dieser Nutzfallhöhe noch die Verlustfallhöhe zu subtrahieren,
die aus den Verlusten durch die Reibung der Wassermoleküle untereinander und mit der
sie umgebenden Materie resultiert (Kapitel 7.1).

a;1  vW a;2
2 2
p1  p2 vW
hnutz D .h1  h2 / C C (2.38)
W a g 2g

Mit meist genügend großer Genauigkeit kann – da die Komponenten in Gleichung


(2.38), die durch die Druckunterschiede bzw. die Geschwindigkeitsunterschiede bestimmt
werden, im Regelfall relativ klein sind – normalerweise der geodätische Höhenunter-
schied der Oberflächen zweier Wasserkörper in einem Fließgewässer (z. B. Bach, Fluss)
als die nutzbare Fallhöhe angesehen werden. Die anderen Anteile in Gleichung (2.38)
treten hauptsächlich innerhalb des hydraulischen Systems einer Wasserkraftanlage auf.
Ausgehend davon kann die aus dem entsprechenden Wasserangebot resultierende Leis-
tung PWa mit Gleichung (2.39) berechnet werden. Dabei ist qP W a der volumenbezogene
Abfluss. Maßgebend für die Leistung des Wassers zwischen zwei Punkten ist also das
Produkt aus Abfluss und nutzbarer Fallhöhe. Dabei lassen sich i. Allg. in Gebirgslagen
vor allem große Fallhöhen erzielen, während im Tiefland in erster Linie der Durchfluss
hohe Werte annimmt.

PW a D W a g qP W a hnutz (2.39)

Durch Integration von Gleichung (2.39) über die Zeit erhält man das korrespondie-
rende Arbeitsvermögen der Wasserkraft. Es berechnet sich demnach aus der Dichte des
Wassers, der Erdbeschleunigung, dem Abfluss innerhalb eines bestimmten Zeitraums und
der nutzbaren Fallhöhe.
Aus Sicht der technischen Wasserkraftnutzung an einem bestimmten Standort ist die
Fallbeschleunigung g ebenso wie die Dichte des Wassers Wa unbeeinflussbar. Damit
wird die potenziell nutzbare Leistung eines Wasserkraftanlagenstandortes primär durch
142 B. Geyer et al.

die nutzbare Fallhöhe hnutz und den nutzbaren Abfluss qPW a bestimmt. Im Sinne einer Ma-
ximierung der potenziell erschließbaren Leistung bzw. der im Verlauf einer definierten
Zeitspanne (z. B. ein Jahr) nutzbaren Energie (Arbeit) muss damit einerseits die nutzbare
Fallhöhe maximiert (z. B. durch Aufstau und ggf. eine künstliche Eindeichung des Ge-
wässers) und / oder andererseits eine maximale Ausnutzung des nutzbaren Abflusses qPW a
(z. B. durch die Umleitung anderer Bäche / Flüsse an den genutzten Standort) realisiert
werden; beide Möglichkeiten werden – im Rahmen der vor Ort gegebenen Möglichkeiten
und des gesetzlich Erlaubten – auch typischerweise umgesetzt.
In einem natürlichen oder künstlichen Speicherbecken kann in niederschlagsreichen
Zeiten ein bestimmtes Wasservolumen V Speicher zurückgehalten werden. Auch für derar-
tige Speicher gilt die Wasserhaushaltsgleichung (Gleichung (2.35)), die den Zufluss, die
Abgabe und auftretende Sicker- und Verdunstungsverluste beinhaltet. Für die Leistung
und die Arbeit, die aus einem Speicherbecken bereitgestellt werden kann, gelten eben-
falls die bereits diskutierten Zusammenhänge. Die realisierbare Leistung bestimmt sich
daraus, in welchem Zeitraum der Speicher entleert wird. Die gespeicherte Arbeit EWa ist
dabei durch die Größe des Speicherbeckens (bzw. dem daraus entnehmbaren Inhalt) und
damit vom gespeicherten nutzbaren Wasservolumen sowie der nutzbaren Fallhöhe defi-
niert. Es gilt Gleichung (2.40). Aus energietechnischer Sicht ist damit ein Speicherbecken
umso vielversprechender, je höher die nutzbare Fallhöhe und je größer das Speicher- bzw.
das entnehmbare Wasservolumen ist.

EW a D W a g hnutz VSpeicher (2.40)

2.5.2 Räumliche und zeitliche Angebotscharakteristik

Messung wassertechnischer Kenngrößen Eine belastbare Abschätzung der Möglich-


keiten einer Nutzung der Wasserkraft ist nur möglich auf der Basis verlässlicher Mess-
größen. Deshalb werden nachfolgend die Techniken zur Messung der Niederschläge, des
Abflusses bzw. des Durchflusses kurz erläutert (vgl. [2.32]).

Niederschlagsmessung Die derzeit üblichen Niederschlagsmesser stellen gewissermaßen


winzige Einzugsgebiete dar, für die eine Wasserbilanz erstellt wird. Typischerweise han-
delt es sich um relativ einfache Auffanggefäße, die als Niederschlagsmesser (Pluviometer)
oder als Niederschlagsschreiber (Pluviografen) ausgeführt sein können.
Bei der einfachsten Standardausführung eines Niederschlagsmessers wird der aufge-
fangene Niederschlag als Rückhalt bestimmt. Dazu dient ein zylindrisches Messgefäß, in
dem jeder Anstieg des Spiegels einer bestimmten Niederschlagshöhe entspricht.
Niederschlagsschreiber halten zusätzlich den Rückhalt kontinuierlich fest. Dies kann
beispielsweise durch einen Schwimmerpegel in dem Sammelgefäß oder durch eine per-
manente Wägung dieses Gefäßes realisiert werden.
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 143

Automatische Niederschlagsmesser verwenden heute meist einen „Kipplöffel“ oder ei-


ne Kippwaage (Niederschlagswippe). Bei solchen Systemen füllt sich jeweils eine der
beiden Schalen mit dem aufgefangenen Niederschlagswasser. Ab einem bestimmten Ge-
wicht des Wassers kippt diese Schale dann nach unten und entleert sich dabei. Aus der
digital einfach aufzeichenbaren Anzahl der Kippbewegungen kann danach die Nieder-
schlagsmenge automatisiert berechnet werden.
Von dem abgelagerten festen Niederschlag (z. B. Schneeniederschlag) wird ausge-
hend von der gefallenen Schneedeckenhöhe mit dem sogenannten Schneeausstecher der
Schneedecke eine vertikale Säule mit einem bestimmten Volumen entnommen. Diese
Schneemenge wird geschmolzen und anschließend als Niederschlagshöhe angegeben.

Abflussmessung Für die Abflussmessung in Fließgewässern werden im Wesentlichen drei


unterschiedliche Methoden angewendet.

 Messung der Fließgeschwindigkeit. Der Durchfluss ergibt sich als Flächenintegral der
Fließgeschwindigkeit über der Durchflussfläche. Ist der Fließquerschnitt bekannt, kann
mit einem horizontal angeordneten Propeller, der von der Strömung angetrieben wird,
die Fließgeschwindigkeit gemessen und daraus der Durchfluss berechnet werden. Hier-
für können auch magnetisch induktiv arbeitende Messgeräte oder Akustik-Doppler
eingesetzt werden. Erfolgt dies bei unterschiedlichen Abflüssen, lässt sich die stand-
ortabhängige Wasserstands-Abfluss-Beziehung herleiten.
 Wasserstandsmessung. Ist eine Beziehung zwischen Wasserstand und Abfluss vorhan-
den (z. B. aus Messungen, hydraulischen Berechnungen, Modellversuchen), genügt
eine Messung des aktuellen Wasserstands mittels Latten-, Schwimm- oder anderen
Pegeln. Aus der Abflusskurve kann dann der zugehörige Abfluss abgelesen werden.
Wegen dieser einfachen Vorgehensweise eignet sich die Wasserstandsmessung für die
langjährige automatische Aufzeichnung von Pegeldaten bzw. Abflüssen am besten.
 Messung der Tracerkonzentration. Bei dieser Messmethode werden dem Fließgewässer
flussaufwärts Salze oder Farbstoffe beigegeben. Flussabwärts wird dann die entspre-
chende Konzentration dieser Stoffe gemessen. Unter der Annahme, dass die Salz- oder
Farbkonzentration über den gesamten Flussquerschnitt näherungsweise konstant und
der Abfluss stationär ist, kann auf der Basis einer Salz- bzw. Farbbilanz der Abfluss
bestimmt werden.

Durchflussmessung Die Durchflussmessung in Rohrleitungen erfolgt meist mit einer ein-


gebauten Messeinrichtung; sie ist deshalb im Regelfall einfacher als die Abflussmessung
in Fließgewässern. Folgende Verfahren können zum Einsatz kommen.

 Der Druckunterschied vor und nach einer Querschnittsänderung in der Druckrohrlei-


tung korreliert mit einer Änderung der Fließgeschwindigkeit. Daraus lässt sich bei
bekanntem Rohrdurchmesser der Durchfluss errechnen (Venturi-Rohr).
144 B. Geyer et al.

 Bei der Bewegung eines elektrischen Leiters senkrecht zu den Kraftlinien eines Ma-
gnetfelds wird im Leiter eine Spannung induziert, die messtechnisch erfassbar ist.
Diese Spannungsänderung ist der Bewegung des elektrischen Leiters proportional. Io-
nen im Wasser stellen einen solchen Leiter dar. Sind der Rohrdurchmesser und die
magnetische Induktivität bekannt, errechnet sich aus der gemessenen Spannung der
Durchfluss.
 Der Durchfluss durch eine Rohrleitung kann auch mit Hilfe von Ultraschall aufgrund
der unterschiedlichen Schallgeschwindigkeit des Wassers gegenüber der Rohrleitung
mit und gegen die Strömungsrichtung gemessen werden.
 Mit in die Rohrleitung fest eingebauten Messflügeln, die über eine mechanische Ver-
bindung einen Zähler antreiben, kann der Durchfluss in einer Rohrleitung bestimmt
werden (z. B. Wasseruhren).

Niederschlagsverteilung und -variationen Die Niederschlagsverteilung im weltweiten


Durchschnitt und im deutschsprachigen Raum zeigen Abb. 2.66 und 2.67.
Global gesehen, fallen die höchsten Niederschläge in den Tropen (Abb. 2.66); dort
können bis zu 2 000 mm/a (1 mm entspricht 1 L/m2 ) und mehr erreicht werden. Richtung
Norden und Süden nehmen dann die Niederschläge zunächst deutlich ab. Die auf die Tro-
pen folgenden Wüstengebiete auf der Nord- und Südhalbkugel sind durch extrem geringe
Niederschläge gekennzeichnet; hier gibt es Gebiete, in denen im Verlauf mehrerer Jahre
überhaupt kein Regen fällt. Bewegt man sich von hier aus weiter Richtung Norden bzw.
Süden, nehmen auch die durchschnittlichen Niederschlagsmengen wieder zu; sie errei-
chen aber nicht die Werte, die in den Tropen üblich sind. Insgesamt wird auch deutlich,
dass in diesen Bereichen bestimmte Küstengebiete durch überdurchschnittlich hohe Nie-
derschläge gekennzeichnet sind, da das Wasser vom Meer Richtung Land transportiert

Abb. 2.66 Globale Verteilung der mittleren Niederschlagshöhen (Daten nach [2.14])
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 145

Abb. 2.67 Mittlere jährliche Niederschlagshöhen in Deutschland, Österreich und der Schweiz (Da-
ten nach [2.5])

wird und sich in Küstennähe abregnet; dies gilt häufig insbesondere dann, wenn die Küs-
ten zusätzlich gebirgig sind.
In Deutschland werden die Niederschläge vor allem durch die Orografie und durch
die Richtung Osten zunehmende Kontinentalität des Klimas beeinflusst (Abb. 2.67). Die
Niederschläge variieren zwischen rund 500 mm im nördlichen Teil des Rheintalgrabens
sowie Teilen von Brandenburg und mehr als 2 500 mm am Alpenrand. Regenreiche Gebie-
te befinden sich auch in den Mittelgebirgen; dies gilt beispielsweise insbesondere für den
Schwarzwald und den Harz (Abb. 2.67). Auch sind die Alpenrepubliken an den höheren
Erhebungen der Alpen durch entsprechend hohe Niederschlagsmengen gekennzeichnet.
In einzelnen Jahren können die Niederschlagshöhen erheblich von den in Abb. 2.67
dargestellten vieljährigen Mittelwerten abweichen. Dies wird in Abb. 2.68 deutlich; hier
sind die jährlichen Niederschlagshöhen an vier unterschiedlichen Standorten (Hamburg,
146 B. Geyer et al.

Abb. 2.68 Jährliche Niederschlagshöhen an verschiedenen Standorten in Deutschland zwischen


1961 und 2018 (nach [2.18])

Kassel, Berlin, Hohenpeißenberg) dargestellt. Demnach zeigen verschiedene Standorte


ein z. T. deutlich unterschiedliches Niederschlagsniveau; beispielsweise fallen im lang-
jährigen Durchschnitt auf dem Hohenpeißenberg – und damit im Alpenvorland – rund
1 160 mm Niederschlag und damit fast doppelt so viel wie in Berlin mit knapp 650 mm.
Deutlich werden auch die z. T. erheblichen Variationen der Niederschlagssummen zwi-
schen verschiedenen Jahren; beispielsweise war 2018 sowohl in Hamburg als auch in
Berlin ein extrem trockenes Jahr. Auch sind die Niederschläge zwischen den einzelnen
Standorten näherungsweise vergleichbar; häufig werden in bestimmten Jahren an allen
Standorten relativ hohe Werte und in anderen Jahren entsprechend geringere Werte ge-
messen. Beispielsweise waren 1989 und 1991 vergleichsweise trockene Jahre; dies wird in
der geringen Jahres-Niederschlagshöhe an allen dargestellten Standorten deutlich. Dieser
Zusammenhang ist grundsätzlich auch auf andere Standorte in Deutschland übertragbar.
Bei den Niederschlägen sind außer den Unterschieden zwischen verschiedenen Jahren
auch z. T. erhebliche Schwankungen innerhalb eines Jahres festzustellen. Abb. 2.69 zeigt
exemplarisch für fünf unterschiedliche Standorte, die auf der Nord- und Südhalbkugel lo-
kalisiert sind, die monatsmittleren Niederschlagssummen. Demnach sind alle Orte durch
einen mehr oder weniger ausgeprägten Jahresgang der Niederschläge gekennzeichnet. Be-
sonders deutlich wird dies am Beispiel von Abidjan (Elfenbeinküste), das im Juni zur
Regenzeit sehr hohe und im Januar zur Trockenzeit extrem geringe Niederschläge zeigt.
Andere Standorte zeigen zwei Maxima, wie es beispielsweise in Kuala Lumpur (Malay-
sia) der Fall ist. Auch wird deutlich, dass das Niederschlagsniveau an unterschiedlichen
Standorten sehr verschiedenartig sein kann (z. B. Wüstenstandort Béchar (Algerien) vs.
Tropenstandort Belém (Brasilien)).
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 147

600

Monatlicher Niederschlag in mm
500

400

300

200

100

0
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Zeit in Monaten
Helgoland, Germany (54°10'N 7°51'E) Béchar, Algeria (31°38'N 2°18'W)
Abidjan, Ivory Coast (5°26'N 3°58'W) Kuala Lumpur, Malaysia (3°38'N 101°41'E)
Belém, Brazil (1°20'S 48°30'W)

Abb. 2.69 Mittlere monatliche Niederschlagshöhen an verschiedenen Standorten auf der Welt (un-
terschiedliche Datenquellen)

Abb. 2.70 zeigt die mittleren monatlichen Niederschlagshöhen der bereits in Abb. 2.68
dargestellten Standorte. Demnach sind die mittleren Monatssummen an allen Stationen
durch einen deutlichen Jahresgang gekennzeichnet; im Sommer und Spätsommer sind die
Niederschläge überdurchschnittlich hoch und im Winter entsprechend niedrig. Deutlich
ausgeprägter ist dieser saisonale Gang lediglich am Standort Hohenpeißenberg. Unab-
hängig vom Standort können zwischen verschiedenen Jahren die mittleren monatlichen
Niederschlagshöhen deutlich voneinander abweichen. Dies geht aus den dargestellten
Standardabweichungen, Minima und Maxima hervor.
Aufgrund der im Verlauf eines Tages sehr ungleichmäßig fallenden Niederschläge ist
die Angabe von mittleren Tagesganglinien nicht sinnvoll.

Flusssysteme, Abflusshöhe und -verlauf Die aus dem Regen bzw. der Schneeschmelze
und dem Abflussverhalten resultierende Abflusshöhe schwankt in einer ähnlichen Größen-
ordnung wie der Niederschlag. Eine große Abflussgenerierung ist besonders am Alpen-
rand und in den Mittelgebirgen anzutreffen. Dabei wird der Abfluss unter normalen Bedin-
gungen primär durch die Bäche und Flüsse realisiert. Deshalb zeigen die Abb. 2.71, 2.72
und 2.73 die wesentlichen Flusssysteme in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

 In Deutschland sind die beiden größten Flusssysteme, an denen signifikante und ggf.
wasserwirtschaftlich nutzbare Abflüsse auftreten, zum einen der Rhein mit seinen Ne-
benflüssen Ruhr, Mosel, Main und Neckar (der Rhein mündet in die Nordsee) sowie
zum anderen die Donau mit den Nebenflüssen Salzach, Inn, Isar, Lech, Iller und Am-
148 B. Geyer et al.

Abb. 2.70 Monatliche Niederschlagshöhen an vier Standorten in Deutschland (Mittelungszeitraum


von 1961 bis 1999; Daten nach [2.16])

per (die Donau mündet ins Schwarze Meer). Daneben gibt es kleinere Flusssysteme
wie das von Weser, Elbe und Oder mit ihren jeweiligen Nebenflüssen, die in die Nord-
bzw. Ostsee fließen. Viele der in Abb. 2.71 dargestellten Flüsse und deren Nebenflüsse
führen zum einem bestimmten (z. T. großen) Anteil Wasser mit sich, das in Gebieten
außerhalb Deutschlands als Niederschlag gefallen ist. Dieser sogenannte Fremdwas-
seranteil ist im Energieangebot, das sich aus den Niederschlägen über Deutschland
ergibt, nicht enthalten; an einigen Flüssen, beispielsweise am Rhein, ist er infolge der
Schmelzwässer u. a. aus der Schweiz beträchtlich.
 Österreich verfügt über Fließgewässer mit einer Gesamtlänge von rund 100 000 km.
Ein Großteil (96 %) der hier vorhandenen Bäche und Flüsse liegen im Flusseinzugsge-
biet der Donau; nur einige wenige entwässern in Richtung Rhein und Elbe. Abb. 2.72
zeigt die wichtigsten Fließgewässersysteme Österreichs mit ihren jeweiligen Zuflüs-
sen. Der jeweilige Verlauf der dargestellten Fließgewässer wird dabei primär durch die
Orografie der Alpen bestimmt. Im Unterschied zu den Gegebenheiten in Deutschland,
das gewissermaßen Abfluss und damit auch Wasserenergie aus Österreich importiert,
ist dies aufgrund der geografischen Gegebenheiten in der Alpenrepublik nicht der Fall.
 Auch in der Schweiz (Abb. 2.73) ist ein sehr weit verbreitetes und stark verästeltes
Flusssystem vorhanden. Dies liegt – ähnlich wie auch in Österreich – an der Orogra-
phie der Alpen und der hier relativ hohen Niederschlagsmenge begründet. Insgesamt
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 149

Abb. 2.71 Flusssysteme in


Deutschland

1 Rhein 11 March
2 Donau oberhalb des Inn 12 Leitha
3 Inn bis zur Salzach 13 Rabnitz und Raab
4 Salzach 14 Mur
5 Inn unterhalb der Salzach 15 Drau 10
6 Donau vom Inn bis zur Traun 11
10
7 Traun
8 Enns 6 10
9 Donau von der Traun bis zum
Kamp (ohne Enns) 9
10 Donau vom Kamp einschließlich
bis zur Leitha (ohne March)
5

12
2
4 8 13
1
3 14

15
Grenze des Flussgebiets

Abb. 2.72 Flusssysteme in Österreich (nach [2.62])


150 B. Geyer et al.

Abb. 2.73 Flusssysteme in der Schweiz [2.63]

summieren sich in der Schweiz die Bäche und Flüsse auf eine Gesamtlänge von rund
65 000 km. Viele der eher bedeutsamen Flüsse entspringen dem Gotthardmassiv; dies
gilt u. a. für den Rhein, die Rhône und die Reus.

Bedingt durch die in unterschiedlichen Jahren jeweils z. T. sehr verschiedenartigen


Witterungsverhältnisse kommt es in den dargestellten Flusssystemen zu z. T. deutlichen
jährlichen Unterschieden im Abflussverhalten. Tabelle 2.6 zeigt am Beispiel verschiedener
Pegel an Inn, Mosel, Rhein und Saar die Mittelwerte, Minima und Maxima der Durchfluss-
bzw. Abflussmengen. Die Minima stellen dabei ein extremes Trockenjahr, die Maxima ein
extremes Nassjahr dar. Deutlich wird, dass es an einzelnen Pegeln in verschiedenen Jahren

Tabelle 2.6 Mittlere, maximale und minimale jahresmittlere Ab- bzw. Durchflüsse im langjährigen
Durchschnitt an unterschiedlichen Pegeln (nach [2.34])
Flusskilometer Maximum Mittel Minimum Zeitraum
in km in m3 /s in m3 /s in m3 /s
Inn (Eschelbach) 87,7 631 369 288 1931–90
Mosel (Cochem) 51,6 607 311 138 1931–91
Rhein (Rheinfelden) 148,3 1 487 1 030 639 1931–94
Rhein (Maxau) 362,3 1 922 1 250 741 1931–94
Saar (Fremersdorf) 48,5 138 74 35 1953–91
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 151

Abb. 2.74 Jahresabflussmengen an unterschiedlichen Neckarpegeln zwischen 1970 und 2016 (Da-
ten nach [2.34])

zu Abweichungen von bis zu ca. C95 bzw. 60 % in der jahresmittleren Abflussmenge
kommen kann.
Abb. 2.74 zeigt exemplarisch die jährlichen Abflussmengen an unterschiedlichen Ne-
ckarpegeln. Auch hier werden die doch erheblichen natürlichen Schwankungen der Ab-
flussmenge zwischen verschiedenen Jahren am gleichen Standort deutlich; beispielsweise
variiert zwischen unterschiedlichen Jahren der Abfluss am Pegel in Rockenau um mehr
als den Faktor 3. Erkennbar ist aber auch, dass das Niveau, auf dem die Abflussmengen
liegen, zwischen den einzelnen in Abb. 2.74 dargestellten Neckarpegeln im Jahresverlauf
durchaus vergleichbar ist; d. h. fallen überdurchschnittlich viele Niederschläge und liegen
deshalb die Abflüsse über dem langjährigen Durchschnitt, dann ist dies i. Allg. an allen
dargestellten Messstellen des Neckars der Fall. Dies kann bei Flüssen, die eine größere
Gebietsfläche mit verschiedenartigeren meteorologischen und geografischen Gegebenhei-
ten überdecken, auch anders sein.
Diese doch z. T. erheblichen Schwankungen zwischen einzelnen Jahren können sich
auch innerhalb eines Jahres fortsetzen. Dies wird in Abb. 2.75 deutlich, die exemplarisch
für drei Fließgewässer in Österreich den langjährigen mittleren Jahresgang des Abflusses
an bestimmten Messpegeln zeigt. Demnach gibt es Flüsse bzw. Bäche, die durch einen
mehr oder weniger ausgeglichenen Jahresgang gekennzeichnet sind (d. h. im langjähri-
gen Mittel sind die Schwankungen zwischen den Monaten nur gering). Im Unterschied
dazu gibt es Fließgewässer, deren Abflüsse zwischen nahezu null in den Wintermonaten
(d. h. Eisbildung) und sehr großen Abflüssen aufgrund der abschmelzenden Schneemas-
sen während des Sommerhalbjahres schwanken können; die Gurgler Ache (Abb. 2.75)
ist ein derartiges Beispiel. Sinngemäß gilt dies auch für andere Gebiete auf der Erde, die
152 B. Geyer et al.

Abb. 2.75 Verhältnis des 3,5 Donau in der


monatlichen zum jährlichen Nähe von Wien

Verhältnis zwischen monatlichem


Abfluss exemplarisch für je- 3,0
Mattig in der
weils eine Messstelle an drei

und jährlichem Abfluss


Nähe von Jahrsdorf
unterschiedlichen Fließgewäs- 2,5
Gurgler Ache
sern in Österreich (nach [2.35]) in der Nähe von
2,0 Obergurgl

1,5

1,0

0,5

0,0
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Zeit in Monaten

beispielsweise durch eine Regen- und Trockenzeit gekennzeichnet sind und wo sich da-
durch ebenfalls erhebliche Effekte auf die Abflussmengen in den dortigen Fließgewässern
ergeben.
Diese in Abb. 2.75 dargestellten Abweichungen vom langjährigen Mittel können aber
in verschiedenen Jahren durch erhebliche Variationen und Unterschiede gekennzeichnet
sein. Abb. 2.76 zeigt deshalb die langjährigen Mittelwerte der monatsmittleren Durchflüs-
se und die entsprechenden durchschnittlichen und maximalen Schwankungsbreiten am

2 700 Maximalwert 4 500


Mittl. Hochwasser
Mittelwert
2 400 Mittl. Niedrigwasser
4 000
Minimalwert
2 100 3 500

1 800 3 000
Abfluss in m3/s
Abfluss in m3/s

1 500 2 500

1 200 2 000

900 1 500

600 1 000

300 500

0 0
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Zeit in Monaten Zeit in Monaten

Abb. 2.76 Mittelwerte, mittlere und maximale Schwankungsbreiten des monatsmittleren Abflusses
beispielhaft für einen Pegel am Neckar (links) und einen Pegel am Rhein (rechts) (Mittl. Mittleres;
Daten nach [2.34])
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 153

700
Rockenau

Tagesmittlerer Abfluss in m /s
600 Rottweil

3
Plochingen
500
Lauffen
400

300

200

100

0
1 30 60 90 120 150 180 210 240 270 300 330 360
Zeit in Tagen

Abb. 2.77 Gemessene tagesmittlere Abflussmengen an unterschiedlichen Neckarpegeln


(nach [2.5])

Beispiel der Pegel Rockenau am Neckar (Zeitraum von 1951 bis 1994) und Maxau am
Oberrhein (Zeitraum von 1931 bis 1994).
Neben der weit höheren Durchflüsse am Rhein geht aus Abb. 2.76 auch hervor, dass
die jahreszeitliche Abflusscharakteristik am Neckar und am Rhein grundsätzlich unter-
schiedlich ist. Der Rhein ist aufgrund der im Wesentlichen erst im späten Frühjahr sowie
im Früh- und insbesondere im Hochsommer einsetzenden Schneeschmelze in den Alpen
durch einen maximalen Durchfluss in den Monaten Juni und Juli gekennzeichnet. Damit
ist im (Hoch-)Sommer mit dem höchsten Wasserangebot des Rheins zu rechnen, obwohl
ein Teil des Abflusses in dieser Zeit dazu genutzt wird, die am Oberlauf in den Alpen lie-
genden Speicherbecken zu füllen. Im Gegensatz dazu ist das Wasserangebot des Neckars
durch ein Angebotshoch im Februar und März und durch einen minimalen Abfluss im
Herbst gekennzeichnet. Da der Neckar im Wesentlichen durch Mittelgebirge gespeist wird
(Schwarzwald, Schwäbische Alb), welche die Niederschläge in Form von Schnee kaum
bis zum Frühjahr speichern, wirken sich die Regenfälle im zeitigen Frühjahr zusammen
mit der gleichzeitigen Schneeschmelze unmittelbar auf die abfließende Wassermenge aus,
zumal dann bei gefrorenem Boden nahezu das gesamte oberirdisch vorhandene Wasser
abfließt (d. h. das Rückhaltevermögen des Bodens ist stark eingeschränkt). Das minimale
Wasserangebot ist demgegenüber im Herbst gegeben, wenn unterdurchschnittliche Nie-
derschläge fallen und außerdem die Verdunstung entsprechend hoch ist.
Diese monatsmittleren Abflüsse können z. T. stark variieren; Abb. 2.77 zeigt beispiel-
haft die gemessenen tagesmittleren Abflüsse verschiedener Pegel des Neckars eines be-
stimmten Jahres. Insbesondere das Frühjahr ist hier durch relativ hohe und stark schwan-
kende tagesmittlere Durchflüsse charakterisiert. Das Spätjahr ist demgegenüber durch
geringe tagesmittlere Ab- bzw. Durchflüsse gekennzeichnet, die sich zudem zwischen
154 B. Geyer et al.

verschiedenen Tagen kaum unterscheiden. Abflussspitzen resultieren beispielsweise aus


Unwettern mit hohen Niederschlagsmengen; fallen diese zusammen mit einer Schnee-
schmelze und damit zusätzlich weitgehend gefrorenem Boden, können sich kurzzeitig
sehr hohe Abflussmengen ergeben. Derartige Zeitfenster maximalen tagesmittleren Ab-
flusses sind durch einen schnellen Anstieg und einen anschließenden raschen Rückgang
der Durchflüsse gekennzeichnet.

Speicher Entsprechend der topografischen Voraussetzungen sind die Möglichkeiten ei-


ner Speicherung von Wasser regional sehr unterschiedlich.
In Deutschland beispielsweise herrschen günstige Verhältnisse am Nordrand der Al-
pen; hier sind derzeit schon eine ganze Reihe von Speicherseen vorhanden. Der Forggen-
see dient beispielsweise den Laufwasserkraftwerken am Lech als Kopfspeicher. Teilweise
werden auch natürliche Seen als Speicher genutzt; eine der ältesten Hochdruck-Wasser-
kraftanlagen in Deutschland arbeitet z. B. zwischen Kochel- und Walchensee. Die meisten
Speicher haben jedoch Mehrfachfunktionen (u. a. Trinkwasserspeicher, Freizeit- und Ba-
degewässer); dabei steht nicht immer die Energiegewinnung im Vordergrund.
In den Mittelgebirgen finden sich weitere Speicherseen, die z. T. hauptsächlich der
Energiegewinnung dienen (z. B. Pumpspeicherkraftwerke im Südschwarzwald), teilwei-
se aber auch in erster Linie die Versorgung mit Trink- und Brauchwasser sicherstellen
sollen. Dies ist hauptsächlich in denjenigen Gebieten Deutschlands der Fall, wo aufgrund
des geringeren Wasserangebots ohne Speicher Wasserversorgungsengpässe vorwiegend
im Sommer auftreten würden.
Typische Beispiele für Wasserspeicher für die Energiegewinnung stellen die Jahres-
speicher in den Alpen dar, wie sie u. a. in Österreich und der Schweiz in den vergangenen
Jahrzehnten installiert wurden. Sie sind i. Allg. zum Ende des Winters leer und werden
durch die Schneeschmelze im Einzugsgebiet und ggf. durch Überleitungen aus ande-
ren Tälern während der Sommermonate wieder aufgefüllt. Während dieser Zeit geben
sie nur wenig Wasser ab. Am Ende des Sommers sollten die Speicher dann vollständig
gefüllt sein. Während der Wintermonate, die erfahrungsgemäß durch die höchste Ener-
gienachfrage im Jahresverlauf gekennzeichnet sind, in denen aufgrund von Temperaturen
unterhalb des Gefrierpunktes praktisch kein Zufluss zum Speicher vorhanden ist, wird
dann das gespeicherte Wasser verwendet. Die Speicher tragen damit auch zur Abfluss-
erhöhung in den unterhalb gelegenen Flüssen bei.

2.6 Photosynthetisch fixierte Energie

Iris Lewandowski

Unter Biomasse im erweiterten Sinne wird jegliche Phyto- und Zoomasse verstanden, von
der schätzungsweise 1;841012 t Trockenmasse auf den Kontinenten existieren. Phyto- oder
Pflanzenmasse wird zum größten Teil von autotrophen Organismen gebildet, die in der Lage
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 155

sind, ihre Energie durch Umwandlung der Sonnenenergie im Prozess der Photosynthese zu
gewinnen. Heterotrophe Organismen dagegen, die primär die Zoomasse bilden, sind für den
Energiegewinn auf den Abbau anderer organischer Substanz angewiesen.
Biomasse kann in Primär- und Sekundärprodukte unterteilt werden. Erstere entste-
hen durch direkte photosynthetische Ausnutzung der Sonnenenergie. Im Hinblick auf
die Energiebereitstellung zählen dazu land- und forstwirtschaftliche Produkte aus einem
Energiepflanzenanbau (u. a. schnellwachsende Bäume, Energiegräser) oder pflanzliche
Rückstände, Nebenprodukte und Abfälle aus der Land- und Forstwirtschaft sowie der In-
dustrie und den Haushalten (u. a. Stroh, Rest- und Altholz, organische Bestandteile im
Haus- und Industriemüll). Sekundärprodukte entstehen durch Ab- oder Umbau der orga-
nischen Substanz in höheren Organismen (z. B. im Verdauungstrakt von Tieren); zu ihnen
gehören u. a. Gülle und Klärschlamm.

2.6.1 Produktion organischer Masse durch Photosynthese

Aufbau und Zusammensetzung der Pflanze Die Pflanze besteht aus der Sprossach-
se, den Blättern und der Wurzel. Mit letzterer ist die Pflanze im Boden verankert und
über sie werden Wasser und Nährstoffe aufgenommen. Die Sprossachse trägt die Blätter,
versorgt sie von der Wurzel her mit Wasser und Mineralien und leitet in den Blättern ge-
bildete organische Substanzen zur Wurzel. Die Blätter dienen der Absorption des für die
Photosynthese notwendigen Sonnenlichts. Über sie findet der Gaswechsel von Kohlen-
stoffdioxid (CO2 ), Sauerstoff (O2 ) und Wasserdampf (H2 O) bei Photosynthese, Atmung
und Transpiration statt (Abb. 2.78). Zur Vermehrung bilden die Pflanzen Blüten, welche
die Fortpflanzungsorgane tragen.

Photosynthese Der wichtigste Prozess bei der Bildung von Biomasse ist die Photosyn-
these. Mit Hilfe von Lichtenergie wird durch diesen biologischen Prozess Kohlenstoff-

Abb. 2.78 Bildung und Sonne Pflanze


Zusammensetzung der Pflan- Lichtenergie Zusammensetzung Heizwerte
Pflanzen- organischer
zensubstanz (nach [2.5]) trockensubstanz Verbindungen
in % in MJ/kg
C 40 - 47 Zucker 15,6
CO 2 H 6 Stärke 17,9
O 40 - 44 Zellulose 17,8
N 1-5 Fette 36 - 40
CO 2
P 0,05 - 0,8 Öle 36 - 40
Luft K 0,3 - 5 Proteine 23,8
O2 S 0,05 - 8 Lignin 24,0
Ca 0,3 - 5
Si 0,05 - 3
O2 , H 2O Mg 0,05 - 1
B 0,005 - 0,01
Cl 0,02 - 1
H 2O Cu 0,0002 - 0,002
Fe 0,005 - 0,1
Nährstoffe Mn 0,002 - 0,03
Boden Zn 0,001 - 0,01
156 B. Geyer et al.

dioxid (CO2 ) aus der Luft aufgenommen und der darin enthaltene Kohlenstoff (C) in
die Pflanzensubstanz eingearbeitet (Assimilation); d. h. es findet eine Umwandlung von
Licht- bzw. Sonnenenergie in chemische Energie statt, indem aus gering-energetischen
hoch-energetische chemische Verbindungen synthetisiert werden.
Der Prozess der Photosynthese wird in die Prozesse der Licht- und der Dunkelreaktion
unterteilt.

 Bei der Lichtreaktion produziert die Zelle durch photochemische Reaktionen die für
die Assimilation von Kohlenstoffdioxid (CO2 ) notwendige Energie. Hierbei entstehen
neben Sauerstoff (O2 ) die energiereichen Substanzen Adenosin-Triphosphat (ATP) und
Nicotin-Adenin-Dinucleotid-Phosphat (NADPH) sowie Wasserstoffionen (HC ).
 Im Prozess der Dunkelreaktion, der ohne Licht stattfindet, werden die im ersten Prozess
gewonnenen energiereichen Substanzen für die Assimilation von Kohlenstoffdioxid
(CO2 ) wieder verbraucht.

Das Endprodukt der Photosynthese sind Hexosen bzw. Zucker (C6 H12 O6 ). Die Sum-
menformel für den Gesamtprozess beschreibt Gleichung (2.41).
Licht
6 CO2 C 6 H2 O ! C6 H12 O6 C 6 O2 (2.41)
Chlorophyll

Die Umwandlung von Kohlenstoffdioxid (CO2 ) und Wasser (H2 O) zu Hexosen fin-
det in den Chloroplasten statt, die das grüne, lichtabsorbierende Pigment Chlorophyll
enthalten. CO2 , das durch die Spaltöffnungen und die Zellzwischenräume (Interzellula-
ren) der Pflanzen an die photosynthetisch aktiven Zellen herandiffundiert, wird dort an
Ribulose-1,5-Diphosphat gebunden. Hierbei entsteht ein Molekül aus 6 Kohlenstoff-Ato-
men, das anschließend zerfällt. Unter Verbrauch von Adenosin-Triphosphat (ATP) und
Nicotin-Adenin-Dinucleotid-Phosphat (NADPH) entsteht Phosphoglycerin-Aldehyd, ei-
ne Komponente von Kohlenhydraten (wie z. B. Glucose). Diese Kohlenhydrate dienen den
Pflanzen sowohl als Energiequelle für ihre Stoffwechselprozesse wie auch als Bausteine
für die zu bildende Pflanzensubstanz [2.36].
Bei diesem Weg der Photosynthese handelt es sich um den C3 -Typ, wie er für einheimi-
sche europäische Kulturpflanzen typisch ist. Der Name rührt daher, dass zuerst Phospho-
glycerin-Säure, bestehend aus 3 C-Atomen, gebildet wird. Der sogenannte CO2 -Akzeptor
der C3 -Pflanzen, der die Aufgabe hat, das CO2 zu binden, ist Ribulose-1,5-Diphosphat. Ei-
nige Kulturpflanzen, wie Mais, Zuckerrohr oder Miscanthus, die meist aus subtropischen
Gebieten stammen, verwenden hingegen Phosphoenol-Benztraubensäure als CO2 -Akzep-
tor, das eine größere Affinität zu CO2 hat als der CO2 -Akzeptor der C3 -Pflanzen. Dabei
entstehen zuerst Verbindungen, die aus 4 C-Atomen zusammengesetzt sind. Des Weiteren
finden bei solchen sogenannten C4 -Pflanzen die Licht- und Dunkelreaktion in verschie-
denen, räumlich voneinander getrennten Chloroplastentypen statt. Dies erlaubt es der C4 -
Pflanze, in den Chloroplasten der im Blatt außen liegenden Mesophyllzellen die CO2 -Bin-
dung vorzunehmen und in den Chloroplasten der innen liegenden Bündelscheiden eine für
die Assimilation vorteilhafte hohe CO2 -Konzentration aufzubauen.
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 157

Der Nutzeffekt der Photosynthese gibt an, wie viel Prozent der Strahlung von den Pflan-
zen durch die Photosynthese in Form von chemischer Energie gespeichert werden kann.
Der Photosyntheseprozess verbraucht pro Gramm assimiliertem Kohlenhydrat 15,9 kJ. An
Einzelblättern erreicht die Strahlungsausnutzung der Photosynthese unter günstigen Be-
dingungen bis zu 15 % (C4 -Gräser bis 24 %). Meist liegt der Wirkungsgrad jedoch nur
bei 5 bis 10 % oder niedriger. Bezogen auf den gesamten Pflanzenbestand und unter Be-
rücksichtigung der zeitlich und örtlich wechselnden Assimilationsbedingungen schwankt
die photosynthetische Effizienz verschiedener Pflanzengesellschaften zwischen 0,04 %
in Wüstenregionen bis 1,5 % in Regenwäldern. Bei landwirtschaftlichen Kulturpflanzen
während ihrer Wachstumszeit liegt sie zwischen 1 und 3 % [2.37].
CO2 hat einen geringeren Energiegehalt als organische Moleküle. Diese Energiediffe-
renz wird von den Pflanzen bei der Atmung (d. h. beim Abbau der bei der Photosynthese
gebildeten Kohlenhydrate (Dissimilation)) genutzt. Diese Energie wird dann für Stoff-
wechselvorgänge und den Aufbau verschiedener Bestandteile der Pflanzenmasse (z. B.
Proteine, Fette, Zellulose) verwendet. Die Atmung, die mit steigender Temperatur zu-
nimmt, ist mit einem Substanzverlust verbunden. In der Regel ist aber der Substanzgewinn
durch die Photosynthese, die nur bei Licht stattfinden kann, größer als der Substanzver-
lust durch die Atmung, die sowohl bei Tag (Lichtatmung) als auch nachts (Dunkelatmung)
stattfindet. Die Nettophotosynthese ergibt sich aus der Bruttophotosynthese abzüglich der
Atmungsverluste. Sie beträgt bei C3 -Pflanzen bis zu 30 und bei C4 -Pflanzen 50 bis 90 mg
CO2 bezogen auf eine Blattfläche von 100 cm2 und eine Stunde [2.38]. Ein Grund für die
höhere Stoffproduktion der C4 -Pflanzen ist die durch die effektivere CO2 -Bindung und
die beschriebene Trennung der Chloroplasten-Typen bedingte geringere Lichtatmung im
Vergleich zu den C3 -Pflanzen. Weitere Energieverluste entstehen dadurch, dass sie lang-
wellige Rückstrahlung und Wärmeabgabe durch die Wasserverdampfung betreiben, um
die Temperatur auf physiologisch vertretbaren Werten zu halten.
Abb. 2.79 zeigt den Nettobiomassegewinn eines Ökosystems am Beispiel eines Hain-
buchenwaldes. Durch Ausnutzung von 1 % der eingestrahlten Sonnenenergie werden
24 t/(ha a) Biomasse (Trockenmasse) gebildet. Die Hälfte davon geht durch die Atmung
der Pflanzen verloren. Ein Teil davon wird dem Boden als Spreu zugeführt und von
den dort lebenden Mikroorganismen zersetzt. Die Nettospeicherung an Biomasse beträgt
ca. 5,7 t/(ha a) oberirdisch und 2,4 t/(ha a) in Form von Wurzeln und Humus unterirdisch.

Einfluss verschiedener Wachstumsfaktoren Die Biomassebildung an einem bestimm-


ten Standort wird wesentlich durch die dort eingestrahlte Solarstrahlung, das jeweils ver-
fügbare Wasser, die entsprechenden Umgebungstemperaturen, die Bodeneigenschaften,
die Nährstoffversorgung und die realisierten pflanzenbaulichen Maßnahmen beeinflusst.
Diese verschiedenen Einflussgrößen werden im Folgenden diskutiert [2.39].

Strahlung Die Nettophotosynthese hängt primär von der verfügbaren solaren Strahlung
ab. Grundsätzlich steigt sie mit zunehmender Strahlungsintensität; dies gilt bis zu ei-
nem pflanzenspezifischen Sättigungspunkt. Wird demgegenüber die Strahlung sehr ge-
158 B. Geyer et al.

Abb. 2.79 Stoffbilanz einer Sonneneinstrahlung 37 TJ/(ha a)


Pflanzengesellschaft am Bei-
spiel eines Hainbuchenwaldes
Bruttogewinn 24 t/(ha a)
(nach [2.36])

Pflanzen-Atmung 12 t/(ha a)

Pflanzenfresser 0,3 t/(ha a)


Laub-Zersetzung 0,8 t/(ha a)

Humus-Zersetzung 2,8 t/(ha a)


unterirdische davon: Humus 0,4 t/(ha a)
Speicherung 2,4 t/(ha a) Wurzeln 2,0 t/(ha a) 5,7 t/(ha a)

Speicherung
überirdisch

Abb. 2.80 Transmittierter, 100


UV sichtbar Infrarot
absorbierter und reflektierter
Transmission
Anteil der auf ein Laubblatt
auftreffenden Strahlung in 80
Abhängigkeit der Wellenlänge
(nach [2.40])
Strah lun g in %

60 Absorption

40

20
Reflexion

0
0,2 0,4 0,6 0,8 1,0 1,2 1,4 1,6 1,8 2,0 2,2 2,4
Wellenlänge in μm

ring, übersteigt die Veratmung zu Kohlenstoffdioxid (CO2 ) dessen Assimilation. Die so-
lare Strahlungsintensität, bei der die veratmete CO2 -Menge gleich der assimilierten ist,
wird Lichtkompensationspunkt genannt. Er liegt bei den meisten Pflanzen zwischen 4 und
12 W/m2 .
Von der Strahlung, die auf eine Pflanze fällt, wird nur ein Teil absorbiert; der Rest
wird reflektiert oder durchgelassen. Die Absorption von Strahlung im pflanzlichen Gewe-
be erfolgt selektiv (d. h. in Abhängigkeit von der Wellenlänge). Besonders im Bereich der
Infrarotstrahlung von 0,7 bis 1,1 m durchdringt sehr viel Energie den Pflanzenbestand,
ohne absorbiert zu werden (Abb. 2.80). Im Bereich des sichtbaren Lichts ist die Absorpti-
on im grünen Bereich besonders gering; deshalb erscheinen Pflanzenblätter als grün.
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 159

Abb. 2.81 Abhängigkeit


der Photosynthese bzw. der
CO2 -Assimilation verschie-
dener Pflanzentypen von der
Strahlungsintensität (verändert,
u. a. nach [2.64])

Die Nettoeinstrahlung ergibt sich aus der nicht reflektierten Gesamtstrahlung und der
langwelligen Rückstrahlung. Hierbei stellt der Reflexionskoeffizient das Verhältnis von
reflektierter zu eingestrahlter Energie dar. Er hängt vor allem von dem Einstrahlungswin-
kel, der Oberflächenbeschaffenheit und der Farbe ab. Bei einem grünen Pflanzenbestand
liegt der Reflexionskoeffizient zwischen 0,1 und 0,4.
Die CO2 -Assimilation einzelner Blätter verschiedener Pflanzen steigt in Abhängigkeit
von der Einstrahlung sowie vom Pflanzen- und vom Photosynthesetyp. Bei gleicher Ein-
strahlung ist dabei die Assimilation von C4 -Pflanzen höher als die von C3 -Pflanzen [2.41].
Dies wird auch in Abb. 2.81 deutlich; demnach ist beispielsweise Mais – im Unterschied
zu Schattenkräutern – eine Pflanze, die das Sonnenlicht sehr viel besser im Vergleich z. B.
zu Weizen ausnutzen kann.

Wasser Grüne Pflanzen bestehen zu ca. 70 bis z. T. mehr als 90 % aus Wasser. Dabei än-
dert sich der Wassergehalt mit Art und Alter des Pflanzenorgans. Es nimmt sehr wichtige
Funktionen in der Pflanze wahr; dazu zählen der Transport gelöster Stoffe und die Auf-
rechterhaltung des hydrostatischen Drucks, der das Gewebe straff hält. Wasser stellt auch
bei allen Stoffwechselvorgängen wie z. B. der Photosynthese ein wichtiges Rohmaterial
dar. Außerdem spielen sich fast alle biochemischen Reaktionen in wässriger Lösung ab.
Der Wasserhaushalt einer Pflanze wird bestimmt durch die Wasseraufnahme, vorwie-
gend über die Wurzel, und die Wasserabgabe; letztere findet hauptsächlich durch Transpi-
ration der Blätter statt. Ein Wasserdefizit entsteht, wenn die Wasserabgabe größer ist als
die Wasseraufnahme. Dies kann bei starker Transpiration, geringer Wasserverfügbarkeit
160 B. Geyer et al.

Abb. 2.82 Schematische


30 30
Nettoproduktivität der Pflan-
zendecke in Abhängigkeit vom 25 25

Trockenmasse in t/(ha a)

Trockenmasse in t/(ha a)
mittleren jährlichen Nieder-
schlag (links) und der mittleren 20 20
Jahrestemperatur (rechts)
(nach [2.42]) 15 15

10 10

5 5

0 0
1 000 2 000 3 000 4 000 -10 0 10 20 30
Mittlere Jahresniederschläge in mm Mittlere Jahrestemperatur in °C

im Boden oder einem gehemmten Stoffwechsel in der Wurzel der Fall sein. Die Wurzel
nimmt das Wasser aus dem Boden über die Saugkraft der Wurzelzellen auf. Die Wasser-
aufnahmefähigkeit endet am Welkepunkt; hier ist der Bodenwassergehalt so gering, dass
die Wasserhaltefähigkeit des Bodens die Saugkraft der Wurzel übersteigt.
Die Biomasseproduktion der Pflanzen hängt direkt von ihrer Wasserversorgung ab.
Jede Pflanzenart hat einen spezifischen Wasserverbrauch für die Massebildung. Der Tran-
spirationskoeffizient beschreibt in diesem Zusammenhang die Wassermenge, die von der
Pflanze für die Produktion von 1 kg Trockenmasse benötigt wird. C4 -Pflanzen wie Mais
und Chinaschilf haben mit 220 bis 350 L/kg gebildeter Trockensubstanz die effizientes-
te Wasserausnutzung und damit den niedrigsten Transpirationskoeffizienten. Dies ist u. a.
auf die dichte Anordnung ihrer photosynthetisch aktiven Zellen und dem damit verbun-
denen geringeren Transpirationsverlust zurückzuführen. C3 -Pflanzen wie Getreide und
die zu den schnellwachsenden Baumarten zählenden Weiden benötigen 500 bis 700 L/kg.
Potenziell ist die Biomasseproduktivität eines Standorts umso höher, je besser das Was-
serangebot ist (Abb. 2.82, links).

Temperatur Die Temperatur beeinflusst alle Lebensvorgänge; dies gilt insbesondere auch
für die Photosynthese, die Atmung und die Transpiration. Die Pflanzen zeigen in ihrer
Aktivität einen artspezifischen Optimumbereich (Abb. 2.83). C4 -Pflanzen zeichnen sich
dabei durch ein höheres Temperaturoptimum (über 30 ı C) als C3 -Pflanzen (ca. 20 ı C) aus.
Die untere Grenze für eine Photosyntheseaktivität, das Temperaturminimum, liegt bei
den Pflanzen, die im kalten und gemäßigten Klima wachsen, bei wenigen Grad unter Null.
Mit dem Anstieg der Jahresdurchschnittstemperatur (bis zu ca. 30 ı C) steigt auch das Bio-
masseertragspotenzial eines Standorts entsprechend an (Abb. 2.82, rechts); ob der Ertrag
an einem bestimmten Standort auch wirklich ansteigt, wird dann von einer Vielzahl wei-
terer Größen (u. a. Wasserversorgung) bestimmt.
Die Temperaturobergrenze für verschiedene Pflanzen liegt bei 38 bis 60 ı C, da oberhalb
dieser Temperatur eine Zerstörung der Eiweiße – und eine dadurch bedingte verminderte
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 161

Abb. 2.83 Abhängigkeit der


Photosyntheseleistung von der
Temperatur (verändert, u. a.
nach [2.64])

Enzymaktivität – und die Beschädigung der Membranen erfolgen (d. h. bestimmte orga-
nische Makromoleküle, aus denen die Pflanze besteht, werden thermisch zerstört). Dies
führt zum Erliegen der Stoffwechselprozesse.

Boden und Nährstoffe Der Boden entsteht durch Verwitterung der Erdkruste unter Mit-
wirkung von Mikroorganismen (Biosphäre); er besteht aus Mineralien unterschiedlicher
Art und Größe sowie dem aus organischen Stoffen gebildeten Humus. Weiterhin enthält
er Wasser, Luft und verschiedene lebende Organismen. Den Pflanzen bietet der Boden
Wurzelraum, Verankerung und Versorgung mit Wasser, Nährstoffen und Sauerstoff.
Wachstum und Entwicklung bzw. die Ertragsbildung der Pflanzen wird stark von den
physikalischen, biologischen und chemischen Eigenschaften des Bodens beeinflusst. Zu
den physikalischen Eigenschaften zählt zum einen die Mächtigkeit des Bodens (d. h. die
Tiefe der oberen, für die Wurzeln der Pflanzen erschließbaren Schicht). Weitere phy-
sikalische Eigenschaften sind die Textur oder Körnungsgröße, der Anteil luftführender
Poren und die Fähigkeit des Bodens, Wasser zu halten sowie Wärme zu speichern bzw.
abzugeben. Für ein optimales Pflanzenwachstum ist ein genügend großer Wurzelraum
zur Erschließung von Nährstoffen und Wasser wichtig. Zu den chemischen Eigenschaf-
ten gehören u. a. der Nährstoffgehalt des Bodens und sein pH-Wert. Die biologischen
Eigenschaften des Bodens werden durch das Vorkommen und die Aktivität von Boden-
mikroorganismen bestimmt. Diese Organismen leben zum Großteil von der organischen
Substanz, die dem Boden über abgestorbene Pflanzen zugeführt wird. Durch mikrobielle
Aktivität werden Nährstoffe frei, welche die Pflanzen über ihre Wurzeln aufnehmen.
Die nicht-mineralischen Nährelemente Kohlenstoff (C) und Sauerstoff (O2 ) werden
von den Blättern der Pflanze aus der Luft aufgenommen. Im Gegensatz zum reichlich vor-
handenen Sauerstoff ist Kohlenstoffdioxid (CO2 ) mit nur rund 0,04 Vol.-% und damit in
einer sehr geringen Konzentration in der Luft vorhanden. Bei stärkerer Einstrahlung kann
deshalb die CO2 -Versorgung der Chloroplasten die Produktionsrate eines Pflanzenbe-
stands begrenzen (deshalb werden die Pflanzen in Gewächshäusern auch mit zusätzlichem
CO2 „gedüngt“).
162 B. Geyer et al.

Die mineralischen Hauptnährelemente Stickstoff, Phosphor, Kalium, Calcium, Magne-


sium und Schwefel sowie die Spurenelemente Eisen, Mangan, Zink, Kupfer, Molybdän,
Chlor und Bor müssen die Pflanzen weitgehend über die Wurzel aus dem Boden aufneh-
men.
Die Pflanze kann umso mehr Nährstoffe und Wasser aus dem Boden aufnehmen, je
größer die Wurzeloberfläche ist (d. h. je besser sich die Wurzel entwickeln kann). Die
Durchwurzelbarkeit sinkt aber mit zunehmender Dichtelagerung der Bodenbestandteile
sowie mit dem Auftreten von Verdichtungszonen im Boden, die z. B. durch falsche Bo-
denbearbeitung verursacht werden können.

Pflanzenbauliche Maßnahmen Neben den durch den natürlichen Standort vorgegebenen


Faktoren wie Temperatur oder Niederschlag ist auch eine anthropogene Beeinflussung
des Pflanzenwachstums durch pflanzenbauliche Maßnahmen möglich. Darunter fallen die
Wahl der geeigneten Kulturpflanze für die jeweiligen Standortgegebenheiten, die Boden-
bearbeitung, das Aussaatverfahren, die Düngung, der Pflanzenschutz und die Erntemaß-
nahmen (Abb. 2.84). Mit der pflanzenbaulichen Produktionstechnik soll das jeweilige
Ertragspotenzial einer Pflanze an einem definierten Standort weitmöglichst umgesetzt
werden.
Die wichtigste Voraussetzung ist die Wahl einer an die ökologischen Bedingungen des
Produktionsstandorts angepassten Pflanzenart. Dies betrifft sowohl die Ansprüche an die
Bodenbeschaffenheit als auch an die Niederschlagsmenge und deren (durchschnittlicher)
jahreszeitlicher Verteilung sowie die mittlere Temperatur und ihren Verlauf.

Pflanzenbauliche
Standortbedingungen
Maßnahmen

Temperatur Pflanzenart / -sorte

Fruchtfolge

Wasser Bodenbearbeitung

Pflanzen-
Aussaat / Pflanzung
gesellschaft

Einstrahlung Düngung

Pflanzenschutz

Erntezeit und
Boden und Nährstoffe
-technologie

Abb. 2.84 Faktoren, die den Erfolg der Pflanzenproduktion bestimmen


2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 163

Bodenbearbeitungsmaßnahmen werden durchgeführt, um den Boden zu lockern, Ern-


terückstände sowie organische und mineralische Dünger einzuarbeiten, Unkraut zu be-
kämpfen und den Boden für die Saat vorzubereiten bzw. die Saat oder Jungpflanzen
auszubringen. Zeitpunkt und Verfahren der Bodenbearbeitung müssen dem Zustand des
Bodens sowie den Ansprüchen der Pflanzen angepasst werden.
Die Fruchtfolge bestimmt die zeitliche Aufeinanderfolge der Kulturpflanzen auf einer
bestimmten Anbaufläche. Der Fruchtfolgegestaltung sind biologische Grenzen gesetzt, da
der Anbau derselben oder verwandter Kulturarten in aufeinanderfolgenden Jahren durch
das Auftreten von Krankheiten beschränkt wird und Anbaupausen einzuhalten sind. Die
zeitliche Abfolge der Kulturpflanzen muss außerdem so geplant werden, dass zwischen
der Ernte der einen und der Aussaat der anderen Frucht genügend Zeit für eine Bodenvor-
bereitung liegt. Kulturarten mit frühen Saatterminen (z. B. Winterraps und -gerste) können
daher beispielsweise nicht nach späträumenden Früchten wie Mais oder Zuckerrüben ste-
hen.
Unter der Düngung werden Maßnahmen verstanden, die unmittelbar die Nährstoff-
zufuhr zu den Pflanzen (z. B. mineralischer Stickstoffdünger) und die Eigenschaften des
Bodens verbessern (z. B. Kalkung, Zufuhr von organischer Substanz). Die Höhe der Dün-
gung orientiert sich an der durch die Pflanzen dem Boden entzogenen Nährstoffmenge.
Die stärkste Ertragsbeeinflussung wird dabei i. Allg. durch eine Stickstoffdüngung er-
reicht, da das Stickstoffangebot im Boden meist der wesentliche ertragsbegrenzende Fak-
tor ist und Stickstoff vor allem das Massenwachstum fördert. Stickstoff wird dem Boden
entweder in Form von mineralischer oder organischer Düngung, über die Stickstoff-Fixie-
rung der Leguminosen oder über den Regen als Eintrag aus der Luft zugeführt. Neben
Stickstoff wird i. Allg. regelmäßig noch eine Düngung mit Phosphor und Kalium vorge-
nommen. Calcium ist neben seiner Funktion als Pflanzennährstoff auch wichtig für die
Bodenfruchtbarkeit. Es beeinflusst den pH-Wert des Bodens und damit seine chemischen
Reaktionen bzw. die Verfügbarkeit verschiedener Nährstoffe und es stabilisiert über seine
brückenbildende Funktion das Bodengefüge. Abgesehen von Magnesium, das häufig in
Kaliumdüngern enthalten ist, sind alle weiteren Nährstoffe meist ausreichend im Boden
vorhanden und werden nur bei offensichtlichem Mangel appliziert.
Pflegemaßnahmen während der Vegetationsperiode dienen der Verhinderung oder
Bekämpfung von Unkraut sowie von Krankheits- und von Schädlingsbefall. Unkräuter
konkurrieren mit den Kulturpflanzen um die Wachstumsfaktoren, vermindern somit ihr
Wachstum oder drängen die Kulturpflanzen ganz zurück. Hierdurch kommt es meist nicht
nur zu einem verminderten Biomasseertrag, sondern auch zu einer geringeren Qualität
und / oder unerwünschten Beschaffenheit der geernteten Biomasse. Dieselben Auswir-
kungen werden durch den Befall mit Krankheiten und Schädlingen verursacht, die von
den durch die Pflanzen erzeugten Photosyntheseprodukten und Reservestoffen leben.
Vom Ernteverfahren hängt es ab, welcher Anteil und mit welcher Qualität der Biomas-
seaufwuchs der energetischen Nutzung zur Verfügung steht, wobei für eine verlustarme
Ernte besonders auf den richtigen Erntezeitpunkt und die richtige Erntetechnik zu achten
ist.
164 B. Geyer et al.

Eine quantitative Beziehung zwischen den Wachstumsfaktoren und den Erträgen land-
wirtschaftlicher Kulturpflanzen wurde durch Formulierung der Ertragsgesetze hergestellt.
Demnach hängen die Möglichkeiten zur Ertragssteigerung nicht nur vom Beheben jener
relativ im Mangel befindlichen Faktoren, sondern gleichzeitig auch von der Konstellation
aller übrigen Wachstumsfaktoren ab.

2.6.2 Räumliche und zeitliche Angebotscharakteristik

Räumliche Angebotscharakteristik Die räumliche Angebotscharakteristik von Bio-


masse wird u. a. durch die Kombination aus Bodengüte, Niederschlagshöhe und -vertei-
lung sowie den Temperaturverlauf und das Lichtangebot bestimmt.
Abb. 2.85 zeigt exemplarisch für die globalen Gegebenheiten den langjährigen Durch-
schnitt des Nettobiomassezuwachses, ausgedrückt in jährlicher flächenspezifischer Koh-
lenstoffbindung. Diese Bindung von Kohlenstoff aus der Luft variiert zwischen 0 und über
1 200 g C/(m2 a); sie überdeckt damit eine Spanne von praktisch keiner Biomasseproduk-
tivität (z. B. Wüsten) bis einer Produktion von umgerechnet 12 t/(ha a) an Kohlenstoff (C)
oder rund 24 t/(ha a) Biomasse (Trockenmasse). Tropische Gebiete rund um den Äqua-
tor, in denen hohe Niederschlagsmengen mit hohen Temperaturen und einer ganzjährigen
Vegetationsperiode – bei guten bis sehr guten Bodenverhältnissen – zusammentreffen,
weisen dabei die höchste Biomasseproduktivität auf. In den meisten Regionen der Erde
wird die Biomasseproduktion aber durch eine mangelnde Wasserversorgung limitiert; dies
gilt insbesondere für viele an die Tropen in nördlicher und südlicher Richtung angrenzen-
de Gebiete (d. h. Wüsten- oder Steppengebiete). Weiter in Richtung Nord- bzw. Südpol

Angaben in g C/(m 2 a)
0 200 400 600 800 1 000 1 200

Abb. 2.85 Durchschnittliche jährliche terrestrische Nettoprimärbiomasseproduktion [2.43]


2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 165

Abb. 2.86 Ertragsniveaus von Winterweizen (links) und Winterraps (rechts) in Deutschland (Daten
nach [2.44]; Bezugsjahr 2009)

sinkt die terrestrische Biomasseproduktivität zusätzlich vor allem durch eine Kombinati-
on aus niedrigen Temperaturen und kurzen Vegetationsperioden, um in Polnähe nahezu
auf null zu gehen.
Demgegenüber zeigen sich auf der Gebietsfläche Deutschlands deutlich geringere Va-
riationen der Biomasseproduktivität. Während hier die Niederschläge und Temperaturen
über größeren Gebieten nur relativ wenig variieren, differenziert aber die Bodengüte in
sehr kleinräumigen Dimensionen. Gebiete hoher Biomasseproduktivität sind hier meist
gekennzeichnet durch das Vorkommen von Böden mit hoher Güte bei einem ausreichen-
den Niederschlag. Verschiedene Kulturpflanzen haben jedoch sehr unterschiedliche An-
sprüche an die Bodenverhältnisse sowie die Temperatur und die Niederschlagsverhält-
nisse; deshalb kann es zu z. T. erheblichen Abweichungen von diesen generellen Trends
kommen.
Abb. 2.86 zeigt exemplarisch für die Biomasseproduktivität in Deutschland das Er-
tragsniveau für Winterweizen und Raps in Stadt- und Landkreisen. Wenn beispielsweise
Sandböden mit schlechter Wasserhaltekapazität und geringe Niederschlagsmengen zu-
sammentreffen (z. B. Brandenburg), dann ist die Biomasseproduktion i. Allg. gering.
Die Gebiete höherer Biomasseproduktivität beim Wintergetreideanbau sind meist ge-
kennzeichnet durch das Vorkommen von Böden mit hoher Güte, wie dies in Börden mit
Lößböden oder in Regionen mit Marschböden gegeben ist. Beispielsweise ist Schles-
wig-Holstein insbesondere durch eine hohe Bodengüte und weitgehend ausgeglichene
166 B. Geyer et al.

Niederschläge begünstigt. Weitere Zentren höherer Bodengüte und Biomasseproduktivi-


tät liegen in Deutschland in der Magdeburger Börde, der Kölner Bucht, in Sachsen und
Teilen Thüringens bis zur Saale und großen Gebieten Mittelbayerns vor.
Tendenziell überschneiden sich Zonen höherer Biomasseproduktivität von Winterwei-
zen und Winterraps. Abweichungen resultieren aus unterschiedlichen Ansprüchen der
Pflanzenarten an Boden und Niederschlagsverteilung im Jahresverlauf.

Zeitliche Angebotscharakteristik Der Zuwachs an Biomasse ist – allein schon durch


die Abhängigkeit von der verfügbaren Solarstrahlung – durch deutliche tages- und jahres-
zeitliche Abhängigkeiten gekennzeichnet.
Der tageszeitliche Verlauf der Photosynthese wird, da der Prozess strahlungsabhängig
ist, von der eingestrahlten Sonnenenergie gesteuert (Abb. 2.87). Dabei nimmt die photo-
synthetische Aktivität mit zunehmender Einstrahlung zu, erreicht beim Höchststand der
Sonne zur Mittagszeit typischerweise ihren Höhepunkt und nimmt zum Abend hin wieder
ab. Eine Reduzierung der Strahlung durch Bewölkung vermindert die photosynthetische
Aktivität.
Der Jahresgang der Biomassebildung wird bestimmt durch den Verlauf von Temperatur
und Tageslänge. Die Temperaturuntergrenze des Biomassezuwachses liegt bei den meis-
ten Kulturpflanzen unter den in Mitteleuropa gegebenen klimatischen Bedingungen bei
einer Tagesdurchschnittstemperatur von 5 ı C, die in Mitteleuropa i. Allg. zwischen März
und Oktober / November erreicht wird. Liegt die Temperatur über dieser Grenze, steigt die
photosynthetische Aktivität – und damit die Biomasseakkumulation – mit zunehmender
Tageslänge und Temperatur an und hat, in Abhängigkeit von der Pflanzenart, im Nor-
Strahlungsleistung

Globalstrahlung

C4-Pflanze (z. B. Miscanthus)


Atmung Nettophotosynthese
CO2-Gaswechselrate

C3-Pflanze (z. B. Raps)

6 8 10 12 14 16 18 h
Zeit im Tagesverlauf

Abb. 2.87 Schematischer Tagesverlauf des CO2 -Gaswechsels (unten) in Abhängigkeit vom Strah-
lungsangebot (oben) (nach [2.45])
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 167

Tägliche Zuwachsraten (linke Achse)


400 300 100
Potenzielle Erzeugung in kg TM/(ha d)

Brutto
Netto
on
kti
du
pro 80
300 225 zen
an
Pfl

Lichtaufnahme in %
zi al
ten
Po
60

en
200 150 rw
eiz

40
nte
Wi

100 75 Ausnutzung der

en
photosynthetisch 20

rüb
fel wirksamen Belichtung

ker
tof

(rechte Achse)
Zuc
Kar

0 0 0
April Mai Juni Juli Aug. Sept. Okt.

Abb. 2.88 Biomassezuwachs unterschiedlicher Feldfutterpflanzen im Verlauf der Vegetationsperi-


ode unter deutschen Gegebenheiten (TM Trockenmasse; nach [2.46])

malfall in den Monaten Mai bis August ihren Höchststand, wenn sie nicht durch andere
Faktoren behindert wird (z. B. Trockenstress).
Abb. 2.88 zeigt exemplarisch anhand von Winterweizen, Kartoffeln und Zuckerrüben
unter den Bedingungen in Deutschland u. a. die potenzielle Biomasseerzeugung im Jahres-
verlauf. Dabei werden zunächst die doch signifikanten saisonalen Unterschiede deutlich.
Beispielsweise zeigt Winterweizen bereits vergleichsweise früh im Jahr ein durchaus be-
achtliches Wachstum, das sich im Mai / Juni weitgehend an die potenziell maximal mög-
liche Biomasseproduktion annähert und dann aber ab Mitte des Jahres pflanzenphysiolo-
gisch bedingt zu einem Stillstand kommt. Demgegenüber sind Zuckerrüben erst deutlich
später im Jahr durch hohe tägliche Zuwachsraten gekennzeichnet; sie erreichen erst im
August die potenziell maximale Biomasseproduktion, können diese aber bis nahezu Ende
Oktober (d. h. dem Erreichen der Temperaturuntergrenze des Biomassezuwachses) reali-
sieren.
Unter klimatischen Bedingungen, die von denen Mitteleuropas z. T. deutlich abwei-
chen, zeigt der Zuwachs aufgrund veränderter meteorologischer Gegebenheiten z. T. eine
völlig andere Charakteristik. Dies macht Abb. 2.89 deutlich. Hier ist der Biomassezu-
wachs (Trockenmassebezug) in unterschiedlichen klimatischen Zonen, wie sie auf der
Erde vorkommen können, gezeigt. Demnach ist beispielsweise in den humiden Tropen
im Verlauf des gesamten Jahres eine Biomasseproduktion auf einem vergleichsweise sehr
hohen Niveau möglich. Demgegenüber liegt der Biomassezuwachs im borealen, alpinen
Bereich auf einem deutlich niedrigeren Level; er beschränkt sich hier auf ein vergleichs-
weise kurzes Vegetationsaktivitätsfenster in den Hochsommermonaten.
Entsprechend können die Biomasseproduktivitäten auch zwischen verschiedenen Jah-
ren variieren, da an einem bestimmten Standort / einer definierten Region die Kombination
der unterschiedlichen Produktionsfaktoren, die aus den jeweiligen Standortbedingungen
und den pflanzenbaulichen Maßnahmen resultieren (Abb. 2.84), immer leicht unterschied-
168 B. Geyer et al.

120

Trockenmasse-Zuwachs in kg/(ha d) 80

40

0
Frühjahr Sommer Herbst Winter
Jahreszeit

Abb. 2.89 Trockenmasse-Zuwachs typischer landwirtschaftlicher Kulturpflanzen in unterschiedli-


chen klimatischen Zonen (nach [2.65])

lich sind. Diese überjährigen Variationen werden in Abb. 2.90 deutlich, welche die z. T.
durchaus erheblichen Abweichungen der Winterweizenerträge vom Ertragsmittel der letz-
ten 6 Jahre exemplarisch für Deutschland zeigt. Ähnliche Variationen kommen aber auch
in anderen Ländern vor.

100

90 0,20

80
0,15

70

0,10
Ertrag in dt/(ha a)

60
Abweichung

50 0,05

40
0,00

30
-0,05

20

-0,10
10 Abweichung vom 6-Jahres-Mittel
Absolutertrag

0 -0,15

Abb. 2.90 Variation der Winterweizenerträge in Deutschland in Abhängigkeit vom Ertragsmittel


der letzten 6 Jahre
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 169

2.7 Erdwärme

Ben Norden und Martin Kaltschmitt

Neben dem Energiestrom von der Sonne – mit den daraus resultierenden sekundären
Energieströmen (z. B. Wind, Wasser) – und dem Energiestrom aus der Massenanziehung
und Bewegung von Himmelskörpern strömt aus dem Innern der Erde ein weiterer (Erd-
wärme-)Energiestrom zur Erdoberfläche; dieser ist neben den genannten Energiequellen
die dritte der Menschheit zur Verfügung stehende regenerative Energiequelle (Kapitel 2.1).
Im Folgenden werden die Grundlagen dieser geothermischen Ressource dargestellt und
diskutiert.

2.7.1 Grundlagen

In der Erde ist thermische Energie gespeichert. Der entsprechende Wärmeinhalt der Er-
de resultiert teilweise aus der Gravitationsenergie, die bei Entstehung der Erde vor etwa
4,5 Mrd. Jahren durch die Kontraktion von Gas, Staub und Gesteinsbrocken freigesetzt
und nicht ins Weltall abgegeben wurde. Hinzu kommt eine eventuell von davor noch vor-
handene sogenannte Ursprungswärme. Als weitere Wärmequelle, die zu dem in der Erde
heute vorhandenen Energievorrat beigetragen hat und nach wie vor beiträgt, wirkt die
Energiefreisetzung infolge des Zerfalls radioaktiver Isotope, die sich in der Erde befin-
den. Bei diesen radioaktiven Elementen handelt es sich um die natürlich vorkommenden
wärmeproduzierenden Isotope U238 und U235 des Urans, Th232 des Thoriums und K40 des
Kaliums. Ergänzend dazu wird in einem geringen Umfang auch durch chemische Prozes-
se, die ebenfalls in der Erde stattfinden, Wärme freigesetzt.
Im Laufe erdgeschichtlicher Zeiträume hat sich die Erde, die nach ihrer Entstehung
vermutlich sehr heiß war, sukzessive abgekühlt; d. h. im Verlaufe von Jahrmillionen wur-
de thermische Energie über die Erdoberfläche in den (kalten) Weltraum abgegeben. Da
die Wärme aber nur über die Erdoberfläche an den Weltraum abgegeben werden kann
und sie aus dem Erdinnern erst durch Wärmeleitung dorthin transportiert werden muss,
finden sich im Erdinnern auch heute noch entsprechend hohe Temperaturen. Deshalb
nimmt generell die Temperatur mit zunehmender Tiefe unter der Erdoberfläche zu; d. h.
nach wie vor findet ein Wärmetransport aus dem Inneren der Erde in Richtung zur Erd-
oberfläche statt. Da der Aufbau der Erde nicht homogen (und nicht statisch) ist und un-
terschiedliche Gesteine / Gesteinsschichten aufgrund unterschiedlicher Zusammensetzung
eine verschiedenartige Wärmeleitfähigkeit und eine unterschiedliche Wärmekapazität auf-
weisen, wird die Temperaturtiefenverteilung vor allem von den jeweiligen thermischen
Gesteinseigenschaften (u. a. der Wärmeleitfähigkeit, der Wärmekapazität und der natürli-
chen radiogenen Wärmeproduktion infolge des unterschiedlichen Gehalts an radioaktiven
Komponenten) und dem jeweiligen Wärmefluss aus dem Inneren der Erde beeinflusst.
Daraus ergibt sich, dass die Wärme innerhalb der Erde nicht gleichmäßig verteilt ist.
170 B. Geyer et al.

Abb. 2.91 Schalenauf- Dichte in g/cm³


Geschwindigkeit in km/s
bau der Erde anhand der 0 2 4 6 8 10 12 14 Epizentrum
physikalisch-chemischen Ei- 0
P-Wellen Ob
erf
genschaften, Ausbreitung von l äc
he
nw
1 Dichte
S Wellen ell
Scher-(S-Wellen) und Kom- en

Tiefe in 1 000 km
S-Wellen
pressionswellen (P-Wellen) 2
und Veränderung ausgewählter Seismograph
3
petro-physikalischer Parameter
(Scher- und Kompressionswel- 4 P Wellen

o be
len, Dichte) im Erdinnern (u. a.

unt
ä

ere

rer M
5

Kruste
nach [2.47]) S-Wellen

ere

r Mant
inn
er

antel
rK
er
6

Ke

er n

el
rn
6 5 4 3 2 1 0
Tiefe in 1 000 km

Erdaufbau Erdbeben verursachen Schallwellen, die als Abfolge von Verdichtungen der
Materie (sogenannte Kompressionswellen) oder als Bewegungen senkrecht zur Ausbrei-
tung (sogenannte Scherwellen) auftreten. Sie können mit auf der Erdoberfläche verteilten
Empfängern (sogenannte Seismometer) gemessen werden. Durch eine geophysikalische
Auswertung derartiger Messungen können im Erdinneren mehrere Diskontinuitäten loka-
lisiert werden; darunter sind Zonen / Bereiche zu verstehen, an denen sich die physikali-
schen Eigenschaften der Erde deutlich ändern. Ausgehend davon wurde der prinzipielle
konzentrische Schalenaufbau der Erde abgeleitet (Abb. 2.91).
Demnach reicht die Erdkruste – das ist die oberste Schale der Erde – unter den Konti-
nenten im Mittel bis in eine Tiefe von ca. 30 km; unter den Ozeanen, die etwas über 70 %
der Erdoberfläche einnehmen, ist die Erdkruste im Schnitt nur rund 10 km tief (Tabel-
le 2.7). Die sogenannte Mohorovičič-Diskontinuität trennt die Erdkruste vom Erdmantel;
an dieser Grenzfläche kommt es zu einem sprunghaften Anstieg der Geschwindigkeit seis-
mischer Kompressionswellen. Unter dem Erdmantel wird die in Richtung zum Erdinnern
nächste Schicht der Erde verstanden (Abb. 2.92). Dieser Erdmantel ist wie die Erdkruste
fest und reicht bis in eine Tiefe von ca. 3 000 km. Er umschließt den Erdkern, der sich
zumindest im äußeren Teil (ca. 3 000 bis 5 100 km) wie eine Flüssigkeit verhält, da sich
dort keine Scherwellen ausbreiten (Abb. 2.91).
Vorstellungen über die Zusammensetzung dieser „Schalen“ wurden u. a. durch Spek-
tralanalysen von Himmelskörpern, durch Messungen an vulkanisch ausgeworfenen Tie-
fengesteinen und durch Modellierungen von physikalischen und seismologischen Mes-

Tabelle 2.7 Physikalische Eigenschaften im Erdinnern


Tiefe in km Dichte in kg/dm3 Temperatur in ı C
Erdkruste 0–30 2–3 bis 1 000
Erdmantel bis 3 000 3–5,5 1 000–3 000
Erdkern bis 6 370 10–13 3 000–5 000
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 171

Abb. 2.92 Aufbau der Erde

sungen erarbeitet. Bei einer vereinfachten Betrachtung besteht die obere Erdkruste bis
ca. 20 km Tiefe aus Gesteinen mit weitestgehend granitischer Zusammensetzung; d. h. aus
Sicht der chemischen Zusammensetzung überwiegen Silizium- und Aluminiumverbin-
dungen (ca. 70 % SiO2 , ca. 15 % Al2 O3 , ca. 8 % K2 O/Na2 O). Im unteren Teil der Erdkruste
nimmt dann der Silikatanteil ab und der Anteil an Eisenoxidverbindungen steigt an. Die
zugehörigen Gesteine weisen überwiegend einen basaltischen Chemismus auf (ca. 50 %
SiO2 , ca. 18 % Al2 O3 , ca. 17 % FeO/Fe2 O3 /MgO, ca. 11 % CaO). Der darunter liegende
Erdmantel besteht im Wesentlichen aus dem Gestein Peridotit, welches aus dem Mineral
Olivin mit der chemischen Mischformel (Mg,Mn,Fe)2 [Si2 O4 ] gebildet wird. Der Erdkern
besteht vermutlich überwiegend aus Eisen (Fe) und Nickel (Ni); er wird deswegen auch
als NiFe-Kern bezeichnet.
Der oberste Erdmantel und die Erdkruste bilden die weitgehend starre Lithosphäre.
Dies ist die äußerste Schicht bezogen auf den Schichtenaufbau der Erde (Abb. 2.91
bzw. 2.92). Sie umfasst die Erdkruste und den äußersten Teil des Erdmantels (d. h. den
lithosphärischen Mantel). Die Lithosphäre ist dabei aus einzelnen Platten zusammen-
gesetzt; sie werden als Lithosphärenplatten, tektonische Platten oder Kontinentalplatten
bezeichnet. Die Lithosphäre ist in den Gebieten der Ozeane i. Allg. weniger dick aus-
gebildet als unter den Kontinenten. Diese Lithosphärenplatten „schwimmen“ auf einer
weniger rigiden Schicht des obersten Erdmantels, der sogenannten Asthenosphäre, die
zum Erdinnern hin durch die Mesosphäre begrenzt wird. Durch thermisch-physikalische
Prozesse befinden sich diese einzelnen Kontinentalplatten dabei in Bewegung; dieser
Vorgang wird als Plattentektonik bezeichnet. Dabei kommen eine Vielzahl unterschied-
licher Effekte zum Tragen, die u. a. auch die Möglichkeiten einer Nutzung der tiefen
Erdwärme signifikant beeinflussen. Abb. 2.93 zeigt einige dieser Effekte; demnach gibt
es Bereiche der Erdkruste, an der das heiße Tiefengestein relativ weit an die Oberfläche
tritt und Gebiete, an denen das Gegenteil der Fall ist. Die diese Effekte beschreiben-
de Theorie der Plattentektonik liefert eine Erklärung für wesentliche geodynamische
Vorgänge wie z. B. die Bildung neuer Ozeane und neuer Erdkruste, das Abtauchen von
Platten oder den Vulkanismus an den Rändern von Lithosphärenplatten (z. B. den soge-
nannten „Ring of Fire“ um den Pazifik). Die Veränderung der geographischen Lage von
172 B. Geyer et al.

Ozeanrücken Graben Gebirge

Kontinent

Ozean

Kruste
Kruste

Plattenbewegung
Gesteinsschmelzfluss

Abb. 2.93 Schematische Darstellung ausgewählter infolge der Plattentektonik stattfindender Ef-
fekte

Kontinenten über geologische Zeiträume hinweg bestimmte dabei die Ablagerung und
Versenkung von Sedimentgesteinen, welche heute als geothermische Reservoire genutzt
werden können.

Temperaturgradient Infolge des heißen Erdkerns und der kühleren Erdoberfläche stellt
sich ein Wärmefluss und damit ein Temperaturgradient zwischen dem Erdinnern und
der Erdoberfläche ein. Dies manifestiert sich in einer Temperaturzunahme innerhalb der
starren äußeren Erdkruste (Lithosphäre), die durch Tiefbohrungen nachgewiesen wer-
den kann. Dieser Temperaturanstieg beträgt im Mittel 30 K/km. Je nach der lokalen /
regionalen geologischen Situation und den jeweiligen thermischen Eigenschaften kann
diese als geothermischer Temperaturgradient bezeichnete Zunahme der Temperatur mit
der Tiefe sehr unterschiedlich sein (Abb. 2.94). Einige dieser z. T. erheblichen Unterschie-
de können dabei auch durch die Plattentektonik erklärt werden (Abb. 2.93). Während in
alten Kontinentalgebieten – dies sind Gebiete auf den einzelnen Lithosphärenplatten, die
weit entfernt von den jeweiligen Kontinentalrändern liegen (z. B. Kanada, Indien, Südafri-
ka) – kleinere Temperaturgradienten (z. B. 10 K/km) gemessen werden, sind in tektonisch
aktiven, jungen Krustengebieten an den Rändern dieser Lithosphärenplatten (z. B. Island,
Larderello in Italien (ca. 200 K/km)) oder in Grabenregionen (z. B. im Rheingraben bis
100 K/km) wesentlich höhere Gradienten anzutreffen.
Unterhalb der oberen Erdkruste (Abb. 2.92) muss der Anstieg des geothermischen Gra-
dienten deutlich abnehmen, da sonst unrealistisch hohe Temperaturen für das Innere der
Erde erreicht würden; für eine technische Nutzbarmachung der Erdwärme ist dies aber
praktisch irrelevant, da bisher nur Tiefen von rund 5 000 bis 7 000 m unter kommerziellen
Aspekten und rund 10 000 m im Rahmen von Forschungsbohrungen sicher erbohrt – und
damit aufgeschlossen – werden können. Der potenzielle Temperaturgradient im Erdmantel
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 173

Abb. 2.94 Temperaturanstieg Temperatur in °C


0 100 200 300
mit zunehmender Tiefe für 0
unterschiedliche Standorte
und im globalen Mittelwert in Larderello (Italien)
bisher technisch erschließbaren 2 000
Soultz sous Forêts
Tiefen (nach [2.47]) (Frankreich)

Tiefe in m
4 000
Friedland
(Nordostdeutschland)
6 000
Kontinentale
Tiefbohrung Globaler
(Oberpfalz) Mittelwert
8 000

(Abb. 2.92) kann aus dessen geophysikalischen Eigenschaften abgeschätzt werden. Damit
muss die Temperatur unterhalb des Schmelzpunktes der Mantelsilikatgesteine liegen; da-
bei muss zusätzlich die Abhängigkeit der Schmelztemperaturen vom Druck berücksichtigt
werden. Der Temperaturgradient im Erdmantel wird daher auf maximal 1 K/km geschätzt
(Abb. 2.95).
Aus den Temperaturgradienten in Erdkruste und Erdmantel und der druckbereinig-
ten Schmelztemperatur für Eisen und Nickel im Erdkern kann das Temperaturprofil im
Erdinnern abgeschätzt werden (Abb. 2.95). Demnach herrschen im obersten Erdmantel
Temperaturen von rund 1 000 ı C vor. Im Erdinneren können Maximaltemperaturen von
über 5 000 ı C angenommen werden (Tabelle 2.7).

Wärmeinhalt und Verteilung der Quellen Unter der Annahme einer mittleren spezi-
fischen Wärmekapazität von 1 kJ/(kg K) und einer durchschnittlichen Dichte der Erde
von rund 5,5 kg/dm3 kann der Wärmeinhalt unseres Planeten auf rund 12 bis 24  1030 J
geschätzt werden. Für die äußerste Erdkruste bis rund 10 000 m Tiefe beträgt der Wärm-
einhalt etwa 1026 J.
Aufgrund von chemischer Zonierung infolge der Plattentektonik sind dabei die wärme-
produzierenden Isotope in der kontinentalen Kruste, die im Wesentlichen aus granitischen
und basaltischen Gesteinen besteht, angereichert. In granitischen Gesteinen beträgt die ra-
diogene Wärmeproduktionsrate im Mittel ca. 2,5 W/m3 und in basaltischen Gesteinen
ca. 0,5 W/m3 . Dagegen ist der obere Erdmantel an wärmeproduzierenden radioaktiven
Elementen verarmt; die Wärmeproduktion beträgt hier nur 0,02 W/m3 [2.69].

Terrestrische Wärmestromdichte Die terrestrische Wärmestromdichte beschreibt den


flächenspezifischen vom Erdinneren zur Erdoberfläche strömenden Wärmestrom und
stellt damit eine Grundgröße der geodynamischen und thermischen Charakterisierung
der Erde dar. Sind beispielsweise die thermischen Eigenschaften der Sedimente und der
174 B. Geyer et al.

Abb. 2.95 Temperaturvertei-


lung in der Erde (nach [2.66])

krustalen Einheiten bekannt, lassen sich mit dem terrestrischen Wärmestrom Tempera-
turprofile der tieferen und der oberflächennahen Kruste berechnen. Damit eignet sich die
terrestrische Wärmestromdichte auch als Planungsgrundlage in der Geothermie.
Die Wärmestromdichte setzt sich aus mehreren Anteilen zusammen: aus dem Wärme-
strom durch einen konduktiven oder einen konvektiven Transport und der innerhalb eines
bestimmten Tiefenbereichs stattfindenden radiogenen Wärmeproduktion (Kapitel 9.1).
Für die kontinentale Erdkruste ergibt sich ein Mittelwert der Wärmestromdichte von
ca. 65 mW/m2 an der Erdoberfläche.
Aufgrund der Zonierung der radioaktiven Elemente (siehe oben) sind die Isotope nicht
gleichmäßig in der Erde verteilt. Bei einer mittleren Wärmeproduktionsrate für Krusten-
gesteine von 1 W/m3 ergibt sich für eine Erdkruste von 35 km Dicke alleine aus dem
radioaktiven Zerfall eine Wärmestromdichte von ca. 35 mW/m2 . Damit dürfte der Haupt-
anteil der von der Erde an der Erdoberfläche bereitgestellten Wärme also in der Erdkruste
beim Zerfall der dort vorhandenen radioaktiven Elemente freigesetzt werden.
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 175

23 - 45 75 - 85
45 - 55 85 - 95
55 - 65 95 - 150
65 - 75 150 - 450 Angaben in mW/m2

Abb. 2.96 Globale Wärmestromdichte [2.70]

Die ozeanische Erdkruste besteht zum großen Teil aus basaltischen Gesteinen. Trotz
der niedrigen radiogenen Wärmeproduktion in diesen Gesteinen ist die Wärmestrom-
dichte hier deutlich höher und beträgt im Mittel um die 100 mW/m2 . Hier kommt der
Wärme aus dem Aufstieg heißer Gesteinsmassen aus dem Erdmantel an den Rändern
von Lithosphärenplatten eine besondere Bedeutung für den Wärmestrom zu, da hierdurch
überdurchschnittlich hohe Temperaturen möglich sind (Abb. 2.93). Dies wird auch in
Abb. 2.96 deutlich, welche die globale Wärmestromdichte zeigt. Hier werden insbesonde-
re die merklich überdurchschnittlichen Wärmestromdichten an den Grenzen bestimmter
Lithosphärenplatten deutlich, die durch den Aufstieg heißen Tiefenmaterials in oberflä-
chennähere Bereiche verursacht werden. Die Darstellung zeigt aber auch, dass dies über-
wiegend in den Ozeanböden der Fall ist. Durchschneidet eine derartige Zone Land – wie
es beispielsweise bei Island der Fall ist – dann sind dort die Möglichkeiten einer Geother-
mienutzung vergleichsweise gut. Ähnlich zu dem bereits genannten Beispiel ist dies auch
u. a. in Neuseeland und in Ostafrika der Fall.
Besonders hohe Werte der Wärmestromdichte sind für vulkanisch aktive Gebiete (etwa
90 bis > 200 mW/m2 ) und – wie Abb. 2.96 zeigt – für ozeanische Riftzonen (im Durch-
schnitt etwa 100 bis 150 mW/m2 ) typisch. Demgegenüber sind deutlich geringere Werte
mit 25 bis 50 mW/m2 für alte Kontinentalgebiete (wie z. B. die russische Platte) charak-
teristisch (Abb. 2.97). Aus diesen Unterschieden wird deutlich, dass die Variationen im
heutigen Wärmefluss zwischen unterschiedlichen Regionen der Erde auf Unterschiede
in der tektonisch-magmatischen Aktivität, dem Bildungsalter der geologischen Einheiten
und den thermischen Eigenschaften der vorherrschenden Krustengesteine zurückzuführen
sind.
176 B. Geyer et al.

keine
> >150
150 mW/m² 60-80
60-80 mW/m²
Daten
100-150
100-150 mW/m² 40-60
40-60 mW/m²

80-100
80-100 mW/m² <<40
40 mW/m²
Umea
Trondheim

Bergen
Helsinki
Petersburg
Tallinn
Stockholm

Glasgow Goeteborg

Riga

Kopenhagen
Smolensk
Vilnius
Danzig
Hamburg Minsk
London
Amsterdam
Warschau
Berlin
Brüssel Leipzig

Paris Frankfurt Prag Kiev


Luxembourg

München
Bern Wien
Budapest Odessa
Lyon
Mailand Trieste

Toulouse Genua Bukarest


Marseille
Belgrad

Sarajevo

Barcelona
Rom Sofia
Istanbul

Neapel Tirana

Abb. 2.97 Abgeschätzte terrestrische Wärmestromdichte für große Teile Europas (vereinfacht,
nach [2.48])

Wärmebilanz an der Erdoberfläche Wird die durchschnittliche Wärmestromdichte der


kontinentalen und ozeanischen Kruste mit ihrem jeweiligen Anteil an der gesamten Erd-
oberfläche in Bezug gesetzt (kontinentale Kruste: ca. 40 % der Erdoberfläche, ozeanische
Kruste ca. 60 % der Erdoberfläche), beträgt bei einer gewichteten mittleren Wärmestrom-
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 177

Abb. 2.98 Wärmeströme Sonnenstrahlung

und Temperaturverlauf in den Atmosphäre


Anteil des Erdwärmestroms
oberen Schichten der Erdkruste 0%
Anteil der Sonnenenergie
100 %

0 Erdoberfläche 100 % 0%

1 Bandbreite

Tiefe (10 bis 20 m)


Erdkruste

10

Tiefe in m
mittlerer
Anteil
100

mittlerer Temperaturverlauf
1 000
mögliche Bandbreite
der Temperatur

10 000
-50 0 50 100 150 200 Temperatur in °C

Erdwärmestrom

dichte von ca. 86 mW/m2 die geothermische Strahlungsleistung der Erde ca. 44  1012 W;
damit liefert die Erde pro Jahr eine geothermisch bedingte Energie von rund 1 400 EJ, die
letztlich an die bodennahen Atmosphärenschichten abgegeben und danach in der Atmo-
sphäre verteilt wird. Demgegenüber liegt die Einstrahlung der Sonne auf die Erdoberfläche
bei rund dem 20 000-fachen dieses terrestrischen Wärmestroms. Die insgesamt abgegebe-
ne und aufgenommene Wärmestrahlung bestimmt das beobachtete Temperaturgleichge-
wicht von im Durchschnitt ca. 14 ı C an der Erdoberfläche.
Dies geht auch aus Abb. 2.98 hervor. Dabei wird i. Allg. in den obersten Metern die
Temperatur der Erde vom Wärmeeintrag aus der eingestrahlten Sonnenenergie dominiert.
Deutlich wird dies u. a. daran, dass beispielsweise in einigen Gebieten Deutschlands der
Boden im Winter bis in Tiefen von mehreren Dezimetern gefroren sein kann und im Som-
mer sich stellenweise auf erhebliche Temperaturen aufheizt (z. T. 50 ı C und mehr bei
entsprechend hoher Solarstrahlung). Dies hat seine Ursache ausschließlich in den jahres-
zeitlichen Unterschieden des solaren Strahlungsangebots und dem daraus resultierenden
Temperaturniveau in den bodennahen Atmosphärenschichten. Die Sonneneinstrahlung be-
einflusst dabei das Temperaturregime innerhalb der Erde bis zu einer Tiefe von 10 bis 20 m
(Jahresgang).
Im obersten Bereich der Erdkruste wird der Anteil am gesamten Erdwärmestrom, der
aus der Erdwärme (d. h. dem terrestrischen Wärmestrom) bzw. aus der eingestrahlten Son-
nenenergie resultiert, durch eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Effekte beeinflusst. Eine
wesentliche Einflussgröße ist der Regen. Das daraus resultierende Oberflächen- und in-
direkt auch das Grundwasser wird durch Sonnenenergie „aufgeheizt“ und transportiert
die solar eingestrahlte Energie in z. T. durchaus beachtliche Tiefen der oberflächennahen
Erdschichten. Erwärmte Oberflächenwässer können deshalb lokal die Temperaturen im
oberflächennahen Untergrund im Durchschnitt bis rund 20 m, in Ausnahmefällen auch
noch deutlich tiefer, beeinflussen.
178 B. Geyer et al.

Geothermische Systeme und Ressourcen Der natürliche mittlere kontinentale Wär-


mestrom von rund 65 mW/m2 kann an der Erdoberfläche meist nicht unmittelbar wirt-
schaftlich genutzt werden. Aber Warmwasservorkommen in Tiefen von z. T. nur wenigen
hundert Metern bis – bei im Mittel zunehmenden Temperaturen – in mehreren tausend
Metern, heiße Quellen an der Erdoberfläche und vulkanische Gebiete mit ihren vielfäl-
tigen geothermischen Erscheinungsformen (z. B. Geysire, Fumarolen) demonstrieren das
Vorhandensein eines entsprechend großen Wärme- und damit Energiepotenzials. Dieses
besteht erstrecht für die Bereiche der ozeanischen Kruste; aber auch hier ist eine mögliche
geothermische Nutzung in der Regel mit einem hohen technischen Aufwand verbunden.
Die im Untergrund vorhandene terrestrische Wärme kann durch Wärmedurchgang, al-
so konduktiv durch die Gesteinsmatrix, und / oder über hydraulische Wegsamkeiten, also
advektiv mit Bewegung von Flüssigkeitsteilchen, transportiert werden. Abb. 2.99 zeigt
schematisch drei mögliche Wegsamkeiten für Fluide im Untergrund. Je nach geologischer
Situation können diese Wegsamkeiten unterschiedlich stark ausgebildet sein.

 In Porenleitern zirkuliert das Wasser in Poren, die beispielsweise schon während der
Ablagerung der Gesteine angelegt werden. Kenntnisse der Ablagerungsbedingungen
und der anschließend stattgefundenen gesteinsverändernden Prozesse erlauben eine
bessere Abschätzung der Eignung solcher poröser Reservoire für die geothermische
Nutzung.
 In Kluftleitern erfolgt die Wanderung des Geofluids in Trennfugen von natürlichen oder
auch künstlich erzeugten Trennflächensystemen, die insbesondere durch geomechani-
sche Einwirkungen entstehen können.
 Karstwasserleiter entstehen in Gesteinen, in denen sich durch chemische Lösungs-
vorgänge Hohlräume ausbilden können (z. B. in Kalksteinen). Beispielsweise können
entlang von Schwächezonen des Gesteins durch Niederschlagswässer Wegsamkeiten
und Kavernen entstehen, welche zur Bildung eines massiven Grundwasserleiters füh-
ren können.

Die aufgeführten Wegsamkeiten (Abb. 2.99) können auch in einem Gesteinskörper


ausgebildet sein. Beispielsweise findet bei sedimentären Lockergesteinen, bei denen die
einzelnen Mineralkörner nur lose nebeneinanderliegen, der Fluidtransport durch die re-
lativen großen freien Poren zwischen den Körnern statt (Abb. 2.100). In Folge von einer
Versenkung dieser Lockergesteine (d. h. ein Absinken der abgelagerten Sedimente in tiefe-

Abb. 2.99 Mögliche Weg-


samkeiten im Untergrund
(nach [2.47])

Poröser Klüftiger Karstiger


Untergrund Untergrund Untergrund
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 179

externe
Fluide

+p +T
+p
+T

externe
Fluide

150 μm

Abb. 2.100 Mögliche Veränderungen der Porosität eines sedimentären Gesteins bei zunehmender
Versenkung (p Druck, T Temperatur)

re Erdschichten im Laufe geologischer Zeiträume) verdichtet sich die Lagerungspackung;


dadurch nimmt die Porosität des Gesteins sukzessive ab. Bei weiterer Zunahme von Druck
und Temperatur durch fortschreitende Versenkung kommt es zu zusätzlichen gesteinsbil-
denden Vorgängen (Diagenese). Diese können z. B. zur Auflösung von Mineralkörnern
und der Ausfällung von Mineralen aus der Lösung (Abb. 2.100, oben) oder der Druck-
lösung und Umverteilung von Mineralen (Abb. 2.100, unten) im Porenraum führen. Die
Möglichkeiten für einen Fluidtransport durch den Porenraum werden durch derartige Pro-
zesse eingeschränkt. Demgegenüber können die Möglichkeiten des Wärmetransports über
konduktive Wärmeleitung jedoch durch die Verdichtung zunehmen. In Folge von tekto-
nischen Spannungen im Untergrund kann es zu Brüchen in dem Festgestein kommen.
Zusätzlich zum Porenraum können sich dadurch Wegsamkeiten in Klüften ausbilden; ein
klüftig-poröser Speicherbereich entsteht.
Die geothermischen Energievorkommen können nach Reservoirtyp und ihrem Ener-
giegehalt unterschieden werden.

 Als hydrothermale Lagerstätten werden Reservoire mit verfügbarem heißem Wasser


im Untergrund bezeichnet.
 Gesteine ohne Porenraum und ohne ausreichend frei verfügbarem Wasser werden
mit dem Begriff petrothermale Lagerstätten beschrieben; letztere sind nur durch die
Schaffung künstlicher Wegsamkeiten und der Bereitstellung eines entsprechenden
Wärmeübertragermediums nutzbar. Derartige Vorkommen enthalten auch das bei wei-
tem größte Potenzial geothermischer Energie, das derzeit technisch zugänglich ist.
180 B. Geyer et al.

International werden die Energievorkommen nach ihrem Energiegehalt in drei Kate-


gorien unterschieden. Zwischen den jeweiligen Systemen bestehen dabei keine starren
Grenzen.

(1) Systeme mit Temperaturen kleiner als 100 ı C. Sie sind beispielsweise im kontinen-
talen Umfeld (Sedimentbecken) anzutreffen. Bei derartigen geothermischen Syste-
men handelt es sich um Warmwasservorkommen (engl. low-temperature system),
die durch das Vorhandensein einer stark wasserführenden Gesteinsschicht gekenn-
zeichnet sind. In Deutschland existieren in Tiefen von bis zu rund 3 000 m derartige
Lagerstätten mit Temperaturen von 60 bis maximal 120 ı C.
(2) Systeme im mittleren Temperaturbereich (100 bis 180 ı C). Diese Systeme sind z. B.
auf Kontinenten anzutreffen, wenn weitere Wärmequellen (z. B. radioaktive Gesteins-
körper oder Zirkulation heißer Fluide entlang tiefreichender Störungen) vorhanden
sind (engl. intermediate-temperature system). Diese Systeme stellen in der Regel
Heißwasser-, Nassdampf- bzw. Heißdampfvorkommen dar.
(3) Systeme mit Temperaturen größer als 180 ı C. Diese sind vor allem an Zonen mit
aktivem Vulkanismus, beispielsweise an Kontinentalplattengrenzen, anzutreffen und
stellen Heißwasser- bzw. Heißdampfvorkommen dar (engl. high-temperature system).

Außer der Unterteilung nach der Temperatur können geothermische Vorkommen auch
anhand ausgewählter physikalisch-chemischer Eigenschaften eingeteilt werden.

 Hydrothermale Hochdrucklagerstätten enthalten Heißwasser, das – vermischt mit Gas


(oft z. B. Methan) – vorgespannt ist (z. B. im Süden der USA im Bereich der Golfküste
von Texas und Louisiana). Derartige Lagerstätten entstehen, wenn geschlossene porö-
se Gesteinspakete durch tektonische Bewegungen rasch in die Tiefe versenkt werden
und dabei die Porenwässer und Gasinhalte den in der Tiefe herrschenden Druck- und
Temperaturverhältnissen ausgesetzt werden (engl. geo-pressurized system).
 Hydrothermale Niedrigdrucklagerstätten sind im Unterschied zu den Hochdrucklager-
stätten nicht vorgespannt.
 Enhanced Geothermal Systems (EGS) stellen Reservoire dar, die in der Ausgangsform
(d. h. bei Antreffen des Tiefenhorizonts mit einer Bohrung) hydrothermal ausgeprägt
sind oder heiß und trocken angetroffen werden; sie können auch eine Mischform aus
diesen beiden Möglichkeiten darstellen. Enhanced Geothermal Systems (EGS) sind
aber a priori technisch (und wirtschaftlich) nicht sinnvoll geothermisch nutzbar, können
aber durch die Anwendung von speziellen Methoden (z. B. durch eine hydraulische
Stimulation) einer technischen Nutzbarmachung zugeführt werden.
 Energievorkommen gibt es auch in der Nähe von tektonisch aktiven Zonen, die aber
bisher aufgrund der erheblichen technischen Herausforderungen kaum genutzt wer-
den. Hier können geschmolzene Gesteine (sogenannte Magmen) mit Temperaturen
über 700 ı C angetroffen werden, die oft geringere Dichten als ihre noch festen Um-
gebungsgesteine aufweisen. Diese Teilschmelzen sind z. B. in Regionen mit jungem
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 181

aktivem Vulkanismus wegen ihrer geringeren Dichte von größeren Tiefen aufgestiegen
und bilden Magmavorkommen in 3 000 bis 10 000 m Tiefe. Die um Magmenkörper
meist vorhandenen Fluidsysteme mit ihren hohen Temperaturen könnten zur Bereit-
stellung von Wärmeenergie – und damit letztlich als Energiequelle – technisch genutzt
werden. Der Aufschluss derartiger Systeme (wie auch die Nutzung von hydrothermalen
submarinen Hochtemperatursystemen) ist aber noch in der Entwicklung.

Im deutschen Sprachgebrauch üblich ist auch eine Unterteilung in flache und tiefe Geo-
thermie. Reservoire bis ca. 400 m Tiefe und Temperaturen von weniger als 25 ı C werden
dabei als flache geothermische Reservoire bezeichnet. Dieses Wärmepotenzial wird bis
in eine Tiefe von rund 10 bis 20 m im Wesentlichen durch die solare Einstrahlung, durch
die Wärmeleitung im Boden und durch zirkulierende solar aufgeheizte Grundwässer be-
einflusst. Reservoire in größeren Tiefen und deutlich höheren Temperaturen rechnet man
dagegen zur tiefen Geothermie.
Die potenzielle technische Nutzung dieser verschiedenen geothermischen Energie-
vorkommen hängt – auch aufgrund von Wirtschaftlichkeitserwägungen – vom Energiege-
halt und damit von der Temperatur und der Fließrate ab.
Oberhalb von 130 bis 150 ı C, ggf. auch etwas unterhalb dieses Temperaturbereichs,
können geothermische Wärmevorkommen zur Stromerzeugung genutzt werden; dies wird
heute an dafür geeigneten Standorten mit besonders vielversprechenden geologischen Be-
dingungen bereits realisiert (u. a. Italien, Neuseeland, Costa Rica, Philippinen). Da es
dabei zu keinem Verbrennungsprozess kommt, die Wärme oft mit hohen thermischen
Leistungen und unabhängig von der Tages- und Jahreszeit sowie der aktuellen Witterung
zur Verfügung steht, können derartige Vorkommen umweltfreundlich und bei günstigen
geologischen Bedingungen vergleichsweise einfach und – auch ohne staatliche Unterstüt-
zung – wirtschaftlich genutzt werden. Dafür müssen jedoch geologische Voraussetzungen
vorliegen, wie sie in Deutschland bzw. in Mitteleuropa nur sehr eingeschränkt gegeben
sind.
Geothermische Wärme kann auch bei Temperaturen z. T. deutlich unterhalb von 150 ı C
mithilfe einer Vielzahl unterschiedlichster Möglichkeiten technisch sinnvoll genutzt wer-
den. Typische Beispiele sind:

 Heizzentralen zur Bereitstellung von Nah- und Fernwärme für Haushalte (d. h. Heizung
und Trinkwasser), den GHD-Sektor (d. h. Gewerbe, Handel, Dienstleistungen bzw.
Kleinverbraucher; u. a. Gewächshausbeheizung, Erwärmung von Fischbecken) und die
Industrie (u. a. Holztrocknung, Klärschlammtrocknung, Tauchbeckenbeheizung),
 erdgekoppelte Wärmepumpen u. a. zur Beheizung von Ein- und Mehrfamilienhäusern
oder zur industriellen Kühlung,
 erdberührte Bauteile mit Wärmeübertragersystemen zur Klimatisierung (d. h. Heizen,
Kühlen) und
 stoffliche Nutzung u. a. als Bade- und Heilwasser.
182 B. Geyer et al.

2.7.2 Räumliche und zeitliche Angebotscharakteristik

Flacher Untergrund In den oberflächennahen Erdschichten wird das Temperaturregime


maßgeblich durch die solare Einstrahlung und Abstrahlung, die Niederschläge, das Grund-
wasser und die Wärmeleitung im Boden bestimmt. Der geothermische Wärmefluss hat in
diesen Schichten i. Allg. nur einen vernachlässigbaren Einfluss auf das aktuelle Tempe-
raturregime. Da die, die aktuelle Temperatur jeweils bestimmenden, Einflussgrößen sehr
starken jahreszeitlichen Variationen unterworfen sind, schwanken in diesen geringen Tie-
fen unterhalb der Erdoberfläche die Temperaturen entsprechend; d. h. sie folgen infolge
der Pufferwirkung des Bodens verzögert den mittleren jahreszeitlichen Temperaturen der
bodennahen Luftschichten; dies wird in Abb. 2.101 deutlich, die exemplarisch für einen
Standort in Deutschland die tagesmittlere Bodenlufttemperatur sowie die entsprechende
Temperatur im Untergrund in 0,3 und 1,0 m Tiefe zeigt.
In diesem obersten Bereich der Erdkruste werden die Anteile am gesamten Erdwär-
mestrom, die aus der Erdwärme bzw. aus der eingestrahlten Sonnenenergie resultieren,
durch eine Reihe unterschiedlicher Effekte bestimmt. Beispielsweise wird das Nieder-
schlagswasser, genauso wie der Boden, von der Umgebungstemperatur beeinflusst. Ein
Teil des Niederschlagswassers versickert dabei in den Untergrund; d. h., diese Bewe-
gung des Wassers – und damit der darin enthaltenen Sonnenenergie (Wärme) – realisiert
einen konvektiven Wärmetransport, bei welchem die Wärmebewegung durch ein Wärme-
trägermedium, in diesem Fall Wasser, erfolgt. Wasser kann dabei sehr unterschiedliche
Temperaturen haben, wenn es als Sickerwasser in die Erdoberfläche eindringt. Je schnel-
ler das Grundwasser erreicht wird und je mehr Wasser in den Untergrund eindringt, desto

Abb. 2.101 Beispiel für den jahreszeitlichen Verlauf der Lufttemperatur in Bodennähe und der Bo-
dentemperatur in zwei unterschiedlichen Tiefen
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 183

Abb. 2.102 Temperaturver-


teilung in dem Bundesland 13 °C
Berlin / Deutschland in einer 12 °C
Tiefe von 20 m unter Gelän- 11 °C
deoberkante; die höchsten 10 °C
9 °C
Bodentemperaturen korre- 8 °C
lieren weitgehend mit den
Bereichen mit der höchs-
ten Besiedlungsdichte / dem
größten Urbanisierungsgrad
(Bezugsjahr 2010; nach [2.67])

weniger wird i. Allg. der Wärmezustand des eindringenden Wassers verändert und desto
mehr kann es erwärmend oder abkühlend auf das Grundwasser wirken; dies ist vor allem
der Fall bei sehr durchlässigen Deckschichten und Grundwasserleitern. Anders liegen die
Verhältnisse, wenn die Aufenthaltszeit im Untergrund vor Erreichen des Grundwassers
lang ist. Dann kann die Temperatur des Wassers weitgehend an die der umgebenden Ge-
steine angeglichen werden. Dringt das Wasser in Lockergesteine (z. B. Sande) ein, ist die
Kontaktfläche sehr groß und damit wird der Wärmeübertrag sehr begünstigt. Auch die
Oberflächenbeschaffenheit stellt eine wichtige Einflussgröße auf den Energieeintrag in die
oberflächennahen Erdschichten dar; dies beeinflusst vor allem das Klima im städtischen
Raum mit seinem hohen Anteil an versiegelter Fläche. So wird beispielsweise im Sommer
von einer asphaltierten Fläche deutlich weniger Energie z. B. über Verdunstung wieder ab-
geben als von einer begrünten Fläche; zugleich reflektiert der dunkle Asphalt meist weniger
Energie der Sonneneinstrahlung als ein bewachsener Boden. Deshalb zeigt Abb. 2.102 ex-
emplarisch die Temperaturverteilung in einer Tiefe von 20 m unter Geländeoberkante für
das deutsche Bundesland Berlin. Hier wird deutlich, dass mit einer zunehmenden urba-
nen Verdichtung die Temperatur im oberflächennahen Untergrund infolge der diskutierten
Effekte im Vergleich zu den eher ländlichen Randbereichen deutlich zugenommen hat.
Die Temperatur des oberflächennahen Erdreichs ist bis in eine Tiefe von rund 10 bis
20 m jahreszeitlichen Unterschieden unterworfen [2.47]; sie resultieren primär aus dem
im Jahresverlauf unterschiedlichen Strahlungsangebot der Sonne. Dabei machen sich die
Temperaturschwankungen in den bodennahen Luftschichten im oberflächennahen Erd-
reich nicht unmittelbar bemerkbar, da der Boden ein gewisses, lokal stark schwankendes
Energie- bzw. Wärmespeichervermögen besitzt. Dadurch bedingt folgt das sich einstellen-
de Temperaturprofil bis zu der ab einer Tiefe von 10 bis 20 m im ungestörten Erdreich im
deutschsprachigen Raum zu erwartenden Jahresmitteltemperatur von rund 9 bis 10 ı C mit
einer bestimmten Zeitverzögerung (infolge der Trägheit der Wärmeein- bzw. -ausspeiche-
rung) den jahreszeitlich wechselnden mittleren Lufttemperaturen (Abb. 2.103 und 2.104);
184 B. Geyer et al.

35

30 2 cm
10 cm
25
Temperaturi n°C

1m
20

15
12 m
10

0
Jan 16 Apr 16 Jul 16 Okt 16 Feb 17 Mai 17 Aug 17 Dez 17 Mrz 18 Jun 18 Sep 18
-5

Abb. 2.103 Jahresgang der Temperatur in verschiedenen Tiefen exemplarisch für den Standort
Potsdam (Messung der Bodentemperatur jeweils um 13:00 Uhr an den entsprechenden Tag; Mo-
natsmittelwerte) (Daten nach [2.68])

Abb. 2.104 Bodentemperatur Dezember Februar Juni August


im oberflächennahen Erdreich 0
(tonig / schluffiger Boden) ex- 2
emplarisch für einen Standort
4
in Mitteldeutschland (eigene Oktober
6 April
Berechnungen)
8
Tiefe in m

10

12

14

16

18

20
0 5 10 15 20
Temperatur in °C

die mittlere Temperatur, ab der keine jahreszeitlichen Unterschiede mehr erkennbar sind
(typischerweise 10 bis 20 m unter der Erdoberfläche), kann auch in Mitteleuropa lokal
auch etwas höher sein (dies gilt insbesondere für Verdichtungsräume, in denen anthro-
pogen sehr viel Wärme in den oberflächennahen Untergrund (z. B. durch Fernwärme-
leitungen, Abwasserleitungen, U- und S-Bahn-Tunnel) eingetragen wird (Abb. 2.102)).
Zusätzlich kann es in den obersten Zentimetern der Erde infolge der solaren Einstrahlung
auch im Tagesverlauf zu Temperaturunterschieden kommen. Sie nehmen mit zunehmen-
der Tiefe jedoch rasch ab und sind für eine energetische Nutzung der oberflächennahen
Erdwärme praktisch nicht von Bedeutung.
Der Tiefenbereich, in dem keine Jahresschwankung der Temperatur mehr auftritt, wird
neutrale Zone genannt. Nach DIN 4049 ist dies derjenige Bereich unterhalb der Erdober-
fläche, in dem der Jahresgang der Temperatur um nicht mehr als 0,1 K schwankt. Das
Abklingen der Temperaturschwankungen mit der Tiefe hängt wesentlich vom Wärme-
leitvermögen der Gesteine und der Grundwasserströmung ab und kann im Durchschnitt
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 185

in Tiefen zwischen 15 und knapp 40 m liegen. Unterhalb der neutralen Zone wird die
Temperatur primär durch den geothermischen Wärmefluss bestimmt. Die Temperatur im
Bereich der neutralen Zone entspricht angenähert der mittleren langjährigen Jahresdurch-
schnittstemperatur an der Erdoberfläche der entsprechenden Region (d. h. 9 bis 10 ı C unter
mitteleuropäischen Bedingungen) [2.47].
Die regionale Verteilung der Temperaturen in den obersten Metern des Erdreichs bzw.
im oberflächennahen Grundwasser innerhalb Deutschlands orientiert sich im Wesentli-
chen an den jeweiligen mittleren Umgebungstemperaturen, die je nach Standort z. T. un-
terschiedlich sein können.

Tiefer Untergrund Die je nach den geologischen Bedingungen wirksamen verschiede-


nen Wärmetransportprozesse haben zur Folge, dass in verschiedenen Regionen in glei-
cher Tiefe unterschiedliche Temperaturen vorkommen können. Der lokale geothermische
Temperaturgradient kann demnach erheblich vom regionalen oder globalen Mittelwert
abweichen. Dies geht aus Abb. 2.105 und 2.106 hervor, welche die Temperaturverteilung

Abb. 2.105 Temperaturver-


teilung in der Bundesrepublik
Deutschland in 2 000 m Tiefe 2 000 m unter NN
(nach [2.31])

KEINE DATEN

Temperatur in °C
50 60 70 80 90 100 110 120 130 140 150
186 B. Geyer et al.

Abb. 2.106 Temperaturver-


teilung in der Bundesrepublik
5 000 m unter NN
Deutschland in 5 000 m Tiefe
(nach [2.31])

KEINE DATEN

Temperatur in °C
120 130 140 150 160 170 180 190 200

exemplarisch in 2 000 und 5 000 m Tiefe für Deutschland zeigen. Auffällig sind die hohen
Temperaturen im Oberrheingraben, die durch advektive Prozesse hervorgerufen werden.
Weitere positive Temperaturanomalien liegen im Bereich der Schwäbischen Alb südlich
von Stuttgart bei Bad Urach und im norddeutsch-polnischen Becken; hier sind häufig
überwiegend konduktiv-thermische Prozesse durch Salzstrukturen im Untergrund Ursa-
chen für diese Temperaturanomalien. Das rezente Temperaturfeld ist bis in eine Tiefe von
2 000 bis 3 000 m noch von den Temperaturrandbedingungen der letzten Eiszeiten geprägt;
dies trifft vor allem für die Bereiche der ehemaligen Eisrandlagen zu; die Größenordnung
dieser absoluten rezenten Temperaturstörung beträgt für Norddeutschland vermutlich bis
etwa 4 ı C.
Für die technische Nutzbarmachung dieser Energie ist das jeweilige Temperaturniveau
allerdings nur ein Parameter. Auch entscheidend ist, ob die Wärme ausschließlich im Ge-
stein gespeichert oder ob sie auch in ggf. vorhandenen Poreninhaltsstoffen enthalten ist,
die gefördert werden können (d. h. Trägergestein mit hoher Porosität, Permeabilität und
verfügbarem Porenwasser). Für eine direkte technische Nutzbarmachung ist nämlich die
2 Grundlagen des regenerativen Energieangebots 187

n
cke
Be

ne
er

o
ez
en

Ober- ss
hisches
Wi

a
österreic ol
!
Linz
b e ck e n M
Molasse Wien

c ke n
Mola ss e b e Salzburg !

!
Bregenz

!
Innsbruck St
!
Graz Te eiris
rtiä ch
Längenfeld rb e s
ec
! ke
Klagenfurt n

Abb. 2.107 Gebiete mit hydrothermalen und potenziellen hydrothermalen Energievorräten in


Deutschland (oben) und in Österreich (unten) (nach [2.50, 2.73, 2.74])
188 B. Geyer et al.

Existenz von Aquiferen mit hinreichend großer Wasserführung in nicht zu großen Tiefen
die wesentliche Voraussetzung. Ein wichtiges Kriterium für eine potenzielle technische
Nutzbarmachung ist dabei auch die chemische Zusammensetzung dieser Tiefenwässer,
um einen nachhaltigen Betrieb geothermischer Anlagen sicherzustellen und beispielswei-
se Ausfällungen in der Anlage vermeiden zu können. Innerhalb Deutschlands findet man
geeignete Aquifere

 in den großen Sedimentstrukturen des norddeutschen Beckens mit seinen Poren- und
Kluftspeichern,
 im Oberrheingraben mit seinen hauptsächlichen Kluftspeichern sowie
 im süddeutschen Molassebecken, wo bevorzugt Karstspeicher vorkommen (Abb. 2.107);
das hydrothermal interessanteste Gebiet ist dabei das Molassebecken zwischen der Do-
nau und den Alpen, wo vor allem das sehr gering mineralisierte Wasser des Malms,
einer geologischen Schicht mit kalkigen Gesteinen des oberen Juras, genutzt werden
kann.

Innerhalb Österreichs findet man potenziell geeignete Aquifere im Wiener und Steiri-
schen Becken sowie entlang der Molassezone vom nördlichen Niederösterreich bis zum
nördlichen Rheintal in Vorarlberg (Abb. 2.107).
Der geothermische Wärmestrom ist unabhängig von täglichen oder jahreszeitlichen
Einflüssen. Damit variiert das Energieangebot – gemessen in menschlichen Zeitdimensio-
nen – nicht. Lediglich in geologischen Zeiträumen ist der Erdwärmestrom Schwankungen
unterworfen. Dabei ist die langsame Abkühlung der Erde bzw. die Abnahme des von der
Erdentstehung noch im Erdinneren verbliebenen Wärmevorrats sicherlich der langfris-
tigste Vorgang. In kürzeren Zeiträumen – damit sind hier allerdings auch noch Zeiträume
bis vielleicht mehrere Millionen Jahre zu verstehen – kann die Wanderung der lokal be-
grenzten Wärmezentren innerhalb der Erdkruste z. B. durch plattentektonische Vorgänge
zu einer Veränderung der Lagerstätten führen. Auch spielen hierbei die Wärmetransport-
prozesse, die mit dem Aufstieg der Salze in den Sedimentbecken verbunden sind, eine
gewisse Rolle. Für eine energetische Nutzung haben aber alle diese – in menschlichen
Dimensionen sehr langsam ablaufenden – zeitlichen Änderungen des Wärmeinhaltes kei-
ne Bedeutung. Damit kann der geothermische Wärmestrom im Jahresverlauf als konstant
unterstellt werden.

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Passive Sonnenenergienutzung
3
Martin Kaltschmitt, Marina Stegelmeier und Wolfgang Streicher

Aufgrund tages- und jahreszeitlich schwankender Solareinstrahlung auf ein beliebiges Ge-
bäude einerseits und ebenfalls variierender Wärmequellen und -senken im eigentlichen
Bauwerk andererseits treten in einem Gebäude eine Vielzahl unterschiedlicher Energie-
flüsse auf (Abb. 3.1). Der Wärmeenergieeintrag in ein Gebäude erfolgt dabei primär durch
die Wärmeabgabe der Heizung (sogenannte Heizwärme), durch die Wärmeabgabe von
Personen, Beleuchtung und Haushaltsgeräten (sogenannte innere Wärme) sowie durch die
passiven solaren Erträge durch transparente und opake Bauteile der Gebäudehülle (soge-
nannte passive Sonnenenergienutzung oder äußere bzw. solare Wärmegewinne). Während
der Wärmeeintrag durch die im Gebäude installierte Heizung jahreszeitlich abhängig gere-
gelt wird (dieser Wärmeeintrag in ein Gebäude kann genauso gut auch ein Wärmeaustrag
aus dem Gebäude durch eine installierte Kühlung sein), handelt es sich bei den inneren
Wärmequellen und den Solarenergiegewinnen immer, jahreszeitlich unabhängig, um un-
geregelte Wärmeeinträge in ein Gebäude.
Die solaren Wärmegewinne eines Gebäudes setzen sich dabei aus den beiden folgenden
Anteilen zusammen.

 Die kurzwellige Solarstrahlung kann die transparenten Teile der Gebäudehülle (d. h.
Verglasung) passieren (transmittieren) und an den innenliegenden Wand-, Boden- und
Deckenflächen absorbiert werden; demgegenüber wird langwellige (Wärme-)Strahlung
von den Verglasungen reflektiert (d. h. langwellige Strahlung kann Glasscheiben nicht
durchdringen). Wird im Gebäudeinnern an Wand, Boden und / oder Decke die durch ab-
sorbierte Strahlung entstehende Wärme nur schlecht von der jeweiligen Oberfläche in
den Gebäudekörper abgleitet (Wärmedämmung) führt dies primär zu einer Erwärmung

Autoren in alphabetischer Reihenfolge mit Beiträgen zum Kapitel; die Autorenzuordnung geht aus
den einzelnen Unterkapiteln hervor.
Martin Kaltschmitt, Hamburg, Deutschland
Marina Stegelmeier, Aachen, Deutschland
Wolfgang Streicher, Innsbruck, Österreich
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 193
M. Kaltschmitt, W. Streicher, A. Wiese (Hrsg.), Erneuerbare Energien,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-61190-6_3
194 M. Kaltschmitt et al.

Wärmeaustausch mit der Außenluft


(Transmissionswärmestrom)
21. Juni

Wärmestrom
durch Wärmetaustausch
Heizung/ im Gebäude bei
21. Dezember Kühlung unterschiedlichen
Tenperaturen

Wärmetransport
Passive Solargewinne durch Innere durch Lüftung
Fenster (Solarstrahlung) Wärme-
quellen
Thermische
Passive Solargewinne durch Speicher-
Wände und Dach (Absorption und massen
nachgeschaltete Wärmeleitung) Wärmeaustausch
durch Infiltration der
Wärmeverluste zur Erde Gebäudehülle
durch Wärmeleitung
(Transmissionsverluste)

Abb. 3.1 Energieflüsse innerhalb eines Gebäudes

dieser bestrahlten Innenflächen; aufgrund der daraus resultierenden Wärmeabgabe ist


eine relativ rasche Aufheizung der Innenräume des Gebäudes die Folge. Eine gute
Wärmeleitung in den Gebäudekörper und eine hohe Wärmespeicherfähigkeit des Ge-
bäudes (Speichermasse) führt dagegen zu einer geringeren Aufheizung der bestrahlten
Oberflächen im Innern des Gebäudes und damit zu einer verringerten Aufheizung des
angrenzenden Raums (vgl. Kapitel 2.3).
 Solarstrahlung kann auch auf die opaken Teile der Gebäudehülle (d. h. Wände, Dach)
auftreffen, dort absorbiert und von der Oberfläche der Gebäudehülle durch Wärmelei-
tung ins Gebäudeinnere transportiert werden. Dann findet, im Vergleich zur Absorption
im Gebäudeinnern, erst mit einem größeren Zeitverzug und mit geringerer Leistung die
Wärmeabgabe in den Innenraum statt. Diese Wärmeleitung durch die Gebäudehülle ist
umso geringer, je besser die Wärmedämmung der Gebäudehülle ist (d. h. hohe Dämm-
schichtdicke und / oder geringe Wärmeleitfähigkeit).

Der Wärmeaustausch eines Gebäudes mit der Umgebungsluft kann – in Abhängigkeit


von den Umgebungsbedingungen – sowohl in das Gebäude hinein als auch aus dem Ge-
bäude hinaus gerichtet sein. Dieser Energieaustausch wird aus den folgenden drei Anteilen
gebildet.

 Wärmeverluste bzw. -gewinne entstehen durch Wärmeleitung durch die eigentliche


Gebäudehülle (d. h. Transmissionswärme). Die Richtung und Größe dieses Wärme-
transports wird außer von den variierenden Materialeigenschaften der Gebäudehülle
(d. h. Fenster, Wände, Decken, Fußböden) hauptsächlich von der Differenz zwischen
3 Passive Sonnenenergienutzung 195

der Außen- und der Innentemperatur beeinflusst, die entlang der Gebäudehülle sehr
unterschiedlich sein kann (d. h. luft- oder erdberührte Bauteile).
 Wärme wird auch infolge der Lüftung des Gebäudes ausgetauscht; diese ist i. Allg.
notwendig, um die im Gebäude geforderte Luftqualität u. a. in Bezug auf maximal
erlaubte Konzentrationen an Kohlenstoffdioxid (CO2 ), an bestimmten Schad- bzw. Ge-
ruchsstoffen und die relative Luftfeuchte zu gewährleisten. Es wird unterschieden in
mechanische Lüftung (d. h. kontrolliert über eine Lüftungsanlage zu- bzw. abgeführte
Energie) und in natürliche Lüftung (d. h. durch geöffnete Fenster und Türen mit der
Umgebung ausgetauschte Energie).
 Ein weiterer Wärmeaustausch zwischen Gebäude und Umgebung findet durch die In-
filtration der Gebäudehülle statt. Hierbei strömt Luft durch die Poren und Undichtig-
keiten, wie sie z. B. im Bereich der Fenster- und Türrahmen gegeben sind, in das Innere
des eigentlichen Bauwerks. Dieser Wärmeaustausch ist abhängig von den Windverhält-
nissen am jeweiligen Standort sowie der Temperaturdifferenz und dem Druckgefälle
zwischen Außen- und Innenluft.

Im Folgenden werden nur die passiven Sonnenenergieeinträge einschließlich der be-


wussten Speicherung der daraus resultierenden Wärme – und damit nur die passive Solar-
energienutzung – behandelt, die nur einen Teil der verschiedenen Energieflüsse darstellen,
durch die ein Gebäude gekennzeichnet ist.
Die Bezeichnung „passive Solarenergienutzung“ hat sich in den 1970er Jahren einge-
bürgert. Mit Hilfe des Kriteriums „zugeführte Hilfsenergie“ sollte eine klare Abgrenzung
zu den anlagentechnischen (aktiven) Systemen zur Nutzung der Sonnenenergie zur Wär-
mebereistellung erreicht werden. Beim Einsatz von Hilfsaggregaten (z. B. Ventilatoren)
wurden die Systeme als Hybridsysteme bezeichnet. Der Übergang zwischen passiven und
aktiven Systemen wurde dadurch jedoch unscharf, denn beispielsweise ist ein Fenster mit
automatisch betriebener Verschattung gleichfalls passiv wie hybrid.
Erst in jüngerer Zeit wird die passive Solarenergienutzung realitätsnäher und schär-
fer definiert. Bei diesen Begriffsdefinitionen erfolgt bei passiven Solarsystemen die Um-
wandlung der Solarstrahlung in Wärme direkt durch die Gebäudestruktur (d. h. durch
transparente Hüll- und massive Speicherbauteile) [3.1]. Charakteristisch für die passive
Sonnenenergienutzung (oft auch als passive Solararchitektur bezeichnet) ist damit die
Nutzung der Gebäudehülle als Kollektor und die der Gebäudekonstruktion als Energie-
speicher. Die Sonnenenergienutzung erfolgt dabei möglichst ohne zwischengeschaltete
Wärmetransporteinrichtungen. Allerdings ist auch mithilfe dieser Definition die Zuord-
nung der Systeme zur aktiven oder passiven Solarenergienutzung nicht immer eindeutig;
d. h. ein Übergangsbereich mit einer unklaren Zuordnung zwischen beiden Optionen bleibt
nach wie vor bestehen, auch wenn sich diese Definition in der Zwischenzeit weitgehend
durchgesetzt hat.
Das folgende Kapitel erläutert zunächst die Grundlagen der „klassischen“ passiven
Solarenergienutzung sowie die Möglichkeiten zur Sonnenenergienutzung in verschiede-
nen Gebäudetypen. Dazu werden zunächst die physikalischen Grundlagen und Prinzipien,
196 M. Kaltschmitt et al.

über die Solarenergie passiv in einem Gebäude nutzbar gemacht werden kann, erläutert.
Darauffolgend werden die unterschiedlichen Systemkomponenten und systemtechnischen
Ansätze, mit denen dies technisch umsetzbar ist, diskutiert; dazu werden transparente
Abdeckungen (Fenster und transparente Wärmedämmung), verschiedene Verschattungs-
varianten sowie Absorber und Speicher vorgestellt. Auch wird auf mögliche Systemkom-
binationen eingegangen.

3.1 Physikalische Grundlagen

Wolfgang Streicher

Nachfolgend werden wichtige Grundlagen aus dem Bereich der Absorption von Solar-
strahlung an Festkörpern dargelegt. Danach wird die Anwendung dieser Prozesse disku-
tiert und die weiteren wesentlichen Grundlagen, die bei der passiven Solarenergienutzung
in Gebäuden Anwendung finden, erläutert.

3.1.1 Energiebilanz eines bestrahlten Körpers

Die passive Solarenergienutzung nutzt die physikalischen Vorgänge der Transmission von
Solarstrahlung durch Verglasungen, der Absorption dieser Strahlung (d. h. der kurzwel-
ligen Solarstrahlung) an Festkörpern und der anschließenden Speicherung in Form von
Wärme; die beiden letzten Vorgänge wurden bereits in Kapitel 2.3 beschrieben. Durch die
Absorption an der Oberfläche eines Körpers wird die Energie einer elektromagnetischen
Welle in innere Energie des Körpers umgewandelt. Dies äußert sich in einem Tempera-
turanstieg an der Oberfläche. Durch Wärmeleitung wird die absorbierte Wärme in dem
Körper dann verteilt und dort gespeichert. Gleichzeitig bewirkt der daraus resultieren-
de Temperaturanstieg der Oberfläche dieses Körpers über die Umgebungstemperatur eine
Wärmeabgabe über Wärmestrahlung, Konvektion und Wärmeleitung an die Umgebung.
Die Temperatur des Körpers steigt damit infolge der auftreffenden Solarstrahlung so lan-
ge an, bis der Wärmeeintrag durch Absorption und die Wärmeabgabe gleich groß sind.
Abb. 3.2 zeigt die durch diese Vorgänge beispielsweise an einer Verglasung auftretenden
Energieströme.
Nachfolgend werden die wesentlichen Prozesse, die diese Energiebilanz bestimmen,
diskutiert.

Absorption, Reflexion und Transmission Elektromagnetische Strahlung – und damit


Solarstrahlung – trifft auf die Oberfläche eines Körpers. Dabei wird sie in drei Anteile
zerlegt: den absorbierten, den reflektierten und den transmittierten Anteil (alle drei Anteile
sind durch Pfeile bzw. den kleineren Punkt in Abb. 3.2 gekennzeichnet). Diese drei Anteile
können jeweils durch entsprechende Koeffizienten berechnet werden.
3 Passive Sonnenenergienutzung 197

Abb. 3.2 Energieströme einer Solarstrahlung Reflexion


bestrahlten Verglasung Absorption

Wärmeleitung

Speicherung

Transmission

 Der Absorptionskoeffizient ˛ (Gleichung (3.1)) ist definiert als das Verhältnis der von
einem Körper / einem Material absorbierten (GP ˛ ) zur auf den Körper / das Material ein-
fallenden Strahlung (GP G ).

GP ˛
˛D (3.1)
GP G
 Der Reflexionskoeffizient  ist nach Gleichung (3.2) festgelegt als das Verhältnis der
von einem Körper / einem Material reflektierten (GP  ) zu der auf den Körper / das Ma-
terial einfallenden Solarstrahlung (GP G ).

GP 
D (3.2)
GP G
 Der Transmissionskoeffizient  beschreibt das Verhältnis der den Körper / die Materie
durchstrahlten, transmittierten Strahlung (GP  ) zur gesamten solaren Einstrahlung (GP G ).
Es gilt Gleichung (3.3).

GP 
D (3.3)
GP G
Aufgrund der Energieerhaltung ist die Summe des Absorptionskoeffizienten ˛, des
Reflexionskoeffizienten  und des Transmissionskoeffizienten  immer eins (Glei-
chung (3.4)) [3.2].

˛CC D1 (3.4)

Emission der absorbierten Strahlung Nach dem Kirchhoff’schen Gesetz (Kapitel 2.3)
ist der Absorptionskoeffizient ˛ eines Körpers gleich dem Emissionskoeffizienten " bei
gleicher Wellenlänge . Reale farbige Körper absorbieren über die im Solarspektrum
vorhandenen unterschiedlichen Wellenlängen  unterschiedlich viel Strahlungsenergie.
Zusätzlich ist die Absorption von der Temperatur T abhängig. Unter diesen Bedingungen
gilt Gleichung (3.5).

˛ .; T / D " .; T / (3.5)


198 M. Kaltschmitt et al.

Die emittierte (d. h. abgegebene) Wärmestrahlung eines Körpers I" kann bezogen wer-
den auf die Emission des schwarzen Körpers I";schwarz . Dieses Verhältnis ist dann der
Emissionskoeffizient " (Gleichung (3.6)).

I"
"D (3.6)
I";schwarz

Der emittierte Wärmestrom qP" ist proportional zur vierten Potenz der Temperatur. Der
Energieaustausch zwischen einem Körper K und den ihn umgebenden Flächen U ist von
der Temperaturdifferenz der jeweiligen Temperaturen zur vierten Potenz abhängig und
lässt sich für einen grauen Körper nach Gleichung (3.7) darstellen [3.2]. Hierbei ist "
der äquivalente Emissionskoeffizient beider Flächen zueinander sowie TK und TU die
Temperaturen (in K) des Körpers K / der Materie K und der jeweils ihn umgebenden
Gegenstrahlungsfläche U ;  ist die Stefan-Boltzmann-Konstante (5;67108 W=.m2 K4 /).
FK;U ist der Sichtwinkel, unter dem sich die jeweils im Strahlungsaustausch befindlichen
Flächen „sehen“.

qP" D FK;U "  .TK4  TU4 / (3.7)

Verteilung der absorbierten Energie im Körper Die lokal durch Absorption an der
Körper- / Materialoberfläche aufgebaute innere Energie wird teilweise durch Wärmelei-
tung im Körper / im Material verteilt (dargestellt durch die Zickzack-Linien in Abb. 3.2).
Steigt die Temperatur der Oberfläche über die Umgebungstemperatur an, findet sowohl
eine Leitung in den Körper als auch eine Wärmeabgabe an die Umgebung über Wärme-
strahlung, Konvektion und Wärmeleitung statt; damit steigt die innere Energie des Körpers
nur mehr mit der Differenz aus Absorption und Wärmeabgabe an. Sind Wärmeaufnahme
und Wärmeabgabe gleich, bleibt die Temperatur des Körpers konstant. Ist die Abgabe
größer als die Aufnahme, sinkt die Temperatur des Körpers und die gespeicherte Wärme
wird an die Umgebung abgegeben. Es gilt jeweils die Energieerhaltung.
Diese Vorgänge der Wärmeleitung und Speicherung können durch den Fourier’schen
Erfahrungssatz der Wärmeleitung beschrieben werden. Beispielsweise beschreibt Glei-
chung (3.8) die eindimensionale und stationäre Wärmeleitung q. P  ist die Wärmeleitzahl,
 die Temperatur und x die zurückgelegte Wegstrecke.

@
qP D  (3.8)
@x

Die Differenz des aus einem Speicherelement ein- und ausfließenden Wärmestroms
P
@q=@x führt zu einer Erwärmung bzw. Abkühlung des Körpers. Dies wird in Glei-
chung (3.9) beschrieben [3.3]. Demnach ist die in einem Körper speicherbare Energie-
menge neben den Temperaturen  von Körper und Umgebungsflächen auch von den
materialspezifischen Größen Wärmekapazität cp , Dichte Sp , der Wärmeleitzahl  und
der Lade- und Entladezeit abhängig. Steht beispielsweise nur eine kurze Zeitspanne zur
3 Passive Sonnenenergienutzung 199

Verfügung, wärmt sich der Speicher nur an der Oberfläche auf; dann ist die aufgenom-
mene Energiemenge gering. Ist die Wärmeleitzahl  hoch, kann die Wärme leicht in den
Körper eindringen und wieder abgegeben werden. Bei hoher Wärmekapazität cp und
Dichte Sp kann ein Körper viel Energie speichern. Eine gute thermische Speichermasse
für einen Ausgleich der Temperaturschwankungen in einem Gebäude im Verlauf von
24 Stunden (Tag / Nacht) sollte daher hohe Werte von , cp , und Sp aufweisen.

@qP @2  @
D  2 D Sp cp (3.9)
@x @x dt

3.1.2 Kenngrößen

Zur Beschreibung der Lichtdurchlässigkeit von Gebäudebauteilen werden häufig die Be-
griffe opak, transparent und transluzent sowie solare Aperturfläche verwendet.

 Opak. Als opak werden lichtundurchlässige Hüllbauteile eines Gebäudes bezeichnet;


dies kann z. B. eine gemauerte Wand oder ein mit Dachziegeln belegtes Dach sein.
 Transparent. Transparent bedeutet im allgemeinen Sprachgebrauch „klar durchsichtig“
und bezeichnet ein Gebäudebauteil, das für die solare Globalstrahlung durchlässig und
gleichzeitig für das Auge durchsichtig ist (z. B. Glasanteil des Fensters).
 Transluzent. Transluzent kann mit „durchscheinend“ gleichgesetzt werden. Dieser
Begriff beschreibt eine Gebäudekomponente, die für Solarstrahlung durchlässig und
gleichzeitig für das Auge nicht durchsichtig ist.
 Solare Aperturfläche. Unter der solaren Aperturfläche wird die lichtdurchlässige Hüll-
fläche verstanden (transparent oder transluzent), die zur Solarenergienutzung verwen-
det wird.

Im Folgenden werden ausgehend von diesen Festlegungen einige u. a. für die passive
Sonnenenergienutzung wichtige Kennzahlen bzw. Koeffizienten beschrieben.

Strahlungstransmissionsgrad Der Strahlungstransmissionsgrad bzw. Transmissionsko-


effizient e gibt den Anteil an der gesamten außen auf eine transparente Abdeckung auf-
treffenden Globalstrahlung GP G an, der durch diese transparente Abdeckung hindurch
direkt als kurzwellige Strahlung hinter das entsprechende Bauteil und damit beispielswei-
se in den Innenraum eines Gebäudes gelangt. Der Transmissionskoeffizient berücksichtigt
damit das gesamte Spektrum der auf das transparente Bauteil auftreffenden Solarstrahlung
(d. h. alle Wellenlängenbereiche); er kann beispielsweise bei Einscheibenverglasungen mit
eisenarmen Gläsern bei über 98 % liegen. Wird der Transmissionsgrad auf den rechneri-
schen senkrechten Strahlungseinfall der auftreffenden Globalstrahlung GP G bezogen, wird
er als e bezeichnet.
200 M. Kaltschmitt et al.

Lichttransmissionsgrad Der Lichttransmissionsgrad v bezeichnet den Anteil des sicht-


baren Lichts an der auf eine transparente Abdeckung auftreffenden Globalstrahlung, der
durch diese transparente Abdeckung hindurchtritt und in den dahinter liegenden Raum
gelangt. Damit wird dieser Lichttransmissionsgrad – im Unterschied zum Transmissi-
onskoeffizient – ausschließlich bezogen auf das sichtbare Licht, das etwa die Hälfte des
Energieinhalts der insgesamt auftreffenden Globalstrahlung GP G ausmacht. Der Lichttrans-
missionsgrad ist deshalb von praktischer Bedeutung, da z. B. Sonnenschutzverglasungen
primär die nicht sichtbaren Wellenlängenbereiche ausblenden, um trotz eines geringeren
Transmissionskoeffizienten e eine hohe Helligkeit in dem jeweiligen Raum zu erzielen.

Sekundäre Wärmeabgabe Die sekundäre Wärmeabgabe qi beschreibt den Anteil der


von einem Bauteil von der insgesamt auftreffenden Globalstrahlung GP G absorbierten An-
teil der Globalstrahlung GP ˛ , der durch langwellige Wärmestrahlung und Konvektion in
den dahinter liegenden Raum abgegeben wird [3.4]. Sie kommt dadurch zustande, dass
auch ein lichtdurchlässiges Bauteil (Verglasung) einen Teil der auftreffenden Solarstrah-
lung absorbiert, sich dadurch erwärmt und einen Teil dieser Wärme in den angrenzenden
Raum abgibt. Diese Energie qPzu bezogen auf die von dem Bauteil absorbierte Globalstrah-
lung GP ˛ ergibt die sekundäre Wärmeabgabe qi ; es gilt Gleichung (3.10).

qi D qP zu =GP ˛ (3.10)

Energiedurchlassgrad (g-Wert) Der g-Wert oder Energiedurchlassgrad einer transpa-


renten Abdeckung berücksichtigt zusätzlich zum Energieeintrag durch Strahlungsdurch-
gang (d. h. zusätzlich zum Transmissionskoeffizient e ) die sekundäre Wärmeabgabe qi .
Er ist bezogen auf einen senkrechten Strahlungseinfall und gleiche Temperaturen auf bei-
den Seiten des Bauteils [3.5]. Für transparente Bauteile (Verglasungen) setzt sich der
g-Wert aus dem Strahlungstransmissionsgrad bezogen auf den senkrechten Strahlungs-
einfall e und der sekundären Wärmeabgabe qi zusammen (Gleichung (3.11) [3.5]).

g D e C qi (3.11)

Diffuser Energiedurchlassgrad (diffuser g-Wert) Die Solarstrahlung fällt in Abhän-


gigkeit von der Tages- und Jahreszeit mit z. T. sehr unterschiedlichen Winkeln auf eine
transparente Oberfläche eines Gebäudes; sie trifft damit im Mittel nicht senkrecht auf die
jeweilige Empfangsfläche. Hinzu kommt in den gemäßigten Breiten ein hoher Diffusstrah-
lungsanteil, der im Jahresdurchschnitt rund 60 % der gesamten eingestrahlten Sonnen-
energie einnehmen kann und unter mitteleuropäischen Bedingungen – je nach Lage des
Standortes – im Mittel einen Einfallswinkel von rund 60° aufweist. Diese daraus resultie-
renden Abminderungen gegenüber dem g-Wert bei senkrechter Einstrahlung, die bei rund
10 % [3.6] liegen, werden durch den diffusen g-Wert gdiffus berücksichtigt. Daher wer-
den mit dem diffusen g-Wert (gdiffus ) realistischere Angaben als mit dem herkömmlichen
g-Wert (g) erzielt.
3 Passive Sonnenenergienutzung 201

Wärmedurchgangskoeffizient (U -Wert) Der U -Wert oder Wärmedurchgangskoeffizi-


ent beschreibt die Wärmemenge, die innerhalb einer Sekunde durch eine 1 m2 große
Bauteilfläche (sowohl Wand als auch Fenster) bei einer Temperaturdifferenz von 1 K
zwischen Wandvorder- und Wandrückseite hindurch fließt. Er setzt sich aus dem Wär-
meübergang von der Luft an das Bauteil auf der Außenseite, der Wärmeleitung im Bauteil
und dem Wärmeübergang vom Bauteil an die Luft an der Innenseite zusammen. Im Falle
z. B. einer Doppelverglasung findet der Wärmetransport im Scheibenzwischenraum durch
langwellige Wärmestrahlung und Konvektion statt.
Im Normalfall wird der U -Wert für eine Außentemperatur von 10 °C und eine In-
nentemperatur von 20 °C bestimmt. Aufgrund geringerer Konvektion und Nichtlinearität
der Strahlungsverluste ist er für kleinere Temperaturdifferenzen geringer als für größere.
Damit liegt man bei der Bestimmung im Fall eines Gebäudes unter den genannten Rah-
menbedingungen zumeist auf der sicheren (kleineren) Seite.
Bei Fenstern unterscheidet man zusätzlich zwischen dem Ug -Wert, der sich ausschließ-
lich auf die Verglasung bezieht, und dem UW -Wert; letzterer berücksichtigt auch die
Wärmeverluste des Rahmens und gilt somit für das gesamte Fenster (W Window (engl.
Fenster)).

Äquivalenter Wärmedurchgangskoeffizient (äquivalenter U -Wert) Die Differenz


zwischen dem spezifischen Wärmeverlust eines transparenten Bauteils und dessen spezi-
fischem Energiegewinn durch solare Einstrahlung wird durch den äquivalenten U -Wert
Ueq beschrieben. Er ist neben dem U -Wert und dem g-Wert auch von der Einstrahlung
auf die transparente Fläche und dem dahinterliegenden Gebäude mit seinem dynami-
schen Verhalten abhängig. Zudem wird bei seiner Bestimmung der Energiegewinn nur
in Zeiten der Heizperiode berücksichtigt, da eine Überhitzung der Räume durch eine
solare Einstrahlung durch verglaste Flächen nicht wünschenswert ist. Deshalb bedeutet
beispielsweise ein negativer äquivalenter U -Wert Ueq , dass eine transparente Fläche mehr
nutzbringende Energie gewinnt als über Transmission abgegeben wird.
Der äquivalente U -Wert Ueq kann überschlägig aus dem UW -Wert des gesamten Fens-
ters (siehe oben), dem g-Wert (siehe oben) und einem Korrekturfaktor für die Ausrichtung
des Fensters SF nach Gleichung (3.12) abgeschätzt werden. Der Korrekturfaktor SF va-
riiert dabei zwischen 0,95 bei Nordausrichtung, 1,65 bei Ost- bzw. Westausrichtung und
2,4 bei Südausrichtung [3.7]; hierbei wird ein definiertes Referenzgebäude angenommen.
Der reale äquivalente U -Wert Ueq ist zudem auch von der Wärmenachfrage des Gebäudes
abhängig. Je besser ein Gebäude wärmegedämmt ist und damit je geringer die Wärmever-
luste sind, desto öfter führen die solaren Gewinne zur Überwärmung und können daher
nicht als Reduktion der Heizwärmenachfrage gesehen werden. Der in Gleichung (3.12)
angegebene äquivalente U -Wert Ueq stellt somit nur einen groben Anhaltswert dar.

Ueq D UW  SF g (3.12)
202 M. Kaltschmitt et al.

Solares Wärmeangebot Der g-Wert einer Verglasung wird durch die Scheibenver-
schmutzung FD und eine mögliche feststehende (FS h;ob ) und flexible Verschattung
(FS h;gl ) abgemindert; beispielsweise muss selbst für häufig gereinigte Flächen eine
Reduktion des g-Wertes durch Verschmutzung von rund 5 % angenommen werden [3.8].
Das solare Wärmeangebot innerhalb einer bestimmten Zeitspanne eines beliebigen Rau-
mes QS berechnet sich unter Berücksichtigung dieser Verluste durch Verschattung und
Verschmutzung nach Gleichung (3.13) aus der Multiplikation der solaren Globalstrah-
lungsleistung innerhalb eines definierten Zeitraums t auf die Fensterfläche GP G;g;a ,
dem g-Wert und den Abminderungsfaktoren aus feststehender Verschattung FS h;ob
(Tabelle 3.10 und 3.11), Verschmutzung FD , Rahmenanteil FF und beweglichen Son-
nenschutzvorrichtungen FS h;gl .

QS D FS h;ob FD FS h;gl .1  FF / g GP G;g;a t (3.13)

Wärmeeindringkoeffizient (Speicherfähigkeit) Der Wärmeeindringkoeffizient b be-


schreibt den Wärmeeintrag in ein Baumaterial und damit letztlich dessen Speicherfä-
higkeit. Dieser Wärmeeindringkoeffizient b ist definiert als die Wurzel aus der Wärme-
leitfähigkeit Sp , der Dichte des Bau- bzw. Speichermaterials Sp und der spezifischen
Wärmekapazität cp;Sp dieses Baumaterials. Je größer damit der Wärmeeindringkoeffizient
wird, desto leichter dringt Wärme in das Bauteil / das Baumaterial ein und desto mehr
thermische Energie kann gespeichert werden. Damit ist der Wärmeeindringkoeffizient
ein Maß für die dynamische Wärmeaufnahme und -abgabe und folglich die Güte der
thermischen Speichermasse. Gleichung (3.14) beschreibt diesen Zusammenhang.
q
bD Sp Sp cp;Sp (3.14)

Transmissionswärmeverluste und -gewinne Die Transmissionswärmeverluste und


-gewinne eines Gebäudes QP T r errechnen sich aus den jeweiligen U -Werten Ui für die
entsprechenden Flächen i der Gebäudehülle (d. h. den jeweiligen Flächen Ai ) und der
Temperaturdifferenz zwischen der angesetzten Raumtemperatur i;set und der entspre-
chenden Normaußentemperatur e (Gleichung (3.15)). Dabei kann sich die angesetzte
Raumtemperatur innerhalb des Gebäudes unterscheiden, denn beispielsweise werden
Aufenthaltsräume (u. a. Büros, Wohnräume) in der Regel auf höhere Temperaturen be-
heizt als Nebenräume (u. a. Flure, Lagerräume).

X
m
QP T r D .Ui Ai .i;set  e // (3.15)
i D1
3 Passive Sonnenenergienutzung 203

Lüftungsverluste und -gewinne Die mechanischen Lüftungsverluste bzw. -gewinne


QP Ve ergeben sich nach Gleichung (3.16) aus dem für die Lüftung notwendigen Volumen-
strom VPVe , der volumetrischen Wärmekapazität und der Dichte der Luft (ca , a ) sowie der
Temperaturdifferenz zwischen der jeweils gewünschten Raumtemperatur i;set und der
entsprechenden Außentemperatur e .

QP Ve D VPVe a ca .i;set  e / (3.16)

Die Wärmeaustauschströme mit der Umgebung eines Gebäudes QP L setzen sich


(Abb. 3.1) aus den Anteilen für Lüftung (QP Ve ), Transmission (QP T r ) und Infiltration
(QP I ) zusammen. Der Wärmestrom durch Infiltration ergibt sich aus dem Luftaustausch
des Gebäudes mit der Umgebung aufgrund von Undichtigkeiten in der Gebäudehülle.

Resultierende Heizwärmenachfrage Über statische Berechnungsverfahren mit dyna-


mischen Elementen (u. a. [3.6]) oder dynamische Gebäudesimulationen kann aus den
Wärmeverlusten des Gebäudes QL (d. h. Summe aus Transmissions- QT r und Lüftungs-
verlusten QVe ) reduziert um die nutzbare Energiemenge aus der solaren Einstrahlung QS
und der inneren Wärme QI nt (d. h. Abwärme von Personen und Geräten) multipliziert
mit einem Ausnutzungsgrad
die resultierende Heizenergienachfrage QH ermittelt wer-
den (Gleichung (3.17)). Damit berechnet sich diese Heizenergienachfrage QH vereinfacht
aus den Wärmeverlusten QL abzüglich der Ausnutzung des solaren Wärmeangebots QS
und der inneren Wärmegewinne QI nt .

QH D QL 
.QS C QI nt / (3.17)

Der Ausnutzungsgrad
(Gleichung (3.18)) berücksichtigt, dass nicht alle Solargewin-
ne zu einer Reduktion der Heizwärmenachfrage führen, sondern fallweise sich auch in
einer nicht nutzbaren Überhitzung des Raums auswirken können. Er ist vom Gewinn- zu
Verlustverhältnis des Gebäudes und von dessen Speichermassen abhängig. Analog kann
auch die Kühlenergienachfrage bestimmt werden, die u. a. durch die Überwärmung durch
passive Solargewinne im Sommer induziert wird.


D 1  0;3  (3.18)

Der Ausnutzungsgrad
(Gleichung (3.18)) kann für ein Verhältnis des Wärmege-
winns zum Wärmeverlust  kleiner als 1,6 und gängige thermische Trägheiten aus diesem
Wärmegewinn- zu -verlustverhältnis  (Gleichung (3.19)) überschlägig berechnet wer-
den [3.8]. QS ist die nutzbare Energiemenge aus der solaren Einstrahlung, QI nt die der
inneren Wärme und QL sind die Wärmeverluste.

 D .QS C QI nt /=QL (3.19)


204 M. Kaltschmitt et al.

3.2 Systemtechnische Beschreibung

Marina Stegelmeier, Wolfgang Streicher und Martin Kaltschmitt

Die passive Sonnenenergienutzung basiert auf der Absorption der Solarstrahlung entwe-
der im Inneren eines Gebäudes nach dem Durchgang durch eine transparente Außenfläche
oder an den opaken (d. h. nicht lichtdurchlässigen) Bauteilen der Gebäudehülle. Die absor-
bierte Solarenergie erwärmt die entsprechenden Bauteile, welche die thermische Energie
wiederum über Konvektion und langwellige Wärmestrahlung an die Umgebung abge-
ben. Das Ausmaß der aufgenommenen Sonnenenergie einer bestrahlten Fläche wird durch
die Ausrichtung, die Verschattung und den Absorptionskoeffizienten für die kurzwellige
Solarstrahlung der jeweiligen Absorberfläche bestimmt. Höhe und Zeitpunkt der Ener-
gieabgabe der Bauteile wird durch die Wärmeleitfähigkeit, die Dichte und die spezifische
Wärmekapazität des Absorbermaterials bzw. des dahinter liegenden Materials, dem Emis-
sionskoeffizienten der Oberfläche für langwellige Strahlung und der Temperaturdifferenz
zur Umgebung beeinflusst.
Nachfolgend werden unterschiedliche Systemelemente, die eine passive Nutzung der
Solarenergie ermöglichen und beim Bau eines Gebäudes berücksichtigt werden können,
dargestellt und diskutiert. Sie werden anschließend zu sogenannten funktionalen Syste-
men zusammengeführt, die ebenfalls präsentiert werden.

3.2.1 Systemelemente

Passive Solarsysteme können transparente Abdeckungen (Fenster, transparente Wärme-


dämmung), Absorber, Speicher und / oder Verschattungseinrichtungen enthalten. Diese
Systemkomponenten werden nachfolgend diskutiert.

Transparente Abdeckungen Unter transparenten Abdeckungen versteht man Gebäude-


bauteile, die transluzente oder transparente optische Eigenschaften aufweisen. Werden
sie der Solarstrahlung ausgesetzt, kann ein Teil der kurzwelligen Solarstrahlung die Ab-
deckung / die Verglasung passieren und als transmittierter Anteil in den Raum dahinter
gelangen. Transparente Abdeckungen werden i. Allg. als Fenster verstanden; sie finden
sich aber auch im Bereich der transparenten Wärmedämmung wieder. Nachfolgend wird
deshalb der Strahlungstransport durch transparente Materialien beschrieben. Dies wird
beispielhaft anhand von Fenstern realisiert, gilt aber grundsätzlich in gleicher Weise bei-
spielsweise auch für transparente Wärmedämmmaterialen.
Typischerweise wird dabei ein besonderes Augenmerk bei der Planung eines bezüglich
der passiven Solargewinne optimierten Gebäudes auf die solaren Gewinne durch primär
Fenster gelegt. Deshalb werden zunächst die entsprechenden Einflussfaktoren der solaren
Energiegewinne durch Fenster erläutert (Abb. 3.3). Demnach lassen sich einige der Ele-
mente für passive solare Energiegewinne durch Fenster beeinflussen, andere nicht. Bei der
3 Passive Sonnenenergienutzung 205

Abb. 3.3 Beeinflussbare und nicht beeinflussbare Faktoren der passiven Solarenergiegewinne durch
Fenster (Sonnenschutzeinrichtungen: 1 außenliegende Jalousien, 2 innenliegende Jalousien, 3 im
Scheibenzwischenraum liegende Jalousien, 4 adaptive Fensterglaskonzepte, 5 Vorhang)

Planung eines Gebäudes können beispielsweise Fensterausrichtung, Fenstergröße, Glas-


art, Sonnenschutzeinrichtungen sowie bauliche Aspekte beeinflusst werden im Hinblick
auf eine bewusste Berücksichtigung der passiven solaren Energiegewinne; dadurch kann
die Energienachfrage eines Gebäudes verändert (gesenkt) werden.

 Strahlungsintensität. Die Klima- und Wetterbedingungen an einem bestimmten Stand-


ort sowie die lokalen Standortgegebenheiten – und damit die standortspezifische Strah-
lungsintensität – stellen einen unbeeinflussbaren Faktor für die solaren Energiegewinne
dar. Die auf eine bestimmte Empfangsfläche auftreffende Solarstrahlung hängt hier-
bei beispielsweise von der Bewölkung, aber auch von der Luftfeuchtigkeit, ab (Kapi-
tel 2.2). Bei der auf eine definierte Fläche eingestrahlten Globalstrahlung kann zwi-
schen der Direktstrahlung (aus Richtung der Sonne) und der Diffusstrahlung (sowohl
aus dem ganzen Himmelsraum als auch Reflexionsstrahlung von der Erde) unterschie-
den werden (Kapitel 2). Insbesondere der Einfallswinkel dieser beiden Strahlungs-
anteile auf die gleiche Empfangsfläche ist jeweils unterschiedlich. Damit ändert sich
auch die projizierende Fläche in Richtung der jeweiligen Strahlung und damit die auf
der Empfangsfläche ankommende Strahlung (Abb. 3.4). Hinzu kommt, dass der Ein-
fallswinkel der Direktstrahlung auf die Gebäudehülle ebenfalls die solaren Gewinne
beeinflusst, da steil auf die Fläche einfallendes Licht besonders gut absorbiert oder
transmittiert wird.
 Fenstergröße und Glasflächenanteil. Die Höhe der passiven Solarenergiegewinne durch
transparente Bauteile bzw. Fenster ist direkt proportional zur verglasten Fläche. Bei
206 M. Kaltschmitt et al.

Abb. 3.4 Einfallswinkel Solarstrahlung


und Strahlungsintensität auf
eine Fläche (cos D projizie-
rende Fläche)
Ψ

z.B. Hauswand
Normale Ψ

Fenstern spielen insbesondere die Ausrichtung des Fensters und der Glasflächenanteil
im Verhältnis zum Rahmenanteil eine Rolle.
 Glasarten und -anordnung. Die Glasart bzw. die -anordnung beeinflusst die solaren
Energieeinträge in ein Gebäude. Während die früher üblichen Einfachverglasungen die
Strahlung über verschiedene Transportmechanismen nahezu ungehindert in das Ge-
bäude eindringen ließen, sind heute zur Verringerung der Wärmeverluste im Winter
Doppelt- und Dreifachverglasungen üblich, die z. T. mit einer Wärme- oder Sonnen-
schutzschicht versehen sind. Heutige Fenster lassen daher deutlich weniger Strahlung
in das Innere der Gebäude dringen. Zudem existieren adaptive Fensterkonzepte, wel-
che die Strahlungstransmission durch heutige Fenster steuern können, je nachdem, ob
die Wärmegewinne gewünscht (im Winter) oder unerwünscht (im Sommer) sind.
 Bauliche Maßnahmen. Bei den baulichen Maßnahmen kann es sich um Dachüber-
stände bzw. bewusst verlängerte Dächer oder Balkone oder auch seitliche Überstände
handeln, welche die Verschattung der transparenten Bauteile eines Gebäudes zu be-
stimmten Jahreszeiten bewirken.
 Sonnenschutzeinrichtungen. Unter Sonnenschutzeinrichtungen sind u. a. Jalousien zu
verstehen, die zum einen Blendschutz und zum anderen auch Wärmeschutz liefern sol-
len. Diese sind in der Regel variabel angebracht, sodass in der sonnenreichen Jahreszeit
die Sonnenstrahlung von den Fenstern abgeleitet werden kann, um passive solare Ener-
giegewinne zu vermeiden.
 Beschattungen. Unter Beschattungen fallen weitgehend unbeeinflussbare Hindernisse
in der Umgebung eines Gebäudes, die das Sonnenlicht davon abhalten, auf der Gebäu-
dehülle absorbiert zu werden bzw. durch die Fenster hindurch zu transmittieren. Dabei
kann es sich z. B. um Bäume oder um andere Gebäude handeln.

Ausgewählte derartige Einflussgrößen werden nachfolgend vertieft.

Grundlagen Abb. 3.5 zeigt exemplarisch den Energiefluss durch eine Doppelglasschei-
be. Die auftreffende Solarstrahlung gelangt demnach nur zu einem bestimmten Teil in den
Innenraum; ein Teil wird an der Außenfläche der äußeren Scheibe an die Umgebung –
3 Passive Sonnenenergienutzung 207

Abb. 3.5 Gesamtenergiedurchlassgrad einer durchschnittlichen Zweifach-Wärmeschutzverglasung


(links, zur Erklärung der Formelzeichen siehe Text, nach [3.4]) und Wärmeverlustmechanismen
durch diese Verglasung (rechts)

und damit an die Atmosphäre – zurück reflektiert. Der Anteil der Strahlung, der direkt
durch beide Scheiben in den Innenraum gelangt, wird – im Verhältnis zur Einstrahlung
auf die Außenseite der Scheibe – durch den Transmissionskoeffizienten bzw. Strahlungs-
transmissionsgrad e beschrieben. Ein weiterer Teil der auftreffenden Solarstrahlung wird
an den Scheiben absorbiert und bewirkt eine Erwärmung des Scheibenzwischenraumes.
Daraus resultiert wiederum eine sekundäre Wärmeabgabe der Scheibe in den Innenraum
durch langwellige Strahlung, Konvektion und Wärmeleitung qi . Die gesamte Wärmeab-
gabe nach innen in Bezug auf die auftreffende Solarstrahlung beschreibt der g-Wert oder
der Energiedurchlassgrad des entsprechenden Glases.
Aus traditionell mitteleuropäischer, auf eine Minimierung der Heizenergienachfrage
ausgerichteter, Sichtweise haben transparente Abdeckungen im Gebäude die Aufgabe,
einen möglichst großen Anteil der sichtbaren solaren Strahlung selektiv in den Raum
durchzulassen und gleichzeitig einen möglichst guten Wärmeschutz nach außen zu ge-
währleisten. Dies bringt den Vorteil einer verminderten Heizenergienachfrage im Winter.
Gewünscht ist für diesen Fall also ein möglichst niedriger U -Wert und ein tendenziell
höherer g-Wert des Glases.
Hier ist jedoch auch die Ausrichtung der Fenster relevant. Nach Abb. 2.27 und 2.28
(Kapitel 2.2) fällt im Winter die Solarstrahlung praktisch nur an der Südseite an. Dadurch,
dass der U -Wert der Verglasung immer höher ist als der U -Wert der opaken gedämm-
ten Außenwände, ist der Wärmeverlust durch die Verglasungen auf der Nord-, Ost- und
Westseite im Winter wesentlich höher als die solaren Gewinne. Daher senkt nur eine nach
Süden ausgerichtete Verglasung im Winter die Heizwärmenachfrage signifikant.
Aufgrund steigender Außentemperaturen auch infolge des Klimawandels und tenden-
ziell immer größeren Glasflächenanteilen in der Fassade im Verlauf der letzten Jahrzehnte
208 M. Kaltschmitt et al.

wird auch die sommerliche Kühlenergienachfrage immer höher. Gewünscht ist für den
Sommerfall deshalb ein tendenziell geringer g-Wert des Glases, um die Überwärmung
und damit den einhergehenden Kühlbedarf gering zu halten. Nach Abb. 2.28 (Kapitel 2.2)
ist auch hier die Südausrichtung aufgrund geringerer Solarstrahlung im Sommer als Ost-
bzw. Westausrichtungen zu bevorzugen.
Die im Winter und im Sommer auftretenden Effekte des g-Wertes von transparenten
Abdeckungen auf die Energienachfrage in einem Gebäude sind also gegenläufig; bei-
spielsweise kann im Winter die Heizwärmenachfrage reduziert werden und im Sommer
wird dafür die Kühlnachfrage erhöht. Zielgröße ist aber jeweils die Minimierung der Ener-
gienachfrage für Heizung bzw. Kühlung des Gebäudes.
Nicht außer Acht gelassen werden sollte in diesem Zusammenhang aber auch die
thermische Behaglichkeit, die sich im jeweiligen Raum einstellt; sie kann durch die Emp-
findungstemperatur beschrieben werden [3.24]. Diese Empfindungstemperatur ermittelt
sich als Mittelwert der Raumtemperatur und der mittleren Oberflächentemperatur der
Raumumschließungsflächen (u. a. Wände, Decke, Boden, Glasflächen). Dabei treten hier
die folgenden Effekte im Jahresverlauf auf.

 Im Winter wird die Glastemperatur bei sehr tiefen Außentemperaturen primär durch die
Transmissionswärmeverluste beeinflusst. Bei hohen U -Werten ist eine Glasfläche kalt
und damit unbehaglich auch in Relation zu anderen Raumumschließungsflächen. Die
Empfindungstemperatur sinkt ggf. unter die Lufttemperatur im Raum. Ein niedriger
Ug -Wert ist also auch aus Behaglichkeitsgründen sinnvoll; dies gilt insbesondere im
Winter
 Im Sommer ist dieser niedrige Ug -Wert nicht hinderlich, denn die Behaglichkeit im
Sommerfall wird dominiert durch die Solargewinne durch die transparenten Abdeckun-
gen. U -Werte und g-Werte korrelieren in gewisser Weise miteinander. Drei-Scheiben
Verglasungen haben generell einen kleineren g-Wert als Zwei-Scheiben Verglasun-
gen, da die Solarstrahlung durch eine dritte Scheibe mit einer gewissen Absorption
durchtreten muss. Der g-Wert kann durch weitere Beschichtungen der Außenscheibe
verkleinert werden (Sonnenschutzverglasung, siehe unten). Bei hohen g-Werten wird
das Glas auf der Innenseite bei Ost- und Westausrichtung im Sommer sehr warm bis
heiß. Es entsteht ein Ungleichgewicht zu den anderen Raumumschließungsflächen, das
als unbehaglich wahrgenommen werden kann. Die Empfindungstemperatur steigt in
diesem Fall u. U. über die Raumlufttemperatur an. Ein niedriger U -Wert ist also auch
im Sommer aus Behaglichkeitsgründen sinnvoll. Allerdings reduziert ein niedriger
g-Wert auch die solaren Wärmegewinne im Winter. Besser ist es hier, für den Som-
merfall ein außenliegender Sonnenschutz vorzusehen und dadurch den Wärmeeintrag
im Sommer wesentlich zu reduzieren.

Welche Werte für Ug und g im Rahmen der gesetzlich geltenden Vorgaben (in erster
Linie die geltende Energieeinsparverordnung) genau zu verwenden sind, hängt folglich
vom Anwendungsfall des Gebäudes ab. Folgende Faktoren haben beispielhaft Einfluss
3 Passive Sonnenenergienutzung 209

auf das zu optimierende System (das Gebäude) und sollten (z. B. über eine dynamische
Gebäudesimulation oder über die überschlägigen Berechnungen für den Energieausweis)
aufeinander abgestimmt werden:

 Ausrichtung des Gebäudes bzw. jedes Raumes zur Sonne,


 Verglasungsanteile je Raum,
 Raumnutzung,
 Vorhandensein eines außen- oder innenliegenden oder feststehenden Sonnenschutzes,
 Möglichkeit der Nachtlüftung über die Fenster,
 nutzbare Speichermassen des Gebäudes,
 Nachbarbebauung,
 Technik der Wärme- und Kältebereitstellung.

Eine Überwärmung kann aber auch einfach durch geringere Glasanteile, die richtige
Ausrichtung der Verglasungen primär nach Süden, da hier im Sommer eine geringere Ein-
strahlung als auf der Ost- und Westseite und im Winter die maximale Einstrahlung auftritt
(Kapitel 2.2), sowie eine außenliegende Verschattung vermieden werden. Eine Entwär-
mung in der Nacht ist einfach durch ein Öffnen der Fenster zu bewerkstelligen. Dies muss
allerdings konstruktiv möglich gemacht werden (u. a. Einbruchschutz, Schlagregenschutz,
Lärm). Durch nutzbare Speichermassen im Gebäude wird die Temperaturschwankung im
Raum zwischen Tag und Nacht gedämpft.

Einfach- und Isolierverglasungen Früher gebräuchliche Einfachverglasungen besitzen


zwar hohe g-Werte, aber auch sehr hohe und damit ungünstige U -Werte. Deshalb wurden
Fenster mit mehreren Glasscheiben eingeführt. Heutige Isolierverglasungen weisen drei
und teilweise auch schon vier hintereinander liegende Glasscheiben auf und liefern durch
die dadurch verringerte Konvektion und zusätzliche Absorption von Wärmestrahlung ei-
nen deutlich besseren Wärmeschutz. Bei Neubauten kann die Drei-Scheiben-Verglasung
zumindest für ständige Aufenthaltsflächen (z. B. Arbeitsplätze) als heutiger Standard be-
zeichnet werden; aber auch die Zwei-Scheiben Verglasung wird für andere Nutzungen
durchaus noch eingesetzt.
Wurde der Scheibenzwischenraum früher zunächst noch mit Luft gefüllt, werden heu-
te zu diesem Zweck Edelgase (z. B. Argon, Krypton) verwendet. Durch diese Füllung
der Scheibenzwischenräume mit Edelgasen, die durch eine im Vergleich zu Luft geringe-
re Wärmeleitfähigkeit, eine geringere spezifische Wärmekapazität und eine höhere Vis-
kosität gekennzeichnet sind, kann der Wärmetransport durch Konvektion zwischen den
Scheiben, und damit der U -Wert, weiter reduziert werden. Für diese Gase können zudem
die Scheibenabstände auf geringstmögliche U -Werte optimiert werden. Tabelle 3.1 zeigt
beispielhaft derartige optimale Scheibenzwischenräume und die Stoffwerte für einige gän-
gige Füllgase von Fenstern.
Auf diesen Zusammenhängen aufbauend zeigt Tabelle 3.2 UW -Werte von heutigen Iso-
lierverglasungen. Die Energiedurchlassgrade von Einfachverglasungen sind i. Allg. höher
210 M. Kaltschmitt et al.

Tabelle 3.1 Optimaler Scheibenzwischenraum und thermodynamische Kennwerte einiger Füllgase


von doppelt verglasten Fenstern bei 10 °C (Wärmeleitfähigkeit , Dichte , dynamische Viskosität
 und spezifische Wärmekapazität cp ) [3.4]
Füllgas Optimaler Scheiben-    cp
zwischenraum in mm in W/(m K) in kg/m3 in Pa s in J/(kg K)
Luft 15,5 2,530  102 1,23 1,750  105 1 007
Argon 14,7 1,648  102 1,70 2,164  105 519
Krypton 9,5 0,900  102 3,56 2,340  105 345
SF6 4,6 1,275  102 6,36 1,459  105 614

Tabelle 3.2 Wärmedurchgangskoeffizienten verschiedener Isolierfenster mit unterschiedlichem


Aufbau und Füllungen (dargestellt sind auf das gesamte Fenster bezogene UW -Werte; Luft als Füll-
gas hat zumindest im deutschsprachigen Raum kaum noch Bedeutung; dies kann in anderen Ländern
anders sein) [3.10]
Verglasung Aufbau UW -Wert
Einfachverglasung 4 mm 4,8 W/(m2 K)
Isolierglas 2-fach 4 mm – 12 mm Luft – 4 mm 3,0 W/(m2 K)
Isolierglas 2-fach 4 mm – 12 mm Argon – 4 mm 2,7 W/(m2 K)
Isolierglas 3-fach 4 mm – 10 mm Luft – 4 mm – 10 mm Luft – 4 mm 2,2 W/(m2 K)
Isolierglas 3-fach 4 mm – 8 mm Argon – 4 mm – 8 mm Argon – 4 mm 1,7 W/(m2 K)

als die von Mehrfachverglasungen mit Gasfüllungen; eine simple Einfachverglasung liegt
etwa bei 75 %, während durch Zwei-Scheiben-Isoliergläser in etwa 65 % und durch Drei-
Scheiben-Isoliergläser in etwa 60 % erreicht werden können [3.9].

Wärmeschutzbeschichtungen Der Wärmeverlust durch Strahlungsaustausch im Schei-


benzwischenraum kann durch sogenannte Low "-Beschichtungen vermindert werden.
Derartige Beschichtungen reduzieren den Emissionskoeffizienten " von langwelliger
Strahlung von ursprünglich 0,84 auf 0,04. Für kurzwellige Strahlung (inklusive des sicht-
baren Lichts) sind derartige Low "-Schichten zudem hochtransparent. Dies sorgt dafür,
dass wenig Wärmestrahlung von der inneren zur äußeren Scheibe übertragen wird. Da-
durch wird die äußere Scheibe weniger stark aufgeheizt und damit weniger Wärme nach
außen abgegeben.
Low "-Beschichtungen werden bei Zweifachverglasungen an der dem Scheibenzwi-
schenraum zugewandten Seite der inneren Scheibe angebracht (Abb. 3.5). Ist bei Dreifach-
verglasungen auch die äußere Scheibe an der dem Scheibenzwischenraum zugewandten
Seite mit einer derartigen Beschichtung versehen, kann der Wärmeverlust durch Wärme-
strahlung aus dem Rauminneren weiter gesenkt werden. Solche Zwei- und Dreifach-Wär-
meschutzverglasungen mit Edelgasfüllung und infrarot reflektierend beschichteten Schei-
ben erreichen dadurch niedrige U -Werte (Wärmedurchgangskoeffizienten). Die g-Werte
sinken mit der Erhöhung der Anzahl der Scheiben. Tabelle 3.3 zeigt derzeit erreichbare
U - und g-Werte für Wärmedämmverglasungen und Abb. 3.6 ihren Aufbau.
3 Passive Sonnenenergienutzung 211

Tabelle 3.3 Wärmedurchgangskoeffizienten und Energiedurchlassgrade verschiedener Wär-


meschutzverglasungen (Ug -Wert (auf Glaskonstruktion bezogen) und Energiedurchlassgrad
g-Wert) [3.11]
Ug -Wert g-Wert
in W/(m2 K) in %
Zweifach-Wärmeschutzverglasungen
4 mm – 16 mm Argon – 4 mm 1,1 61
4 mm – 10 mm Krypton – 4 mm 1,0 61
4 mm Ha – 16 mm Argon – 4 mm 1,1 63
4 mm Ha – 10 mm Krypton – 4 mm 1,0 63
Dreifach-Wärmeschutzverglasungen
4 mm – 12 mm Argon – 4 mm – 12 mm Argon – 4 mm 0,7 50
4 mm – 14 mm Argon – 4 mm – 14 mm Argon – 4 mm 0,6 50
4 mm – 8 mm Krypton – 4 mm – 8 mm Krypton – 4 mm 0,7 50
4 mm – 12 mm Krypton – 4 mm – 12 mm Krypton – 4 mm 0,5 50
a
der Buchstabe H bedeutet, dass ein besonders helles Glas als Außenscheibe verwendet wurde.

Zweifachwärmedämmverglasung Zweifachsonnenschutzverglasung

Sichtbares Licht
Solarstrahlung
Gesamtenergie-
UV-/ Infrarotstrahlung durchlässigkeit
Gesamtenergie-
Solarstrahlung durchlässigkeit

Transmissions-
wärmeverlust Transmissions- Heizenergie
Heizenergie wärmeverlust
Low ε
Beschichtung Sonnenschutz-
beschichtung

Dreifachwärmedämmverglasung Dreifachsonnenschutzverglasung

Sichtbares Licht
Solarstrahlung Solarstrahlung Gesamtenergie-
UV-/IR-Strahlung durchlässigkeit

Transmissions-
wärmeverlust Heizenergie Transmissions-
wärmeverlust Heizenergie
Low ε
Sonnenschutz- Low ε
Beschichtungen
beschichtung Beschichtung

Abb. 3.6 Strahlungsdurchgang durch Doppelt- und Dreifachverglasungen mit Wärme- und Son-
nenschutzbeschichtungen (UV ultraviolett; IR infrarot)
212 M. Kaltschmitt et al.

Tabelle 3.4 Diffuser g-Wert (gdiffus ), U -Wert des Fensters (UW ) und äquivalenter U -Wert (Ueq )
für verschiedene Verglasungen und Ausrichtungen (nach [3.12])
gdiffus UW Ueq Ueq Ueq
in W/(m2 K) in W/(m2 K) (Süd) (Ost / West) (Nord)
in W/(m2 K) in W/(m2 K) in W/(m2 K)
Einfachverglasung 0,87 5,8 3,7 4,4 5,0
Zweifachverglasung 0,78 2,9 1,0 1,6 2,2
(4 mm – 12 mm Luft –
4 mm)
Zweifach-Wärmeschutz- 0,60 1,5 0,1 0,5 0,9
verglasung (6 mm –
15 mm Argon – 6 mm)
Dreifach-Wärmeschutz- 0,48 0,9 0,3 0,1 0,4
verglasung (4 mm –
8 mm Krypton – 4 mm –
8 mm Krypton – 4 mm)
Dreifach-Wärmeschutz- 0,46 0,6 0,5 0,2 0,2
verglasung (4 mm –
16 mm Xenon – 4 mm –
16 mm Xenon – 4 mm)

In Tabelle 3.3 wird deutlich, dass eine erhöhte Wärmedämmung der Fenster durch
drei Glasscheiben einher geht mit deutlich geringeren passiven Strahlungsgewinnen. Da-
mit können zwar ganzjährig die Transmissionswärmeströme durch die Fenster minimiert
werden, aber im Winter kann die Heizenergienachfrage nur in einem etwas geringeren
Ausmaß durch die passiven Solarenergiegewinne abgedeckt werden.
Tabelle 3.4 zeigt exemplarisch die äquivalenten U -Werte für verschiedene Verglasun-
gen (Ueq ) in Abhängigkeit von der Ausrichtung des Fensters. Bei Verglasungen mit Süd-
ausrichtung sind demnach bereits bei Zweischeibenwärmedämmverglasungen Wärmever-
luste und Energiegewinne über das gesamte Jahr weitgehend ausgeglichen. Mit hochwer-
tigen Dreifachwärmedämmverglasungen können bereits nach Ost und West ausgerichtete
Fenster bei dem, dem äquivalenten U -Wert zugrunde gelegten, Referenzgebäude mehr
Energie gewinnen als sie abgeben.
Der in Tabelle 3.4 ebenfalls dargestellte diffuse g-Wert (gdiffus ) gilt nur für die eigentli-
che Verglasung; deshalb muss bei der Berechnung von Fenstern der Rahmenanteil von
der Fensterfläche abgezogen werden. Der U -Wert des Fensters (UW ) bezieht sich da-
bei auf eine Standardfenstergröße von 1,23  1,48 m mit einem Rahmenanteil von 30 %.
Bei Fenstern anderer Größe muss daher der UW -Wert über den Wärmedurchgangskoef-
fizienten (U -Wert) von Rahmen und Verglasung mit den anteiligen Flächen sowie unter
Berücksichtigung der zusätzlichen Wärmeverluste durch den Randverbund der Scheibe
neu berechnet werden [3.25].
3 Passive Sonnenenergienutzung 213

Tabelle 3.5 Wärmedurchgangskoeffizienten Ug (auf Glasscheibe bezogen) und Energiedurchlass-


grade g verschiedener Sonnenschutzverglasungen [3.11]
Ug -Wert g-Wert
in W/(m2 K) in %
Zweifach-Sonnenschutzverglasungen
4 mm – 12 mm Argon – 4 mm 1,3 43
4 mm – 14 mm Argon – 4 mm 1,2 43
4 mm – 12 mm Krypton – 4 mm 1,1 43
Dreifach-Sonnenschutzverglasungen
4 mm – 12 mm Argon – 4 mm – 12 mm Argon – 4 mm 0,7 39
4 mm – 14 mm Argon – 4 mm – 14 mm Argon – 4 mm 0,6 39
4 mm – 8 mm Krypton – 4 mm – 8 mm Krypton – 4 mm 0,7 39
4 mm – 12 mm Krypton – 4 mm – 12 mm Krypton – 4 mm 0,5 39

Sonnenschutzverglasungen Durch die Verwendung von Sonnenschutz- anstatt von Wär-


meschutzbeschichtungen kann die Transmission von kurzwelliger Solarstrahlung durch
Fenster selektiv beeinflusst werden. Sonnenschutzbeschichtungen reflektieren einen gro-
ßen Teil des nicht sichtbaren Teils des solaren Spektrums und lassen einen Großteil des
sichtbaren Spektrums passieren. Somit gelangt viel sichtbares Licht in das Rauminnere;
dies führt – ohne Verringerung der Helligkeit im Raum – zu einer Reduktion des gesamten
Energieeintrags.
Derartige Sonnenschutzbeschichtungen bestehen aus Edelmetall. Bei Zweifachvergla-
sungen werden sie an der Innenseite der äußeren Scheibe angebracht. Dadurch werden
noch einmal deutlich niedrigere g-Werte, aber dafür wieder etwas höhere U -Werte er-
reicht. Kombiniert mit einer Low "-Beschichtung wird bei Dreifachverglasungen gleich-
zeitig ein niedriger U -Wert (gleich dem von einfachen Dreifachwärmedämmverglasungen
(Tabelle 3.3)) erreicht. Tabelle 3.5 zeigt bei Sonnenschutzverglasungen erreichbare U -
und g-Werte und Abb. 3.6 ihren Aufbau.

Transparente Wärmedämmstoffe Transparente Wärmedämmmaterialien (TWD – trans-


parente Wärmedämmung) sind Dämmstoffe, die im Gegensatz zu den meisten zu diesem
Zweck verwendeten Materialien lichtdurchlässig sind. Sie weisen, wie Standard-Dämm-
stoffe, eine niedrige Wärmeleitfähigkeit auf. Sie sind auch durch einen niedrigen U -Wert
gekennzeichnet, wenn sie als Materialschicht in der Fassade verwendet werden. Zum Wet-
ter- und Insektenschutz und zur Gewährleistung der Stabilität ist in der Regel auf dem
Dämmstoff eine Glasscheibe angebracht. Diese leitet die kurzwellige Strahlung direkt auf
das absorbierende TWD-Material. Die nachfolgend exemplarisch diskutierten Materialien
werden als derartige transparente Dämmstoffe verwendet.

 Polymethylmethacrylat (PMMA). Dieses Polymer, das mit einer Bienenwaben- oder


Kapillarstruktur gefertigt werden kann, zeichnet sich durch eine hohe Lichtdurchlässig-
keit, eine gute UV-Stabilität (UV – ultraviolettes Licht) und eine hohe Recyclingfähig-
214 M. Kaltschmitt et al.

Tabelle 3.6 Diffuser g-Wert (gdiffus ) und Ug -Wert (auf Glasscheibe bezogen) verschiedener Ver-
glasungen und TWD-Materialien (TWD – transparente Wärmedämmung) [3.14]
gdiffus Ug -Wert
in W/(m2 K) in W/(m2 K)
Kunststoffkapillaren, 10 cm, ein Abdeckglas 0,67 0,90
Kunststoffwaben, 10 cm, ein Abdeckglas 0,71 0,90
Glaskapillaren, 10 cm, zwei Scheiben 0,65 0,97
Aerogel, 2,4 cm granular, zwei Scheiben mit Luft 0,50 0,90
Aerogelplatte, 2 cm evakuiert (100 mbar), zwei Scheiben 0,60 0,50
Der diffuse g-Wert (gdiffus ) wurde bei einer 4 mm dicken eisenarmen Frontscheibe gemessen und
der Ug -Wert bei einer Probenmitteltemperatur von 10 °C.

keit aus. Es ist aber leicht brüchig und wenig feuerfest. Aufgrund der relativ schlechten
mechanischen Stabilität kann es nur zwischen zwei stabilisierenden Glasscheiben ver-
baut werden [3.13].
 Polycarbonat (PC). Polycarbonat, das ebenfalls mit einer Bienenwaben- oder Kapillar-
struktur ausgeführt werden kann, ist mechanisch stabil und kann deshalb ohne Glas-
abdeckung gefertigt werden. Das Material ist – verglichen mit Polymethylmethacrylat
(PMMA) – weniger gegen UV-Licht stabil und zeigt eine geringere Recyclingfähig-
keit; dafür ist die Feuerfestigkeit besser (d. h. temperaturbeständig bis 125 °C). Eine
abdeckende Schicht kann aus einem Acrylabbinder gemischt mit 2,5 bis 3 mm großen
Glaskugeln direkt auf die Polycarbonat(PC)-Struktur aufgebracht werden [3.13].
 Glas. Geformt in Kapillaren kann auch Glas – ähnlich den Polymermaterialien – als
TWD-Material ausgeführt werden. Aufgrund der hohen Verarbeitungstemperaturen
ist der Herstellungsprozess allerdings energetisch aufwändig und technologisch an-
spruchsvoll. Aber das geformte Glas ist UV-stabil, temperaturbeständig und außerdem
gut recycelbar. Von Nachteil ist die mechanische Instabilität der Konstruktion [3.13].
 Aerogel. Aerogele sind poröse Silikate, die zu 90 % aus Luft bestehen. Kombiniert
mit 2 bis 3 mm dicken Glasscheiben lassen sie sich als TWD-Materialien verarbeiten.
Evakuierte Varianten von Aerogelen werden im Scheibenzwischenraum einer Doppel-
verglasung eingebracht und auf die Fassade aufgebracht. Sie sind nicht entflammbar
und gut recycelbar. Die Lichtdurchlässigkeit ist aber nur halb so groß im Vergleich zu
den erwähnten Kapillaren oder wabenförmig verarbeiteten Materialien. Zusätzlich ist
die Feuchteempfindlichkeit der Aerogele problematisch [3.13].

Die sich für die oben beschriebenen Möglichkeiten ergebenden U - und g-Werte zeigt
Tabelle 3.6. Hierbei wird zur Beschreibung der Strahlungsdurchlässigkeit der diffuse
g-Wert herangezogen. Aufgrund des im Verhältnis zum Nutzen relativ hohen baulichen
Aufwands der Glasabdeckungen und notwendigen sommerlichen Verschattungen hat sich
die TWD bisher am Markt aber nicht durchsetzen können.
3 Passive Sonnenenergienutzung 215

Adaptive Verglasungen Der Strahlungsdurchgang durch ein Fenster ist durch die Ma-
terialeigenschaften des Glases und die jeweiligen Beschichtungen definiert und ändert
sich über das Jahr normalerweise nicht. Durch die Verwendung von Dreifachverglasun-
gen und besonders von Sonnenschutzbeschichtungen werden relativ niedrige g-Werte
erreicht. Demnach wird zwar eine sommerliche Überhitzung des Gebäudes vermieden;
gleichzeitig wird aber eine winterliche Heizungsunterstützung durch passive solare Ge-
winne erschwert. Für die Wintermonate wäre deshalb ein höherer g-Wert wünschenswert
und parallel dazu sollte für die Sommermonate der g-Wert weiter gesenkt werden. Um
diesen Anforderungen gerecht werden zu können, wurden Verglasungen entwickelt, die
ihren g-Wert in Abhängigkeit von den Umgebungsbedingungen aktiv oder passiv steuern
und dadurch höhere bzw. niedrigere Werte erreichen können. Diese sognannten adaptiven
Verglasungen werden im Folgenden beschrieben.
Die Änderung des g-Werts der Verglasung erfolgt durch eine Änderung der optischen
Eigenschaften in Abhängigkeit verschiedener externer Faktoren. Die Gläser trüben sich
dabei ein oder ändern ihre Farbe; dadurch lassen sie weniger kurzwellige Strahlung pas-
sieren. Bei diesen adaptiven Verglasungen kann zwischen aktiven und passiven Systemen
unterschieden werden.

 Bei den aktiven Systemen gibt der Nutzer (aktiv) vor, wann das Glas einen bestimmten
g-Wert aufweisen soll; dafür sind in der Regel zusätzliche Systemelemente nötig.
 Bei passiven Systemen erfolgt die Anpassung des g-Wertes in Abhängigkeit von be-
stimmten strahlungsabhängigen Faktoren (z. B. Temperatur).

Nachfolgend werden einige ausgewählte Systeme derartiger adaptiver Verglasungen


dargestellt und diskutiert.

 Elektrochrome Verglasungen. Derartige Verglasungen ändern beim Anlegen einer elek-


trischen Spannung ihre Farbe von klar nach blau; dabei bleibt die Durchsicht in bei-
den Zuständen jedoch vollumfänglich erhalten. Diese Färbung wird durch eine che-
mische Redoxreaktion von Wolframtrioxid (WO3 ) und Lithium (Li), die im Scheiben-
zwischenraum als elektrochrome Schicht aufgetragen werden, zum Komplex Lix WO3
hervorgerufen. Dieser Lix WO3 -Komplex bewirkt eine Änderung der optischen Eigen-
schaften des Glases; mit zunehmender Färbung geht der g-Wert zurück. Bei einem
damit sinkenden g-Wert und gleichzeitig sinkenden Transmissionskoeffizienten e er-
höht sich die absorbierte Strahlungsmenge am Fenster. Ein derartiges System ist über
die angelegte Spannung aktiv steuerbar; es kann beispielsweise über eine Art Zeit-
schaltuhr geregelt werden, der man vorgibt, zu welcher Zeit das Fenster eingefärbt sein
soll (z. B. zur Mittagszeit bei der höchsten Sonneneinstrahlung im Sommer) und wann
es im Ausgangszustand (d. h. ungefärbt) stehen soll. Tabelle 3.7 zeigt maximal und
minimal erreichbare U - und g-Werte einer derartigen elektrochromen Verglasung.
 Gasochrome Verglasungen. Diese adaptive Verglasung wird aktiv durch die Zufuhr
von geringen Wasserstoffmengen geschaltet. Die chemisch aktive Schicht besteht –
216 M. Kaltschmitt et al.

Tabelle 3.7 Optische Kennwerte elektrochromer Verglasungen (v transmittierter Anteil des sicht-
baren Lichts, g Energiedurchlassgrad, U Wärmedurchgangskoeffizient, s reflektierter Anteil des
sichtbaren Lichts) [3.11]
Verglasungstyp Zustand v g U s
Zweifach- Klar 0,50 0,36 1,1 0,11
verglasung Maximalgefärbt 0,15 0,12 1,1 0,09
Dreifach- Klar 0,45 0,30 0,5 0,12
verglasung Maximalgefärbt 0,14 0,10 0,5 0,09

Tabelle 3.8 Optische Kennwerte von gasochromen Verglasungen (v transmittierter Anteil des
sichtbaren Lichts, e transmittierter Anteil des gesamten Lichts, g Energiedurchlassgrad, qi sekun-
däre Wärmeabgabe, U Wärmedurchgangskoeffizient) [3.15]
Zustand v e g qi U
Messung Gefärbt 0,60 0,38 0,47 0,09 –
Klar 0,17 0,10 0,17 0,07 –
Berechnung Gefärbt 0,57 0,36 0,46 0,10 0,9
Klar 0,13 0,08 0,13 0,05 0,9

Tabelle 3.9 Optische Variante Zustand v e g


Kennwerte ausgewählter ther- Hydrogele Klar 0,74 0,44 0,55
motroper Verglasungen (v Geschaltet 0,16 0,09 0,14
transmittierter Anteil des sicht-
Polymerblends Klar 0,73 0,40 0,55
baren Lichts, e transmittierter
Anteil des gesamten Lichts, g Geschaltet 0,21 0,13 0,18
Energiedurchlassgrad) [3.16] Gießharzbasis Klar 0,71 0,47 0,56
Geschaltet 0,44 0,29 0,39

wie bei den elektrochromen Verglasungen – ebenfalls aus Wolframtrioxid (WO3 ), die
hier allerdings mit einer Katalysatorschicht aus Platin überzogen ist. Bei der chemi-
schen Reaktion mit Wasserstoff (H2 ) entsteht ein Wasserstoff-Wolframtrioxid-Kom-
plex (Hx WO3 ), der eine blaue Färbung hervorruft, die dann den g-Wert verändert. Die
Entfärbung erfolgt durch Sauerstoffzugabe; dadurch reagiert der komplexierte Was-
serstoff zu Wasser und kann aus dem Verglasungssystem abgeführt werden. Dieses
Fensterkonzept ist konstruktiv relativ aufwändig, da zusätzliche Gasfördereinrichtun-
gen benötigt werden. Tabelle 3.8 zeigt exemplarisch heute erreichbare Kennwerte.
 Thermotrope Verglasungen. Dieses passive System adaptiver Verglasungen schaltet
bei Erreichen einer bestimmten Temperatur im Inneren des Fensters. Dazu werden
thermotrope Materialien verwendet, die ab einer bestimmten Temperatur ihren Aggre-
gatzustand ändern, eine Strukturänderung durchlaufen und / oder ihren Brechungsindex
verändern. Dadurch wird eine Trübung des Fensters bewirkt. Nachfolgend werden ex-
emplarisch ausgewählte thermotrope Materialien diskutiert (Tabelle 3.9).
– Hydrogelschichten. Hydrogelschichten auf Wasserbasis sind im gemischten Zu-
stand durchsichtig. Sie haben aber die Eigenschaft, sich ab einer bestimmten
Temperatur zu entmischen. Danach erscheinen sie aufgrund von Brechungsun-
terschieden weiß-trüb.
3 Passive Sonnenenergienutzung 217

– Polymerblends. Diese Kunststoffmischungen bestehen im klaren Zustand aus einem


Gemisch aus zwei unterschiedlichen Polymeren, die sich ab einer bestimmten Tem-
peratur entmischen; dies führt zu einer Eintrübung.
– Lyotrope Flüssigkristalle. Lyotrope Kristalle bilden sich bei geeigneter Konzentrati-
on einer amphiphilen (d. h. hydrophil und lipophil) Substanz in einem Lösungsmit-
tel. Ab einer bestimmten Temperatur treten Brechungsindexdifferenzen auf und die
Flüssigkristalle separieren sich in zwei unterschiedliche Phasen. Dadurch wird das
einfallende Licht gestreut und die Transmission stark vermindert.
– Gießharz. Bei Systemen auf Gießharzbasis ist die Matrixsubstanz starr und die
Streuung wird durch mikroverkapselte Paraffine realisiert. Ab einer bestimmten
Temperatur ändert sich der Brechungsindex der eingebetteten Substanz und die
Scheibe verliert ihren vormals klaren Zustand.

Elektrochrome Verglasungen sind am Markt erhältlich; sie sind jedoch noch relativ
teuer (beispielsweise ist ein seit 2015 kommerzieller Anwendungsfall die Verdunkelung
der Fenster in einigen Flugzeugtypen). Gasochrome und thermotrophe Verglasungen sind
noch nicht langzeitstabil und daher noch im Forschungsstadium.

Verschattungseinrichtungen Klassischerweise werden zur Steuerung der passiven so-


laren Gewinne Verschattungseinrichtungen installiert. Bei diesen wird unterschieden in
feststehende und variable Systeme; letztere können außen, innen und im Scheibenzwi-
schenraum angebracht werden. Alle diese Verschattungseinrichtungen sollen die Strah-
lungstransmission primär durch transparente Oberflächen im Winter ermöglichen und im
Sommer begrenzen. Aber auch die Strahlungsabsorption an opaken Bauteilen (hauptsäch-
lich Wänden) kann durch die Installation von entsprechenden Verschattungseinrichtungen
vermindert werden.
Im Sommer steht die Sonne im Mittel vergleichsweise hoch über dem Horizont; außer-
dem sind die Tage relativ lang. Damit ist insgesamt die über den Tag eingestrahlte Solar-
energie hoch. Die winterliche Sonne steht im Gegensatz dazu im Durchschnitt merklich
tiefer und die Tage sind vergleichsweise kürzer (Kapitel 2). Aufgabe der Verschattungs-
einrichtungen ist es ausgehend davon, die sommerlich hochstehende Sonne vom Gebäude
abzulenken bzw. das Gebäude abzuschatten und die winterlich tief stehende Sonne in das
Gebäude zu lassen. Nachfolgend werden verschiedene derartige Möglichkeiten diskutiert.

Feststehende, außenliegende Verschattungseinrichtungen (passive Verschattung) Eine


passive Abschattung eines Gebäudes von der Strahlung der hoch stehenden Sonne im
Sommer durch feststehende Bauteile kann i. Allg. ohne allzu großen technischen Auf-
wand durch eine geeignete Gebäudeausbildung (z. B. Balkone, Vorsprünge, Vordächer)
erreicht werden. Derartige feststehende, einfache Verschattungseinrichtungen zeigen ei-
ne dauerhaft sichere Funktion, da bewegliche Teile fehlen und keine aktive Regelung
notwendig ist. Sie müssen jedoch bereits bei der Planung eines Gebäudes berücksichtigt
werden; ein nachträglicher Einbau ist oft sehr aufwändig. Besonders in die Südrichtung
218 M. Kaltschmitt et al.

Winter gut wärmegedämmtes Dach

Winter

verglaste Loggia
Sommer

Optional

Speichermassen
Süden
Optionaler
Wintergarten Wohnraum mit
Winter Isolierverglasung
Sommer nach Süden

Speichermassen
Wintergarten

Wohnraum mit Sommer


Optionaler

Isolierverglasung
nach Süden

Speichermassen
Speichermassen

Abb. 3.7 Abschattung von transparenten Gebäudeflächen durch Dachüberstände (links: Einfami-
lienhaus, rechts: Mehrfamilienhaus; Pfeile beschreiben die mittlere Strahlungsrichtung der Direkt-
strahlung zur Mittagszeit in den jeweils angegebenen Jahreszeiten)

(auf der Nordhabkugel) kann dadurch i. Allg. im Sommer bei dem dann gegebenen ho-
hen Sonnenstand eine gute Verschattung und im Winter eine hohe Einstrahlung in das
Gebäude – infolge der dann tief stehenden Sonne – sichergestellt werden. Abb. 3.7 zeigt
exemplarisch die Verschattungszustände für Sommer- und Wintereinstrahlung für zwei
verschiedene Gebäudearten (siehe auch Abb. 2.27 und 2.28). Bei einer Ausrichtung nach
Osten oder Westen dringt demgegenüber auch im Sommer die tiefer stehende Sonne weit
ins Gebäude ein und im Winter kommt aus diesen Himmelsrichtungen nur eine geringe
Einstrahlung. Solche feststehenden Verschattungselemente vermindern allerdings auch
wiederum die Effizienz der passiven Sonnenenergienutzung, da sie in den Übergangszei-
ten (Frühling und Herbst), in denen eventuell noch eine Heizenergienachfrage gegeben
ist, für eine Teilverschattung der Verglasungen sorgen.
Die feststehende Verschattung von Gebäuden ist damit von folgenden Parametern bzw.
Einflussfaktoren abhängig; Abb. 3.8 definiert die hierbei relevanten Winkel.

 Verschattung durch den Horizont FHor ; sie kann mit Hilfe des Sonnenwegs-Diagramms
(vgl. Abb. 2.27) oder nach Tabelle 3.10 ermittelt werden.
 Verschattung durch herausragende Elemente; hier wird unterschieden zwischen Ver-
schattungen durch Überhänge FOv und durch seitliche Überstände FF i n (Tabelle 3.11).

Die gesamte Verschattung wird durch den sogenannten Verschattungsfaktor FS h;ob be-
schrieben (Gleichung (3.20)).

FS h;ob D FHor FOv FF i n (3.20)


3 Passive Sonnenenergienutzung 219

Gelände-
seitlicher
winkel
Überstandswinkel
Überhang-
winkel

Vertikal-
Abschnitt Horizontal-Abschnitt

Abb. 3.8 Definition der Winkel für die verschiedenen Verschattungskomponenten (links: Bestim-
mung des Winkels für den Teilverschattungsfaktor für den Horizont FHor ; Mitte: Bestimmung des
Winkels für den Teilverschattungsfaktor für Überhänge FOv ; rechts: Bestimmung des Winkels für
den Teilverschattungsfaktor für seitliche Überstände FF i n ; nach [3.6])

Tabelle 3.10 Teilverschattungsfaktor für die Verschattung durch den Horizont (FHor ) für verschie-
dene geografische Breiten, Fensterausrichtungen und Geländewinkel (S Süd, O Ost, W West, N
Nord; nach [3.6])
Gelände- 45° nördliche Breite 55° nördliche Breite 65° nördliche Breite
winkel S O/W N S O/W N S O/W N
0° 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00
10° 0,97 0,95 1,00 0,94 0,92 0,99 0,86 0,89 0,97
20° 0,85 0,82 0,98 0,68 0,75 0,95 0,58 0,68 0,93
30° 0,62 0,70 0,94 0,49 0,62 0,92 0,41 0,54 0,89
40° 0,46 0,61 0,90 0,40 0,56 0,89 0,29 0,49 0,85

Tabelle 3.11 Teilverschattungsfaktor für die Verschattung durch Überhänge (FOv ) und durch
seitliche Überstände (FF i n ) für verschiedene geografische Breiten, Fensterausrichtungen und Ge-
ländewinkel (S Süd, O Ost, W West, N Nord; Winkeldefinition nach Abb. 3.8; nach [3.6])
Gelände- 45° nördliche Breite 55° nördliche Breite 65° nördliche Breite
winkel S O/W N S O/W N S O/W N
Verschattung durch Überhänge (FOv )
0° 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00
30° 0,90 0,89 0,91 0,93 0,91 0,91 0,95 0,92 0,90
45° 0,74 0,76 0,80 0,80 0,79 0,80 0,85 0,81 0,80
60° 0,50 0,58 0,66 0,60 0,61 0,65 0,66 0,65 0,66
Verschattung durch seitliche Überstände (FF i n )
0° 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00
30° 0,94 0,92 1,00 0,94 0,91 0,99 0,94 0,90 0,98
45° 0,84 0,84 1,00 0,86 0,83 0,99 0,85 0,82 0,98
60° 0,72 0,75 1,00 0,74 0,75 0,99 0,73 0,73 0,98
220 M. Kaltschmitt et al.

Dieser Verschattungsfaktor setzt sich demnach nach Gleichung (3.20) aus dem Teilver-
schattungsfaktor für den Horizont FHor , dem Teilverschattungsfaktor für Überhänge FOv
und dem Teilverschattungsfaktor für seitliche Überstände FF i n zusammen. Außer durch
diese vereinfachte Gleichung kann die gesamte Verschattung eines Gebäudes auch mit
Hilfe dynamischer Gebäudesimulationen detaillierter ermittelt werden [3.6].

Bewegliche Verschattungseinrichtungen Die passive Solarenergienutzung kann auch


durch verstellbare bzw. variable Verschattungseinrichtungen geregelt werden. Übersteigt
beispielsweise der solare Wärmegewinn die notwendige, durch das solare System zu
deckende Wärmenachfrage im passiv solar beheizten Raum oder Gebäude, kann zur
Verhinderung von Raumüberhitzung die solare Aperturfläche abgeschattet werden. Eben-
so können Verschattungen zur Verhinderung von Blendung am Arbeitsplatz realisiert
werden. Hierfür können die nachfolgend beschriebenen Systeme zum Einsatz kommen.

 Außenliegende Verschattungseinrichtungen. Bei den an der Außenseite von Gebäuden


angebrachten Verschattungseinrichtungen handelt es sich beispielsweise um Jalousien,
Rollläden und Fensterläden. Diese Systeme reflektieren einen Anteil der auftreffenden
Solarstrahlung direkt wieder zurück in die Umgebung, ohne dass sie mit dem Gebäude
in Kontakt kommt (d. h. bevor die Sonnenstrahlung absorbiert oder sogar ins Gebäu-
de transmittiert werden kann). Außenliegende Verschattungseinrichtungen sind daher
wesentlich effizienter als entsprechende innen liegende Einrichtungen. Eine standard-
mäßig gebräuchliche Variante sind Raffstores oder Lamellen. Sie haben verstellbare
Einheiten (die einzelnen Lamellen), die es im Gegensatz zu vertikal stehenden Roll-
läden ermöglichen, die Solarstrahlung in Abhängigkeit vom Sonnenstand gezielt zu
reflektieren. Die Lamellen können neben der geraden Form auch konvexe und konka-
ve Formen annehmen, um das Sonnenlicht besser reflektieren und weiterzuleiten zu
können. Sie bestehen i. Allg. aus Metall (z. B. Aluminium), Kunststoff oder Holz. Ei-
ne Weiterentwicklung ist die Unterteilung der Lamelle in einen Oberlicht- und einen
Fensterbereich. Der Oberlichtbereich soll Licht in den Raum leiten, während der Fens-
terbereich einen ausreichenden Blendschutz und damit auch Wärmeschutz liefern soll.
Abb. 3.9 zeigt exemplarisch die Lichtumlenkung bei einem derartigen zweigeteilten
Raffstore bzw. einer Lamelle bei sommerlicher und winterlicher Einstrahlung. Derar-
tige außenliegende Verschattungen müssen entweder sturm- und hagelsicher sein oder
automatisch bei solchen Wettersituationen nach oben eingefahren werden; letzteres be-
dingt einen erhöhten regelungs- und wartungstechnischen Aufwand. Im optimalen Fall
sind solche Verschattungen witterungsfest, einbruchsicher und lassen außerdem hori-
zontalen Schlagregen nicht durch.
 Innenliegende Verschattungseinrichtungen. Innenliegende Systeme (z. B. Folienrolllä-
den, Plisseestores, Lamellen) sind nicht der Witterung ausgesetzt und daher im Ver-
gleich zu außenliegenden Systemen konstruktiv deutlich einfacher zu gestalten. Innen
liegende Jalousien nutzen dabei dieselben Prinzipien wie außenliegende Systeme. Al-
3 Passive Sonnenenergienutzung 221

Direktes
Sommersonnenlicht

Reflektiertes
Tageslicht
Direktes
Winterposition
Wintersonnenlicht
Sommerposition

Sonnenschutz des
unteren Fensterbereichs

Abb. 3.9 Lichtumlenkung in einem zweigeteilten Raffstore zur Steuerung der solaren Energiege-
winne (nach [3.17])

lerdings ist bei innen liegenden Verschattungen die Solarstrahlung bereits im Raum
bzw. im Gebäude und eine Reflexion dieser Strahlung durch die Verschattungseinrich-
tung wird wiederum nur mit dem g-Wert nach außen durchgelassen. Dadurch wird
wesentlich mehr Solarenergie an den Raum bzw. das Gebäude abgegeben im Vergleich
zu außenliegenden Verschattungen; dies führt zu einem nur geringen Überhitzungs-
schutz. Daher liegt ihre Funktion primär im Blendschutz. Die meisten beweglichen
innenliegenden Verschattungseinrichtungen haben außerdem den Nachteil, dass bei
einer entsprechenden Neigung im Blendfall entsprechend weniger Tageslicht in den
Raum gelangt und ggf. das Kunstlicht im Raum angeschaltet oder hochgeregelt wer-
den muss. Auch ist die Aussicht durch die Lamelle ins Freie mehr oder minder stark
eingeschränkt. Hier können Lichtlenklamellen Abhilfe schaffen. Sie sind ebenso, wie
in Abb. 3.9 dargestellt, in einen oberen Teil, der durch eine offene Lamellenstellung Ta-
geslicht in den Raum hinein primär an die Decke leitet, und einen unteren Teil, der die
eigentliche Blendfreiheit für den Raum dahinter generiert, unterteilt. Im Unterschied zu
Standardverschattungen (u. a. Jalousien, Raffstores) können Lichtlenklamellen durch
spezielle Profil der Einzellamellen verschiedene Sonneneinfallswinkel im Tagesverlauf
gezielt reflektieren. Erst bei tieferen Einfallswinkeln als 30° gelangt direktes Sonnen-
licht in den Raum; in diesem Fall muss die Lamelle vom Nutzer leicht geneigt werden.
Den Großteil des Jahres kann die Lamelle jedoch in einer horizontalen Position stehen,
so dass eine gute Aussicht nach draußen gegeben ist. Zusätzlich gibt es die Möglich-
keit, prismatische Lamellen zu installieren; diese reflektieren die direkte Strahlung und
ermöglichen zusätzlich eine sehr gute Aussicht.
222 M. Kaltschmitt et al.

Tabelle 3.12 Abminderungsfaktoren FC für ausgewählte raumseitig oder außenseitig angebrachte


Sonnenschutzvorrichtungen (Al Aluminium) [3.6]
Typ der Sonnen- Optische Eigenschaften Abminderungsfaktor FC
schutzvorrichtung mit Sonnenschutz
Absorption Transmission Raumseitig Außenseitig
Weiße Jalousien 0,1 0,05 0,25 0,10
0,1 0,30 0,15
0,3 0,45 0,35
Weißes Gewebe 0,1 0,5 0,65 0,55
0,7 0,80 0,75
0,9 0,95 0,95
Farbige Gewebe 0,3 0,1 0,42 0,17
0,3 0,57 0,37
0,5 0,77 0,57
Al-beschichtetes Gewebe 0,2 0,05 0,20 0,08

Tabelle 3.12 zeigt exemplarisch Abminderungsfaktoren FC für verschiedene verstell-


bare Sonnenschutzvorrichtungen in Abhängigkeit von ihrer Stellung. Diese Faktoren wer-
den mit dem solaren Gesamtenergiedurchlassgrad g der Verglasung multipliziert, um den
g-Faktor der Verglasung mit dauerhaft angebrachten Behängen zu erhalten. „Dauerhaft“
bedeutet in diesem Zusammenhang „üblicherweise auch tagsüber in Betrieb“ [3.6].
Exemplarisch zeigt Abb. 3.10 die mittels dynamischer Gebäudesimulation berechnete
Raumlufttemperatur eines Gebäudes ohne und mit zwei verschiedenen Verschattungs-
einrichtungen im Verlauf einer Sommerwoche mit Außentemperaturen e zwischen 12
und 27 °C unter Berücksichtigung der passiven solaren Gewinne. Dabei wird bei diesem
Beispiel über 26 °C Raumlufttemperatur eine aktive Kühlung des Gebäudes unterstellt;
deshalb steigen die Raumtemperaturen i nicht über diesen Wert. Deutlich wird u. a.,
dass raumseitig angebrachte Jalousien die Raumlufttemperaturen nur geringfügig senken
können. Mit außenliegenden Jalousien lässt sich demgegenüber die Lufttemperatur im Ge-
bäudeinneren um einige Kelvin reduzieren. Im vorliegenden Fall ist bei der Verwendung
von Außenjalousien sogar keine zusätzliche Kühlung mehr erforderlich.

Fensterintegrierte Verschattungseinrichtungen Verschattungseinrichtungen können auch


in Fenster integriert werden. Dabei können sie feststehend oder variabel gestaltet wer-
den. Solche fensterintegrierten Verschattungssysteme sind zwar nicht so zuverlässig wie
feststehende Verschattungseinrichtungen; sie erlauben jedoch eine glatte Außenoberflä-
che des Gebäudes. Im Vergleich zu außenliegenden beweglichen Verschattungen sind
sie auch unanfällig gegen Windlasten. Aufgrund der teilweisen Absorption der Solar-
strahlung im Scheibenzwischenraum kommt es dort aber zu höheren Temperaturen; dies
wiederum führt bei abgedichteten Scheibenzwischenräumen mit Edelgasfüllung zu sehr
hohen Drücken. Daher werden zumeist innen normale edelgasgefüllte Dreischeibenver-
glasungen, dann ein größerer druckloser Luftspalt (Druckausgleich nach außen) mit der
3 Passive Sonnenenergienutzung 223

30
θi Jalousie aussenseitig
28 θ i Jalousie raumseitig θi ohne Verschattung
26

24
Temperatur in °C

22

20

18

16
θe
14

12

10
4080 4104 4128 4152 4176 4200 4224 4248
Zeit in h

Abb. 3.10 Einfluss der Verschattung durch innenliegende und außenliegende Jalousien (e Außen-
temperatur, i Raumtemperatur) [3.18]

Verschattungseinrichtung und außen eine vierte nach außen öffenbare Glasscheibe vor-
gesehen (Abb. 3.11). Die Öffenbarkeit der Verglasung zur Verschattung ist essentiell, um
Wartungs- und Reparaturarbeiten an der Verschattungseinrichtung durchführen und die
Verglasung um den Luftraum reinigen zu können. Durch die Lage der Verschattung gibt
der bei Einstrahlung aufgeheizte Verschattungszwischenraum seine Wärme primär über
die Einscheibenverglasung nach außen und nur zu einem geringen Teil durch die nach
innen gehende Drei-Scheiben-Wärmeschutzverglasung ab. Manchmal wird auch ein bie-
geschlaffer Behälter zur Aufnahme der Luft aus dem Luftspalt bei Erwärmung eingesetzt.
Letzteres verhindert eine langsame Verstaubung des Zwischenraumes und ermöglicht wie-
derum die Verwendung von Edelgas mit einem erhöhten Wärmedämmeffekt; allerdings ist
dann eine Wartung und / oder Reparatur der Verschattung praktisch unmöglich.
Bei fensterintegrierten Verschattungssystemen sind im Prinzip alle oben beschriebenen
Verschattungssysteme möglich. Insbesondere werden die folgenden Varianten für beweg-
liche Systeme eingesetzt.

 Bewegliche und verstellbare Raffstore. Diese Variante wird bereits von vielen Fenster-
herstellern sowohl als Einzelfenster als auch als Fassadenelement am Markt angeboten.
 Lichtlenksysteme. Diese Systeme sind aufgrund der höheren Kosten nur fallweise am
Markt anzufinden.

Für feststehende Systeme sind ebenfalls unterschiedliche Funktionsprinzipien möglich.

 Lichtwellenleiter. Hier werden gekrümmte Acrylglas-Elemente aus Polymethylmeth-


acrylat (PMMA) parallel in den Scheibenzwischenraum eingelassen. Das einfallende
224 M. Kaltschmitt et al.

Abb. 3.11 Fensterintegrierte


Verschattungseinrichtung mit
beweglichen Raffstore [3.18]

Licht erfährt eine Mehrfachreflexion im Inneren des Leiters, die zu einer Richtungsän-
derung führt (Abb. 3.12, links). Der Transmissionsgrad beträgt ca. 60 % und das Licht-
spektrum wird nicht verändert. Eine Durchsicht ist allerdings nicht möglich [3.17].
 Mikroraster. Ein sehr feines, in den Scheibenzwischenraum integriertes, Reinstalu-
miniumgitter ist so geformt, dass Sonnenlicht aus steilen Winkeln nicht passieren
kann (Abb. 3.12, Mitte). Das Ergebnis ist eine blendfreie Tageslichtbeleuchtung,
die begrenzt sichtdurchlässig ist. Eine Lenkung des einfallenden Lichts findet nicht
statt [3.19].
 Kapillarsystem. Im Scheibenzwischenraum eingebaute Kapillarröhrchen leiten dif-
fuses Licht nach innen und streuen es, um Blendungen weitgehend zu vermeiden
(Abb. 3.12, rechts). Diese Röhrchen können weiß oder auch transparent sein; dadurch
kann die Lichtfarbe beeinflusst werden. Die Röhrchen unterbinden einen konvektiven
Wärmeaustausch zwischen den Scheiben; dadurch können geringe U -Werte erreicht
werden. Der Ausblick ist wie bei opakem Weißglas begrenzt [3.19].

Weitere Funktionen der Verschattungseinrichtung Ein weiteres sehr kostengünstiges Ele-


ment der Vermeidung des sommerlichen Überwärmeschutzes ist die Nachtlüftung über
geöffnete Fenster. Sinkt die Außentemperatur in der Nacht unter die Raumtemperatur
ab, kann durch den erhöhten Luftwechsel über die geöffneten Fenster der Raum mit sei-
nen thermischen Speichermassen abgekühlt werden. Dadurch heizt sich der Raum am
nächsten Tag von einer geringeren Temperatur ausgehend auf. Somit kann bei richtiger
Auslegung eine aktive Kühlung auch in Bürogebäuden gänzlich vermieden werden. Die
3 Passive Sonnenenergienutzung 225

Abb. 3.12 Fensterintegrierte Verschattungsmöglichkeiten (links: Lichtwellenleiter [3.17], Mitte:


Mikroraster [3.19], rechts: Kapillarsystem [3.19])

Fensternachtlüftung hat allerdings einige Restriktionen und Anforderungen an die Kon-


struktion des Gebäudes.

 In Städten mit Wärmeinseleffekt oder in extremen Hitzeperioden wird die Nachttem-


peratur nicht ausreichend absinken.
 Das Gebäude benötigt thermische Speichermassen, eine gute Verschattung sowie rich-
tig ausgelegte und ausgerichtete Fensterflächen, um nach einem „kühlen Start“ nur
langsam aufzuheizen.
 In Wohnräumen ist nachts der Außen- / Straßenlärm oft ein limitierender Faktor.
 Eine Windbremse, ein horizontaler Schlagregenschutz und der Einbruchschutz bei ge-
öffnetem Fenster muss sicher gewährleistet sein. Diese Funktionen könnte die Ver-
schattung übernehmen. Funktionell tun dies z. B. Fensterläden oder Schiebeläden.

Absorber und Speicher Während bei aktiven Solarsystemen Absorber und Speicher als
technische Komponenten ausgeführt werden, sind sie bei passiven Systemen im Regel-
fall ein integraler Bestandteil der Gebäudekonstruktion. Als Absorberoberflächen eines
Systems zur passiven Solarenergienutzung dienen damit die Wand- oder Dachflächen, die
von der solaren Strahlung erreicht werden (u. a. Gebäudeaußenflächen, Raumumschlie-
ßungsflächen). Die innen liegenden Teile der Gebäudekonstruktion (d. h. die die Räume
umgebenden Fußböden, Decken und Innenwände) wirken dann als Wärmespeicher. Des-
halb sollten immer gut absorbierende Raumoberflächen und eine auf das Solarsystem
abgestimmte und gut die Wärme speichernde Gebäudekonstruktion angestrebt werden.
Die klassische Form der passiven Sonnenenergienutzung ist ungeregelt. Die durch die
Sonne aufgewärmten Speichermassen des Hauses geben die Wärme – zeitlich versetzt
zur solaren Einstrahlung und in der Amplitude abgeschwächt – ohne Einflussnahme des
Benutzers an den Innenraum ab. Bei derartigen passiven Speichern muss deshalb da-
rauf geachtet werden, dass keine zu hohen Temperaturen in den zu beheizenden Räumen
226 M. Kaltschmitt et al.

24
17 h

19 h
23
15 h

21 h
22
Temperatur in °C
13 h 19 h
17 h 23 h
11 h

21 23 h
9h
13 h
5h 7h
20
7h

1h
19
5h
Außen- Innen-
Wand bereich
bereich 3h
18
0 0,1 0,2 0,3 0,4
Wanddicke in m

Abb. 3.13 Temperaturverlauf einer Innenwand mit Einstrahlung und wechselnder Temperatur an
einer Seite (linke Wandseite) (die dargestellte Wand hat eine Dicke von rund 0,33 m; links von der
Wandoberfläche zur Raumseite hin befindet sich die Raumluft, deren Temperatur im Tagesverlauf
entsprechend der Sonneneinstrahlung variiert) [3.18]

auftreten können. Dazu müssen die zeitliche Verzögerung und die Dämpfung des Wär-
meflusses durch den passiven Speicher bekannt sein. Auch müssen zur Verminderung der
Energieaufnahme im Sommer meist zusätzlich (passive oder aktive) Abschattungseinrich-
tungen bzw. eine Fensternachtlüftung vorgesehen werden.
Indirekt beheizte Speichermassen (z. B. Innenwände, die nicht der Solarstrahlung aus-
gesetzt sind und nur durch die Aufnahme bereits vorher absorbierter und in Wärme um-
gewandelter emittierter Wärmestrahlung aufgeheizt werden) können nur dann sinnvoll
genutzt werden, wenn entsprechende Schwankungen in der Raumtemperatur zugelassen
werden. Bei hohen Raumtemperaturen fließt dabei die Wärme langsam in die Speicher-
masse und heizt diese vom Raum her allmählich auf. Sinken demgegenüber die Raumtem-
peraturen unter die Oberflächentemperatur der Speichermasse, gibt diese die gespeicherte
Wärme wieder an den Raum ab.
Abb. 3.13 zeigt exemplarisch die Raum- und Wandtemperaturen für eine Innenwand
aus Beton (Speicherwand) im Verlauf von 24 Stunden; innerhalb dieses Zeitraums variiert
die Temperatur um 6 K auf einer Raumseite. Die in der Wand in diesem Zeitraum unter den
zugrunde gelegten Randbedingungen gespeicherte und wieder abgegebene Energiemenge
beträgt dabei 0,076 kWh/(m2 d). Eine signifikante Änderung der Temperatur ist dabei nur
bis in ca. 15 cm Wandtiefe festzustellen. Diese hier betrachtete Wand dicker auszuführen
führt demnach zu keiner weiteren Wärmespeicherung.
Besondere Bedeutung kommt dabei den Speichermassen im Gebäude bei der Vermei-
dung der sommerlichen Überwärmung zu. Liegen die Nachttemperaturen unter 26 °C, was
3 Passive Sonnenenergienutzung 227

in Mitteleuropa im Regelfall gegeben ist, kann die Speichermasse im Gebäudeinneren


in der Nacht abgekühlt werden und durch die Wärmeaufnahme tagsüber den Tempera-
turanstieg im Gebäude dämpfen. Dann kann eine aktive Kühlung verringert oder sogar
vermieden werden. Aber auch die Außenwand kann zur Wärmespeicherung herangezo-
gen werden; sie muss dann aber entsprechend massiv ausgebildet werden. Als Absorber
dient in diesem Fall die äußere Wandoberfläche, die mit schwarzer Farbe gestrichen oder
mit Absorberfolie beklebt wird.
Eine weitere Möglichkeit zur Erhöhung der Speichermassen im Gebäude – bei nur
geringer Gewichtszunahme – stellen in die Gebäudehülle integrierte Phasenwechselma-
terialien (Phase Change Materials, PCM) dar, die in den Innenputz, in Gipskartonplatten
oder in die Zwischendecke eingebettet werden können. Als Materialien eignen sich im
Wesentlichen die Stoffgruppen der Paraffine und der Salzhydrate. Beide Stoffgruppen
zeichnen sich durch eine hohe Wärmespeicherkapazität aus. Werden sie in die Gebäu-
dehülle integriert, speichern sie zunächst solar auf das System treffende Wärme sensibel
(d. h. in Form eines Temperaturanstiegs). Wird dann die Schmelztemperatur des Pha-
senwechselmaterials erreicht und beginnt damit der Schmelzvorgang, wird die ab dann
auftreffende Solarstrahlung bzw. die solare Wärme in latenter Form (d. h. ohne Tem-
peraturanstieg) gespeichert. Dies ist so lange der Fall, bis das Phasenwechselmaterial
vollständig geschmolzen ist. Zum einen hat dies den Vorteil geringer Wärmeverluste.
Zum anderen werden durch diesen Vorgang Temperaturspitzen im Innenraum abgefan-
gen und in Zeiten geringerer solarer Einstrahlung verschoben. Der Phasenwechselpunkt
dieser Materialien liegt bei ca. 23 °C, sodass die Wand bei Unterschreiten dieser Tempe-
ratur in der Nacht viel Wärme abgeben und am nächsten Tag bei Überschreiten dieser
Temperatur wieder viel Wärme aufnehmen kann. Liegen die Temperaturen allerdings im-
mer unter oder immer über dem Phasenwechselpunkt, tritt dieser Effekt nicht auf und
die Wand reagiert wie ein normaler Baustoff. Die üblicherweise in der Nacht stattfinden-
de Regeneration (d. h. die vollständige Erstarrung des Phasenwechselmaterials) ist also
unabdingbar für die erfolgreiche Anwendung dieser Materialien in einem Gebäude. Im
Bestfall hat eine 1 cm Gipskartonwand mit einem integrierten mikroverkapselten Phasen-
wechselmaterial die gleiche Speichereigenschaft wie eine 10 cm dicke Betonwand. Sind
die speicherfähigen Baustoffe aber bereits ein integraler Bestandteil der Baukonstruktion
lohnt sich der Einsatz von Phasenwechselmaterialien zumeist nicht.
Derartige Phasenwechselmaterialien können auf drei Arten in das Gebäude integriert
werden.

 Makroverkapselte Phasenwechselmaterialien. Hier werden Stoffe aus der Material-


gruppe der Paraffine oder der Salzhydrate in eine makroskopische Hülle integriert
(z. B. Plastikbeutel, flache Kunststoff- oder Metallbehälter). Derartige Behälter mit die-
sem Phasenwechselmaterial werden dann zumeist in eingezogene Decken zwischen der
eigentliche Decke und der abgehängten Decke eingebaut; üblicherweise kommen sie
nicht in der Wandkonstruktion zum Einsatz.
228 M. Kaltschmitt et al.

 Mikroverkapselte Phasenwechselmaterialien. Infolge der Mikroverkapselung können


diese Phasenwechselmaterialien (PCM) in spezielle Baustoffe integriert werden, wie
es bei Makroverkapselungen nicht möglich ist. Dazu werden sehr kleine PCM-Kap-
seln im Mikrometerbereich hergestellt, die mit einem Hüllmaterial beschichtet wer-
den. Dafür kommen verschiedene Stoffe in Frage (z. B. Melaminharz, Gelatine-Gummi
Arabicum [3.20], Polymethylmethacrylat (PMMA) [3.21]). Diese derart hergestellten
Mikroverkapselungen werden in ein entsprechendes Trägermaterial eingebettet (z. B.
Gipskartonplatten, herkömmlicher Putz), das als Baustoff verwendet werden kann.
Dadurch können mikroverkapselte Phasenwechselmaterialien auch in der Wandkon-
struktion angebracht werden.
 Phasenwechsel-Verbundmaterialien. Hier wird das Phasenwechselmaterial direkt in die
Trägermatrix eines herkömmlichen Baumaterials eingebracht. Dies geschieht bei Par-
affinen z. B. durch Absorption des flüssigen Material an der Oberfläche eines konven-
tionellen Baustoffs. Als Trägermaterialien kommen Beton, Gipston oder auch Mine-
ralwolle in Frage. Abhängig vom Trägermaterial können unterschiedlich hohe Anteile
des Phasenwechselmaterials in den jeweiligen Baustoffen erreicht werden.

Bei allen diesen Systemen ist der Absorber mit dem Speicher identisch. Beide Kom-
ponenten können aber auch räumlich getrennt werden. Die Absorberfunktion wird dann
beispielsweise von einem schwarzen, ggf. selektiv beschichteten, Blech übernommen. Der
Wärmeträger (z. B. Warmluft) wird dann über einen Kanal oder ein aufwändiges Luft-
leitungssystem zu einem Speicher transportiert. Der Speicher kann ebenfalls Bestandteil
der Gebäudekonstruktion sein (z. B. wenn er als Hohldecke oder zweischalige Wand aus-
gebildet wird). Alternativ und / oder additiv dazu können auch spezielle Speicher in das
Gebäude integriert werden (z. B. Geröllspeicher); sie erbringen – im Unterschied zu der
anderen Variante – aber keinen „Doppelnutzen“, da sie nicht zur Baukonstruktion zählen.

3.2.2 Funktionale Systeme

In realen Systemen treten in der Regel Kombinationen der oben beschriebenen System-
komponenten auf. Abhängig von Ausbildung und Anordnung der einzelnen Komponenten
können unterschiedliche funktionale Systemgrundtypen, die aber z. T. ineinander überge-
hen, unterschieden werden. Diese werden im Folgenden beschrieben.

Direktgewinnsysteme Sonnenlicht tritt durch lichtdurchlässige Hüllflächen direkt in den


Raum und wird an den inneren Raumoberflächen in Wärme gewandelt (Abb. 3.14). Da
transparente Oberflächen in der Regel in Wände und Dächer (d. h. absorbierende und
speichernde Gebäudeteile) integriert sind (Ausnahme: Glasfassaden o. ä.), findet neben
dem schnellen Wärmeeintrag durch transparente Oberflächen und der zeitlich versetz-
ten Absorption im Rauminneren ein langsamerer Wärmeeintrag durch Absorption und
Speicherung der Außenwände statt. Letzterer ist im Direktgewinnsystem in der Regel
3 Passive Sonnenenergienutzung 229

Abb. 3.14 Varianten von Fenster Glasanbau


Direktgewinnsystemen
(nach [3.22])

Oberlicht

aber deutlich kleiner als der Wärmegewinn durch transparente Oberflächen. In derarti-
gen Systemen werden meist zusätzlich Verschattungseinrichtungen für die transparenten
Oberflächen eingebaut, um bei zu hoher Einstrahlung die solaren Gewinne zu begren-
zen. Dementsprechend handelt es sich bei Direktgewinnsystemen um eine Kombination
aus den genannten Systemkomponenten, bei denen transparente Abdeckungen als größte
Quelle für die Nutzung der solaren Gewinne im Fokus stehen.
Vorteile derartiger Systeme sind ein einfacher Systemaufbau, der geringe Regelauf-
wand sowie die niedrigen Speicherverluste, da der größte Teil der Strahlungsenergie im
Rauminneren und damit direkt am Ort der Nutzung in Wärme gewandelt wird. Nachteilig
kann sich die geringe Phasenverschiebung zwischen Einstrahlung und Innentemperatur
auswirken. Direktgewinnsysteme lassen sich nur über eine Verschattung regeln, denn die
Wärmeabgabe der Speichermassen an den Raum ist nicht beeinflussbar. Im Sommer kann
es aber – je nach Fensterflächenanteil – auch bei Vorhandensein einer Verschattung zu
Überhitzungen kommen, die entweder akzeptiert werden (müssen) oder denen durch In-
stallation einer mechanischen Kühlung entgegengewirkt werden kann.
Die Anwendung von Direktgewinnsystemen ist folglich besonders sinnvoll, wenn Wär-
menachfrage und Einstrahlung zeitgleich auftreten, wie dies beispielsweise im Winter der
Fall ist. Hier zeigt sich allerdings immer auch der parallele Effekt, dass im Sommer keine
Wärme benötigt wird, aber die Solargewinne trotzdem ins Gebäude eingetragen werden;
dies kann dann zu entsprechenden Überhitzungen führen. Wird aus Nachhaltigkeits- und
Energieeffizienzgründen das Ziel verfolgt, auf eine aktive Kühlung im Sommer zu ver-
zichten, sollten der Fensterflächenanteil, die Ausrichtung der Fenster, die Verglasungsqua-
lität und die Verschattung so gewählt werden, dass die (unvermeidbaren) Überhitzungen
auf ein tolerierbares Maß reduziert werden.
Direktgewinnsysteme eignen sich außerdem zur Kombination mit Tageslichtsystemen
zur Einsparung von Beleuchtungsenergie.

Indirekte Gewinnsysteme Bei indirekten Gewinnsystemen (Solarwand) wird solare


Strahlung an der vom Raum abgewandten Seite eines Speicherbauteils (der Solarwand)
230 M. Kaltschmitt et al.

Abb. 3.15 Varianten von So- Solarwand Solarwand mit Glasanbau


larwandsystemen (nach [3.22])

Solarwand mit Konvektionsunterstützung

in Wärme gewandelt. In dieser Solarwand fließt die Energie durch Wärmeleitung zur
raumseitigen Oberfläche des Speichers und wird dort an die Raumluft abgegeben. Innen-
temperatur- und Einstrahlungsveränderung sind durch die erforderliche Wärmeleitung
phasenverschoben. Diese Phasenverschiebung kann durch das jeweils eingesetzte Spei-
cherbauteilmaterial und die entsprechende Materialdicke beeinflusst werden. Wird die
Solarwand zusätzlich mit einer transparenten Abdeckung kombiniert, kann die Wärmeab-
gabe nach außen reduziert werden, da ohne eine transparente Abdeckung ein großer Teil
der absorbierten und umgewandelten Energie an die Außenluft abgegeben werden würde
und damit verloren wäre.
Abb. 3.15 zeigt drei verschiedene Möglichkeiten für die Installation einer derartigen
Solarwand. Die beiden oberen Varianten unterscheiden sich nur in der transparenten Ab-
deckung, während bei der unteren Variante (konvektionsunterstütztes System oder auch
Trombe-Wand) eine Solarwand verwendet wird, die einen Konvektionsluftstrom erzeugt,
der eine Luftzirkulation und damit eine im Vergleich zu den beiden anderen Optionen
verbesserte Wärmeübertragung ermöglicht.
Auch bei indirekten Gewinnsystemen werden Verschattungseinrichtungen installiert,
die bei zu hoher Einstrahlung die solaren Energiegewinne reduzieren sollen. Dement-
sprechend ist auch das indirekte Gewinnsystem eine Kombination aus allen genannten
Systemkomponenten, bei dem aber der Fokus auf die Absorption und Speicherung von
Strahlungsenergie gelegt wird.
Vorteile von Solarwandsystemen sind ihr einfacher Systemaufbau, die phasenverscho-
bene Raumerwärmung und die gegenüber Direktgewinnsystemen geringere Raumtem-
peraturamplitude. Nachteilig wirken sich die im Vergleich zum Direktgewinnsystem er-
höhten Wärmeverluste nach außen aus. Der Wärmeeintrag kann nur über entsprechende
Verschattungseinrichtungen geregelt werden; ist die Einstrahlung vom Speicherbauteil ab-
sorbiert, lässt sich die Wärmeabgabe an den dahinter liegenden Raum praktisch nicht
mehr beeinflussen. Bei konvektionsunterstützten Systemen muss zudem die Innenseite
der transparenten Abdeckung gereinigt werden können, da sich Raumluft und Heizluft
vermischen.
3 Passive Sonnenenergienutzung 231

Die Kombination von transparenten Abdeckungen und Absorbern bzw. Speichern eig-
net sich gut zur weiteren Verlängerung der Wärmeabgabe in den Raum. Vor allem bei eher
kontinuierlicher Wärmenachfrage (z. B. Wohnungen) bringen solche Systemkombinatio-
nen Vorteile.

Wärmedämmsysteme Die auf eine opake (lichtundurchlässige) Dämmung auftreffende


Solarstrahlung kann nur zu einem geringen Teil genutzt werden (Abb. 3.16, links). Bei
der Absorption der Solarstrahlung kann sich die Außenoberfläche der Dämmung zwar er-
wärmen. Wegen der geringen Wärmeleitfähigkeit dieser Dämmschicht gelangt aber auch
bei großen Temperaturdifferenzen (zwischen Innen- und Außenraum) nur relativ wenig
Wärme nach innen (d. h. durch die Wärmedämmung werden Wärmeverluste, aber auch
potenzielle solare Wärmegewinne reduziert bzw. verhindert).
Im Gegensatz dazu wird bei einem transparent gedämmten Bauteil ein großer Teil der
kurzwelligen Solarstrahlung durch die durchscheinende Dämmschicht hindurch gelassen
(transmittiert) und am schwarz beschichteten Bauteil (d. h. an der äußeren Seite des Bau-
werks), das in diesem Fall als Absorber wirkt, in Wärme umgewandelt (Abb. 3.16, rechts).
Bedingt durch die hohe Durchlässigkeit des transparenten Dämmmaterials für sichtbare,
kurzwellige Solarstrahlung wird dabei ein Großteil der Wärme nach der Absorption und
Umwandlung in die Speicherwand geleitet und steht damit als Wärmequelle zur Verfü-
gung.
Exemplarisch zeigt Abb. 3.17 den zeitlichen Verlauf der Temperaturen und der ent-
sprechenden Wärmestromdichten sowie den U -Wert (Wärmedurchgangskoeffizient) und
den äquivalenten U -Wert (Ueq ) für einen beispielhaften Wandaufbau mit TWD (transpa-
rente Wärmedämmung) an einem kalten und nebligen Wintertag mit Hochnebel. Dadurch
ist eine geringe und ausschließlich diffuse Einstrahlung über 8 Stunden im Tagesverlauf
(24 Stunden) gegeben. Um die am Absorber (d. h. an der Gebäudewand) entstehende Wär-
me möglichst gut nach innen ableiten zu können (Nutzen) und somit die Maximaltempe-
raturen nicht zu hoch werden zu lassen, muss die Gebäudewand hinter der TWD aus Bau-
stoffen mit großer Wärmeleitfähigkeit und hoher Speicherfähigkeit ausgeführt werden.

solare Einstrahlung solare Einstrahlung

Wärmegewinn Wärmegewinn
Wärmeabgabe
Wärmeabgabe

Verlust durch Streuung


Reflexion und Reflexion

Speicherwand
Massive Wand Absorptionsschicht
Dämmung Luftspalt, fallweise
TWD-Material

Abb. 3.16 Vergleich von opaker (links) und transparenter Wärmedämmung (rechts) (TWD transpa-
rente Wärmedämmung)
232 M. Kaltschmitt et al.

Abb. 3.17 Temperaturver- 25


lauf in einem System Glas – TWD Speicherwand
TWD – Luft – Absorber – 20 15 h
Betonwand an einem kal-
ten und nebligem Wintertag 9h
15
(TWD transparente Wärme-

Glasscheibe
Temperatur in °C

Absorber
dämmung) [3.18]
10
k -Wert 0,527
U-Wert 0,527 2 K)
W/m²K
W/(m
Ukeqeq-Wert
-Wert0,267
0,267W/(m 2 K)
W/m²K
5
Sonneneinstrahlung auf
Sonneneinstrahlung auf
Absorber 0,2 2 d)
Absorber 0,2kWh/(m
kWh/m²d
0
15 h
0 0,1 0,2 0,3 0,4
-5 3h Energiefluss
Energiefluss Energiefluss
Energiefluss
7h
kWh/(m2 d)
0,35 kWh/m²d 0,16 kWh/(m
0,16 2 d)
kWh/m²d
-10
Wanddicke in m

Dies bedeutet jedoch eine schlechte Wärmedämmung. Daher sind die Gesamt-U -Werte
einer TWD-Wand meistens höher als für eine konventionell gedämmte Wand. Nachts hat
diese Wand daher, wenn die Speichermassen bereits ausgekühlt sind, höhere Verluste als
eine konventionell gedämmte Wand. Die Wärmegewinne überkompensieren jedoch bei
gut ausgeführten TWD-Wänden diese Verluste in der Nacht, so dass die äquivalenten
U -Werte (Ueq ) (unter Berücksichtigung der solaren Gewinne) zumeist niedriger oder so-
gar negativ (Nettowärmegewinn) sind. In dem in Abb. 3.17 dargestellten exemplarisch
ausgewählten Beispiel liegt der U -Wert bei 0,527 W/(m2 K) und der äquivalente U -Wert
(Ueq ) an diesem ungünstigen Tag bei 0,267 W/(m2 K). Dies dürfte jedoch für eine bau-
rechtliche Zulassung nicht als Argument akzeptiert werden.
Bei Südorientierung und weitgehender Verschattungsfreiheit können durch TWD-So-
larwandsysteme z. B. jährliche Nutzenergieeinsparungen von etwa 350 bis 400 MJ/(m2 a)
bzw. 100 bis 110 kWh/(m2 a) bezogen auf die solare Aperturfläche im Vergleich zu üb-
lichen opaken Dämmsystemen (z. B. Wärmeverbundsystem oder vorgehängte und hinter-
lüftete Fassaden) erreicht werden. Bei speziellen Nutzungen mit hohen Innentemperaturen
werden Energieeinsparungen von mehr als 700 MJ/(m2 a) bzw. 200 kWh/(m2 a) erreicht.
Demnach handelt es sich bei transparenten Wärmedämmsystemen um ein funktionales
System aus den Komponenten transparente Abdeckung und Absorber / Speicher, die bei-
de eine in etwa gleich wichtige Stellung einnehmen und nur in der Kombination richtig
wirken können.

Wintergärten Wintergärten sind eine Kombination aus direkten und indirekten Gewinn-
systemen. Der eigentliche Wintergarten wird hauptsächlich durch direkte solare Gewinne
erwärmt. Da er oft als Wohnraum genutzt wird, kann man von einem Direktgewinnsystem
3 Passive Sonnenenergienutzung 233

Abb. 3.18 Funktionsweise


eines Wintergartens [3.18]
Sonne

21. Juni

21. Dezember Heizperiode:


Luftklappen,
Fenster (händisch
oder automatisch
Sommerfall: geregelt)
Luftklappen, Fenster Winter-
(händisch oder garten
automatisch geregelt)

sprechen. Die eigentlichen Wohnräume des Hauses werden im Gegensatz dazu durch die
solar erwärmte Luft aus dem Wintergarten beheizt; dementsprechend handelt es sich hier
um ein indirektes Gewinnsystem.
Bekanntestes Beispiel ist der unbeheizte Wintergarten, dessen Türen zum Wohnraum
dann geöffnet werden, wenn eine Heizenergienachfrage besteht und der Wintergarten ei-
ne höhere Temperatur als der angrenzende Wohnraum hat. Ein Wintergarten über zwei
oder mehr Stockwerke kann zudem für eine Luftumwälzung im Haus genutzt werden
(Abb. 3.18). Im Winter treten dabei Mindesttemperaturen um die 0 °C auf. Im Sommer
sollte die Wärme aus dem Wintergarten nach draußen abgegeben werden können, da sonst
sehr hohe Temperaturen (bis weit über 50 °C) auftreten können; insbesondere bei schräg
verglasten und nach Süden ausgerichteten Wintergärten ist aufgrund der zur Dachfläche
senkrechten Einstrahlung im Sommer ein sehr hoher Solarertrag gegeben. Deshalb sollten
auch keine schräg verglasten Wintergärten gebaut werden und das Dach sollte gut ge-
dämmt sein. Zudem ist es ungünstig, den Wintergarten nach Ost oder West auszurichten;
im Winter fällt dann nur eine geringe nutzbare solare Einstrahlung auf diese Flächen und
im Sommer ist eine Abschattung nur mit Jalousien, aber nicht mit einem Dachüberstand,
erreichbar.
Ein gut ausgelegter und optimal geregelter Wintergarten liefert über die Heizperiode
gleich viel oder etwas mehr Energie ans Haus, wie das Haus an ihn abgibt. Neben der
passiven Nutzung der Sonnenenergie senken unbeheizte Wintergärten auch die Heizlast
des Gebäudes, da das System Wand – Wintergarten – Wand im Normalfall einen kleineren
U -Wert (Wärmedurchgangskoeffizient) hat als die reine Außenwand. Ein beheizter als
Wohnraum genutzter Wintergarten zeigt hingegen aufgrund der großen Verglasungsfläche
mit einem hohen U -Wert im Normalfall erhöhte Wärmeverluste.
234 M. Kaltschmitt et al.

Abb. 3.19 Temperaturver-


lauf in einem Wintergarten θ Wi

Temperatur in °C
im Sommer (zur Erklärung θ Fb θ De
der Formelzeichen siehe
Text) [3.23]
θe
θi

Im Sommer kommt es in Wintergärten, auch wenn sie durch Dachüberstände fix ver-
schattet sind, oft zu Übertemperaturen. Abb. 3.19 zeigt beispielhaft den Verlauf der Tem-
peraturen eines Wintergartens (W i ) nach Abb. 3.18, den der Wohnraumtemperaturen (i ),
den der Außentemperaturen (e ) und den der Fußboden- (F b ) und Deckentemperaturen
(De ) in einem Haus mit Fußbodenheizung an drei schönen Sommertagen. Trotz einer
zugrunde gelegten hohen Luftwechselrate nach außen steigt demnach die Temperatur im
Wintergarten auf über 40 °C an. Die dahinterliegende Wohnraumtemperatur liegt aber ma-
ximal bei 30 °C.
Wintergärten können auch als Verkehrsflächen (Flure) in Mehrfamilienhäusern genutzt
werden, da hier Raumtemperaturschwankungen eher akzeptabel sind als in Wohnräumen.
Bei solchen hohen freien Räumen muss jedoch auf die Temperaturverteilung im Winter-
garten geachtet und es müssen eventuelle Naturzirkulations-Luftströmungen berücksich-
tigt werden. Zumeist sind deshalb unten und oben mit Klappen versehene Öffnungen ins
Freie vorhanden; sie dienen zum Einlassen von Frischluft bzw. zum Auslassen von zu
stark aufgewärmter Luft ins Freie.

Funktionale Systeme mit aktiven Komponenten Bei kombinierten Solarsystemen sind


einige Systemkomponenten keine Bestandteile der Gebäudekonstruktion (z. B. Wärme-
transporteinrichtungen, Ventilatoren). Sie zählen vielmehr zur Anlagentechnik. Deshalb
ist hier eine eindeutige Abgrenzung gegenüber aktiven Systemen nicht immer möglich.
Bei derartigen kombinierten Systemen wird die solare Einstrahlung an einer vom Raum
thermisch isolierten Absorberfläche in Wärme umgewandelt (Abb. 3.20). Die Solarwär-
me wird dann über ein Kanalsystem mit dem Wärmeträger Luft in einen Wärmespeicher
geleitet, der entweder ein integraler Bestandteil der Gebäudekonstruktion oder ausschließ-
lich eine technische Zusatzkomponente sein kann (oder eine Kombination aus den beiden
Möglichkeiten). Hohldecken oder zweischalige Wände sind Beispiele für Speicher als Ge-
bäudebestandteile; Geröllspeicher oder Wasserspeicher sind dagegen bereits technische
Anlagen, die von der Gebäudekonstruktion unabhängig sind.
Erfolgt bei solchen Systemen der Wärmeaustausch ausschließlich konvektiv (d. h. oh-
ne Hilfsaggregate) und ist der Speicher ein integraler Bestandteil des Gebäudes, ist die
Zuordnung zu ausschließlich passiven Solarenergiesystemen eindeutig. Dienen Ventilato-
3 Passive Sonnenenergienutzung 235

Abb. 3.20 An der Ge-


bäudehülle angebrachtes

transparente Abdeckung
Solarsystem mit aktiven Kom-
ponenten (nach [3.22])
Absorber

Geröllspeicher

ren der Umwälzung, spricht man auch von semi-passiven Systemen. Die Wärmeabgabe
an den Raum lässt sich dann bei thermisch gedämmten Speichern unabhängig von der
Absorber- bzw. Speichertemperatur regeln.
Demnach treten bei kombinierten Solarsystemen sowohl transparente Oberflächen als
auch Absorber und Speicher als Systemkomponenten auf. Sie ähneln sehr den indirekten
Gewinnsystemen, weisen aber im Gegensatz zu diesen eine räumlich entkoppelte Absorp-
tion und Speicherung auf.
Der entscheidende Vorteil von kombinierten Systemen ist ihre gute Regelfähigkeit.
Aufgrund der Wärmedämmung zwischen Absorber und Innenraum sind außerdem die
nächtlichen Wärmeverluste gering. Dem stehen als Nachteile hohe bauliche Aufwen-
dungen, die Empfindlichkeit gegenüber Defekten (z. B. Undichtigkeiten) und die hohen
Temperaturen im Absorber entgegen.
Thermisch abgekoppelte Systeme eignen sich für Einsätze mit großen Phasenverschie-
bungen zwischen Einstrahlung und Wärmenachfrage. Sie sind auch vorteilhaft für solche
Gebäude, in denen separate Wärmespeicher bereits vorhanden sind oder einfach in die
Gebäudekonstruktion integriert werden können.

3.3 Potenziale und Nutzung

Wolfgang Streicher und Martin Kaltschmitt

Die Systeme der passiven Sonnenenergienutzung können, zur Reduzierung der Energie-
nachfrage von Gebäuden, sowohl für Heizung und Kühlung als auch für die Tageslicht-
nutzung verwendet werden. Um dies zu erreichen, ist eine gemeinsame Planung von
Hausherr, Architekt sowie Haus- und Heizungstechniker von größter Bedeutung.
Die Planung beginnt bei der Auswahl des Grundstücks und der Lage des Hauses auf
diesem Grundstück. Während die Sonne im Winter möglichst ungehindert auf die Absor-
berfläche des Hauses strahlen sollte, ist im Sommer zumeist eine Abschattung vorzusehen,
um Überhitzungen zu vermeiden. Die Absorberflächen sollten daher nach Süden (˙15°)
ausgerichtet sein. Damit lässt sich einerseits in der Heizperiode ein hoher Energiegewinn
236 M. Kaltschmitt et al.

und eine passive Sonnenenergienutzung und andererseits eine sommerliche Abschattung


durch geeignete Dachüberstände erreichen.
Vor diesem Hintergrund ist die Abschätzung der Potenziale einer passiven Solarener-
gienutzung und deren Nutzung für Deutschland sehr schwierig und kaum durchführbar,
da eine Abgrenzung zwischen dem, was dem Gebäude anzulasten ist, und dem, was ei-
ner passiven Sonnenenergienutzung zuzurechnen ist, typischerweise nicht eindeutig und
i. Allg. fließend ist. Im Folgenden können deshalb die Potenziale nur qualitativ diskutiert
werden. Dies gilt auch für die derzeitige Nutzung. Hinzu kommt, dass eine nachträgliche
verbesserte passive Solarenergienutzung im vorhandenen Gebäudebestand kaum möglich
ist.

3.3.1 Potenziale

Um beispielhaft das Potenzial der passiven Solarenergienutzung mittels transparen-


ter Wärmedämmung (TWD) abzuschätzen, kann davon ausgegangen werden, dass in
Deutschland jährlich eine Fassadenfläche von 30 bis 40 Mio. m2 wärmegedämmt wird.
Wird unterstellt, dass von dieser Gesamtfläche 5 bis 10 % geeignet orientiert und wenig
verschattet sind, ergibt sich ein technisches Potenzial von 1,5 bis 4 Mio. m2 Fassa-
denfläche jährlich. Durch eine transparente Wärmedämmung werden zwischen 150 bis
350 MJ/(m2 a) im Vergleich zu einer opaken Wärmedämmung eingespart; damit ergeben
sich Raumwärmeeinsparungen von 0,2 bis 1,4 PJ/a.
Das Potenzial bisher unsanierter Gebäudefassaden beträgt in Deutschland etwa 5 bis
6 Mrd. m2 . An diesen Fassaden könnte durch eine passive Solarenergienutzung ein Raum-
wärmeeinsparpotenzial von 38 bis 210 PJ/a erschlossen werden, wenn geeignete Flächen
statt opak wärmegedämmt passiv solar genutzt würden.

3.3.2 Nutzung

Die Wärmenachfrage in Gebäuden wird heute schon zu 15 bis 20 % durch Solarstrahlung


durch die Fenster gedeckt. Diese Gewinne werden nur indirekt bei der Berechnung der
Heizwärmenachfrage nach Gleichung (3.17) berücksichtigt und die werden auch nur sel-
ten als Solargewinne ausgewiesen; dies liegt beispielsweise darin begründet, dass Fenster
der natürlichen Belichtung, dem visuellen Kontakt mit der Außenwelt und der Gestaltung
von Gebäuden dienen und nicht zwingend primär unter Aspekten der passiven Solarener-
gienutzung gesehen werden. Zudem muss berücksichtigt werden, dass Fenster auch große
Wärmeverluste verursachen. Erst durch die Einführung der Wärmeschutzverglasung wer-
den die Wärmegewinne durch die ein nach Süden ausgerichtetes Fenster passierende
Solarstrahlung größer als die Wärmeverluste. Bei Dreischeibenverglasungen können be-
reits nach Osten und nach Westen ausgerichtete Fensterflächen netto positiv bilanzieren
(vgl. Tabelle 3.4).
3 Passive Sonnenenergienutzung 237

Abgesehen von der üblichen Befensterung von Gebäuden werden bisher passive So-
larsysteme nur in einem verschwindend geringen Umfang eingesetzt. Glasanbauten (Win-
tergärten) im Wohnungsbau werden zwar oft in Ein- oder Zweifamilienhäuser integriert.
Ziel ist aber vielfach eher eine Wohnwertsteigerung als primär eine Energieeinsparung.
Die mit transparenter Wärmedämmung in Deutschland insgesamt bedeckte Fassadenflä-
che ist gering.

Literatur

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238 M. Kaltschmitt et al.

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Wirtschaftlichkeit, Perspektiven. Bauök-Papiere 56. Institut für Bauökonomie, Universität
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fungs-Wärmepumpen. Diplomarbeit. Institut für Wärmetechnik, TU Graz, Graz (1998)
[3.24] DIN EN 15251 „Eingangsparameter für das Raumklima zur Auslegung und Bewertung der
Energieeffizienz von Gebäuden – Raumluftqualität, Temperatur, Licht und Akustik“ (2012)
[3.25] EN ISO 10077-1 „Wärmetechnisches Verhalten von Fenstern, Türen und Abschlüssen Be-
stimmung des Wärmedurchgangskoeffizienten“ (2017)
Solarthermische Wärmenutzung
4
Martin Kaltschmitt, Agis Papadopoulos, Lucas Sens und Wolfgang
Streicher

4.1 Physikalische Grundlagen

Wolfgang Streicher

Ein Teil der von der Sonne eingestrahlten Strahlungsenergie kann mit Hilfe von Absor-
bern in Niedertemperaturwärme umgewandelt werden. Im Zusammenspiel mit weiteren
notwendigen Systemkomponenten ergibt sich daraus eine solarthermische Anlage zur Be-
reitstellung von Niedertemperaturwärme für die Deckung der Wärmenachfrage privater
Haushalte und / oder ggf. industrieller Nachfrager. Thermische Solaranlagen sind damit
also Anlagen, die Solarstrahlung in Wärme wandeln und sie dadurch für eine Vielzahl
z. T. sehr unterschiedlicher Anwendungen nutzbar machen (z. B. Schwimmbadwasserer-
wärmung, Trinkwarmwasserbereitung, Raumwärmenachfragedeckung, Prozesswärmebe-
reitstellung, Verfügbarmachung von Antriebswärme für eine solare Kühlung). Thermische
Solaranlagen sind somit aktive solare Systeme, deren physikalisches Grundprinzip, wie
auch bei der passiven Solarenergienutzung (Kapitel 3), die Umwandlung von kurzwelliger
Solarstrahlung in thermische bzw. in Wärmeenergie ist. Dabei wird die solare Strahlung in
dem Absorber, der das Kernelement einer solchen Solaranlage darstellt, primär absorbiert,
aber z. T. auch reflektiert und fallweise transmittiert; die wesentlichen physikalischen
Grundlagen und Prinzipien, die weitgehend denen einer passiven Sonnenenergienutzung
entsprechen, werden bereits in Kapitel 3.1 diskutiert. Deshalb werden im Folgenden nur
die für thermische Solaranlagen spezifischen Grundlagen der Energiewandlung darge-
stellt, die über die in Kapitel 3.1 bereits diskutierten Aspekte hinausgehen.

Autoren in alphabetischer Reihenfolge mit Beiträgen zum Kapitel; die Autorenzuordnung geht aus
den einzelnen Unterkapiteln hervor.
Martin Kaltschmitt, Lucas Sens, Hamburg, Deutschland
Agis Papadopoulos, Thessaloniki, Griechenland
Wolfgang Streicher, Innsbruck, Österreich

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 239
M. Kaltschmitt, W. Streicher, A. Wiese (Hrsg.), Erneuerbare Energien,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-61190-6_4
240 M. Kaltschmitt et al.

4.1.1 Optische Eigenschaften von Absorbern

Aufgabe von Absorbern ist es, die verfügbare Solarstrahlung aufzunehmen und einen
möglichst großen Teil davon in thermische Energie umzuwandeln (d. h. photothermische
Wandlung) – und das mit möglichst geringen Wärmeverlusten. Ein derartiger Absorber ist
u. a. durch eine Strahlungsundurchlässigkeit (d. h. Transmission  D 0) gekennzeichnet;
unter diesen Bedingungen gilt Gleichung (4.1). Demnach werden in Absorbern – primär
aus Effizienzgründen – nur noch die Reflexion  und die Absorption ˛ in Bezug auf die
eintreffende Solarstrahlung wirksam.

˛C D1 (4.1)

Für eine ideale (maximale) Aufnahme der auf einen Absorber auftreffenden Solarstrah-
lung reflektiert dieser im theoretischen Idealfall keine kurzwellige Strahlung (Reflexion
 D 0); d. h. er absorbiert entsprechend Gleichung (4.1) in diesem Wellenlängenbe-
reich vollständig die ankommende solare Strahlung (Absorption ˛ D 1). Für langwellige
Strahlung oberhalb einer Absorber-spezifischen bestimmten Grenzwellenlänge sind die
Verhältnisse bei einem derartigen idealen Absorber gerade umgekehrt; hier reflektiert er
die Strahlung vollständig und absorbiert überhaupt nicht. Demnach ist auch die Emissi-
on in diesem Wellenlängenbereich und damit die Strahlungswärmeverluste des Absorbers
null (Kirchhoff’sches Strahlungsgesetz; dieses physikalische Gesetz beschreibt den Zu-
sammenhang zwischen Absorption und Emission eines realen Körpers, der sich in einem
thermischen Gleichgewicht befindet; es besagt, dass die Strahlungsabsorption und -emis-
sion bei einer gegebenen Wellenlänge einander entsprechen; d. h. ein Körper, der gute
Absorbereigenschaften hat, weist auch gute Emissionseigenschaften auf).
Abb. 4.1 zeigt für einen idealen und einen realen Absorber diese Abhängigkeit der
Absorptions- und Reflexionskoeffizienten von der Wellenlänge. Die Koeffizienten eines
idealen Absorbers springen demnach bei einer definierten Wellenlänge der eingestrahl-
ten Solarstrahlung von 3 m, die den Übergang von kurzwelligem zu langwelligem Licht
kennzeichnet (Grenzwellenlänge), von 0 auf 1 bzw. von 1 auf 0. Demgegenüber ist für
reale Absorber die Grenze zwischen minimaler und maximaler Absorption bzw. Refle-
xion fließend, so dass sich hier ein Übergangsbereich ähnlicher optischer Eigenschaften
zwischen etwa 1,8 und 4 m einstellt. In diesem Bereich liegen Absorptions- und Re-
flexionswerte eines Absorbers dichter beieinander. Demnach muss ein Absorbermaterial
zur Verwendung in Solarkollektoren ausgewählt werden, dessen Übergangspunkt bzw.
-zone zwischen minimaler und maximaler Absorption sich möglichst weit entfernt von
den Wellenlängen des sichtbaren Lichtes befindet, sodass die energieintensive kurzwelli-
ge Strahlung möglichst vollständig absorbiert wird.
Derartige ideale Verhältnisse lassen sich in der Realität nicht vollständig erreichen.
Sogenannte selektive Schichten kommen jedoch den optimalen Absorbereigenschaften
schon sehr nahe (Abb. 4.1). Im Bereich des sichtbaren Lichtes ist der Reflexionskoeffizient
4 Solarthermische Wärmenutzung 241

1
 ideal 

Absorptions- bzw. Reflexionskoeffizient


real

0,8

0,6

0,4

0,2

  real
ideal
0
0,1 0,2 0,3 0,5 1 2 3 5 10
sichtbares Wellenlänge in μm
ultraviolett infrarot
Licht

Abb. 4.1 Absorptions- (˛) und Reflexionskoeffizient () eines idealen (ideal) und eines gängigen
realen Absorbers (real)

real nahe bei null und im infraroten Bereich in der Nähe von eins. Umgekehrt verhält sich
der Absorptionskoeffizient ˛real .
Tabelle 4.1 zeigt für verschiedene Materialien die Absorptions-, Transmissions-, Refle-
xions- und Emissionskoeffizienten für den sichtbaren (Index v) und den infraroten Bereich
(Index I) des Solarstrahlungsspektrums. Im Vergleich zu nicht selektiven Absorbern wei-
sen demnach selektive Absorberschichten hohe Verhältnisse ˛v ="I auf. ˛v ist dabei der
Absorptionskoeffizient im Spektrum der sichtbaren Sonnenstrahlung; "I stellt den Emis-
sionskoeffizienten im infraroten Strahlungsbereich dar. Solche Schichten werden deshalb
auch als ˛="-Schichten bezeichnet. Für die in Tabelle 4.1 dargestellten selektiven Absor-
ber liegen die Verhältnisse ˛v ="I zwischen 9 und 19. Titanoxidnitrit beispielsweise weist
mit 19 ein besonders hohes ˛v ="I -Verhältnis auf.

Tabelle 4.1 Optische Eigenschaften von Absorbern (zur Erklärung der Formelzeichen siehe Text)
Sichtbares Licht Infrarot-Strahlung ˛v ="I
˛v ("v ) v v ˛I ("I ) I I
Nichtselektiver Absorber 0,97 0 0,03 0,97 0 0,03 1,00
Selektive Absorber
Schwarznickel 0,88 0 0,12 0,07 0 0,93 12,57
Schwarzchrom 0,87 0 0,13 0,09 0 0,91 9,67
Aluminiumgitter 0,70 0 0,30 0,07 0 0,93 10,00
Titanoxidnitrid 0,95 0 0,05 0,05 0 0,95 19,00
242 M. Kaltschmitt et al.

Tabelle 4.2 Optische Eigenschaften von Abdeckungen (zur Erklärung der Formelzeichen siehe
Text)
Sichtbares Licht Infrarot-Strahlung
˛v ("v ) v v ˛I ("I ) I I
Fensterglas 0,02 0,97 0,01 0,94 0 0,06
Infrarotreflektierendes Glas (In2 O3 ) 0,10 0,85 0,05 0,15 0 0,85
Infrarotreflektierendes Glas (ZnO2 ) 0,20 0,79 0,01 0,16 0 0,84

4.1.2 Optische Eigenschaften von Abdeckungen

Zur Verringerung der konvektiven Wärmeverluste eines Absorbers an die Umgebung (Ka-
pitel 4.1.3) sind Absorber in vielen solarthermischen Anwendungsfällen mit einer licht-
durchlässigen Abdeckung versehen. Ideale Abdeckungen weisen im sichtbaren Bereich
Transmissionskoeffizienten von eins auf ( D 1); Reflexions- und Absorptionskoeffizient
sind in diesem Wellenlängenbereich dementsprechend gleich null (˛ D  D 0).
In der Realität lassen sich derartige Verhältnisse bisher nicht umsetzen. Tabelle 4.2
zeigt deshalb für verschiedene Abdeckmaterialien die zugehörigen Eigenschaften. Dem-
nach erfüllt Glas die gewünschten optischen Eigenschaften im Bereich des sichtbaren
Lichtes sehr gut. Infrarotlicht wird jedoch von Glas nicht durchgelassen, sondern weit-
gehend absorbiert. Entsprechend dem Kirchhoff’schen Gesetz ist jedoch bei einem hohen
Absorptionsgrad auch die Strahlungsemission entsprechend groß. Daraus folgt, dass bei
Fensterglas im Infrarotbereich auch der Abstrahlungsverlust an die Umgebung entspre-
chend hoch ist. Durch Aufdampfen von für Infrarotstrahlung undurchlässigen Schichten
können diese Verluste in der Praxis aber vermindert werden.

4.1.3 Energiebilanz

Bei der Darstellung der Energiebilanz eines Kollektors wird nachfolgend zunächst die
allgemeine Energiebilanz diskutiert, bevor konkret die eines Kollektors hergeleitet wird.

Allgemeine Energiebilanz Gleichung (4.2) beschreibt die allgemeine Energiebilanz ei-


nes Mediums, das Strahlung absorbiert (Absorber) und in thermische Energie (Wärme)
wandelt. Dieses Medium befindet sich in dieser allgemeinen Betrachtung in einem ther-
mischen Gleichgewicht (d. h. keine Aufheizung bzw. keine Abkühlung).

GP G;Abs D QP Konv;Abs C QP Str;Abs C QP Refl;Abs C QP Leit;Abs C QP Nutz (4.2)

GP G;Abs ist dabei die gesamte auf die Absorberoberfläche auftreffende Globalstrahlung;
QP Nutz stellt den nutzbaren Wärmestrom dar. Daneben treten die vier nachfolgend darge-
stellten Verlustströme auf:
4 Solarthermische Wärmenutzung 243

 die Konvektionsverluste des Absorbers an die Außenluft QP Konv;Abs ,


 die langwellige Abstrahlung des Absorbers QP S t r;Abs ,
 die Reflexionsverluste des Absorbers QP Ref l;Abs ,
 die Wärmeleitungsverluste QP Lei t;Abs .

Energiebilanz des Kollektors Bei solarthermischen Systemen ist der Absorber im Re-
gelfall Bestandteil eines Solarkollektors, der beispielsweise bei einem transparent abge-
deckten Flachkollektor zusätzlich aus den Komponenten Rahmen, Abdeckung und Isola-
tion besteht. Unter diesen Bedingungen wird im Folgenden die Energiebilanz vertieft, die
Abb. 4.2 anhand der wesentlichen Energieströme zeigt.
Die diskutierten vier verschiedenen Verlustströme erweitert auf den Kollektor lassen
sich wie folgt zusammenfassen:

 Konvektionsverluste des Kollektors über die Abdeckung an die Außenluft (QP Konv;Abd ),
 langwellige Abstrahlung der Kollektorabdeckung (QP S t r;Abd ),
 Reflexionsverluste der Abdeckung (QP Ref l;Abd ) und Reflexionsverluste des Absorbers
QP Ref l;Abs , die durch die Abdeckung hindurchtreten und an die Außenluft abgestrahlt
werden,
 Wärmeleitungsverluste über die Rückseite des Absorbers QP Lei t;Abs , die als konvektiver
Wärmestrom über den Rahmen die Systemgrenze „Kollektor“ verlassen und an die
Außenluft abgegeben werden (QP Konv;Rah).

Bei einem derartigen Solarkollektor wird die nutzbare Wärme durch ein Wärmeträger-
medium abgeführt, das den Kollektor durchströmt. Die Differenz zwischen der Energie
des eintretenden und des austretenden Wärmeträgermediums ist der vom Trägermedium
abgeführte Wärmestrom QP Nutz (Gleichung (4.3)). Dabei ist cp die spezifische Wärmeka-

Solare Einstrahlung
Abb. 4.2 Energiebilanz eines
solarthermischen Kollektors
Konvektion,
am Beispiel eines transparent Reflexion Wärmeleitung
abgedeckten Flachkollektors
Absorption
Transmission
Konvektion,
Reflexion Wärmestrahlung
Wärmeleitung

Absorption
Wärmeleitung im
Absorber
Photothermische Wandlung
Wärmeleitung

Nutzwärme
244 M. Kaltschmitt et al.

Abdeckung

Wärmeträger Absorber Wärmeträger

Systemgrenze Absorber

Rahmen und Isolation

Systemgrenze Kollektor

Abb. 4.3 Stationäre Energiebilanz am Kollektor bzw. Absorber (zur Erklärung der Formelzeichen
siehe Text)

P der Massenstrom des Wärmeträgermediums und ei n bzw. aus die Ein- bzw.
pazität, m
Austrittstemperatur, mit der das Medium in bzw. aus dem Kollektor strömt.

QP Nutz D cp m
P .aus  ei n / (4.3)

Damit kann die Energiebilanz des Absorbers nach Gleichung (4.4) geschrieben werden
(Abb. 4.3).

GP G;Abs C cp m P aus C QP Konv;Abs C QP S t r;Abs C QP Ref l;Abs C QP Lei t;Abs


P ei n D cp m
(4.4)

Die auf den Absorber auftreffende Globalstrahlung GP G;Abs bestimmt sich aus der ge-
samten Globalstrahlung GP G;Kol auf die Kollektorabdeckung und dem zugehörigen Trans-
missionskoeffizienten Abd entsprechend Gleichung (4.5).

GP G;Abs D Abd GP G;Kol (4.5)

Die Reflexionsverluste des Absorbers QP Ref l;Abs , die näherungsweise denen des Kol-
lektors (QP Ref l;Kol ) entsprechen, können aus der auf den Absorber auftreffenden Strahlung
GP G;Abs und dem Reflexionsgrad des Absorbers berechnet werden; dies beschreibt Glei-
chung (4.6). Abd ist dabei der Transmissionskoeffizient der Abdeckung und Abs der
Reflexionskoeffizient des Absorbers. Dabei wird näherungsweise vernachlässigt, dass die
vom Absorber reflektierte Strahlung teilweise von der Abdeckung wiederum in Richtung
Absorber reflektiert wird. Außerdem sind Abs und Abd im Bereich des sichtbaren Lichtes
üblicherweise (sehr) klein (d. h. Abs  1, Abd  1).

QP Ref l;Kol  QP Ref l;Abs D Abd GP G;Abs Abs (4.6)


4 Solarthermische Wärmenutzung 245

Die Abstrahlungsverluste ergeben sich nach dem Stefan-Boltzmann’schen Strahlungs-


gesetz. Dieses Gesetz beschreibt die von einem schwarzen Körper thermisch abgestrahlte
Leistung in Abhängigkeit von seiner Temperatur. Ein schwarzer Körper ist dabei ein
(idealisierter) Körper, der die gesamte auf ihn treffende Strahlung vollständig absorbie-
ren kann (Absorptionsgrad ˛ D 1). Demnach errechnen sich die Abstrahlungsverluste
aus dem Emissionsgrad "Abd der Abdeckung, der Differenz zwischen der Temperatur der
Absorberabdeckung T Abd und der Oberflächentemperatur der den Kollektor umschließen-
den Flächen und Volumina (eine Mischung aus Gegenstrahlungstemperatur des Himmels
und Temperatur der Umgebungsflächen) T e;Str in der vierten Potenz (jeweils in der Ein-
heit Kelvin (K) und nicht in Grad Celsius (ı C); daher wird die Temperatur hier mit dem
Kürzel T anstatt mit der Abkürzung  bezeichnet) und der Stefan-Boltzmann-Konstan-
te  (5;67  108 W=.m2 K4 /) nach Gleichung (4.7). Sie sind außerdem proportional zur
abstrahlenden Abdeckungsoberfläche AAbd . Die Temperatur der Absorberabdeckung T Abd
ergibt sich aus der Energiebilanz der durch die Abdeckung beeinflussten Energieströme
aus QP Ref l;Abs ; QP Konv;Abs ; QP S t r;Abs ; QP Ref l;Abd ; QP Konv;Abd und QP S t r;Abd .
 4 
QP S t r;Kol  QP S t r;Abd D "Abd  TAbd  Te;S
4
t r AAbd (4.7)

Die konvektiven und Wärmeleitungsverluste des Absorbers werden zunächst an die


Abdeckplatte abgegeben und führen dort in Verbindung mit der absorbierten kurzwelligen
Strahlung aus der Einstrahlung und der Reflexion vom Absorber sowie der vom Absorber
emittierten langwelligen Strahlung zur Aufheizung der Abdeckung. Zusätzlich verliert der
Absorber über die Rückseitendämmung primär durch Wärmeleitung thermische Energie.
Vereinfacht werden alle Energieverluste durch Konvektion und Wärmeleitung durch ei-

nen in erster Näherung konstanten Wärmedurchgangskoeffizienten UKol des Kollektors
(d. h. einen von der Temperatur unabhängigen Wärmedurchgangskoeffizienten) und der
Temperaturdifferenz zwischen dem Absorber und der Umgebung beschrieben. Es gilt
Gleichung (4.8). AAbs ist die Absorberoberfläche und  die Temperatur des Absorbers
(Abs) bzw. der Umgebung (e).

QP Konv;Kol D UKol

.Abs  e / AAbs (4.8)

Damit ergibt sich für die vom Wärmeträgermedium abgeführte Wärme QP Nutz Glei-
chung (4.9).

QP Nutz D Abd GP G;Kol  Abd Abs GP G;Abs



 4  (4.9)
 UKol .Abs  e / AAbs  "Abd  TAbd  Te;S
4
t r AAbd

Die ersten beiden Terme in Gleichung (4.9) können näherungsweise zusammengefasst


werden; es gilt: 1  Abs D ˛Abs . Der Absorber weist im Regelfall sehr kleine Emis-
sionsgrade auf. Bleibt außerdem die Temperaturdifferenz zwischen der Abdeckung und
den Umgebungsflächen gering, wird der letzte Term in Gleichung (4.9) für viele An-
wendungsfälle sehr klein; d. h. er kann in einer ersten Näherung vernachlässigt werden.
246 M. Kaltschmitt et al.

Die gesamten spezifischen thermischen und Abstrahlungsverluste können nun in einer


guten Annäherung mit Hilfe eines die gesamten Wärmeverluste berücksichtigenden Wär-
medurchgangskoeffizienten U Kol beschrieben werden. Die Wärmeverluste des Absorbers
sind unter diesen vereinfachten Annahmen zusätzlich linear abhängig von der Tempe-
raturdifferenz zwischen Absorber und Umgebung (Abs  e ). Da die Abdeckungs- und
Absorbertemperatur räumlich nicht konstant und daher schwer zu ermitteln sind, wird
zudem vereinfachend für die Absorbertemperatur der Mittelwert aus der Ein- (ei n ) und
Austrittstemperatur (aus ) des Wärmeträgermediums verwendet; diese beiden Temperatu-
ren können leicht gemessen werden; hierfür gilt Gleichung (4.10).

1
Abs D .ei n  aus / (4.10)
2

Die Nichtberücksichtigung der Abhängigkeit vierter Ordnung (Gleichung (4.9)) kann


zu einer zu groben Vereinfachung und dadurch zu nicht akzeptablen Fehlern führen. Dann
kann diese Abhängigkeit durch ein Glied zweiter Ordnung über die Absorbertemperatur
und die Absorberfläche angenähert werden; dies beschreibt Gleichung (4.11). a1 und a2
sind Hilfskonstanten, die mittels einer Regressionsanalyse aus Messdaten gewonnen wer-
den.

QP Nutz D Abd ˛Abs GP G;Kol  a1 .Abs  e / AAbs  a2 .Abs  e /2 AAbs (4.11)

4.1.4 Wirkungsgrad und solarer Deckungsgrad

Der Wirkungsgrad
der Umwandlung solarer Strahlungsenergie in nutzbare Wärme im
Kollektor ergibt sich als Quotient aus dem vom Wärmeträgermedium abgeführten Wär-
mestrom QP Nutz zu der auf den Kollektor eingestrahlten Globalstrahlung GP G nach Glei-
chung (4.12).

QP Nutz

D (4.12)
GP G

Ausgehend davon kann für einen Kollektor mit gegebenen Transmissions- und Ab-
sorptionskoeffizienten sowie Wärmedurchgangskoeffizienten der Wirkungsgrad mittels
Gleichung (4.10) bis (4.11) berechnet werden; dies beschreiben die Gleichungen (4.13)
bzw. (4.15). Wird die Energiebilanz auf eine Kollektorfläche von einem Quadratmeter
bezogen, ergeben sich Gleichung (4.14) bzw. (4.16). GP G;rel beschreibt dann die auf ei-
nen Quadratmeter auftreffende Globalstrahlung. Zusätzlich kann Gleichung (4.16) um den
langwelligen Strahlungsaustausch und die Windgeschwindigkeit um den Kollektor erwei-
tert werden [4.31]; dadurch lassen sich potenzielle Fehler minimieren. Darauf wird hier
aus Vereinfachungsgründen aber verzichtet.
4 Solarthermische Wärmenutzung 247

Zusätzlich muss angegeben werden, auf welche Fläche die auftreffende Solarstrahlung
bezogen wird. Dabei kann unterschieden werden zwischen den folgenden Kollektorbe-
zugsflächen.

 Absorberfläche oder Nettokollektorfläche. Das ist die Fläche des eigentlichen Absor-
bers, die bei bestimmten Kollektortypen wesentlich kleiner als die Bruttokollektorflä-
che sein kann (z. B. Vakuumröhrenkollektoren).
 Aperturfläche. Darunter ist die Öffnungsfläche des Kollektors zur solaren Einstrahlung
zu verstehen; sie ist größer als die Absorber- oder Nettokollektorfläche, da wegen der
Wärmeausdehnung des Absorbers ein Spalt zwischen Absorber und Kollektorwanne
benötigt wird.
 Bruttokollektorfläche. Die Bruttokollektorfläche ist die Fläche, die sich auf die Außen-
abmessungen des Kollektorrahmens bezieht; sie ist für die Montage und den Aufbau
der Anlage von Bedeutung.

Diese unterschiedlichen Bezugsflächen bei Flach- und bei Vakuumröhren- bzw. CPC-
Vakuumröhrenkollektoren (zur Erklärung der Technik siehe Kapitel 4.2) zeigt Abb. 4.4.

UKol .Abs  e / AAbs



D Abd ˛Abs  (4.13)
GP G
UKol .Abs  e /

D Abd ˛Abs  (4.14)
GP G;rel
 
.Abs  e / AAbs GP G .Abs  e /AAbs 2

D Abd ˛Abs  a1  a2 (4.15)
GP G AAbs GP G
   
Abs  e Abs  e 2

D Abd ˛Abs  a1  a2 GP G;rel (4.16)
GP G;rel GP G;rel

Bei vorgegebenen Materialkenngrößen wird also ein umso höherer Wirkungsgrad er-
reicht, je kleiner die Temperaturdifferenz zwischen Absorber und Umgebung und je hö-
her die Einstrahlung ist. Aufgrund dieser physikalischen Randbedingungen müssen die
Systeme zur Nutzung von thermischer Sonnenenergie so gestaltet sein, dass die Tem-
peraturdifferenzen zur jeweiligen Umgebung möglichst gering gehalten werden, um den
Kollektor nicht mit unnötig hohen Temperaturen – und damit unerwünscht hohen Verlus-
ten – betreiben zu müssen. Bei Systemen zur Schwimmbadwasserbeheizung kann es sogar
vorkommen, dass die Temperaturdifferenz negativ wird (d. h. der Absorber ist kühler als
die Umgebung) und dann der Kollektor anstatt Wärmeverluste zusätzliche Wärmegewin-
ne über Konvektion und Leitung aus der Außenluft hat. Für solche (Extrem-)Fälle wäre
dann eine Abdeckung und Dämmung kontraproduktiv (deshalb benötigen Einfachstabsor-
ber i. Allg. auch keine Wärmedämmung; zur Beschreibung der Technik siehe Kapitel 4.2).
Oft ist auch der solare Deckungsgrad Ds von Bedeutung. Dieser kann – je nach kon-
kreter Fragestellung – unterschiedlich definiert werden. Hier wird darunter das Verhältnis
zwischen der durch die Wandlung von solarer Strahlung vom Solarsystem nach dem
248 M. Kaltschmitt et al.

Abb. 4.4 Bezugsflächen ei- Bruttokollektorfläche


nes Flachkollektors (oben), Aperturfläche
eines Vakuumröhrenkollek- Absorberfläche
tors (unten, links) und eines
CPC-Vakuumröhrenkollektors
(unten, rechts) [4.6]

Absorberfläche Absorberfläche
= Aperturfläche
Bruttokollektorfläche
Bruttokollektorfläche = Aperturfläche

Speicher nutzbar abgegebenen thermischen Energie zur tatsächlichen Heizwärme-, Trink-


warmwasser- und / oder Prozesswärmenachfrage, die für die Solarenergie teilweise oder
vollständig zur Deckung ansteht, verstanden (Gleichung (4.17)); dies ist die im Folgen-
den verwendete Definition. Sämtliche Speicherverluste werden bei dieser Definition des
solaren Deckungsgrades demnach dem solarthermischen System angelastet. Er ist somit
definiert als die Einsparung an konventionellen Energieträgern QP Zusatz zu der entsprechen-
den Wärmenachfrage QP Bedarf . Geht man – wie meist üblich und praxisgängig – von der
Substitution von fossilen Energieträgern (z. B. Erdgas, leichtes Heizöl) aus, ist für das
ausschließlich konventionelle System oft auch kein oder nur ein sehr kleiner Speicher
erforderlich; d. h. der Wärmespeicher wird primär nur vom Solarsystem benötigt und ver-
wendet.

QP Zusatz
Ds D 1  (4.17)
QP Bedarf

Oft wird der solare Deckungsgrad Ds1 auch als das Verhältnis von der in den Wärme-
speicher eingebrachten Sonnenenergie QP Solar zu der dem Speicher insgesamt zugeführten
thermischen Energie (d. h. solare (QP Solar ) und konventionelle Wärme (QP Zusatz )) definiert
(Gleichung (4.18)). Bei dieser Festlegung werden damit die Speicherverluste anteilig auf
die Solarenergie und die konventionelle Energie aufgeteilt.

QP Solar
Ds1 D (4.18)
QP Solar C QP Zusatz
4 Solarthermische Wärmenutzung 249

4.2 Systemtechnische Beschreibung

Wolfgang Streicher, Martin Kaltschmitt und Agis Papadopolous

Neben dem aus unterschiedlichen Komponenten aufgebauten Kollektor besteht eine solar-
thermische Anlage aus einer Reihe weiterer Systemelemente. Unabdingbar sind dabei ein
flüssiges oder gasförmiges Wärmeträgermedium und die entsprechenden Leitungen zum
Transport des jeweils eingesetzten Wärmeträgermediums – und damit der solaren Wärme.
Im Regelfall sind weiterhin ein Wärmespeicher mit keinem, einem oder mehreren Wärme-
übertragern sowie bei vielen Konzepten Pumpen mit einem Antrieb zur Aufrechterhaltung
des Kreislaufs des Wärmeträgermediums sowie verschiedene Mess- und Regeleinrichtun-
gen notwendig. Diese einzelnen Systemelemente werden nachfolgend diskutiert.

4.2.1 Kollektoren

Kollektoren sind Bestandteile solarthermischer Anlagen, welche die Solarstrahlung zu


einem möglichst großen Anteil in Wärme umwandeln. Ein Teil dieser Wärme wird an-
schließend von einem Wärmeträgermedium, das den Kollektor durchströmt, abgeführt.
Nachfolgend werden die verschiedenen Komponenten derartiger Solarkollektoren für un-
terschiedliche Bauarten dargestellt.

Einteilung Solarkollektoren können nach unterschiedlichen Kriterien eingeteilt werden.


Dies ist beispielsweise möglich nach der Konstruktion (verglast, unverglast, Vakuumröh-
ren), nach dem Wärmeträgermedium (Luft, Wasser) oder nach dem Temperaturbereich, in
dem der jeweilige Kollektor betrieben wird. Abb. 4.5 zeigt exemplarisch eine Klassifizie-
rung der auf dem Markt befindlichen Kollektoren nach dem Temperaturbereich und der
Anwendung.

Aufbau Abb. 4.6 zeigt die wesentlichen Bauteile eines solarthermischen Kollektors am
Beispiel des „klassischen“ verglasten Flachkollektors. Demnach besteht er im Wesentli-

Unverglaste Kollektoren Flachkollektoren Vakuumröhrenkollektoren


Niedrige Temperaturen Mittlere Temperaturen Mittlere bis hohe Temperaturen
20 bis 30 °C 40 bis 90 (130) °C 60 bis 150 °C
Schwimmbadwasser- Trinkwarmwasser, Trinkwarmwasser, Heizungs-
erwärmung Heizungsunterstützung, solare unterstützung, solare Kühlung,
Kühlung, Fernwärme, Nieder- Fernwärme, Niedertemperatur-
temperatur-Prozesswärme Prozesswärme
Absorber
Kunststoff Sydney-Röhre
Flüssigkeits-
kollektoren
Absorber Heatpipe
Edelstahl
Luftkollektoren

Abb. 4.5 Solarkollektoren und deren Klassifizierung


250 M. Kaltschmitt et al.

Abb. 4.6 Nichtstrahlungskon-


zentrierender Flachkollektor
mit seinen wesentlichen Bau-
teilen lichtdurchlässige, ein-
oder mehrschichtige Wärme-
direkte Abdeckung träger-
Einstrahlung medium-
abfuhr
Befestigung
Rahmen
mit
Isolation
diffuse selektive
Einstrahlung Beschichtung der
schwarzen
Absorberoberfläche
Absorber
mit Kanal-
Wärme- system
träger- Wärme-
medium- trägermedium
zufuhr Befestigung

chen aus dem Absorber, der transparenten Abdeckung, dem Gehäuse und der Wärmedäm-
mung. Zusätzlich sind die Wärmeträgerzufuhr und -abfuhr sowie die zwingend benötigten
Befestigungsmöglichkeiten dargestellt. Je nach Kollektorbauart sind nicht immer alle in
Abb. 4.6 dargestellten Bauteile vorhanden. Unbedingt notwendig ist aber der Absorber mit
den entsprechenden Transport- und Abschlussleitungen für das Wärmeträgermedium. Bei
den meisten Bauarten sind allerdings auch die anderen der im Folgenden beschriebenen
Komponenten ebenfalls wesentliche Kollektorbestandteile.

Absorber Der Absorber dient zur Umwandlung von kurzwelliger Strahlung in Wärme
(photothermische Wandlung). Die Funktion „Strahlungsabsorption“ übernimmt ein Ab-
sorbermaterial mit einem möglichst hohen Absorptionsvermögen ˛Abs im Wellenlängen-
bereich der solaren Einstrahlung. Umgekehrt soll das Absorbermaterial ein niedriges Ab-
sorptions- und damit Emissionsvermögen "Abs im Wellenlängenbereich der Wärmestrah-
lung aufweisen. Zusätzlich muss der Absorber eine gute Wärmeleitung zum Wärmeträger
bzw. dem Wärmeträgermedium ermöglichen, um die Temperaturen zwischen den eigent-
lichen Absorberrohren und damit die thermischen Verluste gering zu halten. Zudem muss
er (hoch-)temperaturbeständig sein, da im Absorber bei Stagnation (d. h. keine Wärmeab-
nahme) und gleichzeitig hohen Einstrahlungen Temperaturen von über 200 ı C auftreten
können.
Entsprechend diesen Anforderungen kommen als Absorbermaterial für abgedeckte
Flachkollektoren vorwiegend Kupfer und Aluminium (fallweise auch Stahl) in Frage. Für
nicht abgedeckte Schwimmbadkollektoren (d. h. unverglaste (Einfachst-)Kollektoren),
deren Maximaltemperaturen unter 90 ı C liegen, wird vorwiegend UV-beständiger Kunst-
4 Solarthermische Wärmenutzung 251

Serpentinenabsorber
(völlflächiger Absorber) Kissenabsorber

Rohrregister (vollflächiger Rohrregister (Finnenabsorber,


Absorber, Harfenabsorber) Doppelharfe)

Abb. 4.7 Mäander- oder Serpentinenabsorber (oben links), Harfenabsorber (unten links), Finnen-
oder Doppelharfenabsorber (unten rechts) sowie Kissenabsorber (oben rechts)

stoff (z. B. High Density Polyethylen (HDPE), Polypropylen (PP), Ethylen Propylen Dien
Kautschuk (EPDM)) eingesetzt. In diesem Fall werden aufgrund der geringen Wärme-
leitfähigkeit dieses Materials möglichst kleine bzw. keine Rippen zwischen den einzelnen
Rohren realisiert.
Das jeweilige Grundmaterial wird auf der strahlungsempfangenden Seite im einfachs-
ten Fall nur schwarz angestrichen. Insbesondere bei metallischen Absorbern wird diese
von der Solarstrahlung beschienene Seite aber auch selektiv beschichtet, um eine mög-
lichst hohe Absorption der kurzwelligen Solarstrahlung bei gleichzeitig geringen Emis-
sionen im langwelligen Bereich – und damit geringe Wärmeverluste – zu erreichen.
Das Wärmeträgermedium strömt durch Kanäle bzw. Röhren, die hinter oder im Inne-
ren des Absorbers angebracht sind. Der im Absorber in Wärme umgewandelte Anteil der
Energie der auftreffenden Solarstrahlung wird hier z. T. an dieses durchströmende Me-
dium (mittels Wärmeleitung im Absorber und Wärmeübergang vom Absorberrohr an das
jeweilige Wärmeträgermedium) abgegeben. Dieses Rohrleitungssystem im Absorber kann
sich hinsichtlich Rohrmaterial, Rohrquerschnitt, Rohrleitungslänge und Rohrleitungsan-
ordnung im Kollektor z. T. deutlich unterscheiden; beispielsweise kann zwischen mäan-
der- oder serpentinenförmiger, harfenförmiger (als Einfach- oder Doppelharfe) Rohrfüh-
rung unterschieden werden (Abb. 4.7) und zusätzlich dazu ist auch eine Umsetzung als
Kissenabsorber möglich.
Bei gleichem Volumenstrom pro Absorberrohr und identischer Einstrahlung ist die Auf-
heizung des Wärmeträgermediums in mäanderförmigen Absorbern aufgrund der längeren
Rohrführung – und damit dem relativ längeren Aufenthalt des Wärmeträgermediums in un-
mittelbarer Absorbernähe – wesentlich höher als bei harfenförmigen Absorbern. Dieser mä-
anderförmige Absorber hat deshalb auch traditionell den Markt in Europa dominiert. Al-
lerdings ist der harfenförmige Absorber in der Zwischenzeit fertigungstechnisch günstiger
herzustellen und drängt deswegen immer stärker auch auf dem europäischen Markt.
252 M. Kaltschmitt et al.

Durch eine entsprechende Serien- und / oder Parallelschaltung von einzelnen Kollek-
toren und einem vorgegebenen Volumenstrom des Wärmeträgermediums pro Kollektor
kann der gesamte Temperaturhub des Kollektorfeldes für eine bestimmte solare Einstrah-
lung eingestellt werden.

Abdeckung Die transparente Abdeckung eines Kollektors muss u. a. die folgenden Eigen-
schaften vorweisen und die entsprechenden Aufgaben erfüllen – und das über die gesamte
technische Lebensdauer eines entsprechenden Kollektors.

 Die Abdeckung soll reflexionsarm und gleichzeitig UV-beständig sein (UV ultraviolet-
tes Licht).
 Die Abdeckung soll eine langwellige thermische Abstrahlung vom Absorber zur Um-
gebung bzw. zum Himmel möglichst weitgehend verhindern.
 Die Abdeckung soll eine hohe Stabilität bei mechanischer Beanspruchung haben (u. a.
Winddruck, Schnee- und Hagelfall, thermische Spannungen).

Als Material kommen Glasscheiben, UV-beständige Polycarbonatplatten oder Kunst-


stofffolien (z. B. aus Polyethylen oder Teflon) in Frage. Die hohen Materialbeanspruchun-
gen infolge der Temperatur- und Strahlungsunterschiede verursachen im Laufe der Zeit
bei Kunststoffen aber oft Versprödung und Blindwerden. Zudem darf die Temperatur an
keiner Stelle der Abdeckung so hoch werden, dass es zu einem Fließen des eingesetzten
Kunststoffs kommt. Außerdem kann die äußere Oberfläche derartiger Kunststoffe leicht
durch Witterungs- und andere Umgebungseinflüsse verkratzt werden; Kunststoffe sind
i. Allg. durch eine im Vergleich zu Glas z. T. deutlich geringere Härte gekennzeichnet und
verkratzen deshalb sehr viel schneller. Deshalb sind die Transmissionswerte von Kunst-
stoffabdeckungen oft nicht langzeitstabil.
Daher hat sich bei den meisten Anwendungsfällen Glas als Abdeckungsmaterial durch-
gesetzt. Es ist zum Einsatz in einem thermischen Solarkollektor meistens als Sicherheits-
glas ausgeführt und durch eine hohe Lichtdurchlässigkeit und Hagelbeständigkeit gekenn-
zeichnet. Zusätzlich kann durch einen niedrigen Eisengehalt das Absorptionsvermögen
im kurzwelligen Strahlungsbereich herabgesetzt werden. Dadurch wird ein Aufheizen der
Scheibe vermieden und die konvektiven Wärmeverluste an die kältere Umgebung wer-
den herabgesetzt. Solche sogenannten Solargläser haben eine Strahlungstransmission von
ca. 91 %. Manchmal sind zusätzlich infrarotreflektierende Schichten an der unteren Seite
der Abdeckung aufgedampft mit dem Ziel, die langwellige Wärmestrahlung vom Absor-
ber an die Abdeckung in Richtung Absorber zu reflektieren; dies ist besonders bei weniger
günstigen Strahlungseinfallswinkeln von Vorteil. Damit kann eine Strahlungstransmissi-
on von über 96 % erreicht werden; dadurch können die Verluste weiter reduziert und der
Kollektorwirkungsgrad dementsprechend gesteigert werden (Kapitel 4.1.2).

Gehäuse Aufgabe des Kollektorgehäuses ist die Aufnahme der für die Strahlungstrans-
mission, Strahlungsabsorption, Wärmeumwandlung, Wärmeabfuhr und Isolation notwen-
4 Solarthermische Wärmenutzung 253

digen Komponenten. Es kann aus Aluminium, verzinktem Stahlblech, Kunststoff oder


Holz bestehen. Dieses Gehäuse verleiht dem Solarkollektor die notwendige mechanische
Festigkeit im Verlauf der gesamten technischen Lebensdauer und dichtet ihn gegen die
Umgebung ab. Eine geringe Ventilation mit der Umgebungsluft muss jedoch gewährleis-
tet sein, damit Über- oder Unterdruck aufgrund von Temperaturschwankungen abgebaut
und eventuell auftretende Feuchtigkeit abgeführt werden kann. Derzeit hat eloxiertes Alu-
minium als Gehäusematerial die größte Marktbedeutung; danach folgt – mit einem deutli-
chen Abstand – Glasfaser-verstärkter Kunststoff. Holz und Edelstahl haben eine nur sehr
untergeordnete Bedeutung am Markt. Dies ist im südeuropäischen Solarkollektormarkt
tendenziell anders; hier haben ebenfalls Aluminium und auch Edelstahl die größte Markt-
verbreitung.
Unabhängig vom eingesetzten Material kann für die Kollektoren, die auf Schrägdä-
chern installiert werden, bei der Gehäusebauart zwischen Gehäusen für die Aufdachmon-
tage (d. h. über den Dachziegeln; damit bleibt die Dachhaut vollumfänglich erhalten und
funktionsfähig) und Gehäusen für eine Dachintegration (d. h. der Kollektor ersetzt ein
Teil der Dachhaut) unterschieden werden. Im Unterschied zu dachintegrierten Gehäu-
sen sind daher Aufdachgehäuse auf ihrer Rückseite mit einer Wanne (z. B. aus Alumini-
um) oder mit einem Gehäuse versehen, das aus Stahlblech- oder Aluminiumprofilen und
entsprechenden Blechen zusammengebaut wird. Bezüglich der Wärmeverluste und der
Langlebigkeit sind Wannengehäuse im Vorteil; ihre Produktion ist allerdings technisch
aufwändiger.

Sonstige Komponenten Neben dem eigentlichen Kollektor werden für einen Kollektor
weitere Systemkomponenten benötigt. Hierzu zählen u. a. die nachfolgend dargestellten
Komponenten.

 Wärmedämmung. Sie dient zur Minimierung der thermischen Verluste. Als Materiali-
en kommen z. B. Polyurethan, Glaswolle oder Mineralwolle zum Einsatz. Polyurethan
ist fertigungstechnisch flexibler und effizienter, weil es als Flüssigschaum eingespritzt
wird und einen relativ niedrigen Wärmeleitungskoeffizienten aufweist; demgegenüber
sind anorganische Faserstoffe wie Glas- oder Mineralwolle umweltfreundlicher und
kostengünstiger. Die Wärmedämmung darf sich bei der maximal auftretenden Absor-
bertemperaturen bei Stagnation nicht verändern.
 Dichtungen. Sie sollen das Eindringen von Staub, Wasser, Insekten usw. in den Kollek-
tor verhindern. Als Dichtungsmaterialien werden hauptsächlich Silikonkautschuk und
Ethylen-Propylen-Dien (EPDM) Kautschuke benutzt.
 Rohre. Rohrleitungen dienen zum Wärmeträgertransport und zur Wärmeträgerzu- und
-abfuhr. Am Wärmeträgeraustritt aus dem Kollektor (aber noch im Kollektor) sind
typischerweise Fühlerhülsen, die den einfachen Einbau von Temperaturfühlern ermög-
lichen, angebracht. Letztere werden für die Temperaturmessung im oder am Kollektor
benötigt, um die Anlage thermostatisch steuern zu können.
254 M. Kaltschmitt et al.

 Befestigungselemente. Je nach Anwendungsfall werden außen am Kollektorgehäuse


Bauteile angebracht, mit denen der Kollektor beispielsweise auf der Dachoberfläche
befestigt werden kann. Bei Aufdachkollektoren werden auch zusätzliche Systemkom-
ponenten angeboten, mit denen eine Aufdachmontage des Kollektors mit einem be-
stimmten Winkel gegenüber der Dachneigung – zur Optimierung der Solarstrahlungs-
ausnutzung – realisiert werden kann. Bei Flachdächern oder ungünstig ausgerichteten
Dächern kann dadurch der solare Energieertrag erhöht werden. Bei Indachkollektoren
werden oft Bleche für die Einspengelung mitgeliefert.

Kollektorbauarten Derzeit können am Markt drei wesentliche Grundbauarten von Kol-


lektoren unterschieden werden, die typischerweise mit einem flüssigen Wärmeträgerme-
dium betrieben werden (Abb. 4.8):

 unverglaste Kollektoren (Einfachstabsorber),


 transparent abgedeckte Flachkollektoren und
 Vakuumröhrenkollektoren.

Sowohl die Flachkollektoren als auch die Vakuumröhrenkollektoren können auch als
CPC-Kollektoren (CPC compound parabolic concentrator; Solarkonzentrator) ausgeführt
werden; diese Option der Strahlungskonzentration hat insbesondere bei Vakuumröhren-
kollektoren eine gewisse Marktbedeutung erreicht.
Transparent mit Glas abgedeckte Flachkollektoren haben den mit Abstand größten
Marktanteil und damit die größte Marktbedeutung in Europa. Demgegenüber dominieren

Unverglaste 2
Kollektoren
1 7 7

5
Flachkollektoren,
ggf. auch als CPC- 3
Kollektoren 7
4 6
Bauarten 10
solarthermischer 4 9
Kollektoren 13
8
Sydney-Röhre
Vakuum- 14
röhrenkollektoren, 6
ggf. auch als CPC-
8 8
Kollektoren 9 9

Heatpipe 10
10
Kollektor 4
11
11 12
4
12 6

Abb. 4.8 Einteilung wesentlicher Bauarten von Flüssigkeitskollektoren (1 Material zur Fixierung
der Kollektorschläuche, 2 eigentlicher (Einfachst-)Kollektor (schwarzes Kunststoffrohr), 3 Kollek-
torgehäuse, 4 Absorber, 5 Kollektorabdeckung, 6 hochreflektierender CPC-Spiegel (CPC compound
parabolic concentrator), 7 solare Einstrahlung, 8 äußere Glasröhre, 9 innere Glasröhre, 10 Vakuum,
11 Heatpipe, 12 Wärmeleitblech, 13 Vorlauf, 14 Rücklauf; u. a. nach [4.3])
4 Solarthermische Wärmenutzung 255

Abb. 4.9 Bauarten unverglas-


ter Kollektoren

Kunststoffabsorber Edelstahlabsorber

in anderen Ländern Vakuumröhrenkollektoren; dies ist beispielsweise in China der Fall.


Nachfolgend werden die typischen Eigenschaften dieser verschiedenen Kollektortypen
genauer beschrieben. Außerdem wird kursorisch auf weitere Kollektorbauarten eingegan-
gen.

Unverglaste Kollektoren Unverglaste oder Einfachstabsorber (Abb. 4.8) werden als


Kunststoffabsorber und als Edelstahlabsorber angeboten (Abb. 4.9).

 Kunststoffabsorber sind die einfachste am Markt erhältliche Bauart dieser Gruppe von
Kollektoren. Der grundsätzliche Aufbau besteht aus einer Absorbermatte oder Schläu-
chen aus UV-Strahlungs- und Chlorwasser-beständigem Kunststoff (z. B. High Density
Polyethylen (HDPE), Polypropylen (PP), Ethylen Propylen Dien Kautschuk (EPDM);
UV ultraviolett) mit einem entsprechend integrierten Rohrleitungssystem für das Wär-
meträgermedium (Abb. 4.8, oben). Die einzelnen Absorberrohre liegen typischerweise
eng beieinander, da Kunststoff ein relativ schlechter Wärmeleiter ist.
 Edelstahlabsorber arbeiten nach dem gleichen Prinzip und zeigen die gleichen Merk-
male; sie werden entweder als Rohrregister oder als Kissenabsorber (Abb. 4.9, rechts)
hergestellt. Durch die bessere Wärmeleitung von Stahl können bei ersterer Bauweise
die Rohre hier jedoch – im Vergleich zu Kunststoffabsorbern – weiter auseinanderlie-
gend angebracht werden. Im Gegensatz zu einem Einfachstabsorber auf Kunststoffba-
sis sind Edelstahlabsorber allerdings teurer in der Anschaffung und in der Wartung.

Unverglaste Kollektoren finden in Europa bevorzugt bei der Beheizung von Freibädern
Anwendung. Da bei dieser Anwendung die Kollektorfluidtemperatur nur geringfügig über
oder sogar unter der Außentemperatur liegt, hat dieser Absorbertyp unter diesen sehr spe-
ziellen Bedingungen einen sehr guten Wirkungsgrad. Deshalb hat er in dieser Nische eine
sehr weite Verbreitung gefunden.

Transparent abgedeckte Flachkollektoren Werden im Vergleich zum unverglasten Ein-


fachstabsorber höhere Temperaturniveaus benötigt, kommen meist transparent abgedeckte
Flachkollektoren (Abb. 4.8) zum Einsatz; Abb. 4.10 und 4.11 zeigen zwei typische markt-
gängige Bauarten.

 „Klassischer“ Flachkollektor. Beim „klassischen“ Flachkollektor (Abb. 4.10) befin-


det sich der Absorber in einem oft aus Aluminium bestehenden Gehäuse, das mit
256 M. Kaltschmitt et al.

Abb. 4.10 Typischer Aufbau Glasabdeckung

eines „klassischen“ Flachkol-


lektors

Anschluss

Rahmen

Absorberblech
(selektiv beschichtet)

Wärmeträger Registerrohre Wärmedämmung

einer Glasscheibe abgedeckt ist. Im Vergleich zu den Kunststoffabsorbern ohne Ab-


deckung bzw. den unverglasten Kollektoren (d. h. Einfachstabsorber; siehe oben) ist
der Absorber hier deutlich besser vor Wärmeverlusten geschützt; dazu dient auch eine
Rückseitenisolierung typischerweise mittels Mineralwolle. Zusätzlich werden weitere
Verluste aufgrund von Wärmestrahlung durch eine selektive Beschichtung des Absor-
bers reduziert. Zur Erzielung von höheren Temperaturen (z. B. Einsatz in einem Fern-
wärmenetz oder zur Prozesswärmeerzeugung) wird fallweise eine zusätzliche innere
Abdeckung mittels Folien oder eine Doppelglasscheibe mit Edelgasfüllung eingesetzt.
Diese verringert die Konvektions- und Strahlungsverluste im Vergleich zum Standard-
fall. Derartige Flachkollektoren sind in vielen unterschiedlichen Bauarten am Markt
verfügbar. Sie sind die am meisten verbreiteten Kollektoren in Europa.
 CPC-Flachkollektor. Zusätzlich werden auch CPC-Flachkollektoren (Compound Para-
bolic Concentrator-Kollektor) angeboten; diese haben am Markt aber bisher nur eine
sehr untergeordnete Bedeutung. Bei dieser Flachkollektorbauart liegen die Absorber-
streifen senkrecht zum CPC-Spiegel und sind einseitig an den Rohren befestigt. Der
CPC-Spiegel reflektiert einen Großteil der Solarstrahlung beidseitig auf diesen Ab-
sorberstreifen (Abb. 4.11). Durch diese leichte Strahlungskonzentration ist eine etwas
höhere Temperatur im Vergleich zum „klassischen“ Flachkollektor erzielbar. Nachtei-
lig ist der erhöhte Aufwand für die Herstellung des CPC-Spiegels.

Glasabdeckung
Solarstrahlung

Anschluss
Wärmeträger

Rahmen

Absorberstreifen
Reflektor
Registerrohre Absorberstreifen
Wärmeträger

Abb. 4.11 Schematischer Aufbau eines CPC-Flachkollektors (links) und Strahlungskonzentration


auf den Absorber (rechts)
4 Solarthermische Wärmenutzung 257

 Vakuumflachkollektor. Eine sehr seltene Ausführungsform der Flachkollektoren sind


die Vakuumflachkollektoren. Hier wird mit dem Ziel der Minimierung der konvektiven
Wärmeverluste des Absorbers an die Abdeckung der Zwischenraum zwischen beiden
evakuiert. Dann muss aufgrund des Druckunterschieds die Abdeckscheibe aber von
innen (aufwändig) abgestützt werden.

Vakuumröhrenkollektoren Bei Vakuumröhrenkollektoren (Abb. 4.12 und 4.13) werden


die Wärmeverluste infolge von Konvektion und Wärmeleitung durch ein Hochvakuum
stark reduziert; das Prinzip entspricht dem der Thermoskanne (zur Einordnung dieses
Kollektortyps siehe Abb. 4.8). Dadurch erreichen derartige Kollektoren vergleichswei-
se hohe Wirkungsgrade bei Betriebstemperaturen von deutlich über 100 ı C. Allerdings
ist die Absorberfläche bezogen auf die Gesamtfläche des Kollektors etwas geringer im
Vergleich zu den Flachkollektoren, da der Absorber nur innerhalb der inneren Glasröh-
re liegt und die Zwischenräume selbst bei einer gekrümmten Spiegelfläche hinter den
Röhren nicht vollständig genutzt werden können. Deshalb ist der Wirkungsgrad bezogen
auf die gesamte Kollektorfläche bei niedrigen Betriebstemperaturen oft geringer als bei
Flachkollektoren. Aus diesem Grund wurden Vakuumröhrenkollektoren in der Vergangen-
heit vornehmlich bei Anwendungen mit hohen Betriebstemperaturen eingesetzt und / oder
auch in Regionen mit sehr niedrigen mittleren Lufttemperaturen. Infolge des Preisverfalls
der Vakuumröhrenkollektoren insbesondere nach dem Sydney-Prinzip (Abb. 4.12) wurden
und werden derartige Kollektoren aber auch für Anwendungen mit niedrigeren Tempera-
turen des Wärmeträgermediums (z. B. für die Warmwasserversorgung von Haushalten)
immer attraktiver.
Neben den Einfachausführungen von Vakuumröhrenkollektoren (Abb. 4.12, links), bei
denen sich der Strahlungsabsorber in einer evakuierten Glasröhre befindet, können im
Wesentlichen die nachfolgend beschriebenen zwei konstruktiven Ansätze unterschieden
werden.

 Sydney-Röhre. Sydney-Röhren-Kollektoren sind nach dem Prinzip der Thermoskanne


aufgebaut; d. h. zwischen zwei konzentrisch angeordneten Glaszylindern besteht ein
Hochvakuum. Der innere der beiden Glaszylinder ist innen entweder direkt mit der
Absorberschicht beschichtet und das Wärmeträgermedium strömt durch das gesamte

Abb. 4.12 Zwei Aus- Wärmeableitung Wärmeableitung


führungsformen von
Vakuumröhrenkollektoren
(links) und zwei Varianten von
Sydney-Röhrenkollektoren als
CPC-Kollektor (rechts) (sche- Reflektor
matische Darstellung; [4.1],
Absorber
z. T. verändert) Koaxial-
Wärmesammelrohr
258 M. Kaltschmitt et al.

Kondensator Wärmeableitung
Kondensator
Sammelrohr
Wärmegedämmter
Sammlerkasten

Heatpipe Glas
Aufsteigender Dampf Vakuum
Glas
Wärmeleitbleche
Absorberfläche
Evakuierte Glasdoppelröhre Heatpipe
Rückfließender, abgekühlter
Dampf

Leitflüssigkeit

Abb. 4.13 Funktionsweise (links) und Aufbau (rechts) solarthermischer Heatpipe-Kollektoren auf
der Basis einer vereinfachend dargestellten Sydney-Röhre ([4.1, 4.2], verändert)

Rohr. Alternativ dazu kann im Innern der innenliegenden Glasröhre auch ein metalli-
scher Absorber liegen, der als beschichtetes, gebogenes Blech ausgeführt ist und die
Wärme über ein U-förmig gebogenes Kupferrohr an ein dieses durchströmendes Wär-
meträgermedium abführt. Dadurch werden die das Vakuum umschließenden Wände
nicht von Rohrleitungen o. ä. durchdrungen. Dafür besteht ein größerer ungenutzter
Abstand von einem Absorber zum anderen. Abb. 4.12 zeigt den schematischen Aufbau
derartiger Röhrenkollektoren.
 Heatpipe. Bei den Heatpipe-Kollektoren bringt die solare Wärme eine Flüssigkeit in ei-
nem Wärmerohr zum Sieden. Der dabei entstandene Dampf steigt auf und gibt die Wär-
me über Kondensation im Sammler an das dort durchströmende Wärmeträgermedium
des Solarkreises ab (Abb. 4.13). Als Absorber fungiert entweder ein im evakuierten
Hohlraum einer Glasröhre angebrachtes Heatpipe-Rohr mit Rippen oder ein im inne-
ren Glas einer Sydney-Röhre angebrachtes Blech, das die absorbierte Strahlung durch
Wärmeleitung zur Flüssigkeit im Wärmerohr transportiert. Durch die Verdampfung
der in der Heatpipe befindlichen Flüssigkeit kann Wärme bei sehr geringen Tempe-
raturdifferenzen übertragen werden. Zudem werden bei diesem Heatpipe-Prinzip die
Probleme durch eine Kollektorstagnation während einer entsprechenden solaren Ein-
strahlung (d. h. keine Wärme wird aus dem Kollektor abgeführt) entschärft, da nur der
Wärmeträger im Sammler verdampft. Abb. 4.13 zeigt den schematischen Aufbau und
die Funktionsweise eines derartigen Heatpipe-Kollektors.

Vakuumröhrenkollektoren können auch als CPC-Kollektoren (Compound Parabolic


Concentrator-Kollektor, Abb. 4.12 rechts) ausgeführt werden. Diese Bauart nutzt para-
bolisch geformte Spiegelelemente, um die Solarstrahlung zusätzlich zu konzentrieren und
damit einen erhöhten Solarertrag des Vakuumröhrenkollektors zu erzielen. Diese Spiegel
werden meist kombiniert mit Sydney-Röhren (oder Heatpipe-Kollektoren). Der Nachteil
4 Solarthermische Wärmenutzung 259

der größeren Abstände zwischen den Absorbern, der bei Sydney-Röhren besteht, wird
damit hier durch den Einsatz dieses parabolisch gekrümmten Spiegelsystems hinter den
Absorberrohren abgemindert, das zudem eine leichte Konzentration der direkten Solar-
strahlung bewirkt.

Weitere Kollektorbauarten Nachfolgend werden weitere Prinzipien möglicher Kollektor-


bauarten vorgestellt, die jedoch bisher nur eine sehr begrenzte Marktbedeutung haben.
Der Speicherkollektor ist eine Sonderform des Flachkollektors. Er vereinigt die Funk-
tion des Kollektors und des Wärmespeichers in einem einzigen Bauteil. Dazu ist ein
druckbeständiger Tank im Zentrum eines strahlungsfokussierenden Spiegels angeordnet.
Die Tankoberfläche ist selektiv beschichtet oder im einfachsten Fall schwarz gestrichen.
Der Speicherkollektor wird direkt mit der Kalt- und Warmwasserleitung verbunden. Durch
den Spiegel wird die im Kollektor ankommende Strahlung auf den Tank reflektiert. Das
den Tank durchströmende Wasser nimmt die solare Wärme auf und kann, eventuell nach
einer weiteren Aufheizung, technisch genutzt werden (Abb. 4.14). Von Vorteil sind die
geringe Bauteilanzahl und die kompakte Bauweise. Nachteilig wirken sich vor allem die
hohen konvektiven Wärmeverluste aus, die zur Folge haben, dass die Temperatur im Spei-
cher in der Nacht oder bei schlechtem Wetter deutlich absinkt. Bei der Dachmontage ist
zusätzlich das Gewicht des Wassers bei der Dachstatik zu berücksichtigen. Zudem wird
dieser Kollektor üblicherweise mit normalem Leitungswasser durchflossen; dann bedarf
es unter den in Mittel- und Nordeuropa im Winter gegebenen meteorologischen Bedin-
gungen einer Frostfreihaltung zumeist durch einen Elektroheizstab.
Bei Luftkollektoren wird Luft als Wärmeträgermedium verwendet. Da der Wärme-
übergangskoeffizient zwischen Luft und dem Absorber geringer ist als bei flüssigkeits-
führenden Kollektoren, müssen flächenvergrößernde Maßnahmen am Absorber getroffen
werden (d. h. größere Flächen zur Erreichung der gleichen thermischen Leistung im Ver-
gleich zu Flüssigkeitskollektoren). Der Absorber kann beispielsweise aus einer unter- oder
überströmten Platte, die mit Rippen zur Vergrößerung der wärmeübertragenden Ober-

Abb. 4.14 Prinzip eines Spei-


cherkollektors Verglasung

Isoliertes Gehäuse

Wärmespeicher

Ablauf
Warmwasser
Zulauf Reflektor
Kaltwasser
260 M. Kaltschmitt et al.

Abb. 4.15 Solarluftkol-


lektoren mit integriertem Sicherheitsglas

Photovolatik(PV)-Modul zum
Antrieb des Ventilators für
die Sicherstellung des Wär- Solarpanel
meträgerflusses (die Pfeile Rippenabsorber
beschreiben den Strömungs-
Dämmung
weg des Wärmeträgermediums
(hier: Luft))
Auslassstutzen Ansaugöffnung

fläche ausgestattet ist, oder einer durchströmten porösen Matrixstruktur realisiert wer-
den (Abb. 4.15). Auch kann der Kollektor als Mehrpasssystem ausgeführt werden, bei
dem der Luftstrom ein- oder mehrmals im Kollektor umgelenkt wird und so mehrfach
Wärme vom Absorber aufnehmen kann. Da bei dem Wärmeträgermedium Luft keine
Frost-, Überhitzungs- und Korrosionsprobleme auftreten können, sind Luft- im Vergleich
zu Flüssigkeitskollektoren deutlich einfacher aufgebaut. Auch das Austreten des Wärme-
trägermediums durch Leckagen in die Umgebung ist vergleichsweise unproblematisch
(es erhöht aber die Kollektorverluste). Dem stehen als Nachteile die großen Kanäle, die
relativ große benötigte Wärmeübertrageroberfläche und die oft erheblichen Antriebsleis-
tungen für die Ventilatoren entgegen, die dem Wärmeträgermedium (d. h. der Luft) die
gewünschte Strömungsrichtung und -geschwindigkeit aufzwingen. Aufgrund des schlech-
ten Wärmeübergangs von Luft und den damit verbundenen Temperaturverlusten kann die
produzierte Wärme nur schwer gespeichert werden; d. h. es sollte eine zeitliche Überein-
stimmung von Solareinstrahlung und Energienachfrage geben sein.
Derartige Luftkollektoren kommen für die Gebäudebeheizung oder die Trinkwarm-
wasserbereitstellung in Mittel- und Nordeuropa auch deshalb kaum zum Einsatz, da über-
wiegend Heizungssysteme auf Basis von Warmwasserverteilungsnetzen üblich sind. Sie
werden lediglich in den Fällen angewendet, wo die genannten Voraussetzungen ideal zu-
treffen. Solche Beispiele sind die Beheizung von Sporthallen, Bürogebäuden und Waren-
häusern, in denen durch die direkte Zufuhr der erwärmten Luft gleichzeitig Raumheizung
und Belüftung realisiert werden können. Die Mehrkosten, die in solchen Gebäuden für die
Integration der Luftkollektoren in das Lüftungssystem entstehen, sind i. Allg. nicht sehr
hoch und oft lassen sich die Kollektoren in der Fassade integrieren. In den letzten Jahren
werden auch kleinere Anlagen für Wohngebäude auf dem Markt angeboten, die an die
mechanische Belüftung und die Wärmerückgewinnungsanlage gekoppelt werden können.
Auf diese Weise kann tagsüber die Energienachfrage für die Ventilation des Gebäudes
deutlich gesenkt und / oder zur Beheizung beigetragen werden. Eine andere Anwendung
ist in Ferien- oder Wochenendhäusern, wo mit Hilfe eines in der Fassade integrierten
Luftkollektors die Luftfeuchtigkeit unter Kontrolle gehalten wird, wenn die Häuser selten
benutzt werden. In diesem Fall wird oft auf dem Luftkollektor ein kleines Photovola-
tik(PV)-Modul integriert, dass für den Ventilatorantrieb sorgt (Abb. 4.15).
4 Solarthermische Wärmenutzung 261

Ein Problem bei allen Luftkollektoren ist die Wärmeabfuhr während des Sommers.
Zwar sind Stagnationsprobleme bei Luftkollektoren nicht so groß wie bei Wasserkollek-
toren (siehe unten). Trotzdem ist es, insbesondere bei größeren Anlagen, notwendig, die
Durchströmung der Kollektoren sicherzustellen, ohne die Warmluft in das Gebäude ein-
zuführen. Dies kann durch entsprechende by-pass-Schaltungen realisiert werden, durch
welche die Warmluft in die Umgebung zurück gegeben wird. Luftkollektoren werden auch
zur solaren Trocknung von Nahrungsmitteln (z. B. zur Vortrocknung von Früchten und
Gemüse, von Heu und Getreide) genutzt.

Daten und Kennlinien Der Kollektorwirkungsgrad wird durch die optischen und die
thermischen Verluste maßgeblich bestimmt.

 Die optischen Verluste resultieren aus dem Produkt von Abdeckungstransmissions- und
Kollektorabsorptionskoeffizient. Dieser Verlustanteil ist material- und richtungsabhän-
gig; er ist aber näherungsweise unabhängig von der Höhe der Einstrahlung und der
Temperatur.
 Die thermischen Verluste werden zusammen mit den sonstigen nicht konstanten Verlus-
ten durch eine konstante Wärmedurchgangszahl beschrieben (Gleichung (4.8)). Dieser
Verlustanteil ist in erster Näherung linear abhängig von der Differenz zwischen Absor-
ber- und Umgebungstemperatur und umgekehrt proportional zur solaren Einstrahlung
(Gleichung (4.13)).

Die daraus resultierende Wirkungsgradkennlinie für einen einfachen Flachkollektor


zeigt Abb. 4.16. Die Annahme einer linearen Abhängigkeit von der Temperatur führt
bei großen Temperaturdifferenzen zu einer zunehmenden Abweichung vom realen Wir-
kungsgradverlauf. Ursache ist die nichtlineare Zunahme der Wärmeabstrahlung sowie
der konvektiven Wärmeverluste bei steigender Temperaturdifferenz. Daher wird in vielen
Fällen auch die Kollektorgleichung (Gleichung (4.11)) bzw. die Wirkungsgradgleichung

Abb. 4.16 Kennlinienverläufe 1,0 800


2
Wärmeabgabe Kollektor in W/m

einfacher Flachkollektoren optische Verluste


ατ
(˛ D 0;82; GP G Globalstrah-
Kollektorwirkungsgrad

0,8
600
lung auf die horizontale Emp-
fangsfläche; Abs Absorbertem- thermische Verluste
0,6
peratur; e Umgebungstem- 400
peratur; u. a. nach [4.5, 4.6]) 0,4

200
0,2 Nä
he
run
real g
0,0 0
0 20 40 60 80 100 120
Temperaturdifferenz θAbs – θe in K
262 M. Kaltschmitt et al.

1,0
Brauch- Raum- Prozesswärme
0,9 Schwimmbad-
warm- heizung absorber
wasser
Kollektorwirkungsgrad
0,8 Nicht selektiver
0,7 Flachkollektor
Selektiv besch.
0,6 Flachkollektor

Schwimmbadheizung
Vakuum-
0,5 Röhrenkollektor
0,4
0,3
0,2
0,1
0,0
0,00 0,02 0,04 0,06 0,08 0,10 0,12 0,14 0,16 0,18 0,20 0,22 0,24
.
Spez. Temperaturdifferenz ((θAbs - θe )/GG) in K/(W/m²)

Abb. 4.17 Kennlinienverläufe verschiedener Flüssigkeitskollektoren über dem Quotienten aus


Temperaturdifferenz zwischen Absorber und Umgebung und der einfallenden Globalstrahlung
(besch. beschichteter; Spez. Spezifische; nach [4.6])

(Gleichung (4.16)) verwendet, in denen diese nichtlinearen Zusammenhänge durch einen


quadratischen Term angenähert werden.
Abb. 4.16 zeigt außerdem für den gleichen Kollektor den Kennlinienverlauf für un-
terschiedliche Einstrahlungen. Deutlich wird, dass mit zunehmender Einstrahlung höhere
Temperaturdifferenzen zwischen Absorber und Umgebung erreicht werden können. Trägt
man die Kennlinie über die auf die Einstrahlung bezogene Temperaturdifferenz auf, ver-
schmelzen die Kennlinien für unterschiedliche Einstrahlungen annähernd zu einer. Daher
wird in vielen Fällen diese Darstellungsart bevorzugt (u. a. [4.4]).
Abb. 4.17 zeigt die Kennlinienverläufe für unterschiedliche Bauarten von Flüssigkeits-
kollektoren unter Berücksichtigung der nichtlinearen Anteile nach Gleichung (4.16). Folg-
lich kann ein Einfachstabsorber einen deutlich steileren Kennlinienverlauf haben und trotz-
dem hohe spezifische Energieerträge aufweisen, wenn er ausschließlich in Anwendungsfäl-
len eingesetzt wird, in denen die Differenz zwischen Absorber- und Umgebungstemperatur
im Durchschnitt sehr niedrig ist; dies ist z. B. bei Absorbern zur solaren Freibadbeheizung
der Fall, da sie nur im Sommer betrieben werden und zudem bei dieser Freibadanwendung
das Temperaturniveau der benötigten Wärme vergleichsweise niedrig ist. Bei diesen nied-
rigen oder sogar negativen Temperaturdifferenzen ist der optische Kollektorwirkungsgrad
durch die fehlende Abdeckung (Abd D 1) höher als bei den anderen Kollektortypen. Ganz-
jährig eingesetzte Kollektoren sollten daher flachere Kennlinienverläufe aufweisen, damit
bei höheren Temperaturdifferenzen der Wirkungsgrad nicht zu sehr absinkt.
Derartige Kennlinien von Kollektoren werden entsprechend der DIN EN ISO 9806:2017
(Solarenergie – Thermische Sonnenkollektoren – Prüfverfahren) aufgenommen. Dabei
werden die Wärmeleistung, Dauerhaftigkeit, Zuverlässigkeit und Sicherheit von Flüs-
sigkeitskollektoren im stationären Zustand und unter quasi-dynamischen Bedingungen
geprüft.
4 Solarthermische Wärmenutzung 263

Tabelle 4.3 Kennwerte verschiedener nichtstrahlungskonzentrierender Flüssigkeitskollektorbau-


arten (u. a. [4.6])
Optischer Thermischer Typischer Tem- Aufwand Typische
Wirkungs- Verlustfaktor peraturbereich für Her- Anwendung
grada in W/(m2 K)a in ı Cb stellung
Einfachstabsorberc 0,92 12–17 0–30 klein FB
Flachkollektor 1d 0,80–0,85 5–7 20–80 mittel WW
Flachkollektor 2e 0,65–0,70 4–6 20–80 mittel WW
Flachkollektor 3f 0,75–0,81 3,0–4,0 20–80 mittel WW, RH
Vakuumröhren- 0,45–0,80 0,6–1,2 50–120 mittel WW, RH, PW
kollektor
Sydney-Kollektor 0,35–0,6 0,8–1,5 50–120 mittel WW, RH, PW
CPC-Vakuum- 0,6–0,7 0,8–1,2 50–120 groß WW, RH, PW
röhrenkollektor
Speicherkollektorg ca. 0,55 0,55 20–70 sehr groß WW
a
FB Freibad; WW Trinkwarmwasser; RH Raumheizung; PW Prozesswärme; bezogen auf die
Brutto-Kollektorfläche; b mittlere Arbeitstemperaturen; c schwarz, nicht selektiv, nicht abgedeckt;
d
nicht selektiver Absorber, einfache transparente Abdeckung; e nicht selektiver Absorber, zweifache
Abdeckung aus Glas und Unterspannfolie; f selektiver Absorber, einfache transparente Abdeckung;
g
Prototyp ISE.

Tabelle 4.3 zeigt einige typische Kenndaten und wichtige Anwendungsbereiche der in
Mittel- und Nordeuropa am häufigsten eingesetzten Flüssigkeitskollektoren. Die Tempe-
raturen des Wärmeträgermediums im Kollektor liegen – je nach meteorologischen Be-
dingungen und Kollektorbauart – im Betrieb zwischen 10 und etwa 100 ı C. Typische
Anwendungen sind die solare Freibadbeheizung, die teilweise Deckung der Trinkwarm-
wassernachfrage in Haushalten primär von Ein- und Mehrfamilienhäusern sowie die ge-
koppelte teilweise solarthermische Trinkwarmwasser- und Raumwärmebereitstellung (so-
lares Kombisystem). Zunehmend werden auch Anwendungen der Fernwärmeeinspeisung,
der Niedertemperaturprozesswärmebereitstellung und der thermischen Kühlung mittels
Absorptionswärmepumpen mit thermischen Solaranlagen unterstützt.

Kollektorverschaltung In den meisten Anwendungsfällen sind – unabhängig von de-


ren Bauart – mehrere Einzelkollektoren zusammengeschaltet. Die einzelnen Kollektoren
können dabei in Reihe oder parallel geschaltet werden; alternativ dazu können auch Kom-
binationen dieser beiden Verschaltungsvarianten umgesetzt werden.
Übergeordnetes Ziel einer derartigen Verschaltung ist eine gleichmäßige Durchströ-
mung des Kollektorfeldes. Gelingt dies nicht, kommt es zu unterschiedlichen Tempe-
raturhüben in den verschiedenen parallelen Kollektorsträngen und die Kollektoren mit
geringerer Durchströmung haben aufgrund der höheren Temperaturen einen niedrigeren
Wirkungsgrad. Im Extremfall kann es passieren, dass einzelne Kollektoren überhaupt
nicht durchströmt werden. Letzteres kann zum Sieden der Wärmeträgerflüssigkeit im Kol-
264 M. Kaltschmitt et al.

.
mKol
ΔθKol
ΔpKol

Serienschaltung Parallelschaltung
(Low-Flow-Prinzip) (High-Flow-Prinzip)
. . . .
mges = mKol mges = 4 mKol
Δθges = 4 ΔθKol Δθges = ΔθKol
Δpges = 4 ΔpKol Δpges = ΔpKol

. .
mges mges

Abb. 4.18 High-Flow (rechts) und Low-Flow (links) Anordnung (zur Erklärung der Formelzeichen
siehe Text) [4.6]

lektor führen; der dadurch entstehende Dampf blockiert dann die Durchströmung und
kann die Leistung des Kollektorfeldes reduzieren. Außerdem muss ein in das Gesamt-
system zu integrierendes Expansionsgefäß das entstehende Dampfvolumen aufnehmen
können, da ansonsten das erstandene Volumen über das Überdruckventil abgeblasen wird
und nachgefüllt werden muss.
Die Solarkollektoren können in Reihe oder parallel geschaltet werden; zusätzlich sind
auch Kombinationen möglich. Beides wird nachfolgend diskutiert.

 Durch eine Serienschaltung von Kollektoren addieren sich die Temperaturhübe der ein-
zelnen Kollektoren Kol zum gesamten Temperaturhub im Kollektorfeld ges . Der
Gesamtmassen- bzw. der Gesamtvolumenstrom des Wärmeträgermediums m P ges bzw.
VPges entspricht dem Massen- bzw. Volumenfluss durch jeden Einzelkollektor mP Kol bzw.
P
VKol . Damit ist der spezifische Massen- bzw. Volumenstrom bezogen auf die Gesamtflä-
che des Kollektorfeldes vergleichsweise gering (Low-Flow) (Abb. 4.18). Dem Vorteil
gegenüber der Parallelschaltung, dadurch schnell warmes Wasser verfügbar machen
zu können, steht als Nachteil – aufgrund der größeren Temperaturdifferenz – ein hö-
herer Wärmeverlust vom Absorber an die Umgebung entgegen (d. h. insgesamt ein
niedrigerer Gesamtwirkungsgrad der entsprechenden Solaranlage). Der höhere Druck-
verlust von seriell geschalteten Kollektoren wird durch die geringeren Druckverluste
in der Rohrleitung aufgrund des kleineren Gesamtmassenstroms ausgeglichen. Bei
der Serienschaltung werden die Kollektorflächen auch typischerweise gleichmäßiger
4 Solarthermische Wärmenutzung 265

durchströmt. Dabei muss aber das hydraulische Layout auf den Gesamtmassenstrom
abgestimmt sein. Bei der Auswahl der Pumpen muss zudem auf die unterschiedli-
chen Charakteristiken von Serien- und Parallelschaltung Rücksicht genommen werden.
Low-Flow Anlagen mit einem hohen Temperaturhub (bis zu 40 K) werden mit ei-
nem Volumenstrom im Solarkreis zwischen 10 bis 15 L=.h m2Kollektorfläche / bzw. einem
Massenstrom von 10 bis 15 kg=.h m2Kollektorfläche/ betrieben (Abb. 4.18). Derartige Sys-
teme werden deshalb typischerweise so ausgelegt, dass sie die Speicher dergestalt
beladen, dass das im Kollektor auf hohe Temperatur aufgewärmte Wasser möglichst
ohne große Temperaturverluste (z. B. durch Mischung im Speicher, bei den Mischven-
tilen) bis zum Verbraucher geleitet wird. Dabei ist aber immer ein Wärmeübertrager
zwischen der Wasser-Frostschutz-Mischung des Kollektorfluids und dem bereitzustel-
lenden Heizungs- bzw. Trinkwarmwasser notwendig. Um die hohen Temperaturhübe
an den Speicher weiterzugeben, kommen externe oder interne Gegenstrom-Wärme-
übertrager gekoppelt mit Schichtladeeinheiten (siehe unten) zur Anwendung.
 Durch die Parallelschaltung der Kollektoren (High-Flow) addieren sich die Massen-
bzw. Volumenströme m P Kol bzw. VPKol der Einzelkollektoren zu m
P ges bzw. VPges im Ge-
samtkollektorfeld. Hierbei ist der Temperaturhub des Gesamtfeldes ges gleich dem
Temperaturhub jedes einzelnen Kollektors Kol . High-Flow Anlagen werden meist
mit einem internen Wendelrohr-Wärmeübertrager zur Wärmeabgabe an den Wär-
mespeicher betrieben, da der Temperaturhub im Kollektorfeld nur vergleichsweise
gering ist und die Temperaturmischung im Speicher daher kaum zu Effizienzverlusten
im Kollektor führt. High-Flow Anlagen weisen mit einem maximalem Tempera-
turhub von 10 K Volumenströme ca. 50 L=.h m2Kollektorfläche / bzw. Massenströme von
50 kg=.h m2Kollektorfläche/ auf (Abb. 4.18). Kleine Anlagen in Einfamilienhäusern und /
oder mit weniger als 20 m2 Kollektorfläche werden zumeist nach diesem High-Flow
Prinzip ausgelegt. Die höheren hydraulischen Verluste, die durch den größeren Durch-
fluss entstehen, sind bei derartigen kleinen Anlagen wegen den insgesamt geringen
Verrohrungsbedürfnissen weitgehend vernachlässigbar.

Größere solarthermische Anlagen sind in der Regel nach dem Low-Flow Prinzip aus-
gelegt, weil dieser Ansatz für diesen Anwendungsfall eine Reihe von Vorteilen bietet.
Hier werden eine entsprechende Anzahl von Kollektoren als Module in Serie geschaltet
und die Kollektormodule ihrerseits werden parallel verschalten. Durch die hohe Anzahl
von in Serie geschalten Kollektoren ist der Verrohrungsaufwand relativ gering. Auch
werden infolge des geringen Durchflusses im Vergleich zum High-Flow Prinzip kleine-
re Rohrquerschnitte der Verbindungsleitungen, kleinere Pumpen (allerdings mit größerer
Förderhöhe) und weniger Flüssigkeit im Solarkreis benötigt. Das alles führt insgesamt zu
geringeren Investitionen im Vergleich zu High-Flow Anlagen.
Bei Großanlagen für Fernwärmenetze wird die Solaranlage oft auch mit einem varia-
blen Volumenstrom (Matched Flow) betrieben, durch den die Kollektoraustrittstemperatur
in einem weiten Bereich unabhängig von der Solarstrahlung auf die Solltemperatur des
Wärmeverbrauchers geregelt werden kann. Dadurch können nicht benötigte Übertempe-
266 M. Kaltschmitt et al.

raturen im Kollektor vermieden werden. Zudem können sich die Durchströmverhältnisse


im Kollektorfeld bei unterschiedlichen Durchflüssen verändern.
Die entsprechend verschalteten Kollektoren sind an je eine Sammelleitung für den Wär-
meträgerzu- und -abfluss angeschlossen. Zur gleichmäßigen Verteilung des Wärmeträgers
auf die einzelnen Absorber und damit der Druckverlust in der Verbindungsleitung – und
somit die Leistung der Umwälzpumpe – gering bleibt, sollten die Sammelleitungen einen
größeren Durchmesser als die Absorberrohre haben. Deshalb sollten auch die Fließwege
in den parallel geschalteten Kollektoren möglichst gleich sein und Zu- und Abflüsse der
Sammelleitungen an gegenüberliegenden Ecken angeschlossen werden (Tichelmann-Ver-
schaltung; u. a. [4.4]). Trotzdem nehmen mit der Anzahl parallelgeschalteter Kollektoren
bzw. Kollektormodule die Durchströmungsunterschiede und damit die Unterschiede der
Aufwärmspannen (aus  ei n ) zu. Daher sollten bei großen Kollektorfeldern die parallel
verschalteten Kollektormodule über Strangregulierventile abgeglichen werden.

Montage In Nord- und Mitteleuropa werden Kollektoren typischerweise auf Schrägdä-


chern installiert; hier stellen die Integration in die Dachhaut oder die Aufdachmontage
über den bereits vorhandenen Dachziegeln gängige technische Lösungen dar. Unabhängig
von der Montageart

 muss die Statik des Daches die Kollektorlast sicher aufnehmen (Indachkollektoren sind
hierbei oft leichter als die ursprünglich im Regelfall vorgesehenen Dachziegel),
 soll die Verankerung im Dach eine Abtrennung der Kollektoren vom Dach (z. B. bei
Wind) auf Dauer sicher vermeiden und
 darf die Wärmedehnung der Kollektoren und Leitungen nicht behindert werden.

Die Dachintegration ist i. Allg. unauffälliger und billiger im Vergleich zu der Auf-
dachmontage. Sie wird bevorzugt bei Neubauten eingesetzt. Zusätzlich werden dabei die
Kosten der alternativ dazu notwendigen Dacheindeckung im Kollektorbereich eingespart.
Bei der nachträglichen Montage werden die Kollektoren oft über den Dachziegeln an-
gebracht. Bei dieser im Vergleich zu Indachinstallation einfacheren Montage wird die
Dachhaut nicht verletzt. Auch sind bei Undichtigkeiten des Kollektors oder Schäden an
der Kollektorverglasung Folgeschäden am Gebäude weitgehend ausgeschlossen.
Die Montage der Kollektoren auf ebenen Flächen (z. B. auf Flachdächern, in Gärten)
erleichtert gegenüber der Schrägdachmontage eine optimale Ausrichtung und Neigung
in Bezug auf die standortspezifische Solarstrahlung. Meist werden dabei standardisierte
Gestelle verwendet, in die der Kollektor bzw. die Kollektoren integriert werden. Bei der
Gestellanordnung müssen Abschattungen – sowohl extern z. B. von umgebenden Gebäu-
den oder Bäumen als auch intern beispielsweise der einzelnen Gestelle untereinander –
möglichst weitgehend vermieden werden. Hierbei kann es sinnvoll sein, die Kollektoren
nur vergleichsweise gering zu neigen (z. B. 20ı ). Infolge der hierdurch geringeren internen
Abschattung können dann auf der gleichen Grundfläche insgesamt größere Kollektor-
flächen aufgestellt und damit bei gegebener Dachfläche die Energieerträge maximiert
4 Solarthermische Wärmenutzung 267

Neigungswinkel (Grad)

West 90° 70° 50° 30° 10° 10° 30° 50° 70° 90° Ost

100 %

95 %
90 %
85 %
Südwest Südost

Himmelsrichtung
Süd

Abb. 4.19 Durchschnittliche Abminderung des maximalen solaren Deckungsgrads einer solarther-
mischen Trinkwarmwasserbereitungsanlage mit ca. 60 % solarem Deckungsgrad für einen Standort
in Mitteldeutschland infolge einer nicht direkten Südausrichtung (Azimut) und einer Variation der
Neigung der Kollektorfläche (nach [4.1], modifiziert)

werden. Außerdem sinken die Aufständerungskosten durch kleinere Gestelle und gerin-
gere Windlasten. Der Minderertrag durch eine gegenüber der optimalen Aufständerung
flachere Neigung der Absorberoberfläche ist bei Anlagen mit kleinen solaren Deckungs-
graden i. Allg. gering.
Die Kollektoren sollten für einen maximal nutzbaren Solarertrag möglichst nach Sü-
den ausgerichtet und unter mitteleuropäischen Bedingungen – je nach Breitengrad des
Standortes – mit einer Neigung zwischen 20 und 60ı zur Waagerechten installiert werden.
Bei höheren solaren Deckungsgraden und insbesondere bei der Nutzung der Solarener-
gie auch zu Heizzwecken verlagert sich der Nutzen auch in die Übergangszeit und den
Winter. Da jedoch in diesen Zeiträumen die Sonne auf der Nordhalbkugel in Tagesdurch-
schnitt (im Winterhalbjahr) flacher einstrahlt, sollten solche Kollektorfelder im Sinne einer
Maximierung der Energieerträge zu den Jahreszeiten mit Raumwärmenachfrage (d. h.
Übergangszeit und Winter) eher steiler geneigt werden.
Abb. 4.19 zeigt exemplarisch die Verläufe der Abminderung des maximalen solaren
Deckungsgrads einer solarthermischen Anlage zur ausschließlichen solaren Trinkwarm-
wasserbereitung mit etwa 60 % solarer Deckung – und daher der Hauptnutzung vorwie-
gend im Sommer – für einen Standort in Mitteldeutschland. Demnach ist die Deckungs-
gradabminderung in einem Bereich von ˙25ı Neigung und ˙35ı Ausrichtungsvariation
von der Südrichtung (Azimut) nur relativ gering. Solche Abweichungen von dieser Ideal-
ausrichtung wirken sich daher i. Allg. nicht signifikant auf den solaren Wärmeertrag aus.
Deshalb besteht in vielen Fällen die Möglichkeit, die Kollektoren dachintegriert – und
damit ohne eine separate Aufständerung – zu montieren; Dachneigung und -ausrichtung
eines Wohnhauses werden typischerweise nicht im Sinne einer Maximierung der Solarer-
träge realisiert.
268 M. Kaltschmitt et al.

4.2.2 Weitere Systemelemente

Wärmeträgermedium An das Wärmeträgermedium, wie es beispielsweise im Solar-


kreislauf einer solarthermischen Anlage eingesetzt wird, werden u. a. folgende Anforde-
rungen gestellt:

 hohe spezifische Wärmekapazität,


 niedrige Viskosität (d. h. gute Fließ- und Strömungseigenschaften),
 kein Gefrieren oder Sieden im Betriebstemperaturbereich,
 keine Begünstigung von Korrosion im Leitungssystem,
 keine Brennbarkeit sowie
 Ungiftigkeit und biologische Abbaubarkeit.

Wasser erfüllt die meisten dieser Anforderungen sehr gut. Problematisch ist jedoch die
Einfrierungsgefahr bei Temperaturen unter 0 ı C. Wasser ohne Zusätze ist daher nur in den
wärmeren Zonen der Erde (d. h. Gebiete ohne Frostgefahr) problemlos einsetzbar.
In Mittel- und Nordeuropa werden aufgrund der Frostproblematik überwiegend Mi-
schungen aus Wasser und Frostschutzmittel verwendet. Dem Frostschutzmittel wird meis-
tens zusätzlich noch ein Korrosionsschutzmittel beigemischt, da Mischungen aus Was-
ser und Frostschutzmittel oft korrosiver wirken als reines Wasser. Die gängigsten Stoffe
sind Äthylenglykol und Propylenglykol; bei Trinkwarmwasseranlagen wird meistens das
lebensmittelechte Propylenglykol eingesetzt. Nachteile dieser Beimischung sind die im
Vergleich zu Wasser geringere spezifische Wärmekapazität, die höhere Viskosität und die
verringerte Oberflächenspannung des Flüssigkeitsgemischs. Die Mischung kann daher
durch Poren dringen, die für reines Wasser undurchlässig sind. Zudem sind die Druck-
verluste höher und der Wärmeübergang schlechter, so dass wesentliche Komponenten
(Pumpen, Leitungsquerschnitte, Wärmeübertrager) an dieses Gemisch angepasst werden
müssen. Mittlerweile sind auch speziell für Solaranlagen mit Stillstandsbetrieb bis 170 ı C
beständige vorgemischte Wärmeträgerflüssigkeiten auf Basis von Propylenglykol in Ver-
bindung mit Alkylenglykolen und vollentsalztem Wasser verfügbar.

Leitungen Kollektor und Speicher werden durch Leitungen miteinander verbunden. An-
lagengröße und Absorbermaterial bestimmen hier die Materialauswahl. Meistens werden
Rohre aus hartem oder weichem Kupfer oder Wellrohre aus Edelstahl eingesetzt; daneben
kommen auch Rohre aus Stahl und Polyethylen zur Anwendung. Letztere werden jedoch
nur bei Anlagen zur Schwimmbadwassererwärmung eingesetzt, da hier sicher keine Tem-
peraturen über 90 ı C auftreten können. Bestehen die Absorberrohre aus Aluminium, ist die
Verwendung von Kupferrohren aufgrund der damit verbundenen Korrosionsgefahr nicht
sinnvoll; zumindest muss aber eine galvanische Trennung realisiert werden. Hier kommen
zukünftig eventuell auch Aluminiumrohre zum Einsatz.
Querschnitt und Verlegungsart der Rohre bestimmen den zu überwindenden Druckab-
fall und die in den Leitungen enthaltene Masse bzw. Volumen des Wärmeträgermediums.
4 Solarthermische Wärmenutzung 269

Große Querschnitte vermindern den Druckabfall; sie erschweren aber die Regelung, da die
träge Masse des Rohrleitungsnetzes mit dem Querschnitt zunimmt. Außerdem vergrößert
sich dadurch auch die Leitungsoberfläche; dadurch steigen die Wärmeverluste entspre-
chend an.
Zur Verminderung von Wärmeverlusten sind die Leitungen des Kollektorkreislaufes zu
dämmen. Als Materialien kommen dafür Mineralwolle, Rohrschalen aus Polyurethan und
Schaumgummi in Frage. Zunehmend werden zur schnellen Montage vorisolierte Doppel-
rohre aus Edelstahl-Wellrohr mit inkludierter Kollektorfühlerleitung verwendet.
Die trotz Wärmedämmung noch auftretenden Wärmeverluste in den Leitungen liegen
bei den gängigen solarthermischen Anlagen zur Warmwasserbereitstellung bei etwa 10
bis 15 % der vom Kollektor abgegebenen Energie [4.6].

Pumpen In solarthermischen Anlagen mit Zwangsumlauf ist zur Aufrechterhaltung des


Kollektorkreislaufs eine Pumpe notwendig. Bei den gängigen solarthermischen Trink-
warmwasseranlagen sind Durchflussmengen von 30 bis 50 L/(h m2Kollektorfläche ) bei High-
Flow Konzepten und zwischen 10 und 15 L/(h m2Kollektorfläche ) für Low-Flow Anlagen üb-
lich. Nach diesem Volumenstrom richtet sich auch die Leistung der Kollektorkreispum-
pen.
Bei High-Flow Anlagen handelt es sich nahezu ausnahmslos um einfache, häufig leis-
tungsumschaltbare oder drehzahlgeregelte, Kreiselpumpen. Bei Low-Flow oder Drain-
Back Systemen kommen demgegenüber fallweise Flügelzellen- oder Zahnradpumpen zur
Anwendung, die auch bei größerer Förderhöhe und kleinem Volumenstrom einen guten
Wirkungsgrad aufweisen.
Diese Pumpen werden im Regelfall elektrisch angetrieben; sie werden meist direkt aus
dem Stromnetz der öffentlichen Versorgung mit elektrischer Energie versorgt. Sie können
aber auch, dann als Gleichstrompumpen, von einem Photovoltaikmodul entsprechender
Leistung mit Energie versorgt werden. Bei dieser aufwändigeren, aber infolge des Preis-
verfalls bei der Photovoltaik tendenziell im Vergleich zum (zumindest in Deutschland
relativ hohen) Stromtarif des lokalen Versorgers kostengünstigeren Art der Pumpstrom-
bereitstellung kann der Vorteil genutzt werden, dass die Pumpe meist dann elektrische
Energie benötigt, wenn ein entsprechendes Solarenergieangebot vorhanden ist. Damit
korrelieren in diesem Fall Strahlungsangebot und elektrische Energienachfrage; d. h. ein
elektrischer Energiespeicher kann typischerweise entfallen, obwohl die Pumpe netzautark
betrieben wird.
Die für den Antrieb der Pumpe benötigte elektrische Energie liegt bei den gängigen
solarthermischen Anlagen zur Trinkwarmwasserbereitstellung bei etwa 1 bis 2 % bezogen
auf die am Ausgang der Solaranlage verfügbare Wärme. Bei größeren Anlagen ist die
benötigte elektrische Energie aufgrund besserer Pumpenwirkungsgrade noch geringer.

Speicher Für das physikalische Grundprinzip der solarthermischen Wärmegewinnung ist


ein Wärmespeicher nicht erforderlich. Jedoch sind in fast allen solarthermischen Anlagen
Wärmespeicher integriert. Ursache dafür ist die meist weitgehende Nicht- und z. T. so-
270 M. Kaltschmitt et al.

gar Antikorrelation von solarem Strahlungsangebot und der Wärmenachfrage der privaten
Haushalte bzw. der anderen angeschlossenen Wärmenachfrager.
Aufgabe eines derartigen Wärmespeichers ist es, die im Kollektor mittels Solarstrah-
lung erzeugte Wärme zwischen zu speichern und für die Zeitperioden bereitzuhalten, in
denen sie vom Konsumenten benötigt wird (Kapitel 14). Ein solcher Wärmespeicher be-
steht im Regelfall aus einem Wärmespeichermedium, einer festen, gut wärmegedämmten
Umhüllung sowie den entsprechenden Einrichtungen zur Wärmezu- und -abfuhr.
Für das Wärmespeichermedium ist die jeweilige spezifische Wärmekapazität eine
wichtige Kenngröße; darunter versteht man die Wärmemenge, die zur Temperaturer-
höhung einer bestimmten Stoffmenge um 1 K notwendig ist. Im Gebäudebereich ist
dabei immer die auf das Volumen bezogene Speicherkapazität relevant, da umbauter
Raum einen Kostenfaktor darstellt. Weitere Kriterien technischer Art, die den Einsatz
eines Materials als Wärmespeichermedium für diesen Anwendungsfall (mit-)bestimmen,
sind die kostengünstige Verfügbarkeit, die Verträglichkeit mit anderen Materialien (z. B.
Korrosionsgefahr) sowie die Umweltverträglichkeit.
Speicherbauarten können nach der Wärmespeicherungsart (chemisch, thermisch) und
dem Zustand des Speichermaterials unterschieden werden. Im Bereich der solaren Nieder-
temperaturwärmespeicherung (bis ca. 80 ı C) wird hauptsächlich die thermische Wärme-
speicherung angewendet. Hierfür kommen im Wesentlichen Flüssigkeitsspeicher (hier:
Wasserspeicher), Feststoffspeicher und in sehr seltenen Fällen auch Latentwärme- bzw.
Sorptionsspeicher vor (Kapitel 14). Sie werden nachfolgend diskutiert.

Flüssigkeitsspeicher (Wasserspeicher) Der Wasserspeicher ist der in solarthermischen


Anlagen am häufigsten verwendete Speicher. Im Folgenden werden verschiedene derarti-
ge Speichertypen diskutiert.
Im mit Abstand einfachsten Fall handelt es sich bei dieser Art der Wärmspeicherung
um das Schwimmbecken eines Freibades, das dann jedoch eine Mehrfachfunktion (d. h.
Wärmespeicher, Schwimmbad) ausübt.
Für die Wärmespeicherung in Trinkwarmwassersystemen kommen meist eigens in-
stallierte druckbehaftete oder drucklose isolierte Tanks zum Einsatz. Derartige Speicher
können direkt oder indirekt be- und entladen werden. Für die in Mittel- und Nordeuropa
meist verwendeten Zwangsumlaufsysteme werden in der Regel Druckspeicher mit einem
Wärmeübertrager für den Kollektorkreislauf verwendet. Bei derartigen Trinkwarmwasser-
speichern ist der Kaltwasserzulauf im untersten Speicherbereich und der Warmwasserab-
lauf oben am Speicher angeordnet (kaltes Wasser zeigte eine größere Dichte als warmes
Wasser und sammelt sich deshalb im unteren Speicherbereich an). Oft besitzt der Warm-
wasserspeicher noch einen zweiten Wärmeübertrager und / oder einen Elektroheizstab für
die speicherinterne Nachheizung.
Ein derartiger Speicher ist zumeist in unterschiedliche Schichten unterteilt. Die Solar-
anlage speist die Wärme dabei an der tiefsten und damit kältesten Stelle ein, damit der
Kollektor maximal effizient betrieben werden kann (d. h. Minimierung der Temperatur-
differenz zwischen dem Wärmeträgermedium und der Umgebung). Das Volumen für die
4 Solarthermische Wärmenutzung 271

Abb. 4.20 Zonale Untertei-


lung eines Wasserspeichers für Bereitschafts-
volumen der
Solaranlagen Elektroheizung
Bereitschafts-
volumen der Warmwas-
Nachheizung serablauf
Wärme-
übertrager
Nachheizung

Volumen Wärme-
dämmung
ausschließ-
lich für die Temperatur-
fühler
Solaranlage
Wärme-
übertrager
Solaranlage
Nicht nutzba-
Kaltwasser-
res Volumen
zulauf
(„Totvolumen“)

Nachheizung befindet sich am oberen Ende des Speichers. Seine Größe bestimmt sich aus
der Leistung und der gewünschten Mindestlaufzeit der Nachheizung (Abb. 4.20).
Als korrosionsbeständiges und langlebiges Tankmaterial werden für Trinkwarmwas-
serspeicher Edelstahl bzw. emaillierter oder temperaturfest (ca. 120 ı C) beschichteter
Stahl eingesetzt; in Einzelfällen kann auch temperaturbeständiger glasfaserverstärkter
Kunststoff genutzt werden. Für Speicher mit Heizungswasser werden zumeist sogenannte
„schwarze“ Speicher verwendet; sie bestehen aus unbehandelt oder lackiertem Stahl. Ein
derart geringer Korrosionsschutz ist aufgrund des fehlenden dauernden Eintrags von im
Wasser gelösten Sauerstoff in geschlossenen Heizungssystemen möglich. Zusätzlich dazu
gibt es auch Entwicklungen für den Aufbau flexibler Speicher, die vor Ort mittels eines
Stahlgerüsts, einer Wärmedämmung in Bausteinen und einer innenverschweißten Folie
aufgebaut [4.8] oder aus einzelnen Segmenten zusammengesetzt werden.
Zumeist ist ein Tank außen mit Mineralwolle, Weichschaum oder Spezialkunststoffen
gedämmt. Zur Vermeidung von Wärmebrücken sind insbesondere auch Anschlussflansche
und Befestigungen gegen Wärmeverluste zu schützen. Die trotzdem noch vorhandenen
Wärmeverluste liegen bei richtig ausgelegten solarthermischen Anlagen zur Trinkwarm-
wasserbereitstellung im Jahresmittel zwischen 10 und 15 % der vom Kollektor an den
Speicher abgegebenen Wärme.
Wird die solare Wärme mit einem internen Wärmeübertrager im Speicher auf das Spei-
chermedium übertragen, ist aufgrund der Temperaturschichtung im Medium Wasser – das
spezifisch schwerere kalte Wasser befindet sich unten und das leichtere warme Wasser
oben – der Wärmeübertrager des Kollektorkreislaufs unten im Speicher anzuordnen. Da-
mit kann der Kollektor immer im tiefsten möglichen Temperaturniveau und damit mit
dem höchsten möglichen Wirkungsgrad betrieben werden. Das Temperaturprofil im Was-
serspeicher ist auch die Ursache dafür, dass sich der Kaltwasserzulauf immer unten und
der Trinkwarmwasserablauf oben im Speicher befinden. Der Wärmeübertrager für die in-
272 M. Kaltschmitt et al.

terne Nachheizung für den Fall, dass die Solaranlage beispielsweise im Winter aufgrund
geringer Solarstrahlung oder bei schlechtem Wetter nicht ausreichend Wärme liefert, be-
findet sich im oberen Bereich des Speichers und heizt nur das Bereitschaftsvolumen. Das
untere Volumen steht damit ausschließlich der Solaranlage zur Verfügung.
Die Größe des Bereitschaftsvolumens für die Nachheizung bemisst sich aus dem tägli-
chen Verbrauch (typischerweise 120 bis 150 L für einen Vier-Personen-Haushalt aufgrund
des Bedarfs einer Badewanne plus Reserve). Für alle größeren Warmwassersysteme muss
zur Erfüllung der gesetzlichen Vorgaben bzw. aus Hygienegründen (Legionellenproblema-
tik, siehe unten) eine tägliche Erhitzung des gesamten Trinkwarmwasserzulauf im System
auf über 60 ı C bzw. bei einer Zirkulationsleitung des Rücklaufs auf 55 ı C gewährleistet
werden [4.36, 4.37].
Wird die thermische Solaranlage sowohl für die Trinkwarmwasserbereitung als auch
die Raumheizung eingesetzt, können entweder separate Wärmespeicher für Trink-
warmwasser und für die Heizungsunterstützung oder kombinierte Speicher, sogenannte
Kombispeicher, verwendet werden. Bei letzterer Option ist sicherzustellen, dass die Hy-
gienevorschriften zur Trinkwarmwasserbereitstellung sicher eingehalten werden können.
Abb. 4.21 bis 4.23 zeigen beispielhaft die hydraulischen Möglichkeiten der Trinkwarm-
wasserbereitstellung, der Einbringung der vom Kollektorsystem kommenden Solarwärme
sowie der Entnahme für die Heizung für solche Kombispeicher. Dabei sollte immer die
oberste Zone des Kombispeichers für die Trinkwarmwasserbereitung reserviert sein, da
die meisten heute verwendeten Heizungssysteme geringere Temperaturen als die Trink-
warmwasserbereitung benötigen. Der mittlere Teil sollte der Heizung vorbehalten sein.
Der untere Teil dient dann für die Vorwärmung des Trinkwarmwassers; bei Niedertempe-
raturheizungen kann dieser Teil auch für die Heizung genutzt werden.

 Erfolgt die Trinkwarmwasserbereitung über einen internen Wärmeübertrager (Abb.


4.21, links), sollte in den im oberen Speicherteil befindlichen Spiralen des Wär-
meübertragers ausreichend Volumen zum Befüllen eine Badewanne vorhanden sein
(ca. 120 L). Bei voll aufgedrehtem Warmwasserhahn und 45 ı C Solltemperatur kön-
nen die hierbei notwendigen 26 kW Wärmeleistung im Durchlauferhitzerprinzip nur
bei sehr hohen Speichertemperaturen bereitgestellt werden. Ist ausreichend Volumen
vorhanden, kann dieses langsam aufgeheizt und bei der Trinkwarmwasserzapfung ent-
nommen werden. Der untere Wendel des in Abb. 4.21, links, schematisch dargestellten
Wärmeübertragers dient zur Vorwärmung des Kaltwassers.
 Bei der Tank-in-Tank Lösung (Abb. 4.21, Mitte) wird, ähnlich dem Spiralwärmeübertra-
ger, im oberen Speicherteil das Trinkwarmwasservolumen bereitgestellt und im unteren
Speicherteil erfolgt die Vorwärmung. Oft wird auch unten eine Vorwärmspirale und ein
eingehängter Speicher im oberen Speicherteil eingesetzt. Bei kalkhaltigem Wasser sollte
der Speicher nicht über 60 ı C aufgeheizt werden, da es sonst zu Kalkausfall im Trink-
warmwasserteil kommen kann; dies begrenzt die Energiespeicherung des Speichers und
kann zu einer Verstopfung der Anschlüsse im unteren Speicherteil führen.
4 Solarthermische Wärmenutzung 273

Trinkwarmwasser

Pumpe Wärme-
Trinkwarmwasser Trinkwarmwasser
übertrager
Speicher im
Speicher Kaltwasser
Kaltwasser Kaltwasser

Wärme-
über-
trager

Speicher Speicher Speicher

Abb. 4.21 Möglichkeiten der Trinkwarmwasserbereitung in Kombispeichern (interner Spiralwärme-


übertrager (links), Tank-in-Tank-System (Mitte), externes Frischwassermodul (rechts)) (nach [4.35])

 Alternativ dazu kann Trinkwarmwasser auch über ein sogenanntes Frischwassermo-


dul bereitgestellt werden (Abb. 4.21, rechts); die Trinkwarmwasserbereitung erfolgt
dann in einem externen Wärmeübertrager über eine drehzahlvariable Pumpe auf der
Heizungsseite, die über die Soll-Trinkwarmwassertemperatur geregelt wird. Wird dem
Wärmeübertrager ein Mischventil vorgeschaltet, kann unabhängig von der Speicher-
temperatur durch eine Kaltwasserbeimischung eine Verkalkung des Wärmeübertragers
auf der Trinkwarmwasserseite vermieden werden. Damit kann der Speicher über 60 ı C
aufgeheizt werden und somit mehr Energie speichern. Allerdings führt der externe
Wärmeübertrager zu erhöhten Wärmeverlusten; dies mindert den Effekt der höheren
Energiespeicherung. Die Bauweise des Wärmeübertragers muss auf die chemische
Zusammensetzung des vor Ort vorhandenen Frischwassers abgestimmt werden, um
Korrosion am Wärmeübertrager zu vermeiden. Frischwasserstationen sind eigensicher
bezüglich der Legionellenproblematik (Legionellen sind Bakterien, die sich in Wasser
zwischen 25 und 50 ı C vermehren und bei Kontakt mit der menschlichen Lunge zu
Erkrankungen führen können, die in seltenen Fällen tödlich sind; über 60 ı C sterben
Legionellen ab); d. h. durch die vergleichsweise kurze Rohrleitung zwischen Frisch-
wasserstation und Verbraucher haben Legionellen keine Zeit zur Vermehrung und die
Konzentration bleibt immer unterhalb der gesetzlich geregelten hygienischen Grenz-
werte.

Die Einbringung der Solarwärme in den Wärmespeicher ist abhängig von der Kollek-
torverschaltung. Nachfolgend werden deshalb unterschiedliche gängige technische Lö-
sungen dargestellt (Abb. 4.22). Alle diese Schichtladeeinheiten dienen dazu, dass das
im Kollektor auf eine relativ hohe Temperatur aufgeheizte Wasser im Speicher nicht auf
niedrigere Temperaturen heruntergemischt wird und dadurch entstehende entsprechende
Verluste vermieden werden.
274 M. Kaltschmitt et al.

vom
Kollektor

zum
Kollektor

Abb. 4.22 Möglichkeiten der Übergabe der Solarwärme in Kombispeichern (interner Spiral-
wärmeübertrager (links), interner Spiralwärmeübertrager mit Schichtlader (Mitte, links), externer
Wärmeübertrager (Mitte, rechts), externer Wärmeübertrager mit Schichtlader (rechts)), nach [4.35]

 Bei High-Flow Systemen mit kleiner Temperaturspreizung im Kollektorkreis kann die


Wärme über einen internen Wärmeübertrager im unteren Teil des Speichers einge-
bracht werden (Abb. 4.22, links). Um bei Tagen ohne Heizwärmenachfrage mit nur
kurzer hoher Solarstrahlung bereits genügend hohe Temperaturen für das Trinkwarm-
wasser bereitzustellen, kann ein zweiter Wärmeübertrager im oberen Speicherteil ein-
gebracht werden.
 Abb. 4.22, Mitte links bis rechts, zeigen unterschiedliche (Schicht-)Ladevarianten für
Low-Flow Systeme.
– Abb. 4.22, Mitte links, stellt ein System mit einem internen Wärmeübertrager in ei-
nem unten offenen Schichtladerohr dar. Das Wasser strömt aufgeheizt durch den
Wärmeübertrager in Naturzirkulation durch dieses Schichtladerohr, welches das
Wasser in der Speicherhöhe, an der die gleiche Temperatur wie im Rohr herrscht, in
den eigentlichen Speicher einströmen lässt. Im einfachsten Fall ist dies ein Rohr mit
Löchern in verschiedenen Höhen innerhalb des Speichers. Solange die Temperatur
des Wassers und damit die entsprechende Dichte im Rohr geringer ist als im umge-
benden Speicher, strömt das Wasser weiter nach oben; ist demgegenüber die Dichte
im Rohr gleich oder höher als das umgebende Wasser im eigentlichen Speicher,
wird dieses nach außen in den Speicher umgelenkt. Um ein Einströmen von Spei-
cherwasser in den unteren Löchern zu vermeiden (und damit ein Heruntermischen
der Temperatur) sind an den Löchern oft sehr leicht bewegliche Rückschlagklappen
angebracht, die ein Einströmen verhindern.
– Abb. 4.22, Mitte rechts, zeigt das gleiche Prinzip (Abb. 4.22, Mitte links) auf der
Basis eines außerhalb des eigentlichen Speichers (d. h. extern installierten) Wärme-
übertragers.
– In Abb. 4.22, rechts, wird demgegenüber eine Einspeisung in verschiedene Höhen
des Speichers durch extern angebrachte Ventile realisiert. Solche Schaltungen wer-
den für große Speicher in z. B. Fernwärmesystemen angewendet.
4 Solarthermische Wärmenutzung 275

Speicher

Speicher
Schichtlader
Schichtlader
Warmwasser- Warmwasser- Warmwasser- Warmwasser-
Speicher entnahme Speicher entnahme entnahme entnahme

Abb. 4.23 Möglichkeiten der Entnahme der Heizungswärme in Kombispeichern (direkte Anbin-
dung (links), direkte Anbindung mit Rücklauf Schichtlader (Mitte, links), direkte Anbindung von
unten (Mitte, rechts), direkte Anbindung von unten mit Rücklauf Schichtlader (rechts)) (nach [4.35])

Typischerweise werden bei größeren Kollektorflächen externe Wärmeübertrager ein-


gesetzt, da die Wärme mit internen Wärmeübertragern nicht mehr mit den gewünschten
kleinen Temperaturverlusten übertragen werden kann. Dies bedingt eine zusätzliche Pum-
pe zwischen Wärmeübertrager und Speicher im sogenannten Sekundärkreis, die dann
ebenfalls mit Energie zu versorgen ist.
Die Heizungseinbindung erfolgt unterhalb der Trinkwarmwasserbereitung entweder
mit direkten Anschlüssen seitlich (Abb. 4.23, links) oder von unten (Abb. 4.23, Mitte
rechts). Eine Einbindung von unten reduziert die zusätzlichen Wärmeverluste durch die
Durchdringung der Wärmedämmung; allerdings findet eine gewisse Wärmeübertragung
von den Rohren im Speicher zum umgebenden Speicherwasser statt. Abb. 4.23, Mitte
links, und Abb. 4.23, rechts, binden den Heizungsrücklauf zusätzlich über Schichtlade-
einheiten ein.
Wärmeübertrager, früher auch als Wärmetauscher bezeichnet, dienen hier der Übertra-
gung der solar gewonnenen Wärme von einem Medium auf ein anderes bei gleichzeitiger
Stofftrennung. Sie sind notwendig, wenn der Speicher indirekt be- oder entladen wird. Die
übertragene Wärme ist abhängig von

 der Temperaturdifferenz zwischen beiden Medien,


 der Oberfläche des Wärmeübertragers,
 dem Massenfluss und der Strömungsgeschwindigkeit auf beiden Seiten des Wärme-
übertragers und
 dem Verhältnis von Dichte und spezifischer Wärmekapazität der beiden Medien.

Bei solarthermischen Anlagen werden externe (d. h. der Wärmeübertrager ist außerhalb
des eigentlichen Speichers installiert) und interne Wärmeübertrager (d. h. der Wärmeüber-
trager ist innerhalb des eigentlichen Speichers installiert) eingesetzt.

 Als interne Wärmeübertrager kommen üblicherweise Glattrohr- oder Rippenrohrwär-


meübertrager und teilweise auch Doppelmantelwärmeübertrager zum Einsatz. Ein Vor-
teil derartiger interner Wärmeübertrager ist der geringe Platzbedarf. Nachteilig sind
276 M. Kaltschmitt et al.

der relativ kleine Wärmeübergang und die dadurch vergleichsweise große notwendige
Temperaturdifferenz und die beschränkte Größe.
 Externe Wärmeübertrager werden fast immer als Gegenstromwärmeübertrager ausge-
führt. Gebräuchlich sind Platten-, Rohrbündel- (für Großanlagen) und Koaxialwärme-
übertrager (Kapitel 8.2 und 9.2). Vorteile solcher externer Wärmeübertrager sind die
höheren Wärmeübertragungsleistungen bei relativ geringer Temperaturdifferenz sowie
die Möglichkeit, das erwärmte Wasser oben im Speicher einzubringen. Daher wer-
den sie bevorzugt bei Kollektorflächen über 15 bis 20 m2 eingesetzt. Auch kann eine
bessere Temperaturschichtung im Speicher als bei internen Wärmeübertragern erreicht
werden. Nachteilig sind die höheren Wärmeverluste, der größere Platzbedarf und eine
zusätzlich benötigte Pumpe im Sekundärkreis.

Im Mittel wird je Quadratmeter Kollektorfläche bei Warmwasseranlagen mit einem


internen Wärmeübertrager eine berippte Übertragerfläche von etwa 0,4 m2 bei Rippenroh-
ren und von rund 0,2 m2 bei glatten Übertragerrohren benötigt [4.14]. Bei einem externen
Wärmeübertrager kann die Übertragerfläche aufgrund des besseren Wärmeüberganges auf
0,05 bis 0,08 m2 reduziert werden [4.6].

Feststoffspeicher Bei den Feststoffspeichern handelt es sich entweder um Schüttungen


aus Kies oder anderen Gesteinen (Gesteinsmischungen) oder um massereiche Teile des
eigentlichen Gebäudes (z. B. Wände, Fußböden, Decken); derartige Speicher sind des-
halb häufig direkt in das jeweilige Gebäude integriert. Solche Feststoffspeicher können
grundsätzlich mit Flüssigkeit oder Luft als Wärmeträger betrieben werden. Sie werden
aber vorrangig in Systemen mit Luftkollektoren eingesetzt; deshalb wird nur diese Option
nachfolgend diskutiert.
Die einfachste Form eines Feststoffspeichers stellt der Estrich um eine Fußbodenhei-
zung dar. Bei solarer Einstrahlung wird die Wärme in den Fußboden eingebracht und von
diesem zeitverzögert an den Raum abgegeben; bei richtiger Dimensionierung erfolgt die
Wärmeabgabe am Abend und in der Nacht (d. h. tageszeitliche Speicherung). Dabei muss
aber sichergestellt werden, dass eine Überwärmung der Räume vermieden wird.
Gesteinsschüttungen können sich beispielsweise unter dem Erdgeschossfußboden oder
senkrecht in einer Gebäudewand befinden. Bei losen Schüttungen bestimmter Gesteine
oder Gesteinsmischungen wird beispielsweise die warme vom Luftkollektor kommende
Luft von oben diesem Speicher zugeführt; sie gibt ihre Wärme dann an das Gestein ab,
bevor sie den Schüttgut- oder Geröllspeicher unten wieder verlässt. Die Wärmeabfuhr ver-
läuft in umgekehrter Richtung. Werden demgegenüber bestimmte Gebäudeteile (z. B. De-
cken, Wände) direkt als Speichermedium verwendet, spricht man von Hypokausten. Die
warme vom Kollektor kommende Luft wird dann durch Kanäle in den jeweiligen als Spei-
cher genutzten Bauteilen geführt und wärmt diese auf. Diese Bauteile geben die Wärme
dann zeitverzögert und mit geringerer Amplitude an die in dem umbauten Gebäudevolu-
men befindliche Luft wieder ab. Im Gegensatz zu Geröllspeichern können Hypokausten
nur geregelt beladen werden; demgegenüber ist die Wärmeabgabe ungeregelt.
4 Solarthermische Wärmenutzung 277

Da die Wärmekapazität von Beton oder Gestein deutlich niedriger ist als diejenige
von Flüssigkeiten (Kapitel 14), sind für die gleiche Speicherkapazität etwa zwei- bis
dreimal größere Volumina notwendig. Zudem erfordert die Wärmeein- und -ausbringung
bei geringen Temperaturdifferenzen große Wärmeübertragerflächen, die gleichmäßig im
Speicher verteilt sein müssen. In direkt mit dem Wärmeträger (d. h. der solartechnisch
erwärmten Luft) durchströmten Schüttungen und den Hypokausten entfällt dieser Wär-
meübertrager. Dem Nachteil des größeren Platzbedarfs steht als Vorteil die einfachere
Herstellung gegenüber, da der Gesteinsspeicher drucklos betrieben wird. Weiterhin wer-
den an ihn wenige Anforderungen bezüglich Dichtigkeit gestellt und er kann auch bei sehr
hohen Temperaturen betrieben werden.

Latentwärmespeicher Der Aggregatzustand eines Materials (z. B. Schmelzen, Verdamp-


fen) verändert sich bei konstanter Temperatur unter Zu- bzw. Abfuhr von Energie (Kapi-
tel 14) (Abb. 4.24); d. h. beim Schmelzen bzw. Verdampfen eines Stoffes wird thermische
Energie benötigt und beim Erstarren bzw. Kondensieren wird diese Wärme wieder frei.
Schmelz- und Erstarrungstemperatur sowie Verdampfungs- und Kondensationstempera-
tur sind dabei gleich (d. h. die Temperatur des Speichermediums ändert sich dabei nicht).
Die bei diesen Aggregatzustandsänderungen im Material gespeicherte oder von ihm ab-
gegebene Wärme wird als latente, nicht fühlbare Wärme bezeichnet (Kapitel 14).
Erfolgt die Änderung des Aggregatzustandes bei höheren Temperaturen als der Umge-
bungstemperatur, kann die latente Wärme im Material gespeichert werden. Zur Wärme-
speicherung muss entsprechend Wärme zugeführt werden, so dass die Temperatur bis auf
die Temperatur der Aggregatzustandsänderung erhöht wird.
Für die Niedertemperaturwärmespeicherung, wie sie für solarthermische Systeme zur
Anwendung kommt, wird zumeist der Phasenwechsel fest zu flüssig genutzt, da die Volu-
menvergrößerung beim Phasenwechsel flüssig zu gasförmig bei normalen Drücken nur mit
einem großen Aufwand in geschlossenen Speichern technisch beherrscht werden kann.
Temperatur

Umwandlungswärme Umwandlungswärme
(latente Wärme) (latente Wärme)

Siedetemperatur

Schmelztemperatur
fest und flüssig flüssig und gasförmig
flüssig gasförmig
(schmelzen) (verdampfen)
fest
Wärmemenge

Abb. 4.24 Temperaturverlauf eines Stoffes in Abhängigkeit der zugeführten Wärme


278 M. Kaltschmitt et al.

Derartige Latentwärmespeicher zeichnen sich bei der Ladung und der Entladung nahe
der Temperatur des Phasenwechsels durch eine hohe Energiedichte aus. Im rein flüssigen
oder ausschließlich festen Bereich haben sie dagegen bestenfalls ähnliche Stoffwerte wie
Wasser. Da die Phasenwechselmaterialien zumeist nicht gleichzeitig auch der Wärmeträ-
ger zum Wärmeerzeuger und / oder Wärmeverbraucher sind, müssen sie im Speicher vom
Wasser als das üblicherweise eingesetzte Wärmeträgermedium getrennt werden. Diese
Trennung kann entweder durch Behälter, in denen sich das Phasenwechselmaterial be-
findet, oder durch Speicher mit Phasenwechselmaterial realisiert werden, in denen vom
Wärmeträgermedium durchflossene Wärmeübertrager angebracht sind. Die Behälter kön-
nen dabei als Platten, Kugeln oder Zylinder mit maximal einigen cm Stärke oder als
Mikroverkapslung mit Kapseln von nur einigen µm Durchmesser realisiert werden. In
letzterem Fall können die Mikrokugeln auch als Suspension mit Wasser als Wärmeträger
gepumpt werden. Dann ist die maximale Anzahl derartiger Kugeln jedoch aufgrund der
Zähigkeit der Suspension mit ca. 35 % Anteil an Phasenwechselmaterial begrenzt.
Die Wärmezufuhr muss aufgrund des Wärmeübergangs vom Wärmeträgermedium
(meist Wasser) auf den Behälter mit Phasenwechselmaterial und des Wärmedurchgangs
im Phasenwechselmaterial bei höherer Temperatur als die Schmelztemperatur des Pha-
senwechselmaterials stattfinden. Umgekehrt kann bei der Entladung aus dem gleichen
Grund nur eine geringere Temperatur als die Erstarrungstemperatur genutzt werden. Die
daraus resultierenden Temperaturverluste sind umso größer, je höher die Wärmeleistung
in Bezug auf die Wärmeübertrageroberfläche ist. Damit können Wärmezu- und -abfuhr
nicht bei gleicher Temperatur vorgenommen werden.
Außerdem treten beim Phasenwechsel Volumenänderungen auf, die technisch be-
herrscht werden müssen. Hinzu kommen die Mehrkosten von Phasenwechselmaterial
und Containern bzw. Wärmeübertragern gegenüber den üblicherweise eingesetzten rei-
nen Wasserspeichern. Verschiedene Materialien können zudem bei der Wärmeabfuhr
unterkühlen; dies muss dann durch entsprechende Zusätze sicher verhindert werden.
Allerdings kann die Unterkühlung auch aktiv zur saisonalen Speicherung genutzt wer-
den. Wird das flüssige Phasenwechselmaterial auf Raumtemperatur – ohne zu erstarren
– abgekühlt, kann die latente Wärme beliebig lange gespeichert werden. Durch einen
Impuls kann dann der Erstarrungsvorgang ausgelöst und dann die dabei freiwerdende
Wärme entnommen werden. Die Wärme, die beim Auskühlen abgegeben wird, ist aller-
dings „verloren“. Außerdem benötigt ein solcher Saisonspeicher eine Segmentierung in
viele kleine Speicher, die der Reihe nach aktiviert werden können. Dieses Prinzip wird
z. B. bei den regenerierbaren Handwärmern angewendet. Werden anorganische Salze als
Phasenwechselmaterialien verwendet, treten zusätzlich Korrosionsprobleme auf [4.9].
Eine Spezialform des Latentwärmespeichers stellen Sorptionsspeicher dar, die den
Phasenübergang flüssig zu gasförmig nutzen. Als Sorbens kann z. B. Silikagel eingesetzt
werden. Bei der Beladung wird über eine Wärmezufuhr Wasser aus dem Silikagel als
Wasserdampf ausgetrieben. Dies erfolgt ab Temperaturen von 60 ı C; damit kann die Wär-
me, wie sie mithilfe von Sonnenkollektoren bereitgestellt werden kann, gut eingesetzt
werden. Das getrocknete Silikagel kann außerdem leicht gelagert werden. Zur Wärme-
4 Solarthermische Wärmenutzung 279

entnahme wird Wasserdampf über das Silikagel geführt, welches in einer exothermen
Reaktion das Wasser adsorbiert. Die hierbei entstehende Wärme, bei der es sich primär
um Kondensationswärme und zu einem geringeren Teil um chemische Bindungswärme
handelt, ist dann nutzbar. Der Wasserdampf kann aufgrund niedriger absoluter Betriebs-
drücke (10 bis 100 mbar) über Sonnenkollektoren auch im Winter erzeugt werden. Jedoch
wird nur geringfügig mehr Energie bei der Adsorption frei, als für die Erzeugung des
Wasserdampfs eingesetzt werden muss – allerdings bei bis zu 40 ı C höherer Temperatur.
Somit ist der Sorptionsspeicher beim Entladen eine Art Wärmepumpe (vgl. Kapitel 8).
Die Energiedichten werden mit 150 bis 250 kWh/m3 angegeben. Bisher sind jedoch noch
keine Latentwärmespeicher für Solaranlagen am Markt verfügbar [4.10].

Speicherdauer Bei der Wärmespeicherung können Kurzzeit-, Tages- und Saisonspeicher


unterschieden werden.

 Kurzzeitspeicher speichern Wärme lediglich für einige Stunden; ein typisches Beispiel
ist die direkte Speicherung im Estrich einer Fußbodenheizung.
 Tagesspeicher sind in der Lage, Wärme einen bis mehrere Tage zu speichern; dies
ist der „klassische“ Anwendungsfall für solarthermische Trinkwarmwasseranlagen und
teilsolare Heizungsanlagen mit solaren Deckungsgraden von bis ca. 60 %.
 Saisonale Wärmespeicher sollen Wärme im Verlauf eines Kalenderjahres (oder sogar
mehrjährig) speichern. Der typische bzw. „klassische“ Anwendungsfall für Solarsys-
teme ist die Speicherung der im Sommer eingelagerten Wärme bis in den Winter,
wo sie dann für die Raumwärmebereitstellung genutzt werden kann; d. h. saisona-
le Speicher werden vorrangig dann eingesetzt, wenn die solarthermische Anlage im
Jahresverlauf die gegebene Wärmenachfrage möglichst vollständig decken soll. Dazu
werden große Speichervolumina benötigt. Zur Anwendung können Wasser-, Aquifer-
und Sondenspeicher kommen (Abb. 4.25). Ein wesentliches Problem bei allen saiso-
nalen Speichern ist der z. T. erhebliche Temperatur- und damit der Energieverlust im
Verlauf des Speicherzeitraums [4.11]. Oft werden Großspeicher deshalb auch mit Wär-
mepumpen (vgl. Kapitel 8) kombiniert, um sie auch unter die notwendige Temperatur
der Nutzung abkühlen zu können. Nachfolgend werden die wesentlichen saisonalen
Speicheransätze kurz diskutiert (Abb. 4.25).
– Wasserspeicher können über- oder unterirdisch mit wärmegedämmter Stahl- oder
Betonumhüllung oder in abgeschlossenen Felskavernen angelegt werden.
– In natürlich vorhandenen Aquiferen (d. h. wasserdurchlässige, abgegrenzte Ge-
steinsformation wie z. B. ein oberflächennaher und stabiler Grundwasserleiter)
kann die Wärmespeicherung im Sommer durch die Entnahme von kaltem und die
Wiedereinleitung von mittels der Solaranlage erwärmtem Wasser über eine be-
stimmte lokal anzupassende Brunnenanordnung erfolgen; die Speicherentladung
im Winter wird genau umgekehrt realisiert (vgl. Kapitel 8). Um das typischerwei-
se gewünschte Temperaturniveau auf der Wärmenutzungsseite sicherzustellen, ist
dazu aber eine Wärmepumpe zwingend notwendig. Wichtig ist, dass das in den
280 M. Kaltschmitt et al.

Heißwasserspeicher Erdsondenspeicher
Winter Sommer Sommer Winter
Erdoberfläche
Erdoberfläche

unter- 30 bis
irdisches 100 m
Wasser-
becken Erdsonden

Aquifer-Wärmespeicher Kies/Wasser-Wärmespeicher
Wärmeübertrager Sommer Winter
Beladung Entladung Erdoberfläche
kalter warmer
Brunnen Erdoberfläche Brunnen

obere Gesteinsschicht

vorhandener
Aquifer
untere Gesteinsschicht Becken mit Kies-Wasser-Füllung

Abb. 4.25 Konzepte saisonaler Wärmespeicher (nach [4.12])

Aquiferen vorhandene Wasser keinen Fluss aufweist (d. h. kein Grundwasserstrom),


damit die ohnehin schon beachtlichen Speicherverluste nicht noch größer werden.
– Kies-Wasser-Speicher bestehen aus einer abgedichteten Wanne, die mit grobem
Kies und Wasser gefüllt wird. Die Wärmekapazität ist geringer als bei ausschließ-
lichen Wasserspeichern; es kann jedoch ein ähnliches Schichtenverhalten wie bei
alleinigen Wasserspeichern erzielt werden. Die Wärme wird über Wärmeübertra-
ger in die jeweilige Schicht eines derartigen Speichers eingebracht bzw. von dort
abgeführt. Solche Speicher sind kostengünstiger im Vergleich zu ausschließlichen
Wasserspeichern in großen Behältern, da der Kies eine statische Funktion in dem
Speicher (teilweise) übernimmt.
– Bei Sondenspeichern wird Erde oder Felsgestein als Speichermedium genutzt. Dazu
werden vertikale Sonden in den Untergrund gebohrt oder gerammt (vgl. Kapitel 8).
Die Ein- und Ausspeicherung der solar erzeugten Wärme erfolgt über entsprechende
Rohre (geschlossenes System), die im Untergrund als Wärmeübertrager dienen. Als
Speichermedien wird der lokal anstehende Untergrund genutzt (z. B. Fels, Lehm,
Ton).

Mess- und Regeleinrichtungen Anzahl und Art der Mess- und Regeleinrichtungen
hängt weitgehend vom Anlagenkonzept ab. Naturumlaufanlagen beispielsweise benöti-
gen im Normalfall keine aktiven Regelungseinrichtungen. Bei Zwangsumlaufanlagen, die
in Mittel- und Nordeuropa hauptsächlich angewendet werden, wird der Kollektorkreis-
lauf meist mit einer Temperaturdifferenzregelung aktiv geregelt. Temperaturfühler im
Kollektor und im Speicher messen die Temperatur und setzen sie in elektrische Signale
um.
4 Solarthermische Wärmenutzung 281

 Beim internen Wärmeübertrager wird die Temperatur im Speicher in Höhe des Wär-
meübertragers gemessen, von dem die Wärme vom Kollektorkreislauf an den Speicher
abgegeben wird.
 Bei externen Wärmeübertragern wird die Temperatur etwas über der Stelle des Auslas-
ses zum Wärmeübertrager messtechnisch erfasst.
 Im Kollektor sollte die Messung der Temperatur an der heißesten Stelle – und damit in
der Nähe des Ausgangs Richtung Speicher – erfolgen.

Die beiden Temperaturmesssignale werden im Regler miteinander verglichen; liegt


die Kollektortemperatur um einen Sollwert höher als die Speichertemperatur, wird die
Kollektorkreislaufpumpe eingeschaltet. Sinkt die Temperaturdifferenz um einen zweiten
Sollwert ab, wird die Pumpe abgeschaltet. Bei den gängigen solarthermischen Trinkwarm-
wasseranlagen beträgt der Sollwert der Einschalttemperaturdifferenz 5 bis 7 K. Für den
Sollwert der Abschalttemperaturdifferenz sind 3 K üblich. Die Regelung sollte dabei ins-
gesamt bis auf 1 K genau sein. Zusätzlich ist die Verwendung von Verzögerungsgliedern
sinnvoll, da sonst bei längeren Rohrleitungen Temperaturschwingungen auftreten können.
Neben der Regelung der Umwälzpumpe im Kollektorkreislauf bei Zwangsumlaufan-
lagen hat die Steuerung das Einhalten von Temperaturgrenzwerten im Speicher und im
Kollektorkreislauf zu gewährleisten. Die Speichertemperatur darf dabei einen bestimmten
maximal zulässigen Wert nicht überschreiten. Bei den gängigen Tanks solarthermischer
Trinkwarmwasserbereitungsanlagen kann beispielsweise bei Temperaturen von mehr als
60 ı C Kalk abgelagert werden; wird diese Speichertemperatur überschritten, schaltet die
Regelung die Umwälzpumpe deshalb ab und der Kollektor steht still.
Bei einem regeltechnisch bedingten Stillstand (d. h. die solare Wärme, die der Kol-
lektor einsammelt, kann nicht abgeführt werden, da der Wärme- / Warmwasserspeicher
voll und keine weitere Warmwassernachfrage gegeben ist) muss im Kollektorkreislauf
ein Verdampfen des Wärmeträgers entweder sicher vermieden oder der ggf. entstehen-
de (Wasser-)Dampf in dafür vorgesehene Anlagenteile kontrolliert abgeführt werden. Zur
Vermeidung derartiger bei Kollektorstillstand ggf. auftretender Probleme gibt es verschie-
dene Möglichkeiten [4.6].

 Ausdampfen. Bei Überschreiten der maximal zulässigen Speichertemperatur wird die


Umwälzpumpe im Kollektorkreislauf von der Anlagenregelung vollständig abgeschal-
tet; d. h. es findet dann keine weitere Energiezufuhr in den Speicher statt. Infolge der
nach wie vor gegebenen Solarstrahlung erreicht der Kollektor dann seine Stillstands-
temperatur, die bei selektiv beschichteten Flachkollektoren oder Vakuumröhrenkollek-
toren weit über 140 ı C liegt (d. h. die Wärmegewinne entsprechen näherungsweise den
Wärmeverlusten). Infolge der hohen Temperaturen kommt es zu einem Ausdampfen
des Kollektorinhalts und damit des im Kollektor befindlichen Wärmeträgermediums.
Durch die dadurch bedingte Volumenzunahme bei der Verdampfung wird günstigsten-
falls der gesamte Flüssigkeitsinhalt aus dem jeweiligen Absorber gedrückt und von
einem entsprechend groß dimensionierten Ausdehnungsgefäß aufgenommen. Um dies
282 M. Kaltschmitt et al.

sicher zu erreichen, muss sich der Solarkollektor gut entleeren können. Im schlech-
testen Fall muss die gesamte Wärmeträgerflüssigkeit, die sich im Kollektor befindet,
verdampfen und im System wieder kondensiert werden. Dies geschieht normalerwei-
se im Wärmeübertrager zum Speicher. In diesem Fall muss das Ausdehnungsgefäß
zusätzlich das Volumen der Rohrleitungen aufnehmen können [4.13]. Ein derartiges
Ausdampfen ist in vielen Fällen ein normaler Betriebszustand. Vorteil ist, dass hierbei
keine Hilfsenergie benötigt wird. Seit etwa dem Jahr 2000 sind hierfür temperaturbe-
ständige Wärmeträger verfügbar, sodass bei dieser Betriebsweise auch keine Gefahr
einer vorzeitigen Alterung des Wärmeträgers besteht. Die Umwälzpumpe sollte nach
einem derartigen Kollektorstillstand erst wieder einschalten, wenn die Kollektortem-
peratur unter 100 ı C abgesunken ist, damit sich mit Sicherheit kein ausgedampftes
Medium mehr im Kollektor befindet.
 Drain-Back-Systeme. Das Drain-Back-Kollektorsystem (Abb. 4.26) löst die Still-
standsproblematik dadurch, dass ein Gasvolumen (Stickstoff oder Luft) in die Leitung
vom Kollektor zum Speicher entweder im Speicher selbst oder in einem zwischen-
geschalteten Gefäß eingebunden wird. Beim ordnungsgemäßen Betrieb der Anlage
rinnt die Wärmeträgerflüssigkeit durch das Gasvolumen. Tritt infolge der Anlagen-
regelung Kollektorstillstand ein, bewegt sich das Gasvolumen in den Kollektor und
die Kollektorflüssigkeit füllt den vormaligen Gasraum. Dies geschieht ohne Zusatz-
energie, bedingt jedoch, dass sich der Kollektor bzw. das Kollektorfeld ebenfalls
selbsttätig entleeren kann (u. a. fallende Rohre, keine „Flüssigkeitssäcke“). Das Gas
im Kollektor kann sich nun auf die Stillstandstemperatur erhitzen, ohne dass das Wär-
meträgermedium verdampfen muss. Beim Wiederanfahren drückt die Umwälzpumpe
das Gasvolumen aus dem Kollektor wieder in den vorgesehenen Behälter bzw. das
Wärmeträgermedium erneut in den Kollektor. Die Pumpe muss daher eine größere
Förderhöhe (d. h. größere Leistung) als herkömmliche Umwälzpumpen aufweisen.
Das Gasvolumen dient gleichzeitig als Ausdehnungsgefäß. Ist das Volumen dieses

Abb. 4.26 Drain-Back- Kollektor


System zur Entfernung des Warmwasser
Kollektorfluids aus dem Kol-
lektor bei Kollektorstillstand Rücklauf-
(nach [4.1]) behälter
Nachheizung

Kaltwasser
4 Solarthermische Wärmenutzung 283

Gases so dimensioniert, dass im Stillstand alle Anlagenteile, welche der Außentem-


peratur ausgesetzt sind, mit dem Gas gefüllt sind, kann der Kollektorkreis sogar ohne
Frostschutz betrieben werden.
 Kühlung des Speichers in der Nacht. Durch einen Betrieb der Umwälzpumpe in der
Nacht kann der Kollektorkreislauf auch zum Kühlen des Speichers genutzt werden.
Durch die im Vergleich zum Speicher sehr viel höheren Wärmeverluste des gesamten
Kollektorkreislaufs kann dadurch der Speicher in der Nacht soweit abgekühlt werden,
bis eine definierte Grenztemperatur unterschritten wird. Diese Temperatur muss dabei
so gewählt sein, dass der Speicher bei schönem Wetter am nächsten Tag vom Kol-
lektor nicht über seine Maximaltemperatur aufgeheizt wird. Nachteilig ist hier, dass
diese Art der Kühlung auf den Einsatz von Hilfsenergie angewiesen ist und damit bei
Stromausfall keine Wärmeabfuhr mehr erfolgen kann; außerdem müsste eigentlich das
Wetter (und die Nachfragecharakteristik) des nächsten Tages für die Entscheidung des
Kühlens des Speichers in der Nacht vollumfänglich bekannt sein.
 Eigene Wärmeabfuhr. Es kann auch eine eigene Wärmeabfuhrmöglichkeit in das Sys-
tem integriert werden, die von der Regelung – je nach Nachfrage – angeschaltet wird
(z. B. Schwimmbad, Wärmeübertrager am Dach). Aber auch hier stellt sich das Prob-
lem der Hilfsenergie und der häufigen Nichtvorhersehbarkeit des Wetters (und der
Wärmenachfrage) am kommenden Tag.

Neben den beiden Aufgaben – Umwälzpumpenregelung und Grenztemperatureinhal-


tung – muss eine entsprechende Regelung auch für die Nachheizung im Falle einer zu
geringen solaren Einstrahlung sorgen, damit die gegebene Wärmenachfrage jederzeit si-
cher gedeckt werden kann.

4.2.3 Anlagenkonzepte und Anwendungen

Die beschriebenen Systemkomponenten bilden zusammen die Solaranlage. Dabei können


durch eine jeweils unterschiedliche Verschaltung ggf. verschiedenartiger Komponenten
unterschiedliche Anlagenkonzepte realisiert werden; dies wird nachfolgend diskutiert.
Diese Konzepte können dann in sehr unterschiedlichen Anwendungsfeldern umgesetzt
werden; um hier eine repräsentative Bandbreite aufzuzeigen, werden zusätzlich ausge-
wählte Anwendungen der unterschiedlichen Anlagenkonzepte exemplarisch diskutiert.

Anlagenkonzepte Eine Systematisierung der Vielzahl möglicher Anlagenausführungen


kann nach der Art des Wärmeträgerumlaufs durchgeführt werden. Damit können

 Anlagen ohne Umlauf (Speicherkollektoren),


 Naturumlaufanlagen (Thermosyphon-Systeme) und
 Zwangsumlaufanlagen
284 M. Kaltschmitt et al.

Offener Naturumlauf (Thermosyphon) Geschl. Naturumlauf (Thermosyphon)


Überdruckventil
Kaltwasser
Warm-
Warm- Ausdehnungsgefäß wasser
wasser

Wärme-
System ohne Umlauf
tauscher

Warm-
wasser Kalt-
Wärmeabnehmer wasser
(z. B. druckloser Wärmeabnehmer
Speicher) (z. B. druckfester
b c Speicher)

Offener Zwangsumlauf Geschlossener Zwangsumlauf

Kalt- Überdruckventil
wasser Ausdehnungsgefäß
a
Warm-
wasser

Wärme-
abnehmer
Wärmeabnehmer Wärmetauscher (z. B. druck-
(z. B. Schwimmbad) fester
Speicher)
Pumpe
d e Kaltwasser

Abb. 4.27 Grundkonzepte aktiver solarthermischer Anlagen (u. a. nach [4.5, 4.6])

unterschieden werden. Wird demgegenüber die Ausbildung des Solarkreislaufs als Unter-
scheidungsmerkmal herangezogen, lassen sich

 offene Systeme sowie


 geschlossene Systeme

unterscheiden.
Ausgehend von diesen Unterscheidungsmerkmalen können fünf Grundprinzipien von
Solaranlagen definiert werden, auf die alle derzeit am Markt befindlichen Systeme zu-
rückgeführt werden können. Sie sind mit den für die Funktionsfähigkeit und den sicheren
Anlagenbetrieb unabdingbar notwendigen Anlagenkomponenten in Abb. 4.27 dargestellt.

Anlagen ohne Umlauf (Abb. 4.27a) Bei diesem einfachsten aller möglichen Grundprin-
zipien sind Wärmeträger und die tatsächlich vom Nutzer verwendete Flüssigkeit typi-
scherweise dasselbe Medium (d. h. Wasser). Hier wird innerhalb des normalen Trink-
oder Trinkwarmwasserkreislaufs ein entsprechender (einfacher) solarthermischer Kollek-
tor (z. B. unverglaster Kollektor) integriert. Beim Durchströmen des Kollektors wird das
Wasser erwärmt und kann anschließend genutzt werden. Dieses Grundprinzip wird bei-
spielsweise bei Speicherkollektoren oder bei Systemen zur Schwimmbadwassererwär-
mung angewendet.
4 Solarthermische Wärmenutzung 285

Offene Naturumlaufsysteme (Abb. 4.27b) Dieses einfachste der möglichen Umlaufkon-


zepte besteht aus dem Kollektor, den Vor- und Rücklaufleitungen und einem drucklosen,
offenen Speicher. Ursache des sich bei derartigen Anlagenkonzepten einstellenden Natur-
umlaufs ist die Dichteabnahme einer Flüssigkeit (hier: Wasser) mit steigender Temperatur.
Beispielsweise beträgt die Dichte von Wasser bei 20 ı C 998 kg/m3 und bei 80 ı C nur noch
972 kg/m3 . Diese Dichteunterschiede zwischen dem heißem Fluid im Kollektor und in
der Kollektorrücklaufleitung (Teil der Solaranlage, die von warmem Wasser durchflos-
sen wird) und dem kalten Fluid im Speicher und in der Kollektorvorlaufleitung (Teil der
Solaranlage, die von kaltem Wasser durchflossen wird) sorgen dann für einen sich mit
zunehmender solarer Erwärmung des Wassers selbstständig einstellenden Kreislauf im
Solarsystem, wenn der Speicher mit dem kälteren Medium oberhalb des eigentlichen Kol-
lektors angeordnet ist.
Den antreibenden Kräften durch die mit ansteigender Erwärmung zunehmenden Dich-
teunterschiede stehen die Strömungsdruckverluste durch die Rohrreibung entgegen. Auf-
triebsdruck und die durch die Strömung hervorgerufenen Druckverluste sind im stationä-
ren Zustand gleich; daraus ergibt sich der Massenstrom des Fluids (hier: Wasser). Nimmt
die Strahlungsintensität zu, steigt die Kollektoraustrittstemperatur und damit die Tempera-
turdifferenz zwischen Speicher und Kollektor. Dadurch vergrößert sich der Massenstrom;
es wird vermehrt Wärmeträgermedium und damit auch Wärme zum Speicher transportiert
und dort an das Speichermedium abgegeben. Als Folge davon nimmt die Temperatur im
Kollektor wieder ab. Es handelt sich damit um ein sich selbst regulierendes System, das
zumindest in dieser einfachen Version ohne Mess- und Regeleinrichtungen auskommt.
Das Naturumlaufsystem ist in diesem Fall offen; das bedeutet, dass durch den So-
larkollektor dieselbe Flüssigkeit fließt, die im erwärmten Zustand direkt an den Nutzer
abgegeben und von diesem verwendet wird. In solchen Ländern, in denen keine Frost-
gefahr besteht und somit das Wärmeträgermedium im Kollektorkreislauf nicht einfrieren
kann, sind solche Anlagen weit verbreitet. Dabei muss der Kollektorkreislauf jedoch kor-
rosionsbeständig ausgelegt werden, da er unter diesen Bedingungen im Regelfall vom
Trinkwasser – und damit einem Lebensmittel – durchflossen wird. Außerdem muss sicher-
gestellt sein, dass derartige Systeme die gültigen Hygienevorschriften sicher einhalten;
dies kann, da das Trinkwasser durch das Solarsystem fließt, u. a. infolge der im Tagesver-
lauf erheblichen Temperaturunterschiede herausfordernd sein.

Geschlossene Naturumlaufsysteme (Abb. 4.27c) Um der Frost- und Korrosionsgefahr vor-


zubeugen, kann der Kollektorkreislauf bei Naturumlaufanlagen geschlossen werden. Dann
ist allerdings zusätzlich ein Wärmeträgermedium notwendig, das die im Kollektorkreis-
lauf enthaltene Wärme üblicherweise an einen Warmwasserspeicher abgibt, von dem aus
die Wärme dann in Form von Trinkwarmwasser weiter verteilt wird. Werden derartige
Systeme in frostgefährdeten Gebieten eingesetzt, müssen frostsichere Wärmeträgermedi-
en (z. B. Wasser-Glykol-Mischung) verwenden werden und der Wärmespeicher sowie die
Kalt- und Warmwasseranschlussleitungen sind sicher gegen Frost zu schützen.
286 M. Kaltschmitt et al.

Da der Kreislauf von der Umgebung abgeschlossen ist, befindet er sich in der Regel
unter einem höheren Druck. Geschlossene Naturumlaufsysteme benötigen daher ein Aus-
dehnungsgefäß, ein Entlüftungsventil und ein Entleerventil im Wärmeträgerkreis.

Offene Zwangsumlaufsysteme (Abb. 4.27d) Kann der Wärmeabnehmer bzw. der Wärme-
speicher nicht oberhalb der Kollektoren angeordnet werden, muss dem Wärmeträgermedi-
um ein Umlauf aufgezwungen werden (daher: Zwangsumlauf); dies wird typischerweise
durch eine Pumpe realisiert. Der dadurch realisierbare Vorteil, Kollektoren und Wär-
meabnehmer unabhängig voneinander anordnen zu können, hat beispielsweise bei der
Beheizung von Freibädern Bedeutung, in denen die Kollektoren üblicherweise auf Dä-
chern (z. B. der Umkleidekabinen) oder auf Freiflächen oberhalb des Speichers angeordnet
sind. Da Solaranlagen für Freibäder im Winter entleert werden, kann das Beckenwasser
direkt durch den Kollektor gepumpt werden. Die mit dieser Praxis verbundene Korrosi-
onsproblematik (chlorhaltiges Wasser) wird durch die Verwendung von Kunststoffrohren,
-fittingen und -kollektoren vermieden.
Wenn sich das Fluid im Kollektor schneller abkühlt als im Vorlauf, kann es in der
Nacht – wenn die Pumpe nicht betrieben wird – zu einer Umkehrung des durch die Pumpe
dem System aufgezwungenen Kreislaufs kommen. In diesem Fall drückt kalte Flüssigkeit
aus dem Kollektor nach unten und entzieht dem Speicher bzw. dem Wärmeübertrager
warmes Fluid. Dieser normalerweise unerwünschte Effekt kann z. B. durch den Einbau
eines Rückschlagventils in der Kollektorrücklaufleitung verhindert werden.

Geschlossene Zwangsumlaufsysteme (Abb. 4.27e) Das den Kollektorkreislauf durchflie-


ßende Medium ist bei offenen Zwangsumlaufanlagen üblicherweise normales Wasser.
Deshalb sind diese Anlagen den gleichen Frost- und Korrosionsgefahren wie offene Na-
turumlaufanlagen ausgesetzt. Daher wird bei derartigen geschlossenen Zwangsumlaufsys-
temen zur Vermeidung von Einfrierungen der Zwangsumlauf geschlossen und mit einer
frostsicheren Flüssigkeit durchströmt. Dieses Konzept des geschlossenen Zwangsumlaufs
stellt für die meisten Anwendungsfälle in Mittel- und Nordeuropa die sinnvollste Lösung
dar und hat hier die größte Marktdurchdringung. Bei Anwendungen in Gebäuden befindet
sich der Solarkollektor üblicherweise auf dem Dach. Der Abnehmer der Kollektorkreis-
laufwärme ist im Normalfall ein Wasserspeicher, der typischerweise im Keller aufgestellt
wird. Wie beim geschlossenen Naturumlaufsystem werden in einer solchen Systemkon-
figuration zusätzlich ein Ausdehnungsgefäß und ein Überdruckventil benötigt. Zudem ist
wie beim offenen Zwangsumlaufsystem ein Rückschlagventil notwendig.

Solare Freibadbeheizung Eine der kostengünstigsten Anwendungen der Solarthermie


zur Niedertemperaturwärmebereitstellung ist die Freibadbeheizung; hier korrelieren die
zeitlichen Verläufe von Wärmenachfrage und solarem Strahlungsangebot sehr weitge-
hend. Zusätzlich kann ein externer Wärmespeicher entfallen, da das wassergefüllte Frei-
badwasserbecken die Speicherfunktion für die solare Niedertemperaturwärme überneh-
men kann. Da das Beckenwasser typischerweise nur auf vergleichsweise niedrige Tem-
4 Solarthermische Wärmenutzung 287

Abb. 4.28 Schema und


Energieflüsse einer solaren
Freibadbeheizung (zur Erklä- Q̇Konv Q̇G
rung der Formelzeichen siehe Q̇Str

Text) Q̇Vd
Q̇Mensch

ṁein
ṁaus

Q̇Abs Q̇Trans,E

Pumpe Filter

Kessel

peraturen (maximal ca. 28 ı C) aufgeheizt werden muss, bringt die Verwendung von ein-
fachen und kostengünstigen nicht abgedeckten Absorbermatten (unverglaste Kollektoren,
Einfachstabsorber), die beispielsweise auf dem Dach der Umkleidekabine installiert wer-
den, vergleichsweise hohe Energieerträge.
Abb. 4.28 zeigt das Schema und die Wärmeströme eines derartigen solarbeheizten Frei-
bades. Ob eine, wie in Abb. 4.28 dargestellte, Zusatzheizung auf der Basis fossiler oder
regenerativer Energieträger (z. B. Erdgas, Holzpellets) notwendig ist, hängt von den stand-
ortspezifischen Anforderungen ab. Demnach setzen sich die Wärmegewinne des Freibads
zusammen aus der von den Absorbern an das Becken abgegebenen Energie QP Abs , aus den
Wärmegewinnen durch die Einstrahlung in das Becken QP G und aus der Wärmeabgabe der
Badenden (d. h. Beckenbenutzer) QP Mensch . Dem stehen als Verluste die konvektiven Wär-
meverluste QP Konv , die Abstrahlungsverluste QP S t r und die Verdunstungsverluste an der
Wasseroberfläche QP Vd sowie die Transmissionsverluste in das Erdreich QP Trans;E entge-
gen. Durch den Wasserumlauf (m P aus ) geht ebenfalls ein kleiner Teil an Wärme
P ei n bzw. m
verloren, da das ins Beckenwasser hineinströmende Wasser kälter ist als das hinausströ-
mende Wasser.
Die Summe der Strahlungs- und Konvektionsverluste (QP S t r und QP Konv ) ist näherungs-
weise linear abhängig von der Differenz zwischen der Beckenwassertemperatur und der
mittleren Lufttemperatur. Liegt die Außentemperatur über der Temperatur des Becken-
wassers, kehrt sich der konvektive Wärmestrom um; dann nimmt das Beckenwasser aus
der Umgebung konvektiv Wärme auf. Die Wärmeverluste aufgrund von Verdunstung sind
abhängig von der Beckenoberfläche, der Windgeschwindigkeit, der Luftfeuchtigkeit und
der Temperaturdifferenz des Wassers zur Umgebung. Die Transmissionsverluste an das
Erdreich sind gering und machen i. Allg. rund 3 % der gesamten Verluste aus.
Durch eine nächtliche Beckenabdeckung können die Konvektions-, Abstrahlungs- und
Verdunstungsverluste deutlich vermindert werden. Eine zehnstündige Abdeckung mit
handelsüblichen Absorbermaterialen reduziert die Verdunstungsverluste um ca. 30 % und
zusätzlich die Abstrahlungs- und Konvektionsverluste um ca. 16 %.
288 M. Kaltschmitt et al.

