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Energiespeicher – Bedarf, Technologien, Integration

Michael Sterner
Ingo Stadler

Energiespeicher –
Bedarf, Technologien,
Integration
Michael Sterner Ingo Stadler
Fakultät für Elektro- und Informationstechnik Institut für Elektrische Energietechnik (IET)
Ostbayerische Technische Hochschule Regensburg Fachhochschule Köln
(OTH) Köln
Regensburg Deutschland
Deutschland

ISBN 978-3-642-37379-4                 ISBN 978-3-642-37380-0 (eBook)


DOI 10.1007/978-3-642-37380-0

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Springer Heidelberg Dordrecht London New York

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(www.springer.com)
V

Widmung
Wir möchten dieses Buch zwei Personen widmen, die sowohl die Energiewende als
auch die beiden Autoren maßgeblich geprägt haben und leider viel zu früh von uns
gegangen sind:

Hermann Scheer und Jürgen Schmid


Beide haben leidenschaftlich für die Energiewende gelebt und gekämpft, uns mit Ihren
Arbeiten inspiriert und ermutigt. Hermann Scheer erkannte sehr früh die signifikante
Bedeutung der Energiespeicher für die Zukunft unserer Energieversorgung. Seine Idee
einer internationalen Speicherkonferenz tragen wir im wissenschaftlichen Beirat der
International Renewable Energy Storage Conference (IRES) fort. Jürgen Schmid war der
technologische Visionär und skizzierte und gestaltete die Energiezukunft durch seine
Arbeiten auf inspirierende Weise. Er begleitete unseren Weg als Doktorvater.

Wir tragen die Visionen von beiden weiter und formen sie in ein Stück Realität: das Buch
in Ihrer Hand.
VII

Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser,

»Erneuerbare Energien – gut und schön – aber es fehlen die Speicher! Ohne Speicher ma-
chen erneuerbare Energien keinen Sinn!« So oder so ähnlich haben Sie sicherlich die De-
batte um die Energiewende und erneuerbare Energien selbst erlebt. Wir können diesen Satz
nicht mehr hören. Wir haben kein Energiespeicherproblem, wir haben eher die Qual der
Wahl zwischen all den Flexibilitäts- und Speicheroptionen – wie man schon am Umfang
dieses Buches erkennen kann.

Wir möchten Ihnen mit diesem Buch zeigen, dass die Speicher, die wir zur Energiewen-
de brauchen, bereits vorhanden sind. Technologisch ist das Speicherproblem gelöst. Es gibt
ausreichende Kapazitäten in Deutschland, in Europa und weltweit.

Auch ist es falsch, dass die Notwendigkeit Energie zu speichern eine Besonderheit von er-
neuerbaren Energien darstellt. Alle Energieversorgungssysteme in allen Zeiten haben
immer auf Energiespeicherung beruht, lediglich die Perspektive und die verwendeten
Technologien ändern sich. Bis heute baut unsere Energieversorgung fast vollständig auf ge-
speicherter Energie auf. Während wir in dem Energiesystem, welches wir gerade versuchen
hinter uns zu lassen, vornehmlich Primärenergie speichern, speichern wir in einer erneu-
erbaren Energieversorgung eher Strom und Endenergie. Zeit, dies einmal in einem Buch
darzustellen.

In einer Pause während der International Renewable Energy Storage Conference IRES im
Jahr 2011 sprachen wir – Michael Sterner von der Ostbayerischen Technischen Hochschu-
le Regensburg und Ingo Stadler von der Fachhochschule Köln – erstmalig über die Idee,
ein Buch zur Energiespeicherung zu schreiben. Wir beide haben bereits zuvor unabhängig
voneinander über ein solches Vorhaben nachgedacht, da es keine wirklich gute Literatur zu
diesem Thema gibt, geschweige denn ein Buch, das alle Speicherthemen und Technologien
vergleichend zusammenbringt. Aber die Zeit ist knapp und man hat ja immer etwas Wich-
tigeres zu tun. Aber zu zweit zieht man sich gegenseitig und der Weg durch die Kapitel geht
sich leichter.

Die besten Lehrbücher wurden übrigens nie geschrieben. Und sollten sie geschrieben wor-
den sein, wurden sie nicht veröffentlicht, da sie den Qualitäts-, Aktualitäts- und Vollstän-
digkeitsansprüchen der verhinderten Autoren nicht gerecht wurden.

Noch am selben Abend beschlossen wir, DAS aktuelle, allumfassende und hochwertige
Buch zum Thema Energiespeicher zu verfassen. Wir sind davon überzeugt, dass uns mit
diesem vorliegenden ein sehr gutes Buch zum Thema gelungen ist. Mit vielleicht etwas
fehlender Bescheidenheit möchten wir sogar sagen, dass uns derzeit kein besseres hierzu
bekannt ist. Dennoch sind wir noch weit von unserem eigentlichen Anspruch entfernt. Sie
mögen sagen, da fehlt aber noch dieses und jenes, und so manches hätte man noch aus-
führlicher, zumindest aber besser machen können und den einen oder anderen Fehler habe
ich bereits entdeckt. Ja, das geht uns Autoren genauso. Aber damit dies nicht eines der nie
veröffentlichten Bücher wird, haben wir an der Stelle erst mal einen vorläufigen Schluss-
VIII Vorwort

strich gezogen. Manche Redundanz über die Kapitel hinweg ist so gewollt, da die Kapitel
auch als elektronisches Buch einzeln erhältlich sind. Und während Sie dieses Buch gerade
lesen, arbeiten wir bereits an der zweiten Auflage mit zusätzlichen Inhalten, sprachlichen
Verbesserungen und neuen didaktischen Elementen und freuen uns auf Ihre Rückmeldun-
gen und konstruktiven Verbesserungsvorschläge. Für jeden gefundenen Fehler gibt es einen
süßen Finderlohn. Wenn Sie neue innovative Technologien haben, die in diesem Buch noch
nicht aufgeführt sind, schreiben Sie uns ebenfalls. Wir hoffen, dass Sie nach der Lektüre in
Speicherfragen »nicht mehr auf der Leitung stehen« wie manch andere Zeitgenossen, wie
der Karikaturist Gerhard Mester liebevoll am Ende dieses Buches illustriert hat.

Trotz erheblichen zeitlichen Aufwands von uns beiden in den vergangenen zwei Jahren,
wäre das Buch ohne die Mitarbeit zahlreicher Kompetenzträger und einer Vielzahl studenti-
scher Mitarbeiter nicht zustande gekommen. Auf der folgenden Seite wollen wir all denjeni-
gen danken, die wesentlichen Anteil am Gelingen dieses Buches haben. Besonders heraus-
stellen möchten wir an dieser Stelle den Einsatz unserer unermüdlichen Studierenden Franz
Bauer, Fabian Eckert, Jens Fiedler, Tristan Heiden und Martin Thema. Ohne sie wäre das
Buch nicht oder doch wesentlich später zustande gekommen.

Ein herzliches Dankeschön auch an Tatjana Strasser, die das Buch in wohl klingendes
Deutsch versetzt hat und Eva Hestermann-Beyerle und Birgit Kollmar für die hervorragen-
de Betreuung seitens des Springer-Verlages. Unsere Frauen mussten in der letzten Zeit viel
auf Ihre Männer verzichten, unsere Töchter auf Ihre Väter. Während Amalia noch zu jung
ist, um Ihren Unmut verbal Ausdruck zu verleihen, handelt es sich zum Bedauern von Enya
und Kira bei diesem Buch nicht um Pferdegeschichten. Wobei wir nicht unerwähnt lassen
möchten, dass die in 7 Kap.  8 erwähnten chemischen Energiespeicher durchaus aus den
Hinterlassenschaften von Pferden gewonnen werden können.

Ingo Stadler, Michael Sterner


Köln, Regensburg
im Sommer 2014
IX

Danksagung

Unser Dank gilt unseren Koautoren:

Christian Breuer Marcus Budt Dr. Eduardo Cattaneo

RWTH Aachen Fraunhofer UMSICHT Hoppecke Batterien

Fritz Crotogino Tim Drees Norman Gerhardt

KBB Underground Technology RWTH Aachen Fraunhofer IWES

Dr. Andreas Hauer Dr. Hans-Martin Henning Dr. Götz Langer

ZAE Bayern Fraunhofer ISE Hoppecke Batterien

Christian von Ohlshausen Dr. Detlef Ohms Dr. Andreas Palzer

Sunfire GmbH Hoppecke Batterien Fraunhofer ISE

Dr. Bernhard Riegel Dr. Niklas Rotering Tobias Trost

Hoppecke Batterien RWTH Aachen Fraunhofer IWES

Dr. Daniel Wolf

Heliocentris

Ebenso gilt unser Dank den Studierenden der Fachhochschule Köln und der Ostbayerischen
Technischen Hochschule Regensburg:

Franz Bauer Matthias Buchner Eric Dürselen

OTH Regensburg OTH Regensburg FH Köln

Thomas Estermann Fabian Eckert Moritz Falkenstein

OTH Regensburg OTH Regensburg FH Köln

Jens Fiedler Stefan Freundorfer Peter Gurka

FH Köln OTH Regensburg FH Köln

Tristan Heiden Andreas Hofrichter Florian Hüllen

FH Köln OTH Regensburg FH Köln

Benjamin Lehmann Andreas Lösing Leif Henning Möllmann

FH Köln FH Köln FH Köln

Nicole Muggenthaler Lutz von Pidoll Frank Strümpler

OTH Regensburg FH Köln FH Köln

Martin Thema Henning Voss Sebastian Zajac

OTH Regensburg FH Köln FH Köln

… und unseren Kollegen, die Prof. Dr. Robert Leinfelder Dr. Alexander Krajete
Korrektur gelesen haben: OTH Regensburg Krajete GmbH Linz

Wolfgang Köppel Bernd Stürmer


DVGW EBI KIT Karlsruhe ZSW Stuttgart
XI

Inhaltsverzeichnis

I Teil I Bedeutung und Einordnung von Speichern in der


Energieversorgung

1 Energiespeicher im Wandel der Zeit ��������������������������������������������������������������������������������������������   3


1.1 100 % erneuerbare Energie vor der industriellen Revolution�����������������������������������������������������   4
1.2 Fossile Energie im fossilen Zeitalter �����������������������������������������������������������������������������������������������������  14
1.3 Übergang und Rückführung zum Zeitalter der erneuerbaren Energien �������������������������������  18
1.4 Zusammenfassung���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  21
Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  22

2 Definition und Klassifizierung von Energiespeichern �����������������������������������������������������  25


2.1 Definition und Anwendung ���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  26
2.2 Nutzen von Speichern���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  33
2.3 Klassifizierung von Speichern �����������������������������������������������������������������������������������������������������������������  35
2.4 Zusammenfassung���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  44
Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  46

II Teil II Bedarf an Energiespeicherung

3 Speicherbedarf in der Stromversorgung ���������������������������������������������������������������������������������  49


3.1 Speicherbedarf und Überschüsse – Einflussfaktoren und Definitionen���������������������������������  50
3.2 Langfristszenarien des Bundesumweltministeriums���������������������������������������������������������������������  53
3.3 »100 % Strom aus erneuerbaren Quellen« laut Umweltbundesamt ���������������������������������������  66
3.4 VDE-ETG-Studie zum marktbasierten Speicherbedarf �����������������������������������������������������������������  83
3.5 Untersuchungen zum netzbasierten Speicherbedarf�������������������������������������������������������������������  96
3.6 Gegenüberstellung und Einordnung der Ergebnisse ����������������������������������������������������������������� 100
3.7 Zusammenfassung������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 113
Literatur���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 116

4 Speicherbedarf in der Wärmeversorgung ����������������������������������������������������������������������������� 119


4.1 Grundlagen und Ziele������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 120
4.2 Entwicklung des Wärmebedarfs����������������������������������������������������������������������������������������������������������� 120
4.3 Entwicklung des Wärmemix������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 121
4.4 Paradigmenwechsel im Wärmesektor ����������������������������������������������������������������������������������������������� 123
4.5 Speicherbedarf in einem Klimazielszenario für das Energiesystem
Deutschland im Jahr 2050����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 125
4.6 Überschüsse, Speicherbedarf und Speicherpotenziale ������������������������������������������������������������� 128
4.7 Zusammenfassung������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 138
Literatur���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 139

5 Speicherbedarf im Verkehrssektor��������������������������������������������������������������������������������������������� 141
5.1 Grundlagen und Ziele������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 142
5.2 Entwicklung des Mobilitätsbedarfs����������������������������������������������������������������������������������������������������� 143
5.3 Entwicklung der Energie- und Kraftstoffversorgung������������������������������������������������������������������� 144
5.4 Paradigmenwechsel im Verkehrssektor��������������������������������������������������������������������������������������������� 150
XII Inhaltsverzeichnis

5.5 Speicherbedarf��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 153
5.6 Zusammenfassung������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 156
Literatur���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 158

III Teil III Technologien der Energiespeicherung

6 Elektrische Energiespeicher ����������������������������������������������������������������������������������������������������������� 163


6.1 Kondensatoren – Supercaps������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 164
6.2 Supraleitfähige elektromagnetische Energiespeicher ��������������������������������������������������������������� 184
6.3 Zusammenfassung������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 194
Literatur����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 194

7 Elektrochemische Energiespeicher ������������������������������������������������������������������������������������������� 197


7.1 Grundlagen ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 198
7.2 Blei-Säure-Batterien����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 212
7.3 Nickel-Batterien������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 231
7.4 Lithium-Batterien ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 248
7.5 Natrium-Schwefel-Batterien������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 271
7.6 Redox-Flow-Batterien ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 282
Literatur���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 292

8 Chemische Energiespeicher ����������������������������������������������������������������������������������������������������������� 295


8.1 Grundlagen ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 296
8.2 Einspeichertechnologie Wasserelektrolyse ������������������������������������������������������������������������������������� 319
8.3 Einspeichertechnologien Methanisierung und chemische Synthesen��������������������������������� 335
8.4 Speichermedien und Lagerung������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 365
8.5 Ausspeichertechnologien ����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 390
8.6 Das Speichersystem Power-to-Gas ����������������������������������������������������������������������������������������������������� 409
8.7 Das Speichersystem Power-to-Liquid������������������������������������������������������������������������������������������������� 431
8.8 Ocean Fuels als Weiterentwicklung von Power-to-Gas und Power-to-Liquid ������������������� 436
8.9 CO2-minderndes Energiesystem mit Power-to-Gas, Power-to-Liquid
und Ocean Fuels ����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 445
8.10 Zusammenfassung������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 447
Literatur���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 449

9 Mechanische Energiespeicher������������������������������������������������������������������������������������������������������� 455
9.1 Gasförmige Medien ����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 456
9.2 Flüssige Medien������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 479
9.3 Feste Medien������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 505
9.4 Zusammenfassung������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 531
Literatur���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 531

10 Thermische Energiespeicher����������������������������������������������������������������������������������������������������������� 535
10.1 Unterscheidungsmerkmale thermischer Speicher����������������������������������������������������������������������� 536
10.2 Speichertechnologien������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 537
10.3 Thermodynamische Grundlagen ��������������������������������������������������������������������������������������������������������� 538
10.4 Sensible thermische Energiespeicher������������������������������������������������������������������������������������������������� 541
10.5 Latente thermische Energiespeicher ������������������������������������������������������������������������������������������������� 553
XIII
Inhaltsverzeichnis

10.6 Thermochemische Energiespeicher ��������������������������������������������������������������������������������������������������� 565


10.7 Kosten ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 571
Literatur���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 572

11 Lastmanagement als Energiespeicher������������������������������������������������������������������������������������� 575


11.1 Besonderheiten von Demand Response im Vergleich zu anderen
Energiespeichern ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 578
11.2 Demand Response in Haushalten und Querschnitttechnologien������������������������������������������� 579
11.3 Demand Response in der Industrie ����������������������������������������������������������������������������������������������������� 591
11.4 Zusammenfassung������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 594
Literatur���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 594

12 Vergleich der Speichersysteme����������������������������������������������������������������������������������������������������� 597


12.1 Überblick über technische und ökonomische Parameter ��������������������������������������������������������� 599
12.2 Bestimmung der Anwendungsfelder durch Speicherkapazität
und Auspeicherdauer ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 599
12.3 Kosten, Wirkungsgrad und Energiedichte im Vergleich ������������������������������������������������������������� 609
12.4 Entwicklungsstand, Stärken und Schwächen ��������������������������������������������������������������������������������� 612
12.5 Perspektiven für Energiespeicher und gesellschaftliche Akzeptanz��������������������������������������������� 619
12.6 Zusammenfassung������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 622
Literatur���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 623

IV Teil IV Integration und Anwendung von Energiespeichern

13 Speicherintegration in einzelnen Energiesektoren��������������������������������������������������������� 629


13.1 Integration im Stromsektor�������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 630
13.2 Integration im Wärmesektor������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 673
13.3 Integration im Verkehrssektor��������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 689
13.4 Zusammenfassung������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 699
Literatur���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 701

14 Speicherintegration zur Kopplung unterschiedlicher Energiesektoren ����������� 705


14.1 Kopplung von Strom- und Wärmesektor������������������������������������������������������������������������������������������� 706
14.2 Kopplung von Strom- und Verkehrssektor��������������������������������������������������������������������������������������� 720
14.3 Kopplung von Strom- und Gassektor: Power-to-Gas������������������������������������������������������������������� 728
14.4 Zusammenfassung������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 743
Literatur���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 745

Epilog������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 747
XV

Inhaltsverzeichnis

I Teil I Bedeutung und Einordnung von Speichern in der


Energieversorgung

1 Energiespeicher im Wandel der Zeit ��������������������������������������������������������������������������������������������   3


1.1 100 % erneuerbare Energie vor der industriellen Revolution�����������������������������������������������������   4
1.1.1 Photosynthese – Kernprozess der natürlichen Energiespeicherung������������������������������������������������   4
1.1.2 Holz, Torf, Energiepflanzen – Nutzung der gespeicherten Solarenergie����������������������������������������   9
1.2 Fossile Energie im fossilen Zeitalter �����������������������������������������������������������������������������������������������������  14
1.2.1 Entstehung fossiler Energie�������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  14
1.2.2 Nutzung und Emissionen fossiler Energie: Status quo�������������������������������������������������������������������������  16
1.3 Übergang und Rückführung zum Zeitalter der erneuerbaren Energien �������������������������������  18
1.3.1 Klimawandel und Ressourcenknappheit – Treiber der globalen Energiewende�������������������������  18
1.3.2 Das Zeitalter der erneuerbaren Energien als verbleibende Frage der Zeit – Szenarien
zur Wende���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  20
1.4 Zusammenfassung���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  21
Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  22

2 Definition und Klassifizierung von Energiespeichern �����������������������������������������������������  25


2.1 Definition und Anwendung ���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  26
2.2 Nutzen von Speichern���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  33
2.3 Klassifizierung von Speichern �����������������������������������������������������������������������������������������������������������������  35
2.3.1 Physikalisch-energetische Klassifizierung�����������������������������������������������������������������������������������������������  35
2.3.2 Berechnung der wichtigsten Größen �������������������������������������������������������������������������������������������������������  37
2.3.3 Zeitliche Klassifizierung���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  41
2.3.4 Räumliche Klassifizierung�����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  42
2.3.5 Ökonomische Klassifizierung�����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  43
2.4 Zusammenfassung���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  44
Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  46

II Teil II Bedarf an Energiespeicherung

3 Speicherbedarf in der Stromversorgung ���������������������������������������������������������������������������������  49


3.1 Speicherbedarf und Überschüsse – Einflussfaktoren und Definitionen���������������������������������  50
3.1.1 Grundsätzliche Einflüsse auf den Speicherbedarf���������������������������������������������������������������������������������  50
3.1.2 Definition Speicherbedarf ���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  51
3.1.3 Unterscheidung marktbasierter und netzbasierter Stromüberschuss�������������������������������������������  52
3.2 Langfristszenarien des Bundesumweltministeriums���������������������������������������������������������������������  53
3.2.1 Entwicklung des Primär-, End- und Nutzenergiebedarfs �������������������������������������������������������������������  53
3.2.2 Entwicklung des Strommix���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  56
3.2.3 Auswirkung von Mindesterzeugung und Import/Export auf den Speicherbedarf���������������������  59
3.2.4 Auswirkung von Lastmanagement auf den Speicherbedarf�������������������������������������������������������������  61
3.2.5 Speichereinsatz bei erneuerbaren Anteilen von 40 %, 63 % und 85 %�������������������������������������������  63
3.2.6 Zusammenfassung�����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  65
3.3 »100 % Strom aus erneuerbaren Quellen« laut Umweltbundesamt ���������������������������������������  66
XVI Inhaltsverzeichnis

3.3.1 Annahmen zum Stromverbrauch in 2050�����������������������������������������������������������������������������������������������  66


3.3.2 Technisch-ökologische Potenziale von erneuerbaren Energien, Speichern
und Lastmanagement�����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  68
3.3.3 Annahmen und Modellierung des Szenarios für 2050�������������������������������������������������������������������������  72
3.3.4 Ergebnisse zu Speicherbedarf und Versorgungssicherheit���������������������������������������������������������������  74
3.3.5 Zusammenfassung�����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  82
3.4 VDE-ETG-Studie zum marktbasierten Speicherbedarf �����������������������������������������������������������������  83
3.4.1 Methodik�����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  84
3.4.2 Annahmen der Modellbildung und Eingangsdaten�����������������������������������������������������������������������������  86
3.4.3 Szenarien-übergreifende Erkenntnisse�����������������������������������������������������������������������������������������������������  88
3.4.4 Erkenntnisse aus dem 40 %-Szenario �������������������������������������������������������������������������������������������������������  90
3.4.5 Erkenntnisse aus dem 80 %-Szenario �������������������������������������������������������������������������������������������������������  91
3.4.6 Erkenntnisse aus dem 100 %-Szenario�����������������������������������������������������������������������������������������������������  94
3.4.7 Zusammenfassung�����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  95
3.5 Untersuchungen zum netzbasierten Speicherbedarf�������������������������������������������������������������������  96
3.5.1 Methodisches Vorgehen zur Unterscheidung von markt- und
netzbasiertem Speicherbedarf�������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  96
3.5.2 Fallstudie Power-to-Gas in Deutschland im Jahr 2022 bei verzögertem Netzausbau���������������  96
3.5.3 Minimaler Speicherbedarf im europäischen Netzverbund ���������������������������������������������������������������  99
3.5.4 Zusammenfassung�����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  99
3.6 Gegenüberstellung und Einordnung der Ergebnisse ����������������������������������������������������������������� 100
3.6.1 Gegenüberstellung der Ergebnisse der drei Studien������������������������������������������������������������������������� 100
3.6.2 Einordnung der Ergebnisse im Vergleich zu weiteren Studien������������������������������������������������������� 100
3.7 Zusammenfassung������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 113
Literatur���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 116

4 Speicherbedarf in der Wärmeversorgung ����������������������������������������������������������������������������� 119


4.1 Grundlagen und Ziele������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 120
4.2 Entwicklung des Wärmebedarfs����������������������������������������������������������������������������������������������������������� 120
4.3 Entwicklung des Wärmemix������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 121
4.3.1 Fossile Wärmebereitstellung��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 121
4.3.2 Erneuerbare Wärmebereitstellung����������������������������������������������������������������������������������������������������������� 121
4.3.3 Beispiel Raumwärme����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 122
4.4 Paradigmenwechsel im Wärmesektor ����������������������������������������������������������������������������������������������� 123
4.4.1 Beispiel Wandel Erdöl – Erdgas – erneuerbare Energien������������������������������������������������������������������� 123
4.4.2 Strom als Primärenergie ����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 124
4.5 Speicherbedarf in einem Klimazielszenario für das Energiesystem
Deutschland im Jahr 2050����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 125
4.5.1 Szenariorahmen, Modell und Annahmen��������������������������������������������������������������������������������������������� 125
4.5.2 Ergebnisse zum Speichereinsatz im Wärmebereich��������������������������������������������������������������������������� 126
4.6 Überschüsse, Speicherbedarf und Speicherpotenziale ������������������������������������������������������������� 128
4.6.1 Überschüsse im Wärmesektor������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 128
4.6.2 Entwicklung des Speicherbedarfs����������������������������������������������������������������������������������������������������������� 130
4.6.3 Speicherpotenziale��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 132
4.7 Zusammenfassung������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 138
Literatur���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 139
XVII
Inhaltsverzeichnis

5 Speicherbedarf im Verkehrssektor��������������������������������������������������������������������������������������������� 141
5.1 Grundlagen und Ziele������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 142
5.1.1 Ausgangslage und Entwicklung der letzten Jahrzehnte������������������������������������������������������������������� 142
5.1.2 Zielsetzungen im Verkehrssektor������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 142
5.2 Entwicklung des Mobilitätsbedarfs����������������������������������������������������������������������������������������������������� 143
5.2.1 Entwicklung der Bevölkerung������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 143
5.2.2 Entwicklung der Wirtschaftsleistung������������������������������������������������������������������������������������������������������ 144
5.2.3 Bandbreite der Entwicklung des Bedarfs in Personen- und Güterverkehr ��������������������������������� 144
5.3 Entwicklung der Energie- und Kraftstoffversorgung������������������������������������������������������������������� 144
5.3.1 Entwicklung im Personenverkehr������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 144
5.3.2 Entwicklung im Güterverkehr������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 146
5.3.3 Entwicklung des Energiemix im Verkehrssektor ��������������������������������������������������������������������������������� 147
5.4 Paradigmenwechsel im Verkehrssektor��������������������������������������������������������������������������������������������� 150
5.4.1 Elektrifizierung der Mobilität über Batterien und Stromkraftstoffe����������������������������������������������� 150
5.4.2 Integration erneuerbarer Energien als Grundpfeiler der Mobilität ����������������������������������������������� 153
5.5 Speicherbedarf��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 153
5.5.1 Heutiger Speicherbedarf����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 153
5.5.2 Speicherbedarf in einem zu 50 % erneuerbar versorgten Mobilitätssektor������������������������������� 155
5.5.3 Speicherbedarf für Verkehr in der Studie des Fraunhofer ISE��������������������������������������������������������� 156
5.6 Zusammenfassung������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 156
Literatur���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 158

III Teil III Technologien der Energiespeicherung

6 Elektrische Energiespeicher ����������������������������������������������������������������������������������������������������������� 163


6.1 Kondensatoren – Supercaps������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 164
6.1.1 Grundlagen eines Kondensators ������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 164
6.1.2 Vom Kondensator zum Doppelschichtkondensator��������������������������������������������������������������������������� 167
6.1.3 Ladung und Entladung������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 170
6.1.4 Verluste, Wirkungsgrad und weitere Kennwerte��������������������������������������������������������������������������������� 176
6.1.5 Lebensdauer��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 180
6.1.6 Anwendungsgebiete����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 183
6.2 Supraleitfähige elektromagnetische Energiespeicher ��������������������������������������������������������������� 184
6.2.1 Grundlagen der Supraleitung������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 185
6.2.2 Supraleitfähiger elektromagnetischer Energiespeicher ������������������������������������������������������������������� 186
6.3 Zusammenfassung������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 194
Literatur����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 194

7 Elektrochemische Energiespeicher ������������������������������������������������������������������������������������������� 197


7.1 Grundlagen ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 198
7.1.1 Physikalische Grundzusammenhänge��������������������������������������������������������������������������������������������������� 198
7.1.2 Potenzialausbildung an Elektroden��������������������������������������������������������������������������������������������������������� 199
7.1.3 Elektrodengleichgewicht��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 201
7.1.4 Nernst‘sche Gleichung��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 202
7.1.5 Elektrochemische Umsätze an Elektroden ������������������������������������������������������������������������������������������� 203
7.1.6 Elektrochemische Zellen und Zellreaktionen��������������������������������������������������������������������������������������� 203
7.1.7 Elektroden- und Zellpolarisation ������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 205
7.1.8 Nebenreaktionen������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 207
XVIII Inhaltsverzeichnis

7.1.9 Energie- und Wirkungsgradbetrachtungen ����������������������������������������������������������������������������������������� 207


7.1.10 Typen elektrochemischer Energiespeicher und -wandler���������������������������������������������������������������� 208
7.1.11 Elektrolyte������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 209
7.1.12 Bauformen von Zellen��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 209
7.1.13 Kenngrößen von Energiespeichern��������������������������������������������������������������������������������������������������������� 211
7.2 Blei-Säure-Batterien����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 212
7.2.1 Aufbau ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 214
7.2.2 Grundreaktionen, Gleichgewicht, Zellenspannung��������������������������������������������������������������������������� 215
7.2.3 Stoffmengenbilanz, Speicherfähigkeit��������������������������������������������������������������������������������������������������� 217
7.2.4 Entladecharakteristik����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 218
7.2.5 Die Nebenreaktionen����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 220
7.2.6 Laden von Bleibatterien ����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 224
7.2.7 Die verschlossene Bleibatterie ����������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 226
7.2.8 Alterungsmechanismen ����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 229
7.3 Nickel-Batterien������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 231
7.3.1 Nickel Cadmium-Batterien������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 232
7.3.2 Nickel-Metall-Hydrid Batterien����������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 244
7.4 Lithium-Batterien ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 248
7.4.1 Funktionsprinzip, chemische Reaktionen und Aktivmaterialien ��������������������������������������������������� 250
7.4.2 Zellspannung������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 251
7.4.3 Elektrolyt und elektrochemisches Stabilitätsfenster ������������������������������������������������������������������������� 254
7.4.4 Weitere Zellkomponenten������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 257
7.4.5 Leitfähigkeit der Elektrodenmaterialien������������������������������������������������������������������������������������������������� 259
7.4.6 Bauformen und Anwendungsgebiete���������������������������������������������������������������������������������������������������� 261
7.4.7 Betriebsweise und typische Leistungskenndaten������������������������������������������������������������������������������� 266
7.5 Natrium-Schwefel-Batterien������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 271
7.5.1 Die Elektroden����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 272
7.5.2 Der Elektrolyt/Separator����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 272
7.5.3 Das Heizsystem ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 273
7.5.4 Formen und Modulgrößen������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 275
7.5.5 Lade- und Entladevorgang������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 275
7.5.6 Zyklen, Kapazitäten und Lebensdauer��������������������������������������������������������������������������������������������������� 279
7.5.7 Wirkungsgrad, Leistung und Energien��������������������������������������������������������������������������������������������������� 280
7.5.8 Gefahren und Sicherheit����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 281
7.6 Redox-Flow-Batterien ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 282
7.6.1 Aufbau und Funktionsweise der Redox-Flow-Zelle ��������������������������������������������������������������������������� 283
7.6.2 Mögliche Materialpaarungen ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 287
7.6.3 Lade- und Entladestrategien��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 288
7.6.4 Energie-, Leistungsdichte und Wirkungsgrad��������������������������������������������������������������������������������������� 290
7.6.5 Die Redox-Flow-Batterie im Vergleich����������������������������������������������������������������������������������������������������� 290
7.6.6 Lebensdauer und lebensdauerverkürzende Mechanismen������������������������������������������������������������� 291
7.6.7 Anwendungsbereiche von Redox-Flow-Batterien������������������������������������������������������������������������������ 291
7.6.8 Recycling, Umwelt und Sicherheit����������������������������������������������������������������������������������������������������������� 292
Literatur���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 292

8 Chemische Energiespeicher ����������������������������������������������������������������������������������������������������������� 295


8.1 Grundlagen ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 296
8.1.1 Das C-H-O-System als Basis der chemischen Energiespeicherung ����������������������������������������������� 296
XIX
Inhaltsverzeichnis

8.1.2 Wasserstoff als Energieträger�������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 298


8.1.3 Wasserstoffherstellung ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 300
8.1.4 Thermodynamik der Wasserspaltung����������������������������������������������������������������������������������������������������� 308
8.1.5 Elektrolytische Leitfähigkeit����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 312
8.2 Einspeichertechnologie Wasserelektrolyse ������������������������������������������������������������������������������������� 319
8.2.1 Überblick��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 319
8.2.2 Elektrolysezelle – Elektrolysearten����������������������������������������������������������������������������������������������������������� 320
8.2.3 Elektrolyseblock – Stackdesign����������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 325
8.2.4 Elektrolyseur, Elektrolyse-Anlage und ihre Peripherie����������������������������������������������������������������������� 326
8.2.5 Vergleich der einzelnen Elektrolysetechnologien������������������������������������������������������������������������������� 328
8.2.6 Wirkungsgradsteigerung durch Abwärmenutzung��������������������������������������������������������������������������� 328
8.3 Einspeichertechnologien Methanisierung und chemische Synthesen��������������������������������� 335
8.3.1 Überblick und CO2-Quellen����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 335
8.3.2 Chemische Methanisierung����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 338
8.3.3 Biologische Methanisierung ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 346
8.3.4 Methanolsynthese���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 354
8.3.5 Fischer-Tropsch-Synthese��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 358
8.4 Speichermedien und Lagerung������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 365
8.4.1 Gasförmige Speichermedien��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 366
8.4.2 Flüssige Speichermedien ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 379
8.4.3 Feste Speichermedien��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 386
8.5 Ausspeichertechnologien ����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 390
8.5.1 Stromerzeugung durch Kraft-Wärme-Kopplung��������������������������������������������������������������������������������� 390
8.5.2 Wärme- und Kälteversorgung von Gebäuden������������������������������������������������������������������������������������� 400
8.5.3 Mobilität und Verkehr ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 406
8.6 Das Speichersystem Power-to-Gas ����������������������������������������������������������������������������������������������������� 409
8.6.1 Anfänge von Power-to-Gas ����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 409
8.6.2 Power-to-Gas-Wasserstoff��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 412
8.6.3 Power-to-Gas-Methan��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 415
8.6.4 Wirkungsgrade, Potenziale, CO2-Emissionen und Kosten����������������������������������������������������������������� 422
8.6.5 Vor- und Nachteile von Wasserstoff vs. Methan����������������������������������������������������������������������������������� 428
8.7 Das Speichersystem Power-to-Liquid������������������������������������������������������������������������������������������������� 431
8.7.1 Power-to-Liquid zur Gewinnung von Fischer-Tropsch- Flüssigkraftstoffen��������������������������������� 433
8.7.2 Power-to-Liquid zur Gewinnung von Methanol ��������������������������������������������������������������������������������� 433
8.7.3 Wirkungsgrade, Kosten und erste Märkte��������������������������������������������������������������������������������������������� 435
8.8 Ocean Fuels als Weiterentwicklung von Power-to-Gas und Power-to-Liquid ������������������� 436
8.8.1 Rohstoffe und Kraftstoffe vom Meer – eine Frage des Potenzials und der Akzeptanz������������� 436
8.8.2 Option schwimmende Windplattformen����������������������������������������������������������������������������������������������� 439
8.8.3 Option Segelenergie ����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 442
8.9 CO2-minderndes Energiesystem mit Power-to-Gas, Power-to-Liquid
und Ocean Fuels ����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 445
8.10 Zusammenfassung������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 447
Literatur���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 449

9 Mechanische Energiespeicher������������������������������������������������������������������������������������������������������� 455
9.1 Gasförmige Medien ����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 456
9.1.1 Druckluftspeicherkraftwerke��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 456
9.1.2 Erneuerbare, emissionsfreie Druckluftspeicherprozesse ����������������������������������������������������������������� 464
XX Inhaltsverzeichnis

9.1.3 Druckluftspeichervolumen������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 475
9.2 Flüssige Medien������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 479
9.2.1 Pumpspeicherwerke������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 479
9.2.2 Innovative Konzepte zur Speicherung potenzieller Energie in flüssigen Medien��������������������� 484
9.3 Feste Medien������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 505
9.3.1 Schwungradspeicher����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 505
9.3.2 Lageenergiespeicher����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 520
9.4 Zusammenfassung������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 531
Literatur���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 531

10 Thermische Energiespeicher����������������������������������������������������������������������������������������������������������� 535
10.1 Unterscheidungsmerkmale thermischer Speicher����������������������������������������������������������������������� 536
10.2 Speichertechnologien������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 537
10.2.1 Sensible Wärmespeicherung��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 537
10.2.2 Latente Wärmespeicherung����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 537
10.2.3 Thermochemische Wärmespeicherung������������������������������������������������������������������������������������������������� 538
10.3 Thermodynamische Grundlagen ��������������������������������������������������������������������������������������������������������� 538
10.3.1 Thermische Energie ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 538
10.3.2 Wärmeübertragung������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 539
10.3.3 Wärmedämmung ����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 540
10.4 Sensible thermische Energiespeicher������������������������������������������������������������������������������������������������� 541
10.4.1 Speichermaterialien������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 542
10.4.2 Speicher mit festem Speichermedium��������������������������������������������������������������������������������������������������� 544
10.4.3 Speicher mit flüssigem Speichermedium ��������������������������������������������������������������������������������������������� 547
10.4.4 Zusammenfassung��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 553
10.5 Latente thermische Energiespeicher ������������������������������������������������������������������������������������������������� 553
10.5.1 Charakterisierung von Materialien zur Latentwärmespeicherung������������������������������������������������� 556
10.5.2 Materialien zur Latentwärmespeicherung�������������������������������������������������������������������������������������������� 557
10.5.3 Wärmeübertragungskonzepte����������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 561
10.5.4 Zusammenfassung��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 565
10.6 Thermochemische Energiespeicher ��������������������������������������������������������������������������������������������������� 565
10.6.1 Speichermaterialien thermochemischer Prozesse ����������������������������������������������������������������������������� 566
10.6.2 Bauformen������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 569
10.6.3 Zusammenfassung��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 570
10.7 Kosten ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 571
Literatur���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 572

11 Lastmanagement als Energiespeicher������������������������������������������������������������������������������������� 575


11.1 Besonderheiten von Demand Response im Vergleich zu anderen
Energiespeichern ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 578
11.2 Demand Response in Haushalten und Querschnitttechnologien������������������������������������������� 579
11.2.1 Speicherheizungen��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 579
11.2.2 Elektrische Warmwasserbereitung����������������������������������������������������������������������������������������������������������� 581
11.2.3 Elektrische Kälteerzeugung����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 584
11.2.4 Heizungsumwälzpumpen��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 587
11.2.5 Lüftungsanlagen������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 589
11.2.6 Waschmaschinen, Wäschetrockner, Geschirrspülmaschinen���������������������������������������������������������� 590
XXI
Inhaltsverzeichnis

11.3 Demand Response in der Industrie ����������������������������������������������������������������������������������������������������� 591


11.4 Zusammenfassung������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 594
Literatur���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 594

12 Vergleich der Speichersysteme����������������������������������������������������������������������������������������������������� 597


12.1 Überblick über technische und ökonomische Parameter ��������������������������������������������������������� 599
12.2 Bestimmung der Anwendungsfelder durch Speicherkapazität
und Auspeicherdauer ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 599
12.2.1 Elektrische Energiespeicher – Kondensatoren und Spulen������������������������������������������������������������� 605
12.2.2 Elektrochemische Energiespeicher – Batterien����������������������������������������������������������������������������������� 606
12.2.3 Mechanische Energiespeicher – Pumpspeicher, Druckluft und Schwungmassen ������������������� 607
12.2.4 Thermische Energiespeicher – Wärmespeicher����������������������������������������������������������������������������������� 607
12.2.5 Chemische Energiespeicher – Power-to-X��������������������������������������������������������������������������������������������� 608
12.2.6 Lastmanagement ����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 609
12.3 Kosten, Wirkungsgrad und Energiedichte im Vergleich ������������������������������������������������������������� 609
12.4 Entwicklungsstand, Stärken und Schwächen ��������������������������������������������������������������������������������� 612
12.4.1 Technologischer Entwicklungsstand der Energiespeicher��������������������������������������������������������������� 612
12.4.2 Stärken und Schwächen verschiedener Technologien ��������������������������������������������������������������������� 613
12.5 Perspektiven für Energiespeicher und gesellschaftliche Akzeptanz��������������������������������������������� 619
12.6 Zusammenfassung������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 622
Literatur���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 623

IV Teil IV Integration und Anwendung von Energiespeichern

13 Speicherintegration in einzelnen Energiesektoren��������������������������������������������������������� 629


13.1 Integration im Stromsektor�������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 630
13.1.1 Funktion und Nutzen von Speichern im Stromsektor����������������������������������������������������������������������� 630
13.1.2 Pumpspeicherwerke und Speicherkraftwerke������������������������������������������������������������������������������������� 636
13.1.3 Schwungradspeicher����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 645
13.1.4 Batteriekraftwerke und Batteriespeicher����������������������������������������������������������������������������������������������� 649
13.1.5 Inselnetze mit erneuerbaren Energien und Speichern ��������������������������������������������������������������������� 655
13.1.6 Wärmespeicher in solarthermischen Kraftwerken ����������������������������������������������������������������������������� 670
13.2 Integration im Wärmesektor������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 673
13.2.1 Wärmespeicher für Solarthermie������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 673
13.2.2 Latent- und Sorptionsspeicher in Gebäuden und Haushalt������������������������������������������������������������� 680
13.2.3 Holz als chemischer Speicher in Forst und Wald für die Wärmeversorgung������������������������������� 684
13.3 Integration im Verkehrssektor��������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 689
13.3.1 Beimischung von Biokraftstoffen und Nutzung von Pflanzenöl����������������������������������������������������� 689
13.3.2 Integration von Wasserstoff im Verkehr������������������������������������������������������������������������������������������������� 693
13.3.3 Integration von Schwungradspeicher im öffentlichen Nahverkehr����������������������������������������������� 695
13.4 Zusammenfassung������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 699
Literatur���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 701

14 Speicherintegration zur Kopplung unterschiedlicher Energiesektoren ����������� 705


14.1 Kopplung von Strom- und Wärmesektor������������������������������������������������������������������������������������������� 706
14.1.1 Flexibilisierung der Kraft-Wärme-Kopplung über Wärmespeicher und Wärmenetze ������������� 706
14.1.2 Integration von Elektrowärmepumpen über Wärmespeicher und Wärmenetze����������������������� 711
XXII Inhaltsverzeichnis

14.1.3 Integration von Power-to-Heat über Wärmespeicher und Wärmenetze ������������������������������������� 714


14.1.4 Batteriespeicher vs. Lastverschiebung vs. Wärmespeicher – ein Beispiel ����������������������������������� 718
14.2 Kopplung von Strom- und Verkehrssektor��������������������������������������������������������������������������������������� 720
14.2.1 Elektromobilität��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 721
14.2.2 Stromkraftstoffe��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 723
14.3 Kopplung von Strom- und Gassektor: Power-to-Gas������������������������������������������������������������������� 728
14.3.1 Power-to-Gas im Kontext der Energieversorgung ����������������������������������������������������������������������������� 728
14.3.2 Entwicklung von Power-to-Gas in Deutschland und in den Nachbarländern��������������������������� 732
14.4 Zusammenfassung������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 743
Literatur���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 745

Epilog������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 747
1 I

Teil I Bedeutung
und Einordnung von
Speichern in der
Energieversorgung
Kapitel 1 Energiespeicher im Wandel der Zeit – 3

Kapitel 2 Definition und Klassifizierung von


Energiespeichern – 25
3 1

Energiespeicher im Wandel
der Zeit
Übersicht
Seit Anbeginn der Zeit nutzt der Mensch Energiespeicher. Vor etwa 2 Mrd.
Jahren setzte die Photosynthese als erster Speicherprozess ein. Sie speichert
Solarenergie in Form organischer Verbindungen und speist damit sämtliches
Leben auf der Erde. Im Zusammenhang mit der Entdeckung des Feuers vor
ungefähr 1,5 Mio. Jahren wurde dieser »Energiespeicher« in Form von
Feuerholz vom Menschen erschlossen und genutzt. Erst in jüngster
Geschichte, seit der industriellen Revolution, greift der Mensch auf fossile
Energieträger zurück, die eine ältere Form der Biomasse darstellen. Langfristig
gilt es, den Speicherprozess der Biomasse nachhaltig zu nutzen, ihn technisch
nachzubilden und weitere Speichertechnologien zu erschließen.
In diesem Kapitel wird die Geschichte der Energiespeicher mit Blick auf
den Kohlenstoffkreislauf behandelt, angefangen bei dem natürlichen
Speicherprozess der Photosynthese, über die Speicherprodukte Biomasse,
Torf und fossile Energieträger bis hin zu den Speichertechnologien im
Zeitalter der erneuerbaren Energien. Darüber hinaus wird auch die
Bedeutung der Nutzung von Speichern herausgestellt. Der Fokus in diesem
Kapitel liegt auf biogener und fossiler Energiespeicherung. Auf die Geschichte
anderer Speichertechnologien wie Batterien, Pumpspeicher oder
Power-to-Gas wird zu Beginn der jeweiligen Technologiekapitel eingegangen.

M. Sterner, I. Stadler, Energiespeicher – Bedarf, Technologien, Integration,


DOI 10.1007/978-3-642-37380-0_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
4 Kapitel 1 • Energiespeicher im Wandel der Zeit

1.1 100 % erneuerbare Energie vor Bindungsenergie umgewandelt und gespeichert.


1 der industriellen Revolution Als Nebenprodukt entsteht Sauerstoff (O2), wel-
cher für die Atmung der Lebewesen und die Ver-
zz Die Sonne als Motor erneuerbarer Energie brennung der gespeicherten biogenen und fossilen
und Energiespeicherung Energie benötigt wird (s. . Abb. 1.1).
Alle natürliche Energie geht – mit Ausnahme der Der Kernprozess der Photosynthese erfolgt in
Gezeitenkraft und Tiefengeothermie – von der Chloroplasten und vollzieht sich im Wesentlichen
Sonne aus. Vor der industriellen Revolution nutzte in zwei Schritten (s. [5, 8, 21]):
der Mensch Energie ausschließlich aus erneuerba- 1. Erzeugung eines Reduktionspotenzials durch
ren Quellen. Der wichtigste Energieträger war zu die Spaltung von Wasser in Elektronen, Proto-
dieser Zeit die Biomasse, welche letztlich eine ge- nen und Sauerstoff mithilfe von Lichtreaktio-
speicherte Form der Solarenergie ist. Einzelne Nut- nen in Pigmentmolekülen und
zungsformen von Holz als Biomasse gehen sogar 2. Aufnahme, Reduktion und Synthese von
bis in die Steinzeit zurück. Holz wurde vorwiegend CO2 in Zucker und organische Kohlenstoff-
für die Wärmeversorgung zum Kochen und Hei- verbindungen in den Dunkelreaktionen
zen, aber auch als Lichtquelle und für nicht tech- (Calvin-Zyklus).
nische Anwendungen als Schutz gegen wilde Tiere
eingesetzt. Neben Holz wurde seit etwa 2000 Jahren Die Photosynthese wird im Folgenden am Beispiel
auch Torf als Energieträger genutzt. Glukose veranschaulicht.
Die Solarenergie findet seit jeher auch Anwen-
dung in Trocknungsprozessen. Darüber hinaus zz Spaltung von Wasser
wurden andere erneuerbare Energiequellen er- Zunächst wird Wasser, das die Pflanze dem Boden
schlossen: die Nutzung der Windenergie und Was- und der Luft entnimmt, in Wasserstoff und Sauer-
serkraft für mechanische Arbeiten, z. B. zum Zer- stoff gespalten (Gl. 1.1). Diese Lichtreaktionen zur
kleinern, Sieben und Pumpen, oder für den Trans- Wasserspaltung laufen in zwei internen Photosys-
port über die Weltmeere (Segelschiffe). Auch diese temen ab. Im ersten Photosystem wird Energie zur
Energieformen beruhen indirekt auf der Solarener- Spaltung von Wasser und für die CO2- Verarbei-
gie: Sie ist es letztlich, die den Wasserkreislauf an- tung gewonnen. Im zweiten Photosystem wird mit
treibt, unterschiedliche Hoch- und Tiefdruckgebie- Lichtenergie Wasserstoff ionisiert. Es entstehen
te in der Atmosphäre entstehen lässt und dadurch Wasserstoffionen (Protonen) und Elektronen. Das
Windkraft erzeugt. Auch die oberflächennahe Geo- Nebenprodukt ist Sauerstoff, welcher an die At-
thermie ist im Grunde gespeicherte Solarenergie. mosphäre abgegeben wird. Dabei wird die Ener-
Den größten Anteil der Energienutzung vor der in- gie der Photonen durch Absorption – ähnlich der
dustriellen Revolution hatte jedoch die Solarener- Photovoltaik – dazu verwendet, Elektronen bzw.
gie in gespeicherter Form als Biomasse. Pigmentmoleküle (speziell Chromophoren) auf
ein höheres Energieniveau anzuheben. Das von
der Pflanze absorbierte Licht (elektromagnetische
1.1.1 Photosynthese – Kernprozess Strahlungsenergie Eph) treibt im Wesentlichen drei
der natürlichen Schritte an:
Energiespeicherung 1. Übertragung der Elektronen und Protonen auf
den Zwischenträger NADP+,
Alle organische Masse entsteht direkt oder indirekt 2. dessen Reduktion zu NADPH (Elektronenträ-
durch Photosynthese und ist somit »gespeicherte ger) und
Solarenergie«. Bei der oxygenen Photosynthese 3. Bereitstellung des für die Synthese von CO2
wird die elektromagnetische Strahlungsenergie notwendigen ATPs (Energieträger),
der Sonne über Pflanzen und Nutzung von Wasser
(H2O) und Kohlenstoffdioxid (CO2) in chemische 12 H 2 O + Eph → 24 (H ) + 6O2 .
(1.1)
1.1 • 100 % erneuerbare Energie vor der industriellen Revolution
5 1

Solare, H 2O O2
elektromagnetsiche
Strahlungsenergie

Chemische
Bindungsenergie

CO2

Energiespeicherung

. Abb. 1.1  Photosynthese: Der Speicherprozess der Natur für Solarenergie

zz Aufnahme, Reduktion und Synthese von CO2 endlich in Verbrennungsprozessen in Lungen, Mo-
Die Natur hört in ihrem Speicherprozess nicht bei toren oder Turbinen wieder freigesetzt wird. Dabei
in Protonen und Elektronen zerlegtem Wasserstoff gelangt auch das CO2 zurück in die Atmosphäre,
als chemischem Energieträger auf, sondern kom-
biniert diesen in einem zweiten Schritt (Dunkel- 6CO2 + 24 ( H ) → C6 H12 O6 + 6 H 2 O.
(1.2)
reaktionen) mit Kohlendioxid aus der Atmosphäre,
um die solare Energie in fester chemischer Form zz Brutto- und Nettogleichung
zu binden (Gl. 1.2). Im sogenannten Calvin-Zyklus Für die Gesamtreaktion ergibt sich somit:
wird zunächst CO2 aus der Luft in organischen Mo-
lekülen (CO2-Akzeptor RuBP) innerhalb der Chlo-  Bruttogleichung: 6CO + 12 H O + E
2 2 ph
roplasten fixiert. Das Additionsprodukt ist instabil
und zerfällt in zwei Zwischenprodukte, welche → C6 H12 O6 + 6O2 + 6 H 2 O
mithilfe der Elektronen des NADPH zu C3-Zucker (1.3)
reduziert werden. Der verbleibende umgebaute
CO2-Akzeptor wird in der abschließenden Phase  Nettogleichung: 6CO + 6 H O + E
2 2 ph
des Calvin-Zyklus mithilfe des Energieträgers ATP (1.4)
regeneriert. Intern zirkulieren die Elektronen- und → C6 H12 O6 + 6O2 .
Energieträger NADPH und ATP zwischen Licht-
und Dunkelreaktionen und halten dadurch den Je nach Pflanzenart entsteht ein Zucker mit drei
Zyklus aufrecht. oder vier Kohlenstoffatomen, welcher der Energie-
Die gespeicherte Bindungsenergie in Form von lieferant für alle weiteren Prozesse und für die Wei-
Kohlenstoffverbindungen bleibt von der so gewon- terverarbeitung der Kohlenwasserstoffketten ist. So
nenen Biomasse bis hin zu Kraftstoffen und Heizöl werden z. B. in der Glukose 2813 kJ/mol (0,78 kWh/
über alle Wandlungsschritte erhalten, bis sie letzt- mol) gespeichert.
6 Kapitel 1 • Energiespeicher im Wandel der Zeit

Solarenergie
1
Photo-
synthese

Lichtreaktionen Dunkelreaktionen
Laden
Speichern H2O 2 H+ + 2 e– CH2O CO2 O2
Entladen

Verbren-
nung,
Atmung

Energie

. Abb. 1.2  Geschlossener Kreislauf von Photosynthese (Energiespeicherung) und Verbrennung (Energieverbrauch),
nach [3]

Gleichung 1.2 kann weiter vereinfacht werden, in- Redoxprozesse und können mit den Grundlagen
dem durch den Faktor 6 geteilt wird. Daraus kris- der Elektrochemie erklärt werden (s. 7 Abschn. 7.1).
tallisiert sich die Kernreaktion heraus, welche auch
im C-H-O-Diagramm Anwendung findet und den zz Wirkungsgrad
Grundbaustein [CH2O] jeder biogenen und fossi- Der Wirkungsgrad der Photosynthese berechnet
len Energieform offenlegt (s. 7 Abschn. 8.1.1), sich aus dem Verhältnis von chemischer Bindungs-
energie Echem und der jährlichen Globalstrahlung
 HG, welche sich aus direkter, diffuser und reflek-
Kerngleichung: CO2 + H 2 O + Eph
(1.5) tierter Strahlung zusammensetzt und auf die Pflan-
→ [CH 2 O ] + O2 . zenoberfläche auftrifft (Gl. 1.3). Der Wirkungsgrad
kann auch über die jeweiligen Leistungsgrößen
Der Prozess der Photosynthese kehrt in der Natur Pchem und EG ermittelt werden. Die Bilanzgrenzen
genau die Prozesse der Zellatmung um, welche ana- ergeben sich entsprechend,
log zur Energietechnik als Verbrennungsprozess
gesehen werden können. In der Verbrennung wird  Pchem Echem
der Sauerstoff benötigt, der zuvor in der Photosyn- η= = ⋅ (1.6)
these als Nebenprodukt freigesetzt wurde; das CO2
EG HG
zykliert in ähnlicher Weise: Der Kreis schließt sich
(s. . Abb. 1.2). Der photosynthetische Wirkungsgrad ist unter an-
In organischen Lebewesen wird jedoch nicht derem abhängig davon, wie viel Strahlungsenergie
alle gespeicherte Energie auch wieder »veratmet« von der Pflanze absorbiert werden kann und um
oder »verbrannt«, da sonst kein Wachstum statt- welchen Pflanzentyp bzw. um welches Stoffwech-
finden könnte. Beim Menschen ist z. B. ein durch- selsystem es sich handelt.
schnittlicher Verbrauch von ca. 80 kcal/h zu mes- Die solare Globalstrahlung kann absorbiert,
sen, was etwa 100 W Dauerleistung entspricht. Bei- reflektiert oder transmittiert werden. Die Absorp-
de Prozesse – Photosynthese und Atmung – sind tion ergibt sich aus den physikalischen Fähigkeiten
1.1 • 100 % erneuerbare Energie vor der industriellen Revolution
7 1
und Eigenschaften der Pflanze und erfolgt selektiv. Der volumenspezifische kalorische Wert von Glu-
Auch hier ergibt sich wieder eine Parallelität zur kose ist 0,78 kWh/mol. Aus dem Quotienten dieser
Nutzung von selektiven Absorbern in der Solar- Werte ergibt sich ein theoretischer Wirkungsgrad
thermie oder der Photovoltaik. von maximal 33 %. In der Regel werden 10 statt 8
Ein Großteil des solaren Spektrums wird im Photonen benötigt, was die theoretische Effizienz
grünen Bereich reflektiert, was im menschlichen auf 26 % verringert. Wird angenommen, dass nur
Auge zur Empfindung der Farbe Grün führt und 50 % der Photonen aus dem Solarspektrum ver-
uns die meisten Pflanzen als »grün« erscheinen arbeitet werden können, halbiert sich dieser Wert
lässt. Ein weiterer Teil wird transmittiert. Letztend- nochmals auf 13 %.
lich kann bei idealer Ausrichtung der Pflanze zur Ähnlich zu theoretischen Energiedichten bei
Sonne nur ein Anteil von ca. 50 % der Pigmentmo- elektrochemischen Energiespeichern fällt dieser
leküle absorbiert werden. Diese selektiven Absor- Wert in der Praxis deutlich kleiner aus, weil eine
ber werden bei Grünpflanzen als Chromophoren Vielzahl von physikalischen und elektrochemischen
(Farbträger) bezeichnet. Dabei handelt es sich um Effekten zusätzlich zu berücksichtigen ist.
lichtabsorbierende Farbstoffe wie Chlorophyll a/b,
Carotinoide oder Xanthophylle. Sie sind in ihrer In der biologischen Umsetzung kann der theoreti-
Funktion vergleichbar mit der dotierten Schicht sche Wirkungsgrad nicht erreicht werden: Prinzi-
einer Solarzelle und absorbieren rotes und blaues piell addieren sich zu den optischen Verlusten noch
Licht. Ähnlich zum »Band Gap Engineering« der interne Verluste. Durch die Degradierung energie-
Halbleitertechnik werden kürzere, energieinten- reicher Photonen des blauen Spektrums auf das
sivere Wellenlängen auf rotes Licht »reduziert« wandelbare Niveau im roten Spektrum entstehen
(Eph ≤ 1,94 eV), und die überschüssige Energie ent- große Abwärmeverluste. Zudem benötigt die Pflan-
weicht als Abwärme. ze Energie für die Aufrechterhaltung des eigenen
Lebens. Welche Energieverluste an welcher Stelle
Beispiel genau auftreten, ist in der Literatur nicht eindeutig
Theoretischer Wirkungsgrad auf molekularer beschrieben (s. [1, 3, 11, 17, 21]). Unterschiede zeigen
­Ebene als Rechenbeispiel sich vor allem bei den Annahmen zur Reflektion,
Zur Fixierung und Umwandlung von CO2 wird Absorption und den Verlusten in photochemischen,
pro Molekül die Ionisierungsenergie von mindes- biochemischen und physiologischen Prozessen. Fest
tens acht »roten« Photonen benötigt (s. [3, 11]). Bei steht allein der maximal erreichbare Wirkungsgrad
einer angenommenen Wellenlänge im mittleren von ca. 5 % Solarenergie, welche die Pflanze brutto in
roten Spektrum von 680 nm hat ein Photon (Strah- chemischer Form einspeichern kann (s. . Abb. 1.3).
lungsquant) mit dem Planck‘schen Wirkungsquan- Der Wert dieser Bruttoprimärproduktion liegt
tum h von 6,626 × 10-34  Js und der Vakuum-Licht- je nach Pflanzenart bei 1–5 %. Davon abzuziehen
geschwindigkeit c0 von 2,998 × 108 m/s eine Energie ist der Eigenverbrauch der Pflanze in der Atmung
von von etwa 50 %, woraus sich die Nettoprimärpro-
duktion ergibt. Das bedeutet, dass schlussendlich
 c0 nur 0,5–2,5 % der eingestrahlten Energie in chemi-
E ph = h ⋅ f = h ⋅ sche Bindungsenergie umgesetzt werden kann. Im
λ (1.7)
Meer wirkt der Mineralstoffgehalt begrenzend auf
= 2,92 ⋅10 −19 J = 1,82 eV .
die Photosynthese: Bei Algen beträgt der Gesamt-
wirkungsgrad ohne technische Hilfsaggregate so-
Multipliziert mit der Avogadro-Konstante NA von gar nur 0,1 % (s. [24]).
6,022 · 1023/mol ergibt sich eine molare Energiedich- Trotz der Optimierung dieses Speicherprozes-
te von 176 kJ/mol (0,05 kWh/mol). Im Beispiel Glu- ses durch die Natur über Jahrtausende ist dieser
kose werden 6 Kohlenstoffe gebunden, also min- Wirkungsgrad sehr klein und seine technische
destens 6 · 8 = 48 Photonen benötigt und damit ein Nachbildung (Photobiologie, Power-to-Gas, Po-
Minimum an Photonenenergie von 2,4  kWh/mol. wer-to-Liquid) lohnenswert.
8 Kapitel 1 • Energiespeicher im Wandel der Zeit

Solare Einstrahlung zz CO2 Fixierung abhängig von Pflanzentyp C3


1 (Globalstrahlung)
100 % oder C4
Durch Züchtung oder höhere Nährstoff- und CO2-
Zufuhr kann die Produktivität der Pflanze erhöht
und damit der Wirkungsgrad der Energiespeiche-
rung erhöht werden. In der CO2-Fixierung wird
Optische Verluste durch anhand der Bindung von Kohlenstoffen im ersten
50 % Reflexion und Transmission Schritt des Calvin-Zyklus zwischen C3- und C4-
Pflanzen unterschieden:
Verluste durch Ausrichtung,
Neigung und Form der C3-Pflanzen – B
 indung von drei Kohlenstoffatomen
20 % Absorberflächen Beispiele: boreale Gräser, Reis, Weizen
Verluste der C4-Pflanzen – Bindung von vier Kohlenstoffatomen
Lichtreaktionen Beispiele: tropische Gräser, Mais,
(1. Schritt der Photosynthese)
10 % Zuckerrohr

Verluste der
Dunkelreaktionen C3-Pflanzen schließen an heißen Tagen ihre Re-
5% (2. Schritt der Photosynthese) zeptoren, um einer Verdunstung vorzubeugen. Die
Pflanze wird inaktiv in der Energiespeicherung.
Eigenverbrauch der Als Nebeneffekt findet Atmung unter Energiever-
2,5 % Pflanze (Atmung)
brauch, die sogenannte Lichtatmung, statt. C4-
2,5 % max. Wirkungsgrad, Pflanzen sind eine evolutionäre Weiterentwicklung
Bandbreite: 0,1–2,5 % der C3-Pflanzen. Sie können durch ihren mikro-
biologischen Aufbau mit einer minimalen Lichtat-
. Abb. 1.3  Sankey-Diagramm des maximalen Wirkungs-
grads der Photosynthese – ein Beispiel nach [21]
mung auskommen und bei höheren Temperaturen
und geringeren CO2-Konzentrationen arbeiten.
Dabei binden sie in kürzerer Zeit mehr Biomasse
Beispiel als ihre Vorgänger; ihre Effizienz ist höher.
Realer Wirkungsgrad der Photosynthese auf glo- Der Anstieg der CO2-Emissionen durch die
baler Ebene Nutzung fossiler Energie begünstigt das Pflan-
Verglichen mit den realen Zahlen an globaler zenwachstum bis zu einem gewissen Maß.
Einstrahlung mit einem spezifischen Mittelwert EG . Abbildung 1.4 verdeutlicht den Unterschied zwi-
= 167 W/m2 auf der globalen terrestrischen Fläche A schen den beiden Pflanzenarten: Während sich das
von 150 × 1012 m2, wovon 100 × 1012 m2 mit Vegetation Wachstum von C3-Pflanzen mit steigender CO2-
bedeckt sind, und einer Nettoprimärproduktion Konzentration bis zur Sättigung bei etwa 1000 ppm
NPP von 2200 EJ/a (s. [2]) ergibt sich ein Wirkungs- erhöht, ist der Einfluss auf C4-Pflanzen kaum vor-
grad von handen. C3-Pflanzen können bei höheren CO2-
Konzentrationen in trockenen Gebieten mehr Was-
E
(1.8) NPP ser aufnehmen und den Ertrag um etwa 10–20 %
η = chem =
HG EG ⋅ A ·t steigern. Ob sich die CO2-Düngung der Atmo-
2200 ⋅ 1018 (Ws/a) m 2 sphäre durch fossile Energie dauerhaft in höheren
= = 0,42% ⋅
h s Erträgen widerspiegelt, ist bislang noch ungeklärt,
167W ⋅ 100 ⋅ 1012 m 2 ⋅8760 ⋅ 3600
a h da weitere Effekte der Erderwärmung und Schad-
stoffemissionen auf die komplexen Ökosysteme
Dieser Wert liegt um Faktor 6 unter dem idealen einwirken, die in den Betrachtungen bisher weit-
Wirkungsgrad von ca. 2,5 %. gehend unberücksichtigt bleiben oder nur schwer
kalkulierbar sind.
1.1 • 100 % erneuerbare Energie vor der industriellen Revolution
9 1
CO2-Aufnahme in
µmol m–2 s–1
400 ppm

80
C3-Pflanze

60

C4-Pflanze
40

20

1
0 CO2-Konzentration
200 400 600 800 1000 in ppm

. Abb. 1.4  Abhängigkeit der Photosynthese von der CO2-Konzentration in unterschiedlichen Pflanzentypen. In Punkt 1
nimmt die Pflanze in der Energiespeicherung so viel CO2 auf, wie sie in der Energienutzung (Atmung) wieder verbraucht.
CO2-Konzentration heute (ca. 400 ppm)

zz Photosynthese als Energiespeicherung ist grunde gehen. Auf der Grundlage dieser Erkenntnis
Grundlage allen Lebens wird auch das Aussterben der Dinosaurier und das
Die Photosynthese ist der größte in der Natur ab- Ende der Kreidezeit vor 65 Mio. Jahre begründet.
laufende Energiespeicherprozess, von dem direkt Damals schlug ein Asteroid in Mexiko ein, infol-
oder indirekt die Ernährung der gesamten belebten gedessen der aufgewirbelte Staub die Atmosphäre
Welt abhängt. Die ersten Zelllebewesen auf unse- trübte und die Photosynthese stark hemmte (s. [5]).
rem Planeten waren Organismen aus der Domä- Einige der ersten Lebewesen der Archaea-Stäm-
ne Archaea, die in einer Atmosphäre ohne Sauer- me konnten aus CO2 und H2 Methangas herstellen,
stoff lebten und vor etwa 3,5 Mrd. Jahren entstan- eine Eigenschaft, die auch in der Energiespeiche-
den. Sie hatten noch nicht die Eigenschaften der rung von Wind- und Solarstrom über Power-to-
Photosynthese, aber bereits die Komponenten für Gas angewandt wird (s. 7 Abschn. 8.3).
Elektronentransport und Zellatmung. Aus diesen
Komponenten entwickelten sich etwas später die
anoxygene Photosynthese und vor ungefähr 2 Mrd. 1.1.2 Holz, Torf, Energiepflanzen –
Jahren mit der Bildung der Sauerstoffatmosphäre Nutzung der gespeicherten
die oxygene Photosynthese. In der biologischen Solarenergie
Evolution folgten 1,5 Mrd. Jahre danach die ersten
makroskopischen Lebewesen bis hin zu Dinosau- Der Eintrag von Solarenergie über Pflanzen ist im-
riern vor etwa 235 Mio. Jahren und Menschen vor mens. Abzüglich des Eigenverbrauchs der Pflanzen
etwa 200.000 Jahren (s. [5, 8]). für ihre Atmung ergibt sich auf Land eine globale
Ein Versagen der natürlichen Photosynthese Nettoprimärproduktion von etwa 60  Gt Kohlen-
führt zur Auslöschung des uns bekannten Lebens. stoff pro Jahr ± 10 %, wovon ca. 60 % oberirdisch
Innerhalb von 25 Jahren nach Ende der Photosyn- und 40 % unterirdisch in den Boden in Form von
these würden alle Formen des höheren Lebens zu- z. B. Wurzeln eingetragen werden (s. . Abb. 1.5).
10 Kapitel 1 • Energiespeicher im Wandel der Zeit

NPP0
in gC/m2/yr
0
0 – 100
100 – 200
200 – 400
400 – 600
600 – 800
800 – 1000
1000 – 1200
1200 – 1500

. Abb. 1.5  Globale terrestrische Nettoprimärproduktion (NPP) im Jahr 2000 bezogen auf die Fläche. Weltweit werden ca.
70 % der verfügbaren Wiesen, 50 % der Savannen, 45 % der borealen Wälder und 27 % der tropischen Wälder vom Menschen
genutzt bzw. wurden abgeholzt [2, 14]. 100 g C m−2 a−1 entspricht der Bindung von 1 t C ha−1 a−1 oder 3,7 t CO2 ha−1 a−1 [14]

Damit stehen etwa 1300 EJ ± 10 % gespeicherte zz Holz – nachhaltige Nutzung


Energie in Form von Biomasse (34 Gt C a−1 ± 10 %) Biomasse in Form von Lignozellulose (Holz) war
zur Verfügung, und zwar bei einer Annahme eines von der Steinzeit bis zum Beginn der industriel-
Bruttobrennwerts von 37 GJ/t (s. . Tab. 1.1). Schät- len Revolution im 18. Jahrhundert der am stärksten
zungen gehen davon aus, dass maximal die Hälfte genutzte Primärenergieträger. Zwischen 1700 und
nachhaltig geerntet werden kann (s. [2]). Vor der 1850 wurden noch etwa 180 Mio. Hektar temperate
Nutzung als Bioenergie ist der Bedarf für Nahrung, Wälder in unseren Breitengraden für energetische
Futter und Rohstoffen wie Industrieholz abzuzie- Zwecke und zur Erschließung neuer Flächen ge-
hen. Laut [24] verbleibt ein nachhaltiges Bioener- rodet. Diese Entwicklung ging mit der Entdeckung
giepotenzial von 80–170 EJ/a, was etwa einem Vier- und Nutzung fossiler Energiequellen zurück.
tel des derzeitigen Weltprimärenergiebedarfs von Wälder sind die Hauptquellen für Holz und be-
500 EJ/a entspricht. decken heute etwa ein Viertel der globalen Land-
Zur Speicherung an Land kommt die Speiche- fläche. Dieser Anteil betrug bis in das 19. Jahrhun-
rung der Solarenergie in Form von Plankton und dert noch etwa das Doppelte von knapp 50 % und
anderen Pflanzenarten im Meer hinzu. Dort wird wurde vorwiegend durch die Technisierung in der
allerdings die meiste Biomasse direkt von Konsu- Landwirtschaft und der dadurch zunehmenden
menten weiterverarbeitet. Die absolute Menge fällt Entwaldung zurückgedrängt (s. .  Abb.  1.6). Etwa
aufgrund der schlechteren Effizienz der Photosyn- ein Drittel der Waldfläche wird heute noch für die
these geringer aus als an Land, obwohl über 70 % Herstellung von Brennholz oder Industrierundholz
der Erdoberfläche aus Ozeanen und Meeren be- verwendet (s. [12]).
steht. 3,5 Mrd. Kubikmeter Rohholz werden jährlich
Im Folgenden soll beispielhaft auf die Nutzung im Wald eingeschlagen, wovon 55 % als Brennholz
der gespeicherten Biomasse (»Entladevorgänge« (Festholz und Holzkohle) und 45 % als Industrie-
des Speichers) eingegangen werden. rundholz für Sekundärprodukte wie Zellstoff für
Papier und Bücher (25 %) oder Bau- und Möbel-
1.1 • 100 % erneuerbare Energie vor der industriellen Revolution
11 1

. Tab. 1.1  Global gespeicherte und genutzte Solarenergie über Photosynthese in Form von Biomasse und fossiler
Energie auf der globalen mit Vegetation bedeckten Fläche von 100 × 1012 m2. Die globale Nettoprimärproduktion (NPP
in t C a−1) ist über einen Bruttobrennwert von 37 GJ/t auf Energie umgerechnet und mit einer Unsicherheit von min-
destens ± 10 % angegeben, nach [2] und [14]. Energie und Leistung der Solarstrahlung sind über die Solarkonstante
ESC = 167 Wm2 und der Zeit t = 8760 h errechnet

Solarenergie Gespeicherte Biomas-


se, genutzt Energie

Art Energie Leistung Energie Leistung Wirkungsgrad Solar


in EJ in TW in EJ in TWd zu Biomasse

Solarenergie/NPP gesamta 526.651 16.700 2.200 70 0,42 %

NPP oberirdischb 1.300 41

NPP nutzbar 650 21

2012  bereits genutzte Solarenergie 1,3 0,36 225 7


bzw. NPPc

Globaler Primärenergiebedarf 500 16

a Die gesamte Erdoberfläche beträgt 510 × 1012 m2 (51 Mrd. ha), wovon 70,7 % Meeresoberfläche ist. Von der verbleiben-
den Landfläche von 150 × 1012 m2sind ca. 100 × 1012 m2mit Vegetation bedeckt. Die eingetragene Solarenergie wird auf
dieser Fläche exemplarisch berechnet, die vollständige auf der Landfläche eingestrahlte Energie bzw. Leistung ergibt
sich entsprechend über die Multiplikation mit dem Faktor 1,5.
b Oberirdischer Anteil der Pflanzen ohne Eintrag von Kohlenstoff in das Erdreich (z. B. Wurzelwerk)
c 2012 direkt genutzte Solarenergie in Form von Photovoltaik (100 GW installierte Leistung), solarthermische Kraft-

werke (2,6 GW) und Solarthermie (255 GW) nach dem Global Status Report 2013 des Renewable Energy Policy Networks;
NPP als Biomasse, welche für Lebensmittel, Futtermittel, stoffliche Verwertung in der Industrie und als Energieträger
genutzt wird.
d Umgerechnet über eine Grundlast von 8760 h

100
Acker
Anteil an der Landfläche in %

75 Weide

50
Wald

25

Andere

0
1700 1800 1900 2000
Jahr

. Abb. 1.6  Landnutzungsänderung in der Geschichte – Wald als Energiespeicher wurde zurückgedrängt, nach [23]
12 Kapitel 1 • Energiespeicher im Wandel der Zeit

1200
1 Brennholz
Industrieholz
1000
Holzentnahme in Mio. m3

800
70%

22% 22%
600
90%

400 78% 78%


49%

200
30%
51%
10%
0
Afrika Asien und Europa inkl. Nord und Zentral Südamerika
Ozeanien Russische Föderation Amerika

. Abb. 1.7  Holzentnahme aus Wäldern für energetische und materielle Nutzung 2007, Datenquelle [13]

holz (20 %) verwendet werden. Diese Nutzung va- Neben der Funktion als Energiespeicher ist
riiert stark je nach Kontinent: Während in Nord- Holz auch ein langfristiger CO2-Speicher: Über die
amerika und Europa ca. 80 % als Industrierundholz stoffliche Nutzung von Holz in der Bauwirtschaft
genutzt werden, überwiegt in Afrika und Asien die wird CO2 dauerhaft der Atmosphäre entzogen.
Nutzung als Energiespeicher in Form von Brenn- Bevor Biomasse als größter Primärenergieträ-
holz (s. . Abb. 1.7, [13]). ger im 19. Jahrhundert durch Kohle abgelöst wurde,
Obwohl die Zahlen sehr hoch erscheinen, griffen viele Industriebereiche wie Teile der Stahl-
übersteigt die jährlich nachwachsende Holzmasse industrie zunächst vermehrt auf Holz als Brenn-
die Entnahmemengen deutlich. Der 90 %ige Anteil stoff zurück. Ein Beispiel ist die Stadt Iserlohn (Iser
von Brennholz in Afrika entspricht etwa 1 % des = Eisen, Lohn = Wald), in der die Stahlindustrie
Aufwuchses (s. [13]). Durch steigende Energieprei- durch die Nutzung von Holz aus dem Sauerland
se zeichnet sich eine verstärkte Nutzungskonkur- einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebte.
renz zwischen Brennholz und Industrierundholz Auch heute ist die traditionelle Nutzung von
ab, die sich negativ auf andere Funktionen des Biomasse noch für 2,6  Mrd. Menschen in über
Waldes und den Waldbestand (Entwaldung) aus- 60 Ländern die wichtigste Primärenergiequelle.
wirken kann. Zwei Drittel der Menschheit nutzt entsprechend
Energetisch speichern die Wälder der Erde Feuerholz als Energiespeicher für Kochen und
bei der Annahme eines mittleren Heizwertes von Heizen. Diese Nutzung ist zum einen sehr ineffi-
2250  kWh pro Festmeter Holz als gleichteilige zient (Wirkungsgrade ca. 5 %), zum anderen aber
Mischung aus Hart- und Weichholz jährlich etwa auch gesundheitsschädlich (Kohlenstoffmonoxid).
8100 TWh chemische Energie, was einer umgesetz- Jährlich stirbt etwa eine Million Menschen an den
ten Einspeicherleistung Solar-zu-Holz von 925 GW Folgen der Innenluftverschmutzung durch Feuer-
entspricht. holz. Zum anderen geht die Nutzung von Feuerholz
1.1 • 100 % erneuerbare Energie vor der industriellen Revolution
13 1
oder Holzkohle oft einher mit Abholzung und Ent- wirtschaftlichen Nutzfläche verwendet. Heute wäre
waldung von Regionen, was negative Auswirkun- es trotz Düngung und industrieller Agrarwirtschaft
gen auf das Mikroklima, die Wasser- und Boden- nicht möglich, den Kraftstoffbedarf im Verkehrs-
qualität der jeweiligen Region hat und auch zum sektor über Biomasse zu decken, da die Anzahl
globalen Klimawandel beiträgt (s. [24]). Auswege der Arbeits- und Transportmaschinen deutlich
können die Erschließung anderer erneuerbarer höher ist und deren Leistung nicht mehr nur ein
Energien und die nachhaltige Nutzung der Biomas- bis zwei Pferdestärken beträgt, sondern ein Viel-
se sein, z. B. durch verbesserte Holzöfen (improved faches davon. Einfache Abschätzungen zeigen, dass
cooking stoves), begleitet von Maßnahmen der Be- die Potenziale zur Deckung des Kraftstoffbedarfs
wusstseinsbildung und der Wiederaufforstung. in den Zug- und Arbeitsmaschinen der Land- und
Forstwirtschaft ausreichen würden. Pflanzenöl als
zz Torf – altes Holz landwirtschaftlicher Kraftstoff hat in Deutschland
Der Zerfall von Biomasse führt bei hohen Sauer- derzeit jedoch nicht die Rahmenbedingungen für
stoffanteilen zur Bildung von Humus und letztlich einen wirtschaftlichen Einsatz.
von Erdboden. Torf dagegen ist abgestorbene orga- Energiepflanzen als Lieferanten für Biokraft-
nische Biomasse aus alten Pflanzenresten, welche in stoffe können auch in Blockheizkraftwerken zur
feuchter Umgebung, in Mooren, entsteht. Als eine Strom- und Wärmeerzeugung eingesetzt werden.
Vorstufe von Braunkohle besitzt Torf einen ähn- Heute werden sie fast ausschließlich zur Kraftstoff-
lichen Heizwert von 5,5–6  kWh/kg im trockenen versorgung in Form von Bioethanol in Otto-Mo-
Zustand und zeigt eine sehr aschereiche Verbren- toren und Biodiesel in Dieselmotoren verwendet,
nung. Im 18. und 19. Jahrhundert wurde Torf in wie die Entwicklung in . Abb. 1.8 aufzeigt. Der An-
Form von Torfkohle in großem Maßstab als Brenn- stieg der frühen 2000er-Jahre wurde durch starke
stoff in Torfkraftwerken zur Strom- und Wärmever- Preiserhöhungen an den Rohstoffmärkten der Ag-
sorgung verwendet. Heute werden in Deutschland rarindustrie und wechselnde politische Rahmenbe-
Torfgebiete als Biotope geschützt und nur noch in dingungen gedämpft.
wenigen Ländern als relevanter Energieträger ge-
nutzt, wie in Finnland, Irland und Estland (s. [19]). Beispiel
In Deutschland beträgt die mittlere solare Global-
zz Energiepflanzen für Transport und strahlung etwa 115 Wm−2. 2011 wurden auf einer Flä-
mechanische Arbeit von Tieren che von 910.000  ha Rapspflanzen zur Herstellung
Ohne Energiespeicherung wäre unser Leben nicht von Biodiesel (Ertrag: 2,6 Mio. t) und Rapsöl (Ertrag:
möglich. Sogar der Antrieb unseres eigenen Kör- 0,025  Mio.  t) verwendet. Welche Flächeneffizienz
pers basiert auf gespeicherter Solarenergie, die wir in W/m-2 erreicht die Ausbeute der Biokraftstoffe?
in Form von Essen täglich zu uns nehmen und Welcher Wirkungsgrad wird damit in der Speiche-
über Verbrennungsprozesse im Körper durch Ein- rung und Wandlung von Solarenergie in Biokraft-
atmung von O2 und Ausstoß von CO2 mit einer stoffe erzielt? Quelle: [9]
Leistung von etwa 100 W permanent verwerten. Lösung:
Die gleichen Prozesse laufen bei den meisten
Heizwert Biodiesel – 37,1 MJ/kg = 10,3 kWh/kg
Tieren ab. Seit der Mensch Tiere domestiziert hat,
Heizwert Rapsöl – 37,6 MJ/kg = 10,4 kWh/kg
nutzt er sie für Energiedienstleistungen. Für ein-
Fläche Rapsanbau – 910.000 ha = 9.100.000.000 m²
fache mechanische Arbeiten wie den Antrieb von
Stunden pro Jahr – 8760 h
Brunnenpumpen und Mühlen wurden Tiere ge-
Energie Biodiesel –
nauso eingesetzt wie für den Transport von Las-
kWh
ten. In Indien wird noch heute animal power als EBio = 2, 6 ⋅ 109 kg ·10, 3 = 2, 7 ⋅ 1010 kWh
kg
eine Form erneuerbarer Energie bezeichnet. Pferde
waren über Jahrhunderte das Haupttransportmittel Energie Rapsöl –
kWh
der Menschheit. Für diese Energiedienstleistungen ERaps = 0, 025 ⋅ 109 kg ⋅ 10, 4 = 2, 6 ⋅ 108 kWh
kg
durch Tiere wurde damals etwa ein Drittel der land-
14 Kapitel 1 • Energiespeicher im Wandel der Zeit

Mrd.Liter
1 120

100
Ethanol 85,0 84,2 83,1
Biodiesel 73,2
80
Total 66,0

60
49,5
39,2
40 31,1
28,5
21,0 24,2 22,4 22,5
17,0 19,0 17,8 18,5
15,6
20 10,5
6,5
0,8 1,0 1,4 1,9 2,4 3,8

0
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012

. Abb. 1.8  Globale Nutzung von Biokraftstoffen im Verkehr, Datenquelle [22]

Energie Summe –
durch biochemische und geochemische Prozesse
E = 2, 726 ⋅ 1010 kWh = 2, 726 ⋅ 1013 Wh
(s. . Abb. 1.9):
Leistung – 55 Stein-/Braunkohle: Abgestorbene organische
E Biomasse sammelte sich in Torfmooren an und
PBio = = 3,1 ⋅ 109 W
8760 h wurde über geologische Zeiträume hinweg

unter Luftabschluss, Druck und Temperatur
Flächeneffizienz –
zu Braunkohle. Aus dieser wiederum entstand
PBio W
= 0, 34 2 Steinkohle, die älter und härter ist sowie eine
A m   höhere Energiedichte als Braunkohle aufweist.
Wirkungsgrad –
55 Erdöl: Ähnlich wie die Kohle entstand
Erdöl über geologische Zeiträume durch Ab-
PBio 0, 34
η= = = 0, 0030 = 0, 30% lagerungen von tierischer und pflanzlicher
PSolar 115
Biomasse (Plankton etc.) in den Urmeeren. Es
bildeten sich Sedimentschichten am Erd- und
Meeresboden, die unter Druck und Tem-
1.2 Fossile Energie im fossilen peratureinwirkungen zu Erdöl und Erdgas
Zeitalter gewandelt wurden. Diese sind oft im Sedi-
mentgestein gebunden und können dort unter
1.2.1 Entstehung fossiler Energie Einsatz von Chemikalien (Fracking) gelöst
werden. Die daraus allerdings entstehenden
Mit der Erfindung der Dampfmaschine im 18. Jahr- Probleme der Grundwasserverunreinigung
hundert und der damit einhergehenden indust- und Folgeschäden sind aus heutiger Sicht
riellen Revolution rückten fossile Energieträger nicht absehbar.
wie Erdöl, Kohle und Erdgas immer mehr in den 55 Erdgas: Erdgas entstand ähnlich wie Biogas
Vordergrund. Sie entstanden analog zu Carbona- über Fermentationsprozesse aus organischer
ten wie Kalk oder Dolomiten über Jahrmillionen Biomasse oder als ein Nebenprodukt von Erdöl.
1.2 • Fossile Energie im fossilen Zeitalter
15 1

Sonnenenergie

Biolog. Moor, Sumpf


Zersetzung
Torf Sedimentschichten

e
rat
über Torf

yd
sh
Ga
Braunkohle
weitere Sediment-
ablagerungen
Steinkohle
Sedimente, Schlamm
Absenkung

Erdgas

hoher Druck,
hohe Temperatur
Erdöl

. Abb. 1.9  Entstehung fossiler Energieträger

Im Gegensatz zu ihrer Entstehung werden fossile wird von den Destruenten (Bodenlebewesen) ae-
Brennstoffe in kürzester Zeit verbraucht: Die Men- rob zersetzt. Dabei gelangt das CO2 wieder zurück
ge, die die Natur an fossiler Energie wie Erdöl in in die Atmosphäre.
drei Millionen Jahren eingespeichert hat, wird heu- Fossile Energie entstand unter Nutzung von
te innerhalb eines Jahres verbraucht. Entsprechend atmosphärischem CO2. Bei der Verbrennung fossi-
gehen die fossilen Ressourcen und Reserven zur ler Brennstoffe (Kohlenwasserstoffe) gelangt dieses
Neige(Peak-Oil). CO2, das außerhalb des Kohlenstoffkreislaufes la-
gerte, nach Jahrmillionen wieder in die Atmosphä-
zz Der Kohlenstoffkreislauf re. Letztendlich ist damit der Kohlenstoffkreislauf
In einem intakten Ökosystem existiert ein geschlos- wieder geschlossen. Was dem Klima zu schaffen
sener CO2- und O2-Kreislauf. Die Teilnehmer Pro- macht, ist die extrem hohe Dosis an CO2, die in der
duzenten 1), Konsumenten 2) und Destruenten sehr kurzen Zeit von wenigen Jahrhunderten von
3)  halten dabei ein Gleichgewicht der Stoffströme den Ökosystemen nicht vollständig aufgenommen
aufrecht (s. . Abb. 1.10). werden kann. Die Folge ist ein anthropogener Kli-
Die Produzenten (Pflanzen) wandeln mit Solar- mawandel (s. 7 Abschn. 1.3.1).
energie Kohlendioxid und Wasser in Biomasse um
(s. 7 Abschn. 1.1.1). Die in der Biomasse gespeicherte zz CO2-Speicherung im Meer
Energie wird durch biologische Oxidation gewan- Ein Teil des sehr gut wasserlöslichen Kohlendi-
delt und steht dann den Konsumenten (Menschen, oxids aus der Atmosphäre wird von den Ozeanen
Tieren oder Pflanzen) zur Verfügung. Die biologi- aufgenommen. In ihnen ist im Vergleich zur At-
sche Oxidation ist der inverse Vorgang zur Photo- mosphäre 50-mal mehr Kohlendioxid gespeichert.
synthese, bei dem organische Masse durch die Kon- Zwischen 1800 und 1995 wurden etwa 120 Gt Koh-
sumenten unter Sauerstoffverbrauch biologisch lenstoff von den Meeren absorbiert, was etwa der
oxidiert (verbrannt) wird. Abgestorbene Biomasse Hälfte aller fossilen CO2-Emissionen entspricht
16 Kapitel 1 • Energiespeicher im Wandel der Zeit

1 Verbrennung
Kohlendioxid in der Atmosphäre

5
Assimilation durch Dissimilation durch
Pflanzen, Photosynthese Pflanzen und Tiere
1 2

CO2 6
Diffusion
von CO2
Fossile Pflanzen und Tiere Bodenlebewesen
Brennstoffe 3

Wasserpflanzen,
Aquatische
Abgestorbenes Algen,
Bakterien
organisches Material Cyanobakterien

4
Torf, Kohle, Organisches Material, Carbonate
Erdöl, Erdgas

. Abb. 1.10  Der Kohlenstoffkreislauf. Durch die Nutzung fossiler Energieträger wird in kürzester Zeit CO2 freigesetzt, wel-
ches über Jahrmillionen von der Natur eingespeichert wurde

(s. [16]). Mittels Photosynthese wird ein Teil des stammen aus fossiler (79 %) und biogener Energie
Kohlenstoffs von Algen, Phytoplankton, Korallen (9 %) auf Basis der Photosynthese. Diese Anteile wer-
und anderen Karbonaten gebunden, die dann als den nach der Substitutionsmethode wiedergegeben,
Sedimente abgelagert werden und später Erdöl und welche, anders als die gängige Wirkungsgradme-
Erdgaslagerstätten bilden. Der starke Anstieg der thode, die Anteile erneuerbarer Energien aus Wind-
CO2–Emissionen hat eine überhöhte Versauerung kraft, Solarenergie und Wasserkraft nicht verkleinert
der Meere zufolge, die für diverse Meeresorganis- darstellt. Entsprechend erscheinen in .  Abb. 1.11 die
men zunehmend zur Existenzbedrohung wird. Im Wasserkraft (Stromproduktion 780  TWh) und die
Jahr 2011 enthielt Meerwasser CO2 in Form von 1 % Atomenergie (2480 TWh) zu gleichen Teilen.
gelöstem CO2, 8 % Karbonat (CO32−) und 91 % Hy- Nur ca. 8  % unseres Primärenergiebedarfs
drogencarbonat (HCO3−). werden direkt aus der Umwelt in End- und Nutz-
energie gewandelt. Dies verdeutlicht die elementa-
re Rolle von Energiespeichern. Mit zunehmender
1.2.2 Nutzung und Emissionen fossiler Erschließung der erneuerbaren Energiequellen
Energie: Status quo werden Energiespeicher diese wichtige Rolle bei-
behalten, die Art der Energiespeicherung wird sich
zz Drei Viertel der globalen Primärenergie ist jedoch ändern.
gespeicherte Solarenergie
Wenn atomare Bindungsenergie unberücksichtigt zz CO2-Emissionen des Energiesektors aus
und die Sonne als erneuerbare Energiequelle betrach- gespeicherter fossiler Energie
tet wird, zeigt sich die Basis unserer heutigen Energie- Die CO2-Emissionen aus der Nutzung fossiler
versorgung: 88 % des globalen Primärenergiebedarfs Energie sind in den vergangenen Dekaden stark
1.2 • Fossile Energie im fossilen Zeitalter
17 1

Kernenergie
4,3 %
Erdöl
30 % Wasserkraft
6,4 %

Erneuerbare
Energien
16,9 %
Erdgas Bioenergie
21,7 % 9,1 %

Kohle Windenergie
27,1 % Wellenenergie
Solarenergie
Geothermie

. Abb. 1.11  Anteile globaler Primärenergie 2012 nach der Substitutionsmethode. (Quellen: [7] und [22])

Globale CO2-Emissionen aus der


30 Nutzung fossiler Energie in Gt CO2 / a

25
Gasförmig
(Erdgas)
20

15
Flüssig
(Erdöl)
10

5 Fest
(Kohle)

0
1750 1770 1790 1810 1830 1850 1870 1890 1910 1930 1950 1970 1990 2010
Jahr

. Abb. 1.12 CO2-Emissionen aus fossiler Energienutzung in den Jahren 1750 bis 2012, Datenquelle [6]

angestiegen (s. .  Abb.  1.12). Es handelt sich dabei nen gesammeltes CO2 freigesetzt, was den sich
letztendlich um CO2, das bereits in der Atmosphäre abzeichnenden extremen Klimawandel verursacht
war. Die Intensität der Dosis CO2 ist jedoch ext- (s. 7 Abschn. 1.3.1).
rem hoch: In kürzester Zeit wird über Jahrmillio-
18 Kapitel 1 • Energiespeicher im Wandel der Zeit