Der Energiegewinn durch die ins Becken gestrahlte und dort absorbierte Solarstrah-
lung hängt ab von der Beckenoberfläche und dem Absorptionsgrad von Beckenwasser
und Beckenboden. Der Absorptionsgrad nimmt von weiß über hellblau nach dunkelblau
als Beckenboden bzw. Beckenwandfarbe sowie mit zunehmender Wassertiefe zu. Ein zu-
sätzlicher Energiegewinn ist durch die Wärmeabgabe der Badenden (z. B. Schwimmer)
gegeben; beispielsweise liegt je nach Bewegung die Wärmeleistung je Schwimmer zwi-
schen 100 und 400 W.
Die über diesen Energiegewinn hinausgehende Energienachfrage muss von den Ab-
sorbern oder einer Zusatzheizung auf der Basis fossiler (z. B. Erdgas) oder regenerati-
ver Energieträger (z. B. Holzpellets) geliefert werden. Wird von einer rund 130-tägigen
Badesaison ausgegangen, werden je Quadratmeter Beckenoberfläche zwischen 540 und
1 620 MJ/m2 benötigt. Dann sollte die Absorberfläche etwa 50 bis 70 % der Beckenober-
fläche betragen, um – je nach Beckenabdeckung – eine mittlere Temperaturerhöhung
zwischen 3 und 6 ı C zu erreichen [4.15].

Naturumlaufanlagen Die weltweit am häufigsten verwendete Form der thermischen


Solaranlagen sind aufgrund ihres einfachen Aufbaus und der Unabhängigkeit von elek-
trischer Energie Naturumlaufanlagen.
Abb. 4.29 zeigt den wesentlichen Aufbau einschließlich der benötigten Systemelemen-
te eines derartigen solarthermischen Systems anhand einer geschlossenen Naturumlauf-
anlage mit einem Doppelmantel-Wärmeübertrager zwischen Wärmeträgermedium und
Trinkwarmwasser im Warmwasserspeicher. Das von der Sonne im Kollektor erwärmte
Wärmeträgermedium gibt die Wärme an den Trinkwarmwasserspeicher über die metalli-
sche Trennwand zwischen dem äußeren Ringraum und dem inneren Speicher ab und fließt
hinter dem Kollektor wieder zum unteren Ende des Kollektors; oft ist diese Fallleitung
auch in den Kollektor integriert. Zur Nacherwärmung oder in Regionen mit Frostgefahr

Abb. 4.29 Solare Trinkwarm- Entlüftung und


wasserbereitung mithilfe einer Doppelmantel- Überdruckventil
speicher Trinkwarmwasser-
Naturumlaufanlage mit Dop-
austritt
pelmantelspeicher
Warm- Elektroheizstab
wasser Kaltwasser-
Wärmerträger
eintritt
Gestell

Ausdehnungs-
gefäß
Entleerventil
4 Solarthermische Wärmenutzung 289

Tabelle 4.4 Rohraußendurchmesser und Dicke der Wärmedämmung für Thermosiphonanlagen


(nach EN 12976-24 [4.16])
Aperturfläche der Rohraußen- Rohrdicke Dicke der Wärme-
Kollektorgruppe durchmesser in mm dämmunga
in m2 in mm in mm
1 und < 2 15 ˙ 1 1,0 20 ˙ 2
2 und < 6 18 ˙ 1 1,5 30 ˙ 2
6 und < 10 22 ˙ 1 1,5 39 ˙ 2
a
ausgehend von einem Wärmeleitvermögen von 0,04 W/(m K) ˙ 0,01 bei einer Temperatur von
10 ı C.

ist zur Frostfreihaltung häufig ein Elektroheizstab in den Trinkwarmwasserspeicher inklu-


diert.
Als Kollektoren können sowohl Flachkollektoren als auch evakuierte Röhrenkollek-
toren verwendet werden; erstere Variante ist i. Allg. die kostengünstigere Option und
deshalb global insgesamt weiter verbreitet. Im einfachsten Fall der Röhrenkollektoren
handelt es sich um eine Sydney-Röhre mit einem im Naturumlauf durchströmten und
selektiv beschichteten Einfachrohr im inneren Glasrohr, welches das warme Wasser oben
direkt in den Speicher als offenes System abgibt. Hierbei entstehen jedoch hohe Tem-
peraturverluste aufgrund der Mischung. Die Stagnationsproblematik wird entweder über
eine thermische Ablaufsicherung oder ein Abblaseventil gelöst, das jeweils im Trink-
warmwasserspeicher angebracht ist. Bei ersterem Fall wird bei einem Überschreiten einer
Maximaltemperatur kaltes Wasser in den Speicher eingeleitet und das überschüssige heiße
Wasser auf das Dach geleitet. Bei der zweiten Variante wird der entstehende Dampf über
ein Ventil ins Freie abgelassen. In beiden Fällen wird frisches Trinkwasser zur Nachfül-
lung benötigt. Eine einfache Vermeidung dieses Problems stellen Kollektoren mit einer
Stagnationstemperatur unter 100 ı C dar, die für geringere Trinkwarmwassertemperaturen
bereits eine ausreichende Effizienz haben.
Für einen Vierpersonenhaushalt mit 160 L/d bei 45 ı C und einem solaren Deckungs-
grad von 50 bis 60 % für einen typischen Standort in Mitteleuropa liegt das spezifische
Speichervolumen bei dem 0,7 bis 1,2-fachen des täglichen Verbrauchs; die Kollektor-
fläche bewegt sich bei 0,7 bis 1,2 m2 pro Person und die Höhe zwischen Kollektor und
Wärmeübertragermitte im Speicher sollte bei 0,4 bis 1,0 m liegen. Um die Druck- und
Wärmeverluste im Rohrleitungssystem von Naturumlaufanlagen niedrig zu halten wer-
den die in Tabelle 4.4 dargestellten Rohraußendurchmesser und Wärmedämmungsdicken
vorgeschlagen.

Kleinanlagen mit Zwangsumlauf Die Anwendung der Solarthermie in Haushalten be-


schränkte sich früher in den überwiegenden Fällen auf die solarunterstützte Trinkwarm-
wasserbereitung. Die zusätzliche Heizungsunterstützung durch die Solaranlage, auch als
solares Kombisystem bezeichnet, gewinnt aber seit etwa Mitte der 1990er Jahre immer
mehr an Bedeutung. Beispielsweise sind in Österreich und der Schweiz in der Zwischen-
290 M. Kaltschmitt et al.

zeit bereits mehr als 50 % aller gebauten Solaranlagen den Kombisystemen zuzuordnen;
d. h. sie realisieren neben einer Trinkwarmwassererzeugung zu z. T. sehr unterschiedli-
chen Anteilen auch eine Heizungsunterstützung insbesondere in der Übergangszeit. Beide
Systeme werden nachfolgend diskutiert.
Bei der Auslegung solcher Systeme ist zu beachten, dass die Energienachfrage für
die Trinkwarmwasserbereitstellung tendenziell gleichmäßig verteilt über das Jahr anfällt;
dagegen ist die Raumwärmenachfrage mit dem solaren Strahlungsangebot i. Allg. weitge-
hend antikorreliert.

Trinkwarmwassersystem Abb. 4.30 zeigt ein vollständiges Schema einer solarthermi-


schen Anlage zur ausschließlichen Unterstützung der Trinkwarmwassererwärmung.
Wesentliches Dimensionierungskriterium ist bei derartigen Systemen die Trinkwarmwas-
sernachfrage. Bei durchschnittlichen Verhältnissen liegen Nachfragewerte entsprechend
Tabelle 4.5 vor. Von diesen Werten ausgehend sollte die Solaranlage so ausgelegt werden,
dass sie im Sommer etwa 70 bis 90 % der Tage die Trinkwarmwassernachfrage vollstän-
dig decken kann. Das Volumen des Speichers umfasst dann etwa das 1,5- bis 2,5-fache
der Auslegungsnachfrage für einen Tag. Ausgehend von einem Vierpersonenhaushalt mit
einer täglichen Warmwassernachfrage von rund 50 L je Person und 45 ı C sind dann bei
Verwendung von normalen Flachkollektoren etwa 7 bis 10 m2 nicht selektiv beschichtete
bzw. 6 bis 8 m2 selektiv beschichtete Kollektorfläche zu installieren. Dazu ist ein Speicher
mit einem Volumen zwischen 250 und 500 L notwendig. Bei Einhaltung dieser genannten
Dimensionierungskenngrößen kann dann etwa 50 bis 65 % der Trinkwarmwassernachfra-
ge im Jahresverlauf solar gedeckt werden.

Entlüftungsventil thermostatisches
Mischventil
Temperaturfühler
or
kt

Trinkwarmwasser
le

Wärmeträgerkreislauf
ol

Speicher
K

Sicherheitsventil

Anschluss
an
Heizkessel
Wärmeträgerkreislauf

Temperatur-
Über-
steuerung druck-
ventil

Temperatur-
fühler
Rückschlagklappe

Manometer Rück-
Thermo-
Absperrventil

Pumpe Absperr- schlag-


meter klappe
ventil
Absperrventil
Entleerungs-
ventil Kaltwasser
Entleerungsventile
Ausdehnungsgefäß

Abb. 4.30 Solarthermische Zwangsdurchlaufanlage mit Flachkollektor zur Unterstützung der


Trinkwarmwasserbereitung in Haushalten (nach [4.6])
4 Solarthermische Wärmenutzung 291

Tabelle 4.5 Richtwerte für die Trinkwarmwassernachfrage in Haushalten bei 45 ı C


Trinkwarmwasser Nutzwärme
in L=(Person d) in MJ=(Person d)
Hohe Ansprüche 70–115 10,4–16,7
Mittlere Ansprüche 50–70 7,3–10,4
Einfache Ansprüche 35–50 5,2–7,3

Für höhere solare Deckungsraten von rund 70 % wären für diesen Anwendungsfall
etwa 13 bis 15 m2 nicht selektiv beschichtete oder 10 bis 12 m2 selektiv beschichtete
Kollektorfläche notwendig. Das Speichervolumen sollte dann mindestens bei rund 500 L
liegen. Im Sommer muss man unter diesen Bedingungen allerdings mit regelmäßigen Kol-
lektorstillständen rechnen (d. h. nicht nutzbare Solarstrahlung).

Kombisystem Sollen solarthermische Anlagen größere Anteile der gesamten Wär-


menachfrage decken, muss neben dem Trinkwarmwasser auch teilweise Raumwärme
solar bereitgestellt werden. In diesem Fall spricht man von solaren Kombisystemen. Oft
ist hier jedoch eine verbesserte Wärmedämmung des Gebäudes – bei geringeren Kosten
– effizienter als die Einbindung einer Solaranlage in das Heizungssystem. Bei sehr gut
gedämmten Häusern lassen sich aber relativ leicht Deckungsraten von über 50 % für
Trinkwarmwasser und Raumwärme mithilfe derartiger solarthermischer Kombisysteme
erreichen.
Für die Art der Einbindung von Solaranlagen in Heizungssysteme gibt es vielfältige
Möglichkeiten. Hierbei spielen vor allem folgende Parameter eine wichtige Rolle:

 Heizkesseltyp (gleitender oder in Ein- / Aus-Fahrweise betriebener Automatikkessel,


Festbrennstoffkessel);
 Art und Eigenschaften des Heizungssystems (hohe Speichermasse (z. B. Fußbodenhei-
zung) oder geringe Speichermasse (z. B. Radiatorenheizung); Hoch- oder Niedertem-
peraturheizungssystem);
 Solaranlage (z. B. Fläche und Wirkungsgrad der Kollektoren);
 Nutzeranforderungen (Raumtemperatur konstant oder Temperaturschwankungen von
einigen Grad zulässig);
 Nutzerzielsetzung (höchste Ausnutzung mit großem Aufwand oder gute Ausnutzung
mit geringeren Kosten) [4.6].

Abb. 4.31 zeigt beispielhaft drei Ausführungsformen von solaren Kombisystemen.


Im linken Teil der Darstellung handelt es sich um eine Zweispeicherschaltung mit leis-
tungsgeregeltem Automatikkessel. Ein Speicher wird zur Trinkwarmwasserbereitung
und ein zweiter zur teilweisen solaren Raumwärmenachfragedeckung eingesetzt. Das im
Heizungskessel erwärmte Wasser wird in diesem Fall direkt in das Heiznetz eingespeist
(Abb. 4.31, links). Würde es sich um einen nicht leistungsgeregelten Kessel (z. B. Holz-
scheite) handeln, müsste er zur Laufzeiterhöhung und Massenflussentkoppelung über
292 M. Kaltschmitt et al.

Kollektoren Kollektoren Kollektoren

Solar-
Solar- Solar-
speicher
temperatur- temperatur-
regelung regelung
Solar- Trink- Trink- Trink-
temperatur- warm- warm-
warm-
regelung wasser wasser Gasbrenn-
wasser Trinkwarm-
wasserspeicher wertkessel

Kalt-
was-

Raumheizung
ser

Raumheizung
Kessel
Kalt-
Kaltwasser
wasser
Solar- Heizungs-
speicher speicher Schichtladeeinheiten
Raumheizung

Kessel externer
Wärmeübertrager

Abb. 4.31 Beispielhafte Ausführungsformen solarer Kombisysteme (d. h. solarthermische Anlagen


zur Unterstützung der Trinkwarmwassernachfragedeckung und der Raumheizung (solare Kom-
bisysteme) (links: zwei Speicher und Öl- oder Gaskessel; Mitte: Tank-in-Tank Doppelspeicher
und Festbrennstoffkessel; rechts: Einspeichersystem mit integriertem Gasbrennwertkessel); u. a.
nach [4.6])

den Heizungsspeicher eingebunden werden. Aufgrund der größeren Kollektorflächen


werden insbesondere für die Beladung des Heizungsspeichers externe Wärmeübertrager
verwendet.
Das mittlere und das rechte System in Abb. 4.31 sind Varianten von Einspeichersys-
temen. Diese sind installationstechnisch einfacher zu realisieren im Vergleich zu getrennt
aufgestellten Speichern. Von Nachteil ist allerdings der zweifache Wärmeübergang (Kol-
lektor / Speicher und Speicher / Trinkwarmwasserbereiter).
Das mittlere System in Abb. 4.31 eignet sich insbesondere bei Solaranlagen in Verbin-
dung mit einem vergleichsweise trägen Festbrennstoffkessel (z. B. Holzheizkessel). Der
Trinkwarmwasserdruckspeicher ist dabei in einen größeren Heizungsspeicher integriert.
In diesem Doppelspeicher (Tank-in-Tank Speicher) werden die natürliche Konvektion und
die vertikale Temperaturschichtung ausgenutzt. Im oberen Teil des Trinkwarmwasserspei-
chers sollte immer so viel heißes Wasser vorhanden sein, damit eine Badewannenfüllung
(120 L) damit problemlos realisiert werden kann. Nachteilig sind die höheren Kosten für
den Doppelspeicher.
Das rechte in Abb. 4.31 dargestellte System stellt eine Integration aus Speicher für Hei-
zung und Trinkwarmwasser sowie dem Nachheizgerät (z. B. ein Gasbrennwertkessel) dar.
Von Vorteil sind hier die kompakte Form und die geringe Anschließarbeit vor Ort, um ein
derartiges solares Kombisystem zu realisieren. Diese Solaranlage speist dabei über eine
4 Solarthermische Wärmenutzung 293

Schichtladeeinheit in den Pufferspeicher. Der Brenner für den konventionellen (fossilen)


Brennstoff ist über einen Flansch direkt in den Speicher eingebunden. Das Trinkwarmwas-
ser wird in einem externen Wärmeübertrager im Durchlauferhitzerprinzip erzeugt. Damit
wird kein heißes Trinkwarmwasser gespeichert und es besteht keine Gefahr der Legionel-
lenbildung.

Solare Nahwärmesysteme Im Gegensatz zu Systemen, bei denen einzelne Häuser von


einzelnen Solaranlagen mit Wärme versorgt werden, können auch mehrere Wärmever-
braucher gemeinsam Wärme von einer Solaranlage beziehen. In diesem Fall spricht man
von einem solarunterstützten Nahwärmesystem. Die kleinste Variante eines solchen Sys-
tems in die Versorgung verschiedener Wohnungen in einem Mehrfamilienhaus.
Maßnahmen der verbesserten Wärmedämmung sind aber i. Allg. mit einem häufig ge-
ringeren (technischen und ökonomischen) Aufwand verbunden als die Versorgung mit so-
larer Nahwärme. Daher sollte aus Sicht einer technischen und ökonomischen Gesamtsys-
temoptimierung für eine Wärmeversorgung mithilfe solarer Nahwärmesysteme zunächst
ein möglichst geringer Heizwärmeverbrauch der versorgten Gebäude bzw. Wohnungen
angestrebt werden. Günstig wirken sich zudem besonders niedrige Vor- und Rücklauf-
temperaturen des Wärmeverteilnetzes aus (z. B. 80/40 ı C).
Bei solaren Nahwärmesystemen wird meist zwischen solarunterstützten Nahwärme-
systemen ohne und mit einer Langzeitwärmespeicherung unterschieden (Abb. 4.32). Von
den in der Nähe des Wärmespeichers installierten Kollektoren wird die Wärme über ein
Rohrnetz und einen Wärmeübertrager in den zentralen Speicher transportiert. Erforder-
lich ist außerdem ein Warmwasserverteilnetz, um die Wärme von der Heizzentrale an die
Häuser zu verteilen. Dabei unterscheidet man Zwei-Leiter- und Vier-Leiter-Netze.

 Beim Zwei-Leiter-Netz erfolgt die Trinkwarmwassererwärmung dezentral über das


Heiznetz entweder mit Trinkwarmwasserspeichern oder mit Trinkwarmwasserwärme-
übertragern in den einzelnen Häusern bzw. Wohnungen (Abb. 4.32, links); bei kleineren
Netzen ist die Heizung dabei direkt und bei größeren über einen Wärmeübertrager
eingebunden. Um bei Niedertemperaturnetzen die Wärmeverluste gering zu halten,
kann die Aufwärmung der Trinkwarmwasserspeicher während bestimmter Zeitfens-
ter (z. B. in der Nacht, zur Zeit der höchsten Solarstrahlung) mit erhöhten Vor- und
Rücklauftemperaturen des Netzes erfolgen. Bei solchen Zwei-Leiter-Netzen kann die
Trinkwarmwasserzirkulationsleitung, welche immer zu Wärmeverlusten und Schich-
tungszerstörung in Speichern führt, entfallen. Zudem ist die Gefahr der Legionellenbil-
dung aufgrund kleiner Trinkwarmwasservolumina gering.
 Beim Vier-Leiter-Netz wird das Heiz- und Trinkwarmwasser getrennt verteilt. Vorteil-
haft bei dieser getrennten Verteilung (Vier-Leiter-Netz, Abb. 4.32, rechts) ist die besse-
re Ausnutzung des Wärmespeichers und der Solaranlage, da auch bei niedrigen Spei-
chertemperaturen noch Trinkwarmwasser vorgewärmt wird. Allerdings muss durch
gesonderte Maßnahmen die Sicherheit vor Legionellenbildung gewährleistet werden.
294 M. Kaltschmitt et al.

Kollektor-
System System
sammelschiene
Heizung direkt, Heizung indirekt,
TW-Durchlauferhitzer TW-Speicher

Trink- Heizwasser-
warmwasser- verteilnetz
bereitung

Trink-
Heiz-
Nahwärme- warm-
kessel wasser-
Kollektoren verteilnetz
verteilnetz
Brennstoff
Heizzentrale

Heiz- Brennstoff Kalt-


kessel wasser

Fernwärme
Kurzzeit- Langzeit-
speicher wärme-
speicher

Abb. 4.32 Solare Nahwärmesysteme: Zwei-Leiter-System mit zentral unterstützter Heizwasser-


erwärmung (links) und Vier-Leiter-System mit Langzeitwärmespeicher (rechts) (TW Trinkwarm-
wasser)

Ohne Langzeitspeicherung lassen sich bei Nahwärmesystemen mit großen Kollektor-


feldern, bei denen vorwiegend Haushalte mit Wärme versorgt werden, solare Deckungs-
grade von etwa 10 bis 20 % bezogen auf die Energienachfrage für Raumwärme und Trink-
warmwasser erreichen. Die Begrenzung stellt hier die Nachfrage im Sommer dar, da große
Kollektorfelder aus Sicherheitsgründen nicht in Stagnation gehen sollten. Mit saisonalen
(Langzeit-)Speichern sind entsprechend höhere solare Deckungsgrade möglich. Werden
aus Platzgründen die Kollektoren vorwiegend auf den Gebäudedächern installiert, lassen
sich bei der heute in vielen Staaten Mittel- und Nordeuropas geltenden Wärmeschutz-
verordnungen mit den i. Allg. vorhandenen Dachflächen und einer saisonalen Wärme-
speicherung solare Deckungsgrade von maximal 50 bis 60 % erreichen; bei verstärkten
Wärmedämmmaßnahmen sind es entsprechend mehr. Erst wenn noch höhere solare De-
ckungsgrade angestrebt werden und in solchen Fällen, in denen in direkter Nähe der
Verbraucher größere, nicht anderweitig nutzbare Flächen verfügbar sind, werden die Kol-
lektoren auf Freiflächen untergebracht. Bei sehr gut gedämmten Mehrfamilienhäusern mit
Kollektorfeldgrößen, die eine Stagnation erlauben, sind auch ohne Langzeitspeicherung
solare Deckungsgrad von über 50 % mit einem relativ geringen Aufwand erreichbar.
Bei solaren Nahwärmesystemen bietet sich die Verwendung hocheffizienter Flach-
kollektoren mit optischen Wirkungsgraden nahe 80 % und thermischen Verlustfaktoren
von etwa 3 W/(m2 K) an. Diese können als großflächige Kollektormodule (> 10 m2 ) mit
4 Solarthermische Wärmenutzung 295

niedrigen Druckverlusten seriell und / oder parallel zu großen Kollektorfeldern verschaltet


werden. Werden solche Kollektoren zugrunde gelegt, kann bei Systemen zur teilsolaren
Deckung der Trinkwarmwassernachfrage (d. h. bei Systemen ohne saisonale Wärmespei-
cherung) näherungsweise mit Kollektorflächen von 0,9 bis 1,2 m2 je Person und einem
Speichervolumen von 40 bis 60 L/m2 Kollektorfläche ausgegangen werden. Handelt es
sich um Systeme mit Langzeitwärmespeicher sollte dieser etwa ein Volumen von 2 bis
3 m3 /m2 Kollektorfläche umfassen und die Kollektorfläche etwa 0,4 bis 0,7 m2 /GJ Jah-
reswärmenachfrage betragen. Bei Systemen zur teilsolaren Deckung von Raumwärme
und Trinkwarmwasser lassen sich nutzbare Wärmegewinne am Ausgang der Solaran-
lage (d. h. am Ausgang des Speichers) von rund 900 bis 1 370 MJ/(m2 a) bzw. 250 bis
380 kWh/(m2 a) erzielen. Dient das solare Nahwärmesystem lediglich zur zentralen sola-
ren Trinkwarmwasserunterstützung liegen die spezifischen Erträge höher, da die Speicher-
verluste dann geringer sind [4.17].
Seit ca. 2010 zeichnet sich ein neuer Trend für die solaren Nah- und Fernwärmesyste-
me ab. Infolge sinkender Stromgestehungskosten – bedingt durch den steigenden Anteil
erneuerbarer Energien im Strommix – werden in einigen Ländern vergleichsweise teure
Gas-Kombi-Kraftwerke stillgelegt. Ausgehend davon erweist sich die Unterstützung der
Wärmebereitstellung für Nah- / Fernwärmenetze durch solarthermische Großanlagen, die
mit vergleichsweise geringen Kosten Niedertemperaturwärme produzieren können, als ein
steigender Markt. Die weltweit größte derartige Anlage wurde Ende 2017 in Silkeborg,
Dänemark, mit 156 700 m2 Kollektorfläche in Betrieb genommen [4.30].

Sonstige Anwendungen Unter dem in Mittel- und Nordeuropa gegebenen Strahlungs-


und Temperaturniveau bietet sich die solarthermische Wärmenutzung immer dann an,
wenn Wärme auf einem vergleichsweise niedrigen Temperaturniveau benötigt wird und
zusätzlich Wärmenachfrage sowie solares Strahlungsangebot gleichzeitig auftreten oder
zumindest nicht eine gegenläufige Charakteristik aufweisen. Neben der Trinkwarmwas-
serversorgung in Haushalten ist dies vor allem in vielen öffentlichen Einrichtungen gege-
ben. Dazu zählt z. B. die Duschwasserbereitstellung in Sportanlagen – und das insbeson-
dere dann, wenn diese Anlagen vorrangig oder ausschließlich im Sommer betrieben wer-
den (z. B. Freilufttennisanlagen). Andere Beispiele, bei denen eine hohe Wärmenachfrage
auch im Sommer auftritt, sind Campingplätze, Beherbergungsbetriebe, Krankenhäuser so-
wie Alten- und Pflegeheime.
Sonnenkollektoren können auch über sorptionsgestützte Klimatisierungsprozesse zur
Raumkühlung eingesetzt werden. Einerseits kann so die hohe Solarstrahlung im Sommer
und unter Tags gut genutzt werden, da Energieangebot und Kühlbedarf gut übereinstim-
men. Andererseits sind die Investitionen aufgrund des höheren apparativen Aufwands ge-
genüber z. B. einer mit Photovoltaik betriebenen Kompressionskältemaschine hoch. Ein-
satzgebiete für derartige Klimatisierungskonzepte auf der Basis von solarer Wärme sind
Klimate mit hohen ganzjährigen Temperaturen und paralleler ganzjähriger Warmwas-
serbereitung. Daher ist der Markt eher klein. Die wenigen bisher realisierten derartigen
Anlagen befinden sich meistens in großen Bürogebäuden, in Hotels im Mittelmeerraum
296 M. Kaltschmitt et al.

und auch in industriellen Prozessen; d. h. man findet sie überall dort, wo die Kälte- und
Wärmenachfrage bedeutend und relativ gleichmäßig über das ganze Jahr verteilt ist. Dabei
kann zwischen unterschiedlichen Konzepten unterschieden werden.

 Offene Sorptionssysteme (z. B. Sorptionsräder in zentralen Klimaanlagen in Büroge-


bäuden oder in Hotels). In diesem als Desiccant Cooling bezeichneten Prozess wird die
Außenluft in einem Sorptionsrad entfeuchtet und dabei aufgeheizt. Dann wird sie über
die eine Wärme-(Kälte-)Rückgewinnung geführt und dabei mit der befeuchteten Abluft
aus dem Raum gekühlt. Dies führt zu einer trockenen Luft mit einigen Grad unter der
Raumtemperatur. Anschließend wird die Luft befeuchtet und damit adiabat unter die
Raumtemperatur auf ca. 18 ı C gekühlt; sie wird dann dem Raum zugeführt. Die Abluft
wird zuerst befeuchtet und damit adiabat unter Raumlufttemperatur gekühlt. Anschlie-
ßend nimmt sie in einer Wärmerückgewinnung Wärme von der Zuluft auf und kühlt
diese damit ab. Im nächsten Schritt wird die Abluft mittels Solarthermie weiter auf 60
bis 70 ı C aufgeheizt und damit relativ trockener. Im letzten Schritt wird die heiße tro-
ckene Abluft verwendet, um ein Sorptionsrad, welches die Außenluft zuvor entfeuchtet
hat, wieder auszutrocknen. Vorteil des Prozesses sind die relativ geringen Zusatzinves-
titionen im Vergleich zu einer konventionellen Klimaanlage. Sie beschränken sich auf
das Sorptionsrad, die Befeuchter und den damit einhergehenden größeren Platzbedarf.
Nachteilig ist, dass mit dem Luftvolumenstrom aus der hygienischen Luftwechselrate
nur geringe Kühlleistungen erzielt werden können. Um 1 kWh Kälte zu erzeugen sind
je nach Betriebsweise 0,7 bis 2 kWh Solarwärme notwendig.
 Ab- und Adsorptionssysteme bestehen aus einer thermisch angetriebenen Kältema-
schine mit geschlossenen Prozessen, die Kaltwasser produzieren (Kapitel 8.1). Hierbei
werden Kollektortemperaturen von 70 bis 90 ı C benötigt. Apparativ ist aufgrund des
doppelt so großen Kühlturms sowie dem zusätzlichen Absorber und Desorber gegen-
über Kompressionskältemaschinen ein höherer Aufwand und damit höhere Investitio-
nen zu verzeichnen. Um 1 kWh Kälte zu erzeugen sind je nach Betriebsweise 0,8 bis
1,8 kWh Solarwärme notwendig.

Daneben gibt es weitere Anwendungsmöglichkeiten, die nachfolgend kursorisch dis-


kutiert werden.

 Mit einem vergleichsweise geringen Aufwand können Flachkollektoren in bestehende


Heiznetze zur Fernwärmeversorgung integriert werden. Die Kollektoren speisen dann
direkt in den Rücklauf eines Fernheiznetzes ein und können somit im Sommer einen
Teil der Wärmenachfrage decken.
 Durch die Verwendung von hocheffizienten Flachkollektoren oder Vakuumröhrenkol-
lektoren kann auch unter den in Mittel- und Nordeuropa gegebenen Strahlungsver-
hältnissen ohne Strahlungskonzentration Wärme mit Temperaturen von mehr als 90 ı C
(typischerweise zwischen 90 und 120 ı C) für industrielle Anwendungen oder für den
4 Solarthermische Wärmenutzung 297

GHD-Sektor (d. h. Gewerbe, Handel, Dienstleistungen; im Wesentlichen Kleinverbrau-


cher) bereitgestellt werden.
 Viele industrielle Anwendungen benötigen warmes Wasser mit Temperaturen von bis
zu 60 ı C (z. B. Waschen von Wäschestücken oder Flaschen, Pasteurisierung), die solar
bereitgestellt werden könnten.
 Im Sommer geerntetes Heu oder Körnerfrüchte können solar getrocknet werden. Dabei
können Luftkollektoren zur Anwendung kommen.
 Bei großen Gebäuden mit ganzjährigem Heizungs- und Kühlungsbedarf können Son-
nenkollektoren im Sommer zur Erwärmung sowie nachts und im Winter direkt als
Wärmeübertrager zur Kühlung verwendet werden.

Veränderte Anforderungen Durch den rapiden Preisverfall der Photovoltaik (PV) und
der Batterien (Kapitel 5) im letzten Jahrzehnt und der im gleichen Zeitraum eher ge-
ringen Preisreduktionen bei der Solarthermie sind seit etwa Anfang / Mitte der 2010er
Jahre Solarthermieanlagen besonders bei Kleinanlagen aus wirtschaftlicher Sicht i. Allg.
gegenüber Photovoltaik(PV)-Anwendungen nicht mehr darstellbar; d. h. solare Wärme
wird zunehmend ausschließlich mithilfe von Photovoltaiksystemen bereitgestellt. Wer-
den hierbei Wärmepumpen eingesetzt, kann mit der gleichen Fläche an Photovoltaik etwa
die gleiche Wärmemenge wie bei Solarthermie bereitgestellt werden. Bei einer Strom-
Direktheizung ist der Ertrag aufgrund des geringeren Wirkungsgrades der Photovoltaik
gegenüber der Solarthermie nur etwa ein Drittel. Bei großen Anlagen für Fernwärmenet-
ze ist die Solarthermie gegenüber der Photovoltaik auch derzeit z. T. noch wirtschaftlich
darstellbar.
Der Strom von Photovoltaikanlagen kann auch für die Deckung der Haushaltsstrom-
nachfrage verwendet werden oder ggf. ins Stromnetz rückgespeist werden. Demgegenüber
kann bei Solarthermieanlagen der Überschuss insbesondere im Hochsommer nicht weiter
genutzt werden. Diese Entwicklung hat in Europa zu seit Jahren rückläufigen Märkten
und zu entsprechenden Firmenschließungen geführt. Solarthermieanlagen werden in Zu-
kunft deshalb deutlich billiger werden müssen, falls sie gegen Photovoltaik (PV) am Markt
bestehen wollen, zumal die Photovoltaik die gleichen Flächen verwendet wie die Solar-
thermie (z. B. Dachflächen, Fassadenflächen).

4.2.4 Energiewandlungskette und Verluste

Energiewandlungskette Eine aus den beschriebenen Systemkomponenten aufgebaute


solarthermische Anlage wandelt solare Strahlungsenergie in nutzbare Wärme im Trink-
warmwasser bzw. im Heizkreislauf um. Abb. 4.33 zeigt die gesamte Energiewandlungs-
kette einer derartigen solarthermischen Anlage mit Kollektor, Wärmeträgermedium und
Wärmespeicher exemplarisch für die Bereitstellung von Trinkwarmwasser. Photonen der
solaren Strahlung werden demnach vom Absorber absorbiert und versetzen die Absor-
beratome in Schwingungen. Dadurch steigt die Temperatur des Absorbers; es entsteht
298 M. Kaltschmitt et al.

diffuse und direk te


Wandlung Wärmelei- Wärme- Übertrag Übertrag

Verbraucher
der Energie tung Absor- transport Wärme- Speicher-

Strahlung
der Photonen ber / Wär- mittels träger / medium /
in thermische meträger- Wärme- Speicher- Trinkwarm-
Energie medium träger (So- medium wasser
(Absorber) (Kollektor) laranlage) (Speicher) (Speicher)

Strahlungs- Wärme / ther- Wärme / thermische Wärme / thermische


energie der mische Energie Energie im Wärme- Energie im
Sonne im Absorber trägermedium Trinkwarmwasser

Abb. 4.33 Energiewandlungskette der solarthermischen Wärmenutzung am Beispiel der Trink-


warmwasserbereitung

latente Wärme. Ein Teil dieser Wärme wird durch Wärmeleitung im Absorber zu den
Absorberrohren, die von einem Wärmeträgermedium durchflossen werden, transportiert.
Diese Wärme wird an das Wärmeträgermedium abgegeben und mit ihm durch die Anlage
zum Speicher transportiert, über einen Wärmeübertrager an ein Wärmespeichermedium
abgegeben und hier zwischengelagert. Bei Bedarf kann es über einen weiteren Wärme-
übertrager an das Trinkwarmwasser übertragen werden, das dann dem Verbraucher zur
Verfügung steht.

Verluste Die verschiedenen Verlustmechanismen bewirken, dass nur ein Teil der solaren
Einstrahlung als Wärme dem Verbraucher zur Verfügung steht. Abb. 4.34 zeigt exempla-
risch den Energiefluss einer solarthermischen Anlage mit Flachkollektor, Zwangsumlauf
und Ein- bis Zweitagesspeicher zur Unterstützung der Trinkwarmwasserbereitung für ei-
nen privaten Haushalt mit 3 bis 5 Personen. Bei einer Kollektorfläche von ca. 6 m2 beträgt
der solare Deckungsgrad im Jahresmittel 50 bis 60 %. Im Sommer liegt er entsprechend
höher – bei über 90 % – und im Winter sinkt er auf unter 15 % ab.
Die relativen Verlustangaben in Abb. 4.34 sind über das Jahr gemittelte Größen. Sie
gelten für mitteleuropäische meteorologische Verhältnisse und sind auf die Sonnenein-
strahlung auf den eigentlichen solarthermischen Kollektor bezogen. Große Verluste von
ca. 25 % entstehen durch einen Kollektorstillstand dann, wenn der Speicher bereits auf sei-
ne Maximaltemperatur aufgeheizt wurde oder die zum Beladen des Speichers notwendige
Temperatur im Kollektor noch nicht erreicht ist. Die größten Verluste mit zusammenge-
nommen rund 38 % treten im Kollektor bei der Umwandlung der solaren Strahlung in
Wärme bzw. vor ihrem Weitertransport durch das Wärmeträgermedium auf.
Insgesamt ergibt sich ein gesamter Systemnutzungsgrad derartiger Solarsysteme von
rund 25 % von der Sonneneinstrahlung bis zur nutzbaren Wärme des Trinkwarmwassers
(hierbei werden alle Verluste des Trinkwarmwasserspeichers der Solaranlage zugerech-
net) bzw. von 32 % bis zur Abgabe der Wärme des Kollektors in den Trinkwarmwasser-
speicher (d. h. ohne Berücksichtigung der Speicherverluste). Bei einer Einstrahlung auf
die Kollektorebene zwischen 3 760 und 4 520 MJ/(m2 a) entspricht dies einem jährlichen
4 Solarthermische Wärmenutzung 299

Abb. 4.34 Beispielhafter Energiefluss einer solarthermischen Zwangsdurchlaufanlage mit Flach-


kollektor zur Unterstützung der Trinkwarmwasserbereitung eines Haushaltes

Energieertrag am Ausgang der Solaranlage zwischen 1 200 und 1 450 MJ/(m2 a) bzw. 330
bis 400 kWh/(m2 a).
Für den Gesamtsystemnutzungsgrad sind Anlagendimensionierung und Abstimmung
der einzelnen Anlagenkomponenten aufeinander entscheidend. Dabei beeinflussen sich
der Gesamtsystemnutzungsgrad und der solare Deckungsgrad einander wechselseitig. Bei
vorgegebener Kollektorfläche erhöht sich der solare Deckungsgrad mit einem zunehmen-
den Gesamtsystemnutzungsgrad (z. B. durch die Verwendung besserer Kollektoren, durch
eine Verringerung der Leitungsverluste, durch eine bessere Speicherwärmedämmung oder
eine Speichervolumenvergrößerung). Erhöht sich bei einem bereits ausgelegten System
der solare Deckungsgrad z. B. dadurch, dass die Trinkwarmwassernachfrage sinkt, ver-
ringert sich der Gesamtsystemnutzungsgrad. Ursache ist, dass unter diesen Umständen
der Kollektor im Sommer zu viel solare Strahlung in Wärme umwandelt, die nicht ge-
nutzt werden kann. Wird andererseits bei sonst gleicher Auslegung die Kollektorfläche
vergrößert, erhöht dies zwar den solaren Deckungsgrad, verringert aber ebenfalls den Ge-
samtsystemnutzungsgrad, da der weitaus größte Teil der zusätzlichen Wärme im Sommer
anfällt, in dem der solare Deckungsgrad schon nahe bei 100 % liegt. Damit geht im Som-
mer überschüssige Wärme verloren.

Solarer Deckungsgrad Unter dem solaren Deckungsgrad (auch als solare Deckungsrate
oder als Solardeckungsgrad bezeichnet) ist der prozentuale Anteil der Energienachfrage
(hier: der Niedertemperaturwärmenachfrage) zu verstehen, der durch Sonnenenergie be-
reitgestellt wird, bezogen auf die gesamte nachgefragte Energie (hier: die gesamte Nieder-
temperaturwärmenachfrage). Der Betrachtungszeitraum ist typischerweise ein Jahr. Der
300 M. Kaltschmitt et al.

Abb. 4.35 Solarer Ge- 80


samtdeckungsgrad für 20
70
Raumheizung und Warm-

Solarer Deckungsgrad in %
10
wasser(WW)-Bereitung über 60
7
Speichergröße und Kollek-
torfläche, beides bezogen auf 50 5
die Heizlast des Gebäudes 40 3
(die Ziffern an den Graphen 2
beschreiben die jeweilige spe- 30
zifische Kollektorgröße in 20 1
m2 /kWHeizlast ) [4.6, 4.34]
10

0
0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8
Spezifisches Puffer- und WW-Speichervolumen in m³/kWHeizlast

solare Deckungsgrad kann auf die Trinkwarmwassernachfrage (bzw. die dafür benötigte
Energie), die Raumwärmenachfrage oder auf beide gemeinsam – und damit die gesamte
Wärmenachfrage – bezogen werden (siehe auch Kapitel 4.1.4). Je höher der solare De-
ckungsgrad, desto höher ist der solare Anteil an der Energienachfragedeckung.
Für die Abschätzung des solaren Deckungsgrades beispielsweise von solaren Kom-
bisystemen zur Deckung der Nachfrage an Trinkwarmwasser und Raumwärme in Ab-
hängigkeit von der Heizlast des Hauses, der Kollektorfläche und der Speichergröße kann
näherungsweise Abb. 4.35 verwendet werden. Dieses Diagramm ist innerhalb der folgen-
den Grenzen nutzbar:

 energetisch optimierte Anlagen ohne hydraulische Fehler, welche die Nachfrage nach
Heizwärme und Warmwasser vollständig abdecken;
 mitteleuropäisches Klima;
 Südausrichtung der Kollektorfläche ˙ 10ı ;
 Neigung der Kollektorfläche 40ı bis 55ı ;
 hochselektiv beschichteter Flachkollektor (es wird die Bruttokollektorfläche angenom-
men);
 solarer Deckungsgrad 20 bis 75 %;
 Ein- und Mehrfamilienhäuser (d. h. keine Nichtwohngebäude);
 Heizwärmenachfrage von 10 bis 200 kWh=.m2 a/;
 Niedertemperaturheizungssysteme (Vorlauftemperatur < 40 ı C);
 Warmwassernachfrage von 100 bis 250 L=d und Wohneinheit;
 Trinkwarmwassertemperatur zwischen 40 und 50 ı C;
 getrennte und kombinierte Trinkwarmwasserspeicher und Solar-Pufferspeicher.

Dabei ist jeweils die Summe der Volumen aus dem Warmwasserspeicher und dem So-
lar-Pufferspeicher für das Diagramm zu verwenden (d. h. wird ein Heizungspufferspeicher
4 Solarthermische Wärmenutzung 301

von 1 m3 und ein Trinkwarmwasserspeicher von 300 L verwendet, sind 1,3 m3 für das
Diagramm zugrunde zu legen). Die Heizlast des Gebäudes (d. h. die benötigte Wärmeleis-
tung, um das Haus am (normierten) kältesten Tag auf Norminnentemperatur zu heizen) ist
gemäß [4.33] zu berechnen und in kW anzugeben. Um das Diagramm für beliebige Heiz-
lasten, Speichergrößen und Kollektorflächen verwenden zu können, werden spezifische
Werte der Speichergröße und der Kollektorfläche jeweils bezogen auf die Heizlast des
Hauses gebildet. Die Werte zwischen den Kennlinien dürfen linear interpoliert werden.
Beispielsweise ergibt sich für eine Heizlast von 8 kW, eine Summe aus Trinkwarmwas-
ser- und Heizungsspeicher von 1,6 m3 sowie eine Kollektorfläche von 32 m2 eine spezifi-
sche Speichergröße von 1,6 m3 =8 kW bzw. 0,2 m3 /kWHeizlast und eine spezifische Kollek-
torfläche von 32 m2 =8 kW bzw. 4,0 m2 /kWHeizlast . Daraus folgt ein solarer Deckungsgrad
von 37 %.

4.3 Ökonomische und ökologische Analyse

Lucas Sens, Wolfgang Streicher und Martin Kaltschmitt

Im Folgenden werden für ausgewählte solarthermische Anlagen, deren technische Kenn-


daten das derzeitige Marktspektrum wiedergeben, die Kosten und ausgewählte Umwelt-
effekte analysiert.

4.3.1 Referenzanlagen

Bei den hier durchgeführten Untersuchungen werden die im Folgenden dargestellten sie-
ben Anwendungsfälle, die zur Versorgung der in Kapitel 1 festgelegten Versorgungsaufga-
ben eingesetzt werden können, betrachtet. Ihre Systemkennwerte sind in den Tabellen 4.6
und 4.7 dargestellt. Die Anlagen werden unter Verwendung des Klimas von Würzburg
mittels einer dynamischen Anlagensimulation ausgelegt.

 Für die Nachfragefälle „Einfamilienhaus“ und „Mehrfamilienhaus“ (EFH 0 bis


MFH IV; zur Definition der Nachfragefälle siehe Kapitel 1) wird jeweils eine solar-
thermische Anlage zur Unterstützung der Trinkwarmwasserbereitung mit 60 % solaren
Deckungsgrad betrachtet (Fall „Ausschließliche Trinkwarmwasserbereitstellung“).
Für die Einfamilienhäuser (EFH 0 bis EFH IV) wird eine Solaranlage mit Trinkwarm-
wasserspeicher und internem Solarwärmeübertrager sowie ein Verbrauch von 90 L/d
bei 60 ı C angenommen. Für die Mehrfamilienhäuser wird zur Sicherstellung von
Legionellenfreiheit ein Pufferspeicher mit Durchlauferhitzer für die Trinkwarmwas-
serbereitung verwendet. Damit kann eine Temperatur für das Trinkwarmwasser von
etwas über 51 ı C und ein Trinkwarmwasserverbrauch für die Mehrfamilienhäuser von
720 L/d angenommen werden. Für den Anwendungsfall „Einfamilienhaus“ (EFH 0 bis
302 M. Kaltschmitt et al.

Tabelle 4.6 Technische Daten der untersuchten solarthermischen Anlagen zur ausschließlichen
solaren Trinkwarmwasserbereitstellung
Versorgungsaufgabe EFH 0 bis IV MFH 0 bis IV
Trinkwarmwassernachfrage in GJ/a 6,8 45,2
in L/d 90 720
Trinkwarmwassertemperatur in ı C 60 51
Installierte Nettokollektorfläche in m2 6,4 25,0
Solarer Deckungsgrad Trinkwarmwasser in % 60 60
Kollektorleitungen in m 20 50
Lebensdauer Kollektoranlage in a 20 20
Spezifischer Kollektorertrag in kWh/(m2 a) 260 330
Speicherart Solarer Trinkwarm- Solarer
wasserspeicher Pufferspeicher
Volumen Solarspeicher in L 300 1 500
Lebensdauer Speicher in a 25 25

Tabelle 4.7 Technische Daten der untersuchten solarthermischen Anlagen zur solaren Trinkwarm-
wasserbereitstellung und Heizungsunterstützung der Einfamilienhäuser (EFH)
Versorgungsaufgabe (EFH) 0 I II III IV
Trinkwarmwassernachfrage in GJ/a 6,8 6,8 6,8 6,8 6,8
in L/d 90 90 90 90 90
Trinkwarmwassertemperatur in ı C 60 60 60 60 60
Raumwärmenachfrage in GJ/a 8,1 14,9 18,9 27,0 75,6
Heizlast in kW 1,8 3,0 4,0 5,0 13,0
Solarer Deckungsgrad 20 %
Inst. Netto-Kollektorfläche in m2 3,4 4,7 5,4 7,8 34
Kollektorleitung in m 20 20 20 20 20
Lebensdauer Kollektoranlage in a 20 20 20 20 20
Spez. Kollektorertrag in kWh/(m2 a) 343 341 359 326 168
Speicherart Solarer Kombispeicher
Speichervolumen in L 300 400 500 600 1 000
Lebensdauer Solarspeicher in a 25 25 25 25 25
Solarer Deckungsgrad 45 %
Inst. Netto-Kollektorfläche in m2 10 17 22 31 a
a
Kollektorleitung in m 20 20 20 20
a
Lebensdauer Kollektoranlage in a 20 20 20 20
Spez. Kollektorertrag in kWh/(m2 a) 253 217 196 189 a
a
Speicherart Solarer Kombispeicher
a
Volumen Speicher in L 550 1 000 1 000 1 900
a
Lebensdauer Speicher in a 25 25 25 25
a
nicht sinnvoll; Inst. Installierte; Spez. Spezifischer.
4 Solarthermische Wärmenutzung 303

EFH IV) ergibt sich eine Nettokollektorfläche von 6,4 m2 und für den Fall „Mehrfami-
lienhaus“ (MFH 0 bis MFH IV) von 25 m2 . Die Speichergrößen werden mit 300 (EFH)
bzw. 1 500 L (MFH) unterstellt.
 Zusätzlich werden für die Nachfragefälle „Einfamilienhaus“ (EFH 0 bis EFH IV)
jeweils ein solarthermisches Kombisystem zur Trinkwarmwasserbereitung und Hei-
zungsunterstützung nach Abb. 4.31, rechts, mit einer Kollektorfläche zwischen 3,4
und 34 m2 betrachtet (EFH 0: 3,4 m2 ; EFH I: 4,7 m2 ; EFH II: 5,4 m2 ; EFH III: 7,8 m2 ;
EFH IV: 34,0 m2 ). Die Heizlast zur Wärmeversorgung der Einfamilienhäuser liegt
zwischen 1,8 und 13 kW (EFH 0: 1,8 kW; EFH I: 3 kW; EFH II: 4 kW; EFH III: 5 kW;
EFH IV: 13 kW). Insgesamt sind die Systeme so ausgelegt, dass 20 % der gesamten
Wärmenachfrage für Trinkwarmwasser und Raumwärme bereitgestellt werden können
(Fall „Solarer Deckungsgrad 20 %“). Demnach können die Kollektorflächen z. T. klei-
ner ausfallen im Vergleich zu dem Fall „Ausschließliche Trinkwarmwasserbereitung“,
da bei einer zunehmenden Wärmedämmung der Häuser die Trinkwarmwassernach-
frage gegenüber der Heizenergienachfrage einen immer größeren Anteil einnimmt.
Daher kann bei einem 20 %-igen solaren Deckungsgrad für die Bereitstellung von Hei-
zung und Trinkwarmwasser weniger solare Energie benötigt werden im Vergleich zu
einer ausschließlichen Trinkwarmwasserbereitstellung mit einem solaren Deckungs-
grad von 60 %. Der spezifische Kollektorertrag liegt für EFH 0 bis zum EFH III
aufgrund der niedrigen Vor- und Rücklauftemperatur für die Heizung zwischen 326
und 359 kWh/(m2 a). Bei EFH IV hingegen ist die Solltemperatur der Heizung wesent-
lich höher; dies führt zu einer Reduktion des spezifischen Kollektorertrages und einer
merklichen Zunahme der entsprechend notwendigen Kollektorfläche.
 Weiterhin werden für die Nachfragefälle „Einfamilienhaus“ (EFH 0 bis EFH III) vier
solarthermische Anlagen zur Trinkwarmwasserbereitung und Heizungsunterstützung
mit einer Kollektorfläche zwischen 10 und 31 m2 unterstellt (EFH 0: 10 m2 ; EFH I:
17 m2 ; EFH II: 22 m2 ; EFH III: 31 m2 ). Bei diesen solaren Kombisystemen zur Wär-
meversorgung der Einfamilienhäuser werden 45 % (d. h. solarer Deckungsgrad) der
gesamten Wärmenachfrage für Trinkwarmwasser und Raumwärme solar bereitgestellt
(Fall „Solarer Deckungsgrad 45 %“). Für das EFH IV würden bei einem derartigen
Deckungsgrad sehr hohe Kollektorflächen benötigt. Hier wäre dann eine vorherige
thermische Sanierung wesentlich kostengünstiger. Daher wird diese Variante hier nicht
weiter betrachtet.
 Für Mehrfamilienhäuser mit solaren Kombisystemen und solarunterstütze Nahwärme-
netze werden lediglich die Nachfragefälle MFH 0, MFH I für einen solaren Deckungs-
grad von 20 und 45 % untersucht sowie für einen solaren Deckungsgrad von 14 % das
NW I betrachtet (zur Definition der Nahwärmenetze siehe Kapitel 1). Für einen solaren
Deckungsanteil von 20 % beträgt die Kollektorfläche 12,5 sowie 19,0 m2 und bei ei-
nem solaren Deckungsanteil von 45 % liegt die Kollektorfläche zwischen 49 und 88 m2
für die Nachfragefälle MFH 0 und MFH I. Die Kollektorfläche des Nahwärmenetzes
NW I beträgt für einen solaren Deckungsanteil von 14 % 2 000 m2 . Der spezifische Kol-
304 M. Kaltschmitt et al.

Tabelle 4.8 Technische Daten der untersuchten solarthermischen Anlagen zur solaren Trinkwarm-
wasserbereitstellung und Heizungsunterstützung der Mehrfamilienhäuser (MFH) sowie zur solaren
Heizungsunterstützung des Nahwärmenetzes (NW)
Versorgungsaufgabe MFH 0 MFH I NW I
a
Trinkwarmwassernachfrage in GJ/a 45,2 45,2
a
in L/d 720 720
Trinkwarmwassertemperatur in ı C 51 51 a

Raumwärmenachfrage in GJ/a 42,1 74,1 8 000


Heizlast in kW 7,8 19,0 1 000
Solarer Deckungsgrad 20 %b
Inst. Netto-Kollektorfläche in m2 12,5 19,0 2 000
Kollektorleitung in m 20 20 20
Lebensdauer Kollektoranlage in a 20 20 20
Spez. Kollektorertrag in kWh/(m2 a) 435 394 215
Speicherart Solarer Kombispeicher FW-Speicher
Speichervolumen in L 1 000 1 500 250 000
Lebensdauer Solarspeicher in a 25 25 25
Solarer Deckungsgrad 45 %
Inst. Netto-Kollektorfläche in m2 49 88 c
c
Kollektorleitung in m 20 20
c
Lebensdauer Kollektoranlage in a 20 20
Spez. Kollektorertrag in kWh/(m2 a) 255 192 c
c
Speicherart Solarer Kombispeicher
c
Volumen Speicher in L 3 000 3 500
c
Lebensdauer Speicher in a 25 25
a
nicht betrachtet; b Solarer Deckungsanteil von 14 % für das Nahwärmenetz (NW I); c nicht sinn-
voll; Inst. Installierte, Spez. Spezifischer.

lektorertrag für die unterschiedlichen Versorgungsaufgaben variiert zwischen 215 bis


435 kWh/(m2 a). Die Heizleistung der Nachfragefälle MFH 0 und MFH I liegt bei 7,8
und 19 kW. Die Heizleistung des Nahwärmenetzes ist auf 1 000 kW ausgelegt.

Als Kollektoren werden marktgängige Flachkollektoren mit einem Glykol-Wasser-


Gemisch (40 % Glykol / 60 % entsalztes Wasser) als Wärmeträgermedium verwendet.
Der Stahltank zur Speicherung der solar bereitgestellten Wärme bei der dezentralen
Trinkwarmwasserbereitung (EFH 0 bis MFH IV) und bei den Kombisystemen (EFH 0 bis
EFH IV) ist im Keller des jeweiligen Gebäudes untergebracht. Es handelt sich bis auf den
Fall EFH „Ausschließliche Trinkwarmwasserbereitstellung“ um Solarspeicher mit einer
Schichtladeeinheit in einer jeweils unterschiedlichen Größe; die entsprechende Speicher-
größe bemisst sich aus dem geforderten solaren Deckungsgrad und den Anforderungen
von Trinkwarmwasserbereitung bzw. Heizungsunterstützung (Tabelle 4.6 bis 4.8).
4 Solarthermische Wärmenutzung 305

Der Kollektorkreislauf besteht bei der ausschließlichen solarthermischen Trinkwarm-


wasserbereitung und bei den solaren Kombisystemen aus wärmegedämmten Kupferrohren
mit einer Gesamtlänge von 20 m bei den Einfamilienhäusern (EFH 0 bis EFH IV), von
50 m bei den Mehrfamilienhäusern (MFH 0 bis MFH IV) sowie von 200 m bei dem
Nahwärmenetz (NW I) (Tabelle 4.6 bis 4.8). Der spezifische Kollektorertrag stellt den
Energieinput des Kollektors in den Speicher dar und ist aufgrund der Speicherverluste
höher als die für die jeweilige solare Deckung benötigte Energiemenge.
Die Solaranlage deckt je nach solarem Deckungsgrad 60 % der ausschließlichen Trink-
warmwassernachfrage bzw. 14, 20 oder 45 % der gesamten Raumwärmenachfrage der
verschiedenen Versorgungsaufgaben EFH 0 bis MFH IV sowie NW I. Die übrigen Antei-
le der Wärmenachfrage werden durch konventionelle Erdgas-Brennwertthermen erzeugt;
sie entsprechen den konventionellen Referenzsystemen nach Kapitel 1. Dabei werden
die gleichen Auslegungsparameter wie bei den Referenzsystemen ausschließlich auf der
Basis fossiler Energieträger verwendet, da die Brennwertthermen an Tagen ohne solare
Einstrahlung auf die Kollektoroberfläche (d. h. geschlossene Schneedecke) die gesamte
Wärmenachfrage der Versorgungsaufgabe bereitstellen können müssen.
In Abhängigkeit von der untersuchten Technologie (d. h. der Technologie zur Wärme-
erzeugung sowie der der Wärmeverteilung, Speicherung und Übergabe an das Haushei-
zungssystem) ergeben sich unterschiedlich hohe Wärmeverluste, die für die Systemaus-
legung relevant sind. Diese werden im Folgenden durch die Aufwandszahlen nach DIN
V 4701-10 [4.18] beschrieben; die Aufwandszahl ist dabei definiert als der Kehrwert des
Nutzungsgrades bzw. als Quotient aus Aufwand und Nutzen. Die Aufwandszahlen basie-
ren auf dem Endenergieverbrauch an fossilen Energieträgern und beschreiben die Menge
an Endenergie fossilen Ursprungs, die zur Versorgung des jeweiligen Ein- bzw. Mehr-
familienhauses benötigt wird. Deshalb kann es bei Systemen auf der Basis erneuerbarer
Energien Fälle geben, bei denen die Aufwandszahlen kleiner als eins sind; dann übersteigt
der Nutzen den Aufwand an fossiler Energie.
Im Betrieb benötigt die Heizungsanlage zusätzlich elektrische Energie. Diese hier als
Hilfsenergiebedarf bezeichnete Energienachfrage wird ebenfalls nach DIN V 4701-10
[4.18] ermittelt. Die Tabellen 4.9 bis 4.11 zeigen ausgehend davon die verwendeten Auf-
wandszahlen für die untersuchten Systeme sowie die solar und mit fossilen Energieträgern
bereitgestellten Energiemengen der jeweiligen Referenzsysteme und den jeweiligen (fos-
silen) Endenergieeinsatz. Die nutzbare solare Energie ist hierbei definiert als der solar
bereitgestellte Energieeintrag in den Speicher abzüglich der jeweiligen Speicherverluste.
Auch der Endenergieeinsatz sowie die jeweiligen Brennstoff- und Hilfsenergieverbräuche
sind in den Tabellen 4.9 bis 4.11 dargestellt. Für die Versorgungsaufgaben im Altbaube-
reich (d. h. EFH IV und MFH IV) ist der Hilfsenergiebedarf niedriger im Vergleich zu den
besser gedämmten Häusern, da hier die Wärme über Radiatoren verteilt wird und dafür
weniger Betriebsstrom benötigt wird verglichen mit dem Betrieb einer Fußbodenheizung.
Bei der Ermittlung der zugrunde gelegten Aufwandszahlen wird die saisonale Ab-
hängigkeit des Kesselnutzungsgrades ebenso berücksichtigt wie der unterschiedliche De-
306 M. Kaltschmitt et al.

Tabelle 4.9 Aufwandszahlen (AWZ) und Energiemengen der untersuchten solarthermischen An-
lagen zur ausschließlichen Trinkwarmwasserbereitstellung in Kombination mit Brennwertthermen
auf der Basis fossiler Energieträger für die gesamte Versorgungsaufgabe Heizung (RW) und Trink-
warmwasserbereitung (TWW)
Einfamilienhaus (EFH) 0 I II III IV
AWZ TWW 1,51 1,51 1,51 1,51 1,54
AWZ RW 1,05 1,05 1,04 1,04 1,10
System-AWZ 1,26 1,19 1,16 1,13 1,14
Solare Energie TWW in GJ/a 4,1 4,1 4,1 4,1 4,1
Fossile Energie TWW in GJ/a 2,7 2,7 2,7 2,7 2,7
Fossile Energie RW in GJ/a 8,1 14,9 18,9 27 75,6
Fossile Endenergie TWW in GJ/a 4,1 4,1 4,1 4,1 4,2
Fossile Endenergie RW in GJ/a 8,5 15,6 19,7 28,1 83,2
Fossiler Gesamtend- in GJ/a 12,6 19,8 23,8 32,2 87,3
energieverbrauch
Erdgasverbrauch in m3 /a 324 508 611 828 2 247
Hilfsenergie (Strom) in kWh/a 600a 600a 600b 600b 450b

Mehrfamilienhaus (MFH) 0 I II III IV


AWZ TWW 1,54 1,54 1,54 1,54 1,56
AWZ RW 1,04 1,04 1,03 1,03 1,08
System-AWZ 1,30 1,23 1,20 1,16 1,14
Solare Energie TWW in GJ/a 27,1 27,1 27,1 27,1 27,1
Fossile Energie TWW in GJ/a 18,1 18,1 18,1 18,1 18,1
Fossile Energie RW in GJ/a 42,1 74,1 94,4 134,9 308,9
Fossile Endenergie TWW in GJ/a 27,8 27,8 27,8 27,8 28,2
Fossile Endenergie RW in GJ/a 43,8 77,1 97,2 138,9 333,6
Fossiler Gesamtend- in GJ/a 71,6 104,9 125,1 166,8 361,8
energieverbrauch
Erdgasverbrauch in m3 /a 1 842 2 698 3 217 4 290 9 306
Hilfsenergie (Strom) in kWh/a 1 400a 1 400a 1 400b 1 400b 1 050b
a
inklusive Hilfsenergiebedarf für die Wärmerückgewinnung aus der Abluft der Lüftungsanlagen;
b
keine Lüftungsanlage vorhanden; TWW Trinkwarmwasserbereitung; RW Raumwärmebereitstel-
lung; AWZ Aufwandszahl.

ckungsgrad der Solaranlage im Sommer und im Winter. Bei einem jährlichen Deckungs-
grad von rund 60 % für eine solare Trinkwarmwassererwärmung liegt beispielsweise der
Deckungsgrad in den Sommermonaten zwischen 80 und 100 % und im Winter teilweise
unter 20 %. Damit ist der Nutzungsgrad des mit fossilen Brennstoffen befeuerten Kessels
für die Trinkwarmwassererwärmung im Sommer niedriger als im Winter. Folglich ist der
mittlere Kesselnutzungsgrad in den Zeiten, in denen die Wärme auch durch eine Solaran-
lage bereitgestellt werden kann, geringer als im Jahresdurchschnitt.
4 Solarthermische Wärmenutzung 307

Tabelle 4.10 Aufwandszahlen (AWZ) und Energiemengen der untersuchten solarthermischen


Anlagen zur Trinkwarmwasserbereitstellung (TWW) und Heizungsunterstützung (RW) in Kombi-
nation mit Brennwertthermen auf der Basis fossiler Energieträger der Einfamilienhäuser
Einfamilienhaus (EFH) 0 I II III IV
Trinkwarmwassernachfrage in GJ/a 6,8 6,8 6,8 6,8 6,8
Raumwärmenachfrage in GJ/a 8,1 14,9 18,9 27,0 75,6
Heizleistung in kW 1,8 3,0 4,0 5,0 13,0
Solarer Deckungsgrad 20 %
AWZ TWW 1,51 1,51 1,51 1,51 1,54
AWZ RW 1,05 1,05 1,04 1,04 1,10
System-AWZ 1,26 1,19 1,16 1,13 1,14
Solare Energie TWW in GJ/a 1,4 1,4 1,4 1,4 1,4
Solare Energie RW in GJ/a 1,6 3,0 3,8 5,4 15,1
Fossile Energie TWW in GJ/a 5,4 5,4 5,4 5,4 5,4
Fossile Energie RW in GJ/a 6,5 11,9 15,1 21,6 60,5
Fossile Endenergie TWW in GJ/a 8,2 8,2 8,2 8,2 8,4
Fossile Endenergie RW in GJ/a 6,8 12,5 15,7 22,5 66,5
Fossiler Gesamtend- in GJ/a 15,0 20,7 23,9 30,7 74,9
energieverbrauch
Erdgasverbrauch in m3 /a 386 533 616 789 1 927
Hilfsenergie (Strom) in kWh/a 600a 600a 600b 600b 450b
Solarer Deckungsgrad 45 %
c
AWZ TWW 1,51 1,51 1,51 1,51
c
AWZ RW 1,05 1,05 1,04 1,04
c
System-AWZ 1,26 1,19 1,16 1,13
c
Solare Energie TWW in GJ/a 3,1 3,1 3,1 3,1
c
Solare Energie RW in GJ/a 3,6 6,7 8,5 12,2
c
Fossile Energie TWW in GJ/a 3,7 3,7 3,7 3,7
c
Fossile Energie RW in GJ/a 4,5 8,2 10,4 14,9
c
Fossile Endenergie TWW in GJ/a 5,6 5,6 5,6 5,6
c
Fossile Endenergie RW in GJ/a 4,7 8,6 10,8 15,4
c
Fossiler Gesamtend- in GJ/a 10,3 14,3 16,5 21,1
energieverbrauch
Erdgasverbrauch in m3 /a 266 367 423 542 c

Hilfsenergie (Strom) in kWh/a 650a 650a 650b 650b c

a
inklusive Hilfsenergiebedarf für die Wärmerückgewinnung aus der Abluft der Lüftungsanlagen;
b
keine Lüftungsanlage vorhanden; c nicht sinnvoll; TWW Trinkwarmwasserbereitung; RW Raum-
wärmebereitstellung; AWZ Aufwandszahl.
308 M. Kaltschmitt et al.

Tabelle 4.11 Aufwandszahlen (AWZ) und Energiemengen der untersuchten solarthermischen


Anlagen zur Trinkwarmwasserbereitstellung (TWW) und Heizungsunterstützung (RW) in Kombi-
nation mit Brennwertthermen auf der Basis fossiler Energieträger der Mehrfamilienhäuser und zur
Heizungsunterstützung des Nahwärmenetzes
Versorgungsaufgabe MFH 0 MFH I NW I
Trinkwarmwassernachfrage in GJ/a 45,2 45,2
Raumwärmenachfrage in GJ/a 42,1 74,1 8 000
Fernwärmenachfrage in GJ/a 9 900a
Heizleistung in kW 7,8 19,0 1 000
Solarer Deckungsgrad 20 %b
AWZ TWW 1,54 1,54
AWZ RW 1,04 1,04 1,24
System-AWZ 1,30 1,23 1,24
Solare Energie TWW in GJ/a 9,0 9,0
Solare Energie RW in GJ/a 8,4 14,8 1 716
Fossile Energie TWW in GJ/a 36,2 36,2
Fossile Energie RW in GJ/a 33,7 59,3 10 544
Fossile Endenergie TWW in GJ/a 55,7 55,7
Fossile Endenergie RW in GJ/a 35,0 61,7 13 057
Fossiler Gesamtendenergieverbrauch in GJ/a 90,7 117,3 13 057
Erdgasverbrauch in m3 /a 2 333 3 018 335 832
Hilfsenergie (Strom) in kWh/a 1 400 1 400 66 000
Solarer Deckungsgrad 45 %
c
AWZ TWW 1,54 1,54
c
AWZ RW 1,04 1,04
c
System-AWZ 1,30 1,23
c
Solare Energie TWW in GJ/a 20,3 20,3
c
Solare Energie RW in GJ/a 18,9 33,3
c
Fossile Energie TWW in GJ/a 24,9 24,9
c
Fossile Energie RW in GJ/a 23,2 40,8
c
Fossile Endenergie TWW in GJ/a 38,3 38,3
c
Fossile Endenergie RW in GJ/a 24,1 42,4
c
Fossiler Gesamtendenergieverbrauch in GJ/a 62,4 80,7
Erdgasverbrauch in m3 /a 1 604 2 075 c

Hilfsenergie (Strom) in kWh/a 1 500d 1 500d c

a
Wert höher als Raumwärmenachfrage aufgrund von Leitungsverlusten etc.; b solarer Deckungs-
anteil von 14 % für das Nahwärmenetz (NW I); c nicht sinnvoll; d inklusive Hilfsenergiebedarf für
die Wärmerückgewinnung aus der Abluft der Lüftungsanlagen; TWW Trinkwarmwasserbereitung;
RW Raumwärmebereitstellung; AWZ Aufwandszahl.
4 Solarthermische Wärmenutzung 309

4.3.2 Ökonomische Analyse

Zur Abschätzung der mit einer solarthermischen Wärmenutzung verbundenen Aufwen-


dungen werden im Folgenden zunächst die Investitionen und die Betriebs- und War-
tungskosten solarthermischer Anlagen dargestellt. Anschließend werden auf dieser Ba-
sis die spezifischen solaren Wärmegestehungskosten sowie die spezifischen äquivalenten
Brennstoffkosten bestimmt; unter letzteren werden die Kosten der solaren Nutzenergie
am Speicherausgang bewertet mit dem Nutzungsgrad des konventionellen Heizkessels
(z. B. Brennwerttherme auf der Basis von Erdgas) verstanden, der in Verbindung mit der
Solaranlage Wärme bereitstellt (d. h. die Kosten für den durch die solarthermische Wär-
meerzeugung vermiedenen (fossilen) Brennstoff).

Investitionen Die Investitionen für Anlagen zur solarthermischen Niedertemperaturwär-


megewinnung können am Markt starken Schwankungen unterworfen sein. Im Folgenden
können deshalb nur durchschnittliche Aufwendungen angegeben werden; im konkreten
Einzelfall können die tatsächlichen Kosten von diesen Durchschnittswerten z. T. erheb-
lich abweichen.

Kollektor Die Aufwendungen für die heute auf dem Markt erhältlichen Kollektoren lie-
gen etwa zwischen rund 50 und etwa 1 200 C/m2 . Entscheidend ist dabei der Kollektortyp;
sehr einfache Absorbermatten weisen Kosten zwischen etwa 25 und ca. 80 C/m2 auf
und einfachverglaste Flachkollektoren mit schwarzen oder selektiven Absorbern kosten
dagegen zwischen etwa 200 und rund 400 C/m2 . Bei sehr effizienten Vakuumröhrenkol-
lektoren, mehrfach abgedeckten Flachkollektoren oder mit transparenter Wärmedämmung
verbesserten Solarkollektoren können die Aufwendungen auf über 700 C/m2 ansteigen.
Neben der eigentlichen Technik hängen die Kollektorkosten auch von der Kollektor-
größe ab. Großflächige Kollektormodule sind flächenspezifisch meist kostengünstiger als
kleine Kollektoren; in Einzelfällen wurden beispielsweise – einschließlich Montage und
Verrohrung – schon großflächige Kollektormodule mit 220 C/m2 , ggf. bei sehr großen
Kollektorflächen auch darunter (d. h. unter 200 C/m2 ), angeboten. Gängige Kosten liegen
derzeit aber tendenziell eher etwas über diesen Werten.
Die Kollektoren können u. a. auch als Bausatz geliefert und vom Betreiber eigenstän-
dig zusammengebaut werden. Dann liegen die Kosten für den Betreiber – vorausgesetzt,
er monetarisiert seine eigene Arbeitskraft nicht – erheblich niedriger. Derartige Selbst-
baukollektoren haben aber in den letzten Jahren zunehmend Marktanteile verloren, da die
fertig installierten Anlagen im Preis etwas günstiger wurden.

Speicher Die Aufwendungen für den Solarspeicher hängen zum einen vom Speichervolu-
men und zum anderen vom Speicherprinzip ab. Unter den Speicherprinzipien werden reine
Trinkwarmwasserspeicher, reine Pufferspeicher zur Erwärmung des Heizwassers, Kom-
bispeicher zur Heizungs- und Trinkwarmwassererwärmung sowie Speicher mit Schichtla-
deeinheit unterschieden.
Die Kosten für ausschließliche Trinkwarmwasserspeicher bewegen sich zwischen 1,5
und 4,0 C/L Speichervolumen. Bei dieser Technologie kommen beispielsweise im Ein-
310 M. Kaltschmitt et al.

familienhausbereich eher geringere Speichervolumina im Bereich bis etwa 500 L zum


Einsatz.
Für Pufferspeicher zur Heizwassererwärmung muss mit Investitionen von 1 bis 3 C/L
Speicherinhalt gerechnet werden. Die bei diesem Speichertyp auftretenden Speichervolu-
mina variieren stärker und liegen im Bereich bis etwa 1 000 L.
Speicher mit Schichtladeeinheit sind entsprechend teurer, erlauben aber auch eine
z. T. merklich höhere Effizienz. Die Kosten derartiger Speicher liegen zwischen 1,5 und
7,0 C/L Speicherinhalt. Insgesamt bewegen sich dabei Kombispeicher mit einer Schicht-
ladeeinheit tendenziell im oberen Kostenband und Pufferspeicher mit Schichtladeeinheit
eher im unteren Bereich. Speicher mit Schichtladeeinheit sind in Größen von rund 300
bis zu 2 000 L und mehr am Markt erhältlich.

Sonstige Systemkomponenten Zu den sonstigen Systemelementen einer solarthermischen


Anlage zählen die Rohrleitungen, die Mess- und Regeleinrichtungen, die Pumpe, das
Frostschutzmittel sowie alle sicherheitstechnischen Einrichtungen (u. a. Sicherheits- und
Absperrventile, Ausdehnungsgefäß). Bei dezentralen Trinkwarmwasserbereitstellungs-
systemen sind beispielsweise im Normalfall 20 bis 30 m Rohrleitungen zu verlegen.
Dafür belaufen sich die Kosten für die Leitung einschließlich Wärmedämmung auf 40
bis 70 C/m2 Kollektorfläche. Insgesamt liegen die Kosten der sonstigen Komponenten bei
etwa 90 bis 160 C/m2 für dezentrale solarthermische Trinkwarmwassersysteme.
Bei zentralen solarthermischen Trinkwarmwassersystemen wurden für beispielhaft
ausgelegte Systeme Kosten zwischen 65 und 130 C/m2 bestimmt. Diese Bandbreite kann
in einer ersten Abschätzung auch für größere solare Nahwärmesysteme als mehr oder
weniger repräsentativ angesehen werden.

Montage und Inbetriebnahme Wird die Anlage von einer Installationsfirma und damit
durch Fachkräfte errichtet, liegen die spezifischen Montagekosten bei rund 70 bis 300 C/m2
Kollektorfläche. Darin sind enthalten die Kollektormontage, die Leitungsverlegung, der
Anschluss an den Solarspeicher, die Installation der Mess- und Regeleinrichtungen sowie
der Pumpe, der Anschluss an die Nachheizung sowie die Befüllung und Inbetriebnahme.
Dabei nimmt die Verlegung der Rohrleitungen den größten Anteil ein. Die Aufwendungen
für die Kollektormontage liegen bei etwa 20 bis 30 % der Investitionen.
Bei zentraler solarthermischer Trinkwarmwasserunterstützung und größeren solaren
Nahwärmesystemen sind die spezifischen Kosten für Montage und Inbetriebnahme oft
geringer. Die Montagekosten größerer Kollektorfelder liegen zwischen etwa 10 und 20 %
der Kollektorkosten bzw. zwischen etwa 30 bis 50 C/m2 . Die gesamten Kosten für die
Montage und Inbetriebnahme dürften bei etwa 50 bis 75 C/m2 liegen.

Gesamtinvestitionen Die Gesamtinvestitionen solarthermischer Systeme sind damit ins-


gesamt durch eine sehr große Bandbreite gekennzeichnet. Für übliche marktgängige
Trinkwarmwasseranlagen liegen sie in den meisten Fällen im Bereich um etwa 5 500 C
für die definierten Einfamilienhäuser (hierunter sind nur die Investitionen für die eigent-
liche Solaranlage subsumiert) und rund 12 000 C für das definierte Mehrfamilienhaus.
4 Solarthermische Wärmenutzung 311

Abb. 4.36 Aufteilung der 30 000 Kollektoranlage


Investitionen für eine solarther- Solarspeicher
25 000

Investitionen in €
EG (ohne Speicher)
mische Warmwasserbereitung Montage (EG+Sol)
und Heizungsunterstützung für 20 000
Einfamilienhäuser mit einem 15 000
solaren Deckungsgrad von
10 000
45 % bei Unterstützung durch
eine Erdgas-Brennwerttherme 5 000
(EG) 0
EFH 0 EFH I EFH II EFH III

Anlagen mit größerer Kollektorfläche werden aufgrund des „Economy of Scale“-Effekts


spezifisch entsprechend billiger.
Die Solaranlage und davon hauptsächlich die Kollektoren nehmen bei Trinkwarmwas-
seranlagen für Einfamilienhäuser mit rund 30 % der Gesamtaufwandes der kombinierten
Anlage (d. h. die Kombination aus Solaranlage und konventioneller Erdgasbrennwertther-
me) den größten Anteil an den Gesamtinvestitionen für eine Energieversorgung ein. Bei
Mehrfamilienhäusern liegt dieser Anteil noch deutlich darüber; der Speicher trägt mit etwa
6 % bei Einfamilienhäusern und etwa 7 bis 8 % bei Mehrfamilienhäusern zu den gesam-
ten Investitionen der kombinierten Anlage (d. h. die Kombination aus Solaranlage und
konventioneller Erdgasbrennwerttherme) bei. Auf Montage und Inbetriebnahme entfallen
zwischen 10 bis 20 %.
Zusammengenommen kann im Durchschnitt für die ausschließliche solare Trinkwarm-
wasserbereitung für den Nachfragefall „Einfamilienhaus“ zusammen mit einem mit fos-
silen Brennstoffen befeuerten Brennwertkessel von Gesamtinvestitionen von rund 14 000
bis 15 000 C ausgegangen werden, wenn Montage und Inbetriebnahme vollständig von
einem Fachbetrieb ausgeführt werden. Werden bei dachintegrierten Anlagen die Kosten
für die eingesparten Dachziegel berücksichtigt, reduzieren sich die Investitionen für eine
schlüsselfertige Anlage entsprechend.
Bei dem Nachfragefall „Mehrfamilienhaus“ fallen aufgrund der entsprechend größe-
ren Solaranlage sowie des größeren Heizungssystems auf der Basis fossiler Energieträger
für die ausschließliche solare Trinkwarmwasserbereitung höhere Kosten an, die zwischen
rund 21 000 bis 25 000 C liegen.
Bei einer kombinierten Trinkwarmwasserbereitung und Heizungsunterstützung liegen
bei dem unterstellten solaren Deckungsgrad von 20 % die Investitionen der kombinier-
ten Anlage (d. h. die Kombination aus Solaranlage und konventioneller Erdgas-Brenn-
werttherme) bei dem Nachfragefall „Einfamilienhaus“ bei rund 15 000 bis 25 000 C und
bei dem Nachfragefall „Mehrfamilienhaus“ zwischen 18 000 bis 21 000 C. Die große
Bandbreite bei dem Nachfragefall „Einfamilienhaus“ resultiert aus den bei den einzel-
nen Nachfragefällen (d. h. EFH 0 bis EFH IV) unterstellten großen Unterschieden bei
der Wärmenachfrage. Bei den Anlagen mit dem höheren Deckungsgrad von 45 % liegen
die Investitionen dieser Gesamtsysteme des Nachfragefalls „Einfamilienhaus“ zwischen
knapp 17 000 und 24 000 C und bei dem Nachfragefall „Mehrfamilienhaus“ bei 27 000
bis 37 000 C. Abb. 4.36 zeigt die Investitionen für den Fall der Heizungsunterstützung und
312 M. Kaltschmitt et al.

Tabelle 4.12 Investitionen der untersuchten solarthermischen Anlagen zur ausschließlichen Trink-
warmwasserbereitung inklusive einer konventionellen Heizungsanlage (technische Daten der Refe-
renzsysteme vgl. Tabelle 4.6)
Einfamilienhaus (EFH) 0 I II III IV
Kollektorfläche in m2 6,4 6,4 6,4 6,4 6,4
Kollektoranlage in C 4 250 4 250 4 250 4 250 4 250
Solarspeicher in C 900 900 900 900 900
EG (ohne Speicher) in C 6 500 6 500 6 500 6 500 7 000
Montage (EG+Sol) in C 2 500 2 500 2 500 2 500 2 500
Summe (EG+Sol) in C 14 150 14 150 14 150 14 150 14 650
Mehrfamilienhaus (MFH) 0 I II III IV
Kollektorfläche in m2 25,0 25,0 25,0 25,0 25,0
Kollektoranlage in C 10 150 10 150 10 150 10 150 10 150
Solarspeicher in C 1 650 1 650 1 650 1 650 1 650
EG (ohne Speicher) in C 6 500 7 200 7 200 7 900 9 600
Montage (EG+Sol) in C 2 800 2 800 2 800 2 800 2 800
Summe (EG+Sol) in C 21 100 21 800 21 800 22 500 24 200
EG Erdgas-Brennwerttherme; Sol Solarsystem.

Tabelle 4.13 Investitionen der untersuchten solarthermischen Anlagen zur Trinkwarmwasserberei-


tung und Heizungsunterstützung der Einfamilienhäuser (technische Daten vgl. Tabelle 4.7)
Einfamilienhaus (EFH) 0 I II III IV
Solarer Deckungsgrad 20 %
Kollektorfläche in m2 3,4 4,7 5,4 7,8 34,0
Kollektoranlage in C 4 900 5 100 5 300 6 500 13 500
Solarspeicher in C 900 1 100 1 250 1 400 1 750
EG (ohne Speicher) in C 6 500 6 500 6 500 6 500 7 000
Montage (EG+Sol) in C 2 600 2 600 2 600 2 600 3 000
Summe (EG+Sol) in C 14 900 15 300 15 650 17 000 25 250
Solarer Deckungsgrad 45 %
Kollektorfläche in m2 10,0 17,0 22,0 31,0 a
a
Kollektoranlage in C 7 000 8 500 9 900 12 600
a
Solarspeicher in C 1 300 1 750 1 750 2 100
a
EG (ohne Speicher) in C 6 500 6 500 6 500 6 500
a
Montage (EG+Sol) in C 2 700 2 800 2 900 3 000
a
Summe (EG+Sol) in C 17 500 19 550 21 050 24 200
a
nicht sinvoll; EG Erdgas-Brennwerttherme; Sol Solarsystem.

Trinkwarmwasserbereitung mit einem solaren Deckungsgrad von 45 % und einer Erdgas-


Brennwerttherme für die hier untersuchten Einfamilienhäuser EFH 0 bis EFH III.
Tabelle 4.12 bis 4.14 zeigen eine Übersicht über die hier zugrunde gelegten Investi-
tionen. Die in den Tabellen dargestellten Kosten basieren dabei auf Durchschnittspreisen
4 Solarthermische Wärmenutzung 313

Tabelle 4.14 Investitionen der untersuchten solarthermischen Anlagen zur Trinkwarmwasserbe-


reitung und Heizungsunterstützung der Mehrfamilienhäuser und der Heizungsunterstützung des
Nahwärmenetzes (technische Daten vgl. Tabelle 4.8)
Versorgungsaufgabe MFH 0 MFH I NW I
Solarer Deckungsgrad 20 %a
Kollektorfläche in m2 12,5 19,0 2 000
Kollektoranlage in C 7 500 9 000 394 000
Solarspeicher in C 1 750 1 950 137 500
EG (ohne Speicher) in C 6 500 7 200 60 000
Montage (EG+Sol) in C 2 700 2 800 30 000
Summe (EG+Sol) in C 18 450 20 950 621 500
Solarer Deckungsgrad 45 %
Kollektorfläche in m2 46,6 88,0 b
b
Kollektoranlage in C 15 200 22 800
b
Solarspeicher in C 2 500 2 750
b
EG (ohne Speicher) in C 6 500 7 200
b
Montage (EG+Sol) in C 3 200 3 900
b
Summe (EG+Sol) in C 27 400 36 650
a b
Solarer Deckungsanteil von 14 % für das Nahwärmenetz (NW I); nicht sinnvoll; EG Erdgas-
Brennwerttherme; Sol Solarsystem.

für die jeweiligen Systemkomponenten bei der gegebenen Konfiguration der untersuchten
Referenzanlagen nach Tabelle 4.6 bis 4.8. Die Montage erfolgt dabei durch einen gewerb-
lichen Betrieb; dies beinhaltet auch die Kollektor-, Speicher- und Heizkesselanbindung.

Betriebskosten Bei den Betriebskosten werden betriebsgebundene und verbrauchsge-


bundene Kosten unterschieden. Beide Kostenarten werden nachfolgend diskutiert. Tabel-
le 4.15 bis 4.17 zeigen diese Betriebskosten der untersuchten solarthermischen Anlagen
in Kombination mit dem Heizungssystemen auf Erdgasbasis.

Tabelle 4.15 Betriebsgebundene und sonstige Kosten der solarthermischen Referenzsysteme zur
ausschließlichen Trinkwarmwasserbereitstellung inklusive der konventionellen Heizungsanlage
Einfamilienhaus (EFH) 0 I II III IV
Verbrauchsgeb. Kosten in C 409 540 614 769 1 740
Betriebsgeb., sonst. Kosten in C 200 200 200 200 200
Summe in C 609 740 814 969 1 940
Mehrfamilienhaus (MFH) 0 I II III IV
Verbrauchsgeb. Kosten in C 1 730 2 342 2 713 3 481 6 966
Betriebsgeb., sonst. Kosten in C 200 200 200 200 200
Summe in C 1 930 2 542 2 913 3 681 7 166
Verbrauchsgeb. Verbrauchsgebundene; Betriebsgeb. Betriebsgebundene; sonst. sonstige.
314 M. Kaltschmitt et al.

Tabelle 4.16 Betriebsgebundene und sonstige Kosten der solarthermischen Referenzsysteme zur
Trinkwarmwasserbereitung und Heizungsunterstützung der Einfamilienhäuser
Einfamilienhaus (EFH) 0 I II III IV
Solarer Deckungsgrad 20 %
Verbrauchsgeb. Kosten in C 453 558 617 741 1 511
Betriebsgeb., sonst. Kosten in C 200 200 200 200 200
Summe in C 653 758 817 941 1 711
Solarer Deckungsgrad 45 %
a
Verbrauchsgeb. Kosten in C 381 453 494 579
a
Betriebsgeb., sonst. Kosten in C 200 200 200 200
a
Summe in C 581 653 694 779
a
nicht sinnvoll; Verbrauchsgeb. Verbrauchsgebundene; Betriebsgeb. Betriebsgebundene; sonst.
sonstige.

Tabelle 4.17 Betriebsgebundene und sonstige Kosten der solarthermischen Referenzsysteme zur
Trinkwarmwasserbereitung und Heizungsunterstützung der Mehrfamilienhäuser und des Nahwär-
menetzes
Versorgungsaufgabe MFH 0 MFH I NW I
Solarer Deckungsgrad 20 %a
Verbrauchsgeb. Kosten in C 2 081 2 571 283 146
Betriebsgeb., sonst. Kosten in C 200 200 12 400
Summe in C 2 281 2 771 295 546
Solarer Deckungsgrad 45 %
b
Verbrauchsgeb. Kosten in C 1 589 1 926
b
Betriebsgeb., sonst. Kosten in C 200 200
b
Summe in C 1 789 2 126
a
Solarer Deckungsanteil von 14 % für das Nahwärmenetz (NW I); b nicht sinnvoll; Verbrauchsgeb.
Verbrauchsgebundene; Betriebsgeb. Betriebsgebundene; sonst. sonstige.

Betriebsgebundene Kosten Als betriebsgebundene Kosten fallen im Normalbetrieb einer


solarthermischen Anlage Wartungs- und Instandhaltungskosten nur für den Austausch des
Wärmeträgermediums und für kleinere Reparaturen an (z. B. Austausch von Dichtungen).
Diese betriebsgebundenen Kosten der kombinierten Anlagen liegen unabhängig von der
Auslegung der Solaranlage (d. h. vom solaren Deckungsgrad) bei etwa 200 C/a. Die Kos-
ten für Wartung und Instandhaltung der meisten Anlagenteile liegen bei rund 1 bis 2 %
der Investitionen (ohne Montage und Inbetriebnahme).

Verbrauchsgebundene Kosten Für den Betrieb der solarthermischen Anlage wird ver-
brauchsgebunden zum einen Hilfsenergie (Strom) benötigt, da das Wärmeträgermedium
im Normalfall durch den Kollektorkreis gepumpt werden muss (d. h. Zwangsumlaufsys-
teme). Zum anderen entfällt in der Regel ein wesentlich größerer Kostenanteil auf die
Kosten für den jeweils eingesetzten fossilen Brennstoff (d. h. Erdgas). Die verbrauchs-
4 Solarthermische Wärmenutzung 315

gebundenen Kosten hängen demnach wesentlich vom jeweiligen Strompreis und vom
entsprechenden Gaspreis ab. Der Strompreis wird hier mit 0,294 C/kWh angenommen
und für den Gaspreis werden 18,4 C/GJ unterstellt.
Bei der absoluten Höhe der verbrauchsgebundenen Kosten sind die Unterschiede zwi-
schen den verschiedenen Versorgungsaufgaben (z. B. EFH 0 bis EFH IV) erheblich. Ins-
gesamt liegen sie bei der Versorgungsaufgabe EFH 0, die im Vergleich der gesamten hier
untersuchten Versorgungsaufgaben immer die geringsten Werte annimmt, im mittleren
dreistelligen C-Bereich; beispielsweise steigen sie bei einem solaren Deckungsgrad von
20 % auf bis zu rund 1 500 C beim EFH IV an.

Wärmegestehungskosten Aus den dargestellten absoluten Investitionen und den Kosten


für Wartung, Instandhaltung und Betrieb können die spezifischen Energiegestehungskos-
ten bestimmt werden. Dabei werden die Investitionen über die jeweilige technische Anla-
genlebensdauer abgeschrieben. Es werden die finanzmathematischen Rahmenannahmen
nach Kapitel 1 zugrunde gelegt.
Die sich für die solarthermische Trinkwarmwasserbereitung – als Teil eines solar-
fossilen Kombisystems – in den definierten Ein- und Mehrfamilienhäusern ergebenden
Kosten für die insgesamt bereitgestellte Wärme liegen innerhalb einer großen Bandbrei-
te (Tabelle 4.18). Insgesamt gilt, dass die spezifischen Kosten mit einem zunehmenden
Dämmstandard höher werden, da sie auf eine immer geringer werdende Wärmenachfra-
ge bezogen werden und der Kostenaufwand für die jeweiligen Anlagen nicht in einem
vergleichbaren Ausmaß sinkt (generell gilt: je kleiner die solaren Systeme werden, desto
spezifisch teurer werden sie); absolut gesehen nehmen die Kosten demgegenüber ab.

Tabelle 4.18 Annuität, Wärmegestehungskosten und äquivalente Brennstoffkosten der untersuch-


ten Systemkombinationen zur ausschließlichen Trinkwarmwasserbereitstellung einschließlich der
konventionellen Heizungsanlage
Einfamilienhaus (EFH) 0 I II III IV
Annuität der Investition in C/a 852 852 852 852 883
Jährliche Gesamtkosten in C/a 1 461 1 592 1 666 1 821 2 822
Wärmegest.kosten in C/GJ 98,0 73,4 64,8 53,9 34,3
in C/kWh 0,353 0,264 0,233 0,194 0,123
Äq. Br.st.kosten in C/a 331 252 224 189 127

Mehrfamilienhaus (MFH) 0 I II III IV


Annuität der Investition in C/a 1 267 1 310 1 310 1 353 1 457
Jährliche Gesamtkosten in C/a 3 197 3 852 4 223 5 034 8 624
Wärmegest.kosten in C/GJ 36,6 32,3 30,3 28,0 24,4
in C/kWh 0,132 0,116 0,109 0,101 0,088
Äq. Br.st.kosten in C/a 991 874 819 759 664
Wärmegest.kosten Wärmegestehungskosten; Äq. Br.st.kosten Äquivalente Brennstoffkosten.
316 M. Kaltschmitt et al.

Tabelle 4.19 Annuität, Wärmegestehungskosten und äquivalente Brennstoffkosten der unter-


suchten Systemkombinationen zur Trinkwarmwasserbereitstellung und Heizungsunterstützung der
Einfamilienhäuser
Einfamilienhaus (EFH) 0 I II III IV
Solarer Deckungsgrad 20 %
Annuität der Investition in C/a 898 920 939 1 020 1 520
Jährliche Gesamtkosten in C/a 1 551 1 677 1 756 1 961 3 231
Wärmegest.kosten in C/GJ 104,1 77,3 68,3 58,0 39,2
in C/kWh 0,375 0,278 0,246 0,209 0,141
Äq. Br.st.kosten in C/a 242 268 283 314 514
Solarer Deckungsgrad 45 %
a
Annuität der Investition in C/a 1 052 1 171 1 263 1 451
a
Jährliche Gesamtkosten in C/a 1 633 1 824 1 957 2 230
a
Wärmegest.kosten in C/GJ 109,6 84,1 76,1 66,0
a
in C/kWh 0,394 0,303 0,274 0,238
a
Äq. Br.st.kosten in C/a 544 603 636 706
a
nicht sinnvoll; Wärmegest.kosten Wärmegestehungskosten; Äq. Br.st.kosten Äquivalente Brenn-
stoffkosten.

Zusätzlich zeigt Tabelle 4.19 die spezifischen Wärmegestehungskosten für die Syste-
me mit Trinkwarmwasserbereitstellung und Heizungsunterstützung. Auch diese variieren
innerhalb einer entsprechend großen Bandbreite. Beispielsweise ergeben sich bei diesen
Varianten mit Heizungsunterstützung z. T. gerade im hoch gedämmten Einfamilienhaus-
bereich relativ hohe Wärmegestehungskosten, die bei über 100 C/GJ liegen können.
Tabelle 4.18 bis 4.20 zeigen neben den Wärmegestehungskosten auch die äquivalenten
Brennstoffkosten. Unter letzteren werden die Kosten der solaren Nutzenergie am Spei-
cherausgang bewertet mit dem Nutzungsgrad des konventionellen Heizsystems auf der
Basis fossiler oder anderer regenerativer Energien (z. B. Pellets, Stückholz, Biomethan)
verstanden, das in Verbindung mit der Solaranlage Wärme bereitstellt. Für die Entschei-
dung eines Hausbesitzers für oder gegen die Investition in eine solarthermische Anlage
sind diese äquivalenten Brennstoffkosten letztlich – ein ökonomisch rationales Verhalten
unterstellt – die wesentliche maßgebende Größe, da damit und mit der zu erwartenden
jährlichen Brennstoffeinsparung direkt die Kosteneinsparung pro Jahr durch den Minder-
einsatz an fossilen oder biogenen Energieträgern berechnet werden kann. Damit kann die
solarthermische Wärmebereitstellung direkt mit den Brennstoffkosten für die vermiede-
nen fossilen und ggf. auch biogenen Energieträger verglichen werden.
Die in den Tabellen 4.18 bis 4.20 dargestellten Wärmegestehungskosten können – wie
bei derartigen Analysen üblich – nicht als allgemeingültige Mittel- oder Richtwerte ange-
sehen werden. In speziellen Anwendungsfällen können unter den dann lokal gegebenen
Rand- und Rahmenbedingungen erhebliche Abweichungen auftreten. Beispielsweise kann
der solare Wärmepreis bei Freibädern zwischen 7 und 14 C/GJ liegen. Damit ist in vielen
Fällen eine solare Freibadwassererwärmung bereits heute kostengünstiger als eine kon-
4 Solarthermische Wärmenutzung 317

Tabelle 4.20 Annuität, Wärmegestehungskosten und äquivalente Brennstoffkosten der unter-


suchten Systemkombinationen zur Trinkwarmwasserbereitstellung und Heizungsunterstützung der
Mehrfamilienhäuser und des Nahwärmenetzes
Versorgungsaufgabe MFH 0 MFH I NW I
Solarer Deckungsgrad 20 %a
Annuität der Investition in C/a 1 103 1 254 36 309
Jährliche Gesamtkosten in C/a 3 385 4 025 331 855
Wärmegest.kosten in C/GJ 38,8 33,7 41,5
in C/kWh 0,140 0,121 0,149
Äq. Br.st.kosten in C/a 638 769 55 308
Solarer Deckungsgrad 45 %
b
Annuität der Investition in C/a 1 641 2 204
b
Jährliche Gesamtkosten in C/a 3 430 4 329
b
Wärmegest.kosten in C/GJ 39,3 36,3
b
in C/kWh 0,141 0,131
b
Äq. Br.st.kosten in C/a 1 436 1 730
a
solarer Deckungsanteil von 14 % für das Nahwärmenetz (NW I); b nicht sinnvoll; Wärme-
gest.kosten Wärmegestehungskosten; Äq. Br.st.kosten Äquivalente Brennstoffkosten.

ventionelle Beheizung auf der Basis fossiler Energieträger. Ursache hierfür ist, dass bei
Freibädern die Zeiten hohen Strahlungsangebots mit den Zeiten hoher Nachfrage nach
Niedertemperaturwärme – unter Wegfall eines Speichersystems – zusammenfallen, da
das Schwimmbadwasser als Wärmespeicher wirkt. Außerdem sind die bei Freibädern
verwendeten unverglasten Absorber (Einfachabsorber) kostengünstiger als „klassische“
Flachkollektoren mit einer entsprechenden Glasabdeckung.
Um den Einfluss der verschiedenen Größen besser abschätzen und bewerten zu kön-
nen, zeigt Abb. 4.37 eine Variation wesentlicher sensitiver Parameter. Dabei wird hier
exemplarisch von einer dezentralen solarthermischen Trinkwarmwasserbereitungsanlage
für das EFH III ausgegangen. Demnach beeinflussen eine Veränderung des Gaspreises,
der Investitionen sowie der Abschreibungsdauer die Wärmegestehungskosten am meis-
ten. In dem dargestellten Beispiel bewirkt eine Verringerung der Investitionen um 30 %
eine Reduzierung der spezifischen Wärmegestehungskosten von etwa 58 auf ca. 49 C/GJ.

4.3.3 Ökologische Analyse

Solarthermische Anlagen werden in den meisten Anwendungen mit Systemen auf der Ba-
sis fossiler Brennstoffe kombiniert, um eine Wärmebereitstellung auch in den Zeiten zu
gewährleisten, in denen die Solaranlage keinen oder nur einen geringen Teil der gesamten
Wärmenachfrage decken kann. Für diese kombinierten Systeme zur Deckung bestimm-
ter Versorgungsaufgaben (Kapitel 1.3.3 und 1.4.3) wird im Folgenden eine Bilanzierung
318 M. Kaltschmitt et al.

90
Mittlere Abschreibungsdauer (20,7 Jahre = 100 %)
85
Investitionen (14 000 € = 100 %)
Wärmegestehungskosten in €/GJ

80 Zinssatz (2 % Zinsen = 100 %)

75 Betriebskosten (200 €/a = 100%)

Erdgaspreis (18,4 €/GJ = 100 %)


70

65

60

55

50

45

40
50 60 70 80 90 100 110 120 130 140 150
Parametervariation in %

Abb. 4.37 Parametervariation wesentlicher Einflussgrößen auf die spezifischen Wärmekosten einer
solarthermischen Trinkwarmwasserbereitung für das Einfamilienhaus EFH III (vgl. Tabelle 4.18)

ausgewählter Umweltkenngrößen im Verlauf des gesamten Lebensweges durchgeführt.


Anschließend werden weitere mit einer Energiebereitstellung aus solarthermischen Syste-
men verbundene Umwelteffekte diskutiert.

4.3.3.1 Lebenszyklusanalyse
Für die inTabelle 4.6 und 4.7 definierten Referenztechniken werden im Folgenden die
Energie- und Emissionsbilanzen einschließlich aller vorgelagerten Prozesse inklusive der
jeweiligen Zusatzheizsysteme auf der Basis fossiler Energieträger erstellt und diskutiert.
Bezugsgröße ist dabei 1 TJ bereitgestellte Wärme, die an den zu beheizenden Raum ab-
gegeben bzw. an der Trinkwarmwasserzapfstelle entnommen wird. Dabei wird dieselbe
Systemauslegung zugrunde gelegt wie bei der Betrachtung der Wärmegestehungskos-
ten. Dementsprechend sind die Wärmeverluste durch Erzeugung, Speicherung, Verteilung
und Übergabe energetisch berücksichtigt. Für die folgende Ökobilanzierung werden die
technischen Einrichtungen zur Verteilung und Übergabe bzw. der entsprechende Materi-
alaufwand nicht berücksichtigt, da dieser bei allen untersuchten Gebäuden als identisch
angenommen wird und damit die Relation der Systeme untereinander nicht beeinflusst.
Tabelle 4.21 bis 4.23 zeigen die Ergebnisse der entsprechenden Energie- und Emissi-
onsbilanzen einer solarthermischen Wärmebereitstellung. Dabei werden – entsprechend
der bisherigen Vorgehensweise – die spezifischen Emissionen dargestellt, die pro TJ er-
zeugter Wärme freigesetzt werden, wenn die kombinierten Heizungsanlagen aus Solaran-
4 Solarthermische Wärmenutzung 319

Tabelle 4.21 Energie- und Emissionsbilanzen der untersuchten Referenztechnologien zur aus-
schließlichen Trinkwarmwasserbereitstellung inklusive der konventionellen Heizungsanlage
Einfamilienhaus (EFH) 0 I II III IV
Energiea in GJ/TJ 1 543 1 457 1 420 1 369 1 355
SO2 in kg/TJ 68 56 52 46 38
NOx in kg/TJ 68 58 55 50 43
CO2 -Äq. in t/TJ 91 86 84 82 80
SO2 -Äq. in kg/TJ 118 99 92 83 70
Mehrfamilienhaus (MFH) 0 I II III IV
Energiea in GJ/TJ 1 198 1 212 1 210 1 199 1 275
SO2 in kg/TJ 44 40 38 36 34
NOx in kg/TJ 44 42 41 39 40
CO2 -Äq. in t/TJ 71 71 72 71 76
SO2 -Äq. in kg/TJ 77 71 69 66 64
a
primärenergetisch bewerteter kumulierter fossiler Energieaufwand (Verbrauch erschöpflicher
Energieträger); Äq. Äquivalente.

Tabelle 4.22 Energie- und Emissionsbilanzen der untersuchten Referenztechnologien zur Trink-
warmwasserbereitstellung und Heizungsunterstützung der Einfamilienhäuser
Einfamilienhaus (EFH) 0 I II III IV
Solarer Deckungsgrad 20 %
Energiea in GJ/TJ 1 781 1 542 1 457 1 345 1 213
SO2 in kg/TJ 67 55 51 47 45
NOx in kg/TJ 72 59 55 49 43
CO2 -Äq. in t/TJ 105 91 86 80 72
SO2 -Äq. in kg/TJ 120 99 92 84 78
Solarer Deckungsgrad 45 %
Energiea in GJ/TJ 1 413 1 217 1 147 1 055 b

b
SO2 in kg/TJ 72 66 65 62
b
NOx in kg/TJ 68 58 55 51
b
CO2 -Äq. in t/TJ 83 72 68 63
b
SO2 -Äq. in kg/TJ 121 109 106 101
a
primärenergetisch bewerteter kumulierter fossiler Energieaufwand (Verbrauch erschöpflicher
Energieträger); b nicht sinnvoll; Äq. Äquivalente.

lage und konventioneller Heizung auf der Basis fossiler Energieträger (d. h. Erdgas) für
die jeweiligen Häuser installiert werden würden. Zusätzlich zu den Treibhausgasemissio-
nen in CO2 -Äquivalenten werden – entsprechend der Vorgehensweise in anderen Kapiteln
– Emissionen mit versauernder Wirkung (SO2 -Äquivalente) und Emissionen mit toxischer
Wirkung (SO2 , NOx ) untersucht. Weiterhin wird für alle Systeme der Verbrauch erschöpf-
licher Energieträger – bezogen auf das entsprechende Primärenergieäquivalent – ermittelt
(vgl. Kapitel 1.3).
320 M. Kaltschmitt et al.

Tabelle 4.23 Energie- und Emissionsbilanzen der untersuchten Referenztechnologien zur Trink-
warmwasserbereitstellung und Heizungsunterstützung der Mehrfamilienhäuser und des Nahwärme-
netzes
Versorgungsaufgabe MFH 0 MFH I NW I
Solarer Deckungsgrad 20 %a
Energieb in GJ/TJ 1 428 1 341 1 418
SO2 in kg/TJ 50 45 46
NOx in kg/TJ 50 47 59
CO2 -Äq. in t/TJ 86 80 83
SO2 -Äq. in kg/TJ 95 86 91
Solarer Deckungsgrad 45 %
Energieb in GJ/TJ 1 147 1 069 c

c
SO2 in kg/TJ 54 53
c
NOx in kg/TJ 48 46
c
CO2 -Äq. in t/TJ 70 64
c
SO2 -Äq. in kg/TJ 97 95
a
solarer Deckungsanteil von 14 % für das Nahwärmenetz (NW I); b primärenergetisch bewerteter
kumulierter fossiler Energieaufwand (Verbrauch erschöpflicher Energieträger); c nicht sinnvoll; Äq.
Äquivalente.

Wichtige Einflussfaktoren auf die Bilanzergebnisse sind dabei die Anlagengröße so-
wie der solare Deckungsgrad. Beispielsweise sinken mit zunehmender Anlagengröße und
damit installierter Leistung (d. h. sinkendem Dämmstandard) die spezifischen Verbräuche
an erschöpflichen Energieträgern sowie die spezifischen Emissionen der hier betrachte-
ten Luftschadstoffe. Dies ist generell der Fall, kann sich allerdings bei den untersuchten
Varianten z. T. leicht verschieben, da bei den untersuchten Ein- und Mehrfamilienhäu-
sern zwischen Neu- und Bestandsbauten unterschieden wird (vgl. Kapitel 1.3). Durch die
deshalb verschiedenartigen Wärmeverteilsysteme und deren daher unterschiedlichen Be-
triebstemperaturen (Kapitel 1.3) fallen unterschiedlich hohe Wärmeverluste an, die den
Energieverbrauch in einigen Fällen merklich beeinflussen können. Umgekehrt sind So-
laranlagen mit geringeren solaren Deckungsgraden aufgrund höherer spezifischer Kollek-
torerträge durch niedrigere Aufwendungen erschöpflicher Energieträger bzw. Emissionen
gekennzeichnet.
Abb. 4.38 zeigt exemplarisch die Aufteilung der Treibhausgasemissionen in CO2 -Äqui-
valenten der untersuchten Referenzanlagen auf die Lebenswegabschnitte Anlagenbau und
Entsorgung (die beiden Lebenswegphasen sind hier zusammengefasst, da sie einzeln be-
trachtet verglichen mit den anderen Lebenswegabschnitten sehr klein ausfallen) sowie die
Betriebsphase exemplarisch für das Einfamilienhaus EFH III. Die Betriebsphase ist zu-
sätzlich in den Einsatz fossiler Brennstoffe (d. h. Erdgas), die Bereitstellung der fossilen
Energieträger und den Hilfsenergieverbrauch (Strom, u. a. zum Betrieb der Kollektorpum-
pe) unterteilt. Demnach verursacht der Betrieb meist weit über 50 % der Treibhausgas-
4 Solarthermische Wärmenutzung 321

90 Betrieb: Erdgas Erdgasbereitstellung


Betrieb: Hilfsenergie Bau/Entsorgung
80

CO2-Äquivalent-Emissionen in t/TJ
70

60

50

40

30

20

10

0
Solar TWW 60 % Solar TWW/RW 20 % Solar TWW/RW 45 %

Abb. 4.38 Aufteilung der CO2 -Äquivalent-Emissionen der in Tabelle 4.21 dargestellten Bilanz-
ergebnisse einer solarthermischen Wärmebereitstellung für das EFH III auf Bau / Entsorgung,
Erdgas-bedingte Emissionen, Erdgasbereitstellung und Hilfsenergie (primär Strom) (TWW Trink-
warmwasser, RW Raumwärme, Prozentangaben in der Balkenbeschreibung beziehen sich auf den
solaren Anteil)

emissionen. Dies gilt für jeden der hier untersuchten Fälle; typischerweise machen die
Treibhausgasemissionen, die durch die Verbrennung des jeweiligen fossilen Brennstoffs
verursacht werden, den größten Anteil an den gesamten Treibhausgasemissionen im Le-
bensweg aus. Auch ist der Anteil der Emissionen mit Klimawirksamkeit, der durch den
Anlagenbau und durch die Entsorgung der Anlage verursacht wird, generell sehr gering.
Dieses Verhalten ist bei schlecht gedämmten Häusern mit einer entsprechend hohen Wär-
menachfrage besonders ausgeprägt.
Für die Referenzsysteme der solarthermischen Trinkwarmwasserbereitung zeigt Abb.
4.39 zusätzlich eine detailliertere Aufteilung der CO2 -Äquivalent-Emissionen auf ein-
zelne Verursacher. Demnach nimmt die Herstellung der Kollektoranlage innerhalb des
Anlagenbaus sowie der Anlagenentsorgung immer den größten Anteil der Treibhausgas-
emissionen ein (zwischen etwa 47 und 66 %). Die Anteile, die durch den Wärmespeicher
und den Wärmeerzeuger verursacht werden, sind ebenfalls nennenswert; sie liegen aber
in einer deutlich kleineren Größenordnung. Die übrigen Anteile für den Gasanschluss (bei
den Systemen mit Erdgas-Brennwerttherme) sowie das Abgasrohr sind mit deutlich unter
5 % sehr gering.
Ähnliche Zusammenhänge wie für die Klimagasemissionen gelten auch für den Ver-
brauch erschöpflicher Energieträger sowie die NOx -Emissionen. Die SO2 -Emissionen
werden demgegenüber durch die Bereitstellung der für den Bau der Anlagen benötigten
Materialien dominiert. Speziell durch den hohen Kupferanteil der Kollektoren, Kollektor-
rohrleitungen und Wärmeübertrager zeigt die solarthermische Wärmebereitstellung ver-
gleichsweise hohe SO2 -Emissionen, da die Kupferproduktion sehr emmissionsintensiv ist.
322 M. Kaltschmitt et al.

EFH IV - Solar TWW 60 % MFH IV - Solar TWW 60 %


Wärmeerzeuger
2,7% 0,6% 1,4% 0,5%
Speicher
22,3% 20,5%
Kollektoranlage

50,4% Abgasrohr
Gasanschluss

11,7%

24,0%
65,9%

Abb. 4.39 Aufteilung der CO2 -Äquivalentemissionen der in Tabelle 4.21 dargestellten Bilanzer-
gebnisse einer solarthermischen Trinkwarmwasserbereitung auf die Phasen Bau und Entsorgung

4.3.3.2 Weitere Umwelteffekte


Solaranlagen sind durch einen geräuschlosen Betrieb ohne direkte Stofffreisetzungen ge-
kennzeichnet. Trotzdem können weitere, vorwiegend lokale Umwelteffekte gegeben sein.
Sie werden nachfolgend diskutiert. Dabei wird bei der folgenden Analyse der lokalen Um-
weltaspekte zwischen Umweltaspekten bei Herstellung, Normalbetrieb und Störfall sowie
bei Betriebsende unterschieden.

Herstellung Die Umweltauswirkungen der Herstellung von Solaranlagen entsprechen


weitgehend denen der verarbeitenden Industrie. Von besonderer Umweltrelevanz ist le-
diglich die Herstellung der Absorberstreifen. In der Vergangenheit kamen hier galvanische
Beschichtungsverfahren zur Anwendung, die mit einem hohen Energieverbrauch und pro-
blematischen Abfällen verbunden waren. In der Zwischenzeit gewannen jedoch Vakuum-
beschichtungsverfahren an Bedeutung, die mit wesentlich geringeren Umweltbelastungen
bei der Produktion einhergehen (u. a. [4.21]). Auch können beispielsweise die zur Abde-
ckung des Solarkollektors verstärkt zum Einsatz kommenden Antireflexgläser nach einem
ökologischen weitgehend verträglichen Herstellungsverfahren produziert werden [4.22].
Bei der Herstellung von Solarspeichern kamen in den letzten Jahren verstärkt Mate-
rialien zum Einsatz, die mit nur geringen Umweltwirkungen produziert und verarbeitet
werden können; beispielsweise wurden Polyurethanschäume (PU), die in Herstellung und
Entsorgung unter Umweltgesichtspunkten nicht unproblematisch sind, vielfach durch Po-
lypropylen (PP) ersetzt.
Damit treten bei der Herstellung von Solaranlagen keine signifikant über das derzeit
übliche Maß hinausgehenden Umwelteffekte auf. Werden die entsprechenden Umwelt-
schutzvorschriften eingehalten, und davon ist zumindest in Europa im Normalfall auszu-
gehen, ist i. Allg. eine sehr umweltverträgliche Produktion möglich.
Besondere Gefährdungen können eventuell auch bei der Dachinstallation von Kollek-
toren auftreten. Das Risiko eines tödlichen Absturzes eines Installateurs kann dabei mit
4 Solarthermische Wärmenutzung 323

dem Risiko eines Dachdeckers, Schornsteinfegers oder Zimmermanns verglichen werden


und bewegt sich damit im üblichen Rahmen.

Normalbetrieb Da der Betrieb von Solarkollektoren nicht mit Stofffreisetzungen ver-


bunden ist, lassen sie sich grundsätzlich sehr umweltfreundlich betreiben. Außerdem sind
dachmontierte Kollektoren dem Absorptions- und Reflexionsverhalten der typischerweise
vorhandenen Dächer relativ ähnlich. Damit sind bei einer Dachinstallation kaum Beein-
trächtigungen des lokalen Klimas zu erwarten. Auswirkungen haben die mit den z. T.
weithin sichtbaren Kollektoren belegten Dachflächen lediglich hinsichtlich des bisher üb-
lichen Erscheinungsbildes der Städte und Dörfer. Auch ist der Flächenverbrauch von
solarthermischen Kollektorsystemen gering, da in der Regel Dachflächen genutzt wer-
den; dies hat auch den Vorteil, dass die Wärme verbrauchernah bereitgestellt werden kann
und deshalb nicht weit (verlustbehaftet) transportiert werden muss.
Nur wenn Kollektoren auf Freiflächen installiert werden, ist eine Beeinträchtigung des
Mikroklimas denkbar. Sie beschränkt sich aber im Wesentlichen auf den Schattenbereich
und ist deshalb vernachlässigbar gering. Prinzipiell ist auch eine weitere extensive land-
wirtschaftliche Nutzung beispielsweise durch eine extensive Weidehaltung (u. a. Schafe,
Ziegen) dieser verschatteten Flächen möglich. Außerdem sollte durch die richtige Anla-
genauslegung der Austritt von Dampf beim Stillstand der Kollektoren verhindert werden
und damit auch kein Gesundheitsrisiko darstellen.

Störfall Umweltauswirkungen durch größere Störfälle sind von Solarkollektoranlagen


nicht zu erwarten. Gesundheitsrisiken für Menschen bzw. eine Belastung des Grund-
wassers oder des Bodens durch ein eventuelles Austreten des frostschutzmittelhaltigen
Wärmeträgermediums sind durch die heute marktgängige fortgeschrittene Technologie
sehr unwahrscheinlich. Auch können derartige Probleme durch regelmäßige Inspektionen
sowie durch die Verwendung von lebensmittelechten Wärmeträgermedien (z. B. Propy-
lenglykol-Wasser-Gemischen) vermieden werden.
Grundsätzlich kann es durch Brände zu begrenzten Freisetzungen an luftgetragenen
Spurengasen an die Umwelt kommen, die jedoch nicht spezifisch für solarthermische
Anlagen sind; außerdem dürften Brände an den Kollektoren bauartbedingt nur dann zu
erwarten sein, wenn das gesamte Gebäude, auf denen sie montiert sind, abbrennt.
Zusätzlich denkbare Verletzungsgefahren durch das Herabfallen unsachgemäß auf
Dachflächen montierter Kollektoren können durch die Einhaltung der allgemein gültigen
Arbeitssicherheitsstandards bzw. der vorhandenen und einzuhaltenden Normen weitge-
hend vermieden werden; hier ist ein Gefahrenpotenzial gegeben, das dem von Dachziegeln
entspricht.
Legionellen können sich in Trinkwarmwassersystemen stark vermehren und dadurch
zu einer Gesundheitsgefahr für den Menschen werden, wenn er mit diesem infizierten
Wasser in Berührung kommt. Es handelt sich hierbei jedoch nicht um eine spezifische
Problematik von Solaranlagen; dieses Problem ist aber in der Vergangenheit auch bei so-
larthermischen Systemen aufgetreten. Da Legionellen bei Temperaturen von über 60 ı C
324 M. Kaltschmitt et al.

oder bei der Zumischung von geringen Teilen Chlor zum Trinkwarmwasser aber schnell
absterben, ist es durch entsprechende technische Maßnahmen leicht möglich, diese Ge-
fahr zu begrenzen. Auch müssen erhöhte Aufenthaltszeiten in Speichern, die erheblich
unter den DVGW-Anforderungen (DVGW-Arbeitsblatt W 551 [4.40]) liegen, nicht zwin-
gend zu einem verstärkten Legionellen-Wachstum führen. Durch die Beachtung der ent-
sprechenden Regelwerke kann ein Legionellenwachstum sicher verhindert werden; diese
Anforderungen sind deshalb auch bei modernen Solaranlagen ausnahmslos umgesetzt.
Mehr als die Hälfte der beispielsweise in Deutschland am Markt angebotenen Solarkol-
lektoren sind mit dem Blauen Engel (RAL-ZU 73 [4.42]) ausgezeichnet. Damit werden
für das Wärmeträgermedium keine halogenierten Kohlenwasserstoffe eingesetzt und die
zur Dämmung der Kollektoren verwendeten Stoffe werden nicht unter dem Einsatz halo-
genierter Kohlenwasserstoffe hergestellt [4.23].
Zusammengenommen sind damit die potenziellen Umweltauswirkungen einer solar-
thermischen Wärmebereitstellung auch im Störfall gering.

Betriebsende Grundsätzlich ist ein Recycling wesentlicher Bauteile von solarthermi-


schen Anlagen (z. B. Solarkollektor, Speicher) möglich. Auch verpflichten sich im Rah-
men der Blaue-Engel-Anforderungen die Hersteller zur Zurücknahme der Kollektoren und
Wiederverwertung der darin enthaltenen Materialien [4.23]. Damit treten hier die beim
Recycling bestimmter Materialien üblichen Umwelteffekte auf, die jedoch nicht spezi-
fisch für Solaranlagen sind.

4.4 Potenziale und Nutzung

Lucas Sens und Martin Kaltschmitt

In Anlehnung an die bisherige Vorgehensweise werden auch die theoretischen und tech-
nischen Angebotspotenziale einer solarthermischen Wärmebereitstellung ermittelt. Sie
werden nachfolgend – ebenso wie die derzeitige Nutzung – diskutiert.

4.4.1 Potenziale

Theoretisches Potenzial Das theoretische Potenzial einer solarthermischen Wärmeer-


zeugung in Deutschland errechnet sich aus der insgesamt auf die Erdoberfläche Deutsch-
lands eingestrahlten Solarenergie. Wird eine Fläche von etwa 357 582 km2 für die Bundes-
republik Deutschland unterstellt und von einer durchschnittlich einfallenden Globalstrah-
lung von 1 055 kWh/m2 auf dieser Fläche ausgegangen, errechnet sich ein theoretisches
solares Strahlungspotenzial von rund 1 358 EJ/a (vgl. Kapitel 5.4.1). Wird im hier betrach-
teten theoretischen Maximalfall unterstellt, dass diese von der Sonne kommende Energie
4 Solarthermische Wärmenutzung 325

theoretisch vollständig zur solarthermischen Niedertemperaturwärmebereitstellung nutz-


bar gemacht werden könnte, entspricht die eingestrahlte Sonnenenergie der theoretisch
insgesamt bereitstellbaren solarthermischen Energie.

Technische Angebotspotenziale (Wärmeerzeugungspotenziale) Das technische Ange-


botspotenzial und damit die technischen Wärmeerzeugungspotenziale solarthermischer
Anlagen errechnen sich aus den technisch verfügbaren Flächen und den darauf erziel-
baren solaren Einstrahlungen mit den entsprechenden Wirkungs- bzw. Nutzungsgraden
heute marktgängiger solarthermischer Systeme.
Dazu müssen zunächst die für eine Installation derartiger Wärmebereitstellungsanlagen
verfügbaren Flächenpotenziale quantifiziert werden. Dabei wird ausgegangen von dem
insgesamt vorhandenen Dach- und Fassadenflächenpotenzial, das theoretisch für solar-
thermische Anlagen nutzbar wäre. Dabei werden hier ausschließlich Wohn- und Nicht-
wohngebäude betrachtet, da die hier vorhandenen Dachflächen ohne einen zusätzlichen
Flächenverbrauch verfügbar gemacht werden könnten und die Niedertemperaturwärme-
erzeugung hier sehr verbrauchernah erfolgen kann. Deshalb wird auch auf die Berück-
sichtigung von Frei- und sonstigen Flächen verzichtet, da unter Effizienzgesichtspunkten
die Bereitstellung solarthermischer Wärme möglichst nahe beim Wärmenachfrager bzw.
beim Verbraucher erfolgen sollte.
Das Flächenpotenzial der Wohngebäude in Deutschland kann ausgehend u. a. von Sta-
tistiken des deutschen Wohngebäudebestands [4.24] (Kapitel 5.4.1) mit 7 954 km2 bezif-
fert werden. Tabelle 4.24 zeigt – für unterschiedliche Arten von Wohngebäuden – die
Aufteilung dieser Flächen auf Flachdächer, Schrägdächer und Fassaden. Hinzu kommt das
Dach- und Fassadenflächenpotenzial auf Nichtwohngebäuden (Tabelle 4.24), das hier mit
1 830 km2 für Deutschland abgeschätzt wird. Insgesamt ergibt daraus für die Bundesre-
publik Deutschland eine potenziell theoretisch nutzbare Gesamtfläche von 9 784 km2 . Die
Nutzung dieses Flächenpotenzials für eine solarthermische Wärmegewinnung steht aber
grundsätzlich in Konkurrenz zu einer Nutzung zur Stromerzeugung mittels Photovoltaik-
modulen (Kapitel 5.4.1), da die vorhandenen und solartechnisch nutzbaren Flächen mit
den heute marktgängigen Systemen nur einmal (entweder solarthermisch oder photovol-
taisch) genutzt werden können.
Dieses in Tabelle 4.24 dargestellte Dach- und Fassadenflächenpotenzial ist ein aus-
schließlich aus der Gebäudegeometrie ermitteltes Flächenpotenzial. Da aber nicht alle
vorhandenen Gebäudeflächen aufgrund ihrer Ausrichtung oder anderer Restriktionen
(z. B. Dachfenster, Schornsteine, Antennenanlagen) zur solarthermischen Nutzung geeig-
net sind, muss aus diesem Gesamtflächenpotenzial der letztlich solarthermisch nutzbare
Anteil abgeschätzt werden. Dazu werden – zusätzlich zu den genannten Restriktio-
nen – auch Flächen berücksichtigt, die eine ungeeignete Ausrichtung zur Sonne (z. B.
Nordausrichtung) aufweisen, durch Abschattungseffekte (durch die Umgebung wie z. B.
umstehende Gebäude und Bäume oder bei Flachdächern zwischen den Kollektormodulen)
wegfallen und / oder aufgrund von Denkmalschutz oder weiteren baulichen Restriktio-
nen (u. a. statische Probleme) ausgeschlossen werden müssen. Tabelle 4.25 zeigt die
326 M. Kaltschmitt et al.

Tabelle 4.24 Dach- und Fassadenflächenpotenziale von Wohn- und Nichtwohngebäuden in


Deutschland
Flachdach- Schrägdach- Fassaden- Gesamt-
fläche fläche fläche fläche
in km2 in km2 in km2 in km2
Wohngebäude
. . . mit einer Wohnung 73 1 678 2 233 3 984
. . . mit 2 Wohnungen 26 597 903 1 526
. . . mit 3 & mehr Wohnungen 133 647 1 664 2 444
Gesamtfläche 232 2 922 4 800 7 954
Nichtwohngebäude
Anstaltsgebäude 7 36 15 58
Büro-, Verwaltungsgebäude 26 128 57 211
Landw. Betriebsgebäude 70 84 148 302
Nichtlandw. Betr.gebäude 487 148 487 1 122
Sonstige Betriebsgebäude 70 22 45 137
Gesamtfläche 660 418 752 1 830
Gesamtsumme 892 3 340 5 552 9 784
Landw. Landwirtschaftliche; Nichtlandw. Betr.gebäude Nichtlandwirtschaftliche Betriebsgebäude.

Tabelle 4.25 Solarthermisch nutzbare Flächenpotenziale und die entsprechenden Energiepotenzi-


ale von Wohn- und Nichtwohngebäuden in Deutschland
Wohngebäude Nichtwohngebäude Summe
Flächenpotenzial in km2 911 250 1 161
Techn. Angebotspotenzial in PJ/a 638–1 549 175–425 813–1 974

sich daraus ergebenden solarthermisch nutzbaren technischen Angebotspotenziale für


Deutschland.
Werden derzeit erreichbare mittlere Kollektorenergieerträge und Systemnutzungsgra-
de unterstellt (und damit ausgegangen von einem durchschnittlich technisch erreichbaren
Endenergieertrag zwischen – je nach zugrunde gelegter Technik und Auslegung – 700 und
1 700 MJ/(m2 a)) errechnet sich eine vom solarthermischen System an das Wärmeverteil-
system in dem jeweils versorgten Gebäude gelieferte Energie zwischen 638 und 1 549 PJ/a
bei Wohngebäuden und von 175 bis 425 PJ/a bei Nichtwohngebäuden (Tabelle 4.25). In
der Summe ist dies zwischen 813 und 1 974 PJ/a an Niedertemperaturwärme in Deutsch-
land (Tabelle 4.25).
Würden zusätzlich zu diesen potenziellen Installationsflächen an und auf Gebäuden zu-
sätzlich noch Freiflächen (z. B. Hof- und Gartenflächen, landwirtschaftliche Nutzflächen
in Gebäudenähe) berücksichtigt, auf denen aus technischer Sicht ebenfalls solarthermi-
sche Systeme installiert werden könnten (und z. T. auch wurden bzw. werden), wäre dieses
Angebotspotenzial noch ungleich größer.
4 Solarthermische Wärmenutzung 327

Technische Endenergiepotenziale (Nachfragepotenziale) Bei der Bestimmung der


technischen Nachfragepotenziale wird unterschieden zwischen Systemen zur Deckung
der Trinkwarmwasser- und Prozesswärmenachfrage, Systemen zur Deckung der Raum-
wärme-, Trinkwarmwasser- und Prozesswärmenachfrage (ohne saisonale Speicher) sowie
Nahwärmesystemen zur Deckung der Trinkwarmwasser-, Raum- und Prozesswärmenach-
frage (mit saisonalen Speichern).
Die Nachfrage nach Niedertemperaturwärme könnte – unter ausschließlicher Berück-
sichtigung technischer bzw. systemischer Restriktionen – grundsätzlich bei unterschied-
lichen Nachfragegruppen solarthermisch gedeckt werden. Hier werden stellvertretend für
die in Deutschland vorhandenen Nachfragegruppen die Haushalte, GHD (d. h. Gewerbe,
Handel, Dienstleistungen) und die Industrie betrachtet. Tabelle 4.26 zeigt die im Jahr 2017
nachgefragte thermische Energie dieser Verbraucher. Jedoch kann nicht die komplette
Nachfrage nach sonstiger Prozesswärme solarthermisch gedeckt werden, da es sich da-
bei z. T. um Hochtemperaturwärme handelt; dies wird entsprechend berücksichtigt. Aus-
gehend davon wird nachfolgend untersucht, welcher Anteil der Niedertemperaturwär-
menachfrage durch die in Deutschland installierbaren solarthermischen Anlagen für die
unterschiedlichen Konzepte gedeckt werden könnte. Diese sind zusammengefasst darge-
stellt in Tabelle 4.28; hier sind die gesamten nachfolgend diskutierten Potenziale einer
solarthermischen Erzeugung von Niedertemperaturwärme in Deutschland für die hier un-
tersuchten drei Anlagenkonzepte gegenübergestellt.

Deckung der Trinkwarmwasser- und Prozesswärmenachfrage (Konzept I) Die Nachfrage


nach Trinkwarmwasser und Prozesswärme bei Temperaturen, die solarthermisch bereit-
gestellt werden können, liegt bei den Haushalten bzw. beim GHD bei 428 bzw. 124 PJ/a
(d. h. rund einem Fünftel der gesamten Endenergienachfrage für Trinkwarmwasser und

Tabelle 4.26 Endenergienachfrage der Sektoren Haushalte, GHD (Gewerbe, Handel, Dienstleis-
tungen) und Industrie im Jahre 2017 und der davon theoretisch solarthermisch deckbare Anteil (d. h.
primär Niedertemperaturwärme) [4.25]
Verbrauchssektor Nutzenergieform Endenergienachfrage Solarthermisch
in PJ/a deckbarer Anteil
in PJ/a
Private Haushalte Raumwärme 1 601 1 601
Trinkwarmwasser 358 358
sonstige Prozesswärme 142 70
GHD Raumwärme 674 674
Trinkwarmwasser 68 68
sonstige Prozesswärme 101 56
Industrie Raumwärme 153 153
Trinkwarmwasser 17 17
sonstige Prozesswärme 1 795 358
Summe 4 909 3 355
328 M. Kaltschmitt et al.

Tabelle 4.27 Technische Endenergiepotenziale einer Wärmebereitstellung aus Solarthermie der


Sektoren Haushalte, GHD (Gewerbe, Handel und Dienstleistungen) und Industrie (zur Erklärung
der verschiedenen Konzepte siehe Text)
Konzept I Konzept II Konzept III
in PJ/a in PJ/a in PJ/a
Haushalte 205 122–548 507
GHD 67 64–287 279
Industrie 225 53–238 264
Summe 497 239–1 073 1 050
Anteil an der Gesamtnachfrage 54 % 7–32 % 31 %

Prozesswärme von insgesamt 2 481 PJ [4.25], Tabelle 4.27). In der Industrie könnten rund
375 PJ/a solarthermisch gedeckt werden (d. h. etwa 15 % der gesamten Trinkwarmwasser-
und Prozesswärmenachfrage von rund 2 282 PJ/a [4.25], Tabelle 4.26).
Bei der Industrie ist i. Allg. davon auszugehen, dass die gesamte solarthermisch deck-
bare Energienachfrage aufgrund der bei industriellen Nachfragern im Normalfall ver-
fügbaren großen Dach- und Fassadenflächen auch solarthermisch gedeckt werden kann;
Restriktionen bezüglich nicht verfügbarer Kollektoraufstellflächen werden deshalb hier
nicht unterstellt.
Bei GHD und insbesondere bei den Haushalten ist dies jedoch nicht notwendigerweise
der Fall. Insbesondere in Ballungs- und Verdichtungsräumen (u. a. Dorfkerne, Stadtzen-
tren, Hochhaussiedlungen) dürfte es vor dem Hintergrund der hier i. Allg. gegebenen
hohen Nachfragedichte nach Wärme kaum möglich sein, die gesamte Trinkwarmwasser-
und ggf. vorhandene Prozesswärmenachfrage aufgrund unzureichend vorhandener bzw.
nicht nutzbarer Dach- und Fassadenflächen (z. B. Denkmalschutz, Ensembleschutz, be-
reits als Dachterrasse genutzte Dachflächen) für eine potenzielle Kollektorinstallation so-
larthermisch bereitzustellen. Deshalb wird hier unterstellt, dass in rund 90 % der insgesamt
möglichen Fälle die gesamte Trinkwarmwasser- und ggf. vorhandene Prozesswärmenach-
frage bei GHD dort anfällt, wo auch prinzipiell die Möglichkeit besteht, Solarkollektoren
zu installieren (d. h. rund 90 % der entsprechenden Wärmenachfrage kann auch solarther-
misch gedeckt werden). Bei den Haushalten wird hier davon ausgegangen, dass Gebiete
mit lockerer Bebauung (rund 2 % der gesamten Gebäudeflächen in Deutschland) vollstän-
dig, Gebiete mit Einfamilienhäusern und nicht sehr dicht bebaute Dorfkerne (ca. 50 %
der gesamten Gebäudefläche) zu einem sehr hohen Anteil, Gebiete mit Randbebauung
und Wohnblocks (ca. 40 % der deutschen Gebäudefläche) zu einem ebenfalls erheblichen
Anteil und Gebiete mit einer hohen Bebauungsdichte (z. B. Stadtzentren, Sonderbauten;
rund 8 % der Gebäudefläche) zu weniger als der Hälfte genutzt werden können. Bei den
ausgeschlossenen Flächen besteht demnach keine technisch realistische Möglichkeit, So-
larkollektoren aufzustellen und damit die gegebene Wärmenachfrage zu decken. Damit
können nur bei rund 80 % der gesamten Trinkwarmwasser- und Prozesswärmenachfrage
bei den Haushalten Solarkollektorsysteme zur Deckung dieser Wärmenachfrage beitra-
gen.
4 Solarthermische Wärmenutzung 329

Ausgehend von diesen Rahmenannahmen werden Solarsysteme zur Trinkwarmwasser-


und Prozesswärmebereitstellung nach dem gegenwärtigen Stand der Technik mit einem
solaren Deckungsgrad von 60 % unterstellt. Daraus errechnen sich die in Tabelle 4.27
dargestellten solarthermisch bereitstellbaren Nachfragepotenziale. Demnach liegt die so-
larthermisch deckbare Trinkwarmwasser- und Prozesswärmenachfrage bei der Industrie
bei 225, bei GHD bei 67 und bei den Haushalten von 205 PJ/a. Zusammengenommen
könnte damit die Solarthermie einen Beitrag von rund 497 PJ/a zur Deckung der Nieder-
temperaturwärmenachfrage leisten.

Deckung der Raumwärme-, Trinkwarmwasser- und Prozesswärmenachfrage (ohne sai-


sonale Speicher) (Konzept II) Die Nachfrage nach Trinkwarmwasser und Prozesswärme
mit durch solarthermische Anlagen bereitstellbaren Temperaturen liegt bei 927 PJ/a (Ta-
belle 4.27). Zusätzlich dazu wird noch Nutzwärme zur Raumheizung von 1 601 PJ/a bei
den Haushalten, von 674 PJ/a bei GHD und von 153 PJ/a bei der Industrie nachgefragt.
Die gesamte theoretisch solarthermisch deckbare Niedertemperaturwärmenachfrage liegt
damit bei 3 355 PJ/a.
Entsprechend dem bisherigen Vorgehen stehen bei der Industrie einer Deckung der
gesamten solartechnisch deckbaren Raum-, Prozess- und Trinkwarmwassernachfrage auf-
grund der bei Industriebetrieben im Regelfall ausreichend verfügbaren Dach- und Fassa-
denflächen keine Flächenrestriktionen entgegen. Dies kann bei GHD und insbesondere
bei den Haushalten in Ballungs- und Verdichtungsräumen (u. a. Dorfkerne, Stadtzentren,
Hochhaussiedlungen) aber nicht unterstellt werden. Deshalb wird bei GHD angenom-
men, dass nur rund 80 % der gesamten Raumwärme-, Trinkwarmwasser- und Prozesswär-
menachfrage dort anfällt, wo sie infolge verfügbarer Flächen für eine Kollektorinstallation
auch solarthermisch gedeckt werden kann. Der Prozentsatz ist im Vergleich zu den Syste-
men mit einer ausschließlichen Trinkwarmwasser- und Prozesswärmenachfragedeckung
deshalb kleiner, weil die Raumwärmenachfrage deutlich höher liegt und damit erheblich
mehr an (ggf. nicht verfügbaren) für eine Installation von Solarkollektoren geeigneten
Flächen benötigt werden. Bei den Haushalten können Gebiete mit lockerer Bebauung voll-
ständig, Gebiete mit Einfamilienhäusern und locker bebaute Dorfkerne zu einem hohen
Anteil, Gebiete mit einer Randbebauung und Wohnblocks zu einem erheblichen Anteil
und Gebiete mit einer hohen Bebauungsdichte zu deutlich weniger als der Hälfte genutzt
werden. Bei den ausgeschlossenen Flächen können Solarkollektoren weder auf Dach-
noch auf Fassadenflächen aufgestellt werden und damit nicht zur Deckung der gegebe-
nen Wärmenachfrage beitragen. Zusammengenommen könnten damit nur rund 60 % der
gesamten Raumwärme-, Trinkwarmwasser- und Prozesswärmenachfrage bei den Haus-
halten auch durch Wärme aus Solarkollektoren gedeckt werden.
Der solare Deckungsgrad von Systemen mit Heizungsunterstützung kann – je nach
Systemauslegung – nach dem derzeitigen Stand der Technik stark variieren. Es wird da-
her hier eine untere Grenze des Deckungsgrades von 10 % und eine obere Grenze von
45 % untersucht. Daraus errechnet sich die Bandbreite der in Tabelle 4.27 dargestellten
solarthermisch bereitstellbaren Nachfragepotenziale. Demnach liegt die solarthermisch
330 M. Kaltschmitt et al.

deckbare Wärmenachfrage bei der Industrie bei 53 bis 238 PJ/a, bei GHD zwischen 64
und 287 PJ/a und bei den Haushalten bei 122 bis 548 PJ/a. Zusammengenommen könnte
damit die Solarthermie 239 bis 1 073 PJ/a zur Deckung der gesamten Nachfrage an Raum-
und Prozesswärme im Niedertemperaturbereich sowie an Trinkwarmwasser in Deutsch-
land beitragen.

Deckung der Trinkwarmwasser-, Raum- und Prozesswärmenachfrage (mit saisonalen


Speichern und Nahwärmesystemen) (Konzept III) Die gesamte Nachfrage nach Trink-
warmwasser und Prozesswärme mit solarthermisch deckbaren Temperaturen liegt in
Deutschland bei 927 PJ/a. Zusätzlich dazu ist eine Nutzwärmenachfrage für die Raum-
wärmebereitstellung von 2 428 PJ/a gegeben. Die gesamte solartechnisch deckbare
Niedertemperaturwärmenachfrage liegt damit bei 3 355 PJ/a (Tabelle 4.26).
Wie bisher kann auch bei Nahwärmesystemen mit einer integrierten saisonalen Spei-
cherung zur Trinkwarmwasser-, Raumwärme- und Prozesswärmenachfragedeckung bei
der Industrie davon ausgegangen werden, dass die gesamte solartechnisch deckbare Ener-
gienachfrage aufgrund der hier im Normalfall verfügbaren Dach- und Freiflächen auch
solarthermisch gedeckt werden kann. Für GHD und Haushalte gilt dies jedoch nicht (u. a.
Dorfkerne, Stadtzentren, Hochhaussiedlungen). Bei GHD wird daher unterstellt, dass nur
rund 70 % der gesamten deckbaren Wärmenachfrage dort anfällt, wo sie auch durch so-
lare Nahwärmesysteme mit einem entsprechenden saisonalen Speicher gedeckt werden
kann; der Anteil ist im Vergleich zu den anderen untersuchten Konzepten kleiner, weil für
den saisonalen Speicher und zum Ausgleich der höheren Verluste bei Nahwärmesystemen
mit saisonaler Speicherung für eine Kollektorinstallation mehr geeignete Flächen benötigt
werden. Bei den Haushalten sind Gebiete mit lockerer Bebauung vollständig, Gebiete mit
Einfamilienhäusern und locker bebaute Dorfkerne zu einem hohen Anteil, Gebiete mit
einer Randbebauung und Wohnblocks merklich und Gebiete mit einer hohen Bebauungs-
dichte zu erheblich weniger als der Hälfte nutzbar; zusammengenommen kann deshalb nur
bei rund 50 % der gesamten Raumwärme-, Trinkwarmwasser- und Prozesswärmenachfra-
ge bei den Haushalten ein solarthermischer Beitrag geleistet werden.
Es werden solare Nahwärmesysteme nach dem Stand der Technik mit einem sola-
ren Deckungsgrad bei der Bereitstellung von Raum- und Prozesswärme sowie Trink-
warmwasser von 50 % unterstellt. Tabelle 4.28 zeigt die solarthermisch bereitstellbaren
Nachfragepotenziale. Demnach errechnet sich eine solarthermisch deckbare Wärmenach-
frage bei der Industrie von 264 PJ/a, bei GHD von 279 PJ/a und bei den Haushalten von
507 PJ/a. Zusammengenommen könnte damit die Solarthermie mit rund 1 050 PJ/a zu Nie-
dertemperaturwärmenachfrage beitragen.

4.4.2 Nutzung

Nachfolgend wird die gegenwärtige Nutzung einer solarthermischen Wärmebereitstellung


auf weltweiter Ebene, in der EU sowie in Deutschland und in Österreich diskutiert [4.26,
4.27, 4.28, 4.29, 4.38].
4 Solarthermische Wärmenutzung 331

Tabelle 4.28 Potenziale einer solarthermischen Wärmebereitstellung in Deutschland


Theoretisches Angebotspotenziala in EJ/a ca. 1 358
Technisches Angebotspotenzialb,c
Wohngebäude in PJ/a 638–1 549
Nichtwohngebäude in PJ/a 175–425
Summe in PJ/a 813–1 974
Technisches Nachfragepotenzial
Konzept Id in PJ/a 497
Konzept IIe in PJ/a 239–1 073
Konzept IIIf in PJ/a 1 050
a
gesamtes solares Strahlungsangebot über der gesamten Gebietsfläche der Bundesrepublik
Deutschland; b spezifischer Kollektorenergieertrag der solarthermischen Systeme zwischen 700
und 1 700 MJ/(m2 a); c dabei handelt es sich um die von dem solarthermischen System nutzbar
abgegebene Wärme; d solarthermische Systeme zur Deckung der Trinkwarmwasser- und Pro-
zesswärmenachfrage (unter 100 ı C); e solarthermische Systeme zur Deckung der Raumwärme-,
Trinkwarmwasser- und Prozesswärmenachfrage; f solarthermisches Nahwärmesystem zur Deckung
der Raumwärme-, Trinkwarmwasser- und Prozesswärmenachfrage mit saisonaler Speicherung.

4.4.2.1 Welt
Die weltweit installierte thermische Leistung solarthermischer Systeme zur Heißwasser-
und – eingeschränkter – zur Raumwärmebereitstellung lag Ende 2018 bei insgesamt etwa
480 GW [4.27]. Obwohl derartige Systeme weltweit installiert werden, dominiert China
mit 338 GW bzw. ca. 70 % die global installierten Kapazitäten. Der potenzielle solare
Nutzenergieertrag dieses Anlagenparks beträgt ca. 1 426 PJ (2018) (Abb. 4.40). China hat
bei der insgesamt installierten solarthermischen Leistung mit rund 335 GW und bei dem
jährlichen Zubau von etwa 26 GW (2017) einen weltweiten Anteil von ca. 75 %. Aller-
dings ist auch in China – wie auch global – seit 2014 der Markt rückläufig.
Bei dem vorhandenen Anlagenbestand handelt es sich zu etwa 90 % um kleine, de-
zentrale Anlagen zur Bereitstellung von Brauchwarmwasser primär für den Einsatz in
Wohngebäuden. Anlagen zur Schwimmbadwassererwärmung oder zur Heizungsunter-
stützung sind global gesehen eher von untergeordneter Bedeutung; gleiches gilt auch für
solare Nahwärmesysteme, auch wenn diese – auf einem sehr niedrigen Niveau – nach wie
vor eine (nur sehr) begrenzte Bedeutung haben. Bei einem Großteil dieser Anlagen handelt
es sich um Naturumlaufsysteme. Weltweit wurden in der Vergangenheit primär Flachkol-
lektoren verbaut, während neue Anlagen u. a. in China und Indien heute überwiegend als
Vakuumröhrenkollektoren realisiert werden [4.27]. Im Jahr 2017 waren deshalb mit 71 %
Vakuum-Röhrenkollektoren der weltweit am häufigsten eingesetzte Kollektortyp gefolgt
von verglasten Flachkollektoren mit knapp 23 % und Schwimmbadkollektoren mit etwa
6 %. Dahingegen werden in Europa mit 80 bis 85 % primär verglaste Flachkollektoren
eingesetzt.
Insbesondere in Ländern mit einer vergleichsweise hohen Solarstrahlungsintensität
sind z. T. noch erhebliche unerschlossene Potenziale für die Installation solarthermischer
332 M. Kaltschmitt et al.

500 1500
jährlich neu installierte Leistung
1400
450 kummulierte Leistung
potenzielle jährliche Wärmeerzeugung 1300
400 1200

Wärmebereitstellung in PJ/a
Thermische Leistung in GW

1100
350
1000
300 900
800
250
700
200 600
500
150
400
100 300
200
50
100
0 0
2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018

Abb. 4.40 Weltweit installierte solarthermische Anlagenkapazität und Warmwasser- und deutlich
eingeschränkter zur Raumwärmebereitstellung [4.29]

Systeme vorhanden; aus Potenzialsicht steht einem weiteren Ausbau der Solarthermie
zur Warmwasserbereitstellung demnach nichts im Wege. Auch hat sich beispielsweise in
einigen südeuropäischen Ländern die Installation einer solarthermischen Brauchwarm-
wassererwärmung zur Standardlösung im Neubau entwickelt. Demgegenüber dürften,
global betrachtet, solare Nahwärmesysteme und / oder eine solare Prozesswärme- und
Kälteerzeugung u. a. aufgrund zu niedriger Energiepreise auch weiterhin keine signi-
fikante Marktbedeutung erlangen. Parallel dazu existiert aber eine weiter zunehmende
Konkurrenz in bestimmten Bereichen durch die Photovoltaik.

4.4.2.2 Europäische Union


Ende 2018 waren in der EU etwa 37,4 GW an solarthermischer Leistung installiert, die po-
tenziell eine Nutzenergie von etwas über 114 PJ (2018) bereitstellten (Abb. 4.41; [4.26]).
In diesem Jahr wurden in der EU nur ca. 1,3 GW an solarthermischer Leistung oder knapp
unter 2 Mio. m2 an Kollektorfläche neu installiert; verglichen mit dem Rekordjahr 2008
(Zubau von mehr als 4 Mio. m2 ) oder 2014 (Zubau von knapp 3 Mio. m2 ) bedeutet dies
einen deutlichen Rückgang des Marktwachstums (dies spiegelt auch die globale Entwick-
lung wider, die ebenfalls parallel dazu verläuft).
Wesentlich für den nun schon über einem Jahrzehnt anhaltenden Rückgang bei den
Neuinstallationen sind neben den systemischen Nachteilen (ein Backup-System wird
zwingend benötigt, da solarthermische Systeme im Winter die Warmwassernachfrage
nicht decken können; d. h. eine Solaranlage ersetzt nur die in diesem Backup-System
vermiedenen Brennstoffkosten) u. a. die zunehmende Konkurrenz durch andere Energie-
4 Solarthermische Wärmenutzung 333

40 jährlich neu installierte Leistung 120

kummulierte Leistung
110
35 potenzielle jährliche Wärmeerzeugung
100

30 90
Thermische Leistung in GW

Wärmebereitstellung in PJ/a
80
25
70

20 60

50
15
40

10 30

20
5
10

0 0
2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018

Abb. 4.41 EU-weit installierte solarthermische Anlagenkapazität zur Warmwasser- und deutlich
eingeschränkter zur Raumwärmebereitstellung [4.29]

systeme auf Basis erneuerbarer Energien (u. a. sinkende Investitionen bei Wärmepumpen-
und bei Photovoltaiksystemen).
Zusätzlich zeigt Abb. 4.42 die regionale Verteilung des vorhandenen solarthermischen
Anlagebestandes in der EU. Demnach sind neben Deutschland auch Österreich, Spani-
en, Italien und Griechenland Länder, in denen solarthermische Wärme absolut in einem
nennenswerten Ausmaß genutzt wird. Im Unterschied dazu hat diese Optionen in einigen
osteuropäischen Ländern und in den baltischen Staaten praktisch keine Bedeutung.

4.4.2.3 Deutschland
Ende 2018 waren deutschlandweit insgesamt rund 20,5 Mio. m2 an Solarkollektorfläche
und in etwa 2,32 Mio. Solarthermieanlagen installiert. Auf der Basis mittlerer Energie-
erträge errechnet sich daraus eine bereitstellbare nutzbare Niedertemperaturwärme und
vereinzelt auch Prozesswärme von knapp 30 PJ (2018). Die tatsächliche Wärmebereitstel-
lung lag 2018 aber mit rund 32 PJ aufgrund der hohen Solareinstrahlung deutlich über
diesem Mittelwert (Abb. 4.43; [4.26]). Die durchschnittliche Kollektorfläche der 2018 in-
stallierten Anlagen lag bei knapp 7 m2 ; nur bei einem sehr untergeordneten Teil dieser
Kollektorfläche wurden Vakuumröhrenkollektoren verbaut.
Abb. 4.43 zeigt zusätzlich zur mittleren Niedertemperaturwärmebereitstellung die jähr-
lich neu installierte Kollektorfläche und den entsprechenden Gesamtbestand in Deutsch-
land im Zeitraum zwischen 2008 und 2018. Deutlich wird – neben dem merklichen Rück-
gang der jährlichen Neuinstallationen – insbesondere die Stagnation der absoluten Anla-
334 M. Kaltschmitt et al.

Abb. 4.42 EU-weit installierte solarthermische Anlagenkapazität zur Warmwasser- und deutlich
eingeschränkter zur Raumwärmebereitstellung (Daten nach [4.43])

genzahlen – und damit auch der potenziell bereitstellbaren Niedertemperaturwärme – in


den letzten Jahren.
Zusätzlich zu den solarthermischen Systemen zur Warmwasserbereitstellung und ggf.
zur Heizungsunterstützung (bei der Mehrzahl der in der Vergangenheit installierten Kol-
lektoranlagen handelt es sich um Kleinanlagen mit einer aktiven Solarfläche von unter
10 m2 ) werden derartige Anlagen sehr vereinzelt auch zur Prozesswärmeerzeugung ein-
gesetzt. Daneben sind (begrenzt) Schwimmbadabsorber im kommunalen und privaten
Bereich vorhanden, wenn auch ebenfalls nur mit einem sehr begrenzten Marktvolumen;
Ende 2018 dürften in Deutschland insgesamt knapp 0,6 Mio. m2 Kollektorfläche für diesen
Anwendungsfall installiert gewesen sein [4.26].
Die mittlerweile seit fast einem Jahrzehnt sinkenden Neuinstallationen solarthermi-
scher Anlagen (Abb. 4.43) sind nicht allein auf niedrige Preise für fossile Energieträger
zurückzuführen. Auch die rasante Entwicklung der Photovoltaik hat zu einer merkli-
chen Konkurrenz um die begrenzt verfügbaren Dachflächen und zunehmend auch um
den Wärmemarkt geführt. Während vor wenigen Jahren noch zwischen Stromerzeugung
4 Solarthermische Wärmenutzung 335

jährlich neu installierte Leistung 35


14 kummulierte Leistung
potenzielle jährliche Wärmeerzeugung
30
12
Thermische Leistung in GW

Wärmebereitstellung in PJ/a
25
10

20
8

15
6

10
4

2 5

0 0
2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018

Abb. 4.43 Entwicklung der solarthermischen Nutzung in Deutschland (d. h. jährlich neu installierte
Kollektorfläche, Gesamtkollektorflächen) [4.26]

mit EEG-Vergütung und Wärmeeigenerzeugung gewählt wurde, wird mittlerweile die


nicht mehr zwingend netzgekoppelte häusliche Photovoltaikanlage zunehmend auch im
Wärmemarkt bzw. zur Klimatisierung eingesetzt. Eigenstromversorgung (ggf. mit Strom-
speicher) und ein Elektroheizstab im vorhandenen Warmwasserspeicher, beispielsweise
bei einer vorhandenen Erdgasheizung, erlauben eine nahezu vollständige Ausnutzung der
photovoltaischen Stromerzeugung. Vor dem Hintergrund hoher Haushaltsstrompreise in
Deutschland setzen sich derartige Photovoltaiksysteme im Vergleich zu solarthermischen
Anlagen deshalb immer häufiger durch, da dadurch zusätzlich – als gewollter Nebeneffekt
– der Strombezug aus dem Netz reduziert werden kann. Dieser Trend dürfte sich durch
weitere Kostenreduktionen bei Photovoltaiksystemen und steigende Strompreise verstär-
ken.

4.4.2.4 Österreich
Die Entwicklung des Solarthermiemarktes verläuft in Österreich ähnlich wie in Deutsch-
land. Die in der Alpenrepublik installierte Kollektorfläche belief sich im Jahr 2018 insge-
samt auf rund 5,1 Mio. m2 , wenn davon ausgegangen wird, dass Anlagen älter als 25 Jahre
bereits außer Betrieb genommen wurden. Hierbei handelt es sich bei knapp 92 % um
verglaste Flachkollektoren, bei etwa 6 bis 7 % um unverglaste Flachkollektoren und bei
weniger als 1,7 % um Vakuumröhren-Kollektoren (Abb. 4.44). Die kumulierte Wärme-
leistung beträgt ca. 3,6 GW (Abb. 4.45).
Der Markt in Österreich ist von Höchststand 2009 mit dem damals installierten
346 000 m2 an neu aufgebauter Kollektorfläche auf knapp 100 000 m2 an neu errichte-
336 M. Kaltschmitt et al.

6000

Installierte Kollektorfläche in 1000 m² Unverglaste Flachkollektoren


5000 Verglaste Flachkollektoren
Vakuumröhren-Kollektoren
4000 Installierte Kollektorfläche pro Jahr

3000

2000

1000

Abb. 4.44 Entwicklung der solarthermischen Nutzung in Österreich (d. h. jährlich neu installierte
Kollektorfläche) [4.38]

4
jährlich neu installierte Leistung
Thermische Leistung in GW

3,5
kumulierte Leistung

2,5

1,5

0,5

0
2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018

Abb. 4.45 Entwicklung der installierten solarthermischen Leistung in Österreich [4.38]

ten Kollektorflächen im Jahr 2018 zurückgegangen. Damit sinkt auch seit etwa 4 Jahren
die insgesamt in Österreich installierte Kollektorfläche, wenn man eine technische Le-
bensdauer der vorhandenen Anlagen von 25 Jahren ansetzt.
56 % der vorhandenen Anlagen wurden im Einfamilien- und 38 % im Mehrfamilien-
hausbereich installiert. Hierbei kommen sowohl reine Trinkwarmwasser- als auch kom-
binierte Systeme zur Trinkwarmwasser- und Heizungsunterstützung zum Einsatz (Kom-
bisysteme). 4 % der existierenden Anlagen wurden im industriellen Bereich und 2 % im
Hotel- und Gastgewerbe installiert.
Auch in Österreich trugen die sinkenden Preise für Photovoltaik bei gleichbleibenden
Preisen für die Solarthermie zu dem starken Rückgang des Solarthermiemarktes bei. Die
Marktaussichten für Österreich entsprechen weitgehend denen in Deutschland.
4 Solarthermische Wärmenutzung 337

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Photovoltaische Stromerzeugung
5
Roland Bründlinger, Daniel Christ, Hubert Fechner, Martin Kaltschmitt,
Jörg Müller, Gerhard Peharz, Detlef Schulz und Lucas Sens

Neben der solarthermischen Wärmegewinnung ist die photovoltaische Stromerzeugung


eine weitere Form der direkten Nutzung solarer Strahlungsenergie. Im Unterschied zur
Solarthermie wird aber hier die Energie der solaren Strahlung direkt in elektrische Energie
gewandelt. Im Folgenden werden zunächst wesentliche physikalische Grundlagen dieser
Energiewandlungsoption dargestellt und diskutiert. Anschließend wird auf die entspre-
chende Technik sowohl der Solar- oder Photovoltaikzellen und -module als auch die
gesamter Photovoltaik-Stromerzeugungssysteme eingegangen. Ausgehend davon werden
ausgewählte Systeme aus ökonomischer und ökologischer Sicht analysiert und zusätzlich
die vorhandenen Potenziale und die derzeitige Nutzung diskutiert.

5.1 Physikalische Grundlagen

Jörg Müller und Martin Kaltschmitt

Nachfolgend werden die physikalischen Grundlagen des photovoltaischen Effekts dar-


gestellt. Da dieser wesentlich durch den Aufbau des photovoltaisch aktiven Materials
und den möglichen Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Materialkomponen-
ten / Materialbereichen bestimmt wird, werden im Folgenden auch die Grundlagen von
Halbleitermaterialien als notwendige Basis dargestellt. Anschließend wird erörtert, wel-

Autoren in alphabetischer Reihenfolge mit Beiträgen zum Kapitel; die Autorenzuordnung geht aus
den einzelnen Unterkapiteln hervor.
Roland Bründlinger, Wien, Österreich
Daniel Christ, Martin Kaltschmitt, Lucas Sens, Hamburg, Deutschland
Hubert Fechner, Wien, Österreich
Jörg Müller, Hamburg, Deutschland
Gerhard Peharz, Graz, Österreich
Detlef Schulz, Hamburg, Deutschland

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 339
M. Kaltschmitt, W. Streicher, A. Wiese (Hrsg.), Erneuerbare Energien,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-61190-6_5
340 R. Bründlinger et al.

che Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit der photovoltaische Effekt stattfinden
kann und die dabei in dem Material freigesetzten Elektronen technisch nutzbar gemacht
werden können.

5.1.1 Bändermodell

Ein Atom besteht neben den positiv geladenen Protonen und den nicht geladenen Neu-
tronen aus negativ geladenen Elektronen. Diese Elektronen weisen jeweils definierte
Energien auf; d. h. sie nehmen diskrete Energieniveaus („Schalen“ oder „Orbitale“) ein,
die – so die bildhafte Vorstellung des Bändermodells – sich um den Atomkern her-
um anordnen (Abb. 5.1). Dabei ist aber die Anzahl der Elektronen, die ein bestimmtes
Energieniveau besetzen können, begrenzt; nach dem sogenannten Pauli-Prinzip kann ein
mögliches Energieniveau immer nur von höchstens zwei Elektronen besetzt werden, die
sich durch einen antiparallelen „Spin“ (d. h. Eigendrehimpuls) unterscheiden müssen
(u. a. [5.1, 5.2, 5.3, 5.4]).
Auch wenn Atome einen Festkörper bilden, gilt weiterhin dieses Pauli-Prinzip; d. h.
jedes dieser Elektronenpaare beansprucht ein eigenes Energieniveau E. Dafür weiten sich
aber diese Energieniveaus zu Energiebändern definierter Breite auf (Abb. 5.1). Da zudem
die Anzahl der Elektronen dem Volumen des Festkörpers proportional ist, verringert sich
der energetische Abstand der Energiezustände der Elektronen in den Bändern proportio-
nal zum Volumen. Zwischen diesen von den Elektronenpaaren besetzten Energiebändern
verbleiben wie beim Einzelatom jeweils Energielücken; sie werden auch als „verbote-
ne“ Bänder oder Bandlücken bezeichnet. Die Breite dieser Energiebänder ist umgekehrt
skaliert zu ihrem Abstand vom Kern; d. h. den inneren, stark an die Kerne gebundenen

Abb. 5.1 Energieniveaus E, Leitungsband


auf denen sich die Elektronen
bewegen können (Bändermo-
E5 Valenzband
dell) (u. a. nach [5.57])

E4
Energieniveau

E3

E2

E1

Lage im
Atomabstand
Material
5 Photovoltaische Stromerzeugung 341

Elektronen stehen schmale und den äußeren Elektronen breite erlaubte (Energie-)Bänder
zur Verfügung. Die Breite der verbotenen Bänder variiert in umgekehrter Weise; nahe an
den Atomkernen sind sie breit und mit immer höheren Energien werden sie zunehmend
schmaler. Dies kann letztlich bis zu einer Überlappung der äußersten Bänder führen. Da-
bei sind die energetischen Abstände der erlaubten Bänder bzw. die energetische Breite der
Energielücken und die Verteilung der Elektronen auf die erlaubten Bänder bestimmend
für die elektrischen und die optischen Eigenschaften des jeweiligen Festkörpers.
In den Energiebändern ist die Zahl der von Elektronen besetzbaren Energieniveaus,
also die Zahl der Plätze, nicht gleichmäßig verteilt; sie ist gering an den jeweiligen Band-
kanten und steigt zur Mitte hin an (cos2 -Funktion). Da die genaue energetische Lage
der Elektronen i. Allg. nicht wesentlich ist, benutzt man üblicherweise den integralen
Wert, die sogenannte „effektive“ Zustandsdichte. Aus energetischen Gründen (minima-
le Energie des Gesamtsystems) sind dabei die inneren Schalen bei Atomen bzw. die
Energiebänder der Festkörper mit niedrigen Energiezuständen vollständig mit Elektronen
besetzt. Hier können sich die Elektronen deshalb nicht frei bewegen – nur ein gegensei-
tiger Platztausch ist möglich. Diese Elektronen können aufgrund dieser Immobilität nicht
zur elektrischen Leitung beitragen. Das energiereichste voll besetzte Energieband wird als
Valenzband bezeichnet; hier befinden sich die Elektronen, die den chemischen Bindungs-
typ des jeweiligen Elements festlegen.
Soll ein Festkörper eine elektrische Leitfähigkeit aufweisen, bedarf es frei beweglicher
Elektronen in der festen Materie. Frei beweglich sind Elektronen aber nur dann, wenn sie
sich in einem nicht voll besetzten Energieband befinden, in dem sie höhere Energiezu-
stände (d. h. Beschleunigung im elektrischen Feld) annehmen können. Aus energetischen
Gründen wird dies vor allem in dem unmittelbar über dem Valenzband (d. h. dem letz-
ten voll besetzten Energieband) liegenden Energieband auftreten, da Elektronen aus dem
Valenzband z. B. durch die Aufnahme thermischer Energie dorthin gelangen können. Die-
ses durch frei bewegliche Elektronen – und damit durch Leitfähigkeit – charakterisierte
Energieband wird deshalb auch als Leitungsband bezeichnet.
Die Energielücke zwischen dem Valenzband und dem Leitungsband nennt man „Band-
abstand“ oder „Bandlücke“ (auch „energy gap“, Eg ) (Abb. 5.2). Sie entspricht der Min-
destenergie, die aufzubringen ist, um ein Elektron aus dem Valenzband in das Leitungs-
band zu befördern.

5.1.2 Leiter, Nichtleiter und Halbleiter

In Bezug auf die elektrische Leitfähigkeit eines bestimmten Materials kann eine Eintei-
lung in Leiter, Halbleiter und Nichtleiter (Isolatoren) erfolgen. Diese unterschiedlichen
Materialtypen unterscheiden sich in der Bandstruktur und in der Bänderbesetzung mit
Elektronen (Abb. 5.2). Dies wird nachfolgend näher erläutert.
342 R. Bründlinger et al.

Leitungsband Leiter Halbleiter Nichtleiter


Bandlücke
Valenzband
Kupferoxid Glas, Keramik
Energie

Quecksilber Silizium
Quarz

Bernstein

Selen Glimmer
Eisen

Silber Germanium Hartgummi

-6 -4 -2 2 4 6 8 10 12 14 16
10 10 10 1 10 10 10 10 10 10 10 10
Leiter Halbleiter Nichtleiter Spezifischer Widerstand in Ω cm

Abb. 5.2 Valenz- und Leitungsband sowie Bandlücke (links) und spezifische Widerstände (rechts)
von Leitern, Halbleitern und Nichtleitern (nach u. a. [5.5])

Leiter In Leitern (z. B. Metalle und ihre Legierungen) ist entweder

 das energiereichste Band (Leitungsband), in dem sich Elektronen aufhalten, nicht voll-
ständig besetzt, oder
 das energiereichste, voll besetzte Band (Valenzband) und das darüber liegende Lei-
tungsband überlappen sich (d. h. es gibt keine Energielücke); dadurch liegt ebenfalls
ein teilbesetztes Band (Leitungsband) vor.

Der Transport elektrischer Ladungen erfolgt somit durch frei bewegliche Elektronen,
die im Kristallgitter unabhängig von der Temperatur des Materials in großer Zahl infolge
der beiden genannten Effekte vorhanden sind. Dadurch sind derartige elektrische Leiter
durch sehr geringe spezifische Widerstände gekennzeichnet. Bei steigender Materialtem-
peratur behindert jedoch die zunehmende thermische Schwingung der Atomrümpfe die
Bewegungsmöglichkeiten der Elektronen im Kristallgitter, das das jeweilige Leitermate-
rial ausbildet. Deshalb steigt der spezifische Widerstand beispielsweise bei Metallen mit
zunehmender Temperatur an.

Nichtleiter Nichtleiter (z. B. Gummi, Keramik, Glas) weisen ein mit Elektronen voll auf-
gefülltes Valenzband und einen großen Bandabstand (Eg > 3 eV) auf; sie sind damit durch
ein leeres Leitungsband gekennzeichnet. Bei Raumtemperatur besitzen Nichtleiter daher
praktisch keine frei beweglichen Elektronen (d. h. sie leiten keine elektrischen Ladungen).
Erst bei (sehr) hohen Temperaturen (starke „thermische Anregung“) gelingt es wenigen
Elektronen, die Energielücke zwischen dem Valenz- und dem Leitungsband zu überwin-
den. Deshalb zeigen z. B. Keramiken bei (sehr) hohen Temperaturen eine exponentiell mit
der Temperatur zunehmende Leitfähigkeit.
5 Photovoltaische Stromerzeugung 343

Halbleiter Halbleiter (z. B. Silizium, Germanium, Gallium-Arsenid) sind im Prinzip


Nichtleiter. Sie weisen jedoch einen vergleichsweise schmalen Bandabstand auf (0,1 eV <
Eg < 3 eV). Deshalb ist bei tiefen Materialtemperaturen ein chemisch reiner Halbleiter
auch tatsächlich ein Nichtleiter (d. h. er zeigt das gleiche Verhalten wie ein Nichtleiter).
Elektronen werden erst durch die Zufuhr von thermischer Energie (Wärme) aus ihren
Bindungen gelöst und können dadurch ins Leitungsband gelangen. Daher nimmt – und
das ist ein wesentlicher Unterschied zu Metallen und damit zu den „klassischen“ Leitern
– die Leitfähigkeit in Halbleitern mit steigender Temperatur merklich zu (und nicht ab,
wie es bei Leitern der Fall ist; siehe oben). Halbleiter zeigen damit auch einen materi-
alspezifischen Widerstand, der zwischen dem von Leitern und Nichtleitern liegt. In dem
Grenzbereich zwischen Halbleitern und Leitern – und damit bei sehr kleinen Bandab-
ständen (0 eV < Eg < 0,1 eV) – spricht man auch von Halbmetallen; die Leitfähigkeiten
können hier im Bereich derjenigen von Metallen liegen. Charakteristisch ist jedoch die
Zunahme der Leitfähigkeit mit steigender Temperatur; dies steht im Gegensatz zu dem
Verhalten „echter“ Metalle.
Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal von Halbleitern ist, ob sie „direkte“ oder „in-
direkte“ Halbleiter sind (Abb. 5.3).

 Bei direkten Halbleitern ist für den Wechsel eines Ladungsträgers vom Valenz- in das
Leitungsband nur die Zuführung von Energie von mindestens der Bandlücke Eg not-
wendig.
 Bei indirekten Halbleitern ist zusätzlich und gleichzeitig noch die Übertragung eines
Impulses definierter Größe und Orientierung im Gitter auf den Ladungsträger erforder-
lich. In Abb. 5.3 ist dies durch den Pfeil in Richtung des Wellenvektors kv angedeutet.

Dieser Unterschied zwischen den direkten und indirekten Halbleitern liegt in der Struk-
tur der Bänder begründet. Bei direkten Halbleitern gilt die minimale Energie zum Über-

Abb. 5.3 Bandschema direk- E E


ter und indirekter Halbleiter (E
Energieniveau, EV Energieni- EL
EL
veau des Valenzbandes (V), EL
Energieniveau des Leistungs-
Eg Eg
bandes (L), Eg Bandlücke, kv
Wellenvektor)
EV EV

kv kv
344 R. Bründlinger et al.

Abb. 5.4 Absorptionsko- 105

Absorptionskoeffizient (α) in 1/cm3


effizienten (krist. kristallin; CulnSe2
nach [5.6]) GaAs
104
lnP CulnS2
Si – krist.
103

a-Si:H CdS
102

101
1,0 1,4 1,8 2,2 2,6 3,0
Photonenenergie (hν) in eV

winden der Bandlücke für ruhende Teilchen; bei indirekten Halbleitern erfordert der zu-
lässige Energiezustand des Elektrons im Leitungsband zusätzlich einen definierten me-
chanischen Impuls.
Für die Funktion der Halbleitermaterialien als Basismaterial für die Herstellung von
Solarzellen hat dies erhebliche Konsequenzen. Während bei einem direkten Halbleiter
die Absorption eines einfallenden Photons ausreicht, um den Ladungsträger in das Lei-
tungsband zu heben (d. h. ausschließliche Energieübertragung durch das Photon), muss
beim indirekten Halbleiter gleichzeitig ein Impuls definierter Höhe übertragen werden.
Es ist hier also ein Drei-Teilchen-Prozess notwendig, bei dem der Ladungsträger Energie
ausreichender Höhe vom Photon und gleichzeitig den definierten mechanischen Impuls
durch ein Phonon übertragen bekommt (als Phononen werden die Energiequanten der
Gitterschwingung bezeichnet). Ein solcher Drei-Teilchen-Prozess ist aber um viele Grö-
ßenordnungen unwahrscheinlicher als die Zwei-Teilchen-Wechselwirkung bei direkten
Halbleitern. Damit wird der Weg des Photons im Halbleiter bis zu seiner Absorption bei
indirekten Halbleitern erheblich länger. Abb. 5.4 zeigt deshalb die spektralen Absorpti-
onskoeffizienten ˛ von für die Photovoltaik wichtigen Halbleitermaterialen.
Beispielsweise ist kristallines Silizium ein indirekter Halbleiter. Daher müssen kristal-
line Siliziumzellen relativ dick sein und / oder über eine Geometrie und Oberflächenbe-
schaffenheit verfügen, die eine Verlängerung der Weglänge durch (Mehrfach-)Reflexion
des Lichts im Festkörper ermöglicht. Materialien wie Gallium-Arsenid (GaAs), amorphes
Silizium, Cadmium-Tellurit (CdTe) oder CIS (Kapitel 5.2) sind dagegen direkte Halb-
leiter. Solarzellen aus diesen Materialien können daher deutlich unter 10 m dick sein,
während kristalline Siliziumsolarzellen typische Dicken von 150 bis 200 m aufweisen
müssen. Dünnere kristalline Silizium-Solarzellen befinden sich in der Entwicklung, müs-
sen dann aber über die genannten optischen Eigenschaften verfügen; dies macht deren
Herstellung entsprechend aufwändig.
5 Photovoltaische Stromerzeugung 345

5.1.3 Leitungsmechanismen in Halbleitern

Eigenleitung Halbleiter zeigen mit steigender Temperatur eine exponentiell ansteigende


Leitfähigkeit, da sich Valenzelektronen infolge der zunehmenden thermischen Energie
in einer immer weiter ansteigenden Anzahl aus ihren Bindungen lösen können und ins
Leitungsband gelangen (sogenannte intrinsische Leitfähigkeit); d. h. die Valenzelektronen
werden zu Leitungselektronen, die sich frei im Kristall / im Halbleitermaterial bewegen
können (Elektronenleitung).
Gleichzeitig kann aber auch die durch das Herauslösen entstehende Lücke (d. h. das
„Defektelektron“ bzw. das „Loch“) im Valenzband durch den Kristall / das Halbleiter-
material wandern, indem in die Elektronenlücke jeweils ein Nachbarelektron nachrückt.
Löcher oder Defektelektronen – sie können wie positiv geladene Teilchen betrachtet wer-
den – liefern damit einen gleichwertigen Beitrag zur Leitfähigkeit (Löcherleitung oder
Defektelektronenleitung) des Materials. Da bei dieser durch thermische Energie beding-
ten Erzeugung von Ladungsträgern jedes freie Elektron zwingend ein entsprechendes
Loch hinterlassen muss, ist in einem ungestörten Halbleiterkristall / Halbleitermaterial die
Konzentration der Elektronen n und die der Löcher p immer gleich. Sie wird als Eigenlei-
tungskonzentration ni bezeichnet und ist eine temperaturabhängige Materialkonstante.
Dieser wärmeinduzierten Erzeugung von Elektron-Loch-Paaren wirkt die Rekombi-
nation entgegen (Abb. 5.5). Darunter ist die Wiedervereinigung eines freien Elektrons
mit einem Loch / Defektelektron zu verstehen. Bei einer bestimmten Temperatur T stellt
sich damit aufgrund dieser simultan erfolgenden Generation und Rekombination eine für
das jeweilige Halbleitermaterial charakteristische Konzentration von Löchern und freien
Elektronen ein; d. h. es werden stets in gleicher Zahl neue Elektron-Loch-Paare thermisch
generiert wie sie rekombinieren. Dies nennt man thermodynamisches Gleichgewicht. Die
Konzentration dieser Elektron-Loch-Paare und damit die Leitfähigkeit des Halbleiter-
matetrials nimmt exponentiell mit der Temperatur zu; die Aktivierungsenergie für die

Abb. 5.5 Bändermodell für Eigenleitung Störstellenleitung


die Eigenleitung (links) und Leitungsband Leitungsband Leitungsband
Störstellenleitung (Mitte,
rechts) (EV Energieniveau
des Valenzbandes, EL Energie- EL
niveau des Leitungsbandes, Eg
Energielücke; nach u. a. [5.5]) Donatoren
Gene- Rekombi-
Eg
ration nation Akzeptoren

EV

Valenzband Valenzband Valenzband

Elektron Defektelektron
346 R. Bründlinger et al.

Erzeugung eines frei beweglichen Elektrons und eines entsprechenden Lochs ist der ma-
terialspezifische Bandabstand Eg .
Für die Beschreibung der Eigenleitungskonzentration ni gelten die Gleichungen (5.1)
und (5.2). n ist die Konzentration der Elektronen und p die der Löcher. T ist die absolute
Temperatur.

p  
Eg
n D p D ni D NL NV exp  (5.1)
2kT
 
Eg
n p D ni D NL NV exp 
2
(5.2)
kT

N L sind die genannten effektiven Zustandsdichten im Leitungsband (L) und N V im


Valenzband (V). k ist die Boltzmann-Konstante (1;3806  1023 J/K). Der Bandabstand be-
trägt bei Raumtemperatur (300 K) z. B. für Germanium 0,67 eV und für Silizium 1,14 eV.
Die Elektronen- und die Löcherdichte ist relativ gering; z. B. beträgt bei Silizium die
Eigenleitungskonzentration ni bei Raumtemperatur (300 K) 1010 cm3 bei 2;5  1022 Si-
liziumatomen pro cm3 im Kristall. Demzufolge ist auch die Leitfähigkeit des ungestörten
Halbleitermaterials gering.

Störstellenleitung Zusätzlich zu der diskutierten geringen Eigenleitungskonzentration ni


der reinen, ungestörten Halbleiterkristalle kann durch den gezielten Einbau von Fremd-
atomen („Dotierung“) eine Störstellenleitung erzeugt werden. Wirksam in diesem Zusam-
menhang sind insbesondere Fremdatome mit einer von der Matrix um eins abweichenden
Valenzelektronenzahl.

 Ist beispielsweise die Valenzelektronenzahl des eingebauten Fremdatoms größer als die
des Gitteratoms (z. B. fünfwertiges Arsen (As) oder Phosphor (P) zu vierwertigem Si-
lizium (Si), Abb. 5.6), ist das „überschüssige“ Elektron des Fremdatoms nur schwach
an die Störstelle gebunden. Es löst sich infolge der thermischen Bewegung des Git-
ters leicht aus dem Kristallverbund und erhöht damit als frei bewegliches Elektron
die Leitfähigkeit des Kristalls – und das schon bei sehr niedrigen Temperaturen. Sol-
che Elektronen-abgebenden Fremdatome heißen Donatoren N D . Geben alle in einem
Halbleitermaterial vorhandenen Donatoren ihre Elektronen ab, wird die Elektronen-
konzentration mit n D ND deutlich größer als die der Löcher p, denn im thermodyna-
mischen Gleichgewicht gilt weiterhin Gleichung (5.2) bzw. (5.3). Dabei werden die in
sehr viel größerer Zahl vorhandenen Elektronen in diesem Falle Majoritätsträger ge-
nannt; Löcher sind entsprechend die Minoritätsträger. Da damit die Leitfähigkeit im
Halbleitermaterial hauptsächlich von negativ geladenen Teilchen, den freien Elektro-
nen, verursacht wird, spricht man von n-Leitung.

n2i
pD (5.3)
n
5 Photovoltaische Stromerzeugung 347

Defektelektron
Ge Ge Ge Ge Ge Ge Ge Ge Ge Ge
+

Ge Ge Ge Ge Ge Ge Ge Ge Ge Ge

+ -
Ge Ge As Ge Ge Ge Ge In Ge Ge

Ge Ge Ge Ge Ge Ge Ge Ge Ge Ge
-
Donatoren
Ge Ge Ge Ge Ge Ge Ge Ge Ge Ge

Elektron Akzeptoren
Elektron
Si Si Si Si Si Si Si Si Si Si

Si Si Si Si Si Si Si Si Si Si
-

Si Si P+ Si Si Si Si B- Si Si

Si Si Si Si Si Si Si Si Si Si
+

Si Si Si Si Si Si Si Si Si Si

Defektelektron

Abb. 5.6 Wirkungen von Donatoren (links) und Akzeptoren (rechts) (nach u. a. [5.5])

 Besitzen die in das Halbleitergrundmaterial eingebauten (dotierten) Fremdatome we-


niger Valenzelektronen (z. B. dreiwertiges Bor (B) oder Gallium (Ga) in vierwertigem
Silizium (Si), Abb. 5.6), nehmen diese Dotierstoffe gern zusätzlich ein Elektron aus
dem Valenzband der Matrix auf. Solche Fremdstoffe werden deshalb Akzeptoren N A
genannt. Sie vermehren die Zahl der Löcher, der quasi positiven Ladungsträger; da-
durch entsteht p-Leitung. Unter diesen Bedingungen sind Defektelektronen die Majo-
ritätsträger und Elektronen die Minoritätsträger.

Durch die Zugabe von Donatoren (Abb. 5.5, Mitte) lässt sich also die Anzahl der Elek-
tronen im Leitungsband deutlich erhöhen. Die dadurch dann erforderliche – im Vergleich
zum undotierten Material geringere – Aktivierungsenergie für die Elektronen spiegelt sich
im Bändermodell (Abb. 5.5) darin wieder, dass deren Energieniveaus dann knapp un-
terhalb des Leitungsbandes liegen. Alternativ steigt durch die Zugabe von Akzeptoren
die Anzahl von Löchern im Valenzband (Abb. 5.5, rechts). Die Energieniveaus der Ak-
zeptoren liegen im Bändermodell knapp über dem Valenzband; sie sind also einfach mit
Elektronen zu besetzen.
Mit dem Einbau von Donatoren (n-Dotierung) bzw. Akzeptoren (p-Dotierung) lässt
sich damit die Leitfähigkeit von Halbleitermaterialien bei Raumtemperatur über meh-
rere Größenordnungen kontrolliert verändern. Da das Produkt aus Elektronendichte und
Löcherdichte dem Quadrat der temperaturabhängigen Eigenleitungskonzentrationsdichte
entspricht, verringert sich jeweils die Minoritätsträgerkonzentration umgekehrt proportio-
348 R. Bründlinger et al.

nal zur Erhöhung der Dotierung und damit der Majoritätsträgerkonzentration. Trotzdem
ergibt sich ein Zugewinn in der Leitfähigkeit, da diese näherungsweise durch die Sum-
me beider Ladungsträgerarten bestimmt wird. Wendet man allerdings beide Arten der
Dotierung (d. h. p- und n-Dotierung) gleichzeitig an, kompensieren sich Akzeptoren und
Donatoren gegenseitig und die Leitfähigkeit nimmt ab; dies wird noch verstärkt durch die
erhöhte Zahl von Verunreinigungen (u. a. [5.2, 5.3]). Typische Dotierungen liegen zwi-
schen 1015 und 1019 cm3 und damit deutlich über der Eigenleitungskonzentration.

5.1.4 Photoeffekt

Als Photoeffekt wird die Übertragung der Energie von Photonen (das sind die Quanten
elektromagnetischer Strahlung) auf Elektronen in Materie bezeichnet. Diese Photonen-
energie wird dabei in potenzielle und kinetische Energie von Elektronen umgewandelt.
Das Elektron übernimmt hierbei die gesamte Quantenenergie des Photons Eph , die als das
Produkt aus dem Planck’schen Wirkungsquantum h und der Photonenfrequenz nach
Gleichung (5.4) definiert ist.

Eph D h (5.4)

Dabei kann zwischen dem äußeren und dem inneren Photoeffekt unterschieden werden;
bei ersterem verlassen die Elektronen den Festkörper, bei letzterem nicht.

Äußerer Photoeffekt Trifft elektromagnetische Strahlung auf eine Festkörperoberfläche,


können Elektronen bei ausreichender Photonenenergie (bei normalen Festkörpern erst im
ultravioletten Spektralbereich) so viel Energie aufnehmen, dass sie die zum Verlassen der
Festkörperoberfläche erforderliche Austrittsarbeit überwinden können; d. h. sie treten aus
dem Festkörper aus. Deshalb bezeichnet man diesen Prozess als den äußeren Photoeffekt.
Im Bändermodell ist dieser Vorgang dadurch zu beschreiben, dass Elektronen über
das Leitungsband hinaus energetisch so stark angeregt (so hoch angehoben) werden, dass
sie als nicht mehr zum Festkörper gehörig gelten können. Bei dieser als Vakuumniveau
genannten Grenzenergie löst sich das Elektron vom Festkörper und tritt ins Vakuum aus.
Das Vakuumniveau ist somit identisch mit dem oberen Rand des obersten Bandes.

Innerer Photoeffekt Beim inneren Photoeffekt werden durch Absorption elektroma-


gnetischer Strahlung Elektronen nicht vom Festkörper abgelöst, sondern lediglich vom
Valenzband ins Leitungsband angehoben; d. h. es kommt zur Bildung von Elektron-Loch-
Paaren, welche die elektrische Leitfähigkeit des Festkörpers erhöhen (Kapitel 5.1.3). Die
dafür notwendige Photonenenergie Eph muss mindestens der der Bandlücke Eg entspre-
chen (Gleichung (5.5)). h ist das Planck’schen Wirkungsquantum und die Photonenfre-
quenz.

Eph D h Eg (5.5)
5 Photovoltaische Stromerzeugung 349

Abb. 5.7 Innerer Photoeffekt


(E Energieniveau, EV Ener- E
gieniveau des Valenzbandes
(V), EL Energieniveau des EL
Leitungsbandes (L), Eg Band-
abstand, h Photonenenergie;
nach [5.7]) Eg

EV


x

Ist die durch die Absorption elektromagnetischer Strahlung zugeführte Energie grö-
ßer als die Bandlücke, können Valenzelektronen aus tieferen Zuständen des Valenzbandes
in höhere Zustände des Leitungsbandes gehoben werden. Die so generierten Elektronen-
Loch-Paare geben die überschüssige Energie aber sehr schnell durch Wechselwirkungen
mit dem Kristallgitter als Wärme an das Material ab, bis sie einen unbesetzten Platz bei der
jeweils niedrigsten Energie im Band gefunden haben (sogenannte thermische Relaxation).
Dieser innere Photoeffekt (Abb. 5.7) ist die Basis für den photovoltaischen Effekt und
damit für die Solar- oder Photovoltaikzelle. Durch ihn werden die Elektronen-Loch-Paare
erzeugt, die es letztlich ermöglichen, das Material als eine Stromquelle nutzen zu können.
Um daraus aber einen Photostrom zu generieren, der an der Materialoberfläche abge-
führt werden kann, müssen diese durch Absorption elektromagnetischer Strahlung frei-
gesetzten Ladungsträger durch ein elektrisches Feld getrennt werden (Abb. 5.8); d. h.
eine ansonsten aus thermodynamischen Gründen zwingend stattfindende Rekombination
muss verhindert werden. Außerdem müssen sie über eine elektrische Potenzialschwelle
Energie aufnehmen, damit sie den Photostrom durch einen Lastwiderstand treiben kön-
nen. Beide Voraussetzungen sind physikalisch erreichbar durch die Integration einer im
Halbleitermaterial befindlichen „Sperrschicht“, die vorzugsweise mit Hilfe eines p-n- oder
p-n-Hetero-Überganges (d. h. einen Übergang mit verschiedenem Leitfähigkeitstypus oder
zusätzlich zwischen zwei unterschiedlichen Materialien; Kapitel 5.1.6) aufgebaut werden

Abb. 5.8 Ladungsträgertren- EL


nung (EV Energieniveau des
elektrisches Feld
Valenzbandes (V), EL Energie- EV
niveau des Leitungsbandes (L),
Eg Bandabstand, h Photonen- Eg
energie; nach [5.7])
ν
h
350 R. Bründlinger et al.

kann. Aber auch Metall / Elektrolyt-Halbleiter- oder Metall-Isolator-Halbleiter-Übergänge


rufen solche Potenziale bzw. Sperrschichten hervor.

5.1.5 p-n-Übergang

Der p-n-Übergang ist die am häufigsten für Solarzellen genutzte Struktur zur Realisierung
einer derartigen Material-internen Sperrschicht oder Potenzialbarriere. Durch die gezielte
Zugabe von Donatoren bzw. Akzeptoren (Eindiffundieren, Legieren, Ionenimplantation,
Epitaxie) können in einem Halbleiterkristall aneinander angrenzende p- und n-Gebiete
erzeugt werden. Besonders abrupte Übergänge von einem Leitfähigkeitstyp zum anderen
sind z. B. mit der Epitaxie (d. h. dem schichtweisen Aufwachsen von Halbleiterstrukturen
vorzugsweise aus der Gasphase) möglich.
Bringt man ein p- und n-dotiertes Material in engen Kontakt, diffundieren aufgrund
eines starken Konzentrationsgefälles von Elektronen im Leitungsband und Defektelek-
tronen im Valenzband an der p-n-Grenzfläche Löcher aus dem p- in das n-Gebiet und
Elektronen aus dem n- in das p-Gebiet. Infolge dieses Diffusionsstroms kommt es auf
beiden Seiten der Grenzschicht zu einer Verarmung der jeweiligen Majoritätsträger. Die
an die ortsfesten Donatoren bzw. Akzeptoren gebundenen und damit zurückbleibenden
Ladungen erzeugen auf der p-Seite des Übergangs eine negative und auf der n-Seite eine
positive Raumladung.
Als Folge dieser Raumladung baut sich über die Grenzfläche hinweg ein elektrisches
Feld auf, welches einen Feldstrom in entgegengesetzter Richtung zum Diffusionsstrom
hervorruft. Im Gleichgewichtszustand sind der Diffusionsstrom und der Feldstrom gleich;
d. h. sie kompensieren sich gegenseitig. Die nicht mehr kompensierten ortsfesten Ladun-
gen der Donatoren und Akzeptoren definieren diese Raumladungszone; ihre Breite fällt
wegen der zunehmenden Ladungsdichte mit wachsender Dotierungskonzentration.
Abb. 5.9 zeigt diese Verhältnisse idealisiert. Vereinfachend wird hier angenommen,
dass die Dotierungskonzentrationen jeweils bis zum p-n-Übergang konstant (abrupter
p-n-Übergang) und die Majoritätsträgerdichten in der gesamten Raumladungszone und
insbesondere an den äußeren Rändern vernachlässigbar sind. Dies begründet sich aus der
exponentiellen Abhängigkeit der Konzentration vom lokalen Potenzial. Damit ist auch die
Raumladungsdichte in der Raumladungszone konstant. Abb. 5.9 zeigt den resultierenden
Verlauf des elektrischen Potenzials U und den Verlauf der Energie E. Diese Energie E
ist definiert als der mit der Elementarladung e0 (1;6021  1019 As) (Ladung eines Elek-
trons oder Lochs) multiplizierte Potenzial- bzw. Spannungsverlauf (Spannung U); es gilt
Gleichung (5.6).
E D e0 U (5.6)

Elektronen gewinnen in dieser Darstellung Energie, wenn sie sich „wie Kugeln“ zu
niedrigerer Energie (d. h. nach rechts) bewegen und Löcher, wenn sie „wie Blasen“ auf-
steigen (d. h. nach links).
5 Photovoltaische Stromerzeugung 351

p-Material n-Material
ortsfeste Ladungen:
an Akzeptoren an Donatoren

ohne Bestrahlung
Ausbildung einer Raumladungszone

freie Ladungsträger:
Löcher (p) Elektronen (n)
log Trägerdichte

Löcheranzahl Raumladungszone Elektronenanzahl


Trägerdichten für Löcher und
Elektronen auf der p- und der n-Seite
Spannung Ladung

Raumladung (idealisiert)

Diffusionsspannung (UD)
Elektronenenergie

EL(x)
Bestrahlung
e0 UD Energiebänderschema mit p-n-Übergang
EV(x) (die Diffusionsspannung trennt die vom
Licht erzeugten Ladungsträgerpaare)
EV(x) = Energieniveau des Valenzbandes
EL(x) = Energieniveau des Leitungsbandes
Generation durch
Lichtabsorption Diffussionszone
-xp xn

Abb. 5.9 p-n-Übergang in der Solarzelle (zur Erklärung der Abkürzungen siehe Text)

5.1.6 Photovoltaischer Effekt

Dringen Photonen mit ausreichender Energie ( Eg ) in einen Halbleiter mit einem


p-n-Übergang ein, geben sie ihre Energie an die Elektronen im Valenzband ab (Abb. 5.9).
Abb. 5.10 zeigt den Verlauf der Ladungsträgerkonzentration mit und ohne gleichmäßige
Beleuchtung. Wird ein solches energiereiches Photon des Sonnenlichtes in der Raum-
ladungszone (RLZ) absorbiert, trennt das dort infolge des p-n-Übergangs herrschende
elektrische Feld das bei der Absorption entstandene Ladungsträgerpaar unmittelbar;
d. h. das Elektron driftet sehr schnell ins n-Gebiet und das Loch ins p-Gebiet. Die La-
dungsträgerkonzentration in der Raumladungszone bleibt dabei also nahezu unverändert.
Entstehen demgegenüber Elektron-Loch-Paare außerhalb der Raumladungszone in den
feldfreien p- oder n-Gebieten, erhöhen sie dort die Konzentrationen der Ladungsträger.
Dies ist aber wegen der hohen Konzentrationsunterschiede zwischen den Majoritäts-
und Minoritätsträgern nur für die Minoritätsträger sichtbar. Aufgrund der Konzentrati-
onsgradienten an den Rändern der Raumladungszone diffundieren die Minoritätsträger
zur Raumladungszone, werden dann vom elektrischen Feld erfasst und über die Po-
tenzialbarriere transportiert. Die jeweiligen Majoritätsträger werden weiterhin von ihr
zurückgehalten.
352 R. Bründlinger et al.

Abb. 5.10 Örtliche Verteilung p


der Ladungsträgerkonzen-
n

ln(n) ln(p)
tration mit (n, p) und ohne
Beleuchtung (np;0 , pn;0 ) (xp , xn
Ränder der Raumladungszone;
nach [5.7])
p

n
pn,0

np,0
-xp xn x

Bei der kontinuierlichen Bestrahlung eines derartigen p-n-Übergangs werden damit


Minoritätsladungsträger angeregt; dadurch können sie durch den Halbleiter diffundieren,
bis einige an der Potenzialbarriere getrennt werden, bevor sie rekombinieren können. Die-
se Potenzialbarriere oder Raumladungszone verhält sich dabei wie eine semi-permeable
Membran, die für angeregte Elektronen von p nach n durchlässig ist, aber nicht umgekehrt.
Analog können an dieser Barriere Löcher von n nach p gelangen, aber nicht wieder zu-
rück in den n-Bereich. Dadurch werden angeregte Minoritätsladungsträger im beleuchten
p-n-Übergang getrennt und diese lokale Akkumulation von Ladungsträgern ist als externe
Spannung messbar. Ist keine Leitungsverbindung vorhanden und werden damit die La-
dungen nicht extern abgeleitet, wird durch die aufgebaute Spannung die Potenzialbarriere
wieder abgebaut und die getrennten Ladungsträger können wieder zurück in den Bereich,
wo sie absorbiert wurden und dort rekombinieren. Wird der n- und p-Bereich demgegen-
über über einen externen Stromkreis verbunden, fließen die Ladungsträger in den jeweils
anderen Bereich und können dort rekombinieren.
In der Regel kann ein Photon nur ein Elektron anregen. Daraus folgt, dass der maximal
generierbare elektrische Strom direkt proportional zum absorbierten Photonenfluss ist.
Die maximal generierbare Spannung wird durch die energetische Differenz zwischen dem
Leitungsband EL und dem Valenzband EV bzw. durch die Bandlücke Eg bestimmt. Sie
beträgt beispielsweise bei Silizium etwa 1,1 eV. Daraus folgt, dass eine einfache Silizium-
solarzelle nicht mehr als 1,1 V generieren kann. Dabei ist die reale Spannung, die erzeugt
werden kann, eine Funktion der Konzentration der angeregten Minoritätsladungsträger.
Diese Konzentration wird definiert durch die Generationsrate (Absorption von Photo-
nen) und die Rekombinationsrate. Die Generationsrate für eine Solarzelle ist abhängig
von der auf die Oberfläche des Halbleitermaterials auftreffenden solaren Strahlung und
die Rekombinationsrate wird u. a. beeinflusst von der Materialtemperatur. Für definier-
te Bedingungen (u. a. solare Einstrahlung und Umgebungstemperatur) kann daher eine
maximale Konzentration von angeregten Minoritätsladungsträgern bestimmt werden. Als
Daumenregel wird für viele gängige Solarzellen ein Wert von 300 mV angegeben, der
von der Bandlückenspannung abgezogen werden muss, um die erreichbare Spannung für
5 Photovoltaische Stromerzeugung 353

eine Halbleitersolarzelle bei Standardtestbedingungen abzuschätzen; das bedeutet, dass


eine sehr gut optimierte Silizium-Solarzelle eine maximale Spannung von etwa 800 mV
aufweisen würde.
Können diese dadurch sich aufbauenden Ladungen nicht über einen Außenkreis abflie-
ßen, laden sich damit die p-Seite positiv und die n-Seite negativ auf; d. h. es entsteht eine
Spannung zwischen dem p- und n-dotierten Material. Dieser Vorgang der lichtinduzier-
ten Ladungsträgertrennung wird als der photovoltaische Effekt bezeichnet. Die Spannung
kann dabei so lange ansteigen, bis die abstoßenden Kräfte der angesammelten Ladungen
dies verhindern; d. h. bis das durch die Ansammlung gebildete elektrische Potenzial dem
Diffusionspotenzial des p-n-Übergangs das Gleichgewicht hält. Damit ist die Leerlauf-
spannung des Bauelements („Solarzelle“) erreicht.
Werden über eine äußere leitende Verbindung p- und n-Seite kurzgeschlossen, fließt
der „Kurzschlussstrom“. In diesem Betriebszustand wird die Diffusionsspannung am
p-n-Übergang, die sich im Leerlaufbetrieb abgebaut hat, wiederhergestellt. Der Kurz-
schlussstrom steigt dabei, wie aus der Funktionsweise der Solarzelle hervorgeht, propor-
tional zur Bestrahlungsstärke.
Zum photovoltaischen Effekt tragen also nur die bei der Lichtabsorption generierten
Minoritätsträger bei, die den p-n-Übergang überqueren. Dies ist bei einer Generation in-
nerhalb der Raumladungszone sehr wahrscheinlich. Im feldfreien Bereich außerhalb der
Raumladungszone steigt jedoch die Wahrscheinlichkeit, dass lichtgenerierte Minoritäts-
träger durch einen Rekombinationsprozess verloren gehen. Dies gilt umso mehr, je weiter
der Generationsprozess von der Raumladungszone entfernt stattfindet und damit je län-
ger die von den Minoritätsträgern zu überwindende Entfernung ist. Quantifiziert wird
dies durch die „Diffusionslänge“ LD der Ladungsträger im Halbleitermaterial. Dies ist
die Weglänge, welche die Minoritätsträger in einem feldfreien Kristall / Halbleitermaterial
aufgrund von Diffusion mit ihrem Diffusionskoeffizienten D im Mittel zurücklegen, bevor
sie nach einer Lebensdauer  rekombinieren. Es gilt Gleichung (5.7).
p
LD D D (5.7)

Die Diffusionslänge LD wird vom Halbleitermaterial bestimmt und ist zusätzlich stark
abhängig vom Fremdstoffgehalt – also auch von der Dotierung (je höher die Dotierung,
desto kleiner ist die Diffusionslänge) – und von der Kristallperfektion. Bei Silizium liegt
sie bei etwa 10 bis zu einigen 100 m. Ist die Diffusionslänge kleiner als der Weg der
Ladungsträger bis zum Rand der Raumladungszone, rekombinieren die meisten Mino-
ritätsträger. Die Zahl der lichtinduzierten Ladungsträger nimmt nach Durchlaufen einer
Strecke von einer Diffusionslänge auf 1/e ab, nach Durchlaufen von zwei Diffusionslän-
gen auf 1/e2 usw. Deshalb sollte die Diffusionslänge ein Mehrfaches der Absorptionstiefe
der auf eine Solarzelle auftreffenden Strahlung sein, um eine effektive Ladungsträgertren-
nung zu erreichen.
354 R. Bründlinger et al.

5.2 Systemtechnische Beschreibung

Roland Bründlinger, Daniel Christ, Hubert Fechner, Martin Kaltschmitt, Jörg Müller, Ger-
hard Peharz und Detlef Schulz

Im Folgenden werden die technischen Grundlagen der photovoltaischen Stromerzeugung


dargestellt. Dazu wird zunächst auf die Solarzelle eingegangen, bevor das Modul disku-
tiert wird und ausgehend davon gesamte photovoltaische Stromerzeugungssysteme ein-
schließlich sämtlicher weiterer Systemelemente dargestellt werden.

5.2.1 Photovoltaikzelle und -modul

Zellenaufbau und Ersatzschaltbild Abb. 5.11 zeigt den grundsätzlichen Aufbau ei-
ner Solarzelle, bestehend aus p-dotiertem Basismaterial (hier können unterschiedliche
p-dotierte Zonen unterschieden werden) und einer dünnen n-dotierten Schicht auf der
Oberseite. Auf die Zellenrückseite wird ganzflächig ein metallischer Kontakt und auf der
beschienenen Seite ein gitterartiges Kontaktsystem, das optimiert ist, um die Abschat-
tungsverluste minimal zu halten, aufgebracht. Alternativ können dazu auch vollflächige,
transparente, leitfähige Schichten genutzt werden. Zur Minimierung von Reflexionsver-
lusten werden auf die Zellenoberfläche zusätzlich Antireflexschichten für den photonen-
reichsten Bereich des solaren Strahlungsspektrums (grün-gelb-rot) aufgebracht.
Das elektrotechnische Verhalten einer derartigen Solarzelle ähnelt dem einer Gleich-
spannungsdiode mit einer parallel geschalteten Stromquelle; das entsprechende verein-
fachte Ersatzschaltbild (Eindiodenmodell) zeigt Abb. 5.12.
Ohne Bestrahlung verhält sich die Solarzelle demnach wie eine normale Halblei-
ter-Gleichrichterdiode. Sie lässt in einer Spannungsrichtung, der „Flussrichtung“, einen
Stromfluss zu und in der Gegenrichtung sperrt sie. Der durch Lichteinstrahlung erzeugte
Photostrom I Ph wird im Ersatzschaltbild in Form einer zur Diode D parallel liegen-
den Stromquelle erfasst; I D ist der Diodenstrom. Der Serienwiderstand RS setzt sich
zusammen aus dem Widerstand der Kontakte und der Zuleitungen sowie dem des Halblei-
termaterials selbst; zur Minimierung dieser Verluste sollten die Zuleitungen deshalb einen

Abb. 5.11 Aufbau einer Solar- Antireflexschicht, Vorderseitenkontakt


zelle aus kristallinem Silizium Lichtfallenstruktur

n-dotiert

p-dotiert Halbleitermaterial

p+ -dotiert
Rückseitenkontakt
5 Photovoltaische Stromerzeugung 355

Abb. 5.12 Vereinfachtes Er-


satzschaltbild einer Solarzelle RS
ID
(Eindiodenmodell; zur Erklä- E
rung der Formelzeichen siehe IPh RP U
D
Text; nach [5.5])

möglichst großen Leitungsquerschnitt aufweisen und der Halbleiter sollte ausreichend


hoch dotiert sein. Der Parallel- oder Shuntwiderstand RP berücksichtigt die „Leckströ-
me“ durch Defekte beispielsweise an den Kanten der Solarzelle; bei guten Solarzellen
liegt der Shuntwiderstand in der Größenordnung von k cm2 und hat keine signifikanten
Auswirkungen auf die Kennlinie.

Kennlinie Eine Solarzelle wird im beleuchteten Zustand als eine Stromquelle mit einer
parallel liegenden p-n-Diode idealisiert. Der Photostrom I Ph ist proportional zu dem auf
die Zelle auftreffenden Photonenfluss. In guter Näherung beschreibt die Diodengleichung
von Shockley [5.2] die Strom-Spannungs-Kennlinie (Gleichung (5.8)) einer Solarzelle.
 e0 U 
I D IP h  I0 e kT  1 (5.8)

Dabei sind I der über die Kontakte fließende Strom, I Ph der Photostrom und U die
Spannung über der Diode. T ist die Temperatur, k die Boltzmann-Konstante (1;3806 
1023 J/K) und e0 die Elementarladung (1;602176634  1019 C).
I 0 ist der Sättigungssperrstrom. Er wird von einer Reihe von physikalischen Größen
bestimmt und ist von elementarer Bedeutung bei der Beschreibung von Solarzellen. So
gehen in I 0 alle Rekombinationsströme der Solarzelle ein und ein hoher Wert für I 0 ist
gleichbedeutend mit hohen Rekombinationsverlusten in einer Photovoltaikzelle. Jedoch
lässt sich selbst in einer perfekten Solarzelle eine Rekombination nicht verhindern; im
idealen Grenzfall ist I 0 nur durch die Bandlücke Eg und die Temperatur bestimmt. Konkret
nimmt I 0 mit steigender Bandlücke exponentiell ab bzw. steigt I 0 mit der dritten Potenz
der Temperatur (I 0
T3 ). Diese Temperaturabhängigkeit des Sättigungssperrstroms I 0
bestimmt auch den Einfluss der Temperatur auf die Kennlinie einer Solarzelle. Für eine
gute Silizium-Solarzelle liegt der Wert für I 0 in der Größenordnung von 1012 A/cm2 .
Der Photostrom I Ph bzw. der Kurzschlussstrom steigt üblicherweise linear mit steigen-
der Bestrahlungsstärke der Solarzelle durch die auftreffende Solarenergie. Unter realen
Betriebsbedingungen gilt in der Regel I L I0 . I L ist der Strom in der Zelle.
In der Gleichung (5.8) ist das Vorzeichen des Stromes I vertauscht gegenüber der
konventionellen Schreibweise („Verbraucher“-Zählpfeilrichtung, verbrauchte Leistung
ist positiv) in die Generator-Zählpfeilrichtung (erzeugte Leistung ist positiv). Dies ist
auf eine in diesem Zusammenhang realisierte Konvention zurückzuführen, damit die
Strom(I)-Spannungs(U)-Kennlinie der Photovoltaikzelle im I. Quadranten dargestellt
werden kann.
356 R. Bründlinger et al.

PMPP
IK I-U-Kennlinie

Stromstärke I in A

Leistung P in W
IMPP

UMPP UL

Spannung U in V

Abb. 5.13 Strom(I)-Spannungs(U)- und Leistungs(P)-Spannungs(U)-Kennlinie einer beispielhaf-


ten Solarzelle (gemäß der photovoltaischen Konvention sind die Kennlinien in den ersten Quadraten
gespiegelt; U L Leerlaufspannung, U MPP Spannung im Punkt maximaler Leistung (MPP, Maximum
Power Point), I K Kurzschlussstrom, I MPP Strom im Punkt maximaler Leistung (MPP, Maximum
Power Point))

Abb. 5.13 zeigt eine derartige Strom(I)-Spannungs(U)-Kennlinie einer Solarzelle. Die


Schnittpunkte der Kennlinie mit den Achsen liefern bei der Spannung U D 0 den Kurz-
schlussstrom I K (er ist in guter Näherung gleich dem Photostrom I Ph ) und bei einem
Strom von I D 0 die Leerlaufspannung U L . Mit zunehmender Spannung geht der Zellen-
strom zunächst nur geringfügig zurück, bis er kurz vor Erreichen der Leerlaufspannung
stark absinkt. Das Produkt aus Strom und Spannung ergibt die Leistung P; deshalb ist in
Abb. 5.13 zusätzlich zur I-U-Kennlinie auch die Leistungs(P)-Spannungs(U)-Kennlinie
dargestellt, mit der die von der Solarzelle generierte Leistung in Abhängigkeit des Span-
nungsabfalls beschrieben wird. Demnach erreicht die Leistung der Solarzelle unter ganz
bestimmten I-U-Betriebsbedingungen ein Maximum (d. h. Punkt maximaler Leistung;
engl. Maximum Power Point (MPP)); konkret wird PMPP bei einer Spannung U MPP und
einem generierten Strom I MPP erreicht (PMPP D UMPP I MPP ).
Das Verhältnis zwischen der maximalen Leistung (Produkt aus dem Strom I MPP und
der Spannung U MPP ) im MPP (Punkt maximaler Leistung; engl. Maximum Power Point
(MPP)) und dem Produkt aus Leerlaufspannung U L und Kurzschlussstrom I K wird als
Füllfaktor FF bezeichnet (Gleichung (5.9)).

IMPP UMPP
FF D (5.9)
IK UL

Dieser Füllfaktor FF wird u. a. durch die elektrischen Widerstände RP (Parallelwider-


stand) und RS (Serienwiderstand) definiert. Das bedeutet, dass hohe Füllfaktoren nur dann
5 Photovoltaische Stromerzeugung 357

erreicht werden, wenn der Serienwiderstand relativ gering und der Parallelwiderstand aus-
reichend hoch ist. Zusätzlich wird der Füllfaktor von I 0 beeinflusst; dabei existiert selbst
bei idealen elektrischen Widerständen (RP D 1  und RS D 0 ) ein materialabhängiges
Limit (primär abhängig von der Bandlücke Eg und der Temperatur T) für Solarzellen. Da-
her können bei einer Temperatur von 300 K bzw. ca. 27 ı C „perfekte“ Siliziumsolarzellen
einen Füllfaktor von maximal etwa 0,85 erreichen, während dieses Limit für GaAs-Zel-
len bei etwa 0,89 liegt. Im Gegensatz dazu können Zellen aus Germanium (Bandlücke
ca. 0,6 eV) im besten Fall nur etwa 0,72 erreichen.
Wird Gleichung (5.8) umgeformt und die Spannung in Abhängigkeit des Stroms dar-
gestellt bzw. angenommen, dass unter realen Betriebsbedingungen IL I0 gilt, erhält
man Gleichung (5.10) für die offene Leerlauf- oder Klemmenspannung U L (d. h. U L D
U.I D 0/). k ist die Boltzmann-Konstante (1;380649  1023 J/K), T die absolute Tempe-
ratur und e0 die Elementarladung (1;602176634  1019 C).
kT IL
UL  ln (5.10)
e0 I0
Demnach nimmt die Spannung logarithmisch mit dem Strom I L zu. Nachdem I L li-
near-proportional mit zunehmender Bestrahlungsstärke ansteigt, nimmt die Leistung einer
Solarzelle überproportional mit der Bestrahlungsstärke zu. Dieser Zusammenhang gilt je-
doch nur für den Fall, dass die Temperatur der Solarzelle konstant bleibt. Mit zunehmender
Temperatur verringert sich jedoch die Bandlücke Eg ; deshalb steigt I 0 mit der dritten Po-
tenz der Temperatur. Dadurch reduziert sich die Leerlaufspannung U L . Daher wird für
die meisten Solarzellen ein linearer Zusammenhang zwischen der Leerlaufspannung U L
und der Zellentemperatur T festgestellt. Man spricht von einem negativen Temperaturko-
effizienten, der für eine Silizium-Solarzelle beispielsweise bei etwa 2,1 mV/K liegt. Der
Kurzschlussstrom nimmt aufgrund des mit zunehmender Temperatur verringerten Band-
abstands und damit einer erhöhten Generationsrate aber nur geringfügig zu (0,01 %/K;
d. h. positiver Temperaturkoeffizient). Der Füllfaktor FF hat üblicherweise ebenfalls einen
negativen Temperaturkoeffizienten. Für Siliziumsolarzellen gilt daher, dass deren Leistung
pro Kelvin Temperaturerhöhung um etwa ein halbes Prozent abnimmt.
Ausgehend davon zeigt Abb. 5.14 den typischen Verlauf einer Strom(I)-Spannungs(U)-
Kennlinie für verschiedene Betriebszustände. Die Schnittpunkte der Kennlinie mit den
Achsen liefern bei U D 0 den Kurzschlussstrom I K (er ist in guter Näherung gleich dem
Photostrom I Ph ) und bei I D 0 die Leerlaufspannung U L . Bei gleicher Zelltemperatur sinkt
die maximale Leistung annähernd linear mit sinkender Einstrahlung und bei konstanter
Einstrahlung geht die maximale Leistung bei steigender Zelltemperatur zurück [5.4, 5.8].

Wirkungsgrad Der photovoltaische Wirkungsgrad


PV ist nach Gleichung (5.11) defi-
niert als das Verhältnis zwischen der an der Zelle abnehmbaren elektrischen Leistung
Pel zu der auf die Oberfläche der Photovoltaikzelle eingestrahlten Globalstrahlungsleis-
tung PG . Er wird durch eine Vielzahl unterschiedlicher Einflussgrößen beeinflusst, die
358 R. Bründlinger et al.

2
1 000 W/m
273 K

Strom bezogen auf Kurzschlussstrom


1,0 1 000 W/m 2
293 K
2
800 W/m
0,8 1 000 W/m 2
273 K
2
Maximum Power Point (MPP) 313 K
0,6 600 W/m
273 K 1 000 W/m 2
323 K
0,4 400 W/m 2
273 K

0,2 200 W/m 2


273 K

0,0
0,0 0,25 0,5 0,75 1,0
Spannung bezogen auf Leerlaufspannung

Abb. 5.14 Einfluss von Strahlung und Temperatur auf die Strom(I)-Spannungs(U)-Kennlinie unter
Standardtestbedingungen (typischer Verlauf für eine Silizium-Solarzelle; nach [5.5])

nachfolgend diskutiert werden. Auch werden derzeit marktgängige Wirkungsgraddefini-


tionen und -größenordnungen dargestellt.
Pel

P V D (5.11)
PG

Einflussfaktoren und Verlustmechanismen Elektronen benötigen für den Übergang vom


Valenz- ins Leitungsband eine materialspezifische Mindestenergie, die durch die Bandlü-
cke Eg gegeben ist (Kapitel 5.1).

 Für Photonen mit geringerer Energie (d. h. einer Energie, die unter dieser Mindest-
energie liegt und damit kleiner ist als die Bandlücke) ist das Material transparent; d. h.
die Photonenenergie reicht nicht aus, um ein Valenzelektron soweit anzuregen, dass es
den Sprung ins Leitungsband schafft. Deshalb können derartige Photonen im Sinne der
Ladungsträgergenerierung in einem dotierten Halbleitermaterial nicht genutzt werden.
 Haben demgegenüber die Photonen eine über die Energielücke Eg hinausgehende Ener-
gie (d. h. sie übersteigen die materialspezifische Mindestenergie), wird trotzdem pro
eingestrahltem Photon nur ein Elektron angeregt; d. h. die die Energielücke Eg überstei-
gende Energie kann üblicherweise nicht genutzt werden (beispielsweise kann durch die
Absorption eines hochenergetischen Photons ein Elektron im Halbleitermaterial relativ
hoch in das Leitungsband angeregt werden; dort gibt das angeregte Elektron jedoch die
über die Bandlücke hinausgehende Energie sehr schnell wieder über Thermalisierung
ab).

Die auf der Erde verfügbare solare Strahlung ist durch eine breite Spektralverteilung
(vgl. Abb. 2.12) gekennzeichnet; d. h. sie enthält Photonen sehr unterschiedlicher Ener-
gie. Die Aufgabe einer Solarzelle besteht nun darin, möglichst viele dieser Photonen zu
5 Photovoltaische Stromerzeugung 359

Abb. 5.15 Theoretische Wir- Si


AM 1,5
45 T = 300 K
kungsgrade für verschiedene InP
einfache Solarzellen (AM Air GaAs
40 CdTe
Mass, siehe Abb. 5.19; Solar- AlSb
zellentemperatur T D 300 K; 35
Ge
das Konzentrationsverhält-
nis C D 1 steht für eine C = 1000

Wirkungsgrad in %
30
Einstrahlungsintensität von Cu2O
1 000 W/m2 und das Konzen- 25
trationsverhältnis C D 1 000 GaP
steht für einen Konzentrati- 20 C=1
onsfaktor von 1 000 bzw. eine CdS
Einstrahlungsintensität von 15

1 000 000 W/m2 ; nach [5.3])


10

0
0 1 2 3
Bandabstand in eV

absorbieren und in elektrische Energie umzuwandeln. Diese Forderung wird umso besser
erfüllt, je kleiner die Bandlücke Eg ist. Da der Photostrom I Ph einer Solarzelle proportional
zur Zahl der pro Zeiteinheit absorbierten Photonen ist, steigt er mit sinkender Bandlücke.
Mit kleiner werdender Bandlücke sinkt jedoch auch die maximal generierbare Spannung
U. Umgekehrt wird damit bei großer Bandlücke zwar die Leerlaufspannung U L hoch,
aber dann wird nur ein geringer Teil des Sonnenspektrums absorbiert; dadurch erreicht
der absorbierte Photostrom I Ph nur geringe Werte.
Für ein gegebenes solares Spektrum (das vom Menschen quasi nicht beeinflussbar
ist) und eine definierte Solarzellentemperatur lässt sich folglich auf Basis fundamen-
taler Absorptions- und Rekombinationsmechanismen ein theoretisches Wirkungsgradli-
mit für unterschiedliche Bandlücken, das sogenannte Shockley-Queisser-Limit, berech-
nen. Abb. 5.15 zeigt dieses theoretische Wirkungsgradlimit für zwei verschiedene solare
Konzentrationsverhältnisse C. Dabei steht C D 1 für eine Einstrahlungsintensität von
1 000 W/m2 ; dies ist ein typischer Wert für die maximale spezifische solare Strahlungs-
leistung zur Mittagszeit an vielversprechenden Standorten auf der Erde. Demnach lassen
sich je nach eingesetztem Material für einfache Solarzellen für ein Konzentrationsverhält-
nis von C D 1 – je nach Halbleitermaterial – theoretisch maximale Wirkungsgrade von
ca. 30 % erreichen.
Diese Solarstrahlung lässt sich aber auch mit Hilfe von Linsen oder Spiegeln bündeln;
dadurch wird die Einstrahlungsintensität und in weiterer Folge die Generationsrate von
Ladungsträgern erhöht. Dabei steht ein Konzentrationsverhältnis von C D 1 000 für eine
1 000-fache Konzentration. In Abb. 5.15 wird deutlich, dass durch diese Erhöhung der Ge-
nerationsrate infolge der Strahlungskonzentration auch das erreichbare Wirkungsgradlimit
erhöht wird; demnach können durch eine 1 000-fache Konzentration der Solarstrahlung
360 R. Bründlinger et al.

die theoretisch maximalen Solarzellenwirkungsgrade – je nach Halbleitermaterial – um


rund 5 bis 7 %-Punkte im Vergleich zur nicht-konzentrierten Strahlung erhöht werden.
Nach Abb. 5.15 liegt das am häufigsten für Solarzellen verwendete Material Silizium
mit seiner Bandlücke Eg von 1,1 eV dabei nahe am optimalen Bereich, der eine Band-
lücke Eg von etwa 1,1 bis 1,4 eV überdeckt. Silizium ist auch deshalb das meistgenutzte,
insgesamt am besten theoretisch verstandene und technologisch beherrschte sowie nahezu
unbegrenzt verfügbare Halbleitermaterial mit nachgewiesener hoher Zuverlässigkeit und
Langzeitstabilität über viele Jahrzehnte.
Kristallines Silizium hat, wie Abb. 5.15 zeigt, einen Bandabstand nahe dem idealen
Halbleiter für Solarzellen. Allerdings ist es ein indirekter Halbleiter mit einem zu längeren
Wellenlängen hin niedrigen Absorptionskoeffizienten. Eine Solarzelle aus einem indirek-
ten Halbleiter muss relativ dick sein; zur Absorption von über 99 % der solaren Strahlung
mit einer Wellenlänge < 1 150 nm müsste planares Silizium eine Dicke von > 1 mm auf-
weisen. Solarzellen mit einer derart hohen Dicke zu bauen macht jedoch keinen Sinn,
denn die Diffusionslänge in Silizium liegt nur bei rund 100 m. Daher bewegt sich die
optimale Schichtdicke für eine Siliziumsolarzelle zwischen 100 und 200 m bzw. lässt
sich mit einer 110 m dicken Siliziumsolarzelle das theoretische Wirkungsgradlimit von
etwa 29,4 % erreichen.
Werden mehrere Solarzellen mit unterschiedlichen Empfindlichkeiten (z. B. vom blau-
en bis hin zum infraroten Licht) aufeinander „gestapelt“, spricht man von einer Mehr-
fachsolarzelle. Das theoretische Wirkungsgradlimit derartiger Mehrfachsolarzellen liegt
deutlich über dem oben gezeigten Shockley-Queisser-Limit. Dazu müssen die Solarzellen
aber aus einem komplexen Schichtstapel bestehen, der sich aus bis zu 40 Einzelschich-
ten zusammensetzen kann. Beispielsweise liegt das theoretische Wirkungsgradlimit einer
Dreifachsolarzelle bei deutlich über 50 %; auch wurden mit derartigen Mehrfachsolarzel-
len schon Wirkungsgrade merklich über 40 % experimentell realisiert.
Bei Mehrfachsolarzellen werden damit Solarzellen mit unterschiedlicher Bandlücke
kombiniert. Eine Zelle mit relativ hoher Bandlücke absorbiert den kurzwelligen Teil des
solaren Spektrums mit vergleichsweise geringen Thermalisierungsverlusten. Solare Strah-
lung mit längerer Wellenlänge wird von weiteren Zellen mit jeweils geringeren Bandlü-
cken absorbiert. Dadurch kann eine effizientere Nutzung des solaren Strahlungsspektrums
erreicht werden; ein deutlich erhöhtes Wirkungsgradlimit im Vergleich zu einer Einfach-
solarzelle ist die Folge. Exemplarisch zeigt Abb. 5.16 den energetisch nutzbaren Anteil
des solaren Spektrums für eine einfache Siliziumzelle und für eine Mehrfachsolarzelle
bestehend aus drei Teilzellen mit unterschiedlicher Bandlücke. Demnach kann durch die
Kombination unterschiedlicher Zellenmaterialien der Wirkungsgrad durch die Nutzbar-
machung weitergehender Teile des Solarspektrums merklich erhöht werden.
Aktuell gibt es nur ein Halbleitermaterial, mit dem höhere Wirkungsgrade erzielt wer-
den als mit Silizium, das nach wie vor das Halbleitermaterial mit der mit Abstand größten
Marktbedeutung ist. Beispielsweise liegt der Rekord für eine einfache Gallium-Arse-
nid(GaAs)-Solarzelle (keine Mehrfachsolarzelle) bei 28,8 %. Gallium-Arsenid(GaAs) ist
ähnlich wie Silizium ein sehr gut untersuchter Halbleiter, der seit Jahrzehnten in der Mi-
5 Photovoltaische Stromerzeugung 361

Spektrale Bestrahlungsstärke
AM 1,5
Spektrale Bestrahlungsstärke
Thermalisierungsverluste
Thermalisierungsverluste
AM 1,5
mit Dreifachsolarzelle

in W/(m2 μm)
in W/(m2 μm)

mit Silizium (1,12 eV) nutzbarer Energiebereich


nutzbarer Energiebereich Ge (0,67 eV)
Ga0,99 In0,01 As (1,44 eV)
Ga0,5 In0,5 P (1,87 eV)
Transmissionsverluste Transmissions-
verluste

Wellenlänge in nm Wellenlänge in nm

Abb. 5.16 Mit einer Siliziumsolarzelle energetisch nutzbarer Bereich des solaren Spektrums (links;
die schraffierten Flächen können aufgrund von Thermalisierungs- bzw. Transmissionsverlusten
nicht genutzt werden) und mit einer Dreifachsolarzelle (Ga0;50 In0;50 P/Ga0;99 In0;01 As/Ge) energe-
tisch nutzbarer Bereich (rechts)

kroelektronik (speziell für sehr schnelle Schaltungen) eingesetzt wird. Dieses Material
lässt sich in nahezu perfekter Qualität herstellen und es liegt mit einer Bandlücke von
1,4 eV ähnlich wie Silizium nahe dem Shockley-Queisser-Limit (Abb. 5.15). Gallium-
Arsenid (GaAs) hat zusätzlich den Vorteil, dass es – im Gegensatz zu Silizium – ein
direkter Halbleiter ist. Hier ist die Absorption von Photonen um Größenordnungen hö-
her; dies ist ein substanzieller Vorteil bei der Realisierung von effizienteren Solarzellen.
Beispielsweise liegt der mit einer Gallium-Arsenid(GaAs)-Laborsolarzelle realisierte Wir-
kungsgradrekord bereits sehr nahe am theoretischen Limit.
Der Wirkungsgrad einer Gallium-Arsenid(GaAs)-Solarzelle lässt sich noch signifikant
weiter steigern, wenn ein weiterer elementarer Verlustmechanismus eliminiert wird. Kon-
kret berücksichtigt das Shockley-Queisser-Limit strahlende Rekombination als nicht-ver-
meidbaren Umkehrprozess zu Absorption. Diese Annahme ist zwar richtig. Jedoch kön-
nen die bei der strahlenden Rekombination ausgesandten Photonen wieder re-absorbiert
werden. Durch den Einsatz von geeigneten photonischen Strukturen an der Oberfläche ei-
ner Gallium-Arsenid(GaAs)-Zelle, welche die Abgabe von Strahlung aus Rekombination
unterbindet und eine Re-Absorption bewirkt, könnte die Abgabe von Energie durch strah-
lende Rekombination weitgehend unterbunden werden. Dies hätte denselben Effekt auf
das Wirkungsgradlimit wie eine Erhöhung der Generationsrate bzw. der Konzentration.
Dadurch ließen sich auch mit einer Gallium-Arsenid(GaAs)-Einfachsolarzelle Wirkungs-
grade über 30 % erzielen.

Maßnahmen zur Wirkungsgradverbesserung Außer durch die bereits genannten Maßnah-


men kann der Wirkungsgrad der Umwandlung des Solarspektrums in elektrische Energie
durch eine Photovoltaikzelle durch die folgenden Maßnahmen verbessert werden.

 Ladungsträger rekombinieren bevorzugt an Störstellen, also an Gitterfehlern des Kris-


talls oder an Verunreinigungen. Daher muss das Ausgangsmaterial eine hohe kristallo-
362 R. Bründlinger et al.

grafische Qualität und Reinheit aufweisen. Die Anforderungen an die Materialqualität


sind dabei aber geringer als jene in der Mikroelektronik. Jedoch spielt dabei die Art
der Verunreinigung eine große Rolle. Verunreinigungen, die Störstellen (Elektronen-
Zustände) in der Mitte der Bandlücke verursachen, sind problematisch; beispielsweise
sind Eisen- oder Gold-Verunreinigungen sehr kritisch für die Lebensdauer von Minori-
tätsladungsträger in Silizium, während z. B. Silber- und Aluminium-Verunreinigungen
die Diffusionslänge in Silizium nicht signifikant beeinflussen.
 Die Diffusionslänge von Minoritätsladungsträgern nimmt mit steigender Dotierung des
Halbleiters ab. Zur Realisierung einer hinreichend starken Bandverbiegung bzw. einer
hohen Energiebarriere ist es ausreichend, wenn nur eine Hälfte des p-n-Übergangs hoch
dotiert ist. Die andere Hälfte kann eine geringe Dotierung aufweisen und damit auch
eine höhere Diffusionslänge für die Minoritätsladungsträger. Die p-n-Architektur von
Solarzellen ist daher häufig so gestaltet, dass nur eine sehr dünne Schicht mit hoher
Dotierung umgesetzt wird, deren primäre Funktion die Realisierung einer möglichst
hohen Energiebarriere für Minoritätsladungsträger ist; diese Schicht wird häufig auch
„Emitter“ genannt. Die Absorption der von der Sonne kommenden Photonen findet
dabei primär in einer Schicht statt, die unter dem Begriff „Basis“ zusammengefasst
wird. Dabei handelt es sich um eine relativ dicke Schicht, die nur gering dotiert ist und
damit eine höhere Diffusionslänge aufweist.
 Der Wirkungsgrad kann auch durch einen alternativen Aufbau zu den oben skizzierten
p-n-Übergängen gesteigert werden. Beispielsweise lassen sich sehr effiziente Solarzel-
len bauen, wenn ein Basismaterial verwendet wird, dass nur sehr schwach bzw. fast
intrinsisch dotiert ist. Darauf werden an der Ober- bzw. Unterseite Schichten eines
anderen Halbleiters (primär amorphes Silizium) mit gegensätzlicher Dotierung aufge-
bracht und sogenannte Hetero-Übergänge realisiert. Dadurch sind heute Wirkungsgra-
de marktgängiger Solarzellen von 20 bis 24 % möglich.
 Das Absorptionsprofil von Strahlung ist in der Regel nicht konstant über das Volumen
des absorbierenden Materials verteilt; d. h. die höchste Absorptionsrate findet üblicher-
weise nahe der bestrahlten Oberfläche statt und mit zunehmender „Tiefe“ im Halb-
leitermaterial werden weniger Ladungsträger durch Photonenabsorption angeregt. Die
Energiebarriere zur Trennung der Minoritätsladungsträger (z. B. p-n-Übergang) sollte
sich möglichst nahe an dem Bereich mit der höchsten Absorptionsrate befinden. La-
dungsträger, deren Anregung in Bereichen stattfindet, deren Distanz zum p-n-Übergang
größer ist als die Diffusionslänge, tragen nicht zum Photostrom bei. Deshalb befindet
sich bei den meisten Solarzellen der p-n-Übergang nahe der bestrahlten Seite. Er kann
sich aber auch an der Rückseite der Solarzelle befinden; dafür muss jedoch das Material
über eine sehr gute Diffusionslänge verfügen.
 Die Oberfläche des Halbleitermaterials stellt eine großflächige Störung des Kristallge-
füges mit einer hohen Rekombinationsrate dar. Diese Störstellen an der Oberfläche, wie
auch solche im eigentlichen Solarzellenvolumen, müssen passiviert werden. Sehr effek-
tive Passivierungen lassen sich mit dielektrischen Schichten realisieren; beispielsweise
passiviert eine Siliziumnitrid(SiN)-Beschichtung die Oberseite des Halbleitermateri-
5 Photovoltaische Stromerzeugung 363

Abb. 5.17 Schematischer Antireflexschicht


bzw. Lichtfallenstruktur
Aufbau einer vereinfachten
IBC-Solarzelle (IBC Interdigi- dielektrische
tated Back Contact) Passivierung

n-dotiert

n+-dotiert

p+-dotiert Elektroden

als der Solarzelle und verhindert dadurch, dass Minoritätsladungsträger dort rekom-
binieren können. Das Problem mit dielektrischen Schichten ist, dass diese elektrisch
nicht leitfähig sind und damit Schwierigkeiten bei der elektrischen Kontaktierung ver-
ursachen. Eine alternative Variante zur Passivierung der Oberflächen ist deshalb die
Erhöhung der Dotierung an der Oberfläche; beispielsweise bewirkt die zusätzliche
p-Dotierung (pC -Dotierung) an der Rückseite die Ausbildung einer Energiebarriere
für Löcher vor dem Rückseitenkontakt. Dadurch wird die Rekombination von Löchern
am Kontakt auf der Rückseite der entsprechenden Zelle reduziert. Diese Barriere wird
häufig „Back-Surface-Field“ genannt.
 Ein Teil der Oberfläche wird von den auf der Vorderseite aufgebrachten Kontaktleiter-
bahnen abgeschattet. Durch die Wahl kleiner Kontaktfinger mit einem möglichst gro-
ßen Abstand voneinander sollten diese Abschattungsverluste möglichst gering gehalten
werden. Dem steht allerdings entgegen, dass der Widerstand der Leiterbahn und der
Übergangswiderstand zwischen der Halbleiterschicht (d. h. der photovoltaisch aktiven
Schicht) und dem Kontaktfinger wegen des geforderten niedrigen Serienwiderstands
niederohmig sein sollten. Zusätzlich sollte der Serienwiderstand der Halbleiterschich-
ten (Schichtwiderstand) zwischen den Kontaktfingern möglichst gering sein.
 Um solche Abschattungsverluste durch die auf der Vorderseite aufgebrachten Kontakt-
leiterbahnen zu vermeiden, können aus Siliziummaterial mit sehr hoher Diffusions-
länge Solarzellen gebaut werden, deren Frontseite vollständig mittels dielektrischen
Schichten passiviert sind. Hier befinden sich die p- und n-dotierten Bereiche bzw. Kon-
takte nur an der Rückseite derartiger Zellen. Dabei handelt es sich um lateral getrennte
p-n-Übergänge; Abb. 5.17 zeigt den vereinfachten Aufbau einer derartigen Zelle. Sol-
che Solarzellen werden „Interdigitated back contact“ (IBC) Solarzellen genannt; hier
treten keine optischen Verluste durch die Kontakte an der Vorderseite auf.
 An der Grenzfläche zum Silizium treten Reflexionsverluste auf. Diese Verluste an
nutzbarer Strahlung lassen sich durch Antireflexschichten minimieren. Dazu werden
auf Zellen aus kristallinem Silizium häufig dünne Schichten aus Siliziumnitrid (SiN)
mittels plasmagestützten Verfahren abgeschieden. Die Dicke dieser dielektrischen An-
tireflexschicht wird dabei so gewählt, dass die Reflexionen im (solaren) Spektralbereich
mit der größten Photonenflussdichte minimiert werden. Zusätzlich wird die Oberfläche
364 R. Bründlinger et al.

Abb. 5.18 Reflexionsspektren 70

für planares Silizium und Si- planes Silizium


60
lizium mit antireflektierender Silizium mit Pyramidentextur
und Antireflexschicht (75 nm SiN)
Oberfläche 50

Refl exi on i n %
40

30

20

10

0
300 450 600 750 900 1050 1200
Wellenlänge in nm

des Siliziums häufig texturiert, um Lichtfallenstrukturen auszubilden; eine derartige ef-


fiziente Lichtfallenstruktur besteht beispielsweise aus Pyramiden, die eine Höhe bzw.
Kantenlänge von wenigen Mikrometern aufweisen. Solare Strahlung, die auf diese Py-
ramiden trifft, wird auf eine benachbarte Pyramidenfläche reflektiert; dadurch wird
insgesamt die Wahrscheinlichkeit der Absorption erhöht. Zur Veranschaulichung zeigt
Abb. 5.18 das Reflexionsspektrum von planarem Silizium und von Silizium mit ei-
ner Pyramidentextur bzw. einer Siliziumnitrid(SiN)-Antireflexschicht. Deutlich wird
die merklich reduzierte Reflexion der auftreffenden Solarstrahlung – und folglich der
damit einhergehenden Verluste.
 Weitere Verluste entstehen beim Transport der Energie aus der Solarzelle; d. h. nach-
dem die Minoritätsladungsträger solarzellenseitig getrennt sind, muss der elektrische
Strom möglichst verlustfrei abgeführt werden. Der Serienwiderstand einer Solarzelle
setzt sich dabei aus der Summe der einzelnen Widerstandsmechanismen zusammen.
Die wichtigsten sind dabei die Leitungswiderstände in den Elektroden, die Kontakt-
widerstände zwischen Elektroden und Halbleiter und die Schichtwiderstände in den
dünnen dotierten Bereichen der Solarzelle. Die Dotierung spielt auch hier eine we-
sentliche Rolle. So steigt die Leitfähigkeit mit steigender Dotierung an; auch lassen
sich auf höher dotierten Halbleitern häufig geringere Kontaktwiderstände erzielen. Ei-
ne hohe Dotierung reduziert jedoch die Lebensdauer der Minoritätsladungsträger. Die
Lösung dieses Zielkonflikts (Höhe der Dotierung) ist ein wesentlicher Schlüssel zur
Realisierung effizienter Solarzellen. Eine Möglichkeit ist eine lokale hohe n-Dotierung
(nC -Dotierung) unter den Kontakten. Diese lokale hohe Dotierung ermöglicht eine Ver-
ringerung des Kontaktwiderstandes (Metall-Halbleiter) – und das ohne den restlichen
n-dotierten Bereich (unnötig) hoch dotieren zu müssen. Dieses Konzept wird häufig
„selektiver Emitter“ genannt.
 Kurzschlussströme zwischen dem Vorderseiten- und dem Rückseitenkontakt müssen
verhindert werden; dies gilt speziell für die Ränder der Solarzellen. Deshalb werden bei
der Herstellung die Ränder häufig mittels Laserschneiden oder Rückätzen behandelt,
um Kurzschlüsse sicher zu vermeiden.
5 Photovoltaische Stromerzeugung 365

 Seit einigen Jahren werden die Rekordwirkungsgrade mit Siliziumsolarzellen mit im-
mer größeren Zellen erzielt. Der Grund dafür ist, dass durch diese Technologie der
Verlustmechanismus der Rekombination von Minoritätsladungsträgern an den Rändern
der Solarzellen reduziert wird. Zellen mit zunehmend größerer Fläche haben relativ
gesehen weniger Randfläche als kleine Zellen und dadurch einen Vorteil aufgrund der
relativ gesehen kleineren diesbezüglichen Verluste. Das erklärt, weshalb eine Silizium-
Solarzelle mit einer industrierelevanten Fläche von 180 cm2 einen Wirkungsgrad von
26,6 % aufweist.
 Der Wirkungsgrad einer Solarzelle kann auch durch eine Konzentration der Sonnen-
strahlung mittels optischer Systeme beispielsweise um den Faktor 10 bis 1 000 (20 bis
500) gesteigert werden (konzentrierende Photovoltaik (CPV) mit 10 bis 1 000-facher
Solarstrahlungserhöhung). Im Umkehrschluss kann dadurch die erforderliche Solarzel-
lenfläche um diesen Faktor reduziert werden. Bei einem geeigneten Halbleitermaterial
und angepassten Strukturen erhöht sich der Wirkungsgrad der Solarzelle mit zunehmen-
der Bestrahlungsstärke, sofern die Zellentemperatur nicht zu stark ansteigt; d. h. unter
ökonomischen Gesichtspunkten können dann für derartige Strahlungs-konzentrierende
Systeme aufwändigere Solarzellentechnologien (z. B. Tandem- und Triple-Zellen) ein-
gesetzt werden (und trotzdem kostengünstig Strom erzeugt werden). Die Solarstrahlung
kann dabei z. B. mit Spiegel- oder Fresnel-Linsensystemen konzentriert werden. Mit
wachsendem Konzentrationsfaktor müssen derartige Konzentrator-Systeme der Sonne
aber zunehmend genauer nachgeführt werden. Dies erfordert einen erhöhten Aufwand
für eine entsprechende mechanische Aufständerung und die benötigten Nachführungs-
einrichtungen. Da solche Systeme zur Strahlungskonzentration nur die direkte Strahlung
einfangen können, eignen sie sich z. B. in Nordeuropa wegen der hier im Jahresmittel
überwiegend vorhandenen Diffusstrahlung (Abb. Abb. 2.14) kaum. Generell muss bei
derartigen Systemen ein techno-ökonomischer Kompromiss zwischen den Mehrkos-
ten einer Strahlungskonzentration (einschließlich einer zweiachsigen Nachführung)
einerseits und einer reduzierten Solarzellenfläche (bei dann aber typischerweise hoch-
effizienten (und damit teuren) Solarzellen) andererseits gefunden werden.

Wirkungsgraddefinitionen und -größenordnungen Der Wirkungsgrad von Solarzellen


nach Gleichung (5.11) wird in der Regel für klar festgelegte, genormte Messbedingungen
angegeben, da er u. a. von der spektralen Lichtzusammensetzung (die sich in Abhängig-
keit von dem Einstrahlungswinkel und der Luft- bzw. Atmosphärenzusammensetzung
verändert), der Zellentemperatur und der auf die Zelle auftreffenden Strahlungsintensität
abhängt. Dies sind im Regelfall die sogenannten „Standardtestbedingungen“ („Standard
Test Conditions“ (STC)), die wie folgt definiert sind.

 Einstrahlung 1 000 W/m2


 Solarzellentemperatur 25 ı C
 Spektralverteilung des Messlichtes nach AM D 1;5 (Abb. 5.19). AM bedeutet Air Mass
(engl.) und bezieht sich auf die effektive von der extraterrestrischen Solarstrahlung
366 R. Bründlinger et al.

Sonnenhöhe zur Mittagszeit


in Hannover / Deutschland
22.12. 22.06.

Sonnenwinkel über
14,2° 30° 41,8° 61,1° 90° dem Horizont
Atmosphären-

AM 1
höhe H

Erdoberfläche Beobachtungs-
punkt

Abb. 5.19 Definition der Air Mass (AM)

durchwanderten Atmosphärendicke, in der die solare Strahlungscharakteristik verän-


dert / geschwächt wird (Kapitel 2.2). Die Angabe AM D 1;5 beschreibt damit eine
effektive Atmosphärendicke vom 1,5-fachen des senkrechten Lichtdurchtritts (d. h. der
einfachen Atmosphärendicke). Dadurch ist – infolge der Veränderung der Spektral-
verteilung der Sonnenstrahlung auf dem Weg durch die Atmosphäre – das auf die
Zelle auftreffende Solarspektrum eindeutig definiert. Dieses AM 1,5-Spektrum ist ge-
normt; d. h. das Messlicht für die Solarzellen- bzw. Modulkalibrierung entspricht die-
sem Spektrum.

Die unter diesen definierten Standardtestbedingungen (STC) von der Solarzelle abge-
gebene Leistung nennt man die Spitzen- oder Peak-Leistung.
Standardtestbedingungen (STC) treten in der Praxis nur äußerst selten auf. Wenn ei-
ne Einstrahlung von beispielsweise 1 000 W/m2 vorliegt, erwärmen sich die Module je
nach Einbauart und Standort um 20 bis 50 K (und ggf. mehr). Bei Photovoltaikmodulen
wird daher neben dem STC-Wirkungsgrad (bzw. der STC-Leistung) in der Regel auch die
Leistung unter nominellen Bedingungen (NOCT) angegeben. Diese beziehen sich übli-
cherweise auf eine Einstrahlung von 800 W/m2 und eine Zelltemperatur von etwa 60 ı C.
Die Beurteilung der Leistungsabgabe eines Moduls unter den standorttypischen meteoro-
logischen Bedingungen ist zudem mit dem sogenannten Nutzungsgrad möglich. Dabei
werden die tatsächlich auftretenden Modultemperaturen, Einstrahlungen und Spektren
entsprechend ihrer Häufigkeit mit den produktspezifischen Parametern der Wirkungsgrad-
abhängigkeit von Temperatur, Einstrahlung und ggf. auch Spektrum gewichtet. Für den
Anlagenbetreiber ist letztlich dieser Nutzungsgrad relevant, da er den konkreten Ertrag
einer Solaranlage über einen längeren Zeitraum bestimmt.
Der Wirkungsgrad unter Standardtestbedingungen heute marktgängiger industrieller
Solarzellen liegt aktuell typischerweise zwischen 17 und 20 %; dies ist u. a. abhängig vom
5 Photovoltaische Stromerzeugung 367

Tabelle 5.1 Wirkungsgrade von Solarzellen; berücksichtigt sind nur Zellen mit einer Fläche größer
als 1 cm2 die von einem unabhängigen Kalibrierlabor gemessen wurden; Stand Ende 2018
Material Typ Wirkungsgrad Stand der Technik
Labor erreicht
in % im Jahr
Mono-Silizium, beidseitige Kontakte Einkristallin 25,7 2017 Industrielle Produktion
Poly-Silizium, beidseitige Kontakte Polykristallin 22,3 2017 Industrielle Produktion
Mono-Silizium, HIT bzw. IBC Einkristallin 26,7 2017 Industrielle Produktion
Silizium-Konzentratorzelle (IBC) Einkristallin 27,6 2004 Kleinserienproduktionf
Amorphes Silizium, einfach Dünnschicht 10,2 2014 Industrielle Produktionf
Tandem 2-Schicht, a-Si/c-Si Dünnschicht 11,9 2017 Industrielle Produktionf
GaAsa , beidseitige Kontakte Dünnschicht 28,8 2012 Laborproduktion
III-V Mehrfachsolarzelle Fünffachzelle 38,8 2013 Industrielle Produktiong
III-V Mehrfachsolarzelle Vierfachzelle 46,0 2014 Industrielle Produktiong
(Konzentrator)
CdTec Dünnschicht 21,0 2014 Industrielle Produktion
CIGSd Dünnschicht 21,7 2017 Industrielle Produktion
CZTSe Dünnschicht 10,0 2017 Laborproduktion
Organische Solarzelle Dünnschicht 11,2 2015 Kleinserienproduktion
Perovskit Dünnschicht 19,7h 2016 Laborproduktion
a
Gallium Arsenid; b GaInP / GaAs; c Cadmium Tellurid; d Kupfer Indium Gallium Diselenid bzw.
Sulfid; e Kupfer Zink Zinn Sulfid bzw. Selenid; f aktuell keine signifikanten Aktivitäten (mehr) zur
kommerziellen Produktion; g kommerziell produziert werden aktuell primär III-V Dreifachsolarzel-
len; h nicht stabil.

eingesetzten Siliziummaterial und von der Zellenarchitektur. Dieser heutige technische


Stand der Solarzellenentwicklung – im Labor und in der Fertigung – ist in Tabelle 5.1
zusammengefasst. Deutlich wird, dass die derzeit erreichbaren Wirkungsgrade je nach
Technologie bzw. Solarzellenkonzept z. T. erheblich schwanken können.

Bauarten Nachfolgend werden ausgewählte Bauarten von Photovoltaikzellen diskutiert.


Der Schwerpunkt der Ausführungen liegt dabei auf heute marktgängigen Zellentypen.

Solarzellen aus kristallinem Silizium Photovoltaikzellen auf der Basis kristallinen Silizi-
ums (vgl. [5.1, 5.6, 5.10]) werden in drei Schritten hergestellt:

 Produktion hochreinen Siliziums als Ausgangsmaterial,


 Fertigung von Scheiben bzw. Dünnschichten und
 Solarzellenproduktion.

Ausgangsmaterial für die Herstellung von hochreinem Silizium ist Quarzsand (SiO2 ).
Mit Hilfe eines Reduktionsverfahrens (Schmelzelektrolyse) wird daraus „metallurgisches
368 R. Bründlinger et al.

Silizium“ gewonnen, das eine Reinheit von bis zu 99 % aufweist; diese Reinheit reicht für
die Solarzellenherstellung aber nicht aus.
Für die Herstellung von Silizium für die Halbleiter- bzw. die Photovoltaikindustrie
sind deshalb weitere aufwändige Reinigungsschritte erforderlich; der Fremdstoffanteil in
Halbleiter-Silizium (Semiconductor-Grade Silizium: SeG-Si) muss unter 109 cm3 lie-
gen. Die dafür notwendige weitere Reinigung des Siliziums erfolgt beispielsweise mit
dem „Siemens-Prozess“, der mit der Umwandlung von metallurgischem Silizium mit Hil-
fe von HCl (Salzsäure) vorwiegend in Trichlorsilan beginnt. Dieses Trichlorsilan wird
anschließend einer fraktionierten Destillation unterzogen und kann dadurch mit einer
extremen Reinheit gewonnen werden. In einem Pyrolyseprozess, der in einer Wasserstoff-
atmosphäre bei hoher Temperatur und hohem Druck (bis zu 6 bar) abläuft und der speziell
für die Herstellung von Photovoltaik-Silizium entwickelt wurde, zerfällt das Trichlorsilan
dann an elektrisch beheizten Reinstsiliziumstäben in elementares polykristallines Silizi-
um und Salzsäure (HCl); letztere kann dann in den Prozess der Trichlorsilan-Herstellung
zurückgeführt werden. Dieses „Poly-Silizium“ erfüllt die Spezifikation „SeG-Si“ (Semi-
conductor-Grade Silizium); es weist Korngrößen im m-Bereich auf.
Das dadurch produzierte hochreine Poly-Silizium dient als Ausgangsmaterial für die
Herstellung von Silizium-Einkristallen. Im hierfür eingesetzten Standard-Verfahren, dem
Czochralski(CZ)-Prozess, wird das Poly-Silizium unter Schutzgas in einem Tiegel ein-
geschmolzen (Abb. 5.20). In diese Siliziumschmelze wird dann ein einkristalliner Sili-
ziumkeim eingetaucht. Von dort wird er unter kontrollierten Temperaturgradienten und
langsamem Tordieren von Keim und Schmelze gegeneinander zunächst langsam – mit
dem Ziel eines seitlichen Wachstums bis zum gewünschten Durchmesser – und dann un-
ter Beibehaltung dieses Durchmessers etwas schneller aus der Schmelze herausgezogen.
Dadurch erhält man runde monokristalline Siliziumstäbe mit ca. 150, 200 und 300 mm
Durchmesser. Diese Stäbe werden zunächst auf die gewünschten Durchmesser geschlif-
fen und mit Hilfe von speziellen Drahtsägen gleichzeitig in viele dünne (200 bis 300 m)
monokristalline Siliziumscheiben gesägt. Diese werden anschließend geläppt und poliert.
Der Photovoltaikindustrie dienen diese Scheiben zur Herstellung jeweils einer mono-
kristallinen Siliziumsolarzelle. Dafür werden die runden Scheiben zusätzlich noch be-
schnitten, um quadratische Platten mit – zur Minimierung des Materialverlustes – abge-
schrägten / abgerundeten Ecken zu erhalten (Pseudo-Rechteck-Form). Dadurch geht zwar
trotzdem Material verloren; durch die daraus resultierende bessere Flächenbedeckung
lassen sich aber insgesamt höhere Modulwirkungsgrade erzielen, da die Modulfläche ins-
gesamt besser mit aktivem Material bedeckt werden kann.
Für Solarzellen mit Rekordwirkungsgraden von über 26 % sind Siliziumscheiben aus
dem Czochralski(CZ)-Prozess qualitativ nicht hinreichend; sie weisen noch zu viele Ver-
unreinigungen auf. Dafür werden Einkristalle benötigt, die noch mehrfach einem Zo-
nenschmelzverfahren unterzogen wurden. Dabei wird der Kristall freitragend in einer zu
durchlaufenden Wärmezone induktiv aufgeschmolzen und wieder zum Einkristall erstarrt.
Durch den verminderten Einbau von Verunreinigungen der Schmelze in den Kristall er-
höht sich seine Reinheit mit jedem Durchlauf dieser Wärmezone. Dieses Verfahren erhöht
5 Photovoltaische Stromerzeugung 369

(1) p-dotierte Siliziumscheibe wird optisch auf (2) In einem nasschemischen Ätzprozess wird ein
Beschädigungen inspiziert. Teil der Siliziumoberfläche abgetragen und die
Oberfläche texturiert (Lichtfallenstruktur).

(3) Mittels Phosphordiffusion wird die Oberfläche n- (4) Das Phosphorglas an der Oberfläche wird
dotiert; dabei entsteht üblicherweise an der Oberfläche nasschemisch entfernt.
auch Phosphorglas.

(5) Die Ränder der Zelle werden in einem (6) In einem Plasmaabscheideprozess wird eine
Plasmaätzschritt isoliert bzw. die dotierte Schicht am Antireflexschicht auf eine Seite der Siliziumscheibe
Rand entfernt. aufgetragen.

(7) Mittels Siebdruck werden Elektroden auf die Zelle (8) In einem Ausheizprozess werden die gedruckten
gedruckt; dabei wird auf die Vorderseite ein Gitter aus Elektroden teilweise in die Oberfläche der Zelle
Silberbahnen und auf die Rückseite vollflächig eine einlegiert. An der Vorderseite werden die
Aluminiumpaste aufgebracht. Silberkontakte durch die Antireflexschicht
„gefeuert“. An der Rückseite bildet sich durch
Eindiffusion von Aluminium eine hoch p-dotierte
Rückseite aus, die eine Oberflächen-passivierende
Wirkung auf Löcher im p-Halbleiter hat (Back-
Surface-Field).

Abb. 5.20 Prozessschritte zur Herstellung einer industriellen Siliziumsolarzelle nach dem Sieb-
druckverfahren
370 R. Bründlinger et al.

aber die Materialkosten erheblich; dies spiegelt sich auch im Preis der entsprechenden
Siliziumsolarzellen wider.
Neben monokristallinen Scheiben verwendet die Photovoltaikindustrie mit gutem Er-
folg auch „multikristalline“ Halbleiterplatten. Statt der dargestellten Einkristallzucht wird
das aufgeschmolzene Polysilizium in Kokillen gegossen. Hier erstarrt es durch die Abfuhr
der Wärme, die nur über den Boden dieses Gefäßes realisiert wird, langsam und gerich-
tet. Dadurch entstehen multikristalline Blöcke mit ausschließlich vertikal verlaufenden
Korngrenzen und Kornquerschnitten im mm- bis cm-Bereich. Daraus werden quadrati-
sche multikristalline Platten gesägt. Dem Kostenvorteil durch diese im Vergleich zu den
monokristallinen Scheiben kostengünstigere Herstellung und bessere Materialausnutzung
durch die rechteckige Form steht ein um 2 bis 4 % geringerer Wirkungsgrad gegenüber;
die zahlreichen Korngrenzen des multikristallinen Materials stellen Rekombinationszen-
tren dar, die trotz Passivierung die Diffusionslänge der Minoritätsträger herabsetzen und
den erreichbaren Wirkungsgrad limitieren. In den vergangenen Jahren konnte der Abkühl-
prozess bei der Herstellung von multikristallinem Material aber soweit optimiert werden,
dass teilweise sehr große monokristalline Bereiche (> 10 cm) entstehen. Dieses Materi-
al wird häufig als quasi-mono charakterisiert, da einzelne Blöcke Materialeigenschaften
aufweisen, die weitgehend vergleichbar mit monokristallinem Material sind.
Seit etwa Mitte der 1960er Jahre gibt es Bestrebungen, Siliziumscheiben für die Pho-
tovoltaik unter Umgehung der Einkristallzucht bzw. des Blockgießens und des nachträgli-
chen Sägens direkt in Form von Bändern oder gegossenen bzw. gesinterten Platten herzu-
stellen. Im Zuge dieser Entwicklungen sind mehr als 20 verschiedene Bandzieh- bzw. Fo-
liengießverfahren entwickelt worden. Praktische Anwendung zur Solarzellenproduktion
erreichte in den Jahren vor 2010 nur das Verfahren des „Edge-defined Film-fed Growth“
(EFG-ribbon). Dieser Prozess liefert zunächst achteckige Siliziumrohre, die dann mit La-
sern in Bänder und Platten zerschnitten werden. Solarzellen aus diesem Bandmaterial
erreichen Wirkungsgrade von ca. 15 %. Ein wesentliches Problem bei allen derartigen Rib-
bon-Verfahren ist und war die mangelnde Planarität und Materialqualität der hergestellten
Siliziumscheiben. Aktuell wird deshalb an der industriellen Umsetzung weiterer Alter-
nativen zur Herstellung von hochqualitativen Siliziumscheiben gearbeitet. Beispielsweise
kann mit Chlorsilan eine beliebig dicke Siliziumschicht auf einem Wachstumssubstrat
(z. B. wiederverwendbare Siliziumscheibe) mithilfe eines Epitaxieprozesses abgeschie-
den werden. Diese aufgewachsene Siliziumschicht lässt sich danach auch ablösen, wenn
zuvor eine geeignete Ablöseschicht aufgebracht wurde.
Die Herstellung der eigentlichen Solarzelle aus einer derartigen Siliziumscheibe er-
fordert in ihrer einfachsten Variante nur wenige Prozessschritte (Abb. 5.20). Ausgangs-
material sind durch die Art ihrer Herstellung häufig schon p-dotierte (poly- oder einkris-
talline) Scheiben. Zunächst wird die Siliziumscheibe auf Beschädigungen inspiziert und
deren Oberfläche durch chemisches Ätzen gereinigt bzw. wird beim Ätzen die Oberflä-
che texturiert und es werden Lichtfallenstrukturen eingebracht. Anschließend wird der
p-n-Übergang durch eine ganzflächige Diffusion von Phosphor realisiert. Dabei wird die
p-Grunddotierung der Siliziumscheibe durch die eindiffundierenden Phosphoratome bis
5 Photovoltaische Stromerzeugung 371

zu einer Tiefe von 0,2 bis 0,5 m überkompensiert. Diese n-Dotierung wird anschließend
an den Rändern der Scheibe durch Plasmaätzen und das bei der Diffusion von Phosphor
in einer Sauerstoffatmosphäre auf der Oberfläche der Siliziumscheibe gewachsene Phos-
phorglas nasschemisch entfernt.
In einem plasmagestützten Verfahren wird eine Antireflexschicht bestehend aus Sili-
ziumnitrid auf einer Seite der Siliziumscheibe abgeschieden, die später die Vorderseite
definiert. Danach werden in einem Siebdruckprozess metallhaltige Pasten auf die Zell-
oberflächen gedruckt und dadurch die Elektroden definiert; d. h. auf der Rückseite wird
vollflächig eine Aluminiumschicht aufgebracht und auf der Vorderseite werden Kontakt-
finger aus Silber gedruckt. Der anschließende Sinterschritt (kurzzeitig bis zu 900 ı C) sorgt
auf der Rückseite dafür, dass die Aluminiumatome in das Silizium eindiffundieren und die
unerwünschte n-Dotierung der Rückseite überkompensieren (Aluminium ist als Element
der III Hauptgruppe des Periodensystems ein Donor für Silizium). Dadurch wird das Sili-
zium unter dem Aluminium stark p-dotiert. In der Konsequenz werden auf der Rückseite
die Löcher passiviert; dies wirkt sich günstig auf die effektive Diffusionslänge der Löcher
im p-dotierten Bereich der Solarzelle aus (man spricht hier auch von einem Aluminium
Back-Surface-Field). An der Vorderseite wird das Silber bei diesem Sinterschritt durch
die Antireflexschicht „gefeuert“ und formiert einen Kontakt zum n-dotierten Bereich. Ab-
schließend wird ihre Kennlinie und ihr Wirkungsgrad vermessen.
Dieses skizzierte Verfahren entspricht im Wesentlichen dem aktuellen Standardprozess
für die Herstellung industrieller Siliziumsolarzellen, das seit Jahrzehnten verwendet wird
und auch heute noch sehr weit verbreitet ist. In den letzten Jahren haben sich im Rahmen
der signifikanten Marktausweitung und des damit einhergehenden Preisverfalls einige Dif-
ferenzierungen entwickelt. Beispielsweise wird mittlerweile ein Laserschreibprozess zur
Kantenisolation realisiert, der üblicherweise nach dem Sintern der Kontakte angewandt
wird. Auch findet man zunehmend mehr Anbieter von n-Type-Zellen, die im Wesentli-
chen weitgehend vergleichbar hergestellt werden wie die oben beschriebenen Zellen mit
p-dotiertem Basismaterial. Dabei wird von einem schwach n-dotierten Grundmaterial aus-
gegangen und die Materialoberfläche p-dotiert. Der Vorteil von n-Type-Zellen ist, dass die
Lebensdauer des n-dotierten Materials höher ist als des p-dotierten Materials und deshalb
etwas höhere Wirkungsgrade erreicht werden. Technologisch gesehen gibt es keine prin-
zipiellen Nachteile von n-Type-Zellen; aber diese Zellen sind aktuell noch teurer, da die
Wertschöpfungsketten, die sich in den letzten Jahrzehnten für Siliziumsolarzellen etabliert
haben, nach wie vor stark von p-dotiertem Basismaterial geprägt sind.
Auch werden zunehmend mehr Zellen hergestellt, die keine vollflächige Rückelektrode
mehr aufweisen, sondern – analog wie an der Frontseite – eine Fingerstruktur. Derarti-
ge Zellen können elektrische Energie unabhängig von der Bestrahlungsrichtung (Vorder-
oder Rückseite) generieren; deshalb werden solche Zellen als „bifacial“ bezeichnet. Damit
können bifaciale Zellen zusätzlich Strahlung nutzen, die als Streulicht auf die Rückseite
fällt. Dadurch erhöht sich zwar nicht der eigentliche Wirkungsgrad des Halbleitermate-
rials; trotzdem kann durch die „Doppelbestrahlung“ signifikant (> 10 %) mehr Energie
generiert werden.
372 R. Bründlinger et al.

Gedruckte Elektroden sind relativ günstig und Siebdruck ist einer der kostengüns-
tigsten Druckprozesse, die heute bekannt sind. Jedoch ist es schwierig, mit gedruckten
Elektroden günstige Aspektverhältnisse zu erreichen (unter dem Aspektverhältnis versteht
man das Verhältnis aus der Tiefe bzw. Höhe einer Struktur zu ihrer (kleinsten) lateralen
Ausdehnung; je größer das Aspektverhältnis und je kleiner die absolute Größe einer Struk-
tur ist, desto schwieriger ist i. Allg. eine industrielle Fertigung). Speziell an der Vorderseite
einer Photovoltaikzelle sollten die Kontakte möglichst dick und verhältnismäßig schmal
sein, um einen relativ hohen Querschnitt bei geringer Abschattung zu ermöglichen. Der
marktübliche Siebdruck erlaubt aber typischerweise ein Verhältnis von Dicke zu Breite
eines Kontaktfingers von < 10; dies ist aus Sicht des Anwendungsfalls „Photovoltaik“ re-
lativ ungünstig. Daher wird z. T. zusätzlich ein Galvanikprozess realisiert, bei dem die
gedruckten Kontakte nachträglich „verstärkt“ werden. Dabei wird üblicherweise kein ex-
terner Strom angelegt, sondern die Zellen werden in einem Galvanikbad beleuchtet; d. h.
die benötigte galvanische Spannung bzw. der Strom wird von den Zellen selbst produ-
ziert. Derartige galvanisch verstärkte Kontaktfinger können ein Aspektverhältnis von 1
aufweisen; dadurch lassen sich sowohl die optischen Verluste (Abschattung) als auch die
Serienwiderstandsverluste reduzieren.
Bei der industriellen Produktion von derartigen Solarzellen muss ein Kompromiss zwi-
schen einer möglichst einfachen und damit kostengünstigen Prozessführung und einem
maximierten Wirkungsgrad gesucht werden. Aktuell liegen die Wirkungsgrade industriell
produzierter Silizium-Solarzellen mit gedruckten Kontakten zwischen 17 und 20 %; dabei
wird der Wirkungsgrad aber primär definiert durch das verwendete Basismaterial (mono-
oder multikristallines Silizium). Auch sind seit einigen Jahren industriell produzierte So-
larzellen mit Wirkungsgraden von z. T. deutlich über 20 % erhältlich. Für die Herstellung
dieser Zellen werden etwas aufwändigere Herstellungstechnologien eingesetzt, um kom-
plexere Solarzellenarchitekturen realisieren zu können.
Eine seit Jahrzehnten bekannte hocheffiziente Solarzellenarchitektur stellt die PERL-
Zelle dar (Abb. 5.21); PERL steht für „Passivated Emitter with Rear Locally Diffused“.
Bei einer derartigen PERL-Zelle sind sowohl die Vorder- als auch die Rückseite mit ei-
ner sehr effizienten dielektrischen Passivierung versehen (z. B. SiO2 ). Diese Passivierung
hat lokale Öffnungen; d. h. dort, wo das Halbleitermaterial lokal sehr hoch dotiert ist,
wird ein „lokales Back-Surface-Field“ realisiert. Zusätzlich wird der Halbleiter unter den
Frontkontakten hoch dotiert, um auch hier eine lokale Passivierung zu erzielen bzw. den
Kontaktwiderstand zu verbessern.
Eine PERL-Zelle ist ein Vertreter der Klasse der Solarzellen mit PERC-Architektur.
PERC steht für „Passivated Emitter and Rear Contact“. Der wesentliche Unterschied zu
der bisher am weitesten verbreiteten Siliziumzellen-Technologie (siehe oben) ist dabei die
Passivierung der Rückseite – die Vorderseite ist auch bei einer klassischen Siliziumzelle
bereits gut über die Siliziumnitridschicht passiviert. Konkret wird bei einer PERC-Zelle
die Rückseite nicht mit einem Aluminium Back Surface Field passiviert, sondern ähnlich
wie bei einer PERL-Zelle mit einer dielektrischen Passivierung versehen. Dabei werden
üblicherweise zusätzlich zu der in Abb. 5.22 skizzierten Prozessabfolge zwei weitere Pro-
5 Photovoltaische Stromerzeugung 373

Abb. 5.21 Aufbau einer Metallkontaktierung


PERL-Solarzelle (nC hoch
dotiert, nCC sehr hoch dotiert; Emitter
nach [5.12])

n++ n+

SiO2

p-Basis

Aluminium
Local Back Surface Field (LBSF)

Abb. 5.22 Aufbau einer HIT- Kontaktfinger


Solarzelle

Elektrode n

ultra-dünne amorphe dünner monokristalliner


Siliziumschicht Siliziumwafer

zessschritte benötigt. Dies ist die Aufbringung einer dielektrischen Passivierung auf der
Rückseite und das lokale Öffnen dieser Passivierung (üblicherweise mittels Laser). PERC-
Zellen lassen sich inzwischen wirtschaftlich herstellen; zunehmend sind mehr derartige
Zellen mit Wirkungsgraden über 20 % am Markt verfügbar.
Ein weiteres Solarzellenkonzept basiert auf der sogenannten HIT-Struktur (Hetero-
junction with Intrinsic Thin Layer). Bei einer HIT-Zelle (Abb. 5.22) wird üblicherwei-
se sehr gering dotiertes (fast intrinsisch) kristallines Silizium verwendet, das eine sehr
hohe Diffusionslänge für Minoritätsladungsträger aufweist. Auf dieses kristalline Silizi-
um werden dünne Schichten von amorphen Silizium abgeschieden; d. h. auf eine Sei-
te wird n-dotiertes amorphes Silizium aufgebracht und auf die gegenüberliegende Seite
p-dotiertes amorphes Silizium. Zwischen dem kristallinen Silizium und dem dotierten
amorphen Silizium muss eine weitere sehr dünne Schicht aus intrinsisch dotiertem Si-
lizium aufgebracht werden. Die HIT-Architektur ermöglicht es, dass der größte Teil der
Strahlung in einem Bereich absorbiert wird, in dem Minoritätsladungsträger eine ausge-
zeichnete Diffusionslänge aufweisen. Durch den Heteroübergang an den Oberflächen der
Zelle wird zusätzlich eine sehr gute Potenzialbarriere realisiert, die nur in eine Richtung
374 R. Bründlinger et al.

für eine Art von Ladungsträger durchlässig ist bzw. für die jeweils andere Ladungsträger-
art wie eine Oberflächenpassivierung wirkt.
Auf die amorphe Siliziumschicht wird eine transparente leitfähige Elektrode aufge-
bracht (üblicherweise Indium-Zinn-Oxid oder Aluminium-Zinn-Oxid). Diese transparente
leitfähige Elektrode wird schließlich mit Kontaktfingern verstärkt. Industriell produzierte
HIT-Zellen erreichen Wirkungsgrade von über 20 % und weisen zusätzlich einen kleinen
Vorteil durch einen relativ geringen Temperaturkoeffizienten auf.
Seit wenigen Jahren werden sehr vielversprechende Ergebnisse mit einem Konzept
realisiert, das auf selektiven Tunnelkontakten basiert. Dabei befindet sich eine wenige
Nanometer-dicke dielektrische Schicht (z. B. SiO2 ) zwischen der Basis und dem Back Sur-
face Field. Diese dünne dielektrische Schicht verbessert die Passivierungseigenschaften
des Back Surface Fields deutlich. Sie ist aber so dünn, dass Ladungsträger die Barrie-
re überwinden können (quantenmechanischer Effekt); d. h. diese Kontakte weisen eine
sehr hohe Selektivität auf und sind durchlässig für Majoritätsladungsträger (Stromfluss),
aber gleichzeitig eine sehr effiziente Barriere für Minoritätsladungsträger. Das bisher be-
kannteste Konzept für selektive Tunnelkontakte wird TOPCon genannt und die derzeit
effizientesten Siliziumsolarzellen (sowohl mono- als auch multikristallin) mit beidseiti-
gen Kontakten wurden mithilfe des TOPCon Konzepts realisiert.

Dünnschichtsolarzellen aus amorphem Silizium (a-Si:H) Das in der HIT-Zelle verwen-


dete wasserstoffpassivierte amorphe Silizium (a-Si:H) galt bis Mitte der 1970er bis späten
1990er Jahre als hoffnungsvolles Basismaterial für die Photovoltaik. Es wird bei Tempe-
raturen zwischen 80 und 250 ı C durch Zersetzung von Silan (SiH4 ) in einer plasmaunter-
stützten chemischen Gasphasendeposition (PECVD) niedergeschlagen. Da sich amorphes
Silizium wie ein direkter Halbleiter mit einem „Bandabstand“ um 1,6 eV verhält, ist eine
Materialdicke von weniger als 1 m zur Strahlungsabsorption ausreichend. Dieser sehr
geringe Materialeinsatz und die niedrige Abscheidetemperatur reduzieren die Material-
kosten und den Energieeinsatz zur Herstellung einer Solarzelle signifikant. Allerdings darf
zur Absättigung der freien Siliziumbindungen durch Wasserstoff, die für eine ausreichend
hohe Leitfähigkeit und Photoempfindlichkeit erforderlich ist, die Schicht nur sehr langsam
mit wenigen nm/min abgeschieden werden, so dass der Abscheideprozess trotz der sehr
dünnen Schichten sehr langwierig und damit kostenintensiv ist.
Eine a-Si:H-Solarzelle unterscheidet sich in ihrem strukturellen Aufbau nicht wesent-
lich von einer kristallinen Siliziumzelle. Statt eines p-n-Überganges wird üblicherweise
eine „pin-Struktur“ verwendet; d. h. der Großteil der photovoltaisch aktiven Schicht mit
einer Dicke von einigen 100 nm besteht aus undotiertem (intrinsischen), wasserstoffpas-
siviertem, amorphem Silizium. Diese aktive Schicht ist eingebettet zwischen jeweils nur
wenige 10 nm dünnen p- bzw. n-dotierten Schichten. Bis Ende der 1990er Jahre ging man
davon aus, dass in einer pin-Struktur die Ladungsträgertrennung effizienter funktionie-
re als in einem p-n-Übergang; die Lehrmeinung war, dass die Ladungsträger durch ein
elektrisches Feld getrieben werden, das sich über das gesamte Absorbergebiet erstreckt.
5 Photovoltaische Stromerzeugung 375

einfallendes Licht Metallrückkontakt

n-Typ

i-Typ a-SiGe:H
TCO Metallrückkontakt
p-Typ
p-Typ n-Typ n-Typ

i-Typ a-Si:H i-Typ a-Si:H i-Typ a-Si:H

n-Typ p-Typ p-Typ

TCO TCO

Stahlsubstrat

Glassuperstrat Glassuperstrat

einfallendes Licht einfallendes Licht

Abb. 5.23 Schichtfolge verschiedener pin-Zellstrukturen aus amorphem Silicium (a-Si:H) (links:
Substratzelle auf rostfreiem Stahl, Mitte: Superstratzelle auf Glas, rechts: Tandemzelle aus a-Si:H
und a-SiGe:H auf Glassuperstrat; die Depositionsreihenfolge der Einzelschichten beginnt für alle
Zellen mit der untersten und endet mit der obersten Schicht; TCO transparentes, leitfähiges Oxid)

Inzwischen wurde jedoch erkannt, dass die Mobilität der Minoritätsladungsträger von der
Diffusion dominiert wird bzw. feldgetriebene Effekte eine untergeordnete Rolle spielen.
Abb. 5.23 zeigt die Schichtfolgen typischer a-Si:H-Solarzellen. Auf einem leit-
fähigen (nichttransparenten) Substrat wie z. B. einer Folie aus rostfreiem Stahl oder
metallbeschichtetem Polymer wird mittels PECVD (d. h. plasmaunterstützte chemische
Gasphasenabscheidung (engl. plasma-enhanced chemical vapour deposition)); dies ist
eine Sonderform der chemischen Gasphasenabscheidung, bei der die chemische Abschei-
dung durch ein Plasma unterstützt wird) eine Schichtfolge aus n-dotiertem, undotiertem
und p-dotiertem, wasserstoffpassiviertem, amorphem Silizium (a-Si:H) abgeschieden. Als
Kontakt auf der lichtzugewandten Seite dient ein transparentes, leitfähiges Oxid (TCO).
Bei den Superstrattechnologien (d. h. bei der Lichteinstrahlung durch ein transparentes
Substrat wie z. B. Glas) wird zunächst das leitfähige Oxid als transparenter Kontakt, dann
die Schichtfolge aus wasserstoffpassiviertem amorphem Silizium (a-Si:H) und zuletzt der
metallische Rückkontakt aufgebracht (Abb. 5.23 Mitte).
Neben Solarzellen mit einem einzelnen pin-Übergang sind auch Tandemsolarzellen
oder sogar Tripelsolarzellen im Gebrauch. Hierbei werden zwei bzw. drei pin-Strukturen
übereinander gestapelt, deren Bandlücken ggf. durch eine unterschiedlich starke Was-
serstoffsättigung oder Zulegieren von Germanium etwas variiert werden. Da der geringe
Wirkungsgrad von a-Si-Zellen maßgeblich durch den hohen Serienwiderstand bestimmt
376 R. Bründlinger et al.

wird, kann dessen Einfluss durch Reduktion des Stromes bei erhöhter Leerlaufspan-
nung verringert werden. Abb. 5.23, links, zeigt exemplarisch eine Tandemzelle, die zwei
pin-Strukturen aus wasserstoffpassiviertem amorphem Silizium (a-Si:H) und aus einer
a-SiGe:H-Legierung kombiniert.
Amorphes Silizium wird vorwiegend für Kleinanwendungen im „Consumer-Electro-
nics“-Bereich verwendet (Armbanduhren, Taschenrechner usw.). Für hohe Leistungen
sind der relativ niedrige Wirkungsgrad und dessen mangelnde Langzeitstabilität jedoch
problematisch. Bei Bestrahlung mit Solarstrahlung sinkt der Wirkungsgrad in den ersten
Betriebsmonaten um bis zu 30 % (Degradation); d. h. die elektrische Leitfähigkeit vermin-
dert sich signifikant und die ohmschen Verluste steigen (Stäbler-Wronski-Effekt) [5.13].
Bis ca. 2010 galt als erfolgversprechendste Alternative zu reinen a-Si-Zellen eine
Tandemzelle aus amorphem Silizium mit einer Bandlücke ähnlich dem kristallinen
(a-Si/c-Si). Zwar konnte so der Wirkungsgrad geringfügig gesteigert werden, aber
mit unter 12 % ist auch die beste a-Si-/c-Si-Laborzelle deutlich zu ineffizient, um
konkurrenzfähig zu sein zu industriell hergestellten Siliziumzellen oder alternativen
Dünnschichttechnologien (z. B. CIGS- oder CdTe-Zelle). Auch deshalb wurden mittler-
weile so gut wie alle Aktivitäten zur großflächigen Produktion von a-Si- bzw. c-Si-Zellen
eingestellt und a-Si-Solarzellen werden aktuell fast ausschließlich für Nischenanwendun-
gen nachgefragt.

Dünnschichtsolarzellen auf der Basis von Chalkogeniden und Chalkopyriten Sehr viel
effizienter als a-Si-Dünnschichtzellen sind solche mit polykristallinen Dünnschichten
aus direkten Halbleitern wie Cadmium-Tellurid (CdTe) und Kupfer-Indium-Diselenid
(CuInSe2 oder CIS) bzw. Kupfer-Indium-Gallium-Diselenid (CuInGaSe2 oder CIGS).
Solarzellen auf der Basis derartiger Materialien erreichen im Labormaßstab Wirkungs-
grade von über 20 % und großflächig werden Wirkungsgrade zwischen 14 und 18 %
erreicht.
Beide Materialien lassen sich bei Temperaturen um 600 ı C durch eine physikalische
Abscheidung auf Glas niederschlagen. Da es direkte Halbleiter sind, genügen Schicht-
dicken von wenigen m zur Absorption aller Photonen des Sonnenspektrums mit ei-
ner Energie oberhalb der Bandlückenenergie Eg des jeweiligen Absorbermaterials. Die
Bandlücke von Cadmium-Tellurid (CdTe) beträgt ca. 1,45 eV und diejenige von Kupfer-
Indium-Diselenid (CuInSe2 ) 1,04 eV. Bei den CIGS-Zellen (d. h. Kupfer-Indium-Gallium-
Diselenid) wird durch eine teilweise Substitution von Indium durch Gallium (20 bis 30 %)
die Bandlücke auf 1,13 eV und damit nahe dem theoretischen Maximum des Wirkungs-
grads eingestellt (vgl. Abb. 5.15; vgl. [5.14, 5.15]).
Sowohl Cadmium-Tellurid (CdTe) als auch Kupfer-Indium-(Gallium-)Diselenid
(CuIn(Ga)Se2 ) lassen sich für dünne Filme mit guter elektronischer Qualität nur als
p-Leitungstyp herstellen. Deshalb ist für die Herstellung einer Solarzelle ein zweites
n-leitendes Material erforderlich, das mit dem ersteren zu einem p-n-Heteroübergang
kombiniert wird. Dafür wird in beiden Fällen eine wenige Nanometer dünne Schicht aus
n-leitendem Cadmium-Sulfid (CdS) verwendet. Dieses n-dotierte Cadmium-Sulfid (CdS)
5 Photovoltaische Stromerzeugung 377

Abb. 5.24 Schichtfolge einer einfallendes Licht


Metallrückkontakt
CdS / CdTe (links) und einer
CdS/Cu(In,Ga)Se2 (rechts)
CdTe
Heterostruktursolarzelle ZnO

CdS CdS

ITO Cu(In,Ga)Se22

Metallrückkontakt
Glassuperstrat

Glassubstrat

einfallendes Licht

weist aber ungünstigerweise eine sehr geringe Diffusionslänge für Löcher auf. Deshalb
wird diese Schicht so dünn wie möglich ausgeführt, damit möglichst wenig Photonen dort
absorbiert werden.
Abb. 5.24, links, zeigt die Schichtfolge einer CdS / CdTe-Heterostruktur-Solarzelle. Bei
dieser Zelltechnologie handelt es sich um eine Superstratstruktur. Hier wird die trans-
parente, dem Licht zugewandte Frontelektrode aus Indium-Zinn-Oxid (ITO) oder Alu-
minium-Zink-Oxid (Al:ZnO) üblicherweise mit Hilfe der Kathodenzerstäubung zuerst
aufgebracht. Danach folgt die Deposition des Cadmium-Sulfids (CdS) zur Realisierung
des Heteroübergangs, gefolgt von der eigentlichen photovoltaisch aktiven Absorberschicht
aus Cadmium-Tellurid (CdTe). Normalerweise werden beide Schichten (d. h. das CdS mit
einer Dicke von 0,1 bis 0,2 m und das CdTe mit einer Dicke von ca. 3 m) mit der-
selben Technologie vorzugsweise in einem Sublimationskondensationsverfahren auf dem
Trägersubstrat aufgebracht. Um diese Schichten in ausreichender Qualität zu erhalten,
ist nach der Deposition ein auf einer Temperaturbehandlung in Anwesenheit von Cad-
mium-Chlorid (CdCl2 ) basierender Aktivierungsschritt notwendig. Abschließend wird die
Rückelektrode aus Graphit, Kupfer oder einer Mischung von beidem aufgebracht.
Abb. 5.24, rechts, zeigt die Schichtfolge einer derartigen Heterostruktursolarzelle. Die
Zellherstellung beginnt hier mit der Deposition eines Molybdänrückseitenkontaktes, ge-
folgt von der Abscheidung der photovoltaisch aktiven Cu(InGa)Se2 -Schicht mit einer
Dicke von weniger als 2 m. Für die industrielle Produktion werden vorzugsweise zwei
Abscheidemethoden eingesetzt:

 das physikalische Ko-Verdampfen aller Elemente (d. h. Cu, In, Ga und Se) auf ein
geheiztes Substrat, sodass sich die Verbindung Cu(InGa)Se2 schon während des Auf-
dampfprozesses bildet;
 die Deposition von Cu, In und Ga auf einem ungeheizten Substrat (z. B. durch Katho-
denzerstäubung); darauf folgt ein Aufheizen in einer Se-Atmosphäre, die sogenannte
Selenisierung, zur Bildung der Verbindung Cu(InGa)Se2 .
378 R. Bründlinger et al.

Nach der Absorberherstellung wird eine ca. 0,05 m dicke Cadmium-Sulfid(CdS)-


Schicht aus einem chemischen Bad deponiert, gefolgt von der ZnO-Al:ZnO-Frontelek-
trode, die durch eine Kathodenzerstäubung aufgebracht wird.
Cu(InGa)Se2 - und CdTe-Solarmodule werden mittlerweile mit großen Flächen produ-
ziert. Module mit Wirkungsgraden bis zu 17 % sind kommerziell erhältlich. Beide Techno-
logien (d. h. CdTe und Cu(InGa)Se2 ) haben sich neben dem kristallinen Silizium etabliert.
Allerdings ist der Kostendruck der kristallinen Siliziumsolarzellen enorm und aus aktu-
eller Perspektive ist es unwahrscheinlich, dass eine der beiden Dünnschichttechnologien
Silizium als dominierendes Solarzellenmaterial in den kommenden Jahren ablösen wird.
Sowohl bei CdTe- als auch Cu(InGa)Se2 -Solarzellen werden häufig die Verfügbar-
keit der Rohmaterialien diskutiert. Indium (In), Gallium (Ga) und Tellur (Te) sind relativ
seltene Elemente auf der Erde und, sollten sehr große Mengen für die Herstellung von So-
larzellen benötigt werden, müssten geeignete Recyclingmaßnamen etabliert werden. Im
Gegensatz dazu werden für Solarzellen bestehend aus CZTS (Kupfer-Zink-Zinn-Sulfid
bzw. Selenid) keine seltenen Elemente benötigt. Diese Materialien sind im Ansatz ver-
gleichbar mit Cu(InGa)Se2 , allerdings handelt es sich bei CZTS-Halbleiter um Kesterite,
die durch eine andere Kristallstruktur gekennzeichnet sind. Weiter sind CZTS-Halbleiter
deutlich weniger erforscht als beispielsweise Silizium, CdTe oder Cu(InGa)Se2 ; dies ist
einer der Gründe, warum die Effizienz von CZTS-Solarzellen bisher noch deutlich gerin-
ger ist.

Dünnschichtsolarzellen aus kristallinem Silizium Die ökonomischen und verfahrenstech-


nischen Vorteile der Technologie von Dünnschichtsolarzellen (d. h. geringer Material-
einsatz, Möglichkeit der integrierten Modulherstellung durch Strukturierung der Einzel-
schichten während des Prozessdurchlaufes) versucht man auch mit kristallinem Silizium
zu nutzen. Wegen der indirekten Bandlücke von kristallinem Silizium sind dazu Schichtdi-
cken von mindestens 20 m erforderlich, um das einfallende Sonnenlicht weitestgehend
zu absorbieren. Durch Lichteinfangstrukturen („Light-trapping“) ist es jedoch möglich,
die Schichtdicke weiter herabzusetzen. Bringt man beispielsweise an der Solarzellenrück-
seite einen die Lichtstrahlen in die Siliziumschicht zurückstreuenden Diffusor oder eine
schräg reflektierende Struktur an oder beschichtet man ein pyramidisch strukturiertes Sub-
strat mit einer Siliziumdünnschicht, genügen auch bei kristallinem Silizium Schichtdicken
von wenigen m, um die einfallende Sonnenstrahlung nahezu vollständig zu absorbieren.
Beispielsweise liegt für nur 2 m dicke Siliziumschichten mit optimiertem „Light-trap-
ping“ das Wirkungsgradpotenzial bei ca. 15 %. Die praktische Realisierung solcher Sili-
ziumzellen wird mit verschiedenen Techniken der Filmabscheidung und Nachbehandlung
angestrebt.
Die Erhöhung der Abscheidetemperatur bei der plasmaunterstützten chemischen Gas-
phasendeposition erlaubt es, auch sehr feinkristallines, sogenanntes mikrokristallines, Si-
lizium abzuscheiden. Obwohl die Größe der Siliziumkristallite in diesem Material nur
bei wenigen 10 nm liegt (ursprünglich wurde deshalb von nanokristallinem Silizium ge-
sprochen), lassen sich in pin-Strukturen im Labormaßstab Wirkungsgrade von über 12 %
5 Photovoltaische Stromerzeugung 379

und in der Produktion von ca. 10 % erzielen. Da die Abscheidebedingungen und die Ab-
scheidetemperatur von nanokristallinem Silizium mit ca. 200 bis 300 ı C denjenigen vom
amorphem Silizium sehr ähnlich sind, können diese beiden Materialien wiederum zu Tan-
demzellen mit Wirkungsgraden für Laborzellen von über 12 % und in der Produktion von
über 10 % kombiniert werden.
Höhere Wirkungsgrade für Siliziumdünnfilmsolarzellen erfordern Korngrößen von ei-
nigen 10 m. Für die direkte Abscheidung so großer Siliziumkörner sind Abscheidetem-
peraturen von über 700 ı C erforderlich. Dann kommen kostengünstige Glassubstrate aber
nicht mehr in Frage [5.16]. Eine vielversprechende Alternative ist hier die Abscheidung
einer a-Si-Schicht mit einer hohen Abscheiderate bei niedriger Temperatur ohne Wasser-
stoffeinschluss auf einem Niedertemperaturglas. In einem anschließenden sehr schnellen
Prozess wird dieses Material dann durch eine Elektronenstrahl- oder Laserlinienquelle
aufgeschmolzen und in Form langer Kristalle in Ziehrichtung kristallisiert. Die linien-
förmige Schmelzzone (ca. 1 mm  100 mm) wird mit einigen mm/s über das Substrat
gezogen, so dass sich das Niedertemperaturglas kaum erhitzt [5.17].
Eine weitere Möglichkeit, einkristalline Dünnschichten für Solarzellen herzustellen,
bieten die sogenannten Transfertechniken [5.18, 5.19]. Hier wird eine typischerweise
20 bis 50 m dicke einkristalline Siliziumschicht auf einem vorbehandelten einkristal-
linen Siliziumsubstrat hergestellt. Sie wird anschließend abgelöst und auf ein beliebiges
Fremdsubstrat transferiert. Dieses Siliziumsubstrat kann mehrfach verwendet werden. So-
larzellen aus einkristallinem, transferiertem Silizium zeigen im Labormaßstab mit 16,6 %
die höchsten Wirkungsgrade von Dünnschichtsilizium auf Fremdsubstraten.
Industriell werden bisher aber so gut wie keine Dünnschichtzellen aus kristallinem Si-
lizium hergestellt und in den letzten Jahren hat sich die Transfertechnologie stärker in
die Richtung entwickelt, Wafer für klassische Siliziumsolarzellen zu entwickeln (siehe
oben). Unter einem Wafer werden in der Photovoltaik, aber auch in der Mikroelektronik
und der Mikrosystemtechnik, quadratische bis kreisrunde Scheiben aus mono- oder po-
lykristallinem Halbleitermaterial verstanden, die typischerweise deutlich dünner als ein
Millimeter sind; diese Wafer dienen als Grundplatte für die Herstellung beispielsweise
von Photovoltaikzellen, aber auch von elektronischen Bauelementen und von integrierten
Schaltkreisen.

Dünnschichtsolarzellen mit integrierter Serienverschaltung Damit ein Solarmodul eine


über die Spannung der Einzelzellen hinausgehende Spannung liefert – angestrebt werden
typischerweise 12 oder 24 V – müssen Einzelzellen in einem Modul in Reihe geschal-
tet werden (siehe unten). Ein möglicher Vorteil aller Dünnschichttechnologien ist, dass
sich diese Serienverschaltung von Einzelzellen zu einem Modul mit der Zellherstellung
kombinieren lässt. Während die Serienverschaltung für die wafer- oder scheibenbasier-
te Silizium-Technologie ein von der Herstellung der Einzelzellen völlig losgelöster und
nachgeordneter Prozessschritt ist (siehe unten), werden die Einzelzellen der Dünnschicht-
module als schmale Streifen auf dem Substrat strukturiert und direkt im Prozess in Rei-
he verschaltet (Abb. 5.25). Trotz der geringen spezifischen Leitfähigkeit und Dicke der
380 R. Bründlinger et al.

Abb. 5.25 Integrierte Ver- 7 Zellen

schaltung der Zellstreifen einer


Glas-Superstrat
Dünnschichtsolarzelle auf dem
Substrat (d. h. die Serienver-
schaltung verbindet die untere
Elektrode eines Zellstreifens
mit der oberen Elektrode des
nächsten Streifens)
Rückkontakt
Absorber
Frontkontakt
Glassuperstrat
Verschaltungsgebiet

Abb. 5.26 Schichtdeposition Frontkontakt

und Strukturierungssequenz Superstrat


eines photovoltaischen 1. Strukturierungsschritt
Dünnschichtmoduls (ers-
te Teilgrafik: Deposition der
transparenten Frontelektrode Absorber
auf dem Glassuperstrat, zweite
Teilgrafik: erster Strukturie-
rungsschritt, dritte Teilgrafik: 2. Strukturierungsschritt
Deposition der photovoltaisch
aktiven Absorberschicht, vierte
Teilgrafik: zweiter Strukturie-
rungsschritt, fünfte Teilgrafik: Rückkontakt
Abscheidung der Rückseiten-
elektrode, sechste Teilgrafik:
dritter Strukturierungsschritt) 3. Strukturierungsschritt

Schichten und der daraus resultierenden hohen Flächenwiderstände kann so der für den
Wirkungsgrad kritische Serienwiderstand klein gehalten werden.
Die Serienverschaltung der Zellstreifen erfordert drei in die Zellherstellung integrierte
Strukturierungsschritte. Abb. 5.26 illustriert die prinzipielle Herstellungsweise am Bei-
spiel einer Dünnschichtsolarzelle (Superstrat-Aufbau). Zunächst wird auf das Glassu-
perstrat ein leitfähiges, transparentes Oxid (z. B. Al:ZnO) aufgebracht. Dieser spätere
Frontkontakt wird in einem ersten Strukturierungsschritt in regelmäßigen Abständen in
Streifen geteilt. Zur Strukturierung hat sich das Verdampfen mit einem gescannten La-
serstrahl durchgesetzt. Anschließend wird die photovoltaisch aktive Schicht („Absorber“)
abgeschieden. Es folgt ein zweiter Strukturierungsschritt mit einem gegenüber dem ersten
geringfügigen seitlichen Versatz, der die Absorberschicht bis zum Frontkontakt durch-
trennt. Schließlich wird der Rückkontakt aufgebracht, der jeweils den Frontkontakt eines
5 Photovoltaische Stromerzeugung 381

Zellstreifens mit dem Rückseitenkontakt des nächsten Streifens verbindet. In einem dritten
Laserschnitt wird die Verbindung zum nächsten Segment durchtrennt. Der substratbasierte
Aufbau ist analog.

Solarzellen für konzentrierende Systeme Konzentrierende Photovoltaiksysteme stellen ei-


ne weitere Alternative dar. Hier werden die Solarzellen mit 20- bis 500-facher Lichtin-
tensität (teilweise ist die Bandbreite noch größer) beaufschlagt (Abb. 5.27). Um den mit
wachsender Strahlungskonzentration zunehmenden Einfluss des Serienwiderstands aus-
reichend klein zu halten, müssen Konzentratorzellen über sehr gut leitfähige Kontaktstruk-
turen verfügen, welche die Wärme sicher abführen sollen. Generell ist der limitierende
Faktor für den Wirkungsgrad so gut wie aller Konzentratorsolarzellen der Serienwider-
stand.
Die Konzentration von Solarstrahlung wird über optische Systeme realisiert. Am wei-
testen verbreitet ist die Verwendung von sogenannten Fresnellinsen, die sich sehr kos-
tengünstig herstellen lassen. Abb. 5.27 zeigt den schematischen Aufbau eines derartigen
Konzentrators auf Basis einer Frensellinse.
Wesentliche Herausforderung bei der Entwicklung von Konzentratorsystemen ist eine
gute und vor allem verlässliche Abfuhr der entstehenden Wärme. Für kleine Solarzel-
len (< 1 cm2 ) kann mit passiven Wärmesenken gearbeitet werden, welche die lokal in
der Zelle generierte Wärme lateral verteilen. Bei einer hinreichend guten thermischen
Anbindung an die Wärmesenke (z. B. Kupferblech) liegt die Betriebstemperatur einer
solche „kleinen“ Konzentratorzellen nicht signifikant über jener „vollflächiger“ Zellen oh-
ne Konzentrator. Demgegenüber wird es bei größeren Zellen bzw. Zellanordnungen aber
zunehmend schwieriger, die Wärme lateral abzuführen und große Spiegelsysteme mit So-

Abb. 5.27 Schema eines Licht


Konzentrators mit einer Fres-
nellinse (PV Photovoltaik)

Konzentratorlinse

PV-Zelle

Wärmesenke
382 R. Bründlinger et al.

larzellen in der Größe von ca. 10  10 cm2 , die mit der konzentrierten Solarstrahlung
bestrahlt werden, werden üblicherweise aktiv gekühlt.
In terrestrischen konzentrierenden Systemen findet man neben hocheffizienten Silizi-
umsolarzellen vorwiegend solche auf Gallium-Arsenid-Basis und zunehmend auch die
ursprünglich für Anwendungen im erdnahen Orbit entwickelten Tandem- und Triplestruk-
turen. Die hocheffizienten Siliziumsolarzellen erreichen Wirkungsgrade von bis zu 27 %
bei 140-facher Konzentration. Konzentratorzellen auf der Basis von GaAlAs-Heterostruk-
turen zeigen Wirkungsgrade von aktuell bis zu 46 % bei Konzentrationsfaktoren von 300
bis 500.
Konzentratorsysteme haben potenzielle Kostenvorteile in Gebieten mit hoher sola-
rer Einstrahlung und sind interessant für photovoltaische Kraftwerke. Jedoch macht es
der hohe Preisdruck bzw. die in den letzten Jahren realisierten Kostenreduktionen der
„klassischen“ kristallinen Siliziumphotovoltaikzellen allen alternativen Technologien
sehr schwer, konkurrenzfähig zu werden bzw. zu bleiben. Daher spielt die Konzentra-
tortechnologie nach wie vor nur eine untergeordnete Rolle bei der photovoltaischen
Energiegeneration.

Farbstoffsolarzellen mit Titanoxid(TiO2 )-Nanopartikeln Elektrochemische Solarzellen


auf der Basis von Titanoxid (TiO2 ) [5.6] verwenden eine wenige Mikrometer dünne
Schicht aus TiO2 -Partikeln mit einer typischen Größe von 10 bis 20 nm. Der einem
Schottkykontakt äquivalente sperrende Kontakt zum TiO2 wird durch einen flüssi-
gen Elektrolyten, dem Redoxpaar J 3 /J

bzw. einem Kobaltkomplex, hergestellt. Die
photovoltaische Aktivität wird durch die Chemisorption von Rubidium-Farbstoffmo-
lekülen (RuL2 (NCS)2 ) und durch einen Zinkporphyrin-Komplex an der Oberfläche der
TiO2 -Partikel erreicht. Durch die poröse Struktur des Titanoxidpulvers vergrößert sich sei-
ne Oberfläche gegenüber der Zelloberfläche um etwa drei Größenordnungen. In gleichem
Maße verlängert sich auch der Weg des einfallenden Lichtes durch vielfache Reflexion
und Streuung an bzw. in den hochbrechenden, transparenten TiO2 -Partikeln. Durch beide
Effekte wird das Sonnenlicht durch den Farbstoff hinreichend absorbiert.
Die einfallenden Photonen regen Elektronen des chemiesorbierten Farbstoffs an. Diese
werden innerhalb weniger Pikosekunden (d. h. vor einer möglichen Rückkehr in ihren
Grundzustand) in das Leitungsband des TiO2 injiziert. Der Ladungsausgleich erfolgt aus
dem Elektrolyten und damit die Ladungstrennung zwischen dem Festkörper (TiO2 ) und
dem Elektrolyten. Abb. 5.28 zeigt schematisch den Aufbau einer solchen Solarzelle sowie
ein vereinfachtes Energieschema für die primäre photovoltaische Aktivität [5.21].
Die primäre Ladungstrennung innerhalb einer Farbstoffsolarzelle erfolgt über einen
mehrstufigen Prozess:

1. Anregung des Farbstoffs.


2. Injektion des Elektrons aus dem angeregten Zustand des Farbstoffs in das Leitungs-
band des TiO2 .
3. Ladungsübertrag auf den Farbstoff aus dem Elektrolyten.
5 Photovoltaische Stromerzeugung 383

TiO2 -Nanopartikel angeregter


Leitfähige Zustand
Elektrolyt Pt-Rückkontakt Leitungs- 2
Fensterschicht
band Photon

Glas- 1
substrat

Energie
Grund-
einfallendes TiO2 zustand
Licht
Farbstoff Elektrolyt
5-10 μm

Abb. 5.28 Farbstoffsolarzelle aus nanoporösem TiO2 (die auf den TiO2 -Nanopartikeln mit ei-
nem Durchmesser ca. 20 nm adsorbierte monomolekulare Farbstoffschicht ist nicht gezeigt; (links))
und vereinfachtes Energieschema der primären Ladungstrennung durch einen Dreischritt-Prozess
(rechts): 1. Anregung des Farbstoffs, 2. Injektion des Elektrons aus dem angeregten Zustand des
Farbstoffs in das Leitungsband des TiO2 , 3. Regeneration des Farbstoffs aus dem Elektrolyten

Die photogenerierten Elektronen diffundieren durch das TiO2 -Netzwerk zum Front-
kontakt. Der Ladungsausgleich zum Elektrolyten erfolgt an der Platin(Pt)-Rückseitenelek-
trode.
Vorteile dieser Farbstoffsolarzellentechnologie sind die einfache und kostengünstige
Herstellung. Nach langjährigen Entwicklungen erreichen sie aktuell im Labor Wirkungs-
grade von etwa 12 %; kleine Module sind derzeit mit Wirkungsgraden von bis zu 5 %
verfügbar. Aufgrund des flüssigen Elektrolyten und der möglichen chemischen Reaktio-
nen ist die Langzeitstabilität dieses Solarzellentyps noch nicht abgesichert.

Organische Solarzellen bzw. Perovskit-Zellen Elektrisch leitende, dünne Polymerschich-


ten werden seit etwa 2005 auf ihre Eignung zum Aufbau von Solarzellen untersucht.
Als Absorber und Elektronendonatoren werden gegenwärtig vorzugsweise Zink-Phtha-
lozyanin (550 bis 800 nm) und P4 -Ph4 -DIP (400 bis 600 nm) eingesetzt, welche die an-
geregten Elektronen an C60 -Moleküle (Fullerene, Absorption bei 300 bis 370 nm), den
Elektronenakzeptor, abgeben. Aufgrund der starken Lokalisierung der Ladungen an den
Absorbermolekülen entstehen – im Gegensatz zu Halbleitern – nur jeweils sehr schma-
le „Bänder“ des unteren, normalerweise besetzten Zustands (HOMO, highest occupied
molecule orbital; entspricht der Valenzbandoberkante) und des darüber liegenden ers-
ten unbesetzten Zustandes (LUMO, lowest unoccupied molecule orbit; entspricht der
Leitungsbandunterkante). Dadurch ist die Absorption auf einen relativ schmalen Spek-
tralbereich (ca. 200 nm) beschränkt und das Polymer ist bei längeren wie bei kürzeren
Wellenlängen transparent.
Nach Abb. 5.29 werden bei der Anregung stark gebundene Exzitonen (lokalisierte
Elektronen-Lochpaare) gebildet, die zur Ladungstrennung durch Übergabe des Elektrons
an den Akzeptor und der kleinen Diffusionslängen eine unmittelbare Nachbarschaft beider
Materialen erfordern. Wegen der geringen Leitfähigkeit der optisch aktiven Schichten auf-
384 R. Bründlinger et al.

E Donator Akzeptor E Donator Akzeptor

LUMO LUMO

HOMO HOMO


x x

Abb. 5.29 Funktionsprinzip der organischen Solarzelle (links: im p-Leiter absorbiertes Photon
erzeugt ein Exziton (d. h. lokal verknüpftes Elektronen-Loch-Paar), das zum p-n-Übergang diffun-
diert; rechts: Elektron wird in den n-Leiter injiziert und diffundiert zum n-Kontakt, gleichzeitig
diffundiert das Loch zum p-Kontakt; nach [5.7])

grund von sehr niedriger Ladungsträgerkonzentration und -beweglichkeit sind die Schicht-
dicken allerdings auf rund 10 nm beschränkt, so dass derzeit organische Solarzellen als
Schichtsystem aufgebaut werden (Abb. 5.29). Dieses Schichtsystem ersetzt die zunächst
favorisierte nanoskalige Mischung von Absorber und Fulleren mit deren resultierender
starker Streuung des Elektronentransports und damit des Wirkungsgrades. Die Absorber
haben einen sehr hohen Extinktionskoeffizienten, so dass selbst in diesen dünnen Schich-
ten noch ca. 30 % des Lichts absorbiert wird. Um das bei derartigen dünnen Schichten
z. B. aufgrund von Substratrauigkeiten auftretende Kurzschlussrisiko zu vermindern, wer-
den die optisch aktiven Schichten beiderseits zwischen transparenten, p- bzw. n-leitenden
Polymeren mit höherer Leitfähigkeit von jeweils einigen 10 nm Dicke eingebettet. Als
transparente Kontakte werden ITO, neuerdings auch das hochleitende transparente Poly-
mer PEDOT verwendet. Als reflektierender Rückseitenkontakt dient eine dünne Au-Al-
oder Al-Ag-Schicht, der wegen der unvollständigen Absorption vorteilhaft ist.
Solche Zellen werden vorwiegend auf Glassubstraten bei Raumtemperatur aus der Gas-
phase abgeschieden. Es eignen sich aber auch PET-Folien als Träger. Wegen der grund-
sätzlichen Empfindlichkeit von Polymeren gegenüber hochenergetischer (UV-)Strahlung
und Feuchtigkeit sowie wegen der geringen Schichtdicken ist zur Gewährleistung ei-
ner ausreichenden Zuverlässigkeit die Einbettung in UV-absorbierende, Feuchtigkeits-
undurchlässige Materialien erforderlich (z. B. Glas- und Metallfolien).
Mit organischen Solarzellen lassen sich ebenso Mehrfachsolarzellen herstellen. Mit
derartigen Zellen werden auch die derzeit höchsten Wirkungsgrade dieser Gruppe von
Photovoltaikzellen von etwa 12 % erreicht. Jedoch ist die Herstellung von organischen
Solarzellen mit diesen Wirkungsgraden sehr aufwändig. Deshalb kommen derartige So-
larzellen primär für Nischenanwendungen in Frage, wo beispielsweise mechanische Fle-
xibilität gefordert ist (z. B. Integration in Kleidung).
Im Jahr 2009 wurde ein Material „wiederentdeckt“, das zunächst sehr gute Ergebnisse
als Farbstoff in einer Farbstoffsolarzelle (siehe oben) ermöglichte. Dabei handelt es sich
5 Photovoltaische Stromerzeugung 385

um ein Material mit einer Perovskit-Kristallstruktur, deren Gitterplätze sowohl aus anor-
ganischen Elementen als auch aus organischen Verbindungen bestehen. Konkret handelt
es sich um einen CH3 NH3 PbX3 Perovskit (X D Iod / Brom und / oder Chlor), bei dem das
Methylamin Kation (CH3 NHC 3 ) von einem oktaedrischen PbX6 umgeben ist. Dieses Per-
ovskit-Material kann auch als aktives Material in einem Aufbau wie bei einer organischen
Solarzelle (siehe oben) verwendet werden. Dabei stellte sich heraus, dass damit deutlich
höhere Wirkungsgrade erzielt werden konnten als mit den bisher verwendeten organischen
Materialien. Daher konnte mit diesem Perovskit-Material der Wirkungsgrad von 12 % im
Jahr 2012 auf etwa 20 % im Jahr 2017 gesteigert werden. Diese deutliche Wirkungsgrad-
zunahme macht dieses Material zu einem Hoffnungsträger in der Solarzellenforschung, da
es ein ähnliches Wirkungsgradpotenzial hat wie Silizium, jedoch potenziell kostengünsti-
ger ist.
Neben dem vielversprechenden Potenzial haben Perovskit-Solarzellen substanzielle
Herausforderungen. Das Material ist nicht sehr stabil; außerdem ist es sehr empfindlich
gegenüber Feuchtigkeit und erfordert deshalb eine hohe Sorgfalt bei der Verkapselung.
Auch ist die atomare bzw. molekulare Integrität dieses Materials relativ gering und hat die
Eigenschaft, sich auch ohne nennenswerte äußere Einwirkungen zu zerlegen. Außerdem
haben die Ionen in den bisher verwendeten Materialien eine relativ hohe Mobilität; dies
kann einerseits zu Hysterese-Effekten bei der elektrischen Vermessung der Zellen füh-
ren und ist andererseits auch verantwortlich für eine schnelle Degradation der Zellen. Die
aktuell vielversprechendsten Ergebnisse berichten von einer Zelle mit initial etwa 20 %
Effizienz, deren Wirkungsgrad sich nach 1 000 h simulierter Operationsbedingungen um
nur etwa 5 %relativ reduziert hat.
Ein weiteres Problem in Bezug auf die Perovskit-Solarzellen ist, dass die Materialien,
mit denen heute hohe Wirkungsgrade erzielt werden, Bleisalze enthalten; d. h. diese Ma-
terialien sind toxisch und stellen eine relativ hohe potenzielle Umweltgefahr dar. Deshalb
konzentriert sich die Forschung auch auf alternative, weniger toxische Perovskit-Solarzel-
lenmaterialien; beispielsweise lässt sich Blei durch Zinn, Zink oder Germanium ersetzen.
Bisher liegen die höchsten Wirkungsgrade dieser „bleifreien“ Perovskite aber nur bei et-
wa 10 %.

Standard-Photovoltaikmodule Einzelne photovoltaische Zellen werden zu einem Pho-


tovoltaikmodul, der Grundeinheit eines Solargenerators, zusammengefasst. Es besteht im
Regelfall aus den elektrisch verschalteten Solarzellen, den Einbettungsmaterialien ein-
schließlich Frontscheibe und Rückseitenabdeckung, den elektrischen Anschlusskabeln
sowie einer Anschlussbox (Abb. 5.30). Teilweise wird es mit einem Rahmen aus Kunst-
stoff oder Metall umschlossen; zunehmend sind aber auch rahmenlose Module auf dem
Markt.
Durch den Einbau in ein Solarmodul werden die einzelnen Zellen gegen die Einflüsse
der Atmosphäre (z. B. Feuchtigkeit, Staub) geschützt, ein definiertes oberes Spannungsni-
veau bzw. eine maximale Stromstärke garantiert und damit der Aufbau von Generatoren
mit beliebigen Strom-Spannungs-Spezifikationen ermöglicht.
386 R. Bründlinger et al.

Abb. 5.30 Beispielhafter


Aufbau eines Solarmoduls

Aluminiumrahmen

Frontglas
Einbettungsfolie
(transparent)
Verschaltete
Photovoltaikzellen
Einbettungsfolie

Rückseitenfolie

Kabelanschlusskasten

Die Einbettung und die Randversiegelung müssen hohen Anforderungen genügen. Bei-
spielsweise muss innerhalb des im Jahresverlauf gegebenen Temperaturbereichs an der
Zellenoberfläche von rund –40 ı C im Winter bis etwa +80 ı C im Sommer für die gesamte
technische Lebensdauer von mindestens 20 bis 30 Jahren sichergestellt sein, dass keine
Feuchtigkeit (u. a. Regen, Kondenswasser) zu den Zellen vordringen kann. Auch müs-
sen sie mechanischen Beanspruchungen beispielsweise durch Hagelkörner von einigen
Zentimetern Durchmesser und durch Windböen von über 50 m/s sicher standhalten. Zu-
sätzlich ist eine hohe Isolationsfestigkeit (> 1 000 V) sicherzustellen. Außerdem dürfen die
verwendeten Materialien nicht durch Bakterien befallen oder von Tieren (z. B. Vögeln) an-
gefressen werden. Sie müssen auch langzeitstabil und damit beispielsweise unempfindlich
gegenüber UV-Strahlung (und anderen Witterungseinflüssen; UV ultraviolett) sein. Hin-
zu kommt, dass nicht nur bei einer Überkopfinstallation statische Sicherheitsaspekte zu
beachten sind. Angebotene Module erfüllen diese Bedingungen umfassend und gewähr-
leisten so einen sicheren Betrieb.
Aufgrund der vielfältigen Einsatzmöglichkeiten sind Module mit sehr unterschiedli-
chen Leistungen auf dem Markt. Dabei bestimmt die Anzahl der in Reihe geschalteten
Zellen, ausgehend von der Leerlaufspannung der jeweils eingesetzten Zellen, die Leerlauf-
spannung des Moduls (Abb. 5.31). Die Anzahl der parallel angeordneten Zellenstränge
legt den Kurzschlussstrom des entsprechenden Photovoltaikmoduls fest. Entsprechend
verändert sich die Strom-Spannungs-Kennlinie des Gesamtmoduls gegenüber der einer
einzelnen Zelle.
Die Gesamtzahl der in einem Modul vorhandenen Zellen bestimmt die maximale Mo-
dulleistung. Gegenwärtig sind Modulgrößen von etwa 1,6 m2 am weitesten verbreitet (d. h.
60 Solarzellen). Bei derartigen kristallinen Siliziumzellen werden Leistungen von typi-
scherweise 250 W unter Standardtest-Bedingungen (STC) gemessen.
Erzeugen einzelne Zellen in dieser Reihenschaltung nicht den gleichen Photostrom,
weil sie z. B. abgeschattet sind oder Defekte aufweisen, liefern sie keinen Beitrag zur
5 Photovoltaische Stromerzeugung 387

Abb. 5.31 Veränderung der Parallelschaltung Reihenschaltung Kombinierte


Strom-Spannungs-Kennlinie Parallel- und
Reihenschaltung
bei der Zusammenschaltung
verschiedener Photovolta- 6 6 + 6

ikzellen zu einem Modul


exemplarisch für Zellen mit

Strom in A

Strom in A

Strom in A
4 4 4
2 A Kurzschlussstrom und
einer Leerlaufspannung von -
0,6 V (nach [5.5]) 2 2 2

+ - + -

0,6 1,2 1,8 0,6 1,2 1,8 0,6 1,2 1,8

Spannung in V Spannung in V Spannung in V

Leistungserzeugung. Unter diesen Bedingungen wirken sie als Last. In ungünstigen Fäl-
len können sie sich dabei zudem stark aufheizen („hot spot“-Effekt) und dadurch den
Wirkungsgrad und die Lebensdauer des Moduls stark beeinträchtigen. Sie werden dann,
je nach Verschaltungsart, entweder in Sperrrichtung (falsche Spannungsrichtung) oder
bei Spannungen oberhalb ihrer Leerlaufspannung (falsche Stromrichtung) betrieben. Dies
führt zu erheblichen Verlusten, da in der Reihenschaltung in guter Näherung der Strom
der schwächsten Zelle den Gesamtstrom bestimmt. Eine partielle Abschattung führt daher
zu deutlich höheren Verlusten als es dem Verhältnis von abgeschatteter zu Gesamtfläche
entspricht. Bei parallel geschalteten Strängen oder Zellen sind die Verluste dagegen nur
proportional zur abgeschatteten Fläche.
Besondere Beachtung muss der Abschattung im Bereich gebäudeintegrierter Zellen
geschenkt werden, die z. B. durch Fassadenelemente, Rahmen oder Fenster hervorgerufen
wird. Dies erfordert eine dynamische Verschaltung, um die Verluste gering zu halten.
Mögliche Schutzmaßnahmen für die Verschaltung mehrerer Module zeigt Abb. 5.32;
prinzipiell gelten diese Maßnahmen aber auch für die Verschaltung mehrerer Zellen zu
einem Modul. Beispielsweise kann durch Bypass- oder Freilaufdioden, die parallel zu
den Zellensträngen geschaltet werden, eine Überhitzung der abgeschatteten Solarzellen
vermieden werden. Die abgeschattete Zelle im mittleren Strang der Anlage in Abb. 5.32
liefert weder den für die Serienschaltung geforderten Strombeitrag noch die notwendige
Spannung. Die Freilauf-Diode führt den von den anderen Zellen im Strang gelieferten hö-
heren Photostrom an der abgeschatteten Zelle vorbei. Die gegenüber den anderen Strängen
verminderte Photospannung wird mit der Sperrdiode abgeblockt und damit ein Rück-
strom in den abgeschatteten Strang unterbunden. Blockier- oder Sperrdioden verhindern
Ausgleichsströme über Zellenstränge in der falschen Richtung, wenn durch partielle Ab-
schattung oder durch Eigenschaftsänderungen der Solarzellen niedrigere Spannungen als
in den Nachbarsträngen auftreten.
Erfahrungsgemäß kann auf Bypassdioden innerhalb einzelner Zellenstränge eines Mo-
duls und auf Sperrdioden am Ende eines jeden Strangs verzichtet werden. Solche Schutz-
388 R. Bründlinger et al.

Freilaufdiode

abgeschattetes Modul

Solarmodul
Sperrdiode
Sicherung

Verbraucher

Abb. 5.32 Verschaltung von Solarmodulen in einem Photovoltaikgenerator (die dunkelgrau darge-
stellten Dioden sind aktiv; nach [5.5])

maßnahmen erhöhen die Energieverluste und auch die Kosten. Bei der Verschaltung meh-
rerer Module zu größeren Einheiten (Arrays, Array-Felder, Generatoren) sind partielle
Verschattungen sehr viel wahrscheinlicher (z. B. durch Wolkenzug, durch einen im Ta-
gesverlauf auftretenden Schattenwurf von Gebäudeteilen, Bäumen usw. oder durch die
unterschiedliche Ausrichtung von Modulflächen). Jedes Modul wird dann mit einer Frei-
laufdiode überbrückt, die z. T. vom Hersteller bereits in das Modul integriert wird. Auf
Sperrdioden wird zumeist verzichtet, da die Ausgleichsströme sicherheitstechnisch unkri-
tisch sind. Zusätzlich werden jedoch noch Sicherungen an den plus- und minus-seitigen
Enden der Modulstränge angebracht, welche die Überlastung von Modulen und Zuleitun-
gen im Falle eines Kurzschlusses in einem Modulstrang verhindern.
Bei Verschattungsproblemen können seit einigen Jahren auch Leistungsoptimierer mit
distributed maximum power point tracking (DMPPT) eingesetzt werden; die Leistungs-
optimierung erfolgt dabei nicht auf String-, sondern auf Modulebene.
Die Leistung eines Photovoltaikmoduls wird in erster Näherung durch die Summe
der Leistungen der einzelnen Solarzellen definiert. Jedoch kann es bei der Verschaltung
der Solarzellen zu elektrischen Verlusten kommen (z. B. durch Serienwiderstände oder
Stromlimitierungen), die bei der Realisierung von Photovoltaikmodulen weitgehend ver-
mieden werden können. Weiter kommt es am Deckglas zu Reflexionsverlusten, die sich
mit einer Antireflexschicht reduzieren lassen. Durch eine Verkapselung von Solarzel-
len reduzieren sich auch die Reflexionsverluste an der Zelle. Zusätzlich kann Strahlung,
die an der Vorderseitenmetallisierung reflektiert wird, über Reflexionen (speziell interne
Totalreflexion) des Deckglases wieder in Richtung der Zellen zurückreflektiert werden.
5 Photovoltaische Stromerzeugung 389

Zusammenfassend spricht man bei dem Verhältnis der Summe der Zellleistungen zur
erzielten Modulleistung vom „Cell to Module (CTM)“ Verlustfaktor. Diese CTM-Ver-
lustfaktor, der damit die Verluste / die Gewinne infolge der Zusammenführung der Zellen
zu einem Modul beschreibt, beträgt je nach Bauart des Moduls typischerweise zwischen
0,9 und 1,0 (90 bis 100 %). Durch zusätzliche optische Maßnahmen kann auch Strahlung
genutzt werden, die auf Stellen neben den Zellen fällt; dadurch sind CTM-Faktoren von
über 100 % möglich.

Gekühlte Photovoltaikmodule (PVT-Module) Heute marktgängige Silizium-basierte


Photovoltaik(PV)-Module sind in der Lage, bis zu knapp 20 % der auf ihre Oberfläche
treffenden Strahlungsenergie in elektrische Energie umzuwandeln. Der übrige Anteil (d. h.
rund 80 % der eingestrahlten Energie) wird größtenteils absorbiert und erwärmt das Pho-
tovoltaikmodul. Infolge des negativen Temperaturkoeffizienten marktüblicher Photovol-
taikzellen (Abb. 5.14) sinkt aber der elektrische Wirkungsgrad bei steigender Zellentem-
peratur und folglich damit auch die am Modulausgang verfügbare elektrische Leistung.
Auch kann durch das im Tagesverlauf typischerweise realisierte Aufheizen und Abküh-
len infolge der dadurch induzierten thermischen Spannungen im Modul die technische
Modullebensdauer reduziert werden. Durch eine Kühlung der Module können derartige
Effekte reduziert werden. Dies hat zur Entwicklung von sogenannten photovoltaisch-ther-
mischen Modulen (kurz PVT-Module) geführt. Diese Module wandeln die eintreffende
Solarstrahlung sowohl in elektrische als auch thermische Energie um.
PVT-Module können in abgedeckte und nicht abgedeckte Systeme unterteilt werden
(Abb. 5.33).

 Abgedeckte Module sorgen für einen höheren Widerstand für den Wärmefluss im
Modul; dies hat einen positiven Einfluss auf das realisierbare Temperaturniveau der
Wärmeenergie (d. h. es sind für eine potenzielle Wärmenutzung im Vergleich zu nicht
abgedeckten Kollektoren vorteilhaftere (d. h. höhere) Temperaturen erreichbar). Mit
steigender Modul- und damit auch Photovoltaikzellentemperatur geht allerdings der
elektrische Wirkungsgrad der Photovoltaikzellen zurück. Damit stellen abgedeck-
te Kollektoren modifizierte solarthermische (Flach-)Kollektoren (Kapitel 4.2) dar,
die zusätzlich eine Bereitstellung elektrischer Energie auf einem etwas geringeren
Wirkungsgradniveau ermöglichen. Oft wird ein derart reduzierter photovoltaischer

Glasabdeckung
Luftschicht
PV-Zellen

Absorber

Boden
Dämmung

Abb. 5.33 Abgedeckte (links) und nicht abgedeckte (rechts) PVT-Module (PV Photovoltaik;
PVT photovoltaisch-thermische)
390 R. Bründlinger et al.

Wirkungsgrad in Kauf genommen, um mit dem Solarwärmeteil ein technisch sinnvoll


nutzbares Temperaturniveau zu erreichen. Der Gesamtwirkungsgrad eines derartigen
PVT-Systems (d. h. Bereitstellung von Strom und Wärme) ist dann immer noch höher
im Vergleich zu zwei getrennten Einzelanlagen.
 Nicht abgedeckte Kollektoren stellen dagegen „klassische“ Photovoltaikmodule dar,
deren primäres Ziel eine Bereitstellung elektrischer Energie darstellt. Hierfür wer-
den marktübliche Photovoltaikmodule mit einer Kühlung nachgerüstet, die auf der
Rückseite des Moduls mithilfe unterschiedlicher Fügetechniken angebracht werden
kann. Diese integrierte Kühlung in einem derartigen nicht abgedeckten PVT-Modul
sorgt für eine im Vergleich zu einem klassischen Photovoltaikmodul verringerte Zel-
lentemperatur und somit zu einem erhöhten elektrischen Wirkungsgrad. Zusätzlich
nimmt das verwendete Kühlmedium infolge der Kühlung Wärmeenergie auf, die –
wie auch bei abgedeckten Modulen – in Folgeprozessen genutzt werden kann. Da
das erreichbare Temperaturniveau allerdings deutlich unter dem der abgedeckten PVT-
Module liegt, kann diese Niedertemperaturwärme typischerweise nur für ausgewählte
Niedertemperaturwärmesenken verwendet werden (z. B. Trinkwasservorwärmung in
Einfamilienhäusern, Zuluftvorwärmung für Klimaanlagen, Erwärmung von Schwimm-
bädern, Effizienzsteigerung von Wasser / Wasserwärmepumpen).

Die Kühlung der PVT-Module kann durch gasförmige und flüssige Wärmeträgerflu-
ide realisiert werden. Umgebungsluft wird hierbei vor allem für abgedeckte Kollektoren
verwendet u. a. mit dem Ziel der Zuluftvorwärmung für Gebäudekomplexe. Nicht abge-
deckte Kollektoren verwenden aufgrund der angestrebten Kühlung überwiegend flüssige
Wärmeträgerfluide (Abb. 5.34). Hierbei kommt meist eine Wasser-Glykol-Mischung zum

Rückseite
Anschlußdose
(Strom)

Vorlauf
(Warmwasser) Absorberrohre
(Serpentinenform)

Absorberrohre
(Registerform)

Rücklauf
(Kaltwasser)
Vorderseite

Abb. 5.34 Exemplarischer Aufbau von PVT-Modulen (links: Absorberrohre in Registerform,


rechts: Absorberrohre in Serpentinenform)
5 Photovoltaische Stromerzeugung 391

1,036

Ertragsverhältnis [-]
1,035
1,05
1,034
Deutschland
1,033
Ertragsverhältnis zwischen
Jordanien
PVT- und PV- Modulen
1,04 1,032

1,031

1,03
1,03 11 13 15
Tagesverlauf in h

1,02

1,01

1
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Monat im Jahresverlauf

Abb. 5.35 Elektrisches Ertragsverhältnis von PVT- zu Photovoltaik(PV)-Modulen exemplarisch


für einen Standort in Deutschland und in Jordanien simuliert auf der Basis der Wetterdaten eines
konkreten Jahres

Einsatz, damit das Wärmeträgermedium frostsicher ist (Kapitel 4.2). Durch den Wärme-
transport vom Modul auf das flüssige Wärmeträgerfluid wird die Temperatur des PVT-
Moduls abgesenkt und dadurch der Wirkungsgrad der Photovoltaikzellen bzw. des Moduls
erhöht, wenn die Temperatur des Wärmeträgerfluids entsprechend gering (und damit po-
tenziell nicht direkt nutzbar) ist. Zu beachten ist bei allen potenziell einsetzbaren Fluiden
der notwendige Pump- und damit Energieaufwand zur Zwangsdurchströmung des je-
weiligen Kühlungskreislaufs. Mit erhöhter Wärmeträgerfluidgeschwindigkeit steigt die
notwendige Pumpenergie mit der dritten Potenz der Fluidgeschwindigkeit an. Deshalb
muss das Optimum aus elektrischem Mehrertrag und notwendiger Pumpenenergie Stand-
ort-abhängig ermittelt werden.
Aufgrund der bereits heute sehr geringen Investitionen für Photovoltaikmodule, des
Kostenvorteils durch den Eigenverbrauch des Photovoltaikstroms im Vergleich zum Netz-
strombezug (zumindest in Deutschland) und der im Vergleich zu abgedeckten PVT-Modu-
len relativ einfachen Konstruktion von nicht abgedeckten Modulen weisen diese den deut-
lich größeren Marktanteil auf. Der Schwerpunkt im Hinblick auf eine optimale gesamt-
energetische Nutzung der PVT-Module liegt damit in der effizienten Nutzung der an-
fallenden Niedertemperaturenergie. Hierbei ist das realisierbare Temperaturniveau des
Kühlmittels entscheidend. Hierbei haben jahreszeitliche Schwankungen große Auswir-
kungen auf das Temperaturniveau des Kühlfluids und eine detaillierte Abstimmung auf
die real nachgeschalteten Prozesse ist unabdingbar.
Abb. 5.35 zeigt exemplarisch das Verhältnis der elektrischen Leistung eines PVT- und
eines „klassischen“ (ungekühlten) Photovoltaikmoduls im Jahresverlauf als Ergebnis ent-
392 R. Bründlinger et al.

sprechender Simulationen. Um den Einfluss des Klimas bzw. der solaren Strahlung ver-
deutlichen zu können, zeigt die Darstellung Werte exemplarisch für deutsche meteoro-
logischen Gegebenheiten und zusätzlich Werte aus einem Solarstrahlungs-intensiveren
Land (Jordanien); dabei wird unterstellt, dass genügend Kühlflüssigkeit mit dem benö-
tigten Temperaturniveau verfügbar ist. Demnach gewinnt der elektrische Mehrertrag erst
im Jahresverlauf an Bedeutung; beispielsweise können durch eine entsprechende Kühlung
im Monatsmittel netto maximal 3 bis 4 % mehr elektrische Energie – in warmen Klima-
ten tendenziell etwas mehr im Vergleich zu eher gemäßigten Klimazonen – bereitgestellt
werden. Deutlich wird auch, dass der größte Effekt kurz nach der Mittagszeit auftritt,
wenn i. Allg. die Lufttemperatur die maximalen Werte im Tagesverlauf annehmen. Gene-
rell gilt, dass bei steigender solarer Strahlung und erhöhter Außenlufttemperatur sich der
positive Effekt durch die Kühlung verstärkt. Parallel zu der durch die Kühlung erhöhten
elektrischen Umwandlung tritt auch ein potenziell verwertbarer Wärmestrom auf, der im
Sinne einer gesamtsystemischen Optimierung sinnvoll genutzt werden sollte. Hier kann
durch die Variation der Wärmeträgerfluidgeschwindigkeit das realisierbare Temperaturni-
veau variiert und an eine entsprechende Endnutzung angepasst werden. Dabei muss für
jeden potenziellen Anwendungsfall immer ein Kompromiss zwischen dem mit sinkenden
Temperaturen möglichen solaren Strom-Mehrertrag und den mit steigender Temperatur
zunehmenden Möglichkeiten einer effizienten Wärmenutzung gefunden werden.

Bifaziale Photovoltaikmodule Als Modifikation der Standard-Photovoltaikmodule


kommen zunehmend auch bifaziale (zweigesichtige) Photovoltaikmodule (Abb. 5.36)
auf den Markt. Bei diesen Systemen wird nicht nur das einfallende Licht der Sonne auf
der Modulvorderseite genutzt, sondern auch die auf die Modulrückseite treffende solare
Strahlung. Grundvoraussetzung dafür ist eine Rückseite aus Glas oder einem anderen
lichtdurchlässigen Material; ein Vorteil der Realisierung von Glasrückseiten besteht in
der erhöhten Robustheit der bifazialen Module und der damit einhergehenden hohen
technischen Lebensdauer. Zusätzlich zu der lichtdurchlässigen Rückseite muss der Elek-
trodenkontakt der einzelnen Zellen vom ganzflächigen Rückkontakt (einfaziale Zellen)
zu einem Fingerprint-Kontakt modifiziert werden (wie es bisher typischerweise nur auf
der beschienenen Vorderseite von „klassischen“ Photovoltaikmodulen realisiert wurde).

Glas Frontseitiger Glas Frontseitiger


Stromfluss Stromfluss

e- Solar- e- Solar-
- strahlung - strahlung
e Transparente e
e- Rückseitenfolie
- e-
e
- -
Verschaltete e Rückseitiger e e-
Zellen Stromfluss
e-
-
Reflektierte e
Weiße oder schwarze
Rückseitenfolie
Solarstrahlung

Abb. 5.36 Bifaziale Zellen


5 Photovoltaische Stromerzeugung 393

Hierfür wird die Rückseite poliert, passiviert und anschließend für die Kontaktpunkte neu
geöffnet.
Eine potenzielle Nutzung des rückseitig einfallenden Lichtes mithilfe derartiger bifazia-
ler Module ist insbesondere bei Flachdach- und Freiflächenanlagen relativ einfach möglich
– und damit bei aufgeständerten Modulen. Dabei wird der Mehrertrag stark von dem ent-
sprechend Bodenalbedo bestimmt; bei bestimmten Anwendungsfeldern kann er beispiels-
weise durch die Realisierung eines (besser) reflektierenden Untergrundes auch erhöht wer-
den. Wesentlich für den potenziell erreichbaren Mehrertrag ist auch der Aufstellwinkel der
Module. Während für einen maximalen rückseitigen Ertrag eine steilere Aufstellung vor-
teilhaft ist, nehmen die solaren Energieerträge der Vorderseite unter mitteleuropäischen Be-
dingungen im Jahresverlauf bei einem Aufstellungswinkel von mehr als 30ı wieder ab; des-
halb muss hier Standort-abhängig jeweils ein Optimum ermittelt werden.
Weitere positive Effekte auf die Ertragssteigerung eines bifazialen Moduls im Vergleich
zu „klassischen“ Standardmodulen werden durch einen erhöhten Bodenabstand (bei Frei-
flächenanlagen) sowie einen größeren Abstand der Zellen zueinander realisiert. Insgesamt
kann eine Ertragssteigerung zwischen 5 und 15 % erreicht werden.
Als einen idealen Anwendungsfall für bifaziale Photovoltaikmodule wird eine vertikale
Aufstellung in Ost-West-Richtung angesehen. Hierbei kann der Flächenbedarf reduziert
und die Fläche zwischen den aufgestellten Modulen weiterhin landwirtschaftlich genutzt
werden. Auch wird bei einer derartigen Installationsweise die typische Ertragsspitze zur
Mittagszeit auf zwei Ertragsspitzen aufgeteilt; dies kann ggf. Vorteile bei der Ausnutzung
höherer Börsenstrompreise nach sich ziehen. Zusätzlich sorgt eine vertikale Aufstellung
zu weniger Verlusten durch Verschmutzung und / oder Schneebedeckung. Nachteilig ist
aber der dadurch insgesamt erhöhte Flächenbedarf pro installierter Leistung (wenn auch
die Fläche in der Summe effizienter genutzt werden kann).

5.2.2 Weitere Systemkomponenten

Wechselrichter Solargeneratoren sowie Batteriespeicher geben prinzipiell Gleichspan-


nungen bzw. Gleichströme (DC direct current) ab. Viele der gängigen Kleinverbraucher
(z. B. Uhren, Taschenrechner) sind auch zu einem direkten Betrieb mit derartigen Gleich-
spannungen geeignet. Die meisten handelsüblichen Geräte benötigen jedoch Wechsel-
spannung (AC alternating current) von 230 V mit einer Frequenz von 50 Hz (teilweise
auch 120 V bei 60 Hz wie z. B. in den USA). Auch in autonomen, nicht an das Netz der
öffentlichen Versorgung angeschlossenen Photovoltaiksystemen werden daher oft Wech-
selrichter zum Umwandeln der Gleichspannung in Wechselspannung mit den Vor-Ort üb-
lichen Spezifikationen eingesetzt, damit handelsübliche Geräte verwendet werden können.
Zur Einspeisung von Strom aus Photovoltaikgeneratoren in das Wechselspannungsnetz
der öffentlichen Versorgung ist demgegenüber ein Wechselrichter immer erforderlich.
Der Leistungsbereich von Wechselrichtern für Photovoltaik-Anlagen erstreckt sich
über einen Bereich von etwa 100 W bis zu mehreren MW; dabei kommen unterschied-
lichste Schaltungstopologien und -komponenten zum Einsatz. Ein Trend zu höheren
394 R. Bründlinger et al.

Leistungen insbesondere bei großen Photovoltaik-Kraftwerken ist deutlich erkennbar;


hier können durch die höhere Leistung einzelner Wechselrichter die Kosten insgesamt
gesenkt werden. Auch lassen der ständig wachsende Markt sowie neue Erkenntnisse
immer wieder neue Wechselrichterkonzepte und Produkte entstehen [5.1]. Deshalb wer-
den nachfolgend nur grundsätzliche Prinzipien und Anforderungen an Wechselrichter
dargestellt. Dabei wird zwischen Insel- und Netzwechselrichtern unterschieden. Erstere
werden zur Versorgung von Inselnetzen und letztere im Netzparallelbetrieb eingesetzt.
Ein grundlegender Unterschied zwischen diesen beiden Typen besteht in der Regelung.
Ein Inselwechselrichter bildet ein 1- bzw. 3-phasiges Spannungssystem mit definier-
ter Frequenz und Amplitude und arbeitet spannungsgeregelt. Ein Netzwechselrichter
synchronisiert sich mit der vorhandenen Netzspannung und speist einen möglichst sinus-
förmigen Strom in das entsprechende Netz ein; er ist daher in der Regel stromgeregelt.
Vor dem Hintergrund zunehmender Durchdringung dezentraler, leistungselektronisch an
das elektrische Energieversorgungsnetz gekoppelter Erzeugungsanlagen und einem Rück-
bau von Erzeugungsanlagen mit Synchronmaschinen wird in der jüngeren Vergangenheit
zunehmend diskutiert, spannungsgeregelte, netzbildende Verfahren auch vermehrt im
Netzparallelbetrieb einzusetzen, um die Systemstabilität langfristig zu gewährleisten.
Zusätzlich sind Wechselrichter erhältlich, die im Falle eines Stromausfalls in einen
Ersatzstrommodus wechseln können; dafür werden in der Regel Batteriewechselrichter
eingesetzt, welche die Einbindung von Speichern sowohl in autarke Inselstromsysteme
wie auch in Übertragungs- und Verteilnetze ermöglichen. Im Falle eines Blackouts bildet
der Batteriewechselrichter zusammen mit dem Speicher ein Stromnetz, das zumindest
die wichtigsten Verbraucher (im Haushalt beispielsweise die Heizungspumpe und den
Kühlschrank) weiterversorgen kann.
Wechselrichter übernehmen typischerweise nicht immer nur die Aufgabe, den sola-
ren Gleichstrom in netzkompatiblen Wechselstrom umzuwandeln. Sie sind häufig auch
für den optimalen Betrieb der Photovoltaikanlage zuständig; d. h. sie fahren die Anlage
möglichst immer im Punkt maximaler Leistung (MPP; maximum power point).

Inselwechselrichter Während das gewohnte 230 V/50 Hz Hausnetz eine sinusförmige


Netzspannung liefert, werden bei Inselwechselrichtern entsprechend ihrer Ausgangs-
spannungsform drei Gruppen unterschieden: Rechteck-, Trapez- und Sinuswechselrichter
(Abb. 5.37). Im kleinen Leistungsbereich (z. B. zur lokalen Versorgung einzelner Wechsel-
spannungs(AC)-Verbraucher in einem Gleichspannungs(DC)-Netz) werden insbesondere
Spannung

Spannung

Spannung

Zeit Zeit Zeit

Rechteck Trapez Sinus

Abb. 5.37 Typische Ausgangsspannungsformen von Rechteck-, Trapez- und Sinuswechselrichtern


5 Photovoltaische Stromerzeugung 395

S1 S3 S1,S 4

230 V
50 Hz t
S2,S3

S2 S4

Batterie H-Brücke Transformator Inselnetz t

Abb. 5.38 Schaltungsprinzip eines Rechteckwechselrichters

in sehr kostengünstigen Systemen noch Rechteck- oder Trapezwechselrichter eingesetzt.


In größeren Systemen (> 1 kW) kommen demgegenüber überwiegend Sinuswechselrich-
ter zum Einsatz. Die Tendenz geht dabei auch bei Kleinwechselrichtern zu sinusförmigen
Ausgangsspannungen [5.6, 5.22].
Der Rechteckwechselrichter hat den Vorteil eines sehr einfachen Aufbaus. In dem in
Abb. 5.38 dargestellten Beispiel wird die Batteriespannung von z. B. 12 oder 24 V über
die aus den Schaltern S1 bis S4 gebildete Brückenschaltung im Rhythmus von 50 Hz mit
wechselnder Polarität an die Primärseite des Ausgangstransformators gelegt. In der ersten
Phase sind die Schalter S1 und S4 – üblicherweise bipolare Transistoren oder MOS-Feld-
effekttransistoren – geschlossen. In der zweiten Phase gilt dies für S2 und S3 . Die „zer-
hackte“ Gleichspannung wird anschließend durch den Transformator auf die notwendige
Ausgangsspannung von 230 V hochtransformiert [5.22]. Ein Nachteil dieses Konzeptes
ist, dass die Höhe der Ausgangsspannung mit der Batteriespannung zwischen der Entla-
deschlussspannung von z. B. bei Bleiakkumulatoren 11 V und der Gasungsspannung von
z. B. 15,5 V schwankt. Bei einem 12 V Bleiakkumulator ergibt sich bei einem konstan-
ten Übersetzungsverhältnis des Transformators damit ein Ausgangsspannungsbereich von
210 bis 297 V [5.49].
Der sogenannte Trapez- oder auch „Quasi-Sinus“-Wechselrichter ist schaltungstech-
nisch vom Grundsatz her vergleichbar wie der Rechteckwechselrichter aufgebaut. Seine
Ausgangsspannung enthält allerdings eine Austastlücke. Dabei stellt ein geeigneter Re-
gelkreis die Breite dieser Austastlücke so ein, dass auch bei unterschiedlichen Eingangs-
spannungen ein nahezu konstanter Effektivwert der Ausgangsspannung entsteht.
Beim Betrieb derartiger Wechselrichtertypen ist immer zu prüfen, ob die vorgesehe-
nen Verbraucher, die i. Allg. für sinusförmige Versorgungsspannungen konstruiert sind,
mit diesen Spannungsformen zuverlässig arbeiten können und auch keine Reduktion der
technischen Lebensdauer zu erwarten ist. Problemlos können i. Allg. Glühlampen, Bü-
geleisen oder andere einfache Verbraucher (z. B. Bohrmaschinen) versorgt werden. Falls
diese Elektrogeräte Transformatoren oder kapazitive Spannungsteiler im Eingang besit-
zen, treten häufig Geräusche, erhebliche zusätzliche Verluste oder gar Zerstörungen an
den Geräten auf. Auch arbeiten einige elektronische Geräte (z. B. Waschmaschinen) nicht
an diesen Wechselrichtern, da sie den definierten Nulldurchgang der sinusförmigen Span-
nung für ihre interne Steuerung benötigen.
396 R. Bründlinger et al.

S1 S3 S1

230 V
50 Hz t
S4
S2 S4

Batterie H-Brücke Filter Transformator Inselnetz


t

Abb. 5.39 Schaltungsprinzip eines pulsweitenmodulierten Wechselrichters

Abb. 5.40 Erzeugung einer


Sinusspannung durch Pulsung
einer Gleichspannung Spannung (U ) in V

Zeit in s

Der Sinuswechselrichter liefert demgegenüber eine Ausgangsspannung wie das Netz


der öffentlichen Versorgung, so dass alle üblichen Wechselstromverbraucher problemlos
und sicher betrieben werden können. Von den vielen möglichen Schaltungsvarianten zeigt
Abb. 5.39 das Prinzip eines pulsweitenmodulierten (PWM) Wechselrichters.
Im Gegensatz zum Rechteckwechselrichter wird hier die Eingangsspannung mit ei-
ner wesentlich höheren Frequenz (einige 10 kHz) „zerhackt“. Für die positive Halbwelle
der Sinusschwingung wird in dem in Abb. 5.39 gezeigten Beispiel der Schalter (Tran-
sistor) S1 dauernd durchgeschaltet, während der Schalter S4 hochfrequent mit einem va-
riablen Puls / Pausen-Verhältnis ein- und ausgeschaltet wird (gepulst; Pulsweitenmodu-
lation, PWM); d. h. die Pulsweite wird variiert (moduliert). Somit lässt sich für jeden
Zeitabschnitt ein Mittelwert der Spannung einstellen, der proportional zur Einschaltzeit
innerhalb dieses Abschnitts ist. Bei einem geeigneten Pulsmuster ergibt sich am Aus-
gang der Brückenschaltung ein periodisches Rechteckspannungsmuster. Diese periodi-
sche Spannung kann mittels harmonischer Analyse in ihre sinusförmigen Bestandteile
(d. h. Gleichanteil, Grundschwingung, Oberschwingungen) zerlegt werden. Die Grund-
schwingung ergibt die gewünschte sinusförmige Spannung (Abb. 5.40). Ein nachgeschal-
teter Filter unterdrückt alle hochfrequenten Anteile dieses Signals, so dass am Ausgang
im Wesentlichen die gewünschte sinusförmige Spannung auftritt. Ein nachgeschalteter
Transformator bewirkt eine Anpassung auf die benötigte Spannung von 230 V. Er kann
bei genügend hoher Eingangsspannung (> 350 V) entfallen; dies führt zu Einsparungen
5 Photovoltaische Stromerzeugung 397

am Wechselrichter selbst und insbesondere zu einem deutlich besseren Wirkungsgrad


im unteren Teillastbereich. Stand der Technik sind dabei zweistufige, transformatorlose
Wechselrichter, bei denen mit Hilfe eines Hochsetzstellers die Eingangsspannung hinrei-
chend hoch gesetzt wird, um den Strom ohne zusätzlichen Netztransformator in das Netz
einzuspeisen.
Bei Inselnetzen kommen derart hohe Eingangsspannungen aber heute nur in sehr gro-
ßen Anlagen zum Einsatz. Hauptgrund dafür ist, dass dann auch die Batterien zu sehr
hohen Spannungen verschaltet werden müssen. Der sichere und langlebige Betrieb einer
Batterie mit hoher Spannungslage ist aber durch die Gefahr der Individualisierung von
einzelnen Zellen wesentlich herausfordernder als bei geringeren Spannungen. Typisch
sind heute Eingangsspannungen im Bereich von 48 bis 60 V für Anlagen bis zu 10 kW
Anschlussleistung. Seit einigen Jahren kommen auch sogenannte „Hochvolt-Batterien“ in
Lithium-Ionen-Technologie im Spannungsbereich von einigen 100 V auch für diese Leis-
tungsklasse zum Einsatz.
Abhängig vom Anwendungsfall sind an Inselwechselrichter die folgenden Anforde-
rungen zu stellen [5.22].

 Hoher Wirkungsgrad. Der Wirkungsgrad von Inselwechselrichtern sollte möglichst


hoch sein und bereits im unteren Teillastbereich schnell ansteigen. Wird jedoch der
Wechselrichter in einem DC-Netz (DC Gleichstrom) nur sporadisch eingeschaltet, um
einen zugeordneten AC-Verbraucher (AC Wechselstrom) zu versorgen, spielen Eigen-
verbrauch und Wirkungsgrad nur eine untergeordnete Rolle. Arbeitet der Wechselrich-
ter hingegen im Dauerbetrieb, um z. B. ein Hausnetz zu versorgen, ist der Eigenver-
brauch eine kritische Größe. Hohe Wirkungsgrade über 90 % bei geringer Ausgangs-
leistung sind dabei wesentlich. Ein Wirkungsgrad von 85 bis 90 % bei Nennleistung
ist hingegen i. Allg. ausreichend, da der Wechselrichter nur zu einem Bruchteil seiner
Betriebszeit mit Nennlast beansprucht wird. Von den beiden in Abb. 5.41 dargestellten
Wirkungsgradverläufen stellt somit die Kurve „Guter Wirkungsgradverlauf“ den für
netzunabhängige Photovoltaik-Anwendungen besseren Wirkungsgradverlauf dar.

Abb. 5.41 Guter und schlech- Guter Wirkungsgradverlauf


1,0
ter grundsätzlicher Verlauf von
0,9
Wirkungsgraden von Insel-
0,8
wechselrichtern (nach [5.22])
Wirkungsgrad

0,7 Schlechter Wirkungsgradverlauf


0,6

0,5

0,4

0,3

0,2

0,1

0,0
0,0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 1,0
Anteil der Ausgangsleistung an der Nennleistung
398 R. Bründlinger et al.

 Geringer Eigenverbrauch. Die Energieverluste aufgrund eines hohen Eigenverbrauchs


lassen sich reduzieren, wenn der Wechselrichter nur bei Bedarf automatisch eingeschal-
tet wird und die übrige Zeit einen deutlich niedrigeren Stand-by-Verbrauch hat. Hierbei
muss jedoch sichergestellt sein, dass auch kleine Lasten wie Kompaktleuchtstofflam-
pen sicher erkannt und gestartet werden. Eine Variante einer derartigen Lasterkennung
stellt das Master-Slave-Verfahren dar, bei welchem ein kleiner Wechselrichter (Master)
die Dauerversorgung sicherstellt und der Slave nur bei einer entsprechenden Nachfrage
nach elektrischer Leistung zugeschaltet wird.
 Stabiles Betriebsverhalten. Die Ausgangsspannung von Inselwechselrichtern soll-
te möglichst stabil in Frequenz und Amplitude sein (Spannungsquelle). Dies gilt
besonders für größere Anlagen, wenn eine Vielzahl unterschiedlicher Verbraucher
gleichzeitig betrieben wird. So sollte es beim Anlaufen eines größeren Verbrauchers
(z. B. Waschmaschine, Kühlschrank) nicht zu einem kurzzeitigen Zusammenbruch
der Netzspannung kommen, der beispielsweise einen gleichzeitig versorgten PC „zum
Absturz“ bringen kann.
 Sinusförmige Ausgangsspannung ohne Gleichanteil. Die Ausgangsspannung sollte
möglichst sinusförmig sein (d. h. wenig Oberschwingungen bzw. Verzerrungen). Ein
Maß hierfür ist der Klirrfaktor, der unter 5 % liegen sollte. Zusätzlich sollte die Aus-
gangsspannung keinen Gleichanteil enthalten, da dieser Transformatoren und Motoren
vormagnetisiert und dadurch schädigen kann. Weiterhin sollte der Wechselrichter
induktive und kapazitive Lasten betreiben können (z. B. Leuchtstofflampen, Wech-
selstrommotoren). Dies drückt sich in der Angabe des zulässigen Leistungsfaktors
aus. Zum Anlauf von Motoren (z. B. in Kühlschränken, Waschmaschinen) sollte er
kurzzeitig bis zum 2 bis 3-fachen überlastbar sein.
 Abdeckung des gesamten Spannungsbereichs. Der Wechselrichter sollte eingangssei-
tig den gesamten Spannungsbereich des Batteriespeichers von 10 bis C30 % der
Nennspannung zulassen. Beim Unterschreiten einer Mindesteingangsspannung sollte
er entweder automatisch oder über einen Steuereingang abschalten, um die Batterie
vor Tiefentladung zu schützen.

Inselwechselrichter sind mittlerweile fast ausnahmslos als Sinuswechselrichter ver-


fügbar. Auch erfüllen mehr und mehr Geräte die diskutierten Anforderungen; dies gilt
insbesondere in Bezug auf den Wirkungsgrad und die Funktionalität.
Für größere Insel-Hybridsysteme werden vermehrt Wechselrichter eingesetzt, die einen
bidirektionalen Energiefluss erlauben. So ist eine Ladung der Batterien über den Wech-
selrichter aus wechselspannungsseitig angeschlossenen Zusatzstromerzeugern wie Wind-,
Wasser- oder Dieselgeneratoren ohne zusätzliche Ladegeräte möglich. Dies führt zu einer
Vereinfachung des Systemaufbaus [5.1].

Netzwechselrichter Die Einspeisung von Solarstrom ins Netz der öffentlichen Versor-
gung oder in ein Industrie-Wechselstromnetz erfordert immer einen Wechselrichter zur
Umformung der erzeugten Gleichspannung in eine netzkonforme Wechselspannung. Im
5 Photovoltaische Stromerzeugung 399

Abb. 5.42 Prinzip einer Solar- Wechsel- Über- Netz der öffentlichen
generator richter wachung Versorgung
netzgekoppelten Photovol-
taik-Anlage
Ent-

spannung

spannung

spannung
Wechsel-

Wechsel-
kupp-

Gleich-
lungs-
schutz

Regelung Wechselspannung
(z. B. 220 V, 50 Hz)

Gegensatz zu den Inselwechselrichtern, die technisch gesehen im Wesentlichen gleich-


spannungsseitig aus einer Batterie gespeist werden, sind Netzwechselrichter direkt mit
der Photovoltaikanlage verknüpft (Abb. 5.42).
Die Funktion der Netzkopplung und die Ermittlung des Zustandes des Netzes wird
durch den Netz- und Anlagenschutz (NA-Schutz, auch als „Entkupplungsschutz“ bezeich-
net) realisiert. Dieser misst die Netzspannung sowie die Netzfrequenz und beinhaltet die
Erkennung einer ungewünschten Inselbildung. Der Netz- und Anlagenschutz trennt die
Anlage bei unzulässigen Netzzuständen vom Netz. Dadurch wird der Schutz des Netzes
und auch der Anlage gewährleistet.
Dabei ist das eigentliche Herzstück einer derartigen Netzkopplung der Solarwechsel-
richter. Derartige Inverter verwenden heute Halbleiterbauelemente wie MOS-Fets (Me-
tal Oxide Semiconductor – Feldeffekt-Transistoren) oder IGBTs (Insulated Gate Bipolar
Transistoren) verbunden mit optimierten Schaltungstopologien. Derartige Geräte sind da-
bei speziell auf einen minimalen Eigenverbrauch (auch in der Nacht) sowie einem hohen
Gesamtwirkungsgrad hin optimiert.
Die Anforderungen an die Wirkungsgradcharakteristik hängen dabei vom Einsatz-
zweck des Geräts ab. Während ein Inselwechselrichter typischerweise den größten Anteil
der Energie bei etwa 20 % der Nennleistung umsetzt, ist die Belastung von Netzwech-
selrichtern unter mitteleuropäischen Einstrahlungsverhältnissen gleichmäßig über den
gesamten Leistungsbereich verteilt. Neben einem geringen Eigenverbrauch sind daher
hier auch die Wirkungsgrade bei hohen Auslastungen des Wechselrichters von Bedeu-
tung. Dazu ist eine große Bandbreite von Geräten in einem Leistungsbereich von einigen
100 W bis zu einigen MW verfügbar; Anlagen im MW-Bereich werden in der Regel mit
mehreren Wechselrichtern (ggf. im Master-Slave-Betrieb) ausgestattet.
Netzwechselrichter werden heute ausschließlich als selbstgeführte oder selbstkommu-
tierte Wechselrichter mit abschaltbaren Leistungshalbleiterbauelementen ausgeführt und
benötigen daher keine externe Netzspannung für die Kommutierung. Ein hier häufig ein-
gesetztes Funktionsprinzip ist die bereits beschriebene Pulsweitenmodulation; dabei sind
viele unterschiedliche Schaltungstopologien möglich. Abb. 5.43 zeigt das Funktionsprin-
zip eines derartigen transformatorlosen Wechselrichters, bei dem aus Gründen der Span-
nungsqualität eine bipolare bzw. symmetrische Pulsweitenmodulation verwendet wird.
Hier ist die Wechselrichterbrücke diagonal getaktet; d. h. der Schalter S1 wird zusam-
400 R. Bründlinger et al.

Abb. 5.43 Schaltungsprinzip eines pulsweitenmodulierten transformatorlosen Netzwechselrichters


mit bipolarer bzw. symmetrischer Taktung

men mit Schalter S4 und der Schalter S2 zusammen mit Schalter S3 geschaltet. Durch
abwechselndes Takten dieser Schalterkombination stellt sich im Mittel eine sinusförmige
Spannung und aufgrund der Filtercharakteristik sowie der Stromregelung ein sinusförmi-
ger Ausgangsstrom ein. Derartige Wechselrichter sind nicht auf ein vorhandenes „starres“
Netz angewiesen. Deshalb muss ein dauerhaftes Weiterarbeiten beim Ausfall des führen-
den Netzes durch geeignete Maßnahmen unbedingt verhindert werden. Um dieser Gefahr
der Ausbildung von Inselnetzen bei einem beispielsweise im Störungsfall abgeschalteten
Versorgungsnetz zu begegnen, ist beispielsweise in Deutschland die Verwendung eines
Netz- und Anlagenschutzes (NA-Schutz) vorgeschrieben. Dieser soll vor allem verhin-
dern, dass bei Arbeiten am Netz Bereiche, die als freigeschaltet angesehen werden, noch
unter Spannung stehen. Bei Anlagen mit einer Leistung kleiner 30 kVA kann diese Schutz-
funktion in den Photovoltaik-Wechselrichter integriert werden und ist dann als integrierte
selbsttätige Schaltstelle ausgeführt. Bei Anlagen mit einer Leistung größer 30 kVA ist ein
externer zentraler Netz- und Anlagenschutz (NA-Schutz) vorgeschrieben.
Netzgekoppelte Wechselrichter können vom Grundsatz her mit und ohne Transforma-
tor betrieben werden. Bei den Geräten mit Transformator unterscheidet man zwischen
Systemen mit einem 50 Hz-Transformator und mit einem Hochfrequenztransformator.
Bei entsprechend hoher Eingangsspannung kann ein netzgekoppelter Wechselrichter
auch ohne den zur Spannungsanpassung erforderlichen Transformator direkt in das Netz
der öffentlichen Versorgung einspeisen. Dies führt sowohl zu einer Kosten-, Gewichts-
und Volumeneinsparung als auch zu einer deutlichen Reduzierung des Eigenverbrauchs;
letzteres wiederum trägt zum verbesserten Wirkungsgrad im Teillastbereich bei. Deshalb
geht der Trend zu transformatorlosen Konzepten. Durch den Einsatz derartiger transfor-
matorloser Wechselrichter entstehen aber besondere Anforderungen an die Fehlerstrom-
und Isolationsüberwachung.
Heute erreichen Photovoltaik-Wechselrichter maximale Wirkungsgrade von über
98 %; dies gilt vor allem für transformatorlose Schaltungen und Dreipunktschaltun-
gen (Abb. 5.44). Zukünftig ist durch den Einsatz neuer Halbleitermaterialen (Silizium
Karbid (SiC), Gallium Nitrit (GaN)) mit Wechselrichterwirkungsgraden von über 99 %
zu rechnen.
5 Photovoltaische Stromerzeugung 401

100
Transformatorlos, unipolar,
mit SiC Transistoren

Wirkungsgrad in %
(HERIC, H5, 3 ~ NPC) 98

Transformatorlos, unipolar
(HERIC, H5, 3 ~ NPC) 96

Transformatorlos, bipolar 94
(H4, B6)

HF-Transformator (16 kHz) 92

LF-Transformator (50/60 Hz)


90
0 0.2 0.4 0.6 0.8 1
Relative Wechselstromleistung

Abb. 5.44 Typische Wechselrichterwirkungsgrade bei verschiedenen Wechselrichter-Schaltungs-


topologien [5.25]

Die ersten Generationen von netzgekoppelten Photovoltaikanlagen wurden mit zentra-


len Wechselrichtern ausgeführt (Abb. 5.45). Hierbei werden die Module zur Erzielung der
benötigen Spannung zunächst in Reihe verschaltet (Strings); diese Strings werden dann
zur Sicherstellung der geforderten Leistung in einem Gleichspannungsverteiler parallelge-
schaltet. Der so zusammen geschaltete Generator speist dann einen einzelnen (zentralen)
Wechselrichter, der dann für den gesamten Photovoltaikgenerator die Umwandlung von
Gleich- in Wechselstrom übernimmt. Teilweise wird die jeweilige Photovoltaikleistung

PV String PV String PV Module

String Module
Inverter Inverter

Zentral
Inverter

AC-Bus AC-Bus AC-Bus

Abb. 5.45 Unterschiedliche Wechselrichterkonzepte (links: zentraler Wechselrichter (Inverter),


Mitte: String-Wechselrichter, rechts: dezentraler, Modul-integrierter Wechselrichter; PV Photovol-
taik; AC Wechselspannung)
402 R. Bründlinger et al.

auch auf mehrere zentrale Wechselrichter aufgeteilt, die im Master-Slave-Verfahren be-


trieben werden.
Nur für kleine Anlagen ist entsprechend der Netzanschlussrichtlinien eine einphasi-
ge Einspeisung zulässig. Ab einer Anlagenleistung von meist 3,68 kVA bzw. 4,6 kVA je
Außenleiter muss die Einspeisung dreiphasig ausgeführt sein. Alternativ dazu können die
einphasig einspeisenden Wechselrichter kommunikativ so gekoppelt werden, dass keine
unzulässige unsymmetrische Einspeisung auftritt. Mittlerweile werden bei größeren Pho-
tovoltaikanlagen aber ausschließlich dreiphasige Geräte eingesetzt. Diese zeichnen sich
gegenüber einphasigen Wechselrichtern durch eine geringere Anzahl benötigter Halbleiter
sowie durch einen kleineren Zwischenkreis aus; dadurch lassen sich Kosten, Bauvolumen
und Gewicht deutlich reduzieren.
Zusätzlich zu dem ein- oder dreiphasig einspeisenden Wechselrichter wird in vielen
Geräten noch ein DC/DC-Steller eingesetzt, um einen möglichst großen Eingangsspan-
nungsbereich abzudecken; vor allem dreiphasig einspeisende Geräte besitzen aufgrund der
zur Einspeisung notwendigen hohen Gleichspannung meist eine derartige Systemkom-
ponente. Durch mehrere unabhängige DC/DC-Steller am Wechselrichtereingang lassen
sich auch verschiedene MPP-Spannungen (MPP maximum power point; Punkt maxi-
maler Leistung) für unterschiedliche Strings realisieren (Multi-String). Dadurch können
z. B. unterschiedlich lange Strings mit individuellen Arbeitspunkten betrieben und so-
mit die abgegebene Leistung des Photovoltaikgenerators gesteigert werden. Auch im Fall
temporärer, teilweiser Verschattung der Photovoltaik-Module ermöglichen Multi-String-
Wechselrichter eine Erhöhung des Ertrages.
Alternativ dazu sind auch dezentrale, direkt am Modul montierte leistungselektronische
Wandler verfügbar, die auf Modulebene den Arbeitspunkt auf den Punkt maximaler Leis-
tung (MPP) einregeln. Hierbei unterscheidet man zwischen Modulwechselrichtern und
reinen DC/DC-Wandlern. Modulwechselrichter (Abb. 5.45) können direkt an das Wech-
selstromnetz angeschlossen werden und ersetzen den zentralen Wechselrichter; alternativ
dazu sind auch Zwischenformen möglich (Abb. 5.45). Die modulintegrierten DC/DC-
Wandler, oft auch „Maximizer“ genannt, sorgen demgegenüber nur für einen optimalen
Arbeitspunkt des jeweiligen Photovoltaikmoduls. Zur Einspeisung der photovoltaisch er-
zeugten elektrischen Energie in das Netz der öffentlichen Versorgung wird weiterhin ein
zentraler Wechselrichter benötigt.
Das Konzept eines separaten Arbeitspunktes maximaler Leistung auf Modulebene (dis-
tributed maximum power point tracking, DMPPT) bietet verschiedene Vorteile.

 Jedes Modul kann optimal betrieben werden.


 Verluste durch unterschiedliche Kennlinien der Module (Mismatch-Verluste) werden
reduziert.
 Teilabschattungen wirken sich nur auf das betroffene Modul aus.

Der Einsatz eines Modulwechselrichters bietet darüber hinaus noch weitere Vorteile,
die nachfolgend diskutiert werden.
5 Photovoltaische Stromerzeugung 403

 Der Ausfall eines Modulwechselrichters betrifft nur den jeweils zugehörigen Teil der
entsprechenden Photovoltaikanlage. Der Rest der Stromerzeugungsanlage kann wei-
terhin elektrische Energie einspeisen.
 Die Verkabelung der Module untereinander erfolgt auf der Wechselspannungsseite.
Dies stellt eine konventionelle Technik mit einem im Vergleich zur Gleichspannungs-
verkabelung verminderten Gefahrenpotenzial (Gleichspannungs-Lichtbogen) dar.
 Die Massenfertigung vieler kleiner, gleicher Einheiten ermöglicht Kostenreduktionen.

Neben diesen Vorteilen gibt es aber auch eine Reihe von Nachteilen, die durch ein
aufwändigeres Design der Einzelgeräte kompensiert werden müssen.

 Insbesondere modulintegrierte leistungselektronische Wandler unterliegen einem ho-


hen thermischen Stress, der den Einsatz entsprechend dimensionierter Komponenten
erforderlich macht. Dies reduziert die technische Lebensdauer, die bei vielen Photo-
voltaikmodulen heute schon bei 25 und mehr Jahren liegt.
 Der Austausch modulintegrierter leistungselektronischer Wandler z. B. in Fassaden
stellt einen erheblichen Aufwand dar.
 Die Funktion jedes Modulwechselrichters muss von einer zentralen Überwachungs-
stelle überprüfbar sein. Dies ist z. B. durch eine Datenübertragung über die Netzleitung
(„Powerline“) ohne zusätzliche Verdrahtung möglich, erfordert allerdings in jedem Ge-
rät einen zusätzlichen Aufwand.
 Mit abnehmender Nennleistung eines Energiewandlers wird es immer schwieriger, ei-
nen für Photovoltaikanwendungen geeigneten Verlauf des Wirkungsgrades zu erzielen,
da der Eigenverbrauch nicht in einem gleichen Maße reduziert werden kann. Dies führt
bei sehr kleinen Einheiten zu einer Abnahme des Gesamtwirkungsgrades.

Insgesamt gesehen sollten Netzwechselrichter die folgenden Anforderungen erfül-


len [5.1, 5.22].

 Der Ausgangsstrom folgt synchron zur anliegenden Netzspannung. Im Gegensatz


zum Inselwechselrichter, der eine möglichst konstante Ausgangsspannung liefern soll
(Spannungsquelle), verhält sich ein Netzwechselrichter wie eine Stromquelle, deren
abgegebene Stromstärke von der Höhe der momentanen Eingangsleistung abhängig
ist.
 Der Ausgangsstrom sollte möglichst sinusförmig sein. Die Verzerrungen und somit
die Größe der spektralen Anteile bei Vielfachen der Netzfrequenz (d. h. Oberschwin-
gungen) dürfen vorgegebene Grenzwerte (u. a. EN 61000-3-2, VDE-AR-N 4105) nicht
überschreiten.
 Der Ausgangsstrom sollte keinen Gleichanteil besitzen, da dieser Transformatoren im
Netz vormagnetisieren und ggf. auch Fehlerstrom-(FI)-Schutzschalter in ihrer Funktion
beeinträchtigen kann.
 Erzeugungsanlagen müssen sich an der statischen Spannungshaltung im Netz betei-
ligen. Hierzu ist es ggf. notwendig, dass der Wechselrichter in Abhängigkeit der Ein-
404 R. Bründlinger et al.

speiseleistung oder der Netzspannung Blindleistung mit dem Netz austauscht. Dadurch
können die Versorgungsqualität erhöht und die Leitungsverluste reduziert werden und
es entsteht vor allem für die Netzbetreiber ein Mehrwert durch den Betrieb einer derar-
tigen Anlage. Im Niederspannungsnetz kann einer unzulässigen Spannungsanhebung
durch dezentrale Einspeiser mit Hilfe von Blindleistungseinspeisung entgegengewirkt
werden; dadurch lässt sich ein notwendiger Netzausbau vermeiden oder zumindest
abmildern bzw. es können in einem bestehenden Netz mehr Erzeugungsanlagen an-
geschlossen werden als ohne eine Blindleistungsregelung. Wird, um eine unzulässige
Spannungsanhebung zu vermeiden, auch die Wirkleistung abgeregelt, so spricht man
von einer P .U /-Regelung.
 Bei zu lange anhaltenden anomalen Betriebszuständen (fehlende oder zu hohe Netz-
spannung, starke Frequenzabweichungen von der Sollfrequenz, Kurzschlüsse oder Iso-
lationsfehler) muss sich der Wechselrichter automatisch vom Netz trennen. Auch muss
die Bildung eines Inselnetzes sicher verhindert werden (siehe oben); dies ist durch
aktive Verfahren (z. B. das Frequency-Shift-Verfahren) oder passive Verfahren (z. B.
dreiphasige Netzüberwachung) möglich. Kurze Spannungseinbrüche in der Größen-
ordnung von einigen hundert Millisekunden bis wenigen Sekunden dürfen jedoch nicht
zu einer Trennung führen, damit diese Ereignisse nicht einen Systemstabilitäts-gefähr-
denden Ausfall hoher Erzeugungsleistungen zur Folge haben. Während des Netzfeh-
lers soll dabei kein Strom eingespeist werden. Unmittelbar nach Spannungswieder-
kehr nach einem Netzfehler ist die Einspeisung wieder aufzunehmen (low voltage ride
through – LVRT).
 Photovoltaikwechselrichter, welche innerhalb einer Photovoltaikanlage über Transfor-
matoren an das Mittel- oder Hochspannungsnetz angeschlossen werden, müssen die
Anforderungen der Richtlinie VDE AR-N 4110 bzw. VDE AR-N 4120 erfüllen, die
über die Beteiligung an der statischen Spannungshaltung hinaus die vollständige dyna-
mische Netzstützung fordert. Darunter versteht man ein definiertes Einspeiseverhalten
einer Erzeugungsanlage bei kurzzeitigen Spannungseinbrüchen am Netzverknüpfungs-
punkt. Synchrongeneratoren liefern in diesem Fall einen Blindstrom, welcher der Span-
nungsstützung des Netzes und der Erhöhung des Kurzschlussstroms dient. Diese inhä-
renten Eigenschaften des Synchrongenerators werden als Anforderungen auf strom-
richterbasierte Erzeugungsanlagen wie z. B. in diesem Fall auf Photovoltaik-Anlagen
übertragen. Die Erzeugungsanlagen müssen die Netzspannung durch Einspeisung ei-
nes definierten Blindstromes stützen.
 Weitere Sicherheitskomponenten (u. a. Isolationsüberwachung, allstromtauglicher Feh-
lerstrom-(FI)-Schutzschalter) sind abhängig vom Wechselrichterkonzept vorzusehen.
 Rundsteuersignale, die vom Energieversorgungsunternehmen der Netzspannung auf-
geprägt werden, dürfen durch den Wechselrichter weder verfälscht werden noch diesen
im Betrieb stören.
 Auf der Eingangsseite sollte eine möglichst gute Anpassung an den Solargenerator
vorliegen; dies ist z. B. durch ein Maximum Power Point Tracking (MPPT) möglich.
Üblicherweise eingesetzte MPPT-Algorithmen bestimmen den Punkt maximaler So-
largeneratorleistung, indem sie in bestimmten Abständen von z. B. einigen Sekunden
5 Photovoltaische Stromerzeugung 405

oder Minuten einen Suchvorgang durchführen. Hierbei wird die Arbeitspunktspannung


des Solargenerators um einen kleinen Betrag verändert – vergrößert sich daraufhin
der Ausgangsstrom des Wechselrichters, wird die Suchrichtung beim nächsten Schritt
beibehalten, anderenfalls wird sie umgekehrt. Der so gefundene optimale Spannungs-
wert wird dann bis zum nächsten Suchvorgang beibehalten. Bei diesem Verfahren
schwankt die Arbeitspunktspannung mit einer gewissen Bandbreite um den tatsächli-
chen Punkt maximaler Leistung (MPP). Andere MPPT-Verfahren durchlaufen in regel-
mäßigen Abständen einen bestimmten Teil der Solargeneratorkennlinie und ermitteln
hier den Punkt maximaler Leistung, der dann ebenfalls bis zum nächsten Suchvorgang
beibehalten wird.
 Die Schwankung der Eingangsspannung (Spannungsripple) aufgrund der bei einpha-
sigen Wechselrichtern mit 100 Hz schwankenden Einspeiseleistung sollte klein sein
(< 3 %), damit der Wechselrichter möglichst in seinem optimalen Arbeitspunkt arbei-
tet. Dies erfordert einen genügend großen Pufferkondensator am Eingang des Wech-
selrichters.
 Überspannungen, hervorgerufen z. B. durch einen leerlaufenden Solargenerator bei
niedrigen Temperaturen und hoher Einstrahlung oder auch durch einen entfernten
Blitzeinschlag, dürfen nicht zu Defekten führen.
 Wechselrichter werden in ihrer Nennleistung i. Allg. etwas kleiner als der Solargene-
rator dimensioniert (z. B. Faktor 0,8 bis 0,9), da der Solargenerator aufgrund der bei
voller Einstrahlung auftretenden Temperaturerhöhungen nur sehr selten seine Nenn-
leistung erreicht. Zudem weisen kleinere Wechselrichter geringere Eigenverluste auf.
Somit gibt es ein Optimum bezüglich des Systemwirkungsgrades. Sollte dennoch ei-
ne Überlastung auftreten, sollte der Wechselrichter eine definierte Begrenzung der
Eingangsleistung durch eine Verschiebung des Arbeitspunktes in Richtung Leerlauf
vornehmen. Optimal ist es, die zugelassene Grenzleistung von der momentanen ther-
mischen Belastung abhängig zu machen.
 Der Netzwechselrichter sollte sich möglichst aus dem Solargenerator selbst versor-
gen, so dass er nachts keine Energie aus dem übergeordneten Versorgungsnetz bezieht.
Außerdem sollte er bereits bei geringen Einstrahlungen in Betrieb gehen und stabil
arbeiten.
 Der Umwandlungswirkungsgrad sollte bereits bei kleinen Leistungen hoch sein
(> 90 % bei 10 % der Nennleistung). Ein gutes Maß für den einfachen Vergleich un-
terschiedlicher Wechselrichter stellt der sogenannte „Europäische Wirkungsgrad“ dar,
der die für zentraleuropäisches Klima typische Verteilung der vom Solargenerator ge-
wonnenen Energie in verschiedenen Leistungsklassen berücksichtigt. Hierzu wird der
Wirkungsgrad des Wechselrichters bei sechs verschiedenen Leistungen unterschiedlich
gewichtet. Hierbei tragen die mittleren Leistungsbereiche besonders stark bei, da hier
der Wirkungsgradverlauf hohe Werte annehmen sollte. Bei kleineren Wechselrichtern
(< 1 kW) sollte der europäische Wirkungsgrad über 95 % betragen und bei größeren
ca. 97 %.
 Netzwechselrichter sollten über ein integriertes Selbstüberwachungssystem mit nut-
zerfreundlichen Anzeigen und ggf. Schnittstellen zu Kommunikationssystemen („Web
406 R. Bründlinger et al.

Interface“) verfügen. Diese ermöglichen eine ständige Überwachung und Ferndiagno-


se, welche durch den Nutzer nicht unbedingt gegeben ist.

Starre Aufständerung Die Energieerträge photovoltaischer Module sind proportional


zur auf die Moduloberfläche eingestrahlten Sonnenenergie. Deshalb kommt der Ausrich-
tung der Moduloberfläche auf die aktuelle und / oder mittlere solare Einstrahlung eine
besondere Bedeutung zu. Hierbei wird zwischen einer starren Aufständerung und einer
ein- bzw. zweiachsig dem aktuellen Sonnenstand nachgeführten Aufständerung (siehe
unten) unterschieden. Bei konzentrierenden Photovoltaikmodulen, die primär nur die Di-
rektstrahlungsanteile und nicht die diffusen Anteile des Sonnenlichtes verwerten können,
ist eine derartige Nachführung unumgänglich; sie bringt aber auch bei nicht-konzentrie-
renden Systemen zusätzliche Energiegewinne. Dies gilt vor allem in Gebieten mit hohen
Direktstrahlungsanteilen. Die zusätzlichen Investitionen für die Nachführungseinrichtung
sowie deren Betrieb und Wartung amortisieren sich daher nicht überall.
Fest installierte Aufständerungs- bzw. Modulmontagesysteme müssen den jeweiligen
örtlichen Gegebenheiten angepasst werden; dies gilt sowohl bezüglich des Materials (feu-
erverzinkter Stahl, Holz usw.) als auch hinsichtlich der Aufstellung in Abhängigkeit von
dem Ort der Aufstellung / Installation. Üblicherweise wird zwischen einer Dach-, Fassa-
den- und Freiflächen-basierten Errichtung unterschieden.
Bei starrer Aufstellung liefert in der nördlichen Hemisphäre die Ausrichtung nach
Süden im Tages- bzw. Jahresverlauf den maximalen Energieertrag; Abb. 5.46 zeigt ein
typisches Beispiel für die relativen Energieerträge in Abhängigkeit der Ausrichtung der
Moduloberfläche für einen Standort in Mitteldeutschland.

 Abweichungen von der Südrichtung von weniger als 30ı sind demnach i. Allg. meist
unkritisch, da der Energieertrag dabei um weniger als 5 % zurückgeht.
 Die optimale Neigung der Solarmodule hängt primär vom Breitengrad ab, auf dem
der Anlagenstandort sich befindet. Wählt man einen Neigungswinkel senkrecht zum
mittleren mittäglichen Sonnenstand, entspricht dies genau der geografischen Breite des
Standorts. Wird ein maximaler jährlicher Energieertrag angestrebt, ist wegen der im
Sommer höheren solaren Einstrahlung ein geringerer Neigungswinkel einzustellen.

Abb. 5.46 Durchschnittlicher Modulneigung


90° 80°70° 60° 50° 40° 30° 20°10° 0° 10° 20° 30° 40°50°60° 70° 80°90°
Energieertrag unterschiedlich West 90° 90° Ost
60%
90%

70%
65%

ausgerichteter starr montierter


85%

80%
75%

80° 95% 80°


Photovoltaikmodule exem-
70° 100% 70°
plarisch für einen Standort in
Mitteldeutschland 60° 60°

50° 50°

Südwest 40° 40° Südost


30° 30°
20° 20°
10° 0° 10°
Süd
5 Photovoltaische Stromerzeugung 407

Abb. 5.47 Monatsmittle- 20


rer Nutzungsgrad einer nach
Süden ausgerichteten 5 kW-

Nutzungsgrad in %
15
Photovoltaikanlage unter
mitteleuropäischen Bedin-
10
gungen für unterschiedliche
Modulneigungen (d. h. flacher 65°
50°
Neigungswinkel: Energiemaxi- 5
35°
mierung im Sommerhalbjahr; 20°

steiler Neigungswinkel: 0
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Energiemaximierung im Win- Monat im Jahresverlauf
terhalbjahr)

Abb. 5.48 Auf-Dach- (links) Aluminiumschiene Dichtung


Befestigungsklemmen
und In-Dach-Installation Solarmodul

(rechts) von Photovoltaik- Solarmodul Eindeckrahmen


modulen mit Befestigung
Dachhaken
Lattung
Lattung
Dachziegel
Dachsparren Dachziegel
Dachsparren

Bei netzgekoppelten Anlagen in mitteleuropäischen Breitengraden – hier ist, auch auf-


grund der staatlichen Förderregime, im Regelfall die Optimierungsgröße eine Maximie-
rung des erzeugten Stromes – liefern Neigungswinkel zwischen etwa 25 und 45ı den
höchsten Jahresenergieertrag. Bei Inselanlagen ist die Frage nach dem optimalen Nei-
gungswinkel schwieriger zu beantworten. Systeme, die keine Zusatzstromerzeuger be-
inhalten und ganzjährig etwa die gleiche tägliche Energiemenge zur Verfügung stellen
müssen, sollten in Mitteleuropa einen deutlich steileren Winkel im Bereich von rund 60ı
aufweisen. Hier muss der Energieeintrag im Winter optimiert werden, während im Som-
mer die überschüssige Energie im Regelfall nicht genutzt werden kann; Abb. 5.47 zeigt
die monatsmittleren Nutzungsgrade; hier wird deutlich, dass in den Wintermonaten ein
durchschnittlich leicht höherer Nutzungsgrad – und damit Energieertrag – erzielt werden
kann, während er im Sommer wegen der durchschnittlich nicht optimalen Einstrahlungs-
winkel geringer ist. Ist die Inselanlage mit einem Zusatzstromerzeuger ausgerüstet, der
20 % oder mehr der jährlichen Energienachfrage beisteuert, sind Anstellwinkel im Bereich
35 bis 45ı – unter mitteleuropäischen Verhältnissen – eine typischerweise gute Lösung.
Technisch wenig aufwändig ist oft auch eine saisonale Veränderung des Neigungswinkels
(Sommer: flacher Winkel; Winter: steiler Winkel).

Dachaufstellung Bei der Dachmontage ist eine Auf-Dach- und eine In-Dach-Montage
möglich. Abb. 5.48 zeigt diese beiden Optionen. Demnach werden bei der In-Dach-Instal-
lation die Dachziegel eingespart und bei der Auf-Dach-Montage kann durch den Spalt
zwischen dem Modul und der Dachhaut eine konvektive Kühlung realisiert werden.
408 R. Bründlinger et al.

Bei der Installation sollte auch der Energieverlust infolge erhöhter Erwärmung, wie
er beispielsweise durch einen nicht-optimalen Einbau auftreten kann, minimiert werden.
Beispielsweise ergeben sich bei Photovoltaikmodulen, die mit einem Abstand von etwa
10 cm auf einem Schrägdach (Auf-Dach-Montage) installiert sind, unter mitteleuropäi-
schen Witterungsbedingungen zusätzliche Verluste infolge einer Erwärmung durch die
eingestrahlte Sonnenenergie gegenüber einem freistehenden Modul gleicher Größe und
Orientierung von etwa 1,5 bis 2,5 % bezogen auf den Jahresenergieertrag. Bei vollständi-
ger Dachintegration ohne Hinterlüftung betragen die Verluste etwa 4 bis 5 % im Vergleich
zu einem freistehenden Generator und bei einem voll fassadenintegrierten Solargenerator
– ebenfalls ohne Hinterlüftung – sind es etwa 7 bis 10 %.

Bauwerkintegration Photovoltaiksysteme können auch direkt in Gebäude integriert


werden. Die entsprechenden architektonischen Bemühungen, eine derartige möglichst
großflächige Nutzung von Sonnenenergie auch ästhetisch ansprechend aussehen zu las-
sen, werden inzwischen auch verstärkt umgesetzt. Photovoltaikmodule können dabei
– außer der bereits diskutierten Dachinstallation (siehe oben) – in Fassaden, Fenstern,
Sonnenschutzeinrichtungen und anderen Gebäude- und Bauwerkbestandsteilen inte-
griert werden (u. a. Parkdecks und Schallschutzeinrichtungen, Sportstadien, Glashäuser);
grundsätzlich eignen sich aber auch Brücken und andere Bauten. Das Photovoltaikmo-
dul kann so, neben der primären Funktion als Stromerzeuger, auch eine Aufgabe in der
Gebäudehülle beispielsweise als Wetterschutzfunktion, als Abschattungselement oder als
transparentes Gestaltungselement erhalten. Da eine derartige bauwerkintegrierte Photo-
voltaik als integrales Element der Gebäudehülle ein Bauprodukt wird, kommen diverse,
über eine Dach- oder ggf. auch Freiflächen-basierte Aufstellung hinausgehende Anfor-
derungen als Bauprodukt ins Spiel. Dies kann beispielsweise die Statik oder auch den
Brandschutz betreffen. Bauprodukte wie Dachziegel oder Fassadenelemente, aber auch
transparente Teile der Gebäudehülle wie beispielsweise Fenster und Belichtungen haben
damit standardmäßig zusätzlich zum Wetterschutz auch eine stromerzeugende Funktion.
Durch diese Kombination von Funktionen kann sich eine Synergie bzw. Substitution
von einzelnen Bauteilen ergeben. Auch wird das Spektrum der architektonischen Gestal-
tungsmöglichkeiten von Gebäuden durch eine derartige bauwerkintegrierte Photovoltaik
erweitert.
Herausforderungen bestehen bei der bauwerkintegrierten Photovoltaik vor allem in
den höheren Kosten aufgrund der Individualisierung (u. a. Größe, Form, Material, Farbe,
Transparenz) bei der oftmals schwierigen Austauschbarkeit schadhafter Photovoltaikmo-
dule sowie bei speziellen Anforderungen an die Photovoltaik als Gebäudekomponente.
Die Integration der Photovoltaik in das Gebäude beschränkt sich vielfach nicht nur
auf die architektonische Integration. Auch die systemische Integration in das entsprechen-
de Hausenergiesystem ist eine Aufgabe, damit der an der Gebäudehülle erzeugte Strom
möglichst effizient genutzt werden kann; dadurch lässt sich die Energieautonomie des Ge-
bäudes bzw. von Gebäudeverbünden deutlich steigern.
5 Photovoltaische Stromerzeugung 409

Metall- Metall-
gestell gestell
Photovoltaik- Photovoltaik-
modul modul

Freifläche
Freifläche

Beschwerung
(z. B. Betonelemente)
Erdanker

Abb. 5.49 Beispiele für eine Freiflächeninstallation von Photovoltaikmodulen (links: System mit
eingerammten Profilen, rechts: System mit Schwerkraftfundamenten)

Freiflächenaufstellung Freiflächeninstallierte Photovoltaikanlagen können – je nach der


Bodenbeschaffenheit – mithilfe einer Vielzahl unterschiedlichster Aufstellungskonzepte
installiert werden. Dabei ist eine Befestigung im Untergrund sowohl über Betonfundamen-
te, Erdanker, eingerammte Profile oder Schwerkraftfundamente möglich. Die eigentlichen
Module können dann in einem Metall-, Kunststoff- oder Holzgestell befestigt werden, das
mit dem genannten Fundament im Untergrund verankert wird; da derartige Anlagen tech-
nische Lebensdauern von 20 und z. T. auch deutlich mehr Jahren aufweisen, werden heute
meist Metallgestelle bevorzugt. Abb. 5.49 zeigt exemplarisch zwei marktübliche Ansätze.
Zusätzlich dazu gibt es aber auch eine Vielzahl weiterer technischer Lösungen, die durch
jeweils unterschiedliche Vor- und Nachteile gekennzeichnet sind.
Bei einer derartigen Freiflächenaufstellung (Abb. 5.50) in hintereinanderliegenden auf-
geständerten Reihen muss immer ein (ökonomischer) Kompromiss gefunden werden zwi-
schen der mit einer immer engeren Aufstellung zunehmenden Abschattung und der mit
einem größeren Abstand benötigten größeren Aufstellfläche. Bei gleicher relativer Ab-
schattung kann auch der Abstand zwischen einzelnen Modulreihen bei einem geringeren

Einfallendes
Sonnenlicht

PV-Modul

hTräger Aufstän-
derung

Aufständerung
Süd einschl. Fundamentierung
Nord

Abb. 5.50 Beispiel für eine Freiflächeninstallation (PV Photovoltaik; einschl. einschließlich)
410 R. Bründlinger et al.

Anstellwinkel verkleinert werden; jedoch wird damit pro Modulfläche der Jahresertrag
verringert.
Der Abstand zwischen den verschiedenen Reihen an Photovoltaikmodulen (Abb. 5.50)
hängt nach Gleichung (5.12) vom Aufstellwinkel der Module und der maximal zulässigen
Verschattung ab. Dabei bestimmt der Winkel ˛ 0 den minimalen Abstand zwischen den
Modulreihen. Als Richtwert auf der Nordhalbkugel dient typischerweise die Sonnenhöhe
zur Mittagszeit am 21. Dezember; für Mitteldeutschland entspricht dies einem Winkel ˛ 0
von ca. 15ı . Beispielsweise folgt damit dann nach Gleichung (5.12) bei einer Modullänge
L von 1,7 m ein Abstand zwischen den einzelnen Modulreihen von ca. 2,4 m bei einem
unterstellten Neigungswinkel der Module von 40ı .

sin .ˇ/
y D L cos .ˇ/ C (5.12)
cos .˛ 0 /

Nachgeführte Aufständerung Eine Nachführung der Solarmodule entsprechend dem


aktuellen Sonnenstand erhöht die Energieausbeute. Dabei kann unterschieden werden
(Abb. 5.51) zwischen

 der einachsigen Nachführung um die horizontale Drehachse,


 der einachsigen Nachführung um die Polarachse,
 der einachsigen Nachführung um die vertikale Drehachse mit schräg montierten Mo-
dulen und
 der zweiachsigen Nachführung.

Einachsige Nachführungen sind i. Allg. mit einem geringeren anlagentechnischen Auf-


wand verbunden als eine zweiachsige Nachführung. Je nach Nachführmodus und Standort
lassen sich dadurch im Vergleich zu einer starren Aufständerung die Energieausbeuten

Abb. 5.51 Möglichkeiten


der Nachführung von Photo- Feste
Aufstellung
voltaikmodulen (N Norden,
S Süden)

Zweiachsige
Nachführung

Einachsige
S N
Nachführung
S

azimutal polar horizontal


5 Photovoltaische Stromerzeugung 411

Abb. 5.52 Mehr- bzw.


Mindererträge bei einer zwei- Zweiachsige Nachführung

achsigen Nachführung im
Vergleich zu einer festen Mo-
dulinstallation exemplarisch

Leistung
für einen Tag mit hoher Direkt-
strahlung Feste
Installation

06:00 10:00 14:00 18:00


Uhrzeit im Tagesverlauf

insgesamt um 20 bis maximal 40 % erhöhen (Abb. 5.52). Bei einem hohen Direktstrah-
lungsanteil liegt der Anteil im oberen Bereich und bei niedrigen Direktstrahlungsanteilen
eher im unteren Bereich dieser Bandbreite.
Abb. 5.53 zeigt exemplarisch eine mögliche technische Lösung einer zweiachsigen
Nachführung. Demnach wird das Modulfeld durch je eine Drehbewegung um die Verti-
kal- und die Horizontalachse, die jeweils durch einen Elektromotor realisiert wird, dem
aktuellen Sonnenstand nachgeführt. Die Steuerung der entsprechenden Motoren kann über
einen an der Moduloberfläche angebrachten Einstrahlungssensor erfolgen, der die aktuel-
le Sonneneinstrahlung misst und in entsprechende Steuersignale umsetzt; beispielsweise
kann dann das Modul bei völliger Bewölkung (d. h. nur Diffusstrahlung) in eine Hori-
zontalstellung gefahren werden; bei diesen Bedingungen kann dadurch der Energieertrag

Einstrahlungssensor

Nachführung
Horizontalachse

Solar-
module

Nachführung
Vertikalachse
Nachführung
Vertikalachse

Fundament Fundament

Abb. 5.53 Beispiel einer zweiachsigen Nachführung von Photovoltaikmodulen


412 R. Bründlinger et al.

500 Fest installierte Systeme


Zweiachsig nachgeführte Systeme
450

400

350
Leistung in W

300

250

200

150

100

50

0
12.04. 13.04. 14.04. 15.04. 16.04.

Abb. 5.54 Gemessene Energieerträge einer starr ausgerichteten Photovoltaikanlage und eines zwei-
achsig nachgeführten Photovoltaiksystems am gleichen Standort in Mitteldeutschland Mitte April

maximiert werden. Andere Steuerungssysteme richten die Moduloberfläche auch bei aus-
schließlicher Diffusstrahlung immer in Richtung der maximalen Einstrahlung aus, da –
je nach den meteorologischen Gegebenheiten – die auf eine geneigte Empfangsfläche
auftreffende diffuse Strahlungsleistung je nach Neigung und Ausrichtung der Modulober-
fläche unterschiedlich sein kann. Alternativ dazu kann das Modul auch nach einem festen
Standort-abhängigen Fahrplan dem aktuellen Sonnenstand – und damit unabhängig von
den aktuellen meteorologischen Gegebenheiten – nachgefahren werden.
Abb. 5.54 macht deutlich, dass zweiachsig nachgeführte Photovoltaiksysteme insbe-
sondere bei klaren Witterungsverhältnissen (z. B. 14.04. in Abb. 5.54) merkliche Mehr-
erträge im Vergleich zu fest installierten Systemen zeigen. Dieser Vorteil kommt aber
bei einem bedeckten Himmel (d. h. hoher Diffusstrahlungsanteil) kaum zum Tragen. Dies
wird in Abb. 5.54 beispielsweise am 13. oder am 15.04. deutlich; hier ist der Mehrertrag
infolge der Nachführung insgesamt nur sehr begrenzt.
Durch zweiachsige Nachführsysteme sind damit zwar größere Energieausbeuten im
Vergleich zu fest installierten Modulen erzielbar; jedoch liegen einige der einachsigen
Nachführverfahren nur knapp unter denen der zweiachsigen Systeme. Der für die Nach-
führung notwendige Energieaufwand ist i. Allg. gering; er liegt im Jahresdurchschnitt
zwischen etwa 0,03 und 3 % der insgesamt nutzbaren elektrischen Energie.
Nachführsysteme werden mit fortschreitender Kostensenkung bei den Photovoltaik-
modulen tendenziell unattraktiver, da – im Vergleich zu nicht nachgeführten Systemen –
der Flächenverbrauch steigt, die Wartungskosten höher liegen und die Aufständerungs-
konstruktionen teuer sind; und das bei einem unter mitteleuropäischen Verhältnissen nur
geringen Kostensenkungspotenzial und einem nur begrenzten potenziellen Mehrertrag.
Bei Solarkraftwerken und damit bei großen Leistungen dominiert in Mitteleuropa bis-
her die starre Aufständerung. Wird der erzielbare Energieertrag den für die Nachführung
5 Photovoltaische Stromerzeugung 413

aufzuwendenden Mehrkosten gegenübergestellt, ist in Deutschland bislang eine Nachfüh-


rung an den meisten Standorten auch mit höheren Kosten verbunden. Anders kann die
Situation bei Standorten mit einem hohen Direktstrahlungsanteil sein. Unter diesen Be-
dingungen ist beispielsweise bei mit Linsen bei stark konzentrierenden Systemen eine
sehr präzise zweiachsige Nachführung notwendig. Dabei kann – wie bei allen konzen-
trierenden Konzepten – nur der Direktstrahlungsanteil konzentriert werden. Daher kommt
diese Technik unter den beispielsweise in Mitteleuropa gegebenen Randbedingungen mit
einem aufs Jahr gerechneten Direktstrahlungsanteil von etwa 50 % kaum in Betracht. In
Südeuropa oder in noch sonnenreicheren Gebieten mit Direktstrahlungsanteilen von 80 %
und mehr kann dies aber völlig anders sein.

Solarbatterien Photovoltaikanlagen können aufgrund der fluktuierenden Solarstrahlung


nur eine entsprechend schwankende elektrische Energie bereitstellen, da die Stromerzeu-
gungscharakteristik unmittelbar von der solaren Strahlungscharakteristik abhängt. Des-
halb ist es in vielen (dezentralen) Applikationen – und insbesondere bei Inselsystemen
– oft zwingend notwendig, Energie zwischen zu speichern; typische Beispiele sind netz-
unabhängige Anwendungen zur ländlichen Elektrifizierung und photovoltaisch betriebene
Kleingeräte (z. B. Parkuhren, Taschenrechner).
Infolge der in den letzten Jahren kontinuierlich sinkenden Investitionen für Photovol-
taikanlagen und der dadurch bedingten Marktdurchdringung werden Batteriespeichersys-
teme zunehmend auch bei netzgekoppelten Photovoltaikanlagen eingesetzt. Die Gründe
dafür sind sehr vielschichtig; sie reichen vom Wunsch der Anlagenbetreiber, möglichst
viel des erzeugten Solarstromes auch selbst nutzen zu können, bis zu einer Optimierung
des lokalen Stromversorgungsnetzes, um Extremwerte bei einer sehr hohen Photovoltaik-
einspeisung bzw. einem sehr hohen Stromverbrauch vermeiden zu können. Dazu sollten
die jeweiligen Stromspeicher in ein intelligentes Energiemanagementkonzept eingebun-
den werden. Gegenüber Einzelspeichern haben Gemeinschaftsspeicher, die Erzeugungs-
bzw. Nachfragspitzen größerer Wohnhäuser bzw. Siedlungen oder Ortsteile managen,
meist deutliche finanzielle, systemtechnische und auch ökologische Vorteile; sie haben
aber bisher im Vergleich zu dezentralen Einzelspeichern eine noch geringe Verbreitung.
Nachfolgend werden Aspekte von Batteriespeichern im Hinblick auf eine Nutzung in
Photovoltaiksystemen diskutiert; die insgesamt vorhandenen Energiespeichermöglichkei-
ten werden in Kapitel 14 diskutiert.
In den letzten Jahrzehnten wurde eine Vielzahl unterschiedlichster derartiger elektro-
chemischer Speicher entwickelt. Abb. 5.55 zeigt verschiedene Batterien mit ihrer Leis-
tungs- und Energiedichte.

 Die Familie der Lithium-Ionen-Batterien deckt eine weite Spanne an Leistungs- und
Energiedichten ab und stellt momentan die leistungsfähigste Technologie dar. Deshalb
hat sich diese Option in den vergangenen Jahren auch für den Einsatz in Photovolta-
iksystemen durchgesetzt, zumal auch die Marktpreise für die entsprechenden Systeme
deutlich gesunken sind [5.50].
414 R. Bründlinger et al.

100000

Leistungsdichte in W/kg
Li-Ion
10000 Very High Power
Blei
(spiralgewickelt)

Li-Ion
1000 High Power

NiCd
d
NiMH
100

Blei
Na/NiCl2 Li-Ion
10
High Energy

0 20 40 60 80 100 120 140 160 180 200


Energiedichte in Wh/kg

Abb. 5.55 Vergleich verschiedener Batterietypen hinsichtlich ihrer Energie- und Leistungsdichte

 Nickel-Cadmium- (NiCd) und Nickelmetallhydrid-Batterien (Ni-MH) verfügen über


mittlere Energie- und gute Leistungsdichten. Zur Speicherung fluktuierender Energie
sind sie jedoch nur eingeschränkt geeignet, da der sogenannte Memory-Effekt zu Ka-
pazitätsverlusten bei Teilzyklen, wie sie bei stationären Speichern häufig vorkommen,
führt.
 Die Bleibatterie wird heute für Photovoltaikanwendungen nur noch begrenzt ein-
gesetzt. Sie hat auch eine eingeschränkte Energiedichte; typische Werte liegen bei
ca. 30 Wh/kg. Dafür ist sie aber preisgünstig, gut verfügbar, kann leistungsfähig sein
und erreicht in einigen Applikationen lange Lebensdauern. Allerdings bestehen Le-
bensdauerprobleme mit Tiefentladungen.
 Redox-Flow-Batterien (z. B. auf Vanadium(Va)-Basis) haben große Potenziale für län-
gere Speicherzeiträume (d. h. mehrere Tage bis zu mehreren Wochen), da sie Energie
über preiswerte Tanks, in denen das in Schwefelsäure gelöste Vanadium gespeichert
wird, günstig bereitstellen können. Die Natrium-Schwefel-Batterie, als eine Variante,
gehört heute zu den wenigen Batteriespeichern, die bereits im MW- und MWh-Bereich
verfügbar sind.

Vor allem in netzfernen Anwendungen, wo eine photovoltaische Stromerzeugung eine


wirtschaftliche Alternative zu Dieselgeneratoren darstellen kann, dominieren Bleibatte-
rien nach wie vor heute den Markt; daher wird sie nachfolgend detailliert vorgestellt.
Zuvor werden aber wesentliche Grundlagen galvanischer Zellen diskutiert und wichtige
Kenngrößen definiert. Anschließend wird auf die Batteriesystemtechnik eingegangen.
5 Photovoltaische Stromerzeugung 415

Tabelle 5.2 Elektrochemische Halbreaktion Normalpotenzial bei 25 ı C ge-


Spannungsreihe (u. a. [5.10]) gen eine Wasserstoffelektrode
e  C LiC , Li 3,04500 V
e  C NaC , Na 2,86600 V
2e  C 2 H2 O , H2 C 2 OH 0,82806 V
2e  C Ni2C , Ni 0,25000 V
2e  C 2 HC , H2 0,00000 V
2e  C 2 Br , 2 Br C1,06520 V
4e  C 4 HC C O2 , 2 H2 O C1,22900 V
2e  C F2 , 2 F C2,87000 V

Grundlagen Batterien können chemisch gebundene Energie in elektrische Energie um-


wandeln und vice versa. Sie sind daher elektrochemische Speicher. Basis dieser Speicher
ist eine sogenannte galvanische Zelle; sie besteht aus zwei Elektroden und einem Elek-
trolyten (Kapitel 14). Die Umwandlung der Energieformen vollzieht sich über sogenannte
Redoxreaktionen. Beim Entladevorgang an der Anode läuft eine Oxidation ab und an der
Kathode eine Reduktion.
In einer galvanischen Zelle werden Ionen als Ladungsträger in den Elektroden ge-
speichert. Zwischen den Elektroden ergibt sich aufgrund der Potenziale, bei denen die
jeweiligen Reaktionen ablaufen, eine bestimmte Spannung. Welche Reaktion dann an wel-
cher Elektrode ablaufen wird, ist aus der elektrochemischen Spannungsreihe ersichtlich.
Diese zeigt exemplarisch für einige Elemente Tabelle 5.2. Man spricht hier von Redukti-
onspotenzialen. Bei einer Entladung ist das negativere der Elemente die Anode und das
positivere die Kathode.
Damit die Ladungsträger zwischen den beiden Elektroden fließen können, müssen die
beiden Elektroden über einen ionisch leitenden Elektrolyt innerhalb der Zelle verbunden
werden. Außerhalb der Zelle wird dann der Verbraucher oder die Quelle über elektrische
Leiter gekoppelt.
Die Spannung einer Zelle ist aber nicht nur von der sich aus der elektrochemischen Rei-
he ergebenden Spannungsdifferenz der Elektrodenmaterialien abhängig. Dies ist lediglich
die theoretische Spannung. Die Spannung einer Zelle in Ruhe ergibt sich zudem auch aus
der konzentrationsabhängigen Ruhespannung, die mit der sogenannten Nernstgleichung
beschrieben werden kann (Gleichung (5.13)). E beschreibt dabei das Elektrodenpotenzi-
al, E0 das Standardelektrodenpotenzial, R die Gaskonstante (8;31447 J=.mol K/), T die
absolute Temperatur, ze die Anzahl der übertragenen Elektronen, F die Faraday-Konstan-
te (96 485;34 J=.V mol/) und a die Aktivität des entsprechenden Redoxpartners auf der
Oxidations- (Ox) bzw. der Reduktionsseite (Red).

RT aOx
E D E0 C ln (5.13)
ze F aRed
416 R. Bründlinger et al.

Abb. 5.56 Typische Entlade- 2,10


kennlinien einer Bleibatterie
2,00
mit Röhrchenelektroden als 0,13 I10

Zellspannung in V
1,90
Funktion der entnommenen
Kapazität (normiert auf Nenn- 1,80
kapazität bei zehnstündigem 1,70 0,57 I10
4 I10 2 I10 I10
Entladestrom, Entladeschluss- 1,60
spannung 1,8 V/Zelle, DOD: 6 I10
1,50
depth of discharge bzw. Entla- 10 I10
1,40
detiefe) 20 I10 16 I10
1,30
0 20 40 60 80 100 120
Entnommene Kapazität (DOD) in %

Bei Stromfluss ergeben sich zusätzlich noch sogenannte Überspannungen. Dabei han-
delt es sich um die ohmschen Überspannungen an den Ableitern, dem Elektrolyten und
dem Aktivmaterial, die Durchtrittsüberspannungen, die beim Ein- bzw. Austritt von La-
dungsträgern aus der Elektrode entstehen, sowie die Überspannungen, welche durch die
Doppelschichtkapazität an den Grenzflächen zwischen Elektrode und Elektrolyt und durch
Diffusion aufgrund von Konzentrationsunterschieden auftreten [5.55].
Diese Überspannungen führen dazu, dass die Kapazität stromabhängig ist. Dies ist für
verschiedene Stromstärken in Abb. 5.56 am Beispiel der Bleibatterie dargestellt. Ströme
werden bei Batterien üblicherweise als ein Vielfaches der Kapazität C angegeben (d. h.
1 C (100 A bei einer 100 Ah Batterie) oder 0,5 C (50 A bei einer 100 Ah Batterie)). Sie
können auch als Strom I , abhängig von der Entladezeit, beschrieben werden; beispiels-
weise steht I 10 für den zehnstündigen Entladestrom (d. h. diejenige Stromstärke, bei der
die Batterie nach 10 h vom Vollladezustand auf die Entladeschlussspannung entladen wor-
den ist) und I 5 den fünfstündigen Entladestrom.
Die Stromabhängigkeit der Kapazität wird über die sogenannte Peukertgleichung be-
schrieben (Gleichung (5.14)) [5.34]. Die Entladezeit t wird demnach berechnet aus der
Nennkapazität CN , dem Nennstrom I N , der Peukert-Konstanten kP und dem konstanten
Entladestrom I. Die Peukertkonstante ist hierbei batteriespezifisch; zudem ist in einer
praktischen Anwendung die Abhängigkeit von der Temperatur zu beachten.
 kP
CN IN
tD (5.14)
IN I

Kenngrößen Wichtige Größen bei Batterien sind die volumetrische und die gravimetri-
sche Energiedichte. Die Energiedichte wird bestimmt von der mittleren Entladespannung,
der Anzahl der Ladungsträger pro beteiligtem Ion, dem Gewicht des aktiven Materials,
der Ausnutzung des aktiven Materials, dem Gewicht der Elektroden pro gespeichertem
aktiven Material, der Elektrolytmenge, den Ableitern, dem Gehäuse und dem Separator.
Beispielsweise beträgt die theoretische Energiedichte eines Bleiakkumulators 161 Wh/kg;
in der Praxis sind jedoch nur 25 bis 45 Wh/kg realisierbar [5.29].
5 Photovoltaische Stromerzeugung 417

Der Energieinhalt einer Batterie wird durch die Kapazität und die Nennspannung be-
schrieben. Die Kapazität ist jene Strommenge, die der Akkumulator bis zum Erreichen
einer Entladeschlussspannung abgibt. Sie wird in Ampere-Stunden (Ah) (d. h. Stromstärke
(Ampere, A) mal Zeit (Stunden, h)) gemessen und ist u. a. abhängig vom Entladestrom, der
Temperatur und der definierten Entladeschlussspannung. Die Nennspannung ist definiert
durch die an der elektrochemischen Reaktion beteiligten Materialien und kann mit Hilfe
der Thermodynamik für den stromlosen Gleichgewichtszustand bestimmt werden. Wäh-
rend beispielsweise NiCd- und NiMH-Batterien nur eine Nennspannung von 1,2 V/Zelle
aufweisen, sind dies bei Bleibatterien immerhin 2,0 V/Zelle und bei den meisten Typen
von Lithium-Ionen-Batterien 3,6 V/Zelle. Die Nennspannung bestimmt auch direkt, wie
viele Zellen zum Erreichen des für die Verbraucher notwendigen Spannungsniveaus in
Serie verschaltet werden müssen.
Die nutzbare Energie einer Batterie ist stark vom relativen Entladestrom abhängig.
Ausgedrückt werden die Ströme in Einheiten der Dauer einer Entladung bei konstan-
tem Strom bis zur definierten Entladeschlussspannung. Je schneller entladen wird, desto
schneller fällt die Spannung. Die entnehmbare Ladungsmenge und damit auch die nutz-
bare Energie werden geringer.

Beispiel: Bleibatterien Bleibatterien gehören zu den bisher am längsten eingesetzten Ak-


kumulatoren. Neben dem günstigen Preis sind sie durch eine hohe Zellspannung von 2 V,
einen guten Wirkungsgrad, eine hohe Sicherheit, prinzipiell hohe Lebensdauern und das
gute Recycling gekennzeichnet. Dem stehen die trotzdem relativ geringe Energiedichte,
die bei bestimmten Anwendungen geringe Lebensdauer und die schlechte Lagerbarkeit
gegenüber. Letzteres resultiert aus der sogenannten Gasung; aufgrund der Verwendung
eines wässrigen Elektrolyten und einer Zellspannung von 2 V entsteht immer Wasserstoff
und Sauerstoff, der sich in geschlossenen Räumen anreichern und zu explosiven Gasge-
mischen führen kann.
Der grundsätzliche Aufbau einer Bleibatterie ist in Abb. 5.57 dargestellt. Im vollge-
ladenen Zustand besteht die positive Elektrode aus porösem Bleidioxid (PbO2 ) und die
negative Elektrode aus porösem Bleischwamm (Pb). Die Porosität liegt in beiden Elek-
troden bei gut 50 % und die Aktivmassen müssen eine feinkristalline Struktur aufweisen,
um eine hohe aktive Oberfläche zu erreichen. Eingetaucht sind die Elektroden in den io-
nenleitenden Elektrolyten aus verdünnter Schwefelsäure (H2 SO4 ). Die Elektroden sind
durch einen für Ionen durchlässigen Separator voneinander getrennt; dadurch wird ein
Kurzschluss der Batteriezelle verhindert. Durch den elektrochemischen Prozess beim La-
den und Entladen findet somit eine Umwandlung des elektronischen in einen ionischen
Stromfluss statt.
Bleibatterien werden in einer großen Zahl verschiedener Bauformen mit unterschied-
lichen Leistungsmerkmalen angeboten. Zu unterscheiden ist zwischen Batterien für eine
sehr hohe Leistungsabgabe (wichtigster Vertreter ist hier die Starterbatterie für Kraftfahr-
zeuge), Batterien für hohe Lebensdauern im Bereitschaftsparallelbetrieb (vor allem für
unterbrechungsfreie Stromversorgungen mit einer nur sehr seltenen Entladung der Bat-
418 R. Bründlinger et al.

Abb. 5.57 Schematischer


Aufbau einer Bleibatterie

terie) und Batterien für starke zyklische Belastungen (z. B. Elektroautos, Gabelstapler,
Rollstühle). Je nach Anforderungsprofil werden unterschiedliche Elektrodenbauformen
und Elektrodengeometrien verwendet.
Bleibatterien zeigen verschiedene Alterungsmechanismen. Bei hohen Spannungen und
damit hohen Ladezuständen kommt es zu einer verstärkten irreversiblen Korrosion der
positiven Elektrode. Bei tiefen Ladezuständen tritt aufgrund der Schwerkraft und der
unterschiedlichen Dichten eine sogenannte Säureschichtung auf; dadurch sehen einige
Abschnitte der Elektroden tiefere Ladezustände als andere. Da Bleibatterien sehr emp-
findlich auf tiefe Ladezustände reagieren, kommt es dadurch zu einer stark beschleunigten
Alterung, ohne dass dies an der Klemmenspannung ersichtlich wäre. Bei solchen tie-
fen Ladezuständen bilden sich u. a. große Sulfatkristalle, die sich nur schlecht wieder
auflösen lassen. Dies führt zu einer Erhöhung des Innenwiderstands und so zu einem Ka-
pazitätsverlust. Jedoch können spezielle Ladeverfahren bei erhöhten Spannungen diese
Sulfatkristalle wieder auflösen [5.16].
Derzeit sind primär die geschlossene und die verschlossene Bleiakkumulatoren-Bau-
form geläufig.

 Bei der geschlossenen Bauform kann die Batterie (Abb. 5.57) über Stopfen im Gehäu-
sedeckel geöffnet werden. Der Elektrolyt ist flüssig und muss in regelmäßigen Abstän-
den nachgefüllt werden, da über die Gasungsreaktion Elektrolyt entweicht (Abb. 5.58).
 Bei verschlossenen Batteriebauformen ist der Elektrolyt demgegenüber in einem Gel
oder einem Vlies festgelegt. Das Gehäuse ist fest verschlossen und der entstehende
Sauerstoff diffundiert über Mikrorisse im Gel oder Mikrokanäle im Vlies zur negati-
ven Elektrode und rekombiniert dort. Gleichzeitig entsteht nur sehr wenig Wasserstoff,
der dann nicht rekombiniert und über Überdruckventile entweicht. Solche Batterien
werden als „Valve regulated lead-acid batteries“ (VRLA) bezeichnet. Während Vlies-
batterien vor allem im Automobil als sogenannte AGM-Batterien eingesetzt werden,
kommen bei photovoltaischen Applikationen zumeist Blei-Gel-Batterien zum Einsatz,
da hier praktisch keine Säureschichtung auftritt.
5 Photovoltaische Stromerzeugung 419

Abb. 5.58 Gasungsverhalten O2 H2 O2


von Batterien mit flüssigem
Elektrolyt (links) und ver-

negative Elektrode

negative Elektrode
positive Elektrode

positive Elektrode
schlossener Batterien mit Gel-
oder Vlies-Elektrolyt (rechts)

geschlossene Batterie verschlossene


mit flüssigem Elektrolyt Gel- oder Vlies-Batterie

Auch ist die Kapazität einer Bleibatterie temperaturabhängig. Sie erhöht sich um etwa
0,6 % pro K Temperaturerhöhung (Bezugstemperatur je nach Hersteller oder Prüfstandard
20 bis 27 ı C) und reduziert sich entsprechend bei einer Abkühlung. Allerdings beschleu-
nigen sich die Alterungsprozesse und die Selbstentladung mit zunehmender Temperatur.
Eine optimale Betriebstemperatur von Bleibatterien in Photovoltaikanlagen liegt daher
eher im Bereich von 10 ı C.
Die Batterie speichert die zugeführte elektrische Energie mit einem Ah-Wirkungsgrad
(Coulomb’scher Wirkungsgrad) von rund 95 bis 98 %. Wird die Batterie in mittleren La-
dezuständen zyklisiert (< 80 % state of charge (SOC)), ist der Ah-Wirkungsgrad nahezu
100 %. Das Verhältnis von bezogener zu zugeführter Energie (typischer Wert 80 bis 90 %)
ist der Wh-Wirkungsgrad, der sich aus der gegenüber der Entladespannung höheren La-
despannung ergibt. Die Selbstentladung liegt bei 25 ı C bei etwa 2 bis 3 %/Monat.

Batteriesystemtechnik Um Batterien in realen Applikationen nutzbar zu machen, wird die


sogenannte Batteriesystemtechnik benötigt. Häufig werden Batteriezellen beispielsweise
in Reihe bzw. parallel geschaltet, um die notwendige Spannung bzw. Kapazität zu errei-
chen. Dieser Zellverbund muss dann je nach Zellchemie und Anwendung unterschiedlich
überwacht und betrieben werden. Dies erfordert ein elektrisches Management, ein ther-
misches Management, ein Sicherheitsmanagement, eine Messdatenerfassung, einen Aus-
gleich des Ladezustands und von Spannungsdifferenzen zwischen einzelnen Zellen, eine
Zustandsbestimmung (Ladezustand, Alterung) und die Kommunikation mit übergeordne-
ten Systemen.
Je nach Batterie oder auch Anwendung sind nicht alle Elemente notwendig bzw. un-
terschiedlich komplex. Beispielsweise reicht bei Bleibatterien typischerweise die Über-
wachung der Gesamtspannung des Zellverbunds auch bei hohen Spannungen aus. Ein
Zellausgleich findet bei Blei während des Ladens automatisch über die Gasung statt; da-
bei muss aber sichergestellt werden, dass immer wieder destilliertes Wasser nachgefüllt
wird. Vollere Batterien gasen über die höhere Zellspannung stärker und werden dadurch
langsamer geladen als weniger volle Zellen. Bei Bleibatterien sitzt das Batteriemanage-
ment dementsprechend oft im Ladegerät oder Wechselrichter.
420 R. Bründlinger et al.

Wesentlich für den Betrieb der Batterie ist der Laderegler. Laderegler müssen eine
Tiefentladung der Batterie verhindern (je nach Batterietechnologie sollten nicht mehr als
60 bis 80 % der Kapazität ausgenutzt werden), um eine vorzeitige Alterung zur vermei-
den. Zusätzlich ist der Laderegler für die Ladestrategie verantwortlich. Dabei wird die
Spannung so begrenzt, dass einerseits eine schnelle Aufladung der Batterie möglich ist
und andererseits die für die Batterie schädlichen Prozesse (z. B. Gasung, Korrosion) mög-
lichst gering bleiben. Wichtig ist hier auch eine Anpassung der maximalen Ladespannung
an die Batterietemperatur, da mit steigender Batterietemperatur die maximale Spannung
abgesenkt wird, um die Gasbildung zu begrenzen.
Daher werden an den Laderegler hohe Anforderungen an die Zuverlässigkeit und die
Algorithmen zum Tiefentlade- und zum Überladeschutz gestellt. Wichtig sind jedoch
ebenso Kriterien wie der Eigenstromverbrauch, die Anzeigen des Batteriezustands für den
Nutzer und die Sicherheit gegen fehlerhafte Verpolung. Gute Laderegler sollten zusätzlich
in der Lage sein, den Ladezustand der Batterie bestimmen zu können.

Sonstige Komponenten Weitere Komponenten eines Photovoltaik-Systems und nicht


unwesentliche Kostenfaktoren sind die Gleichstromverbindungskabel zwischen Modulen
und Wechselrichter(n). Zusätzlich sind im Regelfall Sicherungen, Erdung, Blitzschutz,
Freischalteinrichtungen, Zähler sowie Unter- bzw. Überspannungsüberwachungsrelais
notwendig. Einige dieser Komponenten sind aus rechtlichen Gründen zwingend, wäh-
rend andere (z. B. Blitzschutz) je nach Exposition der Anlage zu empfehlen sind. Bei
Photovoltaik-Kraftwerken erfordert die Einspeisung in eine höhere Netzebene (z. B.
Mittelspannungsebene) außerdem einen Transformator. Die gesamten Verluste in die-
sen sonstigen Komponenten liegen etwa bei 5 bis 12 % der ins Netz der öffentlichen
Versorgung eingespeisten elektrischen Energie.

5.2.3 Gesamtsysteme

Gesamte Photovoltaiksysteme können netzgekoppelt und als Inselsystem betrieben wer-


den; letztere Option kommt in sehr unterschiedlichen Leistungsbereichen (von der Ver-
sorgung einer Photovoltaik-betriebenen Armbanduhr über die Versorgung einer netzunab-
hängigen Repeaterstation bis zur Dorfversorgung) zur Umsetzung. Insgesamt haben aber
netzgekoppelte Systeme global – mit einem deutlichen Abstand – eine erheblich größere
Marktbedeutung. Trotzdem werden beide Optionen nachfolgend kurz diskutiert.

Netzgekoppelte Systeme Photovoltaikanlagen können über einen Wechselrichter den er-


zeugten elektrischen Strom in das Stromnetz der öffentlichen Versorgung einspeisen oder
die von dem entsprechenden Energieversorgungsunternehmen (EVU) zu beziehende elek-
trische Energie verringern. Den prinzipiellen Aufbau solcher netzgekoppelter Systeme
zeigt Abb. 5.59.
5 Photovoltaische Stromerzeugung 421

Wechselrichter

Beleuchtung Energiezähler
(PV) kWh
Hausverteilung
Netz
Energiezähler
Steckdosen (Einspeisung
kWh
und Bezug)

Hausanschlusskasten

Abb. 5.59 Kleine Photovoltaik(PV)-Anlage mit direkter Einspeisung in das Netz der öffentlichen
Versorgung

Die Kopplung von Photovoltaikanlagen an das Netz der öffentlichen Versorgung kann
auf der Basis unterschiedlicher Anlagenkonzepte realisiert werden, welche sich durch die
Anzahl der Photovoltaikmodule, die Wechselrichterkonfiguration und die Verortung des
Maximum Power Point Tracking (MPPT) unterscheiden (Abb. 5.60 und 5.61).

 Photovoltaikanlage mit String-Wechselrichter (Abb. 5.60, links). In diesem Fall besteht


der Photovoltaikgenerator aus einer Serienverschaltung von mehreren Photovoltaik-
modulen zu einem String. Der Wechselrichter übernimmt das Maximum Power Point
Tracking (MPPT; d. h. die Einstellung des optimalen Arbeitspunktes) und ist meist ein-
phasig mit dem Versorgungsnetz verbunden.
 Photovoltaikanlage mit String-Wechselrichter und DC/DC-Steller (DC direct current
bzw. Gleichstrom; Abb. 5.60, Mitte). Reicht die minimale MPP-Spannung des Pho-
tovoltaikgenerators nicht aus, um direkt in das Stromnetz einzuspeisen (> 350 V) wird
der Einsatz eines DC/DC-Stellers notwendig. Dieser Steller übernimmt in diesem Falle
das Maximum Power Point Tracking (MPPT).
 Photovoltaikanlage mit Multi-String-Wechselrichter (Abb. 5.60, rechts). Verfügt der
Wechselrichter über mehrere separat regelbare Gleichstrom(DC)-Eingänge für einzelne
Strings, spricht man von einem Multi-String-Wechselrichter.
 Photovoltaikanlage mit Zentralwechselrichter (Abb. 5.61, links). Für größere Leistun-
gen werden die Photovoltaikmodule nicht nur in Serie zu einem String, sondern auch
422 R. Bründlinger et al.

MPPT MPPT MPPT

AC-Netz

AC-Netz

AC-Netz
MPPT

String-Wechselrichter String-WR & DC/DC-Steller Multi-String-Wechselrichter

Abb. 5.60 Netzkopplungskonzepte von Photovoltaikanlagen aufgrund unterschiedlicher Wechsel-


richterkonfigurationen (AC alternate current bzw. Wechselstrom, DC direct current bzw. Gleich-
strom, WR Wechselrichter, MPPT Maximum Power Point Tracking (d. h. Einstellung des optimalen
Arbeitspunktes))

die Strings jeweils parallel miteinander verschaltet. Der Wechselrichter ist aufgrund
der größeren Leistung meist dreiphasig mit dem Versorgungsnetz verbunden.
 Photovoltaikanlage mit distributed Maximum Power Point Tracking (DMPPT) und
Zentralwechselrichter (Abb. 5.61, Mitte). Wird auf Modulebene ein DC/DC-Steller
eingesetzt, welcher in der Lage ist, für jedes Modul einen separaten Arbeitspunkt maxi-
maler Leistung einzustellen, spricht man von einem distributed Maximum Power Point
Tracking (DMPPT). Dadurch können Verschattungseffekte sowie Mismatch-Verluste
aufgehoben werden und es kann sich ein höherer Energieertrag einstellen (Mismatch-
Verluste bezeichnen einen Leistungsverlust, der durch Unterschiede u. a. in der Leis-
tung der Photovoltaikmodule, in der Neigung der Module, in der Modulausrichtung
und der verwendeten Modulfabrikate in einem String verursacht werden; d. h. sind bei-
spielsweise Photovoltaikmodule mit verschiedenartiger Leistung in Reihe geschaltet,
begrenzt das Modul mit der geringsten Leistung die Leistungen der anderen in Reihe
geschalteten Module; dies ist mit (Mismatch-)Verlusten verbunden).
 Photovoltaikanlage mit distributed Maximum Power Point Tracking (DMPPT) und
Modulwechselrichter (Abb. 5.61, rechts). Wird der Wechselrichter auf Modulebene
integriert, wird von einem Modulwechselrichter gesprochen. Dieser ist in der Lage,
einen Arbeitspunkt maximaler Leistung für jedes Modul einzustellen. Die einzelnen
Wechselrichter sind auf der Wechselstromseite miteinander verbunden.

Der mit Abstand überwiegende Anteil der photovoltaischen Stromerzeugung erfolgt


in industrialisierten Ländern – und zunehmend auch in Schwellen- und Entwicklungslän-
dern – seit vielen Jahren in Form der Integration in das Versorgungsnetz der öffentliche
Stromversorgung. Beispielsweise erreicht in Deutschland der Anteil der photovoltaischen
Stromerzeugung am Gesamtstromaufkommen bereits Werte von knapp 10 % [5.51] und zu
5 Photovoltaische Stromerzeugung 423

MPPT MPPT

MPPT MPPT

MPPT

AC-Netz
AC-Netz

AC-Netz
MPPT MPPT

Zentralwechselrichter DMPPT & Zentralwechselrichter DMPPT & Modulwechselrichter

Abb. 5.61 Netzkopplungskonzepte von Photovoltaikanlagen aufgrund unterschiedlicher Wechsel-


richterkonfigurationen (AC alternate current bzw. Wechselstrom, DC direct current bzw. Gleich-
strom, WR Wechselrichter, MPPT Maximum Power Point Tracking (d. h. Einstellung des optimalen
Arbeitspunktes), DMPPT distributed Maximum Power Point Tracking (d. h. verteilte Einstellung
des optimalen Arbeitspunktes))

Spitzenzeiten können es Momentanwerte von bis zu 50 % oder mehr sein [5.52]. Richt-
linien für die Einspeisung von dezentralen Erzeugungsanlagen am Mittelspannungsnetz
(seit 2018 AR-N-4110) und Niederspannungsnetz (VDE-AR-N 4105 von 2018) insbe-
sondere für Photovoltaikanlagen wurden daher kontinuierlich erweitert bzw. neu erstellt
[5.53, 5.54]. Das Ziel dieser Richtlinien ist die verbesserte Netzintegration derartiger
Anlagen. Inhalt und Kern bilden netzstützende Funktionen für einen sicheren und zu-
verlässigen Netzbetrieb bei hoher dezentraler Erzeugungsleistung; d. h. dezentrale Er-
zeugungsanlagen müssen sich auch an der dynamischen Netzstützung und der statischen
Spannungshaltung beteiligen.

Netzunabhängige Systeme (Inselsysteme) Bei den netzunabhängigen Anwendungen


(zu Beispielen vgl. Tabelle 5.3) unterscheidet man zwischen netzfreien und netzfernen
Anwendungen [5.22].

 Als netzfrei werden Anwendungen bezeichnet, in denen eine photovoltaische Ener-


gieversorgung aus Gründen der Wirtschaftlichkeit, der Handhabbarkeit, der Sicherheit
und / oder des Umweltschutzes als Alternative zum Netz der öffentlichen Versorgung
eingesetzt wird, obwohl dieses in der Nähe verfügbar ist. Werden solche netzunabhän-
gigen Systeme in Innenräumen eingesetzt (Tageslicht oder Kunstlicht), spricht man von
Indoor-Anwendungen; ein klassisches Beispiel dafür ist ein photovoltaisch versorgter
Taschenrechner. Weiter kann unterschieden werden in Konsumeranwendungen (z. B.
photovoltaisch versorgte Gartenleuchten) und industrielle bzw. professionelle Anwen-
dungen (z. B. Parkscheinautomaten, Stadtmobiliar). Die Solargeneratorleistung liegt
bei derartigen Anwendungen zwischen wenigen mW und einigen 100 W.
424 R. Bründlinger et al.

Tabelle 5.3 Auswahl typischer Anwendungsbereiche der Photovoltaik


Anwendungsbereich Anwendungsbeispiele Gängige
Leistungen
Kleinstanwendungen Uhren, Taschenrechner 0,001–1 W
Gebrauchsgüter Radios, Werkzeuge, Beleuchtungen 0,5–100 W
Verkehrstechnik Bojen, Warnfeuer, Notrufsäulen, Solarmobile, 20–500 W
Verkehrsampeln, Baustellenbeschilderung,
Informationstafeln
Ernährung / Gesundheit Kühltechnik, Bewässerung 50 W–5 kW
Raumfahrt Satellitenversorgung 500 W–5 kW
Nachrichtentechnik Relaisstationen, TV-Umsetzer, Sender, Mobilfunk 10 W–7 kW
Wassertechnik Pumpen von Oberflächen- und Tiefenwasser, 400 W– > 6 kW
Wasseraufbereitung und -belüftung
Umwelttechnik Messstationen, Kläranlagen 10 W–200 kW
Landwirtschaft Weidezäune, Freiland-Melkstationen, Vieh- 5 W–20 kW
tränken, Fischteichbelüftung
Sonstige Inselsysteme Hütten und Häuser, Medizinstationen, 40 W– > 50 kW
Kleinbetriebe, Dorfversorgung
Netzgekoppelte Ein- und Mehrfamilienhäuser, gewerbliche und 3– > 1 000 kW
dezentrale Anlagen kommunale Bauten
Netzgekoppelte Photo- Freiflächen 1 MW– > 10 GW
voltaikkraftwerke

 Als netzfern werden photovoltaische Energieversorgungen bezeichnet, wenn ein Zu-


gang zum Netz der öffentlichen Versorgung aus technischen und / oder ökonomischen
Gründen in Folge der Entfernung zum nächsten Netzanschlusspunkt nicht realisiert
werden kann (z. B. bei Alpenhütten, Haushalten in Gegenden mit fehlender Strom-
versorgungsinfrastruktur). Bei größeren Systemen sind hier auch die Bezeichnungen
„Inselanlage“ oder „autonomes Energieversorgungssystem“ gebräuchlich. Dabei kann
zwischen industriellen Anwendungen (hier liegt der größte Marktanteil bei der Tele-
kommunikationsinfrastruktur für drahtlose Kommunikation) und der Versorgung von
Haushalten unterschieden werden. Insbesondere in Entwicklungs- und Schwellenlän-
dern sind die Grenzen aber fließend, weil die Stromversorgung eines Haushalts oftmals
auch eine wirtschaftliche Aktivität ermöglicht.

Eine Sonderstellung unter den netzunabhängigen Systemen nehmen photovoltaische


Pumpensysteme ein. Wesentlich bei solchen Systemen ist, dass sie i. Allg. keinen Spei-
cher für elektrische Energie benötigen. Gespeichert wird hier das gepumpte Wasser in
einem Hochbehälter, das immer dann gefördert wird, wenn die solare Einstrahlung aus-
reicht, um die Pumpe zu betreiben, und der Speicherbehälter nicht voll ist. Obwohl es
auch mit Gleichstrom betriebene Pumpen gibt, wird in der Mehrzahl derartiger Systeme
ein spezieller Wechselrichter eingesetzt, der es ermöglicht, die Pumpe optimal zu betrei-
ben.
5 Photovoltaische Stromerzeugung 425

Bei autonomen Stromversorgungssystemen, welche die Aufgabe haben, eine definierte


(variierende) Nachfrage sicher zu decken, kann unterschieden werden zwischen

 Photovoltaiksystemen mit Batteriespeicher und


 Photovoltaiksystemen mit Batteriespeicher und zusätzlichen Stromerzeugern (soge-
nannte Hybridsysteme).

Reine Photovoltaiksysteme mit einem Batteriespeicher können jeweils nur so viel Ener-
gie zur Verfügung stellen, wie die Photovoltaikanlage infolge der solaren Einstrahlung
– abzüglich der Batteriespeicherverluste – insgesamt liefert. Somit ist die Menge der je-
weils verfügbaren Nutzenergie – entsprechend der Jahreszeiten bzw. den Großwetterlagen
und der Größe des Batteriespeichers – Schwankungen ausgesetzt. Demgegenüber kann
mit Hybridsystemen eine gleichmäßigere und potenziell die Nachfrage jederzeit deckbare
Energieversorgung sichergestellt werden. Damit werden unter derartigen Hybridkonzep-
ten Energieversorgungssysteme verstanden, bei denen mehr als ein Energieträger / mehr
als eine Strombereitstellungsoption für die Deckung der Stromnachfrage verantwortlich
ist.
Nachfolgend wird exemplarisch ein reines Photovoltaik- und ein Hybridsystem cha-
rakterisiert.

 Photovoltaik-Versorgungssystem. Photovoltaiksysteme, die beispielsweise zur Versor-


gung eines Haushaltsgerätes oder eines anderen Kleinverbrauchers eingesetzt werden,
aber auch Solar Home Systeme zur Basisstromversorgung in ländlichen Gebieten von
Schwellen- und Entwicklungsländern bestehen i. Allg. aus dem eigentlichen Solar-
oder Photovoltaikgenerator, einem Laderegler und einem Energiespeicher (z. B. Blei-
batterie), die über eine Gleichstromschiene miteinander gekoppelt sind (Abb. 5.62).
In den meisten Fällen werden mit einem derartigen System direkt bzw. indirekt über
die Batterie Gleichstromverbraucher versorgt. Typische weitere Beispiele sind Anwen-
dungen aus dem Camping- und Freizeitbereich und zum Betrieb in Kraftfahrzeugen;
hinzu kommen Solar Home Systeme, wie sie in Schwellen- und Entwicklungsländern
realisiert werden. Zusätzlich werden aber auch Systeme betrieben, bei denen zwischen

Abb. 5.62 Aufbau ei-


nes Photovoltaiksystems Photovoltaik-
generator
zur Versorgung eines
Gleichstromgerätes bzw.
Gleichstrom-
Gleichstrom-Kleinverbrau- verbraucher
Gleichstromschiene

chers
Batterie Laderegler
426 R. Bründlinger et al.

der Gleichstromschiene und den Verbrauchern ein Wechselrichter installiert wird, um


Standard-Wechselstromverbraucher (z. B. Kühlschrank) versorgen zu können.
 Hybrid-Versorgungssysteme. Wird eine zuverlässige Energieversorgung unabhängig
von der Jahreszeit oder für größere Energiemengen benötigt, werden – insbesondere in
geografischen Breiten wie in Mitteleuropa, die sich durch einen großen Unterschied in
der solaren Einstrahlung zwischen den Sommer- und den Wintermonaten auszeichnen
– Hybridsysteme eingesetzt. Dazu werden mehrere unabhängige Stromerzeugungs-
optionen so miteinander gekoppelt, dass sie sich zeitlich und energetisch möglichst
optimal ergänzen. Der hierfür am meisten verwendete Zusatzstromerzeuger ist ein
Dieselmotor mit angeschlossenem Generator; er kann mit konventionellem (fossilem)
Diesel oder mit Biodiesel betrieben werden (in Ausnahmefällen können auch Pflanzen-
ölmotoren zum Einsatz kommen). Derartige Dieselgeneratoren werden immer dann
eingeschaltet, wenn der Batterieladezustand infolge zu geringer solarer Einstrahlung
oder zu hoher Energienachfrage unter einen definierten Grenzwert absinkt. Je nach
Systemkonzept können nur die Batterie nachgeladen oder während der Batterienachla-
dung auch die Verbraucher direkt mit Wechselstrom aus dem Dieselgenerator versorgt
werden. Abb. 5.63 zeigt exemplarisch ein verallgemeinertes Blockschaltbild, in dem
neben dem Photovoltaikgenerator ein Motorgenerator (außer Dieselmotoren können
auch gas- oder benzingetriebene Motoren eingesetzt werden) und beispielsweise auch
eine Kleinwasserkraftanlage oder eine Windkraftanlage (WKA) installiert sind. Wind-
kraftanlagen und Photovoltaikanlagen zeigen an vielen Standorten eine gute jahreszeit-

Photovoltaik-
generator Wechselstrom-
verbraucher
Gleichstrom-
verbraucher
Gleichstromschiene

Blei- Lade-
batterie regler
WKA
Wechselstromschiene

Wechsel-
richter

Motor - Gleich-
generator richter

Abb. 5.63 Exemplarisches Blockschaltbild eines Hybridsystems mit Gleichstrom- und Wechsel-
stromschiene (WKA Windkraftanlage)
5 Photovoltaische Stromerzeugung 427

liche und wetterabhängige Ergänzung; so ergänzen beispielsweise in Mitteleuropa die


im Herbst und Winter typischerweise überdurchschnittlichen Windgeschwindigkeiten
die in diesen Monaten nur mäßige Sonnenstrahlung und auch während lang anhaltender
Schlechtwetterperioden (d. h. geringe Photovoltaikstromerzeugung) ist oft ein erhöhtes
Windaufkommen zu verzeichnen. Unter bestimmten Bedingungen gilt dies sinnge-
mäß auch für Kleinwasserkraftanlagen. Durch die gezielt bei einer entsprechenden
Nachfrage einschaltbaren Motorgeneratoren ergeben sich zusätzliche Freiheitsgrade
der Systembetriebsführung, die insbesondere zu einer schonenderen und damit lebens-
dauerverlängernden Betriebsweise der Batterie genutzt werden können.
An Stromversorgungssysteme, die sich näherungsweise an dem in Abb. 5.63 dargestell-
ten Blockschaltbild orientieren, können auch direkt Gleichstromversorger angeschlos-
sen und zusätzlich – d. h. neben dem eigentlichen Wechselstromnetz – betrieben wer-
den. Auch kann in Systemen entsprechend Abb. 5.63 ein uni- oder ein bidirektionaler
Wechselrichter eingesetzt werden. Im ersten Fall speist der Motorgenerator über ei-
nen Gleichrichter (AC/DC-Wandler) auf die Gleichstromschiene und kann dadurch die
(Blei-)Batterie nachladen. Die Windkraftanlage kann dann in der in Abb. 5.63 gezeig-
ten Konfiguration nur so viel Leistung abgeben, wie direkt von den Wechselstromver-
brauchern aufgenommen werden kann. Wird demgegenüber ein bidirektionaler Wech-
selrichter eingesetzt, können alle Wechselstromerzeuger auf die Wechselstromschiene
einspeisen. Dann kann auf den dem Motorgenerator zugeordneten Gleichrichter ver-
zichtet werden und Leistungsüberschüsse auf der Wechselstromschiene werden über
den bidirektionalen Wechselrichter zum Laden der Batterie verwendet. Der Einsatz
derartiger bidirektionaler Wechselrichter erlaubt auch den Aufbau von Systemen, die
nur eine Wechselstrom- und keine Gleichstromschiene aufweisen. Hier werden dann
auch Batterien und Photovoltaikgeneratoren direkt über einen jeweils eigenen Wech-
selrichter (unidirektional für die Photovoltaik, bidirektional für die Batterie) an die
Wechselstromschiene angeschlossen.
Die Spannung auf der Gleichstromseite orientiert sich vor allem an der Anschlussleis-
tung der zu versorgenden Verbraucher; dabei müssen aber auch die üblichen Sicher-
heitsvorgaben eingehalten werden (während beispielsweise bis 60 V Gleichspannung
außer in Feuchträumen kein Berührungsschutz notwendig ist, sind bei höheren Span-
nungen entsprechende Sicherheitsvorschriften einzuhalten). Die sich daraus ergeben-
den Ströme bestimmen auch den Aufwand für die Verkabelung und insbesondere für
die notwendigen Gleichstromschalter und Sicherungen. Diese sind für hohe Stromstär-
ken sehr aufwändig und teuer. Daher werden oft entsprechend angepasste Spannungen
verwendet; z. B. sind für wechselstromversorgte Systeme 100 A auf der Gleichstrom-
seite eine vernünftige Obergrenze.

Nachfolgend werden exemplarisch einige typische Anwendungen für autonome, netz-


unabhängige Stromversorgungen mit Photovoltaik diskutiert.
428 R. Bründlinger et al.

Repeater- und Basisstationen für Mobilfunknetze Der wichtigste Markt für kommerzi-
elle, industrielle Anwendungen für netzferne Photovoltaikanlagen ist die Telekommuni-
kation. Mit der nach wie vor wachsenden Verbreitung von Mobiltelefonen und anderen
leitungsungebundenen Telekommunikationsdienstleistungen und der gleichzeitigen For-
derung nach möglichst flächendeckender Verfügbarkeit der Netze steigt die Nachfrage an
autonomen Stromversorgungen für die Infrastruktur der Telekommunikationsnetze. Da-
bei werden sehr hohe Anforderungen an die Verfügbarkeit derartiger Versorgungssysteme
gestellt. Dieser Forderung kann durch eine entsprechende Überdimensionierung des So-
largenerators und des Batteriespeichers adäquat Rechnung getragen werden. Um solche
Anlagen zuverlässig und wirtschaftlich betreiben zu können, werden die Anlagen mit Al-
gorithmen zur Selbstdiagnose und zur Fernüberwachung ausgerüstet, so dass eine gezielte
Wartung der Anlagen bei Bedarf durchgeführt werden kann.

Solar Home Systeme Hohe Investitionen in die Netzinfrastruktur bei gleichzeitig niedri-
ger Stromnachfrage verhindern einen Netzanschluss in abgelegenen und kaum besiedelten
Gebieten insbesondere in Entwicklungs- und Schwellenländern; dies gilt für rund 2 Mrd.
Menschen, die bisher keinen Zugang zum Stromnetz der öffentlichen Versorgung haben.
Und diese Zahl dürfte in den nächsten Jahrzehnten nicht abnehmen. Daher gewinnen Insel-
lösungen für eine Versorgung mit elektrischem Strom immer mehr an Bedeutung. Für eine
derartige Basiselektrifizierung ländlicher Gebiete von Entwicklungs- und Schwellenlän-
dern stellt das Solar Home System eine gute technische und oft auch wirtschaftliche Option
dar, den Grundbedarf der Haushalte nach Beleuchtung und Information zu decken. Dabei
besteht ein Solar Home System typischerweise aus einem Solarmodul mit 40 bis 70 W,
einer 12 V-(Blei-)Batterie mit etwa 60 bis 120 Ah Kapazität, einem Laderegler sowie den
jeweils angeschlossenen Verbrauchern. Als Verbraucher werden beispielsweise energie-
sparende Lampen, Kühlschränke, Radio und Fernseher betrieben. Zentral im Ort kann es
zusätzlich Gemeinschaftseinrichtungen wie Wasserpumpen, spezielle Kühleinrichtungen
beispielsweise für Medikamente und Medizingeräte oder Funkanlagen geben. Bei solchen
Systemen werden in den meisten Fällen Gleichstromverbraucher mit hoher Energieeffi-
zienz verwendet. Es kommen aber auch Wechselrichter mit 150 bis 500 W Nennleistung
zum Einsatz; Vorteile sind hier die Möglichkeit des Einsatzes beliebiger kommerzieller
Verbraucher und ein wirksamer Schutz der Batterie gegen Fehlnutzung, da ein direkter
Anschluss der Verbraucher an die Batterie nicht möglich ist. Die Technologie für derartige
Anwendungen ist heute weitgehend zuverlässig und einsatzfähig, wenn Komponenten ho-
her Qualität eingesetzt werden; die Gründe einer nach wie vor eingeschränkten Verbreitung
liegen mehr auf der sozio-ökonomischen und sozio-technischen Seite.

Dorfstromversorgungssysteme Als eine technisch und wirtschaftlich interessante Alter-


native zu Solar Home Systemen kommen auch sogenannte Dorfstromversorgungssysteme
in Frage. Hierbei wird in einem zentralen Stromversorgungssystem die elektrische Ener-
gie für die über ein Mini-Grid miteinander verbundenen Haushalte bereitgestellt. Die
zentrale Anlage lässt sich einfacher warten und kann dem einzelnen Haushalt bei ähn-
5 Photovoltaische Stromerzeugung 429

licher Energiemenge mehr Leistung zur Verfügung stellen. Die zentrale Stromversorgung
ist typischerweise als Hybridsystem aufgebaut und vereinigt die für den Standort opti-
mal einsetzbaren Stromerzeuger. Nicht zu vernachlässigen sind hier aber mögliche soziale
Konflikte bei der Verteilung der vorhandenen Energiemenge auf mehrere Benutzer.

Energieversorgung von Wohngebäuden und Wandergaststätten Auch in Mitteleuropa gibt


es eine Reihe von Wohngebäuden, Wandergaststätten und Schutzhütten im Bergland, die
wegen der großen Entfernung vom Netz der öffentlichen Versorgung und den daraus
resultierenden hohen Anschlusskosten nicht an das Stromnetz angeschlossen sind. Als
einzige Lösung blieb den Gebäudebesitzern zuvor die Installation eines eigenen Strom-
erzeugungsaggregats (d. h. Dieselgenerator), das direkt zur Versorgung der Verbraucher
eingesetzt wird. Dies führt dazu, dass die Dieselgeneratoren häufig im Teillastbereich
betrieben werden und dass während der Abschaltzeiten keine elektrische Energie zur Ver-
fügung steht. Ein kontinuierlicher Betrieb verbietet sich nicht nur wegen des Problems
der niedrigen Teillastwirkungsgrade, des Lärms und der Abgase, sondern auch wegen der
beschränkten Lebensdauer von Verbrennungsmotoren.
Das Beispiel Rotwandhaus zeigt, dass diese ganzjährig bewirtschaftete Wandergast-
stätte des Deutschen Alpenvereins mit bis zu 1 000 Tagesgästen mit einem Hybridsystem,
bestehend aus Photovoltaikgenerator (5 kW), Windenergiekonverter (20 kW) und Diesel-
generator (30 kVA), zuverlässig mit etwa 11 MWh/a elektrischer Energie bei 10 kW An-
schlussleistung versorgt werden kann. Bei entsprechender Windstärke trägt der Windener-
giekonverter zur Stromerzeugung bei. Sobald die Batterie voll geladen ist, wird die Wind-
kraftanlage bei starkem Wind zurückgeregelt. Ein Wechselrichter wandelt den Gleich-
strom aus der Batterie in 230 V-Wechselstrom um, so dass alle handelsüblichen Elektro-
geräte betrieben werden können. Ein Dieselgenerator gewährleistet auch bei extrem un-
günstigen Witterungsbedingungen die notwendige Versorgungssicherheit. Um das Ener-
gieangebot so gut wie möglich auszunutzen, überwacht und steuert ein Leitrechner die
gesamte Anlage.

5.2.4 Energiewandlungskette, Verluste und Leistungskennlinie

Energiewandlungskette Das Ziel einer netzgekoppelten photovoltaischen Stromerzeu-


gung ist die Bereitstellung netzkompatiblen Wechselstroms. Dieser wird aus der einge-
strahlten Sonnenenergie in mehreren Energiewandlungsstufen bereitgestellt; sie sind in
Abb. 5.64 dargestellt.
Demnach wird zunächst die Strahlungsenergie der Sonne (d. h. die Diffus- und die Di-
rektstrahlung) und damit der Energieinhalt der Photonen in Energie der Elektronen (d. h.
höherenergetische Elektronen) im Halbleitermaterial umgewandelt; durch diese zusätzli-
che Energie können sie sich im Kristallgitter frei bewegen. Kommt es nicht unmittelbar
zu einer Rekombination und damit einer Freisetzung dieser Energie im Kristallgitter des
Halbleitermaterials in Form von Wärme, stellen die Solarzellen diese Energie in Form von
430 R. Bründlinger et al.

Abb. 5.64 Energiewandlungs-


kette der photovoltaischen Wandlung der Wandlung

Direktstrahlung
Wandlung
Stromerzeugung (elek. elektri-

Diffus-und
Photonenener- von Gleich- elek. in
sche; nach [5.5]) gie in höher- in Wechsel- elektrische
energetische strom Energie
Elektronen (Inverter) (Trafo)
(Halbleiter) (optional) (optional)

Netz
Strahlungs- Elektrische Ener- Elek. Energie Elek. Energie
energie der gie im Halbleiter- im Gleich- im Wechsel-
Sonne material stromnetz stromnetz

Gleichstrom bereit. Diesen wandelt bei netzgekoppelten Photovoltaikanlagen ein nach-


geschalteter Wechselrichter unter Einhaltung der entsprechenden Spezifikationen für die
Netzeinspeisung in Wechselstrom mit einer definierten Charakteristik um. Bei kleineren
Anlagen kann dann direkt in das Niederspannungsnetz der öffentlichen Versorgung ein-
gespeist werden, während größere Anlagen in das Mittelspannungsnetz einspeisen; dann
ist eine zusätzliche Wandlung auf das höhere Spannungsniveau notwendig.

Verluste Die beschriebenen Verlustmechanismen bewirken, dass nur ein Teil der solar
eingestrahlten Energie als elektrischer Strom an der Einspeisestelle ins Netz abgegeben
wird. Abb. 5.65 zeigt deshalb die wesentlichen Verluste im gesamten Energiefluss einer
Photovoltaikanlage und ihre jeweilige Größenordnung. Die dargestellten Verluste sind da-

Abb. 5.65 Energiefluss einer photovoltaischen Anlage mit monokristallinen Zellen (Verluste der
Solarzelle als Mindestverluste unter Standardtestbedingungen; nach [5.5])
5 Photovoltaische Stromerzeugung 431

bei als Mittelwerte von Technologien und verschiedenen Betriebszuständen, die sich im
Jahresverlauf ergeben (Temperatur, Einstrahlung etc.), zu verstehen, die im realen Betrieb
höher oder auch niedriger liegen können; sie beziehen sich auf die solare Einstrahlung auf
die Oberfläche des entsprechenden Solarmoduls.
Demnach nehmen diejenigen Verluste, die bei der Umwandlung der solaren Strah-
lungsenergie in elektrischen Gleichstrom in der eigentlichen Photovoltaikzelle auftreten,
den mit Abstand größten Anteil ein. Daraus resultiert bei dem dargestellten Beispiel, be-
zogen auf die ankommende Solarenergie, ein Wirkungsgrad der Solarzelle von rund 17
bis 19 %; im Jahresmittel dürfte er jedoch etwas niedriger liegen.
Die Verluste außerhalb der Zelle setzen sich im Wesentlichen aus den ohmschen Ver-
lusten in den Gleichstromleitungen, dem Wechselrichter und den notwendigen Wech-
selstromleitungen zusammen. Bezogen auf die eingestrahlte Sonnenenergie sind diese
Verluste gering und liegen zusammengenommen bei wenigen Prozent. Daraus ergeben
sich durchschnittliche Gesamtsystemwirkungsgrade (D jahresmittlere Nutzungsgrade) bei
diesem Beispiel zwischen 15 und 16 %.

Leistungskennlinie Durch die beschriebene Umwandlungskette wird die eingestrahlte


Sonnenenergie in elektrische Energie umgewandelt. Hier besteht ein definierter Zusam-
menhang zwischen der auf das Zellenmaterial innerhalb eines bestimmten Zeitraumes
auftreffenden Solarenergie und der von den Photovoltaikzellen bzw. vom Wechselrich-
ter letztlich abgegebenen elektrischen Energie. Dabei nimmt die spezifische Ausgangs-
leistung bzw. der Zellenwirkungsgrad aufgrund der mit steigender Bestrahlungsstärke
steigenden Zellentemperatur mit rund 0,5 %/K ab. Abb. 5.66 zeigt die entsprechenden
Leistungskennlinien für zwei unterschiedliche Zellentypen bzw. Wechselrichterbauarten.
Derartige Kennlinien entstehen durch eine zeitliche Aufsummierung der solaren Einstrah-
lung (kWh/m2 ) und der eingespeisten Wechselstromerzeugung (kWh/m2 ); in Abb. 5.66
sind jeweils Tagessummen der Solarstrahlung und der korrespondierenden Gleich- bzw.
Wechselstromerzeugung dargestellt.

Abb. 5.66 Schematische


Gleich- bzw. Wechselstrom-Erzeugung

Leistungskennlinie einer pho- Gleichstrom-


erzeugung monokristalline
tovoltaischen Stromerzeugung
Zellen
für unterschiedliche Zellenty- Wechselstrom-
pen (nach [5.5]) erzeugung

multikristalline
Zellen

Globalstrahlungssumme
432 R. Bründlinger et al.

Berücksichtigt man die typische Korrelation zwischen hoher Einstrahlung und hoher
Umgebungstemperatur wird deutlich, warum der Wirkungsgrad bei hohen Einstrahlun-
gen (primär in den Sommermonaten) im Mittel merklich unter dem bei geringen Ein-
strahlungen (primär im Winter) liegen. Dies äußert sich in Abb. 5.66 in der mit größer
werdenden Globalstrahlungssummen leicht abknickenden Leistungskennlinie; d. h. die
Leistungskennlinie steigt unter realen Gegebenheiten – im Unterschied zu der Standard-
testbedingungen – nicht linear mit ansteigender Einstrahlung. Allerdings verbessert sich
der Wirkungsgrad bei geringer solarer Einstrahlung mit steigender Einstrahlung durch die
mit der Strahlung logarithmisch ansteigende Ruhespannung erheblich. Auch dies ist in
Abb. 5.66 im Bereich kleiner Strahlungssummen zu sehen.
Gemäß Abb. 5.66 führt damit eine Zunahme der solaren Einstrahlung auf die Modu-
loberfläche bei multi- oder polykristallinen Zellen zu einem entsprechenden Anstieg der
Gleichstromerzeugung. Bei einer Verdopplung der Bestrahlungsstärke ergibt sich jedoch
aufgrund der damit verbundenen Temperaturerhöhung der Zellen – infolge der diskutier-
ten Zusammenhänge – keine genaue Verdopplung der Gleichstromerzeugung. Ähnlich
sind die Gegebenheiten bei den ebenfalls in Abb. 5.66 dargestellten Modulen auf der Basis
monokristalliner Zellen; hier ist aber aufgrund der höheren Wirkungsgrade die flächenspe-
zifische Stromerzeugung insgesamt leicht höher.
Aus Abb. 5.66 wird auch deutlich, dass bei gleicher Einstrahlung die jeweilige
flächenspezifische Wechselstromerzeugung gegenüber der entsprechenden Gleichstrom-
erzeugung geringfügig niedriger ist. Dies liegt in den Wechselrichterverlusten begründet.

5.3 Ökonomische und ökologische Analyse

Lucas Sens und Martin Kaltschmitt

Sollen Photovoltaikanlagen zur Deckung der Nachfrage nach elektrischer Energie in ei-
ner energiewirtschaftlich relevanten Größenordnung beitragen, müssen aufgrund der ver-
gleichsweise geringen Energiedichte der solaren Strahlung eine Vielzahl von Anlagen
(d. h. modularer Ausbau) installiert werden. Daraus resultiert ein entsprechender Material-
und letztlich auch Energieaufwand – mit allen damit im gesamten Lebensweg freigesetz-
ten Emissionen – sowie entsprechende Kosten einer elektrischen Energiebereitstellung.
Deshalb werden im Folgenden für ausgewählte photovoltaische Anlagen, die typisch für
das derzeitige Marktspektrum sind, die spezifischen Stromgestehungskosten und ausge-
wählte Umweltaufwendungen dargestellt und diskutiert.
Die ökonomische und ökologische Bilanzierung von Inselanlagen (d. h. nicht netzge-
koppelte Systeme), wie sie auch in Mitteleuropa beispielsweise in Form von Parkschein-
automaten, Fischteichbelüftungen, beleuchteten Hausnummern oder auch von nicht an das
Netz gekoppelte Berghütten in den letzten Jahren sehr vereinzelt umgesetzt wurden, ist im
Vergleich zu netzgekoppelten Systemen wesentlich schwieriger und wird sehr stark von
den jeweiligen standortspezifischen Bedingungen – und den dort vorliegenden Gegeben-
heiten – beeinflusst. Zudem fehlt häufig auch ein fester, leicht festzustellender Vergleichs-
5 Photovoltaische Stromerzeugung 433

rahmen für die ökologische und ökonomische Bewertung. Während bei netzgekoppelten
Systemen derartige Größen i. Allg. direkt mit anderen vorhandenen bzw. potenziellen Op-
tionen im Strombereitstellungssystem verglichen werden können, ist dies bei Inselanlagen
damit typischerweise ungleich schwieriger. So werden z. B. bei Solar Home Systemen
durch das photovoltaisch erzeugte Licht oftmals der Einsatz von Kerzen, Kerosinlam-
pen und Primärbatterien ersetzt. Bei Inselanlagen kann daher im Wesentlichen davon
ausgegangenen werden, dass sie nur dort eingesetzt werden, wo sie einen ökonomischen
Vorteil gegenüber einer Netzerweiterung bieten. Bei einer entsprechenden ökonomischen
Betrachtung wird dann auch schnell klar, dass weniger die eigentlichen Stromgestehungs-
kosten als die Kosten für die Stromverteilung relevant zu dem vom Endverbraucher zu
zahlenden Preis beitragen. Derartige Systeme werden im Folgenden deshalb nicht näher
betrachtet; d. h. es werden ausschließlich netzgekoppelte Systeme untersucht.

5.3.1 Referenzanlagen

Eine netzgekoppelte photovoltaische Erzeugung elektrischer Energie wird in Deutsch-


land derzeit überwiegend mit dachmontierten Anlagen und mit Photovoltaikkraftwerken
realisiert. Beide Optionen werden nachfolgend betrachtet. Als typische (Klein-)Anlagen-
variante wird eine auf einer schrägen Dachfläche installierte Photovoltaikanlage mit einer
elektrischen Nennleistung von 5 kW untersucht. Zusätzlich wird eine auf einer Freifläche
auf Stahlgestellen installierte 5 000 kW(5 MW)-Anlage betrachtet. Bei beiden Anlagen-
größen werden die Untersuchungen für jeweils zwei Solarzellentypen, die derzeit markt-
bestimmend sind, durchgeführt (d. h. mono- und polykristalline Siliziumsolarzellen). Von
den gegenwärtig auf dem Markt jeweils verfügbaren mono- und polykristallinen Solarzel-
len werden hier Module mit Wirkungsgraden unter Standardtestbedingungen (STC) von
20 % (monokristallines Photovoltaikmodul) und 17 % (polykristallines Photovoltaikmo-
dul) betrachtet.
Der durch eine derartige klein- oder großtechnische Photovoltaikanlage realisierba-
re spezifische Anlagenertrag wird durch die jährliche solare Strahlung, die geografische
Ausrichtung und Neigung der Solarmodule und den Qualitätsfaktor des jeweiligen Sys-
tems bestimmt. Der Qualitätsfaktor ist hierbei definiert als der Quotient aus der bei den
spezifischen Standortbedingungen und der gewählten Anlage real erreichbaren Strom-
erzeugung am Ausgang des Wechselrichters und der unter gleichen Randbedingungen
maximal möglichen Stromerzeugung aus dem entsprechenden Photovoltaikgenerator bei
einem als dauerhaft angenommenen Wirkungsgrad unter Standardtestbedingungen (STC);
dieser derart definierte Qualitätsfaktor wird auch als Performance Ratio bezeichnet. Unter
Berücksichtigung einer mittleren jährlichen Globalstrahlungssumme von 1 055 kWh/m2 ,
wie sie in Mitteleuropa erreicht werden kann, und einem Qualitätsfaktor für moderne
Anlagen von 85 % (Hausdachanlage) bzw. 90 % (Freiflächenanlage) errechnet sich ein
durchschnittlicher jährlicher spezifischer elektrischer Energieertrag rund 900 kWh/kW
für eine Hausdachanlage und etwa 950 kWh/kW für eine Freiflächenanlage. Dabei wird
u. a. berücksichtigt, dass Anlagen auf Schrägdächern, aufgrund der durch die Dachfläche
434 R. Bründlinger et al.

Tabelle 5.4 Technische Daten der untersuchten Photovoltaik-Anlagen


Dach-installierte Anlagen Freiflächenkraftwerke
Nennleistung in kW 5 5 5 000 5 000
Basismaterial Silizium Silizium Silizium Silizium
Solarzellentyp mono poly mono poly
Modulwirkungsgrada in % 20 17 20 17
Qualitätsfaktor in % 85 85 90 90
Lebensdauerb in a 30 30 30 30
Jahresertragc in kWh/kW 900 900 950 950
mono monokristalline Siliziummodule, poly polykristalline Siliziummodule; a unter Standardtest-
bedingungen (STC); b Ausnahme Wechselrichter mit einer Lebensdauer von 15 Jahren; c bei ei-
ner Globalstrahlungssumme von 1 055 kWh/(m2 a) auf die horizontale Moduloberfläche und einer
durchschnittlichen Ertragsminderung von 5 % infolge von Modulausfall im Verlauf der gesamten
technischen Lebensdauer.

vorgegebenen oft nicht optimalen Neigung und Ausrichtung sowie möglicher Abschat-
tungseffekte durch z. B. Bäume oder Schornsteine im Durchschnitt geringere Erträge
aufweisen als Anlagen auf Freiflächen mit einer ebenen Aufstandsfläche und dadurch
einer einfach möglichen optimierten Ausrichtung. Außerdem weisen Wechselrichter mit
hohen installierten Leistungen in der Regel leicht höhere Wirkungsgrade auf. Die techni-
sche Lebensdauer der Solarmodule wird mit 30 Jahren angesetzt. Demgegenüber werden
die Wechselrichter aufgrund ihrer geringeren technischen Lebensdauer nach 15 Jahren
ausgewechselt. Die technischen Daten zu den hier unterstellten Referenzanlagen sind in
Tabelle 5.4 zusammenfassend dargestellt.
Als Ausgangsmaterial für die Solarzellenherstellung wird Solar-Grade Silizium ver-
wendet, das mit weniger Energie- und Materialaufwendungen im Vergleich zu SeG-Sili-
zium (Semiconductor-Grade Silizium) aus der Halbleiterindustrie verbundenen ist. Die
Fertigung der Solarzellen und der daraus hergestellten Solarmodule erfolgt entsprechend
der derzeitigen Marktgegebenheiten in China; sie werden dann per Schiff, Bahn und Lkw
zu einem bestimmten Standort in Mitteleuropa transportiert.
Bei diesen Anlagen (Tabelle 5.4) wird eine technische Verfügbarkeit von 99 % unter-
stellt; d. h. nur an 1 % des Jahres ist störungs- oder wartungsbedingt keine Stromerzeugung
möglich. Dies ist u. a. auch deshalb realistisch, da die sehr seltenen Wartungsarbeiten z. T.
bei laufendem Betrieb und teilweise auch dann durchgeführt werden können, wenn auf-
grund des nicht vorhandenen Strahlungsangebots keine elektrische Energie bereitgestellt
werden kann (z. B. Abendstunden im Winterhalbjahr).

5.3.2 Ökonomische Analyse

Im Folgenden werden die variablen und fixen Aufwendungen sowie die spezifischen
Stromgestehungskosten exemplarisch für eine 5 kW- bzw. 5 000 kW-Photovoltaikanlage
5 Photovoltaische Stromerzeugung 435

entsprechend der Anlagendefinition nach Tabelle 5.4 dargestellt. Abhängig von der
Anlagengröße, den lokalen Preisen des örtlichen Installationsunternehmens und der
eingesetzten Technologie können diese im Einzelfall z. T. erheblich davon abweichen, da
nachfolgend nur mittlere volkswirtschaftliche Preise angegeben werden können.

Investitionen Die Aufwendungen für die Errichtung photovoltaischer Systeme setzen


sich aus den Modul- und Wechselrichterkosten, den Aufwendungen für die Gestelle,
den Kosten für weitere Systemkomponenten wie Verkabelung, Netzanschluss und ggf.
Umzäunung, den Planungs- und Installationskosten sowie den sonstigen Aufwendun-
gen zusammen. Tabelle 5.5 zeigt die entsprechende Kostenstruktur für die definierte
5 kW-Schrägdach- und die 5 000 kW-Freiflächenanlage.
Demnach nehmen generell die spezifischen Investitionen der Photovoltaikanlagen mit
zunehmender installierter elektrischer Leistung ab. Bei der in Tabelle 5.4 definierten
5 kW-Anlage liegen die Investitionen bei rund 900 C/kW und bei der 5 000 kW-Anlage
betragen diese nur noch etwa 610 C/kW. Ursachen dieser Kostendegression sind neben
sinkenden Modulpreisen bei größeren Abnahmemengen auch die mit höheren installier-
ten Leistungen abnehmenden spezifischen Wechselrichterkosten sowie geringere sonstige
spezifische Kosten (u. a. für die elektrischen Einrichtungen, für die Planung).
Den Hauptteil der Kosten nehmen die Aufwendungen für die Module ein. Die Preise
der gegenwärtig am Markt erhältlichen monokristallinen Photovoltaikmodule liegen im

Tabelle 5.5 Mittlere Investitionen und Betriebskosten sowie Stromgestehungskosten für die unter-
suchten Photovoltaikgeneratoren (zur Definition der betrachteten Referenzanlagen vgl. Tabelle 5.4)
Dach-installierte Anlagen Freiflächenkraftwerke
Monokrist. Polykrist. Monokrist. Polykrist.
Si-Module Si-Module Si-Module Si-Module
Leistung in kW 5 5 5 000 5 000
Jahresertrag in kWh/kW 900 900 950 950
Investitionen
Module in k C 1,75 1,55 1 300 1 150
Wechselrichter in k C 0,8 0,8 500 500
Gestelle in k C 0,7 0,8 500 600
Sonstigesa in k C 1,25 1,35 750 800
Summe in k C 4,5 4,5 3 050 3 050
Annuitätb in C/a 227 227 152 770 152 770
Betriebskostenc in C/a 250 250 40 000 40 000
Stromgestehungskosten in C/kWh 0,106 0,106 0,041 0,041
Monokrist. Si-Module monokristalline Siliziummodule, Polykrist. Si-Module polykristalline Silizi-
ummodule; a Kosten für sonstige Systemkomponenten (u. a. Verkabelung, Netzanschluss), Planung
und Installation; b bei einem Zinssatz von 2 % und einer Abschreibung über die technische Le-
bensdauer von 15 Jahren für Wechselrichter und 30 Jahren für die restlichen Anlagenkomponenten;
c
Betrieb, Wartung, Sonstiges.
436 R. Bründlinger et al.

1000
Sonstiges
900 Gestelle
800 Wechselrichter
Investitionen in €/kW Module
700
600
500
400
300
200
100
0
5 kW (mono Si) 5 kW (poly Si) 5 MW (mono Si) 5 MW (poly Si)

Abb. 5.67 Spezifische Investitionen der in Tabelle 5.4 dargestellten Referenzanlagen (mono Si mo-
nokristalline Siliziummodule, poly Si polykristalline Siliziummodule)

Mittel bei rund 260 bis 350 C/kW. In einer ähnlichen Größenordnung – jedoch auf einem
geringfügig geringeren Niveau – liegen mit 230 bis 310 C/kW momentan die Preise für
polykristalline Module. Damit tragen die Aufwendungen für die Module zu etwa 34 bis
43 % zu den Gesamtinvestitionen der vollständigen Anlage bei (u. a. [5.34, 5.35]). Dabei
sind die Modulpreise beispielsweise zwischen 2012 und 2019 um rund 62 % gefallen und
gleichzeitig ist der durchschnittliche Wirkungsgrad merklich angestiegen [5.34]. Diese
Entwicklung wurde vor allem durch Skaleneffekte einer Ausweitung der Produktionska-
pazitäten aufgrund des global stark anziehenden Marktes begünstigt. Außerdem tragen
Verbesserungen im Produktionsprozess und Effizienzsteigerungen durch neue Solarzel-
lendesigns zur Kostensenkung bei.
Einen merklichen Anteil an den Gesamtkosten nehmen die auch in Tabelle 5.5 aufge-
führten Wechselrichterkosten ein; sie liegen in Abhängigkeit der Leistungsklasse derzeit
im Mittel bei ca. 160 C/kW für kleinere dachgekoppelte Anlagen und bei rund 100 C/kW
für größere Solarkraftwerke. Sie haben damit einen Anteil zwischen 16 und 18 % an den
Gesamtinvestitionen eines Photovoltaiksystems.
Neben diesen Kosten für die photovoltaischen Module und den bzw. die Wechselrich-
ter fallen für die Befestigungsgestelle – je nach benötigter Technik (Schrägdach- oder
Freiflächeninstallation) – zwischen 16 und 20 % der Gesamtinvestitionen an. Zusätzlich
fallen Aufwendungen für die Installation der Photovoltaikanlage an. Die Angaben in Ta-
belle 5.5 beinhalten dabei sowohl die komplette Montage als auch die Elektroinstallation
einschließlich Zählerkasten, Zählereinbau und Kabelkosten bis zur Kopplung an das Netz
der öffentlichen Versorgung. Die Planungsaufwendungen können – ein bestimmtes Erfah-
rungspotenzial bei dem ausführenden Unternehmen vorausgesetzt – mit maximal 2 % der
gesamten Anlageninvestitionen veranschlagt werden.
Abb. 5.67 zeigt eine zusammenfassende Darstellung der spezifischen Investitionen der
hier untersuchten Referenzanlagen nach Tabelle 5.4 bzw. 5.5.
5 Photovoltaische Stromerzeugung 437

Betriebskosten Die Betriebskosten errechnen sich aus den Wartungs- und Instandhal-
tungskosten und den sonstigen Aufwendungen (z. B. Reparaturen, Modulreinigung, Zäh-
lermiete, Versicherung). Für Photovoltaikgroßanlagen können zusätzlich Kosten für Pacht,
Betriebsführung, Personal und ggf. Fremdfinanzierung anfallen [5.36]. Die jährlichen
Betriebskosten liegen je nach Aufstellungsart und Größe der Anlage zwischen 8 und
50 C/kW. Für die untersuchten Referenzanlagen folgen daraus laufende Kosten (Tabel-
le 5.5) von etwa 250 C/a für jede der beiden 5 kW-Anlagen bzw. 40 000 C/a für jede der
beiden 5 000 kW-Anlagen.

Stromgestehungskosten Mit Hilfe der Annuitätenmethode können aus den Gesamt-


investitionen und den jährlich anfallenden Betriebskosten die spezifischen Stromgeste-
hungskosten ermittelt werden. Dabei wird von einem realen Zinssatz von 2 % und einer
Abschreibung über die technische Lebensdauer (15 Jahre bei dem Wechselrichter, 30 Jah-
re bei den restlichen Anlagenkomponenten) ausgegangen (zu den Rahmenannahmen siehe
Kapitel 1.3 und 1.4). Tabelle 5.5 zeigt die resultierenden spezifischen Stromgestehungs-
kosten für die in Tabelle 5.4 definierten Referenzanlagen.
Demnach gehen die Stromgestehungskosten bei gleichem spezifischem Anlagener-
trag mit zunehmender Anlagenleistung infolge der Investitionskostendegression deutlich
zurück. Bei einer Systemnennleistung von 5 kW liegen die spezifischen Stromgestehungs-
kosten damit bei rund 0,106 C/kWh. Im Gegensatz dazu fallen bei einer Nennleistung von
5 000 kW (Faktor 1 000 größer) Stromgestehungskosten von nur noch 0,041 C/kWh an
(Tabelle 5.5). Bei noch höheren Leistungen ist mit einer weiteren – wenn auch merklich
abgeschwächten – Reduzierung zu rechnen. Ursache für diese z. T. deutlich geringeren
spezifischen Stromgestehungskosten bei Photovoltaik-Freiflächenanlagen bzw. Photovol-
taikkraftwerken im Vergleich zu dachmontierten Anlagen sind neben den geringeren spe-
zifischen Gesamtinvestitionen die oftmals leicht höheren jahresmittleren Wirkungsgrade
der Wechselrichter sowie die Tatsache, dass bei auf Freiflächen montierten Anlagen im
Gegensatz zu vielen Dachanlagen im Regelfall eine optimale Neigung und Ausrichtung
der Module im Hinblick auf den mittleren Sonnenstand realisiert werden kann. Die bei-
den letztgenannten Gründe haben maximierte Volllaststundenzahlen am gleichen Standort
– und damit maximierte Energieerträge – zur Folge. Hinzu kommen bei kommerziell
gemanagten Großanlagen typischerweise eine professionellere Betriebsführung und eine
optimierte Wartung.
Im konkreten Einzelfall können die Stromgestehungskosten jedoch von den in Ta-
belle 5.5 dargestellten Größenordnungen erheblich abweichen. Um den Einfluss der-
artiger möglicher Unterschiede auf die Stromgestehungskosten abschätzen zu können,
zeigt Abb. 5.68 eine Variation der wesentlichen sensitiven Parameter am Beispiel der
5 kW-Photovoltaikanlage mit polykristallinen Modulen aus Tabelle 5.5 innerhalb ei-
ner Bandbreite von ˙50 %. Demnach hat die Anzahl der Volllaststunden (d. h. der
jährliche Ertrag), die sich aus dem Systemnutzungsgrad und der nutzbaren solaren Strah-
lungsleistung im Jahresverlauf und damit primär den Standortbedingungen ergibt, den
wesentlichen Einfluss auf die Stromgestehungskosten. Verglichen damit hat der Zinssatz
438 R. Bründlinger et al.

0,22
Mittlere Abschreibungsdauer (27,4 Jahre = 100 %)
0,2 Investitionen (4500 € = 100 %)
Stromgestehungskosten in €/kWh

Zinssatz (2 % Zinsen = 100 %)


0,18
Betriebskosten (250 €/a = 100 %)

0,16 Jährlicher Ertrag (900 kWh/kW = 100 %)

0,14

0,12

0,1

0,08

0,06
50 60 70 80 90 100 110 120 130 140 150
Parametervariation in %

Abb. 5.68 Parametervariation der wesentlichen Einflussgrößen auf die spezifischen Stromgeste-
hungskosten am Beispiel eines 5 kW-Photovoltaikgenerators mit polykristallinen Modulen (Tabel-
len 5.4 und 5.5)

einen untergeordneten Einfluss auf die Kosten der photovoltaischen Stromerzeugung. Be-
triebskosten und Investitionen zeigen dahingegen einen deutlich größeren Einfluss auf die
Gestehungskosten der photovoltaisch erzeugten elektrischen Energie. Ebenso beeinflusst
die Abschreibungsdauer die Stromgestehungskosten.
Aus Abb. 5.68 lässt sich aber auch ableiten, dass die Stromgestehungskosten in den
Gegenden der Erde, die im Vergleich zu Mitteleuropa durch eine (deutlich) höhere So-
larstrahlung gekennzeichnet sind (z. B. Südeuropa, Nordafrika), beispielsweise bei einer
etwa 50 % höheren solaren Einstrahlung bei nur gut 67 % der Kosten liegen, wie sie
in Deutschland gegenwärtig aufzubringen sind. Daraus, zusammen mit beträchtlichen
Skaleneffekten und günstigen Finanzierungsbedingungen, resultieren heute Stromgeste-
hungskosten für photovoltaischen Strom an Standorten beispielsweise in den Vereinigten
Arabischen Emiraten von unter 0,02 C/kWh.

5.3.3 Ökologische Analyse

Im Folgenden werden die Ökobilanzen einer photovoltaischen Stromerzeugung für die


definierten Anlagen (Tabelle 5.4) und die jeweils zugrunde gelegten Zellentypen ein-
schließlich aller vorgelagerten Prozesse erstellt und diskutiert. Zusätzlich werden weitere
Umwelteffekte diskutiert.
5 Photovoltaische Stromerzeugung 439

5.3.3.1 Lebenszyklusanalyse
Die vergleichsweise geringe Energiedichte der an der Oberfläche der Photovoltaikzellen
auftreffenden solaren Strahlungsenergie hat zur Folge, dass eine relativ große photovol-
taisch aktive Oberfläche notwendig ist, um hohe elektrische Leistungen zu realisieren.
Dies ist mit einem entsprechenden Materialeinsatz und dem damit korrespondierenden
Ressourcenverbrauch verbunden. Dabei beeinflusst sowohl die Menge als auch die Art
des jeweils eingesetzten Materials erheblich die jeweiligen Energieaufwendungen und die
daraus resultierenden Emissionen im Lebensweg.
Bei den nachfolgend dargestellten Bilanzen werden – vergleichbar zu der bisherigen
Vorgehensweise – sämtliche mit der Herstellung, dem Betrieb und der Entsorgung der
Anlagen verbundenen Energie- und Stoffströme berücksichtigt. Die Bilanzierung erfolgt
ausschließlich für eine Photovoltaikstromerzeugung frei Netzeinspeisepunkt auf der Nie-
derspannungsebene bei den dachmontierten Anlagen und auf der Mittelspannungsebene
bei den Freiflächenkraftwerken (zur Definition der Referenzanlagen siehe Tabelle 5.4).
Zusätzliche Aufwendungen, die sich aus der Integration einer solaren Stromerzeugung
in das Elektrizitätsversorgungsnetz ergeben können (z. B. Netzdienstleistungen zum Aus-
gleich der fluktuierenden Erzeugung), werden nicht berücksichtigt.
Tabelle 5.6 zeigt die resultierenden kumulierten Primärenergieaufwendungen einer
photovoltaischen Stromerzeugung am Beispiel der beiden Referenzanlagen und der be-
trachteten Modul- bzw. Zellentypen. Demnach ist im Durchschnitt der energetische
Aufwand bei monokristallinen Modulen größer als bei polykristallinen Solarmodulen;
der höhere Wirkungsgrad der monokristallinen Zellen kann damit den höheren Energie-
aufwand bei der Herstellung im Vergleich zu den anderen Zellentypen im Verlauf des
gesamten Lebensweges bzw. Lebenszyklus nicht vollständig kompensieren.
Die realtiv höheren Werte der monokristallinen Solarzellen ergeben sich zum einem
durch die bei der Herstellung anfallenden Sägeverluste, die vor einer Wiederverwendung
erneut gereinigt werden müssen. Zum anderen ist der Prozess des Ziehens eines Mono-

Tabelle 5.6 Energie- und Emissionsbilanzen einer photovoltaischen Stromerzeugung (zur Defini-
tion der untersuchten Referenzanlagen vgl. Tabelle 5.4)
Dach-installierte Anlagen Freiflächenkraftwerk
Monokrist. Polykrist. Monokrist. Polykrist.
Si-Module Si-Module Si-Module Si-Module
Energie in GJprim /GWha 683 523 643 492
SO2 in kg/GWh 82 72 81 73
NOx in kg/GWh 72 61 67 58
CO2 -Äq. in t/GWh 42 33 40 31
SO2 -Äq. in kg/GWh 141 123 138 120
Äq. Äquivalente; Monokrist. Si-Module Monokristalline Siliziummodule, Polykrist. Si-Module Po-
lykristalline Siliziummodule; a primärenergetisch bewerteter kumulierter fossiler Energieaufwand
(Verbrauch erschöpflicher Energieträger).
440 R. Bründlinger et al.

45
Abriss
40 Betrieb
CO2-Äquivalent-Emissionen in t/GWh Bau
35

30

25

20

15

10

0
5 kW (mono Si) 5 kW (poly Si) 5 MW (mono Si) 5 MW (poly Si)

Abb. 5.69 Beiträge von Bau, Betrieb und Abriss an den gesamten CO2 -Äquivalent-Emissionen der
Anlagen nach Tabelle 5.6 und 5.4 (mono Si monokristalline Siliziummodule, poly Si polykristalline
Siliziummodule)

kristalls aus der Siliziumschmelze energieintensiver als das Gießen von Blöcken, wie es
bei der Herstellung der polykristallinen Zellen realisiert wird.
Ähnlich den energetischen Aufwendungen können auch die mit der Herstellung, dem
Betrieb und der Entsorgung photovoltaischer Anlagen verbundenen Emissionen bzw.
Äquivalent-Emissionen ermittelt werden. Von der Vielzahl freigesetzter Stoffe werden
dabei in Anlehnung an die bisherige Vorgehensweise (Kapitel 1.3 und 1.4) exemplarisch
für Luftschadstoffe mit toxikologischer Wirkung Schwefeldioxid (SO2 ) und Stickstoff-
oxide (NOx ), unter dem Aspekt „Anthropogener Treibhauseffekt“ die CO2 -Äquivalent-
Emissionen sowie unter dem Aspekt „Versauerung von Böden und Gewässern“ die SO2 -
Äquivalent-Emissionen betrachtet (Kapitel 1.3 und 1.4).
Abb. 5.69 zeigt exemplarisch für die Klimagasemissionen im Lebensweg die Auftei-
lung der Stofffreisetzungen auf die Lebenswegabschnitte Bau bzw. Herstellung, Betrieb
und Abriss bzw. Entsorgung. Demnach treten Stofffreisetzungen in einer relevanten Grö-
ßenordnung bei der photovoltaischen Stromerzeugung im Wesentlichen bei der Anlagen-
herstellung auf. Dabei handelt es sich zum einen um die Emissionen, die durch den ener-
getischen Aufwand für die Herstellung der Solarmodule verursacht werden. Zum anderen
werden infolge des Energieeinsatzes für die Bereitstellung der benötigten Materialien
(z. B. Reinstsilizium) luftgetragene Schadstoffe emittiert. Dazu kommen noch die Emis-
sionen für die Bereitstellung der benötigten Hilfsenergie (z. B. elektrische Energie aus
dem Netz der öffentlichen Versorgung mit den damit verbundenen Emissionen des jewei-
ligen Kraftwerksparks). Mit den technischen Verfügbarkeiten, Lebensdauern und Volllast-
5 Photovoltaische Stromerzeugung 441

stundenzahlen sind daraus die auf die insgesamt erzeugte elektrische Energie bezogenen
luftgetragenen Stofffreisetzungen bestimmbar. Neben diesen der Herstellung zuzuordnen-
den freigesetzten Stoffe werden auch – allerdings in einem deutlich geringeren Umfang
– beim Betrieb und bei der Entsorgung photovoltaischer Generatoren Stoffe emittiert.
Obwohl es während des Betriebs der Anlagen technikbedingt zu nahezu keinen Stoff-
freisetzungen kommt, werden in Abb. 5.69 dennoch Emissionen deutlich. Dies liegt in
der Annahme begründet, dass im Verlauf der technischen Lebensdauer der Wechselrichter
einmal ausgetauscht werden muss, da er – im Unterschied zu den Photovoltaikmodulen,
die eine technische Lebensdauer von 30 Jahren aufweisen – nur durch eine technische
Lebensdauer von 15 Jahren gekennzeichnet ist. Damit resultieren die in Abb. 5.69 unter
Betrieb ausgewiesenen Emissionen letztlich primär aus der Anlagenherstellung des Wech-
selrichters.
Nach Tabelle 5.6 liegen die spezifischen kumulierten SO2 -Emissionen unter den in
Mitteleuropa derzeit gegebenen Strahlungsverhältnissen bzw. erreichbaren Volllaststun-
denzahlen und für die zugrunde gelegten Referenztechniken und den definierten Rah-
menannahmen zwischen 72 und 82 kg/GWh und die NOx -Emissionen zwischen 58 und
72 kg/GWh. Die unter Klimaschutzaspekten bilanzierten CO2 -Äquivalent-Emissionen lie-
gen je GWh erzeugter elektrischer Energie bei 31 bis 42 t und die SO2 -Äquivalent-Emis-
sionen im Bereich zwischen 120 und 141 kg/GWh. Eine Strombereitstellung aus poly-
kristallinen Modulen ist dabei i. Allg. durch geringere spezifische Emissionen bzw. Äqui-
valent-Emissionen gekennzeichnet als durch monokristalline Module. Deutlich wird in
Tabelle 5.6 auch, dass aufgrund u. a. der höheren Erträge die Stromerzeugung mit Groß-
anlagen – im Wesentlichen infolge der hier möglichen exakten Südausrichtung – geringere
spezifische Emissionen im Vergleich zu den Hausdachanlagen möglich sind.
Exemplarisch für den Verbrauch erschöpflicher Energieträger zeigt Abb. 5.70 detail-
lierter die Aufteilung der Aufwendungen auf unterschiedliche Lebenswegabschnitte der
untersuchten 5 kW-Photovoltaikanlage auf der Basis monokristalliner Zellen. Dabei ent-
fallen knapp 95 % der energetischen Aufwendungen auf den Bau der Anlagen, wobei der
überwiegende Anteil (83 %) durch die Modulherstellung bestimmt wird (MG-Silizium,
Polysilizium, monokristalliner Ingot, Wafer, Zellen, Module; unter Letzterem werden alle
die Prozessschritte zusammengefasst, die notwendig sind, um aus der eigentlichen Zelle
das Modul zu produzieren). Im Vergleich dazu sind die Aufwendungen für die sonstigen
Anlagenkomponenten (u. a. Gestelle, Wechselrichter, Verkabelung) von untergeordneter
Bedeutung. Dies gilt auch für den Betrieb sowie für Abriss und Entsorgung.

5.3.3.2 Weitere Umwelteffekte


Die photovoltaische Bereitstellung elektrischer Energie ist – außer durch die schon disku-
tierten Umwelteffekte im Lebensweg – gekennzeichnet durch einen geräuschlosen Betrieb
ohne luftgetragene Freisetzungen (u. a. an toxischen Stoffen, an Partikeln) an der bzw.
durch die eigentliche Konversionsanlage. Trotzdem können ggf. weitere Umweltauswir-
kungen u. a. bei der Herstellung und beim Betrieb auftreten; sie werden nachfolgend
diskutiert. Dabei wird – entsprechend der bisherigen Vorgehensweise – zwischen Um-
442 R. Bründlinger et al.

Wechselrichter Verkabelung Abriss Betrieb


2,1% 0,7% 2,6% 2,9% Transport & Errichtung
1,5%
Gestelle
7,2% MG-Silizium
3,7%

Modul
15,1%
Polysilizium
17,8%

Zellen
9,9%

monokristalliner Ingot
Wafer 26,3%
10,2%

Abb. 5.70 Aufteilung des Verbrauchs erschöpflicher Energieträger einer Bereitstellung elektrischer
Energie durch die in Tabelle 5.4 definierte 5 kW-Photovoltaikanlage mit monokristallinen Silizium-
modulen

weltaspekten bei der Herstellung, dem Normalbetrieb und einem Störfall sowie bei Be-
triebsende unterschieden.

Herstellung Netzgekoppelte Photovoltaik-Systeme bestehen i. Allg. aus Solarmodul,


Wechselrichter und Installationsmaterial (u. a. Kabel, Montagegestelle).
Bei Wechselrichtern und Installationsmaterial handelt es sich um „klassische“ elek-
trotechnische Komponenten, deren Produktion standardisiert und infolge der z. T. sehr
weitgehenden gesetzlichen Umweltschutzgesetzgebung heute nur noch mit wenigen Aus-
wirkungen auf die natürliche Umwelt verbunden ist, die sich innerhalb der gesetzlich
definierten Grenzen bewegen müssen.
Umwelteffekte bei der Herstellung vom Photovoltaikanlagen können insbesondere bei
der Solarzellenfertigung auftreten; sie wurden in der Vergangenheit überwiegend im Hin-
blick auf der Verbrauch knapper Ressourcen und Toxizitäten diskutiert. Bestimmte Zellen-
fertigungsprozesse sind auch durch den Einsatz ätzender Stoffe gekennzeichnet. Werden
hier die Umwelt- und Sicherheitsstandards, wie sie heute in der chemischen Industrie
gültig sind, sicher eingehalten bzw. umgesetzt, sollten sich aber auch die potenziellen
Umweltauswirkungen auf das gesetzliche zulässige Maß begrenzen lassen.
Bei den mono- und polykristallinen Siliziumsolarzellentechnologien liegt i. Allg. ein
geringer und bei den Cadmium-Tellurid(CdTe)- und CIS-Zellentechnologien ein mittle-
rer Verbrauch knapper Ressourcen vor. Problematisch erscheint insbesondere die Ver-
wendung von Germanium (Ge) bei den amorphen Siliziumzellen, Indium (In) bei den
5 Photovoltaische Stromerzeugung 443

CIS-Zellen und Tellur bei den CdTe-Zellen; diese Elemente sind auf unserem Plane-
ten entsprechend des gegenwärtigen Kenntnisstandes nur in einem begrenzten Umfang
vorhanden. Deshalb laufen Forschungsarbeiten mit dem Ziel, diese Elemente in den ent-
sprechenden Solarzellen zu ersetzen.
Hinsichtlich der Toxizität kann bei kristallinen Siliziumtechnologien von geringen Um-
welteffekten ausgegangen werden. Demgegenüber sind aber die CdTe- und CIS-Zellen-
Technologien aufgrund der relativ hohen Anteile an Cadmium (Cd), Selen (Se), Tellur (Te)
und Kupfer (Cu) als problematischer einzuschätzen. Auch können bei der CIS-Modulher-
stellung beispielsweise gasförmige toxische Stoffe (z. B. Selenwasserstoff (H2 Se)) entste-
hen, denen ein bestimmtes Umweltgefährdungspotenzial angelastet werden muss.
Zusammengenommen entsprechen aber die Umwelteffekte, die mit der Herstellung
von Solarzellen verbunden sind, weitgehend denen der Halbleiterindustrie. Und diese sind
infolge der geltenden Umweltschutzvorgaben – und der Notwendigkeit, bei der Solarzel-
lenherstellung die geforderte Materialreinheit zu garantieren – gering. Dies gilt z. T. auch
für das von der Herstellung ausgehende Gefahrenpotenzial bei einem Störfall.

Normalbetrieb Dachmontierte Photovoltaiksysteme arbeiten völlig geräuschlos und


sind im Betrieb mit keinen Stofffreisetzungen in die natürliche Umwelt verbunden. Nur
die derzeit eingesetzten Wechselrichter sind durch eine leichte Geräuschentwicklung ge-
kennzeichnet, die durch eine gezielte Anlagenauslegung jedoch weitgehend minimiert
werden kann; außerdem befindet sich der Wechselrichter typischerweise in einem Gebäu-
de / Container und damit werden die Geräusche nicht unmittelbar in die Umwelt emittiert.
Damit ist a priori eine sehr umweltfreundliche Strombereitstellung beim Betrieb derartiger
Photovoltaikanlagen möglich [5.37].
Außerdem sind Photovoltaikmodule dem Absorptions- und Reflexionsverhalten der
Dächer relativ ähnlich. Damit sind auch keine wesentlichen Beeinträchtigungen des lo-
kalen Mikroklimas auch bei einer sehr weitgehenden Nutzung der vorhandenen Dach-
flächenpotenziale aus heutiger Sicht zu erwarten. Auswirkungen haben die mit den z. T.
weithin sichtbaren Modulen belegten Schräg- und Flachdachflächen lediglich bezüglich
einer visuellen Beeinflussung des bisherigen Erscheinungsbildes der Städte, Dörfer und
Siedlungen. Eine Photovoltaiknutzung auf vorhandenen Dachflächen führt auch nicht zu
einem zusätzlichen Flächenverbrauch, kann aber mit einer bestimmten emotionalen (Ak-
zeptanz-)Komponente verbunden sein, die sich jedoch oft einer rationalen Bewertung
weitgehend entzieht und auch nicht zu den „klassischen“ Umwelteffekten zählt.
Demgegenüber wird bei Photovoltaikanlagen, die auf freien Flächen installiert werden
(d. h. Photovoltaikkraftwerke), die benötigte Freifläche anderen Nutzungsoptionen teil-
weise oder ganz entzogen. Zu einer Flächenversiegelung kommt es dabei jedoch i. Allg.
nur zu einem sehr kleinen Teil (ggf. nur an den Fundamenten der Gestelle, auf denen
die Solarmodule installiert werden – und das auch nur dann, wenn sie in den Boden
betoniert und nicht gerammt werden). Der überwiegende verbleibende Rest kann be-
grünt und extensiv landwirtschaftlich genutzt werden (z. B. Schafhaltung). Im Vergleich
zur intensiven landwirtschaftlichen Pflanzenproduktion kann, z. B. durch eine Anlegung
444 R. Bründlinger et al.

von Sekundärbiotopen, sogar eine Verbesserung der ökologischen Bedingungen erreicht


werden; sinngemäß kann dies auch der Fall sein, wenn Photovoltaik-Freiflächenanlagen
beispielsweise auf degradierten Tagebauflächen oder anderen Industriebrachen aufgestellt
werden und die Installation mit einer entsprechenden Rekultivierung einhergeht. Auf-
grund der relativ großen überdeckten Flächen und des im Vergleich zum Boden stark
abweichenden Absorptions- und Reflexionsverhalten der Module sind jedoch bei entspre-
chend großen Photovoltaikkraftwerken Auswirkungen auf das Mikroklima nicht völlig
auszuschließen. Eine Relevanz besitzt dieser Umwelteffekt jedoch nur bei einer sehr in-
tensiven Nutzung der Photovoltaik, die aus gegenwärtiger Sicht in einer dicht besiedelten
Region, wie es beispielsweise in Mitteleuropa – und damit auch in Deutschland – der Fall
ist, eher unwahrscheinlich ist.
Eine Einzäunung von Photovoltaik-Freiflächenanlagen bedeutet bei angemessenem
Abstand vom Boden und angemessener Maschengröße keine Einschränkung für Klein-
säuger und Amphibien. Für Mittel- und Großsäuger bedeutet eine Einzäunung jedoch den
Verlust an Lebensraum.
Der Betrieb von Photovoltaikanlagen ist mit der Aussendung elektromagnetischer
Strahlung (Aspekt elektromagnetische Verträglichkeit (EMV)) verbunden. Im Unter-
schied zu herkömmlichen Stromerzeugungsanlagen besitzen Photovoltaikanlagen in der
Regel eine ausgedehnte Gleichstromverkabelung und mit dem Solargenerator eine ent-
sprechend große Abstrahlfläche; außerdem befinden sie sich z. T. in unmittelbarer Nähe
zum Wohnbereich (letzteres gilt allerdings ausschließlich für dachgekoppelte Kleinan-
lagen). Bei der Installation der Anlage muss daher darauf geachtet werden, dass die als
Antennen wirkenden Stromschleifen so klein wie möglich gehalten werden. Dies ist ei-
nerseits eine Maßnahme gegen Abstrahlung elektromagnetischer Strahlung. Andererseits
stellt dies auch einen Schutz gegen den Empfang elektromagnetischer Strahlung dar.
Letzteres ist vor allem in Bezug auf Blitzeinschläge in der Nähe kritisch und könnte bei
zu großer Empfangsfläche zu Überspannungen und Überströmen in der Anlage und damit
mit einer Zerstörung elektrischer Bauteile einhergehen. Jedoch sind die von Photovoltaik-
Komponenten abgegebenen niederfrequenten magnetischen Felder nicht stärker als die
von Haushaltselektrogeräten; auch treten z. B. gegenüber Fernsehgeräten deutlich gerin-
gere Ausstrahlungen auf. Weitere Anstrengungen der Hersteller bei der Konzipierung der
Geräte werden die Emissionen weiter verringern, so dass aus heutiger Sicht von keiner
großen Beeinträchtigung auszugehen ist.

Störfall Die photovoltaische Umwandlung von Sonnenlicht in elektrische Energie voll-


zieht sich ausschließlich auf elektro-physikalischer Ebene. Ein Störfall führt infolge der
vorgeschriebenen allpoligen Trennung lediglich zu Stromausfällen. Um eine Gefährdung
des Menschen und der Umwelt durch betriebliche Störungen von Photovoltaikanlagen
weitgehend auszuschließen, müssen jedoch Fehler am Generator und unzulässige Feh-
lerströme sicher identifiziert und verlässlich signalisiert werden. Auch müssen Netzab-
schaltungen vom Wechselrichter der jeweiligen Photovoltaikanlage erkannt und selbsttätig
abgeschaltet werden. Eine Zuschaltung darf nur auf stabile Netze geschehen. In moder-
5 Photovoltaische Stromerzeugung 445

nen Wechselrichtern sind jedoch entsprechende Schutzeinrichtungen integriert, so dass


die genannten Anforderungen in der Regel eingehalten werden.
Durch Brände an den elektrischen Anlagenteilen (z. B. Kabel, Wechselrichter) kann
es zu begrenzten Stofffreisetzungen an die Umwelt kommen, die allerdings nicht spezi-
fisch für Photovoltaikanlagen sind. Bei dachmontierten Anlagen können Gebäudebrände,
bei denen die Solarmodule zusammen mit der Gebäudehülle verbrennen, zum Verdamp-
fen bestimmter Modul-Komponenten führen, die sich in den Zellen bzw. im Solarmodul
befinden. Hier kann z. B. bei Cadmium-Tellurid(CdTe)- und CIS-Dünnschichtsolarzellen
eine kritische Freisetzung von Cadmium (Cd), Tellur (Te) und Selen (Se) nicht ausge-
schlossen werden; beispielsweise zeigen Verbrennungsversuche bei einer Branddauer von
einer Stunde Freisetzungen von 4 g/h an Selen (Se) und 8 g/h an Cadmium (Cd) und Tellur
(Te) (z. B. [5.38]). Diese Freisetzungen liegen aber unter den entsprechenden gesundheits-
gefährdenden Schwellenwerten bzw. MAK-Werten dieser Stoffe. Deshalb ist zu erwarten,
dass aufgrund der geringen Konzentrationen es selbst bei der Annahme einer vollstän-
digen Freisetzung des Cadmiums (Cd) erst ab Anlagengrößen von mehr als 100 kW zu
einer gesundheitsgefährdenden Cadmiumkonzentration in den umliegenden Luftschichten
kommen kann [5.38]. Derartige Leistungen werden bei dachmontierten Anlagen jedoch
nur sehr selten (außer z. B. auf Fabrikgebäuden) erreicht.
Außerdem werden auch bei extremen, unter realen Bedingungen kaum denkbaren,
Auswaschungen (z. B. Versenken eins Moduls in einen Bach oder Fluss) die Grenzwerte
der Trinkwasserverordnung nicht überschritten. Damit ist auch keine wassergefährdende
Wirkung der Photovoltaikmodule zu erwarten.
Verletzungsgefahren durch das Herabfallen unsachgemäß auf Dachflächen oder Fassa-
den montierter Solarmodule oder aufgrund elektrischer Spannungen zwischen den elek-
trischen Anschlüssen können durch die Einhaltung der allgemein gültigen Standards für
den Bau und Betrieb elektrotechnischer Anlagen weitgehend vermieden werden; die ent-
sprechenden Normen sind ausgereift, zumal der Umgang mit Anlagen zur Nutzung elek-
trischer Energie nicht wirklich neu ist.
Zusammengenommen ist damit das Störfallpotenzial der photovoltaischen Stromerzeu-
gung gering und immer lokal begrenzt. Bei sachgemäßer Installation und vorschriftsge-
mäßem Betrieb sind kaum signifikante direkte Umweltauswirkungen zu erwarten.

Betriebsende Aus gegenwärtiger Sicht ist ein weitgehendes Recycling der Solarmodu-
le möglich. Beispielsweise wird die Wiederverwertung des Glasanteils der Module bei
einem nur geringen Aufwand als möglich angesehen. Für das Recycling der weiteren Mo-
dulkomponenten sind demgegenüber aufwändige chemische Trennverfahren erforderlich.
Amorphe rahmenlose Module sind dabei am recyclingfreundlichsten, da sie sich ohne
Vorbehandlung in ein Hohlglasrecycling überführen lassen. Mögliche Verfahren für das
Recycling der „klassischen“ Photovoltaikmodule sind u. a. die Trennung der Solarwafer
aus dem Verbund mit Säure, die Überführung von rahmenlosen Modulen in Ferrosilizi-
um, das zur Stahlherstellung eingesetzt werden kann, sowie eine vollständige Trennung
der Module in die Komponenten Glas, Metalle und Siliziumwafer. Demgegenüber ist bei
446 R. Bründlinger et al.

den Cadmium-Tellurid(CdTe)- und der CIS-Technologie bisher z. T. noch unklar, ob der


Schwermetallgehalt eine Wiederverwertung ausschließt bzw. weitere Verfahrensschritte
nötig sind. Die damit verbundenen Umwelteffekte entsprechen im Wesentlichen den in
dieser Industriebranche üblichen Auswirkungen auf die natürliche Umwelt. Da das Re-
cycling von Photovoltaiksystemen noch relativ am Anfang der technischen Entwicklung
steht, ist zu erwarten, dass die damit verbundenen Umweltauswirkungen zukünftig wei-
ter reduziert werden können; dabei ist zu beachten, dass die gültigen legalen Umwelt-
und Arbeitsschutzvorgaben ohnehin sicher einzuhalten sind. Für die weiteren elektrischen
Komponenten (Wechselrichter, Kabel etc.) und das Installationsmaterial (Schrauben, Rah-
men, Gestelle usw.) bestehen standardisierte und zuverlässige Recyclingkonzepte und
-technologien, die z. T. bereits langjährig erprobt sind und dem gängigen Industriestan-
dard entsprechen.

5.4 Potenziale und Nutzung

Lucas Sens und Martin Kaltschmitt

Die grundsätzlichen Möglichkeiten einer photovoltaischen Stromerzeugung zur Deckung


der Nachfrage nach elektrischer Energie in Deutschland werden durch die technischen Po-
tenziale bestimmt. Diese werden deshalb im Folgenden auf der Basis des derzeitigen Stan-
des der Technik dargestellt. Dabei wird – entsprechend der bisherigen Vorgehensweise –
wieder von dem theoretischen Potenzial ausgegangen. Zusätzlich wird auf die technischen
Erzeugungs- und Endenergiepotenziale eingegangen. Die Ausführungen beschränken sich
dabei auf eine netzgekoppelte photovoltaische Stromerzeugung; netzunabhängige Klein-
und Kleinstanwendungen (z. B. photovoltaisch betriebene Armbanduhren, photovoltaisch
versorgte Notrufsäulen) werden nicht betrachtet. Anschließend wird auf die gegenwärti-
ge Nutzung einer netzgekoppelten photovoltaischen Stromerzeugung in Mitteleuropa und
weltweit eingegangen.

5.4.1 Potenziale

Theoretisches Potenzial Das theoretische Potenzial errechnet sich aus der insgesamt auf
die Erdoberfläche Deutschlands eingestrahlten Solarenergie. Wird eine Fläche von rund
357 582 km2 für Deutschland und eine durchschnittlich einfallende Globalstrahlung von
1 055 kWh/(m2 a) auf dieser Gebietsfläche unterstellt, errechnet sich das theoretische so-
lare Strahlungsangebot mit rund 1 358 EJ/a (vgl. Kapitel 4.4.1) [5.56].
Aus diesem theoretischen Strahlungsangebot kann ein theoretisches Stromerzeugungs-
potenzial auf der Grundlage physikalisch maximaler Wirkungsgrade von monokristallinen
Systemen (Tabelle 5.7) errechnet werden. Wird von nicht konzentrierenden monokristal-
linen Zellen unter Standardtestbedingungen im Bestpunkt ausgegangen, kann daraus ein
5 Photovoltaische Stromerzeugung 447

Tabelle 5.7 Theoretisches Potenzial, technische Stromerzeugungspotenziale sowie technische


Endenergiepotenziale einer photovoltaischen Stromerzeugung
Theoretisches solares Strahlungspotenzial in EJ/aa ca. 1 358
Theoretisches Stromerzeugungspotenzial in PWh/ab ca. 109
Technisches Modulflächenpotenzial in km2
Dachflächen 800
Fassadenflächen 361
Landwirtschaftliche Freiflächen 3 787
Sonstige Freiflächen 760
Technische installierbare Leistung in GWc
Dachflächen 104–136
Fassadenflächen 47–61
Landwirtschaftliche Freiflächen 492–644
Sonstige Freiflächen 99–129
Technisches Angebotspotenzial (Stromerzeugungspotenzial) in TWh/a
Dachflächen 95–125
Fassadenflächen 31–40
Landwirtschaftliche Freiflächen 468–612
Sonstige Freiflächen 94–123
Technisches Endenergiepotenzial (Nachfragepotenzial) in TWh/a
Ansatz Id 69–90
Ansatz IIe 273–353
a
gesamtes solares Strahlungsangebot über der Gebietsfläche Deutschlands; b unter Zugrundelegung
eines theoretisch maximalen Umwandlungswirkungsgrades von monokristallinen Siliziumsolarzel-
len; c bei einer solaren Flächenleistung von 1 000 W/m2 , die Bandbreite ergibt sich aus den unter-
schiedlichen Technologien (der untere Wert entspricht Solarzellen aus polykristallinen Solarzellen
mit einem Systemnutzungsgrad von 13 %; der obere Wert monokristallinen Solarzellen mit 17 %);
d
Ansatz I beinhaltet ausschließlich eine weitere Optimierung der Regelbarkeit des vorhandenen
Kraftwerksparks einschließlich einer Speicherung des Photovoltaikstroms in vorhandenen Pump-
speicherkraftwerken in Deutschland und z. T. in den Alpen (d. h. Österreich und Schweiz) sowie
ein begrenzter Verkauf innerhalb des europäischen Verbundnetzes; e Ansatz II beruht darauf, dass
die über 56 bis 69 TWh/a (Ansatz I) hinausgehende photovoltaische Stromerzeugung in Form von
Wasserstoff mit einem Rückverstromungswirkungsgrad von 40 % zwischengespeichert wird.

theoretisches Stromerzeugungspotenzial von rund 109 PWh/a (Tabelle 5.7) abgeschätzt


werden. Dieses theoretische Potenzial ist aufgrund technisch unvermeidbarer Verluste –
wie alle anderen theoretischen Stromerzeugungspotenziale auch – in dieser Größenord-
nung nicht erschließbar; aussagekräftiger hinsichtlich des letztlich „technisch Machbaren“
ist deshalb das technische Potenzial.

Technische Angebotspotenziale (Stromerzeugungspotenziale) Das technische Strom-


erzeugungspotenzial der Photovoltaik resultiert aus den für eine Installation von Solar-
modulen verfügbaren Flächen, dem regional unterschiedlichen Strahlungsangebot und
448 R. Bründlinger et al.

der jeweils eingesetzten Anlagentechnik (d. h. dem Gesamtwirkungsgrad aus Solarzel-


len- und Wechselrichterwirkungsgrad unter Berücksichtigung der sonstigen Verluste). Das
Flächenpotenzial ermittelt sich aus den existierenden Gebäudedach- und Fassadenflächen
sowie den potenziell verfügbaren Freiflächen. Dabei handelt es sich bei letzterem au-
ßer um landwirtschaftliche Nutzflächen mit einem potenziell begrenzten Ertragspotenzial
auch um weitere potenziell solartechnisch nutzbare Flächen; darunter sind beispielsweise
Industriebrachen, Konversionsflächen, degradierte Flächen o. ä. zu verstehen. Hinzu kom-
men grundsätzlich weitere Flächenpotenziale, die ggf. erschließbar wären (z. B. Gleis-
überdachungen, Parkplatzüberdachungen, Lärmschutzwände, überdachte Hauseingänge).

 Gebäudedächer. Die auf Dächern installierbaren Modulflächen leiten sich aus dem
statistisch erfassten Gebäudebestand [5.39, 5.40], der durchschnittlichen Dachfläche,
der Dachform und -neigung sowie unter Berücksichtigung der bautechnischen (z. B.
Kamine, Dachfenster) und solartechnischen Restriktionen (z. B. Südausrichtung, Ab-
schattungseffekte, Sicherheitsabstände) ab (u. a. [5.41]). Wird von dem insgesamt vor-
handenen Dachflächenpotenzial auf Wohngebäuden (3 154 km2 ) und auf Nichtwohn-
gebäuden (1 078 km2 ) ausgegangen und die diskutierten bau- und solartechnischen
Restriktionen berücksichtigt, errechnet sich ein solartechnisch nutzbares Flächenpoten-
zial von rund 800 km2 ; davon entfallen ungefähr 208 km2 auf Flachdächer und 592 km2
auf Schrägdächer. Dieses solartechnisch nutzbare Flächenpotenzial steht in Konkurrenz
zu einer solarthermischen Niedertemperaturwärmegewinnung mithilfe von Solarkol-
lektoren; d. h. die vorhandene Dachfläche kann – sofern wie hier unterstellt keine
PVT-Module installiert werden (Kapitel 5.2.1) – entweder nur für Photovoltaikmodule
oder für Solarthermieanlagen genutzt werden und damit sind entsprechende Strom-
erzeugungs- und Wärmebereitstellungspotenziale (Kapitel 4.4.1) nicht addierbar.
 Fassaden. Neben den verfügbaren Dachflächen stehen auch Fassadenflächen für eine
Photovoltaiknutzung grundsätzlich zur Verfügung. In Deutschland sind rund 5 552 km2
an Fassadenflächen vorhanden (Tabelle 5.8); diese können anhand des statistisch er-
fassten Gebäudebestands [5.39, 5.40] abgeschätzt werden. Unter Berücksichtigung von
Faktoren, die eine photovoltaische Nutzung verhindern bzw. einschränken, resultieren
daraus nur ca. 361 km2 , die vielversprechend solartechnisch genutzt werden könn-
ten. Dabei wird u. a. berücksichtigt, dass eine möglichst schattenfreie Südorientierung
solartechnisch genutzter Fassadenflächen gegeben sein sollte; Abschattungseffekte er-
geben sich hier u. a. durch Nachbargebäude und einen ggf. vorhandenen Baumbestand.
Hinzu kommen Restriktionen bezüglich der baulichen Einbindung in den bestehenden
Gebäudebestand; dies liegt u. a. an den vorhandenen bautechnischen Gegebenheiten
wie der Lage von Fenstern, Türen und Brandschutzwänden.
 Landwirtschaftliche Freiflächen. Zusätzlich kann eine solare Stromerzeugung auch
auf einem Teil der (aus ökonomischen Gründen minderwertigen) landwirtschaftlichen
Nutzflächen potenziell realisiert werden. Dabei wurden 2018 rund 51 % der Gesamt-
fläche Deutschlands landwirtschaftlich genutzt; das sind 182 637 km2 . Jedoch würde
sich die energetische Nutzung im Wesentlichen auf solche Flächen beschränken, die
5 Photovoltaische Stromerzeugung 449

Tabelle 5.8 Theoretische Dach- und Fassadenflächenpotenziale von Wohn- und Nichtwohngebäu-
den in Deutschland
Flachdach- Schrägdach- Fassaden- Gesamt-
fläche fläche fläche fläche
in km2 in km2 in km2 in km2
Wohngebäude
. . . mit einer Wohnung 73 1 678 2 233 3 984
. . . mit 2 Wohnungen 26 597 903 1 526
. . . mit 3 & mehr Wohnungen 133 647 1 664 2 444
Gesamtfläche 232 2 922 4 800 7 954
Nichtwohngebäude
Anstaltsgebäude 7 36 15 58
Büro-, Verwaltungsgebäude 26 128 57 211
Landw. Betriebsgebäude 70 84 148 302
Nichtlandw. Betr.gebäude 487 148 487 1 122
Sonstige Nichtwohngebäude 70 22 45 137
Gesamtfläche 660 418 752 1 830
Gesamtsumme 892 3 340 5 552 9 784
Landw. Landwirtschaftlich; Betr.gebäude Betriebsgebäude.

nicht (mehr) für eine Nahrungsmittelproduktion benötigt werden und / oder keine
andere schützenwerte bzw. signifikante Ökosystem-relevante Funktion erfüllen. Bei
den Acker- und Grünlandflächen, die insgesamt 165 000 km2 der Landesfläche von
Deutschland einnehmen, sind (kleine) Anteile (u. a. ertragsarmes Ackerland, aus der
Erzeugung genommenes Dauergrünland) theoretisch für eine photovoltaische Nutzung
aus technischer Sicht nutzbar. Werden bei diesem (kleineren) Anteil des in Deutsch-
land vorhandenen Acker- und Grünlands zusätzlich solartechnische Restriktionen (u. a.
schlechte Infrastrukturanbindung, ungünstige Bodenverhältnisse, Abschattungseffek-
te, Nordorientierung bei Hängen, vorhandener Baumbestand) berücksichtigt, errechnet
sich daraus eine solartechnisch nutzbare Fläche von ungefähr 15 138 km2 . Von dieser
potenziellen Kraftwerksgrundfläche müssen weitere Abschläge u. a. für Servicewege,
Wechselrichterstandplätze und einzuhaltende Modulabstände berücksichtigt werden.
Damit ergibt sich eine solartechnisch installierbare Modulfläche von ca. 3 787 km2 .
 Sonstige Freiflächen. Unter dieser Kategorie werden hier – zusätzlich zu den disku-
tierten landwirtschaftlichen Freiflächen – in Deutschland vorhandene Freiflächen ver-
standen, die zumindest zu einem kleinen Teil potenziell nutzbar wären. Dazu zählen
zunächst die Siedlungs- und Verkehrsfläche. Sie ist die drittgrößte Flächennutzungs-
art in Deutschland und nahm 2018 knapp 14 % bzw. 49 254 km2 der Gesamtfläche
Deutschlands in Anspruch. Dazu zählen neben Flächen für Wohnen, öffentliche Zwe-
cke oder Gewerbe auch Erholungsflächen, Friedhöfe und Verkehrsflächen (u. a. Hun-
deübungsplätze, historische Anlagen, land- und forstwirtschaftliche Betriebsflächen
450 R. Bründlinger et al.

und bauliche Anlagen auf militärischen Übungsplätzen). Zusätzlich werden statistisch


auch „sonstige“ Flächen ausgewiesen, die rund 3 % bzw. 11 300 km2 der Gesamtflä-
che Deutschland einnehmen. Zu dieser Kategorie zählen beispielsweise „Abbauland“
wie Kies- oder Braunkohlengruben, „Unland“ wie Felsen, ehemaliges Militärgelände
oder ehemalige Abraumhalden, Gehölze, Heideland, Moore, Sümpfe sowie Gewäs-
serbegleitflächen. Geht man konservativ davon aus, dass davon maximal 5 % direkt
(z. B. Installation von Freiflächen-Photovoltaiksystemen) oder indirekt (z. B. Errich-
tung von Photovoltaiksystemen auf Gleisüberdachungen) energetisch genutzt werden
könnten, errechnet sich eine solartechnisch nutzbare Fläche von etwa 3 030 km2 . Mit
vergleichbaren Annahmen, wie sie bei den landwirtschaftlichen Freiflächen zugrun-
de gelegt wurden, errechnet sich daraus eine solartechnisch installierbare Modulfläche
von ca. 760 km2 .

Mit mittleren Wirkungsgraden derzeit marktgängiger polykristalliner und monokris-


talliner Solarmodulsysteme können aus diesen installierbaren Modulflächenpotenzialen
die entsprechenden maximal installierbaren Anlagenleistungen errechnet werden. Diese
liegen zwischen 27 und 35 GW auf Flachdach- sowie 77 und 101 GW auf Schrägdach-
flächen. Auf Fassadenflächen könnten zusätzlich 47 bis 61 GW installiert werden. Hinzu
kommen auf Freiflächen 492 bis 644 GW und auf sonstigen Flächen 99 bis 129 GW (Ta-
belle 5.7).
Die mittleren jährlichen Erträge bzw. Volllaststunden liegen bei ca. 950 kWh bzw.
950 h/a pro installiertem kW Leistung für auf Flachdächern und auf Freiflächen montier-
ten Anlagen, bei rund 900 kWh/kW (900 h/a) für auf Schrägdächern montierten Anlagen
sowie bei etwa 650 kWh/kW (650 h/a) für in Fassaden integrierte Photovoltaiksysteme.
Die jährlichen Erträge von auf Schrägdächern montierten Anlagen liegen aufgrund der
vorgegebenen Gebäudegeometrien und möglicher Verschattungen durch angrenzende Ge-
bäude bzw. Bäume mit 900 kWh/kW unter jenen von Flachdächern und Freiflächen mit
950 kWh/kW (950 h/a), die i. Allg. optimal ausgerichtet und ohne größere Verschattun-
gen betrieben werden können. Bei Fassaden mit integrierten Photovoltaiksystemen wirken
sich diese ertragsmindernden Faktoren noch stärker aus; die entsprechenden Erträge lie-
gen durchschnittlich 25 bis 30 % unter jenen von dachmontierten Anlagen.
Unter Berücksichtigung dieses mittleren, den Flächen zuzuordnenden Strahlungsange-
bots ergibt sich ein technisches Stromerzeugungspotenzial zwischen 26 und 34 TWh/a auf
solartechnisch nutzbaren Flachdachflächen und von 69 bis 91 TWh/a auf Schrägdachflä-
chen. Damit liegt das technische Stromerzeugungspotenzial auf Dachflächen insgesamt
zwischen 95 und 125 TWh/a. Zusätzlich könnten an Fassaden zwischen 31 und 40 TWh/a
erzeugt werden. Hinzu kommt ein Stromerzeugungspotenzial auf Freiflächen zwischen
468 und 612 TWh/a und auf sonstigen Flächen zwischen 94 und 123 TWh/a, wenn aus-
schließlich technische Aspekte berücksichtigt werden (Tabelle 5.7). In der Summe errech-
net sich daraus ein technisches Stromerzeugungspotenzial in einem energiewirtschaftlich
relevanten Bereich, auch wenn es in dieser Größenordnung aufgrund einer Vielzahl nicht-
technischer Restriktionen kaum vollständig erschließbar sein dürfte.
5 Photovoltaische Stromerzeugung 451

Die große Bandbreite der installierbaren Leistungen und der korrespondierenden


Stromerzeugungspotenziale resultieren aus den unterschiedlichen zu Grunde gelegten
Techniken; der untere Wert repräsentiert dabei Photovoltaiksysteme mit polykristallinen
Siliziumzellen und die obere Grenze Anlagen mit monokristallinen Siliziummodulen.

Technische Endenergiepotenziale (Nachfragepotenziale) Aus den diskutierten techni-


schen Stromerzeugungspotenzialen errechnen sich die technischen Endenergiepotenziale
unter zusätzlicher Berücksichtigung netz- und nachfrageseitiger Restriktionen. Dazu zäh-
len u. a. die Netzverluste, die bei etwa 5 % (und z. T. auch darunter) liegen, und die
Speicherverluste, die als Folge der Zwischenspeicherung einer über der augenblicklichen
Nachfrage liegenden momentanen photovoltaischen Stromerzeugung auftreten. Durch das
Netz der öffentlichen Versorgung in seiner derzeitigen Struktur kann außerdem nur in ei-
nem beschränkten Umfang fluktuierende, angebotsabhängig erzeugte elektrische Energie
innerhalb Deutschlands – u. a. aufgrund begrenzter Leitungs- bzw. Übertragungskapazitä-
ten – ausgeglichen werden, wenn der gegenwärtige Stand der Frequenz- und Spannungs-
stabilität beibehalten und die vorhandene Netzinfrastruktur nachhaltig genutzt werden
soll.
Der Einfluss dieser Restriktionen auf das photovoltaische Stromerzeugungspotenzial
hängt u. a. vom Verhältnis der photovoltaischen Erzeugung zum gesamten elektrischen
Energieaufkommen, von den durch das Strahlungsangebot vorgegebenen Fluktuationen
sowie der Gegen- oder Gleichläufigkeit dieser Erzeugung mit der zeitabhängigen Nach-
fragecharakteristik ab.
Werden deshalb derartige Aspekte berücksichtigt und eine über das gegenwärtige Aus-
maß hinausgehende Optimierung des Regelverhaltens des konventionellen Kraftwerks-
parks unterstellt, kann eine Größenordnung an photovoltaisch erzeugter elektrischer Ener-
gie abgeschätzt werden, die ohne weitere signifikante Veränderungen des Stromerzeu-
gungssystems in dasselbe integriert werden könnte (Ansatz I, Tabelle 5.7). Insgesamt
ergibt sich auf der Basis derartiger Überlegungen ein technisches Nachfrage- bzw. End-
energiepotenzial von 69 bis 90 TWh/a. Dabei ist berücksichtigt, dass ein Teil der photovol-
taisch erzeugten elektrischen Energie in den vorhandenen Speicherkraftwerken – und das
gilt für die Anlagen in Deutschland und z. T. auch in den Speicherkraftanlagen, die bei-
spielsweise in Österreich vorhanden sind – zwischengespeichert werden kann. Außerdem
wird unterstellt, dass in einem sehr begrenzten Ausmaß eine Sektorenkopplung zwischen
dem Strom- und dem Wärmesektor – beispielsweise durch den netzdienlichen Betrieb von
Wärmepumpen – realisiert wird.
Weiterhin kann unterstellt werden, dass die über das Nachfragepotenzial des Ansatzes I
hinausgehende Strommenge in Wasserstoffspeichern mit einem Gesamtwirkungsgrad von
rund 40 % zwischengespeichert werden könnte (Ansatz II). Unter diesen Rahmenannah-
men errechnet sich ein Endenergiepotenzial auf bzw. an Gebäuden von 86 bis 108 TWh/a.
Hinzu kommt ein Freiflächenpotenzial zwischen 187 und 245 TWh/a. Zusammengenom-
men errechnet sich daraus unter den getroffenen Rahmenannahmen ein technisches End-
energiepotenzial von 273 bis 353 TWh/a.
452 R. Bründlinger et al.

5.4.2 Nutzung

Die Photovoltaik wurde ursprünglich für die Energieversorgung von Satelliten und da-
mit für den erdnahen Orbit entwickelt. In den Fokus der öffentlichen Diskussion – und
damit für eine potenzielle terrestrische Anwendung – ist sie aber erst nach der zweiten Öl-
preiskrise getreten. Ab diesen Zeitpunkt erfolgte dann eine forcierte Förderung zunächst
der technologischen Weiterentwicklung (primäres Ziel: Kostenreduktion und Wirkungs-
gradsteigerung) und später parallel dazu einer forcierten Markteinführung. Nachfolgend
wird die gegenwärtige Nutzung der Photovoltaik zur Bereitstellung elektrischer Energie
im globalen und im nationalen Kontext diskutiert (nach [5.42, 5.43]).

5.4.2.1 Welt
Die Photovoltaik-Stromerzeugung hat – neben der Windenergienutzung – seit Mitte der
2000er Jahre weltweit eine zentrale Rolle beim Ausbau regenerativen Energien zur Strom-
erzeugung übernommen und zunehmend gefestigt. Ende 2018 waren global mehr als
480 GW installiert; das ist ein Zuwachs von 94 GW im Vergleich zu 2017 (d. h. Zunah-
me der weltweit installierten Kapazität um rund ein Viertel). Damit ist die Photovoltaik
seit 5 Jahren in Folge die weltweit am schnellsten wachsende Technologie zur Strom-
erzeugung aus erneuerbaren Energien. Mit durchschnittlich 1 100 bis 1 600 h/a (Volllast)
errechnet sich daraus eine potenzielle Stromerzeugung zwischen 528 und 768 TWh (2018)
(Abb. 5.71). Potenziell wurden – auch aufgrund des erheblichen Ausbaus im Jahr 2018

600
500

jährlich neu installierte Leistung

Strombereitstellung in TWh/a
500
kumulierte Leistung
400
Bruttostromerzeugung
Leistung in GW

potenzielle jährliche Stromerzeugung 400

300

300

200
200

100
100

0 0
2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018

Abb. 5.71 Entwicklung der weltweit installierten Photovoltaik-Leistung und der korrespondieren-
den Stromerzeugung
5 Photovoltaische Stromerzeugung 453

(d. h. nicht die gesamte Ende des Jahres installierte Photovoltaikleistung war auch im
gesamten Jahr verfügbar) – 585 TWh (2018) global erzeugt. Bezogen auf die weltweite
Bruttostromerzeugung sind dies 2,2 % (nach [5.42]).
Der größte Einzelmarkt war 2018 wie auch in den Jahren zuvor China. Dort sind mit
175 GW die höchsten vorhandenen Photovoltaikkapazitäten installiert; dies sind deutlich
mehr im Vergleich zu den in der Vergangenheit größten Photovoltaik-Nutzern Japan, USA
und Deutschland. Verglichen damit waren in den USA insgesamt 49,7 GW, in Deutschland
insgesamt 45,9 GW und in Japan insgesamt 55,5 GW installiert. Aber auch andere Länder
zeigen erhebliche installierte Leistungen (z. B. Indien mit insgesamt knapp 27 GW). Diese
regionale Verteilung zeigt, dass durch das schnelle Wachstum der wenigen bisher relevan-
ten Photovoltaikmärkte in Asien (China, Japan, Indien, Thailand, Südkorea) mittlerweile
über 275 GW (dies entspricht einer Verdoppelung innerhalb von zwei Jahren) installiert
sind. Europa folgt mit etwas weniger als der halben Leistung. Weit weniger bedeutend
sind – trotz potenziell hoher Solarausbeuten – Australien, der Mittlere Osten und Afrika.
Von der aus diesem Anlagenpark resultierenden globalen photovoltaischen Erzeugung
elektrischer Energie wurden in Asien und den pazifischen Raum knapp 54 % realisiert. Da-
bei war China mit Abstand der größte Einzelproduzent; allein in der Volksrepublik China
wurde 2018 etwas mehr als 30 % des weltweiten Photovoltaikstroms erzeugt. Ein weiterer
global relativ bedeutender Akteur, wenn auch nicht zwingend im Vergleich zu China, war
Japan. Hier wurde 2018 etwas mehr als 12 % der globalen Solarstromerzeugung realisiert.
Verglichen damit ist die photovoltaische Stromerzeugung in allen anderen Ländern in Asi-
en und dem pazifischen Raum eher von untergeordneter Bedeutung. Länder mit einer
nennenswerten Erzeugung sind nur noch Indien (5,3 % des weltweit erzeugten Photovol-
taikstroms), Australien (2,1 % des weltweit erzeugten Photovolatikstroms) und Südkorea
(1,6 % des weltweit erzeugten Photovoltaikstroms). Damit wird in Südkorea mehr Strom
aus Photovoltaikanlagen erzeugt als im gesamten Afrika, das nur mit ca. 1,5 % zur globa-
len solaren Stromerzeugung beiträgt. Noch begrenzter sind die Anteile im Nahen Osten
und den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion; beide Gebietsflächen tragen mit
jeweils 1,0 und 0,2 % zur weltweiten Photovoltaikstromerzeugung bei.
Nordamerika trägt mit etwa 17,6 % zur globalen Stromerzeugung aus Photovoltaik-
anlagen bei. Der wesentliche Akteur ist dabei die USA, die allein knapp 16,6 % der
weltweiten solaren Stromerzeugung realisiert. Kanada und Mexiko zusammen tragen nur
mit rund 1,0 % bei. Ähnlich begrenzt ist auch die Erzeugung in Südamerika mit einem
Anteil von etwa 2,1 % an der weltweiten Erzeugung; der wesentliche Erzeuger ist hier
Brasilien mit knapp 1 %.
In Europa bzw. der EU-28 wird ca. 23,8 % bzw. 21,9 % der weltweiten Photovol-
taikstromerzeugung realisiert. Wichtige Akteure sind hier Deutschland (7,9 %), Italien
(4,0 %), das Vereinigte Königreich (2,2 %), Spanien (2,1 %) und Frankreich (1,7 %, je-
weils bezogen auf die globale Erzeugung).
454 R. Bründlinger et al.

Tabelle 5.9 Beispiele für große Photovoltaikanlagen (UAE Vereinigte Arabische Emirate)
Land Projekt Installierte elektrische Leistung
Indien Bhadla Industrial Solar Park 2 255 MW
Indien Pavagada Solar Park 2 000 MW
China Tengger Solar Park 1 547 MW
UAE Mohammed bin Rashid Al Maktoum Solar Park 1 000 MW
Indien Kurnool Ultra Mega Solar Park 1 000 MW

In der Summe werden knapp 58 % der weltweiten Photovoltaikstromerzeugung in den


OECD-Staaten und die verbleibenden etwas mehr als 42 % in den Nicht-OECD-Staaten
bereitgestellt.
Global werden primär netzgekoppelte Anlagen in Modulbauweise auf Siliziumbasis in-
stalliert. Dabei werden sowohl Kleinanlagen im unteren kW-Bereich u. a. auf Dächern als
auch große Freiflächen-PV-Kraftwerke im Multi-MW-Bereich installiert; Tabelle 5.9 zeigt
eine Auswahl der derzeit weltweit größten Anlagen (Stand Ende 2018). Damit liegt die
durchschnittliche Leistung der fünf größten bisher weltweit errichteten Photovoltaikkraft-
werke bei 1 560 MW (2018). Stand-alone-Systeme haben verglichen damit nur eine sehr
untergeordnete Bedeutung; 2018 wurden nur 2,9 GW an Off-Grid-Systemen betrieben.
In den letzten Jahren wurde durch technische Weiterentwicklungen die Robustheit /
Langlebigkeit der Module erhöht, die Effizienz verbessert und der Eigenstromverbrauch
reduziert. Parallel dazu sanken die Preise weiter; in den letzten 40 Jahren gingen die Mo-
dulpreise stabil um 23 % pro Verdoppelung der installierten Kapazität zurück.

5.4.2.2 Europäische Union


In der EU-28 waren Ende 2018 etwa 121,7 GW an Photovoltaikleistung installiert. Die
damit bereitstellbare elektrische Energie lag zwischen 134 und 195 TWh (2018). Insge-
samt wurden – auch bedingt durch den raschen Ausbau der Photovoltaikleistung, wodurch
die entsprechende Leistung nicht das gesamte Jahr verfügbar war – nur rund 127,8 TWh
(2018) erzeugt (Abb. 5.73; nach [5.42]). Bezogen auf die Bruttostromerzeugung in der
EU-28 sind dies ca. 3,9 %.
Der größte EU-Einzelmarkt im Bereich der Photovoltaik ist Deutschland mit 45,9 GW
an errichteter Leistung (Abb. 5.72). Aber auch in Italien waren 2018 mit 20,1 GW und im
Vereinigten Königreich mit 13,1 GW sowie in Frankreich mit 9,5 GW und in Spanien mit
7,1 GW nennenswerte Leistungen installiert. Entsprechend dieser regional unterschiedli-
chen Leistungen war 2018 die Photovoltaikstromerzeugung z. T. sehr verschiedenartig.
Dies gilt auch für die Volllaststunden, die zwischen mehr als 1 500 h/a in Portugal und
weniger als 950 h/a in Schweden variieren können.
Abb. 5.73 macht auch deutlich, dass die tatsächliche Photovoltaikstromerzeugung in
den letzten Jahren die zu erwartenden Stromerträge übertroffen hat. Dies liegt an den in
5 Photovoltaische Stromerzeugung 455

Abb. 5.72 Installierte photovoltaische Leistung in der EU (Stand 2019) [5.55]

den letzten Jahren gegebenen erhöhten solaren Einstrahlungen infolge des vergleichsweise
guten Wetters.

5.4.2.3 Deutschland
In Deutschland waren Ende 2018 rund 45,3 GW mit einer potenziellen Stromerzeu-
gung von 41,7 TWh (2018) in deutlich über 1,7 Mio. Photovoltaikanlagen installiert
(nach [5.43]). Aufgrund des 2018 realisierten Ausbaus und einer im Vorjahresvergleich
deutlich erhöhten Solarstrahlung haben diese Anlagen 2018 etwa 46,2 TWh eingespeist
(Abb. 5.74).
Der Anteil der Kleinanlagen mit einer Leistung unter 10 kW, die typischerweise von
Privatpersonen auf Ein- und Zweifamilienhausdächern installiert werden, nimmt rund
79 % aller 2018 neu installierten Anlagen ein. Demgegenüber liegt der Anteil der Anlagen
mit 10 bis 40 kW bei rund 12 %. Der Prozentsatz der Anlagen mit 40 kW bis 10 MW auf
Gebäuden oder Fassaden beträgt 9 %; die Anzahl der Anlagen mit über 1 MW nimmt nur
rund 0,2 % ein.
456 R. Bründlinger et al.

140 140

120 120

100 100

Strombereitstellung in TWh/a
jährlich neu installierte Leistung
Leistung in GW

kumulierte Leistung
80 80
Bruttostromerzeugung
potenzielle jährliche Stromerzeugung
60 60

40 40

20 20

0 0
2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018

Abb. 5.73 Entwicklung der installierten Photovoltaik-Leistung und der korrespondierenden Strom-
erzeugung in der Europäischen Union (EU-28)

In Bayern ist mit 12,5 GW 2018 die höchste Photovoltaikleistung in einem deutschen
Bundesland installiert. Danach folgt Baden-Württemberg mit 5,8 GW, Nordrhein-Westfa-
len mit 4,9 GW, Brandenburg mit 3,7 GW und Sachsen-Anhalt mit 2,5 GW. Alle anderen
Bundesländer haben verglichen damit eine geringere Bedeutung; beispielsweise sind im
Saarland nur 0,46 GW und in Hamburg nur 0,045 GW installiert. Die mit diesem An-
lagenpark realisierte Stromerzeugung trug mit rund 7,3 % zur Deckung der Stromnach-
frage in Deutschland bei; die Photovoltaikstromerzeugung ist damit eine wichtige Säule
zur Deckung der Nachfrage nach elektrischer Energie in Deutschland. Dabei sind nicht
nur in Süddeutschland deutlich höhere Photovoltaikleistungen installiert; auch die Voll-
laststunden sind – infolge der höheren Sonnenstunden und des leicht höheren mittleren
Sonnenstandes – entsprechend höher; beispielsweise lagen die mittleren Volllaststunden
in Schleswig-Holstein 2018 bei 745 h/a und in Bayern bei 897 h/a.
Zusätzlich dazu werden noch Eigenstromanlagen mit und ohne Netzkopplung betrie-
ben. Bisher waren in diesem Zusammenhang primär nicht-netzgekoppelte Systeme (z. B.
Parkscheinautomaten, Straßen- und Aushangbeleuchtung, mobile Verkehrssignalanlagen,
Camping-Stromversorgung, Photovoltaik-Ladegeräte für Mobiltelefone) von Bedeutung.
Die hier zugebauten Leistungen führen aber weiterhin im Vergleich zu den netzgekop-
pelten Anlagen ein Nischendasein. Zusätzlich dazu erlangen jedoch Eigenversorgungs-
5 Photovoltaische Stromerzeugung 457

45 45

40 40

jährlich neu installierte Leistung

Strombereitstellung in TWh/a
35 35
kumulierte Leistung
Bruttostromerzeugung
Leistung in GW

30 30
potenzielle jährliche Stromerzeugung

25 25

20 20

15 15

10 10

5 5

0 0
2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018

Abb. 5.74 Entwicklung der installierten Photovoltaik-Leistung und der korrespondierenden Strom-
erzeugung in Deutschland

anlagen zunehmend und schnell an Bedeutung, die ggf. mittels Batteriespeichern und /
oder Power-to-Heat-Anwendungen keine Einspeisung ins Netz realisieren und z. T. den
Strombezug der jeweiligen Betreiber reduzieren. Da kein Stromverkauf an Dritte vorge-
sehen ist, dürften viele derartiger Anlagen nicht offiziell angemeldet sein. Und weil sich
für Haushaltskunden selbst Einzelmodulanlagen zum Anschluss an das Hausnetz über ei-
ne Steckdose ökonomisch rechnen können, wächst dieses Segment weiterhin stark und
schnell an. Für Ende 2018 kann damit eine installierte Photovoltaikleistung in derartigen
Anlagen, die nicht über eine öffentliche Umlage vergütet werden, von rund 0,1 GW ver-
mutet werden.

5.4.2.4 Österreich
In der Republik Österreich waren Ende 2018 rund 1,4 GW an Photovoltaikleistung instal-
liert, mit der knapp 1,6 TWh (2018) erzeugt wurden. Bezogen auf die Bruttostromerzeu-
gung in der Alpenrepublik sind das rund 2,1 %. Die Volllaststundenzahl dieses Anlagen-
parks liegt bei rund 1 100 h/a. Abb. 5.75 zeigt auch, dass in Österreich das Jahr 2018 durch
ein relativ hohes Strahlungsangebot gekennzeichnet war; die solare Stromerzeugung hat
die potenzielle Erzeugung, die auf der Basis durchschnittlicher Witterungsverhältnisse be-
rechnet wird, leicht überstiegen. Die meisten Anlagen waren Ende 2018 in der Steiermark
installiert (337,6 MW) gefolgt von Niederösterreich (284,9 MW) und von Oberösterreich
(270,4 MW).
458 R. Bründlinger et al.

1,6
1,4

1,4
1,2 jährlich neu installierte Leistung

Strombereitstellung in TWh/a
kumulierte Leistung
1,2
Bruttostromerzeugung
1,0
potenzielle jährliche Stromerzeugung
Leistung in GW

1,0

0,8

0,8

0,6
0,6

0,4
0,4

0,2
0,2

0,0 0,0
2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018

Abb. 5.75 Entwicklung der installierten Photovoltaik-Leistung und der korrespondierenden Strom-
erzeugung in Österreich

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02Bundeslaender.html. Zugegriffen: 7. März 2019
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fundamentals/conductors-insulators-semiconductors/potentialtoepfe.gif. Zugegriffen: 10.
Nov. 2017
Stromerzeugung aus Windenergie
6
Martin Kaltschmitt, Burcu Özdirik, Britta Reimers, Michael Schlüter,
Detlef Schulz und Lucas Sens

6.1 Physikalische Grundlagen

Michael Schlüter und Martin Kaltschmitt

Windkraftanlagen (WKA) machen die in den strömenden Luftmassen enthaltene Bewe-


gungsenergie technisch nutzbar. Die dieser Wandlung der kinetischen in mechanische
Energie zugrundeliegenden physikalischen Zusammenhänge werden im Folgenden dar-
gestellt. Nicht behandelt werden die Grundlagen der Windenergienutzung, wie sie z. B.
bei Segelbooten oder Drachen realisiert wird.
Die aus dem Wind durch eine Windkraftanlage entnommene Energie bezieht sich
i. Allg. auf eine bestimmte Zeitspanne bzw. einen definierten Zeitraum, in der sich die
Wind- und Betriebsverhältnisse häufig ständig verändern. Deshalb wird meist der „Au-
genblickswert der Energie“, also die Leistung, betrachtet und daraus der Betrag der
Nutzenergie (Arbeit) durch eine zeitliche Aufsummierung (Integration) ermittelt.
Moderne Windenergiekonverter entziehen dem Wind die Energie mit Rotoren, welche
aus einem oder mehreren Rotorblättern bestehen (typischerweise besteht ein Rotor heute
aus drei Rotorblättern). Die den strömenden Luftmassen entzogene Windleistung wird
dadurch in eine Drehbewegung des Rotors und damit in mechanische Leistung an der
Rotorwelle umgewandelt. Diese kann an der Welle als Moment – bei einer bestimmten
Drehzahl – abgegriffen und an eine Arbeitsmaschine (z. B. Generator zur Bereitstellung
elektrischer Energie, Pumpe zur Bereitstellung von Druckenergie) übertragen werden.

Autoren in alphabetischer Reihenfolge mit Beiträgen zum Kapitel; die Autorenzuordnung geht aus
den einzelnen Unterkapiteln hervor.
Martin Kaltschmitt, Lucas Sens, Hamburg, Deutschland
Burcu Özdirik, Hamburg, Deutschland
Britta Reimers, Hamburg, Deutschland
Michael Schlüter, Hamburg, Deutschland
Detlef Schulz, Hamburg, Deutschland
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 461
M. Kaltschmitt, W. Streicher, A. Wiese (Hrsg.), Erneuerbare Energien,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-61190-6_6
462 M. Kaltschmitt et al.

Nachfolgend werden zunächst die Verhältnisse am idealisierten Rotor diskutiert, bevor


anschließend näher auf die Gegebenheiten am realen Rotor einer Windkraftanlage einge-
gangen wird.

6.1.1 Idealisierte Windenergiekonverter

Um die Verhältnisse am idealisierten Windkonverter darzustellen, wird hier von einem


imaginären Windpaket ausgegangen, das aus einzelnen Windteilchen besteht und deren
Stromfäden von einer gedachten Stromröhre umschlossen werden. Diese Stromröhre kann
an drei charakteristischen Querschnitten (S1 – Kreisfläche der gedachten Stromröhre weit
vor dem Rotor der Windkraftanlage, SRot – Rotorkreisfläche, S2 – Kreisfläche der gedach-
ten Stromröhre weit hinter dem Rotor der Windkraftanlage) betrachtet werden. Ausgehend
von diesen Rahmenannahmen ergibt sich die in Abb. 6.1 schematisch dargestellte Strom-
röhre. Aufbauend darauf wird nachfolgend die Windleistung, die dem Wind entziehbare
Leistung und der Leistungsbeiwert – jeweils für ideale Verhältnisse – abgeleitet.

Windleistung Infolge der Massenerhaltung muss der Luftdurchsatz (d. h. der Massen-
strom mP Wi ) in jedem Querschnitt i der gedachten Stromröhre S gleich groß sein (mit i D 1
weit vor dem Rotor, i D Rot in der Rotorebene und i D 2 weit hinter dem Rotor; Abb. 6.1).
Diese Massenerhaltung gilt damit auch für die Kreisflächen S1 ; SRot und S2 . Unter Nut-
zung der Kontinuitätsgleichung ergibt sich unter diesen Bedingungen Gleichung (6.1).
Dabei beschreibt Wi;i die Dichte der Luft und vWi;i die Geschwindigkeit der strömenden
Luftmassen jeweils an der Stelle i der Stromröhre.

P Wi D Wi;i Si vWi;i D const:


m (6.1)

Die Leistung des Windes PWi kann aus dem Satz von der Erhaltung der Energie abge-
leitet werden; dieser postuliert, dass Energie nicht „erzeugt“, sondern nur umgewandelt
werden kann. Demnach muss die in einer Strömung an jeder Stelle i enthaltene Windleis-
tung PWi;i konstant sein (d. h. Bernoulli-Gleichung; vgl. Kapitel 7.1). Die Windleistung

Abb. 6.1 Strömung durch vWi,1 vWi,2


vWi,Rot
einen idealisierten Windener-
giekonverter (zur Erklärung
der Formelzeichen siehe Text;
nach [6.1])

S1
. SRot
mWi . S2
mWi .
mWi
6 Stromerzeugung aus Windenergie 463

setzt sich dabei zusammen aus der Summe der kinetischen Leistung ( 12 .m P Wi;i vWi;i 2 /), der
Druckleistung (.m P Wi;i pWi;i /=Wi;i ) und der potenziellen Leistung.
Mit der Kontinuitätsbedingung kann dann die Leistungsbilanz des Windes an einer be-
liebigen Stelle i zwischen der betrachteten Stelle weit vor (S1 ) und weit hinter dem Rotor
(S2 ) erstellt werden (Gleichung (6.2)). PWi;ent beschreibt dabei die vom Rotor der Wind-
kraftanlage dem Wind entzogene Leistung. Bei dieser vereinfachten Betrachtung nach
Gleichung (6.2) wird die potenzielle Leistung (d. h. Höhenänderung) des Windes vernach-
lässigt.

1 P Wi pWi;1
m 1 P Wi pWi;2
m
PWi;i D const. D P Wi vWi;1 2 C
m D mP Wi vWi;2 2 C C PWi;ent (6.2)
2 Wi;i 2 Wi;i

Dem Wind entziehbare Leistung Für die folgenden Überlegungen zur Abschätzung
der theoretisch maximal von einem Windenergiekonverter (z. B. Rotor) aus dem Wind
entziehbaren Leistung wird – unabhängig von den tatsächlichen Verhältnissen am ei-
gentlichen Windenergiewandler – von den nachfolgend dargestellten Idealisierungen und
Annahmen ausgegangen:

 stationäre und inkompressible Windströmung (Wi  const. D 1; 22 kg/m3 ),


 reibungsfreie und damit scherungsfreie Windströmung,
 gleichförmige Anströmung (d. h. an jedem Punkt der Energie-entziehenden Fläche
(z. B. Rotorkreisfläche SRot ) hat der Wind die gleiche Geschwindigkeit und wirkt
ausschließlich in Achsrichtung),
 drallfreie Strömung (d. h. keine Ablenkung des Windes in Umfangsrichtung) und
 frei umströmter Windenergiekonverter (d. h. keine äußeren Strömungsbeeinflussungen;
weit vor und weit hinter dem Windenergiekonverter herrscht der selbe wetterbedingte
Winddruck pWi;0 (d. h. pWi;1 D pWi;2 D pWi;0 )).

Ausgehend davon lässt sich die physikalisch theoretisch maximal mögliche Wind-
leistungswandlung mit Hilfe einer Modellvorstellung ableiten, die unabhängig von der
technischen Realisierung einer Windkraftanlage ist. Werden demnach die dargestellten
Vereinfachungen in Gleichung (6.2) berücksichtigt, kann die dem Wind durch den Wind-
energiekonverter (z. B. Rotor) entzogene Leistung PWi;ent , die infolge der Leistungserhal-
tung der theoretischen Rotorleistung PRot;th entsprechen muss, nach Gleichung (6.3) aus
der Differenz der Windleistung weit vor (PWi;1 ) und weit hinter (PWi;2 ) dem Windenergie-
konverter berechnet werden.

PWi;ent D PRot;t h D PWi;1  PWi;2


1 1 1  
D m P Wi vWi;1 2  mP Wi vWi;2 2 D mP Wi vWi;1 2  vWi;2 2 (6.3)
2 2 2
Gleichung (6.3) macht auch deutlich, dass bei der hier betrachteten freien Windströ-
mung nur eine Abminderung der Windgeschwindigkeit Energie liefern kann; d. h. aus
464 M. Kaltschmitt et al.

Abb. 6.2 Druck- und Ge- vWi


schwindigkeitsverlauf des
Windes weit vor dem Wind-
energiekonverter, in der
x
Konverterebene (Rotorebene)
und weit hinter dem Windener- pWi
giekonverter (zur Erklärung ΔpWi
der Formelzeichen siehe Text) pWi,0
x

S1 SRot S2

physikalischen Gründen kann nur die kinetische Leistung des Windes (d. h. die Bewe-
gungsenergie der strömenden Luftmassen) technisch genutzt werden.
Damit die Massenerhaltung – und damit Gleichung (6.1) – erfüllt ist, muss sich bei
einem Leistungsentzug aus den strömenden Luftmassen durch den Rotor einer Windkraft-
anlage die Stromröhre zwingend aufweiten, um die Reduktion der Windgeschwindigkeit
zu kompensieren. Diese aus der Massenerhaltung sich notwendigerweise ergebende Ver-
größerung des Querschnitts der Stromröhre ist dabei stetig, da die Windgeschwindigkeit
nicht sprungartig abgebremst werden kann.
Die im Wind enthaltene kinetische Leistung PWi bezüglich der frei durchströmten Ro-
torkreisfläche SRot errechnet sich dann nach Gleichung (6.4).
1 1
PWi D P Wi;frei vWi;1 2 D Wi SRot vWi;1 3
m (6.4)
2 2
mP Wi;frei bezieht sich auf den Massendurchsatz der frei durchströmten Stromröhre ohne
Energieentzug (m P Wi;frei D Wi SRot vWi;1 ). Demnach hängt die Leistung des Windes von
der dritten Potenz der Windgeschwindigkeit ab (PWi
vWi 3 ); dies ist für die Wahl eines
Windkraftanlagenstandorts und die Windkraftanlagentechnik bzw. die Auslegung eines
Windenergiekonverters von entscheidender Bedeutung.
Wird die Windströmung von weit vor dem Rotor (S1 ) kontinuierlich bis weit hinter
dem Rotor (S2 ) verfolgt (Abb. 6.1 und 6.2), muss die Windgeschwindigkeit vWi nach
Gleichung (6.2) stetig abnehmen. Damit nimmt konsequenterweise aber der Winddruck
entsprechend zu. In der Rotorebene SRot wird jedoch der Windströmung die theoretische
Rotorleistung PRot;th annähernd sprungartig entzogen. Die Windgeschwindigkeit kann sich
an dieser Stelle jedoch aus physikalischen Gründen nicht unstetig (d. h. nicht sprunghaft)
ändern. Daraus folgt, dass der Leistungsentzug in der Rotorebene mit einem Drucksprung
pWi verbunden sein muss (Abb. 6.2). Unabhängig davon herrscht weit vor und weit hinter
der Windkraftanlage der wetterbedingte Winddruck pWi;0 .
Neben der Energieerhaltung muss zwingend auch die Impulserhaltung gelten (der Im-
pulserhaltungssatz postuliert in einem System, das keine Kräfte aus seiner Umgebung
erfährt, die Konstanz des Gesamtimpulses). Damit ist ein weiterer grundlegender phy-
6 Stromerzeugung aus Windenergie 465

sikalischer Zusammenhang auf diesen Anwendungsfall verfügbar, mit dem die maxi-
mal mögliche Leistung berechnet werden kann. Ausgehend davon muss die Impulskraft
F Wi;WKA , die vom Wind auf den Windenergiekonverter ausgeübt wird, der Kraft F Wi;Brems ,
mit welcher der Windenergiekonverter die Windströmung abbremst, entsprechen. Es gilt
Gleichung (6.5). m P Wi ist der Massenstrom des Windes und vwi;1 die Windgeschwindigkeit
weit vor und vwi;2 weit hinter der Rotorebene SRot .

FWi;WKA D FWi;Brems D m
P Wi .vWi;1  vWi;2 / (6.5)

Die Impulskraft des Windes F Wi;WKA bewirkt in der Rotorebene SRot mit der dort vor-
herrschenden Windgeschwindigkeit vWi;Rot eine Leistung, die der theoretischen Rotorleis-
tung PRot;th bzw. der durch den Rotor dem Wind entzogenen Leistung PWi;ent entsprechen
muss (Gleichung (6.6)).

PWi;ent D PRot;t h D FWi;WKA vWi;Rot D m


P Wi .vWi;1  vWi;2 / vwi;Rot (6.6)

Durch Gleichsetzen der Gleichungen (6.3) und (6.6) ergibt sich die Windgeschwindig-
keit in der Rotorebene vWi;Rot als arithmetisches Mittel aus vWi;1 und vWi;2 (Froude-Ran-
kin’sches Theorem; es gilt: vWi;Rot D 12 .vWi;1 C vWi;2 /). Mit dem Massendurchsatz m P Wi
nach Gleichung (6.1) – bezogen auf die Rotorebene – errechnet sich daraus die theore-
tische Rotorleistung PRot;th bzw. die durch den Rotor entzogene Leistung PWi;ent gemäß
Gleichung (6.7) aus der Windgeschwindigkeit vWi;1 weit vor und vWi;2 weit hinter der Ro-
torebene, der Rotorkreisfläche SRot und der Dichte der Luft Wi .
 
1 vWi;1 C vWi;2  
PWi;ent D PRot;t h D Wi SRot vWi;1 2  vWi;2 2 (6.7)
2 2

Leistungsbeiwert Die physikalisch maximale Umwandlung von Wind- in Rotorleistung


und damit der Anteil der dem Wind theoretisch maximal entziehbaren zu der im unge-
störten Wind enthaltenen Leistung wird durch den theoretischen Leistungsbeiwert cp;th
beschrieben. Er ist definiert als das Verhältnis der entziehbaren Leistung PWi;ent (Gleichung
(6.7)) zur theoretisch maximalen Windleistung PWi (Gleichung (6.4)). Dieser Leistungs-
beiwert kann nach Gleichung (6.8) berechnet werden aus der Windgeschwindigkeit weit
vor und weit hinter dem eigentlichen Windenergiekonverter (Rotor). Das Geschwindig-
keitsverhältnis (vWi;2 /vWi;1 ) wird dabei als der Abminderungsfaktor der Windgeschwin-
digkeit bezeichnet.
     
PWi;ent vWi;1 C vWi;2 vWi;1 2  vWi;2 2 1 vWi;2 vWi;2 2
cp;t h D D D 1C 1
PWi 2vWi;1 vWi;1 2 2 vWi;1 vWi;1 2
(6.8)

Das technische (und ökonomische) Ziel der Windkraftnutzung muss es sein, einen
möglichst großen Anteil der im Wind enthaltenen Leistung aus diesem zu entziehen. Da-
bei können jedoch die durch die Rotorebene strömenden Windmassen aus physikalischen
466 M. Kaltschmitt et al.

Abb. 6.3 Schematischer


Verlauf des Leistungsbei- maximaler Leistungsbeiwert (16/27 bzw. 0,593)
werts in Abhängigkeit des

Leistungsbeiwert cp,th
Geschwindigkeitsverhältnis-
ses der Windgeschwindigkeit
weit vor (vWi;1 ) und weit hin-
ter (vWi;2 ) dem Rotor (d. h. des cp,th,max
Abminderungsfaktors) nach
Gleichung (6.8) (zur Erklärung
der Formelzeichen siehe Text)

1/3 1,0
Geschwindigkeitsverhältnis vWi,2 /vWi,1

Gründen dort nicht vollständig abgebremst werden; dies hätte ein „Verstopfen“ des Rotors
und damit letztlich keinen kontinuierlichen Energieentzug zur Folge. Andererseits muss
nach Gleichung (6.3) die Strömungsgeschwindigkeit der bewegten Luftmassen zwingend
reduziert werden, soll der strömenden Luft Leistung entzogen werden (dies ist ja letztlich
das primäre Ziel der Windkraftnutzung). Folglich muss es ein Geschwindigkeitsverhältnis
zwischen der Windgeschwindigkeit weit vor und weit hinter dem Rotor (d. h. einen Ab-
minderungsfaktor) geben, bei dem der theoretische Leistungsbeiwert cp;th und damit der
Energieentzug aus dem Wind maximal wird.
Um diese theoretisch maximal den strömenden Luftmassen durch den wie auch im-
mer zu konstruierenden Windenergiekonverter (Rotor) einer Windkraftanlage entziehbare
Leistung PWi;ent zu bestimmen, kann Gleichung (6.7) nach vWi;2 abgeleitet werden. Wird
diese dann gleich Null gesetzt, ergibt sich Gleichung (6.9).
1 h i
Wi SRot  2vWi;1 vWi;2 C vWi;1 2  3vWi;2 2 D 0 (6.9)
4
Durch Auflösen von Gleichung (6.9) zeigt sich, dass die energetisch günstigste Wind-
geschwindigkeit vWi;2 hinter dem Rotor bei einem Drittel der Windgeschwindigkeit vWi;1
vor dem Rotor liegt. Damit gilt Gleichung (6.10).
vWi;2 1
D (6.10)
vWi;1 3
Diesen Zusammenhang zeigt auch die in Abb. 6.3 aufgetragene Funktion. Demnach
wird der theoretische Leistungsbeiwert cp;th bei einem Verhältnis der Windgeschwindig-
keiten weit hinter und weit vor dem Rotor von einem Drittel maximal (d. h. maximaler
Leistungsbeiwert cp;th;max ).
Mit diesem Verhältnis ergibt sich nach Gleichung (6.8) ein Maximum des theoretischen
Leistungsbeiwertes cp;th von 16/27; das bedeutet, dass der theoretisch größte Wert der
Leistungsentnahme aus dem Wind bei knapp 60 % (59,26 %) der theoretischen Windleis-
tung nach Gleichung (6.4) liegen kann. Dies gilt aber nur, wenn die Windgeschwindigkeit
6 Stromerzeugung aus Windenergie 467

vWi,axial

vWi,umfang
vWi,1 vWi,2

Abb. 6.4 Tatsächliche An- und Abströmbedingungen der Luftströmung am Windrad (vWi;1 Wind-
geschwindigkeit weit vor dem Rotor, vWi;2 Windgeschwindigkeit weit hinter dem Rotor, vWi;axial
Axialkomponente der Windgeschwindigkeit, vWi;umfang Umfangskomponente der Windgeschwindig-
keit)

weit vor dem Rotor auf ein Drittel der Strömungsgeschwindigkeit weit hinter dem Rotor
abgebremst wird (Gleichung (6.10)). Im Umkehrschluss sind damit aufgrund grundsätz-
licher physikalischer Restriktionen, die auch prinzipiell nicht überwindbar sind, immer
mindestens mehr als 40 % der in der ungestörten Luftströmung enthaltenen Leistung auf
der von einem Windenergiekonverter überstrichenen Fläche nicht nutzbar.
Die optimale Windabbremsung auf ein Drittel der Ursprungswindgeschwindigkeit ist
jedoch auch für einen perfekten Rotor nur unter idealen Bedingungen (u. a. Rotordrehzahl
in Relation zur Windgeschwindigkeit) möglich. Deshalb wird dies als idealer Leistungs-
beiwert bezeichnet (cp;ideal D cp;t h;max D cp;Bet z D 0; 593).
Diese theoretische Herleitung der maximal dem Wind entziehbaren Leistung, die letzt-
lich völlig unabhängig von der Art des eigentlichen Windenergiekonverters ist, wurde
erstmals in den 1920er Jahren von Albert Betz (u. a. [6.2]) veröffentlicht; deshalb spricht
man oft auch vom Betz’schen Leistungsbeiwert.
In Wirklichkeit – und im Unterschied zu den bisher gemachten Annahmen – wird die
Energie von der Luftströmung auf den Rotor durch eine Umlenkung der Absolutgeschwin-
digkeit übertragen. Da die Anströmung des Windrades entsprechend den bisherigen An-
nahmen drallfrei erfolgt, muss die Abströmung aber drallbehaftet sein, da sonst aufgrund
der physikalischen Gegebenheiten keine Arbeit vom Wind auf das Windrad übertragbar
ist. Hinter dem Rotor einer Windkraftanlage ist folglich der Wind nicht nur abgebremst
(d. h. die Windgeschwindigkeit reduziert), wie bei der Herleitung des Betz’schen Leis-
tungsbeiwertes angenommen, sondern auch – entgegen den bisherigen Vereinfachungen –
mit einem Drall behaftet (Abb. 6.4).
Der Drall stellt einen Verlust dar, da er Turbulenzen in der Strömung hinter der Anlage
erzeugt. Dieser Nachlaufdrall reduziert daher die theoretisch optimal dem Wind entzieh-
bare Leistung. Er ist abhängig von der Schnelllaufzahl  (Gleichung (6.22)), die das
Verhältnis der Umdrehungsgeschwindigkeit der Rotorblattspitze zur Windgeschwindig-
keit beschreibt. Dabei ist der Drallverlust sehr hoch bei kleinen Schnelllaufzahlen (d. h.
Langsamläufer,  < 2; 5). Demgegenüber ist er aber relativ gering bei hohen Schnell-
468 M. Kaltschmitt et al.

Abb. 6.5 Leistungsbeiwert in


Abhängigkeit von der Schnell- cp,Betz

Leistungsbeiwert cp
laufzahl ohne (cp;Betz ) und 0,6
mit Berücksichtigung des 0,5
Nachlaufeffektes (cp;Schmitz ) 0,4 cp,Schmitz
(nach [6.4, 6.23]; zur Erklä- 0,3
rung der Formelzeichen siehe
0,2
Text)
0,1
0
0 5 10
Schnelllaufzahl λ

laufzahlen, wie sie bei den Rotoren moderner Windkraftanlagen realisiert werden (d. h.
Schnellläufer,  > 5). Deshalb kann in einer guten Näherung der Betz’sche Leistungsbei-
wert auch für heutige Windenergieanlagen als potenzieller Grenzwert angesehen werden.
Zusätzlich kann der Betz’sche Leistungsbeiwert um diese Drallverluste korrigiert wer-
den; er wird dann als cp;Schmitz bezeichnet (Abb. 6.5; [6.3]). Dabei wird auch hier un-
terstellt, dass der Wind weit nach der Windrotorebene – wie in dem Betz’schen Ansatz
gefordert – auf ein Drittel des Betrages weit vor dem Windrotor abgebremst wird.

6.1.2 Widerstands- und Auftriebsprinzip

Die technische Nutzbarmachung der in den bewegten Luftmassen enthaltenen Energie


durch rotierende Windenergiekonverter, deren theoretische maximale Obergrenze der
Betz’sche Leistungsbeiwert beschreibt, kann in der praktischen Umsetzung durch zwei
grundsätzlich unterschiedliche Prinzipien realisiert werden: dem Widerstands- und dem
Auftriebsprinzip.

 Das Widerstandsprinzip nutzt die Windwiderstandskraft aus, die auf eine durch die
strömenden Luftmassen angeströmten Fläche wirkt.
 Das aerodynamische oder Auftriebsprinzip basiert – wie bei einem Flugzeugflügel –
auf der zur absoluten Windbewegung senkrecht wirkenden Auftriebskraft.

Letzteres Prinzip ist die heute vorherrschende Methode zur Nutzbarmachung der im
Wind enthaltenen Energie zur Stromerzeugung, da die Leistungsausbeute im Vergleich
zum Widerstandsprinzip bei gleicher durchströmter Querschnittsfläche etwa zwei- bis
dreifach höher ist. Deshalb werden in Kapitel 6.2 ausschließlich Systeme zur Nutzbarma-
chung der im Wind enthaltenen Energie diskutiert, die auf der Basis des Auftriebsprinzips
arbeiten. Trotzdem werden im Rahmen der folgenden Ausführungen beide Prinzipien er-
läutert, um die grundsätzlichen Unterschiede zu diskutieren und die damit verbundenen
Wirkungsgraddifferenzen zu erklären bzw. die jeweiligen physikalischen Begrenzungen
aufzuzeigen.
6 Stromerzeugung aus Windenergie 469

Widerstandsprinzip Bei der Umwandlung der in den strömenden Luftmassen enthalte-


nen Energie nach dem Widerstandsprinzip (Abb. 6.6) trifft die Luft mit der Geschwin-
digkeit vWi;Rot auf eine angeströmte Fläche S (d. h. die projizierte Windangriffsfläche auf
den Rotor). Die Leistungsaufnahme PWi dieser Anström- bzw. Rotorfläche errechnet sich
aus der Widerstandskraft F W und der Geschwindigkeit vS , mit der sich diese angeströmte
Fläche bewegt (Gleichung (6.11)). Die Beträge der Widerstandskraft F W und der Reakti-
onskraft F B , die bremsend auf die Strömung wirkt, sind dabei gleich (Abb. 6.6).

PWi D FW vS (6.11)

Die Relativgeschwindigkeit zwischen der Windgeschwindigkeit vWi und der Geschwin-


digkeit der Anströmfläche vS – und damit die Geschwindigkeit (vWi  vS ), mit der die
Fläche S effektiv angeströmt wird, ist maßgebend für ihren Luftwiderstand. Mit dem ent-
sprechenden Luftwiderstandsbeiwert cw kann damit die Widerstandskraft F W nach Glei-
chung (6.12) beschrieben werden. Demnach wird F W wesentlich vom Quadrat der effekti-
ven Anströmgeschwindigkeit (d. h. der Differenz zwischen der Windgeschwindigkeit und
der Geschwindigkeit der Anströmfläche vWi  vS ) bestimmt. Somit ist – Prinzip-bedingt –
die nutzbare Umfangsgeschwindigkeit eines Energiewandlers nach dem Widerstandsprin-
zip zwingend immer kleiner als die Windgeschwindigkeit.

Wi
FW D cw .vWi  vS /2 S (6.12)
2

Daraus kann die dem Wind nach dem Widerstandsprinzip maximal entzogene Leistung
PWi;ent nach Gleichung (6.13) berechnet werden. S ist angeströmte Fläche, Wi die Dichte

0,16
cp,max
0,14
Beiwertsverhältnis cp /cw

0,12

0,10

FB
0,08

FW 0,06
vS
vWi
0,04

0,02
S
0,00
0,0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0
Geschwindigkeitsverh. vS /v Wi,Rot

Abb. 6.6 Strömungsverhältnisse und Kräfte beim Widerstandsprinzip (links) und Verlauf des
zugehörigen Leistungsbeiwerts (rechts) (Geschwindgkeitsverh. Geschwindgkeitsverhältnis; zur Er-
klärung der Formelzeichen siehe Text; vgl. [6.4, 6.5, 6.6])
470 M. Kaltschmitt et al.

des Windes, vWi die Wind- und vS die Geschwindigkeit der angeströmten Fläche und cw
der Luftwiderstandsbeiwert.
Wi
PWi;ent D FW vS D cw .vWi  vS /2 S vS (6.13)
2

Diese den bewegten Luftmassen entzogene Leistung kann in Relation zu der im Luft-
strom enthaltenen Leistung PWi gesetzt werden (Gleichung (6.4)). Daraus ergibt sich der
Leistungsbeiwert cp (d. h. das Verhältnis der dem Wind entzogenen Leistung PWi;ent zu der
im Wind enthaltenen Leistung PWi ) nach Gleichung (6.14).

PWi;ent cw .vWi  vS /2 vS
cp D D (6.14)
PWi vWi 3

Durch Differenzieren nach der Geschwindigkeit der angeströmten Fläche vS und Null-
setzen kann daraus die dem Wind nach dem Widerstandsprinzip maximal entziehbare
Leistung ermittelt werden. Demnach wird auch hier der Leistungsbeiwert cp dann ma-
ximal, wenn sich die angeströmte Fläche S mit einer Geschwindigkeit bewegt, die einem
Drittel der Windgeschwindigkeit entspricht (d. h. Abbremsen der Windgeschwindigkeit
um zwei Drittel, Abb. 6.6). Dies liegt darin begründet, dass die Ableitung nach Betz unab-
hängig von der Art des Windenergiekonverters ist. Bei diesem Geschwindigkeitsverhältnis
errechnet sich entsprechend Gleichung (6.15) ein maximaler Leistungsbeiwert cp;max von
14,8 % des Luftwiderstandsbeiwerts cw .

4
cp;max D cw (6.15)
27

Eine unendlich große Platte hat beispielsweise einen Widerstandsbeiwert von 2,01;
unter diesen Bedingungen würde der maximale Leistungsbeiwert etwa 0,3 bzw. knapp
30 % annehmen. Demgegenüber werden bei real ausgeführten Widerstandsläufern für die
Rotorblätter Widerstandsbeiwerte von maximal 1,3 erreicht. Der korrespondierende Leis-
tungsbeiwert beträgt dann im besten Fall 0,2 bzw. 20 %. Mit dem Widerstandsprinzip kann
demnach nur rund ein Drittel des idealen Leistungsbeiwertes von 0,593 bzw. 59,3 % aus-
genutzt werden. Aufgrund dieses physikalisch bedingten geringen Wirkungsgrades hat der
Widerstandläufer bei energietechnischen Anwendungen heute praktisch keine Bedeutung.
Diese theoretische Betrachtung wird durch die konstruktive Umsetzung des Prinzips
für praktische Anwendungen noch weiter erheblich eingeschränkt. Um Arbeitsmaschinen
anzutreiben, benötigt man i. Allg. eine drehende Bewegung. Folglich muss die angeström-
te Fläche zwingend um eine Achse rotieren (Abb. 6.6). Üblich sind hier beispielsweise
mehrere sternförmig angeordnete Rotorblätter. Bei der Drehung wird jedoch nur etwa die
Hälfte des Rotors vom Wind voran bewegt; die andere Hälfte läuft dem Wind zwingend
entgegen. Deshalb muss man entweder die gegenlaufende Hälfte abdecken oder mit ei-
nem deutlich kleineren Widerstandsbeiwert als die angetriebene Rotorblattseite auslegen.
Nur unter diesen Bedingungen entsteht eine resultierende Vorwärtskraft. Und nur dann,
wenn diese vorhanden ist, ergibt sich ein antreibendes Drehmoment. Dadurch wird aber
6 Stromerzeugung aus Windenergie 471

die Güte der Leistungskonvertierung (d. h. der cp -Wert) weiter (deutlich) vermindert. Da-
her kommt das Widerstandsprinzip heute nur für sehr wenige Anwendungszwecke (z. B.
Schalenkreuzanemometer) zur Anwendung.

Auftriebsprinzip Im Unterschied zum Widerstandsprinzip, das nur die Widerstandskraft


nutzt, bewegt sich der Flügel am auftriebsnutzenden Rotor senkrecht zur Richtung der ab-
soluten Windgeschwindigkeit. Damit kann bei schnellläufigen Rotorbauformen die ener-
getisch wirksame Relativgeschwindigkeit ein Vielfaches der absoluten Windgeschwindig-
keit betragen. Als axiale Turbine macht sich das Windrad damit die Umlenkung des Win-
des zur Erzeugung einer Umfangs- oder Tangentialkraft F T im Rotor zunutze (Abb. 6.7).
Das daraus resultierende Antriebsmoment M kann mit der Rotorblattanzahl z gemäß Glei-
chung (6.16) beschrieben werden. R ist der Radius des Rotors und r eine bestimmte Stelle
innerhalb dieses Radius (Abb. 6.7).

ZR
M Dz FT .r/¸; r dr (6.16)
rD0

Die von einem realen Windkonverter dem Wind tatsächlich über den Rotor entnom-
mene Leistung PRot kann aus diesem Antriebsmoment M und der Rotordrehzahl n gemäß
Gleichung (6.17) bestimmt werden. Der Wirkungsgrad
Rot beschreibt dabei die real auf-
tretenden Drall- und Reibungsverluste gegenüber der Leistung des idealen Rotors PRot;th .

PRot D 2 n M D PRot;t h
Rot (6.17)

Die für die Leistungsumsetzung erforderliche Tangentialkraft F T wird maßgeblich


durch die Rotorblattgeometrie bestimmt. Bei den heute bei Windkraftanlagen einge-
setzten Schnellläufern (Kapitel 6.2) werden die Rotorblätter hierbei zumeist mit der
Tragflügeltheorie beschrieben. Wird demnach ein Rotorblatt (in Abb. 6.8 schematisch
als ebenes Profil dargestellt) symmetrisch mit der Windgeschwindigkeit vWi angeströmt
(Anströmwinkel ˛ D 0), entsteht infolge seines Form- und Reibungswiderstands ei-
ne Kraftwirkung in Strömungsrichtung, die als Widerstandskraft F W bezeichnet wird
(Abb. 6.8, oben). Diese Widerstandskraft ist jedoch sehr gering, wenn das Rotorblatt –
wie in der Praxis heute üblich – strömungsgünstig gestaltet ist.

Abb. 6.7 Momentbestimmung


an einem Rotorflügel (zur Er- FT
klärung der Formelzeichen
siehe Text)

M/z dr
r
R
472 M. Kaltschmitt et al.

Abb. 6.8 Einfluss des FW


Profilquerschnitt
Anströmwinkels auf die vWi
Umströmung eines Profilquer-
schnitts (oben: Ausrichtung
in Strömungsrichtung, Mitte: poben < punten
Ausrichtung mit Anströmwin- FA
FW poben
kel ˛ zur Windgeschwindigkeit vWi
bei anliegender Strömung, α
unten: Ausrichtung mit punten
Anströmwinkel ˛ zur Windge-
schwindigkeit mit abgelöster,
turbulenter Strömung; zur Er-
klärung der Formelzeichen
siehe Text) abgelöste
vWi turbulente
Strömung

Erst bei unsymmetrischer Anströmung (d. h. wenn das Rotorblattprofil um einen Win-
kel ˛ zur Windströmung angestellt bzw. verdreht wird) kommt es zu einem Auftrieb
(Abb. 6.8, Mitte). Betrachtet man unter diesen Bedingungen (d. h. ˛ > 0) in erster Nä-
herung ein laminares, verlustfreies Strömungsfeld (d. h. keine Wirbelbildungen, keine
Reibungseffekte), bildet sich infolge der Verformung der Stromlinien des Luftströmungs-
feldes entlang der Oberflächenkontur des entsprechenden Rotorblattes ein Druckgradient
aus. Dessen Konsequenz ist, dass sich unterhalb des umströmten Rotorblattquerschnitts
ein höherer Druck (punten ) als oberhalb (poben ) einstellt (d. h. punten > poben ). Dieser Druck-
unterschied hat eine Auftriebskraft F A zur Folge, die senkrecht zur Anströmrichtung der
bewegten Luftmassen auf das Rotorblatt wirkt. Zusätzlich zu dieser Auftriebskraft wird
am Profilquerschnitt aber auch die Widerstandskraft F W wirksam (siehe oben); sie ist aber
i. Allg. deutlich kleiner im Vergleich zur Auftriebskraft F A .
Diese Zusammenhänge bezogen auf das Rotorblatt einer Windkraftanlage zeigt
Abb. 6.9. Demnach erzeugt die am Rotorblatt wirksam werdende relative Anströmungs-
geschwindigkeit vA des Windes dort eine senkrecht auf ihr stehende Auftriebskraft F A und
eine parallel zur relativen Anströmgeschwindigkeit wirkende Widerstandskraft F W . Beide
Kräfte (d. h. Auftriebskraft F A und Widerstandskraft F W ) sind proportional zur Dichte der
Luft Wi , zur tragenden Flügelfläche, zum Quadrat der Anströmgeschwindigkeit vA und
zu dem vom Anströmwinkel ˛ beeinflussten Auftriebswert ca bzw. Widerstandsbeiwert
cw (Gleichungen (6.18) und (6.19)).
1
FA D Wi vA2 ca .˛/ l b (6.18)
2
Die Anströmungsgeschwindigkeit vA des rotierenden Rotorblattes – auch als relativer
Wind bezeichnet – ergibt sich als vektorielle Summe aus der Windgeschwindigkeit vWi;Rot
in der Rotorebene und der Umfangsgeschwindigkeit des Rotors vu an einer bestimmten
6 Stromerzeugung aus Windenergie 473

e
Profilsehn
Umfangs-(Dreh-)Richtung
δ FA,t FW,t
vWi,Rot
FT
FW,s

FW,t
FW
FA,s
b FR
vWi,Rot FA FA,t FW
α
l vA
γ vu

Abb. 6.9 Strömungsverhältnisse und Kräfte beim Auftriebsprinzip (zur Erklärung der Formelzei-
chen siehe Text)

Stelle. Dabei hat diese tragende Fläche (dies entspricht der Profiltiefe l mal der Flügellän-
ge b; Abb. 6.9 (unten links)) des Rotorblattes in der experimentellen Aerodynamik eine
große Bedeutung, da die Windkanal-Messwerte von Auftriebskraft und Widerstandskraft
auf die gleiche tragende Flügelfläche bezogen werden (Gleichungen (6.18) und (6.19)).
Die Profildicke hat in der Nähe des Maximums einen gewissen negativen Einfluss auf den
Auftriebs- ca (senkend) und Widerstandsbeiwert cw (erhöhend); exemplarisch zeigt dies
Abb. 6.10 für ausgewählte Profile.
1
FW D Wi vA2 cw .˛/ l b (6.19)
2
Der Anströmwinkel ˛ wird durch die Profilsehne und die Richtung des relativen Win-
des aufgespannt. Soll dieser Anströmwinkel an jeder Stelle des Rotorblatts etwa gleich
groß sein, muss der Profilanstellwinkel ı wegen der zur Drehachse hin geringer werden-
den Umfangsgeschwindigkeit des Rotors vu von der Blattspitze zur Nabe hin stetig größer
werden; dies ist der Grund für die üblicherweise bei realisierten Rotorblättern von Wind-
kraftanlagen umgesetzte Rotorblattverwindung relativ zur Rotorblattlänge.
Die am Rotorblatt wirksam werdende Auftriebskraft F A (Gleichung (6.18)) und Wi-
derstandskraft F W (Gleichung (6.19)) können zusätzlich in eine Tangentialkomponente in
Umfangsrichtung F A;t bzw. F W;t und eine Schub-(Axial-)Komponente F A;s bzw. F W;s in
Richtung der Windanströmgeschwindigkeit vWi;Rot zerlegt werden. Daraus kann dann die
auf das Rotorblatt wirkende Tangential- und Axialkraft abgeleitet werden. Beispielsweise
setzt sich die effektive auf das Rotorblatt wirkende Tangentialkraft F T aus der Differenz
zwischen den Tangentialkomponenten der Widerstandskraft F W;t und der Auftriebskraft
F A;t zusammen (Abb. 6.9, oben rechts).
474 M. Kaltschmitt et al.

Abb. 6.10 Korrigierte 2,0 2,0


Auftriebs- ca und Widerstands- 12
15
beiwerte cw in Abhängigkeit 1,5 18
21

Widerstandsbeiwert c w
vom Anstellwinkel ı für 1,5

Auftriebsbeiwert ca
24
unterschiedliche Breiten- b 1,0
und Längenverhältnisse l aus cw ca
Windkanalmessungen [6.4]
0,5 1,0

0,0
0,5
-0,5

-1,0 0,0
-90 -45 0.0 45 90
Anstellwinkel δ

Die gesamte am Rotorblatt wirksame Kraft F R (d. h. resultierende Kraft) ergibt sich
dann als vektorielle Summe der Widerstands- (F W ) und der Auftriebskraft (F A ), die dann
über die gesamte Rotorblattlänge aufintegriert werden.
Die Beiwerte ca und cw in den Gleichungen (6.18) und (6.19) sind durch das Rotorpro-
fil (u. a. Form, Oberflächenrauigkeit) vorgegeben. Zusätzlich sind sie vom Anströmwinkel
˛ abhängig. Die entsprechenden Zusammenhänge können grafisch in Form der sogenann-
ten Lilienthal’schen Polaren (Abb. 6.11, links) dargestellt werden. Zusätzlich ist hier auch
die aufgelöste Polare (Abb. 6.11, rechts) dargestellt. Demnach kann bei einem bestimm-
ten betriebsbedingten Anströmwinkel ˛Betrieb die Kombination dieser beiden Polaren zur
Festlegung des jeweiligen Auftriebs- ca und Widerstandsbeiwerts cw herangezogen wer-
den. Dies verdeutlicht schematisch Abb. 6.11.
Wird demgegenüber nicht von einem symmetrischen Rotorblattprofil (Abb. 6.11,
rechts, oben), sondern von einer gewölbten Profilform (Abb. 6.11, rechts, unten) aus-

ca ca l
Stall α

ca,Betrieb

ca,0
α l

f
cw,Betrieb cw α Betrieb α
gewölbtes Profil β
Profilsehne
symetrisches Profil

Abb. 6.11 Lilienthal’sche Polare (links) und aufgelöste Profilpolare (Mitte) eines symmetrischen
(rechts, oben) und eines gewölbten Profils (rechts, unten) (zur Erklärung der Formelzeichen siehe
Text)
6 Stromerzeugung aus Windenergie 475

gegangen, entsteht bereits bei einem Anströmwinkel von 0ı eine Auftriebskraft F A und
damit ein Auftriebsbeiwert ca;0 . Ein solches Abweichen von der Profilsymmetrie in
Richtung einer stärkeren Strömungsumlenkung führt damit zu einer Auftriebsvergröße-
rung, die sich in der Profilpolaren durch eine Verschiebung der Kurve hin zu größeren
Auftriebsbeiwerten auswirkt.
Beispielsweise ergibt sich demnach der Auftriebsbeiwert ca gemäß Gleichung (6.20)
für ein Kreisbogenprofil der Wölbung f und der Länge l (Abb. 6.11, rechts, unten) [6.7].
Er hängt folglich ab vom Anströmwinkel ˛ und vom Winkel ˇ zwischen der Kreissehne
und dem Kreisbogen.

ca D 2 sin .˛ C ˇ=2/  2 .˛ C 2f = l/ (6.20)

Der vereinfachte Zusammenhang nach Gleichung (6.20) kann in guter Näherung für
gängige Profile verwendet werden, wenn der Anstellwinkel nicht zu groß wird. Demnach
wächst der Auftrieb linear mit dem Anstellwinkel ˛ und der relativen Wölbung f/l. Dabei
verkleinert die Widerstandskraft F W aber auch immer die nutzbare tangentiale Umfangs-
kraft F T .
Bei Windkraftanlagen sind in der Nähe der Blattspitze z. T. annähernd symmetrische
Profile üblich. Sie lassen im nicht angestellten Bereich (˛ D 0ı ) nur eine geringe Wider-
standskraft und folglich auch nahezu keine Auftriebskraft erwarten. Deshalb zeigen sie
bei einem starken Wind bzw. bei Sturm im Abregel-Betrieb eine gutmütige Regelbarkeit
und kleinere axiale Schubbelastungen. Mit zunehmender Anstellung (˛ > 0ı ) nehmen
Auftriebs- und Widerstandsbeiwert – und damit auch Auftriebs- und Widerstandskraft –
entsprechend zu. Ab einer bestimmten Grenze des Anstellwinkels ˛ steigt der Auftrieb
nicht mehr linear an. Bei noch größeren Werten des Winkels ˛ bricht er schließlich ganz
zusammen (sogenannter „Stall-Effekt“; Abb. 6.8, unten und Abb. 6.11, Mitte). Praktisch
bedeutet dies, dass die am Profil anliegende Umströmung des Windes abreißt; d. h. die
Stromlinien können nicht mehr der Kontur des Rotorblattprofils folgen (Abb. 6.8, unten).
Dieser „Zusammenbruch“ des Auftriebs ist mit einer erheblichen mechanischen Belas-
tung (d. h. einem starken „Schütteln“) des Rotors – und damit potenziell auch sämtlicher
sonstiger Bauteile einer Windkraftanlage – verbunden; dies führt zu potenziell sehr hohen
Materialbeanspruchungen und kann in deren Folge ggf. ein mechanisches Versagen bedin-
gen. Die Nutzung dieses sogenannten Stall-Effekts, der früher zur Leistungsbegrenzung
von Windkraftanlagen bei Sturm bewusst eingesetzt wurde und durch die Konstruktion
des Windrotors quasi im Rotor „eingebaut“ war (sogenannte Stall-geregelte Anlagen), ist
aus diesen Gründen heute nicht mehr üblich und praktisch vom Markt verschwunden.
Durchgesetzt hat sich die sogenannte Pitch-Regelung, bei der ein Anstellwinkel im Teil-
last-Bereich – also bei Schwachwind – kurz vor dem Maximalwert gewählt wird, damit im
Sturmfall der Anstellwinkel und damit die Auftriebskraft auf kleine bis sehr kleine Werte
abgeregelt werden kann.
Abb. 6.10 und 6.12 zeigen exemplarisch für ein bestimmtes Profil den mit Werten
hinterlegten Zusammenhang zwischen dem Anstellwinkel ˛ und dem Auftriebs- bzw.
476 M. Kaltschmitt et al.

Abb. 6.12 Auftriebs- ca und 1,4 0,28

Widerstandsbeiwert cw als 1,2 0,24

Widerstandsbeiwert (cw)
Funktion des Anströmwinkels

Auftriebsbeiwert (ca)
˛ (für den Auftriebs- und den 1,0 0,20
ca (α)
Widerstandsbeiwert sind in der 0,8 0,16
Grafik unterschiedliche Skalen
gewählt; nach [6.7, 6.23]) 0,6 0,12

0,4 0,08
cw (α)
0,2 0,04

0,0 0,00

-0,2 0,04
-10 -5 0 5 10 15 20
Anströmwinkel (α)

Widerstandsbeiwert (ca bzw. cw ). Demnach nimmt in dem Beispiel in Abb. 6.12 der Auf-
triebsbeiwert – und damit die Auftriebskraft – bis zu einem Anstellwinkel von etwa 13ı
linear zu, erreicht bei etwa 15ı seinen Höhepunkt und nimmt dann infolge eines Abrei-
ßens der Strömung auf der Oberseite des Profils wieder ab. Im Unterschied dazu wird der
Widerstandsbeiwert bei einem Anstellwinkel von 4ı minimal und nimmt nach beiden
Seiten annähernd quadratisch zu.
Das Verhältnis von Widerstands- zur Auftriebsbeiwert (d. h. cw zu ca ) ist definiert als
die Gleitzahl " eines Profils. Diese kann nach Gleichung (6.21) auch als das Verhältnis der
Widerstandskraft F W zur Auftriebskraft F A beschrieben werden.
cw FW
"  tan " D D (6.21)
ca FA
Für kleine Gleitzahlen gilt wieder die übliche Näherung für kleine Winkel (" D tan ").
Abb. 6.13 zeigt dazu die Polare des Profils nach Abb. 6.12. Diese wiederum kann entspre-

Abb. 6.13 Profilpolare 1,4

mit eingezeichneter mini-


1,2
maler Gleitzahl des Profils
(nach [6.7]) 1
Auftriebsbeiwert (ca)

0,8
Gleitzahl ε ≈ tan ε = cw /ca = FW /FA
0,6
min

0,4

0,2

-0,2
0 0,05 0,1 0,15 0,2 0,25
Widerstandsbeiwert (cw)
6 Stromerzeugung aus Windenergie 477

chend Abb. 6.12 in Abhängigkeit vom Anströmwinkel ˛ ermittelt werden. Je strömungs-


günstiger das Rotorblattprofil ist, desto höher wird der Auftriebsbeiwert gegenüber dem
Widerstandsbeiwert. Der optimale Anstellwinkel ergibt sich bei minimaler Gleitzahl und
liegt beim betrachteten Profil bei etwa 0ı Anströmwinkel. Deshalb ist für Windkraftanla-
gen mit einem guten Leistungsbeiwert in der Rotorblattauslegung und -fertigung darauf
zu achten, dass Profilform und Oberflächenrauigkeit zu möglichst geringen Widerstands-
kräften führen. Für moderne Windkraftanlagen werden deshalb tropfenförmige Profile
eingesetzt, die hinsichtlich ihrer Gleitzahl optimiert sind. Die Gleitzahlen aerodynamisch
günstiger Profile liegen beispielsweise im Neuzustand bei 0,01. Bei Gleitzahlen von 0,04
bis 0,06 besteht bereits Reparatur-Bedarf, da sonst der aerodynamische Wirkungsgrad im
Teillastbereich (d. h. der Ertrag) sehr gering wird. Auch würde dann der Rotorschub in der
Nähe der Auslegungswindgeschwindigkeit unzulässig hoch.
Eine weitere charakteristische Größe für Windkraftkonverter ist die Schnelllaufzahl .
Diese Kenngröße beschreibt das Verhältnis der Umfangsgeschwindigkeit der Rotorblatt-
spitze vu;Spitze zur ungestörten Windgeschwindigkeit vWi;1 weit vor der Rotorebene vWi;Rot .
Es gilt Gleichung (6.22).
vu;Spitze
D (6.22)
vWi;1

Die Umdrehungsgeschwindigkeit der Rotorblattspitze vu;Spitze mit der Rotordrehzahl n


und dem Rotordurchmesser dRot kann nach Gleichung (6.23) berechnet werden. Alternativ
ergibt sich die Rotorblattspitzengeschwindigkeit auch aus der Schnelllaufzahl  und der
ungestörten Windgeschwindigkeit vWi;1 .

vu;Spitze D dRot  n D  vWi;1 (6.23)

Demnach wird die Schnelllaufzahl umso höher gewählt, je geringer die Rotorblatt-
anzahl wird. Die Verwendung eines aerodynamisch schlechteren Profils (z. B. " D 0;1)
vermindert die Werte der optimalen Schnelllaufzahlen und des maximalen Leistungsbei-
werts um etwa 50 % gegenüber besseren Gleitzahlen.
Ausgehend davon kann schließlich die nutzbare Leistung PWKA einer Windkraftanla-
ge nach Gleichung (6.24) berechnet werden. Dabei werden die mechanischen Verluste
u. a. durch Lager- und Getriebereibung sowie alle Verluste im elektrischen Anlagenteil
durch den entsprechenden Wirkungsgrad
mech.-elek. berücksichtigt. Die aerodynamischen
Verluste gehen bereits in den Leistungsbeiwert cp ein.

PWKA D cp
mech.-elek. PWi (6.24)

Der reale Leistungsbeiwert cp moderner Dreiblattwindkraftanlagen erreicht heute im


Teillast-Betriebsbereich gemessene Bestwerte von bis zu 0,52 bzw. 52 %; die meisten
marktüblichen Rotoren liegen zwischen 0,44 und 0,48 bzw. 44 bis 48 %. Die zusätzlich
auftretenden mechanisch-elektrischen Verluste bei derzeit marktgängigen Anlagen dürf-
ten im Bereich von 7 bis 9 % (d. h. knapp 10 %) liegen.
478 M. Kaltschmitt et al.

6.1.3 Konverterregelung

Da der Anströmwinkel ˛ direkt die Auftriebskraft beeinflusst, kann die Leistungsaufnah-


me eines Windenergiekonverters über den Anströmwinkel passiv (Stall-Regelung) oder
aktiv (Pitch-Regelung) beeinflusst werden (Abb. 6.14). Beide Varianten werden nachfol-
gend erklärt.

Stall-Regelung Die Stall-Regelung wird bei Windenergiekonvertern mit fest montierten


(d. h. starren und dadurch nicht regelbaren) Rotorblättern genutzt. Zwingende Vorausset-
zung für diese Regelungsvariante ist es, dass der Rotor der Windkraftanlage – unabhängig
von der tatsächlichen Windgeschwindigkeit – mit einer konstanten Rotordrehzahl (d. h.
kein drehzahlvariabler Betrieb) betrieben wird; dies ist bei der direkten Kopplung einer
Windkraftanlage an ein starkes Stromnetz, wie es in Mitteleuropa im Regelfall gegeben
ist, beim Einsatz eines Synchron- oder auch eines Asynchrongenerators im Normalfall

Windgeschwindigkeit Windgeschwindigkeit
Stillstand kleiner als Nennwind- größer als Nennwind-
geschwindigkeit geschwindigkeit

Stall-
Regelung

vWi
vWi
-vu -vu
vA vA
vWi vWi
abgerissene Strömung anliegende Strömung abgerissene Strömung

Pitch-
Regelung

vWi
vWi

α -vu -vu
vA α
vA
vWi vWi
Fahnenstellung optimaler Anstellwinkel Anstellwinkel verringert
(F=0)
(F A= 0) (F(F=F)
=F
AAmax ) (F<F)
(F <F
AAmax )
A A A,max A A,max

Abb. 6.14 Strömungsverhältnisse am Rotorblattprofil einer Stall- und Pitch-geregelten Windkraft-


anlage (zur Erklärung der Formelzeichen siehe Text)
6 Stromerzeugung aus Windenergie 479

sichergestellt, da die Generatordrehzahl durch die Netzfrequenz f (in Europa f = 50 Hz)


definiert wird und diese nahezu konstant ist.
Bei einer konstanten Rotordrehzahl verändern sich bei den zwingend wechselnden
Windgeschwindigkeiten aber die Anströmverhältnisse am Rotorblatt (Abb. 6.14). Dem-
nach wird bei Luftströmungsgeschwindigkeiten oberhalb der Anlauf- und unterhalb der
Nennwindgeschwindigkeit das Rotorblatt laminar vom Wind umströmt (d. h. die Luftströ-
mung liegt am Profil an). Dadurch entsteht der für den Antrieb des Rotors notwendige
Auftrieb. Mit steigender Windgeschwindigkeit nimmt bei konstanter bzw. nahezu kon-
stanter Rotordrehzahl aber der aerodynamische Anstellwinkel ˛ zwischen der Anström-
geschwindigkeit vA und der Blattprofilsehne sukzessive zu.
Wird der Bereich der Nennwindgeschwindigkeit des Rotors erreicht und bei weiter stei-
genden Windgeschwindigkeiten überschritten, nimmt der Anstellwinkel ˛ so hohe Werte
an, dass die Strömung wegen der starken Ablenkung zunehmend nicht mehr vollständig
der Oberflächenkrümmung des Rotorblattprofils folgen kann. Dadurch löst sie sich von
der Profiloberfläche auf dessen Oberseite (Saugseite) ab (d. h. „Stall“; Abb. 6.14). Infolge
der mit dieser Strömungsablösung verbundenen Turbulenzbildung wird der Auftrieb des
Rotors reduziert (d. h. ein Teil der im Wind enthaltenen kinetischen Energie wird durch
diese Verwirbelung „vernichtet“) und damit die Leistungsaufnahme durch den Rotor aus
dem Wind im Idealfall konstant gehalten.
Ein derartiger Strömungsabriss an einem Rotorblatt tritt nicht zwingend immer bei
dem Anstellwinkel auf, der im Windkanal mit definierten Lufteigenschaften bei stationärer
Strömung für ein bestimmtes Profil gemessenen wird (sogenannter statischer Stall). Das
Phänomen der abreißenden Luftströmung ist vielmehr auch vom zeitlichen Verlauf des
Anstellwinkels (z. B. bei Böen) und der dreidimensionalen Umströmung (z. B. Zentrifu-
galkraft-induzierte Radialströmung) des Rotorblatts abhängig (sogenannter dynamischer
Stall). Dadurch kann sich der Eintritt des Stalls verzögern (d. h. die Strömung reißt erst
bei größeren Anstellwinkeln ab); dies kann ein Überschreiten der angenommenen maxi-
malen Luftkräfte bzw. der Nennleistung und damit eine Überlastung der Windkraftanlage
– und damit insbesondere des Generators – zur Folge haben. Auch deshalb wird diese Ro-
torblattregelung mittels Stall-Effekt in den heute marktgängigen Windkraftanlagen nicht
mehr genutzt.
Derzeit konzentriert sich die Entwicklung auf die Unterdrückung lokaler Stall-Effek-
te in der Grenzschicht, das sogenannte Abreißflattern; hier tritt der dynamische Stall
kurzzeitig in einem bestimmten Winkelbereich der Rotordrehung mit einer Strukturei-
genfrequenz auf. Dadurch entsteht periodisch dynamischer Stall durch eine zyklische Än-
derung des Anstellwinkels (z. B. während eines Umlaufs in der Bodengrenzschicht). Die
hierbei auftretenden periodischen Luftkräfte können eine Windkraftanlage derart „auf-
schaukeln“, dass es im Maximalfall zum Bruch der Rotorblätter kommen kann. Um im
Verlauf der technischen Lebensdauer der Anlage eine dadurch bedingte mechanische Zer-
störung insbesondere der Rotorblätter sicher zu verhindern (auch der gewollte Strömungs-
abriss und damit die Wirbelbildung zur Leistungsbegrenzung ist mit z. T. erheblichen
480 M. Kaltschmitt et al.

mechanischen Belastungen der Rotorblätter verbunden), müssen sie entsprechend stark


(über-)dimensioniert werden.
Infolge des diskutierten nicht vollständig deterministischen Auftretens des Stall-Effekts
kann die Leistungsaufnahme des Rotors durch diese Art der Regelung nur innerhalb eines
bestimmten Bereichs begrenzt werden; dies muss bei der Dimensionierung insbesondere
des Generators, aber auch anderer Anlagenkomponenten, beachtet werden, damit hier ei-
ne potenzielle Überlast – und damit eine möglicherweise daraus resultierende thermische
Zerstörung beispielsweise beim Generator – sicher verhindert werden kann.
Das Prinzip der Leistungsbegrenzung durch den Stall-Effekt weist zudem eine gewisse
Trägheit auf. So kommt es z. B. bei kurzzeitigen Böen zu Leistungsspitzen, die aufgrund
der fixierten Drehzahl des Rotors ein höheres Drehmoment im Antriebsstrang bewirken.
Um diese Schwankungen zu verringern, wurde bei einigen Anlagen im Megawatt-Bereich
mittels einer Blattwinkelverstellung der Rotor kontrolliert in den Stall gefahren (d. h. Ver-
stellung der Blattwinkel ˇ in Richtung größerer Anstellwinkel ˛). Dieses „Aktiv Stall“
genannte Regelungsverfahren wurde einige Jahre lang am Markt umgesetzt; heute ist die-
se Option aber ebenfalls bedeutungslos.

Pitch-Regelung Aufgrund der diskutierten Nachteile der Stall-Regelung wird insbeson-


dere bei Windkraftanlagen der Multi-Megawatt-Klasse der Blattwinkel (Anstellwinkel =
Pitch) zur Regelung der dem Wind entnommenen Leistung verändert. Hierbei werden
durch eine Verdrehung der Rotorblätter die Anströmverhältnisse und damit wiederum
die aus den strömenden Luftmassen wirkenden Kräfte auf die Rotorblätter gerade so be-
einflusst, dass die Leistungsaufnahme des Rotors aus dem Wind bei Geschwindigkeiten
oberhalb der Nenn- und unterhalb der Abschaltwindgeschwindigkeit weitgehend konstant
ist (Abb. 6.14).
Mit 0ı Einstellwinkel wird im Regelfall die Winkelstellung des Blattes bezeichnet, bei
der die Profilsehne bei 70 % Blattradius in die Rotorebene fällt. Der Verstellbereich um-
fasst meist eine Spanne von 90 bis 100ı , um vom Betriebswinkel (nahe 0ı ) die sogenannte
Fahnenposition zu erreichen, in der das Blatt wie eine Fahne mit dem Wind ausgerichtet
ist und keine oder nur eine sehr kleine Drehzahl des Rotors erzeugt.
Innerhalb des normalen Betriebsbereichs einer Windkraftanlage liegt damit bei der
Pitch-Regelung die Luftströmung immer an der Blattoberfläche an; ein Strömungsabriss
und damit die Ausbildung eines Stalls wird damit hier vollständig vermieden. Dies gilt
aber nur dann, wenn der Blattwinkel zur Leistungsbegrenzung zu kleineren Anstellwin-
keln hin verändert wird.
Eine Einstellung des Blattwinkels in Anfahrposition (beispielsweise 45ı ) wird bei
Schwachwind als Anfahrhilfe genutzt, um den Rotor in Rotation zu versetzten. Mit zuneh-
mender Drehzahl werden die Rotorblätter kontinuierlich zum optimalen Betriebswinkel
hin verstellt, damit trotz Zunahme der Umfangsgeschwindigkeit ein positiver, auftriebs-
erzeugender Anstellwinkel erhalten bleibt. Mit Erreichen des optimalen Betriebswinkels
und der minimalen Drehzahl vom 0,4- bis 0,5-fachen der Nenndrehzahl wird normaler-
weise bis zum Erreichen der Nennleistung keine Blattverstellung mehr vorgenommen.
6 Stromerzeugung aus Windenergie 481

Vielmehr wird die Rotordrehzahl vom Regelsystem so eingestellt, dass sich eine maxima-
le Leistung an der Rotorwelle ergibt. Mit Erreichen von Nenndrehzahl und Nennleistung
wird – bei weiter zunehmender Windgeschwindigkeit – die Leistung begrenzt durch ein
kontinuierliches Verdrehen der Rotorblätter in Richtung Fahnenstellung. Damit wird dem
Wind gerade so viel Energie entnommen, damit die installierte Generatornennleistung
genau eingehalten wird (Abb. 6.14).

6.2 Systemtechnische Beschreibung

Burcu Özdirk, Britta Reimers, Martin Kaltschmitt und Detlef Schulz

Aufbauend auf den in Kapitel 6.1 diskutierten physikalischen Zusammenhängen der


Windenergienutzung werden nachfolgend die technischen Grundlagen einer Stromerzeu-
gung aus Windenergie dargestellt. Dabei wird vom derzeitigen Stand der Technik einer
On- und Offshore-Windenergienutzung ausgegangen.
Die unterschiedlichen Windenergieanlagenkonzepte, die am Markt angeboten wurden
bzw. werden, können dabei nach verschiedenen Klassifikationsmerkmalen unterteilt wer-
den [6.8]:

 aerodynamische Funktionsweise (d. h. Auftriebs- und Widerstandsprinzip),


 Stellung der Rotorachse (d. h. horizontal, vertikal),
 Anzahl der Rotorblätter (d. h. Ein-, Zwei-, Drei- oder Mehrblattrotoren),
 Schnellläufigkeit (d. h. Langsam- oder Schnellläufer),
 Orientierung des Rotors zum Turm (d. h. Luv- oder Lee-Läufer).

Oft kann es auch sinnvoll sein, die Anlagen anhand mehrerer Kriterien weitergehend zu
spezifizieren. Abb. 6.15 zeigt exemplarisch eine Einteilung unterschiedlicher Windrotoren-
bzw. Windkraftanlagenkonzepte nach der Schnelllaufzahl  (d. h. das Verhältnis der Blatt-
spitzengeschwindigkeit des Rotors zur Geschwindigkeit des anströmenden Windes) und

Abb. 6.15 Klassifizierung Horizontalachsen- Vertikalachsen-


von Windkraftanlagen (Nä- konzept konzept
herungs- bzw. Mittelwerte;
 Schnelllaufzahl, z Anzahl λ=1 Westernrotor zum λ≈5 WKA mit Darrieus-Rotor
z = 32 Wasserpumpen z=2 zur Stromerzeugung
der Rotorflügel, WKA Wind-
kraftanlage; zur Erklärung der λ≈3 Historische Windmühle λ≈2 WKA mit Giromill-Rotor
z=4 zum Kornmahlen z=4 zur Stromerzeugung
Formelzeichen siehe Kapi-
tel 6.1) λ≈7 WKA mit Dreiblatt-Rotor
z=3 zur Stromerzeugung
λ ≈ 10 WKA mit Zweiblatt-Rotor
z=2 zur Stromerzeugung
λ ≈ 15 WKA mit Einblatt-Rotor
z=1 zur Stromerzeugung
482 M. Kaltschmitt et al.

der Anzahl der Rotorblätter z, die primär nach dem Auftriebsprinzip konzipiert sind. Deut-
lich wird, dass in der Vergangenheit eine Vielzahl unterschiedlicher Rotor- und ausgehend
davon auch Windkraftanlagenkonzepte entwickelt wurden, die sich anhand der genannten
Kriterien z. T. deutlich unterscheiden. Davon hat sich im Bereich des Wasserpumpens der
sogenannte Westernrotor und für Anlagen zur Stromerzeugung der Dreiblattrotor weltweit
weitgehend durchgesetzt; alle anderen Rotorkonzepte sind aus Sicht der globalen Märkte –
wenn überhaupt – nur durch ein Nischendasein gekennzeichnet.
Derzeit wird der globale Windenergieanlagenmarkt durch Systeme zur Stromerzeu-
gung dominiert. Diese Anlagen werden nahezu ausschließlich in Horizontalachsenbau-
weise realisiert und sind typischerweise mit einem Dreiblattrotor ausgestattet; dieses An-
lagenkonzept hat sich in den letzten Jahren weltweit durchgesetzt und ist heute marktbe-
stimmend. Nichtsdestotrotz unterscheiden sich die verschiedenen marktgängigen Wind-
kraftanlagen erheblich. Nachfolgend wird aufgrund der derzeitigen Marktgegebenheiten
nur auf derartige Horizontalachsenmaschinen mit Dreiblattrotoren eingegangen und diese
anhand des heutigen Standes der Technik dargestellt.

6.2.1 Systemelemente

Den grundsätzlichen Systemaufbau der derzeit marktdominierenden Horizontalachsen-


anlagen mit Dreiblattrotor zur netzgekoppelten Stromerzeugung zeigt Abb. 6.16. Eine
derartige Windkraftanlage besteht demnach aus den Rotorblättern, der Rotornabe, ggf.
einem Getriebe, dem Generator, dem Turm, dem Fundament und dem Netzanschluss. Je
nach Windkraftanlagentyp können weitere Komponenten hinzukommen oder ggf. wegge-
lassen werden.
Abb. 6.16 zeigt auch den Unterschied zwischen Anlagen mit und ohne Getriebe; erstere
transformieren die Drehbewegung des Rotors über ein Drehzahlwandler (d. h. ein me-
chanisches Getriebe) auf eine höhere Drehzahl; dadurch können u. a. standardisierte und
damit kostengünstige Generatoren eingesetzt werden. Im Unterschied dazu kommen bei
den getriebelosen Anlagen Generatoren zum Einsatz, die speziell für den Anwendungsfall
„Windkraftanlage“ konzipiert, ausgelegt und hergestellt werden und die direkt (d. h. ohne
eine Drehzahlanpassung) vom Rotor mit der (infolge schwankender Windgeschwindig-
keiten variablen) Rotordrehzahl betrieben werden können.
In der Vergangenheit wurden Windkraftanlagen zur Stromerzeugung weltweit nahezu
ausschließlich auf dem Festland errichtet. Diese Tatsache hat sich insbesondere in Europa
im vergangenen Jahrzehnt deutlich gewandelt, da hier Standorte an Land (d. h. Onshore)
knapp (und damit vergleichsweise teuer) werden und die mittleren Windgeschwindig-
keiten bei einer Aufstellung auf See (d. h. Offshore) i. Allg. deutlich höher als an Land
sind (d. h. eine Offshore installierte Anlage ist durch merklich höhere Volllaststunden ge-
kennzeichnet). Im Vergleich zu einer Aufstellung an Land bedingen die herausfordernden
Umweltbedingungen auf See aber entsprechende Modifikationen an der Anlagentech-
nik; so ist u. a. ein merklich erhöhter anlagentechnischer Aufwand notwendig, damit die
6 Stromerzeugung aus Windenergie 483

Rotorbremse
Statortragring Elektrische Schaltanlagen
Ständerpaket Rotornabe mit und Regelungssystem
Blattverstell- Polschuhe Blattverstell- Getriebe
antrieb Rotortragring
mechanismus
Rotorbremse Windmesser

Windmesser
Elektrische Schaltanlagen
Generator
Rotorlagerung und Regelungssystem
Gondel-Lagerung Rotorlager Gondel-Lagerung
Gondel-
Verstellantrieb

Rotorblatt Rotorblatt
Turm Turm

Netzanschluß Netzanschluß
Fundament Fundament

Abb. 6.16 Schema marktgängiger Horizontalachsenanlagen mit (rechts) und ohne Getriebe (links)
(aus Gründen der besseren Übersichtlichkeit sind jeweils nur zwei Rotorblätter pro Rotor dargestellt,
obwohl heute nahezu ausschließlich Dreiblattrotoren eingesetzt werden; nach [6.1])

Windkraftanlagen auch bei den ungünstigen Randbedingungen auf See zuverlässig und
betriebssicher arbeiten. Deshalb wird bei den folgenden Ausführungen jeweils auf die Un-
terschiede in der Anlagentechnik – soweit sie vorhanden sind – zwischen einem Einsatz
an Land (Onshore) und auf See (Offshore) hingewiesen.

6.2.1.1 Rotorsystem
Unter der Bezeichnung „Rotorsystem“ werden hier alle drehenden Komponenten, die sich
vor dem eigentlichen Maschinenhaus befinden, zusammengefasst. Hierzu zählen die Ro-
tornabe, die daran befestigten Rotorblätter und der Blattverstellmechanismus (Abb. 6.16).
Das Rotorsystem steht am Anfang der Wirkungskette einer Windenergieanlage und wan-
delt die im Wind enthaltene kinetische Energie in eine rotatorische Drehbewegung um
(physikalische Grundlagen: siehe Kapitel 6.1).
Dazu wird – nach dem Auftriebsprinzip (Kapitel 6.1) – mit Hilfe der Rotorblätter den
bewegten Luftmassen ein Teil der Bewegungs- bzw. kinetischen Energie entzogen. Dies
wird mit einem Wirkungsgrad bezogen auf die kinetische Energie der freien Luftströmung
auf die Rotorfläche (Gleichung (6.8)) von maximal 0,593 bzw. 59,3 % realisiert; im Re-
484 M. Kaltschmitt et al.

gelfall liegt der sogenannte aerodynamische Wirkungsgrad im optimalen Betriebspunkt


bei den heute üblichen Rotoren jedoch nur zwischen 42 und maximal 52 %.
Nachfolgend wird zunächst auf konzeptionelle Aspekte von Rotorsystemen eingegan-
gen. Danach werden die einzelnen Komponenten, aus denen derartige Rotorsysteme zu-
sammengesetzt sind, diskutiert (u. a. Rotorblatt, Rotornabe), bevor Aspekte der Steuerung
und Regelung dargestellt werden.

Rotorkonzepte Der Rotor einer Windkraftanlage besteht aus den eigentlichen Rotorblät-
tern (in unterschiedlicher Anzahl, meist drei Stück) und der Rotornabe. Für jede mögliche
Rotorkonfiguration gibt es für jede Windgeschwindigkeit eine optimale Drehzahl, bei der
die Leistung des jeweiligen Rotors maximal wird; bei größeren und kleineren Rotor-
drehzahlen nimmt die dem Wind bei der entsprechenden Luftströmungsgeschwindigkeit
jeweils entnommene Leistung – und damit auch der Leistungsbeiwert – des jeweiligen
Rotors entsprechend ab.
Wird beispielsweise der Leistungsbeiwert über der Schnelllaufzahl (d. h. das Verhält-
nis der Blattspitzengeschwindigkeit des Rotors zur Geschwindigkeit des anströmenden
Windes; Gleichung (6.22)) aufgetragen, ergibt sich für jeden Rotor ein charakteristischer
Kurvenverlauf (vgl. Abb. 6.47). Das Maximum dieser Wirkungsgradkurve liegt in etwa bei
der Nennleistung. Bei einer schrittweisen Erhöhung der Blattzahl von Auftriebsläufern er-
höht sich damit auch das Maximum der Leistungsbeiwertkurve; dabei ist die Differenz des
maximalen Leistungsbeiwerts zwischen einem Dreiflügler und einem Zweiflügler weitaus
geringer als die Differenz des Leistungsbeiwerts zwischen einem Zwei- und einem Ein-
flügler.
Da die Schwingungsdynamik von Zwei- und insbesondere Einblattrotoren aufgrund
der ungünstigen Massenverteilung technisch herausfordernd bzw. zur sicheren techni-
schen Beherrschung mit einem entsprechend großen Aufwand verbunden ist, haben sich
die relativ langsam drehenden Dreiblattrotoren mit gelenkloser (starrer) Nabe als wirt-
schaftlich-technisches Optimum auf dem Markt durchgesetzt. Rotoren mit mehr als drei
Blättern werden aufgrund des mit steigender Blattanzahl proportional zunehmenden Ma-
terialeinsatzes – und damit steigender Materialkosten – zur netzgekoppelten Stromerzeu-
gung praktisch nicht eingesetzt.
Im Folgenden werden kurz die zwei Rotorkonzepte, wie sie in modernen Windkraftan-
lagen zur Stromerzeugung eingesetzt werden können, beschrieben.

Dreiblattrotoren Dreiblattrotoren haben die geringste Blattanzahl, die noch dynamisch


relativ einfach beherrschbar ist. Aufgrund der günstigen Massenverteilung (dies ist z. B.
beim Blattdurchgang vor dem Turm wichtig) resultieren daraus deutlich geringere schwin-
gungsdynamische Probleme als beispielsweise beim Zweiblattrotor. Außerdem liegen,
bedingt durch Schnelllaufzahlen zwischen 6 und 10, die Geschwindigkeiten an den Blatt-
spitzen nicht sehr hoch. Dadurch wird eine übermäßige Geräuschentwicklung vermieden;
dies wiederum verbessert die Akzeptanz bei der lokalen Bevölkerung. Auch sinkt mit
wachsendem Rotordurchmesser – und damit steigender Anlagengröße – die Nenndrehzahl
6 Stromerzeugung aus Windenergie 485

weiter ab, da zum Erzielen des optimalen Leistungsbeiwerts die Blattspitzengeschwin-


digkeit bei Nenndrehzahl möglichst konstant bleiben soll. Dieser Effekt trägt zusätzlich
i. Allg. zu einer erhöhten Akzeptanz bei, da für den Betrachter ein wesentlich ruhigeres
Laufbild der Windkraftanlage entsteht. Bei nahezu 100 % der derzeit global vorhandenen
Windkraftanlagen handelt es sich deshalb um Anlagen mit Dreiblattrotoren. Die gegen-
wärtige Marktentwicklung zeigt, dass sich daran in absehbarer Zukunft nichts ändern
wird.

Zweiblattrotoren Beim Zweiblattrotor kommt es im Vergleich zum Dreiblattrotor auf-


grund der ungünstigeren Massenverteilung an der Rotorblattaufhängung zusätzlich zu
Dreh- und Beugebewegungen, die u. U. auf die gesamte Anlage übertragen werden; dies
ist i. Allg. mit erhöhten dynamischen Belastungen des Rotors und damit letztlich auch der
gesamten Windkraftanlage verbunden. Zwar lassen sich derartige Einflüsse durch die Ver-
wendung von Pendelnaben und einer effektiven Anlagensteuerung reduzieren; dies wiede-
rum ist aber mit einem höheren konstruktiven Aufwand (d. h. höheren Kosten) verbunden.
Außerdem zeigen Zweiblattrotoren im Vergleich zu Dreiblattrotoren höhere Schnelllauf-
zahlen von 8 bis 14. Damit liegen die Blattspitzengeschwindigkeiten i. Allg. über denen
von Dreiblattrotoren; d. h. derartige Rotoren sind im Vergleich zu den Dreiblattrotoren ten-
denziell geräuschintensiver. Aufgrund der genannten systemimmanenten Nachteile spie-
len Zweiblattrotoren bezogen auf das global verfügbare Anlagenspektrum an netzgekop-
pelten Windkraftanlagen zur Stromerzeugung eine zu vernachlässigende Rolle.

Rotorblätter Um den Beanspruchungen durch die strömenden Luftmassen auch bei


Sturm sicher standhalten zu können und das Gesamtgewicht der Struktur zu begrenzen
bzw. zu minimieren, werden die für den Bau der Rotorblätter ausgewählten Materialien
anhand von Werkstoffkenngrößen wie Dauerfestigkeit, spezifisches Gewicht, zulässige
Bruchspannung, Elastizitätsmodul und Bruchfestigkeit ausgewählt. Daher haben sich,
auch bedingt durch die erhebliche Leistungssteigerung der Windkraftanlagen, Faser-
verbundwerkstoffe, wie Glasfaser-verstärkter Kunststoff (GFK) oder Kohlenstofffaser-
bzw. Carbonfaser-verstärkter Kunststoff (CFK), gegenüber den anfänglich verwendeten
Materialien wie u. a. Stahl, Aluminium oder auch Holz weitgehend durchgesetzt.
Derartige Faserverbundwerkstoffe zeichnen sich durch eine hohe mechanische Fes-
tigkeit bei gleichzeitig geringem Gewicht aus. Aufgrund des hohen Materialbedarfs bei
Rotorblattlängen von mehr als 90 m für die derzeit am Markt erhältlichen Multi-Mega-
watt-Anlagen kommen – auch aus Kostengründen – bisher überwiegend Glasfaser-ver-
stärkte Verbundwerkstoffe zum Einsatz. Das teurere Kohlenstofffaser-verstärkte Material
wird aus Kostengründen meist nur zur Verstärkung an besonders belasteten Stellen ge-
nutzt.
Abb. 6.17 zeigt exemplarisch den Schnitt durch ein Rotorblatt. Demnach besteht es
üblicherweise aus einer Ober- und einer Unterschale, die aus Glasfaser-verstärktem Ver-
bundmaterial in Sandwichbauweise gefertigt werden. Um die notwendige Stabilität sicher
zu gewährleisten, werden zusätzlich Gurte und Versteifungsholme aus Glasfaser- oder
Kohlenstofffaser-verstärktem Material integriert.
486 M. Kaltschmitt et al.

Gurtlaminat (CFK)
Vorderkante Oberschale (GFK)

Kleber

Hinterkante
Steg (GFK) Unterschale (GFK)

Rotorblattspitze

Unterdruckseite
Anströmkante

größte
Blatttiefe
Profilhinterkante

Übergangszone

Rotorblattwurzel

Abb. 6.17 Exemplarischer Aufbau eines Rotorblatts in Glas-Kohlenstofffaser-Gemischtbauweise


(unten) und Schnitt durch das Rotorblatt (oben) (GFK Glasfaser-verstärkter Kunststoff (Verbund-
werkstoff), CFK Kohlenstofffaser-verstärkter Kunststoff (Verbundwerkstoff); nach [6.1, 6.8])

Für die Herstellung der Schalenlaminate werden aktuell die nachfolgend diskutierten
zwei Verfahren eingesetzt.

 Bei dem Prepreg-Verfahren werden vorgetränkte Fasermatten in eine entsprechende


Form gelegt und unter Wärmezufuhr ausgehärtet. Dadurch ist eine hohe Laminatqua-
lität erreichbar und Mischgelege aus Glas- und Kohlenstofffasern sind möglich. Von
Nachteil ist die zeitlich aufwändige und damit kostenintensive Wärmeaushärtung der
Laminate.
 Bei dem Vakuum-Infusionsverfahren wird die Blattform zunächst mit einem Gelcoat
(Hartlack) versiegelt. Darauf werden dann die Fasermatten beispielsweise aus dem
Glasfasermaterial und die ggf. benötigten weiteren Einlagen platziert. Sie werden da-
nach mit einer Folie abgedichtet. Anschließend wird der Aufbau evakuiert und ver-
dichtet. Gleichzeitig wird durch den Unterdruck das Harz, das die Matrix des Faser-
verbundmaterials darstellt, in das Gelege eingesogen. Die nachfolgende Aushärtung
des Verbundharzes erfolgt bei Raumtemperatur. Dieses relativ aufwändigere Verfahren
ermöglicht ein relativ geringes Gewicht der Flügel bei einer hohen Fertigungsquali-
6 Stromerzeugung aus Windenergie 487

tät, ohne dass Lufteinschlüsse zu einer Festigkeitsminderung des Rotorblattes führen


(u. a. [6.8, 6.9]).

Um die Oberfläche der Rotorblätter gegen Abrieb, ultraviolette Strahlung, Feuchtigkeit


und vor Spannungsrissen zu schützen, wird sie mit einer dünnen Gelschicht überzogen
(coating). Dadurch wird auch der Luftwiderstand reduziert und die Reflexion der auftref-
fenden direkten Solarstrahlung minimiert, um den Diskoeffekt (Kapitel 6.3) soweit wie
möglich zu vermeiden (u. a. [6.4, 6.8, 6.10]).
Ausschlaggebend für die Rotorblattfestigkeit sind nicht nur die verwendeten Materiali-
en, sondern auch Form und Dicke des Rotorblattprofils. Während die Aerodynamik dünne
Rotorblätter fordert, um die mechanische Leistungsaufnahme aus dem Wind zu maximie-
ren, werden aus Fertigungssicht größere Querschnitte angestrebt, um die entsprechenden
Festigkeits- und Steifigkeitsanforderungen mit kostengünstigen Materialien sicher zu er-
füllen. Daher muss ein Kompromiss aus einem größeren Querschnitt an der Blattwurzel
und einer bestmöglichen Gestaltung der Blattspitze gefunden werden, der den Forderun-
gen der Aerodynamik und der Festigkeit gleichermaßen weitgehend Rechnung trägt.
Eine kennzeichnende Größe des Rotorblattes einer Windenergieanlage stellt die Ver-
windung dar. Dadurch soll eine optimale Anströmung im Verlauf der gesamten Blattlänge
und somit die maximal erreichbare Auftriebskraft des Rotorblattes erreicht werden. Die
Verwindung wird durch das Verhältnis der Umfangs- zur Windgeschwindigkeit meist für
den Nennbetriebspunkt festgelegt. Dabei wird ein nicht optimaler Windungsverlauf bei
Windgeschwindigkeiten außerhalb des Nennbetriebspunktes in Kauf genommen. Durch
die Leistungsabregelung moderner Windenergieanlagen bei hohen Windgeschwindigkei-
ten mittels Blattwinkelverstellung können diese Bereiche aber minimiert werden. Zudem
werden die heutigen Rotorblätter mit einer Vorbiegung von etwa 3 m gefertigt, um bei den
derzeit erreichten Blattlängen und -konstruktionsarten einen kollisionsfreien Turmdurch-
gang im Betrieb auch bei entsprechend hohen Windgeschwindigkeiten sicher zu stellen.
Im Bereich der Rotorblattspitze ist die Luftströmung durch Verwirbelung, Strömungs-
abriss, aerodynamische Verluste sowie Schallemissionen charakterisiert. Deshalb muss
die äußere Blattspitze (z. B. Randbogenform) so ausgeführt werden, dass die Strömung
möglichst laminar (bzw. turbulenzarm) bleibt (d. h. Verlustminimierung). Dadurch soll
es zu Wirkungsgradverbesserungen und zu Reduktionen der aerodynamischen Geräusch-
emissionen kommen. Ein derartiger Ansatz zur Formoptimierung der Rotorblattspitze sind
die sogenannten Winglets (Fachbezeichnung Tips – d. h. abgeknickte Rotorblattspitzen),
die heute auch bei Flugzeugtragflügeln eingesetzt werden [6.8]. Insgesamt hat sich aber
die „klassische“ zugespitzte Blattform weitgehend am Markt durchgesetzt, da die disku-
tierten Modifikationen an der Rotorblattspitze keine wesentlichen Auswirkungen auf die
aerodynamischen Verluste haben. Somit wird die Reduktion von Geräuschemissionen, für
die die zugespitzte Blattform sehr gute Ergebnisse aufweist, zum ausschlaggebenden Kri-
terium [6.11].
Häufig kommen zur weiteren Minimierung der Schallemissionen gerade bei weiterhin
wachsenden Rotordurchmessern zudem Zackenprofile an der Hinterkante des Rotorblattes
488 M. Kaltschmitt et al.

zum Einsatz. Auch können weitere Blattanbauteile eingesetzt werden, um die Aerodyna-
mik der eher fertigungsoptimierten Bereiche zu verbessern und damit den Energieertrag
insgesamt zu erhöhen. Auf der Saugseite des Rotorblattes werden beispielsweise kleine,
meist dreieckige Elemente (sogenannte Vortex-Generatoren oder Spoiler) geklebt, um die
Strömungsablösung bei steigender Anströmgeschwindigkeit zu verzögern bzw. teilweise
ganz zu verhindern und damit den Auftrieb im Bereich der Nennwindgeschwindigkeit zu
erhöhen. Auf der Druckseite hingegen werden Abrisskanten angeklebt, um einen geziel-
teren Strömungsabriss herbeizuführen.

Rotornabe Die Verbindung der Rotorblätter mit der Rotorwelle, und demzufolge dem
Triebstrang (Abb. 6.16), erfolgt über die Rotornabe; Abb. 6.18 zeigt exemplarisch ei-
ne starre Rotornabe, wie sie bei den heute üblichen Dreiblattrotoren eingesetzt wird.
Sie überträgt die Energie aus den Rotorblättern über einen angeschraubten Flansch an
die Rotorwelle, auf der sie montiert wird. Bei den heute üblichen Anlagen mit akti-
ver Blattverstellung sind zusätzlich die für die Rotorblattverstellung (Pitch-Regelung)
notwendigen Verstellkomponenten – wie elektrische Stellmotoren oder hydraulische Stell-
zylinder – sowie die dann zwischen der Narbe und dem jeweiligen Rotorblatt benötigten
Wälzlager in der Nabe verbaut.
Die Rotornabe ist somit das Bauteil, das den gesamten im Rotor auftretenden Kräften
und Momenten nahezu punktförmig standhalten muss. Deshalb wird speziell hier eine sehr
hohe Ermüdungsfestigkeit des Materials gefordert. Daher wird die Rotornabe vorrangig
konstruktiv aus Stahlguss hergestellt; in der Vergangenheit wurden aber auch geschweißte
Stahlblechkonstruktionen sowie geschmiedete Naben verbaut [6.8].
Grundsätzlich kann die Rotornabe als eine starre oder gelenklose Nabe, als eine Schlag-
und / oder Schwenkgelenknabe oder als eine Pendelnabe ausgeführt werden.

 Starre Naben werden beim Dreiblatt- und z. T. auch beim Zweiblattrotor verwendet. Sie
sind vergleichsweise einfach herzustellen, sehr robust und deshalb wenig störanfällig.

Abb. 6.18 Beispiel für eine


starre Rotornabe eines Drei-
blattrotors (nach [6.1])
6 Stromerzeugung aus Windenergie 489

Daher konnte sie sich bei den heute marktgängigen Pitch-geregelten Anlagen global
durchsetzen. Hinzu kommt, dass der Blattverstellmechanismus (d. h. die Pitch-Rege-
lung) eine Entlastung der Rotorblätter durch das Herausdrehen der Blätter aus dem
Wind ermöglicht und damit die Übertragung der i. Allg. hohen Biegewechsellasten auf
die Nabe und weitere Komponenten des Triebstrangs über die Rotorwelle verhindert.
 Bei der Schlag- oder Schwenkgelenknabenkonstruktion werden die Rotorblätter ein-
zeln mit Hilfe von Schlaggelenken an der Nabe befestigt. Dadurch sind sie relativ
unabhängig voneinander und in ihrer Einspannung in Schlagrichtung frei von Biege-
momenten. Derartige Nabenkonstruktionen finden aufgrund des hohen konstruktiven
Aufwands und des schwer beherrschbaren dynamischen Verhaltens bei marktgängigen
Dreiblattrotoren kaum noch Anwendung.
 Bei der Pendelnabe handelt es sich um eine halbstarre Nabenkonstruktion, die speziell
bei Zweiblattrotoren eingesetzt wird. Hier werden die Rotorblätter pendelnd (karda-
nisch) aufgehängt. Sie können sich somit innerhalb einer bestimmten Bandbreite um
die (starre) Rotorwelle bewegen; dadurch werden asymmetrische Rotorlasten stark re-
duziert. Aber auch diese Nabenkonstruktion hat heute praktisch keine Marktbedeutung
mehr.

Rotorregelung Rotoren von Windkraftanlagen benötigen zwingend Regel- und Steuer-


einrichtungen, mit denen die dem Wind entnommene Leistung bei Windgeschwindigkei-
ten oberhalb der Nennwindgeschwindigkeit begrenzt werden kann. Dies ist einerseits zur
Vermeidung einer mechanischen Zerstörung des Rotors – infolge der bei hohen Wind-
geschwindigkeiten wirkenden z. T. erheblichen mechanischen Kräfte – und andererseits
aufgrund der leistungsmäßigen (thermischen) Beschränkung des Generators (d. h. der in-
stallierten elektrischen Nennleistung) zwingend notwendig.
Bei Windkraftanlagen kann zwischen einer Leistungs- und einer Drehzahlregelung un-
terschieden werden [6.8].

 Muss bei einer direkten Netzkopplung an ein frequenzstarres Netz die Drehzahl kon-
stant oder nahezu konstant gehalten werden, ist die dem Wind durch den Rotor entnom-
mene Leistung entsprechend zu regeln bzw. bei hohen Luftströmungsgeschwindigkei-
ten auf die Generatornennleistung zu begrenzen; d. h. sie darf die installierte Leistung
des Generators nicht übersteigen, da dieser sonst thermisch überlastet und damit letzt-
lich zerstört werden würde.
 Ist demgegenüber bei einer indirekten Netzkopplung (d. h. Netzkopplung beispiels-
weise über einen Umrichter) die Rotordrehzahl innerhalb gewisser Grenzen variabel
(Tabelle 6.2), muss das Überschreiten einer maximalen Drehzahl vermieden werden,
um einer mechanischen Zerstörung des Rotors bzw. anderer bewegter Teile vorzubeu-
gen. Zudem muss die Leistung überwacht werden.

Die Leistungsaufnahme des Rotors einer Windkraftanlage kann über die Veränderung
des aerodynamischen Anstellwinkels ˛ (Kapitel 6.1) geregelt und somit begrenzt werden.
490 M. Kaltschmitt et al.

Beides ist durch eine Stall- bzw. eine Pitch-Regelung möglich (Kapitel 6.1). Die system-
technische Umsetzung dieser beiden Möglichkeiten wird nachfolgend kurz diskutiert; zu
beachten ist dabei, das eine Stall-Regelung aus den in Kapitel 6.1 diskutierten Gründen
bei den heute marktgängigen Windkraftanlagen nicht mehr realisiert wird.

Stall-Regelung Die Leistungsaufnahme aus dem Wind kann durch den sogenannten
„Stall-Effekt“ (d. h. bewusste Strömungsablösung an der Blattoberfläche) begrenzt wer-
den (Kapitel 6.1). Voraussetzung dafür ist, dass der Windkraftanlagenrotor unabhängig
von der Windgeschwindigkeit mit konstanter Drehzahl betrieben wird. Dadurch verändern
sich bei wechselnden Windgeschwindigkeiten die Anströmverhältnisse an den einzelnen
Blättern des konstant drehenden Rotors derart, dass die Luftströmung ab bestimmten
(hohen) Windgeschwindigkeiten abreißt und die laminare in eine turbulente Strömung
übergeht; d. h. der Rotor bremst sich infolge der durch einen derartigen Strömungsabriss
entstehende Wirbel (Turbulenzen) „selbst“. Die Folge sind entsprechend (hohe) mecha-
nische Belastungen für den Rotor; deshalb muss er entsprechend stark dimensioniert
werden.
Infolge des – wegen der dynamischen Windverhältnisse, der variierenden Lufttempe-
ratur und der schwankenden Luftfeuchtigkeit, einer möglichen Rotorblattverschmutzung,
den unterschiedlichen Einstellwinkeln bei der Montage und einer Vielzahl an weiteren
Einflussgrößen – nicht vollständig determinierbaren Auftretens des Stall-Effekts kann da-
durch die Leistungsbegrenzung des Generators nur innerhalb eines bestimmten Bereichs
eingehalten werden. Daraus ergibt sich der charakteristische und in Abb. 6.19 (links) dar-
gestellte Verlauf der Leistungskennlinie einer Stall-geregelten Windkraftanlage.
Um Stall-geregelte Windenergieanlagen sicher gegen eine Überdrehzahl zu schützen,
werden neben dem in dem Rotordesign integrierten Auslösen des Stall-Effekts zusätzlich
entsprechende aerodynamische Bremsmechanismen (sogenannte Tip-Bremsen) meist in
die Rotorblattspitzen integriert, die bei zu hohen Rotordrehzahlen durch einen Fliehkraft-
mechanismus ausgelöst werden und einer mechanischen Zerstörung des Rotors vorbeugen
sollen.

Abb. 6.19 Schematischer Ver- Stall-Regelung Pitch-Regelung


120 120
lauf der Leistungskennlinie
einer Stall- (links) und einer 100 100
elektrische Leistung in %

Pitch-geregelten Windkraftan-
lage (rechts) (100 % Leistung 80 80
entspricht der installierten
60 60
Generatornennleistung der
Windkraftanlage; nach [6.1]) 40 40

20 20

0 5 10 15 20 25 0 5 10 15 20 25
Windgeschwindigkeit in m/s Windgeschwindigkeit in m/s
6 Stromerzeugung aus Windenergie 491

Mit zunehmender installierter Anlagenleistung (d. h. Multi-Megawatt-Anlagen) stei-


gen die Belastungen auf das Gesamtsystem und die Überdimensionierung wird relativ
gesehen immer aufwändiger und damit teurer. Deshalb und zur Reduzierung der Leis-
tungsschwankungen wurde die Aktiv-Stall-Regelung entwickelt. Hier werden die Rotor-
blätter mittels einer Blattwinkelverstellung um die Längsachse kontrolliert in den Stall
gefahren (d. h. Verstellung der Blattwinkel ˇ in Richtung kleinerer Anstellwinkel). Der
(potenzielle) Kostenvorteil der Stall- gegenüber der Pitch-Regelung (d. h. sämtliche Kom-
ponenten der Rotorblattverstellung entfallen) wird bei einer derartigen technischen Lö-
sung jedoch weitgehend zunichte gemacht. Diese Art der kombinierten Leistungsregelung
(Aktiv-Stall-Regelung) findet deshalb in den kommerziell angebotenen Windenergieanla-
gen heute weitegehend keine Anwendung mehr.
Insgesamt hat infolge der geschilderten Nachteile (u. a. sehr robuste Rotorblätter, z. T.
nicht deterministisches Verhalten bei bestimmten Windgeschwindigkeitsbereichen) und
der zunehmenden Verbreitung des Gleichstromzwischenkreises (und damit der Option
eines Drehzahl-variablen Rotorbetriebs) die Stall-Regelung heute praktisch keine Markt-
bedeutung mehr.

Pitch-Regelung Aufgrund der diskutierten Nachteile der Stall-Regelung wird insbeson-


dere bei Windkraftanlagen der Multi-Megawatt-Klasse die Verstellung des Blattwinkels
(Anstellwinkel = Pitch) zur Regelung der dem Wind entnommenen Leistung heute nahe-
zu ausschließlich eingesetzt.
Bei der Pitch-Regelung wird durch die Blattverdrehung der Anstellwinkel des Rotor-
blatts in Bezug zur Anströmung der bewegten Luftmassen kontinuierlich so verändert,
dass die Leistungsaufnahme des Rotors bewusst gesteuert werden kann. Dadurch wird si-
chergestellt, dass die Luftströmung innerhalb des normalen Betriebsbereichs einer Wind-
kraftanlage immer am Blatt anliegt; ein Strömungsabriss und die Ausbildung eines Stalls
wird somit bei der Pitch-Regelung bei den allermeisten Betriebszuständen sicher vermie-
den.
Mit zunehmender Drehzahl wird der Blattwinkel kontinuierlich zum optimalen Be-
triebswinkel hin verstellt, damit trotz der Zunahme der Umfangsgeschwindigkeit des Ro-
tors ein positiver, auftriebserzeugender Anstellwinkel erhalten bleibt. Ist der optimale
Betriebswinkel erreicht, wird üblicherweise bis zur Nennleistung keine weitere Blattver-
stellung mehr vorgenommen. Bei weiter steigenden Windgeschwindigkeiten wird durch
ein kontinuierliches Verdrehen der Rotorblätter dem Wind gerade so viel Energie entnom-
men, dass die installierte Generatornennleistung gut eingehalten wird (Abb. 6.19).
Damit ist zusätzlich ein drehzahlvariabler Betrieb des Rotors möglich; d. h. der Ro-
tor wird durch eine Anpassung des Anströmwinkels mit veränderlicher Drehzahl – im
Idealfall – immer in dem optimalen Wirkungsgradbereich betrieben. Eine derartige Be-
triebsweise bedingt dann zwingend eine Stromerzeugungstechnologie mit Umrichter zur
Anpassung an die jeweils vom aufnehmenden Netz geforderten Netzfrequenz.
Zusätzlich hat die Blattwinkelverstellung beim Einsatz in Inselnetzen, wo nicht, wie im
netzgekoppelten Betrieb, eine Maximierung der Energieausbeute, sondern typischerwei-
492 M. Kaltschmitt et al.

se eine Deckung der jeweiligen Stromnachfrage im zu versorgenden Inselnetz angestrebt


wird, den Vorteil, dass die bereitgestellte Leistung aufgrund der Blattwinkelverstellung
entsprechend geregelt und damit an die aktuelle Nachfrage nach elektrischer Energie an-
gepasst werden kann (d. h. eine nachfrageorientierte Fahrweise derartiger Anlagen – und
damit letztlich auch eine Bereitstellung von Regelenergie – ist technisch grundsätzlich
möglich).
Unter bestimmten Bedingungen (z. B. aus nachfrage- oder netzseitigen Gründen bei-
spielsweise bei Inselnetzen mit einem hohen Anteil an Windkraftanlagenleistung) kann
die Notwendigkeit bestehen, dass die vom Generator ins Netz abgegebene Leistung unter
der gemäß der Leistungskennlinie bei der momentanen Windgeschwindigkeit möglichen
Leistung der Windkraftanlage liegen muss. Dann kann bei abnehmender Luftströmungs-
geschwindigkeit die Leistung durch Nachregeln der Rotorblätter in Grenzen konstant
gehalten werden. Damit ist vom Grundsatz her auch bei Windkraftanlagen eine Regel-
fähigkeit wie auch bei anderen „angedrosselten“ Kraftwerken gegeben.
Auch hat die Pitch- im Gegensatz zur Stall-Regelung den Vorteil, dass bei einem Über-
schreiten der Abschaltwindgeschwindigkeit die Anlage gezielt und damit relativ „sanft“
abgefahren werden kann (Übergang Phase III zu Phase IV; vgl. Abb. 6.48). Darüber hi-
naus werden neben den Auftriebskräften auch die axialen Kräfte reduziert, so dass Turm,
Rotor und Triebstrang geringeren Belastungen ausgesetzt sind. Gerade bei wachsenden
Anlagengrößen und dem steigenden Kostendruck ermöglicht die Pitch-Regelung in Kom-
bination mit einer schnellen und intelligenten Steuerung eine Reduzierung bestimmter
Lastfälle und damit eine schlankere Dimensionierung der Hauptkomponenten.
Pitch-geregelte Anlagen benötigen jedoch zwingend einen Blattverstellmechanismus,
der sich aus hydraulischen oder elektrischen Stellgliedern zusammensetzt. Dies wiederum
erhöht den Wartungsaufwand und führt u. a. zu einer höheren Störanfälligkeit der Anlage.
Aufgrund der aber letztlich deutlich überwiegenden Vorteile im Vergleich zur Stall-
Regelung wird diese Regelung üblicherweise in den heute marktgängigen Multi-Mega-
watt-Anlagen standardgemäß eingesetzt.

Blattverstellmechanismus Die Veränderung des Blattwinkels – und damit die Leis-


tungsregelung der Rotorblätter bzw. des Rotors bei Pitch-geregelten Anlagen – wird
technisch über den Blattverstellmechanismus realisiert. Diese Systemkomponente ist
zwischen der Rotornabe und dem jeweiligen Rotorblatt angebracht (Abb. 6.20). Dieser
Rotorblattverstellmechanismus ermöglicht ein Verdrehen der Rotorblätter um ihre Längs-
achse in Abhängigkeit der Windgeschwindigkeit und den konkreten anlagenspezifischen
Anforderungen. Damit dient dieser Verstellmechanismus außer zur Leistungsregelung
auch dazu, die Rotorblätter im Falle eines erzwungenen Stillstands des Rotors in die
Fahnenstellung (d. h. Stellung ohne Tangentialkraft) und damit aus dem Wind zu bringen.
Wesentliche Komponenten des Blattverstellmechanismus sind die Rotorblattlagerung,
der Blattverstellantrieb, die Energieversorgung und ggf. ein Notverstellsystem.
6 Stromerzeugung aus Windenergie 493

Zahnkranz

Rotorblatt-
antrieb
Rotorblatt

Abb. 6.20 Prinzip der Blattwinkelanpassung (Pitch-Steuerung)

Rotorblattlagerung Die Rotorblätter von Pitch-geregelten Anlagen sind i. Allg. an der


Blattwurzel – und damit an der Stelle, an der sie an die Nabe angeflanscht werden – dreh-
bar gelagert (Abb. 6.20). Dabei werden heute größtenteils Wälzlager verbaut, die nicht,
wie bei anderen typischen Lageranwendungen, hinsichtlich der Überrollungen, sondern
in Bezug auf die statischen und dynamischen Belastungen optimiert sind.

Blattverstellantrieb Die mechanische Energie zum Verstellen der Rotorblätter kann elek-
tro-mechanisch oder hydraulisch bereitgestellt werden. Bei hydraulischen Systemen wer-
den Stellzylinder in die Rotornabe montiert, die entweder direkt oder über entsprechende
Umlenkhebel ein Verdrehen der Rotorblätter ermöglichen.
Bei Multi-Megawatt-Anlagen kommen aufgrund der präziseren Regelungsmöglich-
keiten meist elektro-motorische Antriebe zum Einsatz, bei denen die Rotorblätter bei-
spielsweise über eine durch einen zentralen Elektromotor angetriebene Mechanik (z. B.
Zahnradgetriebe) verstellt werden (Abb. 6.20). Üblicherweise wird jedoch jedes Rotor-
blatt durch einen jeweils separaten Antrieb gedreht (Abb. 6.26). Die jeweiligen Antriebe
sind entweder in der eigentlichen Nabe oder auch außen an der Nabe montiert. Dadurch
kann jedes einzelne Blatt je nach den aktuellen Erfordernissen optimal auf den Wind aus-
gerichtet werden.

Energieversorgung Jede Windkraftanlage benötigt ein Energieversorgungssystem, um


u. a. die verschiedenen Nebenaggregate mit Energie zu versorgen, die Anlage anfahren zu
können und auch in Störungsfällen das sichere Abfahren der Windkraftanlage zu gewähr-
leisten. Beispielsweise sind dazu im Falle elektro-mechanischer Antriebe typischerweise
für jedes einzelne Rotorblatt Energiespeicher (d. h. Batterieeinheiten) und / oder Not-
stromaggregate in der Gondel und / oder in der Nabe vorhanden. Weitere Möglichkeiten
für hydro-mechanische Systeme bieten Hydraulikspeicher oder Federspeicher für aus-
schließlich mechanische Systeme. Bei Windkraftanlagen für den Offshore-Einsatz wird
494 M. Kaltschmitt et al.

eine deutlich stärker dimensionierte unterbrechungsfreie Notstromversorgung (USV) be-


nötigt, da aufgrund der beschränkten Zugänglichkeit die Befeuerung der Anlagen (d. h.
die optische Kennzeichnung der Anlagen durch entsprechende Leuchtfeuer) auch über
einen längeren Zeitraum sichergestellt sein muss.

Notverstellsystem Das Notverstellsystem hat die Aufgabe, bei einem „Netzabwurf“ (d. h.
störungsbedingte Trennung vom Netz) oder einer sonstigen Störung ein gefahrloses und
sicheres Herunterfahren der Anlage und ein Feststellen des Rotors zu gewährleisten. Dabei
werden beispielsweise die Rotorblätter in Fahnenstellung gedreht, wodurch das „Durch-
drehen“ des dann lastlosen Rotors vermieden wird und die Anlage weitestgehend zum
Stillstand kommt. Aufgrund der geforderten redundanten Auslegung von Sicherheitssys-
temen ist üblicherweise zusätzlich noch eine mechanische Bremse eingebaut.

Blitzschutzsystem Mit zunehmender Größe der Windkraftanlagen und damit auch der
Rotorblätter gewinnen Blitzschutzmaßnahmen immer mehr an Bedeutung, da sich die
nichtleitende Eigenschaft von Glasfaserverbundmaterial nur als ein ungenügender Schutz
gegen Blitzschlag erwiesen hat. Deshalb sind die heute verbauten Rotorblätter mit einem
Blitzschutzsystem ausgestattet, das aus mehreren Rezeptoren längs des Rotorblattes be-
steht, die über einen metallischen Draht („Blitzableiter“) zur Blattwurzel geführt werden,
um von dort aus mit dem Erdungssystem verbunden zu werden [6.8]. Bei der partiellen
Verwendung von Kohlenstofffaser-verstärkten Werkstoffen werden aufgrund der erhöhten
Leitfähigkeit des Materials im Bereich der Blattspitze zusätzlich zu den Rezeptoren auch
Gewebe aus Kupferdraht in die Rotorblätter mit eingearbeitet.

6.2.1.2 Triebstrang
Unter dem Begriff „Triebstrang“ werden die mechanischen Komponenten der Leistungs-
übertragung vom Rotor zum Generator zusammengefasst. Dazu zählen neben der Rotor-
welle und deren Lagerung das Getriebe, sofern vorhanden, die Kupplung, die Bremse und
schließlich der Generator (einschließlich der Generatorwelle). Dieser Triebstrang ist übli-
cherweise in einem Maschinenhaus untergebracht, das sich am oberen Ende eines Turms
befindet (Abb. 6.21).
Die räumliche Anordnung der einzelnen Komponenten innerhalb des Triebstrangs wird
von dem der jeweiligen Anlage zugrunde liegenden Designkonzept bestimmt. Angesichts
der Vielzahl von unterschiedlichen Parametern, welche die Wahl des Triebstrangkonzepts
beeinflussen, verfolgen unterschiedliche Hersteller verschiedene Konstruktionsphiloso-
phien [6.8]. Dies gilt auch im Hinblick auf eine Bauart mit Getriebe oder ein getriebeloses
Triebstrangkonzept sowie der Positionierung einzelner Komponenten im Maschinenhaus
oder im Turmfuß. Tabelle 6.1 zeigt eine Auswahl derzeit marktüblicher Triebstrangkon-
zepte. Deutlich wird beispielsweise, dass heute praktisch alle unterschiedlichen konzep-
tionellen Lösungen einen Umrichter in das jeweilige Anlagenkonzept integrieren.
Unabhängig davon kann bei den marktgängigen Anlagen – je nach Hersteller- bzw.
Konstruktionsphilosophie – zwischen einer integrierten und einer aufgelösten Bauform
6 Stromerzeugung aus Windenergie 495

Abb. 6.21 Exemplarischer Aufbau des Triebstrangs einer Multi-Megawatt-Anlage (u. a.


nach [6.12])

Tabelle 6.1 Derzeit marktübliche Triebstrangkonzepte (nach [6.8, 6.73])


Typ Getriebe Generator Umrichter Bauweise
Schnell 3-stufig doppeltgespeister Teilumrichter aufgelöst /
Asynchrongenerator teilintegriert /
Asynchrongenerator Vollumrichter integriert
mit Kurzschlussläufer
permanenterregter
Synchrongenerator
Mittel 1- oder 2-stufig permanenterregter Vollumrichter
Synchrongenerator
Langsam nicht vorhanden fremderregter Syn- Vollumrichter
chrongenerator
permanenterregter
Synchrongenerator

unterschieden werden. Zusätzlich kommen Mischformen vor (d. h. teilintegrierte Bau-


form) (Abb. 6.22).

 Integrierte Bauweise. Bei der integrierten Triebstrangbauform wird die Funktion von
Rotorwelle, Lager, Bremse und Kupplung als eine Komponente entweder innerhalb des
Getriebes oder bei getriebelosen Anlagen innerhalb der Rotor-Generator-Einheit zu-
496 M. Kaltschmitt et al.

Abb. 6.22 Ansätze zur Lage- Aufgelöste Bauweise


rung des Triebstrangs (oben: Rotorlager Sicherheitsbremse
aufgelöste Bauweise mit Planetengetriebe
Rotornabe Rotor-
doppelter Lagerung der Ro- welle Generatorwelle mit Kupplung
torwelle; Mitte: teilintegrierte Generator
Bauweise mit Dreipunkt-
lagerung (d. h. Rotorlager,
das den Hauptteil des Trieb- Maschinenträger
stranggewichts trägt, und zwei Windnachführung
seitliche Getriebeauflager);
unten: integrierte Bauweise Teilintegrierte Bauweise
mit Momentenlagerung am Hauptlager Sicherheitsbremse
Achszapfen) Hauptwelle Planetengetriebe
Rotornabe
Generatorwelle mit Kupplung

Generator

Maschinenträger
Getriebeauflager Windnachführung

Integrierte Bauweise
Stirnradgetriebe
Rotornabe Generator

Maschinenträger
Windnachführung

sammengefasst. Der Triebstrang ist hier sehr kurz ausgeführt und die Rotorwelle ist auf
dem Achszapfen gelagert (Einlager-Konzept). Diese Konstruktion lässt sich kompakt
bauen und individuell gestalten bzw. anpassen. Außerdem kann der Maschinenträger,
auf dem der Triebstrang befestigt wird, vergleichsweise kurz realisiert werden; dies
führt zu Material- und damit Gewichts- bzw. Kosteneinsparungen. Aus dieser kom-
pakten Bauweise resultieren eine relativ einfachere Montage und ein vergleichsweise
unproblematischer Transport. Von Nachteil ist ein hoher Wartungs- bzw. Instandset-
zungsaufwand auch schon bei geringen Schäden, da aufgrund der Kompaktbauweise
oft der gesamte Maschinenträger demontiert werden muss. Zudem sind viele der ver-
bauten Komponenten überwiegend Sonderbauformen und es können nur wenige kos-
tengünstigere Standardlösungen verwendet werden.
 Aufgelöste Bauweise. Die aufgelöste Triebstrangbauform ist durch separat angeord-
nete und leicht zugängliche Komponenten gekennzeichnet. Die hier häufig realisierte
doppelte Lagerung der Rotorwelle führt zur Entlastung des Getriebes. Damit ist die
aufgelöste Bauweise durch ein vergleichsweise einfaches und übersichtliches Konzept,
den gut möglichen Austausch einzelner Triebstrangkomponenten sowie die typischer-
weise realisierte Verwendung von meist standardisierten Lager- und Getriebeeinheiten
6 Stromerzeugung aus Windenergie 497

gekennzeichnet. Von Nachteil ist der im Vergleich zur integrierten Bauweise höhere
(kostenintensive) Materialeinsatz – und damit auch das höhere Gewicht, das der Turm
letztlich tragen muss – insbesondere bei der Rotorwelle und dem Maschinenträger.
 Teilintegrierte Bauweise. Eine Mischform beider Konzepte stellen teilintegrierte Bau-
formen dar. Beispielsweise wird hier die Rotorwellenlagerung teilweise in das Getriebe
integriert; dies kann z. B. anhand einer Dreipunktlagerung realisiert werden. Sie be-
steht aus dem vorderen Rotorlager, das den Hauptteil des Triebstranggewichts trägt,
und den seitlichen Getriebeauflagern, die das Getriebe mit dem Maschinenträger ver-
binden. Von Vorteil ist die im Vergleich zur aufgelösten Bauweise verkürzte Rotorwelle
und die damit verbundene Material- und Gewichtseinsparung. Nachteilig sind die auf-
wändigere Fertigung und das neben der herkömmlichen Beanspruchung des Getriebes
durch das Drehmoment auftretende Biegemoment.

Nachfolgend werden die einzelnen Komponenten des Triebstrangs, wie sie in den heute
marktgängigen Windkraftanlagen zu finden sind, diskutiert.

Rotorwelle Die Rotorwelle verbindet die Rotornabe mit dem Getriebe (Abb. 6.22). Sie
besteht aufgrund der auftretenden hohen Belastungen in der Regel aus geschmiedetem
oder gegossenem Stahl. Maßgeblich für die jeweils realisierte Konstruktion der Rotorwel-
le ist das Triebstrangkonzept und das Bestreben nach einem möglichst geringen Material-
aufwand, um dementsprechend das Gewicht und somit die Lasten auf die Gesamtstruktur
möglichst weitgehend zu reduzieren. Deshalb kommen bei den Multi-Megawatt-Anlagen
– im Unterschied zu den älteren und heute vom Markt verschwundenen Windkraftanla-
gen im Bereich einiger 100 kW installierter elektrischer Leistung, bei denen ausschließ-
lich Vollwellen eingesetzt wurden – überwiegend Hohlwellen zum Einsatz. Hohlwellen
sind im Vergleich zu Vollwellen zum einen durch deutliche Gewichtseinsparungen ge-
kennzeichnet und zum anderen ermöglichen sie eine einfache Durchführung der nötigen
Versorgungsleitungen für u. a. die Blattverstellung in der Nabe.

Getriebe Bei Windkraftanlagen mit Getriebe werden i. Allg. marktgängige Synchron-


oder Asynchrongeneratoren eingesetzt, die zur Einhaltung der Netzspezifikationen (50 Hz
in Europa) – je nach Konstruktion – eine Drehzahl von rund 900 bis 2 000 min1 be-
nötigen. Bei den bei Windkraftanlagen im Multi-Megawatt-Bereich derzeit üblichen
Rotordrehzahlen von 6 bis 16 min1 wird deshalb – sofern keine speziell an diesen
Anwendungsfall angepasste Generatoren zum Einsatz kommen – ein Getriebe benötigt
(Abb. 6.21), mit dem die Rotor- auf die Generatordrehzahl transformiert wird. Das Ge-
triebe ist damit Teil des Triebstrangs und dient gleichzeitig häufig als eines von zwei
Hauptlagern für den Rotor (Abb. 6.22).
Dieses Getriebe verbindet damit die langsame Rotor- mit der schnellen Generatorwelle.
Die primäre Aufgabe des Getriebes ist es, die langsame Drehgeschwindigkeit der Rotor-
welle mit einem hohen Drehmoment auf eine schnelle Drehzahl der Generatorwelle mit
einem entsprechend niedrigeren Drehmoment zu übersetzen.
498 M. Kaltschmitt et al.

Bei gängigen Windkraftanlagen mit schnelllaufenden Standardgeneratoren ist hierzu


ein Übersetzungsverhältnis von ca. 1 : 120 erforderlich. Dies kann nur mit einem mehr-
stufigen Getriebe realisiert werden, das üblicherweise aus einer Kombination von einer
Stirnradgetriebestufe mit einem Übersetzungsverhältnis von 1 : 5 und zwei Planetenge-
triebestufen mit einem Übersetzungsverhältnis von bis zu 1 : 12 besteht [6.4].
Aus Wirkungsgradgründen und aufgrund geringerer Geräuschemissionen haben Plane-
tengetriebe gegenüber anderen konstruktiven Lösungen Vorteile. Auch der Wellenversatz,
der durch die Stirnradstufe auftritt, eröffnet eine für Wartungszwecke problemlose Zu-
gänglichkeit der Rotorachse. Häufig werden aus Gründen der Gewichtseinsparung auch
im Getriebe Hohlwellen verwendet.
Der Wirkungsgrad pro Getriebestufe liegt bei rund 98 %. Energieverluste resultieren
primär aus der unvermeidlichen Reibung der Zahnräder aufeinander. Diese Reibung äußert
sich durch eine Wärmeabgabe und durch Schallemissionen.

 Die entstehende thermische Energie muss bei Multi-Megawatt-Anlagen über eine Küh-
lung des Schmieröls mithilfe entsprechender Ölkühler sicher abgeführt werden.
 Schallemissionen an die Umgebung lassen sich durch konstruktive Maßnahmen redu-
zieren. Dabei ist insbesondere ein Übergang der Schallwellen vom Getriebe auf den
„Körper“ der Windkraftanlage (d. h. Gondel, Turm) möglichst weitgehend zu vermei-
den, damit diese Systemkomponenten nicht als Resonanzkörper wirken und dadurch
die Schallwellen verstärken können. Deshalb muss durch konstruktive Maßnahmen
eine schalltechnische Entkopplung zwischen dem Getriebe und anderen Windkraft-
anlagenkomponenten realisiert werden (z. B. Schalldämpfungs- bzw. -entkopplungs-
komponenten zwischen Getriebe und Maschinenrahmen). Zusätzlich sollten die Schall-
emissionen der Gondel durch Schall-isolierende Maßnahmen reduziert werden.

Das Getriebe wird – aufgrund der von der Natur vorgegebenen Windcharakteristik
– mit hohen und stark variierenden Lasten beaufschlagt, aus denen sich schnell verän-
dernde Betriebszustände resultieren können. Deshalb muss das Getriebe hinsichtlich der
Verzahnung, der Lagerung und der Schmierung ausreichend dimensioniert sein, damit es
im Verlauf der technischen Lebensdauer der Windkraftanlage nicht zu einem Versagen
kommt.

Kupplung Durch die Kupplung wird eine „elastische“ Verbindung zwischen Getriebe
und Generator geschaffen. Dadurch sollen mögliche Fluchtungsfehler zwischen diesen
beiden Triebstrangkomponenten sowie eventuelle Dämpfungsunterschiede ausgeglichen
werden. Hierzu werden heute größtenteils Lamellen- oder Scheibenkupplungen einge-
setzt, die drehsteif und biegeelastisch ausgeführt werden. Zudem wird oft eine Überlast-
sicherung zum Schutz von Getriebe und Generatoren in Form einer Schutzkupplung oder
eines Scherbolzen integriert [6.4].
6 Stromerzeugung aus Windenergie 499

Rotorbremse Aus Sicherheitsgründen muss u. a. für Instandhaltungsarbeiten und im


Schadensfall ein sicheres Feststellen des Rotors möglich sein. Deshalb ist meist an der
schnellen Welle (d. h. zwischen Generator und Getriebe) eine Scheibenbremse integriert.
Sie hat aber eher die Funktion einer Haltebremse, die ein sicheres Festsetzen des Rotors
ermöglicht. Das eigentliche Abbremsen des Rotors während des Betriebes erfolgt somit
hauptsächlich über die Blattwinkelverstellung (d. h. die aerodynamische Bremse).

Generator Der Generator wandelt die mechanische Energie des Triebstrangs (d. h. die
Drehbewegung) in elektrische Energie um (Abb. 6.21). Auswahlkriterien für den Ein-
satz dieses Bauelements sind ein möglichst hoher Konversionswirkungsgrad (d. h. geringe
Verluste), der geforderte Drehzahlbereich (d. h. Anpassung an die Ausgangsdrehzahl des
Getriebes bzw. bei getriebelosen Anlagen an die Rotordrehzahl), eine gute Regelbarkeit,
das dynamische Verhalten am frequenzstarren Netz (wenn kein Umrichter realisiert wird,
wie es heute aber weitgehend Stand der Technik ist), das Blindleistungsverhalten, die Her-
stellungs- und Wartungskosten bzw. der Wartungsaufwand, das Volumen, die Masse sowie
die technische Zuverlässigkeit.
Bei Anlagen mit Getriebe werden meist schnellläufige handelsübliche Industriegenera-
toren verwendet. Demgegenüber kommen bei den getriebelosen Anlagen speziell für den
Einsatz in Windkraftanlagen konstruierte Ringgeneratoren zum Einsatz. Da sie vom Ro-
tor direkt (d. h. mit der relativ niedrigen Rotordrehzahl) angetrieben werden, benötigen sie
aus physikalischen bzw. elektrotechnischen Gründen eine hohe Anzahl an Polpaaren. Sie
sind somit um ein Vielfaches größer und schwerer (und damit teurer) als marktgängige
schnellläufige Generatoren; dafür kann das Getriebe – und die damit verbundenen Kosten
– eingespart werden.
Die beiden hauptsächlich in einer Windkraftanlage eingesetzten Generatortypen sind
Synchron- und Asynchrongeneratoren [6.6]. Sie unterscheiden sich im Wesentlichen
durch die Art der Erzeugung des elektrischen Feldes im rotierenden Läufer [6.8] und
werden nachfolgend diskutiert.

Synchrongenerator Synchrongeneratoren besitzen außen einen feststehenden Stator und


innen einen beweglichen magnetischen Läufer (Rotor), der sich auf der drehbaren Genera-
torwelle befindet. Wird die Welle angetrieben, induziert dieses umlaufende Magnetfeld im
Stator eine Spannung mit einer Frequenz, die genau (synchron) der Frequenz (d. h. dem
Kehrwert der Umdrehung) des Läuferdrehfeldes entspricht. Synchrongeneratoren müssen
(sofern nicht eine Netzentkopplung über einen Umrichter vorgesehen ist, wie es heute je-
doch weitgehend Stand der Technik ist) synchron mit der Netzfrequenz betrieben werden
(Abb. 6.23) (d. h. unter diesen Bedingungen laufen sie mit einer konstanten Drehzahl).
Solche Synchrongeneratoren können permanenterregt (Selbsterregung) oder fremder-
regt ausgeführt werden.

 Permanenterregte Generatoren zeichnen sich durch eine kompakte Bauweise und einen
höheren Wirkungsgrad im Vergleich zu fremderregten Generatoren aus. Für die Ferti-
500 M. Kaltschmitt et al.

Abb. 6.23 Leistungs-Dreh- optimaler


Leistungsbeiwert
zahl-Kennfeld drehzahlsteifer
und drehzahlvariabler 150

Windkraftanlagen einschließ- 13 m/s


125 Windgeschwindigkeit
lich Generatorkennlinien

Rotorleistung in %
Nennleistung 12
(nach [6.4, 6.6, 6.8]) 100
drehzahlvariabler Betrieb
11 (Gleichstromzwischenkreis)

ien
75 drehzahlsteifer Betrieb

ennlin
10
mit Asynchrongenerator
50 9 drehzahlsteifer Betrieb

Rotork
mit Synchrongenerator und
8 Polpaarzahlumschaltung
25 7 drehzahlsteifer Betrieb
6 mit Synchrongenerator
4 5
0
Rotordrehzahl

gung dieser Generatoren bedarf es aber sehr leistungsstarker Magneten, die bisher nur
mit einem entsprechend hohen Anteil an Metallen aus der Gruppen der seltenen Erden
(u. a. Neodym) hergestellt werden können.
 Bei fremderregten Synchrongeneratoren wird dem Läufer (Rotor) meistens über
Schleifringe Gleichstrom zugeführt, der in der Läuferwicklung ein Magnetfeld aufbaut
(d. h. Erregung). Aus Wartungsgründen wird der Einsatz der früher hierfür üblicher-
weise verwendeten Schleifringe zur Übertragung der elektrischen Energie auf den
Läufer heute häufig dadurch umgangen, dass sogenannte bürstenlose Synchronge-
neratoren eingesetzt werden; hier ist auf der drehenden Generatorwelle eine kleine
mitrotierende „Erregermaschine“ mit Diodengleichrichter installiert. Dafür wird bei
Windkraftanlagen ein vielpoliger Ringgenerator verwendet, der in Kombination mit
einem Umrichter drehzahlvariabel betrieben werden kann. Durch das Entfallen der
Drehzahlübersetzung kann bei Windkraftanlagen, ausgerüstet mit dieser Technik, auf
das Getriebe verzichtet werden. Derartige fremderregte Synchrongeneratoren wer-
den vor allem in Multi-Megawatt-Anlagen verbaut und gelten als eine Alternative zu
schnellläufigen Generatoren.

Beide Bauarten benötigen eine aufwändige Kühlung, da ein Teil der mechanischen
bzw. elektrischen Energie als Verlust in Form von Wärme anfällt. Bei Onshore-Anlagen
erfolgt die deshalb notwendige Generatorkühlung i. Allg. mit (gereinigter) Umgebungs-
luft. Dies ist aber bei einem Offshore-Einsatz so nicht unmittelbar möglich, da u. a. der
Wasser- und insbesondere Salzgehalt in der Luft die Korrosion fördert und dadurch die
technische Lebensdauer der Anlage reduzieren kann. Hier müssen entsprechende tech-
nische Lösungen gefunden und so technisch umgesetzt werden, dass sie möglichst war-
tungsarm sind.
Ein Vorteil des Synchrongenerators ist, dass er auch Blindleistung liefern kann. Sie
wird zum Betrieb konventioneller Kraftwerke und verschiedener Verbraucher (z. B. Mo-
toren) am Netz benötigt. Der Synchrongenerator ist außerdem im Regelfall durch ge-
ringfügig höhere Wirkungsgrade im Vergleich zum Asynchrongenerator gekennzeichnet
(Tabelle 6.2).
6 Stromerzeugung aus Windenergie 501

Tabelle 6.2 Drehzahlbereich und elektrische Wirkungsgrade von Generatorsystemen für Wind-
kraftanlagen im unteren einstelligen Megawatt-Leistungsbereich (nach [6.8])
Drehzahl- Maximaler
bereich Wirkungsgrad
(Generator / Umrichter)
Asynchrongenerator (Kurzschlussläufer) 100 ˙ 0,5 % 96,5 %
Doppeltgespeister Asynchrongenerator mit Gleichspan- 100 ˙ 50 % 95,5 %
nungszwischenkreis
Synchrongenerator mit Gleichspannungszwischenkreis 100 ˙ 50 % 95,0 %
Direkt vom Rotor angetriebener elektrisch erregter Syn- 100 ˙ 50 % 94,0 %
chrongenerator mit Gleichspannungszwischenkreis
Direkt vom Rotor angetriebener Synchrongenerator (Per- 100 ˙ 50 % 96,0 %
manenterregung) und Gleichspannungszwischenkreis

Asynchrongenerator Asynchrongeneratoren besitzen – wie Synchrongeneratoren – eben-


falls einen feststehenden Stator und einen drehbaren Läufer bzw. Rotor. Die Wicklung im
Läufer wird direkt über einen Widerstand kurzgeschlossen.
Wird eine derart konzipierte stillstehende Asynchronmaschine an ein Drehstromnetz
angeschlossen, wird in der Läuferwicklung – ähnlich wie bei einem Transformator – eine
Spannung induziert. Die hier anliegende Frequenz ist gleich der Frequenz der angelegten
Spannung. Da diese Wicklung kurzgeschlossen ist, fließt ein größerer Strom; dadurch wird
ein Magnetfeld im Läufer (Rotor) induziert. Damit erfolgt die Erregung (d. h. der Aufbau
des Magnetfeldes im Läufer) völlig anders als beim Synchrongenerator, wo beispielsweise
Permanentmagnete eingesetzt werden.
Das dem Ständermagnetfeld folgende Läufermagnetfeld beschleunigt dadurch den
Läufer. Je schneller sich der Läufer dreht, desto geringer werden die Relativgeschwindig-
keiten von Läuferwicklung und Drehfeld – und damit die in seiner Wicklung induzierte
Spannung. Im Motorbetrieb erfolgt diese Annäherung an die synchrone Drehzahl so lan-
ge, bis das immer schwächer werdende Magnetfeld des Läufers gerade noch ausreicht,
um die Reibungsverluste des Läufers im Leerlauf auszugleichen. Die synchrone Drehzahl
kann dabei aber nicht erreicht werden, weil unter diesen Bedingungen kein Strom in den
Wicklungen des Läufers induziert wird; daher kann bei diesen Gegebenheiten dort kein
Magnetfeld aufgebaut und somit kein Drehmoment mehr erzeugt werden.
Die spezifische Differenz der Drehzahl von Rotor und Drehfeld bezogen auf das Dreh-
feld nennt man Schlupf. Aufgrund dieses Schlupfes läuft die Maschine asynchron zur
Netzfrequenz. Je mehr nun der Asynchrongenerator belastet wird, desto größer wird der
Schlupf, weil er für eine höhere Leistung ein stärkeres Magnetfeld – bedingt durch eine zu-
nehmend asynchrone Drehzahl – benötigt. Mehr Schlupf heißt mehr induzierte Spannung,
größeren Strom und ein stärkeres Magnetfeld. Beim Generatorbetrieb liegt die Betriebs-
drehzahl deshalb immer oberhalb der synchronen Drehzahl; beim ebenfalls möglichen
Motorbetrieb ist es umgekehrt. Eine Ausnahme davon bildet das Betriebsverhalten des
502 M. Kaltschmitt et al.

doppelt gespeisten Asynchrongenerators. Dieser Generator kann sowohl unter- als auch
übersynchron generatorisch arbeiten.
Aufgrund dieser Zusammenhänge bei der Erregung sind bei Asynchrongeneratoren
Spannung und Strom nicht in Phase; somit wird das Netz durch den dadurch benötigten
Blindleistungsbedarf belastet. Je nach Leistung sind deshalb entsprechende Kondensa-
toren zu- oder abzuschalten. Beim Betrieb an einem starken Netz kann der jeweilige
Fehlbetrag an Blindleistung auch durch die dort laufenden Kraftwerke mit Synchrongene-
ratoren ausgeglichen werden. Werden Asynchrongeneratoren mit Frequenzumrichtern an
das Netz gekoppelt, tritt dieses Problem nicht auf, da die Blindleistung mit der netzseitigen
Leistungselektronik kompensiert werden kann.
Dieses aufgrund des Schlupfes „weiche“ Betriebsverhalten (Abb. 6.23) von unmittel-
bar netzgekoppelten Asynchrongeneratoren ist an einem steifen Netz (z. B. 50 Hz-Netz in
Deutschland bzw. Europa) wünschenswert, um die u. a. bei böigem Wind in der Wind-
kraftanlage – und hier insbesondere im Triebstrang – auftretenden Belastungen zu redu-
zieren.
Ohne besondere Maßnahmen haben jedoch nur sehr kleine Asynchrongeneratoren ei-
nen Schlupf von bis zu ca. 10 %. Mit zunehmender Maschinengröße nimmt der Schlupf
aber i. Allg. ab. Die heute eingesetzten Generatoren mit Leistungen im Multi-Megawatt-
Bereich haben einen Schlupf unter 1 % [6.8] und sind damit bei einem direkt netzgekop-
pelten Betrieb fast so steif wie Synchrongeneratoren; d. h. der diskutierte Vorteil kommt
nicht wirklich zum Tragen.
Durch das Einbringen von Widerständen in den Läuferkreis kann der Schlupf bewusst
vergrößert werden. Damit wird aber die dort anfallende Verlustwärme erhöht (welche an
die Atmosphäre abgeführt werden muss); dadurch wird auch der Gesamtwirkungsgrad re-
duziert und die Anlagenkomplexität erhöht. Werden diese Widerstände des Läuferkreises
direkt im Läufer untergebracht, muss dieser deshalb zu Kühlungszwecken zwangsweise
mit Luft durchströmt werden. Da die angesaugte Umgebungsluft insbesondere bei Küs-
tenstandorten salzhaltig sein kann, kann diese Bauweise zu Korrosionsproblemen bei der
Wicklungsisolation führen. Deshalb sind Offshore-Anlagen mit einer Luftreinigungsan-
lage ausgestattet, die Wasser und Salzpartikel von der Außenluft abscheiden soll und sie
temperiert, bevor sie ins Maschinenhaus gelangt.
Doppelt gespeiste Asynchrongeneratoren stellen eine weitere Möglichkeit dar, den
Schlupf zu beeinflussen. Hier wird die Schlupfleistung über einen Umrichter ins Netz
eingespeist oder aus dem Netz bezogen, indem der Stator direkt und der Läufer oder Ro-
tor über einen Umrichter mit dem Netz verbunden wird. Dadurch ist eine dynamische
Regelung des Schlupfes – und damit eine Variabilität der Drehzahl – und die Erzeugung
von Blindleistung möglich (Tabelle 6.2 und 6.3). Aufgrund dieser Vorteile haben sich
bei Anlagekonzepten mit Getriebe hauptsächlich doppelgespeiste Asynchrongeneratoren
durchgesetzt.
Eine Zwischenlösung stellt der Asynchrongenerator als übersynchrone Stromrichter-
kaskade dar. Hier wird die Schlupfleistung nur in eine Richtung, nämlich ins Netz, einge-
speist (Tabelle 6.2 [6.6]).
6 Stromerzeugung aus Windenergie 503

Tabelle 6.3 Vergleich von direkter und indirekter Netzkopplung in Abhängigkeit der verwendeten
Generatorbauart (u. a. nach [6.6])
Synchrongenerator Asynchrongenerator
Direkte nG D f nG D .1  s/; 0 s 0;01
Netzkopplung konstante Drehzahl; leicht nachgiebige Drehzahl, die mit zunehmender Ge-
harte Netzkopplung neratorgröße abnimmt; einfache Netzsynchronisation;
Blindleistungsverbraucher; relativ harte Netzkopplung
Indirekte 0;5f nG 1;2f 0;8f nG 1;2f
Netzkopplung drehzahlvariabel; drehzahlvariabel; Kurzschlussläufermaschinen
Netzkopplung über über Gleichstromzwischenkreis oder Direktumrichter
einen Gleichrichter (Blindleistungsverbraucher); Schleifringläufer-
mit anschließen- maschinen über dynamische Schlupfregelung,
dem Wechselrichter übersynchrone Stromrichterkaskade (jeweils Blind-
(d. h. Gleichstrom- leistungsverbraucher) oder als doppeltgespeister
zwischenkreis oder Asynchrongenerator mit direkter Stator- und indirekter
Direktumwandler); Rotorkopplung (z. B. über Gleichstromzwischenkreis)
weiche Netzkopplung (Blindleistungsabgabe); weiche Netzkopplung
nG Generatordrehzahl; s Schlupf (Abweichung von der Nenndrehzahl); f Netzfrequenz.

Asynchrongeneratoren können auch für den motorischen Anlauf einer Windkraftanla-


ge verwendet werden. Im Vergleich zu Synchrongeneratoren sind sie darüber hinaus im
Regelfall kostengünstiger, robuster und wartungsärmer.

Netzkopplung Für die Anbindung der Windkraftanlage an das Netz der öffentlichen Ver-
sorgung oder ein beliebiges Inselnetz wird zwischen direkter und indirekter Netzkopplung
unterschieden (Tabelle 6.3 [6.6]).

 Bei der direkten Kopplung an ein frequenzstarres Stromnetz, wie es z. B. im deutsch-


sprachigen Raum und Westeuropa mit einer Netzfrequenz von 50 Hz nahezu ausnahms-
los gegeben ist, dreht der Synchrongenerator mit konstanter Drehzahl und der Asyn-
chrongenerator mit nahezu konstanter Drehzahl entsprechend der Netzfrequenz. Hier-
bei verhalten sich die Generatoren drehzahlsteif (d. h. feste, nicht variable Drehzahl
bzw. kaum variable Drehzahl) (Abb. 6.23). Durch die feste Generator- und damit auch
Rotordrehzahl kann der Windrotor nicht auf das Optimum der zu wandelnden Wind-
energieleistung eingestellt werden. Dadurch kann es in Verbindung mit der „harten“
Kopplung (d. h. durch die definierte Drehzahl kann der Rotor nicht auf Windenergie-
schwankungen beispielsweise bei böigem Wind reagieren), wie es insbesondere beim
Synchrongenerator der Fall ist, zu hohen dynamischen Belastungen im Triebstrang
(d. h. Nabe, Welle, Getriebe, Generatorläufer) kommen. Daher wird eine direkte Netz-
kopplung meist über einen Asynchrongenerator realisiert, auch wenn dieser bei den
heute üblichen Anlagenleistungen nur einen vergleichsweise kleinen Schlupf hat. Der-
artige drehzahlsteife Konzepte für Synchrongeneratoren können mit einer Geschwin-
digkeitsstufe oder mehreren definierten Geschwindigkeiten (d. h. mehrstufig) realisiert
504 M. Kaltschmitt et al.

werden; mehrstufige Systeme sind im Vergleich zu den einstufigen teurer, aber flexibler
nutzbar, da durch eine Polpaarzahlumschaltung grundsätzlich andere Drehzahlen mög-
lich sind und diese dann den sich mit verändernden Windgeschwindigkeiten ändernden
Rotorwirkungsgraden Rechnung tragen können (Abb. 6.23). Auch wirkt sich wegen
der direkten Netzkopplung jede Änderung der Windgeschwindigkeit als veränderlicher
Strom auf der Netzseite aus und führt dort zu entsprechenden Spannungsschwankun-
gen. Deshalb sind direkt an das Netz gekoppelte Windkraftanlagen heute nicht mehr
zulässig.
 Bei der indirekten Netzkopplung kann der Generator mit variabler Drehzahl bzw. Fre-
quenz betrieben werden, so dass eine Anpassung an die variablen und sich damit
laufend verändernden Windverhältnisse einfach möglich ist und damit eine Ertrags-
optimierung aus Sicht des Rotorwirkungsgrades erfolgen kann (Abb. 6.23). Der durch
eine veränderliche Drehzahl dann aber zwangsläufig entstehende Wechselstrom mit
variabler Frequenz muss anschließend jedoch mit Hilfe eines Umrichters umgewandelt
werden, damit die erzeugte elektrische Energie unter Einhaltung der jeweiligen Netz-
spezifikationen ins entsprechende Verteilungsnetz eingespeist werden kann. Umrichter
oder AC-DC-AC Konverter (AC Wechselstrom (alternate current), DC Gleichstrom
(direct current)) bestehen im Wesentlichen aus drei Hauptkomponenten (Abb. 6.24).
– Einem gesteuerten Gleichrichter, der die frequenzvariable Spannung gleichrichtet
und somit aus Wechselspannung eine Gleichspannung erzeugt.
– Einem Gleichspannungszwischenkreis, der zur Entkopplung von Systemen mit un-
terschiedlichen Frequenzen dient. Hierbei dient ein Kondensator einerseits zur Glät-
tung der Spannung und gleichzeitig andererseits als Pufferspeicher.
– Einem Wechselrichter, der den Gleichstrom in dreiphasigen Wechselstrom umwan-
delt und somit auf die Spannung und Frequenz des örtlichen Versorgungsnetzes
wechselrichtet, in das die Windkraftanlage einspeist.

Umrichter können in unterschiedlichen Bauformen wie beispielsweise einem Gleich-


stromzwischenkreis mit Frequenzumrichter, einem Gleichspannungszwischenkreis mit
Frequenzumrichter oder einem Direktumrichter umgesetzt werden (Abb. 6.25).
Die sogenannten Direktumrichter wählen aus dem Dreiphasenstrom bestimmte Span-
nungsabschnitte aus und setzen diese zu einer neuen Frequenz zusammen. Jedoch ist diese
Bauart nur bis zu einem bestimmten Frequenzverhältnis einsetzbar und aus Sicht der Halb-
leitertechnik sehr aufwändig; in den derzeit marktgängigen Windkraftanlagen spielt diese

Abb. 6.24 Aufbau eines Umrichters (G Generator; nach [6.8])


6 Stromerzeugung aus Windenergie 505

Abb. 6.25 Bauformen der


Umrichter-Systeme (links:
Direktumrichter, Mitte:
Gleichstromzwischenkreis
(Umrichter), rechts: Gleich-
spannungszwischenkreis
(Umrichter); bei heute
marktgängigen Windkraft-
anlagen werden bevorzugt
Frequenzumrichter mit Gleich-
spannungszwischenkreis
eingesetzt; G Generator;
nach [6.8])

Technik deshalb keine Rolle mehr [6.8]. Heute kommen überwiegend Umrichter mit ei-
nem Spannungszwischenkreis zum Einsatz, welche vielfach regelbar sind und die vom
Generator erzeugte Frequenz von der Netzfrequenz vollständig entkoppeln. Infolge neue-
rer Entwicklungen bei den Leistungshalbleitern werden sie mit Wechselrichtern realisiert,
die Wechselstrom mit sehr geringen Verzerrungen liefern und abhängig von ihrer Topo-
logie und Auslegung zusätzlich in einem gewissen Umfang Blindleistung bereitstellen
können (z. B. IGBT-Wechselrichter mit Pulsweitenmodulation (PWM)).
Bei einer derartigen indirekten Netzkopplung wird grundsätzlich Wechselspannung
über einen Gleichrichter in Gleichspannung und anschließend über einen Wechselrich-
ter erneut in Wechselspannung mit den geforderten Netzspezifikationen bezüglich Span-
nungsamplitude und Frequenz umgewandelt. Dadurch kann der Rotor innerhalb einer
Drehzahlspanne von 50 bis 120 % der Nenndrehzahl aerodynamisch optimal betrieben
werden. Aufgrund der variablen Drehzahl ist zudem eine gute Anpassung an das jeweili-
ge von der Windgeschwindigkeit abhängige Leistungsmaximum möglich. Nachteilig sind
die zusätzlichen Kosten für die Leistungselektronik und die dadurch bedingten höheren
elektrischen Verluste. Trotzdem stellt die Netzanbindung über einen Frequenzumrichter
bei mittleren bis großen Anlagen die heute übliche Technik dar; vornehmlich kommen
dabei Synchron- und doppelt gespeiste Asynchrongeneratoren zum Einsatz.

6.2.1.3 Gondel, Turm und Verankerung im Untergrund

Gondel Die Gondel – auch als Maschinenhaus bezeichnet – besteht aus dem Maschinen-
träger und der Maschineneinhausung (Abb. 6.16 und 6.21).
Der Maschinenträger übernimmt die tragende Funktion in der Gondel (Abb. 6.16
und 6.21); d. h. er sichert die statische Festigkeit der Gesamtkonstruktion. Der Ma-
schinenträger dient damit zur Aufnahme des Triebstrangs und der Rotormomente. Die
typischerweise hohen auftretenden Rotormomente erfordern dabei eine besonders steife
Bauweise dieser Systemkomponente. Bei modernen Anlagen ist der Maschinenträger des-
halb häufig als Gusskonstruktion ausgeführt; dies weist auch hinsichtlich der Möglichkeit
einer Serienfertigung Kostenvorteile gegenüber Schweißkonstruktionen auf.
506 M. Kaltschmitt et al.

Abb. 6.26 Prinzip der Wind- Verstellgetriebe


(Anstellwinkel)
richtungsnachführung
Rotorblatt

Großwälzlager

Maschinenträger
Zahnkranz (nicht dargestellt)

Verstellgetriebe
(Azimut)

Rotornabe Turm

Die Einhausung (Abb. 6.21 und 6.26), die auf diesen Maschinenträger montiert wird,
schützt die in ihr untergebrachten Komponenten (u. a. Triebstrang, Regeleinrichtungen)
vor Umwelteinflüssen und isoliert sie von äußeren klimatischen Bedingungen (z. B. Nie-
derschlag). Um dies auch bei den rauen meteorologischen Bedingungen bei einem Off-
shore-Einsatz sicherzustellen (d. h. ein Eindringen von Wasser und insbesondere Salz in
die Gondel sicher zu verhindern), kann sie unter Überdruck gesetzt werden. Dabei über-
nimmt die Einhausung in der Regel keine tragende (d. h. statische) Funktion. Aus Kosten-
und Gewichtsgründen wird sie häufig aus Glasfaserverbundwerkstoffen (GFK) gefertigt.

Windrichtungsnachführung Aufgabe dieser Systemkomponente ist die möglichst ex-


akte Ausrichtung des Maschinenhauses (Gondel) und damit des Rotors in Bezug auf
die jeweilige Windrichtung. Die Windrichtungsnachführung (Abb. 6.26) bildet dabei den
Übergang vom Maschinenhaus zum Turmkopf, da ihre Komponenten in beide Systemele-
mente integriert sind (Abb. 6.16 und 6.21).
Die Gondel wird im Normalfall mit Hilfe eines auf dem Turm angebrachten Zahn-
kranzes durch Verstellgetriebe entsprechend der jeweiligen Windrichtung ausgerichtet
(Abb. 6.26). Bei größeren Windkraftanlagen kommen hydraulische oder elektromotori-
sche bzw. elektromechanische Stellantriebe zum Einsatz, die – je nach installierter Anla-
genleistung – als ein System oder als mehrere Systeme, bei denen die einzelnen Stellan-
triebe über den Turmumfang gleichmäßig verteilt sind, ausgeführt werden können. Alter-
nativ dazu werden zunehmend auch sogenannte Drehwerkgetriebe eingesetzt; von Vorteil
ist ihre kompakte Bauweise und der dadurch mögliche Einsatz als Einheitskomponente.
Zusätzlich sind immer eine oder mehrere Haltebremsen zum Feststellen des jeweiligen
Drehmechanismus vorhanden. Dadurch wird sichergestellt, dass geringe Schwankungen
in der Windrichtung, die schlagende Belastungen auf die Zahnräder des Drehmechanis-
6 Stromerzeugung aus Windenergie 507

mus ausüben und somit die technische Lebensdauer reduzieren könnten, verhindert wer-
den. Damit ist auch ein Feststellen der Gondel zur Überbrückung längerer Stillstandszei-
ten (z. B. Wartung) möglich.
Das Azimut- oder Turmkopflager ist bei größeren Anlagen als Wälzlager, bei kleineren
Konvertern teilweise auch als Gleitlager mit Gleitkörpern ausgeführt.
Die gesamte Windrichtungsnachführung wird über ein spezielles Regelungssystem ge-
steuert, das mit einem Anemometer, das üblicherweise außen auf der Gondel angebracht
ist, mit den entsprechenden Daten versorgt wird.

Turm Die Hauptaufgabe des Turms ist es, einerseits die Windenergienutzung in einer
ausreichenden Höhe über Grund zu ermöglichen (dies ist aufgrund der Zunahme der mitt-
leren Windgeschwindigkeit mit zunehmender Höhe über Grund (Kapitel 2.4) wesentlich)
sowie andererseits die statischen und dynamischen Belastungen des Rotors, Triebstrangs
und des Maschinenhauses / der Gondel aufzunehmen und sicher in das Fundament – und
damit den Untergrund – abzuleiten (Abb. 6.16 und 6.27). Darüber hinaus sind im Turm die
Kabel für die Stromübertragung und die Steigleiter bzw. der Aufzug untergebracht. Bei
größeren Anlagen können zusätzliche elektrische Komponenten (z. B. der Transformator
mit Kühlsystem sowie die benötigten Schaltschränke) in dieser Windkraftanlagenkom-
ponente integriert werden. Weitere Bestimmungsgrößen für die Turmauslegung und die
Turmkonstruktion sind die Eigenschwingungsgrößen des Turm-Gondel-Rotor-Gesamt-
systems, um Resonanzerscheinungen insbesondere beim An- und Abfahren des Rotors
sicher zu vermeiden. Im Falle des Offshore-Einsatzes sind auch die Einflüsse durch Wel-
lengang und Strömungen, die über die Schwingungen des Fundamentes weitergeleitet
werden können, zu berücksichtigen. Hinzu kommen die durch den Transport limitierten
Abmessungen und Gewichte sowie die damit nutzbaren Straßen und Wege, die Errich-
tungsmethode bzw. die zur Verfügung stehenden Kräne sowie die Zugänglichkeit zur
Gondel. Außerdem zählen die Langzeiteigenschaften bezüglich Witterungseinflüssen und
Materialermüdung dazu.
Als Material für den Turm wird hauptsächlich Stahl und / oder Beton eingesetzt. Als
mögliche Bauformen aus Stahl kommen – neben einer heute zumindest in Europa prak-
tisch nicht mehr eingesetzten Gittermastbauweise – üblicherweise freitragende Stahlrohr-
türme in geschlossener, meist konischer Form zur Anwendung.
Gittertürme wurden vor allem in der Anfangsphase des Windkraftanlagenbaus einge-
setzt. Durch ihren geringeren Materialverbrauch sind sie leichter im Vergleich zu den
Stahlrohrtürmen und zudem einfacher zu transportieren. Sie eignen sich auch für gro-
ße Turmhöhen von bis zu 160 m. Aufgrund des hohen Montageaufwandes und der mit
Gittertürmen verbundenen Geräuschemissionen infolge der durch die Gitterkonstruktion
strömenden Luftmassen hat sich diese Bauweise – zusammen mit anderen Gründen (u. a.
optischer Eindruck) – aber zumindest auf dem europäischen Markt nicht durchsetzen kön-
nen.
Freitragende Stahlrohrtürme sind die heute primär eingesetzte, marktdominierende Va-
riante. Sie sind in bis zu fünf Segmente (sog. Turmschüsse) unterteilt. Diese Segmen-
508 M. Kaltschmitt et al.

te bestehen aus einzelnen Stahlplatten, die zunächst gerollt und schließlich zusammen-
geschweißt werden; dies wird i. Allg. im großtechnischen, industriellen Maßstab reali-
siert. Diese einzelnen Turmsegmente werden anschließend vor Ort transportiert und dort
mit dem Fundament bzw. den anderen Segmenten mittels entsprechender Flansche ver-
schraubt.
Betontürme bestehen aus Stahlbeton und können bis zu sechsmal so schwer wie gleich-
hohe Stahlrohrtürme sein. Im Vergleich zu letzteren weisen sie i. Allg. bessere Schwin-
gungseigenschaften auf und führen dadurch zu einer Reduktion der Schallemissionen.
Beton findet derzeit aber üblicherweise lediglich in der Hybridbauweise Anwendung. Um
sehr hohe Nabenhöhen zu erreichen (mehr als 150 m), besteht hier etwa das untere Drittel
des Turms aus Betonsegmenten in Fertigteilbauweise. Es wird durch Stahlsegmente im
oberen Teil ergänzt. Reine Stahlrohrtürme in dieser Größenordnung, die zudem die üb-
lichen Transportabmaße erfüllen, haben sich derzeit noch nicht durchsetzen können, da
sich deren Eigenfrequenzen sehr nahe an den Betriebsfrequenzen der Windenergieanlage
befinden und zudem die Kosten aufgrund der benötigten großen Stahlmengen relativ hoch
sind.
Die Mindesthöhe des Turms ist durch den Rotorradius festgelegt. Die darüber hin-
ausgehende Turmhöhe ergibt sich durch einen (ökonomischen) Kompromiss zwischen
den mit größerer Nabenhöhe über Grund steigenden Kosten für den Turm und den zu-
nehmenden mittleren Windgeschwindigkeiten (Kapitel 2.4) und damit dem ansteigenden
Stromertrag. Folglich muss ein ökonomisches Optimum zwischen einem (möglichst) ho-
hen Energieertrag und akzeptablen Turmkosten gefunden werden. In der Regel überwiegt
aber der zusätzliche Energieertrag gegenüber den größeren Kosten mit steigender Turm-
höhe. Restriktionen können sich jedoch durch die Beeinträchtigung des Landschaftsbildes
und den aufgrund von gesetzlichen Vorgaben einzuhaltenden Abständen zu Bauwerken
der Umgebung oder Aspekten des Natur- und Tierschutzes ergeben. Damit variieren die
heute üblichen Turmhöhen je nach den gegebenen Bedingungen am Standort erheblich;
sie bewegen sich meist zwischen etwa 80 und rund 130 m und mehr. Dabei werden im
Binnenland – infolge der hier stärkeren Zunahme der Windgeschwindigkeit mit zuneh-
mender Höhe über Grund im Vergleich zu Küstenstandorten (Kapitel 2.4) – zunehmend
größere Turmhöhen (z. B. 160 m) realisiert.
Bei einer Offshore-Aufstellung ermöglichen die auf dem Meer gegenüber einer Land-
aufstellung veränderten Windverhältnisse – aufgrund der geringeren Rauigkeit der Was-
seroberfläche – eine Verringerung der Nabenhöhe im Vergleich zum Onshore-Fall (d. h.
Turmhöhen von 85 bis 110 m). Aufgrund der rauen Witterungsbedingungen bei einer
Offshore-Aufstellung werden ausschließlich Stahlrohrtürme eingesetzt, da sie u. a. relativ
schnell aufgestellt werden können. Um die Korrosionsanfälligkeit infolge der salzhaltigen
Umweltbedingungen möglichst weitgehend zu minimieren, ist die Oberfläche derartiger
Stahlrohrtürme mit einer alkalibeständigen und nicht hydrolisierbaren Schicht überzogen.

Fundament Das Fundament, mit dem der Turm und damit die Windkraftanlage im Un-
tergrund verankert wird, hängt von der Anlagengröße, den zu erwartenden meteorolo-
6 Stromerzeugung aus Windenergie 509

Abb. 6.27 Flach- und Pfahlgründung Flachgründung


Pfahlgründung einer Onshore-
Windkraftanlage Turm

Fundament

Gründungspfähle
Untergrund

gischen und betrieblichen Belastungen sowie von den örtlichen Bodenverhältnissen ab.
Dabei sind die technischen Lösungen zwischen einer Onshore- und einer Offshore-Funda-
mentierung einer Windkraftanlage stark unterschiedlich. Deshalb werden beide Varianten
nachfolgend getrennt diskutiert.

Onshore-Fundamente Bei einer Onshore-Aufstellung wird zwischen einer Flach- und ei-
ner Tief- oder Pfahlgründung unterschieden (Abb. 6.27); beide Varianten sind Stand der
Technik. Dabei wird durch eine entsprechende Baugrunduntersuchung die optimale Ge-
staltung des Fundaments festgelegt.

 Bei einem festen tragfähigen Grund wird i. Allg. eine Flachgründung realisiert (Abb.
6.27, rechts). Dazu wird in einer Baugrube ein Betonfundament gegossen, das einen
Ankerkäfig aus Metall einschließt, der die Verbindung zum Turm bildet und somit die
von dort kommenden Belastungen in den Untergrund überträgt.
 Bei weniger tragfähigem Untergrund wird eine Tiefgründung eingesetzt (Abb. 6.27,
links); diese bietet aufgrund von in den Untergrund gerammten Pfählen mehr Halt.
Diese Gründungspfähle selbst sind aus bewehrtem Beton. Dabei werden entweder Fer-
tigbetonpfähle verwendet oder es wird ein verschlossenes Stahlrohr in den Boden ge-
rammt, das anschließend innen bewehrt und mit Ortbeton gefüllt wird. Danach wird
das Stahlrohr entfernt und nur der untere Verschluss des Stahlrohrs verbleibt im Unter-
grund. Demgegenüber findet eine besondere Art der Tiefgründung bei einem felsigen
Untergrund Anwendung. Hier wird das benötigte Fundament durch eine Fundament-
platte aus Stahlbeton erzeugt, die durch eine Vielzahl von in den Felsen getriebener
Stahlanker fixiert wird. Über einen Stahladapterkäfig wird anschließend der Turm ver-
schraubt.

Offshore-Fundamente Technisch deutlich aufwändiger ist eine Verankerung der Wind-


kraftanlage im Untergrund bei einer Offshore-Aufstellung. Um unter diesen Bedingungen
einen zuverlässigen Stand der Windkraftanlage sicherzustellen, können sehr unterschied-
510 M. Kaltschmitt et al.

liche Gründungstechniken eingesetzt werden. Unter einer derartigen Gründungstechnik


werden hier die Tragkonstruktion (d. h. die Fundamentstruktur und der Anschluss an den
Turm) sowie die Technik verstanden, die nötig ist, um sie am / im Meeresuntergrund zu
verankern.
Bestimmungsgrößen für die Auswahl der jeweils konkret umgesetzten Gründungstech-
nik sind die Baugrundeigenschaften (Bodenverhältnisse) am Offshore-Standort, möglichst
geringe Herstellungskosten (z. B. durch Serienfertigung, Materialauswahl), günstige Auf-
baukosten (u. a. durch Logistik, Schnelligkeit, Einfachheit) und eine hohe Nutzungs- bzw.
technische Lebensdauer (unter Berücksichtigung von u. a. Korrosion, Ermüdungsfestig-
keit).
Bei derartigen Tragkonstruktionen wird zwischen bodenmontierten und schwimmen-
den Lösungen unterschieden. Letztere sind bisher noch nicht am Markt etabliert; es wer-
den jedoch zunehmend entsprechende Konzepte in ersten Demonstrationsprojekten welt-
weit realisiert. Im Unterschied dazu ist eine Vielzahl unterschiedlichster bodenmontierter
Tragkonstruktionen verfügbar und in zahlreichen Projekten realisiert. Die Wahl einer be-
stimmten Tragkonstruktion erfolgt in Abhängigkeit u. a. von den an einem potenziellen
Standort zu erwartenden Wind-, Wellen-, Strömungs- und Eislasten sowie den geogra-
fischen sowie geologischen Gegebenheiten (z. B. Wassertiefe, Beschaffenheit des Unter-
grundes).
Bei derartigen bodenmontierten Tragkonstruktionen (Abb. 6.28) kann unterschieden
werden zwischen Gravitations- oder Schwerkraftfundamenten, Einpfahlfundamenten
(d. h. Monopile), Dreipfahlfundamenten (d. h. Tripile), Dreibeinfundamenten (d. h. Tri-
pod) und aufgelösten Stahlgitterstrukturen (d. h. Jacket). Diese unterschiedlichen Funda-
menttypen werden nachfolgend diskutiert.

 Schwerkraftfundament (Abb. 6.28 und 6.29 sowie Tabelle 6.4). Beim Gravitations-
oder Schwerkraftfundament wird primär die Gravitationskraft ausgenutzt. Dazu wird
ein (sehr) schwerer Körper hergestellt, der auf dem Meeresboden abgestellt wird und
die Windkraftanlage trägt. Solche Schwerkraftfundamente können in Beton- oder in
Stahlrahmenbauweise (Senkkästen) ausgeführt sein; letztere Variante wird am Einsatz-
ort zusätzlich mit Ballast versehen. Für Standorte mit einem potenziell starken Eisgang
sollte das aus dem Wasser ragende Teil des Fundaments eine konische Bauform aufwei-

Abb. 6.28 Bodenmontierte


Tragkonstruktionen von Off-
shore-Windenergieanlagen für
Multi-Megawatt-Anlagen (u. a.
nach [6.13, 6.14])
6 Stromerzeugung aus Windenergie 511

Abb. 6.29 Schwerkraftgrün- Turm


dung einer Offshore-Wind- Arbeitsplattform
kraftanlage

Bootsanleger

Internes
Kabelanschluss-Rohr

Kolkschutz

Untergrund

sen, damit es dem Eisdruck besser Stand halten kann [6.8]. Ein derartiges Fundament
wird entweder auf einer schwimmenden Barge oder schwimmend an den potenziellen
Anlagenstandort gebracht bzw. gezogen und dort auf einer geebneten und ggf. mit ei-
ner Ausgleichsschicht versehenen Fläche auf den Meeresboden abgesetzt. Durch diese
Art der Aufstellung werden keine Zugkräfte auf den Meeresboden übertragen; deshalb
ist dieses System sensibel gegenüber hydrodynamischen Extremlasten. Die maximal
mögliche Wellenhöhe, die ein wesentliches Auslegungskriterium für das Fundament
ist und damit für die auf die Anlage und folglich das Fundament einwirkenden Kräfte
mitverantwortlich ist, hängt u. a. von der Wassertiefe ab; i. Allg. steigt sie überpropor-
tional mit zunehmender Wassertiefe. Daraus resultiert eine starke Vergrößerung der
Fundamente mit größer werdender Tiefe unter dem mittleren Wasserspiegel; deshalb

Tabelle 6.4 Einsatz von Fundamenten für Anlagen der Multi-Megawatt-Klasse in Abhängigkeit
der Wassertiefe und ihrer Masse (nach [6.13, 6.15])
Schwerkraft- Monopile Tripod Jacket Tripile Suction
fundament Bucket
Wassertiefe 10–40 m < 40 m 20–50 m 20–60 m 25–50 m 25–45 m
Gewicht
5 MW-Klasse > 2 000 t 200–500 t ca. 750 t ca. 500 t ca. 500 t ca. 500 t
9 MW-Klasse > 8 000 t 1 000–1 500 t – 750–1 000 t – 1 000–1 250 t
512 M. Kaltschmitt et al.

kommt der Einsatz derartiger Gravitationsfundamente bei zunehmender Wassertiefe


schnell an seine ökonomischen und technischen Grenzen und wird u. a. deshalb derzeit
nur in Demonstrationsprojekten realisiert.
 Einpfahlfundament (Abb. 6.28 und 6.30 sowie Tabelle 6.4). Dieser Gründungstyp be-
steht aus einem einzigen Gründungspfahl (Monopile), der den Windenergieanlagen-
turm quasi bis in den Meeresboden fortsetzt. Er kann je nach Anlagengröße und Kon-
figuration der Tragkonstruktion einen Durchmesser von 3 bis 10 m (und mehr) und
eine Masse bis zu 1 500 t und ggf. mehr aufweisen (Tabelle 6.4). Die Einbringung
des Monopiles in den Meeresuntergrund kann durch Rammen, Einrütteln oder Boh-
ren erfolgen. Im Allgemeinen wird aber eine Rammung bis in eine Eindringtiefe von
etwa 18 bis 30 m und mehr in den Meeresuntergrund realisiert. Um ein Ausspülen des
Untergrundes in unmittelbarer Nähe des Monopiles, das sogenannte Auskolken, durch
strömendes Meerwasser (z. B. infolge von Wellen-, Gezeiten- oder Meeresströmungen)
weitgehend zu vermeiden bzw. zu minimieren, werden Sandsäcke und / oder Steine
an der Übergangsstelle zwischen dem Meeresboden und dem Monopile aufgeschüttet.
Der eigentliche Windkraftanlagenturm und das Monopile werden anschließend mit-
tels eines sogenannten Zwischenstücks (Transition Piece) verbunden. Es wird mit dem
Monopile mit Spezialbolzen verschraubt, um etwaige Schräglagen des Gründungs-
pfahls sicher ausgleichen zu können und eine senkrechte Aufstellung der Windkraftan-

Abb. 6.30 Gründung Turm


einer Offshore-Windkraft- Arbeitsplattform
anlage mittels Monopile /
Gründungspfahl

Zwischenstück

Kabelan-
schluss-Rohr

Kolkschutz

Untergrund
Gründungspfahl
6 Stromerzeugung aus Windenergie 513

lage sicherzustellen. In den Anfangsphasen der Offshore-Aufstellung war es üblich,


das Zwischenstück mit dem Fundament durch ein besonderes Material (Grout) zu
verkleben. In der Zwischenzeit hat sich allerdings aufgrund der Einfachheit des Instal-
lationsverfahrens sowie dem Risiko der langfristigen Festigkeit des Grout-Materials die
Verbindung durch eine Verschraubung durchgesetzt. Das Transition Piece gilt gleich-
zeitig als Zugangsmöglichkeit zur Windkraftanlage. Es beinhaltet in der Regel ein
Zugangssystem für Wartungsschiffe und eine höher gelegene Plattform zur Ablage von
Material, von der aus auch der Zugang zum Turm erfolgt. Infolge der in den letzten Jah-
ren gesammelten technischen Erfahrungen sowie dem vorherrschenden Kostendruck
haben sich derartige Einpfahlgründungen vorrangig durchgesetzt. Ihre Einsetzbarkeit
bezüglich der Wassertiefen und ihres Durchmessers wurde in den letzten Jahren kon-
tinuierlich erweitert, so dass auch die größeren Multi-Megawatt-Anlagen im nahezu
zweistelligen Leistungsbereich mit Einpfahlgründungen geplant werden.
 Dreibeinfundament (Abb. 6.28 und 6.31 sowie Tabelle 6.4). Das Dreibeinfundament
(Tripod), das hauptsächlich für Wassertiefen von 20 bis 50 m geeignet ist, besteht
aus einem zentralen Säulenelement, das die Verbindung zum Windenergieanlagen-
turm herstellt, und einem dreischenkligen räumlichen Stahlfachwerk, das die Kräfte
und Momente auf die Gründungspfähle überträgt. Diese Gründungspfähle befinden
sich an den Ecken der Struktur und werden durch Rammen, Bohren oder Einrütteln
in dem Meeresboden verankert. Die angestrebte Eindringtiefe der Gründungspfähle

Abb. 6.31 Gründung einer Turm


Offshore-Windkraftanlage Arbeitsplattform
mittels Tripod

Säulenelement

Bootsanleger

Austritt eines internen


Kabelanschluss-Rohrs

Pfahlführung

Gründungspfähle

Untergrund
514 M. Kaltschmitt et al.

Abb. 6.32 Gründung einer Turm


Offshore-Windkraftanlage
mittels Jacket Zwischenstück

Arbeitsplattform

Zwischenplattform

Bootsanleger

Kabelan-
schluss-Rohr

Pfahlführung

Gründungspfähle

Untergrund

in den Meeresboden beträgt – je nach Bodenbeschaffenheit – etwa 10 bis 20 m; eine


steinige Bodenbeschaffenheit kann dabei große Hindernisse darstellen. Die seitliche
Abstützung des Hauptpfahls durch die Dreibeine ergibt einen guten Schutz gegen Aus-
kolkung; dadurch werden zusätzliche Aufschüttungen i. Allg. nicht benötigt. Aufgrund
der relativ hohen Stahlmengen und der komplexen Fertigungsprozesse findet diese Fun-
damentart aber in der Zwischenzeit kaum noch Anwendung.
 Jacket (Abb. 6.28 und 6.32 sowie Tabelle 6.4). Jackets sind Gründungsstrukturen, die
aus Stahlfachwerkstrukturen bestehen; sie ähneln optisch den früher eingesetzten Git-
termasten für Windenergieanlagen an Land. Jackets werden mit dem Meeresuntergrund
an den Ecken der Struktur durch vier Gründungspfähle verbunden. Das Gewicht ist
im Vergleich zu Dreibeinfundamenten deutlich geringer; dementsprechend reduziert
sich auch der Materialaufwand. Dagegen ist – aufgrund der Vielzahl der erforderli-
chen Verbindungen zwischen den einzelnen Komponenten eines derartigen Jackets –
der Aufwand für die Herstellung sowie die Instandhaltung im Verlauf der technischen
Lebensdauer deutlich größer. Derartige Gründungsstrukturen werden insbesondere für
große Wassertiefen von bis zu 60 m eingesetzt, bei denen eine Monopile-Lösung zum
heutigen technischen Stand technisch und / oder wirtschaftlich nicht mehr realisierbar
ist [6.16].
 Tripile (Abb. 6.28 und Tabelle 6.4). Tripile-Fundamente sind ebenfalls für Wassertiefen
von 25 bis 50 m konzipiert und bestehen aus einer dreibeinigen Stahlrohrkonstruktion.
Im Unterschied zum Tripod laufen die drei Stahlrohre aber über der Wasserkante in ei-
6 Stromerzeugung aus Windenergie 515

Abb. 6.33 Gründung einer Turm


Offshore-Windkraftanlage Arbeitsplattform
mittels Suction-Bucket

Bootsanleger

Seitenwand des
Stahlzylinders

Unterspülung

Meersuntergrund

nem sogenannten Stützkreuz zusammen, auf dem dann der Turm der Windkraftanlage
angebracht wird. Das Fundament wird im Meeresboden verankert, indem die drei ein-
zelnen Rohre in den Untergrund gerammt werden (d. h. drei Monopiles, die über dem
Meeresspiegel zusammengeführt werden). Dieser Fundamenttyp zeichnet sich durch
eine kompakte „Leichtbauweise“ aus. Er hat aber am Markt insgesamt nur sehr be-
grenzte Verbreitung gefunden.
 Suction-Bucket (Abb. 6.28 und 6.33 sowie Tabelle 6.4). Bei der sogenannten „Suction-
Bucket“-Gründungsstruktur handelt es sich um eine Saugglockenkonstruktion, bei der
das Fundament durch Unterdruck ausgespült wird und sich dadurch am Meeresboden
festsaugt. Für die Aufstellung sind deshalb keine Rammarbeiten erforderlich und der
Rückbau kann in der Theorie durch das Einpumpen von Luft und die dadurch erziel-
te Loslösung des Fundaments erfolgen. Voraussetzung hierfür ist allerdings ein sehr
homogener Meeresboden mit einem geringen Steinanteil, um ein gleichmäßiges An-
saugen dieser Stahlkonstruktion am Untergrund zu ermöglichen.

Schwimmende Fundamente (Abb. 6.34), die zukünftig eine Alternative zu bodenmon-


tierten Gründungsstrukturen darstellen können, sind für Wassertiefen zwischen rund 50
und etwa 700 m konzipiert. Sie eröffnen die Option, tiefere Gewässer mit den dort ge-
gebenen höheren erreichbaren Volllaststunden potenziell für eine Windkraftnutzung zu
erschließen. Neben der dadurch möglichen Nutzung größerer Wassertiefen eignen sie sich
516 M. Kaltschmitt et al.

halbtauchfähige Zugspannungsverankerte
Spiertonne
Barge Gitterkonstruktion Platform (Tension Leg
(Spar Buoy)
(Semi-Submersible) Platform)

Abb. 6.34 Schwimmende Fundamente für Offshore-Windkraftanlagen

auch gut zum Ausbau der Offshore-Windkraftnutzung unter schwierigen geologischen Be-
dingungen (z. B. steiniger Untergrund), bei denen sich eine Installation von bodenverbun-
denen Fundamenten konstruktions- und installationsseitig sehr kostenaufwändig gestalten
kann. In der Zwischenzeit liegen verschiedene Konzepte für derartige schwimmende Fun-
damente vor, die z. T. den Forschungszustand überschritten haben und sich langsam in
Richtung auf das ökonomisch Machbare bewegen. Abb. 6.34 zeigt exemplarisch vier der-
artiger Konzepte. Die ersten drei Ansätze unterscheiden sich im Wesentlichen durch die
im Wasser liegende Konstruktion; dies kann eine Plattform (Barge), eine halbtauchfähi-
ge Gitterkonstruktion (Semi-Submersible) oder eine Pfahl-Boje (Spar-Buoy) sein. Allen
diesen Ansätzen gemeinsam ist, dass sie nur locker im Meeresboden verankert sind; sie
unterscheiden sich jedoch in der Anzahl der Verankerungen und / oder in den verwendeten
Materialen. Das letzte Konzept zeichnet sich im Wesentlichen über steife Verbindungen
zum Meeresboden (Tension Leg Platform) aus; dies führt zu einer höheren Stabilität in
der Gründungsstruktur. Der Einsatz von derartigen schwimmenden Fundamenten stellt ei-
ne Kostensenkung in den Bereichen Herstellung, Installation sowie Betrieb in Aussicht;
jedoch müssen diese Vorteile in den kommenden Jahren durch entsprechende Entwick-
lungs- und Optimierungsarbeiten erst noch erschlossen werden.

6.2.1.4 Netzanbindung
Windkraftanlagen können entweder als Einzelanlagen oder in Form von Windparks in
das Netz der öffentlichen Versorgung eingebunden werden. Dazu ist am jeweiligen Netz-
6 Stromerzeugung aus Windenergie 517

verknüpfungspunkt die zu erwartende Netzbeeinflussung durch die Windkraftanlage bzw.


den Windpark zu bestimmen. Hierbei sind sowohl die kurzzeitigen Leistungsschwankun-
gen, die sich in Form von Flickern (mit der Funktion des menschlichen Auges bewer-
tete Leuchtdichteschwankung aufgrund von Spannungsschwankungen) äußern, als auch
länger andauernde Spannungsveränderungen und mögliche harmonische Oberschwingun-
gen zu berücksichtigen. Ein Maß dafür ist das Verhältnis von Anlagenleistung zu Netz-
kurzschlussleistung am Verknüpfungspunkt. Die Kurzschlussleistung an einem derarti-
gen Netzknoten stellt sowohl ein Maß für die dort gültige Netzimpedanz als auch für
den dort zu erwartenden Kurzschlussstrom bei einem dreipoligen Fehler dar. Werden
bestimmte Werte überschritten, ist ein Anschluss erst an einem Punkt mit höherer Netz-
kurzschlussleistung (z. B. an der Sammelschiene eines Umspannwerks) möglich, damit
andere an das Netz angeschlossene Verbraucher nicht negativ beeinflusst werden. Da-
mit hängt die Auslegung der Netzanbindungs-Komponenten von der anzuschließenden
Leistung der Windkraftanlage / des Windparks ab. Die Funktion der benötigten elektro-
technischen Komponenten ändert sich jedoch nicht.

Onshore-Netzanbindung Die Netzanbindung von an Land aufgestellten Windparks be-


steht aus der internen Verkabelung (auf der jeweiligen Spannungsebene), der Übergabe-
station (bei kleineren Windparks anhand eines Trafos, bei Windparks mit Anlagen der
Multi-Megawatt-Klasse anhand eines Umspannwerks), der Stichleitung (Spannungsan-
schlussleitung) und dem Netzanbindungspunkt zur Stromeinspeisung in das örtliche Netz.
Bei letzterem wird hauptsächlich zwischen der Anbindung an das Mittelspannungsnetz
(20 kV) und der Anbindung an das Hoch- (110 kV) oder Höchstspannungsnetz (220 und
380 kV) unterschieden (Abb. 6.35).

 Bei kleineren Windparks werden die Einzelanlagen in der Regel mittels Niederspan-
nungsleitungen miteinander verbunden (sogenannte interne Verkabelung). Anschlie-
ßend wird der gesamte Windpark über einen ggf. notwendigen Transformator mithilfe

WEA- Hochspannungs-
Transformator Transformator
IWEA 1

HS-Netz
Niederspannung Mittelspannung 110-380 kV
400 V / 690 V 6-35 kV

IWEA n

Abb. 6.35 Netzeinspeisung von Windenergieanlagen (WEA) in das Hoch- oder Höchstspannungs-
netz (HS-Netz) (nach [6.60])
518 M. Kaltschmitt et al.

einer Mittelspannungsschaltanlage sowie der Mittelspannungsanschlussleitung bis zum


Netzanbindungspunkt angeschlossen.
 Im Falle größerer Windparks, welche sich aus Multi-Megawatt-Anlagen zusammen-
setzen, die jeweils mit einem eigenen Transformator ausgestattet sind, wird die interne
Parkverkabelung auf der Mittelspannungsebene (6 bis 35 kV) ausgelegt. Diese wer-
den anhand von Strängen an ein Umspannwerk geführt. Von dort werden sie über eine
Stichleitung an den Netzanbindungspunkt angeschlossen und speisen dadurch in das
Hochspannungsnetz ein.

Jede Windkraftanlage ist hinsichtlich ihrer Steuerung so auszulegen, dass ihr Netz-
fehler (u. a. Ausfall des Netzes, Kurzschluss im Netz) keinen Schaden zufügen können.
Ferner sollte durch eine vollständige Trennung vom Netz ein sicheres Arbeiten des Be-
dien- und Wartungspersonals gewährleistet sein.

Offshore-Netzanbindung Die Realisierung der Netzanbindung von Offshore-Wind-


parks ist aufgrund der zu überwindenden Entfernungen durch das Meer deutlich aufwän-
diger im Vergleich zu Onshore-Windparks. Dieser Aufwand wird bestimmt von der zu
überbrückenden Entfernung zur Küste und der installierten Leistung des jeweils anzu-
schließenden Windparks / des Windparkclusters. Beispielsweise beträgt in Deutschland
die durchschnittliche Entfernung der Offshore-Windparks zur Küste derzeit rund 45 km;
sie wird sich in Zukunft aber noch weiter erhöhen. Derart große Entfernungen bedin-
gen eine komplexe Netzinfrastruktur bestehend aus der Verkabelung des Windparks, der
Offshore-Umspannstation im Windpark, der Seekabelverbindung zum Land oder an ei-
ne weitere Offshore-Umspannstation sowie die Verknüpfung mit dem Verbundnetz auf
der entsprechenden Spannungsebene [6.8]. Der in den Windparks produzierte Wechsel-
strom wird meistens auf einer Umspannplattform auf der Hochspannungsebene gebündelt
und von dort aus an Land transportiert. Aufgrund der bei der Offshore-Windenergie in
Deutschland z. T. realisierten relativ weiten Küstenentfernungen wird auch eine Strom-
übertragung an Land über Gleichstromkabel realisiert, um damit die Übertragungsverluste
aufgrund der langen zu überbrückenden Strecke zu vermindern. Die dafür jeweils ein-
gesetzten Komponenten müssen – trotz der rauen Offshore-Umweltbedingungen – eine
hohe Zuverlässigkeit aufweisen.
Für die Netzanbindung von Offshore-Windparks werden in Deutschland VPE-Kabel
(VPE – vernetztes Polyethylen) verwendet. Ein derartiges einadriges Gleichstromkabel
(Abb. 6.36) ist typischerweise durch den folgenden Aufbau gekennzeichnet [6.61].

 Im Kern des Kabels befindet sich der stromdurchflossene Leiter, der aus Leitaluminium
oder weichgeglühtem Elektrolytkupfer besteht. Dieser Leiter kann massiv (d. h. ein
Einzeldraht) oder aus mehreren verseilten Einzeldrähten gefertigt sein.
 Nun folgen eine sogenannte innere Leitschicht aus einem Halbleitermaterial, die Isola-
tion und eine weitere Leitschicht als Isolationsschirm. Diese beiden Halbleiterschichten
dienen der Feldkontrolle; sie sorgen für einen gleichmäßigen Kontakt von Leiter und
6 Stromerzeugung aus Windenergie 519

Abb. 6.36 Exemplarischer 1


2
Aufbau eines Gleichstrom- 3
kabels (1 Leiter; 2 innere
4
Leitschicht; 3 VPE-Isolie-
rung; 4 äußere Leitschicht; 5
5 Quellvlies; 6 Bleimantel;
7 PE-Mantel; 8 Polster; 9 Ar- 6
mierung; 10 Außenmantel; 7,8
VPE vernetztes Polyethylen,
PE Polyethylen; nach [6.61]) 9
10

Isolation (ohne diese Leitschichten könnten Materialunebenheiten zu Differenzen der


Feldstärke führen); auch sollen dadurch Lufteinschlüsse verhindert werden.
 Das danach angebrachte Quellvlies verhindert im Falle von Eindringen von Feuch-
tigkeit die Ausbreitung längs des Kabels. Zusätzlich wird zum radialen Schutz gegen
Seewasserdiffusion ein Bleimantel verwendet.
 Ein danach realisierter innerer Mantel aus extrudiertem Polyester soll das Kabel vor
mechanischen Schäden schützen. Nach einem darauf aufgebrachten Polyesterpolster
folgt eine Armierung, die aus Kupfer-, Aluminium- oder Stahlseilen besteht und dem
Kabel eine hohe Festigkeit verleiht; diese dient ebenfalls als mechanischer Schutz (z. B.
bei der Verlegung).
 Zuletzt ist das Kabel von einer äußeren Schutzschicht aus Polypropylen umgeben.

Insgesamt ergibt sich daraus ein Kabeldurchmesser von beispielsweise 12 cm; davon
nehmen der Leiter und die Isolationsschicht den Großteil ein. Typische Bandbreiten für
das Kabelgewicht liegen zwischen 15 und 80 kg/m.
Die einzelnen Anlagen eines Windparks werden z. T. untereinander und mit der Off-
shore-Umspannstation über derartige Kabel verbunden. Beispielsweise können 5 bis
20 Anlagen miteinander verkabelt und dann über eine gemeinsame Verbindung an die
Umspannstation angeschlossen werden. Die Kopplung der Windkraftanlagen unterein-
ander kann strahlenförmig, ringförmig, sternförmig oder in verschiedenen Mischformen
realisiert werden (Abb. 6.37; [6.17]).

 Bei einer strahlenförmigen Anordnung werden die Windenergieanlagen in einer Rei-


he hintereinander verbunden. Problematisch ist hierbei, dass bei einem Schaden des
Kabels im vorderen Teil der Reihe alle dahinterliegenden Anlagen von der Netzverbin-
dung abgeschnitten sind.
 Bei einer sternförmigen Verknüpfung ist eine zentrale Windenergieanlage Ausgangs-
punkt für die Anbindung der umliegenden Anlagen. Vorteilhaft ist hier der Ausfall von
nur einer Anlage im Falle eines Kabelschadens.
 Bei einer Ringanordnung werden die Anlagen im Normalbetrieb in zwei Halbringen
betrieben, die über einen offenen Schalter voneinander getrennt sind. Im Fehlerfall wird
520 M. Kaltschmitt et al.

Abb. 6.37 Konzepte der


Verkabelung für Windparks
(nach [6.17])

Sternformation
Radiale Anordnung

Ringanordnung

die betreffende Anlage freigeschaltet und die verbleibenden Anlagen werden durch
das Schließen des Schalters mit dem jeweils anderen Halbring verbunden. Durch den
redundanten Kabelweg können beim Ausfall eines einzelnen Kabels die restlichen An-
lagen über den zweiten Halbring mit der Umspannstation verbunden werden.

Die Offshore-Verkabelung besteht aus speziell für den Einsatz unter Wasser konzi-
pierten kunststoffummantelten Seekabeln, die mit Spezial-Kabelverlegeschiffen ca. 1 bis
3 m unter den Meeresboden vergraben und / oder mit Hilfe eines Wasserstrahls einge-
spült werden. Die verlegten Kabel müssen hinreichend gegen Beschädigungen z. B. durch
Schleppnetze gesichert sein; dies schließt die Ausführung der Kabel selbst wie auch ihre
Verlegung mit ein. Auch müssen sie so dimensioniert werden, dass eine maximale Tem-
peraturerhöhung durch den Stromtransport einen Wert von 2 K in einer Meeresbodentiefe
von 20 cm in der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) bzw. 30 cm in der 12 sm-Zone
einschließlich dem Wattenmeer (sogenannter „Aufpunkt“) bei einer durchschnittlichen
Verlegetiefe des Kabels von rund 150 cm Tiefe unter der Meeresbodenoberfläche nicht
überschreitet.
Für die Übertragung der elektrischen Energie zum landseitigen Verknüpfungspunkt ist
– neben einer konventionellen Wechselstromübertragung – eine Hochspannungs-Dreh-
strom- (HDÜ) oder eine Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) möglich; dazu
werden entsprechende Umspannstationen mit passenden Fundamenten im Meer benötigt,
an der auch die interne Windparkverkabelung zusammenläuft. Dazu sind je nach Leistung
des Windparks bzw. der Spannungsebene der Übertragung (33 bis 66 kV) zwischen dieser
Umspannstation und der entsprechenden Station an Land ein oder mehrere Seekabel zu
verlegen. Die Offshore-Windparks werden mit dem Verbundnetz an Land zunächst auf der
Hochspannungsebene (110 kV) verbunden. Für zukünftige Projekte im Gigawatt-Bereich
ist demgegenüber eine Anbindung an das Höchstspannungsnetz (> 220 kV) angedacht.
Nachfolgend werden die Übertragungsformen für Hochspannungs-Gleichstrom und
Hochspannungs-Drehstrom erläutert (Abb. 6.38).
6 Stromerzeugung aus Windenergie 521

Offshore-Windpark
mit Wechselstrom-
Anbindung
Offshore-Windpark
mit HGÜ-Anbindung
Trafostation

Trafostation

Innerhalb des Parks Konverterplattform


Wechselstrom AC-DC
Konverterstation
DC-AC

HGÜ-Kabel

Übertragungsnetz

Abb. 6.38 Netzanbindungskonzepte von Offshore-Windparks (die dargestellte Grenze zwischen


Windparkbetreiber und Übertragungsnetzbetreiber ist durch die in Deutschland gültige Rahmenset-
zung definiert; d. h. unter anderen gesetzliche Bedingungen kann diese Grenze auch anders sein)
(HGÜ Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung, DC Gleichstrom (direct current), AC Wechsel-
strom (alternating current))

 Bei der Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) wird der von den Windkraft-


anlagen kommende Wechselstrom zunächst in einer Wechselstrom-Umspannstation
zusammengeführt und hier auf ein höheres Spannungsniveau transformiert, um dann
in Gleichstrom umgewandelt zu werden. Dieser Gleichstrom wird dann mit Kabeln
an Land transportiert. Dort erfolgt die Wechselrichtung in netzkompatiblen Wechsel-
strom. Der Vorteil dieser zweifachen verlustbehafteten Umformung der elektrischen
Energie besteht darin, dass bei der Gleichstromübertragung hohe Leistungen über weite
Entfernungen ohne die bei der Drehstromübertragung benötigten Anlagen zur Kom-
pensation von Blindleistung übertragen werden können. Auch sind die Verluste der
Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung geringer im Vergleich zur Hochspannungs-
Wechselstrom-Übertragung. Allerdings werden im Vergleich zur Wechselstromüber-
tragung zusätzliche technische Einrichtungen zum Gleich- und Wechselrichten der
elektrischen Energie benötigt.
 Bei der Hochspannungs-Wechselstrom-Übertragung wird der von den Windkraftan-
lagen kommende Wechselstrom mithilfe eines Transformators auf ein höheres Span-
nungsniveau gehoben und dann an Land übertragen. Hier wird dann eine Transfor-
mation auf das Spannungsniveau an dem jeweiligen Netzeinspeisepunkt in das Netz
der öffentlichen Versorgung realisiert. Im Vergleich zur Hochspannungs-Gleichstrom-
522 M. Kaltschmitt et al.

Übertragung ist dieses Konzept technisch weniger aufwändig. Dafür ist eine solche
Realisierung jedoch nicht für längere Seekabelstrecken technisch und wirtschaftlich
sinnvoll, da die für Drehstrom-Kabel typische hohe kapazitive Blindleistung kompen-
siert werden muss.

In Abwägung der jeweiligen Vor- und Nachteile dieser beiden Konzepte muss jeweils
fallspezifisch ein technisch und ökonomisch optimales Konzept identifiziert werden. Oft
wird derzeit von einer wirtschaftlichen Übertragung der elektrischen Energie mittels
Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) ab etwa 80 km Entfernung ausgegan-
gen, wobei die HGÜ-Technik aus ökonomischen Gründen in Form einer Punkt-zu-Punkt
Übertragung genutzt wird.
Die Gestaltung der Offshore-Umspannstationen und der Integration in das nationale
Stromversorgungsnetz orientiert sich an den Vorgaben der diversen Ausbaupläne. Diese
bestimmen auch größtenteils die Rahmenbedingungen, ob ein Offshore-Windpark eine
eigene Umspannstation hat, in welcher Übertragungsform die elektrische Energie wei-
tergeleitet wird und ob die Kabelanbindung zu Land durch den Netzbetreiber oder im
Rahmen des Offshore-Windparks realisiert wird.

6.2.2 Gesamtsystemaspekte

Nachfolgend wird die Windkraftanlage als Teil eines Windparks – und damit als ein
gesamtes Stromerzeugungssystem – betrachtet. Ausgehend davon werden das Windpark-
design und weitere Aspekte (u. a. Aufbau, Betrieb und Instandhaltung) beschrieben. Dabei
wird zwischen On- und Offshore-Windparks unterschieden. Auch wird auf Installations-
sowie Betriebs- und Wartungsaspekte eingegangen.

Windparkdesign Windkraftanlagen können als Einzelanlagen an exponierten Stellen,


beispielsweise auf relativ frei angeströmten Kuppen in Mittelgebirgen, in einer reihenför-
migen Anordnung (z. B. Aufstellung der Anlagen entlang eines Deichs) oder zusammen-
gefasst zu einer Gruppe (z. B. Aufstellung in hintereinander liegenden Reihen [6.18]) in-
stalliert werden. Dabei müssen bei den beiden letztgenannten Aufstellvarianten bestimm-
te, von den örtlichen Gegebenheiten abhängige Mindestabstände zwischen den jeweiligen
Anlagen eingehalten werden, damit die wechselseitige Abschattung der einzelnen Wind-
energieanlagen minimiert wird und für jede Anlage möglichst ungestörte Windverhältnis-
se gegeben sind. Unter einer derartigen Abschattung werden dabei Effekte zusammen-
gefasst, durch die sich z. B. relativ nahe beieinander installierte Anlagen gegenseitig den
Wind „wegnehmen“ und die dynamische Belastung der stromab installierten Windkraft-
anlagen durch Zunahme der Turbulenz im Abstrom der vorgelagerten Anlage zunehmen
kann. Eine weitere Möglichkeit zur Optimierung der Abschattungseffekte unter den Wind-
energieanlagen sowie auch von der Umgebung ist der Einsatz unterschiedlicher – und das
bedeutet primär höherer – Turmhöhen. Hierdurch ist inzwischen eine Aufstellung von
6 Stromerzeugung aus Windenergie 523

Hauptwindrichtung

Nebenwindrichtung
Windkraft-
konverter-
standort

einzuhaltende Abstandsfläche

Abb. 6.39 Möglichkeiten der Windkraftanlagenaufstellung in Windparks (schematisch; nach [6.1])


(links: idealisierte Anlagenaufstellung ohne bevorzugte Windrichtung, rechts: idealisierte Anlagen-
aufstellung mit bevorzugter Windrichtung)

Windenergieanlagen sogar in Waldgebieten möglich; die Windkraftanlagen werden hier-


bei in einer Höhe deutlich über den Baumwipfeln betrieben. Außerdem lassen sich durch
Turmhöhen von bis zu maximal 200 m, wie sie jüngst in die Diskussion gekommen sind,
an einem Schwachwindstandort im Binnenland im Vergleich zu den heute üblichen Turm-
höhen deutlich höhere Winderträge realisieren.
Der Vorgang der Festlegung des konkreten Standortes der einzelnen Windkraftanlagen
innerhalb einer definierten Windparkfläche wird Micrositing genannt. Dieser Prozess wird
i. Allg. unterstützt durch komplexe Softwaretools, die das Ziel haben, das lokale Windfeld
möglichst gut abzubilden und dadurch die Möglichkeit eröffnen, die potenziellen Ener-
gieerträge jeder einzelnen Anlage möglichst weitgehend zu maximieren.
Grundsätzlich sind zwei unterschiedliche Aufstellanordnungen von Windkraftanlagen
in Windparks auf einer begrenzten Gebietsfläche unter Minimierung der Abschattungsef-
fekte möglich. Neben einer optimierten Anlagenaufstellanordnung bei bevorzugter Wind-
richtung ist auch eine optimale Anlageninstallation ohne eine eindeutige Luftströmungs-
richtung denkbar; Abb. 6.39 zeigt jeweils exemplarisch eine idealisierte Möglichkeit. Bei-
den Varianten gemeinsam ist die Tatsache, dass zwischen einzelnen Windkraftanlagen ein
bestimmter Abstand eingehalten werden muss, um einem Ausgleich zwischen der durch
den Energieentzug des Rotors verminderten Geschwindigkeit der strömenden Luftmassen
und den ungestörten Luftströmungen zu ermöglichen. Damit soll erreicht werden, dass bei
der nächsten Windenergieanlage wieder von näherungsweise ungestörten Windverhältnis-
sen ausgegangen werden kann. Der jeweils einzuhaltende Abstand zwischen einzelnen
Anlagen hängt von den meteorologischen, topografischen und sonstigen Bedingungen
524 M. Kaltschmitt et al.

(z. B. gesetzlichen bzw. administrativen Einschränkungen, Kabelverluste) am jeweiligen


Standort und damit den örtlichen Gegebenheiten sowie von den Einsatzbedingungen der
Anlage selbst ab und kann in weiten Bereichen variieren.
Der zwischen zwei benachbarten Windkraftanlagen minimal einzuhaltende Abstand
wird durch den sogenannten Abstandsfaktor kA beschrieben. Er ist definiert als das Ver-
hältnis zwischen Anlagenabstand und Rotordurchmesser. Der notwendigerweise einzu-
haltende Abstand zwischen den einzelnen Windkraftanlagen wird damit als ein Vielfaches
des Rotordurchmessers beschrieben.
Ist standortbedingt eine bevorzugte Windrichtung gegeben und sind die topografischen
Gegebenheiten für die Aufstellung von Windkraftanlagen günstig (z. B. Flachland an der
Küste), können die Anlagen in mehreren, hintereinander liegenden Reihen aufgebaut wer-
den (Abb. 6.39, rechts). Da der Wind hier hauptsächlich aus einer Richtung kommt, müs-
sen die Abschattungseffekte primär hinsichtlich dieser Hauptwindrichtung minimiert wer-
den. In Abhängigkeit der jeweiligen Gegebenheiten vor Ort schwankt unter diesen Be-
dingungen der entsprechende Abstandsfaktor in Richtung der hauptsächlichen Windströ-
mungsrichtung kA;x zwischen 6 und 8 und quer zur Hauptwindrichtung kA;y zwischen 3
und 5; aufgrund der Begrenztheit der Flächen und aus wirtschaftlichen Erwägungen sind
aber z. T. auch geringere Abstandsfaktoren kA;x möglich, die z. T. bei etwa 4 liegen können.
Um sicherzustellen, dass die Standsicherheit der Anlagen gegeben ist und die Belastung
des Rotors in Grenzen gehalten wird, müssen bei derart geringen Abständen basierend auf
der Umgebungsturbulenz und des Parklayouts Turbulenzanalysen durchgeführt werden.
Die um eine Windkraftanlage demnach minimal einzuhaltende Fläche AWKA berechnet
sich damit nach Gleichung (6.25). dRot ist der Rotordurchmesser der jeweils verbauten
Windkraftanlage.

AWKA D kA;x kA;y dRot 2 (6.25)

Liegt, wie es beispielsweise im Binnenland der Fall sein kann, keine bevorzugte Wind-
richtung vor und stehen einer optimierten Anlagenaufstellung keine topografischen, infra-
strukturellen und sonstigen Einschränkungen entgegen, müssen die Abschattungseffekte
hinsichtlich aller Himmelsrichtungen möglichst minimiert werden. Um jede Windkraft-
anlage sollte deshalb eine – näherungsweise – kreisförmige Gebietsfläche freigehalten
werden. Sie kann vereinfachend durch ein regelmäßiges Sechseck beschrieben werden
(Abb. 6.39, links). Der bei dieser Anlagenaufstellung einzuhaltende Abstandsfaktor kA
variiert im Regelfall innerhalb einer vergleichbaren Bandbreite wie bei der Anlagenauf-
stellung mit bevorzugter Windrichtung (d. h. je nach den lokalen Gegebenheiten und den
Windverhältnissen vor Ort zwischen 6 und 15). Die infolge dieser Zusammenhänge not-
wendigerweise freizuhaltende Fläche um eine Windkraftanlage errechnet sich dann nach
Gleichung (6.26).
r
3
AWKA D .kA dRot /2 (6.26)
4
6 Stromerzeugung aus Windenergie 525

Werden die standortspezifisch festzulegenden optimalen Abstände zwischen den ein-


zelnen Anlagen eingehalten, minimieren sich die Abschattungsverluste bei gleichzeitiger
Optimierung der Platzausnutzung.
Die Verluste, die bei einer Windparkaufstellung im Vergleich zu einer einzelnen völlig
ungestörten Anlage auftreten, werden durch den sogenannten Windparkwirkungsgrad be-
schrieben; er liegt in Abhängigkeit der jeweiligen Gegebenheiten vor Ort zwischen etwa
88 und 98 %. Trotz dieser Verluste – und dem daraus resultierenden Stromminderertrag
im Vergleich zu einer Einzelanlagenaufstellung mit ungestörter Anströmung – ist eine
Anlagenerrichtung in Windparks im Normalfall mit ökonomischen Vorteilen verbunden.
Kostenersparnisse u. a. für den Netzanschluss, die Zuwegung und die durchschnittlich ge-
ringeren Aufwendungen über Skaleneffekte für Transport, Überwachung, Wartung und
Instandhaltung gleichen im Regelfall diese Energieverluste aus. Dennoch wird heutzu-
tage aufgrund des steigenden Kostendrucks mit fortgeschrittener Softwareunterstützung
ein erheblicher Aufwand hinsichtlich des Micrositings betrieben, da auch die Windparks
an Land größer und an komplexeren Standorten realisiert werden. Mittels geografischer
Detailinformationen und entsprechenden Optimierungsalgorithmen wird das Parklayout
unter Beachtung von z. B. Windbedingungen, Zuwegungen, Kabelrouten und Kosten hin-
sichtlich minimaler Stromgestehungskosten ausgelegt.
Im Offshore-Bereich – und damit bei einer Windparkerrichtung fern der Küste im Meer
– liegt u. a. aufgrund der hohen Netzanbindungskosten und der kaum vorhandenen topo-
grafischen und infrastrukturellen Restriktionen die optimale Windparkgröße deutlich über
der von Onshore-Windparks (d. h. größere Nennleistung der einzelnen Windkraftanlagen
und höhere Anzahl an installierten Anlagen innerhalb eines Windparks). Beispielsweise
werden die Kosten der Netzanbindung stärker von der Länge der zu verlegenden Kabel
und der aufzustellenden Offshore-Umspannstation als von der anzuschließenden Leistung
der verschiedenen Windkraftanlagen beeinflusst. Für die Windparkauslegung – und damit
die zwischen den einzelnen Anlagen einzuhaltenden Abstände – sind zusätzlich die in der
Regel höheren Windgeschwindigkeiten auf dem offenen Meer und die geringeren Turbu-
lenzen im Vergleich zu einer Onshore-Aufstellung zu berücksichtigen. Die Minderung der
mittleren Windgeschwindigkeit und die Zunahme der Turbulenz im Abstrom einer Off-
shore-Windkraftanlage fällt jedoch durchschnittlich stärker aus und hält – im Vergleich zu
einer Onshore aufgestellten Anlage – länger an. Deshalb ist für Offshore-Windparks bei
gleicher Auslegung wie Onshore ein geringerer Parkwirkungsgrad und eine relativ stärke-
re Abschwächung des Windes im Abströmbereich der Hauptwindrichtung zu erwarten.

Windparkerrichtung Die Errichtung von Windparks setzt sich zusammen aus den Kern-
elementen (a) Transport der Teilkomponenten einer Windenergieanlage, (b) Bereitstellung
benötigter Hebekräne sowie (c) Montage und (d) Inbetriebnahme. Neben dem Komponen-
tentransport bestimmen die Gegebenheiten vor Ort (z. B. Bodenbeschaffenheit, Wetterbe-
dingungen) maßgeblich die Errichtung [6.8].
Bei der Installation einer Windenergieanlage oder eines Windparks muss neben einem
logistischen auch immer ein technisch-wirtschaftlicher Kompromiss gefunden werden;
526 M. Kaltschmitt et al.

d. h. einerseits müssen die Montagearbeiten vor Ort durch ein hohes Maß an Vormontage
minimiert werden und andererseits ermöglicht eine Segmentierung der großen Kompo-
nenten (u. a. Turm, Rotorblätter, Maschinenhaus) erst einen Transport.

Onshore-Anlagenerrichtung Vor der eigentlichen Errichtung einer Windkraftanlage an


Land muss das Fundament, je nach den jeweiligen Untergrundgegebenheiten ausgeführt
in Flach- oder Tiefgründung, erstellt werden. Dann werden bei Anlagen mit Stahlrohrtür-
men die 3 bis 5 Turmsektionen mit jeweils 20 bis 30 m Länge pro Sektion nacheinander
mit einem Kran an die richtige Stelle gehoben und montiert; die unterste Turmsektion
wird dabei direkt mit dem Fundament verschraubt. Dazu muss ein Großkran mit einer
Traglast im dreistelligen Tonnenbereich und Höhen von mehr als 100 m verfügbar sein,
der – zusätzlich zu den segmentierten Anlagenkomponenten – an den potenziellen Anla-
genstandort transportiert und dort aufgebaut werden muss.
Steht der Turm und sind damit die einzelnen Turmsegmente fest miteinander verbunden
(d. h. verschraubt), wird das Maschinenhaus / die Gondel mithilfe des Krans vom Trans-
porttieflader auf die Turmspitze gehoben und dort auf den Turm montiert. Für Anlagen
bis ca. 2 MW elektrischer Nennleistung kann dies in einem Hub durchgeführt werden.
Größere Anlagen, deren Maschinenhäuser über 80 t wiegen, werden in mehreren Hü-
ben errichtet, indem z. B. das Maschinenhaus, der mechanische Triebstrang und die obere
Gondelabdeckung sukzessive montiert werden. Anschließend wird entweder die Nabe mit
den Rotorblättern – als Rotorstern – in einem Stück oder zuerst die Nabe und dann die
einzelnen Rotorblätter auf die Nabenhöhe gehoben und an dem Maschinenhaus bzw. an
der Rotornabe angebracht. Darauffolgend wird der Innenbau (u. a. Schaltanlagen, Aufzug,
Kabel) montiert.
Eine derartige Errichtung einer Onshore-Windkraftanlage ist inzwischen so weit op-
timiert, dass sämtliche Arbeiten bei guten Witterungsbedingungen innerhalb eines Tages
oder im Verlauf weniger Arbeitstage erledigt werden können [6.8]. Liegen demgegenüber
beispielsweise die Windgeschwindigkeiten über 10 m/s, kann dies die Hebearbeiten stark
beeinflussen und z. T. sogar verhindern.
Nach der eigentlichen Errichtung sind neben der elektrischen Verkabelung – mittels
Erdkabel – für die interne Verkabelung innerhalb des Windparks sowie die für die Netzan-
bindung zu verlegenden Kabel weitere Arbeiten erforderlich. Deshalb kann bei der aktuell
verbauten Anlagengröße bis zur netzgekoppelten Inbetriebnahme einer neu installierten
Anlage eine Woche vergehen, wenn das Fundament bereits vorhanden ist [6.8].
Der anschließende Inbetriebnahmeprozess setzt sich aus der Montage- und Funkti-
onsprüfung, dem Probebetrieb, der unabhängigen technischen Begutachtung sowie der
Abnahme und Übergabe zusammen.

Offshore-Anlagenerrichtung Die Errichtung eines Windparks vor der Küste im (flachen)


Meer ist aufgrund der Randbedingungen auf See und dem großen Einfluss des Wetters
deutlich aufwändiger verglichen mit einer Installation an Land. Dieser meteorologische
Einfluss gilt außer für die Windgeschwindigkeit auch für die Wellenhöhe, die einen we-
6 Stromerzeugung aus Windenergie 527

sentlichen zusätzlichen einschränkenden Faktor für den Transport und für die Montage
darstellt. Weiterhin wird – ebenfalls im Unterschied zu einer Onshore-Installation – eine
entsprechende Versorgungsinfrastruktur benötigt, die vorhanden bzw. verfügbar gemacht
werden muss. Dies umfasst einen entsprechend ausgebauten Hafen sowie die Bereitstel-
lung des erforderlichen Equipments bzw. der benötigten Gerätschaften für Transport und
Montage. Der Hafen muss so ausgebaut sein, dass die bis 30 m hohen Turmsektionen,
die teilweise über 90 m langen Rotorblätter, die Gründungsstrukturen, das Maschinenhaus
sowie die benötigten Kabel und das Umspannwerk problemlos zwischengelagert werden
können, bevor sie an den Aufstellungsort transportiert werden. Dabei wird i. Allg. eine
möglichst weitgehende Vormontage der einzelnen Komponenten der Windkraftanlage an
Land realisiert, um Montagearbeiten auf See möglichst weitgehend zu minimieren.
Der Transport der segmentierten Windkraftanlagenkomponenten zum Standort des
Windparks auf hoher See kann mittels Hubplattformen mit Großkränen – sogenannten
Jack-up Barges – oder mit Kranschiffen (d. h. Schwimmkränen) realisiert werden. Erstere
können durch ihre bis zu 80 m langen ausfahrbaren Beine auf dem Meeresboden aufge-
stellt werden (Abb. 6.43). Dadurch wird der Schwimmkörper der Jack-up Barge über die
Wasseroberfläche angehoben und ist damit nicht mehr den Wellen ausgesetzt. Somit wird
beispielsweise ein sicheres Rammen der Pfähle sowie ein Installieren der verschiedenen
Anlagenkomponenten ermöglicht. Problematisch in Bezug auf die Witterungsbedingun-
gen ist i. Allg. der Transport der Jack-up Barge an den potenziellen Errichtungsstandort,
da ein Umsetzen und ein Ausfahren der Beine aus Sicherheitsgründen bei höchstens 1,5
bis 2 m Wellenhöhe realisiert werden kann. Sind die Beine jedoch ausgefahren und ist
der Schwimmkörper über die Wasseroberfläche angehoben, ist der Seegang kaum noch
limitierend.
Zusätzlich ist die Windgeschwindigkeit für Hebearbeiten – wie auch bei einer Aufstel-
lung an Land – bestimmend; für die Errichtung der Türme liegt die Grenze bei rund 10 m/s
und die des Rotors sowie der Blätter bei ca. 8 m/s. Im Allgemeinen gilt, dass Arbeiten im
Zusammenhang mit dem Meeresuntergrund durch die Wellenhöhe und dass Hebearbeiten
über der Wasseroberfläche durch die Windgeschwindigkeit beschränkt werden.
Die einzelnen Schritte zur Errichtung einer Windenergieanlage vor der Küste sind in
Abb. 6.40 exemplarisch für die Montage mit einer Tripile- sowie einer Monopile-Grün-
dungstruktur dargestellt. Demnach werden nach der Aufstellung der Jack-up Barge die
Gründungspfähle – mit einem hydraulisch angetriebenen Großhammer – in den Meeres-
grund gerammt. Die Anzahl der Schläge variiert – je nach Pfahldurchmesser und -anzahl
– zwischen 3 000 und 5 000. Insgesamt werden – je nach den Untergrundgegebenheiten –
derartige Gründungspfähle bis zu 40 m in den Meeresuntergrund verankert. Wird ein Tri-
pile und kein Monopile installiert, wird nach dem Rammen der drei Pfähle das Stützkreuz
– d. h. der Tripile – auf diese Gründungspfähle gesetzt. Bei der Monopile-Gründung wird
nach dem Rammen des eigentlichen Monopiles das Transition Piece auf diesen Einpfahl
aufgesetzt und justiert; dies ist in Abb. 6.40 nicht dargestellt.
Die Errichtung eines Jackets ist im Vergleich dazu etwas aufwändiger und variiert je
nach Installationskonzept. Hier wird zuerst die Jacketstruktur auf dem Meeresgrund ab-
528 M. Kaltschmitt et al.

Abb. 6.40 Windkraftanlagenaufstellung in Windparks exemplarisch am Beispiel eines Tripile


(linke Bildhälfte) und einen Monopile (rechte Bildhälfte) ((1) Rammen der Gründungspfähle /
des Gründungspfahls, (2) Aufsetzen des Tripiles / des Transitionpiece auf die Gründungspfähle,
(3) Montage des Turms, (4) Montage der Gondel und des Rotors; nach [6.20])

gesetzt und entsprechend der lokalen Gegebenheiten ausgerichtet. Erst danach werden die
Gründungspfähle durch die Pfahlhülse in den Meeresuntergrund gerammt (sogenanntes
Post-Piling). Im Anschluss daran werden die Pfähle mit den Pfahlhülsen entweder durch
Spezialbeton („Grout“) oder durch ein sogenanntes „Swaging“ verbunden. Eine Alterna-
tive dazu wäre es, zuerst die Pfähle zu rammen und anschließend das Jacket aufzusetzen
(sogenanntes Pre-Piling) [6.9, 6.21].
Ist das jeweilige Fundament fest im Boden verankert, wird zunächst der aus mehreren
Teilen bestehende Turm sukzessive errichtet. Danach wird das Maschinenhaus auf der
Turmspitze installiert. Nun wird der Rotor entweder als ganzer Rotorstern (Abb. 6.40)
oder die Rotornabe nach Präferenz mit vorerst einem oder zwei Blättern und anschließend
den restlichen Rotorblättern angeflanscht.
Vergleichbar dazu ist auch die Installation von Schwerkraftfundamenten (Abb. 6.41).
Parallel zur Herstellung dieser Fundamente muss der potenzielle Anlagenstandort vor-
bereitet werden, damit das Schwerkraftfundament dann möglichst passgenau auf dem
Meeresboden platziert werden kann. Danach wird es beispielsweise mit Steinen beschwert
und der Kabelanschluss an den Windpark bzw. den nächsten Netzknoten realisiert. Paral-
lel dazu wird dann die Windkraftanlage – vergleichbar zu der Installation auf einem Jacket
oder einem Monopile – auf dem Fundament mithilfe beispielsweise einer Jack-up Barge
errichtet. Final wird der Kolkschutz aufgebracht und die Anlage in Betrieb genommen.
6 Stromerzeugung aus Windenergie 529

1. Herstellen der 2. Vorbereitung des Meeresunter- 3. Aufstellung des Fundaments


Schwerkraftfundamente grundes am Anlagenstandort

4. Kabelinstallation und 5. Installation der Windkraft- 6. Netzanschluss und


Beschweren des Fundaments anlage auf dem Fundament Inbetriebnahme

Abb. 6.41 Windkraftanlagenaufstellung in Windparks exemplarisch am Beispiel eines Schwer-


kraftfundaments

Kabelverlegeschiff Begleitschiff

Kabeltrommel

Seekabel

Spülschlitten Verlegerichtung

Abb. 6.42 Installation von Seekabeln zum Anschluss von Offshore-Windkraftanlagen an das Netz

Parallel zu der Installation der Fundamente und der Anlagen werden die Verkabe-
lung innerhalb des Windparks sowie die Verbindung zum Offshore-Umspannwerk und
deren Verbindung zum Onshore-Umspannwerk mit Hilfe von Kabelverlegschiffen sowie
Tauchrobotern vorgenommen. Abb. 6.42 zeigt die dabei realisierte grundsätzliche Vorge-
hensweise.
Bei der Offshore-Kabelverlegung hängt die anzuwendende Methode stark von der je-
weiligen Beschaffenheit des Bodens ab. Entsprechend fallen die angewendeten Methoden
bei einem rein sandigen Boden im Vergleich zu einem schlammigen Meeresboden oder
530 M. Kaltschmitt et al.

einem Boden mit viel Geröll und Steinen unterschiedlich aus. Die heute angewendeten
Methoden der Kabelverlegung sind: Vorverlegen der Kabel mit anschließender Vergra-
bung, eine simultane Verlegung und Vergrabung oder die Hebung eines Grabens im Voraus
mit anschließender Kabellegung.
Der anschließende Inbetriebnahme setzt sich – wie bei Onshore-Anlagen – aus der
Montage- und Funktionsprüfung, dem Probebetrieb, der unabhängigen technischen Be-
gutachtung sowie der Abnahme und Übergabe zusammen [6.8].

Betrieb und Instandhaltung Damit die einzelnen Anlagen eines Windparks im Laufe
der rund 20 bis 25-jährigen Laufzeit (d. h. technische Lebensdauer) Strom ohne signifi-
kante störungsbedingte Unterbrechungen erzeugen können, ist eine regelmäßige Wartung
sowie die Instandsetzung auftretender Fehler und Defekte zwingend notwendig.
Die Stromerzeugung einer Windkraftanlage kann anhand der Ressource Wind – die
in menschlichen Dimensionen gemessen als unbeeinflussbar gilt – und der technischen
Verfügbarkeit der Anlage – die sehr wohl anthropogen kurzfristig beeinflusst werden kann
– bestimmt werden. Die „technische Verfügbarkeit“ wird – sowohl bei einer On- als auch
einer Offshore-Installation – über das Verhältnis der aufsummierten Zeit mit operativer
Funktionsfähigkeit der Anlage zu einer entsprechend festzulegenden Nennzeit (meist ein
Jahr) definiert. Sie gilt damit als eine Messgröße für die technisch bedingten Ausfallzeiten
von Windenergieanlagen.
Die technische Verfügbarkeit ist somit eine durch den Betrieb und die Instandhaltung
beeinflussbare Kenngröße. Sie wird nachfolgend anhand ihrer wesentlichen Einflussfak-
toren erläutert.

Zuverlässigkeit Die Zuverlässigkeit einer Anlage beschreibt im Verlauf eines definierten


Betrachtungszeitraums die durchschnittliche Zeit der operativen Funktionsfähigkeit bis
zum Eintritt eines Fehlers. Sie kann durch die Ausfallrate oder Ausfallwahrscheinlich-
keit (d. h. Anzahl der Schäden pro Jahr; MTBF mean time between failure) ausgedrückt
werden.
Die Zuverlässigkeit eines technischen Gesamtsystems wird u. a. durch die Fehleran-
fälligkeit, die Langlebigkeit und die Robustheit einzelner Komponenten beeinflusst. Die
Schadensursachen können auf Serienschäden durch unzureichende Dimensionierung der
Bauteile, fehlerhaftes Zusammenwirken einzelner Komponenten oder individuelle Fehler
bei Montage, Fertigung oder den verwendeten Materialien sowie eine unsachgemäße Be-
dienung (Betrieb) zurückgeführt werden [6.8]. Damit kann die Zuverlässigkeit z. B. durch
Erweiterungen in der Anlagenausgestaltung (u. a. anhand redundanter Systeme) verbessert
werden.

Wartungs- und Servicefreundlichkeit Eine effektive und schnelle Wartung kann Schäden
vorbeugen und somit die technische Verfügbarkeit beeinflussen. Unter der Wartung wer-
den dabei Maßnahmen verstanden, welche den Sollzustand bewahren bzw. die technische
6 Stromerzeugung aus Windenergie 531

Abnutzung hemmen. Zu diesen Maßnahmen gehören i. Allg. das Reinigen, das Schmieren
sowie das Einstellen und das Justieren der Komponenten, die Überholung von Hauptkom-
ponenten und das Ersetzen verschlissener Teile. Deshalb werden Wartungsarbeiten sowie
eine umfassende Inspektion – je nach den Vorgaben des Anlagenherstellers bzw. den ver-
traglichen Vereinbarungen im jeweiligen Betriebsführungs- und / oder Wartungsvertrag –
halbjährlich oder jährlich durchgeführt.
Um aufgrund der schwierigen Zugänglichkeit die Wartungsintervalle für auf hoher See
installierte Anlagen tendenziell zu erweitern, muss die Lebensdauer von Verschleißteilen
(z. B. die Bürsten im Generator) verlängert und beispielsweise Filteranlagen, Schmier-
und Hydrauliksysteme wartungsärmer ausgelegt werden, als es beispielsweise an Land
der Fall ist. Hier können einfachere Wartungsabläufe und ein Materiallager im Turm mit
Ersatzteilen und Werkzeugen die Wartungs- und Serviceeinsätze verkürzen und somit zu
geringeren Zeitspannen des Stillstands im Wartungsfall führen. Perspektivisch könnten
auch Systeme für eine automatisierte Wartung bestimmter Standardkomponenten (z. B.
Öl-, Bürsten- und Filterwechsel) entwickelt und installiert werden.

Instandsetzbarkeit Maßnahmen (z. B. das Ausbessern oder das Austauschen), die nach ei-
nem Schaden den Ausgangszustand wiederherstellen, beschreibt man mit der Instandsetz-
barkeit. Sie wird beispielsweise durch die für die Reparatur erforderliche Stundenanzahl
quantifiziert.
Zur Durchführung vieler Instandsetzungsmaßnahmen sind Windenergieanlagen im
Multi-Megawatt-Bereich mit einem Kran in der Gondel ausgestattet. Solche Kräne haben
eine Tragkraft von bis zu 3,5 t und mehr. Damit lassen sich die meisten Komponenten
der Anlage aus bzw. in die Gondel der Windkraftanlage bewegen; kostenintensive externe
Hebezeuge werden deshalb i. Allg. nicht benötigt [6.9]. Für einige große Komponenten
(z. B. Getriebe, Generator, Rotorblätter) sind dennoch externe Großkräne erforderlich.
Offshore handelt es sich dabei um Spezialschiffe, die u. a. auch für die Installation von
Windenergieanlagen verwendet werden. Sie müssen bestimmten Anforderungen wie
Hubhöhe, Hebelasten, Transportkapazität und Transportgeschwindigkeit erfüllen [6.22].
Eine verfügbare Variante derartiger Spezialschiffe ist ein Schwimmkran, der durch eine
hohe Hubkraft und gleichzeitig aber auch eine hohe Wellenempfindlichkeit gekennzeich-
net ist (Abb. 6.43, rechts). Eine weitere Option ist die Hubplattform (Jack-up Barge), die
durch ihre ausfahrbaren Beine weniger anfällig bezüglich des Seegangs ist (Abb. 6.43,
links); diese Variante kann auch als Jack-up Schiff ausgeführt werden (Abb. 6.43, Mitte).
Schwimmkran und Hubplattform können entweder über einen eigenen Antrieb verfügen
oder müssen durch einen Schlepper verlegt werden; Anfahrt und Positionswechsel sind
damit – auch aufgrund der i. Allg. geringen Schleppergeschwindigkeit – zeitaufwändig
und damit teuer.
Eine Alternative dazu ist ein mobiler „add on crane“, der von dem im Maschinenhaus
der Windkraftanlage fest montierten Kran geringer Traglast oder einer Seilwinde hochge-
zogen und anschließend dort zusammengebaut und montiert wird.
532 M. Kaltschmitt et al.

Abb. 6.43 Schematische Darstellung einer Jack-up Barge (links), eines Jack-up Schiffs (Mitte) und
eines Schwimmkrans (rechts)

Die Instandsetzungsdauer hängt neben der Reparaturdauer und der Zeit für die Er-
satzteilbeschaffung – vor allem Offshore – stark von der Wahl und Verfügbarkeit der
Transportmittel und den Witterungsbedingungen ab.

Zugänglichkeit Um eine möglichst hohe Verfügbarkeit der Windkraftanlagen zu errei-


chen, müssen die Windparks für Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten möglichst unein-
geschränkt erreichbar sein. Deshalb beschreibt die Zugänglichkeit den Zeitraum – bezo-
gen auf eine definierte Betrachtungszeitspanne – an dem eine Anlage angefahren werden
kann. Sie hat damit im Schadenfall einen großen Einfluss auf die technische Verfügbarkeit
der Anlage und somit auch auf Ertragsverluste.
Für Onshore-Anlagen ist in der Regel eine gute Zugänglichkeit gegeben. Sie wird nur
beispielsweise durch Gewitter, sehr starke Winde sowie Schnee und Eis beeinflusst.
Offshore spielt die Zugänglichkeit demgegenüber jedoch eine sehr viel grundlegende-
re Rolle, da der Personen- und Materialtransport größtenteils über den Seeweg erfolgt.
Dabei stellt der Übergang von Mensch und Material auf hoher See zu einer fest montier-
ten Windenergieanlage eine besondere Herausforderung dar. Nachfolgend werden derzeit
genutzte Zugangssysteme zu Offshore-Anlagen kurz diskutiert.

 Der Überstieg mit Hilfe des Boatlanding ist das am meisten genutzte Verfahren, um
Personal auf die Offshore-Windenergieanlage überzusetzen. Hierbei drückt das Ser-
viceboot durch Vorwärtsschub mit dem mit Gummipuffern (Federn) verstärkten Bug
gegen zwei vertikale Rohre des Bootanlegers oder eine andere angepasste Struktur an
der Anlage. Während das Boot in Position gehalten wird, steigen die Techniker über
eine Treppe oder Leiter auf die im Meeresuntergrund verankerte Anlagenstruktur. Das
benötigte Werkzeug wird über einen Kran überführt, der beispielsweise am Transition
Piece angebracht werden kann. Hauptanforderung an die hierbei eingesetzten Service-
boote sind hohe Geschwindigkeiten, geringe Anschaffungs- und Unterhaltungskosten
6 Stromerzeugung aus Windenergie 533

Abb. 6.44 Unterschiedliche


Rumpfarten mit Berührung der
Wasseroberfläche (nach [6.22])

sowie eine gute Stabilität auch bei bewegter See, um einen sicheren Übergang zu ge-
währleisten. Die einzelnen derzeit diskutierten Serviceschiffstypen unterscheiden sich
hauptsächlich durch ihre Rumpfkonzepte (Abb. 6.44).
– Monohulls (Einrumpfschiffe) sind bisher am meisten verbreitet. Durch ihren großen
Tiefgang bieten sie einen relativ hohen Wellenwiderstand. Daraus resultieren zwar
niedrigere Reisegeschwindigkeiten, aber gute Möglichkeiten für eine hohe Zula-
dung. Beschränkungen der signifikanten Wellenhöhe für Einrumpfkonzepte liegen
bei ca. 1 bis 1,5 m.
– Katamarane haben im Vergleich zu Monohulls einen geringeren Tiefgang und ein
rechteckiges Deck. Dies bietet mehr Platz für Zuladungen und Aufenthaltsräume.
Die zwei kleineren Rümpfe ermöglichen eine höhere Reisegeschwindigkeit und eine
geringere Anfälligkeit hinsichtlich Bewegungen um die Querachse. Dadurch ist eine
Zugänglichkeit bis etwa 2 m signifikanter Wellenhöhe gegeben.
– SWATH-Schiffe (small waterplane area twin hull) sind eine Weiterentwicklung des
Zweirumpfkonzeptes. Durch zwei torpedoförmige Schwimmkörper werden verbes-
serte Manövrier- und Fahreigenschaften bei rauer See erreicht. Diese Rumpfform
kann helfen, die Bewegungen des Bootes bei einem hohen Wellengang um vier
Fünftel im Vergleich zu den Monohulls zu reduzieren. Dadurch erhöht sich die To-
leranz hinsichtlich der signifikanten Wellenhöhe auf 2 bis 2,5 m [6.22].
 Der Personentransport kann auch über Versorger (die zum Transport von kleinen
bis mittelgroßen Ersatzteilen eingesetzt werden) und Krananlagen bzw. Kranschiffen
(Transport von Großkomponenten) durchgeführt werden.
 Gangway Docking-Systeme ermöglichen auch bei größeren Wellenhöhen (2 oder
2,5 m) einen Überstieg. Der Personenübergang ist hier beispielsweise mittels einem
auf dem Boot installierten Laufsteg (Gangway) möglich, die z. T. mit hydraulisch
wellenkompensierenden Systemen ausgestattet sind. Derartige Gangway Docking-
Systeme vermeiden den direkten Kontakt zwischen Schiff und Anlagenstruktur und
stellen quasi eine Brücke dar. Vergleichbar dazu sind Roboter-Systeme, wie sie derzeit
in der Entwicklung sind, bei denen mittels eines Roboterarms ein Mannkorb vom
Schiff aus an die Anlage herangeführt wird.
534 M. Kaltschmitt et al.

 Durch das Herunterseilen (Winschen) der Techniker von einem Helikopter auf eine auf
dem Maschinenhaus der Windkraftanlage montierte Hubschrauberabseilplattform aus
etwa 10 m Höhe kann der Seeweg in kürzester Zeit überbrückt werden. Dadurch ist
eine sehr hohe Zugänglichkeit erreichbar. Jedoch ist diese Option mit hohen Kosten
und einem Sicherheitsrisiko für die Techniker – u. a. aufgrund der Nähe zu den Rotor-
blättern – verbunden. Auch können Werkzeug oder anderes schweres Equipment nicht
bzw. nur sehr begrenzt mitgeführt werden.

Die Zugänglichkeit von Offshore-Windparks hängt neben den Witterungsbedingungen


auch wesentlich von der Küstenentfernung ab. Bei sehr küstenfernen Windparks könnte
der Zeitanteil für Fahrtzeiten aufgrund der beschränkten Wetterfenster und den im Tages-
verlauf i. Allg. limitierten Arbeitszeiten zur Nicht-Vollendung vieler Maßnahmen führen;
die Einsätze müssten aufgrund der geringen Zeit, die den Technikern vor Ort bleibt,
dann abgebrochen werden und Folgeeinsätze wären erforderlich. Deshalb kommen auch
seebasierte Konzepte zur Wartung von Offshore-Windparks zum Einsatz. Entsprechende
Umsetzungen sind Errichtungen fester oder schwimmender Konstruktionen; unter ersterer
Option wird beispielsweise die Installation einer Aufenthaltsplattform auf dem Meer (z. B.
Ausbau der Umspannstation) und unter letzterer Variante ein Hotel- oder Mutterschiff
verstanden. Parallel dazu wurde beispielsweise die einzige Hochseeinsel Deutschlands
(Helgoland) zur Verringerung der Küstenentfernung zur Betriebsstation ausgebaut.

Instandhaltungsstrategie Instandhaltungsstrategien regeln den zeitlichen und personellen


Einsatz zur Durchführung von Maßnahmen an Instandhaltungsobjekten. Sie zielen somit
direkt auf die operative Funktionsfähigkeit der Anlagen ab; hierbei sind gesetzliche, si-
cherheitstechnische, technische sowie wirtschaftliche Aspekte zu berücksichtigen.
Instandhaltungsstrategien können nach dem Zeitpunkt der Maßnahmendurchführung –
ob vor oder nach einem Schadenseintritt – unterschieden werden. Maßnahmen(bündel)
nach einem Schadenseintritt werden als reaktive und Maßnahmen(bündel) vor dem Scha-
denseintritt als präventive Instandhaltungsstrategien bezeichnet. Diese können nach Zeit-
oder Nutzungsintervallen sowie in Abhängigkeit von festgestellten oder prognostizierten
Zuständen bestimmt werden. Zusätzlich dazu ist eine zustandsorientierte Instandhaltung
möglich.
Letztere Option wird durch den zusätzlichen Einsatz von Fehlerfrüherkennungssyste-
men, die in die entsprechenden Betriebsüberwachungssysteme integriert werden können,
ermöglicht. Diese können mit einer Datenfernübertragung ausgestattet werden, die eine
Fehlerdiagnose an Land ermöglicht. Dadurch können beispielsweise Frequenzanalysen
einzelner Bauteile (z. B. Lager) durchgeführt werden, deren Auswertung ein frühzeitiges
Erkennen der Schadensentwicklung und dadurch ein zeitnahes Eingreifen vor dem Ent-
stehen von Folgeschäden eines Bauteils ermöglicht. Zudem können durch die Bewertung
des Zustandes der beobachteten Baugruppe die Schäden kurz vor dem Ausfall des be-
troffenen Bauteils behoben werden. Hierdurch wird neben der Schadenshöhe auch der
ausfallbedingte Ertragsverlust begrenzt und zugleich die Lebensdauer der Komponente
6 Stromerzeugung aus Windenergie 535

ausgeschöpft. Das vorzeitige Wissen über den Zustand einzelner Komponenten und die
Planung von Einsätzen ermöglicht eine effizientere Gestaltung der Instandhaltung in Be-
zug auf Verfügbarkeit der Transportmittel und Kräne, wetterbedingte Wartezeiten sowie
die Ersatzteilbeschaffung. Hierfür werden Condition Monitoring Systeme (CMS) – die an
Überwachungspunkten vom Triebstrang, Hauptlager, Generator, Turm und Rotorblättern
angebracht werden können – eingesetzt.

6.2.3 Energiewandlungskette, Verluste und Leistungskennlinie

Energiewandlungskette Bei der Windkraftnutzung wird die den bewegten Luftmassen


entzogene Energie über eine entsprechende Energiewandlungskette – und damit vergleich-
bar zu anderen energietechnischen Anlagen – in diesem Fall meistens in elektrische Ener-
gie umgewandelt; eine Bereitstellung mechanischer Energie (z. B. zum Wasserpumpen
auf Viehweiden) wird trotz einer begrenzten Bedeutung in „klassischen“ Weideländern
wie u. a. Australien und Argentinien hier nicht betrachtet. Eine Bereitstellung elektrischer
Energie wird im Regelfall über mehrere Stufen realisiert, die in Abb. 6.45 dargestellt sind.
Demnach wird die kinetische Energie der bewegten Luftmassen mit Hilfe des Ro-
tors zunächst in eine Rotationsbewegung (d. h. kinetische Energie des Rotors) und da-
mit in mechanische Energie im Rotor und folglich auch im Triebstrang umgewandelt.
Bei Anlagenkonzepten mit Getriebe ist ein mechanischer Drehzahlwandler (Getriebe) im
Triebstrang zwischengeschaltet, durch den die Drehzahl erhöht wird, da der eingesetz-
te Generator konstruktionsbedingt oft mit einer deutlich über der Rotordrehzahl liegenden
Drehzahl betrieben werden muss. Es sind aber auch Anlagen auf dem Markt verfügbar, bei
denen der Generator durch eine Windkraftanlagen-spezifische Konstruktion an die Rotor-
drehzahlen entsprechend angepasst ist und daher auf ein Getriebe verzichtet werden kann
(Abb. 6.45). Anschließend erfolgt die Umwandlung der mechanischen Energie des Trieb-
strangs in elektrische Energie in einem mechanisch-elektrischen Wandler (Generator). Da
die Spezifikationen am Generatorausgang nicht notwendigerweise jenen des Netzes, in
das die Windkraftanlage einspeist, entsprechen müssen, kann ein weiterer elektrisch-elek-
trischer Wandler notwendig werden. Im einfachsten Fall ist dies ein Transformator; es ist

Abb. 6.45 Energiewandlungs-


bewegte Luftmassen

kette einer Windkraftanlage Wandlung Wandlung Wandlung Wandlung


(GZ Gleichstromzwischen- kinetischer mech. in mech. elektr. in
kreis, Tra. Transformator, Windenergie mech. Energie in elektr.
in mechani- Energie elektrische Energie
mech. mechanische; elektr. sche Energie (Getriebe) Energie (GZ, Tra.)
elektrische; nach [6.1]) (Rotor) (optional) (Generator) (optional)

Netz
Kinetische Mechanische Mechanische Elektrische Energie
Energie des Energie im Energie an der im Generator bzw.
Windes Rotor Welle Netz
536 M. Kaltschmitt et al.

jedoch auch eine indirekte Netzkopplung über einen Gleichstromzwischenkreis oder ei-
nen Direktumrichter möglich, dem dann ggf. noch ein Transformator nachgeschaltet sein
kann.

Verluste Bei den in Abb. 6.45 dargestellten unterschiedlichen Umwandlungsschritten


sind verschiedene Verlustmechanismen wirksam, die bewirken, dass der Gesamtsystem-
nutzungsgrad deutlich unter dem theoretisch maximalen Betz’schen Leistungsbeiwert von
59,3 % (Kapitel 6.1) liegt. Gegenwärtig verfügbare Windkraftanlagen können deshalb nur
im Bestpunkt bis maximal rund 45 % der in der ungestörten Windströmung enthaltenen
Energie in nutzbare elektrische Energie umwandeln. Ursache für die Diskrepanz zwischen
dem physikalisch maximal möglichen Wirkungsgrad und den derzeit erreichbaren Werten
sind eine Vielzahl unterschiedlicher und z. T. unvermeidbarer Verluste, durch die markt-
gängige Windkraftanlagen – wie andere energietechnische Konversionsanlagen auch –
gekennzeichnet sind (Abb. 6.46).
Die am Generatorausgang einer Windkraftanlage letztlich abnehmbare elektrische
Leistung resultiert damit aus der im Wind enthaltenen Leistung abzüglich der aerodyna-
mischen, der mechanischen und der elektrischen Verluste. Zusätzlich reduzieren die u. U.
notwendigen Hilfsenergieaufwendungen für die Kühlsysteme, die Windrichtungsnach-
führung und den Blattverstellmechanismus den Nettoenergieertrag. Diese verschiedenen
Verlustmechanismen werden im Folgenden näher diskutiert.

Abb. 6.46 Energiefluss einer Windkraftanlage (Verlustangaben beziehen sich auf den Auslegungs-
punkt; bei Teillast können sie auch höher sein; nach [6.1])
6 Stromerzeugung aus Windenergie 537

 Die aerodynamischen Verluste ergeben sich u. a. aufgrund der innerhalb der gesamten
vom Rotor überstrichenen Fläche nie optimalen Flügelform; sie sind im realen Leis-
tungsbeiwert enthalten (d. h. der Anteil der im Luftstrom enthaltenen Leistung, der
unter Berücksichtigung des idealen Leistungsbeiwertes und der gegebenen Verluste
von der Windkraftanlage dem Wind entzogen werden kann). Der Leistungsbeiwert ist
im Wesentlichen von der Anzahl und der Form der Rotorblätter (und damit der Schnell-
laufzahl) abhängig und somit bei verschiedenen Rotorbauarten z. T. sehr unterschied-
lich. In Abb. 6.47 ist deshalb der Leistungsbeiwert cp gegen die Schnelllaufzahl  (d. h.
das Verhältnis der Rotorblatt-Spitzengeschwindigkeit zur aktuellen Windgeschwindig-
keit) aufgetragen. Daraus ergeben sich die dargestellten typischen cp ()-Kennlinien
von Windrotoren unterschiedlicher Bauarten. Hierbei wesentliche Parameter sind u. a.
die Anzahl der Rotorblätter, die aerodynamischen Profileigenschaften und der Verwin-
dungslauf der Rotorblätter [6.4, 6.5, 6.8].
 In Abb. 6.47 werden auch die großen Unterschiede bei den Leistungsbeiwerten der
dargestellten Rotorbauarten deutlich. Diese Unterschiede zwischen dem maximalen
Leistungsbeiwert nach Betz cp;Betz und dem maximalen Leistungsbeiwert eines idea-
len Windrades cp;Schmitz ergeben sich im Wesentlichen aus den Drallverlusten (Kapi-
tel 6.1). Erst danach kommen zusätzlich die jeweils spezifischen Verlustmechanismen
der verschiedenen Rotorbauarten zum Tragen. Insbesondere werden in Abb. 6.47 da-
her auch die Vorteile der Schnellläufer (d. h. Windkraftanlagen mit hohen Drehzahlen
und wenigen Rotorblättern; z. B. Zwei- oder Dreiblattrotoren) im Vergleich zu den
Langsamläufern mit wesentlich höheren Verlusten deutlich (d. h. Anlagen mit geringen
Drehzahlen und hoher Blattzahl; z. B. Holländer-Windmühlen, amerikanische Wes-
ternrotoren). Günstig wirkt sich bei schnelllaufenden Anlagen die jeweils maximal
erreichbare Höhe des Leistungsbeiwertes aus, der bestenfalls bei knapp 50 % liegen

cp,Betz
Rotorleistungsbeiwert cp

cp,Schmitz

Schnelllaufzahl λ

Abb. 6.47 Leistungsbeiwert-Schnelllaufzahl(cp ())-Kennlinien von Windkraftanlagen unter-


schiedlicher Bauart (zur Erklärung der Formelzeichen siehe Text bzw. Kapitel 6.1; nach [6.8])
538 M. Kaltschmitt et al.

kann. Durch den im Vergleich zu den Langsamläufern flacheren Kurvenverlauf der


cp ()-Kennlinien wird dieser relativ hohe Leistungsbeiwert innerhalb eines relativ brei-
ten Bereichs der Schnelllaufzahl beibehalten. Damit führen bei Konvertern mit wenigen
Rotorblättern Abweichungen von der maximalen Schnelllaufzahl nur zu einer geringen
Abnahme des Leistungsbeiwerts.
 Die mechanischen Verluste ergeben sich im Wesentlichen aus den Reibungsverlusten
– und der damit verbundenen Wärmeentwicklung – in den Lagern der Rotorwelle bzw.
im Getriebe (falls vorhanden).
 Die elektrischen Verluste beinhalten die Umwandlungsverluste im Generator, die Lei-
tungsverluste im Netz sowie ggf. die Verluste bei der Stromumrichtung im Gleich-
stromzwischenkreis (Verluste in den Halbleitern, Drosseln usw.) bzw. im Direktum-
richter. Je nach Anlagenauslegung treten zusätzlich Verluste bei der Umwandlung der
elektrischen Energie in einem ggf. nachgeschalteten Transformator auf; diese transfor-
miert die Generatorausgangsspannung auf das Spannungsniveau des einzuspeisenden
Netzes. Diese Verlustgruppe beinhaltet auch die Kühlverluste und damit die zusätzlich
aufzubringende Energie, mit der die Verlustwärme an die Umwelt abgeführt wird.

Leistungskennlinie Die Leistungsabgabe von Windkraftanlagen, beispielsweise im


10 min-Mittel, kann durch die Leistungskennlinie beschrieben werden. Sie beschreibt
die Abhängigkeit der vom Generator abgegebenen mittleren elektrischen Leistung vom
jeweiligen Windgeschwindigkeitsmittel und damit folglich das Betriebsverhalten einer
Windkraftanlage. Dabei lassen sich vier Phasen unterscheiden (Abb. 6.48).
Elektrische Ausgangsleistung in %

Windgeschwindigkeit in m/s

Abb. 6.48 Zusammenhang zwischen Windgeschwindigkeit und der am Generator abnehmbaren


Leistung bei typischen marktgängigen, Pitch-geregelten Horizontalachsenanlagen (u. a. nach [6.1,
6.4, 6.5, 6.8, 6.18])
6 Stromerzeugung aus Windenergie 539

Phase I Liegt die Windgeschwindigkeit unterhalb einer anlagenspezifischen Mindest-


windgeschwindigkeit, läuft die Windkraftanlage nicht an. Dies gilt insbesondere für
Schnellläufer, da dort die Anströmfläche im Rotor beim Stillstand nur relativ gering ist.
Folglich reicht hier die in der nutzbaren Geschwindigkeitsdifferenz enthaltene Energie
nicht aus, die Reibungs- und Trägheitskräfte der Anlage zu überwinden und damit einen
Betrieb der Windkraftanlage zu ermöglichen. Am Generatorausgang wird damit keine
elektrische Leistung abgegeben.

Phase II Übersteigt die Strömungsgeschwindigkeit der Luft die Anlaufwindgeschwindig-


keit, läuft die Windkraftanlage an und gibt damit elektrische Energie ab. Dabei steigt die
theoretisch nutzbare Windleistung proportional mit der dritten Potenz der Windgeschwin-
digkeit an. Die am Generatorausgang abnehmbare elektrische Leistung ist allerdings nicht
exakt proportional zu der theoretisch nutzbaren Leistung, da in diesem Kennlinienbereich
Verluste auftreten, die nicht zwingend linear von der Geschwindigkeit abhängen (z. B. ae-
rodynamische Reibungsverluste). Auch die Leistungsregelung spielt hierbei eine Rolle.
Dies gilt, bis die Nennwindgeschwindigkeit der jeweiligen Windkraftanlage und damit
die Nennleistung des in der Anlage installierten Generators erreicht werden. In diesem
Betriebszustand errechnet sich die elektrische Ausgangsleistung aus dem Produkt des ae-
rodynamischen, mechanischen und elektrischen Wirkungsgrades sowie der gesamten im
Wind enthaltenen Leistung. Diese Phase beginnt bei derzeit marktgängigen Anlagen bei
einer Anlaufwindgeschwindigkeit von rund 3 bis 4 m/s und endet bei einer Nennwindge-
schwindigkeit zwischen 12 bis 14 m/s.

Phase III Aufgrund der Leistungsbeschränkung des Generators infolge der jeweiligen
Anlagenauslegung darf die vom Rotor einer Windkraftanlage aufgenommene Leistung
in einem längeren Zeitraum nicht die installierte Generatornennleistung übersteigen.
Deshalb muss bei einem über der Nennwindgeschwindigkeit und unterhalb der Ab-
schaltwindgeschwindigkeit der Windkraftanlage liegenden Windenergieangebot, das
theoretisch eine über die installierte Generatornennleistung hinausgehende Energieauf-
nahme erlauben würde, die Leistungsaufnahme der Windkraftanlage aus dem Wind durch
technische Maßnahmen begrenzt werden. Deshalb wird durch eine entsprechende Rege-
lung (heute: Pitch-Regelung; d. h. aktives Verdrehen der Rotorblätter) sichergestellt, dass
höchstens die installierte Generatornennleistung von der Rotorachse an den Generator ab-
gegeben wird. In diesem Windgeschwindigkeitsbereich entspricht somit die abgegebene
elektrische Leistung näherungsweise der installierten Generatornennleistung. Die Ab-
schaltwindgeschwindigkeit, die diese Betriebsphase zu höheren Windgeschwindigkeiten
hin begrenzt, liegt bei etwa 24 bis 30 m/s.
Die Minimierung der Energieverluste durch die a priori begrenzte Generatornennleis-
tung ist ein wesentliches Auslegungskriterium für eine Windenergieanlage. Dazu muss
der Rotordurchmesser an die Nennleistung des Generators angepasst werden. Wird bei-
spielsweise die Nennleistung des Generators sehr hoch gewählt und die Anlage im Bin-
nenland mit i. Allg. selten vorkommenden hohen mittleren Windgeschwindigkeiten einge-
540 M. Kaltschmitt et al.

setzt, kann der zusätzliche Energiegewinn den erhöhten Aufwand für den Generator und
den Triebstrang meist nicht kompensieren. Wird dagegen der Generator zu klein ausge-
legt und die Windenergieanlage an der Küste mit hohen mittleren Windgeschwindigkeiten
betrieben, überwiegen im Regelfall die energetischen Verluste (d. h. die nicht erzeugbare
elektrische Energie) im Vergleich zu dem dann reduzierten technischen Aufwand. Damit
sollte der Rotordurchmesser und die Nennleistung der Windenergieanlage abhängig vom
jeweiligen Einsatzgebiet der Anlage aufeinander angepasst werden; dies spiegelt auch die
derzeitige Marktentwicklung wider; derzeit werden auf Binnenland- und Küstenstandor-
te angepasste Windkraftanlagen angeboten. Daher variiert die spezifische Nennleistung
(d. h. die Nennleistung bezogen auf die Rotorfläche) marktgängiger Anlagen zwischen
200 und 600 W/m2 . Anlagen, deren Absatzpotenzial primär im Binnenland liegt, haben
Werte von 350 W/m2 und darunter. Demgegenüber sind hohe Werte von über 400 W/m2
charakteristisch für Anlagen, die bevorzugt an Standorten mit einer hohen jahresmittleren
Windgeschwindigkeit eingesetzt werden, wie sie beispielsweise an besonders windreichen
Küsten- oder an Offshore-Standorten vorkommen können.

Phase IV Übersteigt die Windgeschwindigkeit eine von Windkraftanlagenbauart und -typ


abhängige obere Geschwindigkeitsgrenze, muss die Windkraftanlage zur Vermeidung ei-
nes mechanischen Schadens abgeschaltet werden. Unter diesen Witterungsbedingungen
wird keine elektrische Leistung abgegeben.
Bei älteren Windkraftanlagen wurde bei Überschreiten der Abschaltwindgeschwin-
digkeit der Generator abrupt vom Netz genommen und der Rotor möglichst schnell in
Fahnenstellung gefahren (d. h. dem Wind wird keine Leistung mehr entzogen); dies ist
in Abb. 6.48 durch die gerade, vertikale Linie am Ende der Leistungskennlinie darge-
stellt. Ein derartiges plötzliches Abkoppeln der Anlage kann jedoch mit z. T. erheblichen
Nachteilen u. a. im Netz verbunden sein. Deshalb sehen neuere Regelungssysteme beim
Überschreiten der Abschaltwindgeschwindigkeit ein mit steigender Windgeschwindigkeit
langsames Absenken der Leistung vor (strichpunktierte, schräg nach rechts unten ver-
laufende Linien in Abb. 6.48). Dazu werden die Rotorblätter sukzessive aus dem Wind
gedreht; dadurch wird abrupten windbedingten Einspeiseausfällen vorgebeugt. Zusätzlich
können somit ertragsmindernde Abschalt- und Anfahrtszeiten reduziert und im Hinblick
auf die Netzstabilität ein gewisser Sicherheitsvorteil realisiert werden. Die dazu benötig-
te Regelung kann mithilfe unterschiedlicher Hersteller-spezifischer Konzepte umgesetzt
werden; i. Allg. wird der Rotor durch die Pitch-Regelung heruntergeregelt. Zusätzlich
kommen vereinzelt softwaregestützte Sturmregelungen zum Einsatz, mit denen einem zü-
gigen Abschalten durch ein langsames Reduzieren der Drehzahl vorgebeugt wird.

Energieertrag Ausgehend von einer derartigen Leistungskennlinie (Abb. 6.48) kann die
mit einer Windkraftanlage innerhalb einer bestimmten Zeitspanne zur Verfügung gestell-
te elektrische Energie (Abb. 6.49) dann bestimmt werden, wenn von dem potenziellen
Standort die entsprechende Häufigkeitsverteilung der Windgeschwindigkeit (Kapitel 2.4;
Abb. 2.62 und 2.63) bekannt ist. Eine solche Häufigkeitsverteilung beschreibt die Wahr-
6 Stromerzeugung aus Windenergie 541

Energieertrag
b
Auftrittswahrscheinlichkeit

a Leistung

Windgesch
windigkeit

Windgesch
windigkeit

Windgesch
windigkeit

Abb. 6.49 Ermittlung des Energieertrags (c) für einen bestimmten Zeitraum aus der Häufig-
keitsverteilung der Windgeschwindigkeit (a; vgl. Abb. 2.63) und der Leistungskennlinie (b; vgl.
Abb. 6.48) (nach [6.4])

scheinlichkeit, mit der eine bestimmte Windgeschwindigkeit bzw. ein definiertes Windge-
schwindigkeitsintervall innerhalb einer festgelegten Zeitspanne auftritt.
Der elektrische Energieertrag einer Windkraftanlage EWKA kann damit nach Glei-
chung (6.27) berechnet werden. hi ist dabei die Auftrittswahrscheinlichkeit des Windes
innerhalb eines bestimmten Geschwindigkeitsintervalls i im Verlauf der untersuchten
Zeitspanne t. Pel;i beschreibt die diesem definierten Windgeschwindigkeitsintervall i
entsprechend der Leistungskennlinie zuzuordnende elektrische Leistung. Der gesamte
Energieertrag bestimmt sich damit durch eine Addition des jeweiligen intervallspezi-
fischen Produktes aus Windangebot und korrespondierender Leistung innerhalb einer
bestimmten Zeitspanne im Verlauf sämtlicher betrachteter Windgeschwindigkeitsinter-
valle.
X
n
EWKA D hi Pel;i t (6.27)
i D1

Der potenzielle Energieertrag einer Windkraftanlage kann auch durch den sogenann-
ten Kapazitätsfaktor K F beschrieben werden. Er ist definiert als der elektrische Jahres-
energieertrag EWKA bezogen auf die installierte elektrische Nennleistung Pel;n und den
Betrachtungszeitraum tB (z. B. 8 760 h bzw. ein Jahr) nach Gleichung (6.28). Derartige
Kapazitätsfaktoren können durch Multiplikation mit dem Betrachtungszeitraum in die
Volllaststunden der jeweiligen Windkraftanlage überführt werden.
EWKA
KF D (6.28)
Pel;n tB
542 M. Kaltschmitt et al.

Standortbezogen ergeben sich Kapazitätsfaktoren zwischen unter 20 % für windärmere


Standorte im Binnenland und über 30 % für windreiche Standorte beispielsweise an der
Küste. Offshore können Werte von bis zu 40 % und mehr erreicht werden.

6.3 Ökonomische und ökologische Analyse

Lucas Sens, Burcu Özdirk, Britta Reimers und Martin Kaltschmitt

Onshore-Windenergieanlagen waren innerhalb der letzten vier Jahrzehnte aus Sicht der
installierten elektrischen Anlagenleistung durch eine beachtliche Entwicklung gekenn-
zeichnet. Lag die installierte elektrische Leistung in den 1980er Jahren noch im unteren
zweistelligen kW-Bereich, sind derzeit erste Anlagen an vielversprechenden Onshore-
Standorten in Betrieb, die den oberen einstelligen MW-Bereich abdecken (Abb. 6.50).
Demgegenüber geht bei den Offshore-Windenergieanlagen, deren Entwicklung sich – be-
dingt durch die anspruchsvollen Umweltbedingungen auf dem offenen Meer – erst in den
letzten beiden Jahrzehnten etwas von der der Onshore-Anlagen abkoppelt hat, die Tendenz
klar hin zu Anlagen mit Leistungen im unteren zweistelligen MW-Bereich. Hinzu kommt,
dass im Laufe dieser technischen Entwicklung die Windkraftanlagentechnik professiona-
lisiert und technisch immer weiter perfektioniert wurde; auch wurde die Netzkopplung
deutlich verbessert und der Wirkungsgrad der Anlagen maximiert. Diese Entwicklung hat
entsprechende ökonomische und ökologische Konsequenzen, die anhand definierter heute
marktgängiger Referenzanlagen für den On- und Offshore-Einsatz nachfolgend untersucht
werden.

Rotordurchmesser
Nabenhöhe

1980 1990 1995 2000 2005 2008 2011 2013 2017 2017 2019a
Nennleistung in kW 30 250 600 1 500 3 000 6 000 7 500 7 800 7 850 7 850 11 000
Rotordurchmesser in m 15 30 46 70 90 126 126 113 180 180 193
Nabenhöhe in m 30 50 78 100 105 135 160 149 177 177 100
Stromproduktion in MWh/a 35 95 1 250 3 500 6 900 20 000 28 500 28 900 31 400 31 400 44 000

Abb. 6.50 Entwicklung der Windenergieanlagen (jeweils das Jahr der Errichtung eines Prototyps
bzw. der Marktverfügbarkeit; a nur für den Offshore-Einsatz konzipiert; aktualisiert nach [6.23, 6.24,
6.43])
6 Stromerzeugung aus Windenergie 543

6.3.1 Referenzanlagen

Die heute für die Stromerzeugung eingesetzten Windkraftanlagen ähneln sich stark hin-
sichtlich ihrer Ausführungsform; praktisch dominieren derzeit ausnahmslos netzgekop-
pelte Dreiblattrotoren mit Rotorblättern aus Glasfaser- und z. T. auch Kohlenstofffaser-
verstärktem Kunststoff (GFK und CFK) mit Stahlrohrtürmen den Markt. Diese marktgän-
gigen Anlagen unterscheiden sich hauptsächlich in der jeweils installierten elektrischen
Leistung. Vor diesem Hintergrund werden für die weiteren Untersuchungen jeweils drei
auf dem Festland betriebene Windkraftanlagen (d. h. Onshore-Aufstellung) unterschied-
licher Leistung (3,5, 4,5 und 5,5 MW) und drei vor der Küste betriebene Anlagen (d. h.
Offshore-Aufstellung) unterschiedlicher Leistung (6, 8 und 10 MW) definiert, die dann
den folgenden Analysen zugrunde gelegt werden. Diese Windkraftanlagen werden in ei-
nem Windpark mittlerer Größe installiert; für eine Onshore-Aufstellung wird dabei eine
Parkgröße von 5 Anlagen und für eine Offshore-Aufstellung von 50 Anlagen unterstellt.
Bei der Herstellung der Windkraftanlagen wird von einer Serienfertigung ausgegangen,
mit der Anlagen mit einem „klassischen“ Triebstrang mit Getriebe und Asynchrongene-
rator produziert werden. Die Anlagen werden, im Falle einer Onshore-Aufstellung, auf
normal tragfähigem Boden errichtet; unter diesen Bedingungen sind Flachfundamente
für einen sicheren Anlagenbetrieb ausreichend. Für eine Offshore-Aufstellung wird als
Gründungsstruktur bei allen drei Anlagenklassen ein Monopile-Fundament unterstellt und
eine Küstenentfernung von 50 km sowie eine mittlere Wassertiefe von 30 m angenom-
men. Die nachfolgend diskutierten Analysen basieren ausschließlich auf der Basis dieser
Annahmen und können bei der Auswahl anderer Materialien, unterschiedlicher Herstel-
lungsverfahren, variierender Anlagenkonzepte und / oder abweichender sonstiger Rand-
und Rahmenbedingungen durchaus auch erheblich anders ausfallen. Außerdem werden
die in Kapitel 1.3 und 1.4 definierten finanzmathematischen Rahmenannahmen auch hier
zugrunde gelegt.
Tabelle 6.5 zeigt die jeweiligen Kenngrößen für die unterstellten Onshore-Refe-
renzwindkraftanlagen. Demnach wird beispielsweise u. a. von einer technischen Verfüg-
barkeit der Anlagen von 98 % und einem Windparkwirkungsgrad von 93 % ausgegangen.
Darüber hinaus werden Übertragungsverluste für die Stromerzeugung von 3 % angenom-
men.
Neben der Anlagennennleistung hängt die Windstromerzeugung stark vom Windener-
gieangebot ab. Deshalb werden hier jeweils drei Referenzstandorte mit jahresmittleren
Windgeschwindigkeiten von 6,5, 7,5 und 8,5 m/s, bezogen auf eine Messhöhe von 100 m
über Grund, betrachtet. Diese jahresmittleren Windgeschwindigkeiten werden dann auf
die jeweilige Nabenhöhe extrapoliert.
In Deutschland spiegelt eine jahresmittlere Windgeschwindigkeit von 8,5 m/s (bezogen
auf 100 m über Grund) die Gegebenheiten an sehr guten Standorten an der Küste wieder.
Durchschnittliche Luftströmungsgeschwindigkeiten von 7,5 m/s (bezogen auf 100 m über
Grund) beschreiben gute Standorte, die sich in Deutschland ebenfalls in Küstennähe oder
544 M. Kaltschmitt et al.

Tabelle 6.5 Charakteristische Kenngrößen der Onshore-Referenzwindkraftanlagen


3,5 MW-Klasse 4,5 MW-Klasse 5,5 MW-Klasse
Nennleistung in kW 3 500 4 500 5 500
Rotordurchmesser in m 132 145 150
Nabenhöhe in m 100 120 150
Verfügbarkeit in % 98 98 98
Parkwirkungsgrad in % 93 93 93
Lebensdauer in a 20 20 20
Volllaststundena in h/a
6,5 m/sb 2 900 3 100 3 050
7,5 m/sb 3 600 3 850 3 850
8,5 m/sb 4 200 4 500 4 550
a
unter Berücksichtigung eines Systemwirkungsgrades von 0,88; b bezogen auf 100 m Höhe über
Grund für typische Standorte in Deutschland.

an optimalen Lokationen im Binnenland (z. B. exponierte Kuppellagen) befinden können.


Jahresmittlere Windgeschwindigkeiten von 6,5 m/s (bezogen auf 100 m über Grund) kön-
nen in Deutschland als typisches Beispiel für gute Mittelgebirgslagen angesehen werden.
Die potenzielle Stromerzeugung für jeden Anlagentyp an einem der drei exempla-
risch betrachteten Standorte errechnet sich aus der Leistungskurve der Windkraftanlage
(Abb. 6.48) und der Windverteilung (vgl. Kapitel 2.4; Abb. 2.62 und 2.63) am jeweils
betrachteten Standort. Dabei wird eine typische Weibull-Verteilung mit einem Formfak-
tor von 2,2 (Offshore von 2,7) angenommen. Zusätzlich sind weitere Einflussgrößen zu
berücksichtigen (u. a. Verfügbarkeit, Parkwirkungsgrade, Netzverluste). Die daraus re-
sultierenden Volllaststunden (d. h. der Quotient aus der jährlich potenziell erzeugbaren
Strommenge und der Anlagennennleistung) im Mittel über mehrere Windkraftanlagen der
gleichen Leistungsklasse sind ebenfalls in Tabelle 6.5 dargestellt. Beispielsweise zeigt da-
mit die Windkraftanlage der 3,5 MW-Klasse für die betrachteten Windgeschwindigkeiten
erwartungsgemäß aufgrund der niedrigsten Nabenhöhe die geringsten Volllaststunden.
Die entsprechenden für die hier untersuchten Offshore-Referenzanlagen unterstellten
charakteristischen Kenngrößen sind in Tabelle 6.6 aufgeführt. Demnach wird für die tech-
nische Verfügbarkeit von Offshore-Windenergieanlagen bzw. Windparks – u. a. aufgrund
der erschwerten Zugänglichkeit – 97 % unterstellt und ein Parkwirkungsgrad von 92 %
wird angenommen. Zusätzlich wird von einem Übertragungswirkungsgrad der Netzan-
bindung von 93 % und einem Eigenstromverbrauch des jeweiligen Windparks von 1 %
ausgegangen.
Ausgehend davon macht Tabelle 6.6 den Unterschied zwischen den drei exemplari-
schen Standorten und den untersuchten Referenzanlagen deutlich. Beispielsweise zeigt
demnach die Windkraftanlage der 10 MW-Klasse für die betrachteten Windgeschwindig-
keiten die höchsten Volllaststunden.
6 Stromerzeugung aus Windenergie 545

Tabelle 6.6 Charakteristische Kenngrößen der Offshore-Referenzwindkraftanlagen


6 MW-Klasse 8 MW-Klasse 10 MW-Klasse
Nennleistung in kW 6 000 8 000 10 000
Rotordurchmesser in m 154 167 193
Nabenhöhe in m 90 90 110
Verfügbarkeit in % 97 97 97
Parkwirkungsgrad in % 92 92 92
Lebensdauer in a 25 25 25
Volllaststundena in h/a
9,5 m/sb 3 900 3 700 4 100
10,5 m/sb 4 250 4 100 4 550
11,5 m/sb 4 550 4 450 4 900
a
unter Berücksichtigung eines Systemwirkungsgrades von 0,83; b bezogen auf 100 m Höhe über
dem Meeresspiegel bezogen auf Standorte in Deutschland.

6.3.2 Ökonomische Analyse

Zur Abschätzung der mit der Windenergienutzung verbundenen ökonomischen Aufwen-


dungen werden im Folgenden zunächst die variablen und fixen Kosten der untersuch-
ten Windkraftanlagen diskutiert. Daraus errechnen sich in Abhängigkeit des jeweiligen
Windenergieangebots und unter Beachtung der entsprechenden Verluste die spezifischen
Stromgestehungskosten basierend auf der in Kapitel 1.3 dargestellten methodischen Vor-
gehensweise und den ebenfalls in Kapitel 1 definierten finanzmathematischen Rahmenan-
nahmen.

Investitionen Die Investitionen setzen sich aus den Aufwendungen ab Werk, den Kos-
ten für Transport und Montage, für das Fundament und für die Netzanbindung sowie den
sonstigen Kosten (u. a. Planungskosten, Wegekosten, Betriebsgebäude) zusammen. Die
Kostenstruktur wird dabei entscheidend von der Größe der Anlage sowie den örtlichen
Gegebenheiten (mit-)bestimmt. Die jeweils ansetzbaren Kosten liegen derzeit in den in
Tabelle 6.7 und 6.8 illustrierten Größenordnungen. Die Investitionen werden dabei aus-
gehend von einem repräsentativen Marktquerschnitt für Windparkkosten bezogen auf die
jeweils in Tabelle 6.5 und 6.6 festgelegten Referenzanlagen abgeschätzt.
Onshore-Windparks mit Anlagen mit einer installierten Leistung von 3,5 MW weisen
demnach im Mittel Gesamtkosten (d. h. Anlagenkosten einschließlich Netzanbindung,
Anlageninstallation und Sonstiges) von 4,1 Mio. C (1 173 C/kW) auf; davon entfallen
mehr als drei Viertel auf die eigentliche Windkraftanlage und der verbleibende Rest auf
die sonstigen Aufwendungen. Bei einer Anlage der 4,5 MW-Klasse liegen die Gesamt-
kosten bei rund 5,8 Mio. C (1 286 C/kW); auch hier stammt mit einem Anteil von mehr
als drei Viertel der größte Teil der Kosten aus der eigentlichen Windkraftanlage (im We-
546 M. Kaltschmitt et al.

Tabelle 6.7 Mittlere Investitionen und Betriebskosten sowie durchschnittliche Stromgestehungs-


kosten für die in Tabelle 6.5 definierten Onshore-Referenzanlagen
3,5 MW-Klasse 4,5 MW-Klasse 5,5 MW-Klasse
Investitionen
Windkraftanlage in k C 3 250 4 650 5 950
Fundamente in k C 250 300 350
Netzanbindung in k C 260 340 400
Sonstiges in k C 347 496 420
Summe in k C 4 107 5 786 7 120
Betrieb, Wartung, Sonstigesa in k C/a 60 70 80
Stromgestehungskosten
6,5 m/sb in C/kWh 0,031 0,030 0,031
7,5 m/sb in C/kWh 0,025 0,025 0,024
8,5 m/sb in C/kWh 0,021 0,021 0,021
a
die jährlichen Betriebs- und Instandhaltungskosten werden in Abhängigkeit der Betriebsleistung
errechnet und der sich daraus ergebende Durchschnittwert wird hier aufgeführt; b bezogen auf 100 m
Höhe über Grund für typische Standorte in Deutschland.

Tabelle 6.8 Mittlere Investitionen und Betriebskosten sowie durchschnittliche Stromgestehungs-


kosten für die in Tabelle 6.6 definierten Offshore-Referenzanlagen
6 MW-Klasse 8 MW-Klasse 10 MW-Klasse
Investitionen
Windkraftanlage in k C 8 850 10 650 12 450
Fundament in k C 3 150 3 900 4 700
Netzanbindung in k C 2 004 2 411 2 819
Sonstiges in k C 2 529 2 826 3 303
Summe in k C 16 532 19 787 23 272
Betrieb, Wartung, Sonstigesa in k C/a 400 500 600
Stromgestehungskosten
9,5 m/sb in C/kWh 0,053 0,051 0,044
10,5 m/sb in C/kWh 0,049 0,046 0,039
11,5 m/sb in C/kWh 0,046 0,043 0,037
a
die jährlichen Betriebs- und Instandhaltungskosten werden in Abhängigkeit der Betriebsleistung
errechnet und der sich daraus ergebende Durchschnittwert wird hier aufgeführt; b bezogen auf 100 m
Höhe über dem Meeresspiegel für typische Standorte in Deutschland.

sentlichen Turm, Gondel und Rotor). Bei der Anlage mit 5,5 MW installierter elektrischer
Leistung liegen die Gesamtinvestitionen bei ungefähr 7,1 Mio. C (1 295 C/kW).
Die Investitionsnebenkosten beinhalten die Aufwendungen für die Netzanbindung, das
Fundament sowie für Erschließung und Planung (d. h. Sonstiges). Derartige Aufwendun-
gen variieren naturgemäß stark je nach Art des Projekts (Anlagenanzahl, -größe) und
insbesondere den örtlichen Gegebenheiten. Die Netzanbindungskosten stellen dabei in der
6 Stromerzeugung aus Windenergie 547

Regel die größte Kostenposition dar; durch eine zunehmende Anlagengröße und -anzahl
entsteht dabei typischerweise ein größerer Aufwand – für u. a. den Bau eines Umspann-
werks und die Ankopplung an eine höhere Spannungsebene – im Vergleich zu kleineren
Anlagen. Insgesamt liegen die Netzanbindungskosten heute i. Allg. zwischen 5 und 10 %
der Anlagenkosten. Die Aufwendungen für die Fundamente betragen ca. 6 %, die der Er-
schließung ca. 3 bis 6 % und die der Planung ca. 2 bis 4 % der Anlagenkosten. Sonstige
Kosten belaufen sich auf 6 bis 9 % der Investitionen für eine Windkraftanlage. Insgesamt
liegen die Anlagenkosten für Onshore-Windkraftanlagen in einer Spannbreite von 75 bis
85 % bezogen auf die gesamten Investitionen.
Bei Offshore-Windparks sind Kosten für Gründung, Netzanbindung und Installation
deutlich höher. Zwar haben die Anlageninvestitionen immer noch den größten Anteil
mit rund der Hälfte der gesamten Investitionen. Aber die Anteile der einzelnen Kos-
tenpositionen sind im Vergleich zu einer Onshore-Aufstellung merklich ausgeglichener
(Tabelle 6.8). Die Höhe der Kosten werden zusätzlich in einem hohen Maße von der
Bodenbeschaffenheit, der Wassertiefe, der Entfernung zur Küste, geeigneten Transport-
mitteln sowie der an den entsprechenden Häfen benötigten Infrastruktur bestimmt.
Die Netzanbindungskosten liegen zwischen 10 bis 15 % der Gesamtkosten und wer-
den über die Investitionen für einen Windpark auf die jeweiligen Anlagen umgerechnet.
Die Aufwendungen für die Gründung betragen ca. 20 % und die sonstigen Kosten für die
Erschließung, Planung und Installation belaufen sich auf ca. 15 % der Investitionen ei-
ner Offshore-Windkraftanlage. Die Gesamtinvestitionen pro kW installierter elektrischer
Leistung liegen bei Offshore-Windparks zwischen 2 300 und 2 800 C/kW.
Werden die Kosten der eigentlichen Windkraftanlage auf den m2 Rotorfläche bezogen,
zeigen kleinere, an Land aufgestellt Anlagen günstigere Werte im Vergleich zu vor der
Küste installierten Großanlagen. Anlagen an Land mit einer Leistung von 3,5 MW sind
beispielsweise durch Werte um die 300 C/m2 gekennzeichnet. Demgegenüber steigt diese
Kenngröße bei größeren Anlagen für den Offshore-Einsatz auf bis zu 900 C/m2 für die
8 MW-Klasse.
Abb. 6.51 zeigt eine zusammenfassende Darstellung der spezifischen Investitionen
der hier untersuchten Onshore- respektive Offshore-Referenzanlagen nach Tabelle 6.7
und 6.8. Deutlich wird auch hier die doch merkliche Dominanz der Investitionen für die
eigentlichen Windkraftkonverter, die letztlich für die Gesamtkosten eines Windparks –
und das insbesondere bei einer Offshore-Installation – bestimmend sind.

Betriebskosten Die Betriebskosten setzen sich u. a. aus den Aufwendungen für Pacht,
Versicherung, Wartung, Instandhaltung und Instandsetzung sowie für die technische Be-
triebsführung zusammen. Im letzten Jahrzehnt konnten aufgrund der gesammelten Be-
triebserfahrungen die durchschnittlichen jährlichen Betriebskosten deutlich reduziert wer-
den. Bezogen auf die Gesamtinvestitionssumme ist derzeit von Betriebskosten von 1 bis
2,5 % auszugehen. Dabei spielen diese Kosten insbesondere eines Offshore-Betriebs we-
gen der hohen Aufwendungen für die maritime Logistik, die Wartung und die Instandhal-
tung sowie zusätzlicher Wartezeiten aufgrund einer wetterseitig begrenzten Zugänglich-
548 M. Kaltschmitt et al.

2500 Windkraftanlage
Fundamente
Netzanbindung
2000 Sonstiges
Investitionen in €/kW

1500

1000

500

0
3,5 MW-Klasse 4,5 MW-Klasse 5,5 MW-Klasse 6 MW-Klasse 8 MW-Klasse 10 MW-Klasse
Onshore Onshore Onshore Offshore Offshore Offshore

Abb. 6.51 Spezifische Investitionen der in Tabelle 6.7 und 6.8 dargestellten Onshore- und Offshore-
Referenzanlagen

keit sowie hoher Versicherungsprämien eine erhebliche Rolle; deshalb sind sie auch bei
einer Offshore-Installation eher am oberen Ende der genannten Bandbreite anzusiedeln.
Auch sind sie nach wie vor durch große Unsicherheiten gekennzeichnet.

Stromgestehungskosten Die spezifischen Stromgestehungskosten können mit Hilfe der


Annuitätenmethode aus den Gesamtinvestitionen und den jährlich anfallenden Aufwen-
dungen sowie den zu erwartenden Energieerträgen berechnet werden. Dabei werden in
Anlehnung an die bisherige Vorgehensweise eine reale Diskontrate von 2,0 % und eine
Abschreibungsdauer in Höhe der technischen Anlagenlebensdauer von 20 Jahren für die
Onshore-Windparks und von 25 Jahren für die Offshore-Windparks unterstellt. Bei den
Betriebskosten wird davon ausgegangen, dass sie über die Lebensdauer der Anlage real
konstant bleiben.
Tabelle 6.7 und 6.8 zeigen für die jeweils drei in den Tabellen 6.5 und 6.6 definierten
Anlagentypen an den drei betrachteten Referenzstandorten die entsprechenden Strom-
gestehungskosten für durchschnittliche Standortgegebenheiten. Demnach sinken mit zu-
nehmender mittlerer Windgeschwindigkeit erwartungsgemäß die Stromgestehungskosten
aufgrund der höheren Jahresvolllaststundenzahl.
In Deutschland kommen Onshore-Standorte mit jahresmittleren Windgeschwindigkei-
ten von rund 6,5 m/s in 100 m Höhe über Grund beispielsweise im Mittelgebirge vor. Die
unter diesen Bedingungen gegebenen spezifischen Stromgestehungskosten liegen bei den
hier untersuchten Anlagen bei rund 0,03 C/kWh. Für Anlagenstandorte mit höheren jah-
resmittleren Windgeschwindigkeiten von 7,5 bis 8,5 m/s in 100 m Höhe, die mehr oder
weniger repräsentativ für küstennahe Standorte sind, liegen die Stromgestehungskosten
zwischen 0,021 bis 0,025 C/kWh.
6 Stromerzeugung aus Windenergie 549

Offshore-Standorte in Deutschland befinden sich konzentriert in der ausschließlichen


Wirtschaftszone (AWZ) und haben dementsprechend durchschnittliche Windgeschwin-
digkeiten zwischen 9,5 und 11,5 m/s in 100 m Höhe. Unter diesen Bedingungen errech-
nen sich Stromgestehungskosten für die untersuchten Anlagentypen zwischen 0,037 bis
0,053 C/kWh.
Beim Vergleich der hier betrachteten Anlagentechniken werden keine signifikanten
Unterschiede in den Stromgestehungskosten für vergleichbare mittlere Windgeschwin-
digkeiten deutlich. Aufgrund der rauen klimatischen Bedingungen, die Offshore – und
damit auf dem offenen Meer – vorherrschen, sind hier besonders hohe anlagentechnische
Anforderungen im Vergleich zur Onshore-Technik gegeben, damit die Anlagen eine ge-
wisse Robustheit aufweisen und trotz der ungünstigen Umweltbedingungen betriebssicher
und möglichst verlässlich betrieben werden können. Wegen der daraus resultierenden z. T.
deutlich aufwändigeren Anlagentechnik sowie der teureren Gründung liegen derzeit die
spezifischen Stromgestehungskosten von Offshore-Windkraftanlagen signifikant über de-
nen der Onshore-Anlagen. Selbiges gilt auch für nahezu alle weiteren Kosten. Daher sind
die Stromgestehungskosten einer Offshore-Windstromerzeugung – trotz des deutlich hö-
heren Stromertrags im Vergleich zu einer Onshore-Installation und trotz z. T. erheblicher
Kostenreduktionen in den letzten Jahren – höher.
Die Stromgestehungskosten werden von einer Vielzahl unterschiedlichster Parameter
bestimmt. Um deren Einfluss besser abschätzen und bewerten zu können, zeigen Abb. 6.52
und 6.53 die Auswirkungen einer Variation wesentlicher sensitiver Parameter auf die
Stromgestehungskosten. Dazu wird beispielhaft ein Onshore-Standort mit 7,5 m/s jahres-
mittlerer Windgeschwindigkeit (bezogen auf eine Höhe über Grund von 100 m) und eine
4,5 MW-Anlage (d. h. 3 850 h/a Volllast) sowie ein Offshore-Standort mit 10,5 m/s (bezo-
gen auf eine Höhe über Grund von 100 m) und eine 8 MW-Anlage (d. h. 4 100 h/a Volllast)
betrachtet.
Demnach üben die Volllaststunden – und damit das standortspezifische Jahresmittel der
Windgeschwindigkeit – den größten Einfluss auf die Stromgestehungskosten aus. Daraus
resultierte für Onshore-Anlagen aufgrund des Anstiegs der mittleren Windgeschwindig-
keit mit zunehmender Höhe über Grund die am Markt erkennbare Tendenz zu immer
größeren Turmhöhen, um eine optimale Ausnutzung des an einem potenziellen Standort
vorherrschenden Windangebots zu ermöglichen.
Neben den jährlichen Volllaststunden beeinflussen die Investitionen und die Abschrei-
bungs- bzw. Nutzungsdauer wesentlich die spezifischen Stromgestehungskosten. Vergli-
chen damit haben die Betriebskosten und der Zinssatz einen deutlich geringeren Einfluss.
Dabei beinhalten die hier angenommenen Betriebskosten keine zusätzlichen Aufwen-
dungen für beispielsweise den Ausbau von Häfen oder die Anschaffung von speziellen
Transportmitteln für einen Offshore-Betrieb. Als Indiz der Auswirkungen einer geringe-
ren technischen Verfügbarkeit kann die Verringerung der Jahresvolllaststunden angesehen
werden; dies macht erneut die Relevanz einer sogfältig durchgeführten Wartung und In-
standhaltung zur Erhöhung der technischen Verfügbarkeit von Offshore-Windenergiean-
lagen deutlich.
550 M. Kaltschmitt et al.

0,06
Mittlere Abschreibungsdauer (20 Jahre = 100 %)
Investitionen (5 786 k€ = 100 %)
Zinssatz (2 % Zinsen = 100 %)
Stromgestehungskosten in €/kWh

0,05 Betriebskosten (70 k€/a = 100%)


Volllaststunden (3 850 h/a = 100 %)

0,04

0,03

0,02

0,01
50 60 70 80 90 100 110 120 130 140 150
Parametervariation in %

Abb. 6.52 Parametervariation wesentlicher Einflussgrößen auf die spezifischen Stromgestehungs-


kosten für Onshore-Windenergieanlagen der 4,5 MW-Klasse

0,1
Mittlere Abschreibungsdauer (25 Jahre = 100 %)
Investitionen (19 787 k€ = 100 %)
0,09 Zinssatz (2 % Zinsen = 100 %)
Stromgestehungskosten in €/kWh

Betriebskosten (500 k€/a = 100%)


0,08 Volllaststunden (4 100 h/a = 100 %)

0,07

0,06

0,05

0,04

0,03

0,02
50 60 70 80 90 100 110 120 130 140 150
Parametervariation in %

Abb. 6.53 Parametervariation wesentlicher Einflussgrößen auf die spezifischen Stromgestehungs-


kosten für Offshore-Windenergieanlagen der 8 MW-Klasse
6 Stromerzeugung aus Windenergie 551

6.3.3 Ökologische Analyse

Neben den technischen und ökonomischen Gegebenheiten sind für eine Technik zur Ener-
giebereitstellung in zunehmendem Maße auch andere Kriterien bestimmend. Aufbauend
auf den in Kapitel 6.3.1 getroffenen Definitionen werden daher im Folgenden ökologi-
sche Effekte einer windtechnischen Stromerzeugung diskutiert. Dazu werden zunächst
Ökobilanzen für die drei definierten Anlagenklassen jeweils für einen On- und einen Off-
shore-Einsatz (Tabelle 6.5 und 6.6) und für alle drei untersuchten Standorte einschließlich
aller vorgelagerten Prozesse erstellt und diskutiert. Anschließend werden weitere Umwelt-
effekte der Stromerzeugung durch Windenergie diskutiert.

6.3.3.1 Lebenszyklusanalyse
Nachfolgend werden für die betrachteten Windkraftanlagen, die typisch für das derzeitige
Marktspektrum sind, die Energie- und Emissionsbilanzen im Rahmen einer Lebenszy-
klusanalyse bestimmt. Die Ökobilanzierung wird dabei ausschließlich für eine alleinige
Stromerzeugung aus Windkraft durchgeführt. Aufgrund der Vielzahl unterschiedlichster
Ausführungsformen von Windkraftanlagen, wie sie derzeit am Markt angeboten wer-
den, sowie der für jede Anlage spezifischen Randbedingungen sowohl in Bezug auf die
Herstellung als auch hinsichtlich des potenziellen Standorts und den dort vorliegenden
Gegebenheiten sind die nachfolgend dargestellten Bilanzergebnisse nur als mögliche –
realitätsnahe – Größenordnungen der tatsächlichen Gegebenheiten anzusehen. Im Einzel-
fall können die Ergebnisse aber trotzdem von den hier diskutierten sowohl zu größeren als
auch niedrigeren Werten abweichen; dies gilt auch bei der Unterstellung anderer System-
grenzen oder Betrachtungszeiträume.
Tabelle 6.9 zeigt für die in Tabelle 6.5 definierten Anlagen die Energie- und Emissi-
onsbilanzen einer Stromerzeugung aus Onshore-Windkraft und Tabelle 6.10 die Bilanzen
der in Tabelle 6.6 festgelegten Offshore-Windkraftanlagen. Aus der Vielzahl von mög-
licherweise freigesetzten Stoffen werden in Anlehnung an die bisherige Vorgehensweise
neben dem Verbrauch erschöpflicher Primärenergieträger nur die toxikologisch relevanten
Luftschadstoffe SO2 und NOx sowie – unter Klimaschutzaspekten – die CO2 -Äquivalent-
Emissionen und – unter dem Aspekt „Versauerung von Böden und Gewässern“ – die SO2 -
Äquivalent-Emissionen betrachtet. Die zugrundeliegende methodische Vorgehensweise
ist in Kapitel 1.3 dargestellt.
Nach den Tabellen 6.9 und 6.10 bewegt sich der kumulierte fossile Energieauf-
wand einer Windstromerzeugung für die hier untersuchten Anlagen zwischen 89 und
145 GJprim /GWh für die Onshore- und zwischen 136 und 190 GJprim /GWh für die Off-
shore-Anlagen. Unter den zugrunde gelegten Rahmenannahmen liegen die spezifischen
kumulierten SO2 -Emissionen zwischen 21 und 34 kg/GWh für die Onshore-Anlagen und
zwischen 44 und 63 kg/GWh für die Offshore-Windkraftanlagen. Die NOx -Emissionen
liegen zwischen 19 und 32 kg/GWh für eine Onshore- und zwischen 28 und 39 kg/GWh
für eine Offshore-Windkraftnutzung. An klimarelevanten Emissionen werden – ausge-
drückt in CO2 -Äquivalent-Emissionen – je GWh erzeugter elektrischer Energie Onshore
552 M. Kaltschmitt et al.

Tabelle 6.9 Energie- und Emissionsbilanzen einer windtechnischen Stromerzeugung für die in
Tabelle 6.5 definierten Onshore-Referenzanlagen
Nennleistung in kW 3 500 4 500 5 500
Windgeschw. in m/sa 6,5 7,5 8,5 6,5 7,5 8,5 6,5 7,5 8,5
Energie in GJprim /GWhb 145 117 100 130 105 90 132 105 89
SO2 in kg/GWh 34 27 23 31 25 21 31 25 21
NOx in kg/GWh 32 26 22 29 23 20 29 23 19
CO2 -Äq. in t/GWh 9 7 6 8 6 6 8 6 5
SO2 -Äq. in kg/GWh 63 51 44 57 46 39 58 46 39
a
bezogen auf 100 m Höhe über Grund für typische Standorte in Deutschland; b primärenergetisch
bewerteter kumulierter fossiler Energieaufwand (Verbrauch erschöpflicher Energieträger); Windge-
schw. Windgeschwindigkeit; Äq. Äquivalente.

Tabelle 6.10 Energie- und Emissionsbilanzen einer windtechnischen Stromerzeugung für die in
Tabelle 6.6 definierten Offshore-Referenzanlagen
Nennleistung in kW 6 000 8 000 10 000
Windgeschw. in m/sa 9,5 10,5 11,5 9,5 10,5 11,5 9,5 10,5 11,5
Energie in GJprim /GWhb 190 174 163 170 154 141 162 146 136
SO2 in kg/GWh 63 59 54 57 51 47 53 48 44
NOx in kg/GWh 39 36 34 34 31 28 33 30 28
CO2 -Äq. in t/GWh 14 13 12 13 12 11 13 11 11
SO2 -Äq. in kg/GWh 120 112 103 108 98 90 102 92 85
a
bezogen auf 100 m Höhe über dem Meeresspiegel für typische Standorte in Deutschland; b pri-
märenergetisch bewerteter kumulierter fossiler Energieaufwand (Verbrauch erschöpflicher Energie-
träger); Windgeschw. Windgeschwindigkeit; Äq. Äquivalente.

rund 5 bis 9 t (Offshore: 11 bis 14 t) und an Gasen mit versauernder Wirkung – umge-
rechnet in SO2 -Äquivalent-Emissionen – zwischen 39 und 63 kg/GWh (Offshore: 85 bis
120 kg/GWh) freigesetzt.
Der Anteil an den insgesamt freigesetzten CO2 -Äquivalent-Emissionen, welcher durch
die Produktion der einzelnen Komponenten der untersuchten Windkraftanlage sowie
durch den Betrieb und den Abriss verursacht werden, zeigt Abb. 6.54 exemplarisch an-
hand der definierten Referenzanlagen für die 3,5 MW-Klasse (Onshore-Aufstellung) und
die 6 MW-Klasse (Offshore-Aufstellung). Unter dem Begriff „Fundament“ werden dabei
hier neben den eigentlichen Aufwendungen für die Verankerung der Windkraftanlage
im Untergrund (u. a. Beton, Stahl, Aushub) auch der maschinentechnische Einsatz zur
Aufstellung des entsprechenden Konverters verstanden. Der Netzanschluss beinhaltet alle
elektrotechnischen Komponenten sowie alle anteiligen Aufwendungen für das Umspann-
werk – hierfür wird ausschließlich das Umspannwerk auf See betrachtet – zur Einbindung
der Windkraftanlage in das Netz der öffentlichen Versorgung.
Aus Abb. 6.54 wird deutlich, dass der Abriss einschließlich der Entsorgung der Wind-
kraftanlage mit unter 5 % kaum zu den kumulierten CO2 -Äquivalent-Emissionen beiträgt.
6 Stromerzeugung aus Windenergie 553

Abb. 6.54 Aufteilung der Rückbau


14
CO2 -Äquivalent-Emissionen Betrieb

CO2-Äquiv ale nt-Em issionen in t/GWh


für eine Onshore-Windkraft- 12
Netzanbindung
anlage (3,5 MW-Klasse) bei Fundament & Turm
einer mittleren Windgeschwin- Turbine & Rotor
10
digkeit von 6,5 m/s bezogen
auf 100 m Höhe über Grund 8
und für eine Offshore-Wind-
kraftanlage der 6 MW-Klasse 6
(mittlere Windgeschwindigkeit
von 9,5 m/s bezogen auf 100 m 4
Höhe über dem Meeresspiegel;
Tabelle 6.9 und 6.10) 2

0
Onshore 3,5 MW-Klasse Offshore 6 MW-Klasse

Der Betrieb, der einen Anteil von rund 20 bis 30 % an den Gesamtemissionen einnimmt,
umfasst u. a. die Wartung und den Austausch defekter Komponenten (einschließlich der
benötigten (anteiligen) Transportmittel) sowie die im Verlauf der technischen Lebensdauer
eingesetzten Verbrauchsmittel. Klimagasemissionen, die durch die Netzanbindung verur-
sacht werden, übersteigen für Offshore-Windparks aufgrund der benötigten Seekabel und
des zusätzlich notwendigen Offshore-Umspannwerks das Vierfache der durch die Netz-
anbindung bedingten Klimagasemissionen im Onshore-Fall – ca. 20 % für den Offshore-
und rund 5 % für den Onshore-Fall. Dementsprechend stammt der größte Teil an klimare-
levanten Emissionen aus der eigentlichen Windkraftanlage; für die Onshore-Anlage liegt
dieser Wert bei ca. 64 % und für die Offshore-Anlage bei rund 56 % der insgesamt frei-
gesetzten Emissionen. Hiervon nehmen das Fundament und der Turm in der Summe ca.
42 % der klimarelevanten Emissionen bei der Onshore-Anlage und rund 28 % bei der Off-
shore-Anlage ein. Turbine- und Rotor-bedingte klimarelevante Emissionen liegen bei der
Onshore-Anlage bei 22 % und bei der Onshore-Anlage bei 27 %.