1.3 Übergang und Rückführung zum Aus .  Abb.  1.13 wird offensichtlich, dass die
1 Zeitalter der erneuerbaren heutige CO2-Konzentration von fast 400  ppm
Energien deutlich über dem Mittelwert der letzten Jahrtau-
sende liegt (s. [18]). Folglich ist mit einer Zunahme
1.3.1 Klimawandel und der mittleren Erdtemperatur und von Wetterext-
Ressourcenknappheit – Treiber remen zu rechnen. Beides zeichnet sich weltweit
der globalen Energiewende zunehmend ab, nicht zuletzt auch in Deutschland
mit der Zunahme von Flutkatastrophen und Dür-
Klimawandel und Ressourcenknappheit drän- reperioden. Europaweit lag die Jahresmitteltempe-
gen zur Energiewende – sie sind ihre eigentlichen ratur der Jahre 2002, 2003, 2006, 2007 und 2010
Treiber. Katastrophen bei der Nutzung von Atom- über dem 510-jährigen Mittelwert zwischen 1500
energie können den Prozess in einigen Ländern und 2010 (s. [4]).
beschleunigen. Unabhängig davon ist in allen
Ländern die langfristige Gewährleistung der Ver- zz Ressourcenknappheit – drängender Fakt
sorgungssicherheit mit Energie eine große Heraus- unabhängig vom Klimawandel
forderung. Zu diesen Fakten zum anthropogenen Klimawan-
Die Energiewende besteht im Kern aus zwei del addieren sich die Effekte der knapper werden-
Teilen: den Ressourcen. Der fossile Energiespeicher wird
1. Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energien in Relation zu seiner Beladungsdauer in kürzester
und Zeit extrem schnell entleert. Selbst neu gefunde-
2. Umsetzung von Maßnahmen der Energieeffi- ne fossile Energiespeicher wie Schiefergas (Shale
zienz. Gas) oder Schieferöl, die mittlerweile über Ein-
satz entsprechender Chemikalien technisch er-
zz Anthropogener Klimawandel als größte schlossen werden können, halten diesen Trend
Herausforderung der Zukunft nicht auf, sondern verschieben ihn nur zeitlich
Zwei Drittel aller Treibhausgasemissionen resultie- in geringem Umfang. In [26] wird der Scheitel-
ren aus der Nutzung gespeicherter fossiler Energie. wert der globalen fossilen, nuklearen Energie-
Diese durch erneuerbare, CO2-freie Energietechno- versorgung auf das laufende Jahrzehnt datiert (s.
logien zu ersetzen, um die Treibhausgasemissionen . Abb. 1.14).
einzudämmen, ist das Ziel nachhaltiger Energie- In den Berichten der Internationalen Energie-
und Klimapolitik. An Potenzialen erneuerbarer agentur (IEA) wird auf den Fakt »Peak Oil« da-
Energie mangelt es nicht; die Herausforderung liegt durch hingewiesen, dass die Differenz zwischen
im Ausgleich der wetterabhängigen Energiequellen Bedarf und Angebot fossiler gespeicherter Energie
und die damit verbundene zeitliche und räumliche als beispielsweise »Fields, yet to be found«, also
Gewährleistung von Versorgungssicherheit. Mittel- »Erdölfelder, die noch gefunden werden müssen«
bis langfristig sind dazu Energiespeicher eine un- bezeichnet wird (s. [15]). Hier wird davon aus-
abdingbare Notwendigkeit. gegangen, dass immer wieder unvorhergesehene
Die Korrelation von CO2 mit der Erderwär- Funde gemacht werden.
mung ist vor über 120 Jahren physikalisch bewie- Auch wenn in letzter Zeit gerade die unkonven-
sen und seither häufig verifiziert worden. Über die tionelle Förderung fossiler Energie wie z. B. Schie-
Analyse von eingeschlossener Luft in Eisbohrker- fergas, Schieferöl oder das sehr klimaschädliche
nen kann die CO2-Konzentration zusammen mit Öl aus Teersanden stark vorangetrieben wird, liegt
den Temperaturen über mehrere Hundertausende es nahe, sich mit dem Ende des fossilen Zeitalters
von Jahren rückdatiert werden. Die Abweichungen auseinanderzusetzen und Konsequenzen daraus zu
betrugen zwar nur ± 200 ppm (0,2 % der Luft), was ziehen. Die Analysen zur Reichweite fossiler Ener-
aber ausreichend war, um das Weltklima immer gie variieren deutlich, aber über kurz oder lang ist
wieder zwischen Eis- und Warmzeit wechseln zu das Ende der fossilen Energienutzung erreicht und
lassen. der fossile Energiespeicher entleert.
1.3 • Übergang und Rückführung zum Zeitalter der erneuerbaren Energien
19 1
2013

1959

280
260
CO2 in ppm

240
220 2

Temperaturdiffernez in K
200 0
–2
–4
–6
–8

400 350 300 250 200 150 100 50 0


Alter (kyr BP)

. Abb. 1.13  Korrelation von Temperatur und CO2-Konzentration in der Atmosphäre im Laufe der Jahrtausende, nach [20]

14000

12000

10000

Uran
8000 Braunkohle
Steinkohle
Mio. t

Erdgas
6000 Flüssiggas
Erdöl

4000

2000

0
1960 1970 1980 1990 2000 2010 2020 2030
Jahr

. Abb. 1.14  Weltweite Förderung von Erdöl, Erdgas, Flüssiggas, Steinkohle, Braunkohle und Uran 1960–2030. (Quelle: EWG
LBST, 2014)
20 Kapitel 1 • Energiespeicher im Wandel der Zeit

0%100% 2000 und ein Szenario der UN von 2000–2100 in


1 Abhängigkeit von den Energieträgern Kohle, Öl
20% 80% und Gas, Atomenergie und erneuerbare Energien.
Zahlreiche andere Zukunftsszenarien sind eben-
40% 2020 60% falls möglich, wie in den laufend aktualisierten
Erdöl und
Kohle Erdgas IPCC-Sachstandsberichten zum Klimawandel auf-
60% 40% gezeigt wird.
Lange Zeit war Biomasse in Form von Feuer-
80% 1920 2050 20% holz die fast ausschließliche Primärenergiequelle
1900 des Menschen. Erst mit zunehmendem techni-
1850
100% 0% schem Fortschritt kam die Nutzung von Windener-
0% 20% 40% 60% 80% 100% gie, Solarenergie und Wasserkraft (mechanische
Erneuerbare Energien (und Atomenergie) und elektrische Energie) ins Spiel. Mit Beginn der
industriellen Revolution wurden die oberirdischen,
. Abb. 1.15  Evolution der Primärenergieversorgungs-
erneuerbaren Energieträger in den Industrielän-
strukturen. (Quelle: UNEP, 2000)
dern von den fossilen Energieträgern verdrängt (s.
. Abb. 1.16).
Wird die Lösungssuche hinausgezögert, steigt Jedoch hat jede fossile Quelle ein Fördermaxi-
das Risiko eines abrupten Versorgungsengpasses, mum. Mit Erreichen der weltweiten Förderabnah-
einhergehend mit Preissteigerungen und politi- me von Erdöl geht die Entwicklung wieder hin zur
scher, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher In- Nutzung oberirdisch auftretender Energieträger
stabilität. wie Wind, Solarenergie, Wasser und Biomasse, wie
es vor dem fossilen Zeitalter schon einmal der Fall
war. Diese Tatsache ist elementar in der Kommu-
1.3.2 Das Zeitalter der erneuerbaren nikation der Energiewende. Da die Weltbevölke-
Energien als verbleibende Frage rung mittlerweile auf sieben Milliarden Menschen
der Zeit – Szenarien zur Wende angewachsen ist, wird auch die Energieeffizienz
zur grundlegenden Strategie jeder Energieversor-
Die Versorgungssicherheit mit Energie ist bei zur gung.
Neige gehenden Ressourcen und Klimawandel ein Welche Energieressourcen vom Menschen ge-
globales Problem, weshalb sich die Energiewende nutzt werden, hängt von zahlreichen Einflussfak-
nicht nur auf Deutschland beschränkt. Verschie- toren ab. So führt beispielsweise ein zunehmendes
dene Studien bilden daher Szenarien zur zukünf- Einkommen in Entwicklungsländern zu einer star-
tigen Energieversorgung ab. An dieser Stelle wer- ken Zunahme des Verbrauchs flüssiger Brennstoffe
den globale Szenarien aufgezeigt, Szenarien für und Elektrizität sowie zu einer Abnahme der Nut-
Deutschland finden sich in Teil II »Speicherbedarf« zung von Feuerholz als Brennstoff.
(s. 7 Kap. 3, 4, 5).
zz Bedeutung von Speichern trotz Rückgang
zz Globale Szenarien der Rückführung in das fossiler Energiespeicher
Zeitalter der erneuerbaren Energien Ein weiteres Szenario aus [25] arbeitet die Rolle
Der Sonderbericht über erneuerbare Energien von Energieeffizienz, Energieeinsparmaßnahmen
des Weltklimarats von 2010 verdeutlicht, dass die und Energiespeichern heraus. Zu deutlichen Ein-
Potenziale für eine globale Energiewende vorhan- sparungen führt die direkte Stromerzeugung aus
den sind (s. [10]). Ein anderes Szenario der UNEP Wind, Solarenergie und Wasserkraft, welche keine
kommt ebenfalls zu diesem Schluss. Abwärmeverluste hat und damit in der Darstellung
. Abbildung 1.15 zeigt die Evolution der Primär- nach der Wirkungsgradmethode (s. .  Abb.  1.17)
energieversorgungsstrukturen in den Jahren 1850– zu einem Sinken des Primärenergiebedarfs führt.
1.4 • Zusammenfassung
21 1
Energie-
Globaler Primärenergie- Wind
effizienz
750 verbrauch in EJ/a
Solar
500
Wind Solar Wasser
250
Biomasse Wasser Biomasse

0 1000 2000 3000


Oberirdisch Unterirdisch Oberirdisch
100% Erneuerbar Vorwiegend fossil 100% Erneuerbar

. Abb. 1.16  Anfang und Ende des fossilen Zeitalters

700
Geothermie
durch
(Strom + Wärme)
Energieeffizienz Solarwärme
600
Primärenergie für energetische Verwendung in EJ/a

Referenz IEA, Global Energy Primärenergie- Solarstrom (PV + CSP)


durch
Outlook, Current Policy Scenario einsparung Elektromobilität
500 durch KWK und Wind
Wärmepumpen

Gas aus Wind und Solar


durch direkte
Stromerzeugung
400 (Wind, Solar, Wasser) Biomasse Wärme

Biomasse Strom
300
Wasserkraft

Kernenergie
200
Erdgas

100 Kohle

Erdöl
0
1970 1980 1990 2000 2010 2020 2030 2040 2050
Jahr

. Abb. 1.17  Vision und Szenario zur globalen erneuerbaren Energieversorgung bis 2050. (Quelle: [25])

Ähnlich ist es mit der Verwendung der Elektromo- 1.4 Zusammenfassung


bilität und der Wärmepumpen.
Der Speicherbedarf der Transformationsphase 55 Der Mensch hat in seiner Evolution immer
bis 2050 offenbart sich in diesem Szenario durch Energiespeicher genutzt. Die natürliche
die Verwertung von Stromüberschüssen über Pow- Photosynthese diente ihm dabei zur Spei-
er-to-Gas (»Gas aus Wind- und Solarenergie«), den cherung von Solarenergie. Sie besteht aus der
Einsatz von Speichern in solarthermischen Kraft- Wasserspaltung und der Reaktion von Wasser-
werken und die Nutzung von Biomasse. Gerade der stoff und CO2 zu Biomasse und in der Folge
Ersatz fossiler Kraftstoffe in der Mobilität ist eine zu fossilen Brennstoffen. Ihr Wirkungsgrad ist
große Herausforderung, wie aus dem langen Ver- mit 0,5–2,5 % sehr gering.
weilen von Erdöl im Szenario ersichtlich ist. 55 Ü ber Jahrtausende hinweg war die Energie-
versorgung zu 100 % erneuerbar, vorwiegend
22 Kapitel 1 • Energiespeicher im Wandel der Zeit

basierend auf Holz als Energiespeicher und 2. Anton C (Hrsg) (2013) Bioenergie: Möglichkeiten und
1 Energieträger, aber auch als Tierfutter für
3.
Grenzen. Stellungnahme, Halle (Saale)
Barber J (2009) Photosynthetic energy conversion:
Transportaufgaben und mechanische Arbeiten. natural and artificial. Chem Soc Rev 38(1):185–196.
55 Seit der industriellen Revolution greift der doi:10.1039/B802262N
Mensch auch auf sehr alte, über die Photosyn- 4. Barriopedro D, Fischer EM, Luterbacher J et al (2011) The
these »gespeicherte Solarenergie« in Form hot summer of 2010: redrawing the temperature record
map of europe. Science 332(6026):220–224. doi:10.1126/
von fossilen Brennstoffen wie Erdöl, Erdgas
science.1201224
und Kohle zurück. Ihre Nutzung stieg in den 5. Berg JM, Tymoczko JL, Stryer L et al (2013) Biochemie,
vergangenen Jahrzehnten exponentiell an, was 7. Aufl. Lehrbuch. Springer Spektrum, Berlin
zu einer schockartigen Freisetzung von fossi- 6. Boden TA, Marland G, Andres RJ (2009) Global, regional,
lem CO2 führte, der für den anthropogenen and national fossil-fuel CO2 Emissions. Carbon Dioxide
Information Analysis Center, Oak Ridge National Labo-
Klimawandel verantwortlich ist.
ratory U. S. Department of Energy, Oak Ridge
55 Heute dominieren fossile Brenn- und Kraft- 7. BP (2013) Statistical review of world energy. BP, London
stoffe die globale Primärenergieversorgung. 8. Campbell NA, Kratochwil A, Lazar T et al (2009) Biologie,
Die fossilen Speicherreserven und -ressour- 8., aktualisierte Aufl. [der engl. Orig.-Ausg., 3. Aufl. der
cen neigen sich dem Ende zu, weshalb andere dt. Übers.]. Pearson Studium – Biologie. Pearson Stu-
dium, München
Energiespeicher und Energiequellen im Zuge
9. Deutschland; Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe
der Energiewende zu erschließen sind. (2012) Basisdaten Bioenergie Deutschland, August 2012.
55 Die Energiewende besteht im Kern aus dem nachwachsende-rohstoffe.de. Fachagentur Nachwach-
Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energien sende Rohstoffe, Gülzow-Prüzen
und der Umsetzung von Maßnahmen der 10. Edenhofer O, Pichs Madruga R, Sokona Y (2012) Renewa-
ble energy sources and climate change mitigation. Spe-
Energieeffizienz. Desto mehr Wasserkraft,
cial report of the Intergovernmental Panel on Climate
Wind- und Solarenergie erschlossen wird, Change. Cambridge University Press, New York
desto weniger »fossile Energiespeicher« wer- 11. Edwards G, Walker D (1983) C3, C4. Mechanisms, and
den benötigt. cellular and environmental regulation of photosynthe-
55 ine Umstellung der Energieversorgung auf
E sis. Blackwell Scientific Publ, Oxford
12. FAO (2012) State of the world’s forests, 2012. Food and
ihre ursprüngliche Basis der erneuerbaren
Agriculture Organization of the United Nations, Rome
Energien ist technisch möglich, ökologisch 13. FAOSTAT (2013) FAOSTAT forestry data. 7 http://faostat.
notwendig und ökonomisch langfristig vor- fao.org/site/630/default.aspx. Zugegriffen: 03. Sept. 13
teilhaft. Die tragenden Säulen sind Wind- und 14. Haberl H, Erb KH, Krausmann F et al. (2007) Quantifiying
Solarenergie. Die dafür notwendigen Spei- and mapping the human appropriation of net primary
production in earth’s terrestrial ecosystems. PNAS
chertechnologien und Integrationsmechanis-
104(31):12942–12947
men sind vorhanden und werden in den nach- 15. IEA (2012) World energy outlook 2012. OECD Publishing,
folgenden Kapiteln ausführlich beschrieben. Paris
55 Neben den klassischen Speichern wie Pump- 16. Mihajlovic-Wachter C (2008) Ökologie, Ethik. Zwei
speicher, Batterien oder Wärmespeicher spielt wichtige Aspekte im Unterricht, 2., erw. Aufl. Fuchs,
Rothenburg
auch die Nachahmung der Photosynthese
17. Munk K (2009) Botanik (fit für den Bachelor) Taschen-
eine große Rolle in der Transformation der lehrbuch Biologie. Thieme, Stuttgart
Energiesysteme, insbesondere bei der Gewin- 18. NOAA (2013) Trends in atmospheric carbon dioxide.
nung von Wind- und Solarkraftstoffen für die Recent global CO2. 7 http://www.esrl.noaa.gov/gmd/
Mobilität. ccgg/trends/global.html. Zugegriffen: 20. Aug. 2013
19. Paappanen T, Leinonen A (2005) Fuel peat industry in
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25 2

Definition und Klassifizierung


von Energiespeichern
Übersicht
Ohne Energiespeicher ist die Energieversorgung nahezu unmöglich. Sie sind
elementarer Baustein unseres Energiesystems. Oft diskutiert wird die Rolle,
die ein Speicher im Energiesystem spielt: Sind Energiespeicher Teil der
Energienetze oder doch »Erzeuger« und »Verbraucher«? An welcher Stelle
werden die Kosten der Speicher verortet? Zur energiewirtschaftlichen
Einordnung von Speichern sind Definitionen hilfreich.
Wie Speicher und Energiespeicher definiert, ihr Nutzen erfasst und nach
physikalischen, energetischen, zeitlichen, räumlichen und ökonomischen
Kriterien klassifiziert werden kann, wird in diesem Kapitel behandelt.

M. Sterner, I. Stadler, Energiespeicher – Bedarf, Technologien, Integration,


DOI 10.1007/978-3-642-37380-0_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
26 Kapitel 2 • Definition und Klassifizierung von Energiespeichern

2.1 Definition und Anwendung einem Bauteil: Die Elektroenergie wird elektroche-
misch in der Elektrode bzw. Aktivmasse und Dop-
zz Definitionen pelschicht gewandelt und chemisch gespeichert.
2 Zur Beschreibung und Einordnung verschiedener Bei einem Pumpspeicherwerk erfolgt die
Energiespeicher ist eine klare Terminologie not- ­Einspeicherung durch eine Pumpe, motorisch an-
wendig. getrieben mit Strom, die Wasser in das Oberbecken
befördert. Das Oberbecken stellt mit dem Unter-
Definition becken oder Unterwasser die Speichereinheit dar.
Ein Speicher ist eine Einrichtung zur Bevor- Die gespeicherte potentielle Energie hängt von
ratung, Lagerung und Aufbewahrung von der Masse des Wassers und der Höhendifferenz
Gütern. zwischen Ober- und Unterbecken ab. Bei der
Ausspeicherung fließt das Wasser vom Oberbecken
durch eine Turbine samt Generator, der Strom für
Definition
das Netz generiert, ins Unterwasser.
Ein Energiespeicher ist eine energietechni- Die einzelnen Prozesse sind nicht zwingend an
sche Einrichtung, welche die drei folgenden ein Medium, ein Bauteil oder einen Ort gebunden.
Prozesse beinhaltet: Einspeichern (Laden), Power-to-Gas Systeme bestehen beispielsweise aus
Speichern und Ausspeichern (Entladen). einem Gasspeicher, der räumlich woanders sein
kann als die Einspeichertechnologien Elektrolyse
und Methanisierung oder die Gasturbine für das
Definition
Ausspeichern.
Ein Energieträger ist ein Stoff, der Energie ge- Die Effizienz oder der Wirkungsgrad eines
speichert hat. Er befindet sich in der Speicher- Speichers hängt davon ab, wie viele physikalische
einheit eines Energiespeichers. Umwandlungsschritte zwischen den drei Prozessen
stattfinden.

. Abbildung 2.1 illustriert die Definition von Ener- zz Unterkategorien von Energiespeichern


giespeichern in einfacher Weise. Energiespeicher werden sowohl in primäre und se-
kundäre Energiespeicher als auch in sektorale und
zz Begriffe »Ein- und Ausspeichern« vs. »Laden sektorenübergreifende Energiespeicher unterschie-
und Entladen« den.
Die drei Prozesse Einspeichern, Speichern, Aus-
speichern werden bei elektrischen, elektrochemi- Definition
schen und einigen mechanischen bzw. chemisch- Primäre Energiespeicher sind Energiespei-
stofflichen Energiespeichern auch als »Laden«, cher, die nur einmal geladen und entladen
»Speichern« und »Entladen« bezeichnet. Sie sind werden.
im Zusammenhang mit Begriffen wie Selbstent-
ladung, Entladetiefe und Entladerate praktikabler
und in der Umgangssprache gängiger, während Definition
sich in der Wissenschaft die Begriffe Ein- und Aus- Sekundäre Energiespeicher sind Energie-
speichern mehr etabliert haben. speicher, die mehrfach geladen und entladen
werden können.
zz Anwendung der Definition
»Energiespeicher«
Die drei Prozesse können in einem Schritt integ- Zu den primären Energiespeichern zählen vor al-
riert werden oder separat angelegt sein. lem Energieträger wie fossile Brenn- und Kraft-
Bei Batterien und Kondensatoren erfolgen die stoffe, die in entsprechenden Speichereinheiten
drei Energiewandlungs- und -speicherprozesse in
2.1 • Definition und Anwendung
27 2

. Abb. 2.1  Definition von Speichern und Energiespeichern

wie Erdöllager, Kohlehalden oder Erdgasspeichern Definition


gelagert werden. Ihre Einspeicherung erfolgte ein- Sektorenübergreifende Energiespeicher sind
malig über die Photosynthese zu Biomasse und die Energiespeicher, die in einem oder mehreren
natürliche Umformung zu fossiler Primärenergie Energiesektoren eingesetzt werden und uni-
über sehr lange Zeiträume. Die Ausspeicherung und/oder bidirektional arbeiten. Das Ein- und
erfolgt einmalig über das Verbrennen der fossi- Ausspeichern erfolgt nicht zwangsläufig im
len Energieträger in Kraftwerken, Heizungen und selben Sektor.
Fahrzeugen. Auch Einwegbatterien zählen zu den
primären Energiespeichern. Sie werden Primärbat-
terien genannt. Diese Unterteilung der Oberkategorie »Energie-
Zu den sekundären Energiespeichern zäh- speicher« in sektorale und sektorenübergreifen-
len alle »wiederaufladbaren« Energiespeicher wie de Energiespeicher ist für die Speicherdiskussion
Akkumulatoren (Sekundärbatterien), Pumpspei- ­wesentlich und wird im Folgenden entsprechend
cherwerke, Druckluftspeicher, Kondensatoren, ausführlich erörtert.
Spulen, Schwungmassenspeicher oder Speicher-
einheiten für (Kohlen)wasserstoffe wie Gasspei- zz Sektorale Energiespeicher: Stromspeicher,
cher und Kraftstofftanks, welche über die Einspei- Wärmespeicher, Kraftstoffspeicher,
cherung von erneuerbarer Energie über Photosyn- Gasspeicher
these (Biomasse), Power-to-Gas oder Power-to-­ Klassische Beispiele für sektorale Energiespeicher
Liquids (mehrfach) gefüllt und über entsprechende sind Pumpspeicher (Stromsektor), Pufferspeicher
Ausspeichertechnologien (mehrfach) entladen (Wärmesektor) und Kraftstofftanks (Verkehrs-
werden. sektor). Die Speicher sind systemintegriert und
entsprechend keine Letztverbraucher im jeweili-
Definition gen Energiesektor. Eine Ausnahme stellt ein Gas-
Sektorale Energiespeicher sind Energie- speicher dar, der aus Sicht des Gassektors ein
speicher, die rein in einem Energiesektor sektoraler Speicher ist, aber letztlich für alle drei
eingesetzt werden. Das Ein- und Ausspeichern Energieanwendungssektoren Strom, Wärme und
erfolgt bidirektional im selben Sektor. ­Verkehr plus industrielle Anwendungen zum Ein-
satz kommt.
28 Kapitel 2 • Definition und Klassifizierung von Energiespeichern

. Abb. 2.2  Definition von sektoralen Energiespeichern am Beispiel von Stromspeichern, Wärmespeichern, Kraftstoffspei-
chern und Gasspeichern

Stromspeicher speichern direkt Elektroener- kinetische Rotationsenergie und über den angekop-
gie elektrostatisch (Kondensatoren) oder elektro- pelten Generator zurück in Elektroenergie gewan-
magnetisch (Spulen) (s.  7  Kap.  6) oder wandeln delt.
Elektroenergie reversibel in eine beliebige andere
physikalische Energieform um. Nach dem Entla- Wärmespeicher speichern Wärme über sensible,
den des Speichers steht wieder Elektroenergie mit latente oder thermochemische Wärmespeicher
einem gewissen Wirkungsgradverlust zur Verfü- (s.  7  Kap. 10). Analog zu Stromspeichern liegt die
gung (s. . Abb. 2.2). gespeicherte Energie wieder als Wärme vor, abzüg-
lich der Wirkungsgradverluste (s. . Abb. 2.2).
Beispiel Stromspeicher: Pumpspeicherwerk
(PSW oder auch Pumpspeicher bzw. Pumpspei- Beispiel Wärmespeicher: Solarthermische
cherkraftwerk) ­Anlage
Einspeichern: Elektroenergie wird durch das Pum- Einspeichern: In Solarkollektoren wird ein Wasser-
pen von Wasser in ein Oberbecken in mechanische Glykol-Gemisch durch Solarenergie erwärmt. Über
Lageenergie (potenzielle Energie) gewandelt. einen Wärmetauscher wird die Wärme der Flüssig-
Speichern: Die Potenzialdifferenz des Wassers keit an Wasser im Speichertank abgegeben.
zwischen Ober- und Unterbecken stellt die gespei- Speichern: Die Wärme wird in der Temperatur-
cherte Energie dar. differenz zwischen dem erwärmten Wasser und
Ausspeichern: Die potenzielle Energie der Hö- dem Kaltwasser als sensible Wärme in Pufferspei-
hendifferenz von Wasser wird über eine Turbine in chern (Warmwassertanks) gespeichert.
2.1 • Definition und Anwendung
29 2
Ausspeichern: Die thermische Energie des gend Wind- und Solarstrom, aber auch Regelenergie
Warmwassers wird über einen Wärmetauscher ge- (Graustrom) in Wärme zu wandeln. Aus Perspektive
führt. Dabei wird Brauchwasser oder Heizwasser des Stromsektors handelt es sich bei Power-to-Heat
erwärmt und als Endenergie in Form von Raumwär- in allen Fällen um Letztverbraucher, da die Rückver-
me, Prozesswärme (z.  B. Brauereien) oder schlicht sorgung aus niederkalorischer Wärme theoretisch
als Warmwasser genutzt. über z. B. ORC-Anlagen (Organic-Rankine-Cycle)
möglich ist, aber derzeit nicht wirtschaftlich umge-
Brenn- und Kraftstoffspeicher speichern chemische setzt werden kann (s. . Abb. 2.3 und Abb. 2.4).
Energie über die Lagerung von Kohlenwasserstoffen Ein Sonderfall ist auch die Technologie Power-
oder anderen Energieträgern (s. 7 Kap. 8). Der Spei- to-Gas, bei der es sich im Wesentlichen um eine Ein-
cherprozess beschränkt sich auf ein Be- und Entladen speichertechnologie handelt, bestehend aus Wasser-
von Speichereinheiten wie z. B. Tanks über geeignete elektrolyse (s. 7 Abschn. 8.2) und optionalen Synthe-
Technologien wie z. B. Pumpen (s. .  Abb. 2.2). Der sen (s. 7 Abschn. 8.3). Erst über die Verknüpfung mit
eigentliche Einspeichervorgang für konventionelle der Gasinfrastruktur kann der Energieträger Gas
Brenn- und Kraftstoffe als Energieträger und pri- transportiert und gespeichert werden. Die Nutzung
märe Energiespeicher liegt in der Photosynthese ist für alle Energiesektoren offen (s. . Abb. 2.3).
(s. 7 Abschn. 1.1.1), welche als sektorenübergreifender Analog zu Power-to-Heat kann Power-to-Gas
Speicher begriffen werden kann. Im gleichen Zug ist durch die Verbrennung des Gases für Wärmezwe-
auch Power-to-Gas zu nennen als Nachbildung der cke (BHKW, Gastherme etc.) eine Brücke zwischen
Photosynthese und sekundärer Energiespeicher. Der Strom- und Wärmesektor schlagen (s. .  Abb. 2.3
Ausspeichervorgang findet meist in Verbrennungs- und Abb. 2.4).
einrichtungen unter Wandlung der chemischen Eine Kopplung zwischen Strom- und Ver-
Energie in thermische und mechanische Energie kehrssektor erfolgt über Elektromobilität (derzeit
(Heiztherme, Verbrennungsmotor) statt. unidirektional, prinzipiell auch uni- und bidirek-
tional möglich) und Power-to-Gas, Power-to-Li-
Beispiel Kraftstoffspeicher: Kraftstofftank und quid oder »Power-to-Fuel« über die Nutzung von
Rohölnutzung im Verkehr Stromkraftstoffen (unidirektional). Entsprechend
Einspeichern: Kraftstoff wird durch eine Pumpe in agiert Power-to-Gas für den Verkehr als Letztver-
einen Kraftstofftank befördert. Zuvor wurde der braucher aus Sicht des Stromsektors, da es sich
Kraftstoff über die Photosynthese von Solarenergie durch die fehlende Rückverstromung per Defini-
gespeichert und als Biomasse oder Rohöl gefördert tion um kein vollständiges Stromspeichersystem
und zu Kraftstoff aufbereitet. (Einspeichern, Speichern, Ausspeichern) handelt
Speichern: Der Kraftstoff beinhaltet als Ener- (s. . Abb. 2.3 und Abb. 2.4).
gieträger chemische Bindungsenergie und lagert Power-to-Gas kann auch als Stromspeicher
im Tank. bidirektional für den Stromsektor eingesetzt wer-
Ausspeichern: Über eine Einspritzanlage wird den, wenn an die Einspeichereinheit Strom-zu-Gas
Kraftstoff aus dem Tank in den Verbrennungsraum nach Speicherung und optionalem Transport des
eines Motors gebracht und dort in thermische bzw. Gases eine Rückverstromung über Ausspeicher-
mechanische Energie gewandelt. technologien wie Gasturbinen oder BHKW erfolgt.
In diesem Fall ist Power-to-Gas kein Letztver-
zz Sektorenübergreifende Energiespeicher: braucher für den Stromsektor, da die gespeicherte
Power-to-Gas, Power-to-Heat, Power-to- Energie wieder dem Stromsektor zugeführt wird (s.
Liquid, Elektromobilität . Abb. 2.2).
Klassische Beispiele für sektorenübergreifende Ener-
giespeicher sind (Nacht-)Speicherheizungen, die im zz Kombinationen von Einspeichern, Speichern
Lastmanagement Strom- und ­ Wärmesektor uni- und Ausspeichern
direktional miteinander verknüpfen. Die moderne .  Tabelle  2.1 konkretisiert die vielfältigen mögli-
Variante davon wird »Power-to-Heat« genannt und chen Kombinationen von Einspeicher-, Speicher-
nutzt Wärmepumpen und Heizstäbe, um vorwie- und Ausspeichereinheiten.
30 Kapitel 2 • Definition und Klassifizierung von Energiespeichern

. Abb. 2.3  Definition von sektorenübergreifenden Energiespeichern am Beispiel von Power-to-Heat, flexibler Kraft-Wär-
me-Kopplung (KWK), Power-to-Gas, Elektromobilität und Power-to-Liquid

. Abb. 2.4  Beispiele für sektorenübergreifende Energiespeicherung – Power-to-Heat (1): Verbindung von Strom- und Wär-
mesektor über elektrisches Heizen mit Wärmepumpen, Heizstäben oder Speicheröfen; Power-to-Gas für Wärme (4): Nutzung
vorhandener Gasspeicher und Gasthermen zur Speicherung und Nutzung von Strom; Power-to-Gas für Kraftstoffe (5), Power-
to-Liquid, Power-to-Fuel: Speicherung und Nutzung von Strom im Verkehrssektor als Stromkraftstoff
. Tab. 2.1  Beispiele verschiedene Energiespeichertechnologien und Kombinationen aus Speichereinheiten

Speicher- Speichertechno- Einspeichern Speichern Ausspeichern Funktion aus Sicht Funktion aus Funktion aus
klasse logie des Stromsektors Sicht des Wärme- Sicht des Ver-
sektors kehrssektors

Sektoral, Sektorenintegriert

elektrisch Kondensatoren direkt Elektrisches Feld direkt Stromspeicher, – Rekuperation,


Kurzzeit Kurzzeitstrom-
2.1 • Definition und Anwendung

speicher

Spulen direkt Magnetfeld direkt Stromspeicher, – –


Kurzzeit

elektroche- Alle Batterien integr. el. - chem. Elektrode und integr. Stromspeicher, Kurz- – –
misch außer Redox Flow Wandlung Aktivmasse el. - chem. und Langzeit
Wandlung

Redox-Flow-Bat- Pumpe, Zelle Tank, chem. Pumpe, Zelle Stromspeicher, Kurz- – –


terie ­Verbindungen und Langzeit

chemisch Kraftstoffspeicher Pumpe, Photo- Tank, Kraftstoff, Pumpe, Bren- – Brennstoffspei- Kraftstoffspeicher
synthese Kaverne ner, Motor cher

mechanisch Pumpspeicher Pumpe, Motor Oberbecken, Turbine, Stromspeicher, Kurz- – –


Wasser ­Generator und Langzeit

Druckluftspeicher Kompressor, Kaverne, Rohr, Turbine, Stromspeicher, – –


Motor Wärmespeicher ­Generator Kurzzeit

Lageenergiespei- Pumpe, Motor Bewegung von Turbine, Stromspeicher, Kurz- – –


cher Granit, Gestein ­Generator und Langzeit

Schwungmassen- Motor Rotationsenergie Generator Stromspeicher, – –


speicher Kurzzeit
31

Federenergiespei- mech. Arbeit Lageenergie mech. Arbeit Stromspeicher, – Notbremse bei


cher Kurzzeit Energieausfall im
Fahrzeug
2
2
32

. Tab. 2.1  Fortsetzung

Speicher- Speichertechno- Einspeichern Speichern Ausspeichern Funktion aus Sicht Funktion aus Funktion aus
klasse logie des Stromsektors Sicht des Wärme- Sicht des Ver-
sektors kehrssektors

thermisch Warmwasserspei- Wärmetauscher Tank, Wasser Wärmetau- – Wärmespeicher –


cher scher

Latentwärmespei- Wärmetauscher Phasenwechsel- Wärmetau- – Wärmespeicher –


cher Materialien PCM) scher

Thermochemische Chem. Energie- Zeolithe, Tanks Chem. Ener- – Wärmespeicher –


Speicher wandlung giewandlung

Sektorenübergreifend, Intersektoral

elektroche- Batterien Elektro- Leistungselektro- Elektrode Elektromobil, Lastmanagement – Energielieferant


misch mobilität nik, integr. Hybrid
el. - chem.

chemisch Power-to-Gas Elektrolyse, Met- Gasnetz, Gas- GuD, Gas- Stromspeicher, – –


Strom hanisierung speicher turbine Langzeit

Power-to-Gas Elektrolyse, Met- Gasnetz, Gas- Gastherme Lastmanagement Wärmelieferant –


Kapitel 2 • Definition und Klassifizierung von Energiespeichern

Wärme hanisierung speicher

Power-to-Gas Elektrolyse, Met- Gasnetz, Gas- Gasauto, KFZ Lastmanagement – Kraftstofflieferant


Mobilität hanisierung speicher

Kohlenwasser- Photosynthese Biomasse, fossile Verbren- Stromspeicher Wärmelieferant Kraftstofflieferant


stoffe Energie, Gas- nungstechnik
speicher

thermisch Power-to-Heat Heizstab, Wärme- Tank, Wasser, Wärmetau- Lastmanagement Wärmelieferant –


pumpe Wärmenetz scher

Sorptionswärme- Heizstab, Wärme- Zeolithe, etc., Wärmetau- Lastmanagement Wärmelieferant –


speicher pumpe Tank scher

mechanisch Zugantrieb Motor Schwungmasse Lastmanagement – Antrieb


(kin. Energie)

Bremsenergierück- Schwungmasse Generator Lastmanagement – Bremse


gewinnung (kin. Energie)
2.1 • Definition und Anwendung
33 2
zz Power-to-Chemicals als Einzig Power-to-Gas spielt eine Sonderrolle:
Energiewandlungsprozess Durch die Speicherung von Strom in Form von
In diesen Betrachtungen ist die Technologie »Po- Gas in der Gasinfrastruktur kann Strom nicht nur
wer-to-Chemicals« nicht enthalten, da sie eher eine zeitlich verlagert, sondern auch über das Gasnetz
Energiewandlungs- als eine Energiespeichertech- transportiert und somit räumlich verlagert werden.
nologie darstellt. Prinzipiell kann auch die Herstel-
lung von Grundstoffen für die chemische Industrie Speicher können als Flexibilitätsoption Schwankun-
als Speicherprozess betrachtet werden, wenn durch gen ausgleichen. Sie können Überschüsse aufneh-
den Einsatz von erneuerbaren Energien für diese men und Defizite (auch Versorgungslücken, Unter-
Zwecke gespeicherte fossile Energie in Form von schüsse) decken. Letzteres spielt vor allem in der
Erdgas, Erdöl oder Kohle für andere energetische Strom- und Wärmeversorgung eine wichtige Rolle.
Anwendungen freigesetzt wird (s.  7  Abschn.  8.6 Solarthermische Anlagen erzeugen nur selten dann
und 13.3). Analog zu Energiespeichern können Wärme, wenn sie als Warmwasser oder Heizwärme
auch diese Einheiten für den Stromsektor positive auch gebraucht wird. Warmwasserspeicher neh-
und negative Regelleistung zur Verfügung stellen men die Überschüsse auf und gleichen die Defizite
oder im Lastmanagement eingesetzt werden. Da- zu einem späteren Zeitpunkt (abends, in der Nacht)
mit können alle diese Technologien dem Strom- aus, soweit die Speichergröße reicht und die gespei-
system zusätzliche Flexibilität zum Ausgleich von cherte Energie bei gegebener Selbstentladung ge-
Schwankungen in Erzeugung und Verbrauch an- halten werden kann.
bieten. Durch Energiespeicher ist es möglich, dem
elektrischen Netz positive sowie negative Regel-
und Ausgleichsenergie (Reservemärkte und Er-
2.2 Nutzen von Speichern zeugungsausgleich) zur Verfügung zu stellen. Dies
stellt den elektrischen Nutzen von Speichern dar.
Der physikalische Nutzen von Energiespeichern Das Abregeln von Wind- und Photovoltaikanlagen
besteht in der Bevorratung, Aufbewahrung und La- wird dadurch vermindert und die klimafreundliche
gerung von Energie, um einen zeitlichen Ausgleich Energie kann genutzt werden.
zwischen Angebot und Nachfrage zu schaffen. Speicher werden aber nicht nur für erneuer-
Dabei stehen sie grundsätzlich hinsichtlich bare Energie, sondern auch für die konventionelle
ihrer Funktion nicht in Konkurrenz zu Energie- Stromerzeugung eingesetzt. Pumpspeicher, Druck-
netzen, welche für den räumlichen Ausgleich zu- luftkraftwerke und Speicheröfen dienten lange
ständig sind. dazu, die »Stromüberschüsse« in der Nacht in die
Lastspitzen des Tages zu verlagern. Dadurch kön-
Beispiel nen Grundlastkraftwerke wie Atom- und Braun-
Ein Beispiel aus dem Stromsektor: Der Einsatz von kohlekraftwerke technisch einfacher und wirt-
Stromspeichern wird oft argumentativ gegen den schaftlicher im Optimum betrieben werden und
Ausbau von Stromnetzen verwendet. Dies ist nicht entsprechend sogar geringere spezifische CO2-
darstellbar, da sie grundlegend unterschiedliche Emissionen pro kWh Strom erzielen. Der Nachteil
Funktionen erfüllen: in der höheren Auslastung von Kraftwerken zur
Stromnetz: räumlicher Ausgleich Grundlastdeckung durch Speicher liegt in den hö-
Stromspeicher: zeitlicher Ausgleich heren Mengen an atomaren und klimaschädlichen
Abfällen, die in die Umwelt gelangen. Auch wenn
Zwar kann die lokale Zwischenspeicherung von die Kraftwerke im Optimum weniger spezifische
Strom am Ort der Stromerzeugung oder Ort des Emissionen aufweisen, verursacht ihre Mehrein-
Stromverbrauchs Netzengpässe vermeiden helfen, speisung doch wiederum unter dem Strich mehr
wenn ihr Einsatz netzdienlich erfolgt und nicht Emissionen als ohne den Einsatz von Speichern
marktgetrieben. Stromspeicher ersetzen aber nicht oder anderen Flexibilitäten.
den räumlichen Ausgleich.
34 Kapitel 2 • Definition und Klassifizierung von Energiespeichern

. Abb. 2.5  Speicherstandort Etzel südwestlich von Wilhelmshafen mit 23 Rohölkavernen und 39 Gaskavernen als größter
deutscher Speicherstandort für strategische Öl- und Gasreserven. (Quelle: IVG Caverns GmbH)

Der geopolitische Zweck eines Energiespei- einem geometrischen Volumen von 38  Mio.  m3
chers ist die Gewährleistung der Versorgungs- für die Speicherung von Rohöl und Erdgas. Die
sicherheit. Ganz grundlegend fußt die Energie- Etzeler Kavernen haben eine Speicherkapazi-
versorgung weitgehend auf biogener und fossil tät von über 10  Mio.  m3 (10  Mrd.  l oder 63  Mio.
gespeicherter Energie (s.  7  Kap.  1), weshalb zur US-Barrel). Sie dienen der langfristigen Lagerung
Lagerung von Erdöl und Erdgas auch strategische von Rohöl und sind Teil der strategischen Rohöl-
Reserven in großem Umfang in Deutschland ange- reserve der Bundesrepublik sowie weiterer euro-
legt wurden. Über eine strategische Energiereser- päischer Staaten. Ferner dienen sie zur Deckung
ve hinaus ermöglicht die Untergrundspeicherung von Verbrauchsspitzen und Zwischenlagerung
von Erdgas eine Entkopplung von gleichmäßigen von Erdgasimporten. Derzeit können im Kaver-
Lieferströmen vorwiegend russischer und norwe- nenspeicher Etzel ca. 3,5 Mrd. Nm3 Arbeitsgas in
gischer Gasimporte von saisonal bedingten Be- 39 Kavernen gespeichert werden, das entspricht
darfsschwankungen (Winter/Sommer) sowie die rund 4 % des jährlichen deutschen Gasverbrauchs
Abdeckung von kurzfristigen Verbrauchsspitzen (s. . Abb. 2.5).
z. B. für die Verstromung von Erdgas in Gaskraft- Die in Deutschland für Kavernenspeicher ver-
werken und BHKW. wendeten Salzstöcke sind über 250  Mio. Jahre alt
Ein Beispiel ist der niedersächsische Spei- und eignen sich für diese Speicheraufgaben sehr
cherstandort Etzel südwestlich von Wilhelmsha- gut (7 Abschn. 8.4.1.3). Insgesamt könnten die deut-
ven mit derzeit 62 unterirdischen Kavernen mit schen Ölreserven als primäre Energiespeicher den
2.3 • Klassifizierung von Speichern
35 2

. Abb. 2.6  Einordnung von Energiespeichern in die Energiewandlungskette

. Abb. 2.7  Klassifizierung von Energiespeichern

nationalen Bedarf für 90 Tage überbrücken, eben- 2.3 Klassifizierung von Speichern
so kann 25 % des jährlichen deutschen Erdgasver-
brauchs (217 von ca. 900 TWh/a) in unterirdischen Neben der Definition und Kategorisierung von
Erdgasspeichern gelagert werden. Energiespeichern schafft deren Klassifizierung
anhand verschiedener Eigenschaften einen guten
zz Einordnung von Speichern in die Überblick. In diesem Abschnitt wird die Vielzahl
Energieversorgung existierender Energiespeicher anhand ihrer Eigen-
Energiespeicher lassen sich in der Energiewand- schaften und ihren Einsatzgebieten klassifiziert,
lungskette, angefangen von der Urenergie Sonne um die Speicher untereinander vergleichbar zu
bis hin zur Nutzenergie, an jeder Schnittstelle der machen (s. 7 Kap. 12). Hierbei gibt es verschiedene
Kette als primäre und/oder sekundäre Energie- Möglichkeiten der Einordnung (s. . Abb. 2.7), von
speicher einordnen (s. .  Abb.  2.6). Die Sonne ist denen einige aufgegriffen und ausgeführt werden.
letztlich ein funktionstüchtiger Fusionsreaktor
in ausreichender Entfernung, der neben der sola-
ren Einstrahlung auch Biomasseproduktion und 2.3.1 Physikalisch-energetische
Wind- und Wasserkreisläufe antreibt. Klassifizierung
Es wird offensichtlich: Ohne Energiespeicher
würde die Energieversorgung nicht funktionie- Eine weit verbreitete Einordnung von Energiespei-
ren, Energiespeicher sind elementare Bestandteile chern ist die Differenzierung anhand der physikali-
unseres Energiesystems. schen Form der gespeicherten Energie. Grundsätz-
36 Kapitel 2 • Definition und Klassifizierung von Energiespeichern

lich wird zwischen folgenden gespeicherten Ener- Da diese physikalische Form der Klassifizie-
gieformen unterschieden: rung die häufigste ist und naheliegt, wird sie als
55 elektrische Energie, auch Elektroenergie oder grundlegende Struktur für Teil III »Speichertech-
2 elektrostatische oder elektromagnetische nologien« (s. 7 Kap. 6–12) verwendet.
­Energie
55 chemische Energie, auch Bindungsenergie zz Elektrische Speicher (Elektromagnetische
55 mechanische Energie, auch kinetische und Speicher, Elektrostatische Speicher)
potenzielle Energie Elektromagnetische Energiespeicher wie Doppel-
55 thermische Energie, auch kalorische Energie schichtkondensatoren oder supraleitende Spulen
oder Wärme und Kälte. nutzen elektrische und magnetische Felder, um
Energie (kurzfristig) zu speichern. Sie sind rein
Aus diesen vier Energieformen lassen sich wichtige sekundäre Energiespeiche.
Untergruppen herausbilden. Elektrische Energie kann in Reinform nur elekt-
So können beispielsweise die mechanischen rostatisch über Kondensatoren gespeichert werden.
Energiespeicher in potentielle Energiespeicher Im Aufbau von Speicherkondensatoren werden oft
wie Pumpspeicher oder kinetische Energiespei- zwei Schichten genutzt, weshalb von Doppelschicht-
cher wie Schwungräder unterteilt werden. kondensatoren (sogenannte Supercaps) gesprochen
In elektrochemischen Energiespeichern wie wird. Unter Nutzung von Wechselstrom kann elek-
Batterien oder Akkumulatoren wird die Energie trische Energie auch direkt in elektromagnetischen
in chemischer Form in den Elektrodenmaterialien Feldern in Spulen bzw. Schwingkreisen gespeichert
oder Ladungsträgern einer Redox-Flow-Batterie werden. Um diese Felder auch ohne externe Ener-
gespeichert. Daher sind sie eine Untergruppe der giezufuhr aufrechtzuhalten, ist ein sehr geringer In-
chemischen Energiespeicherung. Diese Unter- nenwiderstand notwendig, ideal gegen null. Daher
gruppe ist jedoch so groß, dass sie in diesem Werk kommt bei elektromagnetischen Energiespeichern
neben den vier Energieformen als separate Spei- die Supraleitung zum Einsatz, was sich auch in der
cherklasse in einem eigenen Kapitel (s. 7 Kap. 7) Namensgebung (Supraleitender elektromagneti-
behandelt wird. scher Energiespeicher SMES) niederschlägt.
Eine weitere Untergruppe ist die elektromag- Der Speichertyp zur direkten Speicherung von
netische Energiespeicherung. Sie ist eine Form der Elektroenergie über elektrostatische und elektro-
elektrischen Energiespeicherung in alternierenden magnetische Technologien wird in diesem Buch
elektromagnetischen Feldern. unter der Kategorie »Elektrische Speicher« geführt
Rein magnetische Energiespeicher gibt es nicht, und in 7 Kap. 6 behandelt.
da es keine magnetischen Ladungen gibt. Der Ma-
gnetismus hat seine Ursache in bewegten elekt- zz Elektrochemische Speicher
rischen Ladungen und wirkt ebenso auf bewegte Zu den elektrochemischen Speichern – einer Unter-
elektrische Ladungen. Er tritt also ähnlich zur Re- gruppe der chemischen Speicher – zählen Batterien
lativitätstheorie nur bei relativer Bewegung von La- und Akkumulatoren. Die gespeicherte Energie be-
dungsträgern zueinander auf. In Elektromagneten findet sich in chemischen Verbindungen der Elek-
sind diese bewegten Ladungen die bewegten Elek- troden, die gleichzeitig als Energiespeicher und
tronen in einem stromdurchflossenen Leiter (Spu- Energiewandler fungieren. Zu unterscheiden sind
le); in Permanentmagneten die atomaren Ring- Primärbatterien (nur einmal zu entladen) und Se-
ströme, die in der Umkreisung der Elektronen des kundärbatterien (Akkumulatoren, wiederholtes La-
Atomkerns entstehen zusätzlich zur Eigenrotation den und Entladen möglich), die sich wiederum in
(Spin) der Elektronen (s. [4]). Umgangssprachlich folgende Kategorien einteilen lassen:
wird dennoch von magnetischen Energiespeichern a. Niedertemperaturbatterien (z. B. Blei, Nickel,
gesprochen, wobei immer elektromagnetische Lithium)
Energiespeicher gemeint sind, die aufgrund ihrer b. Hochtemperaturbatterien (z. B. Schwefel-Nat-
physikalischen Natur zur elektrischen Energiespei- rium)
cherung gezählt werden (s. . Tab. 2.1). c. Redox-Flow-Batterien (z. B. Vanadium)
2.3 • Klassifizierung von Speichern
37 2
Diese Speichertechnologien werden in  7  Kap.  7 »fühlbar« gespeichert. Entscheidend für die
­beschrieben. gespeicherte Energiemenge sind neben dem
Temperaturunterschied die Wärmekapazität
zz Chemische Speicher und die Masse des Speichermediums. Sensible
Chemische Speicher sind stoffliche Energieträger, Wärmespeicher befinden sich in nahezu jedem
in denen gewandelte, verdichtete Primär- oder Haushalt und benötigen eine gute Wärmedäm-
Sekundärenergie vorhanden ist. Sie kommen als mung.
primäre und sekundäre Energiespeicher zur An- b. In latenten Wärmespeichern oder Phasen-
wendung. Die Energieträger können beispielswei- wechselmaterialien (Phase Change Materials
se Kohlenwasserstoffe oder energietragende Stoffe PCM) ist die Wärme im Gegensatz zu den sen-
sein. Die Energiespeicherung kann entweder in siblen Wärmespeichern nicht »fühlbar« son-
gasförmigen Medien (z.  B. Wasserstoff, Erdgas, dern »verborgen« gespeichert. Das Ein- und
Windgas, Biogas), in flüssigen Medien wie Kraft- Ausspeichern erfolgt durch eine Änderung des
stoffen (z. B. Ethylen, Propylen, Methanol/Ethanol, Aggregatszustands des Mediums unter Nut-
Diesel, Kerosin) oder in festen Medien in Form zung der jeweiligen Enthalpie. Latente Wärme-
von Biomasse oder Kohle ­erfolgen. speicher werden z. B. in der Gebäudearchitek-
Die Ladevorgänge erfolgen in der Natur (Photo- tur eingesetzt und können Wärme über lange
synthese) oder werden technologisch umgesetzt Zeit relativ verlustfrei speichern.
(Power-to-Gas, Power-to-Liquid). Die Lagerung c. Thermochemische Wärmespeicher nutzen den
bzw. Speicherung wird durch Tanks oder Kaver- Wärmeumsatz umkehrbarer chemischer Reak-
nen realisiert. Die Entladung erfolgt meist durch tionen. Durch eine endotherme Reaktion wird
Verbrennungsprozesse und Wandlung der thermi- der Speicher geladen und nimmt Enthalpie
schen in mechanische und/oder elektrische Ener- auf. Diese wird bei der exothermen Entladung
gie. Über eine Brennstoffzelle kann eine Wandlung wieder abgegeben.
auch direkt in elektrische Energie erfolgen (z.  B.
Wasserstoff). Die Einzel- und Gesamtsysteme sind
in 7 Kap. 8 dargestellt. 2.3.2 Berechnung der wichtigsten
Größen
zz Mechanische Speicher
Mechanische Speicher nutzen aus, dass ein gasför- zz Wichtigste physikalische und energetische
miges, flüssiges oder festes Medium aufgrund sei- Kenngrößen von Speichern
ner Lage (Potenzial), Geschwindigkeit (Kinematik) Die Speicherformen können über physikalische
oder seines thermodynamischen Zustands (Druck) Größen miteinander verglichen werden. Anhand
eine gewisse Energie aufweist. Sie zählen überwie- dieser Größen wird für jeden individuellen Zweck
gend zu den sekundären Energiespeichern. Hierzu der passende Speicher ausgewählt. .  Tabelle  2.2
zählen Druckluftspeicher (CAES), Pumpspeicher, zeigt eine Auswahl der wichtigsten Kenngrößen.
Schwungräder, Lageenergiespeicher und Federn, Weitere Größen sind Zyklenzahlen (Zyklenfes-
welche näher in 7 Kap. 9 beschrieben werden. tigkeiten) in Anzahl pro Tag, Woche oder Jahr, der
Speicherfüllstand und Reaktionszeiten (Zugriffs-
zz Thermische Speicher zeiten). Bei Batterien sind ferner die Entladetiefe
Thermische Energiespeicher speichern Wärme (Depth of Discharge DOD) und der Ladezustand
nach thermodynamischen Prinzipien und zählen (State of Charge SOC) wichtige Größen.
zu den sekundären Energiespeichern (s. 7 Kap. 10). Die Berechnung dieser Leistungs- und Energie-
Anhand deren können folgende Technologien größen bildet den technischen Vergleichsmaßstab
unterschieden werden: für Energiespeicher (s. [3]).
a. In sensiblen Wärmespeichern wird Wärme
durch die Temperaturdifferenz eines Speicher-
mediums vor und nach dem Ladevorgang
38 Kapitel 2 • Definition und Klassifizierung von Energiespeichern

. Tab. 2.2  Zusammenstellung der wichtigsten physikalischen Speicherkenngrößen

Kenngröße Einheita Bedeutung

2 Leistungsgrößen

Leistung P W Ein-/ Ausspeicherleistung (Lade-/ Entladeleistung) als


­Energie/ Arbeit pro Zeiteinheit

Leistungsdichte pb W/kg, W/m3 Nutzbare Leistung pro Massen-/Volumeneinheit

Leistungsgradient LG W/s Leistungsbezogene Ein-/ Ausspeichergeschwindig-


keit (Lade-/ Entladegeschwindigkeit)

Energiegrößen

Energie E, Arbeit W (Energie- Wh Nutzbarer Energieinhalt des Speichers


menge, Speicherkapazität)

Energiedichte wb Wh/kg, Wh/m3 Nutzbare Energiemenge pro Massen- oder Volumeneinheit

Zeitgrößen und Wirkungsgrad

Wirkungsgrad η 1 (%) Effizienz eines Energiewandlungs- oder -speicherprozesses

Selbstentladungsrate SE 1 (%) Anteil der während einer Zeitspanne durch Selbstentladung


verlorenen gespeicherten Energie

Ein- und Ausspeicherdauer t s Dauer des Ein- bzw. Ausspeichervorgangs (Lade- bzw. Ent-
ladevorgangs)

a Exemplarisch werden hier die Einheiten Watt, Wattstunde, Sekunden, Kilogramm und Kubikmeter verwendet, es
kann aber auch jede andere Energie-, Zeit-, Massen- und Volumeneinheit angewandt werden
b Volumetrische Größen eignen sich für Gase, gravimetrische Größen für Flüssigkeiten und Feststoffe

zz Berechnung der Leistungsgrößen Die Leistungsdichte p ist eine relative Leistungs-


Die Einspeicherleistung Pein (oder Ladeleistung) größe, die die Ein- oder Ausspeicherleistung auf
eines Speichersystems in Watt (W) ergibt sich aus das Volumen oder die Masse des Energiespeichers
der zugeführten, eingespeicherten Energie oder bezieht. Sie wird als volumetrische Leistungsdichte
Arbeit Wein pro Zeiteinheit tein. Analog zur Ein- pV in W/m3 (Gl. 2.3) oder als gravimetrische Leis-
speicherung wird für die Ausspeicherung die Aus- tungsdichte pm in W/kg (Gl.  2.4) angegeben und
speicherleistung Paus (oder Entladeleistung) aus vorwiegend für den leistungselektronischen Teil
der entnommenen, ausgespeicherten Energie oder von Batteriespeichersystemen verwendet,
Arbeit pro Zeiteinheit errechnet (Gl. 2.1 und 2.2).
Ein- und Ausspeicherleistung können von unter-  P
pV = ; mit P = Pein oder Paus , (2.3)
schiedlicher Größe und Auslegung sein, V

 dWein Wein  P
PLaden = Pein = = , (2.1) pm = ; mit P = Pein oder Paus . (2.4)
dt tein m

Der Leistungsgradient LG in W/s oder %/min ist


 dWaus Waus ein Maß für die leistungsbezogene Ein- und Aus-
PEntladen = Paus = = . (2.2)
dt taus speichergeschwindigkeit eines Speichers und wich-
tig für seinen dynamischen Einsatz zum Ausgleich
2.3 • Klassifizierung von Speichern
39 2
von Schwankungen in Energieangebot und -nach- 55 Doppelschichtkondensator: 10 kWh/m3
frage (Gl. 2.5), 55 Supraleitende magnetische Spule: 3 kWh/m3

Elektrochemische Speicher (mittlere Energiedichte)


 dP 55 Lithium-Ionen-Batterie: 300 kWh/m3
LG = ; mit P = Pein oder Paus . (2.5)
dt 55 Bleibatterie: 70 kWh/m3

zz Berechnung der Energiegrößen Chemische Speicher (hohe Energiedichte)


Die Speicherkapazität W oder E in Wattstunden 55 Wasserstoff: 400 kWh/m3 (bei 300 K und
(Wh) beschreibt die Energiemenge, die ein Speicher 200 bar)
aufnehmen, abgeben oder insgesamt fassen kann. 55 Methan: 1200 kWh/m3 (bei 300 K und 200 bar)
Die Gesamtkapazität Wges beschreibt die Aus- 55 Benzin: 10.000 kWh/m3
legungsgröße und das Fassungsvermögen eines Mechanische Speicher (sehr geringe Energiedichte)
Energiespeichers. 55 Potenzielle Energie (z. B. Pumpspeichersee):
Während eines Ein- oder Ausspeichervorgangs 1,5 kWh/m3 (bei 540 m Höhe)
wird meist nur eine Teilkapazität Wein und Waus be- 55 Kinetische Energie (z. B. Schwungrad):
nötigt. Der Speicherfüllstand ändert sich entspre- 20 kWh/m3 (Stahlrad bei 5000 U/min)
chend. Die Teilkapazitäten ergeben sich als Integral 55 »Druckenergie« (z. B. CAES-Kraftwerk Huntorf ):
der Auflade- oder Entladeleistung bzw. Ein- und 20 kWh/m3 (bei 70 bar)
Ausspeicherleistung (Pein oder Paus) über die Auf-
oder Entladedauer bzw. Ein- und Ausspeicherdau- Thermische Speicher (mittlere Energiedichte)
er (tein oder taus) (Gl. 2.6 und 2.7). Bei konstanten 55 Sensible Wärmespeicher (z. B. Wasser):
Leistungen entfallen die Integrale, und es bleibt das 175 kWh/m3 (bei ΔT = 150 K)
Produkt aus Leistung und Zeit, 55 Latente Wärmespeicher (z. B. Wasser – Dampf ):
627 kWh/m3 (bei 1 bar und 273 K)
 t2 55 Thermochemische Speicher: 200–500 kWh/m3
Wein = ∫ Pein (t ) ⋅ dt , (2.6)
t1

zz Berechnung der Wirkungsgrade und


 t4
Waus = ∫ Paus (t ) ⋅ dt. (2.7) Zeitgrößen
t3 Der Wirkungsgrad eines Systems oder einer Tech-
nologie ist als Nutzen zu Aufwand definiert (s. [7]).
Die Energiedichte w ist eine relative Energiegröße, Der Nutzen eines Energiespeichers ist die »Lage-
die die Speicherkapazität des Energiespeichers auf rung« von Energie für den zeitlichen Ausgleich
sein Volumen oder seine Masse bezieht. Sie wird als zwischen Angebot und Nachfrage. Der Aufwand
volumetrische Energiedichte wV in kWh/m3 (Gl. 2.8) stellt sich als das Laden, Speichern (Ladungserhal-
oder als gravimetrische Energiedichte pm in kWh/kg tung) und Entladen des Energiespeichers dar. Die
(Gl. 2.9) angegeben. Die Energiedichte ist ein zent- Wirkungsgrade von Energiespeicher werden daher
rales Maß in der Bewertung von Energiespeichern, unterschieden in
a. Einspeicherwirkungsgrad (oder Ladewir-
 W kungsgrad),
wV = , (2.8)
V b. Speicherwirkungsgrad,
c. Ausspeicherwirkungsgrad (oder Entladewir-
 W kungsgrad),
wm = . (2.9)
m
welche multipliziert den Gesamtwirkungsgrad ηges
Vergleich verschiedener Energiedichten des Speichersystems ergeben.
Beispielhaft werden die volumetrischen Energie- Für die Ein- und Ausspeicherprozesse bieten
dichten der im Buch verwendeten physikalischen sich Leistungsgrößen an, für die Ladungserhaltung
Speicherarten verglichen, nach [1] und [5]. energetische Größen. Da allerdings häufig die Leis-
Elektrische Speicher (geringe Energiedichte) tungen im Ein- und Ausspeichern nicht konstant
40 Kapitel 2 • Definition und Klassifizierung von Energiespeichern

sind, bietet sich auch hier das zeitliche Integral über ladung (Gl.  2.14)) ins Verhältnis. Der Ausspei-
die Leistungen als Messgröße an. cherprozess kann wie der Einspeicherprozess aus
Entsprechend definiert sich der Einspeicherwir- mehreren Teilprozessen bestehen, deren einzelne
2 kungsgrad ηein (oder Ladewirkungsgrad) einheitenlos Wirkungsgrade sich zum Ausspeicherwirkungs-
bzw. in Prozent als Verhältnis von gespeicherter Ener- grad multiplizieren,
gie Wsp zur eingespeicherten Energie Wein (Gl. 2.10).
Der Einspeicherprozess kann aus mehreren Teilpro-
zessen bestehen, deren einzelne Wirkungsgrade sich

ηaus =
∫P aus ⋅ dt
=
Waus
=
Waus
, (2.13)
∫P ⋅ dt Wsp Wein ⋅ ηein
zum Einspeicherwirkungsgrad multiplizieren, sp


ηein =
∫Psp ⋅ dt
=
Wsp
.
 ∫P aus ⋅ dt Waus
(2.10) ηaus , real = =
∫Pein ⋅ dt Wein
∫P sp ⋅ dt − ∫ PV ⋅ dt Wsp , end
Waus Waus
Fast alle Speicher halten die gespeicherte Energie = = .
Wein ⋅ ηein ⋅ (1 − SR ) Wein ⋅ ηein ⋅ ηsp
nicht konstant und verlieren über die Zeit einen
Teil davon. Die Selbstentladungsrate SR gibt an, (2.14)
wie viel Prozent der gespeicherten Energie Wsp als Der Gesamtwirkungsgrad ηges eines Speichersys-
Verlustleistung PV über einen Zeitraum dt durch tems ergibt sich aus dem Produkt von Einspeicher-,
die Selbstentladung ungenutzt an die Umwelt ab- Speicher- und Ausspeicherwirkungsgrad bzw. aus
gegeben werden (Gl.  2.11). Bei sensiblen Wärme- dem Verhältnis zwischen ausgespeicherter zu ein-
speichern erfolgt die Selbstentladung über den gespeicherter Energie. Ist die Selbstentladung des
thermischen Widerstand der Isolierung und den idealen Speichers gleich null und damit der Spei-
Temperaturgradienten zwischen Speichermedium cherwirkungsgrad gleich eins, ergibt sich der ideale
und Umgebung, bei Pumpspeichern durch Ver- Gesamtwirkungsgrad in Gl. 2.15 zu:
dunstung des Oberwassers, bei Batterien durch in-
terne elektrochemische Vorgänge,  Waus
ηges , ideal = = ηein ⋅ ηaus . (2.15)
Wein
 SR =
∫ PV ⋅ dt =
WV
. (2.11)
Wsp Wsp
Für den realen Fall ergibt sich der reale Gesamt-
Über einen zeitlich festen Zyklus kann damit ein wirkungsgrad nach Gl. 2.16 zu:
einheitenloser Speicherwirkungsgrad ηsp definiert
werden, der das Verhältnis zur eingespeicherten  Waus  W 
Energie Wsp und der nach einem Zeitraum dt ver- ηges , real = ⋅ 1 − V  = ηein ⋅ ηsp ⋅ ηaus .
Wein  Wsp 
bleibenden Energie Wsp,end angibt (Gl. 2.12),
(2.16)
Die Einspeicherdauer tein (auch Ladedauer oder
Wsp − ∫ PV ⋅ dt Wsp − WV Aufladedauer) in s, min oder h gibt an, wie lange
ηsp = =
Wsp Wsp ein Speichersystem mit Nominalleistung Pein gela-
den werden kann (Gl. 2.17),
 W  Wsp , end
= 1 − V  = = 1 − SR. (2.12)
 Wsp  Wsp  Wein Wsp (2.17)
tein = = .
Pein Pein ⋅ ηein

Der Ausspeicherwirkungsgrad ηaus (oder Entlade- Die Zeit der Entladung eines Speichers mit Nomi-
wirkungsgrad) setzt die ausgespeicherte Energie nalleistung Paus ergibt die Ausspeicherdauer taus
Waus zur gespeicherten Energie Wsp (ohne Selbst- (oder Entladedauer). Sie wird auch als E/P-Ver-
entladung (Gl.  2.13)) bzw. Wsp,end (mit Selbstent- hältnis (E/P-Ratio, »Energie zu Leistung«) oder
2.3 • Klassifizierung von Speichern
41 2
W/P-Verhältnis bezeichnet und fast ausschließlich Ausspeicherdauer (Entladedauer) taus (E/P-Ratio)
auf die maximale Ausspeicherleistung (oder Ent- sinnvoll. Eine gängige Unterscheidung ist die Ein-
ladeleistung) bezogen (Gl. 2.18), teilung in Kurz- und Langzeitspeicher. Gelegentlich
wird auch die Definition »Mittelzeitspeicher« ver-
 Waus Wsp ⋅ ηsp ⋅ ηaus wendet, die aber nicht deutlich von Kurzzeitspei-
taus = = . (2.18)
Paus Paus chern zu unterscheiden sind, weshalb dieser Begriff
in diesem Buch nicht angewandt wird. Kurzzeit-
Die Ausspeicherdauer (Entladedauer) ist das Haupt- und Langzeitspeicher werden in . Abb. 2.8 in feine-
maß zur zeitlichen Klassifizierung von Energiespei- re Zeiteinheiten unterteilt und klassifiziert.
chern, die sich an diesen Abschnitt anschließt.
zz Kurzzeitspeicher (Sekunden, Minuten,
Beispiel Pumpspeicherwerk Goldisthal Stunden, Tage)
Der Pumpspeicher hat eine Speicherkapazität WSp Kurzzeitspeicher speichern Energie von weni-
von 9864  MWh aus der potenziellen Lageenergie gen Nanosekunden bis hin zu einem ganzen Tag
des Speicherwassers zwischen Oberbecken und (taus ≤ 24  h), wobei die meisten Kurzzeitspeicher
Unterbecken, die sich aus dem Nutzinhalt des Ober- als Stunden- und Tagesspeicher ausgelegt sind. Sie
beckens von 12 Mio. m3 und der mittleren statischen weisen im Stromsektor in der Regel ein Verhält-
Fallhöhe von 301,65 m ergibt. Die Pumpleistung (Ein- nis zwischen Energie und Leistung (E/P-Ratio)
speicherleistung) beträgt Pein = 4 · 257 = 1028  MW; von 1–10 sowie hohe Zyklenzahlen und Zyklus-
die Leistung der 4 Turbinensätze (Ausspeicherleis- wirkungsgrade auf. Aufgrund dieser Eigenschaften
tung) Paus = 4 · 269  MW = 1076  MW. Der Gesamtwir- werden sie vor allem zum Ausgleich von kurzfristi-
kungsgrad ηges wird mit 80 % angegeben (s. [2]). gen Schwankungen im Stromnetz eingesetzt.
Wird nun der Pumpspeicher über eine Stunde
mit einer konstanten Leistung von Pein = 100  MW Beispiel
bei einem angenommenen Einspeicherwirkungs- Kurzzeitspeicher werden in folgende Speicher
grad ηein = 87 % geladen, wird eine Teilkapazität von unterteilt:
87  MWh benötigt und der energetische Speicher- 55 Sekundenspeicher: Schwungräder, supralei-
füllstand entsprechend angehoben. tende elektromagnetische Energiespeicher,
Wird die bei Pumpspeichern geringe Selbst- Doppelschichtkondensatoren sowie Batterien
entladung vernachlässigt, kann bei einem Ausspei- 55 Minutenspeicher: Batterien, sensible Wärme-
cherwirkungsgrad ηaus = 92 % aus den gespeicher- speicher
ten 87 MWh potenzielle Energie 80 MWh elektrische 55 Stundenspeicher: Batterien, Pumpspeicher,
Energie gewandelt werden. Druckluftspeicher, sensible Wärmespeicher
Aus den technischen Daten ergeben sich fol- 55 Tagesspeicher: Batterien, Pumpspeicher,
gende Ein- und Ausspeicherdauern für das Pump- Druckluftspeicher, sensible Wärmespeicher
speicherwerk, wobei die Selbstentladung durch
Verdunstung vernachlässigt wird: zz Langzeitspeicher (Wochen, Monate, Saison,
Jahre)
Wsp 9864 MWh Langzeitspeicher halten Energie über viele Tage
tein = = = 11 h,
Pein ⋅ ηein 1028 MW ⋅ 0,87 und Wochen bis hin zu mehreren Monaten und
Jahren vor (taus ≥ 24 h). Dadurch können saisonale
Wsp ⋅ ηsp ⋅ ηaus 9864 MWh ⋅ 1 ⋅ 0,92 Schwankungen wie lang anhaltende Windflauten,
taus = = = 8, 4 h.
Paus 1076 MW geringe Wassermengen in der Wasserkraft oder
längere dunkle Perioden in der Energieversorgung
ausgeglichen werden. Sie weisen in der Regel ein
2.3.3 Zeitliche Klassifizierung großes Verhältnis zwischen Energie und Leistung
auf, besitzen sehr hohe Speicherkapazitäten mit
Für die Betrachtung, wie lange ein Speicher Energie geringen Speicherverlusten und haben geringe
liefern kann, ist eine Unterteilung in Bezug auf die ­Zyklenzahlen und Zykluswirkungsgrade.
42 Kapitel 2 • Definition und Klassifizierung von Energiespeichern

Speicher

2
Kurzzeitspeicher Langzeitspeicher

Sekundenspeicher Wochenspeicher

Minutenspeicher Monatsspeicher

Stundenspeicher Saisonalspeicher

Tagesspeicher

Beispiele:
Pumpspeicher Gasspeicher
Batterien Sensible und latente
Druckluftspeicher Wärmespeicher
Schwungmassenspeicher Fernwärmespeicher
Kondensatoren, Spulen Brenn- und Kraftstoffe
Sensible und latente Wärmespeicher Pumpspeicher

. Abb. 2.8  Klassifizierung von Kurzzeitspeichern und Langzeitspeichern

Beispiel der zeitlichen Klassifizierung eine wichtige Rolle.


Langzeitspeicher werden in folgende Speicher Hiermit lassen sich Aussagen darüber treffen, wie
­unterteilt: lange die kalendarische oder zyklische Lebens-
55 Wochenspeicher: Pumpspeicher, Kavernen- dauer oder der Leistungsgradient LG des Ein- oder
und Porenspeicher, sensible Wärmespeicher Ausspeicherns ist.
55 Monatsspeicher: Speicherwasser, Kavernen-
und Porenspeicher, sensible Wärmespeicher
55 Jahresspeicher: Speicherwasser, Kavernen- 2.3.4 Räumliche Klassifizierung
und Porenspeicher, sensible Wärmespeicher
Eine weitere Möglichkeit der Klassifizierung ist die
Bis auf wenige Pumpspeicher und Speicherwasser-
räumliche Klassifizierung, angelehnt an [6]. Unter-
kraftanlagen in Norwegen und den Alpen kommen
schieden wird einerseits zwischen zentralen und
ausschließlich Öl- und Gasspeicher in Form von Ka-
dezentralen und andererseits zwischen ortsfesten
vernen- und Porenspeicher als Langzeitspeicher
und mobilen Speichersystemen.
zum Einsatz. Über ihren klassischen Nutzen als stra-
tegische Reserve können sie auch für erneuerbare
zz Zentrale Speicher
Energien über Power-to-Gas und Power-to-Liquid
Zentrale Speicher sind große, meist ortsfeste Einhei-
verwendet werden.
ten wie Pumpspeicher oder Erdöl- und Gaskaver-
Ähnlich wie die Speicherdauer spielen die Zyklen- nen. Sie sind an geologische und topologische Vor-
zahl sowie die Speicherdynamik und -stabilität bei aussetzungen gebunden, was ein Nachteil sein kann.
2.3 • Klassifizierung von Speichern
43 2
zz Dezentrale Speicher 2.3.5 Ökonomische Klassifizierung
Dezentrale Speichersysteme sind verteilte, klei-
ne und modulare Speichereinheiten. Sie passen Ein Vergleich hinsichtlich der Kosten eines Ener-
gut zum dezentralen Charakter der erneuerba- giespeichers ist aufgrund der unterschiedlichen
ren Energien. Beispiele sind Hausbatteriespeicher Einsatzgebiete, Einsatzschemas (Zyklenzahlen) und
an Photovoltaikanlagen oder Akkumulatoren an Entwicklungsstadien nur bedingt möglich.
Funkstationen. Der Aufbau ist dabei nicht an be-
stimmte Umgebungsvoraussetzungen gebunden, zz Kapitalkosten
jedoch bestehen bei wachsender Speichergröße Zur ökonomischen Klassifizierung lassen sich
kaum wirtschaftliche Skaleneffekte. Dezentrale mehrere Kenngrößen heranziehen. Eine wichtige
Speicher können auch von einem Punkt aus ge- Größe stellen die spezifischen Investitionskosten k0
steuert werden, z. B. in einem virtuellen Kraftwerk. (auch I0 bzw. CAPEX = Capital Expenditure) dar.
Sie beschreiben die einmaligen Kosten, die für den
zz Speicher mit Doppelnutzen Bau und Inbetriebnahme des Speichers notwen-
Einige Speicher können auch einen Doppelnutzen dig sind und werden auf die installierte Leistung
erfüllen: (€/kW) oder auf die installierte Speicherkapazität
55 Batterien eines Elektroautos können zur Strom- (€/kWh) bezogen (Gl. 2.19).
versorgung eines Hauses dienen oder nach Auch eine Kombination aus beiden ist üblich,
ihrer Verwendung in der Mobilität im stationä- wenn die Ein- und Ausspeicherleistung Pein und
ren Bereich eingesetzt werden (Second Life). Paus unabhängig von der Speicherkapazität Wges
55 Warmwasserspeicher oder Fernwärmenetze ausgelegt wird. Die Gesamtinvestition kges zum An-
können mit einer elektrischen Heizung (Heiz- fangszeitpunkt umfasst beides,
stab, Elektrowärmepumpe) nachgerüstet
werden, über die überschüssiger Wind- oder  k ges k ges
k0 = ; bzw. k0 = . (2.19)
Solarstrom gespeichert werden kann. Paus Wsp
55 Neben ihrer originären Aufgabe wie dem Er-
zeugungsausgleich im Stromsektor oder der Jede Speichertechnologie hat unterschiedliche Kos-
Bereitstellung von Mobilität im Verkehrssektor tenschwerpunkte: Während sich die Kapitalkosten
können viele Energiespeicher am Stromnetz für Batteriekraftwerke hauptsächlich aus der Kapa-
zusätzliche Funktionen wie Systemdienstleis- zität (€/kWh) ergeben, liegt der Kostentreiber bei
tungen zu marginalen Kosten anbieten und Power-to-Gas in den Ein- und Ausspeichereinheit
über diese Doppelnutzung ihre Wirtschaftlich- (€/kW), und die Speicherkapazität ist sehr günstig.
keit verbessern.
zz Betriebskosten
zz Ortsfeste Speicher Als zweite wirtschaftliche Kennzahl sind die Be-
Ortsfeste Speicher sind an einen bestimmten Ort triebskosten (OPEX = Operational Expenditure) zu
gebunden. Dazu zählen vorwiegend zentrale Spei- nennen, die zum Ausdruck bringen, welche Kos-
cher wie Pumpspeicher, Kavernenspeicher, Aquife- ten beim Betrieb des Speichers (z. B. Stromeinkauf,
re oder Lageenergiespeicher, aber auch dezentrale Wartung, Versicherung) entstehen. Sie werden auf
Speicher wie kleine Druckluftspeicher. Zentrale, die umgesetzte Energie angegeben (€/kWh) und
ortsfeste Speicher können oft nicht am Ort der Er- können nach fixen Betriebskosten (Personal, War-
zeugung aufgestellt werden. Durch den notwendi- tung, Versicherung etc.) und variablen Betriebskos-
gen Transport von Strom, Wärme oder Kraftstoffen ten (Einkauf von Strom oder Brennstoff, Verschleiß
entstehen Übertragungsverluste, die nachteilig sind. etc.) differenziert werden.
Die fixen Betriebskosten beziehen sich bei-
zz Mobile Speicher spielsweise auf Personalkosten zum Betrieb der An-
Mobile Speicher wie Batterien oder Kraftstofftanks lage unabhängig davon, wie hoch ihre Auslastung
können je nach Bedarf kurz- oder längerfristig an ist. Sie werden für gewöhnlich mit 1–5 % (grob 2 %)
einem Ort positioniert werden. der Investitionskosten angenommen. Die variablen
44 Kapitel 2 • Definition und Klassifizierung von Energiespeichern

Betriebskosten fallen nur für den Energieumsatz in gelenergie) mit einer Speicherkapazität von Wges = 10
einem Speicher an. MWh und einer Ausspeicherleistung von Paus = 10 MW
für einen 110 kV-Netzknoten ausgelegt werden.

2 zz Annuitätische Investitionskosten Angenommen, die Lithiumionenzellen können


für k0 = 600 €/kWh und die dazugehörige Leistungs-
Die annuitätischen Investitionskosten sind ein ge-
bräuchlicher Preisindikator für Energiespeicher. Sie elektronik für k0 = 180 €/kW eingekauft werden. Die
können aus folgenden Parametern errechnet werden: Anlage soll auf 10 Jahre abgeschrieben werden,
55 Investitionskosten k0 für Ein- und Ausspei- und es wird ein Kapitalzins von 10 % erwartet. Als
cherleistung in €/kW und Speicherkapazität in fixe Betriebskosten werden 2 % der Investitionskos-
€/kWh ten angesetzt. Die Gesamtinvestition beträgt damit
55 Nutzungsdauer tNutz in a kges = (6 + 1,8) Mio. € = 7,8 Mio. €, die fixen Betriebskos-
55 Kapitalzinsen (kalkulatorische Zinsen) i in 1/a ten kfix = 7,8 Mio. € 0,02 / 10 MW = 15,6 € kW− 1 a− 1 und die
55 Jährliche fixe Betriebskosten kfix in € kW− 1 a− 1, spezifische Investition k0 = 7,8 Mio. €/10 MW = 780 €/kW.
errechnet aus 1–5 % der Investitionskosten. Daraus ergeben sich annuitätische Investitions-
kosten nach Gl. 2.21 zu
Die Nutzungsdauern variieren sehr stark zwischen € 1
heute 3–10 Jahren bei Batteriesystemen und bis zu ka = 780 ⋅ (0,16275 + 0,02)
kW a
80 Jahren und mehr bei Pumpspeichern. Für Batte- € T€ Mio ⋅ €
rien steht in Aussicht, dass sie mit entsprechender = 143 = 143 = 143 .
kW ⋅ a MW ⋅ a GW ⋅ a
Software in Batteriemanagementsystemen und ge-
nau definierten Anwendungen bis zu 20 Jahre Nut- Übersteigen die jährlichen Erlöse an den Reserve-
zungsdauern aufweisen können. Ein entsprechen- märkten diese annuitätischen Investitionskosten
des Projekt von Samsung und der Younicos AG ist zuzüglich der variablen Betriebskosten für z. B. den
in 7 Abschn. 13.1 beschrieben. Stromeinkauf, ist die Investition in das Batterie-
Die Kapitalzinsen (auch kalkulatorische Zin- kraftwerk rentabel und wirtschaftlich sinnvoll.
sen) spiegeln den Stand der Konjunktur (Leitzins,
Zinspolitik) und der Renditeerwartung der Inves- Weiterführende ökonomische Betrachtungen sind sehr
toren wider. Werte zwischen 5–15 % sind üblich, je individuell je nach Anwendungszweck und Marktein-
nach Zinspolitik und Risikobewertung seitens der satzgebiet der Energiespeicher. Daher werden sie an
Investoren, Banken und Unternehmer. In der Ener- dieser Stelle nicht weiter ausgeführt und dafür teilweise
giewirtschaft sind 10 % ein gängiger Wert. in den einzelnen Kapiteln näher betrachtet.
Aus den Kapitalzinsen und der Nutzungsdauer
ergibt sich der Annuitätsfaktor a in 1/a (Gl. 2.20):
 t Nutz 
2.4 Zusammenfassung
  a 
i ⋅ (1 + i )
a=  t Nutz 
. (2.20) 55 Ein Speicher ist eine Einrichtung zur Bevor-
(1 + i )
 a 
−1 ratung, Lagerung und Aufbewahrung von
Gütern.
Damit lassen sich sehr einfach die annuitätischen 55 Ein Energiespeicher ist eine energietechni-
Investitionskosten ka in € kW− 1 a− 1 berechnen sche Einrichtung, welche die drei folgenden
(Gl. 2.21): Prozesse beinhaltet: Einspeichern, Speichern
ka = k0 ⋅ a + k fix . (2.21) und Ausspeichern bzw. Laden, Speichern und
 Entladen.
Übersteigen die jährlichen Einnahmen diese An- 55 Ein Energieträger ist ein Stoff, der Energie
nuität, lohnt sich in der Regel die Investition. gespeichert hat.
55 Ein primärer Energiespeicher wird nur ein-
Beispiel Batteriekraftwerk malig geladen und entladen, während ein se-
Ein großes Batteriekraftwerk soll zum Einsatz als kundärer Energiespeicher mehrfach geladen
Kurzzeitspeicher (taus < 1 h) in Reservemärkten (Re- und entladen werden kann.
2.4 • Zusammenfassung
45 2
55 Es wird zwischen sektoralen und sektoren- elektrisch (elektromagnetisch), elektroche-
übergreifenden Energiespeichern unterschie- misch/ chemisch, mechanisch, thermisch.
den: Während sektorale Energiespeicher 55 Die Berechnung der physikalischen Leistungs-
rein in einem der drei Energiesektoren Strom, und Energiegrößen bildet den technischen
Wärme und Verkehr eingesetzt werden und Vergleichsmaßstab für Energiespeicher. Spei-
bidirektional arbeiten, werden sektorenüber- cherkapazität, Energiedichte, Ein- und Aus-
greifende Energiespeicher für die Kopplung speicherleistung, Wirkungsgrade und Ausspei-
der Energiesektoren verwendet und vorwie- cherdauern sind die wichtigsten Größen.
gend unidirektional aus dem Stromsektor in 55 Energiespeicher können ferner nach ihrer
Wärme und Mobilität betrieben. Beispiele Ausspeicherdauer in Kurzzeitspeicher (bis
dazu sind Power-to-Gas, Power-to-Heat und zu einem Tag) und Langzeitspeicher (bis zu
die Elektromobilität. mehreren Jahren) unterschieden werden.
55 Energiespeicher sind vorrangig für einen zeit- 55 Die Investitionskosten der Speicher-, Ein-
lichen Ausgleich zwischen Energieangebot oder Ausspeichertechnologien werden ent-
und Energienachfrage vorgesehen und stehen weder leistungsbezogen in €/kW oder kapazi-
prinzipiell nicht in Konkurrenz zu Energie- tätsbezogen in €/kWh angegeben. Als fixe
netzen, welche für den räumlichen Ausgleich Betriebskosten können 2 % der Investitions-
zuständig sind. kosten angenommen werden, um die annuitä-
55 Energiespeicher können unterschiedlich klas- tischen Investitionskosten zu berechnen.
sifiziert werden. Die gängigste Art und Weise
ist die physikalisch-energetische Einteilung k und zum Abschluss des ersten Teils noch
k…
nach ihrem grundsätzlichen Funktionsprinzip: eine Karikatur von Gerhard Mester:
46 Kapitel 2 • Definition und Klassifizierung von Energiespeichern

Literatur

1. BINE (2001) Thermochemische Speicher. Fraunhofer,


Eggenstein-Leopoldshafen
2 2. Dünkel W (2006) Pumpspeicherwerk Goldisthal –
1.060 MW-Kavernenkraftwerk. Bericht – Exkursion in das
Pumpspeicherwerk Goldisthal/Thüringer Wald, Kassel
3. Emele L (2011) Techno-Ökonomischer Vergleich von
Erneuerbarem Methan mit anderen Stromspeichertech-
nologien. Master Thesis (Betreuer Sterner, M., Gerhardt,
N.), Universität Kassel
4. Neyer A (2013) Magnetismus. Grundlagen der Elektro-
technik. Fakultät Elektrotechnik, TU Dortmund
5. Ortloff F (2011) Speicherung von regenerativ erzeugter
elektrischer Energie in der Erdgasinfrastruktur. gwf-Gas
Erdgas 04:200–210
6. Sauer D (2011) Energiespeichersysteme. Institut für
Stromrichtertechnik und Elektrische Antriebe (ISEA),
RWTH Aachen
7. VDI (2003) VDI Richtlinie 4661: Energiekerngrößen –
Definitionen, Begriffe, Methodik. Beuth, Berlin
47 II

Teil II Bedarf an
Energiespeicherung
Kapitel 3 Speicherbedarf in der Stromversorgung – 49

Kapitel 4 Speicherbedarf in der Wärmeversorgung – 119

Kapitel 5 Speicherbedarf im Verkehrssektor – 141


49 3

Speicherbedarf in der
Stromversorgung
Übersicht
Energiespeicher sind – gestern wie heute – ein entscheidender Faktor in der
Energieversorgung. Wie sich der Speicherbedarf in der Zukunft in den
Bereichen Strom, Wärme und Mobilität entwickeln wird, ist Gegenstand der
folgenden drei Kapitel. Den Schwerpunkt bildet das vorliegende Kapitel, das
den Stromsektor zum Nukleus der Energieversorgung herausbilden und
wesentliche Brücken zu den beiden anderen Sektoren Wärme und Mobilität
und darüber hinaus zur chemischen Industrie schlagen wird.
Nach heutigen Abschätzungen wird der Speicherbedarf beim
Stromnetzausbau nach Plan und der Nutzung von Flexibilitäten in Erzeugung
und Verbrauch erst ab einem Anteil von 60–80 % erneuerbarer Energien an
der Stromversorgung relevante Größenordnungen erreichen. Der Netzausbau
hat großen Einfluss auf den Speicherbedarf, ebenso die flexible Stromerzeu-
gung in Kraftwerken und bei der Kraft-Wärme-Kopplung sowie der flexible
Verbrauch über das Lastmanagement.
Exemplarisch werden drei Studien zum Speicherbedarf und zur Rolle von
Energiespeichern im Kontext der Flexibilitäten ausführlich vorgestellt. An diesen
Studien, die außerdem durch laufende Arbeiten ergänzt werden, waren die
Autoren und Coautoren selbst beteiligt. In 7 Abschn. 3.6 werden die Ergebnisse
studienübergreifend zusammengefasst und mit sechs weiteren Studien
verglichen.