6.3.3.2 Weitere Umwelteffekte


Mit der Stromerzeugung aus Windenergie sind neben den herstellungsbedingten Energie-
aufwendungen sowie den daraus resultierenden Emissionen eine Vielzahl weiterer Um-
welteffekte verbunden; diese werden nachfolgend adressiert. Dabei wird hier zwischen
lokalen Umweltaspekten infolge der Herstellung, aufgrund des Normalbetriebs und we-
gen eines möglichen Störfalls sowie nach dem planmäßigen Betriebsende unterschieden.

Herstellung An der Herstellung von Windkraftanlagen sind konventionelle Industriebe-


reiche des „klassischen“ Maschinenbaus und der Elektrotechnik beteiligt. Damit führt
auch die Produktion von Windkraftanlagen zu ebensolchen Umweltwirkungen bezüglich
Boden, Wasser und Luft, durch die diese Branchen i. Allg. gekennzeichnet sind. Auf-
grund der schon sehr weitgehenden gesetzlichen Umweltschutzvorgaben bewegen sich
554 M. Kaltschmitt et al.

die entsprechenden Umwelteffekte jedoch auf einem vergleichsweise geringen Niveau,


das zudem durch entsprechende Grenzwerte sehr weitgehend reglementiert ist. Auch das
Störfallpotenzial bei der Herstellung ist i. Allg. – von Ausnahmen z. B. bei der Eisen- und
Stahlherstellung abgesehen – relativ gering.
Windkraftanlagen weisen insgesamt einen hohen Materialeinsatz – insbesondere in
Form von Stahl und Beton – auf, der für bis zu 50 % aller Gesamtumweltauswirkungen
einer Windkraftanlage verantwortlich ist. Außerdem sind in Windkraftanlagen verbau-
ten permanenterregten Generatoren Metalle aus der Gruppe der seltenen Erden – haupt-
sächlich in Form von Neodym (100 bis 200 kg) und Dysprosium (15 bis 30 kg) sowie
Terbium und Praseodym – enthalten. Der bergmännische Abbau dieser Ausgangsrohstof-
fe erfolgt häufig nicht unter Einhaltung internationaler Umweltstandards; deshalb kann
bei der Produktion dieser Metalle ein entsprechendes Umweltgefährdungspotenzial nicht
ausgeschlossen werden. Aufgrund u. a. dieser Auswirkungen wird angestrebt, auf Neo-
dym und Dysprosium ganz zu verzichten; dies ist durch getriebelose Anlagen mit einem
fremderregten Ringgenerator bereits heute technisch möglich [6.55, 6.56].

Normalbetrieb Während des Betriebs von Windkraftanlagen kommt es nicht zu direkten


Freisetzungen von toxischen Stoffen, da keine Stoffumwandlung im eigentlichen Sinne
stattfindet. Trotzdem ist der Windkraftanlagenbetrieb mit bestimmten Auswirkungen auf
die natürliche Umwelt verbunden. Wesentliche derartige Effekte werden nachfolgend be-
schrieben.

Hörschall Windkraftanlagen mit drehenden Rotoren sind Schallquellen. Der Schall be-
steht vorrangig aus aerodynamischem Lärm, der an den Rotorblättern entsteht, und aus
der Schallabstrahlung von Getriebe und Generator; hier wird der Schall ursächlich primär
durch Reibung verursacht.
Die Geräuschentwicklung letzterer Schallquelle kann und wird bei modernen Anlagen
durch eine konstruktive Trennung zwischen Getriebe und Generator einerseits und der
Gondel der Windkraftanlage andererseits deutlich reduziert. Dadurch wirkt die Gondel
nicht länger als Resonanzkörper und die Körperschallbelastung wird damit – im Vergleich
zu Anlagen, die Anfang der 1990er Jahre angeboten wurden – signifikant vermindert.
Aerodynamische Geräuschemissionen von Windkraftanlagen resultieren aus der Strö-
mung der bewegten Luftmassen um die Rotorblätter und aus dem Hindurchtreten des Ro-
torblatts durch den Turmstau; sie treten hauptsächlich bei mittleren und höheren Blattspit-
zengeschwindigkeiten auf. Für die Umwelt maßgeblich ist dabei meist nur die Geräusch-
entwicklung bei niedrigen und mittleren Windgeschwindigkeiten, da bei höheren Luft-
strömungsgeschwindigkeiten das natürliche Windgeräusch dominiert und die Geräusch-
entwicklung der Windkraftanlage i. Allg. übertönt. Dieser aerodynamisch erzeugte Schall
kann durch eine Schalloptimierung der Rotorblätter, der jeweiligen Rotorblattspitze und
des entsprechenden Anstellwinkels verringert werden. Insgesamt konnten durch diese und
weitere Maßnahmen die Geräuschemissionen um ca. 5 bis 10 dB(A) in den letzten Jah-
ren reduziert werden (u. a. [6.25]). Deshalb sind heute Windkraftanlagen nur noch bei
6 Stromerzeugung aus Windenergie 555

Abb. 6.55 Schattenwurf und Obere Schattengrenze bei Belästigungsgrenze


niedrigstem Sonnenstand aufrgund geringen
Schallgrenzen einer Windkraft- am 21. Dezember Schattenkontrasts
anlage (installierte Leistung:
2 MW, Bauhöhe: 140 m; Blatt-
tiefe: 2 m, Standort: 52ı N;
nach [6.66])

35 dB(A)

N 40 dB(A)
45 dB(A)
W O

Untere
Schattengrenze
bei höchstem Schattenbereich
Sonnenstand am 21. Juni Schallgrenzen

vergleichsweise geringen Windgeschwindigkeiten vom natürlichen Hintergrundrauschen


signifikant zu unterscheiden.
Im Allgemeinen kann von einem Schallleistungspegel von 96,5 bis 108,5 dB(A) für
die eigentlichen Onshore-Windkraftanlagen mit einer installierten elektrischen Leistung
zwischen 3 und 8 MW ausgegangen werden [6.57, 6.58]. Dieser Schallpegel nimmt –
wie andere Schallquellen auch – in Abhängigkeit von der Entfernung und der Windrich-
tung beachtlich ab. Bei einem Abstand von 400 m kann sich beispielsweise der Pegel – je
nach Windrichtung – bis auf 40 dB(A) senken [6.26] (siehe auch Abb. 6.55). Insgesamt
muss dabei immer sichergestellt werden, dass bei den in der Nähe von Windkraftanlagen
vorhandenen Ansiedlungen (d. h. den jeweils nächstgelegenen Wohnhäusern) die Regeln
der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) sicher eingehalten wer-
den. In dieser Technischen Anleitung zum Schutz vor Lärm (TA Lärm) werden konkrete
Vorgaben für die Geräuschpegel festgelegt, die in Wohn-, Misch- und Gewerbegebieten
zu bestimmten Zeiten nicht überschritten werden dürfen. Die Einhaltung dieser Vorga-
ben muss i. Allg. durch entsprechende Schallgutachten nachgewiesen werden, um eine
Genehmigung zum Bau einer Windkraftanlage oder eines Windparks zu erhalten. Damit
wird sichergestellt, dass unvertretbare bzw. ungesetzliche Lärmbelästigungen in der vom
Gesetzgeber geschützten bzw. schutzwürdigen Umgebung um eine Windkraftanlage nicht
auftreten.
Exemplarisch zeigt Abb. 6.55 die zu erwartenden Schallpegel, wie sie der Standortpla-
nung einer Windkraftanlage zugrunde gelegt werden. Demnach ist bei der dargestellten
Anlage an dem entsprechenden Standort in einem Abstand von 300 m maximal ein Schall-
556 M. Kaltschmitt et al.

pegel von 45 dB(A) zu erwarten, der dann in einer Entfernung von 500 m bzw. 900 m auf
40 dB(A) bzw. 35 dB(A) abfällt; ersteres entspricht dem Schallpegel, der nach der TA
Lärm nachts in einem Dorf- und Mischgebiet maximal erreicht werden darf und letz-
teres dem Schallschutzpegel, der in einem reinen Wohngebiet nachts maximal zulässig
ist [6.62].
Da Schallemissionen Menschen schädigen können und deshalb gesetzlich bestimmte
maximale Schallemissionen festgelegt sind, stellen die von Windkraftanlagen ausge-
henden Schallemissionen einen wesentlichen Planungsfaktor dar. Beispielsweise ist es
durch eine günstige Anordnung der Windkraftanlagen und einer entsprechenden Anla-
genauswahl möglich, bei konstanter Stromerzeugung eine Schallpegelminderung von
ca. 10 dB(A) im Vergleich zu einem Fall ohne entsprechende Maßnahmen zu erreichen.
Von verschiedenen Menschen werden Geräuschen z. T. sehr unterschiedlich wahrge-
nommen. Es gibt Geräusche (z. B. von einem Rockkonzert), die ein bestimmte Person
kaum stören, aber für eine andere Person eine extreme Belästigung darstellen; dies ist
auch nicht zwingend nur von der Lautstärke der jeweiligen Geräusche abhängig (z. B.
tropfender Wasserhahn, Vogelgezwitscher an den frühen Morgenstunden). Häufig wird
die Störung durch bestimmte Geräusche auch durch die innere Einstellung und die aktuel-
le emotionale Verfassung beeinflusst. Entsprechend empfand die Mehrheit der in der Nähe
eines vorhandenen Windparks befragten Personen die Geräusche durch diesen Windpark
nicht als belästigend; die wurden wie Verkehrslärm wahrgenommen [6.63].
Für eine Offshore-Aufstellung von Windkraftanlagen sind im Vergleich zur Onshore-
Installation reduzierte Anforderungen an die Hörschallemissionen zu erwarten. Beispiels-
weise kann deshalb bei einer Anlagenaufstellung auf dem Meer eine Erhöhung der Ro-
tordrehzahl zugelassen werden; eine derartige Begrenzung der maximalen Rotordrehzahl
ist eine von vielen Maßnahmen zur Reduktion von Schallemissionen für Onshore-Anla-
gen. Diese Maßnahme kann sich wiederum aufgrund des verringerten Antriebsmoments
reduzierend auf die Massen im Turmkopf (d. h. Masse des Triebstrangs) auswirken. Dem-
gegenüber ist aber zu erwarten, dass die Köperschallübertragung, also die Übertragung
von Schwingungen der Windenergieanlage über den Turm und das Fundament auf das
Medium Wasser, im Unterschied zu einer Nutzung an Land, von erhöhter Relevanz sein
dürfte. Technische Maßnahmen, dies zu minimieren und damit zum Schutz der Meeresum-
welt beizutragen, sind beispielsweise eine weitergehende Körperschallentkopplung (z. B.
im Bereich zwischen Turm und Fundament).

Infraschall „Infraschall“ ist eine Komponente des „normalen“ Schalls. Im Unterschied


zum Hörschall wird er jedoch auf sehr niedrigen Frequenzen emittiert. Vergleichbar zum
Licht, bei dem zwischen ultravioletten und infrarotem Licht unterschieden wird, werden
beim Schall die hohen Frequenzbereiche mit „Ultraschall“ und die tiefen Frequenzbe-
reiche mit „Infraschall“ (unter 16 oder 20 Hz) bezeichnet [6.64]. Und Windkraftanla-
gen emittieren aerodynamisch bedingt Infraschall in einem Frequenzbereich von 0,6 bis
1,5 Hz.
6 Stromerzeugung aus Windenergie 557

Die Wahrnehmungsgrenze des Menschen liegt bei etwa 20 Hz; d. h. Menschen kön-
nen Infraschall nicht hören, da unser Gehör nicht dafür ausgelegt ist [6.26]. Betroffene,
die derartigem Infraschall ausgesetzt sind, berichten aber z. T. über ein Pulsieren oder ein
Druckgefühl auf dem Trommelfell und auch auf der Brust. Es deutet sich an, dass die
Wahrnehmung der tiefen Frequenzen offenbar bei einigen Personen von einem Hören zu
einem Fühlen übergeht; beschallte Personen klagen auch über Vibrationen, Erschütterun-
gen oder ein Unsicherheitsgefühl [6.65].
Messungen ergaben in einer Entfernung von 180 m für eine 3,2 MW Windkraftanlage
40 bis 60 dB(A). Wegen der im Rahmen der Baugenehmigung einzuhaltenden Abstände
infolge der Vorgaben der TA Lärm gehen damit keine wissenschaftlich eindeutig quanti-
fizierbaren Belastungen für den Menschen durch Infraschall aus. Auch die Tierwelt wird
– nach gegenwärtigem Kenntnisstand – durch Infraschall nur wenig belastet.

Diskoeffekt An Tagen mit einem hohen solaren Direktstrahlungsanteil können im Nah-


bereich von Windkraftanlagen Lichtreflexe an den Rotorblättern auftreten, da das Son-
nenlicht an der spiegelnden Blattoberfläche reflektiert werden kann. Dieser sogenannte
Discoeffekt bzw. die entsprechenden Lichtblitze können die in der Nähe der Windkraftan-
lagen sich aufhaltenden Personen stören. Derartige Lichtreflexe sind jedoch nur zufällig
und kurzzeitig wahrnehmbar, da sie an ganz bestimmte (meist niedrige) Sonnenstände
gekoppelt sind und aufgrund der gewölbten Fläche der Rotorblätter ohnehin gering sind.
Eine konstante Beeinträchtigung im Verlauf mehrerer Stunden kann aus physikalischen
Gründen (Sonnenbewegung, Windkraftanlagenbewegung) damit praktisch ausgeschlos-
sen werden. Zusätzlich lassen sich solche Effekte durch eine reflexionsarme Oberflächen-
gestaltung der Rotorblätter mit lediglich matten, nicht reflektierenden Farben reduzieren
und insgesamt weitgehend vermeiden. Da eine derartige, den Discoeffekt minimierende
Rotorblattoberflächenstruktur- und -farbgestaltung zwischenzeitlich Stand der Technik ist
und damit heute bei der Rotorblattfertigung praxisüblich geworden ist, ist der Diskoeffekt
heute kaum noch ein Thema.

Schattenwurf Schattenwurf ist die Bezeichnung des sich bewegenden Schlagschattens,


der bei Sonnenschein von den sich im Wind bewegenden Rotorblättern ausgeht [6.27,
6.28]. Dabei wird unter einem derartigen periodischen Schattenwurf die wiederkehren-
de Verschattung des direkten Sonnenlichtes durch die Rotorblätter einer Windenergie-
anlage verstanden. Dieser Schattenwurf ist abhängig u. a. von den aktuellen Witterungs-
bedingungen, der jeweiligen Windrichtung, dem gegenwärtigen Sonnenstand sowie den
entsprechenden Anlagenbetriebszeiten und natürlich der Größe der jeweiligen Anlage.
Die maximale Schattenwurf-Reichweite hängt primär von der Windkraftanlagengröße ab;
sie kann beispielsweise bei einer 4,6 MW-Onshore-Windkraftanlage (166 m Nabenhöhe,
160 m Rotordurchmesser) bis zu 2 800 m betragen.
In Bezug auf die aus diesem Schattenwurf resultierende Beschattungsdauer kann zwi-
schen den folgenden zwei Kenngrößen unterschieden werden.
558 M. Kaltschmitt et al.

 Astronomisch maximal mögliche Beschattungsdauer. Darunter wird die Zeitdauer der


Beschattung verstanden, bei der die Sonne – wolkenloser Himmel vorausgesetzt – zwi-
schen Sonnenauf- und -untergang durchgehend scheint, die Rotorfläche immer senk-
recht zur aktuellen Sonneneinstrahlung steht und die Windenergieanlage immer betrie-
ben wird.
 Meteorologisch wahrscheinliche Beschattungsdauer. Dies ist der Zeitraum der Be-
schattung, wenn die standorttypischen üblichen Witterungsbedingungen berücksichtigt
werden.

Gemessen wird der Schattenwurf damit durch die theoretisch maximal mögliche Ein-
wirkzeit (d. h. maximal mögliche Beschattungsdauer) und der realen Einwirkzeit (d. h.
meteorologisch wahrscheinliche Beschattungsdauer). Je nach Standort kann dabei die
wahrscheinliche Beschattungsdauer bei rund 20 % der theoretisch möglichen absoluten
Schattenwurfdauer liegen.
Abb. 6.55 zeigt exemplarisch den maximal möglichen Beschattungsbereich einer
marktgängigen Windkraftanlage mit einer Bauhöhe von 140 m. Dabei ist zu beachten,
dass der jeweils mögliche Schattenwurf im dargestellten potenziellen Beschattungsberei-
ches abhängt vom tages- und jahreszeitlichen Sonnenstand; d. h. er ist zur Mittagszeit im
Sommer, wenn die Sonne näherungsweise im Zenit steht, sehr klein und beispielsweise in
den Abendstunden, wenn die Sonne sich dem Horizont nähert, entsprechend größer.
Die obere begrenzende Linie in Abb. 6.55 beschreibt die „obere“ Grenze des beschat-
teten Bereichs. An dieser Schattengrenze entlang bewegt sich der nur bei klarem Wetter
gegebene Schatten bei dem am 21. Dezember eines jeden Jahres gegebenen niedrigsten
Sonnenstand zwischen dem Sonnenauf- und dem Sonnenuntergang. Entsprechend wan-
dert der Schatten der hier untersuchten Windkraftanlage beim höchsten Sonnenstand am
21. Juni eines jeden Kalenderjahres entlang der unteren Linie (d. h. untere Schattengren-
ze). Damit wandert – jeweils klares, wolkenloses Wetter vorausgesetzt – der Schatten
täglich entsprechend Abb. 6.55 von links nach rechts; d. h. es wird also nur ein kleiner
Teilbereich des dargestellten Gebietes an dem jeweiligen Tag überstrichen. Dieser bei Wit-
terungsbedingungen, die einen Schattenwurf erlauben, beschattete Bereich bewegt sich im
Verlauf eines Jahres zwischen der Winter- und der Sommersonnenwende von oben nach
unten und zurück (Abb. 6.55).
Aufgrund des sich im Tagesverlauf verändernden Sonnenstandes sind insbesondere in
westlicher und östlicher Richtung zu einer Windkraftanlage vergleichsweise große Reich-
weiten des Schattens möglich. Dabei wird allerdings die Schattenintensität mit zunehmen-
der Entfernung immer geringer. Deshalb wird häufig eine potenzielle „Belästigungsgren-
ze“ in einer gewissen Entfernung vom Anlagenstandort definiert, bei der der Schattenkon-
trast so gering ist, dass von keiner Belästigung mehr ausgegangen werden kann.
Der Schattenwurf wird insbesondere durch die Anwohner als störend empfunden, da
der Schatten des bewegten Rotors – im Unterschied zu unbewegten Gegenständen – pe-
riodische Helligkeitsschwankungen hervorruft. Der menschliche Organismus kann auf
6 Stromerzeugung aus Windenergie 559

einen derartigen periodisch sich verändernden Schattenwurf mit Kopfschmerzen, Nervo-


sität, Übelkeit und Schlafstörungen reagieren [6.67].
Der periodische, sich bewegende Schattenwurf von Windkraftanlagen wird deshalb als
Immission im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes angesehen. Dazu wird die Er-
heblichkeit der Belästigungswirkung durch dessen zeitliche Einwirkdauer quantifiziert.
Aus diesem Grund wird eine maximal mögliche Einwirkdauer des Schattenwurfs im Rah-
men des jeweiligen Genehmigungsverfahrens untersucht. Unter kumulativer Berücksichti-
gung aller Windkraftanlagenbeiträge am Immissionsort am Festland in einer Bezugshöhe
von 2 m über dem Erdboden darf demnach die astronomisch maximal mögliche Beschat-
tungsdauer nicht mehr als 30 min am Tag und insgesamt nicht länger als 30 h im Jahr
zu Störungen von schutzwürdigen Räumen führen [6.26, 6.29, 6.44]. Dieses entspricht
bei den meteorologischen Bedingungen in Deutschland etwa einer Einwirkzeit von real
8 h/a. Wird dieser Grenzwert an einem bestimmten Immissionspunkt erreicht, müssen die
entsprechenden Windkraftanlagen abgeschaltet werden.
Durch entsprechende Planungen im Vorfeld und vorausschauende Standortfestlegun-
gen ist es jedoch meist einfach möglich, die Schattenwurfzeiten deutlich unter die erlaub-
ten Werte zu reduzieren [6.26]. Dadurch können i. Allg. damit verbundene Probleme der
Anwohner weitgehend minimiert werden.

Lichtemission durch Hinderniskennzeichnung Zur Vermeidung von Kollisionen mit Luft-


fahrzeugen in der Nacht oder bei schlechten Wetterbedingungen müssen alle baulichen
Anlagen mit einer Gesamthöhe von mehr als 100 m mit einer lichtbasierenden Nacht-
kennzeichnung, auch als Befeuerung bezeichnet, ausgestattet werden. Dies gilt auch für
Windkraftanlagen. Zur Reduzierung der damit für die Anwohner verbundenen Lichtemis-
sionen ist eine sichtweitenregulierte und synchronisierte Befeuerung von Windkraftanla-
genparks heute vorgeschrieben; d. h. Lichtstärken und Winkel der Befeuerung werden den
Erfordernissen der Luftfahrt angepasst. Des Weiteren besteht die Möglichkeit einer be-
darfsgesteuerten Nachtkennzeichnung mittels einem Aktiv- oder Passivradar oder einem
Transpondersystem, sodass nur bei einem sich nähernden Luftfahrzeug eine Befeuerung
sattfindet [6.46, 6.52].

Eisabwurfrisiko An den Flügeln einer Windkraftanlage kann sich unter bestimmten me-
teorologischen Bedingungen Eis ansetzen, das sich dann bei nachfolgendem Tauwetter bei
stehender und als Eiswurf bei anlaufender Anlage ablösen kann. Die dadurch ausgehende
Gefahr ist im Wesentlichen abhängig von den meteorologischen Randbedingungen und
damit u. a. vom Standort (z. B. Mittel- oder Hochgebirge). Das Risiko, durch einen derar-
tigen Eisbruch in z. B. 200 m Entfernung zur Anlage zu Schaden zu kommen, ist jedoch
vergleichsweise gering und entspricht etwa dem Risiko eines Blitzschlags [6.30]. Unab-
hängig davon soll eine pauschale Abstandsregelung von der eineinhalbfachen Summe der
Nabenhöhe plus Rotordurchmesser für die derzeit primär eingesetzten Multi-Megawatt-
Anlagen an Land mögliche derartige Zwischenfälle während des Betriebs ausschließen
[6.45]. Zusätzlich können an Standorten mit einem erhöhten Gefährdungspotenzial Verei-
560 M. Kaltschmitt et al.

sungssensoren auf der Gondel angebracht werden, die im Falle einer Vereisung die Anlage
abschalten. Die Windkraftanlage kann dann erst nach einer Sichtprüfung wieder in Betrieb
genommen werden. Zusätzlich können Enteisungssysteme in Form von beheizbaren Ro-
torblättern implementiert und Warnschilder mit aktivierten Blinklicht bei entsprechenden
Gefährdungslagen aufgestellt werden [6.45, 6.46].

Landschaftsbild Windkraftanlagen sind technische Bauwerke, die notwendigerweise –


wie andere Bauwerke (u. a. Autobahnen, Starkstromanlagen, Kanäle) auch – eine Verän-
derung des Landschaftsbildes bewirken. Aufgrund der in den letzten Jahrzehnten ständig
gestiegenen Anlagengrößen und den parallel dazu deutlich größeren Turmhöhen – und
natürlich aufgrund der insgesamt in Mitteleuropa deutlich zugenommenen Anlagenanzahl
– hat auch die Beeinflussung des Landschaftsbildes zugenommen und immer mehr Be-
deutung auch in öffentlichen Diskussionen erlangt.
Dabei gehen von Windkraftanlagen zwei das Landschaftsbild beeinträchtigende
Wirkungen aus. Zum einen werden durch diese Bauwerke die Dimensionen des Land-
schaftsbildes verändert. Und zum anderen resultiert aus den Anlagen eine große Fernwir-
kung [6.31].
Relevant wird dies insbesondere in flachen Landschaften und auf exponiert liegenden
Standorten in den Mittelgebirgen; hier sind die Windkraftanlagen weithin sichtbar. Anzahl
und Turmhöhe spielen dabei eine entscheidende Rolle. Durch eine entsprechende Farbge-
bung, die Bauform des Turms sowie die Anzahl der Rotorblätter und deren Drehzahl kann
jedoch die subjektiv von den Menschen empfundene Beeinträchtigung des Landschafts-
bildes beeinflusst werden. Beispielweise passt ein massiver Turm oftmals besser in die
Landschaft als ein Gittermast; auch deshalb ist letzterer praktisch vom Markt verschwun-
den. Rotoren mit drei Rotorblättern werden i. Allg. aufgrund der größeren Laufruhe von
einem Beobachter als angenehmer empfunden als Rotoren mit zwei Blättern.
Dabei hängt die optische Beurteilung von Windkraftanlagen als etwas, das nicht durch
objektiv definierbare Größen bestimmbar ist, wesentlich von den Assoziationen ab, die
der jeweilige Betrachter vor Ort persönlich einbringt. Daneben spielt auch die landschaft-
liche Umgebung um die Anlage eine Rolle. Im Normalfall wird jedoch – zumindest in
Deutschland – der Anblick einer Windkraftanlage nach wie vor oft als wenig störend
empfunden, sofern keine grundsätzlich negative Einstellung des jeweiligen Betrachters
gegenüber dieser Technologie vorliegt. Auch ist es durch computergestützte Planungsme-
thoden möglich, im Vorfeld der Errichtung von Windkraftanlagen die Wirkungen auf das
Landschaftsbild abzuschätzen und dadurch das Windparkdesign so zu gestalten, dass die
Wirkungen auf die Landschaft möglichst minimiert werden. Dabei zeigt sich u. a., dass
sich je nach Standort der Windkraftanlage die Sichträume um den Faktor 4 unterscheiden
können; dies lässt auf ein deutliches Optimierungspotenzial schließen.
Die Bewertung des Erscheinungsbildes der Landschaft ist damit von den subjektiven
Sichtweisen der jeweiligen Personen abhängig; die Frage, was jeweils als schön oder
entsprechend als hässlich empfunden wird, ist nahezu ausschließlich Personen-abhängig
und nur sehr begrenzt generell zu beantworten. Auch unterliegen Kulturlandschaften, ob
6 Stromerzeugung aus Windenergie 561

flach und ausgeräumt oder bergig und stark strukturiert, einem permanenten jahreszeitli-
chen und auch überjährigen Wandel; letzteres gilt insbesondere, weil der Mensch in dicht
besiedelten Räumen (z. B. Mitteleuropa) diese laufend nach seinen Vorstellungen und
Raumansprüchen verändert [6.68]. Dabei wird die ästhetische Qualität von Landschaft
einerseits – u. a. durch die Literatur, durch Fotografie und durch Film und Fernsehen –
kultiviert und z. T. auch konserviert. Andererseits verändert sich mit der Zeit auch das
Schönheitsempfinden; waren Ende des vorletzten Jahrhunderts rauchende Schornsteine
noch das Symbol für Fortschritt, Wohlstand und Prosperität, ist das heute nicht notwendi-
gerweise mehr der Fall. Diese Dynamik beeinflusst nicht nur das ästhetische Empfinden
des Betrachters einer Windkraftanlage, sondern als Folge auch den planerischen Umgang
mit dem Landschaftsbild [6.68].
In Deutschland wird das Landschaftsbild insbesondere durch das Bundesnaturschutz-
gesetz (BNatSchG) geschützt. Demnach sind erhebliche Beeinträchtigungen der Land-
schaft weitmöglichst zu vermeiden. Für unvermeidbare Eingriffe sieht das Gesetz u. a.
einen monetären Ausgleich vor. Diese Regelungen auf Bundesebene werden durch die
Naturschutzgesetze auf Landesebene ergänzt und ausgestaltet; damit können Form und
Höhe von Kompensationsmaßnahmen für Eingriffe in das Landschaftsbild durch Wind-
energieanlagen zwischen verschiedenen Bundesländern variieren.

Beeinflussung des Mikroklimas Der Einfluss von Windkraftanlagen auf das Mikroklima
gilt als begrenzt. An einem bestimmten Standort wurden im Winter lokale Temperatur-
veränderungen von bis zu ˙0,3 ı C sowie Niederschlagsveränderungen um bis zu 5 %
ermittelt [6.53]. Für einen texanischen Windkraftanlagenpark wurde eine nächtliche Er-
wärmung um 0,5 ı C des lokalen Bodens direkt unter den Windkraftanlagen gemessen.
Damit sind die Windkraftanlagen-spezifischen Auswirkungen auf das Mikroklima deut-
lich geringer als die natürliche lokale Klimavariabilität sowie die durch anthropogene
Treibhausgasfreisetzungen implizierten Klimaveränderungen.

Vogelschutz In Zusammenhang mit der Windkraftnutzung werden Störungen von fressen-


den und rastenden Vögeln, Beeinflussungen von ziehenden und fliegenden Vögeln sowie
der Vogelschlag als die wesentlichen Umwelteffekte im Zusammenhang mit dem Vogel-
schutz genannt.
Rastvögel meiden jede Art von Windkraftanlagen bis zu einer Entfernung von meh-
reren hundert Metern. Dabei reagieren bestimmte Vogelarten (z. B. großer Brachvogel,
Kampfläufer) sehr viel empfindlicher auf laufende Windkraftanlagen als andere Vogelar-
ten (z. B. Möwen). Bei vielen Vogelarten werden i. Allg. aber keine auffälligen Verhal-
tensänderungen gegenüber Windkraftanlagen beobachtet. Für einzelne Vogelarten liegen
jedoch auch gegenteilige Untersuchungsergebnisse vor; z. B. ist bei Weißstörchen von
einer Empfindlichkeit in Brutplatznähe auszugehen [6.32]. Insgesamt reagieren damit ver-
schiedene Vogelarten sehr unterschiedlich auf Windenergieanlagen. So werden Drosseln,
Stare, Greifvögel und Austernfischer nicht von Windkraftanlagen beeinflusst, während bei
562 M. Kaltschmitt et al.

Kiebitzen, Rotschenkeln und Uferschnepfen eine Beeinträchtigung nicht ausgeschlossen


werden kann [6.33].
Störwirkungen auf Brutvögel sind lediglich in einem geringen Rahmen festzustellen.
Ein Großteil der Brutvögel meidet Windkraftanlagen auf Abstände bis zu 500 m und
mehr. Dies wird höchstwahrscheinlich durch die Geräuschentwicklung der Anlagen ver-
ursacht [6.29].
Als Vogelschlag wird der Zusammenprall von Vögeln mit Objekten bezeichnet. Man-
che Vögel erkennen manchmal natürliche oder von Menschen erbaute Hindernisse in
ihrem Flugraum nicht (z. B. Fensterscheiben, Lärmschutzwände, Stromleitungen), inter-
pretieren sie falsch und / oder können ihnen nicht schnell genug auszuweichen. Die Fol-
ge ist eine Kollision mit dem entsprechenden Hindernis, die zu Verletzungen und zum
Tod der Tiere führen kann. In Zusammenhang mit an Land genutzten Windkraftanla-
gen tritt Vogelschlag nur vereinzelt auf und hat im Vergleich mit anderen Bauwerken,
dem Straßenverkehr oder Hauskatzen nur eine sehr geringe Bedeutung [6.47]. Beispiels-
weise war in den USA der Anteil getöteter Vögel durch den Individualverkehr, durch
Gebäude und durch Hauskatzen um den Faktor 5 000 größer als der durch Windkraft-
anlagen [6.48, 6.51]; ähnliche Zusammenhänge gelten auch für Mitteleuropa [6.69]. In
Deutschland konnte sowohl für den Rotmilan als auch für den Seeadler kein genereller
Bestandsrückgang durch den Ausbau der Windkraft nachgewiesen werden [6.49, 6.50].
Jedoch lässt sich die Bedeutung des Vogelschlags für die Windenergienutzung an Land
nicht endgültig bewerten, da bislang zu wenig systematisch durchgeführte und langfris-
tig angelegte Studien vorliegen. Generell ist ein erhöhtes Kollisionsrisiko für Vögel bei
erhöhter Anlagenhöhe und schlechtem Wetter denkbar [6.29].
Die negativen Auswirkungen der Windkraftnutzung an Land auf die Vogelwelt lassen
sich insgesamt vermindern, wenn, wie es mittlerweile auch planerische Praxis ist, be-
stimmte Gebiete von der Windenergienutzung gänzlich freigehalten werden (z. B. Natur-
schutzgebiete, Flora-Fauna-Habitat(FFH)-Gebiete). Je nach Bundesland gelten hier Min-
destabstände von 200 bis 1 000 m.
Ein großflächiger Ausbau der Windenergienutzung auf See – wie es in Deutschland
vorgesehen ist – könnte Auswirkungen auf das Zugverhalten von Vögeln haben. Der Vo-
gelzug erfolgt auf einer Fläche, die bislang für Vögel natürlicherweise als freie Fläche
ohne Hindernisse gilt. Dabei starten Vogelzüge bevorzugt bei gutem Wetter und klarer
Sicht mit dem Vorsatz, den Zielort auch bei guten Wetterbedingungen zu erreichen. So-
mit ist zu erwarten, dass die Flughöhe oberhalb der Reichweite von Windkraftanlagen
liegt; dies minimiert das Kollisionsrisiko. Eine erhöhte Kollisionsgefahr besteht jedoch bei
schlechten Witterungsbedingungen – insbesondere bei Nacht und bei starkem Wind – und
hohen Zugintensitäten. Zusätzlich können Blend- und Anlockeffekte durch Sicherheitsbe-
leuchtungen (siehe oben) zur Orientierungslosigkeit von Zugvögeln führen. Hinzu kommt,
dass der Vogelschlag hinsichtlich der Flughöhen und ihrer Eigenschaften als Tag- oder
Nachtflieger artenspezifisch zu betrachten ist; und hier ist das bisher vorliegende Wissen
noch sehr gering. Auch sollte das Verhalten des Vogelzugs hinsichtlich einer Barrierewir-
6 Stromerzeugung aus Windenergie 563

kung des Windparks und einer möglicherweise daraus resultierenden Routenänderung der
Zugvögel – und dessen Auswirkung auf das Zug- und im weiteren auf das Brutverhalten
– beobachtet werden [6.29].

Weitere Auswirkungen auf die Tierwelt Ein Massenanflug von wandernden Insekten an
Windkraftanlagen konnte bei Standortuntersuchungen bisher nicht festgestellt werden.
Auch gravierende Störwirkungen auf in der Nähe von Windkraftanlagen lebende Wild-
tiere (z. B. Feldhase, Rehwild, Rotfuchs, Rebhuhn, Rabenkrähe) waren bis heute nicht
nachweisbar [6.34]. Eine Kollisionsgefahr für Fledermäuse ist stark standortabhängig und
konnte bislang – aufgrund begrenzt verfügbarer systematischer Untersuchungen – nicht
auf die Zugzeiten zurückgeführt und somit nicht genau bestimmt werden [6.29]. Damit
sind nach dem bisherigen Kenntnisstand die potenziellen Auswirkungen auf die Tierwelt
als gering zu bezeichnen.

Flächenverbrauch Der Flächenverbrauch der Windkraftnutzung ist insgesamt vergleichs-


weise gering. Eine direkte Flächeninanspruchnahme – und damit eine Flächenversiege-
lung – ist nur durch Fundamente, Zuwegung und durch ggf. benötigte Betriebsgebäude ge-
geben; beispielsweise nimmt das Fundament einer 3 bis 4 MW-Onshore-Windkraftanlage
eine Fläche von rund 400 m2 ein. Die Abstandsflächen, die beispielsweise innerhalb von
Windparks zwischen den einzelnen Anlagen einzuhalten sind, lassen sich auch weiter-
hin ohne Einschränkungen landwirtschaftlich nutzen. Dennoch wird die Eignung jeder
Fläche nach ihrer vorherigen Nutzung sowie Schutzwürdigkeit im Rahmen einer Um-
weltverträglichkeitsprüfung geprüft, die bei der Entwicklung eines entsprechenden Wind-
parkprojektes durchgeführt werden muss. Insgesamt ist damit die Flächenversiegelung
der Windkraftnutzung – auch im Vergleich mit anderen Optionen zur Stromerzeugung aus
regenerativen und fossilen Energieträgern – sehr gering.

Meeresumwelt Die potenziellen Umweltauswirkungen einer Offshore-Windkraftnutzung


sind noch nicht umfassend untersucht. Potenziell dürften aber für den Betrieb von Off-
shore-Anlagen die primär für den Menschen relevanten Umwelteffekte Hörschall, Infra-
schall, Lichtreflexionen und Schattenwurf aufgrund des großen Abstandes zu Siedlungen
(nahezu) keine Rolle spielen. Dafür sind jedoch Auswirkungen auf die natürliche Meeres-
umwelt (z. B. Beeinträchtigung der marinen Lebewesen durch Unterwasserlärm, Schädi-
gung oder Vertreibung der Fischfauna, Schädigung von Benthos-Lebensgemeinschaften),
Schiffskollisionen und andere potenzielle Effekte in der Diskussion [6.29, 6.35]. Nachfol-
gend werden derartige Umwelteffekte diskutiert.

 Schallabstrahlungen von Windkraftanlagen bzw. der daraus resultierende Unterwasser-


lärm kann Meeresorganismen beträchtlich beeinflussen und stellt damit einen wesentli-
chen Eingriff in das Ökosystem dar. Dies gilt insbesondere für den Bau; hier werden zur
Errichtung der Gründungsstrukturen (z. B. Monopile; siehe oben) Impulsrammungen
564 M. Kaltschmitt et al.

vorgenommen. Bei den entsprechenden Rammvorgängen kommt es durch den Schall-


druck zu einer Schallausbreitung im Meerwasser, die bei Überschreitung der zulässigen
Grenzwerte zu einer Abnahme der akustischen Aktivität mariner Lebewesen – und das
heißt für Standorte beispielsweise in der Nordsee überwiegend von Schweinswalen
– führen kann. Die entsprechenden Schallemissionsgrenzwerte für die auf deutschem
Hoheitsgebiet zu errichtenden Windparks werden dabei seitens der entsprechenden Be-
hörden im Sinne einer Vorsorgestrategie vorgeschrieben. Entsprechend wurden neben
dem Grenzwert des Schalldruckpegels von 160 dB (SEL) ein Spitzendruckpegel von
190 dB (peak-to-peak) in jeweils 750 m Entfernung von der Schallquelle administrativ
festgelegt [6.36]. Um diese Vorsorgegrenzwerte einzuhalten, wurden neben diversen
Vergrämungsmethoden (d. h. Maßnahmen, mit denen z. B. die Schweinswale kurzzeitig
aus dem Baugebiet eines Offshore-Windparks vertrieben werden sollen) verschiedene
technische Schallschutzmaßnahmen für die zu rammenden Konstruktionen entwickelt
und kommen nun standardmäßig zum Einsatz [6.36]. Nachfolgend werden derartige
Maßnahmen kurz erläutert.
– Blasenschleier. Das Prinzip des Blasenschleiers beruht auf der physikalisch-akus-
tisch dämmenden Wirkung eines Vorhangs aus Luftblasen auf Schallwellen. Des-
halb wird ein Blasenschleier mit Hilfe von Druckluft erzeugt, der um die Ramm-
stelle aufgespannt wird [6.36]. Aufgrund der damit verbundenen technischen Her-
ausforderung, die in den Meeresuntergrund zu rammende Fundamentkomponente
möglichst vollständig mit Luftblasen zu umschließen, werden sehr unterschiedli-
che Blasenschleierkonzepte diskutiert, die sich u. a. durch den Arbeitsablauf, die
Kosten, die Wassertiefe und die Strömung am Standort sowie die schalltechnische
Optimierung unterscheiden.
Zur Erzeugung eines großen Blasenschleiers (Abb. 6.56, links) wird ein einzelner
perforierter (d. h. mit regelmäßig angeordneten Löchern versehener) Leitungsring

Strömung Strömung

Schwachstellen
Übertragungsweg
Übertragungsweg
Meeresboden
Meeresboden

Abb. 6.56 Technische Möglichkeiten zur Realisierung eines Blasenschleiers (links: großer Blasen-
schleier, Mitte: kleiner, gestufter Blasenschleier, rechts: geführter Blasenschleier (nach [6.36]))
6 Stromerzeugung aus Windenergie 565

um die in den Untergrund zu rammende Struktur auf dem Meeresboden angebracht.


In diesen perforierten Ring wird über Kompressoren, die sich auf einem Schiff
oder einer Plattform befinden können, Druckluft in der Größenordnung von 100
bis 120 m3 /min in das Wasser eingeleitet. Diese Luft steigt in Form von Blasen zur
Wasseroberfläche. Der Ring wird dabei so um die zu rammende Struktur auf den
Meeresboden gelegt, dass die aufsteigenden Blasen die Struktur ummanteln und
dadurch die Schallausbreitung infolge des Rammvorgangs im Wasser großräumig
reduziert wird. Dadurch kann es zu einer Schallminderung des Schalldruckpegels
um ca. 12 dB (SEL) und des Spitzendruckpegels um ca. 14 dB (peak) kommen. Der
große Blasenschleier gilt aufgrund der Handhabung, den positiven Ergebnissen der
Erprobungen und seiner Marktverfügbarkeit als Stand der Technik und ist deshalb
die nahezu ausschließlich praktisch genutzte Lösung [6.36]. Eine Herausforderung
ist die Sicherstellung, dass die gesamte in den Untergrund zu rammende Struktur
jederzeit von dem Blasenschleier umgeben ist (z. B. bei Jackets).
Für den kleinen oder gestuften Blasenschleier werden die perforierten Luftleitungen
in mehreren Ebenen ringförmig um das in den Untergrund zu rammende Element
angebracht (Abb. 6.56, Mitte). Im Unterschied zum großen Blasenschleier kann hier
eine Verdriftung der Blasen zu Schallbrücken führen; dies reduziert die Wirksamkeit
des Schallschutzes [6.36].
Der geführte Blasenschleier (Abb. 6.56, rechts), der auch im Brückenbau Anwen-
dung findet, funktioniert ähnlich wie der große Blasenschleier. Im Unterschied dazu
ist der Bereich der Luftblasen aber von einer festen Hülle – bestehend aus flexi-
blen Materialien (z. B. Gewebe, Kunststoffrohr) – umgeben, um eine Verdriftung
der Blasen zu verhindern. Deshalb werden geführte Blasenschleier hauptsächlich an
Standorten mit hohen Strömungsgeschwindigkeiten eingesetzt, um das Fortspülen
der Luftblasen zu vermeiden. Die Handhabung mit der Hülle erschwert jedoch ihren
Einsatz in größeren Wassertiefen [6.36].
– Schallschutzmäntel oder „Pile Sleeve“ sind über den Rammpfahl gestülpte Stahl-
rohre, die innen und außen mit lufthaltigen Materialien (z. B. Schaumstoff, Blasen-
folie) umwickelt sind. Die Schalldämpfung funktioniert – ähnlich wie beim Blasen-
schleier – durch eine Abschirmung des zu rammenden Pfahls über eine Umhüllung.
Die Dämmung wird anhand der Impedanzunterschiede des Hüllmantels zu Wasser
mittels Reflexionseffekten umgesetzt. Die Stärke der Dämpfung kann durch mehr-
schichtige Konstruktionen beeinflusst werden [6.36].
– Kofferdämme sind Schallschutzmäntel, bei denen das Wasser abgepumpt wurde.
Die Rammung erfolgt damit in einem luftgefüllten Raum (d. h. praktisch an der
Luft). Dadurch wird die Schallübertragung an das Wasser entkoppelt. Herausfor-
dernd kann hier insbesondere bei größeren Wassertiefen das Abpumpen von Wasser
sein [6.36].
– Hydroschalldämpfer setzen elastische gasgefüllte Ballons anstelle freier Gasblasen
zur Schalldämpfung ein. Die Ballons werden an festen Strukturen oder an elas-
566 M. Kaltschmitt et al.

tischen Netzen (z. B. flexible Vorhänge) befestigt, die den zu rammenden Pfahl
vollständig umgeben. Durch die Verwendung von Ballons mit fest definierten Grö-
ßen und / oder bestimmten Gasen kann eine gezielte Dämpfung der gewünschten
Frequenzen erreicht werden. Dieses Verfahren soll die Nachteile des Blasenschleiers
(u. a. Verdriftung der Blasen bei Strömung, Frequenzabhängigkeit der Blasengröße
und -verteilung) ausgleichen [6.36].
 Die Auswirkungen des Betriebs von Windkraftanlagen auf Lebensgemeinschaften des
Meeresbodens und auf die Fischfauna sind nicht stärker als Folgen durch Aufwirbe-
lungen der Fischerei und der Schifffahrt. Außerdem stellen die Unterwasserstruktu-
ren neue Lebensräume dar, in denen sich eine veränderte Artenzusammensetzung von
Lebensgemeinschaften herausbilden kann; beispielsweise konnte in vorhandenen Off-
shore-Windparks bereits die Ansiedlung von seltenen Fischarten beobachtet werden.
Hier werden laufende Forschungsvorhaben in den kommenden Jahren neue Erkennt-
nisse liefern.
 Auch das Verlegen der Kabeltrassen für die Netzanbindung beeinträchtigt die Meeres-
umwelt. Die Eingriffe erfolgen hierbei jedoch sehr kleinräumig und die Kabel werden
nur in Tiefen von 1 bis 3 m verlegt. Nach derzeitigem Kenntnisstand erfolgt dadurch
keine anhaltende Wirkung auf die Meeresumwelt.
 Das mögliche Kollisionsrisiko von Schiffen wird weitestgehend im Vorfeld der Wind-
parkerrichtung geprüft. Windparks werden deshalb nur in einem ausreichenden Ab-
stand zu den Hauptschifffahrtswegen genehmigt.

Aus gegenwärtiger Sicht ist tendenziell eher von i. Allg. geringeren Umwelteffekten
im Vergleich zu einer Onshore-Windstromerzeugung auszugehen. Jedoch werden die Ent-
wicklungen in den nächsten Jahren – besonders vor dem Hintergrund des geplanten Aus-
baus einer Offshore-Windstromerzeugung – zeigen, inwieweit es durch eine Offshore-
Windkraftnutzung zu signifikanten Umweltauswirkungen kommen wird, die sich bisher
nicht bzw. nur begrenzt abzeichnen.

Akzeptanz Der Grad der Akzeptanz von Windkraftanlagen ist ein Indiz ihrer Wirkun-
gen auf den Menschen und seine Umwelt. Dabei ist in den letzten Jahren ein vermehrtes
Auftreten von Bürgerprotesten gegen neue Windkraftanlagen zu verzeichnen. Durch die
sichtbaren Änderungen des Landschaftsbildes werden häufig Sorgen um den Wertverlust
der eigenen Immobilie, einer reduzierten Wohnqualität, einem Rückgang der Tourismus-
branche sowie persönlichen Gesundheitsrisiken ausgelöst. Meistens erfolgt hieraus eine
Ablehnung der lokalen Windkraftanlagen, wenngleich eine grundsätzliche Zustimmung
zu erneuerbaren Energien vorliegt. Deshalb ist eine frühzeitige Aufklärung der betroffenen
Bürger wichtig, um eine durch Unwissenheit und / oder Falschinformationen ausgelöste
Angst zu vermeiden. Außerdem hilft es häufig, wenn die jeweiligen Anwohner finanziell
und planerisch beteiligt werden [6.46, 6.54].
Auch wurde der Zusammenhang zwischen einer Windkraftnutzung und dem Tourismus
wiederholt untersucht. Demnach werden derzeit Urlaubslandschaften mit Windkraftanla-
6 Stromerzeugung aus Windenergie 567

gen emotional als weniger attraktiv eingeschätzt als solche ohne bzw. mit anderen Stö-
rungen. Jedoch ist eine Windkraftnutzung nicht ein Grund, den Urlaubsort zu wechseln.
Windkraftanlagen besitzen außerdem oft ein positives Image als eine Form einer umwelt-
freundlichen und nachhaltigen Energieerzeugung, das den Attraktivitätsverlust mehr als
aufwiegen kann [6.37]. Damit konnte bisher kaum ein wissenschaftlich belastbarer Beleg
für eine Gefährdung des Tourismus durch Windkraftanlagen gefunden werden („Tou-
rist(inn)en sind schlichtweg daran gewöhnt, auf einer Reise nicht nur stereotype Land-
schaftserwartungen erfüllt zu bekommen und begreifen daher Windkraftanlagen, wie auch
Straßen oder sonstige technische Infrastruktur als normale Bestandteile der Alltagswelt
des Reiseziels. Im Gegensatz zu Einheimischen, welche die Veränderungsprozesse der
physischen Grundlagen ihrer heimatlichen Normallandschaft miterleben und auf dieser
Grundlage Vergleiche zwischen heute und früher anstellen können . . . “ [6.70]).

Störfall Im Störfall sind aus gegenwärtiger Sicht keine negativen anlagenspezifischen


Umwelteffekte zu erwarten; maximal kann es zu begrenzten lokalen Effekten kommen.
Um selbst diese möglichst zu minimieren, sind beispielsweise bei Windkraftanlagen mit
ölgeschmiertem Getriebe entsprechende Ölauffangeinrichtungen vorhanden.
Unabhängig davon kann es durch Brände an der Anlage z. B. an den elektrischen An-
lagenteilen (u. a. Kabel) zu begrenzten Stofffreisetzungen an die Umwelt kommen, die
allerdings nicht spezifisch für Windkraftanlagen sind. Sie entsprechen auch denen bei
ähnlichen Störfällen in anderen Kraftwerken; außerdem sind derartige störungsbedingte
Stofffreisetzungen durch Einhaltung der einschlägigen Vorschriften weitgehend vermeid-
bar.
Auch kann ein mechanisches Versagen (z. B. Rotorbruch) zu Schäden an der Vegetation
(z. B. an der Grasnarbe) führen. Unter Einhaltung der Sicherheitsabstände zu bewohnten
Gebieten sind die Verletzungsrisiken für den Menschen bei einem mechanischen Versagen
jedoch als sehr gering zu bewerten, zumal davon auszugehen ist, dass – wenn überhaupt
– ein Rotorbruch tendenziell bei Sturm auftreten dürfte; dann ist jedoch die Wahrschein-
lichkeit, dass es zu einem Personenschaden kommen kann, vergleichsweise gering, da
nicht unmittelbar davon auszugehen ist, dass Personen bei starkem Sturm Sparziergänge
zu Windkraftanlagenstandorten durchführen werden.

Betriebsende Windkraftanlagen bestehen größtenteils aus metallischen Werkstoffen, für


die anerkannte Verwertungswege existieren. Offene Fragen existieren bisher noch bei der
Entsorgung der Rotorblätter, die aus Glasfaser-verstärktem Kunststoff (GFK) bestehen.
Besonders gute Ansatzpunkte werden hier in stofflich-thermischen Verwertungsverfah-
ren gesehen [6.38]. Damit ist insgesamt ein potenziell sehr weitgehendes Recycling von
Windkraftanlagen möglich; dies führt notwendigerweise zu allen damit verbundenen Um-
weltauswirkungen bzw. zur Vermeidung der entsprechenden Umwelteffekte, wenn da-
durch die Herstellung von neuem Material vermieden werden kann.
568 M. Kaltschmitt et al.

6.4 Potenziale und Nutzung

Lucas Sens, Burcu Özdirk, Britta Reimers und Martin Kaltschmitt

Die Möglichkeiten einer Nutzung der Windenergie zur Energienachfragedeckung in


Deutschland können durch die technischen Potenziale beschrieben werden. Diese werden
im Folgenden unter Berücksichtigung des derzeitigen Standes der Technik aufbauend
auf den theoretischen Potenzialen dargestellt. Die Ausführungen beschränken sich da-
bei auf die Potenziale einer netzgekoppelten, großtechnischen Windstromerzeugung in
Deutschland. Dieser Analyse schließt sich eine Darstellung der gegenwärtigen Nutzung
an.

6.4.1 Potenziale

Theoretisches Potenzial Über der Gebietsfläche Deutschlands ist ein theoretisches Po-
tenzial der Windenergie zwischen 47 und 76 EJ/a gegeben. Aus diesem theoretischen
Windenergieangebot ergibt sich ein theoretisches Stromerzeugungspotenzial zwischen 8
und 13 PWh/a (Tabelle 6.11). Jedoch ist dieses Potenzial aufgrund technisch unvermeid-
barer Verluste nur teilweise erschließbar; aussagekräftiger ist deshalb das technische Po-
tenzial, welches das letztlich „technisch Machbare“ beschreibt (Kapitel 1.3).

Technische Angebotspotenziale (Stromerzeugungspotenziale) Bei der Abschätzung


des technischen Angebotspotenzials wird unterschieden zwischen einer Onshore- und ei-
ner Offshore-Aufstellung.

Onshore-Aufstellung Das technische Angebots- bzw. Stromerzeugungspotenzial der


Windenergie auf dem Festland errechnet sich aus dem regional sehr unterschiedli-
chen Windenergieangebot in den bodennahen Atmosphärenschichten. Werden die einer
technischen Nutzung entgegenstehenden Restriktionen (z. B. Siedlungsflächen, Natur-
schutzgebiete) berücksichtigt, ergibt sich, dass rund 0,81 Mio. ha in Deutschland durch
jahresmittlere Windgeschwindigkeiten zwischen 6 und 7 m/s, rund 0,29 Mio. ha durch 7
bis 8 m/s und etwa 0,08 Mio. ha durch mehr als 8 m/s, jeweils bezogen auf eine Höhe von
100 m über Grund, gekennzeichnet sind (Tabelle 6.11).
Ausgehend von diesen Flächenpotenzialen können die entsprechenden installierbaren
Leistungen und daraus die erzeugbare elektrische Energie abgeschätzt werden. Dabei wird
unterstellt, dass aufgrund ökonomischer Beschränkungen nur Gebiete mit Windgeschwin-
digkeiten über 6 m/s in 100 m Höhe über Grund für eine Windkraftnutzung genutzt wer-
den würden. Mit einer durchschnittlichen Flächeninanspruchnahme von 4 ha pro MW für
marktgängige Multi-Megawatt-Anlagen kann daraus eine installierbare Windenergieleis-
tung von rund 296 GW auf dem Festland der Bundesrepublik Deutschland abgeleitet wer-
den (Tabelle 6.11). Unter Berücksichtigung des jeweiligen Windenergieangebots errech-
6 Stromerzeugung aus Windenergie 569

Tabelle 6.11 Theoretische und technische Potenziale einer Windstromerzeugung in Deutschland


Windgeschwindigkeitsklasse in m/sa 6–7 7–8 >8 Summe
Theoretisches Potenzial in EJ/ab 47–76
Theoretisches Stromerzeugungspotenzial in PWh/ac 8–12
Technische Erzeugungspotenziale Onshore
Technisches Flächenpotenzial in Mio. ha 0,81 0,29 0,08 1,18
Technisch installierbare Leistung in GW 203 73 20 296
Technisches Angebotspotenzial in TWh/a 609 274 88 971
(Stromerzeugung)
Technische Erzeugungspotenziale Offshore
Technisch installierbare Leistung in GW 85
Technisches Angebotspotenzial in TWh/a 366
(Stromerzeugung)
Technische Nachfragepotenziale Ansatz Id in TWh/a 167–189
Ansatz IIe in TWh/a 470
a
jahresmittlere Windgeschwindigkeit in 100 m Höhe über Grund (auf der Basis eines Anlagen-
mixes entspricht dies 3 000 h/a bei der Klasse 6 bis 7 m/s, 3 750 h/a bei der Klasse 7 bis 8 m/s
und 4 400 h/a bei über 8 m/s); b gesamtes Windenergieangebot über der Gebietsfläche Deutsch-
lands; c berechnet auf der Basis „idealer Windkraftanlagen“; d Ansatz I beinhaltet ausschließlich
eine weitere Optimierung der Regelbarkeit des vorhandenen Windparks und eines internationalen
Verkaufs überschüssigen Windstroms; e Ansatz II beruht darauf, dass das technische Stromerzeu-
gungspotenzial, das über das direkt im Stromversorgungssystem nutzbare technische Onshore- und
Offshore-Erzeugungspotenzial hinausgeht, in Pumpspeicherkraftwerken (kleinerer Anteil) und in
Wasserstoffspeichern (größerer Anteil) zwischengespeichert wird.

net sich daraus ein technisches Stromerzeugungspotenzial von insgesamt rund 971 TWh/a
(Tabelle 6.11).
Ohne Berücksichtigung einer möglichen Offshore-Installation liegen rund zwei Drit-
tel und damit der größte Anteil dieses Onshore-Stromerzeugungspotenzials in Gebieten,
die durch ein Windgeschwindigkeitsmittel zwischen 6 und 7 m/s (bezogen auf 100 m Hö-
he über Grund) gekennzeichnet sind. Nennenswerte Potenziale sind aber auch noch bei
mittleren Windgeschwindigkeiten zwischen 7 und 8 m/s (bezogen auf 100 m Höhe über
Grund) gegeben; das bei diesem Windenergieangebot vorliegende Stromerzeugungspo-
tenzial entspricht etwas mehr als einem Viertel des gesamten verfügbaren Potenzials. Bei
noch höheren Windgeschwindigkeiten sind die technischen Potenziale mit unter 10 % der
Gesamtpotenziale merklich kleiner.
Dieses technische Stromerzeugungspotenzial aus Windkraft ist innerhalb Deutschlands
durch sehr große regionale Unterschiede gekennzeichnet. Die größten Stromerzeugungs-
potenziale liegen in den Küstenländern. Im Binnenland sind die Möglichkeiten der wind-
technischen Stromerzeugung gering und beschränken sich häufig auf die Höhenlagen der
Mittelgebirge und andere exponierte Standorte.
Dieses Stromerzeugungspotenzial errechnet sich auf der Basis der verfügbaren Wind-
geschwindigkeitsverteilung, die auf der Grundlage relativ weniger Messstationen und
570 M. Kaltschmitt et al.

ohne Berücksichtigung lokaler Effekte ermittelt wurde. Da die regionale Topografie und
die lokale Oberflächenbeschaffenheit insbesondere im Binnenland das Windenergieange-
bot wesentlich beeinflussen und damit de facto ein anderes Windenergieangebot gegeben
sein kann als das, das in den zugänglichen Karten der in Deutschland vorhandenen Wind-
ressourcen ausgewiesen wird, kann sich bei einer detaillierteren Betrachtung auch das
korrespondierende Stromerzeugungspotenzial entsprechend verändern. Bei einer erheb-
lich weitergehend disaggregierteren Vorgehensweise ist deshalb zu erwarten, dass sich
insbesondere im Binnenland die Potenziale u. U. deutlich verändern könnten.
Dieses Potenzial dürfte durch weitere Restriktionen zusätzlich reduziert werden. Wird
beispielsweise in Anbetracht der in Deutschland gegebenen Restriktionen (u. a. Schutz-
gebiete, Siedlungen, Wälder) eine Flächennutzung von ca. 2 % der Fläche Deutschlands
(rund 700 000 ha) für die Windenergienutzung unterstellt [6.39], errechnet sich ausgehend
davon eine installierbare Windenergieleistung von bis zu 175 GW (d. h. knapp 60 % der in
Tabelle 6.11 ausgewiesenen technischen Potenziale). Dies entspricht einem korrespondie-
renden Stromerzeugungspotenzial – bei einer mittleren Windgeschwindigkeit von 6,5 m/s
bezogen auf 100 m über Grund – von rund 525 TWh/a (d. h. 54 % des technischen Strom-
erzeugungspotenzials nach Tabelle 6.11).

Offshore-Aufstellung Zusätzlich zu einer Onshore-Aufstellung kann die Windkraft auch


vor der Küste (Offshore) genutzt werden. Hier wurden in den letzten Jahren auch bereits
Flächen in der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) der Nord- und Ostsee für in der
Zwischenzeit schon realisierte bzw. für zukünftige Offshore-Projekte zugeteilt. Aufgrund
der Sichtregelung in Deutschland und diverser Schutzgebiete (u. a. Wattenmeer) handelt
es sich hierbei um Flächen mit einer Küstenentfernung von mehr als 20 km.
Tabelle 6.12 zeigt die technisch nutzbaren Flächen in der Ausschließlichen Wirtschafts-
zone (AWZ) der Nord- und Ostsee nach Wassertiefe und Küstenentfernung. Insgesamt
kann demnach von einer technisch nutzbaren Fläche bei einer mittleren Wassertiefe bis

Tabelle 6.12 Technisch nutzbare Flächen in der Nord- und Ostsee nach Küstenentfernung und
Wassertiefe [6.40]
Wassertiefe in m 0–10 10–20 20–30 30–40
Flächenpotenziale in ha
Küstenentfernung in km 20–30 3 800 180 600 86 500 60 700
30–40 15 000 80 000 75 000 40 000
40–50 15 000 15 000 90 000 60 000
50–60 15 000 60 000 70 000
60–70 2 000 60 000 90 000
70–80 30 000 120 000
80–90 2 000 120 000
90–100 60 000
> 100 3 000 230 000
Summe 33 800 292 600 406 500 850 700
6 Stromerzeugung aus Windenergie 571

zu 40 m und einer maximalen Entfernung von der Küste von bis zu 100 km und mehr von
ca. 1,58 Mio. ha ausgegangen werden. Diese Fläche berücksichtigt Verkehrswege, Pipe-
lines sowie Seekabel, Plattformen und Naturschutzgebiete [6.40].
Bei einer durchschnittlichen Flächeninanspruchnahme von rund 19 ha pro MW in-
stallierter Windkraftanlagenleistung, die auch den zukünftig größeren Rotordurchmes-
sern und den damit einhergehenden größeren Abstandsfaktoren Rechnung trägt, ergibt
sich ein technisches Potenzial von über 85 GW installierbarer Leistung für die Offshore-
Windstromerzeugung. Auf diesen Flächen kann von jahresdurchschnittlichen Windge-
schwindigkeiten von 10,5 m/s in 100 m Höhe ausgegangen werden. Daraus errechnet sich
mit einer korrespondierenden durchschnittlichen Volllaststundenzahl von ca. 4 300 h/a ein
technisches Stromerzeugungspotenzial von rund 366 TWh/a (Tabelle 6.11).

Technische Endenergiepotenziale (Nachfragepotenziale) Aus den dargestellten tech-


nischen Stromerzeugungspotenzialen ermittlen sich die technischen Endenergiepotenziale
unter Berücksichtigung netz- und nachfrageseitiger Restriktionen. Dazu zählen die Netz-
verluste über alle Spannungsebenen bis zum Endverbraucher, die bei rund 5 % liegen, und
die Speicherverluste; letztere treten bei einer über der augenblicklichen Nachfrage lie-
genden momentanen windtechnischen Stromerzeugung infolge der dadurch notwendigen
Zwischenspeicherung auf. Zusätzlich kann durch das Netz der öffentlichen Versorgung in
seiner derzeitigen Struktur bzw. den es speisenden Windparks nur in einem beschränkten
Umfang fluktuierende angebotsabhängig erzeugte elektrische Energie innerhalb Deutsch-
lands ausgeglichen werden, wenn zusätzlich das gegenwärtige Maß der Frequenz- und
Spannungsstabilität beibehalten werden soll.
Wie groß der Einfluss der diskutierten Restriktionen auf das windtechnische Potenzial
im Einzelnen ist, hängt vor allem vom Verhältnis der Windstromerzeugung zum gesamten
elektrischen Energieaufkommen, von den durch das Windenergieangebot vorgegebenen
Fluktuationen und von der Gegen- oder Gleichläufigkeit dieser Erzeugung mit der zeit-
abhängigen Nachfragecharakteristik ab. Auch wird es durch das Einspeisemanagement
der Windkraftanlagen, absehbaren Netzerweiterungen, sich abzeichnenden Kraftwerks-
neubauten und die Möglichkeiten eines Verkaufs von Windstrom auf den europäischen
Strommärkten beeinflusst.
Zur Abschätzung der Größenordnung, in der sich das technische Endenergiepotenzial
derzeit in Deutschland bewegt, werden hier zwei Ansätze unterschieden.

 Ansatz I beinhaltet – ähnlich wie bei der Photovoltaikstromerzeugung (Kapitel 5.4.1) –


die weitere Optimierung der Regelbarkeit des bestehenden Kraftwerksparks einschließ-
lich weitergehender Maßnahmen auf der Netz- und Windstromerzeugungsseite (u. a.
Export von überschüssigem Windstrom, Ertüchtigung und Nachrüstung Altanlagen
bzw. zügiges Repowering, Einspeisemanagement für Windstrom). Dadurch kann auch
in Fällen, in denen die Windkraftanlagen einen deutlichen Beitrag zur Lastdeckung
leisten, eine ausreichende Netzqualität gewährleistet werden. Insgesamt ergibt sich un-
ter diesen Randbedingungen ein technisches Endenergie- bzw. Nachfragepotenzial von
167 bis 189 TWh/a.
572 M. Kaltschmitt et al.

 Ansatz II beruht darauf, dass eine über die in das Stromversorgungssystem weitgehend
problemlos integrierbaren 167 bis 189 TWh/a hinausgehende Windstromerzeugung in
Wasserstoffspeichern mit einem Wirkungsgrad von 40 % zwischengespeichert wird;
zusätzlich ist eine Speicherung in vorhandenen Pumpspeicherkraftwerken in den Al-
pen und in Norwegen bis zu einem gewissen Anteil möglich (Wirkungsgrad 80 %,
zuzüglich Netzverluste). Insgesamt errechnet sich unter diesen Rahmenannahmen ein
technisches Nachfragepotenzial von rund 470 TWh/a.

6.4.2 Nutzung

Die Windenergie wurde bereits im Altertum u. a. in der Schifffahrt, zum Kornmahlen


und zum Wasserpumpen genutzt. Die hier ausschließlich betrachtete Windkraftnutzung
zur Stromerzeugung hat aber erst nach der zweiten Ölpreiskrise 1979/80 an Bedeutung
gewonnen. Nachfolgend wird deshalb nur die Windkraftnutzung zur Bereitstellung elek-
trischer Energie diskutiert (nach [6.71, 6.72]).

6.4.2.1 Welt
Ende 2018 betrug die weltweit installierte Windenergieleistung 564 GW (Abb. 6.57). Die-
ser Anlagenpark ist durch ein durchschnittliches Stromerzeugungspotenzial – berechnet

600 1400

1200
500

jährlich neu installierte Leistung


kumulierte Leistung 1000
Strombereitstellung in TWh/a
Elektrische Leistung in GW

400 Bruttostromerzeugung
potenzielle jährliche Stromerzeugung
800

300

600

200
400

100
200

0 0
2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018

Abb. 6.57 Jährlich und gesamte installierte Windkraftanlagenleistung weltweit [6.41]


6 Stromerzeugung aus Windenergie 573

auf der Basis mittlerer Volllaststunden – von ca. 1,18 PWh (2018) gekennzeichnet. Auf-
grund von vom langjährigen Mittel abweichenden Windverhältnissen wurde 2018 eine
Stromerzeugung aus Windkraft von global rund 1,27 PWh realisiert; das sind leicht mehr
im Vergleich zu dem Erwartungswert. Mit einem Anteil von rund 96 % ist der Großteil
aller Windkraftanlagen auf dem Festland (Onshore) installiert; d. h. der Anteil der Off-
shore-Windkraftanlagen betrug 2018 nur 4 % (nach [6.71]).
Von dieser globalen Erzeugung elektrischer Energie wurden in Asien und den pazifi-
schen Raum rund 36 % realisiert. Dabei war hier China mit Abstand der größte Einzelpro-
duzent; allein die Volksrepublik China hat 2018 knapp 29 % des weltweiten Windstroms
erzeugt. Ein weiterer relativ großer Akteur, wenn auch im Vergleich zu China eher un-
bedeutend, war Indien. Hier wurden 2018 knapp 5 % der globalen Windstromerzeugung
realisiert. Verglichen damit ist die Stromerzeugung in allen anderen Ländern in Asien und
dem pazifischen Raum eher von untergeordneter Bedeutung. Eine Ausnahme stellt Austra-
lien dar; hier wurden 1,3 % des weltweit erzeugten Windstroms ins Netz gespeist. Dies ist
etwas mehr als im gesamten Afrika, das nur mit ca. 1,2 % zur globalen Windstromerzeu-
gung beiträgt. Noch geringer sind die Anteile im Nahen Osten und den Nachfolgestaaten
der ehemaligen Sowjetunion; beide Gebietsflächen tragen mit jeweils unter 0,1 % zur
Welt-Windstromerzeugung bei (nach [6.71]).
Nordamerika trägt mit etwa einem Viertel zur globalen Stromerzeugung aus Windkraft
bei. Der wesentliche Akteur ist dabei die USA, die allein knapp 22 % der weltweiten
Windstromerzeugung realisiert. Kanada und Mexiko folgen mit sehr bescheidenen Antei-
len von 2,5 und 1,0 %. Verglichen mit Nordamerika ist die Windstromerzeugung in Süd-
amerika mit einem Anteil von etwa 5,2 % an der weltweiten Erzeugung deutlich geringer;
der wesentliche Erzeuger ist hier Brasilien, das ca. 3,8 % zur globalen Windstromerzeu-
gung beiträgt (nach [6.71]).
In Europa bzw. der EU-28 wird knapp 32 % bzw. knapp 30 % der weltweiten Wind-
stromerzeugung realisiert. Wichtige Akteure sind hier Deutschland (8,8 %), das Vereinigte
Königreich (4,5 %), Spanien (4,0 %), Frankreich (2,2 %) und Italien (1,4 %, jeweils bezo-
gen auf die globale Erzeugung).
In der Summe werden knapp 59 % der weltweiten Windstromerzeugung in den OECD-
Staaten und die verbleibenden etwas mehr als 41 % in den Nicht-OECD-Staaten erzeugt.
Bezogen auf die gesamte weltweite Bruttostromerzeugung stammen knapp 5 % aus der
Energie des Windes (nach [6.71]).
Während global immer noch primär die Onshore-Windenergie ausgebaut wird, ge-
winnt in Europa die Offshore-Windkraftnutzung zunehmend an Bedeutung. Bisher sind
Ende 2018 global knapp 23 GW an installierter Offshore-Windkraftleistung vorzufinden,
wovon mit rund 18 GW knapp 80 % auf den europäischen Raum entfallen. Die restliche
Offshore-Windkraftleistung ist vornehmlich im asiatischen Raum installiert. Der weltwei-
te Zubau an Offshore-Windkraftleistung betrug 2018 rund 4,5 GW. Wird eine weltweite
durchschnittliche Jahresvolllaststundenzahl von 3 300 h/a für die Offshore-Windkraftanla-
gen unterstellt, errechnet sich eine erzeugte Energiemenge von rund 76 TWh (2018) (nach
[6.71]).
574 M. Kaltschmitt et al.

6.4.2.2 Europäische Union


Ende 2018 waren in der EU-28 179 GW an Windkraftanlagen installiert (Abb. 6.58). Sie
produzierten 362 TWh (2018) Strom (312 TWh Onshore und 51 TWh Offshore). Allein
2018 wurden in der EU rund 10 GW neu installiert und etwa 0,3 GW an Altanlagen still-
gelegt. 2018 ist daher seit 2008 das Jahr mit der geringsten Anzahl an Neuinstallationen
von Onshore-Anlagen; d. h. der globale Trend rückläufiger Installationszahlen spiegelt
sich auch in der EU-28 wieder (nach [6.71]).
Der größte EU-Einzelmarkt ist Deutschland mit 3,4 GW neu errichteter Leistung und
einer insgesamt installierten Kapazität von ca. 59 GW (Abb. 6.59). Aber auch in Frank-
reich wurden 2018 mit 1,6 GW (15,1 GW insgesamt installierte Leistung), im Vereinigten
Königreich mit 1,4 GW (21,7 GW insgesamt installierte Leistung) sowie in Schweden mit
0,8 GW (7,3 GW insgesamt installierte Leistung) und in Dänemark mit 0,6 GW (5,8 GW
insgesamt installierte Leistung) nennenswerte Leistungen neu installiert.
Im Onshore-Windbereich gibt es EU-weit noch viele unerschlossene Standorte mit ei-
nem hohen Windenergieangebot. Jedoch wird zunehmend immer mehr auch die Nutzung
der Windkraft auf See ausgebaut, da dies tendenziell gesellschaftlich eher akzeptabel ist.
Durch die weiter fortschreitende Kostenreduktion von Offshore-Anlagen bei parallel stei-
genden Genehmigungsauflagen für die Erschließung neuer Onshore-Standorte (z. B. für
Umwelt- und Naturschutzmaßnahmen) können Anlagenparks beispielsweise in der Nord-
see mit naher Küstenanbindung bereits teilweise mit den Stromgestehungskosten von
Windparks auf dem Festland konkurrieren.

200 400

jährlich neu installierte Leistung


180 kumulierte Leistung
350
Bruttostromerzeugung
160
potenzielle jährliche Stromerzeugung
300
Elektrische Leistung in GW

140
Strombereitstellung in TWh/a

250
120

100 200

80
150

60
100
40

50
20

0 0
2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018

Abb. 6.58 Jährlich und gesamte installierte Windkraftanlagenleistung im der EU-28 [6.41]
6 Stromerzeugung aus Windenergie 575

Abb. 6.59 Installierte Onshore- und Offshore-Windkraftanlagenleistung in der EU (Stand 2018)


[6.74]

Im Bereich Offshore nimmt – wie auch in den Vorjahren – das Vereinigte Königreich
mit rund 8 GW an insgesamt installierter Leistung die Spitzenposition ein. Darauf folgen
Deutschland mit 6,4 GW und Dänemark mit 1,7 GW (nach [6.71]).
Die Windstromerzeugung in der EU-28 trägt – bezogen auf die gesamte Bruttostrom-
erzeugung – mit einem Anteil von 11,5 % zur Deckung der Nachfrage nach elektrischer
Energie bei. Damit ist die Windstromerzeugung eine wichtige Option zur Stromerzeugung
aus regenerativen Energien in der EU.
Die durchschnittliche Anlagenleistung variiert sehr stark; in Norwegen beträgt die
gemittelte Leistung 3,6 MW pro Turbine, wohingegen in Litauen und Griechenland durch-
schnittlich nur 2 MW Turbinen verbaut werden. Demgegenüber weist die größte in der
EU-28 installierte Einzelanlage eine Nennleistung von 8,8 MW auf (Stand 2018). Im
Onshore-Bereich dominieren heute Anlagen im Bereich 3 bis maximal 6 MW. Demgegen-
über liegt im Offshore-Bereich die durchschnittliche Anlagenleistung inzwischen bei rund
7 MW für neu installierte Anlagen. Aktuell werden bereits Anlagen mit 10 MW und mehr
angeboten [6.24]. Neben höheren Nennleistungen der Einzelanlagen konzentrieren sich im
576 M. Kaltschmitt et al.

Offshore-Bereich die Entwicklungen auf eine weitere Material- und letztliche Kostenredu-
zierung sowie einen wartungsärmeren und ausfallsicheren Betrieb. Bei den Fundamenten
geht der Trend nach wie vor zum Monopile, der in immer größeren Wassertiefen einge-
setzt wird und derzeit den Markt dominiert.

6.4.2.3 Deutschland
Die Nutzung der Windenergie zur Bereitstellung elektrischer Energie hat ihre ersten
Schritte bereits in den 1920er Jahren gemacht; auch in den 1950er Jahren wurden ver-
schiedene Prototypen errichtet und erprobt. Der kommerzielle Einsatz begann jedoch erst
im Jahr 1982 in Folge der zweiten Ölpreiskrise. Bis zum Jahr 1986 wurden jedoch nur sehr
vereinzelt Anlagen mit einer sehr kleinen installierten elektrischen Leistung errichtet. Die
Implementierung des Breitentests 100 MW-Wind (Förderprogramm) in Deutschland im
Jahr 1989, das anschließend auf 250 MW erweitert wurde, und das Stromeinspeisegesetz
vom 1. Januar 1991, das später zum Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) weiterentwi-
ckelt wurde, führten dann aber zu einem sprunghaften Anstieg der Windenergienutzung
in Deutschland. Diese Entwicklung wurde durch eine wohlwollende gesetzliche und
administrative Rahmensetzung unterstützt (z. B. Privilegierung im Außenbereich). Der
Windkraftanlagenausbau wird seit Mitte 2017 durch das Ausschreibungsmodell, wie es in
dem entsprechend novellierten Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) gesetzlich verankert
wurde, staatlich reguliert; diese Gesetzesänderung hat zu einer starken Abschwächung
des Ausbaus in den letzten Jahren geführt (nach [6.72]).
Ende 2018 waren insgesamt 29 213 Onshore-Windkraftanlagen mit einer potenziellen
jährlichen Stromerzeugung von rund 88 TWh und einer elektrischen Gesamtleistung von
52,9 GW in Betrieb (Abb. 6.60). Die tatsächlich eingespeiste elektrische Energie lag bei
rund 93,9 TWh. Diese im Vergleich beispielsweise zu 2017 rund 7 % höhere Netzein-
speisung bei einem Leistungszubau (netto) von rund 5 % ist anhand der besseren Wind-
verhältnissen in 2018 gegenüber 2017 zu begründen [6.42, 6.43]. Die durchschnittliche
Anlagenleistung lag 2018 bei 3,2 MW. Die mittlere Nabenhöhe variierte in Abhängigkeit
des jeweiligen Bundeslandes zwischen 91 m in Hamburg bis 145 m in Hessen.
In Niedersachen waren mit 11,2 GW 2018 die meisten Onshore-Anlagen installiert.
Danach folgt Brandenburg mit 7,1 GW, Schleswig-Holstein mit 6,9 GW, Nordrhein-West-
falen mit 5,8 GW und Sachsen-Anhalt mit 5,1 GW. Alle anderen Bundesländer haben
verglichen damit eine deutlich geringere Bedeutung; beispielsweise waren Ende 2018 in
Bayern nur 2,5 GW und in Baden-Württemberg nur 1,5 GW installiert. Die mit diesem
Anlagenpark realisierte Stromerzeugung trug mit rund 14,5 % zur Deckung der Strom-
nachfrage in Deutschland bei; die Windstromerzeugung ist damit eine wichtige Säule zur
Deckung der Nachfrage nach elektrischer Energie.
Neben dem Ausbau der Onshore-Windenergienutzung setzt die deutsche Politik auf
einen Ausbau der Offshore-Windenergienutzung. Ende 2018 waren insgesamt 1 305
Offhore-Windkraftanlagen mit einer potenziellen jährlichen Stromerzeugung von rund
20,9 TWh (2018) und einer kumulierten netzgekoppelten elektrischen Anlagenleistung
von rund 6,4 GW in Betrieb (Abb. 6.61). Die tatsächlich eingespeiste elektrische Energie
6 Stromerzeugung aus Windenergie 577

60 100
jährlich neu installierte Leistung
davon jährlich im Repowering installierte Leistung 90
kumulierte Leistung
50
Bruttostromerzeugung 80
potenzielle jährliche Stromerzeugung

Strombereitstellung in TWh/a
70
Elektrische Leistung in GW

40

60

30 50

40

20
30

20
10

10

0 0
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018

Abb. 6.60 Onshore-Windenergienutzung in Deutschland (Daten nach [6.42])

7 25
jährlich neu installierte Leistung
kumulierte Leistung
Bruttostromerzeugung
6
potenzielle jährliche Stromerzeugung
20

Strombereitstellung in TWh/a
Elektrische Leistung in GW

15
4

3
10

0 0
2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018

Abb. 6.61 Offshore-Windenergienutzung in Deutschland (Daten nach [6.42])


578 M. Kaltschmitt et al.

lag bei rund 19,4 TWh (2018). Die mit diesem Offshore-Windkraftanlagenpark reali-
sierte Bereitstellung elektrischer Energie trug 2018 mit rund 3,1 % zur Deckung der
Elektrizitätsnachfrage in Deutschland bei. Die mittlere Anlagenleistung der im Jahr 2018
neu angeschlossenen Offshore-Windkraftanlagen betrug 7,1 MW und wuchs somit deut-
lich um 26 % an (2017: 5,6 MW), während sich die mittlere Nabenhöhe um 10 % auf
106 m in 2018 steigern konnte (2017: 96 m). Der Trend zu größeren Turbinenleistungen
ist somit weiterhin unverkennbar. Demgegenüber scheinen sich als Fundamenttyp die
Monopiles grundsätzlich durchzusetzen. Die Wassertiefen der im Jahr 2018 realisierten
Offshore-Windkraftprojekte variierte zwischen 20 bis 40 m, während die Küstenentfer-
nung zwischen 20 bis 120 km betrug.

6.4.2.4 Österreich
Die erste Windkraftanlage Österreichs ging 1994 ans Netz. Mit dem Ökostromgesetz star-
tete dann 2002 der Windkraftausbau. Infolge dieser gesetzlichen Vorgaben waren in der
Republik Österreich Ende 2018 knapp 3,1 GW an Windleistung installiert, mit denen etwa
5,9 TWh (2018) erzeugt wurden. Bezogen auf die Bruttostromerzeugung in der Alpenre-
publik sind das rund 8,8 %. Die Volllaststundenzahl dieses Anlagenparks liegt bei rund
1 920 h/a. Abb. 6.62 zeigt auch, dass in Österreich das Jahr 2018 relativ windschwach
war, da die Stromerzeugung trotz eines Anstiegs der installierten Leistung relativ leicht
zurückgegangen ist. Die meisten Anlagen waren Ende 2018 in Niederösterreich installiert
(1,66 GW) gefolgt vom Burgenland (1,09 GW) und von der Steiermark (0,24 GW).

3,5 7

jährlich neu installierte Leistung


kumulierte Leistung
3,0 6
Bruttostromerzeugung
potenzielle jährliche Stromerzeugung

2,5 5
Strombereitstellung in TWh/a
Elektrische Leistung in GW

2,0 4

1,5 3

1,0 2

0,5 1

0,0 0
2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018

Abb. 6.62 Jährlich und gesamte installierte Windkraftanlagenleistung in Österreich [6.59]


6 Stromerzeugung aus Windenergie 579

Literatur

[6.1] Kaltschmitt, M.: Regenerative Energien. Skriptum zur Vorlesung. Institut für Umwelttechnik
und Energiewirtschaft, Technische Universität Hamburg, SoSe, Hamburg (2019)
[6.2] Betz, A.: Das Maximum der theoretisch möglichen Ausnützung des Windes durch Windmo-
toren. Zeitschrift für das gesamte Turbinenwesen 26, 307–309 (1920)
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Febr. 2020
Stromerzeugung aus Wasserkraft
7
Markus Aufleger, Franz Joos, Klaus Jorde, Martin Kaltschmitt, Anne Rödl,
Michael Schlüter und Lucas Sens

7.1 Grundlagen

Michael Schlüter, Klaus Jorde und Martin Kaltschmitt

Lauf- und Speicherwasserkraftanlagen werden eingesetzt, um die ursprünglich aus der


Sonnenenergie kommende und mithilfe des globalen Wasserkreislaufs (Kapitel 2.5) im
Wasser gespeicherte potenzielle und kinetische Energie zur Bereitstellung mechanischer
und / oder elektrischer Energie nutzbar zu machen. Dazu werden nachfolgend zunächst
die grundlegenden physikalischen Zusammenhänge, wie sie an einem Wasserkraftanla-
genstandort gegeben sind, diskutiert. Im Anschluss daran wird auf wesentliche Verlust-
mechanismen eingegangen.

Physikalische Zusammenhänge am Wehr Die insgesamt vorhandene potenzielle Ener-


gie EPot eines Wasserkraftanlagenstandorts ergibt sich aus der geodätischen Höhe des
Oberwasserspiegels hOW (z. B. Wasserspiegel oberhalb des Wehrs, Wasserspiegel eines
Speichersees), der technisch verfügbaren Wassermasse mWa und der Gravitationskonstan-
ten g gemäß Gleichung (7.1).

EPot D mWa g hOW (7.1)

Typischerweise kann das Wasser jedoch nur bis auf die Höhe des Unterwasserspiegels
hUW (z. B. Wasserspiegel unterhalb des Wehrs, Wasserspiegel am Auslauf des Krafthau-

Autoren in alphabetischer Reihenfolge mit Beiträgen zum Kapitel; die Autorenzuordnung geht aus
den einzelnen Unterkapiteln hervor.
Markus Aufleger, Innsbruck, Österreich
Franz Joos, Hamburg, Deutschland
Klaus Jorde, Klagenfurt, Österreich
Martin Kaltschmitt, Anne Rödl, Lucas Sens, Hamburg, Deutschland
Michael Schlüter, Hamburg, Deutschland

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 583
M. Kaltschmitt, W. Streicher, A. Wiese (Hrsg.), Erneuerbare Energien,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-61190-6_7
584 M. Aufleger et al.

ses eines Speicherwasserkraftwerks) genutzt werden. Damit errechnet sich die theoretisch
insgesamt nutzbare potenzielle Energie EPot;nutz des Wassers an einem bestimmten Stand-
ort nach Gleichung (7.2).

EPot;nutz D mWa g .hOW  hU W / (7.2)

Ausgehend davon kann mit der Dichte des Wassers Wa (998 kg/m3 ) die vom Volu-
menstrom qPWa abhängige theoretische Wasserkraftleistung PWa;pot;th ermittelt werden, die
zwischen der geodätischen Höhe h des Ober- (OW) und des Unterwassers (UW) nutzbar
ist (Gleichung (7.3)).

PWa;pot;th D qPWa Wa g .hOW  hU W / (7.3)

Zusätzlich zu dieser potenziellen oder Lageenergie ist auch insbesondere bei Lauf-
wasserkraftwerken die kinetische Energie des strömenden Wassers potenziell energetisch
nutzbar. Strömt beispielsweise Wasser mit der Masse mWa und der Geschwindigkeit des
Oberwassers vWa;OW , ergibt sich die darin enthaltene kinetische Energie Ekin nach Glei-
chung (7.4).
1
Ekin D mWa vWa;OW
2
(7.4)
2
Wird in einer Wasserkraftanlage z. B. die potenzielle und die Druckenergie an einer
Düse in kinetische Energie umgewandelt, wie dies beispielsweise bei der Peltonturbine
(Kapitel 7.2) geschieht, und wird diese Strömungsgeschwindigkeit des Wassers reduziert
auf eine (dann geringere) Geschwindigkeit des Unterwassers vWa;UW , kann die aus dem
strömenden Wasserstrom theoretisch nutzbare Leistung PWa;kin;th entsprechend Gleichung
(7.5) quantifiziert werden.
1  2 
PWa;kin;th D qPWa Wa vWa;OW  vWa;UW
2
(7.5)
2
Ist zwischen Oberwasser und Unterwasser das Umgebungsdruckniveau nicht gleich
(z. B. bei einem Speicherwasserkraftwerk, bei dem das Speicherbecken im Hochgebirge
und das Krafthaus mit Unterwasser im Tal liegt), muss der jeweilige Umgebungsdruck
zwischen dem Ober- pOW und Unterwasser pUW zusätzlich beachtet werden; dies führt zur
theoretischen Druckenergie Ep;th gemäß Gleichung (7.6)

Ep;t h D mWa .pU W  pOW / =Wa (7.6)

bzw. zur theoretischen Druckleistung PWa;p;th gemäß Gleichung (7.7). Wa ist wieder
die Dichte des Wassers (998 kg/m3 ).

PWa;p;th D qP Wa .pU W  pOW / (7.7)

Bei freier Oberfläche herrscht jeweils der Umgebungsdruck pU ; ist er damit beim Ober-
und Unterwasser gleich (nämlich der jeweilige Umgebungsdruck), kommt der Anteil der
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 585

Druckenergie bzw. der Druckleistung (Gleichung (7.6) bzw. (7.7)) nicht zum Tragen (d. h.
der Term „verschwindet“). Wird jedoch lediglich über die Turbine bilanziert, ist dieser
Anteil zwingend zu beachten, da in diesem Fall die Druckdifferenz über die Turbine zu
berücksichtigen ist (Kapitel 7.2).
Damit leitet sich die theoretische Wasserkraftleistung PWa;th an einem bestimmten
Standort nach Gleichung (7.8) ab. Sie setzt sich demnach aus den Termen der Was-
serkraftleistung aufgrund der theoretischen potenziellen Leistung PWa;pot;th (Gleichung
(7.3)), der theoretischen kinetischen Leistung PWa;kin;th (Gleichung (7.5)) und der theoreti-
schen Druckleistung PWa;p;th zwischen dem Ober- und dem Unterwasser (Gleichung (7.7))
zusammen.

PWa;th D PWa;pot;th C PWa;kin;th C PWa;p;th (7.8)

Ausgehend davon kann die Bilanz zwischen Ober- und Unterwasser nach Gleichung
(7.9) abgeleitet werden.
 1 
qPWa pOW C W a g hOW C Wa vWa;OW
2
2
 1 
D qP Wa pU W C Wa g hU W C Wa vWa;UW
2
C Wa w t;T (7.9)
2
Hierbei bezeichnet wt;T die spezifische Arbeit, die durch die Turbine entnommen wird.
Aufgrund von physikalisch unvermeidbaren Umwandlungsverlusten in der Wasserkraft-
anlage einschließlich der jeweils vor- und nachgelagerten Anlagenkomponenten kann nur
ein Teil dieser theoretischen Leistung nutzbar gemacht werden. So verursacht jeder Strö-
mungswiderstand einen Druckverlust p, der von der Strömungsgeschwindigkeit des
Wassers vWa abhängig ist (Gleichung (7.10)).
1
p D 2
Wa vWa (7.10)
2
Für die Verlustleistung infolge der Strömungswiderstände einer Wasserkraftanlage
PWa;kin;verl folgt daraus Gleichung (7.11).
1
PWa;kin;verl D qPWa Wa vWa
2
(7.11)
2
Dabei wird durch die jeweiligen Strömungswiderstände kinetische Energie in Wär-
meenergie umgewandelt, die dann im fließenden Wasser dissipiert; d. h. sie entzieht sich
hierdurch einer weiteren technischen Nutzbarmachung. Die Bilanz der Wasserkraftanlage
verschlechtert sich durch diesen Verlustmechanismus gemäß Gleichung (7.12). Dies ist
dann die Druckform der Bernoulli-Gleichung erweitert mit dem Volumenstrom des Ab-
flusses.
 1 
qPWa pOW C Wa g hOW C Wa vWa;OW
2
2
 1 2 1 
D qP Wa pU W C Wa g hU W C Wa vWa;UW C Wa vWa2
C Wa w t;T (7.12)
2 2
586 M. Aufleger et al.

Die Differenz zwischen dem Energieniveau des Oberwassers (OW) und des Unterwas-
sers (UW) beschreibt dann die nutzbare Fallhöhe hnutz an einem bestimmten Standort,
die durch den entsprechenden Energiewandler ausgenutzt werden kann. Es gilt Gleichung
(7.13).

pOW  pU W 2
vWa;OW  vWa;UW
2
hnutz D .hOW  hU W / C C (7.13)
Wa g 2g
Diese nutzbare Fallhöhe hnutz ist damit letztlich die standortspezifische Kenngröße, die
zusammen mit dem nutzbaren Volumenstrom / Abfluss die theoretische Leistung PWKW;th
der jeweiligen Wasserkraftanlage definiert. Wa ist die Dichte des Wassers und qP Wa ist der
Volumenstrom des nutzbaren Abflusses; g ist die Gravitationskonstante. Demnach ist an
einem Standort die theoretische Leistung eines Wasserkraftwerks (Gleichung (7.14)) im
Wesentlichen definiert durch den nutzbaren Abfluss und die nutzbare Fallhöhe; beides
sind standortabhängige Größen.

PWK W;t h D Wa g hnutz qP Wa (7.14)

Wird lediglich der Verlauf vom Oberwasser bis zum Turbineneinritt (Te) (d. h. dem ei-
gentlichen Energiewandler) betrachtet, ergibt sich durch Umformen von Gleichung (7.12)
die Energiegleichung (Kapitel 2.4.1) in der sogenannten Höhenform (Gleichung (7.15)).
2 2
pOW vWa;OW pT e vW a;T e v2
C hOW C D C hT e C C Wa (7.15)
g Wa 2g g Wa 2g 2g
pTe ist der Druck am Turbineneingang (Te), hTe die entsprechende geodätische Höhe
und vWa;Te die Strömungsgeschwindigkeit des Wassers an dieser Stelle. In dieser Höhen-
form der Energiegleichung sind alle Terme der Bernoulli-Gleichung in der Einheit einer
geometrischen Länge dargestellt; dadurch sind sie grafisch darstellbar (Abb. 7.1). Die Ter-
me (Gleichung (7.15)) bekommen hierdurch anschaulich die Bedeutung einer Druckener-
giehöhe pOW =.g Wa /, einer geodätischen Höhe h, einer Geschwindigkeitsenergiehöhe
2 2
vWa /(2 g) und einer Verlustenergiehöhe vWa /(2 g) für das betrachtete Leitungsstück. Das
nutzbare Gefälle hnutz entspricht der entziehbaren spezifischen Turbinenarbeit (wt;T /g).

Verlustmechanismen Vor der Erläuterung des daraus resultierenden Energieverlaufes –


und damit der entsprechenden Verlustmechanismen – in einem typischen Wasserkraft-
werk wird zunächst der Systemaufbau einer typischen generischen Wasserkraftanlage
näher beschrieben. Demnach besteht eine derartige Anlage zur Nutzung der Wasserkraft
üblicherweise aus einem Staubauwerk und den weiteren Systemkomponenten Einlauf-
bauwerk, ggf. Triebwasserleitung sowie Turbinenhaus mit Auslauf (Abb. 7.1; vgl. auch
Kapitel 7.2 und Abb. 7.3). Das Triebwasser wird der Turbine über dieses Einlaufbauwerk
und die Wasserleitung aus dem Oberwasser zugeführt und fließt anschließend über den
Auslauf in das Unterwasser (zur Erklärung der einzelnen Systemkomponenten siehe Ka-
pitel 7.2).
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 587

Energielinie

Ober- Verlustenergiehöhe
wasser Geschwindigkeitshöhe
1 Druck-
Rechen 2

nutzbares
energie-

Gefälle
höhe

Generator Geschwindig-

geodätische Höhe
keitshöhe
des Stromfadens
geodätische
Höhe des Energielinie
Wassers
3 Unter-
4 5 wasser

Turbine Saugrohr
Bezugsniveau

Abb. 7.1 Physikalische Zusammenhänge an einer Wasserkraftanlage (zur Erklärung der Zahlen sie-
he Text)

Der typische Energieverlauf, wie er sich in einer derartigen Wasserkraftanlage einstellt,


ist in Abb. 7.1 dargestellt; er resultiert unmittelbar aus der Höhenform der Bernoulli-Glei-
chung (Gleichung (7.15)).

 Die strichpunktierte Linie in Abb. 7.1 stellt die geodätische Höhe des Wassers auf sei-
nem Weg vom Oberwasser durch die Anlage ins Unterwasser dar. Sie folgt unmittelbar
der tatsächlich realisierten Wasserführung in der Anlage.
 Von der Oberfläche des Oberwassers bis zu der des Unterwassers verläuft die soge-
nannte Energielinie. An ihrem Verlauf werden anschaulich die einzelnen Verlustme-
chanismen deutlich, die in einer derartigen Wasserkraftanlage typischerweise auftreten.
Zunächst zeigt die Energielinie einen kleinen Sprung am Einlaufbauwerk, der aus den
dort bei der Wassererfassung auftretenden Verlusten resultiert. Zusätzlich weist die
Energielinie auf dem Weg zur Turbine eine leichte Neigung auf; dies ist auf die Strö-
mungsverluste in der Triebwasserleitung zurückzuführen. Dann ist die Energielinie in
der Turbine – und damit dem eigentlichen Energiewandler – durch einen erheblichen
„Sprung“ gekennzeichnet. Er wird durch die angestrebte bzw. realisierte möglichst ma-
ximale Entnahme von Energie aus dem Triebwasser durch die Turbine hervorgerufen;
dieser „Sprung“ entspricht dem an der Turbine de facto nutzbaren Gefälle. Nach der
Turbine zeigt die Energielinie erneut einen leichten Abfall, wenn auch auf einem deut-
lich geringeren Niveau als vor der Turbine; dies liegt in den Strömungsverlusten im
Saugrohr bzw. im Saugschlauch begründet. Die Energielinie nähert sich danach der
Oberfläche des Unterwassers an; der in Abb. 7.1 hier deutlich werdende kleine Sprung
ergibt sich aufgrund der Verluste infolge des Austritts aus dem Saugrohr ins Unterwas-
ser.
588 M. Aufleger et al.

 Die gestrichelte Linie, die unterhalb der Energielinie ebenfalls in Abb. 7.1 dargestellt
ist, verdeutlicht den Anteil der Energie, der durch die Beschleunigung des Wassers in
kinetische bzw. Strömungsenergie gewandelt wird. Dies wird beispielsweise am Ein-
laufbauwerk deutlich, wo das Wasser aufgrund der Querschnittsverengung beschleu-
nigt wird und demzufolge die kinetische Energie des Triebwassers ansteigt. Im Saug-
rohr bzw. im Saugschlauch wird ein Teil der nach dem Turbinendurchtritt im Trieb-
wasser noch enthaltenen kinetischen Energie durch die bautechnisch realisierte Quer-
schnittserweiterung und die dadurch verursachte reduzierte Strömungsgeschwindigkeit
für die Nutzung in der Wasserkraftanlage zurückgewonnen. Ähnlich wie im Oberwas-
ser, wo die Energie- und die Geschwindigkeitslinie identisch sind, endet im Unterwas-
ser die Geschwindigkeitslinie ebenfalls bei der Energielinie, die dem Unterwasserni-
veau entspricht.
 Die Differenz zwischen der geodätischen Höhe (strichpunktierte Linie, Abb. 7.1) und
der Geschwindigkeitshöhe (gestrichelte Linie, Abb. 7.1) ist dann letztlich die Druck-
energiehöhe.

Nachfolgend werden die Verluste in den einzelnen Systemkomponenten detailliert be-


schrieben; die Darstellung orientiert sich an dem Wasserlauf vom Ober- ins Unterwasser.

Wassereinlauf Das Einlaufbauwerk stellt die Verbindung zwischen dem Oberwasser und
dem Turbinenzulauf her. Am Anfang des Einlaufbauwerks befindet sich im dargestellten
Beispiel (Abb. 7.1) ein Rechen, der Schwemmgut von der Anlage fernhält (zur Erklärung
siehe Kapitel 7.2).
In diesem Einlaufbauwerk findet eine teilweise Umwandlung der potenziellen Ener-
gie des aus dem Oberwasser zufließenden Triebwassers in kinetische Energie statt (Bi-
lanzpunkt 1 bis Bilanzpunkt 2; Abb. 7.1). Aufgrund der Einlaufverluste und des Strö-
mungswiderstandes am Rechen geht dabei ein Teil der insgesamt theoretisch nutzbaren
Energie verloren. Diese Verluste können zu dem Verlustbeiwert EB für das Einlaufbau-
werk zusammengefasst werden. Sie machen sich in einer geringfügigen Reduzierung der
Druckenergiehöhe bemerkbar. Dies wird in Abb. 7.1 durch einen kleinen Sprung in der
Energielinie am Bilanzpunkt 1 deutlich.

Druckrohrleitung Mit Hilfe der Druckrohrleitung wird das Wasser vom Einlaufbauwerk
zur Turbine geleitet (Bilanzpunkt 2 bis Bilanzpunkt 3; Abb. 7.1). Dabei findet im Trieb-
wasser eine Umwandlung von potenzieller Energie in kinetische Energie und Druck-
energie statt. Aufgrund der Rohrreibung geht hierbei ein weiterer Teil der theoretisch
insgesamt nutzbaren Energie verloren. Der dies beschreibende Druckverlustbeiwert der
Rohrleitung RL resultiert primär aus der Rohrreibungszahl  der vor Ort realisierten bzw.
verbauten Rohrleitung. Er steigt proportional zur Leitungslänge l und umgekehrt propor-
tional zum hydraulischen Durchmesser dh gemäß Gleichung (7.16).
l
RL D  (7.16)
dh
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 589

Abb. 7.2 Bestimmung der


Rohrreibungszahl für Rohrlei-
tungen [7.32] vollrau

Dimensionslose Rauigkeit
Rohrreibungszahl
rau

laminar hydraulisch
glatt

fiktive laminare
Strömung

Reynoldszahl

Der hydraulische Durchmesser dh errechnet sich nach Gleichung (7.17) aus der Quer-
schnittsfläche A und dem Umfang U der jeweiligen Rohrleitung. Er entspricht für kreis-
förmige Rohrleitungsquerschnitte genau dem Rohrdurchmesser d.

4A
dh D (7.17)
U
Die Rohrreibungszahl  wird u. a. durch die Oberflächenrauigkeit der Rohrleitung be-
einflusst. Sie ist damit abhängig von der Reynolds-Zahl Redh der Rohrströmung und somit
vom hydraulischen Durchmesser der Rohrleitung dh , der Geschwindigkeit des Triebwas-
sers vWa und der kinematischen Viskosität des Wassers Wa . Die Reynolds-Zahl (Glei-
chung (7.18)) beschreibt dabei das Verhältnis der an den Strömungsteilchen angreifenden
Trägheitskräfte zu den Zähigkeitskräften (Reibungskräften); d. h. die Reynolds-Zahl er-
laubt u. a. Aussagen, ob eine bestimmte Strömung laminar (d. h. kleiner als die kritische
Reynolds-Zahl) oder turbulent (d. h. größer als die kritische Reynolds-Zahl) ist. Die kri-
tische Reynolds-Zahl wird empirisch ermittelt und ist beispielsweise bei der Wasserströ-
mung in einem glatten Rohr ca. 2 300.

vW a dh
Redh D (7.18)
Wa
Die Rohrreibungszahl  und die Reynolds-Zahl Redh hängen voneinander ab. Die-
ser Zusammenhang wird im sogenannten Moody-Diagramm [7.32] deutlich (Abb. 7.2).
Demnach gilt für hydraulisch glatte Bedingungen für die Rohrreibungszahl  D 64/Redh .
Bei größeren Reynolds-Zahlen verändert sich die Strömungsform hin zu einer turbulen-
ten Strömung. Durch diesen Umschlag steigt die Rohrreibungszahl  schlagartig auf den
Wert der turbulenten Strömung. Hier kommt nun der Beschaffenheit der Rohrwand und
der sie beschreibenden Rauigkeit Rz eine wichtige Bedeutung zu. Tabelle 7.1 zeigt deshalb
exemplarisch einige Rauheitswerte.
590 M. Aufleger et al.

Tabelle 7.1 Rauheitskennwerte für verschiedene Rohrleitungen [7.3]


Werkstoff Oberflächenbeschaffenheit Rauheit (Rz )
Holz neu, gehobelt, stoßfrei 0,3 mm
nach langjährigem Gebrauch, verquollen 3,0 mm
Kunststoffe Hart-PVC, neu 0,003–0,015 mm
Polyethylen, neu 0,003 mm
Glasfaser-verstärkter Kunststoff (GFK) 0,015–0,1 mm
Gusseisen neu 0,15–0,6 mm
gebraucht 0,1–1,5 mm
stärker verrostet oder verkrustet 1,5–4,0 mm
Stahl geschweißt, neu 0,02–0,1 mm
Rohre (geschweißt, gezogen), mäßig verrostet 0,14–0,4 mm
Rohre (geschweißt, gezogen), stark verrostet, verkrustet 1,0–3,5 mm
Beton neu 0,3–3 mm
Spritzbeton geglättet 0,5–1,5 mm
Stahlbetonrohre (Vakuumverschalung) 0,15 mm

Nach Abb. 7.2 nimmt die Rohrreibungszahl mit zunehmender Rauheit zu – und damit
auch der Strömungswiderstand. Ausgehend davon wird auch der Druckverlust entspre-
chend größer. Ab einer bestimmten Reynolds-Zahl treten die Rauheitsspitzen dann aus
der laminaren Wandschicht heraus (vollrauer Bereich) und dominieren unter diesen Be-
dingungen die Rohrreibungszahl; unter diesen Gegebenheiten ist die Rohrreibungszahl
dann unabhängig von der Reynolds-Zahl (dunkelgrau markierter Bereich in Abb. 7.2).
Die dimensionslose Rauigkeit ist hierbei die auf den Rohrdurchmesser d bezogene Rau-
igkeit Rz (d. h. Rz /d).
Während die Länge der Druckrohrleitung i. Allg. von den anlagenspezifischen Ge-
gebenheiten – und damit weitgehend vom Standort – abhängt, kann der Durchmesser
typischerweise einfacher variiert werden. Dabei nehmen mit einem zunehmenden Rohr-
durchmesser die Reibungsverluste ab und somit die an einem bestimmten Standort rea-
lisierbare Leistung der Turbine zu (Gleichung (7.15)). Gleichzeitig steigen jedoch die
Kosten für die Rohrleitung; deshalb wird hier in der Realität immer ein technisch-öko-
nomisches Optimum angestrebt. Bei Flusskraftwerken mit geringen Fallhöhen entfällt die
Rohrleitung, da das Wasser direkt vom Einlaufbauwerk in die Turbine strömt.
Befinden sich in der Rohrleitung zusätzlich Krümmer, Abzweigungen, Vereinigungen,
Schieber oder andere Einbauten, erhöht sich der Druckverlust aufgrund des entsprechen-
den zusätzlich davon hervorgerufenen Strömungswiderstandes. Die für diese Einbauten
zugrundeliegenden Druckverlustbeiwerte sind von der jeweiligen Geometrie und Ober-
flächenbeschaffenheit der entsprechenden Komponenten abhängig; sie werden vom Her-
steller angegeben bzw. können der Literatur entnommen werden (z. B. [7.3]). Bei gegebe-
ner Rohrleitung sind die Verluste proportional zum Quadrat der Fließgeschwindigkeit und
damit abflussabhängig (Gleichung (7.10)).
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 591

Turbine In der Turbine findet die Umwandlung der Druckenergie in mechanische bzw. ki-
netische Energie an der Turbinenwelle statt (Bilanzpunkt 3 bis Bilanzpunkt 4; Abb. 7.1).
Die Verluste dieser Umwandlung werden durch den Turbinenwirkungsgrad
Turbine be-
rücksichtigt (Kapitel 7.2). Er beschreibt nach Gleichung (7.19) den Anteil der im Wasser
gespeicherten Leistung PWa , der in mechanische Leistung an der Turbinenwelle PTurbine
umgewandelt werden kann.

PTurbine D
Turbine PWa (7.19)

Die im Triebwasser unmittelbar vor der Turbine gespeicherte Leistung ergibt sich aus
dem Volumenstrom des Wassers qPWa und dem aktuell vorhandenen Wasserdruck pa gemäß
Gleichung (7.20).

PWa D qPWa pa (7.20)

Der aktuell an dieser Stelle vorhandene Wasserdruck pa berechnet sich aus der nutzba-
ren Fallhöhe hnutz vor der Turbine nach Gleichung (7.21).

pa D Wa g hnutz (7.21)

Dieser an dieser speziellen Stelle vorhandene Wasserdruck pa kann nicht vollständig


in Energie umgewandelt werden, da auch hinter der Turbine noch Verluste auftreten und
ein statischer Gegendruck vorhanden ist (siehe Energielinie in Abb. 7.1).
Zusätzlich wird bei den Verlusten in der Turbine zwischen volumetrischen Verlusten,
Strömungsverlusten und Lagerverlusten unterschieden. Sie haben zur Folge, dass in Glei-
chung (7.19) die Leistung an der Turbinenwelle PTurbine kleiner ist als die tatsächlich
nutzbare Leistung des Wassers PWa .

Wasserauslauf Im Unterwasser ist die Energielinie durch die geodätische Höhe des Un-
terwassers und den Umgebungsdruck festgelegt (Abb. 7.1). Beim Eintritt in das Unterwas-
ser verliert das Triebwasser einen Teil der noch vorhandenen kinetischen Energie durch
Verwirbelungen. Dies wird in Abb. 7.1 durch den Sprung in der Energielinie am Bilanz-
punkt 5 deutlich. Die dabei auftretenden Verluste im Diffusor werden mit dem Verlustterm
Dif berücksichtigt. Bei Überdruckturbinen (z. B. Kaplanturbinen, Francisturbinen; zur
Erklärung siehe Kapitel 7.2) besteht die Möglichkeit, durch ein sogenanntes Saugrohr
kinetische Energie zurückzugewinnen und die Fallhöhe somit besser auszunutzen. Da der
Fließquerschnitt am Ausgang des Saugrohrs zum Unterwasser größer ist als direkt hinter
der Turbine, nimmt die Fließgeschwindigkeit hier aufgrund der Massenerhaltung ab. Das
Saugrohr oder der Saugschlauch bewirkt also eine Verzögerung des Triebwassers vor dem
Eintritt in das Unterwasser. Dadurch wird der Druck am Turbinenaustritt kleiner als der
durch das Unterwasser festgelegte Druck am Saugrohraustritt.
592 M. Aufleger et al.

Gesamtsystem Die tatsächlich an der Turbine einer Wasserkraftanlage verfügbare Leis-


tung des Triebwassers errechnet sich somit ausgehend von Gleichung (7.12) gemäß Glei-
chung (7.22) aus dem statischen Druck infolge der Oberwasserhöhe abzüglich der Druck-
verlusthöhen im Einlaufbauwerk EB , in der Druckrohrleitung RL und im Auslauf Dif
sowie abzüglich der im Ablauf noch vorhandenen Geschwindigkeitshöhe und der Unter-
wasserhöhe. vWa;EB ist die Geschwindigkeit des Wassers im Einlaufbauwerk, vWa;RL die in
der Rohrleitung, vWa;Dif die im Diffusor und vWa;UW die des Unterwassers.
 2 2 2 2
vWa;EB vWa;RL vWa;Dif vWa;UW
PW a;t at D qPWa Wa g hOW  EB  RL  Dif   hU W
2g 2g 2g 2g
(7.22)

Hierbei wird unterstellt, dass der Umgebungsdruck am Ober- und Unterwasser etwa
gleich ist (pOW D pUW ) sowie die Absinkgeschwindigkeit des Oberwassers vernachlässigt
werden kann (vOW D 0). Die Verluste hängen somit von den lokalen Strömungsgeschwin-
digkeiten ab und können folglich durch eine optimierte Anlagengestaltung und -auslegung
minimiert werden. Die an der Turbinenwelle abnehmbare Leistung folgt schließlich aus
der tatsächlich verfügbaren Leistung des Wassers und dem Turbinenwirkungsgrad gemäß
Gleichung (7.19).

7.2 Systemtechnische Beschreibung

Klaus Jorde, Franz Joos, Martin Kaltschmitt und Markus Aufleger

Aufbauend auf den diskutierten physikalischen Zusammenhängen der Wasserkraftnut-


zung werden im Folgenden die technischen Grundlagen einer entsprechenden Stromerzeu-
gung dargestellt (u. a. [7.2, 7.3, 7.4, 7.5, 7.6, 7.7]).

7.2.1 Aufbau, Systematisierung und Bauformen

Aufbau Wasserkraftanlage Im einfachsten Fall besteht eine Wasserkraftanlage aus ei-


nem Absperrbauwerk (z. B. Wehr, Staumauer, Staudamm) sowie einem Wassereinlauf und
einem entsprechenden -auslauf. Hinzu kommen die maschinen- und elektrotechnischen
Einrichtungen bzw. Anlagenkomponenten (Abb. 7.3); diese umfassen eine oder mehrere
Turbinen, den / die zugehörigen Generator / Generatoren und eine Reihe weiterer primär
elektrotechnischer Komponenten (u. a. zum Ableiten der elektrischen Energie). Für eine
entsprechende Bereitstellung elektrischer Energie / elektrischer Leistung aus Wasserkraft
ist zwischen dem Ein- und dem Auslauf eine ausreichend große Fallhöhe erforderlich;
dabei wird hier unter dieser Fallhöhe die vertikale Differenz zwischen zwei Energiehö-
hen (Kapitel 7.1) bzw. zwischen zwei Wasserspiegellagen verstanden. Insgesamt können
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 593

Krafthaus
Oberwasser
elektrische
Energie

Generator
p1 vWa,1

Zuleitung
Staubauwerk

Getriebe
h1
Unterwasser

Ableitung
Turbine
p2
h2
vWa,2

Abb. 7.3 Aufbau einer Wasserkraftanlage (h1 , h2 geodätische Höhe des mittleren Wasserspie-
gels vor (1) bzw. hinter (2) dem Krafthaus; p1 , p2 Druck vor (1) bzw. hinter (2) dem Krafthaus;
vWa;1 , vWa;2 Strömungsgeschwindigkeit des Treibwassers vor (1) bzw. hinter (2) dem Krafthaus; Tur-
bine, Generator: zwingend benötigte Komponenten; Getriebe: optionale Komponente; nach [7.8])

die genannten Systemelemente unter dem Wehr oder Staubauwerk, mit dem eine techni-
sche Nutzbarmachung der Fallhöhe i. Allg. erst ermöglicht wird, und dem Krafthaus, das
typischerweise die maschinen- und elektrotechnischen Komponenten beinhaltet, zusam-
mengefasst werden.
Die an einem bestimmten Anlangenort nutzbare Fallhöhe kann in die Brutto- und Net-
tofallhöhe unterteilt werden.

 Als Brutto- oder Rohfallhöhe hBrutto wird die Differenz zwischen den Wasserspiegeln
am Beginn und am Ende der von der Wasserkraftanlage genutzten Gewässerstrecke
bezeichnet.
 Bei der Nettofallhöhe hNetto wird die Bruttofallhöhe durch die – je nach Bauart der
Wasserkraftanlage unterschiedlichen – hydraulischen Verluste im Zulaufbereich zur
Turbine und in deren Ablauf korrigiert; diese Verluste können insbesondere bei langen
Triebwasserwegen (d. h. vor allem bei Hochdruckanlagen) beträchtlich werden.

Unter Berücksichtigung weiterer Verluste resultiert aus der Nettofallhöhe letztlich die
an einem speziellen Standort nutzbare Fallhöhe hnutz ; sie ist die für eine Anlagenauslegung
final entscheidende Größe.
An der eigentlichen Energiewandlung in einer typischen Wasserkraftanlage sind im
Wesentlichen zwei Systemkomponenten beteiligt: neben der Turbine, die dem Wasser die
Druckenergie und die kinetische Energie entzieht und in mechanische Energie umwandelt,
ist dies der Generator. Durch ihn erfolgt die weitere Umwandlung der mechanischen in
elektrische Energie; dies ist letztlich die typischerweise gewünschte Endenergieform (in
(sehr) alten Wasserkraftwerken war demgegenüber die Bereitstellung ausschließlich me-
chanischer Energie das Ziel (z. B. bei Säge- oder Hammerwerken); heute ist das – unter
kommerziellen Gesichtspunkten – aber praktisch nicht mehr der Fall (Ausnahme: Tou-
594 M. Aufleger et al.

rismus)). Je nach Anlagenkonfiguration kann zusätzlich ein Getriebe notwendig werden;


dies ist u. a. dann der Fall, wenn Turbinen- und Generatordrehzahl voneinander abweichen
bzw. wenn beide Komponenten nicht auf einer Achse liegen.
Die technisch realisierbare Leistung einer derartigen Wasserkraftanlage – und damit
auch die bereitstellbare elektrische Arbeit – hängt im Wesentlichen vom ggf. jahreszeitlich
variablen Durchfluss qPWa und der u. U. vom Durchfluss abhängigen nutzbaren Fallhöhe
hnutz sowie den einzelnen Wirkungsgraden der verschiedenen maschinen- und elektro-
technischen Komponenten ab. Der Anlagenwirkungsgrad der Wasserkraftanlage
WKA be-
rücksichtigt alle bei der Stromerzeugung entstehenden Verluste zwischen dem Eintritts-
und dem Austrittsquerschnitt. Bei modernen Anlagen erreicht der Anlagenwirkungsgrad

WKA Werte von 0,80 bis über 0,90.

Systematisierung Wasserkraftanlagen unterscheiden sich u. a. hinsichtlich Anordnung,


Größe und Betriebsweise; d. h. sie können nach sehr verschiedenartigen Kriterien unter-
schieden werden (Abb. 7.4).

 Leistung. Die technisch realisierbare Ausbauleistung von Wasserkraftanlagen schwankt


innerhalb mehrerer Größenordnungen. In Deutschland werden Wasserkraftwerke mit
einer Bemessungsleistung kleiner als 5 MW als Kleinwasserkraftanlagen bezeichnet.
Die entsprechende Bemessungsleistung ist definiert als der Quotient aus tatsächlicher
Jahresarbeit und der Anzahl der Stunden eines Jahres. Im internationalen Sprachge-
brauch wird häufig als Obergrenze für „Kleinwasserkraftwerke“ auch eine Ausbau-
oder Bemessungsleistung von 10 MW verwendet. Anlagen mit darüber liegender Leis-
tung werden als „Großwasserkraftwerke“ bezeichnet.
 Druckhöhe / Ausbaudurchfluss. Niederdruckkraftwerke besitzen eine relativ geringe
Fallhöhe und vergleichsweise hohe Ausbaudurchflüsse; sie sind in der Regel mit

Wasserkraftanlagen

Niederdruck- Mitteldruck- Hochdruck-


anlagen anlagen anlagen

Fluss- Ausleitungs- Talsperren-


kraftwerke kraftwerke kraftwerke

Zusammen-
Aufgelöste Überströmte
hängende
Kraftwerke Kraftwerke
Kraftwerke

Kraftwerksketten mit Kopfspeicher

Laufwasserkraftwerke Speicherwasserkraftwerke

Abb. 7.4 Wasserkraftanlagen und deren Einteilung


7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 595

Kaplanturbinen, manchmal auch mit Francis- oder Durchströmturbinen (zur Erklä-


rung der Turbinenbauweisen siehe Kapitel 7.2.3) ausgerüstet. Hochdruckanlagen
weisen demgegenüber relativ hohe Fallhöhen und typischerweise relativ geringe Aus-
baudurchflüsse auf. Sie sind in der Regel mit Peltonturbinen und manchmal auch
mit Francisturbinen ausgestattet (zur Erklärung der Turbinenbauweisen siehe Kapi-
tel 7.2.3). Der Übergang zwischen Niederdruck- und Hochdruckanlagen ist fließend.
Üblicherweise haben Hochdruckanlagen Fallhöhen von über 50 m und Niederdruck-
anlagen von unter 15 m. Eine Einteilung ausschließlich anhand der Fallhöhe ist jedoch
nicht sinnvoll, da beispielsweise eine Wasserkraftanlage mit 50 m Fallhöhe und einem
sehr hohen Durchfluss hinsichtlich der Gestaltungsgrundsätze einer Niederdruckanla-
ge sehr nahekommt, wohingegen ein Kleinstwasserkraftwerk mit 15 m Fallhöhe und
einem Durchfluss von wenigen Litern pro Sekunde hinsichtlich der Proportionen der
Anlagenteile als Hochdruckanlage zu sehen ist.
 Betriebsweise / Funktionsprinzip. Laufwasserkraftwerke haben praktisch kein bewirt-
schaftbares Speichervolumen und nutzen daher unmittelbar den jeweils anfallenden
natürlichen Zufluss bzw. Abfluss des entsprechenden Fließgewässers. Sehr oft han-
delt es sich dabei um Niederdruckanlagen. Hinsichtlich des Funktionsprinzips wird in
Flusskraftwerke und Ausleitungskraftwerke unterschieden. Bei Ersteren ist das Kraft-
werk üblicherweise direkt neben dem Staubauwerk (z. B. Wehr) angeordnet und die
nutzbare Fallhöhe ergibt sich im Wesentlichen durch den durch das Wehr und seine
Nebenanlagen verursachten Aufstau. Bei Letzteren ist das Kraftwerk an einem Auslei-
tungskanal oder am Ende einer Druckrohrleitung platziert, der bzw. die seitlich entlang
dem ursprünglichen Fließgewässer, dem sogenannten Mutterbett, verläuft und / oder
natürliche Kurven (z. B. Mäander) abkürzt; hier ergibt sich die nutzbare Fallhöhe aus
dem Aufstau am Ausleitungswehr und den gegenüber dem Flusslauf geringeren hy-
draulischen Verlusten im Ausleitungskanal oder der Rohrleitung. Im Unterschied zu
diesen Laufwasserkraftwerken verfügen Speicherkraftwerke über einen z. T. beachtli-
chen Stauraum, dessen Bewirtschaftung zumindest zeitweise und innerhalb bestimmter
Grenzen unter energiewirtschaftlichen Gesichtspunkten gesteuert werden kann. Die
Stromerzeugung ist bei derartigen Anlagen daher nicht mehr direkt an den momentanen
natürlichen Zufluss gekoppelt, sondern kann nach den Anforderungen und Erfordernis-
sen der jeweiligen Strommärkte – und damit der Nachfrage nach elektrischer Energie
– erfolgen. In der Regel handelt es sich dabei um Hochdruckanlagen. Hinsichtlich
des Funktionsprinzips werden derartige Speicherkraftwerke in Talsperren- und Auslei-
tungskraftwerke unterteilt. Bei den Talsperrenanlagen ist das Kraftwerk im Nahbereich
der Talsperre – und hier typischerweise am luftseitigen Fuß dieses Absperrbauwerks
– angeordnet bzw. oft auch in das jeweilige Absperrbauwerk integriert. Die nutzba-
re Fallhöhe ergibt sich dann aus dem durch das Absperrbauwerk erzeugten Stau. Bei
Ausleitungskraftwerken ist das Kraftwerk weiter unterstrom im Flusssystem platziert.
Es ist über einen Triebwasserweg mit dem Stauraum im Oberwasser und dem Gewäs-
ser im Unterwasser verbunden; ein Triebwasserweg ist meist ein hydraulisches System
aus Druckstollen, Druckschächten und / oder Rohrleitungen, das ggf. durch Kanäle er-
596 M. Aufleger et al.

gänzt werden kann. Die nutzbare Fallhöhe ergibt sich aus dem Aufstau im Bereich
der Talsperre und den gegenüber dem Gewässerlauf deutlich geringeren hydraulischen
Verlusten im Triebwasserweg.

Flusskraftwerke Flusskraftwerke sind in der Regel Laufwasserkraftwerke bzw. Nieder-


druckanlagen. Sie werden direkt am oder im ursprünglichen Flussbett errichtet. Das Kraft-
werk ist normalerweise unmittelbar neben dem Wehr angeordnet und wird mit diesem
über einen Trennpfeiler verbunden (Abb. 7.5). Dieser Trennpfeiler wird so geformt, dass
bei kleineren Abflüssen (d. h. kein Abfluss über das Wehr) eine möglichst ablösungsfreie
Anströmung der Turbineneinläufe erfolgt. Aber auch bei größeren Abflüssen (insbeson-
dere bei Hochwasser) muss eine gute Anströmung der Wehrfelder gewährleistet werden.
Hieraus ergibt sich typischerweise eine asymmetrische Formgebung des vergleichsweise
breiten Trennpfeilerkopfes.
Die Turbinen von derartigen Niederdruckanlagen (Flusskraftwerken) besitzen aus hy-
draulischen Gründen vergleichsweise große Abmessungen. Zudem müssen sie zur Ge-
währleistung eines störungs- und kavitationsfreien Betriebs i. Allg. deutlich unter dem
Unterwasserspiegel eingebaut werden. Dies führt zu entsprechend tiefen Gründungen im
Kraftwerksbereich. Der hieraus resultierende geodätische Höhenunterschied wird über
den Ein- und Auslaufbereich abgebaut. Zur Verhinderung von Beschädigungen der Turbi-
nen und häufig auch zur Begrenzung von Fischschäden wird am Einlauf zu den Turbinen
ein Rechen angeordnet, der u. a. Schwemmgut von der Anlage fernhält. An Schifffahrt-
straßen wird zusätzlich eine Schleuse benötigt. Zur Gewährleistung der ökologischen
Durchgängigkeit sind Fischtreppen oder Umgehungsgewässer notwendig.

Abb. 7.5 Flusskraftwerk

Umgehungsgewässer
Rechen Krafthaus
(u.a. Turbinen,
Generator)

Ein- Aus-
Kraftwerk lauf lauf

Trennpfeiler
Strömungs-
richtung Wehr-
Wehr felder

Stauhaltungsdamm
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 597

Abb. 7.6 Bauweisen von


K K
Flusskraftwerken (K Kraft-
haus, W Wehr, oben links:
W W
„klassisches“ Flusskraftwerk,
oben rechts: Buchtenkraftwerk,
unten links: zweigeteiltes
K W
Kraftwerk, unten rechts: Pfei- K
lerkraftwerk) W
W K
W
K K
W

Derartige Flusskraftwerke können in verschiedenen Anordnungen bzw. Bauweisen er-


richtet werden.

 In der Blockbauweise bzw. in der konventionellen Bauweise (Abb. 7.6, oben links) sind
Kraftwerk und Wehr nebeneinander angeordnet.
 Übertrifft die zur Abfuhr des Bemessungshochwassers notwendige Breite des Wehrs
die Flussbreite, wird das Kraftwerk seitlich neben dem eigentlichen Flussbett ange-
ordnet (Buchtenkraftwerk, Abb. 7.6, oben rechts). Dies kann insbesondere auch aus
baubetrieblichen Gründen vorteilhaft sein, da die Anlage zunächst im Trockenen ge-
baut werden kann. Ist die Anordnung der Anlage in einer Flusskurve erforderlich, sollte
das Kraftwerk aufgrund des hier geringeren Geschiebetriebes an der Kurvenaußenseite
angeordnet werden.
 Gerade an Grenzflüssen findet man die Anordnung von jeweils einem Kraftwerksteil
an beiden Flussufern (zweigeteiltes Kraftwerk; Abb. 7.6, unten links).
 Pfeilerkraftwerke sind im Vergleich zu den anderen Varianten relativ aufwändig in der
Konstruktion und im Betrieb. Sie besitzen aber aufgrund ihrer Verteilung über den
Fließquerschnitt des Flusses Vorteile hinsichtlich der Anströmung der Turbineneinläufe
(Abb. 7.6, unten rechts).
 Aus optischen Gründen (d. h. im Hinblick auf eine bessere Akzeptanz) können Kraft-
werke auch überströmbar ausgeführt werden; zumindest ein Teil des Hochwasserab-
flusses wird dann über die oberhalb des Kraftwerks befindliche Wehranlage abgeführt.

Sind mehrere Laufwasserkraftwerke an einem Fluss direkt hintereinander errichtet,


spricht man von einer Kraftwerkskette. Der Staubereich eines Kraftwerks reicht dabei im
Extremfall bis in den Unterwasserbereich des oberhalb liegenden Laufwasserkraftwerks;
unter diesen Bedingungen gibt es praktisch keine freien Fließstrecken mehr. In einigen
Fällen sind derartige Kraftwerksketten mit einem Kopfspeicher oder mit (einem oder meh-
reren) Zwischenspeichern ausgestattet; darunter sind größere Stauräume zu verstehen, in
denen das Wasser zur Betriebsoptimierung eine gewisse Zeitspanne zwischengespeichert
werden kann. Ein Beispiel dafür ist der Lech mit dem Kopfspeicher Forggensee, der als
Jahresspeicher und zum Hochwasserschutz dient. Solche Kraftwerksketten sind keine rei-
598 M. Aufleger et al.

nen Laufwasserkraftwerke mehr; sie sind bedingt spitzenbetriebsfähig und können das
Abflussregime unterhalb des Kopfspeichers zumindest im Tages- oder Wochenverlauf ver-
ändern. Man spricht hier auch von einem „Schwellbetrieb“.

Niederdruck-Ausleitungskraftwerke Niederdruck-Ausleitungskraftwerke sind in der


Regel Laufwasserkraftwerke. Dazu wird im Oberwasser eines Wehrs der Abfluss in einen
speziell gebauten Oberwasserkanal eingeleitet (Abb. 7.7). Der Kanaleinlauf ist dabei so zu
gestalten, dass der Eintrag von Feststoffen in diesen Ausleitungskanal möglichst gering
ist. Hierzu können Geschiebeabweiseinrichtungen (z. B. Schwellen) und Spüleinrich-
tungen zum Einsatz kommen; gelegentlich wird am Kanaleinlauf auch ein Grobrechen
installiert. Im Hinblick auf den Anlagenbetrieb ist es oft vorteilhaft, am Kanaleinlauf
Verschlüsse bzw. zumindest Vorrichtungen (Nischen) zur Aufnahme von Revisionsver-
schlüssen vorzusehen.
Das eigentliche Kraftwerk ist über den Oberwasser- und Unterwasserkanal mit dem
entsprechenden Flusssystem verbunden. Beide Kanäle sind oft zur Reduzierung der Rei-
bung und zur Verhinderung von Wasserverlusten mit Oberflächendichtungen versehen.
Deshalb sind die Energieverluste in den Kanälen in der Regel auch deutlich kleiner als in
der ursprünglichen Flussstrecke.
Am Einlauf zu den Turbinen wird analog zu den Flusskraftwerken ein Rechen ange-
ordnet. Im Bereich des Kraftwerkes befindet sich zusätzlich meist ein sogenannter Leer-
schuss, mit dem der Abfluss im Störungsfall rasch am Krafthaus vorbei geleitet werden
kann; dadurch können die bei Notabschaltungen aus einem Schnellschluss an den Tur-
binen entstehenden dynamischen Fließbewegungen im Kanal unter Kontrolle gehalten
werden. Der Leerschuss kann außerdem weiteren betrieblichen Zwecken dienen (z. B.
Entleerung des Oberwasserkanals, zur Eisabfuhr).
Bei derartigen Niederdruck-Ausleitungskraftwerken kann zwischen einem Seitenka-
nalausbau und einem Schlingenausbau unterschieden werden (Abb. 7.8). Bei ersterem
wird durch einen künstlichen Kanal mit sehr geringem Gefälle die nutzbare Fallhöhe
von längeren Flussstrecken an einer Stelle zusammengezogen, an der dann das Lauf-
wasserkraftwerk errichtet wird (sogenannte Kanalkraftwerke). Beim Schlingenausbau von

Abb. 7.7 Niederdruck-Auslei-


tungskraftwerk
Kanaleinlauf
Kraftwerk
Leerschuss

Oberwasserkanal Unterwasserkanal

Wehr Rechen Krafthaus

Restwasser-
kraftwerk
Umgehungs-
gewässer
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 599

Abb. 7.8 Strom-, Seiten- W


kanal- und Schlingenausbau
(W Wehr, K Krafthaus; W K W
Pfeilrichtung entspricht der
Fließrichtung des Gewässers) K

K W
K

K
W

Strom- Seitenkanal- Schlingen-


ausbau ausbau ausbau

Flusskraftwerken, die im Durchstich einer Flussschleife eines mäandrierenden Gewässers


gebaut werden, können geringere Beeinträchtigungen der Landschaft als bei Kanalkraft-
werken erreicht werden.
In der Restwasserstrecke (d. h. dem ursprünglichen Flussbett) muss aus ökologischen
Gründen ein ausreichend großer Restwasserabfluss verbleiben. Dieses Wasser steht nicht
für die Stromerzeugung im Kraftwerk zur Verfügung; es kann jedoch bei größeren Wehr-
höhen über eine sogenannte Restwasserturbine direkt an der Wehranlage in das Flussbett
abgeführt werden. Da im Bereich der Wehranlage in der Regel zusätzlich Einrichtungen
zur Gewährleistung der ökologischen Durchgängigkeit (Fischtreppe oder Umleitungsge-
wässer) notwendig sind, kann im Restwasserkraftwerk nur das über den hierfür notwen-
digen Abfluss hinausgehende Wasser abgearbeitet werden. Im Hochwasserfall wird der
Abfluss über das Wehr und die Restwasserstrecke abgeführt.

Hochdruck-Laufwasser-Ausleitungskraftwerke Hochdruck-Laufwasser-Ausleitungs-
kraftwerke besitzen keine Stauräume zur Bewirtschaftung; sie zeigen daher hinsichtlich
des notwendigen räumlichen Eingriffs Vorteile (Abb. 7.9); d. h. eine nachfrageorientierte
Stromerzeugung ist bei derartigen Anlagen ebenso wie bei den Niederdruckanlagen nicht
gegeben. Aufgrund der hohen Fallhöhen müssen größere Feststoffe (Steine und Sand)
durch Geschiebeabweiseinrichtungen am Einlauf und einen ausreichend dimensionierten
Sandfang aus dem Triebwasser entfernt werden; alternativ dazu kann der Einlauf als
Coanda-Rechen (zur Erklärung siehe unten) ausgebildet sein.
Im Anschluss an den Sandfang wird der Abfluss häufig über einen Niederdruckstollen
bis zu einem Wasserschloss geführt, von welchem ein möglichst kurzer Druckschacht bis
zum eigentlichen Krafthaus führt, in dem sich Turbine(n) und Generator(en) sowie sonsti-
ge Systemkomponenten befinden. Das Wasserschloss ist eine wasserbauliche Systemkom-
ponente im Triebwasserweg von Wasserkraftwerken, die größere Gefälle überwinden; es
hat die Aufgabe, den Druckstoß in Druckstollen und Druckleitungen zu vermindern, der
600 M. Aufleger et al.

Abb. 7.9 Hochdruck-Lauf- Einlauf /


Rechen / Kraft-
wasser-Ausleitungskraftwerk Verschluss Druck- werk
Druckstollen schacht

Sand- Wasser-
fang Kraft-
Wehr schloss
haus

Restwasserstrecke

(ursprüngliches Bachbett)

beim Öffnen oder Schließen von Armaturen entstehen können; d. h. es dient der Reduktion
hoher dynamischer Druckbeanspruchungen im Zuleitungssystem.
In Abhängigkeit von lokalen topographischen und geologischen Randbedingungen gibt
es eine Vielzahl von Bauweisen bzw. Anordnungen von Hochdruck-Laufwasser-Auslei-
tungskraftwerken. In alpinen Bereichen kann es beispielsweise vorteilhaft sein, anstatt
einer Wehranlage eine überströmbare Wasserfassung (d. h. Tiroler Wehr; zur Erklärung
siehe unten) anzuordnen. In anderen Fällen kann es günstig sein, anstelle eines Druckstol-
lens eine Freispiegelleitung oder einen offenen Oberwasserkanal zu realisieren; anstatt
eines Wasserschlosses wird dann am Übergang in den Druckschacht ein ausreichend gro-
ßes Becken angeordnet.

Hochdruck-Speicher-Ausleitungskraftwerke Der Triebwasserweg von Hochdruck-


Speicher-Ausleitungskraftwerken beginnt im Staubecken einer Talsperre (Abb. 7.10). Als
Absperrbauwerk der Talsperre dient entweder ein Staudamm aus geschüttetem Erd- und
Felsmaterial oder eine Staumauer aus Beton.
Der Betriebsauslass der Talsperre führt in den Druckstollen. Ein Sandfang ist dabei
nicht notwendig, da üblicherweise bereits im Staubecken eine ausreichende Absetz- und
Reinigungswirkung vorhanden ist. Im weiteren Verlauf ähnelt der Triebwasserweg den
Hochdruck-Laufwasser-Ausleitungskraftwerken. Allerdings sind Speicherkraftwerke auf-
grund ihrer Betriebsweise in der Regel deutlich häufigeren Lastwechseln ausgesetzt.

Talsperrenkraftwerke Gebirgige Regionen bieten auch günstige Voraussetzungen für


die Speicherung von Wasser, da hier mit geeigneten Absperrbauwerken (Staudämme oder
Staumauern) vergleichsweise einfach große Speicherbecken (Reservoire) geschaffen wer-
den können. Die entsprechenden Talsperrenkraftwerke sind unmittelbar unterstrom der
Absperrbauwerke angeordnet; beispielsweise wird das Wasserkraftwerk bei Staumauern
vorzugsweise in das Absperrbauwerk integriert oder unmittelbar in dessen Unterwasser
angeordnet (Abb. 7.11). Derartige Kraftwerke sind Speicherkraftwerke und fast immer
den Hochdruckanlagen zuzuordnen.
Bei Staudämmen müssen die Triebwasserwege in der Regel durch das Gebirge geführt
werden. Das Kraftwerk befindet sich in diesem Fall an einer der Talflanken unterhalb des
Staudammes oder aber in einer Kaverne nahe dem Sperrenstandort. Der Einlauf ist an
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 601

Talsperre
(Staubecken /
Reservoir)
Einlauf /
Rechen / Druck-
Verschluss Druckstollen schacht
Wasser- Kraft-
Absperrbauwerk schloss haus
(Staudamm /
Staumauer)
Hochwasser-
entlastungs- Restwasserstrecke
anlage

Wasser-
schloss

Stau- Druckstollen
becken
Einlauf
Rechen
Verschluss Druck -
schacht

Krafthaus

Abb. 7.10 Hochdruck-Speicher-Ausleitungskraftwerk (oben: Lageplan, unten: Längsschnitt)

Abb. 7.11 Talsperrenkraftwerk

Talsperre
(Staubecken /
Reservoir)

Einlauf,
Rechen

Absperrbauwerk
(Staudamm /
Kraft- Staumauer)
haus
Hochwasser-
entlastungs-
anlage

einer der Böschungen im Staubecken angeordnet. Er wird mit einem Rechen und einem
Verschluss versehen, welcher entweder über eine an der Böschung verlaufende Gleit- oder
Rollbahn oder aber aus einer Schieberkaverne im Gebirge bedient werden kann. Alternativ
kommen insbesondere bei Staudämmen auch Einlauftürme zur Anwendung.
602 M. Aufleger et al.

Pumpspeicherkraftwerke Im Unterschied zu den bisher diskutierten Anlagen stellen


Pumpspeicherkraftwerke netto keine Energie bereit; sie dienen ausschließlich der Ener-
giespeicherung (Kapitel 14).
Pumpspeicherkraftwerke bestehen typischerweise aus einem Oberbecken und einem
Unterbecken mit einem dazwischen liegenden Krafthaus, in dem sowohl Pumpen als
auch Turbinen installiert sind. Das Unterbecken kann außer einem natürlichen oder künst-
lich angelegten See auch ein größerer Fluss sein. Als Oberbecken dienen i. Allg. künst-
lich angelegte oder bereits natürlich vorhandene und häufig künstlich vergrößerte Seen
(Abb. 7.12).
Pumpspeicherkraftwerke nutzen elektrische Energie aus beliebigen Quellen, um Was-
ser vom Unter- ins Oberbecken zu pumpen. Dort kann die dadurch in potenzielle Energie
umgewandelte elektrische Energie (zwischen-)gespeichert werden, bis sie zu einem belie-
bigen Zeitpunkt erneut wieder in elektrische Energie gewandelt werden kann.
Bei den dabei benötigten beiden Umwandlungsprozessen durch die Pumpen und Turbi-
nen geht durch die entsprechenden Wirkungsgradverluste Energie verloren. Große Pump-
speicherwerke mit günstigen topographischen Verhältnissen und einem optimierten De-
sign erreichen heute Gesamtwirkungsgrade einer Speicherung elektrischer Energie von
rund 80 %.
Pumpspeicherkraftwerke können entweder als eigenständige Anlagen oder im Zusam-
menhang mit vorhandenen Speicherkraftwerken gebaut werden. In den europäischen Al-
pen sind fast alle Pumpspeicherkraftwerke im Kombination mit Speicherwasserkraftwer-
ken realisiert. Sie verfügen oft über mehrere Speicherseen, die auf unterschiedlichen Hö-
henlagen angeordnet sind. Diese Speicher werden dann so bewirtschaftet, dass zusätzlich

Pumpbetrieb Turbinenbetrieb

Oberbecken Oberbecken

Schieber Schieber Schieber Schieber


offen zu zu offen

Netz Netz
Turbine
Pumpe
Motor Generator

Unterbecken

Abb. 7.12 Funktionsweise eines Pumpspeicherkraftwerks (links: Pumpbetrieb, rechts: Turbinenbe-


trieb; nach [7.8])
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 603

zum natürlichen Zufluss (primär aus der Schneeschmelze) das ganze Jahr über immer dann
Wasser in die oberen Speicher gepumpt wird, wenn Strom gespeichert werden soll bzw.
Wasser über die Turbinen in das darunterliegende Höhenniveau abgelassen wird, wenn
elektrische Energie nachgefragt wird.
Insgesamt können damit Pumpspeicherkraftwerke Strom in einer energiewirtschaftlich
relevanten Größenordnung speichern, wenn ein entsprechendes Überangebot am Markt
vorhanden ist (z. B. geringe Nachfrage nach elektrischer Energie und hohe solare Strom-
erzeugung). Umgekehrt können sie dann Strom aus dem gespeicherten Wasser bereitstel-
len, wenn eine entsprechende Marktnachfrage gegeben ist. Zusätzlich können die großen
rotierenden Massen der Turbinen und Generatoren und die schnelle Regelbarkeit der Tur-
binen zur Frequenzhaltung bzw. -stabilisierung im Netz beitragen.

Nebenbetriebsanlagen Unter Nebenbetriebsanlagen werden (kleine) Wasserkraftanla-


gen verstanden, mit denen z. B. in vorhandenen Wasserversorgungssystemen ggf. vor-
handener Überdruck zur Energiegewinnung abgebaut werden kann. Derartige Anlagen
finden sich damit z. B. in Trinkwasserversorgungsnetzen. Beispielsweise können in Fall-
leitungen, die Wasser z. B. aus den Hochbehältern zu den Verbrauchern leiten, Turbinen
oder rückwärts laufende Pumpen eingesetzt werden, mit denen überschüssige Energie (zu-
rück-)gewonnen werden kann. Damit kann jedoch immer nur ein Teil der Pumpenergie in
Form elektrischer Energie zurückgewonnen werden, die ursprünglich eingesetzt wurde,
um das Wasser beispielsweise in die Hochbehälter zu pumpen (d. h. keine Nutzung rege-
nerativer Energie); nur bei natürlicherweise hoch gelegenen Brunnen oder Quellen wird
auch tatsächlich „regenerative“ Energie zur Stromerzeugung genutzt. Der Vorteil solcher
Nebenbetriebsanlagen ist jedoch, dass in ein vorhandenes System lediglich eine Turbine in
Form einer rückwärts laufenden Pumpe oder eine spezielle Axialturbine eingebaut werden
muss, die z. B. an einen Tauchgenerator angeschlossen wird. Auch werden beispielsweise
in Kläranlagen, wenn die Wasserspiegel der Klärbecken deutlich über dem Vorfluterniveau
liegen, bereits vereinzelt rückwärts laufende Schneckenpumpen oder Wasserkraftschne-
cken eingesetzt; damit kann auch hier ein Teil der eingesetzten Energie zurückgewonnen
werden.
Ähnliches gilt für Talsperrenanlagen, die für den Hochwasserschutz, für die Nied-
rigwasseraufhöhung oder für die Trinkwasserversorgung gebaut wurden. Hier kann das
abzugebende Wasser über eine Turbine geleitet werden. Der Hauptzweck einer solchen
Talsperre ist dann aber nicht die Energieerzeugung; daher sind auch die Anlagenleistun-
gen solcher Anlagen im Vergleich zur Größe der Talsperren typischerweise sehr klein.
Ein weiterer Bereich der Nebenbetriebsanlagen sind sogenannte Restwasser- oder Do-
tierturbinen, die an den Wehranlagen großer Ausleitungskraftwerke oder am Fuß von
Talsperren gebaut werden, um den aus ökologischen Gründen vorgeschriebenen Rest-
oder Mindestwasserabfluss ins Mutterbett abgeben zu können (vgl. Abb. 7.7). Zwar ist
hier nur die direkte Wehrhöhe als Fallhöhe nutzbar und nicht die am Kraftwerk selbst ver-
fügbare Gesamtfallhöhe. Dennoch lässt sich damit ein Teil der Energie zurückgewinnen,
der sonst durch eine erhöhte Mindestwasserabgabe verloren gehen würde. Der Abfluss,
604 M. Aufleger et al.

der an dieser Stelle über eine (in Abb. 7.7 nicht eingezeichnete) Fischtreppe abzugeben ist,
kann jedoch auch mit einer derartigen Turbine nicht genutzt werden. Dabei sollte der Ab-
fluss, der aus der Dotierturbine kommt, mit der Lockströmung für die Fischtreppe sinnvoll
kombiniert werden. Der Vorteil bei konstanten oder jahreszeitlich gestaffelten Mindest-
wasserabgaben ist, dass aufgrund des konstanten Dotierabflusses vergleichsweise einfach
gebaute – und damit preiswerte – Turbinen verwendet werden können.

7.2.2 Wasserbauliche Komponenten

Nachfolgend werden die einzelnen Bauwerke der unterschiedlichen Kraftwerkstypen in


ihrer Funktion und Bauweise näher erläutert.

Absperrbauwerk Die Wahl der bautechnischen Realisierung des benötigten Absperr-


bauwerkes hängt insbesondere von der Stauhöhe sowie von den jeweiligen geologischen,
topographischen und wirtschaftlichen Randbedingungen ab. Grundsätzlich sind derarti-
ge Absperrbauwerke standsicher und ausreichend dicht auszubilden. Zusätzlich muss der
Untergrund unter diesen Bauwerken sicher abgedichtet werden. Hierbei kommen im Fels
in der Regel Abdichtungsinjektionen und im Lockerboden üblicherweise Dichtwände zum
Einsatz.
Dieses sogenannte Staubauwerk oder auch Absperrbauwerk kann ein Wehr oder eine
Talsperre sein; letztere wiederum werden unterteilt in Staumauern und Staudämme. Die
jeweiligen Unterschiede werden nachfolgend erläutert.

Wehre Wehre sind i. Allg. niedriger als Talsperren; üblicherweise reichen die Höhen von
weniger als 1 m bis maximal ca. 20 bis 30 m. Gleichzeitig werden aber Talsperren mit
mehr als 15 m Höhe bereits als „große Talsperren“ bezeichnet; d. h. hier gibt es Über-
schneidungen.
Ein Wehr muss hinsichtlich seiner Leistungsfähigkeit so bemessen sein, dass das unter
Beachtung der Regeln der Technik bestimmte Bemessungshochwasser zuverlässig ab-
geführt werden können, ohne dass der Oberwasserstand über ein vorgegebenes Niveau
ansteigt und es damit zu Überflutungen kommt. Wehranlagen werden über Wehrwan-
gen mit den angrenzenden Bauelementen bzw. dem Gelände verbunden. Die ober- und
unterwasserseitigen Übergänge sollten möglichst strömungsgünstig ausgebildet werden
(Abb. 7.13). Ein Vorboden an der oberwasserseitigen Flusssohle verhindert Erosionen
infolge erhöhter Schubspannungen im Bereich der Wasserspiegelabsenkungen im Zu-
lauf zu den Wehröffnungen. Im Tosbecken unterwasserseitig des Wehrkörpers bzw. eines
etwaigen Verschlusses (Abb. 7.13 und 7.14) wird die in der beschleunigten Wasserströ-
mung enthaltene Energie durch hohe Turbulenz schadlos umgewandelt. Dabei muss das
Tosbecken ausreichend groß bemessen sein, damit weitere Sohl- bzw. Ufererosionen in
der anschließenden Gewässerstrecke sicher vermieden werden. Ein Kolkschutz (i. Allg.
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 605

Oberwasser-Wehrwange
(im Grundriss z. B. Viertelkreis) Wehrwange
Unterwasser-Wehrwange
Stau- Überfall- (im Grundriss z. B. Viertelellipse)
haltungs- krone
damm
Tosbecken
Vorboden Kolkschutz
Wehrkörper
Untergrundabdichtung
(z. B. Dichtwand)

Abb. 7.13 Schema eines festen Wehres

aus Wasserbausteinen) im Anschluss an das Tosbecken sorgt hier für einen zusätzlichen
Schutz der Sohle am unmittelbaren Übergang zwischen dem Bauwerk und dem Flussbett.
Wehre können als feste und als bewegliche Wehre errichtet werden (Abb. 7.13
und 7.14); dementsprechend werden diese beiden Varianten unterschieden.

 Feste Wehre (Abb. 7.13) besitzen einen starren Wehrkörper, der üblicherweise aus Be-
ton besteht. Ältere Wehre wurden auch aus Kombinationen von Holzpfählen und Stein-
packungen mit einem Deckwerk aus Beton oder Brettern hergestellt. Von besonderer
Bedeutung ist die Formgebung der Überfallkrone, weil sie die Abflussleistung beein-
flusst. Feste Wehre zeichnen sich durch eine hohe Betriebssicherheit aus, da keinerlei
Steuerung vorhanden ist. Der Oberwasserspiegel kann dabei jedoch nicht reguliert wer-
den. Er hängt allein davon ab, wie viel Wasser über das Wehr fließt. Beispielsweise
steigt bei Hochwasser der Oberwasserspiegel deutlich über die Höhe der Überfallkro-
ne an.
 Bewegliche Wehre (Abb. 7.14) sind im Unterschied zu festen Wehren mit Wehrver-
schlüssen versehen. Durch Anheben oder Absenken bzw. Drehen der Verschlüsse kann
der Abfluss durch die Wehranlage gesteuert werden. Bewegliche Wehre bedingen einen
deutlich höheren Aufwand bei der Errichtung und dem Betrieb der Anlage. Durch die
Steuerungsmöglichkeit kann jedoch der Wasserspiegel im Oberwasser des Wehrs nach
den jeweiligen Erfordernissen eingestellt werden; hieraus ergeben sich in der Regel

Oberwasser-Wehrwange
(im Grundriss z. B. Viertelkreis)
Wehrverschluss
(hier Zugsegment mit Aufsatzklappe)
Stau-
haltungs- Unterwasser-Wehrwange
damm (im Grundriss z. B. Viertelellipse)

Vorboden Tosbecken

Wehr- Kolkschutz
Untergrundabdichtung Wehrkörper
(z. B. Dichtwand) schwelle

Abb. 7.14 Schema eines beweglichen Wehres (Zugsegment mit Aufsatzklappe)


606 M. Aufleger et al.

Abb. 7.15 Beispiele für Wehr-


verschlüsse (a Drucksegment
a b
mit Aufsatzklappe, b Schütz,
c Stauklappe, d Schlauchwehr
(gestrichelte Linie: Offenstel-
lung))

c d

erhebliche energie- bzw. wasserwirtschaftliche Vorteile. Bei der Wahl des Wehrver-
schlusses sind insbesondere die hydraulischen und betrieblichen Randbedingungen vor
Ort zu berücksichtigen. Abb. 7.15 zeigt einige Beispiele.

Talsperren Bei Talsperren wird grundsätzlich zwischen Staumauern und Staudämmen


unterschieden.

 Staumauern sind aus Beton und müssen im und auf Fels gegründet werden. Abhän-
gig von der Talform und der Gebirgsfestigkeit können sie als Bogen-, Gewichts- oder
Pfeilerstaumauern ausgeführt werden (Abb. 7.16). In konventioneller Bauweise werden
Staumauern in einzelnen Betonierblöcken erstellt. Insbesondere für Gewichtsstaumau-
ern hat sich im internationalen Talsperrenbau die Walzbetonbauweise (Roller Compac-
ted Concrete) durchgesetzt. Hierbei wird der Massenbeton kontinuierlich mit typischen
Erdbaugeräten transportiert (z. B. mit Muldenkippern), verteilt (mit Bulldozern) und
verdichtet (Vibrationswalzen). Bei guter Planung, Ausführung und Qualitätskontrolle
kann damit eine sehr gute Betonqualität erreicht werden.
 Staudämme werden aus Erd- oder Felsmaterialien geschüttet und verdichtet. Sie kön-
nen auch an schwierigen Sperrenstellen (d. h. bei ungünstigem Baugrund, bei breiten
Talquerschnitten) errichtet werden. In typischen Staudammquerschnitten und insbe-

Abb. 7.16 Typen von Stau- Bogenstaumauer Gewichtsstaumauer Pfeilerstaumauer


mauern
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 607

Abb. 7.17 Aufbau eines Stau- Abdichtkern Stützmaterial

damms
Staubecken

sondere bei hohen Dämmen lassen sich der Stützkörper (Lastabtragung) und das Dich-
tungselement (Dichtkern) klar unterscheiden (Abb. 7.17). Als Dichtung werden neben
natürlichem Material (ausreichend gering durchlässige und verdichtbare feinkörnige
Böden) auch künstliche Baustoffe (insbesondere Asphaltbeton, Beton, Kunststoffdich-
tungsbahnen) eingesetzt; hierbei sind sowohl Innen- als auch Oberflächendichtungen
möglich. Besondere Aufmerksamkeit bedingt der Anschluss des Staudammes – insbe-
sondere der Dichtungszone – an den Untergrund und die entsprechende Untergrund-
abdichtung. Durchdringungen der Schüttkörper des Damms beispielsweise durch Lei-
tungen sollten im Hinblick auf die Vermeidung unerwünschter Sickerströmungen mög-
lichst vermieden werden.

Hochwasserentlastungsanlage Eine Hochwasserentlastungsanlage dient dazu, im Be-


reich von Talsperren ein bestimmtes Bemessungshochwasser gefahrlos abzuführen. Das
zugrunde gelegte Bemessungshochwasser hängt vom Gefährdungspotenzial durch das
Staubauwerk ab. Üblich als Bemessungsansatz ist z. B. das Hochwasser, das statistisch
gesehen einmal in 100 Jahren auftritt (HQ100 ); insbesondere bei größeren Talsperren mit
sich unterhalb befindlichen (dicht) besiedelten Gebieten wird z. T. auch die sogenannte
„probable maximum flood“ (PMF) bzw. das HQ1 000 (Hochwasser, das statistisch gesehen
einmal in 1 000 Jahren auftritt) oder das HQ10 000 (Hochwasser, das statistisch gesehen
einmal in 10 000 Jahren auftritt) zugrunde gelegt.

 An Staumauern wird diese Entlastungsanlage zweckmäßigerweise innerhalb des Mau-


erkörpers angeordnet. Hierzu können feste Überfallkronen oder solche mit beweglichen
Verschlüssen ausgeführt werden.
 Staudämme dürfen im Gegensatz zu Staumauern nicht überströmt werden, weil der ge-
schüttete Dammkörper im Gegensatz zu einer Betonmauer rasch beschädigt würde und
dadurch die Standsicherheit gefährdet wäre. Daher werden Hochwasserentlastungsan-
lagen bei Staudämmen meistens in ausreichender Entfernung zum Dammkörper mög-
lichst auf natürlich gewachsenem Fels errichtet.

Speicherraum Der Stauraum des Speicherbeckens kann nach den Erfordernissen des
Energiemarktes genutzt werden. Generell gilt, dass je höher das Verhältnis des nutzbaren
Speichervolumens zum Gesamtvolumen des Jahreszuflusses ist, umso flexibler kann die
Talsperre energiewirtschaftlich bewirtschaftet werden.
608 M. Aufleger et al.

Arbeitsbereich Absetzbereich
Abb. 7.18 Beispiel für ein Seilwinde
Konzept zur kontinuierlichen
Abführung von Sedimenten
aus einem Speicherbecken
eines Speicherkraftwerks (nach Pumpeneinheit
[7.39])

Transport durch Abfluss


Erosion

Saugkopf
Sediment

Die Bandbreite der Speicher reicht von Anlagen, die bei Hochwasser innerhalb weniger
Minuten gefüllt sind bis hin zu solchen Systemen, die das gesamte Abflussvolumen eines
Flusses über 2 oder 3 Jahre speichern können. Man unterscheidet daher zwischen Tages-,
Wochen-, Jahres- und Mehrjahresspeichern. Beispielsweise wird in einem Jahresspeicher
das Wasser aus der Schneeschmelze im Frühjahr und Sommer zwischengespeichert, um
damit im darauffolgenden Winter Strom zur Deckung der dann typischerweise in Euro-
pa überdurchschnittlich hohen Nachfrage nach elektrischer Energie erzeugen zu können.
Dabei gilt, dass je größer die verfügbare Fallhöhe ist, umso kleiner kann bei gleichem
Arbeitsvermögen der bewirtschaftete Speicherraum sein.
Die meisten großen Speicher sind Mehrzweckprojekte; d. h. sie dienen nicht nur der
Wasserkraftnutzung, sondern auch der Speicherung von Wasser z. B. für die Trinkwas-
serversorgung oder die Bewässerung in der Landwirtschaft. Andere Speicher, z. B. in
den Alpen, dienen der marktorientierten Bereitstellung von Strom beispielsweise zu Spit-
zenlastzeiten. Derzeit werden global gesehen zwar laufend neue Speicherbecken gebaut;
insgesamt geht aber derzeit mehr Speichervolumen durch Verlandung verloren als neu
zugebaut wird. Diese Entwicklung ist mittel- bis langfristig nicht nachhaltig; deshalb müs-
sen zukünftig vermehrt entsprechende Gegenmaßnahmen (z. B. Geschiebeumleitstollen
oder Spülungen und Baggerungen zur Sedimentabfuhr) realisiert werden. Abb. 7.18 zeigt
exemplarisch ein Beispiel für ein Konzept, mit dem das Sediment aus dem Speicherbe-
cken kontinuierlich aufgenommen und kurz vor dem Turbineneinlass wieder abgegeben
wird. Da vor dem Turbineneinlass höhere Fließgeschwindigkeiten und Turbulenzen im
Vergleich zum gesamten Speicherbecken vorherrschen, setzen sich die Sedimente an der
Stelle nicht wieder ab und können mit dem Triebwasser durch die Turbine(n) in das Unter-
wasser abgegeben werden. Dadurch kann der Verlust an Speichervolumen reduziert oder
verhindert werden [7.39]. Ein derartiger Lösungsansatz ist jedoch grundsätzlich nur mit
sehr feinen Sedimenten technisch möglich, weil ansonsten die Turbinenerosion durch die
Sedimentpartikel zu groß wird.

Schiffsschleuse Boots- oder Schiffsschleusen sind dann erforderlich, wenn das Wehr
bzw. das Wasserkraftwerk an einem schiffbaren Fließgewässer (z. B. Bundeswasserstraße)
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 609

a
Oberwasser
b Oberwasser
c Oberwasser

d
Kammer
Kammer

Kammer

Kammer
Unterwasser

Unterwasser
Unterwasser Unter-
wasser

Abb. 7.19 Betriebsweise einer Schleuse (a Schiff fährt aus dem Oberwasser in die Schleuse ein, die
oberwasserseitigen Schleusentore sind offen; b Schiff befindet sich in der Schleuse, die oberwas-
serseitigen Schleusentore sind geschlossen und das Wasser in der Schleuse wird ins Unterwasser
abgelassen; c der Pegel in der Schleuse entspricht dem des Unterwassers und die unterwasserseiti-
gen Schleusentore können geöffnet werden; d das Schiff fährt aus der Schleuse in das Unterwasser)

liegt. Beispielsweise ist am Neckar oder am Main die Schifffahrt heute nur deshalb mög-
lich, weil diese relativ kleinen Flüsse, auf denen im ursprünglichen Zustand kaum eine
kommerzielle Schifffahrt möglich gewesen wäre, durch einen Staustufenausbau mit Was-
serkraftnutzung und der Installation entsprechender Schiffsschleusen schiffbar gemacht
wurden.
Boots- oder Schiffsschleusen ermöglichen es Wasserfahrzeugen, den durch das Wehr
geschaffenen geodätischen Höhenunterschied in einem Fließgewässer zu überwinden. Ty-
pisches Kennzeichen einer Schleuse ist eine zwischen Ober- und Unterwasser angebrachte
ausreichend dimensionierte flutbare Kammer, die mit je einem beweglichen Schleusentor
nach oben (d. h. zum Oberwasser) und nach unten (d. h. zum Unterwasser) wasserdicht
verschließbar ist. Während eines Schleusungsvorgangs fährt ein Wasserfahrzeug vom Un-
terwasser- oder vom Oberwasserniveau in diese Kammer; dazu ist das entsprechende
Schleusentor geöffnet und das jeweils andere Tor geschlossen (Abb. 7.19). Befindet sich
das Wasserfahrzeug in der Kammer, wird das jeweils offene Tor ebenfalls geschlossen.
Danach wird durch mit Schiebern versehene Öffnungen der Wasserspiegel in der Kammer
durch Zuströmung vom Oberwasser angehoben bzw. durch Ablassen ins Unterwasser ab-
gesenkt, bis der Wasserspiegel in der Kammer das Ober- bzw. Unterwasserniveau erreicht
hat. Anschließend kann das entsprechende Tor geöffnet werden und das Wasserfahrzeug
verlässt die Kammer auf dem entsprechenden Unterwasser- bzw. Oberwasserniveau. Der
Schleusungsvorgang ist damit abgeschlossen.
610 M. Aufleger et al.

Bei großen Höhenunterschieden werden mehrere Schleusenbecken hintereinander in


Reihe gebaut; beispielsweise werden am Dreischluchtenkraftwerk in China insgesamt
113 m Höhenunterschied in 5 hintereinander liegenden Schleusenkammern überwunden.
Alternativ dazu können größere Höhenunterschiede auch mittels Schiffshebewerken über-
brückt werden; die größte derartige Anlage in Deutschland (Schiffshebewerk Niederfi-
now) überwindet einen Höhenunterschied zwischen Ober- und Unterwasser von 36 m.

Fischauf- und -abstieg In Europa und zunehmend auch in anderen Ländern müssen
Wasserkraftanlagen so ausgerüstet sein oder nachgerüstet werden, dass Fische und an-
dere Gewässerorganismen schadlos aufwärts und / oder abwärts wandern können. Dafür
ist die Installation naturnaher oder künstlicher Gerinne üblich, die je nach den in dem
jeweiligen Fluss(abschnitt) vorkommenden Fischarten bestimmte hydraulische Kriterien
erfüllen müssen. Abb. 7.20 zeigt ein entsprechendes Beispiel, bei dem der Fischaufstieg
über eine Fischtreppe realisiert wird, die aus einer Aneinanderreihung von kleinen Becken
besteht, die wasserseitig miteinander verbunden sind. Dabei muss sichergestellt werden,
dass die Fische den Einstieg in die Fischtreppe finden können. Dann schwimmen sie durch
die durchströmten Verbindungen zwischen den Einzelbecken zum Oberwasser.
Bei großen Fallhöhen und / oder sehr beengten Platzverhältnissen kommen auch Fisch-
lifte oder Fischschleusen zum Einsatz.

 Bei Fischliften werden Fische durch Lockströmungen in ein wassergefülltes Becken


gelockt, welches dann mechanisch auf das Oberwasserniveau gehoben wird.
 Bei Fischschleusen funktioniert der Vorgang ähnlich wie bei Schiffsschleusen; d. h. die
Fische folgen einer Leitströmung.

Wasserfassung

Krafthaus Oberwasserkanal

Fischtreppe

Wehr-
anlage

Unter- Ableitung
wasser- Überschuss/
kanal Restwasser

Ursprüngliches
Flussbett

Absturz
(für Fische
unpassierbar)

Abb. 7.20 Beispiel für eine Fischtreppe


7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 611

Bei Kombinationen der beiden Bauformen wird das Becken mit den Fischen – wie das
Schiff bei einer Schiffsschleuse – angehoben bzw. abgesenkt und danach die Fische ins
Ober- bzw. Unterwasser entlassen.
Für beliebig große Fallhöhen wird derzeit das „Whoosh Fish Passage System“ erprobt,
bei dem die Fische mithilfe eines leichten Luftüberdrucks durch passende Schläuche ge-
fahrlos und schnell über beliebige Höhen und Distanzen transportiert werden können.
Der Fischabstieg ist wesentlich schwieriger sicherzustellen, weil die Fische von sich
aus der Hauptströmung folgen und so in die Turbinen gelangen können; dort können sie
– je nach Turbinenart, Druckunterschied und Drehzahl – mehr oder weniger geschädigt
und im schlimmsten Fall getötet werden. Obwohl intensiv an der Entwicklung fisch-
freundlicher Turbinen gearbeitet wird, muss es das generelle Ziel sein, die Fische an den
Turbinen vorbei sicher ins Unterwasser zu bringen. Bei kleineren Wasserkraftanlagen, die
zum Schutz ihrer Turbinen ohnehin über Rechen mit geringen Stababständen verfügen,
können die Rechendurchlässe so weit verringert werden, dass selbst kleinere Fische nicht
durch den Rechen und damit in die Turbine gelangen können. Dadurch werden sie am
Rechen entlang zu einer Rinne geleitet, über die sie ins Unterwasser gespült werden. Bei
großen Flusskraftwerken sind solche engen Rechenstababstände nicht möglich. Hier wird
mit Leiteinrichtungen experimentiert, die das Verhalten der Fische so beeinflussen sol-
len, dass sie zu einer Abstiegsrinne gelangen. Demgegenüber ist bei großen Talsperren
der Fischabstieg weitgehend ungelöst. Da jedoch die Talsperren in den Alpen meist ober-
halb bzw. im obersten Bereich der natürlichen Fischvorkommensgrenzen liegen, ist das
Problem dort weniger akut.

Einlauf- oder Entnahmebauwerk Das Einlauf- oder Entnahmebauwerk dient der Ent-
nahme des Triebwassers aus dem Fluss oder dem Speicher. Bei geschiebeführenden Flüs-
sen hat das Entnahmebauwerk zusätzlich die Funktion, das Geschiebe soweit wie möglich
im Flussbett zu lassen und nur das Wasser in die Triebwasserwege zu leiten. Im Anschluss
an das Einlauf- oder Entnahmebauwerk befindet sich bei Hochdruckwasserkraftanlagen
ein Sandfang. Beim sogenannten Coanda-Rechen (siehe unten) sind Wehr, Entnahmebau-
werk und Sandabweiser in einem Bauwerk kombiniert.

Sandfang oder Entsander Der Sandfang ist typischerweise ein langgestrecktes Be-
cken, in dem die Strömungsgeschwindigkeit des Wassers soweit reduziert wird, dass sich
Schwebstoffe mit einem Durchmesser über z. B. 0,2 mm bis zum Ende des Beckens an der
Sohle absetzen. Dadurch gelangen sie nicht in die Druckrohrleitungen und damit zu den
Turbinen, wo sie infolge der hohen Fließgeschwindigkeiten zu Abrasionsschäden führen
würden. Erreichen die Ablagerungen im Sandfang ein bestimmtes kritisches Niveau, wird
das Becken gespült und dadurch der abgelagerte Sand in das Flussbett zurückgeleitet.
Üblicherweise werden zwei oder mehr Sandfänge parallel installiert, so dass einer davon
immer betriebsbereit ist, während der andere gespült wird.
612 M. Aufleger et al.

Rechen und Rechenreiniger Vor der Turbine ist im Regelfall immer ein Rechen ange-
ordnet, der verhindern soll, dass Treibgut und andere Fremdkörper, welche die Turbine
beschädigen könnten, in diese gelangen. Der maximal zulässige Stababstand der Rechen
ist damit von der jeweils installierten Turbine abhängig; z. T. werden Abstände der verti-
kal oder horizontal angeordneten Rechenstäbe von 2 cm oder weniger realisiert. Zusätzlich
dienen Rechen bei kleineren Kraftwerken auch dazu, Fische von den Turbinen fernzuhal-
ten (siehe oben).
Abb. 7.21 zeigt exemplarisch eine derartige Rechenanlage. Demnach befindet sich vor
oder im Triebwasserkanal der eigentliche Rechen, der dann durch eine automatisierte
Rechenreinigungsanlage von den im Triebwasser befindlichen und sich am Rechen an-
sammelnden Geschwemmsel bzw. Treibgut gereinigt wird. Dieses abgetrennte und im
dargestellten Beispiel in einem Container gesammelte Material muss dann ordnungsge-
mäß entsorgt werden.
Je kleiner der Rechenstababstand, umso schneller sammeln sich am Rechen Blätter,
Gras, Laub und anderes Geschwemmsel an. Deshalb entfernen automatische Rechenreini-
gungsmaschinen derartige angelagerte Partikel und befördern diese in einen Abfallbehäl-
ter oder über eine Schwemmrinne in Richtung Unterwasser. Dabei muss die entsprechende
Reinigungsmaschine an die Rechengeometrie angepasst werden.
Ein spezieller Rechentyp sind sogenannte Coanda-Rechen. Er besteht aus horizon-
tal angeordneten Rechenstäben mit Stababständen zwischen 0,4 und 2 oder 3 mm. Der
Rechen macht sich den sogenannten Coanda-Effekt (Wandhaftungseffekt) zunutze. Dazu
wird das Wasser aus dem Flussbett über die horizontal angeordneten, scharfkantigen und
filigranen Rechenstäbe geleitet, die in der Gesamtkontur einem konkaven Profil folgen
(Abb. 7.22). Jeder Stab ist gegenüber dem oberhalb liegenden leicht verdreht. Dadurch
ragt die Kante des Stabprofils in das darüber strömende Wasser hinein und von dem Was-
serstrom wird jeweils ein bestimmter Teil abgeschert (Abb. 7.22). Coanda-Rechen haben
daher ein relativ geringes Schluckvermögen und werden deshalb nur bei kleinen Entnah-
memengen bis ca. 5 m3 /s eingesetzt. Ihr Vorteil besteht aber darin, dass kein Rechenreini-

Abb. 7.21 Beispiel für eine


Rechenanlage

Container

Rechen
Schmutzgreifer
Wasserzulauf
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 613

Detail (a)

Detail (a)

Abb. 7.22 Aufbau und Funktionsweise des Coanda-Rechens

ger erforderlich ist und Geschiebepartikel, die zu Turbinenabrasion führen könnten, durch
den Rechen bereits abgeschieden werden. Wenn durch die Installation eines derartigen
Rechens auf einen Sandfang verzichtet werden kann, kann dies zu kostengünstigeren Ge-
samtlösungen führen.
Ob Coanda-Rechen auch geeignet sind, Fische gefahrlos ins Unterwasser zu beför-
dern, ist bisher nicht abschließend untersucht. Auch die tatsächliche Abscheidung von
Geschiebepartikeln bestimmter Größe in Abhängigkeit vom Rechenstababstand ist nicht
vollständig geklärt und derzeit Thema wissenschaftlicher Untersuchungen.
Ein sogenanntes Tiroler Wehr ist ein Wehr mit einem liegenden Rechen, das spezi-
ell zur Wasserentnahme aus Gebirgsbächen mit großem Grobgeschiebetrieb und einem
starken Gefälle entwickelt wurde (Abb. 7.23); es dient damit kaum der Wasserstauung,
sondern vielmehr primär zur Wasserentnahme und Weiterleitung in einem entsprechen-
den Kanal / Druckstollen. Die Rechenstäbe bestehen aus massiven Stahlprofilen, so dass
Steine und Geröll bei Hochwasser einfach über den Rechen hinweg gespült werden, wäh-
rend das Triebwasser und kleinere Geschiebepartikel nach unten in den Ableitungskanal
gelangen. In steilen Gewässerstrecken wird der Abfluss dann über einen Sandfang in ei-
ne Druckrohrleitung eingeleitet, welche ohne Wasserschloss direkt ins Krafthaus oder in
einen größeren Speicher geführt wird.

Kanäle, Stollen und Schächte, Druckrohrleitungen Die Zuleitung des Triebwassers


zur Turbine geschieht bei Niederdruckanlagen aus dem Flussbett oder dem Oberwasser-
kanal direkt über den Turbineneinlauf. Bei Mittel- und Hochdruckanlagen wird das Wasser
614 M. Aufleger et al.

Abb. 7.23 Aufbau und Funkti- Wasserzulauf


onsweise des Tiroler Wehres

Steinschlagrechen

Rechen
Vorbecken

Wehr-
kanal

Zulauf
Entsanderkammer und Spülkanal

über ein System von offenen Kanälen, schwach geneigten Freispiegel- oder Niederdruck-
stollen oder stark geneigten bzw. senkrechten Hochdruckschächten oder Druckrohrlei-
tungen zur Turbine geleitet. Druckschächte und Stollen können – je nach Druckniveau –
mit Stahl gepanzert oder auch ungepanzert sein. Rohrleitungen werden typischerweise
– in Abhängigkeit des Durchmessers und der jeweiligen Druckstufe – aus Glasfaser-
verstärktem Kunststoff, duktilem Gusseisen oder Stahl gefertigt. Vereinzelt werden bei
Niederdruckanlagen auch Rohrleitungen verwendet, die aus Holzstäben bestehen, die mit
umlaufenden Spannringen fixiert werden.
Die jeweils optimalen technisch-wirtschaftlichen Kombinationen für die Realisierung
der Bauelemente Kanäle, Stollen und Schächte sowie Druckrohrleitungen ergeben sich
aus der jeweiligen Topographie und der lokal vorliegenden Gesteinsfestigkeit sowie dem
anstehenden Druck, der sich aus der Fallhöhe ergibt. Alle Systeme werden so dimen-
sioniert, dass die hydraulischen Verluste aufgrund der Wandreibung (d. h. die Fallhöhen-
verluste) soweit reduziert werden bis der Leitungsdurchmesser erreicht ist, bei dem der
zusätzliche energetische Nutzen die höheren Baukosten nicht mehr rechtfertigt.

Wasserschloss Wasserschlösser dienen dazu, im Fall von Durchflussänderungen an den


Turbinen oder auch bei einem Turbinenschnellschluss hohe dynamische Druckbeanspru-
chungen im Druckstollen dadurch zu limitieren, dass der Wasserspiegel im Wasserschloss
selbst durch starke periodische Schwankungen die großen Druckstöße abpuffert. Deshalb
ist ein Wasserschloss bei Hochdruckanlagen typischerweise am Übergang zwischen Nie-
derdruckstollen und Hochdruckstollen oder -schacht angeordnet (Abb. 7.24). Es besteht
im einfachsten Fall aus einem zylindrischen Schacht, der nach oben zur Atmosphäre offen
ist. Während beispielsweise in einem Druckschacht häufig eine kostenaufwändige Stahl-
panzerung notwendig ist, reicht für die Auskleidung des Niederdruckstollens sehr oft eine
einfache Betonschale aus.
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 615

Wasserschloss

Schieberhaus

Druckstollen

Abb. 7.24 Beispiel für ein Wasserschloss

Krafthaus Das Krafthaus ist das Gebäude, in dem sich Turbinen, Generatoren und al-
le Hilfs- und Nebenaggregate sowie die automatischen Turbinenregler und die Steuerung
befinden. Bei großen Flusskraftwerken sind beispielsweise die eingesetzten Kaplanturbi-
nen oft mehrere Stockwerke hoch, so dass das Gebäude sozusagen um die Turbine herum
gebaut ist. Gleiches gilt für stehende Francisturbinen bei großen Mitteldruckanlagen. Bei
größeren Fallhöhen und kleineren Abflüssen werden die Turbinen entsprechend kleiner.
Dann realisiert das Krafthaus die Umhausung für die elektromechanischen Komponenten,
die in dem Gebäude auf speziellen Fundamenten montiert werden und dem Einleiten der
auftretenden Kräfte in den Baugrund dienen. Krafthäuser brauchen damit entsprechende
Zufahrtsmöglichkeiten und geeignete Krananlagen sowie ausreichende Räumlichkeiten,
um die Turbinen und Generatoren anliefern und einbauen sowie später – zum Zweck von
Wartung und Reparaturen – wieder ausbauen zu können.

Saugrohr oder Saugschlauch Saugrohr oder Saugschlauch stellen die hydraulische Ver-
bindung zwischen dem Turbinenlaufrad von beispielsweise einer Kaplan-, Francis- oder
Durchströmturbine und dem Unterwasser her. Der Fließquerschnitt des Saugrohrs wird da-
bei zum Ausgang zum Unterwasser hin als Diffusor ausgeführt (Abb. 7.1). Dadurch wird
die Geschwindigkeit des Triebwassers vor dem Eintritt in das Unterwasser verzögert. Am
Turbinenaustritt, an dem eine höhere Geschwindigkeit herrscht, stellt sich dadurch ein
Druck ein, der unter dem Umgebungsdruck liegt; d. h. die treibende Druckdifferenz über
der Turbine wird vergrößert. Die richtige Dimensionierung des Saugrohrs ist daher wichtig
für die vollständige Ausnutzung der Fallhöhe und für einen optimalen Gesamtwirkungs-
grad der Wasserkraftanlage. Das Saugrohr dient in Summe letztlich dazu, dass möglichst
wenig nicht genutzte Restenergie an das Unterwasser abgegeben wird.

Unterwasserkanal Wenn das Kraftwerk nicht im Flussbett oder direkt daneben errich-
tet ist, wird das Triebwasser vom Kraftwerk nach dem Austritt aus dem Saugrohr über
einen offenen Unterwasserkanal wieder dem entsprechenden Fließgewässer (z. B. Fluss)
616 M. Aufleger et al.

zugeführt. In manchen Fällen – und insbesondere dann, wenn Turbinen wegen der Kavita-
tionsgefahr deutlich unter dem Unterwasserspiegel im Fluss liegen – können auch längere
Niederdruckstollen, sozusagen verlängerte Saugrohre, der Rückführung des Triebwassers
zu dem jeweiligen Fließgewässer dienen.

7.2.3 Energietechnische Komponenten

Im Krafthaus sind typischerweise die wesentlichen energietechnischen Teile einer Was-


serkraftanlage untergebracht. Dazu gehören primär die Turbine / n, ggf. das / die Getriebe,
der / die Generator / en, Regelungseinrichtungen und teilweise Verschlussorgane für die
Rohrleitungen. Hilfseinrichtungen (u. a. Kühlanlagen, Entwässerungspumpen) ergänzen
die elektromechanische Ausrüstung. Zusätzlich sind oft Transformatoren und Umspann-
anlagen auf angrenzenden Freiflächen untergebracht. In der Leitwarte oder – bei sehr
kleinen Wasserkraftanlagen – in einem Schaltschrank sitzt die Steuerung, mit der die
Anlage halb- oder meist vollautomatisch gefahren wird. Diese unterschiedlichen Kom-
ponenten werden im Folgenden vorgestellt.

7.2.3.1 Turbinen
Nachfolgend werden die Turbinen, wie sie in Wasserkraftanlagen zum Einsatz kommen,
vertieft sowohl bezüglich der Grundlagen als auch im Hinblick auf eine technische Um-
setzung diskutiert.

Grundlagen Die hydraulische Maschine, welche die Energie des Triebwassers in eine
Drehbewegung und damit in mechanische Energie umwandelt, wird als Turbine oder als
Strömungsmaschine bezeichnet. Vorläufer der Turbinen waren die Wasserräder, die bei
kleinen Gefällen und niedrigen Durchflüssen sehr vereinzelt nach wie vor eingesetzt wer-
den (siehe unten).
Strömungsmaschinen, zu denen die Turbinen zählen, dienen der kontinuierlichen
Wandlung von Strömungsenergie (d. h. Energie, die in einem Fluid enthalten ist) in me-
chanische Energie, die dann an der Maschinenwelle für eine weitergehende Nutzung (z. B.
zur Stromerzeugung mithilfe eines Generators) zur Verfügung steht. Damit stellen Turbi-
nen Energie aus dem strömenden Wasser an der Turbinenwelle zur Verfügung, während
Pumpen oder Verdichter – als eine andere Kategorie der Strömungsmaschinen – vorhan-
dene oder speziell dafür bereitgestellte mechanische Energie an ein Fluid übertragen,
indem die an der Welle anliegende Energie in Druck- und / oder in kinetischer Energie
umgewandelt wird. Kann der Strömungsvorgang als dichtebeständig angesehen werden
(d. h. die Dichte des Fluides ändert sich nicht beim Durchströmen der Maschine), wie dies
bei Wasserturbinen immer der Fall ist, vereinfacht sich die physikalische Beschreibung.
Eine Turbine besteht immer aus einer einem Laufrad vorgestellten Leiteinrichtung, die
einerseits die Druckenergie des Wassers in kinetische Energie umwandelt und andererseits
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 617

die beschleunigte Strömung in einem optimalen Winkel auf die sich bewegende Laufrad-
beschaufelung lenkt. Diese sich bewegende Laufradbeschaufelung lenkt die Wasserströ-
mung selbst wiederum derart um, dass sie im nachfolgenden, nicht drehenden Abflussrohr
aus Effizienzgesichtspunkten möglichst drallfrei abströmt. Diese starke Umlenkung be-
wirkt das Drehmoment auf die Welle.
Die mögliche Übertragung von Arbeit von einem Fluid zur Strömungsmaschine – und
damit in mechanische Arbeit an der Welle – kann durch die Massenerhaltung (d. h. die
Masse bleibt im Verlauf der gesamten Energiewandlungskette erhalten), die Energieer-
haltung (d. h. Energie kann nur umgewandelt, aber nicht „erzeugt“ werden) sowie die
Impuls- bzw. Momentenerhaltung (d. h. die Summe der Impulse bzw. der Momente eines
Bezugspunktes ist konstant) beschrieben werden. Dabei ist unter stationären Bedingungen
bei einer dichtebeständigen Strömung (hier: Wasser, Wa) mit der Geschwindigkeit vWa in
einer durchströmten Fläche S der Volumenstrom qP Wa konstant (Gleichung (7.23); siehe
Kapitel 7.1).

qPWa D vWa S D const. (7.23)

Die Energiegleichung dichtebeständiger, stationärer Strömungen unter Berücksichti-


gung einer Arbeitsübertragung (spezifische (Umfangs-)Arbeit dLU D d pWa /Wa ; p ist der
Druck des Fluids (hier: des Wassers, Wa) und  die Dichte (hier: des Wassers, Wa)) so-
wie der spezifischen Strömungsverluste Wa ergibt sich aus der differentiellen Form nach
Gleichung (7.24). g ist die Gravitationskonstante und h die geodätische Höhe.

Wa vWa dvWa C dpWa C Wa g dh C Wa d Wa C Wa dLU D 0 (7.24)

Gleichung (7.24) kann durch Integration vom Strömungszustand 1 bzw. 0 zum Zu-
stand 2 zu Gleichung (7.25) umgeformt werden. Da die aus einer gegebenen Strömung
erzielbare Turbinenleistung gesucht ist, wird über die Turbine bilanziert. Als Bilanzgren-
ze gilt der Eintritt ins Laufrad (Index 1) bzw. ins Leitrad (Index 0) sowie der Austritt aus
dem Laufrad (Index 2).
1 2 
v  vW
2
a;1 C .pW a;2  pW a;1 / =Wa C g .h2  h1 / C Wa C LU D 0 (7.25)
2 W a;2
Diese Energiebilanz (Gleichung (7.25)) unter Berücksichtigung der spezifischen Arbeit
LU beschreibt, wie viel der Strömungsenergie zur Umwandlung in mechanische Energie
an der Turbinenwelle zur Verfügung steht. Sie berücksichtigt aber nicht, auf welche Art
dies geschehen könnte. Um dies zu konkretisieren, kann die Strömungsführung zur Rea-
lisierung der Energiewandlung über das Momentengleichgewicht festgelegt werden.
Die Turbinenleistung PTurbine , die an der Turbinenwelle anliegt, ist proportional der
spezifischen Arbeit am Umfang der Beschaufelung der Strömungsmaschine LU und dem
Massendurchsatz m P D Wa qP Wa des Wassers. Es gilt Gleichung (7.26).

PTurbine D Wa qP Wa LU (7.26)


618 M. Aufleger et al.

Die Turbinenleistung PTurbine ist aber auch definiert durch die Impulsänderung
(mP vWa;u ) zwischen dem Strömungszustand über dem Laufrad vom Eintritt 1 zum Aus-
tritt 2, die am Radius r anliegt, bei einer Drehfrequenz !. Sie kann durch Gleichung (7.27)
beschrieben werden.

PTurbine D m
P .r2 vW a;u;2  r1 vW a;u;1 / ! (7.27)

Demnach leistet lediglich die in Umfangsrichtung gerichtete Komponente vWa;u der ab-
soluten Strömungsgeschwindigkeit vWa einen Beitrag zum Drehmoment, nicht aber die
radial bzw. axial gerichteten Strömungskomponenten. Auch kann der Impuls der Einströ-
mung (Index 1) auf einem zur Ausströmung (Index 2) unterschiedlichen Radius angreifen.
Gleichung (7.26) und (7.27) können unter Kürzen des Massenstroms m P gleichgesetzt
werden. Zusätzlich zur Strömungsgeschwindigkeit des Wassers vWa muss dabei berück-
sichtigt werden, dass sich die angeströmte Schaufel selbst mit einer Umfangsgeschwin-
digkeit vu (r, !) bewegt, die sowohl vom Radius der betrachteten Stelle r als auch von
der Kreisfrequenz ! des sich drehenden Rotors bestimmt wird. Für diese sogenannte Um-
fangsgeschwindigkeit der Schaufel gilt vu D r !. Hieraus ergibt sich die von Leonhard
Euler bereits im 18. Jahrhundert hergeleitete Euler’sche Turbinenhauptgleichung der Strö-
mungsmaschinen (Gleichung (7.28)).

LU D .vW a;u;2 vu;2  vW a;u;1 vu;1 / D YSch (7.28)

Die Umfangsarbeit LU wird in der Terminologie der hydraulischen Strömungsmaschi-


nen, wie sie die Wasserturbinen darstellen, auch als spezifische Schaufelarbeit Y Sch be-
zeichnet. Sie beschreibt die Arbeitszufuhr von Eintritt zum Austritt aus der Beschaufe-
lung. Dabei werden jedoch in der spezifischen Schaufelarbeit Y Sch nur die Profilverlus-
te berücksichtigt und nicht die zwingend zusätzlich auftretenden Verluste aufgrund von
Spaltströmungen und Reibung. Diesen Verlustmechanismen trägt die an den Stutzen zu
messende Stutzenarbeit Y St Rechnung. Zudem wird Gleichung (7.28) die Vorzeichenver-
einbarung der Thermodynamik zugrunde gelegt; d. h. die dem Fluid zugeführte Energie
wird mit einem positiven Vorzeichen gewertet. Diese Konvention bedeutet im vorliegen-
den Fall, dass die dem Fluid entzogene Schaufelarbeit Y Sch einer Turbine ein negatives
Vorzeichen besitzt und die durch einen Verdichter bzw. eine Pumpe zuzuführende An-
triebsarbeit ein positives.
Die Euler’sche Turbinenhauptgleichung besagt, dass eine Arbeitsübertragung durch die
Impulsänderung zwischen Aus- und Eintritt des Fluides aus einer Beschaufelung erreicht
werden kann. Diese Impulsänderung kann durch eine unterschiedliche radiale Position
von Ein- und Austritt (vu;2 ¤ vu;1 ), durch eine Umlenkung der Strömung (vWa;u;2 ¤
vWa;u;1 ), durch eine Beschleunigung im Strömungskanal oder durch eine Kombination die-
ser Maßnahmen erfolgen.
Die dabei maßgebliche Umlenkung lässt sich über Geschwindigkeitsdreiecke veran-
schaulichen (Abb. 7.25). Die Anströmung der Turbinenlaufschaufel erfolgt demnach mit
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 619

0 1 2

Leitschaufel
vrel,2
Laufschaufel vu,2
vWa,0
vWa,0,u
vWa,0,ax

vWa,2,u
vWa,2,ax
vWa,1,ax
vWa,1,u
vrel,1

vu,1
vWa,1

Abb. 7.25 Bilanzgrenzen und Geschwindigkeitsdiagramm der Kraftmaschine (Axialturbinenstu-


fe) (v Geschwindigkeit; Indices: 0 Leitradeintritt, 1 Leitradaustritt und gleichzeitig Laufradeintritt,
2 Laufradaustritt; u Umfangskomponente, ax Axialkomponente, rel Relativkomponente; Wa Was-
ser)

der Geschwindigkeit des Wassers vWa;1 und die Abströmung entsprechend mit vWa;2 . Die
Arbeitsübertragung vom Fluid auf das Laufrad wird einerseits durch die Strömungsumlen-
kung und andererseits durch die Impulsänderung zwischen An- und Abströmung realisiert.
Um diese Arbeitsweise zu veranschaulichen, werden die Geschwindigkeitsvektoren des
Laufrades in einer Darstellung zusammengefasst.
Abb. 7.26 zeigt den allgemeinen Fall einer Turbine mit Änderung des Radius des
durchströmten Ringquerschnitts. Im feststehenden Leitrad (Abb. 7.26b) wird der ankom-
menden Strömung eine starke Drallkomponente hinzugefügt, um im bewegten Laufrad
(Abb. 7.26a) eine entsprechende Umlenkung realisieren zu können; dies erhöht den Wir-
kungsgrad deutlich.
Die Schaufel des Laufrades bewegt sich mit der Umfangsgeschwindigkeit am Radi-
us r mit vu D r !. Sollen Strömungszustände beurteilt werden, die in der Strömung des
Laufradkanals auftreten (z. B. Reibungsverluste), muss man die Relativgeschwindigkeit
des Wassers vrel im Laufrad kennen. Diese Relativgeschwindigkeit errechnet sich aus
der Strömungsgeschwindigkeit des Wassers abzüglich der Umfangsgeschwindigkeit der
Schaufel vrel D vWa  vu .
Die Strömung trifft mit der Geschwindigkeit vWa;0 und dem Anströmwinkel ˛0 auf
das Leitrad und verlässt es mit der Geschwindigkeit vWa;1 . Subtrahiert man somit von der
Anströmgeschwindigkeit des Wassers vWa;1 die Umfangsgeschwindigkeit vu;1 der Schau-
620 M. Aufleger et al.

Abb. 7.26 Schema einer Tur- vWa,1,ax


bine mit Leit- (b) und Laufrad
(a) (links oben), der Abwick- vrel,1

vrel,1,u
lung der Beschaufelung (links β1
vWa,1
unten) und dem Geschwin- vu,2
digkeitsdreieck des Laufrades

vWa,1,u
vu,1 β2
(rechts) (zur Erklärung der
Formelzeichen siehe Text)
α1

vrel,2,u
vrel,2
vu

vWa,0

vWa,2,u
vWa,2
α0 α2

vWa,2,ax

fel am Eintritt, ergibt sich die relative Anströmgeschwindigkeit der Schaufelvorderkante


des Rotors vrel;1 . Die Richtung dieser Geschwindigkeit vrel;1 definiert die Ausrichtung
der Vorderkante des Rotors ˇ1 . Beim Durchströmen dieses Rotors wird das Fluid auf
die Geschwindigkeit vrel;2 beschleunigt und nach ˇ2 umgelenkt. Dieser Austrittswinkel
ˇ2 entspricht der Ausrichtung der Schaufelhinterkante des Rotors. Da sich der Radius
des Ringkanals leicht erhöht hat, herrscht hier nun im allgemeinen Fall die Umfangsge-
schwindigkeit vu;2 D r2 !. Die Geschwindigkeit der Abströmung ergibt sich wieder durch
Addition der Umfangsgeschwindigkeit zu vWa;2 D vrel;2 C vu;2 . Die Abströmrichtung ˛2
sollte dabei möglichst axial mit geringer Umfangskomponente erfolgen, um Drallverluste
weitgehend zu reduzieren.
Somit lässt sich die erzielbare Schaufelarbeit nach Gleichung (7.28) interpretieren. Um
eine möglichst hohe Arbeitsausbeute zu erzielen, muss damit das Produkt aus vWa;1;u vu;1
deutlich größer sein als das Produkt aus vWa;2;u vu;2 . Hierbei bezeichnen vWa;1;u bzw. vWa;2;u
jeweils die Umfangskomponente der Strömungsgeschwindigkeit des Wassers vWa an dem
Strömungszustand 1 und dem Zustand 2 im Absolutsystem (Abb. 7.25 und 7.26).
Unterscheidet sich der Radius des Impulsangriffes von Ein- zu Austritt des Laufrades,
spricht man von einer Radialmaschine, da das Fluid in diesem Fall im Laufrad immer
teilweise radial geführt wird. In der Regel ist bei derartigen Radialturbinen eine zusätzli-
che Strömungsumlenkung von einer radialen Eintrittsebene in eine axiale Austrittsebene
verbunden. Erfolgt demgegenüber der Impulsangriffspunkt zwischen Eintritts- und Aus-
trittsebene in etwa auf dem gleichen Radius, wird dies als Axialmaschine bezeichnet. Da
hier die Umfangsgeschwindigkeiten (vu;2 D vu;1 D vu ) gleich sind, vereinfacht sich die
Euler’sche Turbinenhauptgleichung; sie kann dann entsprechend Gleichung (7.29) formu-
liert werden. Y Sch ist wieder die spezifische Schaufelarbeit.

YSch D vu .vW a;2;u  vW a;1;u / (7.29)


7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 621

Demnach muss zur Arbeitsübertragung in Axialmaschinen die Strömung von der Ein-
trittsebene zur Austrittsebene des Laufrades bezogen auf das ruhende Absolutsystem um-
gelenkt werden (vWa;2;u ¤ vWa;1;u ). Derart gestaltete Turbinen erzielen Wirkungsgrade von
deutlich über 90 %. Dies ist mit den folgenden Konsequenzen verbunden.

 Soll mit einer Turbine ein maximaler Anteil der Energie aus dem Fluid an die Wel-
le übertragen werden, muss im Laufrad eine möglichst starke Umlenkung vorgesehen
werden. Dazu muss die Strömungsrichtung am Eintritt in Drehrichtung und die Strö-
mungsrichtung am Austritt entgegen der Drehrichtung erfolgen, um für die Schaufel-
arbeit bei einem möglichst hohen Betrag ein negatives Vorzeichen zu erhalten. Die
starke Verdrallung am Eintritt kann durch ein stehendes Leitgitter, das z. T. auch als
Düse bezeichnet wird, erzielt werden; es ist dem Laufrad vorgeschaltet.
 Ein starker Drall in der Abströmung beinhaltet noch viel kinetische Energie, die an
dieser Stelle als Verlust anzusehen ist. Deshalb sollte die Strömung im Laufrad so
ausgerichtet werden, dass sich eine drallfreie Abströmung im Absolutsystem einstellt
(vWa;2;u D 0). Dadurch kann Gleichung (7.28) zu Gleichung (7.30) vereinfacht werden.

YSch D vu vW a;1;u (7.30)

Die Euler’sche Turbinenhauptgleichung gibt somit an, wie die Strömungsumlenkung


im Lauf- und im Leitrad einer Strömungsmaschine geometrisch gestaltet werden muss,
um am Umfang des Laufrades die Schaufelarbeit Y Sch gewinnen zu können, die auf-
grund der Energiegleichung zur Verfügung steht. Durch diese Kenntnis der erforderlichen
Strömungsumlenkungen wurden im Laufe der Zeit unterschiedlichste Geometrien der
Laufräder entwickelt (siehe nachfolgende Unterkapitel).
Die komplexen, mehrdimensionalen Strömungszustände, die sich in derartigen Strö-
mungsmaschinen einstellen, lassen sich im Hinblick auf eine Auslegung dieser Maschinen
oft nicht genügend genau theoretisch erfassen; deshalb sind in der Regel Modellversu-
che erforderlich. Die Übertragung der in derartigen Modellversuchen gewonnenen Er-
kenntnisse bzw. die Erkenntnisse bekannter Ausführungen auf das Original, aber auch
die Vorschrift, unter welchen geometrischen und strömungstechnischen Verhältnissen die
Versuche durchzuführen sind, wird anhand von Ähnlichkeitsbetrachtungen realisiert. Die
Modellgesetze der Ähnlichkeitstheorie bilden somit die Grundlage für das umfangreiche
Versuchswesen, das im Laufe der Zeit zu den heute optimierten Turbinentypen geführt
hat. Um beispielsweise zwei Strömungsvorgänge einer Strömungsmaschine miteinander
vergleichen zu können, müssen die geometrischen Abmessungen ähnlich sein; d. h. die zu
vergleichenden Strömungsräume müssen hinsichtlich ihrer Längen-, Flächen-, und Raum-
abmessungen sowie hinsichtlich der Oberflächenbeschaffenheit geometrisch vergleich-
bar sein. Auch müssen die zu vergleichenden Strömungen hinsichtlich der auftretenden
Geschwindigkeiten, Beschleunigungen, Kräfte und Stoffeigenschaften physikalisch nähe-
rungsweise gleich sein. Vollkommene geometrische und physikalische Ähnlichkeit ist in
der Regel nicht zu erreichen; deshalb wird jeweils nur auf die Vergleichbarkeit bestimmter,
für den betreffenden Vorgang wesentlicher, Größen geachtet.
622 M. Aufleger et al.

Neben den gebräuchlichen Kennzahlen der Strömungsmechanik und Thermodynamik


werden im Strömungsmaschinenbau historisch begründete, spezielle Formulierungen di-
mensionsloser Kennzahlen verwendet.

 Kinematischer Reaktionsgrad. Um einen möglichst hohen Austrittsimpuls aus dem


Laufrad zu erzielen, kann beim Durchgang durch das Laufrad eine Beschleunigung
stattfinden. Dabei sinkt der statische Druck am Laufradaustritt ab. Gleichzeitig findet
aber auch eine Impulsübertragung am Austritt des Laufrades dann statt, wenn das Flu-
id ohne Beschleunigung lediglich umgelenkt wird. Der kinematische Reaktionsgrad
rk kennzeichnet die Aufteilung dieses Druckabbaus der Stufe zur Beschleunigung auf
Lauf- (0 ) bzw. Leitrad (00 ) der Turbomaschine. Er ist nach Gleichung (7.31) definiert.
p ist der Druck des Wassers,  die Wasserdichte und v die Strömungsgeschwindigkeit
des Wassers (Wa); sie wird jeweils bezogen auf die unterschiedlichen Stellen in der
Turbine 0, 1 und 2; u ist die Umfangskomponente und rel die Relativkomponente der
Wassergeschwindigkeit. Wird die Strömung im Laufrad nur umgelenkt, herrscht kein
Druckgradient über dem Laufrad; man spricht dann von einer Gleichdruckstufe. Wird
die Strömung hingegen beschleunigt, handelt es sich um eine Überdruck- bzw. Reakti-
onsstufe. Entsprechend können die jeweiligen Terme in Gleichung (7.31) entfallen.
00
YSch Y 00
rk D D  2  Sch  2 
.p 0 00
C p / = vW a;1  vW a;0 C vrel;2
2
 vrel;1
2
=2
(7.31)
2
vu;1  vu;2
2
 vrel;1
2
C vrel;2
2
D
2 YSch

 Schnellläufigkeit. Die Schnellläufigkeit  ist definiert als das Verhältnis des Volumen-
stroms des Wassers zur zugeführten Energie. Sie dient als dimensionslose Drehzahl
und kann nach Gleichung (7.32) beschrieben werden. n ist die Drehzahl der Turbine,
g die Fallbeschleunigung, hnutz die nutzbare Fallhöhe und qPWa der durch die Turbine
strömende Volumenstrom.
p
2 n  qPWa
D (7.32)
.2 g hnutz /3=4

 Spezifische Drehzahl. Die spezifische Drehzahl nq vergleicht die Anströmgeschwin-


digkeit vWa;1 mit der Umfangsgeschwindigkeit vu . Es gilt Gleichung (7.33).
p
qPWa
nq D (7.33)
.hnutz /3=4

Ist die Anströmgeschwindigkeit des Wassers vWa;1 größer als die Umfangsgeschwin-
digkeit der Schaufel (vWa;1 > vu;1 ), dann spricht man von einem Langsamläufer. Ist sie
demgegenüber kleiner (vWa;1 < vu;1 ) handelt es sich um einen Schnellläufer. Gelegent-
lich wird diese Unterscheidung auch über die Laufzahl  definiert (siehe unten).
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 623

 Schluckzahl. Die Schluckzahl  beschreibt als dimensionslose Größe den Durchsatz


durch eine Turbine (Gleichung (7.34)). qP Wa ist der durch die Turbine strömende Volu-
menstrom, D der typische Durchmesser der Turbine und Y St die Stutzenarbeit.

4 qP Wa
D p (7.34)
 D 2 2 YS t

 Laufzahl. Die Laufzahl  beschreibt das Verhältnis der Umfangsgeschwindigkeit vu


zu einer typischen Anströmgeschwindigkeit vWa . Es gilt Gleichung (7.35). Ist die Um-
fangsgeschwindigkeit größer als die Anströmgeschwindigkeit, wie es bei Auftriebs-
läufern in der Regel der Fall ist, spricht man von einem Schnellläufer, ansonsten von
einem Langsamläufer.

 D vu =vWa (7.35)

Bei der Übertragung der Daten einer Turbinenausführung auf eine andere können nicht
alle Ähnlichkeitsanforderungen erfüllt werden. Deshalb können die erzielbare Leistung
und vor allem die zu erwartenden Wirkungsgrade nicht einfach übertragen werden. Hier-
zu sind spezifische Korrelationen, sogenannte Aufwerteformeln erforderlich, die entweder
als Korrelationen aus bisherigen Erfahrungen gebildet oder durch physikalische Überle-
gungen hergeleitet werden [7.37].
Zusätzliche Herausforderungen beim Betrieb von modernen Wasserturbinen stellen
Kavitation sowie Abrasion dar.

 Kavitation. Hohe Strömungsgeschwindigkeiten des Wassers beim Umströmen der Be-


schaufelung senken den statischen Druck in der Flüssigkeit ab. Dadurch kann der
Dampfdruck des Wassers unterschritten werden; unter diesen Bedingungen bilden sich
dann Dampfbläschen. Diese implodieren bei einem sich im weiteren Strömungsver-
lauf wieder erhöhenden Druck und rufen dabei z. T. sehr hohe Druckspitzen hervor,
welche die Oberfläche von verschiedenen Turbinenkomponenten zerstören. Beispiels-
weise sinkt der dynamische Druck bereits ab einer Strömungsgeschwindigkeit von
7 m/s bei einer Wassertemperatur von 20 ı C unter den Dampfdruck. Höhere Tempe-
raturen verschärfen das Problem, da der Dampfdruck mit zunehmender Temperatur
schnell ansteigt. Durch diesen als Kavitation bezeichneten Effekt werden die Schaufeln
zunächst rau, dann porös und schließlich löcherig. Insgesamt kann damit das Auftreten
von Kavitation zu gravierenden Schäden an der Beschaufelung führen und muss daher
möglichst vermieden werden. Entsprechende Gegenmaßnahmen sind eine geeignete
Formgebung und eine entsprechende Materialverwendung; typischerweise lässt sich
aber Kavitation nie völlig vermeiden.
 Abrasion. Alle Wasserkraftwerke sind zwar gegen Treibholz und anderes grobes
Schwemmgut normalerweise durch eine Rechenanlage (siehe oben) geschützt. Feinere
Verunreinigungen des Wassers lassen sich aber nicht herausfiltern. Grundsätzlich gilt,
624 M. Aufleger et al.

dass je feiner das Sieb vor dem Einlauf ist, desto größer ist der Druckverlust des Was-
serstroms und umso höher ist die Gefahr einer Verstopfung des Rechens. Deshalb stellt
die Sandabrasion eine weitere Herausforderung dar, die beispielsweise die Düsen und
Becher von Pelton-Rädern, aber auch die Leit- und Laufradschaufeln von Francis-Tur-
binen betrifft (zur Erklärung der Turbinentypen: siehe unten). Auch die Abrasion lässt
sich nicht zwingend vollständig verhindern.

Einteilung und Abgrenzung Aufgrund der sehr unterschiedlichen Fallhöhen und ver-
schiedenartigen Durchflussmengen – und der daraus resultierenden extrem verschiedenar-
tigen Druck- und Geschwindigkeitsverhältnisse des jeweils genutzten Wassers – wurden
in den letzten rund 200 Jahren unterschiedlichste Turbinenbauformen entwickelt, die oft
nach den sie in den Markt einführenden Personen oder Firmen benannt wurden. Sie wer-
den nachfolgend diskutiert.
Turbinen können nach ihrer grundsätzlichen Betriebsweise in zwei Gruppen unterteilt
werden.

 Überdruck- oder Reaktionsturbinen (kinematischer Reaktionsgrad rk > 0). Bei den


Überdruckturbinen wird nur ein Teil der potenziellen Energie des Wassers im Leit-
rad vor der Turbine in kinetische Energie (d. h. strömendes Wasser) umgewandelt.
Die dadurch realisierte, relativ geringere Fließgeschwindigkeit bedingt entsprechend
niedrigere Reibungsverluste. Erst beim Durchgang des Wassers durch die Laufradbe-
schaufelung wird der Rest der Druckenergie durch eine Beschleunigung des Fluids in
kinetische Energie gewandelt. Dadurch wird ein möglichst hoher Austrittsimpuls (d. h.
die Reaktion) erzeugt. Die Energie des Wassers wird damit einerseits durch die Um-
lenkung des Impulses und andererseits durch den erhöhten Austrittsimpuls über die
Beschaufelung an die Welle abgegeben und hier in eine Drehbewegung (d. h. mecha-
nische Energie) umgeformt. Da damit beim Durchströmen des Laufrades eine weitere
Beschleunigung des durchströmenden Wassers bedingt wird, sinkt dort entsprechend
der Bernoulli-Gleichung (d. h. die Summe aus geodätischer, Druck- und Geschwindig-
keitshöhe ist konstant) der Druck weiter ab; man spricht deshalb von einer Überdruck-
bzw. Reaktionsturbine. Zu dieser Turbinengruppe gehören u. a. Francis-, Propeller-,
Kaplan- und Straflo-Turbinen (zur Erklärung der einzelnen Turbinentypen: siehe un-
ten). Die derzeit größten Leistungen liegen bei Kaplanturbinen pro Einheit bei rund
500 MW und bei Francisturbinen bei ca. 1 000 MW.
 Gleichdruck- oder Aktionsturbinen (kinematischer Reaktionsgrad rk D 0). Bei Gleich-
druckturbinen wird die Lage- und Druckenergie des Wassers vor der Turbine durch
die Wasserführung der Leiteinrichtung vollständig in Geschwindigkeitsenergie (d. h.
Strömungsenergie des Wassers) umgewandelt. Dies führt zu sehr hohen Strömungsge-
schwindigkeiten des Wassers mit entsprechend hohen Reibungsverlusten. Die Kraft-
übertragung auf das Laufrad erfolgt lediglich durch die Umlenkung des Impulses, die
über die Beschaufelung auf der Welle in Rotations- bzw. mechanische Energie um-
geformt wird. Da das Fluid lediglich umgelenkt wird, ändert sich der Druck beim
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 625

Durchqueren des Laufrades nicht. Der Name Gleichdruck- oder Aktionsturbinen re-
sultiert deshalb daraus, dass der Druck vor und hinter dem Laufrad der Turbine nahezu
gleich ist; er entspricht bei einem einseitig offenen Umlenkkanal etwa dem Atmo-
sphärendruck. Zu den Gleichdruckturbinen zählen die klassische Peltonturbine, die
schneller laufende Peltonturbine, die auch als Turgoturbine bezeichnet wird, sowie
die Durchströmturbinen (zur Erklärung der einzelnen Turbinentypen: siehe unten). Die
größten derzeit technisch möglichen Leistungen liegen bei Peltonturbinen pro Einheit
bei rund 500 MW.

Mit derartigen Turbinen werden heute Fallhöhen von 1 bis knapp 1 900 m ausge-
nutzt [7.5, 7.6]. Die üblichen Einsatzbereiche für mittlere und größere Leistungen sind in
Abb. 7.27 dargestellt und werden nachfolgend kurz zusammengefasst.
Peltonturbinen: ca. 600 bis 1 900 m
Durchströmturbinen: ca. 1 bis 200 m
Francisturbinen: ca. 30 bis 700 m
Kaplanturbinen, vertikalachsig: ca. 10 bis 60 m
Kaplanturbinen, diagonal: ca. 30 bis 130 m
Kaplanturbinen, horizontalachsig, Rohrturbine: ca. 2 bis 25 m

Bei kleineren Leistungen werden Peltonturbinen auch schon ab rund 50 m und Francis-
turbinen ab ca. 6 m, bei alten Kleinwasserkraftwerken auch schon ab etwa 2 m Fallhöhe
eingesetzt.

2000
Le

1400
Peltonturbine
is
tu

1
ng

1000 00
2

0
00

700 M
W
0
e

M
üs

en

W
en

en

20
1D

500
üs

0 50
üs

üs
2D

M 0
4D

6D

10 W M
300 0 W
50 M
W
Fallhöhe in m

M
200 W
20 Francisturbine
140 M
10 W
M Diagonalturbine
100 W
5
M
W
50 2 vertikale
M
1 W Kaplanturbine
Durchström- M
turbine 50 W
0
kW
20
20
10 0
0 kW
kW Rohrturbine
10 50
kW

5
0,5 1 2 5 10 20 50 100 200 500 1000
Volumenstrom in m3 /s

Abb. 7.27 Einsatzbereiche verschiedener Turbinentypen (nach [7.3])


626 M. Aufleger et al.

Abb. 7.28 Wirkungsgrad- 100


Kaplanturbine
verlauf unterschiedlicher Pelton
Turbinenarten (nach [7.3]) 90

80 Durchströmturbine

70

Wirk ungsgrad in %
Francis schnelllaufend Wasserrad
60
Francis langsamlaufend
50

40

30

20

10

0
0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 1
Verhältnis von Durchfluss zu Auslegungsdurchfluss

Je nach Turbinenart und -größe werden Turbinenwirkungsgrade bei Nennleistung zwi-


schen etwa 85 und 93 % erreicht. Dieser Turbinenwirkungsgrad ist dabei definiert als das
Verhältnis zwischen der Leistung an der Turbinenwelle und der verfügbaren hydraulischen
Leistung zwischen Turbineneintritt und Saugrohraustritt einschließlich der Turbinenaus-
trittsverluste.
Da eine Turbine immer nur für einen bestimmten maximalen Wasserdurchsatz ausge-
legt wird, wird der Turbinenwirkungsgrad maßgeblich vom jeweiligen – Standort- und
Jahreszeit-abhängigen – Wasserangebot beeinflusst. Abb. 7.28 zeigt für die wichtigsten
Turbinenbauarten (zur Erklärung der einzelnen Turbinenarten: siehe unten) die z. T. sehr
unterschiedlichen typischen Wirkungsgradverläufe. Peltonturbinen arbeiten folglich bei-
spielsweise bereits bei 20 % ihrer maximalen Beaufschlagung mit einem sehr guten Wir-
kungsgrad (> 85 %). Propellerturbinen sollten dagegen nicht mit weniger als 70 bis 80 %
ihres Ausbaudurchflusses betrieben werden, da sonst vergleichsweise große Verluste ent-
stehen.

Axialturbinen (Kaplan-, Propeller-, Rohr-, Kegelrad-, S- und Straflo-Turbinen)


Wird das Laufrad in etwa in achsparalleler Richtung durchströmt, spricht man i. Allg.
von einer Axialturbine bzw. – je nach spezieller konkreter technischer Ausführung – von
einer Kaplan-, Propeller-, Rohr-, Kegelrad-, S- oder Straflo-Turbine. Die Wasserzufuhr
zum Leitrad ist dabei für die Charakterisierung nicht entscheidend; sie kann je nach den
Gegebenheiten vor Ort radial oder mehr oder weniger axial erfolgen. Die Zuströmung
zum Laufrad, wie auch die Abströmung, sind jedoch definitionsgemäß immer etwa axial.
Alle Axialturbinen und die aus ihnen in den letzten Jahrzehnten abgeleiteten Bauarten
können aufgrund ihrer doppelten Regulierbarkeit in einem sehr breiten Teillastbereich
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 627

Abb. 7.29 Kaplanturbine mit radialem, verstellbarem Leitapparat [7.9]

(30 bis 100 % Leistung) mit vergleichsweise hohen Wirkungsgraden betrieben werden;
dies ist ein wesentlicher Vorteil dieser Turbinenbauart insbesondere bei einem Einsatz an
Standorten mit einem jahreszeitlich stark schwankenden Abfluss. Nachfolgend werden
wesentliche derartige Turbinen vertieft dargestellt.

Kaplanturbine Die Kaplanturbine und die auf ihr basierenden Turbinenbauarten wurden
im Prinzip von der Schiffsschraube (Abb. 7.29) abgeleitet. Vom Oberwasser strömt das
Wasser durch den nicht rotierenden Leitapparat in die eigentliche Turbine. Dieser Leitap-
parat ist mit verstellbaren Leitschaufeln ausgerüstet, die an die beispielsweise schwanken-
den Wasserdurchflüsse angepasst werden können. Je nach technischer Ausführung kann
dieser Leitapparat radial, diagonal oder auch axial angeströmt werden. In jedem Fall wird
in diesem Leitapparat die Wasserströmung stark verdrallt, bevor das Wasser in das da-
nach angeordnete Laufrad (d. h. die eigentliche Kaplanturbine) strömt. Dabei handelt es
sich immer um eine Axialturbine; jedoch sind sowohl vertikale und horizontale als auch
geneigte Achsenstellungen möglich.
628 M. Aufleger et al.

Abb. 7.30 Exemplari- 1,0


scher Wirkungsgradverlauf
(durchgezogene Linie)
einer Kaplanturbine in 0,8
Abhängigkeit von der Schluck-

Turbinenwirkungsgrad
zahl (gestrichelte Linie:
0,6
Wirkungsgradverlauf bei
gleichbleibender Laufschau-
felstellung)
0,4

0,2

0
0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5
Schluckzahl

Bei der Axialturbine kann auch die Beschaufelung des Laufrades verstellbar ausge-
führt werden; d. h. die Laufradschaufeln sind an der Turbinenwelle drehbar angebracht.
Man erzielt hierdurch sogenannte doppelt regulierbare Turbinen, durch die eine sehr gute
Anpassung an infolge eines stark variierenden Abflusses sehr unterschiedliche Beauf-
schlagungen bei einem gleichzeitig hohen Wirkungsgrad möglich ist.
Die Verstellbarkeit der Laufschaufeln ist bei der hohen Schnellläufigkeit  (Gleichung
(7.32)) der Kaplanturbinen eine zur Verbesserung des Teillastverhaltens notwendige Er-
gänzung der Leitradverstellung. Wird der Wirkungsgrad einer derartigen Turbine mit
festen Laufschaufeln über dem Volumenstrom oder über der Schluckzahl  (Gleichung
(7.34)) aufgetragen, zeigt sich, dass der Kurvenverlauf des Wirkungsgrades mit wach-
sender Schnellläufigkeit immer spitzer wird (Abb. 7.30); d. h. der Wirkungsgrad fällt
demnach von einem Maximum aus immer steiler nach beiden Seiten ab. Bei Kaplantur-
binen mit ihrer hohen Schnellläufigkeit  ist ein derartiger Verlauf besonders ausgeprägt;
das enge Maximum lässt sich aber aufweiten, indem die Laufschaufelstellung verstellbar
ausgeführt wird. Damit ergibt sich der Wirkungsgradverlauf der Kaplanturbine durch eine
Laufschaufelverstellung als die Umhüllende der in Abb. 7.30 gestrichelt dargestellten
Wirkungsgradkurven und erweist sich dann als besonders flach.
Ähnlich wie bei Volumenstromänderungen fällt der Wirkungsgrad auch bei Verände-
rungen der Fallhöhe von ihrem Auslegungswert ab. Auch hier wird durch die doppelte
Verstellmöglichkeit ein günstiger Wirkungsgradverlauf erreicht, der auch nötig ist, da sich
bei den kleinen Fallhöhen der Kaplanturbinen Gefälleschwankungen besonders stark aus-
wirken können; Änderungen von ˙ 20 % sind hier keine Seltenheit.
Der Gefälleanteil unterhalb des Laufrades ist bei Kaplanturbinen nicht verloren. In
der Austrittsebene des Saugrohres (SR), das als Diffusor ausgeführt ist (Abb. 7.29,
7.31 und 7.32), entsteht ein dem Höhenunterschied zwischen Saugrohraus- und -ein-
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 629

tritt (h2;SR  h1;SR ) gegenüber dem Unterwasser entsprechender Unterdruck. Da der


Saugrohrquerschnitt in Strömungsrichtung auf der Unterwasserseite zunimmt, wird der
Unterdruck am Turbinenaustritt (entspricht hier dem Saugrohreintritt) im Vergleich zum
Umgebungsdruck verstärkt. Dadurch kann ein Teil der am Laufradaustritt noch vorhande-
nen kinetischen Energie ausgenutzt und der Wirkungsgrad der Turbine verbessert werden.
Es gilt Gleichung (7.36), mit der der Druck am Turbinenaustritt pTat berechnet werden
kann. pU ist der Umgebungsdruck, WA die Dichte des Wassers, h die geodätische Höhe
am Turbinenaustritt bzw. am Saugrohranfang (h1;SR ) und am Saugrohraustritt (h2;SR ), vWa
die Strömungsgeschwindigkeit des Wassers am Turbinenaustritt bzw. am Saugrohranfang
(vWa;1;SR ) und am Saugrohraustritt (vWa;2;SR ) sowie pV der Verlustdruck.

Wa  2 
pT at D pU  Wa g .h1;SR  h2;SR /  vW a;1;SR  vW
2
a;2;SR C pV (7.36)
2

Propellerturbinen Propellerturbinen haben im Unterschied zu den „klassischen“ Ka-


planturbinen fest installierte (starre) Laufradschaufeln; sie sind somit im Vergleich dazu
schlechter an wechselnde Durchflüsse anzupassen, zeichnen sich dafür jedoch durch eine
einfachere und robustere Bauweise aus. Außerdem zeigen sie im Auslegungsdurchfluss ei-
nen relativ hohen Wirkungsgrad. Sie werden daher primär dann eingesetzt, wenn mehrere
Turbinensätze innerhalb einer (entsprechend großen) Wasserkraftanlage installiert wer-
den; dadurch kann jede einzelne Turbine jeweils möglichst beim Auslegungsdurchfluss
betrieben werden.

Rohrturbinen Rohrturbinen sind nahezu horizontal gelagerte Kaplanturbinen, bei denen


bereits das Leitrad axial angeströmt wird. Durch diese Anordnung können die hydrauli-
schen Verluste im Vergleich zu den „klassischen“ Kaplanturbinen weiter verringert wer-
den. Dabei sitzt hier der Generator in einer vom Wasser umströmten Stahlbirne, die direkt
vor der horizontal oder leicht geneigt eingebauten Turbine angeordnet ist; der Generator ist
deshalb nur über einen entsprechenden Einstiegsschacht zugänglich. Der grundsätzlicher
Aufbau einer solchen Rohrturbine zeigt Abb. 7.31; sie ähnelt der in Abb. 7.33 dargestellten

Einstiegs-
schacht
Generator-
gehäuse Laufrad mit beweg-
lichen Laufschaufeln
Unter-
wasser
Wasserzulauf
Generator

Saugrohr

Turbinenwelle
Generator-
Leitapparat mit beweg-
lagerung
lichen Leitschaufeln

Abb. 7.31 Rohrturbine [7.9]


630 M. Aufleger et al.

Turbine
Turbinen- Generator
schaufel Getriebe

Wasser-
zulauf
Turbinenwelle
Turbinen-
schaufel

Saug-
rohr

Abb. 7.32 S-Turbine [7.9]

Straflo-Turbine; die „Birne“ ist jedoch im Vergleich zur Straflo-Turbine deutlich größer,
da die Turbinenlagerung und der Generator dort untergebracht sind.

Kegelrad- und S-Turbinen Kegelradturbinen sind ähnlich aufgebaut wie Rohrturbinen.


In dem vom Triebwasser umströmten Gehäuse ist aber lediglich ein Kegelradgetriebe
vorhanden, über das die Drehbewegung der Turbinenwelle an die senkrecht zur Turbi-
nenachse stehende Achse des Generators weitergeleitet wird; er ist auf dem Gehäuse der
Turbine angebracht und damit frei zugänglich (d. h. er befindet sich nicht – wie bei der
Rohrturbine – im Strömungskanal); dies erleichtert eine entsprechende Wartung.
Bei S-Turbinen (Abb. 7.32) ist der Saugkanal direkt hinter der nahezu horizontal an-
geordneten Turbine durch einen S-Schlag stark nach unten gekrümmt. Die Turbinenwelle
kann hierdurch nach außen zum Generator geführt werden; dadurch ist dieser – ähnlich
wie bei der Kegelradturbine – u. a. für Wartungsarbeiten frei zugänglich.

Straflo-Turbinen Straflo-Turbinen – Straflo ist die Abkürzung von straight flow (engl.
direkter Fluss) – haben einen vergleichbaren mechanischen Systemaufbau wie Kaplan-
turbinen. Sie werden im Gegensatz zu diesen jedoch mit einem Außenkranzgenerator
betrieben; d. h. der Rotor des Generators sitzt auf einem Ring, der um die Laufradschau-
feln der Turbine angeordnet ist. Dieser Aufbau wird auch in Abb. 7.33 deutlich. In der
„Birne“ im Leitapparat befindet sich – im Unterschied zur Rohrturbine – dann nur noch die
Lagerung für die Turbine. Ein Nachteil dieser Bauart ist aber die aufwändige Abdichtung
zwischen dem Laufrad und dem Generator. Infolge ihres Aufbaus ist bei Straflo-Turbinen
ein sehr flacher Wirkungsgradverlauf realisierbar, der insgesamt auf einem vergleichswei-
se hohen Niveau liegt.

Francisturbinen Bei Francisturbinen handelt es sich um klassische Radialturbinen mit


Reaktion; d. h. das Laufrad wird mit einem starken Drall radial angeströmt. Das Fluid wird
beim weiteren Durchfluss durch das Laufrad weiter beschleunigt und zusätzlich zu einer
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 631

Oberwasser

Generator
Stator

Rechen

Leitapparat
Unter-
wasser

Generator Laufrad
Rotor Saugrohr

Abb. 7.33 Straflo-Turbine (nach [7.8])

axialen Abströmung umgelenkt. Dementsprechend wird das vorgelagerte, den schwan-


kenden Wassermengen anpassbare Leitrad in der Regel über einen Ringkanal oder über
eine Spirale radial angeströmt. Durch die Verstellung der Schaufelwinkel des Leitrades
wird die Leistung der Turbine einerseits durch eine Veränderung des Querschnitts und
andererseits durch eine Veränderung des Anströmwinkels auf das starre Laufrad geregelt.
Die Bauteile für die Leitschaufelverstellung liegen üblicherweise außerhalb des Tur-
binengehäuses. Typischerweise werden bei dieser Außensteuerung die aus Stahlguss be-
stehenden Leitschaufeln durch Hebel über einen Stellring gemeinsam verstellt; letzterer
wird beispielsweise über entsprechende Hydrauliksysteme dem aktuellen Durchfluss an-
gepasst (Abb. 7.34). Bei sehr großen Francisturbinen kann auch jede einzelne Leitschaufel
mit einem eigenen Stellantrieb ausgerüstet sein. Da sich bei einer Reaktionsturbine der
Druck im Laufrad ändert, muss dieses mittels Labyrinthen gegen das Gehäuse abgedichtet
werden; beispielsweise kann die Dichtung der Gehäusedurchführung der Turbinenwelle
durch Kohleringe realisiert werden. Im Gegensatz zur Kaplanturbine können bei der Fran-
cisturbine (Abb. 7.34) – aufgrund der komplexeren Geometrie – die Laufradschaufeln
nicht verstellt werden, d. h. diese Turbine hat immer starre Laufräder.
Francisturbinen werden über einen weiten Bereich der Schnellläufigkeit  (Gleichung
(7.32)) von etwa 0,12 bis 0,7 eingesetzt. Entsprechend vielgestaltig sind die Laufrad-
formen, die der Schnellläufigkeit angepasst werden; Abb. 7.34 zeigt eine Auswahl. Die
dort dargestellten Laufräder unterschiedlicher Schnellläufigkeit wurden zum besseren Ver-
gleich für eine einheitliche Fallhöhe und den gleichen Volumenstrom ausgelegt.
Bei einem drallfreien Austritt (vWa;2;u D 0) ergibt die Euler’sche Hauptgleichung die
Schaufelarbeit Y Sch nach Gleichung (7.37). vW a;1;u ist die absolute Strömungsgeschwin-
digkeit des Wassers in Umfangsrichtung am Laufradeintritt 1 und vu;1 die Umfangsge-
schwindigkeit der Schaufel.

YSch D vW a;1;u vu;1 (7.37)


632 M. Aufleger et al.

vWa,1
Ø D1
vu,1

vrel,1

σ = 0,184

Ø D1
vWa,1
vu,1

vrel,1

σ = 0,26

Ø D1
vWa,1
vu,1

vrel,1

σ = 0,355

Ø D1
vWa,1
vu,1
vrel,1

σ = 0,5

Ø D1
vWa,1
vu,1
vrel,1

σ = 0,7

Abb. 7.34 Ausgewählte Bauarten von Francisturbinen (nach [7.38])

Mit der Umfangsgeschwindigkeit der Schaufel vu;1 D  n D1 ( ist die Kreiszahl; n


ist die Drehzahl der Turbine; D1 ist der mittlere Durchmesser des Laufrades am Eintritt 1)
und der Schaufelarbeit Y Sch D
h g hnutz (
h ist der Wirkungsgrad der Gesamtanlage zwi-
schen Ober- und Unterwasser; g ist die Fallbeschleunigung; hnutz ist die nutzbare Fallhöhe)
errechnet sich die Drehzahl n der Turbine nach Gleichung (7.38).


h g hnutz
nD (7.38)
 D1 vW a;1;u
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 633

Daraus kann dann die Schnelllaufzahl  nach Gleichung (7.39) ermittelt werden. Dabei
ist qP Wa der Volumenstrom des Wassers Wa.
p p
4
2 g hnutz
h qPWa
D p (7.39)
 D1 vW a;1;u

Da der Wirkungsgrad nur schwach von der Schnellläufigkeit abhängt, und die nutzbare
Fallhöhe hnutz und der Volumenstrom qPWa im vorliegenden Vergleich als unverändert vor-
ausgesetzt wurden (hnutz D const., qPWa D const.), sind die einzigen Größen, mit denen die
Schnellläufigkeit  beeinflusst werden kann, der mittlere Durchmesser am Laufradeintritt
D1 und die Umfangskomponente der Eintrittsgeschwindigkeit vWa;1;u . Die Meridianschnit-
te und die zugehörigen Geschwindigkeitspläne (Abb. 7.34) zeigen, wie beide Größen
abnehmen, um größere Schnellläufigkeiten zu erreichen. Demnach sind die Laufschau-
feln bei kleiner Schnellläufigkeit  gegen die Drehrichtung durchgebogen, bei mittlerer
Schnellläufigkeit fast gerade und bei großer Schnellläufigkeit entgegengesetzt gekrümmt.
Die absolute Eintrittsgeschwindigkeit vrel;1 nimmt i. Allg. mit der Schnellläufigkeit ab;
d. h. ein immer kleinerer Anteil des Gesamtgefälles wird in den Leitschaufeln in kinetische
Energie umgesetzt und der kinematische Reaktionsgrad rk , der über den Energieumsatz,
beschrieben durch die spezifische Schaufelarbeit Y Sch , definiert wird, sinkt. Es gilt Glei-
chung (7.40).
ˇ 00 ˇ
ˇY ˇ 2
vu;1  vu;2
2
 vrel;1
2
C vrel;2
2
sch
rk D D (7.40)
.p 0 C p 00 / = 2 jYsch j

Im axialen Fall kann dieser Zusammenhang (Gleichung (7.40)) entsprechend Glei-


chung (7.41) vereinfacht werden; unter diesen Bedingungen hängt der kinematische Reak-
tionsgrad rk nur noch von der Differenz der Relativkomponente der Strömungsgeschwin-
digkeit und der spezifischen Schaufelarbeit Y Sch ab.

2
vrel;2  vrel;1
2
rk D (7.41)
2 jYSch j

Damit wächst auch die Relativgeschwindigkeit vrel in den Laufschaufelkanälen mit


steigender Schnelllaufzahl  . Mit ihr würden die Verluste durch Reibung an den Schaufeln
anwachsen, wenn diese nicht immer kürzer, die reibenden Flächen also kleiner, würden.
Mit steigender Schnelllaufzahl  verringert sich damit auch die Umfangskomponente der
Anströmung vWa;1;u .
Auch die in Abb. 7.34 nicht eingezeichnete Austrittsgeschwindigkeit variiert je nach
Reaktionsgrad rk leicht. Ziel ist eine drallfreie Abströmung (vWa;2;u D 0); es gilt zu-
dem, dass die Turbine in der Regel von außen nach innen durchströmt wird (vu;2 < vu;1 )
und sich die Relativgeschwindigkeit beim Durchgang durch die Beschaufelung erhöht
(vrel;1 vrel;2 ).
634 M. Aufleger et al.

Bei kleineren Schaufelflächen (d. h. Schnellläufer) wächst deren Belastung durch Un-
terdruckspitzen; dies erhöht die Kavitationsgefahr. Da gleichzeitig auch die Austrittsge-
schwindigkeit aus der Turbine ansteigt, wird die im Saugrohr umzusetzende kinetische
Energie erhöht. Die Saugrohre der Schnellläufer sind deshalb länger und ihre Querschnitte
nehmen stärker zu. Die Maschinen können daher nicht mit so großen Saughöhen betrieben
werden wie Langsamläufer, da ansonsten unzulässig niedrige Drücke am Laufradaustritt
auftreten würden und Kavitation die Folge wäre.
Da mit steigender Drehzahl die Abmessungen von Turbine und Generator – und damit
die Kosten – abnehmen, wählt man für einen bestimmten Anwendungsfall i. Allg. die
höchstmögliche Drehzahl und geht bis an die Kavitationsgrenze.
Zur Anwendung kommen damit – je nach Anwendungsfall – sowohl langsam als auch
schnell drehende Turbinenräder, sogenannte Langsam- und Schnellläufer. Da die an der
Welle abgegebene Leistung PTurbine vom Drehmoment M und von der Drehzahl n abhängt
(PTurbine D 2 M n), sind im Regelfall bei Francisturbinen hohe Drehzahlen des Laufrads
anzustreben. Sie erfordern lediglich kleine Drehmomente an der Turbinenachse und so-
mit kleinere Maschinenabmessungen; dadurch können die Turbinenkosten und ggf. die
Aufwendungen für andere Kraftwerkskomponenten reduziert werden.
Francisturbinen können normalerweise ab 40 % der maximalen Auslegungsleistung be-
trieben werden (Abb. 7.28). Bei Schnellläufern sind hohe Wirkungsgrade typischerweise
erst bei etwa 60 % des maximalen Auslegungsdurchflusses gegeben.
Da Francisturbinen bereits Mitte des 19. Jahrhunderts patentiert wurden (dies war für
die Kaplanturbine erst rund 60 Jahre später der Fall), finden sich insbesondere in alten
Laufwasserkraftwerken häufig auch Francisturbinen bei sehr niedrigen Fallhöhen (bis un-
ter 2 m); hier würden heute auf jeden Fall Kaplanturbinen eingesetzt werden. Trotzdem
werden beim Austausch derartiger Turbinen im Zuge einer Anlagensanierung in solchen
Fällen meistens auch wieder Francisturbinen eingebaut, um die Umbaukosten am Beton-
bau zu minimieren, da bei kleinen Maschinen und sehr niedrigen Fallhöhen die Turbine
ohne Spirale einfach in einem Schacht sitzt. Abb. 7.35 zeigt beispielhaft ein Laufwasser-
kraftwerk mit einer derartigen Francis-Schachtturbine. Die Verstellung des Leitapparats
erfolgt hier über eine drehbare Welle neben der Turbinenwelle, durch die der Leitapparat
geöffnet und geschlossen werden kann. Horizontalachsige Francisturbinen wurden früher
auch häufig mit zwei Läufern auf einer gemeinsamen Achse – und damit als sogenannte
Zwillingsturbinen – realisiert.
Bei größeren Maschinen und großen Fallhöhen erfolgt der Zulauf zum Leitapparat über
eine Spirale. Die eigentliche Turbine ist dann in der Regel horizontalachsig aufgebaut.
Abb. 7.36 zeigt ein entsprechendes Beispiel. Das Triebwasser wird hier dem Laufrad über
eine Einlaufspirale aus Stahl radial zugeführt und verlässt das Laufrad in axialer Richtung
durch den sich aufweitenden Saugkanal, der in den Unterwasserbereich abbiegt. Diese
Zulaufspirale wird auch in Abb. 7.37 deutlich.
Zusätzlich zeigt Abb. 7.37 exemplarisch das Schema einer Mitteldruckanlage mit einer
großen Francisturbine, bei der die Zulaufspirale in den Betonbau integriert ist. Deutlich
wird das Staubauwerk, der Zulauf zu der Turbine und der Einlaufkanal des Wassers in den
Leitapparat, der auch die Umlenkung des Triebwasserstroms in die Vertikale realisiert.
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 635

Generator

Verstell-
einrichtung
Rechen Leitapparat

Leit-
apparat Saugrohr

Francis-
turbine

Abb. 7.35 Kraftwerk mit einer Francis-Schachtturbine (nach [7.10])

Abb. 7.36 Kraftwerk mit einer Francis-Spiralturbine [7.35]

Danach durchströmt das Wasser in vertikaler Richtung den Laufapparat mit den starren
Laufschaufeln. Nach diesem Turbinendurchlauf wird das nun abgearbeitete Wasser nach
einer erneuten Umlenkung in die Horizontale durch das Saugrohr, das einer Maximierung
des Wirkungsgrades durch eine Reduzierung der Strömungsgeschwindigkeit dient, in das
Unterwasser abgleitet.
636 M. Aufleger et al.

Wartungskran
Ober- Staubau- Netz-
wasser werk anschluss

Einlauf

Generator Zulauf-
spirale

Unter-
wasser

Saugrohr

Turbine

Abb. 7.37 Mitteldruckanlage mit einer Francisturbine (nach [7.9])

Peltonturbinen Findet im Laufrad der Turbinen keine Beschleunigung des Fluids, son-
dern lediglich eine Umlenkung statt, wie es bei den Peltonturbinen der Fall ist, ändert sich
der anstehende Druck über dem Laufrad nicht. Man spricht deshalb von Gleichdruck-
bzw. von Impulsturbinen.
Anhand der Funktionsweise der Peltonturbine als weit verbreitete „klassische“ Gleich-
druckturbine wird nachfolgend zunächst das entsprechende Betriebsverhalten unter idea-
lisierten Bedingungen dargestellt. Bezeichnet hGeo den geodätischen Höhenunterschied
zwischen Ober- und Unterwasser sowie hR die Verlusthöhe infolge des Reibungsverlustes
in der Druckrohrleitung und hF den Freihang entsprechend Abb. 7.38, ergibt sich aus der
Bernoulli-Gleichung der Zusammenhang nach Gleichung (7.42).
2
vW a;1;t h
g hnutz D C g hF (7.42)
2
vWa;1;th ist die theoretische Strahlgeschwindigkeit. Sie berechnet sich nach Gleichung
(7.43). hnutz ist die nutzbare Fallhöhe (Kapitel 7.1), hF der Freihang und g die Fallbe-
schleunigung.
p
vW a;1;t h D 2 g .hnutz  hF / (7.43)

Die Rohrleitungsverluste sind der Turbine nicht anzulasten, so dass für die nutzbare
Fallhöhe hnutz der Freihang hF abzuziehen ist.
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 637

Abb. 7.38 Fallhöhen bei einer Oberwasser hR


Pelton-Turbine (zur Erklärung
der Formelziechen siehe Text)
Stau-
becken

hnutz

hGeo
Pelton-
turbine
Druck-
rohr-
leitung
hF
Unterwasser

Unter Beachtung des Düsenwirkungsgrades


0 ergibt sich die tatsächlich erreichbare
Strahlgeschwindigkeit nach Gleichung (7.44).
s  
hF
vW a;1 D
0 2 g hnutz 1 (7.44)
hnutz

Die Relativgeschwindigkeit am Laufradeintritt vrel;1 ergibt sich nach dem Geschwin-


digkeitsplan aus Gleichung (7.45).

vrel;1 D vW a;1  vu (7.45)

Da es sich bei der offenen Strömung im Becher um eine Gleichdruckturbine handelt,


findet in den Laufschaufeln keine Umsetzung von Druckenergie (d. h. keine Änderung
des Betrages der Relativgeschwindigkeit) statt. Die bei der Becherdurchströmung entste-
henden Reibungsverluste werden durch den Laufschaufelwirkungsgrad
00 beschrieben,
so dass auch die verlustbehaftete Relativgeschwindigkeit vrel;2 berechnet werden kann. Es
gilt Gleichung (7.46).

2
vrel;2 2
vrel;1 p p
D
00 I vrel;2 D
00 vrel;1 D
00 .vW a;1  vu / (7.46)
2 2

Das Drehmoment M ergibt sich mit r D r1 D r2 (r ist der mittlere Radius der
Laufschaufel) nach Gleichung (7.47). Außerdem ist aufgrund der Anströmung in Um-
fangsrichtung die Umfangskomponente der Anströmgeschwindigkeit gleich der Anström-
geschwindigkeit; es gilt vWa;1 D vWa;1;u . m
P D Wa qPWa ist der Massenstrom des Wassers.

P r .vW a;1  vW a;2;u /


M Dm (7.47)

Aus dem Geschwindigkeitsdreieck ergibt sich die Umfangskomponente der Ab-


strömgeschwindigkeit des Wassers mit leichter Ablenkung zum eintreffenden Strahl zu
638 M. Aufleger et al.

Abb. 7.39 Verlauf von


Drehmoment und hydrauli-
schem Wirkungsgrad über ηh

Wirkungsgrad ηh
der Laufzahl (zur Erklärung
der Formelzeichen siehe Text;
nach [7.38])

Laufzahl λ

vWa;2;u D vu Cvrel;2 cos ˇ2 . Damit kann das Moment M nach Gleichung (7.48) geschrieben
werden.

P r .vW a;1  vu  vrel;2 cos ˇ2 /


M Dm (7.48)

Werden diese unterschiedlichen Schreibweisen zusammengeführt, kann das Moment


M nach Gleichung (7.49) definiert werden.
p  p 
M Dm
Pr
0
F v  vu 1 
00 cos ˇ2 (7.49)

Der Freihangwirkungsgrad
F ist definiert als
F D .1  hF =hnutz ). Zusätzlich kann die
dimensionslose Laufzahl  als das Verhältnis der Umfangskomponente
p der Strömungsge-
schwindigkeit vu durch die Fallhöhengeschwindigkeit v (v D 2 g hnutz ) geschrieben
werden. Daraus folgt der Zusammenhang nach Gleichung (7.50).

M p  p 
D
0
F   1 
00 cos ˇ2 (7.50)
Pr
v m

Das Moment M ist damit linear von der Laufzahl  abhängig (Abb. 7.39). Sein Ma-
ximalwert bei  D 0, der als Anfahrmoment M A bezeichnet wird, erreicht in etwa das
Doppelte des Auslegungswertes. Das Moment verschwindet bei einer Laufzahl von  D
p 0


F  0;97. In diesem als Durchgang bezeichneten Betriebszustand ist vu D vW a;1
und vrel;1 D 0. Die Zurückweichgeschwindigkeit der Laufschaufel entspricht somit der
Strahlgeschwindigkeit, so dass keine Impulsänderung durch eine Umlenkung mehr auf-
tritt.
Nach der Euler’schen Hauptgleichung ergibt sich die Schaufelarbeit Y Sch nach Glei-
chung (7.51).

Ysch D vu .vW a;1  vW a;2;u / (7.51)


7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 639

Daraus kann die folgende Schreibweise für die spezifische Schaufelarbeit Y Sch abgelei-
tet werden (Gleichung (7.52)).
p  p 
Ysch D
0
F vu v  vu2 1 
00 cos ˇ2 (7.52)


0 ist der Düsenwirkungsgrad,
00 der Laufradwirkungsgrad,
F der Freihangwirkungs-
grad, vu die Umfangsgeschwindigkeit und v die Fallhöhengeschwindigkeit. ˇ2 ist der
Austrittswinkel aus dem Laufrad im Relativsystem (d. h. der Winkel der Abströmkante
des Laufrades). Daraus kann dann auch der Wirkungsgrad
h nach Gleichung (7.53) be-
rechnet werden.
Ysch 2Ysch p  p 

h D D 2 D2
0
F   2 1 
00 cos ˇ2 (7.53)
Y v

Neben den in
h berücksichtigten Verlusten treten zusätzlich weitere innere Verluste
auf. Hierzu zählen Ventilationsverluste und Zusatzverluste, die dadurch entstehen, dass
beim Durchgang durch den Strahl die Geschwindigkeiten nicht wie bisher unterstellt pa-
rallel verlaufen.
Da die Verluste vor allem von der Laufzahl  abhängen, ist die Abhängigkeit des
Wirkungsgrades bei einem Betrieb mit konstanter Drehzahl und Fallhöhe, aber einem
variablen Volumenstrom, relativ unverändert. Allerdings nehmen die Drosselverluste der
Düsennadel mit stärkerer Androsselung und die Zusatzverluste mit einem wachsenden
Strahldurchmesser zu. Dennoch hat die Peltonturbine ein gutes Teillastverhalten.

Klassische Bauformen Peltonturbinen bestehen aus einem mit becherartigen Umlenk-


schaufeln besetzten Laufrad. Das Wasser wird über eine oder mehrere Düsen als Freistrahl
senkrecht auf diese Becher geleitet. Als Stellglied zur Leistungsregelung der Maschine
dient eine in ihrer Längsrichtung verschiebbare Düsennadel, mit der die Düse zuneh-
mend geöffnet oder verschlossen werden kann. Form und Oberflächenglätte von Düse
und Nadel sollen eine reine Mengenverstellung ermöglichen. Dazu darf sich nur der Aus-
trittsquerschnitt ändern, ohne dass Energieverluste durch die Drosselung auftreten. In der
Konsequenz sind das Mundstück der Düse und die Nadelspitze stark durch Verschleiß
gefährdet. Sie bestehen deshalb aus einem hochfesten Werkstoff; häufig sind sie hartver-
chromt. Auch müssen diese Verschleißteile leicht auswechselbar sein.
Diese regelbaren Düsen dienen als Leitapparate, die den Hochgeschwindigkeitswas-
serstrahl auf die Beschaufelung richten (Abb. 7.40). Dazu wird in der oder den Düse(n)
die gesamte im Wasser enthaltene Druckenergie in Geschwindigkeitsenergie umgewan-
delt. Der dadurch entstandene Wasserstrahl wird in den Umlenkschaufeln des Laufrades
bei freier Oberfläche um nahezu 180ı umgelenkt. Durch den dabei stattfindenden Impuls-
austausch wird das Laufrad angetrieben. Dabei stellt sich im gesamten Strahlverlauf vom
Düsen- bis zum Schaufelaustritt der Umgebungsdruck im Strahl ein (d. h. Gleichdruck-
turbine). Außerdem werden durch eine symmetrische Form der Doppelbecheranordnung
Axialkräfte ausgeglichen.
640 M. Aufleger et al.

Becher der
Peltonturbine
bewegliche
Nadel

Düse
Wasserstrahl

abgearbeitetes
Wasser

Abb. 7.40 Peltonturbine (nach [7.38])

Das Wasser fließt nach der Energieabgabe an das Laufrad nahezu energiefrei nach
unten ab. Aus Effizienzgründen (d. h. Vermeidung von Rührverlusten) dürfen die Tur-
binenschaufeln nicht in das abfließende Wasser eintauchen. Dadurch reduziert sich die
nutzbare Druckhöhe in etwa um den Radius des Laufrades. Typischerweise sind diese
durch den sogenannten Freihang verursachten Verluste nicht sehr bedeutend, da Pelton-
turbinen üblicherweise für große Fallhöhen eingesetzt werden, von denen der Freihang
nur einen sehr geringen Bruchteil einnimmt.
Die Peltonturbine ist durch einen relativ flachen Wirkungsgradverlauf gekennzeichnet
(Abb. 7.28); sie ist deshalb gut für stark schwankende Zuflüsse geeignet, die zwischen
ca. 10 und 100 % des Ausbaudurchflusses variieren können.
Peltonturbinen können auch in Kleinwasserkraftwerken eingesetzt werden – dann je-
doch in niedrigeren Fallhöhenbereichen als bei großen Wasserkraftwerken (Abb. 7.41).
Fallhöhen ab 30 m können hier bereits ausreichen, um kleine Peltonturbinen anzutreiben.
Bei größeren Abflüssen und insbesondere größeren Fallhöhen kommen auch mehrdüsi-
ge Ausführungen zum Einsatz (Abb. 7.42). Dabei werden ein- oder zweidüsige, z. T. auch
dreidüsige Peltonturbinen meistens horizontalachsig ausgeführt, während Peltonturbinen
mit drei bis sechs Düsen im Regelfall vertikalachsig gebaut werden.
Bei einer liegenden Welle gibt es Ausführungen mit einem und mit zwei Laufrädern,
die dann beiderseits des Generators angeordnet sind. Je Laufrad können ein oder zwei
Düsen vorgesehen werden. Bei größeren Leistungen ist dabei i. Allg. eine vertikalachsige
Aufstellung vorzuziehen. Damit das aus den Laufschaufeln austretende Wasser in die-
sem Fall ohne Störung abfließen kann, lassen sich bis zu sechs Düsen über den Umfang
verteilen. Dabei werden generell mit der Anzahl der Düsen die Abmessungen und damit
die Kosten kleiner. Auch können bei der vertikalachsigen Anordnung die Düsen sym-
metrisch über den Umfang verteilt werden. Dadurch wird eine einseitige Lagerbelastung
vermieden, die bei nur einer Düse unvermeidlich ist. Schließlich ist bei vertikalachsiger
Aufstellung auch der Platzbedarf für die Maschine geringer; dadurch können ggf. die Kos-
ten für das gesamte Kraftwerk reduziert werden.
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 641

Generator verstellbare Druckwasser-


Nadel Düse zuführung

Turbinen-
welle
Turbinen-
laufrad

Unterwasser

Abb. 7.41 Kraftwerk mit einer eindüsigen Peltonturbine (nach [7.11])

Abb. 7.42 Vertikalachsige


Peltonturbine mit sechs Dü-
sen [7.9]

Sonderbauform: Turgoturbinen Turgoturbinen (Abb. 7.43) ähneln asymmetrischen Pel-


tonturbinen. Hier trifft der Freistrahl aus einer oder zwei Düsen schräg auf das entsprechend
geformte Laufrad, das keine symmetrischen Becher, sondern eine Beschaufelung aufweist.
Das Wasser durchströmt dabei das Laufrad und tritt an der Rückseite wieder aus; dies be-
wirkt zusätzlich einen Axialschub, der über ein entsprechendes Lager aufgenommen wer-
den muss. Allerdings wird hierdurch eine horizontale oder vertikale Installation leichter
642 M. Aufleger et al.

Abb. 7.43 Turgoturbine Laufradschaufeln

Einlassventil
Düse

Zulaufrohr

möglich. Dadurch wird die Größe des Wasserstrahls nicht – wie bei der Peltonturbine – limi-
tiert durch die Bechergröße abzüglich des abfließenden Wasserstroms. In der Konsequenz
können – wieder im Vergleich zur Peltonturbine – die Turbinenlaufräder kleiner und kom-
pakter konstruiert werden. Dafür ist aber die Konstruktion und Fertigung derartiger Turbi-
nenlaufräder technisch anspruchsvoller. Mit kleineren Turbinen, die zudem schneller lau-
fen, ist auch eine direkte Kopplung an einen entsprechenden Generator möglich.
Turgoturbinen werden bei Fallhöhen zwischen 50 und 300 m eingesetzt und decken
den Übergangsbereich zwischen Francis- und Peltonturbinen ab. Ähnlich wie Peltonturbi-
nen können sie in einem weiten Leistungsbereich mit einem relativ hohen Wirkungsgrad
betrieben werden. Im Vergleich zu Francisturbinen haben sie außerdem ein verbessertes
Teillastverhalten. In Europa findet man Turgoturbinen aber bisher eher selten.

Durchströmturbinen Bei der Durchströmturbine (auch nach ihren Erfindern als Ossber-
ger- oder Bánki-Turbine bezeichnet) durchströmt das vom Leitapparat zugeführte Wasser
die Laufradbeschaufelung zuerst von außen nach innen und nach Durchqueren des freien
Radinnern ein zweites Mal von innen nach außen (Abb. 7.44).
Diese Wasserströmung durch das zylinderförmige Laufrad hat einen selbstreinigenden
Effekt. Verunreinigungen, die beim Wassereinlauf in das Laufrad zwischen die Schau-
feln eindringen, werden nach einer halben Raddrehung durch die ausfließende Strömung
wieder herausgeschwemmt und vom durchlaufenden Wasser aus dem Laufradbereich ins
Unterwasser abgeleitet.
Ähnlich wie bei der Peltonturbine muss auch bei der Durchströmturbine vermieden
werden, dass das Laufrad durch das Unterwasser abgebremst wird. Dies reduziert auch bei
dieser Turbinenbauform die mögliche Druckhöhe um rund den Durchmesser des Laufra-
des.
Das Laufrad selbst ist walzenförmig ausgebildet (Abb. 7.45) und kann – bei hochwerti-
gen Maschinen – in Achsrichtung im Verhältnis zwei zu eins in zwei Kammern unterteilt
sein. Es eignet sich deshalb besonders gut für den Einsatz bei stark schwankenden Zuflüs-
sen. Es kann – je nach vorhandenem Triebwasser – durch Beaufschlagung der kleinen,
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 643

Abb. 7.44 Funktionsweise Wasserzulauf


einer Durchströmturbine
Laufrad mit meridionaler
Durchströmung
Zungendüse

Gehäuse

Freihang

Unterwasser

Abb. 7.45 Aufbau ei-


ner Durchströmturbine
(nach [7.12])

der großen oder beider Kammern problemlos und mit einem relativ hohen Wirkungsgrad
unter Teillast betrieben werden; d. h. es ergibt sich ein sehr flacher Verlauf des Turbi-
nenwirkungsgrads (Abb. 7.28). Allerdings sind die absoluten Wirkungsgrade aufgrund
des fehlenden Leitapparates insbesondere beim zweiten Durchfluss von innen nach außen
nicht so hoch wie bei den anderen Turbinenbauarten. Zudem können sehr kleine Fallhöhen
infolge der beschriebenen Restriktionen nicht vollständig genutzt werden.
Wegen der guten Anpassungsmöglichkeiten an stark schwankende Zuflüsse und der
einfachen und robusten – und damit preisgünstigen – Bauweise wird die Durchströmtur-
bine häufig bei Kleinwasserkraftanlagen eingebaut. Bei mittleren und kleinen Fallhöhen
ist dabei zur Verbesserung des Wirkungsgrades wiederum ein Saugrohr notwendig. Die-
ses dient sowohl zur Absicherung des Maschinenraums gegen Überflutungen als auch
zur Nutzung der nahezu gesamten Fallhöhe. Um einen breiten Anwendungsbereich zu
erzielen, muss die Wassersäule im Saugrohr steuerbar sein. Dies erfolgt über das zur
644 M. Aufleger et al.

Einstellung dienende Belüftungsventil, welches es ermöglicht, den Unterdruck im Tur-


binengehäuse zu beeinflussen. Damit können Turbinen oberhalb des Unterwasserspiegels
platziert und ohne Gefahr der Kavitationsentstehung genutzt werden. Die Konstruktion
einer Saugrohrleitung in Form einer Sammelleitung aus Stahl reduziert außerdem wesent-
lich die Kosten für den Unterbau bei niedrigen Fallhöhen.
Durchströmturbinen zeichnen sich durch eine langjährige, wartungsfreie Nutzung aus.
Sie erfordern keine teuren und komplizierten Ersatzteile und eventuelle Reparaturen kön-
nen meistens direkt am Einsatzort erfolgen. Ein weiterer Vorteil von Durchströmturbinen
ist auch ihre Verwendung in Gravitationssystemen für Trinkwasser – und das auch bei
sehr langen Rohrzuleitungen, wo sie im Verlauf des Betriebs keine Wasserstöße verursa-
chen und die Trinkwasserqualität nicht gefährden. Diese Turbinen werden in vereinfachter
Form auch in vielen Entwicklungsländern hergestellt und sind dort z. T. sehr verbreitet.

Wasserkraftschnecken Wasserkraftschnecken ähneln umgekehrt laufenden Schnecken-


pumpen; sie werden auch als archimedische Schrauben bezeichnet und seit der Antike
zum Heben von Wasser eingesetzt.
Bei der Verwendung als Wasserkraftmaschine treibt das Wasser die Schnecke an
(Abb. 7.46), die dann in einem eng anliegenden Trog mit 2 bis 80 min1 läuft. Über einen
Riementrieb oder ein Getriebe wird die Drehzahl für den angeschlossenen Generator
entsprechend erhöht.
Die hydraulische Maschine erreicht Wirkungsgrade von deutlich über 80 %; sie zeigt
auch ein gutes Teillastverhalten. Fallhöhen, die von weniger als 1 m bis zu mehr als 20 m
variieren können, sind mit derartigen Wasserkraftschnecken nutzbar. Die Abflüsse durch
die Schnecke erreichen derzeit maximal 15 m3 /s und Leistungen bis maximal 500 kW.
Wasserkraftschnecken erfordern einen vergleichsweise einfachen Betonbau; auch sind
sie leicht zu installieren und zu warten. Aufgrund dieser Eigenschaften bieten sie bei
kleinen Fallhöhen eine kostengünstige Alternative. Zusätzlich können Fische über die
Schnecke weitgehend schadlos absteigen.

Abb. 7.46 Einbausituation einer Wasserkraftschnecke [7.36]


7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 645

Wasserräder Da die Turbinen neben der erforderlichen Infrastruktur der Einlauf- und
Ablaufbauwerke die teuersten Anlagenteile bei einer kleinen Wasserkraftanlage darstel-
len, können hier nach wie vor auch die viel günstiger herzustellenden Wasserräder zum
Einsatz kommen. Sie eignen sich für Fallhöhen bis maximal rund 10 m; zu kleineren Fall-
höhen hin sind technisch gesehen praktisch keine Grenzen gesetzt. Die Abflüsse, die in
einem konventionellen einzelnen Rad abgearbeitet werden können, reichen bis maximal
ca. 2 m3 /s. Dabei werden unterschlächtige, mittelschlächtige und oberschlächtige Was-
serräder – entsprechend der vorhandenen Fallhöhe – eingesetzt (Abb. 7.47). Ober- bzw.
mittelschlächtige Wasserräder können Wirkungsgrade von 70 bis 80 % erreichen, während
die Wirkungsgrade der als Widerstandsläufer betriebenen unterschlächtigen Räder kaum
20 % erreichen.
Wasserräder laufen mit geringen Umdrehungsgeschwindigkeiten n von ca. 5 bis
8 min1 . Daher sind große Durchmesser erforderlich, um über das Drehmoment M eine
entsprechende Leistung an der Welle PTurbine zu erzielen (PTurbine D 2M n). Außerdem
sind typischerweise Getriebe oder Riementriebe erforderlich, um die für den Generator-
antrieb erforderlichen höheren Drehzahlen erreichen zu können.
Wasserräder wurden anfangs ausschließlich aus Holz gebaut. Bald setzten sich jedoch
Achsen, Radkränze und Speichen aus Stahl durch. Die Schaufeln selbst werden jedoch
auch heute noch oft aus Holz gefertigt.
Wasserräder sind üblicherweise beidseitig gelagert und sollten, falls die Gefahr starker
Eisbildung besteht, in einer geschlossenen Radstube untergebracht sein. Eine neuere Ent-
wicklung stellen einseitig gelagerte Wasserräder dar, die mit einem seriell hergestellten
Getriebe und einer Generatoreinheit gekoppelt sind. Von Vorteil ist, dass die komplet-
te Rad-Generator-Getriebe-Einheit vorgefertigt zur Einbaustelle angeliefert werden kann.
Bauseitig ist nur der Zulauf, das Radgerinne selbst und das Auflagerfundament herzu-
stellen. Die komplette Einheit wird dann eingesetzt und kann praktisch unmittelbar den
Betrieb aufnehmen.

Abb. 7.47 Typen von Wasser-


Oberwasser
rädern (oben links und rechts:
mittelschlächtige Wasserrä-
h
der (die nutzbare geodätische
Unterwasser h
Fallhöhe h entspricht etwa
dem Radius des Wasserrades);
unten links: oberschlächti-
ges Wasserrad (die nutzbare
geodätische Fallhöhe h ist
größer als der Radius des h
Wasserrades); unten rechts: un-
terschlächtiges Wasserrad (die h
kinetische Energie des Wassers
wird genutzt)); nach [7.3]
646 M. Aufleger et al.

Hydrokinetische Turbinen Hydrokinetische Turbinen sind Maschinen, die ohne Auf-


staubauwerk in einem fließenden Gewässer positioniert werden; dies kann beispielsweise
eine Flussströmung oder auch eine Gezeiten- oder andere Meeresströmung sein. Letztend-
lich bewirkt die Turbine lediglich einen leichten Aufstau im Zulauf und eine begrenzte
Absenkung des Wasserspiegels im Nachlauf. Derartige Turbinen entziehen dem Wasser
einen Teil der Geschwindigkeitsenergie und wandeln diese zunächst in mechanische Ener-
gie an der Turbinenwelle und diese dann weiter in elektrische Energie um.
Das physikalische Prinzip kann analog zu den Luftströmungen der Windturbine (Ka-
pitel 6.1) behandelt werden. Im Falle eines Windrades erfolgt eine drallfreie Anströmung
des Windes auf das Laufrad. Die Euler’sche Hauptgleichung, die auch in diesem Fall
erfüllt werden muss, fordert, dass die spezifische Schaufelarbeit dem Produkt aus der
Umfangskomponente der Windgeschwindigkeit nach dem Rotor und der Umgangsge-
schwindigkeit des Rotors entsprechen muss. Dann kann aber nur eine zur Umfangsrich-
tung entgegen strömende Verdrallung der Abströmung eine Arbeitsübertragung bewir-
ken. Die dadurch in der Abströmung zusätzlich enthaltene kinetische Energie senkt den
maximal erzielbaren Wirkungsgrad auf unter 59 % (Kapitel 6.1) ab. Da die Euler’sche
Theorie davon ausgeht, dass die Strömung in Kanälen geführt wird, dies aber bei den
wenigen Profilen, aus denen die Rotoren von Windkraftanlagen, aber auch von hydroki-
netischen Turbinen, bestehen, nicht gewährleistet ist, werden hydrokinetische Turbinen
analog zu Windrädern i. Allg. durch die Tragflügeltheorie (Kapitel 6.1) beschrieben, die
von der Wechselwirkung eines einzelnen Profils mit der Umströmung ausgeht. Auch hy-
drokinetische Turbinen haben eine geringe Anzahl an Schaufeln, so dass an sich keine
Strömungskanäle ausgebildet sind, welche die Strömung führen, sondern letztendlich ei-
ne Profilumströmung stattfindet.
Um den Wirkungsgrad anzuheben (d. h. um möglichst nahe an den theoretischen Wir-
kungsgrad zu kommen) werden die hydrokinetischen Turbinen ummantelt und in der
Abströmung mit einem Saugrohr versehen (Abb. 7.48). Ändert sich die Richtung des Flu-
ids nicht, ist auch keine Nachführung dieser Vorrichtung nötig. Die Ummantelung hilft,
die Blattspitzenverluste, die sich auf das äußere Drittel des Blattes negativ auswirken,
stark zu reduzieren. Hierzu ist ein enger Spalt zwischen Blattspitze und Mantel erfor-
derlich, der sich nur mit Blättern realisieren lässt, die nicht um ihre Längsachse drehbar
sind. Im Gegensatz zu den bisher behandelten Turbinen, die vor dem Laufrad immer eine

Abb. 7.48 Hydrokinetische


Nasenumströmung
Turbine

Generator

Rotor

Profil
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 647

Düse bzw. ein feststehendes Vorleitrad aufwiesen, ist in diesem Fall ein Vorleitrad nicht
besonders wirksam, da der Durchsatz durch diese Anordnung letztendlich vom Durch-
strömverlust abhängt und ein höherer Druckabbau zur Beschleunigung des Fluids in der
Vorleitreihe den Durchsatz verringert, da das Fluid vermehrt außen vorbeiströmen würde.
Auch die Auswirkungen des Saugrohres sind aus diesem Grund nicht so wirksam wie bei
den umschlossenen Wasserturbinen.
In Fließgewässern laufen derzeit einige wenige Anlagen, bei denen es sich um horizon-
talachsige, propellerartige Turbinen handelt, die in einem Mantelrohr laufen (Abb. 7.48).
Der drehzahlvariable Unterwassergenerator läuft hierbei auf derselben Achse wie das Tur-
binenlaufrad. Die gesamte Einheit ist über Stützen mit dem Mantelrohr verbunden. Die
Anlage ist entweder über Ketten, Seile und Schwimmkörper im Flussbett oder auf dem
Meeresboden befestigt oder wird vom Ufer aus fixiert.
Leistungsbestimmend sind die Strömungsgeschwindigkeit, die mit der dritten Potenz
in die Leistung eingeht (Kapitel 6.1), sowie die Laufradanströmfläche. Bisher sind aber
die technisch realisierbaren Leistungen derartiger Maschinen auf wenige kW pro Einheit
begrenzt. Dies liegt an der relativ geringen Energie, die sich aus der Fließgeschwindig-
keit allein gewinnen lässt. Die Flüsse, an denen diese Anlagen eingesetzt werden könnten,
führen aber zeitweise Hochwasser und Treibgut. Weiterhin sind Eisgang, Geschiebetrieb,
Konflikte mit Boots- und Badebetrieb usw. mit Einschränkungen der Nutzbarkeit solcher
Kraftwerke verbunden. Und letztendlich sind die Kosten für die Einbindung in das Strom-
netz sowie für gelegentliche Reparaturen und Wartungsarbeiten angesichts der insgesamt
geringen Stromausbeute ein weiteres Hindernis für den verstärkten Einsatz solcher Ma-
schinen. Es bleibt daher abzuwarten, ob und wieweit sich diese Technologien in der Praxis
und insbesondere in europäischen Flüssen einsetzen lassen.

7.2.3.2 Weitere Komponenten


Nachfolgend werden die energietechnischen Komponenten einer Wasserkraftanlage, die
neben der eigentlichen Turbine benötigt werden, diskutiert.

Wellenkupplung und Getriebe Turbine und Generator können direkt gekuppelt auf ei-
ner Achse sitzen. Alternativ dazu können sie über ein Getriebe, welches zusätzlich die
Drehzahl auf der Generatorseite erhöht, verbunden sein. Ob ein derartiges Getriebe not-
wendig ist oder nicht, ergibt sich aus der (konstant gehaltenen) Drehzahl der Turbine
und der Drehzahl des jeweils angeschlossenen Generators. Da der Generator elektrischen
Strom mit konstanter Frequenz (z. B. 50 oder 60 Hz) erzeugen muss, wenn er netzgekop-
pelt / netzparallel betrieben wird, ist seine tatsächliche (bei stabiler Frequenz konstante)
Drehzahl durch die Anzahl seiner Polpaare vorgegeben.
Große Generatoren können – schon allein aus Platzgründen – viele Polpaare haben;
dies bedingt entsprechend geringe Drehzahlen. Derartige vielpolige Generatoren wer-
den i. Allg. speziell für eine konkrete Wasserkraftanlage angefertigt und die Drehzahl der
Turbinen wird auf die entsprechende Generatordrehzahl abgestimmt. Unter diesen Bedin-
648 M. Aufleger et al.

gungen sind nur flexible Wellenkupplungen notwendig, mit denen die beiden Maschinen
in Störungs- und Wartungsfall sicher voneinander getrennt werden können.
Kleine Generatoren dagegen haben nur einen begrenzten Platzbedarf (d. h. geringe Pol-
paarzahl) und müssen daher entsprechend schneller drehen; hier kommen dann häufig
standardisierte, marktgängige Asynchrongeneratoren mit fest vorgegebener Drehzahl zum
Einsatz. Unter diesen Bedingungen ist ein Getriebe erforderlich, um die vergleichsweise
niedrige Turbinendrehzahl auf die erforderliche Generatorendrehzahl zu übersetzen, damit
ein Netzparallelbetrieb ermöglicht wird.
Heute werden Zahnradgetriebe bei größeren und Zahnrad- oder Riemenantriebe bei
kleinen Maschineneinheiten am häufigsten verwendet. Bei bestimmten Turbinentypen
kommen auch Planetengetriebe zum Einsatz. Hierbei liegen die Achsen beider Maschinen
auf einer Linie; sie haben jedoch unterschiedliche Drehzahlen.
Der Getriebewirkungsgrad je Getriebestufe bei Nennleistung liegt bei ca. 95 bis 98 %.
Er ist definiert als Quotient aus der Leistung an der Getriebeausgangswelle und der Leis-
tung an der Turbinenwelle.
Riementransmissionen haben sich bis ca. 50 kW elektrischer Leistung gut bewährt
und werden heute auch für deutlich größere Leistungen eingesetzt. Sie sind etwas preis-
günstiger als Getriebe; sie haben aber i. Allg. kürzere Standzeiten und einen höheren
Wartungsaufwand, können jedoch von mobilen Wartungseinheiten innerhalb kürzester
Zeit repariert oder ausgetauscht werden.

Generator Im Generator wird die mechanische Energie der Turbinen- bzw. Getriebewel-
le in elektrische Energie gewandelt. Dabei können Synchron- und Asynchrongeneratoren
zum Einsatz kommen (Funktionsbeschreibung vgl. Kapitel 6.2.1.2).

 Synchrongeneratoren werden typischerweise dann genutzt, wenn die Anlage im In-


selbetrieb gefahren wird und / oder die Leistung der Wasserkraftanlage für das Netz
bestimmend ist. Sie können die Netzspannung regeln und sind in der Lage, Blindstrom
zu liefern. Generatoren mit Leistungen über ca. 500 kW sind i. Allg. immer Synchron-
generatoren, da sie ihren Erregerstrom selbst liefern können.
 Asynchrongeneratoren können nur innerhalb eines Verbundnetzes betrieben werden,
aus dem sie ihren Erregerstrom beziehen. Sie sind einfacher aufgebaut als Synchron-
generatoren und haben etwas geringere Wirkungsgrade.

Insgesamt muss bei beiden Bauarten beachtet werden, dass bei einem Netzabwurf
Überdrehzahlen auftreten können, denen die Generatoren standhalten müssen.
Der Generatorwirkungsgrad ist definiert als die Leistung an der Generatorklemme be-
zogen auf die Leistung an der Getriebewelle. Die entsprechenden Generatorwirkungs-
grade der heute zur Anwendung kommenden Standardgeneratoren für kleine Wasser-
kraftanlagen liegen bei Nennleistung etwa zwischen 90 und 95 %; bei Großanlagen sind
Generatorwirkungsgrade zwischen 95 und 99 % möglich.
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 649

Transformator Ein Transformator (auch als Umspanner oder kurz Trafo bezeichnet) ist
ein elektrotechnisches Bauteil, das aus zwei oder mehr Spulen (Wicklungen) besteht, die
auf einem gemeinsamen Ferrit- bzw. Eisenkern angeordnet sind. Ein derartiger Transfor-
mator wandelt eine Eingangswechselspannung, die an einer der beiden Spulen angelegt
wird, in eine Wechselspannung auf der Ausgangsseite – und damit der anderen Spule –
um. Das Verhältnis von Eingangs- zu Ausgangsspannung entspricht dem Verhältnis der
Windungszahlen der beiden Spulen; d. h. aus einer (nahezu) beliebigen Eingangsspan-
nung kann durch ein entsprechendes Design der Wicklungszahlen eine (nahezu) beliebi-
ge Ausgangsspannung bereitgestellt werden. Transformatoren dienen typischerweise zur
Spannungswandlung in Energieversorgungsanlagen.
In Wasserkraftanlagen kommt ein Transformator dann zum Einsatz, wenn die Aus-
gangsspannung der Generatoren eines Wasserkraftwerks nicht mit der Spannung des Ver-
teil- oder Übertragungsnetzes übereinstimmt, in das eingespeist werden soll. Ein solches
Bauelement ist durch Wirkungsgrade von bis zu 99 % gekennzeichnet und ist standard-
mäßig am Markt verfügbar.

Regelungstechnik Je nach Betriebsweise der Wasserkraftanlage kommen verschiedene


Regelungsarten in Frage. Bei Inselbetrieb ist immer eine Frequenzregelung erforderlich.
Dabei hält ein Regler die Netzfrequenz am Einspeisepunkt – bei dann veränderlicher Last
– konstant. Eine gleichzeitige Regelung des Durchflusses oder des Oberwasserspiegels ist
dann nicht möglich.
Sehr einfache, kleine Anlagen im Inselbetrieb werden oft manuell durch Öffnen oder
Schließen eines Schiebers gesteuert. Um die Netzfrequenz dennoch stabil zu halten, ver-
teilt ein Lastregler die Leistung auf die Verbraucher und den sogenannten Ballast; letzterer
besteht aus einem Heizelement, welches entweder Wasser oder die Umgebungsluft er-
wärmt. Dieser Ballast nimmt alle überschüssige Leistung auf und wandelt sie in Wärme
um (d. h. diese Energie geht der Nutzung „verloren“). Dadurch werden Produktion und
Verbrauch zu jedem Zeitpunkt in Übereinstimmung gebracht und die Turbinen können
auch noch betrieben werden, wenn nur ein (sehr) kleiner Teil der aktuell bereitgestellten
Leistung von den angeschlossenen Verbrauchern benötigt wird. Solche Lösungen findet
man aber – aufgrund des dadurch deutlich geringeren Gesamt-Wirkungsgrades – aus-
schließlich bei (älteren) Inselanlagen.
Im Netzparallelbetrieb sind Wasserstands- oder Durchflussregelungen üblich. Dazu
wird der Leitapparat und / oder die Laufradschaufeln so weit geöffnet, dass der gewünsch-
te Oberwasserspiegel eingehalten oder der gewünschte Durchfluss durch die Turbinen
abgeführt wird. Dabei drehen die Turbinen und die jeweils angeschlossenen Generato-
ren immer mit konstanter Drehzahl entsprechend der Frequenz des Netzes, in das die
einspeisen.

7.2.3.3 Betriebsweisen
Wasserkraftanlagen werden in Deutschland und Europa fast ausnahmslos gekoppelt mit
dem Netz der öffentlichen Versorgung oder an das Netz der Deutschen Bahn AG bzw.
650 M. Aufleger et al.

an andere Industrienetze betrieben; d. h. sie laufen im Netzparallelbetrieb. Vereinzelte


Ausnahmen bilden Anlagen, die direkt Maschinen antreiben (d. h. Bereitstellung mecha-
nischer Energie) oder kleinere Industrie- und / oder Handwerksbetriebe (z. B. Sägewerke)
mit Strom versorgen; hier spricht man von einem Inselbetrieb.
Bei einem derartigen Inselbetrieb ist die Anlage nicht mit einem großen, überregiona-
len Stromnetz verbunden; d. h. die Wasserkraftanlage versorgt allein ein lokales Netz. Dies
stellt höhere Ansprüche an die Regelung zur Übereinstimmung zwischen der Nachfrage
nach und dem Angebot an elektrischer Energie. Das ist mit einer Wasserkraftanlage allein
nur dann erreichbar, wenn die Anlage einen so niedrigen Ausbaugrad hat, dass immer ge-
nügend Wasser zur Erzeugung der maximal nachgefragten Leistung vorhanden ist (d. h.
die in dem Inselnetz nachgefragte elektrische Leistung darf nicht größer werden als die
installierte Erzeugerleistung). Demzufolge muss unter diesen Bedingungen immer dann
Wasser ungenutzt abfließen, wenn nicht die maximale Leistung nachgefragt wird. Eine
derartige Betriebsweise ist normalerweise unwirtschaftlich und in Deutschland praktisch
nicht mehr zu finden.
Wie bei großen Wasserkraftanlagen können auch Kleinwasserkraftanlagen im Insel-
oder im Netzbetrieb laufen; sie benötigen dafür ebenfalls entsprechende Synchron- oder
Asynchrongeneratoren, die den erzeugten Drehstrom im Niederspannungsbereich in das
Netz einspeisen.
Kleinste Wasserkraftanlagen sind, sofern ein geeignetes Gewässer vorhanden ist, zur
Versorgung abgelegener Unterkünfte oder Almen gut geeignet. Dafür sind heute auch für
den Inselbetrieb komplett mit Spannungsregler und für die Erzeugung von Blindleistung
ausgerüstete Synchrongeneratoren erhältlich. Die Frequenz ist dabei von der Drehzahl
der Turbine abhängig und wird vor allem durch elektromechanische oder elektronische
Frequenzregler konstant gehalten.

7.2.4 Energiewandlungskette, Verluste und Leistungsplan

Energiewandlungskette Ein Wasserkraftwerk setzt sich aus den beschriebenen Kompo-


nenten zusammen. Im Zusammenspiel dieser Systemelemente bildet es eine Energiewand-
lungskette, die schematisch in Abb. 7.49 dargestellt ist.
Demnach wird die Lage- und Bewegungsenergie des Wassers vor dem Wehr zunächst
im Einlaufbauwerk und / oder der Druckrohrleitung in Druck- und Bewegungsenergie des
Triebwassers vor der Turbine umgewandelt. Das Wasser fließt dann durch die Turbine; hier
wird die Energie des Wassers in eine Drehbewegung und damit in mechanische Energie
des Laufrads bzw. der Turbinenwelle umgeformt. Diese Bewegungsenergie wird dann ggf.
in einem Getriebe auf eine andere Drehzahl transformiert und dem Generator zugeleitet;
alternativ dazu ist – je nach der Auslegung der Turbine – auch eine direkte Kopplung der
Turbinenwelle an den Generator möglich. Hier folgt die Umwandlung der mechanischen
Drehbewegung in elektrische Energie. Je nach Generatorauslegung bzw. Netzeinspeise-
spezifikationen kann anschließend eine zusätzliche elektrisch-elektrische Wandlung in
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 651

am Wehr anstehendes
Wandlung Wandlung Wandlung Wandlung Wandlung
potenzieller kinetischer mech. in mechani- elektr. in

Wasser
Energie in Energie in mech. scher in elektr.
kinetische & Druck- & Energie elektrische Energie
Druckenergie mech. Ener- (Getriebe) Energie (Trafo)
(Leitung) gie (Turbine) (optional) (Generator) (optional)

Netz
Bewegungs-/ Bewegungs-/ Mechanische Elektrische Energie
Lageenergie Druckenergie Energie an der im Generator bzw.
des Wassers des Wassers Turbinenwelle Netz

Abb. 7.49 Energiewandlungskette der Wasserkraftnutzung (mech. mechanische, elektr. elektrische;


nach [7.8])

einem Transformator (Trafo) notwendig sein, durch die eine Einspeisung der elektrischen
Energie beispielsweise in das Netz der öffentlichen Versorgung auf dem dort vorherr-
schenden Spannungsniveau erst ermöglicht wird.

Verluste Innerhalb dieser Energiewandlungskette treten zahlreiche technisch unvermeid-


bare Verluste auf; sie haben zur Folge, dass die am Anlagenausgang abnehmbare Energie
zwingend geringer ist als die zwischen Ober- und Unterwasser insgesamt theoretisch
verfügbare Energie. Abb. 7.50 zeigt die jeweiligen Verluste und deren durchschnittliche
Bandbreiten in den einzelnen Energiewandlungsstufen bzw. Bauteilen.

Abb. 7.50 Energiefluss in einer Laufwasserkraftanlage (nach [7.8])


652 M. Aufleger et al.

Demnach setzen sich die Verluste in der Anlage im Wesentlichen aus denen in der
Wassererfassung und den Rechen, in den Rohrleitungen und den Absperrorganen (soweit
vorhanden), in der oder den Turbinen, ggf. in dem oder den Getrieben und in dem oder
den Generatoren zusammen. Bei größeren Anlagen fallen ggf. noch die entsprechenden
Umwandlungsverluste in dem oder den Transformatoren an. Als weiterer Verlust kommt
die potenzielle Energie hinzu, die im über das Wehr geleiteten Wasser (z. B. in Hochwas-
serperioden) enthalten ist. Damit sind insbesondere die Energieverluste im hydraulischen
Teil sehr standort- und anlagenspezifisch. Eine allgemein gültige und übertragbare Anga-
be der Größenordnung dieser Verluste ist daher nicht möglich; günstigstenfalls liegen sie
aber nur bei wenigen Prozent.
Zusammengenommen sind unter Berücksichtigung sämtlicher Verluste in den verschie-
denen Systemkomponenten Gesamtwirkungsgrade im Volllastbereich von mehr als 80 %
mit moderner Technik – eine optimale Anlagenauslegung vorausgesetzt – heute problem-
los erreichbar; teilweise sind auch 90 % und mehr möglich. Unter dem Gesamtwirkungs-
grad ist dabei hier der Quotient aus der elektrischen Arbeit am Anlagenausgang und der
momentan verfügbaren hydraulischen Arbeit zwischen Ober- und Unterwasser abzüglich
des ggf. ungenutzt über das Wehr geleiteten Wassers zu verstehen. Da Wasserkraftanlagen
aber oft unter Teillast betrieben werden, liegen im Jahresdurchschnitt die entsprechenden
Nutzungsgrade i. Allg. niedriger; bei modernen und richtig ausgelegten Wasserkraftwer-
ken bewegen sie sich zwischen 70 und maximal 90 %; bei älteren Anlagen – und hier
insbesondere im kleineren Leistungsbereich – können sie mit 50 bis 70 % aber auch auf
einem deutlich niedrigeren Niveau liegen. Bezogen auf das gesamte Arbeitsvermögen des
Wassers sind die Nutzungsgrade wesentlich geringer, da ein Teil des ankommenden Was-
sers (u. a. Hochwasserabfluss) ungenutzt über das Wehr geleitet wird.

Betriebsverhalten und Leistungsplan Das systemtechnische Verhalten und damit das


Betriebsverhalten einer Laufwasserkraftanlage zur Bereitstellung elektrischer Energie im
Jahresverlauf hängt vom verfügbaren Wasserangebot und damit dem Abfluss sowie der
jeweils aktuellen Fallhöhe ab.
Der Abfluss eines Flusses schwankt in Abhängigkeit u. a. der Wetterlage und der Jah-
reszeit. Man spricht vom hydrologischen Regime, das die Höhe sowie die kurz- und län-
gerfristigen Schwankungen der jeweiligen Abflüsse beschreibt. Fließgewässer, die aus den
Alpen gespeist werden, haben beispielsweise die größten Abflüsse während der Schnee-
schmelze im Frühjahr und im Sommer und die niedrigsten Abflüsse aufgrund von Tem-
peraturen unterhalb des Gefrierpunktes während der kalten Wintermonate (Kapitel 2.5).
Eher kurzfristige Wetterereignisse, wie starke Regenfälle (z. B. Gewitterregen), verändern
die Abflüsse zusätzlich und verursachen entsprechende (kurzfristige) Schwankungen.
Die Fallhöhe ist zu einem gewissen Ausmaß ebenfalls vom Abfluss abhängig. Insbe-
sondere bei Flusskraftwerken mit niedrigen Fallhöhen von nur wenigen Metern können
sich die abflussabhängigen Unterwasserspiegellagen deutlich auf die Fallhöhen auswir-
ken. Generell gilt hier, dass je höher der Abfluss in einem bestimmten Fluss insgesamt ist,
umso niedriger ist i. Allg. die entsprechend nutzbare Fallhöhe.
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 653

Turbinendurchfluss, Leistung
elektrische

Abfluss, Fallhöhe,
gesamter Leistung
Abfluss

Turbinendurchfluss
bzw. nutzbarer Abfluss

nutzbare Fallhöhe

ar ar rz r il i ni li st er er er er
nu b ru Mä Ap Ma Ju Ju gu emb tob emb emb
Ja Fe Au p t O k v z
Se No De

Abb. 7.51 Schematischer Betriebsplan eines Laufwasserkraftwerks (im Februar, im März und
insbesondere im April übersteigt der gesamte Abfluss den nutzbaren Abfluss bzw. den Turbinen-
durchfluss (d. h. das ankommende Wasser übersteigt die Schluckwassermenge der Turbine(n)); in
den anderen Monaten entspricht der Abfluss gleich dem nutzbaren Abfluss und damit dem Turbi-
nendurchfluss (d. h. es wird kein Wasser ungenutzt über das Wehr abgeleitet)); nach [7.8]

Abb. 7.51 zeigt das Zusammenspiel dieser Größen einschließlich des entsprechen-
den Turbinendurchflusses im Jahresverlauf. Der Einfachheit halber sind hier jeweils nur
monatlich konstante Mittelwerte des Abflusses dargestellt. Demnach steigt bei dem darge-
stellten Beispiel die Fallhöhe in den Sommermonaten an, da bei dem dann typischerweise
sinkenden Abfluss – und damit dem von der Anlage nutzbaren Wasserangebot – der
Unterwasserspiegel zurückgeht. Aufgrund der Gegebenheiten am Wehr wird dabei der
Oberwasserspiegel durch eine entsprechende Anlagenregelung normalerweise konstant
gehalten. Entsprechend geht die Fallhöhe im Winter und Frühjahr zurück; hier nimmt der
Abfluss im dargestellten Beispiel zu, und damit steigt der Unterwasserspiegel geringfügig
an (d. h. Antikorreliertheit von nutzbarer Fallhöhe und Abfluss).
Der Turbinendurchfluss ist an das nutzbare Wasserangebot gekoppelt; er geht deshalb
im Sommer entsprechend dem sinkenden Abfluss zurück. Da die Turbine auf einen maxi-
malen Durchfluss (sogenannter Ausbauabfluss oder Schluckvermögen) ausgelegt werden
muss, kann auch bei einem über dem Ausbaudurchfluss liegenden Wasserangebot nur das
maximale Schluckvermögen bzw. die aus technischer Sicht größtmögliche Schluckwas-
sermenge verarbeitet bzw. energietechnisch genutzt werden. Das zusätzlich ankommende
Wasser (d. h. der deshalb nicht nutzbare Abfluss) muss dann ungenutzt über das Wehr ab-
geleitet werden; dies ist bei dem in Abb. 7.51 dargestellten Beispiel im Februar, im März
und insbesondere im April der Fall.
Die mechanische und damit letztlich die elektrische Leistung der Wasserkraftanlage
ist näherungsweise proportional zum Durchfluss (Gleichung (7.14)); deshalb geht sie in
dem in Abb. 7.51 dargestellten Beispiel in den Sommermonaten zurück, da die nutzbaren
Abflüsse hier jahreszeitlich bedingt absinken. Die Leistung eines Wasserkraftwerks hängt
aber auch von der nutzbaren Fallhöhe ab (Gleichung (7.14)); da diese sich jedoch in die-
654 M. Aufleger et al.

auslegung
Anlagen-
Ab fluss, Du rc hfluss, Leistung
Auslegungsfallhöhe Fallhöhendauerlinie

Auslegungsleistung

nutzbare Fallhöhe
Auslegungsabfluss

nutzbarer Abfluss

0 100 200 300 365


Zeit in Tagen

Abb. 7.52 Leistungsdiagramm eines kleineren Laufwasserkraftwerks mit nur einer installierten
Turbine (u. a. nach [7.6])

sem Beispiel, das typisch für viele Laufwasserkraftanlagen im deutschsprachigen Raum


ist, nicht so stark ändert wie der Durchfluss, ist dieser Einfluss deutlich geringer. Diese
Abhängigkeit der Leistung einer derartigen Anlage von der nutzbaren Fallhöhe ist jedoch
in dem gezeigten Beispiel für das leichte Absinken der elektrischen Leistung beispiels-
weise im April – trotz eines entsprechend hohen Wasserangebots – verantwortlich.
Diese Zusammenhänge können auch durch den Leistungsplan beschrieben werden, der
für ein typisches Laufwasserkraftwerk mit einer Turbine schematisch in Abb. 7.52 darge-
stellt ist. Demnach ist eine Laufwasserkraftanlage bei einer definierten Anlagenauslegung
durch einen bestimmten Abfluss bei einer entsprechenden Fallhöhe gekennzeichnet; dies
entspricht zusammengenommen einer gewissen maximalen anlagenspezifischen mechani-
schen bzw. elektrischen Leistung (Gleichung (7.14)). Ausgehend von diesen Auslegungs-
bedingungen verändern sich die genannten und die Leistung einer derartigen Wasserkraft-
anlage bestimmenden Größen mit fallendem und mit steigendem Abfluss.
Mit sinkendem Abfluss geht die Leistung zurück. Gleichzeitig steigt aber die entspre-
chende nutzbare Fallhöhe an, da – bei einem aus technischen Gründen typischerweise
konstant gehaltenen Oberwasserspiegel – aufgrund des geringeren Wasseraufkommens
der Unterwasserspiegel geringfügig absinkt. Wird das Wasserangebot beispielsweise in-
folge einer lang anhaltenden Trockenheit sehr gering, muss – da die Turbine aus tech-
nischen Gründen erst bei einem gewissen Mindestdurchfluss arbeiten kann – ab einem
bestimmten Punkt die Anlage vollständig abgeschaltet werden. Unter diesen Bedingun-
gen ist keine Stromerzeugung mehr gegeben; bei richtiger Turbinendimensionierung (ggf.
durch mehrere Turbinen) ist dies aber typischerweise – wenn überhaupt – nur an wenigen
Tagen im Jahr der Fall; dieser Fall ist deswegen in Abb. 7.52 nicht dargestellt.
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 655

Abb. 7.53 Leistungsdiagramm


nicht nutzbarer Abfluss
eines größeren Laufwasser-
kraftwerks mit drei Turbinen Anlagenauslegung
(Schluckwassermenge)
(u. a. nach [7.6])
Oberwasserspiegel

Fallhöhendauerlinie

Turbinenwirkungsgrad

Leistungsdauerlinie

Abflussdauerlinie
für das Regeljahr

Unterwasserspiegel
0 365
Zeit in Tagen

3 Turbinen 2 Turbinen in Betrieb 1 Turbine


in Betrieb in Betrieb

Bei bezogen auf den Auslegungsdurchfluss zunehmendem Abfluss nimmt die Strom-
erzeugung ebenfalls ab. Die installierte Turbine kann kein größeres Wasseraufkommen
als das jeweilige Schluckvermögen bei Auslegungsbedingungen (d. h. maximaler Wasser-
durchfluss durch die Turbine) verarbeiten. Da aber zusätzlich bei zunehmendem Wasser-
durchfluss der Unterschied zwischen dem Ober- und Unterwasserspiegel abnimmt (Anti-
korreliertheit; d. h. Oberwasserspiegel bleibt konstant, Unterwasserspiegel steigt an) und
damit die nutzbare Fallhöhe insgesamt leicht absinkt, geht die Leistung der Anlage ent-
sprechend zurück, da nach Gleichung (7.14) die Leistung einer Anlage primär proportio-
nal zum Durchfluss und zur Fallhöhe ist (und der Durchfluss unter diesen Bedingungen
konstant ist). Das zusätzlich ankommende Wasser muss über das Wehr abgeleitet werden
und ist damit energetisch nicht mehr nutzbar. Im Extremfall ist sogar keine Stromerzeu-
gung mehr möglich, da der Höhenunterschied zwischen Ober- und Unterwasser zu gering
wird und deshalb kein wirtschaftlicher Betrieb der Turbine mehr realisiert werden kann;
dies wird auch in Abb. 7.52 deutlich. Dies ist normalerweise dann gegeben, wenn das
Wehr bei Hochwasserereignissen geöffnet werden muss.
Ist in einem Laufwasserkraftwerk mehr als eine Turbine installiert, kann sich die Anla-
ge durch Zu- und Abschalten einzelner Turbinen besser an den sich verändernden Abfluss
anpassen und insgesamt das vorhandene Wasserdargebot typischerweise effizienter nut-
zen. Abb. 7.53 zeigt exemplarisch den Leistungsplan einer Laufwasserkraftanlage mit drei
Turbinen. Er folgt ebenfalls im Wesentlichen den bereits beschriebenen Grundsätzen und
Zusammenhängen. Deutlich wird aber auch, dass durch das intelligente Zu- bzw. Abschal-
ten der einzelnen Turbinen ein im Vergleich zu nur einer installierten Turbine ein in der
Summe höherer Gesamtwirkungsgrad erreicht werden kann; dafür ist aber der anlagen-
technische Aufwand infolge der Installation von drei Turbinen entsprechend höher.
656 M. Aufleger et al.

7.3 Ökonomische und ökologische Analyse

Anne Rödl, Lucas Sens und Martin Kaltschmitt

Wasserkraftanlagen tragen bereits seit über 150 Jahren zur Deckung der Energienachfrage
nicht nur in Deutschland bei; lange Zeit war die Wasserkraft eine wesentliche Energie-
quelle für die zunehmende Industrialisierung. Welche Kosten derzeit damit verbunden
sind und wie die entsprechenden Umweltauswirkungen nach heutigen Kenntnisstand zu
bewerten sind, wird nachfolgend analysiert. Zuvor werden jedoch ausgewählte Anlagen
definiert, für die diese ökonomischen und ökologischen Analysen durchgeführt werden.
Dabei ist zu beachten, dass es sich bei Laufwasserkraftwerken – im Gegensatz z. B. zu
Windkraftkonvertern oder Photovoltaikanlagen – um Kraftwerke handelt, die erheblich
von den jeweiligen Gegebenheiten und Bedingungen an einem potenziellen Anlagenstand-
ort bestimmt werden. Damit können die Materialeinsätze (z. B. aufgrund unterschiedlicher
Bauaufwendungen) – und damit auch die Kosten – bei an unterschiedlichen Orten instal-
lierten Laufwasserkraftanlagen mit gleicher Leistung z. T. stark voneinander abweichen.
Übertragbare Aussagen sind deshalb hier nur begrenzt möglich.

7.3.1 Referenzanlagen

Wasserkraftanlagen sind durch eine Vielzahl möglicher Ausführungsformen gekennzeich-


net. Deshalb können hier nur ausgewählte Referenzanlagen untersucht werden, die als
Beispiele möglicher Anlagenkonfigurationen anzusehen sind und durch die jeweiligen
spezifischen örtlichen Gegebenheiten bestimmt werden. Dies gilt insbesondere für die
baulichen Anlagenkomponenten (d. h. Wasserfassung, Triebwasserzuleitung, Krafthaus),
die bei unterschiedlichen Wasserkraftanlagen z. T. stark voneinander abweichen.
Als für Mitteleuropa typische Referenzanlagen werden hier vier Wasserkraftanlagen
näher betrachtet; sie sind in Tabelle 7.2 dargestellt. Demnach wird zwischen zwei Klein-

Tabelle 7.2 Technische Kenngrößen der untersuchten Referenzsysteme


Referenzanlage I II III IV
Nennleistung in MW 0,11 0,26 10 100
Kraftwerkstyp Niederdruck Niederdruck Niederdruck Niederdruck
Turbinenbauart Kaplan Kaplan-Rohr Kaplan-Rohr Kaplan
Fallhöhe in m 4 3,20 4 7
Ausbauwassermenge in m3 /s 3,6 12 220 1 500
Volllaststunden in h/a 5 000 2 885 3 900 6 000
Jahresarbeit (brutto) in GWh/a 0,55 0,75 39 600
Eigenbedarf in % 1 1 1 1
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 657

wasserkraftanlagen mit einer installierten elektrischen Leistung von 110 bzw. 260 kW und
zwei größeren Anlagen mit 10 bzw. 100 MW Leistung unterschieden.

 Kraftwerk I: 110 kW Niederdruckanlage. Das Stauwehr dieses Laufwasserkraftwerks


ist 32 m breit und in zwei Wehrfelder mit angebrachten Stauklappen unterteilt.
Die Fallhöhe beträgt 4 m. Die Bereitstellung der elektrischen Energie aus der des
strömenden Wassers erfolgt mit Hilfe einer doppeltregulierten Kaplanturbine mit
einem Laufraddurchmesser von 1 000 mm, die durch einen unterirdischen Kanal
angeströmt wird. Neben dem eigentlichen Stauwehr ist aus ökologischen Gründen
eine Fischtreppe eingerichtet. Die bereitgestellte elektrische Energie wird in das
220/380 V-Niederspannungsnetz eingespeist.
 Kraftwerk II: 260 kW Niederdruckanlage. Dieses Laufwasserkraftwerk besteht aus ei-
nem 2,8 m hohen und 58 m breiten Wehrbauwerk; es ist in ein linkes und ein rechtes
Wehrfeld unterteilt. Neben dem Wehr befindet sich der Einlauf, welcher das abgeleitete
Wasser in die Kaplanturbine leitet. Vor der Turbine befindet sich ein Spülschutz, der
als Feinrechen ausgeführt ist und die Turbine sicher vor Treibgut schützt. Am äuße-
ren Rand des Wehrs, neben dem Wassereinlauf in die Wasserzuführung zur Turbine,
befindet sich der Fischaufstieg. Die bereitgestellte elektrische Energie wird über einen
Transformator in das am Kraftwerk vorbeiführende 10 kV-Mittelspannungsnetz einge-
speist.
 Kraftwerk III: 10 MW Niederdruckanlage. Die Anlage befindet sich an einem Fluss,
der durch ein Wehr, welches in fünf je 30 m breite Wehrfelder unterteilt ist, aufge-
staut und reguliert wird. Die dadurch an dem Kraftwerksstandort realisierbare Fallhöhe
entspricht an der Staustufe im Mittel 4 m. Das 42 m breite Einlaufbauwerk befindet
sich rechtwinklig zum Strom und führt das Oberwasser durch einen hinter dem Grob-
und Feinrechen gelegenen, unterirdischen Triebwasserkanal parallel zum Ufer auf die
zwei im Maschinenhaus installierten 5 MW Kaplan-Rohrturbinen. Zum Fischschutz
ist ein Bypass-System eingerichtet. Über einen Transformator wird die bereitgestell-
te elektrische Energie in das am Kraftwerk vorbeiführende 25 kV-Mittelspannungsnetz
eingespeist.
 Kraftwerk IV: 100 MW Niederdruckanlage. Das Stauwehr dieser Anlage besteht aus
vier einzelnen 24,5 m breiten und 7 m hohen Wehrfeldern, die mit Stauklappen in
Fischbauchausführung bestückt sind. Die Generatoren der Turbinen befinden sich
direkt vor den Turbinen und werden vom einströmenden Wasser umströmt. Der je-
weils produzierte Strom wird über einen Transformator in das am Standort verfügbare
130 kV-Hochspannungsnetz eingespeist.

Die Volllaststunden der untersuchten Anlagen orientieren sich dabei an für Mitteleuro-
pa typischen Größenordnungen. Die technische Lebensdauer der baulichen Anlagenteile
wird mit 80 Jahren und die der maschinentechnischen Anlagenteile mit 40 Jahren unter-
stellt. Zur Deckung des Eigenbedarfs der Wasserkraftanlagen werden 1 % der erzeugten
elektrischen Energie benötigt.
658 M. Aufleger et al.

7.3.2 Ökonomische Analyse

Zur Abschätzung der mit der Wasserkraftnutzung verbundenen Aufwendungen werden


zunächst die variablen und fixen Aufwendungen von Wasserkraftanlagen analysiert. Da-
raus errechnen sich die spezifischen Stromgestehungskosten. Dies wird nachfolgend für
die definierten Referenzanlagen diskutiert.
Aufgrund der Abhängigkeit der Systemtechnik von den jeweiligen spezifischen Ein-
flussgrößen bzw. Gegebenheiten vor Ort (u. a. Fallhöhe, Durchfluss, Speicherbewirtschaf-
tung) sind deutliche Unterschiede in der Auslegung und damit in der Kostenstruktur der
Anlagen möglich. Bei den dargestellten Kosten kann es sich daher nur um Größenord-
nungen bzw. Anhaltswerte handeln, die im konkreten Einzelfall auch deutlich höher oder
niedriger ausfallen können.

Investitionen Die investiven Anlagenkosten setzen sich im Wesentlichen aus den Auf-
wendungen für die baulichen Anlagen (u. a. Krafthaus, Wehr, Wasserfassung, Wehrver-
schluss), für die maschinenbaulichen Komponenten (u. a. Absperrorgane, Turbinen), für
die elektrotechnischen Einrichtungen (u. a. Generator, Transformator, Steuerung, Energie-
ableitung) und den sonstigen Nebenkosten (u. a. Grunderwerb, Planung, Genehmigung)
zusammen.
Diese Kosten sind in einem sehr hohen Maße standortabhängig; pauschale und all-
gemeingültige Richtsätze lassen sich deshalb kaum festlegen. In vielen Fällen machen
jedoch die Baukosten rund 50 bis 60 % der Gesamtaufwendungen aus. Der Maschinen-
bau (d. h. Turbinen, Getriebe, Regler) nimmt bei größeren Anlagen rund 20 bis 25 %
und bei Kleinwasserkraftwerken bis zu 30 % der gesamten anfallenden Investitionskos-
ten ein. Für die elektrotechnischen Einrichtungen sind rund 5 bis 10 % aufzubringen.
Der verbleibende Rest sind sonstige Kosten (u. a. Planungskosten, Baunebenkosten, Ge-
meinkosten). Davon unabhängig können die Kosten für die heute verstärkt geforderten
ökologischen Ausgleichsmaßnahmen bei 10 bis 20 % der Anlagenkosten liegen. Insbeson-
dere bei Flusskraftwerken mit einem entsprechend großen Rückstaubereich können diese
Aufwendungen (z. B. durch eine sich an ökologischen Kriterien orientierenden Stauraum-
gestaltung sowie durch Fischtreppen) die Gesamtinvestitionen deutlich erhöhen.
Die aufgezeigte große Bandbreite der Investitionen ist überwiegend eine direkte Folge
der hohen Standortabhängigkeit. Neben der Nennleistung sind die Kosten für Laufwas-
serkraftwerke aber auch stark von der Fallhöhe an einem potenziellen Standort abhängig;
beispielsweise erfordern Anlagen mit gleicher Nennleistung mit zunehmender Fallhöhe
bei ansonsten gleichen Bedingungen in der Regel geringere spezifische Investitionen.
Im Allgemeinen kann davon ausgegangen werden, dass eine zunehmende Anlagengrö-
ße zu sinkenden spezifischen Investitionen führt. Typische Anhaltswerte für die spezifi-
schen Investitionen für große Wasserkraftwerke (> 10 MW) liegen zwischen 5 000 und
7 000 C/kW installierter elektrischer Leistung.
Im Unterschied zum Zubau neuer Anlagen liegen die Kosten einer Revitalisierung von
Altanlagen bzw. einer Modernisierung erheblich niedriger. Für die Revitalisierung von
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 659

Tabelle 7.3 Investitionen und Betriebskosten sowie Stromgestehungskosten der untersuchten Was-
serkraftanlagen
Referenzanlage I II III IV
Nennleistung in MW 0,11 0,26 10 100
Jahresertrag (netto) in GWh/a 0,54 0,75 39 594
Investitionen
baul. Komponenten in Mio. C 1,459 2,053 38,92 433,26
elektr. Anlagen etc.a in Mio. C 0,751 1,058 20,05 223,20
Summe in Mio. C 2,210 3,111 58,97 656,46
Annuitätb in Mio. C/a 0,068 0,096 1,812 20,176
Betriebskostenc in Mio. C/a 0,028 0,020 0,996 3,805
Stromgestehungskosten in C/kWh 0,175 0,155 0,073 0,040
a
elektrische Anlagen und Maschinen sowie Kosten für Planung etc.; b bei einem Zinssatz von 2 %
und einer Abschreibung über die technische Anlagenlebensdauer (bauliche Komponenten 80 Jah-
re, elektrische Anlagen und Maschinen 40 Jahre); c u. a. Betrieb, Wartung; baul. bauliche; elektr.
elektrische.

Anlagen zwischen 1 und 10 MW werden Kosten von etwa 1 500 bis 1 800 C/kW und für
eine Anlagenmodernisierung zwischen rund 1 000 und 1 200 C/kW genannt. Die Revi-
talisierungskosten sind in einem hohen Maß davon abhängig, welche Anlagenteile noch
vorhanden und nutzbar sind; sie können deshalb auch noch innerhalb einer größeren Band-
breite schwanken.

Betriebskosten Bei optimal ausgelegten und wartungsarmen Wasserkraftanlagen sind


die Betriebskosten i. Allg. sehr niedrig. Variable Kosten fallen u. a. für Personal, Schmier-
mittel und Verschleißteile, allgemeine Instandhaltung, Verwaltung, Rechengutentsorgung
und Versicherungen an. Die einzelnen Kostenanteile sind je nach den lokalen Gegeben-
heiten von Anlage zu Anlage sehr verschieden.
Insgesamt liegen die jährlichen Betriebskosten näherungsweise bei rund 1 bis 2 % der
Gesamtinvestitionen. Sie sind bei Klein- und Kleinstwasserkraftanlagen tendenziell spe-
zifisch höher als bei Großanlagen. Für die betrachteten Referenzanlagen (Tabelle 7.2)
errechnen sich danach jährliche Betriebskosten zwischen 20 000 C und rund 3,8 Mio. C
(Tabelle 7.3).

Stromgestehungskosten Aus den Gesamtinvestitionen ergeben sich die über die Ab-
schreibungsdauer einer Wasserkraftanlage konstanten jahresmittleren realen Kosten (d. h.
die Annuität). Dabei wird eine technische Lebensdauer der baulichen Anlagen von 80 Jah-
ren und der maschinellen und elektrischen Anlagenteile von 40 Jahren unterstellt (Tabel-
le 7.3). In Anlehnung an die bisherige Vorgehensweise wird von einem Zinssatz von 2 %
ausgegangen (Kapitel 1.3 und 1.4). Ausgehend davon können die resultierenden Strom-
gestehungskosten für derzeit neu zu errichtende Wasserkraftwerke unter Berücksichti-
gung der Annuität und den jährlich anfallenden Betriebskosten sowie dem zu erwartenden
660 M. Aufleger et al.

Stromertrag errechnet werden. Für die untersuchten Referenzanlagen liegen diese Geste-
hungskosten für die elektrische Energie zwischen 0,040 und 0,175 C/kWh (Tabelle 7.3).
Beispielsweise ergeben sich bei der exemplarisch betrachteten Wasserkraftanlage mit
einer installierten elektrischen Leistung von 110 kW (Kraftwerk I) (Tabelle 7.2) spezifi-
sche Stromgestehungskosten von rund 0,175 C/kWh (Tabelle 7.3); geringere Gestehungs-
kosten sind – aufgrund der hohen Anlageninvestitionen – nur bei höheren Volllaststunden
oder bei geringeren Betriebskosten (z. B. keine monetäre Bewertung des Anlagenbetriebs
beispielsweise bei einem privaten Betreiber) zu erzielen. Demgegenüber entstehen bei
der hier untersuchten Kleinwasserkraftanlage mit 260 kW Nennleistung (Kraftwerk II) für
die bereitgestellte elektrische Energie Kosten von rund 0,155 C/kWh; diese Kleinwasser-
kraftanlage ist durch relativ geringe Betriebskosten gekennzeichnet, da unterstellt wird,
dass sie von einer als gemeinnützig anerkannten Gemeinschaft betrieben wird (demge-
genüber werden bei den anderen Anlagen die Betriebskosten rein kommerziell wirtschaf-
tender Betreiber unterstellt [7.33]). Die beispielhaft betrachtete größere Anlage mit einer
installierten elektrischen Leistung von 10 MW (Kraftwerk III) zeigt, dass die Stromgeste-
hungskosten von Anlagen mit zunehmender Anlagenleistung i. Allg. zurückgehen; diese
Anlage ist durch spezifische Stromgestehungskosten von 0,073 C/kWh gekennzeichnet.
Die niedrigsten spezifischen Stromgestehungskosten sind in der größten der hier unter-
suchten Anlagen (d. h. Kraftwerk IV mit einer installierten Leistung von 100 MW) zu
verzeichnen. Durch die hohe Auslastung im Jahresverlauf und die damit verbundene hohe
Stromproduktion ergeben sich trotz der insgesamt sehr hohen Investitionen vergleichswei-
se geringe spezifische Stromgestehungskosten von rund 0,04 C/kWh (Tabelle 7.3).
Die spezifischen Stromgestehungskosten sind meist dann niedriger, wenn bereits vor-
handene Anlagen reaktiviert oder lediglich modernisiert werden können. Trotz der großen
Standortabhängigkeit dürften unter solchen Bedingungen die Stromgestehungskosten –
bei jedoch einer sehr großen Abhängigkeit u. a. von der Anlagengröße, dem Zustand vor
der Maßnahme und den umzusetzenden Umbauten – zwischen 0,03 und 0,08 C/kWh lie-
gen; die untere Grenze dieser Bandbreite bestimmen dabei typischerweise wiederum die
Anlagen im größeren Leistungsbereich und die obere Grenze die Klein- und Kleinstwas-
serkraftanlagen. Müssen nur die Maschinensätze im Rahmen einer Generalüberholung
erneuert werden, sind noch niedrigere Gestehungskosten möglich; sie dürften in Abhän-
gigkeit der jeweiligen Gegebenheiten vor Ort zwischen rund 0,025 C/kWh bei Anlagen im
Megawattbereich und etwa 0,05 bis 0,08 C/kWh bei Klein- und Kleinstwasserkraftwerken
im Bereich weniger 10 bis einiger 100 kW liegen.
Die Stromgestehungskosten werden von einer Vielzahl unterschiedlichster Einflussgrö-
ßen bestimmt. Um deren Einfluss zu veranschaulichen, sind in Abb. 7.54 die wesentlichen
Parameter am Beispiel eines neu zu bauenden Laufwasserkraftwerks mit einer instal-
lierten Leistung von 10 MW (Kraftwerk III; Tabelle 7.2 und 7.3) variiert. Dabei zeigt
sich, dass die Volllaststunden und damit der Jahresenergieertrag den größten Einfluss auf
die spezifischen Stromgestehungskosten ausüben. Dadurch führt z. B. bei einem Auslei-
tungskraftwerk die z. T. gesetzlich geforderte Erhöhung der Restwassermenge zu einer
wesentlichen Steigerung der Stromgestehungskosten und kann damit auf einen Ausbau
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 661

Mittlere Abschreibungsdauer (53,12 a = 100 %)


0,14
Investitionen (59 Mio. € = 100 %)
Stromgestehungskostenin€/kWh

Zinssatz (2 % Zinsen = 100 %)


Betriebskosten (996 k€/a = 100 %)
0,12
Volllaststunden (3 900 h/a = 100 %)

0,10

0,08

0,06

0,04
50 60 70 80 90 100 110 120 130 140 150

Parametervariation in %

Abb. 7.54 Parametervariation wesentlicher Einflussgrößen auf die spezifischen Stromgestehungs-


kosten der in Tabelle 7.2 definierten Referenzanlage „Kraftwerk III“ (10 MW; die Abschreibungs-
dauer von 53,12 Jahren entspricht dem gewichteten Mittel aller Anlagenkomponenten)

prohibitiv wirken. Neben den jährlichen Energieerträgen haben auch die gesamten In-
vestitionen einen deutlichen Einfluss auf die Stromkosten. Nehmen beispielsweise die
Gesamtinvestitionen um 20 % zu, steigen die spezifischen Stromgestehungskosten, bei-
spielsweise bei dem hier untersuchten Kraftwerk III, von 0,073 auf 0,082 C/kWh und
damit um rund 13 % an. Demgegenüber beeinflussen die Betriebskosten die spezifischen
Stromgestehungskosten kaum. Auch die Abschreibungsdauer hat nur vergleichsweise ge-
ringe Auswirkungen auf die spezifischen Kosten der bereitgestellten elektrischen Energie.

7.3.3 Ökologische Analyse

Neben den technischen und ökonomischen Gegebenheiten sind für eine Technik zur Ener-
giebereitstellung zunehmend auch andere Kriterien – und hier insbesondere ökologische
(und soziale) Aspekte – bestimmend. Aufbauend auf den in Kapitel 7.3.1 getroffenen
Definitionen werden daher im Folgenden die Ökobilanzen – und damit ausgewählte Um-
welteffekte im Lebensweg – einer wassertechnischen Stromerzeugung für die definierten
Anlagen (Tabelle 7.2) einschließlich aller vorgelagerten Prozesse dargestellt. Zusätzlich
werden weitere, eher lokale Umwelteffekte der Wasserkraft diskutiert.

7.3.3.1 Lebenszyklusanalyse
Nachfolgend werden für die betrachteten Wasserkraftanlagen (Tabelle 7.2) die Energie-
und Emissionsbilanzen bestimmt [7.34]. Die Ökobilanzierung wird dabei ausschließlich
662 M. Aufleger et al.

Tabelle 7.4 Energie- und Emissionsbilanzen einer Stromerzeugung aus Wasserkraft für die in Ta-
belle 7.2 definierten Referenzanlagen
Referenzanlage I II III IV
Nennleistung in MW 0,11 0,26 10 100
Energie in GJprim /GWha 123 157 44 43
SO2 in kg/GWh 17 21 10 9
NOx in kg/GWh 36 43 19 17
CO2 -Äquivalente in t/GWh 9,0 11,6 3,6 2,8
SO2 -Äquivalente in kg/GWh 43 53 24 21
a
primärenergetisch bewerteter kumulierter fossiler Energieaufwand (Verbrauch erschöpflicher
Energieträger).

für eine alleinige Stromerzeugung aus Wasserkraft durchgeführt. Dabei ist immer zu be-
achten, dass aufgrund der Vielzahl unterschiedlichster Ausführungsformen von Wasser-
kraftanlagen sowie der für jede Anlage spezifischen Randbedingungen – infolge der doch
deutlichen Ortsabhängigkeit, durch die Wasserkraftanlagen gekennzeichnet sind – die dar-
gestellten Bilanzergebnisse nur als mögliche (realistische) Größenordnungen der tatsäch-
lichen Gegebenheiten angesehen werden können. Im Einzelfall können die Ergebnisse von
den hier diskutierten Werten z. T. erheblich abweichen.
Tabelle 7.4 zeigt für die in Tabelle 7.2 definierten Anlagen die Energie- und Emis-
sionsbilanzen einer Stromerzeugung aus Wasserkraft einschließlich aller vorgelagerten
Prozesse. Aus der Vielzahl von möglicherweise freigesetzten Stoffen werden in Anleh-
nung an die bisherige Vorgehensweise neben der Energie nur die toxikologisch relevanten
Luftschadstoffe SO2 und NOx sowie zusätzlich unter Klimaaspekten die CO2 -Äquiva-
lent-Emissionen und unter dem Aspekt „Versauerung von Böden und Gewässern“ bzw.
„Versauerung terrestrischer Ökosysteme“ die SO2 -Äquivalent-Emissionen betrachtet (Ta-
belle 7.4).
Sowohl der spezifische fossile Energieaufwand als auch die betrachteten spezifischen
Emissionen werden dabei von der Anlagengröße und von der Bauweise (u. a. Ausleitungs-
oder Flusskraftwerk) des jeweils untersuchten Laufwasserkraftwerks beeinflusst. Generell
sinken diese Kenngrößen bei Anlagen ähnlicher Bauweise mit zunehmender installier-
ter Leistung aufgrund des mit zunehmender Größe geringeren spezifischen Material- und
Energieeinsatzes für Bau, Betrieb und Abriss. Auch nehmen die fossilen Energieaufwen-
dungen bzw. Emissionen bei Anlagen ähnlicher Leistung mit einem zunehmenden Druck-
niveau und damit einer steigenden Fallhöhe i. Allg. ab. Große Durchflüsse bei kleinen
Fallhöhen bedingen groß dimensionierte Turbinen bzw. Wehranlagen und deshalb große
Kraftwerksbauten mit einem entsprechend hohen Material- (vor allem Beton und Stahl)
und damit Energieeinsatz. Mit zunehmender Fallhöhe ergeben sich für Laufwasserkraft-
werke gleicher Leistung kleinere Durchflüsse und folglich kleinere Kraftwerksbauten. Die
Aufwendungen für die Druckrohrleitungen zur Triebwasserzuführung sind dabei i. Allg.
wesentlich geringer als die Aufwendungen für den Bau einer Niederdruckanlage ähnlicher
Leistung.
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 663

12000

CO2-Äquivalent-Emissionen in kg/GWh
10000

8000

Abriss
6000 Betrieb

Bau
4000

2000

0
i II III IV
Referenzanlage

Abb. 7.55 Aufteilung der CO2 -Äquivalent-Emissionen einer Stromerzeugung aus Wasserkraft auf
Bau, Betrieb und Abriss der in Tabelle 7.2 definierten Referenzanlagen

Bei allen betrachteten Laufwasserkraftanlagen stammt ein Großteil der mit der Bereit-
stellung von elektrischer Energie aus Wasserkraft verbundenen Verbräuche erschöpflicher
Energieträger bzw. freigesetzter Schadstoffemissionen aus der Herstellung der Anlagen-
komponenten. Betrieb sowie Abriss und Entsorgung zeigen hingegen einen vergleichs-
weise geringen Beitrag. Abb. 7.55 zeigt dazu exemplarisch die Verteilung der CO2 -Äqui-
valent-Emissionen auf Bau, Betrieb und Abriss der in Tabelle 7.4 dargestellten Bilanzer-
gebnisse.
Zwischen knapp 64 und 76 % der CO2 -Äquivalent-Emissionen entfallen demnach auf
den Bau der Anlagen und weitere ungefähr 13 bis 25 % der Treibhausgasemissionen auf
den Betrieb (u. a. Wartung und Instandhaltung, Entsorgung von Rechengut). Die restlichen
rund 10 % der CO2 -Äquivalent-Emissionen entstehen durch den Abriss und die Entsor-
gung der Kraftwerkskomponenten.
Die Verteilung der CO2 -Äquivalent-Emissionen auf den Bau der einzelnen Anlagen-
komponenten eines Wasserkraftwerkes sowie auf Betrieb und Abriss ist in Abb. 7.56
anhand der Bilanzergebnisse der Referenzanlage II (260 kW) detaillierter dargestellt.
Der Bau des Referenzkraftwerks II setzt sich dabei aus den Aufwendungen für das
Stauwehr einschließlich der Stauklappen, der Schütze und Verschlüsse, der Verkabelung
sowie den maschinentechnischen Anlagenteilen (u. a. Turbinen, Generatoren und Trans-
formatoren) und den sonstigen elektrischen Komponenten zusammen. Zusätzlich zeigt
Abb. 7.56 die Anteile an den gesamten CO2 -Äquivalent-Emissionen, die durch den Ver-
brauch von Diesel in Baumaschinen sowie für elektrische Energie beim Bau dieses Was-
serkraftwerks freigesetzt werden. Demnach tragen im Wesentlichen die baulichen Maß-
nahmen (vor allem für die Erstellung des Rückstaubereichs und der Baugrube, den Bau
des Krafthauses und der Wehranlage) zu den hier untersuchten Stofffreisetzungen bei.
664 M. Aufleger et al.

Generatoren
1,7%
Elektrische
Komponenten
0,7%

Bau- und
Transportenergie
4,7%
Stauwehr inkl.
Stauklappen
Kabel
65,9%
16,1%

Schütze und
Verschlüsse
0,6%

Transformatoren
1,3% Turbinenanlage
8,9%

Abb. 7.56 Aufteilung der CO2 -Äquivalent-Emissionen einer Stromerzeugung aus Wasserkraft
durch das Referenzkraftwerk II

Auch die weiteren betrachteten Emissionen sowie der Verbrauch erschöpflicher Ener-
gieträger zeigen Tendenzen, wie sie in Abb. 7.55 und 7.56 dargestellt sind.

7.3.3.2 Weitere Umwelteffekte


Neben den im Kapitel 7.3.3.1 diskutierten Schadstofffreisetzungen und Verbräuchen er-
schöpflicher Energieträger können u. a. die nachfolgend diskutierten lokalen Umweltef-
fekte beim Bau, im Normalbetrieb und im Störfall sowie bei Betriebsende von Wasser-
kraftanlagen auftreten.
Mit der im Jahr 2000 auf EU-Ebene erlassenen Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) mit
dem Ziel, bis 2015 den „guten Zustand“ in allen Gewässern wiederherzustellen, ergibt
sich zwangsläufig ein Konfliktpotenzial hinsichtlich der bestehenden Gewässernutzungen;
dies gilt natürlich vor allem für die Wasserkraftnutzung, die z. T. mit erheblichen Um-
welteffekten vor Ort verbunden sein kann. Deshalb muss hier eine Ausgleich gefunden
werden, der sowohl den Belangen der Energiewirtschaft – mit dem übergeordneten Ziel
des Klimaschutzes – als auch die Erreichung der in der Wasserrahmenrichtlinie festge-
legten Umweltziele ermöglicht und damit eine nachhaltige Bewirtschaftung der Gewässer
sicherstellt [7.14].

Herstellung Wasserkraftanlagen sind – ähnlich wie Windkraftanlagen – z. T. Produkte


des „klassischen“ Maschinenbaus bzw. der Elektrotechnik. Damit können z. B. bei der
Herstellung von Turbinen oder Generatoren eine Vielzahl möglicher Umweltwirkungen
bezüglich Boden, Wasser und Luft auftreten, die für diese Sektoren des produzierenden
Gewerbes typisch sind. Auf Grund der schon sehr weitgehenden gesetzlich verankerten
Umweltschutzvorgaben bewegen sich die entsprechenden Umwelteffekte jedoch i. Allg.
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 665

auf einem vergleichsweise geringen Niveau bzw. sind sehr weitgehend geregelt. Auch
das Störfallpotenzial bei der Herstellung ist i. Allg. – von einigen wenigen Ausnahmen
(z. B. Stahlverhüttung) abgesehen – relativ gering und bei Einhaltung der entsprechenden
administrativen Vorgaben i. Allg. lokal begrenzt.
Hinzu kommen die Umwelteffekte, die mit dem Bau der Wasserkraftanlagen – und hier
insbesondere von Speicherwasserkraftanlagen – am potenziellen Anlagenstandort verbun-
den sind. Hierunter sind u. a. folgende mögliche Umweltwirkungen im Zusammenhang
mit dem Neubau, der Reaktivierung und der Modernisierung von Wasserkraftanlagen
während der Bauphase zu nennen [7.13].

 Gewässerverschmutzungen durch Wegspülen von Material, Verschmutzungen durch


Erdarbeiten, unsachgemäßes Reinigen von Baumaschinen etc.
 Ölverluste durch falsche Handhabung bei Inbetriebsetzungs- und Montagearbeiten.
 Ölauslauf u. a. bei Hydrauliksystemen z. B. bei Montagearbeiten.

Diese Umweltbelastungen lassen sich durch entsprechende betriebliche Abläufe und


Einhaltung der gültigen Sicherheits- bzw. Umweltschutzvorschriften – und damit des ak-
tuellen Standes der Technik – vermeiden bzw. minimieren.
Hinzu kommt ein entsprechendes Störfallpotenzial – auch mit überregionalen Umwelt-
auswirkungen – insbesondere beim Bau von Speicherwasserkraftwerken (z. B. Damm,
Staumauer) oder größeren Flusskraftwerken (z. B. im Hochwasserfall). Werden die ein-
schlägigen Vorschriften jedoch eingehalten, sind keine signifikanten Umwelteffekte zu
erwarten.

Normalbetrieb Während des Betriebs von Wasserkraftanlagen kommt es mit Ausnahme


möglicher Schmiermittelverluste zu keinen direkten Freisetzungen an potenziell toxischen
Stoffen. Durch den Einsatz von biologisch abbaubaren Schmierstoffen bzw. bei Klein-
wasserkraftanlagen auch durch schmierstofffreie Maschinensätze können die sich daraus
ergebenden Umwelteinwirkungen gering gehalten bzw. ausgeschlossen werden.
Zusätzlich kann es durch eine Wasserkraftnutzung zu einer möglichen Befriedigung
von weiteren Nutzungsinteressen (vor allem bei Speicherkraftwerken) kommen (z. B.
Wassersport, Fischerei, Bewässerung, Hochwasserschutz, Trinkwasserspeicherung). Die-
se können ggf. auch ökologische Vorteile mit sich bringen, wie z. B. die Beeinflussung
des Grundwasserspiegels, die Schaffung aquatischer Lebensräume, die Anreicherung des
Gewässers mit Sauerstoff durch den Turbinenbetrieb und / oder die Beseitigung von Unrat
im Schwemmgut durch Rechenanlagen.
Darüber hinaus kann es zu weiteren Umweltwirkungen der Wasserkraftnutzung kom-
men. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um die nachfolgend beschriebenen Problem-
bereiche (u. a. [7.13, 7.14, 7.15, 7.16, 7.17]).

Stauhaltungen Bei Fluss- und bei Ausleitungskraftwerken wird aufgrund der Wehranla-
gen auch ohne Speicherung ein Aufstau erzeugt, der sich auf die Lebensbedingungen in
666 M. Aufleger et al.

den betroffenen Flussabschnitten und angrenzenden Naturräumen auswirkt. So kommt es


z. B. in den Staubereichen zu einer deutlichen Verlangsamung der Fließgeschwindigkeit
und damit zu einer Verminderung der Schleppkraft des Gewässers. Dies führt zu einer ver-
stärkten Sedimentation feinkörniger mineralischer Schwebstoffe (z. B. Schluff, Ton). Bis
dahin vorhandene Grobstrukturen des Flussbettes (wie Kolke, Furten und Stillwasserbe-
reiche), die gleichzeitig Habitate für Fische und Kleinlebewesen darstellen, werden davon
überdeckt. Den Organismen, die innerhalb solcher Kieslücken in der Sohle leben, wird
dadurch ihr Lebens- und Rückzugsraum genommen; speziell hier laufen aber in Fließge-
wässern mittlerer und hoher Lagen die weitaus meisten biologischen Vorgänge ab. Das
führt zum Verlust der Vielfalt der Standortbedingungen mit wichtigen Teillebensräumen.
Insbesondere sogenannte Kieslaicher (z. B. Äschen, Forellen) finden hier kaum mehr gut
geeignete Lebensbedingungen.
Weitere Auswirkungen des Aufstaus sind eine Erhöhung der Wassertemperatur und
damit ein Rückgang des Sauerstoffgehalts in tiefen Stauräumen. Darüber hinaus bedeu-
tet jeder Staubereich eine Unterbrechung des Fließkontinuums; d. h. er stellt für die vielen
aus vielfältigen Gründen wandernden Fließgewässerorganismen eine schwer oder nicht zu
überwindende Barriere dar, da sie im strömungsarmen Stauraum nicht die erforderlichen
Lebensbedingungen vorfinden. Dadurch kommt es zu einer Veränderung der bestehenden
fließgewässertypischen Artengemeinschaften; dies kann z. B. durch das veränderte Nah-
rungsangebot für Räuber zu einer starken Verschiebung der Artenzusammensetzung füh-
ren, die auch Säuger, Vögel und Amphibien einschließt. Im Extremfall, insbesondere unter
eher tropischen Bedingungen, können auch Faulgase aufgrund des anaeroben Abbaus von
organischen Ablagerungen entstehen (d. h. anaerobe Fermentation der organischen Sedi-
mente und Umwandlung zu Biogas; der Methananteil im Biogas, das typischerweise an
die Atmosphäre abgegeben wird, ist klimaschädlich).
Weiterhin kann es durch die bevorzugte Anlagerung von Schadstoffen (insbesonde-
re Schwermetalle) an diese Feinfraktion zu einer verstärkten Schadstoffanreicherung im
Staubereich kommen. Neben den sich daraus ergebenden ökotoxikologischen Gefahren
ergeben sich Probleme bei der Entsorgung von Baggerschlämmen aus dem Staubereich.
Da alle Speicher und Stauräume aufgrund der abgesetzten Sedimente und Schwebstoffe
Verlandungstendenzen zeigen, müssen sie hin und wieder gespült werden, um das Stau-
raumvolumen zu erhalten. Dabei können innerhalb sehr kurzer Zeiträume große Mengen
an vorwiegend feinkörnigem Sedimentmaterial freigesetzt werden. In der Vergangenheit
kam es dabei immer wieder zu einer starken Beeinträchtigung der Ökosysteme im Gewäs-
serunterlauf. Durch eine Spülung während der Hochwasserperiode mit einer sich lang-
sam verändernden Wasserführung, einem genügend hohen Sauerstoffgehalt im Wasser,
einer Schweb- und Schadstoffkonzentration ohne Schädigungswirkung sowie einer Ab-
stimmung des Spülzeitpunkts auf das Entwicklungsstadium der Fischfauna können diese
Auswirkungen jedoch minimiert werden.
Neben der feinkörnigen Matrix wird im Staubereich auch das grobkörnige Geschiebe
zurückgehalten. Auf Grund des dadurch unterhalb der Wehranlage fehlenden Sohlma-
terials kann es dort zur Sohlerosion und damit zu einer Eintiefung des Flussbetts kom-
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 667

men. Das hat eine Spiegelabsenkung des mit dem Fließgewässer in Verbindung stehenden
Grundwasserkörpers zur Folge, was z. B. zur Trockenlegung von Auenwäldern und zur
Veränderung der Auenvegetation führen kann. Neben dem Rückhalt von Geschiebe und
Feinsedimenten führt der Aufstau auch zu einer Unterbrechung des Totholztransports.
Das dadurch verursachte Totholzdefizit in den Fließgewässern unterhalb einer derartigen
künstlichen Barriere trägt zusätzlich zur Strukturarmut des Lebensraumes bei.
Zusätzlich wirkt sich die Erhöhung des Wasserspiegels im Staubereich im Zusammen-
hang mit der geringeren Fließgeschwindigkeit negativ auf die Variabilität der Uferstruktur
wie Prall- und Gleitufer aus; dadurch geht die Vielfalt der natürlichen Standortbedingun-
gen mit wichtigen Teillebensräumen für viele Fischarten verloren. Auch führt die Regelung
der Staubereiche auf konstante Wasser- und Grundwasserspiegel zum Verschwinden der für
Auegebiete typischen Pionierstandorte, Wasserwechselzonen sowie Auegewässer. Verän-
derungen in der Artenzusammensetzung und der Vegetationszonierung sind die Folge.
Besonders gravierend sind die Auswirkungen bei einer Hintereinanderschaltung meh-
rerer Kraftwerke (d. h. Kraftwerkskette). Dann verliert eine längere Flussstrecke ihre
Fließgewässercharakteristik; die Stauwurzel der einen Wehranlage reicht oft bis zum
nächsten flussabwärts gelegenen Kraftwerk. Dies ist u. a. an einigen Voralpenflüssen
(z. B. Lech) der Fall.
Werden Staubereiche naturnah gestaltet, können sich dort zwar wertvolle neue pflanz-
liche und tierische Lebensgemeinschaften einstellen. Diese sind jedoch keine typischen
Fließgewässerbiotope mehr; vielmehr stellen sich den Stillgewässern ähnliche Lebensge-
meinschaften ein [7.15].

Barrierenwirkung von Querbauwerken Eine Vielzahl von im Wasser lebenden Tieren


wandert flussauf- oder -abwärts; dies können Laichwanderungen von Fischen, Wande-
rungen von Kleintieren und Fischen in Abschnitte, die z. B. nach Hochwässern kaum
besiedelt sind, oder Wanderungen auf der Suche nach einem besseren Nahrungsangebot
sein. Bei Fischen spricht man von Kurz-, Mittel- und Langdistanzwanderern. Stauberei-
che oder Querbauwerke wie Wehranlagen und Turbinen bilden Barrieren für sämtliche
Migrationsbewegungen der Tier- und z. T. auch der Pflanzenwelt. Wanderungen flussauf-
wärts sind dabei immer aktiv. Das passive Abtreiben mit der Strömung dagegen, auch
als Drift bezeichnet, ist in Staubereichen nicht mehr möglich und findet nur noch bei
Hochwasserereignissen statt. Dabei werden Organismen auch über die Wehr- oder die
Entlastungsanlage gespült.
Damit resultiert aus derartigen Bauwerken eine Unterbrechung der Durchgängigkeit
des Fließgewässers. Folge ist eine Zerteilung und Verkleinerung des Gewässerlebensrau-
mes und eine Be- oder Verhinderung von Laich-, Nahrungs-, Ausbreitungs- und Kompen-
sationswanderungen. Eine Unterbrechung der Fischwanderung wirkt sich u. a. folgender-
maßen aus [7.13]:

 die Fortpflanzung bestimmter Fischarten ist nur noch eingeschränkt möglich,


 die Artenvielfalt oberhalb des Wehres geht zurück,
668 M. Aufleger et al.

 die Isolation verschiedener Fischpopulationen nimmt zu und


 die Neubesiedelung der durch Hochwasser oder andere Ereignisse verarmten Regionen
ist langsamer oder findet nicht mehr statt.

Für Wanderfische, die z. B. zum Laichen kleine Seitengewässer aufsuchen, stellen die
Wehre massive Barrieren dar; hier sind Fischaufstiegsanlagen wie z. B. naturnahe Um-
gehungsgerinne oder Vertical-Slot-Pässe (Fischtreppen) eine mögliche Gegenmaßnahme.
Damit Fischtreppen ihre Wirkung voll entfalten können, müssen sie richtig angeordnet
und dimensioniert werden. Da deren Funktionalität in der Vergangenheit oftmals nicht
gegeben war, werden jetzt vermehrt Umgehungsgerinne gebaut, die trotz geringerer Was-
serführung als das Hauptgewässer ähnliche Habitate wie dieses bieten können.
Der Verlust der Durchgängigkeit des Fließgewässers durch eine Wehranlage hat auch
Auswirkungen auf die Abwanderung von Fischen. Beispielsweise können sich Fische, die
in schnellströmenden Gewässern leben, auf Grund der geringeren Strömungsgeschwin-
digkeit in den Staubereichen schlechter orientieren. Auch kann es zu Fischverletzungen
kommen, wenn die Wassertiefe unterhalb des Wehrabsturzes nicht genügend groß ist. Dies
kann z. B. durch Fischleitsysteme, Fischschutz- und Fischabstiegsanlagen, welche die Fi-
sche unbeschadet dem Unterwasser zuführen sollen, vermieden werden.
Darüber hinaus ergibt sich für Fische beim Durchgang durch die Turbine eine Ge-
fährdung vor allem durch die dort vorherrschenden Druck- und Strömungsverhältnisse;
zusätzlich kann es zu mechanischen Verletzungen am Fischkörper kommen. Dies kann
durch enge Rechenstababstände vor den Turbineneinläufen bzw. durch entsprechend an-
geordnete Abweiser z. T. verhindert werden.

Wasserentzug in Ausleitungsstrecken (Restwasserproblematik) Bei Ausleitungskraftwer-


ken wird das Wasser aus dem ursprünglichen Mutterbett ausgeleitet. Dabei kann es zu den
folgenden Umwelteffekten kommen [7.15, 7.18]:

 Verminderung des Abflusses im Mutterbett,


 Verlust der natürlichen jahres- und tageszeitperiodischen Abflussschwankungen,
 Verlängerung der Niedrigwasserperioden,
 Veränderung des Wasserhaushalts im Bereich der Aue,
 Veränderung der Temperaturregimes in der Ausleitungsstrecke,
 Schwall- und Sunkeffekte bei Hochwasser,
 erhöhte Sedimentation,
 schlechtere Wasserqualität,
 Abnahme der Pflanzen- und Tierwelt,
 Verringerung von Laichplätzen und
 verstärktes Algenwachstum.

Insbesondere die Strömungsverhältnisse sind für Fließgewässerorganismen wesent-


lich, denn viele Arten benötigen als Lebensraum bestimmte Strömungszustände. Eine
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 669

Verringerung der Fließgeschwindigkeiten bedeutet aber z. B. eine Verschlechterung der


Sauerstoff- und Nahrungsversorgung und des Abtransports von Ausscheidungen; dadurch
kommt es zu einer Veränderung des standorttypischen Artenspektrums. Daneben ist eine
dem Gewässer entsprechende Mindestströmung zum Transport von Schwebstoffen und
Feinsedimenten erforderlich, deren Ablagerungen in der Ausleitungsstrecke ähnliche
Auswirkungen haben wie im Staubereich.
Ein niedriger Wasserstand in den Ausleitungsstrecken birgt auch die Gefahr kritischer
Wassertemperaturen im Sommer und im Winter. Mit der Erwärmung des Wassers bei star-
ker Sonneneinstrahlung geht die Abnahme des Sauerstoffgehalts einher. Bei übermäßiger
Algenbildung kann es dagegen tagsüber zu einer starken Übersättigung mit Sauerstoff
kommen; sterben die Algenteppiche ab, kommt es zu einer massiven Sauerstoffzehrung.
Aufgrund des verringerten Abflusses liegt zusätzlich ein mehr oder weniger großer Teil
des ursprünglichen Gewässerbetts trocken. Dadurch kann sich das Angebot an Fischun-
terständen oder Laichplätzen verringern. Eine zu starke Verkleinerung des aquatischen
Lebensraums bedeutet in der Regel eine quantitative Abnahme von Fischen sowie i. Allg.
eine Abnahme der Diversität bzw. die Ausbildung nicht naturraumtypischer Artenzusam-
mensetzungen.
Die Abnahme der benetzten Fläche kann aber auch neue, wertvolle Sekundärbiotope
entstehen lassen. Freiliegende Sand- und Kiesbänke beispielsweise werden von bestimm-
ten Spezialisten wie z. B. von Kiesbankbrütern, speziellen Laufkäfern, Heuschrecken oder
Spinnen besiedelt, für die solche extremen Biotope oft letzte Rückzugsgebiete darstellen.
Die negativen Auswirkungen von Ausleitungskraftwerken können begrenzt werden,
wenn Mindestabflüsse festgelegt werden, die sich auch an ökologischen Belangen ori-
entieren. Neben der Mindestwasserabgabe gibt es eine Reihe von naturnahen Gestal-
tungsmöglichkeiten, um in einzelnen Fällen in einer Ausleitungsstrecke trotz des relativ
geringen Wasseraufkommens eine Artenvielfalt zu erreichen, die derjenigen in unbeein-
flussten Streckenabschnitten des Flusses ähnelt. Die Morphologie des Gewässerbetts spielt
dabei eine entscheidende Rolle.
Insgesamt deutet vieles darauf hin, dass Ausleitungskraftwerke bei entsprechender
konstruktiver Gestaltung und mit einer ökologisch begründeten Mindestwasserregelung
weniger schädlich für den Lebensraum „Fließgewässer“ sind als Flusskraftwerke mit gro-
ßen Staubbereichen.

Schwall- und Sunkbetrieb Speicherkraftwerke und schwellbetriebsfähige Flusskraftwer-


ke können den Abfluss aufgrund ihrer Fahrweise (Kraftwerkseinsatz) kurzfristig wesent-
lich verändern. Durch die von solchen Anlagen beim Schwall- und Sunkbetrieb zwingend
verursachten raschen Abflussänderungen kann es einerseits in den Unterliegerstrecken
zu einem zeitweiligen Trockenfallen von Flussbettbereichen kommen. Dadurch wird der
verfügbare Lebensraum der dort natürlicherweise lebenden Organismen z. T. stark ein-
geschränkt und die in den trockengefallenen Bereichen zurückgebliebenen Lebewesen
verenden, wenn sie nicht mehr in das wasserführende Flussbett zurückwandern können.
Andererseits kann es durch die Zunahme der Fließgeschwindigkeit infolge einer Schwall-
670 M. Aufleger et al.

abgabe zu einem Abschwemmen von Organismen (vor allem benthische Wirbellose) kom-
men; dies kann zu einer Verarmung bzw. Auslöschung der entsprechenden Lebensgemein-
schaft führen. Bei größeren Speichern kommt hinzu, dass durch die Abgabe von warmem
Oberflächenwasser oder kaltem Tiefenwasser eine abrupte Änderung der Temperaturver-
hältnisse hervorgerufen werden kann. Diese raschen Temperaturänderungen können viele
aquatische Organismen nicht tolerieren; sie verenden.
Um die durch den Schwalleinfluss bedingten Umweltauswirkungen zu reduzieren sind
bauliche Maßnahmen möglich (z. B. Bau von Schwallausgleichsbecken, Ausgleichsmaß-
nahmen am Vorfluter); nachteilig ist der hohe Aufwand für einen derartigen Bau von
Ausgleichsbecken sowie die häufig fehlenden räumlichen Möglichkeiten. Zusätzlich kön-
nen die Auswirkungen von Schwall und Sunk durch betriebliche Maßnahmen gemindert
werden. Dazu gehört u. a. ein maximal erlaubtes Verhältnis zwischen Schwall (maximaler
Abfluss) und Sunk (minimaler Abfluss) innerhalb einer vorgegebenen Zeitspanne. Zusätz-
lich dazu steht noch ein maximal erlaubter Schwallanstiegs- bzw. Auslaufgradient sowie
eine mögliche Kombination beider Vorgaben zur Diskussion.

Veränderungen des Abfluss- und Geschieberegimes Speicherkraftwerke können, wie sie


u. a. in den Alpen zu finden sind, über – im Verhältnis zum Jahresabflussvolumen – sehr
große Speicherseen verfügen, in denen in einigen Fällen der gesamte natürliche Abfluss
eines oder sogar mehrerer Jahre gespeichert werden kann. Für die Stromerzeugung hat
das den Vorteil, dass die elektrische Energie jederzeit nachfrageorientiert bereitgestellt
werden kann.
Durch das Zurückhalten bzw. verzögerte Weiterleiten des Wassers verändert sich aber
das Abflussregime unterhalb der Talsperre massiv. Dabei werden die natürlichen physika-
lischen Prozesse und die biologischen Funktionen in Flüssen primär durch die geodätische
Höhe, den jahreszeitlichen Verlauf und die dynamischen Schwankungen der Abflüsse
geprägt. Verändert sich dieses natürliche Abflussregime beispielsweise durch ein entspre-
chend bewirtschaftetes Speicherwasserkraftwerk, hat dies auch Folgen für die natürlichen
Prozesse und Funktionen. Weitreichende Veränderungen der fließgewässertypischen Ar-
tengemeinschaften können die Folge sein. Zusätzlich wird in großen Speichern praktisch
das ganze Geschiebe zurückgehalten; auch dadurch verändern sich die Flüsse unterhalb
der Talsperren.

Störfall Im betrieblichen Störfall kann es zu einer Freisetzung von Schmierstoffen kom-


men. Durch den Einsatz biologisch abbaubarer Schmiermittel (z. B. Schmieröle und -fette
auf Pflanzenölbasis), den Einbau entsprechender Schutzvorrichtungen (z. B. Ölabschei-
der) sowie der Lagerung von Schmierstoffen außerhalb des hochwassergefährdeten Be-
reichs lassen sich die Risiken einer derartigen Umweltgefährdung jedoch auf ein Min-
destmaß reduzieren. Weiterhin kann es durch Brände an den elektrischen Anlagenteilen
(z. B. Kabel) zu entsprechenden, jedoch begrenzten Schadstofffreisetzungen an die Um-
welt kommen, die allerdings nicht spezifisch für Wasserkraftanlagen sind. Mechanische
Fehler innerhalb der maschinentechnischen Komponenten führen i. Allg. zu keiner bzw.
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 671

nur zu einer räumlich sehr begrenzten Gefährdung von Mensch und Umwelt. Hingegen
können die Auswirkungen eines Versagens von Staudämmen oder -mauern weiträumige
Folgen für die Bevölkerung bzw. Flora und Fauna haben. Hier ist ein entsprechend z. T.
sehr großes Störfallgefahrenpotenzial gegeben, das durch die geltenden – in Deutschland
sehr weitgehenden – Vorschriften möglichst umfassend begrenzt werden soll.

Betriebsende Die eigentlichen Wasserkraftanlagen bestehen größtenteils aus metalli-


schen Werkstoffen, für die anerkannte und weitgehend umweltverträgliche Verwertungs-
wege existieren. Problematischer ist der Rückbau der bautechnischen Anlagenteile vor Ort
(z. B. Wehre, Staudämme). Hier ist aber davon auszugehen, dass auch nach Überschreiten
der technischen Lebensdauer einer Wasserkraftanlage der Anlagenstandort weiterhin en-
ergiewirtschaftlich genutzt werden wird. Vor diesem Hintergrund haben derartige Fragen
bisher keine Bedeutung erlangt. Aber auch für den Rückbau von Wehranlagen können
umweltverträgliche Verwertungs- bzw. Recyclingmöglichkeiten erarbeitet werden. Damit
dürfte auch eine umweltfreundliche Entsorgung von Wasserkraftanlagen möglich sein.
Stauräume und Speicherseen oberhalb von Talsperren werden alle irgendwann verlan-
den; Schätzungen gehen davon aus, dass pro Jahr das global in Speicherwasserkraftwerken
vorhandene Speichervolumen um rund 1 % durch Sedimentablagerungen reduziert wird.
Bei einem Teil dieser Verlandungen wird sich ein neues ökologisches Gleichgewicht ein-
stellen, bei dem die Speichermöglichkeit verloren geht, aber das Kraftwerk als Laufwas-
serkraftwerk weiter betrieben werden kann. In anderen Fällen werden die Speicher hin
und wieder gespült und / oder durch Baggerungen ein gewisses Volumen aufrechterhalten.
Bei einigen Speichern wird dies nicht möglich sein und es ist bis heute nicht klar, was
mit diesen alten und nicht mehr nutzbaren Talsperren einst geschehen wird. Ein Rückbau
ist nicht einfach möglich, weil dadurch das immense Volumen an dahinter abgelagerten
Sedimenten freigesetzt werden würde.
Sollte der Standort einer Laufwasserkraftanlage nach Ende ihrer technischen Lebens-
dauer nicht weiter energiewirtschaftlich genutzt werden, ist abhängig vom jeweiligen
Standort zu prüfen, inwieweit der ursprüngliche Zustand des Gewässers (d. h. vor dem
Bau der Wasserkraftanlage) wiederhergestellt werden kann oder ob dem andere Nutzungs-
interessen entgegenstehen (z. B. Hochwasserschutz, Landschaftsschutz).

7.4 Potenziale und Nutzung

Lucas Sens und Martin Kaltschmitt

Die theoretischen bzw. technischen Möglichkeiten einer Bereitstellung elektrischer Ener-


gie aus Wasserkraft weltweit, in Europa bzw. in ausgewählten Nationalstaaten können
durch die theoretischen bzw. technischen Potenziale beschrieben werden. Diese werden
im Folgenden unter Berücksichtigung des derzeitigen Standes der Technik diskutiert. Ei-
ne Darstellung der gegenwärtigen Nutzung schließt sich dieser Potenzialbeschreibung an.
672 M. Aufleger et al.

7.4.1 Potenziale

Die Potenziale der Lauf- und Speicherwasserkraft können u. a. in das Niederschlags-


und in das Abflussflächenpotenzial, in das Abflusslinienpotenzial, in das technische so-
wie in das ausbauwürdige Potenzial unterteilt werden. Diese sehr detaillierte Unterteilung
hat sich in der Vergangenheit auch deshalb entwickelt, weil die Wasserkraft traditionell
seit mehreren 100 Jahren z. T. sehr intensiv genutzt wird und damit Potenzial-Analysen
mit einem sehr unterschiedlichen Detaillierungsgrad bereits vielfach angefertigt wurden.
Nachfolgend werden diese unterschiedlichen Potenzialbegriffe kurz erläutert.

 Niederschlagsflächenpotenzial. Das Flächenpotenzial des Niederschlags ermittelt sich


aus der mittleren jährlichen Niederschlagsfracht unter Berücksichtigung der topogra-
fisch bedingten Höhenunterschiede zu dem Punkt, an dem das dort niederfallende
Wasser das betrachtete Gebiet verlässt.
 Abflussflächenpotenzial. Das Abflussflächenpotenzial bestimmt sich aus dem Nieder-
schlagsflächenpotenzial unter zusätzlicher Berücksichtigung der Verdunstungsverluste.
 Abflusslinienpotenzial. Das Abflusslinienpotenzial ermittelt sich aus der mittleren Jah-
resfracht der Fließgewässer und den vorhandenen Gefällen in den Wasserläufen ohne
Berücksichtigung von Fließverlusten.
 Technisches Potenzial. Unter Berücksichtigung der Fließverluste und Wirkungsgrade
bestimmt sich aus dem Abflusslinienpotenzial das technische Potenzial der Wasser-
kraft.
 Ausbauwürdiges Potenzial. Das ausbauwürdige Potenzial erfasst alle bestehenden
Wasserkraftanlagen, die in Bau befindlichen sowie alle bekannten Projekte. Es berück-
sichtigt damit neben den aus technischer Sicht gegebenen Einschränkungen für die
Errichtung einer Wasserkraftanlage zusätzlich noch wirtschaftliche Restriktionen, die
aus gegenwärtiger Sicht den Betrieb eines Wasserkraftwerkes nicht rentabel erscheinen
lassen.
 Ökologisches Potenzial. Längst nicht alle technisch und wirtschaftlich sinnvoll nutz-
baren Potenziale können ausgenutzt werden, wenn gewässerökologische Gründe oder
Aspekte des Landschaftsschutzes berücksichtigt werden. Das ökologische Potenzial
beschreibt deshalb den Teil des technischen Potenzials, der auch unter Berücksichti-
gung ökologischer Kriterien potenziell nutzbar ist.

Diese Begriffsdefinitionen decken sich allerdings nicht bzw. nur eingeschränkt mit den
in Kapitel 1.3 festgelegten Potenzialbegriffen. Um trotzdem eine Vergleichbarkeit der
nachfolgend dargestellten Größen mit den anderen Möglichkeiten einer Nutzung rege-
nerativer Energien zu ermöglichen, orientieren sich die folgenden Ausführungen primär
an den Potenzialdefinitionen von Kapitel 1.3. Dadurch kann es ggf. zu Abweichungen von
den in Deutschland sonst üblichen Definitionen der Wasserkraftpotenziale kommen.
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 673

Tabelle 7.5 Theoretische Potenziale sowie technische Angebots- und technische Endenergiepoten-
ziale einer Stromerzeugung aus Lauf- und Speicherwasserkraft in Deutschland
Theoretisches Potenzial in PJ/a 333,4
Theoretisches Stromerzeugungspotenzial in TWh/a 92,6
Technisches Stromerzeugungspotenzial in TWh/a 33,2–42,1
Technisches Endenergiepotenzial in TWh/a 31,5–40,0

Theoretisches Potenzial Das theoretische Potenzial der Wasserkraft lässt sich entweder
als Flächen- oder als Linienpotenzial darstellen. Niederschlags- bzw. Abflussflächenpo-
tenziale stellen dabei die oberste Grenze des theoretischen Potenzials dar; sie ergeben
sich aus dem mittleren jährlichen Niederschlag pro Flächeneinheit abzüglich ggf. der Ver-
dunstung und Versickerung und dem Höhenunterschied der Flächeneinheit zu dem Punkt,
an dem das dort niederfallende Wasser das betrachtete Gebiet verlässt. Linienpotenziale
beinhalten die mittleren jährlichen Abflüsse der erfassten Fließgewässer und die Höhen-
unterschiede, die sie bis zum nächsten Vorfluter oder bis zum Verlassen des untersuchten
Gebietes überwinden. Sie haben gegenüber den Flächenpotenzialen eine höhere Aussage-
kraft, da sehr kleine Gewässer unberücksichtigt bleiben können und Fremdwasseranteile,
die über die Grenzen des Untersuchungsgebiets eingebracht werden, erfasst werden.
Das theoretisch verfügbare Linienpotenzial aller deutschen Gewässer mit einer Ein-
zugsgebietsgröße über 10 km2 liegt bei ca. 333,4 PJ/a im Regeljahr (Tabelle 7.5 [7.19]);
davon entfallen rund 63,5 % auf die großen Gewässer wie beispielsweise Rhein (22,8 %),
Donau (6,2 %), Inn (5,9 %) und Elbe (4,7 %).
Werden ein theoretisch maximaler Umwandlungswirkungsgrad der Wasserkraftwerke
von 100 % und ein lückenloser Ausbau aller Gewässer in Deutschland unterstellt, re-
sultiert aus dem Linienpotenzial ein theoretisches Stromerzeugungspotenzial von rund
92,6 TWh/a (Tabelle 7.5).

Technische Angebotspotenziale (Stromerzeugungspotenziale) Aus dem theoretischen


Linienpotenzial kann das gesamte technisch vorhandene Potenzial der Wasserkraft in
Deutschland abgeschätzt werden [7.19]. Dabei werden hydraulische Verluste im Gewäs-
ser, Anlagenverluste in der Wasserkraftanlage sowie der real nutzbare Anteil des Abflusses
jeweils spezifisch für große und mittelgroße bis kleine Gewässer berücksichtigt.
Demnach errechnet sich ein technisches Potenzial der Wasserkraft in Deutschland zwi-
schen 33,2 und 42,1 TWh/a. Der überwiegende Teil dieses Potenzials (ca. 85 %) ist an
den 25 größten deutschen Gewässern verfügbar (28,4 bis 36,0 TWh/a). Mittelgroße und
kleine Gewässer haben mit 4,8 bis 6,1 TWh/a nur einen geringen Anteil von ca. 15 % am
gesamten technischen Potenzial.
Dieses mithilfe der Linienpotenzialmethode ermittelte technische Potenzial stellt den
maximalen Wert dar, der unter realen Bedingungen zur Stromerzeugung genutzt werden
könnte. Nach Abzug des bereits heute zur Stromerzeugung erschlossenen Wasserkraftpo-
tenzials von rund 20,9 TWh/a (Kapitel 7.4.2) verbleibt ein bisher unerschlossenes tech-
674 M. Aufleger et al.

Tabelle 7.6 Theoretische und technische Potenziale in großen und mittelgroßen bis kleinen Ge-
wässern in Deutschland
Große Mittelgroße und Gesamt-
Gewässer kleine Gewässer potenzial
in TWh/a in TWh/a in TWh/a
Theoretisches Linienpotenzial 58,8 33,8 92,6
Technisches Potenzial 28,4–36,0 4,8–6,1 33,2–42,1
Genutztes Potenziala 17,5 3,4b 20,9
Ungenutztes Potenzial 10,9–18,5 1,4–2,7 12,3–21,2
Potenzial der „frei fließenden“ Strecken 9,5–12,0 0,77–1,49c
Technisches Verbesserungspotenzial 2,55 0,56
Zubaupot. an ungen. Querbauwerken 0,12 0
Neubaupotenzial (Restpotenzial) 1,3 0,07–0,66
Realisierbares Zubaupotenziald 4,0 0,63–1,22 4,6–5,2
a
durchschnittliche Jahresarbeit nach [7.19]; b inklusive der durch den natürlichen Zufluss von
Pumpspeicherkraftwerken erzeugten elektrischen Energie von 0,6 TWh/a; c inklusive des Potenzials
für ökologische Abflüsse von 0,07 bis 0,135 TWh/a; d beim realisierbaren Zubaupotenzial werden
die Potenziale der „frei fließenden“ Strecken sowie bei den mittelgroßen und kleinen Gewässern
auch das Potenzial der ökologischen Abflüsse nicht berücksichtigt; Zubaupot. Zubaupotenzial; un-
gen. ungenutzten.

nisches Potenzial von etwa 12,3 bis 21,2 TWh/a. Dieses bisher nicht genutzte technische
Stromerzeugungspotenzial setzt sich zusammen aus dem Potenzial der technischen Anla-
genoptimierung, dem Zubaupotenzial an vorhandenen, aber derzeit zur Stromerzeugung
ungenutzten Querbauwerken, dem Neubaupotenzial sowie dem Potenzial der „frei flie-
ßenden“ Strecken (d. h. der bisher unverbauten Gewässerabschnitte) (Tabelle 7.6).
Die Ausschöpfung des Potenzials der „frei fließenden“ Strecken bedarf einer gesell-
schaftlichen Abwägung zwischen der Nutzung der regenerativen Energie „Wasserkraft“
und anderer Nutzungsoptionen (z. B. Siedlungen, Grundwasserhaltung, Erhalt bzw. Ver-
besserung des ökologischen Zustandes dieser Strecken) [7.19]. Sollen diese „frei fließen-
den“ Strecken aus ökologischen Gründen erhalten bleiben, beträgt das technisch reali-
sierbare Zubaupotenzial bei großen Gewässern noch 4,0 TWh/a und bei mittelgroßen und
kleinen Gewässern noch 0,6 bis 1,2 TWh/a. Unter diesen Bedingungen liegt das techni-
sche Potenzial aller deutschen Gewässer nur noch zwischen 25,5 und 26,1 TWh/a.
Für die Gebietsfläche einzelner Bundesländer wurden eine Vielzahl unterschiedlichs-
ter konkretisierender Studien (u. a. [7.20, 7.21, 7.22, 7.23, 7.24, 7.25, 7.26]) durchge-
führt, in denen die technischen Wasserkraftpotenziale ermittelt, Bestandsaufnahmen der
vorhandenen Anlagen durchgeführt und die noch ausbauwürdigen Potenziale detailliert
und teilweise Standort-scharf abgeschätzt wurden. Gleiches gilt auch für Deutschland
(u. a. [7.27, 7.28]). Demnach liegen die technischen Potenziale einer wassertechnischen
Stromerzeugung aller dieser Untersuchungen zwischen knapp 21 und maximal 35 TWh/a.
Damit bewegen sich die Potenziale diesen Untersuchungen zufolge etwas unterhalb der
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 675

hier primär zitierten Untersuchung [7.19]. Diese Abweichung kann z. T. mit Unterschie-
den in der Untersuchungsmethodik (z. B. Standortmethode, Linienpotenzialmethode) der
verschiedenen Studien begründet werden.
Das Potenzial der Wasserkraft in Deutschland ist durch große regionale Unterschiede
gekennzeichnet. Im Norden Deutschlands gibt es nur wenige Möglichkeiten einer was-
sertechnischen Stromerzeugung. Demgegenüber sind im Süden beachtliche Potenziale
gegeben; mehr als drei Viertel sind in Bayern (über 50 % des Gesamtpotenzials) und Ba-
den-Württemberg vorhanden [7.19, 7.28].

Technische Endenergiepotenziale (Nachfragepotenziale) Die technischen Endener-


giepotenziale der Wasserkraft errechnen sich aus den bereits diskutierten Stromerzeu-
gungspotenzialen unter Berücksichtigung der gegebenen netz- und nachfrageseitigen
Restriktionen. Dabei kann im groben Durchschnitt für die Überbrückung der Entfer-
nung zwischen dem Standort des jeweiligen Wasserkraftwerks und dem des potenziellen
Verbrauchers von Netzverlusten von rund 5 % ausgegangen werden. Im Gegensatz zur
Stromerzeugung aus Windkraft und Solarstrahlung treten bei der Laufwasserkraft u. a.
aufgrund der vergleichsweise niedrigen Durchdringung infolge der relativ kleinen Po-
tenziale und wegen der stetigeren Charakteristik im Vergleich beispielsweise zu einer
Wind- oder Photovoltaikstromerzeugung keine nennenswerten Speicherverluste auf. Das
technische Endenergiepotenzial liegt damit um ca. 5 % niedriger als die Stromerzeugungs-
potenziale. Damit ergibt sich innerhalb Deutschlands ein technisches Endenergiepotenzial
der Wasserkraft zwischen 31,5 und 40 TWh/a (Tabelle 7.5).

7.4.2 Nutzung

Die Wasserkraft wurde schon vor mehr als 2 000 Jahren für die Bereitstellung mechani-
scher Energie genutzt. Damals wurde die in einem Flusslauf vorhandene Energie zunächst
mit Hilfe von Wasserrädern direkt in mechanische Energie umgewandelt und diente zum
Heben von Wasser oder zum Mahlen von Getreide. Die hier ausschließlich betrachtete
Wasserkraftnutzung zur Stromerzeugung hat aber erst mit der Industrialisierung – dann
aber schnell – an erheblicher Bedeutung gewonnen bzw. diese z. T. erst ermöglicht bzw.
zumindest maßgeblich unterstützt. Nachfolgend wird deshalb nur die Wasserkraftnutzung
zur Bereitstellung elektrischer Energie im globalen, im EU-weiten und im deutschen so-
wie österreichischen Kontext diskutiert [7.29, 7.30].

7.4.2.1 Welt
Im Jahr 2018 waren global rund 1 175 GW an elektrischer Leistung in Wasserkraftan-
lagen installiert (Abb. 7.57); zusätzlich dazu waren weitere ca. 118 GW an in Pump-
speicherkraftwerken installierten Kapazitäten vorhanden. Insgesamt wurden damit etwa
4 200 TWh (2018) Strom erzeugt; dies entspricht ca. 3 250 h/a (Volllast) [7.29, 7.31].
676 M. Aufleger et al.

1,2 6
jährlich neu installierte Leistung
kumulierte Leistung
1,0 Bruttostromerzeugung 5
Elektrische Leistung in T W

Stromerzeugung in PWh/a
0,8 4

0,6 3

0,4 2

0,2 1

0,0 0

Abb. 7.57 Weltweite Stromerzeugung aus Wasserkraft [7.31]

Abb. 7.58 Weltweit instal-


lierte Wasserkraftleistung nach
Ländern (einschließlich Spei-
cherwasserkraft; Bezugsjahr
2018) [7.29]

Abb. 7.58 zeigt zusätzlich die Verteilung der Ende 2018 installierten Wasserkraftwerks-
leistungen nach Ländern. Demnach sind in China, aber auch in den USA, in Brasilien und
in Kanada erhebliche elektrische Leistungen in Wasserkraftanlagen installiert. Allein in
China ist folglich derzeit mehr als ein Viertel der global vorhandenen Wasserkraftleistung
vorhanden; mit 8,5 GW (davon 1,5 GW in Pumpspeicherkraftwerken) wurde beispielswei-
se 2018 hier auch der höchste Zubau weltweit realisiert.
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 677

Trotz zunehmender Herausforderungen bei der Entwicklung bisher ungenutzter Stand-


orte sind weltweit noch beachtliche Wasserkraftressourcen vorhanden. Dabei handelt es
sich jedoch insbesondere bei der Großwasserkraft oft um wenig attraktive Lokationen
mit schlechter Infrastrukturanbindung und / oder Nachfragekapazitäten im Herzen Afri-
kas, Südamerikas und auch Teilen Asiens. Die Erschließung dieser Standorte ist oft sehr
kostenintensiv und das dafür benötigte Kapital häufig nicht vorhanden. Deshalb wird in
vielen Staaten insbesondere die Kleinwasserkraft zunehmend ausgebaut; diese Entwick-
lung wird in den kommenden Jahren potenziell weiter an Dynamik gewinnen. Da aber
auch hier sehr gute Standorte rarer werden, dürfte sich der Leistungszuwachs der welt-
weiten Wasserkraftnutzung in den kommenden Jahren tendenziell verlangsamen.

7.4.2.2 Europäische Union


Die in der EU Ende 2018 in Wasserkraftwerken installierte Leistung betrug rund 130 GW
(Abb. 7.59); davon waren knapp 30 % in Pumpspeicherkraftwerken installiert. Dieser vor-
handene Kraftwerkspark hat rund 344 TWh (2018) an Strom bereitgestellt [7.31]. Damit
fand in den letzten Jahren der Großteil des europäischen Wasserkraftausbaus außerhalb
der EU statt; z. B. wurden im Jahr 2018 in der Türkei 1,1 GW, 0,4 GW in Norwegen und
rund 0,1 GW in Island zugebaut [7.2].
Insgesamt orientiert sich die in Wasserkraftanlagen in der EU-28 installierte Leis-
tung weitgehend an den regionalen Gegebenheiten bzw. der jeweils gegebenen nationalen
Nachfrage nach elektrischer Energie (Abb. 7.60). Demnach sind in Staaten, die durch eine
eher flache Topografie gekennzeichnet sind (z. B. Dänemark), kaum Wasserkraftanlagen
installiert; dies steht im Gegensatz zu Ländern, die sehr gute natürliche Bedingungen zur

140 450

400
120
Elektrische Leistung in GW

350
Stromerzeugung in TWh/a

100
300

80 250

60 200

150
40
jährlich neu installierte Leistung
100
kumulierte Leistung
20 Bruttostromerzeugung
50

0 0

Abb. 7.59 Stromerzeugung aus Wasserkraft (einschließlich Speicherwasserkraft) in der


EU-28 [7.31]
678 M. Aufleger et al.

Abb. 7.60 Regionale Verteilung der in Wasserkraftanlagen installierten Stromerzeugungsleistung


in der EU-28 [7.29]

Wasserkraftnutzung aufweisen (z. B. Schweden, Österreich) und deshalb im Verlauf der


letzten 100 bis 150 Jahre erhebliche Erzeugungskapazitäten aufgebaut haben.
Aufgrund des bereits hohen Ausbaustandes, der begrenzten Potenziale infolge der geo-
grafischen Gegebenheiten sowie aus Umweltschutz- bzw. Nachhaltigkeitsgründen werden
in der EU kaum noch Großwasserkraftprojekte realisiert. Den größten Zubau aller EU-
Länder verzeichnete z. B. im Jahr 2018 Österreich; hier wurden die zwei Erweiterungs-
projekte Obermuntwerk II (Zubau 0,4 GW) sowie Dießbach (Steigerung der Flexibilität
durch Umbau der Pumpen bei konstanter Anschlussleistung) abgeschlossen.
In der EU-28 wird sich der zukünftige Ausbau der Wasserkraftnutzung primär auf
Kraftwerkserweiterungen und Modernisierungen (u. a. zur Flexibilitätssteigerung) sowie
bei der Kleinwasserkraft auf die Reaktivierung von Altstandorten beschränken; d. h. die
Strombereitstellung aus Wasserkraft wird in der EU maximal moderat zunehmen und
dürfte kam das durchschnittliche Wachstum der letzten zehn Jahre (ca. 0,5 bis maximal
1,5 %/a) übersteigen.
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 679

7.4.2.3 Deutschland
In Deutschland wurden bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts einfache Turbinen ent-
wickelt, an die dann später Generatoren zur Stromerzeugung angeschlossen wurden. Die
erzeugte elektrische Energie wurde zunächst nur in einem eng begrenzten Bereich um
das Kraftwerk genutzt. Erst durch die Möglichkeit, Strom verlustarm über weite Strecken
transportieren zu können, setzte sich die Nutzung der Wasserkraft in einem größeren Um-
fang durch. Dies gelang erstmals 1891, als die in einem Wasserkraftwerk bei Lauffen am
Neckar erzeugte elektrische Energie bis nach Frankfurt / Main zur Weltausstellung trans-
portiert wurde. Nun konnte auch die Versorgung der Bevölkerung mit elektrischer Energie
aus Wasserkraft realisiert werden.
Seither hat sich die in Wasserkraftanlagen installierte Leistung in Deutschland kon-
tinuierlich erhöht. Abb. 7.61 zeigt die Entwicklung der in Lauf- und Speicherwasser-
kraftanlagen der öffentlichen Versorgung in Deutschland installierten Leistungen sowie
die korrespondierende Stromerzeugung in der Zeit von 1990 bis 2018. Deutlich wird die
nur geringe Zunahme der in Laufwasserkraftwerken der öffentlichen Versorgung instal-
lierten Leistung. Im Unterschied dazu schwankt die realisierte Stromerzeugung aufgrund
des zwischen verschiedenen Jahren z. T. stark unterschiedlichen Wasserangebots teilwei-
se erheblich; im Durchschnitt hat sie aber in den letzten nahezu drei Jahrzehnten kaum
zugenommen, wenn durchschnittliche Abflüsse unterstellt werden.
Die Bruttostromerzeugung aus Lauf- und Speicherwasserkraft (inklusive des natürli-
chen Zuflusses in Pumpspeicherkraftwerken) betrug 2018 rund 16,5 TWh [7.30]; sie lag
damit mit 18 % deutlich unter dem Vorjahreswert von 20,2 TWh (2017), der sich knapp

6 25

5
20
Stromerzeugung in TWh/a

4
15
Elektrische Leistung in GW

jährlich neu installierte Leistung 10


2 kumulierte Leistung
Bruttostromerzeugung

5
1

0 0
1991
1990

1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013

2017
2014
2015
2016

2018

Abb. 7.61 Stromerzeugung aus Wasserkraft (einschließlich Speicherwasserkraft) in Deutsch-


land [7.31]
680 M. Aufleger et al.

Abb. 7.62 Prozentualer Anteil


einzelner Flüsse an der gesam-
ten Regelstromerzeugung aus
großen Wasserkraftanlagen in
Deutschland (nach [7.19])

über dem langjährigen Mittelwert von 19,8 TWh/a bewegte (Abb. 7.61). Dies liegt in dem
allgemein sehr warmen und niederschlagsarmen Jahr 2018 begründet.
In den letzten Jahren sind auch in Deutschland keine größeren Wasserkraftwerke neu
ans Netz angeschlossen oder modernisiert worden. Dementsprechend liegt die installierte
Leistung zur Stromerzeugung aus dem an deutschen Fließgewässern technisch genutzten
Abfluss weiterhin bei rund 4,4 GW (ohne Pumpspeicherkraftwerksleistung) bzw. 5,6 GW
einschließlich der Leistung von Pumpspeicherkraftwerken mit natürlichem Zufluss.
Derzeit kann von einer Gesamtanlagenzahl von rund 7 600 ausgegangen werden. Da-
von besitzen jedoch nur rund 400 Anlagen eine Leistung von mindestens 1 MW; diese
Anlagen speisen aber mehr als 90 % des im Netz vorhandenen Wasserkraftstroms ein. Der
Großteil (über 80 %) dieses Anlagenbestands wird in Süddeutschland betrieben; allein in
Bayern sind rund 3 500 Anlagen am Netz. Hier wird damit der Löwenanteil an elektrischer
Energie aus regenerativer Lauf- und Speicherwasserkraft der öffentlichen Versorgung und
der Industrie erzeugt.
Im langjährigen Mittel werden rund 16,5 TWh/a in Wasserkraftanlagen mit mindes-
tens 1 MW elektrischer Leistung – dabei handelt es sich bei etwa 20 % um Speicher- und
bei etwa 80 % um Laufwasserkraftwerke – und rund 2,7 TWh/a aus Kleinwasserkraftan-
lagen mit weniger als 1 MW elektrischer Leistung bereitgestellt. Der natürliche Zufluss in
Pumpspeicherkraftwerken liegt im Mittel bei rund 0,6 TWh/a [7.30].
Der überwiegende Teil (ca. 84 %) der durchschnittlich generierten Jahresarbeit der re-
generativen Wasserkraft in Deutschland stammt aus großen Wasserkraftanlagen mit einer
Anlagenleistung gleich oder größer 1 MW [7.19]. Ein Großteil der hier erzeugten Ener-
gie wird an den neun großen Flüssen gewonnen; allein der Inn trägt dazu mit rund 20 %
und die Flüsse Rhein und Donau mit 17 % bzw. knapp 14 % bei (Abb. 7.62). Insgesamt
stellen die neun großen Flüsse im langjährigen Durchschnitt 15 TWh/a an regenerativen
Wasserkraftstrom bereit (d. h. knapp 87 % am gesamten Regelarbeitsvermögen der großen
Wasserkraftanlagen von 17,5 TWh/a [7.19]).
Eine weitergehende Erschließung des noch begrenzt vorhandenen Wasserkraftpoten-
zials in Deutschland ist allerdings oft sehr schwierig, da die Erfüllung der gesetzlichen
Naturschutzanforderungen häufig den Planungs- und Genehmigungsprozess deutlich er-
7 Stromerzeugung aus Wasserkraft 681

schwert und merklich verlängert. Dies ist wiederum mit erheblichen Kosten verbunden,
die auf Neubauprojekte prohibitiv wirken. Deshalb dürften die vorhandenen Potenziale in
den kommenden Jahren kaum erschlossen werden.

7.4.2.4 Österreich
Die Wasserkraft hat auch in Österreich eine lange Tradition. Bereits 1880 wurde ein erstes
Wasserkraftwerk in Steyr errichtet. Nach dem Wegfall der Kohlereviere durch die Auf-
teilung des Gebiets der österreichischen Monarchie nach dem 1. Weltkrieg begann der
großtechnische und forcierte Ausbau der Wasserkraft zur Energieversorgung für die im-
mer mehr aufkommende Industrie.
Die Wasserkraft trägt heute in der Alpenrepublik bei einer Stromerzeugung von
37,6 TWh (2018) mit 9,5 % zum Energie-Bruttoinlandsverbrauch bei. Hiervon stammen
ca. 75 % aus Laufwasserkraftwerken und 25 % aus Speicherwasserkraftwerken. Bezogen
auf die Nachfrage nach elektrischer Energie entspricht dies einem Wasserkraftanteil von
knapp 57 % (2017) [7.32].
Im Jahr 2018 waren 93 Laufwasserkraftwerke (über 10 MW Einzelleistung) mit einer
insgesamt installierten elektrischen Leistung von knapp 4,6 GW und 66 Speicherwas-
serkraftwerke (über 10 MW Einzelleistung) mit in Summe 8,3 GW Engpassleistung in
Betrieb. Dazu kommen noch ca. 460 kleinere Laufkraftwerke und 50 kleinere Speicher-
kraftwerke. Die Gesamtengpassleistung der österreichischen Wasserkraftwerke beträgt
damit in Summe 14,1 GW (2018). Die mit diesem Anlagenpark realisierte Stromproduk-
tion (Abb. 7.63) schwankt – wie auch in Deutschland – von Jahr zu Jahr aufgrund der
klimatisch bedingten unterschiedlichen Wasserführung der Flüsse [7.33].

15 50
14
45
13
12 40
Elektrische Leistung in GW

Stromerzeugung in TWh/a

11
35
10
9 30
8
25
7
6 20
jährlich neu installierte Leistung
5
kumulierte Leistung 15
4
Bruttostromerzeugung
3 10
2
5
1
0 0

Abb. 7.63 Stromerzeugung aus Wasserkraft (einschließlich Speicherwasserkraft) in Öster-


reich [7.31]
682 M. Aufleger et al.

Insgesamt stagniert die Stromerzeugung aus Wasserkraft in Österreich seit etwa dem
Jahr 2000, da aus Naturschutzgründen und aufgrund anderer rechtlicher Restriktionen kei-
ne größeren neuen Kraftwerke mehr gebaut wurden (Abb. 7.63). Auch sind die Potenziale
der Großwasserkraft weitgehend ausgebaut. Kleinere und mittlere Kraftwerke werden je-
doch auch weiterhin gebaut; beispielsweise wurde 2019 ein neues Laufkraftwerk mittlerer
elektrischer Leistung (17,7 MW) an der Mur in Graz in Betrieb genommen.

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[7.34] Köhler, J., Rödl, A., Kaltschmitt, M.: Treibhausgasemissionen von Strom aus Wasserkraft.
Wasserwirtschaft 110(5), 41–45 (2020)
[7.35] Firmenunterlagen GLOBAL HydroEnergy GmbH, Niederranna, Österreich
[7.36] Firmenunterlagen Rehart GmbH, Ehingen/Deutschland, www.rehart-power.de. Zugegriffen:
5. Febr. 2020
[7.37] Stonjek, S.S.: Wirkungsgradaufwertung bei Ventilatoren. Dissertation. Technische Universi-
tät Darmstadt, Darmstadt (2015)
[7.38] Menny, K.: Strömungsmaschinen, 4. Aufl. Teubner, Stuttgart, Leipzig, Wiesbaden (2003)
[7.39] db-sediments.com. Zugegriffen: 28. Febr. 2019
Nutzung von Umgebungswärme
8
Martin Kaltschmitt, Lucas Sens, Wolfgang Streicher und Felix Ziegler

Unter dem Begriff „Umgebungswärme“ wird der Energieinhalt der Umgebungsluft, des
oberflächennahen Erdreichs, von Grundwässern (Aquiferen) oder auch von fließenden
oder stehenden Oberflächengewässern verstanden. Diese in unserer unmittelbaren Um-
gebung enthaltene thermische Energie ist im Sinne der Energietechnik und nach mensch-
lichen Maßstäben erneuerbar und damit unerschöpflich; d. h. es ist regenerative, klima-
neutrale Energie. Aufgrund des typischerweise geringen Temperaturniveaus ist aber diese
thermische Energie nicht unmittelbar zur Deckung der Wärmenachfrage für den Men-
schen nutzbar; zur technisch sinnvollen Nutzbarmachung wird deshalb i. Allg. eine weite-
re Systemkomponente, eine sogenannte Wärmepumpe, benötigt.
Wärme kann natürlicherweise ohne technische Hilfe nur von einem Punkt höherer
Temperatur zu einem Punkt niedrigerer Temperatur strömen; dies ist vergleichbar mit
Wasser, das natürlicherweise nur von einem höheren geodätischen Niveau auf ein nied-
rigeres geodätisches Niveau fließen kann (Kapitel 7.1 und 7.2). Wenn diese natürliche
Fließrichtung umgedreht werden soll und damit thermische Energie mit einer höheren
Temperatur aus thermischer Energie mit einer niedrigeren Temperatur bereitgestellt wer-
den soll, ist eine technische Maschine zwingend nötig. Beim Wasserstrom ist dies eine
Wasserpumpe und beim Wärmestrom eine Wärmepumpe (Abb. 8.1). Damit ist eine Wär-
mepumpe eine technische Komponente, die unter Aufwendung von externer Antriebsener-
gie thermische Energie aus einem Reservoir mit niedrigerer Temperatur aufnimmt und –
zusammen mit der Antriebsenergie – als Wärme auf einem höheren Temperaturniveau
wieder abgibt.

Autoren in alphabetischer Reihenfolge mit Beiträgen zum Kapitel; die Autorenzuordnung geht aus
den einzelnen Unterkapiteln hervor.
Martin Kaltschmitt, Lucas Sens, Hamburg, Deutschland
Wolfgang Streicher, Innsbruck, Österreich
Felix Ziegler, Berlin, Deutschland

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 685
M. Kaltschmitt, W. Streicher, A. Wiese (Hrsg.), Erneuerbare Energien,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-61190-6_8
686 M. Kaltschmitt et al.

Höhe Temperatur

Nutzwärme
höheres
geodätisches höhere
Niveau Temperatur

Antriebs- Antriebs-
energie energie

Wasser-
niedrigeres pumpe Wärme-
geodätisches niedrigere pumpe
Niveau Temperatur
Wasser Umgebungs-
wärme

Abb. 8.1 Wärmepumpenprinzip (rechts) und hydraulisches Analogon (links)

Die Energie, die in der Umgebungsluft, in stehenden oder fließenden Oberflächenge-


wässern oder im oberflächennahen Erdreich und im Grundwasser enthalten ist, stammt
im Wesentlichen aus der von der Sonne eingestrahlten Energie (regenerative Energiequel-
le „Solarenergie“, Kapitel 2.2). Dies gilt im Normalfall uneingeschränkt bei der Energie
der Umgebungsluft; in dicht besiedelten Gebieten spielt aber auch der anthropogene Wär-
meeintrag u. a. durch Hausheizungen und den Verkehr eine Rolle. Bei der thermischen
Energie, die sich im oberflächennahen Erdreich befindet, stammt ein Teil, der mit zuneh-
mender Tiefe unter der Erdoberfläche immer mehr zunimmt, nicht von der Sonne, sondern
aus dem geothermischen Wärmefluss, der aus der im Erdinneren gespeicherten Hochtem-
peraturwärme resultiert (regenerative Energiequelle „Erdwärme“, Kapitel 2.7). Trotzdem
wird unabhängig davon, wo die im oberflächennahen Erdreich enthaltene Wärmeenergie
letztlich herkommt, die in der Erde befindliche thermische Energie als Erdwärme bezeich-
net (international anerkannte Begriffsein- und -abgrenzung).
Vor dem Hintergrund dieser Begriffsabgrenzung beginnt die Nutzung der Erdwärme
i. Allg. und die der oberflächennahen Erdwärme im Besonderen an der Erdoberfläche
(Abb. 8.2). Zusätzlich wird bei der Erdwärmenutzung zwischen der Nutzung der ober-
flächennahen und der tiefen Erdwärme (Kapitel 9) unterschieden (Abb. 8.2). Jedoch ist
die Abgrenzung zwischen der Nutzung der oberflächennahen Geothermie und der geo-
thermischen Energie aus tieferen Schichten (Tiefengeothermie, Kapitel 9) nicht eindeutig
und international z. T. leicht unterschiedlich definiert; aus physikalischer Sicht ist auch
eine derartige Grenze nicht sinnvoll ableitbar, da die Temperatur mit zunehmender Tie-
fe kontinuierlich ansteigt (Kapitel 2.7, Abb. 8.2). Jedoch kann bzw. muss das in einem
jeweils unterschiedlichen Tiefenstockwerk vorherrschende Temperaturniveau mit jeweils
verschiedenartigen technischen Lösungsansätzen und damit andersartigen Energiebereit-
stellungsoptionen zur Energiebereitstellung erschlossen werden. Auch gibt es praktische
und / oder administrative Festlegungen einer derartigen Abgrenzung zwischen der ober-
flächennahen und der tiefen Geothermie. Eine Definition geht ursprünglich auf eine ad-
ministrative Festlegung in der Schweiz zurück. Nach dieser wurden Anlagen zur Nutzung
8 Nutzung von Umgebungswärme 687

Höhe in m
1000
Sonnenstrahlung
100
Energie 10
der Umge-
bungsluft Atmosphäre
1
Erdoberfläche
Oberflächenwasser
Beeinflussung durch
Oberflächen- -1 Speicherung der
nahe Solarenergie
Erdwärme -10
Erdwärme

Erdreich mit Grundwasser


-100

-1000
Tiefe in m

Tiefe
Erd- -10000 Geothermische Energie
wärme

Abb. 8.2 Begriffsabgrenzungen

der (tiefen) Erdwärme in mehr als 400 m Tiefe durch die Übernahme des Bohrrisikos ge-
fördert; und da es lange Zeit keine Anlagen mit Tiefen zwischen rund 200 und ca. 500 m
gab, wurde hier eine sinnvolle Grenze gesehen. Dieser Wert von 400 m als ungefähre Un-
tergrenze der Nutzung der oberflächennahen Erdwärme hat auch in andere Richtlinien
Eingang gefunden (z. B. VDI-Richtlinie 4640). In Deutschland wird auch oft eine Gren-
ze von 100 m zwischen der oberflächennahen und der tiefen Geothermie genannt, da ab
100 m Tiefe das Bundesberggesetz greift und der Genehmigungsprozess für eine derartige
Anlage sich damit ändert; aus diesem Grund sind viele Erdwärmesonden zur Nutzung der
oberflächennahen Erdwärme in Deutschland maximal rund 99 m tief. In der praktischen
Umsetzung wird die oberflächennahe Erdwärme typischerweise mit kleinen, dezentra-
len Systemen, die alle auf einer Wärmepumpe als Kernkomponente basieren, genutzt;
demgegenüber erfolgt die Nutzbarmachung der tiefen Geothermie in großen Anlagen,
bei denen wegen der höheren Temperaturen möglicherweise keine Wärmepumpen benö-
tigt werden, und die im Regelfall an ein Wärmeverteilnetz (Nah- oder Fernwärmenetz)
gekoppelt sind, damit die dort realisierbaren großen thermischen Leistungen bzw. Ener-
giemengen zum Endverbraucher transportiert werden können (Kapitel 9). Damit unter-
scheiden sich auch die Nutzungskonzepte der oberflächennahen und der tiefen Geothermie
deutlich.
Ein typisches, charakteristisches Kennzeichen der Umgebungswärme ist es damit, dass
sie auf einem für die technische Nutzung typischerweise zu niedrigem Temperaturniveau
vorliegt. Die größte Bedeutung hat aber die Nutzung der Umgebungswärme tatsächlich
als Wärme zur Deckung der Nachfrage nach Raumwärme und / oder Brauchwarmwasser.
Hierfür muss jedoch die thermische Energie der Umgebung (d. h. die dort vorhandene
688 M. Kaltschmitt et al.

Niedertemperaturwärme) „veredelt“ werden bzw. ihr Temperaturniveau muss angehoben


werden. Geheizt werden muss ja gerade dann, wenn es kalt ist bzw. wenn die Temperatur
der Umgebung aus Sicht des jeweils geforderten Komfortniveaus zu niedrig ist. Diese
Aufgabe übernehmen dann die oben definierten Wärmepumpen; ihre Funktionsweise wird
nachfolgend vertieft diskutiert.
Eine weitere energetische Nutzungsmöglichkeit speziell des oberflächennahen Erd-
reichs ist die Kühlung von Gebäuden durch Wärmeabfuhr in das Erdreich im Sommer.
Man kann diese Methode der „stillen“ oder „freien“ Kühlung zuordnen; darunter wird
die Abfuhr von Wärme an die Umgebung ohne Kältemaschine (z. B. direkt über einen
Kühlturm an die Luft oder eben in das Erdreich) verstanden. Hierbei macht man sich die
Temperaturen des Erdreichs von typischerweise unter 18 ı C im Sommer im mitteleuro-
päischen Raum zunutze. Bei nicht zu großer Kühlleistung kann mit „stiller“ Kühlung sehr
energiesparend der gesamte oder zumindest ein Großteil der Kältenachfrage abgedeckt
werden, da die Heizgrenztemperatur zumindest in Mitteleuropa immer über der mittleren
Bodentemperatur liegt.
Im Folgenden wird das Erdreich jedoch primär als Wärmequelle zur Deckung der
Wärmenachfrage betrachtet. Ein derartiges technisches System zur Nutzung von Umge-
bungswärme durch Wärmepumpen besteht im Regelfall aus den folgenden drei System-
elementen:

 der Wärmequellenanlage, mit welcher der Entzug der thermischen Energie aus der Um-
gebung auf einem (sehr) geringen Temperaturniveau ermöglicht wird,
 der Wärmepumpe selbst und
 der Wärmesenkenanlage; darunter wird die Anlage zur Einspeisung und / oder Verwen-
dung der durch die Wärmepumpe auf ein höheres Temperaturniveau gebrachten Wärme
verstanden. Derartige Wärmesenkenanlagen sind zwar typischerweise Standardanla-
gen, wie sie üblicherweise zur Gebäudebeheizung und / oder Trinkwarmwasserberei-
tung standardmäßig verbaut werden; sie müssen aber auf die technischen Eigenschaften
der Wärmepumpe angepasst werden.

Ausgehend davon werden zuerst in Kapitel 8.1 die physikalischen Grundlagen von
Wärmepumpen zur Nutzung von Umgebungswärme erklärt. Danach wird in Kapitel 8.2
die Technik zur Nutzung dieser Energiequelle besprochen. Dies gilt zuerst für die Mög-
lichkeiten zum „Ernten“ der Umgebungswärme (Kapitel 8.2.1), um danach auf die we-
sentlichen Komponenten der wichtigsten Bauarten von Wärmepumpen einzugehen (Ka-
pitel 8.2.2). In Kapitel 8.2.3 werden aufbauend darauf die einzuhaltenden Wärmepum-
pen-relevanten Randbedingungen für die Wärmesenke sowie einige Beispiele für ent-
sprechende Gesamtsysteme vorgestellt. Im Kapitel 8.3 schließt sich die ökonomische und
ökologische Analyse und in Kapitel 8.4 eine Betrachtung der Potenziale und der derzeiti-
gen Nutzung an.
8 Nutzung von Umgebungswärme 689

8.1 Grundlagen

Wolfgang Streicher, Felix Ziegler und Martin Kaltschmitt

Ziel der folgenden Ausführungen ist eine Darstellung der Grundlagen der Wärmepumpen.
Dabei wird auf Systeme mit einem mechanischen und einem thermischen Antrieb vertieft
eingegangen; auch werden entsprechende Kenngrößen beschrieben. Zuvor werden aber
grundlegende Zusammenhänge diskutiert.

8.1.1 Grundlegende Zusammenhänge

Im vorliegenden Fall einer Nutzwärmebereitstellung aus Umgebungswärme wird die Wär-


me bei geringen Temperaturen aus der Umgebung (hier: Wärmequelle; z. B. oberflächen-
nahes Erdreich oder Umgebungsluft) aufgenommen und dann bei höheren Temperaturen
an den Nutzer (hier: Wärmesenke; z. B. an eine Fußbodenheizung oder in einen Heißwas-
serspeicher) wieder abgegeben. Damit ein derartiger Vorgang des „Pumpens“ von ther-
mischer Energie von einem niedrigeren auf ein höheres Temperaturniveau durchgeführt
werden kann, ist ein entsprechender apparativer Aufwand und zusätzlich hochwertige
Energie (z. B. elektrische Energie, mechanische Energie, Wärme mit hoher Temperatur)
notwendig. Die technische Maschine, die dies ermöglicht, wird als Wärmepumpe be-
zeichnet. Im Besonderen sind alle Kälteanlagen (z. B. Kühlschrank) vom Grundsatz her
Wärmepumpen; hierbei wird die Wärme aber nicht aus der Umwelt, sondern aus dem zu
kühlenden Medium als Wärmequelle (z. B. Kühlraum) entnommen und mit einer angeho-
benen Temperatur meist an die Umgebung (d. h. den Raum, in dem der Kühlschrank steht)
abgegeben [8.1, 8.2] (d. h. die Umgebung ist hier die Wärmesenke).
Derartige Wärmepumpen werden oft nach den Medien, die in Quelle und Senke ver-
wendet werden, klassifiziert. Dabei wird zuerst die Quelle genannt und dann die Senke.

 Wasser-Wasser-Wärmepumpen verwenden z. B. Grundwasser als Quelle und Hei-


zungswasser oder Brauchwasser als Senke.
 Sole-Wasser-Wärmepumpen nutzen die Energie des Erdreichs oder der Luft und als
Wärmeträger eine Sole mit Frostschutzmittel als Quelle und Heizungswasser oder
Brauchwasser als Senke.
 Luft-Wasser-Wärmepumpen verwenden Außenluft ohne einen zwischengeschalteten
Wärmeträger als Quelle und Heizungswasser oder Brauchwasser als Senke.
 Wasser-Luft-, Sole-Luft- oder Luft-Luft-Wärmepumpen nutzen entsprechend direkt
die Raumluft als Senke.

In den meisten Bauarten von Wärmepumpen (eine Ausnahme ist der Peltier-Prozess,
der aber nur in der Kältetechnik eine Rolle spielt) durchläuft dabei ein Arbeitsstoff (meist
690 M. Kaltschmitt et al.

Kälte-, Arbeits- oder Kreislaufmittel genannt) einen thermodynamischen Kreisprozess,


bei dessen einzelnen Teilschritten

 bei einer bestimmten (niedrigeren) Temperatur Wärme aus der Wärmequelle (Umge-
bung) aufgenommen,
 hochwertige Antriebsenergie (z. B. elektrische Energie) zugeführt und
 nun die auf dem geringeren Temperaturniveau aufgenommene Wärmeenergie ein-
schließlich der – in Wärme umgewandelten – eingesetzten Antriebsenergie in Form
von thermischer Energie auf einem höheren Temperaturniveau der Wärmesenke zur
Nutzung bereitgestellt wird.

Zur Schließung eines derartigen Kreisprozesses sind normalerweise weitere Schritte


nötig (siehe unten).

Prozesseffizienz Während also ein Teil (nämlich die Umweltwärme) der zum Heizen
genutzten Energie bei einer Wärmepumpe immer regenerativen Ursprungs ist, gilt das
für den anderen Teil, die Antriebsenergie, nicht notwendigerweise. Darum werden Wär-
mepumpen oft nicht vollständig als „regenerative“ Technologien bewertet. Hier ist das
Verhältnis aus bereitgestellter Nutzwärme QP Nutz zu benötigter mechanischer bzw. ther-
mischer Antriebsenergie WP Antr bzw. QP Antr eine typische Kennzahl zur entsprechenden
Bewertung einer derartigen Wärmepumpe. Sie wird bei einem mechanischen Antrieb (das
ist der weitaus häufigste in der Praxis vorkommende Fall) Leistungszahl "i (Gleichung
(8.1)) und bei einem thermischen Antrieb Wärmeverhältnis i (Gleichung (8.2)) genannt.
Der Index i in den beiden Kenngrößen bedeutet, dass es sich um Kennzahlen lediglich für
den „inneren“ thermodynamischen Prozess handelt; d. h. Verluste des Antriebs werden
nicht berücksichtigt.

QP Nutz
"i D (8.1)
WP Antr
QP Nutz
i D (8.2)
QP Antr

Diese beiden Kennzahlen sind nicht mit dem „klassischen“ Wirkungsgrad zu verwech-
seln, da hierbei der Teil der dem Prozess aus der (regenerativen) Wärmequelle (z. B.
Umgebungsluft, oberflächennahe Erdwärme) zugeführten thermischen Energie nicht be-
rücksichtigt wird. Die Leistungszahl "i oder das Wärmeverhältnis i sind eher von der
Praxis motivierte Kennzahlen, da die Antriebsenergie (z. B. elektrische Energie aus dem
Netz oder eine dezentrale Photovoltaikanlage für die Bereitstellung der mechanischen
Energie) im Regelfall zu bezahlen ist und die Umwelt- oder Umgebungswärme dahin-
gegen typischerweise gratis genutzt werden kann. Die jeweils bereitgestellte Nutzwärme
ist im Heizungsfall die Wärmeabgabe auf dem angestrebten hohen Temperaturniveau (und
8 Nutzung von Umgebungswärme 691

im Kühlfall die der Wärmequelle entzogene Wärme auf einem gewünschten tiefen Tempe-
raturniveau). In besonders günstigen Fällen (z. B. Supermarkt mit gleichzeitiger Kühlung
der Kühltruhen und Heizung des Raums oder in Wohngebäuden mit einem gleichzeitigen
Kühlen der Wohnungen und einer Trinkwarmwasserbereitung) kann sowohl die Wärme
als auch die Kälte als Nutzenergie genutzt werden; in solchen günstigen Fällen sind die
Leistungszahlen bzw. Wärmeverhältnisse sehr hoch.
In Gleichung (8.1) und (8.2) wurden nicht Energien, sondern Leistungen verwendet,
weil diese Definitionen strenggenommen nur für die Energieströme in einem momen-
tanen Betriebszustand gelten. Wird bei konstanten Betriebsbedingungen über die Zeit
integriert, gelten die Gleichungen aber auch für Energiemengen; bei der Betrachtung län-
gerer Zeiträume mit wechselnden Bedingungen werden aber andere Begriffe verwendet
(Kapitel 8.1.4).
Auch wird die Umgebungswärme in dieser Definition nicht als Aufwand im Sinne eines
Wirkungsgrades gezählt. Es kann aber bei Systemvergleichen sinnvoll oder sogar nötig
sein, die benötigte (kostenlose) Umweltwärme zusätzlich zur (kostenpflichtigen) Hilfs-
energie zu berücksichtigen (Kapitel 8.2).

Maximale Effizienz Bei allen thermodynamischen Kreisprozessen gibt es ein theoreti-


sches Maximum der bei reversibler Prozessführung erzielbaren Wirkungsgrade. Ange-
wendet auf den mechanisch angetriebenen Wärmepumpenprozess lässt sich die entspre-
chende theoretisch maximal mögliche Leistungszahl als Carnot-Leistungszahl "c nach
Gleichung (8.3) berechnen. T Senke ist dabei die Temperatur der Wärmesenke (in Kelvin,
K) und T Quelle die der Wärmequelle (ebenfalls in K).

TSenke
"c D (8.3)
TSenke  TQuelle

Bei thermisch angetriebenen Wärmepumpen muss zusätzlich noch die Temperatur der
antreibenden Wärme T Antr , berücksichtigt werden. Angewendet auf den thermisch ange-
triebenen Wärmepumpenprozess lässt sich dann das theoretisch maximal mögliche Wär-
meverhältnis als Carnot-Wärmeverhältnis c nach Gleichung (8.4) beschreiben.

TSenke TAntr  TQuelle


c D (8.4)
TSenke  TQuelle TAntr

Insbesondere bei dem mechanisch angetriebenen Wärmepumpenprozess wird unmit-


telbar die starke Abhängigkeit der Leistungszahl " von dem zu bewältigenden Tempe-
raturhub T H sichtbar. Dieser Temperaturhub T H beschreibt die Temperaturdifferenz
zwischen der Temperatur der Wärmesenke T Senke und der Wärmequelle T Quelle ; es gilt
Gleichung (8.5).

TH D TSenke  TQuelle (8.5)


692 M. Kaltschmitt et al.

Abb. 8.3 Carnot-Leistungs- 16


zahl "c einer Wärmepumpe in 14
Abhängigkeit von den Tem- 12

Leistungszahl εc
peraturen der Wärmequelle 10
-5 °C TQuelle = +10 °C
(T Quelle ) und der Wärmesenke 8
(T Senke ) 6
4
-20 °C
2
0
20 30 40 50 60 70 80
Temperatur der Wärmesenke in °C

Damit kann die Carnot-Leistungszahl "c nach Gleichung (8.6) und das Carnot-Wärme-
verhältnis c nach Gleichung (8.7) geschrieben werden.
TSenke
"c D (8.6)
TH
TSenke TAntr  TQuelle
c D (8.7)
TH TAntr
Dieser Zusammenhang nach Gleichung (8.6) ist auch in Abb. 8.3 dargestellt. Hier ist
die Carnot-Leistungszahl "c für drei Wärmequellentemperaturen über der Wärmesenken-
temperatur aufgetragen. Bei einer typischen Wärmesenkentemperatur von 40 ı C würde
bei einer (eher sommerlichen) Quellentemperatur von 10 ı C dann eine Leistungszahl von
über 10 erreicht werden; d. h. weniger als ein Zehntel der Nutzwärmeleistung müsste als
Antriebsleistung bereitgestellt werden.
Der Anteil der Umgebungswärmeleistung an der Nutzwärmeleistung zeigt Abb. 8.4
über der Leistungszahl "i . Dieser Anteil berechnet sich ganz allgemein nach Gleichung
(8.8). QP Umgebung ist die Umgebungswärme und QP Nutz die Nutzwärme. "i ist die Leistungs-
zahl.

QP Umgebung "i  1
D (8.8)
P
QNutz "i

Abb. 8.4 Anteil der Umge- 1,0


Anteil der Umgebungsw ärme

0,9
bungswärme in Abhängigkeit
0,8
von der Leistungszahl "i
0,7
0,6
0,5
0,4
0,3
0,2
0,1
0,0
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Leistungszahl εi
8 Nutzung von Umgebungswärme 693

Im Falle des idealen Prozesses lässt sich Gleichung (8.8) weiter vereinfachen zu
Gleichung (8.9). Demnach entspricht das Verhältnis zwischen der Umgebungswärme
QP Umgebung und der Nutzwärme QP Nutz dem Verhältnis zwischen Quellentemperatur T Quelle
und Senkentemperatur T Senke . Analog kann dies auch für das Wärmeverhältnis i abgelei-
tet werden.

QP Umgebung TQuelle
D (8.9)
P
QNutz TSenke

Beispielsweise beträgt bei einer Quellentemperatur von 5 ı C die Leistungszahl (bei


einer Senkentemperatur von 40 ı C) noch immer 7 und bei 20 ı C ist sie etwa 5; selbst
dann ist der Anteil der Umgebungswärme an der Nutzwärme immer noch etwa 80 %.

Verlustmechanismen Ausgehend von diesen grundlegenden Zusammenhängen werden


nachfolgend weitere physikalisch zwingend auftretende Verlustmechanismen am Beispiel
der Leistungszahl diskutiert. Eine entsprechende Herleitung kann auch für das Wärmever-
hältnis realisiert werden.
Die Prozesstemperaturen in der Wärmepumpe sind anders als die Temperaturen von
Quelle T Quelle und Senke T Senke . Wie schon in Abb. 8.1 angedeutet, muss die Niedertempe-
raturwärme aus der Wärmequelle erst über eine sogenannte treibende Temperaturdifferenz
(Gleichung (8.24) in Kapitel 8.2) auf den eigentlichen Wärmepumpenprozess übertragen
werden. Die Wärmepumpe muss die Nutzwärme außerdem auf ein höheres Temperaturni-
veau als das der Wärmesenke heben, damit sie aus dem Wärmepumpen-Kreisprozess auf
die jeweilige Wärmesenke übertragen werden kann. Wird diese für alle Wärmeübertra-
gungsvorgänge relevante treibende Temperaturdifferenz oder Grädigkeit mit T bezeich-
net, ergibt sich für die nur auf den inneren Prozess bezogene „innere“ Carnot-Leistungs-
zahl "ci . Es gilt Gleichung (8.10).

TSenke C T TSenke C T
"ci D     D (8.10)
TSenke C T  TQuelle  T TH C 2T

Grundsätzlich ist immer "ci < "c , weil der innere Prozess für die Irreversibilitäten der
Wärmeübertragung zur Senke und von der Quelle aufkommen muss. Dieser Zusammen-
hang nach Gleichung (8.10) ist exemplarisch in Abb. 8.5 für eine Grädigkeit T von 5 K
aufgetragen; eine derartige Grädigkeit ist für viele Auslegungen bei Wärmeübertragern
und auch bei Wärmepumpen typisch. Daraus resultiert, dass sich die Leistungszahl des
oben genannten Beispiels (Wärmesenkentemperatur von 40 ı C und eine (eher sommerli-
che) Quellentemperatur von 10 ı C) infolge dieses Verlustmechanismus von über 10 auf
rund 8 reduziert (d. h. um rund 20 %).
Generell gilt, dass je kleiner die Wärmeübertrager ausgelegt werden, desto größer
ist die benötigte Temperaturdifferenz, um die gleiche Wärme zu übertragen. Dieser aus
technischer Sicht wesentliche Zusammenhang beschreibt Gleichung (8.11). QP ist die zu
694 M. Kaltschmitt et al.

Abb. 8.5 Innere Carnot- 16

Leistungszahl "ci einer 14

Leistungszahl εci
Wärmepumpe in Abhängig- 12

keit von den Temperaturen 10


-5 °C
der Wärmequelle (T Quelle ) und 8
TQuelle = +10 °C
der Wärmesenke (T Senke ) bei 6
4
Grädigkeiten (T ) von 5 K -20 °C
2
0
20 30 40 50 60 70 80
Temperatur der Wärmesenke in °C

übertragende thermische Leistung, U der Wärmeübergangskoeffizient, AW die Fläche


des Wärmeübertragers und T log die mittlere Temperaturdifferenz zwischen den beiden
wärmeaustauschenden Medien über den gesamten Wärmeübertrager (siehe auch Glei-
chung (8.24)). Damit sind die Leistungszahlen insbesondere bei tiefen Senken- und hohen
Quellentemperaturen deutlich reduziert; dies zeigt, wie wichtig eine ausreichend große
Wärmeübertragerauslegung ist.

QP D U AW Tlog (8.11)

Zudem hat jeder Prozess Irreversibilitäten (d. h. interne Verluste), die sich u. a. aus Ab-
weichungen des Realprozesses vom idealen Prozess, aus Druckverlusten im System und
aus Verlusten von Kompressor und Antriebselektronik ergeben. Diese internen Verluste
verringern die Leistungszahl zusätzlich. Diese Verluste werden durch die Prozessgüte
i
nach Gleichung (8.12) beschrieben. "ci ist wieder die innere Carnot-Leistungszahl und "i
die Leistungszahl.

"i D
i "ci (8.12)

Mit einer für heute marktgängige Wärmepumpen realistische Prozessgüte von rund
60 % ergibt sich Abb. 8.6. Demnach ist bei einer Senkentemperatur von 40 ı C die Leis-
tungszahl bei einer Quellentemperatur von 10 ı C (gleiches Beispiel wie oben) nun knapp

Abb. 8.6 Leistungszahl "i 10


9
einer Wärmepumpe in Abhän-
8
Leistungszahl εi

gigkeit von den Temperaturen 7


der Wärmequelle (T Quelle ) und 6
-5 °C
der Wärmesenke (T Senke ) bei 5
TQuelle = +10 °C
4
Grädigkeiten (T ) von 5 K 3
und einer Prozessgüte
i von 2
-20 °C
60 % 1
0
20 30 40 50 60 70 80
Temperatur der Wärmesenke in °C
8 Nutzung von Umgebungswärme 695

unter 5 (d. h. 80 % Umgebungswärme an der insgesamt bereitgestellten Nutzwärme) und


3,5 bei einer Quellentemperatur von 5 ı C (d. h. 71 % Umgebungswärme an der insge-
samt bereitgestellten Nutzwärme). Bei einer Quellentemperatur von 20 ı C ist die Leis-
tungszahl immer noch 2,8 und damit kommen 64 % der Nutzwärme aus der Umgebung.
Aus diesen einfachen Zusammenhängen lassen sich die folgenden Grundregeln ab-
leiten, um einen hohen Anteil an Umgebungswärme mit einer Wärmepumpe nutzen zu
können.

 Die Wärmesenkentemperatur sollte möglichst niedrig sein (d. h. Fußbodenheizungen


sind besser als Radiatorheizungen). Außerdem sollten keine zusätzlichen Mischventi-
le, Wärmeübertrager oder ähnliche Bauteile zwischen der Wärmepumpe und der ei-
gentlichen Wärmesenke eingebaut werden, da mit diesen die Temperaturen abgesenkt
werden (mitunter unscharf als „Temperaturverluste“ bezeichnet) und die Wärmepumpe
dann entsprechend dieser Temperaturverluste im System höhere Temperaturen liefern
muss, als die Wärmesenke eigentlich benötigt.
 Die Wärmequellentemperatur sollte möglichst hoch sein; beispielsweise ist Erdreich
(in der Heizperiode) besser als Luft.
 Die Wärmeübertrager sollten großzügig dimensioniert sein. Zusätzlich ist dabei zu
beachten, dass deren Auslegung auch eine wirtschaftliche Optimierung zwischen In-
vestitionskosten (größere Wärmeübertrager sind teurer) gegen Betriebskosten (weniger
Stromverbrauch durch höhere Leistungszahl) erfordert.

8.1.2 Prozesse mit mechanischem Antrieb

Die in Kapitel 8.1.1 dargestellten grundlegenden Zusammenhänge werden nun für Wär-
mepumpen mit einem mechanischen Antrieb vertieft. Derartige mechanisch angetriebe-
ne Wärmepumpen können grundsätzlich als Kaltdampf- oder Kaltgasanlagen oder auch
als transkritische Prozesse ausgeführt werden. Im einfachsten und am häufigsten in der
Praxis verwendeten Kaltdampfprozess (Plank-Prozess) erfährt das in der Wärmepumpe
eingesetzte Kreislauf- oder Kältemittel sowohl bei der Wärmeaufnahme als auch bei der
Wärmeabgabe einen Phasenwechsel zwischen dem flüssigen und dem gasförmigen Zu-
stand. Demgegenüber bleibt beim Kaltgasprozess das Kältemittel im Verlauf des gesamten
Kreisprozesses immer gasförmig; der Kaltgasprozess hat aber für Wärmepumpen keine
praktische Bedeutung und wird deshalb hier nicht weiter betrachtet. Der transkritische
Prozess ist ein Sonderfall des Kaltdampfprozesses, bei dem bei der Wärmeaufnahme, aber
nicht bei der Wärmeabgabe ein Phasenwechsel auftritt.
Die Verwendung eines Phasenwechsels des Kreislauf- oder Kältemittels zwischen
dem flüssigen und dem gasförmigen Zustand als physikalisch maßgeblichen Effekt dieses
Kreisprozesses hat folgende Vorteile.
696 M. Kaltschmitt et al.

 Die Temperatur des Phasenwechsels ist druckabhängig (Dampfdruckkurve). Deshalb


kann durch eine einfache Veränderung des Drucks die Temperatur von Wärmezu- und
-abfuhr gut an die Temperatur von Wärmequelle und -senke angepasst werden.
 Die auf die Masse des Kälte- bzw. Kreislaufmittels bezogene umgesetzte Energie-
menge (spezifische Verdampfungsenthalpie) ist unter Berücksichtigung des Phasen-
wechsels relativ groß; dadurch wird der umzuwälzende Massenstrom des Kältemittels
vergleichsweise klein.
 Die Wärmeübergangskoeffizienten sind relativ hoch; dadurch können die Wärmeüber-
trager vergleichsweise klein und damit kostengünstig realisiert werden.

Technische Beschreibung In Kaltdampf-Kompressionswärmepumpen findet in einem


geschlossenen Kreislauf der sogenannte Plank-Prozess statt, der im Wesentlichen aus den
vier Schritten Verdampfung, Verdichtung, Kondensation und Drosselung besteht. Derarti-
ge Anlagen bestehen damit aus

 einem Verdampfer,
 einem Verdichter mit Antrieb,
 einem Kondensator (Verflüssiger) und
 einer Drossel (Expansionsventil).

Dieser Prozess ist in Abb. 8.7 bildhaft dargestellt. Die Zahlen in der Abbildung benen-
nen unterschiedliche thermodynamische Zustände und sind im Text erklärt.