M. Sterner, I. Stadler, Energiespeicher – Bedarf, Technologien, Integration,


DOI 10.1007/978-3-642-37380-0_3, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
50 Kapitel 3 • Speicherbedarf in der Stromversorgung

3.1 Speicherbedarf und Ausgleich, weshalb beide Technologien grundsätz-


Überschüsse – Einflussfaktoren lich fast nicht gegeneinander ausgespielt werden
und Definitionen können (s.  7  Kap. 2). Das Transportnetz stellt den
überregionalen Ausgleich von Angebot und Nach-
3.1.1 Grundsätzliche Einflüsse auf den frage innerhalb von Marktgebieten und übergrei-
Speicherbedarf fend zwischen Marktgebieten zu jedem Zeitpunkt
3 sicher. Der Ausgleich ergibt sich hierbei in Abhän-
zz Überschüsse vs. Flexibilitätsbedarf vs. gigkeit vom Zuschnitt der Marktgebiete.
Speicherbedarf
Mit dem Begriff Speicherbedarf werden vorwiegend zz Einflussfaktoren auf den Speicherbedarf
Stromüberschüsse in Verbindung gebracht, die aus Folgende Faktoren erhöhen die Stromüberschüsse
erneuerbaren Energien stammen. »Erneuerbare und steigern den Speicherbedarf
Energien sind schön und gut, aber ohne Speicher 55 Erzeugung
funktionieren sie nicht«, ist ein weit verbreiteter 55 hohe Geschwindigkeit des Ausbaus erneu-
Glaube. Dass erneuerbare Energien auch ohne erbarer Energien
einen Speicherausbau zu sehr hohen Anteilen in 55 hohe Anteile von fluktuierenden erneuer-
das Stromsystem integriert werden können, liegt an baren Energien wie Wind und PV
den zahlreichen Flexibilitätsoptionen, die – richtig 55 hohe Prognosefehler bei erneuerbaren
eingesetzt – den Speicherbedarf stark reduzieren. Energien und der Last
Da Energiespeicher zudem oft die teuerste Op- 55 Verbleib oder Erhöhung der Mindeststrom-
tion zum Ausgleich von Schwankungen sind, kom- erzeugung »Must-run« (Kraftwerke für Sys-
men sie erst bei sehr hohen Anteilen erneuerbarer temdienstleistungen und an Wärmeabneh-
Energien im Strommarkt voll zum Tragen. Sie sor- mer gebundene Kraft-Wärme-Kopplung)
gen im Stromsystem durch Ein- und Ausspeichern 55 unflexible thermische, konventionelle
(Laden und Entladen) für eine zeitliche Verschie- Kraftwerke
bung der Stromerzeugung und damit für den zeit- 55 Verteilung
lichen Ausgleich von Angebot und Nachfrage. 55 Verzögerungen im Netzausbau und im
Die Aufgabe der zeitlichen Verschiebung leis- Netzumbau auf Übertragungs- und Vertei-
ten die Speicher jedoch nicht exklusiv. Beispiels- lernetzebene
weise kann sie auch aus Kombinationen von Last- 55 keine Erweiterung der Kuppelstellen in das
management und Flexibilität der konventionellen europäische Ausland
Erzeugung erfüllt werden. Diese Flexibilitätsop- 55 Verbrauch
tionen haben einen signifikanten Einfluss auf den 55 starre Stromnachfrage
erforderlichen Speicherbedarf. Neben der Struk- 55 kein Lastmanagement in Leistungsmärkten
tur des konventionellen und erneuerbaren Erzeu- (vor allem Regelleistung)
gungsparks haben zudem Unsicherheiten bei deren
Einspeisung einen Einfluss auf den Speicherbedarf, Folgende Faktoren verringern die Stromüberschüs-
da z.  B. die Einspeisung aus Wind und PV stark se und mindern den Speicherbedarf
fluktuiert und durch die notwendigen Prognosen 55 Erzeugung
Unwägbarkeiten unterliegt. Energiespeicher kön- 55 Einsatz von flexiblen Kraftwerken und Er-
nen in diesem Zusammenhang den kurzfristigen zeugungsanlagen (Retrofit bestehender
Ausgleich von Prognosefehlern leisten, da sie zu- konventioneller Kraftwerke, Einsatz fle-
meist sehr flexibel eingesetzt werden können. xibler KWK, Zubau flexibler thermischer
Neben dem Erzeugungssystem hat auch das Kraftwerke, flexible Biogasanlagen, flexible
Stromnetz einen großen Einfluss auf die Höhe des Steuerung von Wind- und PV-Anlagen
Speicherbedarfs: Analog zum zeitlichen Ausgleich 55 Verbesserung der Prognosegenauigkeit für
durch Speicher sorgt dieses für den räumlichen erneuerbare Energieanlagen und Last
3.1 • Speicherbedarf und Überschüsse – Einflussfaktoren und Definitionen
51 3

ERZEUGUNG
Ausbaugrad System-
Prognose- Abregelung Flexibilität des Flexibilität
EE und Anteil diensleistung
fehler EE von EE Kraftwerksparks der KWK
Wind & PV durch EE

SPEICHER-
BEDARF

LAST TRANSPORT
Last- Netzausbau Kuppelstellen
Prognose-
management und und europ.
fehler Last
(DSM) Netzumbau Ausgleich

. Abb. 3.1  Einflussfaktoren auf den Speicherbedarf

55 Verringerung der Mindeststromerzeu- Definition Speicherbedarf


gung »Must-run« (Übernahme der Ein Stromspeicherbedarf im Erzeugungsaus-
Systemdienstleistungen durch erneuerbare gleich ergibt sich in Form von Überschüssen
Energieanlagen und Flexibilisierung der bei Überdeckung und Defiziten bei Unter-
bestehenden Kraft-Wärme-Kopplung an deckung von Residuallast nach Abwägung
Wärmenetzen) aller vorrangigen Ausgleichsmaßnahmen und
55 Verteilung Flexibilitätsoptionen.
55 Netzverstärkungen und Netzausbau auf
allen Ebenen, auch regionen- und grenz-
überschreitend
55 Erweiterung der Kuppelstellen in das euro- zz Erläuterungen zur Definition
päische Ausland Ein wichtiger Begriff dabei ist die sogenannte Resi-
55 Verbrauch duallast oder Restlast.
55 Einsatz von flexiblen Verbrauchern (Last-
Definition Residuallast
management)
55 Umsetzung von Lastmanagement in Leis- Die Residuallast ergibt sich aus dem Strombe-
tungsmärkten (vor allem Regelleistung) darf abzüglich der Einspeisung erneuerbarer
Energien oder allgemein als »Verbrauch minus
Diese wesentlichen Einflüsse sind in .  Abb.  3.1 der Einspeisung Erneuerbarer Energien«. Sie
grafisch aufbereitet. teilt sich bei einer rein Erneuerbaren Strom-
erzeugung in Überschüsse und Defizite auf.

3.1.2 Definition Speicherbedarf


Zu den Ausgleichsmaßnahmen und Flexibilitätsop-
Aus diesen Betrachtungen lässt sich eine Definition tionen zählen neben den Speichern insbesondere:
für den Stromspeicherbedarf ableiten: 55 Maßnahmen im Bereich Übertragung und
Verteilung
52 Kapitel 3 • Speicherbedarf in der Stromversorgung

55 Netzausbau im Übertragungs- und Verteil- (


 Residuallast Uberschusse
 und Defizite )
netz zur Beseitigung von Netzengpässen
55 Netzumbau (z. B. Einbau eines regelbaren = Verbrauch ( Last ) − erneuerbare Einspeisung
Ortsnetztransformators) = Flexibilitatsbedarf
 (3.1)
55 Verbesserung der Spannungshaltung (z. B.
Blindleistungsmanagement durch Wechsel-
3 richter)  Speicherbedarf = Flexibilitatsbedarf

55 europäischer Ausgleich durch das Verbund- −vorrangige Flexibilitatsoptionen
 (3.2)
netz über Kuppelstellen
55 Maßnahmen im Bereich Erzeugung
55 Flexibilisierung des thermischen Kraft-
werksparks 3.1.3 Unterscheidung marktbasierter
55 Flexibilisierung der erneuerbaren Energie- und netzbasierter
anlagen Stromüberschuss
55 Flexibilisierung der KWK über Wärme-
speicher zz Energiemärkte vs. Leistungsmärkte
55 Verbesserung der Prognosegüte von Wind- In der Stromversorgung wird grundsätzlich nach
und Photovoltaikanlagen Erzeugungsausgleich (»Energiemärkte«) und
55 Nutzung von Flexibilitäten im europäischen Systemdienstleistungen (u.  a. »Leistungsmärkte«)
Erzeugungs- und Kraftwerksverbund unterschieden (s. 7 Abschn. 13.1).
55 Übernahme von Systemdienstleistungen Innerhalb von Marktgebieten können Über-
durch erneuerbare Energien zur Reduktion schüsse auftreten. Diese können sich zum einen
der Must-run-Kapazitäten marktbasiert ergeben, d. h., Energie kann bilanziell
55 Abregelung von erneuerbaren Energieanla- nicht mehr in den Markt integriert werden, oder
gen und Ausgleich durch thermische Kraft- zum anderen netzknotenscharf auftreten. Entspre-
werke bzw. Gasturbinen chend ist auch die Unterscheidung der Stromüber-
55 Maßnahmen im Bereich Verbrauch schüsse durchzuführen:
55 Flexibilisierung der Lasten durch Lastma- 55 Marktbasierte Überschüsse treten immer dann
nagement, insbesondere Industrie und neue auf, wenn die Erzeugung den Strombedarf
Entwicklungen übersteigt. Ihre Folge sind »negative Strom-
55 (Elektromobilität, Wärmepumpen, Klimati- preise«,
sierung etc.) 55 falls die Residuallast kleiner null wird und
55 Verbesserung der Prognosegüte der Last das Angebot erneuerbarer Energien größer
als die Last ist,
Diese Maßnahmen gelten als vorrangig, wenn sie 55 falls Kraftwerke zu falschen Zeitpunkten
wirtschaftlich günstiger und/oder gesellschaftlich oder in ungeplanter Höhe einspeisen.
vor Ort höhere Akzeptanz finden. In der Regel 55 Netzbasierte Überschüsse entstehen durch
führen viele der genannten Flexibilitätsoptionen Überlastungen bzw. bei Engpässen im Trans-
zu geringeren Gesamtkosten der Stromversorgung portnetz, sodass Einspeisungen an einzelnen
als der Einsatz von Energiespeichern; gleichwohl Netzknoten nicht vom Transportnetz auf-
sind technisch-wirtschaftliche Aspekte nur zwei genommen werden können. Dies ist der Fall,
Dimensionen der Energiewende. wenn auf dem Markt ökonomisch Verträge ab-
Vereinfacht lassen sich Überschüsse und Defi- geschlossen wurden, die physikalisch zu dem
zite, Flexibilitätsbedarf und Speicherbedarf in den Zeitpunkt aufgrund von Netzrestriktionen
beiden Gleichungen (Gl.  3.1 und 3.2) in Zusam- nicht umgesetzt werden können oder wenn
menhang bringen. durch Netzstörungen und Kraftwerksausfälle
Engpässe entstehen. Die Folge ist das
3.2 • Langfristszenarien des Bundesumweltministeriums
53 3
»Abregeln« – also Abschalten von Wind- und werden konnten. Abschätzungen zu netzbasierten
PV-Anlagen oder das An- und Abfahren von Überschüssen sind dagegen deutlich schwieriger.
Kraftwerken im Zuge des Redispatch (Netzeng- Tendenzen werden in 7 Abschn. 3.5 aufgegriffen, ab-
passmanagement). schließend in  7  Abschn.  3.6 gegenübergestellt und
anhand von sechs weiteren Studien interpretiert.
Speicher können in diesem Zusammenhang für
einen bilanziellen Ausgleich sorgen, also Über-
schüsse aufnehmen, die sonst nicht in den Markt 3.2 Langfristszenarien des
integriert werden können. Zudem können sie einer Bundesumweltministeriums
Integration von erneuerbarer Energie in das Trans-
portnetz dienen, die aufgrund regionaler Engpäs- Das Bundesumweltministerium lässt seit mehreren
se im Transportnetz andernfalls abzuregeln wäre, Jahren Langfristszenarien zum Ausbau erneuer-
d. h. einen netzbasierten Speicherbedarf darstellen. barer Energien anfertigen. Darin wird untersucht,
Auch wenn häufig von negativen Strompreisen wie die klima- und energiepolitischen Ziele der
und einem Überangebot an erneuerbaren Energien Bundesregierung umgesetzt werden können. Die
die Rede ist, beläuft sich die abgeregelte Strommen- letzten Langfristszenarien wurden von einem Kon-
ge im Jahr 2011 auf ca. 0,4 TWh oder ca. 0,7 Promil- sortium aus dem Deutschen Zentrum für Luft- und
le des Bruttostromverbrauchs in Deutschland von Raumfahrt (DLR), dem Fraunhofer-Institut für
ca. 600 TWh (s. [6]). Die Tendenz dieser zum Be- Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES  )
darf relativ kleinen Menge ist zwar von Jahr zu Jahr und dem Ingenieurbüro für Neue Energien (IfNE)
steigend und stark wetterabhängig, aber da es sich angefertigt. Sie erschienen 2012 unter dem Titel
weitgehend um netzbasierte Überschüsse handelt, »Langfristszenarien und Strategien für den Aus-
wird es nach einem Netzaus- und -umbau weniger bau der Erneuerbaren Energien in Deutschland bei
Stromüberschüsse geben. Im Vergleich zu Spei- Berücksichtigung der Entwicklung in Europa und
chern ist der Netzausbau die ökonomisch vorteil- global« (s. [16]).
haftere Variante. Gesellschaftliche Akzeptanz hin-
gegen finden Speicher häufig vor dem Netzausbau.
3.2.1 Entwicklung des Primär-, End-
zz Speicherbedarf in Deutschland im Laufe der und Nutzenergiebedarfs
Energiewende
Um den zukünftigen Speicherbedarf in Deutsch- zz Effizienzsprung durch direkte
land ermitteln zu können, ist es notwendig zu wis- Stromerzeugung aus Wind, Solar und
sen, wie sich einerseits der Stromverbrauch und Wasserkraft
andererseits die schwankende Einspeisung aus er- Durch den Einsatz von direkt erzeugtem Strom aus
neuerbaren Energien verhalten werden. Ferner ist Wind, Solar und Wasserkraft werden die Abwärme-
der Einfluss der genannten Faktoren und Flexibili- verluste der konventionellen, thermischen Kraft-
tätsoptionen entscheidend. Eine exakte Beantwor- werke vermieden, wodurch ein großer Effizienz-
tung der Frage des Speicherbedarfs im Laufe der gewinn erreicht wird. Proportional zum Einsatz
Energiewende ist aufgrund der vielen Variablen dieser drei Energiequellen sinken durch den Ersatz
und Unsicherheiten nicht möglich und extrem fossiler Brennstoffe die Treibhausgasemissionen.
stark von den getroffenen Annahmen abhängig. .  Abbildung  3.2 illustriert diesen Zusammenhang
Daher soll versucht werden, über eine Analyse nach der weit verbreiteten Wirkungsgradmethode
und Synthese verschiedener Studien zu diesem The- zur Berechnung von Primärenergie (s. [13]).
ma eine Tendenz und Aussage abzuleiten. In den
»Langfristszenarien des BMU«, der UBA-Studie Primärenergie und Endenergie über alle Sekto-
und der VDE-ETG-Studie wurde allein der Erzeu- ren  Diese Einsparung von Primärenergie auf-
gungsausgleich abgebildet, wodurch lediglich Aus- grund der Substitution konventioneller Kraftwerke
sagen zu marktbasierten Überschüssen getroffen durch die direkte Stromerzeugung spiegelt sich
54 Kapitel 3 • Speicherbedarf in der Stromversorgung

Ungenutzte
Abwärme
Brennstoff

Wind, Solar,
Strom Strom
3 Wasserkraft

38 % Effizienz 100 % Effizienz

. Abb. 3.2  Effizienzgewinn durch die direkte Stromerzeugung aus Wind, Photovoltaik und Wasserkraft. (Quelle: [26])

4500

4000

3500
Endenergieverbrauch in TWh/a

Übrige Verluste
3000 Umwandlungsverluste Strom

2500 Nichenergetischer Verbrauch


(z. B. Grundstoffe der
chemischen Industrie)
2000 Verkehr

1500 Industrie
Gewerbe, Handel, Dienst-
1000 leistungen (GHD)
Private Haushalte
500

0
2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050
Jahr

. Abb. 3.3  Entwicklung des Endenergieverbrauchs nach Sektoren und des Verbrauchs im Umwandlungsbereich (Sum-
me = Primärenergie), (NE: nicht energetischer Verbrauch, beispielsweise chemische Industrie – Kunststoff, Dünger etc.).
(Quelle: [16])

auch in den Bilanzen wider: Der gesamte End- 55 Maßnahmen in der Energieeffizienz im Ver-
energieverbrauch der drei Sektoren Strom, Wärme kehrssektor.
und Verkehr sinkt im Basisszenario bis 2050 gegen-
über dem Vergleichsjahr von 2010 um nahezu die Der Stromsektor entwickelt sich damit zum Nuk-
Hälfte von 14.044 PJ/a (3901 TWh/a) auf 7267 PJ/a leus der Energieversorgung, wie . Abb. 3.4 verdeut-
(2019  TWh/a) (s. .  Abb.  3.3). Weitere tragende licht:
Effekte sind die Effizienzsteigerung im Wärme- 1. Stromsektor
und Verkehrssektor, auch in Verbindung mit dem 55 Die Effizienzsteigerungen durch Direkt-
Stromsektor: erzeugung und der Ausbau der KWK
55 Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) führen zur starken Reduktion der
55 Ausbau von Wärmepumpen Abwärmeverluste und damit des Primär-
55 Maßnahmen in der Energieeffizienz im Wär- energiebedarfs um mehr als 50 %.
mesektor (vor allem Sanierung und Gebäude- 55 Der Strombedarf (Endenergie = Nutz-
standards) energie, ca. 515 TWh) wird im Stromsektor
55 Ausbau der Elektromobilität reduziert (ca. 390 TWh), steigt aber ein-
3.2 • Langfristszenarien des Bundesumweltministeriums
55 3
2010 2050

PE 1425
PE 640
Strom EE 515 EE 395
Anteil Erneuerbare: 16,8 % Anteil Erneuerbare: 80 %
NE 395
NE 515
Wärmepumpen
Power-to-Heat
Power-to-Gas
Kraft-Wärme-Kopplung

PE 1660
PE 785
Wärme EE 1425 EE 775
Anteil Erneuerbare: 9,8 % Anteil Erneuerbare: 52 %

NE 1285 NE 735

Elektromobilität
Power-to-Gas
Power-to-Liquid
PE 815
PE 444
EE 710 EE 425
Verkehr Anteil Erneuerbare: 5,8 % Anteil Erneuerbare: 42 %
NE 230
NE 235

PE: Primärenergie in TWh nach Wirkungsgradmethode mit Wind, Solar und Wasserkraft = 100 %, aber verzerrter prozentualer Darstellung
EE: Endenergie in TWh, welche die exergetische Wertigkeit der unterschiedlichen Energieformen (Strom, Brennstoff, Kraftstoff ) nicht unterscheidet
NE: Nutzenergie in TWh als Zielenergie zur Erfüllung der Energiedienstleistung Strom, Wärme und Fortbewegung (mechanische Energie)

Darstellung auf Basis der BMU Langfristszenarien (Nitsch et al., 2012) und BMW Erneuerbare Energien 2010 (Musiol et al., 2010)

. Abb. 3.4  Stromsektor als Nukleus der zukünftigen Energieversorgung. Primär-, End- und Nutzenergie 2010 und 2050
nach dem Szenario 2011 A der BMU-Langfristszenarien ohne nicht energetischen Verbrauch

schließlich des Strombedarfs für Wärme 55 Die Verbindung zum Stromsektor über
(ca. 95 TWh) und Verkehr (ca. 150 TWh) Wärmepumpen, Power-to-Heat und KWK
auf 635 TWh an werden essenziell.
55 Neue Brücken zu Wärmesektor (KWK, 3. Verkehrssektor
Wärmepumpen) und Verkehrssektor (Elek- 55 Das Transportaufkommen im Personen-
tromobilität und Stromkraftstoffe) werden verkehr bleibt nahezu konstant, im Güter-
etabliert. verkehr steigt es an. Gleichzeitig führt der
2. Wärmesektor Einsatz von Elektromobilität zu großen
55 Die Effizienzsteigerungen durch Sanierung Effizienzsteigerungen, weshalb in Summe
und effizientere Gebäudestandards halbie- der Primärenergiebedarf analog zu Strom
ren den Primär-, End- und Nutzenergie- und Wärme halbiert werden kann, der
bedarf. Endenergiebedarf fällt und der Nutzener-
giebedarf etwa gleich bleibt.
56 Kapitel 3 • Speicherbedarf in der Stromversorgung

55 Die Verbindung zum Stromsektor über Die Entwicklungen des Wärmesektors in den
Elektromobilität und Stromkraftstoffe do- BMU-Langfristszenarien werden in 7 Kap. 4 näher
miniert die zukünftige Mobilität. betrachtet, die des Verkehrssektors in 7 Kap. 5.

zz Wichtige Erläuterungen zur Darstellung von


Primär-, End- und Nutzenergie 3.2.2 Entwicklung des Strommix
3 Die Primärenergieberechnung (PE) erfolgt nach
der Wirkungsgradmethode mit dem Vorteil, dass zz Strombedarf
Strom aus Wind, Solar und Wasserkraft als 100 %ige Der Strombedarf bleibt trotz aller zukünftigen Effi-
Primärenergie ohne Verluste gewertet wird, aber zienzsteigerung elektrischer Geräte nach leichtem
eine prozentuale, vergleichende Darstellung unter Rückgang nahezu konstant (s. .  Abb. 3.5): Die Ef-
den Energieformen verzerrt wiedergibt. Eine Ab- fizienzgewinne werden durch einen erhöhten Elek-
hilfe schafft die Substitutionsmethode, welche die trifizierungsgrad aller Bereiche und die Kopplung
durch Wind, Solar und Wasserkraft ersetzte fossile von Strom- und Wärmesektor und Strom- und Ver-
Primärenergie einrechnet und einen prozentualen kehrssektor kompensiert.
Vergleich richtig darstellt.
Die Endenergie (EE) unterscheidet die exerge- zz Heutiger Strommix
tische Wertigkeit der unterschiedlichen Energie- Aus .  Abb.  3.5 lässt sich folgender Strommix in
formen (Strom, Brennstoff, Kraftstoff) nicht. Da Deutschland für das Jahr 2010 ablesen:
chemische und thermische Energie eine grundle- 55 ca. 378 TWh (61 %) fossile, gespeicherte
gend andere Form als mechanische und elektrische Energie,
Energie ist und methodenbasiert in der Endener- 55 ca. 141 TWh (23 %) nukleare, gespeicherte
gie 1:1 direkt miteinander verglichen werden, wird Energie und
auch die neutralere Nutzenergie dargestellt. In der 55 ca. 105 TWh (17 %) erneuerbare Energien.
Nutzenergie sind zumindest Strom- und Verkehrs-
sektor weitgehend direkt vergleichbar. 83 % der insgesamt 622  TWh Bruttostromerzeu-
Die Nutzenergie (NE) dient als Zielenergie zur gung in Deutschland werden fossil und nuklear ge-
Erfüllung der Energiedienstleistung Strom, Wärme deckt. Der heutige Bruttowert umfasst neben der
bzw. Kälte und Fortbewegung (mechanische Ener- vertikalen Netzlast auch den Eigenverbrauch der
gie). Im Stromsektor entspricht die Endenergie der Kraftwerke, jedoch nicht die Stromerzeugung der
Nutzenergie. Im Wärmesektor treten thermische Bahn und die industrielle Eigenversorgung wie die
Verluste zwischen Endenergie und Nutzenergie auf KWK in der energieintensiven Industrie.
(z. B. in der Verbrennung von Brennstoffen und bei Im Jahr 2013 lag der Anteil erneuerbarer Ener-
der Übertragung von Wärme), weshalb für 2010 gien bereits bei ca. 25 % und damit bei einem Vier-
ein Nutzungsgrad von 90 % und für 2050 ein Nut- tel des deutschen Strombedarfs (s. [1]).
zungsgrad von 95 % eingerechnet ist. Im Verkehrs- Der Primärenergieverbrauch des Stromsektors
sektor ist die Nutzenergie die mechanische Energie beträgt rückgerechnet über die Wirkungsgradme-
an der Achse der Fahrzeuge. Durch die Verbren- thode der Strombereitstellung ca. 1430 TWh. In der
nungsmotoren treten hohe Wirkungsgradverluste Wirkungsgradmethode wird für fossile Kraftwerke
auf. Fahrzeuge mit konventionellen Antrieben auf mit dem jeweiligen Wirkungsgrad (im Mittel ca.
Basis von Verbrennungsmotoren für Diesel, Ben- 38 (2010) – 61 % (2050)) und für die Kernkraft mit
zin, Erdgas und Biokraftstoffe werden für 2010 mit einem fiktiven Wirkungsgrad von 33 % auf den Pri-
einen Nutzungsgrad von 20 % angesetzt und für märenergieverbrauch rückgerechnet. Bei direkt er-
2050 mit 30 %. Die Nutzenergie für Brennstoffzel- zeugtem Strom aus Wind, Sonne und Wasserkraft,
lenfahrzeuge für Wasserstoff als Kraftstoff in 2050 denen kein Heizwert zugrunde gelegt werden kann,
basiert auf einem Nutzungsgrad von 60 %. wird von der Endenergie mit einem Wirkungsgrad
3.2 • Langfristszenarien des Bundesumweltministeriums
57 3
700

600
Bruttostromerzeugung in TWh/a

500 EE-Wasserstoff (KWK, GT)


Europäischer Verbund EE
400 Photovoltaik
Windenergie
Geothermie
300 Laufwasser
Biomasse, biogene Abfälle
KWK, Gas, Kohle
200 Erdgas, Öl Kond.
Braunkohle Kond.
100 Steinkohle Kond.
Kernenergie

0
2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050
Jahr

. Abb. 3.5  Zusammensetzung der Bruttostromerzeugung. Die rote Linie zeigt den Gesamtwert an. 2022 findet der finale
Atomausstieg in Deutschland statt, weshalb die Mittelung zwischen 2020 und 2025 die Werte verzerrt darstellt (GT = Gas-
turbine, Kond. = Kondensationskraftwerke). (Quelle: [16])

von 100 % auf die Primärenergie geschlossen, d. h., gieträger benötigt. Entsprechend rückgängig ist die
1 kWh Endenergie entspricht 1 kWh Primärenergie. Auslastung der fossilen Kraftwerke. Sie konnten als
»Ausspeichertechnologie« wegen des Energiespei-
zz Strommix in der Zukunft chers Kohle und Erdgas konstant und nach Bedarf
Zukünftig werden überwiegend Wind- und Solar- betrieben werden. Daher war ihr energetischer Bei-
energie tragende Rollen in der Stromerzeugung trag zum Bruttostrom in Relation zur installierten
übernehmen (.  Abb. 3.5). Bis 2020 ermöglicht der Leistung stets sehr hoch. Anders ist es bei Wind-
Zubau erneuerbarer Energien sowohl die Kompen- und Solarenergie: Ihre mittleren Auslastungen lie-
sation des Kernenergiestroms als auch den Rück- gen bei 1800–3000 Volllaststunden (h) für Wind
gang der fossilen Stromerzeugung. Fossile Brenn- an Land, bei etwa 3500–4000 h für Wind auf See
stoffe werden im Szenario deutlich stärker über die und bei etwa 700–1100 h für Photovoltaik. Um die
KWK zur Strom- und Wärmeerzeugung eingesetzt, gleiche Energiemenge wie fossile Kraftwerke be-
als das heute der Fall ist. Entsprechend sinken die reitzustellen, wird eine entsprechende Mehr- oder
CO2-Emissionen des Stromsektors, bis er 2050 na- Überinstallation an Leistungskapazität bei Wind
hezu emissionsfrei ist. In dieser langfristigen Per- und Solar notwendig.
spektive decken erneuerbare Energien 489  TWh Dies zeigt sich deutlich in . Abb. 3.6: Durch den
der Bruttostromerzeugung von 574 TWh, also gut Rückgang der fossilen Kraftwerke auf Basis fossiler
85 % ab. Energiespeicher und den Ausbau von Wind und
Solar mit meteorologisch bedingten geringen Voll-
zz Installierte Leistung vs. Bruttostromanteile laststunden wird eine höhere installierte Leistung
Im Zuge des Ausbaus der direkten Stromerzeugung notwendig bei annähernd gleichem Strombedarf.
aus Windenergie, Solarenergie und Wasserkraft Im Vergleich von . Abb. 3.5 und  3.6 zeigt sich eben-
werden immer weniger gespeicherte fossile Ener- falls der deutliche Unterschied der Volllaststunden
58 Kapitel 3 • Speicherbedarf in der Stromversorgung

250 750

200 600 Bruttostrom gesamt


EE- Wasserstoff (KWK, GT)

Bruttostromereugung in TWh/a
Europäischer Verbund EE
Photovoltaik
Bruttoleistung in GW

3 150 450 Windenergie


Geothermie
Laufwasser
Biomasse, biogene Abfälle
100 300 KWK, Gas, Kohle
Erdgas, Öl Kond.
Braunkohle Kond.
Steinkohle Kond.
50 150 Kernenergie

0 0
2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050
Jahr

. Abb. 3.6  Installierte Leistung im Kraftwerkspark vs. Energie als Bruttostromerzeugung (rote Linie); Wind wird energetisch
zur tragenden Säule, die installierten Leistungen von Wind und Photovoltaik sind gegen Mitte des Jahrhunderts gleichauf.
Die Kapazität des Kraftwerksparks in Deutschland (Flächen) wird von heute ca. 150 GW auf etwa 225 GW in 2050 ansteigen,
bei annähernd gleichbleibendem Stromverbrauch von ca. 600 TWh/a (rote Linie). (Quelle: [16])

anhand der installierten Leistungen im Gegensatz Die reine Betrachtung der Residuallast (Last
zu den erzeugten Strommengen. minus Einspeisung) führt zu folgenden Aussagen:
1. Die rückläufige Auslastung stellt kon-
zz Dynamische Simulation zur Bestimmung der ventionelle Kraftwerke vor folgende
Stromüberschüsse und des Speicherbedarfs Herausforderungen:
Diese Jahreswerte für installierte Leistungen und 55 Die technischen Anfordmodelerungen an
Energiemengen geben noch keinen Aufschluss geringe Mindestbetriebszeiten und War-
über die Situation in Stromnetz und Stromhandel, tungszeiten und hohe Leistungsgradienten
welche wesentlich für den Speicherbedarf ist. Dafür für kurze An- und Abfahrzeiten steigen.
wurden in der Studie Modelle zur Simulation der 55 Gleichzeitig steigt der Druck auf die Be-
Einspeisung erneuerbarer Energien und des Strom- triebswirtschaft der Kraftwerke, da ein-
verbrauchs entwickelt, die eine zeitliche Auflösung gesetztes Kapital nicht in vollem Umfang
von einer Stunde und eine räumliche Auflösung von genutzt werden kann und dennoch De-
bis zu 7 ⋅ 7 km besitzen. Dadurch können Aussagen ckungsbeiträge zu erwirtschaften sind.
zu Stromüberschüssen und zum Bedarf an Flexibi- 2. Die Fluktuationen im Stromnetz nehmen
litätsoptionen wie Speicher abgeleitet werden. deutlich zu:
.  Abbildung  3.7 zeigt die Momentaufnahme 55 Lastschwankungen im GW-Bereich werden
einer Simulation der Einspeisung aus schwanken- zur Normalität und erhöhen die Anforde-
der Wind- und Solarenergie für einen Anteil er- rungen an den Netzbetrieb.
neuerbarer Energien von ca. 40 %, woraus sich eine 55 Trotz starkem Ausbau erneuerbarer
Residuallast ergibt. Diese ist maßgeblich für den Energien sinkt die maximal benötigte
wirtschaftlichen und technischen Einsatz konven- Kraftwerksleistung zur Deckung der Jah-
tioneller Kraftwerke und Speicher. reshöchstlast (technische Versorgungssi-
cherheit) kaum.
3.2 • Langfristszenarien des Bundesumweltministeriums
59 3
Windgeschwindigkeit (m/s) Globalstrahlung (W/m2) Resultierende Wind-und Solarstromeinspeisung
30 1000 (Szenario 2020)

25
800

20
600
15
400
10

200
5

0 0 220/380 kV-
Wind Onshore Wind Offshore Photovoltaik Last RE - Einspeisung (mit perfekter Prognose)
Netzknotenpunkt
100 0,5 GW
Simulierte Einspeiung Prognose 2 GW
80
Leistung in GW

60
40 17. März
12:00 h
20 (Wetterdaten 2007)
0
-7 -6 -5 -4 -3 -2 -1 0 +1 +2 0 500 1000 1500
Tage (kW/km2)

. Abb. 3.7  Fluktuierende Einspeisung aus Wind und Photovoltaik für ein Szenario mit ca. 40 % erneuerbaren Energien
(im Szenario 2011 A etwa für das Jahr 2020 prognostiziert). Oben links wird die Windgeschwindigkeit über Deutschland
prognostiziert, rechts daneben die solare Globalstrahlung. Die Daten stammen vom deutschen Wetterdienst (DWD). Unten
links werden der Strombedarf als Last und die aus den Wetterdaten resultierenden Einspeisungen aus Wind und PV simuliert,
woraus sich die Residuallast ergibt. Rechts wird die aggregierte Einspeisung von Wind- und Solarstrom auf die jeweilig zu-
geordneten nächsten 110 kV-Netzknoten dargestellt. (Quelle: [16])

55 Es entsteht ein Bedarf an Flexibilitäten wie Daraus werden die in 7 Abschn. 3.2 und in 7 Kap. 4
Energiespeicher zum Ausgleich der erneu- und 5 gewonnenen Erkenntnisse abgeleitet.
erbaren Einspeisung.

In die verwendete Kraftwerkseinsatzmodellierung 3.2.3 Auswirkung von


fließen folgende Parameter ein: Mindesterzeugung und Import/
55 auf Regionen bezogene Einspeisung aus nicht Export auf den Speicherbedarf
regelbaren erneuerbaren Energien (z. B. Wind,
PV) und entsprechende Prognosen zz Auswirkung der Mindesterzeugung des
55 auf Regionen bezogene nicht regelbare Last Kraftwerksparks – Must-run
inklusive Prognose Bei idealem Netzausbau kann nach dem Szenario
55 Möglichkeiten des Lastmanagements (Elektro- bereits 2020 an wenigen Tagen und Wochenenden
mobilität, Wärmepumpen, Klimatisierung und im Frühling oder Sommer die Last in Deutsch-
Haushalte) land durch erneuerbare Energien gedeckt bzw.
55 Stromtransport im Netzregionenmodell – in überdeckt werden. Entscheidend für die Höhe
der Studie noch nicht angewandt (daher fußen der Stromüberschüsse ist die technische Mindest-
die Ergebnisse auf einem idealen Netzausbau) erzeugung von konventionellen Kraftwerken zur
55 Einsatz von Kraftwerken (Kondensationskraft- Gewährleistung der Systemstabilität und zur Be-
werke, KWK, Biomasse, Speicherwasserkraft) reitstellung von Wärme über Wärmenetze (engl.
55 Einsatz von Energiespeichern (Pumpspeicher, »Must-run-Units«).
Power-to-Gas etc.)
60 Kapitel 3 • Speicherbedarf in der Stromversorgung

. Tab. 3.1  Bedarf an technischer Mindesterzeugung im konventionellen Kraftwerkspark. (Quelle: [10])

Aspekt Kriterium für Mindesterzeugung/ Resultierende Mindestwirkleistungs-


Funktion erzeugung in GW

(n−1)-Sicherheit (Ausfallabsiche- Sicherung von Flexibilitätspotenzial 3  GW aus marktbasiert stillstehen-


rung) Erzeugungsverlagerung um bis zu den Kraftwerken

3 7 GW

Kurzschlussleistung Ausreichende Kurzschlussleistungen (–) (bei Bezug aus dem europäischen


an Netzknoten und -zweigen Verbund)

Spannungshaltung Blindleistungsbereitstellung bei 4–8 GW


Starkwind und Schwachlast

Blindleistungsbereitstellung bei 16–20 GW


Schwachwind und Starklast

Regelung der Systembilanz Sicherstellung der Systembilanz bei 8–25 GW


gefährdeten und gestörten Betriebs-
zuständen

100 100 100

80 80 80

Leistung in GW
60 60 60
Leistung in GW
Leistung in GW

40 40 40

20 20 20

0 0 0

-20 -20 -20

-40 -40 -40


0 2000 4000 6000 8000 0 2000 4000 6000 8000 -60
Volllaststunden Volllaststunden
Photovoltaik Offshore-Wind Onshore-Wind Wasserkraft Holz-/Müll-Heizkraftwerk
-80
Geothermie Import Export Residuallast
0 2000 4000 6000 8000
Volllaststunden

. Abb. 3.8  Effekt von Must-run-Kapazitäten und Import/Export auf Stromüberschüsse bei idealem Netzausbau in
Deutschland anhand einer Jahresdauerlinie für 2020 (40 % erneuerbarer Anteil), 2030 (63 % erneuerbarer Anteil) und 2050
(85 % erneuerbarer Anteil). (Quelle: [16])

Der heutige Bedarf an technischer Mindester- überschüssen zu rechnen, wie in .  Abb.  3.8 beim
zeugung im konventionellen Kraftwerkspark wird Durchziehen einer Linie bei 20  GW oder  30  GW
in einer Studie der FGH (s. [10]) in . Tab. 3.1 quan- klar wird.
tifiziert. Diese »grauen« Stromüberschüsse erfordern
Zu diesen Zahlenwerten, die nicht einfach ad- wiederum Ausgleichsmaßnahmen wie Energie-
diert werden können, kommt noch die Mindest- speicher. Sie werden als »grau« bezeichnet, da der
erzeugung in KWK-Anlagen hinzu. Der heutige re- erneuerbare Strom im Prinzip noch integriert wer-
sultierende Must-run-Bedarf ist in dieser Größen- den könnte und die Stromquelle fossil dominiert
ordnung für ein System mit stark schwankenden ist. Der tatsächliche Bedarf an Mindesterzeugung
erneuerbaren Energien ein Hindernis. Bleibt der wird jedoch voraussichtlich im Zuge der Flexi-
Bedarf in dieser Höhe und verzögert sich der Netz- bilisierung der KWK und der Übernahme von
ausbau, ist bei einem weiteren Ausbau erneuerbarer Systemdienstleistungen durch erneuerbare Ener-
Energien auf 40 % bis 2020 mit erheblichen Strom- gieanlagen sinken.
3.2 • Langfristszenarien des Bundesumweltministeriums
61 3
zz Effekt von Import und Export Laut der Dena-Netzstudie II (s. [9]) können
Ein Import oder Export von Strom über die inter- die Haushalte sowohl den höchsten negativen als
nationalen AC- und DC-Kuppelstellen wirkt ent- auch den höchsten positiven Beitrag zum Lastaus-
lastend auf die Schwankungen der Einspeisung und gleich leisten. Im Privathaushalt sind dies vor allem
damit reduzierend auf Stromüberschüsse und Spei- Speicheröfen, Elektrowärmepumpen, Kühl- und
cherbedarf. Für das Jahr 2030 werden Transferka- Gefriergeräte, Waschmaschinen und Trockner.
pazitäten in der Höhe von 11,7 GW AC-Leitungen Zusammen erreichen diese ein technisches Poten-
und 13,8 GW HGÜ-Leitungen abgebildet, im Jahr zial von über 30 GW, um kurzfristig überschüssi-
2050 kommen weitere 17,6 GW bipolare DC-Ver- ge Energie aufzunehmen (negativer Beitrag), und
bindungen hinzu. ein Potenzial von über 10  GW »Bereitstellung«
Dennoch gleichen Importe und Exporte die von Energie (positiver Beitrag). Der positive Bei-
starken Fluktuationen bei sehr hohen Anteilen er- trag wird über die zeitliche Verschiebung des Ver-
neuerbarer Energie nicht zur Gänze aus, wie im brauchs auf lastärmere oder erzeugungsstärkere
Abschnitt zu 2050 in . Abb. 3.8 deutlich wird. Stunden durch kurzfristiges Abschalten erreicht.
.  Abbildung 3.9 stellt das technische Lastmanage-
mentpotenzial für 2015 auf Basis der Dena-Netz-
3.2.4 Auswirkung von studie II ohne Beachtung wirtschaftlicher Rahmen-
Lastmanagement auf den bedingungen dar.
Speicherbedarf
zz Ökonomisches Lastmanagementpotenzial
zz Technisches Lastmanagementpotenzial Das wirtschaftliche Potenzial aller drei Sektoren
Die heute starre Stromnachfrage der Verbraucher ist weitaus niedriger, da in Industrie und Gewer-
kann über ein Lastmanagement (engl. »Demand- be teilweise hohe Investitionen nötig sind oder
Side-Management, DSM«) flexibilisiert werden. im Haushalt Komforteinbußen hinzunehmen
Jede Kilowattstunde, die zeitlich verschoben »ver- wären.
braucht« wird, kann eine Teilfunktion eines Ener- Daher geht die Dena-Netzstudie II für das
giespeichers als Ausspeichereinheit erfüllen. Der Jahr 2020 von einem wirtschaftlichen Potenzial
Einsatz des Lastmanagements in der Funktion von 3,3 GW in der Industrie und 0,8 GW im Ge-
eines Energiespeichers ist in  7  Kap.  11 ausführlich werbe aus, vor allem zum Einsatz im Regelleis-
beschrieben. tungsmarkt. Für Haushalte wird ein wirtschaft-
Zur Umsetzung des Lastmanagements in Bi- liches Potenzial von ca. 1,5 GW bis 2020 gesehen
lanzkreisen und Leistungs- und Energiemärkten (s. [9]).
ist eine intelligente Steuerung der Verbraucher Alle Potenziale werden aufgrund der Effizienz-
samt Preissignalen und Prognosen notwendig. steigerung langfristig zurückgehen. Neue Ver-
Die Steuerung wird über IT und Kommunika- braucher wie Elektroautos, Wärmepumpen oder
tionstechnologien realisiert (engl. »Smart Grid« Elektrolyseure für Stromkraftstoffe bergen jedoch
und »Smart Meter«). Ferner sind rechtliche An- weiteres Potenzial für das Lastmanagement. Ihre
passungen zur Nutzung des Potenzials notwen- Einbindung erfordert ein obligatorisches Lastma-
dig und auch der Datenschutz ist zu beachten. In nagement, da sie bei gleichzeitigem Bezug von Last
Industrie oder Gewerbe sind die erforderlichen zu ungünstigen Zeiten zu einer Verschlechterung
Leistungsmessungen und Spitzenlastbeschrän- der Netzstabilität beitragen.
kungen bereits heute gängig. In Haushalten finden
Standardlastprofile Anwendung, die erst ab einer zz Zusammenhang von Lastmanagement und
Anzahl von 100–150 Haushalten Geltung haben. Speicherbedarf
Daher kann noch kein bedarfsgerechtes Lastma- In der Simulation der Energieversorgung er-
nagement bei einzelnen Haushalten durchgeführt weist sich das Lastmanagement als Konkurrenz
werden. zu Speichern und wirkt sich mindernd auf den
62 Kapitel 3 • Speicherbedarf in der Stromversorgung

Haushalte

neg. Beitrag
pos. Beitrag

neg. Beitrag
GHD

pos. Beitrag

3
Industrie

neg. Beitrag
pos. Beitrag

0 5 10 15 20 25 30 35

Technisches Demand - Side - Management Potential in GWel

Nachtspeicherheizung Waschmaschinen, Trockner, Klimakälte Aluminium


Wärmepumpen Spülmaschinen Prozesswärme Stahl
Warmwasserbereitung Druckluft Chemie
Kühlschränke Prozesskälte Zement neg. Beitrag: Lastreduzierung
Gefrierschränke Belüftung Papier pos. Beitrag: Lasterhöhung

. Abb. 3.9  Technisches Lastmanagementpotenzial im Jahr 2015 auf Basis der Dena-Netzstudie II. (Quelle: [9, 16])

80 80 80

60 60 60

40 40 40

20 20 20
Leistung in GW

Leistung in GW

Leistung in GW

0 0 0

-20 -20 -20

-40 -40 -40

-60 -60 -60

-80 -80 -80


0 2000 4000 6000 8000 0 2000 4000 6000 8000 0 2000 4000 6000 8000
Volllaststunden Volllaststunden Volllaststunden
Residuallast DSM-Haushalt Klimatisierung E-Kfz Wärmepumpen

. Abb. 3.10  Effekt des Lastmanagements auf Stromüberschüsse bei idealem Netzausbau in Deutschland anhand einer
Jahresdauerlinie für 2020 (40 % erneuerbarer Anteil), 2030 (63 % erneuerbarer Anteil) und 2050 (85 % erneuerbarer Anteil).
(Quelle: [16])

Speicherbedarf aus. .  Abbildung 3.10 zeigt verglei- lenden Stromüberschüsse nach Import/Export und
chend den Beitrag des Lastmanagements in den bei geringen Must-run-Kapazitäten fast vollständig
Jahren 2020, 2030 und 2050. vom Lastmanagement aufgenommen.
Im Jahr 2020 werden vor allem Speicheröfen 2030 und 2050 schließen Elektrofahrzeuge,
oder Warmwasserbereiter in Haushalten (DSM- Wärmepumpen und intelligente Verbraucher im
Haushalt) genutzt. Wird das beschriebene und mo- Lastmanagement auf, und nicht alle Überschüsse
dellierte Potenzial ausgeschöpft, werden die anfal- können integriert werden.
3.2 • Langfristszenarien des Bundesumweltministeriums
63 3
80 80

60 60

40 40

Leistung in GW
Leistung in GW

20 20

0 0

-20 -20

-40 -40
25/09 27/09 29/09 01/10 03/10 05/10 07/10 0 2000 4000 6000 8000
Tag/Monat Volllaststunden
PSW-Pumpe Braunkohle Erdgas-GuD
E-Heizer HKW-KWK PSW-Turbine
Elektrolyse Erdgas-/ Biomasse-BHKW Erdgas-Turbine
Überschüsse Biogas Residuallast
Kernkraft Steinkohle Residuallast + PSW-Pumpe

. Abb. 3.11  Kraftwerks- und Speichereinsatz im Szenariojahr 2020 bei einem erneuerbaren Anteil von 40 %. (Quelle: [16])

3.2.5 Speichereinsatz bei gleich auch vorrangig in den Reservemärkten für


erneuerbaren Anteilen von 40 %, Regelleistung eingesetzt werden. Der Pumpstrom
63 % und 85 % beträgt 3,7  TWh/a und ist rein »grau«, d.  h., der
erneuerbare Anteil am Strommix des Speichers ist
zz Speichereinsatz 2020: 40 % erneuerbarer null. Ein Bedarf an Langzeitspeichern ist im Sze-
Anteil am Strommix nario unter den Modellannahmen nicht zu sehen.
.  Abbildung 3.11 zeigt den simulierten Einsatz des Bei idealem Netzausbau und voller Kraftwerksfle-
deutschen Kraftwerksparks im Jahre 2020 nach xibilität besteht quasi kein Bedarf für zusätzliche
Einsatz der beschriebenen Maßnahmen des Im- Speicher.
ports/Exports, des Lastmanagements und zusätz-
lich der Speicher. Als Speicher werden die heute zz Speichereinsatz 2030: 63 % erneuerbarer
installierte Pumpspeicherleistung in der deutschen Anteil am Strommix
Regelzone (PSW Deutschland, PSW Vianden Lu- Mit einem weiteren Ausbau der erneuerbaren
xemburg und PSW Illwerke Österreich) und der Energien nach 2020 und den damit verbundenen,
Druckluftspeicher Huntorf abgebildet. Für 2020 deutlicheren Auswirkungen der Fluktuationen
wird die konservative Annahme getroffen, dass werden hohe Ansprüche an den konventionellen
keine neuen Pumpspeicherprojekte realisiert wer- Kraftwerkspark und die Flexibilisierung der KWK
den können. Die Stromversorgung kann auf Basis gestellt. Entsprechend wichtig wird der Ausbau der
dieser Maßnahmen und des Netzausbaus den er- Wärmespeicher für KWK-Anlagen. In .  Abb. 3.12
neuerbaren Anteil von 40 % stabil integrieren. ist exemplarisch der Lastverlauf über zwei Wochen
Der Speichereinsatz beläuft sich vorwiegend dargestellt.
auf Kurzzeitspeicher – konkret die existierenden Neben den Wärmespeichern kommen auch
Pumpspeicher, die neben dem Erzeugungsaus- verstärkt Pumpspeicher mit einem Pumpstrom
64 Kapitel 3 • Speicherbedarf in der Stromversorgung

80 80

60 60

40 40

3
Leistung in GW

Leistung in GW
20 20

0 0

-20 -20

-40 -40
25/09 27/09 29/09 01/10 03/10 05/10 07/10 0 2000 4000 6000 8000
Tag/Monat Volllaststunden

PSW-Pumpe Braunkohle Erdgas-Gud


E-Heizer HKW-KWK PSW-Turbine
Elektrolyse Erdgas-/ Biomasse-BHKW Erdgas-Turbine
Überschüsse Biogas Residuallast
Kernkraft Steinkohle Residuallast+ PSW-Pumpe

. Abb. 3.12  Kraftwerks- und Speichereinsatz im Szenariojahr 2030 bei einem erneuerbaren Anteil von 63 %. (Quelle: [16])

von 5,9  TWh/a zum Einsatz. Für 2030 wird an- senziell zur Erreichung der Klimaschutzziele und
genommen, dass die heute bekannten geplanten der Ziele zum Ausbau erneuerbarer Energien
Neubauprojekte von Pumpspeichern realisiert (.  Abb.  3.13). Bei einem erneuerbaren Anteil von
werden können. Der Pumpstrom ist zu 31 % er- 85 % und idealem Netzausbau erreichen Langzeit-
neuerbar und dient damit zu einem Drittel direkt speicher wirtschaftlich akzeptable Auslastungen.
der Integration erneuerbarer Energien. Indirekt Auch Kurzzeitspeicher kommen auf hohe Auslas-
unterstützt er diese durch die Reduktion der Must- tungen. Der Pumpstrom ist bei einem erneuerba-
run-Units bzw. die höhere Auslastung der KWK ren Anteil von 85 % zu 87 % erneuerbar und liegt
und damit die Schaffung von mehr Flexibilität im mit 8  TWh nochmals deutlich über den Werten
System. von 2020 und 2030. Auch Power-to-Heat wird in
Die Überschüsse können fast vollständig über diesem hochprozentigen Szenario im GW-Maß-
Wärmespeicher und Kurzzeitspeicher integriert stab zur Deckung der Wärmenachfrage in Zeiten
werden. Darüber hinaus fallen bei 63 % erneuer- hoher wetterbedingter Stromüberschüsse einge-
baren Energien am Strommix nur sehr geringe setzt.
Überschüsse für Power-to-Heat und Langzeitspei-
cher wie Power-to-Gas bei idealem Netzausbau zz Speicherbedarf durch Regelleistung
und den anderen Rahmenbedingungen des Sze- Ein weiterer Indikator für den Speicherbedarf
narios an. ist der Bedarf an Regelleistung. Sie wird zur
kurzfristigen Systemstabilisierung bei Kraftwerks-
zz Speichereinsatz 2050: 85 % erneuerbarer ausfällen und Prognoseabweichungen benötigt und
Anteil am Strommix ist ein Teil der Systemdienstleistungen. Die Simu-
2050 kommen Langzeitspeicher wie Power-to-Gas lationen kommen zum Schluss, dass der Bedarf
mit vollem Umfang zum Einsatz und werden es- bis 2020 und 2030 für die Sekundärleistung von
3.2 • Langfristszenarien des Bundesumweltministeriums
65 3
80 80

60 60

40 40

Leistung in GW
Leistung in GW

20 20

0 0

-20 -20

-40 -40
25/09 27/09 29/09 01/10 03/10 05/10 07/10 0 2000 4000 6000 8000
Tag/Monat Volllaststunden

PSW-Pumpe Braunkohle Erdgas-GuD


E-Heizer HKW-KWK PSW-Turbine
Elektrolyse Erdgas-/ Biomasse-BHKW Erdgas-Turbine
Überschüsse Biogas Residuallast
Kernkraft Steinkohle Residuallast + PSW-Pumpe

. Abb. 3.13  Kraftwerks- und Speichereinsatz im Szenariojahr 2050 bei einem erneuerbaren Anteil von 85 %. (Quelle: [16])

heute ± ca. 2 GW auf ± 2,2 GW nur leicht ansteigt. päischen Regelzonen, nur Übertragungsnetzebene)
Ähnliches gilt für die Minutenreserve, die zwar vor können folgende Aussagen zu Überschüssen und
allem im positiven Bereich von ca. 2 auf 4 GW bis Speicherbedarf aus den BMU-Langfristszenarien
2020 zunimmt, im Anschluss aber auf gleichem zusammengefasst werden:
Niveau bleibt. Der Primärregelleistungsmarkt ist
mit ± 600  MW sehr überschaubar und wird kein Fazit
Treiber für den Speicherbedarf sein. 55 Bereits 2020 kann an wenigen Tagen im Früh-
Insgesamt ist der Regelleistungsbedarf eng ling und Sommer die Last in Deutschland durch
verwoben mit der Prognosegüte für Wind, PV erneuerbare Energien gedeckt bzw. überdeckt
und Last, die in Zukunft immer weiter verbessert werden. Entscheidend für die Höhe der Strom-
wird. Ein Speicherbedarf für erneuerbare Ener- überschüsse sind die Mindesterzeugungsein-
giesysteme existiert demnach in der Höhe des heiten für Systemdienstleistungen und die
Ersatzes konventioneller Kraftwerksleistung für gekoppelte Wärmeversorgung (Must-run-Ein-
die Bereitstellung von Systemdienstleistungen wie heiten).
Regelleistung, aber nicht weitgehend darüber hi- 55 Bleibt es beim Must-run-Bedarf in der heuti-
naus (s. [16]). gen Höhe und verzögert sich der Netzausbau,
ist bei einem weiteren Ausbau erneuerbarer
Energien auf 40 % bis 2020 mit erheblichen
3.2.6 Zusammenfassung Stromüberschüssen zu rechnen. Der tatsäch-
liche Bedarf an Mindesterzeugung wird jedoch
Unter den wesentlichen Annahmen (idealer Netz- voraussichtlich im Zuge der Flexibilisierung der
ausbau in Deutschland, Flexibilität der KWK, AC- KWK und der Übernahme von Systemdienst-
und DC-Kuppelstellen in die benachbarten euro- leistungen durch erneuerbare Energieanlagen
sinken.
66 Kapitel 3 • Speicherbedarf in der Stromversorgung

55 Aus der Regelleistung ergibt sich ein begrenz- Umweltbundesamt für Mensch und Natur (UBA)
ter Speicherbedarf in der Höhe des Ersatzes in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer IWES
konventioneller Kraftwerksleistung für die Kassel in einer Studie untersucht, ob eine Vollver-
Bereitstellung von Systemdienstleistungen. Der sorgung mit erneuerbaren Energien im Jahr 2050
wesentlichste Einfluss liegt in der Verbesserung möglich ist (s. [28]). Diese Studie wird nachfolgend
der Prognosegüte für Wind, Photovoltaik und hinsichtlich Stromüberschüsse und Speicherbedarf
3 Last. beleuchtet.
55 Stromimport und -export wirken entlastend
auf die Schwankungen aus Wind und Solar und
damit reduzierend auf Stromüberschüsse und 3.3.1 Annahmen zum Stromverbrauch
Speicherbedarf. in 2050
55 Lastmanagement wirkt sich mindernd auf den
Speicherbedarf aus. 3.3.1.1 Rahmenbedingungen und
55 Bei einem erneuerbaren Anteil von 40 % (2020) Übersicht
kommen nur Kurzzeitspeicher in Form von zz Demografische und wirtschaftliche
Pumpspeichern zum Einsatz. Der Anteil er- Rahmenbedingungen
neuerbarer Energien am Pumpstrom ist null. Es Die Studie geht davon aus, dass sich die Lebens-
besteht kein Bedarf für zusätzliche Speicher. bedingungen in Deutschland 2050 im Vergleich zu
55 Bei einem erneuerbaren Anteil von 63 % (2030) heute nicht grundlegend ändern werden und dass
werden zusätzliche Kurzzeitspeicher benötigt. die Bundesrepublik ein hochentwickeltes Indust-
Die geplanten Neubauprojekte von Pumpspei- rieland mit entsprechender Wirtschaftsstruktur
chern können den Bedarf decken. Ihr erneuer- und Mobilitätsansprüchen bleibt. Im Nutzungs-
barer Anteil am Pumpstrom beträgt 31 %. Wär- verhalten wird keine Änderung zu heute unter-
mespeicher werden in zunehmendem Umfang stellt.
zur Flexibilisierung der KWK gebraucht. Power- Für die Bevölkerungsentwicklung wird eine
to-Heat und Power-to-Gas kommen nur in sehr Verringerung der Einwohnerzahl von heute ca.
geringem Umfang zum Einsatz. 82 Mio. auf rund 72 Mio. im Jahr 2050 vorausge-
55 Zur Umsetzung der Klimaschutzziele im Strom- setzt. Dabei wird eine ähnliche Geburtenrate wie
sektor durch einen Ausbau erneuerbarer heute, ein leichter Anstieg der Lebenserwartung
Energien auf einen Anteil von 85 % (2050) wer- und eine ähnliche Zuwanderung wie gegenwärtig
den sowohl Kurz- als auch Langzeitspeicher angenommen.
benötigt. Langzeitspeicher wie Power-to-Gas In der wirtschaftlichen Entwicklung wird bis 2050
kommen in vollem Umfang zum Einsatz. Der von einem jährlichen BIP-Wachstum von 0,7 % im
Strommix in Pumpspeichern ist zu 87 % erneu- Schnitt ausgegangen. Diese Entwicklung beschreibt
erbar. Wärmespeicher und Power-to-Heat sind die Fortführung der bisherigen Trends, in denen der
elementar in der Wärmeversorgung und bieten Anteil des Dienstleistungssektors weiter steigt.
eine Flexibilität für das Stromsystem, die stark Darüber hinaus wird von einem Einsatz der
genutzt wird. besten, heute am Markt verfügbaren Technolo-
gien und von keinen deutlichen Verbesserungen
bis 2050 ausgegangen, was einer konservativen
3.3 »100 % Strom aus erneuerbaren Annahme entspricht. Optimistisch hingegen wird
Quellen« laut Umweltbundesamt vorausgesetzt, dass alle Effizienzpotenziale bis 2050
erschlossen sind.
Um die Realisierbarkeit der Ziele der Bundesre- Als Grundlage zur Analyse der Lastdeckung
gierung in Energiewende und Klimaschutz durch und des Speicherbedarfs wird der Energiever-
erneuerbare Energien zu untersuchen, hat das brauch von Haushalten, Gewerbe, Handel und
3.3 • »100 % Strom aus erneuerbaren Quellen« laut Umweltbundesamt
67 3
Dienstleistungen (GHD), Industrie und Strom für . Tab. 3.2  Annahmen zum Stromverbrauch im
den Verkehr in 2050 betrachtet. Als Referenzjahr Jahr 2050 inklusive der ohmschen Leitungsverluste
für die Eingangsdaten dienen 2005 und 2008. und Verluste im Umwandlungsbereich. (Quelle: [28])

Endenergieverbrauch Strom 468 TWh


zz Angenommener Stromverbrauch in 2050
Haushalte 105  TWh
.  Tabelle  3.2 fasst die Annahmen zum Stromver-
brauch in 2050 zusammen. Trotz Elektrifizierung Gewerbe, Handel, Dienstleistungen 90  TWh
von Wärme und Verkehr liegt der Gesamtstrom- Industrie 201  TWh
verbrauch niedriger als der heutige Wert von etwa
Verkehr 72 TWh
600 TWh/a.
Die Gesamt-Endenergie für Strom, Wärme Verbrauch im Umwandlungsbereich 8 TWh
und Verkehr wird im Szenario von 2005 bis 2050 Nettostromverbrauch 476 TWh
um über 50 % reduziert. Neben dieser deutlichen Leitungsverluste 30  TWh
Abnahme des Endenergieverbrauchs in allen Sek-
Gesamtstromverbrauch 506  TWh
toren ist zu sehen, dass eine Substitution fossiler
Brennstoffe durch den Energieträger Strom in allen
Sektoren erfolgt. Beträgt der Anteil des Stromes am
Endenergiebedarf 2005 knapp 27 %, steigt der An- Der Warmwasserverbrauch bleibt auch 2050
teil auf über 50 % im Jahr 2050. Strom wird damit auf dem heutigen Stand, da von keiner Änderung
auch in diesem Szenario analog zu  7  Abschn. 3.2.1 des Nutzungsverhaltens ausgegangen wird. Ein-
zum Nukleus der Energieversorgung. sparungen werden nur in der Speicherung und
in der Verteilung angesetzt. Ebenso wie bei der
3.3.1.2 Herleitung der Einsparpotenziale Raumwärme wird der Energiebedarf hauptsäch-
und sektorielle Entwicklung lich über Elektrowärmepumpen und solarther-
zz Stromverbrauch privater Haushalte mische Anlagen gedeckt. Es verbleibt ein geringer
Beim Stromverbrauch der privaten Haushalte wer- Strombedarf von 5,6  TWh für die Warmwasser-
den ambitionierte Effizienzziele angesetzt. So soll aufbereitung.
Strom den gesamten Bedarf an Brennstoffen er- In der Studie wird vorausgesetzt, dass alle pe-
setzen und dennoch der Endenergieverbrauch von ripheren Geräte für die Raumwärme- und Warm-
760 TWh in 2005 auf 105 TWh in 2050 sinken. wassergewinnung und -verteilung auf dem Stand
Haushalte benötigen Wärme (Raumwärme und der Technik sind. Für ein angenehmes Raumkli-
Warmwasser) und Strom (Beleuchtung und elektri- ma sorgen Lüftungen mit Wärmerückgewinnung,
sche Anwendungen). die die hohen Energieverluste durch Fensterlüften
Für die Raumwärme wird von einer deutlichen vermeiden. Deren Strombedarf ist gegenüber der
Reduzierung des durchschnittlichen spezifischen eingesparten Energie vernachlässigbar. Ein weite-
Nutzenergiebedarfs von rund 26 kWh m−2a−1 ausge- rer wichtiger Punkt sind Heizungsumwälzpumpen
gangen. Der heutige Wert liegt bei 144 kWh m−2a−1. und Solarpumpen. Durch erhebliche Effizienzstei-
Erreicht wird dieses Ziel durch eine vollständige gerungen fällt ihr Verbrauch von 8,5  TWh/a auf
Sanierung des Gebäudebestands durch eine Anhe- 3,6 TWh/a.
bung der jährlichen Sanierungsrate auf 3,3 % und Durch den Einsatz von Leuchtmitteln der
die Fortschreibung der anspruchsvollen Neubau- höchsten Effizienzstufe lässt sich der Strombedarf
standards. Der verbleibende Bedarf an Heizwärme für Beleuchtung von 12 TWh (2005) auf 2 TWh
von 101  TWh wird durch Solarwärme (5 %) und minimieren. Der Strombedarf von elek­trischen
Elektrowärmepumpen (95 %, d.  h. 31  TWh Strom Haushaltsgeräten und von Informations- und
plus 65 TWh Umweltwärme) mit einer Arbeitszahl Kommunikationsgeräten lässt sich durch Effi-
von 3,1 größtenteils elektrisch gedeckt. zienzsteigerung wie den Ersatz von Gasherden
68 Kapitel 3 • Speicherbedarf in der Stromversorgung

durch Elektroherde und die Vermeidung von 3.3.2 Technisch-ökologische


Stand-By-Verlusten ebenfalls verkleinern. Im Potenziale von erneuerbaren
Szenario werden Einsparungen von 25 % auf Energien, Speichern und
63,5 TWh/a umgesetzt. Lastmanagement

zz Stromverbrauch in Industrie und Gewerbe, 3.3.2.1 Potenziale erneuerbarer Energien


3 Handel und Dienstleistungen Die Annahmen zum Ausbau der erneuerbaren
In der Industrie kann zwischen dem Energiebe- Energien sind für den Speicherbedarf von entschei-
darf für Prozesswärme, mechanische Energie und dender Bedeutung. An dieser Stelle werden die
Raumwärme unterschieden werden, wobei der grundlegenden technisch-ökologischen Potenziale
Energiebedarf für Prozesswärme den größten An- erneuerbaren Energien in Deutschland beleuchtet:
teil ausmacht. Diese lässt sich in Zukunft durch Windenergie und Photovoltaik sind als tragende
Konzepte wie Wärmerückgewinnung um rund Säulen identifiziert.
42 % pro Jahr auf 50  TWh minimieren. Der ver-
bleibende Energiebedarf für Prozesswärme wird zz Photovoltaik
durch Strom, KWK mit Biogas oder andere Ener- Die relevanten Faktoren für das PV-Potenzial sind
giequellen gedeckt. Sowohl der mechanische Ener- Wirkungsgrad und verfügbare Fläche. In der Stu-
giebedarf als auch die Beleuchtung kann mithilfe die wird ein konservativer mittlerer Wirkungs-
von effizienteren, bedarfsorientierten Anlagen und grad von 19 % angesetzt. Bei der Fläche werden als
Maschinen auf ein Drittel reduziert werden. Für die Potenzial alle Dachflächen, Fassadenflächen und
Raumwärme wird auch hier fast ausschließlich auf Lärmschutzwände verwendet. Konversionsflächen
elektrische Wärmepumpen gesetzt. bleiben unberücksichtigt. Daraus folgt eine nutz-
Zusammengefasst ergibt sich trotz einer Pro- bare Fläche von 1620  km², auf der eine Leistung
duktionssteigerung um gut ein Drittel eine Redu- von 275  GW installiert werden kann, die bei 900
zierung von 674  TWh/a (2005) auf 498  TWh/a Volllaststunden einen Jahresertrag von 248  TWh
(2050) für den gesamten Endenergieverbrauch. erzielt.
Erneuerbarer Strom kann dabei einen Anteil von
41 % decken. zz Onshore Windenergie
Im Sektor Gewerbe, Handel und Dienstleistun- Wie für die Photovoltaik sind auch für die Wind-
gen kann von einer Einsparung im Endenergie- kraft die Anlagentechnik (vor allem Rotor-Gene-
bedarf von etwa 60 % ausgegangen werden. Trotz rator-Verhältnis, Nabenhöhe) und die nutzbare
neuem Strombedarf für Kälte durch Lüftung und Fläche richtungsweisend. In der Studie wird etwa
Klimatisierung fällt der Energiebedarf durch Ef- 1 % der Gesamtfläche Deutschlands als technisch-
fizienzsteigerungen in Beleuchtung, Raum- und ökologisches Potenzial ausgewiesen, da zu diesem
Prozesswärme und mechanischer Energie von Zeitpunkt keine anderen Untersuchungen vorla-
406  TWh/a auf ca. 171  TWh/a, wobei über 60 % gen. In der UBA-Studie wurde eine Leistungsdichte
davon aus dem Stromsektor stammen. von ca. 16,6  MW/km2 angenommen, woraus sich
ein konservatives Onshore-Windkraftpotenzial
zz Verkehr von 60  GW ergibt. Durch höhere und effektivere
Heute werden ca. 22  TWh Strom im Verkehrs- Anlagen sind bis 2050 Volllaststunden für Wind
sektor fast ausschließlich für den Schienenverkehr an Land im Schnitt von 3000 h/a realisierbar, was
verwendet. Durch den Ausbau der Elektromobili- einem Energieertrag von 180 TWh/a entspricht.
tät wird seine Bedeutung für den Straßenverkehr Eine neuere Studie des Fraunhofer IWES für
in Zukunft deutlich steigen. Das begründet die An- den Bundesverband Windenergie weist auf 2 % der
nahme, dass die Hälfte aller Personenkilometer im Landesfläche ein technisch-nachhaltiges Potenzial
Jahre 2050 elektrisch absolviert und dafür ein zu- für Wind an Land von 198  GW bei 2000  h/a mit
sätzlicher Strombedarf von 50 TWh angesetzt wird. einem Ertrag von 390 TWh/a aus (s. [5]).
3.3 • »100 % Strom aus erneuerbaren Quellen« laut Umweltbundesamt
69 3

. Tab. 3.3  Technisch-ökologisches Potenzial der erneuerbaren Energien 2050 und Vergleich zu 2011 nach den kon-
servativen Schätzungen des Umweltbundesamtes nach [3, 28]

Jahr 2011 Jahr 2050 (100 %-Szenario)

Installierte Leistung Energie Technisch-ökologisches Technisch-ökologisches


in MW in TWh Leistungspotenzial in GW Energiepotenzial in TWh

Photovoltaik 25 19,3 275 248

Wind an Land 29 48,3 60 180

Wind auf See 0,2 0,6 45 180

Wasserkraft 4,4 18,1 5,2 24

Tiefengeothermie 0,008 0,02 6,4 50

Biomasse aus 1,7 5,0 nach Bedarf über Gasver- 23


Abfall stromung

Summe 60,3 91,3 392 705

zz Offshore-Windenergie kleinerer Leistungen gesehen. Somit werden für


Auf hoher See weht der Wind häufiger, stärker und 2050 eine installierte Leistung von 5,2  GW und
konstanter. Das ist der entscheidende Vorteil der ein Ertrag von 24 TWh als technisch-ökologisches
Offshore-Windenergie gegenüber der Onshore- Potenzial angesetzt.
Windenergie. Begrenzende Faktoren sind die An-
bindung an Land und die Wartung auf dem Meer. zz Tiefengeothermie
Da auch hier belastbare Studien fehlten, wurde auf Die tiefe Geothermie spielt aus heutiger Sicht
Basis der Langfristszenarien (s.  7  Abschn. 3.2) eine nur eine marginale Rolle in der Stromversorgung
Abschätzung zur installierbaren Leistung inklusi- Deutschlands (s. .  Tab.  3.3). Ihre gesamte Strom-
ve steigenden Wassertiefen von 45  GW getroffen, erzeugung lag 2011 bei 18,8 GWh, was einen Anteil
welche bei 4000 h/a auf ein Energiepotenzial von von 0,003 % am Gesamtstromverbrauch darstellt (s.
180 TWh/a kommt. Damit liegt der angenommene [28]). Die Vorteile solcher Anlagen liegen in der
Stromertrag auf See gleichauf wie an Land. gekoppelten Strom- und Wärmebereitstellung und
Eine aktuelle Studie des IWES für die Stif- ihrer Grundlastfähigkeit aufgrund der hohen Aus-
tung Offshore bestätigt ein Energiepotenzial von lastung von mehr als 7500 Volllaststunden. Wird
258 TWh/a bei einer Auslastung von 4778 h/a und die Wärmenutzung unberücksichtigt gelassen,
einer installierten Leistung von 54 GW auf allen aus kann ein großes Potenzial von 312 TWh/a identifi-
heutiger Sicht nutzbaren Flächen in der Nord- und ziert werden. Zu den weiteren Restriktionen zählen
Ostsee (s. [20]). die Flächenerschließung unter ökologischen Ge-
sichtspunkten und Aspekten der Raumordnung,
zz Wasserkraft womit sich für 2050 ein technisch-ökologisches
Die Wasserkraft ist mit 4,4  GW und ca. 18– Potenzial von ca. 50 TWh/a bei einer installierten
20 TWh/a in Deutschland bis auf die Kleinwasser- elektrischen Leistung von 6,4 GW ergibt. Darin ist
kraft weitgehend erschlossen (Stand 2011) (s. [3]). der Eigenverbrauch der Kraftwerke von ca. 25 % be-
Es wird nicht damit gerechnet, dass naturbelassene rücksichtigt.
Flüsse für den Ausbau weiterer großer Wasserkraft-
werke dienen werden. Das einzige Potenzial zur zz Biogene Rest- und Abfallstoffe
Erhöhung der Leistung und des Ertrages wird in Die Analyse der Biomasse konzentriert sich aus-
der Modernisierung und Erweiterung bestehender schließlich auf Biomasse aus Abfällen, da die Strom-
Anlagen und im Neubau von Wasserkraftanlagen gewinnung aus Energiepflanzen in Konkurrenz zur
70 Kapitel 3 • Speicherbedarf in der Stromversorgung

. Tab. 3.4  Kapazitäten aller Kavernen- und Porenspeicher in Deutschland 2050 nach [28]

Max. nutzbares Kavernenspeicher Porenspeicher Summe Summe


Arbeitsgas Vn in Mio. m³ Vn in Mio. m³ Vn in Mio. m³ Eth in TWh

Wasserstoff 36.800 0 36.800 110,4

Methan 36.800 13.600 51.400 514,0


3

Nahrungsmittelproduktion steht, nicht zwangs- Deutschland sind heute Pumpspeicher mit einer
läufig treibhausneutral ist und weitere negative Ausspeicherleistung von 6,6  GW und einer Spei-
Auswirkungen auf die Umwelt wie Monokulturen cherkapazität von 40 GWh installiert. In der Studie
haben kann. Die Biomassepotenziale des Wal- wird eine Erhöhung der Kapazitäten um 0,33 GW
des durch Naturverjüngung und nachwachsendes durch Repowering (Modernisierung bestehender
Holz werden in der UBA-Studie zur Stromerzeu- Anlagen) und um 1,645  GW durch den Neubau
gung nicht berücksichtigt und sind der stofflichen von PSW (Atdorf, Einöden und Blautal) ausgegan-
Nutzung vorbehalten. Bei der Verarbeitung von gen. Das Potenzial weiterer Standorte oder neuer
Lebens- und Futtermitteln sowie anderen indust- Konzepte wie die Umsetzung von Pumpspeichern
riellen Prozessen fallen Rest- und Abfallstoffe an. in Bergwerken bleibt aufgrund der ungewissen
Diese können als Abfallbiomasse mit einem ther- Machbarkeit und ökologischen Folgen der Nut-
mischen Potenzial von 202 TWh/a energetisch ge- zung unberücksichtigt. Insgesamt erhöht sich da-
nutzt werden. Dazu trägt Biogas etwa 40  TWh/a mit die angenommene Turbinenleistung von heute
bei, welches eingespeist und verteilt über die Gas- 6,6 GW auf 8,6 GW und die Speicherkapazität um
infrastruktur bei einem Gas-und-Dampf-Kraft- ca. 15 GWh auf ca. 55 GWh.
werkswirkungsgrad von 57 % ein Strompotenzial
von 23 TWh/a hat. zz Kavernen- und Porenspeicher
Funktionsweise, Vor- und Nachteile sowie Anwen-
zz Zusammenfassung dungen von Power-to-Gas und Gasspeichern sind
. Tabelle 3.3 zeigt vergleichend die heute installier- ausführlich in  7  Kap.  8 und  7  Abschn.  14.3 darge-
te Leistung und Energieerträge mit den ermittelten stellt. Kavernenspeicher eignen sich für Wasser-
technisch-ökologischen Potenzialen der erneuer- stoff und Methan, Porenspeicher hingegen nur für
baren Energien. Die erneuerbaren Energien haben Methan.
das Potenzial, den Strombedarf in Deutschland si- .  Tabelle  3.4 zeigt die angenommenen Spei-
cher zu decken. cherkapazitäten für Wasserstoff und Methan (Erd-
gas, Windgas). Die Potenziale der Porenspeicher
3.3.2.2 Potenziale der Speicher entsprechen den heute vorhandenen Gasspeichern
Ähnlich zur VDE-ETG-Studie (s.  7  Abschn.  3.4) mit einer Speicherkapazität von 217 TWh. Mit wei-
werden in der UBA-Studie ausschließlich Pump- teren Potenzialen wird nicht gerechnet.
speicherwerke (PSW) als Kurzzeitspeicher betrach- Kavernenspeicher sind heute mit einem
tet, die die Schwankungen der Stromerzeugung im Arbeitsgasvolumen von Vn = 7816  Mio.  m3 in Be-
Tagesbereich abdecken. Als Langzeitspeicher wer- trieb, und weitere 7366 Mio. m3 sind bereits heu-
den chemische Speichersysteme mit über Power- te in Bau und Planung. Werden technische und
to-Gas hergestelltem Wasserstoff oder Methan be- ökologische Restriktionen berücksichtigt, wird
trachtet. ein weiteres Potenzial für 400 weitere Kavernen-
speicher bis 2050 gesehen, was einer Verdopp-
zz Pumpspeicherwerke lung des Arbeitsvolumens auf 36,8  Mrd.  m3 ent-
Funktionsweise, Vor- und Nachteile und Anwen- spricht. Genaue Betrachtungen zu Gasspeichern
dungen von Pumpspeicherwerken sind ausführ- und deren Potenziale und Funktionsweise sind
lich in  7  Kap.  9 und  7  Abschn.  13.1 dargestellt. In in 7 Abschn. 8.4 zu finden.
3.3 • »100 % Strom aus erneuerbaren Quellen« laut Umweltbundesamt
71 3
Damit stünden zur Energiespeicherung für gedeckt wird (s.  7  Abschn. 3.3.1.2). Über diese Puf-
Wasserstoff Speicherkapazitäten von 110  TWh als ferspeicher ist eine sehr große »virtuelle« Speicher-
Wasserstoff genutzt und 514 TWh Methan genutzt kapazität von 44 TWh/a in Form von Wärmespei-
zur Verfügung. Diese Speicherkapazitäten überstei- chern verfügbar, die zu einem großen Teil für das
gen bei Weitem den zukünftigen Speicherbedarf. Lastmanagement zwischen Strom- und Wärmesek-
Das heutige und zukünftige Potential von Gasspei- tor zur Verfügung stehen kann. Da die Wärmepum-
chern ist separat in 7 Abschn. 8.4 hergeleitet. pen im Leistungsbereich von 2 bis 200 kW durch
die solarthermischen Anlagen unterstützt werden,
3.3.2.3 Potenziale des Lastmanagements liegt deren Lastmanagementpotenzial vorwiegend
Das Lastmanagement kann als virtueller Speicher in der Zeit zwischen November und Februar.
angesehen werden, der die gleichen Aufgaben über
eine zeitliche Verschiebung der Nachfrage erfüllt zz Klimatisierung
und somit zur Dämpfung der Fluktuationen in er- Da Klimatisierung nur erforderlich ist, wenn die
neuerbar-dominierten Energiesystemen beitragen Sonne am stärksten scheint, kann diese hervorra-
kann (s. 7 Kap. 11). Diese Dienstleistungen sind fast gend in das Lastmanagement in Korrelation mit
durchgängig kostengünstiger als »reine Energie- PV integriert werden. Dabei kommen thermische
speicher« und daher im Sinne der Kostenminimie- Speicher wie Latentwärmespeicher (PCM) oder
rung des Gesamtsystems prioritär im Einsatz. Eisspeicher zum Einsatz (s.  7  Kap. 10). Vom Ener-
Es gibt dazu große Potenziale im Bereich Indus- giebedarf (28  TWh/a) kann ein großer Anteil für
trie, GHD und Haushalte (s. [14, 24, 31]: den Ausgleich der Einspeiseschwankungen ver-
55 Industrie wendet werden.
55 Chlor-Alkali-Elektrolyse
55 Papierherstellung zz Elektromobilität
55 Zementherstellung Fahrzeuge werden den Großteil eines Tages nicht
55 Kälteversorgung gebraucht (»Stehzeug«). Plug-in-Hybride oder rei-
55 Gewerbe, Handel, Dienstleistungen ne Elektrofahrzeuge sind zu einem gewissen Grad
55 Kühlhäuser, Lebensmittelgeschäfte flexibel im Ladezeitpunkt, weshalb sie sich gut zur
55 Kälteversorgung und Klimatisierung Aufnahme von Überschüssen eignen (»Grid-to-
55 Warmwasserbereitstellung Vehicle«). Der entgegengesetzte Weg (»Vehicle-to-
55 Speicheröfen Grid« – das Elektromobil als vollwertiger Strom-
55 Haushalte speicher mit bidirektionalem Anschluss) wird nicht
55 Waschen/Trocknen/Spülen betrachtet, da bisher kein Fahrzeughersteller diesen
55 Kühlen und Gefrieren Weg geht und die Akkumulatoren eine geringere
55 Elektrowärmepumpen Lebensdauer hätten. In der Studie wird davon aus-
55 Warmwasserbereitstellung gegangen, dass der komplette Strombedarf der
55 Speicheröfen Elektromobile (50  TWh/a) über das Lastmanage-
55 Klimatisierung ment eingebunden wird.

In der UBA-Studie werden die größten Potenziale zz Industrie


in Zukunft bei den elektrischen Wärmepumpen, Der Stromverbrauch der industriellen Prozesse in
der Klimatisierung, den Elektrofahrzeugen und bei der chemischen Industrie (Chlor), der Steine-Er-
energieintensiven Verbrauchern in der Industrie den-Industrie (Zement), der Stahlherstellung und
gesehen. für Prozesswärme oder Drucklufterzeugung wird
mit rund 50  TWh/a angesetzt. Vom technischen
zz Wärmepumpen Potenzial für die Bereitstellung von positiver Mi-
In dieser Studie davon ausgegangen, dass der Wär- nutenreserve (3 GW) wird die Hälfte (1,5 GW) im
mebedarf in Deutschland in allen Bereichen haupt- Szenario ausgeschöpft. Weitere Potenziale werden
sächlich durch Wärmepumpen mit Pufferspeichern nicht einbezogen, was einer konservativen Annah-
me entspricht.
72 Kapitel 3 • Speicherbedarf in der Stromversorgung

zz Sonstige das Lastmanagement aufgenommen. Erst danach


Ein weiterer Ansatz ist die Verwendung von kommen Speicher zum Einsatz: vorrangig Pump-
Kühl- und Gefriergeräten im Handel oder von speicher aufgrund der höheren Effizienz und nach
Waschmaschinen, Geschirrspülern und Trocknern Ausschöpfung ihres Kurzzeitspeicherpotenzials die
im Haushaltsbereich. In der UBA-Studie werden Langzeitspeicher Power-to-Gas samt Gasspeichern.
diese Potenziale nicht berücksichtigt. Sowohl Kurzzeit- als auch Langzeitspeicher in Ver-
3 bindung mit Gasturbinen oder GuD-Kraftwerken
dienen als Spitzenlast- und Reservekraftwerke.
3.3.3 Annahmen und Modellierung Methan oder Wasserstoff können zudem noch als
des Szenarios für 2050 Stromkraftstoffe im Verkehr oder als Energieträger
für die Industrie dienen. Dadurch bleibt nur ein
3.3.3.1 Das Szenario »Regionenverbund« sehr geringer Teil des Stromes unberücksichtigt.
In der Simulation zukünftiger Stromversorgung . Tabelle 3.5 zeigt den Grad des genutzten tech-
werden verschiedene Szenarien angedacht. Mög- nisch-ökologischen Potenzials an erneuerbaren
lich wäre ein Zusammenschluss Europas zu einem Energien und Energiespeichern im Szenario »Re-
einzigen großen Stromnetz, in dem alle erschließ- gionenverbund«.
baren Potenziale von erneuerbaren Energien und
der Speicher als Verbund verwendet werden. Alter- zz Wärme- und Kälteerzeugung
nativ kann die deutsche Stromversorgung auf Basis Da der Wärmebedarf aufgrund von Effizienzmaß-
dezentraler Inselnetze betrachtet werden, wobei nahmen stark gesunken ist, wird fast der gesamte
der Ausgleich zwischen Erzeugern und Verbrau- Wärmebedarf über Wärmepumpen kombiniert mit
chern so weit wie möglich lokal erfolgt. solarthermischen Anlagen gedeckt. Regional ver-
Ein Mittelweg ist der sogenannte »Regionen- teilt gibt es noch Konzepte mit Abwärmenutzung
verbund«, bei dem die Regionen in Deutschland aus KWK, Geothermiekraftwerken oder saisonalen
möglichst gut vernetzt werden und die einzelnen solarthermischen Speichern. Prozesswärme wird
Regionen ihre Stromnachfrage durch den gegen- über Gas aus Power-to-Gas oder Abwärme gedeckt.
seitigen Austausch erneuerbarer Energien decken Im Zuge des Klimawandels ist mit einem stei-
können. In diesem Szenario wird nur ein kleiner genden Bedarf an Klimatisierung zu rechnen.
Stromanteil importiert. Die Versorgungssicherheit Durch geeignete Konzepte (Sonnenschutz, ener-
wird durch die Zusammenarbeit innerhalb der Re- giesparende Kühl- und Lüftungstechniken und
gionen garantiert. Klimatisierung) als Lastmanagement kann dieser
steigende Bedarf gedeckt werden.
zz Stromerzeugung und Speicherung
Im Szenario »Regionenverbund« wird der Großteil zz Verkehr
der in  7  Abschn.  3.3.2 vorgestellten Potenziale er- Im Szenario ist die Hälfe aller Pkw elektrisch be-
neuerbarer Energien genutzt und mit den Speicher- trieben. Dadurch steigt einerseits der Strombedarf;
potenzialen zusammengeführt. In der Photovoltaik andererseits verringern sich gleichzeitig CO2-
wird jedoch nur die Hälfte des Potenzials eingesetzt. Emmissionen und Kraftstoffbedarf. Der Strombe-
Ferner wird Biogas aus Abfallbiomasse nur zur darf des Schienenverkehrs nimmt ebenfalls zu.
Spitzenlastdeckung und als Reserve verwendet. Da-
durch wird das Biomassepotenzial nicht im Strom- zz Energieverteilung
sektor ausgeschöpft, sondern dient in dem Szenario Das deutsche Stromnetz ist in ein europaweites
vorwiegend der Substitution von fossilen Energie- Übertragungsnetz eingebunden. In das vorhan-
trägern in Verkehr und Industrie. Das beschriebene dene Erdgasnetz wird nur noch Wasserstoff oder
Speicherpotenzial wird voll ausgeschöpft. Methan aus Power-to-Gas oder Biogas aus Abfall-
Die anfallenden Überschüsse werden zunächst biomasse eingespeist, welche auch in Poren- oder
durch den Stromtransport zwischen den Regionen Kavernenspeicher für den saisonalen Ausgleich
ausgetauscht und im Anschluss nach Bedarf über zwischengespeichert werden können.
3.3 • »100 % Strom aus erneuerbaren Quellen« laut Umweltbundesamt
73 3

. Tab. 3.5  Übersicht der Potenzialausschöpfung von erneuerbaren Energien und Energiespeichern im Szenario
»Regionenverbund«, nach [28]

Technisch-ökologisches Potenzial 2050 Szenario »Regionenverbund«

Leistung in MW Energieertrag in Leistung in MW Energieertrag in


GWh GWh

Photovoltaik 275.000 248.000 120.000 104.000

Wind an Land 60.000 180.000 60.000 170.000

Wind auf See 45.000 180.000 45.000 177.000

Wasserkraft 5200 24.000 5200 22.000

tiefe Geothermie 6400 50.000 6400 50.000

Biomasse aus nach Bedarf 23.000 23.300 11.000


Abfall

Kurzzeitspeicher 8600 55 8600 55

Langzeitspeicher nach Bedarf 514.000 (Methan) 44.000 nach Bedarf


110.400 (H2)

3.3.3.2 Modellbildung und Simulation »Messpunkte« für die in  7  Abschn.  3.3.4.2 darge-
des Szenarios stellten Abbildungen zur Residuallast dar.
zz Ansatz des Modells Die Basislast entspricht dem Gesamtbedarf mit
Energiebilanzen werden meist ausschließlich auf Verlusten abzüglich der Lasten von Elektromobili-
jährlicher Basis erstellt und diskutiert. Jährliche tät, Wärmepumpen und Klimatisierung, da diese
Werte geben jedoch keinen Aufschluss über die im Lastmanagement eingesetzt werden. Sie wird
Dynamik und Stabilität eines Systems. Um eine demnach aus historischen Lastprofilen ermittelt.
Aussage dazu zu machen, ist eine zeitlich und Ein Teil des Wärmebedarfs und der Ladung von
räumlich hochauflösende Simulation erforderlich. Elektrofahrzeugen ist aber unabhängig von der
Die Simulation erfolgt mit den Wetter- und Last- gegenwärtigen Einspeisesituation im Stromnetz
daten der Jahre 2006–2009, um auch Wetterextre- und zu jedem Zeitpunkt vorzuhalten. Diese Must-
me zu untersuchen, die über die Jahre verteilt auf- run-Anteile der Elektrofahrzeuge und Wärme-
treten. Damit können allgemeingültigere Aussagen pumpen sind in der Basislast berücksichtigt. Die
getroffen werden. Im Januar 2007 ereignete sich Residuallast bildet sich aus der Basislast abzüglich
beispielsweise der Sturm Kyrill über Deutschland. der Einspeisung von Wind, PV, Wasserkraft und
Die zeitliche Auflösung erfolgt in stündlichen Wer- Geothermie. Diese kann je nach Situation größer
ten, die räumliche Auflösung für Wind, PV und null (Last > Einspeisung erneuerbarer Energien)
Wärmepumpen auf 14 ⋅ 14  km2. In der Simulation oder kleiner null (Last < Einspeisung erneuerbarer
können die erneuerbare Stromerzeugung, das Ver- Energien) sein.
halten der Speicher und der Last sowie das Lastma- Das Lastmanagement mit Elektromobilen, Elek-
nagementpotenzial der Verbraucher nachvollzogen trowärmepumpen und elektrischer Klimatisierung
werden. erfolgt vorwiegend in der Zeit, in der die residuale
Last kleiner null ist. Die Anpassung der steuerbaren
Aufbau des Modells und Methodik  . Abbildung 3.14 Verbraucher erfolgt so, dass die Gesamtlast best-
zeigt den Aufbau und die Funktionsweise des ver- möglich der Stromerzeugung folgt. Im Anschluss
wendeten SimEE-Modells, welches in MATLAB kommen die Pumpspeicher als Kurzzeitspeicher
abgebildet ist. Die Punkte 1, 2 und 3 stellen die und Power-to-Gas als Langzeitspeicher zum Ein-
satz. Gas aus biogenem Abfall und Power-to-Gas
74 Kapitel 3 • Speicherbedarf in der Stromversorgung

VERBRAUCH ERZEUGUNG

Last

3 »must run« Wärme Zusätzlicher + PV


Verbrauch
»must run« E-KFZ »Must run« Wind Offshore
Vorrangige
- Einspeisung von
Wind Onshore
EE-Strom
»Must run Units«
Wasserkraft

Residuale Last Geothermie


vor Glättung

Klimatisierung
Zusätzlicher +
Wärmepumpen Verbrauch mit
Lastmanagement
E-KFZ

Pumpspeicher + - Pumpspeicher
Pumpe Turbine
Rückverstromung
H2 bzw. CH4 in GuD

+ Biomasse
H2 Elektrolyse (+ CO2
- GuD
Methanisierung)
Biomasse
Gasturbine
Ungenutzte -
Überschüsse EE - Import
!
=0
Ausgeglichene
Energiebilanz

. Abb. 3.14  Aufbau des SimEE-Modells des Fraunhofer IWES Kassel für die UBA-Studie. (Quelle: [28])

wird über Gasturbinen und GuD-Kraftwerke zur 3.3.4 Ergebnisse zu Speicherbedarf


Deckung der verbleibenden Defizite verwendet. und Versorgungssicherheit
Ein geringer Teil an erneuerbaren Stromim-
porten aus dem europäischen Netzverbund bleibt. 3.3.4.1 Einspeiseverhalten erneuerbarer
Ganz geringe Mengen an Überschussstrom werden Energien über verschiedene Jahre
abgeregelt, da sich die dafür zu installierende Ka- Die Einspeisung aus erneuerbaren Energien ist
pazität an Power-to-Gas daraus weder energetisch wetterabhängig und schwankt daher auch saisonal
noch wirtschaftlich rechnet. und über mehrere Jahre. .  Abbildung  3.15 veran-
3.3 • »100 % Strom aus erneuerbaren Quellen« laut Umweltbundesamt
75 3
100

90

80

70 Geothermie
Laufwasser
Leistung in GW

60
Onshore-Wind
50 Offshore-Wind
Photovoltaik
40
Basislast
30 Last gesamt nach LM

20

10

0
Jan Feb Mär Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez
Monat

. Abb. 3.15  Monatliche durchschnittliche Einspeisung erneuerbarer Energien auf Basis der Wetterjahre von 2006–2009.
(Quelle: [28])

schaulicht diese Schwankungen anhand der durch- Wind an Land


schnittlichen monatlichen Einspeisung auf Basis 55 Im stündlichen Mittel werden maximal ca.
der Wetterdaten der Jahre 2006–2009 für das Sze- 52 GW von 60 GW installierter Leistung
nario. Trotz der teilweise erheblichen Schwankun- (87 %) erreicht, im Monatsmittel maximal ca.
gen der einzelnen Quellen liegt die Gesamteinspei- 40 GW, im Jahresdurchschnitt ca. 20 GW.
sung um ca. 50–60  GW im monatlichen Mittel. 55 Von Jahr zu Jahr schwanken die monatlichen
Wind-und Solarenergie ergänzen sich saisonal sehr Erträge stark.
gut: Witterungsbedingt speist im Sommer mehr 55 Die jährliche Stromerzeugung schwankt deut-
Photovoltaik ein, im Winter hingegen mehr Wind- lich, zeigt aber tendenziell einen ähnlichen
kraft. Letzteres passt gut mit dem erhöhten Strom- Jahresverlauf: Im Winter ist mehr Windkraft
verbrauch in dieser Jahreszeit zusammen. vorhanden als im Sommer.
Andere Studien zeigen ebenfalls diesen Effekt
und identifizieren ein ideales »Mischungsverhält- Wind auf See
nis« der installierten Leistungen von Windkraft zu 55 Im stündlichen Mittel werden maximal ca.
PV im Verhältnis von etwa 60:40. In dieser Kombi- 42 GW von 45 GW installierter Leistung
nation sind die Ausgleichseffekte am größten und (93 %) erreicht, im Monatsmittel maximal ca.
bei idealem Netz die Schwankungen in Deutsch- 35 GW, im Jahresdurchschnitt ca. 20 GW.
land und Europa minimal (s. [11, 12, 19]. 55 Die Winter-Sommer-Tendenz von Wind an
Die Ergebnisse im Einzelnen: Land zeigt sich auch bei Wind auf See, hin-
Photovoltaik gegen ist der Energieertrag von Wind an Land
55 Im stündlichen Mittel werden maximal ca. ähnlich hoch, trotz 25 % kleinerer installierter
80 GW von 120 GW installierter Leistung Leistung.
(67 %) erreicht, im Monatsmittel maximal ca. 55 Die jährlichen Schwankungen sind nicht
25 GW, im Jahresdurchschnitt ca. 20 GW. so sehr ausgeprägt wie bei Wind an Land
55 Die jährliche Stromerzeugung ist trotz der und Photovoltaik: Wind auf See gilt als die
starken monatlichen Schwankungen in etwa »konstanteste« Quelle unter den drei Energie-
gleich groß. quellen.
76 Kapitel 3 • Speicherbedarf in der Stromversorgung