Wärme zu Wärmesenke
(hohe Temperatur)
von Wärmesenke zu Wärmesenke
(Nutzung) (Nutzung)

4 3 2 1
flüssig

Dampf und flüssig Dampf

Kondensator
hoher Expansions-
Temperaturbereich ventil
Druck des hoch
Kältemittels
niedrig
niedriger Verdichter
Temperaturbereich Antriebs-
Verdampfer energie
zirkulierendes
Arbeits-
medium Dampf und flüssig Dampf
(Kältemittel)

5 6 7
zu Wärmequelle von Wärmequelle

Wärme von Wärmequelle


(niedrige Temperatur)

Abb. 8.7 Kaltdampfprozess (zur Erklärung der Zahlen siehe Text; nach [8.4, 8.23])
8 Nutzung von Umgebungswärme 697

Demnach wird auf der Niederdruckseite (untere Bildhälfte in Abb. 8.7) im Verdampfer
V bei konstanter (niedriger) Temperatur Wärme durch das verdampfende Kälte- oder
Kreislaufmittel aus der Wärmequelle (z. B. oberflächennahes Erdreich) aufgenommen
(Änderung des Zustandes 5 nach Zustand 6, Abb. 8.7). Die für diese Verdampfung not-
wendige Umgebungswärme wird entweder über einen Wärmeträgerzwischenkreislauf
oder – bei der Direktverdampfung – aus der Wärmequelle unmittelbar bereitgestellt;
die Wärme der Wärmequelle fließt dazu im Verdampfer zum kälteren Kältemittel. An-
schließend wird das Kältemittel zumeist noch etwas überhitzt (Änderung des Zustandes 6
nach Zustand 7, Abb. 8.7). Dadurch wird sichergestellt, dass keine Flüssigkeitströpfchen
mehr im Kreislaufmittel enthalten sind, da dies den nachfolgend angeordneten Verdichter
schädigen würde. Bei hermetischen oder halb-hermetischen Verdichtern passiert diese
Überhitzung im Verdichter selbst (Kapitel 8.2).
Das verdampfte und leicht überhitzte Kältemittel wird anschließend von einem Ver-
dichter angesaugt und auf einen höheren Druck gebracht (Änderung des Zustandes 7 nach
Zustand 1, Abb. 8.7). Der Druck muss dabei mindestens so hoch sein, dass die zugehörige
Kondensationstemperatur ausreicht, dass die Kondensationswärme an die Wärmesenke,
also die Wärmenutzungsanlage, abgegeben werden kann. Bei der Verdichtung steigt aus
thermodynamischen Gründen die Temperatur des Kältemitteldampfes – abhängig von den
Moleküleigenschaften und Irreversibilitäten der Verdichtung – normalerweise über die
Kondensationstemperatur an.
Auf diesem Druck- und Temperaturniveau strömt das Kältemittel dann zum Konden-
sator. Hier wird die Wärme des Kreislaufmittels vom Kondensator an die zu beheizende
Wärmesenke abgegeben; d. h. es fließt wieder Wärme von einem hohen zu einem etwas
niedrigeren Temperaturniveau. Hierbei wird das Kältemittel von dem überhitzten Zustand
am Ende des Kompressors zuerst so weit abgekühlt, dass es die Kondensationstemperatur
bei dem gegebenen Druck erreicht (Änderung des Zustandes 1 nach Zustand 2, Abb. 8.7).
Anschließend wird es bei dieser Temperatur unter Wärmeabgabe an die Wärmesenke
kondensiert (Änderung des Zustandes 2 nach Zustand 3, Abb. 8.7) und zumeist leicht
unterkühlt (Änderung des Zustandes 3 nach Zustand 4, Abb. 8.7).
Anschließend wird es durch eine Strömungsdrossel isenthalp (adiabat irreversibel) ent-
spannt (Änderung des Zustandes 4 nach Zustand 5, Abb. 8.7). Bei dieser Entspannung
betritt das Kondensat das Nassdampfgebiet und verdampft zu einem Teil wieder. Durch
diese Teilverdampfung kühlt es sich bis auf die Verdampfertemperatur ab; dabei steht aber
nur noch ein Teil der Verdampfungsenthalpie zur Kälteerzeugung zur Verfügung (Dros-
selverlust). Damit ist der Kreisprozess geschlossen.

Thermodynamische Beschreibung Dieser Wärmepumpen- oder Plank-Prozess kann in


unterschiedlichen Stoffwertediagramm (Abb. 8.8, 8.9 und 8.10) dargestellt werden. Alle
diese Diagramme zeigen innerhalb der dicken gebogenen Linie das sogenannte Nass-
dampfgebiet. Hier liegt das Kältemittel in einer Mischung aus Flüssigkeit und Dampf
(Gas) vor. Links des Gebiets ist das Kältemittel nur flüssig, rechts dieses Gebiets nur
gasförmig. Der linke Teil der Grenzkurve wird als Siedelinie und der rechte Teil der
698 M. Kaltschmitt et al.

2
Abb. 8.8 Kaltdampfprozess 10
im lg.p/; h-Diagramm am Bei-
Δ h Kond
spiel des Kältemittels R134a

0,9
Druck in bar
(zur Erklärung der Formelzei-
70 °C
chen siehe Text) [8.23]

1,0
1 43 2 1
10 40 °C

1,1
12,7 °C

)
gK
/(k
5 -7,8 °C 67

kJ
0,2 0,4 0,6 0,8

1 ,2
Δ h Verd Δ h Antr

s=
0
10
50 100 150 200 250 300 350
Enthalpie (h) in kJ/kg

Grenzkurve als Taulinie oder Sattdampfkurve bezeichnet. Oberhalb des Nassdampfgebiets


gibt es keine Phasentrennung zwischen Flüssigkeit und Gas (überkritischer Zustand).
Das Druck-Enthalpie-Diagramm (Abb. 8.8) wird üblicherweise mit einer logarithmi-
schen Druckachse dargestellt (d. h. als lg(p),h-Diagramm; p ist der Druck und h die Enthal-
pie (die spezifische Enthalpie h (früher: Wärmeinhalt) eines thermodynamischen Systems
ist die Summe aus der spezifischen inneren Energie des Systems und dem Produkt aus
Druck p und spezifischem Volumen v des Systems)). Diese logarithmische Darstellung
liegt im dann annähernd linearen Temperaturverlauf im Nassdampfgebiet begründet. Da
der Prozess zwei isobare Zustandsänderungen enthält, sieht er in der Druck-Enthalpie-
Darstellung besonders einfach aus.
Treten keine Wärmeverluste auf, entspricht die Leistung aus der Wärmequelle der Ver-
dampferleistung und die Kondensatorleistung der Nutzleistung (d. h. der Leistung in die
Wärmesenke). Bei Annahme von Stationarität ändern sich zudem die inneren Energien in
den einzelnen Anlagenteilen und die Enthalpien der Ströme nicht mit der Zeit, so dass sich
die Wärmeleistung QP der Wärmeübertrager (Umgebung für die Umgebungswärme, Nutz
für die Nutzwärme, Senke für die Wärmesenke, Quelle für die Wärmequelle, Verd für den
Verdichter, Kond für den Kondensator) oder die Leistung des Antriebes PAntr bzw. WP Antr
aus dem über den gesamten Kreislauf konstanten Massenstrom m P und der Enthalpiediffe-
renz h des jeweiligen Apparates ergibt. Es gilt Gleichung (8.13), (8.14) und (8.15).

QP Nutz D QP Senke D QP Kond D m


P hKond (8.13)
QP Quelle D QP Verd D mP hVerd (8.14)
WP Antr D PAntr D m P hAntr (8.15)

Da die spezifische Enthalpie die Abszisse des lg(p),h-Diagrammes darstellt, lassen


sich die Energieumsätze als Differenzen der spezifischen Enthalpien aus Abb. 8.8 (und
Abb. 8.10) sehr einfach ablesen. Zur Auslegung genügt es, die Zustände des Kältemit-
tels zu kennen und die entsprechenden Enthalpiedifferenzen aus dem Diagramm oder mit
8 Nutzung von Umgebungswärme 699

einer entsprechenden Software zu bestimmen. Der Massenstrom skaliert dann die Größe
bzw. Leistung der Anlage.
Die Leistungszahl "i nach Gleichung (8.12) lässt sich ebenfalls direkt aus dem
lg.p/; h-Diagramm (Abb. 8.8) ablesen. Es gilt Gleichung (8.16).

QP Nutz hKond hVerd


"i D D D1C (8.16)
P
WAntr hAntr hAntr
Die Leistungszahl ist offensichtlich größer als 1. Für den Umweltwärmeanteil, also das
Verhältnis von Umweltwärme zu Nutzwärme gilt nach Gleichung (8.8) Gleichung (8.17).

QP Umgebung "i  1 hVerd


D D (8.17)
QP Nutz "i hKond
Das jeweils eingesetzte Kälte- oder Kreislaufmittel spielt im Vergleich zum Tempera-
turhub eine zwar untergeordnete, aber nicht zu vernachlässigende Rolle für die Leistungs-
zahl "i . Sein Einfluss kann durch die sogenannte Stefan-Zahl St charakterisiert werden,
die das Verhältnis von Verdampfungswärme zu sensibler Wärme über einen vorgegebenen
Temperaturbereich darstellt; es gilt Gleichung (8.18). Hierbei ist cp die spezifische Wär-
mekapazität im einphasigen Bereich (gasförmig oder flüssig), T die Temperaturdifferenz
zwischen dem Medium im einphasigen Bereich und der Phasenwechseltemperatur und r
die Verdampfungsenthalpie (d. h. die Differenz zwischen der Enthalpie des Sattdampfes
(Taulinie) und der gesättigten Flüssigkeit (Siedelinie) bei einer bestimmten Temperatur T
bzw. einem definierten Druck p). Die Temperaturen und Verdampfungsenthalpie sind in
Abb. 8.8 abzulesen und die spezifische Wärmekapazität kann entsprechenden Tabellen-
werken entnommen werden.
cp T
St D (8.18)
r
Falls die Stefan-Zahl St für flüssiges Kältemittel groß ist, ist der Drosselverlust groß.
Falls sie für das dampfförmige Kältemittel groß ist, ist dagegen die Überhitzung bei der
Verdichtung klein oder das Kältemittel kondensiert sogar bei der Verdichtung (retrogrades
Verhalten). Mit einem zunehmenden Temperaturhub werden diese Effekte stärker.
Der Einfluss des Temperaturhubs auf die Leistungszahl kann auch aus dem lg(p),h-
Diagramm (Abb. 8.8) abgelesen werden. Steigt die Temperaturdifferenz zwischen dem
Verdampfer und dem Kondensator, nimmt auch die Druckdifferenz zwischen diesen bei-
den Punkten zu. Damit muss der Verdichter ein höheres Druckverhältnis überwinden und
hat somit eine höhere spezifische Arbeit (gleich der Enthalpiedifferenz) einzubringen. Die
Enthalpiedifferenz im Verdampfer sinkt bei einer Druckerhöhung im Kondensator oder
einer Druckabsenkung im Verdampfer ebenfalls, weil der Drosselverlust steigt, so dass
nach Gleichung (8.16) die Leistungszahl sinkt.
Im T,s-Diagramm (Temperatur(T)-Entropie(s)-Diagramm) in Abb. 8.9 ist dagegen gut
erkennbar, dass am Verdichteraustritt (Zustand 1, Abb. 8.7) aufgrund der polytropen Ver-
dichtung und der Stoffeigenschaften (bei nicht-retrogradem Verhalten) eine wesentlich
700 M. Kaltschmitt et al.

Abb. 8.9 Kaltdampfprozess 100


im T; s-Diagramm am Beispiel 90

1
0,0

2
des Kältemittels R134a (zur 80

0,0

0,0 4
0,0

0,1 6
Temperatur in °C
Erklärung der Formelzeichen 70
1
siehe Text) [8.23] 60
50

³/kg
3 12 bar 2
40 4

5m
0,1
30

v=
20
5 bar
10
0 3 bar 7
5 6
-10 2 bar 0,2 0,4 0,6 0,8

0,0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0 1,2


Entropie (s) in kJ/(kg K)

höhere Temperatur als bei der anschließenden Kondensation (Änderung des Zustandes 2
nach Zustand 3, Abb. 8.7) herrscht. In dieser Grafik werden die bei reversiblem Pro-
zessverlauf die umgesetzten Wärmemengen als Flächen zwischen den Kurven und der
Temperaturachse abgelesen.
Das T,h-Diagramm (Temperatur(T)-Enthalpie(h)-Diagramm, Abb. 8.10) vereint nun
die Vorteile des lg(p),h- (Abb. 8.8) mit denen des T,s-Diagramms (Abb. 8.9). Hier können
sowohl die Energieumsätze als Differenzen der spezifischen Enthalpien als auch die Tem-
peraturen des Prozesses abgelesen werden. Gleichzeitig lassen sich auch die Verläufe von
Wärmesenke und Wärmequelle darstellen und so die Temperaturverluste zwischen Kon-
densationstemperatur und Wärmesenke bzw. Verdampfungstemperatur und Wärmequelle
identifizieren.
Demnach wird nur bei einer kleinen Aufheizung der Wärmesenke und einer Tempera-
turabsenkung der Wärmequelle eine geringe Grädigkeit (Temperaturverlust) bei Konden-
sator und Verdampfer erreicht (Gleichung (8.10)). Wird eine größere Aufheizung an der
Wärmesenke angestrebt, bedeutet dies bei gleicher Wassereintrittstemperatur eine erhöh-

Abb. 8.10 Kaltdampfprozess 100


8
)
gK
0,9
0,94
0,9

J / (k

im T; h-Diagramm mit Wär- 90


1k

80
mequelle und Wärmesenke
s=
Temperatur in °C

70 Δ h Kond
am Beispiel des Kältemittels 60
1
R134a (zur Erklärung der For- 50 Kältemittel
3 12 bar 2
melzeichen siehe Text) [8.23] 40 4
30 Wärmesenke
20
5 bar
10 Wärmequelle
0 3 bar 7
-10 2 bar 5 6
0,2 0,4 0,6 0,8
-20 Δ h Verd Δ h Antr
-30
50 100 150 200 250 300 350
Enthalpie (h) in kJ/kg
8 Nutzung von Umgebungswärme 701

Temperatur

Temperatur
Pinch
TKond Point
Pinch
Point ΔTKond 40 °C
TKond

35 °C

30 °C 30 °C

Enthalpie h (Kondensator ) Enthalpie h (Kondensator )

Abb. 8.11 Kaltdampfprozess im T; h-Diagramm mit Wärmequelle und Wärmesenke am Beispiel


des Kältemittels R134a [8.23]

te Kondensationstemperatur und damit eine geringere Leistungszahl (Abb. 8.11); dies tritt
beispielsweise auch immer dann auf, wenn der Massenfluss durch den Kondensator z. B.
durch die Koppelung mit einem Mischventil hin zur Heizung reduziert wird. Daher soll-
te der Massenfluss wärmesenken- und auch wärmequellenseitig durch die Wärmepumpe
immer gleich hoch bleiben. Der dargestellte Pinch Point in Abb. 8.11 ist der Ort mit dem mi-
nimalen Temperaturunterschied zwischen Kältemittel und Wärmesenke für den gesamten
Wärmeübertrager. Er ergibt sich aus dem Betriebszustand, der Fläche des Wärmeübertra-
gers und dem U-Wert; er liegt bei typischen Auslegungen zwischen 3 und 10 K.
Aufgrund der hohen Verdichter-Austrittstemperatur des Kältemittels kann ein (kleiner)
Teil der Wärmesenke auch auf einem wesentlich höheren Temperaturniveau liegen als
die Kondensationstemperatur. Dies kann erreicht werden, indem der Kondensator in ei-
nen Enthitzer- und einen Kondensationsteil geteilt wird (Abb. 8.12). Fließt jetzt durch den
Enthitzerteil ein geringerer heizungsseitiger Massenfluss als durch den Kondensator, heizt
sich das Heizungswasser stärker auf und kann weit über die Kondensationstemperatur er-
wärmt werden. Eine solche Schaltung wird auch als Enthitzerschaltung bezeichnet und
findet bei der kombinierten Heizungswasser- und Trinkwarmwasserbereitung mit z. B.
60 ı C Austrittssolltemperatur für das Trinkwarmwasser (Legionellenschutz) und tiefere
Austrittstemperatur für die Heizung (Abb. 8.12; 35 ı C) Anwendung. Nachteilig ist, dass
das Verhältnis aus Wärme aus dem Kondensationsteil und Wärme aus dem Enthitzerteil
aus dem Verhältnis der Enthalpiedifferenzen vorgegeben ist und zumeist nicht dem realen
Verhältnis der in einem konkreten Anwendungsfall gegebenen Nachfragecharakteristik
entspricht.
Im Falle eines transkritischen Prozesses (auch Lorentzen-Prozess genannt; Abb. 8.13)
findet keine Kondensation statt. Hier ist der kritische Druck p des Kältemittels niedriger
als der Betriebsdruck des Kältemittels auf der Hochdruckseite. Das technische Fließbild
in Abb. 8.8 ändert sich dadurch nicht; aber der wärmeabgebende Wärmeübertrager wird
nun nicht mehr Kondensator, sondern Gaskühler genannt. Während der Hochdruck beim
Plank-Prozess durch die Kondensationstemperatur festgelegt wird, ist er beim Lorentzen-
Prozess frei und kann variiert und optimiert werden. Die Nummerierung des Kreislaufs
702 M. Kaltschmitt et al.

Nieder-
temperatur-
heizung 100
90
80 Δ h Kond Δ h Enth

Temperatur in °C
Wärme- 70
quelle Δ h Heizung 1
ein 60
Vor- Trinkwarm-
Verdichter 50
lauf wasser 3 2
60 °C 40
Enthitzer
4
Enthitzer
30
Heizung
Verdampfer

Vor- 20
Wärme- lauf
pumpe 10 Wärmequelle
35 °C Speicher
Kondensator

0 7
-10 5 6
0,2 0,4 0,6 0,8
Wärme- -20
quelle Rücklauf Δ h Verd Δ h Antr
Expansions- 30 °C
aus Frisch- -30
ventil
wasser 50 100 150 200 250 300 350
Enthalpie (h) in kJ/kg

Abb. 8.12 Wärmepumpe mit Enthitzerschaltung im Flussbild (links) und im T; h-Diagramm mit
Wärmequelle und Wärmesenke (rechts) exemplarisch für das Kältemittel R134a (zur Erklärung der
Formelzeichen siehe Text) [8.23]

Abb. 8.13 Transkriti- 90


1
scher Kaltdampfprozess im 80
T; h-Diagramm mit Wär- 70 4 1
130 bar
mesenke am Beispiel des
60
Temperatur in °C

Kältemittels CO2 [8.22] l


itte
ltem
50 5 7 Kä er
ass
40 armw
90 bar kw
Trin
30 70 bar

20
4
50 bar
10

0 7
5
30 bar
-10
-350 -300 -250 -200 -150 -100 -50 0
Enthalpie (h) in kJ/kg

folgt den vorherigen Schaltbildern. Die Punkte 2 und 3 fehlen aufgrund der fehlenden
Kondensation und Punkt 6 ist nicht vorhanden, da keine Überhitzung im Verdampfer an-
genommen wird. Der Vorteil dieses Prozesses liegt darin, dass die Wärmequelle eine große
Aufheizung haben kann; dies ist z. B. für die Trinkwarmwasserbereitung mit einer Kalt-
wassereintrittstemperatur von 10 ı C und einer Trinkwarmwasser-Austrittstemperatur von
60 ı C notwendig.

8.1.3 Prozesse mit thermischem Antrieb

Die in Kapitel 8.1.1 dargestellten grundsätzlichen Zusammenhänge zwischen Tempera-


turen und Effizienz sind bei thermischem Antrieb etwas anders, aber die abgeleiteten
Regeln gelten auch hierfür. Die Abhängigkeit der Leistungszahl von den Temperaturen
8 Nutzung von Umgebungswärme 703

ist dabei grundsätzlich etwas geringer, da ein größerer Temperaturhub durch eine höhere
Antriebstemperatur kompensiert werden kann und muss. Aber auch thermisch angetrie-
bene Wärmepumpen können als Gasprozesse oder Dampfprozesse ausgeführt werden.
Ein Beispiel für einen Gasprozess ist der Vuilleumier-Prozess. Die weitaus überwiegende
Zahl von thermisch angetriebenen Wärmepumpen sind aber Sorptionswärmepumpen, die
mit Dämpfen arbeiten. Derartige Sorptionswärmepumpen werden unterteilt in Absorpti-
ons- und Adsorptionswärmepumpen, je nachdem, ob das sogenannte Sorptionsmittel (ein
zweites Arbeitsmittel des Prozesses) flüssig oder fest ist. Beide Typen werden nachfolgend
dargestellt.

8.1.3.1 Absorptionswärmepumpe
Absorptionskälteprozesse (Abb. 8.14) als wichtigste Vertreter der wärmegetriebenen Wär-
mepumpen bestehen aus einem Verdampfer, einem Absorber sowie dem Austreiber und
dem Kondensator. Für den Betrieb sind außerdem zwei Expansionsventile und eine Lö-
sungsmittelpumpe erforderlich. Außerdem gibt es zur Verbesserung der Effizienz mindes-
tens einen zusätzlichen inneren Wärmeübertrager, den Lösungsmittel-Wärmeübertrager.
Kondensator, Drosseleinrichtung und Verdampfer funktionieren wie bei der Kompres-
sionswärmepumpe. Während allerdings zur Druckerhöhung des Kältemitteldampfes bei
der Kompressionswärmepumpe ein mechanischer Verdichter verwendet wird, geschieht
dies bei der Absorptionswärmepumpe durch den sogenannten Lösungskreislauf zwischen
Austreiber und Absorber. Dieser Kreislauf wird daher manchmal auch als thermischer
Verdichter bezeichnet.

Wärme zu Wärmesenke “Thermischer Verdichter”


(höhere Temperatur)
zugeführte Heizwärme
von Wärmesenke zur Wärmesenke
(höhere Temperatur)
(Nutzung) (Nutzung)
flüssig

Austreiber
Dampf & flüssig Dampf (Generator,
Desorber)
zirkulierendes Kondensator
Arbeitsmedium Lösungsmittel-
(Kältemittel) Wärmeübertrager
Expansions- hoch
Druck Lösungs-
ventil niedrig
M mittel-
pumpe
reiche
Verdampfer Lösung Expansions-
ventil
arme Lösung
Dampf & flüssig Dampf
Absorber

zur von Wärme zur Wärmesenke


Wärmequelle Wärmequelle (höhere Temperatur)
Wärme von Wärmequelle
(niedrigere Temperatur)

Abb. 8.14 Absorptionswärmepumpe (M Motor) [8.23]


704 M. Kaltschmitt et al.

Im Lösungskreislauf der Absorptionswärmepumpe zirkuliert ein Zweistoffgemisch


(sogenanntes Arbeitsstoffpaar), dessen eine Komponente (Arbeitsmittel) ein hohes Lö-
sungsvermögen in der zweiten Komponente (Absorptionsmittel) aufweist. Klassische
Kombinationen von derartigen Zweistoffgemischen sind Wasser / wässrige Lithiumbro-
midlösung für Wärmequellen, die sicher frostfrei sind, und Ammoniak / Wasser (Salmi-
akgeist, wässrige Ammoniaklösung) für Wärmequellen unter 0 ı C; dabei stellt jeweils der
erstgenannte Stoff das Arbeitsmittel und der zweitgenannte das Absorptionsmittel dar.
Wie bei der Kompressionswärmepumpe wird das Arbeitsmittel im Verdampfer der Ab-
sorptionswärmepumpe durch Aufnahme der Umweltwärme verdampft. Im Absorber wird
der vom Verdampfer kommende, gasförmige Arbeitsmitteldampf (Wasser bzw. Ammoni-
ak) von der Lösung absorbiert; dabei wird Wärme frei und an die Wärmesenke abgegeben.
Die mit Arbeitsmittel derart angereicherte Lösung wird anschließend unter Druckerhö-
hung durch die Lösungsmittelpumpe in den Austreiber gepumpt, wo durch Wärmezufuhr
(Antriebsenergie) das Arbeitsmittel wieder aus dem Lösungsmittel ausgetrieben wird und
zum Kondensator gelangt. Die abgereicherte Lösung strömt durch ein Drosselorgan vom
Austreiber wieder zum Absorber, um dort das Arbeitsmittel wieder aufzunehmen. Nor-
malerweise wird mit der heißen, abgereicherten Lösung die kalte, angereicherte Lösung
vor Eintritt in den Austreiber vorgewärmt (Lösungsmittel-Wärmeübertrager). Nutzwärme
entsteht somit im Absorber und im Kondensator. Die Umweltwärme wird im Verdampfer
aufgenommen und Antriebswärme wird am Austreiber zugeführt.
Dem Lösungskreis wird die Antriebsenergie für das Austreiben des Arbeitsmittels bei
hohem Druck im Wesentlichen als Wärme zugeführt. Diese thermische Antriebsenergie
kann z. B. durch die Verbrennung eines gasförmigen oder flüssigen Energieträgers oder
durch die Nutzung von (industrieller) Abwärme bereitgestellt werden; ebenso kann die-
se Wärme zumindest teilweise über thermische Sonnenkollektoren bereitgestellt werden.
Die typischerweise elektrisch angetriebene Lösungsmittelpumpe dagegen ist energetisch
meist von untergeordneter Bedeutung. Sie sorgt für die Zirkulation der Lösung gegen
den im Austreiber benötigten höheren Druck. Dazu kann sie mit wesentlich geringerer
Antriebsenergie im Vergleich zu einem Verdichter auskommen, da aufgrund der deutlich
höheren Dichte der flüssigen Lösung der Volumenstrom der Lösung merklich geringer ist
als der Volumenstrom des Kältemitteldampfes. Daher ist auch die mechanische Leistung
entsprechend kleiner. Gleichung (8.19) verdeutlicht diesen Zusammenhang der sogenann-
ten „Verschiebearbeit“ mit Pel als elektrischer Leistung der Pumpe, VP als transportierter
Volumenstrom, p als zu überwindende Druckdifferenz und
als Gesamtwirkungsgrad
der Pumpe.

VP p
Pel D (8.19)

Die Reinheit des Arbeitsmittels beim Eintritt in den Kondensator ist entscheidend da-
für, dass im Verdampfer die angestrebten niedrigen Temperaturen erreicht und damit ein
effizienter Wärmepumpenbetrieb sichergestellt werden kann. Diese Reinheit hängt von
8 Nutzung von Umgebungswärme 705

der sogenannten relativen Flüchtigkeit (d. h. dem Verhältnis der Dampfdrücke der beiden
Stoffe) oder dem Abstand der Siedepunkte der beiden Partner des Stoffgemisches ab. Wird
beispielsweise ein Salz als Absorptionsmittel (z. B. Lithiumbromid als Absorptionsmittel
für Wasser) eingesetzt, ist dieser Abstand extrem groß und das Arbeitsmittel Wasser liegt
in reiner Form vor, falls der Dampf nicht durch Tröpfchenflug verunreinigt wird. Aller-
dings darf bei der Verwendung von Wasser die Wärmequelle nicht unter 0 ı C fallen, da
das Wasser sonst im Verdampfer gefrieren würde, falls keine Gegenmaßnahmen getroffen
werden [8.5]. Aufgrund der niedrigen Dampfdrücke von Wasser muss die Anlage auch im
Unterdruck betrieben werden. Dies bedeutet relativ große Volumina der Bauteile, um die
Druckverluste bei der Dampfströmung gering zu halten.
Beim Einsatz von Ammoniak (NH3 ) und Wasser übernimmt das Ammoniak, da es
durch den niedrigeren Siedepunkt gekennzeichnet ist, die Rolle des Arbeitsmittels. Der-
artige Anlagen arbeiten deshalb außer bei sehr tiefen Quellentemperaturen vollständig im
Überdruck und können daher mit sehr kompakten Apparaten realisiert werden. Wegen des
geringen Siedepunktabstandes zwischen Ammoniak und Wasser ist allerdings eine Rek-
tifikationseinrichtung nach dem Austreiber notwendig, mit der mitverdampfendes Wasser
aus dem Dampf wieder entfernt wird.

8.1.3.2 Adsorptionswärmepumpe
Auch in Adsorptionswärmepumpen werden vorwiegend Wasser oder Ammoniak als Käl-
temittel verwendet. Als Sorptionsmittel für Wasser werden üblicherweise Silikagele oder
Zeolithe und für Ammoniak typischerweise Aktivkohle eingesetzt. Da das Sorptionsmit-
tel nun fest ist, ist es normalerweise im Adsorber und Austreiber fixiert und kann nicht
umgepumpt werden. Wenn es mit Kältemittel im Adsorber angereichert wurde, wechselt
der Adsorber durch Umschalten von Ventilen seine Funktion und wird zum Austreiber,
so dass das Sorptionsmittel regeneriert werden kann, ohne den Apparat zu verlassen.
Gleichzeitig wird der bisherige Austreiber zum Adsorber, so dass das gerade abgereicher-
te Sorptionsmittel nun adsorbieren kann. Es wird also ein quasi-kontinuierlicher Betrieb
durch ständiges Umschalten der Funktionen zwischen Adsorber und Austreiber erreicht.
Ein entsprechendes Schaltbild mit zwei Sorptionsreaktoren und getrenntem Kondensator
und Verdampfer zeigt Abb. 8.15. Der Sorptionsreaktor 1 ist in diesem Fall der Desorber;
ihm wird die Wärmemenge QP Antr auf einem hohen Temperaturniveau zugeführt. Das aus-
getriebene Kältemittel kondensiert im Kondensator unter Wärmeabgabe von QP Kond . Das
flüssige Kältemittel expandiert in den Verdampfer, wo es dann unter Wärmezufuhr QP Verd
bei tiefer Temperatur verdampft. Der Dampf wird im Sorptionsreaktor 2 unter Wärmeab-
gabe QP Senke adsorbiert.
Der Prozess kann apparatetechnisch noch vereinfacht werden. Da sowohl die Wär-
mequelle als auch die Wärmesenke eine große Wärmespeicherfähigkeit haben, ist ein
quasi-kontinuierlicher Betrieb nicht notwendig. Es genügt also ein Sorptionsreaktor, der
mit einem Apparat gekoppelt ist, der abwechselnd als Verdampfer und Kondensator ar-
beiten kann. Dies ist in Abb. 8.16 dargestellt. Es gibt eine Adsorptionsphase und eine
Desorptionsphase. In der Desorptionsphase befinden sich beide Apparate auf dem hö-
706 M. Kaltschmitt et al.

Abb. 8.15 Adsorptions- Sorptionsreaktor 1


Kondensator (hier Desorber)
wärmepumpe mit zwei
Sorptionsreaktoren (nach Q̇ Kond Q̇ Antr
[8.18])

Expansions-
ventil

Q̇ Verd Q̇ Senke
Verdampfer Sorptionsreaktor 2
(hier Adsorber)

Abb. 8.16 Adsorptions-


wärmepumpe mit nur einem
Sorptionsreaktor
Q̇ Verd Q̇ Antr
Q̇ Kond Q̇ Senke
Verdampfer/ Sorptionsreaktor
Kondensator (Adsorber / Desorber)

heren Druckniveau des Kondensators. Der Sorptionsreaktor wird geheizt und die Kon-
densationswärme des desorbierten Dampfes wird vom Kondensator an die Wärmesenke
abgegeben. Danach muss das Apparatepaar abgekühlt werden, so dass der Druck auf das
niedrigere Niveau absinkt. In der folgenden Adsorptionsphase wird Umgebungswärme
aus der Wärmequelle in den Verdampfer gespeist und der entstehende Dampf wird adsor-
biert. Die freiwerdende Adsorptionswärme wird auch an die Wärmesenke abgegeben.

8.1.3.3 Absorptionswärmetransformator
Der Prozess der Absorptionswärmepumpe kann auch im thermodynamischen Sinne um-
gedreht werden. Der dadurch entstehende sogenannte Wärmetransformator ist auch eine
Wärmepumpe. Abb. 8.17 zeigt das entsprechende Fließbild.
Bei einem mittleren Temperaturniveau wird Wärme (QP Verd und QP Antr ) dem Verdampfer
und Generator zugeführt. Etwa die Hälfte dieser Wärme kann bei einer höheren Tempe-
ratur aus dem Absorber abgeführt werden (QP Senke ) und die andere Hälfte muss bei einer
niedrigeren Temperatur abgegeben werden (QP Verd ).
Normalerweise werden diese Geräte in einem begrenzten Ausmaß zur industriellen
Wärmerückgewinnung eingesetzt. Es ist aber auch denkbar, dass im Winter aus dem
Erdreich (Austreiber) Wärme aufgenommen und für die Heizung (Absorber) hochtrans-
formiert wird. Die Wärmeabgabe kann dann an die noch kältere Umgebungsluft (Kon-
densator) erfolgen. Es ist eine besonders günstige Eigenschaft dieses Prozesses, dass er in
dieser Anwendung umso effektiver ist, je kälter die Umgebungsluft ist.
8 Nutzung von Umgebungswärme 707

Abb. 8.17 Absorptionswärme- Verdampfer


transformator (nach [8.18])

Absorber

Lösungsmittel-
Kondensat- Wärmeübertrager
pumpe
Lösungsmittel- Lösungsmittel-
Expansionsventil pumpe

Austreiber,
Generator

Kondensator

8.1.4 Kennzahlen

Neben der bereits in den vorherigen Kapiteln diskutierten Leistungszahl bzw. dem Wär-
meverhältnis wurden in der Vergangenheit weitere Kenngrößen definiert, mit denen die
Effizienz bzw. der Betrieb einer Wärmepumpe vergleichend charakterisiert werden kann.
Wirkungsgrade – als die „klassische“ Kenngröße eines technischen Prozesses – sind
normalerweise definiert als das Verhältnis aus „Nutzen“ zu „Aufwand“. Der „Nutzen“ ei-
ner Wärmepumpe ist unzweifelhaft die Nutzwärme. Demgegenüber ist der „Aufwand“
weniger klar definiert; er kann die Antriebsenergie (z. B. elektrische Energie, Wärme) (für
die der Anlagebetreiber i. Allg. bezahlen muss) und / oder die Summe aus Antriebsener-
gie und die Umgebungs- / Umweltwärme sein (letztere ist typischerweise kostenlos). Für
letzteren Fall wäre die Leistungszahl immer gleich Eins, falls keine Wärmeverluste auf-
treten (d. h. idealer, verlustfreier Prozess). Diese Definition wäre zwar thermodynamisch
richtig, aber ohne wirkliche Aussagekraft, da der eigentliche monetäre Aufwand der An-
trieb ist. Da aber der Aufwand immer nur einen Teil des Nutzens ausmacht, ergeben sich
für die Leistungszahl und daraus abgeleitete Kenngrößen im Normalfall Werte größer als
eins (Kapitel 8.1.1). Dies ist der Grund, weshalb für die Beschreibung der energetischen
Kenngrößen von Wärmepumpen statt dem „klassischen“ Wirkungs- oder Nutzungsgrad
andere Namen verwendet werden: die Leistungszahl, die Arbeitszahl und die Heizzahl
sowie als Kehrwert von der Leistungs- bzw. Arbeitszahl die Aufwandszahl bzw. die Jah-
resaufwandszahl (Tabelle 8.1). Wesentliche derartige Kennzahlen werden im Folgenden
näher erläutert.

Leistungszahl und abgeleitete Kenngrößen Die Leistungszahl " ist für elektromoto-
risch angetriebene Wärmepumpen definiert als das Verhältnis der abgegebenen Nutzwär-
meleistung QP Nutz zur aufgenommenen elektrischen Antriebsleistung Pel des Verdichters
bei bestimmten Wärmequellen- und Wärmesenkentemperaturen. Sie ist damit am ehesten
mit dem Wirkungsgrad z. B. einer Elektroheizung zu vergleichen. Im Unterschied dazu ist
708 M. Kaltschmitt et al.

Tabelle 8.1 Kennzahlen von Wärmepumpen


Zeichen Bedeutung Bemerkungen
Leistungs- " Heizleistung bezogen auf den nur für bestimmte Betriebsbedingungen,
zahl elektrischen Aufwand für den kennzeichnet elektrisch angetriebene Kom-
Antrieb pressionswärmepumpen
Innere Leis- "i Heizleistung bezogen auf die nur für bestimmte Betriebsbedingungen,
tungszahl innere Antriebsleistung des kennzeichnet den thermodynamischen Pro-
Verdichters zess
Carnot-Leis- "c Heizleistung bezogen auf den nur für bestimmte Betriebsbedingungen,
tungszahl minimalen Aufwand theoretisch maximal erreichbare Leistungs-
zahl bezogen auf die Temperaturen von
Wärmequelle und -senke
Innere "ci Heizleistung bezogen auf den nur für bestimmte Betriebsbedingungen,
Carnot-Leis- minimalen Aufwand maximal erreichbare Leistungszahl bezogen
tungszahl auf die Prozesstemperaturen (Verdampfung
und Kondensation)
Carnot-Güte-
WP Leistungszahl bezogen auf die Güte der realen Wärmepumpe im Vergleich
grad Carnot-Leistungszahl zum optimalen Prozess
Innerer Gü-
i innere Leistungszahl bezogen Güte des realen Wärmepumpenprozesses im
tegrad auf die innere Carnot-Leis- Vergleich zum optimalen Prozess (Prozess-
tungszahl temperaturen)
Wirkungs-
a elektrische Antriebsleistung berücksichtigt Lagerreibung, Motorverluste
grad des bezogen auf die innere An- etc.
Antriebs triebsleistung
Arbeitszahl ˇ Heizarbeit über eine längeren kennzeichnet elektrisch betriebene Kom-
Zeitraum (z. B. ein Monat) pressionswärmepumpen in Verbindung mit
bezogen auf die elektrische einer konkreten Anwendung innerhalb einer
Antriebsarbeit bestimmten Zeitspanne
Jahresar- ˇa Heizarbeit über ein Jahr be- kennzeichnet elektrisch betriebene Kompres-
beitszahl zogen auf die elektrische sionswärmepumpe; bezieht sich auf ein Jahr
Antriebsarbeit in Verbindung mit einer konkreten Anwen-
dung
Heizzahl Heizleistung bezogen auf den nur für bestimmte Betriebsbedingungen, für
Energieinhalt des eingesetzten thermisch angetriebene Wärmepumpen
Endenergieträgers
Jahresheiz- a Heizarbeit bezogen auf den für thermisch angetriebene Wärmepumpen;
zahl Energieinhalt des eingesetzten bezieht sich auf ein Jahr in Verbindung mit
Endenergieträgers einer konkreten Anwendung
Aufwands- AZ Antriebsleistung bezogen auf soll als Kehrwert die Leistungszahl ersetzen
zahl die Heizleistung (z. B. [8.24])
Jahresauf- JAZ Antriebsarbeit bezogen auf die soll als Kehrwert die Arbeitszahl ersetzen
wandszahl Heizarbeit im Jahresverlauf (z. B. [8.24])
Coefficient COP Heizleistung bezogen auf die englischer Sprachraum; steht für Leistungs-
of Perfor- Antriebsleistung zahl " und Heizzahl
mance
Seasonal SPF Heizarbeit bezogen auf die englischer Sprachraum; steht für Arbeitszahl
Performance Antriebsarbeit ˇa und Jahresheizzahl a
Factor
8 Nutzung von Umgebungswärme 709

sie jedoch größer als Eins und sehr viel stärker abhängig von den Betriebsbedingungen
der Anlagen.
Die wichtigsten Ursachen für die Verminderung der realen Leistungszahl gegenüber
der Carnot-Leistungszahl sind

 die bereits angesprochenen Temperaturdifferenzen (Grädigkeiten) zwischen Wärme-


quelle und verdampfendem Kältemittel einerseits sowie kondensierendem Kältemittel
und Wärmesenke andererseits,
 die Temperaturspreizung des Wärmequellen- bzw. Wärmesenkenmediums (die Sprei-
zung der Wärmequelle vergrößert den nötigen Temperaturhub und verschlechtert damit
die Leistungszahl),
 die Verluste im Verdichter und Verdichterantrieb sowie
 die Irreversibilitäten bei der Drosselung.

Diese verschiedenen Verluste werden in den unterschiedlich definierten Leistungszah-


len und Gütegraden erfasst. Im Gegensatz zur inneren Leistungszahl "i aus Gleichung
(8.1) und (8.13) beinhaltet die Leistungszahl " nach Gleichung (8.20) zusätzlich die Ver-
luste des Antriebs
a .
QP Nutz
"D D "i
a (8.20)
Pel

a ist der äußere Wirkungsgrad des Antriebs, der sich aus dem mechanischen Wir-
kungsgrad des Verdichters und dem mechanischen und elektrischen Motorwirkungsgrad
zusammensetzt. Während die inneren Verluste in Nutzwärme dissipiert werden, kommen
die äußeren Verlust nicht der Nutzwärme zu Gute. Allerdings wird auch in diesem Fall
auf der Seite des Aufwandes nur diejenige Energiemenge berücksichtigt, die zum An-
trieb der Wärmepumpe selbst eingesetzt wird, während die Nebenstromverbraucher nicht
berücksichtigt werden.
Die nach Gleichung (8.10) definierte Carnot-Leistungszahl gilt anders als die innere
Leistungszahl unabhängig von allen Details der Realisierung. Sie berücksichtigt nur die
Temperaturdifferenz zwischen der Wärmequelle und der Wärmesenke (Heizungsanlage)
und ggf. über die Grädigkeit die Größe der Wärmeübertrager.
Aus dem Verhältnis der tatsächlichen Leistungszahl " der Wärmepumpe zur Carnot-
Leistungszahl "c lässt sich ein zu
i aus Gleichung (8.12) analoger Wärmepumpen-Güte-
grad
WP definieren, der ein Maß für die thermodynamische Qualität des tatsächlichen
Prozesses inklusive des Antriebs darstellt (Gleichung (8.21)).
"

WP D (8.21)
"c
Unter guten Bedingungen können heute Leistungszahlen von etwa 40 bis 60 % der
durch einen verlustfreien Carnot-Prozess gegebenen Leistungszahlen bezogen auf Kon-
densations- und Verdampfungstemperatur erreicht werden. Diese sind aber nicht a priori
bekannt. Deswegen bezieht man sich (Abb. 8.5 bzw. 8.10) besser auf die Temperaturen
710 M. Kaltschmitt et al.

von Wärmequelle und Wärmesenke. Dabei muss aber für die Bestimmung der Carnot-
Leistungszahl im konkreten Fall noch berücksichtigt werden, dass sowohl Wärmesenke
als auch Wärmequelle keine konstante Temperatur, sondern eine Temperaturspreizung
(Differenz zwischen Eintritts- und Austrittstemperatur) aufweisen. Meist wird dabei die
Eintrittstemperatur aus der Wärmequelle in den Verdampfer benutzt, weil sie von der
Wärmepumpe noch nicht beeinflusst ist, und die Heizungsvorlauftemperatur (d. h. die
Austrittstemperatur aus dem Kondensator in die Wärmesenke), weil sie die Heizungs-
anlage charakterisiert.
Berücksichtigt man dies und die Grädigkeit werden Gütegrade zwischen 0,24 und
0,45 erreicht. Die niedrigsten Werte des Gütegrades gelten entsprechend für Wärme-
pumpen mit Luft als Wärmequelle und Wärmesenke, da hier aufgrund des schlechteren
Wärmeübergangskoeffizienten zumeist größere Grädigkeiten zwischen Quelle und ver-
dampfendem Kältemittel auftreten. Demgegenüber sind die Gütegrade von Wasser-Was-
ser-Wärmepumpen eher im oberen Bereich angesiedelt.
Nicht nur die Leistungszahl sinkt bei zunehmender Temperaturdifferenz zwischen Ver-
dampfer und Kondensator, sondern auch die absolute Leistung der Wärmepumpe. Nach
Gleichung (8.13) sind die Leistungen im Kältekreislauf vom Massenstrom des Kältemit-
tels mP und der Enthalpiedifferenz h des jeweiligen Teilprozesses abhängig. Bei abneh-
mendem Verdampferdruck sinkt die Dichte Saug des vom Kompressor angesaugten Ar-
beitsmittels und damit bei konstantem Saug-Volumenstrom der Kältemittel-Massenstrom
mP und damit die Leistung. Dieser Effekt wird in der Kältetechnik durch die volumetrische
Kälteleistung qv beschrieben. Es gilt Gleichung (8.22). QP Quelle ist die Wärmeleistung der
Wärmequelle, VPVerd der Volumenstrom des Kältemittels im Verdichter, hVerd die Enthal-
piedifferenz im Verdichter und r die spezifische Verdampfungsenthalpie, die sich aber nur
schwach ändert. Bei Wärmepumpen ist qv damit die auf den Volumenstrom des Verdich-
ters bezogene Umweltwärmeleistung.

QP Quelle hVerd
qv D D  Saug r (8.22)
VPVerd 1=Saug

Ein weiterer Effekt, der die Leistung einer Wärmepumpe beeinflusst, wird maßgeblich
durch den sogenannten „schädlichen“ Raum verursacht. Dies ist bei Kolbenverdichtern
das im oberen Totpunkt des Kolbens im Zylinder verbleibende Volumen. Je höher das
Druckverhältnis im Verdichter (und damit der Temperaturhub von Wärmequelle zu Wär-
mesenke) wird, desto geringer wird aufgrund von Rückexpansion des schädlichen Raums
und Undichtigkeiten der geförderte Volumenstrom. Damit sinken auch der geförderte
Massenstrom m P und folglich alle Leistungen. Es ist also eine ungünstige Eigenschaft aller
mechanisch angetriebenen Wärmepumpen, dass bei steigendem Temperaturhub sowohl
die Leistung der Wärmepumpe als auch die entsprechende Leistungszahl sinkt. Abb. 8.18
zeigt diesen Zusammenhang anhand einer Luft-Wasser-Wärmepumpe (Wärmequelle: Au-
ßenluft, Wärmesenke: Warmwasserheizung). Die untypischen Verläufe zwischen 0 und
7 ı C Außentemperatur sind auf die zusätzlichen Verluste durch das Abtauen der Außen-
8 Nutzung von Umgebungswärme 711

40 5,0

35 35 35 4,5
45 Heizleistung 45
4,0
55 30 55

Leistung in kW
60 60 3,5

Leistungszahl ε
25
3,0
20 2,5

15 2,0
Antriebsleistung
1,5
10
1,0
5
0,5

0 0,0
-20 -15 -10 -5 0 5 10 15 20 -20 -15 -10 -5 0 5 10 15 20
Außenlufttemperatur in °C Außenlufttemperatur in °C

Abb. 8.18 Heizleistung und Antriebsleistung (links) sowie Leistungszahl (rechts) einer realen
Luft-Wasser-Wärmepumpe in Abhängigkeit von der Außenlufttemperatur und der Heizungs-Vor-
lauftemperatur (nach [8.25])

lufteinheit zurückzuführen (Kapitel 8.2.1.2); bei Erdreich- oder Grundwasserwärmepum-


pen ist der Verlauf deshalb geradliniger.
Aufgrund dieser starken Abhängigkeiten muss bei der Angabe von Leistungszahl und
Leistungen jeweils der Bezugspunkt angegeben werden. Dabei werden standardisierte Ab-
kürzungen verwendet. Der erste Buchstabe bedeutet die Art der Wärmequelle, die darauf-
folgende Zahl die Eintrittstemperatur, der zweite Buchstabe gibt die Art der Wärmesenke
an und die zweite Zahl die Austrittstemperatur zur Wärmesenke (z. B. Heizungs-Vorlauf-
temperatur). Dafür wenden nachfolgend vier Beispiele aufgeführt.

 L7W35 (englisch: A7W35) bezeichnet eine Luft-Wasser-Wärmepumpe im Betriebs-


punkt 7 ı C Lufteintrittstemperatur in den Verdampfer (z. B. Außenlufttemperatur) und
35 ı C Warmwasseraustrittstemperatur aus dem Kondensator (z. B. Heizungsvorlauf-
temperatur).
 W10W40 (englisch: W10W40) beschreibt eine (Grund-)Wasser-Wasser-Wärmepumpe
mit 10 ı C Grundwassereintrittstemperatur in den Verdampfer und 40 ı C Warmwasser-
austrittstemperatur.
 S0W60 (englisch: B0W60) ist die Beschreibung einer Sole-Wasser-Wärmepumpe (So-
le engl. brine) im Betriebspunkt 0 ı C Soleeintrittstemperatur in den Verdampfer und
60 ı C Warmwasservorlauftemperatur (z. B. für die Trinkwarmwasserbereitung).
 L7L30 (englisch: A7A30) bezeichnet eine Luft-Luft-Wärmepumpe mit 7 ı C Luftein-
trittstemperatur verdampferseitig und 30 ı C Luftaustrittstemperatur kondensatorseitig.

Um zu entscheiden, ob eine Außenluft-Wasser-Heizungswärmepumpe ein Haus auch


im Winter vollständig beheizen kann (monovalente Betriebsweise, Kapitel 8.2.3) sind die
Leistungen im Betriebspunkt L7W35 nicht aussagekräftig. Hier müssen auch Hersteller-
angaben bei den tiefsten (Norm-)Außentemperaturen und den höchsten dabei benötigten
712 M. Kaltschmitt et al.

Vorlauftemperaturen L-10W40 (z. B. für die Heizung) bzw. L-15W60 (z. B. für die Trink-
warmwasserbereitung in kalten Klimaten) zur Verfügung stehen. Deutlich wird, dass bei
einer solchen Auslegung die Wärmepumpe die restliche Zeit des Jahres eine wesentlich zu
hohe Leistung liefert. Aus diesem Grund werden verstärkt Wärmepumpen mit drehzahl-
geregelten Kompressoren und damit regelbaren Leistungen eingesetzt. Dadurch können
die Leistungen auf bis zu 30 % der Nennleistung im jeweiligen Betriebspunkt reduziert
werden.

Arbeitszahl und abgeleitete Kenngrößen Die Effizienz von Elektrowärmepumpen über


einen längeren Zeitraum hinweg wird durch die Arbeitszahl beschrieben. Hier wird die
abgegebene Nutzarbeit zur aufgewendeten Antriebsarbeit ins Verhältnis gesetzt; d. h. die
Leistungszahl wird über den betrachteten Zeitraum (z. B. ein Jahr) gewichtet nach der
Laufzeit der jeweiligen Betriebspunkte gemittelt. Zusätzlich zur Antriebsarbeit des Ver-
dichters wird aber auch der Energieverbrauch peripherer, der Wärmepumpe zugehöriger
Komponenten (z. B. Pumpen, Ventilatoren, Steuerung, Regelung) sowie Verluste durch
den instationären Betrieb berücksichtigt. Hierdurch kann die Effizienz der Anlage für
einen bestimmten Zeitraum (z. B. durch die Jahresarbeitszahl im Verlauf eines Jahres)
beschrieben werden. Während die Leistungszahl unter vorgegebenen Betriebsbedingun-
gen (Temperaturen) ermittelt wird, stellen sich diese Größen bei der Arbeitszahl durch
den praktischen Betrieb im System mit den tages- und jahreszeitlichen Schwankungen
von Wärmequellen- und Wärmesenkentemperatur ein; die Arbeitszahl (meist Jahresar-
beitszahl) ist daher aussagekräftiger zur Beschreibung der Systemeffizienz von Wärme-
pumpen-Anlagen im Vergleich zur entsprechenden Leistungszahl.
Bei Grundwasserwärmepumpen liegen die Jahresarbeitszahlen von Neuanlagen im Be-
reich von etwa 4,0 bis ggf. etwas über 4,5. Bei der Nutzung des Erdreichs als Wärmequelle
lassen sich derzeit Jahresarbeitszahlen von etwa 3,8 bis 4,3 erreichen; bei Direktverdamp-
fung (Kapitel 8.2.1.1) liegt die Arbeitszahl der Anlage meist rund 10 bis 15 % höher.

Heizzahl und abgeleitete Kenngrößen Für verbrennungsmotorisch betriebene Wärme-


pumpen, die als Antriebsenergie Erdgas, Biomethan, Propan, Biodiesel oder Diesel benut-
zen, aber auch für wärmegetriebene Absorptionswärmepumpen, wird statt der Leistungs-
zahl die Heizzahl (Wärmeverhältnis) und statt der Jahresarbeitszahl die Jahresheizzahl
angegeben. Hierbei wird für letztere über einen bestimmten Zeitraum (meist ein Jahr)
die Nutzenergie mit dem Energieinhalt der eingesetzten Wärme oder der fossilen bzw.
biogenen Energieträger ins Verhältnis gesetzt. Je nach zugrunde gelegter Stromerzeu-
gungstechnik und Arbeitszahl der Wärmepumpenanlage liegen derzeit erreichbare Heiz-
zahlen zwischen 1,1 und 1,8. Die Jahresheizzahl kann nur unter Berücksichtigung des
primärenergetischen Wirkungsgrades der Stromerzeugung und -verteilung mit der Jahres-
arbeitszahl von elektrisch betriebenen Wärmepumpen verglichen werden.
Im englischen Sprachraum ist sowohl für die Leistungszahl als auch die Heizzahl der
neutrale Begriff COP (Coefficient of Performance) üblich. Für die Jahresarbeits- oder
-heizzahl wird der „Seasonal Performance Factor“ (SPF) verwendet.
8 Nutzung von Umgebungswärme 713

8.2 Systemtechnische Beschreibung

Wolfgang Streicher, Felix Ziegler und Martin Kaltschmitt

Nachfolgend werden Systeme zur Nutzung der Umgebungswärme beschrieben. Dabei


wird unterschieden in Möglichkeiten zur Erschließung der regenerativen Wärmequelle,
die verschiedenen Bauarten von Wärmepumpen und entsprechende Gesamtsysteme; letz-
teres inkludiert auch eine Beschreibung der Wärmsenke.

8.2.1 Wärmequelle

Im Rahmen der nachfolgenden Ausführungen wird zunächst die Erschließung der Wär-
mequelle Erdreich und Grund- bzw. Oberflächenwasser diskutiert, bevor auf die Wärme-
quelle Luft und anschließend auf Möglichkeiten der Abwärmenutzung eingegangen wird.

8.2.1.1 Erdreich und Wasser


Durch Wärmequellenanlagen zur Nutzung des oberflächennahen Erdreichs wird grund-
sätzlich die Wärme genutzt, die im Boden bzw. Gestein und in dessen Porenfüllung (meist
Grundwasser) gespeichert ist. Unterschiedlich ist dabei vor allem die Art und Weise, wie
diese Wärme aus dem Untergrund entnommen wird. Hier lassen sich zwei grundlegende
Varianten unterscheiden (Tabelle 8.2).

 Geschlossene Systeme. Ein oder mehrere Wärmeübertrager werden – horizontal oder


vertikal – im Erdreich installiert und von einem Wärmeträgermedium (z. B. Wasser, das
meist mit einem Frostschutzmittel versetzt wird und dann als Sole bezeichnet wird) in
einem geschlossenen Kreislauf durchströmt. Alternativ dazu kann auch die Verdamp-
fung des Arbeitsmittels der Wärmepumpe in diesem Erdreichwärmeübertrager (oder
diesen Wärmeübertragern) stattfinden (Erdreichdirektverdampfung). Dadurch wird der
Gesteinsmatrix und der Porenfüllung Wärme entzogen. Die Wärmeübertragung zwi-
schen dem Untergrund und dem Wärmeträgermedium findet durch Wärmeleitung statt;
das Wärmeträgermedium steht aber nicht in einem direkten Kontakt mit der Gesteins-
matrix und der Porenfüllung. Damit sind solche Systeme fast überall einsetzbar.
 Offene Systeme. Bei der Grundwassernutzung mit einem offenen System wird das
Grundwasser über entsprechende Förderbrunnen direkt aus den grundwasserführenden
Schichten (Aquiferen) abgepumpt. Das Grundwasser dient somit selbst als Wärme-
trägermedium. Nach der Abkühlung wird es über einen Schluckbrunnen wieder in
die gleiche grundwasserführende Schicht zurückgeleitet. Im Untergrund findet eine
Wärmeübertragung zwischen dem Grundwasser und der Gesteinsmatrix statt. Von of-
fenen Systemen wird hier gesprochen, weil der Wärmeträger das Grundwasser selbst
ist und nicht in einem definierten Kreislauf bewegt wird (Tabelle 8.2). Voraussetzung
für solche Systeme ist das Vorhandensein geeigneter grundwasserführender Schichten
714 M. Kaltschmitt et al.

Tabelle 8.2 Varianten der Erschließung der Energie des flachen Untergrunds
Tiefe in m Wärmeträger Bemerkungen
Geschlossene Systeme
Erdwärmekollektoren 1,2–2,0 Solea Klimaeinfluss, große Fläche, Grä-
(horizontal) digkeit (Temperaturverlust) in
zusätzlichem Wärmeübertrager
Direktverdampfung 1,2–2,0 Wärmepumpen- Material Kupfer, ggf. beschichtet,
(horizontal) Arbeitsmittel Klimaeinfluss, große Fläche
Erdwärmesonden
gerammt 5–30 Solea Material Stahl, ggf. Kunststoff, nur in
(vertikal oder schräg) Lockergestein
gebohrt (vertikal) 25–250 Solea , Material HDPEb , Kupfer, ideal in
ggf. Wasser Festgestein
Wärmeübertragerpfähle 5–30 Wasser, statische Funktion hat Vorrang, Frost-
(„Energiepfähle“; ggf. Solea temperaturen vermeiden
horizontal oder vertikal)
Offene Systeme
Grundwasserbrunnen 4–100 Wasser mindestens 2 Brunnen (Förder- und
(Dublette) Schluckbrunnen), Unterwasserpumpe
Sonstige Systeme
Koaxialbrunnen 120–250 Wasser hohe Bohrkosten, nicht überlastbar
(vertikal)
Gruben- / Tunnelwasser Wasser Möglichkeiten lokal begrenzt
Luftvorheizung/ 1,2–2,0 Luft Rohre im Erdreich, durch welche Luft
-kühlung (horizontal) gesaugt wird
Die Tiefenangaben beziehen sich auf typische Mittelwerte; a Wasser-Frostschutz-Gemisch (früher
Salze, heute eher Alkohole oder Glykole); b High Density Polyethylen.

im Untergrund. Wegen des direkten Eingriffs in den Grundwasserhaushalt ist die Ge-
nehmigung von offenen Systemen seltener als von geschlossenen Systemen.
 Sonstige Systeme. Zusätzlich können in der Praxis weitere Varianten vorkommen, die
nicht exakt in die bisherige Einteilung einpassen. Dazu gehören Anlagen, die nicht
vollständig vom Grundwasser abgeschlossen sind, Systeme, die Wasser aus künstli-
chen Hohlräumen unter Tage nutzen, und das System der Luftvorheizung, bei dem das
Wärmeträgermedium gegenüber dem Untergrund zwar abgeschottet ist, jedoch nicht
zirkuliert, da immer neue Luft angesaugt wird.

Diese unterschiedlichen Wärmequellenanlagen zur Nutzung des oberflächennahen


Erdreichs werden nachfolgend beschrieben. In jedem Fall ist zu beachten, dass ein
künstlicher Entzug, aber auch eine Einleitung von Wärme in den oberflächennahen Un-
tergrund zu einer Störung der Temperatur im Erdreich führt; durch einen Wärmetransport
im Erdreich muss diese Störung wieder ausgeglichen werden, damit die Wärmepum-
penanlage nachhaltig arbeiten kann. Während dies bei Anlagen mit näherungsweise
8 Nutzung von Umgebungswärme 715

Änderung der Untergrundtemp. in K


40 m
0K 0K
20 m
5m

-2 K -2 K

-4 K -4 K

-6 K -6 K

-8 K -8 K
0.3 m

1986/87 1996/97 2006/07 2016/17 2026/27 2036/37


gemessen Betrieb simuliert Erholung nach Betriebsende simuliert

Heizsaison (Jahre)

Abb. 8.19 Gemessene und simulierte Änderungen der Untergrundtemperatur (Abkühlung ge-
genüber der ungestörten Temperatur) in 50 m Tiefe in unterschiedlichen Entfernungen von der
Erdwärmesonde für 30 Betriebsjahre und 25 Ruhejahre nach Betriebsende [8.11]

ausgeglichener Energiebilanz im Untergrund (z. B. Wärmepumpen zum Heizen und Küh-


len) möglicherweise durch die Anlage selbst gewährleistet wird, ist es bei erdgekoppelten
Wärmepumpenanlagen mit einem ausschließlichen Wärmeentzug nicht der Fall. Hier
muss die Wärmeentnahme durch den natürlichen Wärmefluss aus der Umgebung (d. h.
primär aus der Sonnenenergie (Kapitel 2.3) und zu einem deutlich geringeren Anteil
aus der geothermischen Energie des tiefen Untergrunds (Kapitel 2.7)) im Jahresverlauf
ausgeglichen werden.
In Abb. 8.19 ist der Temperaturunterschied zwischen gestörtem und ungestörtem Erd-
reich in 50 m Tiefe und unterschiedlichen Entfernungen von der Sonde exemplarisch über
mehrere Jahre dargestellt. In der ersten Betriebsphase (bis etwa 1998) sind Messwerte
aufgetragen. Mit Hilfe dieser Daten wurde der Verlauf dann weiter bis 2017 simuliert.
Anschließend wurde bei der Simulation unterstellt, dass der Wärmeentzug beendet wird;
deutlich wird, dass sich die Temperaturabweichungen infolge der aus der Umgebung
eingebrachten thermischen Energie langsam ausgleichen. Insgesamt treten demnach in
unmittelbarer Nähe zu der Sonde (0,3 m) sehr deutliche Temperaturveränderungen auf;
hier dauert es eine lange Zeit, bis sich ein eingeschwungener Zustand im Betrieb bzw.
bis sich nach Betriebsende der Ausgangszustand wird eingestellt hat. In 40 m Abstand
von der Sonde sind demgegenüber kaum Temperaturveränderungen zu sehen. Insgesamt
zeigt dies, dass mit Erdwärmesonden eine dauerhafte (nachhaltige) Wärmelieferung er-
reicht werden kann, wenn sie korrekt ausgelegt werden (z. B. nach VDI 4640). Besonders
bei einer Vielzahl von Anlagen auf begrenzter Fläche ist aber auf eine ausreichende Son-
denlänge und im Extremfall eine künstliche Wärmezufuhr im Sommer (z. B. durch eine
Kühlung des im Winter beheizten Gebäudes) zu achten.
716 M. Kaltschmitt et al.

Erdwärmekollektor Erdwärmekorb Grundwasserbrunnen Erdwärmesonde


2 bis 4 m

4 bis 8 m

5 bis 20 m

bis rund 400 m


Grundwasser

Abb. 8.20 Tiefenhorizonte unterschiedlicher Optionen zur Nutzung der oberflächennahen Erdwär-
me (Tiefenangaben sind durchschnittliche Näherungswerte, die in einem konkreten Einzelfall ggf.
abweichen können)

Abb. 8.20 zeigt, dass die unterschiedlichen in Tabelle 8.2 dargestellten Systeme jeweils
verschiedenartige Tiefen nutzen. Generell gilt, dass mit zunehmender Tiefe der Jahres-
gang der Temperatur der Wärmequelle abnimmt (Kapitel 2.7) und gleichzeitig die mittlere
nutzbare Temperatur zunimmt; parallel dazu steigt mit zunehmender Tiefe i. Allg. der Er-
schließungsaufwand an. Dies gilt nur begrenzt für die Nutzung von Grundwasser, das
typischerweise keine bzw. nur sehr geringe jahreszeitlich bedingte Temperaturschwan-
kungen zeigt.

Geschlossene Systeme Bei den in geschlossenen Systemen eingesetzten Erdreichwär-


meübertragern wird zwischen horizontal und vertikal verlegten Wärmeübertragern un-
terschieden. Außerdem kommen Sonderformen vor, die nicht eindeutig zuzuordnen sind
(erdberührte Bauteile) und grundsätzlich primär nicht aus energetischen, sondern aus bau-
lichen Gründen errichtet werden (Doppelnutzung).

Horizontal verlegte Erdreichwärmeübertrager Zwei in Europa gebräuchliche Verlege-


muster horizontaler Wärmeübertrager für geschlossene Systeme (auch als Erdwärmekol-
lektor bezeichnet) in Form von Rohrregistern zeigt Abb. 8.17. Aus physikalischer Sicht
handelt es sich dabei primär um eine Nutzung der Sonnenenergie, die in den obersten
Erdschichten gespeichert ist (Kapitel 2.2, 2.3 und 2.7). Damit macht sich hier – in Abhän-
gigkeit von der Verlegetiefe – der jahreszeitliche Temperaturgang im oberflächennahen
Erdreich bemerkbar, der zeitverzögert näherungsweise den mittleren Außenlufttempera-
turen folgt (Kapitel 2.3) und damit antikorreliert ist mit der Heizwärmenachfrage.
8 Nutzung von Umgebungswärme 717

Tabelle 8.3 Durchschnittlich 1 800 h/aa 2 400 h/ab


entziehbare Wärmeleistungen Trockener, nicht-bindiger Boden 10 W/m2 8 W/m2
horizontaler Erdwärmekol-
Feuchter, bindiger Boden 20–30 W/m2 16–24 W/m2
lektoren für unterschiedliche
Wassergesättigter Sand / Kies 40 W/m2 32 W/m2
Volllaststunden (u. a. nach
VDI 4640) a
ohne Trinkwarmwasserbereitung; b mit Trinkwarmwasserberei-
tung.

Die bei Direktverdampfungsanlagen aus Metall (beschichtet) und bei Anlagen mit So-
lezwischenkreis zumeist aus Kunststoff bestehenden Rohre werden in einer Tiefe von etwa
0,5 m unter der Frosttiefe (im Normalfall zwischen 1,0 und 1,5 m unter der Erdoberfläche)
in das Erdreich eingebracht; der Abstand der einzelnen Rohre sollte dabei etwa 0,5 bis
1,0 m betragen. Um Beschädigungen zu vermeiden, werden diese i. Allg. in eine Sand-
schicht eingebettet.
Die benötigte Erdkollektorfläche ergibt sich aus der Heizlast des Gebäudes und der
jeweiligen Bodeneigenschaften. Je nach Bodenbeschaffenheit und Jahresbetriebsstunden
schwanken die entziehbaren maximalen Wärmeleistungen zwischen 8 und 40 W/m2 (Ta-
belle 8.3). Diese Bandbreite ergibt sich aus dem je nach Volllaststunden und Leistungszahl
der Kälteanlage unterschiedlichen Wärmeentzug bzw. den unterschiedlichen Wärmeleit-
eigenschaften verschiedenartiger Böden. Je besser der Boden thermische Energie leitet,
desto geringer sind die nötigen treibenden Temperaturdifferenzen vom Erdreich zum Kol-
lektorrohr und die mögliche entziehbare Leistung steigt.
Aus dem Erdreich lassen sich so während der Heizperiode etwa 400 MJ/m2 Wärme
gewinnen. Wird von einem Einfamilienhaus ausgegangen, das jährlich etwa 1 000 L/a
Heizöl bzw. grob 35 000 MJ/a Energie benötigt und von einem erdgekoppelten Wärme-
pumpensystem mit einer guten Jahresheizzahl von 4 (d. h. eine sehr gut ausgelegte Anlage)
ausgegangen, würden rund 75 % der Nutzwärme aus der Wärmequelle „Boden“ kom-
men; dafür wären dann etwa 80 m2 Fläche an Erdreich nötig. Anders betrachtet werden
bei einem typischen Auslegungs-Heizbedarf von 20 bis 60 W/m2 Nutzfläche und etwa
1 800 h/a (Volllast) des Heizungssystems etwa 36 bis 110 kWh/m2 oder 130 bis 400 MJ/m2
Nutzfläche benötigt. Da bei einer Jahresheizzahl von 4 wiederum nur rund 75 % aus der
regenerativen Wärmequelle gedeckt würden, sollte die Fläche des Erdkollektors (d. h. der
Wärmequelle) je nach lokalen Bodenverhältnissen etwa halb so groß bis doppelt so groß
wie die beheizte Fläche des zu versorgenden Gebäudes sein. Zu berücksichtigen ist da-
bei, dass hier die Entzugsleistung aus dem Boden unter den Auslegungsbedingungen des
jeweiligen Hauses angegeben sind. Beispielsweise ergibt sich für das Referenzgebäude
EFH I mit 3 kW Auslegungsheizlast und 150 m2 Wohnfläche (Kapitel 1.3) eine Entzugs-
leistung aus dem Boden von ca. 2,3 kW aufgrund der Leistungszahl der entsprechenden
Wärmepumpe. Damit würde sich ein Erdreich-Flächenbedarf von ca. 115 m2 bei feuchtem
und bindigem Boden (und einer Wärmeerzeugung einschließlich einer Trinkwarmwasser-
bereitung) ergeben.
718 M. Kaltschmitt et al.

Abb. 8.21 Verlegemuster


horizontaler Wärmeübertrager
Serienschaltung
(nach [8.6])
A A

Graben-
verlegung

Parallelschaltung Schacht Graben B

B
Schnitt A-A Schnitt B-B
Verfüllung

Erdreich

Abb. 8.22 Bauarten von Spi-


ralkollektoren

Eine deutliche Verringerung des Flächenbedarfs kann durch das ebenfalls in Abb. 8.21
dargestellte Verlegemuster eines Grabenkollektors erreicht werden. Bei diesem Konzept
werden die Wärmeübertragerrohre an den Seitenwänden eines ca. 2,5 m tiefen und 3,0 m
breiten Grabens verlegt. Die erforderliche Grabenlänge hängt von der Bodenbeschaf-
fenheit und der Heizleistung der Wärmepumpe ab. Als Richtwert kann eine spezifische
Grabenlänge von 2 m/kW Heizleistung angesehen werden.
Eine weitere Möglichkeit zur Verringerung des Flächenbedarfs derartiger Erdkollekto-
ren ist eine spiralförmige Rohrverlegung. Hier sind im Wesentlichen die folgenden zwei
Bauarten von Spiralkollektoren üblich (Abb. 8.22).

 Beim Künettenkollektor (Abb. 8.22, rechts) wird eine handelsübliche Rolle Kunststoff-
rohr auf den Boden eines breiten Grabens gelegt und seitlich (senkrecht zur Wickelach-
se) so auseinandergezogen, dass die Windungen sich jeweils überlappen. Anschließend
wird der Graben wieder verfüllt. Ein solcher Kollektor kann auch senkrecht gestellt in
einen schmalen, schlitzförmigen Graben eingelassen werden.
 Beim Erdwärmekorb (Abb. 8.22, links) wird ein Kunststoffrohr bereits bei der Her-
stellung auf eine sich nach unten verjüngende walzenförmige Halterung aufgewickelt
(Abb. 8.20). Beim Einbau in eine vorbereitete Vertiefung wird dieser Erdwärmekorb
im oberflächennahen Erdreich fixiert; anschließend wird das Loch wieder verfüllt.
8 Nutzung von Umgebungswärme 719

Grundsätzlicher Nachteil derartiger Kollektorbauarten sind mögliche Probleme mit der


Entlüftung, da es in jeder Windung der Spirale einen Hochpunkt gibt, an dem sich Luft
ansammeln kann, die nur schwer wieder aus dem Wärmeübertrager ausgeschleust werden
kann.
Bei all diesen kompakteren Erdwärmekollektoren besteht die Gefahr, dass im aus-
schließlichen Heizbetrieb die notwendige thermische Regeneration des Erdreichs durch
Wärmezufuhr von der Sonne im Sommer – und eingeschränkter aus dem tieferen Unter-
grund – nicht erreicht wird, da die Umgrenzungsfläche zum umgebenden Erdreich und
zur Erdoberfläche relativ klein ist im Verhältnis zum erschlossenen Volumen. Eine derar-
tige Konfiguration eignet sich daher eher zur Energiespeicherung; dementsprechend sind
kompakte Erdwärmekollektoren auch besonders für Anlagen zum abwechselnden Heizen
und Kühlen sinnvoll (d. h. umschaltbare Wärmepumpensysteme, die wahlweise Heizen
und Kühlen können). Für Wärmepumpen, die ausschließlich zu Heizzwecken betrieben
werden, eignen sich flächige Erdwärmekollektoren (d. h. „klassische“ horizontal verlegte
Erdreichwärmeübertrager) i. Allg. besser.
Für den Wärmeentzug aus dem Erdreich und den Wärmetransport von der Wärmequel-
le zur Wärmepumpe existieren zwei Möglichkeiten.

 Der Wärmeentzug und -transport kann mittels eines Zwischenkreislaufs durch ein Wär-
meträgermedium („Sole“) erfolgen, das im erdgekoppelten Wärmeübertrager aus dem
Erdreich Wärme aufnimmt und an den Wärmepumpenverdampfer wieder abgibt; da-
zu wird es durch den Wärmeübertrager gepumpt. In Deutschland hat sich hierfür eine
Mischung von Monopropylenglykol und Wasser (teilweise auch Monoethylenglykol)
durchgesetzt; diese Mischung ist bei einem Anteil von 25 % Glykol bis ca. 10 ı C und
bei 38 % bis etwa 20 ı C frostsicher. Für den Erdreichwärmeübertrager werden in die-
sem Fall Kunststoffschläuche mit Außendurchmessern von bis zu 40 mm eingesetzt.
Diese Materialien weisen eine ausreichende Alterungs- und Korrosionsbeständigkeit
auf und sind bei den auftretenden Temperaturen elastisch und chemisch stabil. Die
Verbindung der einzelnen Rohrleitungen erfolgt durch Verschweißen oder durch Ver-
schrauben.
 Der Wärmeentzug und -transport kann auch über eine sogenannte „Direktverdamp-
fung“ realisiert werden. Dann zirkuliert in den Rohren des Erdreichwärmeübertragers
direkt das Arbeitsmittel der Wärmepumpe; es verdampft dann im Erdkollektor und
entzieht dadurch dem Erdreich Wärme. Damit befindet sich bei diesem Konzept der
Verdampfer der Wärmepumpe im Erdreich – und damit unmittelbar bei der eigentli-
chen Wärmequelle. Dafür werden typischerweise Kupferrohre verwendet, die mit einer
Kunststoffhülle vor Korrosion geschützt werden. Der Vorteil einer derartigen Direkt-
verdampfung liegt in dem geringeren apparativen Aufwand und einer höheren erreich-
baren Jahresarbeitszahl der Wärmepumpe, da die Grädigkeit bzw. der dadurch bedingte
Temperaturverlust im Wärmeübertrager zwischen Sole und Arbeitsmittel wegfällt. Al-
lerdings bedarf es einer kältetechnisch genau angepassten Anlagenrealisierung, damit
die Rückführung des vom Verdichter in den Kältekreislauf abgegebenen Öls gewähr-
720 M. Kaltschmitt et al.

leistet ist. Weiterhin sind die Füllmengen des Arbeitsmittels wesentlich höher als bei
Anlagen mit Zwischenkreislauf; große Füllmengen sind jedoch bei einem nennenswer-
ten Treibhauspotenzial, einer potenziellen Toxizität oder bei Brennbarkeit des Arbeits-
mittels zu vermeiden.

Vertikal verlegte Erdreichwärmeübertrager Erdreichwärmeübertrager können auch verti-


kal in den Untergrund eingebracht werden. Je nach Einbringtiefe in den Untergrund nutzen
sie dann primär die ursprünglich von der Sonne kommende und eingeschränkter die aus
dem Erdinnern nachfließende Energie. Der Anteil letzterer wird relativ umso größer, je tie-
fer der Wärmeübertrager in den Untergrund eingebracht wird. Dies hat den Vorteil, dass
das nutzbare Temperaturregime bei dieser Bauart mit zunehmender Tiefe immer weniger
jahreszeitlichen Einflüssen unterworfen ist (Kapitel 2.7). Auch weisen derartige verti-
kale Erdreichwärmeübertrager für geschlossene Systeme (sogenannte Erdwärmesonden)
gegenüber den horizontalen Wärmeübertragern (Erdkollektoren) einen wesentlich gerin-
geren Flächenbedarf auf. Sie werden deshalb bevorzugt bei beengten Platzverhältnissen
eingesetzt.
Erdwärmesonden werden in mehr als 250 m tiefe Bohrungen eingebracht; ihre grund-
sätzlichen Anordnungsvarianten zeigt Abb. 8.23. Unabhängig von der Einbringungstech-
nik in den Untergrund muss ein möglichst guter Wärmeübergang zwischen dem Erdreich
und der Sonde bzw. dem entsprechenden Wärmeübertrager gewährleistet werden.
Vertikale Sonden können in den Untergrund gerammt oder in eine entsprechende Boh-
rung eingebracht werden.

 Durch gerammte Stahlsonden und durch Bohrungen mit kleinem Gerät (bis etwa 30 m
Tiefe) lässt sich eine Anordnung nach Abb. 8.23 rechts, realisieren. Typischerweise
wird bei einem weichen Untergrund eher gerammt und bei einem sehr steinigen bzw.
felsigen Untergrund tendenziell gebohrt, da Rammen hier technisch nicht sinnvoll ist.
Dabei wird das Ramm- bzw. Bohrgerät an einem Punkt drehbar aufgebaut und kann

Abb. 8.23 Anordnungsvari-


anten von vertikal verlegten
gebohrten und gerammten
Erdreichwärmeübertragern
(nach [8.6])

gebohrte
Sonden gerammte Sonden
8 Nutzung von Umgebungswärme 721

Abb. 8.24 Exemplarischer


Aufbau einer gebohrten Erd-
wärmesonde (nach [8.29])

Sandbett

Rohre mit 1 bis 2 %


Steigung verlegt Betonit-Zement-
Suspension

etwa 140 mm
Bohrungsdurchmesser

Doppelsonden mit zwei


Sondenkopf getrennten Kreisläufen

ohne weiteres Umsetzen alle an dem jeweiligen Standort benötigten Erdwärmeson-


den einbringen. Meist werden beim Rammen Metall-Koaxialsonden verwendet; falls
kein rostfreier Stahl eingesetzt wird, muss aus Korrosionsschutzgründen ein kathodi-
scher Korrosionsschutz vorgesehen werden. Es wurden aber auch Verfahren entwickelt,
U-förmige Schlaufen aus Kunststoffrohren mit entsprechenden Hilfsvorrichtungen di-
rekt in einen weichen Untergrund einzudrücken.
 Bohrungen für Sonden, die in einer Tiefe von mehr als rund 30 m installiert werden,
können mithilfe von Flachbohranlagen abgeteuft werden, die das Bohrklein beispiels-
weise mit Luft oder Wasser aus dem Bohrlochtiefsten abtransportieren. Mittels eines
derartigen beispielsweise auf einem Lkw montieren Bohrgerätes wird zunächst die
Bohrung abgeteuft. Dann wird die eigentliche Sonde in diese Bohrung eingebracht.
Abschließend wird beispielsweise durch das Verpressen einer Bentonit-Zement-Sus-
pension und / oder durch das Hinterfüllen mit Quarzsand eine Fixierung der Sonde im
Bohrloch erreicht, ein vertikaler Grundwasserfluss sicher verhindert und ein möglichst
guter Wärmeübergang vom umgebenden Gestein zu der eigentlichen Sonde sicherge-
stellt. Abb. 8.24 zeigt exemplarisch den Aufbau einer derartigen gebohrten Erdwärme-
sonde.

Der Wärmeübertrag aus dem Untergrund kann durch unterschiedliche Ausführungsfor-


men von Erdwärmesonden jeweils maximiert werden. Abb. 8.25 zeigt verschiedenartige
722 M. Kaltschmitt et al.

Abb. 8.25 Ausführungsva- 25-32


rianten von gebräuchlichen mm
Erdwärmesonden (nach [8.6])

50-70 mm
70-80 mm
U-Sonde Doppel-U-Sonde

ca. 46 mm ca. 70 mm

Koaxialsonde komplexe Koaxialsonde

technische Lösungen, die am Markt angeboten werden, im Querschnitt. Einfach- oder


Doppel-U-Sonden bestehen demnach aus zwei bzw. vier Rohren, die an ihrem unteren
Ende so verbunden sind, dass das Wärmeträgermedium in einem Rohr nach unten und im
anderen nach oben strömen kann. Bei der koaxialen Grundform findet der Wärmeentzug
aus dem Erdreich nur auf einer Fließstrecke (je nach System aufwärts oder abwärts) statt.
Als Material für die Erdwärmesonden wird meistens High-Density-Polyethylen
(HDPE) eingesetzt (z. B. PE 80 oder PE 100 nach DIN 8074 bzw. DIN 8075); typi-
sche Rohrdimensionierungen sind hier 25  2,3 mm bei einer Baulänge der Sonde von
60 m und 32  2,9 mm bei 100 m. Bei Koaxial-Erdwärmesonden können auch – bei
jedoch hohen Kosten – kunststoffbeschichtete Edelstahl- oder Kupferrohre zum Einsatz
kommen. Generell muss durch eine geeignete Materialauswahl die Gefahr einer Leckage
infolge von Korrosion der Erdwärmesonde weitgehend ausgeschlossen werden.
Erdwärmesonden können auch als Wärmerohr (Heat Pipe) ausgeführt werden, bei de-
nen das Wärmeträgermedium im Wärmerohr im Zweiphasengebiet arbeitet. Der flüssige
Wärmeträger rinnt dabei an den Wänden der Sonde in Richtung auf das Bohrlochtiefste
und verdampft, wenn er mit zunehmender Tiefe in immer wärmere Erdschichten kommt.
Der entstehende Wärmeträgerdampf steigt im Rohrinneren auf und wird im Kondensator
an der höchsten Stelle der Sonde (d. h. kurz unter der Erdoberfläche) unter Wärmeabga-
be an das Arbeitsmittel des Wärmepumpenprozesses im Verdampfer verflüssigt. Neben
„klassischen“ Kältemitteln wird dafür auch CO2 als Wärmeträger im Wärmerohr ein-
gesetzt. Damit werden wassergefährdende Frostschutzmittel umgangen, die Energie der
Umwälzpumpe eingespart und durch die Trennung zwischen Heat Pipe und Kältemit-
telkreislauf die Nachteile der Direktverdampfung vermieden, während der Vorteil der
sehr guten Wärmeübertragungseigenschaften, welche die Verdampfung aufweist, erhal-
ten bleibt. Beispielsweise sind erdgekoppelte Wärmepumpen mit Heat Pipes und CO2 als
Wärmeträgermedium seit vielen Jahren erfolgreich im Einsatz.
8 Nutzung von Umgebungswärme 723

Auch bei Erdwärmesonden besteht die Gefahr, dass durch Unterdimensionierung und
einem entsprechend zu großen Wärmeentzug das Erdreich zu stark abkühlt und dadurch
die Leistung und die Arbeitszahl der Wärmepumpe leiden. Anders als bei den in 1,0 bis
1,5 m Tiefe verlegten horizontalen Wärmeübertragern bzw. Erdreichkollektoren können
sich dann im Sommer die tieferen Schichten nicht mehr vollständig regenerieren. Falls
die Sonde auch zur Kühlung verwendet werden soll, kann aus diesem Nachteil allerdings
ein Vorteil werden, weil das kühlere Erdreich im Sommer mehr Wärme aufnehmen kann.
Kommt es um die Sonde temporär zu einer Vereisung, lockert beim anschließenden
Auftauen beispielsweise über Sommer das Erdreich um die Sonde auf und der Wärme-
übergang zur Sonde wird dadurch verschlechtert. Dies muss die Wärmepumpe dann mit
einer tieferen Verdampfungstemperatur und damit einer schlechteren Leistungszahl aus-
gleichen. Im Extremfall kann dies zu einer dauerhaften Vereisung rund um die Sonde
führen und es kann dadurch zu Hebungen im Bereich der Erdwärmesonde kommen. In
diesem Fall wird die Wärmepumpe immer nur kurz laufen und dann auf Störung wegen
zu tiefer Verdampfungstemperatur gehen.
Tabelle 8.4 zeigt für kleinere Anlagen Richtwerte des möglichen Wärmeentzugs für
unterschiedliche Bodenarten. Um auch langfristig den Gleichgewichtszustand zu halten,
darf – bei einer ausschließlichen Regeneration durch von der Erdoberfläche eindringen-
de Sonnenenergie und von der Tiefe nachströmende Erdwärme je nach den jeweiligen
Untergrundeigenschaften – eine jährlich entzogene Wärmemenge zwischen 180 und
650 MJ/(m a) nicht überschritten werden.
Die in Tabelle 8.5 dargestellten Werte können nur erste grobe Anhaltspunkte geben.
Eine genauere Bestimmung der spezifischen Entzugsleistungen muss daher bei Kenntnis
der thermischen Untergrundeigenschaften durch eine Berechnung erfolgen, die den Ge-
gebenheiten vor Ort Rechnung trägt. Für größere Erdwärmesondenanlagen kommen zur
Anlagenauslegung ohnehin nur Berechnungen in Frage, um die notwendige Anzahl und
Länge der Erdwärmesonden sicher bestimmen zu können. Für schwierige Fälle sollte die
Simulation mit numerischen Modellen erfolgen; dies gilt insbesondere dann, wenn der
Einfluss fließenden Grundwassers berücksichtigt werden muss. Um verlässliche Eingabe-
parameter für derartige Berechnungen zu erhalten, müssen die thermischen Untergrund-
parameter am Standort ermittelt werden; dafür wurde der sogenannte „Thermal Response
Test“ entwickelt. Der Thermal Response Test ist ein Verfahren zum in-situ-Nachweis der
thermischen Untergrundparameter und damit der effektiven Wärmeleitfähigkeit der in ei-
ner konkreten Bohrung anstehenden geologischen Schichten. Dazu wird eine konstante
Wärmemenge in die Bohrung und damit in den durch die jeweilige Bohrung aufgeschlos-
senen Untergrund eingetragen (d. h. Wärmeeinspeisung). Dabei wird die sich ergebende
Veränderung der Untergrundtemperatur gemessen. Eine derartige Wärmeeinspeisung er-
folgt über eine Zeitperiode von 50 h und mehr. Damit sind belastbare Aussagen über die
Wärmeleitfähigkeit des Untergrunds möglich, aus denen dann die Auslegungsparameter
für eine entsprechende Erdwärmesondenanlage abgeleitet werden können.
Exemplarisch zeigt Abb. 8.26 Ergebnisse einer Berechnung der thermischen Unter-
grundeigenschaften. Demnach wäre bei einer messtechnisch ermittelten Wärmeleitfähig-
724 M. Kaltschmitt et al.

Tabelle 8.4 Spezifische Entzugsleistungen für Erdwärmesonden in kleineren Anlagen für verschie-
dene Volllastbenutzungsstunden (in Anlehnung an VDI 4640)
1 800 h/ab 2 400 h/ac
Entzugsleistungen in W/m Entzugsleistungen in W/m
Allgemeine Richtwerte
Schlechter Untergrund (trockene 25 20
Lockergesteine)
Festgesteins-Untergrund, wasser- 60 50
gesättigtes Lockergesteine
Festgestein mit hoher Wärme- 84 70
leitfähigkeit
Einzelne Gesteinea
Kies, Sand, trocken < 25 < 20
Kies, Sand, wasserführend 65–80 55–65
Kies, Sand, starker Grundwasserfluss, 80–100 80–100
für Einzelanlagen
Ton, Lehm, feucht 35–50 30–40
Kalkstein (massiv) 55–70 45–60
Sandstein 65–80 55–65
Saure Magmatite (z. B. Granit) 65–85 55–70
Basische Magmatite (z. B. Basalt) 40–65 35–55
Gneis 70–85 60–70
Voraussetzung für die Anwendung der Tabelle: nur Wärmeentzug (Heizung einschließlich Trink-
warmwasser); Länge der einzelnen Erdwärmesonden zwischen 40 und 100 m; kleinster Abstand
zwischen zwei Erdwärmesonden mindestens 5 m bei Erdwärmesondenlängen von 40 bis 50 m bzw.
mindestens 6 m bei Erdwärmesondenlängen über 50 bis 100 m; als Erdwärmesonden kommen Dop-
pel-U-Sonden mit Durchmessern der Einzelrohre von 25 oder 32 mm oder Koaxialsonden mit min-
destens 60 mm Durchmesser zum Einsatz. a Werte können durch die Gesteinsausbildung wie Klüf-
tung, Schieferung, Verwitterung erheblich schwanken; b ohne Trinkwarmwasserbereitung; c mit
Trinkwarmwasserbereitung.

Tabelle 8.5 Bauweisen und Bauweisen


Konfigurationen von Rohren Betonrohre (können Feuchtigkeit aufnehmen), PVC-Rohre
zur Luftvorwärmung im Erd- (geringer Druckabfall)
reich Rohre frei im Erdreich, Rohre nach oben gedämmt, Rohre
unter der Fundamentplatte
Einzelrohre oder Rohrregister
Betriebsweisen
Frischluft wird immer über die Rohre geführt
Frischluft wird nur dann über die Rohre geführt, wenn Aus-
trittstemperatur über der Außentemperatur liegt
Frischluft wird immer dann über die Rohre geführt, wenn
Austrittstemperatur unter der Außentemperatur liegt, für Ver-
dampfer jedoch immer Wärmequelle mit höherer Temperatur
(Nachladen des Erdreiches)
8 Nutzung von Umgebungswärme 725

80

spez. Entzugsleistung in W/m


Werte nach VDI 4640
70
Werte mit Grundwasserabfluss
60

50
Werte nach VDI 4640
40
Werte ohne Grundwasserabfluss
30

20
Werte nach VDI 4640
10

0
1 1,5 2 2,5 3 3,5 4
Wärmeleitfähigkeit des Untergrunds in W/(m K)

Abb. 8.26 Exemplarische spezifische Entzugsleistungen für kleine Erdwärmesondenanlagen (be-


rechnet für ein Einfamilienhaus mit 10 kW Heizbedarf, zwei Erdwärmesonden und 1 800 h/a
(Volllast), ohne Trinkwarmwasser; nach [8.3]; die dicken, durchgezogenen horizontalen Linien mit
konstanten Entzugsleistungen stellen Auslegungswerte für unterschiedliche Wärmeleitfähigkeiten
des Untergrundes nach VDI 4640 dar)

keit des Untergrunds von 2,5 W/(m K) unter der Maßgabe, dass in dem konkreten Fall
ein Grundwasserabfluss gegeben ist, eine Entzugsleistung der Erdwärmesonde von rund
55 W/m realistisch. Daraus kann dann bei bekannter Wärmenachfrage der zu versorgen-
den Wärmesenke die benötigte Sondenlänge abgeschätzt werden.
Das Bohrverfahren zum Abteufen der Erdwärmesonden richtet sich nach dem zu er-
wartenden Schichtenaufbau und den vorhandenen Platzverhältnissen.
Im Lockergestein können die Bohrungen mit einer Hohlbohrschnecke niedergebracht
werden. Der Bohrmeißel ist hohl und das Bohrgut wird in diesem Hohlraum mit Hilfe von
Wendeln aus dem Bohrloch nach Übertage transportiert und / oder verdrängt.
Beim ebenfalls im Lockergestein einsetzbaren Spülbohrverfahren wird mit der Spülung
das Bohrgut kontinuierlich durch den Ringraum zwischen Bohrgestänge und Bohrloch-
wand (der Meißel hat einen größeren Durchmesser als das Gestänge) aus dem Bohrloch-
tiefsten ausgetragen. Außerdem wird durch die in das Bohrloch gepumpte Spülung die
Bohrlochwand standfest und kalibergerecht gehalten sowie die Bohrwerkzeuge gekühlt
und geschmiert. Gleichzeitig werden die Grundwasserleiter durch den bei einem Über-
druck im Bohrloch gegenüber dem umgebenden Erdreich entstehenden Filterkuchen an
der Bohrloch-Mantelfläche gegen die Bohrung abgedichtet. Als Spülung wird im Regel-
fall Wasser eingesetzt, dem ggf. bestimmte Stoffe (z. B. Filterkuchenbildner) zugesetzt
werden (z. B. Bentonite; vgl. auch DVGW-Regelwerke W 115 und W 116); dies gewähr-
leistet, dass die Spülung die beschriebenen Eigenschaften und Aufgaben besser erfüllen
kann und gleichzeitig keine die Umwelt belastenden Stoffe in den Untergrund eingetragen
werden.
Im Festgestein hat sich die Imlochhammerbohrung weitgehend durchgesetzt. Als Spü-
lung dient Luft, durch die der Bohrhammer angetrieben und das Bohrklein mit Auf-
stiegsgeschwindigkeiten von 15 bis 20 m/s nach Übertage transportiert wird. Je nach Im-
726 M. Kaltschmitt et al.

lochhammer sind Luftdrücke von mehr als 10 bar und Luftmengen von über 10 m3 /min
erforderlich. Der Luft kann – falls erforderlich – auch ein Schäumungsmittel zum besse-
ren Bohrkleinaustrag und zur Vermeidung von Nachfall beigemischt werden.
Die Bohrungen müssen gegenüber dem Erdreich gut abgedichtet sein um z. B. die Ver-
bindung zweier Aquifere durch die Bohrung dauerhaft zu unterbinden. Ebenso können
Anhydridschichten, die mit Aquiferen verbunden werden, durch Aufquellen zu Hebungen
und dadurch zu Schäden an Gebäuden führen.

Erdberührte Bauteile (Energiepfähle, Schlitzwände) Eine weitere Variante vertikaler Erd-


reichwärmeübertrager sind Wärmeübertragerpfähle, sogenannte „Energiepfähle“. Dabei
handelt es sich um Gründungspfähle, wie sie bei schlechten Untergrundverhältnissen übli-
cherweise für die Bauwerksgründung eingesetzt werden. Diese Pfähle werden mit Wärme-
übertragerrohren ausgestattet und erlauben an Standorten, wo eine Pfahlgründung sowieso
erforderlich ist, mit geringen Mehrkosten die Installation von Erdreichwärmeübertragern
(Abb. 8.27).
Energiepfähle sind im Prinzip mit allen bekannten geotechnischen Pfahlbaumethoden
zu kombinieren. Verwendet wurden bislang Ortbetonpfähle (Bohrpfähle) und Fertigpfäh-
le (Rammpfähle) aus Stahlbeton mit Vollquerschnitt und als Hohlpfähle sowie aus Stahl.
Jeder Pfahltyp hat spezifische Vor- und Nachteile. Ortbetonpfähle bieten eine große Flexi-
bilität, sind aber aus technisch-ökonomischen Gründen erst ab einem Mindestdurchmesser
von etwa 600 mm sinnvoll und bedürfen eines nicht unerheblichen Aufwandes und einer
großen Sorgfalt bei der Herstellung. Rammpfähle sind industriell einfach herstellbar; es
ist jedoch ein ausreichender Schutz für die Rohranschlüsse während des Rammvorgangs
notwendig. Außerdem kann nur die vorgefertigte Pfahllänge mit Wärmeübertragerrohren
belegt werden. Hohlpfähle, bei denen Wärmeübertragerrohre nachträglich in den Hohl-

Vorlauf
Wärmeträger
Rücklauf
Wärmeträger

Bohrungs-
pfahl

nicht Bewehrungs-
tragfähiger korb
Baugrund

Grundwasserleiter
Wärme-
tragfähiger übertrager
Baugrund

Bohrungspfähle / Energiepfähle

Abb. 8.27 Konzept der Energiepfähle


8 Nutzung von Umgebungswärme 727

raum im Pfahl eingebracht werden können, erlauben dagegen die Nutzung der gesamten
Pfahllänge; sie schränken jedoch den verfügbaren Durchmesser für die Rohre ein.
Neben Gründungspfählen können noch andere Betonbauteile in der Erde als Wär-
meübertrager benutzt werden (z. B. Baugrubenumschließungen aus Schlitzwänden oder
Pfahlwänden), falls diese Einbauten nach Fertigstellung des Gebäudes im Erdreich be-
lassen werden. Auch Stützwände, Kellerwände oder Fundamentplatten können als Wär-
meübertrager für eine erdgekoppelte Wärmepumpennutzung eingesetzt werden. Dabei ist
jedoch, ebenso wie bei Sammelleitungen von Energiepfahlanlagen unter der Bodenplatte,
eine gute Isolierung zum Innenraum hin notwendig, damit die Wärme tatsächlich aus dem
Untergrund entzogen wird und nicht z. B. der Keller kalt und dadurch feucht wird.

Offene Systeme Bei offenen Systemen für die oberflächennahe Erdwärmenutzung han-
delt es sich um die Nutzung von Grund- oder Oberflächenwasser. Beide Optionen kön-
nen als Wärmequelle genutzt werden; sie werden nachfolgend diskutiert. Generell eignet
sich aber Oberflächenwasser aufgrund der z. T. erheblichen Verschmutzungsgefahr (u. a.
Algen, Schwebestoffe) nur in Ausnahmefällen. Außerdem besteht die Gefahr, dass die
Temperatur im Jahresverlauf stark schwankt (z. B. Schneeschmelze im Winter). Im Un-
terschied dazu hat Grundwasser im Jahresverlauf eine (nahezu) konstante Temperatur, die
mit etwa 8 bis 10 ı C relativ hoch ist und im Vergleich zu Erdkollektorsystemen eine hohe
Leistungszahl verspricht.
Grundwasser kann mithilfe entsprechender Grundwasserbrunnen verfügbar gemacht
werden, wenn die genehmigungsrechtlichen Voraussetzungen dafür vorliegen. Einschrän-
kungen bestehen hier ggf. durch die Verfügbarkeit der Wärmequelle, da ausreichend ergie-
bige Grundwasserleiter (Aquifere) mit einer geeigneten Wasserqualität in nicht zu großer
Tiefe nicht überall vorhanden sind. Weitere Eingrenzungen können sich durch regionale
wasserrechtliche Bestimmungen ergeben; oft dürfen die u. a. zur Trinkwassergewinnung
genutzten Grundwässer nicht thermisch genutzt werden.
Die Wärmequellenanlage zur Grundwassernutzung besteht aus einem Förderbrunnen,
aus dem das Grundwasser entnommen wird, und einem Schluckbrunnen, durch den das
abgekühlte Wasser wieder den grundwasserführenden Schichten zugeführt wird (Dublet-
te). Entnahme- und Schluckbrunnen müssen ausreichend weit voneinander entfernt nie-
dergebracht werden, um einen thermisch-hydraulischen Kurzschluss zu vermeiden. Der
Entnahmebrunnen sollte sich außerdem nicht in der Kältefahne des Schluckbrunnens (der
Bereich, durch den das in den Schluckbrunnen eingebrachte, abgekühlte Wasser langsam
abfließt) befinden, da sonst die Effizienz der Wärmepumpenanlage absinkt.
Die Brunnenleistung muss eine Dauerentnahme für den Nenndurchfluss der ange-
schlossenen Wärmepumpe gewährleisten. Die Ergiebigkeit eines Brunnens hängt dabei
von den örtlichen geologischen Gegebenheiten ab. Im Allgemeinen werden etwa 0,2 bis
0,3 m3 /h für jedes kW Verdampferleistung benötigt, da die Temperaturveränderung des
in den bzw. die Schluckbrunnen zurückgeleiteten Grundwassers typischerweise 6 K nicht
überschreiten darf; lokal können aber auch andere Vorschriften zum Tragen kommen.
728 M. Kaltschmitt et al.

Abb. 8.28 Prinzip einer Heizungsnetz


Grundwasser-Wärmepum-
penanlage (u. a. nach [8.7]) Förder- Schluck-
brunnen brunnen
Wärmepumpe

Tonsperre
Ruhewasserspiegel
Förderwasserspiegel
Förderrohr
Unterwasserpumpe

Filterkiesschüttung
Filterrohr
Sumpfrohr

Auch die Entnahmemenge sowie die minimale Wiedereinbringtemperatur müssen den


jeweiligen Vorschriften entsprechen.
Abb. 8.28 zeigt die typische Ausführung einer Wärmepumpenanlage zur Grundwasser-
nutzung. Übliche Brunnentiefen sind 4 bis 10 m (z. B. [8.3]). Bei größeren Anlagen und /
oder anderen geologischen Bedingungen können diese aber auch deutlich tiefer sein (d. h.
der Übergang zur hydrothermalen Erdwärmenutzung ist hier fließend; vgl. Kapitel 9).
Die in der Darstellung deutlich werdende oberhalb der Kiesschüttung eingebrachte Ton-
sperre soll den Zutritt von Luft und Sickerwasser in das Grundwasser sicher verhindern.
Die ebenfalls in der Darstellung gezeigte Kiesschüttung zwischen Brunnenbohrung und
Filterrohr sollte dabei eine Stärke von 50 bis 70 mm aufweisen. Auch müssen das Saug-
rohr bzw. der Einlauf der Unterwasserpumpe im Entnahmebrunnen und das Fallrohr im
Schluckbrunnen in jedem Betriebszustand immer unterhalb der Wasseroberfläche enden.
Vor der Brunnenauslegung sollte durch hydrogeologische Voruntersuchungen Klarheit
geschaffen werden über die chemische Zusammensetzung des Grundwassers, die wasser-
führenden und wasserundurchlässigen Schichten sowie die Grundwasserspiegelhöhe und
die Durchlässigkeit der wasserführenden Schichten. Hierzu muss meist eine Probeboh-
rung durchgeführt werden, die ggf. später als Brunnen genutzt werden kann.
Ein besonderes Problem ist die Verockerung der Schluckbrunnen (als Verockerung
wird das Ausfallen z. B. von Eisenhydroxiden in Wassergewinnungssystemen verstanden;
der Grund ist, dass die in Sauerstoff-freien Grundwässern mit einem niedrigen pH-Wert
potenziell gelösten zweiwertigen Eisenionen mit Luftsauerstoff, der bei der Grundwasser-
förderung in das Wasser eingetragen werden kann, zu braunem, dreiwertigem Eisenhy-
droxid („Eisenocker“) oxidieren, das dann ausfällt und sich im Wassersystem ablagert);
sie tritt besonders bei sauerstofffreien Grundwässern mit einem niedrigen Redoxpotenzial
auf. Ein solches Grundwasser darf nicht mit der Umgebungsluft in Kontakt kommen. Das
gesamte System muss deshalb gegen die umgebende Luft abgeschlossen sein und perma-
nent unter Überdruck stehen; andernfalls ist eine (aufwändige) Wasseraufbereitung durch
8 Nutzung von Umgebungswärme 729

Enteisenung und Entmanganung notwendig. Im Unterschied dazu spielen Kalkausfällun-


gen bei Temperaturveränderungen von maximal ˙6 K keine Rolle.
Unter bestimmten Bedingungen sind auch Grundwasserwärmepumpen möglich, die
ausschließlich aus einem oder mehreren Förderbrunnen bestehen; derartige Konzepte
schließen mögliche Probleme mit Schluckbrunnen aus. Technische Voraussetzung dafür
ist aber, dass der Aquifer über eine ausreichende Grundwasserneubildungsrate verfügt,
und dass das geförderte Wasser in geeigneter Weise abgeführt oder versickert werden
kann. In Deutschland werden derartige Anlagen jedoch in der Regel nicht genehmigt.
Liegen die wasserrechtlichen Genehmigungen vor und ist eine zu versorgende Wärme-
senke in unmittelbarer Nähe eines entsprechenden stehenden oder fließenden Gewässers
vorhanden, das im Winter nicht vollständig friert, kann das Oberflächenwasser – ver-
gleichbar zum Grundwasser – potenziell ebenfalls als Wärmequelle genutzt werden. In
selteneren Fällen kann auch das Wasser aus der Kanalisation (man spricht dann von Ab-
wasserwärmerückgewinnung) als Wärmequelle verwendet werden. Bei derartigen Wär-
mepumpensystemen wird das Oberflächenwasser direkt über den Verdampfer der Wärme-
pumpe geleitet; dies kann durch den natürlichen Wasserfluss oder mithilfe einer Pumpe
realisiert werden. Bei verschmutztem (Ab-)Wasser besteht die Gefahr von über der Zeit
zunehmenden Ablagerungen am Wärmeübertrager der Wärmepumpe; deshalb muss die
Wasserqualität regelmäßig überprüft und / oder der Wärmeübertrager turnusgemäß gerei-
nigt werden.

Sonstige Systeme Unter sonstigen Systemen wird hier eine Nutzung des Grundwassers
mit Koaxialbrunnen, eine Nutzung von Gruben- und / oder Tunnelwasser und eine Luft-
vorheizung bzw. -kühlung im oberflächennahen Erdreich verstanden.

Koaxialbrunnen Koaxialbrunnen („Standing Column Wells“) nehmen eine Zwischenstel-


lung zwischen Erdwärmesonden und Grundwasserbrunnen ein (Abb. 8.29). Hier wird in
eine Bohrung ein Steigrohr eingebaut, das am unteren Ende einen Filter aufweist und
von einer Kiespackung umgeben ist. Zum Gestein hin kann die Kiespackung mit ei-
nem Plastik-Liner abgegrenzt sein. Im Steigrohr wird mit einer Unterwasser-Tauchpumpe
– vergleichbar wie in einem Grundwasserbrunnen – Wasser abgepumpt, in einer Wär-
mepumpe abgekühlt (oder erwärmt), und über die Kiespackung im Ringraum wieder
versickert. Während des Absinkens nimmt das Wasser wieder Wärme aus dem umge-
benden Untergrund auf oder gibt Wärme an diesen ab.
Wegen der fehlenden Abtrennung zum natürlichen Untergrund (auch ein Plastik-Liner
ist kein sicherer Abschluss) kann bei einem Koaxialbrunnen kein Frostschutzmittel einge-
setzt werden. Die Wärmepumpe muss deshalb – wie bei einer Grundwassernutzung – so
gefahren werden, dass es nicht zum Gefrieren kommen kann; dazu wird meist eine maxi-
male Jahresbetriebsstundenzahl festgelegt. Außerdem haben sich bei Koaxialbrunnen ein
langer Sickerweg, große Wassermengen im Bohrlochringraum und eine erhöhte Tempera-
tur an der Bohrlochsohle als sinnvoll erwiesen. Deshalb sind Koaxialbrunnen in der Regel
über 100 bis 250 m tief.
730 M. Kaltschmitt et al.

Abb. 8.29 Prinzip eines Ko- Brunneneinfassung


Bodenoberfläche
axialbrunnens

Lockersedimente

gekapseltes
Bohrloch

ungekapseltes
Bohrloch
Grundwasser-
spiegel
Tauchpumpe

Festgestein

Ringraum
perforierter
Filter

Gemessene spezifische Entzugsleistungen von Koaxialbrunnen liegen im Normalbe-


trieb bei 36 bis 44 W/m und im kurzfristigen Volllastbetrieb bei rund 90 W/m; sie bewegen
sich damit in einer ähnlichen Größenordnung wie die der Erdwärmesonden. Die Wärme-
quellentemperaturen sind aber im Durchschnitt etwas höher als bei Erdwärmesonden; dies
ermöglicht dann eine bessere Leistungszahl der Wärmepumpe.

Gruben- und Tunnelwasser In der Vergangenheit geschaffene künstliche Hohlräume im


Untergrund (z. B. alte Grubengebäude) können als Grundwassersammler oder -reservoire
dienen. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um Bergwerke (stillgelegt oder noch in
Betrieb) oder Tunnel, bei denen die Hohlräume jedoch primär nicht für eine thermische
Nutzung mittels einer Wärmepumpenanlage geschaffen wurden; die spezielle Herstellung
von Hohlräumen zur ausschließlichen thermischen Nutzung scheidet meist aufgrund der
deutlich zu hohen Kosten aus (Ausnahme: thermische Untergrundspeicher). Dabei wird
bei Gruben und Tunneln der Bereich der oberflächennahen Geothermie bereits teilweise
verlassen; beispielsweise würde bei einer thermischen Nutzung des Tiefenwassers eines
Kohlebergwerks im östlichen Ruhrgebiet dieses aus Tiefen deutlich unter 1 000 m und bei
einem Alpentunnel im Tunnelinneren ggf. von mehr als 2 000 m Tiefe kommen.
Wasser aus Bergwerken kann z. B. über Bohrungen von über Tage aus dem Gruben-
bau gewonnen werden. Bestimmend für die Art und Weise der Wärmeentnahme ist vor
allem die Tiefenlage des Wasserspiegels in der Grube, die ggf. zu großen Förderhöhen
8 Nutzung von Umgebungswärme 731

mit einem entsprechend hohen Energieaufwand für den Betrieb der Pumpen führen kann.
In der Regel muss das Wasser nach der Abkühlung über eine weitere Bohrung wieder in
das Grubengebäude zurückgeleitet werden; zwischen Entnahme- und Einleitbohrung soll-
te sich dabei ein möglichst langer Fließweg befinden (z. B. Bohrungen in verschiedenen
Sohlen). Bei Bergwerken in Mittelgebirgen, die durch Stollen aus Tälern aufgefahren wer-
den, kann auch das natürlich ausfließende Wasser dieser Stollen als Wärmequelle genutzt
werden.
Wasser aus großen Tunnelbauwerken fließt meist entsprechend dem Gefälle zu den
Portalen und kann dort als Wärmequelle genutzt werden. Bei einigen Alpentunneln hat
dieses Wasser Temperaturen erheblich über der jahresmittleren Lufttemperatur, wie sie
am Tunnelausgang gegeben ist.

Luftvorheizung/-kühlung Anwendungen einer Luftvorwärmung im Untergrund gab es


(ohne Wärmepumpe) bereits in den 1980er Jahren in der Landwirtschaft, wo die Zuluft
für Schweineställe durch Rohre im Erdreich angesaugt wurde und so die Temperatur-
spitzen in Winter und Sommer gebrochen wurden. Als Weiterentwicklung wurden – zur
Verlängerung der Betriebszeit von Wärmepumpen mit der Wärmequelle Luft im Winter
– einige Anlagen in Betrieb genommen, bei denen Luft durch Rohre im Erdreich ge-
führt, dort vorgewärmt und dann dem Wärmepumpenverdampfer zugeführt wurde [8.5]
(Tabelle 8.5). Bei derartigen Wärmequellen wird von Betonkollektoren und Luftbrunnen
oder von Luft-Erdregistern gesprochen. Da Luft jedoch eine vergleichsweise geringe
volumetrische Wärmekapazität hat, müssen relativ große Luftvolumina bewegt werden.
Eine kostengünstigere Variante stellen daher ein Solezwischenkreis in der Erde und eine
Luftvorwärmung über einen Sole-Luft-Wärmeübertrager dar. In jüngster Zeit hat jedoch
die Vorwärmung bzw. Vorkühlung der Zuluft in Rohren im Erdreich (ohne Wärmepumpe)
in Zusammenhang mit der Lüftung von Gebäuden im Niedrigenergiehaus- und Passiv-
hausstandard neue Bedeutung gewonnen.
Abb. 8.30 zeigt exemplarisch einen derartigen Luftbrunnen. Demnach wird durch das
poröse Erdreich Luft angesagt, die sich dann beispielsweise im Winter auf dem Weg von
der Erdoberfläche bis zur Wärmepumpe erwärmt. Dadurch sind im Vergleich zu einer
unmittelbaren Nutzung der Umgebungsluft höhere Arbeitszahlen erreichbar.

8.2.1.2 Luft
Luft als Wärmequelle ist generell überall verfügbar. Sie kann einen weiten Bereich an ge-
wünschter Wärmemenge liefern, jedoch bei sehr unterschiedlichen Temperaturen. Für die
optimale Bemessung wird daher der jahres- und tageszeitliche Verlauf der Lufttempera-
tur und möglichst auch der Luftfeuchte, der durch Kondensation latente Wärme entzogen
werden kann, benötigt. Die Nutzung der Wärmequelle „Umgebungsluft“ ist jedoch mit
einigen speziellen Problemen behaftet (u. a. [8.5]).

 Die geringe spezifische Dichte (Wasser weist die 800-fache Dichte von Luft auf) und
die um den Faktor 4 kleinere spezifische Wärmekapazität ebenfalls im Vergleich zu
732 M. Kaltschmitt et al.

Vorgewärmte Luft für


die Wärmepumpe
Erdoberfläche

Abdeckschicht

Luftdurchlässige
Schüttung (z.B.
Schotterbett,
Bauschutt)

Erdreich

Rohre

Luftströmungsrichtung

Abb. 8.30 Beispiel für einen Luftbrunnen

Wasser erfordern große Luftvolumenströme und sind der Grund für relativ geringe
Wärmeübergangskoeffizienten; dies bedingt – im Vergleich zu Wasser als Wärmequel-
le – deutlich größere Apparate.
 In den meisten Ländern, in denen luftgekoppelte Wärmepumpen eingesetzt werden,
schwanken die Außentemperaturen während der Heizsaison stark. Sehr tiefe und sehr
hohe Temperaturen treten zwar nur selten auf und die größte Auftrittswahrscheinlich-
keit der Außentemperatur liegt beispielsweise in Deutschland im Bereich von 3 bis
+11 ı C. Dennoch bedingen diese natürlichen Temperaturschwankungen stark variie-
rende Leistungen und Leistungszahlen an der Wärmepumpe.
 Für die Gebäudebeheizung als einen wesentlichen Anwendungsfall kommt die ausge-
prägte Divergenz zwischen der durch die Außentemperatur beeinflussten Heizleistung
der Wärmepumpe und der Heizwärmenachfrage eines Hauses hinzu. Je tiefer die Au-
ßentemperatur ist, desto größer ist die Heizwärmenachfrage. Gleichzeitig erhöht sich
die Temperaturdifferenz zwischen Wärmequelle und Wärmesenke (d. h. hohe Vorlauf-
temperatur der Wärmenutzungsanlage wegen der hohen Heizwärmenachfrage des Hau-
ses und niedrige Vorlauftemperatur der Wärmequelle „Umgebungsluft“ an sehr kalten
Tagen). Mit einer erhöhten Temperaturdifferenz ist ebenfalls eine geringere Heizleis-
tung und eine geringere Leistungszahl der Wärmepumpe verbunden (Abb. 8.31).
8 Nutzung von Umgebungswärme 733

Abb. 8.31 Divergenz zwi-

Wärmestrom
schen der Heizleistung von Heizleistung der
Wärmepumpen zur Nutzung Wärmepumpe
der Umgebungsluft und der
Heizwärmenachfrage eines
Gebäudes (nach [8.3])
Heizwärmebedarf
von Gebäuden

Außentemperatur

Der Umgebungsluft kann auf verschiedene Arten die Wärme entzogen werden. Am
häufigsten umströmt die Außenluft direkt den Verdampfer der Wärmepumpe, welcher ihr
die Wärme entzieht. Der Verdampfer ist zumeist als von Kältemittel durchflossenes Rohr-
bündel mit Rippen auf der Luftseite (Lamellenrohr-Wärmeübertrager) ausgeführt. Der
Luftdurchsatz von Wärmepumpenverdampfern sollte bei 300 bis 500 m3 /h pro kW Wär-
mequellenleistung (Verdampferleistung) liegen. Die Durchströmungsgeschwindigkeit der
Luft durch den Wärmeübertrager sollte aus Gründen der Geräuschentwicklung und des
Strombedarfs für den Lüfter, der ein integraler Bestandteil der Wärmepumpe ist, unter
2 m/s betragen. Außerdem sollten energieeffiziente Ventilatoren verwendet werden.
Wird die Luft an den Wärmeübertragerflächen unter ihren Taupunkt abgekühlt, kon-
densiert die Luftfeuchtigkeit und die Kondensationsenergie kann von der Wärmepumpe
zusätzlich genutzt werden. Das dabei anfallende Wasser muss dann natürlich ablaufen
können. Wird die Luft auf unter 0 ı C abgekühlt, gefriert das Kondensat und setzt sich als
Reif an den Verdampferlamellen ab. Dies kann bereits bei Lufteintrittstemperaturen unter
6 ı C vorkommen. Dadurch erhöhen sich der Wärmewiderstand und der Druckverlust für
die Luftströmung. Um ein entsprechendes „Zuwachsen“ des Verdampfers mit Eis zu ver-
hindern, muss er deshalb bei einem solchen Betriebszustand periodisch abgetaut werden.
Dadurch ergeben sich Heizleistungs- und Effizienzverluste; d. h. während des Abtauens
wird keine Nutzleistung erzeugt und durch die zum Abtauen nötige Energie wird die Ar-
beitszahl verschlechtert (vgl. auch Abb. 8.18).
Wird auf den Ventilator verzichtet, spricht man von „stillen“ Verdampfern. Die Umge-
bungsluft wird hier nur durch freie Konvektion bewegt; dies hat einen geringeren Wärme-
übergangskoeffizienten zur Folge. Solche „stillen“ Verdampfer benötigen zwar infolge des
dadurch bedingten geringeren luftseitigen Wärmeübergangs eine größere Wämeübertra-
gerfläche, arbeiten dafür aber völlig geräuschlos und ohne Nebenstromverbrauch für den
Ventilator. Diese Verdampfervariante kann aber wegen des großen Bauvolumens Akzep-
tanzprobleme haben. Auch dauert das Abtauen eines stillen Verdampfers deutlich länger.
Für die Nutzung von Umgebungsluft als Wärmequelle können drei Aufstellungsvari-
anten unterschieden werden.
734 M. Kaltschmitt et al.

Heizung Heizung
Heizung

Verdampfer
Wärmepumpe
Luftkanäle
Kompressor, Wärmespeicher Wärmepumpe Wärmespeicher
Wärmespeicher Kondensator

Abb. 8.32 Wärmepumpe mit Umgebungsluft als Wärmequelle (links: Außenaufstellung, Mitte:
Split-Aufstellung, rechts: Innenaufstellung)

 Außenaufstellung (Abb. 8.32, links). Der Wärmepumpenverdampfer einschließlich der


Wärmepumpe wird komplett im Freien aufgestellt. Die durch dieses Wärmepumpen-
system entzogene Wärme wird dann über gut wärmegedämmte Rohre ins Haus ge-
bracht. Bei dieser Aufstellung wird im Gebäude kaum Fläche benötigt. Es muss jedoch
sichergestellt sein, dass die Heizungsrohre nicht unter 0 ı C abkühlen, um ein Einfrieren
sicher zu vermeiden. Nachteilig sind auch die Wärmeverluste der heißen Teile der Wär-
mepumpenanlage (Kompressor, Kondensator) nach außen. Der Geräuschpegel muss
sich im Rahmen des erlaubten Schallpegels für nachbarlichen Schallimmissionsschutz
bewegen (die TA Lärm in Deutschland ist zu beachten); dafür gibt es keine Geräusch-
belastung im Gebäude.
 Split-Aufstellung. Eine Möglichkeit, ein Einfrieren der Heizungsrohre zu vermeiden,
ist die Split-Aufstellung. Hier wird der Verdampfer der Wärmepumpe außerhalb (Vor-
teil: Geräuschminimierung im Inneren des Gebäudes) und die restliche Wärmepumpe
innerhalb des Hauses aufgestellt (Abb. 8.32, Mitte). Beide Wärmepumpenteile sind
über die Kältemittelleitungen miteinander verbunden. Diese Aufstellungsform benö-
tigt im Vergleich zur Aufstellung im Freien mehr Platz im Inneren des Gebäudes;
der Innenteil der Wärmepumpe kann aber auch platzsparend an der Wand aufgehängt
werden. Die Split-Aufstellung ist auch bei Altbauten möglich, da i. Allg. außer den
Wanddurchbrüchen für die Kältemittelleitungen kaum bauliche Maßnahmen anfallen.
 Innenaufstellung. Eine weitere Form der Aufstellung ist der komplette Einbau der Wär-
mepumpe im Gebäude (Abb. 8.32, rechts). In diesem Fall muss die Umgebungsluft
über gut wärme- und schallgedämmte Luftkanäle zur Wärmepumpe gefördert und die
abgekühlte Luft wieder nach außen abgegeben werden. Ansaug- und Abluftöffnung
müssen so angebracht werden, dass ein „Kurzschluss“ zwischen abgekühlter Fortluft
und Ansaugluft sicher vermieden wird. Eine Ansaugung und Ausblasung direkt in
den Kellerraum würde diesen aufgrund des Wärmeentzugs stetig abkühlen; diese Ab-
kühlung kann auch zu Temperaturen unter der Außenlufttemperatur führen. Überdies
würde bei ungenügender Dämmung der Kellerdecke den darüber liegenden Räumen
Wärme entzogen.
8 Nutzung von Umgebungswärme 735

Eine kombinierte Form der Nutzung von Umgebungsluft und Sonneneinstrahlung stel-
len Flächenabsorber mit integrierten Verdampferrohren dar. Oft wird auch ein Solekreis
zwischen Absorber und Verdampfer geschaltet, da es schwierig ist, die Ölrückführung in
den Kältemittelkreislauf aus den Flächenabsorbern zu gewährleisten. Da Flächenabsorber
sowohl die diffuse als auch die direkte Sonneneinstrahlung mitnutzen, sind Aufstellungs-
ort und -richtung wichtig. Zudem muss das am Absorber anfallende Kondensat abgeführt
werden.
Eine spezielle den Flächenabsorbern zuzuordnende Form des Umgebungswärmeüber-
tragers stellen Massivabsorber dar. Bei diesem Absorbertyp sind die Wärmeübertragerroh-
re in massive Bauteile (typischerweise aus Beton) eingebettet und nutzen somit indirekt
die über die Betonaußenflächen aufgenommene Umweltwärme mit einem hohen Anteil
an solarer Strahlungsenergie. Die Massivabsorber sind durch die großen Bauteilmassen in
der Lage, große Mengen an Wärme zu speichern und damit die Schwankungen der Um-
gebungslufttemperatur und der Sonnenstrahlung weitgehend auszugleichen. In der Regel
übernehmen Massivabsorber auch eine bauliche Funktion des Hauses; so können z. B.
Grundstückseinfriedungen, Schallschutzmauern, Außenmauern von Gebäuden oder Be-
tongaragen als Massivabsorber ausgeführt werden.

8.2.1.3 Abwärme
Besonders günstig ist es, wenn als Wärmequelle für die Wärmepumpe ein Abwärme-
strom zur Verfügung steht. Am technisch einfachsten und vielversprechendsten ist hier
der Einsatz in Gebäuden mit mechanischer Lüftung, da hier die Abluft des Gebäudes als
Wärmequelle verwendet werden kann. Die Wärmepumpe wird dann als Luft-Luft-Wär-
mepumpe zwischen dem Abluft- und Zuluftstrom des belüfteten Gebäudes geschaltet; dies
wird normalerweise in Kombination mit einem Wärmeübertrager zur Abluftwärmerück-
gewinnung realisiert (Abb. 8.33). Demnach wird die kalte Frischluft aus der Umgebung
zuerst in einem Wärmeübertrager mit der warmen Abluft vorgewärmt. Anschließend wird
sie weiter, meist direkt (manchmal auch über einen Zwischenkreis) vom Wärmepumpen-
kondensator auf Zulufttemperatur erwärmt. Die Abluft aus dem Gebäude heizt zuerst
wiederum die Frischluft über die Abuftwärmerückgewinnung vor, bevor sie durch den
Wärmepumpenverdampfer meist direkt, manchmal aber auch über einen Solekreis, wei-
ter abgekühlt wird und als Fortluft an die Umgebung geht. Die Leistung einer solchen
Wärmepumpe ist aber begrenzt, da zum einen die Volumenströme relativ klein sind und
zum anderen die Abluft aufgrund der Abhängigkeit der Leistungszahl vom Temperaturhub
zwischen Wärmequelle und Wärmesenke nicht zu stark abgekühlt werden kann.

8.2.2 Wärmepumpen

Neben der Wärmequellenanlage ist die Wärmepumpe ein weiterer integraler Bestandteil
von Anlagen zur Nutzung der Umgebungswärme; diese wird nachfolgend dargestellt.
736 M. Kaltschmitt et al.

Abb. 8.33 Lüftungsanlage mit


integrierter Wärmepumpe
Kondensator

Zuluft
Abluftwärme- Wärmesenke
rückgewinnung (z.B.
Einfamilienhaus)
Frischluft Abluft

Verdichter

Verdampfer

Fortluft

8.2.2.1 Wärmepumpenkomponenten
Eine Wärmepumpe ist – wie praktisch jede andere technische Anlage auch – aus ver-
schiedenen Systemelementen aufgebaut. Die wichtigsten technischen Eigenschaften die-
ser einzelnen Komponenten werden im Folgenden näher erläutert. Dies geschieht in der
Reihenfolge Wärmeübertrager (Verdampfer und Kondensator (Verflüssiger)), Verdichter
und Drossel. Neben den genannten Hauptbestandteilen und den für den Betrieb notwendi-
gen steuer- und regelungstechnischen Komponenten werden weitere Systembestandteile
und Hilfseinrichtungen wie Ventile, Manometer, Sicherheitseinrichtungen und sonstige
Armaturen, Kältemittelsammler, Filter, Kältemitteltrockner usw. benötigt. Diese werden
hier nicht besprochen.
Der mechanische Antrieb für den Verdichter erfolgt mit einem Elektro- oder Verbren-
nungsmotor. Bei verbrennungsmotorischen Antrieben kann die Abgas- und Kühlwärme
(d. h. Wasser- und Ölkühler), die beim Motorbetrieb anfällt, ebenfalls in den Heizprozess
eingekoppelt werden.

Wärmeübertrager Wärmeübertrager, oft auch als Wärmeaustauscher, Wärmetauscher


oder Temperaturwechsler bezeichnet, sind Apparate, die Wärme in Richtung des Tem-
peraturgefälles zwischen zwei oder mehreren Stoffen übertragen und dabei zur gezielten
Zustandsänderung (Kühlen, Erwärmen, Verdampfen, Kondensieren) dieser Stoffe dienen.
Sie werden bei Wärmepumpen hauptsächlich zur Wärmeübertragung zwischen Wärme-
quelle und Wärmepumpe – hier werden sie als Verdampfer bezeichnet – und zwischen
Wärmepumpe und Wärmesenke – hier werden sie Kondensator genannt – eingesetzt.
Derartige Wärmeübertrager können nach der relativen Strömungsrichtung der betei-
ligten Stoffe in Gleichstrom-, Gegenstrom- und Kreuzstrom-Wärmeübertrager eingeteilt
werden; Abb. 8.34 zeigt die jeweilige Funktionsweise. Sehr häufig kommen auch entspre-
8 Nutzung von Umgebungswärme 737

Abb. 8.34 Bauarten und


Funktionsweise von Wärme-
übertragern Gegenstrom

Gleichstrom

Kreuzstrom

chende Mischformen vor, durch die optimale Betriebseigenschaften für den jeweiligen
konkreten Anwendungsfall erreicht werden sollen.
Wenn der Wärmeträger von der Wärmequelle zum Verdampfer Sole oder Wasser
ist, können Rohrbündel-, Platten- oder Koaxial-Wärmeübertrager verwendet werden.
Abb. 8.35 zeigt die grundsätzliche Funktionsweise dieser unterschiedlichen Bauarten.

 Platten-Wärmeübertrager (Abb. 8.35, oben) bestehen aus verschweißten, verlöteten


oder verschraubten Platten, zwischen denen wechselweise je eines der beiden betei-
ligten Medien fließt. Zur mechanischen Stabilisierung, Verteilung der Fluide und Ver-
besserung des Wärmeübergangs sind die Plattenoberflächen durch räumliche Struk-
turen wie z. B. Wellen oder Noppen erhöht und dadurch letztlich vergrößert. Durch
die Variation der Plattenanzahl kann die Gesamtoberfläche verändert werden. Platten-
Wärmeübertrager werden für alle Formen von Medien inklusive verdampfenden und
kondensierenden Stoffen eingesetzt. Gegenüber den meisten anderen Bauformen von
Wärmeübertragern gleicher Leistung haben sie einen geringeren Platzbedarf.
 Rohrbündel-Wärmeübertrager (Abb. 8.35, Mitte) bestehen aus mehreren Rohren, die
an ihren Enden meist jeweils von einem kreisförmig ausgebildeten Rohrboden gehalten
und in ein Mantelrohr eingeschoben werden. Die beiden beteiligten Medien befinden
sich in den Rohren bzw. um die Rohre herum im Mantelrohr. Die Rohre können beid-
seitig (außen und innen) oder nur einseitig berippt sein. Das außen geführte Medium
kann über Leitbleche mehrfach umgelenkt werden, um die Strömungsgeschwindig-
keit und damit den Wärmeübergangskoeffizienten zu erhöhen. Das rohrseitige Medium
kann ebenfalls mäanderförmig in mehreren Pässen geführt werden.
 Koaxialwärmeübertrager (Abb. 8.35, unten) bestehen aus einem (oder selten mehre-
ren) Innen- und einem darüber geschobenen Außenrohr. Eines der beiden beteiligten
Medien fließt durch das Innenrohr, das andere – meist im Gegenstrom – im dem Zwi-
schenraum zwischen dem Außen- und dem Innenrohr.
738 M. Kaltschmitt et al.

Abb. 8.35 Bauarten von Flüs-


sig-Flüssig-Wärmeübertrager
(oben: Platten-Wärmeüber-
trager, Mitte: Rohrbündel-
Wärmeübertrager, unten:
Koaxialwärmeübertrager)

Fluid 1 Fluid 2
abgekühlt erwärmt

Umlenk-
bleche

Fluid 2 Fluid 1
kalt warm

Innenrohr Ein

Außenrohr Aus

Außenrohr Ein
Innenrohr Aus

Lamellenrohr-Wärmeübertrager (Abb. 8.36) sind Luft-Flüssigkeits-Wärmeübertrager.


Sie bestehen aus mehreren parallel angeordneten Rohren, in denen die Strömung meist
mehrfach umgelenkt wird. Das gesamte Rohrpaket ist durch Rippen oder Lamellen, die
zur Erhöhung des Wärmeübergangs noch räumlich strukturiert sein können, verbunden.
Die Luft strömt zumeist im Kreuzstrom zwischen den Rippen um die Rohre und die Flüs-
sigkeit strömt in den Rohren. Durch diese Bauart wird der schlechte Wärmeübergang von
der Luft auf den Wärmeübertrager durch die aufgrund der Rippen wesentlich vergrößerte
Wärmeübergangsfläche möglichst kompensiert.
Derartige Wärmeübertrager können als Verdampfer oder Kondensator in einer Wärme-
pumpe eingesetzt werden. Bei einem Einsatz als Verdampfer kann zwischen Trockenver-
8 Nutzung von Umgebungswärme 739

Abb. 8.36 Beispiel eines La- kühleres Wärme-


mellenrohr-Wärmeübertrager kühlere Luft trägermedium
wärmeres Wärme-
trägermedium

wärmere Luft

dampfern, überfluteten Verdampfern sowie Umlaufverdampfern (Verdampfung im Pum-


penbetrieb) unterschieden werden.

 Bei der Trockenverdampfung wird durch das Expansionsventil so viel Kältemittel in


die Verdampferrohre gespritzt, wie gerade noch vollständig verdampft und zudem
leicht überhitzt werden kann. Die Regelung geschieht über eine Drossel. Dies ist die
derzeit häufigste Bauart der am Markt angebotenen Anlagen.
 Im überfluteten Verdampfer (Behältersieden) wird ein Teil des Verdampfers mit flüssi-
gem Kältemittel überflutet. Die Verdampfung findet um die Rohre herum statt. Der
Dampf verlässt gesättigt den Wärmeübertrager; eine nennenswerte Überhitzung ist
nicht möglich. In einem nachgeschalteten Abscheider müssen deshalb zusätzlich die
bei der Verdampfung mitgerissenen Flüssigkeitströpfchen abgetrennt werden. Überflu-
tete Verdampfer werden zumeist als Rohrbündelwärmeübertrager ausgeführt.
 Bei der Verdampfung im Pumpenbetrieb wird das Kältemittel beispielsweise im Rohr
verdampft; dabei wird ein erheblicher Flüssigkeitsüberschuss verwendet, der in einem
sogenannten „Pumpenbehälter“ vom Dampf getrennt und in den Verdampfer zurück-
gepumpt wird. Alternativ kann auch ein Rohrbündel mit umgepumptem, flüssigem
Kältemittel berieselt werden. Hier erfolgt die Abscheidung im Verdampfersumpf. Mit
Umlaufverdampfern können auch große Wärmeübertragerflächen konstant mit Flüs-
sigkeit beaufschlagt werden.

Wird der Wärmeübertrager als Kondensator ausgeführt, kann er – je nach Anwen-


dung – als Flüssigkeitserhitzer (Rohrbündel-, Koaxial- oder Platten-Wärmeübertrager für
Warmwasserheizungen) oder als Lufterhitzer (meist Blockbauweise mit Lamellen, für
Luftheizungen) ausgeführt werden.
Die jeweils benötigte Wärmeübertragungsfläche AW , die letztlich die Baugröße der
Wärmeübertrager bestimmt, berechnet sich nach Gleichung (8.23). QP ist der Wärmestrom
und U der Wärmedurchgangskoeffizient. Tlog ist die mittlere Grädigkeit des Wärme-
übertragers.

QP D U AW Tlog (8.23)
740 M. Kaltschmitt et al.

Der Wärmedurchgangskoeffizient U wird im Wesentlichen durch die Wärmeüber-


gangskoeffizienten des externen Wärmeträgers und des jeweils eingesetzten Arbeitsmit-
tels bestimmt. Bei flüssigen externen Medien liegt er typischerweise im Bereich von 1
bis 5 kW/(m2 K); bei gasförmigen Medien (z. B. Luft) kann er bis auf 50 W/(m2 K) oder
darunter absinken. Daher wird in diesen Fällen normalerweise die Fläche durch Rippen
vergrößert (z. B. Lamellenrohr-Wärmeübertrager).
Die mittlere treibende Temperaturdifferenz Tlog (mittlere Grädigkeit) berücksichtigt
den Temperaturverlauf des primären (wärmeabgebenden) und sekundären (wärmeaufneh-
menden) Fluids im Wärmeübertrager. Im einfachsten Fall eines Gegenstromwärmeüber-
tragers (d. h. die beiden Fluide durchströmen den Wärmeübertrager in entgegengesetzter
Richtung, Abb. 8.34) kann für die mittlere Temperaturdifferenz die logarithmisch gemit-
telte Temperaturdifferenz Tlog nach Gleichung (8.24) zugrunde gelegt werden. T ist die
Temperatur am Wärmeübertragerein- (ein) bzw. -ausgang (aus) auf der Primär- (primär)
bzw. Sekundärseite (sekundär).
 ein   aus 
Tprimär  Tsekundär
aus
 Tprimär  Tsekundär
ein
Tlog D    
ein
ln Tprimär  Tsekundär
aus
 ln Tprimäraus
 Tsekundär
ein
 ein   aus 
Tprimär  Tsekundär
aus
 Tprimär  Tsekundär
ein
D  ein  (8.24)
.Tprimär Tsekundär
aus
/
ln T aus
. primär  Tsekundär
ein
/

Dies gilt auch für einen Verdampfer ohne nennenswerte Überhitzung. Kondensatoren
müssen dagegen normalerweise in einen Enthitzungsabschnitt, einen Kondensationsab-
schnitt und einen Unterkühlungsabschnitt aufgeteilt werden; für jeden Abschnitt kann
dann bei einer Gegenstrombauweise Gleichung (8.24) verwendet werden.
Die mittlere treibende Temperaturdifferenz ergibt sich überschlagsmäßig aus der
Temperaturdifferenz (Grädigkeit) zwischen dem abgekühlten Wärmeträger und der Ver-
dampfungstemperatur beim Verdampfer bzw. zwischen der Verflüssigungstemperatur und
der Temperatur des erwärmten Wärmeträgers beim Kondensator. Bei einer vorgegebenen
Leistung des Wärmeübertragers ist demnach nach Gleichung (8.23) eine kleine Grädig-
keit und damit eine große Wärmeübertragungsfläche erforderlich. Zur Erzielung einer
hohen Leistungszahl der Wärmepumpe sollte die Grädigkeit im Verdampfer und Kon-
densator möglichst klein ausfallen, damit der zu bewältigende Temperaturhub zwischen
Kondensator und Verdampfer nicht zu groß wird. Hier haben sich Werte von rund 5 K als
ein vernünftiger Kompromiss erwiesen.

Verdichter Verdichter (oft auch als Kompressor bezeichnet) ist eine Arbeitsmaschine,
die einem eingeschlossenen Gas mechanische Arbeit zuführt. Dadurch wird der Druck
und die Dichte des Gases erhöht; es wird komprimiert (demgegenüber werden Maschinen,
durch die der Druck von Flüssigkeiten erhöht wird, als Pumpen bezeichnet).
Im Wärmepumpenverdichter wird das in einem geschlossenen Kreislauf zwischen Ver-
dampfer und Kondensator bewegte, gasförmige Arbeits- oder Kältemittel verdichtet. Hier-
8 Nutzung von Umgebungswärme 741

bei kann zwischen vollhermetischen, halbhermetischen und offenen Verdichtern unter-


schieden werden. Diese Begriffe bezeichnen die Art der Abdichtung der Antriebswelle
des Verdichters.

 In vollhermetischen Verdichtern (Kapselverdichter) werden Verdichter und elektrischer


Antriebsmotor gemeinsam in einem gasdicht geschweißten oder verlöteten Gehäuse
verkapselt. Dadurch gibt es keine Wellendurchführung nach außen und damit also auch
keine Leckagen. Daher haben beispielsweise Kühlschränke, bei denen typischerweise
vollhermetische Verdichter eingesetzt werden, einen extrem geringen Arbeitsmittelver-
lust. Der Nachteil dieser Bauart ist, dass der Antriebsmotor vom Arbeitsmittel umspült
wird und daher die jeweils verbauten Werkstoffe und das entsprechende Arbeitsmittel
voll kompatibel sein müssen. Zudem muss die zwingend anfallende Verlustwärme des
Motors über das Arbeitsmittel abgeführt werden. Meist wird dazu das kalte, vom Ver-
dampfer kommende Sauggas durch den Motor angesaugt und dadurch weiter überhitzt
(sauggasgekühlter Verdichter). Dadurch verringern sich die volumetrische Leistung
(siehe unten) und die Leistungszahl des Prozesses; gleichzeitig steigt allerdings durch
diese effiziente Kühlung der Wirkungsgrad des Motors. Zusätzlich wird so fast sicher
verhindert, dass unverdampftes Kältemittel in den Verdichter angesaugt wird, was den
Verdichter schädigen würde, da die Flüssigkeit inkompressibel ist (Flüssigkeitsschlä-
ge). Die Antriebsleistungen reichen bei derartigen hermetischen Verdichtern bis in den
unteren zweistelligen kW-Bereich.
 Halbhermetische Verdichter unterscheiden sich von den vollhermetischen lediglich da-
durch, dass der Motor an den Verdichter angeflanscht ist; sie besitzen also – vergleich-
bar zu den vollhermetischen Verdichtern – eine gemeinsame Welle und es gibt keine
Wellendurchführung nach außen. Allerdings gibt es die (statische) Flanschdichtung
und oft auch weitere abgedichtete Deckel und Zugangsöffnungen. Dadurch ist eine
Wartung und eine Reparatur möglich; aber auch Lecks beispielsweise bei einer fehler-
haften Dichtung sind damit nicht vollkommen ausgeschlossen. Die Antriebsleistungen
liegen bei einigen 10 bis über 100 kW. Neben solchen sauggasgekühlten Verdichtern
kommen auch druckgasgekühlte Maschinen vor, da die Temperatur des heißen Druck-
gases mitunter immer noch niedrig genug ist, um zur Motorkühlung verwendet zu
werden. Dies ist günstig für die volumetrische Leistung und die Leistungszahl der An-
lage, aber ungünstig für den Motor.
 In offenen Verdichtern befindet sich der Antriebsmotor außerhalb des eigentlichen Ver-
dichters; Motor und Verdichter sind hier über eine Welle und eine Kupplung verbunden.
Eine Wellendurchführung ist nötig, die typischerweise mit einer drehenden Dichtung
versehen ist; derartige drehende Dichtungen sind nie wirklich vollkommen gasdicht
(daher offen). Der Antrieb kann elektro- oder verbrennungsmotorisch erfolgen. Offene
Verdichter werden nur in größeren Anlagen und zwingend bei einem verbrennungs-
motorischen Antrieb eingesetzt; beispielsweise benutzen Fahrzeugklimaanlagen fast
immer offene Verdichter.
742 M. Kaltschmitt et al.

Abb. 8.37 Einteilung von


Verdichtern und wesentliche Verdichter
kennzeichnende Eigenschaften

Verdränger- Strömungs-
verdichter verdichter

Druck groß Druck klein


Volumenstrom klein Volumenstrom groß

Nach dem Verdichtungsprinzip kann man Verdrängerverdichter und Strömungsver-


dichter (d. h. Turboverdichter) unterscheiden (Abb. 8.37). Erstere Bauart ist durch eine
vergleichsweise hohe Druckdifferenz und einen kleinen Volumenstrom und die letztere
technische Lösung durch einen relativ kleinen Druckunterschied und einen entsprechend
großen Volumenstrom gekennzeichnet.
Wichtige Bauformen von Verdrängerverdichtern sind Hubkolben-, Scroll-, Rollkolben-
und Schraubenverdichter.

 Bei Hubkolbenverdichtern erfolgt die Druckerhöhung durch eine Verkleinerung ei-


nes Zylindervolumens durch einen Kolben. Sie werden als vollhermetische Verdichter
mit Antriebsleistungen bis zu rund 25 kW, als halbhermetische bis zu rund 100 kW
und als offene Maschinen für darüber hinausgehende Leistungen gebaut. Die Saug-
volumenströme reichen bis zu einigen 1 000 m3 /h. Die Maschinen werden für größere
Leistungen mit bis zu 16 Zylindern ausgeführt. Diese Zylinder können parallel be-
trieben werden; dabei ist durch die Abschaltung einzelner Zylinder die Leistung der
Maschine einfach gestuft darstellbar. Die Zylinder können aber grundsätzlich auch in
Reihe geschaltet werden. Durch diese Betriebsweise können höhere Druckverhältnisse
erzielt werden. Kolbenverdichter haben selbstgesteuerte Ventile; d. h. Saugdruck und
Lieferdruck passen sich immer an den Verdampferdruck und den Kondensatordruck
an.
 Bei Scroll-Verdichtern bewegt sich eine Scheibe mit spiralförmigen Lamellen exzen-
trisch über einer feststehenden Scheibe mit entsprechenden Gegenlamellen, so dass
die durch diese Lamellen begrenzten Räume kontinuierlich kleiner und wieder größer
werden. Dadurch wird das eingeschlossene Gas verdichtet und über eine Öffnung in
der Mitte ausgestoßen, bevor sich der Zwischenraum wieder erweitert und am Um-
fang angesaugt wird. Ein Vorteil dieser Bauart liegt in der kreisenden Bewegung und
den wenigen bewegten Teilen. Scroll-Verdichter sind normalerweise schlitzgesteuert.
Dadurch entfallen die Ventile, aber auch die Anpassung an die vorliegenden Druckver-
hältnisse. Es gibt daher auch Ausführungen mit einem Ventil auf der Hochdruckseite.
 Bei Rollkolbenverdichtern wird ein zylindrisches Volumen durch einen exzentrisch ge-
lagerten zylindrischen Kolben in Verbindung mit einem im Gehäuse verschieblichen
8 Nutzung von Umgebungswärme 743

Schieber verkleinert. Dieser Verdichtertyp wird bevorzugt bei kleinen Leistungen ein-
gesetzt. Auch Rollkolbenverdichter haben Ventile.
 In Schraubenverdichtern kämmen zwei Schnecken miteinander. Das zwischen den
Gängen der Schnecken und dem Gehäuse eingesperrte Gas wird – wie in einem
Fleischwolf – gegen eine Stirnplatte gefördert und dabei solange verdichtet, bis die
Gänge die Auslassbohrung in der Stirnplatte erreichen. Die Verdichter sind ebenfalls
ventillos. Zur Anpassung an die Druckverhältnisse und auch zur Leistungsregelung
werden Regelschieber eingebaut. Die Verwandtschaft von Schraubenverdichtern mit
Getrieben hat zur Folge, dass Schraubenverdichter mit sehr viel Öl betrieben werden.
Das Öl schmiert und dichtet die Schrauben gegeneinander und gegen das Gehäuse
ab. Wegen dieser relativ großen benötigten Ölmenge müssen Ölabscheider auf der
Druckseite nach dem Verdichter eingesetzt werden, die oft die Größe des eigentlichen
Verdichters überschreiten. Schraubenverdichter fördern die größten Volumenströme
unter den Verdrängerverdichtern.
 Turboverdichter werden meist für große Leistungen, also große Volumenströme, ein-
gesetzt. Sie sind im Gegensatz zu den vorgenannten Typen Strömungsmaschinen mit
einer oder mehreren Verdichterstufen. Eine Verdichterstufe besteht dabei aus einem
Laufrad mit rotierender Beschaufelung zur Wandlung der Antriebsarbeit in Druck-
energie und kinetische Energie der Strömung. Hinzu kommen nicht rotierende Leit-
schaufeln zur Umwandlung dieser kinetischen Energie ebenfalls in Druckenergie. Bei
Wärmepumpen werden fast ausschließlich Radialturboverdichter mit wenigen Stufen
verwendet, da sie pro Verdichterstufe ein höheres Druckverhältnis erreichen. Axial-
verdichter sind geeignet für sehr große Volumenströme, benötigen aber deutlich mehr
Stufen für das gleiche Druckverhältnis. Bei einer Drehzahländerung, die heute bei allen
Verdichtern zur stufenlosen Leistungsregelung möglich ist, können die Leitschaufeln
und / oder zusätzliche Vor-Leitschaufeln im Ansaugstutzen verstellt werden. Da beim
Turboverdichter nur die Lager geschmiert werden müssen, ist damit eine schmierölfreie
Verdichtung des Arbeitsmittels möglich und das Lösungsvermögen des Arbeitsmittels
für das Schmieröl spielt keine Rolle. Vorteile der Turboverdichter sind der geringe Ver-
schleiß, bedingt durch die einfache Konstruktion, die stufenlose Leistungsregelung im
Bereich von ca. 10 bis 100 % sowie der bei hohen Leistungen verhältnismäßig geringe
Platzbedarf.

Verdichter können, falls erforderlich, auf drei unterschiedliche Weisen miteinander ge-
koppelt werden.

 Zur Leistungserhöhung lassen sich die Verdichter einfach parallel schalten; durch eine
Teilabschaltung wird ein gutes Teillastverhalten erzielt.
 Bei der mehrstufigen Verdichtung werden mehrere Verdichter in Reihe geschaltet; dies
ist insbesondere dann sinnvoll, wenn der Druckunterschied zwischen Verdampfungs-
und Kondensationsdruck von einem Verdichter alleine nicht mehr bewältigt werden
kann.
744 M. Kaltschmitt et al.

 Bei einer Wärmepumpenkaskade besitzt jeder Verdichter einen eigenen Kondensator


und Verdampfer. Es werden bei diesem Konzept also zwei getrennte Wärmepumpen
hintereinander geschaltet. Die Abwärme des Niedertemperaturkreises dient dabei als
Wärmequelle des Hochtemperaturkreises. In jeder Stufe kann somit das bei der jewei-
ligen Temperatur ideale Kältemittel eingesetzt werden. Allerdings entstehen bei dieser
Schaltungsart höhere Anlagenkosten und ein Effizienzverlust durch den notwendigen
inneren Wärmeübertrag.

Drossel Die Drossel ist ein Regelorgan. Generell wird eine Drossel bzw. ein Drosselven-
til verwendet, um damit Volumenströme zu regulieren. Typischerweise ist eine Drossel
eine regelbare Verengung des Leitungsquerschnitts in einer Strömungsleitung; d. h. es ist
praktisch ein örtlicher Strömungswiderstand.
In der Drossel soll der in einer Wärmepumpe vom Kondensator zurück zum Verdamp-
fer zirkulierende Arbeitsmittelmassenstrom gerade so geregelt werden, dass er gleich dem
gasförmig vom Verdichter angesaugten und zum Kondensator transportiertem Massen-
strom ist. Damit wird sichergestellt, dass Kondensator und Verdampfer weder trocken
laufen noch überfüllt werden. Gleichzeitig gewährleistet die Drossel jeder Bauart, dass im
Kondensator das Kältemittel immer unterkühlt. Gelangen Gasblasen aus dem Kondensa-
tor zur Drossel, bleibt zwar der Volumenstrom durch die Drossel gleich; durch die geringe
Dichte des gasförmigen Kältemittels sinkt aber der Massenstrom drastisch ab. Dies hat zur
Folge, dass durch die Drossel wesentlich weniger Massenstrom als durch den Verdichter
fließt; dadurch steigt der Kondensationsdruck. Dadurch wiederum erhöht sich die Tem-
peraturdifferenz zur Wärmesenke; d. h. der Kondensator kann also mehr Wärme abgeben
und damit das Kältemittel wieder vollständig kondensieren.
Die Auswahl der Drossel erfolgt in Abhängigkeit von Kältemittel sowie Verdichter-
größe bzw. Wärmeleistung der Wärmepumpe. Mögliche Bauformen sind thermostatische
bzw. elektronische Expansionsventile oder Kapillarrohre. In Sonderfällen können auch
durch Füllstand geregelte Ventile eingesetzt werden.

 Thermostatische Expansionsventile werden bei der trockenen Verdampfung eingesetzt


und durch den Verdampfungsdruck und die Temperatur des in den Verdichter ein-
tretenden Arbeitsmittels (Sauggastemperatur) direkt mechanisch geregelt. Die Saug-
gastemperatur wird dabei über ein mit Flüssigkeit halb gefülltes Fühlerrohr, dass am
Verdampferaustritt an das Kältemittelrohr angepresst und nach außen isoliert wird, in
einen Druck umgewandelt (der Verdampfungsdruck bei der überhitzen Verdampferaus-
trittstemperatur), der mit einer Kapillare an das Expansionsventil weitergeleitet wird.
Gleichzeitig wird der Austrittsdruck des Verdampfers direkt mit einer Kapillare an das
Expansionsventil geleitet. Je höher die Überhitzung am Verdampferaustritt ist, desto
größer ist die Differenz dieser beiden Drücke, die jeweils auf gegenüberliegende Seiten
einer Membran drücken, die ihrerseits den Ventilkegel des Expansionsventils bewegt.
Da Verdampfungsdruck und -temperatur über die Dampfdruckkurve des Arbeitsmittels
8 Nutzung von Umgebungswärme 745

in einem festen Zusammenhang miteinander stehen, wird so die Überhitzung (Zu-


stand 6 und 7; Abb. 8.7 und 8.8) des Sauggases eingeregelt. Bei einem zu großen
Kondensatstrom durch die Drossel steigt der Verdampferdruck, da es der Verdichter
nicht schafft, das Gas abzusaugen. Das Kältemittel wird weniger überhitzt oder viel-
leicht sogar nicht mehr vollständig verdampft. Jedenfalls wird die Überhitzung sinken
und das Expansionsventil wird schließen. Wenn der Kondensatstrom durch die Drossel
sinkt, nimmt auch der Verdampferdruck ab, da der Verdichter ihn leer saugt. Das Käl-
temittel wird stärker überhitzt und das Expansionsventil öffnet wieder. Eine konstante
Überhitzung um einige Kelvin verringert gleichzeitig die Gefahr von Flüssigkeitsschlä-
gen (Tröpfchen im Sauggas, siehe oben).
 Elektronische Expansionsventile arbeiten grundsätzlich wie thermostatische Expan-
sionsventile. Im Unterschied zu diesen wird die Überhitzung aber nicht mechanisch
über Fühlerdrücke, sondern auf Basis des gemessenen Drucks und der gemessenen
Temperatur am Verdampferaustritt über mathematische Algorithmen, welche die Stoff-
werte des Kältemittels und relevante Kennwerte der Wärmepumpe (u. a. Laufzeit des
Kältemittels durch den Verdampfer, Regelcharakteristik, Verdichterdaten) enthalten,
angesteuert. Sie sind daher flexibler einsetzbar.
 Kapillarrohre nutzen den Druckverlust bei der Zweiphasenströmung aus und sind daher
sehr dünn (meist 1 bis 2 mm Innendurchmesser). Sie weisen eine Länge von bis zu 2 m
auf, um die erforderliche Drosselwirkung zu gewährleisten. Kapillarrohre können keine
feste Überhitzung im Verdampfer gewährleisten. Daher finden sie ihren Einsatz beson-
ders bei kleinen Anlagen mit vollhermetischen Verdichtern, bei denen die Überhitzung
durch die Kühlung des Motors weitgehend sicher gestellt ist; beispielsweise werden
Kühlschränke fast ausschließlich mit Kapillaren gebaut. Kapillaren werden auch zur
Grobregelung in Kombination mit thermostatischen oder elektronischen Expansions-
ventilen eingesetzt.

Statt des Ventils wird immer wieder diskutiert, eine Expansionsmaschine einzusetzen,
die es erlauben würde, einen Teil der Verdichtungsenergie zurückzugewinnen. Derartige
technische Lösungen sind aber bislang nur von größeren Kälteanlagen insbesondere mit
CO2 als Arbeitsmittel (hier sind die Druckdifferenzen sehr hoch) bekannt geworden.

8.2.2.2 Arbeitsmittel
Das Arbeitsmittel durchläuft den thermodynamischen Kreisprozess (Kapitel 8.1); d. h. es
wird in der Wärmepumpe umgepumpt. Dabei sollte es die folgenden – sich teilweise wi-
dersprechenden – thermophysikalischen und chemischen Eigenschaften erfüllen, die gute
Arbeitsmittel ausmachen (nach [8.7]).

 Die Dampfdrücke des Arbeitsmittels sollten aus technischen Gründen bei den Tempe-
raturen der jeweiligen Anwendung zwischen 1 und etwa 25 bar liegen. Nur bei CO2
(R744) als Kältemittel werden wesentlich höhere Drücke akzeptiert.
746 M. Kaltschmitt et al.

 Das Druckverhältnis zwischen Kondensation- und Verdampfungsdruck soll möglichst


niedrig sein, da bei den meisten Verdichtern (z. B. bei Kolbenverdichtern) mit zuneh-
mendem Druckverhältnis der geförderte Volumenstrom stark zurückgeht und auch der
Wirkungsgrad abnimmt.
 Eine geringe spezifische Wärmekapazität des Kondensats im Verhältnis zu der Ver-
dampfungsenthalpie verringert die Drosselverluste und steigert somit die Leistungszahl
des Kreisprozesses.
 Eine hohe spezifische Wärmekapazität des Dampfes führt zu geringer Überhitzung bei
der Verdichtung. Eine niedrige Verdichtungsendtemperatur reduziert die thermische
Belastung des Schmiermittels (Schmieröls) und des Verdichters.
 Eine hohe volumetrische Kälteleistung (Gleichung (8.22)) erlaubt eine kompakte Ver-
dichterbauweise. Sie wird dann erreicht, wenn die Verdampfungsenthalpie und die
Dichte des Sauggases hoch sind.
 Eine niedrige dynamische Viskosität reduziert die Druckverluste im Kreislauf, die sich
im Nassdampfgebiet als Temperaturabsenkungen äußern und zu einer Vergrößerung
des Temperaturhubs und damit zu einer Verringerung der Leistungszahl führen. Außer-
dem erhöht sie den Wärmeübergang des Kältemittels in Verdampfer und Kondensator.
 Eine hohe Wärmeleitfähigkeit und eine geringe Viskosität verbessern den Wärme-
übergang in Verdampfer und Kondensator und verringern somit die treibende Tem-
peraturdifferenz (Grädigkeit) und die dadurch auftretende Irreversibilität bei diesen
Wärmeübergängen.
 Chemische und thermische Beständigkeit, Unbrennbarkeit, Explosionssicherheit, gute
Werkstoffverträglichkeit und eine sehr gute Mischbarkeit mit und Inertheit gegenüber
dem Schmiermittel sind technische Grundvoraussetzungen.
 Toxikologische und ökologische Unbedenklichkeit sind insbesondere für die Handha-
bung, aber auch für Havariefälle wichtig.
 Der Preis spielt im Vergleich zu den anderen Komponenten der Anlage meist keine
herausragende Rolle, muss aber dennoch beachtet werden. Eine wichtige Kenngröße
ist auch die Verfügbarkeit des Arbeitsmittels.

Tabelle 8.6 zeigt eine Auswahl von Arbeitsmittel, wie sie in der Vergangenheit bzw.
derzeit eingesetzt werden können. Demnach unterscheiden sich diese Arbeitsmittel z. T.
erheblich in Bezug auf die Siedetemperatur und insbesondere im Hinblick auf die damit
verbundenen Umweltauswirkungen.
Die Nomenklatur der Arbeits- bzw. Kältemittel nach DIN 8962 bezieht sich auf die
chemische Zusammensetzung dieser Stoffe. Die sich an den Buchstaben „R“, die Abkür-
zung für Refrigerant (Kältemittel), anschließenden Zahlen und / oder Buchstaben geben
die atomare Zusammensetzung des Kältemittels wieder. Die erste Ziffer ist die Anzahl
der Kohlenstoff(C)-Atome vermindert um eins, die zweite Ziffer die Anzahl der Was-
serstoff(H)-Atome erhöht um eins und die dritte Ziffer die Anzahl der Fluor(F)-Atome.
Die übrigen freien Valenzen des Kohlenstoffs sind als Chlor(Cl)-Atome anzusetzen. Bei
Fluor-Chlor-Methan-Verbindungen (ein Kohlenstoff(C)-Atom) entfällt die Null als erste
8 Nutzung von Umgebungswärme 747

Tabelle 8.6 Umweltrelevante Eigenschaften von Arbeitsmitteln


R-Nummer Name Formel T Siede a WGKb ODPc GWPd
e
FCKW und FCKW-Gemische
R12 Dichlor-Difluor-Methan CCl2 F2 30 ı C 2 0,9 8 500
R502 R22/R115 im Verhältnis 48,8 zu 51,2 % 46 ı C 2 0,23 5 590
(R115 – Monochlor-Pentaflour-Ethan,
C2 ClF5 )
HFCKWf
R22 Monochlor-Difluor-Methan CHClF2 41 ı C 2 0,05 1 700
g
HFKW und HFKW-Gemische
R134a Tetrafluor-Ethan C2 H2 F4 26 ı C 1–2 0 1 300
ı
R407 C R32/R125/R134a im Verhältnis 23 zu 44 C 21 0 1 610
25 zu 52 %
R410 A R32/R125 im Verhältnis 50 zu 50 % 51 ı C 2 0 1 890
(R32 – Difluor-Methan, CH2 F2 ; R125 –
Pentafluorethan, C2 HF5 )
Halogen- und chlorfreie Arbeitsmittel (Propan und Propen sind brennbar, Ammoniak ist giftig)
R290 Propan C3 H8 42 ı C 0 0 3
R1270 Propen C3 H6 48 ı C 0 0 3
ı
R717 Ammoniak NH3 33 C 2 0 0
R744 Kohlenstoffdioxid CO2 57 ı C 0 0 1
a
Siedetemperatur; b Wassergefährdungsklasse; c stratosphärisches Ozonabbaupotenzial (relativ,
R 11 entspricht 1,0); d Treibhauspotenzial (relativ, Zeithorizont 100 Jahre, CO2 entspricht 1,0);
e
vollhalogenierte Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffe; f teilhalogenierte Fluor-Chlor-Kohlenwasser-
stoffe; g Fluor-Kohlenwasserstoffe.

Ziffer. Angehängte Kleinbuchstaben kennzeichnen Isomere. Diese Nomenklatur lässt sich


auch auf chlor- und fluorfreie Kohlenwasserstoffe anwenden (z. B. wird Propan (C3 H8 )
als R290 bezeichnet). Anorganische Arbeitsmittel werden mit ihrer molaren Masse be-
zeichnet, der eine sieben vorangestellt ist (z. B. Wasser R718, Ammoniak R717). Eine 4
als erste Ziffer bezeichnet Gemische mit gleitender Siedetemperatur (Zeotrope) und eine
5 solche mit fester oder fast fester Temperatur beim Sieden (Azeotrope).
In der Vergangenheit wurden als Arbeitsmittel vorwiegend voll- und teilhalogenier-
te Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffe (FCKW und HFCKW) eingesetzt, da sie in fast allen
aus Sicht eines stabilen Wärmepumpenbetriebs wesentlichen Kategorien günstige Eigen-
schaften aufweisen und einfach zu handhaben sind. Insbesondere R12, R502 und R22
wurden deshalb in der Vergangenheit für Wärmepumpen verwendet (zur Nomenklatur
siehe oben). Da Chlor-Verbindungen aber maßgeblich zum Abbau der stratosphärischen
Ozonschicht beitragen, dürfen heute nur noch Arbeitsmittel eingesetzt werden, die kein
Chlor enthalten. Außerdem absorbieren fast alle Kohlenwasserstoffe Infrarotstrahlung.
Deshalb sind sie, insbesondere auch aufgrund deren hoher atmosphärischer Lebensdau-
748 M. Kaltschmitt et al.

Abb. 8.38 Eigenschaften Chlor


von Kältemitteln (ODP ozone
depletion potential bzw. Ozon- toxisch voll halogeniert
abbaupotenzial; nach [8.8]) (lange atmosphärische
Lebensdauer)

brennbar

chlorfrei

Wasserstoff Fluor
nicht brennbar, nicht toxisch,
kein ODP, teilhalogeniert

er (die durch Fluor gefördert wird), durch einen hohen anthropogenen Treibhauseffekt
(GWP, Global Warming Potential) gekennzeichnet.
Aufgrund der Variationsmöglichkeiten der organischen Chemie kommen immer wieder
neue organische Kältemittel auf den Markt, mit denen ein besserer Kompromiss zwischen
den technischen und den ökologischen Anforderungen gesucht wird. Enthalten sie vie-
le Wasserstoffatome, sind sie in der Regel brennbar. Bei hohen Anteilen von Chlor und /
oder Fluor ist mit einer langen Lebensdauer in der Atmosphäre und einem entsprechend
großem anthropogenen Treibhauspotenzial zu rechnen. Zusätzlich ist das stratosphärische
Ozonabbaupotenzial hoch bei einem hohen Chloranteil. Die Einordnung einiger Kältemit-
tel nach diesen Kriterien zeigt Abb. 8.38. Primär aufgrund dieser Umweltaspekte kommen
aus gegenwärtiger Sicht neben halogen- und chlorfreien Arbeitsmitteln vor allem HFKW-
Gemische in Frage. Die entsprechenden gesetzlichen Vorgaben werden – da immer neue
Zusammenhänge bekannt werden – aber immer wieder verändert, so dass die Zukunft
auch dieser Gemische aus heutiger Sicht unsicher ist. Seit 2015 gilt die EU-Verordnung
Nr. 517/2014 über fluorierte Treibhausgase (sogenannte F-Gase-Verordnung). Hierdurch
sollen die Emissionen (CO2 -Äquivalente) fluorierter Treibhausgase bis zum Jahr 2030 auf
etwa ein Drittel gesenkt werden [8.19]. Bis auf Spezialanwendungen und für kleine An-
lagen untersagt die Verordnung deshalb beispielsweise die Verwendung von fluorierten
Treibhausgasen mit einem Treibhausgaspotenzial von 2 500 oder mehr ab dem 01. Januar
2020.
In neuen Wärmepumpenanlagen werden in Deutschland daher heute oft die Arbeitsmit-
tel Propan (R290) und Propen (R1270) genutzt. Auch vom deutschen Umweltbundesamt
(UBA) wird die Verwendung von Propan propagiert [8.20]. Propan (R290) und Propen
(R1270) besitzen kein stratosphärisches Ozonabbaupotenzial und nur ein sehr geringes
anthropogenes Treibhauspotenzial. Sie sind auch mit den bisher verwendeten Werkstof-
fen und Schmiermitteln i. Allg. gut verträglich. Hinzu kommt, dass die Füllmenge im
Vergleich zu dem früher üblichen teilhalogenierten Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoff R22
deutlich reduziert werden kann; beispielsweise liegen die benötigten Mengen bei Anla-
gen bis rund 10 kW nur noch bei etwa 1 kg. Wegen der Brennbarkeit der Arbeitsmittel
8 Nutzung von Umgebungswärme 749

R290 und R1270 müssen – abhängig von der Füllmenge – besondere sicherheitstechnische
Maßnahmen getroffen werden, die in der Praxis jedoch weitgehend problemlos umsetzbar
sind. Für größere Anlagen wird auch Iso-Butan (R600a) eingesetzt. Weiterhin sind das
klassische Kältemittel Ammoniak, das zwar sehr gute thermophysikalische Eigenschaf-
ten besitzt, aber brennbar und giftig ist, und CO2 (R744), welches ebenfalls sehr gute
kältetechnische Eigenschaften aufweist, aber sehr hohe Drücke erfordert, in der Diskussi-
on. CO2 wird in der Heizungsanwendung als überkritischer Prozess mit einer gleitenden
Temperatur auf der Wärmesenkenseite betrieben (vgl. Abb. 8.11).
Bei der Diskussion speziell um den anthropogenen Treibhauseffekt der Kältemittel
muss auch beachtet werden, dass der Einsatz von Heizungs-Wärmepumpen zunächst den
Einsatz fossiler Energie – und folglich die damit verbundenen energiebedingten Emissio-
nen – reduziert; d. h. der damit verbundene anthropogene Treibhauseffekt wird ebenfalls
verringert. Allerdings beeinflusst das Arbeitsmittel auch die Leistungszahl der Wärme-
pumpe und damit letztlich die damit mögliche Primärenergieeinsparung. Der anthropoge-
ne Treibhauseffekt, der durch einen möglichen Übertritt des Arbeitsmittels durch Lecks
oder Havarie an die Umwelt (direkter Treibhauseffekt) entsteht, sollte daher immer zu-
sammen mit demjenigen anthropogenen Treibhauseffekt, der durch den Energieverbrauch
der Wärmepumpe entsteht (indirekter Treibhauseffekt) betrachtet und bewertet werden.
Bei Kälteanlagen spricht man hier vom Total Equivalent Warming Impact (TEWI) [8.21].
Bei Wärmepumpen zur Deckung der Niedertemperaturwärmenachfrage muss man dabei
immer den Energieverbrauch bzw. die damit verbundenen anthropogenen Klimagasfrei-
setzungen in Vergleich zu einem typischen Referenzheizsystem untersuchen; dies kann
beispielsweise eine Wärmenachfragedeckung durch die Verbrennung von leichtem Heiz-
öl oder von Erdgas sein.
Eng mit der Auswahl der Kältemittel verbunden ist die Wahl des Öls, da es mit dem
Kältemittel verträglich sein muss; ohne dieses Schmiermittel würden die meisten Ver-
dichter sehr schnell verschleißen. Zusätzlich müssen Dichtungs- und Kühlungsaufgaben
erfüllt werden. Da außerdem bei ölgeschmierten Verdichtern trotz der Verwendung von
Ölabscheidern immer etwas Öl in den Kältekreislauf abgegeben wird, muss sichergestellt
sein, dass das Öl durch den gesamten Kältekreislauf gefördert wird, in der Drossel nicht
ausfällt, und auch aus dem Verdampfer wieder zurück in den Verdichter kommt.

8.2.3 Wärmesenke und Betriebsweisen

Da die Leistungszahl und auch die Leistung von Wärmepumpen vom Temperaturhub zwi-
schen Wärmequelle und Wärmesenke abhängt, sollten bei der Wärmesenke grundsätzlich
keine zusätzlichen Temperaturverluste bis zum Endverbraucher auftreten (d. h. Wärme-
übertrager (jeweils ca. 3 bis 5 ı C Temperaturverlust) oder Mischventile, mit denen das von
der Wärmepumpe produzierte Warmwasser zum Endverbraucher hin heruntergemischt
wird, sollten so gut es geht vermieden werden). Damit ist eine möglichst direkte Nut-
zung der produzierten Wärme anzustreben. Allfällig verwendete Wärmespeicher sollten
750 M. Kaltschmitt et al.

ebenfalls so konstruiert sein, dass es nicht zu einer Vermischung von warmen und kalten
Wasser kommt.
Anwendung finden Wärmepumpensysteme überwiegend im Bereich der Raumwärme-
und -kälte sowie der Trinkwarmwasserbereitung. Die Erzeugung von gewerblicher und in-
dustrieller Prozesswärme und Fernwärme – auch im Niedertemperaturbereich – hat bisher
zwar nur eine geringe Verbreitung; dies könnte sich aber zukünftig ändern.

 Raumwärme. Zur Raumheizung kommen nahezu ausschließlich elektromotorische


Wärmepumpen zur Anwendung. Kompressionswärmepumpen mit verbrennungsmoto-
rischem Antrieb sowie Sorptionswärmepumpen haben hier bisher eine vergleichsweise
geringe Verbreitung gefunden. Aus der dargestellten Abhängigkeit der Leistungszahl
von der Vorlauftemperatur des Heizungssystems folgt, dass sich Wärmepumpen-
anlagen bevorzugt für Niedertemperaturheizungen eignen. Heizungssysteme mit
Vorlauftemperaturen von bis zu 70 ı C sind aufgrund der daraus resultierenden nied-
rigen Jahresarbeitszahlen für den Einsatz von Wärmepumpenanlagen typischerweise
unwirtschaftlich. Als Ersatz von bzw. Alternative zu Einzelöfen (z. B. Nachtspeicher-
oder Kohleöfen) können aber auch Einzelraum-Wärmepumpen mit Umgebungsluft als
Wärmequelle eingesetzt werden. Diese kompakten Geräte (Bautiefe um 20 cm) werden
direkt an die Wand des zu beheizenden Raumes montiert.
– Die hydraulische Einbindung erfolgt bei Radiatoren über einen Pufferspeicher
(Abb. 8.39, links). Das von der Wärmepumpe erzeugte Warmwasser wird oben in
den Pufferspeicher eingespeist und ganz unten entnommen, um Mischungen zu ver-
meiden. Gleiches gilt für die Heizung. Die Anlage wird über zwei Temperaturfühler
im Speicher und einem Außentemperaturfühler geregelt. Der Außentemperaturfüh-
ler gibt die Soll-Temperatur für den Heizungsvorlauf vor. Ist die Temperatur am
oberen Speicherfühler geringer als diese Solltemperatur, schaltet die Wärmepumpe
ein. Erreicht die Temperatur am unteren Speicherfühler diese Soll-Temperatur, ist
der Speicher voll geladen und die Wärmepumpe schaltet aus. Die Laufzeit der

Außentemperaturfühler
Heizung
Temperatur- Flächenheizung
fühler Selbstregeleffekt
Speicher

Speicher

Wärme- Wärme-
pumpe pumpe Raum-
temperatur-
fühler

Abb. 8.39 Hydraulische Einbindung von Wärmepumpen in Heizungssysteme (links: Heizungs-


Wärmepumpe mit Pufferspeicher; rechts: Raumtemperatur-geführte Heizungs-Wärmepumpe mit
Flächenheizung und Selbstregeleffekt) (nach [8.23])
8 Nutzung von Umgebungswärme 751

Wärmepumpe wird durch ihre Leistung, die Speichergröße sowie der momentanen
Wärmenachfrage des zu versorgenden Gebäudes bestimmt.
– Bei Flächenheizungen (z. B. Fußbodenheizung) kann eine sehr einfache Regelung
angewandt werden – der sogenannte Selbstregeleffekt. Hier gibt es nur einen Raum-
temperaturfühler für das ganze Haus, der in einem nicht von der Sonne beschienenen
Raum angebracht ist. Fällt die Temperatur in diesem Raum unter dessen Einschalt-
Solltemperatur (z. B. 20 ı C), dann schaltet die Wärmepumpe ein; liegt demgegen-
über die Raumtemperatur über der Ausschalt-Solltemperatur (z. B. 21 ı C), schaltet
die Wärmepumpe aus. Scheint in einen Raum ohne Temperaturfühler die Sonne,
heizt sich dieser Raum auf. Bei Flächenheizungen ist die Temperaturdifferenz zwi-
schen der großen Heizoberfläche und dem Raum aber sehr gering (bei Häusern nach
heutigem Baustandard maximal 3 ı C und bei Passivhäusern nur 0,5 ı C). Wenn sich
nun ein Raum aufheizt, wird diese Temperaturdifferenz schnell sehr klein oder sogar
negativ und damit wird die Wärmeabgabe an den Raum automatisch kleiner oder
sogar negativ. Im letzten Fall nimmt die Heizfläche sogar Wärme aus dem Raum
auf. Für solche Heizungen nach dem Selbstregeleffekt können der Pufferspeicher
und eine Pumpe entfallen. Die Laufzeit der Wärmepumpe wird durch ihre Leistung
und durch die thermischen Speichermassen der Flächenheizung und des Gebäudes
bestimmt.
 Trinkwarmwasser. Wärmepumpen zur Trinkwarmwasserbereitung (Abb. 8.40) werden
als Kompaktgeräte angeboten und setzen als Wärmequelle i. Allg. Umgebungsluft ein.
Die Aufstellung erfolgt oft in Kellerräumen, deren Luft oft auch als Wärmequelle ver-
wendet wird. Dies ist jedoch kritisch zu sehen, da sich der Kellerraum dadurch stark
abkühlt und damit der Temperaturhub dieser Wärmepumpe groß und somit die Lei-
tungszahl klein wird. Zudem kann es zu einer Abkühlung der Räume oberhalb des
Kellers führen; dann verwendet die Wärmepumpe nicht mehr Umgebungswärme, son-
dern Heizungswärme als Wärmequelle. Thermodynamisch günstiger ist es deshalb,
auch für Trinkwarmwasserwärmepumpen Erdreich oder Umgebungsluft als Wärme-
quelle heranzuziehen. Bei Lufttemperaturen unter beispielsweise 10 ı C könnte die
Wärmepumpe auch außer Betrieb gehen und die im Trinkwarmwasserspeicher vorzu-
sehende Elektroheizung übernimmt die Wassererwärmung. Dadurch kann die Wärme-

Abb. 8.40 Hydraulische Ein-


Temperatur- Speicher
bindung von Wärmepumpen
fühler
zur Trinkwarmwasserbereitung Elektro-
Speicher
heizstab
mit Trinkwarmwasserspeicher
(nach [8.23]) Zapfstelle
Trinkwarm-
Wärme- wasser
pumpe
Kaltwasser-
zulauf
752 M. Kaltschmitt et al.

pumpe etwas kleiner ausgelegt werden. Zusätzlich können dann kurzfristig und einfach
– zur Vermeidung von Legionellenbildung – auch höhere Wassertemperaturen erzeugt
werden. Ob eine Energieeinsparung erzielt wird, ist wegen der relativ hohen nötigen
Vorlauftemperaturen allerdings im Einzelfall zu prüfen.
 Raumwärme und Trinkwarmwasser. Eine gleichzeitige Trinkwarmwasser- und Raum-
wärmebereitung über Flächenheizungen über die Heizungswärmepumpe mit einem
Wärmeübertrager bedarf aufgrund des i. Allg. höheren nachgefragten Temperaturni-
veaus des Trinkwarmwassers und den daraus resultierenden niedrigeren Arbeitszahlen
eine umschaltbare Erzeugung von kühlerem Heizungs- und wärmeren Trinkwarmwas-
ser. Zweckmäßig ist daher eine Trennung von Trinkwarmwasser- und Raumwärmebe-
reitung auf zwei Speicher bzw. einen Trinkwarmwasserspeicher und die Heizung im
Selbstregeleffekt. Wird die erzeugte Wärme in den Heizungsspeicher oder im Selbst-
regeleffekt direkt an die Heizung abgegeben, ist eine geringere Kondensatortemperatur
als bei einer Abgabe an den Trinkwarmwasserspeicher notwendig. Die Wärmepumpe
kann also im Heizungsbetrieb mit hoher Arbeitszahl betrieben werden. Abb. 8.41 zeigt
eine derartige Schaltung mit zwei Speichern. Alternativ dazu können auch zwei Wär-
mepumpen, eine für die Trinkwarmwasserbereitung und eine für die Heizung installiert
werden. Die beste Möglichkeit zur kombinierten Raumwärme- und Trinkwarmwas-
serbereitung stellt die Enthitzerschaltung nach Abb. 8.12 dar, welche die Nutzung
der bei hohen Temperaturen nach dem Verdichter in der Enthitzung des Kältemittels
bis zur Kondensation freiwerdende Wärme in einem eigenen Wärmeübertrager zur
Trinkwarmwassererwärmung nutzt. Die eigentliche Kondensation dient dann zur Heiz-
wassererwärmung. Allerdings passt in dieser Schaltung das Verhältnis aus gelieferter
Heizwärme und Trinkwarmwasser selten mit der gegebenen Nachfrage überein, sodass
dieser Vorteil nur fallweise voll genutzt werden kann.

Heizung
Speicher
Trinkwarm-
wasser Elektro-
heizstab
Speicher
Zapfstelle
Heizung
Trinkwarm-
Wärme- wasser
pumpe

Kaltwasser-
zulauf

Abb. 8.41 Hydraulische Einbindung von Wärmepumpen zur Trinkwarmwasserbereitung und Hei-
zung über zwei Speicher (nach [8.23])
8 Nutzung von Umgebungswärme 753

Abb. 8.42 Reversible Wär- Heizen Kühlen


mepumpe zum Heizen und Raumseite
Kühlen, Umschaltung mittels Kondensator Verdampfer
4-Wege-Ventil (nach [8.23])
4-Wege- 4-Wege-
Expansions- Ventil Expansions- Ventil
ventile ventile

Verdichter Verdichter
Verdampfer Kondensator

Außenseite

Außer zur Raumheizung und Trinkwarmwassererwärmung können Wärmepumpenan-


lagen auch zur Raumkühlung herangezogen werden, da der Kälteanlagenbetrieb grund-
sätzlich gleich ist. Solche umschaltbaren Wärmepumpen heißen auch reversible Wärme-
pumpen (Abb. 8.42). In Ländern, in denen Raumkühlung auch in Wohngebäuden zum
Standard zählt (z. B. Nordamerika, Japan, Südostasien, arabischer Raum), haben solche
Anlagen eine weite Verbreitung erfahren; die „Wärmepumpe“ arbeitet dort oft primär
als Kältemaschine zur Raumkühlung und nur sekundär als eigentliche Wärmepumpe zur
Raumbeheizung. Ermöglicht wird die Umschaltung durch ein sogenanntes 4-Wege-Ven-
til, das hinter dem Verdichter angeordnet ist und mit dem es möglich ist, Kondensator
und Verdampfer zu vertauschen und dadurch den Kreislauf rückwärts zu durchströmen.
Außerdem ist für die umgedrehte Strömungsrichtung ein zweites Expansionsventil not-
wendig.
Bezüglich der Betriebsweise einer Wärmepumpenanlage wird unterschieden zwischen
folgenden Varianten.

 Monovalente Betriebsweise. Hier stellt ausschließlich die Wärmepumpe die erforder-


liche Heizwärme bereit. Zusätzlich kann eine Betriebsweise realisiert werden
– ohne Betriebsunterbrechungen (d. h. die Wärmepumpe stellt stets allein die erfor-
derliche Heizwärme bereit) und
– mit Betriebsunterbrechungen (d. h. die Wärmepumpe kann vorübergehend vom
Energieversorgungsunternehmen (EVU), das die elektrische Energie zum Betrieb
der Wärmepumpe liefert, außer Betrieb gesetzt werden; wenn das Wärmevertei-
lungssystem bzw. das Haus bei Schaltung mit Selbstregeleffekt die erforderliche
Wärmespeicherkapazität zur Überbrückung dieser Betriebsunterbrechungen nicht
aufweist, muss der Wärmepumpe ein entsprechend dimensionierter Pufferspeicher
nachgeschaltet werden).
 Bivalente Betriebsweise. Hier stellt die Wärmepumpe zusammen mit anderen Wärme-
erzeugern die zur Wärmebereitstellung benötigte Wärme bereit. Es wird unterschie-
den zwischen einer bivalent-alternativen und einer bivalent-parallelen Betriebsweise;
754 M. Kaltschmitt et al.

zusätzlich kommen Mischformen vor. Die bivalente Betriebsweise hat aufgrund der
doppelten Kosten für die Wärmeerzeugung nur eine sehr geringe Bedeutung; sie kann
lediglich bei größeren Anlagen interessant werden.
– Beim bivalent-alternativen Betrieb deckt die Wärmepumpe bis zu einer bestimmten
Umschalttemperatur die Wärmenachfrage vollständig; anschließend übernimmt ei-
ne alternative Zusatzheizung die gesamte Wärmelieferung (z. B. ein mit Erd- oder
Biogas befeuerter Heizkessel). Die Wärmepumpenanlage wird dabei nur auf einen
bestimmten Prozentsatz der maximalen Wärmenachfrage ausgelegt; die Zusatzhei-
zung muss jedoch 100 % der Wärmenachfrage decken können.
– Bei der bivalent-parallelen Betriebsweise wird ab einer bestimmten Temperatur die
Wärmenachfrage gleichzeitig durch die Wärmepumpe und ein Zusatzheizsystem
gedeckt.
 Monoenergetische Betriebsweise. Dies ist ein typischer Spezialfall der bivalenten Be-
triebsweise, bei der im Fall der Elektrowärmepumpe die Zusatzheizung eine elektrische
Widerstandsheizung ist. Da bei Sorptionswärmepumpen immer der Gasbrenner die
Spitzen übernimmt, sind diese immer durch eine monoenergetische Betriebsweise ge-
kennzeichnet.

Grundsätzlich lassen sich bei Beachtung der Rücklauftemperaturen und bei einem aus-
reichend großen Wärmespeicher auch verschiedene weitere Wärmequellen in eine Wär-
mepumpenanlage einbinden (z. B. Sonnenkollektoren, offener Kamin).
Erdgekoppelte Wärmepumpen, aber auch Außenluftwärmepumpen, werden in der Re-
gel monovalent betrieben. Dieses ist möglich, da das Erdreich nur geringe jahreszeitliche
Temperaturschwankungen aufweist und damit im Verlauf des gesamten Jahres verfügbar
ist. Der bivalent-alternative Betrieb ist nur bei Anlagen mit nicht angepasstem Heizsys-
tem (Hochtemperatur) sinnvoll. Beim bivalent-parallelen Betrieb wird die Nutzwärme
der Wärmepumpe in den Heizungsrücklauf eingespeist, so dass die Wärmepumpe mit
einer guten Leistungszahl auf einem niedrigen Temperaturniveau arbeiten kann. Das Hei-
zungswasser wird dann vom Kessel weiter erwärmt. Gerade bei größeren Anlagen mit
ausgeprägten Nachfragespitzen kann diese Betriebsweise ökonomisch sinnvoll sein. Auch
bei der Nutzung von Umgebungsluft kann über einen bivalenten Betrieb die Versorgungs-
sicherheit auf wirtschaftliche Weise gewährleistet werden.

8.2.4 Gesamtsystem

In diesem Kapitel werden typische Anwendungen von Wärmepumpensystemen vorge-


stellt. Zuerst wird der gesamte Energiefluss und damit die Energiewandlungskette dar-
gestellt. Anschließend werden ausgewählte Beispiele für Gesamtsystemkonfigurationen
präsentiert.
8 Nutzung von Umgebungswärme 755

8.2.4.1 Energiewandlungskette und Verluste


Abb. 8.43 zeigt die Energiewandlungsketten einer Wärmepumpenheizung mit Wärme-
quelle, Wärmeträgermedium und Wärmepumpe sowie den bei der Energiewandlung ent-
stehenden Verlusten. Als Beispielanlagen sind eine Elektrowärmepumpe mit Erdsonden
und Solezwischenkreis (Abb. 8.43, oben) mit einer Arbeitszahl von 4 und eine mit Erd-
gas betriebene Sorptionswärmepumpe mit Umgebungsluft als Wärmequelle (Abb. 8.43,
unten, Heizzahl 1,4) dargestellt. Die beiden gezeigten Anlagen stellen dabei dieselbe Heiz-
energie bereit (beide Bilder sind normiert auf 100 % Wärmeproduktion) und sind somit
unmittelbar vergleichbar. Die in den Abbildungen deutlich werdenden Unterschiede rüh-

Energie nach Kondensator


Energie in der Sole vor
Umweltenergie

Wärmepumpe
(Erdreich)

Wärmepumpe
ca. 78 %

Nutzwärme ca. 80 %

Elektrische Antriebsenergie Verluste Speicher etc. ca. 8 %


Solepumpe ca. 2 %

Elektrische Antriebsenergie ca. 20 % Verluste Wärmepumpe ca. 12 %

Umweltenergie
Energie nach Kondensator

(Umgebungsluft)
ca. 32 %
Wärmepumpe

Nutzwärme ca. 82 %
Elektrische Antriebsenergie
Ventilator Wärmequelle ca. 4 %

Verluste Speicher etc. ca. 8 %

Antriebsenergie Gas ca. 64 %

Verluste Wärmepumpe ca. 10 %

Abb. 8.43 Energieflussdiagramm einer Wärmebereitstellung durch Elektro-Wärmepumpen mit


Erdsonden (oben, Arbeitszahl 4) und erdgasbetriebene Sorptionswärmepumpen mit Umgebungsluft
als Wärmequelle (unten, Heizzahl 1,4)
756 M. Kaltschmitt et al.

ren von der verschiedenartigen Wärmepumpenart her, aber auch von der unterschiedlichen
Wärmequelle.

 System mit Elektrowärmepumpe und Erdsonde (Abb. 8.43, oben). Bei erdgekoppelten
Systemen mit Solezwischenkreis wird zunächst die im oberflächennahen Erdreich ent-
haltene thermische Energie auf das in den Erdsonden zirkulierende Wärmeträgermedi-
um übertragen. Um dieses im oberflächennahen Erdboden erwärmte Wärmeträgerme-
dium zum Verdampfer der Wärmepumpe zu fördern, muss dem System Hilfsenergie
zugeführt werden, mit der die Solepumpe angetrieben wird. In dem in Abb. 8.43,
oben, gezeigten Beispiel nimmt diese elektrische Energie etwa 10 % der zum Antrieb
des Wärmepumpenkompressors erforderlichen elektrischen Energie ein. Die dann in
der eigentlichen Wärmepumpe „aufgewertete“ Wärme geht zu einem Teil (hier 12 %)
durch nicht perfekte Dämmung an die Umgebung verloren. Vom verbleibenden Rest
werden 90 % vom Kondensator an einen Heißwasserspeicher übergeben und dort zwi-
schengespeichert; die dortige Speicherung ist mit thermischen Verlusten von etwa 8 %
verbunden. Damit sind insgesamt rund 80 % an Nutzwärme verfügbar.
 System mit Absorptionswärmepumpe und Umgebungsluft (Abb. 8.43, unten). Für die
Erschließung der Wärmequelle Luft fällt bei einer luftgekoppelten Wärmepumpe kein
Antriebsstrom für eine Solepumpe an. Dafür wird elektrische Energie für den Ventilator
benötigt, welche die Umgebungsluft zum Verdampfer der Wärmepumpe leitet. Nutz-
wärme wird dabei bei der Sorptionswärmepumpe nicht nur vom Kondensator, sondern
auch vom Absorber abgegeben. In Abb. 8.43, unten, wurden im Vergleich zu der zuvor
dargestellten Wärmepumpe etwas geringere Wärmeverluste unterstellt. In der Summe
resultiert daraus eine geringfügig größere Nutzenergie, die aber zu einem größeren Teil
aus der Antriebsenergie und zu einem kleineren Teil aus der Umgebung stammt – und
damit in diesem Beispiel aus regenerativer Energie stammt.

Der wichtigste Unterschied zwischen den beiden in Abb. 8.43 dargestellten Syste-
men ist die Größe der benötigten Wärmequelle. Da in der Kompressionswärmepumpe
die primäre Energiewandlung der von der Wärmepumpe benötigten Hilfsenergie in ei-
nem Kraftwerk zur Erzeugung elektrischer Energie erfolgt, muss ein weitaus größerer
Anteil der Heizenergie durch die Umgebungswärme bereitgestellt werden als dies bei der
Sorptionswärmepumpe der Fall ist. Dies ist ein systemtechnischer Vorteil der Sorptions-
wärmepumpe, da die Wärmequelle deutlich kleiner ausfällt. Die Jahresheizzahl wird im
gezeigten Beispiel durch die stark saisonal schwankende Temperatur der Umgebungsluft
reduziert; im Winter bei der höchsten bereitzustellenden Wärmemenge arbeitet die Sorpti-
onswärmepumpe aufgrund der niedrigen Lufttemperaturen weniger effizient als bei mäßi-
gen Temperaturen (ggf. kann sie bei zu geringen Temperaturen sogar ihre Betriebsgrenze
erreichen und muss dann abgeschaltet werden). Bei derart geringen Außentemperaturen
wird ein Großteil der Heizenergie über die Erdgasverbrennung bereitgestellt und nur ein
kleiner Teil stammt originär aus der Umgebungsluft (trotzdem ist eine derartige Anlage
im Vergleich zu einem Gaskessel aus Klimasicht und Umweltsicht im Regelfall immer
8 Nutzung von Umgebungswärme 757

besser zu bewerten). Wird demgegenüber Erdreich als Wärmequelle verwendet, kommt


es im Normalfall auch im Winter nicht zu derart geringen Temperaturen, dass die Anlage
abgeschaltet werden muss.

8.2.4.2 Heizungsanlage mit Abluft-Zuluft-Wärmepumpe


Speziell für Häuser mit einer sehr geringen Heizenergienachfrage und kontrollierten Lüf-
tungssystemen wurden Abluft-Zuluft-Wärmepumpen entwickelt. Sie decken nicht nur die
Heizenergienachfrage über die Erwärmung der Zuluft vollständig ab, sondern können
auch die Trinkwarmwassernachfrage zu einem hohen Anteil bereitstellen. Abb. 8.44 zeigt
exemplarisch eine solche Wärmepumpeneinheit. Die Zuluft wird demnach nach der Ab-
luftwärmerückgewinnung durch den Kondensator der Wärmepumpe weiter erwärmt; der
Verdampfer ist im Abluftstrang nach der Abluftwärmerückgewinnung angeordnet. Um die
Vereisung des Verdampfers auf der Fortluftseite zu reduzieren, kann ein Erdreichwärme-
übertrager zwischen Umgebungsluft und dem Wärmeübertrager für die Abluftwärmerück-
gewinnung angeordnet werden. Dies bewirkt, dass sich die Abluft im Wärmeübertrager

wahlweise
thermische
Solaranlage

warme Zuluft in Abluft aus


Wohn-, Küche,
Schlafraum Bad, WC

angesaugte
Aussenluft

kalte Fortluft
Trinkwarm-
wasser-
speicher
wahlweise
Erdreichwärmeübertrager
zur Luftvorwärmung Ver- Elektro-
damp- heizpatrone
fer

Kompakt- Kondensator Kondensator


gerät Zuluft Trinkwarmwasser

Abb. 8.44 Wärmepumpenheizungsanlage für Passivhäuser mit Abluftwärmepumpe für Luft-


heizung und Trinkwarmwasserbereitung sowie Erdreichwärmeübertrager zur Luftvorwärmung
(nach [8.23])
758 M. Kaltschmitt et al.

nicht so stark abkühlen kann. Die Ventilatoren sind so angeordnet, dass ihre Abwärme
zur Heizung beiträgt (d. h. im Abluftstrang vor dem Wärmeübertrager der Abluftwärme-
rückgewinnung und im Zuluftstrang nach dem Kondensator). Steht genug Heizwärme für
das Haus zur Verfügung, schaltet die Wärmepumpe auf den Kondensator der Trinkwarm-
wasserbereitung um. Außerdem kann wahlweise zusätzlich eine thermische Solaranlage
für die Trinkwarmwasserbereitung zum Einsatz kommen. Für kalte und bewölkte Winter-
perioden steht eine Elektroheizpatrone als Notlösung für die Trinkwarmwasserbereitung
zur Verfügung. Derartige Wärmepumpensysteme erreichen Jahresarbeitszahlen von bis
zu 3,5 [8.9].
Die Heizleistung ist mit der Abkühlung der Abluft und der Luftwechselrate des Lüf-
tungssystems limitiert. Um die Heizleistung zu erhöhen, kann auf der Außenluftseite ein
Umluftteil hinzugefügt werden. Damit kann der Volumenstrom auf der Außenluftseite
erhöht und damit die Verdampfer- und Kondensatorleistung erhöht werden. Eine solche
Anlage stellt eine Kombination aus Abluftwärmepumpe und Außenluftwärmepumpe dar.
Solche Kompaktgeräte sind derzeit in der Entwicklung und können dann z. B. dezentral
wohnungsweise bei der Sanierung von Mehrfamilienhäusern ohne Zentralheizungssystem
eingesetzt werden.

8.2.4.3 Heizungsanlage mit erdgekoppelter Wärmepumpe


Abb. 8.45 zeigt exemplarisch eine Wärmepumpenheizungsanlage mit horizontal verleg-
tem Erdreichwärmeübertrager. Hier versorgt die Wärmepumpe direkt eine Niedertempe-
ratur-Fußbodenheizung mit thermischer Energie. Aufgrund der Speicherwirkung von Fuß-
bodenheizungen kann dabei auf einen Pufferspeicher verzichtet werden. Typischerweise

Fußbodenheizung

kaltes
Heizungsregelgerät Wasser
Außentemperatur-geführt

Kompressor
Kondensator
Verdampfer

Motor

Duplex-Speicher
für Brauchwasser
Expansionsventil

Sole/Wasser-Wärmepumpe komplett
mit Umwälzpumpen und Armaturen

Erdreich-
wärmeübertrager

Abb. 8.45 Wärmepumpenheizungsanlage mit Erdreichwärmeübertrager und Fußbodenheizung


(nach [8.3])
8 Nutzung von Umgebungswärme 759

ist nur bei erhöhten Anforderungen an den Heizungskomfort (z. B. Temperaturausgleich


innerhalb eines Gebäudes bei entsprechender Sonneneinstrahlung) oder wenn einzelne
Heizkreise abgeschaltet werden sollen, der Einbau eines Pufferspeichers notwendig.
In Abb. 8.45 ist eine Regeleinheit dargestellt, die natürlich auch bei den anderen An-
lagen vorhanden ist. Die Wärmepumpe wird üblicherweise durch dieses Regelgerät in
Abhängigkeit von der geforderten Heizungsvorlauf- und Außentemperatur in der Leistung
moduliert oder auch nur ein- und ausgeschaltet (getaktet). Aufgrund der großen Speicher-
masse der direkt beheizten Gebäudeflächen (Estrich, Betonboden) entstehen durch den
taktenden Betrieb der Wärmepumpe üblicherweise keine Komforteinbußen.

8.2.4.4 Wärmepumpenanlagen zum Heizen und Kühlen


Wenn Wärmepumpen auch zur Raumkühlung herangezogen werden, ist es vorteilhaft,
wenn das Wärmeabgabesystem auch als Kühlsystem (z. B. betonkernaktivierte Decke)
und die Wärmequelle auch als Wärmesenke (z. B. Außenluft, Grundwasser, Erdreich)
genutzt werden kann. In diesem Fall entfällt ein Vertauschen der Anschlüsse von Wärm-
quelle und Wärmesenke. Es wird dann im Kühlbetrieb Wärme aus dem Gebäude in die
Umgebung transportiert. Durch die doppelte Nutzung der insgesamt relativ teuren Wärme-
pumpenanlage arbeiten solche Anlagen zur Heizung und Kühlung insgesamt vergleichs-
weise kostengünstig.
Unter den klimatischen Bedingungen Mitteleuropas ist es bei einem bisher verhältnis-
mäßig kleinen Kühlbedarf und Erdkoppelung auch möglich, eine gewisse Raumkühlung
ohne Betrieb der Wärmepumpe als Kälteaggregat zu verwirklichen. Das Wärmeträgerme-
dium aus Erdwärmesonden oder -kollektoren kann für eine einfache Kühlung mit Kühlde-
cken oder Gebläsekonvektoren ausreichend niedrige Temperaturen von etwa 8 bis 16 ı C
liefern; mit Grundwasser sind in Mitteleuropa 9 bis 10 ı C möglich. Diese Art der Kühlung
wird auch als stille Kühlung bezeichnet.
Abb. 8.46 zeigt deshalb schematisch drei mögliche Betriebsarten erdgekoppelter Wär-
mepumpen mit direkter Kühlung

 Im Winter wird über die Wärmepumpe geheizt, der Untergrund kühlt sich ab (Heizmo-
dus in Abb. 8.46). Man kann dies als Kältespeicherung bezeichnen.
 In der Übergangszeit oder – bei entsprechend ausgelegten Anlagen mit nicht zu gro-
ßer Kühlleistung – während der ganzen Kühlperiode kann Wärme aus dem Gebäu-
de dem natürlichen Temperaturgefälle folgend in den Untergrund eingeleitet werden;
das Gebäude wird hierdurch gekühlt (direkte Kühlung; Kühlmodus 1 in Abb. 8.46).
Die Temperatur des Wärmeträgermediums kann dabei über die ursprüngliche (vor der
Kältespeicherung vorliegende) Temperatur des Erdreichs ansteigen. Dies ist möglich,
solange sie niedrig genug ist, um die gewünschte Kühlung des Gebäudes noch sicher-
zustellen. Eine Entfeuchtung der Zuluft bei direkter Kühlung (Kühlmodus 1) ist meist
nicht möglich, da die Taupunkttemperatur von 14 bis 16 ı C in einem Luftregister in
diesem Fall nur zu Beginn der Kühlperiode sicher unterschritten wird.
760 M. Kaltschmitt et al.

Abb. 8.46 Erdgekoppelte Heizmodus Kühlmodus 1 Kühlmodus 2


(Kältespeicherung) (Kälterückgewinnung) (Wärmespeicherung)
Wärmepumpe mit saisonaler
Kältespeicherung [8.10] Heizung Kühlsystem Kühlsystem

Wärme Kälte

Wärmepumpe
Heizung Kälte
(Kältemaschine)

Kälte Wärme Kälte Wärme

Erdwärmesonden- Erdwärmesonden- Erdwärmesonden-


speicher speicher speicher
Winter Sommer Sommer

 In Kühlmodus 2 nach Abb. 8.46 arbeitet die Wärmepumpe als Kältemaschine; Raum-
luft wird über den Wärmepumpenverdampfer gekühlt und die entstehende Wärme wird
in den Untergrund eingeleitet. Bei dieser Betriebsart kann jede Betriebsbedingung –
wie bei einer konventionellen Kühlanlage – erreicht werden (einschließlich Luftent-
feuchtung). Von Vorteil ist die Einsparung an Antriebsenergie gegenüber herkömmli-
chen Kältemaschinen mit der Abgabe der Kondensatorwärme an die Umgebungsluft.

Die effizienteste Nutzung besteht, wenn gleichzeitig eine Kühl- und eine Heiznachfrage
bestehen, da dann sowohl Verdampfer- als auch Kondensatorleistung Nutzenergie darstellt
und nur der Strominput für den Kompressor Aufwand ist. Solche Situationen sind z. B.
im Sommer im Kühlbetrieb (Verdampfer) bei gleichzeitiger Warmwasserbereitung (Kon-
densator) gegeben. Solche Randbedingungen kommen speziell in feucht-heißen Klimaten
oft vor. Ein weiterer derartiger Anwendungsfall sind Supermärkte. Hier ist der Verdamp-
fer in den verschiedenen Kühlgeräten aufgeteilt und der Kondensator wird im Winter zur
Raumheizung verwendet. Auch im industriellen Umfeld kann ein solcher „Doppelnutzen“
bestehen.

8.2.4.5 Verbrennungsmotorisch angetriebene Wärmepumpe


Eine Spezialität, die meist für größere Wohn- oder Gewerbeeinheiten diskutiert wird, ist
die Koppelung eines Verbrennungsmotors mit einer Wärmepumpe (Abb. 8.47). Da hierbei
die Abwärme, die bei der Stromerzeugung im Verbrennungsmotor anfällt, auch als Nutz-
wärme verwendet werden kann, ist die Heizzahl auch bei nur mäßiger Leistungszahl sehr
gut. Allerdings liegt der mechanische Wirkungsgrad des Verbrennungsmotors zur Erzeu-
gung der mechanischen Energie für den Kompressor maximal bei 40 %.
Die Heizenergie QSenke eines derartigen Systems setzt sich zusammen aus der Nutzen-
ergie der eigentlichen Wärmepumpe QWP und der aus dem Kühlwasser und dem Abgas
des Motors gewonnenen Wärme QA und QKW . Es gilt Gleichung (8.25).

QSenke D QWP C QA C QK W (8.25)


8 Nutzung von Umgebungswärme 761

Abb. 8.47 Verbrennungs- Wärmesenke


motorisch angetriebene
Wärmepumpe

Kühlwasser

Wärme-
Motor
pumpe

Abgas

Wärmequelle

Da die Antriebsenergie des gesamten Heizsystems Erdgas oder leichtes Heizöl ist, wird
die Effizienz über die Jahresheizzahl a definiert (Gleichung (8.26)). PE ist die zugeführte
fossile Primärenergie.

QSenke
a D (8.26)
PE

Die Antriebsenergie der eigentlichen Wärmepumpe ist die mechanische Energie des
Motors W, die sich aus der zugeführten Primärenergie PE und dem mechanischen Wir-
kungsgrad
errechnen lässt (Gleichung (8.27)). Mit der (mittleren) inneren Leistungszahl
"i der Wärmepumpe resultiert daraus die Nutzenergie der Wärmepumpe QWP (Gleichung
(8.27)).

QWP D "i W D "i


PE (8.27)

Die Abwärme des Verbrennungsmotors W .1 


/ kann nur zu einem Teil
th als Nutz-
wärme zurückgewonnen werden. Dabei wird die Wärme aus dem Abgas QA und aus dem
Motorkühlwasser QKW zusammengefasst. Es gilt Gleichung (8.28).

QA C QK W D
t h .1 
/ PE (8.28)

Damit kann die Heizzahl a (Gleichung (8.25) und (8.26)) nach Gleichung (8.29) be-
rechnet werden.

a D "i
C
t h .1 
/ D
t h C
."i 
t h / (8.29)

Die Heizzahl a nach Gleichung (8.29) ist in Abb. 8.48 gegen die Leistungszahl "i auf-
getragen. Gestrichelt dargestellt sind die Werte für eine schlechte Wärmerückgewinnung

th von 50 % und durchgezogen gezeichnet sind die Werte für eine sehr gute Rückgewin-
nung der Wärme von 95 %. Auch die mechanische Effizienz
des Motors wurde zwischen
20 und 40 % variiert (Abb. 8.48); diese Variationsbreite umfasst den Stand der Technik.
762 M. Kaltschmitt et al.

Abb. 8.48 Jahresheizzahl 3

verbrennungsmotorisch an-
η = 0,4

Jahresheizzahl ζa
getriebener Wärmepumpen
als Funktion von innerer Leis- 2 η = 0,3
ηth = 0,95
tungszahl "i , Effizienz des η = 0,2
Motors
und der Wärmerück-
gewinnungseffizienz
th 1

ηth = 0,5
0
1 2 3 4 5
Leistungszahl εi

Anteil der Umgebungswärme


Abb. 8.49 Anteil der 0,8
Umgebungswärme verbren- ηth = 0,5 η = 0,4
nungsmotorisch angetriebener 0,6 η = 0,3
Wärmepumpen als Funktion η = 0,2
von innerer Leistungszahl "i , 0,4
der Effizienz des Motors
und
der Wärmerückgewinnungsef-
0,2
fizienz
th ηth = 0,95

0,0
1 2 3 4 5
Leistungszahl εi

Die auf Primärenergie bezogenen Heizzahlen lassen demnach eine deutliche Energieein-
sparung gegenüber konventionellen Heizsystemen erkennen; nur wenn alle Kennzahlen,
also sowohl die Wärmerückgewinnung als auch die Motoreffizienz und die Leistungszahl,
im unteren Variationsbereich sind, ergeben sich Heizzahlen kleiner als 1. In günstigen
Fällen werden dagegen sogar Heizzahlen von über 2 erreicht. Auch bei einer schlechten
Leistungszahl von 2 und einem mittleren Motorwirkungsgrad von 30 % ist für eine gute
Wärmerückgewinnung (95 %) die Jahresheizzahl etwa 1,3.
Vergleicht man diese Werte mit elektrisch angetriebenen Kompressionswärmepum-
pen, muss die für die Stromerzeugung benötigte Primärenergie berücksichtigt werden.
Ist dies Erdgas, muss die Leistungszahl der Kompressionswärmepumpe mit dem Strom-
erzeugungs- und Verteilwirkungsgrad aus Erdgas (gesamt ca. 55 %) multipliziert werden.
Der Anteil der Umgebungswärme QUmgebung an der Nutzwärme QNutz ist besonders bei
schlechter Motoreffizienz und hoher Wärmerückgewinnungseffizienz klein. Es gilt Glei-
chung (8.30). Abb. 8.49 zeigt die entsprechenden Zusammenhänge.

QUmgebung
."i  1/
D (8.30)
QNutz
"i C
t h .1 
/

Bei den oben genannten Parametern, also einer Leistungszahl von 2, einem Motorwir-
kungsgrad von 30 % und einer Wärmerückgewinnung von 95 % ist der Anteil an Um-
8 Nutzung von Umgebungswärme 763

gebungswärme nur 25 %; dadurch wird, wie bei den Sorptionswärmepumpen, nur eine
kleine Wärmequellenanlage benötigt.
Nachteilig bei verbrennungsmotorisch betriebenen Wärmepumpen ist der hohe War-
tungsaufwand. Volllaststunden von 2 000 h/a, wie sie für Raumheizung und Warmwasser-
bereitung typisch sind, entsprechen eine Fahrleistung im Auto von ca. 50 000 km. Daher
muss praktisch jedes Jahr eine komplette Wartung des Motors erfolgen, und die technische
Lebensdauer ist auf ca. 10 Jahre begrenzt.

8.3 Ökonomische und ökologische Analyse

Lucas Sens, Wolfgang Streicher und Martin Kaltschmitt

Im Folgenden werden für ausgewählte Wärmepumpensysteme, deren technische Kennda-


ten das derzeitige Marktspektrum wiedergeben, die Kosten und ausgewählte Umweltef-
fekte analysiert. Die dabei zugrundeliegende Vorgehensweise orientiert sich an der Me-
thodik, wie sie auch bei den anderen Kapiteln realisiert wurde.

8.3.1 Referenzanlagen

Wärmepumpen zur Raumwärme- und Trinkwarmwasserbereitung werden im mitteleuro-


päischen Raum hauptsächlich als monovalente elektromotorisch betriebene Kompressi-
onswärmepumpen ausgeführt. Eine Alternative zu diesen Wärmepumpen sind gasbetrie-
bene Sorptionswärmepumpen, die zwar auf dem Markt keine vergleichbare Marktpräsenz
zeigen, aber hier dennoch betrachtet werden.
Den folgenden Untersuchungen werden erneut die in Kapitel 1.3 definierten Versor-
gungsaufgaben (d. h. fünf unterschiedlich gedämmte Einfamilienhäuser (EFH) und fünf
unterschiedlich gedämmte Mehrfamilienhäuser (MFH)) mit einer jeweils unterschiedli-
chen Wärmenachfrage zugrunde gelegt, die hier auf der Basis unterschiedlicher Wärme-
pumpensysteme gedeckt werden.
Dazu werden hier Systemkonfigurationen von Wärmepumpenanlagen mit Solekreis-
lauf mit horizontalen bzw. vertikalen Erdwärmeübertragern sowie Anlagen, die Umge-
bungsluft als Wärmequelle nutzen, definiert. Tabelle 8.7 zeigt die untersuchten Techno-
logievarianten. Die Raumwärme- und Trinkwarmwasserbereitung erfolgt bei den Wär-
mepumpensystemen über dasselbe Wärmepumpenaggregat in Vorrangschaltung für die
Bereitstellung von Trinkwarmwasser. Dabei wird die Wärmepumpe immer im Keller des
zu versorgenden Gebäudes aufgestellt. Die erreichbaren Jahresarbeitszahlen werden durch
die Wärmepumpentechnik bzw. die Eigenschaften der Wärmequelle sowie durch den
Anteil der Trinkwarmwasserbereitung an der gesamten Wärmenachfrage bestimmt. Auf-
grund des höheren Temperaturniveaus ist die Trinkwarmwassererzeugung durch geringere
Arbeitszahlen als die Raumwärmebereitstellung gekennzeichnet. Bei der Bestimmung der
764 M. Kaltschmitt et al.

Tabelle 8.7 Referenz-Konfigurationen der untersuchten Wärmepumpenanlagen


Versorgungsaufgabe Einfamilienhäuser (EFH) Mehrfamilienhäuser (MFH)
0 I II III IV 0 I II III IV
Nachfrage TWW in GJ/a 6,8 6,8 6,8 6,8 6,8 44,9 44,9 44,9 44,9 44,9
Nachfrage RW in GJ/a 8,1 14,9 18,9 27,0 75,6 42,1 74,1 94,4 134,9 308,9
Heizleistung in kW 1,8 3,0 4,0 5,0 13,0 7,8 19,0 22,0 29,0 57,0
Elektro-WP mit Erdkollektor      a a a a a

Elektro-WP mit Erdsonden a a a a a


    
Elektro-Luft-WP          
Sorptions-Gas-WP (Luft) a
    a
   
a
nicht betrachtet; TTW Trinkwarmwasser; RW Raumwärme; WP Wärmepumpe.

Jahresarbeitszahl mitberücksichtigt werden auch der Verbrauch an Hilfsenergie für u. a.


die Regelung oder die Solepumpe.
Die im Folgenden unterstellten Jahresarbeitszahlen steigen dabei für die schlechter ge-
dämmten Einfamilienhäuser an, da der relative Anteil der Trinkwarmwasserbereitstellung
im Vergleich zu der benötigten Heizenergie absinkt. Die Breitstellung von Trinkwarm-
wasser benötigt dabei ein höheres Temperaturniveau als die Heizung; dies bewirkt eine
geringere Leistungszahl der Wärmepumpe. Tabelle 8.8 zeigt die technischen Systemde-
tails der untersuchten Wärmepumpen-Heizsysteme.

 Elektro-Wärmepumpe mit Erdkollektoren. Für alle Einfamilienhäuser (EFH) wird


ein Wärmepumpen-Heizsystem auf Basis von in der Fläche verlegten Erdkollektoren
betrachtet. Es handelt sich hierbei um Solesysteme, bei denen ein Gemisch aus 40 %
Propylenglykol und 60 % Wasser als Wärmeträgermedium verwendet wird. Auf Basis
einer spezifischen Entzugsleistung von 15 W/m2 und der jeweiligen Heizlast (Tabel-
le 8.7) ergeben sich die jeweils benötigten Erdkollektorflächen zwischen 120 und
867 m2 (EFH 0: 120 m2 ; EFH I: 200 m2 ; EFH II: 267 m2 ; EFH III: 333 m2 ; EFH IV:
867 m2 ). Dabei kommt hier eine elektrisch betriebene Kompressionswärmepumpe
zur Anwendung, die mit Hilfe der Erdkollektor-Wärmequellenanlage die unterstellte
Nachfrage nach Trinkwarmwasser und Raumwärme deckt. Als Wärmespeicher kom-
men Kombispeicher (d. h. Pufferspeicher zur Raumwärmespeicherung mit integriertem
Trinkwarmwasserspeicher) zum Einsatz.
 Elektro-Wärmepumpe mit Erdsonden. Für alle Mehrfamilienhäuser (MFH) wird ein
Wärmepumpen-Heizsystem mit vertikal abgeteuften Erdwärmesonden untersucht. Es
handelt sich hierbei um Solesysteme, bei denen – vergleichbar zu den Erdkollektor-
systemen – ebenfalls ein Gemisch aus 40 % Propylenglykol und 60 % Wasser als Wär-
meträgermedium eingesetzt wird. Auf Basis einer spezifischen Entzugsleistung von
50 W/m und der jeweiligen Heizlast (Tabelle 8.7) ergeben sich die entsprechend be-
nötigten Längen für die Erdwärmesonden; sie variieren zwischen 156 und 1 140 m
8 Nutzung von Umgebungswärme 765

Tabelle 8.8 Systemdetails der untersuchten Wärmepumpentechnologien (zur Definition der Nach-
fragefälle Ein- und Mehrfamilienhaus siehe Tabelle 8.7)
Einfamilienhaus (EFH) Mehrfamilienhaus (MFH)
0 I II III IV 0 I II III IV
Elektro-Wärmepumpe mit Erdkollektor bzw. Erdsonde
Wärmepumpe
Nennleistung in kW 1,8 3,0 4,0 5,0 13,0 7,8 19,0 22,0 29,0 57,0
Lebensdauer in a 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20
Wärmequellenanlage
Kollektorfläche in m2 120 200 267 333 867 a a a a a
2 a a a a a
Entzugsleist. Koll. in W/m 15 15 15 15 15
a a a a a
Sondenlänge in m 156 380 440 580 1 140
a a a a a
Entzugsleist. Sonde in W/m 50 50 50 50 50
Lebensdauer in a 40 40 40 40 40 40 40 40 40 40
Speicher
Volumen in L 300 300 300 375 975 1 000 1 425 1 650 2 175 4 275
Lebensdauer in a 25 25 25 25 25 25 25 25 25 25
Elektro-Luftwärmepumpe
Wärmepumpe
Nennleistung in kW 1,8 3,0 4,0 5,0 13,0 7,8 19,0 22,0 29,0 57,0
Lebensdauer in a 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20
Speicher
Volumen in L 300 300 300 375 975 1 000 1 425 1 650 2 175 4 275
Lebensdauer in a 25 25 25 25 25 25 25 25 25 25
Sorptions-Gaswärmepumpe (Luft)
Wärmepumpe
b
Nennleistung in kW 3,0 4,0 5,0 13,0 b 19,0 22,0 29,0 57,0
b b
Lebensdauer in a 15 15 15 15 15 15 15 15
Speicher
b b
Volumen in L 300 300 375 975 1 425 1 650 2 175 4 275
b b
Lebensdauer in a 25 25 25 25 25 25 25 25
a
nicht betrachtet; b nicht sinnvoll; Entzugsleist. Entzugsleistung; Koll. Kollektor.

(MFH 0: 156 m; MFH I: 380 m; MFH II: 440 m; MFH III: 580 m; MFH IV: 1 140 m).
Diese insgesamt benötigte Sondenlänge wird durch mehrere Einzelsonden dargestellt,
deren Länge durch die durch die lokalen Bodenverhältnisse definierten techno-öko-
nomischen Bedingungen vorgegeben ist. Auch bei diesem Fall wird eine elektrisch
betriebene Kompressionswärmepumpe verwendet, die mit Hilfe der Erdkollektor-Wär-
mequellenanlage die Nachfrage nach Warmwasser und Raumwärme deckt. Als Wär-
mespeicher werden ebenfalls Kombispeicher (d. h. Raumwärmespeicherung mit inte-
griertem Trinkwarmwasserspeicher) eingesetzt.
766 M. Kaltschmitt et al.

 Elektro-Luftwärmepumpe. Für alle Ein- und Mehrfamilienhäuser wird zusätzlich ein


Wärmepumpen-Heizsystem zur Nutzung der Umgebungsluft untersucht. Hierbei wer-
den auch hier elektrisch betriebene Kompressionswärmepumpen unterstellt, welche die
Gesamtenergienachfrage für Heizung und Trinkwarmwasser aus der Umgebungsluft
als Wärmequelle decken. Als Wärmespeicher kommen wieder Kombispeicher (d. h.
Raumwärmespeicherung mit integriertem Trinkwarmwasserspeicher) zum Einsatz.
 Sorptions-Gaswärmepumpe (Luft). Für die Ein- und Mehrfamilienhäuser I bis IV
wird zusätzlich ein mit Erdgas betriebenes Sorptions-Wärmepumpen-Heizsystem un-
tersucht, mit dem ebenfalls z. T. die Energie der Umgebungsluft genutzt wird. Als
Wärmespeicher dienen erneut Kombispeicher. Da Sorptions-Gaswärmepumpen höhe-
re Investitionen als die anderen Systeme aufweisen, werden sie für die Passivhäuser
mit ihrer geringen Energienachfrage nicht betrachtet.

Für die Anlagenauslegung werden zur Berücksichtigung der Verluste für Erzeugung,
Speicherung, Verteilung und Übergabe die Aufwandszahlen nach DIN 4701-10 angesetzt.
Daraus können die zur Bereitstellung der geforderten Energiemengen für Trinkwarm-
wasser und Raumwärme benötigten Endenergiemengen (Strom und Erdgas) abgeschätzt
werden. Tabelle 8.9 zeigt diese sowie die entsprechenden Aufwandszahlen und die für alle
Systeme unterstellten Hilfsenergieverbräuche (z. B. Strom für die Solepumpe).

8.3.2 Ökonomische Analyse

Zur Abschätzung der mit einer Bereitstellung von Niedertemperaturwärme durch Wär-
mepumpensysteme verbundenen monetären Aufwendungen werden nachfolgend die In-
vestitionen und Betriebskosten sowie die spezifischen Wärmegestehungskosten für die in
Tabellen 8.7, 8.8 und 8.9 definierten Referenzanlagen dargestellt. Aufgrund der spezi-
fischen geologischen Gegebenheiten vor Ort (u. a. Bodenbeschaffenheit, Wärmeleitfähig-
keit des lokalen Untergrunds, Abstand des Grundwasserleiters von der Geländeoberkante)
kann es dabei zu deutlichen Unterschieden in der Auslegung der Wärmequellenanla-
ge und damit in der Kostenstruktur des Gesamtsystems kommen. Zusätzlich zeigen die
Kosten für die elektrische Energie (d. h. Stromtarife nach Arbeits- und Leistungspreis)
und der Anschluss der Wärmepumpe an das Stromnetz (d. h. Anschlussgebühren) eine,
vom jeweiligen Versorger abhängige, z. T. sehr breite Streuung; letzteres gilt insbesondere
auch in unterschiedlichen Staaten. Die nachfolgend diskutierten Kosten können daher nur
Größenordnungen bzw. durchschnittliche Anhaltswerte darstellen, wie sie derzeit z. B. in
Deutschland im Durchschnitt erwartet werden können. In Einzelfällen und in Abhängig-
keit der lokalen Rand- und Rahmenbedingungen sind deshalb durchaus auch günstigere,
aber ggf. ebenfalls höhere Wärmegestehungskosten möglich.

Investitionen Die Höhe der spezifischen Investitionen für Wärmepumpensysteme wer-


den im Wesentlichen von der eingesetzten Technik sowie von der jeweiligen Systemgröße
8 Nutzung von Umgebungswärme 767

Tabelle 8.9 Aufwandszahlen, Hilfsenergie und Endenergieeinsatz der untersuchten Wärmepum-


pentechnologien (zur Definition der Nachfragefälle Ein- und Mehrfamilienhaus siehe Tabelle 8.7)
Einfamilienhaus (EFH) Mehrfamilienhaus (MFH)
0 I II III IV 0 I II III IV
Elektro-Wärmepumpe mit Erdkollektor bzw. Erdsonde
AWZ RW 0,24 0,24 0,24 0,42 0,41 0,25 0,25 0,24 0,42 0,41
AWZ TWW 0,54 0,54 0,54 0,56 0,56 0,52 0,52 0,52 0,52 0,52
Endenergie RW in GJ/a 1,9 3,6 4,6 11,3 31,2 10,5 18,3 23,0 57,2 127,3
Endenergie TWW in GJ/a 3,7 3,7 3,7 3,8 3,8 23,3 23,3 23,3 23,5 23,5
Ges. EE-Verbrauch in GJ/a 5,6 7,3 8,2 15,1 34,9 33,9 41,5 46,3 80,7 150,8
Hilfsenergie in kWh/a 600 600 600 600 400 1 800 1 800 1 800 1 800 1 450
Elektro-Luftwärmepumpe
AWZ RW 0,32 0,32 0,32 0,47 0,46 0,32 0,32 0,32 0,47 0,46
AWZ TWW 0,62 0,62 0,62 0,64 0,64 0,59 0,59 0,59 0,60 0,60
Endenergie RW in GJ/a 2,6 4,7 6,0 12,7 35,0 13,5 23,8 30,0 63,4 143,2
Endenergie TWW in GJ/a 4,2 4,2 4,2 4,3 4,3 26,5 26,6 26,6 26,8 26,8
Ges. EE-Verbrauch in GJ/a 6,8 8,9 10,1 17,0 39,4 40,0 50,4 56,6 90,2 170,0
Hilfsenergie in kWh/a 350 350 350 350 200 850 850 850 850 500
Sorptions-Gaswärmepumpe (Luft)
a a
AWZ RW 0,85 0,84 0,83 0,82 0,86 0,85 0,83 0,82
a a
AWZ TWW 1,23 1,23 1,28 1,28 1,18 1,18 1,20 1,20
a a
Endenergie RW in GJ/a 12,6 15,9 22,4 62,3 63,5 80,1 112,0 254,6
a a
Endenergie TWW in GJ/a 8,4 8,4 8,7 8,7 53,2 53,2 53,7 53,7
a a
Ges. EE-Verbrauch in GJ/a 21,0 24,3 31,1 71,0 116,7 133,3 165,7 308,3
Erdgasverbrauch in m3 /a a
541 624 800 1 826 a
3 001 3 428 4 261 7 929
Hilfsenergie in kWh/a a 500 550 550 750 a
1 700 1 850 1 850 1 500
a
nicht sinnvoll; AWZ Aufwandszahl; RW Raumwärme; TWW Trinkwarmwasser; EE Endenergie;
Ges. Gesamter.

bestimmt. Generell gilt, dass mit zunehmender Anlagengröße die spezifischen Kosten
tendenziell sinken. Dies trifft vor allem für das Wärmepumpenaggregat inklusive der
Trinkwarmwasserbereitung zu, die eine deutliche Kostendegression mit der Anlagengrö-
ße zeigen. Demgegenüber sind die Wärmequellenanlagen nur durch eine vergleichsweise
geringe Kostendegression charakterisiert.
Tabelle 8.10 zeigt die hier zugrunde gelegten absoluten Investitionen der untersuchten
Technologievarianten. So liegen etwa die spezifischen Kosten der betrachteten Sole-Was-
ser-Wärmepumpen zwischen 500 und 3 900 C/kW. Dabei fallen für die Einfamilienhäuser
EFH 0 bis EFH II jeweils dieselben absoluten Investitionen für die Wärmepumpe an, da es
auf dem Markt bisher keine Wärmepumpen im Leistungsbereich kleiner als 4 kW gibt und
deshalb unterstellt wird, dass diese Anlagengröße installiert wird, obwohl aus technischer
Sicht eine kleinere Anlage für diesen Nachfragefall benötigt werden würde; dies führt zu
spezifisch deutlich höheren Investitionen für die gut gedämmten Gebäudevarianten.
768 M. Kaltschmitt et al.

Tabelle 8.10 Investitionen der untersuchten Wärmepumpentechnologien (zur Definition der Nach-
fragefälle Ein- und Mehrfamilienhaus siehe Tabelle 8.7)
Einfamilienhaus (EFH) Mehrfamilienhaus (MFH)
0 I II III IV 0 I II III IV
Elektro-Wärmepumpe mit Erdkollektor bzw. Erdsonde
WP in C 7 000 7 000 7 000 7 500 8 500 8 500 10 000 12 000 16 000 28 000
WQ in C 4 500 4 800 5 100 5 300 7 500 19 000 30 000 33 000 40 000 68 000
KS in C 900 900 900 1 050 1 700 1 750 1 950 2 000 2 200 3 300
Montage in C 2 500 2 500 2 500 2 500 3 000 3 000 3 000 3 000 3 000 5 000
Summe in C 14 900 15 200 15 500 16 350 20 700 32 250 44 950 50 000 61 200 104 300
Elektro-Luftwärmepumpe
WP in C 8 000 8 000 9 000 9 000 10 000 9 000 11 000 19 000 24 000 32 000
KS in C 900 900 900 1 050 1 700 1 750 1 950 2 000 2 200 3 300
Montage in C 1 800 1 800 1 800 1 800 1 800 1 800 1 800 1 800 1 800 3 000
Summe in C 10 700 10 700 11 700 11 850 13 500 12 550 14 750 22 800 28 000 38 300
Sorptions-Gaswärmepumpe (Luft)
a a
WP in C 15 500 15 500 15 500 15 500 16 500 16 500 16 500 17 800
a a
Abgasrohr in C 1 050 1 050 1 050 1 050 1 550 1 550 1 550 1 550
a a
KS in C 900 900 1 050 1 700 1 950 2 000 2 200 3 300
a a
Montage in C 2 150 2 150 2 150 2 150 2 150 2 150 2 150 3 450
a a
Summe in C 19 600 19 600 19 750 20 400 22 150 22 200 22 400 26 100
a
nicht sinnvoll; WP Wärmepumpe; WQ Wärmequelle; KS Kombispeicher.

Die Bandbreite der Kosten für Elektro-Luftwärmepumpen ist demgegenüber deutlich


größer. Hier liegen die Investitionen zwischen 550 und 4 500 C/kW; aber auch hier tritt
der Effekt der erhöhten spezifischen Investitionen aufgrund der fehlenden kleineren Wär-
mepumpenaggregate auf.
Die Investitionskostenunterschiede für die Gas-Sorptionswärmepumpen sind nochmals
deutlich größer; hier ist mit spezifischen Investitionen zwischen 500 und 5 150 C/kW zu
rechnen. Dabei ist gerade im besonders energieeffizienten Einfamilienhausbereich von
extrem hohen Investitionen für Gas-Sorptionswärmepumpen auszugehen.
Bei den Wärmequellenanlagen sind für Systeme mit Erdkollektoren zwischen 600 und
2 500 C/kW und für Erdwärmesonden zwischen 1 200 und 2 450 C/kW aufzuwenden. Bei
den Erdkollektorsystemen folgen die spezifischen Investitionen der Wärmequellenanlage
der zu erwartenden Senkung mit abnehmendem Dämmstandard. Dabei zeigen die Einfa-
milienhäuser nur eine geringe Bandbreite bezüglich der Raumwärmenachfrage und der
entsprechenden Heizlast der Wärmepumpe. Bei den Mehrfamilienhäusern bzw. den Erd-
sondensystemen ist dies nicht der Fall, da die Unterschiede in der Raumwärmenachfrage
und der Heizlast vergleichsweise hoch sind. Es wird daher nur ein Rückgang der spe-
zifischen Investitionen der Wärmequellenanlage innerhalb der Neubauten und innerhalb
der Altbauten deutlich, nicht aber absteigend zwischen MFH 0 und MFH IV. Insgesamt
liegen die spezifischen Investitionen für die Wärmequellenanlage auch deutlich dichter
beieinander als die spezifischen Investitionen für die Wärmepumpen.
8 Nutzung von Umgebungswärme 769

Neben den Investitionen für die Wärmequellenanlage und die Wärmepumpe fallen
noch Kosten für den Wärmespeicher an. Hinzu kommen Kosten für Montage und In-
stallation, die anteiligen Aufwendungen für den Aufstellungsort im Keller der versorgten
Gebäude sowie die Kosten, die sich aus der hydrologischen Einreichung bzw. Anzeige der
das Erdreich nutzenden Wärmepumpenanlage bei der zuständigen Behörde ergeben. Mit
zunehmender Systemgröße verschiebt sich dabei der Hauptteil der Kosten von der Wärme-
pumpe hin zur Wärmequellenanlage. Während z. B. bei der betrachteten Referenzanlage
des Systems EFH I etwa 46 % der Gesamtkosten für die eigentliche Wärmepumpe zu ver-
anschlagen sind, liegt dieser Anteil beim System MFH I bei etwa 22 %. Der Anteil der
Investitionen für die Wärmequellenanlage steigt demgegenüber von 32 auf 67 %.

Betriebskosten Die Betriebskosten beinhalten u. a. die Aufwendungen für Wartung und


Instandhaltung der Wärmepumpenanlage (z. B. Wechsel des Wärmeträgermediums, Aus-
tausch von Dichtungen) sowie die verbrauchsgebundenen Energiekosten. Unter letzteren
werden zum einen die Strom- oder Erdgaskosten zum eigentlichen Betrieb der Wärme-
pumpe und zum anderen die Kosten für Hilfsenergie (z. B. Strom zum Betrieb der Sole-
pumpe) zusammengefasst. Für den Strompreis der Hilfsenergie wurde ein für Deutschland
repräsentativer Wert von 0,294 C/kWh (Bezugsjahr 2018) angenommen; zusätzlich wurde
für die eigentliche Wärmepumpe ein gesonderter Tarif von 0,210 C/kWh unterstellt. Der
Gaspreis wurde mit 18,4 C/GJ festgelegt.
Tabelle 8.11 zeigt die Aufstellung dieser Kosten für die in den Tabellen 8.7, 8.8 und 8.9
definierten Referenzanlagen. Die Betriebskosten variieren demnach zwischen den ver-
schiedene Dämmstandards. Ein sehr gut gedämmtes Einfamilienhaus (EFH I) hat damit
abhängig von der Wärmepumpentechnologie Betriebskosten zwischen 630 und 670 C/a,
während das MFH IV mit 6 210 bis 10 120 C/a deutlich höhere Betriebskosten aufweist.
Eine mit Erdgas betriebene Wärmepumpe ist folglich bei größeren Häusern oder bei
schlecht gedämmten Einfamilienhäusern deutlich günstiger als eine elektrisch betriebe-
ne Kompressionswärmepumpe; dies ist unabhängig davon, ob eine Wärmequellenanlage
berücksichtigt wird oder nicht.
In Abhängigkeit von der Anlagengröße und der verwendeten Technologie bewe-
gen sich die Betriebskosten von Wärmepumpenheizungen also zwischen rund 550 und
2 410 C/a für die untersuchten Einfamilienhäuser und zwischen 2 560 und 10 120 C/a für
die betrachteten Mehrfamilienhäuser.
Die Betriebskosten von Gas-Sorptionswärmepumpen sind im Neubau-Einfamili-
enhausbereich noch höher als die Betriebskosten der beiden anderen untersuchten
Technologien; dies ändert sich aber hin zu den Bestandsgebäuden. Im Mehrfamilien-
hausbereich zeigt die Gas-Wärmepumpe bezüglich ihrer Betriebskosten ein günstigeres
Verhalten. Gerade bei den schlecht gedämmten Mehrfamilienhäusern ist der Unterschied
zu den elektrisch betriebenen Systemen deutlich erkennbar. Die Elektro-Luftwärmepumpe
hat für die Bestandsgebäude im Einfamilienhausbereich sowie bei allen Mehrfamilienhäu-
sern die höchsten Betriebskosten. Dies liegt nicht zuletzt an der verminderten Effizienz
770 M. Kaltschmitt et al.

Tabelle 8.11 Kosten der Wärmepumpen-Heizungssysteme in der Betriebsphase aufgeteilt nach ver-
brauchsgebundenen (verbr.) sowie betriebsgebundenen (betr.) und sonstigen (sonst.) Kosten (zur
Definition der Nachfragefälle Ein- und Mehrfamilienhaus siehe Tabelle 8.7)
Einfamilienhaus (EFH) Mehrfamilienhaus (MFH)
0 I II III IV 0 I II III IV
Elektro-Wärmepumpe mit Erdkollektor bzw. Erdsonde
Verbr. Kosten in C/a 500 600 660 1 060 2 160 2 510 2 950 3 230 5 240 9 220
Betr., sonst. Kosten in C/a 50 50 50 50 50 50 50 50 50 50
Summe in C/a 550 650 710 1 110 2 210 2 560 3 000 3 280 5 290 9 270
Elektro-Luftwärmepumpe
Verbr. Kosten in C/a 500 620 690 1 100 2 360 2 580 3 190 3 550 5 510 10 070
Betr., sonst. Kosten in C/a 50 50 50 50 50 50 50 50 50 50
Summe in C/a 550 670 740 1 160 2 410 2 630 3 240 3 600 5 560 10 120
Sorptions-Gaswärmepumpe (Luft)
Verbr. Kosten in C/a a 530 610 730 1 530 a
2 650 3 000 3 590 6 110
Betr., sonst. Kosten in C/a a 100 100 100 100 a
100 100 100 100
Summe in C/a a 630 710 830 1 630 a
2 750 3 100 3 690 6 210
a
nicht sinnvoll.

bzw. den geringeren Jahresarbeitszahlen im Vergleich zu einer erdgekoppelten Wär-


mepumpe aufgrund der stärkeren Temperaturschwankungen der Wärmequelle und den
besonders niedrigen Außentemperaturen zum Zeitpunkt der höchsten Wärmenachfrage
im Winter.

Wärmegestehungskosten Ausgehend von einem Zinssatz von 2,0 % und einer Abschrei-
bung über die technische Lebensdauer berechnen sich – auf der Basis einer annuitätischen
Betrachtung (vgl. Kapitel 1.3 und 1.4), wie sie bisher bei allen anderen Kostenanalysen
immer unterstellt wurde – für die untersuchten Referenzanlagen aus Tabelle 8.7 die in
Tabelle 8.12 dargestellten Wärmegestehungskosten. Für die Wärmequellenanlagen wird
dabei eine technische Lebensdauer von 40 Jahren, für die Wärmepumpen von 20 Jah-
ren (Ausnahme: Sorptionswärmepumpe mit 15 Jahren) und für die Wärmespeicher von
25 Jahren unterstellt.
In Tabelle 8.12 wird u. a. deutlich, dass die Annuitäten der Elektro-Wärmepumpe mit
Erdsonde bzw. Erdkollektor bei den Nachfragefällen „Einfamilienhäuser“ nicht signifi-
kant höher sind als bei dem Wärmeträger Umgebungsluft. Dies liegt darin begründet, dass
sich die Investitionen bei diesen Nachfragefällen nicht so stark unterscheiden. Die Wär-
mequellenanlage fällt zwar bei den luftgekoppelten Wärmepumpensystemen weg; dafür
ist aber die Wärmepumpe entsprechend teurer im Vergleich zu den Wärmepumpen, die
bei den erdgekoppelten Systemen zum Einsatz kommen. Wird zusätzlich noch berück-
sichtigt, dass die Wärmequellenanlage eine technische Lebensdauer von 40 Jahren hat,
ist der Einfluss auf die Annuität gering. Außerdem sind die Betriebskosten (d. h. betriebs-
8 Nutzung von Umgebungswärme 771

Tabelle 8.12 Annuitäten und Wärmegestehungskosten (Wärmegest.-kosten) der untersuchten Wär-


mepumpen-Heizungssysteme (zur Definition der Nachfragefälle Ein- und Mehrfamilienhaus siehe
Tabelle 8.7)
Einfamilienhaus (EFH) Mehrfamilienhaus (MFH)
0 I II III IV 0 I II III IV
Elektro-Wärmepumpe mit Erdkollektor bzw. Erdsonde
Annuität in C/a 1 260 1 370 1 430 1 880 3 160 3 900 4 810 5 310 7 790 13 540
Wärmegest.- in C/GJ 84,6 63,1 55,6 55,6 38,3 44,8 40,4 38,1 43,3 38,3
kosten in C/kWh 0,304 0,227 0,200 0,200 0,138 0,161 0,146 0,137 0,156 0,138
Elektro-Luftwärmepumpe
Annuität in C/a 1 190 1 310 1 440 1 860 3 210 3 370 4 120 4 970 7 240 12 420
Wärmegest.- in C/GJ 79,9 60,4 56,0 55,0 39,0 38,7 34,6 35,7 40,3 35,1
kosten in C/kWh 0,288 0,217 0,202 0,198 0,140 0,139 0,125 0,128 0,145 0,126
Sorptions-Gaswärmepumpe (Luft)
a a
Annuität in C/a 2 110 2 190 2 310 3 130 4 380 4 730 5 320 8 080
a a
Wärmegest.- in C/GJ 141,6 100,9 89,9 92,6 50,3 39,7 38,2 22,1
kosten a a
in C/kWh 0,510 0,363 0,324 0,333 0,181 0,143 0,137 0,079
a
nicht sinnvoll.

und verbrauchsgebundene Kosten) bei den luftgekoppelten Anlagen leicht höher. Deshalb
ergeben sich hier etwas erhöhte Annuitäten bei den Systemen, welche die Umgebungsluft
nutzen.
In Abhängigkeit von der Anlagengröße und Jahresarbeitszahl (bzw. Aufwandszahl)
(Tabelle 8.7 bis 8.10) liegen die Wärmegestehungskosten – je nach installierter Leis-
tung – zwischen rund 22 und 142 C/GJ. Die Bandbreite ist demnach sehr groß; dies gilt
insbesondere für die Gas-Sorptionswärmepumpe. Aber die Schwankungen der Wärme-
gestehungskosten in Abhängigkeit des Dämmstandards – und damit der nachgefragten
thermischen Energie – ist deutlich geringer bei den mit elektrischer Energie betriebenen
Wärmepumpen. Hier muss bei besonders großen Anlagen (MFH IV) mit etwa 35 bzw.
38 C/GJ für die bereitgestellte Wärme gerechnet werden und bei den kleinsten Anlagen
(EFH 0) mit etwa 80 bzw. 85 C/GJ. Systeme mit Sorptions-Wärmepumpen zeigen hierbei
bei allen Einfamilienhäusern die höchsten Wärmegestehungskosten. Demgegenüber lie-
gen sie im Mehrfamilienhausbereich in einer näherungsweise vergleichbaren Größenord-
nung (Abb. 8.50). Für die Bestands-Mehrfamilienhäuser (MFH III und MFH IV) ergeben
sich sogar geringere Wärmegestehungskosten der mit Erdgas betriebenen Sorptions-Wär-
mepumpensysteme. Die Kosten für die Bereitstellung der thermischen Energie mittels
elektrisch betriebener Wärmepumpensysteme unterscheiden sich im Einfamilienhausbe-
reich nahezu nicht. Erst im Mehrfamilienhausbereich – und damit bei deutlich höheren
nachgefragten thermischen Energiemengen – wird das erdreichgekoppelte System teurer
als das luftgekoppelte System.
Um den Einfluss verschiedener Größen auf die Wärmegestehungskosten besser ab-
schätzen und bewerten zu können, zeigt Abb. 8.51 eine Variation der wesentlichen sensi-
772 M. Kaltschmitt et al.

Wärmegestehungskosten in €/GJ 140 Erdgekoppelte Systeme, Elektrowärmepumpe


Luftgekoppelte Systeme, Elektrowärmepumpe
120 Luftgekoppelte Systeme, Gaswärmepumpe

100

80

60

40

20

0
EFH 0 EFH I EFH II EFH III EFH IV MFH 0 MFH I MFH II MFH III MFH IV

Abb. 8.50 Wärmegestehungskosten der untersuchten Systemkonfigurationen

75
Mittlere Abschreibungsdauer (28 Jahre = 100 %)
Investitionen (16 350 € = 100 %)
70 Zinssatz (2 % Zinsen = 100 %)
Betriebskosten (50 €/a = 100%)
Wärmegestehungskosten in €/GJ

Strompreis (0,21 €/kWh = 100 %)


65

60

55

50

45

40
50 60 70 80 90 100 110 120 130 140 150

Parametervariation in %

Abb. 8.51 Parametervariation der wesentlichen Einflussgrößen auf die spezifischen Wärmegeste-
hungskosten am Beispiel einer 5 kW-Elektrowärmepumpenanlage mit Erdwärmekollektor (Refe-
renzanlage EFH III)

tiven Parameter einer 5 kW-Elektrowärmepumpenanlage mit Erdwärmekollektor (Versor-


gungsaufgabe EFH III). Demnach haben der Strompreis und die Abschreibungsdauer den
größten Einfluss auf die Wärmegestehungskosten. Die Investitionen beeinflussen ebenfalls
die Gestehungskosten für die Wärme merklich. Nahezu keinen Einfluss auf die Kosten der
Wärmebereitstellung haben hingegen der Zinssatz und die Betriebskosten.
8 Nutzung von Umgebungswärme 773

8.3.3 Ökologische Analyse

Für die bisher betrachteten Anlagen zur Nutzung der Umgebungsluft bzw. der oberflä-
chennahen Erdwärme (Tabelle 8.7 und 8.8) wird nachfolgend eine Bilanzierung ausge-
wählter Umweltkenngrößen im Verlauf des gesamten Lebensweges durchgeführt. An-
schließend werden weitere mit einer Energiebereitstellung aus derartigen Systemen ver-
bundene Umwelteffekte diskutiert.

8.3.3.1 Lebenszyklusanalyse
Im Folgenden wird für die bisher betrachteten Anlagen (Tabelle 8.7 und 8.8) eine Bi-
lanzierung der spezifischen kumulierten Energieströme und Stofffreisetzungen im Verlauf
der gesamten Anlagenlebensdauer einschließlich aller vorgelagerten Prozesse – und damit
im Rahmen einer Lebenswegbetrachtung (Kapitel 1.3 und 1.4), wie sie bei den ande-
ren Kapiteln auch realisiert wurde – durchgeführt. Bezugsgröße ist dabei 1 TJ an der
Trinkwarmwasserzapfstelle entnommene bzw. vom Heizkörper an den Raum abgegebene
Wärme.
In Anlehnung an die bisherige Vorgehensweise werden dabei als Maß für den Beitrag
zum anthropogenen Treibhauseffekt die CO2 -Äquivalent-Emissionen, für Emissionen mit
versauernder Wirkung die SO2 -Äquivalent-Emissionen und unter dem Aspekt human- und
ökotoxikologischer Auswirkungen die Emissionen an SO2 und NOx bilanziert. Aufgrund
der Vielzahl möglicher Einflussfaktoren auf die technische Umsetzung von Wärmepum-
penanlagen (u. a. geologische Bedingungen am potenziellen Standort) sind die hierbei
untersuchten Referenzanlagen nur als Beispiele einer Nutzung der Umgebungsluft und
der oberflächennahen Erdwärme zu sehen.
Tabelle 8.13 zeigt die Ergebnisse der Bilanzierung für eine Wärmebereitstellung zur
Trinkwarmwasser- und Raumwärmebereitung für die in Tabelle 8.7 und 8.8 definierten
Wärmepumpensysteme. Für die elektrische Antriebsenergie wird der deutsche Strom-
erzeugungsmix des Jahres 2018 zugrunde gelegt.
Der Energieverbrauch und die spezifischen Emissionen werden demnach bei allen An-
lagen primär von der Jahresarbeitszahl bzw. der Aufwandszahl und damit dem Anteil der
zugeführten elektrischen Antriebsenergie an der gesamten Wärmeerzeugung bestimmt.
Wärmepumpenanlagen mit systembedingt niedrigeren Arbeitszahlen bzw. hohen Auf-
wandszahlen (z. B. Wärmepumpensysteme unter Nutzung der Umgebungsluft) sind damit
durch höhere Aufwendungen erschöpflicher Energieträger sowie Emissionen der betrach-
teten Schadstoffe gekennzeichnet im Vergleich zu Wärmepumpensystemen mit niedrige-
ren Aufwandszahlen (z. B. erdgekoppelte Systeme mit Solekreislauf); umgekehrt werden
der Energieverbrauch und die Emissionen dann relativ gering, wenn die Arbeitszahlen
entsprechend groß werden. Dies liegt primär darin begründet, dass ein Großteil des Ver-
brauchs an erschöpflichen Energieträgern bzw. der hier untersuchten Emissionen bzw.
Äquivalent-Emissionen aus dem Betrieb der Anlagen und hier wiederum aus der Bereit-
stellung der für den Betrieb benötigten elektrischen Energie stammen.
774 M. Kaltschmitt et al.

Tabelle 8.13 Energie- und Emissionsbilanzen einer Wärmebereitstellung mittels Wärmepum-


pen zur Raumwärme- und Trinkwarmwasserbereitung (Strombereitstellung entsprechend dem
deutschen Strommix 2018; zur Definition der Nachfragefälle Ein- und Mehrfamilienhaus siehe Ta-
belle 8.7)
Einfamilienhaus (EFH) Mehrfamilienhaus (MFH)
0 I II III IV 0 I II III IV
Elektro-Wärmepumpe mit Erdkollektor bzw. Erdsonde
Energie in GJprim /TJa 1 392 1 162 1 073 1 341 1 155 1 213 1 061 998 1 268 1 153
SO2 in kg/TJ 62 50 45 53 44 46 40 38 47 43
NOx in kg/TJ 85 69 64 76 64 71 64 61 75 68
CO2 -Äq. in t/TJ 83 68 63 78 67 70 62 58 73 66
SO2 -Äq. in kg/TJ 114 94 85 101 84 93 83 79 98 89
Elektro-Luftwärmepumpe
Energie in GJprim /TJa 1 466 1 251 1 177 1 389 1 256 1 278 1 159 1 105 1 330 1 247
SO2 in kg/TJ 68 56 51 58 48 48 44 42 49 46
NOx in kg/TJ 87 72 67 77 67 69 62 59 70 65
CO2 -Äq. in t/TJ 90 76 71 84 73 74 67 64 77 72
SO2 -Äq. in kg/TJ 129 89 97 111 94 94 85 81 96 89
Sorptions-Gaswärmepumpe (Luft)
Energie in GJprim /TJa b
1 460 1 400 1 295 1 156 b
1 340 1 299 1 224 1 108
b b
SO2 in kg/TJ 50 47 41 34 38 37 34 30
b b
NOx in kg/TJ 58 57 49 41 47 45 41 36
b b
CO2 -Äq. in t/TJ 86 83 75 69 79 77 72 66
b b
SO2 -Äq. in kg/TJ 104 97 83 69 76 73 67 60
a
primärenergetisch bewerteter kumulierter fossiler Energieaufwand (Verbrauch erschöpflicher
Energieträger); b nicht sinnvoll; Äq. Äquivalente.

Abb. 8.52 zeigt die gesamten CO2 -Äquivalent-Emissionen aller untersuchten Wärme-
pumpentechnologien exemplarisch für die Nachfragefälle Einfamilienhaus EFH I und
EFH IV unterteilt nach den verschiedenen Lebenswegabschnitten. Demnach hat der Bau
der Anlagen generell einen geringen Anteil an den hier betrachteten Stofffreisetzungen.
Meist befindet sich dieser Anteil der Emissionen, die aus der Anlagenherstellung resul-
tieren, unterhalb von 15 % der Gesamtemissionen. Neben der Wärmepumpentechnologie
bestimmt dabei insbesondere der untersuchte Dämmstandard (d. h. die Nachfrage nach
thermischer Energie) den Anteil der Lebenswegphasen Bau und Entsorgung an den ge-
samten im Lebenszyklus freigesetzten Emissionen bzw. am gesamten fossilen Energie-
aufwand. Dies liegt daran begründet, dass mit steigender Raumwärmenachfrage auch die
insgesamt benötigte Betriebsenergie (d. h. Wärmepumpenstrom, Erdgas, elektrische Hilfs-
energie) sich deutlich stärker bemerkbar macht und somit der diskutierte Anteil abnimmt.
Insgesamt ist die Betriebsphase generell für den Großteil der im Lebensweg freigesetz-
ten Emissionen (bzw. den kumulierten fossilen Energieaufwand) verantwortlich. Sie ist
hier unterteilt in den zur Wärmebereitstellung verbrauchsbedingt benötigten Anteil (d. h.
8 Nutzung von Umgebungswärme 775

CO2-Äquivalent-Emissionen in t/TJ 90 Bau/Entsorgung


Hilfsenergie
80 Energiequelle (Gas/Strom)
70

60

50

40

30

20

10

0
Elektro-WP Elektro-WP Gas-WP Luft Elektro-WP Elektro-WP Gas-WP Luft
Erde (EFH I) Luft (EFH I) (EFH I) Erde (EFH IV) Luft (EFH IV) (EFH IV)

Abb. 8.52 CO2 -Äquivalent-Emissionen der untersuchten Wärmepumpensysteme (WP Wärme-


pumpe) für den Nachfragefall EFH I (linker Bildteil) und EFH IV (rechter Bildteil) (Tabelle 8.13)
aufgeteilt nach den Lebenszyklusphasen Bau / Entsorgung sowie Betrieb; letztere ist wiederum
unterteilt in die Emissionen des verbrauchsbedingt benötigten Wärmepumpenstroms und die be-
triebsbedingt eingesetzte elektrische Hilfsenergie

die Emissionen an Klimagasen, die durch die Bereitstellung des Wärmepumpenstroms


freigesetzt werden) sowie den Anteil, der durch die zusätzlich benötigte Hilfsenergie
entsteht (in diesem Fall ist dies ebenfalls elektrische Energie z. B. für den Betrieb der
Pumpen).
In Abb. 8.53 wird deutlich, dass der Anteil der CO2 -Äquivalent-Emissionen, der durch
den Bau und die Entsorgung der Wärmequellenanlage freigesetzt wird, im Vergleich zu
den CO2 -Äquivalent-Emissionen, die aus dem Wärmeerzeuger und dem Speicher resultie-
ren, hoch ist und mit der Anlagengröße stark anwächst. Dies hängt damit zusammen, dass
die Klimagasemissionen, die durch die Wärmequellenanlage verursacht werden, direkt
proportional zu deren Größe sind (d. h. zur Kollektorfläche bzw. zur Sondenlänge). Der
Anstieg der Größe der Wärmequellenanlage wird in Tabelle 8.7 deutlich. Im Vergleich
dazu nimmt der Anteil des Wärmeerzeugers (d. h. der Wärmepumpe) an den gesamten
Treibhausgasemissionen bei erdgekoppelten Systemen mit der Anlagengröße ab. Demge-
genüber ist der Anteil des Wärmespeichers an den Gesamtemissionen relativ unabhän-
gig von der untersuchten Wärmepumpentechnologie und bewegt sich zwischen 6,8 und
15,3 %. Bei Elektro-Luft-Wärmepumpen handelt es sich um ein sehr einfaches System,
das nur aus der eigentlichen Wärmepumpe und dem entsprechenden Speicher besteht.
Zwischen den hier dargestellten Versorgungsaufgaben EFH IV und MFH IV ist dabei
kein großer Unterschied zu erkennen. Die Lebenswegabschnitte Bau und Entsorgung des
Wärmeerzeugers nehmen über 80 % der Emissionen dieser Kategorie ein. Eine ähnliche
776 M. Kaltschmitt et al.

6,8%
Speicher Speicher
14,6%

29,8%
Wärmeerzeuger

55,6%
Wärmeerzeuger

29,8%
Wärmequelle 63,4%
Wärmequelle

Gasanschluss Abgasrohr Gasanschluss Abgasrohr


0,4% 2,2% 0,3% 1,1%

Speicher Speicher
15,3% 9,6%

82,1% 88,9%
Wärmeerzeuger Wärmeerzeuger

Abb. 8.53 Aufteilung der CO2 -Äquivalent-Emissionen der Lebenszyklusphase Bau und Ent-
sorgung nach verschiedenen Bauteilen der Wärmepumpenheizung für die Versorgungsaufgaben
EFH IV (links) und MFH IV (rechts) versorgt durch erdgekoppelte Elektrowärmepumpen (oben)
und durch mit Erdgas betriebene Sorptions-Luftwärmepumpen (unten)

Tendenz ist auch bei mit Erdgas betriebenen Sorptions-Luftwärmepumpen zu verzeich-


nen. Der Anteil des Wärmeerzeugers an den Gesamtemissionen ist ebenfalls höher als
80 %; allerdings liegt eine etwas größere Schwankungsbreite vor, da hier Emissionen für
den benötigten Gasanschluss sowie das Abgasrohr hinzukommen. Diese sind aber sehr
gering verglichen mit den Emissionen aus der Wärmepumpe und dem Speicher.

8.3.3.2 Weitere Umwelteffekte


Beim Bau, im Normalbetrieb und im Störfall sowie bei Betriebsende von Wärmepum-
penanlagen zur Nutzung der Umgebungswärme können u. a. die nachfolgend diskutierten
lokalen Umwelteffekte auftreten.
8 Nutzung von Umgebungswärme 777

Herstellung Die industrielle Herstellung der Wärmepumpe ist mit den in der Maschinen-
bauindustrie heute üblichen Umwelteffekten verbunden, die sich zwischenzeitlich infolge
der z. T. weitgehenden gesetzlichen Vorgaben auf einem vergleichsweise geringen Niveau
und innerhalb der vom Gesetzgeber vorgegebenen Grenzen bewegen (müssen). Gleiches
gilt sinngemäß auch für die anderen bautechnischen, energietechnischen und elektro-
technischen Komponenten; zumindest in der EU sind die Grenzen der vom Gesetzgeber
tolerierten Umweltauswirkungen der produzierenden Industrie i. Allg. gering.
Die Umweltwirkungen bei der Installation einer Wärmepumpenanlage zur Nutzung der
Umgebungswärme konzentrieren sich bei der Nutzung von Wasser als Wärmequelle sowie
bei Erdwärmesonden auf das Einbringen der Bohrungen. Mögliche Umweltwirkungen bei
Bohrarbeiten sind Schadstoffeinträge in den Untergrund durch Bohrgerät, Bohrgestänge
und Zubehör sowie chemisch-biologische Veränderungen durch Spülungszusätze. Solche
Schadstoffeinträge lassen sich aber durch eine Einhaltung der entsprechenden Vorsichts-
maßnahmen (DIN EN ISO 22475-1:2007-01) zur Verhinderung von Kontaminationen,
bakteriologischen Verunreinigungen bzw. chemisch / biologischen Veränderungen im Un-
tergrund u. ä. sowie ein angepasstes Bohrverfahren weitgehend verhindern oder zumindest
minimieren; zusätzlich müssen die entsprechenden Grundwasserschutz-relevanten Vor-
schriften sicher eingehalten werden [8.12]. Des Weiteren kann es zu Lärmeinwirkungen
kommen, die sich jedoch bei Einhaltung der TA Lärm in den gesetzlich vorgegebenen
Grenzen bewegen.
Hinzu kommt, dass bei einer unsachgemäßen Durchteufung des Untergrunds eine Ver-
bindung zwischen unterschiedlichen Bodenschichten – und damit beispielsweise potenziell
zwischen Grundwasserleitern mit einer unterschiedlichen Wasserqualität – geschaffen wer-
den kann. Dies kann u. a. zu einem hydraulischen Kurzschluss verschiedener Grundwasser-
leiter führen (siehe unten), der aber bei der sachgemäßen Komplettierung der Sonde nach
dem Stand der Technik wieder sicher geschlossen werden kann. Auch kann es zu einer Ver-
bindung von wasserführenden Schichten und solchen Schichten kommen, die bisher vom
Grundwasser völlig abgetrennt waren. Ein Mineral, das in solchen Schichten beispielsweise
vorkommen kann, ist Anhydrit (d. h. wasserfreier, dehydrierter Gips). Wird dieses Mine-
ral mit Wasser versetzt, bindet es dieses Wasser chemisch im Mineral; d. h. es lagert bzw.
„baut“ Wasser in seine Kristallstruktur ein. Dadurch nimmt das Volumen des Anhydrids zu
(d. h. es kommt zur Quellung). Werden beispielsweise durch eine unsachgemäße Bohrung
– bei entsprechenden Untergrundverhältnissen – unterirdische Fließwege für Grundwasser
hin zu derartigen bisher völlig trockenen Bodenschichten, die beispielsweise signifikante
Anteile an Anhydrit enthalten, geschaffen, kann diese Quellung weiträumig vonstatten ge-
hen; damit kann die Volumenzunahme ggf. bis an die Tagesoberfläche übertragen werden
und sich dort in einer punktuellen oder auch z. T. flächigen Hebung bemerkbar machen. Da-
durch wird die Erdoberfläche bezogen auf den unbeeinflussten Zustand deformiert. Passiert
dies in bebauten Gebieten (Siedlungsgebieten, Innenstadtbereich), entstehen durch diese
Hebungen des Untergrunds an den dort vorhandenen Häusern Risse. Derartige Effekte kön-
nen durch eine fachmännische Niederbringung einer Erdwärmesonde nach dem Stand der
Technik aber sicher vermieden werden.
778 M. Kaltschmitt et al.

Die Installation der Wärmepumpenanlage selbst ist prinzipiell mit keinen anderen als
den normalerweise auch bei der Montage einer konventionellen Heizung auftreten Um-
weltbelastungen verbunden. Gefährdungsmomente, die früher durch die ozonschädigende
Wirkung des Kältemittels z. B. bei der Befüllung bestanden, sind nach dem Verbot dieser
Kältemittel weggefallen; ist das Kältemittel noch durch ein Treibhauspotenzial gekenn-
zeichnet, ist jedoch eine potenzielle Gefährdung des Klimas nicht auszuschließen.

Normalbetrieb Die Diskussion von Umweltwirkungen der Erdwärmenutzung im Nor-


malbetrieb beinhaltet im Wesentlichen die folgenden Bereiche: Umweltwirkungen von
Wärmepumpen-Arbeitsmitteln, thermische Auswirkungen auf Boden, Grundwasser und
Atmosphäre, hydraulische Veränderungen im Untergrund durch die Entnahme von Grund-
wasser, Lärmwirkungen und Umwelteinflüsse durch Bohrungen. Diese Aspekte werden
nachfolgend diskutiert.

Umweltwirkungen von Wärmepumpen-Arbeitsmitteln Arbeits- oder Kältemittel von Wär-


mepumpen können einen Einfluss auf die globale und lokale Umwelt haben. Die globalen
Wirkungen (u. a. Schädigung der Ozonschicht, Beitrag zum anthropogenen Treibhausef-
fekt) sind abhängig von der Anwendung und Dichtheit der Anlage, der Anlagenart, der
Kältemittel-Füllmenge, dem Umgang mit dem Kältemittel und der Art des Kältemittels.
Kältemittel auf Basis von Fluor-Kohlenwasserstoffen besitzen beispielsweise eine ozon-
schädigende Wirkung, die durch den sogenannten ODP-Wert (Ozone Depletion Potential
– Ozonzerstörungspotenzial) beschrieben wird. Der Einsatz von ozonschädigenden Kälte-
mitteln ist in Neuanlagen in Deutschland aber seit dem 1. Januar 2000 verboten und sollte
deshalb heute kein Thema mehr sein [8.12].
Bestimmte Kältemittel besitzen außerdem direkte Wirkungen auf das Klima. Heute
eingesetzte Kältemittel zeigen beispielsweise GWP-Werte (Global Warming Potential –
Klimaerwärmungspotenzial / Treibhauspotenzial) von 1 300 (R134a), 1 610 (R407 C), 0
(R717), 2088 (R410A) und 675 (R32). Dies wird sich durch die F-Gase EU Verordnung
[8.30] in Zukunft deutlich weiter verringern, da hier sukzessive GWP-Werte bis unter
150 gefordert werden. Damit ergibt sich eine große Herausforderung an die Wärmepum-
pen- und Kälteanlagenhersteller, da alle Maschinen entsprechend umkonstruiert werden
müssen. Es gibt derzeit keine klare Tendenz, welches Kältemittel sich schlussendlich für
welche Anwendung durchsetzen wird. Unabhängig davon geht die sich am Markt deutlich
abzeichnende Tendenz aber immer mehr zu Kältemitteln mit keinem oder nur einem sehr
geringen Treibhauspotenzial.
Werden im Normalbetrieb keine Leckagen unterstellt – und dies sollte mit moderner
Anlagentechnik gut möglich sein (und auch nicht im Interesse eines potenziellen Anla-
genbetreibers, der an einem störungsfreien Betrieb interessiert sein muss), dann kommt
es auch zu keinen derartigen betriebsbedingten Umweltwirkungen. Am Ende der techni-
schen Lebensdauer der Anlage muss das Kältemittel abgesaugt und fachgerecht entsorgt
werden.
8 Nutzung von Umgebungswärme 779

Thermische Auswirkungen auf Boden, Grundwasser und Atmosphäre Die Nutzung der im
Boden, im Grundwasser, in Oberflächengewässern oder in den bodennahen Atmosphären-
schichten enthaltenden Niedertemperaturwärme durch Wärmepumpen führt infolge des
Wärmeentzugs zu einer entsprechenden Abkühlung des jeweiligen Mediums.
Beispielsweise treten bei Erdwärmesondenanlagen Temperaturabsenkungen in bei-
spielsweise 2 m Abstand von der eigentlichen Sonde von bis zu 2 K auf [8.13]. Bei
korrekt dimensionierten Anlagen stellt sich langfristig aber ein thermisches Gleichge-
wicht im Untergrund ein; außerdem bleibt der Einfluss des Wärmeentzuges i. Allg. lokal
begrenzt. Weiterhin hat eine gemäßigte Abkühlung des Bodens keinen bekannten Ein-
fluss auf seine Struktur. Bei Eisbildung aufgrund übermäßigen Wärmeentzuges infolge
falsch ausgelegter Anlagen und nachfolgenden Tauens können sich jedoch die Strukturen
in feinkörnigen Böden (z. B. Ton) verändern; dies kann Absenkungen des Bodens um
die eingebrachten Erdwärmesonden zur Folge haben. Im Gegensatz dazu kann ein dau-
erhaftes Einfrieren des Bodens bei wesentlich zu klein ausgeführtem Erdreichvolumen
im Verhältnis zum Wärmeentzug zu einer Hebung des Erdreichs bis an die Oberfläche
führen. Da sich in den typischerweise genutzten Tiefen jedoch meist keine Lebewesen
und Pflanzenteile befinden, führt die Abkühlung aber zu keinen bekannten ökologischen
Beeinträchtigungen (sie kann aber technische Auswirkungen auf den Betrieb bzw. die
Betriebssicherheit der Wärmepumpenanlage haben). Außerdem ist der Einfluss der Tem-
peraturreduktion zur Erdoberfläche hin typischerweise vernachlässigbar klein und wird
von dem Wärmeeintrag aus der Sonneneinstrahlung i. Allg. deutlich überlagert. Ein ne-
gativer Einfluss auf das Grundwasser ist bei nach dem Stand der Technik realisierten
Anlagen nach dem heutigen Kenntnisstand ebenfalls auszuschließen.
Bei Erdwärmekollektoren kommt es zu einer gewissen Beeinflussung von Bodenfauna
und Vegetation. Der Umfang dieser Einwirkungen ist aber ebenfalls ganz wesentlich von
der Anlagenauslegung abhängig. Bei einer Unterdimensionierung der Kollektoren verrin-
gert sich – infolge eines übermäßigen Abkühlens des Bodens – das Aktivitätsniveau der
Bodenfauna (z. B. das der Regenwürmer) deutlich. Auch tritt dann eine merkliche Ver-
spätung der Vegetation und eine Verringerung von Ernten, Blütenumfang usw. ein [8.13].
Bei der immer anzustrebenden sachgemäßen Auslegung solcher Systeme sind aber der-
artige Wirkungen vergleichsweise gering; so wurde beispielsweise keine systematische
Änderung von bestimmten Käferpopulationen durch einen Wärmeentzug mit Wärmepum-
pen-gekoppelten Erdwärmekollektoren festgestellt. Außerdem wird im Sommer – eine
nachhaltige Systemauslegung unterstellt – das gleiche Temperaturniveau wie ohne Kol-
lektoren erreicht. Ein wesentlicher Einfluss auf das Grundwasser kann – aufgrund der
geringen Verlegetiefen – ebenfalls ausgeschlossen werden.
Ähnliches gilt auch für den Wärmeentzug aus der Atmosphäre. Hier ist jedoch – im
Vergleich zu einem Wärmeentzug aus dem Boden bzw. dem Grundwasser – der natür-
liche Austausch zwischen einzelnen, unterschiedlich warmen Luftpartien innerhalb der
oberflächennahen Atmosphärenschichten deutlich intensiver im Vergleich beispielsweise
zum Grundwasser, so dass ein möglicher Einfluss einer Abkühlung sich im Normalfall
unmittelbar bzw. sehr zeitnah wieder ausgleicht. Diesbezügliche negative Umwelteffek-
780 M. Kaltschmitt et al.

te sind deshalb bisher nicht bekannt geworden. Maximal können empfindliche Pflanzen,
die sich direkt in der Abluftzone des von der Wärmepumpe abgekühlten Luftstroms befin-
den, in ihrer Entwicklung aufgrund der hier gegebenen geringeren Temperaturen gehemmt
werden. Zudem wird die der Außenluft entzogene Heizwärme über das Haus – jedoch in
Abhängigkeit des jeweiligen Dämmstandards deutlich zeitverzögert – inklusive der Ener-
gie aus der Stromaufnahme wieder als Wärme an die Umgebungsluft abgegeben.
Durch Kultureinflüsse ist die Temperatur des Bodens, des Grundwassers oder auch
der bodennahen Atmosphärenschichten vielerorts angestiegen, so dass eine entsprechen-
de Abkühlung auch einen positiven Effekt darstellen kann. Bisher sind jedenfalls noch
keine signifikanten negativen Aspekte einer Abkühlung von Boden, Grundwasser oder
der bodennahen Atmosphärenschichten durch Wärmepumpenanlagen bekannt geworden.

Hydraulische Veränderungen im Untergrund durch die Entnahme von Grundwasser Die


Entnahme von Grundwasser und die darauffolgende Wiedereinleitung führt zur Grund-
wasserabsenkung um den Förderbrunnen und einer Grundwasseranreicherung um den
Injektionsbrunnen. Es kommt zu einer Strömungsanpassung mit räumlich begrenzter Aus-
dehnung.

Lärmwirkungen Umweltbeeinträchtigungen traten in der Vergangenheit vielfach durch


die hohen Schallleistungspegel der Wärmepumpenanlagen auf. Verglichen mit früheren
Anlagengenerationen wurden bei den heute auf den Markt befindlichen Anlagen jedoch
deutliche Reduzierungen der Schallabstrahlungen erreicht. Wärmepumpen mit einer Heiz-
leistung um 10 kW erreichen teilweise Schallleistungen von weniger als 45 dB(A). Damit
stellen die Schallemissionen heute praktisch kein Problem mehr dar. Nichtsdestotrotz
können die Strömungsgeräusche bei luftgekoppelten Wärmepumpenanlagen, die sich un-
ter bestimmten Bedingungen ggf. nicht vollständig verhindern lassen, von Personen als
störend empfunden werden, auch wenn sie die natürlichen Hintergrundgeräusche (z. B.
Blätterrauschen infolge von Wind, Wasserrauschen eines Baches) i. Allg. nicht überstei-
gen.

Umwelteinflüsse durch Bohrungen Gefährdungsmomente für das Grundwasser sind bei


unzureichender Abdichtung der Bohrung an der Geländeoberkante durch die Möglichkeit
des Eindringens von wassergefährdenden Stoffen von der Erdoberfläche aus gegeben. Bei
einer sachgerechten Abteufung und Komplettierung der Bohrungen kommen aber derarti-
ge Aspekte praktisch nicht zum Tragen (siehe oben).
Eine nachteilige Beeinflussung der Grundwasserfließverhältnisse kann aber dann ge-
geben sein, wenn Erschließungsbohrungen (z. B. für Erdwärmesonden) zwei oder mehre-
re Grundwasserstockwerke / Grundwasserhorizonte mit einem unterschiedlichen Druck-
niveau und / oder einer verschiedenartigen Wasserqualität unkontrolliert durchteufen. Ein
derartiger hydraulischer Kontakt verschiedener Grundwasserschichten ist dabei im Re-
gelfall unerwünscht, insbesondere, wenn eine der Schichten hochmineralisiertes oder mit
Chemikalien, Nitraten und / oder Schwermetallen belastetes Grundwasser enthält. Durch
8 Nutzung von Umgebungswärme 781

einen Einbau von Sperren lässt sich eine mögliche Gefährdung des Grundwassers jedoch
weitgehend verhindern; dies ist auch Stand der Technik und in den einschlägigen Regel-
werken klar geregelt.

Störfall Störfälle im Zusammenhang mit der Wärmepumpennutzung können auftreten,


wenn die in den Untergrund eingebundenen Materialien leicht korrodierbar und den Be-
anspruchungen eines Betriebs im Verlauf der technischen Lebensdauer nicht gewachsen
sind. Die Materialien für Erdwärmesonden müssen z. B. die vorkommenden Drücke bei
Bohrungen in größerer Tiefe aushalten und eine hohe Reißfestigkeit besitzen. Es sind
aber bislang bei Bohrungen bis rund 150 m Tiefe keine Rohrbrüche von z. B. PE-Rohren
(PE Polyethylen) bekannt geworden.
Das Ausmaß der im Störfall eintretenden Umweltbeeinflussung durch die Wärmepum-
pe bzw. den Wärmequellenteil ist abhängig von der Art der eingesetzten Kälte- bzw.
Frostschutzmittel in dem verwendeten Wärmeträgermedium. Die derzeit am häufigsten in
einem Wärmequellenkreislauf eingesetzten Frostschutzmittel Ethylenglykol und Propy-
lenglykol sind in der Wassergefährdungsklasse 1 eingeordnet. Die potenziellen Umwelt-
wirkungen, die sich dadurch beispielsweise durch Leckagen ergeben können, sind jedoch
i. Allg. gering. Gleiches trifft für Wärmepumpenarbeitsmittel für Direktverdampfung zu,
da die eingesetzten Kältemittel ebenfalls – mit Ausnahme von Ammoniak – nicht oder
nur wenig wassergefährdend sind. Allerdings muss hier auf die eingesetztem Kältemit-
telöle Rücksicht genommen werden. Entsprechende Versuche mit R290 als Kältemittel
haben gezeigt, dass im Havariefall daraus nur relativ kleine, temporäre und räumlich stark
begrenzte Boden- und Grundwasserbelastungen resultieren [8.14]. Die neuen Entwicklun-
gen mit CO2 Heat Pipes sind auf jeden Fall nicht wassergefährdend.
Umweltgefährdungen können im Falle eines Brandes oder einer Explosion der Wär-
mepumpe im Zusammenhang mit der Giftigkeit des Wärmemittels auftreten. Nach der
DIN EN 378-1 werden Kältemittel in drei Gruppen unterteilt. Das Kältemittel R290 ge-
hört der Gruppe A3 (größere Brennbarkeit, geringere Giftigkeit), das Kältemittel R717
der Gruppe B2 (geringere Brennbarkeit, größere Giftigkeit) sowie die Kältemittel R407c
und R134a der Gruppe A1 (keine Flammenausbreitung, geringere Giftigkeit) an. Kohlen-
stoffdioxid, welches möglicherweise zukünftig stärker als Kältemittel eingesetzt werden
könnte, gilt als das umweltfreundlichste Kältemittel (ODP = 0 (Ozonzerstörungspotenzi-
al), GWP = 1 (Treibhauspotenzial), unbrennbar und nicht giftig). Während beispielsweise
in Deutschland Wärmepumpen mit CO2 als Kältemittel noch ein Nischenprodukt darstel-
len, werden diese z. B. in Japan bereits millionenfach eingesetzt. Gefährdungspotenziale
bestehen hier hinsichtlich der Gesundheit nur infolge Berstens durch mechanische Explo-
sionen und durch Leckagen von Anlagenteilen; diese Auswirkungen sind aber durch eine
sichere Auslegung nach dem Stand der Technik unter Berücksichtigung entsprechender
Sicherheitszuschläge beherrsch- und damit vermeidbar.
Bei Einhaltung der vorliegenden Sicherheitsvorkehrungen (u. a. Aufstellungsanforde-
rungen in Abhängigkeit vom Raumvolumen und der Kältemittelfüllmenge, Sicherstellun-
gen von Lüftungen) der UVV VBG 20, DIN EN 378 und der DIN 7003 E lassen sich
782 M. Kaltschmitt et al.

Unfälle an der Gesamtanlage verhindern bzw. deren Auswirkungen auf den Menschen
und die Umwelt minimieren.
Zusätzlich können Umweltbelastungen für Boden und Grundwasser im Störfall durch
Schmiermittel hervorgerufen werden. Durch den Einsatz von entsprechenden Spezialölen
lassen sich durch deren geringe Wassergefährdung und deren gute biologische Abbau-
barkeit jedoch auch derartige Umweltgefahren weitgehend minimiert werden. Das spielt
besonders im Zusammenhang mit Direktverdampfungs-Systemen eine Rolle, da dort grö-
ßere Mengen Öl zum Einsatz kommen.
Zusammengenommen sind damit auch im Störfall die potenziellen Umweltauswirkun-
gen in Bezug auf das absolute Schadensausmaß begrenzt; außerdem kommen sie zudem
nur am Anlagenstandort – und damit nur lokal – zum Tragen.

Betriebsende Potenzielle Umwelteinflüsse im Zusammenhang mit dem Betriebsende


sind bei der Nutzung des Grundwassers und tiefer Erdwärmesonden bei nicht ord-
nungsgemäßer Abdichtung der Bohrung denkbar. Des Weiteren kann es beim Abbau
der Anlagen zum Austreten von Kühlmitteln kommen; dies ist aber bei Einhalten der
gegebenen Vorschriften eher unwahrscheinlich (beispielsweise ist eine Kältemittelabsau-
gung vorgeschrieben). Die Entsorgung der Anlagenkomponenten ist mit keinen bisher
bekannten besonderen Umwelteffekten verbunden.

8.4 Potentiale und Nutzung

Lucas Sens, Wolfgang Streicher und Martin Kaltschmitt

In Anlehnung an die bisherige Vorgehensweise werden nachfolgend die theoretischen und


die technischen Potenziale einer Wärmebereitstellung aus Umgebungsluft und oberflä-
chennaher Erdwärme ermittelt. Auch wird auf die derzeitige Nutzung eingegangen.

8.4.1 Potenziale

Theoretisches Potenzial Bei den theoretischen Potenzialen wird unterschieden zwischen


denen einer Nutzung der Umgebungsluft sowie denen einer Nutzung der oberflächennahen
Erdwärme.

Umgebungsluft Das theoretische Potenzial der Nutzwärmebereitstellung aus Umge-


bungsluft kann unter der Annahme der technischen Nutzbarkeit der untersten, bodennahen
Luftschicht abgeleitet werden. Dort wird aufgrund des üblichen regen Luftaustauschs die
Abkühlung der Luft durch Wärmepumpen i. Allg. schnell wieder ausgeglichen. Pro Me-
ter Abstand von der Erdoberfläche könnten aus dem theoretisch nutzbaren Luftvolumen
beispielsweise von rund 358 km3 /m über Deutschland bei einer Abkühlung von 1 K und
8 Nutzung von Umgebungswärme 783

Tabelle 8.14 Potenziale der Theoretische Potenziale (Nutzenergie)


Umgebungsluft und der ober- Umgebungsluft 128 PJa
flächennahen Erdwärme in Oberflächennahe Erdwärme 400 EJ/a
Deutschland
Technische Angebotspotenziale (Nutzenergie)
b
Umgebungsluft
Oberflächennahe Erdwärme 1 928 PJ/a
Technisches Nachfragepotenzial (Nutzenergie)
Umgebungsluftc 2 064–2 343 PJ/a
Oberflächennahe Erdwärme 2 816 PJ/a
a
Potenzial kann theoretisch beliebig oft aus der Umgebungsluft
entzogen werden; b da der Umgebungsluft nur unter Berücksich-
tigung technischer Restriktionen nahezu beliebig viel Energie
entzogen werden kann, ist bisher keine sinnvolle Angabe des
technischen Angebotspotenzials möglich; c Bandbreite ergibt
sich aus den unterschiedlichen technischen Lösungsansätzen
(siehe unten).

einer bei 10 ı C und 75 % relativer Luftfeuchtigkeit zugrunde gelegten spezifischen isoba-


ren Wärmekapazität der Luft von 1,24 kJ/(m3 K) rund 0,445 PJ/m entzogen werden. Wird
z. B. eine Nutzung in einer Höhe von bis zu 200 m über Grund bei einer näherungswei-
se unterstellten konstanten spezifischen isobaren Wärmekapazität unterstellt, ergibt sich
ein theoretisches Potenzial an der Atmosphäre entziehbarer Energie von ca. 89 PJ. Bei
einer theoretisch ggf. erreichbaren Jahresarbeitszahl einer die Umgebungsluft nutzenden
Wärmepumpe von 3,3 folgt daraus eine bereitstellbare Nutzenergie von rund 128 PJ (Ta-
belle 8.14); dieses Wärmepotenzial kann – da es durch die Sonneneinstrahlung wieder
regeneriert wird – im Jahresverlauf vielfach der bodennahen Atmosphärenluft entzogen
werden. Hinzu kommt, dass die damit bereitstellbare Raum- und / oder Prozesswärme
meist nach einer bestimmten Zeit wieder an die Umgebung abgegeben wird. Dadurch
kann dieses Potenzial im Verlauf des Jahres (theoretisch nahezu) beliebig oft erschlossen
werden.

Oberflächennahe Erdwärme Für die Abschätzung des theoretischen Potenzials der ober-
flächennahen Erdwärmenutzung auf Basis von Erdwärmesonden wird hier vereinfacht
eine Sondentiefe von 100 m angenommen sowie eine durchschnittliche spezifische Wär-
meentzugsleistung von 40 W/m und ein Sondenabstand von 12 m unterstellt; daraus lässt
sich ein Flächenbedarf pro Sonde von 141 m2 abschätzen. Für die gesamte Gebietsfläche
der Bundesrepublik Deutschland von 357 582 km2 ergibt sich daraus ein theoretisches Po-
tenzial von rund 320 EJ/a (d. h. an Wärme, die dem Untergrund theoretisch entziehbar ist).
Mit einer unterstellten theoretisch ggf. erreichbaren Jahresarbeitszahl von 5 von erdgekop-
pelten Wärmepumpenanlagen errechnet sich daraus eine bereitstellbare Nutzenergie von
rund 400 EJ/a.
784 M. Kaltschmitt et al.

Technische Angebotspotenziale (Wärmeerzeugungspotenziale) Das theoretische Po-


tenzial ist auf Grund einer Vielzahl von Restriktionen in der aufgezeigten Größenordnung
technisch nicht erschließbar. Beispielsweise sind Flächen, die von potenziellen Verbrau-
chern weit entfernt liegen, auf Grund zu hoher Verluste beim Energietransport für eine
oberflächennahe Erdwärmenutzung nicht geeignet; d. h. typischerweise sind z. B. nur die
den Gebäuden unmittelbar zugeordneten Flächen (d. h. Gebäude- und Freiflächen) sinn-
voll nutzbar. Diese nehmen etwa 5,8 % der Fläche Deutschlands ein. Ausgehend davon
werden nachfolgend die technischen Angebotspotenziale aufgezeigt. Auch hier wird un-
terschieden zwischen einer Nutzung der Umgebungsluft und einer Nutzung der oberflä-
chennahen Erdwärme.

Umgebungsluft Da die in der Umgebungsluft enthaltene Wärme aus technischer Sicht


vielfach der Umwelt entzogen werden kann, ist das technische Angebotspotenzial einer
Nutzwärmebereitstellung aus Umgebungsluft sehr groß. Damit kann die gesamte tech-
nisch deckbare Niedertemperaturwärmenachfrage auch mit der in der Umgebungsluft ent-
haltenen Wärme – werden ausschließlich technische Restriktionen berücksichtigt – ge-
deckt werden. Damit dürfte dieses Potenzial das technische Nachfragepotenzial deutlich
übersteigen.

Oberflächennahe Erdwärme Sind nur Flächen, die in der Nähe potenzieller Verbraucher
liegen, nutzbar und sind diese durch die Gebäude- und ihnen zugeordneten Freiflächen be-
schreibbar, lassen sich die aus technischer Sicht mit Wärmepumpensystemen zur Nutzung
der oberflächennahen Erdwärme nutzbaren Gebietsflächen sinnvoll eingrenzen. Zusätz-
lich können aufgrund der vorhandenen Gebäudestrukturen und sonstiger Restriktionen
nur ein kleinerer Teil der vorhandenen Gebäude- und Freiflächen auch technisch sinn-
voll genutzt werden; hier wird ein Nutzungsanteil von etwa 40 % unterstellt. Dabei wird
u. a. berücksichtigt, dass eine Nutzung der oberflächennahen Wärme in Gebieten mit sehr
hoher Bebauungsdichte (z. B. im Innenstadtbereich) nicht oder nur mit Einschränkungen
möglich ist. Außerdem können Sonden zur Nutzung der oberflächennahen Erdwärme ggf.
nicht bei jeder Bodenstruktur ohne weiteres abgeteuft werden (z. B. felsiger Untergrund).
Grundwasserschutzgebiete, in denen eine Nutzung aufgrund der gesetzlichen Vorgaben
eingeschränkt ist, reduzieren die verbleibende Fläche weiter. Damit ist näherungsweise
nur knapp ein Drittel der Gebäude- und Freiflächen in Deutschland für eine Nutzung der
oberflächennahen Erdwärme unter Berücksichtigung derartiger technischer und systemi-
scher (quasi-technischer) Restriktionen auch technisch verfügbar.
Außerdem kann eine lückenlose Erschließung dieser verbleibenden Flächen aufgrund
von sich im Untergrund befindlichen Infrastrukturelementen (u. a. Versorgungsleitungen
für Zu- und Abwasser, Gas, Strom, Kommunikation) und anderweitiger Nutzung (z. B.
Garten, Lagerhallen, Kellerräume) teilweise zu technischen Problemen führen. Aufgrund
derartiger Effekte wird hier vereinfachend unterstellt, dass von den verbleibenden Flächen
nur rund zwei Fünftel (40 %) auch tatsächlich technisch nutzbar sind.
8 Nutzung von Umgebungswärme 785

Damit ergibt sich ein nutzbares technisches Angebotspotenzial von 749 PJ/a bei den
Haushalten, von 492 PJ/a bei GHD (Gewerbe, Handel, Dienstleistungen) und bei der In-
dustrie von 205 PJ/a. Insgesamt beträgt unter den getroffenen Annahmen das gesamte
technische Angebotspotenzial der oberflächennahen Erdwärme rund 1 446 PJ/a. Wird die-
ses technische Erzeugungspotenzial aller Nutzungsarten durch Wärmepumpenanlagen mit
einer durchschnittlichen Jahresarbeitszahl von 4 erschlossen, lässt sich daraus eine Nutz-
wärme von insgesamt rund 1 928 PJ/a (d. h. Nutzenergie) bereitstellen.

Technische Endenergiepotenziale (Nachfragepotenziale) Auf Grund ihrer Angebots-


charakteristik kann durch Wärmepumpen, die Umgebungsluft bzw. oberflächennahe Erd-
wärme nutzen, in der Regel nur die Energienachfrage nach Raumwärme und nach Pro-
zesswärme (z. B. Trinkwarmwasser) gedeckt werden, die auf einem niedrigen Tempera-
turniveau anfällt (d. h. unter 100 ı C).
Diese Nachfrage nach Niedertemperaturwärme, die theoretisch mittels derartiger Wär-
mepumpensysteme gedeckt werden könnte, ist bei unterschiedlichen Verbrauchergruppen
verschieden. Deshalb werden hier exemplarisch für Deutschland die dort vorhandenen
Nachfragegruppen unterteilt in die Haushalte, das GHD (d. h. Gewerbe, Handel, Dienst-
leistungen) und die Industrie. Tabelle 8.15 zeigt die im Jahr 2017 nachgefragte thermische
Energie dieser Verbraucher. Dabei kann aber nicht die komplette Nachfrage nach sonsti-
ger Prozesswärme mithilfe von Wärmepumpen gedeckt werden, da es sich dabei z. T.
um Hochtemperaturwärme handelt. Dies wird entsprechend berücksichtigt (Tabelle 8.15).
Ausgehend davon wird nachfolgend untersucht, welcher Anteil dieser Niedertempera-
turwärmenachfrage durch die in Deutschland installierbaren Wärmepumpensysteme zur
Nutzung der Umgebungsluft bzw. der oberflächennahen Erdwärme gedeckt werden könn-
ten.

Tabelle 8.15 Endenergienachfrage der Sektoren Haushalte, GHD (Gewerbe, Handel, Dienstleis-
tungen) und Industrie im Jahre 2017 und der davon theoretisch durch Wärmepumpen (WP) deckbare
Anteil (d. h. primär Niedertemperaturwärme) [8.15]
Verbrauchssektor Nutzenergieform Endenergienachfrage Mittels WP-Systemen
in PJ/a deckbarer Anteil
in PJ/a
Private Haushalte Raumwärme 1 601 1 601
Trinkwarmwasser 358 358
sonstige Prozesswärme 142 70
GHD Raumwärme 674 674
Trinkwarmwasser 68 68
sonstige Prozesswärme 101 56
Industrie Raumwärme 153 153
Trinkwarmwasser 17 17
sonstige Prozesswärme 1 795 358
Summe 4 909 3 355
786 M. Kaltschmitt et al.

Umgebungsluft Obwohl die Verfügbarkeit der Umgebungsluft in der Regel nicht be-
schränkt ist, stehen einer vollständigen Deckung des gesamten Nachfragepotenzials eine
Reihe von Restriktionen entgegen. Zur Abschätzung der entsprechenden Potenziale wird
deshalb hier zwischen dezentralen und zentralen Systemen unterschieden.

 Dezentrale Anlagen sind in den Räumen von Gebäuden installiert und können als
Wand-, Decken-, Truhen-, Kanal- oder Schrankgeräte ausgeführt sein. Sie sind meist
als Luft-Luft-Geräte konzipiert. Der Einsatz derartiger Anlagen ist aus technischer
Sicht nicht bzw. kaum beschränkt. Begrenzungen können sich jedoch aus baulichen
oder rechtlichen Gründen ergeben; z. B. lassen sich Umgebungsluft-Wärmeübertrager
nicht überall anbringen (u. a. Denkmalschutz). Kann nur in 85 % aller Fälle Raum-
wärme durch derartige Geräte bereitgestellt werden, resultiert daraus ein technisches
Nachfragepotenzial an Nutzenergie bei den Haushalten von 1 361 PJ/a, beim GHD von
573 PJ/a und in der Industrie von 130 PJ/a; dies entspricht bei einer Arbeitszahl von
3,3 (monovalenter Betrieb) einer aus der Umgebungsluft entzogenen (regenerativen)
Wärme von 1 439 PJ/a.
 Zentrale Wärmepumpenanlagen, welche die Umgebungsluft nutzen, können als Kom-
paktgeräte für die Innen- oder Außenaufstellung sowie als Splitgeräte ausgeführt wer-
den. Voraussetzung dafür ist ein geeignetes Wärmeverteilungsnetz im Gebäude. Im
Haushaltssektor werden rund 17 % der Wohnflächen durch Ein- und Mehrraumöfen
oder Etagenheizungen beheizt. Da in solchen Gebäuden i. Allg. kein Wärmeverteilnetz
existiert, reduziert sich die durch zentrale Wärmepumpenanlagen deckbare Nutzwärme
(d. h. Raumwärme, Trinkwarmwasser, sonstige Prozesswärme) auf 1 684 PJ/a. Auch
wurde etwa die Hälfte des Bestands der nicht einzelbeheizten Wohnflächen vor 1970
erbaut; in diesen Gebäuden wird die Heizungsanlage oftmals mit Vorlauftemperaturen
von 70 bis 90 ı C betrieben. Da im Haushaltssektor aufgrund des geringen Leistungs-
bedarfs fast ausschließlich Elektrowärmepumpen eingesetzt werden, diese jedoch nur
Wärme bis maximal etwa 65 ı C bereitstellen können, muss deshalb für die vor 1970
erstellten Gebäude ein bivalenter Betrieb (Arbeitszahl 3,5) unterstellt werden; hier
wird von einem Deckungsanteil der Wärmepumpe an der gesamten Wärmenachfrage
von 70 % ausgegangen. Für die andere Hälfte der Wohnflächen wird ein monova-
lenter Wärmepumpenbetrieb (Arbeitszahl 3) unterstellt. Daraus ergibt sich für den
Haushaltssektor ein Nachfragepotenzial an Nutzenergie, die mittels Wärmepumpen-
systemen deckbar ist, von rund 1 431 PJ/a; dies entspricht einer der Umgebungsluft
entziehbaren Wärme von 982 PJ/a. Im GHD- und Industriesektor werden die Gebäude
vorwiegend zentralbeheizt; aufgrund der durchschnittlich größeren Wärmenachfrage
der Einzelobjekte wird hier eine Versorgung mit gas- oder dieselmotorisch betriebe-
nen Wärmepumpen unterstellt. Durch derartige Anlagen kann wegen der im Vergleich
zu Elektrowärmepumpen deutlich höheren möglichen Vorlauftemperaturen die gesam-
te theoretisch deckbare Nutzenergienachfrage (d. h. Raumwärme, Trinkwarmwasser,
sonstige Prozesswärme) in diesen Sektoren von 1 326 PJ/a gedeckt werden; dies ent-
spricht bei einer Heizzahl von 1,4 einer der Umgebungsluft entzogenen Wärme von
8 Nutzung von Umgebungswärme 787

379 PJ/a. Sind zusätzlich aufgrund baulicher, administrativer und sonstiger Restriktio-
nen nur rund 85 % dieses Potenzials bei den Haushalten, bei GHD (Gewerbe, Handel,
Dienstleistungen) und bei der Industrie erschließbar, errechnet sich ein gesamtes tech-
nisches Nachfragepotenzial an Nutzenergie durch zentrale Wärmepumpenanlagen von
2 343 PJ/a (d. h. 1 157 PJ/a aus der Umgebungsluft).

Die genannten Potenziale können sich unter Berücksichtigung der Stromerzeugungs-


struktur, den vorhandenen Übertragungskapazitäten und den Anforderungen an einen sta-
bilen Betrieb des Stromversorgungssystems weiter verringern. Bei einer durchschnittli-
chen Volllaststundenzahl der Wärmepumpen von 2 000 h/a und der Unterstellung, dass
etwas mehr als die Hälfte des Potenzials (1 400 PJ/a) durch Elektrowärmepumpen mit
einer Arbeitszahl von 3,5 erschlossen wird, ergibt sich eine durch die Stromversorgung
zusätzlich bereitzustellende Leistung bei einem Gleichzeitigkeitsfaktor von 0,9 im Winter
von 50 GW; dies entspricht rund einem Viertel der installierten Brutto-Kraftwerksleistung
in Deutschland im Jahr 2018 (die durchschnittlich bereitgestellte Leistung variiert typi-
scherweise zwischen 50 bis 75 GW).

Oberflächennahe Erdwärme Die Nachfrage von prinzipiell durch Wärmepumpen bereit-


stellbarer Raumwärme, Trinkwarmwasser und sonstiger Prozesswärme in Deutschland
liegt bei den Haushalten bei insgesamt 2 029 PJ/a (Tabelle 8.15); davon können aufgrund
technischer Restriktionen wiederum nur rund 80 % gedeckt werden (d. h. 1 623 PJ/a). Hin-
zu kommt der Bereich GHD (Gewerbe, Handel, Dienstleistungen). Hier liegt die durch
Wärmepumpen deckbare Nachfrage an Raum- und Prozesswärme sowie an Trinkwarm-
wasser bei ca. 798 PJ/a; hier sind rund 90 % technisch nutzbar (718 PJ/a). Zusätzlich
kann potenziell auch im verarbeitenden Gewerbe bzw. der Industrie die dort anfallen-
de Niedertemperaturwärmenachfrage durch Wärmepumpen gedeckt werden. Hier liegt
der prinzipiell durch Wärmepumpen abdeckbare Raum-, Trinkwarmwasser- und sonstige
Prozesswärmebedarf bei ca. 528 PJ/a; auch hier sind 90 % aus technischer Sicht nutz-
bar (475 PJ/a). Fasst man alle Verbrauchsbereiche zusammen, errechnet sich ein durch
Wärmepumpenapplikationen unter Nutzung der oberflächennahen Erdwärme technisch
deckbares Nachfragepotenzial an Raum- und Prozesswärme von 2 816 PJ/a.

8.4.2 Nutzung

Die oberflächennahe Erdwärme wird bereits seit vielen Jahren primär in den Industrie-
staaten der westlichen Welt genutzt. Nachfolgend wird diese Nutzung im globalen, im
europäischen und im deutschen bzw. österreichischen Kontext diskutiert [8.16, 8.17].

8.4.2.1 Welt
Ende 2018 wurden weltweit geschätzte 4,8 Mio. erdgekoppelte Wärmepumpen mit ei-
ner thermischen Leistung von rund 58 GW betrieben. Die Nutzwärmebereitstellung lag
788 M. Kaltschmitt et al.

bei rund 376 PJ (2018) [8.16]. Diese Option zur Nutzung regenerativer Energien – und
damit von Niedertemperaturwärme aus dem oberflächennahen Erdreich und aus der Um-
gebungsluft – wurde in den USA (19,5 GW, 82 PJ (2018)) und China (14 GW, 123 PJ
(2018)) am meisten genutzt. Wegen der unterschiedlichen Betriebsweisen derartiger Wär-
mepumpenanlagen ist in den USA eine signifikant höhere thermische Leistung im Ver-
gleich beispielsweise zum chinesischen Markt installiert; trotzdem wird dort aber weniger
Nutzwärme bereitgestellt. Diese unterschiedlichen Betriebsweisen resultieren aus der Art
der bereitgestellten Energie. So werden in großen Teilen der USA Wärmepumpen zur
Kühlung eingesetzt; die Wärmebereitstellung hat hier nur eine untergeordnete Bedeu-
tung. Die entsprechenden Wärmepumpenanlagen sind dann für eine Wärmebereitstellung
deutlich überdimensioniert – und das führt dann wiederum zu deutlich geringeren Voll-
laststunden (USA: 2 000 h/a; Kapazitätsfaktor 0,23) im Vergleich zu einem „klassischen“
Heizbetrieb. Demgegenüber werden in China und in Europa Wärmepumpenanlagen pri-
mär zur Deckung der Wärmegrundlast ausgelegt; derart konzipierte Aggregate erreichen
deshalb oft signifikant höhere Volllaststunden als in den USA (Europa: 6 000 h/a, Kapazi-
tätsfaktor 0,68).

8.4.2.2 Europäische Union


In der EU lag Ende 2018 die thermische Leistung aller installierten Wärmepumpen bei
rund 19,6 GW; dabei wurden rund 131 PJ (2018) an Nutzwärme bereitgestellt. In der
EU-28 sind die größten Wärmepumpenmärkte Schweden, Deutschland und Frankreich
[8.16, 8.31].
Im Jahr 2018 dürften in der EU rund 34,4 Mio. Wärmepumpensysteme betrieben wor-
den sein; Abb. 8.54 zeigt die entsprechende Verteilung dieses Anlagenparks [8.31]. Auf-
grund fehlender belastbarer statistischer Erhebungen dürfte diese Angabe die ausschließ-
lichen Heizungssysteme (schätzungsweise rund 10,6 Mio. Anlagen) – im Unterschied zu
den Klimatisierungsanlagen (d. h. Heizen und Kühlen mit einem System) – tendenziell
unterrepräsentieren. Von diesen rund 34,4 Mio. Wärmepumpenanlagen handelt es sich
bei knapp 32,9 Mio. um luftgekoppelte Systeme und nur bei rund 1,5 Mio. um erdge-
koppelte Anlagen (4 bis 5 %). Innerhalb der EU gibt es aber erhebliche Unterschiede;
beispielsweise werden in Portugal und Spanien fast ausschließlich luftgekoppelte Wär-
mepumpensysteme betrieben, in Österreich sind mehr erd- als luftgekoppelte Anlagen in
Betrieb und in Deutschland und Schweden ist das Verhältnis der luft- zu den erdgekop-
pelten Anlagen etwa 2 zu 1.

8.4.2.3 Deutschland
Ende 2018 waren in Deutschland rund 925 000 Heizungswärmepumpen im Einsatz
(Abb. 8.55). Bei einem geschätzten Energieeinsatz von 72 PJ (2018) aus Strom und Um-
gebungswärme wurden zusammengenommen rund 48 PJ (2018) an regenerativer Wärme
aus oberflächennaher Erdwärme (einschließlich Grund- und Oberflächenwasser) und aus
Umgebungsluft bereitgestellt [8.17].
8 Nutzung von Umgebungswärme 789

Abb. 8.54 Luft- und erdgekoppelte Wärmepumpenanlagen in der EU (Stand 2018) [8.32]
1100 14
jährlich neu installierte Anlagen
1000 Gesamtanzahl der Anlagen
jährliche Wärmeerzeugung 12
900
Anzahl der Anlagen in Tausend

Wärmebereitstellung in PJ/a

800 10

700

8
600

500
6

400

300 4

200
2
100

0 0
2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018

Abb. 8.55 Energiegewinnung mittels Wärmepumpen in Deutschland (Daten nach [8.17])


790 M. Kaltschmitt et al.

Dabei zeichnet sich in den letzten Jahren im Segment der Heizungswärmepumpen ein
deutlicher Zuwachs an Wärmepumpensystemen ab, die Umgebungsluft als regenerative
Energiequelle nutzen; hier wurden beispielsweise 2018 in Summe rund 60 500 Anlagen
verbaut. Dabei handelte es sich überwiegend um Splitgeräte. Demgegenüber nehmen die
Absatzzahlen erdgekoppelter Systeme nur sehr moderat zu. Insgesamt wurde damit der
Wärmepumpenmarkt in Deutschland klar durch luftgekoppelte Systeme dominiert; bei-
spielsweise lag der Anteil der Neuinstallationen 2018 bei rund 72 %.
Weiterhin waren Ende 2018 rund 189 000 Anlagen zur ausschließlichen Brauchwarm-
wasserbereitstellung im Einsatz, mit denen ca. 2,4 PJ (2018) an Nutzwärme bereitgestellt
wurden; der Beitrag der dadurch genutzten erneuerbaren Umgebungswärme lag bei ge-
schätzten knapp 1,4 PJ [8.17].

8.4.2.4 Österreich
Ende 2018 waren in Österreich rund 304 000 Wärmepumpen für Brauchwasser, Heizung,
Wohnraumlüftung und Industrie im Einsatz (Abb. 8.56). Hierbei wurden 7,6 PJ Strom und
21,6 PJ (2018) an regenerativer Wärme aus oberflächennaher Erdwärme (einschließlich
Grund- und Oberflächenwasser) und aus Umgebungsluft eingesetzt [8.27]. Primärener-
getisch wurden hierbei bei einem österreichischen Strom Primärenergiefaktor von 1,63
[8.28] und 0 für Umgebungswärme 12,4 PJ (2018) genutzt.
Dabei zeichnet sich in den letzten Jahren im Segment der Heizungswärmepumpen ein
deutlicher Zuwachs der Luft-Wasser-Wärmepumpen ab; hier wurden beispielsweise 2018
in Summe 14 862 Anlagen verbaut. Demgegenüber nehmen die Absatzzahlen erdgekop-
pelter Systeme nur sehr moderat zu. Insgesamt wurde damit der Wärmepumpenmarkt in
Österreich – ähnlich wie in Deutschland – klar durch luftgekoppelte Systeme dominiert;
beispielsweise lag der Anteil der Neuinstallationen 2018 bei rund 72 %.
Weiterhin waren Ende 2018 rund 89 000 Anlagen zur ausschließlichen Brauchwarm-
wasserbereitstellung im Einsatz, mit denen ca. 1,6 PJ (2018) an Nutzwärme bereitgestellt
wurden; der Anteil der dadurch genutzten erneuerbaren Umgebungswärme lag bei ge-
schätzten knapp 1,1 PJ [8.16].

350
jährlich neu installierte Anlagen
Anzahl der Anlagen in 1000

300
Gesamtanzahl der Anlagen
250

200

150

100

50

0
2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018

Abb. 8.56 Wärmepumpenmarkt Österreich (Daten nach [8.27])


8 Nutzung von Umgebungswärme 791

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Nutzung tiefer geothermischer Systeme
9
Sebastian Janczik, Martin Kaltschmitt, Ben Norden und Lucas Sens

Neben der Sonnenenergie und der aus der Massenanziehung und Bewegung von Him-
melskörpern resultierenden Energie zählt auch die im Erdinneren gespeicherte Wärme zu
den regenerativen Energiequellen. Diese geothermische Energie kann mit Hilfe offener
und geschlossener Systeme nutzbar gemacht werden.

 Unter offenen Systemen sind Konzepte zu verstehen, mit denen die im tiefen Unter-
grund ggf. vorhandenen Tiefenwässer gefördert, als Energieträger genutzt (d. h. ab-
gekühlt) und anschließend wieder in den Untergrund verpresst werden (d. h. das im
Untergrund natürlicherweise vorhandene Tiefenwasser dient als Wärmeträgermedium
für den Transport der Erdwärme nach Übertage). Ist der Wassergehalt im Untergrund
zu gering für eine aus techno-ökonomischer Sicht ausreichende Förderung, kann auch
Oberflächenwasser in den Untergrund gepumpt und dort erwärmt werden, wenn ein
entsprechend großer Wärmeübertrager im Untergrund vorhanden ist; dabei vermischt
es sich mit den im tiefen Untergrund bereits vorhandenen Wässern. Anschließend wird
diese Mischung aus erwärmtem Oberflächen- und Tiefenwasser wieder nach Übertage
gefördert. Voraussetzung für ein derartiges Konzept ist, dass das geothermische Spei-
chergestein eine ausreichende Durchlässigkeit (Permeabilität) aufweist; dies muss ggf.
zuvor durch entsprechende technische Maßnahmen (z. B. Fracen) sichergestellt wer-
den. Charakteristisch für derartige Systeme ist immer, dass sie „offen“ sind bezüglich
des Untergrunds und damit das geförderte Geofluid im direkten Kontakt mit dem Ge-
stein bzw. den darin enthaltenen Poreninhaltsstoffen steht bzw. mit diesen identisch ist
(d. h. Stoffaustausch und Wärmeübertrag).

Autoren in alphabetischer Reihenfolge mit Beiträgen zum Kapitel; die Autorenzuordnung geht aus
den einzelnen Unterkapiteln hervor.
Sebastian Janczik, Bützow, Deutschland
Martin Kaltschmitt, Lucas Sens, Hamburg, Deutschland
Ben Norden, Potsdam, Deutschland

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 793
M. Kaltschmitt, W. Streicher, A. Wiese (Hrsg.), Erneuerbare Energien,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-61190-6_9
794 S. Janczik et al.

 Als geschlossene Systeme werden Konzepte bezeichnet, bei denen von Übertage ein
Wärmeträgermedium (z. B. aufbereitetes Wasser (d. h. entionisiertes Wasser mit Kor-
rosionsinhibitoren, wie es beispielsweise auch in Fernwärmenetzen eingesetzt wird))
in einem geschlossenen Kreislauf durch die warmen oder heißen Gesteinsschichten
des tiefen Untergrunds geleitet wird, sich dabei erwärmt und dadurch diese thermische
Energie für eine übertägige technische Nutzung verfügbar macht. Hier kommt es im
Unterschied zu den offenen Systemen nicht zu einem unmittelbaren Kontakt zwischen
dem Wärmeträgermedium und dem Gestein (d. h. Wärmeträgermedium und Porenin-
haltsstoffe sind nicht identisch). Das eingesetzte Wärmeträgermedium dient nur zum
Transport der geothermischen Wärme und steht nicht im hydraulischen Kontakt mit den
im Untergrund ggf. vorhandenen Tiefenwässern (d. h. kein Stoffaustausch, sondern nur
ein Wärmeübertrag).

Damit kann bei geschlossenen Systemen konzeptbedingt nur der jeweils am Standort
zur Verfügung stehende geothermische Wärmestrom (er beträgt im Mittel für die Konti-
nente etwa 65 mW/m2 ; Kapitel 2.7) technisch nutzbar gemacht werden. Deshalb haben
derartige Systeme zur Nutzung geothermischer Energie i. Allg. nur sehr geringe thermi-
sche Leistungen in der Größenordnung von bis zu maximal 1 MW. Im Unterschied dazu
kann mit offenen Systemen zusätzlich zum geothermischen Wärmestrom die im Unter-
grund u. a. in den dort ggf. vorhandenen Poreninhaltsstoffen gespeicherte Wärme z. T.
nutzbar gemacht werden (d. h. zusätzlich zum geothermischen Wärmestrom kann – ver-
gleichbar zu einem bergmännischen Abbau von Rohstoffen – die im Untergrund gespei-
cherte Energie genutzt („abgebaut“) werden); daraus resultieren Systeme mit thermischen
Leistungen im oberen einstelligen und unteren zweistelligen MW-Bereich. Deshalb haben
offene im Vergleich zu geschlossenen Systemen bisher eine deutlich höhere Marktbedeu-
tung bei der Nutzung der tiefen Geothermie.
Ist die aus dem Untergrund entnommene Wärmemenge größer als die Wärmeneu-
bildungsrate (und das ist bei offenen Systemen sehr wahrscheinlich), kann sich nach
Betriebszeiten von mehreren Jahrzehnten an der Förderbohrung ein langsames Absin-
ken der Temperatur bemerkbar machen (dies gilt nicht bei geschlossenen Systemen, die
verfahrensbedingt – wenn sie nachhaltig betrieben werden – nur die terrestrische Wärme-
stromdichte nutzen (können) und damit auf Dauer (in der Theorie) die gleiche thermische
Leistung bringen). Die Nutzung geothermischer Wärmevorkommen mittels offener Sys-
teme ist daher – in menschlichen Zeiträumen betrachtet – nicht notwendigerweise regene-
rativ, da letztlich konzeptbedingt mehr Wärme aus dem Untergrund entnommen werden
kann (d. h. Wärme wird – bildlich gesprochen – ähnlich wie mineralische Rohstoffe „ab-
gebaut“) als natürlicherweise durch den geothermischen Wärmestrom nachfließt. Da sich
aber nach einer Einstellung des geothermischen Energieentzugs der abgekühlte Unter-
grund im Verlauf von Jahrhunderten bis Jahrtausenden durch den natürlichen Wärmestrom
aus dem Erdinnern thermisch zwingend regeneriert, wird auch die Nutzung der Energie
des tiefen Untergrunds mittels offener Systeme i. Allg. zu den regenerativen Energien ge-
zählt und als nachhaltig bezeichnet.
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 795

Bei derartigen offenen Systemen kann konzeptbedingt zwischen hydrothermalen und


petrothermalen Systemen unterschieden werden [9.34].

 Bei der hydrothermalen Geothermie wird die geothermische Wärme dem tiefen Un-
tergrund primär zusammen mit dem in dem porösen und permeablen Tiefengestein
natürlicherweise enthaltenen heißen Fluid (z. B. flüssiges Wasser, Wasserdampf) ent-
nommen. Die hydrothermale Geothermienutzung funktioniert damit vom Grundsatz
her wie ein Thermalwasserbrunnen; dies gilt trotz der Tatsache, dass das (abgekühlte)
Tiefenfluid (d. h. nach der energetischen Nutzung) typischerweise erneut in den produ-
zierenden Horizont u. a. zur Druck- und Massenerhaltung injiziert wird. Entsprechend
dieser Definition zählt zur hydrothermalen Geothermie damit auch die Förderung von
trockenem heißen Dampf oder von Dampf-Wasser Gemischen (Nassdampf); eine sol-
che Förderung eines Hochenthalpiefluids ist aber in Mitteleuropa – mit ganz wenigen
Ausnahmen (Toskana / Italien) – aus geologischen Gründen kaum möglich.
 Bei petrothermalen Systemen erfolgt die Nutzbarmachung der Erdwärme aus dem
tieferen Untergrund (nahezu) unabhängig von Wasser-führenden Horizonten. Die kon-
zeptionelle Idee ist hier eine (weitgehend) Standort-unabhängige Nutzbarmachung der
– in (nahezu) beliebig tiefen Gesteinsformationen mit z. T. geringer Porosität und ggf.
sehr kleiner Permeabilität vorhandenen – thermischen Energie. Dazu muss dieser Ge-
steinshorizont durch eine Stimulation (z. B. Fracen) aufgeschlossen und dadurch ein
technisch nutzbarer Wärmeübertrager im tiefen Untergrund geschaffen werden.

Als Oberbegriff, der vom Grundsatz her sowohl hydrothermale als auch petrotherma-
le Systeme umfasst, gewinnt der Ausdruck Enhanced Geothermal Systems (EGS) immer
mehr an Bedeutung. Darunter werden grundsätzlich – unabhängig von den Untergrundei-
genschaften – stimulierte geothermische Systeme verstanden. Da auch bei „klassischen“
hydrothermalen Systemen häufig in der einen oder anderen Form Stimulationsmaßnah-
men zur Verbesserung der förderbaren Tiefenwassermengen (d. h. der Schüttung) – und
damit der Wirtschaftlichkeit der entsprechenden Anlagen – realisiert werden, scheint sich
dieser Begriff sukzessive durchzusetzen.

9.1 Physikalische Grundlagen

Ben Norden und Martin Kaltschmitt

Um die Nutzung geothermischer Energie sicher planen, nachhaltig gestalten und zugleich
kostengünstig durchführen zu können, müssen die physikalischen Grundlagen des Wär-
metransportes im Untergrund bekannt sein. Geothermische Anlagen, bei denen offene
Systeme umgesetzt werden, greifen, in welcher Form auch immer, in den Untergrund ein,
indem sie im Verlauf des Nutzungszeitraums physikalische Grundgrößen wie beispiels-
weise Temperatur oder Druck verändern. Diese Änderungen können dann im bewirtschaf-
796 S. Janczik et al.

tetem System Folgereaktionen zwischen dem Reservoirgestein und dem mineralisierten


Geofluid sowie auch den verbauten Anlagenkomponenten der geothermischen Installation
auslösen. Dazu zählen beispielsweise Mineralumbildungen und -lösungen im Tiefenge-
stein, neue Mineralausfällungen im Reservoir oder innerhalb obertägiger Anlagenkom-
ponenten, Entgasungen aus dem Fluid durch Druckentlastung (Übertage) oder Korrosion
von Anlagenkomponenten. Diese Änderungen können einen massiven Einfluss auf den
Betrieb der geothermischen Anlage und damit auf die Wirtschaftlichkeit der Nutzung der
geothermischen Ressource haben.
Deshalb werden im Folgenden zunächst wesentliche thermische Grundlagen disku-
tiert, die den Wärmetransport im Untergrund bestimmen. Danach werden die physika-
lisch-hydraulischen Eigenschaften der Gesteine sowie relevante physikalisch-chemische
Aspekte der Geofluide (Tiefenwässer) näher vorgestellt.

9.1.1 Wärmeübertragung im Gestein

In Gesteinen lassen sich im Wesentlichen drei Arten des Wärmetransports unterscheiden:


konduktive Wärmeleitung, konvektiver Wärmetransport und Wärmestrahlung. Für diese
verschiedenen Optionen werden nachfolgend die jeweiligen Grundlagen diskutiert.

Konduktive Wärmeleitung Die konduktive Wärmeleitung bezeichnet in der Geother-


mie im Wesentlichen den Wärmetransport über feste Körper und damit über das Gestein.
Dabei sind aus physikalischer Sicht zwei Prozesse wirksam.

 Wärmeleitung erfolgt über frei vorhandene Valenzelektronen, die nur lose an den Ato-
men, aus denen die jeweiligen Gesteine bestehen, gebunden sind. Diese können ver-
gleichsweise leicht bewegt werden und dadurch kinetische Energie transportieren. Die-
se Art der Wärmeleitung wird Elektronenleitung genannt und ist z. B. in Metallen sehr
effektiv wirksam; dies erklärt deren hohe Wärmeleitfähigkeit. Diese Wärmeleitung ist
aber auch in Flüssigkeiten wirksam; sie ist hier jedoch lange nicht so effektiv.
 Wärme wird auch über die Atome eines Festkörpers weitergeleitet. Die Atome befin-
den sich dabei in einer bestimmten Anordnung (Gittergeometrie), ohne jedoch in ihrer
Position völlig fixiert zu sein; mit zunehmender Temperatur bewegen sie sich immer
mehr (d. h. sie vibrieren). Dadurch wird ebenfalls Wärme übertragen.

Zusammengenommen stellt die konduktive Wärmeleitung somit eine diffusive Art des
Wärmetransportes dar, in der Moleküle (eines Festkörpers) die kinetische Energie über
die Kollision mit anderen Molekülen weiterleiten.

Fourier’sche Gesetz der Wärmeleitung Existiert ein Temperaturgradient in einem Körper,


wird sich die Wärmeenergie nach dem 2. Hauptsatz der Thermodynamik von der Region
der höheren Temperatur zu der Region mit der niedrigeren Temperatur ausbreiten. Die
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 797

Tabelle 9.1 Mittlere Wär- Sedimentgesteine


meleitfähigkeitsbereiche Dolomit 3,6–4,7 W/(m K)
ausgewählter Gesteinsar- Kalkstein 2,3–3,4 W/(m K)
ten [9.35]
Sandstein 2,5–3,7 W/(m K)
Tonstein ca. 2,0 W/(m K)
Magmatische Gesteine
Basalt 1,7–2,0 W/(m K)
Granit 3,1–3,5 W/(m K)
Diorit 2,5–2,9 W/(m K)
Gabbro ca. 2,6 W/(m K)
Metamorphe Gesteine
Gneiss 1,4–3,7 W/(m K)
Quarzit 5,0–5,3 W/(m K)
Schiefer 2,9–3,8 W/(m K)

durch die dabei stattfindende Wärmeleitung übertragene Wärmeleistung kann mithilfe des
Fourier’schen Gesetzes beschrieben werden. Demnach verhält sich die Wärmeleistung QP
(d. h. der Wärmefluss pro Einheitsfläche und -zeit) an einem Punkt in einem Körper direkt
proportional zu dem vorhandenen Temperaturgradienten. Wird beispielsweise ein zylin-
drischer Körper betrachtet, der an seinen Enden die konstante Temperatur 1 (wärmeres
Ende) bzw. 2 (kälteres Ende) aufweist (1 > 2 ) und wird angenommen, dass entlang sei-
P
ner Länge keine seitlichen Verluste auftreten, ist der Nettobetrag des Wärmestroms (Q),
der innerhalb einer gewissen Zeit t den Körper passiert, direkt abhängig von der Tempera-
turdifferenz zwischen den Enden (1  2 ), der Querschnittsfläche des Zylinders (A), dem
betrachteten Zeitraum (t) und invers abhängig von der Länge des Körpers (x). Es gilt
Gleichung (9.1).
1  2
QP D  A t (9.1)
x

Der Operator der Proportionalität  wird als Wärmeleitfähigkeit bezeichnet. Dabei


ist die Wärmeleitfähigkeit von Gesteinen aufgrund ihres Schichtenaufbaus in der Regel
richtungsabhängig. Darüber hinaus ist die Wärmeleitfähigkeit eine temperatur- und druck-
abhängige Materialeigenschaft. Sie kann über verschiedene Messverfahren bestimmt wer-
den.
Tabelle 9.1 zeigt beispielhaft mögliche Wärmeleitfähigkeiten einiger ausgewählter Ge-
steinsarten. Demnach können sich je nach Gesteinsausprägung die Wärmleitfähigkeiten
auch innerhalb einer Gesteinsart sehr stark unterscheiden; mögliche Einflussgrößen sind
z. B. unterschiedliche Mineralgehalte, Korngrößen und -orientierungen sowie Unterschie-
de in den Porositäten. Die in Tabelle 9.1 aufgeführten Werte sind daher nur als eine erste
Orientierung anzusehen; eine individuelle Gesteinsprobe einer bestimmten Gesteinsart
kann deutlich abweichende Werte aufweisen. Gase und Flüssigkeiten besitzen damit im
Vergleich zu festen Stoffen, wie es Gesteine darstellen, deutlich geringere Wärmeleitfä-
798 S. Janczik et al.

higkeiten; beispielsweise beträgt die Wärmeleitfähigkeit (unter Normalbedingungen) von


Wasser ca. 0,6 W/(m K) und von Luft etwa 0,026 W/(m K).
Wird die in Gleichung (9.1) dargestellte Beziehung auf ein Tiefenprofil in der Erdkrus-
te übertragen, wird der Temperaturgradient ((1  2 )/x) als (vertikaler) geothermischer
Gradient (d=dz, mit z als Tiefenachse) bezeichnet. Da die Temperatur mit der Tiefe
zunimmt, erfolgt der Wärmefluss vom Inneren der Erde nach außen. Daraus folgt Glei-
chung (9.2).
1 d QP d
 D  D qz (9.2)
A dt dz
Dabei stellt qz den vertikalen Anteil des Wärmestroms und  die Wärmeleitfähigkeit
dar. A ist wieder die Querschnittsfläche des betrachteten Zylinders. Damit kann der ter-
restrische Wärmetransport unter konduktiven und stationären Bedingungen beschrieben
werden.
Bei dynamischen Prozessen, beispielsweise durch den Aufstieg heißer Gesteinsmas-
sen oder der Wärmeentnahme aus dem Untergrund durch eine geothermische Nutzung,
ändern sich jedoch die Temperaturen im betrachteten Körper. Die Größe der Temperatur-
änderung () ist dabei primär abhängig von der Größe der beeinflussenden Wärmequelle
bzw. -senke (H), der Dauer der thermischen Beeinflussung (t) und von dem Energiebe-
trag, der notwendig ist, um die Temperatur des betrachteten Körpers zu erhöhen oder zu
erniedrigen. Dieser Betrag ist eine materialabhängige Eigenschaft und wird als Wärmeka-
pazität (C) bezeichnet. Es gilt Gleichung (9.3).

H t D C  (9.3)

Mit der spezifischen Wärmekapazität cp (d. h. der Wärmemenge, die benötigt wird, um
beispielsweise die Temperatur eines Einheitskörpers mit einer Einheitsmasse um eine Ein-
heitstemperatur zu erhöhen) lässt sich Gleichung (9.3) umformulieren zu Gleichung (9.4).
d
H D cp  V (9.4)
dt
Dabei ist  die Dichte und V das Volumen des betrachteten Körpers. Übertragen auf
eine geothermische Anwendung wird das Volumen V durch die Fläche des Körpers (A)
und seiner vertikalen Ausdehnung (der Tiefe z) beschrieben. Daraus folgt Gleichung (9.5).
H d
D cp  z (9.5)
A dt
Die linke Seite der Gleichung (9.5) beschreibt dabei die Wärmeenergie pro Fläche und
damit den Wärmefluss. Betrachtet man nun nur einen sehr kleinen Teil des Körpers (z),
dessen Temperatur sich ändert, wird jeweils ein geringer Teil des Wärmeflusses (Q) P
absorbiert oder emittiert. Dann gilt Gleichung (9.6).
d QP d
D cp  (9.6)
dz dt
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 799

Mit jQj D  ddz


ergibt sich die Wärmegleichung für den eindimensionalen Fall; sie
kann entsprechend Gleichung (9.7) geschrieben werden.

d  d 2
D (9.7)
dt cp p dz 2

In der Gleichung (9.7) stellt der Term (/(cp p)) die thermische Diffusivität des Kör-
pers dar. Dabei handelt es sich um eine physikalische Größe, welche die Schnelligkeit
kontrolliert, mit der sich die Wärme durch das betreffende Material ausbreitet. Da die
Temperatur sowohl von der Tiefe z als auch von der Zeit t abhängig ist, kann Gleichung
(9.7) als partielle Differentialgleichung geschrieben werden (Gleichung (9.8)).

@ @2 
D 2 (9.8)
@t @z

Gleichung (9.8) wird in dieser Form häufig als Fourier-Gleichung (engl. heat-flow
equation) bezeichnet.

Radioaktiver Zerfall Die meisten Gesteine der oberflächennahen Erdkruste beinhalten


gewisse Anteile radioaktiver Elemente, die bei ihrem natürlichen Zerfall Wärme freiset-
zen. Diese internen Wärmequellen führen dazu, dass weniger externe Wärmeenergie zum
Erhöhen der Temperatur eines Körpers (hier: des Gesteins) benötigt wird als ohne interne
Wärmequellen. Damit kann Gleichung (9.8) ergänzt werden zu Gleichung (9.9).

@ @2  AHP
D 2 C (9.9)
@t @z cp 

Die Wärmeproduktion AHP kann dabei über verschiedene Methoden messtechnisch


bestimmt werden. Eine Möglichkeit besteht in der Messung der Konzentrationen der na-
türlichen radioaktiven Elemente Uran, Thorium und Kalium [9.36] im jeweiligen Gestein.
Danach gilt für die Wärmeproduktion aus den Elementgehalten Gleichung (9.10). In die-
ser Zahlenwertgleichung (Gleichung (9.10)) sind  die Dichte (in kg/m3 ) sowie cU , cTh
und cK die Konzentrationen von Uran (U), Thorium (Th) und Kalium (K) in ppm (cU , cTh )
bzw. in % (cK ).

AHP ŒW=m3  D 105  .9;52 cU C 2;5 cT h C 3;48 cK / (9.10)

Messungen der Gammastrahlung, wie sie beispielsweise bei der Bohrlochgeophysik


durchgeführt werden, eignen sich ebenfalls zur Abschätzung der radiogenen Wärmepro-
duktion, da sowohl die Wärmeproduktion als auch die gesamte Gammastrahlung GR
(bestimmt als sogenannte Gamma Ray oder GR-Bohrlochmessung) Summenfunktionen
der radioaktiven Zerfälle der Uran- (U), Thorium- (Th) und Kalium(K)-Reihe darstellen.
Aufgrund empirischer Untersuchungen [9.37] gilt dann die Zahlenwertgleichung (9.11)
800 S. Janczik et al.

Tabelle 9.2 Mittlere Wärme- Sedimentgesteine


produktionsraten ausgewählter Dolomit 0,4 W/m3
Gesteinsarten [9.35] Kalkstein 0,6–1,0 W/m3
Sandstein 0,3–1,6 W/m3
Tonstein 1,8–5,5 W/m3
Magmatische Gesteine
Basalt 0,2–1,0 W/m3
Granit 0,7–7,7 W/m3
Diorit 0,2–2,5 W/m3
Gabbro 0,1–0,7 W/m3
Metamorphe Gesteine
Gneiss 1,4–3,7 W/m3
Quarzit ca. 0,3 W/m3
Schiefer 1,8–5,5 W/m3

für Bohrlochmessungen der Radioaktivität. Dabei muss die gesamte Gammastrahlung GR


in API-Einheiten in diese Zahlenwertgleichung eingesetzt werden. Tabelle 9.2 zeigt Band-
breiten der Wärmeproduktionsraten für exemplarisch ausgewählte Gesteinstypen.

AHP ŒW=m3  D 0;0158.GRŒAP I   0;8/ (9.11)

Für den dreidimensionalen Fall kann Gleichung (9.9) in die anderen Raumrichtungen
erweitert werden. Diese Form dieser Gleichung wird auch als dreidimensionale Wärme-
gleichung oder Fourier-Biot-Gleichung bezeichnet. Daraus lassen sich je nach zutreffen-
der Situation die entsprechend gültigen Beziehungen ableiten; sie sind für den eindimen-
sionalen Fall in Tabelle 9.3 aufgeführt.
Der größte Anteil des Wärmetransports in der Erdkruste erfolgt über Konduktion. Bei
Kenntnis der thermischen Eigenschaften (der repräsentativen Wärmeleitfähigkeit  und
der radiogenen Wärmeproduktion AHP ) sowie der entsprechenden Randbedingungen (z. B.
Jahresdurchschnittstemperatur 0 und der Wärmestromdichte an der Oberfläche qs ) wer-

Tabelle 9.3 Eindimensionale Sonderfälle der dreidimensionalen Wärmegleichung


     
Fourier-Biot-Gleichung (drei- ı ı ı ı ı ı ı
dimensionale Wärmegleichung)  C  C   c D AHP
ıx ıx ıy ıy ız ız ıt
 2 
Stationär (D=dt D 0) @
(Poisson-Gleichung)  C AHP D 0
@z 2
 2 
Transient, ohne Wärmeproduktion @ @
(Diffusionsgleichung)  2
D c
@z @t
Stationär, ohne Wärmeproduktion @2 
(Laplace-Gleichung) D0
@z 2
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 801

den durch doppelte Integration Temperaturtiefenprognosen mit Hilfe einer numerischen


Lösung der Poisson-Gleichung (Tabelle 9.3) möglich. Damit kann z. B. die Temperatur 
an der Unterkante einer Schicht mit konstanter Wärmeleitfähigkeit  und konstanter ra-
diogener Wärmeproduktion AHP bestimmt werden (Gleichung (9.12)). Auf dieser Basis
lässt sich die konduktiv bedingte Temperaturzunahme in der Erdkruste sequentiell (von
Schicht zu Schicht) berechnen.

z2 qs
 D AHP Cz C 0 (9.12)
2 
Konvektiver Wärmetransport Ein konvektiver Wärmetransport findet über die Bewe-
gung eines Mediums statt, das die thermische Energie mitführt. Beispielsweise können
Grundwasserströmungen (oder allgemeiner: sich bewegende Flüssigkeiten und Gase) fla-
chere, kältere Gesteinsschichten, die sie durchströmen, aufwärmen. Grundsätzlich kann
hierbei zwischen freier und erzwungener Konvektion unterschieden werden.

 Bei der freien Konvektion bestimmt ein Temperaturunterschied die damit verbundenen
Dichteunterschiede.
 Bei der erzwungenen Konvektion wird die Strömung durch einen dominanten Druck-
unterschied bestimmt.

Da die Wärmekonvektion schnell verläuft, sind die Temperaturgradienten innerhalb


der konvektiven Strömung in der Regel nicht sehr groß und werden bei der Berechnung
des Wärmetransports oftmals vernachlässigt. Beim Übergang von einer festen zu einer
fluiden Phase ist jedoch häufig ein deutlicher Temperaturgradient feststellbar. Da sich die
Moleküle der fluiden Phase frei bewegen können, kann die Wärme im Übergangsbereich
zum Festkörper schnell abgeführt werden (oder zugeleitet werden, wenn das Fluid heißer
als das Gestein ist).
Die Wärmleitfähigkeit nach Gleichung (9.1) reicht dabei als Proportionalitätsoperator
für die Beschreibung des Übergangs nicht mehr aus, da nun auch die Dicke bzw. Breite
der Übergangsschicht im Fluid berücksichtigt werden muss. Daher wird ein zusätzlicher
Koeffizient, der Wärmeübergangskoeffizient ˛, eingeführt. Dieser Koeffizient ist keine
Materialkonstante, sondern stark abhängig von der Art der Fluidbewegung (laminar oder
turbulent) und der Strömungsgeschwindigkeit. Außerdem wird der Wärmeübergang be-
stimmt von der Oberflächenbeschaffenheit.
Die entsprechende Wärmeübertragung QKonv kann mit Gleichung (9.13) beschrieben
werden. Dabei ist AK die betrachtete Kontaktfläche. Fluid ist die Temperatur des Fluids
und Körper die des Gesteins. t ist die betrachtete Zeitspanne.
 
QKonv D ˛ AK Fluid  Körper t (9.13)

Die Wärmeübergangskoeffizienten ˛ verschiedener Stoffe überdecken eine sehr gro-


ße Bandbreite. Beispielsweise liegt er für ruhende Luft bei 3 bis 30 W/(m2 K) und für
kondensierendes Wasser bei 6 000 bis 17 000 W/(m2 K) (Tabelle 9.4).
802 S. Janczik et al.

Tabelle 9.4 Wärme- Ruhende Luft 3–30 W/(m2 K)


übergangskoeffizienten Bewegte Luft 10–250 W/(m2 K)
ausgewählter Stoffe Strömendes Wasser 600–6 000 W/(m2 K)
(verschiedene Quellen)
Siedendes Wasser 250–7 000 W/(m2 K)
Kondensiertes Wasser 6 000–17 000 W/(m2 K)
Tropfenkondensation bis 45 000 W/(m2 K)

Wärmestrahlung Wärmstrahlung spielt bei den Wärmetransportvorgängen in der Erd-


kruste nur eine untergeordnete Rolle. Aus physikalischer Sicht handelt sich bei der Wär-
mestrahlung (Radiation) um elektromagnetische Strahlung, die ein Körper auf Grund
seiner Temperatur aussendet. Im Gegensatz zur Wärmeleitung und -konvektion ist der
Wärmetransport durch Wärmestrahlung nicht an Materie gebunden; beispielsweise wird
Energie auch durch leere Räume in Form von elektromagnetischen Wellen übertragen.
Ein Beispiel ist die Strahlungsenergie der Sonne, welche die Temperaturen an der Erd-
oberfläche beeinflusst. Innerhalb der Erde spielt die Wärmestrahlung als wesentlicher
Wärmetransportmechanismus nur für die sehr heißen Bereiche des Erdkerns und des un-
teren Mantels eine signifikante Rolle. Damit ist dieser Wärmetransportvorgang für die
Geothermie aber nur von sehr untergeordneter Bedeutung.

9.1.2 Physikalisch-hydraulische Gesteinseigenschaften

Für die Bewertung und Nutzung geothermischer Energie ist neben der Kenntnis des vor-
herrschenden terrestrischen Wärmeflusses auch eine ausreichende Kenntnis der thermi-
schen und hydraulischen Gesteinseigenschaften von Nutzhorizont (Reservoir) und be-
nachbarter Tiefenhorizonte notwendig. Fragen, die dadurch beantwortet werden können,
sind u. a. wie gut die Wärme über die Tiefengesteine (Reservoir und umgebendes Gestein)
konduktiv an eine potenzielle Förderbohrung herangeführt und wie gut das Tiefenflu-
id (als Wärmeübertragermedium) aus dem geothermischen Reservoir gewonnen werden
kann. Daher sollten neben den thermischen Eigenschaften (u. a. Wärmeleitfähigkeit, Wär-
mekapazität, Wärmestromdichte, Temperaturgradienten) standortabhängig weitere Eigen-
schaften wie Dichte, Porosität, Durchlässigkeit, elektrische Leitfähigkeit, akustische Ei-
genschaften und der Speicherkoeffizient untersucht werden bzw. bekannt sein.
Die jeweiligen Gesteinseigenschaften werden bestimmt durch die entsprechende che-
mische Zusammensetzung des Festkörpers und seinem jeweiligen Anteil am Gestein, dem
entsprechenden Anteil und Inhalt (der Füllung) vorhandener Poren sowie den vorherr-
schenden physikalischen Randbedingungen. Wesentliche Gesteinseigenschaften können
wie folgt festgelegt werden.

 Die Gesteinsdichte ist definiert als Masse pro gesamter Gesteinsvolumeneinheit (also
der Gesteinsmatrix mit Poren bzw. Porenfüllung) (Gesamtdichte). Beispielsweise wei-
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 803

sen Sandsteine je nach Porosität oftmals eine Gesteinsdichte von 2 100 bis 2 600 kg/m3
auf, während Kalksteine häufig dichter sind (2 300 bis 2 800 kg/m3 ).
 Die Porosität eines Gesteins ist eng mit der Eigenschaft der Dichte verwandt. Dabei
werden mehrere Porositätsarten unterschieden; nachfolgend werden wesentliche Arten
definiert. Daneben werden weitere Porositäten (u. a. die Kluftporosität) unterschieden,
die aber einen jeweils anderen räumlichen Bezug haben.
– Die Gesamtporosität ist definiert als das Verhältnis von dem insgesamt in einem
Gestein vorhandenen Porenvolumen zu dem gesamten Gesteinsvolumen.
– Die effektive Porosität beschreibt nur das Verhältnis der miteinander verbundenen
Poren zum Gesamtvolumen.
– Die Totporosität umfasst nur die nicht verbundenen Poren (und damit den nicht
zugänglichen Porenraum) im Verhältnis zum Gesamtvolumen.
 Die mit der Porosität verbundenen strukturellen Eigenschaften des Gesteins spielen
insbesondere für die Betrachtung möglicher Wechselwirkungen zwischen Gestein und
Tiefenfluid eine wesentliche Rolle.
– Die spezifische Oberfläche ist definiert als das Verhältnis zwischen der inneren
Oberfläche der Poren zu dem Matrixvolumen. Sie bestimmt die Reaktionsfläche für
mögliche chemische und elektrische Gesteinswechselwirkungen.
– Die am Festkörper wirkenden Oberflächenspannungen und -energien beeinflussen
u. a. das Rückhaltevermögen von Stoffen. Die Kapillardrücke an den Porendurch-
gängen haben beispielsweise einen starken Einfluss auf das frei verfügbare Wasser;
d. h. mit dieser Größe können z. B. Durchlässigkeiten abgeschätzt werden.
– Die Ionenaustauschkapazität beschreibt die Eigenschaft elektrisch geladener Ober-
flächen, Ionen binden zu können.

Nachfolgend werden für die geothermische Wärmenutzung wesentliche Gesteinseigen-


schaften vertieft.

Hydraulische Durchlässigkeit Die hydraulische Durchlässigkeit ist eine gesteinsspezi-


fische Größe, welche die Verhältnisse der Poren und ihrer Anordnung widerspiegelt. Als
beschreibende Kenngrößen werden die intrinsische Permeabilität und der Durchlässig-
keitskoeffizient unterschieden.

 Die intrinsische Permeabilität ist unabhängig von den Fluideigenschaften und wird in
m2 oder in Darcy (1 D D 9;87  1013 m2 ) angegeben. Die Durchlässigkeit eines Ge-
steins wird über das Darcy-Gesetz definiert (Gleichung (9.14)). Dabei bedeuten QP das
absolute Abflussvolumen pro Zeit, A die Querschnittsfläche und h/l der hydrauli-
sche Gradient (d. h. das Verhältnis von Potenzialhöhen zur Durchflusslänge).
 
Q h
D kf (9.14)
A l
804 S. Janczik et al.

 Der Koeffizient der Durchlässigkeit kf ist von den Poreneigenschaften des Gesteins
und den Fluideigenschaften der Poreninhaltsstoffe abhängig. Es gilt Gleichung (9.15).
K ist die intrinsische Permeabilität, Fl die Fluiddichte,
Fl die dynamische Viskosität
des Fluids und g die Erdbeschleunigung.
 
F l
kf D K g (9.15)

F l

Die Permeabilität natürlicher Gesteine deckt eine weite Bandbreite ab (Abb. 9.1). In
Abhängigkeit von den jeweiligen geologischen Standortbedingungen lässt sich für ein
Reservoir ein spezifischer individueller Zusammenhang zwischen Porosität und Permea-
bilität bestimmen. Dies ist von Vorteil, da die Bestimmung der Permeabilität mit deutlich
mehr Aufwand verbunden ist als die Abschätzung bzw. die Bestimmung der Porosität. In
sogenannten hydraulischen Tests (d. h. in Bohrungen durchgeführte Beobachtungen von
Förder- und / oder Injektionsraten und den dazugehörigen Absenkungen bzw. Wasserspie-
gelanstiegen) wird zunächst eine Durchlässigkeit bestimmt, die abhängig von der Dicke
des Aquifers (d. h. seiner Mächtigkeit h) ist. Diese Profildurchlässigkeit wird Transmis-
sivität T genannt. Ist ein Aquifer homogen aufgebaut, gilt T D kf h. Lassen sich im
Aquifer einzelne Zonen unterschiedlicher Mächtigkeit (hi ) und Durchlässigkeit (kf ;i ) un-
terscheiden, gilt Gleichung (9.16).
X
T D kf;i hi (9.16)

MAGMATITE &
METAMORPHITE
Ungeklüftet Geklüftet

Verkarsteter Kalkstein SEDIMENTE


Festgestein

Kalkstein

Sandstein
Tonstein

Ton
Lockergestein

Ø bis 0,002 mm Silt


Ø 0,063 – 0,002 mm Sand
Ø 2 – 0,063 mm Kies
Ø 63 – 2 mm

Tonige Böden Sandige Böden BÖDEN

Tight Gas-Reservoire Erdgas-Reservoire Aquifere RESERVOIRE


Abdeckergesteine Erdöl-Reservoire

10-9 10-7 10-5 10-3 0,1 10 103 105


Permeabilität in Darcy

Abb. 9.1 Permeabilitätsbereiche natürlicher Gesteine und einiger Reservoirtypen (verändert und
ergänzt nach [9.35])
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 805

Tabelle 9.5 Elektrische Eigenschaften einiger Porenfluide [9.35]


Fluid Widerstand Leitfähigkeit
Regenwasser 300–2 000  m 0,0005–0,003 S/m
Grundwasser 5–300  m 0,003–0,2 S/m
Meerwasser 0,18–0,22  m 4,5–5,5 S/m
Mineralwasser 0,5–1,0  m 1,0–2,0 S/m
Tiefenwasser 0,049–0,95  m 1–20 S/m

Produktivitätsindex Um die Förderleistung eines geothermischen Brunnens einschät-


zen und eine möglicherweise über die Zeit stattfindende Änderung seiner hydraulischen
Eigenschaften messen zu können, wird der Produktivitätsindex PI bestimmt. Dieser er-
gibt sich durch die Relation zwischen der Förderrate Q zur gemessenen Druckabsenkung
p. Durch den Produktivitätsindex PI werden auch die Eigenschaften miterfasst, die sich
durch den Ausbau einer Bohrung und seiner hydraulischen Anbindung an das Reservoir
ergeben. Stellt man folglich eine Änderung im Produktivitätsindex PI fest, kann dies auf
Prozesse hinweisen, welche die Durchlässigkeit beeinflussen (u. a. Mineralneubildungen,
Transport von Feinstpartikeln).

Elektrische Gesteinseigenschaften Die meisten Minerale und Gesteine sind ausgespro-


chene Nichtleiter. Ausnahmen bilden Graphit, Pyrit oder Tonminerale. Auch sind Tie-
fenwässer in der Regel elektrisch leitend (Tabelle 9.5). Der elektrische Widerstand des
wassergesättigten Gesteins verhält sich daher proportional zum elektrischen Widerstand
des Porenfluids. Deshalb eignen sich elektrische Messungen auch, um die Porosität oder
die Fluidsättigung eines Gesteins zu untersuchen. Dabei sind aber die elektrischen Flu-
ideigenschaften stark temperaturabhängig. Diese Eigenschaft wird beispielsweise in der
geothermischen Exploration bei der Durchführung und Interpretation von elektrischen
Messkampagnen, die von der Oberfläche ausgeführt und mehrere Kilometer tief reichen
können, ausgenutzt.

Akustische Gesteinseigenschaften Akustische Signale werden im Gestein über Kom-


pressions- und Scherwellen (letztere nicht in Flüssigkeiten) transportiert. Das Verhältnis
dieser beiden Wellengeschwindigkeiten wird allein durch die Poissonzahl definiert. Sind
die Geschwindigkeiten der Ausbreitung dieser Wellen (die Kompressionswellengeschwin-
digkeit vP und die Scherwellengeschwindigkeit vS ) und die Gesteinsdichte  bekannt sind,
lassen sich mechanische bzw. elastische Eigenschaften des jeweiligen Gesteins berechnen;
es gelten die Gleichungen (9.17) und (9.18). ist die Poissonzahl, E das Elastizitätsmodul,
k das Kompressionsmodul und  das Schermodul.
s s
E 1 k C .4=3/ 
vP D D (9.17)
 .1 C / .1  2 / 
r s
 E 1
vS D D (9.18)
  2.1 C /
806 S. Janczik et al.

Einen großen Einfluss auf die Kompressionsgeschwindigkeit vP hat die Porosität.


Durch eine empirische Beziehung ist es daher möglich, bei bekannten Fluid- und Matrix-
geschwindigkeiten die Porosität P abzuschätzen. Es gilt die Wyllie- oder Zeitmittel-Glei-
chung mit P D .tP tP;Ma /=.tFl tP;Ma /; tP;Ma ist die Kompressionswellenlaufzeit
der Matrix und tFl die des Porenfluids. Typische Werte für Sandstein sind z. B. 182 s/m
und für Salzwasser 607 s/m.
Das Verhalten der elastischen (akustischen) Wellen ist abhängig von der mineralogi-
schen Zusammensetzung des Gesteins, seiner Verfestigung und der Art der Kornverbin-
dung (Zementation), dem Porengehalt und der Porengeometrie sowie den herrschenden
Druck- und Temperaturbedingungen.

Geomechanische Gesteinseigenschaften Bei der Betrachtung tiefer geothermischer Po-


renspeicher ist die Kenntnis der geomechanischen Eigenschaften, insbesondere seiner
Kompressibilität, für die Abschätzung des effektiv verfügbaren Speicherraums notwendig.
Dieser Zusammenhang wird über den Speicherkoeffizienten S ausgedrückt und ist abhän-
gig von der spezifischen Dichte des Fluides  ( g), der Gesteinskompressibilität ˛, der
Kompressibilität des Fluides ˇ und der effektiven Porosität ˚eff . Es gilt Gleichung (9.19).
 
S D  ˛ C ˚eff ˇ (9.19)

Demnach verringert sich bei höherem absolutem hydrostatischem Druck der Speicher-
raum; d. h. der Speicherkoeffizient S wird niedriger. Und je kleiner S wird, desto größer
muss bei einer bestimmten Entnahmemenge die Fläche des Entnahmetrichters sein. Die
Speichereigenschaften können sich also dynamisch verändern. Dies hängt u. a. von der
Änderung des Spannungsfeldes z. B. durch große Entnahmemengen ab; u. a. auch deshalb
wird in der geothermischen Nutzung des tiefen Untergrunds mithilfe eines Dublettenbe-
triebs auf eine Druckhaltung im Untergrund geachtet.

Thermische Gesteinseigenschaften Für die thermische Charakterisierung beispielswei-


se des flacheren Untergrundes (z. B. bei der Auslegung von Erdwärmesonden) können
Bestimmungen der Wärmeleitfähigkeiten an einzelnen Bodenproben sehr stark von den
tatsächlichen (effektiven) thermischen Eigenschaften abweichen. Im flachen Untergrund
spielt vor allem die Lagerungsdichte und Porosität sowie die Wasserführung eine prägende
Rolle. Diese Einflüsse werden am besten durch Feldexperimente berücksichtigt (Ther-
mal Response Test bei Erdwärmesonden), bei denen eine bestimmte Wärmemenge dem
Untergrund zugeführt wird. Ausgehend davon werden die Temperaturänderungen (durch
Austausch mit dem Untergrund) aufgezeichnet und danach können die thermischen Eigen-
schaften des Untergrundes und der thermische Bohrlochwiderstand ausgewertet werden.

Spannungs- und Stressregime im Gestein Insbesondere für Kluftspeicher (aber auch


für tiefere Reservoire) spielt die Kenntnis des Spannungs- und Stressregime im Unter-
grund eine wichtige Rolle. Dabei sind diese in der Erdkruste auftretenden Spannungen
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 807

ABSCHIEBUNG BLATTVERSCHIEBUNG AUFSCHIEBUNG

ORIENTIERUNG DER HAUPTSPANNUNG


σ1 = S V
σ2 = S V
σ1 = S H σ3 = S V σ2 = S H
σ2 = S H
Kompression
Extension
σ3 = S h σ1 = S h
σ3 = S h

BEVORZUGTE ORIENTIERUMG MÖGLICHER WEGSAMKEITEN

SH
Sh Sh

SH SH Sh

Abb. 9.2 Orientierung von Hauptspannungsrichtungen und Wegsamkeiten in der Erdkruste (zur
Erklärung der Formelzeichen siehe Text)

immer orientiert: eine Hauptspannungsrichtung ist immer senkrecht zur Erdoberfläche


(SV ), während die beiden übrigen Spannungsrichtungen mehr oder weniger horizontal aus-
gerichtet sind. Diese werden unterschieden in die maximale horizontale Hauptspannung
(SH ) und die minimale horizontale Hauptspannung (Sh ). In Abhängigkeit davon, welche
der Spannungen dominiert, bilden sich unterschiedliche Verformungen und Bruchmuster
aus. So kann es in Kompressionsregimen zu Überschiebungen (hier ist SH > Sh > SV ),
bei Extensionsregimen zur Abschiebung (hier ist SV > SH > Sh ) und bei Seitenverschie-
bungsregimen (hier ist SH > SV > Sh ) zur Blattverschiebung von Gesteinskörpern kommen
(Abb. 9.2). Erfahrungen aus der Grundwasserwirtschaft zeigen, dass auch die Grundwas-
serbewegungen immer in bevorzugten Richtungen stattfinden. Durchlässige Klüfte kön-
nen sich nämlich nur parallel zur maximalen Hauptspannung und senkrecht zur minimalen
Hauptspannung ausbilden (Abb. 9.2). Diese Erkenntnis kann z. B. für die Bohrpfadpla-
nung für tiefe geothermische Bohrungen berücksichtigt werden.

9.1.3 Physikalisch-chemische Aspekte der Geofluide

Die Tiefenfluide müssen umfassend charakterisiert werden, um einen sicheren Betrieb


geothermischer Anlagen sicherstellen zu können. Der Umfang der Untersuchungen richtet
808 S. Janczik et al.

sich dabei nach Art und Zusammensetzung der Tiefenwässer und der geplanten geother-
mischen Nutzung. Oftmals zeigen die (heißen) Tiefenwässer einen hohen Mineralstoff-
anteil und haben (auch aufgrund der in größeren Tiefen herrschenden höheren Drücke)
z. T. eine hohe Gassättigung. Die meisten physikalisch-chemischen Reaktionen von Tie-
fenwässern finden sehr schnell statt.
Ein wichtiger Aspekt zur Beschreibung von Fluiden ist das Reaktionsgleichgewicht.
Unter gegebenen Druck- und Temperaturbedingungen und der jeweiligen Konzentration
werden zwei Ionen C und D miteinander reagieren und die Ionen Y und Z erzeugen:
C C D • Y C Z. Die Lage dieser Gleichgewichtsreaktion (ob mehr Ausgangs- oder
Reaktionsprodukte vorliegen) wird durch die Gleichgewichtskonstante (Verhältnis der
Produkte zu den Edukten) beschrieben. Einen Sonderfall der Gleichgewichtskonstante für
feste Stoffe, die in einer wässrigen Lösung gelöst werden können, stellt die Löslichkeits-
konstante K L dar. Diese gibt die Konzentration einer gesättigten wässrigen Lösung (für
bestimmte Druck- und Temperaturbedingungen, meist für Laborbedingungen von 25 ı C
und 1,013 bar) an. Hohe Löslichkeitskonstanten bedeuten, dass es sich um ein leicht lösli-
ches Salz und niedrige Löslichkeitskonstanten, dass es sich um ein schwer lösliches Salz
handelt. Die Löslichkeitskonstanten werden dabei für eine Komponente (z. B. Karbonat,
CaCO3 • Ca2C C CO2 3 ) angegeben. Das Verhalten von derartigen Ein-Stoff-Kompo-
nentensystemen ist in der Regel gut untersucht und voraussagbar. In der Realität stellen
geothermische Fluide jedoch häufig komplexe Multi-Komponentensysteme dar, und das
Verhalten der einzelnen Stoffe unter den komplizierten, sich dynamisch ändernden physi-
kalisch-chemischen Rahmenbedingungen ist nicht immer stimmig vorhersehbar.
Zu einer geothermischen Fluidanalyse gehört daher zunächst die Ermittlung der grund-
sätzlichen Fluidparameter der Lagerstätte: Temperatur, Druck, Dichte, Viskosität, Kom-
pressibilität und Wärmeleitfähigkeit. Die Fluiddichte gibt dabei erste Hinweise auf die
mögliche Gesamtmineralisation, die über eine Bestimmung der Kationen und Anionen,
vorhandener dissoziierter Komponenten sowie des Gasgehaltes und der -zusammenset-
zung genauer bestimmt wird. Physikalisch-chemische Eigenschaften wie die elektrische
Leitfähigkeit oder der pH-Wert (Maß für den sauren bzw. basischen Charakter der wäss-
rigen Lösung) und das Redoxpotenzial (als Summe aller Redoxreaktionen innerhalb der
Lösung ein guter Indikator für Veränderungen) geben Hinweise auf die Stabilität von Ver-
bindungen. Ein wichtiger Indikator ist auch der Mineralsättigungsindex (SI). Dieser wird
bestimmt aus der Messung der Ionenkonzentration C und der Ionenaktivität a (die von
der Ionenkonzentration abhängig ist: a D f C mit f als dem Aktivitätskoeffizienten) und
dem daraus gebildeten Ionenaktivitätsprodukt IAP, das in Relation mit dem Löslichkeits-
produkt der Verbindung gesetzt wird (Gleichung (9.20)).

SI D log .IAP=KL / (9.20)

Bei hohen Salinitäten ist das Ionenaktivitätsprodukt (IAP) niedriger als das Löslich-
keitsprodukt (K L ). Ist der Mineralsättigungsindex SI kleiner als Null, dann geht die Ver-
bindung in Lösung. Beträgt der SI demgegenüber genau Null, befindet sich die Lösung
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 809

mit dem Mineral im Gleichgewicht. Und ist der SI größer als Null, kommt es zur Mine-
ralausfällung.
Die geochemische Charakterisierung hat dabei zum Ziel, mögliche Effekte von Än-
derungen der Druck- und Temperaturbedingungen auf die Stabilität der geothermischen
Anlagenkomponenten, wie den thermischen Fluidkreislauf und die Reinjektion von Flu-
iden sicherzustellen. Computerprogramme können helfen, den chemischen Zustand ei-
nes Thermalwassers mit dem theoretischen Gleichgewichtszustand zu vergleichen und
so möglicherweise zu erwartende unerwünschte Änderungen mit geeigneten Maßnah-
men begegnen zu können. Neben den natürlichen Komponenten gehören für eine sichere
Nutzung auch Untersuchungen zur Stabilität der Tiefenwässer und von möglichen elek-
trochemischen Wechselwirkungen dieser Wässer mit verbauten Komponenten wie Rohre,
Wärmeübertrager und Ventile.

9.2 Systemtechnische Beschreibung

Sebastian Janczik und Martin Kaltschmitt

Im Folgenden werden zunächst die wesentlichen Konzepte dargestellt, mit denen die
Energie des tiefen Untergrundes genutzt werden kann; dabei wird zwischen offenen und
geschlossenen Systemen unterschieden. Anschließend werden die Verfahren und Techno-
logien für den Speicheraufschluss (d. h. Bohrtechnik, Stimulation) und die der energeti-
schen Nutzbarmachung der Thermalwässer diskutiert.

Offene Systeme Bei offenen Systemen wird das Thermalwasser aus einem Speicherge-
stein / Speicherhorizont im Untergrund über mindestens eine Förderbohrung nach Über-
tage gefördert und in der Regel durch mindestens eine Verpress- oder Injektionsbohrung
wieder in die gleiche Gesteinsschicht / den gleichen geothermischen Horizont eingeleitet.
Das Wiedereinbringen der energetisch genutzten Thermalwässer in die (gleiche) Unter-
grundschicht ist i. Allg. notwendig, um die Druckverhältnisse im tiefen Untergrund zu
bewahren und die Massenbilanz nicht nachhaltig zu stören. Zudem können die geförder-
ten Thermalwässer sehr salz- bzw. mineralhaltig sein; unter diesen Bedingungen können
sie Übertage nicht oder nur mit einem entsprechend großen Aufwand entsorgt werden.
Besteht eine geothermische Energiewandlungsanlage aus jeweils einer Förder- und ei-
ner Injektionsbohrung, spricht man von einer Dublette (Abb. 9.3). Werden Kombinationen
aus zwei Förder- und einer Injektions- oder zwei Injektions- und einer Förderbohrung rea-
lisiert, wird dies als Triplette bezeichnet. Zusätzlich sind grundsätzlich auch noch größere
Systeme (z. B. zwei Förder- und zwei Injektionsbohrungen, sog. Bohrlochfelder) mög-
lich. Derartige größere Konzepte wurden in Deutschland aber bisher aus Kostengründen
(noch) nicht realisiert, sind aber bei den entsprechenden geologischen Bedingungen (d. h.
ausreichend große Aquiferspeicher oder aus techno-ökonomischer Sicht sinnvoll nutzba-
rer Gesteinsformationen) grundsätzlich umsetzbar.
810 S. Janczik et al.

Abb. 9.3 Aufbau einer Strom


Dublette mit Speicherhori- Wärme
(Kälte)
zont (grau), Förderbohrung
(links), Wärmeübertrager,
Systemkomponente(n) zur
Wärme-, Strom- und / oder
Kältebereitstellung sowie In-
jektionsbohrung (rechts)

Ob die dazu benötigten Bohrungen nahezu senkrecht von zwei Lokationen, wie in
Abb. 9.3 schematisch dargestellt, oder abgelenkt von einer Bohrlokation aus abgeteuft
werden, ist eine Frage der übertägigen logistischen Gegebenheiten und somit der Mi-
nimierung des ökonomischen Aufwandes und damit der Investitionen für die gesamte
geothermische Energieanlage; d. h. dies ist mit wenigen Ausnahmen keine grundlegende
konzeptionelle Frage. Werden z. B. die Förder- und Injektionsbohrung jeweils als Ablenk-
bohrungen von einer Lokation aus niedergebracht, kann die übertägige Trassenführung
auf ein Mindestmaß reduziert werden; dafür steigen unter diesen Bedingungen dann aber
die Bohrkosten.
Losgelöst davon ist die Frage zu beantworten, wie das geothermische System möglichst
optimal erschlossen werden kann, um bei den gegebenen geologischen Bedingungen eine
möglichst hohe Förderrate zu erreichen (z. B. direkte Speicherdurchteufung, Speichersti-
mulation, Horizontalbohrung im Speicher).
In der Regel nutzt eine Dublette (oder Triplette) den gleichen Gesteins- bzw. Spei-
cherhorizont im tiefen Untergrund. Wenn dies die geologischen Bedingungen zulassen
(u. a. entsprechende Gesteinsschichten sind vorhanden und es gibt keine Probleme mit
der Druckhaltung und der Erhaltung der Massenbilanz), sind aber auch Systeme denkbar,
welche aus einer Gesteinsschicht Thermalwässer fördern und in eine andere wieder inji-
zieren (Abb. 9.4, links). Bei einem derartigen Konzept kann dann theoretisch die Förder-
mit der Injektionsbohrung identisch sein; z. B. wird dann im inneren Teil einer derarti-
gen Sonde das Thermalwasser gefördert und im äußeren Ringraum wieder zurück in den
Untergrund verbracht (Abb. 9.4, Mitte). Derartige Zwei-Schicht-Konzepte wurden aber
bisher – zumindest in Deutschland – noch nicht realisiert.
Zusätzlich zu diesen Ein-Bohrloch-Konzepten sind auch solche in der Diskussion, bei
denen der Injektions- und Förderhorizont zwar in unterschiedlichen Tiefen lokalisiert ist,
beide Horizonte aber über eine künstlich geschaffene (und / oder ggf. natürlicherweise
vorhandene) Verbindung (d. h. einen Frac) miteinander verbunden sind (Abb. 9.4, rechts).
Beispielsweise kann dann in eine Schicht Wasser injiziert werden und aus einem anderen
Horizont das dann erwärmte Fluid gefördert werden. Ist die Aufschlussbohrung ausrei-
chend dimensioniert, kann das Verpressen und das Fördern zudem mit einer einzigen
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 811

Förderbohrung Förderung Förderung

Injektionsbohrung
Injektion Injektion

künstlich
geschaffener
Riss

Abb. 9.4 Möglichkeiten der Thermalwassererschließung in unterschiedlichen Horizonten

Bohrung realisiert werden. Derartige innovative Konzepte sind aber noch in der Entwick-
lung und eine kommerzielle Umsetzung ist in den kommenden Jahren nicht zu erwarten.

Geschlossene Systeme Bei geschlossenen Systemen zirkuliert ein Wärmeträgermedium


in einem geschlossenen Kreislauf. Damit ist die Basisidee derartiger Erdwärmenutzungs-
konzepte, die geothermische Wärme im tiefen Untergrund auf ein Wärmeträgermedium
zu übertragen und mit dessen Hilfe nach Übertage zu transportieren. Dabei werden Durch-
flusssysteme und Systeme mit Rezirkulation unterschieden.

 Durchflusssysteme. Bei Durchflusssystemen wird der Untergrund mittels zweier Boh-


rungen erschlossen, die sich dann im Untergrund treffen und dadurch einen Fluss des
Wärmeträgermediums von Übertage durch den Untergrund (d. h. in der entsprechenden
Tiefbohrung) und erneut nach Übertage ermöglichen sollen (Abb. 9.5, links). Damit be-
steht kein direkter Kontakt zwischen dem Wärmeträgermedium und dem Untergrund;
vergleichbar zu den Rezirkulationssystemen wird die geothermische Wärme über Wär-
meleitung aus dem Gebirge zum Wärmeträgermedium transportiert. Im Vergleich zu
den Systemen mit Rezirkulation ist aber die mit Durchflusssystemen realisierbare ther-
mische Leistung höher, da die nutzbare Oberfläche, auf der die geothermische Wärme
dem Untergrund entzogen werden kann, potenziell entsprechend größer ist. Aufgrund
der erheblichen bohrtechnischen Herausforderungen – und den damit sehr hohen In-
vestitionen – wurde diese Option bisher noch nicht umgesetzt.
 Rezirkulationssysteme. Bei den Systemen mit Rezirkulation wird – vergleichbar zu
den Sonden zur Nutzung der oberflächennahen Geothermie (Kapitel 8.2) – ein Wär-
meträgermedium in einer Tiefbohrung bis zum Bohrlochtiefsten gepumpt und in der
gleichen Bohrung wieder nach Übertage geleitet (z. B. durch den Ringraum zwischen
dem Gebirge und dem Förder- bzw. Innenrohr in den Untergrund und in dem gut isolier-
ten Innenrohr wieder zurück nach Übertage; Abb. 9.5, rechts). Das durch die Bohrung
strömende Wärmeträgermedium (z. B. Wasser mit Korrosionsinhibitor) steht dabei nur
812 S. Janczik et al.

3 – 5 km

10 – 15 km

Abb. 9.5 Möglichkeiten zur Erschließung des tiefen Untergrunds mittels geschlossener Systeme
(Durchflusssysteme (links) und Rezirkulationssysteme (rechts))

mittelbar (d. h. über die Verrohrung und die Zementation) mit dem Untergrund in Kon-
takt (deshalb: geschlossenes System). Auf der Mantelfläche der Bohrung nimmt es über
Wärmeleitung von Gebirge zu dem Wärmeträgermedium den natürlichen geothermi-
schen Wärmestrom auf und macht ihn dadurch technisch nutzbar.

9.2.1 Erschließung geothermischer Systeme

Für eine Energiebereitstellung aus tiefer Geothermie müssen die in Frage kommenden
geothermischen Lagerstätten zunächst aufgesucht, erschlossen und für eine energetische
Nutzung verfügbar gemacht werden. Entsprechende Verfahren und die dabei genutzten
Techniken und Komponenten werden nachfolgend beschrieben (vgl. [9.2]).

9.2.1.1 Exploration
Ziel der Exploration ist es, ein möglichst detailliertes Wissen über die Struktur des tie-
fen Untergrunds zu erlangen, um einen vielversprechenden Standort für eine Anlage zur
Nutzung geothermischer Energie zu identifizieren.
In einem ersten Schritt werden hierzu zunächst Literaturrecherchen und bereits durch-
geführte Untersuchungen bzw. vorliegende Studien detailliert analysiert. Werden ausge-
hend davon erfolgversprechende Lokationen ermittelt, werden dann i. Allg. geophysikali-
sche Verfahren durchgeführt; derartige Methoden erlauben es, ein verlässliches Bild des
Aufbaus des Untergrundes zu erarbeiten.
Das „klassische“ geophysikalische Explorationsverfahren ist die Seismik. Bei diesem
Verfahren werden gezielt Schallwellen – z. B. über Rüttelfahrzeuge oder ggf. über lo-
kale Sprengungen – in den tieferen Untergrund eingeleitet. Diese Schallwellen werden
dann an den unterschiedlichen Gesteinsschichten, aus denen der Untergrund aufgebaut
ist, z. B. aufgrund einer unterschiedlichen mineralogischen Zusammensetzung, verschie-
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 813

denartig reflektiert. Die Übertage messbaren Schallreflektionen können dann entlang einer
beliebigen Messlinie mit im Boden verankerten Geophonen aufgezeichnet werden.
Für die Durchführung derartiger seismischer Messungen sind zunächst die benötigten
Genehmigungen (u. a. Bergamt, Straßenbehörden, Betretungserlaubnis der Grundbesit-
zer) einzuholen. Dann müssen u. a. die Linienführung und die einzelnen Messparameter
(Punktabstände, Aufnehmerkanäle usw.) anhand u. a. von Satellitenbildern, Karten und
Geländebegehungen genau festgelegt werden.
Nach der messtechnischen Erfassung der aus dem Untergrund zurückkommenden
Schallreflektionen erfolgt eine softwaregestützte Auswertung dieser Vielzahl an Mess-
werten. Auch müssen u. a. andere Schallereignisse herausgefiltert und eine entfernungs-
abhängige Korrektur der Messwerte vorgenommen werden. Die nach einer derartigen
Dateninterpretation erhaltenen Ergebnisse werden dann mit ggf. bereits vorhandenen
Daten des tiefen Untergrundes abgeglichen. Dadurch kann dann letztlich ein detailliertes
zwei- und in einem weiteren Schritt auch dreidimensionales Abbild des Aufbaus des
Untergrunds (d. h. Struktur- und Blockmodelle) erarbeitet werden.
Aufbauend auf einem derartigen Modell des Untergrunds können Gesteinsschichten
identifiziert werden, die aus Sicht einer geothermischen Nutzung potenziell vielverspre-
chend sind. Bei diesem Interpretationsprozess werden oftmals zusätzliche Daten und In-
formationen verwendet, die ggf. mit anderen geophysikalischen Verfahren (z. B. Mes-
sung des lokalen Magnetfeldes) erfasst wurden und / oder beispielsweise aus vorhandenen
Erdöl- oder Erdgasbohrungen (oder anderen Bohrungen) im näheren oder weiteren Um-
feld um die untersuchte Lokation bereits vorliegen. Das Ziel dieser Bemühungen ist es,
einen konkreten Standort zu identifizieren, der die geforderten geologischen Kenngrößen
(u. a. Temperatur, Porosität, Permeabilität, Poreninhaltsstoffe mit bestimmten Eigenschaf-
ten, Anschluss an eine Störungszone) für einen technisch sicheren und potenziell wirt-
schaftlichen Anlagenbetrieb bietet.

9.2.1.2 Tiefbohranlage
In der Regel werden geothermische Systeme mit den gleichen Techniken und Verfahren
erschlossen, wie dies auch bei der Erschließung von konventionellen Erdöl- und Erdgas-
vorkommen der Fall ist. Eine derartige Standard-Tiefbohranlage wird im Wesentlichen an
Hand der geplanten Endteufe (d. h. Endtiefe) sowie des Bohrlochenddurchmessers bzw.
die Abfolge der Bohrlochdurchmesser ausgelegt. Dabei wird der Bohrlochdurchmesser
typischerweise in Hinblick auf die später angestrebte Förderung der Thermalwassermenge
primär unter Kostenaspekten festgelegt. Ist das Bohrloch beispielsweise zu klein dimen-
sioniert, führt dies zu einer Einschränkung der späteren Produktionsrate, da dem auf-
wärtsströmenden Thermalwasser ein zu hoher Widerstand entgegengesetzt wird. Zu große
Bohrlochgeometrien sind dagegen oft sehr kostspielig und stellen damit ein entsprechend
hohes finanzielles Risiko dar.
Eine derartige Rotary-Bohranlage – und auch alle davon abgeleiteten Modifikationen
– ist mobil. Nach der Fertigstellung der Bohrung, Komplettierung und Umrüstung auf
814 S. Janczik et al.

den Förderbetrieb wird sie zu einer anderen Lokation transportiert. Die Wartungsarbeiten
während des Förderbetriebs werden dann über fahrbare Windeneinheiten durchgeführt.
Obwohl typischerweise eine für die Erbohrung von Erdöl oder Erdgas konzipierte
Bohranlage auch bei der Erschließung von Geothermievorkommen eingesetzt wird, kön-
nen die Anforderungen an die Bohrtechnik hier z. T. anders sein. Nachfolgend werden
einige dieser Unterschiede zum „klassischen“ Erbohren von Kohlenwasserstoffvorkom-
men diskutiert.

 Außer bei Druckwassersystemen werden fast alle geothermischen Bohrungen bei ei-
nem vergleichsweise niedrigen Gebirgsdruck abgeteuft.
 Die meisten geothermischen Bohrungen sind durch deutlich höhere Bohrlochtempera-
turen im Vergleich zu Erdöl- bzw. Erdgasbohrungen gekennzeichnet.
 Die, mit dem Ziel der Geothermienutzung, zu erbohrenden Gesteine können erupti-
ven oder metamorphen Ursprungs sein; d. h. eine geothermische Bohrung wird nicht
zwingend in Sedimenten abgeteuft.
 Im Bohrloch können mineralhaltige, aggressive Dämpfe und Flüssigkeiten vorhanden
sein, die originär aus dem Untergrund kommen.

Unabhängig davon erfolgt der Aufschluss eines geothermischen Systems häufig mit
dem Rotary-Bohrverfahren, welches durch die folgenden charakteristischen Eigenschaf-
ten gekennzeichnet ist.

 Das Bohrwerkzeug (d. h. der Bohrmeißel) erfährt durch die Bohranlage eine kontinu-
ierliche Drehbewegung.
 Das dafür benötigte Drehmoment wird übertägig mittels eines Drehtischs bzw. eines
Topdrives auf das Bohrgestänge und damit letztlich das Bohrwerkzeug übertragen.
 Der Bohrstrang kann prinzipiell beliebig verlängert oder verkürzt werden. Er ist hohl,
damit in seinem Innern die Bohrspülung ins Bohrlochtiefste gepumpt werden kann.
 Das Bohrwerkzeug bzw. der Bohrmeißel wird mit einem u. a. an die zu erbohrende
Formation und die Tiefe angepassten Druck an die Bohrlochsohle angepresst. Das dazu
erforderliche Gewicht wird durch Schwerstangen, die unmittelbar über dem Bohrwerk-
zeug angeordnet sind, aufgebracht.
 Ein kontinuierlicher Spülstrom sorgt für den Abtransport des Bohrkleins von der Bohr-
lochsohle und für die Kühlung des Bohrwerkzeugs. Der Spülstrom wird dabei durch
das hohle Gestänge (d. h. den Bohrstrang) zum Bohrwerkzeug geleitet und steigt mit
Bohrklein beladen im Ringraum zwischen den Bohrstrang und dem Gebirge wieder
nach Übertage. Zusätzlich muss die Spülung u. a. eine Abdichtung der Bohrung gegen
das Gebirge (durch die Bildung eines Filterkuchens) und eine Reduzierung der Reibung
zwischen Bohrstrang und Gebirge sicherstellen.

In Ergänzung zu der „klassischen“ Rotary-Bohranlage wurden in den vergangenen


Jahrzehnten eine Reihe technischer Modifikationen entwickelt, die unter bestimmten Be-
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 815

dingungen zum Einsatz kommen können. So kann der Bohrmeißel auch über einen Bohr-
lochsohlenantrieb (z. B. Bohrturbine, Moineaumotor) angetrieben werden; dadurch kann
das Bohrloch deutlich einfacher im Hinblick auf die Einhaltung bestimmter Zielkoordina-
ten, wie sie insbesondere bei gerichteten / abgelenkten Bohrungen sicher einzuhalten sind,
ausgerichtet werden.
Nachfolgend werden die unterschiedlichen Komponenten, durch die eine Tiefbohran-
lage gekennzeichnet ist, dargestellt.

Bohrplatzerstellung und -einrichtung Als Ergebnis der seismischen und weiterer geo-
physikalischer Analysen wird zunächst eine Bohrlokation definiert und der Bohrplatz her-
gerichtet. Hierzu muss ein Anschluss an die vorhandene Infrastruktur (u. a. Zufahrtswege,
Versorgungsleitungen für Energie (primär Strom) sowie Zu- und Abwasser) sichergestellt
werden.
In der Regel umfasst der Bohrplatz eine standardisierte Flächengröße, die u. a. von der
Bohrtiefe und damit der Auslegung der Bohranlage definiert wird. Auf dieser Bohrplatz-
fläche muss der Untergrund durch Aushub und Aufschüttung einer etwa 30 cm mächtigen
Kiesschicht vorbereitet werden. Der sogenannte innere Bereich eines derartigen Bohrplat-
zes (d. h. Fundamentbereich der Bohranlage einschließlich des gefährdeten Bereichs für
Kontamination mit Treibstoffen, Ölen, Spülung, Lagerstättenwässer usw.) wird zusätzlich
meist mit Beton oder Bitumen versiegelt, um ein mögliches Eindringen kontaminierter
Fluide in den Untergrund sicher zu verhindern.
Auch die technischen Einrichtungen eines Bohrplatzes sind standardisiert und werden
i. Allg. um das Bohrloch so angeordnet, dass ein störungsfreier und effizienter Arbeits-
ablauf gewährleistet ist. Zu den Hauptkomponenten zählen die Bohranlage mit Unterbau
und Mast, das Lager für das Bohrgestänge mit Gestängetisch und -wagen sowie der (Die-
sel-)elektrische Antrieb (Abb. 9.6). Ein Großteil der Fläche nimmt der Spülungskreislauf
mit Konditioniertanks, Rücklauf- und Ansaugtank sowie die Bohrklein-Separationsein-
richtungen und die Vorratscontainer und -silos für chemische Spülungszusätze, Schwer-
spat, Zement u. a. ein.

Übertägige Ausrüstung Die Hauptkomponenten einer Tiefbohranlage sind der Bohr-


mast, das Hebesystem, das Pipehandling-System zur mechanisierten Unterstützung beim
Ein- und Ausbau des Bohrgestänges, der Drehtisch oder der Kraftdrehkopf (Topdrive-
System) (oder der Bohrlochsolenantrieb), die Spülungspumpen, der Spülungskreislauf
und der Blow-Out-Preventer (Abb. 9.6). Die wesentlichen tiefenabhängigen Energiever-
braucher (u. a. Hebesystem, Spülungspumpen, Drehtisch oder Kraftdrehkopf (Topdrive-
System) (oder Bohrlochsolenantrieb), diverse Nebenaggregate) werden oft von einem
Diesel-elektrischen Antrieb versorgt (d. h. Diesel-getriebene Generatoren erzeugen elek-
trische Energie für den Betrieb der Tiefbohranlage); ist ein Anschluss an das Netz der
öffentlichen Stromversorgung mit einer entsprechend hohen elektrischen Leistung vor-
handen, kann auch ein ausschließlich elektrischer Antrieb realisiert werden; die für die
Bohrungsabteufung benötigte elektrische Energie stammt dann ausschließlich aus dem
816 S. Janczik et al.

Abb. 9.6 Schematischer Aufbau einer Rotary-Bohranlage


9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 817

Netz. Die Einrichtungen genügen den vier Grundoperationen beim Bohren: Heben, Dre-
hen, Spülen und Messen.
Nachfolgend werden die wesentlichen übertägigen Komponenten kurz dargestellt und
diskutiert.

Bohrmast Der Bohrmast dient u. a. dazu, den Bohrstrang im Verlauf der Bohrung zu fi-
xieren und bei einem Meißelaustausch zu „ziehen“; dazu befindet sich im Bohrmast ein
entsprechend dimensioniertes Hebesystem (siehe unten). Dazu werden heute Masthöhen
von bis zu 40 m bevorzugt. Sie erlauben es, bei einem Roundtrip (d. h. Ausbau des gesam-
ten Bohrgestänges, Austausch des Bohrmeißels, erneuter Einbau des gesamten Gestänges)
drei Bohrstangen mit je 9 m Länge in einem Stück zu „ziehen“, zu entschrauben und im
Turm abzustellen. Dadurch kann die für das Ein- und Ausbauen der Rohrtouren benötigte
Zeit im Vergleich zu einem Entschrauben jedes einzelnen Rohrstücks merklich reduziert
werden. Unter dem eigentlichen Bohrmast befindet sich ein Unterbau, dessen Höhe (12
bis 14 m) u. a. durch die Bauhöhe der Blow-Out-Preventer (BOP) Anlage bestimmt wird.

Hebesystem Das Hebesystem einer Tiefbohranlage besteht aus Hebewerk, Kronenblock,


Flaschenzug und dem Bohrhaken. Die Dimensionierung dieser Systemkomponente in Be-
zug auf die zu hebenden Lasten erfolgt anhand der schwersten Verrohrungstour unter
Berücksichtigung einer entsprechenden Sicherheitsmarge. Damit steigt die Leistung des
Hebesystemantriebs überproportional mit zunehmender Teufe.

Pipehandling-System Das Pipehandling-System dient dazu, den Bohrstrang beispielswei-


se beim Meißelwechsel teil- oder vollmechanisiert ein- bzw. auszubauen. Dazu werden
entsprechende Manipulatoren eingesetzt, die das Ent- und Verschrauben der einzelnen
Bohrstangen bzw. Gruppen von Bohrstangen übernehmen und dadurch das damit betraute
Personal von schwerer körperlicher Arbeit entlasten. Außerdem verfügen derartige Sys-
teme über eine Vorrichtung, durch die die einzelnen Teile des auseinander geschraubten
Bohrstrangs mechanisiert zwischengelagert werden, damit sie beim erneuten Zusammen-
schrauben wieder kontrolliert und zeiteffizient zusammengefügt werden können.

Drehtisch Der Drehtisch hat die Aufgabe, eine kontinuierliche Drehbewegung auf den
Bohrstrang zu übertragen und es gleichzeitig zu ermöglichen, dass der Bohrstrang dem
Bohrfortschritt folgen kann (d. h. der Bohrstrang muss sich trotz der Übertragung ei-
ner Drehbewegung vertikal bewegen können, damit der Bohrmeißel jederzeit auf dem
Bohrlochtiefsten aufliegen und damit dem Bohrfortschritt folgen kann). Diese deshalb rea-
lisierte formschlüssige Übertragung der Drehbewegung auf den Bohrstrang unter gleich-
zeitiger Ermöglichung eines vertikalen Vortriebs – und damit eines Bohrfortschritts – wird
realisiert durch die sogenannte Mitnehmer- oder Kellystange (d. h. Vier- oder Sechskant-
stange). Sie stellt die oberste Verbindung zwischen dem Bohrstrang und dem Drehtisch
dar (Abb. 9.6; siehe auch weiter unten). Damit ist der ohne Veränderungen am eigentlichen
Bohrstrang technisch mögliche Bohrfortschritt begrenzt auf die Länge dieser Mitnehmer-
818 S. Janczik et al.

oder Kellystange, die üblicherweise bei maximal 12 m liegt. Ist diese Länge abgebohrt,
muss der Bohrstrang um eine weitere Bohrstange verlängert werden und das Bohrloch
kann erneut um die Länge der Kellystange vertieft werden.
Um sicherzustellen, dass diese Aufgabe der Einbringung der Drehbewegung in den
Bohrstrang sicher erfüllt werden kann, müssen insbesondere beim Bohren im kristallinen
Grundgebirge – derartige Gesteinsformationen werden nur bei der Geothermie und nicht
beim Erbohren von Erdöl- oder Erdgaslagerstätten durchteuft – die Zahnräder, Ketten,
Wellen und Kupplungen auf hohe Belastungen durch starke Stöße und Drehmoment-
schwankungen ausgelegt sein. Unter diesen Bedingungen empfiehlt sich zur Absorption
der Meißelstöße und damit Dämpfung dieser Relativbewegungen zwischen Antrieb und
Drehtisch eine Flüssigkeitskupplung bzw. ein unabhängiger Drehtischantrieb.

Kraftdrehkopf (Topdrive-System) Außer über den Drehtisch und die Mitnehmer- bzw. Kel-
lystange kann der Bohrstrang auch über einen Kraftdrehkopf angetrieben werden. Dies ist
ein elektrisch oder hydraulisch angetriebener Motor, der in Kombination mit dem Bohrha-
ken an einer Lafette im Bohrmast montiert ist. Durch die Verbindung mit dem oberen Ende
des Bohrstranges wird es ermöglicht, die Drehbewegung des Stranges und die Vertikalbe-
wegung über die gesamte Fahrhöhe der Lafette zu kombinieren. Dies erlaubt ein deutlich
verbessertes bohrtechnisches Vorgehen insbesondere bei gebirgsbedingten Schwierigkei-
ten im Bohrloch. Üblicherweise umfasst eine derartige Lafette eine Länge von drei Bohr-
stangen (etwa 30 m), die dann „am Stück“ abgebohrt werden können (d. h. ohne eine Ver-
änderung am Bohrstrang vornehmen zu müssen). Damit sind moderne Anlagen mit Top-
drive-Antrieb in der Lage, Rotation und vertikale Bewegung in der maximalen Fahrhöhe
des Bohrmastes auszuführen. Im Vergleich zum „klassischen“ Rotary-Bohren mithilfe ei-
nes Drehtisches können damit die Rüstzeiten deutlich verkürzt und parallel dazu die Bohr-
zeiten erhöht werden; damit sind i. Allg. Kostenreduktionen verbunden.

Spülungskreislauf und Spülungspumpen Die Bohrspülung wird durch die Spülungspum-


pen über die sogenannte Steigleitung und den Rotaryschlauch durch den Spülkopf in
den als Hohlbohrstange ausgelegten Bohrstrang gedrückt (Abb. 9.7). Dann durchströmt
die Spülung den gesamten Bohrstrang bis ins Bohrlochtiefste und tritt unmittelbar am
Bohrmeißel durch Düsen aus. Bei diesem Austreten aus dem Bohrmeißel mit Spülungs-
geschwindigkeiten von 20 bis 40 m/s erfährt sie den größten Druckabfall. Dabei kühlt und
schmiert sie das Bohrwerkzeug. Außerdem sorgen die Düsen für eine turbulente Strö-
mung, die hilft, das durch das Bohrwerkzeug auf der Bohrlochsohle gelöste Bohrklein
aufzunehmen. Nach der Beladung mit dem Bohrklein steigt die Spülung im Ringraum
zwischen den Bohrstrang und dem Gebirge auf und tritt über Tage drucklos aus dem Bohr-
loch aus. Auf diesem Weg hilft die Bohrspülung auch, die Reibungsverluste des sich dre-
henden Bohrstrangs mit dem Gebirge zu reduzieren. Übertage wird das Bohrklein durch
Siebe, Desander, Desilter, Zyklone u. ä. aus der Spülung entfernt. Nach erneuter Konditio-
nierung (d. h. Anpassung der Eigenschaften an die jeweils aktuellen Anforderungen des zu
durchbohrenden Gebirges) wird die Spülung wieder in die Steigleitung gepumpt und der
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 819

Abb. 9.7 Spülungskreislauf einer Rotary-Bohranlage [9.2]

Kreislauf beginnt erneut. Das anfallende Bohrklein wird von den Feststoffkontrollgeräten
direkt in geeignete Transport-Container übergeben oder nach einer Zwischenlagerung in
abgedichteten Betonbecken über Muldenkipper zur Entsorgung transportiert.
Der von den Spülungspumpen aufzubringende Pumpendruck wird in Abhängigkeit von
Durchmesser und Tiefe der Bohrung, dem Bohrkleinmaterial und den im Kreislauf auf-
tretenden Druckverlusten eingestellt. Hohe Leistungen werden den Pumpen besonders bei
einem großen Durchmesser der Bohrung und hohen Spülungstemperaturen abverlangt, da
dann hohe Volumenströme benötigt werden, damit die Temperatur begrenzt werden kann,
da viele Spülungen bei höheren Temperaturen die gewünschten Eigenschaften verlieren.

Blow-Out-Preventer Der Blow-Out-Preventer (BOP) – in Deutschland bergbehördlich


für Bohrlöcher tiefer als 100 m vorgeschrieben – stellt den Abschluss der untertägigen
Einrichtungen dar; d. h. er wird auf das obere Ende der Tiefbohrung montiert (Abb. 9.6).
Dabei handelt es sich um eine wichtige Sicherheitseinrichtung, die ein unkontrolliertes
Austreten von Lagerstätteninhalt unter hohem Druck sicher verhindern soll.
Der Blow-Out-Preventer wird als Ring- und Backenpreventer ausgeführt und besteht
aus mindestens drei Schließorganen, wodurch das Bohrloch in jeder Betriebsphase sicher
abgesperrt werden kann.
820 S. Janczik et al.

An Blow-Out-Preventer, die bei geothermischen Bohrungen eingesetzt werden, werden


die folgenden speziellen Anforderungen gestellt:

 große Durchlässe für den Einbau von Casing-Touren mit großen Durchmessern,
 hohe Volumenströme an Flüssigkeiten,
 resistent gegen stark korrosive und abrasive Flüssigkeiten und
 hohe Temperaturbeständigkeit gegen Spülung oder austretenden Dampf.

9.2.1.3 Bohrtechnik
Der Bohrlochsohlendruck und die Temperatur im Bohrloch beeinflussen die untertägige
Bohrlochausrüstung merklich; dies gilt insbesondere für

 die Spülungseigenschaften,
 die Hydratationszeit des Zementes,
 die Expansion / Kontraktion jeglichen Stahls beim Bohren und Fördern,
 die Lebensdauer von Bohrmeißeln und Down Hole Motoren und
 die Einsetzbarkeit von Messgeräten und Sonderwerkzeugen.

Die Druck- und Temperatureinflüsse werden überlagert von möglichen Reaktionen des
durchbohrten Gesteinsmaterials. Abfolgen von Salz, Anhydrit und / oder Ton können sich
kriech- oder quellfähig verhalten und zu einer Verengung des Bohrlochs und zum Festset-
zen des Bohrstranges führen.
Als Bohrwerkzeug werden meist Dreikegel-Rollenmeißel und seltener Diamantbohr-
und Kernbohrwerkzeuge eingesetzt. Die Sicherung der gebohrten Strecke erfolgt ab-
schnittsweise durch Einbringen und Zementation von Futterrohren. Beide Aspekte werden
nachfolgend diskutiert. Unter bestimmten Bedingungen kann es sinnvoll sein, das Rotary-
Bohrverfahren z. B. durch den Einsatz von Bohrmotoren bzw. Bohrlochsolenantrieben zu
modifizieren. Dazu können entweder Turbinen (hydrodynamische Antriebe) oder Moi-
neaumotoren (hydrostatische Antriebe) eingesetzt werden. Auch die damit verbundenen
Möglichkeiten werden im Folgenden dargestellt.

Bohrstrang Der Bohrstrang besteht aus den Teilkomponenten Mitnehmerstange (Kelly-


stange (Abb. 9.6); nur beim „klassischen“ Rotarybohren), Bohrgestänge, Schwerstangen
und weiteren Bohrstrangelementen wie beispielsweise Stabilisatoren, Stoßdämpfern oder
Schlagschere.
Das Bohrgestänge bildet den wesentlichen Teil des Bohrstrangs. Es besteht aus etwa
9 m langen miteinander verschraubten einzelnen Stahlhohlrohren. Sie sind so ausgelegt,
dass sie den beim Bohren auftretenden dynamischen Zug-, Biege- und Torsionsbeanspru-
chungen standhalten. In ihrem Innern wird die Bohrspülung transportiert.
Die Übertragung des Drehmoments erfolgt beim „klassischen“ Rotarybohren über die
im Bohrstrang an oberster Stelle angeordnete Mitnehmerstange (Kellystange) (Abb. 9.8).
Dies ist eine maximal etwa 12 m lange Stange mit einem quadratischen, sechs- oder
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 821

Abb. 9.8 Exemplarischer


Aufbau eines Bohrstranges

achteckigen Querschnitt, die sich in axialer Richtung frei bewegen kann und durch den
Drehtisch der Rotary-Bohranlage formschlüssig in eine definierte Rotation versetzt wird.
Sie ist hohl, damit in Innern die Bohrspülung über den Spülkopf und den anschließenden
Bohrstrang bis zum Bohrmeißel gepumpt werden kann.
Während des Bohrvorganges werden zwischen dieser Mitnehmerstange und der obers-
ten Bohrstange weitere Bohrstangen nachgesetzt (Abb. 9.8). Dafür wird der Bohrprozess
unterbrochen und der Bohrstrang um die Länge der abgebohrten Stange angehoben.
Um den Bohrstrang unter Zugspannung halten und auf den Bohrmeißel eine definierte
Auflast geben zu können, sind im unteren Teil des Bohrstrangsystems (d. h. in der Nähe
des Bohrmeißels) besonders dickwandige Bohrstangen (sogenannte Schwerstangen) in-
stalliert (Abb. 9.8). Hier sind ebenfalls alle übrigen Bohrstrangelemente (u. a. Stabilisato-
ren, Räumer, Stoßdämpfer, Schlagschere, Mess- und Steuerelemente sowie ggf. Bohrloch-
sohlenantriebe) untergebracht. Stabilisatoren und Räumer sichern die Richtungsstabilität
des Bohrstranges. Weiterhin können eine unmagnetische Schwerstange zur Richtungskon-
822 S. Janczik et al.

trolle der Bohrung, ein Stoßdämpfer zur Dämpfung von Schlägen auf die Bohrstange und
eine Schlagschere, die helfen soll, einen eventuell festgesetzten Schwerstangenstrang zu
lösen, eingebaut werden. Stoßdämpfer und Schlagschere sind Spezialkonstruktionen, die
speziell auf die hohen Temperaturen bei Geothermalbohrungen angepasst werden müs-
sen [9.2].

Bohrwerkzeug Bohrwerkzeuge können als Rollenmeißel und als Diamantmeißel ausge-


führt werden. Ein derartiger Meißel ist stets optimal auf die Gesteinsbeschaffenheiten, die
Bohrlochsohlentemperaturen und die sonstigen die Gegebenheiten an der Bohrlochsohle
beeinflussenden Faktoren anzupassen. Dadurch sollen die Standzeiten maximiert und die
Kosten minimiert werden, da bei einem Bohrwerkzeugwechsel der gesamte Bohrstrang
aus- und wieder eingebaut werden muss.
Das Bohrwerkzeug ist ein Verschleißteil, das je nach den geologischen Bedingungen
einerseits und der Meißeltechnologie andererseits (z. B. polykristalline Diamantmeißel)
durch sehr unterschiedliche Standzeiten gekennzeichnet sein kann. Diese können von un-
ter 30 bis deutlich über 100 h reichen.
Rollenmeißel (Abb. 9.9) werden überwiegend als Drei-Kegel-Rollenmeißel mit gehär-
teten Stahlzähnen oder als Warzenmeißel mit Hartmetall- bzw. Wolframkarbideinsätzen
eingesetzt. Während der Drehung des Bohrstranges laufen die Kegel- oder Meißelrollen
selbständig auf der Bohrlochsohle ab; dadurch werden an den Kontaktstellen zwischen
Meißel und Bohrlochsohle hohe Druck- und Scherkräfte auf der Bohrlochsohle wirksam
(sie werden durch das Gewicht, das durch die Schwerstangen (Abb. 9.8) zusätzlich auf den
Bohrmeißel aufgebracht wird, noch verstärkt). Als Folge davon werden Gesteinsteilchen
aus dem Gesteinsverband herausgebrochen. Die Bohrspülung, die durch den Bohrstrang

Abb. 9.9 Beispiel für einen


Rollenmeißel (nach [9.38])
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 823

bis zum Meißel gepumpt wird, strömt durch den Rollenmeißel hindurch und tritt in der Nä-
he der Bohrlochsohle in das Bohrloch aus. Dabei kühlt sie das Bohrwerkzeug (insbeson-
dere die einzelnen Meißelrollen; Abb. 9.9), schmiert es und transportiert das Bohrklein,
das durch den Meißelbetrieb von der Bohrlochsohle gelöst wurde, vom Bohrlochtiefsten
durch den Ringraum zwischen Bohrstrang und Bohrungswandung bzw. Verrohrung nach
Übertage. Die Einsatzgrenze der Rollenmeißel liegt in einem Temperaturbereich von 200
bis 250 ı C. Höhere Temperaturen bewirken einen sehr schnellen Verschleiß der Lager und
der Stahlzähne bzw. der Wolframkarbideinsätze. Die Rollen- und Kugellager der Kegel-
rollen werden entweder durch die direkt durchtretende Spülung geschmiert oder aber in
gekapselter Form zwangsgeschmiert.
Diamantbohrwerkzeuge können demgegenüber bis zu einer Temperatur von rund
500 ı C eingesetzt werden. Sie zeigen i. Allg. längere Standzeiten im Vergleich zu Rol-
lenmeißeln. Zusätzlich ermöglichen sie höhere Drehzahlen. Auch können sie an die zu
bohrende Formation u. a. durch die Form der Diamantmeißel, die Anordnung und den
Querschnitt der Wasserwege, den Überstand der Diamanten (Exposure) sowie die Quali-
tät und Größe der Diamanten angepasst werden. Der höhere Preis von Diamantmeißeln
im Vergleich zu Rollenmeißeln kann z. T. durch die Einsparung von Roundtrips (d. h. ein
Meißelwechsel einschließlich dem vollständigen Aus- und Einbau des Bohrgestänges)
ausgeglichen werden; dies gilt insbesondere bei zunehmenden Teufen, da dann die Kosten
für Roundtrips deutlich zunehmen.
Der polykristalline Diamantmeißel (PCD-Meißel) ist eine Weiterentwicklung der
„klassischen“ Diamantmeißel. Hier werden aus synthetischen Diamanten Plättchen in
großer Härte hergestellt und auf Hartmetallzylinder aufgelötet. PCD-Bohrmeißel sind für
den Einsatz in weichen oder mittelharten Gesteinen geeignet; sie halten Temperaturen
von bis zu 700 ı C stand.

Bohrlochsohlenantriebe Die Meißeldrehbewegung kann außer durch den Drehtisch


auch über einen Meißeldirekt- oder Bohrlochsohlenantrieb realisiert werden, der in un-
mittelbarer Nähe des Bohrmeißels angebracht ist und i. Allg. mithilfe der Bohrspülung
betrieben wird. Dadurch können insbesondere bei tieferen Bohrlöchern die hohen Rei-
bungsverluste zwischen Gebirge und Bohrstrang, wie sie beim Rotary-Bohrverfahren
auftreten, vermieden werden, da der gesamte Bohrstrang weitgehend in Ruhe verbleibt.
Dies hat den zusätzlichen Vorteil, dass der stillstehende Bohrstrang auch ein gerichte-
tes Bohren ermöglicht. Technisch können derartige Meißeldirektantriebe u. a. mithilfe
von Bohrturbinen und Verdrängermotoren realisiert werden. Beide Varianten werden
nachfolgend kurz diskutiert.
Dabei überwiegt in der modernen Bohrtechnik der Einsatz von Verdrängermotoren im
Vergleich zu dem von Bohrturbinen. Durch die Drehmoment-Drehzahl-Charakteristik der
Verdrängermotoren, die durch ein hohes Drehmoment bei vergleichsweise geringen Dreh-
geschwindigkeiten gekennzeichnet ist, eignen sie sich i. Allg. besser beim Einsatz der
„klassischen“ Bohrmeißel im Vergleich zu den Bohrturbinen, die hohe Umdrehungen bei
einem relativ geringen Moment realisieren.
824 S. Janczik et al.

Abb. 9.10 Prinzip zweier Spülungsfluss


Meißeldirektantriebe (Bohrtur- Spülungsfluss

bine (links), Verdrängermotor Stator


(rechts)) [9.2]
Stator
Rotor

Rotor

Antriebswelle Antriebswelle

Bohrturbinen In einer Bohrturbine sind mehrere Stufen von Leit- und Laufrädern hinter-
einandergeschaltet. Die Laufräder werden durch die hindurchtretende Spülung bewegt und
übertragen über eine Welle das Drehmoment auf das Bohrwerkzeug, während die Leiträ-
der am Turbinengehäuse fixiert sind (Abb. 9.10, links). Befestigt wird die Turbine am
Ende des Bohrgestänges; dieses sorgt für den notwendigen Bohrandruck. Aufgrund der
i. Allg. hohen Drehzahlen werden beim Turbinenbohren bevorzugt Diamantmeißel einge-
setzt. Der Einsatz von Bohrturbinen bei der tiefen Geothermie ist in den letzten Jahren
allerdings rückläufig.

Verdrängermotoren Meißeldirektantriebe, die als Verdrängermotoren nach dem Moi-


neau-Pumpenprinzip arbeiten, haben die Bohrturbinen in den letzten Jahrzehnten zuneh-
mend verdrängt (Abb. 9.10, rechts). Hier bewegt sich ein spiralförmiger Vollstahlrotor
in elliptischen Bahnen in einem mit Kunststoff ausgekleideten Motorgehäuse mit spi-
ralförmigen Vertiefungen. Durch das zwischen Ein- und Ausgangsseite vorliegende
Druckgefälle wird die Bohrspülung durch die zwischen Rotor und Stator gebildeten
Kammern gedrängt und dadurch ein Drehmoment auf der Antriebswelle erzeugt. Im Un-
terschied zum Turbinenantrieb werden dabei eher moderate Drehzahlen erzeugt, die für
alle Meißelarten geeignet sind. Trotz der relativ niedrigen Drehzahlen werden vergleichs-
weise hohe Drehmomente erzeugt, die über den Spülungsstrom gesteuert werden können.
Der i. Allg. aus Gummi gegossene Stator ist unempfindlich gegen Verschmutzungen. Es
muss jedoch bei Temperaturen über 140 ı C aufgrund der dann gegebenen Instabilität des
Gummis durch Keramik oder Porzellan ersetzt werden; dies setzt dann wiederum eine
feststofffreie Spülung voraus.

Gerichtetes Bohren In den 1980er Jahren hat sich der steuerbare Meißeldirektantrieb
für gerichtetes Bohren und dabei zur Erstellung von Kurvensektionen, Tangenten und Ho-
rizontalen zum Bohrstandard entwickelt, da die Abteufung von Bohrungen mit langer
lateraler Reichweite mit der konventionellen Rotary-Bohrtechnik nicht umsetzbar ist.
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 825

Ein derartiges gerichtetes Bohren erfolgt damit mithilfe verschiedener Baugruppen:


Motorsektion zur Leistungserzeugung (typischerweise Moineaumotor, siehe oben), Ge-
lenkwelle zur Leistungsabführung aus der Motorsektion mit geradem oder gewinkeltem
Gehäuse, Lagersektion zur Führung der Meißelantriebswelle und Meißel. Daneben kön-
nen zusätzlich Bauteile wie By Pass Valve, zentrische und exzentrische Stabilisatoren,
Steuerrippen, Ablenkpads und Neigungsübergänge integriert sein. Mit diesen Komponen-
ten kann während des Bohrvorgangs steuernd Einfluss auf den Bohrverlauf genommen
werden. Damit können die Abweichungen des realen vom geplanten Bohrlochverlauf mi-
nimiert und ein genau vorgegebenes Zielgebiet in der Lagerstätte mit einer sehr hohen
Wahrscheinlichkeit getroffen werden.
Unterstützt wird das Bohren mit steuerbaren Systemen durch die Möglichkeit des Mea-
surement While Drilling (MWD; d. h. kontinuierliche Messung des Bohrlochverlaufs be-
züglich Richtung und Neigung während des Bohrvorgangs), das Logging While Drilling
(LWD; d. h. kontinuierliche Sammlung von Daten, welche die Gebirgseigenschaften be-
schreiben wie u. a. Porosität und Permeabilität) bzw. Formation Evaluation While Drilling
(FEWD; d. h. kontinuierliche Bestimmung der Gesteinsformationen) und die kabellose
Datenübertragungstechnik. Anhand dieser Messdaten ist es möglich, ohne eine zeitauf-
wändige Unterbrechung des Bohrens (d. h. übertägiger Umbau des Bohrstrangs) allein
durch Modifikationen des Meißeldirektantriebs eine Richtungsänderung der Bohrung vor-
zunehmen.
Diese Technik ermöglicht heute u. a. durch den Einsatz von Verdrängermotoren mit
Steuerrippen und einer entsprechenden Steuerelektronik das Abteufen von Richtbohrun-
gen, die in mehreren tausend Metern Tiefe bei einer Bohrungsablenkung in die Horizonta-
le das Erreichen eines Zielkorridors im Meterbereich erlauben. Typischerweise wird diese
Technik standardmäßig bei der Erschließung von Offshore-Öl- und Gasfeldern eingesetzt,
da hier das Kohlenwasserstoffvorkommen möglichst optimal ausgehend von der / den Off-
shoreplattform/en erschlossen werden muss.
Um eine gerichtete Bohrung noch präziser platzieren zu können, kommt heute meist
zusätzlich ein unmittelbar hinter der Bohrkrone angeordnetes aktiv steuerndes Zielbohr-
gerät (RSS) zum Einsatz (Abb. 9.11). Hier beeinflussen radial bewegliche Steuerkufen,
die gegen die Bohrlochwand drücken, den Bohrverlauf gezielt über eine entsprechende
Steuerhydraulik.
Dank der Richtbohrtechnik können heute horizontale Bohrstrecken in Tiefen von z. B.
5 000 m technisch erbohrt werden; d. h. Bohrungen können im Aquiferbereich schicht-
parallel abgelenkt und über Entfernungen von mehreren hundert Metern bis zu einigen
Kilometern innerhalb des Aquifers horizontal vorangetrieben werden. Die Zulaufstrecke
der Poreninhaltsstoffe, die bei senkrechter Durchdringung der Aquiferschicht – in Ab-
hängigkeit der Aquifermächtigkeit – häufig nur wenige zehn Meter beträgt, wird dadurch
vervielfacht. In einem mehr oder weniger homogenen Aquifer (z. B. Sandstein) erhöht
sich die Produktivität der Bohrung allein aufgrund dieses geometrischen Effekts deutlich;
sie nimmt jedoch nicht im Verhältnis der Zulaufstrecken zu, sondern deutlich schwächer.
Größere Effekte können demgegenüber in Kluft- oder Karstaquiferen erreicht werden, ins-
826 S. Janczik et al.

Abb. 9.11 Prinzip des RSS-


Tools [9.3]

besondere, wenn die Bohrung senkrecht zur Streichrichtung dieser Fließwege abgelenkt
wird. Man erhöht dadurch die Chance beträchtlich, hochergiebige Klüfte oder Karsthohl-
räume zu erbohren, und kann u. U. Produktivitätssteigerungen um eine Größenordnung
oder mehr gegenüber einer Vertikalbohrung erreichen.
Die Richtbohrtechnik kann auch als Sekundärmaßnahme nach dem Niederbringen und
dem erfolglosen Testen einer Vertikalbohrung eingesetzt werden. Die Vertikalbohrung
wird dazu i. Allg. im unteren Teil zementiert und meist aus der Verrohrung heraus seit-
lich abgelenkt.

Neue Bohrverfahren Da die Erdwärme vorwiegend in Gebieten mit geothermischen


Anomalien nutzbar gemacht wird und hier potenziell hohe Temperaturen vorzufinden
sind, müssen die Bohrungen auch – im Vergleich zu einer Erbohrung von Kohlenwas-
serstoffen – unter deutlich höheren Temperaturen abgeteuft werden können. Herkömmli-
che Bohrverfahren sind unter diesen Extrembedingungen oft kaum einsetzbar. Trotzdem
zeichnet sich für die Erschließung geothermischer Ressourcen, bei denen poröse Gesteins-
schichten durchteuft werden müssen, bisher keine marktnahe Alternative zum Rotary-
Bohren ab, da mit dieser Technik sehr viel Erfahrung vorliegt und es auch Modifikations-
und Anpassungsmöglichkeiten an die bei der Erschließung von Geothermievorkommen
gegebenen Randbedingungen gibt. Dies gilt – zumindest für die kommenden Jahre – aus
gegenwärtiger Sicht auch für das Bohren in Graniten und ähnlichen Gesteinen.
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 827

Bohrspülungen Die Bohrspülung, bei der es sich bei Tiefbohrungen ausschließlich um


Flüssigkeiten handelt, hat eine Vielzahl von Aufgaben. Damit die Bohrspülung diese Auf-
gaben wahrnehmen kann, muss sie besondere Eigenschaften aufweisen.

 Um die benötigte Pumpenergie möglichst zu minimieren, sollte die Bohrspülung eine


möglichst geringe Viskosität aufweisen.
 Sie soll mithelfen, das Gestein auf der Bohrlochsohle aufzulockern und bei der Ge-
steinszerstörung mitzuwirken. Außerdem soll sie die Bohrlochsohle möglichst voll-
ständig reinigen und das Bohrklein schnell, sicher und vollständig aus dem Bohrloch
austragen. Dieser Abtransport des Bohrkleins zur Oberfläche wird typischerweise mit
Ringraumgeschwindigkeiten von 0,6 bis 1,0 m/s realisiert.
 Die Spülung muss den Bohrstrang einschließlich des Bohrwerkzeugs kühlen und
schmieren; durch den Zusatz spezieller Schmiermittel (d. h. Spülungsadditive) können
diese Eigenschaften verbessert werden.
 Sie muss die Bohrlochwand abdichten und ggf. stabilisieren; dazu muss der Druck
im Bohrloch i. Allg. den im Gebirge übersteigen (d. h. Beherrschung des Lagerstät-
tendrucks durch den hydrostatischen Druck der Spülungssäule). Damit dies immer
sichergestellt werden kann, muss die Dichte der Spülung eingestellt werden (dies kann
beispielsweise durch die Zumischung von Schwerspart realisiert werden). Außerdem
muss sie Erosion und Kavernenbildung an der Bohrlochwand möglichst weitgehend
verhindern. Auch sollte sie mit dem Gebirge verträglich sein und keine unerwünschten
chemischen Reaktionen forcieren.
 Minimierung von Spülungsverlusten durch Abdichtung bzw. Abstützung von nicht
standfesten Gesteinen durch Bildung eines millimeterstarken Wandbelags an der Bohr-
lochwand (d. h. Filterkuchen); eine derartige Filterkuchenbildung setzt einen Druck-
gradienten vom Bohrloch zur Formation voraus.
 Die Bohrspülung soll eine Sedimentation von Bohrklein bzw. beschwerenden Feststof-
fen bei einer Unterbrechung der Spülungszirkulation im Bohrloch möglichst weitge-
hend verhindern. Dazu werden sogenannte thixotrophe Flüssigkeiten eingesetzt. Dies
sind z. B. Mineraldispersionen, welche die rheologische Eigenschaft (Fließverhalten)
aufweisen, dass sie „Gerüststrukturen“ bilden können, die unterhalb eines kritischen
Wertes Schubspannungen widerstehen können (d. h. gelartiges Verhalten). Bei ausrei-
chend starken Scherkräften werden diese Gerüststrukturen aufgerissen; sie beginnen zu
fließen (d. h. Verhalten wie beispielsweise Wasser). Kommen danach die Gerüstfrag-
mente in Ruhe, lagern sie sich wieder zu einem Netzwerk zusammen; die Viskosität
nimmt wieder zu (d. h. das System ist thixotrop).
 Die Spülung sollte Korrosion am Bohrstrang einschließlich des Bohrwerkzeuges mög-
lichst vermeiden. Sie muss auch als Antriebsmedium von Bohrlochsohlenmotoren
(z. B. Bohrturbine, Moineaumotor) nutzbar sein; dazu muss sie eine entsprechende
hydraulische oder pneumatische Kraftübertragung ermöglichen.
 Letztlich muss sie auch den gesetzlichen Forderungen des Arbeits- und Umweltschut-
zes adäquat Rechnung tragen.
828 S. Janczik et al.

Die konkreten Aufgaben der Bohrspülung werden durch das jeweilige Ziel der Boh-
rung und die Eigenschaften der zu durchlaufenden geologischen Formationen bestimmt;
deshalb ist auch die Spülungschemie auf den zu erwartenden geochemischen Charakter
des jeweils anzutreffenden Gesteins einzustellen. Auch können nicht in allen Fällen alle
genannten Forderungen maximal erfüllt werden.
Bei Temperaturen bis 150 ı C wird bei Tiefbohrungen beispielsweise eine Tonspülung
als Bentonit-Wasser-Suspension oder als selbstgehende Ton-Süßwasserspülung infolge
des Durchteufens tonhaltiger Formationen eingesetzt. Zusätze wie Kalium verhindern das
Aufquellen und Destabilisieren von quellfähigen Tonmineralen. Es wird meist in Form
von Kalisalz (KCl) oder Kaliumkarbonat (umgangssprachlich häufig Pottasche, K2 CO3 )
der Bohrspülung beigefügt.
Zur Verminderung von Korrosion werden Wärmeübertrager genutzt, welche die Belüf-
tung bzw. den Sauerstoffeintrag in die Spülung verringern.
Spülungsverlusten in zerklüfteten Horizonten wird je nach Ausmaß unterschiedlich
begegnet. Der Spülung können Quellstoffe (z. B. zermahlene Nussschalen, Cellophane,
Baumwolle, Holzspäne, Torf) beigegeben werden. Sobald derartige Additive die absor-
bierenden Schichten nicht schließen, wird eine Zementation im Niveau der undichten
Formation notwendig. Ist der zu durchbohrende Untergrund jedoch zu stark zerklüftet und
sind so die genannten Maßnahmen deshalb wirtschaftlich nicht mehr vertretbar, muss ohne
zurückkehrende Spülung gebohrt werden [9.4]. Dabei wird, solange eine niedrige Visko-
sität und Dichte ausreichen, Wasser eingesetzt; ansonsten muss bis zum Zielhorizont eine
kostenintensive Tonspülung und im Zielhorizont eine säuerbare (d. h. mit Marmormehl
versetzte) Spülung verwendet werden.
Bohrspülungen auf der Basis einer Bentonit-Wasser-Suspension erreichen beim
Durchteufen von elektrolytabgebenden Formationen (Gips, Salz) und insbesondere bei
steigenden Temperaturen einen instabilen Zustand (d. h. Ausflockung des Bentonits und
damit die Trennung der Spülung in eine flüssige und in eine feste Phase). Additive,
die einer solchen Ausflockung entgegenwirken und zusätzlich die Fließeigenschaf-
ten und den Wasserverlust günstig beeinflussen, sind Schutzkolloide wie z. B. Stärke
und Stärkederivate, Celluloseäther (z. B. Carboxymethylcellulose (CMC), Carboxy-
methylhydroxyethylcellulose (CMHEC), Biopolymere, Acrylat / Acrylamid-Polymere,
Vinylsulfonat / Vinylamid-Polymere). Beispielsweise haben Stärke und Stärkederivate
eine stabilisierende Wirkung bis ca. 120 ı C; danach werden sie wirkungslos. Carboxy-
methylcellulose (CMC) und Carboxymethylhydroxyethylcellulose (CMHEC) werden
demgegenüber erst bei Temperaturen von 140 bis 160 ı C wirksam.
Um ein Vergelen der Spülungen im Temperaturbereich über 150 ı C zu verhindern,
können obertägige Kühltürme oder andere Kühlaggregate zur Senkung der Spülungstem-
peratur installiert werden.
Bei hohen Bohrlochtemperaturen und elektrolytabgebenden Formationen werden auch
Sepiolith- und Attapulgit-Spülungen eingesetzt. Dabei handelt es sich um nicht quellfähi-
ge Salzwassertone, die bei hohen Temperaturen nicht ausflocken. Dann sind jedoch teure,
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 829

hochleistungsfähige Ausrüstungen erforderlich, um eine genügende Viskosität und Fest-


stoffkontrolle zu erhalten.
Alternativ zu den bisher diskutierten wasserbasierten Spülungen kann auch mit Öl-
oder Formiatspülungen gebohrt werden. Jedoch ist der Einsatz von Ölspülungen mit um-
fangreichen Umweltauflagen verbunden, da diese wasserführende Schichten stark ver-
unreinigen und auch die Produktivität der Lagerstätte einschränken können. Ölbasierte
Spülungen können aber Temperaturen bis zu 250 ı C widerstehen und sind stabiler als
wasserbasische Suspensionen. Alternativ dazu können beim Bohren im Zielhorizont auch
Formiatspülungen eingesetzt werden. Diese Spülungen weisen bereits ohne Beschwe-
rungsmittel hohe Dichten auf und sind daher besonders vorteilhaft dann, wenn hohe Spü-
lungsdichten gefordert sind.