140

120

100 Geothermie
Laufwasser
Leistung in GW

Onshore-Wind

3
80
Offshore-Wind
Photovoltaik
60
Basislast
Last gesamt nach LM
40

20

0
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31
Tag

. Abb. 3.16  Einspeisung erneuerbarer Energien und Stromnachfrage (rote Linie) mit Lastmanagement (gestrichelte rote
Linie) für den Dezember 2050 mit Wetterdaten des Jahres 2007. Mehrwöchige Windflauten verdeutlichen den Bedarf an
Langzeitspeichern und saisonalem Ausgleich. (Quelle: [28])

Wasserkraft Beispielhaft wird in .  Abb. 3.16 ein Dezember


55 Im täglichen Mittel werden maximal ca. mit zweiwöchiger Windflaute, also mit schwacher
3,2 GW von 5,2 GW installierter Leistung Einspeisung gezeigt und im Vergleich dazu ein
(62 %) erreicht, im Jahresdurchschnitt ca. sonnenreicher August in . Abb. 3.17. Es wird deut-
2,2 GW und als durchgehende Leistung mit ca. lich, dass erneuerbare Energien in 2050 zwar einen
1,5 GW. Großteil der Zeit die Stromnachfrage mithilfe des
55 Anders als oft erwartet speist die Wasserkraft Lastmanagements decken können, aber dass es
nicht kontinuierlich über das Jahr ein, sondern auch Zeiten gibt, in denen ein Einsatz von Ener-
schwankt von Tag zu Tag und Saison zu Saison giespeichern notwendig ist. Die Überschüsse der
aufgrund von beispielsweise Schneeschmelzen ersten Dezembertage werden über Langzeitspei-
im Frühjahr und im Frühsommer. cher für die 14-tägige Windflaute benötigt. Durch
Lastmanagement kann im August der Strombedarf
Tiefengeothermie sehr gut an die Mittagsspitzen der Photovoltaik an-
55 Für die geothermische Stromerzeugung wird gepasst werden.
eine konstante Stromerzeugung von 5,8 GW Deutlich werden dabei auch die extremen Ein-
errechnet. speisespitzen aus Photovoltaik und die noch ext-
55 Vorteilhaft ist die wetterunabhängig und plan- remeren Gradienten beim Zusammentreffen von
bare Stromlieferung, nachteilig sind die hohen hoher Wind- und PV-Einspeisung, wie z. B. am 14.
Kosten, die jedoch in der Studie nicht betrach- und 15. August des Beispieljahres.
tet werden.
3.3.4.2 Auswertung der Residuallast als
Neben dieser stochastischen Auswertung ist eine Indikator für Überschüsse und
detailliertere Simulation mit Lastmanagement Defizite
und Speichereinsatz in stündlicher Auflösung not- Die residuale Last ist die Differenz zwischen erneu-
wendig, da erst daraus ersichtlich wird, wie und in erbarer Einspeisung und Last (s. Definition Spei-
welchem Umfang Überschüsse und Defizite auszu- cherbedarf in  7  Abschn.  3.2). In der UBA-Studie
gleichen sind. wird zwischen drei Residuallasten unterschieden:
3.3 • »100 % Strom aus erneuerbaren Quellen« laut Umweltbundesamt
77 3
140

120

100 Geothermie
Laufwasser
Leistung in GW

Onshore-Wind
80
Offshore-Wind
Photovoltaik
60
Basislast
Last gesamt nach LM
40

20

0
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31
Tag

. Abb. 3.17  Einspeisung erneuerbarer Energien und Stromnachfrage (rote Linie) mit Lastmanagement (gestrichelte rote
Linie) für den August 2050 mit Wetterdaten des Jahres 2007. Tägliche Einspeisespitzen aus Photovoltaik unterstreichen den
Bedarf an Kurzzeitspeichern und täglichem Ausgleich. (Quelle: [28])

3. Differenz aus Basislast und erneuerbarer Kommen die neuen flexiblen Verbraucher
Einspeisung ohne Flexibilitätsoptionen und (Wärmepumpen, Klimatisierung, Elektromobili-
Biomasseverstromung (residuale Basis- tät) eingebunden über das Lastmanagement hin-
last) in . Abb. 3.18. Die Basislast umfasst die zu, kann fast die Hälfte der Überschüsse integriert
Gesamtlast abzüglich des flexiblen Einsatzes (ca. 65  TWh von 150  TWh) und der Verlauf der
von Klimatisierung, Elektromobilität und Defizite (Unterschüsse) stark geglättet werden
Wärmepumpen im Lastmanagement (Punkt 1 (s. .  Abb.  3.19). Dieses Ergebnis unterstreicht die
in . Abb. 3.14). Bedeutung des Lastmanagements (s.  7  Kap.  11) in
4. Differenz der Gesamtlast und erneuerbarer der Funktion als Energiespeicher.
Einspeisung mit den über das Lastmanage-
ment eingebundenen Stromverbrauchern 3.3.4.3 Speichereinsatz in einer zu 100 %
ohne Pumpspeicher (residuale Gesamtlast) in erneuerbaren Stromversorgung
. Abb. 3.19 (Punkt 2 in . Abb. 3.14) Im Lastmanagement werden große Kapazitäten an
5. Residuale Gesamtlast mit Lastmanagement Wärmespeichern benötigt und eingesetzt. Daher
und Pumpspeicherwerken in . Abb. 3.20 wird im Folgenden auf die reine Stromspeicherung
(Punkt 3 in . Abb. 3.14). über Pumpspeicher als Kurzzeitspeicher und Pow-
er-to-Gas als Langzeitspeicher eingegangen.
Die Abbildungen zeigen diese unterschiedlichen
Residuallasten am Beispiel des Wetterjahres 2009. zz Einsatz von Pumpspeichern als
. Abbildung 3.18 zeigt die extreme Auslenkung Kurzzeitspeicher
des Systems zwischen stündlichen Überschüssen Das in 7  Abschn.  3.3.2.2 identifizierte Potenzial
(blau) bis zu 105  GW und Defiziten von bis zu an Pumpspeichern in der deutschen Regelzone
50  GW. Ohne Lastmanagement und den Einsatz kommt in .  Abb. 3.20 vollständig zum Einsatz. Im
von Speichern entstehen ca. 150 TWh Stromüber- Vergleich zu .  Abb.  3.19 wird die glättende Wir-
schüsse im 100 %-Szenario des Umweltbundes- kung der Kurzzeitspeicher ersichtlich: Die maxi-
amts. malen Defizite werden um ca. 1 GW auf 57,3 GW
78 Kapitel 3 • Speicherbedarf in der Stromversorgung

60
max. Residuallast: 50,1 GW

40

20

0
3
Residuallast in GW

-20

-40

-60

-80

-100
min. Residuallast: -105,1 GW
-120
Jan Feb Mär Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez
Defizite (Basislast > EE-Einspeisung) Monat
Überschüsse (EE-Einspeisung > Basislast)

. Abb. 3.18  Residuale Basislast – ohne den Einsatz von Lastmanagement (Wärmepumpen, Klimatisierung, Elektromobili-
tät) und Pumpspeichern. (Quelle: [28])

60
max. Residuallast: 58,1 GW
40

20

0
Residuallast in Gw

-20

-40

-60
min. Residuallast: -63,6 GW
-80

-100

-120
Jan Feb Mär Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez
Defizite (Basislast> EE-Einspeisung) Monat
Überschüsse (EE-Einspeisung > Basislast)

. Abb. 3.19  Residuale Gesamtlast mit dem Einsatz von Lastmanagement (Wärmepumpen, Klimatisierung, Elektromobili-
tät) – ohne Pumpspeicher. (Quelle: [28])
3.3 • »100 % Strom aus erneuerbaren Quellen« laut Umweltbundesamt
79 3
60
max. Residuallast: 57,3 GW
40

20

0
Residuallast in GW

-20

-40

-60
min. Residuallast: -60,7 GW
-80

-100

-120
Jan Feb Mär Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez
Monat
Defizite (Basislast > EE-Einspeisung)
Überschüsse (EE-Einspeisung > Basislast)

. Abb. 3.20  Einsatz von Pumpspeichern anhand der residualen Gesamtlast inklusive Einsatz von Lastmanagement (Wär-
mepumpen, Klimatisierung, Elektromobilität). (Quelle: [28])

gesenkt und die maximalen Überschüsse um ca. giespeicherung wäre mit einem unverhältnismäßig
3 GW auf 60,7 GW verringert. Gleichzeitig ist ihre hohen technischen und finanziellen Speicherauf-
ausgleichende Wirkung auf die residuale Gesamt- wand verbunden.
last aufgrund der geringen Speicherkapazitäten be- In der Variante Wasserstoff liegt der Gesamt-
grenzt. wirkungsgrad von Power-to-Gas (44 GW Elektro-
Die Pumpspeicher haben eine Ein- und Aus- lyse und 30,4  GW Rückverstromung über GuD-
speicherleistung von 8,6  GW und speichern im Kraftwerke) im Bereich von 42 %. Die Last kann
Mittel 8,0 TWh ein und 6,0 TWh aus, woraus sich dadurch zu 100 % gedeckt werden, wobei Strom-
jährliche Volllaststunden von ca. 910 h bzw. 700 h importe (6,9 GW) von weniger als 5 % der Strom-
und Verluste von 2,0 TWh ergeben. nachfrage 2050 berücksichtigt werden. Weiterhin
wird zur Spitzenlastdeckung die flexible Biogasver-
zz Einsatz von Power-to-Gas als stromung (17,5  GW Gasturbinen als Reserve und
Langzeitspeicher 2,5 GW flexible KWK) herangezogen.
Nur ein Bruchteil des Potenzials an Langzeitspei- In der Variante Methan (Power-to-Gas) be-
chern (Gasspeicher) aus  7  Abschn.  3.3.2.2 wird in trägt der Gesamtwirkungsgrad mit 35 % aufgrund
einem 100 %ig erneuerbaren Stromsystem benö- der zusätzlichen Methanisierung unterhalb dem
tigt. In der UBA-Studie wird bei Langzeitspeichern des reinen Wasserstoffsystems. Dem steht der
zwischen erneuerbarem Wasserstoff und erneuer- deutlich geringere technische und finanzielle Auf-
barem Methan unterschieden, wobei in beiden Va- wand für eine Wasserstoffinfrastruktur gegenüber,
rianten 99 % der Überschüsse gespeichert werden. da keine Anpassung des heute bestehenden Erd-
Durch die Abregelung von 1 % der überschüssigen gasnetzes und der Gaskraftwerke nötig ist. Die zu-
Energie kann die Elektrolyseleistung auf 64 % der sätzlichen Verluste werden durch Stromimporte
maximalen Überschussleistung ausgelegt werden (9,3 GW) in Höhe von 6 % des Stromverbrauches
(44 GW). Das mögliche weitere Prozent der Ener- von 2050 ausgeglichen. Analog zur Variante Was-
80 Kapitel 3 • Speicherbedarf in der Stromversorgung

60
40
Leistung in GW

20 Biogas-Reserve
Gas-Rückverstromung GuD
0 Import
-20 Biogas-KWK
Elektrolyse/Methanisierung
-40 abgeregelte Überschüsse
-60
3 -80
2006 2007 2008 2009
Jahr

. Abb. 3.21  Einsatz von Power-to-Gas als Langzeitspeicher und Deckung der verbleibenden Defizite über geringe erneu-
erbare Importe und flexible Biogasanlagen über die betrachteten Wetterjahre 2006–2009. (Quelle: [28])

90

80

70
Energie im Speicher in TWh

60

50

40

30

20

10

0
2006 2007 2008 2009
Jahr

. Abb. 3.22  Füllstand des Gasspeichers über die betrachteten Wetterjahre 2006–2009. (Quelle: [28])

serstoff werden neben dem Ausspeichern von er- tisch in  TWh. Wird die Simulation mit einem zu
neuerbarem Gas zum einen die Importe und zum 40  TWh gefüllten Speicher begonnen, wird der
anderen Biogas flexibel in der KWK und als Spit- Speicher nicht komplett entleert. Die maximal
zenlastreserve zur Deckung der Defizite eingesetzt nötige Speicherkapazität mit etwa 75  TWh liegt
(s. . Abb. 3.21). weit unter der heutigen Gasspeicherkapazität von
.  Abbildung  3.22 zeigt den Füllstandsverlauf 217  TWh (ca. 35 %) und dem technisch-ökologi-
des benötigten Gasspeich ervolumens energe- schen Potenzial von 514  TWh (ca. 15 %). Zudem
3.3 • »100 % Strom aus erneuerbaren Quellen« laut Umweltbundesamt
81 3
60

40

20
Leistung in GW

Biogas-Reserve
Gas-Rückverstromung GuD
0 Import
Biogas-KWK
Elektrolyse/Methanisierung
-20 abgeregelte Überschüsse

-40

-60
0 1000 2000 3000 4000 5000 6000 7000 8000
Volllaststunden

. Abb. 3.23  Jahresdauerlinie der verbleibenden Residuallast in der Variante Erneuerbares Methan von Power-to-Gas und
GuD-Anlagen, Biogas und Stromimporten. (Quelle: [28])

werden in Zukunft durch den starken Rückgang orten den Schnitt der Volllaststunden auf nur ca.
des Wärmebedarfs und damit des Gasabsatzes in 870 h senken.
den Gasspeichern Kapazitäten frei. Das Speicher- Geothermie (6,4  GW) und Laufwasserkraft
minimum beträgt 10 TWh. Deutlich erkennbar ist (5,2 GW) haben zwar die geringste Leistung, aber
der saisonale Charakter des Langzeitspeichers: Vor aufgrund ihrer hohen Volllast von fast 8000 h bzw.
allem über die Sommermonate wird Energie für 4300 h erreichen sie knapp die Hälfte bzw. ein Vier-
den Winter eingespeichert. tel des Ertrages der Photovoltaik. Biogas aus Ab-
Im UBA-Szenario kommen Power-to-Gas- fallbiomasse ist für die Versorgungssicherheit von
Anlagen mit einer Einspeicherleistung von Bedeutung und wird neben der KWK zur Deckung
Pein = 44 GW und GuD-Kraftwerke mit einer Aus- von Spitzenlasten über Reservekraftwerke ein-
speicherleistung von Paus = 28  GW zum Einsatz. gesetzt. Ihre Auslastung ist mit ca. 500 h entspre-
Die Auslastung der Power-to-Gas-Anlagen aus- chend gering.
gedrückt als Einspeicherdauer beträgt ca. 2060  h Insgesamt wird durch die erneuerbaren Ener-
(24 %) und die Ausspeicherdauer der GuD-Kraft- gien mit einer installierten Gesamtleistung von
werke ca. 1230 h (13 %), wie aus der Jahresdauerlinie ca. 260  GW im Mittel ein jährlicher Ertrag von
in . Abb. 3.23 ersichtlich wird. 534 TWh erzielt. Hinzu kommen das Entladen der
Speicher (Pumpspeicher 6,0 TWh und GuD-Kraft-
zz Auswertung der Energiebilanzen werke (Power-to-Gas) 38 TWh) und der Stromim-
.  Abbildung  3.24 zeigt die Stromerzeugung und port von 23 TWh.
den Stromverbrauch im Mittel für die zugrunde Dem stehen sowohl der Stromverbrauch
gelegten installierten Leistungen, ausgelastet über (557 TWh), die Verluste in den Speichern (Pump-
die vier Wetterjahre 2006–2009. speicher 2  TWh und Power-to-Gas 59  TWh) als
Den größten Anteil der Erzeugung übernimmt auch Netzverluste (30  TWh) und die geringen,
die Windenergie. Dabei spielt die Windkraft auf See nicht genutzten Überschüsse von 1  TWh gegen-
aufgrund der höheren Volllaststunden (ca. 4000 h) über.
trotz einer geringeren Leistung (45 GW) die gleiche
Rolle wie die Windkraft an Land (60 GW). Photo- zz Ergebnisse zur Versorgungssicherheit –
voltaik gibt trotz einer installierten Leistung von gesicherte Leistung
120 GW einen geringeren Beitrag, da sowohl Fassa- In der UBA-Studie wird gezeigt, dass deutschland-
denanlagen als auch Anlagen an schlechten Stand- weit stets ausreichend gesicherte Leistung bereitge-
82 Kapitel 3 • Speicherbedarf in der Stromversorgung

1,2
Geothermie
11 29,5 50
60 2 Wasserkraft
22 Onshore-Wind
30
104 Offshore-Wind
Photovoltaik
Biomasse
3 170 Importe
ungenutzte Überschüsse
471,4 CH4-Umwandlungsverluste
PSW-Verluste
177
Leistungsverluste
Nettostromverbrauch
Energie in TWh Verbrauch und Verluste in TWh

. Abb. 3.24  Energiebilanzen für Erzeugung und Verbrauch im UBA-Szenario – Variante Erneuerbares Methan. (Quelle: [28])

stellt werden kann. Gerade die Speicher tragen hier Dies sind für positive Gradienten der Residuallast
dazu bei, in Zeiten lang anhaltender Windflauten Gasturbinenkraftwerke und für die negativen Gra-
mit geringer Solareinstrahlung die Stromversor- dienten Power-to-Gas-Anlagen (Elektrolyseure).
gung zu sichern. Beide können innerhalb kürzester Zeit hoch- bzw.
abgefahren werden und den notwendigen Aus-
zz Ausgleich der Leistungsgradienten gleich schaffen.
Leistungsgradienten beschreiben die Zu- bzw. Ab-
nahme der Einspeiseleistung pro Zeit. Da diese zz Regelleistungsbereitstellung
Leistungsgradienten mit der installierten Leistung Nicht planbare Leistungsgradienten von Verbrauch
von Windkraft und Photovoltaik stark zunehmen, und Erzeugung werden durch die Regelleistung
wird die Bedeutung der Regelleistung und gesi- abgefangen. Dafür kommen Pumpspeicher, GuD-
cherten Leistung von Speicher- und Reservekraft- Kraftwerke, Gasturbinen, Power-to-Gas-Anlagen
werken immer wichtiger. und regelbare Lasten über das Lastmanagement
Die in der Simulation aufgetretenen höchsten samt Wärmespeichern infrage. Aus technischer
positiven Gradienten der Residuallast (Zunahme Sicht kann durch diese Anlagen jederzeit genügend
der Residuallast aufgrund von Einspeiserückgang) positive und negative Regelleistung bereitgestellt
lagen alle in der Zeit zwischen 15 und 17  Uhr im werden, da ausreichend Kraftwerkskapazitäten vor-
Bereich 17–24 GW pro Stunde. Diese sind auf die handen sind. Damit ist die technische Versorgungs-
Photovoltaik und den Rückgang der Sonnenhöhe sicherheit und Netzstabilität auch in einem Szena-
zurückzuführen und daher leicht in die Planung in- rio mit 100 % erneuerbaren Energien wie in dem
tegrierbar. Ähnliches spielt sich auch in den Mor- Szenario »Regionenverbund« stets gewährleistet.
genstunden ab, in denen die höchsten negativen
Gradienten der Residuallast auftreten, die ähnliche
Dimensionen haben wie die positiven. 3.3.5 Zusammenfassung
Die Höhe dieser Gradienten lässt sich leicht
vorhersagen, da sie dem natürlichen Sonnengang Fazit
nachempfunden werden können. Eine Abschwä- 55 E ine Vollversorgung mit erneuerbaren Ener-
chung der Gradienten würde sich durch einen ver- gien in allen drei Energiesektoren Strom, Wär-
stärkten Ausbau von PV-Anlagen mit Ost-/West- me und Verkehr ist 2050 sowohl technisch als
Ausrichtung einstellen. Für den Ausgleich sind fle- auch ökologisch umsetzbar.
xible und schnell anfahrbare Anlagen notwendig:
3.4 • VDE-ETG-Studie zum marktbasierten Speicherbedarf
83 3
55 Das technische Potenzial für Wind an Land 55 D
as technisch-ökologische Potenzial an
(ca. 390 TWh), Wind auf See (ca. 260 TWh) und Pumpspeichern (Kurzzeitspeichern) wird mit
Photovoltaik (ca. 250 TWh) ergibt zusammen 0,055 TWh voll ausgeschöpft. Es ermöglicht eine
ein Potenzial von ca. 900 TWh und ist damit in Lastglättung, ist aber bei Weitem nicht ausrei-
der Lage, den Strombedarf und darüber hinaus chend, um den Speicherbedarf in einer Strom-
auch den Energiebedarf an Wärme und Indivi- versorgung mit 100 % erneuerbaren Energien zu
dualmobilität zu decken. decken.
55 Der Wärmebedarf kann durch verstärkte Maß- 55 Nur 15 % des technisch-ökologischen Potenzials
nahmen in der Energieeffizienz und der Ver- an Langzeitspeichern (Gasspeichern) wird in
knüpfung des Stromsektors mit dem Wärme- der Variante Erneuerbares Methan in einem
sektor vollständig elektrisch gedeckt werden. Stromsystem aus 100 % erneuerbaren Energien
55 Trotz massiver Überinstallation aus Wind und benötigt: 75 von 514 TWh. Wird eine reine Was-
PV (zusammen 225 GW) wird ein verbleibender serstoffwirtschaft betrachtet, ist ein Aufbau
thermischer Kraftwerkspark als Reserve (Back- von 110 TWh Kavernenspeichern notwendig,
up) in der Größenordnung von zwei Dritteln die mit maximal 85 TWh auch zu ca. 80 % aus-
der Jahreshöchstlast (ca. 60 GW) benötigt. gelastet werden.
55 Die Versorgungssicherheit, die die deutsche 55 Durch die Abregelung von 1 % der überschüs-
Stromversorgung heute auszeichnet, kann sigen Energie kann die Power-to-Gas-Leistung
auch bei einer vollständig auf erneuerbaren auf 64 % der maximalen Überschussleistung
Energien basierenden Stromversorgung jeder- ausgelegt werden. Das mögliche weitere Pro-
zeit gewährleistet werden. Durch Speicher- und zent der Energiespeicherung wäre mit einem
Reservekraftwerke ist ausreichend gesicherte unverhältnismäßig hohen technischen und
Leistung und Regel- und Reserveenergie vor- finanziellen Speicheraufwand verbunden.
handen. 55 Ein europaweiter Stromverbund bietet ein
55 Wind- und Solarenergie ergänzen sich in der weiteres Kostenoptimierungspotenzial und
Einspeisung saisonal sehr gut. Ihr ideales Mi- eine weitere Möglichkeit zur Flexibilisierung des
schungsverhältnis beträgt 60:40. Dabei glei- Systems.
chen sich die Schwankungen gegenseitig am
besten aus.
55 Für ein funktionierendes System werden Infra- 3.4 VDE-ETG-Studie zum
strukturmaßnahmen für Lastmanagement marktbasierten Speicherbedarf
(»Smart-Meter« und »Smart-Grid«) sowie der
Ausbau der Stromnetze vorausgesetzt. Bislang wurden in  7  Abschn. 3.2 und 3.3 zwei Stu-
55 Die weitreichendste und effektivste Maß- dien betrachtet, die entweder keine Speicherkosten
nahme ist die Integration des Wärmesektors: berücksichtigen oder einen vollständigen Netzaus-
Große Potenziale des Lastmanagements bau innerhalb Deutschlands annehmen. Nun folgt
werden über Wärmepumpen samt Wärmespei- die Analyse einer Studie, die sowohl Kosten als
chern (44 TWh) und Klimatisierung (28 TWh) auch Netzrestriktionen abbildet.
umgesetzt. Hinzu kommt das gesteuerte Laden Die Energietechnische Gesellschaft (ETG) im
der Elektromobile unter Nutzung von Batterien VDE hat 2012 die interdisziplinär erarbeitete Stu-
(50 TWh). Damit spielt bei einer Stromver- die »Energiespeicher für die Energiewende« ver-
sorgung aus 100 % erneuerbaren Energien das öffentlicht (s. [30]). Die Untersuchung analysiert
Lastmanagement eine maßgebliche Rolle: Fast in einem Referenzszenario und drei zukünftigen
die Hälfte der Überschüsse können darüber Szenarien, die jeweils unterschiedliche Durch-
integriert (ca. 65 TWh von 150 TWh) und der Ver- dringungen des elektrischen Energiesystems mit
lauf der Defizite stark geglättet werden. erneuerbaren Energien repräsentieren, welche
84 Kapitel 3 • Speicherbedarf in der Stromversorgung

300
PV
250 Wind
Installierte Leistung in GW

Wasserkraft
200
Biomasse KWK
3 Geothermie
150
KWK
100 Erdgas

1 1 Steinkohle
50
Braunkohle

0 Kernenergie
2010 40% 80% 100%

. Abb. 3.25  Installierte Kraftwerkskapazitäten aus VDE-ETG-Studie, Fußnote 1: gegebenenfalls weiterer Zubau von Erdgas-
kraftwerken zur Gewährleistung der gesicherten Leistung zugelassen. (Quelle: [30])

Auswirkungen Speicher auf das elektrische Ener- Die Studie widmet sich daher der Frage, wel-
giesystem haben. cher Speicherungsbedarf zur Bilanzierung zu-
Als Referenz dient das Jahr 2010 (erneuerba- künftiger, von erneuerbaren Energien dominierter
rer Anteil 17 % mit erneuerbaren Kapazitäten von Stromsysteme unter Berücksichtigung der Flexi-
Anfang 2010); betrachtet wird das langfristige Aus- bilitäten des bleibenden thermischen Kraftwerks-
bauziel erneuerbarer Energien von 80 % (80 %-Sze- parks und der Bereitschaft zur Flexibilisierung der
nario, Jahr 2050), aber auch das kurzfristige Aus- Einspeisung aus erneuerbaren Energien erforder-
bauziel erneuerbarer Energien von 40 % (40 %-Sze- lich ist.
nario, Jahr 2020–2025) sowie ein über das »Ener-
giekonzept 2050« hinausgehender Ausblick auf ein
mögliches Ausbauziel erneuerbarer Energien von 3.4.1 Methodik
100 % (100 %-Szenario) Einen Überblick über die
installierten Erzeugungskapazitäten je Szenario lie- .  Abbildung  3.26 gibt einen Überblick über die
fert . Abb. 3.25. Methodik der VDE-ETG-Studie. Ausgangsbasis
Derartig hohe Anteile volatiler Erzeugung ist jeweils ein Szenario, das die Kraftwerkska-
stellen das deutsche Stromsystem vor große tech- pazitäten und den Verbrauch definiert. Hieraus
nische Herausforderungen, die von der Systemsta- ergibt sich u.  a. die Residuallast. Varianten, die
bilität, der Versorgungssicherheit, dem Ausbau der jeweils unterschiedliche Pfade eines möglichen
Übertragungs- und Verteilungsnetze bis hin zum Speicherzubaus abbilden, lassen durch ihren Ver-
zentralen Punkt des Ausgleichs von Erzeugung und gleich Erkenntnisse über Nutzen von Energie-
Verbrauch, der sogenannten Bilanzierung, reichen. speichern zu.
Eine derartige Bilanzierung erfordert Flexibilitäten In einer vorgehenden VDE-ETG-Studie
im Stromversorgungssystem, die grundsätzlich von »Energiespeicher im Stromversorgungssystem
Energiespeichern, flexiblen thermischen Kraft- mit hohem Anteil erneuerbarer Energieträger« (s.
werken, flexiblen Verbrauchern (Lastmanagement [29]) aus dem Jahr 2009, die die Basis für die hier
oder Demand Side Management) und regelfähigen beschriebene VDE-ETG-Studie darstellt, werden
erneuerbaren Energieanlagen bereitgestellt werden die Speichertechnologien nach demselben Prin-
können.
3.4 • VDE-ETG-Studie zum marktbasierten Speicherbedarf
85 3

Für alle Szenarien des EE-Ausbaus

Erwarteter Verbrauch und


Kraftwerkspark
(erneuerbar und thermisch) Variantendefinition:
– Speicherzubau
– Netzzubau

Erwartete Residuallast

Jahresbetriebsanalyse des Kraftwerks- und Speicherparks für jede


Speicherzubauvariante

Kostenanalyse für jede Netzanalyse für jede Speicher-


Speicherzubauvariante und Netzzubauvariante

. Abb. 3.26  Übersicht über die Methodik der VDE-ETG-Studie. (Quelle: [30])

zip wie in  7  Kap.  2 in zwei Speicherklassen ein- 55 V ariante B: Die Flexibilitäten werden durch
geteilt: thermische Kraftwerke und einen Zubau von
55 K urzzeitspeicher mit hohem Zykluswirkungs- Kurz-zeitspeichern bereitgestellt. Der Umfang
grad (≥ 75 %), aber geringem Speichervolu- dieses Zubaus orientiert sich an dem tatsäch-
men, wie z. B. Pumpspeicherwerke, Druck- lich betrieblich nutzbaren Potenzial (Vollzu-
luftspeicher, Batterien und Lastmanagement bau).
(Wärmespeicher) 55 Variante C: Die Flexibilitäten werden durch
55 Langzeitspeicher mit bislang geringem Zyk- thermische Kraftwerke und einen Vollzubau
luswirkungsgrad (≤ 40 %), aber großem Spei- von Langzeitspeichern bereitgestellt.
chervolumen, wie chemische Speicherung als 55 Variante D: Die Flexibilitäten werden durch
Wasserstoff oder Methan (Power-to-Gas). thermische Kraftwerke und einen Vollzubau
von Kurz- und Langzeitspeichern bereitge-
Aus diesem Grund abstrahiert die hier betrach- stellt.
tete VDE-ETG-Studie »Energiespeicher für die 55 Variante E: Die Flexibilitäten werden durch
Energiewende« die Technologie der Speicher und thermische Kraftwerke und einen Speicher-
untersucht den Speicherungsbedarf für das Strom- park aus Kurz- und Langzeitspeichern mit
system getrennt für die Speicherklassen Kurzzeit- gegenüber Variante D halbierter Einspeicher-
und Langzeitspeicher, für die repräsentative Werte leistung bereitgestellt.
bei Zykluswirkungsgrad und Speichervolumen an-
gesetzt werden. Im Rahmen der Studie wurden die Der Speicherzubau erfolgt in den Varianten stets
folgenden Varianten untersucht: zusätzlich zum bereits bestehenden Pumpspei-
55 Variante A: Die Flexibilitäten zur Bilanzierung cherpark im Jahre 2010 in Deutschland, der eine
werden durch thermische Kraftwerke und gesamte Pumpleistung von 7,2  GW, eine gesamte
eine Abregelung der erneuerbaren Erzeugung Turbinenleistung von 8,2  GW und ein gesamtes
bereitgestellt. Es werden über die derzeit be- Speichervolumen von 48 GWh besitzt.
stehenden Speicher keine weiteren Speicher Den zentralen Teil der Analyse stellt die Jahres-
zugebaut. betriebssimulation des Kraftwerks- und Speicher-
86 Kapitel 3 • Speicherbedarf in der Stromversorgung

parks dar, welche auf ein etabliertes Verfahren der die Interpretation und Einordnung der Ergebnisse
RWTH Aachen zurückgreift. Dieses liefert für eine wichtig sind. Diese werden im Folgenden erläu-
gegebene Ganglinie die Residuallast, den kostenmi- tert.
nimalen Speicher- und Kraftwerkseinsatz für jede
Stunde eines zugrunde gelegten Jahres. Wesentliche 3.4.2.1 Allgemeine Annahmen
zusätzliche Ergebnisse dieses Analyseschrittes sind 55 D
er zukünftige Speicherungsbedarf wird im
3 genutzte Speichervolumen, abgeregelte erneuerba- Wesentlichen durch dessen Bilanzierungsfunk-
re Erzeugung, Primärenergieverbräuche und CO2- tion bestimmt. Weitere Speicherfunktionen
Emissionen. wie Regelleistung, Spannungsqualität, Eng-
Die Ganglinie der erneuerbaren Einspeisung passmanagement, Spannungshaltung, Netz-
wird anhand eines erprobten Modells des Fraun- stabilität und Versorgungsqualität bis hin zum
hofer IWES Kassel auf Basis der zukünftig erwar- Inselnetzbetrieb sind Zusatzfunktionen bzw.
teten installierten erneuerbaren Energieanlagen bezüglich des Bedarfs an Leistung und Ener-
nach dem in  7  Abschn.  3.2 betrachteten Vorjahr gie von nachrangiger Bedeutung und bleiben
der »BMU-Langfristszenarien 2010«, deren geo- daher an dieser Stelle unberücksichtigt. Sie
grafischer Verteilung und hochauflösender Wetter- werden in 7 Abschn. 13.1 aufgegriffen.
daten aus dem COSMO-EU-Modell des Deutschen 55 Für Kurzzeitspeicher ist ein Zykluswirkungs-
Wetterdienstes (DWD) abgeleitet. grad von 80 % und eine E/P-Ratio von 5 Wh/W
Die Kostenanalyse wertet die Ergebnisse der charakteristisch; Langzeitspeicher werden mit
Jahresbetriebssimulation aus und berechnet hie- einem Zykluswirkungsgrad von 40 %, aber un-
raus die Investitions- und Betriebskosten der begrenztem Speichervolumen modelliert.
Speicher und Kraftwerke sowie die gesamten 55 Der zukünftige Speicher- und Kraftwerksein-
Stromgestehungskosten. Der Kostenanalyse des satz zum Zwecke der (energiewirtschaftlichen)
Kurz- und Langzeitspeicherparks liegt ein de- Bilanzierung wird über das Prinzip der heute
taillierteres Speichermodell der RWTH Aachen funktionierenden Strommärkte gesteuert, die
zugrunde, welches eine nutzungsabhängige Le- zu kostenminimalen variablen Stromgeste-
bensdauer und bei der realen Dimensionierung hungskosten führen.
zusätzlich die zulässigen Ausspeicherdauern be- 55 Die Studie betrachtet nur das Stromver-
rücksichtigt. sorgungssystem. Kopplungen mit anderen
Analog zum Vorgehen zur Bestimmung des Energiesystemen wie Mobilität, Wärme oder
Speicherausbaubedarfs wurde für die Varianten A, Erdgasversorgung werden über die Betrach-
D und E in allen Szenarien ein zunehmender Netz- tung der Kurz- und Langzeitspeicher, der
ausbau des deutschen Übertragungsnetzes betrach- KWK-Anlagen und des bedarfsabhängigen
tet. Der zunehmende Ausbau wurde durch fünf Verbrauchs von Elektrowärmepumpen, Elek-
verschiedene Netzmodelle abgebildet. Da dieser tromobile und Klimatisierung hinaus nicht
Bereich gegenwärtig Untersuchungsgegenstand ist berücksichtigt.
(s.  7  Abschn. 3.5) und teilweise neue Erkenntnisse
vorliegen, wird auf eine Darstellung der Ergebnis- 3.4.2.2 Annahmen zur Ermittlung der
se dieses Teils der VDE-ETG-Studie im Folgenden Residuallast
verzichtet. 55 E ntsprechend der betrachteten Bilanzierungs-
funktion werden für die Studie Ganglinien mit
einer Auflösung von einer Stunde betrachtet.
3.4.2 Annahmen der Modellbildung 55 Die Jahresganglinien haben vollständig zu
und Eingangsdaten sein, um einerseits jährliche Zyklen der wet-
terabhängigen Energiequellen Wind- und
Jede Studie, so auch die VDE-ETG-Studie »Ener- Solarenergie zu erfassen und anderseits aus-
giespeicher für die Energiewende«, trifft Annah- legungsrelevante Situationen wie z. B. länger
men und nutzt Eingangsdaten, deren Kenntnis für andauernde Windflauten oder Extremwetter-
3.4 • VDE-ETG-Studie zum marktbasierten Speicherbedarf
87 3
situationen wie Stürme einzuschließen. Der 3.4.2.3 Annahmen der Jahresbetriebssi-
Studie liegt das Wetterjahr 2007 zugrunde, das mulation
beide Extreme beinhaltet. Die Berücksichti- 55 Das elektrische Netz wird bei der Ermittlung
gung anderer Wetterjahre kann unter Umstän- des Speicherungsbedarfs in der Jahresbe-
den zu etwas anderen Ergebnissen führen. triebs-simulation zunächst als »Kupferplatte«
55 Als Eingangsgrößen der zu erwartenden in- betrachtet (Punktmodell). Die Studie geht
stallierten Erzeugungsleistung und Last wird davon aus, dass die Erfordernisse des elektri-
auf das Datengerüst der »Langfristszenarien schen Netzes weder zum Zwangseinsatz von
2010« zurückgegriffen, welches fast jährlich Kraftwerken oder Speichern führen, noch
aktualisiert wird und als anerkannte Grundla- den Kraftwerks- oder Speichereinsatz be-
ge für die energiewirtschaftliche Entwicklung hindern. Folglich werden ein ausreichender
des Stromsektors dient. Netzausbau, dessen Umfang für das Über-
55 Erzeugung und Last wurden insoweit ab- tragungsnetz im Rahmen der Netzanalysen
weichend von den »Langfristszenarien 2010« bestimmt wird, sowie technische Alternativen
modifiziert, als kein Import erneuerbarer im Netz bei der Bereitstellung von System-
Energien aus dem europäischen Stromverbund dienstleistungen mit Ausnahme der Reserve-
stattfindet und kein groß-technischer Ein- leistung unterstellt.
satz von Elektrolyse für die Herstellung eines 55 Die Studie geht von einer national bestimm-
chemischen Kraftstoffes wie Wasserstoff oder ten Versorgungssicherheit aus. Dies bedeutet,
Methan als Erdgas-Substitut aus Wind- bzw. dass immer hinreichend viele Kraftwerke zur
Solarstrom erfolgt. Verfügung stehen, um jederzeit die Last der
55 Da der deutsche Speicherungsbedarf getrieben Verbraucher und die Reserveanforderungen
durch den deutschen Ausbau erneuerbarer der Übertragungsnetzbetreiber in Deutsch-
Energien im Fokus dieser Studie steht, wird als land decken zu können. Der Kraftwerkspark
System »nur Deutschland« betrachtet, d. h., wird damit nur teilweise zum Eingangspara-
es werden weder Importe noch Exporte von meter. Zum Teil ist er auch Ergebnis dieser
Strom zur Bilanzierung des deutschen Systems Studie.
unterstellt. 55 Neben den Kraftwerken der »BMU-Lang-
55 KWK-Anlagen (Biomasse und fossil) werden fristszenarien 2010« sind gegebenenfalls zu-
in der Jahresbetriebssimulation eingeschränkt sätzliche Kraftwerke zur Sicherstellung der
flexibel eingesetzt. Sie werden als wärmege- Versorgungssicherheit erforderlich. In dieser
führt modelliert, können jedoch – unter der Studie wird unterstellt, dass die in den »BMU-
Annahme bestehender Zusatzfeuerung – eine Langfristszenarien 2010« erwarteten sowie
etwaige Stromproduktion herunterfahren. die zur Ausspeicherung der Langzeitspeicher
Eine Steigerung der Stromproduktion über benötigten Gaskraftwerke als GuD-Anlagen
den Wärmebedarf hinaus ist nicht möglich. realisiert sind und alle Gaskraftwerke, die
55 Die Ganglinie der Last mit Ausnahme von darüber hinaus zur Gewährleistung der Ver-
Netzverlusten, Elektromobilen, Klimatisierung sorgungssicherheit erforderlich sind, als Gas-
und Wärmepumpen orientiert sich an der von turbinen ausgeführt werden.
ENTSO-E veröffentlichten Lastganglinie des 55 Die Höhe der von Kraftwerken und Speichern
Jahres 2007. Die Ganglinie der Elektromobile, den Übertragungsnetzbetreibern bereitzu-
der Klimatisierung und der Elektrowärme- stellenden Reserveleistung, die daher nicht
pumpen wurde auf Basis von Wärmebedarfs- für Bilanzierungsfunktionen zur Verfügung
zeitreihen und Mobilitätsnutzung rein nutzer- steht und entsprechend bei der Bestimmung
basiert abgebildet. des Speicherungsbedarfs berücksichtigt wer-
55 Das 100 %-Szenario wurde vereinfacht aus dem den muss, wird mithilfe eines praxisüblichen
80 %-Szenario abgeleitet, indem der Strom-be- probabilistischen Verfahrens ermittelt, welches
darf konstant gehalten und die erneuerbare Er- Prognosefehler der erneuerbaren Einspeisung
zeugung auf 100 % der Last hochskaliert wurde. ebenso wie Kraftwerksausfälle einrechnet.
88 Kapitel 3 • Speicherbedarf in der Stromversorgung

3.4.2.4 Annahmen der Kostenanalyse Flexibilität im Stromversorgungssystem auf Er-


55 D ie in der Jahresbetriebssimulation unterstell- zeugungs- und Verbrauchsseite erfordern. In allen
ten Brennstoffpreise orientieren sich an den untersuchten Varianten konnte dieser Flexibili-
»BMU- Langfristszenarien 2010«. tätsbedarf stets durch den verbleibenden Kraft-
55 Die Ermittlung der Annuitäten von Inves- werkspark, durch Abregelung der erneuerbaren
titionskosten basiert einheitlich auf einem Einspeisung oder durch Kurz- und Langzeitspei-
3 Kalkulationszinssatz von 9 % und einer Ab- cher befriedigt werden.
schreibung über die Nutzungsdauer des Kraft- Bislang wurde die Stromversorgung weitge-
werks, der erneuerbaren Energieanlage bzw. hend auf gespeicherter fossiler Energie aufgebaut.
des Speichers. Schwankungen gab es vorwiegend auf der Nachfra-
55 Die in der Kostenanalyse unterstellten Inves- geseite. Im Zuge des Ausbaus erneuerbarer Ener-
titionskosten von Kraftwerken und erneuer- gien wird auch die Angebotsseite Schwankungen
baren Energieanlagen orientieren sich an den aufzeigen. Entsprechend nimmt mit zunehmen-
»BMU-Langfristszenarien 2010«, gegebenen- dem Ausbau von erneuerbaren Energien der Be-
falls ergänzt um Erfahrungswerte aus vergan- darf an Flexibilität im elektrischen Energiesystem
genen Energiewirtschaftsstudien der RWTH zu. Dieser Bedarf kann durch eine statistische Aus-
Aachen. wertung der Residuallast ermittelt und durch ver-
55 Die in der Kostenanalyse unterstellten Inves- schiedene Optionen gedeckt werden.
titions- und Betriebskosten von Speichern .  Abbildung  3.27 zeigt die Entwicklung der
orientieren sich an der VDE-ETG-Studie Ganglinie für Last, die Erzeugung aus erneuerba-
»Energiespeicher im Stromversorgungssystem ren Energien (mit Ausnahme der Biomasse) sowie
mit hohem Anteil erneuerbarer Energieträ- als Saldo hiervon die Residuallast für das 80 %-Sze-
ger«, gegebenenfalls ergänzt um eigene Erfah- nario. Drei grundlegende Tendenzen werden er-
rungswerte der RWTH Aachen und der OTH sichtlich: Mit wachsendem erneuerbarem Anteil
Regensburg. steigt die Volatilität, sinkt der Mittelwert und steigt
55 Die Kostenanalyse unterstellt einen Speicher- die Anzahl der Stunden mit Erzeugungsüberschuss
mix, dessen Gesamtwirkungsgrad in etwa in der Residuallast.
den pauschal angenommenen Werten der Im 100 %-Szenario ruft die notwendige leis-
Kurzzeit- und Langzeitspeicher entspricht. tungsmäßige Überinstallation erneuerbarer Ener-
Als Kurzzeitspeicher wird ein Mix aus Last- gien Erzeugungsüberschüsse von bis zu 80 GW her-
management, Pumpspeicher, Druckluftspei- vor, während die maximale Residuallast gegenüber
cher und verschiedenen Batterietechnologien 2010 nur um bis zu ca. 10 GW oder 12,5 % reduziert
betrachtet. Als Kosten für Langzeitspeicher wird. Die Leistungsbandbreite wächst deutlich.
werden chemische Speicher auf Basis von Der Flexibilitätsbedarf liegt sowohl im Kurz-
Wasserstoff angesetzt, die aber ohne Kostenbe- zeitbereich (< 1  Tag) als auch im Langzeitbereich
trachtung notwendiger Modifikationen an der (> 1  Tag) vor. In allen untersuchten Varianten (A
Gasinfrastruktur grundsätzlich unwesentlich bis E) der Studie konnte dieser Flexibilitätsbedarf
von denen auf Basis von Methan abweichen. im Kurzzeit- und Langzeitbereich stets durch einen
flexiblen Einsatz von fossilen Kraftwerken und
KWK-Anlagen, durch Einsatz der Kurzzeit- und
3.4.3 Szenarien-übergreifende Langzeitspeicher oder durch Abregeln der erneu-
Erkenntnisse erbaren Energien befriedigt werden.

3.4.3.1 Anlagen im Stromversorgungssys- 3.4.3.2 Auslegung der Speicher auf


tem flexibilisieren Leistungsspitzen vermeiden
Der zukünftige Zubau an erneuerbaren Energie- Ein Abregeln der seltenen, aber großen Leistungs-
anlagen wird in steigendem Maße eine erhöhte spitzen der erneuerbaren Energien ist grundsätz-
3.4 • VDE-ETG-Studie zum marktbasierten Speicherbedarf
89 3
160
Last
140 Erneuerbare-
Erzeugung
120 Residuallast

100

80
Leistung in GW

60

40

20

0
Stunden im Jahr
-20

-40

-60

-80

. Abb. 3.27  Residuallast im 80 %-Szenario. (Quelle: [30])

lich wirtschaftlicher als eine Auslegung der Ein- baren Energien vorzunehmen, sind dafür annuitä-
speicherleistungen der Speicher auf diese großen tische Investitionskosten von ca. 5,1 Mrd. € nötig (s.
Leistungswerte. Das optimale Verhältnis aus Er- .  Tab. 3.6). Reduziert man die Speicherleistungen
zeugungskapazität, Speicherung und Abregelung beispielhaft auf je etwa die Hälfte der ursprüng-
ist Gegenstand zukünftiger Forschung. lichen Einspeicherleistung, müssen ca. 400  GWh
Aufgrund der begrenzten Volllaststunden- (ca. 1  ‰ des Gesamtjahresstromverbrauchs) er-
zahlen der erneuerbaren Energien erfolgt in den neuerbare Energien aus Windenergie- und PV-An-
»BMU-Langfristszenarien 2010« eine Installation lagen pro Jahr abgeregelt werden.
von Windenergie- und Photovoltaikanlagen, de- Dem stehen jedoch um 2,1  Mrd.  €/a vermin-
ren Leistung zusammengenommen bereits im derte Investitionen in den Speicherpark gegenüber.
40 %-Szenario oberhalb der Höchstlast von ca. Zudem ist der Energiedurchsatz in den Langzeit-
80 GW liegt und 98 GW beträgt. Im 80 %-Szena- speichern trotz verminderter Leistung nicht signi-
rio sind in Summe 144 GW und im 100 %-Szenario fikant geringer. Dies führt zu erheblich geringeren
sogar 191 GW an Photovoltaik- und Windenergie- Energiedurchsatzkosten und damit zu einer höhe-
anlagen installiert. Analysen der auftretenden Re- ren Wirtschaftlichkeit.
siduallast zeigen, dass große Leistungsspitzen aus Aus diesen Betrachtungen kann abgeleitet wer-
erneuerbaren Energien aber relativ selten auftreten den, dass eine Auslegung der Speicher auf Erzeu-
(s. . Abb. 3.27). Im 80 %-Szenario ergeben sich ma- gungsspitzen erneuerbarer Energien nicht sinnvoll
ximale Überschüsse von ca. 50 GW und maximale ist. Das optimale Verhältnis aus Erzeugungskapazi-
Defizite von ca. 70 GW. tät, Speicherung und Abregelung sowie zwischen
Erfolgt eine Dimensionierung des Speicher- Ein- und Ausspeicherungsleistung muss in weite-
parks mit dem Ziel, keine Abregelung von erneuer- ren Untersuchungen gefunden werden.
90 Kapitel 3 • Speicherbedarf in der Stromversorgung

. Tab. 3.6  Vergleich verschiedener Varianten für das 80 %-Szenario; Abregeln ohne Betrachtung von Netzengpäs-
sen und Netzbetrieb. (Quelle: [30])

Reduzierter Speicherpark Speicher für volle erneuerbare Ener-


(Variante E) gien- Nutzung (Variante D)

Kurzzeitspeicher 14 GW/14 GW/70 GWh 28 GW/26 GW/140 GWh


3 (Ein-/Ausspeicherleistung/Speicher-
kapazität)

Langzeitspeicher 18 GW/18 GW/7 TWh 36 GW/29  GW/8 TWh


(Ein-/Ausspeicherleistung/Speicher-
kapazität)

Abgeregelte erneuerbare Energie- 0,4 TWh/a 0 TWh/a


menge aus Windenergie- und
PV-Anlagen

Annuitätische Investitionskosten der 3 Mrd. €/a 5,1 Mrd. €/a


Speicher

3.4.4 Erkenntnisse aus dem Unter den untersuchten Varianten zeigen sich
40 %-Szenario die geringsten Stromgestehungskosten bei Va-
riante A, bei der dem Stromversorgungssystem
3.4.4.1 Thermische Kraftwerke und die notwendige Flexibilität zur Bilanzierung von
erneuerbares Erzeugung und Verbrauch durch eine geringfügi-
Einspeisemanagement ge Abregelung der erneuerbaren Erzeugung aus
sind kosteneffizient Wind und PV um ca. 260 GWh/a (ca. 1 Promille
Kurz- und Langzeitspeicher sind bei einem Anteil der erneuerbaren Erzeugung) bzw. aus Biomasse
von 40 % erneuerbarer Energien noch nicht zwin- um ca. 530  GWh/a, durch thermische Kraftwer-
gend für eine stabile Stromversorgung erforderlich. ke sowie durch Abregelung der wärmegeführten,
Der Einsatz des verbleibenden thermischen Kraft- fossil befeuerten KWK-Anlagen bereitgestellt
werksparks sowie eine geringfügige Abregelung der wird.
Einspeisung erneuerbarer Energien sind eine güns- Die hier aufgeführten Energiemengen der er-
tige Form zur Bereitstellung der erforderlichen Fle- neuerbaren Erzeugung aus Wind, PV und Biomas-
xibilität. se beinhalten nur Abregelungen, die zur Bilanzie-
Bei einem erneuerbaren Anteil von 40 % erhö- rung von Erzeugung und Verbrauch erforderlich
hen Speicherzubauten die Stromgestehungskosten sind. Durch unzureichenden Übertragungs- oder
(s. .  Abb.  3.28). Darüber hinaus dienen Speicher Verteilungsnetzausbau bedingte Abregelungen
unter den getroffenen Annahmen weniger der In- sind in diesen Zahlen nicht erfasst.
tegration der erneuerbaren Erzeugung, sondern
vorwiegend der Kraftwerkseinsatzoptimierung der 3.4.4.2 Speicher nur in geringem Umfang
thermischen Kraftwerke und damit einer »Verste- für erneuerbaren Strom benötigt
tigung« der Einspeisung aus fossilen Kraftwerken Werden 40 % des Bruttostromverbrauchs durch er-
mit allen Konsequenzen (s.  7  Abschn. 3.4.4.2). Die neuerbare Energien gedeckt, kommt es unter den
Investitionskosten der Speicherzubauten überstei- getroffenen Annahmen nur in etwa 44 von 8760
gen dabei aber die Reduktion der variablen Strom- Stunden eines Jahres zu negativen Residuallasten,
gestehungskosten, welche im Wesentlichen Brenn- d. h. zu einer Überschusssituation, in der die erneu-
stoffkosten sind, unter den getroffenen Annahmen erbare Erzeugung den Verbrauch übersteigt. Aus
geringfügig. diesem Grund dienen Speicher in näherer Zukunft
3.4 • VDE-ETG-Studie zum marktbasierten Speicherbedarf
91 3
100
79 83 87 89 84
90

80
Stromgestehungskosten in €/MWh

70
Variable
60 Stromgestehungskosten

50 Investitionskosten
Speicher
40

30 Investitionskosten
Kraftwerke
20

10

0
A B C D E

. Abb. 3.28  40 %-Szenario: Stromgestehungskosten in verschiedenen Varianten. (Quelle: [30])

vorwiegend der Einsatzoptimierung thermischer die gesicherte Leistung durch den konventionellen
Kraftwerke und weniger der Speicherung von er- Kraftwerkspark ausreichend hoch ist.
neuerbarem Strom. .  Abbildung  3.29 beschreibt die Veränderun-
Im 40  %-Szenario beträgt die gesamte Er- gen der erzeugten Energiemengen gemäß Jahres-
zeugungsüberschussenergie unter den getroffe- betriebssimulation von Kraftwerks- und Spei-
nen Annahmen in Summe lediglich 0,26  TWh/a. cherpark für die untersuchten Speicherzubauva-
Dies entspricht etwa nur 1 Promille der gesamten rianten (Varianten B bis E). In dieser Abbildung
erneuerbaren Erzeugung und verdeutlicht, dass können positive Werte als Mehrerzeugungen
der Speicherbedarf bei Umsetzung des geplanten und Einspeicherung, negative Werte als Minder-
Netzausbaus sehr klein ist. Die höchste negative erzeugungen und Ausspeicherung interpretiert
Residuallast ist mit einem Betrag von 9,8 GW für werden. Der Speichereinsatz bewirkt demnach im
eine Stunde aber vergleichsweise hoch. Bei diesen 40 %-Szenario vorwiegend eine Verdrängung von
Analysen wurde unterstellt, dass KWK-Anlagen Erdgas- und Steinkohlekraftwerken zugunsten
bei Erzeugungsüberschüssen abgeschaltet werden einer Verstetigung der günstigeren Braunkohle-
können. kraftwerke.
Entsprechend den Annahmen besteht im
40 %-Szenario kaum Bedarf zur Speicherung von
erneuerbarem Strom. Vielmehr werden – wie heu- 3.4.5 Erkenntnisse aus dem
te – Speicher bei einem erneuerbaren Anteil von 80 %-Szenario
40 % vorwiegend zur Einsatzoptimierung von
thermischen Kraftwerken genutzt, indem sie die 3.4.5.1 Kurz- und Langzeitspeicher im
Residuallast glätten, um verstärkt in den Erzeu- Einsatz für den Klimaschutz
gungskosten günstigere Kraftwerke, sogenannte Aus Sicht des Klimaschutzes sind Kurz- und Lang-
Grundlastkraftwerke, einsetzen zu können. Die zeitspeicher bei einem erneuerbaren Anteil von
Ausspeicherleistung (Entladeleistung) der Speicher 40 % unter den getroffenen Annahmen nicht er-
wird in dem Szenario nicht zwingend benötigt, weil forderlich. Der Einsatz von Speichern führt im
92 Kapitel 3 • Speicherbedarf in der Stromversorgung

10

8
Veränderung der Stromerzeugung
durch Speichereinsatz in TWh/a

nicht abgeregelte EE
6
Biomasse KWK
4
KWK
3 2 Braunkohle
0

-2 Steinkohle

-4 Erdgas, Erdöl

-6
B C D E

. Abb. 3.29  40 %-Szenario: Verschiebung der Stromerzeugung infolge des Speicherzubaus. (Quelle: [30])

regulären Strommarkt erst bei einem erneuerba- erneuerbaren Strom einspeichern und bei der
ren Anteil von 80 % zu einer rund 10 %igen Re- Ausspeicherung fossilen Erdgasstrom ersetzen (s.
duzierung des CO2-Ausstoßes zusätzlich zu einer . Abb. 3.31).
bereits erfolgten Gesamtemissionsreduktion im
Stromversorgungssystem von minus 85 % im Be- 3.4.5.2 Kombination aus Kurz- und
zug zu 1990. Langzeitspeicherung sowie
Bei einem erneuerbaren Anteil von 40 % wer- Abregelung empfehlenswert
den Kurz- und Langzeitspeicher nur selten zur Bei einem Anteil erneuerbarer Energien von 80 %
Einspeicherung von erneuerbarem Strom, sondern werden unter den getroffenen Annahmen zusätz-
vorwiegend zur Einsatzoptimierung der thermi- lich zu den heute vorhandenen Speichern etwa
schen Kraftwerke genutzt. Die Folge sind einerseits 14  GW bzw. 70  GWh (5  h) an Kurzzeitspeichern
eine erhöhte Stromproduktion aus fossilen, thermi- und ca. 18  GW bzw. 7,5  TWh (17  Tage) an Lang-
schen Kraftwerken zur Deckung der Speicherver- zeitspeichern benötigt. Dieser vergleichsweise
luste (Zykluswirkungsgrad 40 % bei Langzeitspei- hohe Zubaubedarf ergibt sich insbesondere aus der
chern und 80 % bei Kurzzeitspeichern) sowie eine Betrachtung Deutschlands als Inselsystem ohne
Verdrängung von Erdgas- und Steinkohlestrom zu- grenzüberschreitende Flüsse. Bei einer Betrach-
gunsten von Braunkohlestrom. tung Deutschlands im europäischen Verbundsys-
Die energiewirtschaftliche Optimierung der tem wären vermutlich deutlich geringe Kapazitäten
thermischen Kraftwerke mit Speichern führt da- ausreichend.
her zu bis zu 1,8 % höheren CO2-Emissionen als in Die »BMU-Langfristszenarien 2010« gehen
der Variante A ohne Speicherzubau (s. Varianten für das 80 %-Szenario von konkreten Ausbauzie-
B bis E in . Abb. 3.30 bei einem erneuerbaren An- len für erneuerbare Energien aus. Mithilfe dieses
teil von 40 %). Bei einem erneuerbaren Anteil von Erzeugungsparks würden aber ohne Speicher-
80 % (s. .  Abb.  3.30) reduzieren die Speicher den zubau (Variante A) ca. 30 TWh oder ca. 7 % der
CO2-Ausstoß um bis zu 10 % – und zwar zusätzlich erneuerbaren Erzeugung abgeregelt, sodass die
zur erheblichen Reduktion, die durch den Ausbau Variante A das Ziel eines erneuerbaren Anteils
erneuerbarer Energien bedingt ist. Die Ursache von 80 % am Bruttostromverbrauch nicht erfüllt
ist darin begründet, dass bei einem erneuerbaren und nur ein erneuerbarer Anteil von 73 % erreicht
Anteil von 80 % die Speicher in erheblichem Maße wird.
3.4 • VDE-ETG-Studie zum marktbasierten Speicherbedarf
93 3
70
62,3 58,5 57,6 55,9 56,1
60
CO2-Emissionen in Mio. t/a

50

40 KWK

Gas
30
Steinkohle
20

10

0
A B C D E

. Abb. 3.30  80 %-Szenario: Emissionen. (Quelle: [30])

40

30
Veränderung der Stromerzeugung
durch Speichereinsatz in TWh/a

nicht abgeregelte EE
20
Biomasse KWK
10
KWK
0

Steinkohle
-10
Erdgas, Erdöl
-20

-30 B C D E

. Abb. 3.31  80 %-Szenario: Verschiebung der Stromerzeugung infolge des Speicherzubaus. (Quelle: [30])

Die Berechnungen zeigen, dass eine Dimen- der erneuerbaren Erzeugung abgeregelt werden
sionierung der Speicherleistung zur vollen Aus- müssen.
nutzung der erneuerbaren Erzeugung unter Ein- Der Zubau an Kurzzeitspeichern in Variante
speicherung aller Leistungsspitzen (Variante D) als E mit einer Leistung von 14 GW und einer Kapa-
nicht sinnvoll erscheint. Es wird vielmehr empfoh- zität von 70 GWh entspricht etwa der doppelten
len, eine Kombination aus Speicherung und Ab- heute vorhandenen Kapazität an Pumpspeicher-
regelung von erneuerbaren Energieanlagen einzu- werken. Für die Kostenberechnung der Kurzzeit-
setzen (Variante E). Bei der hier vorgenommenen speicherung wurde ein Speicherpark bestehend
Halbierung der theoretisch benötigten Speicher- aus Batteriespeichern (hierbei insbesondere Blei-
leistungen der Kurz- und Langzeitspeicher würden Säure-, Lithium-Ionen- und Natrium-Schwefel-
unter den getroffenen Annahmen weniger als 1 % Batterien), Druckluftspeichern, neuen Pump-
94 Kapitel 3 • Speicherbedarf in der Stromversorgung

. Tab. 3.7  Vergleich zwischen 80 %- und 100 %-Szenario. (Quelle: [30])

Szenario 80 % Szenario 100 %


(Variante E) (Variante D)

Kurzzeitspeicher 14 GW/14 GW/70 GWh 36 GW/35 GW/184 GWh


(Ein-/Ausspeicherleistung/Speicherkapazität)
3 Langzeitspeicher 18 GW/18 GW/7 TWh 68 GW/42 GW/26 TWh
(Ein-/Ausspeicherleistung/Speicherkapazität)

Annuitätische Investitionskosten der Speicher 3 Mrd. €/a 12 Mrd. €/a

speicherwerken und Lastmanagement angenom- ten, sondern in den Kosten des Kraftwerksparks
men. enthalten.
Die Langzeitspeicher mit einer Leistung von
18  GW haben eine Ausspeicherdauer von etwa
17 Tagen, wodurch nur sehr große Speicherkapazi- 3.4.6 Erkenntnisse aus dem
täten infrage kommen und die energiebezogenen 100 %-Szenario
Speicher-kosten für eine günstige Lösung gering
sein müssen. Es kommen deswegen in Deutschland Wird der Anteil erneuerbarer Energien ausgehend
nur Speichersysteme auf Basis von Power-to-Gas von 80 % auf 100 % erhöht, ist eine Verdreifachung
in Betracht. Die beiden Energieträger Wasserstoff des Speicherparks an Kurz- und Langzeitspeichern
und Methangas sind dafür geeignet und können in notwendig. Die Stromgestehungskosten steigen da-
eigenen Kavernen (vorwiegend Wasserstoff) oder bei um ca. 19 %. Die letzte Steigerung des Anteils
im bestehenden Gasnetz und in Gasspeichern um 20 % ist teurer als die Steigerung des Anteils
(vorwiegend Methangas) gespeichert werden. Zur erneuerbarer Energien um 63 % von 17 % im Jahre
Rückverstromung des Wasserstoff- oder Methan- 2010 auf 80 %.
gases sind Gaskraftwerke, dezentrale KWK-An- Die installierten Speicherleistungen und -kapa-
lagen oder Brennstoffzellensysteme notwendig. zitäten sind in . Tab. 3.7 dargestellt.
Der Energieumsatz in den Langzeitspeichern (ca. Bei einem weiteren Ausbau der erneuerbaren
16 TWh/a) ist im Vergleich zum heutigen Gasver- Energien um 20 % zu einer erneuerbaren Vollver-
brauch in Deutschland (ca. 850  TWh/a) sehr ge- sorgung ist auch der Speicherpark entsprechend
ring und bewegt sich in einem Bereich von unter zu erweitern. Die Kurzzeitspeicherleistung und
2 %. Für die Kostenberechnung werden Speicher -kapazität ist dann 2,5-mal und die Langzeitspei-
auf Basis von Wasserstoff angesetzt, die aber ohne cherleistung und -kapazität 3,5-mal höher als im
Kostenbetrachtung notwendiger Modifikationen 80 %-Szenario. Die Stromgestehungskosten steigen
an der Gasinfrastruktur grundsätzlich unwesent- um ca. 19 % im Vergleich zum 80 %-Szenario.
lich von denen auf Basis von Methangas abwei- Die Kosten der Energiespeicherung spielen
chen. nun eine entscheidende Rolle, sie machen ca. 25 %
Unter Berücksichtigung von Kostensenkungs- der Stromgestehungskosten aus. Dabei sind die
potenzialen der Speichertechnologien können für Kosten der Ausspeichereinheiten der Langzeitspei-
den Speicherpark annuitätische Investitionskos- cher in den Kosten des Kraftwerksparks enthalten.
ten von ca. 3  Mrd.  € abgeschätzt werden. Dabei Ausgenommen sind notwendige Modifikationen
entfallen ca. 75 % der Kosten auf die Langzeitspei- an der Gasinfrastruktur für die Langzeitspeiche-
cher. Die Kosten der Ausspeichereinheiten der rung für den Fall einer Wasserstoffwirtschaft und
Langzeitspeicher (z. B. Gaskraftwerke, Brennstoff- die Kosten für die Methanisierung im Falle von
zellen oder KWK) sind nicht in den Speicherkos- Power-to-Gas.
3.4 • VDE-ETG-Studie zum marktbasierten Speicherbedarf
95 3
3.4.7 Zusammenfassung Kraftwerkseinsatzoptimierung: Die Strom-
erzeugung aus Gas- und Steinkohlekraftwerken
Fazit wird zugunsten von kostengünstiger aber CO2-
55 D ie interdisziplinär erarbeitete VDE-ETG-Studie intensiver Braunkohleverstromung verdrängt.
trifft einige Annahmen, die die Robustheit der Der Speichereinsatz führt daher zu einer Erhö-
Ergebnisse in einigen Punkten einschränken. Zu hung der CO2-Emissionen um 1,8 %.
den kritischen Annahmen zählen insbesondere 55 Das 80 %-Szenario wird ohne zusätzliche Spei-
die Vernachlässigung der europäischen Nach- cher zu einem 73 %-Szenario. Die CO2-Emissionen
barn des deutschen Energiesystems, die Annah- des Stromsektors liegen ohne den Einsatz von
me einer vollen Flexibilisierung der KWK sowie Energiespeichern 10 % über einem System mit
die Vernachlässigung von Netzrestriktionen. Energiespeichern. Auf der einen Seite sind also
Trotz dieser Vereinfachungen lassen sich einige hohe erneuerbare Anteile auch ohne Speicher
relevante Folgerungen herleiten. möglich – vor allem unter Berücksichtigung
55 Die Flexibilisierung der erneuerbaren Ener- eines weiträumigen Ausgleichs –, auf der ande-
gien in zukünftigen Energiesystemen wird ren Seite sind sie ab einem gewissen Zeitpunkt
erforderlich werden. Die Möglichkeit, bei Über- essenziell zum Erreichen der Ausbauziele er-
schüssen, die nur für extrem kurze Zeiträume neuerbarer Energien und den Klimaschutz.
auftreten, Anlagen abregeln zu können, ist für 55 Es zeichnet sich ab, dass sich in Szenarien mit
einen sicheren und wirtschaftlichen Betrieb von einem erneuerbaren Anteil in der Größenord-
Erzeugungssystemen mit hohem Anteil erneu- nung von 80 % zusätzliche Speicher rechnen
erbarer Energien von wesentlicher Bedeutung. werden. Eine Kombination aus Kurz- und Lan-
Die absolut abgeregelten Mengen betragen im gezeitspeichern erscheint grundsätzlich sinn-
40 %-Szenario knapp 1 Promille der erneuer- voll. Im 80 %-Szenario ergeben sich ein Bedarf
baren Stromproduktion. Eine Auslegung der von 14 GW bzw. 70 GWh (5 h) zusätzlicher Kurz-
Speicher auf Erzeugungsspitzen ist technisch zeitspeicher und ein neuer Bedarf von ca. 18 GW
und wirtschaftlich nicht sinnvoll. bzw. 7,5 TWh (17 Tage) an Langzeitspeichern.
55 Kurzfristig (bis zu einem erneuerbaren Anteil Dieses Ergebnis ist jedoch im Lichte der Annah-
von rund 40 %) scheint eine Flexibilisierung des men zu betrachten: Der Speicherbedarf dürfte
thermischen Kraftwerksparks die attraktivste bei der Berücksichtigung des europäischen
Flexibilitätsoption zu sein. Dieses Ergebnis ist Verbundsystems deutlich geringer ausfallen.
belastbar, da bei einer Gesamtbetrachtung des 55 Eine Steigerung des erneuerbaren Anteils auf
europäischen Energiesystems durch Ausgleich- 100 % ist technisch möglich, stellt aber eine He-
effekte mit einem geringeren Speicherungs- rausforderung dar. Das deutsche Erzeugungs-
bedarf zu rechnen ist. Schon die Ergebnisse system wird sehr volatil: Es treten Erzeugungs-
für Deutschland als Inselsystem zeigen, dass überschüsse im stündlichen Mittel von bis zu
zusätzliche Speicher ihre Kapitalkosten nicht 81 GW auf, während die maximale Residuallast
decken können, wenn KWK-Anlagen flexibel nur geringfügig auf etwa 67 GW reduziert wird.
eingesetzt werden. Die Kosten für die in der 55 Durch die Erhöhung des erneuerbaren Anteils
Studie beschriebene Flexibilisierung sind ver- von 80 % auf 100 % verdreifacht sich der Spei-
nachlässigbar im Vergleich zu den Kosten für cherungsbedarf. Die Stromgestehungskosten
Speicher, da nur wenig zusätzliche Hardware steigen um ca. 19 % im Vergleich zum 80 %-Sze-
erforderlich ist. nario. Die Kosten der Energiespeicherung
55 Zusätzliche Kurz- und Langzeitspeicher sind machen von den Stromgestehungskosten ca.
bei einem erneuerbaren Anteil von 40 % und 25 % aus. In Deutschland wäre eine Langzeit-
einer den Annahmen entsprechenden Flexi- speicherung von Energiemengen in der Grö-
bilisierung des thermischen Kraftwerksparks ßenordnung von 30 TWh erforderlich. Bei einer
noch nicht erforderlich. Sie dienen weniger europäischen Betrachtung kann durch über-
der Integration erneuerbarer Energien als der regionale Ausgleichseffekte ein erneuerbarer
Anteil von 100 % leichter erreicht werden.
96 Kapitel 3 • Speicherbedarf in der Stromversorgung

3.5 Untersuchungen zum und erforderliche Anpassungen der Einspeisungen


netzbasierten Speicherbedarf aus konventionellen und erneuerbaren Kraftwer-
ken simuliert. Speicher werden in dieser Optimie-
Die drei vorgestellten Studien in  7  Abschn. 3.2, 3.3 rung ebenfalls flexibel berücksichtigt und können
und 3.4 konnten wesentliche Schritte zur Ermittlung beispielsweise die erforderliche Abregelung von
des Speicherbedarfs und somit die zentralen Wir- Einspeisungen aus erneuerbaren Energien reduzie-
3 kungszusammenhänge aufzeigen. Nachdem darin ren.
im Wesentlichen die marktbasierten Potenziale für
Energiespeicher dargestellt wurden, wird im Fol-
genden der netz- und systemseitige Speicherbedarf, 3.5.2 Fallstudie Power-to-Gas in
wie in  7  Abschn.  1 erläutert, exemplarisch unter- Deutschland im Jahr 2022 bei
sucht. verzögertem Netzausbau
Überschüsse können marktbasiert entstehen,
wenn vorhandene Energie bilanziell nicht mehr im Im Folgenden wird das in 7 Abschn. 3.5.1 dargestell-
Markt integriert werden kann. Sie können aber auch te methodische Vorgehen in einer exemplarischen
an Netzknoten durch Engpässe im Übertragungs- Fallstudie angewendet. Hierzu wird das Potenzial
netz auftreten. Für beide Fälle können Speicher für Anlagen basierend auf der Power-to-Gas (PtG)-
eingesetzt werden, um überschüssige Energie am Technologie im Stromerzeugungs- und Stromüber-
Markt einzuspeichern oder Engpässe im Stromnetz tragungssystem untersucht sowie insbesondere
zu lösen. Letzteres stellt einen netzbasierten Spei- geeignete Standorte für Power-to-Gas-Anlagen er-
cherbedarf dar, woraus sich die Fragestellung ergibt, mittelt (s. [7]).
wie hoch der zukünftige Speicherbedarf unter Be-
achtung von regionalen Engpässen sein wird. zz Untersuchte zukünftige Szenarien
In der Fallstudie wurden insgesamt drei verschie-
dene Entwicklungen des zukünftigen Erzeugungs-
3.5.1 Methodisches Vorgehen zur systems für das Jahr 2022 herangezogen, um den
Unterscheidung von markt- und Einfluss von Power-to-Gas-Anlagen auf das Strom-
netzbasiertem Speicherbedarf erzeugungssystem zu untersuchen. Alle Szenarien
der erneuerbaren Energien basieren auf den Natio-
Das methodische Vorgehen orientiert sich nal Renewable Action Plans (NREAP) der Europäi-
stark am Vorgehen in der VDE-ETG-Studie schen Union (EU), wobei die installierten Leistun-
(s.  7  Abschn. 3.4). Im Gegensatz zu dieser wird je- gen in Deutschland gemäß des Szenariorahmens
doch der Im- und Export mit den Nachbarländern der Übertragungsnetzbetreiber dem Netzentwick-
im Rahmen der Strommärkte explizit modelliert, lungsplan NEP 2011 angepasst wurden.
um ebenfalls überregionale Ausgleichseffekte zu be- Der Anteil der erneuerbaren Energien an der
rücksichtigen. Zur Abschätzung des netzbasierten deutschen Stromerzeugung variiert hierbei zwi-
Speicherbedarfs, beispielsweise durch einen stark schen 44 % in Szenario  »44 % EE«, 52 % in Sze-
verzögerten Netzausbau, wird durch ein Modell nario »52 % EE« und 61 % in Szenario  »61 % EE«.
des europäischen Übertragungsnetzes, basierend .  Abbildung  3.32 zeigt die installierten Leistungen
auf den ermittelten Einsätzen der Erzeugungsanla- sowie die resultierende Stromerzeugung. Im Rah-
gen und Speicher, der sich ergebende Lastfluss im men der Untersuchungen wurde eine installierte
normalen und im gestörten Betrieb simuliert und Gesamtleistung der Power-to-Gas-Anlagen von
Verletzungen der Netzsicherheit identifiziert. 4 GW angenommen.
Im nächsten Schritt werden die erforderlichen Obgleich die erneuerbaren Energien vor allem in
Eingriffe des Netzbetreibers in den Einsatz von Szenario »61 % EE« eine sehr hohe Durchdringung
Kraftwerken und Speichern, der sogenannte Redi- erreichen, lässt sich nur eine geringfügige marktsei-
spatch, durch ein Optimierungsverfahren (s. [15]) tige Abschaltung von erneuerbaren Energieanlagen
3.5 • Untersuchungen zum netzbasierten Speicherbedarf
97 3
250 600

500
200
Installierte Kapazitäten in GW

Erzeugung in TWh
400
150
300
100
200

50
100

0 0
A B C A B C
Braunkohle Steinkohle Erdgas Öl Laufwasser
Pumpspeicher Biomasse Wind Photovoltaik

. Abb. 3.32  Installierte Leistungen und resultierende Stromerzeugung in Deutschland in den drei untersuchten Szena-
rien. (Quelle: [8])

30 1200
Energie in TWh

Volllaststunden in h/a

1000
20 800
600
10
400
0 200
A B C 0
Marktbasiert Engpassbasiert A B C

. Abb. 3.33  Abschaltung von Windenergie aufgrund von . Abb. 3.34  Marktseitige Volllaststunden der Power-to-
Marktpreisen und Netzengpässen. (Quelle: [8]) Gas-Anlagen. (Quelle: [8])

wie Windkraftanlagen beobachten. Diese Abschal- de liegenden zukünftigen Gaspreises von 31,6  €/
tungen können in Situationen notwendig sein, in MWh (3,2 ct/kWh) können Power-to-Gas-Anla-
denen die Einspeisung aus erneuerbaren Energien gen Wasserstoff wirtschaftlich bei einem Strom-
die Last deutlich übersteigt und kein weiterer Export preis am Spotmarkt unter 19 €/MWh (1,9 ct/kWh)
der Energie in das Ausland möglich ist und die Ener- produzieren. Während die Anlagen in Szena-
gie somit nicht in den Markt integriert werden kann. rio »44 % EE« lediglich in 55 h/a aufgrund nied-
Wie . Abb. 3.33 zeigt, werden im Szenario »61 % EE« riger Spotmarktpreise eingesetzt werden, steigt
marktseitig lediglich 2,9 TWh/a Erzeugung aus er- der Einsatz in Szenario  »52 % EE« auf 363  h/a
neuerbaren Energieanlagen abgeschaltet. und in Szenario »61 % EE« aufgrund der teilweise
sehr niedrigen Marktpreise sogar auf 1016 h/a (s.
zz Marktbasierte Potenziale der Power-to-Gas- .  Abb.  3.34). Allgemein werden die Anlagen zu
Anlagen Zeiten geringer Spotmarktpreise eingesetzt, d. h.
Aufgrund eines angenommenen Wirkungsgra- zumeist in Zeiten niedriger oder sogar negativer
des von 60 % und einem dem Szenario zugrun- Residuallasten.
98 Kapitel 3 • Speicherbedarf in der Stromversorgung

Netzseitiger PtG-Einsatz Verteilung der PtG- Power-to-Gas-Anlagen im Norden und Osten


(gleichmäßige Verteilung) Anlagen
von Deutschland werden hingegen oftmals zuge-
schaltet, um Engpässe im Übertragungsnetz und
teilweise Abschaltungen von Windkraftanlagen zu
vermeiden (s. . Abb. 3.35).

3 zz Bedeutung des Standorts für


Anlagenbewertung
VerteilhaftePtG-
Standorte
Basierend auf der gleichmäßigen Anlagenver-
teilung und der ermittelten standortspezifischen
Zuschaltung von PtG Gleichmäßige Verteilung
Abschaltung von PtG Optimierte Verteilung
Anlagenauslastung wurden im nächsten Schritt
a b Standorte ermittelt, an denen eine besonders
häufige netzseitige Zuschaltung erfolgt. Im Rah-
. Abb. 3.35  Netzseitiger Einsatz (a) und Verteilung (b) der men der Untersuchungen wurden acht besonders
Power-to-Gas (PtG)-Anlagen. Auf der linken Seite ist der re-
sultierende Redispatch der Power-to-Gas-Anlagen aufgrund
vorteilhafte Positionen ermittelt, von denen drei
von Netzengpässen für Szenario» 61 % EE« dargestellt. Grüne im südlichen Ostdeutschland und fünf in Nord-
Kreise stehen hierbei für eine Abschaltung (Reduktion der deutschland liegen (s. . Abb. 3.35). An jedem die-
Nachfrage von Power-to-Gas-Anlagen am Standort) und ser Standorte wurden nun konzentriert Anlagen
rote Kreise für eine Zuschaltung von Power-to-Gas-Anlagen mit einer Leistung von jeweils 500 MW positio-
(Zunahme der Nachfrage). (Quelle: [8])
niert. Die Bewertung der Power-to-Gas-Anlagen
an diesen vorteilhaften Standorten durch eine
erneute Netzbetriebssimulation zeigt, dass durch
zz Deutliche Netzengpässe durch langsamen eine optimale Positionierung von Power-to-Gas-
Ausbau Anlagen Engpässe im Übertragungsnetz effizient
Basierend auf den marktseitig ermittelten Kraft- behoben und in großem Umfang Abschaltungen
werkseinsätzen wurden für alle drei Szenarien von Einspeisungen erneuerbarer Anlagen ver-
stündliche Netzbetriebssimulationen durchge- mieden werden können. Im Norden Deutsch-
führt, wobei ein entsprechend der Szenarioannah- lands resultieren die Stromüberschüsse eindeutig
men verzögerter Netzausbau unterstellt wurde. Die aus Windenergie, im südlichen Ostdeutschland
Ergebnisse zeigen zum Teil deutliche Engpässe im aus den gleichzeitig hohen Einspeisungen aus
Übertragungsnetz (z.  B. Nord-Süd- und Ost-Süd- Windenergieanlagen und Braunkohlekraftwer-
Leitungen). ken, die aufgrund der niedrigen, aber immer
Zur Identifikation vorteilhafter Positionen noch kostendeckenden Großhandelspreise am
wurden die Power-to-Gas-Anlagen entsprechend Netz sind.
der angenommenen installierten Leistung von
4 GW zunächst gleichförmig im deutschen Über- zz Hohe Auslastung im Norden, niedrige im
tragungsnetz auf alle Standorte verteilt und der in Süden
der Methodik beschriebene engpassbasierte Ein- Um den Einfluss der Positionierung zu bewerten,
satz der Anlagen bestimmt. Solch eine Verteilung wurde die mittlere Volllaststundenzahl der Pow-
könnte sich auch in Realität einstellen, falls ledig- er-to-Gas-Anlagen für unterschiedliche deutsche
lich standortunabhängige Anreizinstrumente zur Bundesländer in Szenario  »61 % EE« ermittelt (s.
Förderung von Power-to-Gas-Anlagen entwickelt .  Abb. 3.36). Der marktbasierte Einsatz ist für alle
würden. Anlagen identisch und unabhängig vom gewähl-
Abschaltungen von Power-to-Gas-Anlagen, ten Standort, da alle Anlagen beim gleichen Spot-
d. h. preisbasierte Einsatzzeiten, werden aufgrund marktpreis zugeschaltet werden.
von Netzengpässen reduziert, finden hierbei im Im Fall einer gleichverteilten Positionierung
Süden, in der Mitte und im Westen von Deutsch- wird der Einsatz von Power-to-Gas-Anlagen in
land statt. Bayern und Nordrhein-Westfalen durch vor-
3.5 • Untersuchungen zum netzbasierten Speicherbedarf
99 3
handene Netzengpässe reduziert. Diese Power- 3000

to-Gas-Anlagen werden hierbei zur Vermeidung 2500

von Leitungsüberlastungen abgeschaltet. Dies 2000

Volllaststunden in h/a
führt zu einer mittleren Auslastung der Anlagen 1500
von unter 300 h/a in Bayern, was ein sehr geringer 1000
Wert ist. 500
Während Anlagen im Süden aufgrund ihres 0
Standortes niedrigere Einsatzzeiten erreichen,
-500
werden Power-to-Gas-Anlagen im Norden und
-1000
Osten von Deutschland aufgrund von Engpässen Bayern NRW Nieder- Sachsen Schleswig
im Übertragungsnetz viele Stunden des Jahres zu- sachsen Holstein

sätzlich zugeschaltet, was zu einem höheren mittle- Marktbasiert Netzbasiert


Deutschland Gleichmäßige Verteilung
ren Anlageneinsatz führt. Dieser Effekt wird durch
Optimierte Verteilung
eine gezielte Positionierung an vorteilhaften Stand-
orten verstärkt. Bei einer optimalen Verteilung er- . Abb. 3.36  Potenzielle Volllaststunden der Anlagen in
reichen Anlagen in Sachsen-Anhalt, Sachsen und verschiedenen Regionen für verschiedene Verteilungen
Schleswig-Holstein Volllaststunden von 2000 bis der Anlagen; der marktbasierte Einsatz ist deutschlandweit
aufgrund desselben Strompreises am Spotmarkt gleich,
2500  h/a. Damit können die Power-to-Gas-Anla-
während Power-to-Gas-Anlagen in Bayern und Nordrhein-
gen an diesen vorteilhaften Standorten optimal im Westfalen im Betrieb zusätzliche Netzengpässe verursachen
Netzbetrieb eingesetzt werden und somit Engpässe und daher netzbasiert abgeschaltet werden. Im Norden
reduzieren. und Osten Deutschlands hingegen werden Power-to-Gas-
Es ist jedoch zu betonen, dass der sich ergeben- Anlagen zur Behebung von Netzengpässen zugeschaltet.
(Quelle: [8])
de Einsatz von Power-to-Gas-Anlagen aufgrund
von Netzengpässen stark vom erwarteten Netz-
ausbau abhängt, da dieser lokale Netzengpässe siveren Aufbau von überdimensionierten Erzeu-
beheben und die engpassbasierten Potenziale für gungs- und Speicherkapazitäten auf. Obgleich ein
Power-to-Gas-Anlagen somit regional stark redu- gewisser nationaler Selbstversorgungsgrad bzw. ein
zieren könnte. teilweiser regionaler Ausgleich von Last und Erzeu-
gung dabei aus geopolitischen Gründen gewünscht
sein könnte, stellen auf Grundlage der bisherigen
3.5.3 Minimaler Speicherbedarf im Studien und Untersuchungen der Netzausbau und
europäischen Netzverbund der überregionale Ausgleich aktuell die ökono-
mischste Alternative dar.
Das dargestellte Fallbeispiel zeigt, dass es verschie-
dene Gründe für einen Bedarf an Kurz- und Lang-
zeitspeichern geben kann. Dabei ist in allen Fällen 3.5.4 Zusammenfassung
jedoch eine europäische, systemische Sichtweise
auf die Speicher und einen möglichen zukünftigen Fazit
Bedarf anzustreben, d. h., es sind sowohl die Ein- 55 Den wesentlichsten Einfluss auf den Speicher-
flüsse durch die Strommärkte als auch das Über- bedarf haben das Lastmanagement und die
tragungsnetz zu berücksichtigen. Flexibilität der konventionellen Erzeugung
Eine zusätzliche Integration des europäischen und KWK. Der Einfluss der Einspeisung aus
Binnenmarktes und ein Ausbau von sowohl regio- Wind- und Solaranlagen hängt signifikant mit
nalen als auch europaweiten Übertragungskapazi- ihrer Prognosegüte zusammen. Darüber hinaus
täten weisen dabei zumeist deutliche gesamtwirt- ist ein wesentlicher Faktor der Ausbau des
schaftliche Vorteile gegenüber dem kosteninten- Transportnetzes zur Lösung von Engpässen,
100 Kapitel 3 • Speicherbedarf in der Stromversorgung

weshalb in marktbasierten und engpassba- 55 D ie meisten Stromüberschüsse sind heute


sierten Speicherbedarf zu unterscheiden ist. netzbasiert. Nach dem Ausbau der Stromnetze
55 Im Rahmen einer Fallstudie wird das Potenzial und der Beseitigung der Engpässe ist bis zu
von Power-to-Gas-Anlagen für ein Szenario im einem erneuerbaren Anteil von 50 % nur noch
Jahr 2022 bei verzögertem Netzausbau unter- ein geringer marktbasierter Speicherbedarf
sucht und vorteilhafte Anlagenstandorte vorhanden.
3 identifiziert. 55 Erst ab einem erneuerbaren Anteil von ca.
55 Die Potenziale von Power-to-Gas sind stark ab- 60–80 % sind nennenswerte Potenziale für den
hängig vom Anteil der erneuerbaren Energien Betrieb von Power-to-Gas-Anlagen zu erwarten.
im Stromerzeugungssystem. Während sich kurz- 55 Die Speicherung von erneuerbaren Energien
bis mittelfristig kaum signifikante marktbasierte über Power-to-Gas hat den Vorteil, dass die
Potenziale für die Technologie ergeben, steigen Energie nicht nur gespeichert, sondern über
die erforderlichen Stromüberschüsse ab einem das Gasnetz auch transportiert werden kann.
Anteil von ca. 60 % der erneuerbaren Energien Power-to-Gas-Anlagen können jedoch mittel-
an der deutschen Stromerzeugung deutlich an. fristig aufgrund des Wirkungsgrades und der
55 Power-to-Gas-Anlagen können mit über- Wirtschaftlichkeit einen breiten Stromnetz-
schüssigem Strom betrieben werden (z. B. aus ausbau aus gesamtwirtschaftlicher Sicht nicht
Windkraftanlagen), welcher ohne die Power- vermeiden oder ersetzen, sondern lediglich
to-Gas-Anlagen nicht genutzt werden könnte. ergänzen.
Es können jedoch nicht alle Stromüberschüsse 55 D em Aufbau einer nationalen Versorgungs-
wirtschaftlich aufgenommen werden, weshalb sicherheit über Erzeugungs- und Speicherein-
kurzzeitige Abschaltungen von Windenergie heiten stehen der kostengünstigere Ausbau von
erforderlich werden können. europaweiten Übertragungskapazitäten und
55 Der Standort von Power-to-Gas-Anlagen hat die Nutzung von Synergien im europäischen
einen hohen Einfluss auf die gesamtwirtschaft- Binnenmarkt gegenüber.
lichen Vorzüge der Technologie. Während
Anlagen an vorteilhaften Standorten Überlas-
tungen im Übertragungsnetz sowie Eingriffe in 3.6 Gegenüberstellung und
den Kraftwerkseinsatz (Redispatch) reduzieren Einordnung der Ergebnisse
können, erhöhen sich die Kosten für den stabi-
len Betrieb des Übertragungsnetzes durch An- 3.6.1 Gegenüberstellung der
lagen an schlecht geeigneten Standorten (z. B. Ergebnisse der drei Studien
in Bayern oder Nordrhein-Westfalen) deutlich.
Als Folge wird der Einsatz letzterer Anlagen im Die untersuchten Studien weichen in ihrer Frage-
Netzbetrieb reduziert und somit die Wirtschaft- stellung und hinsichtlich der Modellierungsan-
lichkeit beeinträchtigt. nahmen voneinander ab. Daher können sie nur in
55 Die Volllaststunden von Power-to-Gas-An- eingeschränktem Maße vergleichend gegenüberge-
lagen zur Produktion von erneuerbarem Gas stellt werden. .  Tabelle  3.8 stellt Kernfragen, An-
variieren stark für die untersuchten Szenarien nahmen und Ergebnisse der drei Studien in über-
und die unterschiedlichen Standorte. Während sichtlicher Form dar.
an schlecht geeigneten Standorten und in
Szenarien mit einem geringen Anteil von erneu-
erbaren Energien keine hohen Volllaststunden 3.6.2 Einordnung der Ergebnisse im
erreicht werden, werden in den untersuchten Vergleich zu weiteren Studien
Szenarien mit einem hohen Anteil erneuerbarer
Energien an sehr gut geeigneten Standorten Neben den bereits dargestellten Untersuchungen
bis zu 2500 h/a erzielt. (BMU-Langfristszenarien, UBA-100 %-Studie und
VDE-ETG-Studie) gibt es weiterführende Arbeiten,
3.6 • Gegenüberstellung und Einordnung der Ergebnisse
101 3

. Tab. 3.8  Gegenüberstellung der betrachteten Studien

BMU- Langfristsze- UBA-100 %-Studie VDE-ETG-Studie


narien

Kernfrage Klimaschutz durch er- Technische Umsetzung der Speicherbedarf bei hohen er-
neuerbare Energien Energiewende neuerbaren Anteilen

Ausführende Institute DLR, Fraunhofer IWES, UBA, Fraunhofer IWES IAEW (RWTH Aachen), ISEA
IfNE (RWTH Aachen), Fraunhofer
IWES, ESEM (TU Karlsruhe),
FENES (OTH Regensburg) und
andere

Annahmen

Netzausbau in Vollständig (Kupfer- Vollständig (Kupferplatte)


Deutschland platte)

Import/Export (40 %) Net Transfer H2-Szenario: 5 % des Strom- Fokus auf deutschen Speicher-
Capacities von 2011, bedarf bedarf, d. h., es werden weder
(63 %) 11,7 GW AC, CH4-Szenario: 6 % des Importe noch Exporte von Strom
13,8 GW DC Strombedarf zur Bilanzierung des deutschen
(85 %) 11,7 GW AC, Systems unterstellt
31,4 GW DC

Flexibilität Kraftwerke Standard Flexible Biogasanlagen: KWK wärmegeführt, über Zusatz-


und KWK Gasturbinen-KWK 2,5 GW feuerung Stromreduzierung
und Biogas-Reservekraft- möglich
werke GuD 17,5 GW

Must-run (Mindester- keine keine keine


zeugung)

Lastmanagement (40 %): HH 1,1 GW, WP (100 %): Industrie 1,5 GW; Nicht berücksichtigt


2,7 GW, KL 2,5 TWh/a, vollständig flexibel: WP
EM 20 % aller Fahr- 44 TWh/a, KL 28 TWh/a, EM
zeuge 50 TWh/a
(63 %): HH 1,25 GW,
WP 4,7 GW, KL
5 TWh/a, EM 40 % al-
ler Fahrzeuge (85 %):
HH 1,3 GW, WP 7,3 GW,
KL 10 TWh/a, EM 60 %
aller Fahrzeuge

Überschüsse und Speicherbedarf

Erneuerbarer Anteil 3,7 TWh (Pumpstrom) – Überschüsse 0,26 TWh


40 % (ca. 2020)

Erneuerbarer Anteil 5,9 TWh (Pumpstrom) – –


63 % (ca. 2030)

Erneuerbarer Anteil 8,0 TWh (Pumpstrom) – Überschüsse 30 TWh


80–85 % (ca. 2050)

Erneuerbarer Anteil – 8,0 TWh (Pumpstrom) –


100 % (ca. 2050) 90,5 TWh (Power-to-Gas)
1,2 TWh (ungenutzte Über-
schüsse)
102 Kapitel 3 • Speicherbedarf in der Stromversorgung

. Tab. 3.8  Fortsetzung

BMU- Langfristsze- UBA-100 %-Studie VDE-ETG-Studie


narien

Einsatz Kurzzeitspeicher

3 Erneuerbarer Anteil
40 % (ca. 2020)
PSW ca. 8,7 GW
Druckluft 0,32 GW
– 7,2 GW @ 48 GWh (Variante A)

Wärmespeicher

Erneuerbarer Anteil PSW ca. 12,2 GW – –


63 % (ca. 2030) Druckluft 0,32 GW
Wärmespeicher

Erneuerbarer Anteil PSW ca. 12,2 GW – 14  + 7,2 GW @ 70 + 48 GWh Kapa-


80–85 % (ca. 2050) Druckluft 0,32 GW zität (Variante E)
Wärmespeicher

Erneuerbarer Anteil – PSW 8,6 GW @ 55 GWh Ka- 36  GW @ 184 GWh Kapazität


100 % (ca. 2050) pazität, Einspeicherstrom: (Variante D)
8,0 TWh, Ausspeicher-
strom: 6,0 TWh Wärme-
speicher

Einsatz Langzeitspeicher

Erneuerbarer Anteil keine – keine


40 % (ca. 2020)

Erneuerbarer Anteil keine Angabe – –


63 % (ca. 2030)

Erneuerbarer Anteil keine Angabe – 18  GW @ 7 TWh Kapazität


80–85 % (ca. 2050) (Variante E)

Erneuerbarer Anteil keine Angabe Power-to-Gas 68  GW @ 26 TWh Kapazität


100 % (ca. 2050) Variante H2: 44 GW @ (Variante D)
85 TWh, Einspeicherstrom:
90,5 TWh, Ausspeicher-
strom: 38,1 TWh Variante
CH4: 44 GW @ 75 TWh, Ein-
speicherstrom: 90,5 TWh,
Ausspeicherstrom:
31,6 TWh Wärmespeicher

Legende: HH = Haushalte, WP = Wärmepumpe, KL = Klimatisierung, EM = Elektromobilität

die teilweise auf diesen Studien aufbauen und mit 3.6.2.1 DIW-Studie »Stromspeicher als
ähnlichen Methoden zu ähnlichen Ergebnissen zentrales Element der Integration
kommen. von Strom aus erneuerbaren
Energien«
zz Hintergrund, Methodik und Annahmen
Die Studie »Stromspeicher als zentrales Element
der Integration von Strom aus erneuerbaren
Energien (StoRES – Storage for Renewable Ener-
gy Sources)« wird vom Deutschen Institut für
Wirtschaftsforschung DIW Berlin im Auftrag des
3.6 • Gegenüberstellung und Einordnung der Ergebnisse
103 3
BMU für die Jahre 2022, 2023 und 2050 durchge- 55 I n der Berechnung der Überschüsse werden
führt (s. [21]). Sie baut methodisch und hinsicht- der Einfluss von unflexiblen Kraftwerken und
lich der Annahmen weitgehend auf der VDE- Netzrestriktionen und die einfache Hoch-
ETG-Studie (s. 7 Abschn. 3.4) und der UBA-Studie skalierung von einzelnen Wind- und PV-Zeit-
(s. 7 Abschn. 3.3) auf und zieht zur Szenariobildung reihen sowie ihre räumlichen Verteilung, Im-
neben dem Netzentwicklungsplan (NEP) (Basis für und Export und weitere Flexibilitätsoptionen
2022 und 2023) und anderen Quellen die BMU- wie Power-to-Heat überschätzt.
Langfristszenarien (2050) (s.  7  Abschn.  3.2) als 55 Die Gradienten nehmen mit zunehmender
Grundlage heran. Es werden drei Szenariovarian- erneuerbarer Einspeisung zu (analog UBA-
ten betrachtet: Studie).
6. Umsetzung der energie- und klimapolitischen 55 Bei uneingeschränkter Abregelung wird prak-
Ziele der Bundesregierung (nur 2022 A) tisch kein Speicherzubau notwendig. Stattdes-
7. Höherer Zubau erneuerbarer Energien und sen werden aber erhebliche Mengen an erneu-
Gaskraftwerke – Leitszenario im NEP (2022 B erbaren Energien nicht genutzt: im Szenario
und 2023 B) 2032 B allein 15 % der jährlichen Stromerzeu-
8. Noch höherer Ausbau erneuerbarer Energien gung aus Wind und PV.
und Gaskraftwerke 55 Die Auslegung des Systems auf die vollständige
Integration aller Überschüsse ist technisch und
Die Methodik wird erweitert durch eine detail- wirtschaftlich ineffizient: Die Auslastung ist
liertere Auswertung der Residuallast, durch die zu gering, um einen wirtschaftlichen Betrieb
getrennte Betrachtung von Kurzzeitspeichern in zu ermöglichen. Bei einer Abregelung von 1 %
Batterien (2 h) und Pumpspeichern (8 h) und die der Überschüsse im Szenariojahr 2032 kann
Unterscheidung in flexible und unflexible Biomas- die notwendige Einspeicherleistung von 74 auf
se- und Mindesterzeugungskraftwerke. 38 GW (unflexibles System) und von 41 GW
auf null im flexiblen System reduziert werden
zz Ergebnisse (analog VDE-ETG- und UBA-Studie).
Entsprechend der Methodik und den Annahmen 55 Bei einer realistischen zugelassenen Abrege-
sind die wesentlichen Ergebnisse der VDE-ETG- lung von 1 % erneuerbarer Erzeugung ergibt
Studie und der UBA-Studie weitgehend deckungs- sich erst im Jahr 2050 ein Zubau an Tages- und
gleich: Saisonspeicher, im unflexiblen System bereits
55 Die Stromüberschüsse sind gering bei Annah- ab dem Jahr 2022 (s. . Tab. 3.9).
me von flexibler Biomasseverstromung und 55 Stundenspeicher (Lithium-Ionen-Batteriespei-
keiner Mindeststromerzeugung (Must-run), cher mit einer Ausspeicherdauer von 2 h) kön-
weitgehender Kraftwerksflexibilität und einer nen sich im System nicht behaupten, da viele
Übernahme der Systemdienstleistungen durch Überschüsse länger als 2 h dauern und etwas
erneuerbare Energieanlagen (gleiche Annah- höhere annuitätische Investitionskosten als bei
men und Ergebnisse in der VDE-ETG-Studie). Pumpspeichern (8 h) angenommen wurden.
Im Szenariojahr 2032 ergeben sich nur in 471 h 55 Langzeitspeicher in Form von Monatsspei-
Überschüsse. chern (500 h) wie Power-to-Gas werden im
55 Ein unflexibles System (starre Biomassever- flexiblen System erst im Jahr 2050 benötigt, im
stromung und 20 GW Must-run-Leistung) unflexiblen System bei hohen erneuerbaren
führt zu deutlich mehr Überschüssen als ein Zubauraten bereits ab 2020.
flexibles. Im Szenario B 2032 ergeben sich für 55 Import und Export sowie die Reduktion der
ein flexibles System 4,4 TWh Überschüsse, was Mindeststromerzeugung und Flexibilisierung
2 % der maximalen Stromerzeugung aus Wind von konventionellen und biomassebasierten
und PV entspricht; für ein unflexibles System Kraftwerken (z. B. Biogasspeicher) sowie der
gelten 18 % dieser Bezugsgröße. KWK über Wärmespeicher reduzieren den
Speicherbedarf im Stromsektor enorm (de-
104 Kapitel 3 • Speicherbedarf in der Stromversorgung

. Tab. 3.9  Zubau von Stromspeichern in GW (Mittelwerte für alle Simulationen) für verschiedene Szenarien bei
Annahme einer realistisch zugelassenen Abregelung von 1 % der Überschüsse für Batteriespeicher, Pumpspeicher und
Power-to-Gas. In den dargestellten Zahlen der DIW Untersuchungen wurde der Speicherbedarf für Systemdienstleis-
tungen oder für Wärmespeicher zur Flexibilisierung von KWK und thermischer Stromerzeugung nicht berücksichtigt.
(Quelle: [21])

Szenariojahr 2022  A (Ziele 2022  B (NEP 2022  C (Progres- 2032  B (NEP 2050  (BMU
3 Bundesre­ Leitszenario) siver EE-Ausbau) Leitszenario) Langfristszena-
gierung) rien)

Flexibles System (Keine Mindeststromerzeugung (Must-run), flexible Biomasseverstromung über u. a. Wärmespeicher
und Biogasspeicher)

Batteriespeicher 0 0 0 0 0
als 2 h Stunden-
speicher

Pumpspeicher als 0 0 0 1 9
8 h Tagesspeicher

Power-to-Gas als 0 0 0 0 7
500 h Monatsspei-
cher

Unflexibles System (Keine Mindeststromerzeugung (Must-run), flexible Biomasseverstromung über u. a. Wärmespeicher
und Biogasspeicher)

Batterie-speicher 0 0 0 0 0
als 2 h Stunden-
speicher

Pumpspeicher als 4 12 19 24 21
8 h Tagesspeicher

Power-to-Gas als 0 0 7 14 40
500 h Monatsspei-
cher

ckungsgleich mit BMU- Langfristszenarien KBB Underground Technologies GmbH eine um-
und VDE-ETG-Studie). fassende Studie zur Integration von Power-to-Gas
55 Auswertungen und Aussagen zum zukünftigen in das Energiesystem [27].
Speicherbedarf können nicht anhand einzel- Die Studie konzentriert sich auf Wasserstoff
ner Wetterjahre abgeleitet werden, sondern als Teil von Power-to-Gas (s.  7  Kap. 8) und auf die
brauchen für eine gewisse Robustheit die Be- Frage der technischen und wirtschaftlichen Um-
rücksichtigung mehrerer Jahre (analog zur setzung von Power-to-Gas-Wasserstoffsystemen
UBA-Studie). im Jahr 2030. Darin kommt der Frage nach dem
Speicherbedarf eine zentrale Bedeutung zu.
3.6.2.2 NOW-Studie »Integration von Als Überschüsse werden in der Modellierung
Wind-Wasserstoff-Systemen in das vereinfachend nur Windüberschüsse in zwei Zonen
Energiesystem« innerhalb Deutschlands mit beschränktem Netz-
zz Hintergrund, Methodik und Annahmen ausbau (Nordost-Zone, Nordwest-Zone) betrachtet.
Im Auftrag der Nationalen Organisation Wasser- Die Verwertung des Wasserstoffs wird als Kraftstoff
stoff- und Brennstoffzellentechnologie (NOW) in der Mobilität und als Brennstoff für die Rückver-
erstellte ein Konsortium aus PLANET GbR, FH stromung definiert über den Aufbau einer entspre-
Lübeck, Fraunhofer ISI, IEU der FH Stralsund und chenden Infrastruktur. Dazu werden in der Studie
3.6 • Gegenüberstellung und Einordnung der Ergebnisse
105 3

. Tab. 3.10  Windüberschüsse in TWh/a der NOW-Studie zu zwei Zonen in Norddeutschland in den Szenariojahren
2020 und 2030. (Quelle: [27])

Nordwest-Zone Nordost-Zone

Szenario Netzausbau Moderat Ambitioniert Moderat Ambitioniert

2020 25  % Dena II 0 0 0 0

12,5 % Dena II 0,5 0,9 0 0

2030 50  % Dena II 0,002 3,8 0 0

25  % Dena II 8,1 26,5 0 0

alle notwendigen Technologien wie die Speiche- Deutschlands – findet kein Zubau gegenüber
rung von Wasserstoff in Kavernen (7  Abschn.  8.4) 2011 statt.
beleuchtet und eine Systemanalyse samt Schluss-
folgerungen vollzogen. Das moderate Szenario zz Ergebnisse
basiert dabei hinsichtlich der Strommengen und Entsprechend diesen Annahmen stellen sich fol-
installierten Leistung für 2030 auf den Energiesze- gende Ergebnisse für das moderate und für das
narien 2011 des BMWi (s. [22]) und das ambitio- ambitionierte Szenario ein:
nierte Szenario auf den BMU- Langfristszenarien 55 Für 2020 ergibt sich in keiner Zone ein Über-
2012 aus 7 Abschn. 3.2. Nahezu 50 % der installierten schuss an Windenergie bei angenommenem
Windleistung wird in den zwei Zonen erbracht. Netzausbau (25 % des in der Dena Netzstudie
Der Strommarkt wird mit dem Fraunhofer II prognostizierten Netzausbaus). Erst wenn
ISI-Modell PowerACE, das Stromnetz stark verein- diese 25 % des Netzausbaus nochmals auf
facht als Kupferplatte in zwei Zonen in Anlehnung 12,5 % halbiert werden, zeigen sich Windüber-
an die Regionen der Dena-Netzstudie II (s. [9]) schüsse zwischen 0,5 TWh/a (moderat) und
abgebildet: 0,9 TWh/a (ambitioniert).
55 Nordwest-Zone: Nordsee, Schleswig-Holstein, 55 Für 2030 ergeben sich aus der höheren er-
Hamburg, Bremen und im nordwestlichen Teil neuerbaren Einspeisung und der geringeren
von Niedersachsen Last 0,002 TWh/a Windüberschüsse in der
55 Nordost-Zone: Ostsee, Mecklenburg-Vorpom- Nord-West-Zone im moderaten Szenario und
mern, Brandenburg und Berlin 3,8 TWh/a im ambitionierten Szenario für
einen 50 %igen Netzausbau in Deutschland
Die wichtigsten und für die Ergebnisse maßgebli- nach Dena II und 8,1 TWh/a (moderat) und
chen Annahmen zum Netzausbau lauten: 26,5 TWh/a (ambitioniert) für den Fall der
55 Innerhalb der Zonen gibt es keine Restriktio- Umsetzung eines Viertels des Netzausbaus.
nen (»Kupferplatte«), zwischen den beiden In der Nord-Ost-Zone ergeben sich keine
Zonen besteht eine Übertragungskapazität von nennenswerten Windüberschüsse, da 90 %
3 GW. der installierten Offshore-Windleistung in der
55 Die Übertragungsleistungen in die benachbar- Nordsee angesetzt ist.
ten Zonen ist beschränkt: Bis 2020 wird nur
ein Viertel und bis 2030 nur die Hälfte des in . Tabelle 3.10 fasst diese Ergebnisse zusammen.
der Dena-Netzstudie II ausgewiesenen Netz- Der wesentliche Unterschied zu den in
ausbaus umgesetzt. Als Begründung für diese den  7  Abschn.  3.2 bis  7  Abschn.  3.4 betrachteten
Annahme werden die bisher aufgetretenen Studien sind die fundamental anderen Annahmen
Verzögerungen im Netzausbau angegeben. zum Netzausbau in Deutschland. Wird dieser im
55 Bei den Net Transfer Capacities (NTC) – also Zuge der Energiewende – wie in der NOW-Studie
dem Im- und Export in die Nachbarländer
106 Kapitel 3 • Speicherbedarf in der Stromversorgung

unterstellt – massiv verzögert oder nicht realisiert, Eine wesentliche Annahme für das Ergebnis
ergeben sich deutliche Überschüsse im Stromsys- zum Speicherbedarf ist der Netzausbau innerhalb
tem bereits in der 2020er Dekade. der Regionen und über die Länder hinweg. Das
Einschränkend ist in der Interpretation dieser DLR-Modell REMix erfasst in der Studie die er-
Ergebnisse zu betrachten, dass neben dem Netzaus- neuerbare Einspeisung in jedem Land gebündelt in
bau keine weitere Flexibilität in der NOW-Studie einem Punkt (Punktmodell – nationale »Kupfer-
3 abgebildet wurde. Unter realistischen Annahmen platte«) und variiert lediglich die Übertragungska-
zu den Flexibilitätsoptionen der thermischen pazitäten zwischen den Ländern, dafür unter Ein-
Kraftwerke, der KWK, des Lastmanagements, des beziehung der Leitungsverluste. Die Szenarien sind
Im- und Exports an europäische Nachbarn und des geprägt von einer sehr hohen installierten Wind-
Einsatzes von Kurzzeitspeichern fallen die Über- Offshore-Leistung und sehr hohen Übertragungs-
schussmengen entsprechend geringer aus. kapazitäten nach Dänemark und Norwegen.
Die Frage der Energiequelle für die Herstellung Es werden drei Speichertechnologien im Jahr
von Wasserstoff wird damit nicht abschließend ge- 2050 betrachtet:
klärt. Mögliche Optionen zur Lösung dieser Her- 55 Pumpspeicher (Wirkungsgrad 80 %, Inves-
ausforderung sind in  7  Kap.  8 bzw.  7  Abschn.  8.8 titionskosten 1600 €/kW, Speicherkapazität
aufgezeigt. 0,05 TWh, kein Zubau in Deutschland, dafür
Umrüstung der Speicherwasserkraft in Norwe-
3.6.2.3 SRU-Sondergutachten »Wege zur gen zu Pumpspeichern),
100 % erneuerbaren 55 Druckluftspeicher (Wirkungsgrad 80 %, In-
Stromversorgung« vestitionskosten 280 €/kW, technisches Poten-
zz Hintergrund, Methodik und Annahmen zial der Speicherkapazität 3,5 TWh, davon
Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) 1,5 TWh genutzt)
hat 2011 eine Studie zur Stromwende veröffentlicht, 55 Power-to-Gas (Wasserstoff) (Wirkungsgrad
in der die technische Machbarkeit und die Kosten 49 %, Investitionskosten 1500 €/kW).
einer rein erneuerbaren Stromversorgung dar-
gestellt wurden (s. [23]). Ferner wurde die Frage Andere Flexibilitätsoptionen wie die Integration
beantwortet, ob Brückentechnologien erforderlich des Wärmesektors über Power-to-Heat oder Wär-
sind und welche Maßnahmen zur Gestaltung einer mepumpen werden nicht betrachtet.
klimafreundlichen Stromversorgung zu treffen
sind. zz Ergebnisse zum Speicherbedarf
Dabei wurden vier Szenarien mit jeweils einem Grundsätzlich konnte gezeigt werden, dass in
Stromverbrauch von 500 TWh und 700 TWh ent- Deutschland und Europa das Potenzial erneuerba-
wickelt: rer Energien für eine Vollversorgung ausreicht, zu
9. Selbstversorgung – nationale Autarkie jeder Stunde über die Einbindung entsprechender
10. Netto-Selbstversorgung mit einem Austausch Transport- und Speicherkapazitäten technisch ver-
nach Dänemark und Norwegen sorgungssicher und der Verbund mit Skandinavien
11. Maximal 15 % Nettoimport aus Dänemark und und Europa kostengünstiger ist als eine national-au-
Norwegen tarke Stromversorgung. Weitere Kostensenkungs-
12. Maximal 15 % Nettoimport aus Europa und potenziale liegen in der Reduktion des Stromver-
Nordafrika (in Anlehnung an Desertec) brauchs, also der Energieeffizienz (s. . Tab. 3.11).
Der Einsatz von Pumpspeichern ist durch
Diese Zielszenarien wurden vom DLR in stünd- die Vorhaltung von 6  von 7  GW angenommener
licher Auflösung berechnet, die auch die BMU- Pumpspeicherleistung für Systemdienstleistungen
Langfristszenarien federführend simuliert haben, stark begrenzt, weshalb der Einsatz von Druckluft-
weshalb einige Ergebnisse der beiden Studien de- speichern sehr stark ausgebaut wird, was an den
ckungsgleich sind. günstigen Annahmen des DLR zu Kosten und Wir-
kungsgraden für Druckluftspeicher liegt. Im Ver-
3.6 • Gegenüberstellung und Einordnung der Ergebnisse
107 3

. Tab. 3.11  Die Ergebnisse zum Speicherbedarf (Überschüsse, Speichereinsatz) der vier SRU-Szenarien zur rein er-
neuerbaren Stromversorgung in Deutschland für einen Stromverbrauch von 500 TWh (Varianten A) (DK = Dänemark,
NO = Norwegen, VLh = Volllaststunden), auf 2 bis 3 Stellen gerundete Werte. (Quelle: [23])

Nationale Selbstversor- Max. 15 % Max. 15 % Net-


Autarkie gung mit 15 % Nettoimport toimport aus
Austausch nach aus DK und Europa und
DK und NO NO Nordafrika a

Installierte fluktuierende Leistungen in GW

PV 86 41 – –

Wind an Land 33 40 25 28

Wind auf See 73 73 73 73

Übertragungsleistung P in andere Länder in GW bzw. »Netzlänge« lin GW km

Dänemark P 0 42 47 53

Norwegen P 0 46 50 116

»Netzlänge« lim Verbund Deutsch- 0 53.195 58.701 103.745


land – Dänemark – Norwegen

»Netzlänge« lin andere Länder (Euro- 0 0 0 848.247


pa und Nordafrika)

Überschüsse in Deutschland und Speicherverluste

Abgeregelte Überschüsse nach Im- 53 0,2 0,5 0,1


und Export und Speichereinsatz b
in TWh

Max. Leistung der Überschüsse in GW 181 101 45 71

Speicherverluste in TWh 17 1,6 2,0 4,7

Speichereinsatz – Pumpspeicher in Deutschland

Einspeicherleistung in GW 0,5 1,2 0,5 0,8

Eingespeicherte Energie in TWh 1,2 1,0 1,1 1,5

Auslastung (Einspeichern) in VLh 2400 830 2200 1880

Ausspeicherleistung in GW 0,5 1,2 0,5 0,8

Ausgespeicherte Energie in TWh 1,0 0,8 0,9 1,2

Auslastung (Ausspeichern) in VLh 2000 670 1800 1500

Speichereinsatz – Druckluftspeicher in Deutschland

Einspeicherleistung in GW 32 18 19 21

Eingespeicherte Energie in TWh 51 5,7 7,0 16

Auslastung (Einspeichern) in VLh 1600 320 370 760

Ausspeicherleistung in GW 32 18 19 21

Ausgespeicherte Energie in TWh 34 4,3 5,2 12

Auslastung (Ausspeichern) in VLh 1060 240 275 570


108 Kapitel 3 • Speicherbedarf in der Stromversorgung

. Tab. 3.11  Fortsetzung

Nationale Selbstversor- Max. 15 % Max. 15 % Net-


Autarkie gung mit 15 % Nettoimport toimport aus
Austausch nach aus DK und Europa und
DK und NO NO Nordafrika a

3 Speichereinsatz – Power-to-Gas (Wasserstoff ) in Deutschland

Einspeicherleistung in GW 0 0 0 0

Ausspeicherleistung in GW 0 0 0 0

a Die Simulation erfolgte nur auf Basis jeder zweiten Stunde, weshalb die Ergebnisse zu den anderen einstündlichen
Werten abweichen können, ferner sind in der Studie in Tabellen und Text unterschiedliche Werte angegeben.
b Überschüsse in Deutschland (»Kupferplatte«) mit Anbindung an das Ausland nach dem Einsatz von Speichern, die

abgeregelt werden.

gleich zu den anderen Studien spielen die Druck- Deutschland gibt und die Anbindung an das Aus-
luftspeicher nur in der SRU-Studie eine Rolle und land unter den vom SRU getroffenen Annahmen
übernimmt die Funktion der Kurzzeitspeicherung, kosteneffizienter ist.
die in den anderen Studien vorwiegend durch Bat- Der Preis dafür ist der Umbau und die Aus-
teriespeicher erfüllt wird. weitung der Speicherwasserkraft in Norwegen
Batteriespeicher wurden in der SRU-Studie (84 TWh Speicherkapazität mit einem maximalen
nicht berücksichtigt, da ihr »Gesamtpotenzial zur Füllstand von 80 TWh und einem minimalen Füll-
langfristigen Energiespeicherung mit den benötig- stand von 14 TWh) und Schweden (34 TWh Spei-
ten großen Speicherkapazitäten« gegenüber den cherkapazität) im zweistelligen Gigawattbereich zu
anderen Speichern als »eher gering eingeschätzt« Pumpspeichern und der Ausbau der Stromnetze in
wurde. diesen Ländern.
Analog dazu übernimmt die Rolle der Langzeit-
speicherung im SRU-Szenario die skandinavische 3.6.2.4 Fraunhofer IWES-Studie
Wasserkraft und das europäisch-nordafrikanische »Geschäftsmodell Energiewende«
Verbundnetz, was in anderen Studien durch Power- zz Hintergrund, Methodik und Annahmen
to-Gas geleistet wird. Begünstigt wird dieser Ein- Aufbauend auf den BMU-Langfristszenarien, der
satz durch die fast doppelte installierte Offshore- UBA-Studie, der BMU-Roadmap Speicher und an-
Windleistung im Vergleich zur Onshore-Windleis- deren Arbeiten entwickelte das Fraunhofer Insti-
tung, was sich von den anderen Studien ebenfalls tut für Windenergie und Energiesystemtechnik in
unterscheidet, da dort eher die kostengünstigere Kassel die Studie » Geschäftsmodell Energiewende
Onshore-Windkraft zum Einsatz kommt. So wur- – Eine Antwort auf das ‚Die-Kosten-der-Energie-
de die in der Studie von 2011 angenommene Ons- wende‘-Argument« (s. [11]). Darin wird die Ener-
hore-Windkraftleistung in Szenario 1.a von 33 GW giewende bis in das Jahr 2050 fortgeschrieben und
für das Jahr 2050 bereits im Jahr 2013 überschritten auf die Bereiche Wärme und Verkehr ausgedehnt.
bzw. in Szenario 1.b mit 25 GW auf dem Stand von Die Investitionen für Technologien wie Wind und
2010 eingefroren. PV werden mit den eingesparten Brennstoffkosten
Die wesentliche Erkenntnis aus der SRU-Stu- für fossile und nukleare Energieanlagen gegenge-
die bezüglich des Speicherbedarfs ist, dass es bei rechnet. Dadurch kann gezeigt werden, dass selbst
Einbindung der skandinavischen Lauf- und Spei- unter konservativen Annahmen (keine steigenden
cherwasserkraft über extrem hohe Übertragungs- Brennstoffkosten und CO2-Schadenskosten) durch
leistungen im zweistelligen Gigawattbereich bis auf die Investition in die Energiewende eine inflations-
geringe Mengen quasi »keinen Speicherbedarf« in bereinigte Rendite von 2,3 % erzielt werden kann,
3.6 • Gegenüberstellung und Einordnung der Ergebnisse
109 3

. Tab. 3.12  Bedarf an Energiespeichern, Auslastung und Investitionskosten im Jahr 2050 in der Fraunhofer IWES-
Studie »Geschäftsmodell Energiewende«; Pumpspeicher sind nicht aufgeführt. (Quelle: [11])

Technologie Installierte Speicherka- Auslastung in Investitions- Investitionskos-


Leistung pazität 2050 Volllaststunden kosten 2011 in ten 2050 in €/kW
2050 in GW in GWh €/kW

Batterieparks (8 h) 10 80 ca. 1000 1934 435

Power-to-Gas 78 Keine Angabe ca. 3000 2000 750

Power-to-Heat 23 Keine Angabe ca. 5000 100 100

die sich unter der Annahme der realen Preisstei- re-Wind, 50 GW Offshore-Wind und 200 GW PV
gerungen nach NEP 2014 (s. [4]) oder dem BMU- im kostenoptimalen Mix) ergibt. Die Leistung der
Klimaschutzszenario 2050 (s. [17]) auf 4,0 bis 6,7 % benötigten Kurzzeitspeicher wird in dieser Studie
erhöht. über Batterieparks abgebildet, die in der Größen-
Neben der sachlichen Widerlegung des vorherr- ordnung der zusätzlichen Leistung in anderen Stu-
schenden Arguments »Die Energiewende ist teuer« dien entspricht. Ähnliches gilt für Power-to-Heat.
wird auch der sektorenübergreifende Speicherbe- Diese Ergebnisse decken sich weitgehend mit
darf im Transformationsszenario errechnet: Ausge- der UBA-Studie, in der der Speicherbedarf und die
hend von einer erneuerbaren Vollversorgung über installierten Speicherleistungen wegen der noch
915  TWh Wind- und PV-Strom und 85 TWh an- deutlich ambitionierteren Energieeffizienzziele
deren erneuerbaren Energien (s.  7  Abschn.  3.3.2.1, kleiner ausfallen.
UBA-Studie zu Potenzialen erneuerbarer Energien
in Deutschland) werden 315  TWh im klassischen 3.6.2.5 Fraunhofer ISE-Studie
Stromsektor, 330 TWh im Wärmesektor (75 % des »Energiesystem Deutschland
Wärmebedarfs durch Wärmepumpen gedeckt, 2050«
zusätzlich Power-to-Heat) und 120  TWh im Ver- zz Hintergrund, Methodik und Annahmen
kehrssektor für elektrische Antriebe (Elektromobi- Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesys-
le und Oberleitungs-Lkw) eingesetzt. teme (ISE) in Freiburg hat ein ähnliches Modell
Ein Speicherbedarf von 235 TWh Strom ergibt zum Fraunhofer IWES zur Simulation und Nach-
sich für die sektorenübergreifende Technologie bildung des Gesamtsystems entwickelt. In der
Power-to-Gas, um den Bedarf für Stromkraftstof- Studie »Energiesystem Deutschland 2050« wird
fe, Gaswärme und Sicherung der Stromversorgung neben dem Bedarf an Stromspeichern ebenfalls der
über Gaskraftwerke zu decken. Speicherbedarf im Wärmesektor analysiert. Da-
rüber hinausgehend wir der Verkehrssektor über
zz Ergebnisse zum Speicherbedarf fest definierte Anteile verschiedener Energieträger
Neben den klassischen Pumpspeichern mit einer (Strom, Stromkraftstoffe, fossile Energie) und der
Auslastung von ca. 1000 Volllaststunden, die in Industriesektor mit der notwendigen Energie zur
dieser Studien nicht über die bestehenden hinaus Bereitstellung von Prozesswärme im Modell be-
erweitert wurden, ergibt sich folgender Bedarf an rücksichtigt (s. [12, 18, 19].
Energiespeichern (s. . Tab. 3.12): Zielgröße ist stets die Minimierung der Ge-
Es ergibt sich eine sehr hohe Power-to-Gas-Ein- samtkosten bei gleichzeitiger Erreichung der Kli-
speicherleistung von 78 GW, die sich einerseits über maschutzziele. Strom- und Wärmesektor werden
den zusätzlichen Strombedarf aus dem Wärme- und sehr detailliert abgebildet. Diese Arbeiten sind ein-
Verkehrssektor und andererseits aus der dafür not- gehend in  7  Kap. 4 und 5 hinsichtlich der Modell-
wendigen hohen Gesamtleistung von 430 GW fluk- annahmen und der Ergebnisse zum Speicherbedarf
tuierender erneuerbarer Leistung (180 GW Onsho- im Wärmesektor beschrieben.
110 Kapitel 3 • Speicherbedarf in der Stromversorgung

. Tab. 3.13  Drei Variationen in den 100 %-Szenarien für die Sektoren Strom und Wärme. Die installierte Wasserkraft-
leistung ist mit 5 GW in allen Variationen gleich, ebenfalls die verfügbare Bioenergie mit 50 TWh. Import und fossiler
Anteil sind auf null gesetzt. Der Strombedarf liegt in allen Varianten konstant bei 500 TWh. (Quelle: [12, 18, 19])

RetrofitMax Medium REMax

PV-Leistung in GW 182 205 262


3 Wind an Land in GW 170 170 200

Wind auf See in GW 75 85 85

Gebäudesanierungsgrad als Reduktion minus 40 % minus 50 % minus 68,2 %


des Wärmebedarfs vs. 2010

Ein Betrachtungspunkt ist ein Klimaschutzsze- wie die Fraunhofer IWES-Studie »Geschäftsmo-
nario mit dem Ziel der CO2-Reduktion um 80 - 85 % dell Energiewende« mit dem Unterschied, dass die
im Vergleich zu 1990 im Modell REMod-D mit Rückverstromung von erneuerbarem Gas vorwie-
einer installierten erneuerbaren Gesamtleistung gend über dezentrale KWK erfolgt und als Aus-
von 452  GW, bestehend aus 150 Onshore-Wind, speichertechnologie auch Gaswärmepumpen bzw.
38 GW Offshore-Wind, 259 GW PV, 5 GW Wasser- Gasbrennwertkessel eingesetzt und 420  TWh für
kraft und einer flexiblen Leistung von Biomasse mit Brennstoff-basierte Prozesse in Industrie und Ge-
einem Energiepotenzial von 335 TWh. Im fossilen werbe vorgehalten werden. Die Mehrkosten der
Mix bleiben 7 GW Steinkohle- und 3 GW Braun- Gaswärmepumpen gegenüber den Gasbrennwert-
kohlekraftwerke und 215 TWh Erdgas erhalten. kesseln sind bei Gebäuden mit hohen Vorlauftem-
Drei weitere Betrachtungspunkte ergeben sich peraturen und geringem Wärmebedarf nicht im-
aus vorgegangenen Untersuchungen des Modells mer tragbar. Daher werden im Klimaschutzszena-
REMod-D, in dem zu diesem Zeitpunkt lediglich rio anstatt Gaswärmepumpen Gasbrennwertkessel
die Sektoren Strom und Wärme betrachtet wurden. eingesetzt, da alle für Wärmepumpen geeigneten
Aus Rechnungen dieser vorherigen Modellvariante Gebäude bereits mit elektrischen Wärmepumpen
ergeben sich drei unterschiedlichen 100 %-Szena- versorgt werden.
rien ohne Import mit Variationen im Gebäudesa- Auffallend ist, dass die Gasspeicherkapazitäten
nierungsgrad und in den installierten erneuerba- und Ausspeicherleistungen für Power-to-Gas vom
ren Leistungen, in denen die CO2-Emissionen im Klimaschutzszenario für alle Energiesektoren auf
Vergleich zu 1990 vollständig reduziert werden (s. das 100 %-Szenario für Strom und Wärme noch-
. Tab. 3.13). mals deutlich ansteigen. Je nach Sanierungstiefe
und Nutzung von Gaswärmepumpen variiert auch
zz Ergebnisse zum Speicherbedarf im der Bedarf an zentralen Wärmespeichern. Da der
Stromsektor Wärmebedarf jedoch weitgehend konstant ist, ent-
Als Energiespeicher kommen Batterieparks, Pump- scheidet sich der Wärmespeicherbedarf an der Ge-
speicher (konstant, kein Zubau), Power-to-Gas bäudesanierungsrate.
(Elektrolyse und Methanisierung zur Methanher-
stellung, kein Wasserstoff) und zentrale und dezen- 3.6.2.6 BMU-Studie »Flexibilitäts- und
trale Wärmespeicher – teilweise in Wärmenetzen – Speicheroptionen«
zum Einsatz. Die Ergebnisse für Speicher mit einer zz Hintergrund, Methodik und Annahmen
Verbindung zum Stromsektor sind in .  Tab.  3.14 Die Auswirkungen verschiedener Flexibilitäts-
zusammengefasst. optionen auf den Speicherbedarf werden in einer
Bei den Ergebnissen zu Batterien und Power- weiteren Studie des BMU »Systematischer Ver-
to-Gas kommt die Studie zu ähnlichen Schlüssen gleich von Flexibilitäts- und Speicheroptionen im
3.6 • Gegenüberstellung und Einordnung der Ergebnisse
111 3

. Tab. 3.14  Speicherbedarf im Klimaschutzszenario für alle Sektoren (Strom, Wärme, Verkehr und Industrie) und
drei Szenarien zur 100 %igen Reduktion der CO2-Emissionen im Strom- und Wärmesektor des Fraunhofer ISE Freiburg.
An Mikro-KWK, Elektro- und Gaswärmepumpen sind kleine Pufferspeicher (Wärmespeicher) angeschlossen. (Quelle:
[12, 18,19])

Klimaschutz- Szenarien zur 100 %igen Reduktion der CO2-


szenario (85 % Emissionen im Strom- und Wärmesektor
CO2-Reduktion)
Szenario RetrofitMax Medium REMax

Kurzzeitspeicher

Batteriespeicher in TWh 0,078 0,068 0,055 0,052

Pumpspeicher in TWh 0,060 0,060 0,060 0,060

Langzeitspeicher

Einspeichereinheit Power-to-Gas (Elektrolyse- 61 48 64 87


leistung und Methanisierung) in GW

Gasspeicher-kapazität in TWh 12 66 62 78

Ausspeichereinheit GuD-Kraftwerke und Gas- 39 68 71 74


turbinen in GW

Ausspeichereinheit zentrale KWK in GW 25 17 13 13

Ausspeichereinheit Mikro-KWK in GW 0 0,03 0,04 0,05

Ausspeichereinheit Gaswärmepumpe 29 0 48 103


(100 %-Szenarien) bzw. Gasbrennwertkessel
(Klimaschutzszenario) in GW (thermische
Leistung)

Zentraler Wärmespeicher in Mio. m3 25 91 68 49

deutschen Stromsystem zur Integration von Er- 55 D er Bedarf an Backup-Kraftwerken sinkt


neuerbaren Energien und Analyse entsprechender selbst in einem 100 %-Szenario nur auf 65 GW
Rahmenbedingungen (Flexibilitätsoptionen)« und ab (analog zur VDE-ETG-Studie).
vom Öko-Institut und der Firma energynautics 55 Die echten Überschüsse aus erneuerbaren
untersucht (s. [2]). Energien (keine systembedingten Überschüsse
Darin wird ein steigender erneuerbarer Anteil durch Must-run o. Ä.) sind im 40 %-Szena-
von 40–100 % in den Szenariojahren 2020, 2030 rio verschwindend gering und erst ab einem
und 2050 über ein Strommarktmodell (PowerFlex) erneuerbaren Anteil von 60 % relevant und
und ein europäisches Netzmodell abgebildet. Als exponentiell steigend (analog zu den BMU-
Ergebnis sollen Flexibilitäts- und Speicheroptionen Langfristszenarien).
hinsichtlich ihrer Kosten und Potenziale zur Treib- 55 Beim erneuerbaren Anteil von 60 % treten
hausgassenkung und zur Integrationsfähigkeit er- Stromüberschüsse (ohne Einsatz von Flexi-
neuerbarer Energien bewertet werden. bilitäten) von ca. 6 TWh und Defizite von ca.
5 TWh auf.
zz Ergebnisse zum Flexibilitätsbedarf und zu 55 Im 100 %-Szenario entstehen Stromüberschüs-
Stromüberschüssen se (ohne Einsatz von Flexibilitäten) in der
Erste Ergebnisse der Studie über eine Auswertung Größenordnung von 80 TWh und Defizite von
der Residuallasten sind zum Flexibilitäts- und Spei- ca. 75 TWh.
cherbedarf vorhanden:
112 Kapitel 3 • Speicherbedarf in der Stromversorgung

3.6.2.7 Agora-Studie »Stromspeicher in 55 Zusätzliche Stromspeicher verstetigen


der Energiewende« und den Grundlastanteil in der Residuallast,
BMU-Studie »Roadmap Speicher« welcher bei den unterstellten Emissionszer-
Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Buches be- tifikatspreisen (27-45 €/t CO2) die Strom-
finden sich weitere Studien zum Speicherbedarf in erzeugung aus (Braun-)Kohlekraftwerken
Arbeit, an denen u. a. auch die Buchautoren betei- zu entsprechenden Lasten der Erzeugung
3 ligt sind. Zwei wesentliche Studien sind aus Gaskraftwerken leicht erhöhen kann.
55 Agora Energiewende Studie »Stromspeicher In den betrachteten Szenarien integrieren
für die Energiewende« durch FENES OTH Stromspeicher, die am Strommarkt agieren,
Regensburg, IAEW und ISEA RWTH Aachen mittelfristig nur sehr geringe zusätzliche
und ef.Ruhr (TU Dortmund). Mengen an erneuerbarer Stromerzeugung.
55 BMU-Verbundprojekt »Roadmap Speicher – 55 Erkenntnisse zum langfristigen Stromspeicher-
Speicherbedarf – Speicheralternativen – Spei- bedarf auf Übertragungsnetzebene (Szenario
cheranreiz – Überwindung rechtlicher Hemm- mit 90 % erneuerbarer Anteil in Deutschland
nisse« durch Fraunhofer IWES, IAEW RWTH und 60 % in Europa)
Aachen und die Forschungsstelle UmweltEner- 55 Stromspeicher senken langfristig die Sys-
gieRecht e. V. temgesamtkosten immer dann, wenn sich
die Speicherkosten günstig entwickeln,
Darin werden die verbleibenden Schwachstellen selbst in dem unterstellten System mit vie-
der anderen Studien zum Speicherbedarf (Spei- len anderen Flexibilitäten und den entspre-
cherbedarf durch Systemdienstleistungen, Spei- chenden erneuerbaren Anteilen.
cherbedarf im Verteilernetz, Speicherbedarf im 55 Kurzzeitspeicher sind der Konkurrenz
Kontext aller Energiesektoren und Flexibilitätsop- anderer Flexibilitätsoptionen stärker ausge-
tionen) aufgegriffen. setzt als Langzeitspeicher. Langzeitspeicher
können langfristig die Systemkosten redu-
Ergebnisse der Agora-Studie  Wesentliche Erkennt- zieren, selbst bei ungünstiger Entwicklung
nisse aus der Agora-Studie »Stromspeicher in der der Speicherkosten.
Energiewende« sind: 55 Erkenntnisse zum Stromspeicherbedarf auf
55 Erkenntnisse zum mittelfristigen Strom- Verteilnetzebene
speicherbedarf auf Übertragungsnetzebene 55 Auf der Niederspannungsebene des Ver-
(Szenarien für 2023 - 2033 mit 43-60 % erneu- teilnetzes kann ein Speichereinsatz in ein-
erbarer Anteil in Deutschland und 23-40 % in zelnen Fällen Netzausbau vermeiden bzw.
Europa) verzögern und damit Kosten einsparen.
55 Aus Sicht des Strommarktes zeigt sich mit- 55 Nur bei netzdienlichem Einsatz können
telfristig kein zwingender Bedarf für zu- Speicher Netzausbau vermeiden. Bei einem
sätzliche Speicher, solange das europäische durch die Strommärkte bestimmten Einsatz
Übertragungsnetz zumindest verzögert können sie in speziellen Situationen sogar
ausgebaut und andere Flexibilitätsoptionen Netzausbau im Verteilnetz verursachen.
innerhalb der europäischen Marktgebiete 55 Erkenntnisse zum Stromspeicherbedarf für
zumindest verzögert aktiviert werden. Systemdienstleistungen
55 In den 2030er Jahren kann ein geringer 55 Batteriespeicher sind technisch besonders
Ausbau an Langzeitspeichern (ca. 3 GW) gut zur Bereitstellung von Primärregel-
gesamtwirtschaftlich sinnvoll werden, wenn leistung geeignet. Bei zukünftig sinkenden
das europäische Übertragungsnetz nur ver- Batteriepreisen kann eine Primärregel-
zögert ausgebaut, andere Flexibilitätsoptio- leistungserbringung durch Batteriespeicher
nen nur verzögert aktiviert und Speicher- gesamtwirtschaftlich sinnvoll sein.
kosten sich günstig entwickeln werden.
3.7 • Zusammenfassung
113 3
55 Energiespeicher können zusätzlich System- verwendet werden. Um den Nutzen der
dienstleistungen anbieten und damit ihre Energiespeicher vollständig realisieren zu
Wirtschaftlichkeit verbessern. können, ist eine begleitende Forschung und
55 Stromspeicher können konventionelle Entwicklung zu ihrer Integration sowie ihre
Kraftwerke ersetzen und zur gesicherten Normung und Standardisierung notwendig.
Leistung beitragen. 55 Wie bei allen Flexibilitätsoptionen ist es
55 Erkenntnisse zu Märkten für Batteriespeicher auch bei Energiespeichern sinnvoll, dass es
und Power-to-Gas außerhalb des Strommarkts durch diese Anwendungen nicht zu einer
55 Batteriespeicher in dezentralen Anwen- Erhöhung der CO2-Emissionen durch ver-
dungen werden sich unabhängig vom stärkte Nutzung von Strom aus fossilen
Strommarkt entwickeln und langfristig in Kraftwerken kommt. Dies ist besonders
Deutschland sowie international etablieren. für Elektromobilität und Stromkraftstoffe
Neue errichtete PV-Anlagen, in der Förde- elementar, die zur CO2-Minderung im Ver-
rung auslaufende bestehende Photovoltaik- kehrssektor beitragen können.
anlagen und die Elektromobilität sind hier- 55 Die Entwicklung und Umsetzung von
bei die entscheidenden Märkte. Flexibilitätsoptionen wird nicht rein nach
55 Der nicht zu elektrifizierende Teil der Mo- wirtschaftlichen Kriterien erfolgen. Ein
bilität und chemischen Industrie ist der breites Spektrum an Flexibilitätsoptionen
Leitmarkt für Power-to-X in Form von kann den Ausfall von kostengünstigen Op-
Stromkraftstoffen und stromgenerierten tionen aufgrund fehlender gesellschaftlicher
Grundstoffen, da dort wenige Alternativen Akzeptanz kompensieren.
auf Basis erneuerbarer Energien vorhanden
sind und die Erlöse für die gespeicherte
Energie in diesen Märkte höher sind als im 3.7 Zusammenfassung
Strommarkt.
55 Die Märkte für Energiespeicher außerhalb Zum Abschluss dieses Kapitels werden in . Abb. 3.37
des Stromsektors führen zu einem Anstieg die Ergebnisse der zehn betrachteten Studien zu den
des Strombedarfs und einer höheren ver- Stromüberschüssen zusammengeführt und die Er-
fügbaren Flexibilität im Stromerzeugungs- kenntnisse als Fazit verdichtet.
system. Diese Speichersysteme können über
ihren eigentlichen Nutzen hinaus zusätzlich Speicherbedarf – allgemein
Dienstleistungen am Strommarkt zu gerin- 55 Der Speicherbedarf sind die Überschüsse bei
gen marginalen Kosten anbieten. Überdeckung und Defizite bei Unterdeckung
55 Ausgewählte Handlungsempfehlungen und von Residuallast (Verbrauch – erneuerbare
Ausblick Einspeisung) nach Abwägung aller vorrangi-
55 Mit erneuerbaren Anteilen an der Strom- gen Flexibilitätsoptionen. Der Flexibilitätsbe-
erzeugung über 90 % in Deutschland und darf ist damit größer als der Speicherbedarf.
über 60 % Europa werden mehr Energie- 55 D
ie Flexibilitäten Netzausbau in Deutschland,
speicher zur Dekarbonisierung in allen Im- und Export, flexible Kraftwerke und KWK
Märkten und Sektoren erforderlich. Um zu und Lastmanagement haben den größten
diesem Zeitpunkt Speicher am Markt zur Einfluss auf den Speicherbedarf.
Verfügung zu haben, sind in den Jahren 55 Die Aufgabe des Stromnetzes ist der räum-
zuvor eine Technologie- & Marktentwick- liche Ausgleich von Überschüssen und De-
lung sowie eine Kommerzialisierung zur fiziten. Für einen zeitlichen Ausgleich sorgen
Kostendegression notwendig. Für die Fi- Speicher. Daher ist eine Konkurrenz von
nanzierung von entsprechenden Program- Speichern und Stromnetz weitgehend ausge-
men können auch weiterhin Einnahmen schlossen.
aus einem Handel mit CO2-Zertifikaten
114 Kapitel 3 • Speicherbedarf in der Stromversorgung

100 BMU »Flexibilitäts- und Speicheroptionen«


BMU »Langfristszenarien«
DIW »Stromspeicher als zentrales Element der Integration von Strom aus erneuerbaren Energien«
ISE »Energiesystem Deutschland 2050«
NOW »Integration von Wind-Wasserstoff-Systemen in das Energiesystem”
Stromüberschuss in Deutschland in TWh

80 SRU »Wege zur 100 % erneuerbaren Stromversorgung«


UBA »Energieziel 2050: 100% Strom aus erneuerbaren Quellen«
3 VDE »Energiespeicher für die Energiewende«
Mittelwerte

60
10 % der Bruttostromerzeugung (2012)

40

20
Abregelung EE- und KWK-Strom
2009:74 GWh
2010:127 GWh
2011:421GWh
2012:385 GWh

Erneuerbare Anteil 40 % 63 % 80-85 % 100 %


Jahr 2020 2030 2050 nach 2050

. Abb. 3.37  Abschätzung der Stromüberschüsse (Flexibilitäts- und Speicherbedarf ) in Deutschland bis 2050. (Quelle: nach
[25], Datenbasis aus [2, 7, 8, 11, 12, 16, 18, 19, 21, 23, 27, 28, 30])

55 Die meisten Überschüsse sind heute netzba- 55 B atteriespeicher sind technisch sehr gut zur
siert. Nach dem Ausbau der Stromnetze und Bereitstellung von Primärregelleistung ge-
der Beseitigung der Engpässe sind sie kaum eignet. Eine Primärregelleistungserbringung
noch vorhanden. Ein neuer, marktbasierter durch Batteriespeicher kann bei günstigen
Speicherbedarf ergibt sich bei Netzausbau Batteriepreisen gesamtwirtschaftlich sinnvoll
und Flexibilisierung von Kraftwerken und sein.
KWK erst ab einem erneuerbaren Anteil von 55 Wärmespeicher werden in zunehmendem
60–80 %, bei weitreichendem Ausbau der Umfang für die Flexibilisierung der KWK und
Kuppelstellen für den Im- und Export erst ab der Speicherung von Strom im Wärmesektor
80–95 % erneuerbarer Energien. über Power-to-Heat und Elektrowärmepum-
55 Um zu diesem Zeitpunkt Speicher am Markt pen benötigt.
zur Verfügung zu haben, sind in den Jahren 55 Für die Speicher von netzbasierten Über-
zuvor eine Technologie- und Marktentwick- schüssen ist der Standort entscheidend: Vor-
lung sowie eine Kommerzialisierung der Spei- teilhafte Standorte sind Regionen mit hoher
cher notwendig. Windeinspeisung wie Nord- und Ostdeutsch-
55 W erden die skandinavischen Wasserkraftka- land, an denen auch hohe Volllaststunden
pazitäten für Deutschland erschlossen, verrin- erzielt werden können. In anderen Regionen
gert sich der Speicherbedarf in Deutschland kann ein marktbasierter Speichereinsatz sogar
drastisch. Dafür sind jedoch der Umbau der zusätzliche Netzengpässe verursachen. Die
Speicherwasserkraft zu Pumpspeichern und Folge sind netzbedingte Abschaltungen der
ein Netzausbau in Skandinavien notwendig. Energiespeicher mit negativen Konsequenzen
für ihre Wirtschaftlichkeit.
3.7 • Zusammenfassung
115 3
55 A
ussagen zum zukünftigen Speicherbedarf tigung von Graustrom und damit höheren
können nicht anhand einzelner Wetterjahre CO2-Emissionen des Gesamtsystems.
abgeleitet werden, sondern brauchen für eine
gewisse Robustheit die Berücksichtigung Speicherbedarf – ca. 80 % erneuerbarer Anteil
mehrerer Jahre. 55 A b einem erneuerbaren Anteil von 80 % wer-
55 Speicher können unabhängig vom Strommarkt den sowohl Kurz- als auch Langzeitspeicher
Systemdienstleistungen anbieten und und zum Vermeiden von massiver erneuerbarer
damit ihre Wirtschaftlichkeit verbessern. Abregelung und damit zum Erreichen der
Klimaschutzziele notwendig. Ihr Einsatz ist im
Speicherbedarf – ca. 40 % erneuerbarer Anteil einstelligen GW-Bereich wirtschaftlich.
55 B ereits ab einem Anteil von 40 % können er- 55 Kurz- und Langzeitspeicher mindern durch
neuerbare Energien bei voller Kraftwerksfle- Aufnahme erneuerbarer Energien und den
xibilität und Netzausbau zeitweise den Strom- Ersatz fossiler Brennstoffe die CO2-Emissionen
bedarf zu 100 % decken. Bleibt ein größerer im Stromsektor.
Sockel an Mindesterzeugung und wärme-
geführter, starrer fossiler und biogener KWK Speicherbedarf – 100 % erneuerbarer Anteil
(Must-run) in einem unflexiblen System er- 55 E nergiespeicher sind in einer Vollversorgung
halten, ergeben sich erhebliche Überschüsse. von elementarer Bedeutung für die Versor-
55 Kurzfristig sind die Flexibilisierung des ther- gungssicherheit (v. a. gesicherte Leistung).
mischen Kraftwerksparks samt KWK, der 55 Z
wischen 80 und 100 % erhöht sich der Spei-
Netzausbau und das Lastmanagement ökono- cherbedarf um Faktor 2–4. Vor allem Lang-
misch die attraktivsten Flexibilitätsoptionen. zeitspeicher werden verstärkt ausgebaut. Die
Werden sie umgesetzt, ist kein zusätzlicher Energiespeicherung hat einen Anteil an den
Speicherbedarf bei einem erneuerbaren An- Stromgestehungskosten von ca. 20–30 %.
teil von 40 % zu erwarten. 55 Trotz massiver Überinstallationen von Wind
55 Zusätzliche Speicher dienen zu diesem Zeit- und PV verringert sich der Bedarf an Back-
punkt weniger der Integration erneuerbarer up-Leistung (Ausspeicherleistung der Lang-
Energien als vielmehr der Einsatzoptimierung zeitspeicher: Gaskraftwerke) im Vergleich zu
fossiler Kraftwerke mit der Konsequenz stei- heute kaum (60–70 GW oder ca. 80 % der
gender CO2-Emissionen. Nachteilig ist ferner Jahreshöchstleistung).
ihr kostentreibender Effekt auf den Strompreis. 55 Die heute vorhandene Gasspeicherkapazität
55 I m Verteilnetz kann ein Speichereinsatz in reicht in allen Studien für den Langzeitspei-
speziellen Fällen Netzausbau vermeiden und cherbedarf über Power-to-Gas bei Weitem aus
damit Kosten einsparen. und wird maximal zu 30–40 % genutzt.

Speicherbedarf – ca. 60 % erneuerbarer Anteil Speichereinsatz in der Transformation der Ener-
55 E rste signifikante marktbasierte Stromüber- giesysteme
schüsse für Kurzzeitspeicher treten bei einem 55 S trom wird zur Primärenergie und für die
geplanten Netzausbau zwischen 40 und 60 %, Sektoren Wärme und Verkehr verstärkt eine
für Langzeitspeicher zwischen 60 und 80 % Rolle als Energiequelle spielen.
erneuerbarer Energien auf. In inflexiblen 55 E
ine Flexibilisierung des Stromsystems ist
Systemen mit starren Kraftwerken und KWK notwendig zur Integration erneuerbarer
ohne Netzausbau treten die Überschüsse be- Energien.
reits ab 30–40 % auf. 55 Stromspeicher können konventionelle Kraft-
55 Speicher integrieren ab diesen Anteilen werke ersetzen und zur gesicherten Leistung
auch signifikante Mengen an erneuerbaren beitragen.
Energien und führen nicht nur zur Verste-
116 Kapitel 3 • Speicherbedarf in der Stromversorgung

55 Der Strommix entscheidet über den ökologi- die Nutzung von Synergien im europäischen
schen Nutzen eines Speichers, die Rahmen- Binnenmarkt gegenüber.
bedingungen und der Einsatzbereich über 55 E
ine Vollversorgung mit erneuerbaren Ener-
seinen ökonomischen. gien ist technisch, ökologisch und ökono-
55 S olange die CO2-intensive Braunkohleverstro- misch möglich und sinnvoll. Die nachhaltigen
mung mit geringen Kosten im Stromsystem erneuerbaren Potenziale reichen dafür aus.
3 erhalten bleibt, verstetigen zusätzliche Flexi- Wind und PV werden zu den tragenden Säu-
bilitäten wie Speicher ihren Einsatz, was zu len und gleichen sich im Verhältnis von 60:40
höheren CO2-Emissionen führt. in ihren Schwankungen am besten aus.
55 D ie Residuallast (Verbrauch – erneuerbare Er- 55 Durch die Kopplung des Stromsektors mit
zeugung) wird mit zunehmenden erneuerba- Wärme, Kälte, Verkehr und chemischer
ren Anteilen immer volatiler, die Gradienten Industrie kann sektorenübergreifend die Pri-
steiler und die Überschüsse größer. märenergie Wind und PV in allen physikali-
55 D ie erste, kostengünstigste und effizienteste schen Formen gespeichert werden. In diesem
Maßnahme zur Integration von Speichern Fall ergeben sich höhere installierte Leistungen
ist die Integration des Wärmesektors in den für Wind, PV und Power-to-Gas. Der Wärme-
Stromsektor über Lastmanagement, Power-to- speicherbedarf aus dem Stromsektor heraus
Heat, Wärmepumpen, Wärmenetze und Wär- entscheidet sich an der Gebäudesanierungs-
mespeicher. rate und dem Einsatz von anderen Wärmeop-
55 Kurzzeitspeicher setzen sich vor Langzeitspei- tionen wie Wärmepumpen.
cher aufgrund höherer Effizienz und geringe-
ren Kosten, sind aber anders als Langzeitspei-
cher in ihrer Kapazität meist stark begrenzt. Literatur
Unter den Kurzzeitspeichern setzen sich bei
weiterer Kostendegression Batterieparks mit 1. Agora Energiewende (2013) Die Energiewende im
Stromsektor 2013: Erzeugung, Verbrauch, Erneuerbare
einer Ausspeicherdauer 1–4 h in Abgrenzung
Energien und CO2-Emissionen, Agora Energiewende,
zu Pumpspeichern mit Ausspeicherdauern Berlin
von 6–8 h durch. 2. Bauknecht D, Koch M, Tröster E et al (2013) Systemi-
55 Eine geringfügige Abregelung erneuerbarer scher Vergleich von Flexibilitäts- und Speicheroptio-
Energien (z. B. 1 %) ist technisch-ökonomisch nen im deutschen Energiesystem zur Integration der
erneuerbaren Energien und Analyse entsprechender
sinnvoll, da die auszulegende Speicherleis-
Rahmenbedingungen. Vortrag zur Fachtagung “Aktuelle
tung um 30–40 % reduziert wird und damit Vorhaben zum Klimaschutz und zur Umsetzung der
große Kosten eingespart werden können. Bei Energiewende” am 13. und 14. Juni 2013 in Berlin, Öko-
uneingeschränkter Abregelung entsteht zwar Institut e. V., energynautics, Berlin
kein Speicherbedarf, gleichzeitig können die 3. BMU (2012) Erneuerbare Energien in Zahlen. Nationale
und internationale Entwicklung, [Stand: Juli 2012].
erneuerbaren Anteile nicht gehalten werden.
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Re-
Daher ist eine Kombination von geringfügiger aktorsicherheit, Berlin
Abregelung und Energiespeicherung emp- 4. BNetzA (2013) Genehmigung des Szenariorahmens zum
fehlenswert. NEP/O-NEP 2014, Bundesnetzagentur, Bonn
55 Die Energiespeicherung über Power-to-Gas 5. Bofinger S, Callies D, Scheibe M et al (2011) Potenziale
der Windenergienutzung an Land, Fraunhofer IWES,
hat den Vorteil, dass die Energie nicht nur
Kassel
gespeichert, sondern über das Gasnetz auch 6. Bömer J, Döring M, Beestermöller C (2013) Abschätzung
transportiert werden kann. Damit ergänzen der Bedeutung des Einspeisemanagements Abschät-
sie den Ausbau des Stromnetzes. zung der Bedeutung des Einspeisemanagements nach
55 Dem Aufbau einer nationalen Versorgungs- § 11 EEG und § 13 Abs.2 EnWG Download Abschätzung
der Bedeutung des Einspeisemanagements nach § 11
sicherheit über Erzeugungs- und Speicherein-
EEG § 13 Abs.2 EnWG. Auswirkungen auf die Windener-
heiten steht der kostengünstigere Ausbau von gieerzeugung in den Jahren 2010 und 2011, Berlin
europaweiten Übertragungskapazitäten und
Literatur
117 3
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tion of Potentials and Locations for Power-to-Gas in 10.1016/j.rser.2013.11.032
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Conference Eurosolar, IAEW RWTH Aachen, Berlin schaftliche Bedeutung der Offshore-Windenergie für
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Energie, Markt, Wettbewerb 2012 (4) der Integration von Strom aus erneuerbaren Energien
9. DENA (2011) dena-Netzstudie II, Berlin (StoRES – Storage for Renewable Energy Sources)«.
10. FGH (2012) Studie zur Ermittlung der technischen Erste Ergebnisse im DIW Wochenbericht 34–2013, DIW –
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deutschen Übertragungsnetzen bei hoher Einspei- szenarien für ein Energiekonzept der Bundesregierung
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energy system with a dominant contribution from rene-
wable energy technologies – Part II: Results. Renewable
119 4

Speicherbedarf in der
Wärmeversorgung
Übersicht
Im Gegensatz zum Stromsektor steht der Speicherbedarf in der Wärme- und
Kälteversorgung deutlich weniger im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit.
Das liegt daran, dass dieser Speicherbedarf meist bereits gedeckt ist und sich
in Zukunft nicht in dem Maße verändern wird wie im Stromsektor, wo eine
deutliche Verschiebung von der Primärenergiespeicherung hin zu Strom- und
Endenergiespeichern abzusehen ist.
Beiden Sektoren gemeinsam ist ein ausgeprägter Speicherbedarf. Fast jeder
Haushalt hat einen Wärmepuffer, so auch erneuerbare Heizsysteme wie Pelletheizun-
gen, Erdwärme- oder Solarwärmeanlagen. Einige Haushalte mit Flüssiggas- oder
Ölheizungen verfügen sogar über zwei Speicher: einen Kraftstoffspeicher und ein
Wärmepuffer. Ausnahmen sind die Heizsysteme mit vorgelagertem Speicher wie ein
Fernwärmenetz oder ein Gasspeicher. In Zukunft wird die gegenseitige Integration
von Strom- und Wärmesektor über die Kraft-Wärme-Kopplung, Wärmepumpen,
Power-to-Heat und Power-to-Gas eine große Rolle bei der Nutzung erneuerbarer
Energien spielen und einen Paradigmenwechsel anstoßen.
Die Entwicklung der Wärmeversorgung in Deutschland und der damit
verbundene Bedarf an Wärmespeichern werden exemplarisch anhand
verschiedener Studien dargestellt. Eine Abschätzung zu Überschüssen und
Speicherpotenzialen runden das Kapitel ab. Der Kältebedarf wird an dieser
Stelle als »Prozesskälte« unter »Prozesswärme« und »Raumkälte« über
»Raumwärme« mitgeführt und ist vorwiegend im Strombedarf integriert.

M. Sterner, I. Stadler, Energiespeicher – Bedarf, Technologien, Integration,


DOI 10.1007/978-3-642-37380-0_4, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
120 Kapitel 4 • Speicherbedarf in der Wärmeversorgung

4.1 Grundlagen und Ziele 55 bis zum Jahr 2050 der Gebäudebestand klima-
neutral sein.
zz Grundlagen der Betrachtungen
Zur Betrachtung des Beitrags, den erneuerba-
re Energien in der Wärmeversorgung und beim 4.2 Entwicklung des Wärmebedarfs
Speicherbedarf leisten, wird analog zu  7  Kap. 3 auf
die Langfristszenarien des Bundesumweltministe- In Deutschland betrug der Wärme- und Kältebe-
riums (s. [7]) und auf ein Energieszenario für alle darf im Jahr 2010 etwa 1430 TWh, was im Vergleich
4 Sektoren des Fraunhofer ISE zurückgegriffen. Letz- zum Strom- und Verkehrssektor den größten sek-
teres stellt in stündlicher Auflösung und unter Be- toralen Bedarf darstellt (s. 7 Abschn. 3.2).
rücksichtigung der Klimaschutzvorgaben ein mög- Die Wärmenachfrage lässt sich grundsätzlich in
liches Zielsystem dar (s. [5, 8, 9]. Darüber hinaus drei verschiedene Anwendungsgebiete unterteilen:
werden weitere Studien zur Analyse hinzugezogen, 55 Raumwärme
u. a. des Fraunhofer IWES. 55 Warmwasser
Zunächst werden die Langfristszenarien in 55 Prozesswärme.
den  7  Abschn.  4.1 bis  7  Abschn.  4.3 behandelt. In
der Studie werden unterschiedliche Szenarien Im Bereich der Raumwärme ist durch Effizienzmaß-
im Hinblick auf die Ziele der Bundesregierung nahmen mit dem stärksten Rückgang des Wärme-
untersucht. Die vorgestellten Ergebnisse stammen bedarfs zu rechnen: Zum einen wird der mittlere
aus dem Szenario  2011  A. Hierin spiegelt sich der Energiebedarf in Neubauten unter 40 kWh m−2 a−1
Transformationsprozess der Energieversorgung in und damit deutlich unter dem heutigen Durch-
Deutschland mit einer Reduktion der Treibhaus- schnitt von etwa 150 kWh m−2 a−1 liegen. Zum ande-
gasemission gegenüber 1990 um 80 % bis 2050. ren führt eine bessere Dämmung zur konsequenten
weiteren Senkung des Wärmebedarfs im Gebäude-
zz Ziele im Wärmesektor bestand.
Für den Wärmesektor hat die Bundesregierung fol- Der Warmwasserbedarf kann hingegen nur zu
gende wesentliche und prägende Ziele beschlossen: etwa 25 % gesenkt werden, da sich die Nutzenergie
55 Reduktion des Wärmebedarfs bis 2020 um für die Warmwassernutzung auch in Zukunft nicht
20 % gegenüber 2008 ändern wird. Die Effizienzgewinne kommen hier
55 Reduktion des Primärenergiebedarfs von Ge- aus einer effizienteren Erzeugung und Verteilung.
bäuden bis 2050 um 80 % gegenüber 2008 In der Prozesswärme verhält es sich ähnlich: Die
55 Steigerung des Anteils erneuerbarer Energien Nutzenergie bleibt auf ähnlichem Niveau wie heute,
am Endenergieverbrauch des Wärmesektors weshalb die Reduktion des Endenergiebedarfs auf
auf 14 % bis 2020 30 % beschränkt bleibt. In diesem Bereich sind be-
55 Steigerung des Anteils erneuerbarer Energien reits viele Effizienzmaßnahmen ausgeschöpft, wes-
am Bruttoendenergieverbrauch auf 18 % bis halb dort kein Rückgang wie bei der Raumwärme
2020, 30 % bis 2030, 45 % bis 2040 und 60 % zu erwarten ist (s. . Abb. 4.1).
bis 2050. Sektoral ist damit bis 2050 das größte Ein-
sparpotenzial an Wärme in Gewerbe, Handel und
Zusätzlich soll Dienstleistungen zu erwarten:
55 die Kraft-Wärme-Kopplung verstärkt gefördert 55 Gewerbe/ Handel/ Dienstleistung: minus 67 %
werden, 55 Haushalte: minus 47 %
55 der Wärmebedarf in Neubauten durch die 55 Industrie: minus 27 %
schrittweise Umsetzung eines Niedrigstener-
giegebäudestandards reduziert werden, Insgesamt kann damit der Wärmebedarf in
55 in Altbauten durch die Umsetzung eines Sa- Deutschland um 45 % auf rund 780 TWh in 2050
nierungsfahrplans die Sanierungsrate von 1 % gesenkt werden.
auf 2 % pro Jahr gesteigert werden und
4.3 • Entwicklung des Wärmemix
121 4
1500

1250
Industire - RW
Industire - WW
Endenergie in TWh / a

1000 Industire - PW
GHD - RW
750 GHD - WW
GHD - PW
Haushalte - RW
500 Haushalte - WW
Haushalte - PW

250

0
2010 2020 2030 2040 2050
Jahr

. Abb. 4.1  Entwicklung des Wärmebedarfs (Endenergie) von 2005 bis 2050 in den Sektoren Haushalte, Industrie und GHD
(Gewerbe, Handel und Dienstleistung). (Quelle: [7])

4.3 Entwicklung des Wärmemix tig kann dafür erneuerbares Methan als Erdgas-
Substitut aus Power-to-Gas-Anlagen zum Einsatz
4.3.1 Fossile Wärmebereitstellung kommen.
Der Anteil von direkten Erdöl- und Kohle-
Basiert die Wärmeversorgung heute fast aus- heizungen verschwindet nahezu, wobei der relativ
schließlich auf fossilen Energieträgern, ändert sich CO2-arme fossile Energieträger Erdgas auch in Zu-
dies im Szenario hin zu einem Mix aus fossilen und kunft verwendet wird. Die Gasinfrastruktur ist mit
erneuerbaren Energien (s. . Abb. 4.2). erneuerbaren Energien kompatibel und damit zu-
Der fossile Anteil im Wärmemix bleibt auch kunftsfähig: Kurzfristig kann Biogas über die glei-
zukünftig hoch, da die Nah- und Fernwärmever- chen Wege und Technologien genutzt und langfris-
sorgung durch die Kraft-Wärme-Kopplung wei- tig fossiles Gas auch über Power-to-Gas erneuerbar
terhin vorwiegend auf fossilen Energieträgern be- erzeugt werden.
ruht und die Prozesswärme nicht gänzlich durch
erneuerbare Energien gedeckt werden kann. Die
technisch möglichen Temperaturniveaus von So- 4.3.2 Erneuerbare
larthermie, Erdwärme und KWK-Abwärme rei- Wärmebereitstellung
chen dafür oft nicht aus, in einigen Fällen ist die
direkte Wärmebereitstellung über erneuerbaren Der absolute Anteil erneuerbarer Energien an
Strom möglich, mit dem auch höchste Tempera- der Wärmebereitstellung verdreifacht sich von
turniveaus abgedeckt werden können. Da aber die heute mit 136  TWh/a auf 366  TWh/a im Jahre
Industrie weiterhin auf hohe Temperaturen an- 2050. Der relative Anteil steigt aufgrund des ge-
gewiesen ist, bleibt der Verbrauch von Erdgas für ringeren gesamten Endenergiebedarfs von rund
die Prozesswärmebereitstellung bis 2050 in einer 780  TWh um das Fünffache von heute ca.  11 %
ähnlichen Größenordnung wie heute. Langfris- auf ca. 50 % an.
122 Kapitel 4 • Speicherbedarf in der Wärmeversorgung

1500

Strom (direkt)
Endenergieverbrauch für Wärme in TWh / a

1250 Strom (Wärmepumpe)


Heizöl (direkt)
Kohle (direkt)
1000 Erdgas (direkt)
Fern-/Nahwärme (fossil)
750 Industrielle KWK (fossil)

4 Biomasse (individuell)
Biomasse (Nahwärme)
500 Solarthermie (Nahwärme)
Solarthermie (individuell)
tiefe Geothermie (Nahwärme)
250
Umweltwärme (Wärmepumpe)

0
2010 2020 2030 2040 2050
Jahr

. Abb. 4.2  Endenergie für Wärme inklusive strombasierter Wärmebereitstellung (Wärmepumpen, Nachtspeicherheizun-
gen). (Quelle: [7])

Die Biomasse ist analog zu vielen anderen Län- Bis 2030 dominieren in der Wärmeversorgung
dern nach wie vor die größte genutzte erneuerba- noch Einzelanlagen bis ein ausreichender Ausbau
re Energiequelle. Die nachwachsenden Rohstoffe an Nah- oder Fernwärmenetzen zur Nutzung aller
spielen vor allem in der individuellen Heizung Formen erneuerbarer Wärmebereitstellung erfolgt
und in Energiekommunen eine große Rolle. Vor- ist. Diese netzgebundenen Anlagen sollten lang-
wiegend Holzheizungen (Pellet, Hackschnitzel, fristig die Anzahl der Einzelanlagen überholen, wie
Stückholz) sind tragend in der erneuerbaren Wär- es auch in der Stromversorgung üblich ist. Da aber
meversorgung und haben durch eine verbessere technische oder preisliche Entwicklungen schwer
Waldnutzung und Waldpflege vor allem durch vorherzusagen sind, kann sich der Anteil von Solar-
Naturverjüngung noch ein deutliches Steigerungs- kollektoren, Wärmepumpen und biomassebasier-
potenzial (s.  7  Abschn. 13.2). Daneben soll zukünf- ten KWK-Anlagen anders ausbilden als prognos-
tig der Beitrag von Biogas und biogenen Abfällen tiziert.
in der KWK erhöht werden. Im Szenario wurde Ein weiterer Faktor, der ab 2020 berücksichtigt
ein starker Ausbau an Solarkollektoren unterstellt, werden muss, ist der Ersatz von ineffizienten Altan-
welcher mittlerweile von der Photovoltaik überholt lagen, was vor allem kleine Biomasseheizungen be-
wird. Solarthermie und Photovoltaik ergänzen sich trifft. Bis dahin spielen primär der Einbau von neu-
prinzipiell in der Wärmeversorgung. Während für en Anlagen bei Neubauten auf Basis erneuerbarer
die primäre Wärmebereitstellung solarthermische Energien und der Ersatz von fossilen Brennstoffen
Anlagen in Verbindung mit Wärmespeichern das die tragende Rolle bei der Dekarbonisierung des
Gros des Wärmebedarfs decken können, können Wärmesektors.
als Ergänzung Stromüberschüsse aus Photovoltaik-
anlagen über Heizstäbe und Elektrowärmepumpen
auch Wärme in die vorhandenen Wärmespeicher 4.3.3 Beispiel Raumwärme
eintragen. Eine Brücke vom Strom- in den Wärme-
sektor zeichnet sich also vielfach ab, vor allem beim Das Zusammenspiel von Steigerung der Energie-
Einsatz von KWK und Wärmepumpen, die an Be- effizienz und Anteil erneuerbarer Energien wird
deutung gewinnen werden. sehr schön an der Entwicklung der Raumwärme
4.4 • Paradigmenwechsel im Wärmesektor
123 4
875
Endenergieverbrauch für Raumwärme in TWh / a

750

625
Strom (direkt & Wärmepumpen)
Heizöl (direkt)
500 Kohle (direkt)
Erdgas (direkt)
Fern -/Nahwärme (fossil)
375
Biomasse (individuell)
Biomasse (Nahwärme)
250 Solarthermie (Nahwärme)
Solarthermie (Einzelanlagen)
Geothermie / Umweltwärme
125

0
2010 2020 2030 2040 2050
Jahr

. Abb. 4.3  Entwicklung der Raumwärme 2009–2050. (Quelle: [7])

deutlich: Eine großflächige Sanierung des Gebäu- gen, Biomasseheizungen und Wärmepumpen oder
debestands und die hohen Anforderungen an Neu- netzgebundene Anlagen, insbesondere Biomasse-,
bauten heben die Effizienzpotenziale und sparen Geothermie- oder Solarthermieanlagen.
über 50 % des Raumwärmebedarfs ein, während
erneuerbare Energien langfristig über 50 % des ver-
bleibenden Bedarfs decken können (s.  .  Abb. 4.3). 4.4.1 Beispiel Wandel Erdöl – Erdgas
Über diese Maßnahmen ist eine Dekarbonisierung – erneuerbare Energien
des Wärmesektors möglich.
Beispielhaft für den Wechsel der Wärmeenergie-
träger ist die Entwicklung von Kohle, Erdöl und
4.4 Paradigmenwechsel im Erdgas im letzten Jahrhundert. Wurde Anfang
Wärmesektor des 20.  Jahrhunderts vor allem im urbanen Be-
reich zunächst die Biomasse durch Kohle ersetzt,
Im Wärmesektor kommt es wie auch im Stromsek- folgte später aufgrund der günstigen Verfüg-
tor zu einem Paradigmenwechsel. Der Verbrauch barkeit Erdöl, welches dann in den 1960er- und
von fossilen Wärmeträgern wird bis 2050 stark 1970er-Jahren wiederum von Erdgas verdrängt
abnehmen und im Gegenzug wird der Anteil an wurde. Unternehmen der Heizungsbranche sind
erneuerbaren Energien stark zunehmen. Dies be- diesen Veränderungen gefolgt und stellen sich
ruht zum einen darauf, dass die Effizienz sowohl in auch auf einen zukünftigen Strukturwandel ein
privaten Haushalten durch Maßnahmen der ener- (s. . Abb. 4.4).
getischen Gebäudesanierung als auch in der Indus- In der Vergangenheit wurden immer nur ein-
trie durch einen effizienteren Einsatz für Prozesse zelne Energieträger zur Wärmeversorgung ver-
steigen wird. Zum anderen wird ein großer Teil der wendet: zunächst Holz, dann Kohle, gefolgt von Öl
fossilen Brennstoffe durch erneuerbare Energien und Gas. Heute und in Zukunft zeigt sich ein viel
ersetzt, seien es dezentrale Anlagen wie Solaranla- breiteres Spektrum an Energieträgern: neben den
124 Kapitel 4 • Speicherbedarf in der Wärmeversorgung

4
Erdöl Erdgas Solar Biomasse Power-to-Gas

1910 1920 1930 1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 2020 2030

. Abb. 4.4  Strukturwandel in der Wärmeversorgung am Beispiel der Viessmann-Gruppe. (Quelle: [10])

genannten noch Solarthermie, Geothermie, Biogas, überschüssiger Strom in Wärmenetzen und


Windgas, Solargas und alle Möglichkeiten der di- Wärmespeichern genutzt
rekten und indirekten Nutzung von erneuerbarem 55 Power-to-Gas: Strom wird in Form von Gas im
Strom über Power-to-Heat. Wärmesektor (vorwiegend Prozesswärme), in
Gaswärmepumpen und in der KWK eingesetzt.