9.2.1.4 Verrohrung und Komplettierung


Die technische Lebensdauer einer geothermischen Bohrung wird durch die Verrohrung
(d. h. das Setzen von Futterrohren (Casings) mit anschließender Zementation mit dem
umgebenden Gebirge) und die Komplettierung bestimmt. Beides wird nachfolgend disku-
tiert.

Verrohrung Die Verrohrung hat die Aufgabe, die Bohrlochwand zu stützen und da-
mit das Bohrloch zu stabilisieren, freie Bohrlochstrecken zu schützen, das Bohrloch ge-
gen flüssigkeitsführende Gesteinsschichten abzudichten, den Gesteinsnachfall zu verhin-
dern und den späteren Einbau von technischen Hilfsgeräten für die Förderung zu erleich-
tern. Dazu wird in die aufgeschlossene Bohrung ein Stahlrohr mit einem leicht kleineren
Durchmesser eingebracht (sogenannte Rohrtour), das aus unterschiedlichen Rohrstücken
zusammengeschraubt wird. Diese Rohrtour wird anschließend in das Gebirge zementiert.
Die Verrohrung kann entweder bis Übertage geführt und abgesetzt oder als sogenannter
Liner in einem bereits abgesetzten und zementierten Rohrstrang im Bohrloch eingehängt
werden. Die Durchmesser der einzelnen einzubauenden Rohrtouren, die teleskopartig in-
einandergreifen, werden durch den für die Erschließung des geothermischen Speicherho-
rizonts geforderten Enddurchmesser einer Bohrung bestimmt. Den einzelnen Rohrtouren
(Abb. 9.12) sind bestimmte Bezeichnungen zugeordnet.

 Das Standrohr hat die Aufgabe, den oberen Teil des Bohrlochs zu stabilisieren und die
unterhalb der Erdoberfläche meist lockeren und verwitterten Schichten abzudecken.
Es wird bis in Tiefen von etwa 30 m und mehr eingebaut. Typischerweise wird diese
Rohrtour in den Untergrund gerammt.
 Für eine zuverlässige Befestigungsmöglichkeit für die Sondenkopfarmaturen und den
Blow-Out-Preventer (BOP) wird danach die Leitrohr- oder Ankerrohrtour durch das
Standrohr eingebaut und im Gebirge mithilfe von Zement befestigt.
 Die technische oder Zwischenrohrtour trennt Schichten mit vergleichbaren geologi-
schen Eigenschaften von solchen Bereichen, die abweichende Eigenschaften aufweisen
(z. B. Trennung von Süß- und Salzwasserhorizonten).
830 S. Janczik et al.

Abb. 9.12 Exemplarisches 0m Standrohr


45 m
Verrohrungsschema (die Tie-
fenangaben sind exemplarisch;
sie dienen nur der Einordnung Leitrohrtour
in realistische Größenord-
nungen für eine sehr tiefe Zementation
Geothermiebohrung und kön-
nen bei anderen Bohrungen
unter veränderten geologischen
953 m
Bedingungen auch deutlich
anders sein) Technische
Rohrtour

Zementation

2 180 m
Technische
Rohrtour

Zementation

3 726 m
Ringraum

Unverrohrtes
Bohrloch

4 393 m

Eine feste Verbindung der Verrohrung mit dem Gebirge wird durch ein gleichmäßiges
und lückenloses Einbringen von Zement zwischen der Verrohrung und der Bohrlochwand
(d. h. dem Gebirge) sichergestellt. Die Zementation isoliert außerdem durchlässige Forma-
tionen voneinander, um den Fluss zwischen diesen Formationen zu verhindern und nimmt
die axialen und radialen Lasten auf, die auf die Rohrtour wirken.

Komplettierung Unter der Komplettierung werden alle zur Instandhaltung und zur För-
derung benötigten technischen Installationen zusammengefasst (u. a. Förderrohrstrang,
Erschließungstechniken in der Lagerstätte).
Ein wesentlicher Teil der Komplettierung ist der Anschluss des Nutzhorizonts an das
Bohrloch. Hier kann zwischen der Open Hole und der Cased Hole Komplettierung un-
terschieden werden (Abb. 9.13). Ist der Nutzhorizont im Gebirge standfest, kann der
Speicherbereich unverrohrt bleiben (d. h. Open Hole Komplettierung). Ist das Gebirge
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 831

Abb. 9.13 Komplettie- Rohrtour


perforierte Rohrtour
rungsvarianten (Open Hole
Zementmantel Zementmantel
Komplettierung (links), Ca-
sed Hole Komplettierung als
Lochliner (rechts))

Speicher

Speicher
Bohrloch- Bohrloch-
wand wand

Abb. 9.14 Gravel pack Kom- Rohrtour


plettierung
Zementmantel

Filterkopfstück
Aufsatzrohr

Wickeldrahtfilter

unterschnittener
Bereich
Filterkiespackung

Filtersumpf

demgegenüber nicht standfest (z. B. der Nutzhorizont sandet ab), muss die Bohrung auch
im Speicherbereich verrohrt werden. Deshalb müssen anschließend durch die Bohrung er-
neut Fließwege geschaffen werden (d. h. Cased Hole Komplettierung). Bei der Schaffung
derartiger Fließwege in einer Cased Hole Komplettierung kann unterschieden werden zwi-
schen punktierten und schlitzförmigen Öffnungen im Speicherbereich (d. h. Loch- oder
Schlitzliner).
Beim Einbau eines Filterrohres mit Kiesschüttung, durch die ein weitergehender Aus-
trag von Feststoffen (z. B. Sand) aus dem Nutzhorizont verhindert werden soll, spricht
man von einer Gravel Pack Komplettierung (Abb. 9.14). Vor dem Einbau des Filterrohres
und dem Einbringen des Filterkieses wird dazu der Speicherbereich unterschnitten und
gereinigt.
832 S. Janczik et al.

Werden nicht standfeste Sandsteinschichten im Bereich des Nutzhorizonts vorgefun-


den, kann es bei hohen Förderraten zu einer verstärkten Einbringung von Sand aus der
Formation in das Bohrloch kommen. Um dieses „Absanden“ und ggf. Kornumlagerungen
zu verhindern, muss der Träger im Sondenbereich stabilisiert werden. Dazu wird Kies in
die Speicherschicht verpresst mit gleichzeitigem Auffracen des Gebirges und der Injektion
eines Kies-Kunstharz-Gemisches auf der Basis eines Epoxidharz / Härter-Systems.

9.2.1.5 Test und Modellierung


Die Untersuchung der hydrodynamischen Eigenschaften von Geothermie-Speichern wird
als Test bezeichnet. Um die Eignung eines Speicherhorizonts für die geothermische Ener-
giegewinnung durch gezielte Teste bereits während der Bohrphase ermitteln zu können,
werden die Förderrate, die Permeabilität (d. h. Durchlässigkeit) der porösen Schicht,
Schichttemperatur und -druck, der Chemismus und der Gasgehalt des Wassers sowie die
Standfestigkeit des Gebirges bestimmt.
Aus den Erfahrungen der nordostdeutschen geothermischen Heizzentralen in Waren /
Müritz, Neubrandenburg und Neustadt-Glewe sowie der bisher in dieser Region nieder-
gebrachten und untersuchten Geothermie-spezifischen Bohrungen leitet sich ab, dass zur
Realisierung der mit 50 bis 100 m3 /h großen Förder- und Injektionsvolumenströme Sand-
steinspeicher (Porenspeicher) mit einer Nutzporosität von mindestens 20 bis 25 %, einer
Permeabilität von mindestens 0,5 bis 1,0 m2 und einer effektiven Mächtigkeit von 20 m
und mehr erforderlich sind.
Untersuchungen in klastischen Sedimenten zeigen, dass aus geowissenschaftlichen Un-
tersuchungen und der durchgeführten Förderteste auf den möglichen Injektivitätsindex
(d. h. den bei einem bestimmten Druck injizierbaren Thermalwasservolumenstrom) ge-
schlossen werden kann. Damit können Injektionstests entfallen, die immer auch das Risiko
einer Speicherschädigung in sich bergen.
Die Auswahl der Testhorizonte erfolgt aufgrund der Ergebnisse von geophysikalischen
Bohrlochmessungen und von Bohrklein- bzw. Kernuntersuchungen. Aus jedem dieser
Testhorizonte wird eine definierte Thermalwassermenge gefördert. Ausgehend davon
kann eine bestimmte Förderschicht ausgewählt werden. Nach deren Festlegung und der
Komplettierung der Förder- und Injektionsbohrung wird sie hinsichtlich der möglichen
Förder- und Injektionsrate abschließend bewertet.
Mit Hilfe der während des Bohrprozesses gewonnenen und aus regionalgeologischen
Untersuchungen vorhandenen Daten sowie der Parameter, die aus den Tests gewonnen
werden, kann das hydro- und thermodynamische Verhalten des Geothermiespeichers wäh-
rend des Betriebs einer geothermischen Energiezentrale modelliert werden. Die wichtigs-
ten Aussagen sind die zu erwartenden maximalen Spiegeländerungen (mit dem Ziel des
Nachweises der technischen Realisierbarkeit des Förder- und Injektionsvolumenstroms)
und der Zeitpunkt des Beginns einer Temperaturabsenkung als Nachweis der geforderten
Nutzungsdauer der Anlage bzw. die Temperaturentwicklung in der Förderbohrung.
Für die Simulation des Speichers im Betriebsprozess werden zahlreiche numerische
Modelle angewendet. Die letztendlich erforderliche Modellierungstiefe hängt dabei nicht
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 833

nur von der Problemstellung ab, sondern wird wesentlich auch vom Grad der Kenntnis-
se über den Speicher bestimmt. Diese sind in der Planungsphase einer geothermischen
Anlage zunächst sehr begrenzt. Erst durch die Erschließung des Speichers und durch die
Auswertung der diskutierten Teste werden detailliertere Erkenntnisse gewonnen, die ent-
scheidenden Einfluss auf die Modellauswahl haben.
Geologische Störungen als signifikante Randbedingungen, Wechselwirkungen mit be-
nachbarten Aquiferen und Wechsellagerungen innerhalb des Aquifers erfordern eine de-
taillierte Modellierung, die nur noch durch eine örtliche Diskretisierung auf der Basis nu-
merischer Lösungsverfahren durchgeführt werden kann. Insbesondere zur Beschreibung
des Langzeitverhaltens sind kompliziertere Modelle unter Berücksichtigung komplexer
geologischer Verhältnisse von Bedeutung.
Die 3-D-Modelle CFEST (Coupled Flow, Energy and Solute Transport) [9.39],
PETREL [9.40] und TOUGH3 (Transport of Unsaturated Groundwater and Heat) [9.41]
haben sich dabei als geeignete Simulatoren für Geothermie-spezifische Probleme erwie-
sen, beispielsweise ist PETREL (oder näherungsweise vergleichbar dazu ECLIPSE) ein
Tool für die geologisch-seismische Modellierung, das nicht für Strömungssimulationen
oder thermische Berechnungen, wie die anderen hier gelisteten Softwarepakete, geeig-
net ist. Für Aufgabenstellungen bei einem geringen geologischen Kenntnisstand in der
Planungsphase bzw. bei homogener Schichtenausbreitung und Parameterverteilung sind
auch 2-D-Modelle verfügbar.

9.2.1.6 Stimulation
Werden in einem geothermischen Reservoir nicht die erwarteten Lagerstättenparameter
erreicht, kommen Techniken und Verfahren zum Einsatz, mit denen die Durchlässigkeit
(d. h. Permeabilität) des Untergrunds verbessert werden soll mit dem Ziel, eine höhere
Produktionsrate zu erzielen. Beim (erfolgreichen) Einsatz von derartigen Stimulations-
maßnahmen spricht man anschließend von sogenannten Enhanced Geothermal Systems
(EGS). Dazu werden neben der Richtbohrtechnik (siehe oben) mechanische (Hydraulic-
Fracturing) und chemische Verfahren (Säureinjektion) eingesetzt.

Hydraulic-Fracturing Bei diesem aus der Erdöl- / Erdgastechnik stammenden Verfah-


ren werden durch Verpressen von Flüssigkeiten im Nutzhorizont Risse im Gestein erzeugt
(Abb. 9.15). Dadurch wird die für das Wärmeträgermedium zugängliche Kontaktfläche
zum Trägergestein und damit die Durchlässigkeit (d. h. Permeabilität) im Nutzhorizont
vergrößert.
Bei dieser technischen Maßnahme werden mit sehr leistungsstarken Pumpen sehr große
Mengen an Flüssigkeit (meist Wasser) in die Bohrungen und damit in den zu stimulieren-
den Speicherhorizont injiziert. Dadurch wird der Druck im Gestein lokal so groß, dass das
Gestein aufreißt (d. h. neue Risse entstehen) und / oder sich vorhandene Risse aufweiten.
Die Rissausbreitung erfolgt dann meist axial. Bei weiter anhaltender Injektion wandert der
entstehende Riss dann weiter ins Gebirge. Diese Rissausbreitung findet dabei im Regelfall
senkrecht zur Richtung des geringsten Gebirgsdrucks (d. h. der kleinsten kompressiven
834 S. Janczik et al.

Überlagerndes
Gebirge Frackflüssigkeit

Trägergestein

Abb. 9.15 Prinzip des Hydraulic-Fracturing (links: in Bohrlochnähe; rechts: im Trägergestein)

Hauptspannung) statt. Da der horizontale Gebirgsdruck i. Allg. kleiner ist als der Vertikal-
druck, bildet sich damit im Normalfall ein vertikaler Riss aus, der senkrecht zur Richtung
der kleineren der beiden horizontalen Hauptspannungen gerichtet ist.
Wurde der zu stimulierende Speicher vertikal durchteuft (Abb. 9.15, links), wird
durch diese Stimulationsmaßnahme primär der bohrlochnahe Bereich aufgebrochen; da-
durch kann ein besserer Anschluss des Trägergesteins an das Bohrloch erfolgen. Wurde
demgegenüber der Speicher beispielsweise mit einer Horizontalbohrung aufgeschlossen
(Abb. 9.15, rechts), kann der Speicher über deutlich größere Bereiche stimuliert werden;
der dafür zu realisierende technische Aufwand ist aber verglichen mit der ersten Variante
auch deutlich höher – dies gilt sowohl für die Abteufung der Horizontalbohrung als auch
für die Speicherstimulation.
Typische Betriebsparameter bei der Stimulation von Erdöl- oder Erdgasbohrungen sind
Injektionsraten zwischen 10 und 100 L/s und Injektionsdrücke von bis zu 100 MPa. Dabei
werden bei einer derartigen Stimulationsmaßnahme mehrere hundert Kubikmeter Flüssig-
keit in den Speicher verpresst.
Mit diesem Verfahren werden typische Rissöffnungsweiten von einigen bis zu zehn
Millimetern erreicht. Die Risslänge ist i. Allg. kleiner als 100 m. In hochporösen Sand-
steinen kann damit eine Produktivitätssteigerung um den Faktor 2 bis 3 erreicht werden.
In klüftigen oder verkarsteten Gesteinen ist bei niedriger Ausgangsproduktivität eine sehr
viel höhere relative Produktivitätssteigerung möglich; dies liegt auch daran, dass durch
eine derartige Stimulation die Bohrung an eine schon natürlicherweise vorhandene Stö-
rungszone angeschlossen werden kann.
Um die Risse offen zu halten, kann der verpressten Flüssigkeit ein Stützmittel (z. B.
Sand) zugemischt werden. Es verteilt sich in den aufgeweiteten bzw. entstandenen Riss-
flächen und soll ein Schließen der Risse nach der Druckentlastung auch bei einem hohen
äußeren Gebirgsdruck weitgehend verhindern. Insbesondere die Frage der Rückförderung
des Stützmaterials aus den Rissen infolge der hohen Strömungsgeschwindigkeiten bei der
Förderung des Geofluids ist aber bisher nicht ausreichend untersucht.
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 835

Die aus der Erdöl- und Erdgasindustrie vorhandenen Erfahrungen zum hydraulischen
Fracen sind nur begrenzt auf die gering-permeablen Gesteinsschichten übertragbar, die
typischerweise zur geothermischen Energieerzeugung genutzt werden. Ein wesentlicher
Unterschied zu dem in der Kohlenwasserstoffwirtschaft üblichen Stimulation liegt in der
Art des Gesteins; bei der Geothermie muss auch kristallines Gestein gefract werden, wäh-
rend Erdöl und Erdgas ausschließlich in Sedimentgesteinen vorkommt. Die Grundlagen
der Ausbreitung der Gesteinsrisse im Kristallin – und insbesondere ihre Beeinflussbarkeit
– sind aber noch weitgehend unbekannt bzw. werden derzeit erforscht. Auch müssen für
eine ökonomisch darstellbare Geothermienutzung die Rissflächen deutlich größer als die
der Erdöl- / Erdgasindustrie sein und zusätzlich weitaus größere Durchlässigkeiten (Per-
meabilitäten) aufweisen.
Generell gilt, dass eine geringe Permeabilität im Trägergestein das Fracen erleich-
tert. Dann sind geringere Pumpraten notwendig als bei einer hohen Permeabilität. Dieser
Vorteil lässt sich übertragen auf das Fracen von kristallinem Gestein gegenüber dem Se-
dimentgestein. Beispielsweise zeigen bisher vorliegende Erfahrungen, dass sich auch mit
einfacher Technik (d. h. nur durch die Injektion von Wasser ohne Stützmittelzusatz) gute
Ergebnisse im Hinblick auf die Flächengröße und die Durchlässigkeit der Risse erzielen
lassen. Auch bei der Flächengröße des Risses – hier werden möglichst große Risse an-
gestrebt – wirkt sich eine niedrige Matrixdurchlässigkeit günstig aus. Diese begrenzt die
Flüssigkeitsverluste bei der Rissausbreitung, die letztlich die Flächengröße begrenzen.
Auch schließen sich unter diesen Bedingungen einmal geöffnete Risse nicht mehr voll-
ständig, sondern behalten eine beträchtliche Restdurchlässigkeit. Das ist auf die starke
Rauigkeit und die Unebenheit der Rissoberflächen geothermischer Speichergesteine zu-
rückzuführen. Deshalb werden bei Fracmaßnahmen zur Verbesserung der Eigenschaften
des geothermisch zu nutzenden Tiefenhorizonts nicht zwingend Stützmittel zugegeben,
durch die die erzielten Risse typischerweise offengehalten werden sollen.

Säureinjektion Säurebehandlungen (d. h. das Einleiten von Säure in die zu nutzende Ge-
steinsformation) dienen vor allem der Beseitigung von Permeabilitätsschädigungen bzw.
-reduktionen der Formation in Bohrlochnähe, wie sie durch den Bohrvorgang, während
der Zementation oder durch hydraulische Teste verursacht werden können. Als Erfolg
kann schon gewertet werden, wenn dadurch die Produktivität der ungestörten Formati-
on wiederhergestellt wird. Lediglich in klüftigen Karbonatgesteinen lässt sich durch das
Herausätzen von Fließwegen in bereits vorhandenen Klüften oder Rissen eine weiter ins
Gebirge reichende Wirkung infolge einer Säureinjektion erzielen. Stehen in nicht allzu
großer Entfernung von der Bohrung hochdurchlässige Karsthohlräume oder Kluftzonen
an, kann auf diese Weise eine hohe Produktivitätssteigerung erreicht werden. Um eine
verstärkte Korrosion im Bereich der Verrohrung zu vermeiden, muss der Kontakt zur
Säure technisch möglichst weitgehend unterbunden werden. Um einen säureinduzierten
Verschleiß bis hin zu Leckagen zu verhindern werden zur Sicherheit nach der Säurestimu-
lation meist entsprechende Messungen im Bohrungsbereich durchgeführt.
836 S. Janczik et al.

9.2.2 Energetische Nutzung geothermischer Systeme

Die Art und Anzahl der übertägig zu installierenden Systemkomponenten werden vom je-
weils zu Grunde liegenden Nutzungskonzept (z. B. offene Systeme, geschlossene Systeme),
den Eigenschaften des Wärmeträgermediums sowie der Art der bereitgestellten Endener-
gie (d. h. Wärme, Strom, Wärme und Strom) bestimmt. Nachfolgend werden zunächst die
Systemtechnik der geothermischen Heizwerke und im Anschluss daran die zusätzlich be-
nötigten Komponenten für geothermische Kraft- und Heizkraftwerke erläutert.

9.2.2.1 Geothermische Heizwerke


Neben dem Thermalwasserkreislauf sind für eine Wärmebereitstellung aus tiefer Geother-
mie die im Folgenden diskutierten Systemkomponenten notwendig.

Thermalwasserkreislauf Als Bindeglied zwischen der im tiefen Untergrund in be-


stimmten Speicherhorizonten in Form von warmen oder heißen Tiefenwässern vorhan-
denen geothermischen Energie und der zeitlich und örtlich variablen Wärmenachfrage
für Heizung, Warmwasser und ggf. Prozesswärme muss der Thermalwasserkreislauf den
folgenden Anforderungen gerecht werden:

 Förderung des Thermalwassers und dessen Transport nach Übertage,


 Übertragung der geothermischen Wärme an ein Sekundärsystem (z. B. Nahwärme-
netz),
 Thermalwasseraufbereitung zur Sicherung der Injektionswasserqualität,
 Druckerhöhung vor der Injektion (falls aus lagerstättentechnischen Gründen notwen-
dig),
 Injektion des Thermalwassers und
 Gewährleistung der Verfahrenssicherheit.

Im Folgenden werden anhand der wichtigsten Bauteile und Bauteilgruppen spezifische


Aspekte der übertägigen Anlage, ihrer Auslegung und ihres Betriebs dargelegt. Abb. 9.16
zeigt schematisch, welche Bauteilgruppen i. Allg. in ein derartiges System eingebunden
werden. Die Systemauslegung hängt aber in starkem Maße von den Charakteristika der
geothermischen Lagerstätte – und damit des geförderten Thermalwassers – sowie den
Kundenanforderungen ab und kann deshalb durchaus variieren.

Thermalwasserförderung Ist der Druck im Untergrund höher als der hydrostatische


Druck der bis zur Geländeoberkante reichenden Thermalwassersäule, tritt das Thermal-
wasser ohne Einsatz von zusätzlicher Pumpenergie zu Tage. Das System hat in diesem
Fall einen freien Überlauf und wird als „artesisch“ bezeichnet. Liegen demgegenüber
keine artesischen Verhältnisse vor, wie es der Normalfall ist bzw. werden artesisch die
benötigten Fördermengen oder die notwendigen Übertagedrücke nicht erreicht, ist der
Einsatz von Förderpumpen erforderlich.
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 837

Feinfilter
M

Wärmeübertrager
Druckhaltung Grobfilter

Injektions-
pumpen

Fördersonde Slop Injektionssonde

Abb. 9.16 Prinzipschema des Übertageteils des Thermalwasserkreislaufs (M Motor)

Auch im deutschsprachigen Raum liegen normalerweise keine – für eine geothermi-


sche Nutzung – artesischen Systeme vor, so dass eine Förderung der Thermalwässer
i. Allg. an die Zuführung von zusätzlicher Pumpenergie gebunden ist. Eine derartige tech-
nische Thermalwasserförderung kann prinzipiell durch einen Gaslift oder den Einsatz
mechanischer Pumpen realisiert werden.
Beim Gasliftverfahren nach dem Syphonprinzip wird in einer bestimmten Stelle im
Bohrloch ein Gas (z. B. Luft, Stickstoff) unter Druck injiziert. Dabei wird in der Bohrung
durch die eingebrachten nach Übertage strömenden Gasblasen das Thermalwasser mitge-
rissen und dadurch nach oben transportiert. Das Anwendungsgebiet derartiger Lifttechno-
logien ist beim Einsatz von Luft hauptsächlich wegen der damit verbundenen Belüftung
des Thermalwassers – und den dadurch potenziell induzierten chemischen Ausfällungs-
reaktionen – i. Allg. auf Förderteste von Geothermiebohrungen beschränkt. Der ebenfalls
mögliche Einsatz von inerten Treibgasen (z. B. Stickstoff) scheidet im Dauerbetrieb im
Regelfall aus Kostengründen aus.
Für die Förderung der warmen bzw. heißen Tiefenwässer aus dem Untergrund wer-
den deshalb unter mitteleuropäischen geologischen Bedingungen ausschließlich Pumpen
verwendet, deren Pumpenkörper unterhalb des dynamischen Wasserspiegels der jewei-
ligen Bohrung installiert werden. Die notwendige Einbautiefe hängt dabei von der zu
erwartenden maximalen Absenkung des Wasserspiegels bei Pumpenbetrieb (dynamischer
Wasserspiegel) und der notwendigen Mindesteintauchtiefe ab. Der Wasserspiegel sinkt
typischerweise beim Betrieb der Anlage volumenstromabhängig unter sein Niveau bei
Stillstand (sogenannter Ruhewasserspiegel).
Bei geringen Einbautiefen kommen Bohrloch-Wellenpumpen zum Einsatz. Hier befin-
det sich das Antriebsaggregat (z. B. Elektromotor) Übertage und ist über eine Welle mit
der im Bohrloch installierten Pumpe verbunden. Dadurch kann nahezu der gesamte Bohr-
lochquerschnitt zur Förderung des Thermalwassers ausgenutzt werden. Vorteile derartiger
Aggregate sind der einfache Aufbau, die räumliche Trennung der elektrischen Bauteile
vom Thermalwasser und damit die Einsatzfähigkeit für hohe Temperaturen (d. h. räum-
liche Entkopplung). Zudem sind geringe Förderraten unter akzeptablen Wirkungsgraden
realisierbar. Auch kann die Wartung des elektrischen Antriebs von Übertage aus realisiert
838 S. Janczik et al.

Abb. 9.17 Förderbohrung mit Geofluid-Weiterleitung an die


einer Bohrloch-Motorpumpe obertägige Anlage

Dynamischer
Spiegel
Pumpensteigleitung
Rückschlagventil

Pumpenkabel Anschraubkopf

Kabelführung Pumpe

Zementierte
Rohrtour

Einlass

Protektor

Motor

Zentrierstück

Nutzhorizont
Endteufe

werden. Demgegenüber können derartige Pumpen ausschließlich in weitgehend vertikalen


Bohrungen eingesetzt werden (d. h. aufgrund des Übertage befindlichen Antriebs und der
daraus resultierenden Notwendigkeit einer drehenden Verbindung nach Untertage steigen
die Reibungsverluste mit zunehmender Ablenkung von der Vertikalen schnell an). Deshalb
ist der Einsatzbereich derartiger Pumpenlösungen ab einer bestimmten Tiefe begrenzt, da
mit zunehmender Tiefe der Aufwand zur Übertragung der Drehbewegung – und die damit
verbundenen Verluste – immer größer werden. Installation und Demontage sind aufgrund
des Pumpendesigns i. Allg. arbeits- und zeitaufwändig.
Bei größeren Einbautiefen werden deshalb normalerweise Bohrloch-Motorpumpen
eingesetzt, die vorzugsweise mit einem Elektromotor angetrieben werden (Abb. 9.17).
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 839

Prinzipiell ist aber auch ein Einsatz von Turbinenpumpen denkbar, bei denen ein Teil des
Thermalwasserförderstroms übertägig komprimiert und als Treibstrom der untertägig in-
stallierten Turbinen- / Pumpeneinheit zugeführt wird. Derartige Turbinenpumpen werden
derzeit allerdings nicht kommerziell angeboten.
Bohrloch-Motorpumpen zeichnen sich typischerweise durch eine hohe Effizienz aus.
Zudem besteht keine Tiefenbegrenzung und die Aggregate können einfach installiert bzw.
demontiert werden; dafür muss aber der gesamte Förderstrang „gezogen“ werden. Nach-
teile sind u. a. das Fehlen einer aktiven Kühlung (die heißen Tiefenwässer dienen als
Kühlmedium) und die damit verbundene hohe Sensitivität hinsichtlich Temperaturände-
rungen des Thermalwassers.
Die als Standardgerät eingesetzte Bohrloch-Motorpumpe besteht aus den Hauptbau-
gruppen Pumpe, Protektor und Motor. Sie wird an einer im Bohrungskopf abgehängten
Steigleitung unterhalb des Thermalwasserspiegels installiert. Die benötigte elektrische
Energie wird der Pumpe über ein Kabel zugeführt, das im Ringraum zwischen der in
das Gebirge zementierten Rohrtour und der Pumpensteigleitung von Übertage zur Pumpe
geführt wird.
Bei der Pumpe handelt es sich i. Allg. um eine vielstufige Kreiselpumpe, deren Stu-
fenzahl die mögliche Förderhöhe und deren Laufradgestaltung den Volumenstrom be-
einflussen. Die Motoren sind meist Drehstrom-Asynchronmotoren. Das darin enthaltene
Spezialöl sorgt dafür, dass die Motorwicklungen isoliert und die Motorlager geschmiert
werden sowie dass die beim Motorbetrieb entstehende Wärme an das Gehäuse abgegeben
wird. Der interne Öldruck schwankt infolge von Volumenänderungen der Motorölfüllung
bei unterschiedlichen Temperaturen (In- und Außerbetriebnahme). Damit trotzdem kein
Wasser in den Motor eindringen kann, muss die Pumpe mit einem System ausgerüstet
werden, das einen Ausgleich zwischen dem Thermalwassereintrittsdruck und dem inter-
nen Öldruck bewirkt. Üblicherweise enthält dieser Protektor ein Kaskadensystem, das
durch eine Ausnutzung des Dichteunterschieds zwischen Thermalwasser und Öl ein Ein-
dringen von Wasser in den Motor sicher verhindern soll.
Die notwendige Einbautiefe der Pumpe in der Bohrung hängt von der zu erwarten-
den maximalen Absenkung des Wasserspiegels bei Pumpenbetrieb und der notwendigen
Mindesteintauchtiefe ab. Der Wasserspiegel sinkt beim Betrieb der Anlage volumenstrom-
abhängig z. T. deutlich unter sein Niveau bei Stillstand. Der Grund hierfür sind die Rei-
bungsdruckverluste in der Bohrung bis zum Pumpeneinlauf und der Druckabfall zwischen
dem unbeeinflussten Speicherbereich und dem Bohrlochtiefsten. Weiterhin sind Spie-
geländerungen infolge temperaturbedingter Dichteänderungen der Flüssigkeitssäule zu
beachten.
Die Pumpenauslegung orientiert sich an der notwendigen Förderhöhe bis zum Boh-
rungskopf einschließlich der Druckverluste in der Pumpensteigleitung und der zum
Durchströmen der übertägigen Anlage notwendigen Förderhöhe. Enthält das Förderme-
dium größere Gasmengen, sollte der Gasentlösungspunkt nicht unterhalb der Pumpen-
einbautiefe liegen, um ein Ausgasen des Thermalwassers – mit allen damit verbundenen
technischen Herausforderungen – sicher zu verhindern. Entsprechend den geologischen
840 S. Janczik et al.

Bedingungen, der Bohrungskomplettierung, dem Förderstrom und dem Pumpentyp sowie


letztendlich auch den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind Einbautiefen von bis zu
1 000 m möglich.
Zur Anpassung der Thermalwasserförderung an die gegebene Wärmenachfrage wird
die Pumpe durch Drehzahlstellung des Antriebsmotors geregelt. Obwohl Geothermiean-
lagen in der Grundlast und damit vorzugsweise mit konstantem Volumenstrom gefahren
werden sollten, ist eine derartige Regelungstechnik empfehlenswert, um

 auf sich verändernde Speichereigenschaften schnell und direkt reagieren zu können,


 ein speicherschonendes An- und Abfahren der Anlage zu gewährleisten,
 durch Kennfeldsteuerung einen sicheren und stabilen Betriebszustand der Pumpe zu
erreichen, der geringsten Verschleiß sichert (hierzu muss die Pumpe mit geeigneten
Schwingungsaufnehmern ausgerüstet sein, die ihre Signale an ein Diagnosesystem wei-
terleiten) und
 die sich mit der Beladung der Thermalwasserfilter ändernde Anlagenkennlinie des
übertägigen Systems berücksichtigen zu können [9.5].

Thermalwassertransport Der Transport des Thermalwassers zwischen der Förderboh-


rung, der Energiezentrale und der Verpressbohrung erfolgt in der Regel über übertägig
verlegte wärmeisolierte Rohrleitungen.
Mit dem Ziel mögliche Freisetzungen von Thermalwässern in die Umgebung sicher
zu verhindern (und damit den gesetzlichen Auflagen Rechnung zu tragen) und somit ei-
nen umweltfreundlichen und wirtschaftlichen Betrieb derartiger Anlagen zu garantieren,
müssen mechanische Beschädigungen an der Oberfläche der Rohrleitungen verhindert
werden. Weiterhin gilt es korrosionsfördernde Mechanismen in den Rohrleitungen sicher
zu unterbinden. Kommt es trotzdem zu Korrosion, können sich Korrosionsprodukte bilden
(d. h. Feststoffe in den Thermalwasserkreislauf freigesetzt werden) und – im Maximal-
fall – korrosiv bedingte Wandungsbrüche ausgelöst werden. Derartige Korrosionsprodukte
können ggf. den Injektionshorizont schädigen und somit den Filtrationsaufwand vor der
Injektion des Thermalwassers deutlich erhöhen. Dabei kann neben dem hohen Salzgehalt
hochmineralisierter Thermalwässer auch Schwefelwasserstoff (H2 S) eine Metallkorrosion
verstärken; beispielsweise können dadurch in un- und niedriglegierten Stählen bedingte
Abtragsraten strömungsabhängig zwischen 0,05 und 2,0 mm/a liegen. Dieser Schwefel-
wasserstoff kann als Resultat der Aktivität sulfatreduzierender Bakterien und bei Säure-
behandlungen durch Auflösen von Metallsulfiden auftreten. In der Regel ist deshalb eine
Nutzung von Stahlrohrleitungen bei hochmineralisierten Thermalwässern aufgrund der
dann daraus resultierenden geringen Lebensdauer ausgeschlossen. Zusätzlich müssen die
Rohrleitungen mit dem Ziel, Ausfällungen im Thermalwasser zu vermeiden, einem Sys-
temdruck zwischen 6 und 20 bar standhalten.
Um eine hohe Injektionsqualität der heißen Tiefenwässer zu garantieren, muss au-
ßerdem eine Veränderung der Thermalwasserzusammensetzung (z. B. durch Entfernen
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 841

einzelner Thermalwasserkomponenten, Zugabe von Inhibitoren / Hemmstoffen oder pH-


Wert-Anhebung in den basischen Bereich) vermieden werden.
Damit sind die in Frage kommenden Korrosionsschutzmaßnahmen im Wesentlichen
auf die Materialauswahl für die Rohre und / oder auf Beschichtungen der Rohrinnenober-
fläche beschränkt. Dabei sind u. a. folgende Alternativen möglich [9.6].

 Metallische Werkstoffe. Bei hochkonzentrierten Kochsalzsolen zeigen hochveredelte


Stähle starke Tendenzen zur Spannungsriss- und Lochfraßkorrosion.
 Nichtmetallische Werkstoffe. Glas- und Keramikwerkstoffe besitzen meist eine nur
geringe Druck- und Schlagfestigkeit. Eine stabilere Ausfertigung von Thermalwasser-
rohren auf der Basis derartiger Werkstoffe ist technisch z. T. möglich, aber meist mit
sehr hohen Kosten verbunden.
 Kunststoffe. Kunststoffwerkstoffe (z. B. PVC) sind unempfindlich gegenüber hochkon-
zentrierten Kochsalzsolen. Allerdings besitzen sie bei Temperaturen über 70 ı C nur
eine geringe Beständigkeit. Entsprechende, technisch grundsätzlich mögliche, Anpas-
sungen an höhere Temperaturen gehen mit hohen Investitionen einher.
 Beschichtete metallische Werkstoffe. Beschichtete Metallrohre (z. B. duroplastisch-
beschichtete Stahlrohre) sind in einem korrosiven Milieu gut einsetzbar. Beispielsweise
wurden in derartigen Rohren beim Transport von Tiefenwässern unter den Bedin-
gungen im norddeutschen Becken bei Kontrollmessungen über einem Zeitraum von
17 Monaten bei 60 ı C warmem Thermalwasser völlige Rissfreiheit und neben einer
zunehmenden Oberflächenrauigkeit keine Beeinträchtigungen festgestellt.
 Glasfaser-verstärkter Kunststoff (GFK). Glasfaserverbundwerkstoffe zeigen eine hohe
Korrosionsbeständigkeit gegenüber aggressiven Thermalwässern. Allerdings besitzen
sie eine geringe Temperatur- und Druckbeständigkeit; dies schränkt ihren Einsatz bei
Thermalwassertemperaturen von über rund 95 bis 120 ı C und einem Innendruck von
16 bar stark ein.
 Titan. Im Vergleich mit anderen Materialien zeichnet sich Titan durch eine sehr ho-
he Korrosions- sowie Temperatur- und Druckbeständigkeit aus; dies ermöglicht den
Einsatz prinzipiell unter allen in Mitteleuropa bekannten geologischen Bedingungen.
Allerdings ist der Einsatz von Titan mit sehr hohen Kosten verbunden.

Wärmeübertragung Die thermische Energie des Thermalwassers muss energetisch ef-


fizient und möglichst kostengünstig an einen Heizwasser- bzw. Kraftwerkskreisprozess
übertragen werden. Hierfür werden hauptsächlich geschraubte und bei hochkorrosiven
Medien verschweißte Plattenwärmeübertrager eingesetzt; Abb. 9.18 zeigt das entspre-
chende Funktionsschema. Sie bieten

 geringe Temperaturdifferenzen bis zu 1 K zwischen den beiden Medien,


 hohe Wärmeübergangskoeffizienten,
 geringe Bauvolumen und Baumassen,
842 S. Janczik et al.

Abb. 9.18 Funktionsschema


eines Plattenwärmeübertragers

Warmwasserkreislauf
Kaltwasserkreislauf

 ausreichende Druckstabilität für die in der Geothermie üblichen Drücke von über
16 bar,
 geringen Wasserinhalt, der im Schadens- oder Revisionsfall aufbereitet bzw. entsorgt
werden muss und
 gute Revisionsmöglichkeiten der Plattenoberfläche durch leichte Demontage.

Als Material hat sich vor allem Titan durchgesetzt, welches weitgehend stabil gegen-
über den meist hochkorrosiven Thermalwässern ist.
Um den Übertritt von Thermal- ins Heizungswasser bei Leckagen auszuschließen,
wird der Wärmeübertrager mit Überdruck auf der Heiznetzseite betrieben. Wo das nicht
möglich bzw. ineffizient ist, müssen andere Maßnahmen ergriffen werden (z. B. eine per-
manente Überwachung der elektrischen Leitfähigkeit des Heiznetzwassers oder der Ein-
satz von Wärmeübertragern mit doppelten Wänden zwischen den Medien; letzteres ver-
schlechtert aber den Wärmeübergang beträchtlich) [9.7].

Leckageüberwachung Wichtig ist die Absicherung der Dichtheit des Systems bzw., als
Folgereaktion bei auftretenden Schäden, die schnelle Eindämmung des austretenden Ther-
malwassers. Notwendig ist eine Kombination aus

 korrosionsresistenten Rohrleitungsmaterialien,
 sicherer Rohrleitungstechnologie (stabile Rohrverbindungen, Doppelrohrsysteme
usw.) und
 Lecküberwachungsanlagen (sie müssen eine permanente Kontrolle garantieren und
große Leckagen sehr schnell sowie kleine Leckagen örtlich präzise und zuverlässig
identifizieren).
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 843

Neben den beschriebenen Verfahren am Wärmeübertrager erfordert die Überwachung


der größtenteils erdverlegten Förder- und Injektionsleitungen besondere Aufmerksamkeit.
Hier werden aus der Fernwärmetechnik stammende Kontrolldrahtsysteme, die allerdings
eine Doppelrohrinstallation zur Verhinderung des Eindringens von Erdfeuchte in den Kon-
trollraum benötigen, oder kabellose Überwachungsverfahren eingesetzt.

Slopsystem Das Slopsystem nimmt die außerhalb der Rohrleitungen anfallenden Ther-
malwässer auf und stellt sie für den Abtransport zur Deponie bereit bzw. führt sie aufbe-
reitet in den Kreislauf zurück. Slopwässer entstehen

 beim Spülen der Förderbohrung und des thermalwasserführenden Rohrleitungssystems


bei der Erstinbetriebnahme und nach längeren Stillständen,
 beim Filterwechsel,
 bei Reparaturen,
 beim Entleeren des Leitungssystems,
 an den Stopfbuchsen der Pumpen und Armaturen und
 bei Undichtigkeiten im System.

Der Hauptslopbehälter befindet sich i. Allg. an der Injektionsbohrung. Er muss so di-


mensioniert sein, dass er bei Anfahrvorgängen das zum Schutz der Injektionsbohrung zu-
rückgehaltene Bohrungs- und Rohrleitungsvolumen an Thermalwasser aufnehmen kann.
Außerdem ist er mit einem Abscheidebecken (d. h. Sumpf) versehen, in dem Feststoffe
sedimentieren können.
Weitere kleine Slopbehälter sind an jedem weiteren Betriebspunkt angeordnet. Sie die-
nen der Aufnahme von Leckströmen, die über Fußbodeneinläufe gesammelt werden.

Sicherung der Qualität des Reinjektionswassers Die Reinjektion des ausgekühlten Ther-
malwassers (d. h. das Abströmen des Wassers durch die Bohrungskomplettierung, den
bohrungsnahen Bereich und das Durchströmen des Speichergesteins) kommt einem Fil-
trationsvorgang gleich. Deshalb muss auf jeden Fall eine Blockierung des Speichers durch
einen Feststoffeintrag sicher verhindert oder zumindest möglichst lange verzögert werden.
Die Thermalwässer stehen mit dem Speichergestein in einem chemischen Gleich-
gewicht. Im Thermalwasserkreislauf ist aber das geothermisch genutzte Tiefenwasser
Druck- und Temperaturschwankungen unterworfen. Dadurch kommt es zu einer

 Druckentlastung (Entspannung) bei Förderung,


 Temperaturabsenkung und / oder einem möglichen Sauerstoffzutritt im übertägigen
Thermalwasser-Kreislaufsystem,
 Druckerhöhung bei der Reinjektion,
 Vermischung mit „in situ-Schichtwasser“ und
 erneuten Erwärmung.
844 S. Janczik et al.

Durch die Druckentlastung während der Förderung sind auch Entgasungen möglich,
die zu pH-Wert- und Redoxpotenzial-Veränderungen führen können. Sauerstoffzutritt
führt zusätzlich zu einer Erhöhung des Redoxpotenzials.
Eine Sicherung der Qualität des Reinjektionswassers ist (a) durch die weitgehende Ver-
meidung eventuell auftretender Verunreinigungen und (b) durch eine Filtration möglich.
Beide Varianten werden im Folgenden kurz diskutiert.

 Vermeidung einer Verunreinigung des Reinjektionswassers. Thermalwässer können


komplex zusammengesetzte, hochsalinare untersättigte Lösungen mit einem geringen
Anteil an gelösten Schichtgasen sein. Mit Ausfällungen leicht löslicher Salze ist meist
nicht zu rechnen. Wird eine Vermischung mit Fremdwässern vermieden, können le-
diglich Eisenausfällungen auftreten. Andere Mineralneubildungen sulfatischer, karbo-
natischer und silikatischer Art sind im übertägigen Thermalwasserkreislauf und im
Speichergestein nicht zu erwarten. Trotzdem muss der Bildung von Feststoffen, ne-
ben der Korrosion, durch eine strikte Gewährleistung der Sauerstofffreiheit des Sys-
tems Einhalt geboten werden. Im Betrieb und bei Stillstand wird deshalb das Sys-
tem unter einem permanenten Überdruck gehalten. Dazu werden aufwändige Schutz-
gassysteme installiert. Weiterhin sind chemische Veränderungen im Thermalwasser-
kreislauf durch mikrobiologische Aktivitäten bekannt, die ebenfalls zur Bildung von
Feststoffen (d. h. Ausfällungen) führen können. Insbesondere bei bakteriell induzierter
Schwefelwasserstoff(H2 S)-Bildung kommt es zu pH-Wert-Veränderungen und nach-
folgender Sulfidausfällung. Daneben tragen die Bakterien selbst zur Feststoffbelastung
bei. Zusätzlich können beim Anfahrprozess Spuren von Ölen und Fetten (z. B. aus der
Bohrlochmotorpumpe) in die Injektionsbohrung eingebracht werden; dies ist durch ent-
sprechende Maßnahmen sicher zu vermeiden.
 Filtration des Reinjektionswassers. Trotz aller präventiven Maßnahmen muss der Spei-
cher durch das Filtern des Injektionsfluids geschützt werden; dies ist als ein kontinuier-
licher Prozess zu realisieren. Verfahren der Tiefenfiltration erreichen hier gute bis sehr
gute Abscheideergebnisse und somit eine gute Klärwirkung (unter einem Tiefenfilter
ist ein Filtersystem zu verstehen, mit dem Partikel aus strömenden Fluiden (hier: Ther-
malwasser) in der „Tiefe“ des Filters (und nicht auf seiner Oberfläche) abgeschieden
werde; d. h. im Unterschied zu einem Oberflächenfilter soll sich bei einer Tiefenfiltra-
tion kein Filterkuchen ausbilden). Oberflächenfiltrationsverfahren sind günstig, da die
sichere Klassierung der Partikel bis zu einer festzulegenden maximalen Größe möglich
ist. Für geothermische Anlagen sind Filter einzusetzen, die sowohl eine gute Klärwir-
kung als auch eine Klassierung gewährleisten.

Reinjektion des Thermalwassers Bei der Reinjektion von Thermalwasser in das Träger-
gestein des geologischen Speicherhorizonts sind die Druckverluste in den Rohrleitungen
der Injektionsbohrung zu überwinden. Hinzu kommt der notwendige Überdruck im Spei-
cherbereich zwischen dem Inneren der Bohrung und dem unbeeinflussten Speicher. Diese
beiden Größen sind für eine vorgegebene Konstellation Funktionen des Volumenstroms.
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 845

Im Anlagenstillstand befindet sich der (Ruhe-)Wasserspiegel in der Injektionsbohrung


– abhängig von der Temperatur der Flüssigkeitssäule und damit deren Dichte – in einer
bestimmten Höhe innerhalb der Bohrung. Bei Anlagenbetrieb steigt der Spiegel in der
Bohrung in Abhängigkeit der Druckverluste an. Bis zu einem bestimmten Volumenstrom
besteht also das Problem, dass am Bohrungskopf Unterdruck herrscht. Dem muss durch
geeignete Maßnahmen (z. B. durch Fußventile in der Bohrung) abgeholfen werden.
Steigt der Volumenstrom weiter, kann der dazu nötige Bohrungskopfdruck bis zu einem
gewissen Maß, das durch die Druckstufe des übertägigen Systems bestimmt wird (meist
bis zu 5 bar), durch die Pumpe in der Förderbohrung aufgebracht werden. Erst danach
werden zusätzliche Injektionspumpen in Betrieb genommen, die mit der Injektionsboh-
rung über eine Leitung mit erhöhter Druckbeständigkeit verbunden sind.

Wärmepumpen Wärmepumpen können auf einem vergleichsweise niedrigen Tempe-


raturniveau Wärme aufnehmen und diese auf einem höheren Temperaturniveau wieder
abgeben (Kapitel 8.1 und 8.2). Sollte damit das Temperaturniveau des Thermalwassers
den nachfrageseitigen Anforderungen nicht entsprechen, kann durch den Einsatz von Wär-
mepumpen eine Temperaturanhebung bzw. auch eine effiziente Steigerung der geothermi-
schen Heizleistung erfolgen.

Spitzenlastaggregate Zum Ausgleich saisonaler und täglicher Leistungsspitzen und


zum Auffangen eines potenziellen störungsbedingten Ausfalls (Sicherstellung der Ver-
sorgungssicherheit) wird in geothermischen Energiezentralen, die Nah- bzw. Fernwärme
bereitstellen, in der Regel eine mit fossilen oder biogenen Brennstoffen gefeuerte Kes-
selanlage installiert. Aus den genannten Versorgungssicherheitsgründen wird sie so
dimensioniert, dass sie im Störungs- oder Havariefall die vollständige Wärmenachfra-
ge der angeschlossenen Verbraucher sicherstellen kann [9.9].
Abb. 9.19 zeigt beispielhaft eine Jahresdauerlinie eines geothermischen Heiznetzes mit
einer mit fossilen Energieträgern (z. B. leichtes Heizöl) befeuerter Spitzenlastabdeckung.
Demnach ist es nur innerhalb eines sehr beschränkten Zeitraums im Jahresverlauf nicht

Abb. 9.19 Beispiel für ei- 10

ne Jahresdauerlinie eines
Thermische Leistung in MW

Heiznetzes mit Vor- und Rück- 8


lauftemperaturen unterhalb der Spitzen-
Thermalwassertemperatur 6 lastanlage

2
geothermischer Teil
der Anlage
0
1000 2000 3000 4000 5000 6000 7000 8000
Zeit in Stunden
846 S. Janczik et al.

möglich, die hier exemplarisch dargestellte Versorgungsaufgabe, die mehr oder weniger
typisch für Haushaltskunden in Deutschland bzw. Mitteleuropa ist, vollständig mithilfe
geothermischer Energie zu decken. Auch ist im Vergleich zur insgesamt nachgefragten
und damit in das angeschlossene Nah- oder Fernwärmenetz eingespeisten Wärme der
im Verlauf des gesamten Jahres von der Spitzenlastanlage gelieferte Wärmeanteil relativ
klein. Dadurch kann aber die Geothermieanlage mit einer vergleichsweise hohen Volllast-
stundenzahl betrieben und damit der Betrieb der Gesamtanlage i. Allg. wirtschaftlicher
gestaltet werden.

Blockheizkraftwerk (BHKW) Unter Effizienz bzw. Kostenaspekten kann es sinnvoll


sein, für die Deckung der Eigenstromnachfrage ein Blockheizkraftwerk (BHKW) in die
geothermische Energieanlage zu integrieren. Dann muss aber auch die anfallende Wär-
me in das Wärmeversorgungssystem sinnvoll integriert werden. Dazu kommt i. Allg. eine
Verbrennungskraftmaschine – und hier im Wesentlichen ein beispielsweise mit Erdgas /
Biogas betriebener Verbrennungsmotor, der mit einem (Asynchron-)Generator verbunden
ist – zum Einsatz, bei dem die Abgas-, die Kühlwasser- und die Ölkühlerwärme als Nutz-
wärme verfügbar gemacht werden kann; alternativ dazu ist theoretisch auch eine (Mikro-)
Gasturbine einsetzbar, die aber bisher keine Marktbedeutung erlangt hat. Damit ein der-
artiges Blockheizkraftwerk (BHKW) optimal in die Wärmeversorgung integriert werden
kann, muss die elektrische und letztlich auch die thermische Leistung an die lokalen Ge-
gebenheiten in der entsprechenden Anlage angepasst werden.
Innerhalb der Geothermieanlage kann der vom Blockheizkraftwerk (BHKW) produ-
zierte Strom zum Antrieb der Pumpen (sowohl Thermalwasser- als auch Heiznetzseite)
und der ggf. installierten Wärmepumpe genutzt werden. Alternativ kann er auch in das
Netz der öffentlichen Stromversorgung eingespeist werden. Die jeweils realisierte Lösung
wird von den örtlichen techno-ökomischen Randbedingungen (mit-)bestimmt.
Zusätzlich sollte neben der elektrischen Energie die in Koppelproduktion gewonnene
Wärme des BHKW genutzt werden. Dabei ist allerdings zu beachten, dass sowohl der geo-
thermische Anlagenteil (d. h. die geothermische Heizzentale) als auch das BHKW letztlich
Wärmegrundlast bereitstellen; d. h. aus ökonomischen Gründen sollten beide Wärmebe-
reitstellungssysteme eine möglichst hohe Volllaststundenanzahl erreichen (d. h. sie kön-
nen sich untereinander „Konkurrenz“ machen).
Unter den jeweiligen spezifischen Bedingungen vor Ort ist somit im Einzelnen zu klä-
ren, ob eine derartige Systemkombination oder ein Gesamtsystem ohne BHKW unter
systemtechnischen bzw. ökonomischen Gründen sinnvollerweise zu wählen ist.

Fernwärmenetze Die geothermisch bereitgestellte Niedertemperaturwärme kann au-


ßer durch die unmittelbare und ausschließliche Versorgung eines (großen) industriellen
Abnehmers mit hoher, im Jahresverlauf gleichmäßig anfallender Niedertemperaturwär-
menachfrage sowohl in Bezug auf die nachgefragte thermische Leistung als auch auf
die Volllaststunden im Jahresverlauf auch mithilfe von Nah- bzw. Fernwärmenetzen
an in der Fläche verteilte Verbraucher (z. B. Haushalte, GHD) transportiert werden,
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 847

Strahlennetz Ringnetz Maschennetz

Heiz-
werk
Heiz- Heiz-
werk werk

Heiz- Heiz-
werk werk

Abb. 9.20 Netzformen der Hauptverteilung in Fernwärmenetzen (nach [9.2])

mit dem Ziel, die dort gegebene Niedertemperaturwärmenachfrage zu decken. Hier-


für werden in Mitteleuropa im Normalfall wasserbetriebene Wärmeverteilungssysteme
eingesetzt (Kapitel 16). Diese können als Ein-, Zwei-, Drei- oder Vierleitersystem aus-
gelegt werden; derzeit werden aber fast ausschließlich Zweileitersysteme eingesetzt. Sie
dienen in der Regel zur Versorgung der angeschlossenen Verbraucher mit Raumwärme
und Brauchwarmwasser (d. h. sie decken üblicherweise die gesamte Niedertemperatur-
wärmenachfrage, sodass diese Verbraucher keinen zusätzlichen Wärmeerzeuger mehr
benötigen).
Als Wärmeträgermedium wird in diesen Wärmenetzen in der Regel Wasser eingesetzt.
Um das Risiko von Korrosion sowie Ablagerungen in den Rohrleitungen möglichst weit-
gehend zu minimieren und somit Rohrbrüche oder sogar einen Gesamtausfall des Nah-
oder Fernwärmenetzes zu verhindern, sollte das verwendete Wasser entsalzt, entgast, frei
von mechanischen Verunreinigungen und mit geeigneten Chemikalien alkalisiert sein.
Die Struktur von derartigen Wärmeverteilungsnetzen wird vor allem durch städtebauli-
che Gegebenheiten (z. B. räumliche Anordnung der Häuser, Straßenführung), die Netzgrö-
ße und die Anzahl der (geothermischen) Energiezentralen bestimmt, die in das jeweilige
Netz einspeisen. Abb. 9.20 zeigt die für die Hauptverteilung der Niedertemperaturwärme
typischen Netzformen Strahlen-, Ring- und Maschennetz.
Ringnetze ermöglichen die Einbindung mehrerer Heizwerke; sie sind jedoch kostenin-
tensiver im Vergleich zu den anderen Netzformen, weil die Trassenlänge und der Nenn-
durchmesser der Ringleitungen verhältnismäßig groß dimensioniert werden müssen. Die-
sem Nachteil steht jedoch eine hohe Versorgungssicherheit gegenüber. Im Vergleich dazu
bieten Maschennetze ebenfalls eine hohe Versorgungssicherheit und zusätzlich gute Er-
weiterungsmöglichkeiten. Sie eignen sich jedoch aufgrund der z. T. sehr hohen Investitio-
nen nur für große Wärmeverteilungsnetze. Bei kleinen und mittleren Fernwärmenetzen –
und damit typischen Netzen für eine Verteilung von Erdwärme – sind wegen der geringe-
ren Trassenlänge aus Kostengründen Strahlennetze vorzuziehen [9.2].
Bei der Unterverteilung der Wärme an den Verbraucher und den Hausanschlüssen
(Trassierung) sind ebenfalls verschiedene Systeme realisierbar. Zum einen kann jeder
Kunde separat an die Hauptverteilleitung angeschlossen werden; diese Option bietet ei-
ne hohe Flexibilität und wird vor allem dann bevorzugt, wenn ein zu versorgendes Gebiet
848 S. Janczik et al.

Standard-Trassenführung Haus zu Haus-Trassenführung Mischform-Trassenführung

Verteilleitung Hauptleitung Hausanschlussleitung

Abb. 9.21 Möglichkeiten der Trassenführung (nach [9.2])

nur teilweise erschlossen ist. Zum anderen ist eine Trassierung von Haus zu Haus möglich;
diese Variante kann bei dichter Bebauung sinnvoll sein. Hier werden Häuser zu Gruppen
zusammengefasst und nur ein Haus an das Nah- bzw. Fernwärmenetz angeschlossen. Von
diesem netzgekoppelten Haus aus werden dann die anderen Häuser angebunden, so dass
insgesamt weniger Abzweige von der Verteilleitung notwendig sind (Abb. 9.21). In der
Regel wird eine Mischform aus den beiden Trassenführungssystemen gewählt, um die
Vorteile beider Systeme vor dem Hintergrund der lokal vorliegenden Gegebenheiten zu
kombinieren.
Die Hauptgruppen der Verlegeverfahren für mit geothermischer Energie betriebene
Nah- und Fernwärmeleitungen sind Freileitungssysteme sowie kanalgebundene und ka-
nalfreie Systeme. Freileitungen bzw. oberirdisch verlegte Leitungen werden in Deutsch-
land wegen Sichtbelästigung und möglicher Nutzungseinschränkungen des Grundstücks
kaum mehr neu verlegt; in einigen Städten sind sie aber aus historischen Gründen nach
wie vor vorhanden und in Betrieb. Kanalfreie oder auch direkt erdverlegte Systeme haben
sich aus Kostengründen, wegen des geringeren Platzbedarfs und der kürzeren Bauzei-
ten, gegenüber kanalgebundenen Systemen vor allem im Leistungsbereich unter 20 MW
thermischer Leistung – und damit im Bereich von Geothermie-Nahwärmeversorgungssys-
temen – durchgesetzt [9.9].
Wegen des oft feuchten Erdreichs ist die Korrosionsbeständigkeit die wichtigste An-
forderung an das Leitungssystem. Dabei muss eine Durchfeuchtung der Isolierung wegen
daraus resultierender erhöhter Wärmeverluste sicher vermieden werden.
Heute werden für Nah- bzw. Fernwärmetrassen primär Kunststoffmantelrohre mit
Stahlmediumrohr eingesetzt. In Konkurrenz dazu stehen Kunststoffmediumrohre. Im
Bereich der Unterverteilung und der Hausanschlussleitungen können flexible Metall-
oder Kunststoffmediumrohre verwendet werden. Diese werden von „der Rolle“ verlegt;
dadurch entfallen anfällige, erdverlegte Verbindungen. Außerdem beschleunigt dies die
Verlegung, senkt die Schadensanfälligkeit und trägt zunehmend zur Wirtschaftlichkeit des
Gesamtsystems bei.
Letztlich sind noch Hausübergabestationen als Bindeglieder zwischen dem Nah- bzw.
Fernwärmenetz und der Hausanlage (Heizungsanlage) notwendig. Diese werden standar-
disiert und vorgefertigt inklusive aller Anlagenkomponenten geliefert und mit der Haus-
anlage verbunden. Dabei können direkte und indirekte Systeme unterschieden werden.
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 849

 Bei direkten Systemen durchströmt das Heizwasser die Anlagenteile der Hausstati-
on; die Temperaturregelung erfolgt durch Zumischen von kälterem Wasser aus dem
Hausanlagenrücklauf. Dies stellt meist die kostengünstigere Variante dar [9.2]; derarti-
ge Systeme werden aber aufgrund ihrer technischen Anfälligkeit zunehmend weniger
verbaut.
 Bei indirekten Systemen wird ein Wärmeübertrager zwischen Nah- bzw. Fernwärme-
netz und Hausanlage geschaltet. Für dieses System sprechen vor allem die Unabhän-
gigkeit von den Druckverhältnissen im Netz und der Wasserbeschaffenheit.

9.2.2.2 Zusätzliche Komponenten für Kraft- bzw. Heizkraftwerke


Neben den bisher diskutierten Systemkomponenten für eine ausschließliche Wärmebereit-
stellung muss für eine Strom- bzw. gekoppelte Strom- und Wärmebereitstellung zusätzlich
ein Kraftwerk installiert werden. Deshalb werden nachfolgend zunächst die dafür be-
nötigten Einzelkomponenten diskutiert, bevor anschließend die prinzipiell einsetzbaren
Kraftwerksprozesse dargestellt werden.

Einzelkomponenten Wesentliche Systemkomponenten eines Kraftwerks zur Bereitstel-


lung elektrischer Energie sind der Verdampfer, die Turbine, der Kondensator, ggf. der
Rekuperator und die Speisepumpe sowie das Kreislaufmedium. Diese Komponenten wer-
den nachfolgend dargestellt.

Flash-Behälter Wird unter einem bestimmten Druck ein Wasser-Dampf-Gemisch aus


dem tiefen Untergrund gefördert, muss vor einer energetischen Nutzung zunächst eine
Trennung von Dampf und Wasser realisiert werden. Dazu wird das geförderte Wasser-
Dampf-Gemisch in einen sogenannten Flash-Behälter (Abb. 9.22) geleitet, in dem der

Abb. 9.22 Flash-Behälter Wasserdampf

trockener Dampf
Tropfenabscheider

Flash-Behälter

Wasser-
Dampf-
Gemisch
feuchter Dampf

Flüssigkeit

Flüssiges Wasser
850 S. Janczik et al.

Druck des Gemischs abgesenkt wird. Dadurch geht ein Teil des flüssigen Wassers in die
Gasphase über und kann am oberen Teil des Flash-Behälters abgezogen werden; dieser
Dampf kann dann direkt oder indirekt – dann erfolgt eine Wärmeübertragung an ein
sekundäres Wärmeträgermedium – dem nachgeschalteten Kraftwerksprozess oder einer
anderen Wärmenutzung zugeführt werden. Am unteren Ende des Behälters wird dann das
heiße Wasser abgeführt; es kann entweder zurück in den Untergrund geleitet oder einer
weiteren technischen Nutzung zugeführt werden.

Verdampfer Aufgabe des Verdampfers ist es, dass im Kraftwerks-Kreisprozess zirkulie-


rende Kreislaufmedium mithilfe geothermischer Energie in die Gasphase zu überführen.
Mit dem Ziel eines effizienten und wirtschaftlichen Betriebs sollen derartige Verdamp-
fer mit einer möglichst geringen Temperaturdifferenz zwischen dem Thermalwasser und
dem Kreislaufmedium betrieben werden können. Die Bauart der Wärmeübertrager wird
dabei im Wesentlichen von dem vor Ort eingesetzten Kraftwerks-Kreisprozess bestimmt.
Beispielsweise werden bei ORC-Kraftwerken (ORC Organic Rankine Cycle; siehe un-
ten) oft Rohrbündelwärmeübertrager und bei Kalina-Kraftwerken Plattenwärmeübertra-
ger verwendet.

Turbine Als Strömungskraftmaschinen wandeln Turbinen die Strömungsenergie von Ga-


sen oder Flüssigkeiten in Bewegungsenergie der Welle um (vgl. auch Kapitel 7.2). Dies
ist die üblicherweise in Kraftwerken eingesetzte Technologieoption.
Wegen des im Vergleich zu Wasser (Arbeitsmittel in einem „klassischen“ Dampfkraft-
prozess) höheren Molekulargewichts der üblicherweise in ORC-Anlagen eingesetzten or-
ganischen Arbeitsmedien und dem typischerweise größeren spezifischen Massenstrom
infolge des ebenfalls im Vergleich zum „klassischen“ Dampfkraftwerk geringeren Tem-
peratur- und Druckniveaus besitzen derartige Turbinen im Vergleich zu Turbinen konven-
tioneller Dampfkraftwerke spezifisch größere Abmessungen. Damit geht eine geringere
mechanische Belastung einher. Zudem werden organische Fluide in einer ORC-Anlage
in der Regel nicht bis ins Nassdampfgebiet entspannt. In der Summe ergeben sich daraus
ein in Summe geringerer Verschleiß an den Turbinenschaufeln und Düsen sowie ein in
Summe höherer Maschinenwirkungsgrad im Vergleich zu „klassischen“ Dampfturbinen.
Demgegenüber kann es bei den in Kalina-Anlagen eingesetzten Turbinen wegen des
Einsatzes des feuchten Arbeitsmittels (d. h. Ammoniak-Wasser-Gemisch) zu Korrosion
an den Turbinenschaufeln kommen. Deshalb müssen hier höherwertige und damit korro-
sionsbeständigere Materialien verwendet werden. Aufgrund einer ähnlichen Wärmekapa-
zität und einem vergleichbaren Molekulargewicht von Ammoniak zu Wasser können in
der Regel konventionelle Wasserdampf-Turbinen verbaut werden, wie sie auch in „klassi-
schen“ Dampfkraftwerken eingesetzt werden können [9.10].

Generator An die Turbinenwelle angeflanscht wird i. Allg. ein handelsüblicher (Asyn-


chron-)Generator, der die Rotationsenergie der Turbinenwelle in elektrische Energie wan-
delt, die dann in das Netz der öffentlichen Versorgung eingespeist werden kann.
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 851

Kondensator Im Kondensator wird das Kreislaufmedium nach der Entspannung in der


Turbine und ggf. dem Durchlaufen des Rekuperators wieder zurück in den flüssigen Aus-
gangszustand überführt. Dabei wird die abführbare Wärme des aus der Turbine austreten-
den Arbeitsmitteldampfes aus dem Kreisprozess ausgeschleust und typischerweise an die
Umgebung als Niedertemperaturwärme abgegeben.
Prinzipiell ist eine derartige Verflüssigung über eine Frischwasserkühlung, eine Ver-
dunstungskühlung oder eine Trockenkühlung möglich; ggf. sind auch Kombinationen
denkbar.

 Bei der Frischwasserkühlung erfolgt die Wärmeabfuhr aus dem Prozess mithilfe von
Oberflächenwasser (Abb. 9.23). Diese Option ist damit an das Vorhandensein von
entsprechend großen Mengen an thermisch belastbarem Oberflächenwasser gebunden
(z. B. Fluss, See, Meer). Aufgrund der in den letzten Jahren zunehmend verschärften
wasserschutzrechtlichen Vorgaben ist diese technische Möglichkeit – zumindest unter
mitteleuropäischen Gegebenheiten – heute praktisch bedeutungslos, da sie nicht (mehr)
genehmigungsfähig ist [9.11].
 Bei der Verdunstungskühlung wird in einem separaten Kreislauf ein Kühlmedium (z. B.
Wasser) umgewälzt (Abb. 9.24); deshalb ist hier die Verfügbarkeit von thermisch be-
lastbarem Oberflächenwasser nur in einem begrenzten Maße erforderlich. Das Kühl-
wasser nimmt im Kondensator die abführbare thermische Energie auf und gibt diese
in einem Kühlturm an die Umgebungsluft ab. Dabei kann zwischen Nass-, Trocken-

Abb. 9.23 Prinzip der Frisch- Kühlwasserpumpe Gewässer


wasserkühlung

Kondensator

Dampf-
schwaden

Schale Kondensator trockene


Wärme-
Luft übertrager
Kondensator feuchte Riesel-
Luft einbauten
Kühlwasser- Konvektion
Sprühnebel kreislauf Schale
Auftrieb
Luft Luft

(Kurzregelstrecke) Streben
Kühlturmtasse Luft Luft
Abflut

Fließgewässer

Abb. 9.24 Prinzip Nass- (links) und Trockenkühlturm (rechts)


852 S. Janczik et al.

Abb. 9.25 Prinzip Trocken- Dampf


kühlung
umströmte Rohre

Kondensat

Ventilatoren

und Hybridkühltürmen unterschieden werden. Bei einem Nasskühlturm findet der Wär-
meübergang in einem offenen Kreislauf durch Konvektion und Verdunstung statt; das
dabei verdunstete Wasser muss jeweils ersetzt werden. Bei einem Trockenkühlturm
wird dieser Wärmeübergang ausschließlich durch Konvektion in einem geschlossenen
Kreislauf realisiert. Der Hybridkühlturm stellt eine Kombination aus Nass- und Tro-
ckenkühlturm dar [9.11].
 Bei der Trockenkühlung wird die Wärme an die Umgebungsluft in Form von strömen-
den Luftmassen abgegeben (Abb. 9.25). Im Vergleich zu einer Wasserkühlung sind
aber wegen der merklich geringeren Wärmekapazität des Kühlmediums Luft deut-
lich größere Wärmeübertragerflächen notwendig (d. h. große Bauvolumina). Derartige
Kühlaggregate sind aber standortunabhängig und praktisch überall einsetzbar (Luft als
Kühlmedium ist praktisch immer vorhanden). Bei abzuführenden Wärmemengen unter
200 MWth werden Ventilatoren eingesetzt, mit denen Temperaturdifferenzen zwischen
der zur Kühlung verwendeten Luft und dem gekühlten Medium von rund 10 bis 20 K
erreicht werden können [9.11].

Speisepumpe Die Druckerhöhung des Kreislaufmediums vor dem Verdampfer wird über
eine Speisepumpe realisiert. Hierzu wird i. Allg. eine radial bzw. halbaxial durchström-
te Drehzahl-variable Kreiselpumpe eingesetzt. Der Antrieb erfolgt durch einen Elektro-
motor.
Bei ORC-Kraftwerken wird je nach eingesetztem Arbeitsmittel ein oberer Prozess-
druck von bis zu 35 bar realisiert (z. B. Isobutan). Bei Kalina-Anlagen mit einem Ammo-
niak-Wasser-Gemisch als Arbeitsfluid können die realisierten Betriebsdrücke demgegen-
über bei 50 bar und mehr liegen. Um saisonal bedingte Lastschwankungen auszugleichen
(d. h. veränderter Kondensatordruck) werden die Pumpen meist Drehzahl-variabel betrie-
ben.

Kreislaufmedium Als Arbeitsmittel in einem Niedertemperatur-Kraftwerksprozess (d. h.


Organic Rankine Cycle (ORC), Kalina-Cycle) werden vorwiegend Reinstoffe bestimm-
ter organischer Verbindungen bzw. Stoffgemische aus unterschiedlichen Stoffen verwen-
det. Aus kältetechnischer Sicht sollten derartige Arbeitsmittel eine/n möglichst niedrige/n
kritische Temperatur / kritischen Druck, einen niedrigen Siedepunkt, ein geringes spezi-
fisches Volumen sowie eine hohe Wärmeleitfähigkeit haben. Die verwendeten Kreislauf-
medien sollten aus technischer Sicht auch möglichst nicht korrosiv sein. Aus Umwelt-
und Klimaschutzsicht sollten sie ungiftig und nicht brennbar sein; außerdem sollten sie
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 853

insbesondere kein Ozonabbaupotenzial (ODP) und kein oder nur ein sehr geringes Treib-
hauspotenzial (GWP) aufweisen [9.43].
Typisch für eine Nutzung in mit Erdwärme betriebenen Organic Rankine Cycles
(ORC), in denen üblicherweise ein Reinstoff als Kreislaufmedium eingesetzt wird, sind
derzeit beispielsweise Kreislaufmedien wie u. a. Isobutan (R600a), Isopentan (R601a)
und 1,1,1,3,3-Pentafluoropropan (R245fa).
Im Unterschied zu Wasser als feuchtes Fluid mit einer negativen Steigung der Taulinie
besitzen die Mehrzahl der für eine geothermische Nutzung in Frage kommenden orga-
nischen Fluide eine positive Steigung der Taulinie. Derartige Medien werden dann als
retrograde Medien bezeichnet. Solche Fluide sind durch einen niedrigen kritischen Punkt
gekennzeichnet und eine Entspannung in das Zweiphasengebiet ist oft nicht möglich. Da-
durch ist eine klassische Überhitzung, wie es bei mit fossilen Brennstoffen gefeuerten
Kraftwerken, die mit einem Dampfkraftprozess auf Wasserbasis ausgestattet sind, i. Allg.
realisiert wird, oft nicht notwendig bzw. sinnvoll.
Demgegenüber wird in einem Kalina-Cycle ein Gemisch aus Wasser und Ammoni-
ak als Kreislaufmedium verwendet. Ein Einsatz derartiger Fluidgemische hat den Vorteil,
dass sowohl die Verdampfung als auch die Kondensation des Arbeitsmediums nicht, wie
bei reinen Stoffen (d. h. organische Arbeitsmittel (Reinstoff), Wasser) isotherm vonstat-
tengehen, sondern dass gleitende Temperaturen auftreten [9.13].

Kraftwerksprozesse Die bisher diskutierten Systemkomponenten können zu einem Nie-


dertemperatur-Kraftwerksprozess zusammengeführt werden. Die für eine geothermische
Stromerzeugung wesentlichen Prozesse – das ist der Rankine-Prozess mit organischen
Arbeitsmitteln und der Kalina-Prozess – werden nachfolgend dargestellt.
Diese Prozesse werden angewendet, wenn das Primärmedium (d. h. das Thermalwas-
ser) nicht heiß genug bzw. sein Druck zu gering ist, um ausreichend unter Druck ste-
henden Dampf mit für eine Entspannung in einer Turbine ausreichenden Druck- und /
oder Temperaturparametern zu erzeugen. Darüber hinaus kann der Einsatz eines zweiten
Arbeitsmediums (d. h. das aus dem Untergrund kommende Thermalwasser wird nicht di-
rekt in einem Kraftwerksprozess genutzt, sondern dessen thermische Energie wird auf ein
Sekundärmedium übertragen) dann sinnvoll sein, wenn das Thermalfluid ungünstige che-
mische Eigenschaften (Mineralisation, Gasgehalte usw.) aufweist, die auf direktem Wege
nicht bzw. nur mit einem unvertretbar hohen Aufwand beherrschbar sind bzw. nicht mit
einem vertretbaren technischen Aufwand sicher abtrennbar sind.
Vergleichsprozess ist der Clausius-Rankine-Prozess aus der konventionellen Kraft-
werkstechnik. Hierbei wird Wasserdampf isobar erhitzt und verdampft, unter Arbeits-
leistung isentrop entspannt, dann isobar kondensiert und anschließend isentrop verdich-
tet [9.13, 9.14].

Rankine-Prozess mit organischen Arbeitsmitteln Außer durch das eingesetzte Kreislauf-


medium, das z. B. aus einem organischen Reinstoff besteht und typischerweise geringe
854 S. Janczik et al.

Abb. 9.26 Vereinfachtes

Generator
Schaltschema eines ORC
Turbine G
(Organic Rankine Cycle)
(nach [9.2])
Verdampfer Kondensator
Wärmezufuhr Wärmeabfuhr

Speise-
pumpe

Druck- und Temperaturparameter erlaubt, unterscheidet sich der ORC-Prozess (Organic-


Rankine-Cycle) nur unwesentlich vom klassischen Rankine-Prozess für Wasserdampf.
Analog zu den in konventionellen Kraftwerken angewandten Kreisprozessen wird das
Kreislaufmedium – hier durch das Thermalfluid – vorgewärmt, verdampft, in einer Tur-
bine entspannt, ggf. in einem rekuperativen Wärmeübertrager gekühlt (das Medium ist
im Gegensatz zur Wasserdampfentspannung noch überhitzt), kondensiert und durch ei-
ne Pumpe wiederum auf Verdampferdruck befördert; eine entsprechende Schaltung ist in
Abb. 9.26 dargestellt.
Abb. 9.27 zeigt die Stromerzeugungswirkungsgrade exemplarischer ORC-Anlagen.
Zusätzlich ist eine mittlere Wirkungsgradkurve dargestellt; danach liegen die durch-
schnittlichen Wirkungsgrade zwischen rund 5,5 % bei etwa 80 ı C und ca. 12 % bei
180 ı C Thermalwassertemperatur. Das entspricht einer Ressourcennutzung von über
500 (t/h)/MW bei 80 ı C und 80 (t/h)/MW bei 180 ı C.

16%
15%
Heber/Kalifornien (USA)
W ir kungsgr ad der Str omer zeugung ( nett o)

14%
Second Imperial Field,
13% zweistufig
12%
11% Nagqu/China
Wabuska/
10%
Nevada (USA) Mammoth/Kalifornien (USA)
9%
8% Takigami/Japan
Altheim/
7% Österreich
Wendel/
6% Kalifornien (USA) Bad Blumau/
5% Österreich
4%
3% Birdsville/Australien
2%
1% Bezug auf 80 °C Injektionstemperatur
0%
80 100 120 140 160 180 200
Thermalwassertemperatur in °C

Abb. 9.27 Wirkungsgrade ausgeführter ORC-Systeme (Organic Rankine Cycle)


9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 855

12%

Stromerzeugungswirkungsgrad (netto)
11%

10%

9%

8%

7%

6%

5%

4%

R134a R245fa R124 R600a R601


3%
R600 Rc318 R245cb R152a
2%
100 110 120 130 140 150 160 170
Temperatur in °C

Abb. 9.28 Nettostromwirkungsgrade verschiedener wassergekühlter ORC-Systeme (Organic Ran-


kine Cycle) bei einer Förderrate von 70 L/s (ohne Berücksichtigung der Förderenergie; Refe-
renztemperatur 15 ı C; R600a Isobutan; RC318 Octofluorcyclobutan; R134a 1,1,1,2-Tetrafluor-
ethan; R600 n-Butan; R245fa 1,1,1,3,3-Pentafluorpropan; R245cb 1,1,1,2,2-Pentafluorpropan; R124
2-Chlor-1,1,1,2-Tetrafluorethan; R152a 1,1-Difluorethan; R601 n-Pentan; nach [9.12])

Die Nettowirkungsgrade der Stromerzeugung ausgeführter Anlagen liegen bis zu Ther-


malfluid-Temperaturen von ca. 135 ı C unterhalb von etwa 10 %. Sie erreichen am oberen
Ende des Betrachtungsfeldes (200 ı C) einen Wert von rund 13 bis 14 %. Dies gilt jedoch
nur unter der Voraussetzung einer weitgehenden Nutzung des Wärmeinhalts des Fluids,
also der Erreichung der angestrebten Auskühlungstemperatur; dies muss beispielsweise
im Hochsommer bei einer Luftkühlung nicht zwingend der Fall sein.
Da ORC-Anlagen die große Bandbreite der natürlicherweise vorkommenden Thermal-
wassertemperaturen effizient abdecken sollen, können sie – je nach Temperaturniveau –
mit verschiedenen Kreislaufmedien betrieben werden. Abb. 9.28 zeigt deshalb exempla-
risch die Nettostromwirkungsgrade für wassergekühlte ORC-Systeme mit einer Förderrate
von 70 L/s mit unterschiedlichen Arbeitsmitteln. Demnach liegen die maximalen Net-
tokonversionswirkungsgrade des Kreisprozesses zwischen rund 4,5 % bei etwa 100 ı C
und ca. 11 % bei 170 ı C Thermalwassertemperatur. Bei den beispielhaft dargestellten Ar-
beitsfluiden sind bei geringen Temperaturen (d. h. bis zu 135 ı C) besonders R245cb, bei
moderaten Temperaturen (d. h. 135 bis 160 ı C) RC318 und bei hohen Temperaturen (d. h.
ab 160 ı C) R600a besonders gut – im Sinne einer Maximierung der Umwandlungseffizi-
enz – geeignet. Bei der Auswahl der entsprechenden Kreislaufmedien sind stets auch eine
Vielzahl an potenziellen Umweltaspekten bzw. die potenziell wirksamen Gefahren auf die
Umwelt zu betrachten.
Wird anstatt einer direkten Wasserkühlung – wie in dem genannten Beispiel – ei-
ne Verdunstungs- bzw. Luftkühlung unterstellt, reduzieren sich aufgrund der dann im
Sommer höheren Kühlungstemperaturen – und damit der geringeren nutzbaren Tempera-
856 S. Janczik et al.

turdifferenz – sowie der höheren Aufwendungen für die Hilfsantriebe die entsprechenden
Wirkungsgrade um bis zu 0,25 bzw. 0,5 %-Punkte.
Derartige ORC-Standardkonzepte können mithilfe verschiedener nachfolgend disku-
tierter innovativer Ansätze optimiert werden, die sich bisher in einem sehr unterschiedli-
chen technischen Reifegrad befinden und alle noch nicht großtechnisch umgesetzt werden.

 Zweistufige Betriebsweise. Bei einer zweistufigen Betriebsweise besteht ein ORC


(Organic Rankine Cycle) immer aus einer Niederdruck- und einer Hochdruckstufe.
Prinzipiell kann der Kreisprozess dann mit zwei getrennten Kreisläufen oder in einem
Kreislauf mit Teilstromabführung realisiert werden. Beim ersten Konzept werden zwei
ORC-Kreisläufe (Hochdruck- und Niederdruckkreislauf) parallel hintereinanderge-
schaltet. Beide Kreisläufe sind dabei in der Regel mit einem identischen Arbeitsmittel
befüllt (nach diesem Konzept wurden bereits einige Anlagen in Deutschland umge-
setzt) und arbeiten jeweils nach dem oben beschriebenen Standard-Konzept [9.43].
Bei einem Modul mit Teilstromabführung erfolgt eine Aufspaltung des Massenstroms
in einen Nieder- und einen Hochdruckteilstrom. Dazu wird der Thermalfluidstrom
in bis zu vier Phasen in den ORC (Organic Rankine Cycle) eingekoppelt. Zunächst
erfolgt dazu eine Vorwärmung des Gesamtmassenstroms auf einem niedrigen Druck-
niveau. Daraufhin wird ein Teilstrom auf ein höheres Druckniveau gebracht. Beide
Teilströme werden dann auf dem jeweiligen Druckniveau vollständig verdampft und
anschließend in einer Hoch- und Niederdruckturbine entspannt. Insgesamt resultiert
aus einer derartigen Mehrdruckschaltung bei beiden Konzepten ein höherer appara-
tiver Aufwand; d. h. die Anzahl der Anlagenkomponenten im Kraftwerk erhöht sich.
Auch sind oft Dichtungen sowie Rohrleitungen wegen der ggf. höheren Betriebsdrücke
deutlich druckfester zu dimensionieren [9.43]. Dafür kann aufgrund der Milderung der
Pinch-Point-Limitierung ein höherer Nettostromwirkungsgrad erreicht werden.
 Überkritische Betriebsweise. Der grundlegende Unterschied zwischen einem konven-
tionellen und einem überkritischen ORC (Organic Rankine Cycle) ist die Verdich-
tung des Kreislaufmediums vor der Wärmezufuhr über den kritischen Druck hinaus.
Dadurch kann eine weitere Anpassung der Temperaturprofile von Wärmequelle und
Kreislaufmedium erreicht und insgesamt mehr Wärme auf einem höheren Temperatur-
niveau auf den Kreisprozess übertragen werden. Dies resultiert je nach verwendetem
Arbeitsfluid und anliegender Thermalwassertemperatur in entsprechenden Wirkungs-
gradsteigerungen. Allerdings wird ein Einsatz derartiger Systeme wegen des Isobaren-
verlaufs im überkritischen Bereich durch das benötigte vergleichsweise hohe Tempe-
raturniveau des Thermalwassers eingeschränkt. So ist z. B. Isopentan (R601a) in einem
überkritischen ORC (Organic Rankine Cycle) nicht bei Thermalwassertemperaturen
von unter 200 ı C einsetzbar.
 Zeotrope Stoffgemische. Alternativ zu den üblicherweise eingesetzten Reinstoffen als
Kreislaufmedium können auch zeotrope Stoffgemische in einem ORC (Organic Ranki-
ne Cycle) verwendet werden (ein Stoffgemisch wird als zeotrop bezeichnet, wenn die
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 857

Zusammensetzung von Flüssigkeit und Dampf im Dampf-Flüssigkeits-Gleichgewicht


immer unterschiedlich ist (d. h. Tau- und Siedekurve berühren sich in keinem Punkt);
demgegenüber sind Gemische, deren Tau- und Siedekurven sich in mindestens einem
Punkt berühren (hier ist die Zusammensetzung von Dampf und Flüssigkeit gleich),
azeotrop). Der Vorteil ist der nicht-isotherme Phasenübergang bei der Verdampfung
und der Kondensation. Dadurch ist eine bessere Anpassung der Temperaturprofile und
damit letztlich eine Wirkungsgradsteigerung möglich.

Kalina-Prozess Der Kalina-Prozess nutzt ebenso wie der ORC-Prozess ein Arbeitsmittel,
das in einem vom Thermalfluid abgeschlossenen Kreislauf zirkuliert. Als Arbeitsmedium
wird hier aber im Unterschied zum ORC (Organic Rankine Cycle) ein Stoffgemisch aus
Ammoniak (NH3 ) und Wasser verwendet. Abb. 9.29 zeigt den Prozess in seiner einfachs-
ten Form.
Das Zweistoffgemisch wird demnach in einem Wärmeübertrager vom Thermalfluid
vorgewärmt und verdampft. Wegen der Siedepunktabstände der beiden Komponenten in
diesem Stoffgemisch entstehen ein Ammoniak-reicher Dampf und eine Ammoniak-arme
Flüssigkeit, die anschließend voneinander getrennt werden. Der Dampf wird einer Tur-
bine zugeführt und dort unter Abgabe von Arbeit entspannt. Im Anschluss daran werden
der abgearbeitete Dampf und die Ammoniak-arme Flüssigkeit wieder zusammengeführt
und gemeinsam zum Kondensator geleitet. Hier wird das Stoffgemisch komplett verflüs-
sigt und danach auf den Verdampferdruck gebracht. Zur Verbesserung der energetischen
Effizienz werden in der Schaltung Rekuperatoren eingesetzt, von denen in Abb. 9.29 einer
zwischen der heißen Ammoniak-armen Lösung und der kalten Grundlösung dargestellt
ist.
Die erreichbaren Wirkungsgrade derartiger Kalina-Prozesse liegen zwischen ca. 5,0 %
bei rund 120 ı C und etwa 8,5 % bei rund 180 ı C Thermalwassertemperatur (Abb. 9.30);
die Ressourcennutzung erreicht bei diesen Temperaturen Werte zwischen 500 (t/h)/MW
und 70 (t/h)/MW. Diese vergleichsweise hohen Wirkungsgrade konnten jedoch bisher
nicht im praktischen Anlagenbetrieb verifiziert werden.

Separator
Generator
Turbine

Verdampfer
Wärmezufuhr NH3-reiche
NH3-arme Lösung
Lösung
Kondensator

Wärmeabfuhr
Speisepumpe

Abb. 9.29 Vereinfachtes Schaltschema eines Kalina-Prozesses


858 S. Janczik et al.

9%

Stromerzeugungswirkungsgrad (netto)
90 % NH3 83 % NH3 75 % NH3
8%

7%

6%

5%

4%

3%
110 120 130 140 150 160 170 180
Thermalwassertemperatur in °C

Abb. 9.30 Nettostromwirkungsgrade verschiedener wassergekühlter Kalina-Systeme bei einer För-


derrate von 70 L/s (ohne Berücksichtigung der Förderenergie; Referenztemperatur 15 ı C)

Abb. 9.31 Temperaturverlauf Arbeits-


medium
des Wärmeübertrags in einem
Thermal- Thermal-
Kalina-Cycle im Vergleich zu fluid fluid
einem „klassischen“ Wasser-
Arbeitsmedium
dampfprozess (Wasser oder Ammoniak-
Wasser-Gemisch)
Temperatur

siedendes Wasser
(Reinstoff) Ammoniak-
Wasser Wasser-
(flüssig) Gemisch
Wärmeübertragung

Der Vorteil dieses Prozesses liegt darin, dass die Verdampfung und die Kondensation
des Arbeitsmediums nicht isotherm, wie bei reinen Stoffen (ORC-Prozess) vonstattenge-
hen, sondern dass gleitende Temperaturen auftreten (Abb. 9.31).

 Die Temperaturverläufe des Thermalfluids auf der einen Seite (z. B. Abkühlung von
150 auf 85 ı C) und die des auf der anderen Seite im Gegenstrom geführten verdamp-
fenden Gemischs (bei geeigneter Konzentration der Grundlösung z. B. Erwärmung von
75 auf 145 ı C) können dadurch einander angepasst werden. Das vermindert die mittlere
Temperaturdifferenz zwischen beiden Stoffströmen und damit die Verluste der Wärme-
übertragung.
 Gegenüber dem Einsatz reiner Stoffe erhöht sich die mittlere Temperatur der Verdamp-
fung. Gleichzeitig vermindert sich die durchschnittliche Temperatur der Kondensation.
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 859

Dies führt zur Verbesserung des Carnot-Wirkungsgrades des Prozesses (d. h. des theo-
retisch maximalen Wirkungsgrades).

Neben den energetischen hat der Prozess auch bautechnische Vorteile. Wegen der Ähn-
lichkeit der hier entscheidenden Stoffeigenschaften von Wasser und Ammoniak für die
Entspannung können Wasserdampfturbinen verwendet werden. Darüber hinaus finden
Ammoniak-Wasser-Gemische seit langem in anderen Gebieten der Technik (z. B. Kälte-
technik) breite Anwendung. Die damit verbundenen technischen Herausforderungen sind
damit bekannt und sollten deshalb grundsätzlich lösbar sein.
Von Nachteil sind die wegen der geringeren Temperaturdifferenzen in den Wärme-
übertragern und des schlechteren Wärmeübertragungsverhaltens deutlich größeren Ap-
parate im Vergleich beispielsweise zu einem ORC (Organic Rankine Cycle). Auch gibt
es weltweit bisher nur sehr wenige derartiger Anlagen; das insgesamt global vorhandene
Erfahrungspotenzial mit dieser Kraftwerkstechnik ist sehr gering.

9.2.3 Anlagenkonzepte

Bei den nachfolgend diskutierten geothermischen Anlagenkonzepten wird unterschieden


zwischen Konzepten zur ausschließlichen Wärmebereitstellung sowie solchen mit dem
Ziel der kombinierten Wärme- und Stromerzeugung.

9.2.3.1 Wärmebereitstellungskonzepte
Geothermische Wärmebereitstellungskonzepte lassen sich unterteilen in offene und ge-
schlossene Systeme. Im Folgenden werden die verschiedenen Anlagenkonzepte diskutiert.

Offene Systeme Geothermische Wärmeversorgungsanlagen sind, wenn sie hydrotherma-


le Vorkommen unter mitteleuropäischen Gegebenheiten nutzen, durch mindestens zwei
Bohrungen (d. h. Produktions- und Injektionsbohrung) gekennzeichnet, mit denen der
unterirdische Speicherhorizont nachhaltig erschlossen werden kann. Im einfachsten Fall
(Abb. 9.32) wird mittels der Förderbohrung das warme oder heiße Thermalwasser aus dem
Untergrund bzw. aus dem entsprechenden Horizont gefördert. Liegen keine artesischen
Bedingungen vor – und das ist zumindest in Deutschland der Regelfall – wird dazu eine
Tiefpumpe benötigt. Anschließend wird das geförderte Thermalwasser Übertage von der
Förderbohrung in einer Rohrleitung zur geothermischen Heizzentrale geleitet. Dort wer-
den die aus dem Speicherhorizont mitgerissenen und / oder sich infolge von Korrosion auf
dem Weg des Thermalwassers im Thermalwasserstrang nach Übertage gelösten Partikel
mittels eines Filters abgeschieden. Anschließend wird dem Thermalwasser üblicherweise
in einem Wärmeübertrager ein Teil der thermischen Energie entzogen und auf ein Sekun-
därmedium übertragen. Das abgekühlte Thermalwasser wird anschließend erneut gefiltert,
damit infolge der Abkühlung sich ggf. gebildete Schwebstoffe (z. B. Ausfällungen) sicher
abgetrennt werden. Danach wird es über die Verpressbohrung erneut in den Untergrund
860 S. Janczik et al.

Geothermische
Heizzentrale
Nahwärmenetz
Wärme-
Filter über-
trager Abnehmer
Filter

Slopsystem
Förder-- Korrosions- Injektions-
Tief- bohrung schutz (z.B. N2) bohrung
pumpe

Förderhorizont
Förderhorizont

Abb. 9.32 Exemplarisches Systemlayout einer geothermischen Heizzentrale zur Nutzung hydro-
thermaler Vorkommen im tiefen Untergrund (nach [9.15])

eingeleitet, damit dort die Massenbilanz erhalten bleibt und sich das Druckniveau nicht
signifikant verändert.
Aufgrund der mit derartigen geothermischen Heizzentralen erreichbaren thermischen
Leistungen im oberen einstelligen und unteren zweistelligen MW-Bereich können durch
eine solche Heizzentrale entsprechend große Heizleistungen bzw. Wärmemengen bereit-
gestellt werden. Deshalb werden dementsprechend große Wärmesenken benötigt, damit
eine solche geothermische Anlage unter kommerziellen Gesichtspunkten betrieben wer-
den kann. Dies können sowohl eine Vielzahl von Haushaltskunden und Kleinverbrauchern
(d. h. GHD-Sektor) sein, die dann über entsprechende Nah- bzw. Fernwärmenetze zu
erschließen sind; müssen diese neu installiert werden, ist dies aber i. Allg. sehr teuer
und oft auch zeitaufwändig. Alternativ – oder besser noch additiv – können auch grö-
ßere Gewerbe- und Industriebetriebe an die entsprechenden Verteilnetze oder möglichst
sogar unmittelbar an die Geothermieheizanlage angeschlossen werden, die durch eine ho-
he und im Jahresverlauf gleichmäßige Niedertemperaturwärmenachfrage gekennzeichnet
sind. Versorgungssysteme mit 10 MW thermischer Nennanschlussleistung müssen dabei
i. Allg. als eine untere Grenze angesehen werden, sofern keine ausgesprochen günsti-
ge Jahresdauerlinie der Wärmenachfrage mit hoher Volllaststundenzahl vorliegt (z. B.
industrielle Niedertemperaturwärmenachfrage im Dreischichtbetrieb) oder sonstige Mög-
lichkeiten der Thermalwassernutzung (z. B. stoffliche Nutzung des Thermalwassers; ggf.
Heilbad) gegeben sind.
Eine mit fossilen Brennstoffen befeuerte Spitzenlast- und Havariekesselanlage ergänzt
i. Allg. das Gesamtsystem der Wärmebereitstellung aus hydrothermalen Erdwärmelager-
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 861

stätten; sie sollte entsprechend der Maximallast des Heiznetzes ausgelegt sein, damit
jederzeit die gesamte Wärmenachfrage – beispielsweise bei einer störungsbedingten Un-
terbrechung der Geothermieanlage – bereitgestellt werden kann.
Geothermische Heizzentralen sind Grundlastanlagen. Um die installierte thermische
Leistung – auch aufgrund von Wirtschaftlichkeitsüberlegungen – maximal zu nutzen, sind
hohe Volllaststundenzahlen der geothermisch installierten Leistung anzustreben. Außer-
dem sollte die Erdwärme weitestgehend im energetisch effizienten direkten Wärmeüber-
gang vom Thermalwasser an das Heiznetzwasser übertragen werden. Dazu sind aufgrund
der Lagerstättentemperaturen (z. B. 40 bis 80 ı C im norddeutschen Becken) geringe Rück-
lauftemperaturen im Nah- oder Fernwärmenetz von unter 40 ı C vorteilhaft; d. h. es ist ein
Anschluss der Geothermieanlage an ein Niedertemperaturnetz anzustreben.
Sind die Thermalwassertemperaturen zu gering, um die geforderten Vorlauftempera-
turen im direkten Wärmeübertrag sicherzustellen, können Wärmepumpen eingesetzt wer-
den. Abb. 9.33 zeigt exemplarische Schaltungsbeispiele, wie eine geothermische Heizzen-
trale als Komplex von Grund- und Spitzenlastsystem gestaltet werden kann. Die Anlagen
können demnach aus einem oder mehreren Wärmeübertragern für den direkten Wärme-
übergang bestehen. Optional folgen Wärmepumpen; hier sind Absorptionswärmepumpen
und elektro- oder gasmotorische Kompressionswärmepumpen einsetzbar (Kapitel 8.2).
Die Entscheidung für die jeweils zu nutzende Technik muss standortabhängig getroffen
werden und wird u. a. von der Höhe des Energieträgerpreisniveaus und vor allem den Re-
lationen zwischen den Strom- und den Brennstoffpreisen bestimmt.
Die mit einem Heißwasserkessel angetriebenen Absorptionswärmepumpen haben da-
bei den Vorteil, dass der Antriebskessel kostengünstig als Spitzenlastkessel dimensioniert
werden kann. Er kann damit potenziell auch Aufgaben bei einer störungsbedingten Unter-
brechung des Thermalwasserkreislaufs übernehmen.
In einer geothermischen Heizzentrale kann ein Blockheizkraftwerk (BHKW) zur Ei-
genstromversorgung installiert werden, da vor allem die zur Thermalwasserförderung und
-injektion erforderliche Antriebsenergie von 80 bis 1 000 kW über lange Zeiträume und
damit mit einer hohen Volllaststundenzahl benötigt wird. Nachteilig ist, dass dabei zusätz-
lich in KWK-Niedertemperaturwärme anfällt, die aus ökonomischen Gründen vorrangig
bzw. zusätzlich zu der geothermischen Wärme genutzt werden muss; d. h. die Geother-
miewärme und die KWK-Wärme bedienen beide die Wärmegrundlast und machen sich
damit ggf. gegenseitig „Konkurrenz“.
Die Systemauslegung einer derartigen geothermischen Heizzentrale muss standortab-
hängig erfolgen. Allgemein gültige Richtlinien können aufgrund der Vielzahl der gege-
benen und möglichen Einflussgrößen (u. a. die Qualität der geologischen Ressource, die
Thermalwassercharakteristik, die Größe und Nachfragecharakteristik des Abnehmersys-
tems, die Heiznetzparameter, das auch regional bedingte Energieträgerpreisniveau bzw.
die lokal anlegbaren Wärmepreise, die Organisationsstruktur des Anlagenbetreibers) nur
in einem sehr begrenzten Umfang der Orientierung dienen.
862 S. Janczik et al.

Heiznetz Heiznetz Heiznetz

Spitzenlastkessel Spitzenlastkessel Spitzenlastkessel

Wärmepumpe
BHKW

Wärmepumpe

Filter Filter Filter

Fördersonde Fördersonde Fördersonde

Injektionssonde Injektionssonde Injektionssonde

Thermalwasserkreislauf Thermalwasserkreislauf Thermalwasserkreislauf


Zwischenkreis Zwischenkreis Zwischenkreis
direkter Wärmeübertrag direkter Wärmeübertrag Rücklaufauskühlung durch
kaskadenförmige Auskühlung in Wärmepumpe
einem weiteren Wärmeübertrager

Abb. 9.33 Beispiele für Prinzipschemata geothermischer Heizzentralen (nach [9.2])

Geschlossene Systeme Geschlossene Systeme zur Wärmebereitstellung aus tiefer Geo-


thermie funktionieren prinzipiell wie eine Sonde zur Nutzung oberflächennaher Erdwärme
(Kapitel 8.2). Wenn z. B. durch eine Tiefbohrung kein Thermalwasservorkommen er-
schlossen werden kann, das unter den Gegebenheiten vor Ort wirtschaftlich erschließbar
ist, besteht immer noch die Möglichkeit, die Bohrung durch den Einbau einer tiefen Erd-
wärmesonde zu nutzen.
Zur Nutzung der im tiefen Untergrund gespeicherten Wärme mittels einer derartigen
tiefen Sonde wird die verrohrte Tiefbohrung zusätzlich mit einer doppelten, koaxialen
Verrohrung (d. h. einem Tubing- oder Förderrohrstrang), die in jedem Falle eine Isola-
tionswirkung haben muss, komplettiert. Das von den übertägigen Einrichtungen kom-
mende Wärmeträgermedium wird dann zur Verfügbarmachung der Wärme des tiefen
Untergrunds über den Ringraum zwischen diesem Tubingstrang und der Verrohrung der
Bohrung in die Tiefe gepumpt (Abb. 9.34). Die Tiefbohrung selbst ist nach außen durch
die ins Gebirge einzementierte Verrohrung vollkommen gegenüber dem Grundgebirge ab-
gedichtet.
Da mit zunehmender Tiefe im Untergrund die Temperatur im Gebirge entsprechend
dem standortspezifischen geothermischen Gradienten ansteigt, erwärmt sich das Wär-
meträgermedium auf dem Weg zum Bohrlochtiefsten und entzieht damit dem Gebirge
thermische Energie. Dabei kann nachhaltig aber nur so viel Wärme dem Untergrund ent-
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 863

Abb. 9.34 Funktionsschema Wärmeträger-


einer tiefen Erdwärmesonde einlass Wärmeträger-
auslass

zunehmende Tiefe

Erdwärmestrom
Erdwärmestrom
Erdwärmestrom

zogen werden, wie infolge des natürlichen Wärmestroms nachfließt; ein Stoffaustausch,
wie es bei offenen Systemen (z. B. der hydrothermalen Erdwärmenutzung) der Fall ist, fin-
det wegen der für das Wärmeträgermedium undurchdringbaren Rohrwandung nicht statt.
Als Wärmeträgermedium, das in der tiefen Sonde zirkuliert, wird meist Wasser ver-
wendet. Es wird im Regelfall jedoch aufbereitet und mit Inhibitoren versehen, um eine
Korrosion der untertägigen Einrichtungen möglichst zu vermeiden. Hier kann auf Erfah-
rungen aus der Fernwärmetechnik zurückgegriffen werden.
Über den Tubingstrang, die sogenannte Steigleitung, gelangt das Wärmeträgermedium
– „beladen“ mit Erdwärme – anschließend vom Bohrlochtiefsten wieder nach oben. Damit
eine möglichst hohe Temperatur beim Austritt am Bohrlochkopf erreicht werden kann und
die Wärmeverluste minimiert werden können, sollte der Tubingstrang über die gesamte
Länge wärmeisoliert sein.
Durch das durch die Bohrung fließende Wärmeträgermedium wird in unmittelbarer
Umgebung um das Bohrloch die Temperatur im Gebirge abgesenkt. Diese Temperatur-
absenkung ermöglicht trotz der relativ geringen Wärmeleitfähigkeiten des Gesteins einen
Wärmeeintrag in das zirkulierende Wärmeträgermedium, der bis zu 200 W/m betragen
kann [9.2]. Das umgebende Gebirge steht damit – aufgrund dieser Temperaturabsenkung
– aber nicht mit seiner initialen Temperatur zur Verfügung; d. h. das Wärmeträgermedium
kann nur eine Temperatur deutlich unterhalb derjenigen des ungestörten Gebirges errei-
chen.
Die aus technischer Sicht einer derartigen tiefen Erdwärmesonde konkret umsetzbare
thermische Leistung wird beeinflusst durch

 geologische Parameter, wie den lokal gegebenen geothermischen Gradienten und die
vorliegenden wärmephysikalischen Eigenschaften des in der jeweiligen Bohrungstiefe
anstehenden Gesteins,
864 S. Janczik et al.

 den technischen Aufbau der Bohrung (u. a. Durchmesser und Materialien, Isolations-
eigenschaften der verwendeten Rohre, Wärmeübergang zwischen dem Grundgebirge,
der Zementation und der Verrohrung) und vor allem
 die Betriebsweise des Gesamtsystems.

Für übliche Tiefen von Bohrungen im Bereich von 1 000 bis 4 000 m können geother-
mische Leistungen von 50 bis 400 kW bei durchschnittlichen geologischen Bedingungen
erwartet werden; entsprechende Variationen zu größeren und auch kleineren Werten sind
aber möglich.
Der Wärmeträgerumlauf wird mit Hilfe einer Pumpe realisiert; sie stellt das wesentli-
che Systemelement der übertägigen Installationen einer tiefen Sonde dar. Die erforderliche
Pumpenleistung ist dabei niedriger als im Falle der Umwälzpumpe bei der hydrothermalen
Nutzung, da keine großen Druckverluste im eigentlichen Wärmeübertrager auftreten und
– im Unterschied zur Thermalwasserförderung – eine geschlossene Rohrleitung durch-
strömt wird.
Da die Temperatur am Bohrungsausgang in der Regel weniger als 40 ı C beträgt, ist der
Einsatz einer Wärmepumpe zwingend erforderlich, damit die Wärmenachfrage, wie sie
typischerweise bei Haushalts- oder GHD-Kunden gegeben ist, gedeckt werden kann. Im
Regelfall wird dabei aufgrund der relativ geringen thermischen Leistungen von einigen
100 kW eine elektrisch oder gasmotorisch betriebene Kompressionswärmepumpe einge-
setzt (Kapitel 8.2). Damit wird das aus der tiefen Sonde geförderte Wärmeträgermedium
möglichst weitgehend abgekühlt und gleichzeitig die gewonnene Wärme auf ein für die
Wärmeversorgung bei dem / den angeschlossenen Verbraucher/n nutzbares Temperaturni-
veau transformiert. Um eine möglichst hohe Arbeitszahl der Wärmepumpe zu realisie-
ren, sind dabei nicht zu hohe Temperaturen am Wärmepumpenausgang von Vorteil (d. h.
geringe Vor- und Rücklauftemperaturen des Wärmeverteilsystems). Sollte die Heiznetz-
rücklauftemperatur deutlich geringer als die Bohrlochkopf-Temperatur sein, kann optional
auch ein Direktwärmeübertrager – vor der Wärmepumpe – installiert werden. Abb. 9.35
zeigt beispielhaft, wie eine tiefe Erdwärmesonde in ein Wärmebereitstellungssystem ein-
gebunden werden kann.
Aufgrund der hohen Kapitalintensität, durch die eine tiefe Erdwärmesonde gekenn-
zeichnet ist, sollte sie in einem Wärmebereitstellungssystem nur zur Deckung der Grund-
last eingesetzt werden (d. h. hohe Volllaststunden). Die Bereitstellung der Spitzenlast im
Winter übernimmt dann ein konventioneller, mit fossilen oder biogenen Brennstoffen
gefeuerter Heizkessel, durch den die Heiztemperatur weiter angehoben werden kann.
Daher ist die tiefe Erdwärmesonde aus ökonomischen Gründen sinnvollerweise (nur)
dort einzusetzen, wo eine ausreichend große Leistungsnachfrage des / der angeschlossenen
Wärmeverbraucher/s (z. B. Nahwärmenetz, große Einzelabnehmer, Gewerbe, kommunale
Einrichtungen) gegeben ist.

9.2.3.2 Strom- bzw. KWK-Konzepte


Neben der ausschließlichen Wärmebereitstellung kommen auch Konzepte zur geothermi-
schen Strom- bzw. insbesondere zur kombinierten Strom- und Wärmebereitstellung zur
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 865

Abgas

Zusatzfeuerung mit fossilen Energieträgern


Nah-
wärme-
Wärme- netz
pumpe

Tiefe
Sonde

Erdgas

Wärmepumpen-
antrieb

Abb. 9.35 Beispielhafte Einbindung einer tiefen Erdwärmesonde in ein Wärmebereitstellungssys-


tem

Umsetzung. Dabei handelt es sich bisher aus ökonomischen Gründen ausschließlich um


offene Systeme. Deshalb werden auch nur sie nachfolgend diskutiert.
Ausgehend von den bereits dargestellten Wärmebereitstellungskonzepten auf der Ba-
sis offener Systeme wird bei derartigen KWK-Konzepten in der Regel die geothermi-
sche Energie des Thermalwassers zunächst zur Stromerzeugung entweder direkt (z. B.
Direktdampfnutzung; falls aufgrund der genutzten geothermischen Ressource möglich (in
Mitteleuropa ist eine direkte Nutzung geothermischen Dampfes nicht möglich; auf dem
europäischen Festland ist eine Direktdampfnutzung nur in der Toskana / Italien aufgrund
der dort gegebenen sehr günstigen geologischen Bedingungen möglich)) oder indirekt
(z. B. Organic Rankine Cycle (ORC)) und erst danach ein weiterer Teil der im Geoflu-
id vorhandenen Energie für eine Wärmebereitstellung genutzt (Abb. 9.36). Hierfür wird
durch einen Wärmeübertrager, der nach dem Wärmeübertrager, der an den Kraftwerks-
prozess Wärme überträgt, und vor der Reinjektion der Tiefenwässer in den Untergrund
angeordnet wird, ein Teil der im Thermalwasser noch verbleibenden Wärme an den Heiz-
kreislauf (z. B. Fernwärmenetz) übertragen. An diesen Wärmeübertrager sind die bereits
diskutierten Anlagenkomponenten der Heizzentralen verbaut (siehe oben). Im Folgenden
werden deshalb nur Aspekte der Anlagenkonzepte für eine ausschließliche Stromerzeu-
gung diskutiert.
866 S. Janczik et al.

Stromerzeugung
Kondensator
Offenes System
(Direktdampfnutzung,
Single Flash, Double Flash)

Geschlossenes System Kühlkreislauf


(ORC, Kalina)

Thermalwasser
abgekühltes
Thermalwasser

Pumpe

Wärmebereitstellung

Filter Filter

Förderbohrung Injektionsbohrung

Abb. 9.36 Konzept einer kombinierten geothermischen Strom- und Wärmebereitstellung [9.16]

Damit handelt es sich bei derartigen Systemen strenggenommen nicht um eine „klas-
sische“ Kraft-Wärme-Kopplung (KWK), da die Wärmebereitstellung quasi unabhängig
ist von der Stromerzeugung (d. h. beide Systeme können vom Grundsatz her unabhängig
voneinander betrieben werden); trotzdem wird üblicherweise auch bei solchen Systemen
von Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) gesprochen.
Die Anlagentechnik, die für die geothermische Stromerzeugung zum Einsatz kommt,
lässt sich in die folgenden drei Gruppen unterteilen:

 direkte Nutzungssysteme, in denen das Thermalfluid selbst das Arbeitsmittel darstellt


(d. h. direkte Nutzung des Thermalfluids),
 indirekte Nutzungssysteme, bei denen die Wärme des Thermalfluids auf ein anderes,
meist organisches Arbeitsmittel oder ein Stoffgemisch übertragen wird (d. h. indirekte
Nutzung des Thermalwassers) und
 kombinierte Nutzungssysteme, bei denen eine Kombination zwischen direkten und in-
direkten Systemen realisiert wird.

Diese verschiedenen Systeme werden nachfolgend beschrieben. Sie unterscheiden sich


u. a. im jeweils erreichbaren Wirkungsgrad und damit letztlich in der Ausnutzung der
geologischen Ressource. Abb. 9.37 zeigt deshalb mittlere spezifische Daten.
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 867

500
ORC

Spezifische Thermalw assermenge zur


450
Single flash-System

Stromerzeugung in (t/h)/MW
400 Double flash-System

350 Single flash-System / ORC

Kalina
300

250

200

150

100

50

0
100 120 140 160 180 200 220 240
Temperatur des geförderten Thermalwassers in °C

Abb. 9.37 Durchschnittliche spezifische Ressourcennutzung verschiedener Kreisprozesse, die zur


geothermischen Stromerzeugung eingesetzt werden können

Direkte Nutzungssysteme In Abhängigkeit der Charakteristik der geothermischen La-


gerstätte und damit der Eigenschaften des geförderten Geofluids sind Systeme mit direkter
Dampfnutzung oder Flash-Systeme möglich; bei letzteren wird weiter unterschieden in
Single Flash-Systeme ohne Kondensation, Single Flash-Systeme mit Kondensation und
Double Flash-Systeme.

Direkte Dampfnutzung Kann überhitzter Dampf unmittelbar aus dem Untergrund geför-
dert werden oder ist der Dampfanteil am geförderten Fluid sehr hoch, kann die geother-
mische Energie direkt in einem Dampfkraftprozess genutzt werden. Dazu gelangt der
geothermische Dampf bzw. das Dampf-Wasser-Gemisch im Anschluss an die Förderung
und nach einer Tropfen- bzw. Feststoffabscheidung direkt auf die Turbine und wird hier
unter Abgabe von Arbeit entspannt. Das abgekühlte Geofluid wird anschließend – wenn
eine Einleitung in Oberflächengewässer z. B. aus Umweltschutzgründen nicht möglich ist
und / oder die natürlichen Zuflüsse im Untergrund nicht sehr hoch sind – erneut in den
Untergrund verpresst.

Single Flash-Prozess ohne Kondensation Kann nur heißes Wasser bzw. ein sehr nasses
Wasser-Dampf-Gemisch aus dem Untergrund gefördert werden, muss dieses zunächst
in einem Flash-Behälter teilentspannt und dadurch der Dampfanteil erhöht werden.
Anschließend werden die dampfförmige und die flüssige Phase getrennt. Während
die abgetrennte Flüssigkeit meist unmittelbar wieder in den Untergrund reinjiziert
wird, gelangt der Dampf zur Turbine. Hier wird er unter Arbeitsleistung auf Atmo-
sphärendruck entspannt und anschließend beispielsweise über einen Diffusor in die
Atmosphäre abgegeben. Dabei versteht man unter einem Diffusor ein Bauteil, das Gas- /
868 S. Janczik et al.

Flüssigkeitsströmungen verlangsamt und dabei zwingend den Gas- / Flüssigkeitsdruck


erhöht; d. h. ein Diffusor ist prinzipiell die Umkehrung einer Düse.
Durch diese Entspannung auf Atmosphärendruck, auch wenn dies über einen Diffu-
sor realisiert wird, ist die Ausnutzung des Energieinhaltes des Thermalfluids aber immer
noch relativ ungünstig. Derartige Anlagen können jedoch vergleichsweise kostengünstig
hergestellt werden; sie sind robust und auf wartungsintensive Kondensatoren und Kühltür-
me kann verzichtet werden. Damit sind solche Single Flash-Prozesse ohne Kondensation
nur dann sinnvoll einsetzbar, wenn hohe Thermalfluid-Mengenströme aus Sicht der geo-
thermischen Ressource erzielbar und / oder die Thermalfluid-Temperaturen entsprechend
hoch sind (oder die Beherrschung eines großen Anteils nicht kondensierbarer Gase auf
keine andere Weise möglich ist).

Single Flash-Prozess mit Kondensation Bei diesem Single Flash-Prozess wird die aus
dem Untergrund kommende heiße Flüssigkeit in einen Flash-Behälter hinein entspannt.
Auf einem unter Förderniveau liegenden Druck entsteht eine kleinere Menge trocken ge-
sättigter Dampf und eine größere Menge siedendes Wasser. Der Dampf wird dann von der
Flüssigkeit separiert und der Turbine zugeführt, wo er Arbeit leistet (Abb. 9.38).
Die Temperaturparameter der Rückkühlung des Kondensators bestimmen das mini-
male Niveau des Enddrucks der Entspannung, der meist weit im Vakuumbereich liegt.
Inwieweit dieses niedrige Druckniveau ausgenutzt werden kann, hängt nicht zuletzt auch

Abb. 9.38 Vereinfachtes Turbine/Generator


Schaltschema einer Anlage Flash-Behälter
Kühlturm
zur geothermischen Strom-
erzeugung nach dem Single G
Flash-System mit Kondensa-
tion Kondensator

Gasab-
scheidung

Feinfilter

Förderbohrung Injektionsbohrung
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 869

davon ab, mit welchem Aufwand nicht kondensierbare Gase aus dem Kondensator abführ-
bar sind.
Neben dem technischen und ggf. Umweltproblem der Ableitung nicht kondensierbarer
Gase haben Single Flash-Prozesse oft den Nachteil, dass beim Flashen Feststoffe aus-
fallen. Sie verbleiben als Beläge auf den Ausrüstungen und beeinflussen die Sicherheit
negativ bzw. müssen entsorgt werden.
Gegenüber der direkten Nutzung von überhitztem Dampf wird ein beträchtlicher Teil
der Energie des geförderten Thermalfluids (d. h. die separierte und wieder in den Unter-
grund verpresste Flüssigkeitsmenge) keiner energetischen Nutzung zugeführt. Dies be-
dingt vergleichsweise geringe Gesamtsystemnutzungsgrade.

Double Flash-Prozess mit Kondensation Der Nachteil der nur geringen Ausnutzung der
Energie des gesamten Förderstromes kann dadurch gemindert werden, indem das aus dem
ersten Flash-Behälter (Separator) ablaufende und siedende Wasser ein zweites Mal ent-
spannt und der entstehende Dampf in einem weiteren Behälter erneut separiert wird. Der
abgetrennte Dampf wird dann in einer zweiten (Niederdruck-)Turbine oder in einem er-
gänzenden Niederdruckteil der Hochdruckturbine entspannt (Abb. 9.39).
Der Umfang, mit dem die zusätzliche Entspannung wirksam wird, wird wiederum be-
stimmt durch die Temperaturen im Kondensator und dadurch, dass ihr Ausgangspunkt
oberhalb des Atmosphärendrucks liegen sollte.
Obwohl die untere Grenze des Einsatzes von Flash-Systemen i. Allg. bei 175 bis 180 ı C
gezogen wird, ist gerade der Double Flash-Prozess in der Lage, die bei niedrigen Ressour-
centemperaturen auftretenden Probleme des geringen Flash-Druckes und des niedrigen
spezifischen Volumens des Dampfes zu beherrschen. Double Flash-Anlagen zeigen da-
mit auch bei geringen Temperaturen durch ihre einfache Bauart, ihre geringen Betriebs-
und Instandhaltungskosten und ihre Fähigkeit, das eigene Kühlturmwasser zu erzeugen,

Abb. 9.39 Vereinfachtes Separator 2 HD-Turbine/Generator


Schaltschema einer Anlage ND-Turbine/Generator Kühlturm
Separator 1
zur geothermischen Strom-
erzeugung nach dem Double G G
Flash-System mit Konden-
sation (HD Hochdruck;
ND Niederdruck)
Gasab-
scheidung

Kondensator 1 Kondensator 2
Feinfilter

Förderbohrung Injektionsbohrung
870 S. Janczik et al.

Vorteile vor allem gegenüber binären Systemen. Unabhängig davon ist es aber eine Frage
der ökonomischen Optimierung, da der höheren potenziellen Stromerzeugung von Dou-
ble Flash-Anlagen im Vergleich zu alternativen Systemen höhere Investitionen durch die
zusätzliche Turbine bzw. Turbinenstufen, die zusätzlichen Behälter, Rohrleitungen, Rege-
lung, etc. gegenüberstehen.

Indirekte Nutzungssysteme Systeme mit einer indirekten Nutzung der thermischen


Energie des Untergrunds werden angewendet, wenn entweder das Primärmedium (d. h.
die Wasser- bzw. Wasserdampfvorkommen im tiefen Untergrund) nicht genügend hohe
Temperaturen bzw. Drücke aufweist, um ausreichend Dampf mit für eine wirtschaftlich
darstellbare Entspannung ausreichenden Parametern zu erzeugen oder wenn das Thermal-
fluid ungünstige chemische Eigenschaften (Mineralisation, Gasgehalte usw.) besitzt, die
auf direktem Wege nicht bzw. nur mit einem unvertretbar hohen technischen Aufwand
beherrschbar sind.
Damit werden darunter Anlagen verstanden, welche die geothermische Ressource (d. h.
die geförderten heißen Tiefenwässer oder das Wasser-Dampf-Gemisch) nicht direkt durch
Entspannung in einer Turbine zur Stromerzeugung nutzen, sondern dazu ein zweites Me-
dium verwenden. Auf dieses zweite Medium wird in entsprechenden Wärmeübertragern
(d. h. Vorwärmer und Verdampfern) die geothermische Energie übertragen. Dieses Medi-
um muss der geringen Temperatur des Thermalwassers oder Wasser-Dampf-Gemisches
Rechnung tragen und daher tiefsiedend sein.
Unter diesen Randbedingungen können der Rankine-Prozess mit organischen Arbeits-
mitteln und der Kalina-Prozess eingesetzt werden; beide Kraftwerksprozesse werden
nachfolgend näher erläutert.

Rankine-Prozess mit organischen Arbeitsmitteln ORC-Prozesse (Organic Rankine Cy-


cle, ORC) unterscheiden sich – bis auf das verwendete Arbeitsmittel und damit die im
Kreisprozess realisierten Temperatur- und Druckparameter – nur unwesentlich vom „klas-
sischen“ Rankine-Prozess für Wasserdampf, wie er typischerweise in Kohlekraftwerken
zur Stromerzeugung – und das seit Jahrzehnten – global eingesetzt wird.
Vergleichbar zu diesen üblicherweise in konventionellen Kraftwerken eingesetzten
Kreisprozessen wird beim ORC-Prozess (Organic Rankine Cycle) das Wärmeträger-
medium (d. h. das organische Arbeitsmittel) – hier durch das aus dem Untergrund
kommende Thermalfluid – vorgewärmt, verdampft, in einer Turbine entspannt, ggf. in
einem rekuperativen Wärmeübertrager enthitzt (das Medium kann, im Gegensatz zur
Wasserdampfentspannung, je nach Anlagenauslegung und Arbeitsmittel noch überhitzt
sein), kondensiert und durch eine Pumpe wiederum auf Verdampferdruck befördert. Eine
entsprechende Schaltung zeigt Abb. 9.40.
Bei der Verwendung von organischen Fluiden als Kreislaufmedien sind verschiedene
anlagentechnische Herausforderungen zu lösen. Die Turbinen unterscheiden sich von de-
nen für Wasser-Dampf-Prozesse u. a. wegen des differierenden Molekulargewichts und
der geringeren spezifischen Wärmekapazität der in ORC-Prozessen eingesetzten Kreis-
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 871

Abb. 9.40 Vereinfachtes ORC-Turbine/Generator


Schaltschema einer ORC- Kühlturm
Anlage (Organic Rankine
Cycle) zur geothermischen G
Stromerzeugung
Verdampfer

Vor- Kondensator
wärmer

Grobfilter Feinfilter

Förderbohrung Injektionsbohrung

laufmedien im Vergleich zu Wasser. Auch müssen Vorkehrungen gegen eine erhöhte Kor-
rosivität an Turbine und Wärmeübertragern getroffen werden. Gleiches gilt für die Ab-
dichtung der Systeme.
Die mittleren Bruttowirkungsgrade derartiger ORC-Prozesse (Organic Rankine Cycle)
liegen zwischen rund 5,5 % bei etwa 80 ı C und ca. 12 % bei 180 ı C Thermalwassertempe-
ratur. Die Nettowirkungsgrade der Stromerzeugung ausgeführter Anlagen sind allerdings
deutlich niedriger. Sie erreichen bei etwa 200 ı C rund 13 bis 14 % bei einer weitgehen-
den Nutzung des technisch nutzbaren Wärmeinhaltes des Fluids, also der Erreichung der
angestrebten Auskühlungstemperatur.

Kalina-Prozess Der Kalina-Prozess nutzt ebenso wie der ORC-Prozess (Organic Rankine
Cycle) ein Arbeitsmittel, das in einem vom Thermalfluid abgeschlossenen Kreislauf zir-
kuliert; im Unterschied dazu wird aber ein Zweistoffgemisch verwendet. Abb. 9.41 zeigt
den Prozess in seiner einfachsten Form.
Das Zweistoffgemisch aus Ammoniak (NH3 ) und Wasser wird in einem Wärmeüber-
trager vom Thermalfluid vorgewärmt und verdampft. Wegen der Siedepunktabstände der
beiden Komponenten des Zweistoffgemischs entstehen ein Ammoniak-reicher Dampf und
eine Ammoniak-arme Flüssigkeit, die anschließend voneinander getrennt werden. Der
Dampf wird einer Turbine zugeführt und dort unter Abgabe von Arbeit entspannt. Im
Anschluss daran werden Dampf und Flüssigkeit wieder zusammengeführt und gemein-
sam zum Kondensator geleitet. Hier wird das Stoffgemisch verflüssigt und danach erneut
auf den Verdampferdruck gebracht.
Die erreichbaren Bruttowirkungsgrade liegen zwischen ca. 8,5 % bei rund 80 ı C und
etwa 12 % bei ca. 160 ı C Thermalwassertemperatur. Diese Wirkungsgrade konnten jedoch
bisher nicht praktisch verifiziert werden.
872 S. Janczik et al.

Ammoniak-
reicher Dampf Turbine
Grund- G
Separator
lösung
(Dampf) Generator
Verdampfer
Kühlturm
Thermalwasser

Ammoniak-arme
Flüssigkeit Kühlkreislauf
Thermalwasser
abgekühltes

Konden-
sator
Speisepumpe
Grundlösung Kühlwasser-
(flüssig) pumpe

Grobfilter Feinfilter

Förderbohrung Injektionsbohrung

Abb. 9.41 Vereinfachtes Schaltschema einer Kalina-Anlage zur geothermischen Stromerzeugung

Kombinierte Systeme Bei derartigen Konzepten wird ein Single Flash-Prozess bei-
spielsweise mit einem binären Prozess kombiniert. Dabei sind insgesamt z. T. sehr
unterschiedliche Schaltungsvarianten denkbar. So kann der Entspannungsdampf nach
der Dampfturbinenstufe als Wärmequelle des ORC-Prozesses dienen oder der Flüssig-
keitsablauf der ersten Separationsstufe wird nicht ein zweites Mal entspannt, sondern
beheizt den Verdampfer der ORC-Anlage. Der Vorteil derartiger Systeme sind vergleichs-
weise hohe Wirkungsgrade; dafür ist der anlagentechnische Aufwand entsprechend groß
(d. h. es muss immer ein tragfähiger Kompromiss zwischen dem technisch Möglichen und
dem ökonomisch Darstellbaren gefunden werden).

9.2.3.3 Energiewandlungskette und Verluste


Nachfolgend werden die Energiewandlungsketten derartiger geothermischer Heiz- bzw.
Heizkraft- und Kraftwerke diskutiert. Dabei ist zu beachten, dass die Verlustangaben stark
von den lokalen geologischen Gegebenheiten sowie der jeweils realisierten Anlagenaus-
legung abhängen; sie sind deshalb nicht zwingend auf beliebige Standorte übertragbar.
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 873

Thermische Energie

Thermische Energie
Energie im Thermalwasser

an Wärmenetz
Energie im Thermalwasser

an Heizwerk
Nutzwärme ca. 54 %

am Bohrlochkopf
(Reservoir)
100 %
Verluste Wärmeverteilung ca. 15 %

Elektrischer Eigenbedarf
(Förderpumpe, Wärmeverteilung) ca. 1 %

Auskühlungsverluste ca. 28 %

Verluste Steigleitung
(standort- & anlagenspezifisch)

Abb. 9.42 Exemplarischer Energiefluss einer geothermischen Wärmebereitstellung aus einer La-
gerstätte mit einem hohen Temperaturniveau (d. h. es werden keine nachgeschalteten Einrichtungen
wie z. B. Wärmepumpen zur Temperaturanhebung benötigt)

Heizwerk Durch ein aus den beschriebenen Systemkomponenten aufgebautes geother-


misches Heizwerk (d. h. nur Geothermieteil) wird streng genommen keine Energie ge-
wandelt, sondern ausschließlich übertragen. Allerdings lässt sich auch dabei – wie bei
Systemen mit einer Energiewandlung im eigentlichen Sinn (z. B. Stromerzeugung aus
Wasserkraft) – nur ein bestimmter Teil der aus dem Untergrund kommenden thermischen
Energie auch technisch nutzbar machen (Abb. 9.42).
Die im tiefen Untergrund gespeicherte Energie kann nur teilweise technisch verfügbar
gemacht werden. Wärmeverluste u. a. in der Förderbohrung, dem Wärmeübertrager, dem
Wärmeverteilnetz sowie den Hausübergabestationen führen dazu, dass nicht die gesam-
te geförderte Wärmemenge beim Verbraucher als nutzbare Wärme zur Verfügung steht.
Auch lässt sich aufgrund der Spezifikationen der Wärmenutzungsanlagen (z. B. Vorlauf-
temperatur des Wärmeverteilnetzes) das Tiefenwasser nicht beliebig tief abkühlen. Bei
der Reinjektion des Geofluids wird deshalb ein Teil der ursprünglich geförderten geother-
mischen Wärme wieder in den Untergrund zurückgeführt.

Kraftwerk Wird demgegenüber eine ausschließliche geothermische Stromerzeugung


unterstellt, kommen zu den bei geothermischen Heizwerken bereits diskutierten Verlus-
ten noch die der eigentlichen Stromerzeugungsanlage hinzu. Sie schwanken ebenfalls
standortabhängig u. a. je nach dem Temperaturniveau des genutzten Horizonts und der
erreichbaren Fließrate erheblich.
Abb. 9.43 macht deutlich, dass die letztlich netto bereitgestellte elektrische Energie
verglichen mit der aus dem Untergrund technisch förderbaren thermischen Energie (die
standort- und anlagenspezifischen Verluste im Aquifer sind in Abb. 9.43 nicht dargestellt)
874 S. Janczik et al.

Abb. 9.43 Exemplarischer Energiefluss einer ausschließlichen geothermischen Strombereitstellung


exemplarisch für eine deutsche Lagerstätte mit einem relativ hohen Temperaturniveau (d. h. Ober-
rheingraben)

vergleichsweise gering ist. Jedoch handelt es sich bei der im Geofluid enthaltenen thermi-
schen Energie um Niedertemperaturwärme mit relativ geringer Exergie und bei der daraus
– verlustbehaftet – bereitgestellten elektrischen Energie um reine Exergie. Zusätzlich wer-
den auch die Verluste aufgrund des zur Thermalwasserförderung benötigten Pumpstroms
und die doch erheblichen Abwärmemengen deutlich, die nahe der Umgebungstemperatur
an die Atmosphäre abgegeben werden. Bei den ebenfalls gezeigten Auskühlungsverlusten
handelt es sich um die im Thermalwasser vorhandene thermische Energie, die aus thermo-
dynamischen Gründen nicht zur Stromerzeugung genutzt werden kann. Sie ist in diesem
Fall deshalb auch als Verlust zu werten.

Heizkraftwerk Eine Möglichkeit, um die Gesamtwirkungsgrade der Geothermienutzung


im Vergleich zu einer ausschließlichen Stromerzeugung zu verbessern, ist eine Kraft-
Wärme-Kopplung (KWK). Dabei wird bei geothermischen Heizkraftwerken KWK nicht
wie bei mit fossilen oder biogenen Brennstoffen betriebenen Anlagen durch eine Nut-
zung der Abwärme nach der eigentlichen Stromerzeugung realisiert. Vielmehr wird bei
den Heizkraftwerken auf Erdwärmebasis die im ORC (Organic Rankine Cycle) oder Ka-
lina-Prozess nicht nutzbare thermische Energie des Thermalwassers technisch nutzbar
gemacht. Trotzt einer in Ausnahmefällen verminderten Stromproduktion ist dadurch ei-
ne deutliche Steigerung des Gesamtwirkungsgrades im Vergleich zur ausschließlichen
Stromerzeugung möglich (Abb. 9.44). Nichtsdestotrotz fallen aber immer noch erhebli-
che Abwärmemengen an, die sowohl an die Umgebung abgegeben als auch zurück in den
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 875

Abb. 9.44 Exemplarischer Energiefluss einer geothermischen Kraft-Wärme-Kopplungsanlage zur


Bereitstellung von Strom und Wärme aus einer deutschen Lagerstätte mit einem relativ hohen Tem-
peraturniveau (d. h. Oberrheingraben)

Untergrund geleitet werden. Um hier noch weitergehende Wirkungsgradsteigerungen zu


ermöglichen müssen Verbraucher angeschlossen werden, die Wärme auf einem sehr ge-
ringen Temperaturniveau nutzen können; dies ist beispielsweise bei der Herstellung von
Trockenobst, bei der Trocknung von Klärschlamm oder bei der Fischteichbeheizung zur
Produktion hochwertiger Fischprodukte der Fall.

9.3 Ökonomische und ökologische Analyse

Sebastian Janczik, Lucas Sens und Martin Kaltschmitt

Im Folgenden werden die mit einer geothermischen Wärme- bzw. gekoppelten Wärme-
und Strombereitstellung verbundenen Investitionen und Betriebskosten sowie die Wärme-
bzw. Stromgestehungskosten als auch die daraus resultierenden Umweltauswirkungen ex-
emplarisch untersucht. Zuvor werden die untersuchten Referenzanlagen definiert.

9.3.1 Referenzanlagen

Eine Nutzung geothermischer Systeme für eine ausschließliche Wärmebereitstellung wur-


de in den vergangenen Jahren primär im süddeutschen Molassebecken realisiert. Zusätz-
lich dazu kann eine kombinierte Strom- und Wärmebereitstellung auch im Oberrheingra-
876 S. Janczik et al.

ben erfolgen. In anderen Regionen Mitteleuropas sind die geologischen Bedingungen im


Vergleich dazu deutlich ungünstiger; dies äußert sich in z. T. deutlich höheren Kosten und
einem entsprechend größeren Risiko.
Dementsprechend werden für Deutschland nachfolgend exemplarisch charakteristische
Referenzstandorte untersucht, an denen eine ausschließliche Wärme- und eine kombi-
nierte Wärme- und Stromerzeugung (KWK) erfolgen kann. Zusätzlich werden für die
entsprechenden Heizwerke jeweils zwei Versorgungsaufgaben diskutiert.

9.3.1.1 Ausschließliche Wärmebereitstellung


Für die Definition der hier untersuchten Referenzanlagen zur ausschließlichen Wärmebe-
reitstellung werden die in Tabelle 9.6 dargestellten geologischen Randbedingungen zu-
grunde gelegt. Geothermische Heizwerke werden primär (Kapitel 9.4.2) im süddeutschen
Molassebecken betrieben. Wegen der Bandbreite der insgesamt typischerweise vorzu-
findenden geologischen Parameter wird dabei dem Referenzstandort süddeutsches Mo-
lassebecken A die Versorgungsaufgabe NW II und dem Referenzstandort süddeutsches
Molassebecken B die Versorgungsaufgabe NW III zugeordnet (zur Definition der Versor-
gungsaufgaben NW II und III siehe Kapitel 1.3).
Die wesentlichen Rahmendaten der hier untersuchten Referenzanlagen lassen sich wie
folgt zusammenfassen.

 Referenzanlage Wärme NW II. Die hier betrachtete Geothermieanlage nutzt eine För-
der- und eine Injektionsbohrung mit einer Endteufe von 2 250 m bei einem Abstand
zwischen den beiden Bohrungen von 1 000 m. Das energetisch nutzbare Thermalwasser
hat eine Temperatur von etwa 90 ı C. Je nach Wärmelast können bis zu maximal 30 L/s
gefördert werden. Die Förder- und Injektionsbohrung ist jeweils mit dem geothermi-
schen Heizwerk durch oberirdische Rohrleitungen verbunden. Die Wärmeauskopplung
im Erdwärmeheizwerk erfolgt über zwei lastabhängig geschaltete Titan-Plattenwär-
meübertrager mit einer maximalen thermischen Leistung von zusammen 3,8 MW. Die
Einbindung in das zu versorgende Nahwärmenetz erfolgt über einen Zwischenkreis-
lauf; dies erlaubt eine optimale Anpassung der Thermalwasserparameter Temperatur
und Mengenstrom an die aktuell benötigte Leistung des Wärmeverteilnetzes. Etwa
85 % der im Jahresverlauf bereitgestellten Wärme resultieren aus dem Thermalwasser

Tabelle 9.6 Referenzstandorte der Heizwerke


Süddeutsches Süddeutsches
Molassebecken A Molassebecken B
Bohrlochtiefe in m 2 250 2 500
Thermalwassertemperatur in ı C 90 95
Förderrate in L/s 30 50
Thermalwasserspiegel unter Gelände in m 400 400
Nachfragefall (Kapitel 1.3) NW II NW III
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 877

Tabelle 9.7 Kenngrößen der geothermischen Referenzanlagen zur ausschließlichen Wärmeerzeu-


gung
System NW II NW III
a
Wärmenachfrage in GJ/a 26 000 52 000
Wärme ab Heizwerk in GJ/ab 32 200 64 400
Geothermischer Deckungsgrad in % 85 85
Grundlastanlage
Geothermische Leistung in MW 3,8 7,6
Geothermische Wärme ab Heizwerk in GJ/a 27 368 54 737
Spitzenlastanlage
Brennstoff leichtes Heizöl
Technik Low-NOx -Brenner
Feuerungsleistung in MW 3,4 6,7
Kesselnutzungsgrad in % 92 92
Wärmeverteilnetz
Länge in m 6 000 2  6 000
Vor- / Rücklauftemperatur in ı C 70/50 70/50
Netznutzungsgrad in % 85 85
Nutzungsgrad Übergabestationc in % 95 95
a
Wärmenachfrage der an das Wärmeverteilnetz angeschlossenen Abnehmer; b unter Berück-
sichtigung der Verluste des Wärmeverteilnetzes sowie der Hausübergabestationen / Warmwasser-
zwischenspeicher; c durchschnittlicher Nutzungsgrad (Brauchwasser 80 % und Raumheizung 98 %).

(und damit aus der Geothermie). Die verbleibenden rund 15 % werden über eine mit
leichtem Heizöl befeuerte Spitzenlastanlage abgedeckt; Erdgas kann an dem untersuch-
ten Standort nicht eingesetzt werden, da kein Gasanschluss vorhanden ist. Insgesamt ist
in der geothermischen Heizzentrale eine thermische Leistung von ca. 7,2 MW instal-
liert, wovon etwa 3,8 MW aus dem direkten Wärmeübertrag mit dem Thermalwasser
stammen. Die Wärmeverteilung zu den Endkunden erfolgt über ein Nahwärmenetz
(Tabelle 9.7).
 Referenzanlage Wärme NW III. Bei diesem System, das im süddeutschen Molasse-
becken angesiedelt sein könnte, wird 95 ı C heißes Thermalwasser bei einem Volu-
menstrom von 50 L/s aus einer Tiefe von etwa 2 500 m mit einer in 400 m Tiefe ein-
gehängten Tauchkreiselpumpe gefördert (Tabelle 9.6). Das Tiefenwasser wird dann
zur geothermischen Heizzentrale gepumpt, wo ihm über Wärmeübertrager 7,6 MW
an thermischer Leistung direkt entzogen und dadurch in dem angeschlossenen Wär-
meverteilnetz eine Vorlauftemperatur von 70 ı C bereitgestellt wird. Das abgekühlte
Thermalwasser wird anschließend erneut in eine Tiefe von rund 2 500 m verpresst.
Zur Deckung von Verbrauchsspitzen bzw. zur Gewährleistung der Wärmeversorgung
bei Ausfall des geothermischen Anlagenteils werden zwei mit leichtem Heizöl be-
feuerte Heizkessel eingesetzt; hier ist der Erdgasanschluss ebenfalls nicht vorhanden.
878 S. Janczik et al.

Tabelle 9.8 Referenzstandorte der geothermischen Heizkraftwerke


Oberrheingraben Süddeutsches
Molassebecken
Fall 1 Fall 2 / Fall 3
Bohrlochtiefe in m 3 400 3 700
Thermalwassertemperatur in ı C 160 130
Förderrate in L/s 70 140

Bei einer insgesamt in der Geothermieanlage installierten Heizleistung von 14,3 MW


werden damit 85 % der jährlichen Wärmenachfrage durch die Nutzung des hydrother-
malen Erdwärmevorkommens und die verbleibenden 15 % über die heizölbefeuerte
Spitzenlastanlage abgedeckt. Die Wärmeverteilung erfolgt über zwei getrennt geführte,
entsprechend Tabelle 9.7 definierte Wärmenetze.

9.3.1.2 Bereitstellung von Wärme und Strom


Für die Definition der untersuchten Optionen zur gekoppelten Wärme- und Stromerzeu-
gung (KWK) werden exemplarisch die in Tabelle 9.8 dargestellten Referenzstandorte
untersucht. Dabei wird – ähnlich wie bei den beiden geothermischen Wärmezentralen –
von einer erfolgreichen Erschließung eines geothermischen Reservoirs durch eine Dublet-
te ausgegangen. Die beiden dafür benötigten Bohrungen werden aber von einem Bohrplatz
aus abgeteuft (d. h. abgelenkte Bohrungen).
Mithilfe einer elektrisch betriebenen Tiefpumpe wird das heiße Tiefenwasser nach
Übertage gefördert und bei Fall 1 sowie Fall 2 mithilfe einer in Abb. 9.45 dargestell-
ten Standard-ORC-Anlage verstromt. Bei Fall 3 wird die geothermische Wärme über eine
zweistufige ORC-Anlage zur Stromerzeugung genutzt.

Abb. 9.45 Konzept der Re- Kreislauf des ORC-


Arbeits- Turbine / Generator
ferenzanlage zur gekoppelten mittels
G
geothermischen Strom- und Kühlturm
Wärmeerzeugung
Thermalwasserkreislauf

Verdampfer
Kühlmediums
Kreislauf des

Vorwärmer Kondensator
wärme-
Nah-
netz

Pumpe
Speisepumpe

Filter

Pumpe

Förderbohrung Reinjektionsbohrung
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 879

Tabelle 9.9 Kenngrößen der geothermischen Referenzanlagen zur gekoppelten Wärme- und
Stromerzeugung mit einem Standard-ORC (Angaben gerundet)
Fall 1 Fall 2 Fall 3
ORC-Konzept Standard Standard Zweistufig
Elektrische Leistung in MW 3,6 3,4 4,1
Elektrische Arbeit in GWh/a 26,7 25,5 30,8
Thermische Leistung in MW 11,7 21,0 21,0
(gesamt)
Thermische Leistung in MW 5,0 9,0 9,0
(Geothermie)
Thermische Leistung in MW 6,7 12,0 12,0
(Spitzenlast / Redundanz)
Thermische Arbeit in TJ/a 43,2 77,7 77,7
Volllaststunden (Wärme) in h/a 2 000 2 000 2 000
Volllaststunden (Strom) in h/a 7 500 7 500 7 500

Durch eine in Reihe geschaltete Wärmeauskopplung wird jeweils zusätzlich Wärme


bereitgestellt (Tabelle 9.9). Dabei wird die Strombereitstellung mit 7 500 h/a und die ge-
koppelte Wärmebereitstellung mit 2 000 h/a (jeweils Volllast und im Parallelbetrieb) rea-
lisiert. Die Wärmeabgabe erfolgt an ein Niedertemperaturwärmeverteilnetz, welches mit
einer Vorlauftemperatur von 70 ı C und einer Rücklauftemperatur von 50 ı C gefahren wird.
Ausgehend davon werden die drei nachfolgend beschriebenen Anlagenkonfigurationen
untersucht (Tabelle 9.9).

 Referenzanlage Fall 1. Die für durchschnittliche im Oberrheingraben zu erwartenden


Gegebenheiten unterstellte Strombereitstellung wird mit einem Netto-Stromwirkungs-
grad von rund 6 % eine elektrische Leistung von 3,6 MW realisiert. Bei rund 160 ı C
und einer durchschnittlichen Förderrate von ca. 70 L/s wird hierfür ein Aquifer in einer
Tiefe von ca. 3 400 m erschlossen. Durch die Nutzung des hydrothermalen Erdwärme-
vorkommens werden bei der gekoppelten Strom- und Wärmebereitstellung mit rund
5 MW thermischer Leistung ca. 80 % der jährlichen Wärmenachfrage in das Nahwär-
menetz NW III eingespeist. Neben den in Kapitel 1.3 aufgeführten Versorgungsauf-
gaben kann dabei zusätzlich ein großer Industriebetrieb mit Niedertemperaturwärme
bedient werden. In Kombination mit der mit leichtem Heizöl befeuerten Spitzenlast-
anlage wird mit einer thermischen Leistung von insgesamt ca. 11,7 MW Wärme zur
Deckung der aktuell gegebenen Wärmenachfrage bereitgehalten.
 Referenzanlage Fall 2 / Fall 3. Unter den hier zugrunde gelegten Bedingungen der
im süddeutschen Molassebecken zu erwartenden Gegebenheiten wird eine Förderboh-
rung auf rund 3 700 m unterstellt. Bei einer Fördertemperatur von etwa 130 ı C und
einer Förderrate von durchschnittlich 140 L/s ist mit einer Standard-ORC-Anlage ein
Netto-Stromwirkungsgrad von ca. 5 % und bei einem Einsatz einer zweistufigen ORC-
Anlage ein Wirkungsgrad von 6 % umsetzbar. Damit kann eine elektrische Leistung
880 S. Janczik et al.

von etwa 3,4 bzw. 4,1 MW bereitgestellt werden. Zusätzlich dazu können jeweils rund
9 MW thermischer Leistung erzeugt werden. Zusammen mit dem mit Heizöl befeuer-
ten Spitzenlastkessel sind so insgesamt rund 21 MW an thermischer Leistung für das
Nahwärmenetz NW III verfügbar.

9.3.2 Ökonomische Analyse

Zur Abschätzung der mit einer geothermischen Wärmebereitstellung bzw. gekoppelten


Strom- und Wärmeerzeugung verbundenen Kosten der definierten Anlagenkonfiguratio-
nen werden zunächst die variablen und fixen Kosten diskutiert und daraus dann die spe-
zifischen Wärme- bzw. Stromgestehungskosten – ermittelt auf der Basis der bisherigen
Vorgehensweise und auf der Basis der bisherigen finanzmathematischen Rahmenannah-
men (Kapitel 1.3) – diskutiert.
Die Auslegung und die konkret eingesetzte Systemtechnik geothermischer Heiz- und
Heizkraftwerke sind extrem von den jeweiligen Gegebenheiten vor Ort (u. a. Salinität, För-
derraten und Temperaturen der Tiefenwässer, lokale Abnehmerstruktur) abhängig. Dies
führt zu deutlichen Unterschieden in der Auslegung und damit in der Kostenstruktur. Auf
Grund dieser Unsicherheiten können die im Folgenden ausgewiesenen Kostenangaben nur
Größenordnungen bzw. Anhaltswerte der tatsächlich zu erwartenden Kosten darstellen.
In Einzelfällen können damit durchaus niedrigere, aber auch erheblich höhere monetäre
Aufwendungen vorkommen und damit sowohl geringere als auch höhere Wärme- bzw.
Stromgestehungskosten realisiert werden.

9.3.2.1 Ausschließliche Wärmebereitstellung


Im Folgenden werden die mit einer geothermischen Wärmenutzung verbundenen Inves-
titionen und Betriebskosten sowie die daraus resultierenden spezifischen Wärmegeste-
hungskosten dargestellt.

Investitionen Neben der eingesetzten Technik werden die Investitionen geothermischer


Anlagen (Tabelle 9.10) wesentlich von der Systemgröße bzw. der installierten Leistung
bestimmt. Wie bei anderen Energiebereitstellungsoptionen auch sinken dabei i. Allg. mit
zunehmender Anlagengröße die spezifischen Investitionen; dies gilt bei Geothermiean-
lagen vor allem für die Förder- und die Injektionsbohrung. Bei den Bohrungen ist aber
zusätzlich die starke Kostenabhängigkeit von der Bohrtiefe und dem jeweils vorzufinden-
den Gestein im tiefen Untergrund von übergeordneter Bedeutung.
Mit einem Anteil von ca. 71 bzw. 61 % (NW II bzw. NW III) tragen jeweils die Her-
stellung der beiden Bohrungen den größten Teil der Investitionen bei. Richtwerte für die
Kosten von Förder- und Injektionsbohrung liegen, in Abhängigkeit der Tiefe und der Ge-
steinshärte, bei ca. 2 500 bis 3 500 C/m.
Die Aufwendungen für das Wärmeverteilnetz liegen in Abhängigkeit von der Rohrdi-
mensionierung, den örtlichen Gegebenheiten (z. B. unbefestigtes oder befestigtes Gelän-
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 881

Tabelle 9.10 Investitionen und Betriebskosten sowie Wärmegestehungskosten geothermischer An-


lagenkomponenten, Wärmeverteilung mit Nahwärmenetz sowie Gebäudeanbindung innerhalb eines
geothermischen / fossilen Systems zur Brauchwarmwasser- und Raumwärmebereitung
System NW II (SDM A) NW III (SDM B)
Geothermische Leistung in MW 3,8 7,6
Gesamte Wärmenachfragea in GJ/aa 26 000 52 000
Geothermischer Deckungsgrada in % 85 85
Heizzentrale
Investitionen
Bohrung in Mio. C 11,92 13,34
Thermalwasserkreislauf in Mio. C 1,01 1,33
Spitzenlastanlage in Mio. C 0,51 1,02
Wärmeübertrager in Mio. C 0,11 0,22
Gebäude in Mio. C 0,35 0,35
Nahwärmenetz in Mio. C 2,40 4,80
Summe in Mio. C 16,71 21,55
Betriebskosten (inkl. Brennstoff) in Mio. C/a 0,35 0,48
Übergabestation und Hausanschlussb
Investitionen in C 3 984–7 228 3 984–7 228
Betriebskosten in C/a 128–225 128–225
Wärmegestehungskostenb in C/GJ 54,8–69,6 36,3–50,7
in C/kWh 0,19–0,25 0,13–0,18
SDM A Süddeutsches Molassebecken, Fall A (Tabelle 9.6); SDM B Süddeutsches Molassebecken,
Fall A (Tabelle 9.6); a gesamte Wärmebereitstellung einschließlich Spitzenlast ohne Verluste des
Wärmeverteilnetzes sowie der Hausübergabestation / Warmwasserzwischenspeicher; b die Band-
breite der Kosten resultiert aus der Versorgung der unterschiedlichen Nachfragefälle (d. h. EFH 0
bis IV und MFH 0 bis IV), da daraus eine unterschiedliche Anzahl an Hausübergabestationen und
damit auch unterschiedliche Kosten resultieren.

de) sowie der Siedlungsstruktur innerhalb einer sehr großen Bandbreite. Näherungsweise
kann für das Nahwärmenetz von rund 400 C/m ausgegangen werden. Die Investitionen
für die Gebäudeanbindung schließen den Hausanschluss mit Übergabestation sowie die
Aufwendungen innerhalb der versorgten Gebäude (z. B. Brauchwarmwasserspeicher) mit
ein (Tabelle 9.10).
Wärmenetz, Thermalwasserkreislauf (Rohrsysteme, Förder- und Injektionspumpen,
Slop- und Filtersysteme) sowie die Anlagenplanung zeigen einen geringeren Einfluss auf
die Investitionen. Die Kosten für Baumaßnahmen (Gebäude einschließlich Grundstück)
sowie die Wärmeübertrager spielen hingegen nur noch eine vergleichsweise untergeord-
nete Rolle.
Die dargestellten Investitionen einer Wärmebereitstellung aus Erdwärme und – zur
Spitzenlastabdeckung – aus fossilen Energieträgern berücksichtigen zusätzlich die Auf-
wendungen für die Spitzenlastanlage (u. a. Kessel, Brenner, Brennstofflagerung).
882 S. Janczik et al.

Betriebskosten Die laufenden Betriebskosten (Tabelle 9.10) umfassen u. a. die finanzi-


ellen Aufwendungen für Instandhaltung und Wartung, Personal, Versicherungen und den
aus dem Netz der öffentlichen Versorgung bezogenen elektrischen Strom (u. a. zur Um-
wälzung des Thermalwassers). Die Brennstoffkosten der geothermisch / fossilen Systeme
sind dabei getrennt von diesen erhoben worden (Tabelle 9.10).

Wärmegestehungskosten Auf Basis der in Kapitel 1.3 festgelegten finanzmathemati-


schen Rahmenbedingungen errechnen sich für die betrachteten Referenzanlagen die eben-
falls in Tabelle 9.10 dargestellten Wärmegestehungskosten. Aufgrund des – durch die
Bohrungen bedingten – höheren Risikos, wird hier aber ein Zinssatz von 4 % zugrunde
gelegt; dies übersteigt den Zinssatz in Höhe von 2 %, der in Kapitel 1.3 für alle weiteren
ökonomischen Analysen definiert ist. Als technische Anlagenlebensdauer werden dabei
für die geothermischen Anlagenkomponenten 30 Jahre, die Gebäude und das Wärme-
verteilnetz 40 Jahre sowie die Hausübergabestationen und den Spitzenlastkessel 25 Jahre
unterstellt.
Für eine geothermische Wärmebereitstellung liegen die Wärmegestehungskosten in
Abhängigkeit der Anlagengröße sowie der Leistung der Hausübergabestation zwischen
rund 36 und 70 C/GJ (Tabelle 9.10). Diese Gestehungskosten stellen dabei die gesamten
Wärmegestehungskosten einer geothermisch / fossilen Wärmebereitstellung innerhalb ei-
nes Gesamtsystems mit Spitzenlastabdeckung auf der Basis fossiler Energieträger (d. h.
leichtes Heizöl, NW II und NW III) dar. In einem Versorgungssystem ohne diese zusätzli-
chen Systemkomponenten würden sich diese entsprechend verändern. Der geothermische
Anlagenteil müsste in diesem Fall auch die Spitzenlast abdecken; dadurch würde sich die
Volllaststundenzahl des geothermiespezifischen Teils erhöhen und damit – absolut gese-
hen – auch die geothermisch bereitstellbare Wärme.
Im Allgemeinen gehen die Wärmegestehungskosten mit steigender Anlagengröße bzw.
zunehmender installierter thermischer Leistung zurück. Damit zeigen Anlagen mit ge-
ringerer Leistung aufgrund der relativ höheren Investitionen für die Erschließung der
geothermischen Wärmequelle über die benötigten Tiefbohrungen entsprechend höhere
Wärmegestehungskosten.
Die Wärmegestehungskosten werden zusätzlich von vielen weiteren Einflussgrößen
bestimmt, die je nach den jeweiligen örtlichen Gegebenheiten im Sinne einer Minimierung
der Gesamtsystemkosten zu optimieren sind. Außerdem erscheint durch eine Senkung der
Bohrkosten, durch eine Optimierung der mit geothermischer Energie versorgten Heiznet-
ze sowie durch die Wahl der Anlagenkonfiguration eine Reduzierung der Wärmekosten
möglich.
Um den Einfluss verschiedener Größen auf diese Gestehungskosten besser abschätzen
und bewerten zu können, zeigt Abb. 9.46 eine Variation wesentlicher sensitiver Para-
meter einer geothermischen Wärmebereitstellung mit Spitzenlastabdeckung (NW II) für
ein Nachfrageprofil mit 5 bzw. 13 kW Abnahmeleistung (EFH III und IV). Die monetä-
ren Aufwendungen der Hausübergabestation werden dabei als konstant unterstellt. Auch
bleibt der geothermische Deckungsgrad unverändert bei 85 %.
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 883

0,45
Mittlere Abschreibungsdauer (31,5 Jahre = 100 %)
Investitionen (16 710 k€ = 100 %)
Zinssatz (4 % Zinsen = 100 %)
0,40
Wärmegestehungskosten in €/kWh

Betriebs/Brennstoffkosten (350 k€/a = 100%)


Volllaststunden (2 000 h/a = 100 %)

0,35

0,30

0,25

0,20

0,15
50 60 70 80 90 100 110 120 130 140 150
Parametervariation in %

Abb. 9.46 Parametervariation der wesentlichen Einflussgrößen auf die Wärmegestehungskosten


einer geothermischen / fossilen Wärmebereitstellung (NW II) für die Versorgungsaufgabe EFH
III/IV mit 5 bzw. 13 kW Abnahmeleistung (Abschreibungsdauer von 31,5 Jahren entspricht dem
gewichteten Mittel aller Anlagenkomponenten)

Den größten Einfluss auf die Wärmekosten zeigen demnach die Investitionen sowie
die Volllaststunden. Die Volllaststundenzahl und damit die nutzbare Wärme kann inner-
halb eines durch die thermische Leistung des Heizwerks bzw. die Wärmekapazität des
Verteilnetzes vorgegebenen Systems über die Veränderung der Abnehmerstruktur variiert
werden. Wird z. B. ein Teil der Wärme an Industrie- oder Gewerbeunternehmen mit einem
jahreszeitlich ausgeglichenen Wärmeverbrauch (z. B. Molkerei, Wäscherei) abgegeben,
kann eine Erhöhung der Anlagenausnutzung (d. h. jährliche Volllaststunden) und damit
eine Senkung der Wärmegestehungskosten erreicht werden. Zinssatz bzw. Abschreibungs-
dauer zeigen – da dies sehr Inestitions-intensive Energiesysteme sind – ebenfalls einen er-
heblichen Einfluss auf die Gestehungskosten einer geothermischen Wärmebereitstellung.
Die Betriebs- und Brennstoffkosten sind hingegen von vergleichsweise untergeordneter
Bedeutung.

9.3.2.2 Bereitstellung von Wärme und Strom


Mit dem Ziel einer Abschätzung der mit einer gekoppelten Strom- und Wärmebereitstel-
lung aus geothermischer Energie verbundenen Kosten werden im Folgenden die spezifi-
schen Stromgestehungskosten für die definierten Anlagenkonfigurationen berechnet und
diskutiert.
Die untersuchten Referenzanlagen sind dabei, auf Grund der hohen Anzahl an verschie-
denen Einflussfaktoren auf die technische Umsetzung von Anlagen zur geothermischen
884 S. Janczik et al.

Strom- und Wärmebereitstellung (u. a. geologische Bedingungen am potenziellen Stand-


ort), nur als Beispiele anzusehen.

Investitionen Im Wesentlichen setzen sich die Aufwendungen zur Errichtung von geo-
thermischen Anlagen für eine kombinierte Strom- und Wärmebereitstellung aus den In-
vestitionen für die Herstellung der Bohrung (u. a. Bohrkosten, Einrichtung des Bohrplat-
zes, Bohrlochvermessung, Produktionstests, Stimulation, Unvorhergesehenes), des Ther-
malwasserkreislaufs (u. a. Slop- und Filtersysteme, Thermalwasserkreislauf, Förderpum-
pe), der Energiebereitstellungsanlage (u. a. Konversionsanlage, Spitzenlastkessel, Wärme-
auskopplung, Anbindung ans Netz) und ggf. sonstigen Aufwendungen (Gebäude, Pla-
nung) zusammen.
Dabei werden die Investitionen derartiger Anlagen in der Regel durch die Aufwen-
dungen zur Herstellung der Bohrung dominiert (i. Allg. bis zu 58 %). Diese wiederum
sind stark abhängig von den konjunkturabhängigen Bohrraten; übertragbare Aussagen
sind deshalb nur sehr eingeschränkt möglich. Sicher ist aber, dass die Kosten einer Boh-
rung maßgeblich durch die Bohranlagenmiete (einschließlich Personal- und Energiekos-
ten) bestimmt werden, die durchschnittlich 36 % der Gesamtkosten einer Tiefbohrung
ausmachen. Auf die Bohrplatzeinrichtung und dessen Wiedernutzbarmachung nach dem
erfolgreichen Abteufen entfallen ca. 4 % der Gesamtkosten, auf Meißel und Richtbohr-
service rund 15 %, auf Spülungs- und Zementationsservice etwa 12 %, auf Verrohrung
einschließlich Steigrohre ca. 20 % und auf die Sondenkopfkomplettierung ca. 12 % der
gesamten Kosten. Je nach den lokalen Gegebenheiten können sich diese Anteile aber z. T.
merklich verschieben. Ausgehend davon fallen für die dargestellten Anlagen Investitionen
in einer Bandbreite von 18,6 bis 21,5 Mio. C für die Herstellung der Bohrungen an.
Noch unsicherer sind die verfügbaren Kostenangaben für die Stimulation, da hier je
nach den Gegebenheiten vor Ort u. a. mit unterschiedlichen Techniken, Drücken, Ma-
terialien und Verpressmengen gearbeitet werden muss. Außerdem sind die angedachten
Verfahren zwar Stand der Technik in der Erdöl- und Erdgasindustrie, jedoch nicht im Be-
reich der Geothermie. Deswegen werden hier die Kosten für einen Frac pauschal mit rund
0,8 Mio. C abgeschätzt. Hinzu kommen die Aufwendungen für Produktionstests von hier
pauschal unterstellten 0,3 Mio. C. Zusammengenommen errechnen sich für die diskutier-
ten Anlagen somit Gesamtaufwendungen für die Erschließung der untertägigen Lagerstät-
ten von rund 23,5 bis ca. 26,9 Mio. C (Tabelle 9.11).
Die Investitionen für den Thermalwasserkreislauf setzen sich ebenfalls aus einer Viel-
zahl unterschiedlicher Komponenten zusammen. Für die zu verlegenden Rohrleitungen
sind Investitionen von jeweils rund 0,6 Mio. C zu veranschlagen. Für die benötigten
Slop- und Filtersysteme bewegen sich die Aufwendungen zwischen 0,7 und 0,9 Mio. C.
Die Aufwendungen der Tiefpumpen werden primär durch die geologischen Parameter
bestimmt; für die diskutierten Anlagen fallen hierfür Investitionen zwischen 0,9 und
1,6 Mio. C an.
Die Kosten für die luftgekühlten Kraftwerksanlagen auf Basis eines Organic Rankine
Cycle (ORC) werden für die Standard-Anlagen mit 9,5 bis 9,7 Mio. C abgeschätzt. Da-
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 885

Tabelle 9.11 Investitionen und Betriebskosten sowie Stromgestehungskosten einer kombinierten


geothermischen Strom- und Wärmebereitstellung (Zahlen gerundet)
Fall 1 Fall 2 Fall 3
Erschließung
Stimulation in Mio. C 0,80 0,80 0,80
Produktionstests in Mio. C 0,30 0,30 0,30
Bohrungen in Mio. C 18,63 21,49 21,49
Unvorhergesehenes in Mio. C 3,79 4,36 4,36
Summe in Mio. C 23,52 26,94 26,94
Thermalwasserkreislauf
Förderpumpe in Mio. C 0,91 1,58 1,58
Rohrleitungen in Mio. C 0,60 0,60 0,60
Slop- & Filtersysteme in Mio. C 0,66 0,88 0,88
Summe in Mio. C 2,17 3,07 3,07
Kraftwerk / Heizkraftwerk
Konversionsanlage in Mio. C 9,72 9,47 10,59
Wärmeauskopplung in Mio. C 0,25 0,25 0,25
Nahwärmenetz in Mio. C 2,40 4,80 4,80
Spitzenlastkessel in Mio. C 0,27 0,43 0,43
Elektroanbindung in Mio. C 0,48 0,52 0,52
Summe in Mio. C 13,13 15,47 16,59
Sonstigesa in Mio. C 1,61 1,73 1,77
Gesamtinvestition in Mio. C 40,43 47,21 48,37
Annuitätb in Mio. C/a 3,23 3,69 3,81
Betriebskostenc in Mio. C/a 2,29 3,02 3,02
Wärmeverkaufd in Mio. C/a 0,50 0,90 0,90
Stromgestehungskosten
brutto in C/kWh 0,189 0,225 0,193
netto in C/kWh 0,212 0,310 0,238
a
u. a. Planung, Gebäude; b bei einem Zinssatz von 4 %; c u. a. Wartung, Personal, Versicherung,
Verwaltung, Strombezugskosten; d unterstellter Wärmepreis 0,05 C/kWh.

bei resultieren die Unterschiede maßgeblich aus der installierten elektrischen Leistung
und damit der unterschiedlichen Dimensionierung der apparativen Einzelkomponenten.
Wird eine zweistufige Kraftwerksanlage verbaut (Fall 3) erhöhen sich die Investitionen
auf rund 10,6 Mio. C. Grund hierfür sind die aufwändigere Kraftwerks- und Verfahrens-
technik sowie die höhere Anzahl der Einzelkomponenten im Prozess. Für die erforderliche
Netzanbindung fallen Kosten in Höhe von jeweils rund 0,5 Mio. C an. Für die gekoppel-
te Wärmebereitstellung zur Einspeisung in das vorhandene Niedertemperaturwärmenetz
werden für alle Anlagen zusätzlich 0,25 Mio. C berücksichtigt. Die Investitionen des Nah-
wärmenetzes NW II bzw. NW III betragen 2,4 bzw. 4,8 Mio. C. Für den Spitzenlastkessel
sind 0,3 bis 0,4 Mio. C zu investieren.
886 S. Janczik et al.

Weiterhin sind Kosten für die Planung und alle weiteren notwendigen Vorarbeiten
(z. B. geologische Gutachten, Gebühren für Bergämter), die Bauausführung und zusätzli-
che Gebäude zu berücksichtigen. Hier werden sonstige Aufwendungen von rund 1,6 bis
1,8 Mio. C unterstellt.
Ausgehend von den diskutierten Annahmen ergeben sich für die untersuchten Konfi-
gurationen somit gesamte Anlageninvestitionen in der Größenordnung zwischen 40,4 und
48,4 Mio. C.

Betriebskosten Die jährlichen Betriebskosten setzen sich aus den Aufwendungen für
Personal, Versicherung, Wartung und Verwaltung zusammen. Weiterhin sind Brennstoff-
kosten für die Spitzenlastanlage zu berücksichtigen. Wird für die Anlagenkonfigurationen
eine Einspeisung der Bruttostromerzeugung ins Netz der öffentlichen Erzeugung unter-
stellt, muss zusätzlich der Eigenstrombedarf, der dann aus dem öffentlichen Stromnetz
bezogen werden muss, berücksichtigt werden.
Die Instandhaltungskosten für die einzelnen Anlagenteile werden für die Bohrungen
mit 0,5 %, für die Rohrleitungen, die Wärmeübertrager und Sonstiges mit 4 % sowie für
die ORC- bzw. anderen Energiebereitstellungsanlagen und das Gebäude mit 1 % der In-
vestitionen unterstellt.
Insgesamt errechnen sich daraus für die diskutierten Anlagenkonfigurationen jährliche
Betriebskosten von 2,3 bis 3,0 Mio. C (Tabelle 9.11).

Stromgestehungskosten Unter den dargestellten Randbedingungen ergeben sich für die


untersuchten Anlagenkonfigurationen die ebenfalls in Tabelle 9.11 dargestellten Strom-
gestehungskosten. Sie liegen demnach für eine kombinierte Strom- und Wärmebereit-
stellung bei einer Einspeisung der Bruttostromerzeugung im Bereich zwischen 0,19 und
knapp 0,23 C/kWh und bei einer Netzeinspeisung der Nettoerzeugung zwischen 0,21 und
0,31 C/kWh.
Im Einzelfall können die Stromgestehungskosten erheblich von den oben diskutierten
abweichen. Für eine Abschätzung der Bedeutung bestimmter Einflüsse zeigt Abb. 9.47 ei-
ne Variation wesentlicher sensitiver Parameter am Beispiel einer ausschließlichen Strom-
bereitstellung bei einer Netzeinspeisung der Bruttostromerzeugung.
Demnach haben die Volllaststunden und der damit verbundene Jahresertrag den größten
Einfluss auf die spezifischen Stromgestehungskosten. Erhöhen sich die Stillstandszeiten
des Kraftwerks, kann weniger Strom erzeugt werden und die Stromgestehungskosten stei-
gen. Umgekehrt sind bei einer maximalen Auslastung der Anlagen deutlich geringere spe-
zifische Stromgestehungskosten möglich. Weiterhin dominieren auch die Investitionen die
Stromgestehungskosten. Können beispielsweise die Bohrkosten reduziert werden, wären
deutlich geringere Stromgestehungskosten möglich. Im Vergleich dazu ist beispielsweise
der Preis für den aus dem Netz bezogenen Strom in Bezug auf die Gestehungskosten nur
von untergeordneter Bedeutung.
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 887

0,40
Mittlere Abschreibungsdauer (17,7 Jahre = 100 %)
Investitionen (40 430 k€ = 100 %)
Zinssatz (4 % Zinsen = 100 %)
0,35 Bohrkosten (18 630 k€ = 100 %)
Stromgestehungskosten in €/kWh

Volllaststunden (7 500 h/a = 100 %)


Strompreis

0,30

0,25

0,20

0,15

0,10
50 60 70 80 90 100 110 120 130 140 150
Parametervariation in %

Abb. 9.47 Parametervariation für eine Brutto-Strombereitstellung bezogen auf die Referenzanla-
ge 1 (d. h. Fall 1)

9.3.3 Ökologische Analyse

Für die bisher betrachteten Anlagen zur Nutzung der Erdwärme wird im Folgenden ei-
ne Bilanzierung ausgewählter Umweltkenngrößen im Verlauf des gesamten Lebensweges
durchgeführt. Dabei wird wieder die in Kapitel 1.3 dargestellte Vorgehensweise zugrunde
gelegt. Anschließend werden weitere mit einer Energiebereitstellung aus derartigen Sys-
temen verbundene Umwelteffekte diskutiert.

9.3.3.1 Ausschließliche Wärmebereitstellung

Lebenszyklusanalyse Für die bisher betrachteten Anlagen werden nun die spezifischen
kumulierten Energieströme (d. h. Verbrauch fossiler Energieträger) und ausgewählte Stoff-
freisetzungen im Verlauf der gesamten Anlagenlebensdauer einschließlich aller vorge-
lagerten Prozesse im Rahmen einer Lebenswegbetrachtung (Kapitel 1.3) bilanziert. Be-
zugsgröße ist dabei einerseits die bereitgestellte Wärme aus geothermischer Energie und
andererseits die gesamte Wärme zur Deckung der jeweiligen Versorgungsaufgabe an der
Schnittstelle zum hausinternen Wärmeverteilnetz der durch ein Fernwärmenetz versorgten
Gebäude.
In Anlehnung an das bisherige Vorgehen werden dabei als Maß für den Beitrag zum
anthropogenen Treibhauseffekt die CO2 -Äquivalent-Emissionen, für Emissionen mit ver-
sauernder Wirkung die SO2 -Aquivalent-Emissionen und unter dem Aspekt human- und
888 S. Janczik et al.

ökotoxikologischer Wirkungen die Emissionen an SO2 und NOx berechnet. Aufgrund


der Vielzahl möglicher Einflussfaktoren auf die technische Umsetzung von Anlagen zur
Nutzung der Erdwärme können die hier untersuchten Referenzanlagen nur exemplarische
Fälle darstellen.

Geothermische Wärmebereitstellung Um den Anteil des geothermischen Anlagenteils am


Verbrauch fossiler Energieträger bzw. an den diskutierten Emissionen aufzuzeigen, wird
hier die Wärme frei Verbraucher aus der mit fossilen Brennstoffen befeuerten Spitzenlast-
anlage nicht berücksichtigt. Die dargestellten Bilanzergebnisse repräsentieren demnach
eine ausschließliche geothermische Wärmebereitstellung innerhalb des in Tabelle 9.7 defi-
nierten Gesamtsystems. Bezugsgröße ist 1 TJ bereitgestellte geothermische Wärme an der
Sekundärseite des Wärmeübertragers der in den Versorgungsprofilen definierten Haus-
übergabestation (Kapitel 1.3). Die Wärmeverluste des Nahwärmenetzes werden ebenso
wie die Verluste der Übergabestationen bzw. der Brauchwarmwasserspeicher innerhalb
der versorgten Gebäude berücksichtigt.
Die energetischen Aufwendungen für Bau, Betrieb und Abriss der gemeinsam mit der
Spitzenlastanlage genutzten Komponenten (u. a. Nahwärmenetz, Gebäude der Heizzentra-
le und Hausübergabestation) werden den geothermischen Systemkomponenten entspre-
chend dem geothermischen Anteil an der gesamten Wärmeabgabe angerechnet. Tabel-
le 9.12 zeigt die Ergebnisse der Energie- und Emissionsbilanzen.

Tabelle 9.12 Energie- und Emissionsbilanzen einer geothermischen Wärmebereitstellung frei


Verbraucher zur Raumwärme- und Warmwasserbereitung (nur Anteil der Erdwärme; Zahlen ge-
rundet) [9.17, 9.18]
System NW II (SDM A)a NW III (SDM B)b
c
Geo. Wärmen. in GJ/a 22 100 44 200
Versorgungs- EFH EFH EFH EFH EFH EFH EFH EFH
aufgabe I/II III/IV I/II III/IV I/II III/IV I/II III/IV
Geo. Wärmen. in GJ/ad 20,1 49,4 109,8 226,8 20,1 49,4 109,8 226,8
Energie in GJprim /TJe 387 359 350 347 294 266 257 254
SO2 in kg/TJ 68 60 57 57 52 44 42 41
NOx in kg/TJ 147 142 140 141 91 85 83 83
CO2 -Äq. in t/TJ 35,1 32,2 31,2 31,0 26,7 23,8 22,8 22,6
SO2 -Äq. in kg/TJ 164 152 148 147 118 106 102 101
Geo. Wärmen. Geothermische Wärmenachfrage; Äq. Äquivalente; a geologische Randbedingungen
im süddeutschen Molassebecken (SDM A) (Tabelle 9.6); b geologische Randbedingungen im süd-
deutschen Molassebecken (SDM B) (Tabelle 9.6); c geothermische Wärmenachfrage resultiert beim
NW II aus einer Nachfrage von 26 000 GJ/a und einem geothermischen Deckungsgrad von 0,85,
geothermische Wärmenachfrage resultiert beim NW III aus einer Nachfrage von 52 000 GJ/a und
einem geothermischen Deckungsgrad von 0,85; d geothermische Wärmenachfrage bei einem geo-
thermischen Deckungsgrad von 0,85 sowie einer Gesamtwärmenachfrage von 23,6 GJ/a (EFH I/II),
58,1 GJ/a (EFH III/IV), 129,2 GJ/a (MFH I/II) und 266,8 GJ/a (MFH III/IV); e primärenergetisch
bewerteter kumulierter fossiler Energieaufwand (Verbrauch erschöpflicher Energieträger).
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 889

CO2-Äquivalent-Emissionen in t/GWhth
Rückbau Betrieb Bau
30

20

10

Abb. 9.48 Aufteilung der CO2 -Äquivalent-Emissionen auf Bau, Betrieb und Abriss der in Tabel-
le 9.12 dargestellten Bilanzergebnisse (zur Definition der Kürzel siehe Tabelle 9.12) [9.17, 9.18]

Einflussfaktoren auf die dargestellten Bilanzergebnisse sind neben den geologischen


und geotechnischen Randbedingungen (u. a. Thermalwassertemperatur, Bohrtiefe) die
Anlagenleistung (Gesamtanlage bzw. Hausübergabestation), der geothermische Anteil an
der gesamten Wärmeabgabe der Heizzentrale sowie der Anteil des Wärmeverbrauchs zur
Brauchwarmwasserbereitung am gesamten Wärmeverbrauch.
Mit steigender Leistung der geothermischen Anlage bzw. der Hausübergabestation sin-
ken die spezifischen Aufwendungen für deren Bau. Auch können bei geringeren geother-
mischen Deckungsgraden höhere Volllaststundenzahlen und dadurch eine bessere Aus-
nutzung der geothermischen Anlagenteile mit entsprechend sinkenden energetischen bzw.
materiellen Aufwendungen erreicht werden. Unterschiede zwischen den einzelnen Abnah-
meleistungen der Hausübergabestationen resultieren u. a. aus voneinander abweichenden
spezifischen Aufwendungen für den Hausanschluss (u. a. Übergabestation, Brauchwarm-
wasserspeicher) sowie unterschiedlichen Wärmeverlusten der Übergabestationen. Letzte-
re sind eine Folge verschieden hoher Anteile des Wärmeverbrauchs zur Brauchwarmwas-
serbereitung am Gesamtverbrauch der diskutierten Referenzsysteme bei unterschiedlichen
Nutzungsgraden der Brauchwarmwasser- (80 %) und Raumwärmebereitung (98 %).
Der Verbrauch erschöpflicher Energieträger sowie die Emissionen der betrachteten
Luftschadstoffe werden durch die Herstellung der Anlage (bzw. den dafür eingesetzten
Materialien) und durch die Bereitstellung der für den geothermischen Anlagenbetrieb be-
nötigten elektrischen Energie – und damit den Betrieb der Anlage – bestimmt. Abriss und
Entsorgung der Anlagen tragen hingegen vergleichsweise wenig zu den Bilanzergebnis-
sen bei; Abb. 9.48 verdeutlicht dies am Beispiel der CO2 -Äquivalent-Emissionen. Hinzu
kommt, dass bei einer ausschließlichen Bilanzierung der geothermischen Wärmebereit-
stellung direkte Emissionen am Anlagenstandort nicht auftreten.
890 S. Janczik et al.

NW Netz und Energiebedarf


Anschlüsse Bohrung
20 % 15 %

Injektions-/
Förderbohrung
14 %

Gebäude,
Sonstiges
4%
Instandhaltung
16 %

Abriss
2%

Strom
29 %

Abb. 9.49 Aufteilung der CO2 -Äquivalent-Emissionen einer geothermischen Wärmebereitstellung


für das Referenzsystem NW II (Versorgungsaufgabe EFH III/IV; Injektions- und Förderbohrung:
Materialeinsatz für die Komplettierung der Bohrungen; Strom: Einsatz elektrischer Energie für den
Betrieb; Energiebedarf Bohrung: Dieseleinsatz für das Abteufen der Bohrung; NW Netz: Nahwär-
menetz; vgl. Tabelle 9.12) [9.17]

Die durch den Betrieb der geothermischen Anlagen verursachten Verbräuche erschöpf-
licher Energieträger sowie Emissionen der betrachteten Luftschadstoffe werden nahezu
ausschließlich durch den Verbrauch an elektrischer Energie (u. a. Förderpumpe) bestimmt.
Damit dominiert der zugrunde gelegte Stromerzeugungsmix für den Strombezug die Er-
gebnisse; hier wurde der deutsche Strommix unterstellt (Kapitel 1.3).
Abb. 9.49 zeigt zusätzlich eine Aufteilung der CO2 -Äquivalent-Emissionen für die Re-
ferenzanlage NW II EFH III/IV auf Bau (Nahwärmenetz und Hausanschlüsse, Komplet-
tierung der Injektions- und Förderbohrung, Energieeinsatz für das Abteufen der Bohrung,
Gebäude und Sonstiges einschließlich sämtlicher technischer Anlagen wie Wärmeüber-
trager, Pumpen oder Rohrleitungen), Betrieb (Instandhaltung, elektrischer Strom) und
Abriss.
Mit insgesamt rund 45 % nimmt dabei die für den Betrieb benötigte elektrische Energie
und die Instandhaltung der Anlage fast die Hälfte an den freigesetzten CO2 -Äquivalent-
Emissionen ein. Der Anteil der Emissionen aus dem Bau der geothermischen Heizzentrale
liegt mit rund 53 % bei etwas über der Hälfte der Stofffreisetzungen. Der Abriss trägt mit
ca. 2 % nur vergleichsweise wenig zu den gesamten Klimagasemissionen bei. Auch die
anderen betrachteten Emissionen sowie der Verbrauch erschöpflicher Energieträger zeigen
Tendenzen, wie sie in Abb. 9.49 deutlich werden.

Gesamte Wärmebereitstellung Zur Erfüllung der gegebenen Versorgungsaufgabe sind die


geothermischen Referenzsysteme NW II bzw. NW III mit Spitzenlastkesseln auf der Basis
fossiler Energieträger ausgestattet. Für die Erstellung der Bilanzen der gesamten Wärme-
bereitstellung zur Deckung einer definierten Versorgungsaufgabe muss deshalb neben den
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 891

50

CO2-Äquivalent-Emissionen in t/GWhth
Rückbau Betrieb Bau
40

30

20

10

Abb. 9.50 Aufteilung der CO2 -Äquivalent-Emissionen auf Bau, Betrieb und Abriss der in Tabel-
le 9.13 dargestellten Bilanzergebnisse (zur Definition der Kürzel siehe Tabelle 9.13) [9.17, 9.18]

geothermischen Anlagenkomponenten (u. a. Förder- und Injektionsbohrung, Wärmeüber-


trager, Filter) auch die Wärmeerzeugung auf Basis fossiler Energieträger berücksichtigt
werden.
Neben den bereits bei der Diskussion der Bilanzergebnisse einer ausschließlichen geo-
thermischen Wärmebereitstellung genannten Einflussfaktoren werden die Bilanzen einer
kombinierten geothermischen / fossilen Wärmeerzeugung vor allem durch die Art und den
Anteil der mithilfe von fossilen Energieträgern bereitgestellten Wärme bestimmt. Spitzen-
lastanlagen mit Heizöl als Brennstoff sind dabei generell durch einen höheren Verbrauch
erschöpflicher Energieträger und durch höhere luftgetragene Emissionen gekennzeichnet
im Vergleich zu Konversionsanlagen, bei denen Erdgas eingesetzt wird. Da der Einsatz
fossiler Energieträger direkt an den jeweiligen geothermischen Anteil an der bereitge-
stellten Wärme gekoppelt ist, steigt mit einem Absinken des geothermischen Anteils an
der bereitgestellten Wärme der Beitrag fossiler Energieträger an der Wärmebereitstellung.
Damit steigen die kumulierten fossilen Energieaufwendungen bzw. die entsprechenden
Schadstoffemissionen an.
Die Bilanzergebnisse der hier betrachteten Referenzanlagen (Tabelle 9.7) werden da-
bei im Wesentlichen durch den Anlagenbetrieb bestimmt. Der Bau der Anlagen zeigt
einen relativ geringen, Abriss und Entsorgung einen nahezu vernachlässigbaren Einfluss
(Abb. 9.50). Dabei stammt der aus dem Bau der Gesamtanlage resultierende Verbrauch
fossiler Energieträger bzw. stammen die durch den Anlagenbau verursachten Emissio-
nen fast ausschließlich aus den geothermischen Systemkomponenten. Der Verbrauch er-
schöpflicher Energieträger bzw. die Emissionen aus dem Betrieb werden hingegen primär
durch den Brennstoffeinsatz der mit fossilen Brennstoffen befeuerten Spitzenlastkessel
bestimmt. Aufgrund des hier unterstellten Anteils an fossilen Energieträgern an der ge-
samten Wärmebereitstellung liegen z. B. die CO2 -Äquivalent-Emissionen der Referenz-
anlage NW II mit 46 bis 49 t/TJ und jene der Referenzanlage NW III mit 39 bis 42 t/TJ
deutlich über denen einer ausschließlichen geothermischen Wärmebereitstellung.
892 S. Janczik et al.

Tabelle 9.13 Energie- und Emissionsbilanzen einer geothermischen / fossilen Wärmebereitstellung


frei Verbraucher zur Raumwärme- und Warmwasserbereitung (d. h. Deckung einer bestimmten Ver-
sorgungsaufgabe; Zahlen gerundet) [9.17, 9.18]
System NW II (SDM A)a NW III (SDM B)b
Spitzenlastanlage Heizöl leicht Heizöl leicht
Wärmenachfrage in GJ/a 26 000 52 000
Geoth. in % 85 85
Deckungsgr.
Versorgungs- EFH EFH MFH MFH EFH EFH MFH MFH
aufgabe I/II III/IV I/II III/IV I/II III/IV I/II III/IV
Wärmenachfrage in GJ/ac 23,6 58,1 129,2 266,8 23,6 58,1 129,2 266,8
Energie in GJprim /TJ 809 785 777 775 726 702 694 692
SO2 in kg/TJ 86 79 77 77 71 64 62 62
NOx in kg/TJ 150 145 144 143 150 97 95 95
CO2 -Äquivalente in t/TJ 49 47 46 46 42 40 39 39
SO2 -Äquivalente in kg/TJ 196 186 182 181 196 136 132 132
zur Definition vgl. Tabelle 1.1 und 1.2 bzw. Kapitel 1.3.3; Geoth. Deckungsgr. Geothermischer De-
ckungsgrad; a geologische Randbedingungen im norddeutschen Becken (SDM A) (Tabelle 9.6);
b
geologische Randbedingungen im süddeutschen Molassebecken (SDM B) (Tabelle 9.6); c geo-
thermische Wärme und Spitzenlastwärme aus fossilen Energieträgern.

Die Unterschiede zwischen den einzelnen Abnahmeleistungen der Hausübergabesta-


tionen resultieren wiederum aus den voneinander abweichenden spezifischen Aufwendun-
gen für den jeweiligen Hausanschluss (u. a. Übergabestation, Brauchwarmwasserspeicher)
sowie den unterschiedlichen Wärmeverlusten der Übergabestationen.
Abb. 9.51 zeigt zusätzlich die Anteile der CO2 -Äquivalent-Emissionen für die Refe-
renzanlagen NW II EFH III/IV, die dem Bau (u. a. Energiebedarf zum Abteufen der Boh-
rung, Materialeinsatz für die Komplettierung der Injektions- und Förderbohrung, Gebäude

Abb. 9.51 Aufteilung der Energiebedarf


Bohrung
CO2 -Äquivalent-Emissionen Injektions-/
7,6 %
Förderbohrung
einer geothermischen / fossilen 7,0 %
Wärmebereitstellung für das Gebäude,
Sonstiges
Referenzsystem NW II für Heizölfeuerung
7,2 %
35,2 %
die Versorgungsaufgabe EFH
III/IV (NW Nahwärme) [9.17] Abriss
1,0 %

Spitzenlastanlage Strom
0,5 % 23,5 %
NW Netz und
Anschlüsse
Instandhaltung
10,1 %
7,9 %
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 893

und Sonstiges wie Wärmeübertrager, Pumpen oder Rohrleitungen, Spitzenlastanlage),


dem Betrieb (u. a. Instandhaltung, elektrische Energie, Heizölfeuerung) und dem Abriss
anzulasten sind. Die CO2 -Äquivalent-Emissionen aus dem Betrieb der Spitzenlastkessel
auf Heizöl-Basis setzen sich dabei aus den direkten Emissionen am Anlagenstandort sowie
den aus der Bereitstellung des Brennstoffs (d. h. den Vorketten) resultierenden Emissio-
nen zusammen. Demnach dominieren die aus dem Betrieb der Anlagen resultierenden
Emissionen mit etwas mehr als zwei Dritteln das Ergebnis.

Weitere Umwelteffekte Die hydrothermale Energiegewinnung stellt – wie jede andere


Form der geothermischen Nutzung auch – einen Eingriff in das natürliche Gleichge-
wicht der oberen Erdkruste dar [9.21]. Dieser Eingriff wird hervorgerufen durch energeti-
sche und stoffliche Veränderungen, Bruchvorgänge sowie im geringeren Maße auch durch
Massenverlagerungen. Da die hydrogeothermische Nutzung jedoch keine Hohlräume hin-
terlässt, ist der Umfang der Wirkungen im Vergleich z. B. zu bergbaulichen Eingriffen
signifikant geringer. Ausgehend davon lassen sich für die hydrothermale Erdwärmenut-
zung folgende Umwelteffekte identifizieren, die nicht im Rahmen einer Lebensweganaly-
se abgeschätzt werden können. Dabei wird unterschieden zwischen der Errichtung einer
geothermischen Heizzentrale, dem Normalbetrieb und möglichen Störfällen sowie dem
Betriebsende.

Herstellung (Anlagenerrichtung) Für das Abteufen der Bohrungen werden die aus der
Erdöl- und Erdgasexploration sowie z. T. der Wassergewinnung aus tieferen Erdschich-
ten bekannten Verfahren eingesetzt. Dies ist aber bei der Errichtung einer hydrothermalen
Anlage der Arbeitsschritt, von dem die größten potenziellen Umweltgefahren ausgehen.
Durch Bohrtiefen von bis zu 4 000 m und ggf. mehr besteht die Gefahr z. B. eines hydrau-
lischen Kurzschlusses unterschiedlicher Schichten im Untergrund; die diesbezüglichen
Umweltbeeinträchtigungen lassen sich jedoch durch die Einhaltung der entsprechenden
berggesetzlichen Bestimmungen minimieren. Die z. T. merklichen Lärmwirkungen durch
das Abteufen der Bohrung beschränken sich auf den Zeitraum der Bohrungsabteufung.
Die zusätzlich auftretende Beeinflussung der Umwelt durch Geräteeinsatz, Spülungszwi-
schenlagerung, Flächenbelegung usw. ist kurz und lokal begrenzt. Nach dem Abteufen
und der Komplettierung der Bohrung wird auf dem Gelände um den Sondenkopf der ur-
sprüngliche Zustand wieder hergestellt.
Zusätzlich kann es beim Aufschluss eines geothermischen Reservoirs zu seismischen
Ereignissen kommen. Dabei kann unterschieden werden zwischen dem bohrtechnischen
und den reservoirtechnischen Aufschluss.
Beim bohrtechnischen Aufschluss eines geothermischen Speichers (z. B. Aquifers) im
tiefen Untergrund wurden bisher keine seismischen Aktivitäten nachgewiesen. Bei den
über 1 000 ausgeführten Kohlenwasserstoffbohrungen beispielsweise im Oberrheingra-
ben – welche vom Prinzip denen einer geothermischen Erschließung entsprechen – wur-
den bislang ebenfalls keine seismischen Ereignisse festgestellt. Vermutlich ist die Störung
des Untergrunds durch die Bohrung und die damit einhergehenden Aktivitäten nicht aus-
894 S. Janczik et al.

reichend, um seismische Ereignisse zu induzieren. Dies muss aber nicht zwingend für
Gebiete gelten, in denen bereits eine hohe Spannung im Untergrund vorhanden ist und
deren Ausgleich theoretisch durch eine Bohrung induziert werden könnte; dies ist aber
zumindest in Deutschland noch nicht aufgetreten.
Im Gegensatz dazu ist es während der Stimulation des geothermischen Reservoirs zu
fühlbaren seismischen Ereignissen gekommen; bei der geothermischen Energiegewinnung
unter mitteleuropäischen geologischen Bedingungen nimmt die Stimulation des Tiefenge-
steins eine Schlüsselrolle ein, da i. Allg. erst dadurch Fließraten realisiert werden können,
die einen wirtschaftlichen Betrieb ermöglichen. Bei einer solchen Stimulation werden sehr
große Wassermengen (bis zu 100 L/s) unter sehr hohem Druck (bis 500 bar) in das Spei-
chergestein verpresst. Dadurch wird das Gestein im Untergrund aufgebrochen und als
Folge davon die Permeabilität erhöht. Damit werden durch derartige Maßnahmen gewollt
genau solche Ereignisse ausgelöst, die in Form von Erdbeben wahrgenommen werden.
Beispielsweise kam es 2003 in Soultz-sous-Forêts (Elsass) zu derartigen seismischen Er-
eignissen. Hier wurden im Verlauf von 11 Tagen 40 000 m3 Wasser mit maximal 80 L/s
in den Untergrund gepresst. Dadurch wurden mehrere seismische Ereignisse mit einer
maximalen Stärke von 2,9 (Richterskala) ausgelöst.
Neben einer thermo-elastischen Beanspruchung des warmen bzw. heißen Untergrunds
durch kalte Fluide und einer chemisch bedingten Änderung der Kluftoberfläche im sti-
mulierten Speicher – beiden Ursachen kann durch Spülungszusätze vorgebeugt werden –
wird die injektionsinduzierte Seismizität vorwiegend durch die Erhöhung des Flüssig-
keitsdrucks auf existierenden Kluftflächen verursacht. Dafür müssen im Untergrund zu-
sammenhängende natürliche Kluftflächen in einer ausreichenden Größe mit zumindest
geringer hydraulischer Durchlässigkeit vorhanden sein. Zudem müssen die Kluftflächen
ausreichend hart sein und tektonische Scherspannungen auf diese wirken. Seismizität tritt
somit immer dann auf, wenn das Verhältnis von Scherspannung zur effektiven Normal-
spannung den Reibungskoeffizienten auf einer Kluftfläche überschreitet.
Hinzu kommt, dass durch eine derartige Stimulation bereits im Untergrund vorhande-
ne Spannung abgebaut und dadurch natürliche seismische Ereignisse vorfristig ausgelöst
werden können. Dieser Fall ist mit hoher Wahrscheinlichkeit beispielsweise in Basel /
Schweiz 2006 aufgetreten. Hier wurde der geothermische Speicher bei 296 bar mit ma-
ximal 63 L/s stimuliert und dadurch ein Erdbeben der Stärke 3,4 auf der Richterskala
ausgelöst. Da Basel am Rande des Rheintalgrabens liegt, der traditionell tektonisch ak-
tiv ist (in der Region um Basel wurden 2007 531 seismische Ereignisse unterschiedlicher
Stärke registriert), liegt die Vermutung nahe, dass die, bei dem 2006 stattgefundenen Be-
ben, freigesetzte Energie bereits zum überwiegenden Teil im Untergrund vorhanden war
und durch die Stimulation lediglich das ausgelöst wurde, was natürlicherweise zu einem
späteren Zeitpunkt vermutlich mit einer größeren Stärke stattgefunden hätte. Dennoch
sprich man hier nicht von einem „getriggerten“ Ereignis, da die Bruchfläche wahrschein-
lich die Dimension des Reservoirs nicht überschritten hat.
Damit sind an der Oberfläche spürbare seismische Ereignisse insbesondere bei der Sti-
mulation des geothermischen Reservoirs nicht mit Sicherheit zu vermeiden. Speziell bei
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 895

einer derartigen Stimulation ist es ja gerade das Ziel, das Gestein im Untergrund aufzu-
brechen und dadurch Fließwege zu schaffen. In der Regel finden geothermisch induzierte
seismische Ereignisse aber in wenigen Kilometern Tiefe statt. Sie haben meist nur geringe
Amplituden und bisher keine (anerkannten) Schäden ausgelöst [9.19].

Normalbetrieb Im ordnungsgemäßen Betrieb kommt es durch den geothermischen Anla-


genteil eines Erdwärmeheizwerks zu keinen direkten Freisetzungen von Stoffen oder Par-
tikeln. Mögliche während des Betriebs einer Heizzentrale freigesetzte Emissionen stam-
men ausschließlich aus den mit fossilen Brennstoffen befeuerten Zusatz- bzw. Spitzenlast-
anlagen.
Während des Betriebs einer geothermischen Heizanlage kann es theoretisch bei nicht
sachgemäßer Reinjektion zu einer möglichen Störung des Wasserhaushalts im Untergrund
und als denkbare Folge zu möglichen Veränderungen des Porendrucks und damit verbun-
den zu mikroseismischen Ereignissen kommen. Derartige Effekte wurden jedoch bisher
nur selten beobachtet.
Auch kann eine Abkühlung des Untergrunds zu möglichen Veränderungen der Chemie
im Reservoir – mit allen damit verbundenen Effekten – führen. Da das Aquifer sich jedoch
in einer entsprechenden Tiefe befindet und i. Allg. mit der Biosphäre keine Verbindung
hat, sind mögliche Umwelteffekte auf Flora und Fauna bisher nicht bekannt geworden.
Weiterhin kann es zu Emissionen von Gasen (CH4 , NH3 , H2 S, CO2 usw.) und zu Frei-
setzungen von z. T. radioaktiven Mineralien kommen, die im Untergrund bei der Wasser-
zirkulation gelöst werden. Da jedoch das Thermalwasser z. B. bei geothermischen Heiz-
zentralen in einem geschlossenen Kreislauf geführt wird, kommt es im Normalbetrieb
nicht zu derartigen Stofffreisetzungen in die Biosphäre. Dies könnte bei einer balneolo-
gischen Nutzung ggf. anders sein; aber auch dies wäre durch entsprechende technische
Maßnahmen grundsätzlich vermeidbar.
Hinzu kommt, dass die in den Filtern abgeschiedenen festen und z. T. radioaktiv be-
lasteten Ausfällungen ordnungsgemäß entsorgt werden müssen; damit bewegen sich die
hier möglichen Umweltauswirkungen in den gesetzlich vorgegebenen Grenzen, da eine
Entsorgung derartiger Stoffe administrativ geregelt ist.
Die Umweltwirkungen im Normalbetrieb konzentrieren sich folglich im Wesentlichen
auf die thermische Beeinflussung der Hängend- und Liegendschichten (d. h. die Gesteins-
schichten im Untergrund, die sich oberhalb und unterhalb des genutzten Aquifers be-
finden) sowie der Bohrungsumgebung und auf geomechanische Einflüsse während des
Langzeitbetriebes.

 Thermische Beeinflussung des Aquifers. Durch die systembedingte Injektion des abge-
kühlten Wassers in das Aquifer kommt es im Betriebsverlauf einer hydrogeothermalen
Anlage zu einer kontinuierlichen Abnahme der initialen Speichertemperaturen und so-
mit zu einem zeitlich variierenden Temperaturgradienten zwischen dem Speicher und
dessen Umgebungsschichten. Das hat einen konduktiven Wärmefluss aus den Deck-
schichten in das Reservoir zur Folge, der zu einer teilweisen Wiedererwärmung der
896 S. Janczik et al.

injizierten Wässer und gleichzeitig zu einer Abkühlung der Deckschichten führt. Die
analytische Berechnung von Eindringtiefen in die Umgebungsschichten im Rahmen
eines „Worst-Case“ Szenario zeigt, dass nach 30 Betriebsjahren maximal 160 m ther-
misch beeinflusst werden und Temperaturabnahmen von mehr als 10 K lediglich in
Eindringtiefen von weniger als 70 m auftreten. Außerdem sind bisher keine direkten
Umwelteffekte auf die Biosphäre aufgetreten, die aus der Abkühlung des tiefen Unter-
grunds resultieren. Auch ist bisher kein organisches Leben, das unter diesen Lagerstät-
tenbedingungen existieren und dadurch geschädigt werden kann, bekannt geworden.
 Thermische Beeinflussung der Bohrungsumgebung. Die eigentliche Bohrung gibt Wär-
me an die Umgebung ab und beeinflusst diese thermisch. Beispielhaft für die Bohrung
„GHZ Neustadt-Glewe“ wurde aufgezeigt, dass im Maximalfall zum Betriebsbeginn
230 kW und im 30. Betriebsjahr 180 kW an die unmittelbare Bohrungsumgebung abge-
geben werden. Nach 30 Betriebsjahren und ununterbrochener Erwärmung würde dies
zu einer thermischen Beeinflussung, die durch das Verhältnis der Fluidtemperatur zur
ungestörten Gebirgstemperatur charakterisiert wird, von 60 m um die Bohrung kom-
men. Die thermische Störung wäre in einem Abstand von 10 m auf ca. 56 % und in ei-
nem Abstand von 20 m bereits auf ca. 34 % abgeklungen. Damit ist eine weitreichende
thermische Beeinflussung durch geothermische Förder- oder Reinjektionsbohrungen
nicht gegeben. Außerdem könnte dies nur in der Kreisfläche in unmittelbarer Umge-
bung um die Bohrung mögliche – geringe – Auswirkungen auf Flora und Fauna haben,
die bisher jedoch nicht beobachtet wurden.
 Geomechanische Einflüsse. Um das Injektionsbohrloch herum breitet sich im Aquifer
mit zunehmender Injektionsdauer ein Kaltwasserbereich aus, der zur Kontraktion der
Speicherschichten führt. In dessen Folge kann es theoretisch zu einer Reduzierung der
Schichtmächtigkeit kommen; eine Absenkung der Erdoberfläche wäre die Folge. Si-
mulationen zeigen jedoch, dass solche Absenkungen, wenn sie überhaupt auftreten, nur
sehr gering und nur innerhalb sehr langer Zeiträume gegeben sind. Sie liegen bei ma-
ximal wenigen Zentimetern bei Neigungen von ca. 1 bis 3 mm/100 m Aquifermächtig-
keit. Verglichen mit Absenkungen, wie sie aus dem Steinkohle-, Erz- und Kalibergbau
bzw. aus der Erdöl- und Erdgasförderung bekannt sind bzw. im Zusammenhang mit
Baugrundsetzungen auftreten, sind diese Auswirkungen vernachlässigbar. Auch sind
gebirgsmechanisch verursachte Folgeerscheinungen in der Nachbetriebsphase nicht zu
erwarten. Aufgrund des angestrebten Bilanzausgleichs im Dublettenbetrieb sind geo-
mechanisch bedingte Auswirkungen auf die Oberfläche damit meist nicht erkennbar.
Eine Beeinflussung der Erdoberfläche, die sich beispielsweise in einer Schädigung der
Gebäudeinfrastruktur bemerkbar machen könnte, ist damit sehr unwahrscheinlich.
 Schwach radioaktive Filterrückstände. Mit dem Thermalwasser können radioaktive
Stoffe aus dem Untergrund nach Übertage transportiert werden. Hier können diese in
Form von Ablagerungen (Scales) in den überirdischen Rohrleitungen und als Filter-
rückstände anfallen. Sie müssen dann ordnungsgemäß entsorgt werden. Diesem Prob-
lem kann durch den Einsatz von auf das Thermalwasser abgestimmten Materialen
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 897

sowie einer an die jeweilige Zusammensetzung angepassten Thermalwasserführung


(z. B. führen kleine Radien in der Thermalwasserleitung zu Turbulenzen und damit
zu Entgasung und Ausfällungen) entgegengewirkt werden. Die entsprechenden Ent-
sorgungswege für derartiges Material sind aber aus der Erdöl- und Erdgasindustrie
bekannt [9.20].

Zusammengenommen sind die Umweltauswirkungen im Normalbetrieb gering und


liegen deutlich unter denen bzw. im Bereich der mit fossilen Energieträgern befeuerter
Anlagen (u. a. in Bezug auf eine visuelle Beeinflussung des Landschaftsbildes, Flächen-
verbrauch) [9.21].

Störfall Im Störfall kann es zu einem Austreten der heißen Tiefenwässer an der Erdober-
fläche kommen. Wegen der z. B. im norddeutschen Becken meist hohen Salinität kann
dieses Tiefenwasser bei einer Einleitung in Oberflächengewässer zu einer Schädigung der
dortigen Flora und Fauna führen. Durch entsprechende Planungen und Überwachungs-
maßnahmen (Leckageüberwachungssysteme, Druckbilanzierung, Slopsystem usw.) las-
sen sich derartige Gefährdungen jedoch deutlich einschränken.
Umweltbeeinflussungen sind außerdem denkbar, wenn aufgrund hoher Mineralgehalte
des geförderten Wassers zur Beseitigung der Ausfällungen und Verstopfungen der Rohr-
leistungssysteme umweltschädigende Chemikalien eingesetzt werden müssen. Da diese
dann i. Allg. wieder mit dem abgekühlten Thermalwasser in den Untergrund verpresst
werden, halten sich die damit verbundenen Umweltauswirkungen jedoch in Grenzen.
Weiterhin kann es durch Brände an den elektrischen Anlagenteilen (z. B. Kabel) zu
begrenzten Stofffreisetzungen an die Umwelt kommen, die allerdings nicht spezifisch für
geothermische Anlagen sind und bei einer Einhaltung der gültigen Brandschutzvorgaben
weitgehend vermeidbar sind [9.21].

Betriebsende Zur Vermeidung von negativen Umweltwirkungen im Zusammenhang mit


dem Betriebsende kommt der ordnungsgemäßen Bohrabdichtung eine besondere Bedeu-
tung zu. Diese muss so erfolgen, dass Schadstoffeinträge von der Erdoberfläche her in
die Bohrung dauerhaft ausgeschlossen werden können und ein hydraulischer Kurzschluss
unterschiedlicher Schichten im Untergrund vermieden wird. Die Entsorgung der einge-
setzten Anlagenkomponenten ist mit keinen größeren Umweltproblemen verbunden; hier
sind einer Entsorgung konventioneller Maschinenteile vergleichbare Umweltauswirkun-
gen gegeben, die sich infolge der weitgehenden gesetzlichen Vorgaben auf einem ver-
gleichsweise geringen Niveau bewegen [9.21].

9.3.3.2 Bereitstellung von Wärme und Strom


Im Folgenden werden für die in Kapitel 9.3.1.2 dargestellten geothermischen Anlagen
zur kombinierten Strom- und Wärmebereitstellung ausgewählte Umweltkenngrößen im
Verlauf des gesamten Lebensweges bilanziert. Anschließend werden – analog zu den
898 S. Janczik et al.

geothermischen Heizwerken – zusätzliche, mit einer Strombereitstellung aus derartigen


Systemen, verbundene Umwelteffekte diskutiert.
Die untersuchten Referenzanlagen sind mit den dazugehörigen ökologischen Kennwer-
ten, wegen der Vielzahl an möglichen Einflussfaktoren auf die technische Umsetzung von
Anlagen zur geothermischen Strom- und Wärmebereitstellung (u. a. geologische Bedin-
gungen am potenziellen Standort), nur als Beispiele zu sehen.

Lebenszyklusanalyse In Anlehnung an die bisherige Vorgehensweise werden als Maß


für den Beitrag zum anthropogenen Treibhauseffekt die CO2 -Äquivalent-Emissionen, für
Emissionen mit versauernder Wirkung die SO2 -Aquivalent-Emissionen und unter dem
Aspekt human- und ökotoxikologischer Wirkungen die Emissionen an SO2 und NOx bi-
lanziert.
Bei den untersuchten Geothermieheizwerken werden die beiden Produkte Strom und
Wärme in Koppelproduktion bereitgestellt. Zur Ermittlung der Energie- und Emissions-
ströme der diskutierten KWK-Konzepte wird dabei eine Wärmegutschrift für die produ-
zierte Wärme berücksichtigt.
Tabelle 9.14 zeigt die betrachteten Umweltkenngrößen für die untersuchten Anlagen
für eine Nettostrombetrachtung (d. h. nur die Nettostromerzeugung wird ins Netz der
öffentlichen Versorgung eingespeist). So liegen beispielsweise die CO2 -Äquivalent-Emis-
sionen zwischen 273 und 120 t/GWh. Die dabei berücksichtigte Wärmegutschrift für
die bereitgestellte Wärme hat damit einen erheblichen Einfluss auf die Gesamtemissio-
nen bzw. auf den Verbrauch erschöpflicher Energieträger. Durch die in Koppelproduktion
erzeugte Wärme wird die Nutzung fossiler Energieträger zur Bereitstellung der gleichen
Wärmemenge vermieden. Diese vermiedenen Primärenergie- bzw. Emissionsströme wer-
den dann der geothermischen Stromerzeugung gutgeschrieben; daraus resultiert hier ein
Minuszeichen (d. h. der Prozess ist eine Netto-Emissionssenke).
Einen deutlichen Einfluss auf die CO2 -Äquivalent-Emissionen besitzt das eingesetzte
Arbeitsmittel im Kraftwerksprozess (ORC). So ergeben sich die geringsten CO2 -Äquiva-
lent-Emissionen beim Einsatz von konventionellen Kohlenwasserstoffen als Arbeitsmittel
(z. B. Isopentan und Isobutan). Wird dagegen im Kraftwerksprozess (ORC) als Arbeits-
mittel ein teilfluorierter Kohlenwasserstoff verwendet (z. B. R245fa), sind sehr hohe spe-

Tabelle 9.14 Energie- und Emissionsbilanzen einer geothermischen Strom- und Wärmeerzeugung
für die definierten Referenzanlagen (Nettostromeinspeisung) (zur Definition der Fälle siehe Tabel-
le 9.8 bzw. Kapitel 9.3.1.2) [9.17, 9.18]
Fall 1 Fall 2 Fall 3
Energie in GJprim /GWh 1 119 3 328 2 736
SO2 in kg/GWh 22 155 124
NOx in kg/GWh 72 51 39
CO2 -Äquivalente in t/GWh 120 273 225
SO2 -Äquivalente in kg/GWh 28 252 201
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 899

Abb. 9.52 Anteile der Betrieb


Abriss
0,4 %
CO2 -Äquivalente beim Fall 1 10,2 %
„Ausschließliche Strombereit-
stellung“

Bau Übertage
18,8 %

Bau Untertage
70,6 %

zifische Umweltkennwerte gegeben. Dieser Unterschied resultiert in erster Linie aus den
direkten Emissionen, die mit dem Betrieb und dem Rückbau der Arbeitsmittel verbunden
sind. R245fa hat beispielsweise ein rund um den Faktor 200 höheres Treibhauspotenzial
(GWP) als Kohlenwasserstoffe [9.43].
Wird für die untersuchten Anlagen eine Netzeinspeisung der Bruttostromerzeugung un-
terstellt, sind i. Allg. höhere Emissionen festzustellen. Dann muss die über das öffentliche
Netz bezogene elektrische Energie zur Abdeckung der elektrischen Eigenenergienach-
frage der geothermischen Anlage zusätzlich berücksichtigt werden. Diese ist in Abhängig-
keit des unterstellten Strommixes mit einem vergleichsweise höheren kumulierten fossilen
Energieaufwand sowie höheren Emissionen verbunden.
Wird exemplarisch die kombinierte Strom- und Wärmebereitstellung für Fall 1 de-
taillierter betrachtet, wird deutlich, dass die CO2 -Äquivalente wesentlich vom Bau der
Anlage verursacht werden (ca. 71 % der CO2 -Äquivalente; Abb. 9.52). Einen dominieren-
den Anteil stellt dabei die Energie zur Abteufung der Bohrungen, die Stofffreisetzungen
aus dem für die Bohrungen benötigten Material (u. a. Stahl-, Beton-, Bentonitbereitstel-
lung (letzteres wird für die Bohrspülung benötigt)) sowie die Emissionen, die u. a. aus
dem Antransport der Rohre und der Bohrgeräte, der Materialbereitstellung für die Ther-
malwasserpumpen, der Stimulation und der Errichtung des Bohrplatzes resultieren. Dem-
gegenüber beeinflussen der Bau der übertägigen Anlage mit ca. 19 %, der gesamte Betrieb
(primär Wärmebereitstellung aus Spitzenlast) mit rund 10 % und die Entsorgung mit rund
0,4 % die Klimagasbilanzen vergleichsweise gering.

Weitere Umwelteffekte Bei den sonstigen Umwelteffekten wird auch hier unterschie-
den zwischen den Umwelteffekten bei der Anlagenerrichtung, im Normalbetrieb, durch
Störfälle und bei dem Rückbau der Anlage [9.21]. Bereits diskutierte Umwelteffekte im
Zusammenhang mit einer geothermischen Wärmebereitstellung werden nicht erneut dar-
900 S. Janczik et al.

gestellt; deshalb wird nachfolgend auf den Bau und den Rückbau der Anlage nicht weiter
eingegangen.

Normalbetrieb Beim Betrieb geothermischer Kraftwerke kann es zusätzlich zu den be-


reits bei den Heizwerken diskutierten Umweltauswirkungen [9.21] zu einigen weiteren
Effekten auf die natürliche Umwelt kommen. Sie werden nachfolgend kurz dargestellt.

 Thermischer Eintrag in Oberflächenwässer. Bei einer Kühlung geothermischer Kraft-


werke mit Durchlaufsystemen kann das genutzte Fließgewässer durch das Kühlwasser
aufgeheizt werden. Durch eine derartige Aufwärmung des Fließgewässers kann sich
der Lebensraum von Fischen und anderen Wasserlebewesen verändern. Deshalb
ist die Erwärmung von Fließgewässern durch die EU-Fischgewässerrichtlinie (RL
2006/44/EG; d. h. Richtlinie für maximale Fließwassertemperatur) geregelt. Infolge
dessen ist i. Allg. eine weitergehende Nutzung der Fließgewässer (d. h. zusätzlich zu
der gegenwärtig bereits realisierten Nutzung) heute kaum noch möglich. Auch sind die
Erdwärmeanlagen aufgrund der geothermischen Randbedingungen an spezielle Stand-
ortbedingungen gebunden, so dass eine Frischwasserkühlung bei geothermischen
Kraftwerkanlagen i. Allg. von untergeordneter Bedeutung ist.
 Beeinflussung des Mikroklimas. Durch einen lokalen thermischen Wärmeeintrag durch
Kühltürme und zusätzlich einer Erhöhung der Luftfeuchtigkeit bei Nasskühltürmen
kann lokal das Mikroklima beeinflusst werden. In Abhängigkeit der meteorologischen
Gegebenheiten (z. B. Lufttemperatur und -feuchte, Inversionsbildung) kann es dadurch
zur Bildung von Dampfschwaden am Kühlturm, zu ggf. lokal erhöhten Niederschlä-
gen und zu einer Verringerung der jährlichen Sonneneinstrahlung am Anlagenstandort
bzw. in der unmittelbaren Nähe kommen. Die Auswirkungen der genannten Umwelt-
effekte liegen allerdings innerhalb der gesetzlich festgelegten Grenzen und werden im
Vorfeld der Anlagenerrichtung i. Allg. detailliert untersucht, damit die Einhaltung der
staatlichen Vorgaben sichergestellt werden kann.
 Seismische Ereignisse. Während des Betriebs einer geothermischen Anlage, bei der
durch die Zirkulation des heißen Tiefenwassers, die Abkühlung an der Tagesoberflä-
che und das Rückverpressen in den Nutzhorizont der Untergrund thermisch beeinflusst
wird, kann es zu induzierten seismischen Ereignissen kommen. Beispielsweise wurden
in der Nähe der Anlage in Unterhaching im süddeutschen Molassebecken 2009 zwei
Erdstöße mit einer Stärke von 1,7 und 2,2 aufgezeichnet. Bei diesem geothermischen
Heizkraftwerk werden die Tiefenwässer mit einer Temperatur von ca. 120 ı C und einer
Fließrate von ca. 540 m3 /h aus dem tiefen Untergrund gefördert und anschließend nach
dem übertägigen Wärmeentzug wieder mit einer Temperatur von ca. 60 ı C in die Tiefe
bzw. den gleichen Nutzhorizont verpresst. Ähnliche Probleme gab es auch in der Um-
gebung der Geothermieanlage in Landau im Rheintalgraben. Hier wurden Mitte Sep-
tember 2009 seismische Ereignisse von 2,7 und 1,6 beobachtet. Nach gegenwärtigem
Kenntnisstand liegt die Ursache der induzierten Seismizität während des ordnungsge-
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 901

mäßen Zirkulationsbetriebes in der Erhöhung des Flüssigkeitsdrucks im Reservoir auf


bestehende Kluftflächen (wie bei einer Stimulation) mit geringer hydraulischer Durch-
lässigkeit. Bei hinreichender Gesteinshärte können diese Kluftflächen auf Grund des
erhöhten Flüssigkeitsdrucks und die resultierenden Scherspannungen seismisch ver-
sagen. Dieses Versagen kann an der Erdoberfläche durch Erdstöße wahrgenommen
werden. Je nach der Beschaffenheit des Tiefengesteins kann eine Druckerhöhung auch
im laufenden Betrieb (d. h. bei der Reinjektion des Thermalwassers) auftreten. Dem-
zufolge kann es auch bei einem ausgewogenen Zirkulationsbetrieb (d. h. Förderrate
gleich Injektionsrate) und bei, an der Oberfläche, stationär erscheinenden hydrauli-
schen Druckbedingungen im Reservoir lokal zu einem Druckanstieg kommen und dies
zu seismischen Ereignissen führen. Diese induzierte Seismizität – und das gilt sowohl
beim Speicheraufschluss als auch beim Betrieb – bezieht damit ihre Energie aus dem
vorhandenen Spannungsfeld im Speicher. Da jedoch die derzeit genutzten geothermi-
schen Reservoire in vergleichsweise geringen Tiefen liegen (2 500 bis 4 500 m) und
dort die im Spannungsfeld gespeicherte Energie sehr klein ist, sind geothermisch indu-
zierte Ereignisse meist sehr gering und selten an der Oberfläche spürbar. Aber abhängig
von den, den genutzten Speicher umschließenden, Gesteinsformationen können durch
derartige geothermisch induzierte (Klein-)Ereignisse natürliche Ereignisse begünstigt
und die statistische Verteilung der Ereignisstärke verändert werden (d. h. viele kleine
induzierte Ereignisse anstatt eines größeren Bebens) [9.19].
 Wasserverbrauch. Der Wasserbedarf der obertägigen Anlagenkomponenten eines Geo-
thermiekraftwerks wird durch die Kühlung dominiert. Dabei kommt es – mit Aus-
nahme einer Durchlaufkühlung – bei Nass- und Hybridkühltürmen zu einer teilweisen
Verdunstung des im Kreis geführten Kühlwassers. Es muss durch die Entnahme von so-
genanntem Zusatzwasser aus Grund- und Oberflächengewässern ersetzt werden. Diese
notwendige Wasserentnahme bzw. Wassernutzung muss gemäß Wasserhaushaltsgesetz
gesondert genehmigt werden. Damit bewegen sich die resultierenden Umwelteffekte
innerhalb der gesetzlich geregelten Grenzen.
 Lärmwirkung. Der auftretende Lärm wird vorwiegend durch den Betrieb der Pumpen,
des Generators und insbesondere der Ventilatoren, mit denen die Kühlung sichergestellt
wird (z. B. bei einer Luftkühlung), verursacht. Auch hier müssen zwingend gesetzlich
definierte Grenzwerte eingehalten werden, so dass die potenziell daraus resultieren-
den Umwelt- bzw. Lärmauswirkungen sich in den administrativ festgelegten Grenzen
bewegen.

Störfall Bei einer geothermischen Stromerzeugung kann es zusätzlich zu den für eine
geothermische Wärmebereitstellung bereits genannten diesbezüglichen Umwelteffekten
zu einem Austritt von Arbeitsmittel und anderen Betriebsstoffen kommen. Da es sich je-
doch bei ORC- bzw. Kalina-Kraftwerken um überwachungsbedürftige Anlagen handelt,
sind entsprechende gesetzliche Vorschriften zu beachten. Damit bewegen sich die poten-
ziellen Umwelteffekte innerhalb der durch den Gesetzgeber definierten Vorgaben.
902 S. Janczik et al.

9.4 Potenziale und Nutzung

Sebastian Janczik, Lucas Sens und Martin Kaltschmitt

Nachfolgend werden die Potenziale einer geothermischen Wärme- und Stromerzeugung


in Deutschland diskutiert. Außerdem wird auf die Nutzung der Geothermie zur Strom-
und / oder Wärmeerzeugung weltweit, in der EU-28, in Deutschland und in Österreich
eingegangen.

9.4.1 Potenziale

Aufgrund der derzeit noch nicht großtechnisch verfügbaren Technik zur Nutzbarmachung
der in den heißen, tiefen Gesteinsschichten vorhandenen Energie ist eine Abschätzung
der technisch nutzbaren Potenziale mit großen Unsicherheiten behaftet. Deshalb handelt
es sich bei den folgenden Angaben nur um eine grobe Abschätzung der in Deutschland
gegebenen Größenordnungen.

9.4.1.1 Hydrothermale Wärmebereitstellung


Für die Nutzung hydrothermaler Erdwärme ist die Existenz von Aquiferen mit hinrei-
chend großer Wasserführung in nicht zu großen Tiefen entscheidend. Solche geeigneten
Aquifere finden sich mit hoher Wahrscheinlichkeit in Deutschland im Wesentlichen in den
Sedimentstrukturen des norddeutschen Beckens, des Oberrheingrabens und im süddeut-
schen Molassebecken. Derartige geologische Bedingungen können aber auch in anderen
Beckenstrukturen gegeben sein (d. h. Gebiete mit potenziellen Vorkommen). Die hier vor-
handenen theoretischen und technischen Potenziale werden im Folgenden dargestellt.

Theoretische Potenziale Das theoretisches Potenzial hydrothermaler Erdwärme be-


schreibt die in den Aquiferen (d. h. Matrix und Thermalwasser) enthaltene Wärme. Es
kann auf der Basis durchschnittlicher die Aquifereigenschaften kennzeichnender Größen
berechnet werden [9.2, 9.22, 9.23, 9.24, 9.25, 9.26].
Demnach weist das norddeutsche Becken mit insgesamt etwa 1 019 EJ das größte Po-
tenzial auf. Es folgen das süddeutsche Molassebecken mit insgesamt ca. 279 EJ, der Ober-
rheingraben mit rund 215 EJ und schließlich die Gebiete mit potenziellen Vorkommen mit
etwa 61 EJ. Zusammengenommen liegt damit das theoretische Potenzial der hydrother-
malen Erdwärme in Deutschland bei rund 1 574 EJ. Mit einer unterstellten technischen
Nutzungsdauer von 100 bzw. 1 000 Jahren (innerhalb eines derartigen Zeitraumes kann
eine potenzielle Regeneration der dem tieferen Untergrund entzogenen Wärme durch den
natürlichen Erdwärmestrom unterstellt werden) folgt daraus ein Energieaufkommen von
knapp 16 EJ/a bzw. 1,6 EJ/a.
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 903

Technische Angebotspotenziale (Wärmeerzeugungspotenziale) Die in Gebieten mit


hydrothermalen Vorkommen gegebenen technischen Erzeugungspotenziale lassen sich
wie folgt zusammenfassen.

 Norddeutsches Becken. Das norddeutsche Becken nimmt mit ca. 136 000 km2 ein Vier-
tel der deutschen Landesfläche und einen etwa viermal größeren Raum als das süd-
deutsche Molassebecken und der Oberrheingraben zusammen ein. Werden die aus
dem Untergrund extrahierbaren Wärmemengen abgeschätzt, errechnet sich für dieses
Sedimentbecken ein technisches Erzeugungspotenzial von 328 EJ bzw. bei einer unter-
stellten 100 bzw. 1 000-jährigen Nutzungsdauer von 3 280 PJ/a bzw. 328 PJ/a [9.2].
 Süddeutsches Molassebecken. Aus den Aquiferen mit einer Temperatur von min-
destens 30 ı C und einer unterstellten Reinjektionstemperatur des Thermalwassers von
15 ı C ergibt sich für die Schichten des oberen Jura (Malmkarst) eine technisch gewinn-
bare Wärmemenge von ca. 53,6 EJ [9.2]. Zusätzlich dazu könnten aus den Schichten
des Tertiärs und der Kreide Wärmemengen von etwa 45,4 EJ gewonnen werden [9.2].
Insgesamt folgt daraus ein technisch gewinnbares Erzeugungspotenzial von etwa 99 EJ.
Mit einer unterstellten technischen Nutzungsdauer von 100 bzw. 1 000 Jahren ergibt
sich daraus ein Energieaufkommen von 990 PJ/a bzw. 99 PJ/a.
 Oberrheingraben. Im Oberrheingraben liegen die interessantesten Aquifere im Bunt-
sandstein und im oberen Muschelkalk sowie im Südteil im Jura (Hauptrogenstein).
Das technische Erzeugungspotenzial liegt hier bei etwa 67 EJ [9.2] bzw. bei einer un-
terstellten 100 bzw. 1 000-jährigen Nutzungsdauer bei rund 670 PJ/a bzw. 67 PJ/a.
 Gebiete mit potenziellen Vorkommen. Weitere Vorkommen werden in der subherzynen
Senke und in der süddeutschen Senke sowie im Thüringer Becken vermutet. Wer-
den für diese geologischen Großräume auf der Basis der vorhandenen Informationen
die technisch entziehbaren Wärmemengen konservativ abgeschätzt, errechnet sich ein
technisches Erzeugungspotenzial von etwa 20 EJ bzw. 200 PJ/a (20 PJ/a) bei einer un-
terstellten 100-jährigen (1 000-jährigen) Nutzungsdauer [9.2].

Zusammengenommen ist damit in Deutschland ein technisches Erzeugungspotenzial


an hydrothermaler Erdwärme von rund 514 EJ gegeben. Wird dieses Potenzial innerhalb
von 100 bzw. 1 000 Jahren genutzt, entspricht dies einer jährlich aus dem Untergrund
bereitstellbaren Wärme von rund 5 140 PJ/a bzw. 514 PJ/a (Tabelle 9.15).

Technische Endenergiepotenziale (Nachfragepotenziale) Aufgrund der im Untergrund


gegebenen Temperaturen kann in Deutschland hydrothermale Erdwärme nur bis etwa
100 ı C und damit ausschließlich für die Bereitstellung von Niedertemperaturwärme ge-
nutzt werden (d. h. primär für die Bereitstellung von Nutzwärme für Haushalte und Gewer-
be, Handel, Dienstleistungen (GHD)). Darüber hinaus können auch Industriebetriebe, die
eine entsprechende Nachfrage an Niedertemperaturwärme haben, versorgt werden (z. B.
Niedertemperaturtrocknung).
904 S. Janczik et al.

Tabelle 9.15 Technische Potenziale der Nutzung hydrothermaler Erdwärme bei einer unterstellten
technischen Nutzungsdauer von 100 bzw. 1 000 Jahren (GHD Gewerbe, Handel, Dienstleistun-
gen) [9.2, 9.27, 9.28]
Norddeutsches Molasse- Oberrhein- Potenzielle Summe
Becken becken graben Vorkommen in PJ/a
in PJ/a in PJ/a in PJ/a in PJ/a
Erzeugungspotenzial
100 Jahre 3 280 990 670 200 5 140 (4 940a )
1 000 Jahre 328 99 67 20 514 (494a )
Nachfragepotenzial
Haushalte & GHD 342 40 86 468
Industrie 194 11 68 273
Summe 536 51 154 741
a
ohne potenzielle Vorkommen.

Zur Ermittlung der technischen Nachfragepotenziale im Bereich Haushalte und GHD


kann die Nachfrage nach Niedertemperaturwärme, die durch hydrothermale Wärmevor-
kommen deckbar ist, auf Landkreisebene bestimmt werden; dadurch kann die räumliche
Verteilung der nutzbaren Sedimentstrukturen adäquat berücksichtigt werden. Dabei dürfen
aber nur solche Siedlungsgebiete betrachtet werden, die auch durch Nah- und Fernwär-
menetze technisch und ökonomisch sinnvoll erschließbar sind (d. h. Wohngebiete ab einer
bestimmten Besiedlungsdichte). Die derart erhobene Niedertemperaturnachfrage liegt bei
einer Berücksichtigung aller Gemeinden mit mehr als 20 000 Einwohnern auf dem Gebiet
des norddeutschen Beckens bei rund 342 PJ/a, dem des süddeutschen Molassebeckens bei
ca. 40 PJ/a und im Oberrheingraben bei etwa 86 PJ/a [9.27].
Zusätzlich kann mit der Wärme aus hydrothermalen Vorkommen ein Teil der Ener-
gienachfrage der Industrie gedeckt werden. Dazu muss für die potenziellen Gebiete die
entsprechende Niedertemperaturwärmenachfrage abgeschätzt werden. Wird sie anschlie-
ßend für Gebiete mit nachgewiesenen bzw. potenziellen hydrothermalen Vorkommen zu-
sammengefasst, errechnen sich etwa 194 PJ/a für das norddeutsche Becken, rund 11 PJ/a
für das Molassebecken und ca. 68 PJ/a für den Oberrheingraben [9.27].
Zusammengenommen ergibt sich daraus eine nachgefragte Wärmemenge auf ei-
nem Temperaturniveau unter 100 ı C, das durch hydrothermale Erdwärmevorkommen
im norddeutschen Becken, im Oberrheingraben und im Molassebecken deckbar ist, von
ca. 741 PJ/a in Deutschland (Tabelle 9.15).

9.4.1.2 Wärmebereistellung mittels tiefer Sonden


Entsprechend der bisherigen Vorgehensweise wird im Folgenden auch unterschieden zwi-
schen den theoretischen Potenzialen, den technischen Angebots- und den technischen
Nachfragepotenzialen.
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 905

Theoretische Potenziale Wird unterstellt, dass aus gegenwärtiger Sicht eine Tiefe von
ca. 10 000 m eine technisch-ökonomische Obergrenze einer Erdwärmenutzung mit tiefen
Sonden darstellt, kann die im Untergrund Deutschlands gespeicherte Energie mit rund
1 200 000 EJ abgeschätzt werden, wenn unterstellt wird, dass überall durchschnittliche
Temperaturverhältnisse vorherrschen (d. h. ein Temperaturgradient von 3 K pro 100 m).
Bei einer Erschließung im Verlauf von rund 100 bzw. 1 000 Jahren entspricht dies einem
theoretischen Potenzial von rund 12 000 EJ/a bzw. 1 200 EJ/a.

Technische Angebotspotenziale (Wärmeerzeugungspotenziale) Bei der Abschätzung


der technischen Potenziale wird unterstellt, dass der durch tiefe Sonden erschließbare
Untergrund aufgrund der derzeit gegebenen technisch-ökonomischen Rand- und Rahmen-
bedingungen bei einer Tiefe von maximal 5 000 m liegt. Auch kann aus technischer Sicht
nicht die gesamte Fläche Deutschlands mithilfe tiefer Sonden erschlossen werden; Gebie-
te, die von potenziellen Verbrauchern weit entfernt liegen, sind beispielsweise aufgrund
der langen Transportentfernungen für die gewinnbare niedrigthermale Wärme nicht sinn-
voll nutzbar. Auch können in Gebieten mit sehr dichter Besiedlung wegen mangelnder
Freiflächen und Zufahrtswegen keine bzw. nur sehr eingeschränkt Bohrungen abgeteuft
werden. Für eine Energiegewinnung kommen daher ausschließlich Gebiete mittlerer Sied-
lungsdichte in Frage.
Die Gebäudeflächen und die ihnen unmittelbar zugeordneten Freiflächen nehmen
knapp 6 % der Fläche Deutschlands ein. Dabei handelt es sich jedoch nur bei etwa 55 %
um Gebiete mit mittlerer Siedlungsdichte. Von der verbleibenden Fläche können die
eigentlichen Gebäudeflächen sowie bestimmte anderweitig belegte Flächen (z. B. Scheu-
nen) nicht genutzt werden; dadurch reduzieren sich die letztlich verfügbaren Flächen um
weitere rund 30 %.
Außer auf Gebäude- und Freiflächen können tiefe Erdwärmesonden auch auf soge-
nannten Betriebsflächen abgeteuft werden; sie nehmen etwa 0,7 % der Fläche Deutsch-
lands ein. Davon dürfte jedoch maximal nur die Hälfte für eine Nutzung durch tiefe
Sonden verfügbar sein.
Damit wäre theoretisch eine technisch nutzbare Fläche von etwa 2,55 % der Fläche
Deutschlands für eine Abteufung tiefer Sonden verfügbar. Diese Gebiete sind jedoch
nur zu rund der Hälfte aufgrund von sich im Untergrund befindlichen Infrastrukturele-
menten (u. a. Versorgungsleitungen für Zu- und Abwasser, Gas, Strom, Kommunikation)
einschließlich der aus Sicherheitsüberlegungen einzuhaltenden Abstände sowie weiterer
Hemmnisse (z. B. unzugängliche Gebiete für Bohrgeräte) nutzbar. Damit ist zusammenge-
nommen letztlich eine Fläche von etwa 5  109 m2 für das Abteufen tiefer Erdwärmesonden
verfügbar.
Mit der derzeit vorhandenen Technik können dem Erdreich etwa 200 W/m durch tiefe
Erdwärmesonden entzogen werden. Um eine gegenseitige Beeinflussung zweier Sonden
weitgehend zu vermeiden, muss zusätzlich ein Mindestabstand von etwa 100 m zwischen
einzelnen Sonden eingehalten werden. Daraus errechnet sich ein technisches Erzeugungs-
potenzial für die Nutzung tiefer Erdwärmesonden von etwa 5 015 PJ/a (Tabelle 9.16).
906 S. Janczik et al.

Tabelle 9.16 Theoretische Theoretisches Potenzial 120 000 EJ


und technische Potenziale 12 000 bzw. 1 200 EJ/aa
einer Erdwärmenutzung mit Technisches Angebotspotenzial 5 015 PJ/a
tiefen Sonden (GHD Gewerbe, (Erdwärme)
Handel, Dienstleistungen; Technisches Nachfragepotenzial (Nutzwärme)
u. a. [9.2])
Haushalte, GHD 1 570 PJ/a
Industrie 491 PJ/a
Summe 2 061 PJ/a
a
bezogen auf eine Nutzungsdauer von 100 bzw. 1 000 Jahren.

Technische Endenergiepotenziale (Nachfragepotenziale) Auch durch tiefe Erdwärme-


sonden kann nur Wärme mit Temperaturen unter 100 ı C bereitgestellt werden. Hierfür
kommt die Versorgung von Haushalten und Gewerbe, Handel, Dienstleistungen (GHD)
mit Nutzwärme sowie von Industriebetrieben mit einer entsprechenden Niedertempera-
turwärmenachfrage in Betracht.
Der Einsatz tiefer Erdwärmesonden bei Haushalten und GHD setzt eine regionale In-
frastruktur mit einer mittleren Siedlungsdichte und einer entsprechenden Wärmenachfrage
voraus. Daraus errechnet sich für Deutschland ein technisches Nachfragepotenzial von
rund 1 570 PJ/a. Die in der Industrie nachgefragte Raum- und Prozesswärme im Nieder-
temperaturbereich liegt bei knapp 500 PJ/a. Die gesamte nachgefragte Nutzwärme auf
einem Temperaturniveau unter 100 ı C, die durch tiefe Sonden auch gedeckt werden kann,
beträgt damit 2 061 PJ/a (Tabelle 9.16).

9.4.1.3 Stromerzeugung
Die Potenziale einer geothermischen Stromerzeugung werden in Anlehnung an die der
ausschließlichen Wärmebereitstellung diskutiert. Zusätzlich wird bei dem technischen
Endenergiepotenzial unterschieden zwischen dem technischen Potenzial einer ausschließ-
lichen Stromerzeugung und dem Potenzial einer gekoppelten Wärme- und Stromproduk-
tion (KWK).

Theoretische Potenziale Insgesamt dürfte bis in eine Tiefe von 10 000 m unter der Ge-
bietsfläche Deutschlands eine Energie von rund 1 200 000 EJ gespeichert sein; dabei wird
unterstellt, dass dem Gestein die Wärme bis auf rund 20 ı C entzogen werden könnte
(d. h. bei einer Erschließung im Verlauf von rund 100 bzw. 1 000 Jahren sind dies rund
12 000 EJ/a bzw. 1 200 EJ/a). Davon ist jedoch zur Stromerzeugung – aufgrund unüber-
brückbarer thermodynamischer Beschränkungen – nur der kleinere Teil nutzbar; wird
deshalb ein theoretischer Wirkungsgrad von im Mittel maximal 10 % unterstellt, errechnet
sich ein theoretisches Stromerzeugungspotenzial von insgesamt ca. 33 EWh. Im Verlauf
der unterstellten 100 bzw. 1 000 Jahre sind dies 333 PWh/a bzw. 33 PWh/a (Tabelle 9.17).
Zusätzlich könnte ein erheblicher Teil der dabei anfallenden Abwärme technisch nutzbar
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 907

Tabelle 9.17 Theoretische Theoretisches Potenzial 33 EWh


und technische Potenziale 333 bzw. 33 PWh/aa
einer geothermischen Strom- Technisches Stromerzeugungspotenzial
erzeugung Aquifere 2,6 PWh
Störungszonen 12,2 PWh
Kristalline Gesteine 306,6 PWh
Summe 321,4 PWh
3 210 bzw. 321 TWh/aa
Technisches Nachfragepotenzial
Ausschließliche Stromerzeugungb 372 TWh/a
c
Kraft-Wärme-Kopplung
Maximalabschätzung 5 083 PJ/a; 132 TWh/a
Nachfragepotenzial 2 530 PJ/a; 66 TWh/a
Minimalabschätzung 516 PJ/a; 15 TWh/a
a
Nutzungsdauer von 100 bzw. 1 000 Jahren; b aus technischer
Sicht sind auch höhere Anteile grundsätzlich möglich (maximal
knapp 619 TWh/a (Stand 2018)); c jeweils Wärme und Strom.

gemacht werden. Damit ist das theoretische Potenzial einer geothermischen Stromerzeu-
gung bzw. gekoppelten Strom- und Wärmeerzeugung sehr hoch.

Technische Angebotspotenziale (Stromerzeugungspotenziale) Zur Bestimmung der


technischen Angebotspotenziale einer geothermischen Stromerzeugung wird ausgehend
vom diskutierten Wärmeinhalt der oberen Erdkruste betrachtet, welcher Anteil dieses
Wärmeinhalts technisch „abbaubar“ ist. Als eine Grenze wird dabei eine Temperatur von
100 ı C (ca. 3 km Bohrtiefe) und als die andere Grenze die Temperatur unterstellt, die bei
der derzeitigen technisch-ökonomischen Grenze der Bohrbarkeit für diesen Anwendungs-
fall (ca. 7 km bzw. 220 ı C) zu erwarten ist.
Schon ein Quadratkilometer Gestein, dessen Kenngrößen sich zwischen diesen beiden
Grenzen bewegen, hat den Wärmeinhalt von ca. 500 PJ (d. h. rund ein Zehntel der Jah-
reswärmenachfrage Deutschlands). Der Anteil dieser Wärmemenge, der letztlich aus dem
Gestein entzogen und technisch verfügbar gemacht werden kann, hängt aber stark von
den jeweiligen geologischen Randbedingungen eines konkreten Standorts ab und kann
extrem schwanken. So können heute beispielsweise in Aquiferen teilweise rund 15 bis
20 % dieser Wärmemenge aus dem Untergrund entzogen werden. In Störungszonen und
im Kristallin sind z. T. nur ca. 2,5 bis 5 % gewinnbar.
Unter Berücksichtigung eines mittleren Umwandlungswirkungsgrades in Stromerzeu-
gungsanlagen nach dem derzeitigen Stand der Technik von 10 bis 13 % lässt sich daraus
dann die damit technisch bereitstellbare elektrische Energiemenge errechnen.
Durch Analyse sämtlicher Aquifere in Deutschland unter Berücksichtigung von Min-
destabständen und Einordnen derselben in unterschiedliche Temperaturklassen errechnet
908 S. Janczik et al.

sich mit der dargestellten Vorgehensweise ein technisches Stromerzeugungspotenzial von


insgesamt ca. 2,6 PWh. Aus den Störungszonen, die Deutschland durchziehen, könnten
weitere 12,2 PWh und aus dem Kristallin zusätzliche knapp 307 PWh an elektrischer Ener-
gie erzeugt werden (Tabelle 9.17). Für Deutschland lässt sich somit in der Summe ein
Stromerzeugungspotenzial der Geothermie von insgesamt ca. 321 PWh auf der Basis der
sich heute abzeichnenden Technologie ableiten [9.29].
Werden ausschließlich technische Aspekte zugrunde gelegt, kann dieses Stromerzeu-
gungspotenzial innerhalb eines Zeitraums erschlossen werden, der eine Regeneration der
geothermischen Ressourcen infolge des natürlichen Wärmestroms nicht erlauben würde.
Aufgrund der geringen Eigenwärmeerzeugung des tieferen Untergrunds, des relativ klei-
nen Wärmestromes aus dem Erdinnern im Bereich von etwa 65 mW/m2 und der i. Allg.
vergleichsweise schlechten Wärmeleitfähigkeit von Gesteinen benötigt eine einmal voll-
ständig abgekühlte Gesteinsformation einige Jahrhunderte oder länger, um wieder die
ursprüngliche Temperatur zu erreichen. Unter Nachhaltigkeitsaspekten sollte dieses tech-
nische Potenzial deshalb – auch vor dem Hintergrund der gewaltigen Dimensionen dieses
Stromerzeugungspotenzials – nur innerhalb eines sehr langen Zeitraums vollständig er-
schlossen werden.
Mit entsprechenden Nutzungskonzepten können aber derartige Nachhaltigkeitsaspekte
adäquat berücksichtigt werden. Daher wird hier näherungsweise davon ausgegangen, dass
das hier aufgezeigte technische Erzeugungspotenzial über einen Zeitraum von 100 bzw.
1 000 Jahren sukzessive nachhaltig erschlossen werden kann; innerhalb eines derartigen
Zeitraums kann eine näherungsweise Regenerierung des Untergrunds unterstellt werden
und damit auch nach Ablauf dieser Zeit weiterhin eine geothermische Stromerzeugung
realisiert werden. Daraus ergibt sich jährlich ein nachhaltiges (quasi regeneratives) Strom-
erzeugungspotenzial von ca. 3 210 TWh/a bzw. 321 TWh/a für Deutschland (Tabelle 9.17).

Technische Endenergiepotenziale (Nachfragepotenziale) Bei der Bestimmung der


technischen Nachfragepotenziale wird unterschieden zwischen einer ausschließlichen
Stromerzeugung und einer gekoppelten Strom- und Wärmeerzeugung.

Ausschließliche Stromerzeugung Aufgrund der grundsätzlichen Unabhängigkeit einer


geothermischen Stromerzeugung von möglichen tages- und jahreszeitlichen Schwan-
kungen, wie sie beispielsweise für die Windenergienutzung oder die photovoltaische
Stromerzeugung typisch sind, kann diese – im Gegensatz zur Stromerzeugung aus vielen
anderen regenerativen Energien – nachfrageorientiert elektrische Energie bereitstellen;
dies kann Grund-, Mittel- und / oder Spitzenlaststrom bzw. Regelenergie sein. Somit las-
sen sich als maximale Obergrenze für die im Strombereitstellungssystem von Deutschland
integrierbaren Anteile einer geothermischen Stromerzeugung die rund 60 % Grund-
laststromanteil an der jährlichen Bruttostromerzeugung (619 TWh (2018) [9.30]), also
ca. 372 TWh/a, abschätzen.
Wird demgegenüber unterstellt, dass derartige geothermische Kraftwerke theoretisch
auch Strom in der Mittellast bereitstellen könnten, erhöht sich dieses Potenzial. Die-
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 909

se Annahme ist grundsätzlich gerechtfertigt, da Geothermiekraftwerke aus technischer


Sicht prinzipiell auch wie mit fossilen Energieträgern gefeuerte Mittellastkraftwerke ent-
sprechend der augenblicklichen Nachfrage im Netz gefahren werden könnten, wenn eine
entsprechende, mit heutiger Technik mögliche, Auslegung unterstellt wird. Aus techni-
scher Sicht wäre selbst – mit Einschränkungen – eine Spitzenlastbereitstellung zumindest
zu bestimmten Anteilen prinzipiell möglich, wenn die Anlagen entsprechend ausgelegt
werden würden. Unter diesen Prämissen steigt das technische Nachfragepotenzial einer
ausschließlichen Stromerzeugung weiter an auf etwa die Größenordnung der gegenwärti-
gen Bruttostromerzeugung.
Ein derart hoher Anteil einer geothermischen Stromerzeugung zur Deckung der Nach-
frage nach elektrischer Energie in Deutschland ist aber wenig sinnvoll, da eine sichere,
umweltfreundliche und kostengünstige Deckung der Stromnachfrage immer einen sinn-
vollen und den jeweiligen Anforderungen der Nachfragecharakteristik adäquat Rechnung
tragenden Stromerzeugungsmix voraussetzt, der letztlich auch die Versorgungssicherheit
erhöht. Auch sollten innerhalb eines derartigen Anlagenparks Anlagen vorhanden sein,
die schneller auf mögliche Lastwechsel reagieren können als dies beispielsweise geother-
mische Kraftwerke – mit der bisher diskutierten Technik – können. Deshalb wird hier
davon ausgegangen, dass durch geothermische Kraftwerke maximal die Grundlast bereit-
gestellt werden kann. Damit errechnet sich ein technisches Nachfragepotenzial von rund
372 TWh/a (Tabelle 9.17).

Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) Demgegenüber kann auch ausschließlich eine gekoppel-


te Wärme- und Stromproduktion – zur besseren Nutzung der geothermischen Energie im
Sinne einer Maximierung der Energieausbeute – realisiert werden. Dann bestimmt die
maximal ins Energiesystem integrierbare bzw. in Deutschland nutzbare Wärmemenge die
erzeugbare maximale Strommenge, da die bereitstellbare Wärme aus rein energetischer
Sicht immer rund eine Größenordnung größer ist als die bereitstellbare elektrische Ener-
gie. Unter diesen Prämissen lassen sich die entsprechenden Nachfragepotenziale mithilfe
von drei unterschiedlichen Ansätzen abschätzen (Tabelle 9.17).

 Maximalabschätzung. Im theoretischen Maximalfall könnte die gesamte genutzte Wär-


me in Deutschland durch Geothermie bereitgestellt werden (ca. 5 083 PJ im Jahr 2018).
Dann könnten neben dieser Wärme maximal rund 132 TWh/a zusätzlich an damit ge-
koppelt erzeugtem Strom bereitgestellt werden. Im Vergleich zu einer ausschließlichen
Stromerzeugung in geothermischen Kraftwerken entspricht dies ungefähr einem Drit-
tel. Diese Betrachtung stellt damit die theoretisch maximal mögliche absolute Ober-
grenze einer geothermischen Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) in Deutschland dar.
 Nachfragepotenzial. Eine geothermische KWK dürfte sich aufgrund technisch-wirt-
schaftlicher Überlegungen – aus gegenwärtiger Sicht auch in Zukunft – immer nur
in größeren Anlagen sinnvoll darstellen lassen. Damit fallen an einem potenziellen
Standort einer KWK-Anlage große Wärmemengen im Niedertemperaturbereich an,
die bisher meist nur über ein entsprechendes Verteilnetz zu potenziellen Verbrauchern
910 S. Janczik et al.

aus Industrie, GHD (Gewerbe, Handel, Dienstleistungen) und Haushalten nutzbar ge-
macht werden können. Unter diesen Prämissen, die auch denen einer ausschließlichen
geothermischen Wärmebereitstellung entsprechen, ist das technische Nachfragepoten-
zial einer geothermischen KWK durch die Wärmemengen determiniert, die sinnvoll
durch Wärmeverteilnetze zu den jeweiligen Endverbrauchern aus der Industrie, den
GHD und / oder den Haushalten transportiert werden können. Um diese Wärmemenge
abzuschätzen wird ausgegangen von der im Haushalts-, im GHD- sowie im Industrie-
sektor nachgefragten Wärmemenge in Deutschland (ca. 4 909 PJ im Jahr 2018). Die
Wärmenachfrage der Haushalte und im GHD liegt dabei i. Allg. in einem Temperatur-
bereich, der durch geothermische in KWK bereitgestellte Wärme darstellbar ist. Somit
wird die in diesem Bereich mögliche nutzbare Wärme durch die technisch-ökonomi-
schen Möglichkeiten einer Verteilung dieser Wärme mit entsprechenden Wärmever-
teilnetzen bestimmt. Um diese abzuschätzen, können die in Deutschland vorhandenen
Siedlungsstrukturen untersucht und bewertet werden. Im Ergebnis können – wird un-
terstellt, dass nur bestimmte Siedlungsstrukturen mit einer bestimmten (hohen) Wär-
menachfragedichte für eine Wärmeverteilung mit Verteilnetzen aus technischer und
ökonomischer Sicht sinnvollerweise in Frage kommen – nur 63 bzw. 47 % der Wär-
menachfrage der Haushalte und im GHD durch geeignete Verteilnetze gedeckt werden.
Daraus ergibt sich eine über Verteilnetze an Haushalte und GHD aus technisch-öko-
nomischer Sicht transportierbare Wärmemenge von ca. 2 000 PJ/a. Im Industriesektor
muss eine Abschätzung, welche Anteile der nachgefragten Wärmemenge durch Geo-
thermie deckbar sind, durch eine Temperatureingrenzung erfolgen. Lediglich Wärme,
die auf einem Temperaturniveau nachgefragt wird, welches durch in KWK bereitge-
stellte geothermische Wärme bereitstellbar ist (bis ca. 150 ı C), kann hier abgesetzt
werden. Werden diese anhand des Wärmeanteils des Industriesektors an der Gesamt-
endenergienachfrage und dem Anteil an Niedertemperaturwärme des jeweiligen Sek-
tors durch Geothermie ersetzbaren Anteile errechnet, zeigt sich, dass im Industriesektor
eine Wärmemenge von ca. 530 PJ/a durch Geothermie abgesetzt bzw. genutzt werden
kann. Die Summe aus Haushalten, GHD und Industrie ergibt sich eine gesamte durch
Verteilnetze sinnvoll nutzbare Wärmemenge von 2 530 PJ/a. Dies entspricht einer da-
mit gekoppelten Stromproduktion von ca. 66 TWh/a.
 Minimalabschätzung. Die Entwicklung der letzten Jahre hat gezeigt, dass aus ökonomi-
schen Gründen und wegen der sehr weitgehenden Nutzung von Erdgas als leitungsge-
bundenem Energieträger kaum noch neue Wärmeverteilnetze gebaut wurden. Deshalb
kann eine untere Grenze der technischen Nachfragepotenziale durch die Unterstel-
lung der Bereitstellung der Wärme in heutigen Fernwärmenetzen durch geothermi-
sche Anlagen abgeschätzt werden. Dabei lag der Endenergieverbrauch an Fernwärme
im Jahr 2018 bei rund 400 PJ [9.31]; unter Berücksichtigung der jeweiligen Netz-
verluste (ca. 30 PJ (2018)) wurde entsprechend mehr Wärme in die Fernwärmenetze
eingespeist. Würde diese in die Netze eingespeiste Wärmemenge durch Geothermie
bereitgestellt und gleichzeitig in KWK Strom produziert, entspricht dies einer Strom-
erzeugung von knapp 15 TWh/a.
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 911

9.4.2 Nutzung

Nachfolgend wird die gegenwärtige Nutzung einer geothermischen Wärme- sowie kom-
binierten Strom- und Wärmebereitstellung in Deutschland und weltweit diskutiert (nach
[9.32, 9.33, 9.42]).

9.4.2.1 Welt
Bei der nachfolgend dargestellten weltweiten Nutzung der tiefen Geothermie wird un-
terschieden zwischen einer Nutzung zur ausschließlichen Wärmegewinnung sowie zur
Stromerzeugung (nach [9.32, 9.33]).

Wärmegewinnung Die in den global betriebenen geothermischen Heizwerken insge-


samt installierte thermische Leistung lag Ende 2018 bei geschätzten 24,4 GW. Mit diesen
Heizwerken wurden rund 296 PJ/a (2018) an Nutzwärme bereitgestellt. Die Entwicklung
der installierten thermischen Leistungen sowie der bereitgestellten Nutzwärme in den letz-
ten Jahren zeigt Abb. 9.53.
Technologiebedingt wird Wärme aus tiefer Geothermie dort produziert, wo besonders
begünstigte geologische Vorkommen erschließbar sind. Typischerweise werden Hoch-
enthalpie-Vorkommen genutzt, die in geringen Tiefen technologisch einfach, sicher und
kostengünstig erschlossen werden können. Liegt eine ausreichende Wärmenachfrage mit
einer vielversprechenden Infrastruktur (d. h. Nah- / Fernwärmenetz) vor, werden z. T. auch

30 300
Installierte geothermische Leistung in GW

25 250

Wärmeerzeugung in PJ/a
20 200

15 150

10 100

5 thermische Leistung 50
thermische Energie

0 0
2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018

Abb. 9.53 Weltweite kumulierte thermische Leistung und weltweite Wärmeerzeugung aus tiefer
Geothermie (nach [9.33])
912 S. Janczik et al.

Vorkommen in Gebieten mit weniger günstigen Untergrundbedingungen genutzt. Bei-


spiele für die Nutzung von Hochenthalpie-Vorkommen finden sich in Nord- und Mittel-
amerika. Demgegenüber können z. B. in Nord- und Mitteleuropa fast ausschließlich nur
Niedrigenthalpie-Vorkommen unter techno-ökonomischen Aspekten erschlossen werden.
Allerdings liegen hier oft sehr gute infrastrukturelle Voraussetzungen für eine Wärmever-
teilung (d. h. existierende Fernwärmenetze) vor und zusätzlich wird die Installation und
der Betrieb derartiger Anlagen teilweise staatlich unterstützt.
Nach wie vor wird in China die größte geothermische Wärmebereitstellung realisiert.
Weitere Märkte mit signifikanten Nennwärmeleistungen aus tiefer Geothermie sind in der
Türkei, in Japan, auf Island und in Italien vorhanden. Diese geothermische Wärme wird
zunehmend kaskadenförmig genutzt; beispielsweise werden nach der eigentlichen Wär-
meauskopplung u. a. Technologien zur Trocknung unterschiedlicher Lebensmittel oder
anderer Rohstoffe eingesetzt.

Stromerzeugung Ende 2018 waren in den weltweit vorhandenen geothermischen Kraft-


und Heizkraftwerken ca. 14,6 GW an elektrischer Leistung installiert. Dieser Kraftwerks-
park stellte rund 82 TWh (2018) bereit. Die Entwicklung der weltweit installierten elektri-
schen Leistung sowie der bereitgestellten Strommenge in den letzten Jahren ist Abb. 9.54
zu entnehmen.
In den USA sind mit rund 3,7 GW die global größten geothermischen Kraftwerkskapa-
zitäten installiert, die ca. 17,5 TWh (2018) erzeugten. Aber auch auf den Philippinen und

18

16 80
Installierte geothermische Leistung in GW

14
Stromerzeugung in TWh/a
12 60

10

8 40

4 20
elektrische Leistung
2 geothermische Stromerzeugung

0 0
2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018

Abb. 9.54 Weltweite kumulierte elektrische Leistung und produzierte Strommenge aus tiefer Geo-
thermie (nach [9.33])
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 913

auf Indonesien (ca. 2 GW und ca. 1,4 GW; jeweils ca. 9,6 TWh (2018)) sowie in Mexiko
und Italien (1,1 und 0,9 GW; 6,4 und 5,9 TWh (2018)) sind erhebliche elektrische Leis-
tungen verbaut. Zusätzlich sind in der Türkei 1,3 GW installiert, die rund 8,5 TWh (2018)
bereitstellten. In den meisten Ländern trägt Strom aus Geothermie aber insgesamt gese-
hen nur wenig zur Deckung der Stromnachfrage bei. Eine Ausnahme bildet Island; hier
werden etwa 25 % des gesamten Stromverbrauchs durch Geothermie gedeckt.
Eine Stromerzeugung aus tiefer Geothermie wird damit überwiegend in Ländern /
Gebieten mit besonders günstigen geologischen Randbedingungen (d. h. Hochenthal-
pie-Vorkommen) realisiert; für eine thermodynamisch effiziente Stromerzeugung sind
Hochenthalpie-Vorkommen eine zwingende Voraussetzung. Liegen derartige Vorkommen
vor, ist die Realisierung eines solchen Kraftwerksprojektes zwar immer noch technisch
anspruchsvoll, aber in der Regel wirtschaftlich möglich und vergleichsweise weniger risi-
koreich. Liegen demgegenüber lediglich durchschnittliche geologische Ressourcen (z. B.
Niedrigenthalpie-Vorkommen; u. a. in Deutschland und Frankreich) vor, ist die Projekt-
realisierung in der Regel technisch sehr viel anspruchsvoller; daraus resultieren deutlich
höhere spezifische Investitionen und höhere Risikoaufschläge, die einer kommerziellen
Umsetzung eines derartigen Projektes oft prohibitiv entgegenstehen.

9.4.2.2 Europäische Union


Bei der im Folgenden diskutierten Nutzung der tiefen Geothermie in der EU (Abb. 9.55)
wird ebenfalls unterschieden zwischen einer Nutzung zur ausschließlichen Wärmegewin-
nung sowie zur Stromerzeugung (nach [9.33]).

Wärmegewinnung Die installierte thermische Leistung aller in der EU vorhandenen


geothermischen Anlagen für eine ausschließliche Wärmebereitstellung lag Ende 2018 bei
geschätzten 3,9 GW. Mit diesem Anlagenpark wurden rund 49 PJ (2018) an Nutzwärme
bereitgestellt. In Italien (rund 0,8 GW, 7,3 PJ (2018)) und Frankreich (ca. 0,4 GW, 5 PJ
(2018)) sind noch immer die mit Abstand größten Kapazitäten installiert. Beispielsweise
hat Deutschland damit einen Anteil an der gesamten Wärmebereitstellung von rund 8 %.
Ähnlich wie auf globaler Ebene ist auch in der EU keine wirkliche Wachstumsdyna-
mik in diesem Bereich erkennbar. Ein Ausbau der tiefen Geothermie wird durch hohe
Erschließungskosten, geologische Risiken, dem zwingend benötigten Fernwärme- bzw.
Nahwärmeverteilnetz und der oft deutlich kostengünstiger verfügbaren Konkurrenzener-
gie stark beschränkt.

Stromerzeugung Ende 2018 waren in der EU geschätzte 1,2 GW an elektrischer Leis-


tung in geothermischen Kraftwerken installiert; damit wurden rund 7 TWh (2018) in die
jeweiligen Netze eingespeist. Noch immer ist in Italien, das über die einzigen Hochenthal-
pievorkommen auf dem europäischen Festland verfügt, der mit Abstand größte Anteil der
in Geothermie-Kraftwerken installierten Leistung vorhanden (0,9 GW; 6 TWh (2018)).
Vergleichsweise kleinere Kapazitäten sind in Deutschland (42 MW; 0,17 TWh (2018)),
914 S. Janczik et al.

Abb. 9.55 Installierte thermische und elektrische Leistungen in Anlagen zur Nutzung der tiefen
Geothermie in der EU (Stand 2018) (Daten nach [9.34])

Portugal (29 MW; 0,2 TWh (2018)) und Frankreich (17 MW; 0,12 TWh (2018)) instal-
liert. Dabei ist zu beachten, dass einige der genannten Anlagenleistungen nicht zwingend
auf dem europäischen Festland, sondern ggf. auch in den Überseegebieten, die von einigen
EU-Mitgliedsstaaten verwaltet werden, installiert sein können (z. B. französisch verwalte-
te Überseegebiete in der Karibik).
Beispielsweise gehört Deutschland und auch Österreich traditionell nicht zu den Län-
dern mit einer starken Geothermienutzung, obwohl die Potenziale in einigen Regionen
durchaus nennenswert sind. Deshalb liegt der Anteil der z. B. in Deutschland realisierten
Strombereitstellung an der Geothermiestromerzeugung der EU bei unter 3 %.

9.4.2.3 Deutschland
Bei der Nutzung der tiefen Geothermie in Deutschland wird unterschieden zwischen einer
Nutzung zur ausschließlichen Wärmeerzeugung und zur Stromerzeugung (und gekoppel-
ten Strom- und Wärmeerzeugung) (nach [9.33, 9.34]).
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 915

Wärmegewinnung Geothermische Wärme wird in Deutschland schon seit vielen Jahr-


hunderten genutzt; dies gilt jedoch primär nur für eine balneologische Nutzung. Dem-
gegenüber ist eine ausschließliche Nutzung der Energie des tiefen Untergrundes für eine
primäre Bereitstellung von Niedertemperaturwärme meist nur für Haushaltskunden eine
vergleichsweise neue Technologieoption mit einer bisher nur eingeschränkten Verbrei-
tung.
2018 wurden in Deutschland rund 30 geothermische Anlagen zur ausschließlichen
Wärmebereitstellung betrieben, deren installierte thermische Leistung bei rund 170 MW
lag. Mit diesen geothermischen Heizwerken wurden 2018 rund 2,5 PJ (2018) an Wär-
me erzeugt und in die angeschlossenen Wärmenetze eingespeist. Wird zusätzlich die in
KWK erzeugte und dort ausgekoppelte Wärme von etwas über 1,4 PJ (2018) berücksich-
tigt, errechnet sich insgesamt eine Wärmeerzeugung aus tiefer Geothermie von knapp 4 PJ
(2018). Abb. 9.56 zeigt die gesamte in Deutschland geothermisch bereitgestellte thermi-
sche Energie; demnach übersteigt die Wärme aus Heizwerken die in Heizkraftwerken
bereitgestellte thermische Energie.
Dabei werden geothermische Heizwerke aufgrund der bevorzugten geologischen Be-
dingungen primär im Süden Deutschlands – und hier speziell in Bayern – betrieben.
Zwar produzieren vereinzelnd auch kleinere Anlagen in Mecklenburg-Vorpommern aus
dem tieferen Untergrund; doch hat hier seit mehreren Jahrzehnten keine neue Anlage den
operativen Betrieb aufgenommen (Tabelle 9.18). Zusätzlich wird die tiefe Geothermie in

4,5

Heizwerk
4,0
Heizkraftwerk
3,5
Wärmeeinspeisung in PJ/a

3,0

2,5

2,0

1,5

1,0

0,5

0,0
2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018

Abb. 9.56 Entwicklung der geothermischen Wärmeerzeugung in Deutschland


916 S. Janczik et al.

Tabelle 9.18 Ausgewählte Projekte zur geothermischen Wärmeerzeugung [9.33]


Projekt Leistung Temperatur Förderrate Bohrtiefe Art der
in MWa in ı C in L/s in m Nutzungb
Aschheim, Feldkirchen, 9 85 75 2 630 H
Kirchheim
Erding 10 62 48 2 359 H
Garching 8 74 100 2 200 H
Ismaning 7 78 85 1 900 H
Kirchweidachc 12 128 50 3 500 S/H
München-Freiham 20 90 90 2 500 H
München-Riem 13 93 90 2 746 H
Neubrandenburg 4 54 28 1 250 H
Neuruppin 1,4 56 14 1 700 H
Neustadt-Glewe 4 98 35 2 250 H
Poing 9 75 100 3 000 H
Pullach 16 102 94 3 440 H
Simbach-Braunau 9 80 90 1 942 H
Straubing 2,1 36 45 825 H
Taufkirchenc 35 133 120 3 700 S/H
Unterföhring/2. Dublette 21 86/93 75/90 2 112/2 300 H
Unterschleißheim 8 78 100 1 960 H
Waldkraiburg 16,4 104 80 2 700 H
Waren-Müritz 1,3 63 17 1 566 H
a
geothermisch; b H Heizung, S Strom; c Kraftwerk in Bau.

Deutschland auch balneologisch genutzt; energiewirtschaftlich ist diese Nutzung aber nur
von untergeordneter Bedeutung.
In den vergangenen Jahren wurde die geothermische Wärmebereitstellung nur ver-
einzelnd ausgebaut. Dies könnte sich aber in den kommenden Jahren tendenziell än-
dern. Standorte, an denen in den übersehbaren Zukunft geothermische Anlagen für eine
ausschließliche Wärmebereitstellung errichtet werden könnten, sind beispielsweise Mün-
chen, Icking, Tittmoning (alle Bayern, süddeutsches Molassebecken) sowie Schwerin und
Rostock (beide Mecklenburg-Vorpommern). Beispielsweise soll in München die größ-
te Geothermieanlage Deutschlands entstehen; hier soll ein geothermisches Heizwerk mit
zusammengenommen 6 Bohrungen errichtet werden. Dazu wurden am Standort HKW
Süd in Thalkirchen bereits zwei Bohrungen erfolgreich abgeteuft. Dieses zu errichtende
Heizwerk soll eine thermische Leistung von insgesamt rund 50 MW haben und drei Fern-
wärme(teil)netze im Großraum München mit Fernwärme versorgen. Auch in Icking wird
intensiv an der Errichtung einer geothermischen Heizzentrale gearbeitet; Start der geo-
thermischen Wärme- (und Strom)-bereitstellung soll bereits 2021 sein. Zusätzlich dazu
soll in Tittmoning ein Geothermieprojekt entstehen; hier laufen derzeit erste Voruntersu-
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 917

chungen. Aber auch im Norden Deutschlands soll die geothermische Wärmebereitstellung


weiter ausgebaut werden. So wurde Ende 2018 die erste Bohrung im Rahmen der Errich-
tung einer geothermischen Heizzentrale in Schwerin (Standort HKW Lankow) abgeteuft.
Auch in Rostock wird eine Geothermieanlage angedacht.
Insgesamt ist ein Trend zur kombinierten Nutzung hydrothermaler Wässer für die Ener-
giegewinnung und für einen Einsatz in der Balneologie – und jüngst insbesondere auch
zur Stromerzeugung – zu verzeichnen. Während in Norddeutschland aufgrund der ho-
hen Salinität eine stoffliche Nutzung als Heilsole bzw. für Solebäder Nachfrage findet, ist
im Molassebecken eine Verwendung der schwächer mineralisierten Wässer als Thermal-,
Heil- bzw. Brauch- und Trinkwasser von Interesse.
Tiefe Erdwärmesonden werden aufgrund der hohen Kosten, durch die eine Wärme-
bereitstellung mit dieser Technologie gekennzeichnet ist, derzeit in Deutschland nur
sehr vereinzelt eingesetzt. Für die Demonstrationsanlage in Prenzlau mit einer Tiefe von
2 800 m und einer thermischen Leistung im Geothermieteil zwischen 300 und 500 kW
errechnet sich – wird von einer mittleren Erdwärmeleistung und von jährlichen Volllast-
stunden von rund 4 000 h/a ausgegangen – eine bereitgestellte Energie aus Erdwärme von
rund 5,8 TJ/a.

Stromerzeugung Die Gesamtsumme der installierten elektrischen Leistung aller in


Deutschland betriebenen geothermischen Kraft- und Heizkraftwerke lag Ende 2018
bei ca. 42 MW. Die Stromproduktion dieser Kraft- bzw. Heizkraftwerke lag bei rund
0,172 TWh (2018). Im süddeutschen Molassebecken wurde aufgrund der hier vorhan-
denen höheren Anlagenanzahl der mit Abstand größte Anteil an der geothermischen
Stromproduktion realisiert (ca. 86 %). Im Oberrheingraben wurden die restlichen 14 %
des Geothermiestroms in Deutschland erzeugt. Zusätzlich wurden in den geothermi-
schen Heizkraftwerken in Koppelproduktion geschätzte 1,4 PJ (2018) Wärme erzeugt
(Abb. 9.57). Aufgrund der höheren Anzahl der Anlagen wurde auch die größte Wärme-
menge im Molassebecken bereitgestellt.
Wegen der bevorzugten geologischen Bedingungen beschränkt sich die Nutzung des
tiefen Untergrundes für eine Strom- und Wärmebereitstellung fast ausschließlich auf den
Süden der Bundesrepublik (Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz). Im deutschen
Nordosten (primär Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg) wird weiterhin lediglich
eine geothermische Wärmebereitstellung realisiert.
Im Oberrheingraben (d. h. Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg) befinden sich an
den Standorten Bruchsal, Landau und Insheim drei geothermische (Heiz-)Kraftwerke (Ta-
belle 9.19). Das Kraftwerk in Landau steht allerdings seit einigen Jahren still bzw. befindet
sich nicht im Regelbetrieb. Nachdem 2018 ein kurzer Probebetrieb durchgeführt wurde,
wurde der Betrieb dieser Anlage im Dezember 2018 erneut unterbrochen.
Die deutlich höhere Anzahl an geothermischen KWK-Anlagen werden im süddeut-
schen Molassebecken (Bayern) betrieben. Seit mehreren Jahren wird hier in Unterhaching,
Dürrnhaar, Kirchstockach, Sauerlach, Grünwald und Traunreut eine kombinierte Strom-
und Wärmebereitstellung realisiert (Tabelle 9.19). Zusätzlich nahm die Anlage in Tauf-
918 S. Janczik et al.

50 350
jährlich installierte Leistung
gesamte installierte Leistung
300
Bruttostromerzeugung
40
potenzielle jährliche Strombereitstellung
250

Stromerzeugung in GWh/a
Elektrische Leistung in MW

30
200

150
20

100

10
50

0 0
2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018

Abb. 9.57 Installierte elektrische Leistung und bereitgestellter Strom aus tiefer Geothermie in
Deutschland

Tabelle 9.19 Ausgewählte Projekte zur geothermischen Stromerzeugung in Deutschland [9.33]


Region Elektrische Leistung, Förder- B W KT L IBN
temperatur, -rate, Bohrtiefea
in MW in ı C in L/s in m
Oberrheingraben
Bruchsal 0,44 123 24 2 542 D Cb K A 2009
Insheim 4,8 160 80 3 300 D Cb O A 2012
Landau 3,8 160 70 3 340 D Cb O A 2007
Süddeutsches Molassebecken
Aying-Dürrnhaar 5,5 141 130 3 926 D Cb O A 2013
Kirchstockach 5,5 139 130 3 882 D Cb O A 2013
Sauerlach 5,0 140 110 5 567 T Cb O A 2013
Unterhaching 3,4 125 150 3 350 D C K A 2009
Grünwald 4,3 127 140 4 083 D C O A 2014
Traunreut 4,5 118 143 4 500 D C O A 2014/2016
Taufkirchen 4,3 133 120 3 700 D C O A 2014/2018
A Aquifer, B Bohrlochkonzept, D Dublette, IBN Inbetriebnahme, K Kalina-Cycle, KT Konversions-
technologie, L Lagerstätte, O Organic-Rankine-Cycle, T Triplette, W Wärmenetz; a Förderbohrung;
b
technisch möglich, aber noch nicht realisiert.
9 Nutzung tiefer geothermischer Systeme 919

kirchen 2018 den Regelbetrieb für eine kombinierte Strom- und Wärmebereitstellung auf.
Weiterhin liefert die Anlage in Kirchweidach bereits Wärme; das entsprechende Kraft-
werk ist in der Projektion.

9.4.2.4 Österreich
In Österreich wird die tiefe Geothermie seit den späten 1970er Jahren genutzt. Bis En-
de 2018 wurden insgesamt 77 unterschiedliche hydrothermale Quellen erschlossen sowie
insgesamt rund 135 km Bohrungen zur Erschließung dieser Vorkommen abgeteuft.
Im Jahr 2018 wurden insgesamt 10 Anlagen zur geothermischen Energiegewinnung
genutzt, die sich im Molassebecken und im Steirischen Becken befinden. Die hier zur
geothermischen Wärmegewinnung installierte Leistung liegt bei rund 95,1 MW und die
gewonnene Wärmemenge bei deutlich unter 1 PJ (2018). Gleichzeitig war eine elektri-
sche Leistung von rund 1,2 MW installiert, mit der eine elektrische Stromerzeugung von
2,7 GWh (2018) realisiert wurde [9.44].
Für die kommenden Jahre ist auch in Österreich von keinem weiteren signifikanten
Zuwachs der geothermischen Energiegewinnung auszugehen; dies gilt sowohl für die
Wärme- als auch die Stromerzeugung. Danach könnte eine weitergehende Nutzung im
Wiener Becken realisiert werden.

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[9.44] Goldbrunner, J., Goetzl, G.: Geothermal energy use, country update for Austria. European
Geothermal Congress (2019)
Zusammenfassender Vergleich
10
Martin Kaltschmitt und Lucas Sens

In den Kapiteln 3 bis 9 werden verschiedene Möglichkeiten zur Wärme- und / oder Strom-
erzeugung aus erneuerbaren Energien detailliert diskutiert; dabei werden jeweils die phy-
sikalischen Grundlagen und die Technik bzw. Systemtechnik umfassend dargestellt sowie
ausgewählte ökonomische und ökologische sowie weitere Energiesystem-relevante Zu-
sammenhänge und Kenngrößen ermittelt. Damit ist noch keine Aussage darüber getroffen,
wie die einzelnen Techniken für die Nutzbarmachung erneuerbarer Energien untereinan-
der und im Vergleich zu den jeweiligen Möglichkeiten zur Nutzung fossiler Energieträger
– im Hinblick auf die Erfüllung einer bestimmten Versorgungsaufgabe – zu bewerten sind.
Daher werden im Folgenden einzelne der hier untersuchten Möglichkeiten zur Nutzung er-
neuerbarer und fossiler Energien kursorisch gegenübergestellt. Dabei können aber immer
nur Systeme bzw. Techniken sinnvoll miteinander verglichen werden, welche die gleiche
End- bzw. Nutzenergie bereitstellen (d. h. Strom, Wärme). Deshalb wird bei der folgen-
den Gegenüberstellung im Wesentlichen unterschieden zwischen den Möglichkeiten zur
Stromerzeugung, ggf. auch im Rahmen einer Kraft-Wärme-Kopplung (KWK), und einer
Wärmebereitstellung.

10.1 Bereitstellung elektrischer Energie

Die hier diskutierten Möglichkeiten einer solarthermischen, photovoltaischen, wind- und


wassertechnischen sowie geothermischen Bereitstellung elektrischer Energie, die – mit
Ausnahme der Stromerzeugung aus Erdwärme – mehr oder weniger angebotsorientiert
sind (d. h. die Erzeugungscharakteristik der elektrischen Energie wird durch das fluktu-
ierende meteorologische Energieangebot bestimmt), werden im Folgenden untereinander
verglichen und den substituierbaren Optionen auf der Basis fossiler Energieträger gegen-
übergestellt, soweit dies möglich und sinnvoll ist. Dabei wird zunächst auf das jeweils ge-

Martin Kaltschmitt, Lucas Sens, Hamburg, Deutschland

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 923
M. Kaltschmitt, W. Streicher, A. Wiese (Hrsg.), Erneuerbare Energien,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-61190-6_10
924 M. Kaltschmitt und L. Sens

nutzte erneuerbare und damit im Wesentlichen das meteorologische Energieangebot und


seine zeitliche und räumliche Angebotscharakteristik eingegangen. Anschließend wer-
den ausgewählte technische, ökonomische und ökologische Kenngrößen von Anlagen
zur Nutzung des Energieangebots von Sonne, Wind, Wasser und Erdwärme diskutiert.
Darauf aufbauend erfolgt ein Vergleich der verfügbaren Potenziale und der derzeit gege-
benen Nutzung. Zusätzlich ist eine Stromerzeugung aus regenerativen Energien u. a. auch
mit Hilfe der Biomasse möglich (d. h. Einsatz biogener Festbrennstoffe beispielsweise in
Holzkraftwerken, Einsatz flüssiger Bioenergieträger z. B. in Pflanzenöl-BHKW, Nutzung
von Biogas z. B. aus Gülle-vergärenden Fermentationsanlagen in Gasmotoren); dies ist
jedoch nicht Gegenstand der vorliegenden Ausführungen und wird deshalb hier nicht ver-
tieft betrachtet.

10.1.1 Energieangebot

Das meteorologische Energieangebot, das für die photovoltaische, die windtechnische und
die wassertechnische Stromerzeugung bestimmend ist, unterscheidet sich sowohl bezüg-
lich der zeitlichen Angebotscharakteristik als auch hinsichtlich der regionalen Verteilung
erheblich. Dies gilt untereinander und im Vergleich zum geothermischen Energieangebot.
Beides wird im Folgenden analysiert.

Zeitliche Angebotsvariationen Bei den zeitlichen Angebotsvariationen müssen einzel-


ne Zeitbereiche unterschieden werden. Im Folgenden werden deshalb die Variationen des
erneuerbaren Energieangebots aus Sonne, Wind und Wasser sowie Geothermie im Jahres-,
im Monats- und im Tagesverlauf analysiert. Dabei werden die in Mitteleuropa vorliegen-
den Gegebenheiten zugrunde gelegt.

Variationen im Jahresverlauf Bei der Angebotscharakteristik im Jahresverlauf zeigen


sich zwischen den regenerativen Energien Wasserkraft, Windenergie und Solarstrahlung
deutliche Unterschiede (Abb. 10.1, links).

 Die Solarstrahlung zeichnet sich in Mitteleuropa durch einen deutlich ausgeprägten


jahreszeitlichen Verlauf mit einem maximalen Strahlungsangebot in den Sommermo-
naten und einer relativ dazu sehr geringen Strahlung im Winter aus.
 Fast umgekehrt ist es bei dem Energieangebot der bewegten Luftmassen. Die höchsten
mittleren Windgeschwindigkeiten – und damit das höchste Windenergieangebot – sind
in Mitteleuropa im Winter bis Frühjahr gegeben (d. h. Frühjahrsstürme); an bestimmten
Standorten bzw. in verschiedenen Gegenden – beispielsweise an der deutschen Nord-
und Ostseeküste – können zusätzlich aber auch im Herbst hohe mittlere Windgeschwin-
digkeiten auftreten (d. h. Herbststürme).
 Unabhängig von der deutlich stärkeren Abhängigkeit des Energieangebots des Lauf-
wassers von den spezifischen Gegebenheiten vor Ort (d. h. Vorhandensein eines Fließ-
10 Zusammenfassender Vergleich 925

G e s c h w in d i g k e it
Windgeschwindigkeit

Solarstrahlung
S t r a h lu n g
Abfluss

Wasserabfluss
Angebot

Erdwärmeangebot
Zeit in Tagen im Jahresverlauf Zeit in Stunden im Wochenverlauf

Abb. 10.1 Beispielhafte Jahresgänge aus Monats- und Tagesmitteln (links) sowie Wochengänge
aus Tages- und Stundenmitteln (rechts) der Windgeschwindigkeit (oben), der Solarstrahlung (Mitte,
oben), des Wasserabflusses (Mitte, unten) und des Erdwärmeangebots (unten)

gewässers) – im Vergleich zu dem Energieangebot des Windes und insbesondere der


Solarstrahlung – treten beispielsweise bei den in den deutschen Mittelgebirgen ent-
springenden Flüssen und Bächen die höchsten Abflüsse meistens im zeitigen Frühjahr
auf; dies liegt oft in der dann stattfindenden Schneeschmelze und dem dadurch be-
dingten erhöhten Wasserabfluss begründet. Im Verlauf des Sommers geht dann i. Allg.
der Abfluss in diesen aus den Mittelgebirgen gespeisten Fließgewässern zurück (Aus-
nahme: lange Regenperioden im Sommer). Der entsprechende Abfluss nimmt dann
erst gegen Ende eines Kalenderjahres erneut zu. Im Unterschied zu diesem typischen
Verhalten sind der Rhein und teilweise auch die Donau durch eine deutlich andere Cha-
rakteristik gekennzeichnet, da hier wesentliche diese beiden Flüsse speisenden Was-
sermassen aus dem Hochgebirge (d. h. den Alpen) kommen; der Rhein weist deshalb
aufgrund der in den Höhenlagen der Alpen erst – im Vergleich zu den Mittelgebirgen
– später im Jahr stattfindenden Schneeschmelze sehr hohe Abflüsse im Hochsommer
auf.
 Im Unterschied dazu ist die Nutzung der Erdwärme durch keine saisonalen Unter-
schiede gekennzeichnet. Die Energie aus dem tiefen Untergrund steht im gesamten
Jahresverlauf uneingeschränkt zur Verfügung.

Dieser z. T. deutlich unterschiedliche zeitliche Verlauf des Energieangebots der solaren


Strahlung, der bewegten Luftmassen und des Wasserabflusses bedingt bei einer kombi-
926 M. Kaltschmitt und L. Sens

nierten Nutzung mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Verstetigung bzw. Vergleichmäßigung


der aus diesen regenerativen Energien bereitstellbaren elektrischen Energie; dies gilt ins-
besondere auch deshalb, weil beispielsweise

 ein hoher Wasserabfluss mit entsprechenden Niederschlägen einhergeht, die dann eine
hohe solare Strahlungsleistung verhindern, oder
 hohe mittlere Windgeschwindigkeiten oft keine sehr hohen Niederschläge und keine
maximale Solarstrahlung erlauben.

Mit deutlich geringerer Wahrscheinlichkeit kann – aufgrund des teilweise stochasti-


schen Verhaltens des meteorologischen Energieangebots – aber auch das Gegenteil der
Fall sein.
Im Durchschnitt ist es jedoch typischerweise wahrscheinlich, dass es im Jahresverlauf
zu einer deutlichen Verstetigung insbesondere für eine Stromerzeugung aus Windenergie
und solarer Strahlung kommt, da sich deren jeweilige Angebotscharakteristik im Jahres-
verlauf i. Allg. sehr gut ergänzen.

Variationen im Monatsverlauf Bei einer Analyse der Variationen des Windes, der Solar-
strahlung, des Wasserabflusses und der Erdwärme in Deutschland zwischen verschiedenen
Tagen (beispielsweise im Verlauf eines Monats) wird deutlich, dass die Windgeschwin-
digkeiten und die solare Strahlung im Vergleich zum Wasserabfluss und insbesondere
zur Erdwärme durch deutlich größere Schwankungen gekennzeichnet sind. Im Normal-
fall ist demgegenüber der Abfluss eines Fließgewässers vergleichsweise ausgeglichen und
kaum durch schnelle Änderungen gekennzeichnet; größere Schwankungen gibt es nur bei
Hochwasserereignissen und damit in Ausnahmesituationen, die zudem im Regelfall keine
Stromerzeugung mehr erlauben. Noch ausgeglichener ist das Energieangebot aus geother-
mischer Energie; hier sind praktisch keine Variationen in diesem Zeitbereich gegeben.
Dies ist bei der Windgeschwindigkeit grundsätzlich anders. Hier kann es zu erheblichen
Geschwindigkeitsunterschieden der bewegten Luftmassen an verschiedenen Tagen kom-
men. Dies gilt grundsätzlich auch für das solare Strahlungsangebot; die an einem bestimm-
ten Empfangspunkt in Mitteleuropa eintreffende Strahlungssumme kann an aufeinander
folgenden Tagen aufgrund des großen Einflusses der teilweise erheblich variierenden Be-
deckung ebenfalls deutlich schwanken.

Variationen im Tagesverlauf Wird der zeitliche Verlauf des Angebots dieser verschiede-
nen regenerativen Energien während eines Tages betrachtet, zeigen sich ähnliche Zusam-
menhänge (Abb. 10.1, rechts). Auch hier sind das solare Strahlungsangebot und insbe-
sondere die Windgeschwindigkeit durch erheblich größere Schwankungen charakterisiert
als der Abfluss und insbesondere die Erdwärme. Dabei können die Angebotsunterschie-
de an zwei aufeinanderfolgenden Stunden beim Wind noch erheblich größer sein als bei
der Solarstrahlung; dies gilt insbesondere bei böigem Wind. Bei der Sonneneinstrahlung
kommt es aber infolge des deterministisch sich verändernden Sonnenstandes über dem
10 Zusammenfassender Vergleich 927

Horizont ohnehin zu entsprechenden Variationen, die jedoch i. Allg. nicht sehr sprunghaft
verlaufen; außer bei durchziehenden Wolkenfeldern, die Schlagschatten verursachen, ver-
ändert sich die Bedeckung und damit die Solarstrahlung meist nur langsam und tendenziell
stetig.
Ähnliche Aussagen gelten auch für die Betrachtung noch kürzerer Zeitintervalle. Im
Minutenbereich ändert sich beispielsweise der Abfluss im Normalfall nur unwesentlich
(außer bei Hochwasserereignissen, wenn beispielsweise ein Wehr geöffnet wird oder
ein Damm bricht). Dies trifft jedoch nicht für die Solarstrahlung und auch nicht für
die Windgeschwindigkeit zu; beide Größen können, wenn entsprechende meteorologi-
sche Bedingungen vorliegen, z. T. erheblichen Variationen unterworfen sein (z. B. böiger
Wind, Schattenwurf infolge durchziehender Wolkenfelder).

Räumliche Angebotsvariationen Das Energieangebot der betrachteten erneuerbaren


Energien ist regional gesehen auf der Gebietsfläche des deutschsprachigen Raumes z. T.
sehr unterschiedlich.

 Im langjährigen Durchschnitt schwankt das solare Strahlungsangebot an unterschied-


lichen Orten in Deutschland, Österreich und der Schweiz – im globalen Vergleich –
nur innerhalb relativ enger Grenzen. Unabhängig davon werden vergleichsweise ge-
ringere Globalstrahlungssummen tendenziell in Norden (z. B. Schleswig-Holstein in
Deutschland) und die relativ höchsten Jahressummen der globalen Strahlung im Süden
der Schweiz und Österreichs (z. B. Steiermark in Österreich) – aufgrund der hier ge-
gebenen relativ größeren Äquatornähe und des daraus resultierenden durchschnittlich
höheren Sonnenstandes über dem Horizont – gemessen.
 Verglichen damit weisen die langjährigen mittleren Windgeschwindigkeiten deutlich
stärkere regionale und lokale Unterschiede auf. Beispielsweise sind in Deutschland die
höchsten durchschnittlichen Geschwindigkeiten der bewegten Luftmassen vor (d. h.
Offshore) bzw. direkt an der Nord- und (eingeschränkter) der Ostseeküste gegeben.
Im Süden der Bundesrepublik Deutschland sind demgegenüber hohe mittlere Windge-
schwindigkeiten vorwiegend nur noch auf sehr exponierten Hügel- und Kammlagen der
Mittelgebirge vorzufinden; dies gilt sinngemäß auch für Österreich und die Schweiz.
 Demgegenüber ist das Energieangebot des Wassers bzw. der Abfluss eines Fließge-
wässers erheblich stärker von den lokalen Gegebenheiten abhängig (d. h. dem Vorhan-
densein eines fließenden Gewässers). Damit beschränkt sich die regionale bzw. lokale
Verfügbarkeit dieses regenerativen Energieangebots im Wesentlichen auf den Verlauf
der jeweils vorhandenen Bäche und Flüsse; der Bau von Kanälen ist i. Allg. sehr auf-
wändig und begrenzt sich auf Bereiche mit sehr speziellen regionalen Gegebenheiten.
Hinsichtlich der geografischen Verteilung ist in Österreich und der Schweiz sowie in
Süd- und Mitteldeutschland aufgrund der hier gegebenen Hoch- und Mittelgebirge und
der dort vorkommenden entsprechend hohen Abflüsse das höchste Wasseraufkommen
gegeben. Hinzu kommt, dass die Wasserkraft zur Stromerzeugung nur bei Vorliegen
928 M. Kaltschmitt und L. Sens

einer entsprechenden geodätischen Fallhöhe technisch sinnvoll genutzt werden kann.


Aufgrund der eher flachen Topografie in Norddeutschland sind die diesbezüglichen
Möglichkeiten – selbst wenn ein entsprechender Abfluss gegeben ist – deshalb hier
eher begrenzt.
 Im Unterschied dazu ist das geothermische Energieangebot in einer ersten Näherung
keinen räumlichen Angebotsvariationen unterworfen, da es primär von der Tiefe un-
ter der Erdoberfläche bestimmt wird. Aber dieser Temperaturanstieg mit zunehmen-
der Tiefe ist bei einer genaueren Analyse nicht überall im deutschsprachigen Raum
gleich. In Gebieten mit geothermischen Anomalien ist er z. T. überdurchschnittlich
hoch. Beispielsweise wird im Oberrheingraben vermutet, dass durch großräumige na-
türliche Tiefenwasserzirkulationen die geothermische Wärme aus tieferen Erdschich-
ten in eine größere Nähe zur Erdoberfläche transportiert wird und dadurch der hier
vielfach gemessene höhere Temperaturanstieg mit zunehmender Tiefe – im Vergleich
zum durchschnittlichen geothermischen Gradienten, wie er in weiten Teilen Mittel-
europas angetroffen wird – erklärt werden kann. Demgegenüber ist der Anstieg der
Untergrundtemperatur mit zunehmender Tiefe in Gegenden mit einem normalen oder
unterdurchschnittlichen geothermischen Gradienten (z. B. norddeutsches Becken) rela-
tiv niedriger.

Die Zusammenhänge bei der Wasserkraft sind damit genau umgekehrt zu denen der
Windenergie. Sie unterscheiden sich wiederum von der Geothermie und der Solarstrah-
lung. Die letzten beiden Optionen variieren innerhalb des deutschsprachigen Raums we-
niger stark im Vergleich insbesondere zur Windenergie und – in einem besonderen Maße
– zur Wasserkraft. Trotzdem kommt es beispielsweise auch bei der Solarstrahlung u. a. in-
folge mikroklimatischer Einflüsse zu entsprechenden regionalen Variationen (z. B. durch
eine starke, in bestimmten Flussniederungen gegebene Nebelneigung); außerdem nimmt
die Strahlungsleistung in Mitteleuropa mit sinkendem Breitengrad tendenziell zu. Wäh-
rend das jahresmittlere solare Strahlungs- und das geothermische Energieangebot damit
auf einer lokal begrenzten Gebietsfläche kaum variiert, kann sich die jahresmittlere Wind-
geschwindigkeit bei entsprechenden geografischen und topologischen Bedingungen schon
innerhalb weniger Meter ggf. erheblich ändern. Noch größere Unterschiede – auf kleins-
tem Raum – gibt es beim Wasserangebot.

10.1.2 Systemtechnische Beschreibung

Der derzeitige Stand der Technik für die Bereitstellung elektrischer Energie aus Solar-
strahlung, Windenergie, Wasserkraft und Geothermie und damit die ihn beschreibenden
technischen Kenngrößen unterscheiden sich z. T. erheblich. Tabelle 10.1 zeigt einen Ver-
gleich typischer, die jeweilige Energiewandlungstechnik derzeit charakterisierender Grö-
ßen.
10 Zusammenfassender Vergleich 929

Tabelle 10.1 Vergleich technischer Kenngrößen einer photovoltaischen, wind- und wassertechni-
schen sowie geothermischen Stromerzeugung unter mitteleuropäischen Gegebenheiten
Leistungen Nutzungsgrad Volllaststunden
in kW in % in h/a
Photovoltaikd 1– > 1 000 000a 17–20e 900–1 100b
Windenergief 2 500– > 9 500a 32–40 1 400– > 5 000g
Wasserkraft 10– > 500 000a 70–90h 4 500–7 500i
Geothermiej 100– > 5 000a max. 10–15k max. 8 760
a
jeweils bezogen auf eine Anlage zur netzgekoppelten Stromerzeugung, bei der Photovoltaik bezo-
gen auf ein Photovoltaikkraftwerk; b deutschsprachiger Raum (kann in Gebieten mit einer höheren
Solarstrahlungsleistung (z. B. Naher Osten) auch größer als 2 000 h/a sein); d nur netzgekoppelte
Anlagen; e untere Grenze bei der Verwendung polykristalliner Solarzellen und oberer Wert für mo-
nokristalline Solarzellen; f moderne, heute marktgängige Anlagen; g Bandbreite zwischen Onshore-
und Offshore-Standorten; bei letzteren ggf. noch höher; h abhängig von der Auslegung und den was-
serrechtlichen Vorgaben; i Volllaststunden werden i. Allg. durch die Anlagenauslegung bestimmt
(maximal wären 8 760 h/a möglich); j bezogen auf die in Deutschland vorliegenden geologischen
Gegebenheiten; k ausschließliche Stromerzeugung unter sehr guten Bedingungen in Deutschland
(d. h. keine Kraft-Wärme-Kopplung).

Anlagenleistungen Die Anlagenleistung ist eine typische Kenngröße, mit der Konversi-
onsanlagen zur Stromerzeugung beschrieben werden können; sie werden im Folgenden
entsprechend dem gegenwärtigen Stand der Technik diskutiert. Auch wird der Bezug zu
den Techniken zur Stromerzeugung aus fossilen Energieträgern hergestellt.
Tabelle 10.1 zeigt einen Vergleich der Nennleistungen von Anlagen zur Stromerzeu-
gung aus Solarstrahlung über eine photovoltaische Wandlung, aus Windenergie, aus Was-
serkraft und aus Geothermie. Diese werden nachfolgend kurz diskutiert.

 Netzgekoppelte und nicht netzgekoppelte Photovoltaikanlagen sind derzeit durch


Anlagenleistungen gekennzeichnet, die sich in einem sehr weiten Leistungsbereich
von wenigen mW (u. a. Taschenrechner, Armbanduhren) bis in den einstelligen
GW-Bereich erstrecken (d. h. großtechnische, netzgekoppelte Photovoltaikkraftwer-
ke). Bei einer netzgekoppelten Stromerzeugung mit auf Dachflächen von Ein- und
Zweifamilienhäusern montierten Photovoltaiksystemen liegen die elektrischen Anla-
gennennleistungen im Regelfall zwischen 1 und rund 5 kW; zunehmend kommen aber
auch dachmontierte Anlagen mit größeren installierten Leistungen zum Einsatz (z. B.
auf Fabrikgebäuden, Stadien, Lagerhallen, größeren landwirtschaftlichen Betriebsge-
bäuden). Werden Anlagen zur solaren Stromerzeugung demgegenüber auf Freiflächen
installiert, sind deutlich höhere Anlagenleistungen üblich; sie bewegen sich gegenwär-
tig i. Allg. im zwei- bis dreistelligen MW-Bereich, können aber in Ausnahmefällen
auch den unteren GW-Bereich erreichen. Insbesondere bei Photovoltaikkraftwerken
wurden in den letzten Jahren zunehmend Anlagen mit immer größeren installierten
elektrischen Leistungen realisiert; beispielsweise hat das größte bis Anfang 2019 er-
930 M. Kaltschmitt und L. Sens

richtete Photovoltaikkraftwerk eine installierte elektrische Leistung von 2 255 MW


(Bhadla Industrial Solar Park, Indien).
 Im Unterschied dazu sind Windkraftanlagen derzeit mit elektrischen Leistungen zwi-
schen etwas mehr als 1 MW bei etwas älteren Anlagen und bis zu knapp 10 MW
bei neuen, derzeit am Markt verfügbaren Anlagen vorhanden; kurz vor der Marktein-
führung bzw. in einem fortgeschrittenen Entwicklungsstadium sind speziell für einen
Offshore-Einsatz konzipierte Anlagen mit bis zu 14 MW und einer Kurzfristperspekti-
ve von rund 20 MW. Netzgekoppelt werden in Deutschland momentan hauptsächlich
Anlagen mit installierten Leistungen zwischen 1 MW und rund 5 MW betrieben. Neue
zu installierende Onshore-Anlagen weisen derzeit zum überwiegenden Teil elektri-
sche Leistungen von rund 3 bis 5 MW auf – bei einem in der Zwischenzeit nur noch
schwach ausgeprägten Trend zu Konvertern mit höheren installierten elektrischen Leis-
tungen. Dabei waren die letzten Jahrzehnte durch einen deutlichen Anstieg der mitt-
leren installierten Anlagenleistungen gekennzeichnet; Mitte / Ende der 1980er Jahre
waren Windkraftkonverter mit Leistungen von 30 bis 80 kW Stand der Technik. Dem-
gegenüber sind heute Anlagen im mittleren einstelligen MW-Bereich marktgängig und
haben sich auf dem Markt für Onshore-Anwendungen weltweit durchgesetzt. Demge-
genüber ist der Trend hin zu Anlagen höherer installierter Anlagenleistung bei einer
Offshore-Aufstellung nach wie vor sehr deutlich erkennbar; hier sind seit 2019 Off-
shore-Windkraftanlagen mit bis zu 11 MW installierter elektrischer Anlagenleistung
am Markt vertreten.
 Wasserkraftanlagen sind durch eine erheblich größere Bandbreite der installierten Leis-
tungen gekennzeichnet, die sich zwischen wenigen 10 kW bei Kleinstwasserkraftanla-
gen und z. T. deutlich über 100 MW pro Turbine bei Großanlagen bewegen. Aufgrund
der höheren Energiedichte des Wassers im Vergleich zur Windkraft und der Solarstrah-
lung, des schon weit fortgeschrittenen Standes der Technik sowie der Verfügbarkeit ei-
ner Vielzahl sehr unterschiedlicher Turbinenbauarten wurden und werden für praktisch
jeden wassertechnisch nutzbaren Standort Anlagen mit entsprechenden Nennleistun-
gen entwickelt und gebaut.
 Geothermieanlagen sind ebenfalls durch eine erhebliche Bandbreite der grundsätzlich
installierbaren elektrischen Leistungen gekennzeichnet. Ausgehend von den derzeit im
deutschsprachigen Raum sich abzeichnenden Marktentwicklungen bewegen sich die
üblichen elektrischen Anlagenleistungen zwischen einigen 100 kW für eine kleine An-
lage, mit der Fernwärme und elektrische Energie in Kraft-Wärme-Kopplung (KWK)
bereitgestellt wird, und einigen MW (d. h. mittlerer einstelliger MW-Bereich) für ein
großes geothermisches Kraft- oder Heizkraftwerk.

Anlagen zur Stromerzeugung aus fossilen Energieträgern sind durch elektrische An-
lagenleistungen gekennzeichnet, die sich in den allermeisten Fällen zwischen wenigen
100 kW (z. B. Erdgas-BHKW) und maximal rund 1 GW (z. B. Steinkohlekraftwerk) pro
Anlage bewegen. Ausgehend von dem vorhandenen Anlagenpark machen der Anzahl
nach dabei kleinere Anlagen im Bereich von einigen 10 bis insbesondere einigen 100 MW
10 Zusammenfassender Vergleich 931

den größeren Anteil aus; dies liegt darin begründet, dass nach wie vor noch eine Vielzahl
an relativ alten Anlagen mit aus heutiger Sicht relativ geringen elektrischen Anlagenleis-
tungen – häufig auch in Kraft-Wärme-Kopplung – betrieben werden. Der überwiegende
Teil der aus fossilen Brennstoffen bereitgestellten elektrischen Energie wird in Deutsch-
land jedoch in Kraftwerken mit installierten Leistungen von einigen 100 MW und z. T.
deutlich darüber erzeugt; das sind dann z. T. neuere Anlagen. Dabei ist eine große Band-
breite der installierten Leistungen am Markt zu beobachten.
Zusammengenommen weisen demnach alle hier diskutierten Strombereitstellungstech-
niken auf der Basis erneuerbarer Energien, wie sie in Mitteleuropa heute zum Einsatz
kommen, im Regelfall deutlich geringere Leistungen im Vergleich zu mit fossilen Brenn-
stoffen gefeuerten Stromerzeugungsanlagen auf.
Diese Zusammenhänge können sich – wie es auch in der Vergangenheit der Fall war
– zukünftig ändern; Energiesysteme i. Allg. und Stromversorgungssysteme im Speziellen
sind einem laufenden Wandel unterworfen und müssen in einem permanenten evolutionä-
ren Prozess an die sich verändernden Gegebenheiten angepasst werden.

 Die Wasserkraftnutzung hat bereits eine technische Entwicklung von deutlich mehr
als 100 Jahren hinter sich. In Verlauf dieser Zeitspanne wurden Anlagen entwickelt
und optimiert, die praktisch alle in der Praxis vorkommenden Einsatzfelder effizient
abdecken können. Hier ist somit zukünftig nicht von einer weiteren Veränderung der
Anlagenleistungen auszugehen.
 Demgegenüber war die kommerzielle Windkraftnutzung in den letzten 30 Jahren
durch erhebliche technische Innovationen charakterisiert. Diese Entwicklung nahm
ihren Ausgangspunkt bei Anlagen mit installierten Leistungen von wenigen 10 kW;
heute sind Anlagen mit einer installierten Leistung von rund 10 MW – insbesondere im
Hinblick auf eine Offshore-Installation auch mit der zeitnahen Perspektive Richtung
20 MW – in einer fortgeschrittenen Markteinführungsphase. Deshalb ist zu erwarten,
dass die elektrischen Anlagennennleistungen einer Windstromerzeugung tendenziell
weiter zunehmen werden; dies ist mit potenziellen ökonomischen und systemischen
Vorteilen verbunden. Aus gegenwärtiger Sicht ist offen, wann und bei welchen Leis-
tungen diese Entwicklung enden könnte, da eine Obergrenze der in Windkraftanlagen
installierbaren Anlagenleistungen für eine Offshore-Aufstellung bisher kaum erkenn-
bar ist. Aufgrund der erheblichen und mit einem weiteren Upscale stark zunehmenden
technischen Herausforderungen u. a. bezüglich der Rotorblattdimensionen und der
immer größer werdenden Turmkopfmassen dürfte diese Entwicklung aber mit wei-
ter steigender elektrischer Anlagenleistung irgendwann an eine techno-ökonomische
Grenze kommen. Im Unterschied zu diesen Entwicklungstendenzen bei der Offshore-
Windkraftnutzung hat eine Windkraftnutzung an Land diese techno-ökonomische
Grenze z. T. bereits erreicht; in den letzten Jahren hat sich das Spektrum der jeweils
installierten elektrischen Leistungen von Onshore-Windkraftanlagen kaum verändert,
da eine Installation der heute Markt-dominanten Anlagen der 3 bis 5 MW-Klasse für
eine Aufstellung an vielen Binnenlandstandorten aufgrund der Anlagendimensionen
932 M. Kaltschmitt und L. Sens

im Kontext der oft nur begrenzten logistischen Zugänglichkeit bereits heute teilweise
sehr herausfordernd ist und eine Installation noch größerer Anlagen stark limitiert.
 Im Unterschied zu Windkraftkonvertern und Wasserkraftwerken sind Anlagen zur pho-
tovoltaischen Stromerzeugung durch einen modularen Aufbau gekennzeichnet, der ei-
ne Installation von Photovoltaiksystemen zur netzgekoppelten und auch nicht netzge-
koppelten Stromerzeugung mit fast beliebigen Leistungen ermöglicht. An dieser sehr
großen Bandbreite möglicher Nennleistungen dürfte sich zukünftig nichts Grundsätz-
liches ändern; es ist lediglich davon auszugehen, dass – falls die Kosten weiter signifi-
kant reduziert und entsprechende Aufstellflächen verfügbar gemacht werden können –
die pro Kraftwerk installierte Nennleistung weiter zunehmen wird, da dann Synergie-
effekte mit den daraus resultierenden Kostenreduktionspotenzialen erschlossen werden
können; die Entwicklung der letzten Jahre bestätigt diese Tendenz in beeindruckender
Weise.
 Im Gegensatz dazu ist die Entwicklung bei den in geothermischen Kraftwerken instal-
lierten Leistungen weitgehend offen, da die Möglichkeit einer geothermischen Strom-
erzeugung noch sehr am Anfang der technischen Entwicklung steht. Aufgrund zu er-
wartender ökonomischer Grenzen in Bezug auf die erreichbare Bohrtiefe, die Anzahl
der abzuteufenden Bohrungen pro Geothermie-Kraftwerk und die begrenzten techni-
schen Möglichkeiten zur Speicherstimulation ist aber aus gegenwärtiger Sicht nicht
davon auszugehen, dass solche Anlagen in Mitteleuropa kurz- bis mittelfristig flächen-
deckend elektrische Blockleistungen im zweistelligen MW-Bereich erreichen dürften.

Wirkungs- und Systemnutzungsgrade Anlagen zur Stromerzeugung aus Windkraft,


Solarstrahlung, Wasserkraft und Geothermie sind aufgrund der unterschiedlichen physika-
lischen Eigenschaften des Energieangebots und der physikalisch-technischen Grundlagen
der Energiewandlung durch unterschiedliche Wirkungs- und Systemnutzungsgrade ge-
kennzeichnet (Tabelle 10.1).
Die elektrischen Wirkungs- und Systemnutzungsgrade liegen – jeweils bezogen auf
das vorhandene erneuerbare Energieangebot – derzeit im Durchschnitt unter den gegebe-
nen Randbedingungen bei der photovoltaischen Stromerzeugung zwischen 17 und 20 %,
bei der Windstromerzeugung zwischen 32 und maximal knapp über 40 %, bei der Be-
reitstellung elektrischer Energie aus Wasserkraft zwischen rund 70 und 90 % und bei
der geothermischen Stromerzeugung – je nach geologischen Bedingungen in der un-
ter den jeweils gegebenen techno-ökonomischen Bedingungen erreichbaren Bohrtiefe –
bei maximal 10 bis 15 %. Diese erheblichen Unterschiede resultieren aus den vonein-
ander abweichenden theoretisch maximalen Wirkungs- und Systemnutzungsgraden der
verschiedenen Technologien und damit aus den z. T. unterschiedlichen physikalischen
Beschränkungen der Energiewandlung; auch hat der z. T. verschiedenartige technische
Entwicklungsstand einen entsprechenden Einfluss.

 Werden physikalisch maximale Wirkungs- bzw. Nutzungsgrade der heute vorhande-


nen Photovoltaikzellen unterstellt und wird davon ausgegangen, dass eine Wandlung
10 Zusammenfassender Vergleich 933

des solaren Gleichstroms in Wechselstrom theoretisch weitgehend verlustfrei realisier-


bar wäre, ergeben sich maximale theoretische Systemnutzungsgrade einer photovolta-
ischen Energiewandlung von rund 30 % für nicht-konzentrierende, einseitig bestrahlte
Photovoltaiksysteme. Aufgrund physikalisch unvermeidbarer Verluste in der Solar-
zelle liegt beispielsweise der maximale Wirkungsgrad bei einfachen Siliziumzellen
mit den heute darstellbaren Materialeigenschaften bei rund 28 %; bei anderen Zel-
lenmaterialien kann er ggf. noch einige Prozentpunkte höher liegen, dürfte aber die
30 %-Marke bei Monozellen ohne Strahlungskonzentration nicht signifikant überstei-
gen. Aufgrund der tatsächlich im realen Betrieb aber zwingend gegebenen Verluste
in den Zellen, dem Wechselrichter und den sonstigen Systemkomponenten liegen die
Gesamtsystemnutzungsgrade von derzeit marktgängigen und in der Praxis installierten
Photovoltaiksystemen im Durchschnitt in der Größenordnung von rund 18 %. Kommt
eine weniger gute Technologie zum Einsatz und / oder sind die Gegebenheiten am
Anlagenstandort weniger vielversprechend (z. B. Abschattung, mangelnde Südausrich-
tung, zu hohe Modulneigung), sind die Systemnutzungsgrade entsprechend geringer.
 Theoretisch liegt der physikalisch maximale Wirkungsgrad eines nach dem Auftriebs-
prinzip arbeitenden Windrotors bei knapp 60 % (Betz’scher Leistungsbeiwert). Auf-
grund physikalisch unvermeidbarer Verluste im Rotor, im Getriebe und im Generator
sowie aufgrund des Eigenenergieverbrauchs zur Anlagenregelung bewegen sich die
derzeit tatsächlich in der Praxis erreichbaren Nutzungsgrade zwischen etwa 32 und
knapp über 40 %. Insgesamt wurde in den letzten Jahren eine Tendenz leicht steigen-
der Wirkungsgrade bei den am Markt angebotenen Anlagen deutlich.
 Im Unterschied zu den bereits genannten Stromerzeugungstechniken ist eine Umwand-
lung der im Wasser enthaltenen potenziellen und kinetischen Energie in elektrische
Energie theoretisch nahezu vollständig möglich; Verluste treten u. a. nur durch prak-
tisch unvermeidbare Verwirbelungen im Wasser und durch mechanische Reibung in
den benötigten Anlagenteilen (z. B. Turbine, Generator) auf. Wird deshalb ein theore-
tisch maximaler Systemnutzungsgrad von 100 % unterstellt, werden davon durch die
derzeit verfügbaren Anlagen rund 70 bis 90 % – bei jedoch erheblichen standortabhän-
gigen Unterschieden und sehr stark beeinflusst durch die Anlagenauslegung an einem
bestimmten Standort – erschlossen; konkret kann die Bandbreite insbesondere zu klei-
neren Systemnutzungsgraden speziell bei älteren Anlagen auch noch deutlich größer
sein.
 Der Wirkungs- bzw. Nutzungsgrad der geothermischen Stromerzeugung – als eine
Option, bei der die elektrische Energie über einen „klassischen“ Kreisprozess be-
reitgestellt wird – ist, wie alle anderen Carnot-Kreisprozesse, aus physikalischen /
thermodynamischen Gründen durch die nutzbare Temperaturdifferenz begrenzt. Bei
derzeit potenziell aus technisch-ökonomischer Sicht erreichbaren Temperaturen des
aus dem mitteleuropäischen Untergrund entziehbaren Wärmeträgermediums von ma-
ximal 150 bis 180 ı C ergeben sich – unter Berücksichtigung der weiteren Verluste und
des Energieaufwandes für das Hochpumpen des Geofluids – theoretisch erreichbare
Wirkungsgrade von maximal 10 bis 15 % unter sehr guten geologischen Bedingungen
934 M. Kaltschmitt und L. Sens

und technisch realisierbare Nutzungsgrade von unter 8 bis rund 12 %. Ist die anfal-
lende Wärme zusätzlich z. B. in einem angeschlossenen Nah- oder Fernwärmenetz
oder durch industrielle Niedertemperaturwärmeverbraucher nutzbar, sind auch erheb-
lich höhere energetische Wirkungs- bzw. Nutzungsgrade (d. h. Strom und Wärme)
möglich.

Im Vergleich dazu liegen die Wirkungs- und Systemnutzungsgrade von Anlagen zur
Wandlung der in fossil biogenen Energieträgern enthaltenen Energie in elektrische Energie
zwischen etwa 43 bis 46 % bei modernen mit Braun- oder Steinkohle gefeuerten Anlagen
und etwa 55 bis etwas mehr als 60 % bei mit Erdgas betriebenen GuD-Kraftwerken.
Damit liegen die Wirkungs- und Systemnutzungsgrade von Anlagen zur Nutzung der
Wasserkraft über und bei der Photovoltaik und der Geothermie unter denen von Anla-
gen zur Konversion fossiler Energieträger in elektrische Energie. Die Werte einer Strom-
erzeugung aus Windenergie liegen ebenfalls unterhalb derjenigen der konventionellen
Kraftwerke; allerdings ist die Differenz geringer als bei Anlagen zur photovoltaischen
Stromerzeugung. Aber ein derartiger Vergleich ist nur sehr bedingt sinnvoll, da dabei Kon-
versionsanlagen mit völlig unterschiedlichen Umwandlungskonzepten – und damit auch
vollkommen anderen physikalischen Begrenzungen – einander gegenüber gestellt werden.
Hinzu kommt, dass die genannten Stromerzeugungsoptionen auf sehr unterschiedli-
chen Stufen der natürlichen Umwandlungskette der Sonnenenergie ansetzen, die ja letzt-
lich – mit Ausnahme der Geothermie – die energetische Basis für alle diese Anlagen
darstellt.

 Die Photovoltaik nutzt die von der Sonne auf die Erde eingestrahlte Energie unmittel-
bar; d. h. das eingestrahlte Sonnenlicht kann mit einem Wirkungsgrad von 17 bis 20 %
in elektrische Energie – und damit in nahezu universell nutzbare Exergie – umgewan-
delt werden.
 Die Windenergie nutzt die Strömungsgeschwindigkeiten der bewegten Luftmassen –
und das näherungsweise mit einem Wirkungs- bzw. Nutzungsgrad, der grob doppelt
so hoch ist im Vergleich zu dem der Photovoltaik. Da jedoch die Atmosphärenbewe-
gungen – d. h. die Luftströmungen – letztlich durch die eingestrahlte Sonnenenergie
verursacht werden (es werden rund 23 % der eingestrahlten Solarenergie innerhalb der
Atmosphäre absorbiert und ein Teil dieser Energie verursacht, vom Menschen nicht
bzw. nur sehr eingeschränkt beeinflussbar, u. a. die globalen und lokalen Luftströ-
mungen), ist der auf die Sonnenenergie als die letztlich ursächliche „Primärenergie“
bezogene Wirkungs- bzw. Nutzungsgrad deutlich geringer im Vergleich zur Photovol-
taik.
 Ähnlich wie bei der Stromerzeugung aus Windenergie ist auch die Situation auch bei
der Wasserkraft. Anlagen zur Nutzung der in den Fließgewässern enthaltenen Energie
machen sich den oberirdischen Wasserabfluss – mit einem sehr hohen Wirkungs- bzw.
Nutzungsgrad von 70 bis 90 % – zunutze. Dieser Abfluss resultiert dabei primär aus
dem globalen / regionalen Wasserkreislauf, durch den – ebenfalls nahezu ausschließ-
10 Zusammenfassender Vergleich 935

lich mithilfe der von der Sonne kommenden Strahlungsenergie – Wasser über eine
Verdunstung und einen atmosphärischen Transport (mithilfe der Windkraft) auf ein
höheres geodätisches Niveau gehoben wird. Infolge des nur sehr kleinen Anteils des
Wassers, das durch den globalen Wasserkreislauf bewegt wird und potenziell durch
Wasserkraftanlagen theoretisch nutzbar wäre, ist damit hier der Wirkungs- bzw. Nut-
zungsgrad bezogen auf die eingestrahlte Sonnenenergie nochmals deutlich geringer im
Vergleich zur Windenergie.

Im Vergleich dazu sind die Wirkungsgrade der Strombereitstellungsoptionen auf der


Basis von Festbrennstoffen – wieder bezogen auf die eingestrahlte Sonnenenergie, die
ja letztlich die ursprüngliche (Primär-)Energiequelle darstellt – nochmals um mindes-
tens eine Größenordnung geringer. Beispielsweise liegt der photosynthetische Nettowir-
kungsgrad eines Waldbestandes bei unter 1 %; d. h. weniger als 1 % der eingestrahlten
Sonnenenergie kann in Form von Holz technisch genutzt werden. Zusammen mit den
Bereitstellungsverlusten und den Konversionswirkungsgrad einer Verstromung von – je
nach Anlagengröße und eingesetzter Anlagentechnik – 25 bis maximal 35 % resultiert
daraus ein Gesamtwirkungsgrad – wieder bezogen auf die eingestrahlte Sonnenenergie
– im Promillebereich. Da letztlich auch Braun- bzw. Steinkohle sowie Erdgas und Erd-
öl aus Biomasse durch in der Natur ablaufende und vom Menschen nicht beeinflussbare
Prozesse in erdgeschichtlich relevanten Zeiträumen gebildet und in einem im Verlauf von
Jahrmillionen natürlicherweise ablaufenden Inkohlungs- und Transformationsprozess er-
zeugt wurden, sind hier die Wirkungs- bzw. Nutzungsgrade – auch wieder bezogen auf die
ursächlich eingestrahlte Sonnenenergie – nochmals um mehrere Größenordnungen klei-
ner.
Die Wirkungs- und Systemnutzungsgrade von Anlagen zur Stromerzeugung aus re-
generativen Energien haben sich in der Vergangenheit deutlich zu höheren Werten hin
entwickelt. Auch zukünftig ist davon auszugehen, dass die Wirkungs- und Nutzungsgrade
– in einem unterschiedlichen Ausmaß – weiter ansteigen werden.

 Aufgrund der zunehmenden Erfahrung mit dem Bau und Betrieb von Photovoltaikan-
lagen – insbesondere als Folge des in den letzten Jahren global stark expandierenden
Marktes – sowie wegen der bereits realisierten und zukünftig zu erwartenden For-
schungserfolge ist in den kommenden Jahren mit einer sukzessiven weiteren Zunahme
der Wirkungs- und Systemnutzungsgrade derartiger Strombereitstellungssysteme zu
rechnen. Werden die derzeit absehbaren Entwicklungen umgesetzt, dürfte in absehbarer
Zukunft ein Systemnutzungsgrad zwischen 17 und 23 % bei marktgängigen Anlagen –
mit nach wie vor weiter steigender Tendenz – mit hoher Wahrscheinlichkeit erreichbar
sein.
 Infolge der laufenden technischen Weiterentwicklungen – insbesondere für einen Ein-
satz im Offshore-Bereich, der mit sehr großen Herausforderungen für einen sicheren
und wartungsarmen Anlagenbetrieb verbunden ist – ist auch bei der Windkraftnutzung
zu erwarten, dass zukünftig die Konvertertechnik weiter verbessert werden wird. Dies
936 M. Kaltschmitt und L. Sens

gilt u. a. hinsichtlich der Effizienz der Windkraftnutzung und im Hinblick auf einen
zuverlässigen Betrieb auch unter ungünstigen Umwelt- bzw. Umgebungsbedingungen
(z. B. Offshore-Einsatz in der Nordsee). Damit wird es auch zu einem leichten Anstieg
der Systemnutzungsgrade kommen. Hier könnten – lassen sich die derzeit erkennbaren
innovativen Ansätze auch erfolgreich technisch umsetzen – in übersehbarer Zukunft
Nutzungsgrade zwischen etwa 35 und knapp über 40 % erreicht werden.
 Aufgrund der im Verlauf der letzten 100 Jahre schon sehr weit fortgeschrittenen An-
lagenoptimierung von Wasserkraftanlagen ist zukünftig nicht davon auszugehen, dass
sich die Wirkungs- und Nutzungsgrade einer Stromerzeugung aus Wasserkraft erheb-
lich verbessern lassen. Trotzdem wird es bei neu zu bauenden oder grundlegend zu re-
novierenden Wasserkraftwerken zu einer Verbesserung der Wirkungs- und Systemnut-
zungsgrade kommen; dies liegt u. a. in der zunehmend strömungsgünstigeren Gestal-
tung der wasserseitigen Anlagenteile, einer verbesserten Regeltechnik und den langsa-
men Übergang auf verlustärmere Turbinentypen begründet.
 Auch bei der geothermischen Stromerzeugung dürften sich – wenn derartige Anlagen
zukünftig in einem größeren Maßstab in Deutschland kommerziell installiert werden
sollten – die Wirkungs- und Nutzungsgrade potenziell verbessern lassen. Zwar sind
die maximalen Wirkungsgrade aufgrund der vergleichsweise geringen nutzbaren Tem-
peraturdifferenzen aus physikalischen / thermodynamischen Gründen stark begrenzt.
Jedoch wurde die Anlagentechnik – da es in den vergangenen Jahren kaum einen signi-
fikanten Markt z. B. für ORC-Anlagen für derartige Anwendungsfälle in Mitteleuropa
gab – noch nicht sehr weitgehend optimiert; dies gilt u. a. bezüglich neuer Kreislaufme-
dien und Verbesserungen bei der Kreisprozessgestaltung (z. B. Zwischenüberhitzung).
Deshalb ist zukünftig, wenn es zu einem forcierten Durchlaufen der Lernkurve infol-
ge von deutlich zunehmenden Anlagenneuinstallationen kommen sollte, zu erwarten,
dass solche Anlagen aus technischer Sicht effizienter arbeiten werden – und damit auch
zunehmend höhere Wirkungs- und Nutzungsgrade zeigen dürften.

Technische Verfügbarkeiten Die Verfügbarkeit ist ein Maß für die Anlagenzuverlässig-
keit und damit letztlich die Betriebssicherheit bzw. die Störungsanfälligkeit von Konver-
sionsanlagen.
Die Verfügbarkeit ist bei der Photovoltaik sowie bei der Windenergie- und Wasserkraft-
nutzung – im Unterschied zu Anlagen zur Nutzung der Erdwärme – gegenwärtig bereits
sehr hoch.

 Die Wasserkraft ist aufgrund der langen Entwicklungsgeschichte und dem daraus re-
sultierenden hohen Erfahrungspotenzial durch Verfügbarkeiten von über 99 % gekenn-
zeichnet; ein störungsbedingter Anlagenstillstand kommt bei den heute betriebenen
Anlagen damit kaum vor. Dies gilt jedoch nur für den Normalbetrieb; werden nicht
geplante Betriebsstillstände (z. B. bei Hochwasser) berücksichtigt, die aber aus nicht-
technischen Gründen verursacht werden und vom Menschen praktisch nicht unmittel-
bar beeinflussbar sind, können diese Werte deutlich niedriger liegen.
10 Zusammenfassender Vergleich 937

 Auch bei Anlagen zur Nutzung der Onshore-Windenergie ist die technische Verfügbar-
keit mit 97 bis 99 % ebenfalls bereits heute sehr hoch. Infolge der in den letzten Jahren
gewonnenen Erfahrungen konnten die Anlagen soweit technisch verbessert und syste-
misch optimiert werden, dass trotz der teilweise komplexen Anlagentechnik und der
Vielzahl der bewegten Teile im Mittel nur für wenige Stunden des Jahres mit einem
störungsbedingten Anlagenausfall gerechnet werden muss. Dieser Optimierungspro-
zess wurde bei einer Offshore-Installation auch weitgehend, teilweise aber noch nicht
vollständig durchlaufen. Deshalb können die technischen Verfügbarkeiten hier im Ver-
gleich zu Onshore-Anlagen z. T. noch geringfügig niedriger liegen, zumal auch die
Umweltbedingungen auf dem Meer anspruchsvoller und damit herausfordernder im
Vergleich zu einer Onshore-Installation sind. Aber auch für den Windkraftanlagenbe-
trieb auf dem Meer dürften die Verfügbarkeiten mit einem zunehmenden Erfahrungs-
horizont sukzessive weiter verbessert werden.
 Photovoltaische Systeme weisen eine ähnlich hohe Verfügbarkeit wie eine Onshore-
Windstromerzeugung auf. Dies liegt u. a. an den Erfahrungen, die im Rahmen der in
den beiden letzten Jahrzehnten realisierten Anlagen gewonnen werden konnten und die
insgesamt zu einer deutlichen Verbesserung der einzelnen Anlagenkomponenten und
der entsprechenden Systemtechnik geführt haben. Zusätzlich weisen Photovoltaiksys-
teme keine bewegten Teile – und damit praktisch keinen mechanischen Verschleiß –
auf. Dadurch können hier technische Zuverlässigkeiten erreicht werden, die – obwohl
diese Technik im Vergleich beispielsweise zu einer Wasserkraftnutzung noch relativ
am Anfang der großtechnischen Markteinführung steht – im Bereich einer Onshore-
Windstromerzeugung und z. T. leicht darüber liegen.
 Geothermische Kraftwerke existieren in Deutschland bisher nur in einem sehr be-
grenzten Ausmaß. Aussagen über die technische Verfügbarkeit sind deshalb nur ein-
geschränkt möglich. Jedoch haben die bisherigen Erfahrungen gezeigt, dass die Zuver-
lässigkeit der wenigen im deutschsprachigen Raum vorhandenen Anlagen – aufgrund
einer Vielzahl an „Kinderkrankheiten“ und anderer nicht-technischer bzw. geologi-
scher Gründe – eher gering war bzw. ist. Sie wird aber – und das zeigen die bisher
in anderen Ländern vorliegenden Erfahrungen sehr deutlich – mit zunehmender Markt-
durchdringung und dadurch verbesserter Technik und einem zunehmenden Erfahrungs-
stand sukzessive ansteigen.

Im Vergleich dazu liegen die technischen Verfügbarkeiten der mit fossilen Brennstoffen
gefeuerten Kraftwerke etwa bei 95 bis 98 %. Sie bewegen sich somit in einer Größenord-
nung, die mit der von Anlagen zur Nutzung der Windkraft und der solaren Strahlung sehr
gut vergleichbar ist und die etwas unterhalb der von Anlagen zur Stromerzeugung aus
Wasserkraft liegt. Damit sind bezüglich der technischen Verfügbarkeiten keine wesent-
lichen Unterschiede zwischen Anlagen zur Nutzung fossiler Energieträger und regene-
rativer Energien gegeben, wenn die geothermische Stromerzeugung außer Acht gelassen
wird; letztere Stromerzeugungsoption steht noch sehr am Anfang der technischen Ent-
938 M. Kaltschmitt und L. Sens

wicklung, sodass ein derartiger Vergleich unter Fairnessaspekten schwierig und letztlich
nicht angemessen möglich ist.
Aufgrund der bereits gegenwärtig sehr hohen technischen Verfügbarkeiten der solar-,
wind- und wassertechnischen Stromerzeugung sind zukünftig nur noch geringfügige wei-
tergehende Verbesserungen zu erwarten. Deshalb ist bei der Wasserkraftnutzung auch in
Zukunft unverändert von technischen Verfügbarkeiten von über 99 % auszugehen. Bei neu
zu installierenden Anlagen zur photovoltaischen und zur windtechnischen Stromerzeu-
gung erscheint demgegenüber zukünftig eine geringfügige Verbesserung der durchschnitt-
lichen Anlagenverfügbarkeit infolge des technischen Fortschritts und des ansteigenden
Erfahrungshorizonts möglich, so dass langfristig hier ähnliche Werte erreicht werden kön-
nen, wie sie bei Wasserkraftwerken derzeit gegeben sind.

Volllaststunden Entsprechend dem unterschiedlichen erneuerbaren Energieangebot und


den verschiedenen Systemnutzungsgraden unterscheiden sich die Volllaststunden einer
wind- und wassertechnischen sowie einer photovoltaischen und geothermischen Strom-
erzeugung erheblich (Tabelle 10.1).
Derzeit liegen die Volllaststunden einer photovoltaischen Stromerzeugung unter mit-
teleuropäischen meteorologischen Bedingungen – ohne Speicher – zwischen 900 und
rund 1 100 h/a; in südlichen Ländern mit einem deutlich höheren solaren Strahlungs-
angebot (z. B. Naher Osten, Zentralaustralien) können diese Werte aber auch mit über
2 000 h/a deutlich höher liegen. Demgegenüber bewegen sie sich bei der windtechnischen
Stromerzeugung grob zwischen 1 400 und rund 5 000 h/a (und ggf. darüber, wenn die
Windkraftanlagen z. B. Offshore an sehr guten Standorten installiert werden); diese hier
dargestellte Bandbreite wird durch eine Onshore-Installation an einem mäßig guten Bin-
nenlandstandort und eine Offshore-Aufstellung an einem sehr guten Standort auf dem
Meer aufgespannt (typischerweise sind die Volllaststunden bei einer Offshore-Aufstel-
lung deutlich höher im Vergleich zu einer Anlagenerrichtung an Land). Im Unterschied
dazu liegen die Volllaststunden bei der wassertechnischen Stromerzeugung im Mittel –
bei einer großen Abhängigkeit von der Anlagenauslegung und dem Standort – zwischen
4 500 und 7 500 h/a und bei der geothermischen Bereitstellung elektrischer Energie bei
maximal 8 760 h/a; realistischerweise ist zu erwarten, dass geothermische Kraftwerke un-
ter den heutigen Bedingungen im deutschen Energiesystem mit rund 7 000 bis 8 000 h/a
betrieben werden dürften.
Diese doch erheblichen Unterschiede resultieren im Wesentlichen aus dem verschie-
denartigen jeweils genutzten regenerativen Energieangebot.

 Die Volllaststunden einer photovoltaischen Solarstromerzeugung sind – im Vergleich


der hier betrachteten Optionen – am geringsten. Dies liegt darin begründet, dass die in-
stallierte Leistung von Photovoltaikanlagen auf eine Einstrahlung von rund 1 000 W/m2
bezogen wird. Diese „Bezugsleistung“ liegt nur knapp unterhalb der im Sommer (teil-
weise auch im Winter) zur Mittagszeit unter sehr guten meteorologischen Bedingungen
in Mitteleuropa maximal erreichbaren solaren Einstrahlung (Globalstrahlung) bezogen
10 Zusammenfassender Vergleich 939

auf die horizontale Empfangsfläche. Da im verbleibenden Rest des Jahres die solare
Einstrahlung entsprechend (deutlich) geringer ist, resultieren daraus die in Tabelle 10.1
dargestellten – im Vergleich zu den anderen gezeigten Stromerzeugungsoptionen – re-
lativ geringen Volllaststunden.
 Demgegenüber kann die installierte elektrische Leistung von Windkraftanlagen bei ei-
ner Nennwindgeschwindigkeit erreicht werden, die erheblich unter der meteorologisch
maximal möglichen Windgeschwindigkeit liegt. Außerdem ist – da im Unterschied zur
Solarenergie Windkraft auch in der Nacht verfügbar sein kann – eine Windstromerzeu-
gung zu jeder Stunde des Jahres grundsätzlich möglich. Aufgrund derartiger grundsätz-
licher Unterschiede liegen die Volllaststundenzahlen von Windkraftanlagen deutlich
über denen photovoltaischer Stromerzeugungsanlagen. Aufgrund der stark schwanken-
den Windgeschwindigkeiten, einer selbst an guten Standorten gewissen Flautenwahr-
scheinlichkeit und der Tatsache, dass Windkraftkonverter aufgrund technisch unüber-
windbarer Verluste erst ab einer bestimmten Mindestwindgeschwindigkeit anlaufen,
existieren hier aber ebenfalls physikalisch / technisch bedingte maximale Obergrenzen.
Diese werden jedoch in einem erheblichen Ausmaß vom jeweiligen lokalen Windener-
gieangebot determiniert und sind damit u. a. abhängig vom Standort, der eingesetzten
Anlagentechnik (z. B. Turmhöhe) und von der Jahreszeit.
 Die Wasserkraftnutzung weist aufgrund des deutlich gleichmäßigeren Wasserangebots
und dem Bezug der Anlagenleistung auf einen Nenndurchfluss, welcher unter dem ma-
ximalen Abfluss des jeweiligen Fließgewässers liegt, im Durchschnitt erheblich höhere
Volllaststunden auf; vorhandene Anlagen erreichen – je nach Anlagenauslegung und
den standortbedingten Gegebenheiten – Volllaststunden von rund 4 500 h/a und z. T.
deutlich mehr. Aber es können auch – jedoch weniger unter den in Deutschland i. Allg.
gegebenen Bedingungen – deutlich geringere Volllaststunden vorkommen (z. B. bei ei-
nem saisonalen Austrocknen des Wasserlaufs).
 Im Vergleich dazu sind Anlagen zur geothermischen Stromerzeugung aufgrund des
Energieangebots ohne tages- oder jahreszeitliche Angebotsvariationen bezüglich der
im Jahresverlauf erreichbaren Volllaststunden keinen grundsätzlichen Beschränkungen
infolge des regenerativen Energieangebots unterworfen. Derartige Kraftwerke können
damit theoretisch im gesamten Jahresverlauf mit der installierten elektrischen Leistung
betrieben werden (maximal 8 760 h/a). Realistischerweise dürften – unter den derzei-
tigen Bedingungen im Energiesystem – die Anlagen mit rund 7 000 bis 8 000 h/a, ggf.
auch 8 200 h/a, betrieben werden (d. h. Fahrweise zu Maximierung der Standort-spe-
zifischen Stromerzeugung zur Maximierung der Erlöse infolge einer Einspeisung der
elektrischen Energie ins Netz der öffentlichen Erzeugung (EEG-Vergütung)).

Die Volllaststunden von Stromerzeugungsanlagen auf der Basis fossiler Brennstoffe


werden – im Unterschied zu denen von Anlagen zur Nutzung der Solarstrahlung, der
Windenergie und der Wasserkraft – nicht von einer fluktuierenden Primärenergieverfüg-
barkeit determiniert. Bei solchen konventionellen Kraftwerken wird i. Allg. unterstellt,
dass der fossile Brennstoff infolge der relativ einfachen Transport- und Lagermöglich-
940 M. Kaltschmitt und L. Sens

keiten jederzeit verfügbar ist (d. h. Lieferengpässe werden ausgeschlossen) und dass die
Anlage vom Grundsatz her im gesamten Jahresverlauf betrieben werden kann (z. B. eine
Kühlwassernichtverfügbarkeit, wie sie im Hochsommer infolge der gesetzlich vorgege-
benen maximalen Fließgewässertemperatur vorkommen kann, wird ebenfalls nicht unter-
stellt); damit besteht diesbezüglich kein Unterschied zu Anlagen zur Nutzung der tiefen
geothermischen Energie. Folglich können derartige Anlagen (d. h. Anlagen zur Nutzung
fossiler Energieträger, zur Nutzung der Erdwärme und auch zur Nutzung biogener Fest-
brennstoffe) abhängig von der jeweiligen Nachfrage elektrische Energie sicher – unter
Beachtung der diskutierten Einschränkungen – bereitstellen. Damit sind bei solchen An-
lagen fast beliebige Volllaststunden möglich (maximal 8 760 h/a); üblicherweise werden
derartige Anlagen aber mit maximal 7 000 bis 8 000 h/a, ggf. auch etwas mehr, betrieben.
Zukünftig können die Volllaststunden einer Stromerzeugung Veränderungen unterwor-
fen sein. Jedoch sind die Volllaststunden einer Wasserkraftstromerzeugung derzeit bereits
hoch; hier ist deshalb auch langfristig von keiner wesentlichen Steigerung auszugehen.
Infolge der zunehmend gesetzlich geforderten größeren Restwassermengen muss an eini-
gen Standorten vielmehr von einem Rückgang der Volllaststunden ausgegangen werden;
dies gilt auch aufgrund der Tatsache, dass Anfang des 20. Jahrhunderts Wasserkraftan-
lagen im Hinblick auf hohe Volllaststunden und heute mit dem Ziel einer maximalen
Energiebereitstellung bzw. einer maximalen Ausnutzung der an einem gegebenen Stand-
ort verfügbaren Wasserenergie ausgelegt werden. Daher weisen die in den letzten Jahren
in Deutschland sanierten Wasserkraftanlagen meist eine höhere installierte Leistung und
damit einen potenziell höheren Energieertrag, aber deutlich geringere Volllaststunden auf.
Demgegenüber ist bei der Windkraftnutzung infolge besserer Technik und größerer Hö-
he des Rotors über Grund sowie einer immer größeren Rotorfläche tendenziell von einer
weiteren leichten Zunahme der Volllaststunden auszugehen.
Die Bandbreite, innerhalb der die Volllaststundenanzahl aufgrund des regenerativen
Energieangebots variiert, ist bei der Solarstromerzeugung derzeit und zukünftig im Un-
terschied zu der der wind- und wassertechnischen Erzeugung vergleichsweise klein. Das
Wind- und Wasserangebot – und damit auch die Volllaststundenzahl der entsprechenden
Anlagen zur Bereitstellung elektrischer Energie – kann im Gegensatz zu dem solaren
Strahlungsangebot zwischen verschiedenen Standorten erheblich größeren Unterschieden
unterworfen sein.

Stromerzeugungscharakteristiken Aufgrund der bei der Energie der solaren Strahlung,


der bewegten Luftmassen, der Wasserkraft und der Erdwärme sehr verschiedenartigen An-
gebotscharakteristik im Jahresverlauf (Abb. 10.1) unterscheidet sich auch der korrespon-
dierende Verlauf der Stromerzeugung erheblich. Abb. 10.2 zeigt deshalb beispielhaft die
zeitliche Charakteristik der tages- und monatsmittleren Stromerzeugung aus Windenergie,
Wasserkraft, Solarstrahlung (Photovoltaik) und Erdwärme an exemplarisch ausgewählten
Einzelstandorten. Zusätzlich dazu ist der stunden- und tagesmittlere Verlauf am Beispiel
einer Maiwoche dargestellt.
10 Zusammenfassender Vergleich 941

no r m . E rz eu g un g
Windtechnische Stromerzeugung

Photovoltaische Stromerzeugung
norm . Erzeug ung

Stromerzeugung aus Wasserkraft


n or m . E r z . n or m . E r z eu g un g

Geothermische Stromerzeugung

Zeit in Tagen im Jahresverlauf Zeit in Stunden im Wochenverlauf

Abb. 10.2 Beispielhafte Jahres- (links) und Wochengänge (rechts) einer wind- (oben) und was-
sertechnischen (Mitte, oben) sowie einer photovoltaischen (Mitte, unten) und geothermischen
Stromerzeugung (unten) (norm. normierte; Erz. Erzeugung)

Die deutlich werdenden Unterschiede in den einzelnen Zeitbereichen können wie folgt
zusammengefasst werden.

 Variationen im Jahresverlauf. Bei der dem regenerativen Energieangebot (Abb. 10.1)


entsprechenden Stromerzeugung bleibt der typische Jahresgang im Wesentlichen er-
halten (Abb. 10.2, links). Damit ist eine Stromerzeugung in Photovoltaikanlagen durch
einen sehr ausgeprägten Jahresgang gekennzeichnet. Demgegenüber ist der Jahresver-
lauf bei der windtechnischen Stromerzeugung weniger signifikant ausgeprägt, jedoch
an vielen Standorten in Mitteleuropa im Regelfall doch noch deutlich erkennbar. Dies
gilt auch für eine Elektrizitätsgewinnung aus Wasserkraft; in Abhängigkeit des Stand-
orts und der typischen Abflusscharakteristik des entsprechenden Flusses – sowie der
Anlagenkonzeption und insbesondere der Auslegung des entsprechenden Wasserkraft-
werks – können z. T. sehr ausgeprägte Jahresgänge vorkommen (Tabelle 10.2). Im
Unterschied dazu ist ein Jahresgang bei der geothermischen Stromerzeugung nicht
vorhanden; je nach der angestrebten Betriebsweise ist eine konstante bzw. eine nach-
frageorientierte Erzeugung (oder eine Kombination) möglich.
 Variationen im Monatsverlauf. Entsprechend dem regenerativen Energieangebot vari-
iert die windtechnische und photovoltaische Stromerzeugung auch zwischen verschie-
942 M. Kaltschmitt und L. Sens

Tabelle 10.2 Vergleich der zeitlichen Charakteristik einer photovoltaischen, wind- und wassertech-
nischen sowie geothermischen Stromerzeugung unter mitteleuropäischen Gegebenheiten
Photovoltaik Windenergie Wasserkraft Geothermie
a
Fluktuationen
Kurzfristigb sehr hoch extrem hoch kaum keine
Mittelfristigc sehr hoch extrem hoch gering keine
Langfristigd hoch sehr hoch meist gering keine
Jahresverlaufe gering hoch hoch keine
Variationenf
Tagesgang sehr ausgeprägt wenig ausgeprägt kaum vorhanden keine
Jahresgang sehr ausgeprägt kaum ausgeprägt teilweise ausgeprägt keine
a
Fluktuationen der Stromerzeugung in Mitteleuropa; b im Minutenbereich innerhalb einer Stunde;
c
im Stundenbereich innerhalb eines Tages; d im Tagesbereich innerhalb eines Jahres; e im Jahres-
verlauf zwischen verschiedenen Jahren; f Variationen der Erzeugungscharakteristik.

denen Tagen und damit beispielsweise im Verlauf eines Monats erheblich; hier sind
i. Allg. bei der Nutzung der Windenergie größere Variationen als bei der Elektrizi-
tätserzeugung aus Solarstrahlung möglich. Verglichen damit ist die wassertechnische
Stromerzeugung durch eine vergleichsweise gleichmäßige und nur in Grenzen schwan-
kende Stromerzeugung und die geothermische Erzeugung durch keine Variationen an
unterschiedlichen Tagen gekennzeichnet (Tabelle 10.2).
 Variationen im Tagesverlauf. In Abb. 10.2, rechts, wird deutlich, dass die stunden-
mittlere Stromerzeugung aus Wasserkraft im Verlauf der dargestellten Maiwoche nur
sehr geringe Unterschiede und die geothermische Stromerzeugung keine Variationen
zeigt. Demgegenüber schwankt die Photovoltaikstromerzeugung zwischen verschie-
denen Stunden im Tagesverlauf erheblich; diese deutlichen Unterschiede korrelieren
dabei direkt mit dem Strahlungsangebot am jeweiligen Anlagenstandort. Im Vergleich
dazu ist die Stromerzeugung aus Windkraft noch größeren Unterschieden unterworfen
(Tabelle 10.2). Infolge der notwendigen Anlaufwindgeschwindigkeit von Windkraft-
konvertern und der Abhängigkeit der Windleistung von der dritten Potenz der Windge-
schwindigkeit ist der zeitliche Verlauf der Windstromerzeugung bei entsprechenden
Windgeschwindigkeiten tendenziell noch größeren Variationen als die entsprechen-
de Windgeschwindigkeit unterworfen. Nur bei relativ höheren durchschnittlichen Ge-
schwindigkeiten kann die windtechnische Stromerzeugung – im Vergleich zur Windge-
schwindigkeit – auch deutlich geringer bzw. kaum schwanken; variiert beispielsweise
die Windgeschwindigkeit zwischen der Nennwindgeschwindigkeit und der Abschalt-
windgeschwindigkeit (Kapitel 6.2), bleibt die Generatorleistung – und damit die elek-
trische Erzeugungsleistung – trotz Windgeschwindigkeitsvariationen näherungsweise
konstant, da der Generator nur mit der installierten Nennleistung betrieben werden
kann und damit nur diese ins Netz einspeisen kann.
10 Zusammenfassender Vergleich 943

 Variationen im Stundenverlauf. Ähnliche Zusammenhänge liegen auch vor, wenn noch


kürzere Zeitintervalle (d. h. der Stunden- und Substundenbereich) betrachtet werden.
Beispielsweise können bei der Windkraftnutzung insbesondere bei stark böigem Wind
und bei der photovoltaischen Stromerzeugung z. B. bei durchziehenden Wolkenfel-
dern zur Mittagszeit (d. h. Schlagschatten) erhebliche Variationen der minutenmittleren
Stromerzeugung auftreten. Jedoch kommt es selbst unter diesen extremen Witterungs-
bedingungen innerhalb eines Photovoltaikkraftwerks bereits zu einem Ausgleich dieser
Fluktuationen, der mit einer zunehmend größeren betrachteten Gebietsfläche entspre-
chend zunimmt; sinngemäß gilt dies auch für die Windkraft (d. h. bereits innerhalb
eines Windparks kommt es zu merklichen Vergleichmäßigungseffekten zwischen den
Erzeugungsvariationen der jeweiligen Einzelanlagen). Demgegenüber schwankt die
Stromerzeugung aus Wasserkraft in diesem Zeitbereich praktisch kaum und die geo-
thermische Stromerzeugung überhaupt nicht.

Im Unterschied dazu sind bei Anlagen zur Stromerzeugung aus fossilen Energieträ-
gern derartige Variationen nicht gegeben. Konventionelle Kraftwerke können – infolge
der unterstellten jederzeit gegebenen Primärenergieverfügbarkeit aufgrund der einfachen
Transportier- und Speichermöglichkeit fossiler (und biogener) Brennstoffe und damit ver-
gleichbar zu Geothermie-Kraftwerken – angepasst an die jeweils gegebene Nachfrage
gefahren werden. Damit ergibt sich ein Jahres-, Monats- bzw. Tagesgang, der nicht durch
das Kraftwerk und damit die Primärenergieverfügbarkeit, sondern durch die Nachfrage
nach elektrischer Energie vorgegeben wird.
Zukünftig dürfte sich an diesen Zusammenhängen nichts ändern, da die physikalischen
Grundlagen und Zusammenhänge sich selbst bei einem merklichen technischen Fortschritt
nicht verändern. Auch ist aus gegenwärtiger Sicht nicht davon auszugehen, dass sich das
Energieangebot von Sonne, Wind, Wasser und Erdwärme, das letztlich für die Stromerzeu-
gungscharakteristik primär verantwortlich ist, mittelfristig signifikant verändern wird;
langfristig kann dies bei einem akzelerierenden Klimawandel auch anders sein.

10.1.3 Ökonomische und ökologische Analyse

Ausgehend von den in den einzelnen Kapiteln diskutierten ökonomischen und ökologi-
schen Analysen ist es das Ziel der nachfolgenden Ausführungen, die bei den einzelnen
Optionen zur Nutzung regenerativer Energien diskutierten Ergebnisse zusammenzufas-
sen.

Referenzanlagen Im Folgenden werden kurz die Referenzanlagen dargestellt, die den


jeweiligen Analysen zugrunde liegen.

 Photovoltaik. Bei der photovoltaischen Stromerzeugung werden zwei Systeme mit 5


bzw. 5 000 kW Anlagennennleistung – jeweils mit mono- und multikristallinen Sili-
944 M. Kaltschmitt und L. Sens

ziumsolarzellen – betrachtet. Die Volllaststunden liegen bei 900 bzw. 950 h/a (Kapi-
tel 5.3).
 Windkraft. Bei der windtechnischen Bereitstellung elektrischer Energie werden drei
Anlagen mit 3,5, 4,5 und 5,5 MW elektrischer Nennleistung für die Onshore-Aufstel-
lung und drei Konvertergrößen mit 6, 8, und 10 MW Nennleistung für eine Offshore-
Aufstellung betrachtet. Als Volllaststunden werden – je nach unterstellter mittlerer
Windgeschwindigkeit – zwischen 2 900 h/a für die 3,5 MW-Onshore-Anlage (mittlere
Windgeschwindigkeit von 6,5 m/s bezogen auf 100 m Höhe über Grund) und 4 900 h/a
für die 10 MW-Offshore-Anlage (mittlere Windgeschwindigkeit von 11,5 m/s bezogen
auf 100 m Höhe über dem Meeresspiegel) unterstellt (Kapitel 6.3).
 Wasserkraft. Bei der Stromerzeugung aus Wasserkraft werden vier Wasserkraftwerke
in Niederdruckbauweise (110, 260, 10 000 und 100 000 kW Nennleistung) untersucht.
Die Volllaststunden schwanken zwischen 2 885 h/a (260 kW-Anlage) und 6 000 h/a
(100 MW-Anlage) (Kapitel 7.3).
 Geothermie. Hier werden drei Anlagen, die an unterschiedlichen Standorten in
Deutschland errichtet werden, mit einer installierten Leistung von 3,4, 3,6 und 4,1 MW
betrachtet. In allen Fällen wird eine Volllaststundenanzahl von 7 500 h/a angenom-
men und eine Wärmeauskopplung (d. h. Kraft-Wärme-Kopplung (KWK)) realisiert
(Kapitel 9.3).

Zusätzlich werden ein Steinkohle- und ein Erdgas-GuD-Kraftwerk (Gas- und Dampf-
turbinen-Kraftwerk) mit 800 bzw. 400 MW elektrischer Nennleistung, mit Volllaststunden
von 2 500 und 7 000 h/a bzw. 1 500 und 6 000 h/a sowie mit Systemnutzungsgraden von
45 % (Steinkohle) bzw. 60 % (Erdgas-GuD) untersucht (Kapitel 1.4).

Ökonomische Analyse Die Kosten stellen ein wesentliches Kriterium für jede energie-
wirtschaftliche Bewertung einer Strombereitstellungsoption aus regenerativen Energien
und / oder fossilen bzw. biogenen Energieträgern dar. Werden die Stromgestehungskosten
für eine photovoltaische, eine wind- und eine wassertechnische sowie eine geothermi-
sche Stromerzeugung vergleichbar auf der Basis einer volkswirtschaftlichen Kostenrech-
nung (realer Zinssatz 2 % (Ausnahme: geothermische Stromerzeugung 4 % aufgrund des
deutlich größeren technischen Risikos), Abschreibungsdauer entspricht der technischen
Anlagenlebensdauer) und den derzeitigen Gegebenheiten bestimmt, ergeben sich die in
Abb. 10.3 dargestellten durchschnittlichen Stromgestehungskosten. Sie werden nachfol-
gend diskutiert.

 Die spezifischen Stromgestehungskosten bei Photovoltaikanlagen belaufen sich bei


auf Dächern montierten Kleinanlagen im Leistungsbereich von rund 5 kW – je nach
eingesetzten Zellenmaterialien – auf knapp 0,11 C/kWh. Bei größeren Anlagen mit
elektrischen Leistungen von einigen MW gehen die Kosten für die bereitgestellte Ki-
lowattstunde elektrischer Energie infolge der gegebenen Kostendegressionen stark zu-
rück; sie können für solche Anlagengrößen unter günstigen Bedingungen – je nach
10 Zusammenfassender Vergleich 945

0,25

Stromgestehungskosten in €/kWh
0,20

0,15

0,10

0,05

0,00

Abb. 10.3 Stromgestehungskosten von Anlagen zur Nutzung regenerativer Energien und fossiler
Energieträger (schwarze Linien geben die Bandbreite von minimalem zu maximalem Wert an);
PV photovoltaische Stromerzeugung (Kapitel 5.3); Wind windtechnische Stromerzeugung (Kapi-
tel 6.3); Wasser Stromerzeugung aus Wasserkraft (Kapitel 7.3); EW Stromerzeugung aus Erdwärme
(Kapitel 9.3); Steinkohle Stromerzeugung aus Steinkohle (Kapitel 1.4); Erdgas Stromerzeugung aus
Erdgas (Kapitel 1.4)

Systemkonfiguration und Standortbedingungen – bei rund 0,04 C/kWh (Anlagengrö-


ße rund 5 MW und darüber) liegen (Abb. 10.3). Bei typischerweise sehr geringen
Aufwendungen für den Anlagenbetrieb resultieren diese Stromgestehungskosten im
Wesentlichen aus den Anlageninvestitionen. Sie liegen derzeit bei Kleinanlagen im
Mittel bei knapp 900 C/kW (Leistungsbereich rund 5 kW) und bei Großanlagen bei
rund 600 C/kW (Leistungsbereich rund 5 MW). Zusätzlich haben die Gegebenheiten
vor Ort und das solare Strahlungsangebot – bezogen ausschließlich auf den deutsch-
sprachigen Raum – einen gewissen, jedoch verglichen mit den Anlageninvestitionen
eher geringen Einfluss auf die Stromgestehungskosten.
 Verglichen damit sind die spezifischen Kosten einer windtechnischen Bereitstellung
elektrischer Energie unter besonders günstigen Bedingungen etwas geringer. Bei einer
Onshore realisierten Stromerzeugung liegen sie derzeit bei mittleren Windgeschwin-
digkeiten von 6,5 bis 8,5 m/s bezogen auf 100 m über Grund und elektrischen Anla-
gennennleistungen von 3,5 bis 5,5 MW zwischen 0,02 und 0,03 C/kWh (Abb. 10.3).
Die Stromgestehungskosten steigen dabei mit sinkender mittlerer Windgeschwindig-
keit – infolge der Abhängigkeit der Windleistung von der dritten Potenz der Wind-
geschwindigkeit (Kapitel 6.1) – überproportional an. Sie werden somit erheblich von
den jeweiligen Gegebenheiten vor Ort – und damit den standortspezifischen Einflüssen
(d. h. dem lokal sehr unterschiedlichen Windenergieangebot) – und zu einem geringe-
ren Ausmaß von der Anlagengröße beeinflusst. Bei kommerziell verfügbaren Anlagen
sinken i. Allg. mit zunehmender installierter Konverternennleistung die spezifischen
946 M. Kaltschmitt und L. Sens

Stromgestehungskosten. Im Unterschied zu den bisher betrachteten Onshore-Anlagen


sind bei einer Offshore-Windstromerzeugung die Investitionen und die Betriebskos-
ten aufgrund der zusätzlichen Komponenten und der schlechteren Zugänglichkeit der
weit vor der Küste im Rahmen größerer Windparks errichteten Anlagen deutlich höher.
Dafür sind aber auch die Jahresenergieerträge infolge von z. T. deutlich besseren Wind-
verhältnisse und größeren Anlagenleistungen erheblich höher. Dieser größere Anlagen-
spezifische Energieertrag kann aber bisher die höheren Anlagenkosten (Investition und
Betrieb) nicht überkompensieren. Deshalb liegen die Stromgestehungskosten bei mitt-
leren Windgeschwindigkeiten von 9,5 bis 11,5 m/s bezogen auf 100 m über Grund und
Anlagennennleistungen von 6 bis 10 MW mit rund 0,04 bis 0,05 C/kWh im Durch-
schnitt über denen einer Onshore-Installation. Näherungsweise vergleichbar zu einer
photovoltaischen Stromerzeugung werden die Kosten pro erzeugter Kilowattstunde an
elektrischem Strom bei relativ geringen Wartungs- und Betriebskosten im Wesentli-
chen von den Investitionen bestimmt, die für die Aufstellung der Windkraftanlagen zu
tätigen sind. Sie liegen bei Onshore-Anlagen mit installierten elektrischen Leistungen
von 3,5 bis 5,5 MW zwischen 1 200 und 1 300 C/kW. Demgegenüber sind die Investi-
tionen für Offshore-Anlagen mit installierten elektrischen Leistungen von 6 bis 10 MW
mit etwa 2 300 bis 2 800 C/kW bis zu 2,3-mal so hoch wie bei Onshore-Anlagen.
 Die Stromgestehungskosten der Wasserkraft liegen für Anlagen im zwei- und mehr-
stelligen MW-Bereich in einer zu der Windstromerzeugung vergleichbaren Größenord-
nung. Wird eine Errichtung neuer Anlagen unterstellt, bewegen sich die spezifischen
Stromerzeugungskosten – bei jedoch einer erheblichen Standortabhängigkeit, die ver-
allgemeinerbare Aussagen nur schwerlich zulässt – für Anlagen im zwei- und mehrstel-
ligen MW-Bereich zwischen 0,04 und 0,07 C/kWh und für Anlagen im kW-Bereich
bei rund 0,15 bis 0,18 C/kWh. Die tendenziell untere Grenze repräsentieren dabei
typischerweise größere Anlagen im höheren MW-Bereich bei günstigen Standortbe-
dingungen und einem hohen Wasserkraftangebot am potenziellen Kraftwerksstandort.
Die Obergrenze der spezifischen Stromgestehungskosten stellen Kleinanlagen mit ei-
nigen 10 bis wenigen 100 kW unter weniger optimalen Standortbedingungen dar. Wird
demgegenüber nur eine Renovierung bzw. eine Installation neuer Anlagenteile zur
Erhöhung der Nennleistung an vorhandenen und betriebenen Kraftwerksstandorten un-
terstellt, wie es beispielsweise im Erzgebirge oder im Schwarzwald durch die Ertüchti-
gung bzw. den Umbau z. B. von vorhandenen Kleinwasserkraftwerken an ehemaligen
Mühlenstandorten möglich wäre, können die Stromgestehungskosten deutlich niedri-
ger sein. Unter diesen Bedingungen können sie sich zwischen 0,03 und 0,08 C/kWh
bewegen. Wird im Unterschied dazu davon ausgegangen, dass eine bereits vorhandene
Anlage mit einem neuen Maschinensatz ausgerüstet wird, der ggf. auf eine geringe-
re Volllaststundenzahl ausgelegt ist, sind meist noch geringere Stromgestehungskosten
möglich. Dabei muss jedoch beachtet werden, dass bei der Wasserkraft in einem deut-
lich stärkeren Ausmaß als bei der Windenergie oder sogar der Solarstrahlung diese
Kosten von den jeweiligen Gegebenheiten am potenziellen Kraftwerksstandort beein-
flusst werden. Obwohl damit die Stromgestehungskosten aus Wasserkraft in etwa im
10 Zusammenfassender Vergleich 947

Bereich der Kosten einer Onshore-Windkraftnutzung – und z. T. darunter – liegen,


sind die Investitionen für eine neu zu errichtende Wasserkraftanlage mit installier-
ten elektrischen Leistungen von einigen 100 kW mit derzeit typischerweise zwischen
12 000 und 20 000 C/kW und für Anlagen im MW-Bereich mit gegenwärtig rund 5 900
bis 6 600 C/kW deutlich höher. Die trotz dieser sehr hohen Anlageninvestitionen ver-
gleichsweise geringen Stromgestehungskosten sind u. a. darauf zurückzuführen, dass
die bautechnischen Komponenten von Wasserkraftwerken oft auf eine technische Le-
bensdauer von 60 bis 80 Jahren und die maschinentechnischen Systemkomponenten
auf etwa 30 bis 40 Jahre ausgelegt werden; außerdem sind im Unterschied zu einer
Wind- und Photovoltaikstromerzeugung i. Allg. deutlich höhere Jahresvolllaststunden
an einem bestimmten Standort erreichbar.
 Die Stromgestehungskosten von Anlagen zur geothermischen Stromerzeugung mit in-
stallierten elektrischen Leistungen im unteren einstelligen MW-Bereich liegen – in
Abhängigkeit einer Vielzahl unterschiedlichster Einflussgrößen – bei rund 0,19 bis
0,23 C/kWh (Abb. 10.3). Diese Gestehungskosten sind – außer von den geologischen
Randbedingungen (z. B. überdurchschnittlicher geothermischer Gradient wie im Ober-
rheingraben oder durchschnittlicher Temperaturanstieg mit der Tiefe wie im norddeut-
schen Becken) – in einem erheblichen Ausmaß von der Vergütung für die zusätz-
lich bereitstellbare Wärme abhängig, wenn Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) realisiert
werden kann. Außerdem werden die Gestehungskosten – ähnlich wie bei den bisher
betrachteten Optionen einer angebotsorientierten Stromerzeugung aus den regenera-
tiven Energieströmen der Sonne, des Windes und des Wassers – wesentlich durch die
realisierten bzw. realisierbaren Volllaststunden beeinflusst. Sie können hier – im Unter-
schied beispielsweise zu einer solaren Stromerzeugung – im theoretischen Maximalfall
8 760 h/a erreichen; in der Regel dürften sie unter heutigen Bedingungen in Deutsch-
land bei kommerziell betriebenen Anlagen bei rund 7 000 bis 8 000 h/a, ggf. auch noch
etwas darüber, liegen. Ähnlich wie die bisher betrachteten Möglichkeiten wird auch die
geothermische Stromerzeugung wesentlich durch die Anlageninvestitionen bestimmt;
hier ist insbesondere der Aufschluss der geothermischen Ressource i. Allg. sehr kapital-
intensiv. Hinzu kommen hier auch noch die Betriebskosten (z. B. Pumpstromaufwand),
die sich z. T. erheblich auf die Stromgestehungskosten auswirken können.

Um eine Defossilierung der Stromerzeugung ohne weitergehende energiepolitische


Lenkungsmaßnahmen zu erreichen, müssen Stromerzeugungsoptionen auf der Basis re-
generativer Energien aus ausschließlich ökonomischer Sicht mit denen auf der Grundlage
fossiler Energieträgern konkurrieren. Deshalb zeigt Abb. 10.3 zusätzlich die Stromge-
stehungskosten von heute neu zu errichtenden mit Steinkohle bzw. Erdgas gefeuerten
konventionellen Kraftwerken (Kapitel 1.4).
Bei einem Vergleich der Kosten einer photovoltaischen, einer wind- und einer wasser-
technischen Stromerzeugung mit der einer geothermischen und einer aus fossilen Energie-
trägern ist aber zu beachten, dass die ersten drei Optionen nur eingeschränkt zur Deckung
einer definierten Versorgungsaufgabe beitragen können. Nur Anlagen zur Nutzung der
948 M. Kaltschmitt und L. Sens

Erdwärme und zur Nutzung fossiler Energieträger können – ebenso wie Anlagen zur Nut-
zung der Biomasse – die Nachfrage nach elektrischer Energie jederzeit sicher decken.
Demgegenüber können Anlagen zur Stromerzeugung aus Solarstrahlung über die Photo-
voltaik, aus Wind und aus Wasser – aufgrund des fluktuierenden Energieangebots – nur
ansatzweise entsprechend der gegebenen Nachfrage im Netz elektrische Energie liefern.
Eine solche angebotsorientierte Stromerzeugung ist – um der gesetzlich verankerten
Vorgabe einer jederzeit sicheren und zuverlässigen Stromversorgung gerecht zu werden
– deshalb nur im Kontext von Kraftwerken und / oder Speichern sinnvoll einzusetzen,
die orientiert an den jeweiligen Gegebenheiten in einem integrierten Stromversorgungs-
system betrieben werden können und damit für einen entsprechenden Ausgleich sorgen.
Dieses sogenannte Backup-System, das damit zwingend benötigt wird, verursacht eben-
falls Kosten, die u. a. von der Angebotscharakteristik des regenerativen Energieangebots
einschließlich der genutzten regenerativen Energien, der jeweils installierten Konversi-
onstechniken und der realisierten Anlagenfahrweise, der Struktur des Backup-Systems,
den vorhandenen überregionalen Transportleitungen und vom Anteil der Stromerzeugung
aus diesen angebotsorientierten Energieströmen am gesamten Stromaufkommen abhängt.
Diese Kosten wären im Rahmen eines fairen Vergleichs zwischen den einzelnen Optionen
den in Abb. 10.3 ausgewiesenen Stromgestehungskosten der Optionen einer angebotsori-
entierten Stromerzeugung aus regenerativen Energien grundsätzlich noch anzulasten.
Infolge der technischen Weiterentwicklung wird es zukünftig zu entsprechenden Ver-
änderungen der spezifischen Stromgestehungskosten kommen. Dabei sind die zu erwar-
tenden Kostenänderungen zwischen den betrachteten Möglichkeiten einer Energiebereit-
stellung aus Solarstrahlung, Wind, Wasser und Erdwärme jedoch unterschiedlich.

 Bei der Wasserkraft kann auch langfristig nicht von wesentlichen Kostensenkungen
ausgegangen werden, da diese Technik seit Jahrzehnten technisch optimiert wird. Es ist
deshalb vielmehr damit zu rechnen, dass die spezifischen Stromgestehungskosten der
Wasserkraft auch zukünftig real weitgehend auf dem gegenwärtigen Niveau bleiben
bzw. infolge zunehmender staatlicher Umweltschutzauflagen und -vorgaben tendenzi-
ell ansteigen werden.
 Dies gilt nicht für die Windkraftnutzung. Aufgrund zu erwartender weiter sinkender
spezifischer Investitionen (bzw. von konstanten spezifischen Investitionen bei zuneh-
mend verlässlicherer Technik) und tendenziell ansteigenden Systemnutzungsgraden ist
von einer weiteren Reduktion der spezifischen Stromgestehungskosten auszugehen.
Diese weitergehenden Kostenreduktionen für eine Onshore-Installation von Windkraft-
anlagen dürften aber – aufgrund der schon realisierten erheblichen Verminderungen
der Anlageninvestitionen in den letzten beiden Jahrzehnten und des hohen technischen
Standes, den Windkraftanlagen schon erreicht haben – wahrscheinlich nicht mehr in
der in den vergangenen Jahren bereits realisierten Größenordnung möglich sein. Dem-
gegenüber dürfte der Lernkurveneffekt für eine Offshore-Windstromerzeugung noch
ausgeprägter sein; d. h. hier sind potenziell noch weitergehende Kostenreduktionen
denkbar.
10 Zusammenfassender Vergleich 949

 Bei der photovoltaischen Erzeugung elektrischer Energie wurden in den letzten Jahren
sehr deutliche Kostensenkungen realisiert; dies gilt sowohl bezüglich der Investitionen
als auch hinsichtlich der noch erschließbaren Optimierungspotenziale bei der Tech-
nik der einzelnen Systemelemente und bei der Systemtechnik (d. h. dem optimalen
Zusammenspiel der einzelnen Systemelemente). Dies führt insgesamt dazu, dass die
Photovoltaik im netzgekoppelten Betrieb heute schon sehr kostengünstig zur Deckung
der Nachfrage nach elektrischer Energie in Deutschland beitragen kann. Trotzdem ist
zu erwarten, dass auch bei der Photovoltaik – infolge des global sehr stark und sehr
schnell wachsenden Marktes – in den kommenden Jahren die Stromgestehungskosten
weiter – wahrscheinlich nochmals merklich – sinken werden.
 Bei der geothermischen Stromerzeugung sind die Kosten bisher noch vergleichswei-
se sehr hoch. Aufgrund des hohen technischen Aufwandes zum Aufschluss der geo-
thermischen Ressourcen ist jedoch immer von vergleichsweise hohen Investitionen
auszugehen; sie müssen dann, um spezifische niedrige Stromgestehungskosten zu rea-
lisieren, möglichst auf eine hohe Stromerzeugung infolge einer hohen Volllaststunden-
zahl der entsprechenden Geothermieanlage und eine zusätzliche Wärmenutzung (d. h.
Kraft-Wärme-Kopplung (KWK)) umgelegt werden. Insbesondere letzteres am Markt
umzusetzen wird in Deutschland vor dem Hintergrund einer potenziell rückläufigen
Wärmenachfrage aufgrund verbesserter Dämmung potenziell herausfordernder.

Ökologische Analyse In den letzten Jahren haben die mit der End- bzw. Nutzenergiebe-
reitstellung verbundenen Umwelteffekte in den öffentlichen Diskussionen global, Europa-
weit und auch national erheblich an Bedeutung zugenommen; heute wird kaum eine ener-
gietechnische oder gar energiepolitische Entscheidung ohne Berücksichtigung der mit der
Energiebereitstellung jeweils verbundenen – oder vermiedenen – Umwelteffekte getrof-
fen. Dies gilt insbesondere für die Klimagasemissionen, die sich in den letzten Jahren in
der EU zu einem sehr wesentlichen Bewertungskriterium von Optionen zur Energie- bzw.
Strombereitstellung entwickelt haben. Deshalb werden im Folgenden ausgewählte Um-
weltkenngrößen – jeweils unter Berücksichtigung vor- und nachgelagerter Prozesse (d. h.
im Rahmen einer Lebenswegbetrachtung) – für die bisher untersuchten Möglichkeiten ei-
ner Stromerzeugung diskutiert. Entsprechend der bisherigen Vorgehensweise wird dabei
unterschieden zwischen den Wirkungskategorien „Verbrauch erschöpflicher Energieträ-
ger“ (d. h. primärenergetisch bewerteter kumulierter fossiler Energieaufwand), „Beitrag
zum anthropogenen Treibhauseffekt“ (d. h. CO2 -Äquivalent-Emissionen), „Versauerung
terrestrischer Ökosysteme“ (d. h. SO2 -Äquivalent-Emissionen) und „human- und ökoto-
xische Wirkung“ (d. h. NOx - und SO2 -Emissionen; Kapitel 1.3). Sie werden nachfolgend
diskutiert.

Erschöpfliche Energieträger Bei den untersuchten Stromerzeugungstechniken aus rege-


nerativen Energien ist der primärenergetisch bewertete kumulierte Energieaufwand an
erschöpflichen (fossilen) Energieträgern – wird eine geothermische Stromerzeugung zu-
nächst nicht betrachtet – bei der photovoltaischen Stromerzeugung am höchsten und bei
950 M. Kaltschmitt und L. Sens

10000

Energie in GJ/GWh
8000 1500

6000 1000
500
4000
0
2000
0
-2000
-4000
-6000

Abb. 10.4 Verbrauch erschöpflicher (fossiler) Energieträger von Anlagen zur Stromerzeugung aus
regenerativen Energien und fossilen Energieträgern (schwarze Linien geben die Bandbreite von
minimalem zu maximalem Wert an; PV photovoltaische Stromerzeugung (Kapitel 5.3); Wind wind-
technische Stromerzeugung (Kapitel 6.3); Wasser Stromerzeugung aus Wasserkraft (Kapitel 7.3);
EW Stromerzeugung aus Erdwärme mit Kraft-Wärme-Kopplung (Kapitel 9.3); Steinkohle Strom-
erzeugung aus Steinkohle (Kapitel 1.4); Erdgas Stromerzeugung aus Erdgas (Kapitel 1.4))

der wassertechnischen Erzeugung am geringsten. Der Energieaufwand der windtechni-


schen Stromerzeugung liegt zwischen dem Niveau des Verbrauchs erschöpflicher Ener-
gieträger, wie er bei der Stromerzeugung aus Wasserkraft und Photovoltaik gegeben ist
(Abb. 10.4). Insgesamt sind die Unterschiede infolge der verschiedenen Anlagen, die bei
der photovoltaischen, der windtechnischen und der wassertechnischen Stromerzeugung
untersucht wurden, nur gering.
Im Vergleich zu diesen Optionen zur Stromerzeugung aus regenerativen Energien weist
die geothermische Stromerzeugung – in Abhängigkeit von den jeweils betrachteten Stand-
ortbedingungen – einen deutlich geringeren kumulierten Energieaufwand an erschöpfli-
chen Energieträgern auf. Die hier ausgewiesenen negativen Werte begründen sich in der
Unterstellung einer gekoppelten Strom- und Wärmebereitstellung (KWK). Unter diesen
Bedingungen muss eine Gutschrift für die in Koppelproduktion erzeugte Wärme berück-
sichtigt werden; d. h. die fossile Energie, die zur Erzeugung der durch die KWK-Wärme
substituierbaren Wärme benötigt werden würde, wird der geothermischen Anlage gutge-
schrieben und dadurch reduziert sich bei den hier untersuchten Fallbeispielen der kumu-
lierte fossile Energieaufwand so weit, dass die Werte negativ werden (d. h. es wird durch
ein derartiges Energiesystem in den unterstellten Systemgrenzen mehr fossile Energie sub-
stituiert als benötigt wird).
Werden die kumulierten erschöpflichen Energieaufwendungen aller in Abb. 10.4 darge-
stellten Anlagen miteinander verglichen, zeigt sich, dass diese Umweltkenngröße bei kon-
ventionellen, mit fossilen Energieträgern gefeuerten Kraftwerken auf einem gegenüber den
Stromerzeugungstechniken auf der Basis regenerativer Energien merklich höheren Niveau
liegen. Dies ist vor allem auf die zum Betrieb der mit fossilen Brennstoffen gefeuerten An-
lagen eingesetzten fossilen Brennstoffenergie (d. h. Kohle, Erdgas) zurückzuführen.
10 Zusammenfassender Vergleich 951

Infolge des technischen Fortschritts dürften sich diese Bilanzen zukünftig zu tenden-
ziell geringeren Werten hin entwickeln; bisher haben bei allen Stromerzeugungsoptionen
infolge besserer Technik die Wirkungs- und Nutzungsgrade typischerweise zugenommen
und umgekehrt proportional zu diesen Effizienzgewinnen sinkt i. Allg. der Verbrauch er-
schöpflicher Energieträger. Dies gilt sowohl für die Stromerzeugungsoptionen auf der
Basis regenerativer Energien als auch aus fossilen Energieträgern. Tendenziell muss aber
zwingend davon ausgegangen werden, dass auch in Zukunft eine Stromerzeugung aus
fossilen Energieträgern durch einen deutlich höheren Verbrauch an erschöpflichen Ener-
gieträgern gekennzeichnet sein wird.

CO2 -Äquivalent-Emissionen Diese zuvor aufgezeigten grundsätzlichen Zusammenhänge


der energetischen Kenngrößen der einzelnen Strombereitstellungstechniken finden sich
näherungsweise auch in den im Verlauf des gesamten Lebensweges kumulierten Klima-
gas- oder CO2 -Äquivalent-Emissionen wieder. Dementsprechend ist die photovoltaische
Stromerzeugung durch spezifische kumulierte Emissionen an Kohlenstoffdioxid (CO2 ),
Methan (CH4 ) und Lachgas (N2 O) – umgerechnet in CO2 -Äquivalent-Emissionen – ge-
kennzeichnet, die etwa drei- bis fünfmal so hoch liegen wie die der Stromerzeugung aus
Windenergie. Die spezifischen kumulierten CO2 -Äquivalent-Emissionen der Stromerzeu-
gung aus Wasserkraft sind nochmals geringer als diejenigen der Windenergienutzung.
Die gekoppelte geothermische Strom- und Wärmeerzeugung kann durch die zusätzliche
Substitution fossiler Energieträger infolge der bereitgestellten Wärme ebenfalls dazu bei-
tragen, erhebliche Emissionen an Gasen mit Klimawirksamkeit zu vermeiden; deshalb
weisen die kumulierten Klimagasemissionen unter diesen Bedingungen einen negativen
Wert auf (d. h. Netto-Klimagassenke; Abb. 10.5).
Im Vergleich dazu sind die Emissionen an Treibhausgasen bei einem Steinkohlekraft-
werk auf einem deutlich und bei einem Erdgas-GuD-Kraftwerk auf einem merklich hö-
heren Niveau. Dies resultiert im Wesentlichen aus den Klimagasfreisetzungen während
des Betriebs derartiger mit fossilen Brennstoffen betriebenen Kraftwerken; durch die Ver-
brennung fossiler Energieträger entstehen klimawirksame Gase, die an die Atmosphäre
abgegeben werden. Hinzu kommen die Klimagasemissionen, die im gesamten Verlauf
der Bereitstellungskette der fossilen Energieträger frei Kraftwerk anfallen. Bei der Stein-
kohle sind dies u. a. die CO2 -Äquivalent-Emissionen infolge der Steinkohleförderung und
die Ausgasung an Methan bei der übertägigen Kohlelagerung. Insgesamt werden bei den
Stromerzeugungsanlagen auf der Basis fossiler Energieträger die Klimagasemissionen
aber primär durch den Betrieb und die Brennstoffbereitstellung dominiert. Der Bau der
eigentlichen Konversionsanlage beeinflusst hier das Bilanzergebnis – im Unterschied zu
Anlagen zur angebotsorientierten Stromerzeugung aus regenerativen Energien – kaum.
Infolge des technischen Fortschritts dürften die CO2 -Äquivalent-Emissionen aller hier
betrachteten Stromerzeugungsoptionen zukünftig tendenziell sinken; dies ist primär auf
die erwarteten Effizienzsteigerungen infolge verbesserter Technik zurückzuführen. Insge-
samt wird aber auch zukünftig eine Stromerzeugung aus fossilen Energieträgern durch die
höchsten Freisetzungen an CO2 -Äquivalent-Emissionen gekennzeichnet sein.
952 M. Kaltschmitt und L. Sens

900

CO2-Äquivalent-Emissionen in t/GWh
750 100
80
600 60
450 40
20
300
0
150
0
-150
-300
-450

Abb. 10.5 CO2 -Äquivalent-Emissionen von Anlagen zur Stromerzeugung aus regenerativen Ener-
gien und fossilen Energieträgern (schwarze Linien geben die Bandbreite von minimalem zu
maximalem Wert an; PV photovoltaische Stromerzeugung (Kapitel 5.3); Wind windtechnische
Stromerzeugung (Kapitel 6.3); Wasser Stromerzeugung aus Wasserkraft (Kapitel 7.3); EW Strom-
erzeugung aus Erdwärme mit Kraft-Wärme-Kopplung (Kapitel 9.3); Steinkohle Stromerzeugung
aus Steinkohle (Kapitel 1.4); Erdgas Stromerzeugung aus Erdgas (Kapitel 1.4))

SO2 -Äquivalent-Emissionen Das Verhältnis der CO2 -Äquivalent-Emissionen zwischen


einer Stromerzeugung aus Solarstrahlung, Windenergie, Geothermie und Wasserkraft gilt
annähernd auch für die SO2 -Äquivalent-Emissionen. Dementsprechend ist die photovolta-
ische Stromerzeugung durch spezifische kumulierte Emissionen an Schwefeldioxid (SO2 ),
Stickstoffoxiden (NOx ), Ammoniak (NH3 ) und Chlorwasserstoff (HCl) gekennzeichnet,
die über denen einer Stromerzeugung aus Windenergie liegen. Im Unterschied dazu
sind die spezifischen kumulierten SO2 -Äquivalent-Emissionen der Wasserkraftstrom-
erzeugung im groben Durchschnitt nochmals geringer als diejenigen einer Bereitstellung
elektrischer Energie aus Windkraft (Abb. 10.6). Die gekoppelte geothermische Strom- und
Wärmeerzeugung kann wiederum durch die infolge einer zusätzlichen Wärmeerzeugung
zu realisierenden Gutschrift netto Gase mit versauernder Wirkung vermeiden.
Verglichen damit sind die Freisetzungen an SO2 -Äquivalent-Emissionen bei der Kohle-
stromerzeugung deutlich höher; sie übersteigen die Emissionen einer Bereitstellung elek-
trischer Energie aus den hier betrachteten Optionen zur Stromerzeugung aus regenerativen
Energien merklich. Bei der Erdgasverstromung sind die SO2 -Äquivalent-Freisetzungen
demgegenüber geringer; sie sind aber immer noch etwa dreimal so hoch wie bei einer
Stromerzeugung mittels Photovoltaikanlagen.
Infolge des technischen Fortschritts dürften auch die SO2 -Äquivalent-Emissionen zu-
künftig tendenziell bei allen betrachteten Stromerzeugungsoptionen zurückgehen. Dabei
ist aus gegenwärtiger Sicht aber wahrscheinlich, dass die aufgezeigte Relation – bei einem
jedoch insgesamt sinkenden Niveau – auch in den kommenden Jahren weitgehend erhal-
10 Zusammenfassender Vergleich 953

SO2-Äquivalent-Emissionen in kg/GWh
1400
1200
1000
800
600
400
200
0
-200
-400

Abb. 10.6 SO2 -Äquivalent-Emissionen von Anlagen zur Nutzung regenerativer und fossiler Ener-
gien (schwarze Linien geben die Bandbreite von minimalem zu maximalem Wert an; PV photovol-
taische Stromerzeugung (Kapitel 5.3); Wind windtechnische Stromerzeugung (Kapitel 6.3); Wasser
Stromerzeugung aus Wasserkraft (Kapitel 7.3); EW Stromerzeugung aus Erdwärme mit Kraft-
Wärme-Kopplung (Kapitel 9.3); Steinkohle Stromerzeugung aus Steinkohle (Kapitel 1.4); Erdgas
Stromerzeugung aus Erdgas (Kapitel 1.4))

ten bleiben dürfte, wenn nicht durch administrative Vorgaben Emissionsgrenzwerte z. B.


für SO2 und NOx verändert werden.

SO2 - und NOx -Emissionen Das Verhältnis der SO2 -Äquivalent-Emissionen zwischen
einer Stromerzeugung aus Solarstrahlung, Windenergie, Geothermie und Wasserkraft
gilt annähernd auch für die SO2 - und die NOx -Emissionen. Dementsprechend zeigt die
photovoltaische Stromerzeugung Emissionen der beiden Gase mit human- und ökotoxi-
scher Wirkung, die über denen der Windstromerzeugung liegen. Im Unterschied dazu
sind die kumulierten Emissionen der Stromerzeugung aus Wasserkraft geringer als dieje-
nigen der Nutzung der Windenergie. Demgegenüber bewegen sich die SO2 -Emissionen
der geothermischen Strom- und Wärmeerzeugung unter denen der anderen regenerati-
ven Erzeugungstechniken bzw. liegen im negativen Bereich (d. h. Netto-Emissionssenke)
(Abb. 10.7). Bei der Betrachtung der NOx -Emissionen der geothermischen Strom- und
Wärmeerzeugung können je nach betrachteter Variante die Emissionen im geringfügig
positiven oder im leicht negativen Bereich liegen (Abb. 10.8).
Verglichen damit sind die Freisetzungen bei der Kohlestromerzeugung deutlich höher.
Bei der Erdgasverstromung sind demgegenüber die SO2 - und NOx -Freisetzungen etwas
geringer, da Erdgas u. a. nahezu schwefelfrei ist.
Bezüglich der möglichen zukünftigen Veränderungen ist auch hier zu erwarten, dass
diese Emissionen tendenziell – infolge des technischen Fortschritts und damit einer weiter
zunehmenden auch ökologischen Effizienz im gesamten Energiesystem – langsam weiter
sinken werden.
954 M. Kaltschmitt und L. Sens

800

SO2-Emissionen in kg/GWh
700
600
500
400
300
200
100
0
-100
-200

Abb. 10.7 SO2 -Emissionen von Anlagen zur Nutzung regenerativer und fossiler Energien (schwar-
ze Linien geben die Bandbreite von minimalem zu maximalem Wert an; PV photovoltaische
Stromerzeugung (Kapitel 5.3); Wind windtechnische Stromerzeugung (Kapitel 6.3); Wasser Strom-
erzeugung aus Wasserkraft (Kapitel 7.3); EW Stromerzeugung aus Erdwärme mit Kraft-Wärme-
Kopplung (Kapitel 9.3); Steinkohle Stromerzeugung aus Steinkohle (Kapitel 1.4); Erdgas Strom-
erzeugung aus Erdgas (Kapitel 1.4))
800
NOx-Emissionen in kg/GWh

700
600
500
400
300
200
100
0
-100

Abb. 10.8 NOx -Emissionen von Anlagen zur Nutzung regenerativer und fossiler Energien (schwar-
ze Linien geben die Bandbreite von minimalem zu maximalem Wert an; PV photovoltaische
Stromerzeugung (Kapitel 5.3); Wind windtechnische Stromerzeugung (Kapitel 6.3); Wasser Strom-
erzeugung aus Wasserkraft (Kapitel 7.3); EW Stromerzeugung aus Erdwärme mit Kraft-Wärme-
Kopplung (Kapitel 9.3); Steinkohle Stromerzeugung aus Steinkohle (Kapitel 1.4); Erdgas Strom-
erzeugung aus Erdgas (Kapitel 1.4))

10.1.4 Potenziale und Nutzung

Potenziale Entsprechend der bisherigen Vorgehensweise wird auch bei dem Vergleich
der Potenziale unterschieden zwischen dem theoretischen Potenzial sowie den technischen
Stromerzeugungs- und den Endenergiepotenzialen.
10 Zusammenfassender Vergleich 955

Theoretisches Potenzial Die theoretischen Potenziale der Solarstrahlung, der Windener-


gie, der Wasserkraft und der Geothermie unterscheiden sich erheblich. Beispielsweise
wird auf die Gebietsfläche Deutschlands insgesamt ein Energiepotenzial von rund
1 358 EJ/a von der Sonne eingestrahlt. Demgegenüber liegt der Energieinhalt der bewegten
Luftmassen über Deutschland nur bei 47 bis 76 EJ/a; dieser zwingend deutlich geringere
Wert im Vergleich zu dem Solarenergiepotenzial resultiert daraus, dass die Energie der
bewegten Luftmassen letztlich aus der eingestrahlten Strahlungsenergie resultiert und auf-
grund physikalischer Begrenzungen nur ein Teil der Sonnenenergie in Bewegungsenergie
der Luftmassen umgewandelt wird. Im Unterschied dazu beträgt das Linienpotenzial
und damit das gesamte in den Flüssen Deutschlands verfügbare Energiepotenzial nur
0,33 EJ/a; hier gilt sinngemäß das Gleiche (auch dieses Potenzial resultiert letztlich aus
der Sonne und muss aufgrund der z. T. erheblichen Verluste deutlich kleiner sein). Bis in
eine Tiefe von 10 000 m ist unter der Gebietsfläche Deutschlands eine Energie von rund
1 200 000 EJ gespeichert; bei einer Erschließung im Verlauf von etwa 1 000 Jahren sind
dies rechnerisch 1 200 EJ/a. Damit ist das geothermische und solare Energieangebot sehr
hoch. Etwas geringer ist das Wind- und insbesondere das Wasserenergieangebot; letzteres
ist aber durch eine deutlich höhere Energiedichte gekennzeichnet.
Aus diesem theoretischen Potenzial des regenerativen Energieangebots kann auf der
Grundlage physikalisch maximaler Umwandlungswirkungsgrade das theoretische Strom-
erzeugungspotenzial abgeschätzt werden. Aufgrund des sehr großen solaren Strahlungs-
angebots ist es bei der Photovoltaik mit rund 109 PWh/a ebenfalls sehr groß. Aber auch
die geothermische Stromerzeugung ist mit ca. 33 EWh bzw. 33 PWh/a im Verlauf der
unterstellten Nutzungsdauer von 1 000 Jahren durch ein sehr hohes theoretisches Strom-
erzeugungspotenzial gekennzeichnet; zusätzlich dazu könnte noch ein erheblicher Teil
der bei der Stromerzeugung anfallenden Niedertemperaturwärme zur Deckung der Wär-
menachfrage beispielsweise im Gebäudebereich genutzt werden. Doch auch die Wind-
energienutzung ist durch ein relativ hohes theoretisches Erzeugungspotenzial von rund 8
bis 13 PWh/a gekennzeichnet. Bei der Wasserkraft ist es mit knapp 0,093 PWh/a demge-
genüber vergleichsweise gering; dies resultiert aus dem relativ geringen Linienpotenzial
der Energieangebots des Wassers in Deutschland (Tabelle 10.3).
Zusammengenommen sind damit die theoretischen Potenziale eine Stromerzeugung
in Deutschland sehr groß; aufgrund unüberwindbarer technischer Restriktionen sind sie
jedoch in dieser Größenordnung technisch nicht erschließbar.

Technische Angebotspotenziale (Stromerzeugungspotenziale) Aus dem theoretischen Er-


zeugungspotenzial kann unter Berücksichtigung der gegebenen technischen Restriktionen
(u. a. Flächenverfügbarkeit für eine Anlageninstallation, derzeit erreichbare Systemnut-
zungsgrade) das technische Stromerzeugungspotenzial abgeschätzt werden. Dabei wird
unter diesem technischen Stromerzeugungspotenzial hier die unter Berücksichtigung der
gegebenen technischen und strukturellen Randbedingungen – jedoch ohne Einbeziehung
nachfrageseitiger Restriktionen – jährlich im Mittel bereitstellbare elektrische Energie am
956 M. Kaltschmitt und L. Sens

Tabelle 10.3 Potenziale regenerativer Energien zur Stromerzeugung (nur in Deutschland für
Deutschland (d. h. keine Berücksichtigung eines potenziell technisch möglichen Imports beispiels-
weise photovoltaisch erzeugter elektrischer Energie z. B. aus Nordafrika nach Deutschland); jeweils
nur maximale technische Nachfragepotenziale der einzelnen Optionen im Rahmen einer Singulär-
betrachtung; Stand Ende 2019)
Theoretische Technische Technische
Potenziale Erzeugungspotenziale Nachfragepotenziale
in PWh/a in TWh/a (in GW) in TWh/a (in PJ/a)
Wasserkraft ca. 0,093 33–42 (4,7–14) 31–40
Windenergie 8–12 971 (296)a 167–189
366 (85)b
Solarstrahlungc ca. 109 95–125 (104–136)d 69–90
31–40 (47–61)e
562–735 (591–773)f
Erdwärmeg ca. 33h 321 (40–46)i 369j
66 (2 530)k
a
Onshore-Aufstellung (Kapitel 6.4); b Offshore-Aufstellung (Kapitel 6.4); c photovoltaische Strom-
erzeugung (Kapitel 5.4); d Systeme auf Dachflächen; e Systeme an Fassaden; f Systeme auf Freiflä-
chen; g Stromerzeugung mit ORC-Anlagen (Kapitel 9.4); h unterstellte Nutzungsdauer 1 000 Jahre;
i
Summe aus Aquiferen, Störungszonen und Kristallin; j ausschließliche Stromerzeugung in der
Grundlast; k ausschließliche Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) unter Deckung der gesamten deckba-
ren Niedertemperatur-Wärmenachfrage in Deutschland.

Ausgang der jeweiligen Kraftwerke (Schnittstelle: Netzeinspeisepunkt) zur Wandlung der


regenerativen Energien verstanden (Tabelle 10.3).

 Auf solartechnisch nutzbaren Dach-, Fassaden- bzw. Freiflächen ist ein photovoltai-
sches Erzeugungspotenzial zwischen 95 und 125 TWh/a, zwischen 31 und 40 TWh/a
bzw. zwischen 562 und 735 TWh/a gegeben; die dafür zu installierenden Leistungen
liegen zusammengenommen bei 742 bis 970 GW.
 Wird ein Anlagenmix aus marktgängigen Windkraftkonvertern unterstellt, errechnet
sich auf dem Festland der Bundesrepublik Deutschland für eine windtechnische Strom-
erzeugung ein Potenzial von rund 971 TWh/a; dies entspricht einer zu installierenden
Leistung von rund 296 GW. Zusätzlich ist eine Offshore-Aufstellung von Windkraft-
anlagen vor der deutschen Nord- und Ostseeküste möglich. Hier wären bis zu einer
mittleren Wassertiefe von rund 40 m und einer Entfernung vom Festland von maxi-
mal 100 km weitere etwa 366 TWh/a bereitstellbar; dafür wären dann ca. 85 GW an
elektrischer Leistung in Offshore-Windkraftkonvertern zu installieren.
 Das technische Erzeugungspotenzial aus Laufwasserkraft liegt bei knapp 33 bis
42 TWh/a. Bei unterstellten 3 000 bis 7 000 Volllaststunden entspricht dies einer in
Wasserkraftwerken in Deutschland zu installierenden elektrischen Leistung von rund
4,7 bis etwa 14 GW.
10 Zusammenfassender Vergleich 957

 Aus der im tiefen Untergrund in Aquiferen gespeicherten Wärme könnten ca. 2,6 PWh,
aus Störungszonen weitere 12,2 PWh und aus dem Kristallin zusätzliche 306,6 PWh an
elektrischer Energie erzeugt werden. Für Deutschland folgt daraus ein geothermisches
Stromerzeugungspotenzial von ca. 321 PWh. Wird unterstellt, dass dieses Potenzial im
Verlauf von 1 000 Jahren nachhaltig erschlossen werden kann, errechnet sich ein jähr-
liches technisches Stromerzeugungspotenzial von rund 321 TWh/a. Bei unterstellten
Volllaststunden von 7 000 bis 8 000 h/a entspricht dies einer zu installierenden elektri-
schen Leistung zwischen 40 und 46 GW.

Die Photovoltaik ist damit durch ein sehr großes, die Windenergie und die Geothermie
durch ein ebenfalls großes und die Wasserkraft durch ein deutlich kleineres technisches
Stromerzeugungs- bzw. Angebotspotenzial gekennzeichnet.
Zusammengenommen liegt das technische Erzeugungspotenzial einer Stromerzeugung
aus Wasserkraft, Windenergie, Solarstrahlung und Geothermie zwischen rund 2 379 und
etwa 2 600 TWh/a; dabei werden definitionsgemäß ausschließlich technische Aspekte
berücksichtigt und nachfrageseitige Restriktionen sowie sonstige Beschränkungen (z. B.
nicht verfügbare Produktionskapazitäten für Anlagen zur Stromerzeugung aus regenerati-
ven Energien, Konkurrenz um die nicht unbegrenzt verfügbaren Landflächen, mangelnde
Übertragungs- und Speicherkapazitäten) außer Acht gelassen.
Bei einem regionalen Vergleich der technischen Potenziale wird deutlich, dass im
Durchschnitt der Süden der Bundesrepublik Deutschland durch hohe wassertechni-
sche und geringe windtechnische Stromerzeugungspotenziale gekennzeichnet ist. Im
Norden kehren sich diese Verhältnisse gerade um; aufgrund der hohen mittleren Wind-
geschwindigkeiten sowie der flachen und im Vergleich zum Süden häufig weniger
bewaldeten Landschaft sind hier hohe Potenziale einer Windstromerzeugung gegeben.
Demgegenüber ist ein photovoltaisches Stromerzeugungspotenzial fast auf der gesamten
Gebietsfläche Deutschlands vorhanden. Die regionale Verteilung der technischen Erzeu-
gungspotenziale dachmontierter Photovoltaikgeneratoren wird dabei im Wesentlichen
von der Siedlungs- bzw. der Gebäudebestandsdichte bestimmt; in Großstädten (u. a. Ber-
lin, Hamburg) und Verdichtungsräumen (z. B. Ruhrgebiet, Rhein-Main-Gebiet, Mittlerer
Neckarraum) sind höhere und in den eher ländlich strukturierten Gebieten (z. B. Meck-
lenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein) geringere technische Potenziale gegeben. Die
Stromerzeugungspotenziale auf Freiflächen korrelieren demgegenüber näherungsweise
mit der landwirtschaftlichen Nutzfläche, wenn diese teilweise als potenzielle Kraftwerks-
grundfläche unterstellt wird. Ackerflächen sind zwar nahezu überall in Deutschland
verfügbar, nehmen aber in eher ländlichen Gegenden mit einem geringen Waldanteil
überdurchschnittlich hohe Anteile ein; hier sind deshalb die technischen Stromerzeu-
gungspotenziale von Photovoltaikkraftwerken überdurchschnittlich hoch, wenn unterstellt
wird, dass derartige Flächen anteilig nutzbar wären. Tendenziell gilt aber für die Photo-
voltaikstromerzeugung in Deutschland, dass das Strahlungsangebot i. Allg. umso besser
– und damit die flächenspezifische Stromerzeugung umso höher – wird, je südlicher der
potenzielle Anlagenstandort liegt. Vergleichbar damit ist eine geothermische Stromerzeu-
958 M. Kaltschmitt und L. Sens

gung grundsätzlich auf der gesamten Gebietsfläche Deutschlands möglich. Jedoch ist
insbesondere der Oberrheingraben, das süddeutsche Molassebecken und ggf. das nord-
deutsche Becken durch vergleichsweise günstigere Bedingungen gekennzeichnet als der
Rest von Deutschland.
Zukünftig können sich diese Stromerzeugungspotenziale dann verändern, wenn im Zu-
ge des technischen Fortschritts die Wirkungs- und damit auch die Systemnutzungsgrade
ansteigen. Da dies bei der Wasserkraft kaum zu erwarten ist, kann hier auch langfristig
von einem technischen Potenzial zwischen 33 und 42 TWh/a ausgegangen werden. Dies
ist bei der Photovoltaik und bei der Windenergie sowie insbesondere bei der Geothermie
aufgrund begrenzter noch unerschlossener technischer Entwicklungspotenziale nicht der
Fall. Bei einer Windstromerzeugung ist – infolge der nach wie vor gegebenen Tendenz
zu immer größeren installieren Anlagenleistungen – langfristig ein Anstieg der techni-
schen Erzeugungspotenziale zu erwarten. Dies gilt auch für die photovoltaische und die
geothermische Stromerzeugung. Gelingt es bei letzterer, den Untergrund einfacher und
kostengünstiger – und vor allem sicher – zu erschließen und dadurch effizienter der Erde
mehr Wärme zu entziehen und diese Übertage mit einem höheren Systemnutzungsgrad in
elektrische Energie zu wandeln, könnten sich die Potenziale deutlich erhöhen.

Technische Endenergiepotenziale (Nachfragepotenziale) Aus dem technischen Erzeu-


gungspotenzial kann unter Berücksichtigung nachfrageseitiger Restriktionen und unter-
stellten Netzverlusten von rund 5 % das technische Nachfrage- oder Endenergiepotenzial
in Deutschland abgeschätzt werden. Zusätzlich kann im Netz der öffentlichen Versorgung
in seiner derzeitigen Struktur nur in einem beschränkten Umfang fluktuierende angebots-
abhängig erzeugte elektrische Energie innerhalb der deutschen Gebietsfläche ausgeglichen
werden, wenn das gegenwärtige Maß der Frequenz- und Spannungsstabilität beibehalten
werden soll.
Welche dieser Restriktionen bei der jeweiligen Option zur Strombereitstellung aus
regenerativen Energien primär bestimmend ist, hängt bei den angebotsorientierten Strom-
erzeugungsoptionen u. a. vom Verhältnis des erneuerbaren Erzeugungspotenzials zum ge-
samten elektrischen Energieaufkommen, von den durch das meteorologische Energiean-
gebot vorgegebenen Fluktuationen, von der Gegen- oder Gleichläufigkeit dieser Erzeu-
gung mit der jeweiligen Nachfragecharakteristik im Netz, von der vorhandenen regiona-
len und überregionalen Verteilinfrastruktur und deren installierter Übertragungsleistung
sowie den existierenden Speicheroptionen (z. B. Pumpspeicherkraftwerke, Kavernenspei-
cher) ab. Hinzu kommen die Möglichkeiten des Ausgleichs der fluktuierenden Erzeugung
durch den vorhandenen konventionellen Kraftwerkspark, die ggf. vorhandenen transna-
tionalen und internationalen Verteil- bzw. Ausgleichsleitungskapazitäten (d. h. Ausgleich
elektrischer Energie über die Landesgrenzen der Bundesrepublik Deutschland hinaus mit
anderen europäischen Staaten) und damit die Möglichkeiten eines Verkaufs überschüssi-
ger elektrischer Energie auf den europäischen Energiemärkten und / oder der Speicherung
dieser elektrischen Energie in den beispielsweise in Österreich und Norwegen bereits heu-
te vorhandenen und betriebenen Pumpspeicherkraftwerken.
10 Zusammenfassender Vergleich 959

Unter diesen Randbedingungen sind bei der Bestimmung der technischen Endener-
gie- bzw. Nachfragepotenziale der Wasserkraftstromerzeugung näherungsweise nur die
Netzverluste zu berücksichtigen, während bei der photovoltaischen und windtechnischen
Stromerzeugung auch andere Restriktionen zu beachten sind (Tabelle 10.3). Dies gilt auch
für die geothermische Stromerzeugung, die – trotz der grundsätzlich nachfrageorientiert
möglichen Stromerzeugung aus Erdwärme – durch Restriktionen begrenzt wird, die aus
der derzeitigen Charakteristik der Nachfrage nach elektrischer Energie im Netz der öffent-
lichen Versorgung resultieren.
Nachfolgend werden die technischen Endenergie- bzw. Nachfragepotenziale im Rah-
men einer Singulärbetrachtung zusammengefasst (d. h. jede Option wird allein für sich
betrachtet).

 Aus den im Vergleich zum gesamten Stromaufkommen geringen Erzeugungspotenzia-


len errechnet sich bei der Wasserkraft aufgrund des relativ stetigen Energieangebots
ein technisches Nachfrage- oder Endenergiepotenzial von ca. 31 bis 40 TWh/a.
 Das, durch z. T. erhebliche stochastische Einflüsse gekennzeichnete, technische Po-
tenzial einer Windstromerzeugung kann aus systemischer Sicht in einem Stromerzeu-
gungssystem mit seiner heute in Deutschland gegebenen Struktur nur teilweise zur
Deckung der Stromnachfrage beitragen. Wird deshalb u. a. vereinfacht unterstellt,
dass eine weitere Optimierung der Regelbarkeit des bestehenden Kraftwerksparks
einschließlich weitergehender Maßnahmen auf der Netz- und Windstromerzeugungs-
seite (u. a. Export von überschüssigem Windstrom, Ertüchtigung und Nachrüstung von
Altanlagen bzw. zügiges Repowering, Einspeisemanagement für Windstrom) reali-
siert wird, errechnet sich auf Basis der getroffenen Rahmenannahmen ein technisches
Nachfrage- oder Endenergiepotenzial einer windtechnischen Stromerzeugung von 167
bis 189 TWh/a.
 Ähnlich dem windtechnischen Stromerzeugungspotenzial ist auch das Erzeugungspo-
tenzial aus photovoltaischen Systemen aufgrund der Charakteristik des Strahlungs-
angebots erheblichen deterministischen und stochastischen Variationen unterworfen.
Mit ähnlichen vereinfachten Annahmen wie bei der Abschätzung des windtechnischen
Nachfrage- bzw. Endenergiepotenzials errechnet sich ein Nachfragepotenzial der pho-
tovoltaischen Stromerzeugung in Deutschland von 69 bis 90 TWh/a.
 Bei einer geothermischen Bereitstellung elektrischer Energie kann zwischen einer aus-
schließlichen Stromerzeugung und einer Stromerzeugung in Kraft-Wärme-Kopplung
(KWK) unterschieden werden.
– Aufgrund der grundsätzlichen Unabhängigkeit einer geothermischen Stromerzeu-
gung von möglichen tages- und jahreszeitlichen Schwankungen kann diese Grund-,
Mittel- und / oder Spitzenlaststrom bereitstellen. Wird vereinfachend unterstellt,
dass Grundlaststrom bereitgestellt werden soll, lassen sich als Obergrenze für die in
das Strombereitstellungssystem integrierbaren Anteile ca. 369 TWh/a abschätzen.
– Eine geothermische Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) lässt sich – aufgrund der gro-
ßen anfallenden Abwärmemengen – nur in Anlagen mit Wärmesenken im oberen
960 M. Kaltschmitt und L. Sens

einstelligen bzw. unteren zweistelligen MW-Bereich sinnvoll darstellen. Deshalb


werden an einem potenziellen Anlagenstandort entsprechende Verteilnetze (d. h.
Nah- bzw. Fernwärmenetze) benötigt. Damit wird das technische Nachfragepotenzi-
al an elektrischer Energie durch die verteilbaren Wärmemengen bestimmt; bei einer
gekoppelten Strom- und Wärmeproduktion errechnet sich unter diesen Bedingungen
ein technisches Stromerzeugungspotenzial von ca. 66 TWh/a in Deutschland.

Aufgrund der angebotsorientierten und damit z. T. deutlichen stochastischen Einflüssen


unterworfenen Stromerzeugung aus Windkraft und Solarstrahlung können die diskutier-
ten Nachfragepotenziale der verschiedenen Optionen zur Nutzung regenerativer Energien
nicht ohne weiteres aufaddiert werden. Wird deshalb vereinfachend unterstellt, dass auf-
grund der Angebotsunterschiede zwischen einer windtechnischen und photovoltaischen
Stromerzeugung und des damit möglichen Ausgleichs 145 bis 223 TWh/a im Netz genutzt
werden könnten, errechnet sich für Deutschland ein technisches Nachfragepotenzial der
hier untersuchten Optionen einer Stromerzeugung aus regenerativen Energien zwischen
242 und 632 TWh/a; zusätzlich könnte in einem z. T. erheblichen Ausmaß Niedertempe-
raturwärme bereitgestellt werden.
Zukünftig werden sich die technischen Nachfragepotenziale ebenfalls – ähnlich wie
die technischen Erzeugungspotenziale – verändern. Resultierend aus den steigenden Sys-
temnutzungsgraden einer photovoltaischen sowie windtechnischen und ggf. einer geo-
thermischen Stromerzeugung ist eine Zunahme der technischen Endenergiepotenziale zu
erwarten. Parallel dazu wird sich das Stromversorgungssystem mit der Zeit insgesamt
dahingehend weiterentwickeln, dass zunehmend höhere Anteile einer fluktuierenden, an-
gebotsorientierten Stromerzeugung in das Versorgungssystem integriert werden können
und gleichzeitig das heutige Maß der Versorgungssicherheit beibehalten werden kann;
dies inkludiert sowohl technische als auch organisatorische bzw. regulatorische Maßnah-
men. Da bei der Wasserkraft die Stromerzeugungspotenziale zukünftig näherungsweise
konstant bleiben dürften, ist aber hier auch in Zukunft von einem technischen Endener-
giepotenzial von maximal 40 TWh/a auszugehen.

Nutzung Die gegenwärtige photovoltaische, wind- und wassertechnische sowie geother-


mische Stromerzeugung zur Deckung der Stromnachfrage unterscheidet sich erheblich
(Tabelle 10.4). Dies wird nachfolgend diskutiert; dabei wird erneut zwischen der weltwei-
ten und der EU-weiten Situation sowie den Gegebenheiten in Deutschland und Österreich
unterschieden. Insgesamt ist bei allen im Folgenden diskutierten Regionen davon aus-
zugehen, dass der Anteil der erneuerbaren Energien an der gesamten Stromerzeugung
in den kommenden Jahren zunehmen wird; dies kann aus heutiger Sicht (Stand: Mitte
2020) als eine sehr robuste und stabile Entwicklungstendenz angesehen werden. Dabei
wird die Stromerzeugung mittels Windkraft- und Photovoltaikanlagen aufgrund der be-
reits heute gegebenen ökonomischen Randbedingungen weiterhin die deutlich höchsten
Zuwachsraten aufweisen, wohingegen eine weitergehende Stromerzeugung aus Wasser-
kraft sich tendenziell – aufgrund immer weitergehend genutzter technischer Potenziale –
10 Zusammenfassender Vergleich 961

Tabelle 10.4 Nutzung regenerativer Energien zur Stromerzeugung einschließlich der installierten
elektrischen Leistungen (Stand: Jahr 2018)
Welt EU-28 Deutschland Österreich
in TWh/a (GW) in TWh/a (GW) in TWh/a (GW) in TWh/a (GW)
Wasserkraft 4 200 (1 293) 344 (130) 16,5 (5,6) 37,6 (14,1)
Windenergie 1 270 (564) 362 (179) 113 (59,3) 5,9 (3,1)
Solarstrahlunga 585 (480) 128 (122) 46,2 (45,3) 1,6 (1,4)
Tiefe Geothermie 82 (14,6) 7 (1,2) 0,172 (0,042) 0,003 (0,001)
Gesamte Stromerzeugungb 26 460 3 210 620 67,6
a
photovoltaische Stromerzeugung (Kapitel 5); b berücksichtigt die gesamte Stromerzeugung aus
erneuerbaren Energien und fossilen Energieträgern.

abschwächen wird. Die Geothermie wird aus Ressourcen- und aus ökonomischer Sicht
auch zukünftig nur eine Randrolle einnehmen, die aber unter bestimmten lokalen Gege-
benheiten auch marktbestimmend sein kann (z. B. Island).

Welt Die Stromerzeugung aus Wasserkraft trägt mit 4 200 TWh (2018) zur gesamten
Stromerzeugung weltweit bei und ist durch das mit Abstand größte aus erneuerbaren
Energien erzeugte Stromaufkommen gekennzeichnet. Die in den entsprechenden Wasser-
kraftwerken, die diese Erzeugung realisierten, installierte Leistung lag 2018 bei 1 293 GW.
Die zweitgrößte Stromerzeugung aus regenerativen Energien erfolgte mit 1 270 TWh
(2018) durch die Windkraft; dafür waren weltweit 564 GW an elektrischer Leistung in-
stalliert. Insgesamt lag diese Windstromerzeugung allerdings lediglich bei rund einem
Drittel der Strommenge, die aus Wasserkraft im Jahr 2018 generiert wurde. Allerdings
war die Windkraft in den letzten Jahren – im Gegensatz zur Wasserkraft – durch deutlich
höhere relative Zuwachsraten gekennzeichnet. Der gleiche Sachverhalt gilt sinngemäß
auch für die photovoltaische Stromerzeugung; hier wurden 2018 rund 585 TWh bei einer
installierten elektrischen Leistung von 480 GW erzeugt. Dahingegen ist der Anteil der
globalen geothermischen Stromerzeugung mit rund 82 TWh und 14,6 GW installierter
Leistung im Jahr 2018 vernachlässigbar gering.

Europäische Union In den EU-28-Staaten erzeugten im Jahr 2018 sowohl die Wasserkraft
mit 344 TWh bei einer installierten Leistung von 130 GW als auch die Windenergie mit
362 TWh bei einer installierten Leistung von 179 GW jeweils einen merklichen Anteil
an der gesamten Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien. Zusätzlich stellten Systeme
zur photovoltaischen Stromerzeugung 2018 bei einer installierten Leistung von 122 GW
insgesamt 128 TWh bereit. Dahingegen ist die Stromerzeugung mittels Geothermie mit
7 TWh (2018) und einer installierten Leistung von 1,2 GW EU-28-weit sehr gering und im
Hinblick auf die gesamte Nachfrage nach elektrischer Energie in der EU-28 (Tabelle 10.4)
nahezu vernachlässigbar.
962 M. Kaltschmitt und L. Sens

Deutschland Im Jahr 2018 wurden aus erneuerbarer Wasserkraft (d. h. Lauf- und Spei-
cherwasserkraft ohne Erzeugung aus gepumptem Wasser in Pumpspeicherkraftwerken)
rund 16,5 TWh bei einer installierten Leistung bei etwa 5,6 GW in das Netz der öffent-
lichen Versorgung eingespeist. Im Unterschied zur EU-28 oder der global gegebenen
Situation trägt die Wasserkraft in Deutschland somit – geographisch bedingt – nicht den
größten Beitrag zu Stromerzeugung aus regenerativen Energien bei; dies war 2018 die
Windkraft. Insgesamt waren Ende 2018 knapp 29 213 netzgekoppelte Onshore-Windkraft-
anlagen mit rund 52,9 GW in Deutschland installiert; der gesamte Jahresenergieertrag
dieses Anlagenparks liegt bei knapp 94 TWh/a. Hinzu kommen 1 305 Offshore-Wind-
kraftanlagen, die Ende 2018 mit einer Anlagenleistung von 6,4 GW im Betrieb waren
und einen Jahresertrag von rund 19,4 TWh aufwiesen. Insgesamt waren somit Ende 2018
30 518 Windkraftanlagen mit einer installierten Gesamtleistung von 59,3 GW und einem
Jahresenergieertrag von knapp 113 TWh (2018) am Netz. Die zweitgrößte erneuerbare
Stromerzeugungstechnologie in Deutschland ist die Photovoltaik. Ende 2018 waren netz-
gekoppelte Photovoltaikgeneratoren mit einer geschätzten Leistung von etwa 45,3 GW
installiert; dies entspricht einer 2018 erzeugten elektrischen Energie von rund 46,2 TWh.
Neben den netzgekoppelten Systemen werden auch nicht netzgekoppelte Systeme (z. B.
Parkscheinautomaten) betrieben, in denen 2018 geschätzte 100 MW an photovoltaischer
Leistung installiert waren. Die geothermische Stromerzeugung ist dahingegen in Deutsch-
land sehr gering. Insgesamt war 2018 rund 42 MW an geothermischer Stromerzeugungs-
leistung installiert. Von diesen Anlagen wurden 2018 geschätzte 0,172 TWh ins Netz der
öffentlichen Versorgung eingespeist.