4.4.2 Strom als Primärenergie Diese umfangreiche Verschmelzung der Sektoren


Strom und Wärme hat deutliche Auswirkungen auf
Weiter wird sich der Paradigmenwechsel des den Speicherbedarf im Stromsektor (s.  7  Kap.  3),
Stromsystems »Erneuerbarer Strom wird zur Pri- birgt enorme Potenziale zur Integration erneu-
märenergie« auch in Form der Kopplung zwischen erbarer Energien (s.  7  Abschn.  14.1) und ist eine
Strom- und Wärmesektor und auf die Nutzung volkswirtschaftlich sehr nahe liegende Option zur
entsprechender Speicher auswirken. Neben den Gestaltung der Energieversorgung (s.  7  Kap.  10
bereits etablierten Kopplungen und 7  Kap. 11). In den weiteren Abschnitten dieses
55 Elektroheizung: Strom wird für Prozesswärme Kapitels wird auf diese Paradigmenwechsel näher
genutzt eingegangen.
55 Speicheröfen: Strom wird für Raumwärme
genutzt Definition
55 Kraft-Wärme-Kopplung: Fossile Brennstoffe Power-to-Heat: Als Power-to-Heat wird ein Hyb-
werden effizienter in der gekoppelten Strom- ridsystem bezeichnet, das aus Strom direkt oder
und Wärmebereitstellung genutzt, indirekt Wärme erzeugt und über mindestens
einen Wärmeerzeuger auf Basis eines chemi-
kommen weitere neue Kopplungen hinzu: schen Energieträgers (Gas, Holz etc.) verfügt.
55 Elektrowärmepumpen: Strom wird zur effizi- Dabei kann grundsätzlich zwischen der direkten
enten Bereitstellung von Umweltwärme aus Nutzung über elektrische Widerstandsheizungen
der Luft, dem Erdboden oder aus Flüssigkeiten (Heizstäbe) und Elektroheizkessel und der in-
wie Wasser in Kombination mit Wärme- und direkten Nutzung durch (Groß-) Wärmepumpen
Kältespeichern genutzt unterschieden werden. Bei Nutzungsarten eröff-
55 Power-to-Heat: Teil einer Hybridheizung; nen in Kombination mit einem Wärmespeicher
über elektrische Widerstandsheizungen (»E- Potenziale, überschüssigen erneuerbaren Strom
Heizer«) oder (Groß-)Wärmepumpen wird zu speichern.
4.5 • Speicherbedarf in einem Klimazielszenario für das Energiesystem ...
125 4
4.5 Speicherbedarf in einem 55 Biogas
Klimazielszenario für das 55 Solarthermie
Energiesystem Deutschland im 55 Restbestand konventioneller Dampfkraft-
Jahr 2050 werke (Braun- und Steinkohle) (nicht
Gegenstand der Optimierung, sondern
Neben den Studien zum Speicherbedarf in einem Restbestand fix vorgegeben auf Basis der
rein erneuerbaren Stromsektor (7  Kap.  3) gibt es »Sterbelinie« der Kraftwerke)
die Studie »Energiesystem Deutschland 2050« des 55 Entladen der Gasspeicher
Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme, 55 Gas- und Dampfkraftwerke
in der neben dem Speicherbedarf im Stromsektor 55 zentrale Heizkraftwerke
auch der Speicherbedarf im Wärmesektor quanti- 55 dezentrale Blockheizkraftwerke (BHWK)
fiziert wird und in der sich der Paradigmenwechsel 55 Gas-Wärmepumpe
»Konvergenz Strom-Wärme« vollumfänglich um- 55 Gas-Brennwertkessel
setzt.
In den fortlaufend weiterentwickelten Untersu- zz Speicher
chungen werden Kosten und Größenordnung der 55 Batteriespeicher
installierten erneuerbaren Energietechnologien 55 Gasspeicher (Wasserstoff, natürliches und
ähnlich der UBA-Studie und der VDE-Speicher- synthetisches Methan)
studie aus  7  Kap.  3 für ein deutsches Energiesys- 55 Pumpspeicher (nicht Gegenstand der Opti-
tem mit einem dominierenden Anteil erneuerbarer mierung, sondern fix vorgegeben, da Potenzial
Energien im stündlichen Zeitraster anhand realer in Deutschland begrenzt)
Wetterdaten untersucht und daraus der Speicher- 55 zentrale Wärmespeicher
bedarf für Strom und Wärme abgeleitet (s. [5, 8, 9]). 55 dezentrale Wärmespeicher

zz Verbrauch
4.5.1 Szenariorahmen, Modell und 55 Strom
Annahmen 55 Niedertemperaturwärme (Raumwärme,
Warmwasser)
Das Modell REMod-D nimmt eine auf Kosten ba- 55 Brennstoffe für Prozess in Gewerbe und In-
sierende Systemoptimierung des gesamten deut- dustrie
schen Energiesystems mit besonderer Betrachtung 55 Verkehr
des Strom- und Wärmesystems für das Jahr 2050
vor, in dem als Ziel einerseits die Absenkung der Anders als bei den Studien zum Stromsektor fließen
gesamten energiebedingten CO2-Emissionen um in die ISE-Studie auch alle relevanten Parameter
85 % bezogen auf 1990 erfolgt und andererseits die zum Wärmesektor ein wie der Umfang der energe-
Gesamtkosten für alle Komponenten minimiert tischen Sanierung des Gebäudebestands oder Ka-
werden. Das Modell umfasst folgende Komponen- pazitäten von Wärmespeichern. In der Studie wur-
ten, deren Größe innerhalb der Optimierung er- den verschiedene Varianten gerechnet, wovon hier
mittelt wird. ein System dargestellt wird, mit dem die deutschen
Klimaschutzziele erreicht werden, jedoch immer
zz Erzeugung noch fossile Energieträger in kleinem Umfang Ver-
55 Erneuerbare Quellen wendung finden. Der Heizwärmeverbrauch des
55 Photovoltaik Gebäudebestands wird dabei durch Maßnahmen
55 Wind an Land der energetischen Gebäudesanierung um 60 % auf
55 Wind auf See 40 % des heutigen Wertes gesenkt.
55 Wasserkraft (nicht Gegenstand der Opti- Die installierte Leistung erneuerbarer Energie-
mierung, da Potenzial sehr begrenzt) anlagen erreicht bei Windenergieanlagen die an-
genommenen Potenzialgrenzen (150 GW an Land
126 Kapitel 4 • Speicherbedarf in der Wärmeversorgung

und 38 GW auf See) und erfordert eine hohe ins- aus Stromüberschüssen über Power-to-Heat und
tallierte Leistung von PV-Anlagen von 256 GW. Als mit 42  TWh/a aus zentralen KWK, großen, an
weiteres Ergebnis dominieren elektrische Wärme- Wärmenetze angeschlossenen Wärmepumpen
pumpen als Versorgungstechnik zur Bereitstellung oder zentralen Solarthermieanlagen. 40  TWh/a
von Niedertemperaturwärme. Dieses Ergebnis er- dienen über das Entladen der Speicher der De-
klärt sich daraus, dass Wärmepumpen einerseits ckung der Wärmelast, der Rest sind Speicher- und
eines der effizientesten Systeme zur Wärmebereit- Netzverluste.
stellung sind und dass sie zudem negative Regel-
4 leistung vorhalten, d. h. Stromüberschüsse zeitlich zz Dezentrale Wärmespeicher
flexibel aufnehmen können und sich daher sehr gut Elektrowärmepumpen und gasbefeuerte Anlagen
zur Verknüpfung der beiden Sektoren Strom und plus kleinere Solaranlagen in Verbindung mit de-
Wärme eignen. Dies gilt umso mehr, wenn Wär- zentralen Speichern dienen bei Gebäuden, die nicht
mepumpen in Verbindung mit Wärmespeichern über Wärmenetze versorgt werden, der Deckung
gefahren werden und dadurch ein stromgeführter der Wärmelast. Die Speicherung der Wärme ist
Betrieb ermöglicht wird (s. 7 Abschn. 14.1). hier essenziell, da die Elektrowärmepumpe Strom-
überschüsse aus erneuerbaren Energien ausgleicht
und deshalb nicht bedarfsorientiert gefahren wird,
4.5.2 Ergebnisse zum Speichereinsatz sondern soweit möglich angebotsorientiert – also
im Wärmebereich stromgeführt. Solarthermische Anlagen benötigen
von Grund auf einen Wärmespeicher. Gaswärme-
In dem ausgewählten Klimazielszenario mit pumpen oder Gasbrennwertkessel dagegen, die
einer Gesamtreduktion energiebedingter CO2- entweder mit Biogas, Windgas oder Solargas ge-
Emissionen um 85 % bezogen auf den Referenz- speist werden, können bedarfsgerecht eingesetzt
wert im Jahr 1990 sind die installierten Leistun- werden und speisen deshalb nicht in dezentrale
gen aus Wind und Photovoltaik so hoch, dass die Wärmespeicher ein.
Überschüsse für einen Betrieb von Power-to-Gas Analog zu zentralen Wärmespeichern nehmen
zur Gewinnung von erneuerbarem Gas ausreichen auch dezentrale Wärmespeicher über Power-to-
(s. 7 Kap. 8). Ferner werden Stromüberschüsse mit- Heat Stromüberschüsse auf. Insgesamt ergibt sich
hilfe von Lastmanagement über Power-to-Heat in so eine Einspeicherung in dezentrale Wärmespei-
den Wärmespeichern gespeichert. cher von 70 TWh pro Jahr, welche in der Ausspei-
Die ermittelten jährlichen Gesamtkosten cherung 53 TWh/a der Wärmelast decken. Die rest-
für dieses Energiesystem liegen im Bereich von liche Energie wird von den jeweiligen Heizungs-
180  Mrd.  € und liegen damit auf dem gleichen technologien und anteilig von Solarenergie direkt
Niveau wie die Kosten des heutigen, auf fossilen bereitgestellt.
Energieträgern basierenden Energiesystems mit
ca. 220 Mrd. €. .  Abb. 4.5 zeigt die Ergebnisse der zz Gasspeicher – Methanspeicher
Simulation des Klimazielszenarios für Erzeugung, Die dritte Speicherart, die in der Studie im Wär-
Speichereinsatz und Verbrauch. mesektor Anwendung findet, sind Methanspeicher.
Für den Speicherbedarf im Wärmesektor kann Neben der bereits heute schon existierenden Gas-
demnach zwischen großen zentralen Wärmespei- infrastruktur wird im Modell eine Speichergröße
chern, kleineren dezentralen Wärmespeichern für Methan aus Power-to-Gas-Anlagen berechnet.
und Gasspeichern für Methan unterschieden wer- Diese Gasspeicher werden sowohl für den Strom-
den. als auch für den Wärmesektor benötigt und mit
Windgas und Solargas gefüllt. In Summe werden
zz Zentrale Wärmespeicher pro Jahr 51  TWh aus Power-to-Gas-Anlagen ein-
Für zentrale Wärmespeicher wird ein Speichervo- gespeist, und hierfür wird eine Speicherkapazität
lumen von 25 Mio. m2 Wasser benötigt. Das Laden von 12 TWh benötigt, was 5,5 % der heute verfüg-
der zentralen Wärmespeicher erfolgt mit 12 TWh/a baren Gasspeicherkapazität von 217 TWh darstellt.
4.5 • Speicherbedarf in einem Klimazielszenario für das Energiesystem ...
127 4
Erneuerbare Energien primäre Stromerzeugung Fossil - Nukleare Energien

PV Wind Onshore Wind Offshore Wasserkraft Atom-KW Steinkohle-KW Braunkohle-KW Öl-KW


259 GW 150 GW 38 GW 5 GW 0 GW 7 GW 3 GW 0 GW
252 270 133 21 0 26 12 0
TWh TWh TWh TWh TWh TWh TWh TWh

13 Batterien 13 8 Pumpspeicher 6
TWh 78 GWh TWh TWh 60 GWh TWh 82 TWh 6 TWh
187 TWh Brennstoffe 45 KWK-GuD 22
Elektrolyse 215 TWh 35 GW TWh
Erdgas 23 Wärmespeicher
61 GW TWh TWh 531 GW
0 Gasturbine 0
150 TWh 335 TWh 1 GW TWh 22
Biomassse 8 WP zentral 21
82 TWh 14 GW TWh
H2-Speicher 4 2 TWh TWh
GuD-KW
TWh 37 Gebäude
Kraftstoff 220 TWh 3 GW TWh
68 TWh TWh 59 TWh
Verkehr TWh Solarthermie 19
Methanisierung 51 Methan-Sp. 51 34 GW TWh
12,7 GW 12 Twh Wärmenetze mit
TWh TWh GuD-KWK

Strombedarf gesamt
(ohne Strom für Wärme)
375 TWh 30 TWh 6 TWh

0 TWh ungenutzter Strom (Abregelung) 13 KWK-BHKW 12


21 TWh TWh 25 GW TWh 19 Wärmespeicher
Solarthermie 0 0 Wärmespeicher
TWh 531 GW
0 GW TWh TWh 0 GW
0 12 WP zentral 29 18
Verkehr
TWh 14 GW TWh
(ohne Schienenverkehr / Strom) TWh TWh
0 Gaswärme- Gebäude Wasserstoff-basierter Verkehr 41 Gebäude
0 0
TWh pumpe 0 TWh TWh 59 TWh
TWh TWh 82 Traktion 41 TWh
0 GW H -Bedarf 82 TWh Solarthermie 19
TWh 2 34 GW TWh
Einzelgebäude mit Mini-BHKW Wärmenetze mit
Batterie-basierter Verkehr
BHKW-KWK
Traktion 41 TWh 55
H -Bedarf 55 TWh TWh
2

20 TWh Brennstoff-basierter Verkehr


220 Traktion 55 TWh
44 Elektrowärme- 149 34 Wärmespeicher H -Bedarf 220 TWh 0 TWh 0 TWh
TWh 2
TWh pumpe Sole TWh TWh 316 GW
68 GW Traktion Gesamt 137 TWh 0 Mini-BHKW 0 0 Wärmespeicher
41 Prozentwert 100 % 0 GW 0 GW
TWh TWh TWh
TWh vel. 2010
0
Solarthermie 27 142 Gabäude TWh
36 GW 183 TWh Brennstoff-basierte Prozesse in
TWh TWh Solarthermie 0 0 Gebäude
Industrie und Gewerbe
Einzelgebäude mit Sole-Wärmepumpe 0 GW TWh TWh 0 TWh
Gesamt 445 TWh
420 Solarthermie 25 TWh Einzelgebäude mit Mini-BHKW
TWh Brennstoffe 420 TWh
Wärmebedarf gesamt 388 TWh
0 TWh
Raumheizung Warmwasser Ungenutzt
0 Elektrowärme- 1 0 Wärmespeicher Solarthermie 12 7 Wärmespeicher 290 TWh 98 TWh 8 TWh
pump Luft 2 GW 15 GW TWh TWh 77 GW
TWh TWh TWh
1 GW
0 12
TWh TWh 0,6 Geothermie 6 Gebäude
TWh 2 GW TWh 6 TW
Solarthermie 0 1 Gebäude 64 Gaskessel 62 67 Gebäude
0 GW TWh TWh 1 TWh TWh 29 GW TWh TWh 79 TWh

Einzelgebäude mit Luft-Wärmepumpe Einzelgebäude mit Gas Wärmenetze mit Tiefengeothermie

. Abb. 4.5  Ergebnisse aus dem Klimazielszenario für das Energiesystem Deutschland in 2050. Neben Batterie- und
Pumpspeichern werden Gasspeicher für erneuerbares Methan benötigt. Wärmespeicher sind essenziell zur Erreichung der
Klimaschutzziele. Sie werden über flexible KWK, Wärmepumpen, Solarthermie und Power-to-Heat (Elektroheizer) geladen.
(Quelle: [5, 8, 9])

Die Entladung dieser Speicher erfolgt über die be- synthetische Brennstoffe für den motorisierten In-
reits existierende Gasinfrastruktur, sodass das Gas dividualverkehr benötigt. Zusammen mit Biomasse
sowohl im Stromsektor als auch im Wärmesektor und noch vorhandenen fossilen Energieträgern ste-
Verwendung findet. hen dem Energiesystem jedoch noch ausreichend
Brennstoffe zur Verfügung, um Strom und Wärme
zz Abhängigkeit des Bedarfs an Power-to-Gas komplementär zu fluktuierenden erneuerbaren
und Gasspeichern von CO2-Zielen Energien zur Verfügung zu stellen. Dies ändert sich
Ein weiteres wichtiges Ergebnis der ISE-Studie ist, bei höheren Zielwerten der Absenkung energiebe-
dass der Bedarf an Windgas und Solargas, die im dingter CO2-Emissionen.
System die Funktion eines Langzeitspeichers über-
nehmen, stark vom Zielwert der energiebedingten zz Notwendigkeit von Power-to-Gas bei
CO2-Emissionen abhängt. nationaler Betrachtung ab 85 % CO2-
Bei einer Reduktion der CO2-Emissionen auf Emissionsreduktionszielen
80 % des Referenzwertes (1990) sind praktisch noch Bei Reduktionswerten von 85 % und darüber ist
keine synthetischen Brennstoffe für den Strom- – zumindest bei einer rein nationalen Betrach-
und Wärmesektor notwendig, allerdings werden
128 Kapitel 4 • Speicherbedarf in der Wärmeversorgung

. Tab. 4.1  Übersicht über Speicherbedarf und Speichereinsatz im Wärmesektor bei einem Energiesystem basierend
auf einer 85 %igen Reduktion der CO2-Emissionen (P2H: Power-to-Heat; P2G: Power-to-Gas). (Quelle: [5, 8, 9])

Zentrale Wärmespeicher Dezentrale Wärmespei- Gasspeicher (H2 und CH4)


cher

Speicherkapazität 25 Mio. m3 Wasser Ca. 8 Mio. 800 l-Einheiten 12 TWh

Einspeicherung Gesamt 54 TWh/a 70 TWh/a 150 (H2) und 51 (CH4)


TWh/a

4 Stromüberschüsse 12 TWh/a (P2H) 29 TWh/a (P2H) 187 TWh/a (PtG)

Zentrale KWK + WP und 42 TWh/a – –


zentrale Solarthermie

Dezentrale Elektrowär- – 34 TWh/a –


mepumpe mit Solar-
thermie

Dezentrale Solarthermie – 7 TWh/a –


bei
Gas-Wärmepumpen­
anlagen

Biomasse – – 335 TWh/a

Ausspeicherung (nur 40 TWh/a 53 TWh/a 176 TWh/a (inkl. fossiles


Wärmesektor) Gas)

Gaswärmepumpen – – 112 TWh/a

KWK – – 64 TWh/a

tung – die Wandlung von Wind- und Solarstrom 4.6 Überschüsse, Speicherbedarf
in synthetische Energieträger über Power-to-Gas und Speicherpotenziale
unabdingbar, um zu jedem Zeitpunkt den Bedarf
in allen Verbrauchssektoren zu decken. Entspre- 4.6.1 Überschüsse im Wärmesektor
chend steigt die notwendige installierte Einspei-
cherleistung für Power-to-Gas mit zunehmendem Die Frage der Überschüsse stellt sich im Stromsek-
Bedarf an synthetischen Brennstoffen überpro- tor anders als im Wärmesektor. Während Strom-
portional an, da diese Wandlungsketten mit ver- überschüsse aus Photovoltaik und Wind offen-
gleichsweise niedrigen Wirkungsgraden gekoppelt sichtlich anfallen und als Herausforderung erkannt
sind. werden, wird im Wärmesektor anders damit um-
gegangen. Der Energieträger für Wärme ist meist
Tabellarischer Überblick zum Speicherbedarf im bereits gespeicherte Solarenergie in Form von Öl,
Wärmesektor  .  Tab.  4.1 zeigt eine Übersicht zu Kohle, Gas oder Biomasse.
den Ergebnissen des 85 %-Szenarios im Hinblick
auf den Speicherbedarf und Speichereinsatz. Darin zz Überschüsse aus Solarenergie
sind die Speicherkapazitäten enthalten, welche bei Erneuerbare Überschüsse entstehen derzeit fast
einem System, das hauptsächlich auf erneuerbaren nur in der Solarthermie, und zwar zu Zeiten, in
Energien basiert, benötigt werden sowie die ein- denen der Wärmespeicher bereits voll ist. An die-
und ausgespeicherten Energiemengen pro Jahr. sen Tagen mit hoher Solareinstrahlung und wenig
Wärmebedarf – also vorwiegend im Sommer –
kommt der Solarkreislauf in der Solaranlage nach
4.6 • Überschüsse, Speicherbedarf und Speicherpotenziale
129 4
Füllen des Speichers zum Erliegen. In der Folge tentwärmespeichern umgesetzt, welche die Biogas-
erhöht sich die Temperatur der wärmetragenden wärme mit Lkw zu Wärmesenken transportieren
Flüssigkeit im Kollektor stark auf etwa 200 °C, so- (s. [2]).
dass diese verdampft. Die damit einhergehende Analog zu Biogasanlagen können sich Anla-
Volumenausdehnung des Mediums führt zu einer gen verhalten, die konventionelles Gas verstromen
Druckerhöhung, die durch ein Membran-Druck- oder Festbrennstoffe wie Holz oder Kohle nutzen.
ausdehnungsgefäß (MAG) aufgefangen wird, was Im Bereich der industriellen KWK gibt es teilweise
die Solaranlage vor Schäden bewahrt. Nachdem aufgrund des Anreizes zur Stromeigenerzeugung
die Solareinstrahlung zurückgegangen ist, sinken reine »stromgeführte« KWK, welche Wärme ent-
die Temperaturen im Kollektor, das Gas konden- weder zeitweise wegkühlen oder in ein Wärmenetz
siert und Druck und Temperatur in der Anlage sin- einspeisen. Als Maßnahme der Energieeffizienz,
ken. Auf diese Art und Weise werden Schäden zwar die bereits etabliert ist, wird teilweise diese KWK-
vermieden, aber die Überschüsse nicht gespeichert Abwärme oder generell industrielle Prozessabwär-
oder genutzt. Abhilfe würde der Einsatz eines grö- me bei geeignetem Temperaturniveau wieder zur
ßeren Wärmespeichers, eines Eisspeichers, der die Stromerzeugung eingesetzt.
Wärme über die Erstarrungs- und Schmelzwärme
im Phasenübergang von Wasser speichert, oder die zz Verwertung von Überschüssen aus Kern- und
Einspeisung der Wärme in ein Wärmenetz schaf- Kohlekraftwerken
fen, welches auch die Funktion eines Puffers über- Die Kraft-Wärme-Kopplung zur Nutzung der ver-
nehmen kann (s. 7 Kap. 10). fügbaren Abwärme aus Kernkraftwerken wurde nie
realisiert, da einerseits die anfallenden Wärmemen-
zz Überschüsse aus stromgeführter KWK und gen sehr groß sind und andererseits örtlich dort an-
Biogasaufbereitung fallen, wo kein entsprechender Wärmebedarf vor-
Die Mehrzahl der Biogasanlagen wandelt das er- handen ist. Fernwärmenetze an Kernkraftwerken
zeugte Gas vor Ort in Strom um. Dabei fällt Abwär- wurden ebenfalls aus verschiedenen Gründen wie
me an, die oft nicht genutzt, sondern an die Umwelt mangelnde gesellschaftliche Akzeptanz nicht um-
abgegeben wird. Der Hauptgrund ist der fehlende gesetzt.
Wärmebedarf vor Ort, d. h. eine fehlende Wärme- Stattdessen wurde zur besseren Auslastung der
senke. Wenngleich im Winter der Bedarf gegeben Kernkraftwerke eine frühe Form der Kopplung von
ist, fehlt im Sommer die Verwendung für die Wär- Strom- und Wärmesektor bereits umfangreich in
me. Saisonale Wärmespeicher können im Prinzip den 1960er- – 1980er-Jahren in Form von Nacht-
diese zeitliche Bedarfslücke schließen (s. 7 Kap. 10). speicherheizungen praktiziert. Die Auslastung der
Alternativ dazu kann die Energie über Energienet- Kraftwerke und Netze in der Nacht konnte da-
ze verteilt werden: entweder über die Einspeisung durch deutlich gesteigert werden. .  Abb. 4.6 zeigt
und Verteilung der Wärme in Wärmenetze oder die Entwicklung des normierten Stromverbrauchs
über die Aufbereitung von Biogas und seine Ein- über einen Tag. In Frankreich wurde sehr ähnlich
speisung und Verteilung über das Gasnetz, das verfahren mit dem Ergebnis einer sehr stark strom-
die zusätzliche Option der Gasspeicherung bie- basierten Wärmeversorgung; in Belgien wurden zu
tet. Die Rückverstromung erfolgt im letzteren Fall diesem Zweck die Autobahnen nachts beleuchtet.
idealerweise in dezentralen Blockheizkraftwerken Ziel war in allen Fällen die Integration der
(BHKW) unter Nutzung der Wärme. »Stromüberschüsse« aus der fossilen und nuk-
Ein weiterer Weg zur Lösung des Problems learen Stromwirtschaft. Aus diesem Grund haftet
einer fehlenden Wärmesenke vor Ort ist die Um- Nachtspeicherheizungen noch eine negative Kon-
setzung von Mikrogasleitungen für Rohbiogas mit notation an. Technisch gesehen bieten vorhandene
Satelliten-BHKW, die dann in mehreren Kilome- Nachtspeicheröfen mit einer installierten Leistung
tern Entfernung der Biogasanlagen Wärme in eine von etwa 35 GW in Haushalten und GHD das größ-
größere Wärmesenke oder ein Wärmenetz einspei- te Potenzial für Lastmanagement in Deutschland
sen. Pilotprojekte werden derzeit mit mobilen La- (s. 7 Abschn. 3.1 und 7 Kap. 11).
130 Kapitel 4 • Speicherbedarf in der Wärmeversorgung

100 %
Leistung bezogen auf die Tageshöchstleistung

1990
80 % 1996

1980

1970
4 60 % 1960

40 %
00:00 06:00 12:00 18:00 00:00
Uhrzeit

. Abb. 4.6  Entwicklung des normierten Tageslastprofils in Deutschland von 1960–1996

. Tab. 4.2  Entwicklung des Bedarfs an fossiler Energie und KWK im Wärmesektor, nach [7]

TWh 2010 2020 2030 2050

Gase (Industrie-/Prozessgas) 583 504 385 81

Erdöl 277 132 74 13

Kohle 107 69 49 14

KWK 106 127 99 70

Industrielle KWK 68 64 52 30

4.6.2 Entwicklung des zz Speicherbedarf für die Strom-Wärme-


Speicherbedarfs Kopplung: KWK
Wenn die KWK-Wärme räumlich nicht mit dem
zz Speicherbedarf für Erdöl, Kohle und Gas Wärmebedarf zusammenfällt, werden Wärmenetze
Mit dem Rückgang von Erdöl- und Kohleheizun- benötigt; wenn sie nicht gleichzeitig auftritt, sind
gen sinkt auch der Bedarf an Brennstoffspeichern Wärmespeicher erforderlich.
in der Wärmeversorgung. .  Tab. 4.2 zeigt die vor- Die Wärmenetze an sich stellen bereits einen ge-
aussichtliche Entwicklung der jeweiligen Wärme- wissen Puffer dar, welcher aber auch aufgrund der
träger von 2010 bis zum Jahre 2050 (nach [7]). Den Temperaturwechsel mit erhöhten Kosten für den
größten Rückgang verzeichnen Erdöl und Kohle, Erhalt der Wärmenetze verbunden ist. Deswegen
aber auch bei Erdgas findet eine klare Reduzierung wird diese Pufferkapazität von 1–2 h nur teilweise
statt. Entsprechend wird der Markt für Ölspeicher und sehr individuell von Stadtwerken genutzt.
und Kohlelager kleiner. Die Gasspeicher behalten Wärmespeicher für KWK werden beson-
eine wichtige Rolle, da sie von Bedeutung für die ders im Zuge der Flexibilisierung der KWK mehr
KWK und kompatibel mit erneuerbarem Gas (Bio- denn je benötigt, da sich dadurch der bisher üb-
gas, Windgas, Solargas) sind. liche wärmegeführte Betrieb weitgehend auf einen
4.6 • Überschüsse, Speicherbedarf und Speicherpotenziale
131 4
s­tromgeführt-wärmeentkoppelten umstellen lässt. chern bereits eine meist ausreichende Speicherka-
Für den Einsatz kommen sensible und latente Wär- pazität vorhanden. Auch wenn Power-to-Heat an
mespeicher infrage. Limitiert wird die Speicherka- dieser Stelle keinen zusätzlichen Speicherbedarf
pazität oft vom verfügbaren Standort und von der verursacht, können Wärmespeicher dennoch in
Wirtschaftlichkeit. Die Auslegung des Speichers ist Kombination mit einer relativ kostengünstigen
ebenso standortabhängig und individuell (s. [4, 11]). Überdimensionierung der Power-to-Heat-Leistung
Besonders zum Tragen kommt ein Wärmespeicher langfristig zur Integration von Einspeisespitzen
erst bei einer sehr hohen Auslegung der KWK- von Wind und PV und zur Verbesserung des Zu-
Wärmeleistung bezogen auf die Jahreshöchstlast sammenspiels zwischen Power-to-Heat und Power-
im Wärmenetz. In diesem Fall ist eine größere Fle- to-Gas genutzt werden. Konkrete Zahlen für Ein-
xibilität vorhanden, auch große Speicherpotenziale speicherleistungen im GW-Bereich und Einspei-
auszuschöpfen. Aufgrund dieser Unsicherheiten cherdauern (ca.  1–6  h) von Wärmespeichern für
in technischer Auslegung und individueller Wirt- Power-to-Heat sind in .  Abb. 4.11 und .  Abb. 4.12
schaftlichkeit ist es abseits der generellen Entwick- dargestellt.
lung der KWK schwer, einen speziellen KWK-Spei- Für monovalente elektrische Wärmepumpen
cherbedarf zu prognostizieren (s. . Tab. 4.2). führt ein Wärmespeicher aufgrund des notwen-
digen Wärmetauschers zu Effizienzeinbußen im
zz Speicherbedarf für die Strom-Wärme- Gegensatz zur ausschließlichen Nutzung der Fuß-
Kopplung: Power-to-Heat und bodenheizung oder der Gebäudemasse. Um diese
Elektrowärmepumpen Flexibilitätsoption dennoch zu nutzen, wäre auf-
Für den Einsatz von Strom ist entsprechend seinen grund der Leistungszahl (Coefficient of performance
Anwendungen zu differenzieren. COP, s.  7  Abschn. 8.5) ein sehr großer Speicher im
Power-to-Heat (z. B. Heizstab, Elektroheizkes- Verhältnis zur verschiebbaren Strommenge not-
sel, Widerstandsheizungen, große Wärmepumpen) wendig. Eine konkrete Dimensionierung ist indi-
ist als ein elektrischer Wärmeerzeuger in einem bi- viduell wirtschaftlich zu prüfen. Im Bereich der
valenten oder hybriden System zu definieren, wel- Eigenstromerzeugung mit Photovoltaik besteht
ches über mindestens einen Wärmeerzeuger auf anderseits ein Anreiz, die Temperatur des Wär-
Basis eines chemischen Energieträgers verfügt. mespeichers deutlich zu erhöhen, wodurch der
Damit ist Power-to-Heat von monovalenten Speicherwirkungsgrad wegen des höheren Tem-
elektrischen Wärmeerzeugern wie Nachtspeicher- peraturgefälles sinkt, der Eigenstromanteil aber er-
heizungen oder dezentrale elektrische Wärme- höht werden kann. Die Anpassung des rechtlichen
pumpen zu trennen. Power-to-Heat stellt zwar eine Rahmens zum Eigenstromverbrauch kann hier Än-
wichtige Flexibilitätsmaßnahme für KWK dar. Eine derungen herbeiführen. Im Bereich der Nachtspei-
Kombination mit einem Speicher kann aber auch cherheizungen ist die thermische Speicherkapazität
zu einer zusätzlichen Verringerung der KWK-Aus- in den Anlagen vorhanden und im Vergleich zur
lastung führen und damit in Konkurrenz zu KWK Wärmepumpe aufgrund des Wirkungsgrades von
stehen. Je nach Wirtschaftlichkeit des Gesamtsys- 100 % auch in der entsprechenden Größe für die
tems kann hier die Auslegung eines Wärmespei- elektrische Last wirksam.
chers entweder für Power-to-Heat oder als KWK-
Anlage sinnvoll sein. Für Prozesswärme im Hoch- zz Speicherbedarf für Solaranlagen
temperaturbereich werden derzeit keine Speicher Der Bedarf an Wärmespeichern für Solaranlagen
für KWK oder Power-to-Heat eingesetzt. Sie sind ist nur schwer zu quantifizieren. Ein Anhalts-
heute zusätzlich zur bestehen thermischen Träg- punkt ist der Ausbau der Solarthermie: Während
heit der Heizsysteme technisch nicht notwendig, in Deutschland die jährlichen Zubauraten in den
können aber zukünftig eine wichtige Rolle spielen letzten Jahren rückläufig waren, liegt vor allem in
(s. 7 Kap. 11 und 7 Abschn. 14.1). Asien ein großer Wachstumsmarkt (s.  .  Abb. 4.7).
Für den Einsatz von Power-to-Heat im Haus- Der solarthermische Zubau in Deutschland wird
haltsbereich ist in den bestehenden Pufferspei- im Bereich der Warmwassererzeugung zu einem
132 Kapitel 4 • Speicherbedarf in der Wärmeversorgung

45.000

40.000

35.000
Kapazität in MWth / a

30.000
China
25.000
Europa
20.000
4 Restliche Welt
15.000

10.000

5.000

0
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010
Jahr

. Abb. 4.7  Globaler jährlicher Zubau an Solarkollektoren von 2000–2010, nach [11]

geringen und im Bereich der Heizungsunterstüt- einem Speicher oder zumindest mit der thermi-
zung zu einem größeren Mehrbedarf an Wärme- schen Masse des Heizsystems und der Wärmever-
speichern führen. Hohe Erwartungen liegen zu- teilung gekoppelt und lokal begrenzt, da die Er-
künftig in den netzgekoppelten Systemen, die sich zeugung und der Verbrauch viel träger sind als bei
stark an den dänischen Wärmenetzen orientieren. Strom und Transport und Verteilung von Wärme
Hier ist gerade für die Solarthermie ein großer sai- aufgrund der Wärmeverluste eingeschränkt wird.
sonaler Speicher essenziell (s. 7 Kap. 10). Anders als Im Folgenden werden Speicherpotenziale für die
in Asien, wo viele neue Systeme installiert werden, Versorgung des Wärmesektors mit erneuerbarer
bestehen in Deutschland aber hohe Unsicherheiten Energie betrachtet.
zur zukünftigen Marktentwicklung.
Bis 2050 könnte der Markt für Solaranlagen zz Potenziale sensibler Wärmespeicher
nach einem Szenario der IEA um den Faktor  10 Sensible Wärmespeicher in Einzelgebäuden wer-
wachsen (s.  .  Abb.  4.8). Neben Solarenergie für den heute überwiegend in Verbindung mit Heiz-
Raumwärme und Warmwasser kämen Anwen- kesseln verwendet. Hier haben sie in erster Linie
dungen für niederkalorische Prozesswärme und die Funktion, ein zu häufiges Takten des Brenners
Kälte (Solar Cooling, z.  B. über Eisspeicher) zu unterbinden. Dieses Speichervolumen spielt
immer mehr zum Tragen (s.  [6]). Der Speicher- allerdings als Zwischenspeicher für erneuerbare
bedarf würde für alle Segmente bis auf die Pro- Energien bis auf Power-to-Heat mit PV praktisch
zesswärme ähnlich zum Ausbau der Solaranlagen keine Rolle. Ansonsten werden sensible Wärme-
anwachsen. speicher vor allem in Verbindung mit thermischen
Solaranlagen verwendet. Typische Speicher für
Einfamilienhäuser reichen von rund 200 l für reine
4.6.3 Speicherpotenziale Warmwasseranlagen bis zu Speichern mit 1–2  m2
Wasservolumen für solarthermische Anlagen für
Anders als bei Strom, der leicht transportiert und Warmwasser und Heizungsunterstützung. Der-
verteilt werden kann, ist im Wärmesektor die Be- artige Speicher könnten zukünftig eine wachsende
reitstellung der Wärme bereits heute meist mit Rolle insbesondere in Kombination mit Wärme-
4.6 • Überschüsse, Speicherbedarf und Speicherpotenziale
133 4
20
18
16 Solare Warmwasseraufbereitung

14
Solare Raumheizung
12
EJ / a

10
Solare, industrielle Prozesswäre
8
(Niedertemperatur)
6
Solare Raumkühlung
4
2
Solare Schwimmbadheizung
0
2012 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050
Jahr

. Abb. 4.8  Roadmap-Vision der IEA zum Ausbau von Solaranlagen bzw. Wärmespeichern, nach [6]

pumpen spielen, da dadurch ein stromgeführter Druckbehaftete Speicher (> 100 °C, kaskadenarti-


Betrieb von Wärmepumpen möglich wäre. ge Kopplung von Metallzylindern) ermöglichen
Große Wärmespeicher in Wärmenetzen sind in mehr technische Freiheitsgrade, sind aber wesent-
Deutschland noch nicht die Regel; allerdings gibt lich teurer und dadurch im Gesamtvolumen be-
es im Zuge der Förderung des KWK-Gesetzes von grenzt.
2012 einen starken Anreiz in Deutschland, Fern-
wärmenetze mit Speichern zu erweitern. Beispiel
In Dänemark – mit Temperaturen der Wärmenetze
Beispiel deutlich unter 100 °C – findet derzeit ein starker Zu-
Ein Beispiel ist der Fernwärmespeicher des Groß- bau von großen Wärmespeichern mit Wassermen-
kraftwerks Mannheim. Hierbei handelt es sich um gen von einigen Tausend m³ bis über 100.000  m3
einen Wassertank aus Stahl mit folgenden Parame- Speichervolumen statt. Teilweise werden diese
tern: auch als tiefe Teiche ausgelegt. Diese Speicher sind
55 Höhe 36 m, an Wärmenetze gekoppelt und ermöglichen die
55 Durchmesser 40 m, flexible Einspeicherung – je nach Stromtarif – von
55 Speichervolumen 43.000 m3, aufheizbar bis Wärme aus KWK-Anlagen, Wärme von elektrischen
98 °C, Groß-Wärmepumpen, die mit kostengünstigen
55 Speicherkapazität 1500 MWh, Stromüberschüssen aus Windenergie betrieben
55 Ein- und Ausspeicherleistung 250 MW. werden, oder Wärme aus solarthermischen Groß-
anlagen.
Dieser Speicher dient der Flexibilisierung der
Stromerzeugung bei gleichzeitiger Wärmenutzung
in Verbindung mit dem Fernwärmenetz im Rhein- Im weiter gefassten Sinne, stellt auch die Ge-
Neckar-Raum. bäudemasse einen sensiblen Wärmespeicher dar
(s.  7  Kap.  11). Durch die Erhöhung der Tempera-
Bei sehr großen Speichervolumen sind drucklose tur um 1–2 °C kann dieses Potenzial unter vertret-
Wärmespeicher (< 100 °C) wirtschaftlich im Vor- baren Verlusten und Komfortansprüchen genutzt
teil. Dem steht ein höherer Aufwand für die hyd- werden. Gerade für dezentrale Anwendungen wie
raulische Einbindung in die deutschen Wärmenet- elektrische Wärmepumpen oder Mini- und Mikro-
ze mit Temperaturen von bis zu 130 °C gegenüber.
134 Kapitel 4 • Speicherbedarf in der Wärmeversorgung

BHKW stellt dies ein interessantes wirtschaftliches bedarfs in Deutschland zu speichern: 217 TWh che-
Potenzial dar. misch gespeicherte Energie vs. 1430 TWh thermischer
Wärmebedarf (s. 7 Abschn.  3.3 und  7  Abschn.  8.4).
zz Potenziale latenter und thermochemischer Die Entladung der Gasspeicher erfolgt über KWK
Wärmespeicher oder Gaswärmepumpen.
Latentwärmespeicher sind dadurch gekenn-
zeichnet, dass Wärme bei konstanter Temperatur zz Potenziale über Power-to-Heat in
ein- und ausgespeichert werden kann. Bei ther- Abhängigkeit von der Durchdringung mit
4 mochemischen Wärmespeichern kann Wärme Elektrowärmepumpen
weitgehend verlustfrei auch über lange Zeiträume In der Verbindung von Strom- und Wärmesek-
gespeichert werden. Beide Speichertechnologien tor kann Power-to-Heat eine große Rolle spielen,
kommen bislang jedoch im Wesentlichen in Spe- weshalb zeitlich hochaufgelöste Wärmelastgänge
zialanwendungen zum Einsatz und spielen keine für die quantitative Abschätzung der Speicher-
wesentliche Rolle für die Speicherung großer Ener- potenziale wichtig sind. In .  Abb. 4.9 sind prog-
giemengen im Energiesystem (s. 7 Kap. 10). nostizierte Wärmelastgänge für das Jahr 2050 aus
Latentwärmespeicher in Form von in der Ge- Untersuchungen des Fraunhofer IWES in Kassel
bäudemasse integrierten Phasenwechselmateria- dargestellt. Dabei wird auf die BMU- Langfrist-
lien (phase change materials PCM) haben ein zu- szenarien 2012 (s.  [7]) in Hinblick auf die Ent-
künftiges Potenzial in der Klimatisierung von Räu- wicklung des Wärmebedarfs zurückgegriffen
men. In Verbindung mit Klimaanlagen können sie (s. 7 Abschn. 3.2).
über das Lastmanagement eine Speicherfunktion Die Nutzung von Power-to-Heat als bivalentes
für schwankende Strommengen darstellen, ohne Element eines Hybrid-Systems erschließt für Wär-
Einschränkungen im Nutzungskomfort zu verursa- mespeicher die Möglichkeit der Integration erneu-
chen. Eine andere Ausführung von Latentwärme- erbarer Stromüberschüsse. Diese durch die Spei-
speichern sind Eisspeicher, in denen die Schmelz- cherung von Strom und Wärme bivalente Art der
kälte für das thermische Laden des Speichers und Energiespeicherung hat Vorteile, da diese Anlagen
die Erstarrungswärme für das Entladen genutzt kurzfristig sowohl negative als auch positive Aus-
werden. Als Ein- und Ausspeichertechnologie wer- gleichsleistung liefern können. Power-to-Heat-An-
den Wärmetauscher in Kombination mit Wärme- lagen tragen zur positiven Regelleistung bei, indem
pumpen und Solarkollektoren genutzt. sie bei geringer erneuerbarer Stromeinspeisung
Thermochemische Speicher könnten ebenfalls vom Netz gehen und den Strom bei Strommangel
eine Rolle für die Langzeitwärmespeicherung in zur Verfügung stellen. Alternativ fahren KWK-An-
Gebäuden – z. B. in Verbindung mit solarthermi- lagen hoch, stellen über die Stromeinspeisung die
schen Anlagen – spielen, wenn es gelingt, kosten- Regelleistung bereit und speichern die Wärme im
günstige Systeme zu entwickeln. Um eine Wirt- bivalent genutzten Wärmespeicher.
schaftlichkeit bei großen Investitionskosten und Theoretisch ergibt sich aus den betrachteten
geringen Zyklenzahlen zu gewährleisten, ist noch Wärmelastgängen in . Abb. 4.9 ein sehr großes Leis-
weitere Forschungs- und Entwicklungstätigkeit er- tungspotenzial für Power-to-Heat von ca. 200 GW
forderlich. im Winter bis ca. 50  GW im Sommer. Aufgrund
der geringen Investitionskosten von ca. 100  €/kW
zz Potenziale über Power-to-Gas, Gasspeicher ist Power-to-Heat besonders gut für den Einsatz ho-
und KWK oder Gaswärmepumpen her Leistungsspitzen von relativ wenigen Stunden
Die heute größte genutzte Speicherkapazität für im Jahr geeignet. Allerdings ist Power-to-Heat nur
Wärme hängt mit dem Hauptenergieträger für in bivalenten Heizsystemen sinnvoll, da im Nieder-
Wärme zusammen: die Erdgasspeicher. Sowohl temperaturbereich deutlich effizientere Alternati-
Kavernen- als auch Porenspeicher können Biogas, ven wie Elektrowärmepumpen zur Verfügung ste-
Windgas oder Solargas aufnehmen und haben das hen, die mit zunehmenden erneuerbaren Anteilen
Vermögen, etwa ein Sechstel des jährlichen Wärme- am Strommix eine größere Rolle spielen werden.
4.6 • Überschüsse, Speicherbedarf und Speicherpotenziale
135 4
250

200
Leistung in GW

150

100

50

0
Jan Feb März April Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez

Raumheizung Haushalte Warmwasser Haushalte Raumheizung GHD


Warmwasser GHD Warmwasser Industrie Prozesswärme Industrie

. Abb. 4.9  Wärmelastgänge über alle Sektoren im Jahr 2050 nach den BMU-Langfristszenarien 2012. (Quelle: [3])

In der Branchenprognose für 2011 des Bundes- . Abbildung. 4.10 zeigt die erneuerbaren Strom-
verbands für Wärmepumpen wurde die Entwick- überschüsse aus den in  7  Kap. 3 vorgestellten Stu-
lung des Wärmepumpenmarktes bis 2030 in einem dien (BMU-Langfristszenarien 2010, Szenario er-
konservativen und einem optimistischen Szenario neuerbare Vollversorgung Strom, Wärme und Ver-
prognostiziert (s.  [1]). Das konservative Szenario kehr und UBA-Studie mit 100 % Wärmepumpen
geht von einem Modernisierungsstau im Bereich und annähernd Passivhausstandard) und die Wär-
der Gebäudesanierung und Heizungserneuerung melast des optimistischen Szenarios für 2050. In
mit entsprechend hohen Wärmelasten aus. Das op- diesen Untersuchungen des Fraunhofer IWES steht
timistische Szenario sieht hingegen eine Beschleuni- bei einem relativ geringen Anteil von Wärmepum-
gung der Heizungsmodernisierung und eine Steige- pen im Jahre 2050 im Wärmesektor ein Leistungs-
rung der Sanierungsraten vor. Beide Entwicklungen potenzial für Power-to-Heat von 169 GW im Winter
wurden durch das Fraunhofer IWES bis 2050 fort- zur Verfügung (inkl. Wärmepumpen), die mit der
geschrieben, sodass im optimistischen Szenario ca. Auslegung der dezentralen Heizstäbe in Pufferspei-
50 % des Wärmebedarfs im Bereich Warmwasser chern auf die Wärmehöchstlast zur Gewährleistung
und Heizung für Haushalte und Gewerbe durch de- der Versorgungssicherheit begründet ist und daher
zentrale elektrische Wärmepumpen gedeckt werden. die stündlichen Wärmelastgänge deutlich über-
Im Vergleich dazu sind es im konservativen Szenario schreitet. Zum einen wird die Wärmehöchstlast
nur ca. 12 %. Zuzüglich werden im optimistischen nicht gleichzeitig an allen Orten in Deutschland
Szenario große Wärmepumpen in Fernwärmenet- abgerufen und zum anderen sind im konservativen
zen statt Elektroheizkessel eingesetzt. Im Sommer Szenario noch viele Heizungssysteme enthalten, die
stellt die Solarthermie eine Sensitivität für Prozess- die Möglichkeit zur Integration großer Power-to-
wärme < 100 °C, Raumwärme und Trinkwarmwasser Heat-Leistungen haben (. Abb. 4.10).
dar, die das Potenzial für Power-to-Heat weiter redu- Die gleiche Darstellung von Stromüberschüs-
zieren könnte. Die weiteren Betrachtungen beziehen sen, Wärmelast und Power-to-Heat-Leistung ist für
sich auf das optimistische Szenario. das konservative Szenario in .  Abb. 4.11 zu sehen.
136 Kapitel 4 • Speicherbedarf in der Wärmeversorgung

180
160
140
120
Leistung in GW

100
80
60
4 40
20
0
Jan Feb März April Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez

Wärmelast erneuerbare Überschüsse BMU-Leistudie erneuerbare Überschüsse UBA Power-to-Heat Leistung

. Abb. 4.10  Wärmelast und Power-to-Heat-Leistung im optimistischen Szenario für 2050 im Vergleich mit den Stromüber-
schüssen aus den BMU-Langfristszenarien 2010 und der UBA-Studie. (Quelle: [3])

180
160
140
120
Leistung in GW

100
80
60
40
20
0
Jan Feb März April Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez

Wärmelast erneuerbare Überschüsse BMU-Leistudie erneuerbare Überschüsse UBA Power-to-Heat Leistung

. Abb. 4.11  Wärmelast und Power-to-Heat-Leistung im konservativen Szenario für 2050 im Vergleich mit den Stromüber-
schüssen aus den BMU-Langfristszenarien 2010 und der UBA-Studie. (Quelle: [3])

Bei einem hohen Anteil von Wärmepumpen (auch Wärmespeicher werden hierbei sehr wichtig für
in der Fernwärme) und einer entsprechend hohen die Aufnahme von Stromüberschüssen über die
Auslastung der Pufferspeicher beträgt das Leis- Kombination von Power-to-Heat als Element
tungspotenzial von Power-to-Heat dagegen 86 GW einer bivalenten Heizung.
(inkl. Wärmepumpen)(s. [3]). .  Abbildung  4.12 und .  Abb.  4.13 zeigen den
Power-to-Heat hat das Potenzial, bis auf we- Beitrag von Power-to-Heat als bivalentes Heizele-
nige Ausnahmen alle Stromüberschüsse zu inte- ment in Kombination mit verschiedenen Wärme-
grieren. Die Schöpfung dieses Potenzials ist von technologien und dezentralen Wärmepumpen in
den Randbedingungen Strommarktdesign, alter- den unterschiedlichen Wärmesektoren im opti-
native erneuerbare Wärmequellen wie elektrische mistischen Szenario für den typischen Wärme-
Wärmepumpen und Solarthermie und von der schwachlastfall (Sommernacht) und Wärmestark-
Entwicklung der Gebäudesanierung abhängig. lastfall (Wintertag).
4.6 • Überschüsse, Speicherbedarf und Speicherpotenziale
137 4
Wärmelast in GW Einspeicherleistung Speicher in GW Power-to-Heat Leistung un GW Maximale Einspeicherdauer in h
60 6
Leistung in GW

40 4

Zeit in h
20 2

0 0
Wärme Wärme Wärme Wärme
< 100 °C 100 °C-200 °C 200 °C-600 °C >600 °C Raumheizung Warmwasser
(ohne Strom)
Industrielle Prozesswärme Fernwärme Mini-KWK Wärmepumpen Heizungs- Warm-
puffer- wasser-
speicher speicher

. Abb. 4.12  Wärmelast, Einspeicherleistung für Wärmespeicher, Power-to-Heat-Leistung und maximale Einspeicherdauer
im optimistischen Szenario für den typischen Wärmeschwachlastfall (Sommernacht) in 2050. Darin sind folgende Parameter
enthalten: die direkte potenzielle Wärmelastdeckung durch Power-to-Heat ohne Speicherung (blaue Balken, 12 h Mittelwert),
die notwendige Einspeicherleistung des Wärmespeichers für Power-to-Heat (rote Balken, 12 h Mittelwert), die installierte
Einspeicherleistung von Power-to-Heat (grüne Punkte) und die maximale Einspeicherdauer des Wärmespeichers durch
Power-to-Heat bezogen auf die roten Balken (gelbe Punkte). Wird die Wärmelast durch Solarthermie gedeckt, erscheinen die
Balken in grau. (Quelle: [3])

Wärmelast in GW Einspeicherleistung Speicher in GW Power-to-Heat Leistung in GW maximale Einspeicherdauer in h


60 6
Leistung in GW

40 4

Zeit in h
20 2

0 0
Wärme Wärme Wärme Wärme
< 100 °C 100 °C-200 °C 200 °C-600 °C >600 °C Raumheizung Warmwasser
(ohne Strom)
Industrielle Prozesswärme Fernwärme Mini-KWK Wärmepumpen Heizungs- Warm-
puffer- wasser-
speicher speicher

. Abb. 4.13  Wärmelast, Einspeicherleistung für Wärmespeicher, Power-to-Heat-Leistung und maximale Einspeicherdauer
im optimistischen Szenario für den typischen Wärmestarklastfall (Wintertag) in 2050. Darin sind folgende Parameter ent-
halten: die direkte potenzielle Wärmelastdeckung durch Power-to-Heat ohne Speicherung (blaue Balken, 12 h Mittelwert),
die notwendige Einspeicherleistung des Wärmespeichers für Power-to-Heat (rote Balken, 12 h Mittelwert), die installierte
Einspeicherleistung von Power-to-Heat (grüne Punkte) und die maximale Einspeicherdauer des Wärmespeichers durch
Power-to-Heat bezogen auf die roten Balken (gelbe Punkte). Wird die Wärmelast durch Solarthermie gedeckt, erscheinen die
Balken in grau. (Quelle: [3])

Wird ein hoher Grad an solarthermischen Anla- 69  GWh oder 0,07  TWh gespeichert werden. Bei
gen in Deutschland berücksichtigt, liegt das Power- dieser Auslegung von Power-to-Heat wird bereits
to-Heat-Potenzial bei 38 GW im Sommer als biva- ein großer Teil der Energie ohne einen Bedarf zur
lentes Heizelement, unabhängig von der installierten Speicherung direkt in Wärme umgesetzt und über
Heizungsleistung. Unter der Annahme repräsentati- das Lastmanagement systemdienlich eingesetzt.
ver Speichergrößen für die einzelnen Anwendungs- Im Sommer ist die größte Last bei der Prozess-
bereiche im Jahr 2050 könnten mit dieser Leistung wärme und dem Warmwasser anzusetzen, wohin-
184 GWh oder 0,18 TWh Strom bzw. nach Abzug der gegen im Winter zusätzlich Niedertemperaturwär-
solarthermischen Einspeicherung immerhin noch me für Raumwärme hinzukommt. Als Minimum
138 Kapitel 4 • Speicherbedarf in der Wärmeversorgung

ergibt sich im Sommer für den Schwachlastfall in –– Ausbau und Nutzung von zentralen
der Nacht (Mittelwert über 12 h) eine Einspeicher- und dezentralen Wärmespeichern für
leistung von 25 GW bzw. 20 GW unter Abzug der diesen Zweck
Solarthermie, bei dem direkt Stromüberschüsse im 55 Aktivierung der Potenziale von Power-to-
Wärmesektor integriert und genutzt werden. Für Heat und Elektrowärmepumpen als Flexi-
den Starklastfall am Tag ergibt sich als Maximum bilitätsoption über
im Winter ein Einspeicherpotenzial von 82 GW. Die –– dezentrale Elektrowärmepumpen in
möglichen verschiedenen Einspeicherdauern sind Wärmepuffern von Haushalten
4 sehr anwendungs- und lastfallspezifisch (s. [3]). –– zentrale Elektrowärmepumpen für
Wärmenetze und Wärmespeicher
–– kurzfristig: zentrale Elektroheizer
4.7 Zusammenfassung (elektrische Widerstandsheizungen)
in Wärmenetzen
55 Der Bedarf an Niedertemperaturwärme –– dauerhaft: zentrale Elektroheizer in
(Raumwärme, Warmwasser) wird zukünftig der Industrie für Hochtemperatur-
deutlich abnehmen. Hier spielt die energe- Prozesswärme
tische Sanierung des Gebäudebestands die –– dezentrale Elektroheizer in Wärme-
wichtigste Rolle, aber auch die Umsetzung von speichern von Haushalten in Verbin-
Energieeffizienzmaßnahmen in Gewerbe, dung mit Photovoltaik
Handel und Dienstleistungen weist erhebliche 55 Ausbau der Wärmenetze zur Nutzung von
Potenziale auf. zentraler KWK und großen Wärmepumpen
55 Der verbleibende Wärmebedarf wird zu- 55 Erneuerbare Strompotenziale für Prozess-
nehmend erneuerbar gedeckt werden, wobei wärme
elektrische Wärmepumpen (Umweltwärme) –– Strombasierte Hochtemperatur-Pro-
deutlich an Bedeutung gewinnen werden und zesswärme wird zunehmend durch
zusammen mit Solarthermie, Geothermie und erneuerbaren Strom gedeckt.
Biomasse sowie Power-to-Gas in Kopplung –– Für flexible Prozesswärmeanwendun-
von Strom-, Gas- und Wärmesektor über gen ergeben sich Chancen in der Be-
KWK und Gaswärmepumpen die Hauptsäulen reitstellung von Regelleistung.
bilden. Es ist zu erwarten, dass trotz starker –– Power-to-Gas erschließt für Prozess-
Reduktion des Wärmebedarfs der Speicher- wärme den Zugang zu erneuerbaren
bedarf im Wärmesektor insgesamt zunimmt, Energien in Kombination mit Power-
da der steigende Anteil erneuerbarer Energien to-Heat.
einen wachsenden zeitlichen Ausgleich er- 55 Nutzung der Potenziale von Power-to-Gas
fordert. –– Mehr als die Hälfte der deutschen
55 Der Paradigmenwechsel im Wärmesektor Haushalte verfügen über einen Gas-
vollzieht sich vor allem in den vielfältigen anschluss, worüber eine erneuerbare
Möglichkeiten der Wärmebereitstellung, die Wärmeversorgung ohne große Um-
nicht mehr nur auf Öl oder Gas beschränkt baumaßnahmen vor Ort und auch in
ist. Prägend werden sich die Kopplung und Mietswohnungen möglich wird.
Konvergenz von Strom- und Wärmesektor –– Erneuerbares Gas kann in Gaswärme-
auswirken, die mit folgenden Veränderungen pumpen, KWK und Gaskesseln für
einhergehen: Hochtemperatur-Prozesswärme ein-
55 Flexibilisierung der KWK, darin gesetzt werden.
–– Umstellung des wärmegeführten Be- –– Erneuerbares Gas kann effizient in
triebs auf einen stromgeführten-wär- bivalenten und hybriden Anwendun-
meentkoppelten Betrieb gen genutzt werden, wie z. B. Gas-
wärmepumpe, KWK oder Gaskessel
Literatur
139 4
in Kombination mit einem einfachen 4. Gores S, Harthan R, Hermann H et al (2013) Perspektiven
der Kraft-Wärme-Kopplung im Rahmen der Energie-
Heizstab, einer großen Elektrowärme- wende. BMU Studie, Öko-Institut e. V., Berlin
pumpe oder einem Elektroheizkessel. 5. Henning H, Palzer A (2014) A comprehensive model
55 Hinsichtlich des Speicherbedarfs können for the German electricity and heat sector in a future
verschiedene Trends abgeleitet werden: energy system with a dominant contribution from
55 Trotz abnehmenden Wärmebedarfs wird renewable energy technologies – Part I methodology.
Renew Sustain Energy Rev 30:1003–1018. doi:10.1016/j.
der Bedarf an Wärmespeichern aufgrund rser.2013.09.012
der Nutzung erneuerbarer Energien und 6. IEA (2013) Technology roadmap: solar heating and
stromgeführter-wärmeentkoppelter KWK cooling 2050. IEA – International Energy Agency, Paris
zunehmen. 7. Nitsch J, Pregger T, Sterner M et al (2012) Langfrist-
55 Gleichzeitig gewinnt die Integration des szenarien und Strategien für den Ausbau der erneuer-
baren Energien in Deutschland bei Berücksichtigung
Wärmesektors über seine Kopplung und der Entwicklung in Europa und global. Schlussbericht
Konvergenz mit dem Stromsektor an Be- BMU – FKZ 03MAP146. Deutsches Zentrum für Luft-
deutung. und Raumfahrt; Fraunhofer-Institut für Windenergie
55 Im gleichen Zug werden Wärmespeicher und Energiesystemtechnik; Ingenieurbüro für neue
aus Sicht des Stromsektors sehr wichtig, da Energien. Bundesmin. für Umwelt Naturschutz und Re-
aktorsicherheit, Berlin
sie der thermischen Erzeugung im Strom- 8. Palzer A, Henning H (2013) A future German energy
sektor mehr Flexibilität verleihen können. system with a dominating contribution from renewable
55 Der zusätzliche Energiebedarf im Sommer energies: a holistic model based on hourly simulation.
für Kühlung und Klimatisierung kann Energy Technol. doi:10.1002/ente.201300083
einen neuen Bedarf an Kältespeichern 9. Palzer A, Henning H (2014) A comprehensive model for
the German electricity and heat sector in a future ener-
schaffen, die idealerweise als Kombination gy system with a dominant contribution from renewa-
von Wärme- und Kältespeicher ausgeführt ble energy technologies – Part II: results. Renew Sustain
werden wie z. B. in Form von Eisspeichern. Energy Rev 30(0):1019–1034. doi:10.1016/j.rser.2013.11.032
55 Überschüsse aus Solarthermie und KWK 10. Reuter M (2013) Power-to-Gas: Biological methanization;
können über Wärmenetze und Wärme- first at a municipal sewage plant. 8. International Rene-
wable Energy Storage Conference – Session Power-to-
speicher genutzt werden. Gas, Berlin
55 Die Speicherpotenziale für den Wärme- 11. Schulz W, Brandstätt C (2013) Flexibilitätsreserven auf
sektor in Form von Wärme- und Gasspei- dem Wärmemarkt. Studie für den Bundesverband Er-
chern sind sehr groß und können über die neuerbare Energie e. V. (BEE) und dem Energieeffizienz-
verschiedenen Einspeichertechnologien wie verband für Wärme, Kälte und KWK e. V. (AGFW), Fraun-
hofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte
KWK, Power-to-Heat und Power-to-Gas Materialforschung IFAM, Bochum
erschlossen werden. 12. Weiss W, Mauthner F (2012) Solar Heat Worldwide – Mar-
kets and Contributions to the Energy Supply 2010. Solar
Heating and Cooling Programme, AEE INTEC, Gleisdorf,
Literatur Österreich

1. BWP (2013) BWP-Branchenstudie 2013. Szenarien und


politische Handlungsempfehlungen. Daten zum
Wärmepumpenmarkt bis 2012 und Prognosen bis 2030.
Bundesverband Wärmepumpe e. V., Berlin
2. Deckert M, Binder S, Hornung A (2013) Mobiler Latent-
wärmespeicher auf dem Prüfstand – Wärme nimmt
Fahrt auf. BWK VDI-Springer-Verlag 65(9):34–37
3. Gerhardt N (2013) Potentialanalyse für Power-to-Heat.
3. VDI-Fachkonferenz Energiespeicher für die Energie-
wende 2013, Mainz
141 5

Speicherbedarf im
Verkehrssektor
Übersicht
Im Verkehrssektor steht die Energiewende noch am Anfang: Der erneuerbare
Anteil an Kraftstoffen beträgt 5 % und beschränkt sich neben geringen
Anteilen am elektrischen Schienenverkehr fast ausschließlich auf
Biokraftstoffe. Dabei verbraucht der Verkehrssektor, also der Straßen-, Luft-,
Schiffs- und Schienenverkehr, etwa 30 % der Endenergie Deutschlands, und die
Abhängigkeit vom Energieträger Erdöl ist mit über 90 % noch sehr hoch.
Damit verbunden liegt der Anteil der Klimagas-Emissionen dieses Sektors
bei 20 %.
Der dadurch notwendige Strukturwandel in der Mobilität ist eng
verknüpft mit der Frage der Antriebsenergie und damit der Energiespeiche-
rung. Mit Ausnahme von Fahrzeugen, die direkt wind- und solarbetrieben
sind, ist Mobilität ohne Speicherung nicht möglich: Kraftstofftanks in
Automobilen, Tankstellen und Flugzeugen sind allgegenwärtig.
Im Mittelpunkt der Betrachtungen zum Speicherbedarf im Verkehrssektor
steht die Frage, wie diese Speicher mit erneuerbaren Energien über Bio- und
Stromkraftstoffe genutzt werden können bzw. welchen Speicherumfang neue
Antriebstechnologien wie die Elektromobilität benötigen. Zuvor wird ein Blick
auf den Bedarf an Mobilität heute und in Zukunft geworfen.

M. Sterner, I. Stadler, Energiespeicher – Bedarf, Technologien, Integration,


DOI 10.1007/978-3-642-37380-0_5, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
142 Kapitel 5 • Speicherbedarf im Verkehrssektor

5.1 Grundlagen und Ziele z. B. die Reduktion des Endenergieverbrauchs um


10 % bis 2020 und um 40 % bis 2050 gegenüber dem
5.1.1 Ausgangslage und Entwicklung Basisjahr 2005. Darüber hinaus soll der Nationale
der letzten Jahrzehnte Entwicklungsplan Elektromobilität umgesetzt wer-
den und die Anzahl der Elektromobile in Deutsch-
Der Verkehrssektor wird durch die Energiewende land auf 1  Mio. in 2020 und 6  Mio. in 2030 an-
ebenso vom Strukturwandel erfasst wie die beiden wachsen. Zum Ziel für 2030 zählen allerdings auch
anderen Sektoren Strom und Wärme. Die Abhängig- Hybridantriebe, also Fahrzeuge, welche zwar eine
keit vom Energieträger Erdöl ist im Verkehrssektor elektrische Antriebskomponente haben, aber nicht
am stärksten ausgeprägt. Die Mobilität ist in ihrem mit dem Stromnetz verbunden werden (s. [3]).
Wesen – bis auf die geringen Leistungen des Ver- Flankiert werden diese Pläne durch Ziele der
5 kehrs über elektrische Oberleitungen – nicht ohne Europäischen Kommission, die eine Senkung der
mobile und stationäre Energiespeicher denkbar. Treibhausgasemissionen im Verkehrssektor gegen-
Mineralölbasierte Kraftstoffe sind seit Jahrzehn- über 1990 um 60 % bis 2050 vorsehen (s. [4]), sowie
ten die Energiebasis des Verkehrssektors und hatten durch freiwillige Selbstverpflichtungen einzelner
2011 einen Anteil von über 90 % an dessen Endener- Branchenverbände. Die internationale Luftfahrt-
gieverbrauch (s. .  Abb. 5.1). Das stetige Wachstum industrie IATA strebt beispielsweise ein CO2-n-
des Verkehrssektors wird durch Effizienzsteigerun- eutrales Wachstum ab dem Jahr 2020 an (s. [6]).
gen in den Antriebstechnologien kompensiert, so- Die freiwilligen Selbstverpflichtungen sind aller-
dass der Endenergieverbrauch weitgehend konstant dings umstritten und haben sich in der Vergangen-
blieb (Suffizienz). Während es in den letzten Deka- heit – vor allem bei der Automobilindustrie – als
den einen deutlichen Wechsel von Benzin zu Diesel nicht immer wirksam erwiesen.
gab, kamen ab den 2000er-Jahren Biokraftstoffe und Daher wurden auf EU-Ebene Ziele gesetzt, die
Erdgas in geringen Mengen hinzu. Neben Benzin- ab 2021 den durchschnittlichen CO2-Ausstoß der
und Dieselkraftstoffen haben insbesondere Kraft- Fahrzeugmodelle der Automobilhersteller auf 95 g
stoffe für den Luftverkehr einen signifikanten An- CO2-Äquivalent pro km limitieren. Darüber hin-
teil. Biokraftstoffe deckten 2011 etwa 5 % (33 TWh) aus sind in der EU-Kommission Quotenziele für
des Endenergieverbrauchs. Der ausgewiesene Biokraftstoffe von ca. 5 % und für Stromkraftstoffe
Stromanteil von 2 % (17 TWh) wird heute vorrangig (Power-to-Gas, Power-to-Liquid) von 2,5 % vorge-
im Bereich des Schienenverkehrs eingesetzt. sehen (s. [5]).
Diese Zahlen verdeutlichen die großen Heraus-
Definition
forderungen einer nachhaltigen Energieversorgung
und -nutzung, vor denen der Verkehrssektor steht. Stromkraftstoffe sind chemische Energie-
Insbesondere der motorisierte Individualverkehr, träger auf der Basis von elektrischer Energie,
auf den 2010 etwa 56 % des Endenergieverbrauchs die über die Elektrolyse von Wasser und einer
des Verkehrssektors entfielen, steht vor einem optionalen Synthese (Power-to-Gas, Power-to-
strukturellen Wandel (s. [8]). Vor diesem Hinter- Liquid) hergestellt wurden und in der Mobilität
grund werden der Einsatz von alternativen Kraft- eingesetzt werden. Beispiele sind Wasserstoff,
stoffen und Antriebskonzepten zur CO2-Reduktion Methan (Windgas), Methanol und Fischer-
und Maßnahmen hierzu national und international Tropsch-Kraftstoffe (Winddiesel, Windkerosin).
diskutiert und beschlossen.

Neben diesen übergeordneten Zielen hinsichtlich


5.1.2 Zielsetzungen im Verkehrssektor Flottenverbrauch, Kraftstoffmix und Antriebstech-
nologien plant die Bundesregierung ferner die Um-
Die Bundesregierung hat sich in ihrem Energie- setzung einer nachhaltigen Mobilitäts- und Kraft-
konzept entsprechend ehrgeizige Energie- und Kli- stoffstrategie auf Basis des etablierten Leitmotivs
maschutzziele für den Verkehrssektor gesetzt wie »weg vom Öl«, die folgende wesentliche Punkte zu
5.2 • Entwicklung des Mobilitätsbedarfs
143 5
900 Steinkohle
800 Motorbenzin
Endenergieverbrauch des
Verkehresektors in TWh

700 Dieselkraftstoff
Flugturbinenkraftstoff, Flugbenzin
600
Flüssiggas
500 Übrige Mineralölprodukte
400 Gase
300 Strom
Biokraftsoff
200
100
0
1990 1993 1996 1999 2002 2005 2008 2011
Jahr

. Abb. 5.1  Endenergieverbrauch des Verkehrssektors in Deutschland nach Energieträgern zwischen 1990 und 2011 in TWh.
(Quelle: [1])

Energieträgern (Energieversorgung), Infrastruktur 55 Personenverkehr


(Transport und Speicherung) und Antriebskonzep- 55 Güterverkehr
ten (Energieeffizienz) umfasst (s. [2]):
55 Klimaziele und Energieträger und
55 Straßenpersonenverkehr und Schienenver- 55 Straßenverkehr
kehr werden eng mit den Klimazielen und 55 Schienenverkehr
erneuerbaren Energien verbunden. 55 Schiffsverkehr
55 Für Verkehrsträger mit hoher Erdölabhän- 55 Luftverkehr
gigkeit und dem Bedarf an Energieträgern
mit hoher Energiedichte (Flug, Schifffahrt, Jeder Bereich und die Kombination der Bereiche
Gütertransport, Arbeitsmaschinen) sollen stellen individuelle Anforderungen an Energieträ-
tragfähige Zukunftskonzepte erarbeitet ger, Infrastruktur, Antriebstechnologien und damit
werden, die vor allem auf Biokraftstoffe und an Energiespeicher.
Stromkraftstoffe zurückgreifen (Biokerosin,
Power-to-Liquid, erneuerbares LNG).
55 Die Energiebasis des Verkehrs soll mit 5.2 Entwicklung des
alternativen Kraftstoffen diversifiziert und Mobilitätsbedarfs
verbreitert werden, um die Abhängigkeit
von wenigen fossilen Energieträgern zu Die Frage des Speicherbedarfs ist eng verknüpft mit
reduzieren. dem Mobilitätsbedarf. Laut der Studie »Zukunft
55 A ntriebskonzepte der Mobilität« des Instituts für Mobilitätsforschung
55 Innovative Antriebstechnologien sollen (ifmo) hängt dieser von zwei wesentlichen Fakto-
etabliert werden. ren ab, nämlich von der demografischen Entwick-
55 Die Effizienz von Verbrennungsmotoren lung und von der Entwicklung der Wirtschaftsleis-
soll gesteigert werden. tung (s. [7]).
55 I nfrastruktur
55 Die Verkehrsabläufe sollen optimiert werden.
55 Die Infrastruktur für alternative Kraftstoffe 5.2.1 Entwicklung der Bevölkerung
wie Wasserstoff soll initiiert werden.
Der demografische Wandel zeigt sich in allen Le-
Zur Umsetzung der Ziele werden Maßnahmen in bensbereichen und wirkt sich damit auch auf die
allen Mobilitätsbereichen erforderlich sein, die sich Mobilität aus. Eine zunehmende Urbanisierung
in folgende Kategorien einteilen lassen:
144 Kapitel 5 • Speicherbedarf im Verkehrssektor

führt zu einem geringeren Mobilitätsbedarf der Be- Vergleich der einzelnen Studienergebnisse zeigt sich
völkerung auf dem Land und stellt höhere Anfor- eine ganz ähnliche Tendenz in der Abschätzung der
derungen an die urbane Logistik und Infrastruktur. zukünftigen Verkehrsleistung. Insgesamt ist ein sig-
Die Intermodalität, also das Wechseln verschiede- nifikanter Anstieg der Güterverkehrsleistung in den
ner Verkehrsträger, wird immer häufiger genutzt kommenden Jahrzehnten zu erwarten, wohingegen
werden (s. [11]). Neben der Konzentration der Be- die Personenverkehrsleistung weitestgehend kons-
völkerung in Ballungsräumen steigt der Anteil an tant bleibt.
Älteren, die andere Mobilitätsbedürfnisse haben als
junge Menschen. Unter jungen Leuten ist ein ge-
wisser Mentalitätswechsel zu beobachten: Das Auto 5.3 Entwicklung der Energie- und
als Statussymbol verliert zunehmend an Stellenwert Kraftstoffversorgung
5 gegenüber anderen Lifestyle-Attributen wie Mo-
biltelefonen. Damit einhergehend sinkt auch der Analog zu den vorhergehenden Kapiteln zum Spei-
Bedarf an individuellen Fahrzeugen, und andere cherbedarf im Strom- und Wärmesektor werden
Konzepte wie Carsharing gewinnen an Popularität. die Betrachtungen zum Personen- und Güterver-
Auch das Umweltbewusstsein und die ihm unter- kehr aus den BMU-Langfristszenarien verwendet.
liegenden Ansprüche in der Mobilität sind in den Neben diesen DLR-, IWES- und IfnE-Studien
letzten Jahren gestiegen. Insgesamt gehen die meis- gibt es weitere wesentliche Studien zur Mobilität,
ten Betrachtungen von einem weitgehend konstan- die in .  Tab.  5.1 aufgeführt sind: Einige Studien
ten Mobilitätsbedarf im Personenverkehr aus. gehen seitens der Energieversorgung eher kon-
servativ von einer weiterhin starken Dominanz
konventioneller Energieträger aus; andere Studien
5.2.2 Entwicklung der sehen wiederum einen progressiven Wandel des
Wirtschaftsleistung Verkehrssektors vor allem auf Basis der Elektro-
mobilität. Die hier gewählten BMU-Langfristsze-
Die Wirtschaftsleistung als indirektes Maß für die narien stellen einen Mittelweg dar (s. [10]).
erzeugten und verbrauchten Güter in der nationa-
len und globalen Volkswirtschaft ist eng verknüpft
mit dem Gütertransport. Daneben wirkt sie sich 5.3.1 Entwicklung im Personenverkehr
auch direkt auf die Einkommensentwicklung und
damit auf den Personenverkehr aus. Der Zusam- . Abbildung 5.2 zeigt die Entwicklungen der Fahr-
menhang zwischen Wirtschafts- und Verkehrsleis- leistung im Personenverkehr und den Energiemix
tung zeigt sich jedoch im Güterverkehr am stärks- in Deutschland von 2005 bis 2050. Die Fahrleistung
ten, weshalb sich ein starkes Wirtschaftswachstum im Personenverkehr steigt tendenziell an, bleibt
sehr deutlich in einem erhöhten Gütertransport- aber durch Effizienzgewinne über den betrachteten
aufkommen widerspiegelt. Von diesem Trend wird Zeitraum nahezu konstant.
in den meisten Szenarien und Untersuchungen Beim Energiemix ist ein deutlicher Rückgang
ausgegangen. der fossilen Kraftstoffe zu sehen. Erneuerbarer
Strom und erneuerbare Kraftstoffe ersetzen sie zu-
nehmend. Der Paradigmenwechsel »Strom wird
5.2.3 Bandbreite der Entwicklung des zur Primärenergie« vollzieht sich auch im Perso-
Bedarfs in Personen- und nenverkehr: Während heute nur der Schienenver-
Güterverkehr kehr elektrisch betrieben wird, wird in Zukunft
über die Hybridisierung eine Elektrifizierung des
Neben der IFMO-Studie gibt es eine Vielzahl wei- Verkehrs erwartet, der sich schlussendlich über
terer Forschungsergebnisse, in denen die Ent- Stromkraftstoffe auch in den Langstreckensegmen-
wicklung von Personen- und Güterverkehr prog- ten wie dem Flugverkehr oder in der Nutzung in
nostiziert wurde (s. .  Tab. 5.1). Bei einem direkten Arbeitsmaschinen durchsetzen wird.
5.3 • Entwicklung der Energie- und Kraftstoffversorgung
145 5

. Tab. 5.1  Prognosen der zukünftigen Personen- und Güterverkehrsleistungsentwicklung. (Quelle: [7, 9, 10, 12, 17].

Studie 2010 2020 2030 2050

Personenverkehrsleistung in Mrd. Personenkilometern

DLR, IWES, IFNE (2012): BMU- Langfristszenarien 2011 1129 1153 1147 1053

WWF Deutschland (2009): Modell Deutschland Klimaschutz bis 2050 – Refe- 1093a 1111 1104 1023
renzszenario

WWF Deutschland (2009): Modell Deutschland Klimaschutz bis 2050 – Inno- 1090a 1101 1087 998
vationsszenario

Prognos AG, EWI, GWS (2010): Energieszenarien für ein Energiekonzept der 1106a 1123 1115 1046
Bundesregierung – Referenzszenario

Prognos AG, EWI, GWS (2010): Energieszenarien für ein Energiekonzept der 1104a 1112 1098 1019
Bundesregierung – Zielszenarien

Öko-Institut, DLR, ISI (2012): Renewbility II – Basisszenario 1178a 1281a 1385 –

Öko-Institut, DLR, ISI (2012): Renewbility II – Klimaschutzszenario 1137a 1160a 1183 –

IFMO (2010): Zukunft der Mobilität. Szenarien für das Jahr 2030– Globale 1120a 1143a 1166a –
Dynamik

IFMO (2010): Zukunft der Mobilität. Szenarien für das Jahr 2030 – Gereifter 1115a 1082a 1050a –
Fortschritt

Güterverkehrsleistung in Mrd. Tonnenkilometern

DLR, IWES, IFNE (2012): BMU- Langfristszenarien 2011 624 798 888 912

WWF Deutschland (2009): Modell Deutschland Klimaschutz bis 2050 – Refe- 634a 775 869 1033
renzszenario

WWF Deutschland (2009): Modell Deutschland Klimaschutz bis 2050– Inno- 635a 779 876 1047
vationsszenario

Prognos AG, EWI, GWS (2010): Energieszenarien für ein Energiekonzept der 675a 777 876 1053
Bundesregierung – Referenzszenario

Prognos AG, EWI, GWS (2010): Energieszenarien für ein Energiekonzept der 675a 781 882 1067
Bundesregierung – Zielszenarien

Öko-Institut, DLR, ISI (2012): Renewbility II – Basisszenario 648a 819a 990 –

Öko-Institut, DLR, ISI (2012): Renewbility II – Klimaschutzszenario 654a 837a 1021 –

IFMO (2010): Zukunft der Mobilität. Szenarien für das Jahr 2030 – Globale 595a 725a 884a –
Dynamik

IFMO (2010): Zukunft der Mobilität. Szenarien für das Jahr 2030 – Gereifter 588a 643a 704a –
Fortschritt

aAus Studie errechnete Werte


146 Kapitel 5 • Speicherbedarf im Verkehrssektor

1200

1000
Fahrleistung in Mrd. Personenkilometer

800 Flugzeuge
Bahn
Busse
PKW+Zweiräder
600 Elektromobilität
Biokraftstoffe
Wasserstoff
5 400 fossile Kraftstoffe

200

0
2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050

. Abb. 5.2  Entwicklung der Fahrleistung im Personenverkehr nach Sparten und Energiequellen

Die Anzahl der elektrisch angetriebenen Fahrzeuge 5.3.2 Entwicklung im Güterverkehr


steigt ausgehend von den Zielen für 2020 (1 Mio.)
und 2030 (6  Mio.) im Szenario auf etwa 16  Mio. Die Verkehrsleistung im Güterverkehr wird weiter-
im Jahr 2040 und etwa 22 Mio. im Jahr 2050. Für hin stark steigen, wie die zahlreichen Szenarien in
den letzteren Zeitpunkt wurde die Fahrleistung der . Tab. 5.1 belegen. In den BMU-Langfristszenarien
Pkw-Hybride zu 80 % und der der Bus-Hybride zu wird zudem vom Suffizienz-Effekt ausgegangen:
60 % erneuerbar elektrisch angenommen. das starke Wachstum im Bedarf wird mittelfristig
Stromkraftstoffe wie Wasserstoff, Power-to-Gas durch Effizienzsteigerungen beschränkt, sodass
oder Power-to-Liquid gewinnen ab 2030 an Bedeu- bis 2030 eine Steigerung um 58 % und bis 2050 um
tung und übersteigen langfristig den Beitrag von 62 % prognostiziert wird [10].
Biokraftstoffen, da sie über ein größeres Potenzial .  Abbildung  5.3 illustriert diese Entwicklungs-
verfügen und weniger in Konkurrenz zu anderen prognose der Fahrleistung im Güterverkehr in
Landnutzungsformen stehen. Biokraftstoffe sind Deutschland von 2005 bis 2050. Die größten Zu-
dennoch ein wichtiges Bindeglied, da sie bis 2030 wächse werden im Lkw-Verkehr deutlich. Diese
die einzige erneuerbare Kraftstoffoption mit einer können zwischen 2040 und 2050 nur durch die
hohen Energiedichte und einem relevanten Poten- Hybridisierung und Nutzung effizienterer Fahr-
zial bei ausreichender technischen Reife darstellen zeuge reduziert werden bzw. durch die Verlagerung
und vor allem für den Luftverkehr, den nicht-elek- des Gütertransports von der Straße auf die Schiene.
trifizierten Schienenverkehr und für Busse und Dies führt zu einer größeren Bedeutung des Schie-
Arbeitsmaschinen genutzt werden können. Eine nenverkehrs, der 2010 zu 90 % elektrisch war und
Umstellung des Flugkraftstoffs erfordert jedoch nach dem Szenario in 2050 zu 96 % elektrisch sein
eine globale Anpassung der Infrastruktur und wird. Die Hybridisierung der Lkw wurde für 2050
Kraftstoffversorgung, da Flugzeuge nur begrenzt mit 30 % und der Leichtnutzfahrzeuge mit 50 %
national eingesetzt werden. unterstellt.
5.3 • Entwicklung der Energie- und Kraftstoffversorgung
147 5
1000
Fahrleistung in Mrd. km pro transportierter Tonne Gut

900

800

700 Flugzeuge
Schiffe
600 Bahn
Leichte Nutzfahrzeuge
500 LKW
Elektromobilität
400 Biokraftstoffe
Wasserstoff
300 fossile Kraftstoffe
200

100

0
2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050

. Abb. 5.3  Entwicklung der Fahrleistung im Güterverkehr nach Sparten und Energiequellen

Anders als beim Personenverkehr ist der Güter- stark durch Brennstoffe mit hoher Energiedichte
verkehr über Jahrzehnte auf fossile Kraftstoffe als geprägt ist. Die Abhängigkeit von fossilen Kraft-
Hauptenergieträger angewiesen. Im Schiffsverkehr stoffen bleibt demnach für lange Zeit bestehen und
kann zwar von einem Schwenk von Marinedieselöl kann lediglich über Anstrengungen in der Energie-
zu LNG ausgegangen werden, aber auch dort bleibt effizienz auf Antriebs- und Verbrauchseite, Inter-
die Abhängigkeit bestehen. Einzig dem Schienen- modalität und Verkehrsoptimierung verringert
verkehr steht über die weitgehende Elektrifizierung werden. In . Abb. 5.5 ist zu erkennen, dass Benzin
der Weg offen, auf einfache Weise erneuerbare langfristig an Bedeutung verliert und auch die an-
Energien über den »Kraftstoff« Strom zu integrie- deren fossilen Kraftstoffe aufgrund von Effizienz-
ren. Ähnliche Ansätze gibt es im Lkw-Verkehr über steigerungen oder Substitution stark rückläufig
Oberleitungen, wozu wiederum die Starkstrom- sind.
elektrifizierung der Straßeninfrastruktur notwen-
dig wäre. Für den Großteil des Gütertransports zz Elektromobilität
bleibt schließlich der Weg zur Klimaneutralität nur Für die Substitution von fossilen Kraftstoffen
über Biokraftstoffe und Stromkraftstoffe offen. kommen verschiedene Möglichkeiten infrage.
Die größten Effizienzgewinne werden zweifels-
ohne aus der Elektromobilität stammen, da ein
5.3.3 Entwicklung des Energiemix im Elektroantrieb mit einer Effizienz von 70–80 %
Verkehrssektor einem konventionellen Verbrennungsantrieb mit
20–30 % Wirkungsgrad um den Faktor 3–4 über-
zz Fossile Energieträger legen ist und entsprechend weniger Endenergie
Die Einführung von erneuerbaren Energien im benötigt (s. .  Abb. 5.4). Dieser Effizienzsprung ist
Kraftstoffbereich wird im Vergleich aller drei Ener- aber möglich, wenn direkt erzeugter erneuerbarer
giesektoren am schwierigsten sein, da dieser Sektor Strom aus Wind-, Solar- oder Wasserkraftanlagen
148 Kapitel 5 • Speicherbedarf im Verkehrssektor

Ungenutzte
Kraftstoff Abwärme

Ungenutzte Abwärme

Antriebsenergie Erneuerbarer Strom Antriebsenergie

Effizienz ca. 20 % Effizienz bis zu 80 %


Verbrennungsmotor Elektromotor

. Abb. 5.4  Effizienzgewinn durch Elektromobilität. (Quelle: [14])


5

800

700
Endenergieverbrauch Verkehr in TWh / a

600
Wasserstoff
500
Biokraftstoffe
Strom
400
Erdgas
300 Kerosin
Benzin
200
Diesel

100

0
2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050
Jahr

. Abb. 5.5  Entwicklung des Endenergieverbrauchs im Verkehr in den BMU-Leitszenarien. (Quelle: [10])

v­ erwendet wird. Der Einsatz von fossilem Strom ist zz Biokraftstoffe und Stromkraftstoffe
nicht zielführend, da der geringe Wirkungsgrad der Im Langstreckenbereich des Individualverkehrs
konventionellen Stromerzeugung den Effizienz- und für Arbeitsmaschinen sowie für den Flug-,
sprung der Elektromobilität annulliert. Schiffs- und Güterverkehr werden als Ergänzung
Der starke Rückgang des Endenergieverbrauchs zur Elektromobilität Kraftstoffe mit hoher Energie-
in .  Abb. 5.5 von 40 % in 2050 gegenüber 2010 ist dichte benötigt. Biokraftstoffe können über kon-
vorwiegend mit der erneuerbaren Elektromobilität ventionelle Motoren genutzt werden und sind da-
zu begründen. Der heute schon relevante Anteil an mit leicht zu integrieren. Sie leisten einen wichtigen
Strom in der Mobilität liegt im Schienenverkehr be- Beitrag, sind aber in ihrem nachhaltigen Potenzial
gründet. begrenzt. Während ihr Potenzial für den Ersatz
5.3 • Entwicklung der Energie- und Kraftstoffversorgung
149 5
fossiler Kraftstoffe in der Landwirtschaft ausrei- de Säule. Bio- und Stromkraftstoffe entlasten den
chend wäre, ist es hingegen nicht groß genug, um Bedarf an fossilen Kraftstoffen für die Langstre-
beträchtliche Teile des deutschen bzw. globalen ckenmobilität. Um diesen Klimaschutz und Sys-
Kraftstoffbedarfs zu decken (s. [16]). temwandel zu bewerkstelligen, werden aus dem
Die Einführung von E10 in der individuellen Stromsektor jährlich etwa 44  TWh für Elektro-
Mobilität scheiterte vorwiegend an mangelnder mobile und 87 TWh für Stromkraftstoffe benötigt,
Akzeptanz (Tank – Teller-Diskussion). Neben dem was zu einem Mehrbedarf an installierter erneuer-
Aspekt der Flächenverfügbarkeit ist die Frage der barer Leistung von 50 GW führt, der vorwiegend
Klimawirkung von Biokraftstoffen wissenschaft- über Windenergie gedeckt wird. Dieser zusätzli-
lich noch nicht vollständig geklärt. Vor allem die che Bedarf ist aus dem Stromsektor bereitzustel-
direkten und indirekten Landnutzungsänderun- len und als Speicherbedarf des Verkehrssektors zu
gen durch den Anbau von Energiepflanzen beein- deklarieren.
flussen die Klimawirksamkeit von Biokraftstoffen Diese Zahlen erscheinen sehr groß, werden
massiv. aber bei Betrachtung des heutigen Kraftstoffver-
Da das Potenzial an Biokraftstoffen begrenzt ist brauchs relativiert: Wie groß der permanente
und Elektromobile aufgrund ihrer bedingt niedri- Kraftstoffverbrauch an Deutschlands Tankstellen
gen Reichweite und der geringen Energiedichte von heute im Vergleich zum Brennstoffverbrauch im
Batterien nicht für alle Zwecke eingesetzt werden Strom- und Wärmesektor ist, offenbart folgendes
können, werden Stromkraftstoffe für den Verkehr Rechenbeispiel.
in Zukunft sehr wichtig werden. Die Technolo-
gien zur Herstellung dieser Stromkraftstoffe wie Beispiel
Power-to-Gas und Power-to-Liquid werden damit Welche Leistung liegt permanent an deutschen
essenziell, um die Ziele der CO2-Reduzierung zu Tankstellen an?
erreichen. Im deutschen Stromsystem wird jährlich eine
Im betrachteten Szenario wird Wasserstoff als Strommenge von etwa 600 TWh mit einer schwan-
Stromkraftstoff abgebildet. Um Wasserstoff zu nut- kenden Leistung zwischen ca. 40 und 80  GW ver-
zen, sind neue Infrastrukturen und entsprechende braucht. Im Verkehr sind die Größenordnungen
Antriebstechnologien sowie Elektrolyseure not- ähnlich: Wird der jährliche Kraftstoffverbrauch von
wendig, die heute noch nicht vorhanden sind. Da- etwa 700 TWh über einen angenommenen Grund-
her ist erst ab 2030 von einem flächendeckenden lastbedarf von 8760 h über das ganze Jahr verteilt
Einsatz auszugehen. Alternativ kann Wasserstoff zu umgerechnet, ergibt sich eine permanente Leis-
einem Gassubstitut oder zu flüssigen Kraftstoffen tung von ca. 80 GW.
weiterverarbeitet und in der bestehenden Infra- Welche Leistung kontrolliert ein Autofahrer
struktur und Antriebstechnologie genutzt werden beim Tanken?
(s. 7 Abschn. 8.3). Ein einfacher Vergleich zwischen einer Zapf-
säule und einem Dieselgenerator verdeutlicht die
zz Gesamtanteil erneuerbarer Energien hohe Energiedichte der kompakten fossilen Kraft-
Der Anteil an erneuerbaren Energien im Verkehr stoffe im täglichen Gebrauch:
steigt von heute 5,4 % bis 2020 auf 14 % (90 TWh/a). An einer herkömmlichen Tankstelle fördert eine
Ab 2030 ist ein Viertel des Energiemix erneuerbar, Zapfsäule etwa 0,5 l Kraftstoff pro Sekunde. Benzin
und ab 2050 wird knapp die Hälfte des Endener- hat einen Heizwert von etwa 9 kWh/l, Diesel etwa
gieverbrauchs im Verkehrssektor mit erneuerbaren 10 kWh/l. Folgende Rechnung liefert die Antwort:
Energien gedeckt (210 TWh/a).
Benzin:
Im Jahr 2050 können 70 % des Individualver-
kehrs auf Basis erneuerbarer Energien abgewickelt l kWh 3600 s
werden: Elektromobile sind mit 50 % die tragen- PBenzin = 0,5 · 9 = 16, 2 MW ,
s l h
150 Kapitel 5 • Speicherbedarf im Verkehrssektor

. Abb. 5.6  Betankung eines Pkw vs. Strom- und Wärmeerzeugung mit der gleichen Energiemenge. Der Leistungs-
fluss einer Zapfsäule beträgt energetisch zwischen 16 und 18 MW und entspricht damit einem BHKW der 6–7 MW-Klasse,
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Diesel: hinaus wird die Integration erneuerbarer Energien


ein wesentlicher Bestandteil der Mobilität.
l kWh 3600 s Als eines der wichtigsten Segmente im Ver-
PDiesel = 0,5 ·10 = 18 MW .
s l h kehrssektor hat zukünftig insbesondere der moto-
risierte Individualverkehr einen signifikanten Bei-
Damit kontrolliert der tankende Autofahrer einen trag für eine nachhaltige Mobilitätsentwicklung zu
Leistungsfluss von 16–18 MW (s. . Abb. 5.6). leisten. Der deutsche Fahrzeugmarkt ist heute fast
Mit diesem Energiefluss könnte ein Diesel- ausschließlich durch konventionelle Fahrzeuge mit
BHWK mit einer elektrischen Leistung von 6–7 MW Verbrennungsmotoren geprägt. Neben dem primä-
und einer thermischen Leistung von 8–9 MW arbei- ren Einsatz von Otto- und Dieselkraftstoffen kom-
ten und damit 12.000–14.000 Haushalte bei einem men ebenfalls Bio- und Stromkraftstoffe vor allem
Leistungsmittelwert von 0,5  kW mit Strom und durch Beimischung, Autogas (LPG – Liquified Pe-
1600–1800 Haushalte bei einem mittleren Bedarf troleum Gas) sowie Erdgas (CNG – Compressed
von 5 kW mit Wärme versorgen. Natural Gas) zum Einsatz. Die entscheidende Rolle
in punkto Klimaschutz und Energieeffizienz spielt
jedoch die Elektromobilität.
5.4 Paradigmenwechsel im
Verkehrssektor
5.4.1 Elektrifizierung der Mobilität
Analog zum Wärmesektor vollzieht sich derzeit ein über Batterien und
wesentlicher Paradigmenwechsel in der Mobilität: Stromkraftstoffe
die Verknüpfung von Strom- und Verkehrssektor,
ausgedrückt als »Hybridisierung« und »Elektrifi- Die Verknüpfung von Strom- und Verkehrssektor
zierung« der Mobilität über neue Antriebskonzep- wird in 7 Abschn.  14.2 anhand von Beispielen be-
te, Energiespeicher und Stromkraftstoffe. Darüber schrieben und umfasst folgende Punkte:
5.4 • Paradigmenwechsel im Verkehrssektor
151 5
zz Strom als Primärenergie – Elektrifizierung 55 D ie Effizienz ist mit erneuerbarem Strom um
von Antrieben und Infrastruktur Faktor 3–4 größer.
Bisher ist nur der Schienenverkehr weitgehend 55 Das Batteriefahrzeug verursacht weniger Fein-
elektrifiziert, er besitzt jedoch noch weiteres Poten- staub und Lärm.
zial hierzu. Durch eine fast vollständige Elektri- 55 Im Gegensatz zur mobilen Nutzung von Kraft-
fizierung der Bahn mit erneuerbarem Strom wird stoff sind über eine Verstromung für das Bat-
der Schienenverkehr als größter Stromverbraucher teriefahrzeug die Abwärmenutzung und CO2-
Deutschlands zu einer wichtigen Säule in der Integ- Abtrennung im stationären Fall prinzipiell
ration erneuerbarer Energien. Über eine intelligen- möglich.
te Kopplung mit dem regionalen Nahverkehr und 55 Ein Batteriefahrzeug eröffnet die Option zur
Carsharing-Angeboten ist eine nachhaltige Lang- Stromspeicherung über das uni- und bidirek-
streckenmobilität im Personenverkehr auf Basis er- tionale Laden und Entladen.
neuerbarer Energien möglich. Der Gütertransport
über die Schiene ist sehr effizient und sollte daher Zukünftig ist eine stärkere Diversifizierung der
ausgebaut werden. Wie in 7 Abschn.  5.3.2 aufge- Antriebskonzepte im Straßenverkehr zu erwarten,
zeigt, nimmt der Güterverkehr stetig zu. Daher ist wobei sich die Elektrifizierung und Hybridisierung
die Verzahnung mit dem Lkw- und Schiffsverkehr des Antriebsstrangs schrittweise vollziehen wird,
enorm wichtig in der Energiewende. Der Güter- wie . Abb. 5.7 verdeutlicht:
verkehr auf den Straßen kann so effektiv entlastet, 55 M icro-Hybrid: Bereits heute ist die Start-
die Gesamteffizienz gesteigert und die fossile Ab- Stopp-Automatik in vielen Modellen integ-
hängigkeit gelöst werden. Voraussetzung ist der riert. Bei Standzeiten schaltet sich der Ver-
Ausbau und nicht der Rückbau der bestehenden brennungsmotor ab und das Fahrzeug wird
Schienenkapazitäten und ihre hohe Auslastung rein elektrisch aus der Batterie betrieben. Eine
über intelligente Logistikkonzepte (s. [11]). optionale Bremsenergierückgewinnung kann
Der Lkw-Verkehr ist fast ausschließlich auf die Batterie beim Bremsen laden.
fossile und biogene Kraftstoffe angewiesen. Neue 55 Mild-Hybrid: Das Fahrzeug verfügt über einen
Studien zeigen das Potenzial der Elektrifizierung Elektroantrieb zur Beschleunigung, der den
des Lkw-Güterverkehrs über Oberleitungs-Lkw. Verbrennungsantrieb ergänzt. Meist werden
Im Zuge der Energiewende werden weitläufige beide Antriebsstränge parallel ausgelegt.
Stromtrassen notwendig, die in die Autobahninf- 55 F ull-Hybrid: Der Vollhybrid kann sowohl rein
rastruktur integriert werden können. Dabei schlägt elektrisch als auch rein verbrennungstech-
der VDE vor, einen Kanal neben der Autobahn zu nisch angetrieben werden, weshalb er auch als
führen, in dem Stromleitungen eingebracht werden paralleler Hybrid bezeichnet wird. Vorrangig
können. So kann ein Teil der Autobahn über Ober- kommt jedoch der Verbrennungsmotor zum
leitungen oder induktive Ladeeinheiten elektrifi- Einsatz. Bremsenergie und Verbrennungs-
ziert werden (s. [15]). motor speisen dabei die Batterie, sodass das
Dieser Ansatz stellt auch eine Lösung für das Fahrzeug energetisch zwar effizienter als ein
Reichweitenproblem der Elektromobilität von Pkw konventionelles Fahrzeug ist, jedoch seine
dar. Reine Elektrofahrzeuge haben nach dem heu- Energie nach wie vor fast vollständig aus dem
tigen Stand der Technik nur eine Reichweite von getankten Kraftstoff und damit meist aus fossi-
200–300 km, die in der begrenzten Batteriekapazi- ler Energie bezieht.
tät begründet ist. Zudem verursachen die Batterien 55 Plug-in-Hybrid: Erst ab dem Plug-in-Hybrid
den größten Kostenblock in Batteriefahrzeugen ergibt sich eine Kopplung zwischen Strom-
(Battery Electric Vehicle BEV). Allerdings besitzen und Verkehrssektor, indem die Batterie des
sie auch große Vorteile gegenüber konventionellen Automobils auch von extern über einen
Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren: Stecker geladen werden kann. Die meisten
152 Kapitel 5 • Speicherbedarf im Verkehrssektor

+
+ + H2 +
+ + + + +
– – – –

Micro-Hybrid / Mild-Hybrid Full-Hybrid / Plug-In-Hybrid / Range Extender Batteriefahrzeug Brennstoffzelle


Start-Stopp (HEV) (PHEV) (RE BEV) (BEV) (FCEV) 1)
400–600 km

80–200 km
50–120 km
5 2 km
20–80 km

Elektromotor
Boost 1) > 2012
Verbrennungsmotor + Stromerzeuger

. Abb. 5.7  Elektrifizierung des Antriebsstrangs im Übergang von Verbrennungsmotor und Elektromotor am Beispiel des
Pkw nach [13]

Fahrstrecken sind Kurzstecken, die mit dem 55 Brennstoffzellenfahrzeug und Stromkraft-


Plug-in-Hybrid rein elektrisch gefahren wer- stoffe: Das Fahrzeug wird durch die kalte
den können. Die Flexibilität für lange Stre- Verbrennung von Wasserstoff und Sauerstoff
cken bleibt durch ein Nachladen der Batterie zu Wasser und elektrischer Energie ebenfalls
mittels Verbrennungsmotor erhalten, weshalb nur elektrisch angetrieben. Der Wasserstoff
dieser Fahrzeugtyp beide Bedürfnisse vereint: wird zuvor aus Strom über die Wasserelektro-
emissionsfreie Kurzstrecken bei nicht einge- lyse erzeugt, verteilt und in Wasserstofftanks
schränkter Langstreckenmobilität. Der Hybrid in gasförmiger oder flüssiger Form gespei-
kann als paralleler oder serieller Hybrid aus- chert.
geführt werden und ist dem Vollhybrid sehr
ähnlich. Für Plug-in-Hybride, Elektrofahrzeuge mit Range
55 E lektrofahrzeug mit Range Extender: Der Extender und Batteriefahrzeuge wird eine Ladeinf-
Übergang zwischen Plug-in-Hybrid und Elek- rastruktur benötigt, welche in 7 Abschn. 14.2 erläu-
trofahrzeug mit Range Extender ist fließend. tert ist. Eine große Herausforderung sind in diesem
Das Elektrofahrzeug mit Range Extender wird Zusammenhang die hohen Investitionskosten für
meist als serieller Hybrid ausgeführt. Dabei den Aufbau, aber auch die Kosten während des Be-
handelt es sich um ein Batteriefahrzeug, das triebs der Ladeinfrastruktur.
rein elektrisch fährt und bei Bedarf über einen Für die Verteilung von Wasserstoff und den Ein-
kleinen Verbrennungsmotor samt Generator satz in Brennstoffzellenfahrzeugen steht analog zur
die Batterie nachlädt. Elektromobilität derzeit ebenfalls keine flächende-
55 B atteriefahrzeug: Das »reine Elektromobil« ckende Versorgungsinfrastruktur zur Verfügung.
verfügt über keinen Verbrennungsmotor und Eine Wasserstoffinfrastruktur kann entweder zent-
ist ausschließlich elektrisch angetrieben. Die ral oder dezentral ausgeführt werden. Im zentralen
Reichweite des Fahrzeugs ist durch die Batte- Fall wird Strom zentral in Wasserstoff gewandelt,
riekapazität begrenzt. Das Betanken des Fahr- gespeichert und anschließend mittels Pipeline oder
zeugs erfolgt rein elektrisch über eine Ladeein- Lkw zu den Tankstellen transportiert. Im dezentra-
heit oder über den Austausch der Batterien. len Fall wird Strom statt Wasserstoff transportiert
5.5 • Speicherbedarf
153 5
und direkt vor Ort an den Tankstellen über de- und die Distributionswege zurückgegriffen werden,
zentrale Elektrolyseure in Wasserstoff gewandelt, sodass nur geringe Anpassungen notwendig sind.
gespeichert und getankt. Neben dem technischen
Aufwand der Wasserstoffmobilität ist der finanziel-
le Aufwand immens, weshalb sie bisher nicht zum 5.4.2 Integration erneuerbarer
Durchbruch gekommen ist und andere Stromkraft- Energien als Grundpfeiler der
stoffe wie Windgas und Power-to-Liquid eine reelle Mobilität
Option sind.
Neben dem wesentlichen Baustein »Elektrifizie-
zz Stromkraftstoffe rung der Mobilität« zeichnet sich auch die zukünf-
Neben Wasserstoff als effizientester Stromkraft- tig wichtiger werdende Rolle von Biokraftstoffen
stoff für die Mobilität werden auch andere gas- ab, die Elektromobilität und Stromkraftstoffe er-
förmige und flüssige Kraftstoffe aus erneuerbarem gänzen.
Strom entscheidend werden. Den Nachteil einer Grundsätzlich eignen sich verschiedene erneu-
fehlenden Wasserstoffinfrastruktur und nicht ver- erbare Optionen für die unterschiedlichen Fahr-
fügbaren Brennstoffzellenfahrzeugen kann eine zeugkonzepte, welche in der Matrix .  Abb.  5.8
Gasmobilität auf Basis von erneuerbarem Gas aus- offengelegt sind und Tendenzen abbilden, die sich
gleichen. Bei der Herstellung von erneuerbarem in Zukunft je nach Entwicklung von Technologie
Methan mittels Power-to-Gas und anschließender und Markt ändern können.
Verteilung kann auf die bestehenden Transport-
und Speicherkapazitäten des Erdgasnetzes zurück-
gegriffen werden. Zudem existieren heute bereits 5.5 Speicherbedarf
über 900 Erdgastankstellen in Deutschland. Der
Stromkraftstoff Windgas in Form von Methan hat Der zukünftige Speicherbedarf im Verkehrssektor
die gleichen Eigenschaften wie Erdgas und ist daher ist ähnlich wie der Wärmesektor schwierig zu er-
vollständig kompatibel mit der Erdgasinfrastruktur fassen. Es gibt dazu nur wenige Studien, und das
inklusive Tankstellen und ausgereifter, kostengüns- Thema ist noch weitgehend eine Forschungsfrage.
tiger Fahrzeugtechnologie (s. 7 Abschn.  8.3). Zu- Gleichwohl kann eine gewisse Entwicklung des
dem ist die volumetrische Energiedichte von Me- Speicherbedarfs im Verkehrssektor im Folgenden
than um den Faktor 3 größer als von Wasserstoff, aufgezeigt und für ein rein erneuerbares Energie-
was den Platzbedarf der Speicher reduziert. Neben system berechnet werden.
der Gasmobilität im Straßenverkehr für Pkw und
Lkw wird Gas als CO2-armer Energieträger mit ho-
her Energiedichte in Form von LNG attraktiv für 5.5.1 Heutiger Speicherbedarf
den Schiffsverkehr, um Emissionsgrenzen in Hä-
fen einzuhalten. Die notwendigen LNG-Terminals Seit geraumer Zeit besteht ein enormer Speicher-
sind ebenfalls Stand der Technik. bedarf in der Mobilität in Form fossiler Kraftstoffe,
Auch flüssige Stromkraftstoffe aus Wind- und wozu auch die Beimischung von Biokraftstoffen
Solarenergie tragen zukünftig wesentlich zur Kopp- zählt. Während Bio- und Stromkraftstoffe ähnliche
lung von Strom- und Verkehrssektor bei. Strom als Speicher nutzen, entsteht ein neuer Speicherbedarf
Primärenergie für Diesel und Kerosin wird den Weg in der Elektromobilität.
für erneuerbaren Strom im Luftverkehr ebnen und
Arbeitsmaschinen wie Baufahrzeugen und land- und zz Fossile Kraftstoffe
forstwirtschaftlichen Fahrzeugen dienen. Beim Ein- Die monatliche Nachfrage nach Otto- oder Die-
satz von Power-to-Liquid im Verkehrssektor kann selkraftstoffen ist über das Jahr gesehen nahezu
vollumfänglich auf das bestehende Tankstellennetz konstant. Ein saisonaler Ausgleich wie im W
­ ärme-
154 Kapitel 5 • Speicherbedarf im Verkehrssektor

Schienen- Schffs- Flug-


Straßenverkehr
verkehr verkehr verkehr
Verkehrsträger
Personenverkehr Güterverkehr Arbeits-
maschinen
Personen-& Binnen-& zivil &
Kurzstecke Mittelstrecke Langstrecke Busse Nahverkehr Fernverkehr Güterverkehr Seeschifffahrt millitärisch
Energieträger

Elektrizität Batterie

Oberleitung

Strom-
Kraftstoffe
Wasserstoff
(Power-to-Gas,
Power-to-
Liquid)

Methan
5
Füssige Kraftstoffe
(Diesel, Kerosin)
Biokraftstoffe
Pflanzenöl
Erste Generation
Biodiesel

Bioethanol

Zweite
Generation Biomas-to-Liquid

Diesel, Benzin,
Fossile Kraftoffe
LPG, etc.

Besonders geeignet Gut geeignet Prinzipell geeignet / Forschungsbedarf Nicht geeignet bzw. Einsatz nicht möglich

. Abb. 5.8  Matrix Fahrzeug – alternative Energie

oder Stromsektor ist im Verkehrssektor bisher zz Biokraftstoffe


nicht notwendig. Der Verbrauch wird dadurch gut Raps wird in Deutschland meist ab Juli geerntet
planbar, was die Auslegung der Bevorratungska- und kann entweder als Ölsaat, als Öl oder nach
pazitäten einfach macht und die Produktion der der Umesterung als Biodiesel gelagert werden
Kraftstoffe konstant dem Verbrauch folgen lässt. (s. 7 Abschn. 4.3.2.3). 2010 lag die Produktion von
Kraftstoffe in Raffinerien und Pipelineterminals Biodiesel bei etwa 26,4 TWh. Bei einem Heizwert
werden vor dem Verbrauch meist nur kurz in kon- von 10,3  kWh/m3, einer Dichte von 880  kg/m3
ventionellen Lagern zwischengespeichert. Sie be- und der Lagerung als Biodiesel wird ein Speicher-
stehen aus oberirdischen Speichern wie Tanklager volumen von etwa 2,91  Mio.  m3 benötigt, um die
aus Stahl oder aus unterirdischen Kavernen und Jahresproduktion zu bevorraten. Für Rapsöl gelten
Aquiferen, wie sie in 7 Abschn.  8.4.2 ausführlich ähnliche Volumen. Zur Lagerung der reinen Ölsaat
beschrieben werden. sind bei einem guten Flächenertrag von 2,8  t pro
Nach der Raffinerie werden weitere Energie- Hektar und Jahr Speicherkapazitäten für 6,51 Mio. t
speicher zur Nutzung der Kraftstoffe benötigt: Ölsaat notwendig.
55 in Tanklastern und Tankzügen zur Verteilung Für Bioethanol lässt sich eine solche Berech-
an die Tankstellen für den Straßen-, Schienen-, nung für Deutschland nur schwer durchführen,
Schiffs- und Luftverkehr, da hierfür mehrere Pflanzen mit unterschiedlichen
55 in den mobilen Tanks der Straßen- und Schie- Erntezeitpunkten und Hektarerträgen eingesetzt
nenfahrzeuge, Arbeitsmaschinen, Schiffe und werden und ein Großteil an Bioethanol importiert
Flugzeuge. wird.
5.5 • Speicherbedarf
155 5

. Tab. 5.2  Entwicklung des Endenergieverbrauchs des Verkehrssektors in Deutschland von 2010 bis 2050. (Quelle: [10].

2010 2050

Endenergie Anteil Endenergie Anteil


in TWh/a in TWh/a

Fossile Kraftstoffe (Benzin, Diesel, Kerosin, 685 93 % 212 50 %


Gase)

Biokraftstoffe (Bioethanol, Biodiesel und BTL) 36 4,9 % 83 20 %

Stromkraftstoffe (Wasserstoff, Windgas, 0 0% 67 16 %


Winddiesel)

Strom (Elektromobilität) 16 1,6 % konventionell, 60 14 % (rein


0,5 % erneuerbar erneuerbar)

5.5.2 Speicherbedarf in einem zu 50 % zz Speicherbedarf für Stromkraftstoffe


erneuerbar versorgten Der Bedarf an Gasspeichern für Wasserstoff oder
Mobilitätssektor Methan aus Power-to-Gas ergibt sich aus Über-
schüssen im Stromnetz und resultiert in einem
Nach dem Basisszenario in [10] kann 2050 etwa die Bedarf an Langzeitspeichern wie Kavernen- oder
Hälfte der Verkehrsleistung erneuerbar bereitge- Porenspeicher (s. 7 Kap.  3). Darüber hinaus wird
stellt werden. .  Tab. 5.2 schlüsselt die Entwicklung die Erdgasinfrastruktur auch für Kraftstoffe aus
der vier Energieträger auf. Diese sind fossile Kraft- reinen Stromkraftstoffanlagen für Windkraftstoffe
stoffe, Biokraftstoffe, Stromkraftstoffe aus Strom- oder Solarkraftstoffe benötigt. Wird Wasserstoff di-
überschüssen oder eigenen Stromkraftstoffanlagen rekt in Raffinerieprozesse eingebunden (z. B. durch
und Strom für die direkte Elektrotraktion. Hydrocracken), entsteht kein zusätzlicher Spei-
cherbedarf über die vorhandene Infrastruktur hin-
zz Speicherbedarf für konventionelle aus, da der fossile Pfad zur Integration genutzt wird.
Kraftstoffe
Die fossilen Kraftstoffe werden auch in Zukunft in zz Speicherbedarf für Stromantriebe
der gleichen Form wie heute gespeichert. Die benö- Ähnlich dem Speicherbedarf für Stromkraftstof-
tigte Lagerkapazität geht jedoch mit der Bedeutung fe ist der Speicherbedarf für Elektromobilität eng
fossiler Kraftstoffe anteilig zurück. mit dem Stromsektor verbunden. Kurzfristig kön-
nen die Batterien der Elektromobile dem Lastma-
zz Speicherbedarf für Biokraftstoffe nagement dienen, langfristig auch als Speicher mit
Die Produktion von Biokraftstoffen ist stark von der geringer Kapazität für das Stromnetz. Die Elekt-
Erntezeit der verwendeten Biomasse abhängig und romobilität ist in den Betrachtungen bis 2050 im
erfordert je nach Verarbeitungsschritt unterschied- Stromsektor integriert und dort im Speicherbedarf
liche Lagerkapazitäten und Lagertechnologien. Bei verankert. Die absoluten Mengen sind jedoch ge-
zuckerhaltigen Energiepflanzen zur Ethanolher- ring, wie das folgende Rechenbeispiel verdeutlicht.
stellung kann zudem die Lagerung schnell zu Subs-
tanzverlust führten, da biologische Vorgänge, wie Beispiel
z.  B. Respiration, einen Trockenmasseverlust för- Speicherkapazität einer vollständigen Elektrifi-
dern. Für Biogas als Kraftstoff können vorhandene zierung aller Kraftfahrzeuge in Deutschland
Gasspeicher genutzt werden. Werden Biokraftstoffe In Deutschland gibt es derzeit ca. 42 Mio. Fahr-
wie Biomass-to-Liquid (BTL) in Raffinerieprozes- zeuge. Würden alle Fahrzeuge durch Batteriefahr-
se integriert, kann die bestehende Mineralölinfra- zeuge mit einer Speicherkapazität von 20  kWh,
struktur für die Speicherung verwendet werden.
156 Kapitel 5 • Speicherbedarf im Verkehrssektor

wovon für die reine Stromspeicherung 50 % zuge- als notwendige Strommenge zur Ladung dieser
lassen werden, ausgestattet, entstünde daraus nur Fahrzeuge. Bei einem Ladezyklus pro Tag im Mit-
etwa die 10-fache Speicherkapazität der heute exis- tel korrespondiert dies mit einer Speicherkapazität
tierenden Pumpspeicher in Deutschland: von rund 150  GWh. Wird der heutige Fahrzeug-
bestand von 42 Mio. Kraftfahrzeugen zugrunde ge-
kWh
W42 Mio.E − mobile = 42 ⋅ 106 Fahrzeuge ⋅ 10 legt, ergibt sich für die 12,6 Mio. Batteriefahrzeuge
Fahrzeug eine mittlere Speicherkapazität von 12  kWh pro
= 420 GWh. Fahrzeug.
Die 40 % Traktionsenergie von ca. 55 TWh, wel-
che über Stromkraftstoffe erbracht werden, greifen
5.5.3 Speicherbedarf für Verkehr in auf 150 TWh Wasserstoff aus Wind- und Solarener-
5 der Studie des Fraunhofer ISE gie in Stromkraftstoffanlagen zurück, wovon
55 82 TWh/a für den Antrieb von Brennstoffzel-
In 7 Abschn.  4.4 sind Ergebnisse einer Studie des lenfahrzeugen verwendet,
Fraunhofer ISE dargestellt, in der ein zukünftiges, 55 68 TWh/a in den Stromkraftstoff Methan ge-
überwiegend erneuerbares Energiesystem betrach- wandelt werden.
tet wird. Darin wird auch der Verkehrssektor in
sehr vereinfachter Form modelliert. Die Kilometer- Die Größe des notwendigen Wasserstoffspeichers
leistung aller Kraftfahrzeuge sowie im Luftverkehr zum Ausgleich des Bedarfs an Wasserstoff für Fahr-
wird gegenüber heute nicht verändert. Diese Trak- zeuge und das Angebot an Strom aus erneuerbaren
tionsenergie, die rein exergetisch für die Bewegung Energien beträgt rund 20 TWh/a.
der Fahrzeuge benötigt wird, beträgt heute und
damit im Modell in etwa 137 TWh. Sie wird auf die
verwendeten Antriebstechnologien über folgende 5.6 Zusammenfassung
Annahmen verteilt:
55 F ossile Kraftstoffe: 40 % der Kilometerleistung Für die Umsetzung der ehrgeizigen Ziele im Ver-
wird nach wie vor durch konventionelle Ver- kehrssektor steht eine Vielzahl von Technologien
brennungsmotoren über fossile Kraftstoffe und Energieträgern zur Auswahl. Verkehrsträ-
gedeckt, was im Wesentlichen dem Schwerlast- gerübergreifend ist die Effizienzsteigerung der
und dem Luftverkehr entspricht. Antriebstechnologien sehr wichtig, um bis 2050
55 Batteriefahrzeuge: 30 % wird durch Fahrzeu- 40 % weniger Endenergie als 2005 zu benötigen.
ge mit Batterie und Elektromotor gedeckt, was Der durchschnittliche CO2-Ausstoß der Fahrzeug-
im Wesentlichen dem urbanen Kurzstrecken- modelle kann bis 2021 nur dann auf 95 g reduziert
verkehr entspricht. werden, wenn eine zunehmende Elektrifizierung
55 S tromkraftstoffe: 30 % werden durch Fahrzeu- des Antriebsstrangs erfolgt. Im Luftverkehr sind
ge gedeckt, die Brennstoffzellen und Elektro- nationale Alleingänge aufgrund der internationa-
motoren auf Basis von Wasserstoff verwenden. len Kraftstoffstruktur nicht möglich. Im Einzelnen
sind folgende Entwicklungen zu erwarten:
Es resultieren die in 7  Abb. 4.5 gezeigten Energie- Mobilitätsbedarf
mengen: 55 Die Personenverkehrsleistung bleibt annä-
hernd konstant und ist vorwiegend im demo-
Die Batteriefahrzeuge decken 30 % der Traktions- grafischen Wandel begründet.
energie, also 41 von 137 TWh. Mit einem angenom- 55 Die Güterverkehrsleistung steigt deutlich an
menen Gesamtwirkungsgrad von 75 % für Laden, und ist stark an die Wirtschaftsentwicklung
Entladen und Elektroantrieb ergeben sich 55 TWh gekoppelt; Effizienzsteigerungen werden
durch den Mehrbedarf überdeckt.
5.6 • Zusammenfassung
157 5
Energiemix stoffbedarf vollständig zu decken, und sind
55 Zukünftig ist eine stärkere Diversifizierung daher gezielt einzusetzen.
der Antriebskonzepte im Straßenverkehr zu 55 Stromkraftstoffe überwinden die Potenzial-
erwarten, wobei sich die Elektrifizierung des grenzen von Biokraftstoffen und stellen eine
Antriebsstrangs schrittweise vollziehen wird. weitere Form der Elektrifizierung des Ver-
55 Die Kraftstoffbasis, die heute zu überwie- kehrssektors dar.
genden Teilen auf fossilen Kraftstoffen be- 55 Für Elektromobilität und Wasserstoff werden
ruht, wird sukzessive erweitert, was zu einer neue Infrastrukturen für Transport und Ver-
verstärkten Integration und Verzahnung teilung benötigt.
zwischen Strom- und Verkehrssektor führen 55 F ür jede Art des Antriebes gibt es erneuerba-
wird. re Alternativen und Konzepte.
55 Der fossile Energieverbrauch geht deutlich
zurück, vor allem von Benzin; Diesel für den Speicherbedarf
Güterverkehr und Arbeitsmaschinen bleibt 55 Der konventionelle Speicherbedarf sinkt
weiter erhalten. mit dem Rückgang der fossilen Energieträger,
55 D ie Elektromobilität auf Basis erneuerbarer indem immer mehr Energie direkt aus der
Energien bringt die deutlichsten Effizienzge- Umgebung über die »solare«, erneuerbare
winne. Mobilität in den Verkehr gebracht wird und
55 B iokraftstoffe sind wichtig im Bereich der die Antriebsstränge elektrifiziert werden.
Arbeitsmaschinen und der Langstrecken- 55 F ür Biokraftstoffe werden Lagerkapazitäten
mobilität; aber ihr Potenzial ist zu gering, um notwendig, sofern der Kraftstoff nicht direkt in
den gesamten Kraftstoffbedarf zu decken. die Mineralölinfrastruktur integriert wird.
55 S tromkraftstoffe werden zur Erreichung der 55 Elektromobile können einen Großteil der
Klimaziele elementar und sind vor allem für Traktionsenergie effizient über erneuerbaren
den Güterverkehr, Arbeitsmaschinen, Schiffs- Strom leisten. Werden 30 % der Verkehrsleis-
und Luftverkehr von zentraler Bedeutung. tung über Batteriefahrzeuge erbracht, beträgt
55 D ie Einführung von erneuerbaren Energien die benötigte Strommenge je nach Auslegung
im Kraftstoffbereich ist im Vergleich mit den ca. 60 TWh und damit etwa 10 % des heutigen
beiden anderen Energiesektoren die größte Bruttostromverbrauchs. Der Stromverbrauch
Herausforderung. steigt also durch die Einführung der Elektro-
mobilität nicht massiv an. Bei einem täglichen
Paradigmenwechsel Ladezyklus entsteht ein neuer Speicherbedarf
55 S trom wird zur Primärenergie, auch im Ver- von ca. 150 GWh Batteriespeicherkapazität
kehrssektor. für Elektrofahrzeuge.
55 Die Elektrifizierung der Mobilität erfolgt über 55 Z um Ersatz von fossilen Kraftstoffen in
die Hybridisierung und über Stromkraftstoffe. Segmenten mit hohen Anforderungen an die
55 D ie Hybridisierung des Antriebsstrangs Energiedichte werden Stromkraftstoffe be-
zeichnet den Weg vom Micro-Hybriden bis nötigt. Eine 40 %ige Deckung der Verkehrs-
zum vollelektrischen Automobil vor und be- leistung resultiert in einem sehr großen zu-
schränkt sich nicht nur auf Pkw, sondern auch sätzlichen Strombedarf von ca. 150 TWh.
auf Lkw und Busse über Oberleitungen sowie 55 Der Beitrag der direkten und indirekten Nut-
den Ausbau des elektrischen Schienenver- zung von elektrischer Energie als Kraftstoff
kehrs. zum Klimaschutz wird maßgeblich durch die
55 Biokraftstoffe reichen trotz der zweiten und
dritten Generation nicht aus, um den Kraft-
158 Kapitel 5 • Speicherbedarf im Verkehrssektor

zunehmende Stromerzeugung aus erneuerba-


ren Energien im Stromsektor beeinflusst

k und zum Abschluss dieses Teils noch


k.… 5. EU (2014) A policy framework for climate and energy in
eine Karikatur von Gerhard Mester: the period from 2020 to 2030. European Commission,
Brussels
6. IATA (2009) Carbon-neutral growth by 2020. bold
industry commitment on environment. International Air
Literatur Transport Association, Kuala Lumpur
7. ifmo (2010) Zukunft der Mobilität. Szenarien für das Jahr
1. AGEB (2012) Auswertungstabellen zur Energiebilanz für 2030; zweite Fortschreibung, 1. Aufl. ifmo-Studien. BMW,
die Bundesrepublik Deutschland 1990 bis 2011. Berech- München
nungen auf Basis des Wirkungsgradansatzes, A, Berlin 8. Kalinowska D, Krähe M, Rumpke C (Hrsg) (2012) Verkehr.
2. BMVBS (2013) Die Mobilitäts- und Kraftstoffstrategie Energie. Klima. Alles Wichtige auf einen Blick, 1. Aufl.
der Bundesregierung (MKS). Energie auf neuen Wegen, Deutsche Energie-Agentur GmbH (dena), Berlin
Berlin 9. Kirchner A, Matthes FC (2009) Modell Deutschland.
3. BMWi, BMU (2010) Energiekonzept für eine umweltscho- Klimaschutz bis 2050: Vom Ziel her denken. Endbericht
nende, zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung, der WWF Deutschland Studie, Prognos, Öko-Institut
Berlin e. V., Berlin, Basel
4. EU (2011) Weißbuch. Fahrplan zu einem einheitlichen 10. Nitsch J, Pregger T, Sterner M et al (2012) Langfrist-
europäischen Verkehrsraum – Hin zu einem wett- szenarien und Strategien für den Ausbau der erneuer-
bewerbsorientierten und ressourcenschonenden baren Energien in Deutschland bei Berücksichtigung
Verkehrssystem, Europäische Kommission, Brüssel der Entwicklung in Europa und global. Schlussbericht
BMU – FKZ 03MAP146, Deutsches Zentrum für Luft-
Literatur
159 5
und Raumfahrt; Fraunhofer-Institut für Windenergie
und Energiesystemtechnik; Ingenieurbüro für neue
Energien. Bundesmin. für Umwelt Naturschutz und Re-
aktorsicherheit, Berlin
11. Pehnt M, Sterner M, Gerhardt N et al (2012) Fahrplan
Energiewende, IFEU, Fraunhofer IBP, OTH Regensburg
12. Schlesinger M, Lindenberger D, Lutz C (2010) Energie-
szenarien für ein Energiekonzept der Bundesregierung
Projekt Nr. 12/10, Prognos AG, EWI, GWS, Basel, Köln,
Osnabrück, Berlin
13. Steiger W (2012) Rahmenbedingungen zukünftiger Mo-
bilität - Strategie des Volkswagenkonzerns. Seminarrei-
he VDI Bezirksgruppe Ingolstadt 2012/13 in Kooperation
mit der Hochschule Ingolstadt AutoUni/VDI Braun-
schweiger Bezirksverein e. V., Volkswagen, Ingolstadt
14. Sterner M, Schmid J, Wickert M (2008) Effizienzgewinn
durch erneuerbare Energien – der Primärenergiebeitrag
von erneuerbaren Energien. Brennstoff Wärme Kraft –
Springer VDI Verlag 06/2008 (60)
15. VDE ETG (2011) Stromübertragung für den Klimaschutz.
Potenziale und Perspektiven einer Kombination von
Infrastrukturen. Gesamttext. VDE-Studie, VDE – Verband
der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e. V.,
Frankfurt a. M.
16. WBGU (2009) Welt im Wandel: Zukunftsfähige Bioener-
gie und nachhaltige Landnutzung. Hauptgutachten
2009, Wissenschaftlicher Beirat Globale Umweltverän-
derungen (WBGU). WBGU, Berlin
17. Zimmer W (2013) RENEWBILITY II Szenario für einen
anspruchsvollen Klimaschutzbeitrag des Verkehrs.
Umweltforschungsplan des Bundesministeriums für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Nachhal-
tige Mobilität und Immissionsschutz. Öko-Institut e. V.,
Freiburg
161 III

Teil III Technologien der


Energiespeicherung
Kapitel 6 Elektrische Energiespeicher – 163

Kapitel 7 Elektrochemische Energiespeicher – 197

Kapitel 8 Chemische Energiespeicher – 295

Kapitel 9 Mechanische Energiespeicher – 455

Kapitel 10 Thermische Energiespeicher – 535

Kapitel 11 Lastmanagement als Energiespeicher – 575

Kapitel 12 Vergleich der Speichersysteme – 597


163 6

Elektrische Energiespeicher
Übersicht
Die Technologien der Energiespeicherung zeichnen sich durch eine sehr
große Vielfalt aus. Sie bilden den dritten Teil dieses Buches und betreffen die
Grundlagen der Physik, der Chemie, des Maschinenbaus und der
Elektrotechnik. Die Anfänge der Energiespeicherung liegen eher in der
Biologie, heute als »chemische Energiespeicherung« bezeichnet. Solarenergie
war in Form von chemischen Bindungen in Kohlenwasserstoffen gespeichert,
die bei ihrer Verbrennung Energie freigeben. Das fossile Potenzial
chemischer Energiespeicher geht jedoch zur Neige und das nachhaltige
Potenzial an Biomasse ist begrenzt (s. 7 Kap. 1 und 2).
Für die Vollendung der Energiewende wird Strom ein bedeutender
Primärenergieträger werden. Die tragenden Säulen werden Wind- und
Solarenergie sein. Dies geht deutlich aus den Szenarien zur Ermittlung des
Speicherbedarfs hervor (7 Kap. 3–5). Da diese Quellen am ökonomischsten
über die Stromerzeugung zu nutzen sind, ist ihre direkte Speicherung in Form
von elektrischer Energie naheliegend.
Im vorliegenden Kapitel wird auf die direkte elektrische Energiespeiche-
rung in Kondensatoren und in Spulen eingegangen. Für beide Fälle werden
die physikalischen und elektrotechnischen Grundlagen erörtert, Kennwerte
abgeleitet und ihre Funktionsweisen und Einsatzgebiete beschrieben.

M. Sterner, I. Stadler, Energiespeicher – Bedarf, Technologien, Integration,


DOI 10.1007/978-3-642-37380-0_6, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
164 Kapitel 6 • Elektrische Energiespeicher

6.1 Kondensatoren – Supercaps

Die Energiespeicherung in einem Kondensator be-


ruht auf der Aufrechterhaltung eines elektrischen
Feldes, in dem Energie gespeichert wird. In die- +e -e

sem Abschnitt werden die Grundlagen des elektri-


schen Feldes einschließlich der feldbeschreibenden
Grundgrößen behandelt. Hierauf folgt eine Be-
schreibung des Kondensators im Allgemeinen, im
Anschluss werden die Besonderheiten des Doppel-
schichtkondensators betrachtet. . Abb. 6.1  Das elektrische Feld E zwischen zwei Ladun-
gen

6 6.1.1 Grundlagen eines Kondensators



zz Das elektrische Feld   F  VAs   V 
E= = = .
Der französische Physiker Charles Augustin de Q  m ⋅ Q  m  (6.3)
Coulomb (1736–1806) beschäftigte sich mit der
Kraftwirkung von Ladungen. Er stellte fest, dass
sich elektrische Ladungen gleichen Vorzeichens Die in Gl.  6.3 enthaltene Einheit Volt [V] ist die
abstoßen und ungleiche Ladungen anziehen. La- elektrische Spannung U:
dungen üben somit eine Kraftwirkung aufeinander
aus. Um diese Kraftwirkung zu veranschaulichen,  J 
U =  . (6.4)
wurden Kraftlinien eingeführt. Diese geben den Q 
Betrag und die Richtung der Kraft im Raum an.
Zusammengefasst ergeben sie das elektrische Feld
E (s. . Abb. 6.1). Sie gibt die Energie pro Ladung an und kenn-
Hierbei ist zu beachten, dass die Feldlinien auf zeichnet somit die mögliche Verschiebearbeit pro
positiven Ladungen beginnen und auf negativen Ladung. Dementsprechend kann sie als Ursachen-
Ladungen enden. Das e kennzeichnet hierbei die wirkung des Stromes angesehen werden.
Elementarladung
zz Materialabhängigkeit – das Dielektrikum
e = 1, 602 ⋅10 −19 C ,
(6.1) Die Ausbreitung elektrischer Felder und die mit
ihnen verbundene Kraftwirkung pro Ladung sind
welche als kleinste mögliche Ladungsmenge be- materialabhängig. Eine besondere Bedeutung ha-
zeichnet wird. Ein + oder – gibt hierbei die Polari- ben in diesem Zusammenhang die »Nichtleiter«,
tät bzw. das Vorzeichen an. Das C in Gl. 6.1 ist die also Materialien mit einem sehr hohen Widerstand,
Einheit der Ladung, benannt nach dem Physiker auch Dielektrika genannt. Sie haben die Eigen-
Coulomb: schaft, elektrische Felder zu schwächen. Dies ge-
schieht durch die Bildung von Dipolen. Ein Dipol
1C = [ As ] = 1 Coulomb.
(6.2) bezeichnet zwei Ladungen, die sich zwar verschie-
ben bzw. ausrichten lassen, ansonsten aber ortsfest
Die Kraftwirkung der Ladungen steigt mit zuneh- sind. Das heißt, sie sind nicht frei beweglich und es
mender Anzahl der Ladungen, ist also proportional kommt kein Stromfluss zustande. Wirkt ein äuße-
zur Ladungsmenge. Die Kraftwirkung verringert res elektrisches Feld auf die Dipole ein, so richten
sich jedoch mit größer werdendem Abstand der diese sich aus und erzeugen dadurch ein »Gegen-
Ladungen. Das elektrische Feld wird dementspre- feld«, welches dem ursprünglichen äußeren Feld
chend wie folgt definiert: entgegenwirkt (s. . Abb. 6.2).
6.1 • Kondensatoren – Supercaps
165 6

a b c

. Abb. 6.2  a Dipole im Raum, b Einwirkung eines äußeren E-Feldes, c ausgerichtete Dipole, welche das äußere ­elektrische
Feld schwächen

90
80,1
80

70
Relative Permittivität εr

60

50
42,5
40

30

20

10 7
3,7 3,4 2,4 2 3,9 1,03
1
0
Luft Glycerin Papier Plexiglas PE (90˚C) Teflon Porzelan Trockene Wasser PS-
Erde Schaum

. Abb. 6.3  Werte der relativen Permittivität ausgewählter Materialien

Diese Feldbeeinflussung durch die Dielektrika nimmt Werte größer oder gleich 1 an. Einige Werte
wird in einer Größe berücksichtigt, die als Permitti- für εr sind in . Abb. 6.3 dargestellt.
vität ε (lat. permittere – erlauben, durchlassen) be- Die Permittivität ist mit dem elektrischen Feld
zeichnet wird. Die Permeabilität setzt sich aus zwei über die elektrische Flussdichte
Faktoren zusammen:
 Q  As 
D= = (6.6)

ε = ε 0 · ε r = 8,854·10 −12 As
·εr . (6.5) A  m 2 
Vm
verknüpft. Die Flussdichte D gibt die Ladungsver-
Hierbei ist ε0 die absolute Permittivität, bezogen auf schiebung auf einer bestimmten Fläche im Raum
das Vakuum. Sie gibt gewissermaßen die Durch- an, welche von den Ladungen des »Ursprungsfel-
lässigkeit des Vakuums für elektrische Felder an. des« verursacht wurde. Den gesamten Zusammen-
Der Faktor εr ist eine dimensionslose Größe. Das hang gibt Gl. 6.7 wieder:
bedeutet, die Durchlässigkeit von Materialien für
elektrische Felder ist stets ein Vielfaches derjenigen  D = ε 0 ε r E = ε E. (6.7)
des Vakuums. εr ist die relative Permittivität und
166 Kapitel 6 • Elektrische Energiespeicher

S1
Wenn die Randeinflüsse vernachlässigt werden
können (A > > d ), handelt es sich beim Plattenkon-
A
d
densator um eine homogene Anordnung. Somit
ergeben sich für Gl.  6.9 und 6.10 lineare Zusam-
menhänge. Beide Gleichungen in Gl. 6.8 eingesetzt
ergibt

. Abb. 6.4  Der Plattenkondensator aus zwei Platten der DA



Fläche A, im Abstand, angeschlossen an eine Spannungs- C= . (6.11)
quelle über einen Schalter S1 Ed

Hierbei kann die elektrische Flussdichte gemäß


zz Die Kapazität C Gl. 6.7 ersetzt werden. Daraus folgt für die Kapazi-
Die Ladungsspeicherung wird durch die Kapazi- tät des Plattenkondensators
6 tät (engl. capacity – das Fassungsvermögen) aus-
gedrückt:  Eε A A
C= =ε . (6.12)
Ed d
 Q  As 
C= = = 1 Farad . (6.8)
U  V  Die Kapazität des Plattenkondensators vergrößert
sich nach Gl.  6.12 mit zunehmender Elektroden-
Diese gibt das Verhältnis zwischen der Ladung Q oberfläche und kleinerem Elektrodenabstand.
und der Spannung U an. Die Kapazität dient unter Hierbei sei angemerkt, dass es sich zunächst um
anderem der Charakterisierung von Kondensato- einen idealen Kondensator handelt und ohmsche
ren, den Bauteilen zur Speicherung elektrischer sowie induktive Eigenschaften der Platten, der Zu-
Ladungen. Hierbei sei angemerkt, dass die Kapazi- leitungen und des Dielektrikums noch nicht be-
tät nicht an Kondensatoren gebunden ist, sie tritt rücksichtigt wurden.
z. B. auch bei Freileitungen und Kabeln auf, überall
wo unterschiedliche Potenziale durch ein Dielektri- zz Im Kondensator gespeicherte Energie
kum getrennt sind. Die im Kondensator gespeicherte Energie erhält
dieser von einer Spannungsquelle. Während des
zz Der Kondensator Ladens erfolgt ein Stromfluss auf den Kondensator.
Der Kondensator lässt sich als eine Anordnung aus Hierzu wird der Schalter S1 in . Abb. 6.4 geschlos-
zwei gegenüberliegenden Elektroden beschreiben, sen. Der Kondensator wird aufgeladen, Strom i und
welche durch ein Dielektrikum getrennt sind. Die Spannung u sind zeitabhängige Größen. Die Ände-
Erklärung der physikalischen Zusammenhänge rung des Energieinhalts dW während eines kleinen
erfolgen hier am Beispiel des Plattenkondensators Zeitintervalls dt ergibt sich zu
(s. . Abb. 6.4).
Zunächst wird die Ladung Q über die elektri-  dW = u ⋅ i dt. (6.13)
sche Flussdichte D bestimmt:
Hierbei entspricht i·dt der Ladungsänderung, die
 Q = ∫ D da = D ⋅ A. (6.9) zu einer Spannungsänderung du führt:
A

 i ⋅ dt = C ⋅ du. (6.14)
Dann wird die Spannung U über das elektrische
Feld E bestimmt: Somit ergibt sich für Gl. 6.13

 d
U = ∫ Edx = E ⋅ d . (6.10) dW = C ⋅ u ⋅ du.
(6.15)
0
6.1 • Kondensatoren – Supercaps
167 6

a b

. Abb. 6.5  a Der »klassische« Kondensator, Elektrode – Dielektrikum – Elektrode; b der Superkondensator, Elektrode – di-
elektrische Schicht – Elektrolyt – dielektrische Schicht – Elektrode

Hieraus folgt für den Energieinhalt des Konden- ausschließlich durch die Doppelschicht zustande.
sators Daher ist der Begriff des Superkondensators (oder
Supercap) von Vorteil. Der Unterschied zwischen
 U  1 U 1 dem klassischen Kondensator, auch elektrostati-
W = ∫ C ⋅ u ⋅ du = C  u 2  = CU 2 .
0
2  0 2 scher Kondensator genannt, und dem Superkon-
(6.16) densator wird in . Abb. 6.5 deutlich.

Die hierin enthaltene Spannung U ist die Quell- 6.1.2.1 Die Doppelschichtkapazität
spannung, also die Spannung, auf welche der Kon- Wird eine Elektrode in einen Elektrolyten (ein
densator aufgeladen wird. Elektrolyt ist ein Stoff, dessen wässrige Lösung den
Strom besser leitet als reines Wasser [17]) getaucht,
kommt eine chemische Reaktion zustande, welche
6.1.2 Vom Kondensator zum entweder zu einer Abgabe von Elektronen aus der
Doppelschichtkondensator Elektrode in die Lösung oder zu einer Aufnahme
von Elektronen aus der Lösung in die Elektrode
Auch bei einem Doppelschichtkondensator wird führt. Beide Fälle führen zu einer Potenzialdiffe-
elektrische Energie durch Ladungstrennung auf renz (Potenzial ist das Vermögen, etwas gegenüber
zwei Elektroden im elektrischen Feld gespeichert. einem Bezugswert zu besitzen, in diesem Fall ein
Der wesentliche Unterschied liegt hierbei in der Spannungspotenzial ϕ [V]). Im ersten Fall (der Ab-
Art des Dielektrikums und in der Anordnung der gabe von Elektronen) lädt sich die Elektrode gegen-
einzelnen Kapazitäten. Des Weiteren setzt sich die über der Lösung (dem Elektrolyten) positiv auf. Die
Kapazität des Doppelschichtkondensators aus zwei von der Elektrode abgegebenen Elektronen erfah-
Kapazitäten zusammen: ren im Elektrolyten eine sogenannte Hydration.
Dies ist das Umhüllen von in Wasser gelösten Teil-
 Kapazitat des   Doppelschicht −  chen (hier die Elektronen) durch Wassermoleküle
 Superkondensator  =  Kapazitat  aufgrund anziehender Kräfte [17]. Die eingehüllten
   
Elektronen versuchen nun, so nah wie möglich
 Pseudo −  an ihre entgegengesetzten Ladungen (die positive
+
 
 Kapazitat Elektrode) heranzukommen. Sie werden jedoch
durch ihre Hydrathülle auf einen gewissen Ab-
Hierbei liegt der Anteil der Doppelschichtkapazi- stand gehalten. Dies ist die elektrochemische- bzw.
tät etwa bei 90 % und der der Pseudokapazität bei Helmholtz-Doppelschicht, benannt nach ihrem
etwa 10 % (s. [21]). Die Kapazität kommt also nicht
168 Kapitel 6 • Elektrische Energiespeicher

1 3
ϕin V
2
− + 1 3
− ϕ
+ −
− ∆ϕa

+ − ∆ϕb
− + −

+
+ − –
X in m
a b

. Abb. 6.6  a Solvatisierte Elektronen in der starren (1) und diffusen (3) Doppelschicht. (2) gibt die innere Helmholtzschicht
an; b der Verlauf des elektrischen Potenzials in der starren und diffusen Doppelschicht. ϕa ist der lineare Potenzialabfall in
der starren und ϕb ist der exponentielle Potenzialabfall der diffusen Doppelschicht
6
Ladung), dem Dielektrikum mit dem Radius der
Solvathülle sowie den Elektronen (negative La-
dungsträger) in der Solvathülle.

+ – + 6.1.2.2 Die Pseudokapazität


– + – Die zweite Kapazität, welche zur Gesamtkapazität
5 – +
des Superkondensators beiträgt, ist die Pseudoka-
– + pazität (s. . Abb. 6.7). Hierbei werden neutrale Mo-
+
leküle des Elektrolyten, Wasserdipole oder entspre-

+

chende Ionen durch Van der Waals-Kräfte (Kräfte


zwischen Molekülen, die diese in Feststoffen und
4
– + 3 Flüssigkeiten aneinander halten [1]) von der Elek-
trode adsorbiert. Hierbei kann es anschließend zu
1 2
einer Redoxreaktion (der Übergang eines Elektrons
von einem Material bzw. einer Spezies auf ein ande-
. Abb. 6.7  Die elektrochemische Doppelschicht, unter-
res Material [1]) kommen. Diese trägt ebenfalls zur
teilt in die (1) innere und (2) äußere Helmholtzschicht, (3) Kapazität bei. Da es sich jedoch um eine chemische
Wasserdipole, (4) solvatisierte Ionen(Elektronen), (5) ad- Reaktion handelt, bezeichnet man diesen Beitrag
sorbiertes Ion zur Gesamtkapazität als Pseudokapazität.

6.1.2.3 Bestimmung der Kapazität


Entdecker Hermann von Helmholtz (1821–1894) Die Kapazität einer Doppelschicht ergibt sich im Fall
(. Abb. 6.6). einer konzentrierten Elektrolytlösung (hohe Anzahl
Die Anordnung der solvatisierten Elektronen, an gelösten Elektronen im Elektrolyten) fast aus-
im weiteren Verlauf als Anionen bezeichnet, hängt schließlich aus der starren Helmholtzschicht. Mit
von der thermischen Bewegung der Moleküle ab. einem Solvathüllenradius von etwa 0,2  nm sowie
Somit wurde zunächst die starre Doppelschicht einem εr von 80,1 für die zum Großteil aus Wasser be-
durch die diffuse Doppelschicht ersetzt. Die tat- stehende Solvathülle ergibt sich nach [8] für jede Ein-
sächliche Anordnung der elektrochemischen Dop- zelkapazität in . Abb. 6.5b) eine spezifische Kapazität
pelschicht besteht nach dem Modell von Otto Stern von etwa 355 μF/cm2. Die tatsächlichen Kapazitäts-
(1888–1969) sowohl aus der starren als auch aus der werte liegen jedoch in einem Bereich von 5–50 μF/
diffusen Schicht. Die Doppelschichtkapazität be- cm2 (s. [8]). Dies hat zwei hauptsächliche Ursachen:
steht dementsprechend aus der Elektrode (positive
6.1 • Kondensatoren – Supercaps
169 6
Die Ausrichtung der Dipole wird von den sol-
++
vatisierten Ionen beeinflusst. Dies führt zu einem + + + +
εr, welches lediglich zwischen 6–30 liegt (s. [8]). + ++ +
+
Die Gesamtkapazität der starren Helmholtz- +
+ + + + + ++
schicht setzt sich aus der Kapazität der inneren +
+ +++ +
und äußeren Helmholtzschicht zusammen. Sie ++
+
bilden somit eine Reihenschaltung, bestehend aus +++ + +
zwei Kapazitäten. Die Gesamtkapazität wird durch +
++ + + + + +
+
Gl. 6.17 beschrieben

 1 1 1 1 (6.17) . Abb. 6.8  Oberflächenstruktur der Aktivkohle-Elektrode


= + + …+ .
Cges C1 C2 Cn

gangswiderstand an, welcher für die Selbstentla-


Diese Gesamtkapazität Cges ist kleiner als die kleins- dung verantwortlich ist (s. 7 Abschn. 6.1.4, Verluste
te Einzelkapazität. Da es sich bei der Doppelschicht und Wirkungsgrad).
um zwei Kapazitäten in Reihenschaltung handelt,
lässt sich Gl. 6.17 auch in folgender Form darstellen: 6.1.2.4 Aufbau
Supercaps werden wie andere Kondensatoren in
 Cinnen ⋅ Caußen mehrlagigen Schichten oder in aufgewickelter
Cges = . (6.18)
Cinnen + Caußen Form ausgeführt. Durch das Aufrollen mehrerer
Schichten zu einem Zylinder erreicht man eine we-
sentlich größere Oberfläche, was sich für die Kapa-
Dennoch ergeben sich für Superkondensatoren zität begünstigt auswirkt (Gl 6.12). Kondensatoren
hohe Kapazitätswerte. Dies liegt unter anderem am können gepolt sein. In diesem Fall ist an einer Seite
verwendeten Elektrodenmaterial. Hier wird sehr der Minuspol durch das Minuszeichen markiert. In
poröse Aktivkohle verwendet. Sie hat die Eigen- .  Abb.  6.10 sind drei Kondensatoren für Elektro-
schaft, keine glatte, sondern eine Art »hügelige« nikanwendungen dargestellt. Jeder der dort gezeig-
Oberflächenstruktur zu bilden, was zu einer sehr ten Kondensatoren ist kleiner als 5 cm. Zu beachten
großen Oberfläche führt. Hieraus ergibt sich für ist, dass der mittlere Kondensator in .  Abb.  6.10,
den einfachsten Fall eine Reihenschaltung aus vier ein Supercap, eine Kapazität von 10 F besitzt. Dieser
Kapazitäten, wovon zwei Kapazitäten die Doppel- verfügt bei annähernd gleicher Baugröße über eine
schicht und beide Doppelschichten zusammen um den Faktor 4,5·106 größere Kapazität als die des
wiederum den Kondensator bilden. Impulskondensators links in der Abbildung.
Eine größere Oberfläche wirkt sich günstig auf
die Kapazität nach Gl.  6.12 aus. Für die Kapazi- zz Familienbildung
tät C, welche von der Oberfläche A und dem Ab- Die Familie der Superkondensatoren lässt sich
stand d zweier Oberflächen abhängt, ergibt sich entsprechend dem zugrunde liegenden Speicher-
für eine Zunahme der Oberfläche eine Zunahme prinzip unterteilen. Es existieren drei Gruppen: die
der Kapazität. Aktivkohle hat ebenfalls sehr gute reinen Pseudokondensatoren, die reinen Doppel-
Adsorptionseigenschaften, was zu einer hohen schichtkondensatoren sowie die Hybridkondensa-
Pseudokapazität führt (s. .  Abb. 6.8). Ein Gramm toren, welche beide Speicherprinzipien kombinie-
Aktivkohle hat eine Oberfläche von 300–2000 m2 ren (s. . Abb. 6.11).
(s. [10]). Die Einteilung eines Kondensators kann nach
. Abbildung  6.9 zeigt das Ersatzschaltbild des . Abb. 6.11 erfolgen. Ein Kondensator mit einer rei-
Superkondensators mit seinen ohmschen Verlusten nen Doppelschichtkapazität würde sich ganz links
in den Zuleitungen, den Elektroden und dem Elek- in .  Abb. 6.11 unter a) wiederfinden. Ein Konden-
trolyten. Der Widerstand RSELBST gibt den Über- sator, welcher beide Speichertechnologien (Dop-
170 Kapitel 6 • Elektrische Energiespeicher

U0

RL RL

REL REL
CD CD
RELY RELY

RSELBST RSELBST

6 . Abb. 6.9  Ersatzschaltbild des Superkondensators. RL – Leitungswiderstand, REL – Elektrodenwiderstand, CD – Doppel-


schichtkapazität, RELY – Elektrolytwiderstand, RSESLBST – Phasenübergangswiderstand (Selbstentladung), gestrichelte Linie
– Separator

a 100% Doppelschichtkapazität b Hybridkapazität c 100% Pseudokapazität

. Abb. 6.11  Schema zur Familieneinteilung, a reine


Doppelschichtkapazität, b Hybridkapazität, c reine Pseudo-
kapazität

. Abb. 6.10  Verschiedene Kondensatoren, von links nach


und Entladeverhalten des Kondensators bzw. des
rechts, Impulskondensator 2,2 μF, Supercap 10 F, Supercap
0,1 F Superkondensators eingegangen.

6.1.3.1 Aufladung des Kondensators


pelschicht, Pseudokapazität) nutzt, liegt genau in Der Kondensator besteht nach . Abb. 6.12 aus dem
der Mitte bei b). Beide gehören jedoch zur Familie ohmschen Widerstand R und der Kapazität C. Im
der Superkondensatoren. Es gibt demzufolge eine Widerstand R sind sämtliche Leitungswiderstände
große Anzahl an Kombinationsmöglichkeiten – sowie die ohmschen Anteile des Kondensators ent-
beispielsweise könnten auch Hybridkondensato- halten.
ren aus einem 70 %igen Anteil der Doppelschicht Zum Laden des Kondensators wird der Schal-
sowie einem 30 %igen Anteil der Pseudokapazität ter S1 in . Abb. 6.12 zu einem beliebigen Zeitpunkt
bestehen (s. [1, 6, 7, 10–12, 17, 21]). t geschlossen. Die Spannungsquelle bewirkt nun
eine Ladungstrennung im Kondensator. Hierbei
bewegen sich Elektronen von der oberen Platte
6.1.3 Ladung und Entladung zur unteren, es fließt ein Strom i(t). Der Strom ist
mit der Zeit veränderlich. Die Elektronen bewe-
Das Zuführen von Energie in den Kondensator gen sich jedoch nicht von der oberen Platte durch
wird durch das Laden und die Entnahme von das Dielektrikum zur unteren Platte. Stattdessen
Energie aus dem Kondensator durch das Entladen fließen sie über den äußeren Kreislauf, über die
beschrieben. Im nachfolgenden Abschnitt wird auf Spannungsquelle. Mit jeder getrennten Ladung
die mathematische Beschreibung sowie das Lade- entsteht ein Ladungspaar, welches wiederum
6.1 • Kondensatoren – Supercaps
171 6
S1
uR
i = Q/t
Gleichung  6.22 wird entnommen, dass die Span-
nung am Kondensator höchstens den Wert der
U0 uc Quellspannung U0 annehmen kann, diesen jedoch
nie ganz erreicht. Der Verlauf der Spannung ergibt
sich aus dem Verlauf der Exponentialfunktion, wel-
. Abb. 6.12  Vereinfachte Ersatzschaltung zur Ladung che von der Zeit t und von einem Parameter τ ab-
des Kondensators. Der gebogene Pfeil kennzeichnet den hängt, der sogenannten Zeitkonstante:
Maschenumlauf

 V As 
τ = RC =  ⋅ = [ s ]. (6.23)
nach  7  Abschn.  6.1.2.1 ein elektrisches Feld bildet.  A V 
Ist der Kondensator vollständig geladen, sind alle
Ladungen getrennt. Es finden keine weiteren La- Die Zeitkonstante τ bestimmt die Ladezeit des
dungsverschiebungen bzw. Ladungsbewegungen Kondensators. Der Verlauf, die Kurvenform und
mehr statt, der Strom i(t) ist entsprechend 0. Dies die Anstiegszeit der Ladespannung ergeben sich
gilt jedoch nur näherungsweise. Tatsächlich kann aus dem Term innerhalb des Klammerausdrucks
der Kondensator nie vollständig geladen werden, es in Gl. 6.22
findet immer eine Ladungsverschiebung statt, auch
t
wenn diese sehr gering ausfällt.  −
1− e τ . (6.24)
zz Der Verlauf der Ladespannung
Der Verlauf der Kondensatorspannung uc(t) lässt Für t gleich τ ergibt sich ein Wert von 0,63. Die
sich über die Maschengleichung bestimmen. Ist der Kondensatorspannung hat demzufolge nach der
Schalter S1 in . Abb. 6.12 geschlossen, so gilt für den Zeit τ 63,2 % der Quellenspannung U0 erreicht.
gewählten Maschenumlauf Gleichung 6.24 ist für verschiedene τ in . Abb. 6.14
dargestellt. Die jeweiligen Spannungswerte ergeben
 uR + uc (t ) = U 0 . (6.19) sich durch Multiplikation mit der jeweiligen maxi-
mal möglichen Spannung.
Die zeitabhängige Spannung uR über dem Wider- Im Fall von .  Abb.  6.14a ist der Kondensator
stand R lässt sich durch den Strom i(t) beschrei- nach 0,1 s fast vollständig geladen, während er im
ben, den Ladestrom, welcher an jeder Stelle des ge- Fall b) bis zu einer Sekunde benötigt. Im Fall c) hat
schlossenen Kreislaufs gleich groß ist. Der Strom der Kondensator nach 1 s erst 63,2 % seines Höchst-
ergibt sich zu werts erreicht. In allen drei Fällen wurde die Ka-
pazität konstant gehalten und der Widerstand
 duc variiert, im Fall a) hat R den kleinsten Wert und
ic = C . (6.20)
dt im Fall c) den höchsten. Demzufolge erscheint ein
kleiner Widerstand günstig, da hierbei eine schnel-
Hieraus ergibt sich nun für Gl. 6.19 folgender Zu- le Aufladung möglich ist. Ein kleiner Widerstand
sammenhang führt jedoch zu einem großen Strom i(t), was unter
Umständen zu einer hohen Erwärmung bis hin zu
 duc einer Zerstörung des Leiters oder des Kondensators
RC + uc (t ) = U 0 . (6.21)
dt führen kann.

Gleichung  6.21 ist eine inhomogene lineare Dif- zz Der Verlauf des Ladestromes
ferentialgleichung 1. Ordnung. Die Lösung dieser Der Ladestrom des Kondensators ergibt sich aus
Differentialgleichung lautet Gl. 6.20 und 6.22 zu
 −
t
 U 0 − τt
(6.22)
uc (t ) = U 0 1 − e τ .  ic (t ) = e .
  (6.25)
R
172 Kapitel 6 • Elektrische Energiespeicher

a b

. Abb. 6.13  a Der ungeladene Kondensator, die Ladungen sind beliebig verteilt, b der geladene Kondensator, die Pfeile
kennzeichnen das E-Feld

6 100
a)

80

b)
60
uc (t) in %

40
c)

20

0
0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 1
Zeit t in s

. Abb. 6.14  Kondensatorspannung während des Aufladens, a τ = 0,02 s, b τ = 0,25 s, (c) τ = 1 s

Der Ladestrom verhält sich ebenfalls exponentiell, Erst mit zunehmendem elektrischem Feld bzw.
jedoch mit der folgenden Besonderheit: Wird der zunehmender Kondensatorspannung wird der
Schalter in . Abb. 6.12 geschlossen, wird der Strom Strom geringer, er konvergiert gegen null. Somit
ic(t) für lim t → 0 ergibt sich für den Kondensator im geladenen Zu-
stand ein sehr großer Widerstand.
t
 U −τ U
lim ic (t ) = lim e = . (6.26) 6.1.3.2 Entladung des Kondensators
t →0 t →0 R R
Zur Entladung wird der Kondensator von der
Der Ladestrom wird kurz nach dem Schaltvorgang Quelle getrennt und über den Schalter S2 an einen
nur durch den Widerstand R begrenzt. Der Strom Widerstand angeschlossen (s. . Abb. 6.16). Der Wi-
kann im Gegensatz zur Spannung uc(t) springen. derstand kann als Verbraucher bzw. Last angesehen
Befindet sich im Ladekreislauf kein weiterer Wi- werden. Streng genommen müsste dieser als Im-
derstand zur Strombegrenzung, so entspricht R in pedanz Z bezeichnet werden, einer Kombination
Gl. 6.25 lediglich dem geringen ohmschen Wider- aus den Elementen R, L und C. Zur vereinfachten
stand des Kondensators. Hieraus können sich gro- Betrachtung des Entladeverhaltens wird jedoch an-
ße Ladestromspitzen ergeben (s. . Abb. 6.15).
6.1 • Kondensatoren – Supercaps
173 6
100 10

80 8

60 6

uc (t) in V
ic(t) in A

40 4

20 2

0
0 tE 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 1 1,1 1,2 1,3 1,4 1,5
Zeit t in s

. Abb. 6.15  Ladestrom des Kondensators nach Einschalten zum Zeitpunkt tE. Die gestrichelte Linie stellt die Spannung
uc(t) dar

genommen, dass es sich um einen rein ohmschen S2


Widerstand handelt. i = Q/t
Wird der Schalter S2 in . Abb. 6.16 geschlossen,
kehren die getrennten Ladungen über den Wider-
stand zu ihren entsprechenden Gegenladungen uc uR
zurück. Die Folge ist ein Stromfluss durch den Ver-
braucher, in diesem Fall R. Die Spannung, welche
den Strom antreibt, stammt aus dem elektrischen . Abb. 6.16  Ersatzschaltung zur Entladung des Kondensa-
tors. Der gebogene Pfeil kennzeichnet den Maschenumlauf
Feld des Kondensators. Mit jeder zurückgeführten
Ladung wird das elektrische Feld im Kondensator
abgebaut. Entsprechend sinkt die Kondensator-
spannung. Sind alle Ladungen zurückgeführt, ist Gl.  6.27 folgende homogene lineare Differential-
der Kondensator von seinem geladenen Zustand gleichung 1. Ordnung
.  Abb.  6.13b in seinen ursprünglichen Zustand
. Abb. 6.13a zurückversetzt. Auch hier wird ein mi-  duc
uc − RC = 0. (6.28)
nimales Restfeld bzw. eine Restspannung zurück- dt
bleiben.
Die Lösung der Differentialgleichung wird nach
zz Verlauf der Entladespannung Trennung der Variablen zu
Zur Beschreibung der Entladespannung wird die
t
Maschengleichung (2. Kirchhoff ’sches Gesetz) aus  −
uc (t ) = U A e τ . (6.29)
der Schaltung in . Abb. 6.16 aufgestellt,

 uc = ur ↔ uc − ur = 0. (6.27) Die Spannung UA entspricht der Kondensatorspan-


nung zum Zeitpunkt t = 0, zu dem der Schalter S2
Die Spannung ur über dem Verbraucherwiderstand geschlossen wird. Das ist die Spannung, auf die der
wird durch den Strom gemäß Gl. 6.20 ausgedrückt. Kondensator vor dem Entladen aufgeladen war.
Hieraus ergibt sich unter Berücksichtigung von Gleichung 6.29 entspricht einer abklingenden Ex-
174 Kapitel 6 • Elektrische Energiespeicher

2,5

2,0
c)

1,5
uc(t) V

b)
1,0
a)

0,5

6
0,0
0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 1
Zeit t in s

. Abb. 6.17  Kondensatorspannung während des Entladens, a τ = 0,02, b τ = 0,25, c τ = 1

ponentialfunktion, welche den Anfangswert UA be- größeren Zeitkonstante τ jedoch zu einer längeren
sitzt. Auch hier liefert eine Grenzwertbetrachtung Entladezeit führt (s. . Abb. 6.18).
für t → ∞ ein Ergebnis, dass die Kondensatorspan-
nung zwar gegen null strebt, diesen Wert jedoch nie 6.1.3.3 Lade- und Entladeverhalten von
erreichen wird. Es bleibt immer eine kleine Rest- Superkondensatoren
spannung erhalten, zz Ladeverhalten des Superkondensators
Nach Anlegen einer Spannung an die Anschlüsse
t
 − des Kondensators wirkt die Spannung auf die La-
lim uc (t ) = lim U A e τ
= uc (t ) → 0. (6.30)
t →∞ t →∞ dungen im Metall und auf die Ionen im Elektro-
lyten. Diese bewirkt eine Ladungsverschiebung,
Die Zeitkonstante τ entspricht derjenigen aus die eine Elektrode lädt sich negativ und die ande-
Gl.  6.23. Auch hier übt der Verbraucherwider- re Elektrode positiv auf. Beide Elektroden ziehen
stand R bei gegebener Kapazität C einen entschei- ihre entsprechenden Gegenladungen im Elektroly-
denden Einfluss auf den Entladeverlauf aus, wie in ten an. Die negative Elektrode (Kathode) zieht die
. Abb. 6.17 ersichtlich wird. Kationen an, die positive Elektrode (Anode) die
Anionen. Die jeweils entgegengesetzten Ladungen
zz Entladestrom sammeln sich durch die Solvathülle bedingt in der
Der Entladestrom ergibt sich durch Anwendung inneren und äußeren Helmholtzschicht vor den
von Gl. 6.20 auf die Entladespannung, Gl. 6.29: Elektroden an. Dies hat die Ausbildung eines elek-
trischen Feldes zur Folge, in dem die elektrische
 U A − τt Energie gespeichert wird (s. . Abb. 6.19).
ic (t ) = − e . (6.31)
R Das Ladeverhalten des Superkondensators
unterscheidet sich in zwei Punkten von dem eines
Der Entladestrom unterscheidet sich vom Lade- klassischen Kondensators. Hierzu ist eine nähere
strom in Gl. 6.25 lediglich durch das negative Vor- Betrachtung des Ersatzschaltbildes (ESB) notwen-
zeichen. Auch hier ergibt sich ein Sprung des Stro- dig (s. . Abb. 6.20).
mes. Der Strom lässt sich durch eine Vergrößerung Die Kapazität des Superkondensators wird aus
des Widerstandes begrenzen, was aufgrund einer einer Vielzahl von Einzelkapazitäten gebildet, die
6.1 • Kondensatoren – Supercaps
175 6
40 4

20 2
tE
0 0
0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9
Zeit t in s
–20 –2

uc(t) in V
ic(t)in A

–40 –4

–60 –6

–80 –8

–100 –10

–120 –12

. Abb. 6.18  Verlauf des Entladestroms. Die gestrichelte Linie entspricht der Entladespannung, tE dem Schaltaugenblick

+ + – – + – +
– + – +
– – + – +
+ – + + – +
+ – – +
– –
– +
+ – + – – + – +
+ + – +
– + – +
– – + – +
+ – – +
a b

. Abb. 6.19  a Der ungeladene Superkondensator, b der geladene Superkondensator nach Anlegen einer Spannung

sich hinter den jeweiligen Zuleitungswiderständen zz Schnelle Ladevorgänge


der Elektrode befinden. Des Weiteren beinhaltet Wird ein Superkondensator schnell ge- bzw. ent-
das Netzwerk viele kleine Übergangswiderstän- laden, kann eine merkliche Spannungsänderung
de der Helmholtzschicht und des Elektrolyten. Je nach Abschluss des Lade- oder Entladevorgangs
weiter die Kapazität von den Anschlussklemmen auftreten. Zur Erläuterung wird das erweiterte
entfernt ist, desto größer wird die Zeitkonstante τ. Ersatzschaltbild aus .  Abb.  6.20 bzw. das verein-
Dies hat zur Folge, dass sich die nachgeschalteten fachte ESB gemäß .  Abb.  6.21 hinzugezogen (für
immer langsamer aufladen als die vorangestellten den Superkondensator existieren mehrere Ersatz-
Kapazitäten. Daraus ergibt sich eine geringfügige schaltbildvarianten, entsprechend den Zielen einer
Abweichung der Ladekurve von einer idealen Ka- Modellbildung).
pazität und eine Verlängerung der Ladezeit.
176 Kapitel 6 • Elektrische Energiespeicher

Ausschnitt einer
Elektrodenseite
R1 R2 R3
RSE

C1 C2 C3

. Abb. 6.21  Vereinfachtes Ersatzschaltbild nach dem


“three-branch-model” (s. [5]). Jede Kapazität C hat eine
größere Zeitkonstante τ als die vorherige, τ1 < τ2 < τ3. Der
Widerstand RSE beschreibt die Selbstentladun

. Abb. 6.20  Erweitertes Ersatzschaltbild des Superkon- auf eine Spannung von 2,5 V dargestellt. Der Kon-
densators, einzelne Elektrode
densator wird über einen Widerstand von einer
6 Spannungsquelle geladen und anschließend über
Der simulierte Ablauf ist in .  Abb. 6.22 zu se- den gleichen Widerstand wieder entladen. Die
hen. Der Superkondensator wird zum Zeitpunkt Spannungsspitzen zu den jeweiligen Schaltzeit-
0 an die Spannungsquelle angeschlossen und ge- punkten entstehen durch das sogenannte »Schal-
laden. Zum Zeitpunkt t1 wird die Spannungsquelle terprellen«. Hierbei schließen die Kontakte eines
entfernt und die Anschlüsse des Kondensators blei- mechanischen Schalters nicht punktgenau, son-
ben offen. Die reale Spannungskurve fällt durch das dern öffnen minimal und schließen anschließend
Umladen ab. Zum Zeitpunkt t2 wird der Kondensa- wieder, bis ein leitfähiger Kontaktübergang her-
tor bis zum Zeitpunkt t3 entladen. Ab hier müsste gestellt ist. Hierbei kann es zu hohen Spannungs-
die Spannung auf ihrem Entladewert bleiben, be- sprüngen kommen. Der Ladestrom ist wegen der
dingt durch die Umladung steigt die Spannung je- Sprungeigenschaft auf 2,5 A begrenzt.
doch erneut an.
Eine schnelle Entladung durch Anschließen
eines Verbrauchswiderstands hat zur Folge, dass sich 6.1.4 Verluste, Wirkungsgrad und
die Kapazität C1 als erste vollständig entlädt. Die an weitere Kennwerte
den Anschlüssen messbare Spannung beträgt vor-
erst 0, da eine Masche aus Verbraucherwiderstand In einem realen Kondensator kann Energie nicht
RV, R1 und C1»entladen« keine Spannung liefert. C1 über unbegrenzte Zeit gespeichert werden. Die zur
stellt die einzige »Spannungsquelle« dar. Nach Ent- Entladung bereitstehende Energie ist geringer als
fernung des Verbrauchers könnte erneut eine Span- die dem Kondensator zugeführte Energie. Im fol-
nung gemessen werden. Dies kommt durch eine genden Abschnitt werden die Entstehung von Ver-
Umladung der Kapazitäten untereinander zustande. lusten sowie der hieraus resultierende Wirkungs-
Da die hinteren Kapazitäten nur langsam und un- grad diskutiert.
vollständig entladen, werden die Ladungen umver-
teilt. Somit wird C1 durch C2 und C3 teilweise wieder zz Ursache der Energieverluste im realen
aufgeladen. Dieser Prozess kann auch beim Laden Kondensator
auftreten. Ein schnelles Aufladen hätte zur Folge, Bei der Betrachtung des Kondensators als rea-
dass lediglich C1 vollständig geladen wird. Nach les Bauelement müssen die Widerstände der An-
Entfernung der Ladespannung würde C1 die Ladung schlüsse, der Elektroden sowie die des Elektrolyten
zum Teil an C2 und C3 abgeben. Als Folge entsteht berücksichtigt werden. Auch die Induktivität der
ein Spannungsabfall an den Anschlussklemmen. Anschlussleitungen und die Leitfähigkeit des Di-
elektrikums können bei einer realen Betrachtung
zz Reale Lade-/Entladekurve nicht vernachlässigt werden.
In .  Abb. 6.23 ist eine vollständige Auf- und Ent- In all diesen Bereichen treten während des
ladung eines Superkondensators der Baugröße 10 F Ladens, Entladens und während der Speicherung
6.1 • Kondensatoren – Supercaps
177 6
3

2,5

2
uc(t)in v

1.5

0.5

t1 t2 t3
0
0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0 1,2 1,4 1,6 1,8 2,0 2,2 2,6 2,8
Zeit t in s

. Abb. 6.22  Simulierte Lade- und Entladekurve, gestrichelte Linie stellt ideales Verhalten dar, t1 Ende des Ladens, t2 Beginn
der Entladung, t3 Ende des Entladens

REPR

a)
LESL RESR
b)

t1 t2 CIDEAL

. Abb. 6.24  Ersatzschaltbild des Kondensators nach


DIN EN 60384-1 (s. [11]), LESL: Equivalent Series Inductivity,
RESR Equivalent Series Resistance, REPR Equivalent Parallel
. Abb. 6.23  Lade-/Entladekurve eines Superkondensa- Resistance
tors 10 F, 2,5 V, a Spannung, b Strom, Achseneinteilung 1 V/
div, 5 A/div. t1 kennzeichnet den Beginn des Ladens und t2
den Beginn des Entladens. Bei den jeweiligen Schaltmo- das nach DIN 60384-1 genormte Ersatzschaltbild
menten ist der Prell-Effekt zu sehen
verwendet (s. . Abb. 6.24).
Die durch induktive Eigenschaften verursach-
Energieverluste auf. In den Widerständen der Zu- ten Verluste werden durch LESL dargestellt. Die
leitung und der Elektroden wird durch den Strom ohmschen Widerstände der Zuleitung, Elektrode,
Wärme freigesetzt. Gleichfalls wird im Elektroly- Elektrolyte und des Dielektrikums werden in RESR
ten durch die Ionenbewegung und die chemischen zusammengefasst. Der Widerstand REPR stellt den
Reaktionen Wärme freigesetzt. Die Leitfähigkeit Entladewiderstand des Dielektrikums dar, mit des-
des Dielektrikums bewirkt eine Entladung des sen Hilfe die Selbstentladung veranschaulicht wird.
Kondensators, die sogenannte Selbstentladung.
­ Die eigentliche Kapazität des Kondensators wird als
Der Stromfluss erzeugt im Dielektrikum Wärme- ideale Kapazität CIDEAL angegeben.
verluste. Zur Darstellung des Sachverhaltes wird
178 Kapitel 6 • Elektrische Energiespeicher

zz Selbstentladung u(t) in V
Die Selbstentladung beschreibt den Verlust der ge-
speicherten Energie in einem Kondensator ohne
Fremdeinwirkung und ohne den Anschluss eines
externen Verbrauchers. Wird die Klemm- bzw.
Leerlaufspannung eines geladenen Kondensators
zu einem Zeitpunkt t1 gemessen und diese Messung
t1 t in h
zu einem späteren Zeitpunkt t2 wiederholt, wird die
Spannung zum Zeitpunkt t2geringer sein als zum . Abb. 6.25  Beispielhafter Verlauf einer Kondensator-
Zeitpunkt t1, obwohl kein Verbraucher angeschlos- spannung während der Selbstentladung. Der Kondensator
sen ist. befindet sich ab dem Zeitpunkt t1 im Leerlauf
Die Ursache ist der endliche Widerstand des
Dielektrikums, dargestellt durch den Widerstand
6 REPR in . Abb. 6.24. Nur das Dielektrikum bzw. die 4.5.5 »Berechnungsverfahren für den Innenwider-
dielektrische Schicht verhindert den Austausch der stand«.
getrennten Ladungen, welche das elektrische Feld Eine andere Möglichkeit zur Verlustbestim-
aufrechterhalten. Da dieser jedoch nicht unendlich mung stellt die Energiebilanz dar. Nach dem Ener-
groß ist, kann ein Strom durch das Dielektrikum gieerhaltungssatz entspricht die dem Kondensator
fließen, was einen Ladungsaustausch zur Folge hat. zugeführte Energie der Summe der gespeicherten
Somit wird das elektrische Feld abgebaut und die bzw. der nach der Speicherung wieder entnehm-
in ihm gespeicherte Energie in Wärme gewandelt. baren Energie und der Verlustenergie. Somit lässt
Zur Aufrechterhaltung der Ladung des Kon- sich über eine Differenzbildung zwischen der zu-
densators ist ein Strom erforderlich, um die an- geführten Energie Ezu und der abgeführten Energie
sonsten abfallende Spannung des Kondensators Eab die Verlustenergie Ev ermitteln, (Gl. 6.32),
auf einem konstanten Wert zu halten. Dieser Wert
kann Datenblättern entnommen werden. So ist bei-  Ev = Ezu − Eab . (6.32)
spielsweise für einen Superkondensator der Größe
10  F nach einem Zeitraum von 72  h bei 25 °C ein Auch hierdurch lässt sich kein allgemeingültiges
Strom von 0,03 mA erforderlich, um die Zellspan- Ergebnis ableiten, da die Verlustenergie stark von
nung von 2,7 V aufrechtzuerhalten (s. [15]). äußeren Einflüssen sowie der Beanspruchung ab-
Eine allgemeingültige Aussage über die hierbei hängt. Die Ergebnisse sind etwa nach einer kur-
entstandene Verlustenergie ist nicht möglich, da zen schnellen Aufladung, einer kurzen Speicherzeit
der Selbstentladestrom nicht konstant ist und von und einer schnelle Entladung anders als wenn der
Faktoren wie Zelltemperatur, Zellspannung, vorhe- Kondensator langsam geladen und die Energie über
rige Lade-/Entladezyklen und dem vorangehenden einen langen Zeitraum gespeichert werden würde.
Lade-/Entladeverhalten abhängt. Ein klassischer
Verlauf der Spannung während einer Selbstentla- zz Wirkungsgrad
dung ist in . Abb. 6.25 dargestellt. Der Wirkungsgrad η wird aus dem Verhältnis der
abgegebenen Energie und der zugeführten Energie
zz Bestimmung der Verlustenergie bestimmt. Die Bestimmung nach Gl.  6.33 erfolgt
Eine allgemeingültige Bestimmung der Verluste er- durch Integralbildung zwischen der halben und der
weist sich als schwierig, da nicht lineare Verhältnis- gesamten Nennspannung des Kondensators, dem
se vorliegen. Auch der Innenwiderstand des Kon- Bereich der häufigsten Nutzung (s. [24]),
densators zur Bestimmung der Verluste über die
Verlustleistung variiert je nach Beanspruchung und  0, 5 U N

äußeren Einflüssen. Eine Möglichkeit zur Bestim- E ∫


UN
U ⋅ Idt
η = ab = UN
. (6.33)
Ezu
mung des Innenwiderstandes (Zusammenfassung
der Widerstände RESR und REPR) bietet DIN 62391-1

0, 5 U N
U ⋅ Idt
6.1 • Kondensatoren – Supercaps
179 6
In den Spezifikationen der Hersteller finden sich Wv in kJ Ri in Ω
8 0,08
kaum Angaben zum Wirkungsgrad. Er wird meist
mit einem Wert mit > 90 % angegeben (s. [25]). 6 0,06

Wv
zz Experimentelle Ergebnisse zur 4 0,04
Ri
Wirkungsgradbestimmung
In einem Versuch zur Bestimmung des Wirkungs- 2 0,02

grads von Doppelschichtkondensatoren wurden


0 0,00
die Energieverluste von 40 Kondensatoren der 1,7V–105 V 5V–103 V 8,5 V–98 V
Größe 1500 F bei 2,7 V mit unterschiedlichen kon- 20 A 40 A 80 A
η = 95,75 % η = 95,42 % η = 96,5 %
stanten Lade-/Entladeströmen untersucht. Die
Spannung wurde hierbei zwischen 1,7 V und 105 V . Abb. 6.26  Wirkungsgrade, Energieverluste und Innen-
variiert. Es wurde ein mittlerer Wirkungsgrad von widerstände von Superkondensatoren (experimentelles
95,8 % ermittelt (s. [26] und . Abb. 6.26). Ergebnis). Eigene Darstellung nach Werten aus [26]. Im
Fall 20 A: η = 95,7 %, Wv = 7908 J, Ri = 61,6 mΩ; Fall 40 A:
η = 95,42 %, Wv = 7985 J, Ri = 33 mΩ; Fall 80 A; η = 96,5 %,
zz Energiedichte Wv = 5376 J, Ri = 12,3 mΩ
Die Energiedichte beschreibt die pro Maßeinheit
gespeicherte Energiemenge. Es wird zwischen der
volumetrischen Energiedichte
 dW = E ⋅ d dQ. (6.38)
 Energie  W 
= (6.34)
Volumen  m3  In Gl.  6.38 entspricht d dem Abstand der Elekt-
roden. Die Änderung der Ladung dQ bewirkt
und der gravimetrischen, auf die Masse bezogene gleichzeitig eine Änderung der elektrischen Ver-
Energiedichte schiebungsflussdichte D. Somit kann sie auch in
folgender Form dargestellt werden:
 Energie  W 
=  (6.35) dQ = AdD. (6.39)
Masse  kg  

In Gl. 6.39 steht A für die Plattenfläche. Einsetzen


unterschieden. Die Bestimmung der Energiedichte von Gl. 6.39 in Gl. 6.38 ergibt
für einen Kondensator kann über die Energie des
elektrischen Feldes hergeleitet werden. Hierzu wird  dW = E A ⋅ d dD. (6.40)
in Gl. 6.13 der Strom i durch
A·d entspricht dem Volumen (V). Somit ergibt sich
 dQ für die Energiedichte folgender Ausdruck:
i= (6.36)
dt
 dW
ausgedrückt. Somit ergibt sich unter Berücksichti- = ∫ E dD. (6.41)
V
gung von Gl. 6.36 folgender Ausdruck:

 dQ Entsprechend Gl. 6.41 ergibt sich für den Platten-


dW = u dt = u dQ. (6.37)
dt kondensator mit der Fläche A und dem Plattenab-
stand d für die Integrationsgrenzen von 0 bis D
Die Spannung in Gl. 6.37 lässt sich für den Fall des
Plattenkondensators entsprechend Gl.  6.3 durch  W
= ε0εr E 2 . (6.42)
die elektrische Feldstärke ersetzen. Hieraus ergibt Vol
sich
180 Kapitel 6 • Elektrische Energiespeicher

Die Energiedichte wird in Datenblättern häufig 10000 10000

Leistungsdichte in W/kg
3300 W/kg

Energiedichte in Wh/kg
in Wh/kg angegeben. Sie wird über die kapazitive 2200 W/kg
1000 1000
Energie nach Gl. 6.43 bestimmt: 510 W/kg

100 100
 W 1 C ⋅U 2 (6.43)
= .
V 2 3600 s ⋅ m 10 10
3,9 Wh/kg
2,2 Wh/kg
1,1 Wh/kg
Hierbei entspricht m der Masse der Kapazität in kg. 1 1
165 F 5F 10 F

zz Leistungsdichte . Abb. 6.27  Leistungs-/Energiedichte von Supercaps,


Die Leistungsdichte ist die nach der Zeit abgelei- 65 F (Industrie, Schienenfahrzeuge, Pkw), 5 F (elektronische
tete Energiedichte. Sie wird für Superkondensato- Geräte), 10 F (intelligente Stromzähler, Back-up für PC).
Achseinteilung logarithmisch
ren nach DIN EN 62391-2 wie folgt definiert: Die
6 Leistungsdichte gibt die elektrische Leistung an,
die je Masse (oder Volumen) einem Kondensator
entnommen werden kann. Je höher die Leistungs- zz Häufige Kennwerte
dichte, desto höher ist der effektiv zu entnehmende Weitere typische Kennwerte, welche in Datenblät-
Strom (s. [4]). tern der Hersteller üblicherweise angegeben wer-
Die Leistungsdichte kann über die folgende, in den, enthält . Tab. 6.1.
der DIN-Norm angegebene Gleichung bestimmt
werden:
6.1.5 Lebensdauer
 1 (U − U 6 + U e ) ⋅ I (6.44)
Pd = .
2 m Die Lebensdauer eines Kondensators beschreibt
die zeitliche Veränderung von bestimmten Kenn-
Dabei bedeuten die hierin enthaltenen Größen: werten in Bezug auf ihren jeweiligen Nennwert
bzw. Anfangswert zu Beginn der Nutzung. Im Fall
Pd      die spezifische Leistung je Masse (W/kg)
eines Kondensators betrifft dies insbesondere die
U     die Ladespannung (V)
Abnahme der Kapazität C und die Zunahme des
U6     der Spannungsabfall (V) bei 20 % (0,2 U) der Lade-
spannung
inneren Widerstandes RESR (s. .  Abb. 6.24). Ist ein
Ue      40 % (0,4 U) der Ladespannung (V) gewisser Wert nach einem bestimmten Zeitraum
I       der Entladestrom erreicht, wird dies als das Ende der Lebensdauer
Rd     der Innenwiderstand (Ω) bezeichnet. Da die Alterung besonders stark von
m      die Masse des Kondensators (kg) (s. [4]) der Betriebstemperatur abhängt, geben Hersteller
die Lebensdauer in Bezug auf eine maximale Tem-
Der Entladestrom wird über U6 mithilfe des Innen- peratur an. Für die Kapazität C wird häufig eine
widerstandes Rd angegeben: Abnahme der Kapazität um 20 % angenommen,
um das Ende der Lebensdauer zu definieren. Die
 U6 hierzu erforderliche Bemessungskapazität CL ergibt
I= . (6.45)
Rd sich entsprechend Gl. 6.20:

Der Innenwiderstand wird nach dem Gleichstrom-  CL = k L ⋅ CNenn . (6.46)


messverfahren gemäß IEC 62391-1-1, 4.6.2 be-
stimmt. Die Leistungsdichte lässt sich in gleicher Der Faktor kL ist dimensionslos. Im Fall der er-
Weise wie die Energiedichte als volumenbezogene wähnten Abnahme um 20 % wird kL zu 0,8. Für die
bzw. als massenbezogene Leistungsdichte angeben. Zunahme des Innenwiderstands wird meist eine
Typische Kennwerte der Leistungsdichte sowie der Zunahme um 100 % angegeben:
Energiedichte sind für drei verschiedene Superkon-
densatoren in . Abb. 6.27 genannt. 
RL = RESR + RESR ⋅ k L . (6.47)
6.1 • Kondensatoren – Supercaps
181 6
Eine Abnahme dieser charakteristischen Werte . Tab. 6.1  Typische Kennwerte der Superkonden-
bringt eine Verringerung der Speicherfähigkeit mit satoren
sich. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Konden-
Häufig vor- Erläuterung Typische
sator nach Erreichen dieser Werte nicht mehr funk-
kommende Werte
tionsfähig ist. Spezifika-
tionsangaben
zz Ursachen der Alterung
Betriebs- Optimale − 40–70 °C
Die Alterung wird durch chemische Veränderun- temperatur Temperatur
gen der Kondensatormaterialien (Leiter, Elektroly- (Umgebungs- Arbeitstempe-
te, Dielektrika, Separatoren, Gehäuse, Isolierfolien) temperatur) ratur
hervorgerufen. Folgende Gründe führen zu einer Kapazitätsto- Prozentuale ± 20–70 %
Abnahme der Kapazität: leranz Abweichung
55 Zunahme des inneren Widerstandes RESR von der Nenn-
kapazität
55 Zunahme des Elektrodenwiderstandes
55 Verdunstung der elektrolytischen Flüssigkeit Kapazitätsre- Kapazitätsab- ca. 20 %
55 Zersetzung des Kontaktmaterials (z. B. Aktiv- duktion nahme gegen-
über dem
kohle), Veränderung des Elektrolyten durch
Anfangswert
chemische Reaktionen
55 Verringerung der Isolationswirkung des Di- Masse Gewicht des wenige g bis
Kondensators mehrere kg
elektrikums, was einer Abnahme des Parallel-
widerstandes REPR entspricht (s. . Abb. 6.24). Zellspannung Spannung am 2,5–160 V
(Nennwert) Kondensator
Insbesondere die Widerstandszunahmen wirken
sich ungünstig aus, da sich hierdurch erhöhte Tem-
peraturen während des Betriebes ergeben. Dies Des Weiteren erwärmt sich der Kondensa-
führt zum einen zu erhöhten Verlusten und zum tor aufgrund von Verlustenergien in den jewei-
anderen zu einer weiteren Schädigung des Konden- ligen Widerständen. Im Dielektrikum entsteht
sators. Durch die Abnahme des Parallelwiderstan- durch verzögerte Polarisation Wärme, da die
des erhöht sich die Selbstentladung. Ausrichtung der Dipole nur mit einer endlichen
Geschwindigkeit erfolgt und sich nicht beliebig
zz Lebensdauer verkürzende Mechanismen schnell dem neuen Feldzustand (Änderung durch
Eine Alterung des Kondensators ist hauptsächlich Laden bzw. Entladen) anpassen kann. Für den
in der Temperatur, der Spannung, den elektrischen Kapazitätswert gilt bei den meisten Dielektrika
Belastungszuständen sowie den mechanischen Be- Gl. 6.48 (s. [6]):
lastungen begründet. Ein Überschreiten der zuläs-
sigen Zellspannung kann insbesondere bei Dop-
pelschichtkondensatoren zu einer Schädigung des
 ( )
C (t x ) ≈ C20 ⋅ 1 + α 20 ⋅ t x − 20° C  . (6.48)

Elektrolyten führen. Den größten Einfluss hat je-


doch die Temperatur des Kondensators. Diese ergibt C20 entspricht der Kapazität bei einer Temperatur
sich zum einen aus der Umgebungstemperatur und von 20 °C. Der Temperakturkoeffizient α20 mit der
zum anderen aus der Eigentemperatur des Konden- Einheit 1/K beschreibt die Veränderung der Kapa-
sators. Somit stellt sich die Frage, welche Prozesse zu zität mit der Temperatur. Hohe Belastungszustände
einer Temperaturerhöhung führen können. und eine häufige und schnelle Ladung bzw. Ent-
ladung führen zu einer erhöhten Erwärmung des
zz Temperatureinflüsse Kondensators. Die Erwärmung hängt besonders
Der Kondensator wird von außen durch die Umge- von der Anzahl und den Abständen der Lade- und
bungstemperatur beeinflusst. Diese ist in der Regel Entladezyklen ab.
nicht frei wählbar, weshalb auf eine geeignete Küh-
lung zu achten ist.
182 Kapitel 6 • Elektrische Energiespeicher

CN in % Die Abnahme der Kapazität kann in drei Berei-


che aufgeteilt werden. Im ersten Bereich ergibt sich
kurz nach der Inbetriebnahme ein exponentieller
Abfall der Kapazität. Dieser Bereich ist zur Be-
rechnung ungeeignet, im Vergleich zur Nutzungs-
1 2 3
dauer eher kurz und kann vernachlässigt werden
(s. .  Abb.  6.28,  7  Abschn.  1). Der zweite Bereich
t in s kennzeichnet eine lineare Abnahme der Kapazität.
Dieses Intervall wird verwendet, um eine Abschät-
. Abb. 6.28  Kapazitätsänderung (durchgezogene Linie) zung der zu erwartenden Lebensdauer zu bestim-
durch Alterung, Bereich 1: exponentielle Abnahme, Be- men (s. .  Abb.  6.28). Im dritten Bereich beginnt
reich 2: lineare Abnahme, Bereich 3: natürliche exponentielle
wieder eine exponentielle Abnahme, weshalb auch
Abnahme, gestrichelte Line: fehlerhafte Näherung, Punkt-
Strichlinie: korrekte Näherung dieser Bereich zur Lebensdauerberechnung unge-
6 eignet ist.

zz Durchschlag zz Annäherungsverfahren zur


Eine Erhöhung der Kondensatorspannung ist Lebensdauerabschätzung
gleichzeitig mit einer Erhöhung der Feldstärke im Zuerst wird die Kapazität zu Beginn der Nutzung
Kondensator verbunden. Wird die für das Dielekt- CA gemessen. Diese kann auch aus dem vom Her-
rikum zulässige maximale Feldstärke überschritten, steller gelieferten Datenblatt bestimmt werden. Es
kann es zum Durchschlag kommen. Dies bedeutet, wird jedoch empfohlen, sie aufgrund von Toleran-
dass durch die überhöhte Feldstärke eine Elektro- zen messtechnisch festzulegen (s. [14]),
nenlawine durch das Dielektrikum getrieben wird,
eine Art Kurzschluss. Der hierbei fließende Strom  dt
CA = i . (6.49)
führt zu einer hohen Erwärmung bis hin zur Zer- du
störung des Dielektrikums an der jeweiligen Stelle,
an der der Durchschlag aufgetreten ist. Bei der Messung während des Ladens entspricht i
dem Ladestrom, dt der Ladezeit und du der Ände-
zz Bestimmung der Lebensdauer rung der Spannung am Kondensator. Nach einer
Die Lebensdauer eines Kondensators ist von vielen Zeitspanne Δt wird die Kapazität erneut gemessen
Faktoren abhängig. Um einen genauen Zeitrahmen (CE). Diese Zeitspanne sollte ausreichend groß ge-
für den Alterungsprozess festlegen zu können, wählt werden, da sich sonst eine fehlerhafte Nä-
müssten sämtliche Einflussgrößen bekannt sein. Da herung ergibt (s. [14]). Die Linie entspricht einer
dies sehr unwahrscheinlich ist, handelt es sich bei Geradenannäherung des exponentiellen Abfalls
den Verfahren zur Abschätzung der Lebensdauer der Kapazität. Wird der Messzeitraum groß ge-
um standardisierte Verfahren zur Gewährleistung nug gewählt, ergibt sich eine dem Langzeitverlauf
der Vergleichbarkeit. entsprechende Näherung (s. Strich-Punktlinie in
Die Lebensdauer eines Superkondensators . Abb. 6.28).
kann durch Annäherung einer Geraden an die Le- Der Kapazitätswert für die Grenze der Lebens-
bensdauerkurve ermittelt werden. Die hierbei vom dauer CL nach Gl.  6.46 wird mit den Kapazitäts-
Hersteller angegebenen Bemessungswerte zum Er- werten CA und CE bestimmt (s. .  Abb.  6.29). Die
reichen der Lebensdauer nach Gl.  6.46 und 6.47 Lebendauer tL ergibt sich aus
fallen unterschiedlich aus. Auf der Grundlage von
Erfahrungswerten wird davon ausgegangen, dass  (CE − CL )
t L = ∆t . (6.50)
die Kapazität ihren Grenzwert eher erreicht als der C A − CE
Innenwiderstand (s. [13]). Der typische Verlauf der
Kapazitätsabnahme ist in . Abb. 6.28 dargestellt. Dieses Verfahren gilt nur unter Einhaltung der je-
weiligen Rahmenbedingungen, insbesondere der
6.1 • Kondensatoren – Supercaps
183 6
Temperatur. Je mehr das zukünftige Verhalten des C in F

Kondensators hiervon abweicht, desto ungenauer


CA
werden die Lebensdauerprognosen (s. [14]). Die ∆C
CE
Lebensdauer eines Superkondensators im hohen
Leistungsbereich (mehrere 100 F) für Industriean- CL
wendungen liegt im Bereich von zehn Jahren. tL
∆t

t in s
6.1.6 Anwendungsgebiete
. Abb. 6.29  Gerade zur Ermittlung der Lebensdauer des
Superkondensators, CA: Anfangskapazität, CE: Endkapazität,
Die ersten Entwicklungen von Superkondensato- CL: Lebensdauergrenze, ΔC: Kapazitätsänderung, Δt: Warte-
ren begannen in den 60er-Jahren des 20. Jahrhun- zeit zwischen den Messungen, tL: Lebensdauer
derts, vorangetrieben durch die beiden Hersteller
General Electric und Sohio. Größere Stückzahlen
ergaben sich 1978, als Panasonic den sogenannten werden bereits in mehr als 20.000 Windkraftanla-
Goldcap auf dem Markt einführte. Die Kapazi- gen eingesetzt. Die Dimensionierung erfolgt hier-
tätswerte lagen zu dieser Zeit noch im Farad-Be- bei auf eine Lebensdauer von etwa 15 Jahren bzw.
reich. Der Markt ist bis heute stetig gewachsen 500.000–1.000.000 Lade-/Entladezyklen (s. [16]).
und wird von ca. 40 größeren Herstellern bedient
(s. . Abb. 6.30 und [27]). zz Einsatz im Transportbereich
Superkondensatoren haben eine hohe Leis- In Schienenfahrzeugen können Superkonden-
tungsdichte und sind daher eher als Leistungs- satoren zur Nutzung der Bremsenergie, der so-
speicher denn als Energiespeicher zu bezeichnen. genannten Rekuperation, eingesetzt werden (s.
Sie sind in der Lage, große Leistungen in einem .  Abb. 6.33). Beim Abbremsen von Schienenfahr-
limitierten Zeitbereich zur Verfügung zu stellen. zeugen wird bisher die kinetische Energie
Somit eignen sich Kondensatoren zur Bereitstel-
lung von Startenergie im Transportbereich (Schie-  1
Ekin = m v2 (6.51)
nenverkehr und Automobile), zur Stützung von 2
Versorgungssystemen im Zusammenhang mit
Ausfallsicherheit und zur Überbrückung bzw. irreversibel in Wärme gewandelt und ist somit zur
zum Ausgleich kurzzeitiger Lastschwankungen. weiteren Nutzung verloren. Wird beispielsweise ein
. Abb. 6.31 zeigt die Einsatzgebiete von Superkon- Schienenfahrzeug der Masse von 100  t und einer
densatoren. Geschwindigkeit von 100 km/h betrachtet, wird bei
einem Abbremsvorgang auf 0  km/h 38,58  MJ an
zz Einsatz in Windkraftanlagen Wärmeenergie freigesetzt.
In manchen Betriebssituationen müssen die Rotor- Anstatt diese Energie in Wärme zu wandeln,
blätter von Windkraftanlagen aus dem Wind her- wird sie im Fall der Rekuperation einem Speicher
ausgedreht bzw. der Anstellwinkel des Rotors bei zugeführt und bei einem späteren Beschleuni-
hohen Windgeschwindigkeiten derart verändert gungsvorgang dem Fahrzeug wieder zur Verfügung
werden, dass die Windkraftanlagen keinen Scha- gestellt. Hierbei sind die Eigenschaften des Dop-
den nehmen. Dies geschieht mithilfe elektrischer pelschichtkondensators von großem Vorteil: hohe
Motoren. Für einen kurzen Zeitraum ist hier eine Leistungsdichte bei einer vergleichsweise geringen
sehr hohe Leistung erforderlich, die durch einen Größe für die Möglichkeit des schnellen Auf- bzw.
Superkondensator bereitgestellt werden kann (s. Entladens durch die große Strombelastbarkeit. Mit-
.  Abb.  6.32). Da Kondensatoren im Vergleich zu hilfe der Rekuperation sind Energieeinsparungen
Batterien einen geringen Wartungsaufwand haben, von bis zu 30 % möglich (s. [2]). Dieses System zur
sind sie für diese Aufgabe insbesondere an schwer Nutzung der Bremsenergie lässt sich auch im Stra-
zugänglichen Windkraftanlagen wie z.  B. bei Off- ßenverkehr in Brennstoffzellenbussen oder in Elek-
shore-Anlagen gut geeignet. Superkondensatoren tro- und Hybridfahrzeugen einsetzen.
184 Kapitel 6 • Elektrische Energiespeicher

40

35

30
Anzahl der Hersteller von
Superkondensatoren

25

20

15

10

6 0
1956 - 1972 1973 - 1991 - 1999 - 2001 -
1968 1990 1993 2001 2003
Jahr

. Abb. 6.30  Anzahl der größten Hersteller von Superkondensatoren von 1956 bis 2013

9%

11 %
30 % Elektronik

Computer

Transportsysteme

Erneuerbare Energie

Infrastruktur
10 %

40 %

. Abb. 6.31  Marktanteile des Superkondensators nach Einsatzgebiet für das Jahr 2012, eigene Darstellung nach den
Werten aus [27]