Österreich Die Stromerzeugung aus Wasserkraft betrug in Österreich im Jahr 2018 bei
einer installierten Leistung von 14,1 GW rund 37,6 TWh und ist somit – geographisch
bedingt – mit einem Anteil von 56 % an der gesamten Stromerzeugung in Österreich
(Tabelle 10.4) die mit Abstand wichtigste Stromerzeugungstechnologie. Die zweitgröß-
te Stromerzeugungsoption auf der Basis regenerativer Energien 2018 war die Windkraft
mit einer Stromerzeugung von 5,9 TWh, die mit einer installierten Leistung von 3,1 GW
realisiert wurde. Dahingegen trägt die photovoltaische Bereitstellung elektrischer Energie
2018 mit 1,4 GW und einer daraus realisierten Stromerzeugung von 1,6 TWh mit einem
deutlich geringeren Anteil zur Deckung der Stromnachfrage in Österreich bei. Die geo-
thermische Stromerzeugung ist auch hier mit einer Leistung von 1,2 MW im Jahr 2018
und einer korrespondierenden Stromerzeugung von rund 2,7 GWh sehr gering.

10.2 Bereitstellung thermischer Energie

Neben den bisher betrachteten Strombereitstellungsoptionen werden auch verschiedene


Möglichkeiten zur Wärmebereitstellung aus erneuerbaren Energien – mit Ausnahme der
Biomasse, welche aber global und national die „klassische“ und am weitgehendsten ge-
nutzte Option zur Wärmebereitstellung aus regenerativen Energien darstellt (die Biomasse
10 Zusammenfassender Vergleich 963

ist aber nicht Gegenstand der vorliegenden Ausführungen und wird deshalb auch hier nicht
näher betrachtet) – untersucht. Hierbei werden in den Kapiteln 4, 8 und 9 ausgewählte
technische, ökonomische und ökologische Kenngrößen sowie die vorhandenen Potenziale
und die derzeitige Nutzung ermittelt und diskutiert. Damit ist aber weder eine Aussa-
ge darüber getroffen, wie die einzelnen Wärmebereitstellungsoptionen untereinander zu
bewerten sind noch wo sie im Vergleich zu den Techniken zur Nutzung fossiler Energie-
träger (z. B. Erdgas) stehen. Im Folgenden werden daher die hier betrachteten Wärme-
erzeugungssysteme – für die definierten Versorgungsaufgaben (Kapitel 1.3) – einander
vergleichend gegenüber gestellt (d. h. solarthermische Wärmebereitstellung, Nutzung der
Umgebungsluft und der oberflächennahen Erdwärme, Nutzung der tiefen Erdwärme) und
mit den jeweils substituierbaren Optionen zur Nutzung fossiler Energieträger (d. h. erd-
gasgefeuerte Heizungsanlage) verglichen.
Für die verschiedenen untersuchten Optionen wird im Folgenden zunächst das jewei-
lige regenerative Energieangebot diskutiert. Dann werden ausgewählte technische Kenn-
größen der Konversionsanlagen gegenübergestellt. Anschließend werden die Ergebnisse
der ökonomischen und der ökologischen Analyse vergleichend diskutiert. Darauf aufbau-
end erfolgt eine Gegenüberstellung der jeweiligen Potenziale und der Nutzung.

10.2.1 Energieangebot

Das Energieangebot, das für die Wärmebereitstellung aus Solarenergie, Umgebungsluft


sowie oberflächennaher und tiefer Erdwärme bestimmend ist, unterscheidet sich sowohl
bezüglich der zeitlichen Angebotscharakteristik als auch hinsichtlich der regionalen Ver-
teilung. Beides wird nachfolgend analysiert.

Zeitliche Angebotsvariationen Die zeitlichen Angebotsvariationen zwischen den unter-


schiedlichen hier betrachteten Möglichkeiten einer Wärmebereitstellung zeigen sowohl
im Kurz- als auch im Langzeitbereich Unterschiede (Tabelle 10.5).
Bei der Solarstrahlung sind sowohl im Stunden- als auch im Tages- und Jahresbereich
erhebliche Variationen des Energieangebots gegeben. Dabei zeichnet sich die Solarstrah-
lung in Mitteleuropa durch einen deutlich ausgeprägten jahreszeitlichen Verlauf mit ei-
nem maximalen Strahlungsangebot in den Sommermonaten und vergleichsweise geringer
Strahlung im Winter aus. Dieser typische Jahresgang ist zwischen unterschiedlichen Jah-
ren im Grundsatz vergleichbar; er kann jedoch – je nach den aktuellen meteorologischen
Bedingungen eines konkreten Jahres – durchaus z. T. beachtlichen Veränderungen unter-
worfen sein, die sich in der Jahressumme aber oft wieder ausgleichen. Jedoch kann die von
der Sonne eingestrahlte Tagessumme der Energie aufgrund des großen Einflusses der an
verschiedenen Tagen erheblich variierenden Bedeckung deutlich schwanken; zusätzlich
hat hierbei die im Jahresverlauf unterschiedliche mittlere Sonnenhöhe über dem Horizont
einen deutlichen Einfluss. Aber auch während eines Tages ist das solare Strahlungsange-
bot durch z. T. erhebliche Schwankungen charakterisiert. Dabei kommt es infolge des sich
964 M. Kaltschmitt und L. Sens

Tabelle 10.5 Vergleich der räumlichen und zeitlichen Angebotscharakteristik des solaren Strah-
lungsangebots, des Energieangebots der Umgebungsluft und des geothermischen Wärmeangebots
Solarthermie Umgebungsluft Geothermie
Oberflächennahe Tiefe
Erdwärme Erdwärme
Substundenbereich ausgeprägt kaum ausgepr. nicht vorh. nicht vorh.
Stundengang ausgeprägt ausgeprägt kaum vorh. nicht vorh.
Tagesgang ausgeprägt ausgeprägt kaum ausgepr. nicht vorh.
Jahresgang ausgeprägt ausgeprägt schw. ausgepr. nicht vorh.
Lokal vorhanden vorhanden schw. ausgepr. vorhandena
Regional vorhanden vorhanden schw. ausgepr. vorhandena
a
von der eingesetzten Erschließungstechnik und der betrachteten Region abhängig; ausgepr. ausge-
prägt; schw. schwach; vorh. vorhanden.

deterministisch verändernden Sonnenstandes über dem Horizont im Verlauf eines Tages


zu entsprechenden Variationen, die jedoch i. Allg. nicht sehr sprunghaft verlaufen; diese
Unterschiede können jedoch durch Einflüsse u. a. infolge von durchziehenden Wolkenfel-
dern überlagert werden.
Auch die in der Umgebungsluft befindliche Energie ist sowohl im Stunden- als auch
im Tages- und Jahresbereich erheblichen Angebotsvariationen unterworfen. Dabei zeich-
net sich diese Energiequelle – ähnlich wie die der Solarstrahlung – durch einen deutlich
ausgeprägten jahreszeitlichen Verlauf mit einem maximalen Energieangebot in den Som-
mermonaten und einem vergleichsweise geringen im Winter aus. Auch ist dieser typische
Jahresgang zwischen unterschiedlichen Jahren grundsätzlich ähnlich. Die von der Sonne
eingestrahlte Energie – und damit auch die thermische Energie in der Umgebungsluft –
kann aufgrund der an verschiedenen Tagen erheblich variierenden Bedeckung schwanken;
hinzu kommen die Einflüsse aufgrund der aktuellen meteorologischen Großwetterlage
(z. B. Austausch tropischer Warmluft durch polare Kaltluft). Aber auch während eines
Tages kann die Energie der Umgebungsluft erhebliche Schwankungen aufweisen. Der
sich deterministisch verändernde Sonnenstand über dem Horizont führt zu entsprechen-
den Variationen, die jedoch i. Allg. durch die Speicherwirkung der Erdoberfläche und
die permanent stattfindende Durchmischung der bodennahen Luftschichten z. T. gepuf-
fert werden. Dadurch verändert sich die Temperatur der Umgebungsluft meist nicht sehr
sprunghaft; nichtsdestotrotz kann sie sich im Tagesverlauf stetig – je nach den meteoro-
logischen Gegebenheiten – z. T. durchaus beachtlich verschieben. Insgesamt ist aber die
Veränderung der Temperatur der Umgebungsluft i. Allg. merklich ausgeglichener als die
der Solarstrahlung.
Bei der Nutzung der oberflächennahen Erdwärme mit Hilfe von horizontal verlegten
Erdreichwärmeübertragern sind Fluktuationen bzw. Variationen des erneuerbaren Ener-
gieangebots zu einem erheblich eingeschränkteren Maße als bei der solarthermischen
Wärmegewinnung und zu einem ebenfalls deutlich geringeren Ausmaß wie bei der Ener-
10 Zusammenfassender Vergleich 965

gie der Umgebungsluft gegeben. Obwohl es sich auch bei dieser Art der oberflächennahen
Erdwärmenutzung grundsätzlich weitgehend um eine, wenn auch indirekte, Nutzung der
Sonnenenergie handelt, werden die stündlichen und täglichen Angebotsunterschiede der
eingestrahlten Sonnenenergie in den obersten Metern der Erdkruste – infolge der Spei-
cherwirkung des Bodens – weitgehend ausgeglichen. Dadurch ergibt sich im Regelfall
ein Jahresgang, der mit einer bestimmten Zeitverzögerung und unter Ausgleich der Ex-
tremwerte näherungsweise dem mittleren Jahresgang der wochen- bzw. monatsmittleren
Lufttemperatur an der Erdoberfläche des entsprechenden Standortes folgt. Dieser Jahres-
gang ist mit zunehmender Tiefe unter der Erdoberfläche immer weniger ausgeprägt, da
der Einfluss der Solarstrahlung mit der Tiefe ab- und der der Erdwärme zunimmt. Deshalb
macht er sich bei einer Nutzung der oberflächennahen Erdwärme mit Hilfe von Erdwär-
mesonden bzw. mit einer Grundwassernutzung nur noch sehr eingeschränkt bzw. kaum
noch bemerkbar.
Im Unterschied zu der Nutzung der Solarenergie, der Umgebungsluft und der ober-
flächennahen Erdwärme ist eine Energiebereitstellung aus dem tiefen Untergrund (d. h.
tiefe Geothermie) durch keine zeitlichen Angebotsvariationen gekennzeichnet; dies gilt
für alle Möglichkeiten zur Erschließung des Untergrunds. Unabhängig von der Tages-
und Jahreszeit ist beispielsweise in Thermalwasseraquiferen Wärme in einem gleichen
Maße verfügbar. Jedoch kann es bei der Nutzung des tiefen Untergrunds mit offenen Sys-
temen (z. B. hydrothermale Erdwärmenutzung) im Verlauf mehrerer Jahrzehnte zu einer
langsamen Abnahme der Temperatur des geförderten Geofluids kommen; geothermische
Lagerstätten können – bei einer entsprechenden Auslegung der jeweiligen Konversions-
anlagen, wie es bei offenen Systemen üblicherweise der Fall ist – schneller „abgebaut“
werden, als sie sich infolge des natürlichen Wärmestroms von rund 65 mW/m2 aus dem
Erdinnern regenerieren; damit kann vom Grundsatz her bei derartigen offenen Systemen
lokal mehr thermische Energie aus dem tiefen Untergrund entnommen werden als infol-
ge des natürlichen Erdwärmestroms zufließt. Werden im Unterschied dazu geschlossene
Systeme (z. B. tiefe Sonden) betrachtet, ist die Erdwärme im Verlauf der gesamten tech-
nischen Lebensdauer einer derartigen Anlage in einem gleichen Ausmaß verfügbar; wird
eine anzustrebende nachhaltige Auslegung einer derartigen Anlage unterstellt, wird durch
eine solches geschlossenes System nur die thermische Energie dem Untergrund entnom-
men, die auch durch den natürlichen Wärmestrom zu- bzw. nachfließt.
Zusammengenommen ist damit im Unterschied zur solaren Strahlung und der Energie
der Umgebungsluft die Erdwärme keinen tages- oder jahreszeitlichen Variationen unter-
worfen. Dies gilt jedoch für die oberflächennahe Erdwärme nur eingeschränkt, da hier
eine jahreszeitliche Abhängigkeit infolge des Einflusses der solaren Strahlung gegeben
ist; dieser Einfluss geht aber mit zunehmender Tiefe unter der Erdoberfläche zurück und
macht sich in Tiefen von etwa 20 bis 30 m kaum noch bemerkbar. Kurz- oder mittelfris-
tige Fluktuationen, wie sie bei der Solarstrahlung sehr ausgeprägt gegeben sind und ein
typisches Kennzeichen dieses Energieangebots darstellen, sind bei der tiefen Erdwärme
aber nicht vorhanden.
966 M. Kaltschmitt und L. Sens

Räumliche Angebotsvariationen Die betrachteten regenerativen Energien sind bei-


spielsweise innerhalb der Gebietsfläche Mitteleuropas teilweise sehr unterschiedlich
verfügbar.
Im langjährigen Mittel schwankt das solare Strahlungsangebot an unterschiedlichen
Orten in Mitteleuropa nur innerhalb vergleichsweise enger Grenzen. In Deutschland wer-
den beispielsweise die höchsten Strahlungssummen in Süddeutschland u. a. aufgrund des
hier relativ höheren Sonnenstandes gemessen; Ausnahmen stellen Gebiete mit einem un-
günstigen Mikroklima (z. B. starke Neigung zur Nebelbildung) dar. Damit sind durchaus
regionale Angebotsunterschiede gegeben, die zusätzlich auch bestimmten lokal beding-
ten Variationen unterworfen sein können. Im groben Durchschnitt ist jedoch das solare
Strahlungsangebot innerhalb der Gebietsgrenzen Deutschlands durch keine signifikanten
Unterschiede gekennzeichnet. Vom Grundsatz her gelten diese Aussagen auch für Mittel-
europa, wenn auch hier aufgrund der größeren Gebietsfläche das von der Sonne kommen-
de Strahlungsangebot infolge der veränderten himmelsmechanischen Zusammenhänge
zwingend größeren Unterschieden unterworfen ist und durch die größere Inhomogeni-
tät der Erdoberfläche (u. a. Hochgebirge) die Einflüsse der Erdoberfläche – und damit der
Empfangsfläche – zunehmen.
Ähnlich sind die Zusammenhänge auch bei dem Energieangebot der Umgebungsluft.
Sie ist näherungsweise korreliert mit der Solarstrahlung und folglich auch nicht durch
signifikante regionale Unterschiede gekennzeichnet, zumal die Umgebungsluft einem na-
türlich bedingten laufenden Durchmischungsprozess unterliegt, der dafür Sorge trägt, dass
lokale Lufttemperaturunterschiede i. Allg. schnell ausgeglichen werden. Jedoch kann es
auch hier zu regionalen Unterschieden kommen, die i. Allg. jedoch eher lokaler Art sind
und durch die vor Ort vorliegenden Besonderheiten bedingt werden.
Die Nutzung der oberflächennahen Erdwärme ist, da auch dieses Energieangebot nä-
herungsweise an das solare Strahlungsangebot gekoppelt ist, ebenfalls nur geringen räum-
lichen Angebotsunterschieden unterworfen. Sie resultieren im Wesentlichen aus der je-
weiligen Bodenbedeckung und dem lokal unterschiedlichen Sonnenenergieeintrag durch
Oberflächen- bzw. Grundwässer. Zusätzlich dazu kann es lokal bedingte Energieeinträge
durch anthropogene Quellen geben (z. B. durch Fernwärmeleitungen, Abwasserleitungen)
und es können weitere Restriktionen vorkommen, die eine Nutzung nicht oder nur ein-
geschränkt erlauben (z. B. Grundwasserschutzgebiete). In der Summe sind aber – trotz
derartiger Effekte – die räumlichen Angebotsvariationen der oberflächennahen Erdwärme
innerhalb Mitteleuropas i. Allg. gering.
Im Unterschied zu der Sonnenenergie, der Umgebungswärme und der oberflächenna-
hen Erdwärme sind Erdwärmevorkommen auf der Basis klüftig-poröser Speicher (d. h. of-
fene Systeme wie z. B. hydrothermale Erdwärmenutzung) durch erheblich größere räum-
liche Angebotsunterschiede gekennzeichnet. Eine Nutzung beispielsweise der hydrother-
malen Erdwärme ist – entsprechend dem gegenwärtigen Kenntnisstand – mit einer hohen
Wahrscheinlichkeit primär nur im norddeutschen Becken, im Oberrheingraben und im
Molassebecken sowie im Wiener Becken technisch vergleichsweise einfach möglich; hin-
zu kommen noch Gebiete mit potenziellen Vorkommen (z. B. Thüringer Becken). Zusam-
10 Zusammenfassender Vergleich 967

mengenommen entspricht die Fläche, auf der derartige Sedimentbecken nach dem gegen-
wärtigen Kenntnisstand sicher vorkommen, beispielsweise etwa 35 % der Gesamtfläche
Deutschlands. Aber auch in den Gebieten, in denen solche hydrothermalen Vorkommen
mit hoher Wahrscheinlichkeit gegeben sind, kann es infolge von geologisch bedingten
Unregelmäßigkeiten im porösen und permeablen Trägergestein, in dem sich die warmen
bzw. heißen Tiefenwässer befinden, zu signifikanten Angebotsunterschieden auch auf en-
gem und engstem Raum kommen (z. B. kann sich die Porosität und die Permeabilität (d. h.
Durchlässigkeit) des thermalwasserführenden Trägergesteins innerhalb weniger Meter än-
dern). Unabhängig davon können aber auch in anderen Gebieten, die außerhalb dieser
Bereiche liegen, geologische Bedingungen gegeben sein, die eine Nutzung klüftig-porö-
ser Vorkommen möglich erscheinen lassen.
Im Unterschied dazu ist eine Nutzung des tiefen Untergrunds mithilfe von Stimulati-
onsverfahren prinzipiell auf der gesamten Gebietsfläche Mitteleuropas möglich. Regio-
nale Unterschiede sind aber auch hier infolge unterschiedlicher geologischer Strukturen
und durch eine unterschiedliche Temperaturzunahme mit zunehmender Tiefe im Unter-
grund (d. h. verschiedene geothermische Gradienten) gegeben. Deshalb ist der Aufschluss
des Untergrunds in Gebieten mit geothermischen Anomalien in Bezug auf eine überdurch-
schnittliche Temperaturzunahme mit zunehmender Tiefe, wie es z. B. im Oberrheingraben,
der im Südwesten Deutschlands liegt, der Fall ist, besonders vielversprechend. Damit gibt
es sehr wohl regionale Angebotsunterschiede, die in der aus geologischen Gründen unter-
schiedlichen Zunahme der Temperatur mit der Tiefe begründet liegen.
Grundsätzlich ist auch eine Nutzung der Erdwärme mit Hilfe tiefer Sonden (d. h. ge-
schlossene Systeme) auf der gesamten Gebietsfläche Mitteleuropas denkbar. Regionale
Unterschiede im jeweils vorliegenden Temperaturniveau sind bei dieser Nutzungsoption
nur insofern gegeben, als dass auf der betrachteten Gebietsfläche die Temperaturzunah-
me mit der Tiefe variieren kann (z. B. ist der Oberrheingraben durch eine überdurch-
schnittliche Zunahme der Temperatur mit zunehmender Tiefe beispielsweise im Vergleich
zum norddeutschen Becken gekennzeichnet). Daraus resultiert ein regional teilweise un-
terschiedliches Energieangebot, das mit derartigen geschlossenen Systemen erschlossen
werden könnte.
Zusammengenommen ist damit die bei der solarthermischen Technik genutzte Primär-
energie (d. h. die solare Strahlung) prinzipiell überall in Mitteleuropa nutzbar. Dies gilt
auch für das Energieangebot der Umgebungsluft und der oberflächennahen Erdwärme.
Mit wenigen Einschränkungen aufgrund geologischer Unterschiede und des bisher z. T.
noch geringen Kenntnisstandes trifft dies vom Grundsatz her auch für die Nutzung der
Energie des tiefen Untergrunds zu, obwohl es hier Gebiete gibt, die infolge überdurch-
schnittlich hoher Temperaturen und / oder den lokal unterschiedlichen Gegebenheiten im
tiefen Untergrund für eine Nutzung eher prädestiniert sind als andere. Weniger trifft dies
auf die Nutzung klüftig-poröser Speicher (z. B. hydrothermale Erdwärmenutzung) zu, da
die entsprechenden geologischen Strukturen nicht auf der gesamten betrachteten Gebiets-
fläche gegeben sind.
968 M. Kaltschmitt und L. Sens

10.2.2 Systemtechnische Beschreibung

Die technischen Kenngrößen der betrachteten Optionen zur Bereitstellung von Wärme,
ggf. auch unter gleichzeitiger Stromerzeugung in Kraft-Wärme-Kopplung, unterschei-
den sich erheblich. Nachfolgend werden daher wesentliche technische Größen, bei denen
ein Vergleich möglich und sinnvoll ist, einander gegenübergestellt. Dies wird sowohl im
Quervergleich der einzelnen Optionen untereinander als auch im Vergleich zu den ent-
sprechenden Alternativen zur Nutzung fossiler Energieträger realisiert.

Anlagenleistungen Die installierte thermische Nennleistung ist eine typische Kenngröße


einer primär zur Wärmebereitstellung genutzten Konversionsanlage.
Eine Bestimmungsgröße für die Größenordnung der jeweils in einer einzelnen Wärme-
bereitstellungsanlage zur Nutzung des regenerativen Energieangebots installierten thermi-
schen Leistung ist – außer der gegebenen und zu deckenden Wärmenachfrage – die nutz-
bare Energiedichte der genutzten erneuerbaren Energie. Hier unterscheiden sich das Ener-
gieangebot des flachen und tiefen Untergrunds, der Umgebungsluft und der Solarstrahlung
deutlich. Beispielsweise steht der mittleren Leistung bzw. Leistungsdichte des Erdwär-
mestroms von rund 65 mW/m2 eine etwa 1 500 mal höhere jahresmittlere solare Strah-
lungsleistung bzw. solare Leistungsdichte (im Tagesmittel (Tagstunden) rund 100 W/m2 ),
ebenfalls bezogen auf die Erdoberfläche (horizontale Empfangsfläche), gegenüber. Dieser
Vergleich ist aber kaum von nutzungstechnischer Relevanz, denn es müssen zusätzlich
die jeweiligen Energiedichten der genutzten Erdwärmequellen mit der solaren Strahlung
verglichen werden; und sie unterscheiden sich von denjenigen des mittleren Erdwärme-
stroms erheblich. Vor allem variieren sie innerhalb einer großen Bandbreite, die deutlich
größer ist als die Variationsbreite der jahresmittleren Energiedichte der solaren Strahlung
in Mitteleuropa. Bei der oberflächennahen Erdwärmenutzung und der Nutzung der Um-
gebungsluft wird eine Wärmequelle mit vergleichsweise geringer Energiedichte genutzt.
Deutlich höhere Energiedichten treten in heißwasserführenden Aquiferen auf; dafür ist
die Erschließung derartiger Thermalwasseraquifere im tiefen Untergrund entsprechend
aufwändiger (Bohr- und Erschließungsaufwand). Diese unterschiedlichen jeweils nutzba-
ren Energiedichten bedingen im Normalfall deutlich verschiedene installierte Leistungen
der eingesetzten Konversionsanlagen.
Bei den solarthermischen Anlagen zur Wärmeerzeugung handelt es sich um typische
Kleinanlagen mit thermischen Leistungen von einigen kW (Dach-gekoppelte Anlagen auf
Ein- und Mehrfamilienhäusern) bis maximal einige 100 kW thermischer Leistung (So-
larkollektor-Freiflächenanlagen), die im Regelfall mit einem mit fossilen Energieträgern
(oder Biomasse) gefeuerten Heizungssystem gekoppelt sind (sogenanntes Backup-Sys-
tem); nur dann kann unter mitteleuropäischen klimatischen Bedingungen eine sichere
Wärmeversorgung im gesamten Jahresverlauf gewährleistet werden; in den letzten Jahren
wurden sehr vereinzelt im Zusammenhang mit vorhandenen Nah- / Fernwärmesystemen
auch deutlich größere solarthermische Anlagen installiert, die thermische Leistungen ma-
ximal im unteren zweistelligen MW-Bereich aufweisen und zusätzlich über saisonale
10 Zusammenfassender Vergleich 969

Speicher verfügen. Hinzu kommen mit vergleichbaren Leistungen Wärmepumpensyste-


me zur Nutzung der Energie der oberflächennahen Erdschichten oder der Umgebungsluft
ebenfalls für die Deckung der Trinkwarmwasser- und Raumwärmenachfrage primär im
Haushaltssektor; die größten sehr vereinzelt installierten Anlagen zeigen thermische Leis-
tungen im unteren einstelligen MW-Bereich. Grundsätzlich können auch tiefe Erdwärme-
sonden zu dieser Leistungskategorie gezählt werden, auch wenn derartige Anlagen eher
an der oberen Grenze dieses thermischen Leistungsbereichs anzusiedeln sind.
Im Unterschied dazu weisen Anlagen zur Nutzung der tiefen Geothermie installierte
thermische Leistungen auf, die im oberen einstelligen und unteren zweistelligen MW-
Bereich liegen. Die in derartigen Anlagen installierten Leistungen liegen damit rund eine
Größenordnung über denen zur Nutzung der Energie der Solarstrahlung, der Umgebungs-
luft und der oberflächennahen Erdwärme.
Anlagen zur Nutzung fossiler Energieträger zur Wärmebereitstellung sind in praktisch
allen für einen konkreten Anwendungsfall benötigten und damit am Markt nachgefragten
thermischen Leistungen verfügbar. Damit sind für alle hier diskutierten Anlagen zur Nut-
zung erneuerbarer Energien entsprechende mit fossilen Energieträgern gefeuerte Anlagen
mit einer vergleichbaren thermischen Leistung verfügbar, mit denen die gleiche Wärme-
menge bereitgestellt werden kann. Typische Unterschiede in den installierten Leistungen,
wie es bei den Techniken zur Stromerzeugung der Fall ist (Kapitel 10.1.2), gibt es bei den
hier betrachteten Möglichkeiten zur Wärmebereitstellung – ggf. in Kraft-Wärme-Kopp-
lung – nicht.
Zukünftig ist davon auszugehen, dass die diskutierten Wärmebereitstellungstechni-
ken zur Nutzung der Sonnenenergie, der Umgebungsluft und der Erdwärme weiter ver-
bessert werden. Da die installierten Leistungen bereits heute optimal auf die jeweiligen
Anwendungsfälle und damit die entsprechende Nachfrage angepasst sind, ist aus gegen-
wärtiger Sicht nicht davon auszugehen, dass die typischen installierten Leistungen sich
zukünftig wesentlich verändern werden; tendenziell könnte es – je nach Anwendungsfall
– zu größeren installierten thermischen Leistungen kommen. Infolge weiter leicht steigen-
der Wirkungsgrade und zunehmend verbesserter Wärmedämmstandards dürften zukünftig
vielmehr die installierten thermischen Leistungen für Anlagen zur Versorgung einzel-
ner Wohnungen oder Gebäude im Mittel geringfügig zurückgehen; die damit sinkende
Nachfrage nach Raumwärme und ggf. Trinkwarmwasser kann dann mit entsprechend ge-
ringeren thermischen Leistungen bereitgestellt werden.

Wirkungs- und Systemnutzungsgrade Mit solarthermischen Anlagen lassen sich je


nach Anwendungsbereich etwa 15 bis 40 % der im Jahresverlauf eingestrahlten Sonnen-
energie nutzen. Verluste ergeben sich dabei insbesondere durch die Wärmeverluste des
Absorbers, der Leitungen und des Speichers sowie bei Kollektorstillstand (d. h. wenn der
Speicher bereits auf seine Maximaltemperatur aufgeheizt wurde oder die zum Aufladen
des Speichers notwendige Temperatur im Kollektor noch nicht erreicht ist).
Bei der Nutzung der Umgebungsluft und der oberflächennahen Erdwärme durch Wär-
mepumpensysteme bzw. der Nutzung des tiefen Untergrunds ist i. Allg. das verfügbare
970 M. Kaltschmitt und L. Sens

regenerative Energieangebot wesentlich größer als die jeweils am Anlagenstandort gege-


bene Nachfrage nach Niedertemperaturwärme; außerdem ist das Energieangebot z. B. der
oberflächennahen Erdschichten, der Umgebungsluft oder von klüftig-porösen Speichern
absolut kaum sinnvoll quantifizierbar. Ein Systemnutzungsgrad im üblichen Sinne (d. h.
bezogen auf die hauptsächlich genutzte bzw. ausschließlich eingesetzte Primärenergie) ist
damit ebenfalls nicht sinnvoll darstellbar. Deshalb wird i. Allg. z. B. bei Wärmepumpen
der Wirkungs- bzw. Nutzungsgrad bezogen auf die zum Betrieb der Wärmepumpe einge-
setzte Fremdenergie angegeben; d. h. das hauptsächlich genutzte regenerative Primärener-
gieangebot wird nicht berücksichtigt bzw. der Wirkungs- oder Nutzungsgrad wird bezogen
auf einen einfach quantifizierbaren (und typischerweise kostenpflichtigen) Energieträger.
Daraus folgt, dass die resultierenden Wirkungs- bzw. Nutzungsgrade dann konsequenter-
weise auch größer als eins sind (Kapitel 8.1 und 8.2), da sie auf der Energieangebotsseite
nur auf einen Teil-Energiestrom bezogen werden. Die energetische Effizienz von Wär-
mepumpen wird damit z. B. durch die Arbeitszahl oder die Jahresarbeitszahl beschrieben,
die das Verhältnis von zugeführter Antriebsarbeit für die Wärmepumpe zu abgegebener
Wärme innerhalb eines definierten Zeitraums oder eines Kalenderjahres darstellt (Kapi-
tel 8.1 und 8.2). In Abhängigkeit u. a von der Wärmequelle, der Anlagenauslegung und
der Nachfragecharakteristik können im praktischen Betrieb heute Jahresarbeitszahlen von
beispielsweise über 4 erreicht werden.
Unabhängig davon können aber die Wirkungs- bzw. Nutzungsgrade bestimmter Teil-
systeme bzw. Systemelemente der entsprechenden Konversionsanlagen angegeben wer-
den. Beispielsweise können mit Anlagen zur Nutzung hydrothermaler Erdwärme von der
geförderten Wärme – u. a. aufgrund von Wärmeverlusten an die Umgebung – nur etwa 50
bis 70 % als Nutzwärme letztlich auch verfügbar gemacht werden.
Die Wirkungsgrade von mit Erdgas befeuerten „konventionellen“ Wärmeerzeugern lie-
gen im Bereich von etwa 91 bis 93 % (bezogen auf den unteren Heizwert) und ggf. darüber.
Hier ist durch eine zusätzliche Ausnutzung der im Abgas enthaltenen latenten Wärme
(d. h. durch Brennwerttechnik) eine Steigerung des Wirkungsgrads auf über 100 % – be-
zogen auf den unteren Heizwert des eingesetzten Brennstoffs (hier: Erdgas) – möglich;
diese Wirkungsgradsteigerung durch eine Kondensation des bei der Verbrennung erzeug-
ten Wassers hängt u. a. vom Wasserstoff-zu-Kohlenstoff-Verhältnis im Brennstoff (d. h.
dem Anteil des bei der Verbrennung gebildeten Wassers) und dem Temperaturniveau des
nachgeschalteten Heizungssystems ab (d. h. der Wirkungsgrad ist umso höher, je niedri-
ger das benötigte Temperaturniveau ist und damit je mehr latente Wärme technisch genutzt
werden kann).
Ein Vergleich zwischen den betrachteten Wandlungstechniken zur Nutzung regene-
rativer Energien und fossiler Energieträger ist aber nur sehr eingeschränkt möglich, da
sich die diskutierten Wirkungsgradangaben auf jeweils leicht unterschiedliche System-
grenzen beziehen. Würden z. B. bei den mit Erdgas befeuerten Anlagen die Verluste der
Gasbereitstellung berücksichtigt und / oder die Wirkungsgrade auf die vor Jahrmillionen
eingestrahlte Sonnenenergie bezogen, ergäben sich völlig andere Werte.
10 Zusammenfassender Vergleich 971

Unabhängig von dieser grundsätzlichen Problematik eines Vergleichs sehr unterschied-


licher Wärmebereitstellungssysteme dürften sich die jeweiligen Wirkungs- und System-
nutzungsgrade aller betrachteten Optionen einer Wärmebereitstellung zukünftig zu leicht
höheren Wirkungsgraden hin entwickeln. Dies liegt an dem bereits in den vergangenen
Jahren deutlich gewordenen und noch nicht völlig zum Stillstand gekommenen techni-
schen Fortschritt begründet, der zunehmend höhere Wirkungs- und Systemnutzungsgrade
zur Folge hatte. Da bei heute marktgängigen Konversionsanlagen zur Wärmebereitstel-
lung aber bereits z. T. sehr hohe Wirkungs- und Systemnutzungsgrade üblich sind und
diese aus physikalischer Sicht nach oben grundsätzlich begrenzt sind, dürften sich die wei-
teren Verbesserungen jedoch auf einem vergleichsweise geringen Niveau bewegen. Dies
kann sich dann ändern, wenn es zu einem Technologiesprung und / oder zum Übergang
auf eine neue Technologie kommt (z. B. Übergang von der Gas-Brennwerttherme auf die
gasgetriebene Wärmepumpe).

Technische Verfügbarkeiten Die technische Verfügbarkeit als ein Maß für die Anlagen-
zuverlässigkeit ist bei allen hier untersuchten Techniken gegenwärtig bereits sehr hoch.
Dies gilt jedoch nur eingeschränkt für die Techniken und Verfahren, die sich noch in ei-
nem Forschungs- und Entwicklungsstadium befinden bzw. dieses erst vor relativ kurzer
Zeit verlassen haben.
Die hohe technische Verfügbarkeit aller hier untersuchten Optionen zur Wärmebe-
reitstellung aus regenerativen Energien liegt im Wesentlichen an den erfolgreichen Ent-
wicklungsarbeiten der letzten Jahrzehnte und der Markteinführung begründet. Dadurch
konnten die anfänglichen z. T. erheblichen technischen und systemischen Probleme zwi-
schenzeitlich weitgehend überwunden werden und in der Zwischenzeit liegt ein breiter
Erfahrungsschatz vor. Heute sind voll funktionsfähige Anlagen auf dem Markt verfügbar,
die eine definierte Versorgungsaufgabe mit einer hohen Wahrscheinlichkeit sicher decken
können.
Bei der Solarthermie ist die hohe technische Verfügbarkeit ein wesentliches Ergebnis
sowohl der Verbesserungen an einzelnen Systemelementen als auch der Systemtechnik
und damit des optimalen Zusammenspiels der einzelnen Systemelemente untereinander
bzw. miteinander. Damit sind heute technische Verfügbarkeiten möglich, die im Bereich
von mit fossilen Brennstoffen gefeuerten Anlagen zur Wärmenachfragedeckung liegen.
Auch ist die technische Lebensdauer der entsprechenden Anlagen weitgehend vergleich-
bar mit der der fossilen Pendants.
Die geringe Störungsanfälligkeit marktgängiger Wärmepumpensysteme zur Nutzung
der Umgebungsluft und der oberflächennahen Erdwärme hat ihre Ursache primär in der
deutlich verbesserten Wärmepumpentechnik im Vergleich zu den Anlagen, die Anfang bis
Mitte der 1980er Jahre angeboten wurden (nach der zweiten Ölpreiskrise 1979/80 fand in
Deutschland ein erster Wärmepumpenboom statt) und noch zahlreiche „Kinderkrankhei-
ten“ aufwiesen. Zusammen mit dem ebenfalls zwischenzeitlich optimierten Zusammen-
spiel der einzelnen Systemelemente (d. h. der Wärmequellenanlage und der Wärmepumpe
in optimaler Abstimmung mit der Wärmesenkencharakteristik) zeigen Anlagen zur Nut-
972 M. Kaltschmitt und L. Sens

zung der Umgebungsluft und der oberflächennahen Erdwärme heute Verfügbarkeiten, die
denen von Wärmebereitstellungsanlagen entsprechen, die mit fossilen Energieträgern be-
trieben werden. Dies gilt grundsätzlich auch für Anlagen, welche Erdwärme mit Hilfe
tiefer Sonden nutzen.
Auch bei Anlagen zur Nutzung der Energie des tiefen Untergrunds (z. B. hydrother-
male Erdwärmevorkommen) ist eine hohe technische Verfügbarkeit gegeben. Hier kann
es aber u. a. infolge der insbesondere im norddeutschen Becken oft korrosiven Ther-
malwässer zu entsprechenden Materialabzehrungen und / oder bei Sauerstoffzutritt in den
Thermalwasserkreislauf zu Ausfällungen kommen. Auch ist die Tiefpumpe ein relativ
stark beanspruchtes Systemelement, das ggf. in bestimmten Abständen innerhalb der tech-
nischen Lebensdauer der Gesamtanlage auszutauschen ist. Trotz erheblicher technischer
Fortschritte in den letzten Jahren kann es deshalb auch bei ordnungsgemäß durchgeführten
Wartungsarbeiten zu (i. Allg. aber nur seltenen) Anlagenausfällen kommen. Unabhängig
davon wird aber auch bei derartigen Anlagen ein sehr hohes Maß an Betriebssicherheit
realisiert, das nahezu in der Größenordnung von vergleichbaren mit fossilen Brennstoffen
gefeuerten Anlagen liegt; dies liegt nicht zuletzt auch darin begründet, dass derartige An-
lagen oft über einen mit Erdgas betriebenen Notfall-Wärmeerzeuger verfügen, damit auch
im Störungsfall eine Versorgung sichergestellt werden kann.
Im Unterschied dazu liegen bisher noch wenige Erfahrungen über die technische Zu-
verlässigkeit von Anlagen zur gekoppelten Strom- und Wärmebereitstellung aus Erd-
wärme vor. Hier werden die derzeit laufenden Aktivitäten u. a. in Deutschland und in
Österreich neue Erkenntnisse und entsprechende Erfahrungen bringen, die es erlauben
werden, auch bei diesen Anlagen die Zuverlässigkeit deutlich zu verbessern. Infolge des
bisher noch vergleichsweise frühen Entwicklungsstadiums sind hier sicherlich noch uner-
schlossene Optimierungspotenziale vorhanden, deren Erschließung einen sichereren An-
lagenbetrieb ermöglichen sollte.
Zukünftig wird es bei allen hier untersuchten Möglichkeiten zur Energiebereitstellung
aus Solarstrahlung, Umgebungsluft und Erdwärme zu einer weiteren Zunahme der tech-
nischen Verfügbarkeit kommen. Aufgrund der z. T. schon erreichten sehr hohen Standards
erscheint dies bei vielen Optionen jedoch nur noch in einem entsprechend geringen Aus-
maß möglich.

Volllaststunden / Wärmebereitstellungscharakteristiken Die Wärmebereitstellungs-


charakteristik sowie die Volllaststunden der hier betrachteten Systeme sind – mit Aus-
nahme der solarthermischen Wärmenutzung – keinen angebotsseitigen Beschränkungen
unterworfen. Sie können eine gegebene Wärmenachfrage nachfrageorientiert ohne phy-
sikalisch oder technisch bedingte Einschränkungen decken. Damit zeigen Anlagen zur
Nutzung der Umgebungsluft und der oberflächennahen Erdwärme, der Erdwärme aus dem
tiefen Untergrund sowie fossiler Energieträger keine angebotsabhängige Wärmebereit-
stellungscharakteristik; d. h. diese Systeme könnten – zumindest theoretisch – 8 760 h/a
mit Volllast betrieben werden. Solarthermische Anlagen sind demgegenüber im Jahresver-
lauf durch eine ähnlich ausgeprägte Erzeugungscharakteristik wie Photovoltaikanlagen
10 Zusammenfassender Vergleich 973

gekennzeichnet. Hier kann jedoch durch die einfache (und übliche) Speichermöglichkeit
solarthermisch bereitgestellter Wärme mithilfe von Wasser ein tageszeitlich insgesamt
ausgeglichener und damit innerhalb bestimmter Zeitfenster (unter ökonomischen Aspek-
ten derzeit im Regelfall maximal im Wochenverlauf) angebotsunabhängiger Verlauf der
Wärmebereitstellung realisiert werden. An diesen Zusammenhängen dürfte sich in Zu-
kunft wenig ändern, da nicht davon auszugehen ist, dass das regenerative Energieangebot
in überschaubaren Zeiträumen signifikanten Variationen unterworfen sein wird und die ty-
pische Systemauslegung von solarthermischen Anlagen sich aus ökonomischen Gründen
in Hinblick auf deutlich größere Speicherkapazitäten signifikant verändern wird.

10.2.3 Ökonomische und ökologische Analyse

Ausgehend von den Analysen in den Kapitel 4, 8 und 9 ist es das Ziel der nachfolgenden
Ausführungen, die bei den einzelnen Optionen zur Wärmebereitstellung mit regenerativen
Energien diskutierten Ergebnisse zusammenzufassen. Außerdem werden sie im energie-
wirtschaftlichen Kontext diskutiert.

Versorgungsaufgaben Um einen einheitlichen Vergleich der unterschiedlichen Optio-


nen zur Wärmebereitstellung aus regenerativen Energien ggf. in Kombination mit fos-
silen Energieträgern zu ermöglichen, werden diverse Versorgungsaufgaben mit einer je-
weils unterschiedlichen Wärmenachfrage definiert. Dazu werden fünf Einfamilienhäuser
(EFH 0, I, II, III und IV) und fünf Mehrfamilienhäuser (MFH 0, I, II, III und IV) betrachtet
(Kapitel 1.3). Diese einzelnen Versorgungsaufgaben sind entsprechend Tabelle 10.6 durch
eine bestimmte Nachfrage nach Trinkwarmwasser und Raumwärme gekennzeichnet (Ka-
pitel 1.3).
Bei den Mehrfamilienhäusern werden Gebäude mit 12 Wohneinheiten unterstellt. Als
Systemgrenzen gelten die jeweiligen Einspeisestellen der Wärmeversorgung in das Haus-
verteilungsnetz für Warmwasser (z. B. Ausgang Speicher) bzw. Raumheizung (z. B. Aus-
gang Heizkessel). Nicht berücksichtigt werden damit die Verluste der Wärmeverteilung
in den Gebäuden sowie der Stromverbrauch der Heizungsumwälzpumpen und der ggf.
vorhandenen Trinkwarmwasser-Zirkulationspumpen in den Gebäuden. Diese werden für
alle betrachteten Fälle als gleich unterstellt und liegen damit außerhalb des hier unterstell-

Tabelle 10.6 Definierte Versorgungsaufgaben für Raumwärme und Trinkwarmwasser (Kapitel 1.3)
(TWW Trinkwarmwasser, RW Raumwärme)
Versorgungsaufgabe Einfamilienhaus (EFH) Mehrfamilienhaus (MFH)
0 I II III IV 0 I II III IV
TWW-Nachfrage in GJ/a 6,8 6,8 6,8 6,8 6,8 45,2 45,2 45,2 45,2 45,2
RW-Nachfrage in GJ/a 8,1 14,9 18,9 27,0 75,6 42,1 74,1 94,4 134,9 308,9
Heizleistung in kW 1,8 3,0 4,0 5,0 13,0 7,8 19,0 22,0 29,0 57,0
974 M. Kaltschmitt und L. Sens

ten Betrachtungsrahmens; die Relationen der untersuchten Optionen untereinander ändern


sich dadurch nicht.
Zusätzlich werden für die geothermische Wärmebereitstellung Nahwärmesysteme de-
finiert. Hierbei handelt es sich um Systeme zur ausschließlichen Wärmeversorgung von
Wohngebäuden, die einer Mischung der oben beschriebenen Versorgungsaufgaben ent-
sprechen. Sie unterscheiden sich hinsichtlich der vom Heizwerk bereitzustellenden Wär-
me (32,2 (NW II) sowie 64,4 TJ/a (NW III); Kapitel 1.3).
Bei der Definition bzw. Festlegung der jeweiligen Referenztechniken wird die derzeit
gängige Praxis abgebildet; d. h. es werden von den grundsätzlich möglichen Varianten
nur die näher untersucht, denen auch praktische Relevanz zukommt. Konkret werden die
folgenden Referenztechniken analysiert.

 Solarthermische Wärmebereitstellung. Für die Nachfragefälle „Einfamilienhaus (EFH)“


und „Mehrfamilienhaus (MFH)“ werden jeweils eine solarthermische Anlage zur Un-
terstützung der Trinkwarmwasserbereitung mit einem solaren Deckungsgrad von 60 %
betrachtet. Dafür wird eine Nettokollektorfläche von 6,4 m2 (EFH) bzw. 25 m2 (MFH)
unterstellt. Für alle Nachfragefälle „Einfamilienhaus (EFH)“ sowie den Nachfrage-
fällen MFH 0 und I wird zusätzlich jeweils ein solarthermisches Kombisystem zur
Trinkwarmwasserbereitung und Heizungsunterstützung mit einer Kollektorfläche von
3,4 bis 34 m2 – je nach Wärmenachfrage und damit Dämmstandard der jeweiligen
Versorgungsaufgabe – betrachtet. Diese Systeme sind jeweils für einen solaren De-
ckungsgrad von 20 % ausgelegt. Auch wird ein Nachfragefall eines Nahwärmenetzes
(Nachfragefall NW I; Kapitel 1.3) mit solarer Heizungsunterstützung definiert, welches
einen solaren Deckungsgrad von 14 % und eine Kollektorfläche von 2 000 m2 aufweist.
Weiterhin werden sechs solarthermische Anlagen zur Trinkwarmwasserbereitung und
Heizungsunterstützung für die Nachfragefälle EFH 0 bis III mit einer Kollektorfläche
zwischen 10 und 31 m2 sowie MFH 0 und MFH I mit einer Kollektorfläche von 49
respektive 88 m2 betrachtet. Bei diesen solaren Kombisystemen zur Wärmeversorgung
wird ein solarer Deckungsgrad von 45 % zugrunde gelegt. Hinzu kommen jeweils die
entsprechenden mit fossilen Energieträgern gefeuerten Backup-Systeme, damit die
definierte Versorgungsaufgabe sicher gedeckt werden kann (Kapitel 4.3).
 Nutzung von Umgebungsluft und oberflächennaher Erdwärme. Für alle Versor-
gungsaufgaben „Einfamilienhaus (EFH)“ wird ein Wärmepumpen-Heizsystem mit
Erdkollektoren und für alle Versorgungsaufgaben „Mehrfamilienhaus (MFH)“ ei-
ne Wärmepumpenheizung mit Erdwärmesonden untersucht. Dabei handelt es sich
jeweils um Solesysteme mit elektrisch angetriebenen Kompressionswärmepumpen
und einem Kombiwärmespeicher. Für alle betrachteten Ein- und Mehrfamilienhäuser
wird zusätzlich ein Wärmepumpen-Heizsystem (d. h. Kompressionswärmepumpe) mit
Kombispeicher zur Nutzung der Umgebungsluft betrachtet. Des Weiteren werden für
die Ein- (EFH) und Mehrfamilienhäuser (MFH) I bis VI jeweils ein mit Erdgas betrie-
benes Sorptionswärmepumpen-Heizsystem untersucht, das ebenfalls Umgebungsluft
nutzt (Kapitel 8.3).
10 Zusammenfassender Vergleich 975

 Tiefe Geothermie. Hier wird eine Anlage zur Nutzung der hydrothermalen Erdwär-
me mit einem mit leichtem Heizöl gefeuerten Spitzenlastkessel (Nachfragefall NW II;
Kapitel 1.3) untersucht, die sich mit einer Bohrlochtiefe von 2 250 m und einer Ther-
malwassertemperatur von 90 ı C an einem Standort im norddeutschen Becken befindet
und eine thermische Leistung von 3,4 MW bereitstellt. Weiterhin wird ein Wärmever-
sorgungssystem betrachtet, dass aus einer 2 500 m tiefen Bohrung einen Thermalwas-
servolumenstrom von 50 L/s nutzt (Nachfragefall NW III; Kapitel 1.3). Diese Anlage
stellt eine thermische Leistung von 7,6 MW bereit, mit der die jährliche Wärmenach-
frage zu 85 % gedeckt werden kann. Der verbleibende Rest wird mithilfe eines mit
leichtem Heizöl gefeuerten Spitzenlastkessels bereitgestellt (Kapitel 9.3).

Diese Techniken zur Nutzung des regenerativen Energieangebots werden einer klein-
technischen Wärmebereitstellung mittels Erdgas-Brennwertkessel ebenfalls für die Syste-
me EFH 0 bis MFH IV gegenübergestellt (Kapitel 1.4).

Ökonomische Analyse Die Wärmegestehungskosten stellen ein wesentliches Kriteri-


um für die energiewirtschaftliche Bewertung einer Wärmebereitstellung aus regenerativen
Energien dar. Deshalb werden nachfolgend die Kosten einer solarthermischen Wärmeer-
zeugung, einer Wärmebereitstellung aus Umgebungsluft und oberflächennaher Erdwärme
sowie aus tiefer Erdwärme zur Deckung der diskutierten Versorgungsaufgaben ermittelt.
In Anlehnung an die bisherige Vorgehensweise erfolgt dies auf der Basis einer volks-
wirtschaftlichen Kostenrechnung (realer Zinssatz 2 % (Ausnahme: tiefe Geothermie; hier
wird ein realer Zinssatz von 4 % unterstellt; damit wird dem hier gegebenen größeren
technischen Risiko Rechnung getragen), Abschreibungsdauer entspricht der technischen
Anlagenlebensdauer) und den derzeitigen technischen und ökonomischen Gegebenheiten.
Abb. 10.9 zeigt die Wärmegestehungskosten aller betrachteten Anlagen. Demnach wird
eine Tendenz deutlich, dass bei den untersuchten Wärmebereitstellungsoptionen die Kos-
ten vom Nachfragefall EFH 0 bzw. MFH 0 bis zum Fall EFH IV bzw. MFH IV abnehmen.
Generell nehmen mit sinkender Wärmenachfrage, wie es bei einem zunehmenden Wär-
medämmstandard der Fall ist (d. h. bessere Wärmedämmung von EFH IV bzw. MFH IV
bis EFH 0 bzw. MFH 0 und damit entsprechend geringere Wärmenachfrage) die spezifi-
schen Wärmegestehungskosten sukzessive zu, da kleiner dimensionierte Systeme i. Allg.
spezifisch teurer sind (Effekt des „Economy of Scale“). Damit führen Maßnahmen zur
Wärmenachfragereduktion zwar relativ zu höheren spezifischen Wärmegestehungskosten,
aber absolut – aufgrund der kleineren Nachfrage – zu insgesamt geringeren Aufwendun-
gen für die Wärmebereitstellung.
Wegen der Vielzahl der hier untersuchten Fälle werden nachfolgend die Ergebnisse der
ökonomischen Analyse nur noch exemplarisch für die Versorgungsaufgabe EFH II und
MFH II vertieft diskutiert, da sich die Tendenzen der dabei deutlich werdenden Zusam-
menhänge bei den anderen Nachfragefällen jeweils gleichen (Abb. 10.10).
Zu beachten ist bei diesem Vergleich der Wärmegestehungskosten, dass es sich hier
oft um Mischsysteme zur Nutzung fossiler Energieträger und regenerativer Energien han-
976 M. Kaltschmitt und L. Sens

Wärmegestehungskosten in €/GJ
0 20 40 60 80 100 120 140
0
I
II

TWW 60 %
III
IV
Versorgungsaufgabe EFH
0 Versorgungsaufgabe MFH
I Versorgungsaufgabe NW
II
III
IV
Solarthermie

0
TWW/RW 20 %

I
II
III
IV
0
I
I
Erdkollektor TWW/RW 45 %

0
I
II
III
0
I
0
I
II
III
IV
0
Elektro-Wärmepumpen

Erdsonde

I
II
III
IV
0
I
II
III
IV
Luft

0
I
II
III
IV
I
Wärmepumpem
Sorptions-Gas-

II
III
IV
I
II
III
IV
Geo-
ther.

II
III
0
I
II
Erdgas-BW

III
IV
0
I
II
III
IV

Abb. 10.9 Wärmegestehungskosten von Anlagen zur Nutzung regenerativer Energien und fossi-
ler Energieträger als Backup-System (zur Definition vgl. Kapitel 1.3) (TWW Trinkwarmwasser,
RW Raumwärme, Prozentangaben beziehen sich auf den solaren Deckungsanteil (Kapitel 4.3); NW
Nahwärmenetz; Geother. Geothermie mit 85 % geothermischen Deckungsanteil; Erdgas-BW Brenn-
wertkessel mit Erdgas (Kapitel 1.4))
10 Zusammenfassender Vergleich 977

Wärmegestehungskosten in €/GJ
120

100

80

60

40

20

Abb. 10.10 Wärmegestehungskosten von Anlagen zur Nutzung regenerativer Energien und fossiler
Energieträger als Backup-System für den Anwendungsfall EFH II (zur Definition vgl. Kapitel 1.3)
(TWW Trinkwarmwasser, RW Raumwärme, Prozentangaben beziehen sich auf den solaren An-
teil (Kapitel 4.3); WP Wärmepumpe (Kapitel 8.3); NW Nahwärmenetz, Prozentangaben beziehen
sich auf den geothermischen Deckungsanteil (Kapitel 9.3); Erdgas-BW Brennwertkessel mit Erdgas
(Kapitel 1.4))

delt, da viele Optionen zur Nutzung regenerativer Energien alleine eine definierte Versor-
gungsaufgabe (hier: die sichere, nachfrageorientierte Bereitstellung von Raumwärme und
Trinkwarmwasser im Verlauf eines gesamten Kalenderjahres) nicht zwingend mit einer
hohen Versorgungssicherheit im gesamten Jahresverlauf decken können.

 Eine solarthermische Wärmebereitstellung ist demnach mit 65 bis 76 C/GJ durch die
nahezu höchsten Wärmegestehungskosten charakterisiert. Bei einer solarthermischen
Trinkwarmwasserbereitstellung und Heizungsunterstützung kann auf das mit fossilen
Brennstoffen gefeuerte Backup-System nicht verzichtet werden. Damit kommen die
Kosten für die Anschaffung einer solaren Wärmebereitstellung zu denen einer Wärme-
erzeugung aus fossilen Energieträgern hinzu. Durch die solare Wärme kann folglich
nur der entsprechend dafür benötigte fossile Brennstoff (hier: das Erdgas) – und damit
die dafür aufzuwendenden Kosten (hier: die für das Erdgas) – substituiert werden.
 Etwas günstiger sind die Wärmebereitstellungskosten einer Nutzung der Umgebungs-
luft und der oberflächennahen Erdwärme mittels Elektrowärmepumpen; sie bewegen
sich unter den zugrunde gelegten Randbedingungen bei rund 55 C/GJ. Deutlich teu-
rer sind die Wärmegestehungskosten für Sorptionswärmepumpen auf Erdgasbasis mit
etwa 100 C/GJ; diese relativ hohen Kosten liegen an den bisher noch sehr hohen Inves-
titionen dieser Wärmepumpentechnik begründet.
 Verglichen damit sind die spezifischen Kosten einer Bereitstellung thermischer Energie
aus Erdwärmevorkommen geringer. Sie werden wesentlich beeinflusst durch die geo-
logischen Bedingungen, die u. a. für die notwendige Bohrtiefe (und damit die Bohrkos-
978 M. Kaltschmitt und L. Sens

ten) bzw. die erreichbare Thermalwassertemperatur verantwortlich sind, und die Sys-
temkonzeption (Integration einer Wärmepumpe und / oder eines BHKW’s). Auch wer-
den die Wärmegestehungskosten frei Hausübergabepunkt beim Endverbraucher (d. h.
Versorgungsfall EFH 0 bis MFH IV) wesentlich von den Kosten für die zwingend
benötigten Wärmeverteilnetze beeinflusst, deren Größe wiederum durch die unterstell-
te Wärmenachfragedichte bestimmt wird. Würden beispielsweise höhere Bohrkosten
(d. h. größere Bohrtiefen) und insgesamt höhere Wärmeverteilkosten betrachtet, wür-
den die Wärmegestehungskosten frei Verbraucher merklich ansteigen und die einer
Wärmebereitstellung mittels Wärmepumpen deutlich übersteigen.

Sollen diese Optionen zu Wärmebereitstellung aus regenerativen Energien deutlich


weitergehend zur Wärmenachfragedeckung in Deutschland beitragen, müssen sie – wenn
keine energiepolitischen Maßnahmen getroffen bzw. keine administrativen Vorgaben ge-
macht werden – aus ökonomischer Sicht mit denen aus fossilen Energieträgern konkur-
rieren. Deshalb zeigt Abb. 10.10 zusätzlich die Gestehungskosten von Wärme aus Brenn-
wertthermen, die mit dem fossilen Energieträger Erdgas betrieben werden.
Bei einem Vergleich der dort dargestellten Wärmegestehungskosten wird deutlich, dass
eine Wärmebereitstellung aus fossilen Energieträgern unter den hier zugrunde liegen-
den Bedingungen im Bereich der kostengünstigsten Systeme zur Nutzung erneuerbarer
Energien liegt. Gegenwärtig weist nur eine Nutzung der oberflächennahen Erdwärme
Wärmegestehungskosten auf, die sicher im Bereich der von Systemen zur Nutzung fossiler
Energieträger liegen. Eine Wärmebereitstellung aus tiefer Erdwärme kann kostengünstig
sein (wie in Abb. 10.10 aufgrund der getroffenen Rahmenannahmen dargestellt); diese
Option kann aber auch deutlich kostenintensiver sein.
Diese Zusammenhänge spiegeln sich auch am Markt in Deutschland wieder. Syste-
me zur Nutzung der oberflächennahen Erdwärme haben in den letzten Jahren – infolge
dieser vergleichsweise günstigen Wärmegestehungskosten – eine deutlich weitergehende
Verbreitung gefunden. Dies gilt aus den diskutierten Kostengründen nicht für Systeme
zur Nutzung der tiefen Erdwärme; die begrenzte Verbreitung dieser Option beispielsweise
in Deutschland legt den Schluss nahe, dass in vielen Fällen die tatsächlich anfallenden
Kosten (und die mit der Projektentwicklung verbundenen Risiken) die hier abgeschätzten
Größenordnungen potenziell deutlich übersteigen dürften. Jedoch sind die Kosten nicht
immer und zwingend das die Marktentwicklung ausschließlich bestimmende Kriterium.
Die solarthermische Wärmebereitstellung war in den Nuller Jahren (2000–2010) u. a. in
Deutschland – unabhängig von den hohen Wärmegestehungskosten – durch erhebliche
Zuwächse gekennzeichnet; dies dürfte – außer an den hier nicht betrachteten (begrenzten)
staatlichen Stützungsmaßnahmen – auch daran gelegen haben, dass diese Art der Wärme-
bereitstellung für einen Hausbesitzer i. Allg. nicht mit verhältnismäßig hohen absoluten
Mehrkosten verbunden ist und dem Wunsch vieler Hausbesitzer, etwas für die Umwelt zu
tun und zur Minderung der Klimagasemissionen aktiv beizutragen, Rechnung trägt.
In Abb. 10.11 werden zusätzlich die Wärmegestehungskosten für den Fall MFH II
miteinander verglichen. Demnach pendeln sich die Wärmekosten der verschiedenen unter-
10 Zusammenfassender Vergleich 979

Wärmegestehungskosten in €/GJ
70

60

50

40

30

20

10

Abb. 10.11 Wärmegestehungskosten von Anlagen zur Nutzung regenerativer Energien und fossiler
Energieträger als Backup-System für den Anwendungsfall MFH II (zur Definition vgl. Kapitel 1.3)
(TWW Trinkwarmwasser, Prozentangaben beziehen sich auf den solaren Anteil (Kapitel 4.3);
WP Wärmepumpe (Kapitel 8.3); NW Nahwärmenetz, Prozentangaben beziehen sich auf den geo-
thermischen Deckungsanteil (Kapitel 9.3); Erdgas-BW Brennwertkessel mit Erdgas (Kapitel 1.4))

suchten Systeme bei dieser Versorgungsaufgabe mit Ausnahme von der tiefen Geothermie
infolge der höheren Wärmenachfrage und der damit geringeren spezifischen Investitionen
in einer Größenordnung zwischen 30 und 40 C/GJ ein. Die bereits für den Versorgungsfall
EFH II diskutierten Zusammenhänge gelten hier sinngemäß.
Infolge von technischen Weiterentwicklungen sind zukünftig entsprechende Verän-
derungen der spezifischen Wärmegestehungskosten wahrscheinlich. Dabei sind die zu
erwartenden Kostenänderungen zwischen den betrachteten Möglichkeiten jedoch unter-
schiedlich.

 Bei der solarthermischen Wärmeerzeugung sind – auch aufgrund des schon erreich-
ten hohen technischen Standes – nur vergleichsweise geringe Kostenreduktionen zu
erwarten. Allerdings werden sich im Zuge der laufenden (begrenzten) technischen
Weiterentwicklungen sukzessive mögliche weitere Kostensenkungen realisieren lassen,
sodass in den kommenden Jahren von tendenziell leicht fallenden oder zumindest weit-
gehend konstanten solarthermischen Wärmegestehungskosten auszugehen sein könnte.
 Ähnliches gilt auch für eine Wärmebereitstellung aus Umgebungsluft und oberflächen-
naher Erdwärme mit Wärmepumpen. Auch hier sind die Kosten in den letzten Jahren
tendenziell gefallen – bei gleichzeitig weiter aus technischer Sicht verbesserter Tech-
nik. Deshalb ist hier auch in den kommenden Jahren davon auszugehen, dass geringe
Reduktionen der realen Investitionen am Markt realisiert werden können, die sich dann
auch in entsprechend geringeren Wärmegestehungskosten bemerkbar machen dürften.
 Grundsätzlich vergleichbare Aussagen können auch in Bezug auf eine Wärmebereit-
stellung aus tiefer Erdwärme gemacht werden. Solche Systeme sind, bei jedoch erheb-
980 M. Kaltschmitt und L. Sens

lichen Einflüssen der jeweiligen Gegebenheiten vor Ort (das gilt für die Gegebenheiten
Untertage und Übertage), noch durch begrenzte Kostenreduktionspotenziale gekenn-
zeichnet, die bei einer merklichen Marktausweitung ggf. erschlossen werden könn-
ten. Diese Kostensenkungsmöglichkeiten dürften jedoch deutlich geringer sein als der
durch die Standortgegebenheiten vorgegebene Kostenrahmen.

Ökologische Analyse Nach wie vor bestimmen die mit der End- bzw. Nutzenergiebe-
reitstellung verbundenen Klima- und Umwelteffekte die öffentlichen Diskussionen im
deutschsprachigen Raum, in der EU und darüber hinaus. Deshalb werden im Folgenden
ausgewählte Umweltkenngrößen – jeweils unter Berücksichtigung vor- und nachgelager-
ter Prozesse (d. h. Lebenswegbetrachtung) – für die untersuchten Optionen einer Wärme-
bereitstellung vergleichend diskutiert (zur Methodik siehe Kapitel 1.3).
Abb. 10.12 zeigt exemplarisch die Klimagasemissionen für alle betrachteten Anlagen
und Nachfragefälle. Ähnlich wie bei den Wärmegestehungskosten wird deutlich, dass die
Emissionen vom Nachfragefall EFH 0 bzw. MFH 0 bis zum Fall EFH IV bzw. MFH
IV tendenziell abnehmen, da mit einem zunehmenden Wärmedämmstandard die Wär-
menachfrage sinkt. Obwohl dabei typischerweise die spezifischen Emissionen zunehmen,
sinken demgegenüber die absoluten Emissionen zur Deckung der jeweiligen Wärmenach-
frage der entsprechenden Versorgungsaufgabe im Jahresverlauf. Die Darstellung macht
auch deutlich, dass eine geothermische Wärmebereitstellung durch die geringsten Treib-
hausgasemissionen gekennzeichnet ist und dass mit allen Optionen zur Nutzung rege-
nerativer Energien – im Vergleich zu der fossiler Energieträger – die mit der Deckung
einer bestimmten Versorgungsaufgabe verbundenen Klimagasfreisetzungen reduziert wer-
den können.
Ausgewählte Umweltkenngrößen werden im Folgenden – da sich bei allen hier unter-
suchten Fällen ähnliche Tendenzen ableiten lassen – exemplarisch nur für den Anwen-
dungsfall EFH II vertieft diskutiert.

Erschöpfliche Energieträger Bei den untersuchten Wärmebereitstellungsmöglichkeiten


aus regenerativen Energien – jeweils in Kombination mit fossilen Energieträgern, soweit
deren Einsatz zur Deckung der definierten Versorgungsaufgabe zwingend notwendig ist
– variiert der primärenergetisch bewertete kumulierte Energieaufwand an erschöpflichen
(fossilen) Energieträgern innerhalb der einzelnen hier untersuchten Optionen nicht drama-
tisch; einzige Ausnahme ist die Wärmebereitstellung aus tiefer Erdwärme (Abb. 10.13).

 Die solarthermisch unterstützte Wärmebereitstellung ist durch einen geringeren Ver-


brauch an erschöpflichen Energieträgern gekennzeichnet als eine ausschließliche Wär-
mebereitstellung durch Anlagen auf der Basis fossiler Energieträger. Dieser Minder-
verbrauch an erschöpflicher bzw. fossiler Energie einer solarthermisch unterstützten
Wärmeerzeugung ist u. a. abhängig vom solaren Deckungsgrad (d. h. welcher Anteil
fossiler Energieträger durch Solarenergie ersetzt wird) und vom Material- bzw. Ener-
10 Zusammenfassender Vergleich 981

CO2-Äquivalent-Emissionen in t/TJ
0 20 40 60 80 100 120 140
0
I
II

TWW 60 %
III
IV
Versorgungsaufgabe EFH
0 Versorgungsaufgabe MFH
I Versorgungsaufgabe NW
II
III
IV
Solarthermie

0
TWW/RW 20 %

I
II
III
IV
0
I
I
Erdkollektor TWW/RW 45 %

0
I
II
III
0
I
0
I
II
III
IV
0
Elektro-Wärmepumpen

Erdsonde

I
II
III
IV
0
I
II
III
IV
Luft

0
I
II
III
IV
I
Wärmepumpem

II
Sorptions-Gas-

III
IV
I
II
III
IV
Geo-
ther.

II
III
0
I
II
Erdgas-BW

III
IV
0
I
II
III
IV

Abb. 10.12 Treibhausgasemissionen von Anlagen zur Nutzung regenerativer Energien und fossi-
ler Energieträger als Backup-System (zur Definition vgl. Kapitel 1.3) (TWW Trinkwarmwasser,
RW Raumwärme, Prozentangaben beziehen sich auf den solaren Deckungsanteil (Kapitel 4.3);
NW Nahwärmenetz; Geother. Geothermie mit 85 % geothermischen Deckungsanteil; Erdgas-BW
Brennwertkessel mit Erdgas (Kapitel 1.4))
982 M. Kaltschmitt und L. Sens

1800
1600

Energie in GJ/TJ
1400
1200
1000
800
600
400
200
0

Abb. 10.13 Verbrauch erschöpflicher Energieträger von Anlagen zur Wärmebereitstellung zur De-
ckung der Versorgungsaufgabe EFH II (zur Definition vgl. Kapitel 1.3) (TWW Trinkwarmwasser,
RW Raumwärme, Prozentangaben beziehen sich auf den solaren Anteil (Kapitel 4.3); WP Wärme-
pumpe (Kapitel 8.3); NW Erdwärmenutzung mit Nahwärmenetz, Prozentangaben beziehen sich auf
den geothermischen Anteil (Kapitel 9.3); Erdgas-BW Brennwertkessel mit Erdgas (Kapitel 1.4))

gieeinsatz für die Herstellung der Solaranlage; letztere ist verglichen mit ersterer Ein-
flussgröße i. Allg. jedoch nur von untergeordneter Bedeutung.
 Der Verbrauch an erschöpflichen (fossilen) Energieträgern für die Nutzung von Um-
gebungsluft und oberflächennaher Erdwärme liegt in einem ähnlichen Bereich wie bei
der Nutzung der solarthermisch unterstützten Wärmebereitstellung. Er wird – bei nä-
herungsweise vergleichbaren Wärmepumpensystemen und aufgrund der Tatsache, dass
die Energiebilanz dieser Wärmebereitstellungsoptionen durch den Anlagenbetrieb (und
nicht die Anlagenherstellung) dominiert wird – primär von der jeweils erreichbaren
Jahresarbeitszahl (und damit dem Anteil der Umgebungswärme an der frei Einspeise-
stelle bereitgestellten Wärme) bestimmt.
 Die Bereitstellung thermischer Energie aus tiefer Erdwärme ist – im Vergleich aller hier
untersuchten Optionen untereinander – durch den geringsten Aufwand an erschöpf-
lichen Energieträgern gekennzeichnet. Dieser Aufwand wird sehr wesentlich durch
den geothermischen Deckungsgrad (d. h. Anteil der Wärme, die aus dem Untergrund
stammt, in Bezug auf die gesamte gelieferte Wärme frei Anlagenausgang) bestimmt,
der hier mit 85 % unterstellt wird.

An diesen grundsätzlichen Zusammenhängen und Relationen wird sich in Zukunft we-


nig ändern. Jedoch ist zu erwarten, dass infolge zunehmend effizienterer Energiesysteme
und verbesserter Wärmebereitstellungsanlagen der Verbrauch erschöpflicher Energieträ-
ger bei allen Optionen insgesamt zurückgehen wird. Ersteres gilt insbesondere für die
Wärmepumpenoptionen, deren Energiebilanz primär durch die zum Betrieb eingesetzte
10 Zusammenfassender Vergleich 983

CO2-Äquivalent-Emissionen in t/TJ
120

100

80

60

40

20

Abb. 10.14 CO2 -Äquivalent-Emissionen von Anlagen zur Wärmebereitstellung zur Deckung der
Versorgungsaufgabe EFH II (zur Definition vgl. Kapitel 1.3) (TWW Trinkwarmwasser, RW Raum-
wärme, Prozentangaben beziehen sich auf den solaren Anteil (Kapitel 4.3); WP Wärmepumpe
(Kapitel 8.3); NW Erdwärmenutzung mit Nahwärmenetz, Prozentangaben beziehen sich auf den
geothermischen Anteil (Kapitel 9.3); Erdgas-BW Brennwertkessel mit Erdgas (Kapitel 1.4))

elektrische Energie dominiert wird. Wird die Strombereitstellung energetisch effizienter


(wie es in der Vergangenheit der Fall war), dann verbessert sich auch die entsprechende
Energiebilanz. Letzteres kommt dann zum Tragen, wenn, wie in den vergangenen Jahren,
die Anlagen zur Wärmebereitstellung aus regenerativen Energien weniger materialinten-
siv – und damit letztlich auch kostengünstiger – und mit verbesserten Wirkungs- bzw.
Systemnutzungsgraden hergestellt werden.

CO2 -Äquivalent-Emissionen Diese Relationen der energetischen Kenngrößen der einzel-


nen Techniken finden sich auch in den im Lebensweg freigesetzten spezifischen kumu-
lierten Treibhausgasemissionen wie u. a. Kohlenstoffdioxid (CO2 ), Methan (CH4 ) und
Lachgas (N2 O) – umgerechnet in CO2 -Äquivalente – wieder (Abb. 10.14).

 Die solarthermisch unterstützte Wärmebereitstellung zeigt infolge der eingekoppelten


Sonnenenergie etwas geringere Klimagasemissionen als die ausschließlich mit fossilen
Energieträgern befeuerten Anlagen.
 Die Wärmepumpensysteme liegen in Abhängigkeit von der Jahresarbeitszahl und dem
unterstellten Strommix im Vergleich zu der solarthermisch unterstützten Wärmebereit-
stellung in deren unterem Bereich.
 Im Vergleich mit allen anderen hier untersuchten Optionen weist die Bereitstellung
thermischer Energie aus tiefen Erdwärmevorkommen bei dem untersuchten geother-
mischen Deckungsgrad von 85 % die geringsten CO2 -Äquivalent-Emissionen auf.
984 M. Kaltschmitt und L. Sens

Die Klimagasemissionen der betrachteten Systeme werden dominiert durch den Be-
trieb der jeweiligen Anlage. Dies liegt im Wesentlichen darin begründet, dass alle betrach-
teten Versorgungssysteme zu einem mehr oder weniger großen Anteil fossile Energie-
träger (einschließlich elektrischer Energie, die ebenfalls u. a. aus fossilen Energieträgern
bereitgestellt wird) einsetzen und diese im Verlauf der technischen Anlagenlebensdauer
deutlich mehr Emissionen verursachen als die Anlagenerrichtung. Demgegenüber trägt
der Bau und insbesondere der Abriss der Anlage i. Allg. nur wenig zu den gesamten Frei-
setzungen an Treibhausgasemissionen bei.
Diese aufgezeigten Größenordnungen und Zusammenhänge werden sich zukünftig im
Zuge des technischen Fortschritts mit hoher Wahrscheinlichkeit verändern. Zum einen
werden fossile Energieträger aufgrund höherer Energieaufwände zur Förderung aus weni-
ger ergiebigen Lagerstätten mit höheren Klimagasfreisetzungen bereitgestellt. Zum ande-
ren werden die Wärmebereitstellungssysteme selbst effizienter und können damit zukünf-
tig aus der gleichen eingesetzten Primärenergie mehr End- bzw. Nutzenergie bereitstellen
(bzw. die gleiche End- bzw. Nutzenergie mit weniger Primärenergie bereitstellen).

SO2 -Äquivalent-Emissionen Das Verhältnis der CO2 -Äquivalent-Emissionen zwischen


den betrachteten Anlagen zur Wärmebereitstellung gilt eingeschränkt auch für die
SO2 -Äquivalent-Emissionen (d. h. kumulierte Emissionen an Schwefeldioxid (SO2 ),
Stickstoffoxiden (NOx ), Ammoniak (NH3 ) und Chlorwasserstoff (HCl)). Wärmebereit-
stellungssysteme, die durch eine entsprechend hohe Stromnachfrage gekennzeichnet sind,
zeigen dabei im Vergleich zu den betrachteten mit Erdgas befeuerten Anlagen höhere
SO2 -Äquivalent-Emissionen; dies liegt in den durchschnittlich höheren Freisetzungen an
SO2 -Äquivalent-Emissionen aus dem deutschen Strommix im Vergleich zu dem nahezu
schwefelfreien Erdgas begründet. Deshalb weisen die ausschließlich gasbefeuerten Anla-
gen – u. a. aufgrund den aus den genannten Gründen relativ geringen SO2 -Emissionen im
Betrieb – die niedrigsten SO2 -Äquivalent-Emissionen auf (Abb. 10.15).

 Die solarthermisch unterstützte Wärmebereitstellung ist durch geringfügig höhere


Emissionen mit versauernder Wirkung als die ausschließlich mit Erdgas befeuerten
Anlagen gekennzeichnet; dies liegt in dem höheren Materialaufwand für die Herstel-
lung solarthermischer Systeme im Vergleich zu einer Erdgastherme begründet.
 Die Wärmepumpensysteme weisen dieselbe Größenordnung an SO2 -Äquivalent-Emis-
sionen wie die solarthermisch unterstützte Wärmebereitstellung auf. Infolge eines zu-
nehmenden Anteils an erneuerbaren Energien und eines Rückgangs an Strom aus Kohle
im deutschen Strommix waren derartige Elektro-Wärmepumpensysteme in den letzten
Jahren durch eine entsprechende Emissionsreduktion gekennzeichnet.
 Die Bereitstellung thermischer Energie aus tiefen Erdwärmevorkommen weist u. a.
aufgrund der Emissionen aus dem Einsatz des Heizöls (Spitzenlastkessel) bei dem un-
terstellten geothermischen Deckungsgrad deutlich höhere Emissionen mit versauernder
Wirkung als die Vergleichssysteme auf.
10 Zusammenfassender Vergleich 985

SO2-Äquivalent-Emissionen in kg/TJ
200
180
160
140
120
100
80
60
40
20
0

Abb. 10.15 SO2 -Äquivalent-Emissionen von Anlagen zur Wärmebereitstellung zur Deckung der
Versorgungsaufgabe EFH II (zur Definition vgl. Kapitel 1.3) (TWW Trinkwarmwasser, RW Raum-
wärme, Prozentangaben beziehen sich auf den solaren Anteil (Kapitel 4.3); WP Wärmepumpe
(Kapitel 8.3); NW Erdwärmenutzung mit Nahwärmenetz, Prozentangaben beziehen sich auf den
geothermischen Anteil (Kapitel 9.3); Erdgas-BW Brennwertkessel mit Erdgas (Kapitel 1.4))

An diesen grundsätzlichen Zusammenhängen dürfte sich zukünftig wenig ändern,


wenn auch – aus Gründen, wie sie bereits diskutiert wurden – zu erwarten ist, dass das
Emissionsniveau insgesamt zurückgehen wird.

SO2 - und NOx -Emissionen Dieses Verhältnis der SO2 -Äquivalent-Emissionen aller be-
trachteten Varianten zur Wärmebereitstellung gilt annähernd auch für die SO2 - und die
NOx -Emissionen (Abb. 10.16 und 10.17). Dementsprechend liegen die solarthermisch un-
terstützenden Systeme mit Erdgas-Brennwertthermen auf einem ähnlich tiefen Niveau wie
die konventionellen mit Erdgas befeuerten Systeme. Mit Heizöl-befeuerten Spitzenlast-
kesseln unterstützte geothermische Systeme weisen dagegen wesentlich höhere Emission
auf. Die SO2 - und die NOx -Emissionen der Wärmepumpen befinden sich dagegen abhän-
gig vom System in einem unteren bis mittleren Bereich.

10.2.4 Potenziale und Nutzung

Potenziale Entsprechend der bisherigen Vorgehensweise wird auch bei dem folgenden
Vergleich der Potenziale zwischen dem theoretischen Potenzial, dem technischen Ange-
bots- bzw. Wärmeerzeugungspotenzial und dem technischen Nachfrage- bzw. Endener-
giepotenzial unterschieden.

Theoretisches Potenzial Die theoretischen Potenziale einer solarthermischen Wärmebe-


reitstellung, einer Wärmebereitstellung aus Umgebungsluft und oberflächennahem Erd-
986 M. Kaltschmitt und L. Sens

100

SO2-Emissionen in kg/TJ
90
80
70
60
50
40
30
20
10
0

Abb. 10.16 SO2 -Emissionen von Anlagen zur Wärmebereitstellung zur Deckung der Versorgungs-
aufgabe EFH II (zur Definition vgl. Kapitel 1.3) (TWW Trinkwarmwasser, RW Raumwärme,
Prozentangaben beziehen sich auf den solaren Anteil (Kapitel 4.3); WP Wärmepumpe (Kapitel 8.3);
NW Erdwärmenutzung mit Nahwärmenetz, Prozentangaben beziehen sich auf den geothermischen
Anteil (Kapitel 9.3); Erdgas-BW Brennwertkessel mit Erdgas (Kapitel 1.4))

160
NOx-Emissionen in kg/TJ

140
120
100
80
60
40
20
0

Abb. 10.17 NOx -Emissionen von Anlagen zur Wärmebereitstellung zur Deckung der Versorgungs-
aufgabe EFH II (zur Definition vgl. Kapitel 1.3) (TWW Trinkwarmwasser, RW Raumwärme,
Prozentangaben beziehen sich auf den solaren Anteil (Kapitel 4.3); WP Wärmepumpe (Kapitel 8.3);
NW Erdwärmenutzung mit Nahwärmenetz, Prozentangaben beziehen sich auf den geothermischen
Anteil (Kapitel 9.3); Erdgas-BW Brennwertkessel mit Erdgas (Kapitel 1.4))

reich sowie einer Wärmebereitstellung aus dem tiefen Untergrund in Kraft-Wärme-Kopp-


lung zeigt Tabelle 10.7.
Demnach wird auf die Gebietsfläche Deutschlands ein Energiepotenzial von rund
1 358 EJ/a eingestrahlt, das mit solarthermischen Anlagen theoretisch genutzt werden
könnte. Geringer ist das theoretische Potenzial der oberflächennahen Erdwärme; es liegt
bei rund 400 EJ/a. In einer ähnlichen Größenordnung bewegt sich auch das theoretische
10 Zusammenfassender Vergleich 987

Tabelle 10.7 Potenziale verschiedener Wärmebereitstellungsoptionen


Theoretisches Technisches Technisches
Potenzial Angebotspotenzial Nachfragepotenzial
in EJ/a in PJ/a in PJ/a
Solarthermische ca. 1 358 813–1 974 497 (Konzept Ia )
Wärmegewinnung 239–1 073 (Konzept IIb )
1 050 (Konzept IIIc )
Umgebungsluft (0,128)d e
2 064–2 343
Oberflächennahe 400 1 928 2 816
Erdwärmenutzung
Tiefe Erdwärmenutzung 1,6g, h ; 1 200g, i 514h ; 5 015i 741h ; 2 061i ; 2 530j
a
solarthermische Systeme zur Deckung der Trinkwarmwasser- und Prozesswärmenachfrage (unter
100 ı C); b dezentrale solarthermische Systeme zur Deckung der Raumwärme-, Trinkwarmwasser-
und Prozesswärmenachfrage; c solarthermisches Nahwärmesystem zur Deckung der Raumwärme-,
Trinkwarmwasser- und Prozesswärmenachfrage mit saisonaler Speicherung; d Potenzial kann theo-
retisch beliebig oft aus der Umgebungsluft entzogen werden; e da der Umgebungsluft nur unter
Berücksichtigung technischer Restriktionen nahezu beliebig viel Energie entzogen werden kann,
ist bisher keine sinnvolle Angabe des technischen Angebotspotenzials möglich; g unterstellte Nut-
zungsdauer von 1 000 Jahren; h hydrothermale Wärmebereitstellung (Kapitel 9.4); i Wärmebereit-
stellung mittels tiefer Sonden; j bei stromgeführtem Betrieb in Kraft-Wärme-Kopplung (KWK)
anfallende Niedertemperaturwärme für unterschiedliche Rahmenannahmen (Kapitel 9.4).

Potenzial der Umgebungsluft, wenn unterstellt wird, dass die 128 PJ entziehbare Wärme
in Deutschland mehrmals pro Tag im Verlauf des Jahres der Umgebung entzogen werden
würde.
Demgegenüber beträgt der zugängliche Energievorrat der Erde unter der Fläche
Deutschlands bis zu einer heute sinnvoll bohrtechnisch erschließbaren Tiefe von rund
10 000 m etwa 1 200 000 EJ bzw. 1 200 EJ/a bei einer unterstellten (nachhaltigen) Nut-
zungsdauer von 1 000 Jahren. Verglichen damit ist das theoretische Potenzial einer
hydrothermalen Erdwärmenutzung mit 1,6 EJ/a deutlich geringer, da nutzbare Heiß-
wasseraquifere nur unter rund 35 % der Gebietsfläche Deutschlands sicher vermutet
werden und mit hydrothermalen Heizwerken nur ein Teil der insgesamt im Untergrund
vorhandenen Wärme auch genutzt werden kann.

Technische Angebotspotenziale (Wärmeerzeugungspotenziale) Aus dem theoretischen


Potenzial können unter Berücksichtigung der technischen Restriktionen (u. a. Flächen-
verfügbarkeit für eine Anlageninstallation, derzeit erreichbare Systemnutzungsgrade,
realisierbare Bohrtiefen) die in Tabelle 10.7 ebenfalls dargestellten technischen Ange-
bots- bzw. Wärmeerzeugungspotenziale abgeschätzt werden.
Demnach verfügen alle hier untersuchten Optionen einer Wärmebereitstellung über
technische Angebotspotenziale in einer beachtlichen Größenordnung. Beispielsweise ist
die Nutzung der tiefen Erdwärme durch Wärmeerzeugungspotenziale von mehr als 5 EJ/a
988 M. Kaltschmitt und L. Sens

gekennzeichnet. Aber auch die solarthermische Wärmegewinnung und die oberflächenna-


he Erdwärmenutzung zeigen erhebliche technische Potenziale.
Bei einer regionalen Betrachtung wird deutlich, dass innerhalb der gesamten Bun-
desrepublik Deutschland hohe Potenziale fast aller untersuchten Optionen gegeben sind.
Trotzdem gibt es regionale Unterschiede. Dies begründet sich primär durch die Potenziale
hydrothermaler Erdwärme, die hauptsächlich nur im norddeutschen Becken, im Molas-
sebecken sowie im Oberrheingraben sicher vorkommen. Zusätzlich dazu ist zwar das
solare Strahlungsangebot innerhalb Deutschlands verfügbar; jedoch sind die Strahlungs-
leistungen im Süden der Bundesrepublik im Durchschnitt geringfügig höher im Vergleich
zum Norden. Im Unterschied dazu sind die anderen betrachteten Optionen grundsätzlich
nicht regional beschränkt; dies gilt prinzipiell auch für die Nutzung der tiefen Geother-
mie, obwohl es Gebiete gibt, die infolge eines überdurchschnittlichen geothermischen
Gradienten (z. B. Oberrheingraben) und / oder bestimmter geologischer Eigenschaften des
Untergrundes für die Geothermienutzung prädestinierter sind als Gebiete mit einem durch-
schnittlichen oder sogar unterdurchschnittlichen Gradienten und / oder weniger vielver-
sprechenden Untergrundeigenschaften. Die regionale Verteilung des technischen Ange-
botspotenzials tiefer und oberflächennaher Erdwärmesonden sowie dach- und gebäudenah
freiflächenmontierter Solarthermieanlagen wird dabei im Wesentlichen durch die Sied-
lungs- bzw. Gebäudebestandsdichte bestimmt. In Großstädten (u. a. Berlin, Hamburg) und
Verdichtungsräumen (z. B. Ruhrgebiet, Rhein-Main-Gebiet, Mittlerer Neckarraum) sind
i. Allg. höhere und in den eher ländlich strukturierten Gebieten (z. B. Mecklenburg-Vor-
pommern, Schleswig-Holstein) tendenziell geringere technische Potenziale gegeben. Für
die Nutzung von Erdwärmesonden und für die Nutzung hydrothermaler Erdwärme muss
dabei aber berücksichtigt werden, dass ausreichend Platz für das Niederbringen der Boh-
rungen gegeben sein muss. Stadtkerne, Altstädte und andere urbane Verdichtungsräume
sind demnach für eine derartige Erdwärmenutzung i. Allg. weniger gut geeignet. Die so-
larthermischen Wärmeerzeugungspotenziale auf Freiflächen korrelieren dabei näherungs-
weise mit der gebäudenahen landwirtschaftlichen Nutzfläche als potenzielle Gebiete für
eine Kollektorinstallation. Ackerflächen – wenn unterstellt wird, dass hier in einem sehr
begrenzten Ausmaß derartige Systeme installiert werden könnten – sind zwar nahezu
überall in Deutschland verfügbar, nehmen aber in eher ländlichen Gegenden mit einem
geringen Waldanteil überdurchschnittlich hohe Anteile ein; dies führt in solchen Gebieten
zu einem entsprechend hohen technischen Angebotspotenzial.
Dieses Potenzial wird sich in Zukunft infolge steigender Wirkungs- und Systemnut-
zungsgrade tendenziell zu geringfügig höheren Werten verschieben. An der Größenord-
nung, durch die dieses Wärmebereitstellungspotenzial insgesamt gekennzeichnet ist, dürf-
te sich aber nur wenig ändern.

Technische Endenergiepotenziale (Nachfragepotenziale) Aufgrund der hohen Angebots-


potenziale ist die jeweils aus technischer Sicht deckbare Nachfrage (d. h. das Nachfrage-
potenzial) eine Größe, der eher energiewirtschaftliche Relevanz zukommt. Deshalb zeigt
10 Zusammenfassender Vergleich 989

Tabelle 10.7 zusätzlich das jeweilige technische Nachfragepotenzial. Die hier ausgewiese-
nen Potenziale werden im Rahmen einer Singuläranalyse erhoben und decken die gleiche
Wärmenachfrage; sie dürfen damit nicht addiert werden, da eine gegebene Niedertempera-
turwärmenachfrage z. B. nur geothermisch oder nur solarthermisch (oder in Kombination
der beiden Möglichkeiten) – und folglich aber nur einmal – gedeckt werden kann.
Von den hier untersuchten Optionen ist die Solarthermie durch die geringsten Potenzia-
le gekennzeichnet; dies liegt begründet an der weitgehenden Antikorrelation von solarem
Energieangebot und Wärmeenergienachfrage sowie den bisher nur eingeschränkten (tech-
nisch und ökonomisch darstellbaren) saisonalen Speichermöglichkeiten für Niedertempe-
raturwärme. Durch die Möglichkeiten zur Nutzung der Umgebungsluft und der Erdwärme
könnte demgegenüber eine Wärmemenge in Deutschland bereitgestellt werden, die bei
allen untersuchten Optionen z. T. deutlich über 1 000 PJ/a liegt; auch ist diese Wärme (na-
hezu) im Verlauf des gesamten Jahres verfügbar.
Die deutlichen Unterschiede zwischen den Nachfragepotenzialen, die sich bei Zu-
grundelegung unterschiedlicher Nutzungstechniken bzw. -konzepten ergeben, resultieren
daraus, dass einige Optionen (z. B. tiefe Sonde) innerhalb der gesamten Fläche Deutsch-
lands genutzt werden können und andere (z. B. hydrothermale Erdwärmenutzung) nur auf
einem (kleineren) Teil der deutschen Gebietsfläche sinnvoll nutzbar sind. Dabei bedienen
eine oberflächennahe Erdwärmenutzung, eine Erdwärmenutzung mit tiefen Sonden und
eine mit Geothermieanlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) jeweils unterschiedliche
Wärmemärkte (d. h. oberflächennahe Erdwärmenutzung: dezentrale Lösungen tendenziell
für Ein- und Mehrfamilienhäuser; tiefe Sonden: Lösungen mit Nahwärmenetzen; KWK
aus tiefer Geothermie: Lösungen mit Fernwärmenetzen im MW-Bereich). Daraus resul-
tieren die in Tabelle 10.7 deutlich werdenden Unterschiede in der absoluten Höhe der
technischen Nachfragepotenziale.
Zukünftig werden sich diese Nachfragepotenziale verändern, sofern es zu einem An-
stieg – oder einem Rückgang – der Niedertemperaturwärmenachfrage in Deutschland
kommt. Dabei sind derzeit zwei unterschiedliche und gegenläufige Tendenzen zu beob-
achten. Einerseits nimmt die statistisch pro Einwohner bewohnte (Wohn-)Fläche nach
wie vor zu; damit steigt auch die entsprechende Nachfrage nach Niedertemperaturwärme.
Andererseits nimmt die spezifische Wärmenachfrage des vorhandenen Gebäudebestandes
infolge zunehmend besserer Wärmedämmung – u. a. aufgrund verschärfter gesetzlicher
Vorgaben (d. h. Wärmeschutzverordnung) – ab und gleichzeitig wurden die Winter in
den Zehner Jahren dieses Jahrhunderts (2010 bis 2020) in Mitteleuropa zunehmend mil-
der. Wird unterstellt, dass sich die Auswirkungen dieser gegenläufigen Trends auf die
Nachfragepotenziale weitgehend ausgleichen, ist zukünftig von keinen wesentlichen Ver-
änderungen beim technischen Nachfragepotenzial auszugehen.

Nutzung Die gegenwärtige Wärmegewinnung mittels solarthermischer Systeme aus


der eingestrahlten Sonnenenergie, mithilfe von Wärmepumpen zur Nutzung der Umge-
bungswärme sowie der tiefen Geothermie zur Deckung der jeweiligen Nachfrage nach
990 M. Kaltschmitt und L. Sens

Tabelle 10.8 Nutzung verschiedener Wärmebereitstellungsoptionen (Jahr 2018)


Welt EU-28 Deutschland Österreich
in PJ/a (GW) in PJ/a (GW) in PJ/a (GW) in PJ/a (GW)
Solarthermische Wärme 1 426 (480) 114 (37,4) 32,0 (13,5) 9,0 (3,6)
Umgebungswärme 376a (58) 131a (19,6) 49,6a 21,6a
(Wärmepumpen)
Tiefe Geothermie 296 (24,4) 49,0 (3,9) 2,5b (0,17); 1,4c 1,1 (0,095)
a
nur regenerativer Anteil (d. h. gesamte Wärmebereitstellung um etwa 30 bis 35 % höher); b aus-
schließlich Wärme von Heizwerken; c ausgekoppelte Wärme von KWK-Anlagen.

Raum- und Brauchwarmwasserwärme unterscheidet sich erheblich (Tabelle 10.8). Dies


wird nachfolgend diskutiert; dabei wird entsprechend der bisherigen Vorgehensweise
erneut zwischen der weltweiten und der EU-weiten Situation sowie den Gegebenheiten in
Deutschland und Österreich unterschieden.
Insgesamt ist – ähnlich wie bei der Stromerzeugung – bei allen im Folgenden disku-
tierten Regionen davon auszugehen, dass der Anteil der erneuerbaren Energien an der ge-
samten Wärmeerzeugung in den kommenden Jahren und Jahrzehnten merklich zunehmen
wird, wenn die hochgesteckten Klimaschutzziele erreicht werden sollen. Insbesondere für
Anlagen zur Nutzung der Umgebungswärme – und damit der Umgebungsluft und der
oberflächennahen Erdwärme – ist weiterhin ein merkliches und tendenziell noch zuneh-
mendes Wachstum zu erwarten; dies liegt u. a. an den in den letzten Jahren tendenziell
gesunkenen Preisen für Wärmepumpen und der Option, vergleichsweise kostengünstig
über eine Photovoltaik-Dachanlage die für den Wärmepumpenbetrieb benötigte elektri-
sche Energie weitgehend autark bereitzustellen. Demgegenüber ist der weitere Ausbau
der solarthermischen Wärmegewinnung unklar. Hier dürfte die Entwicklung in den kom-
menden Jahren zunehmend von dem Preis der Photovoltaiksysteme beeinflusst werden, da
aktuell, zumindest unter den in Mitteleuropa gegebenen Randbedingungen, aus ökonomi-
scher Sicht eine Wärmeerzeugung mittels Photovoltaik attraktiver als die solarthermische
Wärmegewinnung ist; unbenommen davon dürften die Naturumlaufsysteme zur Warm-
wassererzeugung, wie sie in vielen südlichen Ländern erfolgreich und mit deutlichen
Wachstumsraten eingesetzt werden, weiter an energiewirtschaftlicher Bedeutung gewin-
nen. Bei der tiefen Erdwärme ist in Zukunft auch von einer weitergehenden Nutzung zur
ausschließlichen Wärmebereitstellung und insbesondere mit Kraft-Wärme-Kopplung aus-
zugehen. Diese Entwicklung wird aber eher verhalten und auf einem sehr geringen Niveau
ausfallen; dies liegt außer an den vergleichsweise hohen Energiebereitstellungskosten und
den z. T. erheblichen Risiken auch an der Anlagengröße offener Systeme im oberen ein-
stelligen und unteren zweistelligen thermischen MW-Bereich, welche i. Allg. die Notwen-
digkeit eines (teuren) Wärmeverteilnetzes bedingt. Deshalb erscheint eine weitergehende
Nutzung der tiefen Erdwärme insbesondere dann sinnvoll, wenn ein Verteilnetz schon vor-
handen ist und / oder eine Wärmeverteilung nicht benötigt wird (z. B. industrieller Nach-
frager).
10 Zusammenfassender Vergleich 991

Welt Ende 2018 lag die weltweit installierte Leistung zur solarthermischen Wärmegewin-
nung bei rund 480 GW. Mit den entsprechenden Anlagen wurde 2018 insgesamt 1 426 PJ
an Niedertemperaturwärme bereitgestellt. Damit ist die solarthermische Wärmegewin-
nung, abgesehen von der Wärmegewinnung aus Biomasse, die wichtigste erneuerbare
Energie zur Deckung der Wärmenachfrage. Mit großem Abstand folgt die mittels Wär-
mepumpen bereitgestellte regenerative Wärme aus der Umgebungswärme (d. h. aus Um-
gebungsluft und aus oberflächennaher Erdwärme). Hier wurden 2018 global insgesamt ca.
376 PJ Wärme mit einer installierten Leistung von etwa 58 GW erzeugt. In einer ähnlichen
Größenordnung belief sich 2018 auch die Wärmegewinnung aus der tiefen Geothermie.
Hier waren rund 24,4 GW weltweit installiert. Die entsprechenden Anlagen stellen etwa
296 PJ (2018) an Wärme bereit.

Europäische Union Im Gegensatz zur weltweiten Wärmegewinnung aus erneuerba-


ren Energien liegt die Wärmegewinnung für das Jahr 2018 auf der Gebietsfläche der
EU-28-Staaten mittels Solarthermie und Wärmepumpen auf einem vergleichbaren Ni-
veau. Die durch Wärmepumpen bereitgestellte regenerative Wärme belief sich bei einer
installierten Leistung von ca. 19,6 GW auf etwa 131 PJ (2018) und die der Solarthermie
bei einer vorhandenen thermischen Leistung von rund 37,4 GW auf etwa 114 PJ (2018).
Dahingegen weist die Wärmegewinnung mittels tiefer Geothermie mit rund 49 PJ bei
einer installierten Leistung von 3,9 GW im Jahr 2018 merklich geringere Werte auf.

Deutschland Im Jahr 2018 wurde in Deutschland der größte Anteil an Niedertemperatur-


wärme aus erneuerbaren Energien – ohne Berücksichtigung der thermischen Biomasse-
nutzung – mittels Wärmepumpen bereitgestellt. Mit derartigen Systemen zur Nutzung der
Umgebungswärme wurden rund 49,6 PJ (2018) an Wärme zu Deckung der entsprechen-
den Nachfrage bereitgestellt. An zweiter Stelle standen die solarthermischen Systeme, mit
denen 2018 ca. 32 PJ bei einer installierten thermischen Leistung von etwa 13,5 GW er-
zeugt wurden. Der Anteil der tiefen Geothermie an der regenerativen Wärmeerzeugung
ist dahingegen sehr gering und trug mit lediglich ca. 3,9 PJ (2018) zur Deckung der Wär-
menachfrage in Deutschland bei.

Österreich Ähnlich wie in Deutschland wurde 2018 auch in Österreich die Wärmeerzeu-
gung aus regenerativen Energien – wird auch hier die thermischen Biomassenutzung, die
in Österreich eine große energiewirtschaftliche Bedeutung hat – durch thermische Ener-
gie dominiert, die mittels Wärmepumpen bereitgestellt wurde. Insgesamt konnten rund
21,6 PJ (2018) an Wärme durch derartige Systeme aus der Umgebung gewonnen und nutz-
bar gemacht werden. Demgegenüber wurden mithilfe solarthermischer Systeme bei einer
installierten Wärmeleistung von etwa 3,6 GW insgesamt rund 9,0 PJ (2018) an Wärme aus
der eingestrahlten Solarenergie bereitgestellt und dadurch nutzbar gemacht. Ein weiteres
Mal spielt die aus tiefer Geothermie gewonnene Wärme mit etwa 1,1 PJ (2018) bei einer
installierten Leistung von ca. 95 MW eine sehr untergeordnete Rolle.
Teil II
Erneuerbare Energien und
Energiesystemkomponenten
Solarthermische Stromerzeugung
11
Tobias Hirsch, Martin Kaltschmitt, Matti Lubkoll und Gerhard Weinrebe

Unter dem Begriff „solarthermische Kraftwerke“ werden hier Anlagen zusammengefasst,

 die Solarstrahlung zunächst in Wärme wandeln, dann


 diese Wärme mittels eines weiteren Prozesses (üblicherweise ein „klassischer“ Wärme-
Kraft-Prozess; nur beim Aufwindkraftwerk wird dieser Prozess durch ein anderes
Wandlungsprinzip ersetzt, wobei aber der Auftrieb ebenfalls wärmeinduziert erzeugt
wird) in Rotations- bzw. mechanische Energie umwandeln und dann
 durch eine mechanisch-elektrische Wandlung schließlich elektrische Energie bereit-
stellen.

Hohe Temperaturen ermöglichen bei den Anlagen, die auf einem „klassischen“
Wärme-Kraft-Prozess aufbauen, in der Theorie einen hohen Wirkungsgrad (d. h. eine
hohe nutzbare Temperaturdifferenz erlaubt nach Carnot hohe Wirkungsgrade des ent-
sprechenden Kreisprozesses). Derartige hohe Temperaturen können durch eine Erhöhung
der Flussdichte der auf einen Kollektor einfallenden Solarstrahlung erreicht werden; man
spricht von konzentrierter Strahlung bzw. konzentrierenden Kollektoren. Als Alternative
können aber auch niedrigere Temperaturen – und damit geringere Umwandlungswir-
kungsgrade – zur Anwendung kommen; dies setzt für entsprechende thermische bzw.
elektrische Leistungen allerdings großflächige und damit kostengünstig herstellbare Kol-
lektoren voraus.
Konzentrierende Kollektoren für solarthermische Kraftwerke arbeiten auf einem ver-
gleichbaren Temperaturniveau wie konventionelle, mit fossilen Energieträgern beheizte
thermische Kraftwerke. Dies hat zur Folge, dass bei den Komponenten für den verwen-
deten „klassischen“ Wärme-Kraft-Prozesses auf Systemelemente aus der „klassischen“
Kraftwerkstechnik zurückgegriffen werden kann. Im Folgenden wird daher nur auf den

Tobias Hirsch, Matti Lubkoll, Stuttgart, Deutschland


Martin Kaltschmitt, Hamburg, Deutschland
Gerhard Weinrebe, Stuttgart, Deutschland

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 995
M. Kaltschmitt, W. Streicher, A. Wiese (Hrsg.), Erneuerbare Energien,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-61190-6_11
996 T. Hirsch et al.

Abb. 11.1 Konzentrierendes solarthermisches Kraftwerk (CSP) mit den drei Kraftwerkselemen-
ten Konzentrator (links), Wärmeübertragungskreis (Mitte) und Kraftwerksblock (rechts) (M Motor,
G Generator, Pel;in prozessintern benötigte elektrische Leistung, QP rec solarer Wärmestrom in den
Receiver, QP i n (hochexergetischer) Wärmestrom in den Kraftwerksprozess, QP out (niedrigexergeti-
scher) Wärmestrom aus dem in den Kraftwersprozess, Pel;out durch das Kraftwerk bereitgestellte
elektrische Leistung)

solarspezifischen Teil solcher Kraftwerke detaillierter eingegangen; konventionelle Kraft-


werkskomponenten werden nicht dargestellt.
Die Stromerzeugung mithilfe konzentrierender solarthermischer Systeme (weltweit ist
die englische Abkürzung CSP für Concentrating Solar Power geläufig) nutzt damit ei-
ne Bündelung von solarer Strahlungsenergie, um hohe Temperaturen zum Betrieb her-
kömmlicher Kraftwerksprozesse zu erzeugen. Schematisch ist ein derartiges Kraftwerk in
Abb. 11.1 dargestellt. Demnach bündelt der Kollektor die einfallende Direkteinstrahlung
auf einen Empfänger (z. B. ein Rohr oder ein Rohrbündel). In diesem Empfänger wird
die Strahlungsleistung des konzentrierten Sonnenlichts in Wärmeleistung des Wärme-
übertragungsmedium (häufig mit HTF für Heat Transfer Fluid abgekürzt) übertragen. Das
Medium im Wärmeübertragungskreis ermöglicht den Transport der thermischen Energie
vom Empfänger hin zum Kraftwerksblock. Dort wird in der Regel über einen Wärmeüber-
trager Dampf erzeugt und ein herkömmlicher Dampfturbinen-Kreisprozess betrieben.
Eine Besonderheit derartiger konzentrierender solarthermischer Kraftwerke ist, dass im
Wärmeübertragungskreis Hochtemperaturwärme gespeichert werden kann; dadurch kann
die Auslastung des kostenintensiven Kraftwerksblocks erhöht und / oder elektrische Ener-
gie zeitlich begrenzt nachfrageorientiert bereitgestellt werden. Diese Möglichkeit einer
kostengünstigen Energiespeicherung über den thermischen Pfad ist ein Alleinstellungs-
merkmal für die Stromerzeugung mithilfe konzentrierender solarthermischer Kraftwerke.
Da die Speicherung von thermischer Energie vergleichsweise kosteneffizient ist, wer-
den derartige Kraftwerke heute standardmäßig mit großzügig dimensionierten Speichern
11 Solarthermische Stromerzeugung 997

elektrische Leistung in GW
8 Rest der Welt

Kum ulierte installierte 7 China

6 Südafrika
USA
5
Spanien
4
3
2
1
0
1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020
Jahr der Inbetriebnahme

Abb. 11.2 Weltweit installierte kumulative Kraftwerkskapazität an konzentrierenden solarthermi-


schen Kraftwerk (Daten nach [11.18], Stand Januar 2020)

versehen, die einen Volllastbetrieb mit 4 bis 18 Volllaststunden des Kraftwerksblocks


ermöglichen. Die hieraus resultierende höhere Auslastung des Kraftwerksblocks erlaubt
auch niedrigere Stromgestehungskosten.
Global wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche derartige Kraftwerke errichtet.
Abb. 11.2 zeigt die weltweit kumulierte installierte Leistung seit 1980. Demnach wur-
den in den 1980’er und frühen 1990’er Jahren die ersten neun SEGS-Kraftwerke (Solar
Energy Generating Systems) in den USA mit etwa 350 MW elektrischer Gesamtleistung
gebaut. Danach wurden erst Mitte der 2000’er Jahre in Spanien und den USA mehrere
GW an derartigen Kraftwerken errichtet; dabei handelte es sich zumeist um Parabolrin-
nenkraftwerke.
Ab etwa 2014 kamen Südafrika, China und vermehrt der Rest der Welt beim Bau von
Anlagen hinzu. Demgegenüber waren in Spanien und in den USA keine signifikanten
Zubauten zu verzeichnen. Seit dieser Zeit werden auch vermehrt Solarturmkraftwerke
gebaut. Mit diesen Turmkraftwerken etabliert sich diese Technologie aktuell neben den
Parabolrinnenkraftwerken. Solarturmkraftwerke könnten weiter an Bedeutung gewinnen,
wobei die für einen bestimmten Standort präferierte Technologie letztendlich stark von
den jeweiligen Standortbedingungen – und damit der verfügbaren Solarstrahlung – ab-
hängt. Generell finden sich präferierte Absatzmärkte für derartige Kraftwerke in Regionen
mit hohen Direktstrahlungswerten. Untergeordnete Beachtung in kommerziellen Projek-
ten finden das Linear Fresnell Konzentratorkonzept (rund 0,2 GW weltweit im Betrieb)
und das Parabolschüssel- oder Dish / Stirling-Konzept (hier ist kein kommerziell betriebe-
nes Kraftwerk bekannt).
Die gute und kostengünstige Speicherbarkeit von Hochtemperaturwärme ermöglicht
technologieübergreifend komplementäre Systeme. Beispielsweise dürfen die Solarturm-
kraftwerke in der DEWA-Anlage in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) zwi-
schen 10:00 und 16:00 Uhr – also an den Stunden der höchsten Sonneneinstrahlung – kein
Strom ins Netz einspeisen [11.18]. In diesem Zeitraum werden die thermischen Speicher
998 T. Hirsch et al.

Abb. 11.3 Beispiel der sich ergänzenden Produktion eines Solarturmkraftwerks mit Speicher und
einer einachsig nachgeführten Photovoltaik-Anlage in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE)
(im dargestellten Beispielfall ist eine Stromerzeugung des Solarturmkraftwerks zwischen 10:00 und
16:00 Uhr nicht gestattet; PV Photovoltaik; CSP Concentrated Solar Power (konzentrierte Solar-
strahlung))

beladen, die dann zwischen 16:00 und 10:00 Uhr am nächsten Morgen zur Stromerzeu-
gung genutzt werden. Die Kombination von sehr günstiger Photovoltaik-Stromerzeugung
und Backup-Strom aus dem Solarturmkraftwerk kann insgesamt nachfragegerecht Strom
für den Markt liefern. Abb. 11.3 zeigt qualitativ, wie sich diese beiden solaren Strom-
erzeugungsoptionen ergänzen können.
Insgesamt geht die aktuelle Entwicklung bei der solarthermischen Stromerzeugungs-
technologie u. a. in Richtung einer Kombination aus Photovoltaik-Anlage und solar-
thermischer Anlage. Eine derartige Kombination führt den Vorteil der kostengünstigen
Stromerzeugung aus Photovoltaik-Kraftwerken mit der flexiblen Bereitstellung von
Strom durch solarthermische Kraftwerke zusammen. Dabei werden verschiedene In-
tegrationsgrade diskutiert, die von der reinen Installation beider Anlagen am gleichen
Netzanschlusspunkt bis hin zu einer starken Integration des Photovoltaik-Stroms in den
Betrieb des Solarkraftwerks selbst reichen. Aktuell existieren nur schwach integrierte
Anlagen; Konzepte mit einer stärkeren Integration sind in der Entwicklung. Diese reichen
von der Verwendung des erzeugten Photovoltaik-Stroms zur Deckung des elektrischen
Eigenbedarfs des solarthermischen Kraftwerks bis hin zur Überhitzung des beispiels-
weise im Solarturmkraftwerk erzeugten Dampfes durch spezielle Überhitzer, die durch
Photovoltaik-Strom gespeist werden. Die Ausstattung des Salzspeichers mit elektrischen
Heizgeräten ermöglicht darüber hinaus die Verwendung von Überschussstrom im Netz
zur Beladung des Speichers oder zur Anhebung des Temperaturniveaus der gespeicher-
ten Wärme. In den nächsten Jahren werden potenziell mehr derartiger Hybridanlagen
realisiert werden.
Aus einer Reihe verschiedener möglicher Geometrien für den solaren Konzentrator
und Empfänger haben sich die Technologien Parabolrinne, Linear Fresnel, Solarturm und
11 Solarthermische Stromerzeugung 999

Parabolschüssel als technisch machbar herausgestellt. Diese werden im Folgenden näher


beschrieben. Zuvor wird aber auf ausgewählte physikalische Grundlagen eingegangen.
Abschließend werden in den letzten Kapiteln nicht-konzentrierende solarthermische Sys-
teme (d. h. Aufwindkraftwerke, Solarteiche) kurz beschrieben.

11.1 Physikalische Grundlagen

Der Prozess der solarthermischen Stromerzeugung lässt sich im Wesentlichen in die fol-
genden Schritte unterteilen:

 Sammeln der solaren Strahlung mit Hilfe eines Kollektorsystems und ggf. Erhöhung
der Strahlungsflussdichte durch eine Strahlungskonzentration.
 Transport der ggf. konzentrierten Strahlung auf einen Strahlungsempfänger (Receiver)
und dortige Absorption der auftreffenden Strahlung; d. h. Umwandlung der Strahlungs-
energie in thermische Energie bzw. in Hochtemperaturwärme.
 Transport dieser thermischen Energie zu einem Wärmeträgermedium und dessen Wei-
terleitung zu einer (zentralen) Energiewandlereinheit.
 Umwandeln der thermischen Energie in mechanische oder Rotationsenergie mit Hilfe
einer Wärme-Kraft-Maschine (z. B. Dampfturbine) oder einem anderen Wandler (z. B.
nach dem Auftriebsprinzip; Kapitel 6.1).
 Umwandlung der mechanischen bzw. Rotationsenergie in elektrische Energie durch
einen Generator in netzkompatible elektrische Energie.

Abb. 11.4 zeigt die beschriebene grundsätzliche Energiewandlungskette, die allen Op-
tionen zur solarthermischen Stromerzeugung zugrunde liegt.
Nachfolgend werden physikalischen Grundlagen wesentlicher Aspekte dieser Energie-
wandlungskette diskutiert, soweit dies nicht in anderen Kapiteln bereits geschehen ist.

Sammeln und Wandlung der Wandlung der Wandlung


Solarstrahlung

ggf. Konzen- Solarenergie in thermischen der mech.


trieren der Wärme im Recei- Energie im Wär- Energie
Solarstrah- ver und Übertra- meträgermedium in elek-
lungsenergie gung an ein Wär- in mechanische trische
im Kollektor meträgermedium Energie Energie
Netz

Strahlungs- Wärmeenergie Mechanische Ener- Elek. Energie


energie der im Wärmeträger- gie in der Wärme- im Generator
Sonne medium Kraft-Maschine bzw. im Netz

Abb. 11.4 Energiewandlungskette bei der solarthermischen Stromerzeugung (mech. mechanische,


elek. elektrische)
1000 T. Hirsch et al.

11.1.1 Strahlungsreflexion

Bestimmte Gegenstände können, je nach Material und Art der Oberfläche, einen unter-
schiedlich großen Teil des auf sie fallenden Sonnenlichts zurückwerfen. Diesen Vorgang
bezeichnet man als Strahlungsreflexion. Wird (nahezu) das gesamte auf einen reflektie-
renden Gegenstand einfallende Licht zurückgeworfen, wird das auch Spiegelung genannt.
Jede glatte, ebene Fläche (z. B. glatte Metallplatte, ruhige Wasseroberfläche, Fensterschei-
be) wirkt vom Grundsatz her wie ein ebener Spiegel.
Trifft Sonnenlicht mit einer definierten Richtung auf sehr glatte, ebene Oberflächen,
wird es in eine ebenfalls definierte Richtung zurückgeworfen. Man bezeichnet eine sol-
che Reflexion auch als reguläre Reflexion. Ist demgegenüber die Oberfläche, auf die das
Licht auftrifft, uneben oder rau, wird das einfallende Licht in verschiedene Richtungen
reflektiert. Eine solche Reflexion wird auch als diffuse Reflexion benannt.

Reflexion am ebenen Spiegel Für ebene, glatte Spiegel gilt das sogenannte Reflexions-
gesetz, das besagt, dass jeder auftreffende Lichtstrahl den Spiegel im gleichen Winkel,
wie er aufgetroffen ist, wieder verlässt (d. h. Einfallwinkel entspricht dem Ausfallwinkel).
Einfallswinkel ˛ und Reflexionswinkel ˛ 0 werden dabei ausgehend von der Senkrech-
ten zu der spiegelnden / reflektierenden Oberfläche angegeben. Die Abbildung am ebenen
Spiegel verändert Größe und Form des Bildes nicht.

Reflexion am Hohlspiegel Das Reflexionsgesetz gilt auch an nicht ebenen Flächen. Trifft
ein Lichtstrahl beispielsweise in einen Hohlspiegel, wird er gemäß dem Reflexionsge-
setz am Einfallslot gespiegelt (das Einfallslot beschreibt die Senkrechte bezogen auf die
Tangentialebene am Auftreffpunkt des Lichtstrahls). Dies gilt für die gesamte Hohlspie-
geloberfläche. Ist die Oberfläche des Hohlspiegels parabolisch gekrümmt, wird jeder re-
flektierte Strahl durch einen Brennpunkt F geleitet. Dies gilt für alle parallel zur optischen
Achse des Spiegels einfallenden Strahlen. Alle anderen, schräg einfallenden Strahlen wer-
den ebenfalls reflektiert, jedoch nicht auf einen einheitlichen Brennpunkt.
Durch eine spezielle Form des Spiegels und der dadurch realisieren Reflexion der ein-
fallenden Strahlung kann eine Strahlungskonzentration auf einen Brennpunkt oder eine
Brennlinie erreicht werden. Bei einem einachsig parabolisch geformten Spiegel ergibt
sich eine Brennlinie, auf die dann sämtliche auf den Spiegel unter bestimmten Bedin-
gungen auftreffende Strahlung konzentriert wird (Abb. 11.5). Bei einer zweidimensional
gekrümmten Fläche (Paraboloid) wird die Strahlung auf einen Punkt (Brennpunkt) kon-
zentriert. Dieser Brennpunkt F befindet sich auf der optischen Achse des Spiegels im
Abstand f vom Scheitelpunkt S der Parabel. Der Abstand f heißt Brennweite des Spie-
gels.
Wird im Brennpunkt bzw. in der Brennlinie ein Strahlungsempfänger, beispielswei-
se ein Absorberrohr, angebracht, erfährt dies eine hohe Strahlungsflussdichte. Die hohe
Leistung pro Fläche kann dazu genutzt werden, den Receiver auf hohe Temperaturen zu
bringen und mit seiner Hilfe ein Arbeitsmedium zu erhitzen.
11 Solarthermische Stromerzeugung 1001

Abb. 11.5 Zusammenhänge an


einem parabolischen Spiegel solare Direktstrahlung

f
F S

solare Direktstrahlung

Dabei lässt sich mit zweiachsig parabolisch geformten Flächen grundsätzlich eine hö-
here Strahlungskonzentration und damit Receivertemperatur erreichen als mit einachsig
gekrümmten Spiegeln. Damit ist eine derartige Strahlungskonzentration Grundlage der
konzentrierenden solarthermischen Stromerzeugung. Die einzelnen eingesetzten Spiegel-
technologien unterscheiden sich dabei in der Art der Krümmung (einachsig oder zwei-
achsig) und in der technischen Ausgestaltung. Für alle diese Strahlungs-konzentrierenden
Technologien gilt, dass die Spiegelfläche kontinuierlich dem Sonnenstand nachgeführt
werden muss, da nur parallel zur optischen Achse einfallende direkte Sonnenstrahlung im
Spiegel auf den Brennpunkt konzentriert werden kann. Aufgabe der sogenannten Nach-
führung ist es, die optische Achse des Konzentrators immer auf den aktuellen Stand der
Sonne auszurichten.

11.1.2 Strahlungskonzentration

Definition Konzentrationsverhältnis Eine Konzentration der Solarstrahlung wird meist


dann erforderlich, wenn höhere als die mit einem Flachkollektor (Kapitel 4) i. Allg. wirt-
schaftlich erreichbaren Temperaturen (ca. 100 bis 150 ı C) erforderlich sind. Eine derartige
Bündelung kann aber auch notwendig werden, wenn die flächenspezifischen Kosten des
Receivers höher sind als die des Reflektors.
Ein Maß für die Konzentration der solaren Strahlung ist das Konzentrationsverhältnis.
Es kann unterschiedlich definiert werden.
Eine der beiden gängigen Definitionen bezieht sich ausschließlich auf die geometri-
schen Verhältnisse. Hier ist das Konzentrationsverhältnis C bzw. Cgeo festgelegt als dieses
Verhältnis der Aperturfläche AAp zu der Absorberfläche AAbs (Gleichung (11.1)). Unter
der Apertur wird dabei die Öffnungsweite einer Optik verstanden (d. h. die freie Öffnung
oder der Durchmesser, durch den die Solarstrahlung empfangen werden kann). Bei den
weiteren Ausführungen wird ausschließlich diese Definition verwendet.

AAp
Cgeo D (11.1)
AAbs

Nach Gleichung (11.1) beträgt beispielsweise das Konzentrationsverhältnis eines typi-


schen Parabolrinnenkollektors mit einer Aperturbreite von 5,8 m und einem Absorber-
1002 T. Hirsch et al.

rohrdurchmesser von 70 mm rund 26. Meist wird bei Parabolrinnenkollektoren dieses


Verhältnis der Aperturbreite zum Absorberrohrdurchmesser als Konzentrationsverhältnis
bezeichnet. Das Ergebnis unterscheidet sich dann um den Faktor  und liegt üblicherweise
zwischen 30 und 100.
Eine weitere Definition des Konzentrationsverhältnisses bezieht sich auf die Strah-
lungsflussdichte. Dieses Konzentrationsverhältnis Cflux ist definiert als das Verhältnis der
Strahlungsflussdichte I Ap in der Aperturebene zu dem entsprechenden Wert I Abs auf dem
Absorber (Gleichung (11.2)).

IAp
Cflux D (11.2)
IAbs

Maximal mögliche Konzentrationsverhältnisse Aus dem 2. Hauptsatz der Thermody-


namik [11.1] lassen sich die maximal möglichen Konzentrationsverhältnisse für zweidi-
mensional (d. h. „parabolrinnenartig“) und dreidimensional (z. B. Rotationsparaboloide)
gekrümmte Konzentratoren ableiten [11.2]. Dabei ist der Sichtwinkel (acceptance ang-
le) 2a wesentlich. Er beschreibt den Winkelbereich der Solarstrahlen, die vom Kollektor
aufgefangen werden, ohne dass der Kollektor oder ein Teil davon bewegt werden muss.
Die theoretisch maximal mögliche Konzentration Cid;2D für einen bestimmten Sicht-
halbwinkel a ergibt sich für einachsig gekrümmte Konzentratoren (z. B. Parabolrinne)
nach Gleichung (11.3).

1
Cid;2D D (11.3)
sin a

Für zweiachsig gekrümmte Konzentratoren errechnet sich die theoretisch maximal


mögliche Konzentration Cid;3D nach Gleichung (11.4).

1
Cid;3D D (11.4)
.sin a /2

Da der Sichtwinkel für die Sonne auf der Erdoberfläche rund  2a D 4;7 mrad be-
trägt, ergeben sich theoretisch maximale ideale Konzentrationsfaktoren von etwa 210
für zweidimensionale Geometrien (d. h. linienfokussierende Parabolrinne) und 45 300 für
dreidimensionale Geometrien (d. h. punktfokussierende Systeme).
Bei der technischen Umsetzung muss aber – im Vergleich zum bisher betrachteten
Idealfall – der Akzeptanzwinkel des Konzentrators vergrößert werden. Dadurch reduziert
sich zwangsläufig das tatsächlich erreichbare Konzentrationsverhältnis. Dies liegt u. a. in
den folgenden Aspekten begründet.

 Nachführfehler, geometrische Spiegelfehler sowie die nicht perfekte Ausrichtung des


Receivers erzwingen Akzeptanzwinkel, die deutlich größer sind als der Öffnungswin-
kel der Sonne.
11 Solarthermische Stromerzeugung 1003

 Die verwendeten Spiegel sind aufgrund fertigungstechnischer Restriktionen nicht per-


fekt und sorgen deshalb für eine Aufweitung des reflektierten Strahls.
 Die atmosphärische Streuung sorgt für eine Vergrößerung des wirksamen Öffnungs-
winkels der Sonne deutlich über den idealen geometrischen Wert von 2a D 4;7 mrad
hinaus.

Möglichkeiten zur Strahlungskonzentration Das Ziel der Strahlungskonzentration ist


die Erhöhung der möglichen Absorbertemperatur und damit letztlich eine Maximierung
der Exergie der gesammelten Wärme. Abb. 11.6 zeigt, dass durch entsprechend höhere
Konzentrationsverhältnisse sowohl höhere Absorbertemperaturen als auch – damit zusam-
menhängend – höhere Wirkungsgrade erreicht werden können. Aus der Konzentration der
Solarstrahlung ergibt sich darüber hinaus der Vorteil kleinerer Absorberflächen. Dadurch
lassen sich die thermischen Verluste durch Strahlung, Konvektion und Wärmeleitung im
Vergleich zu größeren Absorberflächen reduzieren. Zusätzlich können weitere Maßnah-
men ergriffen werden, um diese Verluste möglichst weitgehend zu reduzieren (z. B. evaku-
iertes Hüllrohr um den Absorber; zur Erklärung derartiger verlustmindernder Maßnahmen
siehe Kapitel 4).
Die Konzentration der Strahlung erfolgt durch eine dem Absorber vorgeschaltete op-
tische Vorrichtung. Da die direkte Konzentration durch Beugung bzw. Brechung nur mit
formfesten, transparenten Materialien (z. B. Linsen aus Glas) erfolgen kann, und diese
durch hohe Kosten gekennzeichnet sind, wird diese Option der direkten Strahlungskon-
zentration bisher großtechnisch nicht realisiert. Als kostengünstigster und großtechnisch
umsetzbarer Ansatz erweisen sich bisher ausschließlich reflektierende Flächen, welche

0,8 0,8

C=25
0,7 0,7
Wirkungsgrad des Kollektors

Wirkungsgrad des Kollektors

C=20
0,6 0,6 C=10
C=5
0,5 0,5
C=25
C=2
0,4 0,4
C=20
0,3 C=10 0,3

C=5
0,2 0,2

0,1 C=2 0,1

0,0 0,0
300 350 400 450 500 550 600 650 700 300 350 400 450 500 550 600 650 700
Absorbertemperatur in K Absorbertemperatur in K

Abb. 11.6 Zusammenhang zwischen Kollektorwirkungsgrad und Betriebstemperatur des Absorbers


in Abhängigkeit des geometrischem Konzentrationsfaktor Cgeo (links: Absorber mit einer Emission
" von eins (schwarzer Strahler), rechts: Absorber mit einer Emission " von 0,08 (d. h. ein technisch
erreichbarer Wert; vereinfachend wird ein konstanter Interceptfaktor von 0,96, eine Direktnormal-
strahlung von 600 W/m2 , eine Umgebungstemperatur von 300 K und ein Absorptionskoeffizient ˛
von 0,78 angenommen))
1004 T. Hirsch et al.

Abb. 11.7 Parabolprofile zur a c


Strahlungskonzentration (a Pa-
rabolprofil mit Strahlengang;
b segmentiertes Parabolpro-
fil (Fresnel); c, d extrudierte d
Profile der Profile a und b;
e, f Rotationskörper der Profi- e
le a und b) b

die einfallende Strahlung auf einen Punkt oder eine Linie reflektieren und damit fokussie-
ren; dies ist aber systembedingt nur mit der solaren Direktstrahlung möglich (d. h. diese
Option erlaubt keine Nutzung der Diffusstrahlung). Eine derartige Strahlungskonzentrati-
on durch Reflexion ist mithilfe von Parabol- und Hyperbelprofilen möglich (Abb. 11.7a).
Um dabei ein möglichst hohes Konzentrationsverhältnis – und damit hohe Temperaturen
und hohe Wirkungsgrade (Abb. 11.6) – zu erreichen (d. h. das Verhältnis von Reflektorflä-
che zur Absorberfläche sollte maximal werden), werden diese Profile als Rotationskörper
ausgeführt (Abb. 11.7e). Alternativ dazu kann das reflektierende Profil auch „extrudiert“
werden, so dass der Fokus nicht punkt-, sondern linienförmig ist. Diese entsprechenden
Möglichkeiten sind in Abb. 11.7c, d dargestellt.
Je flacher eine Parabel geformt ist, umso weiter ist der Fokus vom Scheitelpunkt die-
ser Parabel entfernt. Flache Parabelprofile haben gegenüber steileren Profilen ein gerin-
geres Verhältnis von Reflektorfläche zu Öffnungsfläche (d. h. effektive Kollektorfläche).
Dadurch sinkt der spezifische Materialverbrauch. Dennoch ist eine bestimmte Tiefe des
Profils und damit ein nicht unerheblicher technischer Aufwand unvermeidbar. Um dem
entgegenzuwirken, werden alternativ segmentierte Parabolprofile – auch lineare Fresnel-
profile genannt – verwendet (Abb. 11.7b). Dabei wird das Parabolprofil in kleinere Seg-
mente unterteilt, welche die gleiche Steigung wie das Profil an derselben Stelle haben,
sich jedoch auf der gleichen Ebene befinden. Durch gegenseitige Blockierung von sowohl
einfallender als auch reflektierter Strahlung liegen i. Allg. die Reflexionswirkungsgrade
(d. h. der Quotient von Strahlung auf die Aperturfläche und konzentrierter Strahlung) deut-
lich niedriger als bei ausgeführten Parabolprofilen. Die Realisierung solcher segmentierter
Profile ist in Abb. 11.7d für extrudierte Profile und in Abb. 11.7f für Rotationsprofile sche-
matisch dargestellt.
Vorteil der Rotationsprofile sind i. Allg. größere Konzentrationsfaktoren und damit hö-
here erreichbare Temperaturen. Allerdings müssen die Konzentratoren zweiachsig der
Sonne nachgeführt werden; dies bedingt einen entsprechenden technischen Aufwand. Li-
nienfokussierende Systeme werden demgegenüber nur einachsig der Sonne nachgeführt;
dies bedeutet – zumindest in der Theorie – geringere Wirkungsgrade aufgrund niedrigerer
erreichbarer Konzentrationsfaktoren und damit geringerer Temperaturen.
11 Solarthermische Stromerzeugung 1005

Dabei werden Anlagen mit Rotationsparabolprofilen als Dish / Stirling-Systeme oder


Paraboloidkraftwerke und Großanlagen mit segmentierten Rotationsprofilen als Solar-
turmkraftwerke (aufgrund des auf einem Turm angeordneten Strahlungsempfängers)
bezeichnet. Im Fall der linienfokussierenden Anlagen mit extrudierten Parabolprofilen
spricht man von Parabolrinnenkraftwerken bzw. von Linear-Fresnel-Kraftwerken.

11.1.3 Kreisprozesse

Ziel der Bereitstellung von Hochtemperaturwärme durch eine Strahlungskonzentration ist


die möglichst effiziente Nutzung des exergetischen Anteils dieser Wärme. Dieser kann
mithilfe von Kreisprozessen technisch nutzbar gemacht werden. Innerhalb eines derarti-
gen Kreisprozesses durchläuft ein Arbeitsmedium festgelegte Zustandsänderungen, ver-
bunden mit dem Austausch von Wärme oder der Verrichtung von Arbeit (Abb. 11.8).
Unterschieden werden offene und geschlossene Kreisprozesse.

 Sind Anfangs- und Endzustand des Kreisprozesses identisch und das Arbeitsmedium
kann diesen erneut durchlaufen, spricht man von einem geschlossenen Kreisprozess.
 Verlässt das Arbeitsmedium den Prozess mit einem anderen Zustand als dem Eingangs-
zustand, handelt es sich um einen offenen Kreisprozess. Die letzte Zustandsänderung
wird damit in ein sogenanntes „unerschöpfliches“ Reservoir (z. B. Umgebungsluft) aus-
gelagert und findet dort statt.

Zur Darstellung solcher Kreisprozesse werden u. a. Temperatur / Entropie-Diagramme


(T; s-Diagramm) verwendet. Hierbei können sowohl isotherme (konstante Temperatur) als
auch isentrope (konstante Entropie) Zustandsänderungen als Geraden dargestellt werden
(Abb. 11.9; [11.3]). Die in Abb. 11.9 abgebildeten Prozesse können wie folgt zusammen-
gefasst werden.

 Beim Carnot-Prozess wird der zugeführten Wärme die gesamte Exergie entzogen; er ist
deshalb der ideale Kreisprozess und damit die „Messlatte“ für alle anderen Kreispro-
zesse. Dazu wird eine isentrope Kompression (Aufnahme von Druckänderungsarbeit;
Punkt 1 nach Punkt 2, Abb. 11.8, links), eine isotherme Wärmezufuhr (Punkt 2 nach

Abb. 11.8 T; s-Diagramm 3 3


2 2
Temperatur (T)

Temperatur (T)

eines geschlossenen (links) und


offenen Kreisprozesses (rechts)
(zur Erklärung der Ziffern 4
siehe Text)
4
Reservoir
1 1
5=1

Entropie (s) Entropie (s)


1006 T. Hirsch et al.

Abb. 11.9 T; s-Diagramm verschiedener Kreisprozesse (a Carnot-Prozess, b Ericson-Prozess,


c Stirling-Prozess, d Joule-Prozess, e Clausius-Rankine-Prozess, f Clausius-Rankine-Prozess mit
Überhitzung)

Punkt 3, Abb. 11.8, links), eine isentrope Entspannung (Verrichtung von Druckände-
rungsarbeit; Punkt 3 nach Punkt 4, Abb. 11.8, links) und anschließend eine isotherme
Wärmeabfuhr (Punkt 4 nach Punkt 5 bzw. 1, Abb. 11.8, links) realisiert. Je größer die
Differenz der isothermen Wärmeübertragungen, desto höher ist der Carnot-Wirkungs-
grad
c , der nach Gleichung (11.5) definiert werden kann. Tzu beschreibt das zugeführte
und Tab das abgeführte Temperaturniveau.

Tzu  Tab Tab



c D D1 (11.5)
Tzu Tzu

Mit einem derartigen Prozess kann in der Theorie die volle Arbeitsfähigkeit eines der-
artigen Kreisprozesses nutzbar gemacht werden. Unter realen Bedingungen sind vor
allem die isentrope Kompression und Entspannung nicht umzusetzen (Abb. 11.9a).
 Der Ericson-Prozess nähert sich dem Carnot-Prozess an. Während beim Carnot-Pro-
zess die Kompression und Entspannung als jeweils eine isentrope Zustandsänderung
angesehen wird, tritt beim Ericson-Prozess eine isobare Zustandsänderung auf. Die
hierfür benötigte Wärmezu- bzw. -abfuhr wird von einer inneren Wärmeübertragung
unterstützt (Abb. 11.9b).
11 Solarthermische Stromerzeugung 1007

 Der Stirling-Prozess ist dem Ericson-Prozess sehr ähnlich. Jedoch wird hier die Kom-
pression und Entspannung als isochore Zustandsänderung angenommen; d. h. die Tem-
peratur geht mit einer Druckerhöhung bei konstantem Volumen einher (Abb. 11.9c).
 Der Joule-Prozess setzt sich aus einer isentropen Verdichtung, einer isobaren Wärme-
zufuhr (Verbrennung), einer isentropen Expansion und einer isobaren Wärmeabfuhr
zusammen (Abb. 11.9d). Dieser Prozess ist der Vergleichsprozess der Gasturbine und
des Strahltriebwerks.
 Der Clausius-Rankine-Prozess oder auch nur Rankine-Prozess (Dampfkraftprozess /
Zweiphasenprozess) nutzt den Phasenwechsel von Stoffen. Während eines solchen
Phasenwechsels wird Wärme isotherm übertragen und das spezifische Volumen stark
verändert. Zusätzlich zu den isothermen Wärmeübertragungen findet eine isentrope
Kompression und Entspannung statt (Abb. 11.9e, f). Solche Prozesse sind technisch
vergleichsweise einfach realisierbar.

In heutigen industriellen Anwendungsfällen dominieren der Joule- und der Rankine-


Prozess. Bei ersterem wird das Arbeitsmedium Luft aus der Umgebung angesaugt und
verdichtet, bevor die Wärmezufuhr stattfindet. Die Wärme kann dabei sowohl über kalori-
sche Apparate als auch durch eine innere Verbrennung zugeführt werden. Als Brennstoff
werden vor allem gasförmige Kohlenwasserstoffe (z. B. Erdgas) eingesetzt, um eine Par-
tikelbeladung des Abgasstromes in der folgenden Dekompression zu vermeiden.
Beispielsweise findet bei Solarturmkraftwerken mit volumetrischen Receivern eine di-
rekte Wärmeübertragung vom Absorber zum Arbeitsmedium des Wärme-Kraft-Prozesses
statt. Volumetrische Absorber haben eine große Oberfläche, um die Wärmeübertragung
und die Strahlungsabsorption zu gewährleisten. Wenn das Arbeitsmedium mit Druck be-
aufschlagte Luft ist, muss ein solcher Absorber geschlossen ausgeführt werden. Eine
indirekte Wärmezufuhr (z. B. über einen Wärmeübertrager) ist ungünstig, da das Arbeits-
medium Luft eine geringe Wärmeleitfähigkeit hat und damit große Wärmeübertragungs-
flächen erfordert.
Der Clausius-Rankine-Prozess benötigt ein phasenwechselndes Arbeitsmedium, das
die Realisierung einer isothermen Wärmezufuhr ermöglicht. Zum Einsatz kommt in kon-
ventionellen Kraftwerken üblicherweise Wasser. Für Niedertemperaturanwendungen wer-
den aber auch Prozesse mit organischen Arbeitsmedien realisiert (sogenannte Organic-
Rankine-Cycle-Prozesse, kurz ORC-Prozesse; Kapitel 9). Hier wird das noch flüssige
Arbeitsmedium zunächst mithilfe von Pumpen auf einen hohen Druck gebracht und dann
unter Wärmezufuhr verdampft. Das nun gasförmige Medium wird anschließend, nach ei-
ner eventuellen weiteren Wärmezufuhr, entspannt. Bei niedrigem Druck findet dann die
Kondensation unter Wärmeabfuhr in einem weiteren kalorischen Apparat statt.
Die genannten Prozesse haben gemein, dass die Wärme zunächst für die Volumenerhö-
hung eines gasförmigen Arbeitsmittelstroms verwendet wird. Dieser druckbeaufschlagte
Volumenstrom verrichtet dann während seiner Expansion mechanische Arbeit in Druck-
arbeitsmaschinen. Diese können als oszillierende Maschinen mit einem veränderlichen
Arbeitsvolumen (d. h. Kolbenmaschinen) und als stationär durchströmte Maschinen (d. h.
1008 T. Hirsch et al.

Strömungsmaschinen bzw. Turbinen) ausgeführt werden. In Großkraftwerken werden je-


doch fast ausschließlich Strömungsmaschinen eingesetzt.
In Turbinen wird die potenzielle Energie des durchströmenden Arbeitsmediums zu-
nächst in kinetische Energie und dann in mechanische Energie der sich drehenden Turbi-
nenwelle gewandelt. Das Medium durchströmt die Turbine axial oder radial und versetzt
sie in Rotation. Ein stehendes Leitrad, dessen Schaufelprofile Düsen ausbilden, lässt das
Arbeitsmedium zunächst Druck abbauen und beschleunigt es gleichzeitig. In dem auf der
Turbinenwelle montierten Laufrad wird die kinetische Energie des Arbeitsmediums in ein
Wellendrehmoment umgewandelt. Diese Kombination aus Leit- und Laufrad bezeichnet
man als eine Turbinenstufe. Die unvermeidliche Reibung, die nicht wandelbare kinetische
Energie am Turbinenaustritt und die sogenannten Spaltverluste werden im Turbinenwir-
kungsgrad zusammengefasst; bei heutigen Dampfturbinen werden Wirkungsgrade von bis
zu etwa 45 % und bei Gasturbinen bis zu gut 40 % erreicht.

11.2 Parabolrinnen-Kraftwerke

Bei den linienfokussierenden Solarfeldern von Parabolrinnen- und Linear-Fresnel-Kollek-


toren wird die einfallende Strahlung auf einen in der Brennlinie des Konzentrators befind-
lichen Absorber reflektiert (Abb. 11.10). Aufgrund der eindimensionalen Konzentration
liegen die Konzentrationsfaktoren bezogen auf den Durchmesser des Absorberrohrs bei
30 bis 100. Die 100 bis 240 m langen Kollektoren [11.4, 11.6] werden dazu einachsig dem
aktuellen Stand der Sonne nachgeführt. Von der insgesamt auf die Spiegel einfallenden Di-
rektstrahlung stehen 40 bis 70 % als technisch nutzbare Wärme zur Verfügung. Dieser als
Solarfeldwirkungsgrad bezeichnete Anteil ist von den Leistungsdaten der Komponenten,
der Größe des Feldes und vom aktuellen Sonnenstand abhängig. Für den entsprechenden
Jahresmittelwert spielt der geografische Standort mit seinen charakteristischen Einstrah-
lungsdaten eine Rolle. Heute am weitesten verbreitet sind Parabolrinnen-Kraftwerke mit

Abb. 11.10 Funktionsprinzip direkte Glashüllrohr


der Strahlkonzentration bei Solarstrahlung Absorberrohr
einer Parabolrinne

Ständer mit
einachsiger Parabolrinnen-
Nachführung Konzentrator
mit reflektierender
Oberfläche
11 Solarthermische Stromerzeugung 1009

Öl als Wärmeträgermedium, bei denen die Verstromung der erzeugten Wärme mittels ei-
nes Dampfturbinenprozesses bei thermischen Wirkungsgraden von ca. 40 % erfolgt. Ein
Großteil dieser derzeit betriebenen Kraftwerke verfügt über einen thermischen Speicher,
der eine Stromproduktion auch in den Abend- und Nachstunden erlaubt. In den folgenden
Ausführungen werden wichtige Systemkomponenten und Anlagenkonzepte vorgestellt.

11.2.1 Parabolrinnen-Kollektoren

Reflektor Bei diesem Kollektortyp konzentriert ein parabolisch geformter Reflektor die
einfallende Strahlung auf ein in der Brennlinie angeordnetes Rohr (Abb. 11.10).
Der Reflektor selbst besteht aus einer Vielzahl gekrümmter Spiegelsegmente, die auf
einer metallischen Tragstruktur montiert sind. Üblich ist eine Unterteilung in vier oder
sechs Segmente über die Aperturbreite. In axialer Richtung haben die Spiegelsegmente
eine Länge von 1 bis 1,5 m.
Die Spiegelsegmente bestehen typischerweise aus rückseitenversilbertem Weißglas mit
einem niedrigen Eisenanteil, um hohe Reflektivitätswerte im Solarspektrum zu erreichen.
Stand der Technik sind heute im sauberen Zustand solar gewichtete Reflexionsgrade von
94,5 % für 4 mm dicke Glasspiegel; gemessene Spitzenwerte liegen bei 95,1 % [11.22].
Aufgrund der Witterungsbeständigkeit des Glases ändert sich der Reflexionsgrad des ge-
reinigten Reflektors auch über der Zeit praktisch nicht. Das Glas ist rückseitig mit einer
Silberschicht verspiegelt, die durch eine Kupfer- und drei Lackschichten aus Kunstharz
gegen Witterungseinflüsse geschützt wird. Zusätzlich sind Keramikscheiben mit eingelas-
senen Gewindemuttern als Halterung auf die Spiegelrückseite aufgeklebt. Für die damit
mögliche Befestigung der Spiegelsegmente auf der Kollektorstruktur wurden Konzepte
entwickelt, die eine schnelle und gleichzeitig präzise Montage erlauben.
Ein kompletter Kollektor setzt sich aus einer Anzahl von Kollektorelementen (z. B. 12)
zusammen, die jeweils eine Länge von üblicherweise 12 bis 20 m haben. Abb. 11.11 zeigt
exemplarisch einen Schnitt durch einen derartigen Kollektor (EuroTrough-Bauart), der die
technische Basis für viele derzeit am Markt verfügbare Kollektoren darstellt. Diese Bauart
ist durch ein Rahmentragwerk charakterisiert, welches für die erforderliche Torsionsstei-
figkeit in axialer Richtung sorgt.
Neben diesem Grundkonzept ist auch eine Bauart mit einem Torsionsrohr verbreitet
(Abb. 11.12). Die Rahmenstruktur wird dabei durch ein axiales Rohr mit Durchmessern
von ca. 40 bis 50 cm ersetzt. An diesem Rohr sind Kragarme befestigt, welche die Reflek-
toren tragen; ein Beispiel für diese Kollektorklasse ist der HeliTrough-Kollektor mit einer
Länge von 191 m und einer Aperturweite von 6,8 m [11.5].
Der Antrieb zur Nachführung des Kollektors ist in der Mitte angebracht, sodass nach
beiden Seiten bis zu 100 m Kollektorstruktur durch diesen einen Antrieb mitgedreht wer-
den müssen. Als Antrieb haben sich heute Hydraulikzylinder durchgesetzt, da sie neben
einer hohen Präzision einfache, dezentrale Konzepte für eine Notfall-Defokussierung er-
lauben.
1010 T. Hirsch et al.

Abb. 11.11 Ansicht und Schnitte eines Parabolrinnenkollektors mit Rahmenkonstruktion (Zahlen-
angaben in m)

Abb. 11.12 Schnitt eines


Parabolrinnenkollektors mit
Torsionsrohr (Zahlenangaben
in mm) [11.4]
11 Solarthermische Stromerzeugung 1011

Abb. 11.13 Absorberrohr eines Evakuierungsöffnung Absorberrohr Wasserstoffgetter


Parabolrinnen-Kollektors

Glas-Metall Glasrohr Ausdehnungsbalg


Verbindung

Jede Kollektoreinheit verfügt standardmäßig über einen Winkelsensor, der die aktuelle
Stellung des Kollektors wiedergibt. Viele Kollektoren sind mit zusätzlichen Sonnensen-
soren ausgestattet, die für eine Feinjustierung des Kollektors im Hinblick auf den ak-
tuellen Sonnenstand eingesetzt werden. Der Trend geht jedoch zum Verzicht auf diese
mit Unsicherheit behafteten Sensoren. Vielmehr werden vermehrt kalibrierte Winkelge-
ber zusammen mit einem Sonnenstands-Algorithmus für die Nachführung der Kollektoren
eingesetzt.

Absorberrohr (Heat Collecting Element – HCE) In der Brennlinie der verwendeten


Kollektoren sind als Absorber horizontale Einzelrohre oder bei Fresnelkollektoren auch
Rohrgruppen angebracht. Diese sind selektiv beschichtet, um eine möglichst hohe Absorp-
tion der auftreffenden Solarstrahlung zu erlauben. Diese Absorberrohre sind mit einem
gläsernen Hüllrohr umgeben. Der Zwischenraum zwischen diesem Glasrohr und dem
eigentlichen Absorberrohr wird evakuiert, um die Wärmeverluste des Absorbers zu mini-
mieren (Abb. 11.13). Zusätzlich hat das Vakuum die Aufgabe, die empfindliche selektive
Schicht, mit der die Absorption verbessert und gleichzeitig die Verluste minimiert werden,
vor einer potenziellen Oxidation beispielsweise mit Luftsauerstoff zu schützen. Die heute
realisierten selektiven Beschichtungen sind je nach Anwendungsfall bis zu Temperaturen
von über 500 ı C im Vakuum stabil. Ihre solare Absorption liegt bei über 95,5 % und der
Emissionsgrad bei 400 ı C unter 9,5 % [11.8].
Wegen der Wärmeausdehnung zwischen dem kalten und dem heißen Betriebszustand
müssen die Absorberrohre in axialer Richtung flexibel gelagert sein. Gleichzeitig muss die
Lagerung quer zur Achse sehr präzise sein, um das Absorberrohr sicher in der Brennli-
nie zu halten. Zum Einsatz kommen dafür bügelähnliche Halterungen, die über Kipplager
oder einfache Bleche eine axiale Verkippung der Halterung und damit eine axiale Ver-
schiebung der in Serie verschweißten Absorberrohre erlauben.

Flexible Rohrverbindungen Die thermische Dehnung über einen Kollektor zwischen


dem kalten Zustand bei Anlagenstillstand und einem heißen Betriebszustand bei Anla-
genbetrieb kann je nach Kollektorlänge mehr als einen Meter betragen. Um diese Län-
genausdehnung aufzunehmen, sind am Ende des Kollektors flexible Rohrverbindungen
erforderlich. Diese werden heute entweder als durchströmte Drehgelenke (englisch: Ball
1012 T. Hirsch et al.

Joints) oder als flexible Schläuche ausgeführt. Die Drehgelenke erfordern eine kontinuier-
liche Wartung, um die Dichtheit der Graphitdichtungen zu gewährleisten und gleichzeitig
ein niedriges Verdrehmoment sicherzustellen.

11.2.2 Linear-Fresnel-Kollektoren

Neben den heute vorzugsweise eingesetzten Parabolrinnen-Kollektoren wurden in einzel-


nen Kraftwerken auch Linear-Fresnel-Kollektoren eingesetzt. Diese unterscheiden sich
in ihrem Konstruktionsprinzip von den Parabolrinnen-Konzepten dadurch, dass das Ab-
sorberrohr ortsfest ist und der parabolisch gekrümmte Reflektor in einer Vielzahl ein-
zelner Spiegelreihen aufgebrochen wird. Die Achsen der Spiegelreihen liegen in einer
horizontalen Ebene und das Absorberrohr ist in einer Höhe von mehreren Metern über
der Reflektorebene angebracht. Die Reflektoren bestehen aus relativ schmalen, schwach
gekrümmten und horizontal angeordneten Spiegelstreifen (Abb. 11.14). Die einzelnen Re-
flektorstreifen folgen jeweils dem Lauf der Sonne und konzentrieren die Strahlung auf das
in der Fokallinie ortsfest installierte Absorberrohr.
Da die Oberfläche der Spiegelstreifen sich in seiner Ausrichtung gegenüber dem Absor-
berrohr verändert, wird bei einem Linear-Fresnel-Kollektor nicht die gleiche Abbildungs-
qualität wie bei einer Parabolrinne erreicht. Dies äußert sich in einer breiteren Brennlinie,
die den Einsatz von größeren Absorberrohren bzw. von Sekundärkonzentratoren über dem
Absorberrohr erforderlich macht. Abb. 11.15 zeigt neben dem Querschnitt eines typischen
Parabolrinnen-Receivers exemplarisch eine Receivervariante mit Sekundärkonzentrator
und einen Rohrbündel-Receiver (Abb. 11.15, Mitte und rechts).
Jedes reflektierende Segment wird schwerpunktneutral entweder einzeln oder in Grup-
pen angetrieben. Der Steuerungsaufwand ist bei derartigen Linear-Fresnel-Kollektoren
etwas höher als bei Parabolrinnen-Kollektoren, da eine spezifisch höhere Anzahl von Mo-
toren verwendet werden muss.
Heute sind unterschiedliche Lagerungs- und Antriebskonzepte verfügbar. Exempla-
risch werden hier die Daten eines solchen Konzeptes dargestellt. Die einzelnen Kollek-

Abb. 11.14 Schema eines


Linear-Fresnel-Kraftwerks Absorber
Generator
Dampftrommel Turbine

Kühlung

Linear-
Fresnel-
Kollektoren
11 Solarthermische Stromerzeugung 1013

Abb. 11.15 Aufbau des Glashüllrohr Sekundärkonzentrator Isolierung


Receivers von Parabolrin-
nen-Kollektoren (links) und
Fresnelkollektoren (Mit-
te, rechts) (A optisch wirksame
Breite des Receivers)
A A A

tormodule haben darin eine Breite von etwa 16,6 m und eine Länge von rund 45 m. Sie
bestehen aus 16 einzelnen, nebeneinander angeordneten Reflektorstreifen (d. h. Primär-
spiegel) von je etwa 0,72 m Breite, welche die Solarstrahlung von der horizontalen Ebene
auf das mittig angeordnete Absorberrohr konzentrieren. Dieses befindet sich 7,4 m über
der Ebene der Primärspiegel. Zwischen 5 und 22 Kollektormodule werden dabei in Reihe
geschaltet. Damit ergeben sich Gesamtlängen pro Kollektorstrang von bis zu 1 000 m.
Die wesentlichen Vorteile eines derartigen Linear Fresnel-Kollektors können wie folgt
zusammengefasst werden:

 Das Absorberrohr ist fest an einer Stelle montiert und bewegt sich, im Gegensatz zur
Anordnung bei der Parabolrinne, nicht mit den Spiegeln. Der technische Aufwand für
bewegliche, mit Druck beaufschlagte Verbindungen zwischen den einzelnen Kollek-
toren entfällt. Längsbewegungen infolge der Längenänderung der Absorber aufgrund
großer Temperaturschwankungen sind aber auch hier auszugleichen.
 Die Fertigung der Spiegelelemente wird vereinfacht, weil die einzelnen Segmente nur
eine sehr geringe Krümmung benötigen. Diese lässt sich bei Dünnglas elastisch her-
stellen, während bei den Spiegeln für Parabolrinnen-Kollektoren aufwändigere Form-
gebungsprozesse erforderlich sind. Außerdem sind die Spiegel dünner (typisch 3 statt
4 mm [11.13]). Dadurch steigt die Reflektivität etwas an.
 Aufgrund der tiefen bodennahen Anordnung der Spiegel werden die Windlasten klei-
ner.
 Insgesamt werden größere Spiegelflächen je Längeneinheit der (teuren) Absorberrohre
möglich und damit kann bei gleichbleibender Leistung der Absorber (HCE) insgesamt
verkürzt werden. Dieser Vorteil ist allerdings beim Vergleich mit aktuellen Parabol-
rinnen-Kollektoren nur gering und unter Berücksichtigung der Kosinusverluste bei
tieferen Sonnenständen praktisch gar nicht mehr gegeben.

Diesen Vorteilen steht eine Reihe von Nachteilen gegenüber, die nachfolgend diskutiert
werden.

 Der optisch-thermische Wirkungsgrad ist deutliche geringer als bei Parabolrinnen-Kol-


lektoren [11.14].
 Die Verwendung von Sekundärkonzentratoren wird erforderlich. Diese reflektieren die
vom Primärkonzentrator kommende Strahlungsenergie, die sonst den Absorber verfeh-
1014 T. Hirsch et al.

len würde, auf das Absorberrohr (HCE). Sekundärkonzentratoren verursachen Inves-


titionen und Wartungskosten sowie entsprechende Reflexionsverluste. Alternativ oder
in Kombination ist die Verwendung von Absorberrohrbündeln möglich, um den Anteil
der reflektierten und konzentrierten solaren Strahlungsenergie, welche die Absorber
verfehlen, möglichst weitgehend zu minimieren.
 Bei den Linear-Fresnel-Kollektoren müssen deutlich mehr Elemente einzeln nachge-
führt werden als bei Parabolrinnen-Kollektoren; dies bedingt einen höheren Nachfüh-
rungsaufwand.
 Aufgrund der tiefen bodennahen Anordnung der Primärspiegel werden die Reflektoren
der in Bodennähe erhöhten Staubbeladung der Luft ausgesetzt.

11.2.3 Wärmeträgermedium

Als Wärmeträgermedium in den Absorberrohren wird heute üblicherweise ein hochsie-


dendes, synthetisches Thermoöl eingesetzt. Die maximale Arbeitstemperatur ist durch die
thermische Stabilität des Öls auf knapp 400 ı C begrenzt. Bei dieser Temperatur muss
dieses Öl unter Druck stehen (ca. 12 bis 16 bar), um eine Verdampfung sicher zu ver-
hindern. Deshalb muss das gesamte Solarfeld als auch die Ausdehnungsbehälter und die
Wärmeüberträger zur Einkopplung in einen thermischen Wärme-Kraft-Prozess druckfest
ausgeführt werden. Austrittsseitig sind Drücke um 15 bar und eintrittsseitig – wegen der
Druckverluste über das Solarfeld – Drücke bis 30 bar üblich. Aktuell befinden sich al-
ternative Ölmischungen in der Erprobung, die eine Anhebung der Betriebstemperatur auf
ca. 430 ı C erlauben sollen [11.15].
Um hohe Solarfeldaustrittstemperaturen und damit hohe Wirkungsgrade des Kraft-
werksblocks zu erzielen, werden als Alternative zum Thermoöl Salzschmelzen als Wär-
meträgermedium erprobt [11.16]. Den Vorteilen der höheren Wärmekapazität und poten-
ziell höheren Arbeitstemperatur steht als Nachteil die hohe Schmelztemperatur, die eine
Begleitheizung zwingend notwendig macht, gegenüber. Daher muss mit einem höheren
Eigenenergieverbrauch für Zeiten ohne ausreichend hohe Solarstrahlung gerechnet wer-
den. Die einfachere Realisierung des Speichers, die höhere Temperaturdifferenz für die
Wärmespeicherung und die insgesamt höhere nutzbare Temperaturdifferenz sind zusätz-
liche Argumente für diese Technologie.
Eine weitere Variante ist die direkte Dampferzeugung in den Absorberrohren (d. h.
Direktverdampfung) [11.17]. In Versuchsanlagen und zwei kommerziellen Kraftwerken
wurde diese erprobt und wird ausgehend von dort gemachten Erfahrungen für grund-
sätzlich realisierbar eingestuft. Diese Entwicklungslinie hat jedoch stark an Bedeutung
verloren, da derzeit keine technisch und ökonomisch attraktiven Speicherlösungen für die
Direktverdampfung zur Verfügung stehen. Diese Technologieoption wird daher heute vor-
zugsweise im Bereich der Prozessdampferzeugung, nicht aber für die Stromerzeugung,
diskutiert.
11 Solarthermische Stromerzeugung 1015

11.2.4 Thermische Speicher

Sonnenenergie ist durch einen ausgeprägten Tages- und Jahresgang gekennzeichnet (Kapi-
tel 2.2). Der Tagesgang ist aufgrund der Erdrotation (Tag / Nacht) deterministisch; er wird
aber aufgrund meteorologischer Einflüsse (u. a. Wolken, Aerosole) stochastisch variiert
(Kapitel 2.2). Um die daraus resultierenden Fluktuationen zumindest z. T. auszugleichen,
können bei solarthermischen Kraftwerken thermische Speicher eingesetzt werden. Da der-
artige Solarthermie-Kraftwerke ohnehin mit Wärme als Energieform arbeiten, bietet sich
eine deratige Lösung an. Diese Speichertechnologie (Kapitel 14) unterscheidet sich damit
grundlegend z. B. von der Photovoltaik, bei der bisher typischerweise elektrische Energie
gespeichert wird. Deshalb hat sich in den letzten Jahren die Speicherung von Hochtem-
peraturwärme als das Schlüsselelement für solarthermische Kraftwerke entwickelt, da
dadurch ein spezifischer Vorteil gegenüber anderen Stromerzeugungsoptionen auf der
Basis erneuerbarer Energien darstellbar ist. Daher ist auch die Integration thermischer
Speicher eine der wesentlichen Besonderheiten und derzeit ein Alleinstellungsmerkmal
der Strombereitstellung mittels solarthermischer Rinnen-, Linear-Fresnel- und Solarturm-
kraftwerke. Derartige Speicher machen die solare Stromerzeugung bis zu einem gewissen
Ausmaß plan- und steuerbar; d. h. die Kombination aus solarthermischem Kraftwerk und
thermischem Speicher ermöglicht eine – in Abhängigkeit von der Speichergröße – nach-
frageorientierte Strombereitstellung (Abb. 11.16).

1000 100
Solarstrahlung
900 90

800 80
Thermische Leistung in MW

Elektrische Leistung in MW
Direktstrahlung in W/m2

700 70

600 60
Stromerzeugung
500 50

400 Wärme 40
vom
300 Thermische Leistung Solarfeld Speicher in 30
den
200 Krawerks- 20
Solarwärme in den Speicher block
100 10

0 0
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24
Stunde des Tages

Abb. 11.16 Einsatz eines thermischen Speichers in einem solarthermischen Kraftwerk, um die
Stromerzeugung vom Vormittag auf die abendliche Nachfragespitze zu verschieben, wie sie in vie-
len arabischen Ländern gegeben ist
1016 T. Hirsch et al.

Bei den in derartigen Anlagenkonzepten einsetzbaren thermischen Speichern (Kapi-


tel 14) wird aufgrund des physikalischen Prinzips der Wärmespeicherung unterschieden
in direkte und indirekte Speicher.

 Ein direkter Speicher ist dadurch charakterisiert, dass das Wärmeträgermedium, wel-
ches im Solarkreislauf genutzt wird, gleichzeitig auch als Wärmespeichermedium zum
Einsatz kommt. Typischerweise handelt es sich bei diesem Typ Speicher um eine Kom-
bination von Heißtank und Kalttank. Im Beladebetrieb wird kaltes Fluid aus dem Kalt-
tank im Solarfeld erwärmt und im Heißtank eingelagert. Für die Stromproduktion wird
heißes Fluid aus dem Heißtank zur Erzeugung von Dampf entnommen. Typische Ver-
treter dieses Systems findet man in Flüssigsalzkreisläufen, wo das flüssige Salz als
Wärmeträgermedium und auch als Speichermedium eingesetzt wird.
 Bei den indirekten Speichern versucht man die Vorteile eines meist günstigeren Spei-
chermaterials ausnutzen, sodass die Wärmespeicherung in einem anderen Material als
dem Wärmeträgermedium erfolgt. Dieses Speicherkonzept findet sich heute in den
meisten Parabolrinnenkraftwerken. Hier erfolgt die Wärmespeicherung in einem Zwei-
tank-Flüssigsalzspeicher, während im Solarfeld und im Dampferzeuger jedoch Ther-
moöl zum Einsatz kommt (vgl. Abb. 11.23). Der Zweitank-Salzspeicher ist über einen
Wärmeübertrager mit dem Ölkreislauf verbunden.

Tabelle 11.1 zeigt thermodynamische Daten ausgewählter Speichermedien; dabei wird


unterstellt, dass sich diese potenziellen Speichermaterialien in Ruhe befinden und keine
Konvektion auftritt (d. h. sie verhalten sich wie ein Festkörper). Eine charakteristische
Kenngröße derartiger Medien ist der Wärmeeindringkoeffizient b (Gleichung (11.6)). Er
ist definiert als die Wurzel aus dem Produkt der Dichte des Speichermaterials Sp , der
Wärmeleitfähigkeit  und der spezifischen Wärmekapazität cp . Materialien, die für die
Wärmespeicherung geeignet sind, zeigen hohe Wärmeeindringkoeffizienten.
q
b D  Sp cp (11.6)

Tabelle 11.1 Technische Kennzahlen ausgewählter thermischer Speichermedien


Maximale Wärmeleit- Dichte Wärme- Wärmeeindring-
Temperatur fähigkeit in kg/m3 kapazität koeffizient
in ı C in W/(m K) in kJ/(kg K) in Ws0;5 /(m2 K)
Silikonöl 400 0,10 970a 2,1 450
Mineralöl 300 0,12 900a 2,6 530
Natriumchlorid 450 0,57 927b 1,5 890
Solarsalze 570 0,5 1 900 1,5 1 200
Feuerleichtsteine 700 0,9c ca. 1 000d 0,95 925
Stahlbeton 400 1,5 2 500 0,85 1 800
Baustahl 700 40 7 900 0,43 12 000
a
bei 20 ı C; b am Schmelzpunkt; c 0,18 bis 1,6 W/(m K); d zwischen 800 und 1 200 kg/m3 ; e 60 %
NaNO3 , 40 % KNO3 .
11 Solarthermische Stromerzeugung 1017

Neben den thermophysikalischen Eigenschaften ist der Preis des Materials von hoher
Bedeutung. Da die Kosten des Speichertanks entscheidend von seiner Größe abhängen,
werden Medien mit hoher volumetrischer Speicherkapazität und geringem Preis pro ge-
speicherter kWh bevorzugt. Da die Speicherkapazität von der auf das Material angewen-
deten Temperaturspreizung abhängt, muss beim Vergleich von Speicherkonzepten immer
die vom Prozess vorgegebene Temperaturspanne berücksichtigt werden. Bei Thermoöl-
Kraftwerken liegt die Speichertemperatur üblicherweise zwischen 285 und 385 ı C (d. h.
ca. 100 K). Bei Flüssigsalzsystemen mit direktem Speicher liegen die Betriebstemperatu-
ren demgegenüber zwischen ca. 290 und 500 ı C und damit bei einer Temperaturdifferenz
von 210 K. Bei gleichen Materialeinsatz an Flüssigsalz für den Speicher lässt sich also
bei einem Flüssigsalz-Kraftwerk fast doppelt so viel Energie speichern wie beim einem
Thermoöl-Kraftwerk.
Die heute im Bereich der Parabolrinnenkraftwerke verwendeten Speicherkonzepte wer-
den nachfolgend erläutert.

Indirekte Flüssigsalzspeicher Diese derzeit bei Parabolrinnenkraftwerken fast aus-


schließlich genutzte Speicherlösung verbindet die Vorteile des gängigen Wärmeträger-
mediums Thermoöl mit den Vorzügen von Flüssigsalz als Wärmespeichermedium. Zum
Einsatz kommen ein kalter und ein heißer Flüssigsalztank (Abb. 11.17). Die hier genutzten
Salzschmelzen (d. h. Flüssigsalz) sind relativ kostengünstig, nicht brennbar und ungiftig.
Bei der im Solarbereich gebräuchlichsten Salzschmelze handelt es sich um eine binäre
Mischung aus 60 % Natriumnitrat (NaNO3 ) und 40 % Kaliumnitrat (KNO3 ). Während der
Beladung wird kaltes, aber noch flüssiges Salz bei ca. 285 ı C aus dem Kalttank mittels
des heißen Wärmeträgermediums (ca. 390 ı C) aus dem Solarfeld auf eine Temperatur von
ca. 385 ı C gebracht und im heißen Tank eingelagert (vgl. Abb. 11.23). Der aus dem So-
larfeld kommende Thermoölstrom wird dazu in einen Teilstrom zum Dampferzeuger und
zum Speicher aufgeteilt. Es lässt sich damit also überschüssige Wärme, die aktuell nicht in
elektrische Energie umgesetzt werden kann (z. B. weil die Leistung des Dampferzeugers
ausgeschöpft ist) oder soll (z. B. weil aktuell keine Nachfrage auf dem Strommarkt exis-
tiert), in den Speicher leiten. Die Übertragung der Wärme vom Thermoölkreislauf auf den
Salzkreislauf erfolgt durch einen Öl-Flüssigsalz-Wärmeübertrager. Dieser Wärmeüber-

Kaltsalzpumpe Heißsalzpumpe

Kaltlagertank Heißlagertank

Abb. 11.17 Schema eines Salzschmelzspeicher (nach [11.10])


1018 T. Hirsch et al.

trager wird sowohl für die Beladung als auch in umgekehrter Durchströmungsrichtung
für die Entladung genutzt. Bei der Entladung wird Salz aus dem heißen Tank (ca. 385 ı C)
über den Wärmeübertrager in den kalten Tank geleitet. Dabei nimmt der Thermoölstrom
die Wärme auf. Der danach heiße Thermoölstrom (ca. 380 ı C) wird dann auf den Dampf-
erzeuger geleitet. An dieser Stelle wird die Besonderheit des indirekten Speichersystems
deutlich. Zwischen der Beladung mit 390 ı C heißem Öl und der Entladung bei 380 ı C
liegt eine Temperaturdifferenz von 10 K. Dies führt kraftwerksseitig zu niedrigeren Pro-
zesstemperaturen und damit zu reduzierten Wirkungsgraden; die erzeugte Leistung eines
Parabolrinnenkraftwerks auf Thermoölbasis weist daher einen typischen Rückgang der
Stromproduktion beim Umschalten von einem Solarfeld- auf einen Speicherbetrieb auf.
Auch müssen durch die Verwendung nur eines Wärmeübertragers für Be- und Entladung
Umschaltzeiten zwischen den beiden Vorgängen in Kauf genommen werden, die zu einem
leichten Einbruch in der Produktion während des Umschaltprozesses führen. Das Spei-
chersystem ist hoch wärmegedämmt; es kommt daher mit Wärmeverlusten von ca. 1 %
pro Tag aus.

Direkte Flüssigsalzspeicher Den für den indirekten Speicher diskutierten Nachteilen des
Temperaturverlusts und der eingeschränkten Betriebsflexibilität kann man mit direkten
Speichern begegnen. Dort wird das Wärmeträgerfluid direkt in den Speichertanks ver-
wendet, sodass auf den Wärmeübertrager verzichtet werden kann. Da Thermoöl wegen
der geringen Speicherkapazität und der hohen Kosten als direktes Wärmeträgermedi-
um heute ausscheidet (einige der ersten Rinnenkraftwerke aus den 1980er Jahren in den
USA nutzten dieses Medium noch zur Speicherung), ist dieses Konzept nur bei Verwen-
dung alternativer Wärmeträgermedien einsetzbar. Im Bereich der Solarturmkraftwerke hat
sich die Verwendung von Flüssigsalz als Wärmeträgermedium etabliert. Auch im Para-
bolrinnenbereich existieren erste Anlagen mit diesem Konzept. Wegen der tendenziell
niedrigeren Betriebstemperatur werden bei den Rinnenkraftwerken neben dem im Turm-
bereich eingesetzten „Solarsalz“ auch andere Salzmischungen verwendet, die niedrigere
Schmelzpunkte aufweisen. Im Vergleich zu den bei niedrigen Temperaturen arbeitenden
Salzspeichern bei Ölrinnenanlagen müssen insbesondere die Heißtankspeicher zusätzliche
Anforderungen an die Isolierung und an gekühlte Fundamente erfüllen.
In der Erforschung befindet sich aktuell beispielsweise der Thermocline-Speicher, bei
denen ein einziger Speichertrank für den Kalt- und Heißteil verwendet wird. Die beiden
Teile sind durch eine thermisch isolierte Trennschicht voneinander getrennt. Eine Variante
dieses Speicherkonzepts sieht ein Füllmaterial aus Festkörpern vor, welches die eigentli-
che Wärmespeicherung übernimmt, während das Flüssigsalz nur für den Wärmetransport
zuständig ist.

Dampfspeicher Die direkte Speicherung von gesättigtem oder überhitztem Dampf in


Druckkesseln ist aufgrund der geringen volumetrischen Energiedichte i. Allg. nicht dar-
stellbar. Stattdessen speichern Dampfspeicher sensible Wärme in unter Druck stehendem,
gesättigtem, flüssigem Wasser und machen sich die hohe volumetrische Speicherkapazität
11 Solarthermische Stromerzeugung 1019

Abb. 11.18 Schema ei-


nes Gleitdruckspeichers
(nach [11.9])

von flüssigem Wasser für sensible Wärme zunutze. Zum Entladen wird Dampf dann durch
Druckabsenkung der gesättigten Flüssigkeit erzeugt. Da Wasser sowohl als Speicher- als
auch als Arbeitsmedium verwendet wird, sind große Entladeleistungen möglich; die Spei-
cherkapazität hingegen ist durch das Volumen und das darstellbare maximale Druckniveau
des Druckbehälters begrenzt.
Die volumenspezifische Energiedichte eines derartigen Speichers hängt stark von der
Sättigungstemperatur ab, die sich durch den Druckabfall beim Entladen ändert; typische
Werte liegen hier zwischen 20 und 30 kWh/m3 .
Der Ladevorgang kann direkt durch Dampf oder gesättigtes Wasser erfolgen. Wird
überhitzter Dampf genutzt, steigt der Druck im Speicher, während sich die Masse des darin
befindlichen flüssigen Wassers nur geringfügig ändert. Wird demgegenüber der Dampf-
speicher mit gesättigtem, flüssigem Wasser beschickt, bleibt der Druck konstant.
Derartige Dampfspeicher lassen sich auch indirekt beladen. Dazu wird ein Wärmeüber-
trager im Speichervolumen des flüssigen Wassers integriert. Das Wärmeträgermedium im
Wärmeübertrager muss dann nicht zwangsläufig Wasser sein; auch Wärme einer Wär-
mequelle, die unter einem niedrigeren Druck steht, kann verwendet werden. In solchen
Gleitdruckspeichern (Ruths-Speicher; Abb. 11.18) wird beim Entladen dann gesättigter
Dampf entnommen.
Dampfspeicher haben sich im Bereich der solarthermischen Kraftwerke bisher nicht
durchgesetzt. Einige wenige Anlagen verwenden derartige Speicher als Kurzzeitpuffer
(rund 1 h Kapazität), da der Speicher spezifisch sehr teuer ist und Bauart-bedingt nur ge-
sättigten Dampf erzeugt. Für den Einsatz mit überhitztem Dampf müssten weitere sensible
Speicherbausteine ergänzt werden.

11.2.5 Wärme-Kraft-Prozess

Wärme-Kraft-Wandlung Bei solarthermischen Kraftwerken wird ein Kraftwerkspro-


zess eingesetzt, wie er auch bei konventionellen, mit fossilen oder biogenen Energie-
1020 T. Hirsch et al.

trägern gefeuerten Kraftwerken verwendet wird. Zum Einsatz kommen handelsübliche


Industriedampfturbinen in Leistungsbereichen von 50 bis 150 MW. Damit liegen die Leis-
tungen der Kraftwerke unter denen großer Kohle-gefeuerter Kraftwerksblöcke oder von
mit Erdgas betriebenen Gas- und Dampfkraftwerken. Der Grund liegt in der benötig-
ten Größe des Solarfelds, welches für obige Größenordnungen Kantenlängen von 1 bis
3 km annehmen kann. Ökonomisch wäre bei größeren Solarfeldern der Übergang auf zwei
separate Kraftwerksanlagen angezeigt. Wegen des geschlossenen Wärmeträgerkreislaufs
(entweder mit Öl oder Flüssigsalz als Wärmeträgermedium) liegt die Austrittstemperatur
des Speisewassers aus dem Kraftwerksblock relativ hoch. Übliche Werte sind hier 280 bis
300 ı C, die durch eine mehrstufige regenerative Speisewasservorwärmung erreicht wer-
den. Heutige Anlagen verfügen über sechs bis acht Vorwärmstufen. Parabolrinnenanlagen
mit 390 ı C Solarfeldaustrittstemperatur müssen mit Zwischenüberhitzung ausgeführt wer-
den. Diese ist erforderlich, um bei Frischdampfparametern von 100 bar und 385 ı C die
zulässige Endnässe (ca. 15 %) an der Niederdruckturbine nicht zu überschreiten. Gleich-
zeitig hilft die Zwischenüberhitzung zur Steigerung des Wirkungsgrads. Die üblicherwei-
se erreichbaren Wirkungsgrade bei Thermoöl-Parabolrinnenkraftwerken liegen mit rund
40 % etwas unter denen von mit fossilen Energieträgern betriebenen Kraftwerken. Die
Nutzung von Flüssigsalz bei Temperaturen von ca. 500 ı C erlaubt die Anhebung des Wir-
kungsgrads um ca. zwei bis drei Prozentpunkte.

Kühlsysteme Wie bei konventionellen Dampfkraftwerken kann der Kondensator eines


solarthermischen Kraftwerks mit Wasser (d. h. nass), mit Luft (d. h. trocken) oder einer
Kombination beider Medien (d. h. hybrid) gekühlt werden (siehe auch Kapitel 9.2). Ein
wesentlicher Unterschied zwischen der Nass- und der Trockenkühlung besteht in der mi-
nimal erreichbaren Kühltemperatur.

 Luftgekühlte Systeme führen die Wärme an die Umgebungsluft ab. Die damit erreich-
bare untere Temperaturgrenze (d. h. minimale Kühltemperatur) ist durch die Trocken-
kugeltemperatur begrenzt (d. h. die physikalisch geringste Temperatur, die sich durch
eine Luftkühlung erreichen lässt).
 Bei der Nasskühlung wird das Verdunsten von Wasser zur Wärmeabgabe genutzt. Da-
durch können Temperaturen bis nahe an die Feuchtkugeltemperatur erreicht werden
(d. h. die physikalisch tiefste Temperatur, die sich durch eine Verdunstungskühlung
erreichen lässt und damit die Temperatur, die mit einem befeuchteten Thermometer in
strömender Luft gemessen wird). Dabei steht die Wasserabgabe einer feuchten Oberflä-
che mit dem Wasseraufnahmevermögen der umgebenden Luft im Gleichgewicht (d. h.
die umgebende Luft wird mit Wasserdampf gesättigt). Wegen der Verdunstungskälte
liegt die Feuchtkugeltemperatur – in Abhängigkeit von der relativen Luftfeuchte – un-
terhalb der Lufttemperatur. Der Unterschied ist dabei umso größer, je trockener die
umgebende Luft ist (d. h. der Unterschied zwischen Feucht- und Trockenkugeltempe-
ratur hängt von der Umgebungsluftfeuchte ab; bei 100 % relativer Luftfeuchtigkeit sind
11 Solarthermische Stromerzeugung 1021

Tabelle 11.2 Eigenschaften verschiedener Kühlverfahren [11.11]


Kühlverfahren Vorteile Nachteile
Nasskühlung – niedrigere Investitionen – hoher Wasserverbrauch
(Kühlturm) – niedriger Eigenverbrauch – Wasseraufbereitung und Abwasserent-
– beste Kühlung (d. h. niedrigstesorgung erforderlich
Kühltemperatur), insbesondere– Schwadenbildung bei kühlerem Wetter
bei aridem Klima (d. h. höchster
– Vermeidung einer Legionellenbildung
Prozesswirkungsgrad) durch Entkeimung des Wassers und
Putzen / Entkeimen des Kühlturms in
regelmäßigen Abständen
Trockenkühlung – kein Wasserverbrauch – höherer Eigenverbrauch
(luftgekühlt) – keine Wasserbehandlung erforder- – niedrigere Kühlwirkung bei hohen
lich Trockenkugeltemperaturen (d. h. redu-
– kein Kühlturm und kein zierter Prozesswirkungsgrad)
Abwasserverdunstungsteich nötig
Hybrid – geringerer Wasserverbrauch als – kompliziertes System aus Nass- und
bei Nasskühlung Trockenkühlung
– hohe Kühlleistung auch bei hei- – gleiche Nachteile wie Nasskühlung,
ßem Wetter aber weniger ausgeprägt

Turbine
Dampf

Oberflächen-
Turbine

kondensator
Dampf

Kondensat Kondensat
Nasskühlturm

Abb. 11.19 Schema einer Trocken- (links) und Nasskühlung (rechts)

beide identisch und in allen anderen Fällen ist die Feuchtkugeltemperatur niedriger als
die Trockenkugeltemperatur).

Tabelle 11.2 zeigt eine Gegenüberstellung der wichtigen Eigenschaften und Unter-
schiede zwischen den genannten Kühlungsarten. Demnach zeichnet sich die Nasskühlung
durch einen höheren Prozesswirkungsgrad, aber auch einen größeren Wasserverbrauch
aus. Bei der Trockenkühlung ist es gerade umgekehrt. Deutlich wird auch, dass die beiden
Konzepte kombiniert werden können (sogenannte Hybridkühlung). Abb. 11.19 zeigt eine
schematische Darstellung der Trocken- und der Nasskühlung.
Während viele der aktuell in Betrieb befindlichen Solarkraftwerke eine Nasskühlung
nutzen, geht der Trend bei Neubauprojekten klar zur Trockenkühlung. Da die bevorzugten
sonnenreichen Standorte eher trocken sind, werden dann knappe Wasserressourcen nicht
für den Einsatz im Kühlsystem genutzt.
1022 T. Hirsch et al.

11.2.6 Anlagenkonzepte

Der Großteil des derzeit kommerziell erzeugten solarthermischen Stroms wird in Para-
bolrinnenanlagen produziert. In der Mojave-Wüste Kaliforniens (USA) wurden ab Mitte
der 1980er Jahre neun sogenannte SEGS-Anlagen (Solar Electricity Generation Systems)
errichtet. Zusätzlich wurden ab 2000 weitere Kraftwerke realisiert, deren grundsätzliche
Funktionsweise den SEGS-Kraftwerken weitgehend entspricht. Diese neueren Anlagen
sind aber durch höhere Wirkungsgrade und z. T. die Integration großer thermischer Spei-
cher gekennzeichnet. Auch sie werden nachfolgend exemplarisch diskutiert. Abschließend
wird noch auf einige Sonderformen und absehbare Entwicklungen eingegangen. Zuvor
wird aber der grundsätzliche Energiefluss durch derartige Anlagen dargestellt.
Abb. 11.20 zeigt den grundsätzlichen Energiefluss einer exemplarischen Parabolrin-
nenanlage. Dargestellt sind die über ein Jahr gemittelten Werte. Die Energieverluste bei
den Kollektoren liegen demnach bei rund 50 %. Darunter fallen die Kosinusverluste, die
auftreten, weil im Betrieb die Spiegel so ausgerichtet sind, dass die einfallende Solar-
strahlung auf das Absorberrohr reflektiert wird (i. Allg. treffen die Sonnenstrahlen nicht
orthogonal auf die Spiegel). Dadurch reflektiert effektiv nur die in die Ebene senkrecht zur
Einfallsrichtung der Solarstrahlung projizierte Spiegelfläche. Damit ist die vom Spiegel
reflektierte Solarstrahlung proportional zum Kosinus des Winkels zwischen der Spiegel-
normalen und der Richtung der einfallenden Direktstrahlung (d. h. Kosinuseffekt). Hin-
zu kommen die optischen Verluste. Diese resultieren aus der nicht hundertprozentigen
Reflektivität der Spiegel, der nicht vollständigen Transmissivität des Hüllrohrs und des-
Kraftwerksblocks
Eingang des
Thermische
Energie am
Absorbierte
Energie der solaren Strahlung

Energie
100 %

Abb. 11.20 Energiefluss einer Parabolrinnenkraftwerks (exemplarisch)


11 Solarthermische Stromerzeugung 1023

sen Absorptionsgrad, dem Intercept Faktor (d. h. der nicht vollständigen Trefferquote
der direkten Sonnenstrahlen auf das Absorberrohr) und den Endverlusten (d. h. Verluste
aufgrund der begrenzten Kollektorlänge) sowie der gegenseitigen Abschattung der Kol-
lektoren. Die Spiegelreflektivität berücksichtigt, dass die auf die Kollektoren auftreffen-
de Direktstrahlung von den Spiegeln nicht vollständig reflektiert wird. Die Reflektivität
Spiegel der Spiegel ist dabei nach Gleichung (11.7) definiert als Quotient aus reflektierter
Direktstrahlung GP Dr;refl und einfallender Direktstrahlung GP Dr;inc .

GP Dr;refl
Spiegel D (11.7)
GP Dr;inc

Ein Solarfeld wird oft mit der zeitlich gemittelten, mit dem Solarspektrum gewichteten
Reflektivität s;g charakterisiert. Typische Werte liegen bei 0,88 bis 0,94. Je nach Spiegel-
typ, Installationskonzept (u. a. Abschattung), Umwelteinwirkungen (Regen, Tau, Staub)
sowie Spiegelreinigungsverfahren und -häufigkeit können die tatsächlichen Werte jedoch
auch deutlich davon abweichen. Abschatten bedeutet, dass auf einen Teil der Spiegelflä-
che eines Kollektors keine direkte Solarstrahlung trifft, weil ein benachbarter Kollektor
einen Schatten auf die Spiegelfläche wirft. Dies tritt üblicherweise in den Morgen- und
Abendstunden bei niedrigem Sonnenstand (< 20ı über dem Horizont) auf.
Die thermischen Verluste hängen vom Temperaturniveau im Solarfeld und der Qualität
der Absorberrohre und Rohrleitungsisolierung ab. Bei Anlagenkonzepten, die bis 500 ı C
Austrittstemperaturen arbeiten, sind die thermischen Verluste relevanter, da sie mit einer
zunehmenden Temperaturdifferenz zwischen Wärmeträgermedium und Außenlufttempe-
ratur entsprechend zunehmen.
Neben den Verlusten im Solarfeld entstehen wie bei allen thermischen Kraftwerken
große Verluste bei der Umwandlung der thermischen in elektrische Energie. Dampftur-
binenkreisläufe arbeiten hier heute im Bereich zwischen 38 und 40 % (Ölrinnensysteme)
und bis zu 43 % (Salzrinnensysteme).

Parabolrinnenanlagen mit Thermoöl In den Jahren 1985 bis 1991 wurden mit neun
SEGS-Anlagen (Tabelle 11.3) insgesamt 354 MW elektrischer Leistung (ursprüngliche
Nennleistung; heute werden sie mit höherer Leistung betrieben) in der kalifornischen
Mojave-Wüste installiert [11.12]. Diese Anlagen dienen bis heute zur kommerziellen
Stromerzeugung.
Sämtliche SEGS-Anlagen werden mit einem synthetischen Wärmeträgeröl betrieben,
das im Umlauf durch das Solarfeld gepumpt wird. Bei der ersten Anlage (SEGS I) wurde
noch ein mineralisches Öl gewählt, das zwar nur mit niedrigeren Temperaturen betrieben
werden kann, aber keinen druckbeaufschlagten Betrieb erfordert. Die für den Betrieb der
Dampfturbine erforderliche Überhitzung wird bei SEGS I in einem mit Erdgas befeuerten
Kessel vorgenommen, der auch den stetigen Betrieb der gesamten Anlage sicherstellt.
Zusätzlich war das verwendete Öl so günstig, dass ein einfacher thermischer Speicher von
120 MWhth implementiert werden konnte.
1024 T. Hirsch et al.

Tabelle 11.3 Technische Kenngrößen ausgeführter Solarfarmanlagen [11.11, 11.18]


SEGS I SEGS II SEGS III SEGS VI SEGS IX
Inbetriebnahme 1985 1986 1987 1989 1991
Leistung in MWa 14 30 30 30 80
Kühlung nass nass nass nass nass
Land USA USA USA USA USA
Kollektorfeld
Anzahl Kollektoren 608 1 054 980 800 888
Gesamtflächeb in m2 82 960 190 338 230 300 188 000 464 340 390
Max. Fluidtemp. in ı C 307 321 349 390
Speicherkap. in h/a 3
(Volllast)

Nevada Andasol 1 Shamsc Solana Bokpoort


Solar One
Inbetriebnahme 2007 2008 2013 2013 2017
Leistung in MWa 70 50 100 2  140 50
Kühlung nass nass trocken nass nass
Land USA Spanien VAE USA Südafrika
Kollektorfeld
Anzahl 760 624 768 3 232 720
Gesamtflächeb in m2 357 200 510 120 627 840 2 200 000 588 600
Max. Fluidtemp. in ı C 393 393 393 393 393
Speicherkap. in h/a 0,5 7,5 – 6 9,3
(Volllast)
a
Nettoleistung; b gesamte Kollektoraperturfläche, c mit fossilem Dampfüberhitzer auf 540 ı C; VAE
Vereinigte Arabische Emirate; Max. Fluidtemp. Maximale Fluidtemperatur; Speicherkap. Speicher-
kapazität.

Für die folgenden Kraftwerke wurden sowohl das verwendete Wärmeträgermedium als
auch die Kraftwerkskonfiguration geändert. Das heute eingesetzte synthetische Thermoöl
gestattet Betriebstemperaturen von maximal 400 ı C; dazu muss es aber mindestens unter
12 bar Druck gehalten werden.
Zusätzlich wurde ab der SEGS VI Anlage ein solar beheizter Zwischenüberhitzer ein-
geführt, der – zusammen mit den verbesserten Frischdampfparametern – den thermischen
Wirkungsgrad des Kraftwerksprozesses von 30,6 auf 37,5 % anhebt. Abb. 11.21 zeigt die
Leistungskennlinie (bereitgestellte elektrische Energie in Abhängigkeit von der auf die
Kollektoren auftreffenden Direktstrahlungssumme) dieses Kraftwerkstyps.
Typische Frischdampfparameter sind rund 100 bar und 385 ı C. Diese Werte sind im
Vergleich zu konventionellen Dampfkraftprozessen relativ niedrig. Sie können durch ei-
nen erhöhten technischen Aufwand im Kraftwerksblock dennoch gut in Leistung um-
gesetzt werden. Dies beinhaltet für eine Anlage dieser Leistungsgröße eher unübliche
11 Solarthermische Stromerzeugung 1025

Abb. 11.21 Leistungskennlinie


1,20
der SEGS VI Anlage (schema-

Energieabgabe in kWh/(m²d)
tische Darstellung) 1,00

0,80

0,60

0,40

0,20

0,00
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Direktstrahlung in kWh2/(m d)

Prozessverbesserungen wie Zwischenüberhitzung und vor allem eine mehrstufige interne


Speisewasservorwärmung. So werden trotz der eher ungünstigen Frischdampfparameter
z. B. bei den Anlagen SEGS IV bis VI thermische Wirkungsgrade im Kraftwerksblock
von bis zu 38 % erreicht. Abb. 11.22 zeigt ein entsprechendes Kraftwerksschema.
Eine Hybridisierung des Prozesses ist durch den Einsatz eines Kessels möglich, bei
dem der Wärmeträger bei schwankendem Solarangebot durch eine Zusatzfeuerung mit
fossilen oder biogenen Energieträgern nachgeheizt wird.
Das Anlagenkonzept der SEGS-Anlagen kommt auch in neueren Parabolrinnen-Kraft-
werken zur Anwendung, deren Betrieb überwiegend auf Solarstromerzeugung ohne höhe-
re Zufeuerungsanteile ausgerichtet ist.

391 °C 371 °C
Zwischenüber- 17 bar
hitzer (Erdgas)
Zwischenüber-
hitzer (solar)
Generator
G

371 °C, 100 bar Dampf-


Turbine
solarer
Überhitzer
Solarfeld 510 °C

Konden-
Thermoöl-Kreislauf

Dampf- Kessel sator


erzeuger

Erdgas
solare
Vorwärmung

283 °C Dampfkreislauf
Pumpe Pumpe

Abb. 11.22 Anlagenschema eines Parabolrinnen-Kraftwerks (SEGS VI, VII) (nach [11.12])
1026 T. Hirsch et al.

391 °C 385 °C
25 bar
Zwischen-
überhitzer Dampftrubine

385 °C Generator
Heißer Salztank
Überhitzer 100 bar
Wärme-
Speicher- übertrager
Solarfeld Salzkreislauf

Kondensator
Verdampfer

Vorwärmer
Flüssigsalz
Kalter Salztank Thermoöl
283 °C Dampf

Thermoöl-Kreislauf Dampf-Kreislauf

Abb. 11.23 Anlagenschema eines Öl-Parabolrinnenkraftwerks mit indirektem Speicher (Andasol-


Typ)

Andasol 1, 2 und 3 waren die ersten kommerziellen Parabolrinnenkraftwerke in Europa


und der Maßstab für eine ganze Reihe von baulich sehr ähnlichen Kraftwerken in Spanien.
Beispielsweise wurden für das Kraftwerk Andasol 1 auf einer Fläche von 1 300  1 500 m
insgesamt 7 488 einzelne Kollektorelemente mit je 12 m Länge und ca. 5,8 m Breite in-
stalliert. Jeweils zwölf dieser Kollektorelemente sind zu einer ca. 150 m langen Kollek-
toreinheit zusammengefügt, die von einem in der Kollektormitte installierten hydrauli-
schen Antrieb einachsig der Sonne nachgeführt wird. Die Kollektoren sind in Nord-Süd
Richtung angeordnet. Jeweils vier Kollektoreinheiten bilden eine Kollektorschleife. So-
mit entsteht ein Kollektorfeld mit insgesamt 156 Loops und einer gesamten Spiegelfläche
von ca. 510 000 m2 . Das Wärmeträgermedium – ein synthetisches Thermoöl – wird mit
einer Anfangstemperatur von etwa 290 ı C in die einzelnen Loops gepumpt und beim
Durchströmen der Loops von der konzentrierten Solarstrahlung um etwa 100 K erwärmt
(Abb. 11.23). Das so auf ca. 390 ı C erhitzte Thermoöl wird dann über Sammelleitun-
gen zum Kraftwerksblock transportiert. Über Wärmeübertrager wird die Wärme an den
Dampfkreislauf übertragen und dort mit konventioneller Kraftwerkstechnik verstromt.
Das Kraftwerk ist mit einem indirekten Wärmespeicher mit Flüssigsalz ausgestattet,
der die vom Solarfeld erzeugte Wärme z. T. zwischenspeichern kann. Die Kombination
mit dem Flüssigsalzspeicher stellt die eigentliche Innovation der spanischen Anlagen dar
(es sind jedoch nicht alle gebauten Anlagen mit einem Speicher ausgestattet). Durch eine
gesetzliche Limitierung der Turbinenleistung auf 50 MW sind in Spanien ca. 40 Anla-
gen ähnlicher Bauart entstanden, deren Kernelemente wie der thermische Speicher auch
heute noch so verwendet werden. Durch eine gegenüber den SEGS-Anlagen verbesserte
Prozesstechnik konnte der Bruttowirkungsgrad der Turbine auf ca. 40 % gesteigert wer-
11 Solarthermische Stromerzeugung 1027

den. Unter Berücksichtigung der elektrischen Verluste und des Eigenenergieverbrauchs


entspricht dies Gesamtwirkungsgraden derartiger Anlagen in der Größenordnung von
knapp 20 %.

Kraftwerke mit Flüssigsalz als Wärmeträgermedium Die Flüssigsalztechnologie für


Parabolrinnen ist noch relativ neu. Bis 2019 existiert mit dem Archimede-Kraftwerk in
Italien nur eine kommerzielle Anlage [11.19]. Das dort installierte Parabolrinnenfeld mit
31 000 m2 Aperturfläche erzeugt heißes Salz („Solarsalz“) bei 550 ı C. Der im Dampf-
erzeuger daraus produzierte Dampf bei 93 bar wird einer 130 MW-Turbine zugeführt, die
Teil einer GuD-Anlage ist. Der solare Anteil dieser Turbine beträgt im Maximum 5 MW.
Die Anlage verfügt über einen direkten Flüssigsalzspeicher, der die Solarfeldleistung für
8 h aufrecht erhalten kann. Eine weitere Anlage mit Linear Fresnel-Kollektoren und mit
einem ähnlichen Konzept im Solarkreislauf befindet sich in China im Aufbau. Mehrere
Versuchsanlagen zeigen, dass die Flüssigsalztechnologie die nächste Generation an lini-
enfokussierenden Systemen sein könnte.
Das Anlagenschema zeigt Abb. 11.24. Der Grundaufbau ist vergleichbar dem der Öl-
rinnensysteme (Abb. 11.23). Der Hauptunterschied liegt im Speichersystem, welches hier
als direkter Speicher ausgeführt ist. Durch das Flüssigsalz kann der Salzkreislauf bei ho-
hen Temperaturen gefahren werden.
Die Herausforderung im Vergleich zu den Systemen mit Thermoöl besteht im hohen
Schmelzpunkt des Salzes. Um ein Erstarren beispielsweise in den Nachtstunden zu ver-
meiden, muss das System jederzeit deutlich über der Schmelztemperatur des eingesetzten
Salzes / Salzgemisches gehalten werden. Bei dem hier genutzten „Solarsalz“ liegt diese

510 °C 500 °C
35 bar
Zwischen-
überhitzer Dampftrubine

500 °C Generator
Heißer Tank Überhitzer 140 bar

Solarfeld

Kondensator
Verdampfer

Vorwärmer
Flüssigsalz
Kalter Tank
290 °C Dampf

Salzkreislauf Salzkreislauf
Dampf-Kreislauf
Solarfeld Kraftwerk

Abb. 11.24 Anlagenschema eines Flüssigsalz-Parabolrinnenkraftwerks mit direktem Speicher


1028 T. Hirsch et al.

Temperatur bei ca. 242 ı C. Als unterste Betriebstemperatur im Solarfeld werden daher
270 bis 290 ı C angestrebt. Nachts und in Schlechtwetterperioden muss das Solarfeld ent-
sprechend temperiert werden, was primär durch die thermische Energie des Speichers
erfolgt. Untersuchungen mit alternativen Salzmischungen laufen und könnten speziell für
linienfokussierende Systeme Vorteile durch niedrigere Schmelzpunkte und damit geringe-
re Wärmeverluste während des Stillstands liefern.

Kraftwerke mit Direktverdampfung Linienfokussierende Systeme mit direkter Dampf-


erzeugung im Solarfeld haben sich bislang nicht durchgesetzt. Grund dafür ist sicherlich
die noch nicht ausgereifte Speichertechnologie, sodass diese Kraftwerke heute nur mit
kleinen Speichern ausgestattet sind.
Im Jahr 2012 wurde mit dem Kraftwerk TSE1 in Thailand das erste kommerziel-
le Parabolrinnenkraftwerk mit Direktverdampfung in Betrieb genommen [11.20]. Die
5 MW-Turbine wird von einem 45 000 m2 großen Kollektorfeld gespeist und arbeitet bei
Frischdampfparametern von 30 bar und 340 ı C. Bei diesen Parametern sind aber nur
moderate Wirkungsgrade zu erzielen.
Ein größeres Direktverdampfungskraftwerk ging ebenfalls 2012 in Betrieb [11.13].
Dort erzeugt ein Linear-Fresnel-Kollektorfeld mit 302 000 m2 Aperturfläche Sattdampf
bei 55 bar und 270 ı C. Die beiden dort installierten Sattdampfturbinen liefern zusammen
eine Leistung von 30 MW. Die Anlage ist mit einem Ruths-Speicher ausgestattet, der eine
Speicherkapazität von 0,5 h aufweist.
Exemplarisch zeigt Abb. 11.25 das Blockdiagramm eines derartigen Linear-Fres-
nel-Kraftwerks. Der wesentliche Unterschied im Vergleich zum Blockdiagramm eines
Parabolrinnenkraftwerks (Abb. 11.22) resultiert aus der Direktverdampfung in den
Absorberrohren, wodurch der Wärmeübertrager zwischen dem Kollektorfeld und dem
Kraftwerksblock entfällt. Der in den Absorberrohren erzeugte Dampf wird direkt auf die
Dampfturbine geleitet.

Abb. 11.25 Schema eines


Linear-Fresnel-Kraftwerks mit
Nasskühlung
Generator
Turbine

Solarfeld

Kondensator

Kühlturm

Pumpe
11 Solarthermische Stromerzeugung 1029

Neben diesen eigenständigen Kraftwerken existieren einige kleinere Anlagen, die


Dampf in ein bestehendes Kraftwerk einspeisen. Dieser wird meist in der Vorwärmstre-
cke des Kraftwerksblocks eingebracht, um die hierfür benötigte Energie einzusparen.
Eine weitere Anwendung findet die Direktverdampfungstechnologie heute in der Be-
reitstellung von Prozessdampf. Hierzu existieren mehrere kleinere Demonstrationsanlagen
im Bereich einer thermischen Leistung von einigen MW. Die größte Anlage ist eine An-
lage in Oman [11.21], die Sattdampf für eine Enhanced Oil Recovery (EOR)-Anlage
liefert. Obwohl hier kein Strom produziert wird, spart die Anlage fossile Energieträger
ein. Besonderheit des dort verwendeten Konzepts ist die komplette Einhausung in eine
Art Glashaus, welches die harschen Wüstenbedingungen von den Kollektoren fernhält.
Zwar sinkt die optische Effizienz durch die vorgeschalteten Glasscheiben, aber die Kol-
lektoren lassen sich deutlich günstiger bauen und der Wartungs- und Reinigungsaufwand
kann reduziert werden.

Solare Kombikraftwerke Um Verfügbarkeit, Wirkungsgrad und Regelbarkeit zu erhö-


hen, kann das Solarfeld in ein GuD-Kraftwerk (Gas- und Dampfturbinenkraftwerk; engl.
Combined Cycle Power Plant) integriert werden; eine derartige Kombination wird dann
als Integrated Solar Combined Cycle System (ISCCS) bezeichnet. Dabei wird die Wärme
der Gasturbinenabgase zur Dampferzeugung und Überhitzung des mit fossilen Energie-
trägern und solarer Energie erzeugten Dampfes in einem Abhitzekessel genutzt. Durch
die Einkopplung solarer Energie sinkt der Bedarf an mit fossilen Energieträgern bereitzu-
stellender Wärme; es kann bei gleichem Abgasstrom mehr Dampf erzeugt werden bzw. es
wird für die Bereitstellung der gleichen Menge Dampf eine geringere Abgasmenge benö-
tigt. In diesem Betriebszustand kann die Gasturbine in Teillast gefahren werden; die aus
dem Solarfeld kommende thermische Energie substituiert somit fossile Energieträger. Der
Anteil des solar erzeugten Stromes beträgt bei derartigen Konzepten jedoch nur zwischen
3 und 10 %, da der Solaranteil als Ergänzung des eigentlichen GuD-Prozesses verstanden
wird.
Ein Beispiel hierfür ist das Kraftwerk Kuraymat südlich von Kairo/Ägypten mit etwa
130 000 m2 Kollektoraperturfläche. Die Gesamtkapazität dieses GuD-Kraftwerks beträgt
115 MW; der Solaranteil an der Stromerzeugung liegt bei 4 %. Die Anlage nahm Ende
2010 den Betrieb auf. Wegen des systemisch geringen Solaranteils wird diese Art der
Integration nur selten verfolgt.

11.3 Solarturmkraftwerke

Bei solarthermischen Turmkraftwerken reflektieren (englisch: Power Tower oder auch


Central Receiver Plant) zweiachsig dem Lauf der Sonne nachgeführte Spiegel, sogenannte
Heliostaten (griechisch: unbewegliche Sonne), die direkte Solarstrahlung auf einen zen-
tral auf einem Turm angebrachten Receiver. Dort wird die Strahlungsenergie in Wärme
umgewandelt und an ein Wärmeträgermedium (z. B. Flüssigkeiten wie eine Salzschmel-
1030 T. Hirsch et al.

Abb. 11.26 Stromerzeugung mittels solarthermischer Turmkraftwerke

ze oder Wasser / Dampf, Gase wie Luft oder CO2 und Partikel) übertragen. Diese Wär-
me wird dann verwendet, um einen konventionellen Wärme-Kraft-Prozess anzutreiben
(Abb. 11.26).
Heutige Solarturmkraftwerke verfügen über entsprechend groß dimensionierte Wärme-
speicher, die häufig eine Speicherleistung von mehr als 10 h (Volllast) aufweisen. Dadurch
werden geringere Stromgestehungskosten erzielt, die Planbarkeit der Stromproduktion
erhöht und die thermische Wechselbeanspruchung auf das Kraftwerk reduziert. Um kon-
stante Prozessparameter zu gewährleisten, kann neben einem Wärmespeicher zusätzlich
eine Zufeuerung mit fossilen oder biogenen Energieträgern (z. B. Erdgas, Biomethan) rea-
lisiert werden.
Grundsätzlich entspricht das Aufbauschema in seinen Systemkomponenten dem Para-
bolrinnenkraftwerk. Daher werden nachfolgend nur die Anlagenteile diskutiert, die sich
davon signifikant unterscheiden.

11.3.1 Heliostaten

Heliostaten sind reflektierende Flächen, die durch ihre zweiachsige Nachführung immer
so ausgerichtet werden, dass sie das auf sie fallende direkte Sonnenlicht auf einen defi-
nierten Punkt im Raum lenken. Dies ist üblicherweise ein sogenannter Receiver; darunter
wird der Wärmeübertrager von der auftreffenden Solarstrahlung zum Wärmetransportme-
dium verstanden. Zudem konzentrieren Heliostaten im Normalfall durch eine Krümmung
der reflektierenden Fläche bzw. einer entsprechenden Ausrichtung von Teilflächen (Facet-
11 Solarthermische Stromerzeugung 1031

Abb. 11.27 Facettierter Glas-Metall-Heliostat (links) mit einer Azimut-Elevation Nachführung über
die vertikale Primärachse (Mitte) und mit einer fixierten horizontalen Nachführung über die hori-
zontale Primärachse (rechts)

ten) das Sonnenlicht auf einen Punkt in einem gewissen Abstand (sogenannte Brennweite)
vom Heliostaten. Dadurch wird die Strahlungsflussdichte an dieser Stelle erhöht.
Heliostaten bestehen aus der Reflektorfläche (Spiegel, Spiegelfacetten oder sonstige
das Sonnenlicht reflektierende Oberflächen) und einer Nachführeinheit. Letztere besteht
aus der Tragstruktur mit einem entsprechenden Fundament, den benötigten Antrieben
und einer Steuerelektronik. Die jeweilige Ausrichtung des Heliostaten wird beispielswei-
se von einem Zentralrechner basierend auf dem aktuellen Sonnenstand, der räumlichen
Position der Heliostaten und des Zielpunktes (d. h. der auf dem Turm befindliche Re-
ceiver) bestimmt und über eine Kommunikationsleitung oder per Funk an die jeweiligen
Antriebseinheiten übermittelt. Alternativ dazu kann auch eine lokale Recheneinheit des
Heliostaten die Berechnung der Ausrichtung übernehmen. Mit zunehmender Kostenre-
duktion rechenstarker Hardware kleiner Baugröße stellt diese Steuerungskonfiguration
einen klaren Trend dar.
Ein facettierter Heliostat (Abb. 11.27, links) besteht üblicherweise aus einer Anzahl
einzelner reflektierender Facetten, die auf einer Fachwerk-Stahlstruktur befestigt sind;
letztere ist wiederum auf einem Trägerrohr montiert, das sich auf einer Tragstruktur befin-
det, mit der der Heliostat im Untergrund fixiert ist. Diese reflektierenden Facetten werden
üblicherweise als Einzelspiegel mit einer Größe zwischen 1 und 7 m2 ausgeführt. Die Aus-
richtung der Einzelspiegel auf der jeweiligen Trägerstruktur (das sogenannte Canting) ist
aufgrund der diskreten Position bei jedem Heliostaten innerhalb eines Heliostatenfeldes
unterschiedlich und daher typischerweise sehr aufwändig zu realisieren.
Bei dem exemplarisch in Abb. 11.27, links, abgebildeten Heliostaten beträgt die Brei-
te des Reflektors 12,8 m und die Höhe 8,94 m. Die Größe der 32 einzelnen Facetten ist
jeweils 3 m auf 1,1 m. Das Gesamtgewicht ohne Fundament liegt bei etwa 5 t [11.25].
Die Aktualisierung der Ausrichtung des Heliostaten erfolgt meist im Abstand von ei-
nigen Sekunden; einige Konzepte sehen auch eine kontinuierliche Nachführung vor. Die
Bündelung der eintreffenden Solarstrahlung mithilfe von Heliostaten auf einen gemeinsa-
men Zielpunkt ermöglicht eine Konzentration von weit mehr als dem Faktor 1 000. Durch
1032 T. Hirsch et al.

eine zielpunktbasierte Steuerung der Heliostaten kann die damit einhergehende Gefahr für
Materialien und die verbesserte Systemeffizienz durch eine homogenisierte Strahlungs-
flussdichte über den gesamten Receiver erreicht werden. Die Steuerung der einzelnen
Heliostaten erfolgt hierbei in Gruppen oder diskret. In der Praxis bedeutet dies, dass wäh-
rend des Betriebes nicht alle Heliostaten auf den gleichen Punkt des Receivers zielen; sie
werden vielmehr so gesteuert, dass eine gleichmäßige Verteilung über die gesamte Recei-
verfläche erreicht wird [11.19].
Heute haben derartige Heliostaten Reflektoroberflächen zwischen 1 und 120 m2 ; bis-
her wurden maximal 200 m2 technisch realisiert. Da das Heliostatenfeld einen Großteil der
Kosten eines derartigen Kraftwerks verursacht, wurden und werden große Anstrengungen
unternommen, kostengünstige Heliostaten mit guter optischer Qualität, hoher Zuverläs-
sigkeit und langer Lebensdauer zu entwickeln. Aufgrund wirtschaftlicher Überlegungen
ging dabei der Trend in der Vergangenheit zu großen Heliostaten mit Flächen zwischen
100 und 200 m2 und ggf. darüber. Aktuell gibt es aber auch Ansätze, kleinere Heliosta-
ten mit Reflektoroberflächen im Bereich von 1 bis etwa 20 m2 zu fertigen mit dem Ziel,
die Kosten durch die rationellere Fertigung großer Stückzahlen zu senken [11.57]. Dies
wird auch durch den genannten Trend hin zu einer erheblichen Kostenreduktion von Elek-
tronikkomponenten unterstützt. Weiterhin ist bei kleineren Heliostaten der Einsatz von
Linearaktuatoren von Vorteil, durch die eine hohe Genauigkeit beim Nachführen erreicht
wird, aber hohe Kosten für akkurate Getriebe wegfallen.
Die Heliostaten werden im Regelfall zentral mit elektrischer Energie versorgt. Al-
ternativ wurden aber auch zunehmend Heliostaten entwickelt, deren Energieversorgung
individuell lokal erfolgt. Die für den Antrieb benötigte Energie wird dabei aus paral-
lel zur Reflektoroberfläche montierten Photovoltaikmodulen gewonnen und in Batterien
(zwischen-)gespeichert. Dieser Trend verstärkt sich zunehmend mit sinkenden Kosten der
Photovoltaik-Module und der Batterien. Dabei scheint die CO2 -Bilanz eines solchen auto-
nomen Systems (Kommunikation über Funk, Versorgung über Photovoltaik und Batterie)
geringer auszufallen als für fest verkabelte, konventionelle Heliostaten, da kilometerlange
Signal- und Stromleitungen im Boden wegfallen [11.59].
Die Nachführung der Spiegelgruppe erfolgt je nach Aufständerung des Trägerrohrs
entsprechend dem gewünschten Azimut- und Elevationswinkel durch die Rotation um
zwei senkrecht zueinander stehende Achsen. Üblicherweise wird eine technische Lö-
sung nach Abb. 11.27, Mitte, realisiert; hier erfolgt die Drehung durch ein horizontales
Trägerrohr (Elevationsachse) und eine vertikale Stütze (Azimutachse). Heliostaten mit Li-
nearaktuatoren verwenden dagegen häufig die in Abb. 11.27, rechts, dargestellte Variante
mit horizontaler Primärachse. Bei dieser technischen Lösung befindet sich auf der vertika-
len Pylone nicht mehr das Azimutlager, sondern eine horizontale Lagerachse. Alternativ
zu diesen Ansätzen wird die Verwendung einer zum Receiver gerichteten Achse und einer
senkrecht dazu angeordneten Achse untersucht [11.24]; aber auch andere Achsanordnun-
gen sind in der Diskussion und Entwicklung.
11 Solarthermische Stromerzeugung 1033

11.3.2 Heliostatenfelder

Das Heliostatenfeld besteht aus einer Vielzahl (mehrere hundert bis mehrere zehntausend)
einzelner Heliostaten. Abhängig von der geografischen Breite des Standorts sowie der ge-
wünschten thermischen Leistung des Heliostatenfeldes werden die Heliostaten entweder
als Polarfeld oder Rundumfeld angeordnet. Beim Polarfeld befinden sich die Heliostaten
auf der der Sonne zugewandten Seite des Turms (Nordfeld auf der nördlichen Hemisphä-
re, Südfeld auf der südlichen Hemisphäre). Ein derartiges Nordfeld ist schematisch in
Abb. 11.28, links, dargestellt; deutlich wird, dass der Turm am Rand des Heliostatenfel-
des errichtet wird. Außerdem zeigt Abb. 11.28, Mitte, den schematischen Aufbau eines
Rundumfeldes. Bei ausgeführten Anlagen auf der Nordhalbkugel ist hierbei der Turm in
der Regel exzentrisch nach Süden versetzt, da der jahresmittlere optische Wirkungsgrad
der Heliostaten nördlich des Turms höher ist.
Das Layout eines derartigen Heliostatenfeldes ist aber letztlich das Ergebnis einer
techno-ökonomischen Optimierung. Die dem Turm am nächsten stehenden Heliostaten
weisen dabei die geringste gegenseitige Verschattung auf und die auf der Nordhalbku-
gel nördlich (auf der Südhalbkugel südlich) des Turms gelegenen Heliostaten haben die
geringsten Kosinusverluste (siehe unten). Weiter vom Solarturm entfernt installierte He-
liostaten benötigen demgegenüber eine äußerst hohe Nachführgenauigkeit und müssen,
je nach geografischer Lage und Turmhöhe, weiter von den jeweiligen Nachbarheliostaten
entfernt sein. Die Kosten für die Kraftwerksgrundfläche und die Nachführ- und Ausricht-
genauigkeit der Heliostaten bestimmen somit die wirtschaftlich darstellbare Größe des
Feldes und die optimale Anordnung der Heliostaten im Feld.

Abb. 11.28 Anordnungsmöglichkeiten von Heliostatenfeldern: Nordfeld (links) und Rundumfeld


(Mitte) [11.25] sowie reales Heliostatenfelder des Kraftwerks Ivanpah / USA (rechts) (die drei Dar-
stellungen sind nicht maßstäblich; der Bereich des Heliostatenfeldes ist kariert dargestellt)
1034 T. Hirsch et al.

Anders als beim Parabolrinnenkraftwerk kann bei der Gestaltung des Heliostatenfeldes
auf die Umgebungsbedingungen stärker eingegangen werden. So ist Terrassierung des
Standorts üblicherweise hinfällig und eine Bodenbearbeitung ist nur für Fundamente oder
Kabelgräben notwendig (auch dies ist bei einem autonomen System hinfällig). Die drei
Solarturmkraftwerke des Projekts Ivanpah (Ivanpah Solar Electric Generating System in
der Nähe von Ivanpah / USA) zeigen exemplarisch, wie die jeweiligen Heliostatenfelder
an die Umgebung angepasst wurden, um dadurch eine verbesserte Integration in die Land-
schaft zu ermöglichen; dies gilt sowohl im Hinblick auf die Begrenzungen des Standorts
als auch durch die Limitationen der angrenzende Berge (Abb. 11.28, rechts).
Bei den bisher realisierten Pilotanlagen (zwischen rund 30ı und 40ı nördlicher Breite)
wurden für kleinere Leistungen (ohne Speicher) bis zu etwa 20 MWth Polarfelder reali-
siert. Für größere Leistungen bzw. Anlagen mit großer Speicherkapazität werden bisher
Rundumfelder bevorzugt, da dann bei Polarfeldern gleicher Leistung die Abstände der
nördlichsten Heliostaten und die damit verbundenen ortsabhängigen optischen Verluste
durch atmosphärische Abschwächung der reflektierten Solarstrahlung zu groß und deshalb
enorme Turmhöhen notwendig werden. Eine Zwischengröße scheint das südafrikanische
Khi Solar One (50 MW) zu sein, welches drei Receiversegmente über je ein Polarfeld
bestrahlt.
Der Wirkungsgrad eines derartigen Heliostatenfeldes
HF ist nach Gleichung (11.8)
definiert als der Quotient aus der auf den Receiver eingestrahlten Strahlungsleistung
Pin;Receiver und dem Produkt aus der gesamten Spiegelfläche des Heliostatenfelds AHF so-
wie der Direktstrahlungsleistung auf die geneigte, ausgerichtete Empfangsfläche GP Dr;g;a .
Pin;Receiver

HF D (11.8)
AHF GP Dr;g;a
Der Feldwirkungsgrad wird aus der gemittelten Spiegelreflektivität und dem optischen
Wirkungsgrad berechnet. Dabei werden die Verlustmechanismen Spiegelreflektivität, at-
mosphärische Abschwächung, Kosinusverluste, Abschatten und Blocken sowie Spillage
berücksichtigt. Sie werden nachfolgend erläutert.

Spiegelreflektivität Verluste infolge der Spiegelreflektivität resultieren aus der immer


unvollständigen und fehlerhaften Reflexion der solaren Direktstrahlung, die auf die He-
liostaten auftrifft. Der Reflexionsgrad der Spiegel, mit dem dieser Verlustmechanismus
beschrieben werden kann, errechnet sich aus dem Verhältnis zwischen der reflektierten
zu der einfallenden Strahlung. Typische Werte für diese Spiegelreflexivität bewegen sich
unter Praxisbedingungen zwischen rund 0,88 und 0,94; sie werden u. a. von Spiegeltyp,
-qualität und -zustand, bestimmten Umwelteinwirkungen wie Regen, Tau oder Staub so-
wie von den Spiegelreinigungsverfahren und der Reinigungshäufigkeit beeinflusst.

Atmosphärische Abschwächung Unter der atmosphärischen Abschwächung werden


die Verluste verstanden, die dadurch entstehen, dass ein Teil der reflektierten Solar-
strahlung auf dem Weg zum Receiver in der Atmosphäre gestreut und absorbiert wird
11 Solarthermische Stromerzeugung 1035

(z. B. durch Staub in der Luft). Die atmosphärische Abschwächung ist abhängig von der
Sicht (d. h. dem Trübungsfaktor der Atmosphäre) und der Länge des optischen Pfades in
der Erdatmosphäre. Der optische Pfad in der Erdatmosphäre kann in zwei Teilstrecken
unterteilt werden.

 Die Strecke von dem Punkt, an dem das Sonnenlicht in die Erdatmosphäre eindringt,
bis zum Heliostaten. Sie ist an einem bestimmten Standort abhängig vom Sonnenele-
vationswinkel und damit von der Tages- und Jahreszeit.
 Die Strecke zwischen dem Heliostat und dem Receiver, die abhängt von der Position
des Heliostaten im Heliostatenfeld und der Höhe des Receivers bezüglich des Heliosta-
ten.

Die atmosphärische Abschwächung wird für jede Heliostatengruppe als Funktion der
Sonnenposition und der relativen Position der Heliostaten bezüglich des Receivers abge-
schätzt.
Üblicherweise nimmt die Konzentration von Partikeln in der Atmosphäre in Richtung
auf die Erdoberfläche zu. Daher sind derartige Effekte für Solarturmkraftwerke relevant,
da hier ein vom Receiverturm entfernterer Heliostat Sonnenlicht über Entfernungen von
über 1 km nahezu horizontal und das relativ sehr nahe dem Boden zum Receiver reflektiert.
Im Vergleich dazu ist dieser Abstand bei einem Parabolrinnenkollektor nur wenige Me-
ter. Derartige Effekte können daher in staubintensiven Regionen (z. B. Nordafrika, Naher
Osten, Indien) einen erheblichen Einfluss auf die auf den Receiver auftreffende Solarstrah-
lung – und damit letztlich die Stromgestehungskosten – haben; auch bildet die gemessene /
simulierte Solarstrahlung aus Wetterdaten diesen Effekt nicht ab.

Kosinusverluste Die Heliostaten werden im Betrieb immer so ausgerichtet, dass die So-
larstrahlung auf den Receiver reflektiert wird. Da die von der Sonne kommenden Strahlen
aber i. Allg. nicht orthogonal auf die Spiegeloberfläche der Heliostaten auftreffen, reflek-
tiert aus optischen Gründen effektiv nur die in die Ebene senkrecht zur Einfallsrichtung
der Solarstrahlung projizierte Spiegelfläche. Folglich ist die von einem Heliostaten auf
den Receiver reflektierte Solarstrahlung proportional zum Kosinus des Winkels zwischen
der Spiegelnormalen und der Richtung der einfallenden Direktstrahlung. Dies bezeichnet
man als Kosinuseffekt.
Steht beispielsweise bei einem Rundumfeld auf der Nordhalbkugel die Sonne im Win-
ter um die Mittagszeit im Süden (tief) am Horizont, sind die Heliostaten im Norden des
Heliostatenfeldes nahezu orthogonal zur einfallenden direkten Solarstrahlung ausgerich-
tet; sie haben dann einen Kosinuswirkungsgrad von nahezu eins. Im Gegensatz dazu sind
die Spiegel der Heliostaten im Süden des Feldes nahezu parallel zum Erdboden ausgerich-
tet und haben deshalb einen sehr niedrigen Kosinuswirkungsgrad.
Da der Großteil der jährlichen solaren Einstrahlung erfolgt, wenn die Sonne (hoch)
im Süden steht, ist der mittlere Kosinuswirkungsgrad für den nördlichen Teil des He-
liostatenfeldes am höchsten. Deshalb werden normalerweise Heliostatenfelder auf der
1036 T. Hirsch et al.

Abb. 11.29 Optische Verlustmechanismen in Heliostatenfeldern durch Blocken / Blocking (links)


und durch Abschatten (rechts)

Nordhalbkugel so ausgelegt, dass im Norden des Turmes mehr Heliostaten stehen als im
Süden.

Abschatten und Blocken Die mit Abschatten und Blocken bezeichneten Effekte treten
dann auf, wenn sich ein Heliostat im optischen Pfad eines anderen Heliostaten befindet.

 Abschatten bedeutet, dass auf einen Teil der Spiegelfläche eines Heliostaten keine
direkte Solarstrahlung trifft, weil ein benachbarter Heliostat einen Schatten auf die
Spiegelfläche wirft (Abb. 11.29, links).
 Blocken bedeutet, dass Solarstrahlung, die bereits von einem Heliostaten in Richtung
Receiver reflektiert wurde, durch einen zweiten Heliostaten blockiert wird und deshalb
den Receiver nicht erreicht (Abb. 11.29, rechts).

Spillage Ein Teil der reflektierten Solarstrahlung verfehlt den Receiver z. B. aufgrund
von optischen Spiegel- und Nachführfehlern. Diese Verluste werden als Spillage bezeich-
net. Sie sind vor allem abhängig von der Nachführgenauigkeit und der optischen Güte der
Heliostaten sowie von der scheinbaren Größe der Sonnenscheibe (Sunshape) und der ver-
wendeten Zielpunktstrategie. In Abhängigkeit vom Sonnenstand (Elevationswinkel) und
der atmosphärischen Trübung (z. B. durch Staub und Wolken) erscheint die Sonnenschei-
be vom Erdboden aus betrachtet unterschiedlich groß. Auch die Intensitätsverteilung der
Solarstrahlung über dem Durchmesser der Sonnenscheibe variiert. Je größer nun die Son-
nenscheibe erscheint, umso größer ist auch das von den Heliostaten reflektierte Abbild der
Sonne am Receiver und damit auch die Spillageverluste.
Um die gewünschte gleichmäßige Intensitätsverteilung auf der Receiveroberfläche zu
gewährleisten, zielen die Heliostaten normalerweise nicht alle auf den selben Punkt (z. B.
11 Solarthermische Stromerzeugung 1037

die Mitte) des Receivers, sondern auf mehrere, auf der Receiveroberfläche verteilte, Ziel-
punkte. Das Verfahren, nach dem diese Zielpunkte ausgewählt und den einzelnen Heli-
ostaten bzw. Heliostatengruppen zugeteilt werden, wird Zielpunktstrategie genannt.
Um Spillage zu minimieren, ist ein gemeinsamer zentraler Zielpunkt günstig. Dies
bedeutet aber an diesem Punkt eine vergleichsweise hohe Strahlungsflussdichte. Dies
wiederum stellt eine hohe thermische Belastung des Receivers dar und dadurch werden
auch die Verluste durch thermische Strahlung vergrößert. Im schlimmsten Fall sind lo-
kale Receiverschäden nicht auszuschließen. Soll die Belastung des Receivers durch ein
gleichmäßiges Verteilen der Zielpunkte und damit der konzentrierten Strahlung reduziert
werden, steigen damit auch zwangsläufig die Verluste durch Strahlung, die den Receiver
verfehlt. Die Zielpunktstrategie beeinflusst also sowohl die Verluste durch Spillage als
auch die thermische Belastung und damit die Lebensdauer des Receivers.
Auch hier wird in der Regel kraftwerkspezifisch ein Kostenoptimum erarbeitet. Dabei
wird typsicherweise ein gewisses Maß an Spillage gezielt in Kauf genommen, um teure
Komponenten wie etwa den Receiver besser auszulasten und schonender betreiben zu
können. Gleichzeitig können somit Gradienten in der Strahlungsflussdichte reduziert und
der Receiverwirkungsgrad erhöht werden.

11.3.3 Receiverturm und Strahlungsempfänger

Receiverturm Die Höhe des Turms, auf dem der Strahlungsempfänger montiert wird,
ist ebenfalls das Resultat einer technisch-ökonomischen Optimierung. Prinzipiell ist ein
hoher Turm vorteilhaft, da dadurch größere und dichtere Heliostatenfelder mit gerin-
geren Verschattungsverlusten realisiert werden können. Dem stehen die Kosten für den
(höheren) Turm und die (längere) Verrohrung, die auftretenden (größeren) Pump- und
Wärmeverluste sowie die etwas erhöhten Anforderungen an die Nachführgenauigkeit der
einzelnen Heliostate gegenüber. Übliche Turmhöhen liegen bei etwa 50 bis 250 m. Zum
Einsatz kommen sowohl Betonkonstruktionen als auch Stahl(gitter)türme.
Die Kosten für die Verrohrung bzw. die technischen Herausforderungen einer auf der
Turmspitze montierten Wärme-Kraft-Anlage können dadurch umgangen werden, dass an
der Turmspitze ein Sekundärreflektor montiert wird, der die einfallende Strahlung auf ei-
nen am Boden befindlichen Receiver leitet (Beam-down Verfahren). Dadurch werden die
Kosten für Turm, Rohrleitung und Wärme-Kraft-Maschine reduziert. Gleichzeitig wird
aber durch zusätzliche ggf. erhebliche optische Verluste im Sekundärreflektor und durch
den weiteren Weg der Strahlung durch die Atmosphäre der Gesamtwirkungsgrad des He-
liostatenfeldes vermindert. Hinzu kommen die Kosten für Bau, Betrieb und Wartung des
Sekundärreflektors. Derzeit werden die ersten Türme eines 50 MW Kraftwerks in China
in Betrieb genommen, das nach diesem Konzept realisiert wird; hier versorgen 15 Beam-
down Solarturmkraftwerke einen zentralen Kraftwerksblock.
Möglich ist auch die gleichzeitige Auslegung des Solarturms als Kühlturm. Dies wurde
beim südafrikanischen Solarturmkraftwerk Khi Solar One realisiert. Dort dient der etwa
1038 T. Hirsch et al.

200 m hohe Solarturm mit mehreren Dutzend Metern Durchmesser als Kamin für den
unten verbauten luftgekühlten Kondensator. Da seit Inbetriebnahme 2016 keine weite-
ren vergleichbaren Konzepte bekannt wurden, dürften sich aber derartige Lösungen nicht
durchsetzen.

Strahlungsempfänger (Receiver) Receiver von Turm-Solarkraftwerken dienen dazu,


die vom Heliostatenfeld umgelenkte und konzentrierte Strahlungsenergie in technisch
nutzbare Wärme umzuwandeln. Die heute üblichen Strahlungsflussdichten am Receiver
liegen bei rund 600 bis etwa 1 000 kW/m2 .
Der Receiverwirkungsgrad ist definiert als Quotient aus der abgegebenen Wärmeleis-
tung des Receivers und der auf den Receiver eintreffenden Wärmeleistung. Dabei treten
im Receiver die folgenden Verlustmechanismen auf: Reflexionsverluste, thermische Ab-
strahlungsverluste, Konvektionsverluste und parasitäre Verluste.

 Reflexionsverluste des Receivers liegen darin begründet, dass das Absorbermaterial des
Receivers – und damit die Receiveroberfläche – nicht als idealer schwarzer Körper aus-
geführt werden kann. Deshalb wird ein bestimmter Teil der auf die Absorberoberfläche
auftreffenden konzentrierten solaren Einstrahlung wieder in die Umgebung reflektiert.
Diese Reflexionsverluste werden wesentlich vom Absorptionsgrad des Absorbermate-
rials bestimmt.
 Durch eine thermische Abstrahlung treten am Receiver weitere Verluste auf. Sie
können über das Plank’sche Strahlungsgesetz für graue Körper näherungsweise abge-
schätzt werden.
 Konvektionsverluste, die am Receiver auftreten, entstehen aus der Temperaturdifferenz
zwischen der Receiver-Außenfläche und der Umgebungsluft. Derartige Verluste kön-
nen durch eine freie Konvektion und durch einen Windeinfluss entstehen. Sie werden
wesentlich vom Wärmeübergangskoeffizienten zwischen dem Receivermaterial und
der Umgebungsluft beeinflusst.
 Parasitäre Verluste ergeben sich u. a. aus den zum Betrieb des Receivers benötigten
Hilfsenergien.

Derartige Receiver können nach dem verwendeten Wärmeträgerfluid (Salzschmelze,


Wasser / Dampf, Luft) und der Receivergeometrie (eben, Hohlraum (Cavity), zylindrische
oder konusförmige Rundum-Receiver) unterteilt werden. Nachfolgend werden wesentli-
che technische Entwicklungslinien dargestellt.

Wasser / Dampf-Receiver Die ersten ausgeführten Solarturmkraftwerke (z. B. Solar One


in Kalifornien / USA, CESA-I in Spanien) wurden mit Wasser / Dampf-Rohrreceivern aus-
geführt. Ihr Aufbau entspricht weitgehend dem in Abb. 11.30 gezeigten Salz-Rohrreceiver.
Konzentrierte Solarstrahlung trifft hier auf ein Rohrbündel, wird größtenteils absorbiert
und in Wärme umgewandelt. Durch Wärmeleitung wird in einem derartigen Wärme-
übertrager (Rohrreceiver) Wasser, wie auch es in einem konventionellen Dampfprozess
11 Solarthermische Stromerzeugung 1039

Abb. 11.30 Vertikaler


Salz (heiß)
Rohrreceiver für das Wär-
meträgermedium Salz konzentrierte
Sammler
Solarstrahlung

Wärmeüber-
trager-Rohre

Verteiler

Salz (kalt)

eingesetzt wird, verdampft und, je nach Anlagenkonzept, überhitzt. Die Rohre müssen
aufgrund der hohen Energieflussdichten großen thermischen Spannungen widerstehen;
deshalb werden (teure) Spezialstähle eingesetzt. Da bei der Überhitzung des Dampfes
Schwierigkeiten durch starke Änderungen des Wärmeübergangs auftreten können und der
Betrieb während des Anfahrens bzw. im Teillastbetrieb eine aufwändige Regelung erfor-
dert, werden bei manchen Projekten potenzielle Probleme dadurch vermieden, dass auf
eine Überhitzung verzichtet und nur Sattdampf erzeugt wird [11.56]. Damit lassen sich
aber nur vergleichsweise niedrige Wirkungsgrade beim Kraftwerksprozess realisieren.
Aufgrund der hohen Kosten für die Speicherung von Dampf (d. h. Druckbehälter unter
hohen Temperaturen) – und das insbesondere unter hohen Temperaturen und Drücken, wie
sie aus thermodynamischen Gründen vorteilhaft für die Effizienz des Kraftwerksblocks
sind – sind direktverdampfende Systeme nicht mehr Stand der Technik.

Salzreceiver Der im Receiverkreislauf eingesetzte Wärmeträger sollte eine hohe Wär-


mekapazität und gute Wärmeleiteigenschaften aufweisen. Darüber hinaus wird eine gute
Wärmeübertragung gefordert; dies wird durch ein Wärmeträgermedium, das keinen Pha-
senwechsel im Receiver durchläuft, begünstigt. Salzschmelzen aus Natrium- und Kalium-
nitrat (NaNO3 , KNO3 ) erfüllen diese Anforderungen. Solche Salzschmelzen können auch
aufgrund der hohen Wärmekapazität direkt als Speichermedium verwendet werden und
somit Schwankungen des solaren Strahlungsangebots gut ausgleichen (z. B. Solarturm-
kraftwerk der Firma Gemasolar in Spanien).
Aufgrund der moderaten Kosten des Speichermediums Salz und auch des Gesamt-
systems Salzspeicher (mit Leitungen, Pumpen, Wärmeübertrager) kann unter bestimmten
Bedingungen das Überdimensionieren des Heliostatenfeldes und Receivers zu einer Re-
duktion der Stromgestehungskosten führen. Tagsüber wird dann die auslegungsbedingt
„überschüssige“ Wärme in einem Salztank gespeichert und nach Sonnenuntergang ge-
nutzt, um damit die vergleichsweise teure Dampfturbine besser auszulasten und gleichzei-
1040 T. Hirsch et al.

tig beispielsweise zu Peakzeiten Strom bereitstellen zu können. Die Überdimensionierung


des Heliostatenfeldes und Receivers bezeichnet man als Solar Multiple.
Diese Eigenheit von solarthermischen Kraftwerken der Reduktion der Stromgeste-
hungskosten durch Speicherintegration führt zu einer einzigartigen Stellung unter den
Stromerzeugungsoptionen auf der Basis erneuerbarer Energien, die häufig mit der Pro-
blematik der Speicherung des direkt produzierten Endprodukts, des elektrischen Stroms,
konfrontiert sind.
Die entsprechenden thermischen Speicher sind in der Regel in der Größenordnung von
unter 20 h Volllastbetrieb ausgelegt. Beispielsweise verfügt das spanische Solarturmkraft-
werk der Firma Gemasolar über 15 h Speicherkapazität und hat dadurch im längsten Fall
36 Tage Dauerbetrieb (d. h. Stromerzeugung 24 h am Tag) erreicht. Die gute Integration
vom thermischen Speicher in den Solarturm im Vergleich zur Parabolrinne liegt auch in
den relativ hohen Temperaturen des Wärmeträgermediums (565 ı C beim Solarturm im
Vergleich zu 393 ı C bei der Parabolrinne). Da das gleiche Speichermaterial (Flüssigsalz)
genutzt wird, ist beim Solarturm der gespeicherte Wärmegehalt bei vergleichbaren Kosten
merklich höher.
Bei Flüssigsalzsystem wird über entsprechende Wärmeübertrager die Wärme dieses
Wärmeträgermediums dann in einen Wärme-Kraft-Prozess eingekoppelt. Die Rohre von
Salzreceivern müssen nicht nur, wie andere Receiver auch, starken thermischen Wech-
selbelastungen standhalten, sondern zusätzlich korrosionsbeständig gegenüber der Salz-
schmelze sein. Als Material kommen dafür u. a. hochwertige Nickel-Legierungen in Fra-
ge.
Ein Nachteil aller Salzreceiver ist die Notwendigkeit, das Salz während der Zeiten oh-
ne solare Einstrahlung flüssig zu halten. Dafür ist eine thermische Isolierung und ggf.
eine Beheizung des gesamten salzbefüllten Anlagenteils (u. a. Tanks, Rohre, Ventile) er-
forderlich. Dies führt zu einem erhöhten (teuren) Eigenenergiebedarf der Anlage. Ein
Lösungsansatz sind sogenannte Drain-Back-Systeme, bei denen das Salz, das sich tags-
über im Receiverkreislauf befindet, bei einer Deaktivierung des Heliostatenfelds (d. h. bei
Sonnenuntergang) nach unten – allein der Schwerkraft folgend – in einen Tank abfließt.
Bei guter Auslegung ist danach der gesamte Receiverkreislauf frei vom Wärmeträger-
medium [11.26]. Dieses Konzept wird in der Regel heutzutage angewandt. Kurzeitige
Verschattungen – etwa durch Wolken – können überbrückt werden, indem warmes Salz
aus dem Speicher zirkuliert wird. Auch ist die hohe Korrosivität der Gasphase der ver-
wendeten Salze problematisch, da bei bestimmten Betriebszuständen das unerwünschte
Verdampfen von kleinen Salzmengen durch lokale Übertemperaturen nicht vollständig
auszuschließen ist.

Receiver mit Metallschmelzen Außer Salzschmelzen könnten grundsätzlich auch Me-


tallschmelzen (z. B. Natrium (Na)) als ein Wärmeübertragermedium in Solarreceivern
eingesetzt werden. Metallische Schmelzen bieten die Vorteile sehr hoher thermischer Kon-
duktivität und hoher möglicher Betriebstemperaturen. Während auch Salze nicht über
565 ı C betrieben werden können, sind bei Flüssigmetallen als Wärmeträgermedium Tem-
11 Solarthermische Stromerzeugung 1041

peraturen von annähernd 1 000 ı C denkbar. Der Vorteil der Verwendung von Flüssigme-
tallen liegt in den hohen Wärmeübergangskoeffizienten im Receiver, die eine kompakte
Receiverbauform und damit reduzierte Abstrahlverluste ermöglichen. Die Aufhebung flu-
idbedingter Temperaturgrenzen erleichtert zudem den Schritt zu höheren Temperaturen
und kann die Auslegung von Wärmeübertragern wegen des höheren Temperaturgefälles
vereinfachen.
Aufgrund negativer Erfahrungen beim Umgang mit diesem Wärmeträger (Brandge-
fahr) wurden solche Ansätze über Jahrzehnte kaum mehr verfolgt. Eine australische Firma
hat jedoch mittlerweile ein modulares auf Natrium basierendes System kommerzialisiert
und eine aus fünf Türmen bestehende Pilotanlage in Australien aufgebaut. Die fünf So-
larturmsysteme versorgen hierbei gemeinsam einen zentralen Kraftwerksblock [11.55].
Ein weiteres Flüssigmetallsystem mit integriertem metallischem Latentwärmespeicher ist
ebenfalls für kleine modulare Kraftwerke in der Entwicklung [11.50]. Dabei bilden Re-
ceiver, Speicher und Kraftwerksblock eine Einheit. Dies funktioniert durch die Nutzung
eines Stirling-Motors. Diese integrierte Lösung ermöglicht es damit auch, das System
von der Solarthermieanlage zu entkoppeln und lokal als thermische / Carnot-Batterie zu
nutzen. Die hohen zulässigen Temperaturen durch das Flüssigmetall ermöglichen zudem
brauchbare Wirkungsgrade des Stirling-Motors.

Offene volumetrische Luftreceiver Beim volumetrischen Luftreceiver trifft die konzen-


trierte Solarstrahlung auf ein volumetrisches Absorbermaterial, das aus einem Stahldraht-
gestrick oder aus einer porösen Keramik besteht [11.52]. Bei derartigen Receivern ist das
Verhältnis von absorbierender Fläche zum Strömungsweg des aufnehmenden Wärmeträ-
gers Luft sehr groß. Hierbei saugt ein Gebläse die Luft von außen aus der Umgebung
durch das bestrahlte und damit heiße Absorbermaterial an (Abb. 11.31). Der Luftstrom
nimmt dabei thermische Energie auf, wobei die dem Heliostatenfeld zugewandten und
damit am stärksten bestrahlten Absorberregionen durch die einströmende kalte Luft am
meisten gekühlt werden. Da folglich die Oberfläche des Absorbers durch diese durchströ-
mende Umgebungsluft gekühlt und somit kälter ist als die innen liegenden Bereiche des
Absorbers – und auch kälter ist als die Luft, die das Drahtgestrick wieder verlässt und
zum Dampferzeuger strömt – hat diese Receiverbauart vergleichsweise geringe thermi-
sche Verluste. Als offene Receiver arbeiten solche Anlagen bei Umgebungsdruck; dies
vereinfacht die Systemauslegung.
Von Vorteil ist, dass Luft als Wärmeträgermedium ungiftig, nicht korrosiv, unbrenn-
bar, überall verfügbar sowie leicht zu handhaben ist. Der Nachteil der vergleichsweise
niedrigen Wärmekapazität der Luft bedingt große Wärmeübertragerflächen, die i. Allg.
aber bei volumetrischen Receivern realisiert werden können. Nachteilig ist auch, dass die
Rückführung / Kreislaufführung der noch heißen Luft in der Praxis wegen Wind und Kon-
vektion immer nur unvollständig erfolgen kann; durch diesen Verlustmechanismus geht
thermische Energie verloren. Mit derartigen offenen volumetrischen Receivern lassen sich
Temperaturen bis 700 ı C und mehr erzielen [11.28]. Durch die geringen thermischen Mas-
1042 T. Hirsch et al.

Dampftrommel

Konzentrierte Receiver
Solarstrahlung
Luftrück-
führung
Infrarot- Wärme-
Rückstrahlung
Kanalbrenner

Umgebungsluft Heiße Luft Dampf-


Konzentrierte erzeuger
Solarstrahlung

Metalldrahtgestrick- Gebläse
Temperatur

Absorber Absorber
Turmplattform
Luft
Absorbertiefe

Abb. 11.31 Offener volumetrischer Luftreceiver nach dem Phoebus-Prinzip (nach [11.27])

sen sorgen diese auch für ein günstiges Anfahrverhalten der Anlage. Eine Versuchsanlage
in Jülich / Deutschland arbeitet nach diesem Prinzip.
Anlagen mit einem offenen volumetrischen Receiver bieten weiterhin den Vorteil, dass
Steinschüttungen als kostengünstige thermische Speicher genutzt werden können. Eine
Wärmespeicherung in Steinschüttungen ist potenziell erheblich günstiger darstellbar als
etwa in den heute eingesetzten Flüssigsalzspeichersystemen [11.49].

Geschlossene (druckbeaufschlagte) Luftreceiver Receiver für Solarturmkraftwerke kön-


nen auch als geschlossene und druckbeaufschlagte Receiver ausgeführt werden. Die Aper-
tur derartiger Receiver ist durch ein Quarzglasfenster geschlossen, so dass das Arbeitsme-
dium Luft unter Überdruck erhitzt wird und direkt der Brennkammer einer Gasturbine
zugeführt werden kann. Beispielsweise wurde eine geschlossene Luftreceivergruppe mit
einer thermischen Leistung bis etwa 1 MW bei 15 bar erprobt. Die erzielten Luftaus-
trittstemperaturen liegen bei knapp über 1 000 ı C [11.29]. Hierbei wurde Luft in einem
Durchlauf je Receiver kaskadisch erhitzt. Die Einzelreceiver wurden gemäß ihrer unter-
schiedlichen thermischen Belastung ausgeführt und verschaltet. Für kommerzielle An-
wendungen müssten dann mehrere Modulgruppen addiert werden.
Dem Vorteil höherer Temperaturen und Drücke bei geschlossenen volumetrischen Re-
ceivern steht als Nachteil – im Vergleich zu offenen Receivern – der höhere Aufwand
für die Druckkammer entgegen. Weiterhin ist die Anwendbarkeit von heißer Druckluft in
großen Anlagen problematisch. Der Einsatz druckbeaufschlagter Systeme bezieht sich in
der Regel auf solarisierte Gasturbinen. Derzeit ist dies allerdings lediglich mit Mikrogas-
turbinen möglich, da diese über Radialkompressoren ein einfaches Extrahieren der Luft
11 Solarthermische Stromerzeugung 1043

Partikelreceiver

Partikelspeicher
1 000 °C
(heiß)

Partikelheizer Wärmeübertrager
(elektrisch oder
Zu- und Rücklauf vom
mit Verbrenner)
Verbrauchsprozess

Partikelspeicher
300 °C (kalt)

Heliostatenfeld Solarturm Partikeltransportsystem

Abb. 11.32 Partikel-basierendes Solarturmkraftwerk (nach [11.51])

ermöglichen und generell durch Rekuperatoren für die Einführung warmer Luft vor der
Brennkammer ausgelegt sind. Bisher hat kein Gasturbinenhersteller angedeutet, Gasturbi-
nen mit hohen Leistungen für solarthermische Anwendungen entwickeln zu wollen. Die
hierbei bei heutigen Turbinen zu erwartenden hohen Temperaturen von bis zu 1 500 ı C
werden von auch von derartigen Solarkraftwerken nicht erreicht. Auch macht die daher
notwendige Zufeuerung von meist fossilen Brennstoffen diesen Ansatz nicht mehr zeitge-
mäß. Deshalb dürften große geschlossene Luftreceiversysteme zur Stromerzeugung keine
Zukunft haben; sie könnten jedoch in der Marknische der Mikrogasturbinen Einsatz fin-
den.

Receiver mit Partikelsystemen Auch feste Partikel können in solchen Kraftwerken als
ein Wärmeträgermedium genutzt werden (Abb. 11.32). Hierfür werden Bauxit-Partikel
verwendet (Partikeldurchmesser von unter 1 mm bis zu wenigen mm). Sie zeichnen sich
durch eine hohe Temperaturstabilität bis deutlich über 1 000 ı C aus. Auch dürfte die Li-
mitierung der solaren Flussdichte auf die Partikel so hoch liegen, dass sie in der Praxis
nicht relevant ist. Aufgrund dieser Vorteile wurden jüngst verstärkt Konzepte entwickelt,
die Partikel nicht nur als Wärmeträgermedium, sondern auch direkt als Absorbermaterial
vorschlagen. Dadurch kommt der Vorteil zum Tragen, dass sämtliche Receiverkomponen-
ten nicht mehr dem hohen solaren Energiefluss ausgesetzt sind, um danach die Wärme
auf das Wärmeträgermedium zu übertragen, sondern sich hinter diesem Partikelfilm in
einem vergleichsweiße kühlen Bereich befinden. Entsprechende Kostenreduktionen sind
die Folge.
Zwei Ansätze zum direkt absorbierenden Partikelreceiver haben sich bisher als vielver-
sprechend herausgestellt.
1044 T. Hirsch et al.

 Fallfilm-Receiver. Hier wird ein stabiler Partikelfilm über einen Fallfilm (Falling
Curtain Receiver) erzeugt. Dieser Fallfilm kann mit einer beliebigen Breite erzeugt
werden und durch einen homogen eingeregelten Partikelfall entsteht ein dichter Vor-
hang. Dieser wird dem gebündelten Sonnenlicht der Heliostaten ausgesetzt und die
Partikel während des Falls durch die gebündelte Solarstrahlung erhitzt. Dabei muss die
Filmdicke ausreichend dimensioniert sein, dass bei gegebener Fallhöhe möglichst we-
nig konzentrierte Sonnenenergie auf die dahinterliegende Wand trifft. Jedoch führt eine
hohe Filmdicke zu einem erheblichen Temperaturgradienten über den Film [11.53].
 Zentrifugalreceiver. Hierbei werden die Partikel in eine nach unten geneigte, rotierende
Trommel eingelassen und über die Zentrifugalkraft an die Wand gedrückt. Aufgrund
der Receiverneigung entsteht an der inneren Trommelwand ein Fluss in axialer Rich-
tung bis zum Auslass an der entgegengesetzten Receiveröffnung, an der die erhitzten
Partikel gesammelt werden. Mit dieser Bauart lassen sich über die Drehzahl und den
Partikelfluss sehr flexibel zahlreiche Betriebszustände einstellen. Aufgrund der Rotati-
on durchfahren auch alle Partikel sämtliche Bereiche des solaren Flussdichteeintrags.
Somit kann beständig ein homogener Temperaturauslass mit geringen Temperaturgra-
dienten erzeugt werden.

11.3.4 Thermische Speicher und Wärme-Kraft-Prozess

Bei Solarturmkraftwerken kann – wie bei Parabolrinnen-Kraftwerken – die Hochtempe-


raturwärme in einem thermischen Speicher zwischengespeichert und dadurch eine von
der aktuellen Solarstrahlung unabhängigere Stromerzeugung realisiert werden. Typischer-
weise werden dazu ebenfalls – wie bei den Parabolrinnen-Kraftwerken dargestellt (Kapi-
tel 11.2.4) – Salzschmelzen eingesetzt. Grundsätzlich sind aber auch andere Speicherop-
tionen für die Hochtemperaturwärme denkbar (Kapitel 11.2.4).
Der bei Solarturmkraftwerken eingesetzte Wärme-Kraft-Prozess (Kapitel 11.2.5) wird
im Wesentlichen mit den heute auf dem Markt verfügbaren konventionellen Kraftwerks-
komponenten umgesetzt; die erreichbaren Drücke und Temperaturen der Arbeitsmedien
bei Solarturmkraftwerken entsprechen dem Stand der Technik bei mit fossilen Energie-
trägern gefeuerten Kraftwerken. Turmkraftwerke im heute diskutierten elektrischen Leis-
tungsbereich zwischen 5 und 200 MW können demnach mit großtechnisch verfügbaren
Turbinen und Generatoren – einschließlich sämtlicher benötigter Nebenaggregate – pro-
blemlos nach dem Stand der Technik realisiert werden. Wirkungsgradsteigerung durch
überkritische Dampfprozesse wurden bisher aber (noch) nicht realisiert. Ein erhöhter Ent-
wicklungsaufwand wird derzeit weltweit in zukünftige Wärme-Kraft-Prozesse basierend
auf superkritischem CO2 gesteckt [11.58].
Auch die Abführung der bei dem Kreisprozess anfallenden Abwärme entspricht weit-
gehend den im Kapitel 11.2.5 dargestellten Ansätzen. Die dort dargestellten technischen
Lösungen sind Stand der Technik.
11 Solarthermische Stromerzeugung 1045

11.3.5 Anlagenkonzepte

In Abhängigkeit des verwendeten Wärmeträger- bzw. Arbeitsmediums kommen verschie-


dene Anlagenkonzepte zum Einsatz. Die externen und die Hohlraum-Rohrreceiver sind
für Arbeitstemperaturen von ca. 500 bis 550 ı C ausgelegt und somit prädestiniert für die
Verwendung von Dampfturbinen-Prozessen. Dabei wird entweder der Dampf direkt im
Receiver oder per Sekundärkreislauf (Salzschmelze) erzeugt.
Die bei den offenen volumetrischen Receivern erzeugte Heißluft von ca. 700 ı C wie-
derum kann in einem Heißgasdampferzeuger – ähnlich einem Abhitzekessel, wie er bei
einem konventionellen Gas- und Dampfturbinen(GuD)-Kraftwerk eingesetzt wird – ver-
wendet werden. Durch einen eingebauten, z. B. mit Erdgas befeuerten, Kanalbrenner
(Abb. 11.31) kann die Eintrittstemperatur konstant gehalten werden, so dass sich dieses
Konzept sehr gut zur Hybridisierung (d. h. einer gemeinsamen Nutzung von Solarenergie
mit fossilen (oder biogenen) Energieträgern) eignet. Die Austrittgase werden durch ein
Gebläse dem Receiver wieder zugeführt und können so zu einem großen Teil rezirkuliert
werden.
Bei einem hybriden Solarturmkraftwerk mit einem geschlossenen volumetrischen Re-
ceiver wird unter Druck stehende solar erhitzte Luft der Brennkammer einer Gasturbine
zugeführt (Abb. 11.33). Derartige Anlagen werden seit geraumer Zeit insbesondere als
modulare kleine Solarturmkraftwerke mit Mikrogasturbinen (Leistungsbereich von weni-
gen 100 kW) verfolgt. Entsprechende kommerzielle Systeme konnten sich jedoch bisher
nicht durchsetzen.

Receiver Brennkammer
Generator

V
R R Abhitze-
kessel
Speicher

Dampf-
G
Generator

turbine

Konden-
sator
G
Gas-
turbine
Solarturm

Solarfeld

Abb. 11.33 Hybrides Turm-Solarkraftwerk mit geschlossenem volumetrischem Receiver (VRR vo-
lumetric reactor receiver, G Generator; nach [11.31])
1046 T. Hirsch et al.

Tabelle 11.4 Technische Kenngrößen ausgeführter und eines im Bau befindlichen Solarturm-Kraft-
werks (Stand Anfang 2020; u. a. [11.56])
PS10 PS20 Gemasolar Ivanpah Crescent
(3 Anlagen) Dunes
Inbetriebnahme 2007 2009 2011 2014 2015
Land Spanien Spanien Spanien USA USA
Leistung in MWa 11 20 20 377 110
Kühlung nass nass nass trocken Hybrid
Turmhöhe in mb 115 165 140 140 195
Apertur Heliostat in m2 120 120 120 15 115,7
Anzahl Heliostaten 624 1 255 2 650 173 500 10 347
Wärmeüberträger- Wasser / Wasser / Flüssigsalz Wasser / Flüssigsalz
medium Dampf Dampf Dampf
Maximale Fluid- 300 300 565 565 565
temperatur in ı C
Speicherkapazität 1 1 15 0 10
in Volllaststunden
Remuneration in 2018 0,44 0,44 0,42 0,14 0,14
US$/kWh

Khi Solar NOOR III Ashalim Hami DEWA IV


One Plot B
Inbetriebnahme 2016 2018 2019 2019 Im Bau
Land Südafrika Marokko Israel China VAE
Leistung in MWa 50 134 121 50 100
Kühlung trocken trocken trocken trocken
Turmhöhe in mb 200 250 240 180 260
Apertur Heliostat in m2 140 115 20,8 48
Anzahl Heliostaten 4 120 7 400 50 600
Wärmeüberträger- Wasser / Flüssigsalz Wasser / Flüssigsalz Flüssigsalz
medium Dampf Dampf
Maximale Fluid- 530 565
temperatur in ı C
Speicherkapazität 2 7 0 8 15
in Volllaststunden
Remuneration in 2018 0,19 0,15 0,22 0,17 0,07
US$/kWh
a
Nettoleistung, b meist Receiverhöhe; VAE Vereinigte Arabische Emirate.

Die Vielzahl verschiedener Anlagenkonzepte ist nach wie vor steigend; Tabelle 11.4
gibt einen Überblick über laufende Projekte. In der Vergangenheit wurden zahlreiche
Solarturmanlagen im Rahmen entsprechender Forschungs- und Entwicklungsvorhaben
realisiert. Zunehmend werden aber auch kommerzielle Anlagen gebaut und betrieben.
11 Solarthermische Stromerzeugung 1047

Abb. 11.34 Leistungskennli-


1,20
nie des Solar One Solarturm
Kraftwerks

Energieabgabe in kWh/(m2 d)
1,00

0,80

0,60

0,40

0,20

0,00
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
Direktstrahlung in kWh/(m2 d)

Im Folgenden werden exemplarisch einige Solarturmanlagenkonzepte näher diskutiert.


Bei den ausschließlich kommerziell realisierten Anlagen handelt es sich jedoch bisher
ausschließlich um die zwei Konzepte des Wasser / Dampf-Wärmeträgermediums und des
Flüssigsalzes als Wärmeträger.

Solar One Solar One war ein Turm-Solarkraftwerk mit 10 MW elektrischer Leistung,
das von 1982 bis 1988 in der kalifornischen Mojave-Wüste bei Daggett / USA betrieben
wurde. Mit dieser Anlage konnte die grundsätzliche Machbarkeit der solarthermischen
Stromerzeugung mit Turmanlagen im MW-Maßstab demonstriert werden. Als Wärmeträ-
germedium im Receiver kam Wasser zum Einsatz. Bei der Anlage zeigten sich Probleme
u. a. dann, wenn der Betrieb bei Wolkendurchgängen aufrechterhalten werden sollte.
Abb. 11.34 zeigt die Leistungskennlinie der Solar One Anlage als ein typisches Beispiel
für den grundsätzlichen Kennlinienverlauf von Solarturmkraftwerken. Demnach wird bei
dieser Anlage elektrische Leistung erst ab einer Tagessumme der Direktstrahlung von et-
wa 4 bis 5 kWh/(m2 d) abgegeben. Mit weiter steigender direkter Sonnenstrahlung nimmt
die abgegebene elektrische Leistung näherungsweise linear mit der eingestrahlten Solar-
energie zu. Die Schwelle, ab der elektrische Leistung abgegeben wird, wird weitgehend
durch die hier eingesetzte Wasser-Dampf-Rohrreceiver-Technologie bestimmt. Durch die
Verwendung von Salzschmelzen oder insbesondere von volumetrischen Receivern kann
dieser Schwellenwert gesenkt werden (d. h. die Verluste reduziert werden), da der energe-
tische Aufwand, das System auf Betriebstemperatur zu bringen, vermindert wird.

Solar Two Mit dem Ziel, die bei der Anlage Solar One aufgetretenen Probleme zu lö-
sen, wurde das Kraftwerk 1995 zur Anlage Solar Two umgebaut. Als Wärmeträger- und
-speichermedium wurde nun eine Salzschmelze aus 40 % Kalium- und 60 % Natriumni-
trat eingesetzt. Durch die Verwendung eines thermischen Energiespeichers können Strah-
lungsangebot und Energienachfrage (weitgehend) entkoppelt werden.
1048 T. Hirsch et al.

Sonne
Receiver
565 °C
Generator
Turbine

Dampfkreislauf
Salz-Tank G
(heiß)

Salzkreislauf

Dampfkreislauf
Turm Dampf-
erzeuger

290 °C
Heliostat Salz-Tank
Konden-
Salzkreislauf (kalt)
sator

Abb. 11.35 Solarturmkraftwerk mit einer Salzschmelze als Wärmeträger- und -speichermedium
(die dargestellten Temperaturen beziehen sich auf die Anlage Solar Two) (nach [11.32])

Das Prinzip des Kraftwerks Solar Two zeigt Abb. 11.35. Salz wird demnach aus ei-
nem „kalten“ Salzspeicher auf den Turm und dort durch den Receiver gepumpt, wo es
erwärmt wird. Es gelangt dann in den „heißen“ Tank. Von dort aus wird bei Bedarf
heißes Salz – und damit Energie – entnommen und durch einen Dampferzeuger gelei-
tet, der Frischdampf für einen konventionellen Dampfturbinen-Kreisprozess erzeugt. Das
im Dampferzeuger abgekühlte Salz gelangt anschließend erneut in den „kalten“ Salz-
speicher.
Grundsätzlich lässt sich mit diesem Konzept nicht nur tagsüber, sondern bei entspre-
chender Größe des Energiespeichers und des Solarfeldes auch 24 h am Tag Strom bereit-
stellen. Solar Two produzierte eine elektrische Leistung von 10 MW, die durch den in der
Anlage vorhandenen Energiespeicher bis zu drei Stunden mit Volllast nach Sonnenunter-
gang aufrechterhalten werden kann. Die Anlage wurde 2009 abgebaut.
Abb. 11.36 zeigt den Energiefluss durch eine derartige Anlage. Demnach liegen die
Verluste bei der Sammlung der solaren Energie und deren Bündelung auf den Absorber
bei zusammengenommen etwa 63 %. Hinzu kommen noch die Verluste der Wärme-Kraft-
Maschine bei der Umwandlung der thermischen in elektrische Energie von ca. 24 %.
Insgesamt entspricht dies Gesamtwirkungsgraden in der Größenordnung von rund 13 %.

Solarturm-Kraftwerk Ivanpah Das Solarturm-Kraftwerk Ivanpah wurde zwischen


2010 und 2014 in der Mojave Wüste in den USA gebaut. Die Ivanpah-Anlage verfügt
über drei Solartürme (Abb. 11.28). Diese drei Kraftwerke haben eine elektrische Leistung
von 126 MW und zweimal 133 MW. Mit der gemeinsamen Leistung von 392 MW ist
11 Solarthermische Stromerzeugung 1049

Eingang des
Kraftwerks-
Thermische
Energie am
Absorbierte
Energie

blocks
Energie der solaren Strahlung
100 %

Abb. 11.36 Energiefluss durch ein Solarturmkraftwerk (Mech. Mechanische; Elektr. Elektrische)

diese Anlage das momentan größte Solarturmkraftwerk weltweit. Aufgrund der relativ
kleinen eingesetzten Heliostaten von 15 m2 Aperturfläche ergibt sich eine Gesamtzahl von
173 500 Heliostaten. Der Empfänger befindet sich jeweils auf einer Turmhöhe von etwa
140 m und verfügt über drei vertikal angeordnete Zonen, Zwischenüberhitzer, Verdampfer
und Überhitzer. Durch den Phasenübergang von Wasser zu Dampf kann der Verdampfer
erheblich mehr Wärme abführen und ist daher mittig – d. h. in der Zone erhöhter Strah-
lungsflussdichte – angeordnet. Das Kraftwerk verfügt über keinen thermischen Speicher;
dies wurde durch die Integration eines Gasbrenners ausgeglichen [11.56].

Gemasolar Bei dieser Anlage wird aufgebaut auf dem bei der Anlage Solar Two gewon-
nenen Know-how (Salz als Wärmeträger- und -speichermedium). Dieses Turm-Solarkraft-
werk mit Flüssigsalz-Rohrreceiver, das eine elektrische Leistung von 20 MW aufweist, ist
mit einem 15 h-Speicher (Zweitank-Salzschmelze) ausgestattet. Das Heliostatenfeld ist als
Rundumfeld mit 2 650 Heliostaten mit einer Fläche von je 120 m2 konzipiert. Der Receiver
mit einer thermischen Leistung von 120 MW ist als zylindrischer Flüssigsalz-Rohrrecei-
ver ausgeführt [11.56]; er befindet sich auf einem 140 m hohen Turm. Das Kraftwerk
ist seit April 2011 in Betrieb. Der 24 h-Betrieb konnte erfolgreich demonstriert werden.
Die Receiver-Austrittstemperatur beträgt 565 ı C und die Einlasstemperatur 290 ı C. Die
Anlage hat erfolgreich einen 36 Tage andauernden Dauerbetrieb des Kraftwerksblocks
absolviert.
1050 T. Hirsch et al.

11.4 Dish / Stirling-Systeme

Dish / Stirling-Systeme bestehen primär aus dem parabolisch gekrümmten Konzentrator


(Dish), einem Solarreceiver sowie einem Stirling-Motor als Wärme-Kraft-Maschine mit
angeschlossenem Generator. Der Parabolkonzentrator wird zweiachsig der Sonne nach-
geführt. Dadurch reflektiert er die direkte Solarstrahlung auf einen im Brennpunkt an-
geordneten Receiver. Die dort in Wärme umgewandelte Strahlungsenergie wird einem
Stirling-Motor zugeführt, der als Wärme-Kraft-Maschine die Wandlung in mechanische
Energie vornimmt. Direkt an die Welle der Stirlingmaschine ist ein Generator gekoppelt,
der die mechanische Energie in elektrische Energie umwandelt (Abb. 11.37). Das Sys-
tem kann parallel oder alternativ zur solaren Beheizung mit einem Gasbrenner (z. B. mit
Erdgas oder Biogas) betrieben werden.

11.4.1 Parabolkonzentrator (Dish)

Der parabolisch gekrümmte Hohlspiegel (Dish) konzentriert das Sonnenlicht in Abhän-


gigkeit von der Genauigkeit seiner Form, seiner Oberflächenbeschaffenheit und seiner
Brennweite in einem Brennfleck. Bei heute üblichen Konzentratoren wird ein Konzentra-
tionsverhältnis zwischen 1 500 und 4 000 erreicht.
Bei realisierten Konzentratoren kann zwischen einem facettierten Aufbau des Parabo-
loids aus einzelnen Segmenten und einem vollflächigen Paraboloid unterschieden werden.

 Bei den segmentierten Paraboloiden werden mehrere Spiegelsegmente auf eine tragen-
de Struktur aufgebracht, einzeln gestützt und ausgerichtet. Diese einzelnen Elemente

Abb. 11.37 Dish / Stirling-


System „EuroDish“
(nach [11.33])
11 Solarthermische Stromerzeugung 1051

können auch nach dem Ausrichten zu einer steifen Schale verbunden werden. Die Spie-
gelsegmente können dabei aus verspiegeltem Vollglas oder mit reflektierender Folie
bzw. Dünnglasspiegeln überzogenen Trägern bestehen. Alternativ dazu können die Fa-
cetten auch aus Sandwichelementen aus glasfaserverstärktem Epoxidharz aufgebaut
und anschließend mit Dünnglasspiegeln beklebt werden [11.34].
 Beim vollflächigen Paraboloid wird die ganze Konzentratorfläche in einem Formge-
bungsprozess in eine parabolisch gekrümmte Form gebracht. Dies wird mit einer vor-
gespannten Membran aus Metall oder Kunststoff (Stretched Membrane Technology)
realisiert. Derartige Membranen sind beidseitig auf einem stabilen Ring befestigt. Sie
werden mittels eines Formgebungsprozesses plastisch verformt und mit Unterdruck
stabilisiert. Mit einer solchen Metallmembrankonstruktion werden bei den flächenhaft
gestalteten Konzentratoren hohe Steifigkeiten und eine gute optische Leistungsfähig-
keit bei einem geringen Gewicht erzielt.

Die Durchmesser der Konzentratoren liegen bei etwa 5 bis maximal 25 m.


Die Trägerstruktur des Parabolkonzentrators muss die Reflektorsegmente bzw. die
Vollfläche sicher tragen und eine zweiachsige Nachführung entsprechend dem aktuellen
Stand der Sonne ermöglichen.
Damit die direkte Solarstrahlung immer auf einen Punkt konzentriert wird, müssen
die Parabolkonzentratoren kontinuierlich zweiachsig der Sonne nachgeführt werden. Nur
dann können die Sonnenstrahlen stets parallel zur optischen Konzentratorachse einfallen.
Dabei wird zwischen azimutaler und polarer Nachführung unterschieden.

 Bei der azimutalen Nachführung wird der Konzentrator über eine Achse parallel zur
Erdoberfläche (Elevationsachse) und einer zweiten senkrecht zur Erdoberfläche (Azi-
mut) bewegt.
 Bei der polaren (oder parallaktischen) Nachführung verläuft eine Achse parallel zur
Erdrotationsachse (polare Achse) und die andere senkrecht dazu (Deklinationsachse).

Eine derartige Nachführung erfolgt immer automatisch. Vorgabeparameter kann so-


wohl ein aus Datum und Tageszeit kalkulierter Sonnenstand und / oder das Signal eines
Sonnenstandsensors sein.

11.4.2 Receiver

Der Receiver absorbiert die vom Konzentrator reflektierte Solarstrahlung und wandelt sie
in technisch nutzbare Wärme mit Temperaturen von 600 bis 800 ı C um. Mit dieser Wärme
wird dann das Arbeitsmedium der Wärme-Kraft-Maschine direkt erhitzt oder ein Wärme-
trägermedium erfährt eine Temperaturerhöhung und / oder einen Phasenwechsel.
Die Intensitätsverteilung der konzentrierten Strahlung im Brennfleck ist aufgrund von
unvermeidbaren Spiegelfehlern nie ganz gleichmäßig. Auf der Absorberfläche können da-
her große Temperaturgradienten auftreten. Durch geeignete Konzentratorformen sowie
1052 T. Hirsch et al.

Absorber-
rohre
Kapillarstruktur

konzentrierte
Direktstrahlung Natriumdampf
konzentrierte
Direktstrahlung
Arbeitsgas-
Absorber eintritt

Erhitzer

Anschluss-
flansch Arbeitsgas-
austritt

Arbeitsgasein- bzw. -auslass flüssiges Natrium

Abb. 11.38 Receiver-Typen für Dish / Stirling-Systeme (links: Rohrreceiver, rechts: Heat Pipe Re-
ceiver, jeweils schematisch (nach [11.35]))

Strukturkonzepte und -steifigkeiten muss deshalb eine geeignete Strahlungsflussdichte-


verteilung sichergestellt werden. Daher wird durch eine geeignete Form des Konzentrators
(d. h. durch gezieltes Abweichen vom Paraboloid) die gewünschte Flussdichteverteilung
auf dem Receiver eingestellt.
Receiver für Dish-Systeme werden meist als Hohlraum-Receiver (Cavity-Receiver)
ausgeführt. Die konzentrierte Strahlung fällt hier durch eine kleine Öffnung, die sich in
der Brennebene der ankommenden Strahlung befindet und als Apertur bezeichnet wird, in
einen Hohlraum, in dem sich das Strahlenbündel wieder aufweitet (d. h. die Strahlungs-
konzentration nimmt mit zunehmendem Abstand von der Brennebene wieder ab). Die
eigentlich absorbierende Fläche, die durch den Strahlungseinfall eine Temperaturerhö-
hung erfährt, ist hinter dem entstehenden Brennfleck angeordnet (d. h. an der gegenüber
der Öffnung liegenden Seite). Dadurch ist die Absorberfläche größer als die Apertur. Zu-
gleich sind die Wärmeverluste gering, da nur ein kleiner Teil der von der Absorberfläche
diffus abgestrahlten Wärmestrahlung durch die Apertur verloren geht und die Konvekti-
onsverluste minimiert werden.
Nachfolgend werden exemplarisch zwei Receiverbauarten diskutiert.

 Rohrreceiver. Die einfachste Receiverbauweise stellt der direkt bestrahlte Rohrrecei-


ver (Abb. 11.38, links) dar. Hier dienen die vom Arbeitsmedium der Wärme-Kraft-
Maschine durchströmten Erhitzerrohre (d. h. Stirling-Motor) als Absorberoberfläche;
sie werden direkt mit der konzentrierten Solarstrahlung beaufschlagt. Dazu muss deren
Geometrie so gestaltet sein, dass bei einem möglichst geringen Totvolumen möglichst
gleichmäßige und nicht zu hohe Strahlungsflussdichten auf die Absorberfläche auftref-
fen.
 Heatpipe Receiver. In einem Heatpipe (Wärmerohr) Receiver (Abb. 11.38, rechts) wird
ein die Phasen wechselndes Wärmeträgermedium (z. B. Natrium) eingesetzt. Es trans-
11 Solarthermische Stromerzeugung 1053

portiert die Wärme, indem es aus der Flüssigphase verdampft. Dadurch wird die latente
Verdampfungswärme von der bestrahlten Absorberfläche bei fast konstanter Tempe-
ratur zum Erhitzer der Wärme-Kraft-Maschine transportiert. Dort kondensiert dieses
Wärmeträgermedium und gibt seine Wärme auf einem relativ konstanten Temperatur-
niveau ab. Das Kondensat wird dann durch eine Kapillarstruktur zur Heizzone zurück
transportiert [11.36].

11.4.3 Wärme-Kraft-Maschine

Die durch die Konzentration der Solarstrahlung bereitgestellte thermische Energie kann
mit Hilfe eines Stirling-Motors mit angekoppeltem Generator in elektrische Energie um-
gewandelt werden. Der Stirling-Motor gehört zu der Gruppe der Heißgasmaschinen und
arbeitet mit einem geschlossenen Wärmeträgerkreislauf [11.37]; d. h. die Energiezufuhr
muss durch eine äußere Wärmezufuhr erfolgen.
Der Stirling-Motor nutzt den Effekt, dass Gas bei einer Temperaturänderung eine ent-
sprechende Volumenänderungsarbeit verrichtet. Der Arbeitsprozess kann durch eine iso-
therme Verdichtung des kalten und eine isotherme Entspannung des heißen Mediums bei
Wärmezufuhr unter konstantem kleinen und bei Wärmeabfuhr unter konstantem großen
Volumen (isochor) beschrieben werden. Eine periodische Temperaturänderung – und da-
mit ein kontinuierlicher Betrieb – kann erreicht werden, indem ein Arbeitsgas zwischen
einem Raum mit konstant hoher Temperatur und einem Raum mit konstant niedriger Tem-
peratur hin- und her bewegt wird.
Grundlegende Systemelemente sind damit der erhitzte Arbeitszylinder, der gekühlte
Kompressionszylinder und ein Regenerator, der zur Energiezwischenspeicherung dient.
Der Regenerator ist meist ein hochporöser Körper mit einer hohen Wärmekapazität; die-
ser poröse Körper weist eine thermische Masse auf, die bedeutend größer ist als die Masse
des Gases, die ihn durchströmt. Je vollständiger der wechselnde Wärmeübergang im Re-
generator erfolgt, umso größer ist die mittlere Temperaturdifferenz zwischen Arbeits- und
Kompressionszylinder – und damit der Wirkungsgrad des Stirling-Motors.
Wird der Verdrängerkolben über ein Triebwerk oder ein schwingfähiges System im
richtigen Phasenwinkel zum Arbeitskolben gekoppelt, kann das gesamte System als
Wärme-Kraft-Maschine arbeiten.
Die für Dish / Stirling-Systeme eingesetzten Maschinen arbeiten mit Helium oder Was-
serstoff als Arbeitsgas bei Temperaturen von 600 bis 800 ı C. Die Leistungsregelung wird
meist durch eine Variation des Drucks des Arbeitsgases realisiert.

11.4.4 Anlagenkonzepte

Übliche elektrische Leistungen von einzelnen Dish / Stirling-Systemen liegen bei wenigen
kW bis einigen 10 kW. Sie konkurrieren aufgrund der stark gefallenen Preise insbeson-
1054 T. Hirsch et al.

Tabelle 11.5 Kennzahlen ausgewählter Dish / Stirling-Systeme (verschiedene Quellen)


WGA ADDS SBP EuroDish Infinia Corp.
Jahr ab 1999 1990–2000 ab 2000 ab 2010
Leistung in kWnetto 9 9 10 3,2
Wirkungsgrad in % 22 18–21 22 24
Anzahl 2 9 7 > 50
Betriebsstunden in h 5 000 40 000 > 10 000 n/a
Verfügbarkeit in % 50–90 80–95 n/a
Konzentrator
Durchmesser in m 7,5 7,5–8,5 8,5 4,7
Bauart
Zahl der Facetten 3b 2a 3b 3b
Facettengröße in cm 24 ¿750–850 12 5
Spiegelträger / Reflektor Glas / Silber Glas / Silber Glas / Silber Glas / Silber
Reflektivität in % 94 94 94 94
Konzentrationsfaktor 3 000 2 500 n/a
Betriebsstunden in h 54 000 100 000 10 000 n/a
Wirkungsgrad in % 88 88 n/a
Wärme-Kraft-Maschine
Hersteller SOLO SOLO SOLO Infinia
Leistung in kWel 10 9 10 3,2
Arbeitsgas H2 He He oder H2 He
Druck in MPamax 15 15 15
Gas-Temperatur in ı C 650 650 650
Betriebsstunden in h 80 000 350 000 100 000
Wirkungsgrad in % 33 30–32 30–33 24
Receiver
Typ Rohr Rohr Rohr n/a
Aperturdurchm. in cm 15 12–15 15 n/a
Rohrtemperatur in ı C 850 850 850 n/a
Wirkungsgrad in % 90 90 90 n/a
a
Stretched Membrane; b Sandwich-Struktur; ¿ Durchmesser.

dere mit Photovoltaiksystemen, die heute deutlich kostengünstiger und am Markt sehr
weitgehend präsent sind. Deshalb haben Dish / Stirling-Systeme heute praktisch keine
Marktbedeutung.
Dish / Stirling-Systeme können auch zur Bereitstellung größerer Wärme- bzw. Strom-
mengen miteinander verschaltet werden. Tabelle 11.5 zeigt exemplarisch Kenngrößen
ausgewählter Dish / Stirling-Anlagen. Der bisher größte Park wurde 1984 in Kaliforni-
en / USA in Betrieb genommen und hatte mit 700 Einzelkollektoren und einer zentralen
Wärme-Kraft-Maschine eine elektrische Gesamtleistung von knapp 5 MW. Beispiele für
weitere Dish / Stirling-Kraftwerke sind das Maricopa Solar Project in Arizona / USA mit
11 Solarthermische Stromerzeugung 1055

Abb. 11.39 Kennlinie eines 12

10 kW-Dish / Stirling-Systems
10

Bruttoleistung in kW
8

4 Runterfahren
am Nachmittag Anfahren am Vormittag
2

0
0 100 200 300 400 500 600 700 800 900 1000
Direktstrahlung in W/m2

1,5 MW und die Infinia-PowerDish-Farm mit zunächst 30 Systemen in Villarobledo, Spa-


nien.
Exemplarisch zeigt Abb. 11.39 die typische Leistungskennlinie für eine 10 kW-Euro-
Dish-Anlage [11.39, 11.40]. Demnach zeigt die Stirlingmaschine (Solo 161) eine Wel-
lenleistung von knapp über 10 kW. Deutlich wird auch, dass der Stirling-Motor beim
Anfahren am Vormittag eine höhere solare Direktstrahlungsleistung zur Sicherstellung
der gleichen elektrischen Leistung im Vergleich zum Nachmittag benötigt, da die Wärme-
Kraft-Maschine am Vormittag noch kalt ist und erst auf Betriebstemperatur gebracht wer-
den muss.
Abb. 11.40 gibt einen Überblick über die Verluste, die in einer Dish / Stirling Anlage
auftreten. Im Vergleich zu den bisher betrachteten Kraftwerkstypen treten weniger Ver-

Abb. 11.40 Energiefluss eines Dish / Stirling-Systems


1056 T. Hirsch et al.

luste bei der Sammlung der solaren Energie und deren Bündelung auf. Jedoch sind die
thermischen und mechanischen Verluste in der Wärme-Kraft-Maschine (Stirling-Motor)
größer als in dem Wärme-Kraft-Prozess, wie er beispielsweise in einem Rinnenkraftwerk
eingesetzt wird. Insgesamt können ca. 22 % der in der solaren Strahlung enthaltenen Ener-
gie in Strom umgewandelt werden.

11.5 Aufwindkraftwerke

Bei einem Aufwindkraftwerk wird unter einem flachen, kreisförmigen, am Umfang offe-
nen Glasdach, das zusammen mit dem darunter liegenden Boden einen Warmluftkollektor
bildet, Luft durch die Sonnenstrahlung erwärmt (Abb. 11.41). In der Mitte des Dachs steht
senkrecht eine Kaminröhre mit großen Zuluftöffnungen am Fuß. Das Dach ist luftdicht an
den Kaminfuß angeschlossen. Da warme Luft im Vergleich zu kalter eine geringere Dich-
te hat, steigt sie im Kamin auf. Durch den Kaminsog wird gleichzeitig warme Luft aus
dem Kollektor nachgesaugt; entsprechend strömt von außen kalte Luft in das außen of-
fene Glasdach. Dadurch kommt es zu einem kontinuierlichen Aufwind im Kamin. Die in
der Luftströmung enthaltene Energie kann dann mit druckgestuften Turbinen, die am Fuß
des Kamins angebracht sind, in mechanische und über Generatoren in elektrische Energie
umgewandelt werden.
Das Aufwindkraftwerk besteht damit aus den drei Hauptkomponenten Kollektor (ggf.
mit Speicher), Turm und Turbine. Die elektrische Ausgangsleistung eines derartigen Auf-
windkraftwerks ist dabei proportional zum Volumen des von der Turmhöhe und der Kol-
lektorfläche aufgespannten Zylinders. Damit kann eine bestimmte Leistung entweder mit
einem hohen Turm in Kombination mit einem kleineren Kollektor oder mit einem großen
Kollektor und einem kleineren Turm erzielt werden.
Die in einem Aufwindkraftwerk genutzte Warmluft wird durch den Treibhauseffekt
in einem einfachen Luftkollektor erzeugt. Dieser besteht aus einem horizontalen transpa-

Abb. 11.41 Funktionsprinzip


des Aufwindkraftwerks

Kaminröhre

Kollektor Turbine
Kollektor
11 Solarthermische Stromerzeugung 1057

Abb. 11.42 Kollektorvarianten für ein Aufwindkraftwerk (nach [11.41])

renten Glas- oder transparenten Kunststoffdach in etwa 2 bis 6 m Höhe über dem Boden
(Abb. 11.42).
Die Höhe des Luftkollektors nimmt zum Turm hin zu, so dass die Strömungsgeschwin-
digkeit nicht zu sehr ansteigt (d. h. Minimierung der Reibungsverluste). Anschließend
wird die Luft mit möglichst geringen Reibungsdruckverlusten in die Vertikale umgelenkt.
Das transparente Dach ist durchlässig für die Solarstrahlung, aber undurchlässig für die
vom – durch die Sonne aufgeheizten – Kollektorboden emittierte langwellige Wärme-
strahlung. Dadurch erwärmt sich bei einer entsprechenden Sonnenstrahlung der Boden
unter dem Dach und gibt diese Wärme an die radial von außen zum Turm strömende Luft
ab.
Der Erdboden unter dem Kollektordach wirkt als natürlicher Wärmespeicher, der die
Stromerzeugung der Anlage im Tagesverlauf vergleichmäßigt. Wird beispielsweise ei-
ne weniger ausgeprägte Leistungsspitze um die frühe Nachmittagszeit, wie sie sich oh-
ne besondere Speichermaßnahmen aufgrund der Speicherwirkung des Bodens einstellt
(Abb. 11.43), und eine höhere Stromerzeugung am Abend und in der Nacht gewünscht,
können wassergefüllte Wasserschläuche oder -kissen auf dem Kollektorboden ausgelegt
werden. Das Wärmespeichervermögen von Wasser ist wesentlich größer als das des Bo-
dens und kann – bei einer entsprechenden Dimensionierung der eingebrachten Wasser-
menge – einen im Verlauf von 24 h weitgehend ausgeglichenen Betrieb eines Aufwind-
kraftwerks ermöglichen, sofern keine signifikanten Änderungen des Wetters auftreten.
Der Kamin ist die eigentliche „Wärme-Kraft-Maschine“ des Aufwindkraftwerks. Hier
wird die thermische Energie der warmen Luft aus dem Kollektor in Strömungsenergie der
durch den Kamin strömenden Luft gewandelt. Dazu ist ein einfacher Hohlzylinder erfor-
derlich. Dabei stellen für diesen Anwendungsfall Stahlbetonröhren die wahrscheinlichste
Lösung dar [11.41].
Die am Turmfuß installierten Turbinen eines Aufwindkraftwerks arbeiten als umman-
telter druckgestufter Windturbogeneratorsatz; d. h. hier wird ähnlich wie bei einem Was-
1058 T. Hirsch et al.

Abb. 11.43 Einfluss zusätz- 100

licher Speichermaßnahmen
ohne

elektrische Leistung in %
auf die Stromerzeugung ei- 80 Speicherung
nes Aufwindkraftwerks im
Wasserschicht
Tagesverlauf (Wasserschicht 60 Wasserschicht
10 cm
20 cm
10 cm bzw. 20 cm bedeu-
tet eine durchschnittliche 40
Wasserschicht unter dem kreis-
förmigen Kollektor in dieser 20
Höhe)
0
0:00 3:00 6:00 9:00 12:00 15:00 18:00 21:00 0:00
Zeit im Tagesverlauf

Tabelle 11.6 Kennzahlen des Turmhöhe 194,6 m


Prototyps eines Aufwindkraft- Turmradius 5,08 m
werks in Manzanares / Spanien Mittlerer Kollektorradius 122,0 m
Mittlere Dachhöhe 1,85 m
Anzahl Turbinenblätter 4
Turbinenblattprofil FX W-151-A
Schnelllaufzahl 10
Betriebsarten Inselbetrieb oder
Netzbetrieb
Nennleistung 50 kW
Kunststoffmembran-Kollektor-Fläche 40 000 m2
Glasdach-Kollektor-Fläche 6 000 m2

serkraftwerk der statische Druck abgebaut. Dabei ist sowohl eine einzelne Vertikalachs-
enturbine in der Turmröhre als auch eine größere Anzahl von Horizontalachsenturbinen,
die am Übergang zwischen Kollektor und Turm konzentrisch um den Turm angeordnet
werden, technisch möglich. Letztere Option erlaubt der Einsatz von Turbinen üblicher
Abmessungen.
In den Jahren 1981/82 wurde in Manzanares / Spanien (ca. 150 km südlich von Ma-
drid) eine Experimentieranlage eines Aufwindkraftwerks mit einer elektrischen Leistung
von 50 kW errichtet [11.42, 11.43, 11.44]. Hierzu wurde ein Kamin mit 195 m Höhe und
10 m Durchmesser gebaut, umgeben von einem Kollektor mit 240 m Durchmesser (Tabel-
le 11.6).
Abb. 11.44 zeigt den Zusammenhang zwischen Aufwindgeschwindigkeit, abgegebener
elektrischer Leistung und verfügbarer Globalstrahlung und Abb. 11.45 wesentliche Be-
triebsdaten (d. h. Solarstrahlung, Aufwindgeschwindigkeit, elektrische Leistung) für einen
typischen Tag. Demnach korreliert für diese Anlage ohne zusätzlichen thermischen Spei-
cher die elektrische Leistung während des Tages eng mit der Solarstrahlung (Abb. 11.45).
Aber auch während der Nacht (d. h. wenn keine Globalstrahlung vorhanden ist) herrscht
Auftrieb, der zur Stromerzeugung in den frühen Nachtstunden genutzt werden kann.
11 Solarthermische Stromerzeugung 1059

60 9

Aufwindgeschwindigkeit in m/s
8

Elektrische Leistung in kW
50
7

40 6

5
30
4

20 3

2
10
Messdaten vom Protoypen Manzanares: 1
8. Juni 1987
0 0
0 100 200 300 400 500 600 700 800 900 1000 1100
Globalstrahlung in W/m2

elektrische Leistung, gemessen Aufwindgeschwindigkeit, gemessen


elektrische Leistung, Ausgleichsgerade Aufwindgeschw., Ausgleichsgerade

Abb. 11.44 Solarstrahlung und Leistung für das Aufwindkraftwerk in Manzanares / Spanien (Auf-
windgeschw. Aufwindgeschwindigkeit)
60 1200
Messdaten vom Protoypen Manzanares:
Aufw indgeschwindigkeit in m/s

8. Juni 1987

Globalstrahlung in W/m2
Elektrische Leistung in kW

50 1000

40 800
Global-
strahlung
30 600
elektrische
Leistung
20 400

10 200

Aufwindgeschwindigkeit
0 0
00:00 03:00 06:00 09:00 12:00 15:00 18:00 21:00 00:00
Uhrzeit in h

Abb. 11.45 Messwerte der Globalstrahlung, der Aufwindgeschwindigkeit und der elektrischen
Leistung für einen typischen Tag für das Aufwindkraftwerk in Manzanares / Spanien

Überschritt die Strömungsgeschwindigkeit einen bestimmten Wert (typischerweise


2,5 m/s), startete die Anlage automatisch. Beispielsweise war sie 1987 für insgesamt
3 197 h/a in Betrieb; dies entspricht einer mittleren täglichen Betriebszeit von 8,8 h. Sie
wurde bis 1989 betrieben.
Beispielhaft für ein derartiges Aufwindkraftwerk zeigt Abb. 11.46 den Energiefluss.
Neben den optischen Verlusten bei der Strahlungsübertragung (ca. 30 %) und den thermi-
schen Verlusten durch Konvektion und Strahlung (ca. 35 %) kommen bei diesem Kraft-
werkstyp noch Verluste durch die Umwandlung der thermischen Energie in eine Konvek-
tionsströmung (34 %) hinzu. Insgesamt kann dadurch nur ein Wirkungsgrad von ca. 1 %
1060 T. Hirsch et al.

Druckenergie der Mech. Energie an der Ins Netz eingespeiste


Luftströmung Trubinenwelle elektrische Energie ca. 1 %

Thermische
Energie am
Vom Boden absorbierte

eingang
Turm-
Energie der solaren Strahlung
Elektrische Verluste im
Generator und Transformator
ca. 0,1 %

Energie
100 %

Verluste am Turbinenrotor ca. 0,3 %

Verluste bei Umwandlung von thermischer


Energie in Konvektionsströmung ca. 34 %

Thermische Verluste (Konvektionsverluste,


Strahlungsverluste) ca. 35 %

Reflexions- und Transmissionsverluste ca. 30 %

Abb. 11.46 Energiefluss durch ein Aufwindkraftwerk (Mech. Mechanische)

erreicht werden. Die auf die gesamte Kraftwerksfläche bezogene spezifische installierte
Leistung liegt bei rund 20 bis 50 kW/ha und die jährlich bereitgestellte elektrische Ener-
gie bei rund 100 bis 200 MWh/(ha a).
Seither wurde keine weitere Kraftwerksanlage dieses Typs errichtet. Kostengünstigere
Optionen zur Nutzung des regenerativen Energieangebots haben eine Umsetzung verhin-
dert. Daran dürfte sich aus heutiger Sicht auch in den kommenden Jahren wenig ändern.

11.6 Solarteiche

Bei Solarteichen dient als Kollektor und Wärmespeicher ein mit Sole (d. h. einem Wasser-
Salz-Gemisch) gefülltes Becken. Dabei wird das Salzwasser am Grund dieses Solarteiches
als primäres Wärmeträger- und Speichermedium genutzt, dem die Arbeitswärme für den
angeschlossenen Kreisprozess entnommen wird. Die tieferen Wasserschichten und der
Grund des Solarteichs selbst dienen als Absorber für die auf die Teichoberfläche auf-
treffende direkte und diffuse Solarstrahlung. Durch unterschiedliche Salzkonzentration,
durch die das Salzwasser innerhalb des Beckens gekennzeichnet ist und die zum Grund
des Solarteiches hin stark zunimmt, wird die natürliche Konvektion und der damit verbun-
dene Wärmeverlust an der Oberfläche infolge Verdampfung, Konvektion und Strahlung
minimiert. Aus der Speicherzone am Beckengrund, die aufgrund der genannten Salz-
konzentrationsunterschiede relativ stabil ist, kann daher Wärme bei etwa 80 bis 90 ı C
(Stagnationstemperatur ca. 100 ı C) entnommen werden. Mit Hilfe geeigneter thermo-
11 Solarthermische Stromerzeugung 1061

Abb. 11.47 Dichte- (links) und Solarstrahlung Solarstrahlung


Temperaturgradient (rechts)
eines Solarteiches Solar teich Solarteich

3
10 13 Dichte in g/cm 30 60 90 Temperatur in °C

dynamischer Kreisprozesse (z. B. Organic Rankine Cycle bzw. ORC-Prozess) kann die
Solarwärme dann zur Stromerzeugung genutzt werden.
Bei einem derartigen Teichkollektor handelt es sich um natürliche oder künstlich an-
gelegte Seen, Teiche oder Becken, die durch eine Schichtung des Salzwassers infolge
unterschiedlichen Salzgehaltes wie ein Flachkollektor wirken. Die der solaren Einstrah-
lung zugewandten Wasserschichten an der Teichoberfläche, die durch einen relativ ge-
ringeren Salzgehalt gekennzeichnet sind, werden zur Unterdrückung von Wellen oft mit
Kunststoffgittern oder -netzen versehen. Diese obere Durchmischungszone eines solchen
Teichkollektors ist üblicherweise rund 0,5 m stark. Die sich daran anschließende Über-
gangszone hat eine Dicke von etwa 1 bis 2 m und die untere Speicherzone von 1,5 bis
5 m.
Werden in einem gewöhnlichen (Süßwasser-)Teich oder See die tieferen Wasserschich-
ten von der Sonne erwärmt, steigt das erwärmte Wasser zur Oberfläche des entsprechenden
Gewässers auf, da warmes im Vergleich zu kaltem Wasser eine geringere Dichte aufweist.
An der Wasseroberfläche wird dann in solchen Seen ohne Salzgehaltsunterschiede die in
unterschiedlichen Wassertiefen von der Sonne dem Wasser zugeführte Wärme wieder an
die Atmosphäre abgegeben. Dadurch entspricht unter diesen Bedingungen die Wassertem-
peratur im Mittel etwa der Umgebungstemperatur.
Demgegenüber wird in einem Solarteich diese Wärmeabgabe an die Atmosphäre durch
in den tieferen Wasserschichten mit einem steigenden Anteil gelösten Salzes (d. h. Salz-
gehaltsgradient) verhindert, da durch das im Wasser gelöste Salz die Dichte des Wassers
am Boden des Teichs so groß ist, dass es nicht an die Oberfläche aufsteigen kann. Dies gilt
selbst dann, wenn es von der Sonne auf Temperaturen nahe dem Siedepunkt aufgeheizt
wird.
Die Salzkonzentration in den unterschiedlichen Wasserschichten / Wassertiefen derarti-
ger Solarteiche muss deshalb gezielt so eingestellt werden, dass sie mit der Tiefe zunimmt
(Abb. 11.47). Dadurch stellt sich eine stabile Wasserschichtung ein. Die obere, nahezu
salzlose Wasserschicht wirkt dabei als transparente, wärmeisolierende Abdeckung der tie-
feren Wasserschichten.
Damit die Schichtung des Solarteichs stabil bleibt, darf die Temperaturzunahme mit der
Tiefe nicht größer sein als die Zunahme der Dichte (d. h. des Salzgehalts). Deshalb müssen
die relevanten Parameter kontinuierlich überwacht werden, um rechtzeitig entsprechende
Maßnahmen (Wärmeentnahme, Salzzufuhr) ergreifen zu können.
1062 T. Hirsch et al.

Um einen möglichst hohen Kollektorwirkungsgrad zu erreichen, muss außerdem ein


hoher Anteil der Solarstrahlung die Absorptionszone erreichen. Dies kann aber nur dann
erreicht werden, wenn die darüber liegenden Wasserschichten ein ausreichendes Trans-
missionsvermögen aufweisen (d. h. klares Wasser).
Damit diese Bedingungen während des Betriebs eines Solarteichs sichergestellt wer-
den, muss neben dem Salzgehalt auch der Transmissionsgrad und die Temperatur re-
gelmäßig überwacht werden. Dadurch kann abgeschätzt werden, wie viel Wärme dem
Teich wo entnommen werden kann bzw. muss, welche Maßnahmen zur Aufrechterhaltung
der jeweils erforderlichen Salzkonzentration notwendig sind und wie die Wasserqualität
(Verhindern von Trübung durch Partikelimmission sowie durch Algen und Bakterien) be-
einflusst werden muss.
Durch Diffusion erfolgt zudem ein ständiger Ausgleich der Salzkonzentration im Solar-
teich, der durch Wellenbewegungen infolge von Wind im oberflächennahen Bereich noch
verstärkt wird. Deshalb muss ständig Salz aus den oberflächennahen Wasserschichten ent-
nommen und tieferen Zonen wieder zugeführt werden. Dazu wird Oberflächenwasser in
separaten flachen Becken (Salinen) verdampft. Das zurückbleibende Salz wird dann den
tieferen Zonen wieder zugeführt.
Eine Wärmeentnahme aus dem Solarteich kann wie folgt erfolgen.

 Durch in der Speicherzone des Solarteichs angebrachte Rohrbündel-Wärmeübertrager


fließt das Arbeitsfluid der Wärme-Kraft-Maschine und erwärmt sich.
 Die heiße Sole wird mittels eines Ansaugdiffusors aus der Speicherzone abgepumpt,
über einen externen Wärmeübertrager an das Arbeitsfluid der Wärme-Kraft-Maschine
übertragen und im abgekühlten Zustand über einen weiteren Diffusor dem Teich in et-
was größerer Tiefe wieder zugeführt. Dabei kann die Position des Ansaugdiffusors auf
die Tiefe eingestellt werden, in der die Temperatur am höchsten ist. Außerdem werden
die Wärmeverluste durch den Teichboden reduziert, indem das abgekühlte Wasser nahe
am Grund dem Teich wieder zugeführt wird.

Damit ist eine ausreichend dimensionierte Wärmeübertragereinheit für den Betrieb ei-
nes Solarteichs unumgänglich. Insbesondere zu Zeiten sehr hoher Einstrahlung (d. h. zur
Mittagszeit) muss gewährleistet sein, dass dem Teich sicher genug Wärme entzogen wer-
den kann, damit kein Phasenübergang stattfindet und / oder die Schichtung instabil wird.
Zur Wandlung der thermischen Solarenergie in mechanische und weiter in elektrische
Energie werden üblicherweise ORC-Prozesse (Organic Rankine Cycle) eingesetzt. Dies
sind „klassische“ Dampfturbinenprozesse, in denen aber nicht Wasser, sondern ein nied-
rig siedendes Arbeitsmittel meist organischen Ursprungs als Kreislaufmittel eingesetzt
wird (vgl. Kapitel 9.2). Derartige Kreisprozesse erlauben es, auch bei den geringen hier
nutzbaren Temperaturdifferenzen elektrische Energie bereitzustellen.
Den schematischen Aufbau einer Anlage zur Stromerzeugung mithilfe eines Solartei-
ches zeigt Abb. 11.48. Demnach absorbiert das Wasser ähnlich wie der Absorber eines
konventionellen Solarkollektors die eintreffende direkte und diffuse Solarstrahlung und
11 Solarthermische Stromerzeugung 1063

Tabelle 11.7 Kennzahlen ausgewählter Solarteich-Kraftwerke [11.46, 11.47]


El Paso Beit Ha’Arava Pyramid Hill
USA Israel Australien
Leistung 300 kWth , 70 kWel 5 MWel , max. 570 kWel Mittelwert 60 kWth
Teichfläche 3 350 m2 250 000 m2 3 000 m2

Abb. 11.48 Anlagenschema Solarstrahlung


eines Solarteich-Kraftwerks
Generator
(G Generator) Heißwasser- Turbine G
Kreislauf

Dampfkreislauf
Dampf-
Solarteich
erzeuger
kaltes Wasser

Übergangszone

heißes Wasser

Konden-
sator
Kaltwasser-Kreislauf

erwärmt sich infolgedessen. Die technisch eingestellte Salzkonzentration verhindert die


natürliche Konvektion und den damit verbundenen Wärmeverlust an der Oberfläche infol-
ge Verdampfung, Konvektion und Strahlung.
Aus der Speicherzone am Grund kann daher Wärme bei etwa 80 bis 90 ı C (Stagnati-
onstemperatur ca. 100 ı C) entnommen werden. Mit Hilfe eines ORC-Prozesses kann die
Wärme dann zur Stromerzeugung genutzt werden.
Ausgeführt sind Solarteich-Kraftwerke mit elektrischen Leistungen von wenigen zehn
kW bis zu wenigen MW u. a. in Israel, Texas / USA, Australien und Indien (zur Pro-
zesswärmebereitstellung [11.45]). Die solarelektrischen Wirkungsgrade sind mit rund 1 %
klein; die mittleren spezifischen Leistungen liegen – je nach Einstrahlung, Salzgehalt und
Maximaltemperatur – bei 5 bis 10 W/m2 . Kurzfristig können aber höhere Leistungen ent-
nommen werden; dabei kühlt sich der Solarteich entsprechend schneller ab. Tabelle 11.7
zeigt typische Beispiele.

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Nutzung der Energien des Meeres
12
Jochen Bard, Kai-Uwe Graw und Martin Kaltschmitt

Die Nutzung der Meeresenergie umfasst sehr verschiedenartige Ressourcen im Meer, die
in unterschiedlichen Energieformen (mechanisch, thermisch und chemisch) auftreten kön-
nen. Demzufolge sind auch die jeweiligen Technologien zur Nutzung dieser Ressourcen
sehr unterschiedlich. Dies umfasst neben Anlagen zur Nutzung der Gezeiten, der Meeres-
wellen und der Meeresströmungen auch Systeme, welche die Differenz im Salzgehalt von
Süßwasser und Meerwasser nutzen sowie Anlagen, welche die Temperaturdifferenz zwi-
schen dem warmen Oberflächenwasser und dem kalten Tiefenwasser beispielsweise zur
Breitstellung elektrischer Energie ausnutzen. Nachfolgend werden ausgewählte derartige
Nutzungsprinzipien bzw. -konzepte dargestellt.

12.1 Wellennutzung

Wasserwellen entstehen aus der sich in Ausbreitungsrichtung fortpflanzenden kreisförmi-


gen Bewegung der Wasserteilchen. Relevant für die energetische Nutzung sind vor allem
Wellen, die durch Wind erzeugt werden und in den Ozeanen und Meeren praktisch auf
dem gesamten Globus, jedoch in unterschiedlicher Intensität, vorkommen. Dabei hängt die
Intensität der Wellen primär von der jeweiligen (mittleren) Windgeschwindigkeit und der
entsprechend überstrichenen Wasserfläche ab. Daher treten in Meeren, die von Landmas-
sen umschlossen sind (z. B. Ostsee), nur lokal erzeugte Wellenspektren mit im Vergleich
zu „offenen“ Meeren (z. B. Pazifik) geringeren Wellenhöhen und kürzeren Wellenperioden
auf.
Für eine idealisierte Tiefwasserwelle ohne Bodenreibung ist die Gesamtleistung einer
auf 1 m Breite normierten Welle direkt proportional zum Produkt aus der Wellenhöhe

Jochen Bard, Kassel, Deutschland


Kai-Uwe Graw, Dresden, Deutschland
Martin Kaltschmitt, Hamburg, Deutschland

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 1067
M. Kaltschmitt, W. Streicher, A. Wiese (Hrsg.), Erneuerbare Energien,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-61190-6_12
1068 J. Bard et al.

Abb. 12.1 Theoretisches Wellenleistungspotenzial (Daten nach [12.11, 12.12], modifiziert nach
[12.13])

zum Quadrat und der Wellenperiode. Wird für die Verknüpfung von Wellenhöhe und
-periode ein Standardspektrum zugrunde gelegt, kann die Leistung bzw. die Energie ei-
ner derartigen Welle mit vereinfachenden charakteristischen Werten angegeben werden.
Beispielsweise ist demnach an der deutschen Nordseeküste bei einer mittleren Wellen-
periode von 6,2 s eine signifikante Wellenhöhe von 2,11 m typisch. Dies entspricht eine
Gesamtleistung der Welle von etwa 14 kW/m Wellenfront.
Um den Äquator entlang der äquatorialen Tiefdruckrinne treten im Mittel geringere
Windgeschwindigkeiten auf, sodass in diesen Regionen auch typischerweise weniger in-
tensive Wellen vorkommen und damit die Wellenergie nur relativ geringe energetische
Potenziale aufweist (Abb. 12.1). Demgegenüber entstehen auf den großen Ozeanen in den
mittleren Breiten wie z. B. im Nordatlantik oder um den 40. Breitengrad auf der Südhalb-
kugel Wellenspektren mit den global durchschnittlich höchsten Energiedichten. Diese als
Dünung bezeichneten Wellenspektren mit Wellenperioden von über 10 s und mittleren
Wellenhöhen von rund 5 m können bis zu 100 kW/m Wellenfront erreichen. Die mittlere
Wellenlänge beträgt dabei rund 150 m. Erreicht die Dünung in der Nähe der Küste flaches
Wasser, tritt Bodenreibung auf; dadurch reduziert sich die Wellenenergie.
In der Nordsee überlagert sich die aus Nordwesten einlaufende – aber bereits ab-
geschwächte – atlantische Dünung mit der typischerweise aus Südwesten einlaufenden
lokalen Windsee. In der Summe entsteht also ein Wellenspektrum mit zwei um ca. 90°
zueinander versetzen Wellenmaxima, die jeweils unterschiedliche Wellenhöhen und -peri-
oden aufweisen.
Gelänge es im theoretischen Maximalfall, die gesamte Energie einer Wellenfront von
der Länge der deutschen Nordseeküste (ca. 250 km) zu nutzen, könnten diesen modellhaf-
ten theoretischen Überlegungen zufolge ca. 3,6 GW Leistung bereitgestellt werden [12.1].
Tatsächlich kann aber nur ein kleiner Teil dieser Wellenenergie auch technisch genutzt
werden – typischerweise angenommene Anteile liegen zwischen 20 und 30 % des vorhan-
12 Nutzung der Energien des Meeres 1069

denen theoretischen Potenzials. Jedoch bestimmen große Unsicherheiten bei der Bestim-
mung der Ressourcen und die Vielfalt der technologischen Ansätze eine weite Bandbreite
bei diesen ermittelten technischen Potenzialen. Weltweit geben Schätzungen einen Be-
reich zwischen 7 und 331 EJ/a (1,9 bis 92 PWh/a) an. Für Europa wurden theoretische
Potenziale der Wellenenergie zwischen 3,6 und 5,4 EJ/a (1 000 bis 1 500 TWh/a) abge-
schätzt. Die größten Potenziale befinden sich dabei entlang der europäischen Atlantikküs-
te. In der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) beträgt das Wellenpotenzial
nur wenige TWh.
Eine besondere Herausforderung einer potenziellen technischen Nutzbarmachung stel-
len die bei Sturm auftretenden Extremwerte der Wellen dar. Beispielsweise kommen in
der Nordsee bei Sturm signifikante Wellenhöhen von 6 m vor; aber einzelne Wellen kön-
nen dann das Doppelte dieses Wertes erreichen. In der Folge können Extremereignisse
auftreten, bei denen die Wellenleistung bis zum 100-fachen des Mittelwertes betragen
kann. Das bedeutet für Anlagen zur Nutzung dieser Wellenenergie, dass sie konstruktiv
auf Lastereignisse ausgelegt werden müssen, die signifikant über den Lasten bei Nenn-
betrieb liegen (d. h. sehr hoher Materialeinsatz). Entscheidend ist dabei auch, wie sich
die Wellenleistung über dem jeweiligen Wellenspektrum auf z. B. den Schwimmkörper
eines Wellenenergiekonverters auswirkt. Bei schwimmenden Konzepten kann dies bei-
spielsweise zu sehr starken Auslenkungen der Schwimmkörper oder einer extremen Drift
der Anlage führen. Bei ortsfesten Anlagen können durch Extremwellen auch extreme
Druckstöße auf die Struktur ausgeübt werden. Letztlich ist die Überlebensfähigkeit von
Wellenenergiekonvertern einer der wichtigsten Designaspekte, der je nach Konzept auch
einen entscheidenden Kostenfaktor darstellt. Unter der Überlebensfähigkeit ist dabei die
Anlagenauslegung zu verstehen, mit der eine derartige Anlage solche hohen Lasten gerade
noch voll funktionsfähig überlebt.
Die Umwandlung dieser Wellenenergie in typischerweise elektrische Energie erfolgt
mit sehr unterschiedlichen technologischen Ansätzen, die teilweise nur die kinetische
Energie der Wellen, nur die potenzielle Wellenenergie oder ggf. auch beide Energieformen
nutzen. Hinzu kommt, dass sehr unterschiedliche Wellenspektren in verschiedenen Was-
sertiefen auftreten können. Daraus wird unmittelbar klar, dass diese Vielfalt von Standort-
bedingungen nicht mit einem einzigen Typ / Konzept von Wellenenergiekonverter – und
das auch unter zusätzlicher Berücksichtigung von Kostenaspekten – genutzt werden kann.
Der Schwerpunkt der Entwicklung von Anlagen zur Wellenenergienutzung liegt nach
Jahrzehnten der Technologieentwicklung und der Realisierung von zahlreichen Pilot- und
Demonstrationsanlagen weltweit auf der Skalierung der jeweiligen Anlagenkonzepte, ei-
ner Erhöhung der Zuverlässigkeit sowie weiterer Ansätze zur Kostenreduktion durch zu-
sätzlich verbesserte Konzepte, Komponenten und Installationsmethoden sowie der Redu-
zierung des Wartungsaufwandes. In jüngster Zeit ist zudem eine neue Entwicklungslinie
entstanden, die auf die Energieversorgung von Inseln oder entlegenen Küstenstandorten
abzielt; hierbei sollen die unter diesen Bedingungen typischerweise hohen spezifischen
Energiekosten bei gleichzeitig eher moderaten Stromverbräuchen und der hohen Verfüg-
1070 J. Bard et al.

barkeit der Wellenenergie vor Ort günstige Voraussetzungen für die Markteinführung von
Wellenenergiekonvertern schaffen.
Die kommerzielle Anwendung der Wellenenergie scheitert bisher meist an einer Viel-
zahl von Anforderungen, die sich wie folgt zusammenfassen lassen.

 Eine hydraulische Optimierung im Hinblick auf einen bestmöglichen Wirkungsgrad


ist aus ökonomischen Gründen unumgänglich. Wird z. B. nur die Auf- und Abbewe-
gung genutzt, bleiben 50 % der in der Welle enthaltenen Energie ungenutzt. Deshalb
wurden hier verbesserte Konstruktionsprinzipien entwickelt, die vom Grundsatz her
die Gesamtenergie einer Welle nutzen könnten. Im Gegensatz zu Wind- und Solaranla-
gen ist bei Wellenenergieanlagen für die hydraulische Optimierung an dem jeweiligen
Anlagenstandort aber eine Skalierung der Geometrie sowie ggf. eine Anpassung der
Struktur und / oder der Verankerung erforderlich. Dies erschwert eine kosteneffiziente
Serienfertigung.
 Auch eine sichere Auslegung auf eine Standort-abhängige Überlebensfähigkeit ist für
Wellenenergiekonverter notwendig, um sicherzustellen, dass die an einem potenziel-
len Standort zu erwartenden extremen Wellenereignisse, wie sie bei einem starken
Sturm auftreten können, überstanden werden. Dies bedingt einen entsprechend hohen
konstruktiven Aufwand und eine entsprechende Materialintensität – und damit entspre-
chend hohe Kosten.
 Die Konstruktion muss betriebssicher sein. In der Zeit, in welcher Wellenenergiewand-
ler ihren größten Nutzen haben (z. B. zu Zeiten der Herbststürme), ist eine Wartung
oder Reparatur aufgrund des Seegangs dann über Wochen hinweg kaum bzw. überhaupt
nicht möglich. Fällt ein derartiges Stromerzeugungssystem dann aus, verschlechtert
sich der Nutzen, da sich unter diesen Bedingungen lange Stillstandzeiten ergeben und
gleichzeitig kein Ertrag durch einen Verkauf elektrischer Energie erwirtschaftet werden
kann.

Nachfolgend wird eine Auswahl unterschiedlicher Systeme zur Nutzung der Wellenen-
ergie diskutiert [12.4, 12.5]. Die genannten Systeme sind zumeist kennzeichnend für eine
Vielzahl von Konstruktionen, die häufig eine Variation bestimmter Basisprinzipien sind.
Aus physikalischer Sicht kann dabei primär zwischen den folgenden Nutzungsprinzipien
unterschieden werden.

 Welleninduzierte Fallhöhe. Hier ist es das Ziel, mithilfe der Wellenenergie eine tech-
nisch nutzbare Fallhöhe zu schaffen, die dann mit Ansätzen aus der „klassischen“
Wasserkraftnutzung (Kapitel 7) zur Erzeugung elektrischer Energie genutzt werden
kann (Kapitel 12.1.1).
 Oszillierende Wassersäule. Durch die Wellenbewegung der Wasseroberfläche wird in-
nerhalb einer Kammer Luft komprimiert, die dann über eine Turbine – und damit unter
Verrichtung von Arbeit – wieder entspannt wird (Kapitel 12.1.2).
12 Nutzung der Energien des Meeres 1071

 Hydrodynamische Bewegung. Mechanische Konstruktionen folgen der Wellenbewe-


gung und die dadurch realisierte Relativbewegung bestimmter Konstruktionskompo-
nenten kann über entsprechende mechanische und / oder hydraulische Systeme tech-
nisch nutzbar gemacht werden (Kapitel 12.1.3).

12.1.1 Welleninduzierte Fallhöhe

Bei den Speicherbeckensystemen ist es das primäre Ziel, mithilfe der Wellenenergie das
Meerwasser auf ein höheres geodätisches Niveau zu heben. Dadurch wird eine nutzbare
Fallhöhe gegenüber dem (mittleren) Meeresspiegel geschaffen, die dann zur Bereitstel-
lung mechanischer und ausgehend davon elektrischer Energie genutzt werden kann (Ka-
pitel 7). Für diese Umwandlung der potenziellen Energie des Meerwassers in elektrische
Energie kommen der „klassischen“ Stromerzeugung aus Wasserkraft grundsätzlich ver-
gleichbare Systemkomponenten zum Einsatz (Kapitel 7).
Nachfolgend werden exemplarisch zwei Beispiele derartiger Systeme dargestellt, die
aber aufgrund des damit verbundenen spezifisch hohen technischen Aufwandes in den
letzten Jahren an Bedeutung verloren haben. Dabei wird exemplarisch ein Konzept für
den Küsteneinsatz und eines für die Verwendung auf dem offenen Meer diskutiert.

TAPCHAN-System Bei dem TAPCHAN (tapered channel wave-energy conversion de-


vice) wird das durch die Brandung auf den Strand auflaufende Wasser über einen an-
steigenden, spitz zulaufenden Kanal (TAPered CHANnel; spitz zulaufender Kanal), eine
sogenannte Keilrinne, in ein erhöht liegendes Sammelbecken geleitet (Abb. 12.2). Durch
diese Keilrinne werden eine Konzentration der Wellen und zusätzlich eine Optimierung
des Sammelwirkungsgrads für Wellen verschiedener Frequenz und aus verschiedenen
Richtungen erreicht. Gleichzeitig wird in der Keilrinne die kinetische Energie der Wel-
len in potenzielle Energie umgewandelt; die Wellenhöhe nimmt dabei wegen der ab-
nehmenden Breite der Keilrinne zu. Das durch diese Rinne strömende Wasser übersteigt
schließlich den Keilrinnenrand und fließt in das dahinter liegende Sammelbecken, dessen

Abb. 12.2 Prinzipskizze des


TAPCHAN (nach [12.1])
Kollektor bzw.
Speicherbecken

Turbinen-
Klippen haus

Keilrinneneinlauf

Meerauslass
1072 J. Bard et al.

mittlerer Wasserspiegel einige Meter über dem mittleren Meeresspiegel liegt. Aus die-
sem Speicherbecken kann das – im Vergleich zum mittleren Meeresniveau – auf einem
höheren potenziellen Energieniveau gesammelte Meereswasser anschließend durch eine
Turbine wieder in das Meer zurücklaufen; diese Energiewandlung entspricht vom Grund-
satz her der einer „klassischen“ Wasserkraftnutzung (Kapitel 7.2).
Das System benötigt aufgrund des Speicherbeckens mehr Platz als die meisten anderen
Wellenenergiewandlungssysteme. Es kann auch aufgrund der Einlaufverluste (einschließ-
lich der Flachwassereffekte) zwingend nur einen begrenzten Teil der anfänglich (d. h. im
tiefen Wasser) zur Verfügung stehenden Energie der Welle nutzen. Durch die Abfluss-
vergleichmäßigung des Speicherbeckens und die einsetzbare Niederdruckwasserturbine,
die Stand der Technik ist, ist diese Option jedoch im Vergleich zu anderen Systemen zur
Brandungs- bzw. Wellenenergienutzung relativ problemlos zu realisieren und zu betrei-
ben. Auch sind die Systemkomponenten, die zur Energieproduktion letztlich eingesetzt
werden, nicht den Bedingungen des offenen Meeres ausgesetzt; dies bedingt für eine sol-
che Anlage u. a. eine längere Haltbarkeit und bessere Wartungsmöglichkeiten. Außerdem
kommen keine beweglichen Teile mit den Wellen in Kontakt und die Umwandlung von
kinetischer in potenzielle Energie findet durch Stahlbetonelemente statt, aus denen die
genannte Keilrinne aufgebaut ist; dadurch hält die Anlage potenziell auch schwerem Wet-
ter mit den damit verbundenen hohen Wellen-induzierten Belastungen stand. Zusätzlich
ist die gesamte Anlage von Land aus zugänglich. Wegen der ständigen Zufuhr frischen
Meerwassers besteht weiterhin die Möglichkeit, in dem Becken eine Fischfarm zu betrei-
ben. Ein wesentlicher Vorteil eines derartigen Wellen- oder Brandungsenergiekraftwerks
mit einem spitz zulaufenden Einlaufkanal anstelle einer zu den Wellenkämmen parallelen,
geraden Überlaufkante ist, dass praktisch alle Wellen irgendwann die notwendige Höhe
erreichen, um über den Keilrinnenrand zu strömen und das erhöht liegende Speicherbe-
cken zu füllen.
Die grundsätzliche Funktionsweise einer derartigen Anlage wurde bei der 1986 auf
Toftestallen in der Nähe von Bergen / Norwegen realisierten TAPCHAN-Anlage demons-
triert. Aufgrund der mit dieser Pilotanlage gemachten Erfahrungen (u. a. teilweise Zerstö-
rung des Bauwerks bei Sturm) wird dieses Konzept – auch aufgrund der hohen Baukosten,
um einer potenziellen Schädigung bei schwerem Sturm bzw. starkem Wellengang vorzu-
beugen – in den letzten Jahren nicht mehr intensiv weiter verfolgt.

Wave-Dragon-System Der Wave-Dragon ist ein schwimmender Wellenenergiewandler


(Abb. 12.3), der u. a. aus einem über dem Meeresspiegel gelegenen Speicherbecken be-
steht. Die Rampe, über die der Zulauf des Meerwassers realisiert wird, ist aber breiter
und kürzer im Vergleich zum TAPCHAN-System. Damit die Wellen dieses schwimmen-
de Speicherbecken erreichen, wird durch eine variable Ballastierung die Tauchtiefe des
schwimmenden Systems – und damit die Höhe des Speicherbeckens über dem mittleren
Mittelwasserspiegel – dem veränderlichen Seegang angepasst. Gleichzeitig ist auch das
Speicherbecken deutlich kleiner als beim TAPCHAN-System, da ein derartiges schwim-
mendes Becken mit einem vertretbaren Aufwand nicht beliebig groß gebaut werden kann.
12 Nutzung der Energien des Meeres 1073

Turbinen


Sammelbecken

Rampe
Wellenreflektor

Höhenunterschied
Sammelbecken/
Meeresoberfläche

offenes Meer

Zufluss
Speicherbecken

Turbinenausfluss

Abb. 12.3 Prinzipskizze des Wave-Dragon-Systems

Auch deshalb schwankt die Durchströmung der Turbinen (dies gilt ebenfalls mit der Ver-
änderung des Seegangs) – und damit die potenziell mögliche Stromerzeugung – sehr stark.
Die technische und wirtschaftliche Herausforderung liegt in der robusten und kos-
tengünstigen Realisierung der wesentlichen konstruktiven Elemente wie dem Wellenre-
flektor, der Rampe und dem Sammelbecken sowie die sichere Verankerung der Gesamt-
struktur. Wichtig ist dabei, dass die Anlage so robust ausgelegt wird, dass sie auch einen
schweren Sturm mit dem daraus resultierenden Wellengang überleben kann; damit muss
ein entsprechend hoher (teurer) Materialeinsatz realisiert werden.
Die grundsätzliche Funktionsweise dieses System wurde im Rahmen einer relativ klei-
nen Pilotanlage erfolgreich demonstriert. Durch das hohe Verhältnis von für eine Großan-
lage benötigtem Stahl (stabile Bauweise zur Vermeidung einer Sturm-bedingten Zerstö-
rung) zu der damit realisierbaren elektrischen Leistung ist eine kommerzielle Umsetzung
derartiger Großanlagen wirtschaftlich sehr herausfordernd und bisher nicht gelungen; u. a.
deshalb wird das Konzept auch derzeit nicht weiter verfolgt.

12.1.2 Oszillierende Wassersäule

Eine weitere Möglichkeit zur Nutzung der Wellen- oder Brandungsenergie ist das Prinzip
der oszillierenden Wassersäule, die häufig mit OWC entsprechend der englischen Bezeich-
nung „Oscillating Water Column“ abgekürzt wird. Das OWC-System fand bereits 1910
Anwendung und dürfte damit das erste genutzte Wellenenergiekraftwerk überhaupt sein.
Auch wird diese Technik der oszillierenden Wassersäule zur Stromerzeugung aus Mee-
reswellen seit Jahrzehnten für die Energieversorgung von Leuchtbojen eingesetzt; hier
werden aber nur sehr geringe elektrische Leistungen genutzt. Nachfolgend werden zu-
nächst diese Bojen und anschließend eine auf diesem Prinzip arbeitende großtechnische
Stromerzeugung an der Küste und im offenen Meer diskutiert.
1074 J. Bard et al.

Ein technischer Lösungsansatz, der neben den OWC-Systemen auch vielen anderen
derartigen Wellenenergiewandler-Konzepten gemeinsam ist, liegt in der Übersetzung der
(relativ) langsamen Wellenbewegung mit hohen Kräften und hohen Momenten in eine
schnellere Bewegung mit deutlich reduzierten Momenten, die dann zur Stromerzeugung
in Form von schnell rotierenden Generatoren genutzt werden können. Die direkte Nut-
zung der langsamen Auslenkung z. B. eines Schwimmkörpers ist aus technischer Sicht mit
elektromechanischen und / oder hydraulischen Konstruktionen sehr aufwändig und des-
halb insbesondere für kleine Leistungen im Regelfall wirtschaftlich nicht darstellbar. Die
Übersetzung der Wellenbewegung beim OWC-System in eine schnelle Bewegung erfolgt
daher über die beim ansteigenden Wasserspiegel innerhalb einer Kammer zunächst kom-
primierten Luft und die dadurch induzierte Luftströmung durch eine dafür vorgesehene
Strömungsöffnung. Beim Absinken des Wasserspiegels entsteht entsprechend ein Unter-
druck gegenüber dem Umgebungsdruck; dadurch kehrt sich die Strömungsrichtung der
Luft durch diese Strömungsöffnung um. Die Umwandlung der Energie der durch diese
Öffnung aus- und einströmenden Luft in mechanische Energie wird mithilfe von Im-
puls- oder Reaktionsturbinen unterschiedlicher Bauart und Geometrie realisiert, die dann
einen elektrischen Generator zur Stromerzeugung antreiben. Diese oszillierende Luftströ-
mung stellt aber besondere Anforderungen an die Gestaltung dieser Luftturbinen – neben
einer effizienten Nutzung beider Strömungsrichtungen und einer hohen Korrosionsbestän-
digkeit gegen Salzwasser ist auch ein guter Teillastwirkungsgrad zur Anpassung an den
unterschiedlichen Seegang ein wichtiges Entwicklungsziel.

OWC-Boje Die OWC-Boje basiert auf einem vertikalen, eingetauchten Rohr, in dem sich
die darin eingeschlossene aber hydraulisch mit der Umgebung kommunizierende Wasser-
säule beim Durchgang einer Welle auf und ab bewegt. Die am Meeresgrund verankerte
Boje kann der Wellenbewegung nicht folgen; dadurch oszilliert die Wassersäule im In-
neren gegenüber dieser. Eine im oberen, über dem Wasserspiegel liegenden Bereich des
Rohres eingebaute Luftturbine wird durch diese Auf- und Abbewegung in Drehung ver-
setzt und treibt einen Generator zur Stromerzeugung an (Abb. 12.4).

Abb. 12.4 Prinzipskizze der Turbine


OWC-Boje (nach [12.6])
genutzte
Turbinenströmung
Bewegung
12 Nutzung der Energien des Meeres 1075

Derartige nach dem OWC-System arbeitende Leuchtbojen haben bereits mehr als
20 Jahre Einsatz auf See überstanden. In dieser Ausführung einer OWC-Boje wird durch
ein sehr langes Rohr der Einfluss der Wellen auf den Wasserspiegel im Inneren unter-
drückt. Stattdessen bewegt sich die Boje selbst in Folge der sternförmigen Verankerung
auf und ab, wodurch wiederum eine Relativbewegung entsteht, welche die Luftströmung
antreibt. Die in den Bojen eingesetzten kleinen Luftturbinen sind meist äußerst langlebig
und sehr kostengünstig.

OWC als Küstenbauwerk Bei der Suche nach Lösungen zur großmaßstäblichen Nut-
zung der Wellenenergie wurden OWC-Wellenenergiekraftwerke als feste Bauwerke an
der Küste erforscht. Dazu wird das OWC-System z. B. als eine auf dem Meeresboden
beispielsweise an einer Steilküste stehende Konstruktion ausgeführt. Die Energie fort-
schreitender Wasserwellen dringt durch eine unter dem Wasserspiegel liegende Öffnung
in eine große Kammer ein und versetzt die hier eingeschlossene Wassersäule mit der Fre-
quenz der Wellen in Bewegung. Die Luftmasse über dem Wasserspiegel wird durch dessen
Auf- und Abbewegung durch eine dafür vorgesehene Öffnung „ein- und ausgeatmet“.
Diese Strömungsenergie der angesaugten bzw. ausgeblasenen Umgebungsluft wird dann
mithilfe einer geeigneten Turbine (z. B. Wells-Turbine) teilweise in elektrische Energie
mit einer stark variierenden Charakteristik umgewandelt. Die Stromerzeugung ist optimal,
wenn die natürliche Eigenfrequenz des Schwingungssystems, das durch Einlass, Wasser-
säule, Luftmasse, Turbine und Auslass gebildet wird, mit der Frequenz der ankommenden
Wellen übereinstimmt.
Abb. 12.5 zeigt exemplarisch das Prinzip einer OWC-Anlage, wie sie in mehreren Pi-
lotvorhaben an europäischen Küsten (Portugal, Spanien, Schottland) errichtet wurden. Für
die „Limpet“-Anlage an der schottischen Küste wurde oberhalb und unterhalb des Wasser-
spiegels an einem geeigneten Steilküstenabschnitt der Fels teilweise weggesprengt. In die
dadurch entstandene Höhlung wurde eine Luftkammer mit einem Querschnitt von 50 m2
einbetoniert. Zwischen 3,5 und 7 m unter der normalen Seehöhe liegt die Öffnung, durch
die das infolge der Wellen variierende Meerwasser in diese Luftkammer eindringen kann.
Der Oszillationsspielraum der Wellen in der Kammer (d. h. die Differenz des Wasserstands

Abb. 12.5 Prinzipskizze eines Generator


OWC-Brandungsenergiekraft-
werks (einlaufende Welle
(links); Wellenkamm (Mit-
te); ablaufende Welle (rechts); Turbine

nach [12.1])
Luft
1076 J. Bard et al.

zwischen Wellenberg und Wellental) beträgt rund 3,5 m. Diese in Schottland realisierte
Anlage wurde komplett aus Stahlbeton realisiert und aus betriebstechnischen Gründen
wurde eine horizontale Turbinenachse eingebaut. Der Betonkörper der Luftkammer kann
aber auch nach oben durch einen geschlossenen Stahlzylinder verlängert werden, in dessen
Spitze bei diesem Konstruktionsansatz dann die mit einem Generator gekoppelte Turbi-
ne installiert ist. In dieser Bauform wurden 2011 im nordspanischen Hafenort Mutriku
16 Turbinen mit einer Leistung von jeweils 18,5 kW in einem Küstenschutzbauwerk in
Betrieb genommen.

12.1.3 Hydrodynamische Bewegung

Die Wellenenergie kann auch mithilfe eines oder mehrerer miteinander verbundener
Schwimmkörper genutzt werden, die jeweils der Wellenbewegung folgen. Ziel ist es
hier, zu einer Relativbewegung innerhalb dieser mechanischen Konstruktion zu kommen,
die dann technisch – z. B. mittels hydraulischer Systeme – zur Stromerzeugung nutzbar
gemacht werden kann. Einige derartige Überlegungen werden nachfolgend diskutiert.

Pelamis / Meeresschlange Im Prinzip besteht dieser Wellenenergiewandler aus mitein-


ander gelenkig gekoppelten einzelnen Schwimmkörpern. Am jeweiligen Ende dieser
miteinander verbundenen schwimmenden Körper sind Hydraulikpumpen angeordnet, die
über eine stabile Gelenkverbindung miteinander gekoppelt sind. Durch die von der Welle
induzierte Relativbewegung zwischen den Schwimmkörpern, die über die mechanische
Verbindung auf die Pumpen übertragen wird, wird ein Arbeitsmedium verdichtet und
dadurch Druck in dem Arbeitsmittel aufgebaut. Dieses treibt dann beispielsweise einen
hydraulischen Generator zur Erzeugung von elektrischer Energie an (Abb. 12.6).
Eine Weiterentwicklung dieses Systems ist die Meeresschlange (Pelamis [12.7]). Hier-
bei sind die miteinander verbundenen Schwimmkörper als geschlossene Röhren realisiert.
Die Verbindung dieser einzelnen Elemente ist derart gestaltet, dass die hauptsächliche
Bewegung dieser Konstruktion horizontal stattfindet; dadurch lassen sich größere Wege
erreichen, mit denen entsprechende Hydraulikwandler betrieben werden können.
Abb. 12.7 zeigt die grundsätzliche Funktionsweise der Umwandlung der Relativbewe-
gung zwischen zwei derartigen Schwimmkörpern in elektrische Energie. Demnach wird

Abb. 12.6 Prinzipskizze ei- Schwimm- Relativbewegung der


nes Wellenenergiewandlers körper einzelnen Schwimmelemente
Verankerung untereinander
nach dem Prinzip der Meeres-
schlange
Wellenberg
Wellental

Gewässer
12 Nutzung der Energien des Meeres 1077

Abb. 12.7 Funktionsweise


der Energiewandlung beim
Pelamis-Wellenenergiewandler Wellental

Generator
Windkessel

Umkehrpunkt
der Welle

Gelenk
Hydraulikzylinder

Wellenberg

die welleninduzierte Bewegung über einen Hydraulikzylinder auf einen Hydraulikgenera-


tor übertragen, der dann die Umwandlung in elektrische Energie realisiert.
Durch dieses Konstruktionsprinzip, durch das die hauptsächliche Bewegung horizontal
stattfindet, kann das gesamte System gut auf die an einem bestimmten Standort vorhan-
denen Wellen abgestimmt werden; dadurch lässt sich der Wirkungsgrad steigern. Letzt-
endlich – aber auch ein sehr wichtiges Kriterium – lässt sich das System vertikal derart
versteifen, dass die Schlange durch sehr hohe Wellen wie ein Surfer in der Brandung hin-
durchtaucht. Damit kann die Überlebensfähigkeit der Konstruktion bei hohen Wellen (d. h.
bei Sturm) gewährleistet werden. In der Praxis sind bei Tests derartiger Anlagen in rea-
len Seegängen aber sehr hohe Torsionskräfte zwischen den einzelnen Schwimmelementen
aufgetreten. Daneben gab es Schwierigkeiten mit der sicheren Verankerung dieser Kon-
struktion an einem bestimmten Standort. Letztlich haben alle diese Herausforderungen
verhindert, dass die notwendigen Kostenreduktionen für die Kommerzialisierung dieses
Konzepts realisiert werden konnten. Deshalb wird diese Lösung heute nicht mehr weiter
verfolgt.

12.2 Gezeitennutzung

Die auf die Erde einwirkenden Massenanziehungskräfte des Mondes und der Sonne füh-
ren, verbunden mit der Erdrotation (d. h. Massenanziehung und Bewegung von Himmels-
körpern; vgl. Kapitel 2), zu periodischen Wasserstandsänderungen der Weltmeere. Die
dadurch induzierte Gezeitenwelle macht im offenen Meer aber nur wenig mehr als 1 m
1078 J. Bard et al.

Abb. 12.8 Durchschnittlicher Tidenhub (Daten nach [12.11, 12.12], modifiziert nach [12.13])

Höhenunterschied aus. Die Festlandmassen hingegen wirken bremsend auf diese Gezei-
tenwelle und erzeugen an den Ufergebieten einen Aufstau. Dadurch können in Extrem-
fällen Wasserstandsänderungen von 10 m und mehr zustande kommen. An bestimmten
Küstenregionen (z. B. Meeresbuchten, Flussmündungen) kann es deshalb zu einem Ti-
denhub – u. a. infolge von Resonanzerscheinungen und Trichterwirkungen – von z. T. bis
zu 20 m kommen. Dies zeigt Abb. 12.8. Demnach kommt es infolge der beschriebenen
Effekte beispielsweise in der Normandie in Frankreich, an der Pazifikküste von Alaska
und in Patagonien in Argentinien zu einem erheblichen und deutlich überdurchschnittli-
chen Tidenhub; dies wären dann auch mögliche Gebiete für eine potenzielle technische
Nutzung der Gezeitenenergie.
Dabei sind zwei grundsätzlich unterschiedliche Arten einer Energiegewinnung aus die-
ser Gezeitenwelle denkbar: die Nutzung der potenziellen Energie eines Aufstaus durch
Gezeitenkraftwerke und die Nutzung der aus der Welle resultierenden Strömungsenergie.
Beide Nutzungsprinzipien werden nachfolgend diskutiert.

12.2.1 Gezeitenkraftwerke

Die in den Gezeiten enthaltene potenzielle Energie (d. h. der Tidenhub) kann durch die
nachfolgend diskutierten drei verschiedenen Möglichkeiten genutzt werden.
Die einfachste Methode ist das Ein-Becken-System mit Einwegnutzung (Abb. 12.9,
oben). Hierzu wird eine möglichst natürlicherweise vorhandene Bucht durch einen Damm
vom offenen Meer abgetrennt; sie ist dann nur noch durch eine oder mehrere Schleu-
se(n) und eine oder mehrere Turbine(n) mit dem Meer verbunden. Die Regelung von
Turbine(n) und Schleuse(n) ist derart, dass das Wasser nur durch die Schleuse(n) in die
12 Nutzung der Energien des Meeres 1079

Abb. 12.9 Prinzipien von Turbine


Meeres- Beckenwasserstand
Gezeitenkraftwerken (Ein- spiegel
Becken-Gezeitenkraftwerk
Meer Becken
mit Nutzung einer Strö-
mungsrichtung (oben);
Schleuse
Ein-Becken-Gezeitenkraftwerk Energieproduktion
mit Nutzung gegenläufiger Becken-
Turbine Meeresspiegel
Strömungsrichtungen (Mitte); wasser-
Zwei-Becken-Gezeitenkraft- stand
werk (unten); nach [12.6]) Meer Becken

Schleuse
Energieproduktion

Turbine Becken 1 Becken 2


Meeres-
Becken 1 spiegel
Meer
Becken 2

Schleuse
Energieproduktion

abgetrennte Bucht einströmt und nur durch die Turbine(n), die sich (jeweils) in einem
Krafthaus befindet, wieder aus der Bucht ins offene Meer herausströmen kann; in einer
derartigen Turbine wird die Strömungsenergie des Wassers dann mit den aus der „klassi-
schen“ Wasserkraftnutzung bekannten Optionen in mechanische Energie (Kapitel 7) und
diese weiter mit einem Generator in elektrische Energie umgewandelt. Nachteil dieses
Konstruktionsprinzips ist die nur im Verlauf vergleichsweise kurzer Zeiträume mögliche
Energieproduktion (Abb. 12.9, oben). Von Vorteil ist die einfache Turbinenkonstruktion.
Trotzdem konnte sich dieses Konstruktionsprinzip bisher unter kommerziellen Gesichts-
punkten nicht durchsetzen.
Alternativ dazu kann aber auch eine Turbine verwendet werden, die in beiden Rich-
tungen durchströmt werden und hierbei jeweils mechanische Energie bereitstellen kann,
die dann weiter in elektrische Energie umgewandelt werden kann (Abb. 12.9, Mitte). Die
ebenfalls vorhandene Schleuse dient in diesem Fall nur dazu, das Ein- und Ausströmen des
Wassers in das vom Meer abgetrennte Speicherbecken in den Zeiten, in denen nahezu kein
Höhenunterschied zwischen dem Becken und dem offenen Meer besteht (Abb. 12.9, Mit-
te rechts), zu beschleunigen. Mit einem derartigen Konzept kann über wesentlich längere
Zeiträume elektrische Energie erzeugt werden; trotzdem ist konzeptbedingt aber keine
kontinuierliche Stromerzeugung möglich. Die insgesamt bereitgestellte mechanische bzw.
elektrische Energie wird jedoch infolge des beim Ein- und Ausströmen des Wassers in das
bzw. aus dem Speicherbecken vergrößerten Widerstands verringert, da es jeweils durch
die Turbine strömt und dabei Arbeit verrichtet.
Als weitere mögliche Konstruktion eines Gezeitenkraftwerkes ist auch eine Zwei-
Becken-Lösung denkbar (Abb. 12.9, unten). Hierbei befindet sich die Turbine in einem
Damm oder in einem Verbindungskanal zwischen zwei Becken, die zusätzlich jeweils mit
1080 J. Bard et al.

dem offenen Meer in Verbindung stehen. Das Ein- und Ausströmen des Meerwassers in
die beiden Becken wird so gesteuert, dass das Wasser durch die Tide in ein Becken ein-
und bei Ebbe aus dem anderen Becken ausströmt, nachdem es zwischenzeitlich die ent-
sprechenden Turbinen passiert hat. Hierdurch kann die Energieproduktion im Vergleich
zu den beiden anderen Konzepten (Abb. 12.9, oben und Mitte) weiter vergleichmäßigt
werden; d. h. es ist dadurch vom Grundsatz her eine kontinuierliche Stromerzeugung
möglich (Abb. 12.9, unten rechts). Dem stehen jedoch ein erhöhter Platzbedarf und ein
höherer bautechnischer Aufwand für die Erstellung der beiden miteinander verbundenen
Becken gegenüber.
Die Errichtung derartiger Anlagen mit Speicherbecken, in denen die Wassermassen
zwischengespeichert werden bis sich außerhalb des Beckens und damit im offenen Meer
wieder ein entsprechend niedrigerer Wasserstand eingestellt hat, scheitert meist an den
Kosten und den zu großen Umweltauswirkungen dieser sehr flächenintensiven Kraft-
werkskonstruktionen. Derzeit werden deshalb weltweit nur zwei Gezeitenkraftwerke mit
einer größeren elektrischen Leistung betrieben; ein Kraftwerk an der Rance-Mündung bei
St. Malo in Frankreich seit 1966 und ein Kraftwerk in Korea („Sihwa“) seit 2011 [12.8].
Bei dem erstgenannten Gezeitenkraftwerk sind bei einem mittleren Tidenhub von rund
8,5 m 240 MW installiert.
Alternative Konzepte, die immer wieder in die Diskussion kommen, gehen von ei-
nem ringförmigen Staudamm in geringer Wassertiefe vor der Küste aus; d. h. es wird eine
künstliche Lagune angedacht, die dann als Gezeitenkraftwerk ausgebaut werden soll. Das
weltweite Potenzial derartiger Lösungen wäre erheblich größer im Vergleich zu den Op-
tionen einer Nutzung vorhandener natürlicher Becken (z. B. Flussbecken). Allerdings ist
der bautechnische Aufwand aus ökonomischer Sicht bisher prohibitiv hoch.
Insgesamt erscheint das technische Potenzial von Gezeitenkraftwerken bei den welt-
weit identifizierten rund 100 geeigneten Küstenstandorten zu gering, als dass sie wesent-
lich zur globalen Energieversorgung beitragen könnten; lokal kann dies unter günstigen
Bedingungen jedoch anders sein. So wurde in Großbritannien über Jahrzehnte hinweg
immer wieder das Severn-Barrage Projekt diskutiert. Es sollte mit einer installierten Leis-
tung von bis zu 8,67 GW entlang einer fast 16 km langen Staumauer annähernd 5 % der
britischen Stromnachfrage decken. Auf Grund der hohen wirtschaftlichen und technischen
Risiken und den befürchteten Umweltauswirkungen wurde das Projekt aber in der Zwi-
schenzeit aufgegeben. An den deutschen Küsten ist die Errichtung derartiger Anlagen
wegen des zu geringen mittleren Tidenhubs technisch und wirtschaftlich nicht sinnvoll
darstellbar.

12.2.2 Nutzung von Ebb- und Flutstrom

Die Nutzung der Gezeitenenergie unter Abschluss z. B. einer Bucht durch ein Dammbau-
werk stellt einen großen Eingriff in die Umwelt dar. Konzepte, die auf der Nutzung von
Meeresströmungen – und damit der Wasserbewegungen, die mit Ebbe und Flut einherge-
12 Nutzung der Energien des Meeres 1081

hen – basieren, vermeiden diesen Nachteil. Allerdings treten für die wirtschaftliche Nut-
zung relevante Meeresströmungen nur in Meerengen bzw. in flacheren Küstenabschnitten
lokal begrenzt auf, sodass deren Potenzial zur Stromerzeugung deutlich geringer ist als
z. B. das der Wellenenergie; für Europa sind das beispielsweise nur rund 150 TWh/a.
Für die Gezeitenströmung kann, wie für jede andere Strömung, die Leistung PW a
des durch einen bekannten Querschnitt (hier den Rotorquerschnitt des Strömungsenergie-
wandlers) strömenden Meerwassers nach Gleichung (12.1) analog einer Windkraftanlage
(Kapitel 6.1) aus der Dichte des Wassers W a , dem Strömungsquerschnitt SRot und der
Strömungsgeschwindigkeit des Wassers vW a in der dritten Potenz berechnet werden.

1
PW a D 3
W a SRot vW a (12.1)
2

Demnach ist es dann sinnvoll, die Leistung eines Ebb- und Flutstroms auszunutzen,
wenn ausreichende Strömungsgeschwindigkeiten zur Verfügung stehen, da dies nach
Gleichung (12.1) die wesentliche Leistungs-bestimmende und durch den Standort be-
einflussbare Größe darstellt. Im Fall der Gezeitenströmungen, die sinusförmige Verläufe
der Strömungsgeschwindigkeit aufweisen, sind Standorte mit Maximalwerten größer als
2 m/s interessant.
Ein Konzept zur Nutzung dieser in den Meeresströmungen enthaltenen Energie sind
„Unterwasserwindräder“; darunter sind hier senkrecht zur Meeresströmung installierte
Rotoren zu verstehen, die vergleichbar zu den Vertikalachsenrotoren sind, mit denen die
Windenergie genutzt werden kann (Kapitel 6.2). Abb. 12.10 zeigt das grundsätzliche Prin-
zip eines derartigen Meeresströmungsenergiewandlers. Bisher wurden dafür insbesondere
Anlagen mit horizontaler Rotorachse bis in den MW-Bereich hinein skaliert und erfolg-
reich getestet. Beispielsweise wurde vor der schottischen Küste 2016 ein Anlagenpark mit
vier 1,5 MW-Anlagen installiert (MeyGen Projekt Phase 1A) [12.14].
Beispielsweise treten an der Küste von North Devon (Wales, Vereinigtes Königreich)
(Standort der Seaflow-Anlage [12.15]) Strömungsgeschwindigkeiten von bis zu 2,7 m/s
auf. Auf Grund der beschriebenen Abhängigkeit der Leistung von der dritten Potenz der
Strömungsgeschwindigkeit (Gleichung (12.1)) werden in einer dort installierten derarti-
gen Strömungsturbine rund 96 % der Energie bei mehr als 1 m/s und immer noch etwa
66 % der Energie bei Geschwindigkeiten größer 2 m/s erzeugt. Eine 1 MW-Anlage hat
dabei einen Rotordurchmesser von rund 20 m; d. h. Meeresströmungsturbinen besitzen
im Vergleich zu Windenergieanlagen (Kapitel 6) deutlich kleinere Rotordurchmesser;
Abb. 12.10 zeigt deshalb auch einen Größenvergleich einer 1 MW Meeresströmungstur-
bine zu einer Offshore-Windkraftanlage gleicher Leistung (Kapitel 6.2).
Weiterhin unterscheiden sich derartige Konzepte durch Größe und Anzahl der Roto-
ren pro Anlage sowie durch die Möglichkeit einer Drehzahlregelung oder Blattverstellung
des Rotors. Der höheren Komplexität gut regelbarer Konzepte – vergleichbar mit großen
Windkraftanlagen (Kapitel 6.2) – stehen aber z. T. deutlich höhere Kosten gegenüber. Die
technische Option einer Leistungsbegrenzung begrenzt aber auch die mechanischen Las-
1082 J. Bard et al.

Abb. 12.10 Prinzip eines


Meeresströmungsrotors im
Vergleich zu einer Offshore-
Windkraftanlage (nach [12.9])
60 m

Wasserspiegel
20 m

ten auf den Rotor und die Struktur und führt – außer zu entsprechenden Kostenreduktionen
– auch zu deutlich höheren Volllaststunden.
Noch größere physikalisch begründete Nachteile haben Systeme, die versuchen, die
Strömungsenergie mit sich auf- und abwärts bewegenden Flügeln oder Klappen zu nut-
zen [12.10]. Aber während bei der Windkraftnutzung der nutzbare Strömungsquerschnitt
„nach oben offen“ ist, sind Tideströmungen nur in einem schmalen Band zwischen Bo-
deneffekten und Oberflächeneinflüssen (Wellen) sinnvoll nutzbar – und hier sind auch nur
räumlich eng begrenzte Strömungsbereiche so energiereich, dass eine technische Nutzung
lohnend erscheint. Deshalb könnten sich letztendlich auch derartige unkonventionelle An-
sätze zukünftig ggf. als sinnvoll herausstellen.

12.3 Weitere Nutzungsmöglichkeiten

Neben den bisher diskutierten Optionen sind grundsätzlich weitere Möglichkeiten vor-
handen, die in den Meeren gespeicherte Energie zur Stromerzeugung nutzbar zu machen.
Diese werden nachfolgend kurz diskutiert.

12.3.1 Unterschiedliche Wassertemperaturen

Ein großer Teil der auf die Erde eingestrahlten solaren Strahlungsenergie wird in der At-
mosphäre und in den festen und flüssigen Bestandteilen der Erdoberfläche in Form von
Wärme gespeichert. Etwa 20 % der gesamten eingestrahlten Solarenergie wird allein in
12 Nutzung der Energien des Meeres 1083

Abb. 12.11 Geeignete Meeresflächen für die Nutzung von Temperaturgradienten mit mindestens
20 K mittlerer Temperaturdifferenz zwischen der Wasseroberfläche und in höchstens 1 000 m Was-
sertiefe (Daten nach [12.16], Auswertung nach [12.17])

Abb. 12.12 Temperaturverlauf Wassertemperatur in °C


0 10 20 30
über die Meerestiefe in den 0

äquatorialen Ozeanen (verein-


500
fachte Darstellung nach [12.6])
Wassertiefe in m

1 000

1 500

2 000

2 500

3 000

den tropischen Weltmeeren in Wärme umgewandelt. Diese Wärme kann grundsätzlich


technisch nutzbar gemacht werden. Infolge der erheblichen Wasserflächen, die im Äqua-
torialgürtel der Erde liegen, in dem die Strahlungsintensität insgesamt sehr hoch ist, ist
das theoretische Potenzial dieser Option auch vergleichsweise beachtlich; für die Nut-
zung von Temperaturgradienten liegt es weltweit bei rund 10 PWh/a. Dieses erhebliche
Potenzial umfasst aber auch große Flächen, die sehr weit entfernt von den Küsten liegen
und für eine wirtschaftliche Nutzung bisher nicht erschließbar erscheinen (Abb. 12.11).
Abb. 12.12 zeigt den typischen Verlauf der Wassertemperaturen über die Wassertiefe in
den äquatorialen Ozeanen. Demnach schwankt die Temperatur (im Jahresverlauf) nur in
den oberflächennahen Bereichen. In den tieferen Wasserschichten ist die Temperatur über
das gesamte Jahr nahezu konstant und gegenüber der Oberflächentemperatur mit rund 4
bis 7 °C relativ niedrig.
1084 J. Bard et al.

Warmwasser-
Warmwasser- einlass Elektrische Energie
einlass

Wasserauslass G
25 °C Hochdruck Niederdruck
30 m Durchmesser NH3-Dampf NH3-Dampf 7 °C
Turbine
700 - 1 000 m

20 °C 10 °C
Ver- Konden-
dampfer sator
10 °C 10 °C
10 m Durchmesser Hochdruck Niederdruck
Flüssig-NH3 Pumpe Flüssig-NH3
23 °C 5 °C

7 °C
Kaltwasser-
einlass
Warmwasser-
Kaltwasser-
auslass
Kaltwassereinlass auslass

Abb. 12.13 Beispiel für eine OTEC-Anlage (nach [12.1])

Diese in den Ozeanen vorhandene thermische Energie kann mithilfe offener oder ge-
schlossener Rankine-Prozesse (ORC-Prozesse) zur Stromerzeugung genutzt werden (Ka-
pitel 9.2). Mit solchen Kreisprozessen wird die Temperaturdifferenz zwischen dem war-
men Oberflächenwasser von maximal 22 bis rund 28/30 °C und dem kalten Tiefenwasser
von rund 4 bis 7 °C ausgenutzt (Abb. 12.13). Da der Wirkungsgrad von Kreisprozessen
aus physikalischen Gründen abhängig ist von der nutzbaren Temperaturdifferenz, sind
mit derartigen Anlagen – wegen der geringen verfügbaren Temperaturdifferenzen von
etwa 20 K und der daraus resultierenden technischen Begrenzungen – nur sehr kleine Wir-
kungsgrade von 1 bis maximal 3 % technisch möglich. Gleichzeitig müssen dann aber –
um entsprechende elektrische Leistungen bzw. Energiemengen zu realisieren – sehr große
(Wasser-)Volumenströme umgewälzt werden. Zudem muss das Wasser aus großen Tiefen
an die Meeresoberfläche transportiert bzw. dorthin gepumpt werden; dies bedingt entspre-
chend aufwändige Konstruktionen und einen hohen Prozessenergieverbrauch.
Der Einsatz derartiger Meereswärmekraftwerke ist aus Energietransportgründen zu-
dem meist auf küstennahe Gebiete eingeschränkt. Außerdem muss auch ein nahegelegener
Zugang zum kalten Tiefenwasser gegeben sein, das für den Betrieb des Kreisprozesses be-
nötigt wird. Diese Randbedingungen schränken die technischen Nutzungsmöglichkeiten
bzw. die Standortauswahl stark ein.
Die relativ geringe Energieausbeute bei den großen zu bewegenden Wassermengen ist
mit ein wesentlicher Grund, weswegen diese Technik, die i. Allg. als OTEC (Ocean Ther-
mal Energy Conversion) bezeichnet wird, bis heute nicht wirtschaftlich einzusetzen ist.
Auch sind für den erfolgreichen Betrieb derartiger Meereswärmekraftwerke noch tech-
nische Herausforderungen zu lösen. Beispielsweise müssen aus ökonomischer Sicht die
Anlagen sehr groß werden; für die dann benötigten sehr großen Rohrleitungen, die bis in
eine Meerestiefe von rund 1 000 m reichen sollten, sind beispielsweise noch keine effizi-
enten Herstellungs- und Installationsmethoden verfügbar.
12 Nutzung der Energien des Meeres 1085

Die Nutzung der Meere als reine Wärme- oder Kältesenke – auch in Kombination
mit Wärmepumpen – ist hingegen seit Jahrzehnten eine etablierte und wirtschaftliche
Methode.

12.3.2 Meeresströmungen

Die technische Nutzbarmachung der durch die unterschiedliche Wärmebilanz der Ozea-
ne erzeugten Meeresströmungen zur Stromerzeugung ist ebenfalls möglich; dies erscheint
insbesondere an Meeresengen sinnvoll, wo entsprechend hohe Strömungsgeschwindigkei-
ten gegeben sind. Abb. 12.14 zeigt bedeutende kalte und warme Meeresströmungen.
Beispielsweise weist der nicht in Abb. 12.14 eingezeichnete Floridastrom an seiner
schmalsten Stelle eine Breite von 80 km auf. Hier beträgt der Wasserdurchsatz zwischen
20 und 30 Mio. m3 /s bei einer mittleren Geschwindigkeit von 0,9 m/s. Aus einem derarti-
gen Meeresstrom von durchschnittlich 50 km Breite und einer mittleren Tiefe von 120 m
bei einer Geschwindigkeit im Kern der Strömung von etwa 2 m/s könnte durch entspre-
chende Umwandlungsanlagen eine elektrische Leistung von etwa 2 000 MW erschlossen
werden [12.5]. Aus dieser geringen Geschwindigkeit der Meeresströmung ergibt sich je-
doch auch eine entsprechend geringe Energiedichte. Sie liegt selbst in dessen Kern nicht
über 2,2 kW/m2 . Daraus folgt, dass entsprechende Konversionsanlagen beträchtliche Aus-
maße aufweisen müssen.
Grundsätzlich entspricht die Nutzung dieser regenerativen Energie der zur Nutzung
von Tideströmungen (Kapitel 12.2.2).

Abb. 12.14 Größere Meeresströmungen (nach [12.18])


1086 J. Bard et al.

Brackwasser

Membranmodule
G
Turbine
Membran

Netz

Süßwasser

Salzwasser

Wasserfilter
Süßwasser

Abb. 12.15 Prinzip zur Nutzung der Salzgehaltsunterschiede zwischen Süß- und Salzwasser
(G Generator)

12.3.3 Salzgehaltsunterschiede

Der globale Wasserkreislauf führt zur Erzeugung von großen Mengen Süßwassers, die
sich zuletzt, wenn sich bei der Mündung der Flüsse ins Meer der Wasserkreislauf er-
neut schließt, wieder mit Salzwasser vermischen. Die Abtrennung des Süßwassers vom
Salzwasser erfordert Energie, die in den entmischten Wassermengen gespeichert ist. Aus-
gehend davon gibt es Vorschläge, diese an den Mündungen der Flüsse ins Meer durch
die Vermischung von Salz- und Süßwasser wieder frei werdende Energie technisch zu
nutzen. Im Prinzip kann man (über den Effekt des osmotischen Drucks) diese chemische
Energie in potenzielle Energie umsetzen und diese (durch Wasserkraftwerke) in elektri-
sche Energie umwandeln (Abb. 12.15). Derzeit wird versucht, dieses Prinzip technisch zu
realisieren. Dabei geht es vornehmlich darum, die notwendigen semipermeablen Mem-
branen zu entwickeln und zu testen sowie die damit verbundenen Kosten zu reduzieren.

12.3.4 Meeresbiomasse

Ähnlich wie Meerestiere und Algen durch Aquafarming als Nahrungsmittel bereitgestellt
werden können, ist es auch möglich, Biomasse zur energetischen Nutzung im Meer zu
produzieren. Bisher stehen diese Überlegungen jedoch noch sehr am Anfang.
12 Nutzung der Energien des Meeres 1087

Literatur

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bau und Wasserbau
[12.7] www.pelamiswave.com. Zugegriffen: 2. Dez. 2011
[12.8] cdm.unfccc.int/Projects/DB/DNV-CUK1143710269.08. Zugegriffen: 3. Dez. 2011
[12.9] Hoppe-Kilpper, M.: Persönliche Mitteilung. Institut für Solare Energieversorgungssysteme
(ISET), Kassel (2002)
[12.10] Hoffmann, W.: Energie aus Sonne, Wind und Meer. Harri Deutsch, Thun, Frankfurt/Main
(1990)
[12.11] https://www.ocean-energy-systems.org/publications/. Zugegriffen: 6. Febr. 2020
[12.12] Mofor, L., Goldsmith, J., Jones, F.: Ocean energy – technology readiness, patents, deploy-
ment status and outlook. IRENA, Bonn (2014)
[12.13] https://www.iee.fraunhofer.de/. Zugegriffen: 6. Febr. 2020
[12.14] https://simecatlantis.com/projects/meygen/. Zugegriffen: 6. Febr. 2020
[12.15] Bard, J., Peter, M.: Regelung und Betriebsführung drehzahlvariabler Meeresströmungstur-
binen. Abschlussbericht. Fk 329898. TIB, Hannover (2005)
[12.16] https://www.noaa.gov/. Zugegriffen: 6. Febr. 2020
[12.17] https://www.iee.fraunhofer.de/de/kompetenzen/energieverfahrenstechnik.html. Zugegrif-
fen: 6. Febr. 2020
[12.18] https://worldoceanreview.com/de/wor-1/klimasystem/grose-meeresstroemungen/. Zuge-
griffen: 6. Febr. 2020
Energetische Nutzung von Biomasse
13
Martin Kaltschmitt

Unter dem Begriff „Biomasse“ werden Stoffe organischer Herkunft (d. h. kohlenstoffhal-
tige Materie) zusammengefasst. Biomasse beinhaltet damit

 die in der Natur lebende Phyto- und Zoomasse (Pflanzen und Tiere),
 die daraus resultierenden Rückstände, Nebenprodukte und Abfälle (z. B. tierische Ex-
kremente),
 abgestorbene (aber noch nicht fossile) Phyto- und Zoomasse (z. B. Stroh) und
 im weiteren Sinne alle Stoffe, die beispielsweise durch eine technische Umwandlung
und / oder eine stoffliche Nutzung entstanden sind bzw. anfallen (z. B. Papier und Zell-
stoff, Schlachthofabfälle, organische Hausmüllfraktion, Pflanzenöl, Alkohol).

Die Abgrenzung der Biomasse gegenüber den fossilen Energieträgern beginnt beim
Torf, dem fossilen Sekundärprodukt der Verrottung. Damit zählt Torf im strengeren Sinn
dieser Begriffsabgrenzung nicht mehr zur Biomasse; dies widerspricht der in einigen
Ländern (u. a. Schweden, Finnland) üblichen Praxis, wo Torf durchaus als Biomasse be-
zeichnet wird.
Biomasse kann zusätzlich in sogenannte Primär- und Sekundärprodukte unterteilt wer-
den [13.1].

 Primärprodukte sind durch direkte photosynthetische Ausnutzung der Sonnenenergie


entstanden; dazu zählt im Wesentlichen die gesamte Pflanzenmasse wie z. B. land- und
forstwirtschaftliche Produkte aus einem Energiepflanzenanbau (u. a. schnellwachsen-
de Bäume, Energiegräser) oder pflanzliche Rückstände, Nebenprodukte und Abfälle
aus der Land- und Forstwirtschaft sowie der Weiterverarbeitungsindustrie (u. a. Stroh,
Wald-, Industrierest- und Altholz).

Martin Kaltschmitt, Hamburg, Deutschland

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 1089
M. Kaltschmitt, W. Streicher, A. Wiese (Hrsg.), Erneuerbare Energien,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-61190-6_13
1090 M. Kaltschmitt

 Sekundärprodukte beziehen dagegen ihre Energie nur indirekt von der Sonne; sie wer-
den durch den Ab- oder Umbau organischer Substanz in höheren Organismen (z. B.
Tiere) gebildet. Zu ihnen gehören z. B. die gesamte Zoomasse, deren Exkremente (z. B.
Gülle, Festmist) und Klärschlamm.

13.1 Aufbau typischer Bereitstellungsketten

Eine Bereitstellungs- oder Versorgungskette, mit der Energie aus Biomasse bereitgestellt
werden kann, umfasst alle Prozesse beginnend mit der Produktion der Energiepflanzen
bzw. der Verfügbarmachung von Rückständen, Nebenprodukten oder Abfällen organi-
scher Herkunft bis zur Bereitstellung der Endenergie (z. B. Fernwärme, Strom). Sie be-
schreibt damit den „Lebensweg“ der organischen Masse von der Produktion und da-
mit der Primärenergie bis zur Bereitstellung der entsprechenden End- bzw. Nutzenergie
(Abb. 13.1).

BIOMASSE
Energiepflanzen Nebenprodukte & Rückstände Abfälle
(z. B. Mais, Pappel, Zuckerrohr, Algen) (z. B. Stroh, Gülle, Waldrestholz) (z. B. Klärschlamm, org. Hausmüllfraktion)

Ernte / Sammlung / Verfügbarmachung

Mechanische Vorbehandlung Transport Lagerung


(z. B. Pressen, Zerkleinern) (z. B. Lkw, Traktor, Förderband) (z. B. Tank, Silo, Feldmiete)

THERMO-CHEM. UMWANDLUNG PHYSIK.-CHEM. UMWANDLUNG BIOCHEMISCHE UMWANDLUNG

Pyrolyse Pressen / Extrahieren


Anaerobe Alkoholische
(schnell, Vergasung
Fermentation Fermentation
langsam) Chemische Umw.

Feste Brennstoffe Gasförmige Brennstoffe Flüssige Brennstoffe


(z. B. Pellets, Hackgut) (z. B. Synthesegas, Biogas) (z. B. Pflanzenöl, Biodiesel, Bioethanol, Fischer-Tropsch-Diesel, HEFA-Kerosin)

Verbrennung / vollständige Oxidation

Strom Wärme Kraft

Abb. 13.1 Möglichkeiten einer Energiebereitstellung aus Biomasse (Kästen mit runden Ecken:
Energieträger bzw. End- oder Nutzenergie, Kästen mit nicht-runden Ecken: Umwandlungsprozes-
se; vereinfachte Darstellung ohne Licht als Nutzenergie; HEFA Hydrierte Ester und Fettsäuren;
thermo-chem. thermo-chemische; physik.-chem. physikalisch-chemische; org. organische; Umw.
Umwandlung; die in Brennstoffzellen ablaufenden Reaktionen werden dabei als eine „kalte“ Ver-
brennung angesehen) (nach [13.1])
13 Energetische Nutzung von Biomasse 1091

Das Ziel einer derartigen Biomasse-Bereitstellungs- bzw. Versorgungskette ist es, eine
gegebene, ggf. schwankende End- bzw. Nutzenergienachfrage zu decken und die dazu
erforderliche(n) Konversionsanlage(n) mit der benötigten Menge und Qualität der jeweils
eingesetzten organischen Stoffe zu versorgen [13.1].
Jede Bereitstellungskette besteht aus den Lebenswegabschnitten Biomasseproduktion
bzw. -verfügbarmachung, Bereitstellung, Nutzung sowie Verwertung bzw. Entsorgung der
anfallenden Rückstände, Nebenprodukte bzw. Abfälle. Jeder einzelne Abschnitt setzt sich
im Regelfall wiederum aus zahlreichen Einzelprozessen zusammen. Beispielsweise er-
fordert die Produktion von Energiepflanzen u. a. eine Saatbettbereitung, die Ausbringung
von Düngemitteln und bestimmte Pflegemaßnahmen. Da die verschiedenen Lebensweg-
abschnitte im Normalfall nicht am gleichen Ort angesiedelt sind, müssen die jeweiligen
Entfernungen durch entsprechende Transporte (z. B. mit Lkw, über Rohrleitungen) über-
brückt werden.
Eine bestimmte Bereitstellungskette wird damit letztlich durch die Randbedingungen
festgelegt, die von der Biomasseproduktion (Angebotsseite) einerseits und der Endener-
giebereitstellung (Nachfrageseite) andererseits vorgegeben werden. Dazu kommen als
weitere wesentliche Bestimmungsgrößen ökonomische und technische (und adminis-
trative) Randbedingungen, welche die praktische Umsetzung bzw. Realisierung einer
bestimmten Versorgungskette signifikant beeinflussen. Beispielsweise wird die Wahl
der Konversionstechnologie u. a. durch den oder die bereitzustellenden Endenergieträ-
ger (z. B. thermische Energie, elektrische Energie) bzw. die entsprechende Nutzenergie
(z. B. Wärme, Kraft) und – ganz wesentlich – auch durch die gesetzlichen Umwelt-
schutzvorgaben bzw. sonstige administrative Vorgaben (z. B. Wasserschutz, Bodenschutz)
beeinflusst. Zusätzlich kann die erforderliche Entsorgung von Stoffen, die im Verlauf der
Bereitstellung und / oder bei der Nutzung anfallen (z. B. ausgefaulte Gülle bei der Bio-
gasgewinnung, Rostasche bei der Verbrennung von biogenen Festbrennstoffen), für eine
bestimmte Bereitstellungskette bestimmend sein. Aus den möglichen Entsorgungswegen
für die entstehenden Rückstände, Nebenprodukte und Abfälle und / oder der Konversions-
technologie leiten sich wiederum Anforderungen an die Eigenschaften der Biomasse ab
(z. B. Stückigkeit, Wassergehalt), die im Regelfall durch eine vorherige Aufbereitung be-
reitgestellt werden müssen. Hier ist es u. U. erforderlich, zunächst einen entsprechenden
Sekundärenergieträger mit definierten Eigenschaften zu produzieren (z. B. Holzpellets,
Hackschnitzel bzw. Hackgut, Strohballen); dies kann mit technischen, energetischen,
ökonomischen und / oder ökologischen Vorteilen verbunden sein. Daneben sind Art (z. B.
holz- oder halmgutartig) und Qualität (z. B. Wassergehalt, Zusammensetzung) der verfüg-
baren Biomasse von Bedeutung sowie der zeitliche Verlauf der Energienachfrage bzw. des
Biomasseangebots vor dem Hintergrund der jeweils gegebenen jahreszeitlichen Unter-
schiede. Daraus resultieren wiederum möglicherweise bestimmte Lagernotwendigkeiten;
u. U. kann auch eine Trocknung der Biomasse sinnvoll sein oder sogar notwendig werden,
damit eine Lagerstabilität gewährleistet werden kann. Zusätzlich muss die letztlich gefun-
dene Kombination unter den gegebenen Randbedingungen vor Ort ökonomisch tragfähig,
genehmigungsfähig sowie sozial akzeptabel sein [13.1].
1092 M. Kaltschmitt

13.2 Wandlungsmöglichkeiten in End- bzw. Nutzenergie

Die verfügbare Biomasse kann im Verlauf einer Bereitstellungskette auf sehr unterschied-
liche Weise aufgearbeitet und letztlich in die gewünschte End- bzw. Nutzenergie umge-
wandelt werden; hierfür sind eine Vielzahl unterschiedlichster Möglichkeiten und Optio-
nen gegeben [13.1].
Im einfachsten Fall wird beispielsweise Lignozellulose-haltige Biomasse im Anschluss
an eine mechanische Aufbereitung (u. a. Zerkleinerung, Verdichtung) direkt in einer Feue-
rungsanlage verbrannt. Für zahlreiche vielversprechende Anwendungen (z. B. die mobi-
le Kraftbereitstellung im Pkw- oder Lkw-Motor, die hocheffiziente Stromerzeugung in
einer Gasturbine) ist es aber sinnvoll oder sogar notwendig, flüssige oder gasförmige
Sekundärenergieträger aus der organischen Masse herzustellen. Der eigentlichen finalen
Umwandlung in End- bzw. Nutzenergie werden somit spezifische Aufbereitungs- bzw.
Veredelungsprozesse vorgeschaltet, bei denen die Energieträger hinsichtlich einer oder
mehrerer der folgenden Eigenschaften aufgewertet werden: Energiedichte, Handhabung,
Speicher- und Transporteigenschaften, Umweltverträglichkeit der energetischen Nutzung,
Potenzial zur Substitution fossiler Energieträger, Verwertbarkeit von anfallenden Rück-
ständen, Nebenprodukten oder Abfällen.
Bei den heute verfügbaren Verfahren zur Umwandlung organischer Stoffe in feste,
flüssige oder gasförmige Sekundärenergieträger als Zwischenstufe vor der Umwandlung
in die letztlich gewünschte End- bzw. Nutzenergie kann zwischen thermo-chemischen,
physikalisch-chemischen und biochemischen Veredelungsverfahren unterschieden wer-
den (Abb. 13.1).

13.2.1 Thermo-chemische Umwandlung

Durch thermo-chemische Veredelungsverfahren (Vergasung und Pyrolyse) werden feste


Bioenergieträger in erster Linie unter dem Einfluss von Wärme in feste, flüssige und /
oder gasförmige Sekundärenergieträger transformiert [13.1].

Vergasung Bei der thermo-chemischen Vergasung werden biogene Festbrennstoffe bei


hohen Temperaturen möglichst vollständig in brennbare Gase umgewandelt. Dabei wird
dem Prozess unterstöchiometrisch ein sauerstoffhaltiges Vergasungsmittel (z. B. Luft) zu-
geführt, durch das u. a. der in der Biomasse enthaltene Kohlenstoff in Kohlenstoffmonoxid
überführt wird und damit ein gasförmiger Energieträger (d. h. ein Brenn- oder Synthese-
gas) bereitgestellt werden kann. Gleichzeitig wird durch die teilweise Verbrennung des
Einsatzmaterials die erforderliche Prozesswärme bereitgestellt, damit der Vergasungspro-
zess, der Energie benötigt (d. h. endotherm), überhaupt stattfinden kann. Das entstandene
niederkalorische Brenngas kann im einfachsten Fall in Brennern zur Wärmebereitstellung
und u. a. in Gasmotoren oder -turbinen sowie ggf. in Brennstoffzellen zur Stromerzeu-
gung eingesetzt werden. Alternativ dazu kann das erzeugte Produktgas durch weitere
13 Energetische Nutzung von Biomasse 1093

Umwandlungen (z. B. chemische Synthesen) auch in flüssige Sekundärenergieträger (z. B.


Methanol über die Methanolsynthese, Fischer-Tropsch Diesel über die Fischer-Tropsch-
Synthese) umgewandelt werden, die dann beispielsweise im Verkehrsbereich einsetzbar
sind.

Pyrolyse Bei der Pyrolyse werden biogene Festbrennstoffe unter dem Einfluss von ther-
mischer Energie in eine unter Normalbedingungen feste, flüssige und gasförmige Fraktion
zerlegt. Insbesondere durch die Aufheizrate, aber auch durch andere Einflussgrößen (z. B.
Katalysatoren) kann der Anteil der einzelnen Produktfraktionen an dem gesamten Pro-
duktspektrum beeinflusst werden.
Bei der schnellen Pyrolyse werden biogene Festbrennstoffe mit dem Ziel einer mög-
lichst hohen Ausbeute an flüssigen Komponenten thermisch behandelt. Derartigen Ver-
fahren liegt die sehr schnelle pyrolytische Zersetzung der organischen Makromoleküle,
aus denen feste Biomasse aufgebaut ist, unter Sauerstoffabschluss zugrunde; d. h. die
Lignozellulose wird in gasförmige (z. B. Kohlenstoffmonoxid, Kohlenstoffdioxid, Was-
serstoff, Methan), flüssige (z. B. Bioöl oder Pyrolyseöl, Wasser) und feste Komponenten
(z. B. Holzkohle) aufgespalten; infolge der kurzen Verweilzeiten in der heißen Zone wird
das chemische Gleichgewicht nicht erreicht und dadurch der Anteil an Flüssigkomponen-
ten im jeweiligen Produktspektrum im Vergleich zur langsamen Pyrolyse maximiert. Die
produzierten flüssigen Sekundärenergieträger können – nach einer entsprechenden weiter-
gehenden Aufbereitung, damit die gültigen Treibstoffnormen sicher eingehalten werden –
als Treibstoff in Motoren eingesetzt werden und dort fossile Kraftstoffe ersetzen.
Bei der langsamen Pyrolyse von fester Biomasse, z. T. auch als Verkohlung bezeichnet,
wird diese wärmeinduziert mit dem Ziel einer möglichst hohen Ausbeute an Festbrenn-
stoff (Holzkohle) behandelt. Auch dabei wird die organische Masse thermisch zersetzt,
jedoch wird hier – im Unterschied zur schnellen Pyrolyse – das chemische Gleichgewicht
i. Allg. erreicht. Die erforderliche Prozesswärme wird dabei häufig durch eine Teilver-
brennung des Rohstoffs (d. h. durch die bei der thermischen Zersetzung freigesetzten
gasförmigen und flüssigen Zersetzungsprodukte) bereitgestellt. Die langsame Pyrolyse
unterscheidet sich damit nicht grundsätzlich von der Vergasung oder der schnellen Py-
rolyse; die Bedingungen, unter denen die thermo-chemische Umwandlung hier realisiert
wird, werden nur so gesetzt, dass bei den Reaktionsprodukten der Feststoffanteil maxi-
miert wird. Der dadurch hergestellte Biokoks bzw. beim Einsatz von Holz die Holzkohle
kann anschließend in entsprechenden Anlagen zur effizienteren und besser kontrollierba-
ren Wärmebereitstellung (z. B. als Grillholzkohle) eingesetzt werden. Alternativ ist auch
eine stoffliche Nutzung möglich (z. B. Aktivkohle).

13.2.2 Physikalisch-chemische Umwandlung

Zu den Verfahren der physikalisch-chemischen Umwandlung zählen alle Möglichkeiten


zur Bereitstellung von Energieträgern auf Pflanzenölbasis. Ausgangsmaterial stellen je-
1094 M. Kaltschmitt

weils ölhaltige Biomassen dar (z. B. Rapssaat, Sonnenblumensaat, Sojasaat). Dabei muss
zunächst immer die Ölphase aus der Ölfrucht bzw. der ölhaltigen organischen Masse
abgetrennt werden. Beispielsweise kann dies durch ein mechanisches Auspressen reali-
siert werden, bei dem z. B. bei der Rapssaat das Rapsöl durch Druck abgetrennt wird
und ein sogenannter Rapskuchen (d. h. ein fester Pressrückstand) verbleibt. Bei der al-
ternativ oder additiv möglichen Extraktion wird der ölhaltigen Saat oder dem ölhaltigen
Presskuchen der Ölinhalt mit Hilfe eines Lösemittels entzogen. Öl und Lösemittel müssen
anschließend z. B. durch eine Destillation getrennt werden. Als Feststoff bleibt nach der
Extraktion das sogenannte Extraktionsschrot zurück, das typischerweise stofflich (z. B.
als Futtermittel) genutzt wird. Das derart gewonnene Pflanzenöl ist in seiner Reinform in
Pflanzenöl-tauglichen Motoren und nach einer chemischen Umwandlung (z. B. Umeste-
rung) zu Pflanzenölmethylester (PME) in Motoren als Dieselzu- bzw. -ersatz – und damit
als Treibstoff – energetisch nutzbar. Alternativ dazu sind auch weitere großtechnische
Umwandlungsoptionen (z. B. Hydrierung und anschließende Isomerisierung) vorhanden,
die auf „konventioneller“ Raffinerietechnik aufbauen und mit denen aus dem Pflanzenöl
ein normenkonformer Kraftstoff (d. h. drop-in fähiger) erzeugt werden kann [13.1].

13.2.3 Biochemische Umwandlung

Bei den biochemischen Veredelungsverfahren erfolgt die Umwandlung der Biomasse in


Sekundärenergieträger bzw. in End- oder Nutzenergie mit Hilfe von Mikroorganismen
und damit durch biologische Prozesse [13.1].

Alkoholgärung Zuckerhaltige Biomasse kann – nach einer entsprechenden Abtrennung


des Zuckers aus der Biomasse (z. B. Zuckerrübe, Zuckerrohr), und ausgehend davon der
Bereitstellung einer zuckerhaltigen Lösung bereitgestellt – durch eine alkoholische Gä-
rung mit Hilfe z. B. von Hefen in eine Ethanol-haltige Lösung überführt werden; d. h.
der Zucker wird in einem wässrigen Milieu mit Hilfe biologischer Prozesse in Ethanol
und Kohlenstoffdioxid aufgespalten. Der entstandene Alkohol kann anschließend durch
eine Destillation abgetrennt und im Anschluss daran – da er mit Wasser ein azeotropes
Gemisch bildet – durch eine Absolutierung in Reinform gewonnen werden. Der verblei-
bende organische Rest kann – typischerweise in einer aufkonzentrierten flüssigen Form
oder als Feststoff – als Futtermittel eingesetzt werden; alternativ kann es auch als Biogas-
substrat dienen (siehe unten). Auch Stärke (z. B. Gerste, Weizen, Mais) kann durch eine
Verflüssigung und anschließende Verzuckerung in eine Zucker-haltige Lösung überführt
und dadurch ebenfalls in Ethanol umgewandelt werden. Gleiches gilt vom Grundsatz her
auch für Lignocellulose; die entsprechenden Säure- und / oder Enzym-basierten Verfahren
stehen aber noch an der Schwelle zur großtechnischen Umsetzung. Das jeweils produ-
zierte reine Bioethanol kann dann als Kraftstoff in Motoren eingesetzt werden. Je nach
Fahrzeugauslegung ist dies durch eine Zumischung des Ethanol zu konventionellem Otto-
13 Energetische Nutzung von Biomasse 1095

kraftstoff im Bereich unter 10 % (z. B. E7- oder E10-Kraftstoff) oder – beispielsweise bei
Flexfuel-Fahrzeugen – auch mit beliebigen Mischungsverhältnissen möglich.

Anaerober Abbau Beim anaeroben Abbau organischer Stoffe (d. h. dem Abbau unter
Sauerstoffabschluss) entsteht durch die Tätigkeit bestimmter Bakteriengruppen – und da-
mit ebenfalls durch eine biologisch induzierte Aufspaltung der organischen Masse – ein
wasserdampfgesättigtes Mischgas (Biogas), das typischerweise zu etwas mehr als der
Hälfte aus Methan (CH4 ) besteht; der Rest in hauptsächlich Kohlenstoffdioxid (CO2 ).
Dieser Prozess läuft natürlich z. B. auf dem Grund von Seen oder im Pansen von Wie-
derkäuern und technisch u. a. in Bio- oder Klärgasanlagen bzw. in Deponien ab, in denen
organische Stoffe abgelagert wurden. Das entstandene Gasgemisch kann – nach einer ggf.
notwendigen Reinigung bzw. Aufbereitung – beispielsweise in stationären Motoren (z. B.
Blockheizkraftwerken (BHKW)) als Energieträger zur Stromerzeugung oder in Fahrzeu-
gen (z. B. CNG-Autos) als Erdgaser- oder -zusatz genutzt werden. Das vergorene Substrat
kann, ähnlich wie Gülle, als Wirtschaftsdünger auf landwirtschaftlichen Nutzflächen ein-
gesetzt werden.

Literatur

[13.1] Kaltschmitt, M., Hartmann, H., Hofbauer, H. (Hrsg.): Energie aus Biomasse, 3. Aufl. Sprin-
ger, Berlin, Heidelberg (2016)
Speicher
14
Jerrit Hilgedieck, Martin Kaltschmitt, Jelto Lange und Wolfgang
Streicher

Energiespeicher sind bereits seit langem etablierte und oft auch zwingend notwendige
Bestandteile von Energieversorgungsstrukturen. Sie werden unabhängig von der Art der
Energiebereitstellung in Energiesystemen standardmäßig eingesetzt, um beispielsweise
angebotsorientiert bereitgestellte elektrische Energie von lastschwachen in laststarke Zei-
ten zu verschieben (z. B. durch Pumpspeicherkraftwerke) oder die durch eine Ein-Aus-
Fahrweise bereitgestellte Wärme zur sicheren Deckung der Wärmenachfrage zwischen zu
speichern (z. B. durch einen Warmwasserspeicher).
Dabei kann bei Energieversorgungssystemen, die fossile (z. B. Erdöl, Erdgas, Koh-
le) oder regenerative Energieträger (z. B. biogene Festbrennstoffe, heiße Tiefenwässer;
d. h. hier liegt die regenerative Energie in einer speicherbaren / gespeicherten Form vor)
nutzen, der jeweils eingesetzte Primär- und / oder Sekundärenergieträger schon als En-
ergiespeicher interpretiert und auch entsprechend verwendet werden (d. h. infolge der
Speicherfähigkeit beispielsweise von Steinkohlebriketts, Heizöl, Stückholz oder Pellets
kann der entsprechende daraus erzeugbare Endenergieträger Strom oder Wärme dann be-
reitgestellt werden, wenn eine entsprechende Nachfrage gegeben ist). Im Unterschied dazu
fällt bei einem fluktuierenden und durch den Menschen quasi nicht bzw. nicht unmittel-
bar beeinflussbaren Primärenergieangebot, wie es beispielsweise bei der Solarstrahlung
oder der Windkraft gegeben ist, diese Option weg; d. h. hier werden keine (speicherba-
ren) Energieträger, sondern ((weitgehend) unbeeinflussbare) Energieströme genutzt. Aber
auch die Energienachfrage ist fluktuierend (z. B. Trinkwarmwasser, Heizung, Schicht-
oder Batchbetrieb in der Industrie, Aufladen von Elektrofahrzeugen). Unter diesen Bedin-
gungen nimmt die Notwendigkeit, Speicher in entsprechende Energieversorgungssysteme
zu integrieren, deutlich zu, da nur so auch mit diesen Gegebenheiten eine sichere De-
ckung der jeweiligen Endenergienachfrage gewährleistet werden kann. Im Rahmen des
sich immer deutlicher abzeichnenden globalen Transformationsprozesses hin zu höheren

Jerrit Hilgedieck, Martin Kaltschmitt, Jelto Lange, Hamburg, Deutschland


Wolfgang Streicher, Innsbruck, Österreich

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 1097
M. Kaltschmitt, W. Streicher, A. Wiese (Hrsg.), Erneuerbare Energien,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-61190-6_14
1098 J. Hilgedieck et al.

Anteilen einer Endenergiebereitstellung aus fluktuierenden Quellen wird damit mittel- bis
längerfristig die Speicherung von Energie – und das gilt aus heutiger Sicht nicht nur für
die Speicherung von Strom bzw. elektrischer Energie, sondern auch für Wärme – suk-
zessive mehr an Bedeutung gewinnen, da nur hier noch energiewirtschaftlich relevante
Potenziale unter kommerziellen Gesichtspunkten zur Energiebereitstellung erschlossen
werden können (d. h. primär Photovoltaik- und Windstromerzeugung). Soll aber unter
diesen sich merklich verändernden Bedingungen der derzeit in Europa realisierte Grad
an Versorgungssicherheit auch zukünftig beibehalten werden, müssen in den kommen-
den Jahren – bei immer höheren Anteilen einer angebotsorientierten Erzeugung – die
entsprechend zunehmenden kurz-, mittel- und langfristigen Schwankungen der fluktuie-
renden und dargebotsorientierten Strom- und Wärmeerzeugung sowie der fluktuierenden
Nachfrage vermehrt ausgeglichen werden; und das ist nur durch entsprechende Speicher-
systeme möglich.
Damit wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zukünftig die Notwendigkeit einer
kurz-, mittel- und langfristigen Speicherung elektrischer sowie thermischer Energie
potenziell deutlich zunehmen; d. h. es ist sowohl eine zunehmend größere Technolo-
gievielfalt am Markt als auch eine größer werdende Anzahl an direkten und ggf. auch
indirekten Speicherkonzepten zu erwarten. Entsprechende Tendenzen sind bereits heute
im Energiesystem und insbesondere in der Forschung erkennbar. Ausgehend von diesen
sich abzeichnenden Notwendigkeiten und Entwicklungstendenzen wird im Folgenden
ein Überblick über die physikalischen Grundprinzipien der Speicherung von Strom
und Wärme – einschließlich der jeweils zusätzlich vor und ggf. nach der eigentlichen
Energiespeicherung nötigen Energiewandlungsschritte – gegeben. Außerdem werden
exemplarisch jeweils verschiedene technische Anwendungsfälle der entsprechenden phy-
sikalischen Speicherprinzipien dargestellt.
Die folgenden Ausführungen orientieren sich an Abb. 14.1, die einen Überblick über
die wesentlichen Optionen der Energiespeicherung gibt. Darin sind die folgenden fünf
Ebenen eines Speichervorgangs dargestellt.

 Auf der ersten Ebene (Abb. 14.1) sind die Energieformen gezeigt, die im Rahmen der
Energiespeicherung zwischengespeichert werden sollen. Diese sind hier als dargebots-
orientiert unterstellt und werden zum jeweiligen Zeitpunkt der Einspeicherung vom
Strom- bzw. Wärmemarkt unterhalb der angebotsseitigen Erzeugungsmöglichkeiten
nachgefragt.
 Die zweite Ebene in Abb. 14.1 beschreibt die Energiewandlung für den Vorgang des
Einspeicherns; beispielsweise wird elektrische Energie oft nicht unmittelbar als sol-
che gespeichert, sondern vorher in eine andere Energieform (z. B. potenzielle Energie)
umgewandelt.
 Die dritte Ebene (Abb. 14.1) beschreibt die Energieform, in der die jeweilige darge-
botsorientierte elektrische oder thermische Energie final gespeichert wird.
14
Speicher

Abb. 14.1 Möglichkeiten einer Speicherung von thermischer und elektrischer Energie
1099
1012
1100

Bewegungs- Potenzielle Elektrische Sensible


energie Energie Energie Wärme
CAES
106
Druck- Magnetische Latente
109 energie Wasserstoff Energie Wärme
PSKW
Kondensator
SW Syngas, Methan
Spule
PCM 103 PSKW Schwungrad
106 Akkumulator
TCS Spule

Leistung in W
SW
Syngas, Methan

Akkumulator CAES
1 Wasserstoff
103 PCM TCS

Spezifische Leistungsdichte in W/kg


1 103 106 109 1012 1015 1 103
Speicherkapazität in Wh Spezifische Energiedichte in Wh/kg
100%
100
Kondensator
TCS
Spule Schwungrad PCM PCM 100.00
100 PSKW
80%
80 Wasserstoff, Syngas,
Akkumulator PSKW
Methan

Unterschiedliche SW CAES 10.00


10 Akkumulator CAES
60%
60 Energieniveaus Wasserstoff

Reinstoff Syngas, Methan 1.00


1 SW
40%
40 PtHtP

CH/NH-basierte PCMa

Wirkungsgrad in %
Kondensator TCS
Stoffe
0.10
0.1
20%
20
Spule
TCS

Reziproke Selbstentladung in Tag/%


Schwungrad
0%0 0.01
0.01
Sekunden Minuten Stunden Tage Wochen 0.001 0.01-2
10 0.1 11 10 1002
10 1000 104
Speicherdauer Reaktionszeit in s

Abb. 14.2 Technische Eigenschaften verschiedener Energiespeicher zur Einspeicherung von Strom (dargestellt sind üblicherweise technisch realisierte
Leistungen und Speicherkapazitäten, spezifische Leistungs- und Energiedichten, Wirkungsgrad und Speicherdauer sowie die reziproke Selbstentladung
und die Reaktionszeit; CAES: Compressed Air Energy Storage / Druckluftspeicherkraftwerk; PCM: Phase change material / Phasenwechselmaterial;
PSKW: Pumpspeicherkraftwerk; SW: sensible Wärme; PtHtP: Power-to-Heat-to-Power / Strom zu Wärme zu Strom; TCS: thermo-chemische Speiche-
rung) (*PCM Saisonspeicher mit Unterkühlungseffekt weisen nach einmaliger Abkühlung keine Verluste mehr auf) nach [14.1, 14.2, 14.3, 14.4, 14.5,
14.6, 14.7, 14.8]
J. Hilgedieck et al.
14 Speicher 1101

 Die vierte Ebene in Abb. 14.1 konkretisiert die Rücktransformation der gespeicherten
Energie in die jeweilige Sekundär- oder Endenergieform, in der die zwischengespei-
cherte Energie letztlich genutzt werden soll.
 Die fünfte und letzte Ebene (Abb. 14.1) steht abschließend für die Energie, die bedarfs-
orientiert durch die Energiespeicherung verfügbar gemacht wird.

Abb. 14.1 beschreibt damit die unterschiedlichen Optionen, mit denen Strom oder
Wärme für eine spätere Nutzung kurz-, mittel- und / oder langfristig gespeichert werden
können. Demnach findet immer zunächst eine Energiewandlung der dargebotsorientiert
bereitgestellten Energie in eine speicherbare Energieform und anschließend eine Energie-
wandlung der entsprechend gespeicherten Energie in eine Nachfrage-orientiert verfügbare
Energieform statt. Im Folgenden werden entsprechend der Struktur von Abb. 14.1 ver-
schiedene Konzepte der Energiespeicherung diskutiert und anhand eines oder mehrerer
entsprechender technischer Anwendungsfälle näher erläutert.
Zusätzlich zeigt Abb. 14.2 für die verschiedenen in Abb. 14.1 dargestellten Speicher-
möglichkeiten die jeweiligen Bereiche wesentlicher charakterisierender technischer und
systemischer Kenngrößen; diese einzelnen Größen werden nachfolgend detaillierter dis-
kutiert. Deutlich wird aber bereits hier, dass eine Vielzahl von Optionen zur Energiespei-
cherung verfügbar ist, die jeweils z. T. deutlich unterschiedliche Kenngrößen aufweisen.
Das impliziert, dass für die Bewältigung der bestehenden Anforderungen voraussichtlich
nicht eine einzige, sondern eine Vielzahl verschiedener Speichertechnologien eingesetzt
werden dürfte, da verschiedene Technologien jeweils unterschiedliche Vor- und Nach-
teile aufweisen bzw. jeweils verschiedenartige Anforderungen im Energiesystem optimal
abdecken können. Für die großtechnische Speicherung beispielsweise eigenen sich eher
Pumpspeicherkraftwerke sowie Wasserstoff und synthetisches Methan (SNG), da hier
hohe Speicherkapazitäten und zumindest beim Wasserstoff und synthetischen Methan
hohe spezifische Energiedichten realisiert werden können; gleichzeitig sind die Lager-
verluste / die Selbstentladung gering. Dem gegenüber stehen u. a. Kondensatoren / Spulen,
welche zwar hohe Selbstentladungen aufweisen, jedoch hohe spezifische Energiedichten
und Wirkungsgrade bei extrem kurzen Reaktionszeiten bieten; d. h. sie können Energie
gut kurzfristig und mit höheren Leistungen zwischenspeichern.

14.1 Direkte Energiespeicherung

Thermische oder elektrische Energie kann unmittelbar in Form von Wärme oder Strom
gespeichert werden. Nachfolgend werden die entsprechenden Optionen diskutiert.

14.1.1 Elektrische Energie

Die einzige technische Möglichkeit einer direkten Speicherung elektrischer Energie (d. h.
ohne Umwandlung der elektrischen Energie in eine andere Energieform wie beispielswei-
1102 J. Hilgedieck et al.

se potenzielle oder kinetische Energie) besteht in der Speicherung in einem elektrischen


Feld. Damit ist weder bei der Ein- noch bei der Ausspeicherung eine Energiewandlung nö-
tig. Technisch ist eine derartige direkte elektrische Energiespeicherung nur mithilfe von
Kondensatoren möglich. Ein Kondensator besteht i. Allg. aus zwei unterschiedlich gela-
denen Elektroden, die durch ein Dielektrikum getrennt sind; unter einem Dielektrikum ist
jede elektrisch schwach- oder nichtleitende, nichtmetallische Substanz (dies kann ein Gas,
eine Flüssigkeit oder ein Feststoff sein) zu verstehen, deren Ladungsträger typischerweise
nicht frei beweglich sind.
Der Energieinhalt EKondensator , der in einem derartigen Kondensator gespeichert ist, er-
gibt sich mit der angelegten Spannung U und der Kapazität C des Kondensators nach
Gleichung (14.1). Demnach wird die in einem Kondensator speicherbare Energie von der
Kondensatorkapazität und dem Quadrat der Spannung beeinflusst.

1
EKondensator D C U2 (14.1)
2
Technische Umsetzung Neben den „klassischen“ Kondensatoren (Keramik-, Folien- und
Elektrolytkondensatoren), die in vielen elektronischen Bauelementen integriert sind und
die typischerweise nur sehr geringe elektrische Leistungen bzw. Energiemengen zwi-
schenspeichern können, werden heute aus Sicht einer großtechnischen Energiespeiche-
rung primär sogenannte Superkondensatoren (engl. Supercapacitors, kurz Supercaps) dis-
kutiert. Da hier der Fokus auf der großtechnischen Energiespeicherung liegt, wird nach-
folgend ausschließlich auf diese Supercaps eingegangen.
Im Unterschied zu klassischen Kondensatoren besitzen Supercaps kein Dielektrikum
im herkömmlichen Sinne. Stattdessen befinden sich die beiden Elektroden in einem flüs-
sigen Elektrolyten, der die Aufgabe des „klassischen“ Dielektrikums übernimmt. Die
Speicherfähigkeit bei Supercaps basiert hierbei auf zwei sich ergänzenden Speicherprin-
zipien.

 Zum einen wird die elektrische Energie durch eine Ladungstrennung – ähnlich wie bei
den klassischen Kondensatoren – gespeichert. Die an den Supercap an den jeweiligen
Elektroden angelegte Spannung führt zu einem Elektronenübergang auf den Elektro-
lyten an der negativ geladenen Elektrode. Ausgehend davon bildet sich an der positiv
geladenen Elektrode mit den hydratisierten Elektronen eine starre sowie eine diffuse
Doppelschicht, die sogenannte Helmholtz-Doppelschicht, aus (Abb. 14.3). Damit ste-
hen sich hier genau zwei Ladungsschichten gegenüber, die – wie in jedem Kondensator
– ein entgegengesetztes Vorzeichen tragen.
 Zum anderen spielt die sogenannte Pseudokapazität eine Rolle. Dabei lagern sich
nicht geladene Moleküle im Elektrolyten, Wassermoleküle sowie Ionen durch Van-
der-Waals-Kräfte an der Elektrode an. Dadurch kommt es zu einer Redoxreaktion. Da
hierdurch zwar die Speicherkapazität erhöht, aber elektrische Energie in Form von
chemisch gebundener Energie gespeichert wird und eine Energiewandlung stattge-
funden hat, spricht man von Pseudokapazität. Obwohl dabei strenggenommen eine
14 Speicher 1103

positiver
negativer Ladungsträger
Dielektrikum Ladungsträger dielektrische
Elektrolyt Schicht
Elektrode
+ + +

+ + +

+ + +

+ + +

Spannung Spannung

Abb. 14.3 Aufbau eines klassischen Kondensators (links) und eines Supercaps (rechts) (die Kreise
stellen eine angeschlossene Spannungsquelle dar; nach [14.5])

(elektro-)chemische Speicherung stattfindet, wird diese Form der Energiespeiche-


rung als elektrische und nicht als chemische Energie bezeichnet, da die eigentliche
Energiespeicherung auf die Ladungstrennung (und damit auf das Grundprinzip der
Energiespeicherung im Kondensator) zurückzuführen ist.

Die Doppelschicht- sowie Pseudokapazität ergeben in Summe die Gesamtkapazität des


Superkondensators. Die jeweiligen Anteile unterscheiden sich stark je nach Bauform bzw.
Ausführung der Elektroden. Bei einer entsprechenden Wahl der Elektroden kann die Pseu-
dokapazität um den Faktor 10 kleiner oder sogar um den Faktor 100 größer sein als die
Doppelschichtkapazität.
Beim Ladevorgang von Superkondensatoren wird durch die angelegte Spannung ein
elektrisches Feld aufgebaut, das zur Trennung der Ladungsträger führt. Die Energie ist
somit unmittelbar im elektrischen Feld gespeichert. Da das Dielektrikum einen realen
Widerstand aufweist, stellt sich nach dem Ladevorgang ein Stromfluss und damit ein
Ausgleich der Ladungsträger ein; d. h. es findet eine Selbstentladung statt. Dieser La-
dungsaustausch führt zu einem Abbau des elektrischen Feldes, sodass die gespeicherte
elektrische Energie für eine spätere Entladung – und damit potenzielle Nutzung – zuneh-
mend verloren geht. Bei einem anschließenden Entladevorgang wird durch den Abbau
des zuvor aufgebauten elektrischen Feldes und die Rückreaktion der Pseudokapazität ein
nutzbarer Strom erzeugt, welcher dann in das Stromnetz rückgespeist werden kann.
Trotz z. T. erheblicher Forschungsaktivitäten in den vergangenen Jahrzehnten steht die
kommerzielle Umsetzung dieser Speicheroption noch aus; infolge des hohen technischen
Aufwandes ist auch nicht zu erwarten, dass dieser Speichervariante einen schnellen Ein-
gang in den kommerziellen Strommarkt finden wird.

Eigenschaften Superkondensatoren weisen durch die Abstinenz von beweglichen Bau-


teilen eine sehr hohe Zyklenfestigkeit (100 000 bis 1 000 000 Zyklen) bei einer mittleren
Lebensdauer von 5 bis 15 Jahren auf. Da in ihnen direkt elektrische Energie gespeichert
1104 J. Hilgedieck et al.

wird und somit weder beim Lade- noch beim Entladevorgang eine Energiewandlung statt-
findet (unter der Prämisse, dass die Pseudokapazität als elektrische Energiespeicherung
zählt), weisen Superkondensatoren sehr hohe Speicherwirkungsgrade (95 bis 99 %) und
insgesamt sehr geringe Reaktionszeiten (< 10 ms) auf. Weiterhin sind derartige Speicher-
elemente durch sehr hohe Leistungsdichten (bis zu 15 kW/L) und gleichzeitig nur sehr
geringe Energiedichten (2 bis 10 Wh/L) gekennzeichnet [14.3]. Durch diese vergleichs-
weise sehr geringen Energiedichten ist eine Speicherung großer Energiemengen bisher
unter kommerziellen Aspekten nicht sinnvoll möglich. Aus heutiger Sicht ist nicht davon
auszugehen, dass eine großtechnische Speicherung von elektrischer Energie im Elektrizi-
tätsversorgungssystem zukünftig durch den Einsatz von Kondensatoren umgesetzt werden
wird. Die Nutzung von Supercaps und von Kondensatoren i. Allg. wird daher aller Voraus-
sicht nach auch weiterhin auf sehr spezielle Anforderungsbereiche beschränkt bleiben, in
denen z. B. spezifische Anforderungen an hohe Leistungsdichten bestehen (u. a. Netzsta-
bilisierung, Abfangen von Leistungsspitzen) bzw. elektrische Energie mit hoher Leistung
nur für kurze Zeit gespeichert werden muss.

Einordnung Abb. 14.7 zeigt eine Zusammenfassung der technischen Eigenschaften


elektrischer Energiespeicher und zusätzlich zeigt Abb. 14.2 eine Einordnung in die insge-
samt verfügbaren Speicher. Supercaps weisen demnach nur geringe Speicherkapazitäten
bei niedrigen bis moderaten Leistungen auf. Ein Vorteil besteht in der sehr niedrigen
Reaktionszeit innerhalb weniger Millisekunden in Kombination mit potenziell hohen
Wirkungsgraden. Daher können sie zur Netzstabilisierung eingesetzt werden, wo sie hohe
Leistungen für kurze Zeit puffern bzw. speichern müssen. Bisher ist diese Speicherop-
tion auf solche kurzfristigen Einsätze beschränkt, da bereits nach einer Speicherung der
elektrischen Energie von wenigen Stunden merkliche Speicherverluste zu verzeichnen
sind.

14.1.2 Thermische Energie

Wärme kann auch unmittelbar in Form von thermischer Energie gespeichert werden; dies
ist bei dieser Energieform auch die am weitesten verbreitete und genutzte Option. Energie-
technische Anwendungen umfassen typischerweise den „klassischen“ Wärmesektor (z. B.
zur Flexibilisierung der Wärmebereitstellung, zur zeitlichen Entkopplung von Erzeugung
und Nachfrage). Typischerweise wird dabei sensible (fühlbare) und / oder latente (verbor-
gene) Wärme gespeichert (Abb. 14.4).

 Sensible Wärme ist die Wärme, die beispielsweise mit einem Thermometer mess-
technisch erfassbar ist. Sie beschreibt die thermische Energie, die unmittelbar mit der
Temperaturänderung eines Mediums (z. B. Luft, Wasser) verbunden ist. Bei einer sen-
siblen Wärmespeicherung führt folglich eine Energiezu- oder -abfuhr in Form von
Wärme unmittelbar zu einer Temperaturzu- oder -abnahme des jeweiligen Mediums.
14 Speicher 1105

Abb. 14.4 Verlauf der Tem-


peratur als Funktion der thermische

Temperatur
gespeicherten thermischen En- Energiespeicherung ohne
ergiemenge bei sensibler und Phasenübergang
latenter Wärmespeicherung
Temperaturniveau des
Phasenübergangs
latent

thermische
Energiespeicherung
mit Phasenübergang

gespeicherte Energie

 Die latente Wärme ist die thermische Energie, die bei einem Phasenübergang und da-
mit bei der Änderung fester, flüssiger oder gasförmiger Aggregatzustände benötigt
oder freigesetzt wird. Beispielsweise wird in der Klimatologie unter latenter Wär-
me die bei der Verdunstung des in der Luft enthaltenen Wasserdampfes notwendige
Energie verstanden, die dann bei der natürlichen Kondensation dieses Wasserdamp-
fes erneut in fühlbare Wärme überführt wird. Je nach Art der Zustandsänderung wird
von Verdunstungswärme (flüssig in gasförmig), Schmelzwärme (fest in flüssig) oder
Sublimationswärme (fest in gasförmig) gesprochen.

Die Summe aus der sensiblen und der latenten Wärmeenergie ergibt die Enthalpie; sie
ist ein Maß für die Energie eines thermodynamischen Systems.
Ein Wärmetransport findet grundsätzlich nur dann statt, wenn eine Temperaturdifferenz
zwischen den beiden Orten gegeben ist, zwischen denen die Wärme transportiert werden
soll. Hierbei fließt Wärme immer nur von hoher zu niedriger Temperatur (2. Hauptsatz der
Thermodynamik); sich schnell bewegende Atome oder Moleküle (d. h. hohe Temperatur)
stoßen dabei die daneben befindlichen sich langsamer bewegenden Atome oder Moleküle
(d. h. niedrigere Temperatur) an und es kommt dadurch auf Dauer zu einem Ausgleich der
Bewegung (d. h. Temperaturausgleich). Die Temperaturdifferenz ist damit die treibende
Kraft für einen Wärmetransport. Je größer die Temperaturdifferenz ist, desto größer ist die
übertragene Wärme pro Zeit (Wärmeleistung Q). P Dieser Austausch ist auch vom jeweili-
gen Stoff abhängig. Dieser Einfluss wird durch die Wärmeleitfähigkeit  charakterisiert.
Sie beschreibt, welche Wärmeleistung QP pro Länge l eines Stoffes und Temperaturdiffe-
renz  übertragen wird. Je größer die Länge l über die gleiche Temperaturdifferenz wird,
desto kleiner wird die spezifische Temperaturdifferenz pro Länge und damit die treibende
Kraft des Wärmetransports. Außerdem wird die Leistung umso größer, je größer die Flä-
che A ist, über die die Wärme strömen kann. Die übertragene Wärmeleistung ergibt sich
dann nach Gleichung (14.2).

QP D A  (14.2)
l
1106 J. Hilgedieck et al.

Dieser Zusammenhang ist bei der Wärmespeicherung insofern wichtig, als sowohl
beim Beladen als auch beim Entladen eines Wärmespeichers ein Temperaturverlust statt-
findet. Ist der Wärmespeicher ein Festkörper, muss die Wärme auch von der Stelle des
Wärmeeintrags in den Speicher hinein und hinaus fließen; dies ist mit einem Tempe-
raturverlust verbunden. Ist der Wärmespeicher eine Flüssigkeit, wird die Wärme über
Konvektion ohne großen Temperaturverlust in den Speicher hinein transportiert (d. h. die
Wärmeleitfähigkeit der Flüssigkeit ist für das Be- und Entladen unerheblich); hier gibt es
nur einen Temperaturverlust, falls sich ein Wärmeübertrager zwischen dem Wärmeträger-
medium der Wärmequelle und dem Speichermedium befindet. Dieser Temperaturverlust
des Be- und Entladens ist auch Teil des Speicherwirkungsgrades des thermischen Spei-
chers. Er ist umso höher, je größer die zu übertragene Leistung pro Übertragungsfläche
wird bzw. je kleiner die Wärmeleitfähigkeit wird.
Der zweite Teil der Energieverluste entsteht während der Speicherung. Da es aus tech-
nischer Sicht keine ideale bzw. verlustfreie Wärmeisolierung geben kann, gibt ein hei-
ßer Speicher an die kühlere Umgebung immer Wärme ab. Dies ist wieder nach Glei-
chung (14.2) abhängig vom der Wärmeleitfähigkeit , der Wärmedämmung, der Dicke
der Dämmschicht d, der Außenfläche des Speichers A sowie als treibende Kraft der Tem-
peraturdifferenz zwischen Speicher und Umgebung ().
Nachfolgend werden Optionen zur Speicherung sensibler und latenter Wärme darge-
stellt und diskutiert.

14.1.2.1 Sensible Wärme


Die eingespeicherte sensible Energie Esensibel kann mithilfe von Gleichung (14.3) beschrie-
ben werden. Dabei ist m die Masse des wärmespeichernden Mediums, cp die spezifische
Wärmekapazität dieses Mediums und 1 bzw. 2 das untere bzw. obere Temperaturniveau.

Z2
Esensibel D m cp d (14.3)
1

Für eine Vielzahl von Anwendungen lässt sich Gleichung (14.3) unter der Annahme ei-
ner konstanten spezifischen Wärmekapazität cp zu Gleichung (14.4) vereinfachen. Diese
Vereinfachung ist oft gerechtfertigt, da sich bei vielen Stoffen die spezifische Wärmeka-
pazität in Abhängigkeit der Temperatur nur wenig ändert und damit der potenzielle Fehler
typischerweise klein ist.

Esensibel D m cp .2  1 / (14.4)

Demnach kann durch eine Erhöhung der Speichermasse oder der Temperaturdifferenz
bzw. durch die Wahl eines Speichermediums mit einer hohen spezifischen Wärmekapazi-
tät die Menge der gespeicherten Energie ausgeweitet werden.
Folglich ist auch die Wärmekapazität eine wesentliche spezifische Kenngröße derar-
tiger Speicher. Tabelle 14.1 zeigt deshalb exemplarisch für ausgewählte Stoffe die Wär-
14 Speicher 1107

Tabelle 14.1 Wärmekapazität und Dichte unterschiedlicher Wärmespeichermedien bei einer Tem-
peratur von 20 °C (nach [14.9])
Spezifische Wärmekapazität Dichte
in kJ/(kg K) in kJ/(m3 K) in kWh/(m3 K) in kg/m3
Wasser 4,18 4 175 1,16 998
Kies, Sand 0,71 1 278–1 420 0,36–0,39 1 800–2 000
Granit 0,75 2 063 0,57 2 750
Ziegelstein 0,84 1 176–1 596 0,3–0,44 1 400–1 900
Eisen 0,47 3 655 1,02 7 860
Öl 1,6–1,8 1 360–1 620 0,38–0,45 850–900
Kies-Wasser 1,32 2 895 0,80 2 200
(37 Vol.-% Wasser)

mekapazität und die Dichte , die letztlich die Masse des Speichermaterials bestimmt.
Ein gutes Wärmespeichermedium muss also hohe Werte der spezifischen Wärmekapa-
zität und der Dichte aufweisen; ein Feststoffspeicher sollte zudem auch durch eine gute
Wärmleitfähigkeit gekennzeichnet sein. Wasser hat die mit Abstand höchste Wärmekapa-
zität und auch das für das Speichervolumen relevante Produkt aus Wärmekapazität und
Dichte ist das höchste der hier dargestellten Wärmespeichermedien. Es bietet sich deshalb
zur Wärmespeicherung an; daher wird auch bei den meisten kommerziell verfügbaren
Speichersystemen Wasser als Speichermedium genutzt.

Technische Umsetzung Das am weitesten verbreitete Konzept zur Speicherung von sen-
sibler Wärme besteht in der unmittelbaren Speicherung von erwärmtem Wasser in isolier-
ten Speichertanks. Entsprechende kommerziell verfügbare Lösungen sind vorhanden für
Anwendungen in privaten Haushalten mit Volumina von teils weniger als 100 L bis hin zu
Fernwärmespeichern mit einem Inhalt von über 100 000 m3 .
Wasser als Speichermedium weist dabei sehr vielversprechende Eigenschaften auf
[14.10].

 Die spezifische Wärmekapazität von Wasser ist im Vergleich zu anderen Fluiden sehr
hoch (ca. 4,18 kJ/(kg K)); dies beeinflusst unmittelbar die Speicherenergiedichte.
 Die Wärmeleitfähigkeit von Wasser ist vergleichsweise gering (ca. 0,56 W/(m K)).
Dadurch können Wasserspeicher als Schichtenspeicher ausgeführt werden, da warme
Wasserschichten über kalten Schichten ihre Wärme nur langsam an die kalten Schich-
ten abgeben. Dies wird dadurch unterstützt, dass kaltes Wasser schwerer ist als warmes
Wasser; d. h. kaltes Wasser kann unten im Speicher eingebracht / abgezogen werden
und warmes Wasser weiter oben. In Verbindung mit der niedrigen Wärmeleitfähigkeit
kann somit auch ein nur teilweise gefüllter Schichtenspeicher Wasser auf (konstant)
hohem Temperaturniveau aufnehmen und abgeben.
 Wasser ist ungiftig, unbedenklich für die Umwelt, kostengünstig und weist in der Regel
eine hohe Verfügbarkeit auf. Es ist auch technisch sehr gut beherrscht.
1108 J. Hilgedieck et al.

 Da Wasser sowohl Speichermedium als auch Wärmetransportmedium ist, kann oft auf
Wärmeübertrager mit den damit zwingend verbundenen Temperaturverlusten beim Be-
und Entladen verzichtet werden.

Die Speicherverluste können durch eine entsprechende Wärmedämmung des Speicher-


behälters reduziert werden. Dabei ist der spezifische Aufwand für eine derartige Wär-
medämmung umso geringer, je geringer das Verhältnis von Oberfläche zu Volumen des
Speichers ist; physikalisch optimal ist damit die Kugelform, die aber bei einer techni-
schen Umsetzung aufgrund einer Vielzahl weiterer Einflussgrößen meist nur angenähert
wird.
Die zwischen dem Speichermedium (hier: Wasser) und der Umgebung (z. B. Umge-
bungsluft im Heizungskeller) bestehende Temperaturdifferenz wirkt als Treiber für diese
Wärmeleitung zwischen Speicher und Umgebung – und damit letztlich für die Speicher-
verluste. Deshalb muss die Wärmedämmung, die als Widerstand gegen diese Wärmelei-
tung fungiert, entsprechend an die zu erwartende durchschnittliche Temperaturdifferenz
angepasst werden; diese Anpassung wird auch durch die Kosten der Dämmung in Rela-
tion zu den potenziellen Speicherverlusten – und damit den Wärmegestehungskosten –
bestimmt.
Neben der Speicherung von Wasser mit Temperaturen oberhalb der Umgebungstem-
peratur (d. h. Warmwasserspeicher) ist auch ein Speichern von Wasser mit Temperaturen
unterhalb der Umgebungstemperatur (z. B. für Klimatisierungszwecke) möglich; bei Letz-
teren spricht man dann von Kältespeichern.
Der Einsatz von Wasser als Speichermedium ist weitestgehend auf Niedertempera-
turanwendungen begrenzt. Die maximale Speichertemperatur liegt für Speicher, die mit
atmosphärischem Druck betrieben werden, knapp unter 100 °C und auch bei einem erhöh-
ten Speicherdruck ist die Temperatur beim Einsatz von Wasser technisch eingeschränkt.
Für Anwendungen, die beispielsweise ein Ausspeichern von Hochtemperatur oder so-
gar von elektrischer Energie zum Ziel haben, sind unter Effizienzgesichtspunkten in der
Regel höhere Temperaturen nötig; bei Temperaturen von knapp 100 °C ist der Wirkungs-
grad des nachgeschalteten Dampfkraftprozesses durch den stark von der nutzbaren Tem-
peraturdifferenz dominierten Carnot-Faktor begrenzt und typischerweise zu niedrig für
eine energiewirtschaftlich relevante und ökonomisch darstellbare Rückgewinnung von
elektrischer Energie. Zum Erreichen entsprechend hoher Speichertemperaturniveaus kön-
nen hierfür entweder flüssige Medien, die erst bei deutlich höheren Temperaturen ver-
dampfen (z. B. Salzschmelzen) oder sensible Feststoffspeicher eingesetzt werden.

 Hochtemperaturspeicherung in flüssigen Medien. Mithilfe thermischer Energie kann


die Temperatur der Schmelze eines bestimmten Salzes oder einer Mischung unter-
schiedlicher Salze (z. B. Natrium- und Kaliumnitrat) angehoben werden. Diese heiße
Salzschmelze kann dann in einem geeigneten (wärmegedämmten) Behälter vergleichs-
weise kostengünstig und verlustarm zwischengelagert werden. Wird sie über einen
entsprechenden Wärmeübertrager wieder abgekühlt, kann die Hochtemperaturwärme
14 Speicher 1109

beispielsweise in Form von Hochtemperatur-Wasserdampf verfügbar gemacht wer-


den, der dann in einem konventionellen Dampfkraftprozess verstromt werden kann.
Ein typischer Anwendungsfall dieser Speicheroption sind solarthermische Turm- und
Farmkraftwerke, bei denen solare Hochtemperaturwärme an den Tagstunden einge-
speichert wird, um eine Stromerzeugung in den frühen Abend- bzw. Nachtstunden zu
ermöglichen (Kapitel 11.1 und 11.2).
 Sensible Hochtemperatur-Feststoffspeicher. Derartige sensible Hochtemperatur-Fest-
stoffspeicher werden beladen, indem z. B. durch den Einsatz von elektrischer Energie
Luft auf ein hohes Temperaturniveau aufgeheizt und dann durch ein Feststoffbett ge-
fördert wird, um dieses zu erhitzen. Ein solches Feststoff-Speicherbett kann beispiels-
weise aus hochtemperaturbeständigen Steinen (z. B. Metalle, Metallerze, kristalline
Gesteine) bestehen, die sich in einer porösen und permeablen Schüttung in einem
entsprechend großen isolierten Behälter befinden. Beim Ausspeichern wird durch das
zuvor aufgeheizte Feststoff-Speicherbett und damit durch den mit thermischer Energie
beladenen Speicher kalte Luft gefördert, die sich auf dem Weg durch das Feststoffbett
erwärmt. Mithilfe dieser heißen Luft kann dann durch den Betrieb z. B. eines Dampf-
kraftprozesses elektrische Energie nachfrageorientiert bereitgestellt werden. Von Nach-
teil ist der zweifache Wärmeübergang vom Wärmeträger Luft zum Speichermedium
beim Einspeichern und vom Speichermedium an den Wärmeträger Luft beim Ausspei-
chern, bei dem es zu entsprechenden Temperaturverlusten kommt.

Eigenschaften Sensible Niedertemperaturspeicher für thermische Anwendungen können


thermische Energie kurzzeitig vergleichsweise verlustarm speichern. Typische Speicher-
verluste für eine Kurzzeitspeicherung und Speichergrößen bis 5 m3 liegen bei 5 bis 15 %/d.
Je nach Verhältnis von Speicheroberfläche zu Volumen und abhängig von der Wärmedäm-
mung lässt sich Niedertemperaturwärme auf diese Weise auch längerfristig speichern. Die
verschiedenen Komponenten derartiger Niedertemperaturspeicher sind dabei i. Allg. kos-
tengünstig verfügbar und das Speichermedium Wasser ist zumindest in Europa nahezu
beliebig vorhanden. Je nach nutzbarer Temperaturdifferenz liegt die spezifische Energie-
dichte bei ca. 35 Wh/L bzw. 35 kWh/m3 (bei Wasser als Speichermedium und  D
30 °C). Aufgrund der kosteneffizienten Verfügbarkeit von Wasser und tendenziell einfa-
cher technischer Komponenten ist die Speicherung von Niedertemperaturwärme darüber
hinaus relativ kostengünstig.
Für Hochtemperaturanwendungen (z. B. Salzschmelzen) ist der Speicheraufwand im
Vergleich zum Niedertemperatur-Wasserspeicher zwar z. T. deutlich höher, tendenziell
aber nach wie vor relativ niedrig [14.11]. Bei der Bereitstellung von elektrischer Ener-
gie als ausgespeicherter Energieform muss jedoch in der Effizienzbewertung zusätzlich
berücksichtigt werden, dass aufgrund insgesamt relativ niedriger Wirkungsgrade für das
Gesamtsystem (d. h. Einspeicherung der elektrischen Energie in den Hochtemperatur-
Wärmespeicher und Rückverstromung) nur ein geringer Anteil der eingesetzten elektri-
schen Energie in Form von Strom aus dem gesamten Speichervorgang nachfrageorien-
tiert zurückgewonnen werden kann. Eine derartige Hochtemperaturspeicherung ist aber
1110 J. Hilgedieck et al.

dann insgesamt deutlich effizienter (und damit auch potenziell kostengünstiger), wenn
thermische Energie vor der eigentlichen Verstromung gespeichert wird (anstatt mittels
elektrischer Energie bereitgestellte Wärme zu speichern), wie es bei den solarthermischen
Kraftwerken heute schon z. T. realisiert wird.
Die niedrigen Wirkungsgrade für solche „Strom zu Wärme zu Strom“ Anwendungen
sind wesentlich darauf zurückzuführen, dass zum einen das Speichern von Hochtem-
peraturwärme technisch herausfordernd und die Selbstentladung potenziell relativ hoch
sind und zum anderen besonders die Energiewandlung (thermisch zu elektrisch) mittels
Kreisprozessen aus thermodynamischen Gründen (d. h. Carnot-Wirkungsgrad) stark ver-
lustbehaftet ist. Da thermische Energie nicht beliebig in elektrische Energie gewandelt
werden kann, wird bei dieser Rückwandlung i. Allg. deutlich weniger als die Hälfte der
thermischen Energie in Form elektrischer Energie verfügbar gemacht. Insgesamt (mit
allen Wandlungs- und Speicherschritten) ergeben sich somit nur sehr niedrige Gesamt-
system-Speicherwirkungsgrade für derartige „Strom zu Wärme zu Strom“ Anwendungen.
Dem stehen – verglichen mit anderen Konzepten – potenziell relativ niedrige Kosten ge-
genüber, sodass ein energiewirtschaftlicher Nutzen a priori nicht gänzlich ausgeschlossen
werden kann. Allerdings muss entsprechend mehr Strom erzeugt werden, um die Verlus-
te durch die Speicherung auszugleichen; dies muss bei einer Gesamtbetrachtung dieser
Speicher berücksichtigt werden.
In Verbindung mit der zunehmenden Notwendigkeit an Flexibilität im Energieversor-
gungssystem wird der Einsatz von Wärmespeichern voraussichtlich weiter an Bedeutung
gewinnen. In Wärmenetzen kann dadurch bei Anlagen, die elektrische und thermische
Energie in Koppelproduktion bereitstellen (Kraft-Wärme-Kopplung, KWK), die elektri-
sche und thermische Energiebereitstellung flexibilisiert werden. Dadurch kann die Nach-
frage nach Heiz- und damit nach thermischer Energie zeitlich stärker von der Wärmebe-
reitstellung entkoppelt werden; d. h. die gekoppelte Strom- und Wärmeproduktion lässt
sich vermehrt stromgeführt ausgestalten und in Zeiten verlagern, in denen eine Nachfrage
nach elektrischer Energie gegeben ist. Aber auch im privaten Bereich könnte eine Nutzung
zunehmen (in Verbindung mit einer solaren Wärmebereitstellung beispielsweise mithilfe
von Photovoltaiksystemen).

Einordnung Abb. 14.5 gibt einen Überblick über die technischen Parameter derartiger
thermischer Energiespeicher. Dabei ist – auch im Vergleich zu den anderen Speichertech-
nologien – zu berücksichtigen, dass hier (ausgenommen sind Power-to-Heat-to-Power
(PtHtP) Anwendungen) thermische Energie ein- und ausgespeichert wird. Eine direkte
Vergleichbarkeit zu Strom-zu-Strom Speichern ist daher nicht gegeben.

14.1.2.2 Latente Wärme


Im Gegensatz zur sensiblen Wärme wird in Latentwärmespeichern Energie primär im Pha-
senwechsel eines Mediums gespeichert; d. h. durch die eingebrachte thermische Energie
wird der Aggregatszustand des Speichermediums verändert. In der Regel wird hierfür der
Übergang zwischen fest und flüssig zur Speicherung verwendet, da die mit diesem Pha-
14

1012

106

109
Speicher

Salzschmelze /
andere

Hochtemperatur

103
SW PCM
106 SW
Feststoff

Leistung in W
Wasser
Wasser Feststoff
Nieder-
temperatur
PCM

103 1

Spezifische Leistungsdichte in W/kg


1 103 106 109 1012 1015 1 103
Speicherkapazität in Wh Spezifische Energiedichte in Wh/kg
100%
100

PCM 100.00
100
80%
80

SW
10.00
10
60%
60

1.00
1 SW
40%
40 PtHtP

Wirkungsgrad in %
PCMa
0.10
0.1
20%
20
Reziproke Selbstentladung in Tag/%

0%0 0.01
0.01
Sekunden Minuten Stunden Tage Wochen 0.001 0.01-2
10 0.1 11 10 1002
10 1000 104
Speicherdauer Reaktionszeit in s

Abb. 14.5 Technische Eigenschaften thermischer Energiespeicher (dargestellt sind üblicherweise technisch realisierte Leistungen und Speicherka-
pazitäten, spezifische Leistungs- und Energiedichten, Wirkungsgrad und Speicherdauer sowie die reziproke Selbstentladung und die Reaktionszeit;
PCM: Phase Change Material / Phasenwechselmaterialien; PtH: Power-to-Heat / Strom zu Wärme; PtHtP: Power-to-Heat-to-Power / Strom zu Wärme
zu Strom) (a PCM Saisonspeicher mit Unterkühlungseffekt weisen nach einmaliger Abkühlung keine Verluste mehr auf)
1111
1112 J. Hilgedieck et al.

senwechsel einhergehende Volumenänderung deutlich geringer ist (und dementsprechend


technisch einfacher handhabbar) als die zwischen dem flüssigen und gasförmigen Zustand.
Die Energie, die mit dem Phasenwechsel von fest nach flüssig verbunden ist, wird durch
die spezifische Schmelzenthalpie (bzw. Verdampfungsenthalpie beim Phasenwechsel zwi-
schen flüssig und gasförmig) h definiert. Sie ist eine stoffspezifische Kenngröße.

Technische Umsetzung Ein mögliches Konzept der Latentwärmespeicherung stellen


Eisspeicher dar. Das Speichermedium ist dabei Wasser und der typische Anwendungs-
bereich liegt im Bereich der Gebäudeklimatisierung. Die Eigenschaften von Wasser
sind auch bei diesem Anwendungsfall vorteilhaft, da Wasser eine vergleichsweise hohe
Schmelzwärme von 333,5 kJ/L aufweist. Ein derartiger Eisspeicher kann beispielsweise
in der Heizperiode Wärme über eine Wärmepumpe bereitstellen; dadurch gefrieren immer
größere Mengen des Wassers, bis dieses letztlich vollkommen zu Eis geworden ist. Für
eine reine Kälteanwendung kann dann z. B. in der Nacht bei tiefen Außentemperaturen
thermodynamisch günstig Eis hergestellt werden, welches tagsüber für entsprechende
Kühlanwendungen verwendet wird. Im Sommer kann die niedrige Temperatur des Ei-
ses für Kälteanwendungen genutzt werden, indem das Eis sukzessive aufgeschmolzen
wird. Aufgrund der Schmelztemperatur von 0 °C ist eine Verwendung von Wasser als
Latentwärmespeicher aber zwingend auf Niedertemperaturanwendungen beschränkt und
zusätzlich von weiteren Technologien (z. B. Wärmepumpen) abhängig, die eine techni-
sche Nutzung dieses geringen Temperaturniveaus ermöglichen.
Durch den Einsatz anderer Speichermaterialien ist grundsätzlich auch die Speiche-
rung bei höheren Temperaturen möglich. So kann beispielsweise die thermische Trägheit
von Gebäuden erhöht werden, indem sogenannte Phase Change Materials (Phasenwech-
selmaterialien, PCM) in die Gebäudehülle eingebracht werden, deren Schmelzpunkt im
Bereich der Komforttemperatur für den Menschen liegt. Durch das Schmelzen bzw. Er-
starren dieser Materialien wird zum einen das Aufheizen und zum anderen das Abkühlen
des Gebäudes deutlich verlangsamt. Nachteilig ist, dass die Raumtemperatur die Phasen-
wechseltemperatur dafür jedoch in beide Richtungen etwas überschreiten muss. Verant-
wortlich dafür sind der Wärmeübergang von der Luft an die Wand und die instationäre
Wärmeleitung in der Wand, die bewirken, dass die Phase Change Materials (PCM) eine
niedrigere (bzw. höhere) Temperatur aufweisen als die Raumluft. So müsste z. B. bei einer
PCM-Schmelztemperatur von 23 °C die Raumtemperatur zum Erstarren einige °C niedri-
ger und zum Schmelzen einige °C höher liegen, bevor der entsprechende Effekt eintritt.
Phase Change Materials (PCM) haben ihre Anwendung daher in Gebäuden ohne sonsti-
ge relevante Speichermasse (1 cm Putz mit Phasenwechselmaterial hat etwa die gleiche
Speicherwirkung wie 10 cm Beton, sofern der Phasenwechselpunkt überschritten wird).
Derartige Materialien gibt es auch für Hochtemperaturanwendungen; d. h. mit derarti-
gen Stoffen ist auch die Speicherung thermischer Energie auf einem entsprechend hohen
Temperaturniveau möglich. Beispielsweise gibt es verschiedene metallische PCM, die
Schmelztemperaturen von über 500 °C aufweisen.
14 Speicher 1113

Eigenschaften Latentwärmespeicher zeichnen sich durch eine hohe spezifische Energie-


dichte in Verbindung mit der Möglichkeit relativ konstanter Temperaturniveaus aus. Bei
Wasser beträgt die spezifische Schmelzenthalpie ungefähr das 80-fache der Wärmekapa-
zität (h D 333;5 kJ=L und cp D 4;18 kJ=.kg K/). Durch das Schmelzen von 1 kg Eis
wird folglich so viel Energie frei, wie für die Erwärmung von 1 kg Wasser um 80 °C be-
nötigt werden würde. Bei begrenzten Temperaturbereichen lässt sich folglich bezogen auf
die Masse deutlich mehr Energie im Phasenübergang speichern.
Auch hier sind die Speicherverluste vom Verhältnis zwischen Volumen und Oberfläche
des Speichers sowie der Isolation abhängig. Für Anwendungen mit Schmelztemperaturen
auf dem Niveau der Umgebungstemperatur ist jedoch per se ein sehr verlustarmes Spei-
chern möglich, da die für den Wärmeverlust treibende Temperaturdifferenz entsprechend
gering ist.
Da das Phase Change Material (PCM) zumeist nicht der Wärmeträger ist, mit dem
die Energie zum Verbraucher transportiert wird, müssen für die thermische Energiespei-
cherung in PCM der Wärmeübergang vom Wärmeträger zum Phasenwechselmaterial und
die instationäre Wärmeleitung im Phasenwechselmaterial zusätzlich berücksichtigt wer-
den. Die dadurch begründeten benötigten Temperaturdifferenzen zwischen Wärmeträger
und Phase Change Material (PCM) verringern die gespeicherte Wärme, da die sensible
Wärme des Temperaturverlustes im Wärmeübertrager von der Speicherwärme des reinen
PCM abgezogen werden muss.

Einordnung Abb. 14.5 zeigt technische Parameter thermischer Energiespeicher. Deut-


lich wird u. a., dass gerade die sensiblen Wärmespeicher signifikant von der Speicherdauer
abhängige Wirkungsgrade aufweisen. Zusätzlich zeigt Abb. 14.2 eine Einordnung in die
insgesamt verfügbaren Speicher.

14.2 Magnetische Energie

Elektrische Energie kann auch in Form magnetischer Energie gespeichert werden. Dazu
wird die zu speichernde elektrische Energie durch eine elektromagnetische Wandlung in
einer Spule als magnetisches Feld gespeichert. Um diese gespeicherte magnetische Ener-
gie wieder in Form elektrischer Energie bereitstellen zu können, wird das magnetische
Feld in der Spule über eine erneute magnetisch-elektrische Wandlung rücktransformiert
und somit nachfragegerecht zur Verfügung gestellt.
Um potenzielle Speicherverluste zu minimieren, muss die Spule aus supraleitenden
Materialien bestehen. Supraleitung bedeutet, dass beim Unterschreiten einer kritischen
Temperatur (der sogenannten Sprungtemperatur) der elektrische Widerstand in dem ent-
sprechenden (Spulen-)Material abrupt auf null abfällt; d. h. Supraleiter haben die Eigen-
schaft, dass sie unterhalb dieser Sprungtemperatur keine Verluste bei der Leitung elek-
trischer Ströme aufweisen. Damit ist die eigentliche Energiespeicherung unter diesen
1114 J. Hilgedieck et al.

Bedingungen in der Theorie verlustfrei möglich. Die Sprungtemperatur ist materialspe-


zifisch; sie liegt bei Tieftemperatursupraleitern bei unter 253,15 °C (20 K) und kann bei
Hochtemperatursupraleitern bei bis zu 135,15 °C (138 K) liegen; damit muss aber eine
derartige Spule im Minimalfall immer noch auf Temperaturen von weit unter 0 °C abge-
kühlt werden.
Die gespeicherte Energie ESpule innerhalb einer derartigen supraleitenden Spule kann
nach Gleichung (14.5) definiert werden.
1
ESpule D L I2 (14.5)
2
Die Energie ESpule ist demnach proportional zur Induktivität L der Spule sowie dem
Quadrat des fließenden Stromes I. Zur Erhöhung der speicherbaren Energie kann folglich
entweder die Induktivität erhöht (z. B. durch die Erhöhung der Anzahl an Windungen der
Spule) oder der fließende Strom vergrößert werden; da letzterer quadratisch eingeht, hat
dies einen deutlich größeren Effekt auf die speicherbare Energie.

Technische Umsetzung Aus technischer Sicht bestehen derartige supraleitende magne-


tische Energiespeicher (engl. Superconducting Magnetic Energy Storage, SMES) aus den
drei Hauptkomponenten Spule (aus einem supraleitenden Material), Spulenkühlsystem
sowie Netzanschluss (einschließlich Wechselrichter) (Abb. 14.6).
Die Eigenschaft der Supraleitung ist dabei sehr materialabhängig. Sie tritt bei-
spielsweise bei Quecksilber nur bei extrem tiefen Temperaturen von unter 268,95 °C
(4,2 K) auf. Magnesiumdiborid hat demgegenüber – unter atmosphärischem Druck – mit
234,15 °C (39 K) eine deutlich höhere Sprungtemperatur. Dieses sehr geringe Tem-
peraturniveau grenzt den Einsatz metallischer Supraleiter für den Einsatz in derartigen
Speichern stark ein, da die notwendige Kühlung beispielsweise mit flüssigem Helium
sehr aufwändig und damit entsprechend energieintensiv und folglich teuer ist. Derartige

Abb. 14.6 Schema eines su-


Supraleitende
praleitenden magnetischen Spule
Energiespeichers

Kühlanlage Netzan-
schluss
14 Speicher 1115

metallische Supraleiter haben aber den Vorteil, dass sich daraus leicht Drähte formen
lassen, wie sie beispielsweise zur Konstruktion von Spulen benötigt werden, die letzt-
lich das Kernelement supraleitender magnetischer Energiespeicher darstellen. Inzwischen
wurde nachgewiesen, dass auch Schwefelwasserstoff (H2 S) bei hohen Drücken (100
bis 300 GPa) Eigenschaften eines metallischen Leiters mit einer Sprungtemperatur von
70 °C (203,15 K) aufweist. Auch Lanthanhydrid (LaH10 ) zeigt unter hohem Druck
(170 GPa) eine hohe Sprungtemperatur von etwa 23 °C (250,15 K). Zusätzlich wei-
sen auch bestimmte keramische Materialien diese supraleitenden Eigenschaften auf; ein
derartiger Vertreter ist beispielsweise Yttriumbariumkupferoxid (YBa2 Cu3 O7ı ; Supra-
leitfähigkeit wird für ı D 0;05 bis 0,65 beobachtet). Die technische Umsetzung in Spulen
ist aufgrund der Sprödigkeit des Keramikmaterials herausfordernd, aber unter bestimm-
ten Bedingungen möglich. Zusätzlich können auch Verbindungen aus Eisen, Lanthan,
Phosphor und Sauerstoff supraleitende Eigenschaften haben; hier kann durch bestimm-
te Beimischungen (z. B. Arsen) eine Sprungtemperatur von bis zu 217,15 °C (56 K)
erreicht werden.
Um den Effekt der Supraleitung jederzeit zu gewährleisten, muss der gesamte Strom-
kreis (d. h. Spule sowie alle Leiter) und damit der vollständig supraleitende Speicher
auf Temperaturen unterhalb der Sprungtemperatur des jeweiligen Speicher- bzw. Spulen-
materials gekühlt werden. Dementsprechend besteht die zwingende Notwendigkeit, alle
supraleitenden Elemente permanent, also sowohl während der Speicherphase als auch im
Standby-Betrieb, stark zu kühlen; dies bedingt notwendigerweise eine dauerhafte Ener-
gienachfrage, die bei einer Gesamtbilanz den Speicherwirkungsgrad merklich reduziert.
Bei den bisher vorliegenden Konzepten mit Tieftemperatursupraleitern soll dies über ei-
ne Kühlung durch flüssiges Helium realisiert werden; technisch ist das machbar, wenn
auch anspruchsvoll. Alternativ können Hochtemperatursupraleiter mit Sprungtemperatu-
ren oberhalb von 196,15 °C (77 K) auch mit flüssigem Stickstoff gekühlt werden. Dies
ist im Vergleich zum flüssigen Helium deutlich einfacher und kostengünstiger realisier-
bar (Faktor 10 und mehr). Allerdings ist die Herstellung von Hochtemperatursupraleitern
aufwändiger und kostenintensiver als die von Tieftemperatursupraleitern.
Beim Ladevorgang wird der Wechselstrom aus dem Netz der öffentlichen Versorgung
zunächst gleichgerichtet. Der erzeugte Gleichstrom fließt anschließend in die supraleiten-
de Spule. Dadurch wird ein Magnetfeld aufgebaut, in dem die Energie dann eingespeichert
wird. Nach dem Ladevorgang fließt der das Magnetfeld erzeugende Strom prinzipiell
verlustlos im hergestellten Stromkreis durch die Spule. Aufgrund der für die permanent
notwendige Tieftemperaturkühlung benötigen Energie (der Siedepunkt von Stickstoff liegt
bei 195,8 °C (77,35 K) und der von Helium bei 268,9 °C (4,25 K)) ist jedoch nichts-
destotrotz keine verlustfreie Speicherung möglich.
Beim Entladen wird durch das Schaltsystem eine externe Last an das System angelegt,
sodass durch das sich abbauende Magnetfeld ein Strom erzeugt wird (magnetisch-elektri-
sche Wandlung). Dieser elektrische Strom wird dann wieder mithilfe des Wechselrichters
1116 J. Hilgedieck et al.

in netzkompatiblen Wechselstrom transformiert und in das angeschlossene Stromnetz ein-


gespeist.
Infolge des hohen technischen Aufwandes haben derartige Speichersysteme bisher
noch keinen kommerziellen Durchbruch erreicht.

Eigenschaften Die Vorteile derartiger supraleitender magnetischer Energiespeicher lie-


gen im grundsätzlich nahezu verlustfreien Speicherprinzip und in den damit einhergehen-
den potenziell sehr hohen Wirkungsgraden von 90 bis 95 % (bei der Nutzung als Kurzzeit-
speicher). Des Weiteren bieten sie sehr kurze Zugriffszeiten im (Milli-)Sekundenbereich,
hohe Leistungsdichten (1 bis 4 kW/L) sowie hohe Lastgradienten. Dazu kommen po-
tenziell lange technische Lebensdauern – und das bei einer sehr hohen Zyklenfestigkeit
(> 1 000 000), da im eigentlichen Speicher keine beweglichen Teile verbaut sind. Außer-
dem erlauben derartige supraleitende magnetische Energiespeicher eine sehr hohe Tiefen-
entladung. Nachteilig stehen dem die geringen Energiedichten (0,5 bis 10 Wh/L) sowie
die zwingende Notwendigkeit einer (energieintensiven) Kühlung gegenüber. Die starke
Kühlung auf Temperaturen unterhalb der Sprungtemperatur erfordert neben dem dafür
notwendigen technischen Aufwand auch einen erheblichen Energieaufwand, der im Ver-
lauf der gesamten Speicherperiode anfällt. Außerdem weisen derartige supraleitende ma-
gnetische Energiespeicher eine relativ hohe Selbstentladungsrate von 10 bis 15 %/d auf;
d. h. eine Langzeitspeicherung ist (bisher) nicht sinnvoll darstellbar. Für die Speicherung
großer Energiemengen ist der Einsatz derartiger Speicher ebenfalls nicht zu empfehlen
[14.3, 14.4]. Bisher wurden Anlagen im MW-Bereich mit Entladezeiten im Sekundenbe-
reich realisiert, die zur Netzstabilisierung (Frequenz- und Spannungsregelung) eingesetzt
werden.
Nach dem aktuellen Stand der Technik ist auch in der überschaubaren Zukunft davon
auszugehen, dass supraleitende magnetische Energiespeicher weiterhin lediglich verein-
zelt eingesetzt werden. Ein Einsatzgebiet besteht beispielsweise in der hochdynamischen
Netzstabilisierung.

Einordnung Abb. 14.7 zeigt u. a. die technischen Eigenschaften magnetischer Energie-


speicher. Auch sie weisen – ähnlich wie die elektrischen Energiespeicher – nur geringe
Speicherkapazitäten bei niedrigen bis moderaten Leistungen auf. Für diese Speichertech-
nik ist auch eine sehr niedrige Reaktionszeit in Kombination mit potenziell hohen Wir-
kungsgraden charakteristisch. Daher können sie auch – ähnlich wie die elektrischen Ener-
giespeicher – zur Netzstabilisierung eingesetzt werden, wo sie hohe Leistungen kurzfristig
puffern bzw. speichern müssen. Soll die elektrische Energie länger gespeichert werden, re-
duziert sich der Gesamtspeicherwirkungsgrad infolge des parasitären Energieaufwandes
für die Kühlung merklich. Zusätzlich zeigt Abb. 14.2 eine Einordnung in die insgesamt
verfügbaren Speicher.
14

1012

106 Kondensator
Speicher

109
Einzelschicht
-Kondensator Doppelschicht-
Kondensator
Spule
103
106
Spule

Leistung in W
103 1

Spezifische Leistungsdichte in W/kg


1 103 106 109 1012 1015 1 103
Speicherkapazität in Wh Spezifische Energiedichte in Wh/kg
100%
100
Kondensator

Spule 100.00
100
80%
80

10.00
10
60%
60

1.00
1
40%
40

Wirkungsgrad in %
Kondensator
0.10
0.1
20%
20
Spule
Reziproke Selbstentladung in Tag/%

0%0 0.01
0.01
Sekunden Minuten Stunden Tage Wochen 0.001 0.01-2
10 0.1 11 10 1002
10 1000 104
Speicherdauer Reaktionszeit in s

Abb. 14.7 Technische Eigenschaften elektrischer und magnetischer Energiespeicher (dargestellt sind üblicherweise technisch realisierte Leistungen
und Speicherkapazitäten, spezifische Leistungs- und Energiedichten, Wirkungsgrad und Speicherdauer sowie die reziproke Selbstentladung und die
Reaktionszeit)
1117
1118 J. Hilgedieck et al.

14.3 Mechanische Energie

Elektrische Energie kann auch in Form von mechanischer Energie gespeichert werden; da-
runter wird hier sowohl potenzielle oder Lageenergie als auch kinetische oder Bewegungs-
energie verstanden. Für das Speichern von elektrischer in Form von mechanischer Energie
mit anschließender erneuter Verfügbarmachung als elektrische Energie ist dann zusätzlich
eine elektromechanische Wandlung (beim Einspeichern) und eine mechanisch-elektrische
Energiewandlung (beim Ausspeichern) notwendig. Da die entsprechenden Energietrans-
formationen i. Allg. sehr verlustarm sein können (sowohl mechanische als auch elektrische
Energie sind reine Exergie), kann die Speicherung von elektrischer in Form von mechani-
scher Energie eine relativ effiziente Speichermöglichkeit darstellen, zumal diese Energie-
form auch relativ verlustarm speicherbar ist. Nachfolgend werden beide Speicheroptionen
– d. h. sowohl in Form von kinetischer als auch von potenzieller Energie – diskutiert.

14.3.1 Bewegungsenergie

Wird einer bestimmten Masse Bewegungsenergie zugeführt, wird diese in eine mecha-
nische Bewegung versetzt; dies kann beispielsweise in Form einer translatorischen oder
einer rotatorischen Bewegung realisiert werden. Für Anwendungen in Energiesystemen
wird insbesondere die Speicherung von Energie in Form einer rotatorischen oder einer
Drehbewegung diskutiert (u. a. Momentanreserve).
Das Einspeichern der elektrischen Energie in Form von Bewegungsenergie erfolgt
beispielsweise mithilfe eines elektromechanischen Wandlers (z. B. Elektromotor). Die ro-
tatorische Energie wird dann in der bewegten Masse gespeichert. Indem die rotierende
Masse anschließend bei der Ausspeicherung durch einen elektrischen Generator abge-
bremst wird, kann die Bewegungsenergie zurück in elektrische Energie gewandelt werden.
Die in der rotatorischen Bewegung gespeicherte Energie ERotation berechnet sich nach
Gleichung (14.6). Jx beschreibt das Trägheitsmoment des rotierenden Körpers um die
Rotationsachse x; es ist von der Masse des bewegten Körpers und dem Radius bezogen
auf die Rotationsachse abhängig. ! ist die Winkelgeschwindigkeit.

1
ERotation D Jx ! 2 (14.6)
2
Designansätze zur Erhöhung der Speicherkapazität können damit entweder eine Er-
höhung der Winkelgeschwindigkeit und / oder des Trägheitsmoments verfolgen. Dabei
nehmen die auf den rotierenden Körper wirkenden Kräfte mit der Winkelgeschwindig-
keit und dem Radius zu; d. h. einer Vergrößerung einer oder beider Einflussgrößen sind
aus Sicht des jeweils eingesetzten Materials bestimmte stoffspezifische Grenzen gesetzt.

Technische Umsetzung Eine technische Umsetzung dieser Speicheroption stellt der


Schwungradspeicher dar. In einem derartigen Speichersystem wird eine drehbar gela-
14 Speicher 1119

Abb. 14.8 Funktionsschema Kühlanlage


eines Schwungradspeichers

Lagerung

Motor / Netzan-
Generator schluss

Schwungrad

Vakuum-
pumpe
Lagerung Welle

gerte Masse (z. B. ein Metallzylinder) mithilfe eines Elektromotors in eine Rotation
versetzt. Um potenzielle Lagerverluste zu minimieren, muss die Luft- und Lagerreibung
möglichst weitgehend reduziert werden; dazu kann die rotierende Masse in einem eva-
kuierten Gehäuse untergebracht und mit (supraleitenden) Magnetlagern gelagert werden.
Ein entsprechendes Funktionsschema zeigt Abb. 14.8. Hier ist der Elektromotor, der die
Umwandlung der elektrischen in mechanische (rotatorische) Energie realisiert, auf der
gleichen Welle wie die beweg- bzw. rotierbare Masse angebracht. Dadurch kann die Be-
wegungsenergie des Elektromotors unmittelbar in eine rotatorische Energie übertragen
und in dieser Form dann gespeichert werden. Die Rücktransformation erfolgt, indem die
elektrische Maschine als Generator betrieben wird. Dadurch kann elektrische Energie
ausgespeichert und damit erneut bereitgestellt werden.
Mit Ausnahme von verschiedenen Forschungsprojekten haben bisher derartige Spei-
cher nur eine geringe Verbreitung im Markt erfahren. Der technische Aufwand, der für
den angestrebten Speichereffekt notwendig ist, ist unter den derzeitigen Gegebenheiten
im Energiesystem nicht kommerziell darstellbar.

Eigenschaften Schwundgradspeicher erreichen bei einer entsprechend aufwändigen


Herstellung (u. a. verlustarme Lagerung, evakuiertes Gehäuse) z. T. sehr hohe Wirkungs-
grade von bis zu 95 %. Außerdem liegt die Reaktionszeit der Speicher bei wenigen
Millisekunden [14.4]. Da die Selbstentladung bei 5 bis 15 %/h liegt (durch Luft- und
Lagerreibung und / oder aufgrund von Magnetlagerkühlung und Vakuumpumpe [14.3]),
ist eine Langzeitspeicherung elektrischer Energie im Stundenbereich oder darüber hin-
aus bisher weitgehend auszuschließen. Die Energiedichte spielt deswegen bei diesem
Speichertyp eine untergeordnete Rolle; heute liegt sie bei ca. 80 bis 200 Wh/L [14.3].
Das Einsatzfeld umfasst damit vor allem den Bereich der Leistungsanwendung bzw. der
Frequenzstabilisierung, um kurzfristig große Leistungen aufzunehmen oder bereitzustel-
len zu können. Wesentlich dafür ist die Leistungsdichte, die bei Schwungradspeichern
ca. 10 kW/L beträgt [14.3].
1120 J. Hilgedieck et al.

Insgesamt stellen Schwungradspeicher bisher primär eine Nischentechnologie dar. In


Anwendungsfällen mit hohen Anforderungen an die Versorgungssicherheit und gleich-
zeitiger Beeinflussbarkeit der Versorgungssicherheit durch lokale Speicheranwendungen
(z. B. in kleinen Inselnetzen) könnten Schwundradspeicher Schwankungen der Netz-
frequenz kompensieren und teilweise Stromausfälle für einige Sekunden überbrücken
[14.12]; im energiewirtschaftlichen Gesamtkontext spielen sie aktuell jedoch keine Rolle.
In Mobilitätsanwendungen kann prinzipiell ebenfalls eine Speicherung von Energie
in Form von Bewegungsenergie realisiert werden. Beispielsweise ist hier mithilfe der-
artiger Speichersysteme durch rekuperatives Bremsen eine (anteilige) Rückgewinnung
der eingesetzten Energie möglich; daher wurde diese Art der Speicherung auch schon
versuchsweise in Bussen verbaut, damit die Bremsenergie aus Effizienzverbesserungs-
gründen in der bewegten Masse (d. h. dem Schwungrad) zwischengespeichert und dadurch
für den nächsten Beschleunigungsvorgang genutzt werden kann. Daher könnte diese Form
der Energiespeicherung im Mobilitätssektor ggf. zukünftig eine gewisse Rolle spielen;
dies hat jedoch in Bezug auf das elektrische Energiesystem keinen direkten Einfluss (d. h.
die primäre Bedeutung liegt hier nicht in der Speicherung von elektrischer Energie).

Einordnung Abb. 14.11 zeigt eine Einordnung in die technischen Eigenschaften me-
chanischer Energiespeicher und Abb. 14.2 in die sämtlicher Speichersysteme. Demnach
haben Schwungradspeicher Vorteile bei kurzfristigen Speichereinsätzen und geringen Re-
aktionszeiten. Im Vergleich zu anderen Energiespeichern dieser Gruppe zeigen sie aller-
dings vor allem bei der längerfristigen Speicherung mittlerer bis großer Energiemengen
erhebliche Nachteile.

14.3.2 Potenzielle Energie

Indem eine Masse (z. B. Wasser) von einem niedrigen geodätischen Niveau auf ein hö-
heres geodätisches Niveau transportiert wird, lässt sich Energie in Form von Lageenergie
speichern. Vorteilhaft ist dabei, dass eine elevierte Masse i. Allg. keine (bzw. nur sehr
wenig) Energie verliert, da sowohl die Höhe als auch die Masse zeitlich (weitestgehend)
konstant sind. Deshalb können generell (sehr große) Energiemengen sehr lange ohne sig-
nifikante Verluste gespeichert werden.
Die gespeicherte potenzielle Energie EPot berechnet sich nach Gleichung (14.7). Darin
beschreibt m die Masse, g die Fallbeschleunigung und hNutz die jeweils nutzbare geodäti-
sche Höhe.

EPot D m g hNutz (14.7)

Damit wird die speicherbare Energiemenge von der Masse und / oder der nutzbaren Hö-
he, auf welche die Masse gebracht wird, definiert (die Erdbeschleunigung ist quasi nicht
beeinflussbar). In dem konkreten Anwendungsfall eines Pumpspeicherkraftwerks (siehe
14 Speicher 1121

unten) bedeutet dies beispielsweise, dass die speicherbare Energiemenge umso größer
wird, je mehr Wasser in ein umso höher gelegenes Becken gepumpt werden kann.

Technische Umsetzung Die energiewirtschaftlich relevanteste Variante der Energiespei-


cherung in Form von potenzieller Energie stellen Pumpspeicherkraftwerke (PSKW) dar.
Ein oberes Wasserreservoir (Oberbecken), das typischerweise auf einem erhöhten geodä-
tischen Niveau (z. B. im Gebirge) lokalisiert ist, wird dabei über Druckrohrleitungen mit
einem Wasserbecken (Unterbecken), das auf einem niedrigeren geodätischen Level liegt,
verbunden (z. B. im Tal). Dieses Unterbecken kann auch ein Fluss mit einem entsprechend
großen Abfluss oder das Meer sein. Indem Wasser mithilfe von Pumpen, die mittels Elek-
tromotoren – und folglich mit elektrischer Energie – angetrieben werden, vom unteren
in das obere Becken gefördert wird, lässt sich die als Pumpenergie eingesetzte elektri-
sche Energie in Form potenzieller Energie einspeichern. Diese eingespeicherte Energie
ist nahezu beliebig lange speicherbar; Verluste können begrenzt nur durch Verdunstung
und / oder Versickerung auftreten (dies kann ggf. durch Niederschläge kompensiert wer-
den). Wird das Wasser aus dem oberen Reservoir erneut ins Unterbecken abgelassen,
lässt sich daraufhin mithilfe einer Turbine und einem daran gekoppelten Generator er-
neut elektrische Energie ausspeichern und damit nachfrageorientiert bereitstellen. Dieses
Speicherprinzip ist in Abb. 14.9 dargestellt.
Neben dem klassischen Ansatz, dass Wasser von einem Unterbecken / Fluss in ein
Oberbecken gepumpt wird, werden derzeit auch Konzepte diskutiert, bei denen Wasser
beispielsweise von einem künstlich angelegten tiefen Loch in ein oberirdisch errichtetes
Becken gepumpt wird (z. B. von der untersten Sohle einer Braunkohlenabbaugrube in ein
auf der ursprünglichen Erdoberfläche errichtetes Speicherbecken, von der untersten Soh-
le eines vorhandenen Bergwerks nach Übertage, von einer Kiesgrube zur ursprünglichen
Erdoberfläche). Mithilfe derartiger Konzepte sollen Pumpspeicher auch dort errichtet wer-
den können, wo keine entsprechenden Berge vorhanden sind.

Oberbecken

Druckrohr- Generator / Motor


leitung
Pumpe

Turbine Unterbecken
Rohrleitung
Netzan-
schluss

Abb. 14.9 Funktionsschema eines Pumpspeicherkraftwerks


1122 J. Hilgedieck et al.

Pumpspeicherkraftwerke werden bereits seit vielen Jahrzehnten eingesetzt und sind


entsprechend technisch ausgereift. Es ist zukünftig nicht von großen technischen Verbes-
serungen auszugehen.

Eigenschaften Pumpspeicherkraftwerke zeichnen sich durch verhältnismäßig hohe


Strom-zu-Strom-Wirkungsgrade von ca. 80 % aus [14.13]. Sie können innerhalb weniger
Minuten und damit kurzfristig auf Schwankungen der netzseitigen Stromerzeugung re-
agieren [14.4] und weisen nahezu keine Selbstentladung auf (lediglich durch Verdunstung
und ggf. Versickerung kann Wasser und somit Energie für die anschließende Rückverstro-
mung verloren gehen). Die Energiedichte ist (abhängig von der Höhendifferenz) relativ
gering (0,27 bis 1,36 Wh/L bei 100 m bzw. 500 m Höhendifferenz), sodass zum Speichern
großer Energiemengen entsprechend groß dimensionierte Oberbecken benötigt werden.
Ein Nachteil der Pumpspeicherkraftwerke besteht in der starken Abhängigkeit von geo-
grafischen Gegebenheiten. Es müssen stets ausreichend große Speicherbecken errichtet
werden bzw. nutzbar sein (ggf. vorhandener See im Hochgebirge) und außerdem sollten
große nutzbare Höhendifferenzen vorhanden sein. Diese beiden wesentlichen Anforde-
rungen begrenzen die Möglichkeiten zur Errichtung derartiger Anlagen i. Allg. signi-
fikant. Außerdem bedeutet die Installation von Pumpspeicherkraftwerken in der Regel
einen deutlichen Eingriff in die natürliche Umwelt an dem entsprechenden Anlagenstand-
ort. Aufgrund dieser Anforderungen besteht nicht selten eine räumliche Distanz zwi-
schen möglichen Standorten von Pumpspeicherkraftwerken sowie den entsprechenden
Verbrauchs- bzw. Erzeugungsschwerpunkten für die zu speichernde elektrische Energie.
Die Nutzung von Pumpspeicherkraftwerken zur Energiespeicherung bedingt in solchen
Fällen dann den Ausbau ausreichender Transportkapazitäten in den jeweiligen Stromnet-
zen.
Pumpspeicherkraftwerke stellen damit eine effiziente Option zur kurzfristigen und auch
langfristigen (d. h. überjährigen) Speicherung relativ großer Energiemengen dar. Außer-
dem ist die Technik bekannt und technisch vollumfänglich beherrscht; weltweit ist eine
Vielzahl derartiger Anlagen – und das schon seit vielen Jahrzehnten – in Betrieb. Hin-
zu kommt, dass in Europa bereits eine Vielzahl an Pumpspeicheranlagen vorhanden sind,
die zukünftig potenziell verstärkt bzw. anders als in der Vergangenheit genutzt werden
könnten, um in den Elektrizitätsversorgungssystemen mit hohen Anteilen fluktuierender
Stromerzeugung eine Energiespeicherung und Leistungsvorhaltung zu ermöglichen. Da-
bei ist eine räumliche Nähe zwischen Erzeugungs- und Speichersystemen vorteilhaft; dies
gilt insbesondere dann, wenn keine leistungsstarken Transportleitungen vorhanden sind
und neu errichtet werden müssten. Nachteilig ist, dass eine Errichtung neuer „klassischer“
Pumpspeicherkraftwerke im deutschsprachigen Raum bzw. in der EU aus Natur- und Um-
weltschutzgründen nur noch sehr eingeschränkt möglich ist; alle beispielsweise in den
Alpen in den letzten Jahren untersuchten Standorte sind u. a. aufgrund derartiger Aspek-
te nicht im Konsens mit der dort ansässigen Bevölkerung und / oder den gültigen legalen
Rahmenvorgaben erschließbar. Dies könnte sich ändern, wenn die Gebiete, die durch die
14 Speicher 1123

in den Alpen verstärkt abschmelzenden Gletscher frei werden, dafür genutzt werden dür-
fen.

Weitere Konzepte Elektrische Energie kann auch in Form von potenzieller Energie
durch den Transport fester Materie auf ein höheres geodätisches Niveau gespeichert wer-
den. Dazu ließe sich beispielsweise mithilfe eines Elektromotors elektrische Energie über
eine Bewegung in Lageenergie transformieren. Mithilfe eines Generators würde dann die
Rückwandlung erfolgen.

 Eine derartige Energiespeicherung in Form von potenzieller Energie ist beispielsweise


in mit Kies gefüllten Gondeln möglich. Durch den Transport der (schweren) Gondeln
auf ein höheres geodätisches Niveau (z. B. vom Tal auf einen Berg) ließe sich so Ener-
gie ein- und beim Rücktransport auf ein niedrigeres Niveau wieder ausspeichern. Die
praktische Demonstration dieses Prinzips steht aber noch aus [14.14].
 Ein ähnlicher Ansatz besteht im Transport beladener Züge auf Schienensystemen zwi-
schen einem oberen und einem unteren Niveau; der in den Zügen vorhandene elek-
tromotorische Antrieb müsste dann umschaltbar sein in einen Generatorbetrieb. Das
energetische Be- und Entladen könnte direkt über die Stromversorgung dieser Züge
erfolgen (d. h. Oberleitungen) [14.14]. Auch dieses Konzept liegt bisher nur als eine
erste Konzeptstudie vor.
 Andere Überlegungen basieren auf einem zylindrischen Hohlkörper, der im oberflä-
chennahen Untergrund aufgefahren wird. In ihm befindet sich ein beweglicher zylindri-
scher Körper, der durch die Aufbringung von Druckenergie gehoben (Einspeichervor-
gang) bzw. bei Druckentladung abgesenkt werden kann (Ausspeichervorgang) [14.15].
Dieser Zylinder kann sich damit vergleichbar zu einem Kolben in einem Kolbenmotor
bewegen. Aber auch hier fehlt bisher die praktische Umsetzung.

Einordnung In Abb. 14.11 sind die Eigenschaften mechanischer Energiespeicher und in


Abb. 14.2 die sämtlicher Speichersysteme zusammengefasst. Demnach bieten sich Pump-
speicherkraftwerke vor allem für die längerfristige Speicherung mittlerer bis großer Ener-
giemengen an; d. h. diese Speicheroption bietet die Möglichkeit, sehr große Energie-
mengen auch über längere Zeiträume (d. h. überjährig) mit hohen Wirkungsgraden zu
speichern und dann vergleichsweise kurzfristig mit entsprechend großen Leistungen ver-
fügbar zu machen.

14.3.3 Druckenergie

Elektrische Energie kann auch in Form eines auf einen erhöhten Druck gebrachten Fluides
in einem geschlossenen Behälter (z. B. einer Kaverne) als mechanische Energie gespei-
chert werden. Die Druckerhöhung bewirkt dabei ein Einspeichern von Energie und das
1124 J. Hilgedieck et al.

Ablassen des Drucks ein Ausspeichern. Die Erhöhung des Fluiddrucks in dem geschlos-
senen Behälter stellt unter Einsatz einer elektromotorischen Pumpe bzw. eines elektromo-
torischen Verdichters die eigentliche elektromechanische Energiewandlung dar. Mithilfe
eines mit einer Turbine gekoppelten Generators wird der Überdruck daraufhin beim Aus-
speichern erneut von der mechanischen in elektrische Energie gewandelt. Dadurch kann
nachfrageorientiert elektrische Energie bereitgestellt werden.
Die gespeicherte Energie EDruck berechnet sich vereinfacht nach Gleichung (14.8). Da-
rin ist p der Druck in dem Volumen des geschlossenen Körper und V ist das Volumen
dieses Körpers.

EDruck D p V (14.8)

Die insgesamt in einem derartigen System eingespeicherte Energie wird damit im We-
sentlichen durch das Druckniveau bzw. die Druckerhöhung und / oder durch die Größe /
das Volumen des eingeschlossenen Körpers bestimmt. Beiden Größen sind bei der ent-
sprechenden technischen Lösung bestimmte Grenzen gesetzt.
Bei der Kompression vieler (gasförmiger) Fluide erhöht sich neben dem Druck zwangs-
läufig auch die Temperatur und bei der Entspannung wird parallel zum Druck auch die
Temperatur reduziert; dieses Verhalten ist eine stoffspezifische Eigenschaft. Dieser phy-
sikalische Effekt wird als Joule-Thomson-Effekt bezeichnet; generell beschreibt er die
Veränderung der Temperatur eines Gases bei einer isenthalpen Druckminderung (d. h.
keine Veränderung der Enthalpie des Gases). Dabei bestimmen die Stärke der anziehen-
den und abstoßenden Kräfte zwischen den einzelnen Molekülen des verdichteten bzw.
entspanntes Gases Richtung und Stärke dieses Effekts. Ein Großteil entsprechender Rein-
gase bzw. Gasmische weisen unter Normalbedingungen die Eigenschaft auf, dass eine
Druckentspannung mit einer Temperaturabsenkung einhergeht bzw. analog die Gastempe-
ratur bei einer Verdichtung ansteigt. Demgegenüber gilt z. B. bei Wasserstoff oder Helium
das gegenteilige Verhalten. Diesem Umstand muss bei der technischen Realisierung ent-
sprechender physikalischer Konzepte Rechnung getragen werden, da die freigesetzte bzw.
benötigte thermische Energie einen erheblichen Verlustmechanismus des gesamten Spei-
cherkonzepts darstellen kann.

Technische Umsetzung Eine technische Speicheranwendung, die auf der Speicherung


von Energie in Form von Druckenergie basiert, sind Druckluftenergiespeicher (engl. Com-
pressed Air Energy Storage, kurz CAES). Luft wird hier mithilfe eines elektromotorisch
betriebenen Kompressors verdichtet (d. h. Wandlung von elektrischer Energie in Druck-
energie). Als Speicherbehälter, in den diese verdichte Luft verpresst wird, dient eine
unterirdische Salzkaverne. Die bei der Verdichtung infolge des Joule-Thomsen-Effekts
freiwerdende thermische Energie wird entweder mittels Kühlung an die Umwelt abge-
führt (diabates Druckluftenergiespeicher-System) oder es wird mit dieser thermischen
Energie ein Wärmespeicher beladen (adiabates Druckluftenergiespeicher-System). Beim
Ausspeichern der komprimierten Luft aus der Kaverne wird sie erneut entspannt und dabei
14 Speicher 1125

Abb. 14.10 Funktionsschema des diabaten (links) und adiabaten Druckluftspeichers (rechts)

Arbeit beispielsweise über eine Turbine verrichtet, die dann über einen Generator wie-
der in elektrische Energie gewandelt werden kann. Jedoch kühlt sich die Luft bei diesem
Entspannungsvorgang entsprechend stark ab. Um eine daraus resultierende Vereisung der
Turbine zu verhindern, muss die Temperatur der verdichteten Luft vor der Entspannung
entsprechend angehoben werden. In diabaten Systemen erfolgt dies durch Verbrennung
(bzw. Zufeuerung) konventioneller oder bio- bzw. strombasierter Energieträger (z. B. gas-
förmige Energieträger wie u. a. Erd-, Bio- oder Synthesegas). In adiabaten Systemen wird
der bei der Einspeicherung beladene Wärmespeicher entladen und mit der thermischen
Energie das Temperaturniveau angehoben. Abb. 14.10 zeigt ein Funktionsschema eines
diabaten (links) und eines adiabaten (rechts) Druckluftenergiespeicher-Systems. Demnach
ist das adiabate System deutlich aufwändiger, da letztlich zwei Speicher benötigt werden
(d. h. der Druckluftspeicher und der Wärmespeicher). Da letzterer verlustbehaftet ist, ist
dieses Konzept nur dann ökonomisch darstellbar, wenn der Zusatzaufwand für Installation
und Betrieb des Wärmespeichers die dadurch erreichbaren Speicherwirkungsgradgewinne
nicht überkompensiert.
Insgesamt sind aktuell weltweit lediglich zwei Druckluftenergiespeicher-Systeme in-
stalliert (McIntosh, USA, mit 110 MW und Huntorf, Deutschland, mit 320 MW). Bei
beiden Anlagen wurden aus Kostengründen diabate Systeme umgesetzt (d. h. beim Aus-
speichern wird zusätzlich fossiles Erdgas verbrannt) [14.14, 14.16]. Adiabate Systeme
sind aktuell (noch) nicht in Betrieb und entsprechende Forschungsprojekte wurden auf-
grund potenziell zu hoher Kosten wiederholt eingestellt (z. B. [14.17]).

Eigenschaften Der Wirkungsgrad von Druckluftenergiespeicher-Systemen kann bis zu


70 % betragen (simulierte Werte für adiabate Druckluftenergiespeicher-Systeme). Er liegt
für diabate Systeme – und damit die beiden heute vorhandenen Anlagen – jedoch in der
Regel unter 55 % [14.18]. Außerdem sind nur Entladetiefen von maximal 35 bis 50 %
möglich (d. h. der typischerweise genutzte Druckbehälter (hier: Salzkaverne) kann nicht
1126 J. Hilgedieck et al.

beliebig tief entladen werden, da zur Erhaltung des Kavernenvolumens jederzeit ein Min-
destdruck in der Kaverne gegeben sein muss); dadurch lassen sich bestimmte Anteile der
ursprünglich eingebrachten Druckenergie (bei der Erstbeladung) nicht zurückgewinnen.
Die Reaktionszeit von Druckluftenergiespeicher-Systemen beträgt wenige Minuten (3 bis
10 min). Die Selbstentladung in der eigentlichen Salzkaverne ist sehr gering; demgegen-
über sind die thermischen Verluste des Wärmespeichers bei adiabaten Systemen häufig
deutlich höher. Die Speicherdichte beläuft sich für einen Speicherdruck von 200 bar auf
ca. 6 Wh/L.
Ein Nachteil von (großtechnischen) Druckluftenergiespeicher-Systemen ist die Abhän-
gigkeit von den geografischen Gegebenheiten. Für die Installation derartiger Systeme ist
das Vorhandensein einer Salzkaverne zwingende Voraussetzung, da andere Formen von
Großbehältern für die Hochdruckspeicherung von Gasen typischerweise noch deutlich
teurer sind; dafür müssen aber entsprechende geologische Gegebenheiten (d. h. Vorhan-
densein von technisch nutzbaren Salzstrukturen im bohrtechnisch erschließbaren Unter-
grund) in Gebieten mit einer Speichernotwendigkeit gegeben sein. Für sehr kleinvolumige
Druckluftenergiespeicher-Systeme ist auch die Installation und Nutzung eines Druckbe-
hälters grundsätzlich möglich; unter diesen Bedingungen sind die spezifischen Behälter-
kosten jedoch verhältnismäßig hoch – und das insbesondere in Hinblick auf die darin
gespeicherten Energiemengen und die damit realisierbaren Speicherleistungen. Aber auch
bei Salzkavernen-Systemen stellen die relativ hohen Investitionen ein deutliches Hindernis
dar, das eine weitere Verbreitung hemmt. Zusammen mit den eher bescheidenen Spei-
cherwirkungsgraden konnte sich diese Speicheroption daher bisher unter kommerziellen
Bedingungen nicht behaupten. Dies könnte sich ggf. dann ändern, wenn die Speicher-
dienstleistung am Strommarkt zukünftig merklich höher vergütet werden würde, da die
Technik verfügbar ist und z. B. in Norddeutschland, wo gleichzeitig ein hohes Windkraft-
potenzial vorhanden ist, gut nutzbare Salzstrukturen im Untergrund vorhanden sind.

Weitere Konzepte Das Speichern von elektrischer Energie in Form von Druckenergie
kann auch in anderer Form ausgestaltet werden. Ein Ansatz geht von der Installation gro-
ßer, hohler Betonkugeln in großen Wassertiefen aus. Diese Kugeln werden mithilfe von
elektromotorisch betriebenen Pumpen gegen den hydraulischen Druck entleert. Dadurch
wird elektrische Energie in Form von Druckenergie eingespeichert. Eine Ausspeicherung
dieser Energie erfolgt, indem über Turbinen Wasser zurück in die evakuierten Kugeln
fließt; dazu wird die Luft an die Atmosphäre abgegeben [14.19]. Eine kommerzielle An-
wendung des Konzeptes ist derzeit jedoch noch nicht in Sicht.

Einordnung Abb. 14.11 zeigt zusammenfassend die technischen Eigenschaften der dis-
kutierten mechanischen Energiespeicher und Abb. 14.2 eine Einordnung in sämtliche hier
diskutierten Speichersysteme. Demnach weisen derartige Speicher bezüglich speicherba-
rer Leistungs- und Arbeitsmengen ein sehr breites Spektrum auf. Auch die Ansprechzeiten
sind verschiedenartig. In der Regel bieten insbesondere das Pumpspeicherkraftwerk und
der Druckluftenergiespeicher als mechanische Energiespeicher vor allem die Option ei-
14

1012

106
CAES
Speicher

109 PSKW

Schwungrad
103 PSKW
106

Leistung in W
CAES

103 1

Spezifische Leistungsdichte in W/kg


1 103 106 109 1012 1015 1 103
Speicherkapazität in Wh Spezifische Energiedichte in Wh/kg
100%
100

Schwungrad 100.00
100 PSKW
80%
80
PSKW

10.00
10 CAES
60%
60
CAES

1.00
1
40%
40

Wirkungsgrad in %
0.10
0.1
20%
20
Reziproke Selbstentladung in Tag/%

Schwungrad
0%0 0.01
0.01
Sekunden Minuten Stunden Tage Wochen 0.001 0.01-2
10 0.1 11 10 1002
10 1000 104
Speicherdauer Reaktionszeit in s

Abb. 14.11 Technische Eigenschaften mechanischer Energiespeicher (dargestellt sind üblicherweise technisch realisierte Leistungen und Speicherka-
pazitäten, spezifische Leistungs- und Energiedichten, Wirkungsgrad und Speicherdauer sowie die reziproke Selbstentladung und die Reaktionszeit;
CAES: Compressed Air Energy Storage / Druckluftspeicherkraftwerk; PSKW: Pumpspeicherkraftwerk)
1127
1128 J. Hilgedieck et al.

ner längerfristigen Speicherung bzw. Vorhaltung mittlerer bis großer Energiemengen bzw.
Leistungen; die Speicherung großer Energiemengen für längere Zeiträume erfolgt dabei
mit vergleichsweise hohen Systemwirkungsgraden (d. h. die Speicherung von Energie in
Form von mechanischer Energie ist i. Allg. verhältnismäßig verlustarm).

14.4 Physikalisch-chemische Energie

Ein großes Feld der Energiespeicherung besteht in der Speicherung von elektrischer und /
oder thermische Energie in Form von chemischer Bindungsenergie. Dabei wird bei der
Einspeicherung der thermischen oder elektrischen Energie eine chemische Verbindung
mit einer bestimmten chemischen Bindungsenergie durch eine chemische Reaktion in eine
Verbindung oder einen Reinstoff mit einem im Vergleich zum Edukt höheren Energieni-
veau überführt. Die dann nachfrageorientiert mögliche Rücktransformation in die jeweils
gewünschte Energieform (Strom oder Wärme) erfolgt ebenfalls durch eine chemische Re-
aktion (z. B. Oxidationsreaktion). Insgesamt kann diese chemische Reaktion reversibel
oder irreversibel sein. Werden derartige chemische Verbindungen oder Reinstoffe als En-
ergiespeicher genutzt, bietet dies i. Allg. ein großes Potenzial für sehr hohe Energiedichten
und – sind die Verbindungen stabil – zusätzlich eine verlustarme bzw. -freie Energiespei-
cherung.

14.4.1 Sorptionsenergie

Energie kann mittels Sorption bestimmter Stoffe untereinander gespeichert werden. Dabei
ist Sorption ein Oberbegriff für die Anreicherung eines Stoffes (bzw. von Kolloiden oder
von Partikeln) in einem Phasengrenzgebiet, die über die Konzentrationen innerhalb der
Phasen hinausgeht; d. h. eine Sorption kann an den Grenzflächen zwischen flüssiger und
fester, zwischen gasförmiger und fester bzw. zwischen flüssiger und gasförmiger Phase
vorkommen. Die sorbierende Phase ist das Sorbens, der Sorbent oder das Sorptionsmit-
tel. Der aufzunehmende, noch nicht sorbierte Stoff wird als Sorptiv bezeichnet und der
an- oder eingelagerte (sorbierte) Stoff als Sorbat [14.20]. Sie lässt sich unterteilen in die
Prozesse der Physisorption und Chemisorption (Abb. 14.12).

 Bei der Physisorption erfolgt die Anlagerung eines Adsorbats an die Oberfläche ei-
nes Adsorbens aufgrund physikalischer Effekte. Dabei wird das adsorbierte Molekül
durch Van-der-Waals-Kräfte an einem Substrat gebunden; d. h. hier werden Kräfte
wirksam, die keine chemische Bindung bewirken. Die Anlagerung ist in der Regel mit
der Freisetzung thermischer Energie (zumeist Kondensationswärme) verbunden und
kann durch die Einbringung von Wärme reversiert werden. Ein Vorteil der Physisorp-
tion besteht in der prinzipiell verlustfreien Speicherung über viele Jahre.
14 Speicher 1129

Abb. 14.12 Unterschied zwi-


schen der Physisorption und ungesättigte Bindung
der Chemisorption zu adsorbierendes Molekül

gesättigte
Bindung

Beginn einer Adsorption

Physisorption Chemisorption

 Bei der Chemisorption wird ein Adsorbat durch chemische Bindungen an ein Adsor-
bens gebunden. Dabei werden das Adsorbat und / oder das Adsorbens chemisch verän-
dert. Im Unterschied zur Physisorption ist die Chemisorption nicht immer reversibel.
Die beim Adsorbieren frei werdende bzw. beim Desorbieren benötigte Bindungsener-
gie beträgt typischerweise rund 800 kJ/mol; im Unterschied dazu liegt diese bei der
Physisorption nur bei ca. 80 kJ/mol. Durch den dabei stattfindenden Auf- bzw. Abbau
starker chemischer Bindungen können große Energiemengen ein- bzw. ausgespeichert
werden.

Technische Umsetzung Nachfolgend wird jeweils exemplarisch ein Beispiel für die
technische Umsetzung im Rahmen von Energiespeichern für die Physisorption und die
Chemisorption diskutiert.

Physisorption Ein Stoff, der häufig für die Speicherung thermischer Energie über Phy-
sisorption eingesetzt wird, ist Silikagel. Dieses auch als Kieselgel oder Kieselsäuregel
bezeichnete Material besteht aus farblosem, amorphem Siliziumdioxid (SiO2 ) von gel-
artiger, gummiartiger bis fester Konsistenz. Dieses Gel besitzt eine sehr große innere
Oberfläche (ca. 600 m2 /g [14.21]) und ist stark hygroskopisch (d. h. es zieht Wasserdampf
an). Indem thermische Energie in mit Wasser gesättigtem Silikagel eingebracht wird, wird
dieses getrocknet (und somit im Hinblick auf die Energiespeicherung beladen). Bei der
erneuten Anlagerung von Wasserdampf an die Oberfläche von trockenem Silikagel (d. h.
Ausspeicherung der Wärme) wird die Kondensationswärme und ein geringer Anteil an
Wärme der chemischen Anbindung frei; d. h. Energie (Wärme) wird ausgespeichert. Da-
mit kann Silikagel als thermochemischer Energiespeicher verwendet werden. Eingesetzt
1130 J. Hilgedieck et al.

wird es beispielsweise, um solare Wärme saisonal zwischenzuspeichern oder um in Fern-


wärmenetzen zum Ausgleich von Lastspitzen zwischen Wärmeerzeugung und -nachfrage
beizutragen. Die Arbeitstemperatur von Silikagel liegt zwischen 40 und 100 °C (315,15
und 373,15 K) [14.21].

Chemisorption Ein Beispiel für Chemisorption stellen Metallhydridspeicher dar. Durch


die Aufnahme bzw. Abgabe von Wasserstoff durch spezielle Metalle wird thermische
Energie freigegeben bzw. aufgenommen. Dabei findet eine chemische Veränderung der
Bindungsstruktur im Metallgitter statt. Die entsprechenden Reaktionen laufen auf Tempe-
raturniveaus von 280 bis 500 °C (553,15 und 773,15 K) ab. Obwohl Metallhydridspeicher
auch als thermische Energiespeicher bezeichnet werden können, besteht ihre primäre An-
wendung in der Speicherung von Wasserstoff [14.22]. Die folgende Ausführung ist daher
auf die Physisorption beschränkt.

Eigenschaften Sorptionsspeicher weisen hohe Energiedichten von 130 bis 180 Wh/L
auf. Durch die hohe Reaktionsenthalpie bei der Ad- und Desorption bezogen auf Masse
und Volumen des Speichermediums lassen sich folglich auch auf kleinem Raum größere
Energiemengen speichern. Hygroskopische Materialien wie Silikagel werden dabei z. T.
als Option für Kurzzeitspeicher in der Gebäudeklimatisierung diskutiert. Dort können sie
eingesetzt werden, um einerseits die Raumwärme zu regenerieren und andererseits auch
die Luftfeuchte bei Abluftwärmerückgewinnungsanlagen zurückzugewinnen. Auch für
Langzeitspeicherung können Sorptionsspeicher eingesetzt werden, da die Sorptionsstoffe
häufig im geladenen Zustand stabil sind und eine geringe Selbstentladungsrate aufweisen.
Nachteilig ist, dass bei der Entladung zuerst Wasserdampf bei geringer Temperatur in
einem Vakuum erzeugt werden muss und die Einlagerung in das Silikagel zwar zu einer
Temperaturerhöhung, aber praktisch nur zum Freiwerden der gleichen Energiemenge, die
zur Wasserdampferzeugung aufgewendet wurde, führt. Daher sind Sorptionsspeicher bei
der Entladung eher als Wärmepumpen und weniger als „echter“ Energiespeicher zu sehen.
Nur wenn der Wasserdampf bei geringen Temperaturen kostenfrei zur Verfügung steht
(z. B. feuchte Luft) kann von einer Speicherung gesprochen werden.

Einordnung In Abb. 14.19 ist ein Überblick über diese Möglichkeiten (Sorptionswärme
wird als Aspekt einer thermochemischen Speicherung (TCS) dargestellt) einer Energie-
speicherung und in Abb. 14.2 eine Einordnung in alle hier diskutierten Optionen darge-
stellt.

14.4.2 Verbindungen mit unterschiedlichen Energieniveaus

Chemische Verbindungen mit einem unterschiedlichen Energieniveau, die unter Aufbrin-


gung bzw. Freisetzung von Energie ineinander überführt werden können, stellen eine wei-
tere Möglichkeit der Energiespeicherung dar. Die verbreitetste technische Umsetzungsva-
14 Speicher 1131

riante dieser Option zur Speicherung von Energie ist die galvanische Zelle. Darin findet
eine Redoxreaktion (d. h. eine chemische Reaktion mit Elektronenübergang) statt. Ne-
ben dieser Option besteht jedoch auch die Möglichkeit der Speicherung von thermischer
Energie in (festen, flüssigen oder gasförmigen) chemischen Verbindung mit einem un-
terschiedlichen Energieniveau; die dabei stattfindenden Reaktionen sind jedoch i. Allg.
nicht geprägt von einem Elektronenübergang. Im Folgenden wird daher zuerst die Ener-
giespeicherung in chemischen Verbindungen mit einem unterschiedlichen Energieniveau
diskutiert, bei der die zugrunde liegende Reaktionsgleichung keinen Elektronenübergang
beinhaltet. Daraufhin wird detaillierter auf die Energiespeicherung eingegangen, bei der
die zugrunde liegende Reaktionsgleichung eine Redoxreaktion (d. h. eine Reaktion mit
Elektronenübergang) ist.

14.4.2.1 Reaktion ohne Elektronenübergang


Eine Option der Energiespeicherung in chemischen Verbindungen mit einem unterschied-
lichen Energieniveau ohne Reaktion mit Elektronenübergang besteht in der Speicherung
thermischer Energie durch wärmeinduzierte Auftrennung chemischer Verbindung (ther-
mochemische Wandlung). Dabei findet beim Einspeichern eine reversible endotherme
Reaktion statt. Dazu muss dem Speichermaterial Energie in Form von Wärme zugeführt
werden. Diese eingespeicherte Energie wird dann in den getrennten Stoffen selbst als che-
mische Energie gespeichert. Bei der Entladung findet analog eine chemisch-thermische
Wandlung in einem Reaktor statt, wenn die Stoffe wieder zusammengegeben werden. Bei
dieser exothermen Rückreaktion wird dann die eingespeicherte Energie in Form von Wär-
me wieder frei.

Technische Umsetzung Als ein entsprechendes technisches Beispiel kann die Abspal-
tung von Kohlenstoffdioxid aus Karbonaten angeführt werden. Beim Ladevorgang wird
z. B. Bariumcarbonat auf etwa 1 300 °C (1 573,15 K) erhitzt, sodass sich Bariumoxid und
Kohlenstoffdioxid nach Gleichung (14.9) bilden.

BaCO3 $ BaO C CO2 (14.9)

Bei der Entladung wird dem Bariumoxid Kohlenstoffdioxid zugeführt. Durch die dann
stattfindende exotherme Reaktion wird die gespeicherte Energie in Form von Wärme
wieder frei. Bei dieser Reaktion liegen die beiden Reaktanden im Speicherzustand in un-
terschiedlichen Aggregatzuständen vor (fest und gasförmig). Dies erleichtert die Trennung
und anschließende Lagerung.

Eigenschaften Eine chemische Speicherung von Wärme in getrennten Stoffen bietet sehr
hohe Speicherdichten, da die zu speichernde Energie in hochenergetischen chemischen
Bindungen eingespeichert wird. Die Speicherdichten liegen etwa 5 bis 10 mal höher als
bei sensiblen Speichern und rund 3 bis 5mal über denen der Latentwärmespeicher [14.23].
Allerdings ist die Speicherung thermischer Energie in mehreren Stoffen bisher noch nicht
1132 J. Hilgedieck et al.

Stand der Technik und eher ein Forschungsthema. Großtechnische, kommerzielle Anla-
gen wurden bisher nicht realisiert und werden aus heutiger Sicht auch in naher Zukunft
wahrscheinlich nicht umgesetzt. Dennoch gibt es eine Vielzahl an Möglichkeiten der Nut-
zung dieses physikalischen Speicherkonzeptes; beispielsweise gehören zu den möglichen
Reaktionsarten u. a. das Dehydratisieren von Salzhydraten oder die Decarboxylierung
von Zink-, Magnesium- oder Kalziumkarbonaten zu Metalloxiden. Die Reaktionen wei-
sen ein breites Temperaturspektrum zwischen 100 und über 1 000 °C (373,15 und über
1 273,15 K) auf.

Einordnung Abb. 14.19 zeigt einen Überblick über diese Möglichkeiten (die Speiche-
rung thermischer Energie in chemischen Verbindungen mit einem unterschiedlichen Ener-
gieniveau wird als Aspekt einer thermochemischen Speicherung TCS dargestellt) einer
Energiespeicherung und Abb. 14.2 eine Einordnung in alle hier diskutierten Optionen.

14.4.2.2 Reaktion mit Elektronenübergang (Redoxreaktion)


Eine Möglichkeit der Speicherung elektrischer Energie in Form von chemischer Energie
besteht in der Erhöhung des elektrochemischen Potenzials einer chemischen Verbindung.
In einer galvanischen Zelle werden dazu mithilfe von elektrischer Energie in einer re-
versiblen Redoxreaktion chemische Verbindungen erzeugt, deren Reaktionsprodukte eine
höherenergetische Bindungsform (d. h. ein höheres Energieniveau) besitzen als die ent-
sprechenden Edukte. Die einzuspeichernde elektrische Energie wird somit durch eine
elektrochemische Wandlung in chemische Bindungsenergie transformiert und als solche
gespeichert (d. h. als eine stabile chemische Verbindung mit einem höheren chemischen
Bindungsniveau im Vergleich zum Edukt). Zur erneuten Bereitstellung der eingespeicher-
ten elektrischen Energie werden die jeweiligen hochenergetischen chemischen Verbindun-
gen über eine chemische Rückreaktion in der reversiblen chemisch-elektrischen Wandlung
wieder auf ein energetisch niedrigeres Niveau versetzt. Dabei wird Energie in Form elek-
trischen Stroms frei, der dann nachfragegerecht genutzt werden kann. Dieses Prinzip wird
i. Allg. als Akkumulator bzw. Sekundärzelle bezeichnet. Liegt lediglich eine irreversible
Entladung vor, spricht man von einer Primärzelle bzw. Batterie.
Die grundsätzliche Funktion einer galvanischen Zelle, welche den Grundbaustein für
praktisch alle Akkumulatoren darstellt, beruht typischerweise auf einer reversiblen chemi-
schen Reaktion (hier: Redoxreaktion) einer bestimmten chemischen Verbindung. Dabei
laufen Reduktion und Oxidation dieses Stoffes räumlich getrennt in je einer Halbzel-
le (Halbelement) ab. Damit aber die entsprechenden chemischen Reaktionen reversibel
in dieser galvanischen Zelle ablaufen können, müssen die beiden Halbzellen mit einem
Elektronenleiter und einem Ionenleiter verbunden werden; dadurch wird der Stromkreis
geschlossen (Abb. 14.13).
Beim Entladen derartiger galvanischer Zellen ist der Minuspol die Anode (hier findet
die Oxidation statt) und der Pluspol die Kathode (hier wird der Speicherstoff reduziert).
Beim Laden sind die chemischen Reaktionen an den Polen vertauscht. Die Oxidation fin-
det dann am Pluspol statt; er agiert dann abweichend als Anode. Entsprechend findet am
14 Speicher 1133

e- e-

Ionenbrücke Kation

unedlere Elektrode - + edlere Elektrode


r
Anion

e-
Ionen der Ionen der
unedleren e- + - edleren
Elektrode in Elektrode in
e- +
Lösung + Lösung

Abb. 14.13 Funktionsschema einer galvanischen Zelle

Minuspol die Reduktion statt (er fungiert unter diesen Bedingungen als Kathode). Eine
derartige galvanische Zelle liefert folglich nur so lange eine Spannung, bis sich ein chemi-
sches Gleichgewicht eingestellt hat. Fließt kein Strom, obwohl eine Elektrodenspannung
anliegt, liegt das elektrochemische Gleichgewicht vor.

Technische Umsetzung Akkumulatoren in z. T. sehr verschiedenartigen Varianten stel-


len die technische Umsetzung dieses Speicherprinzips dar. Im Folgenden wird exem-
plarisch für eine seit Jahrzehnten etablierte Akkumulatorentechnologie die „klassische“
Bleibatterie und als ein prominenter Vertreter „neuer“ Batterien die Lithium-Ionen-Bat-
terie detaillierter dargestellt. Der letztere Akkumulatorentyp hat insbesondere im Bereich
der Consumer Elektronik (u. a. Mobiltelefone, Notebooks) eine hohe Marktdurchdringung
erlangt; Akkumulatoren dieses Typs werden beispielsweise aber auch in Elektrofahrzeu-
gen eingesetzt.

Bleibatterie Die Blei(Pb)-Batterie hat die elektrochemische Besonderheit, dass der Elek-
trolyt an der Reaktion teilnimmt. Die Elektroden bestehen hier aus metallischem Blei,
auf welchem sich im ungeladenen Zustand eine Schicht aus Blei(II)-Sulfat (PbSO4 ) bil-
det. Beim Ladevorgang werden an der positiv geladenen Elektrode Blei-Ionen zu Bleioxid
(PbO2 ) oxidiert, während an der negativ geladenen Elektrode Blei-Ionen zu metallischem
Blei (Pb) reduziert werden. Die Gesamtreaktion beschreibt Gleichung (14.10); hier findet
nach rechts die Entladung und nach links die Ladung statt. Demnach nehmen nicht nur
die positive Elektrode PbO2 und die negative Elektrode Pb an der chemischen Lade- und
Entladereaktion teil, sondern auch die Schwefelsäure.

Pb C PbO2 C 2 H2 SO4 $ 2 PbSO4 C 2 H2 O (14.10)

Die wichtigste Nebenreaktion bei Bleibatterien ist die Gasung. Aufgrund der Verwen-
dung eines wässrigen Elektrolyten und einer Zellspannung von 2 V entstehen Wasserstoff
1134 J. Hilgedieck et al.

Bleigitter

poröses
poröser
Bleioxid
Bleischwamm
(Aktivmasse)
(Aktivmasse)
Elektrolyt
(verdünnte
Schwefelsäure)

poröser Separator

Abb. 14.14 Schematischer Aufbau einer Bleibatterie

und Sauerstoff; d. h. Wasser wird in seine Komponenten aufgespalten. Dies lässt sich we-
gen der hohen Zellspannung aufgrund der elektrochemischen Spannungsreihe auch nicht
vermeiden. Daher wird die Zellspannung beim Laden auf 2,4 V begrenzt.
Den grundsätzlichen Aufbau einer Bleibatterie zeigt Abb. 14.14. Im geladenen Zustand
besteht die positive Elektrode aus porösem Bleidioxid (PbO2 ) und die negative Elektrode
aus porösem Bleischwamm (Pb). Die Porosität liegt in beiden Elektroden bei gut 50 %
und die Aktivmassen müssen eine feinkristalline Struktur aufweisen, um eine hohe aktive
Oberfläche zu erreichen. Eingetaucht sind die Elektroden in den ionenleitenden Elektro-
lyten aus verdünnter Schwefelsäure (H2 SO4 ). Die Elektroden sind durch einen für Ionen
durchlässigen Separator voneinander getrennt; dadurch wird ein Kurzschluss verhindert.
Durch den elektrochemischen Prozess beim Laden und Entladen findet somit eine Um-
wandlung des elektronischen in einen ionischen Stromfluss statt.
Bleibatterien werden in einer großen Zahl verschiedener Bauformen mit unterschied-
lichen Leistungsmerkmalen angeboten. Zu unterscheiden ist zwischen Batterien für eine
sehr hohe Leistungsabgabe (wichtigster Vertreter ist hier die Starterbatterie für Kraftfahr-
zeuge), Batterien für hohe Lebensdauern im Bereitschaftsparallelbetrieb (vor allem für
unterbrechungsfreie Stromversorgungen mit einer nur sehr seltenen Entladung der Bat-
terie) und Batterien für starke zyklische Belastungen (z. B. Elektroautos, Gabelstapler,
Rollstühle). Je nach Anforderungsprofil werden unterschiedliche Elektrodenbauformen
und Elektrodengeometrien verwendet; weit verbreitet sind hier die Elektrodenbauformen
Gitterplatte und Röhrchenplatte.

 Bei Gitterplatten wird das aktive Material in ein Gitter aus Hartblei (Bleilegierung mit
Antimon oder Kalzium mit weiteren Zusätzen) eingepasst. Vorteile dieser Konstruktion
sind eine kostengünstige Herstellung und die Möglichkeit, hohe Leistungsdichten zu
realisieren.
14 Speicher 1135

 Bei Röhrchenplattenelektroden wird um einen zentralen Hartbleistab das aktive Ma-


terial in ein poröses Röhrchen gefüllt. Mit dieser Technologie, die meist nur für die
positive Elektrode verwendet wird, lassen sich aufgrund des guten Zusammenhalts der
Aktivmasse durch das Röhrchen im Vergleich zu den Gitterplattenelektroden höhere
Zyklenlebensdauern erreichen. Damit ist dieser Elektrodentyp vor allem für Hybrid-
systeme mit hohem Ladungsumsatz gut geeignet.

Die Kapazität einer Bleibatterie ist temperaturabhängig. Sie erhöht sich um etwa 0,6 %
pro K Temperaturerhöhung (Bezugstemperatur je nach Hersteller oder Prüfstandard 20
bis 25 °C) und reduziert sich entsprechend bei einer Abkühlung. Allerdings beschleuni-
gen sich die Alterungsprozesse und die Selbstentladung mit zunehmender Temperatur.
Eine optimale Betriebstemperatur liegt daher eher im Bereich von 10 °C (283,15 K). Blei-
batterien speichern die zugeführte elektrische Energie mit einem Ah-Wirkungsgrad (Cou-
lomb’scher Wirkungsgrad) von rund 95 bis 98 %. Wird die Batterie in mittleren Ladezu-
ständen zyklisiert, ist der Ah-Wirkungsgrad nahezu 100 %. Das Verhältnis von bezogener
zu zugeführter Energie (typischer Wert 75 bis 90 %) ist der Wh-Wirkungsgrad, der sich
aus der gegenüber der Entladespannung höheren Ladespannung ergibt. Die Verwendung
von Blei führt zu einer geringeren massenbezogenen Energiedichte als bei anderen Ak-
kumulatortechnologien (25 bis 40 Wh/kg). Die volumetrische Energiedichte ist jedoch
vergleichbar (40 bis 100 Wh/L). Leistungsdichten von Blei-Säure-Akkumulatoren liegen
zwischen 0,4 und 0,6 kW/L und die Selbstentladungsrate bewegt sich typischerweise weit
unter 0,5 %/d; bei 25 °C (298,15 K) liegt sie bei etwa 2 bis 3 %/Monat.
Bleibatterien gehören zu den am längsten eingesetzten Akkumulatoren. Neben dem
günstigen Preis und der weiten Verbreitung sind weitere Vorteile eine hohe Zellspannung
von 2 V, ein guter Wirkungsgrad, eine hohe Sicherheit, prinzipiell hohe Lebensdauern
und das gut ausgebaute Recycling. Dem stehen die relativ geringe Energiedichte, die bei
bestimmten Anwendungen relativ geringe Lebensdauer und die schlechte Lagerbarkeit
gegenüber.

Lithium(Li)-Ionen-Akkumulator Ein Lithium-Ionen-Akkumulator ist aus zwei Elektro-


den, einem Elektrolyten sowie einem Separator aufgebaut; letzterer soll einen potenziellen
Kurzschluss unterbinden. Die positiv geladene Elektrode besteht dabei aus einem Li-
thium-dotierten Metalloxid und die negativ geladene Elektrode aus geschichtetem Graphit
(Kohlenstoff). Durch eine an den Elektroden angelegte Spannung wandern die Lithium-
Ionen durch den Elektrolyten von der positiv geladenen zur negativ geladenen Elektro-
de und werden dort in der Graphitschicht eingelagert. Der Elektrolyt, der diese Ionen-
wanderung ermöglicht, besteht aus einem organischen Lösungsmittel mit darin gelösten
Lithiumsalzen. Im geladenen Zustand befinden sich die Lithium-Ionen in der Graphit-
schicht; sie sind hier chemisch gebunden. Dadurch zeigen sie im Vergleich zur Lösung
im Elektrolyten ein höheres elektrochemisches Potenzial. Beim Entladen wandern die Li-
thium-Ionen erneut von der Graphitschicht durch den Elektrolyten zur positiv geladenen
1136 J. Hilgedieck et al.

Positive Elektrode Elektrolyt Negative Elektrode

Lithium-
Ion

Sauer-
stoff

Separator
Kohlen-
Metall stoff

Entladerichtung Laderichtung

Abb. 14.15 Schematische Funktionsweise eines Lithium-Ionen-Akkumulators

Elektrode. Hier werden sie dann im Metalloxid eingelagert. Dargestellt ist dieses Prinzip
in Abb. 14.15.
Die insgesamt dabei ablaufende reversible chemische Reaktion beschreibt Gleichung
(14.11). Die Entladung findet von links nach rechts und die Ladung von rechts nach links
statt.

Li1x Mn2 O4 C Lix Cn $ LiMn2 O4 C Cn (14.11)

Lithium-Ionen-Akkumulatoren weisen Wh-Wirkungsgrade von 80 bis 95 % bei gleich-


zeitig sehr geringen Reaktionszeiten von unter 5 ms auf. Sie haben relativ hohe Energie-
dichten von bis zu 670 Wh/L bei ebenfalls hohen Leistungsdichten von 0,1 bis 3,5 kW/L.
Ebenso weisen sie Entladetiefen von bis zu 100 % auf. Lithium-Ionen-Akkumulatoren
sind spannungsstabil und schnellladefähig. Nachteilig ist die teilweise begrenzte Zyklen-
festigkeit von 1 000 bis 5 000 Vollzyklen. Technische Lebensdauern von 5 bis 20 Jahren
sind erreichbar, wenn ein entsprechendes Lademanagement sowie jeweils optimale Tem-
peraturbereiche gewährleistet werden können. Die Selbstentladung eines Lithium-Ionen-
Akkumulators ist mit rund 0,03 %/d verhältnismäßig gering [14.3, 14.4].
Bedingt durch den global stark zugenommenen Nachfrageanstieg nach Lithium-Ionen-
Akkumulatoren sind die Marktpreise in den letzten Jahren deutlich gesunken. Durch die
einfach realisierbare Modularität und die damit relativ problemlos mögliche Skalierbarkeit
entsprechender Akkumulatorsysteme ist eine großtechnische Energiespeicherung tech-
nisch gut möglich und auch bereits z. T. erprobt. Auch dürften in den kommenden Jahren
infolge der starken Marktausweitung neben neuen Technologiespezifikationen auch die
Leistungsmerkmale weiter verbessert werden. Darüber hinaus dürften aufgrund steigen-
der Produktionskapazitäten sowie einer fortschreitenden Lernkurve die Marktpreise weiter
fallen.
14 Speicher 1137

Weitere Konzepte Die technische Ausgestaltung von Akkumulatoren erlaubt eine Viel-
zahl unterschiedlicher Kombinationsmöglichkeiten von Materialien sowie Bauformen.
Neben der bereits vorgestellten Bleibatterie und dem Lithium-Ionen-Akkumulator wer-
den im Folgenden die technisch relevantesten Varianten bzw. Materialkombinationen
diskutiert.

 Nickel-Metallhydrid-Akkumulator (NiMH). Bei dieser Akkumulatortechnologie be-


steht die positiv geladene Elektrode aus Nickel(II)-Hydroxid und die negativ geladene
Elektrode aus einem Metallhydrid. Beim Ladevorgang werden Protonen zu Wasserstoff
reduziert, welcher dann reversibel an der Metalllegierung gebunden und als Metallhy-
drid gespeichert wird. Parallel findet an der positiv geladenen Elektrode eine Oxidation
von Nickelhydroxid (Ni(OH)2 ) zu Nickeloxidhydrat (NiO(OH)) statt. Die Gesamtre-
aktion kann nach Gleichung (14.12) geschrieben werden; auch hier findet nach rechts
der Entlade- und nach links der Ladevorgang statt (MH Metallhydrid, Ni Nickel, M
Metall).

MH C NiO .OH/ $ M C Ni.OH/2 (14.12)

In Nickel-Metallhydrid-Akkumulatoren wird in der Regel eine 20 %ige Kalilauge als


Elektrolyt genutzt. NiMH-Akkumulatoren werden für Endverbraucher in den üblichen
zylindrischen Bauformen (Mignon, Mirco, Baby, Mono sowie 9-Volt-Block) angeboten
und weisen eine Energiedichte von 140 bis 300 Wh/L auf. Sie sind vor allem zu Beginn
durch eine hohe Selbstentladung von 20 % pro Woche charakterisiert, die aber mit der
Zeit geringer ausfällt.
Nickel-Metallhydrid-Akkumulatoren haben in den vergangenen Jahren vornehmlich
Nickel-Cadmium-Akkumulatoren abgelöst, die größtenteils aufgrund der Verwendung
des giftigen Cadmiums (Cd) verboten wurden. Außerdem sind seit 2006 Nickel-Metall-
hydrid-Akkumulatoren mit geringerer Selbstentladung (engl. Low Self-Discharge
NiMH, kurz LSD-NiMH) auf dem Markt erhältlich. Während klassische NiMH-
Akkumulatoren nach rund 2 Jahren nahezu voll entladen sind, weisen diese neuen
LSD-NiMH-Akkumulatoren nach der gleichen Zeit noch Ladestände von rund 80 %
auf. Hervorgerufen wird dieser Effekt zum einen durch neue Legierungen für die nega-
tiv geladene Elektrode, sodass der Wasserstoff chemisch stabiler eingebunden werden
kann, sowie zum anderen durch neue Nickelhydroxidlegierungen für die positiv gela-
dene Elektrode.
 Natrium-Schwefel-Akkumulator (NaS). Bei der Technologie des Natrium-Schwefel-
Akkumulators werden flüssige Elektroden mit einem festen Elektrolyten kombiniert.
Dazu werden Betriebstemperaturen von 270 bis 350 °C (543,15 bis 623,15 K) benö-
tigt. Die negativ geladene Elektrode besteht hier aus einem Graphitgewebe, das mit
flüssigem Schwefel (S) getränkt ist. Demgegenüber ist die positiv geladene Elektro-
de aus geschmolzenem Natrium (Na) aufgebaut. Der in diesem Fall feste Elektrolyt
besteht aus natriumhaltigem Aluminiumoxid, welches nur für Natriumionen permea-
bel ist. Beim Ladevorgang werden an der negativ geladenen Elektrode Natriumionen
1138 J. Hilgedieck et al.

zu Natrium reduziert, während an der positiv geladenen Elektrode Schwefelionen (aus


Natriumpolysulfid) zu Schwefel oxidiert werden. Die Gesamtreaktion beschreibt Glei-
chung (14.13); nach rechts findet die Entladung und nach links der Ladevorgang statt.

Na2 S5 $ 2 Na C 5 S (14.13)

Aufgrund der hohen Betriebstemperaturen, welche im Standy-by-Modus durch eine


externe Heizung sichergestellt werden müssen, werden NaS-Akkumulatoren nicht für
klassische Mobilitäts- sowie Multimediaanwendungen genutzt; d. h. sie kommen vor-
wiegend in der großtechnischen Speicherung von Energie zum Einsatz. NaS-Akkumu-
latoren weisen eine Energiedichte von 80 bis 250 Wh/L sowie eine Leistungsdichte von
0,04 bis 0,06 kW/L bei Wirkungsgraden von 80 bis 85 % auf. Sie sind auch durch ei-
ne hohe Zyklenfestigkeit charakterisiert. Die durchschnittliche Lebensdauer wird mit
rund 15 Jahren angegeben; sie wird aber stark von der Entladetiefe beeinflusst [14.23].
 Zink-Luft-Batterie. Ein weiterer „klassischer“ Energiespeichertyp, die Zink(Zn)-Luft-
Batterie, müsste strenggenommen Zink-Sauerstoff-Batterie heißen, da Sauerstoff (O2 )
als Reaktionspartner genutzt wird; da beim Betrieb allerdings Luftsauerstoff genutzt
wird, hat sich der Name Zink-Luft-Batterie etabliert. An der negativ geladenen Elek-
trode werden Sauerstoff und Wasser unter Elektronenaufnahme zu Hydroxidionen re-
duziert, während an der positiv geladenen Elektrode Zink und Hydroxidionen unter
Elektronenabgabe zu Tetrahydroxidozincat (Zn.OH/2 4 ) oxidiert werden. Zusätzlich
findet im alkalischen Elektrolyt eine Folgereaktion statt, in welcher die Tetrahydro-
xidozincat-Ionen zu Zinkoxid sowie Wasser und Hydroxidionen reagieren. Es gilt die
Gesamtreaktion nach Gleichung (14.14) (Entladereaktion nach rechts).

2 Zn C O2 C 2 H2 O ! 2 Zn.OH/2 (14.14)

„Klassische“ Zink-Luft-Batterien sind nicht reversibel nutzbar; d. h. sie können nur als
Primärzellen einmalig genutzt werden. Soll eine Wiederaufladbarkeit erreicht werden,
muss die Batterie mechanisch zerstört werden. Eine elektrische Wiederaufladbarkeit
ist aber prinzipiell innerhalb eines wässrigen alkalischen Elektrolyten möglich; dazu
müssen die sich bei der Entladung bildenden Dendriten, die Kurzschlüsse verursachen
können, vermieden werden. Zink-Luft-Batterien haben hohe Energiedichten und zeich-
nen sich durch eine sehr konstante Entladungskurve aus. Sie werden z. B. häufig als
Knopfzellen für Hörgeräte verwendet.
 Redox-Flow-Akkumulator. Beim Redox-Flow-Akkumulator wird ein grundlegend an-
derer Ansatz im Vergleich zu den bisher genannten Akkumulatortypen realisiert. Hier
werden zwei getrennte Elektrolytflüssigkeiten, die aus in sauren Lösungsmitteln ge-
lösten Salzen bestehen und in separaten Tanks gespeichert werden, an eine Membran
geleitet, mit der zwei Halbzellen voneinander getrennt werden (Abb. 14.16). Diese
Membran verhindert eine Vermischung der beiden Elektrolyten und dient zum Ionen-
bzw. Ladungsaustausch. Sie ist entweder ein mikroporöser Separator, der für alle Ionen
14 Speicher 1139

Abb. 14.16 Schema eines Redox-Flow-Akkumulator

permeabel ist, oder alternativ eine selektive Anionen- oder Kationentauschermembran.


Die Membran kann auch als eine Größenausschlussmembran ausgeführt werden, wel-
che nur für kleinere Ionen permeabel ist und Polymere zurückhält.
Die Redoxreaktion findet (wie bei den anderen Akkumulatortypen) an den Elektroden
statt, die meist aus Graphit bestehen. Beispielsweise werden bei einem Vanadium-
Redox-Flow-Akkumulator (All-Vanadium-System) an der negativ geladenen Elektrode
zweiwertige zu dreiwertigen Vanadium(V)-Ionen oxidiert. Demgegenüber werden an
der positiv geladenen Elektrode fünfwertige zu vierwertigen Vanadium-Ionen redu-
ziert. Vanadium liegt somit in vier verschiedenen Oxidationsstufen (von +II bis +V)
vor. Es gilt die chemische Gesamtreaktion nach Gleichung (14.15) (Entladereaktion
nach rechts).

V2C C VOC C
2 C 2H $ V
3C
C VO2C C H2 O (14.15)

Aufgrund der Besonderheit des Redox-Flow-Akkumulators, dass die beiden Flüssig-


elektrolyten getrennt gelagert werden, kann die elektrische Leistung und die Spei-
cherkapazität unabhängig voneinander skaliert werden. Die Elektrolytmenge bzw. die
Größe der jeweiligen Lagertanks bestimmt die Speicherkapazität, während die Elek-
trodenflächen die elektrische Aufnahmeleistung des Redox-Flow-Akkumulators be-
stimmt. Derzeit sind mit Vanadium-Redox-Flow-Akkumulatoren Energiedichten von
35 bis 70 Wh/L möglich. Dadurch, dass bei All-Vanadium-Systemen nur Vanadium in
verschiedenen Oxidationsstufen vorliegt, stellt ein potenzieller ungewollter Übergang
eines Elektrolyten kein großes Problem dar. Problematisch bei der großtechnischen
Anwendung von Redox-Flow-Akkumulatoren sind derzeit noch die hohen Systemkos-
ten sowie potenzielle Umweltprobleme, welche sich durch die Nutzung von Vanadium
bzw. Zink / Brom bei den Flüssigelektrolyten ergeben können [14.24].
1140 J. Hilgedieck et al.

Tabelle 14.2 Kenngrößen verschiedener Akkumulatortypen (nach [14.5, 14.23])


Akkumulatortyp Zyklenzahl Wirkungsgrad Energiedichte Selbstentladung
in % in Wh/L in %/d
Lithium-Ionen 500–15 000 90–97 200–375 0,03
Blei 500–2 000 75–90 25–100 0,1–0,4
Nickel-Metallhydrid 350–2 000 70 150–300 0,17
Natrium-Schwefel 3 000–10 000 70–85 80–255 < 10
Redox-Flow > 10 000 70–85 35–70 < 0,4
(All-Vanadium-System)

Tabelle 14.2 gibt einen Überblick über die verschiedenen Akkumulatortypen sowie de-
ren relevante Kenngrößen. Demnach sind die verschiedenen technischen Optionen durch
z. T. erhebliche Unterschiede in Bezug auf die erreichbare Zyklenzahl, den Speicherwir-
kungsgrad, die Energiedichte und die Selbstentladung gekennzeichnet.

Einordnung Abb. 14.19 zeigt eine Einordnung der diskutierten Akkumulatoren unterein-
ander und Abb. 14.2 in die hier diskutierten Speichersysteme insgesamt. Demnach eignen
sie sich besonders zur Speicherung moderater Energiemengen bei moderaten bis hohen
Lade- und Entladeleistungen. Sie können schnell auf bestehende Speicheranforderungen
reagieren und die Selbstentladung ist in der Regel begrenzt. Durch ihre hohe leistungssei-
tige Flexibilität, die hohen Wirkungsgrade in Kombination mit einem modularen Aufbau
bieten sie sich zur kurz- bis mittelfristigen Speicherung von Energie an.

14.4.3 Oxid und elementarer Reinstoff

Eine weitere Möglichkeit der chemischen Energiespeicherung stellt die Erzeugung eines
elementaren Reinstoffs aus einem Oxid dar, der dann gespeichert und anschließend bei
der Ausspeicherung erneut oxidiert werden kann. Der am meisten diskutierte Vertreter
dieser Gruppe ist Wasserstoff (H2 ), der bei der Einspeicherung durch Energie aus dem
entsprechenden Oxid (Wasser, H2 O) hergestellt wird. Grundsätzlich können auch andere
elementare Reinstoffe (z. B. Aluminium) erzeugt werden, die dann problemlos speicherbar
sind und aus denen dann durch eine erneute Oxidation die dafür aufgewendete Energie
(teilweise) wieder verfügbar gemacht werden kann. Nachfolgend wird nur das Beispiel
Wasserstoff näher erläutert; diese Option hat derzeit und potenziell auch in Zukunft die
mit Abstand größte Bedeutung. Dies gilt insbesondere auch deshalb, da Wasserstoff als
Edukt für eine Vielzahl weiterer chemischer Energiespeicherpfade genutzt werden kann.
Bei der Wasserstofferzeugung mithilfe von elektrischer Energie – und damit beim Ein-
speichervorgang der elektrischen Energie – findet eine strominduzierte Auftrennung der
chemischen Verbindung Wasser (d. h. des Wasserstoffoxids) in einem Elektrolyseur statt.
Die bei einer erneuten Oxidation dieses Reinstoffs (d. h. Wasserstoff) freisetzbare che-
14 Speicher 1141

mische Energie stellt dann die gespeicherte Energie dar (d. h. die bei der Oxidation von
Wasserstoff zu Wasser freiwerdende Energie). Dieses Gas kann dann z. B. in Druckbe-
hältern zwischengelagert werden. Zur erneuten Verfügbarmachung der Oxidationsenergie
in Form elektrischer Energie (d. h. Ausspeicherung in Form von elektrischem Strom)
gibt es verschiedene Wandlungspfade (z. B. die chemisch-elektrische Wandlung in einer
Brennstoffzelle, die Konversion in einem rechtsläufigen thermodynamischen Kreispro-
zess (Verbrennungsmotor / Gasturbine oder Dampfkraftprozess)), die durch jeweils unter-
schiedliche Vor- und Nachteile gekennzeichnet sind.

Technische Umsetzung Im Folgenden wird exemplarisch das Beispiel der Wasserstoff-


erzeugung durch einen Protonen-Austausch-Membran-Elektrolyseur (engl. Proton-Ex-
change-Membrane-Electrolyzer, kurz PEM-Elektrolyseur) erläutert. Dieser weist im
Hinblick auf ein schwankendes Energiedargebot (z. B. hohe Anteile fluktuierender er-
neuerbarer Energien aus Windkraft und / oder Solarstrahlung an der einzuspeichernden
elektrischen Energie) gute Eigenschaften auf, da bei einem PEM-Elektrolyseur Last-
schwankungen keine technischen Probleme darstellen.
Ein derartiger PEM-Elektrolyseur besteht aus einer protonenleitenden Membran. Diese
ist auf beiden Seiten direkt mit den Elektroden verbunden, auf welchen ein fester Poly-
merelektrolyt (z. B. Nafion) aufliegt. Dieser Elektrolyt ist sehr porös und leitet Wasser zur
Elektrode, welches dort zu elementarem Sauerstoff und Protonen gespalten wird. Diese
wandern durch die Protonen-Austausch-Membran zur negativ geladenen Elektrode, wo
diese mit Elektronen zu elementarem Wasserstoff reagieren. Es ergibt sich somit eine Ge-
samtreaktion nach Gleichung (14.16); nach rechts findet eine Energieaufnahme und nach
links die Energieabgabe statt.

2 H2 O $ 2 H2 C O2 (14.16)

Die Wasserspaltung wird somit nur auf der Anodenseite realisiert (Abb. 14.17). Auf
der Kathodenseite reagieren die Protonen zu Wasserstoff. Allerdings ist die Kathodensei-
te meist noch mit Wasser beladen. Trotzdem kann eine hohe Reinheit des Wasserstoffs
erreicht werden.
Für die Entladung der gespeicherten Energie wird bei dem Reinstoff Wasserstoff typi-
scherweise der Einsatz von Brennstoffzellen vorgeschlagen. Brennstoffzellen sind spe-
zielle galvanische Zellen, in denen die chemische Reaktionsenergie eines zugeführten
Brennstoff- und Oxidationsmittelstromes in Form von elektrischer Energie freigesetzt
wird. Im Gegensatz zu einer Verbrennung, die einen nachgeschalteten rechtsläufigen ther-
modynamischen Kreisprozess für die Bereitstellung von Arbeit / elektrischer Energie be-
nötigt, kann in einer Brennstoffzelle die chemische Energie direkt in elektrische gewandelt
werden; dieser Prozess ist nicht durch den Carnot-Faktor begrenzt und kann dadurch
potenziell im Vergleich dazu höhere Wirkungsgrade erreichen. Eine verbreitete Brenn-
stoffzellentechnologie stellt die Wasserstoff-Sauerstoff-Brennstoffzelle dar, in der Was-
serstoff den Brennstoff darstellt, der unter Zufuhr von Sauerstoff oxidiert wird. Mit einem
1142 J. Hilgedieck et al.

Abb. 14.17 Funktionsschema Membrane-Electrode-Assembly (MEA)


eines PEM-Elektrolyseurs H2 ½ O2
Gasdiffusions-

bipolare Platte
H2 lage (GDL) -
e eingravierte
H2O e- Kanäle
e-
e- +
H+ H ½ O2

e-
H+ e- +
H+ e-
e-

Kathode
Anode H2O
Katalysator

protonleitende
Polymer-Elektrolyt-Membran (PEM)

derartigen Speichersystem (Elektrolyseur und Brennstoffzelle) ist ein Strom-zu-Strom-


Wirkungsgrad der Wasserstoffspeicherung von rund 40 % realisierbar. Alternativ dazu
kann der Wasserstoff auch wie fossile Energieträger in Gasturbinen bzw. einem Dampf-
kraftprozess (oder einen Gas- und Dampfturbinenprozess) genutzt werden. Damit sind
Ausspeicherwirkungsgrade von rund 45 % potenziell erreichbar; d. h. der letztlich daraus
resultierende Strom-zu-Strom-Wirkungsgrad ist dann erheblich niedriger im Vergleich zu
der Brennstoffzellenoption. Alternativ dazu kann Wasserstoff auch unmittelbar als Ener-
gieträger genutzt werden.
Für die Speicherung des Wasserstoffs existiert eine große Vielzahl z. T. sehr unter-
schiedlicher Speichertechniken. Dabei bestehen jedoch gewisse Herausforderungen, die
speziell die Speicherung von Wasserstoff betreffen (z. B. geringe volumetrische Energie-
dichte bei atmosphärischen Bedingungen, geringe Molekülgröße). Daher wird im Folgen-
den ein kurzer Überblick über die verschiedenen Optionen zur Speicherung von Was-
serstoff gegeben. Eine wesentliche technische Unterscheidung liegt dabei darin, ob der
Wasserstoff in Reinform oder materialgebunden gespeichert wird [14.25].

Speicherung als Reinstoff Für die Speicherung reinen Wasserstoffs bestehen verschiedene
Optionen, die für eine Erhöhung der volumetrischen Energiedichte auf Kompression und /
oder Kühlung setzen.

 Druckgasspeicher. Hochdruckspeicher werden aktuell am häufigsten für die Speiche-


rung von Wasserstoff eingesetzt. Dabei werden Drücke von teilweise über 700 bar
erreicht. Eine Herausforderung im Vergleich zur Hochdruckspeicherung anderer Gase
stellte lange die geringe Molekülgröße dar, die zu einem Wasserstoffverlust aufgrund
von Diffusion führte. Heute ist dieses Problem durch den Einsatz neuer Materialien
weitgehend gelöst. Die beispielsweise in Kraftfahrzeugen eingesetzten Hochdruck-
tanks müssen aufgrund der hohen Materialbeanspruchung sehr druckstabil konstruiert
werden; darüber hinaus sind derartige Druckgasspeicher jedoch technisch wenig kom-
14 Speicher 1143

plex. Obwohl die Erzeugung der hohen Drücke einen energetischen Aufwand bedeutet,
sind derartige Druckgasspeicher verhältnismäßig effizient. Eine Option der Speiche-
rung sehr großer Energiemengen besteht in der Druckspeicherung in unterirdischen
Kavernen wie beispielsweise Salzkavernen.
 Flüssiggasspeicher. Die Verflüssigung von Wasserstoff ermöglicht eine Speicherung
mit hohen volumetrischen Energiedichten und geringen Drücken. Die wesentliche An-
forderung stellt dabei die starke Kühlung des Wasserstoffs dar, die für eine Kondensa-
tion und damit Verflüssigung notwendig ist; Wasserstoff kondensiert unter atmosphäri-
schem Druck bei einer Temperatur von 252 °C (21,15 K). Für eine Speicherung muss
der Tank folglich konstant auf Temperaturen bei circa 253 °C (20,15 K) gehalten wer-
den. Der Wärmeeintrag in den Speicher führt daher zu einer direkten Reduktion der
Speichereffizienz, da entsprechende Wärmeströme unter Energieaufwand abgeführt
werden müssen.
 Kryo-komprimierter Wasserstoff. Eine weitere Möglichkeit der Speicherung von Was-
serstoff als Reinstoff besteht im Speichern kryogenen Wasserstoffs bei hohen Drücken.
Dadurch können verhältnismäßig hohe Energiedichten erreicht werden, ohne einen
Phasenwechsel des Wasserstoffs handhaben zu müssen. Die Speicherung erfolgt dabei
im Regelfall bei Temperaturen um 223 °C (50,15 K) und Drücken entsprechend dem
Druckgasspeicher. Insgesamt stellt die Speicherung kryo-komprimierten Wasserstoffs
damit eine technisch aufwendige Variante dar, die einen erheblichen Energieaufwand
für Kühlung und Speicherung erfordert. Der volumetrische Energiegehalt lässt sich je-
doch im Vergleich zu den anderen Varianten der Speicherung als Reinstoff noch einmal
steigern.

Materialgebundene Speicherung Wasserstoff kann neben der Speicherung in Reinform


auch in anderen Materialien chemisch gebunden und damit gespeichert werden.

 Metallhydridspeicher. Die Speicherung von Wasserstoff in Metallhydridspeichern stellt


eine Form der Chemisorption dar, die jedoch im häufigsten Fall nicht die Speicherung
von thermischer Energie, sondern die Speicherung von Wasserstoff zum Ziel hat. Dabei
reagiert der Wasserstoff, welcher in das Gitter eines Metalls diffundiert, mit jenem
Metall zu einem Metallhydrid entsprechend Gleichung (14.17) [14.25].

H2 C Metall $ Metallhydrid C HR (14.17)

Die Reaktion ist exotherm (d. h. HR > 0). Um den Wasserstoff aus dem Metallhy-
drid (d. h. Reaktion von rechts nach links) zurückzugewinnen, muss daher Energie in
Form von Wärme in das System übertragen werden. Insgesamt ist daher das thermische
Management des Metallhydridspeichers sehr wichtig für die Effizienz der Speiche-
rung. Metallhydridspeicher können potenziell hohe volumetrische Speicherdichten für
Wasserstoff erreichen. Vor einer kommerziellen Markteinführung müssen noch einige
technische Herausforderungen bewältigt werden (z. B. derzeit niedrige Zyklenzahl).
1144 J. Hilgedieck et al.

 LOHC (Liquid Organic Hydrogen Carrier, flüssige organische Wasserstoffspeicher).


LOHC sind flüssige Verbindungen, die mit Wasserstoff be- und entladen werden kön-
nen. Beispiele dafür sind N-Ethylcarbazol, Benzyltoluol oder Dibenzyltoluol. LOHC
werden für die Beladung bei erhöhten Drücken (20 bis 50 bar) und Temperaturen (150
bis 200 °C (423,15 bis 473,15 K)) in einem Reaktor chemisch hydriert. Für die Entla-
dung werden sie wiederum – ebenfalls in einem Reaktor – katalytisch bei niedrigen
Drücken und hohen Temperaturen (270 bis 310 °C (543,15 bis 583,15 K)) dehydriert.
LOHC bieten besonders im Hinblick auf den Transport von Wasserstoff Vorteile, da sie
technisch deutlich einfacher handhabbar sind als reiner Wasserstoff. Dennoch wird für
Be- und Entladung Energie benötigt, was die Effizienz der Speicherung reduziert.
 Aktivkohle. Aktivkohle weist eine sehr poröse Struktur auf. Die daraus resultieren-
de große Oberfläche ermöglicht eine adsorptive Anlagerung von Wasserstoff an den
Kohlenstoff. Diese Anlagerung basiert im Wesentlichen auf Van-der-Waals-Kräften,
die erst bei niedrigen Temperaturen (ca. 203 °C (70,15 K)) ein stabiles Speichern von
Wasserstoff ermöglichen. Für die Wasserstoffspeicherung in Aktivkohle ist daher eine
entsprechende Kühlung nötig.
 Metallorganisches Gerüst. Metallorganische Gerüste sind wie Aktivkohle sehr porös
und weisen eine hohe Oberfläche (ca. 1 000 m2 /g) auf, sodass auch hier eine Speiche-
rung von Wasserstoff durch Adsorption erfolgt. Im Vergleich zur Aktivkohle ermög-
licht die Struktur von metallorganischen Gerüsten eine chemische Optimierung des
Adsorptionsverhaltens. Dennoch benötigt auch diese Form der Speicherung niedrige
Temperaturen (unter 173 °C (100,15 K)) und daher eine entsprechende Kühlung für
eine stabile Speicherung des Wasserstoffs [14.25].

Neben den beschriebenen Speicheroptionen besteht auch die Möglichkeit, Wasserstoff


anteilig dem Erdgas im Erdgasnetz beizumischen, zusammen mit dem Erdgas zu speichern
und dann – ebenfalls in Kombination mit Erdgas – energetisch zu nutzen.

Eigenschaften Wasserstoff stellt eine vielfältige Option der Energiespeicherung dar. Ne-
ben der Möglichkeit der Energiespeicherung dient Wasserstoff als Ausgangsprodukt von
Power-to-Gas (PtG) bzw. Power-to-Liquid (PtL) Verfahren (Kapitel 14.4.4). Durch die
chemische Speicherung der Energie in dem elementaren Reinstoff Wasserstoff ist die En-
ergiedichte in dieser Speicherform hoch. Die elektrolytische Erzeugung von Wasserstoff
selbst kann Wirkungsgrade von 60 bis zu maximal 90 % erreichen. Jedoch ist der Gesamt-
wirkungsgrad bei einer potenziellen Speicherung und anschließenden Rückverstromung
entsprechend geringer. Wasserstoff als Gas kann i. Allg. sehr lange mit sehr kleinen Spei-
cherverlusten gelagert werden; diese Eigenschaft macht die Speichervariante als Saisonal-
bzw. Langzeitspeicher interessant, obwohl die Speicherdichte im Vergleich zur Flüssig-
wasserstoffspeicherung wesentlich geringer ist.

Weitere Konzepte Als weiteres Konzept zur elektrolytischen Wasserstoffherstellung gibt


es neben der bereits diskutierten PEM-Elektrolyse weitere technische Umsetzungskon-
14 Speicher 1145

Abb. 14.18 Schema einer H2 ½ O2


alkalischen Elektrolyse

Kathode

Anode
Membran
H2O KOH ½ O2
H2O
OH-

+
H2 OH-

e- e-
e- e- e- e-
OH-
alkalischer
H2O OH- Elektrolyt
KOH

2 H2O

zepte von Elektrolyseuren. Ein Beispiel stellt die alkalische Elektrolyse (AEL) dar, bei
der beide Halbzellen mit einem flüssigen Elektrolyten gefüllt sind, der in der Regel aus
einer 20 bis 40 %igen Kaliumhydroxidlösung besteht. Getrennt sind beide Halbzellen
durch eine gegenüber Gas dichte Membran (Abb. 14.18), die ionenleitende Eigenschaften
aufweist; d. h. die entstehenden Ionen können diese Membran passieren, aber ein Gasaus-
tausch wird sicher unterbunden.
Beim Betrieb reagiert Wasser an der negativ geladenen Elektrode unter Elektronen-
aufnahme zu Wasserstoff und Hydroxidionen. Diese wandern nun durch den Elektrolyten
sowie die gasdichte Membran auf die Seite der positiv geladenen Elektrode. Hier reagieren
sie unter Elektronenabgabe zu elementarem Sauerstoff sowie Wasser. Für die Elektroden
werden meist sogenannte DSA-Elektroden (dimensionsstabile Anoden, z. B. aus Titan)
genutzt. Dabei handelt es sich um Streckmetalle, die mit einem Edelmetall-Katalysator-
oxid (z. B. Rutheniumoxid) beschichtet sind. Die Zellspannung beträgt mindestens 1,5 V.
Die alkalische Elektrolyse wird bereits heute weltweit technisch umgesetzt, da sie
im Vergleich zu anderen Elektrolyseurtechnologien geringere Investitionen aufweist und
großtechnisch erprobt ist. Derartige Elektrolyseure müssen in der Regel mit einer Min-
destteillast von 20 % betrieben werden. Sie sind auch wenig flexibel bzw. dynamisch zu
betreiben in Bezug auf die Schwankungen in der elektrischen Eingangsleistung.
Eine weitere technische Umsetzung der elektrolytischen Wasserspaltung ist die Hoch-
temperatur-Elektrolyse (engl. High Temperature Electrolysis of Steam, kurz HTES). Im
Gegensatz zu den beiden bisher vorgestellten Elektrolyseurkonzepten, die bei Temperatu-
ren zwischen 20 und 100 °C (293,15 und 373,15 K) operieren können, benötigt die Hoch-
temperaturelektrolyse Betriebstemperaturen von rund 900 °C (1 173,15 K). Demnach wird
hier nicht flüssiges Wasser, sondern Wasserdampf gespalten. Die für den Betrieb benö-
tige Wärme wird meist extern zugeführt (z. B. durch industrielle Prozesswärme); d. h.
der (energieintensive) Phasenübergang des Wassers von flüssig zu gasförmig muss dann
nicht mithilfe elektrischer Energie erzeugt werden. Dadurch kann die elektrische Ener-
1146 J. Hilgedieck et al.

gienachfrage der Wasserstofferzeugung im Elektrolyseur um rund 15 % gesenkt werden.


Zusätzlich wird bei derartigen technischen Lösungen ein Teil der für die Wasserspal-
tung benötigten Reaktionsenthalpie thermisch gedeckt. Die Zellspannung kann daher im
Vergleich zur alkalischen bzw. PEM-Elektrolyse auf unter 1 V gesenkt werden; dies wie-
derum bewirkt hohe strombezogene Wirkungsgrade (bis zu 90 %). Problematisch kann
sein, dass die Trennung von Wasserstoff und Wasserdampf bei hohen Temperaturen erfol-
gen muss. Insgesamt ist die Hochtemperatur-Elektrolyse derzeit aber noch wenig erprobt
und eine großtechnische, kommerzielle Umsetzung steht noch aus. Der Ansatz, dass in-
dustrielle Abwärme auf dem genannten Temperaturniveau eingekoppelt wird, schränkt die
potenziellen (kommerziellen) Anwendungsfälle ein.

Einordnung Abb. 14.19 gibt einen Überblick und eine Einordnung dieser Optionen in
die Möglichkeiten der Energiespeicherung in Form von chemischer Energie und Abb. 14.2
eine Einordnung in die insgesamt verfügbaren Energiespeichermöglichkeiten. Demnach
ist die Speicheroption, bei der ein Oxid (hier: Wasser) zu einem chemischen Reinstoff
(hier: Wasserstoff) reduziert wird, dann in dieser Form gespeichert werden kann und an-
schließend wieder rückverstromt wird, vielversprechend insbesondere im Hinblick auf ei-
ne großtechnische Speicherung von Energie; d. h. die Lade- und Entladeleistungen können
sehr hohe Werte annehmen. Auch wenn die Gesamtspeicherwirkungsgrade eher moderat
sind, bieten sich chemische Reinstoffe deshalb gut zur saisonalen Speicherung von Ener-
gie an.

14.4.4 Oxide und CH/NH-basierte Verbindungen

Elektrische Energie kann auch in Form von unter Standardbedingungen gasförmigen oder
flüssigen CH- bzw. NH-Verbindungen gespeichert werden. Die entsprechenden Optionen
werden auch unter den Begriffen Power-to-Gas (PtG) bzw. Power-to-Liquid (PtL) Techno-
logien zusammengefasst. Die in Form derartiger chemischer Verbindungen zu speichernde
elektrische Energie wird zunächst mithilfe eines Elektrolyseurs in Wasserstoff umgewan-
delt; dies gilt für beide Varianten. Dieser wird dann mit einer Power-to-Gas (PtG) bzw.
Power-to-Liquid (PtL) Anlage weiter zu gasförmigen bzw. flüssigen Kohlenwasserstoffen
(CH-Verbindungen) bzw. zu Ammoniak (NH3 ; d. h. NH-Verbindung) weiterverarbeitet;
dazu muss beispielsweise bei der Bereitstellung von CH-Verbindungen ein weiterer Stoff
(hier: CO2 ) reduziert werden, was ebenfalls mit einem entsprechenden Energieaufwand
einhergeht. Das final erzeugte (Brenn-)Gas (z. B. Methan (CH4 )) bzw. die bereitgestell-
ten (brennbaren) Flüssigkeiten (z. B. Fischer-Tropsch(FT)-Crude, Methanol) sind i. Allg.
chemisch stabil und mit vorhandener Technik gut lagerfähig. Damit wird die zu spei-
chernde elektrische Energie in den chemischen Bindungen des erzeugten Gases bzw. der
bereitgestellten Flüssigkeiten gespeichert. Da diese Stoffe bereits heute großtechnisch im
Energiesystem in Größenordnungen genutzt werden (auch wenn sie bisher aus anderen
(fossilen) Quellen stammen), ist eine Ausspeicherung der Energie bzw. eine Rückverstro-
14

1012

106
Wasserstoff
Speicher

109 Kavernenspeicher

Syngas , Methan
Kaver- Natrium-
nen- Porenspeicher Schwefel
Akkumulator speicher Akkumulator
103
Redox–Flow Natrium- Organic-Flow Lithium–
106 Schwefel Ionen
TCS
Blei-Säure

Leistung in W
Natrium/NiCl2
Natrium/NiCl2 Lithium–
Redox– Syngas, Methan
Druck- Ionen
Flow TCS
behälter Wasserstoff
Auto
Stahlflasche 1
103 Blei-Säure

Spezifische Leistungsdichte in W/kg


1 103 106 109 1012 1015 1 103
Speicherkapazität in Wh Spezifische Energiedichte in Wh/kg
100%
100
TCS
Lithium–Ionen Organic- 100.00
100
80%
80 Natrium/NiCl2 Flow Wasserstoff, Syngas,
Akkumulator
Redox–Flow Methan
Blei–Säure

10.00
10 Akkumulator
60%
60
Wasserstoff

Syngas, Methan 1.00


1
40%
40

TCS

Wirkungsgrad in %
0.10
0.1
20%
20
Reziproke Selbstentladung in Tag/%

0%0 0.01
0.01
Sekunden Minuten Stunden Tage Wochen 0.001 0.01-2
10 0.1 11 10 1002
10 1000 104
Speicherdauer Reaktionszeit in s

Abb. 14.19 Technische Eigenschaften physikalisch-chemischer Energiespeicher (dargestellt sind üblicherweise technisch realisierte Leistungen und
Speicherkapazitäten, spezifische Leistungs- und Energiedichten, Wirkungsgrad und Speicherdauer sowie die reziproke Selbstentladung und die Reak-
tionszeit; TCS: Thermo-chemische Speicherung)
1147
1148 J. Hilgedieck et al.

mung über z. T. sehr verschiedene Transformationspfade möglich; beispielsweise ist eine


chemisch-elektrische Wandlung in einer Brennstoffzelle, in einem rechtsläufigen thermo-
dynamischen Kreisprozess (Verbrennungsmotor / Gasturbine oder einem Dampfkraftpro-
zess) (hier ist ggf. eine Rückverstromung mit einer Wärmebereitstellung gekoppelt (d. h.
Kraft-Wärme-Kopplung, KWK)) oder mittels Verbrennung in einer Feuerungsanlage zur
alleinigen Bereitstellung thermischer Energie möglich.

Technische Umsetzung Nachfolgend wird zunächst exemplarisch die Power-to-Gas


(PtG) Technologie zur Methanerzeugung vorgestellt. Anschließend wird noch auf den
Power-to-Liquid (PtL) Prozess eingegangen.

Power-to-Gas (PtG) Der Power-to-Gas (PtG) Prozess stellt eine Erweiterung der Was-
serstofferzeugung dar (siehe oben); d. h. der beschriebenen Wasserstoffbereitstellung wird
ein weiterer Prozessschritt nachgeschaltet, um das hier gewünschte Speichermolekül Me-
than (CH4 ) zu erzeugen. Dazu wird Wasserstoff (H2 ) aus einer Wasserelektrolyse zu-
sammen mit Kohlenstoffdioxid (CO2 ) zunächst zu Kohlenstoffmonoxid (CO) und Wasser
(H2 O) (d. h. reverse Wasser-Gas-Shift-Reaktion) umgewandelt. Grundvoraussetzung für
eine derartige Prozesskaskade ist das Vorhandensein von Kohlenstoffdioxid (CO2 ). Dieses
kann aus der Luft, aus mit kohlenstoffhaltigen Brennstoffen betriebenen Kraft-, Heizkraft-
oder Heizwerken oder aus Industrieprozessen (z. B. Zementherstellung, Kalkbrennerei)
stammen. Das als Zwischenprodukt erzeugte Kohlenstoffmonoxid (CO) wird anschlie-
ßend in einer Methanisierungsstufe mit weiterem Wasserstoff katalysatorgestützt zu dem
gewünschten Methan (CH4 ) unter Freisetzung von Wasser (H2 O) umgewandelt. Es gilt
die Summenreaktionsgleichung (14.18).

4 H2 C CO2 $ CH4 C 2 H2 O (14.18)

Das erzeugte Methan kann anschließend im vorhandenen Erdgasversorgungssystem


– und damit z. B. in den existierenden Kavernen- oder Porenspeichern – langfristig und
großtechnisch effizient gespeichert werden. Die nachfrageorientierte Ausspeicherung der
elektrischen Energie kann beispielsweise in Brennstoffzellen in Kraft-Wärme-Kopplung
(KWK) realisiert werden. Alternativ dazu kann das erzeugte Methan auch „klassisch“
in Feuerungsanlagen oder Gasturbinen bzw. in einem Dampfkraftprozess zur Strom-
und ggf. zur Wärmeerzeugung (KWK) oder alternativ dazu in hocheffizienten Gas- und-
Dampfturbinen(GuD)-Kraftwerken genutzt werden. Darüber hinaus besteht auch die
Möglichkeit eines Einsatzes im Mobilitäts- bzw. Chemiesektor.

Power-to-Liquid (PtL) Der Power-to-Liquid (PtL) Prozess ist ebenfalls eine Erweite-
rung der Wasserstofferzeugung (siehe oben); d. h. auch hier wird – vergleichbar zu dem
Power-to-Gas (PtG) Prozess – eine Wasserstoffbereitstellung mit weiteren Prozessschritten
kombiniert, um die mit dieser Prozesskombination bzw. -kaskade zu erzeugende Spei-
chermolekülgruppe „flüssige Kohlenwasserstoffe“ zu erzeugen. Dazu wird auch hier
14 Speicher 1149

zunächst Wasserstoff (H2 ) aus der Wasserelektrolyse zusammen mit Kohlenstoffdioxid


(CO2 ) erneut zu Kohlenstoffmonoxid (CO) und Wasser (H2 O) (d. h. reverse Wasser-Gas-
Shift-Reaktion) transformiert. Kohlenstoffmonoxid wird anschließend in einer Fischer-
Tropsch(FT)-Synthese mit weiterem Wasserstoff zu langkettigen Kohlenwasserstoffmole-
külen – ebenfalls unter Freisetzung von Wasser – umgewandelt; das erzeugte Produktspek-
trum, das auch als FT-Crude bezeichnet wird, ist entfernt vergleichbar mit Rohöl. Es gilt
die chemische Prinzipgleichung (14.19).

H2 C CO2 $ .CH2 /n C H2 O (14.19)

Das erzeugte FT-Crude kann anschließend im vorhandenen Erdölraffinerien normen-


konform in flüssige Energieträger (z. B. Diesel, Kerosin, Benzin) aufgearbeitet werden.
Es kann sowohl in Form des FT-Crude als auch als normenkonformes Endprodukt einfach
in entsprechenden Behältern gelagert werden; hier besteht praktisch kein Unterschied zu
konventionellem Rohöl bzw. den daraus hergestellten Produkten, für die eine Lagerung
Stand der Technik ist.
Die Ausspeicherung kann beispielsweise „klassisch“ in entsprechenden Dampfkraft-
werken zur Strom- und ggf. zur Wärmeerzeugung (KWK) realisiert werden. Insbesondere
besteht dabei aber auch die Option eines Einsatzes im Mobilitäts- bzw. im Chemiesektor.

Eigenschaften Power-to-Gas (PtG) und Power-to-Liquid (PtL) Prozesse bieten ein sehr
hohes Potenzial in Bezug auf die Speicherkapazitäten, da beispielsweise Methan in vor-
handenen Großspeichern (z. B. Kavernenspeicher) und Diesel oder Benzin in entspre-
chenden Tanks gut und problemlos lagerbar ist. Von besonderem Vorteil der flüssigen
PtL-Energieträger sind die relativ hohen Energiedichten und das insgesamt vergleichswei-
se einfache Handling im Verlauf der gesamten nachgelagerten Nutzungskette. Außerdem
kann hier auf eine bereits vorhandene und gut ausgebaute funktionierende Infrastruktur
zurückgegriffen werden (Speicherkapazität des deutschen Erdgasnetzes rund 130 TWh;
unter Berücksichtigung der vorhandenen Speicher summiert sich dies auf rund 360 TWh
[14.26]). Daher besteht eine sehr gute Skalierbarkeit für eine großtechnische Speicherung
derartiger PtG- und PtL-Produkte.
Problematisch ist durch die notwendige Verkettung von mehreren (energieintensiven)
Prozessschritten der damit einhergehende vergleichsweise niedrige Wirkungsgrad von
rund 54 % bei der Einspeicherung von PtG-Methan und leicht unter 50 % für PtL-Kraft-
stoffe. Für eine potenzielle Gesamtkette Strom-Gas(PtG-Methan)-Strom bzw. Strom-Flüs-
sigkeit(PtL-Produkt)-Strom sind aus heutiger Sicht Wirkungsgrade von rund 30 bis 40 %
realistisch; diese Gesamtwirkungsgrade sind aber potenziell nur erreichbar, wenn das
benötigte Kohlenstoffdioxid in Form einer ausreichend großen Punktquelle verfügbar ge-
macht werden kann; muss es beispielsweise aus der Luft über entsprechende Waschpro-
zesse gewonnen werden, ist der Gesamtwirkungsgrad nochmals merklich geringer. Kann
demgegenüber die bei unterschiedlichen Prozessstufen anfallende Abwärme technisch
sinnvoll nutzbar gemacht werden, kann der Speicherwirkungsgrad der Gesamtkette bei
entsprechend integrierten Prozesskaskaden insgesamt leicht verbessert werden.
1150 J. Hilgedieck et al.

Weitere Konzepte Neben der elektrolytischen Erzeugung von Wasserstoff bzw. Methan
gibt es auch die Möglichkeit der mikrobiellen Methanisierung. Hier wird die oben gezeig-
te chemische Reaktion durch Archaebakterien beispielsweise in Bioreaktoren umgesetzt.
Derartige Archaeen weisen eine hohe Selektivität auf und können dadurch auch bei ge-
ringen Konzentrationen der Edukte das Produkt Methan bereitstellen. Dazu müssen aber
entsprechende physiologische Bedingungen sichergestellt werden. Insgesamt liegen je-
doch die Methanbildungsraten z. T. deutlich unter denen der technischen Methanisierung.
Deshalb machen derartige Prozesse aus heutiger Sicht nur in Kombination beispielsweise
mit einer schon vorhandenen Biogasanlage Sinn.
Darüber hinaus besteht die Möglichkeit der Flüssiggasherstellung aus dem aus elektri-
scher Energie produzierten synthetischen Methan. Dazu wird das PtG-Methan bei mindes-
tens 161,5 °C (111,65 K) in einem mehrstufigen Kühlprozess verflüssigt. In dem dadurch
gewährleisteten flüssigen Zustand hat es im Vergleich zum Gas eine deutlich höhere En-
ergiedichte. Es ist dann chemisch identisch mit LNG (Liquefied Natural Gas) und kann in
den gleichen Einsatzfeldern eingesetzt werden.
Alternativ kann auch die technisch ausgereifte strominduzierte Ammoniaksynthese
nach dem Haber-Bosch-Verfahren als Speicherkonzept realisiert werden. Hierbei reagie-
ren Stickstoff (N) und Wasserstoff (H2 ), der aus strombasierten Prozessen resultiert (siehe
oben), zu Ammoniak (NH3 ); es gilt Gleichung (14.20).

N2 C 3 H2 $ 2 NH3 (14.20)

Der eingesetzte Stickstoff stammt dabei aus der Umgebungsluft. Der Wasserstoff
kommt – wie bei den anderen Optionen auch – aus der Wasserelektrolyse. Das daraus
großtechnisch herstellbare Ammoniak – das Haber-Bosch-Verfahren wird global heu-
te im Millionen-Tonnen-Maßstab umgesetzt – kann dann in geeigneten Behältern auch
großtechnisch gespeichert werden. Diese Stickstoffverbindung kann bei der Ausspeiche-
rung – beispielsweise in entsprechenden Brennstoffzellen – zur nachfrageorientierten
Stromerzeugung eingesetzt werden. Von Vorteil ist die großtechnisch umgesetzte und gut
beherrschte Ammoniaksynthese. Auch eine großtechnische Lagerung des Ammoniaks
sollte technisch – ausgehend von den schon in der chemischen Industrie vorliegenden
Erfahrungen – möglich und umsetzbar sein. Demgegenüber spielt Ammoniak im Ener-
giesystem bisher praktisch keine Rolle.

Einordnung Abb. 14.19 zeigt eine Übersicht über die zuvor beschriebenen Möglich-
keiten und Abb. 14.2 einen Gesamtüberblick über alle Speicheroptionen. Folglich ist
eine Energiespeicherung mit CH- bzw. NH-basierten Energieträgern – ähnlich wie eine
Speicherung in chemischen Reinstoffen (Wasserstoff) – durch eine hohe Speicherdichte
und geringe Speicherverluste selbst bei langen Speicherzeiträumen gekennzeichnet. Dafür
sind die Speicherwirkungsgrade – wird die Systemgrenze vom Strom zum Strom gezogen
– mit rund 50 % und z. T. weniger noch eher bescheiden. Dafür steht aber teilweise ein
speicherfähiger Energieträger zur Verfügung, der vollständig kompatibel mit dem heu-
14 Speicher 1151

tigen Energiesystem ist und hier vielfältige Anwendungsfelder finden kann (d. h. nicht
nur den Strommarkt). Deshalb bietet es sich unter Effizienzgesichtspunkten bei diesen
Speichervarianten häufig an, eine Energiespeicherung mit einem Einsatz des speicherfä-
higen Energieträgers in anderen Sektoren des Energiesystems zu kombinieren (d. h. Sek-
torenkopplung). Werden hier vielversprechende Einsatzfelder identifiziert, kann dies die
begrenzten Speicher- bzw. Umwandlungswirkungsgrade ggf. zumindest teilweise kom-
pensieren.

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Stromnetze
15
Christian Becker

Die folgenden Ausführungen befassen sich mit den technischen Grundlagen, Komponen-
ten und Wirkungsweisen elektrischer Energienetze. Zunächst werden einführende phy-
sikalische Grundlagen erläutert, bevor daran anschließend alle wichtigen Komponenten
für Drehstromnetze vorgestellt werden. Darin werden auch leistungselektronische Strom-
richter beschrieben, die insbesondere zur Netzanbindung erneuerbarer Energieumwand-
lungsanlagen, aber auch in Netzreglern und Gleichstrom-übertragenden Netzelementen
eingesetzt werden. Nach der Darstellung wichtiger Netzstrukturen werden der Begriff des
Leistungsflusses sowie die Netzberechnung eingeführt. Abschließend werden elementare
Zusammenhänge zu Leistungsbilanzen in elektrischen Energienetzen im Hinblick auf das
systemische Zusammenwirken der Netzkomponenten grundlegend erläutert.
Die in diesem Kapitel behandelten Aspekte spannen insgesamt ein komplexes und
weitläufiges Themenfeld auf, das für eine vollständige Durchdringung eine detaillier-
tere und mit mathematischen Methoden unterstützte Betrachtung erfordert. Dies kann
aber nicht Ziel dieses Kapitels sein. Vielmehr soll hier ein grundlegendes Verständnis
der Funktionsweise der verschiedenen Netzelemente und ihres Zusammenwirkens im Ge-
samtsystem erreicht werden, ohne dass ein tiefgehendes elektrotechnisches Grundlagen-
und Fachwissen vorausgesetzt wird. Die einzelnen Kapitel beschränken sich deshalb le-
diglich auf wesentliche Grundzüge.
In übersichtlicher Form werden elektrische Energienetze in einem sogenannten An-
lagenbild in einpoliger Darstellung skizziert (Abb. 15.1, links). Ein solches Anlagenbild
zeigt die Zusammenschaltung von Leitungen, Transformatoren, Erzeugern, Lasten und
weiteren Komponenten (z. B. Sammelschienen, Schaltgeräte). Das Anlagenbild kann in
eine abstrakte Form, einen Graphen, bestehend aus Zweigen, die Leitungen oder Trans-
formatoren repräsentieren, sowie Knoten bzw. Netzknoten, welche in der Regel Schalt-
anlagen bzw. die darin enthaltenen Sammelschienen repräsentieren, übertragen werden

Christian Becker, Hamburg, Deutschland

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 1153
M. Kaltschmitt, W. Streicher, A. Wiese (Hrsg.), Erneuerbare Energien,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-61190-6_15
1154 C. Becker

Gene- Wind-
G G PV-Anlage
rator energie-
anlage

senkrechte
Zweige Knoten
Doppelleitung

Zweig

Transformator Lastabnehmer

Abb. 15.1 Anlagenbild bzw. einpolige Darstellung eines Beispiel-Netzes (links) und Darstellung
dieses Beispiel-Netzes durch einen Graphen mit Knoten und Zweigen (rechts) (PV Photovoltaik)

(Abb. 15.1, rechts). Zweige sind Verbindungen zwischen zwei Knoten, Transformatoren
werden auch als „senkrechte Zweige“ bezeichnet, da sie in einem Netz die Verbindung
zwischen zwei unterschiedlichen Spannungsebenen darstellen. Hierfür ist auch der Be-
griff Knoten-Zweig-Darstellung gebräuchlich.

15.1 Grundlagen

Elektrische Energienetze transportieren und verteilen elektrische Energie von den Erzeu-
gungsanlagen zu den Verbrauchern. Diese Transporte ergeben sich durch Stromflüsse
über elektrische Leiter in Folge elektrischer Spannungen. Zwischen zwei Punkten mit
einem unterschiedlichen elektrischen Potenzial besteht eine elektrische Spannung. Eine
derartige Spannung zwischen zwei Punkten resultiert in einer elektrischen Feldstärke. Bei
Vorhandensein einer leitfähigen Verbindung zwischen diesen beiden Punkten verursacht
die elektrische Feldstärke wiederum eine Kraft auf die Ladungsträger des Leiters; dadurch
können sich diese gerichtet bewegen. Diese Bewegung der Ladungsträger bezeichnet man
als elektrischen Strom. In metallischen Leitern sind die Ladungsträger Elektronen, die
aufgrund ihrer Energie nicht mehr an den Atomkern gebunden sind. Im Energiebänder-
Modell für Festkörper ordnet man sie dem Leitungsband zu; sie können sich frei im Leiter
bewegen (Kapitel 5.1) [15.1].
15 Stromnetze 1155

15.1.1 Gleichstromsysteme

Der elementare Zusammenhang, der bei der Energieübertragung wirkt, kann am besten
anhand eines einfachen Gleichstromsystems, bestehend aus einer idealen Spannungsquel-
le, einer verlustbehafteten Leitung und einem Verbraucher nach Abb. 15.2 veranschaulicht
werden.
Die Spannungsquelle U 1 erzeugt einen Stromfluss I 12 durch die gesamte in Abb. 15.2
dargestellte Schaltung, in der die Leitung zwischen den Klemmenpaaren 1 und 2 durch
einen ohmschen Widerstand Rü dargestellt ist. Der Verbraucher ist ebenfalls durch einen
Widerstand Rv repräsentiert. Die Klemmenpaare können auch jeweils als Knoten verstan-
den werden, so dass diese Schaltung ein zweiknotiges System mit einem Erzeuger an
Knoten 1, einem Verbraucher an Knoten 2 und einer Leitung zwischen den Knoten 1
und 2 darstellt.
Bei Planung und Betrieb von Netzen und Betriebsmitteln elektrischer Energiesysteme
ist die elektrische Leistung eine auslegungsrelevante Größe. Der Zusammenhang zwi-
schen Energie W und Leistung P kann nach Gleichung (15.1) geschrieben werden.

W
P D (15.1)
t

t ist das Zeitintervall, in welchem eine Änderung der Energie W betrachtet wird. In
Gleichstromsystemen ist die elektrische Leistung P durch die elektrischen Größen Strom-
stärke I und Spannung U nach Gleichung (15.2) definiert.

PDUI (15.2)

Die im System von der Spannungsquelle ausgehende Leistung P12 wird somit über die
Leitung zwischen den Knoten 1 und 2 in Richtung des Verbrauchers übertragen. Die dort
ankommende und von ihm verbrauchte Leistung wird mit Pv bezeichnet und ist kleiner als
die Leistung P12 , da ein Teil dieser Leistung P12 durch die verlustbehaftete Leitung (d. h.
ihren Widerstand Rü ) in Wärme umgesetzt wird.
Die entsprechenden Leistungen lassen wie folgt berechnen. Die von der Quelle in dem
einfachen System erzeugte Leistung P12 ergibt sich nach Gleichung (15.3).

P12 D U1 I12 (15.3)

Abb. 15.2 Gleichstromsystem 1 I12 2


bestehend aus Spannungsquel-
le, Leitung und Verbraucher Rü
P12 Pv
(zur Erklärung der Formelzei- U1 U2 Rv
chen siehe Text)
1156 C. Becker

Der darin vorkommende Strom I 12 kann über das Ohm’sche Gesetz einerseits bei
Kenntnis des Verbraucherwiderstandes Rv gemäß Gleichung (15.4) berechnet werden.

U1
I12 D (15.4)
Rü C Rv

Andererseits kann bei Kenntnis der Spannungsdifferenz U 12 zwischen den beiden


Knoten 1 und 2 der Strom I 12 nach Gleichung (15.5) ermittelt werden.

U12
I12 D (15.5)

Die beiden Gleichungen (15.4) und (15.5) führen nach Gleichung (15.6) zu dem glei-
chen Ergebnis.

U12 U1  U2 U1  U1 RüRCR
v
U1
I12 D D D v
D (15.6)
Rü Rü Rü Rü C Rv

Der in der Gleichung (15.6) verwendete Ausdruck für U 2 folgt dabei direkt aus der
Spannungsteilerregel. Damit ergibt sich die Leistung P12 über beide Rechenwege nach
Gleichung (15.7).

U12
P12 D (15.7)
Rü C Rv

Aus Gleichung (15.8) ist ersichtlich, dass wegen U 2 < U 1 der bereits oben erwähn-
te Zusammenhang gilt, dass die verbrauchte Leistung kleiner ist als die von der Quelle
abgegebene Leistung.

Pv D U2 I12 < U1 I12 D P12 (15.8)

Die Differenz von P12 und Pv ist die im Widerstand Rü umgesetzte Leistung, die beim
Transport als sogenannte Verlustleistung PVerlust nach Gleichung (15.9) entsteht.

PVerlust D P12  Pv D U1 I12  U2 I12 D U12 I12 D Rü I12


2
(15.9)

Der Transport elektrischer Energie durch ein elektrisches Netz wird also erst durch
das Anliegen einer Spannung ermöglicht, die von Energieerzeugungsanlagen, die bei-
spielsweise Generatoren enthalten, erzeugt wird. Weiterhin erfolgt der elektrische Ener-
gietransport in realen Systemen stets verlustbehaftet. Die Netzverluste müssen daher im
Gesamtsystem berücksichtigt bzw. auf Seiten der Erzeugung mit eingeplant werden.
15 Stromnetze 1157

15.1.2 Wechselstromsysteme

In Wechselstromsystemen existiert neben der Wirkleistung, welche die technisch nutzbare


Arbeitsleistung sowie die Verluste beinhaltet, zusätzlich auch Blindleistung. Sie entsteht,
weil in einem Wechselstromsystem das elektrische und das magnetische Feld periodisch
auf- und wieder abgebaut werden. Damit geht ein Ladungsträgertransport, also ein elektri-
scher Strom, einher. Die entsprechende Leistung ist die sogenannte Blindleistung. Blind-
leistung tritt somit in einem System mit zeitveränderlichen Strömen und Spannungen
zwangsweise auf, sofern Kapazitäten und Induktivitäten vorhanden sind. Geht man von
sinusförmigen Zeitabhängigkeiten der Ströme und Spannungen aus, rufen Induktivitäten
und Kapazitäten einen Nullphasenwinkelunterschied, die sogenannte Phasenverschiebung
', gemäß Gleichung (15.10) zwischen dem Nullphasenwinkel 'Spannung der anliegenden
sinusförmigen Spannung und dem Nullphasenwinkel 'Strom des sinusförmigen Stroms her-
vor.

' D 'Spannung  'Strom (15.10)

Die meisten technischen Netzkomponenten weisen mehr oder weniger ausgeprägte


kapazitive und / oder induktive Effekte auf und können daher unter bestimmten Voraus-
setzungen mit einfachen Ersatzschaltbildern aus ohmschen Widerständen, Induktivitäten
und Kapazitäten dargestellt werden.
Für den Momentanwert eines Stromes mit sinusförmiger Zeitabhängigkeit i(t) gilt Glei-
chung (15.11). Der Scheitelwert des Stroms wird mit î bezeichnet; ! ist die Kreisfrequenz
und t die Zeit. Der Nullphasenwinkel 'Strom wird dabei vereinfachend zu Null angenom-
men.

i .t/ D iO sin .!t/ (15.11)

Analog ist der Momentanwert einer Spannung mit sinusförmiger Zeitabhängigkeit u(t)
definiert nach Gleichung (15.12). û ist der Scheitelwert der Spannung, ! die Kreisfre-
quenz, t die Zeit. Der Nullphasenwinkel 'Spannung ist wegen 'Strom D 0 und Gleichung
(15.10) identisch mit der Phasenverschiebung ' zwischen Spannung und Strom, so dass
im Argument der Sinusfunktion in Gleichung (15.12) statt 'Spannung die Phasenverschie-
bung ' geschrieben werden kann.

u .t/ D uO sin .!t C '/ (15.12)

Nun wird angenommen, dass die Spannung u(t) an einem allgemeinen Zweipol gemäß
Abb. 15.3 bestehend aus beliebigen Schaltungen ohmscher, kapazitiver und induktiver
Komponenten anliegt und der Strom i(t) in diesen Zweipol hineinfließend positiv gezählt
wird.
1158 C. Becker

Abb. 15.3 Allgemeiner i(t)


Zweipol im Verbraucherzähl-
pfeilsystem p(t) > 0
u(t) p(t) = u(t) i(t)
p(t) < 0

Der angegebenen Definition (Gleichung (15.10)) folgend ist die Phasenverschiebung


zwischen Spannung und Strom gleich dem Nullphasenwinkel ' der Spannung.
Aus den Scheitelwerten von Strom î und Spannung û können die jeweiligen Effektiv-
werte I und U nach Gleichung (15.13) und (15.14) berechnet werden.

iO
I Dp (15.13)
2
uO
U Dp (15.14)
2

Die an dem Zweipol umgesetzten unterschiedlichen elektrischen Leistungen sind dann


wie folgt definiert:

 Momentanleistung p(t) (Gleichung (15.15))

p.t/ D u.t/ i.t/ D uO iO sin.! t C '/ sin.! t/


1
D uO iO fcos ' .1  cos.2! t// C sin ' sin.2! t/g
2
D U I cos ' .1  cos.2! t// C U I sin ' sin.2! t/ (15.15)
„ ƒ‚ … „ ƒ‚ …
Wirkanteil Blindanteil

 Scheinleistung S (Gleichung (15.16))

1 O p
SD uO i D U I D P 2 C Q2 (15.16)
2

 Wirkleistung P (Gleichung (15.17))

P D S cos ' D U I cos ' (15.17)

 Blindleistung Q (Gleichung (15.18))

Q D S sin ' D U I sin ' (15.18)


15 Stromnetze 1159

Durch eine Umformung des Ausdruckes für die Momentanleistung (Gleichung (15.15))
mit Hilfe trigonometrischer Funktionen kann gezeigt werden, dass diese mit der doppel-
ten Netzkreisfrequenz 2! oszilliert. Dasselbe gilt für ihre beiden Leistungsbestandteile
(d. h. den Wirkanteil und den Blindanteil). Der zeitliche Mittelwert des Wirkanteils ergibt
die Wirkleistung. Demgegenüber ist der zeitliche Mittelwert des Blindanteils Null. Die
Blindleistung gibt damit die Höhe des oszillierenden Blindanteils an.
Im Falle induktiver oder ohmsch-induktiver Verbraucher und dem in der Elektrotechnik
gebräuchlichen sogenannten Verbraucherzählpfeilsystem, wie es auch beim Zweipol in
Abb. 15.3 angewendet wird, ist die Blindleistung aufgrund der positiven Phasenverschie-
bung positiv. Bei kapazitiven oder ohmsch-kapazitiven Verbrauchern ist die Blindleistung
demgegenüber negativ.
Wichtige mit der Blindleistung in Wechselstromkreisen zusammenhängende Effekte
und Ursachen können wie folgt zusammengefasst werden.

 Der Blindanteil der Momentanleistung pendelt zwischen Quelle und Last.


 Der Mittelwert des Blindanteils ist Null.
 Blindleistung trägt nicht zur tatsächlichen Nutzleistung im Verbraucher bei.
 Blindleistung ist notwendig zum Aufbau der elektrischen und magnetischen Felder und
wird verursacht durch die Kapazitäten bzw. Induktivitäten des Netzes und der Verbrau-
cher.
 Die mit der Blindleistung korrespondierenden Blindströme verursachen zusätzliche
Verluste.

In diesem Zusammenhang werden die folgenden zwei Begriffe Nennwerte und Bemes-
sungswerte eingeführt und wie folgt definiert:

 Nennwerte (englisch: nominal values) bezeichnen die vom Hersteller oder Betreiber
spezifizierten Werte physikalischer Größen einer Anlage im Normalbetrieb (gekenn-
zeichnet mit Index n).
 Bemessungswerte (englisch: rated values) bezeichnen die im Dauerbetrieb maximal
zulässigen Werte physikalischer Größen einer Anlage, die zu keiner Beeinträchtigung
führen (gekennzeichnet mit Index r).

Üblicherweise findet bei der Berechnung von Strömen, Spannungen und Leistungen
in Wechselstromsystemen die komplexe Wechselstromrechnung Anwendung; darauf wird
hier im Sinne einer allgemein verständlichen Beschreibung aber bewusst verzichtet. Wenn
im Folgenden unterstrichene Symbole angegeben werden, bezeichnen diese komplexe
Größen. Für die vorliegenden Ausführungen genügt es, zu verstehen, dass dadurch si-
nusförmige Wechselgrößen gekennzeichnet werden und die Symbole deren jeweilige Ef-
fektivwerte und Nullphasenwinkel beschreiben.
1160 C. Becker

15.1.3 Drehstromsysteme

Werden in einem System mehrere Wechselspannungsquellen verwendet und wählt man ih-
re Beträge und Nullphasenwinkel sowie ihre Verschaltung nach ganz bestimmten Regeln
aus, erhält man ein sogenanntes Drehstromsystem. Gemäß der gängigen Drehstrom-Kon-
vention besteht ein derartiges Vierleiter-Drehstrom-System aus drei Außenleitern L1, L2
und L3 oder R, S und T, die auch als Phasen bezeichnet werden, und einem Neutral-
leiter N, die an Wechselspannungsquellen (z. B. Drehstromgenerator) angeschlossen sind
(Abb. 15.4).
Die Wechselspannungsquellen sind so beschaffen, dass die Spannungen U 1 , U 2 und
U 3 jeweils eine Phasenverschiebung von 120ı zueinander aufweisen und einen jeweils
exakt gleichen Betrag haben. Diese Spannungen werden Leiter-Erd-Spannungen genannt.
Zwischen den drei Phasen können drei weitere Spannungen, die sogenannten verkette-
ten Spannungen oder Außenleiterspannungen
p U 12 , U 23 und U 31 abgegriffen werden. Sie
sind betragsmäßig um den Faktor 3 größer als die Leiter-Erd-Spannungen und weisen
ebenfalls Phasenverschiebungen von 120ı zueinander auf. Somit liegen insgesamt sechs
verschiedene Spannungen vor, die in einem Vierleiter-Drehstromsystem verwendet wer-
den können.
Alle sechs Spannungen können auch in einem Zeigerdiagramm dargestellt werden
(Abb. 15.5). Aus diesem lassen sich die Spannungsbeträge sowie die jeweiligen Phasen-

Abb. 15.4 Vierleiter-Dreh- I1


L1 (R)
stromsystem, Dreiphasensys- U1 U12
Drehstromgenerator

tem
I2
L2 (S)
U2 U 23
I3 U31
L3 (T)
U3
IN
N

Abb. 15.5 Zeigerdiagramm L3


aller Spannungen eines sym- U31
metrischen Drehstromsystems
U3
U1
U 23 L1
N
U2
U12

L2
15 Stromnetze 1161

Abb. 15.6 Vereinfachte I1


Darstellung des Vierlei- L1 (R)

Generator
ter-Drehstrom-Systems als U1
Einphasensystem
IN
N

verschiebungen der Spannungen zueinander ablesen. Die in den Außenleitern fließenden


Ströme I 1 , I 2 und I 3 werden Außenleiterströme genannt.
Für ein solches symmetrisches Drehstromsystem können die elektrischen Leistungen
aus den dargestellten Zusammenhängen für Leistungen in einem Wechselstromsystem
hergeleitet werden.

 Scheinleistung S (Gleichung (15.19))


p p
SD 3U I D P 2 C Q2 (15.19)

 Wirkleistung P (Gleichung (15.20))


p
P D S cos ' D 3U I cos ' (15.20)

 Blindleistung Q (Gleichung (15.21))


p
Q D S sin ' D 3U I sin ' (15.21)

Dabei ist U der Betrag der verketteten Spannung und I der Außenleiterstrom. Dies
wird daran deutlich, dass die Größen jeweils nicht mit einem Index versehen sind; dies
entspricht der in der elektrischen Energietechnik üblichen Konvention.
Unter der Voraussetzung ideal symmetrischer Verhältnisse ist es aus Gründen der Über-
sichtlichkeit üblich, für ein Vierleiter-Drehstrom-System in der einphasigen Darstellung
mit sogenannten einphasigen Ersatzschaltbildern zu arbeiten. Dadurch wird das Dreh-
stromsystem durch ein Wechselstromsystem modelliert und somit nur die Verhältnisse in
einer Phase unter Zuhilfenahme des Neutralleiters als Rückleiter betrachtet (Abb. 15.6).
Dies ist eine zulässige Vereinfachung, da aufgrund der Symmetrie in jeder Phase, ab-
gesehen von anderen Nullphasenwinkeln, dieselben Verhältnisse vorherrschen; dies gilt
insbesondere in Bezug auf die Leistung.
Demzufolge können für Drehstrom-Betriebsmittel bei ideal symmetrischen Verhältnis-
sen sogenannte einphasige Ersatzschaltbilder abgeleitet werden, die in den nun folgenden
Kapiteln auf Basis der physikalischen Effekte für die wichtigsten Drehstrom-Betriebsmit-
tel elektrischer Energienetze angegeben werden.
1162 C. Becker

15.2 Netzelemente

Im folgenden Kapitel werden zunächst konventionelle, mit Drehstrom betriebene Kom-


ponenten elektrischer Energienetze beschrieben. Danach werden Elemente behandelt, die
mittels Schaltungen aus leistungselektronischen Bauteilen eine Wandlung zwischen Dreh-
strom und Gleichstrom bewirken und damit die Grundlage für die Anbindung vieler erneu-
erbarer Energieumwandlungsanlagen und auch für die Einbettung von Gleichstrom-über-
tragenden Betriebsmitteln in elektrische Energienetze schaffen. Diese Hochspannungs-
gleichstromübertragungen sind Gegenstand des darauf folgenden Kapitelteils. In den ein-
zelnen, jeweils vergleichbar strukturierten, Unterkapiteln erfolgt nach der Beschreibung
physikalischer Grundlagen die Angabe eines elektrotechnischen einphasigen Ersatzschalt-
bildes und schließlich eine Darstellung der technischen Umsetzung.

15.2.1 Drehstromkomponenten

Nachfolgend werden die Drehstromkomponenten Leitungen, Transformatoren, Schalter,


Schaltanlagen, Lasten und Kompensationsanlagen diskutiert.

Leitungen Drehstromleitungen leiten bei Anliegen entsprechender elektrischer Span-


nungen elektrischen Drehstrom über drei bzw. vier üblicherweise metallische Leiter. Bei
einem rein symmetrischen Betrieb (d. h. bei Anliegen von Spannungen gemäß eines sym-
metrischen Dreiphasensystems, symmetrischen Verhältnissen der Leitung und symmetri-
scher Belastung aller drei Phasen) kann auf den Rückleiter verzichtet werden, da in ihm
kein Strom fließt.
Jeder metallische Leiter stellt entsprechend seinem spezifischen Widerstand und seinen
Abmessungen einen ohmschen Widerstand dar. Bei einem Stromfluss durch den Leiter
entsteht somit ein Spannungsabfall entlang der Leitung und es wird Verlustleistung um-
gesetzt. Diese Vorgänge können unter bestimmten Voraussetzungen (siehe unten) durch
einen passend dimensionierten ohmschen Widerstand R als konzentriertes Element model-
liert werden. Es gilt Gleichung (15.22). l ist die Länge des Leiters, A seine Querschnitts-
fläche und sein spezifischer Leitwert.

l
RD (15.22)
A
In ein einphasiges Ersatzschaltbild für eine Drehstrom-Freileitung ist der Widerstand
im Längszweig einzusetzen, da die durch ihn repräsentierte Verlustleistung durch den Lei-
terstrom verursacht wird.
Zusätzlich produziert elektrischer Strom, der durch einen metallischen Leiter fließt,
ein magnetisches Feld, das sich kreisförmig um den Leiter herum ausbildet. Bei drei
oder vier Leitern liegen Leiterschleifen vor, die von den magnetischen Feldern der ein-
zelnen Leiter durchsetzt werden. Werden die Leiter mit Wechselstrom betrieben, ergeben
15 Stromnetze 1163

a b c
1 1 1

3C'g C'E C'B = C'E + 3C'g

C'31 C'1 C'12


C'E 3C'g

C'3 C'2 3 3 C'B C'B 2


3 2 2
3C'g C'E
C'23

Abb. 15.7 Kapazitäten einer Drehstromleitung: Koppel- und Leiter-Erd-Kapazitäten (a), Koppel-
(C0g ) und Leiter-Erd-Kapazitäten (C0E ) nach Stern-Dreieck-Umwandlung der Koppelkapazitäten (b)
und zusammengefasste Teilkapazitäten (c)

sich konsequenterweise magnetische Wechselfelder, die gemäß dem Induktionsgesetz in


den Leiterschleifen Spannungen induzieren. Somit wirken die Leiterschleifen von außen
gesehen zusätzlich auch als Selbst- und Gegeninduktivitäten. Die Selbstinduktivitäten re-
präsentieren die Induktionsvorgänge, die in einer Leiterschleife von dem Magnetfeld des
durch die Leiterschleife selbst fließenden Stroms verursacht werden. Die Gegeninduktivi-
täten repräsentieren die Induktionsvorgänge in einer betrachteten Leiterschleife, die von
den magnetischen Feldern der Ströme benachbarter Leiterschleifen in ihr hervorgerufen
werden. Üblicherweise werden für energietechnische Leitungen beide Anteile durch eine
sogenannte Betriebsinduktivität LB modelliert, die allgemein für luftisolierte Leiter (z. B.
Freileitungen) über Gleichung (15.23) ermittelt werden kann. Darin bezeichnet D den
mittleren Leiterabstand bei mehreren Leitern, wie es bei einem Drehstromsystem der Fall
ist, l die Leiterlänge, r den Leiterradius und 0 die magnetische Feldkonstante. Auch die
Betriebsinduktivität ist in den Längszweig eines einphasigen Ersatzschaltbildes einzuset-
zen, da sie die durch den Leiterstrom hervorgerufenen Induktionsvorgänge repräsentiert.

0 D
LB D ln l (15.23)
2 r

Die Leiter einer Drehstromleitung stellen darüber hinaus Elektroden dar, zwischen
denen sich bei anliegender Spannungen elektrische Felder ausbilden. Somit ist es nahelie-
gend, Kapazitäten zu definieren, die sowohl jeweils zwischen den Außenleitern unterein-
ander (Koppel-Kapazitäten) als auch zwischen den Außenleitern und elektrisch neutralen
Körpern und Flächen (z. B. dem Erdboden) also sogenannte Leiter-Erd-Kapazitäten gese-
hen werden können (Abb. 15.7).
Bei symmetrischen Verhältnissen sind die Koppelkapazitäten der Außenleiter zueinan-
der gleich groß. Dies gilt auch für die Leiter-Erd-Kapazitäten. Die Teilkapazitäten kön-
nen nach einer äquivalenten Stern-Dreieck-Umwandlung gemäß Abb. 15.7 durch Paral-
lelschaltung zusammengefasst werden und ergeben schließlich die sogenannte Betriebs-
kapazität CB , die sich nach Gleichung (15.24) angenähert für Drehstromfreileitungen
1164 C. Becker

berechnen lässt. Die darin verwendeten Formelsymbole bezeichnen die bereits erwähn-
ten physikalischen Parameter einer Leitung. "0 ist die elektrische Feldkonstante. Für die
Modellierung in einem einphasigen Ersatzschaltbild ergibt sich somit eine Kapazität zwi-
schen dem Leiter und dem Rückleiter (d. h. im Querzweig).

2 "0 l
CB  (15.24)
ln Dr

Schließlich sind noch weitere Effekte zu berücksichtigen; diese umfassen u. a. Lei-


terverluste infolge von Leckströmen durch das Isoliermedium, Kriechströme entlang der
Oberfläche von Isolatoren und auch Koronaverluste. Diese Verluste werden durch ohm-
sche Widerstände ebenfalls zwischen Leiter und Rückleiter modelliert. Für diese Kompo-
nente lässt sich keine analytische Berechnungsvorschrift angeben. Neben geometrischen
Größen müssen u. a. die Leiterbeschaffenheit, das aktuelle Wetter und die jeweilige Be-
triebsspannung einbezogen werden. Üblicherweise wird dafür statt einem Widerstand ein
Leitwert verwendet.
Im Ersatzschaltbild sind damit zusammenfassend im Längszweig eine ohmsche und
eine induktive Komponente zu berücksichtigen sowie im Querzweig eine ohmsche und
eine kapazitive Komponente. Aus Symmetriegründen werden die Querelemente im Er-
satzschaltbild jeweils hälftig auf beide Enden verteilt. Weiterhin werden die Größen auf
die Länge l einer Leitung bezogen dargestellt; dies wird jeweils durch einen hochgestellten
Strich gekennzeichnet. Damit können die sogenannten Leitungsbeläge wie folgt definiert
werden.

 Induktivitätsbelag L0B (Gleichung (15.25))

LB
LB0 D (15.25)
l

 Kapazitätsbelag C0B (Gleichung (15.26))

CB
CB0 D (15.26)
l

 Widerstandsbelag R0 (Gleichung (15.27))

R
R0 D (15.27)
l

 Leitwertsbelag G0 (Gleichung (15.28))

G
G0 D (15.28)
l
15 Stromnetze 1165

Abb. 15.8 Einphasiges Er- R' l L'B l


satzschaltbild einer elektrisch
kurzen Leitung
G' C'B C'B G'
l l l l
2 2 2 2

Ein einphasiges Ersatzschaltbild für elektrisch kurze Leitungen ergibt sich somit gemäß
Abb. 15.8.
Bei Anlegen einer sinusförmigen Wechselspannung an eine elektrische Leitung er-
gibt sich aufgrund der endlichen Ausbreitungsgeschwindigkeit und des Entstehens einer
elektromagnetischen Welle entlang der Leitung eine Abhängigkeit der Spannung von der
Position auf der Leitung. Nur wenn die Leitungslänge sehr klein ist im Vergleich zur sich
ergebenden Wellenlänge, sind die Voraussetzungen für elektrisch kurze Leitungen gege-
ben und eine Modellierung nach den oben gezeigten Zusammenhängen ist gerechtfertigt.
Bei Freileitungen ist dies in der Regel für Längen unter 100 km gegeben und bei Kabeln,
abhängig von den jeweiligen Kabelparametern, für Längen unter 50 km. Anderenfalls er-
gibt sich eine kompliziertere Modellierung aus der Lösung der Wellengleichungen (u. a.
[15.2]).
Diese Modellierung von Leitungen verdeutlicht, dass in den entsprechenden Leitungen
neben den ohmschen Verlusten auch Blindleistung umgesetzt wird. Für Leitungen wird
für den idealisierten verlustfreien Fall die sogenannte natürliche Leistung Pnat definiert
(Gleichung (15.29)). Darin bezeichnet U N die Nennspannung der Leitung und Z W ihren
sogenannten Wellenwiderstand.

UN2
Pnat D (15.29)
ZW

Der Wellenwiderstand Z W kann bei Vernachlässigung der ohmschen Komponenten


nach Gleichung (15.30) definiert werden. L0B ist der Induktivitätsbelag und C0B der Ka-
pazitätsbelag.
s
0
LB
ZW D 0 (15.30)
CB

Die natürliche Leistung ist ein Vergleichsmaß zur Beurteilung der Übertragungsleis-
tung von Leitungen. Wird eine Leitung mit ihrer natürlichen Leistung betrieben (d. h.
wenn sie genau diese Leistung überträgt), benötigt sie keine von außen zugeführte Blind-
leistung. Die Kapazitäten der Leitung geben in diesem Fall exakt so viel Blindleistung ab
wie die Induktivitäten der Leitung benötigen.
1166 C. Becker

Tabelle 15.1 Beispiele für Nennspannung Natürliche Leistung


die natürliche Leistung von in kV in MW
Freileitungen unterschiedlicher 20 2,4
Nennspannungen
60 9,6
110 32
220 180
380 600

 Überträgt eine Leitung weniger als die natürliche Leistung, wird sie unternatürlich be-
trieben und erscheint von außen als ein ohmsch-kapazitiver Verbraucher, falls ohmsche
Leitungsverluste modelliert sind; ihre gesamte Blindleistung ist also kapazitiv.
 Wird eine Leitung hingegen übernatürlich betrieben, ist ihre gesamte Blindleistung in-
duktiv; d. h. sie wirkt ohmsch-induktiv, falls auch ohmsche Leitungsverluste modelliert
sind.

Die natürliche Leistung darf keinesfalls mit der maximalen Belastbarkeit einer Lei-
tung verwechselt werden, die sich aus dem thermischen Grenzstrom ergibt. Aufgrund
ihrer spezifischen Parameter Kapazitätsbelag C0B und Induktivitätsbelag L0B und der da-
mit unterschiedlichen Größenordnungen der natürlichen Leistungen werden Freileitungen
in der Regel übernatürlich und Kabel unternatürlich betrieben. Tabelle 15.1 zeigt einige
Beispiel-Zahlenwerte für natürliche Leistungen von Freileitungen.
Zur technischen Umsetzung von Drehstrom-Leitungen ist grundsätzlich zwischen Frei-
leitungen (Abb. 15.9 zeigt exemplarisch typische Mastbilder und in Abb. 15.10 sind ent-
sprechende Freileitungsseile dargestellt) und Kabeln zu unterscheiden. Freileitungen sind
in allen Spannungsebenen zu finden; in Deutschland gilt dies vornehmlich auf den Ebenen
der Höchst- und Hochspannung sowie auch der Mittelspannung und nur in eher ländlichen
Regionen ebenfalls in der Niederspannungsebene.
Bei der Modellierung von belasteten Freileitungen in elektrischen Netzen können häu-
fig die Querelemente im Ersatzschaltbild vernachlässigt werden, so dass sich das Ersatz-
schaltbild zu der in Abb. 15.11 gezeigten Darstellung vereinfacht.
Speziell für Höchstspannungsfreileitungen gilt, dass die induktiven Blindwiderstände
X Ü gegenüber den Wirkwiderständen RÜ der Übertragungsleitungen deutlich, beispiels-
weise um den Faktor 10, größer sind. Das sogenannte R/X-Verhältnis ist dann viel kleiner
als eins.
Leitungen in Form von Kabeln existieren in den unterschiedlichsten Ausführungen.
Die einzelnen Leiter sind im Gegensatz zu Freileitungen wesentlich dichter beieinander
angeordnet und sind einzeln isoliert und ggf. auch geschirmt. Die Isolierung besteht in
der Regel aus Kunststoff. Kabel existieren in Deutschland auf allen Spannungsebenen
von der Niederspannung bis zur Hochspannung und inzwischen auch auf der Höchst-
spannungsebene mit 380 kV. Im Querschnitt eines Kabels sind neben den Aluminium-
oder Kupferleitern noch weitere Schichten angeordnet, die beispielsweise zur Homogeni-
15 Stromnetze 1167

a b c d

e f g h

Abb. 15.9 Verschiedene Bauarten (a bis h) von Freileitungsmasten (im Speziellen: Einebenenmas-
ten (b, c), Deltamast (d), Donaumasten (e, g, h), Tonnenmast (f))

a b c d

Abb. 15.10 Exemplarische Freileitungsseile (Aluminium / Stahl(Al/St)-Seile mit unterschiedlichen


Querschnitten und unterschiedlicher Anzahl der Lagen (a, c, d), Aluminium(Al)- oder Kup-
fer(Cu)-Seil (b))
1168 C. Becker

Abb. 15.11 Vereinfachtes RÜ XÜ


einphasiges Ersatzschaltbild
einer Leitung
UA UE

sierung des elektrischen Feldes, zur Schirmung oder Verdrängung eintretenden Wassers
eingelassen werden. Abb. 15.12 zeigt ein Beispiel.
Ein häufiges Problem beim Einsatz von Kabeln ist die im Vergleich zur Leitungsin-
duktivität hohe Kapazität aufgrund des geringen mittleren Leiterabstandes. Dadurch kann
es bei schwach belasteten und auch einseitig leerlaufenden Kabelleitungen zu unzulässig
hohen Spannungen kommen, welche die Isolierung gefährden. Um diesen sogenannten
„Ferranti-Effekt“ abzuschwächen, müssen in regelmäßigen Abständen Kompensations-
drosselspulen installiert werden, welche die kapazitive Blindleistung der Leitungskapazi-
täten, die sogenannte Ladeleistung, teilweise kompensieren. Der Ferranti-Effekt tritt auch
bei Freileitungen auf; dort ist er aber deutlich schwächer ausgeprägt im Vergleich zu Ka-
beln.
Das R/X-Verhältnis von Kabeln der Mittel- und Niederspannung ist größer als bei Frei-
leitungen. Typische R/X-Werte bei Mittelspannungskabeln liegen beispielsweise zwischen
0,5 und 2,5.

Transformatoren Aus Gründen der Wirtschaftlichkeit und Zuverlässigkeit wird mit hö-
herer zu übertragender elektrischer Leistung eine höhere Spannung gewählt. Abb. 15.34
zeigt die verschiedenen Netzebenen mit den zugehörigen Nennspannungen. In den Netz-
ebenen 2, 4 und 6, den Umspannebenen, finden sich Transformatoren, die zur Wandlung
der Spannungen und damit zur Verbindung zwischen den jeweiligen Spannungsebenen
verwendet werden. Transformatoren für dreiphasige elektrische Energienetze sind eben-
falls dreiphasig ausgeführt und besitzen demzufolge mehrere Anschlüsse. Man unterschei-
det die Anschlüsse der Oberspannungsseite und die Anschlüsse der Unterspannungsseite.
Anstelle dieser beiden Begriffe werden auch die Bezeichnungen Primär- und Sekundärsei-
te verwendet, wobei die Größen der Primärseite mit dem Index 1 und die der Sekundärseite
mit dem Index 2 gekennzeichnet sind.
Transformatoren übertragen elektrische Leistungen und verändern die Größenordnun-
gen elektrischer Wechselspannungen und Wechselströme zwischen der Ober- und der
Unterspannungsseite, ohne dass dabei die Frequenz verändert wird. Bei symmetrischen

Abb. 15.12 Beispiel für den Bleimantel


Leiter
Aufbau eines Stromkabels PE-Mantel + Polster
innere Leitschicht
Armierung
VPE-Isolierung
VPE-Außenmantel
äußere Leitschicht
VPE = vernetztes Polyethylen
Quellvlies PE = Polyethylen
15 Stromnetze 1169

Abb. 15.13 Einphasiger Hauptfluss


Transformator bestehend aus
Primär- und Sekundärwick- I1 I2
lung und einem gemeinsamen
Eisenkern (Darstellung in An-
lehnung an [15.3])
U1 U2

Streufluss

Verhältnissen kann auch hier auf die einphasige Darstellung übergegangen werden. Die
Wirkung eines einphasigen Transformators kann anhand von Abb. 15.13 illustriert wer-
den.
Das Grundprinzip der Wandlung von U 1 und I 1 in U 2 und I 2 beruht auf der magne-
tischen Kopplung zwischen Primär- und Sekundärseite. Beide Seiten besitzen jeweils
Wicklungen, die einen gemeinsamen Eisenkern umgeben, und sind galvanisch vonein-
ander getrennt (d. h. sie haben keine leitfähige Verbindung untereinander). Die Energie-
übertragung geschieht rein durch die magnetische Kopplung zwischen den beiden Seiten.
Die Wirkungsweise beruht auf den Prinzipien der Selbst- und der Gegeninduktion. Ent-
scheidend für die magnetische Kopplung ist, dass sich in dem gemeinsamen Eisenkern ein
magnetischer Hauptfluss ausbildet, der beide Spulen, also die der Primär- und die der Se-
kundärseite, durchsetzt. In einem idealen Transformator ergibt sich damit der Zusammen-
hang nach Gleichung (15.31) und (15.32) zwischen den Effektivwerten der Spannungen
und der Ströme der Primär- und der Sekundärseite. ü ist das Übersetzungsverhältnis des
entsprechenden Transformators.

U1 D U2 ü (15.31)
1
I1 D I2 (15.32)
ü
Das Übersetzungsverhältnis ü ist definiert als das Verhältnis der Windungszahlen N 1
und N 2 der Primär- bzw. Sekundärwicklung (Gleichung (15.33)).

ü D N1 =N2 (15.33)

Die Übertragung elektrischer Leistung geschieht beim idealen Transformator also ver-
lustfrei, da die Produkte aus Strom und Spannung primär- und sekundärseitig jeweils
gleich sind.
Entsprechend Abb. 15.13 existieren neben dem magnetischen Hauptfluss jedoch auf
beiden Seiten zusätzlich magnetische Streuflüsse, die jeweils nur die eigene (d. h. die ver-
ursachende) Wicklung durchsetzen. Sie schließen sich durch die Luft und sind somit nicht
1170 C. Becker

Streufreier Transformator
Φ
UR1 UX1 UR2 UX2
I1 I2

R1 X1 R2 X2
U1 Uq1 Uq2 U2

Realer Transformator

Abb. 15.14 Einphasiger Transformator mit primär- und sekundärseitig gekennzeichneten ohmschen
und induktiven Komponenten für Kupfer- und Streuverluste (nach [15.3])

mit der Wicklung der anderen Seite verkettet. Weiterhin haben sowohl Primär- als auch
Sekundärwicklungen ohmsche Widerstände, da sie aus metallischen Leitern (in der Regel
aus Kupfer) bestehen. Beide Effekte können anschaulich berücksichtigt werden, indem
Abb. 15.13 zu Abb. 15.14 verändert wird, indem primär- und sekundärseitig die ohmschen
Widerstände R1 und R2 und die Induktivitäten mit den Reaktanzen X 1 und X 2 hinzugefügt
werden. Die damit verbundenen Verluste bezeichnet man als Kupfer- bzw. Streuverluste.
Der Transformator in der Mitte repräsentiert somit nur noch den magnetischen Hauptfluss
und die Wandlung der Spannungen U q1 und U q2 sowie der Ströme I 1 und I 2 . Er wird dann
als streufreier Transformator bezeichnet.
Für die Darstellung des Transformators in elektrischen Netzen ist es einfacher, anstelle
des hier vorgestellten galvanisch entkoppelten Modells ein galvanisch gekoppeltes, ein-
phasiges Ersatzschaltbild abzuleiten, welches bezüglich seines Klemmenverhaltens den-
noch den realen Gegebenheiten eines Transformators entspricht. Dies gilt, obwohl im
realen Transformator Primär- und Sekundärseite galvanisch entkoppelt sind. Dazu wer-
den die elektrischen Größen und Bauteile der Sekundärseite auf die Größenordnung der
Primärseite umgerechnet bzw. „bezogen“. Dies wird jeweils durch den hochgestellten In-
dex 1 im Ersatzschaltbild gekennzeichnet. Die Umrechnung geschieht nach Gleichung
(15.34) bis (15.37) (Abb. 15.15).

U21 D U2 ü (15.34)
1
I21 D I2 (15.35)
ü
R2 D R2 ü2
1
(15.36)
X21 D X2 ü 2
(15.37)

Um an der Sekundärseite wieder die tatsächlichen physikalischen Größen zu erhalten,


muss die Umrechnung von sekundärseitigem Strom und sekundärseitiger Spannung auf
15 Stromnetze 1171

Abb. 15.15 Einphasiges UR1 UX1 UR2


1 1
UX2 1
galvanisch gekoppeltes Er- I1 I2
satzschaltbild eines realen R1 X1 I0 1 1
R2 X2
Transformators mit auf die
Iμ IFe
Primärseite bezogenen se- 1 1
U1 Xμ Uq1 Uq2 RFe U2
kundärseitigen Größen (nach
[15.3])

die Primärseite durch Hinzufügen eines idealen Transformators mit dem Übersetzungs-
verhältnis ü wieder rückgängig gemacht werden (Abb. 15.16).
In den Längszweigen befinden sich die entsprechenden Elemente zur Berücksichtigung
von Kupfer- und Streuverlusten auf beiden Seiten. Zusätzlich enthält das Ersatzschaltbild
(Abb. 15.16) einen Querzweig. In diesem befinden sich eine sogenannte Hauptindukti-
vität und ein Eisenverlustwiderstand. Die Hauptinduktivität mit der Reaktanz X  nimmt
den Magnetisierungsstrom I  auf, der den Eisenkern auch bei leerlaufender Sekundärseite
(d. h. offenen, sekundärseitigen Klemmen) magnetisiert. Durch den parallel geschalteten
Eisenverlustwiderstand RFe werden Verluste durch Ummagnetisierung und Wirbelströme
berücksichtigt, die zwangsläufig in realen Transformatoren mit Eisenkernen entstehen und
diese erwärmen; sie werden als Eisenverluste bezeichnet. Im sekundärseitigen Leerlauf
wird dadurch der primärseitig aufgenommene Leerlaufstrom I 0 des Transformators be-
stimmt.
Bei realen Transformatoren sind die Größenverhältnisse der im Ersatzschaltbild vor-
kommenden Elemente sehr unterschiedlich. Die Elemente des Querzweiges sind wesent-
lich größer als die Elemente im Längszweig. Aus diesem Grund wird bei sekundärseitig
belasteten oder kurzgeschlossenen Transformatoren auf den Querzweig oft verzichtet,
so dass sich das vereinfachte Ersatzschaltbild des Transformators nach Abb. 15.17 er-
gibt. Darin werden die Wirk- und Blindwiderstände des primär- und sekundärseitigen
Längszweiges zusammengefasst zu jeweils einem gemeinsamen Widerstand R und einer

1 1
UR1 UX1 UR2 UX2 1
I1 I2

I0 1 1
R1 X1 R2 X2
Iμ IFe
1 1
U1 Xμ Uq1 Uq2 RFe U2 U2

Abb. 15.16 Einphasiges Ersatzschaltbild eines realen Transformators mit tatsächlichen sekundär-
seitigen Größen Strom und Spannung
1172 C. Becker

Abb. 15.17 Vereinfachtes UR UX


I
Ersatzschaltbild des Transfor-
mators für Kurzschluss- und
R X
Belastungsfälle 1
U1 U2

gemeinsamen Reaktanz X. Für Netzberechnungen stellt die Verwendung dieses Ersatz-


schaltbildes bei vernachlässigbaren Fehlern somit eine sinnvolle Vereinfachung dar.
Das Übersetzungsverhältnis wurde oben für den idealen Transformator mit dem Quoti-
enten von primär- und sekundärseitigen Windungszahlen definiert, der gleich dem Quoti-
enten der primär- und sekundärseitigen Spannungen ist. Für den realen Transformator sind
diese Quotienten i. Allg. nicht gleich, sondern nur, wenn ideale Verhältnisse und Leer-
lauf des Transformators angenommen werden. Nach DIN VDE 0532 wird die sogenannte
Bemessungsübersetzung ü symmetrischer Drehstrom-Transformatoren nach Gleichung
(15.38) angegeben. U r1 und U r2 sind die primär- und sekundärseitigen Bemessungsspan-
nungen.

Ur1
üD (15.38)
Ur2

Für den Übergang eines Einphasentransformators zu einem Drehstromtransformator


werden drei Einphasentransformatoren zunächst so angeordnet, dass sich die einzel-
nen Primär- und Sekundärwicklungen nebeneinander oder auch übereinander befinden.
Die dadurch freien Schenkel der drei Eisenkerne werden dicht beieinander platziert
(Abb. 15.18, links). Bilden die drei speisenden Spannungen U 1 , U 2 und U 3 ein symmetri-
sches Drehstromsystem, verschwindet der resultierende magnetische Fluss ˚ als Summe
der magnetischen Flüsse ˚1 , ˚2 und ˚3 in den drei Eisenkernen aufgrund der Symmetrie;
d. h. es gilt Gleichung (15.39).

˚1 C ˚2 C ˚3 D 0 (15.39)

Somit existiert insbesondere in den drei zusammengefassten freien Schenkeln in Sum-


me kein magnetischer Fluss. Die drei Einphasenwechselstromtransformatoren können
folglich mit einem gemeinsamen Eisenkern ohne Mittelschenkel realisiert werden. Der
gesamte Eisenkern kann dann in einer Ebene angeordnet werden und ist in einer solchen
Ausführung einfacher herzustellen. Abb. 15.18, rechts, zeigt das Prinzip eines solchen
Dreischenkeltransformators.
Transformatoren sind oftmals in einem mit Transformatoröl gefüllten Stahlkessel ein-
gelassen. Das Öl dient sowohl als Isoliermedium als auch als Kühlmittel. Für die Mittel-
und Niederspannung können Transformatoren auch als Trockentransformatoren ausge-
führt sein, in denen Gießharz als Isolationsmedium verwendet wird.
15 Stromnetze 1173

Φ2
Φ1
U2

Φ3
U1

U3

Abb. 15.18 Entstehung eines Drehstromtransformators aus drei Wechselstromtransformatoren


(links) und bei Entfall des Mittelschenkels bei einem Drehstromtransformator Anordnung der
Schenkel in einer Ebene (rechts) zu einem Dreischenkeltransformator

Für Drehstromtransformatoren ergeben sich verschiedene Möglichkeiten, die Wicklun-


gen zu verketten bzw. zu verschalten. Sie können sowohl ober- als auch unterspannungs-
seitig im Stern- oder im Dreieck geschaltet werden.

 Bei der Sternschaltung (Y, y) liegt an jeder Wicklung die Leiter-Erd-Spannung an.
 Bei der Dreieckschaltung (D, d) liegt an jeder Wicklung die verkettete Spannung an.

Bei den Bezeichnungen von Transformatoren sind dafür die Kurzzeichen Y sowie
D üblich; Großbuchstaben kennzeichnen die Verschaltung der Oberspannungsseite und
Kleinbuchstaben die der Unterspannungsseite. Weiterhin gibt es noch eine sogenannte
Zickzackschaltung (Z, z), bei der jede Wicklung eines Stranges auf zwei Schenkeln ge-
führt wird. Die jeweils zu einer Schaltgruppe gehörende Kennzahl (z. B. 5 bei Yd5) gibt
an, um welches Vielfache von 30ı die Spannungen auf der Unterspannungsseite gegen die
mit gleichem Buchstaben auf der Oberspannungsseite nacheilend phasenverschoben sind.
Bei hohen
p Spannungen wird die Sternschaltung bevorzugt, da dann die Isolation nur für
das 1= 3-fache der Außenleiterspannung ausgelegt werden
p muss. Bei hohen Strömen ist
die Dreieckschaltung günstiger, da wegen der um das 3-fache größeren Strangspannung
der Strangstrom entsprechend geringer ist. Netzkupplungstransformatoren sind daher üb-
licherweise in Yy-Schaltung aufgebaut. Für Maschinen- bzw. Blocktransformatoren in
Kraftwerken wird entsprechend die Yd-Schaltung bevorzugt. Für Verteilungstransforma-
toren mit Bemessungsleistungen über 250 kVA wird typischerweise die Yd-Schaltung
gewählt und darunter die Yz-Schaltung bevorzugt. Die Zickzackschaltung wird bevorzugt
eingesetzt, wenn unsymmetrische Belastungen zu erwarten sind, wie es in der Niederspan-
nungsebene in der Regel der Fall ist [15.3, 15.4].

Schalter Zur Unterbrechung des Stromflusses und zur Herstellung von Spannungsfrei-
heit an Teilen elektrischer Energieanlagen und elektrischen Energienetzen werden Schal-
1174 C. Becker

ter eingesetzt. In Drehstromnetzen bezeichnet man als „Schalter“ eine Schalteinheit für
alle drei Phasen. In der elektrischen Energietechnik existieren unterschiedliche Schalter-
Typen für verschiedenartige Aufgaben, die nachfolgend dargestellt werden.
Für die Modellierung muss zwischen idealen und realen Schaltern unterschieden wer-
den.

 Ideale Schalter öffnen und schließen ohne zeitliche Verzögerungen und sind im ge-
schlossenen Zustand ideal leitfähig (d. h. sie haben keinen elektrischen Widerstand).
Im geöffneten Zustand isoliert ein idealer Schalter unendlich gut zwischen den Schalt-
kontakten. Die Unterbrechung eines Wechselstromes gelingt ihm zu jedem Zeitpunkt.
 Reale Schalter hingegen schalten nur mit zeitlicher Verzögerung, besitzen einen end-
lichen Widerstand im geschlossenen Zustand und zeigen nur ein begrenztes Isolier-
vermögen. Auszuschaltende Wechselströme kommen erst beim auf den Schaltvorgang
folgenden Nulldurchgang des Stromes zum Erliegen. Zuvor entsteht ggf. ein Lichtbo-
gen zwischen den sich voneinander lösenden Schaltkontakten. Auch unterliegen sie im
Betrieb einem gewissen Verschleiß.

Für den Einsatz in elektrischen Energienetzen sind folgende Schalter-Typen von Be-
deutung.

 Leistungsschalter müssen die unter normalen Bedingungen im Stromkreis auftretenden


Betriebsströme sicher einschalten, dauerhaft führen und ausschalten können. Zudem
müssen sie die unter abnormalen Bedingungen im Stromkreis auftretenden Fehlerströ-
me sicher einschalten, über eine festgelegte Zeitdauer führen und ausschalten können.
Das Schaltzeichen eines Leistungsschalters gemäß DIN EN 60617-7 zeigt Abb. 15.19
(oben, links). In der Hoch- und Höchstspannung werden heute zumeist mit Schwe-
felhexafluorid (SF6 ) gefüllte Leistungsschalter verwendet. Schwefelhexafluorid ist ein
Gas mit hoher Elektronegativität und eignet sich daher im besonderen Maße, um die
Verlöschung des beim Ausschaltvorgang entstehenden Lichtbogens im Schalter zu be-
günstigen.
 Trennschalter oder „Trenner“ stellen beim Schalten eine meist sichtbare Trennstrecke
her. Sie müssen einen Stromkreis öffnen können, wenn entweder ein vernachlässigba-

Abb. 15.19 Schaltzeichen eines Leistungsschalters (oben, links), eines Trennschalters (oben,
rechts), eines Lastschalters (unten, links) und eines Lasttrennschalters (unten, rechts) (nach DIN
EN 60617-7)
15 Stromnetze 1175

rer Strom fließt oder keine wesentliche Änderung der Spannung zwischen den Schalt-
kontakten eintritt. Unter normalen und abnormalen Betriebsbedingungen müssen sie
die im Stromkreis auftretenden Betriebs- und Fehlerströme sicher führen können; sie
können weder normale Betriebsströme noch abnormale Fehlerströme ausschalten. Ih-
re wesentliche Aufgabe besteht darin, nach dem Schalten des Leistungsschalters eine
sichtbare Trennstrecke zu erzeugen. Daher treten sie immer in Kombination mit Leis-
tungs- bzw. Lastschaltern auf. Das Schaltzeichen eines Trennschalters zeigt Abb. 15.19
(oben, rechts).
 Lastschalter müssen unter normalen Bedingungen die im Netz auftretenden Betriebs-
ströme einschalten, führen und ausschalten können. Für eine bestimmte Zeit müssen sie
Fehlerströme führen und eventuell auch einschalten können. Abnormale Fehlerströme
können sie nicht ausschalten; diese Funktion ist den Leistungsschaltern vorbehalten.
Das Schaltzeichen eines Lastschalters ist in Abb. 15.19 (unten, links) dargestellt. Last-
schalter sind immer mit Trennschaltern zu kombinieren und können auch mit diesen
zusammen in einem Betriebsmittel als sogenannte Lasttrennschalter ausgeführt sein.
Das entsprechende Schaltzeichen für diese Art der Ausführung zeigt Abb. 15.19 (un-
ten, rechts).

Schaltanlagen Schaltanlagen sind wichtige Bestandteile elektrischer Energienetze, da in


ihnen die primärtechnischen Komponenten wie Leitungen, Generatoren, Transformatoren
sowie Messwandler und die dazugehörigen Schaltgeräte miteinander verbunden werden.
Weiterhin beinhalten sie Komponenten der Sekundärtechnik, unter denen Einrichtungen
der Leit- und Schutztechnik einschließlich der Messtechnik verstanden werden. Zentrale
Elemente in Schaltanlagen sind Sammelschienen, die ebenfalls zur Primärtechnik gezählt
werden. Diese stellen die Knotenpunkte eines Netzes dar, über welche die Netzzwei-
ge miteinander verbunden sind. Moderne Sammelschienen sind z. B. in Rohrbauweise
ausgeführt, und andere Ausführungen ähneln Leiterseilen. Die Enden der Zweige in ei-
nem Netz, die an den Sammelschienen angeschlossen sind, sind auch Bestandteile einer
Schaltanlage; sie werden als Abzweige bezeichnet. Eine Schaltanlage umfasst neben den
Sammelschienen somit alle primär- und sekundärtechnischen Einrichtungen, die sich in
einem abgegrenzten Raum im Umfeld meistens mehrerer Sammelschienen befinden. Sind
zusätzlich Transformatoren vorhanden, bezeichnet man die gesamte Anlage auch als Um-
spannwerk oder Umspannanlage.
Eine typische Struktur eines Abzweiges einer Sammelschiene zeigt Abb. 15.20. Dort
erkennt man die Anordnung von Trennschaltern vor und nach einem Leistungsschalter,
einem Erdungsschalter sowie je einem Strom- und einem Spannungswandler. Dies sind
speziell konstruierte Transformatoren, die zur Erfassung von Strom- und Spannungswer-
ten des Abzweiges vorgesehen sind und die schutz- und leittechnischen Einrichtungen
mit den Messwerten in genormter Höhe versorgen. Erdungsschalter werden nach dem
Freischalten des Betriebsmittels (z. B. der Leitung) verwendet, um es auf Erdpotenzi-
al zu legen, so dass es im Falle von Wartungsarbeiten ohne Gefahr für das Personal
berührt werden kann. Erdungsschalter sind oftmals in Trennschalter integriert und wer-
1176 C. Becker

Abb. 15.20 Generische Struk- Sammelschiene


tur eines Abzweiges
Trennschalter

Leistungsschalter

Stromwandler

Spannungswandler

Trennschalter

Erdungsschalter

Betriebsmittel, z. B. Leitung

den nach dem Öffnen des Trennschalters geschlossen. Aus Redundanzgründen können
Abzweige in den meisten Fällen an zwei getrennte Sammelschienen, ein sogenanntes
Doppelsammelschienensystem, angeschlossen werden. Der Abzweig teilt sich dann von
der Leitung aus gesehen hinter dem Leistungsschalter und kann über je einen Sammel-
schienentrennschalter mit den beiden Sammelschienen verbunden werden. Der Vorteil
eines Doppelsammelschienensystems besteht darin, dass ein Fehler in einer der beiden
Sammelschienen sowie eine wartungsbedingte Freischaltung einer Sammelschiene von
allen Abzweigen zu keiner Unterbrechung des Energieflusses über die angeschlossenen
Zweige führt. Dies wird dadurch ermöglicht, dass die noch in Betrieb befindliche Sam-
melschiene die Aufgabe der außer Betrieb befindlichen Sammelschiene übernehmen kann.
Ein Abzweig in einer Schaltanlage mit den zugehörigen Geräten wird auch als Schaltfeld
bezeichnet.
Abb. 15.21 zeigt ein Beispiel einer Umspannanlage zwischen der Höchst- und der
Hochspannungsebene. Die Umspannanlage besteht aus zwei Transformatoren und je ei-
ner Schaltanlage für die Höchst- und die Hochspannung, welche ihrerseits jeweils aus
einem Doppelsammelschienensystem, den Schaltfeldern und den Transformatorfeldern
bestehen.
In Freiluftschaltanlagen werden die spannungsführenden Teile durch die umgebende
Luft gegeneinander isoliert; daher nehmen sie vergleichsweise viel Fläche in Anspruch.
Ist das Platzangebot für Schaltanlagen und Freileitungen begrenzt (z. B. innerhalb von
Städten), greift man auf gasisolierte Schaltanlagen (GIS-Anlagen) zurück. In ihnen sind
die spannungsführenden Teile wie Sammelschienen und Abzweige mit ihren jeweils zu-
gehörigen Geräten platzsparend in gekapselter Bauweise realisiert und innerhalb der Kap-
selung mit SF6 -Gas (SF6 Schwefelhexafluorid) als Isoliermedium umgeben. Im Vergleich
zu einer 380 kV-Freiluftschaltanlage benötigt eine 380 kV-GIS-Anlage deutlich weniger
Fläche; in einem Beispielprojekt wird nur etwa ein Fünftel der Fläche veranschlagt [15.6].
15 Stromnetze 1177

Umspannanlage

Schaltanlage Schaltanlage
Höchstspannung Hochspannung

Schaltfeld Sammelschiene

Abb. 15.21 Systematischer Aufbau einer Umspannanlage

Lasten Die an ein elektrisches Energienetz angeschlossenen Verbraucher stellen Lasten


dar, in denen Wirkleistung verbraucht wird und zusätzlich – je nach Verbrauchertyp – ggf.
Blindleistung umgesetzt. Die Wirkleistung in Bezug auf die Scheinleistung beschreibt
cos ', der sogenannte Leistungsfaktor. Er gibt damit auch über Verhältnis von Wirk- und
Blindleistung einer Last Auskunft.
Heute existieren eine Vielzahl unterschiedlicher motorischer oder ruhender Verbrau-
chertypen ganz unterschiedlicher Bemessungsleistungen, die in zunehmendem Maße auch
leistungselektronische Komponenten beinhalten. Angesichts dessen wäre es sicherlich ge-
rechtfertigt, jeden an ein Netz angeschlossenen Verbraucher individuell zu modellieren,
um dessen Verhalten am Netz mit Blick auf die elektrischen Vorgänge des Gesamtsys-
tems geeignet zu berücksichtigen. Da je nach den Gegebenheiten der betrachteten Versor-
gungssituation viele einzelne Verbraucher unterschiedlichster Art und unterschiedlichster
Leistungsklassen angeschlossen sind, wäre eine derart genaue Betrachtung und Analy-
se jedoch extrem aufwändig. Zudem ist es gerade bei Letztverbrauchern oft unbekannt,
welche Lasten zu welchen Zeitpunkten angeschlossen sind. Aus Sicht der Mittel-, Hoch-
und Höchstspannungsebene wären zudem immer mehr Verbraucher zu betrachten, da die
Netzgebiete der jeweils unterlagerten Spannungsebenen viele Verbraucher akkumulieren.
Somit ist eine geeignete Modellierung von Lasten zu finden, die einzelne oder auch sehr
viele Verbraucher einbeziehen kann. Generell hat es sich deshalb als zweckmäßig erwie-
sen, Mischlasten aus ruhenden und motorischen Lasten zu betrachten und deren Wirk-
und Blindleistungen zu modellieren. Bei der Prognose von Leistungswerten von Lasten
greift man dazu auf komplexe statistische Modelle auf Basis von Lastdaten zurücklie-
1178 C. Becker

gender Zeiträume zurück. Damit sind heute Prognosegenauigkeiten mit einem niedrigen
einstelligen Prozentwert möglich [15.4].
Die Wirk- und Blindleistungsumsätze von Lasten sind durch das Verhalten der Verbrau-
cher bestimmt und unterliegen dadurch einer gewissen zeitlichen Abhängigkeit. Zusätz-
lich sind sie aber auch von Spannung und Netzfrequenz an ihrem jeweiligen Anschluss-
punkt abhängig. Um die Auswirkungen dieser Einflussgrößen auf die Leistungen einer
Last oder einer Lastgruppe abzubilden, hat sich das spannungs- und frequenzabhängige
Lastmodell nach Gleichung (15.40) durchgesetzt, welches die umgesetzte Wirkleistung
PL und Blindleistung QL jeweils in Abhängigkeit der aktuellen Netzspannung U L und der
Netzfrequenz f L ausdrückt.
   
UL ˛ fL ˇ
PL D PL0
UL0 f0
   ı
UL fL
QL D QL0 (15.40)
UL0 f0

Die mit dem Index 0 gekennzeichneten Größen PL0 , QL0 , U L0 und f L0 bezeichnen je-
weils die Größen in einem bekannten Ausgangszustand. Die Exponenten ˛, ˇ,  und ı
werden entsprechend der gegebenen Spannungs- bzw. Frequenzabhängigkeit der Wirk-
und Blindleistung gewählt. Bei Spannungs- bzw. Frequenzunabhängigkeit werden diese
Variablen zu 0 gesetzt. Verhält sich die Last wie eine konstante Impedanz, muss ˛ D 2
und  D 2 gesetzt werden. Nimmt die Last konstante Blind- und Wirkströme auf, sind
˛ D 1 und  D 1 zu setzen. Für Lastgruppen ist die genaue Festlegung der Parameter oft
schwierig; hier finden dann Erfahrungswerte oder durch Messungen gewonnene Ergeb-
nisse Anwendung. Die Exponenten liegen dabei typischerweise in folgenden Intervallen
[15.4]: ˛,  2 Œ0I 2, ˇ 2 Œ0I 1; ı 2 Œ1I 1.
Ein weiterer wichtiger Faktor, der bei der Nachbildung von Lasten eingesetzt wird, ist
der Gleichzeitigkeitsgrad g. Dieser berücksichtigt, dass ein Lastgebiet (z. B. ein Wohnge-
biet) zu einem Zeitpunkt immer nur einen Bruchteil der insgesamt an das Netz angeschlos-
senen elektrischen Leistungen bezieht. Je mehr Wohneinheiten n einbezogen werden,
desto kleiner ist die zu erwartende gleichzeitig abgenommene Last, die Höchstlast PH ,
im Verhältnis zur Summe Pges der Bemessungsleistungen Pri der einzelnen Verbraucher.
Die Summe der Bemessungsleistungen errechnet sich nach Gleichung (15.41).

X
m
Pges D Pri (15.41)
i D1

Die Höchstlast PH ist definiert nach Gleichung (15.42). n ist die Anzahl der Wohnein-
heiten und g der Gleichzeitigkeitsgrad.

PH D n g Pges (15.42)
15 Stromnetze 1179

Für Wohngebiete kann näherungsweise von einem Gleichzeitigkeitsgrad nach Glei-


chung (15.43) ausgegangen werden. Diese Berechnungsvorschrift für den Gleichzeitig-
keitsgrad g für Wohngebiete ebenso wie weitere existierende Abschätzungen von Gleich-
zeitigkeitsgraden für Lastgebiete mit anderen Verbrauchertypen beruhen auf Erfahrungs-
werten [15.4] und können sich damit über der Zeit verändern.

0;93
g D 0;07 C (15.43)
n
Kompensationsanlagen In elektrischen Energiesystemen gibt es Erzeuger-, Verbrau-
cher- und Netz-seitige Situationen, in denen es unerwünschte, mit der Blindleistung
zusammenhängende, Effekte gibt, die durch den Einsatz weiterer Betriebsmittel abge-
schwächt oder sogar gänzlich vermieden werden sollen. Dazu zählen Leistungskonden-
satoren und Drosselspulen, die zur sogenannten Blindleistungskompensation verwendet
werden. Die unterschiedlichen Einsatzgebiete dieser Betriebsmittel werden im Folgenden
erläutert.

 Blindleistungskompensation am Verbraucher. Zunächst werden Verbraucher mit einem


hohen Anteil induktiver Blindleistung betrachtet. Dies ist der Fall, wenn der Leis-
tungsfaktor cos ' des Verbrauchers einen bestimmten Wert (z. B. 0,9 (induktiv)) unter-
schreitet. Werden dann Verbraucher-seitig keine Gegenmaßnahmen in Form von Blind-
leistungskompensation ergriffen, muss diese induktive Blindleistung aus dem Netz
bezogen werden. Dies führt aber zu erhöhten Verlusten bei der Energieübertragung
sowie zu unerwünschten Beeinflussungen des Spannungsprofils. Außerdem erfordert
es Vorkehrungen im Netz oder in den Erzeugungsanlagen, um diese Blindleistung
bereitzustellen. Daher werden in diesen Fällen lokale Blindleistungskompensations-
anlagen dicht am Verbraucher in Form von Kondensatoren errichtet. Die Kapazität
dieser Kompensationskondensatoren ist oftmals so bemessen, dass sie den induktiven
Blindleistungsbedarf des Verbrauchers insoweit kompensieren, dass der Leistungsfak-
tor der gesamten Schaltung aus Verbraucher mit Kondensator einen Leistungsfaktor
von 0,9 (induktiv) oder etwas höher aufweist. Dazu ist es vorteilhaft, diese Kondensa-
toren parallel zum Verbraucher zu schalten. Die Wirkung dieser Kompensation durch
kapazitive Blindleistung QC des Kondensators ist in Abb. 15.22 entsprechend angedeu-
tet.

Abb. 15.22 Verbraucherseitige


Blindleistungskompensation QC
CK LV RV

Verbraucher: cosφ < 0,9

Verbraucher mit Q-Kompensation: cosφ ≥ 0,9


1180 C. Becker

Abb. 15.23 Längskompensati- QC


on einer Leitung
Il R' l L'B l CK

ΔU l

 Längskompensation zur Reduktion des induktiven Längsspannungsabfalls von Leitun-


gen. Bei langen oder stark belasteten Leitungen kann der Leitungsstrom I l zu unzu-
lässig hohen Längsspannungsabfällen U l entlang der Leitung führen (Abb. 15.23).
Bei Freileitungen ist hierfür hauptsächlich die im Vergleich zur ohmschen Kompo-
nente große induktive Komponente verantwortlich. Daher ist es sinnvoll, die Wirkung
dieser Längsinduktivität durch den Einbau eines Kondensators in Reihe zur Leitung
abzuschwächen. Dieser Kondensator liefert die Blindleistung QC , welche die Indukti-
vität benötigt und wirkt in dieser Anordnung ebenfalls als Blindleistungskompensation,
welche die elektrische Länge der Leitung von außen betrachtet reduziert.
 Querkompensation zur Verringerung der Ladeleistung von Leitungen. In elektrischen
Energienetzen tritt das Problem der unzulässigen Spannungserhöhung durch kapazitive
Blindleistungsaufnahme leerlaufender Leitungen, zumeist Kabelleitungen, auf (Kapi-
tel 15.2.1). Grund hierfür sind die im Vergleich zur Leitungsinduktivität hohen Lei-
tungskapazitäten, die dazu führen, dass insbesondere leerlaufende Leitungen hohe ka-
pazitive Ladeströme aufnehmen können und auf diese Weise Ladeleistung umgesetzt
wird. Diesem Problem kann mit einer induktiven Querkompensation durch Drossel-
spulen begegnet werden, die in regelmäßigen Abständen in längere Kabelstrecken ein-
gebaut werden. Nach dem Ersatzschaltbild eines Leitungssegmentes (Abb. 15.24) neh-
men die Drosselspulen LK jeweils lokal die Blindleistung auf, die von den Leitungska-
pazitäten abgegeben wird. Bei vollständiger Blindleistungskompensation fließen dann
aus dem umgebenden Netz keine Ladeströme in die kompensierte Leitung.

Derartige Kompensationsanlagen können durch die Bauart vorgegebene feste Werte


ihrer Induktivitäten bzw. Kapazitäten aufweisen. Es existieren darüber hinaus auch re-
gelbare Kompensationsanlagen, die an die jeweilige Betriebssituation angepasst werden
können. Dies ist in Abb. 15.24 durch einstellbare Induktivitäten angedeutet. Insbesondere
sind leistungselektronische Kompensationsanlagen verfügbar, die sehr schnell und stufen-

Abb. 15.24 Querkompen- R' l L'B l


sation einer Leitung mit
Drosselspulen
QC C'B C'B QC
LK l l LK
2 2
15 Stromnetze 1181

los regelbar sind und somit auch eine Relevanz hinsichtlich ihres dynamischen Verhaltens
für den zu kompensierenden Verbraucher oder die Netzelemente haben.

15.2.2 Leistungselektronische Stromrichter

Leistungselektronische Stromrichter haben sich in vielen energietechnischen Anwendun-


gen in den letzten Jahrzehnten immer stärker durchgesetzt. Sie werden sowohl beim An-
schluss dezentraler Energieumwandlungsanlagen als auch für die Wandlung zwischen
Wechsel- bzw. Drehstrom und Gleichstrom bei der Gleichstromübertragung, bei Kom-
pensationen sowie in regelbaren Lasten (z. B. elektrischen Antrieben) verwendet. Nach-
folgend werden zunächst die entsprechenden Bauelemente diskutiert.
Leistungselektronische Halbleiter-Bauelemente sind spezielle Bauelemente, die zum
schnellen elektronischen Schalten mit hohen Taktfrequenzen ausgelegt sind. Derartige
Halbleiter-Bauelemente sind für einen großen Leistungsbereich und in Form vieler ver-
schiedener Bauteiltypen verfügbar. Sie werden in sehr großer Zahl in Geräten der moder-
nen Elektronik verwendet. Leistungshalbleiter werden speziell für den Betrieb mit hohen
Spannungen und Strömen entwickelt und können damit in Stromrichteranlagen hoher
Leistungen für Anwendungen der elektrischen Energietechnik eingesetzt werden.
Ein wichtiges Bauelement ist der Thyristor, dessen Schaltsymbol Abb. 15.25, links,
zeigt. Vereinfacht beschrieben arbeitet er wie eine Diode mit Anode (A) und Kathode (K),
die jedoch bei Anliegen einer positiven Spannung uT (d. h. im Durchlassbereich) nicht
sofort in den leitenden Zustand übergeht, sondern erst mit einem positiven Stromimpuls
leitend wird, der auf einen gegenüber der Diode zusätzlich vorhandenen Steuereingang
G, das sogenannte Gate, geschaltet werden muss. Der Thyristor kann auf diese Weise nur
eingeschaltet, jedoch nicht abgeschaltet werden. Zum Abschalten (d. h. dem Übergang
vom leitenden in den nicht leitenden Zustand) muss zunächst der zwischen Anode und
Kathode fließende Strom zu Null werden; dies kann beispielsweise durch den natürlichen,
periodisch wiederkehrenden Stromnulldurchgang beim Wechselstrom geschehen. Liegt
dann eine negative Spannung uT an, geht er in den nicht-leitenden Sperrbereich. Bei einer
anliegenden positiven Spannung geht er demgegenüber zunächst in den sogenannten Blo-
ckierbereich, aus dem heraus dann wiederum durch einen positiven Gate-Stromimpuls iG
der Leitzustand erreicht wird. Ein Thyristor kann damit auch hohe Ströme und hohe Span-
nungen blockieren. Er kann als Schalter für Kondensatoren und Drosseln, in Umrichtern

Abb. 15.25 Schaltsymbol des A C


Thyristors (links; A Anode, K iT iC
Kathode, G Gate) und Insula-
ted Gate Bipolar Transistors uT G uCE
(IGBT) (rechts; C Kollektor, E uGE
G
Emitter, G Gate)
K E
1182 C. Becker

zur Blindleistungskompensation oder auch als Schutzschalter eingesetzt werden und wird
vor allem für Anwendungen mit besonders hohen Leistungen über 3 000 MVA und hohen
Spannungen über 500 kV verwendet.
Thyristoren arbeiten wie alle Halbleiter-Bauelemente nicht verlustfrei. Die auftretende
Verlustleistung setzt sich aus Durchlassverlusten und Schaltverlusten zusammen.

 Durchlassverluste sind die Verluste, die während des leitenden Zustandes durch Strom-
wärmeverluste entstehen.
 Unter Schaltverlusten versteht man die Verluste, die während des Ein- und Ausschal-
tens aufgrund nicht ideal steiler Schaltflanken der Spannung und des Stromes entste-
hen.

Als Bauelemente, die auch gezielt abschaltbar sind, wurden zwischenzeitlich Gate-
Turn-Off(GTO)-Thyristoren entwickelt. Ein solches Bauelement kann zusätzlich zur
schon beschriebenen Funktionsweise eines konventionellen Thyristors mit einem negati-
ven Stromimpuls am Gate abgeschaltet werden.
In vielen Anwendungsbereichen in Elektroenergiesystemen werden vorwiegend In-
sulated Gate Bipolar Transistoren (IGBT) eingesetzt. Ein IGBT ist vereinfacht ein Bi-
plolar-Transistor, der über einen im selben Bauelement integrierten Feldeffekt-Transistor
angesteuert wird. Sein Schaltsymbol ist in Abb. 15.25, rechts, dargestellt. Ein IGBT wird
damit – im Gegensatz zu einem Thyristor – mit einer Spannung statt mit einem Stromim-
puls gesteuert. Dadurch ergibt sich eine sehr geringe Ansteuerleistung. Er kann mit einer
positiven Spannung ein- und mit einer Spannung von 0 V ausgeschaltet werden. Zudem
zeichnet er sich durch geringe Durchlassverluste aus. Idealisiert kann er damit für strom-
richtertechnische Anwendungen als gutes Schaltelement verwendet werden. Anlagen mit
IGBT existieren heute im Bereich von über 1 000 MVA und bis zu 300 kV [15.7].
In den folgenden Kapiteln werden zwei wichtige grundsätzliche Stromrichterschal-
tungstypen mit ihren Eigenschaften vorgestellt, in denen die hier behandelten leistungs-
elektronischen Bauelemente Anwendung finden.

Netzgeführter Stromumrichter Mit „Gleichrichten“ wird die Umformung von Wech-


selstrom in Gleichstrom mit einer gleichzeitigen Energieübertragung vom Wechsel- in das
Gleichstromsystem bezeichnet. Den umgekehrten Fall (d. h. die Umformung von Gleich-
zu Wechselstrom bei Energieübertragung in ebendieser Richtung) bezeichnet man mit
„Wechselrichten“. Dies sind zwei elementare Grundfunktionen von Stromrichtern, die üb-
licherweise mit einem Symbol nach Abb. 15.26, links, dargestellt werden.

Abb. 15.26 Grundfunktionen Gleichrichter


von Stromrichtern: Wech-
selrichten und Gleichrichten
(links) und Umrichten (rechts)

Wechselrichter (Wechselstrom-)Umrichter
15 Stromnetze 1183

I=
T1 T3 LZK → ∞
IN L

UN UN U=
U=

T2 T4

Abb. 15.27 Netzgeführter Stromumrichter (Schaltung der Thyristor-Halbbrücken (links) und Sym-
bol (rechts)) (nach [15.7])

Die elementare Schaltung, bestehend aus zwei Thyristor-Halbbrücken T 1 , T 2 und T 3 ,


T 4 eines netzgeführten Stromumrichters zeigt Abb. 15.27, links; der rechte Teil dieser
Abbildung zeigt das Schaltsymbol. In der Schaltung befindet sich der Gleichstromkreis
auf der rechten Seite der Thyristor-Halbbrücken und der Wechselstromkreis links da-
von. Der Gleichstromkreis wird auch als Gleichstrom-Zwischenkreis bezeichnet, wenn
eine zweite Verbindung zu einem Wechselstromkreis am anderen Ende des Gleichstrom-
kreises existiert. In diesem Fall spricht man von einem (Wechselstrom-)Umrichter mit
Gleichstromzwischenkreis (Abb. 15.26, rechts), der eine Verbindung zwischen zwei un-
terschiedlichen Wechselstromsystemen herstellt.
Kennzeichnend für den Gleichstromkreis ist eine idealisiert als unendlich groß ange-
nommene Induktivität LZK im Gleichstromkreis. Sie führt dazu, dass sich der Gleichstrom
nicht verändern kann, da ansonsten eine unendlich hohe Selbstinduktionsspannung auftre-
ten würde. Die sehr große Induktivität zwingt den Gleichstrom somit, seine Größe nicht
zu verändern. Dies entspricht in ihrer Wirkung einer Konstant-Stromquelle. Insbesondere
weist er daher auch keine Welligkeit auf, so dass die Funktion von LZK auch als die einer
Glättungsdrossel interpretiert werden kann. Die Thyristoren werden im Folgenden als ide-
al wirkende Schalter angenommen, die über den vorgestellten Mechanismus eingeschaltet
werden und nur selbsttägig wieder verlöschen können. Abb. 15.28 zeigt die zeitlichen
Verläufe der Spannungen U N und U D sowie des Netzstromes I N des netzgeführten Strom-
umrichters in einer Periode. Die Spannung U N ist nach Betrag und Nullphasenwinkel
durch das angeschlossene Wechselstromnetz hier fest vorgegeben.
Zur Erklärung der Verläufe wird die betrachtete Zeitperiode in zwei Bereiche (Zeitbe-
reich 1 und Zeitbereich 2) unterteilt.

 Zeitbereich 1. Die beiden diagonal gegenüberliegenden Thyristoren T 1 und T 4 sind


leitend. Sie wurden auf den vergangenen Nulldurchgang der Wechselspannung U N
folgend nach einer dem eingezeichneten sogenannten Zündwinkel ˛ entsprechenden
Zeit gezündet. Die Thyristoren T 2 und T 3 leiten nicht. Der Gleichstrom setzt sich
über die Thyristoren hinweg in das Wechselstromsystem fort. Wenn nun die Span-
nung U N den Wert Null annimmt, fließt der Strom zunächst weiter, da die Induktivität
1184 C. Becker

Abb. 15.28 Verlauf der Span- U=


nungen und Ströme beim
netzgeführten Stromumrichter
für den Fall des Gleichrichter- 0
betriebs (nach [15.7]) ωt

UN
α α

IN

0
ωt

Zeitbereich 1 Zeitbereich 2

LZK keine Stromänderung zulässt. Das Thyristorpaar T 1 und T 4 verlöscht in diesem


Zeitpunkt somit nicht. Dieser Zustand hält so lange an, bis wiederum nach einer die-
sem Nulldurchgang folgenden und dem Zündwinkel ˛ entsprechenden Zeit das andere
Thyristorpaar T 2 und T 3 gezündet wird. Die durch die angeschlossene Wechselspan-
nungsquelle vorgegebene Spannung U N wird über die als Schalter wirkenden Thyris-
toren als „Gleich“-Spannung UD auf die Gleichstromseite übertragen.
 Zeitbereich 2. Mit seiner Zündung übernimmt das Thyristorpaar T 2 und T 3 den Strom-
fluss, sodass das Paar T 1 und T 4 verlöschen kann. Dieser Vorgang, bei dem der Strom-
fluss von einem Zweig auf einen anderen übergeht, wird als Kommutierung bezeichnet.
Dadurch ändert sich bei nach wie vor unverändertem Strom I D die Richtung des Stroms
I N auf der Wechselspannungsseite, der sich als über die Thyristoren hinwegfließender
gleichbleibender Strom I D ergibt. Die Wechselspannung wird nun über diesen Strom-
pfad auf die Gleichstromseite übertragen, sodass sich bei eingetragener Zählrichtung
von U D in diesem Zeitbereich die negative Spannung U N als U D ergibt.

Damit wird klar, warum diese Form des Stromrichters „netzgeführter Stromumrich-
ter“ (englisch: Line Commutated Converter – LCC) genannt wird. Maßgeblich für die
Funktionsweise ist der konstante Gleichstrom auf der Gleichstromseite und die der Netz-
wechselspannung U N folgende Kommutierung nach dem Zündwinkel.
Damit ergibt sich auf der Wechselspannungsseite ein Wechselstrom I N mit einem recht-
eckförmigen Verlauf. Auf der Gleichspannungsseite bildet sich ein Spannungsverlauf, der
abwechselnd abschnittsweise dem sinusförmigen Verlauf der netzseitigen Wechselspan-
nung U N und ihrem (1)-fachen Verlauf folgt. Der Mittelwert der Spannung ist demnach
ungleich Null, so dass diese Spannung U D zu Recht als Gleichspannung bezeichnet wer-
den kann. Der rechteckförmige Verlauf des netzseitigen Wechselstroms kann über eine
Fourier-Reihenentwicklung in seine Grundschwingung und Oberschwingungen zerlegt
15 Stromnetze 1185

Abb. 15.29 Betriebsdiagramm Q


des netzgeführten Stromum- Wechselrichtung Gleichrichtung
richters (nach [15.7])

α
P

werden. Ein Vergleich der Nullphasenwinkel der Grundschwingung von I N mit U N zeigt,
dass der Wechselstrom I N der Wechselspannung U N nacheilt. Dieses Nacheilen entspricht
exakt dem Zündwinkel ˛. Damit verhält sich der Stromrichter stets induktiv und nimmt
folglich Blindleistung aus dem Wechselspannungsnetz auf, außer bei ˛ = 0ı und ˛ =
180ı . Der gewählte Wert von ˛ bestimmt damit die Höhe der induktiven Blindleistung.
Diese Blindleistung bezeichnet man deshalb als Steuerblindleistung. Ob die Schaltung als
Gleich- oder als Wechselrichter arbeitet, wird nicht durch die Richtung des Gleichstrom-
flusses bestimmt, denn diese ist ja stets konstant, sondern folglich durch die Polarität des
Mittelwertes von U D . Diese ist ebenfalls durch ˛ bestimmt. Im Bereich 0ı ˛ < 90ı ist
sie positiv, so dass in diesem Bereich Gleichrichterbetrieb vorliegt. Im Bereich 90ı ˛ <
180ı ist sie negativ; dies entspricht einem Wechselrichterbetrieb.
Eine Variation des Zündwinkels beeinflusst erkennbar nicht den Betrag der Grund-
schwingung von I N , da dieser durch die Höhe des Gleichstroms vorgegeben ist, sondern
nur ihren Nullphasenwinkel und damit die Phasenverschiebung zwischen I N und U N . Da
der Betrag der Netz-Wechselspannung U N ebenfalls fest vorgegeben ist, bleibt für alle
gewählten Zündwinkel ˛ die Scheinleistung stets konstant. Es ändert sich mit dem ge-
wählten Zündwinkel ˛ nur die Phasenverschiebung zwischen Strom und Spannung und
folglich die Aufteilung in Wirk- und Blindleistung. Daher kann ein Betriebsdiagramm des
netzgeführten Stromumrichters entsprechend Abb. 15.29 angegeben werden.
Demnach ist der im Netzbetrieb interessierende Wirkleistungsfluss über den Strom-
umrichter über den Zündwinkel ˛ regelbar; dies geht aber immer auch mit einer von
der Wirkleistung abhängigen nicht beeinflussbaren Blindleistungsaufnahme aus dem Netz
einher. Diese Blindleistung kann beispielsweise durch kapazitiv wirkende Blindleistungs-
kompensationsanlagen in Verbindung mit dem netzgeführten Stromumrichter bereitge-
stellt werden.
Der netzgeführte Stromumrichter ruft aufgrund des in der Realität annähernd recht-
eckförmigen Stromverlaufes netzseitig einen hohen Stromoberschwindungsanteil hervor.
Dies macht zusätzlich die Installation aufwändiger Filter erforderlich, die diese Strom-
oberschwingungen aus Sicht des Wechselspannungsnetzes weitgehend unterdrücken müs-
sen.
Wird diese Schaltung schließlich durch weitere Thyristorbrücken mit entsprechend
phasenverschobener Ansteuerung für einen Anschluss an ein Dreiphasen-Wechselstrom-
system erweitert, kann auch die Wandlung zwischen Gleichstrom und einem symmetri-
schen Drehstromsystem realisiert werden.
1186 C. Becker

Selbstgeführter Spannungsumrichter Im Gegensatz zum netzgeführten Stromumrich-


ter werden beim selbstgeführten Spannungsumrichter abschaltbare leistungselektronische
Bauelemente verwendet. Abb. 15.30 zeigt das Schaltsymbol und die elementare Schal-
tung, in der wiederum zwei Halbbrücken vorhanden sind, in denen IGBT’s zum Einsatz
kommen. Diese können als ideale Schalter aufgefasst werden, die zusätzlich für eine ge-
wisse Stromflussrichtung vorgesehen sind. Sie können durch gezielte Steuerspannungen
sowohl geschlossen als auch geöffnet werden.
Für die Arbeitsweise dieser Schaltung ist es wichtig, dass die Schalter im geschlosse-
nen Zustand in beiden Richtungen Strom führen können. Zu diesem Zweck werden die
IGBT mit zusätzlichen Dioden, sogenannten anti-parallelen Reverse-Dioden ausgestattet,
die den Stromfluss übernehmen, wenn die Polarität am Transistor gedreht ist; sie werden
oftmals in denselben Chip wie der IGBT integriert.
Der Gleichspannungszwischenkreis im rechten Teil der Schaltung wird durch einen
Kondensator mit idealisiert als unendlich groß angenommener Kapazität CZK nachgebil-
det. Damit dient der Kondensator als Gleichspannungsquelle, und im Gleichspannungs-
zwischenkreis existiert eine konstante Gleichspannung. In der Realität wird die Zwi-
schenkreisspannung durch einen Gleichspannungsregler auf einen vorgegebenen Sollwert
geregelt. Wechselspannungsseitig ist zwischen der Ausgangswechselspannung des Span-
nungsumrichters U AB und der Wechselspannung des Netzes eine Netzanschlussdrossel LN
erforderlich, welche auch durch die Streureaktanz des Netzanschlusstransformators gege-
ben sein kann. Die Differenz der Spannungen U N und U AB bestimmt den Wechselstrom
I N , der vom Spannungsumrichter in das Wechselspannungsnetz fließt.
Das grundlegende Wirkprinzip des selbstgeführten Spannungsumrichters ist es, eine
nach Betrag und Nullphasenwinkel beliebig einstellbare Wechselspannung U AB erzeugen
zu können. Durch passende Wahl dieser Spannung in Bezug zur bekannten Netzspannung
U N kann somit ein gewünschter Strom I N über die Netzanschlussdrossel ins Netz fließend
hervorgerufen werden, so dass vorgegebene Wirk- und Blindleistungen zwischen Um-
richter und Netz ausgetauscht werden können. Das Betriebsdiagramm des selbstgeführten
Spannungsumrichters kann daher gemäß Abb. 15.31 angegeben werden.

a b
LN TA+ TB+
IN
A
UAB IGBT
UN U= c
CZK → ∞
B
UN U= C
TA- TB-

Abb. 15.30 Selbstgeführter Spannungsumrichter (Schaltung der IGBT-Halbbrücken (a), Modellie-


rung eines IGBT mit anti-paralleler Reverse-Diode (b) und Schaltsymbol (c)) (nach [15.7])
15 Stromnetze 1187

Abb. 15.31 Betriebsdiagramm Q


des selbstgeführten Span-
nungsumrichters
P

Die gesamte umsetzbare Scheinleistung ist durch die Dimensionierung der verwen-
deten Bauelemente begrenzt, so dass sich im P-Q-Diagramm ein Kreis als Begrenzung
ergibt. Innerhalb dieses Kreises kann der Betriebspunkt frei eingestellt werden; dadurch
ist ein Vierquadrantenbetrieb möglich. Das Betriebsdiagramm gilt nur für eine feste Netz-
anschlussspannung.
Um durch gezielte Ansteuerung der IGBT’s die gewünschte Wechselspannung U AB
erzeugen zu können, wird zunächst ein in Bezug auf die gewünschte Spannung U AB
normiertes Wechselspannungssignal U sA sowie ein dazu inverses Signal U sB von der An-
steuereinheit des Umrichters generiert. Diese Spannungssignale haben die Frequenz der
Netzspannung U N und werden als Steuerspannungen bezeichnet (Abb. 15.32). Zusätzlich
wird ein Trägersignal als Dreieck-Wechselspannung mit einem Vielfachen der Netzfre-
quenz erzeugt. Dieses Trägersignal U  ist ebenfalls in das Diagramm der Steuergrößen
eingezeichnet.
Die Steuerspannungen als Schaltfunktionen für die vier IGBT T AC , T A , T BC und T B
werden nun aus Größenvergleichen der Momentanwerte der Steuerspannungen U sA und
U sB mit dem Momentanwert des Trägersignals U  folgendermaßen ermittelt:

 T AC ist eingeschaltet, solange U sA > U  , anderenfalls ausgeschaltet,


 T A ist eingeschaltet, solange U sA < U  , anderenfalls ausgeschaltet,
 T BC ist eingeschaltet, solange U sB > U  , anderenfalls ausgeschaltet,
 T B ist eingeschaltet, solange U sB < U  , anderenfalls ausgeschaltet.

Abb. 15.32 Verlauf der TA-


Steuergrößen und der resul- TA+
UsB
Steuergrößen

UsA UΛ
tierenden Ausgangsspannung UΛ
U AB des Spannungsumrichters 0
(nach [15.7]) ωt
UsB
UsA
TB+
TB-
UAB
UAB 1h

ωt
1188 C. Becker

Die Bereiche, in denen die IGBT jeweils eingeschaltet sind, sind im oberen Diagramm
von Abb. 15.32 jeweils oberhalb und unterhalb der Verläufe durch Pfeile gekennzeichnet.
Werden diese Schaltfolgen der IGBT auf den Spanungsumrichter gemäß der Schaltung
nach Abb. 15.32 appliziert, wird im Ergebnis die Gleichspannung U D in kurzen oder
längeren Phasen innerhalb einer Periodendauer mal positiv und mal negativ direkt auf
den Ausgang AB des Umrichters geschaltet. Die daraus resultierende und dort anliegende
Wechselspannung weist demnach einen pulsförmigen Verlauf mit mehreren Rechteckpul-
sen auf, der für die gezeigten Steuergrößen in Abb. 15.32, unten, skizziert ist. Zerlegt man
dieses Pulsmuster in seine spektralen Bestandteile gemäß einer Fourier-Reihe, kann als
Grundschwingung bzw. erste Harmonische die ebenfalls eingezeichnete Spannung U AB1h
ermittelt werden. Diese Spannung ist die maßgeblich am Ausgang AB erzeugte Wechsel-
spannung U AB .
Der Nullphasenwinkel der resultierenden Spannung U AB1h ist gleich dem Nullphasen-
winkel des Steuersignals U sA . Vergrößert man die Amplitude der Steuerspannung U sA ,
werden die positiven und negativen Reckteck-Spannungspulse breiter. Wird die Amplitu-
de verkleinert, werden sie schmaler. Die Grundschwingung reagiert darauf mit größerer
bzw. kleinerer Amplitude. Auf diese Weise ist also neben dem Nullphasenwinkel auch die
Amplitude der erzeugten Wechselspannung U AB1h über die Steuerspannung im Rahmen
der durch die verwendeten Bauteile vorgegebenen Grenzen frei einstellbar.
Damit kann diese Form der Schaltung ohne führendes Netz kommutieren, und im
Gleichstromzwischenkreis ist die konstant vorherrschende Gleichspannung bestimmend
für die Arbeitsweise; daher stammt die Bezeichnung „selbstgeführter Spannungsumrich-
ter“ (englisch: Voltage Source Converter – VSC). Das beschriebene Verfahren zur Erzeu-
gung einer gewünschten Wechselspannung aus Spannungspulsen mit variierender Breite
wird Pulsweitenmodulation (PWM) genannt.
Beim zuvor beschriebenen netzgeführten Stromumrichter kann die Richtung der Ener-
gieübertragung bei konstantem Strom durch Umkehr der Polarität der Gleichspannung des
Zwischenkreises umgekehrt werden. Beim hier behandelten selbstgeführten Spannungs-
umrichter ist die Zwischenkreisspannung stets konstant. Daher wird hier die Richtung
der Energieübertragung durch Umkehr der Richtung des Gleichstroms im Zwischenkreis
umgekehrt.
Durch das Pulsmuster mit seinen steilen Schaltflanken können höhere Frequenzanteile
der Ausgangsspannung entstehen. Sie müssen durch entsprechende Filter auf ein mit dem
Netz verträgliches Maß reduziert werden. Durch Vergrößerung der Taktfrequenz (d. h. der
Frequenz des Trägersignals) wird die Grundschwingung der gewünschten Spannung bes-
ser nachgebildet. Dadurch ergibt sich eine Möglichkeit zur Verringerung des Oberschwin-
gungsgehalts. Üblich sind Pulsweitenmodulations(PWM)-Schaltfrequenzen von bis zu
2 kHz [15.8].
Insgesamt existieren mehrere weitere Schaltungsvarianten und Ausführungen pulswei-
tenmodulierter netzgeführter Spannungsumrichter. Damit können der gewünschte sinus-
förmige Verlauf der Ausgangsspannung auch aus drei verschiedenen Gleichspannungs-
Niveaus mit Pulsweitenmodulation noch genauer nachgebildet werden und dadurch die
15 Stromnetze 1189

Oberschwindungsanteile weiter reduziert werden. Sogenannte Multilevel-Umrichter bil-


den die Ausgangsspannung als Treppenfunktion aus vielen kleinen Spannungsstufen nach,
um sich dem sinusförmigen Verlauf noch genauer anzunähern [15.8].
Selbstgeführte Spannungsumrichter sind heute die Basis für die meisten elektroener-
gietechnischen Anwendungen, in denen Wechsel- bzw. Gleichrichter sowie Umrichter
erforderlich sind. Hierzu zählen viele erneuerbare Energieanlagen und Speicher, die ohne
Weiteres nicht in der Lage sind, ein netzsynchrones Drehstromsystem zu erzeugen. Wech-
selrichter für solche Anlagen sind heute in kompakter Bauweise für unterschiedliche Leis-
tungsklassen am Markt verfügbar. Selbstgeführte Spannungsumrichter werden auch in
Netzreglern zur Blindleistungskompensation, zur Spannungsregelung, zur Leistungsfluss-
regelung und zur Stabilitätsverbesserung in sogenannten Flexible-AC-Transmission-Sys-
tems(FACTS)-Geräten verwendet. Weitere Anlagen in elektrischen Energienetzen, welche
die beschriebenen Techniken nutzen, sind Hochspannungsgleichstromübertragungen.

15.2.3 Hochspannungsgleichstromübertragung

Wenn elektrische Energie über große Entfernungen transportiert oder eine Übertragungs-
leitung zwischen nicht zueinander synchronen Drehstromnetzen errichtet werden soll,
werden oftmals Hochspannungsgleichstromübertragungen (HGÜ) gewählt.
Diese HGÜ bieten im Vergleich zur Hochspannungsdrehstromübertragung verschiede-
ne Vorteile. Beispielsweise macht sich gerade bei langen Strecken deutlich bemerkbar,
dass bei einer HGÜ weniger Leitermaterial als bei einer Drehstromleitung erforderlich
ist. Außerdem existiert in Gleichstromkreisen keine Blindleistung, so dass die bei langen
Drehstromkabeln problematische Ladeleistung bei HGÜ-Kabeln nicht beherrscht werden
muss. Somit sind lange HGÜ-Kabelstrecken im Vergleich zu langen Drehstrom-Kabel-
strecken in dieser Hinsicht einfacher zu realisieren, da keine Kompensationseinrichtungen
mit Drosselspulen erforderlich sind, die bei langen Drehstrom-Kabelleitungen in regel-
mäßigen Abständen installiert werden müssen (Kapitel 15.2.1). Dieser Vorteil kommt
insbesondere auch bei längeren Seekabelverbindungen zum Tragen. Während Offshore-
Windparks in der Nähe der Küste noch mit Drehstrom-Kabeln an das Netz angebunden
werden können, wird bei Entfernungen ab 60 bis 80 km zwischen der Offshore-Anschluss-
plattform und der landseitigen Netzverknüpfung die HGÜ-Technik bevorzugt in Betracht
gezogen. Weiterhin besteht bei HGÜ-Leitungen im Gegensatz zu Drehstromleitungen bei
hoher Auslastung nicht die Gefahr des Eintretens von Stabilitätsproblemen. Auch können
keine induktiven Längsspannungsabfälle entstehen. Als zusätzlicher Vorteil ist die Regel-
barkeit der HGÜ für die übertragene Leistung zu erwähnen.
Diesen Vorteilen stehen jedoch auch einige Nachteile der HGÜ-Technologie gegen-
über. Zunächst sind hier die hohen Aufwände und Kosten für Umrichter und Filter für
HGÜ zu erwähnen. Die Anlagen benötigen zudem deutlich mehr Platz im Vergleich zu
Schaltfeldern einer Schaltanlage in reiner Drehstromtechnik; für jede Umrichterstation ei-
nes exemplarischen netzgeführten HGÜ-Systems müssen ca. 25 m2 /MW Bemessungsleis-
1190 C. Becker

a
Netz 1 Netz 2
f1 ≈ 50 Hz f2 ≈ 50 Hz

statischer Umrichter statischer Umrichter


Gleichrichterbetrieb Wechselrichterbetrieb

2 Leiter (Gleichstrom) 3 Leiter (Drehstrom)

b Q P Q

AC AC
DC-Kreis mit vorgegebener Stromrichtung

c Q P Q

AC AC
DC-Kreis mit vorgegebener Spannungspolarität

Abb. 15.33 Prinzip einer Hochspannungsgleichstromübertragung (HGÜ) mit Wirkleistungsüber-


tragung von Netz 1 in Netz 2 (a) sowie Hochspannungsgleichstromübertragung (HGÜ) mit
netzgeführten Stromumrichtern (LCC, b) und mit selbstgeführten Spannungsumrichtern (VSC, c)
[15.8]

tung veranschlagt werden. Demgegenüber kommen selbstgeführte HGÜ-Umrichtersta-


tionen aufgrund des geringeren Oberschwingungsgehaltes und des daraus resultierenden
geringeren Filteraufwandes mit weniger Fläche aus; hier sind etwa 10 m2 /MW erforder-
lich [15.8]. Darüber hinaus wirken Filter niemals ideal, so dass Netzrückwirkungen durch
die von leistungselektronischen HGÜ-Umrichtern hervorgerufenen Oberschwingungen
zu erwarten sind. Abhängig von der eingesetzten Umrichtertechnik muss ggf. zusätz-
lich Blindleistung bereitgestellt werden. Drehstromleitungen sind für kurze Zeit deutlich
stärker überlastbar als HGÜ-Verbindungen, da leistungselektronische Bauelemente der
HGÜ-Umrichter nur bis zu ihren Bemessungsleistungen ohne Zerstörung belastbar sind.
Im Bereich der Schaltertechnik sind bei einer HGÜ höhere Investitionen notwendig, da
Gleichstrom-Leistungsschalter aufgrund des bei Gleichstrom fehlenden Stromnulldurch-
gangs technisch wesentlich aufwändiger zu realisieren sind als Wechselstrom-Leistungs-
schalter (Kapitel 15.2.1). Kommen bei Gleichstromverbindungen spezielle selbstgeführte
Umrichter zum Einsatz, kann auch auf Leistungsschalter verzichtet werden, da der Fehler-
strom durch die Umrichter auf Null regelbar ist. In diesem Fall sind lediglich Trennschalter
erforderlich.
Das allgemeine Prinzip einer HGÜ zeigt Abb. 15.33, oben. Darauf basierend sowie
auf den in den vorigen Kapiteln vorgestellten Technologien für Stromrichter existieren
15 Stromnetze 1191

die beiden grundsätzlichen HGÜ-Technologien LCC und VSC (Abb. 15.33, Mitte und
unten).
Da Thyristoren (Kapitel 15.2.2) für höhere Leistungen verfügbar sind als IGBT, sind
existierende HGÜ-Anlagen großer Leistungen (d. h. einiger GW gleichstromseitiger Über-
tragungsleistung) in netzgeführter Technik realisiert. Mit beiden Technologievarianten
lässt sich der Wirkleistungsfluss nach Betrag und Richtung regeln. Die HGÜ-LCC-Tech-
nologie benötigt dazu noch Blindleistung, wohingegen bei der HGÜ-VSC-Technologie
die Blindleistung an beiden Enden, die auch „Kopfstationen“ genannt werden, geregelt
werden kann. Dies ist in Abb. 15.33, Mitte und unten, durch entsprechende Pfeile je-
weils angedeutet. Damit ist neben der Wirkleistungsflussregelung auch eine Regelung der
Spannung an den Netzanschlusspunkten sowie eine Erhöhung der Übertragungskapazität
in den umgebenden Drehstrom-Netzen möglich. Die HGÜ-VSC-Technologie ermöglicht
in netztechnischer Hinsicht folglich einen vielfältigeren und flexibleren Einsatz.
HGÜ-Leitungen können sowohl in Form von Gleichstrom-Freileitungen als auch mit
Gleichstrom-Kabeln realisiert werden. Es existieren für beide hier vorgestellten Techno-
logievarianten monopolare Ausführungen mit nur einer Leitung und Rückleitung über das
Erdreich oder Meerwasser oder auch zwei metallischen Leitern [15.8]. Monopolare Lei-
tungen sind aus ökologischen Erwägungen heute vor allem in Industrieländern nicht mehr
genehmigungsfähig.
Eine besondere Variante der Hochspannungsgleichstromübertragung (HGÜ) ist die
Kopplung zweier asynchroner Netze mit der Möglichkeit einer Leistungsflussregelung
ohne die Notwendigkeit, elektrische Energie in einem Gleichstromkreis über eine größere
Entfernung zu transportieren. Dazu werden zwei HGÜ-Kopfstationen dicht beieinan-
der, beispielsweise in derselben Anlage oder im selben Gebäude, platziert mit nur einer
sehr kurzen Gleichstrom-Verbindung. Diese Variante wird daher als Gleichstrom-Kurz-
kupplung oder Back-to-Back(BtB)-HGÜ bezeichnet. Einsatzgebiet einer BtB-HGÜ ist
beispielsweise die Leistungsflussregelung in direkt angeschlossenen oder benachbarten
Drehstromleitungen in vermaschten Netzstrukturen.

15.3 Netzstrukturen

Elektrische Energienetze sind in unterschiedliche Netzebenen (Abb. 15.34) unterteilt. Dies


sind entweder Netzebenen mit einheitlicher nominaler Spannung U N (d. h. Nennspan-
nung), die auch als Spannungsebenen bezeichnet werden, oder Umspannebenen, die im
Anlagenbild durch Umspanner (d. h. Transformatoren) repräsentiert sind. Tabelle 15.2
zeigt dazu die gebräuchlichen Nennspannungen, Bezeichnungen und Kurzformen der ver-
schiedenen Spannungsebenen.
Das Höchst- und teilweise auch das Hochspannungsnetz wird Übertragungsnetz ge-
nannt. Demgegenüber zählen die Netzebenen 3 bis 7 oder fallweise 5 bis 7 (Abb. 15.34)
zu den sogenannten Verteilnetzen. Der Grund für die Benennung von Netzebenen liegt in
der Verrechnung der Gebühr zum Anschluss eines Verbrauchers an das Netz, dem Netzent-
1192 C. Becker

Abb. 15.34 Netzebenen und Stromfluss eines elektrischen Energienetzes

Tabelle 15.2 Nennspan- Nennspannung Bezeichnung Kurzform


nungen, Bezeichnungen und in kV
Kurzformen der Spannungs- 380/220 Höchstspannungsebene HöS
ebenen
110 Hochspannungsebene HS
10/20/30 Mittelspannungsebene MS
0,4 Niederspannungsebene NS
15 Stromnetze 1193

S1

S2

S3

Abb. 15.35 Strahlennetz- (links), Ringnetz- (Mitte) und Maschennetz-Struktur (rechts)

gelt. Diese Netzentgelte richten sich nach den Kosten des Netzes in dieser Netzebene und
den Netzebenen darüber. Das jeweilige Netzentgelt wird anteilig zur Leistungsentnahme
durch einen Verbraucher bezüglich der gesamten über eine Netzebene übertragenen Leis-
tung bestimmt.
Größere mit fossilen Brennstoffen betriebene Kraftwerke oder auch große Wasser-
kraft- und Kernkraftwerke sowie größere Windparks (z. B. Offshore-Windparks) speisen
in die Höchstspannungsebene ein (Abb. 15.34). Etwas kleinere thermische Kraftwerke und
Windparks bis ca. 300 MW Nennleistung sind typischerweise mit der Hochspannungs-
ebene verbunden. Dezentrale Energieumwandlungsanlagen bis ca. 10 MW Nennleistung
werden üblicherweise an die Mittelspannungsebene angeschlossen. Kleine Stromerzeu-
gungsanlagen (z. B. Photovoltaik-Anlagen von Wohnhäusern) speisen in das Niederspan-
nungsnetz ein [15.4].
Derartige elektrische Energienetze können unterschiedliche Strukturen aufweisen.
Ganz allgemein unterscheidet man zwischen einem Strahlen-, einem Ring- und einem
Maschennetz, die exemplarisch in Abb. 15.35 gezeigt sind [15.9].
Strahlennetz-Strukturen finden sich in vielen Niederspannungsnetzen. Eine Transfor-
mator-Netzstation versorgt dabei mehrere Strahlen, die als Abgänge über die unterspan-
nungsseitige Sammelschiene an den Transformator angeschlossen sind. Dies ist eine wirt-
schaftliche Netzform, bei der zusätzlich die Fehlerortung vergleichsweise einfach ist.
Bei Leitungsausfällen kommt es jedoch zwangsweise zu Versorgungsausfällen der ange-
schlossenen Endverbraucher. Abhängig von den versorgten Verbrauchern und dezentralen
Erzeugern kann zudem die Spannungshaltung problematisch werden. Dies kann sich in
zweifacher Hinsicht äußern. Einerseits kann bei großen Belastungen an den Enden der
Strahlen die Spannung aufgrund der Spannungsabfälle entlang der Leitungslänge zu stark
1194 C. Becker

absinken. Sind in einem solchen Niederspannungsnetz zusätzlich dezentrale Erzeugungs-


anlagen (z. B. Photovoltaik-Anlagen) angeschlossen, kann es in Schwachlastzeiten bei
zugleich hoher Erzeugungsleistung andererseits dazu führen, dass sich die Richtung des
Stromes, der normalerweise vom Transformator in Richtung der Lasten fließt, umkehrt.
Elektrische Leistung fließt dann von den Photovoltaik-Anlagen ausgehend über die Strah-
len des Niederspannungsnetzes in Richtung des Transformators und ggf. weiter in die
überlagerte Mittelspannungsebene. Die Spannungen an den einspeisenden und benach-
barten Netzknoten können dann zu stark ansteigen.
Eine hinsichtlich Ausfällen und Kurzschlüssen fehlertolerantere Topologie ist in Form
von Ringnetzen gegeben. Ringnetze besitzen an mehreren Stellen Schalter, sogenannte
Trennstellen, die im Bedarfsfall geöffnet oder geschlossen werden können. Im Normalfall
werden solche Ringnetze mit einem geöffneten Schalter in jedem Ring betrieben, so dass
sich wieder eine Strahlennetz-Struktur ergibt. In Abb. 15.35, Mitte, ist der Schalter S3
beispielsweise im Normalbetrieb geöffnet. Bei Ausfall einer Leitung, der zu einer Versor-
gungsunterbrechung von angeschlossenen Verbrauchern oder unterlagerten Netzbereichen
führt, können die Schalterstellungen so verändert werden, dass die Versorgung wiederher-
gestellt werden kann. Fällt beispielsweise bei einer derartigen Netztopologie die Leitung
zwischen den Schaltern S1 und S2 bei geöffnetem Schalter S3 aus, oder findet dort ein
Kurzschluss statt, kann S3 geschlossen und S1 und S2 geöffnet werden, so dass schließlich
alle Netzknoten kurzfristig wieder versorgt werden können. Typischerweise werden Ring-
netzstrukturen für Mittelspannungsnetze gewählt. In diesem Fall bilden die unterlagerten
Niederspannungsnetze die Lasten ab, die an den einzelnen Knoten des Mittelspannungs-
netzes angeschlossen sind.
Viele Netze weisen heute gewachsene Strukturen auf, so dass auch Mischformen der
gezeigten typischen Strukturen vorkommen können; beispielsweise können Ringnetze
demzufolge auch als Netze mit verzweigten Ringen vorkommen, die durch geöffnete
Trennstellen wiederum als Strahlennetze betrieben werden [15.4].
Auf der Höchstspannungsebene, teilweise aber auch der Hochspannungsebene, sind
vermaschte Netze üblich. Solche Netze stellen sehr komplexe Anforderungen an die
Netzbetriebsführung und den Netzschutz. Ein großer Vorteil vermaschter Netze ist die
bei sinnvoll gestalteter Vermaschung inhärent gegebene Einhaltung der sogenannten
(n1)-Sicherheit. Diese besagt, dass ein beliebiges Betriebsmittel eines Netzes ausfallen
kann, ohne dass es zu einer Versorgungsunterbrechung kommt. Die (n1)-Sicherheit ist
ein wichtiges Prinzip in elektrischen Energiesystemen. Anhand des in Abb. 15.35, rechts,
gezeigten Beispiels eines vermaschten Netzes kann überprüft werden, dass jede Leitung
einzeln ausfallen kann, ohne dass es zu der Situation kommt, dass eine oder mehrere der
vier eingezeichneten Lasten nicht über die verbleibenden Leitungen des Netzes versorgt
werden können. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass alle Leitungen so dimensioniert
sind, dass ihre Stromtragfähigkeit groß genug ist, so dass sie auch in diesen sogenannten
(n1)-Fällen nicht überlastet werden. Bei der Auslegung und Planung von Netzen ist die
Einhaltung der (n1)-Sicherheit durch sequentiell zu berechnende Ausfallsimulationen
zu überprüfen. Weiterhin ist die Überprüfung der (n1)-Sicherheit aber auch in der täg-
15 Stromnetze 1195

lichen Netzbetriebsführung von Bedeutung, beispielsweise indem vor durchzuführenden


Schalthandlungen ermittelt werden muss, ob die (n1)-Sicherheit in dem gewünschten
Schaltzustand gegeben ist.

15.4 Leistungsflüsse und Lastflussberechnung

Im täglichen Betrieb der Netze ist es aus Sicht der Netzbetreiber essentiell, Spannungen,
Ströme und Leistungen, die sich bei wechselnden Erzeugungs- und Belastungssituatio-
nen sowie bei Betriebsmittelausfällen und Änderungen der Schaltzustände ausbilden, zu
kennen. Diese Problematik wird nachfolgend diskutiert.
In Kapitel 15.1.1 werden für ein einfaches Gleichstromsystem Leistungen definiert und
berechnet. In beliebigen wechsel- bzw. drehstrombetriebenen Energienetzen können ana-
log dazu Leistungen und Leistungsflüsse definiert werden. Ein Leistungsfluss über ein mit
Wechsel- oder Drehstrom betriebenes Betriebsmittel innerhalb eines Netzes, beispiels-
weise eine Drehstrom-Übertragungsleitung, kann verstanden werden als Wirk- und / oder
Blindleistung, die von einem Punkt des Betriebsmittels aus gesehen über das Betriebsmit-
tel transportiert wird. Abb. 15.36 verdeutlicht dies für eine Drehstrom-Übertragungslei-
tung zwischen den Knoten i und j, an denen die Spannungen U i und U j vorherrschen. Die
Stromflüsse I ij und I ji sind ebenfalls kenntlich gemacht sowie die Wirk- und Blindleis-
tungsflüsse Pij , Qij , Pji und Qji .
Unter der Voraussetzung, dass für jedes elektrische Betriebsmittel in einem Netz zwi-
schen zwei Knoten die Spannungen an den Knoten bekannt sind, können mit Hilfe des
elektrischen Ersatzschaltbildes des Betriebsmittels Wirk- und Blindleistungsflüsse sowie
Stromflüsse über das Betriebsmittel mittels grundlegender elektrotechnischer Gesetze
(u. a. Ohm’sches Gesetz, Kirchhoff’sche Knotenregel) berechnet werden.
Die genannte Voraussetzung der Kenntnis der Knotenspannungen in einem Netz ist ge-
nerell jedoch nicht zwangsläufig gegeben, so dass die Knotenspannungen nach Betrag und
Nullphasenwinkel in der Regel mit geeigneten Netzberechnungsverfahren, sogenannten
Lastflussberechnungen, ermittelt werden müssen. Hierfür existieren verschiedene Algo-
rithmen, die in kommerziell verfügbaren Softwareprodukten implementiert sind und für
Netzplanungsaufgaben und betriebliche Aufgaben, wie beispielsweise die Überprüfung
der oben beschriebenen (n1)-Ausfallsicherheit von Netzen, eingesetzt werden können.
Lastflussberechnungsalgorithmen lösen die algebraischen Netzgleichungen, welche li-
neare und nichtlineare Gleichungen enthalten, mittels numerischer Verfahren. Gängige
Standard-Verfahren sind die Lastflussberechnung nach Newton-Raphson, die schnelle ent-

Abb. 15.36 Einpolige Ui Uj


Darstellung einer Drehstrom- I ij I ji
Übertragungsleitung zwischen i j
den Knoten i und j Pij, Qij Pji, Qji
1196 C. Becker

A B
A B

L
L L
L

D
C C D

Schalterstellungen, Betriebsmittel
Knoten, Zweige
(Transformatoren, Leitungen etc.)

Abb. 15.37 Bestimmung der Netzwerktopologie aus Knoten und Zweigen für eine nachfolgende
Lastflussberechnung

Abb. 15.38 Einspeiseknoten i


(mit Last) (links) und Lastkno-
ten j (rechts) PG,i , QG,i
i j
Ui PL,i , QL,i Uj PL,j , QL,j

koppelte Lastflussberechnung nach Stott sowie einfachere Verfahren wie das Stromitera-
tionsverfahren oder die Gleichstrom-Lastflussberechnung. Als Eingangsgrößen für diese
Verfahren ist zunächst die genaue Topologie des zu berechnenden Netzes festzulegen (d. h.
eine abstrakte Beschreibung des Netzes in Form von Knoten und Zweigen, welche Verbin-
dungen zwischen den Knoten darstellen). Für jede Verbindung muss der Betriebsmitteltyp
(z. B. Leitung, Transformator) bekannt sein mit dem entsprechenden Ersatzschaltbild und
den Parametern der Elemente des Ersatzschaltbildes. Wichtig ist, dass sich die aktuelle
Topologie neben den eingesetzten Betriebsmitteln auch aus den Stellungen der Schaltele-
mente des Netzes ergibt (Abb. 15.37).
Zusätzlich müssen Leistungswerte von Einspeisungen (PG , QG ) und Lasten (PL , QL )
bekannt sein. Dazu gilt es, die entsprechenden Größen für die Knoten zu bestimmen, an
denen Erzeugungsanlagen und Verbraucher angeschlossen sind. Abb. 15.38 zeigt typische
Darstellungen sogenannter Einspeiseknoten und Lastknoten in einer einpoligen Darstel-
lung für ein elektrisches Energienetz.
Einspeiseknoten können zusätzlich auch angeschlossene Lasten enthalten (Abb. 15.38,
links). Aufgrund der Regelbarkeit der Generatorklemmenspannung ist es für Einspeise-
knoten vorgesehen, auch die eingestellten Sollwerte der Knotenspannungen (in Abb. 15.38,
links, der Betrag der Spannung U i ) vorzugeben. Zusammen mit den Werten der Wirk-
leistungen sowie den Wirk- und Blindleistungen an den Lastknoten sind damit alle Ein-
gangsparameter für eine Lastflussberechnung vorgegeben, so dass sie auf dieser Basis
15 Stromnetze 1197

Sync. Gen 1 Sync. Gen 2


36,0 59,6

SG Generator 1 SG
Auslastung: 36%
PG = 57,5 MW
57.5 150.0
49.0 QG = 49 MVAr 25.0
0.330 IG = 0,33 kA 0.628

Bus 1 Bus 2
132.0 139.7
1.00 1.06
0.0 78.2 -20.7 24.2 125.8 7.6
30.7 18.3 -16.3 41.3
0.367 0.121 Line 1-2 (120 km) 0.121 0.547

12,1 %
Leistungfluss
Line 1-3 (10 km) Line 2-3 (60 km) P23 = 125,8 MW
36,7 % 54,7 % Q23 = 41,3 MVAr
I23 = 0,547 kA

Leitung 1-3 -77.9 -122.1


-29.2 -20.8
(Länge: 10 km)
0.367 0.547
Auslastung: 36,7%

Bus 3
130.7
0.99
200.0 -0.9
50.0
0.910
Last Knoten 3
PL = 200 MW Spannungsbetrag: 130,7 kV
QL = 50 MVAr Spannungsbetrag (bezogen): 0,99 p.u.
IL = 0,91 kA Load Spannungswinkel: -0,9°

Abb. 15.39 Exemplarisches Ergebnis einer Lastflussberechnung für ein dreiknotiges Netz (zur Er-
klärung der Formelzeichen siehe Text) [15.11]

ausgeführt werden kann. Als Ergebnis der Berechnung liegen dann die gesuchten Span-
nungen nach Betrag und Nullphasenwinkel an allen Knoten vor. Daraus werden sodann
direkt auch die ebenfalls gesuchten Leistungsflüsse über die Betriebsmittel abgeleitet und
als Ergebnis der Berechnungen ausgegeben. Das Ergebnis einer derartigen Lastflussrech-
nung ist damit immer nur genau für eine einzige Situation gültig. Diese Situation bestimmt
sich aus dem Einspeise- und Lastmuster, welches als Eingabedatensatz vorgegeben wird,
und einer Netzwerktopologie. Eine Lastflussberechnung ist damit ein quasi-stationäres
Netzberechnungsverfahren. Wenn zeitveränderliche Einspeisungen und Belastungen aus-
gewertet werden sollen, müssen diese zeitlich diskretisiert werden, so dass dann für alle
Zeitschritte einzelne Lastflussberechnungen sukzessive durchgeführt werden müssen.
Für ein einfaches dreiknotiges Netz ist im Folgenden die Netztopologie und das Er-
gebnis einer Lastflussberechnung für eine beispielhaft gewählte Betriebssituation gezeigt
(Abb. 15.39). An den Knoten 1 und 2 sind jeweils Einspeisungen angeschlossen, am Kno-
ten 3 eine Last.
1198 C. Becker

In der einpoligen Darstellung der Berechnungsergebnisse des Netzes sind die Wirk-
und Blindleistungswerte der Einspeisungen und Lasten sowie die zugehörigen Beträge
der Ströme angegeben. An jedem Knoten finden sich nun die berechneten Spannungen
nach Betrag und Nullphasenwinkel. Die Spannungsbeträge werden ebenfalls normiert
in per-unit(p.u.)-Größen ausgegeben. Für jede Leitung sind die Zahlenwerte für Wirk-
und Blindleistungsflüsse sowie Strombeträge an beiden Enden eingetragen. Auf Basis
der Strombeträge und maximal zulässigen Betriebsströme werden für Generatoren und
Leitungen die prozentualen Auslastungen ermittelt. Bei den Leistungsflüssen der Leitun-
gen ist zu erkennen, dass die Wirkleistungsflüsse an beiden Enden einer Leitung jeweils
voneinander abweichen. Der Grund dafür liegt in der verlustbehafteten Modellierung der
Leitungen (d. h. sie wurden mit endlichen ohmschen Widerständen modelliert). Aus den
Differenzen der Wirkleistungen der Leitungen können somit die einzelnen Leitungsver-
luste ermittelt werden. Addiert man sie auf, ergeben sich die gesamten ohmschen Verluste
des Netzes.
Das gezeigte einfache dreiknotige Netz wurde gewählt, um die Aufgabe der statio-
nären Netzberechnung generell vorzustellen und die damit zu erzielenden Ergebnisse zu
zeigen. Kommerzielle Programmpakete erlauben die Berechnung von Netzen mit einigen
hundert oder einigen tausend Knoten, so dass praxisrelevante Planungs- und Betriebs-
führungsaufgaben gelöst werden können. Oftmals sind dazu viele einzelne Berechnungen
auszuführen mit variierenden Leistungsvorgaben der Einspeisungen und Lasten. Gleiches
gilt aber auch für eine variierende Topologie eines Netzes. Denn für die Überprüfung, ob
in einem großen Netz die (n1)-Sicherheit gegeben ist, müssen sukzessive alle Betriebs-
mittel nacheinander als ausgefallen angenommen und die Lastflussberechnung jeweils
neu durchgeführt werden. Für jedes Lastfluss-Ergebnis muss damit überprüft werden,
ob Knotenspannungsbeträge innerhalb ihrer Grenzen (z. B. innerhalb von +/ 10 % des
Nennwertes) liegen und die Belastungen der Betriebsmittel kleiner sind als ihre jeweili-
gen thermischen Grenzströme, die einer Auslastung von 100 % entsprechen.

15.5 Leistungsbilanzen

Für die Bilanzen von Wirk- und Blindleistungen und ihre Auswirkungen in einem elektri-
schen Energienetz können einige grundlegende Zusammenhänge gefunden werden, deren
Kenntnis bei der Interpretation von ermittelten Netzberechnungsergebnissen hilfreich ist
und bei der Beseitigung unerwünschter Effekte helfen kann. Sie werden nachfolgend ohne
detaillierte Herleitungen erläutert [15.2, 15.3, 15.4, 15.9].
Nach Kapitel 15.2.1 gilt speziell in Hoch- und Höchstspannungsnetzen, dass die in-
duktiven Blindwiderstände X Ü gegenüber den Wirkwiderständen RÜ der Übertragungslei-
tungen deutlich größer sind. Das R/X-Verhältnis ist dann viel kleiner als eins. Unter dieser
Voraussetzung führen Wirkleistungstransporte über Hoch- / Höchstspannungsleitungen
hauptsächlich zu einer Vergrößerung der Differenz der Nullphasenwinkel der Span-
nungen an den Netzknoten. Blindleistungstransporte hingegen führen hauptsächlich
15 Stromnetze 1199

P U, δ P U, δ

Q |U| Q |U|
starke Kopplung schwache Kopplung

Abb. 15.40 Einflüsse von Wirk- und Blindleistungen auf Spannungsbeträge und Spannungswinkel
in Hoch- und Höchstspannungsnetzen (R=X -Verhältnis  1 (links)) und Niederspannungskabel-
netzen (R=X -Verhältnis 1 (rechts))

Abb. 15.41 Spannungstrichter


nach einem Fehler am Knoten
F infolge von Blindströmen in
Richtung des Fehlerknotens

Spannung U

angestrebt
unerwünscht

Knotennummer F

zu Längsspannungsabfällen; d. h. zu einer großen Veränderung der Spannungsbeträge


benachbarter Knoten. Zwischen Wirkleistungen P und Spannungswinkeln ı sowie Blind-
leistungen Q und Spannungsbeträgen jU j bestehen somit starke Kopplungen, wohingegen
zwischen Blindleistungen Q und Spannungswinkeln ı und zwischen Wirkleistungen P
und Spannungsbeträgen jU j nur schwach gekoppelte Zusammenhänge bezüglich ihrer
jeweiligen Änderungen bestehen (Abb. 15.40, links).
Durch Blindleistungstransporte können sogenannte Spannungstrichter entstehen, wel-
che sich um bestimmte Netzknoten herum mit besonders niedriger Spannung ausbilden.
Die Spannung im Netz steigt mit zunehmender Entfernung von diesen Punkten an.
Abb. 15.41 skizziert beispielhaft einen Extremfall eines Spannungstrichters um den Netz-
knoten F, an dem es zu einem Kurzschluss oder „Fehler“ gekommen ist. Dadurch wird
die Spannung an diesem Knoten zu Null. Die entstehenden Fehlerströme im Netz in
Richtung der Fehlerstelle am Knoten F sind vorwiegend Blindströme, und die entspre-
chenden Blindleistungstransporte führen zu einem Absinken der Spannungsbeträge und
der Ausbildung eines Spannungstrichters.
Je weiter in einem Netz Blindleistung herangeführt werden muss, desto größer sind
die entstehenden Spannungstrichter. Im Sinne der Spannungshaltung im Netz sind in
Fehlersituationen entstehende Spannungstrichter von möglichst spitzer Form erwünscht
(Abb. 15.41).
Aufgrund dieses Zusammenhangs und der Tatsache, dass die Knotenspannungs-
beträge in Hoch- und Höchstspannungsnetzen besonders wirksam durch Einspeisung
bzw. Entnahme von Blindleistung beeinflusst werden kann, stellt sich die Spannungs- /
1200 C. Becker

Abb. 15.42 Grundsätzli-


che Wirkungsrichtung der
Drehmomente am Rotor eines
Synchrongenerators

Blindleistungsregelung primär als regionales Problem dar; d. h. Blindleistungsreserven


sind nach Möglichkeit örtlich zu aktivieren.
In Mittel- und Niederspannungsnetzen sind die Unterschiede zwischen ohmschen und
induktiven Anteilen deutlich geringer (Kapitel 15.2.1). Daher kann nicht mehr zwischen
den oben erwähnten stark und schwach gekoppelten Zusammenhängen unterschieden
werden. Das bedeutet, dass dann Blindleistungstransporte auch zu Spannungswinkelän-
derungen und Wirkleistungstransporte auch zu Spannungsbetragsveränderungen führen.
Im anderen Extrem bei einem R/X-Verhältnis > 1, wie es in Niederspannungskabelnetzen
der Fall sein kann (Kapitel 15.2.1), kehren sich die starken und schwachen Kopplungen
sogar um (Abb. 15.40, rechts).
Beim Zusammenhang zwischen Wirkleistungstransporten und Spannungswinkelände-
rungen in Hoch- und Höchstspannungsnetzen dürfen die Winkeldifferenzen zwischen
zwei verbundenen Netzknoten nicht zu groß werden. Aus Gründen sonst eintretender
Instabilität müssen sie immer einen ausreichend bemessenen Sicherheitsabstand zur In-
stabilitätsgrenze von 90ı aufweisen.
In elektrischen Energiesystemen wird ein signifikanter Anteil der elektrischen Leistung
durch rotierende Synchrongeneratoren erzeugt, welche die Spannung an ihren Anschluss-
klemmen sowie die Netzfrequenz mittels Spannungs- bzw. Frequenzregeleinrichtungen
auf ihre vorgegebenen Sollwerte regeln. Die an den Klemmen eines Synchrongenerators
messbare Frequenz der erzeugten Spannung ist proportional zu seiner Drehzahl. Die an der
Generatorwelle jeweils angreifenden Drehmomente durch zugeführte mechanische Leis-
tung und abgegebene elektrische Leistung wirken entgegengesetzt (Abb. 15.42).
Im stationären Fall (d. h. bei ausgeglichener Bilanz von zugeführter Leistung und ab-
genommener elektrischer Wirkleistung) ergeben sich in einem Gesamtsystem konstante
Generatordrehzahlen und somit auch eine konstante Netzfrequenz. Schon bei kleinsten
Ungleichgewichten zwischen der gesamten zugeführten mechanischen Leistung und der
gesamten abgegebenen elektrischen Wirkleistung in einem System mit rotierenden Mas-
sen reagieren die Generatoren mit Veränderungen ihrer Drehzahlen; es kommt im Netz zu
Abweichungen von der Sollfrequenz von z. B. 50 Hz. Bei positiver Abweichung steigt die
Netzfrequenz und bei negativer Abweichung sinkt die Frequenz (Abb. 15.43).
15 Stromnetze 1201

Abb. 15.43 Zusammenhang


f = 50 Hz

mechan isch e L eistung


zwischen Wirkleistungsbi- (Sollwert)
lanz und Netzfrequenz in f > 50 Hz

Einges peis te
Überfrequenz
Drehstromnetzen mit syn-
chrongeneratorbasierter
Erzeugung f < 50 Hz
Unterfrequenz

Abgenommene
Wirkleistung

Das dynamische Verhalten der Netzfrequenz hängt von vielen verschiedenen Faktoren
ab und bietet Raum für detaillierte Systemmodellierungen und Analysen einschließlich
wirkender Regelungen. Wichtig in Ergänzung zu den Betrachtungen zu Leistungsbilanzen
ist die Kenntnis eines grundsätzlichen Zusammenhangs zwischen Wirkleistungsungleich-
gewichten und dem dynamischen Verhalten der Netzfrequenz. Hierbei spielt die Trägheit
des Gesamtsystems eine besondere Rolle. Die Trägheit jeder an ein elektrisches Energie-
system angeschlossenen Synchronmaschine ist über ihre sogenannte Anlaufzeitkonstante
T A definiert (Gleichung (15.44)). J ist das Trägheitsmoment des rotierenden Teils der
Erzeugungseinheit bestehend aus Rotor, Generatorwelle und Turbine. Die Variable !m;0
bezeichnet die mechanische synchrone Nenn-Winkelgeschwindigkeit und SrG die Bemes-
sungsleistung des Generators.
2
J !m;0
TA D (15.44)
SrG
Aus dieser Definition lässt sich die Netzanlaufzeitkonstante eines elektrischen Energie-
systems mit mehreren Synchrongeneratoren und weiteren rotierenden Massen ableiten.
Dazu wird von einem gemeinsamen und örtlich nicht variierenden dynamischen (d. h.
kohärenten) Verhalten der Generatoren ausgegangen. Die Netzanlaufzeitkonstante ergibt
sich dann als Summe der einzelnen Anlaufzeitkonstanten, sofern diese jeweils auf die-
selbe Leistung des Gesamtsystems bezogen sind. Sie bestimmt maßgeblich das dynami-
sche Verhalten der Netzfrequenz nach Änderungen der Wirkleistungsbilanz. Dies ist aus
physikalischen Betrachtungen an einem aus einer rotierenden Masse bestehenden schwin-
gungsfähigen System ableitbar.
Für ein solches gilt ebenfalls der in Abb. 15.42 für einen Generator gezeigte Zusam-
menhang zwischen der Summe der angreifenden Momente und der Winkelbeschleuni-
gung. Je größer das gesamte Trägheitsmoment des Systems (d. h. die Anlaufzeitkonstante)
ist, desto langsamer ändert sich die Frequenz nach einer Änderung der Wirkleistungsbi-
lanz.
Im Ergebnis folgt nach einer kleinen sprunghaften Vergrößerung der Wirklast bei
gleichbleibender Erzeugungsleistung ein Absinken der Netzfrequenz und eine Stabilisie-
rung auf einen konstanten Wert nach einiger Zeit durch die Wirkung frequenzabhängiger
1202 C. Becker

Lasten (Kapitel 15.2.1) und die Wirkung von Frequenzregeleinrichtungen. Bei großer
Netzanlaufzeitkonstante ist der eintretende Frequenzgradient kleiner, und die minimale
Frequenz, die nach einigen Sekunden erreicht wird, größer als bei kleiner Netzanlaufzeit-
konstante [15.12].
Daraus folgt, dass sich Wirkleistungsungleichgewichte in Systemen mit kleiner Netz-
anlaufzeitkonstante viel stärker auf die Änderungsgeschwindigkeit und die maximale Fre-
quenzabweichung auswirken als in Netzen mit großer Anlaufzeitkonstante. Synchron-
generator-gekoppelte Erzeugungsanlagen tragen in einem Netz zur Trägheit und damit
einem Erhalt einer gewissen Höhe der Netzanlaufzeitkonstante bei. Für Anlagen, die über
leitungselektronische Stromrichter an das Netz gekoppelt sind, trifft dies ohne Weite-
res nicht zu. Eine Änderung der Leistungsabgabe mit der Netzfrequenz müsste explizit
in der Regelung als Funktion vorgesehen werden und könnte unter Umständen den Er-
trag von Erzeugungsanlagen schmälern. Werden immer mehr Anlagen über Stromrichter
angeschlossen und sinkt gleichzeitig der Anteil der Erzeugung über direkt gekoppelte
Synchrongeneratoren, ist damit zu rechnen, dass die Netzanlaufzeitkonstante des ent-
sprechenden Verbundnetzes sinkt. Die daraus direkt resultierende höhere Sensitivität der
Netzfrequenz gegenüber Störungen des Wirkleistungsgleichgewichts wird folglich an Be-
deutung gewinnen. Im Sinne der Einhaltung der Anforderungen an die Netzfrequenz und
ihre natürlichen Schwankungen muss dieser Herausforderung durch geeignete systemi-
sche Maßnahmen begegnet werden.

Literatur

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Bd. 09/2016. Electrosuisse und Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen VSE,
Schweiz, S. 36–39 (2016)
Wärmenetze
16
Ingo Weidlich

Wärmenetze dienen der leitungsgebundenen Verteilung von thermischer Energie. Sie ver-
binden Wärmequellen mit Wärmeabnehmern. Diese Wärmeverteilung erfolgt vorrangig
mit dem Ziel der Deckung der Nachfrage nach Raumwärme und Brauchwarmwasser so-
wie für industrielle Anwendungen. Im Vergleich zu individuellen, dezentralen Lösungen
ergeben sich für Wärmenetze immer dann Vorteile, wenn hohe Wärmenachfragedich-
ten vorliegen und / oder lokal / regional „überschüssige“ Wärme vorhanden ist; darunter
ist beispielsweise Abwärme aus Kraft-Wärme-Kopplungs-Prozessen (KWK-Prozessen)
zu verstehen, die am Standort der Konversionsanlage nicht energiewirtschaftlich genutzt
werden kann und deshalb als „Abfall“ oder ggf. als „Nebenprodukt“ anzusehen ist. Ho-
he Wärmenachfragedichten, die eine Nutzung dieser Abwärme ökonomisch vielverspre-
chend erscheinen lassen, finden sich beispielsweise in stark besiedelten Siedlungsgebieten
und in Industriegebieten; deshalb sind in den großen europäischen Städten bzw. in den
entsprechenden Metropolregionen in der Regel derartige Wärmenetze vorhanden [16.1].
Hierbei handelt es sich typischerweise um Netzstrukturen, die aufgrund der erforderli-
chen Wärmemengen mit relativ hohen Temperaturen (T > 90 ı C) und über viele Kilometer
Entfernung betrieben werden. Diese Wärmenetze werden daher oft als Fernwärmenetze
bezeichnet. Überschüssige Wärme kann außer im städtischen Raum auch in ländlichen
Gebieten anfallen; hier sind es oft aber teilweise merklich geringere Wärmemengen, die
z. T. auch mit einer Betriebstemperatur von deutlich unter 90 ı C anfallen. Diese begrenzt
verfügbare Wärme wird dann meist lokal verteilt; daher werden Netze dieser Art häufig
als Nahwärmenetze bezeichnet. Eine eindeutige Abgrenzung zwischen Nah- und Fernwär-
menetzen existiert aber bisher nicht [16.2, 16.3, 16.4]. Im Rahmen dieser Ausführungen
wird daher nur der Begriff „Wärmenetze“ verwendet.
Vor diesem Hintergrund werden nachfolgend derartige Wärmenetze zunächst detailliert
charakterisiert, bevor die einzelnen Komponenten solcher Netze vertieft diskutiert werden.

Ingo Weidlich, Hamburg, Deutschland

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 1203
M. Kaltschmitt, W. Streicher, A. Wiese (Hrsg.), Erneuerbare Energien,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-61190-6_16
1204 I. Weidlich

16.1 Charakterisierung

Wärmenetze können mithilfe genereller und spezifischer Eigenschaften charakterisiert


werden. Generelle Eigenschaften können auch auf Netze anderer Ver- und Entsorgungs-
sparten zutreffen; hierzu gehören u. a. Topologie und die Unterscheidung zwischen Be-
stand und Neubau. Eine spezifische Charakterisierung kann über Eigenschaften erfolgen,
die nur für Wärmenetze zutreffen, wie beispielsweise maximale Betriebstemperatur, Lei-
tersystem, Erzeugungsstruktur, etc.
Netze dienen dem wirtschaftlichen Transport von Gütern. Die räumliche Verteilung
der Netzstruktur ergibt sich aus den Standorten der jeweiligen (Wärme-)Quellen und
der entsprechenden (Wärme-)Abnehmer sowie den geodätischen Randbedingungen in der
versorgten Region; dies gilt generell für alle Netze (z. B. auch für Gas- oder Wassernet-
ze). Einzelne Leitungen werden als Transportleitungen oder auch „Schienen“ bezeichnet
und erst mit einer zunehmenden Verästelung wird von Netzen gesprochen. Eine stark aus-
geprägte Verästelung eines derartigen Netzsystems ist besonders in Siedlungsgebieten zu
verzeichnen. Dabei kann je nach Position der Quelle das Netz als Strahlennetz, Ringnetz
oder Maschennetz bezeichnet werden. Abb. 16.1 zeigt beispielhaft die Topografien der
verschiedenen Netztypen.
Aus der Aufgabe der Wärmenetze, die thermische Energie von der Wärmequelle zur
Wärmesenke zu transportieren, ergeben sich spezifische Eigenschaften. Hierzu gehören
Art und Umfang des angeschlossenen Erzeugungsparks, die Betriebsweise und das ver-
wendete Leitungssystem.

Wärmequelle

Kunden
Strahlennetz

Ringnetz

Maschennetz

Abb. 16.1 Netztypen


16 Wärmenetze 1205

Für die Bereitstellung der Wärme zur Verteilung können sehr unterschiedliche Kon-
versionstechnologien zum Einsatz kommen. Hierzu gehören auf der Seite der Erzeuger,
die fossile Brennstoffe nutzen, mit Erdgas, mit Stein- oder Braunkohle oder mit Heiz-
öl betriebene Heizkessel. Auf der Seite der erneuerbaren Energien sind solarthermische,
geothermische und Biomasse- / Biogas-basierte Systeme zu nennen; bei der Geothermie
kann weiterhin unterschieden werden zwischen Systemen zur Nutzung der oberflächen-
nahen oder der tiefen Erdwärme (erstere benötigen typischerweise eine Wärmepumpe).
Teilweise wird auch der Siedlungsabfall vollständig oder teilweise zu den regenerativen
Energien gezählt (Abfall enthält erneuerbare Komponenten wie beispielsweise organische
Abfälle). Alternativ oder additiv kann auch Abwärme aus Industrieprozessen und aus der
Stromerzeugung in ein Wärmenetz eingespeist werden; dadurch können Effizienzpoten-
ziale ausgenutzt und die Umwandlungswirkungsgrade verbessert werden. Beispielsweise
ist die gekoppelte Erzeugung von Strom und Wärme eine solche Konversionstechnologie
mit einer effizienten Brennstoffausnutzung; sie wird als Kraft-Wärme-Kopplung (KWK)
bezeichnet (siehe oben). Spezifische Eigenschaften mit Blick auf die Wärmeerzeugung
ergeben sich daher aus dem Anteil erneuerbarer Brennstoffe in der verteilten Wärme im
Vergleich zur den eingesetzten fossilen Brennstoffen. Ein Maß hierfür ist der (fossile)
Primärenergiefaktor f p für das jeweilige Wärmenetz; er ist umso geringer, je weniger
fossile Brennstoffe für die (Fern- oder Nah-)Wärmeerzeugung eingesetzt werden. Für
seine Berechnung stehen unterschiedliche Methoden zur Verfügung, die von verschie-
denartigen Rahmenbedingungen ausgehen, zu unterschiedlichen Ergebnissen führen und
entsprechend kontrovers diskutiert werden [16.5, 16.6, 16.7, 16.18, 16.19]. Damit ist in
Deutschland der Primärenergiefaktor der erneuerbaren Energien konventionsbedingt null.
Das ist allerdings aus physikalischer Sicht nicht gerechtfertigt. In Österreich wird deshalb
zwischen einem erneuerbaren und einem fossilen Primärenergiefaktor unterschieden.
Soll ein Wärmenetz hinsichtlich der Betriebsweise charakterisiert werden, ist die ma-
ximal auftretende Betriebstemperatur eine einfache und häufig genutzte Kenngröße. Diese
maximale Betriebstemperatur ist bei der Netzplanung sorgfältig zu wählen. Einerseits be-
stimmt sie u. a. die maximal mögliche Wärmemenge, die in einem Netz verteilt werden
kann. Andererseits muss das Wärmenetz den aus den Temperaturbelastungen resultie-
renden Beanspruchungen sicher über die gesamte technische Lebensdauer des Systems
Stand halten. Die Betriebstemperatur steht daher auch in einem direkten Zusammen-
hang mit der konstruktiven Ausbildung des Wärmenetzes. Typischerweise gilt, dass mit
der Betriebstemperatur die Sicherheitsansprüche und die Anforderungen an die Rohr-
leitungen – sowie die Wärmeverluste – ansteigen. Deshalb führten wirtschaftliche und
sicherheitstechnische Überlegungen in den letzten Jahren zu einer kontinuierlichen tech-
nischen Weiterentwicklung hin zu Wärmenetzen mit niedrigeren Betriebstemperaturen; je
niedriger die Netztemperatur, desto mehr Wärmequellen lassen sich identifizieren, die po-
tenziell an das Netz angeschlossen werden können (d. h. an Niedertemperaturwärmenetze
kann typischerweise im Vergleich zu einem Hochtemperaturwärmenetz eine deutlich he-
terogenere und disloziertere Erzeugungsstruktur realisiert werden) und desto effizienter
können die Netze betrieben werden.
1206 I. Weidlich

Dampfspeicher

Dampferzeugung Dampfabnehmer
Leitungssystem

RL
VL
VL = Vorlauf
RL = Rücklauf

Abb. 16.2 Wärmenetze der ersten Generation (1880 bis 1930; Temperatur: 100 ı C < T < 200 ı C)

Rückblickend lassen sich unterschiedliche Systeme für Wärmenetze erkennen, die in


Generationen unterteilt werden können [16.1, 16.8].

 Wärmenetze der ersten Generation (1880 bis 1930; Abb. 16.2). Ursprünglich wurden
Wärmenetze als Dampfnetze errichtet, die für die Wärmeversorgung von Gebieten
mit besonders hoher Wärmenachfragedichte vorgesehen wurden. Dies waren in der
Regel innerstädtische Netze, an denen mehrstöckige Hochhäuser angeschlossen wur-
den. Der Wärmetransport mittels Dampf war notwendig, um auch noch in den geodä-
tisch hoch liegenden oberen Stockwerken ausreichend Wärme zur Verfügung stellen
zu können. Dampfnetze gibt es auch heute noch in einigen europäischen Großstädten
für die Raumwärmebereitstellung in Hochhäusern, für die Prozessdampfversorgung in
Industriegebieten und als Versorgungsleitung für Wärmenetze mit niedrigeren Tem-
peraturen. Die Dampfleitung muss sicher, robust und tragfähig sein; deshalb werden
hierfür Stahlmantelrohre (SMR) mit einem konzentrisch innenliegenden Stahlmedi-
umrohr verwendet. Derartige Dampfleitungen wurden traditionell als Freileitungen und
Kanalleitungen ausgeführt. Dampfnetze lassen sich nur dann mit Wärmequellen auf der
Basis erneuerbarer Energien verbinden, wenn hohe Temperaturen erreicht werden kön-
nen (z. B. Biomasse- / Biogaskessel, Hochtemperatur-Solarthermie-Kollektoren); dies
ist aber in der Regel unter den derzeitig vorherrschenden energiewirtschaftlichen Rand-
bedingungen und unter den meteorologischen Bedingungen in Mitteleuropa im Regel-
fall unwirtschaftlich.
 Wärmenetze der zweiten Generation (1930 bis 1980; Abb. 16.3). Die starke Konkur-
renz um die Nutzung von Oberflächen – insbesondere in Gebieten mit einer hohen
Wärmenachfragedichte – erfordert oft eine unterirdische Leitungsverlegung. Die für
Wärmenetze der ersten Generation üblichen Kanäle sind bau- und betriebstechnisch
aber relativ aufwändig und damit teuer. Daher wurde in der weiteren Entwicklung ange-
strebt, auf Kanalbauwerke zu verzichten und die Leitungen direkt erdverlegt zu führen.
Als Wärmenetze der zweiten Generation werden daher Netze angesehen, die sich zwar
16 Wärmenetze 1207

Abnehmer
Speicher

Heißwassernetz

KWK, Kohle, Müll

RL VL
VL = Vorlauf
RL = Rücklauf

Abb. 16.3 Wärmenetze der zweiten Generation (1930 bis 1980; Temperatur T > 100 ı C) (KWK
Kraft-Wärme-Kopplung)

noch durch hohe Betriebstemperaturen auszeichnen (Größenordnung T > 100 ı C), de-
ren Leitungssystem aber direkt erdverlegt wird. Das hierfür entwickelte Rohrsystem
ist das Kunststoffmantelrohr (KMR); es besteht aus einem Stahlmediumrohr, einer
Wärmedämmung und einem Kunststoffmantelrohr und stellt heute den größten An-
teil der unterirdisch verlegten Rohrsysteme für die Wärmeverteilung beispielsweise in
den europäischen Metropolregionen dar. Die innerstädtische Netzstruktur wurde da-
mit folglich um Heißwassernetze erweitert. Auf der Erzeugungsseite wurde der reinen
Dampferzeugung die Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) und der Heißwasserproduktion
wurden reine Heizwerke für die Deckung von bei tiefen Außentemperaturen auftreten-
den Spitzenlasten hinzugefügt. Hierdurch konnten neue Effizienzpotenziale – insbeson-
dere bei gleichzeitiger Erzeugung von Wärme und Strom (KWK) – gehoben werden.
In Wärmenetzen der zweiten Generation lässt sich Wärme aus erneuerbaren Energien
(z. B. aus Biomasse / Biogas, tiefer Geothermie) einbinden, wenn ausreichend hohe
Temperaturen erreicht werden. Ist dies nicht möglich oder zu aufwändig, kann Wärme
aus regenerativen Energien mit zu niedrigen Temperaturen mithilfe von Wärmepumpen
auf das erforderliche Temperaturniveau gebracht werden. Insgesamt sind aber die tech-
nologischen und wirtschaftlich sinnvollen Lösungen für die Kombination von Wärme
aus erneuerbaren Energien und Hochtemperaturwärmenetzen eher begrenzt.
 Wärmenetze der dritten Generation (1980 bis 2020; Abb. 16.4). Die Entwicklung der
Wärmenetze hin zur dritten Generation zeichnet sich durch eine weitere Absenkung der
Betriebstemperatur aus. Hierdurch sollen potenzielle Wärmeverluste weiter reduziert
werden; außerdem soll die Möglichkeit geschaffen werden, weitere Wärmequellen
bzw. Erzeugungsoptionen an das Wärmenetz anzuschließen. Die Betriebstemperatur
dieser Netze der dritten Generation wird mit 60 ı C < T < 90 ı C angegeben. Durch Tem-
peraturen unter 90 ı C können zudem kostengünstigere oder flexiblere Materialien für
die erdverlegten Rohrsysteme eingesetzt werden; dies kann auch mit Kostenvorteilen
1208 I. Weidlich

Solarthermie
Abnehmer
Speicher

KWK, Müll, Abwärme


Biomasse

RL RL VL
+ VL = Vorlauf
RL = Rücklauf
VL

Abb. 16.4 Wärmenetze der dritten Generation (1980 bis 2020; Temperatur: T < 100 ı C)

verbunden sein. Solche Wärmenetze der dritten Generation wurden in den vergange-
nen Jahren insbesondere im ländlichen Raum stark ausgebaut. Sie eignen sich gut für
eine flächenhafte Verteilung von Wärme aus erneuerbaren Energien (z. B. aus Biogas-
Blockheizkraftwerken).
 Wärmenetze der vierten Generation (2020+; Abb. 16.5). Die vierte Generation der
Wärmenetze ist durch eine weitere Reduktion der Betriebstemperaturen auf bis zu 40
bis 60 ı C charakterisiert. Derart niedrige Temperaturen sind vorteilhaft, wenn viele
Niedertemperaturwärmequellen verfügbar sind und diese Wärme noch einer Nutzung
zugeführt werden kann; insbesondere Abwärmepotenziale, die andernfalls ungenutzt
bleiben würden, können dadurch besser erschlossen werden. Das größte Problem die-
ser Niedertemperaturnetze ist die mikrobiologische Belastung des Transportwassers;
in dem genannten Temperaturbereich kann es zu einem exponentiellen Wachstum bei-
spielsweise von Bakterien kommen [16.9]; d. h. der Wasserhygiene muss beim Betrieb
von Niedertemperaturnetzen besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Beispiels-
weise kann die Unbedenklichkeit bei der Trinkwassererwärmung durch ein lokales
Erhitzen der Trinkwassermengen auf T 60 ı C und spezielle Ultrafiltrationsanlagen
sichergestellt werden [16.10, S. 15]. Aber durch die niedrigen Betriebstemperaturen
des Wärmenetzes steigen die technischen Möglichkeiten deutlich, Konversionstechno-
logien auf der Basis erneuerbarer Energien anschließen zu können. Dies kann zu einem
sehr heterogenen und dislozierten Erzeugungspark für die Wärme führen, der dann für
einen effizienten Betrieb hohe Ansprüche an die Steuerungs- und die Kommunikations-
technik zwischen Erzeuger und Verbraucher stellen muss (Abb. 16.5). Um bei solchen
geringeren Temperaturen im Wärmenetz beim Abnehmer trotzdem höhere Tempera-
turen für die Trinkwarmwasserbereitung zu ermöglichen, müssen fallweise dezentra-
le Wärmepumpen zur lokalen Temperaturerhöhung eingesetzt werden. Nachteilig bei
16 Wärmenetze 1209

Solarthermie
Saisonaler
Großwärme-
Speicher
pumpe

Wind
PV

Abnehmer
Niedertemperatur-
Überschussstrom
Wärmequelle
(Power-to-Heat)
Speicher

KWK, Müll,
Biomasse Tiefe
Abnehmer Geothermie

Abwärme Plusenergie-
häuser

Innovativer Leitungsbau
Innovative
RL Bettung
VL = Vorlauf
RL VL
VL RL = Rücklauf

Neue Materialen

Abb. 16.5 Wärmenetze der vierten Generation (2020+; Temperatur: T < 50 bis 60 ı C (70 ı C))

derartigen Niedertemperaturnetzen ist auch, dass aufgrund der geringen Temperatur-


differenz zwischen Vorlauf und Rücklauf bei gleicher übertragenen Leistung die zu
transportierende Wassermenge und damit die notwendige Pumpleistung ansteigt.

16.2 Komponenten

Der Betrieb eines Wärmenetzes erfordert die Komponenten der Erzeugungsanlagen, der
Speicher, des Netzes und der Übergabestationen beim Endkunden. Die wesentlichen Be-
griffe dieses Systems zeigt Abb. 16.6 [16.16].
Im Wärmenetz selbst wird der Bereich der Hauptleitung, der Verteilleitung und der
Hausanschlussleitung unterschieden [16.20]. Diese verschiedenartigen Leitungsbereiche
können sehr individuelle Eigenschaften haben und hängen maßgeblich von der Größe des
1210 I. Weidlich

Sekundärnetz

Unterstation

Haupt- Haus-
(transport-) Verteil- anschluss- Übergabe- Haus-
leitung leitung leitung station zentrale
Wärme-
erzeugungs-
anlage Primärnetz Hausstation Hausanlage

Abb. 16.6 Begriffe in einem Wärmenetz (nach [16.16])

Netzes und der Größe der zu versorgenden Objekte ab. Daher lassen sich Rohrsysteme und
deren Dimensionen nicht eindeutig einem Leitungsbereich zuordnen; tendenziell werden
die Dimensionen von der Hauptleitung über die Verteilleitung hin zur Hausanschlusslei-
tung jedoch kleiner.

16.2.1 Rohrsysteme und deren Verlegung

Nachfolgend werden die heute eingesetzten Rohrsysteme und deren Verlegung diskutiert.

16.2.1.1 Rohrsysteme
Zwischen Wärmequelle und Verbraucher ist die Rohrleitung das wichtigste Verbindungs-
element; darüber wird letztlich die thermische Energie transportiert. Thermodynamik und
Hydraulik des Rohrsystems müssen auf diese Aufgabe so abgestimmt sein, dass jeder-
zeit eine sichere und wirtschaftliche Versorgung der Nachfrager mit Wärme gewährleistet
werden kann [16.20, 16.21].
Die Rohrsysteme der Wärmeverteilung sind wärmegedämmt, damit die Wärmeverluste
minimiert werden können. Charakteristik des Rohrsystems ist deshalb eine Sandwich-
konstruktion aus einem Mediumrohr, in dem das heiße Wasser fließt, einer umliegenden
Wärmedämmung und einem Mantelrohr zum Schutz der Dämmung; d. h. das Mediumrohr
liegt möglichst konzentrisch in diesem Mantelrohr. Diese für Wärmenetze typische Rohr-
konstruktion wird deshalb auch Mantelrohrsystem genannt. Mediumrohr, Dämmung und
auch Mantelrohr können aus unterschiedlichen Materialien bestehen. Beispielhaft zeigt
Abb. 16.7 ein derartiges Mantelrohrsystem einschließlich der exemplarisch dafür einsetz-
barer Materialien.
16 Wärmenetze 1211

Abb. 16.7 Mantelrohrsystem Mantelrohr Dämmung


(z. B. Polyethylen; (z. B. Polyurethan-Schaum
PE80) ρ ≥ 55 kg/m³
λ50 ≤ 0,029 W/(m K))

Mediumrohr
(z. B. Stahl P235GH)

Kunststoffmantelrohre (KMR) Kunststoffmantelrohre (KMR) werden in Deutschland


seit den 1960er Jahren für die Wärmeverteilung verwendet und haben die bis dahin üb-
licherweise verwendeten Kanalbauwerke für Heizungszwecke sukzessive verdrängt. Das
Kunststoffmantelrohr (KMR) ist heute Stand der Technik und das am meisten eingesetzte
Rohrsystem für die Wärmeverteilung; in Deutschland wird eine verbaute Trassenlänge an
Kunststoffmantelrohren (KMR) von rund 50 000 km vermutet.
Das Kunststoffmantelrohr (KMR) besteht aus einem Stahlrohr, in dem das erwärmte
Medium transportiert wird, welches konzentrisch in einem Polyethylen-Rohr angeordnet
ist. Der Zwischenraum wird aus Wärmeschutzgründen mit einem Polyurethan-Schaum
ausgefüllt. Das Schutzrohr aus Polyethylen sorgt für die Unversehrtheit des Dämm-
schaums und verhindert eine die Dämmwirkung reduzierende Durchfeuchtung des
Schaumes beispielsweise durch Grund- oder Sickerwasser. Das Mediumrohr wird als
Stahlrohr ausgeführt, um die durch die Temperaturlast und den Innendruck bedingten
Spannungen aufnehmen zu können (Abb. 16.7).
Kunststoffmantelrohre können überall im Verteilnetz bis hin zum Hausanschlussbe-
reich mit Nennweiten von ca. DN20 bis DN700 (DN Nennweite) verwendet werden. Das
Stahlmediumrohr macht das Verbundrohr sehr stabil. Dadurch ist ein Betrieb mit einem
Innendruck von 16 bis 25 bar möglich; außerdem erlauben derartige Rohre Medientempe-
raturen von bis zu 120 ı C mit kurzzeitigen Spitzen von rund 140 ı C.
Für einen sicheren Betrieb für ein Leitungsnetz aus Kunststoffmantelrohren (KMR)
ist eine entsprechende Rohrstatik (z. B. [16.20, 16.26]) zu erstellen. Werden Kunststoff-
mantelrohr-Systeme unter technisch einwandfreien Bedingungen errichtet, kann von einer
Gebrauchsdauer von 30 Jahren (technische Lebensdauer) und mehr ausgegangen werden.

Stahlmantelrohre (SMR) Stahlmantelrohre (SMR) sind Verbundrohre, die aus zwei


konzentrisch angeordneten Stahlrohren unterschiedlichen Durchmessers bestehen. Das
äußere Stahlrohr dient dem Schutz des inneren Mediumrohres und übernimmt auch
Tragfunktionen der Gesamtkonstruktion aus z. B. Verkehrslasten und / oder Erdlasten.
Es ist mechanisch vom inneren Mediumrohr entkoppelt. Konstruktionsbedingt werden
die durch Temperaturänderungen bedingten Dehnungen des Mediumrohres nicht auf das
äußere Schutzrohr übertragen. Dazu wird das Mediumrohr auf Gleitlagern im Schutzrohr
geführt. Zwischen dem Schutzrohr und dem Mediumrohr befindet sich außerdem die Wär-
medämmung (z. B. in Form von Mineralwolle). Meist wird zudem durch einen Unterdruck
ein (Teil-)Vakuum in dem Zwischenraum zwischen den beiden Rohren erzeugt, das eben-
1212 I. Weidlich

falls zur Wärmedämmung beiträgt. Gleichzeitig wird über das Vakuum die Dichtheit des
Systems dauerhaft überwacht und die Korrosionsgefahr gemindert; d. h. durch das Entfer-
nen der Luft mit dem darin enthaltenen Wasser und Sauerstoff wird die Korrosionsursache
beseitigt (und dadurch auch die technische Lebensdauer erhöht). Stahlmantelrohre gelten
als robust und beständig; sie sind aber auch relativ teuer in der Anschaffung. Werden
Stahlmantelrohrsysteme unter technisch einwandfreien Bedingungen errichtet, wird in
der Regel von einer Gebrauchsdauer von mindestens 50 Jahren (technische Lebensdauer)
und mehr ausgegangen. Bau und Verlegung von Stahlmantelrohrsystemen werden durch
verschiedene Standards und Richtlinien reguliert (z. B. [16.27]).

Flexible Verbundrohrsysteme Flexible Fernwärmeleitungen unterscheiden sich neben


dem flexiblen Mediumrohr auch durch eine andere Beschaffenheit des Dämmschau-
mes und des Polyethylenmantels beispielsweise vom Kunststoffmantelrohr (KMR). Als
Dämmschaum wird ein semiflexibler Polyurethan(PUR)-Schaum verwendet, der aber
meist nicht für Temperaturen über 130 ı C geeignet ist. Der Mantel besteht bei flexiblen
Leitungen aus einem Polyethylen geringer Dichte (PE-LD oder PE-LLD4). Hierdurch
wird die Biegesteifigkeit des Rohres stark herabgesetzt und es kann auf der Baustelle von
Hand oder mit einfachen Hilfsmitteln gebogen werden. Aber dieses Mantelmaterial aus
einem Polyethylen geringer Dichte ist auch sehr empfindlich beispielsweise hinsichtlich
der Belastung aus UV-Strahlung.
Die flexiblen Rohre werden kontinuierlich produziert (Konti-Verfahren) und als End-
losrohre auf eine Trommel gewickelt. Deshalb müssen nach dem Abwickeln die ein-
geprägten Krümmungsradien ausgeglichen werden. Bei einem erneuten Biegen in die
gewünschte Form sind die Hersteller-abhängigen minimalen Krümmungsradien einzu-
halten, die in der Regel zwischen 0,6 und 1,5 m Radius liegen [16.11]. Flexible Rohre
werden auch als Mehrfachrohre mit zwei oder mehr Mediumrohren ausgeführt. Derartige
flexible Fernwärmerohre sind besonders für den Hausanschlussbereich sehr gut geeignet.
Der Erfahrungshorizont mit solchen Rohrsystemen ist aber deutlich kürzer als bei starren
Systemen und beträgt erst ca. 25 bis 30 Jahre. Dies entspricht ungefähr der erwünsch-
ten Gebrauchsdauer, sodass heute erste zutreffende Aussagen zum Langzeitverhalten zu
erwarten sind. Außerdem ist eine Kombination mit Kunststoffmantelrohren (KMR) tech-
nisch möglich; dies führt auch oft zu kostengünstigen Gesamtlösungen.
Insgesamt können drei Typen von flexiblen Verbundrohrsystemen für die Wärmevertei-
lung unterschieden werden [16.22]: flexible Fernwärmeleitungen mit gewellten Edelstahl-
Mediumrohren, flexible Fernwärmeleitungen mit glatten metallischen Mediumrohren und
flexible Fernwärmeleitungen mit polymeren Mediumrohren (PMR). Sie werden nachfol-
gend diskutiert.

Fernwärmeleitungen mit gewellten Edelstahl-Mediumrohren Flexible Fernwärmelei-


tungen mit gewellten Edelstahl-Mediumrohren werden bis zu einem Durchmesser von
DN200 hergestellt und können mit einem Innendruck von bis zu 25 bar und einer Tempe-
ratur von bis zu 130 ı C betrieben werden. Das Rohrsystem erhält durch die Verformbarkeit
16 Wärmenetze 1213

des Wellrohres seine Flexibilität. Es gilt deshalb als selbstkompensierend und eignet sich
für die Verwendung in engen Gräben und im Hüllrohr. Die Rohrverbindungen werden
mittels spezieller Kupplungen realisiert.

Fernwärmeleitungen mit glatten metallischen Mediumrohren Flexible Fernwärmeleitun-


gen mit glatten metallischen Mediumrohren, oft als „Stahlflex-Rohre“ abgekürzt, zeichnen
sich neben der hohen Flexibilität durch eine relativ hohe Belastbarkeit aus, die den Anfor-
derungen des Kunststoffmantelrohr(KMR)-Systems nahe kommt. Flexible Stahlmedium-
rohr-Systeme eignen sich für Temperaturen bis ca. 120 ı C und Drücke von bis zu 25 bar.
Aber auch mit Kupfermediumrohr-Systemen können vergleichbare Drücke und Tempera-
turen realisiert werden.
Das hier eingesetzte Mediumrohr ist ein Weichstahlrohr, das je nach Hersteller un-
terschiedliche Stahlqualitäten aufweist. „Klassisch“ werden gerade nahtlose und gerade
längsnahtgeschweißte Rohre im Stumpfstoß zu längeren Einheiten verschweißt [16.12].
Dazu wird während eines kontinuierlichen Produktionsprozesses das Mediumrohr durch
die Produktionsanlage geführt. Die Wärmedämmschicht besteht aus einem Polyure-
than(PUR)-Schaumgemisch, die in eine vorgeformte Zwischenlage aus vorbehandelter
Folie aus Polyethylen geringer Dichte (PE-LD) oder Aluminium-Folie eingebracht wird.
Die Zwischenlage wird anschließend kreisringförmig überlappend um das Mediumrohr
geschlossen. Bedingt durch diesen Fertigungsprozess wird das Mediumrohr, bevor es auf
der Baustelle zum Einsatz kommt, mehrfach durch Biegung infolge Auf- und Abtrom-
meln beansprucht. Vor Ort muss es daher erneut durch Biegen in die gewünschte Form
gebracht werden.
Flexible Fernwärmeleitungen mit glatten metallischen Mediumrohren sind nicht selbst-
kompensierend; d. h. es sind die statischen Nachweise nach dem geltenden Regelwerk
zu führen und die Verlegerichtlinien der Hersteller zu berücksichtigen. Leckwarnsysteme
sind verfügbar, werden aber aus Kostengründen nur dann eingesetzt, wenn im Gebäude
eine Messstelle vorgesehen ist.
Kupfermediumrohr-Systeme zeichnen sich prinzipiell durch denselben Aufbau wie
Stahlmediumrohr-Systeme aus. Das Kupferrohr ist ein nahtlos gezogenes, zugweiches
Rohr. Die Verbindungen der Rohre werden gelötet. Damit dabei keine zu hohen Bean-
spruchungen auftreten, wird ein weiches Kupfer eingesetzt. Das Material baut im Betrieb
Spannungen durch plastische Verformungen ab. Auch hier variieren die zulässigen Belas-
tungen für das Rohrsystem stark je nach Hersteller (d. h. Herstellerangaben sind zu beach-
ten und betreffen neben dem Einsatzbereich auch Verlegeradien, Kompensationselemente
(Dehnpolster) und Lötzusätze). Bei flexiblen Verbundrohren mit einem Mediumrohr aus
Kupfer besteht die Gefahr elektrochemischer Korrosion beim Übergang auf andere Kom-
ponenten aus Kohlenstoffstahl.

Fernwärmeleitungen mit polymeren Mediumrohren (PMR) Bei derartigen flexiblen Fern-


wärmeleitungen besteht das Mediumrohr aus einem polymeren Kunststoff. Diese Sys-
teme werden mit Temperaturen bis ca. 90 ı C betrieben. Dadurch ergeben sich geringe
1214 I. Weidlich

Dehnungen, die keine Statik erfordern; das System gilt als „selbstkompensierend“. Die
Mediumrohrwerkstoffe PE-X (vernetztes Polyethylen) und PB-1 (thermoplastisches Po-
lybuten nach [16.23]) haben sich über Jahrzehnte bewährt. Diese Systeme werden daher
in der Wärmeverteilung bis zu einem Mediumaußendurchmesser von 125 mm verwen-
det. Polymere Mediumrohr(PMR)-Systeme werden als Ringbunde auf Trommeln oder als
Rohrstangen angeliefert. Um die Diffusion von Wasserdampf und Sauerstoff durch das
polymere Mediumrohr zu verringern wird eine Sperrfolie aus Ethylenvinylalkohol auf das
Mediumrohr aufgetragen, die beim Biegen oder Kürzen nicht beschädigt werden darf.
Die Diffusionsrate steigt mit der Temperatur und hängt zudem von den Wasserdampf-
differenzdrücken innerhalb und außerhalb des Mantelrohres ab. Der Dämmschaum ist
entweder ein Polyurethan(PUR)-Schaumstoff oder ein Polyolefindämmstoff. Nur beim
Polyurethan-Schaumstoff werden Mediumrohr und Mantelrohr kraftschlüssig miteinan-
der verbunden [16.24, 16.28].

16.2.1.2 Verlegung
Rohrsysteme für Wärmenetze können als Freileitungen überirdisch oder unter der Gelän-
deoberfläche als erdverlegtes System geführt werden. Freileitungen befinden sich oft auf
Industriegeländen. Außerhalb der Industrieanlagen sind sie seltener; Rohrsysteme wer-
den dort infolge anderer Flächennutzungen und auch aus ästhetischen Gründen vermehrt
unterirdisch geführt. Als erdverlegtes System hat die leitungsgebundene Wärmevertei-
lung eine Entwicklung vollzogen, in der sowohl die Tragfähigkeit der Rohrleitung als
auch die Tragfähigkeit des umgebenden Bodens als Bettungsmaterial genutzt werden.
Das Weiterdenken des Rohrsystems als Rohr-Boden-System macht heutige wirtschaft-
liche Konstruktionen erst möglich.
Der Verlegung eines Wärmenetzes muss neben der wirtschaftlichen Machbarkeit eine
ingenieurwissenschaftliche Untersuchung vorausgehen. Diese Untersuchung muss enthal-
ten:

 die Ermittlung der geodätischen Verteilung der Wärmenachfrage,


 einen graphentheoretischen bzw. polygonalen Entwurf des zu errichtenden Wärmenet-
zes,
 die hydraulische und thermodynamische Auslegung und
 die Rohrstatik.

Freileitungen Leitungen auf Werksgeländen und Leitungen mit einem hohen Gefähr-
dungspotenzial für die Bevölkerung, Umwelt oder Wirtschaft werden oft frei verlegt.
Derartige Leitungen unterliegen automatisch einer optischen Kontrolle und sind leicht
zugänglich; dies bietet Vorteile bei der Wartung und auch beim Eintreten eines Schadens-
falls kann sofort gehandelt werden. Außerdem werden die Tiefbaukosten bei Freileitungen
reduziert. Den verminderten Tiefbauaufwendungen stehen aber erhöhte Lagerungs- und
Halterungskosten gegenüber.
16 Wärmenetze 1215

Ein Freileitungssystem besteht neben der Leitung selbst aus Rohranschluss, Lager, Zwi-
schenkonstruktion und Bauwerksanschluss zur Ableitung der Kräfte und Momente. Bei den
Lagern wird zwischen den Funktionen Hängen, Stützen, Gleiten, Führen und Dämpfen un-
terschieden. Die erforderlichen Auflagerabstände bzw. Stützweiten ergeben sich aus den
Rohreigenschaften und der Belastung. Die zulässigen Stützweiten werden teilweise durch
die Rohrhersteller für das gefüllte Rohr angegeben. Für die reine Vertikalbelastung kön-
nen die Stützweiten berechnet werden, indem das Rohrleitungssystem als mehrfach gela-
gerter Durchlaufträger mit Kreisringprofil idealisiert wird. Für die Dimensionierung von
Freileitungen ist in der Regel der Betriebszustand maßgebend. Alle auftretenden Lasten
müssen durch das Rohrsystem und konstruktive Maßnahmen sicher aufgenommen werden.
Für Freileitungen sind deshalb immer rohrstatische Untersuchungen vorzunehmen.
Oberirdisch geführte Leitungen werden oft als Stahlrohrkonstruktion ausgeführt. Diese
sind robust und übernehmen oft zusätzliche Tragfunktionen (z. B. bei einer Rohrbrücke).
Werden metallische Leitungen verwendet ist die EN 13480 zu beachten [16.21].

Erdverlegte Leitungen Bei der Kanalbauweise waren die Rohre vor dem anstehenden
Erddruck geschützt. Die direkte Erdverlegung von Kunststoffmantelrohren ohne Kanal hat
demgegenüber eine ausgeprägte Interaktion mit dem umgebenden Baugrund zur Folge.
Für die statische Auslegung sind deshalb die auftretenden Reibungskräfte und Bettungs-
drücke am Rohrmantel zu berücksichtigen. Der Rohrmantel ist über den Polyurethan
(PUR)-Schaum schubfest mit dem Mediumrohr verbunden. Die Größenordnung der im
Boden wirkenden Kräfte muss möglichst genau bekannt sein, da eine Fehleinschätzung
ggf. zum vorzeitigen Versagen des Rohrleitungssystems führen kann.
Die Reibungskräfte im Boden werden durch die Ausdehnung der Rohre infolge Tempe-
raturlast mobilisiert. Im Bogenbereich werden aufgrund der Dehnungen Bettungsdrücke
aktiviert. Die auftretenden Reibungskräfte reduzieren einen Teil der temperaturbedingten
Ausdehnungen und minimieren dadurch die Biegemomente im Bogenbereich. Gleich-
zeitig treten die verhinderten Dehnungen als Druckspannungen im Rohrquerschnitt auf.
Gesucht ist demnach bei der Auslegung das Optimum aus zulässigen Axialspannungen
am geraden Rohrquerschnitt und den auftretenden Biegemomenten im Bogenbereich.
Dabei ist die Wechselwirkung zwischen Rohrleitung und Boden primär von der auf-
tretenden Temperaturlast abhängig. Je höher die Betriebstemperatur ist, desto intensiver
ist die Interaktion mit dem umgebenden Bettungsmaterial. Eine rohrstatische Auslegung
ist für Wärmenetze der zweiten und dritten Generation daher unbedingt erforderlich (z. B.
EN13941).
Im Umkehrschluss nehmen die Belastungen mit sinkender Betriebstemperatur ab. Die
Bedeutung der Rohrstatik nimmt dann gleichermaßen ab, da die Lasten, sofern sie klein
genug sind, innerhalb des Rohrsystems ohne individuelle statische Nachweise aufgenom-
men werden können. Die für die Bemessung eines Wärmenetzes der vierten Generation
maßgebende Größe ist dann primär der Wärmeverlust pro Meter Leitung. Die hydrau-
lische und thermodynamische Bemessung bleibt für einen erfolgreichen Betrieb eines
Wärmenetzes auch bei niedrigen Temperaturen weiterhin erforderlich.
1216 I. Weidlich

16.2.2 Pumpen

In Wärmenetzen und den dazugehörenden Bauwerken befinden sich unterschiedliche


Arten von Pumpen, die verschiedene Aufgaben erfüllen. Hierzu gehören Druckerhöhungs-
pumpen, Umwälzpumpen, Schmutzwasserpumpen, Kondensatpumpen, Sumpfpumpen,
Einspritzpumpen, Ladepumpen und Zirkulationspumpen. Die für den Wärmenetzbetrieb
wichtigsten Pumpen sind die Druckerhöhungspumpen und die Umwälzpumpen.

Druckerhöhungspumpen Die Druckerhöhungspumpen dienen der Druckhaltung. Da-


mit alle Anlagenteile eines Wärmenetzsystems gefüllt sind und unter Druck stehen, muss
immer ein bestimmter Systemdruck oder auch netzspezifischer Ruhedruck vorgehalten
werden. Dieser Systemdruck ist abhängig von der Größe des Netzes, den zu überwin-
denden Höhenunterschieden, die im Netz bestehen, und dem Sättigungsdruck des Medi-
ums. Die damit notwendige Systemdruckabsicherung übernimmt die Druckhaltung. Ins-
besondere wenn Teile des Netzinhaltes verloren gehen muss der Systemdruck und auch
Heizwasser nachreguliert werden. Dies kann durch Druckerhöhungspumpen, in der Regel
Kreiselpumpen, erfolgen.
Je nach Einbindung der Pumpe in das Wärmenetz werden die Vorlaufdruckhaltung, die
Rücklaufdruckhaltung und die Mittendruckhaltung unterschieden.

 Vorlaufdruckhaltung. Abb. 16.8, links, zeigt die Vorlaufdruckhaltung. Diese Anord-


nung wird auch als Saugdruckhaltung bezeichnet, weil die Umwälzpumpe vor der
Druckhaltung installiert wird und der Betriebsdruck im Netz unter den Ruhedruck fällt.
Bei einer derartigen Anordnung besteht die Gefahr des Ausdampfens.
 Rücklaufdruckhaltung. In Abb. 16.8, Mitte, ist die Rücklaufdruckhaltung oder auch
Enddruckhaltung dargestellt. Die Umwälzpumpe befindet sich bei dieser Anordnung
hinter der Druckhaltung und der Betriebsdruck liegt im gesamten Fernwärmesystem
über dem Ruhedruck. Hierdurch wird ein hoher Gesamtdruck im System erzeugt, auf
den alle Bauteile abgestimmt sein müssen.

Vorlaufdruckhaltung Rücklaufdruckhaltung Mittendruckhaltung


Druck

Druck

Druck

Wärmeübertrager
Ruhedruck

Pumpe Abnehmer

Netzlänge Netzlänge Netzlänge

Abb. 16.8 Formen der Einbindung von Umwälzpumpen in ein Wärmenetz [16.31]
16 Wärmenetze 1217

 Mittendruckhaltung Die Mittendruckhaltung (Abb. 16.8, rechts) ist eine Mischung aus
beiden Anordnungen und zeichnet sich sowohl durch eine höhere Sicherheit gegen
Ausdampfen als auch einem nicht zu hohen maximalen Systemdruck aus.

Umwälzpumpen Umwälzpumpen stellen den zwangsweisen Wasserumlauf in derarti-


gen Wärmenetzen sicher. Dabei handelt es sich in der Regel um Kreiselpumpen, die von
entsprechenden Elektromotoren angetrieben werden. Je nach individuellen Randbedin-
gungen der jeweiligen Wärmenetze können diese Umwälzpumpen im Vorlauf oder auch
im Rücklauf angeordnet werden. Ein weiterer Unterschied im Vergleich zu Kaltwasser-
pumpen besteht in der Beständigkeit der Materialien. Weiterhin werden Nassläufer- und
Trockenläufer-Pumpen unterschieden.

 Bei Nassläufer-Pumpen erfolgt die Kühlung des Antriebs durch das geförderte Medium
selbst. Derartige Pumpen eignen sich für Mediumtemperaturen bis 110 ı C.
 In Wärmenetzen mit höheren Betriebstemperaturen werden Trockenläufer-Pumpen
eingesetzt, bei denen der Antrieb nicht mit dem Medium in Berührung kommt.

Hydraulisch wird nicht zwischen Heiß- und Kaltwasserpumpen unterschieden, sodass


auch bei Wärmenetzen die hierfür üblichen Zusammenhänge für Fördervolumenstrom
und Förderhöhe, beispielhaft in Abb. 16.9 dargestellt, gelten. Abb. 16.9, links, zeigt
den Parallelbetrieb, indem zwei Pumpen bei gleicher Förderhöhe einen deutlich höheren
Volumenstrom realisieren können als die einzelne Pumpe. Die Reihenschaltung ist in
Abb. 16.9, Mitte, dargestellt. Bei dieser Pumpenanordnung kann bei gleichem Volumen-
strom eine höhere Förderhöhe erreicht werden. In Abb. 16.9, rechts, ist ein typisches
Dimensionierungsdiagramm für eine Pumpe gezeigt. Dargestellt sind für eine Pumpe
zwei unterschiedliche Pumpenkennlinien für verschiedene Drehzahlen. Die Pumpen-
kennlinien werden beide von der Anlagenkennlinie geschnitten, die für jedes Rohrnetz
individuell ermittelt werden muss. Die Schnittpunkte entsprechen dem Betriebspunkt
(d. h. einer bestimmten Förderhöhe und einem definierten Volumenstrom für eine be-
stimmte Anlage).
Förderhöhe

Förderhöhe

Förderhöhe

Parallelbetrieb Reihenschaltung
Drehzahl
n= 100 % Anlagenkennlinie
zwei Pumpen

100 % Pumpen-
zwei Pumpen Betriebspunkt kennlinie

25 % n= 50 %
eine Pumpe eine Pumpe

100 %
Fördervolumenstrom Fördervolumenstrom 50 % Fördervolumenstrom

Abb. 16.9 Pumpenkennlinien und Betriebsdiagramm mit Anlagenkennlinie [16.31]


1218 I. Weidlich

16.2.3 Hausstationen

Die Hausanschlussleitung endet in der sogenannten Hausstation beim Endkunden. Diese


Hausstation enthält die Übergabestation für die Wärme, die ihrerseits mit der Hauswärme-
zentrale und der Hauswärmeverteilanlage verbunden ist. Als Übergabestation gelten die
Mess-, Regel- und Absperreinrichtungen für die Erfüllung der jeweiligen Versorgungs-
aufgabe. Als Kundenanlage werden alle technischen Anlagen hinter dem Hausanschluss
verstanden – mit Ausnahme der Mess- und Regeleinrichtungen des entsprechenden Ver-
sorgungsunternehmens, das die Wärme verkauft.
Die Übergabestation hat die Aufgabe, die Wärme bestimmungsgemäß u. a. hinsicht-
lich Druck, Temperatur und Volumenstrom an die Hauszentrale des jeweiligen Kunden
zu übergeben [16.16]. Sie stellt traditionell die Eigentumsgrenze zwischen Versorgungs-
unternehmen und Kunden dar; typischerweise ist die Übergabestation noch im Besitz des
Versorgungsunternehmens.
Eine Übergabestation enthält typischerweise die Anschlussarmaturen für Vor- und
Rücklauf, Entleerungs- und Entlüftungseinrichtungen, Wärmemesseinrichtung (Volumen-
messventil, Temperaturmessung, Rechenwerk), Messwertanzeige und Differenzdruckreg-
ler oder Volumenstromregler. Die genaue Ausbildung der Übergabestation definiert das
Versorgungsunternehmen durch die technischen Anschlussbedingungen.
Übergabestation und Hauszentrale lassen sich für kleinere Gebäude auch kombinieren.
Für den Einsatz dieser sogenannten Kompaktstationen ist die Abstimmung der techni-
schen Randbedingungen und der Eigentumsverhältnisse zwischen Kunden und Versor-
gungsunternehmen erforderlich.
Die Hauszentrale verbindet die Übergabestation mit der entsprechenden Hausanlage.
Hierbei werden ein direkter und ein indirekter Hausanschluss unterschieden.

 Beim direkten Anschluss ist der Wärmeträger des Versorgungsnetzes identisch mit dem
Heizmedium der Kundenanlage (Abb. 16.10). Die Entwicklung der Wärmenetze hin zu
niedrigeren Temperaturen wird durch direkte Anschlüsse begünstigt; sinkt z. B. durch
eine bessere Dämmung die Wärmenachfrage der Gebäude kann auch direkt die Be-
triebstemperatur des Netzes angepasst und abgesenkt werden.
 Bei einem indirekten Anschluss sind die Systeme hydraulisch getrennt. Zwischen Kun-
denanlage und Versorgungsnetz ist ein Wärmeübertrager installiert (Abb. 16.11). Eine
derartige hydraulische Trennung kann insbesondere dann sinnvoll sein, wenn der Wär-
meträger des Netzes aus hygienischen oder gesundheitlichen Gründen nicht in das
Gebäude gelangen soll. Beispielsweise wird das Wasser als Wärmeträger in Wärme-
netzen in der Regel aufbereitet, um das Leitungsnetz maximal gegen Korrosion zu
schützen. Dazu wird insbesondere der pH-Wert bei 9,0 bis 10,5 eingestellt sowie der
Sauerstoffgehalt und die Summe der Erdalkalien im Wasser begrenzt [16.29]; dies
dient dem Schutz der Stahlelemente im Gesamtsystem. Auch können bei niedrigen
Betriebstemperaturen mikrobiologische Belastungen des Wassers durch eine hydrauli-
sche Entkopplung aus dem Gebäude heraus gehalten werden.
16 Wärmenetze 1219

Übergabestation Hauszentrale Hausanlage

Eigentumsgrenze
Wärmenetz

T T
V
Heizungs-
vorlauf

T
M
Heizungs-
rücklauf

Abb. 16.10 Direkter Anschluss eines Wärmenetzes an die Kundenanlage (M Motor, T Temperatur)

Übergabestation Hauszentrale Hausanlage


Eigentumsgrenze

Wärmenetz

T
Vorlauf
Klima- und
Lüftungsanlage

T
M
Rücklauf
B

a Abstimmung mit Versorger erforderlich

Abb. 16.11 Indirekter Anschluss eines Wärmenetzes an die Kundenanlage (M Motor, T Tempera-
tur)

Die kundenseitige Technik kann auch weitgehend unabhängig von den technischen
Randbedingungen des vorgelagerten Versorgungsnetzes gewählt werden. Beispielsweise
kann auch die Trinkwassererwärmung an das Wärmenetz angeschlossen werden. Hier-
bei bieten sich die Möglichkeiten des Anschlusses mit Speicher, im Durchlaufprinzip
1220 I. Weidlich

Übergabestation Hausanlage

Eigentumsgrenze

Zirkulationsanlage

Verteilungsleitung
Vorlauf

0,5 h
0,3 h

Rücklauf
*

Kaltwasserzufluss

Abb. 16.12 Speicher-Ladesystem (h Höhe des Speichers)

oder im Speicher-Lade-Prinzip an. Abb. 16.12 zeigt exemplarisch einen Anschluss mit
Trinkwassererwärmung und Speicher-Lade-System. Ein derartiges Speicher-Lade-Sys-
tem ermöglicht es, das erforderliche Speichervolumen zu reduzieren; hierdurch werden
die Investitionen gesenkt. Es ist effizienter als konventionelle Speicherlösungen, da die
Spitzenlasten für die Trinkwassererwärmung nur gelegentlich auftreten. Gleichzeitig wird
verhindert, dass kaltes Trinkwasser aus einem entleerten Speicher in das Wärmenetz ein-
dringt.

16.2.4 Speicher

Thermische Speicher werden in Gebäuden und in Netzen eingesetzt. Sie haben die Auf-
gabe des Lastgangmanagements, indem sie Differenzen zwischen der Wärmeerzeugung
und der Wärmeabnahme ausgleichen. Dies zeigt Abb. 16.13 für zeitlich getrenntes Be-
und Entladen links und zeitgleiches Be- und Entladen rechts. Dabei stehen grundsätzlich
verschiedene Technologien der thermischen Speicherung zur Verfügung (Kapitel 14).
Als wirtschaftlichste und sicherste Art der thermischen Speicherung in Wärmenetzen
haben sich Speicher sensibler Wärme durchgesetzt (Kapitel 4.2 und 14). Sie finden sich in
kleinen Größen von wenigen 100 L in Einfamilienhäusern bis hin zu Großwärmespeichern
mit mehreren 10 000 m3 Rauminhalt. Sie können als Speicher unter atmosphärischem
Druck oder als überdruckbeaufschlagte Speicher ausgeführt werden. Je nach Größe die-
nen sie als Kurzzeit- / Pufferspeicher (einige Stunden bis Tage), als Langzeitspeicherung
(einige Tage bis Wochen) oder als saisonale Speicherung (mehrere Monate).
16 Wärmenetze 1221

Temperatur T,

Temperatur T,
Volumenstrom V̇

Volumenstrom V̇
Beladen Beladen
Speichern Speichern
Entladen Entladen

+V̇ +V̇ +V̇

T T

Zeit t Zeit t

-V̇ -V̇ -V̇

Abb. 16.13 Be- und Entladen eines Speichers (links: zeitlich getrennt, rechts: gleichzeitig)

Zur Erhöhung der Flexibilität von Erzeugungsanlagen und Wärmenetz (z. B. für eine
strompreisorientierte Fahrweise) kommen in Wärmenetzen vermehrt saisonale Großwär-
mespeicher zum Einsatz. Unterschieden werden

 Behälter-Wärmespeicher, die entweder aus einem unterirdischen Stahlbetonbehälter,


der mit Wasser gefüllt wird, oder einem überirdischen Behälter bestehen,
 Erdbecken-Wärmespeicher, die als künstlicher „Teich“ angelegt werden, der mit Spei-
chermaterial gefüllt und mit einem Deckel verschlossen wird,
 Erdsonden-Wärmespeicher, welche mithilfe Wasser-durchflossener Erdwärmesonden
das Gestein im Untergrund zur Wärmespeicherung nutzen und
 Aquifer-Wärmespeicher, die unterirdische, wasserführende Gesteinsschichten zur
Wärmespeicherung nutzen, die durch Bohrungen erschlossen werden müssen.

Heute werden vorrangig Behälter-Wärmespeicher unter atmosphärischem Druck und


Erdbecken-Wärmespeicher mit großen Volumina gebaut, da die Wärmeverluste pro Ku-
bikmeter Speichervolumen mit der Größe abnehmen. Sensible Großspeicher dürften zu-
künftig für den effizienten Betrieb von Wärmenetzen eine zentrale Rolle spielen; dies gilt
insbesondere dann, wenn vermehrt angebotsorientierte erneuerbare Energien zur Deckung
der Wärmenachfrage eingesetzt werden sollen (z. B Solarthermie).
In sensiblen thermischen Speichern bildet sich eine Schichtung aus. Im oberen Speicher-
bereich wird bei Druckspeichern eine Temperatur von bis zu 98 ı C und bei drucklosen Spei-
chern von bis zu 85 ı C eingestellt, während im unteren Bereich Temperaturen von rund 30
bis 60 ı C erreicht werden können [16.13]. Die exakte Temperaturverteilung im Speicher,
die Lage der Grenzschicht und damit auch die Betriebsweise des Speichers sind verschie-
denen individuellen thermo- und hydrodynamischen Prozessen unterworfen. Hierzu zäh-
len der Wärmetransport über die Speicherwand nach außen oder über die Speicherwand
längs des Speichers, die Wärmeleitung des Speichermediums, die Wärmespeicherung in
den thermischen Massen sowie ein konvektiver Wärmetransport durch Fallströmungen und
Turbulenzeintrag bei der Speicherbe- und -entladung. Diese Prozesse führen zu energeti-
1222 I. Weidlich

schen und exergetischen Verlustprozessen [16.14]. Während der Wärmetransport über die
Speicherwand als echter Speicherverlust bilanziert werden kann, führen Wärmetransport-
mechanismen innerhalb des Speichers zu einem Temperaturausgleich zwischen den einzel-
nen Temperaturschichten, der als exergetischer Verlust bezeichnet werden kann.

16.2.5 Weitere Komponenten

Armaturen In Wärmenetzen werden in den Rohrleitungsanlagen Armaturen verbaut, um


die Verteilung zu regulieren, zu überwachen und zu begrenzen. Diese Armaturen siche-
ren auch die Anlagen gegen zu hohen Druck ab. Sie lassen sich anhand unterschiedlicher
Eigenschaften in Absperrarmaturen, Sicherheitsarmaturen, Regelarmaturen, Kondensatar-
maturen und Sonderarmaturen unterteilen. Nach Bauart werden Schieber, Hahn, Klappe
und Ventil unterschieden. Die wesentlichen Eigenschaften der Armaturen zeigt Tabel-
le 16.1.

 Der Schieber ist eine Armatur mit einem Abschlusskörper, der sich geradlinig und quer
zur Strömungsrichtung bewegt.
 Beim Hahn dreht sich der Abschlusskörper quer zur Strömungsrichtung.
 Die Klappen erfüllen Absperrfunktionen, indem sich eine kreisförmige Scheibe inner-
halb eines zylindrischen Gehäuses um die eigene Achse dreht.
 Ventile dichten die Leitung ab und können auch für Regelaufgaben verwendet werden.

Tabelle 16.1 Wichtige Eigenschaften von Armaturen [16.17, 16.30, 16.31]


Schieber Hahn Klappe Ventil
Arbeitsweise des Geradlinig Drehung um eine Achse Geradlinig
Abschlusskörpers quer zur Strömung
Schematische
Darstellung

Formen des Keil, Platte, Kugel, Kegel, Scheibe, Teller, Kegel,


Abschlusskörpers Kolben, Zylinder Drehkegel Zylinder,
Membran, Membran,
Scheibe Kugel, Nadel
Ausführungsarten Absperrschieber, Kugelhahn, Absperrklappe, Absperrventil,
Flachschieber Zylinderhahn, Rückschlag- Drosselventil,
Kegelhahn klappe Sicherheitsventil,
Rückschlagventil
Einbaulänge gering mittel gering mittel
Einbauhöhe groß gering gering groß
Druckverlust im niedrig niedrig mittel hoch
geöffneten Zustand
16 Wärmenetze 1223

Schnelles Schließen von Armaturen führt in Überdruckanlagen zu signifikanten Druck-


schwankungen im gesamten hydraulischen System bis hin zum Druckstoß; letztes kann zu
großen Schäden führen und sollte durch ein entsprechend langsames Schließen der Arma-
turen vermieden werden (d. h. die Schließzeiten von Armaturen liegen typischerweise im
Bereich von einigen Minuten). Um die Funktion der Armaturen dauerhaft zu gewährleis-
ten, sollten sie in regelmäßigen Abständen betätigt werden. Erfolgt dies nicht, können sie
ihre Leichtläufigkeit teilweise bis vollständig verlieren und können dann ggf. aufgrund
von z. B. Korrosionserscheinungen nicht mehr bewegt werden.

Wärmeübertrager auf der Erzeugungsseite Wärmeübertrager dienen im Prozess der


Wärmeerzeugung zur Wärmeübertragung von der ausgekoppelten thermischen Energie
auf den Wärmeträger Heißwasser. Da Wärmeübertrager im Kraftwerksprozess die Funk-
tion eines Kondensators auf hohem Druck- und Temperaturniveau übernehmen, werden
sie auch als Heizkondensatoren (HeiKo) bezeichnet. Typischerweise werden eine Gegen-
stromanlage oder eine Kombination aus Kreuz- und Gegenstromanlage eingesetzt. Die
Wärmeübertrager auf der Erzeugungsseite werden als Rohrbündelübertrager ausgeführt,
wobei der Behälter Dampf und Kondensat enthält und das Fernwärmewasser durch das
Rohrbündel geführt wird.

Wärmeübertrager auf der Kundenseite Bei indirekten Hausanschlüssen in den Haus-


stationen wird die Wärme über Wärmeübertrager auf den Heizkreislauf des Gebäudes
übertragen. Dazu existieren verschiedene Bauweisen (z. B. Rohrbündelwärmeübertrager,
Plattenwärmeübertrager). Beispielsweise sind im Wohnhausbereich Plattenwärmeübertra-
ger sehr verbreitet; darin werden die beiden hydraulischen Kreisläufe im Gegenstromver-
fahren zwischen Metallplatten geführt, sodass die Wärme vom heißeren Medium auf das
kältere Medium übertragen werden kann. Plattenwärmeübertrager werden bis zu 3 MW
thermischer Leistung hergestellt und können auch hintereinander geschaltet werden; sie
dienen auch der Druckabsicherung der gebäudeseitigen Heizkreisläufe.
Im Zuge einer Temperaturabsenkung eines Bestandsnetzes kommt den Wärmeüber-
tragern auf der Kundenseite eine Schlüsselrolle zu, da bei unveränderter Wärmenachfrage
eines Gebäudes für niedrigere Temperaturen auf der Netzseite die Wärmeübertragungsflä-
che vergrößert werden muss, um mit niedrigeren Betriebstemperaturen dieselbe Leistung
zu erhalten; eine Umstellung auf niedrigere Temperaturen betrifft damit nicht nur das Netz
und die Erzeugungsanlagen, sondern auch die Kundenseite.

Kompensatoren Kompensatoren dienen zur Kompensation der Temperaturdehnungen;


d. h. die temperaturbedingte Längenänderung wird durch diese konstruktiven Bauteile
planmäßig ganz oder teilweise zugelassen. Derartige Kompensator-Bauteile werden meis-
tens bei großen Nennweiten und hohen Betriebstemperaturen eingesetzt; sie können bei
Stahlmantelrohren und bei Kunststoffmantelrohren verwendet werden. Der Anschluss an
das Rohr erfolgt geschweißt oder seltener auch geschraubt. Zentrales Element für die Be-
weglichkeit von Kompensatoren ist der Metallbalg [16.25]; er kann sich in alle Richtungen
bewegen und ermöglicht so einen axialen, lateralen und / oder angularen Ausgleich.
1224 I. Weidlich

16.3 Betrieb

Der Betrieb von Wärmenetzen hat einen hohen Anspruch an die zu realisierende Si-
cherheit; u. a. darf die Unversehrtheit von Betriebspersonal und Bevölkerung nicht be-
einträchtigt werden und die sichere sowie unterbrechungsfreie Versorgung der Kunden
muss sichergestellt sein. Deshalb ist eine Planung der Betriebssicherheit erforderlich.
Auch nimmt das Gefährdungspotenzial mit den Betriebstemperaturen ab; daher ist die
Festlegung der Betriebstemperaturen auch in Bezug auf die Gefährdung zu bewerten und
die entsprechenden Sicherheitsvorschriften sind einzuhalten [16.15, 16.16].
Für den Erhalt der Versorgungssicherheit ist die Wärmenachfrage zu decken. Sie ist
saisonal unterschiedlich und sinkt typischerweise im Sommer. Wärmenetze werden daher
meist in einem Sommer- und einem Winterbetrieb gefahren. Die transportierte Wärme-
menge muss daher durch den Betrieb wetterabhängig reguliert werden. Hierfür werden
drei Arten von Fahrweisen unterschieden.

 Temperaturregelung. Es wird eine konstante Wassermenge mit unterschiedlichen Tem-


peraturen verteilt; dies wird auch als gleitende Fahrweise bezeichnet.
 Mengenregelung. Es wird eine konstante Temperatur mit veränderlicher Wassermenge
verteilt; dies wird auch konstante Fahrweise genannt.
 Mischfahrweise. Es wird in einem bestimmten Temperaturbereich die Temperatur ge-
regelt und außerhalb die Temperatur konstant gehalten; dies wird auch als gleitend-
konstante Fahrweise oder gemischte Fahrweise bezeichnet.

Welche Fahrweise gewählt wird, hängt von den Kunden- und den Erzeugungsanlagen
ab. Abb. 16.14 zeigt unterschiedliche Fahrweisen in Abhängigkeit der Außentemperatur.
Da bei konstanter Fahrweise die Wärmeverluste höher als bei der gleitenden Fahrweise
sind, aber bei der gleitenden Fahrweise wiederum höhere Pumpkosten auftreten, wird in
der Regel eine Mischfahrweise gewählt.
Vorlauftemperatur

Abb. 16.14 Betriebsfahrwei-


sen für ein Wärmenetz
Steigende

gleitend

konstant
gleitend konstant
gleitend konstant (alte Fahrweise)
(moderne Fahrweise)

Sinkende Steigende
Außentemperatur Außentemperatur
16 Wärmenetze 1225

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[16.19] OIB Richtlinie 6, Energieeinsparung und Wärmeschutz OIB-330.6-026/19. April 2019, Ös-
terreich
[16.20] EN 13941:2019: Fernwärmerohre – Auslegung und Installation von gedämmten Einzel- und
Doppelrohr-Verbundsystemen für direkt erdverlegte Heißwasser-Fernwärmenetze – Teil 1:
1226 I. Weidlich

Auslegung; Deutsche und Englische Fassung EN 13941-1:2019, Fernwärmerohre – Ausle-


gung und Installation von gedämmten Einzel- und Doppelrohr-Verbundsystemen für direkt
erdverlegte Heißwasser-Fernwärmenetze – Teil 2: Installation; Deutsche und Englische Fas-
sung EN 13941-2:2019
[16.21] EN 13480: Metallische industrielle Rohrleitungen – Teil 1: Allgemeines 2014, Teil 2: Werk-
stoffe 2013, Teil 3: Konstruktion und Berechnung 2012, Teil 4: Fertigung und Verlegung
2012, Teil 5: Prüfung 2012, Teil 6: Zusätzliche Anforderungen an erdgedeckte Rohrlei-
tungen 2012, Teil 7: Anleitung für den Gebrauch des Konformitätsbewertungsverfahrens
2002ff. DIN e.V., Beuth Verlag, Berlin
[16.22] EN 15632:2010: Fernwärmerohre – Werkmäßig gedämmte flexible Rohrsysteme – Teil 1:
Klassifikation, allgemeine Anforderungen und Prüfungen, Teil 2: Verbundsysteme mit Me-
diumrohren aus Kunststoff – Anforderungen und Prüfungen, Teil 3: Nicht-Verbundsysteme
mit Mediumrohren aus Kunststoff – Anforderungen und Prüfungen, Teil 4: Verbundsys-
tem mit Mediumrohren aus Metall – Anforderungen und Prüfungen. Beuth Verlag, Berlin
(2009–2010)
[16.23] EN ISO 1043: Kunststoffe – Kennbuchstaben und Kurzzeichen – Teil 1-4: Basis-Polymere
und ihre besonderen Eigenschaften. Beuth Verlag, Berlin (2012)
[16.24] Fernwärmerohre – Werkmäßig gedämmte flexible Rohrsysteme – Teil 1: Klassifikation, all-
gemeine Anforderungen und Prüfungen, Teil 2: Verbundsysteme mit Mediumrohren aus
Kunststoff – Anforderungen und Prüfungen, Teil 3: Nicht-Verbundsysteme mit Medium-
rohren aus Kunststoff – Anforderungen und Prüfungen, Teil 4: Verbundsystem mit Medi-
umrohren aus Metall – Anforderungen und Prüfungen. Beuth Verlag, Berlin (2009–2010)
[16.25] EN 14917: Kompensatoren mit metallischen Bälgen für Druckanwendungen; Deutsche Fas-
sung EN 14917:2009+A1:2012. Beuth Verlag, Berlin (2012)
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gelwerk. AGFW | Der Energieeffizienzverband für Wärme, Kälte und KWK e.V., Frankfurt
am Main (2011)
[16.28] AGFW FW 420: Teil 1-5 Fernwärmeleitungen aus flexiblen Rohrsystemen. AGFW | Der
Energieeffizienzverband für Wärme, Kälte und KWK e.V., Frankfurt am Main (2011)
[16.29] AGFW Arbeitsblatt FW 510: Anforderungen an das Kreislaufwasser von Industrie- und
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[16.30] AGFW Hinweis FW 428: Hinweise zur Auswahl von Absperrarmaturen für Heizwasser-
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[16.31] AGFW | Der Energieeffizienzverband für Wärme, Kälte und KWK e.V. (Hrsg.): Technisches
Handbuch Fernwärme, 2. Aufl. (2009)
Energieeinheiten

Vorsätze und Vorsatzzeichen


Atto a 1018 Trillionstel
Femto f 1015 Billiardstel
Piko p 1012 Billionstel
Nano n 109 Milliardstel
Mikro µ 106 Millionstel
Milli m 103 Tausendstel
Zenti c 102 Hundertstel
Dezi d 101 Zehntel
Deka da 101 Zehn
Hekto h 102 Hundert
Kilo k 103 Tausend
Mega M 106 Million
Giga G 109 Milliarde
Tera T 1012 Billion
Peta P 1015 Billiarde
Exa E 1018 Trillion

Umrechnungsfaktoren

kJ kWh kg SKE kg RÖE m3 Erdgas


1 Kilojoule (kJ) 0,000278 0,000034 0,000024 0,000032
1 Kilowattstunde (kWh) 3 600 0,123 0,086 0,113
1 kg Steinkohleneinheit (SKE) 29 308 8,14 0,7 0,923
1 kg Rohöleinheit (RÖE) 41 868 11,63 1,486 1,319
1 m3 Erdgas 31 736 8,816 1,083 0,758
Die Zahlenangaben beziehen sich immer auf den (unteren) Heizwert (Hu ).

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 1227
M. Kaltschmitt, W. Streicher, A. Wiese (Hrsg.), Erneuerbare Energien,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-61190-6
Stichwortverzeichnis

A Absorptionskoeffizient, 197, 241


Abdeckmaterial, 242 Absorptionstiefe, 353
Abdeckungstransmissionskoeffizient, 261 Absorptionswärmepumpe, 703, 704
Abfluss, 138, 141 Abstandsfaktor, 524
Abflusscharakteristik, 153 Abstrahlungsverlust, 245
Abflussflächenpotenzial, 672 Abwärmepotenzial, 1208
Abflussgeschehen, 139, 140 Abwärmestrom, 735
Abflusshöhe, 139, 147 Adaptive Verglasung, 215
Abflusskoeffizient, 139 Adsorptionswärmepumpe, 703, 705
Abflusslinienpotenzial, 672 Aerodynamischer Verlust, 537
Abflussmessung, 143 Aerogel, 214
Abflussregime, 139 AGM-Batterie, 418
Abflussvariation, 153 Akkumulator, 419, 1132
Abflussverhalten, 147, 152 Aktionsturbine, 624
Abgekoppeltes Solarsystem, 234 Aktives System, 195
Abhitzekessel, 1045 Aktivierungsschritt, 377
Abluft-Zuluft-Wärmepumpe, 757 Aktivkohle, 1144
Abminderungsfaktor, 222, 465 Aktiv-Stall-Regelung, 491
Abrasion, 623 Akzeptanz
Abreißflattern, 479 Windenergie, 566
Abschaltwindgeschwindigkeit, 492, 539 Akzeptor, 347, 348
Abschattung, 91 Albedo, 81
Abschattungseffekt, 523 Algen, 1086
Abschattungsverlust, 354 Alkalische Elektrolyse, 1145
Abscheidebecken, 843 Alkoholische Gärung, 1094
Abscheidebedingung, 379 Alkylenglykol, 268
Abscheidemethode, 377 Alterung, 420
Absenkung der Erdoberfläche, 896 Alterungsmechanismen, 418
Absorber, 225, 240 Aluminiumbereitstellung, 44
Absorberfläche, 204, 247, 1001 Ammoniak, 1146
Absorberherstellung, 378 Ammoniaksynthese, 1150
Absorbermaterial, 250 Amorphes Silizium, 374
Absorberoberfläche, 225 Anaerober Abbau, 1095
Absorberschicht, 241 Andasol, 1026
Absorption, 74, 93 Anemometer, 121
Absorptionskälteprozess, 703 Angebots- oder Erzeugungspotenzial, 40

1229
1230 Stichwortverzeichnis

Angebotscharakteristik Atmosphärische Gegenstrahlung, 76


Jahresverlauf, 924 Atmosphärische Streuung, 1003
Monatsverlauf, 926 Atmosphärisches Fenster, 73
Tagesverlauf, 926 Atmung, 157
Angebotspotenzial Auf- und Abwinde, 114
Solarthermie, 325 Aufbewegung, 1070
Anhydrit, 777 Aufdachmontage, 253, 407
Anlagenaufstellung, 524 Aufdampfprozess, 377
Anlagenerrichtung Aufgelöste Polare, 474
Offshore, 526 Aufgelöste Triebstrangbauweise, 496
Onshore, 526 Aufständerung, 406, 410
Anlagenkennlinie Aufständerungssystem, 406
Photovoltaik, 355 Aufstau, 665
Windenergie, 538 Auftriebs- und Widerstandsprinzip, 481
Anlaufwindgeschwindigkeit, 539 Auftriebsbeiwert, 472, 475
Anlaufzeitkonstante, 1201 Auftriebskraft, 473
Annex-Anlage, 602 Auftriebsprinzip, 471
Anode, 415 Aufwandszahl, 305
Ansaugdiffusor, 1062 Aufwindkraftwerk, 1056
Anstellwinkel, 407, 475, 477 Ausbaudurchfluss, 595, 626
Anströmwinkel, 471, 477 Ausbauwürdiges Potenzial, 672
anthropogene Treibhauseffekt, 749 Ausdehnungsgefäß, 281
Antitriptischer Wind, 114 Ausfallwahrscheinlichkeit, 530
Antizyklone, 113 Ausfallzeit, 530
Antriebsmoment, 471 Ausgangsspannung, 398
Aperturfläche, 220, 247, 1001 Auskolken, 512
Aphel, 63 Auslegungsdurchfluss, 629
Aquafarming, 1086 Ausleitungskanal, 595
Aquifer, 188, 727 Ausleitungskraftwerk, 595
Aquiferspeicher, 279 Ausleitungsstrecke, 668
Äquivalenter U -Wert, 201 Ausnutzungsgrad, 203
Äquivalenter Wärmedurchgangskoeffizient, Ausrichtung
201 Heliostat, 1031
Arbeitsmittel, 745, 852 Ausschließliche Wirtschaftszone
Arbeitstemperatur, 1014 (AWZ), 570
Argon, 68 Außenleiterspannung, 1160
Array-Felder, 388 Außenleiterstrom, 1161
Artesisches System, 836 Äußerer Photoeffekt, 348
a-Si Axialmaschine, 620
H-Solarzelle, 374 Axialturbine, 628
Aspektverhältnis, 372 Azimutlager, 507
Assimilation, 156, 158 Azimutwinkel, 78
Asthenosphäre, 171
Asynchrongenerator, 501, 648
Äthylenglykol, 268 B
Atmosphäre, 68 Back-Surface-Field, 363
Atmosphärenbewegung, 109 Bandabstand, 341
Atmosphärenrand, 63 Bändermodell, 340
Atmosphärische Abschwächung, 1034 Bandlücke, 341, 358
Stichwortverzeichnis 1231

Bandziehverfahren, 370 Blattwinkel, 491


Batterie, 419 Blauer Engel, 324
Batteriemanagement, 419 Bleibatterie, 416, 417, 1133
Batteriespeicher, 413 Blei-Gel-Batterie, 418
Batteriesystemtechnik, 419 Bleioxid, 417
Bedeckungsgrad, 89 Blindanteil, 1159
Befeuerung, 494 Blindleistung, 500, 1157, 1158
Begleitheizung, 1014 Blindleistungsbedarf, 502
Bemessungsleistung, 594 Blindleistungskompensation, 1179
Bemessungswert, 1159 Blitzschutz, 420
Bereitstellungskette, 1091 Blitzschutzmaßnahme, 494
Bergwinde, 114 Blocken, 1036
Bernoulli-Gleichung, 140, 462 Blockheizkraftwerk, 846
Beschaufelung, 617 Blockierdiode, 387
Bestrahlungsstärke, 353, 432 Blow-Out-Preventer, 819
Betonturm, 508 Boatlanding, 532
Betriebsinduktivität, 1163 Bodentyp, 129
Betriebskapazität, 1163 Bohrabdichtung, 897
Betriebskosten Bohrarbeiten, 777
geoth. Stromerz., 886 Bohrlochausrüstung, 820
geoth. Wärmeerz., 882 Bohrlochmotorpumpe, 838
konv. Wärmesysteme, 54 Bohrlochsohlenantrieb, 823
Kraftwerk, 48 Bohrloch-Wellenpumpe, 837
Photovoltaik, 437 Bohrplatz, 815
Solarthermie, 314 Bohrspülung, 818, 827
Wärmepumpe, 769 Bohrstrang, 820
Wasserkraft, 659 Bohrturbine, 824
Windenergie, 547 Bohrungskopf, 839
Betriebsüberwachungssystem, 534 Bohrwerkzeug, 822
Betriebsverhalten Boltzmann-Konstante, 346, 355
Generator, 502 Bootsschleuse, 608
Wasserkraftanlage, 652 Brandungsenergiekraftwerk, 1072
Betz, 467 Braunkohlekraftwerk, 47
Binäres Stoffgemisch, 856 Brenner, 52
Biochemische Umwandlung, 1094 Brennwerttherme, 52
Biogaserzeugung, 1095 Bruttofallhöhe, 593
Biomasse, 154, 155 Bruttokollektorfläche, 247
Abgrenzung, 1089 Bruttostromerzeugung
Wandlungsmöglichkeit, 1092 Deutschland, 18
Biomasseangebotscharakteristik, 164 EU, 16
Biomasseertragspotenzial, 160 Österreich, 21
Biomasseproduktivität Welt, 13
räumliche, 165 Buchtenkraftwerk, 597
Biotop, 669 Bypassdiode, 387
Bivalente Betriebsweise, 753
Blasenschleier, 564
Blattlager, 488 C
Blattverstellantrieb, 492, 493 C3-Pflanze, 159
Blattverstellung, 480, 488 C4-Pflanze, 159
1232 Stichwortverzeichnis

Cadmium-Tellurid, 376 DC/DC-Wandler, 402


CAES, 1124 Deckungsgrad, 299
Carnot-Leistungszahl, 709 Defektelektron, 345
Carnot-Prozess, 1005 Definition
Carnot-Wirkungsgrad, 859 Biomasse, 1089
Cased Hole Komplettierung, 830 Deposition, 377
Cavity-Receiver, 1052 Desorptionsphase, 705
CFEST Modell, 833 Dezentraler Wechselrichter, 401
Chalkogenid, 376 Dieselgenerator, 426
Chalkopyrit, 376 Diffuser Energiedurchlassgrad, 200
Chemische Bindungsenergie, 1128 Diffuser g-Wert, 200
Chemisorption, 1129 Diffusionslänge, 353
Chloroplaste, 156 Diffusionspotenzial, 353
Clausius-Rankine-Prozess, 853, 1007 Diffusionsstrom, 350
CO2 -Äquivalent Diffusor, 378, 615
geoth. Stromerz., 898 Diffusstrahlung, 76, 100, 365, 412
geoth. Wärmebereitst., 888 Diffusstrahlung auf geneigte, ausgerichtete
ges. geoth. Wärmebereitst., 891 Flächen, 79
Kraftwerk, 49 Diodengleichung von Shockley, 355
Photovoltaik, 440 Direkte Dampfnutzung, 867
Solarthermie, 321 Direkte Energiespeicherung, 1101
Strombereitstellung, 951 Direkte Kopplung
Wärmebereitstellung, 983 Windkraftanlage, 503
Wärmepumpe, 773 Direktgewinnsystem, 228
Wasserkraft, 662 Direktstrahlung, 76
Windenergie, 552 Direktstrahlung auf geneigte, ausgerichtete
CO2 -Assimilation, 159 Flächen, 78
Coanda-Effekt, 612 Direktumrichter, 504
Coefficient of Performance, 712 Direktverdampfung, 719, 1028
Compound Parabolic Concentrator-Kollektor, Direktwärmeübertrager, 864
256, 258 Dish / Stirling-System, 1050
Condition Monitoring System, 535 Diskoeffekt, 487, 557
Corioliskraft, 109, 110 Dissimilation, 157
Coulomb’scher Wirkungsgrad, 419 Distributed Maximum Power Point Tracking,
cp()-Kennlinien, 538 388, 402, 422
CPC-Flachkollektor, 256 Donator, 346, 348
CTM-Verlustfaktor, 389 Doppelmantelboiler, 288
Czochralski-Prozess, 368 Doppelrohrsysteme, 842
Doppelschicht, 1102
Dorfstromversorgungssystem, 428
D Dotierabfluss, 604
Dachflächenpotenzial, 448 Dotierstoff, 347
Dachintegration, 253, 266 Dotierung, 346
Dachmontage, 407 Double Flash-Prozess, 869
Dammbauwerk, 1080 Drain-Back Kollektorsystem, 282
Dämmschicht, 231 Drain-Back-System, 1040
Dampfkraftwerk, 47 Drallverlust, 471
Dampfspeicher, 1018 Drehstrom-Asynchronmotor, 839
Darcy-Gesetz, 803 Drehstromsystem, 1160
Stichwortverzeichnis 1233

Drehzahlregelung, 489 Einspeiserichtlinie, 423


Dreiblattrotor, 484 Eintiefung, 666
Drei-Teilchen-Prozess, 344 Einzelanlagenaufstellung, 522
Drift, 667 Einzugsgebiet, 140
Drossel, 744 Eisabwurfrisiko, 559
Drosselung, 696 Eisenausfällung, 844
Druckenergie, 588, 1123 Eisenverluste, 1171
Druckerhöhungspumpe, 1216 Eisspeicher, 1112
Druckgasspeicher, 1142 Ekliptik, 64
Druckluftenergiespeicher, 1124 Ekman-Schicht, 115
Druckplatten-Anemometer, 121 Elektrische Energie, 1101
Druckrohrleitung, 588 Elektrischer Verlust, 538
Druckspeicher, 270 Elektrisches Feld, 1102
Druckstollen, 599 Elektrochrome Verglasung, 215
Dublette, 809 Elektrodenpotenzial, 415
Düngung, 163 Elektro-Luftwärmepumpe, 766
Dunkelatmung, 157 Elektrolyseur, 1140
Dunkelreaktion, 156 Elektrolyt, 415
Dünnschichtsolarzelle, 378 Elektromagnetische Strahlung, 61, 62
Durchfluss, 653 Elektromagnetische Verträglichkeit, 444
Durchflussmessung, 143 Elektronenleitung, 345
Durchflussregelung, 649 Elektron-Loch-Paar, 345
Durchflusssystem, 811 Elektro-Wärmepumpe mit Erdkollektoren, 764
Durchmischungszone, 1061 Elektro-Wärmepumpe mit Erdsonden, 764
Durchstich, 599 Elevationswinkel, 1036
Durchströmturbine, 642, 643 Emissionsgrad, 245
Durchtrittsüberspannung, 416 Emissionskoeffizient, 197, 241
Durchwurzelbarkeit, 162 Endenergie- oder Nachfragepotenzial, 40
Düsennadel, 639 Endenergiepotenzial, 571
Dynamische Netzstützung, 404 Endenergieträger, 6
Dynamischer Stall, 479 Endenergieverbrauch, 17
Energieangebot, 924, 963
Energieband, 340
E Energiebasis, 6
Ebbstrom, 1080 Energiebegriffe, 4
Eigendrehimpuls, 340 Energiebilanz
Eigenleitung, 345 Absorber, 244
Eigenleitungskonzentration, 346 allgemeine, 242
Eigenstromversorgung, 861 Erde, 59, 60, 71
Ein-Becken-System, 1078 geoth. Stromerz., 898
Eindiffusion, 370 Kollektor, 243
Einkristalle, 368 Strombereitstellung, 949
Einlaufbauwerk, 588 Wärmebereitstellung, 980
Einlaufkanal, 1072 Wärmepumpe, 773
Einpfahlfundament, 512 Wasserkraft, 662
Einsatzbereich Windenergie, 551
Turbinen, 625 Energiedienstleistung, 6
Einspeichersystem, 292 Energiedurchlassgrad, 200
Einspeiseknoten, 1196 Energieeinheit, 1227
1234 Stichwortverzeichnis

Energieertrag, 541 Erdmantel, 170


Energiefluss Erdöl, 13
Aufwindkraftwerk, 1059 Erdreichwärmeübertrager
Dish / Stirling-System, 1055 geschlossenes System, 716
Gebäude, 193 Erdung, 420
Parabolrinnenkraftwerk, 1022 Erdverlegte Leitung, 1215
Photovoltaik, 430 Erdwärme, 169, 686
Solarturm-Kraftwerk, 1048 Erdwärmekollektor, 716
Windenergie, 536 Erdwärmesonde, 720
Energieinhalt, 417 Ericson-Prozess, 1006
Energielücke, 340, 341 Erregung, 500
Energienetz, 1153 Erschließungspotenzial, 43
Energieniveau, 347 Erzeugungspotenzial
Energiepotenzial geoth. Stromerz., 907
Definition, 38 hydroth. Erdwärme, 903
Energiequelle, 23 oberfl. Erdwärme, 784
Definition, 7 Photovoltaik, 447
Systematik, 70 Solarthermie, 325
Energiespeicher, 425, 1097 Strombereitstellung, 955
Energiestrom, 59, 60 Umgebungsluft, 784
Energiesystem, 4 Wärmebereitstellung, 987
Energieträger, 5 Wärmepumpe, 784
Energieträgermix, 14 Wasserkraft, 673
Energieträgerpreis, 45 Windenergie Onshore, 568
Energieverbrauch, 14 erzwungene Konvektion, 801
Energieverlust, 398 Ethanol, 1094
Energieversorgung, 493 Euler’sche Turbinenhauptgleichung, 618
Energievorrat, 6 Europäischer Wirkungsgrad, 405
Energiewandlung, 1098 Exergie, 874
Energiewandlungskette, 5 Extinktion, 74
Photovoltaik, 429 Extinktionskoeffizient, 384
Solaranlage, 297 Exziton, 383
Solarthermische Stromerzeugung, 999
Wasserkraft, 650
Windenergie, 535 F
Enhanced Geothermal Systems, 180, 795 Fahnenposition, 480
Entgasung, 844 Fahnenstellung, 492
Enthalpiedifferenz, 699 Fallhöhe, 653
Enthitzerschaltung, 701, 752 Faradaykonstante, 415
Entladeschutzdiode, 419 Farbstoffzellen, 382
Entladespannung, 416 Faulgase, 666
Entladestrom, 416 Fehlerstrom-(FI)-Schutzschalter, 404
Epitaxie, 350 Felskavernenspeicher, 279
Erdatmosphäre, 67 Fenster I, 73
Erdbeben, 170 Fenster II, 73
Erdentstehung, 65 Fensterintegriertes Verschattungssystem, 223
Erdgas, 13 Fernwärmeleitung
Erdkern, 170 gewelltes Edelstahl-Mediumrohr, 1212
Erdkruste, 170 glattes metallisches Mediumrohr, 1213
Stichwortverzeichnis 1235

polymere Mediumrohre, 1213 Frac, 810


Fernwärmenetz, 846 Francis-Schachtturbine, 634
Ferranti-Effekt, 1168 Francisturbine, 631
Ferrosilizium, 445 Freie Atmosphäre, 114
Feststoffbildung, 844 freie Konvektion, 801
Feststoffspeicher, 276 freie Kühlung, 688
Feuchtkugeltemperatur, 1020 Freihang, 640
Filterrückstand, 896 Freilaufdiode, 387, 388
Filtration, 844 Freileitung, 1162, 1214
Fischleitsystem, 668 Freischalteinrichtungen, 420
Fischtreppe, 596, 604, 610, 668 Freispiegelleitung, 600
Fischunterstand, 669 Freitragender Stahlrohrturm, 507
Flächenbelegung, 893 Fremdwasseranteil, 148
Flächeninanspruchnahme, 563 Frequency-Shift-Verfahren, 404
Flächenpotenzial, 672 Frequenzhaltung, 603
Flächenverbrauch Frequenzumrichter, 505
Photovoltaik, 443 Fresnelprofil, 1004
Windkraftnutzung, 563 Frischwasserkühlung, 851
Flächenversiegelung, 443 Froude-Rankin’sches Theorem, 465
Flachgründung, 509 Fullerene, 383
Flachkollektor, 255 Füllfaktor, 356
Flash-Behälter, 849 Füllgas, 209
Flash-System, 867
Flickern, 517
Fließgeschwindigkeit, 669 G
Fließgewässer, 900 Gallium-Arsenid, 382
Fließgewässerbiotop, 667 Galvanische Zelle, 415, 1132
Fließgewässerorganismus, 668 Gangway Docking-System, 533
Floridastrom, 1085 Gas- und Dampfturbinenprozess, 47
Flügelrad-Anemometer, 121 Gasabsorption, 74, 75
Fluidsystem, 181 Gasentlösungspunkt, 839
Fluktuation, 1015 Gasgebläsebrenner, 52
Flüssiggasspeicher, 1143 Gaskonstante, 415
Flüssigkeitskollektor, 255 Gaslift, 837
Flüssigkeitsspeicher, 270 Gasochrome Verglasung, 215
Flüssigsalz, 1017 Gasphasendeposition, 374, 378
Flusskraftwerk, 595, 596 Gebäudeaußenhülle, 194
Flussschleife, 599 Gegenstromwärmeübertrager, 276
Flusssysteme, 147 Gelenklose Nabe, 488
Flutstrom, 1080 Gemasolar, 1049
Foliengießverfahren, 370 Generationsrate, 352
Förderhöhe, 839 Generator, 593, 648
Formparameter, 135 Generator (Asynchron), 850
Fossil biogene Energieträger, 7 Generatorwelle, 497
Fossil mineralische Energieträger, 7 Generatorwirkungsgrad, 648
Fossile Energieträger, 7 Geodätische Höhe, 586
Fourier-Gleichung, 799 Geomechanischer Einfluss, 896
Fourier’scher Erfahrungssatz, 198 Geostrophischer Wind, 110
Fourier’sches Gesetz der Wärmeleitung, 797 Geothermische Energie, 64, 169
1236 Stichwortverzeichnis

Geothermische Heizzentrale, 861 Gravel Pack Komplettierung, 831


Geothermische Stromerzeugung, 873 Gravimetrische Energiedichte, 416
Geothermischer Gradient, 172 Gravitationsenergie, 65, 169
Geothermisches Heizkraftwerk Grenzschichtdicke, 114
Energiefluss, 874 Grenzwellenlänge, 240
Geothermisches Heizwerk Großwasserkraftwerk, 594
Energiefluss, 873 Grundwassernutzung, 727
Geothermisches System, 178 g-Wert, 200
Geräuschemission
Infraschall, 557
Gerichtetes Bohren, 824 H
Geröllspeicher, 234 Halbhermetischer Verdichter, 741
Gesamtniederschlag, 137 Halbleiter, 341, 343
Geschiebe, 666 Halbleiter-Gleichrichterdiode, 354
Geschiebeabweiseinrichtung, 598 Halbleitermaterial, 360
Geschlossenes Naturumlaufsystem, 285 Halbwertslänge, 119
Geschlossenes Zwangsumlaufsystem, 286 Haltebremse, 506
Geschwindigkeitsenergiehöhe, 586 Harfenabsorber, 251
Geschwindigkeitsverhältnis, 465 Häufigkeitsverteilung Wind, 133, 540
Gesteinsdichte, 802 Hauptnährelement, 162
Gesteinsspeicher, 277 Hauptslopbehälter, 843
Getriebe, 497, 594 Hausanschluss, 847
Gewässerverschmutzung, 665 Hausstation, 1218
Gezeitenkraftwerk, 1078, 1080 Hausübergabestation, 848
Gezeitenströmung, 1081 Heat Collecting Element (HCE), 1011
Gezeitenwelle, 1077 Heatpipe, 258
Gitterturm, 507 Heatpipe Receiver, 1052
Glasfaser-verstärkter Kunststoff, 841 Heizkessel, 52
Glassuperstrat, 380 Heizwerk, 873
Gleichdruckturbine, 624, 639 Heliostat, 1030
Gleichrichter, 504 Heliostatenfeld, 1033
Gleichspannungszwischenkreis, 504 Hellmann-Exponent, 118
Gleichstrom-Kurzkupplung, 1191 Hellmann’sche Höhenformel, 118
Gleichstromschiene, 427 Heterojunction with Intrinsic Thin Layer, 373
Gleichstromzwischenkreis, 1183 Heterostruktur-Solarzelle, 377
Gleichzeitigkeitsgrad, 1179 Heteroübergang, 376
Gleitdruckspeicher, 1019 High-Flow Prinzip, 265
Gleitzahl, 476, 477 Hochdruckkraftwerk, 595
Globalstrahlung, 100 Hochdruck-Laufwasser-Ausleitungskraftwerk,
Definition, 76 599
Jahresgang, 77 Hochdruck-Speicher-Ausleitungskraftwerk,
Strahlungsanteile, 77 600
Globalstrahlung auf geneigte, ausgerichtete Hochdruckzelle, 113
Flächen, 81 Hochspannungs-Drehstrom-Übertragung, 521
Gondel, 505 Hochspannungsebene, 1192
Gradientkraft, 109, 110 Hochspannungsgleichstromübertragung
Gradientwind, 111 (HGÜ), 1189
Grädigkeit, 709 Höchstspannungsebene, 1192
Graupel, 138 Hochtemperatur-Feststoffspeicher, 1109
Stichwortverzeichnis 1237

Hochtemperaturspeicherung, 1108 konv. Wärmesystem, 54


Höhenabhängigkeit, 117 Kraftwerk, 48
Höhentyp, 130 Photovoltaik, 435
Hohlglasrecycling, 445 Solarthermie, 309
Hohlraum-Receiver, 1052 Wärmepumpe, 766
Hörschall, 554 Wasserkraft, 658
Hot spot-Effekt, 387 Windenergie, 545
Hubkolbenverdichter, 742 Ionenimplantation, 350
Hubplattform, 531 Isobare, 111
Hubschrauberabseilplattform, 534 Isolationsfehler, 404
Hybridkühlturm, 852 Isolierverglasung, 209
Hybridsystem, 426 Isotope, 65
Hydraulic-Fracturing, 834
Hydraulikwandler, 1076
hydraulische Durchlässigkeit, 803 J
Hydraulischer Kurzschluss, 893 Jack-up Barge, 527
Hydrodynamische Druckgleichung, 140 Jahresdauerlinie, 845
Hydrokinetische Turbine, 646 Jahresheizzahl, 712
Hydrologisches Regime, 652 Jahresniederschlagsmittel, 137
Hydroschalldämpfer, 565 Jahresspeicher, 154, 608
hydrothermale Geothermie, 795 Jahressummen der Globalstrahlung, 86
Hydrothermale Hochdrucklagerstätte, 180 Jalousie, 220
Hypokausten, 276 Joule-Prozess, 1007

I K
Idealisierter Windkonverter, 462 Kabel, 839, 1166
IGBT-Wechselrichter, 505 Kabelloses Überwachungsverfahren, 843
Indachkollektor, 266 Kabeltrasse, 566
Indirekte Netzkopplung, 504 Kabelverlegschiff, 529
Indirektes Gewinnsystem, 229 Kalina-Prozess, 853, 857, 871
Induktivitätsbelag, 1164 Kaltdampf-Kompressionswärmepumpe, 696
Infiltration, 195 Kältemittel, 778
Infraschall, 556 Kanalbrenner, 1045
Innerer Photoeffekt, 348 Kanalfreies System, 848
Inselbetrieb, 650 Kanalgebundenes System, 848
Inselwechselrichter, 394, 397 Kanalkraftwerk, 598
Instandhaltungsstrategie, 534 Kapazitätsbelag, 1164
Insulated Gate Bipolar Transistor (IGBT), 1182 Kapazitätsfaktor, 541
Integrated Solar Combined Cycle System Kapazitätsverlust, 418
(ISCCS), 1029 Kapillarsystem, 224
Integrierte Serienverschaltung, 379 Kaplanturbine, 627
Integrierte Triebstrangbauweise, 495 Karstwasserleiter, 178
Intercept Faktor, 1023 Kaskadensystem, 839
Interdigitated back contact (IBC) Solarzelle, Kavitation, 623
363 Kegelradturbine, 630
intrinsische Permeabilität, 803 Keilrinne, 1071
Investition Keilrinnenrand, 1071
geoth. Stromerz., 884 Kellystange, 817
1238 Stichwortverzeichnis

Kernenergie, 13, 14 Konvektionsverlust, 243


Kernfusion, 60 konvektiver Wärmetransport, 801
Kiesbankbrüter, 669 Konzentrationsverhältnis, 1001
Kies-Wasser-Speicher, 280 Konzentrator-System, 365
Kinematischer Reaktionsgrad, 622 Konzentratorzelle, 381, 382
Kirchhoff’sche Regel, 95 Kopfspeicher, 154, 597
Klassierung, 844 Kosinusverlust, 1033, 1035
Kleinwasserkraftanlage, 594 Kosinuswirkungsgrad, 1035
Klimagasemissionen, 37 Kraftdrehkopf, 818
Klirrfaktor, 398 Krafthaus, 616
Kluftleiter, 178 Kraft-Wärme-Kopplung, 866
Koaxialbrunnen Kraftwerkskette, 597, 667
Standing Column Wells, 729 Kranschiff, 527
Koaxialwärmeübertrager, 276, 737 Kreiselpumpe, 839
Kofferdamm, 565 Kreisprozess, 854
Kohle, 13, 14 Kristallines Silizium, 360
Kohlebefeuerte Kraftwerke, 47 Kryo-komprimierter Wasserstoff, 1143
Kohlenstoffdioxid, 68, 69 Krypton, 68
Kollektor Kühlung, 498, 1020
Abdeckung, 252 Kunststoffmantelrohr, 1211
Absorber, 249 Kunststoffmediumrohr, 848
Bauteil, 249 Kupfer-Indium-Di-Selenid, 376
Definition, 249 Kupferverluste, 1170
Gehäuse, 252 Kuraymat, 1029
Montage, 266 Kurzschlussrisiko, 384
Sonstige Anwendung, 295 Kurzschlussstrom, 353, 356, 357
Wärmedämmung, 249 Kurzzeitspeicher, 279
Kollektorabsorptionskoeffizient, 261
Kollektorbauart, 250
Kollektorbestandteil, 250 L
Kollektorfelder, 295 Laderegler, 419, 420, 425
Kollektorgleichung, 261 Ladungsträger, 415
Kollektorkosten, 309 Laichwanderung, 667
Kollektorstillstand, 281 Lamellenrohr-Wärmeübertrager, 738
Kollektorverschaltung, 263 Laminare Unterschicht, 115
Kollektorwirkungsgrad, 261 Landschaftsbild, 560
Kombikraftwerk, 1029 Landwinde, 114
Kompensationsanlage, 1179 Langsamläufer, 537, 634
Kompensationswanderungen, 667 Längskompensation, 1180
Komplettierung, 830 Langzeitwärmespeicherung, 293
Kompressibilität, 806 Lärmbelästigung, 555
Kompressionswärmepumpe, 704 Lärmemissionen, 554
Kompressionswelle, 805 Last, 1177
Kondensator, 851, 1020, 1102 Lastabwurfschaltung, 419
Konsumeranwendung, 423 Lastflussberechnung, 1195
Kontaktfinger, 363 Lastknoten, 1196
Kontinuitätsbedingung, 463 Lastmodell, 1178
Kontinuitätsgleichung, 462 Lastregler, 649
Konvektion, 93 Lastschalter, 1175
Stichwortverzeichnis 1239

Latente Wärme, 1110 Leistungszahl, 709


Latentwärmespeicher, 277 Leitapparat, 634
Läufer, 499 Leiteinrichtung, 616
Läuferkreis, 502 Leiter, 341
Läufermagnetfeld, 501 Leiter-Erd-Spannung, 1160
Läuferwicklung, 501 Leitfähigkeit, 341, 343
Laufrad, 621, 642 Leitgitter, 621
Laufradbeschaufelung, 617 Leitungsband, 341, 342
Laufwasserkraftwerk, 595 Leitungssystem, 848
Laufzahl , 623 Leitwertsbelag, 1164
Lebenszyklusanalyse Leonhard Euler, 618
Definition, 33 Leuchtboje, 1073, 1075
geoth. Stromerz., 898 Lichtatmung, 157
geoth. Wärmebereitst., 888 Lichtdurchlässigkeit, 199
ges. geoth. Wärmebereitst., 890 Lichtkompensationspunkt, 158
konv. Wärmesysteme, 56 Lichtreaktion, 156
Kraftwerk, 49 Lichtreflexe, 557
Photovoltaik, 439 Lichtwellenleiter, 223
Solarthermie, 317 Lifttechnologie, 837
Strombereitstellung, 949 Light-trapping, 378
Vergleich, 949, 980 Lilienthal’sche Polare, 474
Wärmebereitstellung, 980 Line Commutated Converter (LCC), 1184
Wärmepumpe, 773 Linienpotenzial, 673
Wasserkraft, 661 Liquid Organic Hydrogen Carrier, 1144
Windenergie, 551 Lithium-Ionen-Akkumulator, 1135
Leckageüberwachung, 842 Lithosphärenplatte, 172
Leckströme, 355 lithosphärischer Mantel, 171
Lecküberwachungsanlage, 842 Löcherleitung, 345
Leerlaufspannung, 353, 356, 357, 386 LOHC, 1144
Leerschuss, 598 Lorentzen-Prozess, 701
Legionellen, 323 Low "-Beschichtungen, 210
Legionellenbildung, 293 Low-Flow Prinzip, 264
Leistung Luftbrunnen, 731
elektrische, 1155, 1158 Luftkammer, 1075
natürliche, 1165 Luftkollektor, 259, 1056
Leistungsbeiwert, 465, 466, 470, 537 Luftmassenstrom, 120
Leistungsbeschränkung, 539 Luftturbine, 1075
Leistungsfaktor, 398 Lüftungsverlust, 203
Leistungshalbleiter, 1181 Luftwiderstandsbeiwert, 469
Leistungskennlinie Luftzirkulationssystem
Dish / Stirling-System, 1055 globales, 111
Parabolrinnen-Kraftwerk, 1024 lokales, 113
Photovoltaik, 431
Solarturm-Kraftwerk, 1047
Windkraftanlage, 538 M
Leistungskonvertierung, 471 Mäanderabsorber, 251
Leistungsplan, 654 Magnetische Energie, 1113
Leistungsregelung, 489, 639 Majoritätsträger, 346
Leistungsschalter, 1174 Mantelrohr, 1210
1240 Stichwortverzeichnis

Mantelrohrsystem, 1210 Mindestwasserabgabe, 669


Manzanares, 1058 Mindestwasserregelung, 669
Maricopa Solar Project, 1054 Mindestwindgeschwindigkeit, 539
Maschennetz, 847, 1193 Mineralöl, 14
Maschinenhaus, 505 Minoritätsträger, 346
Massenanziehung, 67 Mismatch-Verlust, 402
Massenanziehungskraft, 66 Mitteldruckanlage, 634
Massenerhaltung, 462 Mittelspannungsebene, 1192
Massenstrom, 462 Mittelspannungsschaltanlage, 518
Master-Slave-Verfahren, 398 Mittelwertmesser, 121
Materialgebundene Speicherung, 1143 Modellgesetz der Ähnlichkeitstheorie, 621
Materiestrahlung, 61 Modulintegrierter leistungselektronischer
Matrixstruktur, 260 Wandler, 403
Maxau, 153 Modulwechselrichter, 402
Maximum Power Point Tracking, 404 Mohorovičič-Diskontinuität, 170
MPPT, 421 Mojave-Wüste, 1022
Mechanische Energie, 1118 Molassebecken, 188, 903
Mechanischer Verlust, 538 Molybdänrückkontakt, 377
Mediumrohr, 1210, 1211 Momentanleistung, 1158
Meeresschlange, 1076 Momentanwert, 1157
Meeresströmung, 1085 Momentanwertmesser, 121
Meereswärmekraftwerk, 1084 Monatssumme der Globalstrahlung, 87
Mehrfachsolarzelle, 360 Monoenergetische Betriebsweise
Mehrfachverglasung, 210 Wärmepumpenanlage, 754
Mehrjahresspeicher, 608 Monohulls, 533
Mehrpasssystem, 260 Monovalente Betriebsweise
Meißeldirektantrieb, 823 Wärmepumpenanlage, 753
Mesosphäre, 68 Montagearbeit, 527
Messeinrichtung, 280 MOS-Feldeffekttransistor, 395
Messung der Fließgeschwindigkeit, 143 MPP-Spannung, 402
Messung der Tracerkonzentration, 143 MPPT-Algorithmus, 404
Messung wassertechnischer Größen, 142 Multi-String-Wechselrichter, 421
Metallhydridspeicher, 1143
Metallorganisches Gerüst, 1144
Metallschmelze, 1040 N
Metallurgisches Silizium, 367 Nabenhöhe, 508
Methan, 1146 Nachfragepotenziale
Micrositing, 523 geoth. Stromerz., 908
Mie-Streuung, 74, 75 hydroth. Erdwärme, 903
Migrationsbewegung, 667 oberfl. Erdwärme, 787
Mikroklima, 323, 561, 900 Photovoltaik, 451
Mikroraster, 224 Solarthermie, 327
Mikroseismisches Ereignis, 895 Strombereitstellung, 958
Mikroverkapseltes Phasenwechselmaterial, 227 Umgebungsluft, 786
Mikroverkapslung, 278 Wärmebereitstellung, 988
Mindestabfluss, 669 Wärmepumpe, 785
Mindestdurchfluss, 654 Wasserkraft, 675
Mindesteintauchtiefe, 839 Windenergie, 571
Mindestenergiemenge, 341 Nachführfehler, 1002
Stichwortverzeichnis 1241

Nachführung, 410 Niederdruckwasserturbine, 1072


azimutale, 1051 Niederschlag, 137
einachsig, 410 Niederschlagsaufkommen, 140
polare, 1051 Niederschlagsflächenpotenzial, 672
Nachregeln, 492 Niederschlagshöhe, 139, 145
Nadirflut Niederschlagsjahressumme, 145
Flutberg, 66 Niederschlagsmessung, 142
Nahwärmenetz, 846 Niederschlagsmonatssumme, 147
Nanoporöses Titanoxid, 382 Niederschlagsverteilung, 144
Nassjahr, 150 Niederschlagswippe, 143
Nasskühlturm, 851 Niederspannungsebene, 1192
Natrium-Schwefel-Akkumulator, 1137 Niedertemperaturkessel, 52
Naturumlauf, 285 Niederungstyp, 129
Naturumlaufanlagen, 283 Niedrigwasseraufhöhung, 603
n-Dotierung, 348 Nieselregen, 138
Nebenbetriebsanlage, 603 NOx -Emissionen, 953
Neckar, 153 Norddeutsches Becken, 188, 903
Neigungswinkel, 78, 80, 407 Nordostpassate, 113
Nennwert, 1159 Notenergieversorgung, 494
Nennwindgeschwindigkeit, 539 Notverstellsystem, 492, 494
Neon, 68 Nullphasenwinkel, 1157
Nernstgleichung, 415 Nutzenergie, 6
Nettobiomassegewinn, 157 Nutzhorizont, 802
Nettokollektorfläche, 247 Nutzungsgrad, 366
Nettophotosynthese, 157
Netzabwurf, 648
Netzanlaufzeitkonstante, 1201 O
Netzberechnung, 1195 Oberbecken, 602
Netzbetrieb, 650 Oberflächennahe Erdwärme, 184
Netzeinspeisepunkt, 521 oberflächennahe Geothermie, 686
Netzfehler, 404 Oberrheingraben, 188, 879, 903
Netzferne Anwendung, 424 Oberwasserkanal, 598
Netzfreie Anwendung, 423 Oberwasserspiegel, 655
Netzfrequenz, 1178, 1200 ODP-Wert, 778
Netzgekoppelte Anwendung, 420 offener Verdichter, 741
Netzknoten, 1153 Offenes Naturumlaufsystem, 285
Netzkoppelstelle, 518 Offenes Sorptionssystem, 296
Netzkopplung, 421 Offenes System, 713, 859
Netzkurzschlussleistung, 517 Offenes Zwangsumlaufsystem, 286
Netztyp, 1204 Offshore-Standort, 540
Netzunabhängige Anwendung, 423 Offshore-Verkabelung, 520
Netzwechselrichter, 394, 399 ohmsche Überspannung, 416
Netzwerktopologie, 1196 Ökobilanz, 34
Nichtleiter, 342, 805 ökologisches Potenzial, 672
Nickel-Cadmium-Batterie, 414 Olivin, 171
Nickel-Metallhydrid-Akkumulator, 1137 Ölpresse, 1094
Nickelmetallhydrid-Batterien, 414 Opak, 199
Niederdruck-Ausleitungskraftwerk, 598 Open Hole Komplettierung, 830
Niederdruckkraftwerk, 594 ORC-Prozess, 854, 870, 1007, 1063, 1084
1242 Stichwortverzeichnis

Organic-Rankine-Cycle, 854 Phasenwechselmaterial, 227, 278, 1112


Organische Solarzelle, 383 Phosphorglas, 371
Organisches Fluid, 870 Photoeffekt, 348
Orografie, 118 Photostrom, 355
Ossberger-Turbine, 642 Photosynthese, 155
Oszillierende Wassersäule, 1073 Photosyntheseaktivität, 160
OTEC, 1084 Photosyntheseprozess, 157
OWC, 1073 Photosynthetisch fixierte Energie, 154
OWC-Boje, 1074 Photosynthetische Effizienz, 157
OWC-Brandungsenergiekraftwerk, 1075 Photovoltaikmodul, 385
OWC-System, 1073, 1074 Photovoltaiksystem, 425
OWC-Wellenkraftwerk, 1075 Photovoltaischer Effekt, 339, 349
Oxidation, 415, 1132 Physisorption, 1128
Ozon, 68 Phytomasse, 1089
Ozonzerstörungspotenzial, 781 Pile Sleeve, 565
Pinch-Point-Limitierung, 856
pin-Übergang, 375
P Pitch-Regelung, 480, 491
Parabolkonzentrator, 1050 Planck’schen Wirkungsquantum, 348
Paraboloid, 1050 Planetarische Grenzschicht, 114
Parabolprofil, 1004 Planetengetriebe, 498
Parabolrinnen-Kollektor, 1009 Planetengravitation und -bewegung, 66
Parallelwiderstand, 355 Plasmaätzen, 371
Parkwirkungsgrad, 525 Plattenwärmeübertrager, 841
Partikelabsorption, 74, 75 Platzausnutzung, 525
Passate, 113 Pluviometer, 142
Passive Solarenergienutzung, 195 PME, 1094
Passiver Solarenergiegewinn, 204 p-n-Grenzfläche, 350
Passives System, 195 p-n-Übergang, 350
Passivierung, 362 Polare, 476
Pauli-Prinzip, 340 Polpaarzahlumschaltung, 504
PCM, 1112 Polyethylenmantel, 1212
p-Dotierung, 348 Poly-Silizium, 368
Peak-Leistung, 366 Polyurethanschaum, 322
PEDOT, 384 Porenleiter, 178
Pelamis, 1076 Porosität, 803
Peltonturbine, 636 Potenzial
PEM-Elektrolyseur, 1141 geoth. Stromerz., 902
Pendelnabe, 489 hydroth. Erdwärme, 902
Peridotit, 171 passive Sonnenenergienutzung, 236
Perihel, 63 Photovoltaik, 446
PERL-Zelle, 372 Solarthermie, 324
Permeabilität, 804 Strombereitstellung, 954
Perovskit, 385 Wärmebereitstellung, 985
petrothermales System, 795 Windenergie, 568
Peukertgleichung, 416 Potenzialbarriere, 352
Pfeilerkraftwerk, 597 Potenzielle Energie, 1120
Pflanzenbauliche Maßnahme, 162 Power-to-Gas, 1144, 1146, 1148
Phasenwechsel, 277, 1110 Power-to-Liquid, 1144, 1146, 1148
Stichwortverzeichnis 1243

Prandtl-Schicht, 115, 117 Rauigkeit, 116


Prepreg-Verfahren, 486 Rauigkeitsexponent, 118
Primärenergiefaktor, 1205 Rauigkeitslänge, 116
Primärenergiequelle, 70 Raumladungsdichte, 350
Primärenergieträger, 5, 13 Raumladungszone, 350, 352
Primärenergieverbrauch, 14 Raumwärmenachfrage, 329
Deutschland, 16 Rayleigh-Streuung, 74, 75
Österreich, 20 Rayleigh-Verteilung, 134
Welt, 9 Reaktionsturbine, 624
Primärprodukt, 1089 Receiver, 1038
Produktionsstandort, 162 Rechen, 596, 612
Produktivitätssteigerung, 834 Rechteckwechselrichter, 395, 396
Profilanstellwinkel, 473 Redox-Flow-Batterien, 414, 1138
Profilsymmetrie, 475 Reduktionspotenzial, 415
Propellerturbine, 629 Reflektierte Strahlung, 76
Propylenglykol, 268 Reflexionskoeffizient, 159, 197, 241
Propylenglykol-Wasser-Gemisch, 323 Reflexionsstrahlung auf geneigte, ausgerichtete
Protektor, 839 Flächen, 80
Prozesskettenanalyse, 35 Reflexionsverhalten, 443
Prozesswärmenachfrage, 327 Reflexionsverlust, 243, 354, 363
Pseudokapazität, 1102 Regeleinrichtung, 280
PtG, 1144, 1146, 1148 Regelkreis, 395
PtL, 1144, 1146, 1148 Regen, 138
Pulsweitenmodulation (PWM), 1188 Regenerative Energien
Pulsweitenmodulierter Wechselrichter, 396 Definition, 8
Pumpe, 269, 837, 839 Regenerative Energiequelle, 23
Pumpenantrieb, 269 Regenerator, 1053
Pumpenauslegung, 839 Reibungsdruckverlust, 839
Pumpeneinlauf, 839 Reibungsfaktor, 588
Pumpensteigleitung, 839 Reibungsverluste, 471
Pumpenwirkungsgrade, 269 Reinjektion, 843
Pumpspeicherkraftwerk, 602, 1121 Reinjektionswasser, 844
Pyranometer, 82 Rekombinationsprozess, 353
Pyrheliometer, 81 Rekombinationsrate, 352
Pyrolyse, 1093 Rekuperator, 857
Ressourcennutzung, 854, 857
Restwasserabfluss, 599
Q Restwasserkraftwerk, 599
Quasi-Sinus-Wechselrichter, 395 Restwasserstrecke, 599
Quellung, 777 Retention, 139
Querkompensation, 1180 Retrogrades Medium, 853
reversible Wärmepumpe, 753
Rezeptor, 494
R Rezirkulation, 811
R/X-Verhältnis, 1166 Richtbohrtechnik, 826
Radialmaschine, 620 Riementransmission, 648
Radiogene Wärme, 65 Ringanordnung, 519
Radstube, 645 Ringgenerator, 500
Rankine-Prozess, 853, 1084 Ringnetz, 847, 1193
1244 Stichwortverzeichnis

Rissausbreitung, 833 Schalenlaminat, 486


Rockenau, 153 Schallabstrahlung, 780
Rohrbündel-Wärmeübertrager, 737, 1062 Schallcharakteristik, 556
Rohrleitung, 840 Schalldruck, 564
Rohrleitungsnetz, 269 Schallemission, 498, 780
Rohrreceiver, 1052 Schallquelle, 554
Rohrreibung, 588 Schallschutzmantel, 565
Rohrsystem, 1210 Schaltanlage, 1175
Rohrturbine, 629 Schalter, 1174
Rollkolbenverdichter, 742 Schattenwurf, 557
Rotary-Bohrverfahren, 814 Scheibenverschmutzung, 202
Rotationsparabolprofil, 1005 Scheinleistung, 1158
Rotierende Massen, 1200 Scheitelwert, 1157
Rotorblatt, 485 Scherwelle, 805
Rotorblattlagerung, 492, 493 Schichtgas, 844
Rotorblattverwindung, 473 Schiffsschleuse, 608
Rotorblattzahl, 471 Schiffsschraube, 627
Rotorbremse, 499 Schlaggelenknabe, 489
Rotordrehzahl, 484 Schleifring, 500
Rotorkonzept, 484 Schlingenausbau, 598
Rotorleistung, 463 Schluckvermögen, 653
Rotornabe, 488 Schluckzahl, 623
Rotorstern, 526 Schlupf, 501
Rotorsystem, 483 Schmelzelektrolyse, 367
Rotorwelle, 497 Schnellläufer, 537, 634
Ruhespannung, 415 Schnellläufigkeit  , 622
Rührverlust, 640 Schnelllaufzahl, 484, 537
Rumpfkonzept, 533 Schottkykontakt, 382
Rundsteuersignal, 404 Schraubenverdichter, 743
Rundumfeld, 1033 Schutzgassystem, 844
Ruths-Speicher, 1019 Schwächung der Solarstrahlung, 89
Schwächungseffekt, 75
Schwebstoff, 666
S Schwefelsäure, 417
Saisonaler Wärmespeicher, 279 Schweinswal, 564
Salzgehaltsunterschied, 1086 Schwellbetrieb, 598
Salzkaverne, 1124 Schwemmgut, 596
Salzkonzentration, 1060 Schwenkgelenknabe, 489
Salzschmelze, 1014, 1017 Schwerkraftfundament, 510
Salzwasser, 1086 Schwimmende Fundamente, 515
Sammelbecken, 1071 Schwimmkörper, 1076
Sammelschiene, 1175 Schwimmkran, 531
Sandabrasion, 624 Schwingungssystem, 1075
Sandfang, 611 Schwungradspeicher, 1118
Sättigungssperrstrom, 355 Scroll-Verdichter, 742
Saugrohr, 591, 615 Seasonal Performance Factor, 712
Schadstoffanreicherung, 666 Sedimentablagerung, 671
Schadstoffeintrag, 777 Seekabel, 520
Schalenkreuzanemometer, 121, 471 Seekabelverbindung, 518
Stichwortverzeichnis 1245

Seewinde, 114 Sohlmaterial, 666


SEGS-Anlage, 1022 Solar Home System, 428
Seismik, 812 Solar One, 1047
Seitenkanalausbau, 598 Solar Two, 1047
Sekundärbiotop, 669 Solaranlage ohne Umlauf, 284
Sekundäre Wärmeabgabe, 200 Solare Aperturfläche, 199
Sekundärenergieträger, 5 Solare Brauchwarmwasserbereitung, 289
Sekundärkonzentrator, 1012 Solare Freibadbeheizung, 286
Sekundärprodukt, 1090 Solare Nahwärmesystem, 293
Sekundärzelle, 1132 Solarer Deckungsgrad, 247
Selbstkommutierte Wechselrichter, 399 Solarertrag, 267
Selbstüberwachungssystem, 405 Solares Kombisystem, 289
Selektive Schicht, 240 Solargenerator, 385, 425
Selenisierung, 377 Solar-Grade Silizium, 434
Semiconductor-Grade Silizium, 368, 434 Solarkonstante, 62
Semi-passives System, 235 Solarmodul, 385
Sensible Wärme, 1106 Solarstrahlung, 72
Shockley-Queisser-Limit, 359 Solarteich, 1060
Shuntwiderstand, 355 Solarturmkraftwerk, 1029
Sicherungen, 420 Solarwafer, 445
Sichthalbwinkel, 1002 Solarwand, 229
Sichtwinkel, 1002 Solarwandsystem, 230
Siedepunktabstand, 871 Solarzelle, 354, 385
Siemens-Prozess, 368 Solarzellenherstellung, 434
Signifikante Wellenhöhe, 533 Solarzellenwirkungsgrad, 366
Sihwa, 1080 Sollfrequenz, 404
Silikagel, 278 Sondenspeicher, 280
Siliziumdünnschicht, 378 Sonne, 60
Siliziumzellen, 367 Sonnendeklination, 78
Single Flash-Prozess, 868 Sonnenscheinautographen nach
Sinterschritt, 371 Campbell-Stokes, 82
Sinuswechselrichter, 395, 396 Sonnenschutzverglasung, 213
Slinky- oder Künettenkollektor, 718 Sonnenschutzvorrichtung, 222
Slopsystem, 843 Sonnenstand, 88
SMES, 1114 Sonnenwegs-Diagramm, 91, 218
SO2 -Äquivalent Sorptionsenergie, 1128
Definition, 37 Sorptions-Gaswärmepumpe (Luft), 766
geoth. Stromerz., 898 Sorptionsmittel, 705
geoth. Wärmebereitst., 888 Sorptionsreaktor, 705
Kraftwerk, 49 Sorptionsspeicher, 278
Photovoltaik, 440 Spannungsdifferenz, 415
Solarthermie, 321 Spannungsebene, 1191
Strombereitstellung, 952 Spannungsripple, 405
Vergleich, 952, 984 Spannungsschwankung, 504
Wärmebereitstellung, 984 Spannungstrichter, 1199
Wärmepumpe, 773 Spannungsumrichter, 1186
Wasserkraft, 662 Speed-Up, 119
Windenergie, 552 Speicher, 225
Sohlerosion, 666 elektrochemischer, 415
1246 Stichwortverzeichnis

thermischer, 1015 Steinkohlekraftwerk, 47


Speicherbecken, 1072, 1080 Sternschaltung, 1173
Speicherbecken-System, 1071 Steuerung
Speicherkapazität, 277 Windkraftanlage, 518
Speicherkollektor, 259, 283 Stickstoff, 68, 163
Speicherkraftwerk, 595 Stickstoffoxid, 37
Speichermasse, 226 stille Kühlung, 688
Speichermöglichkeit, 1101 Stimulationsmaßnahmen, 833
Speichersee, 154 Stirlingmotor, 1053
Speichersimulation, 832 Stirling-Prozess, 1007
Speichertank, 1107 Stirnradgetriebe, 498
Speichertechnologie, 1101 Störfallpotenzial, 445
Speicherverlust, 248 Störstelle, 361
Speichervolumen, 279 Störstellenleitung, 346
Speisewasservorwärmung, 1025 Straflo-Turbine, 630
Spektrum der Sonnenstrahlung, 75 Strahlennetz, 847, 1193
Sperrdiode, 387 Strahlung
Spezifische Drehzahl, 622 deterministischer Anteil, 90
Spiegelabsenkung, 667 elektromagnetisch, 92
Spiegelreflektivität, 1023 stochastischer Anteil, 90
Spiegelsegment, 1009 Strahlungsangebot, 84
Spillage, 1036 Strahlungseinfallswinkel, 79, 80
Spin, 340 Strahlungsemission, 94
Spitzenlastaggregat, 845 Strahlungsflussdichte, 999
St. Malo, 1080 Strahlungsintensität, 205
Stäbler-Wronski-Effekt, 376 Strahlungskonzentration, 1003
Stagnationsproblematik, 289 Strahlungsleistung, 90
Stagnationstemperatur, 1063 Strahlungsmessung, 81
Stahlmantelrohr, 1211 Strahlungsschwächung, 74
Stahlmediumrohr, 848 Strahlungsspektrum, 75
Stahlrahmenbauweise, 510 Strahlungstransmissionsgrad, 199
Stahlrohrturm, 507 Strahlungsundurchlässigkeit, 240
Stall-Effekt, 475, 480, 490 Strahlungsverteilung, 82
Stall-Regelung, 478, 490 Strangregulierventil, 266
Standardelektrodenpotenzial, 415 Stratosphäre, 68
Standardtestbedingungen, 365 Streuung, 74
Stand-by-Verbrauch, 398 Streuverluste, 1170
Starre Nabe, 488 String-Wechselrichter, 421
Statischer Stall, 479 Stromerzeugungscharakteristik, 940
Stator, 499 Stromerzeugungspotenzial
Staubereich, 597 Photovoltaik, 450
Staudamm, 600 Wasserkraft, 673
Staudruckmesser, 121 Windenergie, 569
Staumauer, 600 Stromgestehungskosten
STC-Bedingungen, 365 geoth. Stromerz., 886
Stefan-Boltzmann’sches Strahlungsgesetz, 245 Kraftwerk, 49
Stefan-Zahl, 699 Photovoltaik, 437
Steigleitung, 839 Wasserkraft, 659
Steilküste, 1075 Windenergie, 548
Stichwortverzeichnis 1247

Stromrichter Tagesgang
leistungselektronischer, 1181 Solarstrahlung, 88
Strom-Spannungs-Kennlinie, 357 Windgeschwindigkeit, 129
Modul, 386 Tageslichtsystem, 229
Stromtransport, 342 Tagesspeicher, 279, 608
Stromumrichter Talsperrenkraftwerk, 595, 600
netzgeführter, 1183 Talwinde, 114
Strömungsabriss, 479, 480, 490, 491 Tandemsolarzelle, 375
Strömungsmaschine, 616 Tangentialkraft, 471, 473
Strömungsumlenkung, 475 Tankmaterial, 271
Strömungsverdichter, 742 TAPCHAN-Anlage, 1072
Strömungswiderstand, 588 Tauchgenerator, 603
Strukturierungsschritt, 380 Taulinie, 853
Stufenzahl, 839 Technische Verfügbarkeit, 530
S-Turbine, 630 Teichkollektor, 1061
Subherzyne Senke, 903 Teilabschattung, 402
Sublimationskondensationsverfahren, 377 Teilbeaufschlagung, 628
Substrat, 379 Teilintegrierte Triebstrangbauweise, 497
Suction-Bucket, 515 Teillast, 643
Süddeutschen Senke, 903 Teilverschattungsfaktor, 220
Süddeutsches Molassebecken, 876, 877 Tellur, 443
Südostpassat, 113 Temperaturdifferenzregelung, 280
Sulfidausfällung, 844 Temperaturgleichgewicht, 177
Sunshape, 1036 Temperaturgradient, 172
Supercap, 1102 Temperaturmessung, 102
Superconducting Magnetic Energy Storage, Temperaturspreizung, 710
1114 Temperaturverteilung, 182
Superstrat, 379 Terrestrische Wärmestromdichte, 173
Superstratstruktur, 377 Theoretisches Potenzial
Superstrattechnologie, 375 geoth. Stromerz., 906
Supraleitung, 1113 hydroth. Erdwärme, 902
Süßwasser, 1086 oberfl. Erdwärme, 783
Swaging, 528 Photovoltaik, 446
SWATH-Schiff, 533 Solarthermie, 324
Sydney-Röhre, 257 Strombereitstellung, 955
Synchrongenerator, 499, 648 Umgebungsluft, 782
Syphonprinzip, 837 Wärmebereitstellung, 985
System mit Absorptionswärmepumpe und Wärmepumpe, 782
Umgebungsluft, 756 Wasserkraft, 673
System mit Elektrowärmepumpe und Erdsonde, Windenergie, 568
756 Theoretisches Stromerzeugungspotenzial
Systemnutzungsgrad Photovoltaik, 446
Solaranlage, 298 Windenergie, 568
Wasserkraft, 651 Thermal Response Test, 723, 806
Systemwirkungsgrad, 430 Thermalfluid, 854
Thermalwasserförderung, 837
Thermalwasserreinjektion, 844
T Thermalwassertransport, 840
TA Lärm, 555 Thermische Anemometer, 121
1248 Stichwortverzeichnis

Thermische Beeinflussung Trombe-Wand, 230


Aquifer, 895 Troposphäre, 67, 68
Thermische Relaxation, 349 Tubingstrang, 862
Thermischer Speicher, 1220 Turbine, 591, 593, 616, 850, 1008
Thermo-chemische Umwandlung, 1092 Turbinenaustrittsverlust, 626
Thermoöl, 1014 Turbinenpumpe, 839
Thermosphäre, 68 Turbinenwirkungsgrad, 591, 592, 626
Thermosyphon-System, 283 Turboverdichter, 743
Thermotrope Verglasung, 216 Turgoturbine, 641
Thüringer Becken, 903 Turmauslegung, 507
Thyristor, 1181 Turmhöhe, 508
Tichelmann-Verschaltung, 266 Turmkopflager, 507
Tidenhub, 1078 Turmmaterial, 507
Tideströmung, 1085 Turmröhre, 1057
Tiefbohranlage, 815 TWD-Material, 213
tiefe Geothermie, 686
Tiefentladung, 419, 420
Tiefenwasser, 1084 U
Tiefgründung, 509 Überdruckturbine, 624
Tiefwasserwelle, 1067 Übergangstyp, 130
Tiroler Wehr, 600, 613 Übergangszone, 1061
Titan, 842 Überhitzung, 853
Topdrive-System, 818 Überkritischer ORC, 856
Total Equivalent Warming Impact Übersetzungsverhältnis, 1169
TEWI, 749 Überspannung, 405
TOUGH Modell, 833 Überspannungsüberwachungsrelais, 420
Transistor, 395 Übertragungsnetz, 1191
Transition Piece, 512 Überwärmung, 276
Transluzent, 199 Umesterung, 1094
Transmissionsfaktor, 75 Umfangsgeschwindigkeit, 472
Transmissionskoeffizient, 197, 241 Umgebungswärme, 685, 689
Transmissionswärmeverlust, 202 Umrichter, 502, 504
Transparente Wärmedämmung, 213, 231 Umspannanlage, 1176
Transpirationskoeffizient, 160 Umspannstation, 518
Trapezwechselrichter, 395 Umwälzpumpe, 266, 281, 1217
Trassenführungssystem, 848 Umweltkenngröße
Trassierung, 847 Definition, 35
Treibhauseffekt, 69, 1056 Unterbecken, 602
Trennpfeiler, 596 Untergrundbeschaffenheit, 510
Trennschalter, 1174 Unterspannungsüberwachungsrelais, 420
Trichlorsilan, 368 Unterwasserkanal, 598
Trinkwarmwassernachfrage, 327 Unterwasserspiegel, 655
Trinkwarmwasserspeicher, 52 Ursprungswärme, 65, 169
Tripelsolarzelle, 375 U -Wert, 201
Tripile-Fundament, 514
Triplette, 809
Trockenfalle, 669 V
Trockenkugeltemperatur, 1020 Vakuumflachkollektor, 257
Trockenkühlturm, 851 Vakuum-Infusionsverfahren, 486
Stichwortverzeichnis 1249

Vakuumröhrenkollektor, 257 Vogelschutz, 561


Valenzband, 341, 342 vollhermetischer Verdichter, 741
Venturi-Rohr, 143 Volllaststunde, 938, 972
Verankerung, 509 Voltage Source Converter (VSC), 1188
Verbindungskanal, 1079 Volumetrische Energiedichte, 416
Verbundrohrsystem, 1212 Volumetrischer Verlust, 591
Verdampferdruck, 854 Vorkette, 44
Verdampfung, 696 Vormontage, 527
Verdichter Vuilleumier-Prozess, 703
Kompressor, 740
Verdichtung, 696
Verdrängerverdichter, 742 W
Verdunstung, 136 Wanderfische, 668
Verdunstungskühlung, 851 Wandungsbruch, 840
Veredelungsprozess, 1092 Wärmebereitstellungscharakteristik, 972
Verfügbarkeit, 936, 971 Wärmebereitstellungssystem, 864
Vergasung, 1092 Wärmedämmmaterial, 270
Vergrämungsmethode, 564 Wärmedämmung, 269
Verkohlung, 1093 Wärmedämmverglasung, 210
Verlandung, 671 Wärmedurchgangskoeffizient, 201, 245
Verlegeverfahren, 848 Wärmeeindringkoeffizient, 202
Verlust Wärmeenergie, 1084
Aufwindkraftwerk, 1059 Wärmeentnahme, 1061
Dish / Stirling-System, 1055 Wärmeentzug
elektrischer, 538 Wärmepumpe, 779
mechanischer, 538 Wärmegestehungskosten
Parabolrinnenkraftwerk, 1022 geoth. Wärmeerz., 882
Photovoltaik, 430 konv. Wärmesystem, 56
Solaranlage, 298 Solarthermie, 315
Solarturm-Kraftwerk, 1048 Wärmepumpe, 771
Wasserkraft, 651 Wärmegewinn, 194
Windenergie, 536 Wärmekapazität, 204, 270
Verlustenergiehöhe, 586 spezifische, 244
Verlustleistung, 1156 Wärmelast, 876
Verrohrung, 829 Wärmeleitung, 93, 194, 198
Versagen Wärmeleitungsverlust, 243
Windkraftanlage, 567 Wärmenetz, 1203
Verschattung, 218 dritte Generation, 1207
Verschattungseinrichtung, 217, 220, 230 erste Generation, 1206
Verschattungsfaktor, 218 vierte Generation, 1208
Versorgungsaufgabe, 973 zweite Generation, 1206
Versorgungskette, 1090 Wärmeproduktionsrate, 174
Verteilnetz, 1191 Wärmepumpe, 689, 736, 845
Verwindung, 487 Wärmerohr (Heat Pipe), 722
Vier-Leiter-Netz, 293 Wärmerohr-Receiver, 1052
Vierleitersystem, 847 Wärmesenkentemperatur, 695
Vierquadrantenbetrieb, 1187 Wärmespeicherfähigkeit, 705
Vliesbatterien, 418 Wärmespeichermedium, 270
Vogelschlag, 562 Wärmespeicherung, 1015
1250 Stichwortverzeichnis

Wärmestrom, 175, 243 Wellenwiderstand, 533, 1165


Wärmeträgermedium, 268, 999, 1014 Wells-Turbine, 1074
Wärmeträgerumlauf, 864 Westwindbereich, 113
Wärmeübertragerpfahl, 726 Wetterfenster, 534
Wärmeverlust, 194, 261, 873 Whoosh Fish Passage System, 611
Wärmeverteilung, 1203 Wh-Wirkungsgrad, 419
Wärmstrahlung, 802 Widerstandsbeiwert, 472
Wasserhaushaltsgleichung, 138 Widerstandsbelag, 1164
Wasserkraft, 647 Widerstandskraft, 469, 471, 473
Wasserkraftanlage Widerstandsprinzip, 469
Anlagenwirkungsgrad, 594 Windangebot, 541
Systematisierung, 594 Windenergieangebot, 109
Systemaufbau, 586 Windenergiekonverter, 461
Wasserkraftschnecke, 644 Windentstehung, 109
Wasserkreislauf, 135, 136 Windgeschwindigkeitsmessung, 120
Wasserqualität, 1062 Windgeschwindigkeitsverteilung, 124
Wasserrad, 616, 645 Windkraftanlage, 461
mittelschlächtiges, 645 Aufstellanordnung, 523
oberschlächtiges, 645 Designkonzept, 494
unterschlächtiges, 645 Einsatzgebiet, 540
Wasserschichtung, 1061 Windleistung, 120, 463
Wasserschloss, 599, 614 Windleistungswandlung, 463
Wasserspeicher, 234, 270 Windpark, 516
Wasserspiegel, 1072 Windparkaufstellung, 522
Wasserspiegelabsenkung, 839 Windparkwirkungsgrad, 525
Wasserstandsmessung, 143 Windprofil, 118
Wasserstoff, 1140, 1146 Windrichtung, 524
Wave-Dragon, 1072 Windrichtungsmessung, 120
Wechselrichter, 393, 504 Windrichtungsnachführung, 506
Wechselstromschiene, 427 Windturbogeneratorsatz, 1057
Wehr, 596 Winglets, 487
Weibull-Verteilung, 134 Winschen, 534
Weiterer Umwelteffekt Wintergarten, 232
Definition, 37 Wintersonnenwende, 64
geoth. Stromerz., 899 Wirkleistung, 1158
geoth. Wärmebereitst., 893 Wirkungsgrad, 27, 707
konv. Wärmesystem, 57 aerodynamischer, 484
Kraftwerk, 50 Kalina-Prozess, 857
Photovoltaik, 441 Kollektor, 246
Solarthermie, 322 ORC-Prozess, 855
Wärmepumpe, 776 Photovoltaiksystem, 431
Wasserkraft, 664 Turbine, 626
Windenergie, 553 Vergleich, 932, 969
Welkepunkt, 160 Wechselrichter, 397
Wellenberg, 1076 Zelle, 431
Wellenenergiekraftwerk, 1072 Wirkungsgradkennlinie
Wellenenergiewandlungssystem, 1072 Kollektor, 261
Wellenperiode, 1068 Wochenspeicher, 608
Wellental, 1076 Wölbung, 475
Stichwortverzeichnis 1251

X Zugänglichkeit, 532
Xenon, 68 Zündwinkel, 1183
Zusatzstromerzeuger, 426
Zustandsorientierte Instandhaltung, 534
Z Zuverlässigkeit, 530
Zementation, 830 Zwangsumlauf, 286
Zenitflut, 66 Zwangsumlaufanlage, 283
Zentralwechselrichter, 401, 421 Zwei-Becken-System, 1079
Zentrifugalkraft, 111 Zweiblattrotor, 485
Zeotropes Stoffgemisch, 856 Zwei-Leiter-Netze, 293
Zerfall radioaktiver Isotope, 65, 169 Zweileitersystem, 847
Zink-Luft-Batterie, 1138 Zweispeicherschaltung, 291
Zink-Phthalozyanin, 383 Zwei-Teilchen-Wechselwirkung, 344
Zonenschmelzverfahren, 368 Zwischenspeicher, 597
Zoomasse, 1089 Zyklone, 113
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