6.2 Supraleitfähige entdeckt. Der niederländische Physiker Heike Ka-


elektromagnetische merlingh Onnes, der sich hauptsächlich mit der
Energiespeicher Verflüssigung von Gasen beschäftigte, stellte dieses
Phänomen bei Quecksilber fest. Die Entwicklung
Die Supraleitfähigkeit, bei der der ohmsche Wider- der vergangenen Jahre richtete sich hauptsächlich
stand eines Materials gegen null strebt und somit auf das Ziel, Supraleiter mit einer höheren Sprung-
fast vollständig verschwindet, wurde erstmals 1911 temperatur zu finden. Einige bedeutende Entde-
6.2 • Supraleitfähige elektromagnetische Energiespeicher
185 6
Das Verhalten von Supraleitern der 1. Art wird
mit der BCS-Theorie (Bildung von Cooper-Paa-
ren) beschrieben, das von Supraleitern der 2.  Art
ist noch nicht vollständig verstanden, doch wird
auch hier von der Bildung von Cooper-Paaren aus-
gegangen (s. [3]).

zz Vom normalleitenden zum supraleitenden


Zustand
Befindet sich ein Metall im normalleitenden Zu-
stand, üben im elektrischen Feld beschleunigte, ne-
gativ geladene Elektronen Wechselwirkungen mit
den Hüllen der Atomkerne aus, während sie sich
durch das Raumgitter des Metalls bewegen. Dies sind
Zusammenstöße mit den Atomkernhüllen, welche
einerseits zu einer Erwärmung des metallischen Lei-
ters und andererseits zu einer Abnahme der Anzahl
der freien beweglichen Elektronen, also zu einer Ver-
ringerung des Stromes führen. Dieser Vorgang wird
als ohmscher Widerstand des Leiters bezeichnet.
Im normalleitenden Zustand wird also ein Teil der
. Abb. 6.32  Superkondensator zur Versorgung der Rotor- elektrischen Energie in Wärme gewandelt, welche als
blattverstellung (s. [16]) ohmsche Verluste bezeichnet wird (s. . Abb. 6.36).
Im supraleitenden Zustand bilden Elektronen
Paare, die sogenannten Cooper-Paare. Diese Coo-
ckungen in der Geschichte der Supraleiter sind in per-Paare haben einen Gesamtimpuls von 0. Auf-
. Abb. 6.34 dargestellt (s. [22]). grund experimenteller Erkenntnisse wird davon
ausgegangen, dass alle Cooper-Paare einen einzi-
gen Quantenzustand besetzen. Die Elektronen bil-
6.2.1 Grundlagen der Supraleitung den also in Paaren eine Gesamtheit, die in all ihren
physikalischen Eigenschaften übereinstimmt.
In diesem Abschnitt wird die Funktionsweise eines Da der Impuls eines Cooper-Paares 0 ist, muss
supraleitfähigen magnetischen Energiespeichers dies nun auch für die gesamte Cooper-Paar-Mas-
(SMES) erläutert. Dabei wird zuerst auf die Supra- se gelten. Dies schließt eine Wechselwirkung mit
leitfähigkeit selbst und anschließend auf den SMES dem Raumgitter, also mit den Atomkernen aus,
eingegangen. denn eine solche Wechselwirkung wie z.  B. ein
Supraleiter werden in zwei Klassen unterteilt, Zusammenstoß würde den Impuls ändern. Die-
in die Supraleiter der 1. und in die Supraleiter der ser Impuls wäre dann ungleich null, was zu einem
2. Art. Sie unterscheiden sich besonders durch ihr Zerfall des Cooper-Paares und somit auch zu
Verhalten in Magnetfeldern. Während Supraleiter einem nicht supraleitenden Zustand führen wür-
der 1.  Art das Magnetfeld fast vollständig bis auf de. Somit gibt es im supraleitenden Zustand keine
eine dünne Oberflächenschicht aus ihrem Inneren Wechselwirkung mit dem Raumgitter und daher
verdrängen (Meißner-Ochsenfeld-Effekt), durch- auch keine ohmschen Verluste. Die Elektronen be-
dringt das Magnetfeld bei Supraleitern der 2.  Art wegen sich als Cooper-Paare berührungslos durch
ab einer bestimmten kritischen magnetischen das Raumgitter des Leitermaterials. Es handelt
Flussdichte Bc (B-Critical) den Supraleiter in Fluss- sich um einen verlustlosen Ladungstransport (s.
schläuchen (s. . Abb. 6.35). . Abb. 6.37).
186 Kapitel 6 • Elektrische Energiespeicher

STOP GO

a b

. Abb. 6.33 Rekuperation, a kinetische Energie wird dem Superkondensator beim Abbremsvorgang zugeführt, b gespei-
cherte Energie wird zum Beschleunigen bereitgestellt

1908 Heike Kamerlingh Onnes,


1900
Entdeckung der Supraleitung
1935 Fritz und Heinz London, Deutung
des Supraleitphänomen durch die
6 London-Gleichung
∂js e2 ns E
= 1925 1933 Walther Meißner,
∂t m Robert Ochsenfeld, Entdeckung
der Verdrängung von
1953 Alexei Alexejewitsch Abrikossow, Magnetfeldern aus dem inneren
Entdeckung des Typ-ll Surpaleiters eines Supraleiter

1955
1957 Bardeen, Cooper, Schriefer,
Beschreibung der Supraleitung durch
BCS-Theorie
1973 B.D. Josephson entdeckt e e
den Tunnelstrom zwischen zwei 1980
Supraleiter, der sog. Josephson-
1986 Bednorz und Müller entdecken ersten
Effekt
Hochtemperatur-Supraleiter

2008 Tokio Institute of Technology 2010


entdeckt ferromagnetischen Supraleiter

LaOFeAs
. Abb. 6.34  Zeitliche Entwicklung der Supraleitung (eigene Darstellung in Anlehnung an [22])

Die Supraleitung hängt vom Energiezustand 6.2.2 Supraleitfähiger


der Cooper-Paare ab. Eine Zuführung zu hoher elektromagnetischer
Energie führt über eine Impulsänderung zum Energiespeicher
­Zusammenbruch der Supraleitung. Hierbei spielen
drei Größen eine besondere Rolle: Der supraleitfähige elektromagnetische Energie-
55 Strom speicher (SMES) besteht im Wesentlichen aus einer
55 magnetische Flussdichte supraleitenden Spule, einem kryogenen Kühlsys-
55 Temperatur. tem und ggf. einem Wechselrichter, da ein SMES
nur mit Gleichstrom betrieben werden kann. Der
Sie stellen die Grenzbedingungen dar, deren Maxi- Spulenschutz spielt hierbei eine wichtige Rolle.
malwert nicht überschritten werden darf. Somit er- Eine Überschreitung der oben genannten
gibt sich für die Supraleitung eine Funktion, welche Grenzwerte würde zum sofortigen Zerfall der Su-
von drei Parametern abhängt (s. . Abb. 6.38 und [3]). praleitung und einem Übergang in den ohmsch-
6.2 • Supraleitfähige elektromagnetische Energiespeicher
187 6
e e e e e e e e

e e e e e e e e

e e e e e e e e

Magnetische Flussdichte B

. Abb. 6.35  Magnetische Flussschläuche in Supraleitern e e e e e e e e


der 2. Art
. Abb. 6.37  Cooper-Paare im supraleitenden Zustand

e e e e
e
J in A/m2
e
e
e e
e e e e
e

e e

e e
e e e e e
e e
e
e
e e
e e e

. Abb. 6.36  Der ohmsch leitende Prozess

H in A/m
leitenden Bereich führen. Dieser Vorgang wird
T in K
als Quench (engl. to quench – löschen, dämpfen)
bezeichnet. Ein Strom, der im supraleitenden Zu- . Abb. 6.38  Grenzbedingungen des supraleitenden
stand problemlos beherrschbar ist, würde durch Zustands
das sofortige Auftreten des ohmschen Widerstan-
des gemäß
tenden Metallschicht umgeben. Im Fehlerfall, also
Pv = I ⋅ R
(6.52)
2
nach Auftreten eines Quench, wird der Stromtrans-
port von dem parallelen Metallleiter übernommen
zu einer sofortigen Erwärmung des Leiters führen. und die unzulässige Erwärmung reduziert. Grund-
Dies kann zu Energieverlusten, Beschädigungen sätzlich ist es möglich, den Kompositleiter so zu
und sogar zu einer Zerstörung des Leiters bzw. der dimensionieren, dass er sich im Fall eines Quench
Spule führen. Infolgedessen ist ein Spulenschutz nicht übermäßig erwärmt und eine externe Schutz-
notwendig, der sogenannte Quenchdetektor. Die- beschaltung nicht erforderlich ist.
ser muss den Quench frühzeitig erkennen und den Die Folgen wären jedoch eine Zunahme des
Leiter bzw. die Spule rechtzeitig vor einer zu großen Leitervolumens und eine Abnahme der effektiven
Erwärmung schützen. Stromdichte im Leiter. Dies würde zu höheren Kos-
Die erste Schutzmaßnahme ist die Ausführung ten, einem größeren Volumen und somit auch zu
des Supraleiters als Kompositleiter. Hierbei wird der einem schlechteren Wirkungsgrad führen. Daher
Supraleiter selbst noch von einer zusätzlich gut lei- erweist sich diese Methode als eher ungünstig.
188 Kapitel 6 • Elektrische Energiespeicher

Dreiphasen-
netz
Spulenschutz
Quench Mehrstufiges
Wechselrichter Detection Kühlsystem
Netztransformator
1
~

2
=

Supraleitfähige
Spule

6
. Abb. 6.39  Systemaufbau eines SMES

Eine vorteilhaftere Variante ist das Zuschal-


ten eines externen Widerstandes. Hierbei wird
der Großteil der magnetischen Energie nicht im
Supraleiter, sondern außerhalb in Wärmeenergie
umgewandelt. Der Kompositleiter muss lediglich
während der Umschaltphase den erhöhten Strom
transportieren. Den Gesamtaufbau eines SMES
zeigt . Abb. 6.39.
Das Kernelement der Energiespeicherung
im Magnetfeld ist die Spule, die Induktivität (s.
.  Abb.  6.40). Ihre Eigenschaft und Größe lassen
sich mithilfe des Induktionsgesetzes bestimmen.
Tritt in einer Leiterschleife eine Stromänderung
auf, bewirkt diese eine Änderung des magnetischen . Abb. 6.40  Supraleitende 30 MJ Spule des Los National
Flusses Φ. Dies erzeugt eine Spannung, die der Laboratory (s. [20])

Flussänderung und somit auch ihrer proportiona-


len Stromänderung entgegenwirkt. Dieser Vorgang Leiteranordnung ab. Somit gilt für die Induktions-
wird als Induktion bezeichnet bzw. als Induktions- spannung
spannung. Da der Strom die ihm entgegen gerich-
tete Spannung selbst verursacht, wird sie auch als  di
ul = L . (6.54)
Selbstinduktion bezeichnet. Die Verknüpfung zwi- dt
schen magnetischer Flussänderung und induktiver
Spannung beschreibt das Induktionsgesetz: Die hierin enthaltene Größe L wird als Induktivität
bezeichnet,
 dϕ
ul = . (6.53)
dt  Vs
[ L] = = 1 H = 1 Henry. (6.55)
A
Da der magnetische Fluss Φ vom Strom erzeugt
wird, hängt die Induktionsspannung letztlich von Durch Gleichsetzen von Gl.  6.53 und 6.54 erhält
der Stromänderung und von der geometrischen man für L
Anordnung sowie dem Material der Spule bzw. der dΦ
L= .
 di (6.56)
6.2 • Supraleitfähige elektromagnetische Energiespeicher
189 6
Die Induktivität ist jedoch nicht nur zur Flussände- Das Durchflutungsgesetz sagt aus, dass die Auf-
rung proportional, sondern auch zur Windungszahl summierung aller magnetischen Feldstärken ent-
N der Spule, also der Anzahl der gewickelten Leiter- lang einer geschlossenen Hüllfläche die elektrische
schleifen, die von demselben magnetischen Fluss Durchflutung Θ ergibt. Θ ist die Summe aller Strö-
durchsetzt werden. Wird kein ferromagnetisches Ma- me, die durch diese geschlossene Fläche hindurch-
terial verwendet, lässt sich Gl. 6.56 auch in der Form treten. Unter
 der Annahme, dass die Wegelemente

ds und H dieselbe Richtung haben und Θ = N·i,
 Φ lässt sich Gl. 6.62 folgendermaßen schreiben:
L=N (6.57)
i
  
schreiben. Der magnetische Fluss ergibt sich aus ∮H d s =∮H ds = Hl = Ni. (6.63)
der Flussdichte und der vom magnetischen Fluss
durchsetzten Fläche A, Durch Einsetzen von Gl. 6.60 in Gl. 6.59 und unter
Berücksichtigung von Gl. 6.61 erhält man
 Φ = B ⋅ A. (6.58)
 μ⋅H ⋅ A
L=N . (6.64)
Somit gilt für Gl. 6.57 i

 B⋅ A Nach Auflösen des vereinfachten Durchflutungs-


L=N . (6.59)
i gesetzes Gl. 6.63 nach H und Einsetzen in Gl. 6.64
wird die Induktivität L zu
Die Flussdichte selbst ergibt sich wiederum aus
der magnetischen Feldstärke und der Permeabili- 2 μA
(6.65)
L=N .
tät μ0 μ r , l

B = μ0 μ r H .
(6.60) Der hierin enthaltene Ausdruck

H ist die magnetische Feldstärke, auch magnetische μA Fläche


Λ= ≡ Materialgröße ⋅
Erregung genannt. Schließlich ist in dieser Größe l Länge
der Strom enthalten, welcher das Magnetfeld her-
vorruft. μ0μr berücksichtigt die magnetischen Ma- ähnelt dem Leitwert S. Daher wird dieser Ausdruck
terialeigenschaften. Hierbei ist μ0 die magnetische auch als magnetischer Leitwert Λ bezeichnet. Die
Feldkonstante, welche die magnetische Leitfähig- Induktivität bestimmt sich also aus dem magneti-
keit des Vakuums angibt. Die magnetischen Leitfä- schen Leitwert und der Windungszahl im Quadrat
higkeitseigenschaften aller anderen Materialien be-
tragen ein Vielfaches von μ0, und somit kommt der L = N ⋅ Λ.
(6.66)
2

einheitenlose Faktor μr hinzu. Zur vereinfachten


Berechnung werden beide in einem gemeinsamen zz Die Energiespeicherung
Faktor zusammengefasst: Die Energie wird im Magnetfeld der Spule gespei-
chert und ihre Bestimmung erfolgt nach dem ver-
μ = μ0 μ r .
(6.61) einfachten Ersatzschaltbild der Spule.
Der ohmsche Widerstand R in .  Abb. 6.41 steht
Die magnetische Feldstärke H wird mittels des für den Leitungswiderstand der Spule. Nach Schlie-
Durchflutungsgesetzes bestimmt: ßen des Schalters S1 zum Zeitpunkt t1 wird dem RL-
 Netzwerk bis zum Zeitpunkt t2 elektrische Energie

H ds = Θ.
(6.62) ∮ Wel durch die Spannungsquelle zugeführt. Diese kann
durch Integration der Leistung bestimmt werden:
190 Kapitel 6 • Elektrische Energiespeicher

S1 R net. Es fließt ein Strom vom Netz kommend durch


den Wechselrichter und durch die Spule. Die Spule
selbst hat zwar im supraleitenden Zustand keinen
u S2 L
ohmschen Widerstand mehr, die Zuleitungen, der
Wechselrichter und das gesamte Versorgungsnetz,
aus dem die Spule gespeist wird, haben jedoch noch
. Abb. 6.41  RL-Netzwerk als vereinfachtes Ersatzschalt- einen Widerstand. Zur Betrachtung des Verlaufes
bild der Spule mit zwei Schaltern werden alle ohmschen Widerstände in .  Abb. 6.41
in R zusammengefasst. Nach Aufstellen der Ma-
t1 t1 t1 schengleichung gilt für das RL-Netzwerk
 Wel = ∫
t0
iu dt = ∫
t0
iur dt + ∫ t0
iul dt. (6.67)
 u (t ) = ur + uL . (6.69)
Das erste Integral entspricht der von der Span-
6 nungsquelle zugeführten Energie. Das zweite Inte- Hieraus lässt sich mithilfe des Stromes folgende
gral bestimmt die elektrische Energie, die im ohm- inhomogene Differentialgleichung 1. Ordnung an-
schen Widerstand irreversibel in Wärme umgesetzt geben:
wird. Im dritten Integral wird die im Magnetfeld
der Spule gespeicherte Energie bestimmt. Unter  di
u (t ) = i (t ) R + L . (6.70)
Berücksichtigung von Gl. 6.54 wird dt

 t1 di t1 1  2  i1 Mithilfe dieser Differentialgleichung ergibt sich


Wspule = ∫ t0
iL
dt
dt = L ∫ t0
i di L i
2   i0
.
eine Funktion für den Verlauf des Stromes bzw. der
Spannung während des Ladevorgangs. Die Lösung
(6.68) der Differentialgleichung für den Strom i(t) ergibt
sich zu
Nach Zuführung der Energie durch die Spannungs-
 −
t

quelle wird Schalter S1 geöffnet und Schalter S2 ge- i (t ) = i0 1 − e τ  .
(6.71)
schlossen. Die im Magnetfeld gespeicherte Energie  
wird durch den mit ihr verknüpften Strom über
den Widerstand R in Wärme gewandelt. Die Ener- Hierbei ist τ die Zeitkonstante, die vom Widerstand
giespeicherung ist somit von sehr kurzer Dauer. und der Induktivität der Spule abhängt,
Der Großteil der gespeicherten Energie kann
aufgrund dieser Verluste nicht mehr dem einspei- L
senden Verbrauchernetz zur Verfügung gestellt τ= ; τ = s.
R
werden. Handelt es sich hierbei jedoch um eine
supraleitende Spule, so ist der Widerstand R unter- Daraus ergibt sich ein exponentiell ansteigender
halb der Sprungtemperatur nicht mehr vorhanden. Strom, dessen Verlauf von der geometrischen und
Ein eingespeister Strom könnte bis zu seiner Ent- materiellen Beschaffenheit der Spule abhängt. Der
nahme quasi unbegrenzt existieren. Es wird dann Verlauf ist in . Abb. 6.42 dargestellt.
von sogenannten Dauerströmen gesprochen. Die- In der Spule wird ein Magnetfeld aufgebaut.
ser Strom würde in der Spule um sich herum ein Anschließend wird Schalter S2 geschlossen, die
Magnetfeld erzeugen, welches je nach Supraleittyp Spule wird kurzgeschlossen und Schalter S1 geöff-
aus dem Supraleiter verdrängt wird oder ihn in net. Somit ist die Spule vom Netz getrennt. Der Zu-
Flussschläuchen durchdringt (s. [3, 9]). leitungswiderstand ist nun nicht mehr relevant, es
bleibt allein die Induktivität L der Spule. Das heißt,
zz Der Ladevorgang der Widerstand in Gl. 6.71 strebt gegen null. Somit
Während des Ladevorgangs ist der Schalter S1 in ergibt sich für die Stromänderung
.  Abb. 6.41 geschlossen und der Schalter S2 geöff-
6.2 • Supraleitfähige elektromagnetische Energiespeicher
191 6
i(t) in A
4,5

4,0

3,5

3,0

2,5

2,0

1,5

1,0

0,5

0,0 t in ms
0,0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0 1,2 1,4 1,6 1,8

. Abb. 6.42  Ladestrom einer Spule

 SMES können wie Kondensatoren elektrische


 − 
t
 − 
Rt
i (t ) = lim i0 1 − e τ  = lim i0 1 − e L  = 0. Energie direkt speichern. Es ist keine weitere Um-
R→0   R→0   wandlung notwendig. In einem SMES selbst fin-
(6.72) den zur Energiespeicherung keine chemischen
Umwandlungsvorgänge statt und es gibt kei-
Die Änderung des Stromes über der Zeit ist also 0. nen mechanischen Verschleiß durch bewegliche
Der das Magnetfeld aufrechterhaltende Strom kann ­Bauteile.
dementsprechend theoretisch unbegrenzt lange Daher sind die Lebensdauer und die Anzahl
fließen. Die elektrische Energie bleibt im Magnet- der Lade-/Entladezyklen sehr hoch. Die Lebens-
feld gespeichert (s. [6, 7]). dauer von SMES wird mit etwa 30 Jahren und einer
Zyklenzahl von mehr als 1  Mio. angegeben. Auch
zz Entladevorgang Teilentladungen sind problemlos möglich (s. [18]).
Zum Entladen wird zu einem Zeitpunkt tx, zu dem
die gespeicherte Energie wieder dem Netz bzw. 6.2.2.1  irkungsgrad und Verluste von
W
dem Verbraucher zugeführt werden soll, der Schal- SMES
ter S2 in .  Abb.  6.41 geöffnet und der Schalter S1 Auch wenn der ohmsche Widerstand verschwin-
geschlossen. det, so ist das Energiespeichersystem SMES trotz-
Die Induktivität ist nun nicht mehr kurzge- dem nicht verlustlos.
schlossen, sondern über den Wechselrichter mit Jeder SMES benötigt eine Regelung, die das La-
dem Netz verbunden. Somit ist auch der Leitungs- den und Entladen steuert. Auch ein stabiler Tem-
und Netzwiderstand vorhanden, der Strom fließt peraturhaushalt ist für einen SMES wichtig, damit
über den Wechselrichter wieder in das Netz zurück. er im Betriebsfall unterhalb der Sprungtemperatur
Der Verlauf des Entladeprozesses ergibt sich aus bleibt. Die für diese Regelung erforderliche Ener-
Gl. 6.73. Der Strom in Gl. 6.73 nimmt aufgrund der gie verursacht Verluste. Außerdem benötigt die für
negativen Spannung einen negativen Wert an. Der den Betrieb des SMES notwendige Gleichspannung
Strom fällt also von einem vorher erreichten An- einen Wechselrichter, sodass auch hier Verluste die
fangswert exponentiell ab (s. . Abb. 6.43). Folge sind. Da nicht alle Leitungen im SMES-Sys-
Dabei wird das Magnetfeld der Induktivität ab- tem supraleitend sind, entstehen in sämtlichen Zu-
gebaut. Die Spule wirkt bei ausreichender Größe und Ableitungen ohmsche Verluste.
wie eine Gleichspannungsquelle (s. [18]).
192 Kapitel 6 • Elektrische Energiespeicher

i(t) in A
4,5

4,0

3,5

3,0

2,5

2,0

1,5

1,0

0,5

6 0,0 t in ms
0,0 tx 0,18 0,36 0,54 0,72 0,9 1,08 1,26 1,44 1,62

. Abb. 6.43  Stromverlauf während der Entladung einer Spule

Des Weiteren haben Supraleiter Wechselfeldver- Zugeführte


luste, die aufgrund des magnetischen Feldverlaufs Energie
als Hystereseverluste bezeichnet werden (s. [23]).
Am bedeutendsten von allen sind jedoch die ther-
mischen Verluste. Da der Supraleiter im Betrieb selbst
unterhalb seiner Sprungtemperatur gehalten werden Wechselrichter
muss, ist eine ständige Kühlung notwendig, um den
durch das Temperaturgefälle zwischen Umgebungs-
und Spulentemperatur verursachten Wärmestrom zu Leitung
kompensieren. Darüber hinaus muss das Kühlsystem
der Erwärmung durch Änderung des Magnetfeldes
beim Laden und Entladen entgegenwirken. Quench
In .  Abb. 6.44 sind die Verluste dargestellt, die
beim Laden und Entladen entstehen.
Da sich die thermischen Verluste proportional Magnetisierung
zur Temperaturdifferenz verhalten, konzentriert
sich die derzeitige Forschung an Supraleitern da-
rauf, Leiter mit möglichst hohen Sprungtempe-
Kühlung
raturen zu finden. Das Temperaturniveau einiger
Supraleiter ist in . Abb. 6.45 dargestellt.
Ein wesentlicher Fortschritt ist das Über-
schreiten der Sprungtemperatur von − 196 °C. Da-
mit kann zur Kühlung statt des teureren flüssigen
Heliums der günstigere flüssige Stickstoff verwen- Gespeicherte
det werden. .  Abbildung  6.46 zeigt die Preisdiffe- Energie
renz zwischen den beiden flüssigen Kühlmitteln
Stickstoff (Siedetemperatur − 196 °C) und Helium . Abb. 6.44  Energieverluste im SMES

(− 269 °C) für eine Menge von 300 l (s. [23]).


6.2 • Supraleitfähige elektromagnetische Energiespeicher
193 6

0°C

Gefrierschrank
(-18°C)
-30°C

Reckordtemperatur
Südpol
-60°C
(-89,2°C)

-90°C Mondoberfläche
(nachts, -160°C)

Bi2Sr2Ca2Cu3O10+δ -120°C
(-163,15°C)

NbN -150°C
(-258,15°C)

Niob -180°C
(-264,15°C)
Flüssiger Stickstoff
(-196°C)
Quecksiber -210°C
(-269,15°C)

-240°C
Titanoxid
Flüssiges Helium
(-272,15°C)
(-269°C)

-273,15°C

Sprungtemperatur in °C Vergleichstemperatur in °C

. Abb. 6.45  Sprungtemperaturniveau verschiedener Supraleiter im Vergleich zu anderen charakteristischen ­Temperaturen

. Tab. 6.2  Kostenanalyse zu elektromagnetischen


Stickstoff
Flüssiger

Speichern der NEDO-Organisation (s. [19])

Anlage 110 MW/15 kWh 690 USD/kW


Flüssiges
Helium

Anlage 100 MW/500 kWh 1970 USD/kW

0 2 4 6 8 10 12 sehr niedriger Energiedichte können SMES eher


Preis in €
als Leistungsspeicher denn als Energiespeicher be-
. Abb. 6.46  Preisunterschied zwischen flüssigem Helium zeichnet werden.
und flüssigem Stickstoff SMES haben den Vorteil der direkten Energie-
speicherung. Es gibt keine drehenden Teile, und
chemische Prozesse zur Energieumwandlung wer-
6.2.2.2 Einsatzgebiete von SMES den nicht benötigt. Demgegenüber stehen aber
SMES spielen heute in der Energiespeicherung kei- noch sehr hohe Kosten und die großen thermi-
ne Rolle. Wegen ihrer hohen Leistungsdichte bei schen Verluste. .  Tabelle  6.2 zeigt das Ergebnis
194 Kapitel 6 • Elektrische Energiespeicher

. Tab. 6.3  Stand der SMES-Technik 2002. (s.[20])

Speichereinsatz Spannungsqualität Systemstabilität Spitzenlastausgleich

Status Unterschiedliche Demonstrationsmodelle Theoretische Ansätze


­Speicher im Betrieb

Erfahrungswerte Probleme bei der Leis- Noch keine ausreichenden Er- Langzeitstudie erforderlich
tungsabgabe fahrungswerte

Entwicklungstrend In der Herstellung Produktion und Suche nach Keine


Abnehmern

Problemstellung SMES-Kosten Kostenoptimierung erforderlich Zu hohe Kosten

6
einer japanischen Kostenanalyse aus dem Jahr 55 Dem Vorteil, elektrische Energie nicht in an-
2009. dere Energieformen wandeln zu müssen und
Mögliche Anwendungen wären daher der Ein- auf diesem Wege teils hohe Wandlungsver-
satz zur: luste vermeiden zu können, steht der Nach-
55 Kurzzeitspeicherung teil von extrem geringen Energiedichten
55 Netzstabilisierung bzw. Gewährleistung der – sowohl auf das Volumen als auch auf das
Spannungsqualität Gewicht bezogen – und exorbitant hohen
55 Sicherung der Stromversorgung in Inselanla- Kosten gegenüber. Aus diesem Grund findet
gen sich ihre Anwendung derzeit eher in Nischen-
55 USV (unterbrechungsfreie Stromversorgung). bereichen wieder.

Großspeicher für Netzanwendungen befinden sich


aktuell noch in der Entwicklungsphase. Im Gegen- Literatur
satz dazu werden Klein-SMES zur Spannungssta-
bilisierung bereits öfter eingesetzt. Eine Übersicht 1. Atkins PW (2007) Physikalische Chemie, 4., vollst. über-
arb. Aufl. VCH, Weinheim
hierüber gibt . Tab. 6.3.
2. Bombardier Transportation (2009) EcoActive Technolo-
gies. MITRAC Energy Saver, Bombardier Transportation,
Zürich
6.3 Zusammenfassung 3. Buckel W (1994) Supraleitung. Grundlagen und Anwen-
dungen, 5. überarb. und erg. Aufl. VCH, Weinheim
4. Deutsches Institut für Normung e.V. (2007) Elektrische
55 Die große Bedeutung von Elektrizität im
Doppelschichtfestkondensatoren zur Verwendung in
zukünftigen Energieversorgungssystem ist Geräten der Elektronik – Teil 2(DIN EN 62391-2)
an mehreren Stellen in diesem Buch heraus- 5. Faranda R (2010) A new parameters identification pro-
gestellt worden. Daher ist es naheliegend, das cedure for simpified double layer capacitor two-branch
Thema der Energiespeicherung auch rein hin- model; Elsevier, Science direct. 7 http://www.scien-
cedirect.com/science/article/pii/S037877960900265X.
sichtlich der Elektrik anzugehen.
Zugegriffen: Juli 2013
55 Es gibt zwei Bauelemente in der Elektrotech- 6. Führer A, Heidemann K, Nerreter W (2011) Grundgebie-
nik, die Energie speichern können: Konden- te der Elektrotechnik 2. Zeitabhängige Vorgänge, 9.,
satoren und Spulen. Beide wurden in diesem aktualisierte Aufl. Grundgebiete der Elektrotechnik,/Ar-
Kapitel vorgestellt, insbesondere diejenigen nold Führer; Klaus Heidemann; Wolfgang Nerreter: Bd.2.
Hanser, München
Merkmale dieser Bauelemente, die auch zum
7. Hagmann G (2006) Grundlagen der Elektrotechnik. Das
Zweck der Energiespeicherung von Bedeutung bewährte Lehrbuch für Studierende der Elektrotechnik
sind, also die Besonderheiten von Superkon- und anderer technischer Studiengänge ab 1. Semester;
densatoren und supraleitenden Spulen.
Literatur
195 6
mit 4 Tabellen, Aufgaben und Lösungen, 12., korr. Aufl. 25. WIMA (2013) Anwendung von WIMA Doppelschicht-
AULA, Wiebelsheim Kondensatoren, WIMA Spezialvertrieb elektronischer
8. Hamann CH, Vielstich W (2005) Elektrochemie, 4., vollst. Bauelemente GmbH & CO.KG. 7 http://www.wima.de/
überarb. und aktualisierte Aufl. Wiley-VCH, Weinheim DE/supercap_applic.htm. Zugegriffen: 24. Okt. 2013
9. Kathke M (1999) Supraleitung. Eine Einführung. GSI 26. Yonghua C (2010) Assessments of energy capacity and
Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung GmbH, energy losses of supercapacitors in fast charging–di-
Aachen scharging cycles. IEEE Trans Energy Convers 25(1):253–
10. Lippold B (2013a) Aktivkohle, Chemie.de Informations- 261. doi:10.1109/TEC.2009.2032619
service GmbH. 7 http://www.chemie.de/lexikon/Aktiv- 27. Zogbi D (2013) Supercapacitors the Myth, the Potential
kohle.html. Zugegriffen: 24. Okt. 2013 and the Reality, tti Inc. 7 http://www.ttiinc.com/object/
11. Lippold B (2013b) Permittivität, Chemie.de Informations- me-zogbi-20130403.html. Zugegriffen: 24. Okt. 2013
service GmbH. 7 http://www.chemie.de/lexikon/Per-
mittivit%C3%A4t.html. Zugegriffen: 24. Okt. 2013
12. Lott J (2001) Einsatz des Doppelschichtkondensators
als Zusatzspeicher im Elektrofahrzeug, Als Ms. gedr.
Fortschritt-Berichte VDI Reihe 21, Elektrotechnik, Bd. 307.
VDI, Düsseldorf
13. Maxwell Technolgies (2009) PRODUCT GUIDE Maxwell
Technologies BOOSTCAP Ultracapacitors; Maxwell
technologies. 7 http://www.maxwell.com/products/
ultracapacitors/docs/1014627_boostcap_product_guide.
pdf. Zugegriffen: Juli 2013
14. Maxwell Technologies (2013a) Application Note. Life Dura-
tion Estimation, Maxwell Technologies, San Diego CA
15. Maxwell Technologies (2013b) Datasheet HC Series
Ultracapacitors, Maxwell Technologies, San Diego CA
16. Maxwell Technologies (2013c) Ultracapacitor usage
in pitch control system, Maxwell Technologies, San
Diego CA
17. Mortimer CE, Müller U (2010) Chemie. Das Basiswissen
der Chemie; … 128 Tabellen. Chemie
18. Neupert U (2009) Energiespeicher. Technische Grundla-
gen und energiewirtschaftliches Potenzial. Fraunhofer-
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19. Nomura S, Shintomi T, Akita S et al (2010) Technical and
cost evaluation on SMES for Electric Power Compen-
sation. IEEE Trans Appl Supercond 20(3):1373–1378.
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20. Norris B, Symons P, Schoenung S et al (2002) Handbook
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21. Schmidt VM (2003) Elektrochemische Verfahrenstechnik.
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Reihe 21 Elektrotechnik, Bd. 268. VDI, Düsseldorf
24. van de Bossche P, van Mulders F, Verbruggel B et al
(2013) The cell versus the system. Standardization
challenges for electricity storage devices, EVS24 Inter-
national Batterie, Hybrid and Fuel Cell Electric Vehicle
Symposium, Stavanger
197 7

Elektrochemische
Energiespeicher
Übersicht
Die direkte Speicherung elektrischer Energie über Kondensatoren und Spulen
ist einerseits höchst effizient, aber andererseits in punkto Speicherkapazitäten
sehr begrenzt und mit hohen Kosten verbunden. Diese Nachteile werden
durch die elektrochemische Energiespeicherung überwunden, allerdings auf
Kosten des Wirkungsgrades der rein elektrischen Energiespeicherung, die die
effizienteste Art und Weise der Stromspeicherung ist.
Elektrochemische Energiespeicher werden durch die Begriffe Batterien und
Akkumulatoren beschrieben. Elektrochemische Systeme bestehen aus
Elektroden, die über einen Elektrolyten als ionenleitende Phase miteinander
verbunden sind. Generell kann elektrochemischen Systemen elektrische
Energie entnommen werden oder, im Fall von Akkumulatoren, sowohl
entnommen als auch eingespeichert werden. Dabei laufen chemische
Reaktionen ab, bei denen elektrische Ladungen übertragen werden.
Elektrochemische Energiespeicher werden in Niedertemperatur-Batterien
wie z.B. Blei-, Nickel- und Lithium-Batterien und Hochtemperatur-Batterien wie
Natrium-Schwefel-Batterien eingeteilt. Ferner wird zwischen Batterien mit
externem Speicher wie Redox-Flow-Batterien und internem Speicher – was für
die meisten Batterien zutrifft – unterschieden.

M. Sterner, I. Stadler, Energiespeicher – Bedarf, Technologien, Integration,


DOI 10.1007/978-3-642-37380-0_7, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
198 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

7.1 Grundlagen gleich des Ladungsgleichgewichts werden ebenfalls


einige Protonen aufgenommen oder abgegeben.
Vor der Beschreibung der gängigsten Batterietech- Der Zusammenhang zwischen der an einer Elekt-
nologien werden grundlegende Zusammenhänge rode eingesetzten Masse eines Stoffes und der An-
zu den thermodynamischen und chemischen Hin- zahl der übertragenen Elektronen ist dabei propor-
tergründen behandelt, die allen Technologien ge- tional. Das 1. Faraday’sche Gesetz der Elektrolyse
mein sind. Die Komplexität der elektrochemischen beschreibt die Äquivalenz zwischen abgeschiede-
Vorgänge kann hier nur teilweise wiedergegeben ner Stoffmenge und elektrischer Ladungsmenge.
werden und wird zum Teil vereinfacht dargestellt. Bei der Reduktionsreaktion:

ϑE + ze → ϑ p
(7.4)

7.1.1 Physikalische
Grundzusammenhänge stehen die stöchiometrischen Faktoren ϑE und ϑP
für das Edukt bzw. Produkt der Reaktion.
Die Energiespeicherung in Batterien erfolgt in Durch die Multiplikation mit der Ladungszahl
Form von Ladungsträgern, die durch Reduktions- z wird die Ladungsmenge bestimmt:
7 und Oxidationsvorgänge aufgenommen bzw. ab-
gegeben werden. Dabei erzeugt deren Fluss einen
elektrischen Strom i(t):
Q = nE ⋅ z ⋅ F = n − ⋅ F = i (t ) dt.
(7.5)
e ∫
(7.1) dQ Aus  der  Potenzialdifferenz U = ∆ ϕ = ϕ Kathode − ϕAnode
i (t ) = .
dt geht die verrichtete Arbeit für den Transport der
Ladungsmenge zwischen Kathode und Anode pro
Ein Elektron (bzw. Proton mit der Ladung Q [As = mol Reaktionsumsatz hervor:
Coulomb = C]) besitzt die Elementarladung
wel = − z ⋅ F ⋅ U  J ⋅ mol −1  .
(7.6)
 
−19
e = 1, 602177 ⋅ 10 C.

Aus der Elementarladung e und der Avogadro- Zur weiteren Erläuterung s. 7 Abschn. 7.1.2.
Konstante NA = 6,0221415 · 1023 mol−1 ergibt sich die Wird die Arbeit reversibel bei konstanter Tem-
Faraday-Konstante: peratur und konstantem Druck verrichtet, ist diese
gleich der umsetzbaren chemischen Reaktion und
−1
F = e ⋅ N A = 9, 648534 ⋅ 10 ⋅ C ⋅ mol .
(7.2)
4
somit der freien Reaktionsenthalpie ∆GR:

Bei ne− mol freigesetzten Elektronen wird eine La- wel = ∆GR  J ⋅ mol −1  .
(7.7)
 
dungsmenge von

Q = ne− · F = i (t ) dt
(7.3) ∫ Durch eine Änderung z. B. des Temperaturniveaus
treten unerwünschte irreversible Prozesse inner-
halb der chemischen Reaktionen auf. Aufgrund
transportiert. des Wärmeeffekts wird die nutzbare Reaktionsen-
Die Menge ne− der freigesetzten Elektronen thalpie ∆H R um die Reaktionsentropie ∆S R gerin-
resultiert aus der Stöchiometrie der Reaktionsglei- ger ausfallen als die freie Reaktionsenthalpie ∆GR.
chungen. Die anoden- und kathodenseitigen Reak- Folglich ist dann:
tionen machen deutlich, dass bei jedem Reaktions-
vorgang Ionen umgewandelt und dabei Elektronen ∆GR = ∆H R − T ⋅ ∆ S R .
(7.8)
aufgenommen oder abgegeben werden. Zum Aus-
7.1 • Grundlagen
199 7

Ist ∆GR < 0, ist auch wel < 0 , und man spricht mischen Reaktionen auftretenden Bildungen und
vom Entladungsprozess der galvanischen Zelle. Es Zersetzungen von Verbindungen mit gleicher Ge-
wird Leistung abgegeben. Ist jedoch ∆GR > 0 und schwindigkeit auftreten. Dieser Prozess beschreibt
folglich wel > 0 , wird vom Ladeprozess der Elek- ein dynamisches Gleichgewicht, wobei die Gesamt-
trolysezelle gesprochen und Leistung aufgenom- reaktion nach außen hin zum Stillstand gekommen
men. Der Ladeprozess kann nur erzwungen wer- ist. Es gilt:
den, indem eine äußere Spannung angelegt wird, s.
7 Abschn.  7.1.6. Weiter steht ∆GR in Abhängigkeit ∆G = − R ⋅ T ⋅ ln( K c ).
(7.12)
0

der Reaktanten und ist somit variabel:


Die Gleichgewichtsspannung U 0 ergibt sich durch
 n 
∆GR = ∆G + R ⋅ T ⋅ ln  ∏ aiϑi  .
(7.9) 0
Gleichsetzen mit Gl. 7.6 in Bezug auf die Standard-
 i =1  bedingungen:

Hierin ist ∆G 0 die Reaktionsenthalpie in Bezug auf (7.13)


∆G 0
= −U 0
die Standardbedingungen (p = 1 bar; T = 298,15 K; z⋅F
ci = 1 Mol / l; ai = 1 ), also die freie Standardreak-
tionsenthalpie. Dabei steht R für die Gaskonstan- Es wird Gl. 7.6 in Gl. 7.7 eingesetzt, und mit Gl. 7.13
te mit R = 8,3145  J/(mol·K), T für die Temperatur in Gl. 7.9 entsteht die allgemeine Nernst’sche Glei-
in Kelvin, ai für die Aktivität des Reaktanten i in chung, in der U das Nernstpotenzial darstellt:
Mol/l und ϑi als stöchiometrischer Koeffizient für R ⋅T  n

die Edukte < 0 und die Produkte > 0. U =U −
(7.14)⋅ ln  ∏ ai i  .
0 ϑ

z⋅F  i =1 
Die Aktivität gilt dabei als thermodynamisches
Maß für die Effektivität bzw. die Wirksamkeit einer
Substanz i, Siehe hierzu auch 7 Abschn. 7.1.4.
Aus der Differenz der Standardeinzelpotenziale
αi = γ i ⋅ ci .
(7.10) ϕ 0 der beiden Elektroden ergibt sich die Standard-
gleichgewichtsspannung U 0 :
Somit ist der Aktivitätskoeffizient γ ein dimen-
sionsloser Korrekturkoeffizient und hängt von ϕ Kathode − ϕ Anode = U .
(7.15)
0 0 0

der Substanz i ab. Unter einer »ideal« verdünnten


Lösung versteht man, dass die Abstände der Ionen Die Elektrodenpotenziale können in Tabellenwer-
sehr groß und dadurch ihre Wechselwirkung ver- ken nachgeschlagen werden und beziehen sich auf
nachlässigbar gering ist. Daraus folgt ein Aktivi- den Reduktionsprozess an einer Elektrode. Als Re-
tätskoeffizient γ = 1 , und die Aktivitäten der Stoff- ferenzelektrode ist das Potenzial der Normalwas-
mengenkonzentrationen ci sind somit durch serstoffelektrode (RHE = reference hydrogen electro-
de) dienlich, welches unter Standardbedingungen
n
ci = i dm3 ⋅ mol −1 = M 
(7.11)
 
den Wert null annimmt.
V

gegeben. Dabei steht ni für die Stoffmenge des 7.1.2 Potenzialausbildung an


gelösten Stoffes und V für das Volumen der Lö- Elektroden
sung. Befindet sich das Reaktionssystem in einem
chemischen Gleichgewicht, wird in Gl. 7.12 die so- Alle Prozesse der Elektrochemie sind mit einem
genannte Massenwirkungs- oder Gleichgewichts- Ladungstransport zwischen Gebieten gleicher phy-
konstante K c erreicht. Wie der Name schon sagt, sikalischer und chemischer Eigenschaften (Phasen)
bleiben in diesem Zustand die Konzentrationen verbunden. Eine Größe, die die energetischen Ver-
aller Reaktanten konstant, da die durch die che- änderungen bei Änderung der elektrischen Aufla-
200 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

ϕ Bei Ionenelektroden wird zwischen Ionenelek-


troden der 1. bzw. 2. Art unterschieden. Eine Ione-
nelektrode der 2. Art ist eine Elektrode, bei der der
+ Ladungstransfer durch mehr als eine Grenzfläche
erfolgt. Das ist z.  B. dann der Fall, wenn sich ein
Phase
schwerlösliches Salz auf der Metalloberfläche abla-
gert. Gelegentlich werden diese Elektroden auch als
mehrfache Elektroden bezeichnet (im Gegensatz
. Abb. 7.1  Darstellung des inneren elektrischen Poten-
zum Begriff »einfache« Elektroden mit nur einer
zials
Grenzfläche). Häufig werden solche Elektroden in
den Akkumulatoren eingesetzt, da die elektroche-
misch wirksamen Stoffe ortsfest verbleiben.
dung einer Phase beschreibt, ist das innere elektri- Je nachdem, ob sich Reaktanten und Produk-
sche Potenzial. te in der gleichen Phase befinden, wird zwischen
Das innere elektrische Potenzial ϕ wird über homogenen oder heterogenen Elektroden unter-
die elektrische Arbeit Wel definiert, die erforderlich schieden (s. . Abb. 7.2).
7 ist, eine positive Ladung aus unendlicher Entfer- Eine Besonderheit stellen Insertationselektro-
nung in eine Phase zu transportieren (s. . Abb. 7.1), den (z. B. in Lithium-Ionenzellen) dar, bei denen in
ein Kristallgitter Fremdionen eingelagert werden.
Wel = z ⋅ F ⋅ ϕ.
(7.16) In diesen Fällen entstehen Phasenbereiche, die
durch einen Gradienten der eingelagerten Frem-
Hierbei stellt z die Ladungszahl dar, F die Faraday- dionen gekennzeichnet sind und in denen sich das
Konstante. Potenzial innerhalb der Phase unterscheiden kann.
Die Differenz der inneren elektrischen Potenzia- Werden zwei Elektroden kombiniert, die in
le zweier sich berührender Phasen (Phasengrenze) Kontakt zum gleichen Elektrolyten stehen, so ergibt
wird als »Galvanipotenzial« bezeichnet. Berühren sich eine messbare Potenzialdifferenz zwischen die-
sich zwei metallische Phasen, wird diese Differenz sen Elektroden. Ein Beispiel einer einfachen Ione-
auch »Voltapotenzial« genannt. Auf den unterschied- nelektrode ist dabei das System, welches aus einem
lichen Temperaturabhängigkeiten der Potenziale bei beliebigen Metall beim Eintauchen in eine wässrige
verschiedenen Metallen beruht auch die Benutzung Lösung entsteht, die die gleichen Metallionen ent-
von Thermoelementen zur Temperaturmessung. hält. Für die Ionen im Metallgitter besteht dabei die
Wird ein elektrischer Leiter in eine Elektrolyt- Möglichkeit, über die Phasengrenze in die Elekt-
lösung getaucht, bildet sich an der Phasengrenze rolytphase zu wechseln (Oxidation des Metalls).
ebenfalls eine Potenzialdifferenz aus. Ein solches, Dabei bleibt eine negative Ladung im Metallgitter
aus mehreren Phasen (Metall und Elektrolyt) be- zurück. Andererseits können Ionen aus der Elek-
stehendes System, über dessen Phasengrenze La- trolytphase in das Metallgitter wandern (Reduk-
dungen ausgetauscht werden können, bezeichnet tion) und die Metallphase positiv aufladen.
man als »Elektrode«. Im allgemeinen Sprachge- Durch die chemischen Eigenschaften des Metalls
brauch wird fälschlicherweise mitunter nur das und der mit ihm wechselwirkenden gleichartigen Io-
eintauchende Metall als Elektrode bezeichnet. Die nen in der Elektrolytlösung stellt sich eine bestimm-
Definition der Elektroden beinhaltet daher das ge- te Potenzialdifferenz über der Phasengrenze ein, die
samte Mehrphasensystem, das durch den Kontakt sich bei verschiedenen Metallen unterscheidet. Ein
eines elektronischen Leiters (z. B. Metall) mit dem unedleres Metall zeigt dabei eine stärkere Tendenz
ionischen Leiter in Elektrolytlösungen entsteht. der Auflösung, sodass es eine negativere Aufladung
Nach der Art der durch die Grenzfläche hin- der Metallphase ausbildet, die diesem Prozess ent-
durchtretenden Ladungsträger (Ionen bzw. Elekt- gegenwirkt. In der Anfangsphase der Elektrochemie
ronen) wird zwischen »Ionenelektroden« und »Re- wurde dafür der Begriff »Lösungsdruck« eingeführt.
doxelektroden« unterschieden.
7.1 • Grundlagen
201 7

Me Me Pt Pt

e– e– e– e–

Me Ox
Ox2+ Red

Me2+ An– Red

MeAn (s)
Ionen Elektroden Redox Elektroden

. Abb. 7.2  Ionen- und Redoxelektroden

Dieses Verhalten führte zum Aufstellen einer Span- Phasen entsteht über der Phasengrenze eine Poten-
nungsreihe für die verschiedenen Metalle. zialdifferenz.
Für die Betrachtung der Elektroden in Akku- Aus der chemischen Thermodynamik ist be-
mulatoren muss der Potenzialbegriff auf beliebige kannt, dass ein Gleichgewichtszustand dann er-
Elektroden ausgedehnt werden. Bei den sich daraus reicht ist, wenn die freie Reaktionsenthalpie unter
ergebenen Potenzialreihen für Elektroden muss die der Annahme konstanten Drucks und konstanter
Konzentration der elektrochemischen Komponen- Temperatur dem Wert null entspricht. Für elekt-
ten berücksichtigt werden. rochemische Reaktionen muss dieses Kriterium
Zur Beschreibung der unterschiedlichen Reak- erweitert werden. An der Elektrode liegt dann
tivität der an der Ausbildung der Potenzialdifferenz ein elektrochemisches Gleichgewicht vor, wenn
beteiligten Stoffe wird auf Formulierungen der che- die chemische Triebkraft genau durch die Poten-
mischen Thermodynamik zurückgegriffen. zialausbildung an der Phasengrenze kompensiert
Die Tendenz dazu wird durch die sogenannten wird. Von außen betrachtet läuft dann scheinbar
»chemischen Potenziale μ« der beteiligten Ionen keine Reaktion mehr ab und der Stromfluss ist null.
nach Gl. 7.17 beschrieben. Thermodynamisch wird Intern können jedoch Teilreaktionen (Hin- und
darunter der Differentialquotient der freien Enthal- Rückreaktionen, dynamisches Gleichgewicht) mit
pie G nach der Stoffmenge der Komponenten bei einer gewissen Geschwindigkeit ablaufen, jedoch
konstanter Temperatur T und Druck p verstanden: müssen sich die Umsätze kompensieren und die
Teilströme sich aufheben.
  ∂G  Die im Zustand des elektrochemischen Gleich-
μi =   ∆ni . (7.17) gewichts vorliegenden Konzentrationen der betei-
 ∂ni  T , p
ligten Stoffe werden als Gleichgewichtskonzentra-
tionen und das Potenzial als Gleichgewichts-Elek-
trodenpotenzial bezeichnet. Wird ein Stromfluss
7.1.3 Elektrodengleichgewicht erzwungen bzw. durch das Schließen eines Strom-
kreises ermöglicht, befindet sich die Elektrode
Wenn durch eine Elektrode kein elektrischer Strom nicht mehr im elektrochemischen Gleichgewicht,
fließt, stellt sich zwischen den elektrochemischen sondern sie ist polarisiert. Ihr Potenzial weicht vom
Reaktionspartnern ein Gleichgewicht ein. Durch Gleichgewichtswert ab und die Konzentrationen
die unterschiedlichen Potenziale der einzelnen verändern sich.
202 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

7.1.4 Nernst‘sche Gleichung Streng genommen ist zu beachten, dass anstelle der
Konzentrationen sogenannte Aktivitäten (Wirk-
Das Potenzial einer Elektrode im Zustand des elek- konzentrationen) und Fugazitäten eingesetzt wer-
trochemischen Gleichgewichts wird von der Kon- den müssen, die jeweils auf einen Standardzustand
zentration der Elektrodenbestandteile beeinflusst bezogen werden. Dadurch wird der Quotient im
und durch die Nernst’sche Gleichung beschrieben. logarithmischen Term dimensionslos. In der Praxis
Zur Formulierung der Nernst’schen Gleichung, werden Aktivitäten und Fugazitäten durch Kon-
d.  h. der Abhängigkeit des Elektrodenpotenzials zentrationsmaße (Molenbruch bzw. mol/ltr) und
von den Konzentrationen, geht man von der Elekt- Druckwerte angenähert.
rodenreaktion aus. Als Beispiel soll hier eine Elek- Der logarithmische Term stellt daher einen Wert
trode betrachtet werden, bei der ein Stoff in der re- dar, der die Abweichung des Elektrodenpotenzials
duzierten Form (Red) in eine oxidierte Form (Ox) von dem sogenannten Standardzustand beschreibt.
übergehen kann. Man formuliert die Reaktions- Beim thermodynamisch definierten Standardzu-
gleichung derart, dass sich auf der rechten Seite die stand nehmen die Aktivitäten der Komponenten
oxidierte Form des Redox-Paares befindet, den Wert 1 an. Der Begriff des Standardzustandes
ist nicht an eine bestimmte Temperatur gebunden.
7  In der Praxis ist es schwierig, Bedingungen zu

Oxidation
→ z+ −
Red ←
Reduktion
 Ox + ze (7.18) wählen, bei denen sich alle Komponenten im Stan-
dardzustand befinden. Trotzdem sind diese Werte
der Standardelektrodenpotenziale für Vergleiche
Das Elektrodenpotenzial ergibt sich dann in fol- von Interesse. Häufig werden diese Werte bei einer
gender Weise: Temperatur von 25 °C angegeben.
Bei gasförmigen Reaktanten wird der Standard-
(7.19) RT cOx zustand angenähert, wenn sich das Gas thermody-
U =U0 + ln ,
zF cRed namisch ideal verhält. Das heißt, es verhält sich
entsprechend der idealen Gasgleichung, und die
mit der allgemeinen Gaskonstante R (ca.  8,314  J/ Wechselwirkung zwischen den Teilchen kann ver-
(K mol), der Faraday-Konstante F (ca. 96.500 As/ nachlässigt werden. Es wird von einem Druck von
mol),der entsprechend der zugrunde gelegten Re- 1 atm = 1,01325 bar ausgegangen. Bei kondensierten
aktionsgleichung pro Formelumsatz ausgetausch- (festen, flüssigen) Stoffen ist der Standardzustand
ten Ladungen z, dem Standard-Elektrodenpoten- der des reinen Stoffes.
zial U 0 und der Gleichgewichtskonzentrationen c Potenziale von Einzelelektroden lassen sich nur
der beteiligten Reaktanten. im Vergleich zu anderen Elektroden messen. Als
Formuliert man die Nernst’sche Gleichung all- Bezugselektrode wird dafür häufig die sogenannte
gemein, so enthält der logarithmische Term die Wasserstoffelektrode herangezogen. Die Wasser-
Konzentrationen a der Komponenten. Das Produkt stoffelektrode (RHE – engl.: reference hydrogen
der Gleichgewichtskonzentrationen von der Seite electrode) beruht auf dem heterogenen elektro-
der oxydierten Form des Redox-Paares befindet chemischen Gleichgewicht, das sich zwischen der
sich im Zähler, das Produkt der Gleichgewichts- Wasserstoffionenkonzentration in einer Elektrolyt-
konzentrationen von der Seite der reduzierten lösung und gasförmigem Wasserstoff über dieser
Form des Redox-Paares im Nenner. Als Exponen- Lösung an einem inerten Metall einstellt,
ten der Konzentrationen treten die stöchiometri-
+ 
Oxydation
− →
schen Koeffizienten der Elektrodenreaktion auf, (7.21) 2 H + 2e .
H 2 ← Reduktion

RT ∏
a ox,ni i
U =U +
(7.20) In i 0
. Das Elektrodengleichgewicht wird dabei durch
zF ∏ a red,
ni
i die Oxidation des Wasserstoffs bzw. die reduktive
i
Wasserstoffabscheidung gebildet. Als inertes Metall
7.1 • Grundlagen
203 7
wird messtechnisch Platinblech verwendet, dessen dung angewendet, entspricht dies einer Ladungs-
Oberfläche durch Modifizierung vergrößert wurde, menge von 96.485  As. Diese Ladungsmenge wird
als Faraday-Konstante F bezeichnet.
 2
RT a H + Für jeden Elektrodenprozess kann eine che-
UH = UH0 + ln mische Redoxreaktion formuliert werden. Die bei
F aH 2
(7.22) einem elektrochemischen Prozess umgesetzte La-
RT a + dung ergibt sich aus der Stoffmenge n (Anzahl der
= UH0 + ⋅ ln H .
F a ph2 Mole) und der Ladungszahl z der pro Mol ausge-
tauschten Ladungen,
Das Standard-Elektrodenpotenzial der Wasser-
stoffelektrode UHo erhält per Definition den Wert q = z ⋅ F ⋅ n.
(7.23)
0. Die Definition der Standardbedingungen setzt
einen Zustand voraus, bei dem alle beteiligten Re- Für mehrwertige Ionen muss ein entsprechend
aktanten eine Aktivität (wirksame Konzentration a Vielfaches an Ladungsmenge berücksichtigt wer-
bzw. Fugazität ap) von 1 aufweisen. Das bedeutet den. Häufig wird anstelle der Molmasse die soge-
für die Wasserstoffelektrode, dass der gasförmige nannte Äquivalentmasse eines Stoffes angegeben,
Wasserstoff dem Verhalten eines idealen Gases ent- die sich aus der Molmasse dividiert durch die Wer-
spricht und einen Druck von 1 atm = 10.1325 Pa auf- tigkeitsänderung des Stoffes ergibt (s. . Tab. 7.1).
weist, die Lösung 1 mol/ltr an Wasserstoffionen ist
und deren Aktivitätskoeffizient eins beträgt. Die-
ser Zustand ist nicht exakt zu realisieren, trotzdem 7.1.6 Elektrochemische Zellen und
stellt die Standardwasserstoffelektrode einen gut Zellreaktionen
definierten Bezugswert dar.
In der Praxis werden besser handhabbare Be- Werden mehrere Elektroden kombiniert, so ent-
zugselektroden für die Potenzialmessung heran- steht eine elektrochemische Kette oder Zelle, deren
gezogen, wie z.  B. Hg/HgO/OH− im alkalischen Zellspannung messbar ist. Die Potenziale der ein-
Elektrolyten und Hg/Hg2SO4/SO42− im acid-wäss- zelnen Elektroden lassen sich durch Messung mit
rigen Elektrolyten. Das Potenzial der RHE hängt einer zusätzlichen Bezugselektrode bestimmen,
entsprechend der Gl.  7.22 direkt vom pH-Wert die dabei selbst mit Strom belastet werden darf
der Lösung ab. Bei Insertations-Elektroden (z.  B. und unveränderlich sein soll. Formal betrachtet ist
Metalloxid-Elektroden von Lithiumzellen) ändern eine Spannungsmessung nur zwischen identischen
sich die Konzentrationen der eingelagerten Spezies stofflichen Phasen möglich. Letztendlich müssen
beim Laden bzw. Entladen kontinuierlich. Anhand auch Metall/Metall-Übergänge bis in das Messins-
des Potenzials kann direkt der Ladezustand dieser trument hinein betrachtet werden (s. . Abb. 7.3).
Elektroden bestimmt werden. Die Ketten- bzw. Zellspannung wird als Summe
der Potenzialdifferenzen ermittelt und als Differenz
der Anschlussphasen gemessen,
7.1.5 Elektrochemische Umsätze an
Elektroden U = ϕ − ϕ ´.
(7.24)
| |

Elektrochemische Reaktionen laufen unter La- Im Jahr 1780 beobachtete Galvani erstmals das Auf-
dungsaustausch (Redoxreaktion) ab. Die stoffliche treten von Spannungsdifferenzen zwischen unter-
Menge und die umgesetzte Ladungsmenge sind ei- schiedlichen Metallen, die über einen Elektrolyten
nander proportional. miteinander verbundenen wurden. Ausgangspunkt
Als stoffliche Bezugsgröße wird das Mol ver- waren Versuche, bei denen der Einfluss der Rei-
wendet. Ein Mol eines Stoffes enthält eine Anzahl bungselektrizität auf biologische Materialien unter-
von 6,023  · 1023 Teilchen (Avogadro-Konstante). sucht werden sollten. Er beobachtete die elektrische
Wird der Begriff des Mols auf die elektrische La- Wirkung, die verschiedene Metalle bei Berührung
204 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

. Tab. 7.1  Charakteristische Materialeigenschaften

Material Atom- Standard- Wertigkeits- Schmelz- Dichte Elektrochemische


bzw. Mol- Elektroden änderung punkt ­Äquivalente
gewicht potenzial
bei 25  °C

– g V – °C g/cm³ Ah/g g/Ah Ah/cm³

H2 2,01 0 2 – – 26,59 0,037 –

Li 6,94 −3,01 1 180 0,54 3,86 0,259 2,06

Na 23,0 −2,71 1 98 0,97 1,16 0,858 1,14

Mg 24,3 −2,38 2 650 1,74 2,20 0,454 3,8


−2,69, alk

Al 26,9 −1,66 3 659 2,69 2,98 0,335 8,1

Ca 40,1 −2,84 2 851 1,54 1,34 0,748 2,06

7
−2,35, alk

Fe 55,8 −0,44 2 1528 7,85 0,96 1,04 7,5

Zn 65,4 −0,76 2 419 7,14 0,82 1,22 5,8


−1,25, alk

Cd 112,4 −0,40 2 321 8,65 0,48 2,10 4,1

Pb 207,2 −0,13 2 327 11,34 0,26 3,87 2,9

ϕI/II ϕII/III ϕIII/IV ϕIV/V ϕV/I' tionen der beteiligten Stoffe unterscheiden. Diese
werden unter dem Begriff der Konzentrationszellen
I II III IV IV I' geführt.
Die Elektroden einer Zelle werden je nach ab-
laufender Reaktion als Anode (Oxydation) oder
. Abb. 7.3  Zellpotenziale und Spannungen
Kathode (Reduktion) bezeichnet. Die positive Elek-
trode eines Akkumulators ist daher beim Laden die
Anode, beim Entladen die Kathode. Die Begriffe
mit einem Froschschenkel hervorriefen. Die Span- Anode und Kathode sind an die ablaufenden Re-
nungen führten zu Muskelkontraktionen und wur- aktionen gekoppelt, werden jedoch gelegentlich
den zunächst fälschlicher Weise als »animalische fälschlicherweise als Synonym für die Elektroden-
Elektrizität« gedeutet. Diese Beobachtungen bilde- polarität verwendet.
ten somit den Ausgangspunkt für die späteren For- Ähnlich wie bei den Elektroden werden bei
mulierungen der elektrochemischen Spannungs- kompletten Zellen die Spannungen in stromlosen
reihe der Metalle entsprechend ihrer Charakteri- und stromdurchflossenen Zustand unterschieden.
sierung als »edel« bzw. »unedel« durch Volta und Im stromlosen Zustand spricht man von Ruhe-
Ritter. Letztendlich war mit dieser Entdeckung der spannung (OCV; engl.: open circuit voltage). Bei
Weg zu den galvanischen Stromquellen und elekt- Stromfluss weicht die Klemmspannung der Batte-
rochemischen Energiespeichern geebnet. rie von der Ruhespannung der Batterie ab (Zell-
Potenzialdifferenzen, d. h. messbare Spannun- polarisation).
gen, können auch zwischen chemisch gleichen Zur Formulierung der Zellreaktion bei Strom-
Elektroden entstehen, wenn sich die Konzentra- fluss wird davon ausgegangen, dass durch beide
7.1 • Grundlagen
205 7
Elektroden die gleiche Ladungsmenge fließt. Die Begriffe sind jedoch irreführend, da sie sich auf die
chemische Gleichung für die Summenreaktion Teilreaktion (kathodische Reaktion ist eine Reduk-
wird so formuliert, dass sich die entstehenden und tion, anodische Reaktion die Oxydation) beziehen.
verbrauchten Ladungen an den Elektroden aufhe- Bei einem Akkumulator wechselt aber die Richtung
ben (Elektroneutralitätsprinzip). der Reaktionen, je nachdem, ob man das Laden
Die Zellreaktion wird häufig so formuliert, dass oder Entladen betrachtet. Es ist daher zweckmäßi-
sie einer Entladung der Kette beim Verbinden der ger, von einem positiven und einem negativen Pol
Pole entspricht. Die sich aus der chemischen Formu- zu sprechen.
lierung der Reaktionen ergebende freie Reaktions-
enthalpie (Gibbs Free Energy, ΔGR) für die Entla-
dung ist normalerweise negativ. In der chemischen 7.1.7 Elektroden- und Zellpolarisation
Thermodynamik werden im Unterschied zu anderen
Konventionen in der Technik alle Änderungen von Elektrochemische Reaktionen verlaufen über eine
Zustandsgrößen so formuliert, dass man sich auf den Vielzahl von Teilprozessen. Hierzu zählen z.  B.
Standpunkt des betrachteten Systems stellt. Damit be- Transportprozesse wie Diffusion oder Migration,
deutet ein negativer Wert der Energie bzw. der freien Adsorption, Kristallisation und Umlagerungspro-
Enthalpie, dass diese dem System entzogen wird. zesse. Diese Prozesse erfordern die Überwindung
Zwischen der freien Reaktionsenthalpie und von Energieschwellen, die ähnlich wie die Reibung
der Zellspannung (U) besteht der Zusammenhang bei mechanischen Prozessen eine Hemmung der
Reaktion darstellen. Bei Stromfluss wirken sich die-
∆GR = − z ⋅ F ⋅ U .
(7.25) se Hemmungen ähnlich denen von Widerständen
aus und verändern die Potenziale der Elektroden
In dieser Gleichung sind F die Faraday-Konstante bzw. die Spannung der elektrochemischen Zelle.
und z die in der Reaktion umgesetzten Ladungen. Diese Abweichungen vom Gleichgewichtspoten-
Die Ladungszahl z und die Änderung der mola- zial bzw. der Gleichgewichtszellspannung wird als
ren Gibbs’schen Energie (freie Reaktionsenthalpie) Elektroden- bzw. Zellpolarisation bezeichnet.
ΔGR beziehen sich immer auf die Stoffmenge des In vereinfachter Form können diese Verände-
Formelumsatzes entsprechend der formulierten rungen auch als elektrische Widerstände aufgefasst
Reaktionsgleichung (s. Hess’schen Satz der chemi- werden, die dem elektrischen Stromfluss entgegen-
schen Thermodynamik). stehen. Die der Polarisation zugrunde liegenden
Werden die Pole einer Zelle verbunden, d. h., die physikalischen Erscheinungen weisen aufgrund
Zelle wird entladen, so laufen die Elektrodenreaktio- ihrer Natur eine unterschiedliche Zeitabhängigkeit
nen und in deren Addition die Zellreaktionen ab, bis auf. Daher sind die Polarisationswiderstände als
das chemische Gleichgewicht erreicht ist (ΔGR = 0, komplexe Widerstände aufzufassen, für die es zum
U = 0). Dabei ändern sich die Konzentrationen der Teil keine Analogien aus der Elektrotechnik gibt.
beteiligten Stoffe, sodass sich die Potenziale der Elek- Ersatzschaltbilder sind daher nur von begrenzter
troden angleichen. Dieser Zustand würde auch bei Aussagekraft. Diese Abhängigkeiten sind u.  a. die
einem rein chemischen Prozess mit den Komponen- Basis für die elektrochemische Impedanzanalyse
ten der Zelle am Ende der Reaktion erreicht werden. (EIS), die der Untersuchung elektrochemischer
Zur Vereinfachung wird der Verlauf der Re- Phänomene in Batterien dient und sich auf einen
aktionen bei konstanten äußeren Bedingungen großen Frequenzbereich von wenigen μHz bis ca.
betrachtet, z.  B. isotherm und isobar. Aus den 100 kHz erstreckt.
Stoffkonstanten lassen sich die energetischen Ver- Die wichtigsten Polarisationserscheinungen an
änderungen bei der Reaktion errechnen. Man Elektroden von Batterien sind:
unterscheidet exotherme (wärmefreisetzende) und 55 Durchtrittspolarisation
endotherme (wärmeaufnehmende) Reaktionen. 55 Diffusionspolarisation
Die Pole einer elektrochemischen Zelle werden 55 Kristallisationspolarisation
mitunter als Kathode und Anode bezeichnet. Diese 55 Adsorptionspolarisation.
206 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

Strom

Polarisation η
anodischer
Teilstrom

Gesamtstrom
Tafelbeziehung
Potential η = a + b In ( |i| )
Gleichgewichts-
Elektrodenpotential kathodischer
Teilstrom Anstieg b

a
In ( |Stromdichte| )

. Abb. 7.5 Tafel-Gerade

. Abb. 7.4 Strom-Spannungskurve
stromdichte, α der Symmetriefaktor (der angibt,
inwiefern Hin- und Rückreaktion gleich schnell
7 Daneben spielt auch die rein ohmsche Polarisation ablaufen), z die Anzahl der Elektronen, F die Fara-
eine Rolle, deren Ursache in der begrenzten elek- day-Konstante, U und U0 das Elektroden- bzw. das
trischen Leitfähigkeit der Zellkomponenten bzw. Gleichgewichtspotenzial, R die allgemeine Gaskon-
des Elektrolyten besteht. Im Laufe der Zellreaktion stante und T die absolute Temperatur.
können auch örtliche Unterschiede der Konzentra- Die Hin- und Rückreaktion, die das dynami-
tion der Reaktionspartner entstehen, die zu einer sche elektrochemische Gleichgewicht an der Elek-
zusätzlichen Polarisation (Konzentrationspolarisa- trode bewirken, können auch als anodischer bzw.
tion) führen. kathodischer Teilstrom beschrieben werden. Im
Mathematisch lassen sich diese Vorgänge elektrochemischen Gleichgewicht (nach außen
unter Verwendung unterschiedlicher Modelle hin stromlos) sind die Beträge beider Teilströme
beschreiben. Von großer Bedeutung ist dabei die gleich groß. Der Betrag der Teilströme wird dann
Durchtrittspolarisation, die praktisch die Hemm- als Austauschstromdichte bezeichnet. Wenn deren
nisse beim Durchtritt der Ladungsträger durch Wert sehr hoch ist, kann sich eine Elektrode auch
die Phasengrenze der Elektrode beschreibt. Die im nach außen hin stromlosen Zustand stark ver-
energetische Betrachtung der Teilreaktionen ändern (Passivierung, shape-change, Dendritenbil-
(Hin- und Rückreaktion der Gleichgewichtsein- dung etc.).
stellung) führt zur Butler-Vollmer-Gleichung und Die Größe der Teilströme hängt nach der But-
ermöglicht eine Beschreibung der anodischen und ler-Vollmer-Gleichung von der Lage des Elektro-
kathodischen Teilreaktionen. Darin wird ein Zu- denpotenzials zum Gleichgewichtspotenzial ab
sammenhang zwischen der Polarisation η und der (s. . Abb. 7.4).
kathodischen bzw. anodischen Stromdichte her- Bei höherer Polarisation nimmt die Strom-
gestellt: Spannungskurve für die Teilreaktionen in einem
weiten Bereich eine logarithmische Form an, die
   (1 − α) ⋅ z ⋅ F  bei der mathematischen Beschreibung der Batte-
exp  ⋅ (U − U 0 )  rievorgänge herangezogen wird. Die Gerade, die
  R ⋅T   . (7.26) sich in der halblogarithmischen Darstellung ergibt,
J = J0 ⋅ A ⋅  
  α⋅ z ⋅ F   nennt man Tafel-Gerade (s. . Abb. 7.5).
 −exp  − R ⋅ T  ⋅ (U − U 0 )  Sinkt die Konzentration der reagierenden Stof-
   
fe bei Stromfluss stark ab, hängt die Reaktionsge-
Hierin sind J und J0 die Stromdichte bzw. die auf schwindigkeit an der Elektrodenoberfläche von der
die Elektrodenoberfläche A bezogene Austausch-
7.1 • Grundlagen
207 7
Elektroden auf solche chemischen Veränderungen
Konzentration
Konzentration in Elektrolyten
zurückzuführen. Dazu zählen auch chemische Ver-
änderungen, die sich aus der begrenzten Stabilität
Diffusion Schichtdicke der Komponenten (z. B. Elektrolytzersetzung, Re-
aktionen mit Nebenbestandteilen, Korrosion etc.)
ergeben.

7.1.9 Energie- und Wirkungsgradbe-


0 Abstand von der Grenzfläche
trachtungen

. Abb. 7.6  Diffusionsbedingte Begrenzung der Reak- Bei der Entladung elektrochemischer Zellen wird
tionsgeschwindigkeit chemisch gespeicherte Energie in elektrische Ener-
gie überführt. Die elektrisch nutzbare Energie er-
gibt sich aus der freien Enthalpie (Gibbs’sche Ener-
Geschwindigkeit der Diffusion der Reaktanten aus gie) der Zellreaktion.
der umgebenden Lösung zu der Reaktionszone ab. Mit der Beziehung der Zellspannung zur freien
In diesem Fall gilt die Reaktion als diffusionskont- Reaktionsenthalpie erhält man die Anbindung der
rolliert. In ähnlicher Weise kann auch der Abtrans- elektrischen Größen an die Beziehungen der che-
port gebildeter Produkte die Reaktionsgeschwin- mischen Thermodynamik:
digkeit begrenzen (s. . Abb. 7.6).
Die Reaktionszone der Elektroden ist in der G = G (T , p )
(7.27)
Regel als dreidimensionale Struktur aufzufassen,
bei der die Reaktion an einer Grenzfläche abläuft,   ∂G   ∂G 
dG =  dT +  dp
die die geometrische Querschnittsfläche der Elek-  ∂T  p = const  ∂p  T = const (7.28)
trode in ihrer Größe weit übertrifft. Dabei ver-
größert das Vorhandensein von Poren und die
Mikrostruktur diese elektrochemische Reaktions- (7.29)
dG = − SdT + Vdp.
fläche.
Für isobare und isotherme Verhältnisse gilt:

7.1.8 Nebenreaktionen ∆ GR = ∆ H R − T ∆ S R
(7.30)

Bei einem bestimmten Elektrodenpotenzial kön- 


nen auch andere Prozesse als die eigentliche Elek-
∆ GR = − zFU 0 . (7.31)
trodenreaktion mit den Zellkomponenten ablau-
fen. Zum Beispiel kann im wässrigen Elektroly- Ein Vorteil der elektrochemischen Energiespeiche-
ten noch vor Beendigung des Ladeprozesses eine rung gegenüber thermischen Prozessen ist die iso-
Wasserstoff- bzw. Sauerstoffentwicklung an den therme Prozessführung und damit die Nicht-Ab-
Elektroden einsetzen. Eine Ursache besteht in der hängigkeit des Umwandlungswirkungsgrads von
Verarmung von Reaktionskomponenten bei nahe- der Carnot’schen Begrenzung (z.  B. Wärmekraft-
zu vollgeladenem Akkumulator. Diese Reaktionen maschine).
verringern den Wirkungsgrad der Energiespeiche- Für die Energiespeicherung in Batterien lassen
rung. sich verschiedene Kriterien für den Wirkungsgrad
Weitere Nebenprozesse in den Zellen führen angeben.
zu chemischen Veränderungen der Reaktanten, Der Amperestunden-Wirkungsgrad (Ah-Wir-
die die Reaktivität der Komponenten beeinflussen kungsgrad) ergibt sich aus der entnehmbaren
können. So sind zum Teil Alterungsprozesse der Strommenge im Vergleich zu der zuvor beim Auf-
208 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

laden der Batterie zugeführten Strommenge. Da ein Hinsichtlich ihrer Funktionsweise werden
Teil des Stromes typischerweise in Nebenreaktionen Primärbatterien (einmalige Entladung der chemi-
fließt, ist dieser Wirkungsgrad immer kleiner eins. schen Energie) und Sekundärbatterien bzw. Akku-
Der reziproke Wert wird oft auch als Ladefaktor be- mulatoren (wiederholte vollständige oder wenigs-
zeichnet (Amperestunden, die zuvor geladen wer- tens nahezu vollständige elektrische Aufladbarkeit)
den müssen, um eine bestimmte Ladungsmenge aus unterschieden. Bei beiden bestimmt die Menge der
der Batterie entnehmen zu können). Bei Zellen, in in den Zellen enthaltenen Komponenten die Grö-
denen keine Nebenreaktionen auftreten (z.  B. Li- ße der gespeicherten Energie (Faraday-Gesetz). Sie
thiumzellen) sollte der Ah-Wirkungsgrad theore- sind Speicher und Energiewandler. Das führt in der
tisch den Wert eins erreichen können. Praxis zu Kompromissen hinsichtlich dieser beiden
Der Ah-Wirkungsgrad hängt von den gewählten Funktionen.
Stromstärken beim Laden und Entladen, dem Span- Brennstoffzellen sind keine elektrochemischen
nungsfenster (Abschaltspannung) und dem Lade- Speicher, sondern lediglich Wandler von chemi-
verfahren (mit konstantem Strom I, UI-Kennlinie scher zu elektrischer Energie und werden hier nicht
etc.) ab. Die gleichen Betrachtungen können auch näher betrachtet. Neben dem eigentlichen Brenn-
auf der Basis der Energie vorgenommen werden. stoffzellenstack werden externe Speicher für die
7 Die Wirkungsgradangaben sind stark an die Reaktanten benötigt. Typischerweise kann auf die
Betriebsweise der Akkumulatoren gebunden und Oxidationskomponente verzichtet werden, wenn
lassen Vergleiche nur unter definierten Rahmen- dafür auf die Umgebungsluft zurückgegriffen wer-
bedingungen zu. den kann.
Eine weitere Kenngröße, die vor allem in In Verbindung mit Wasserelektrolyseuren bil-
Brennstoffzellen (elektrochemischer Konverter) den Wasserstoff-Brennstoffzellen komplexe Spei-
betrachtet wird, ist der thermodynamische Wir- chersysteme. In den letzten Jahren wurde insbe-
kungsgrad der elektrochemischen Reaktion. Er sondere die Entwicklung von PEM- (engl.: Proton
lässt sich aus dem Verhältnis der freien Reaktions- Exchange Membrane) und SOFC-Brennstoffzellen
enthalpie zur Reaktionsenthalpie berechnen (Be- (engl.: Solid Oxide Fuel Cell) vorangetrieben. Da-
trachtung bei isothermer Prozessführung und kon- neben wurden weitere Typen, wie die alkalische
stantem Druck; analog lässt sich eine Betrachtung Brennstoffzelle (z.  B. im Apollo-Programm), die
mit der freien Energie und der Änderung der in- Phosphorsäureelektrolyt-Brennstoffzelle (PAFC)
neren Energie bei isothermer Prozessführung und und die Schmelzelektrolyt-Brennstoffzelle (MCFC,
konstantem Volumen formulieren). engl.: Molten Carbonate Fuel Cell) entwickelt. Der
direkte Einsatz anderer Brennstoffe als Wasser-
stoff (z. B. Hydrazin, Ameisensäure und Methanol)
7.1.10 Typen elektrochemischer konnte sich noch nicht durchsetzen. Dagegen ist
Energiespeicher und -wandler der Einsatz von Reformern denkbar, die den Was-
serstoff aus anderen Reaktanten gewinnen.
Elektrochemische Speicher und Energiewandler Den Brennstoffzellen in ihrer Funktionsweise
lassen sich nach verschiedenen Kriterien untertei- ähnlich sind sogenannte Flow-Zellen, die verstärkt
len. Entsprechend der Betriebstemperatur unter- für den stationären Einsatz entwickelt wurden. Die
scheidet man zwischen Niedertemperatur- und Umwandlung der Reaktionskomponenten erfolgt
Hochtemperatursystemen. Bei letzteren sind die dabei ebenfalls in einem Zellstack, der aus den
Elektrodenkomponenten oder der Elektrolyt erst Elektroden besteht und bei getrennten Elektrolyt-
oberhalb einer bestimmten Temperatur einsatzfä- räumen eine Membran besitzen kann. Diese wird
hig. Zu diesen Systemen gehören die SOFC-Brenn- von den Elektrolytlösungen durchströmt, die die
stoffzelle und die Natrium-Batterien (Natrium-Ni- Reaktanten in gelöster Form enthalten. Anders
ckelchlorid und Natrium-Schwefel). als bei Brennstoffzellen ist die Wandlung der Re-
7.1 • Grundlagen
209 7
aktanten in beiden Richtungen möglich, d.  h., es 7.1.11 Elektrolyte
kann sowohl Energie in chemische Veränderungen
(Konzentrationsveränderungen der Elektrolyte) als Ein wesentlicher Bestandteil galvanischer Zellen
auch chemische in elektrische Energie überführt sind die Elektrolytlösungen, in die die Elektroden
werden. Die Energiemenge wird von der Größe der eintauchen bzw. an die sie angrenzen. Im Unter-
externen Speicher bestimmt. schied zu elektronischen Leitern bestehen sie aus
Neben diesen grundlegenden Energiesystemen einer Elektrolytmatrix (meist ein Lösungsmittel mit
gibt es Sondertypen, bei denen die Elektrodenfor- einer ausreichend hohen Dielektrizitätskonstante)
men kombiniert sind. Dazu gehören Metall-Luft- und den Elektrolytsalzen, geladene Ionen, die im
Zellen (z.  B. Zink-Luft), bei denen die Reaktion Lösungsmittel dissoziiert sind. Dadurch erreichen
an der Sauerstoffelektrode (bzw. Luftelektrode) die Ladungsträger eine gute Beweglichkeit, die sich
derjenigen in einer Brennstoffzelle entspricht. Ein in einer hohen Leitfähigkeit niederschlägt. Elekt-
solches System wird daher gelegentlich als Se- rolytlösungen sind elektrisch immer neutral, d. h.,
mi-Fuel-Cell betrachtet, da die eine Komponente sie müssen eine gleiche Anzahl von positiven (Kat-
(Sauerstoff) nicht gespeichert werden muss. Die ionen) und negativen (Anionen) Ionen enthalten.
elektrochemische Aufladung der Zelle im Sinne Es gibt auch Elektrolyte in Form von Polymeren
eines Akkumulators gestaltet sich jedoch als tech- oder Gelen, die dieselbe Funktionalität aufweisen.
nisch kompliziert, da die Sauerstoffabscheidung Die elektrische Leitfähigkeit von Elektrolyten
durch die hohe Potenziallage zu einer Korrosion ist deutlich niedriger als die von Metallen. Darüber
des Elektrodenmaterials führen kann und die Zink- hinaus ist sie stark temperatur- und konzentrations-
elektrode zu geometrischen Veränderungen (sha- abhängig. Eine Besonderheit bilden wässrige Elekt-
pe-change) und Passivierung neigt. Es gibt daher rolyte, bei denen die hohe elektrische Leitung durch
auch Vorschläge, die Zelle mechanisch zu regene- einen Ladungsübertragungsmechanismus über
rieren (externe Aufladung bzw. Neupastierung der Wasserstoffbrückenbindungen bewirkt wird, ohne
Zink-Elektrode). dass die Ionen einen Ortswechsel erfahren. Dadurch
Ein weiterer Sonderfall sind die Doppelschicht- ist die Leitfähigkeit etwa um einen Faktor drei höher
oder Superkondensatoren. Hierbei liegt der Ener- als bei anderen Ionen. Organische Elektrolyte und
giespeicherung kein chemischer Prozess in den Festelektrolyte verfügen über eine weitaus niedrigere
Elektroden zugrunde. Ähnlich den Kondensatoren Leitfähigkeit als wässrige Systeme und besitzen eine
erfolgt vielmehr nur eine Umladung der Doppel- starke Temperaturabhängigkeit. Sie machen zum Teil
schicht. Im Unterschied zu klassischen Kondensa- den Betrieb bei erhöhten Temperaturen erforderlich
toren aus der Elektrotechnik ist jedoch die Elekt- (Hochtemperaturbatterien, SOFC) (s. . Tab. 7.2).
rodenoberfläche durch Materialauswahl und deren
Gestaltung vergrößert. Der Ladungsprozess be-
inhaltet neben der rein elektrostatischen Wirkung 7.1.12 Bauformen von Zellen
auch Sorptionsprozesse an den Elektrodenmate-
rialien. Dadurch lassen sich vergleichsweise hohe Batterien und Zellen unterscheiden sich in der Art
elektrische Kapazitäten darstellen. Superkonden- ihres Aufbaus. Ein Kriterium ist die Art der Abgren-
satoren werden im Zusammenhang mit den rein zung des Energiespeichers zur Umgebung, sie kön-
elektrischen Speichern in 7 Kap. 6 behandelt. Der nen als geschlossene oder verschlossene Batterien
Vorteil dieser Superkondensatoren liegt in den ho- aufgebaut werden. Diese Bauformen werden bei den
hen erreichbaren spezifischen Leistungen und der verschiedenen Batterietypen unterschiedlich be-
guten Reversibilität. Nachteilig sind die geringen zeichnet. Erstere haben die Möglichkeit zum Druck-
Energiedichten, die deutlich hinter denen klassi- ausgleich über die Gasphase mit der Umgebung.
scher elektrochemischer Speicher zurückbleiben Von entscheidender Bedeutung ist dabei die Be-
(. Abb. 7.7). triebsweise von Akkumulatoren. Beim Laden wäss-
210 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

Primäre Systeme Doppelschichtspeicher

wiederholbare hochreversible
einmalige Umwandlung Akkumulatoren Speicherung elektrischer
chemisch gespeicherte Energie
Energie durch
z.B. wiederholbare Wandlung physikochemische
Leclanche (weitgehend reversibel) Grenzflächenprozesse
Alkalisch Zink-Braunstein chemischer in elektrochemischer
verschied. Lithiumsysteme Energie
z.B.
wässrig (C/Ru/Ir) und
z.B.
nichtwässrig (Li/C)
Bleiakkumulatoren
Nickelakkumulatoren NiCd, NiFe,
NiZn, NiMh
Li-lonensysteme CNM, FePO4
Natriumakkumulatoren NaS,
Regenerative Systeme ZEBRA Flow-Systeme

7 Umwandlung chemisch Wandlung elektrischer und


chemisch gespeicherter
gespeicherter Energie
Energie unter Trennung des
Wandlers vom Speicher
Regenerierbarkeit durch
externe Prozesse Brennstoffzellen
z.B.
z.B. kontinuierliche Umwandlung Zink-Brom
Zink-Luft chemisch gespeicherter Vanadium-Systeme
Energie

z.B.
PEM, MCFC, SOFC, AFC, PAFC

. Abb. 7.7  Typen elektrochemischer Energiespeicher

. Tab. 7.2  Übersicht über gängige Elektrolyte

Elektrolyt Temperaturbereich [°C] Beispiel Bereich der spez.


Leitfähigkeit Ω−1 cm−1

Wässriger Elektrolyt − 40–80 Ni/Cd, Ni/MH 1–5·10−1

Nichtwässriger anorganischer Elektrolyt − 40–150 Li-Systeme 2·10–2–10−1

Salzschmelzen BZ ~ 10−1

Polymer-Elektrolyte 0–150 Lithium-Zellen 10−7 –10−4

Organische Elektrolyte − 20–150 Lithium-Zellen 2·10−2–10–1

Anorganische Festelektrolyte > 300 Na/S, Na/NiCl2 10−8–10−5


7.1 • Grundlagen
211 7
riger Akkumulatoren kann eine gewisse Überladung nommen werden kann (s. . Abb. 7.8). Diese hängt
erwünscht sein. Diese führt zu einem Verbrauch vom Aufbau der Zellen ab und wird in der Regel
an elektrolytischem Wasser, sodass dieses in Zeit- vom Hersteller in geeigneter Weise begrenzt. Auf-
intervallen ergänzt werden muss. In solchen Fällen grund der elektrochemischen Prozesse hängt diese
werden Zellen in offener oder geschlossener Weise Größe dynamisch vom Batteriezustand (z. B. Lade-
eingesetzt. Durch Zusatzeinrichtungen (z. B. Stopfen zustand) ab.
zur Gasrekombination, Zentralentgasung, Wasser- Eine Zelle besitzt einen Innenwiderstand, der
nachfüllsysteme etc.) können diese Batteriesysteme vom Zustand der Batterie und den äußeren Be-
ähnlich verschlossenen Systemen betrieben werden. dingungen abhängig ist. Dieser wird durch Puls-
Entsprechend ihrer Bauform unterscheidet messungen (Spannungsänderung beim Entladen
man zwischen prismatischen Zellen (besser als bzw. Laden bei ausreichender Pulshöhe) oder Im-
quaderförmig zu bezeichnen), Rundzellen (zylin- pedanzmessungen (überlagerte Kleinsignale von
drisch) und Pouch-Zellen (folienumhüllte Zellein- Wechselstrom oder -spannung, frequenzabhängig
heiten). Die Bauformen beeinflussen die Möglich- oder bei festen Messfrequenzen) erfasst.
keit des Wärmeaustausches. Für den Vergleich von Batterien werden die
Zellen können in Modulen und Batterien kom- Kenngrößen auf das Gewicht (spezifische Energie,
biniert oder als Einzelzellen verwendet werden spezifische Leistung) oder das Volumen (Energie-
(z. B. auf Gestellen, in Trögen etc.). In den letzten bzw. Leistungsdichte) bezogen. Diese Vergleiche
Jahren gibt es eine Reihe von Anforderungen (z. B. gestalten sich oft als schwierig, da genau betrachtet
im Kfz-Bereich), die nur durch sehr kompakte Bat- werden muss, ob der Vergleich auf Zell-, Batterie-
terien mit hoher Energiedichte zu erfüllen sind. oder Systemebene geführt wird und welche Kom-
ponenten einbezogen werden. Insbesondere beim
Vergleich von Leistungsdaten sind die experimen-
7.1.13 Kenngrößen von tellen Bedingungen für eine vergleichende Betrach-
Energiespeichern tung detailliert anzugeben (s. . Tab. 7.3).
Die Zusammenhänge zwischen den Leistungs-
Die wesentlichen Kenngrößen der Energiespeicher und Energiekenndaten werden oft in sogenannten
sind ihre Spannungslage und der Energieinhalt. Ragone-Diagrammen wiedergegeben. Dabei werden
Die Spannungslage ergibt sich aus der Differenz spezifische Leistung und spezifische Energie (jeweils
der Elektrodenpotenziale und somit aus der Art der bezogen auf das Gewicht) verschiedener Batterien
eingesetzten Elektroden. Je nach betrachtetem Sys- in einem logarithmischen Maßstab aufgetragen. Die
tem werden Spannungsgrenzen für den Lade- und Aussagefähigkeit dieser Diagramme hängt davon
Entladeprozess vorgegeben. ab, wie signifikant die für die Diagramme zugrunde
Der Energieinhalt eines Energiespeichers er- gelegten Messungen die Eigenschaften der Batterien
gibt sich aus den verwendeten Stoffmengen (Fara- widerspiegeln (gewichtsmäßige Einbeziehung aller
day-Gesetz) und der beim Entladen auftretenden Komponenten einer Batterie, z.  B. Batterietröge,
Spannungslage. Als Messgröße wird bei Batterien Steuerung etc.). Den Darstellungen müssten eigent-
der Begriff der Ah-Kapazität verwendet. Darunter lich Entladedaten zugrunde gelegt werden, die mit
ist abweichend zum Kapazitätsbegriff in der Elekt- konstanter Leistung ermittelt wurden. Häufig wer-
rotechnik die Ladungsmenge zu verstehen, die in den die Entladedaten durch Konstantstromentla-
einer Batterie gespeichert werden kann. Es ist zu dungen ermittelt und müssen umgerechnet werden.
berücksichtigen, dass die entnehmbare Kapazität Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich, wenn teilge-
vom Laststrom, dem Entladeendkriterium (z.  B. ladene Batterien betrachtet werden. Bei Anwendung
der Abschaltspannung, engl.: der Ragone-Darstellung auf Systeme wie Brennstoff-
cut-off-voltage) und den Entladebedingungen zellen, Flow-Batterien oder auch Metall-Luft-Zel-
(z. B. der Temperatur) abhängig ist. len müssen die externen Speicher der Reaktanten
Ein wichtiges Kriterium für praktische Anwen- bei Vergleichen berücksichtigt werden. Aus diesen
dungen ist die Leistung, die aus einer Batterie ent- Gründen ist der systemübergreifende Vergleich mit
212 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

Führerlose
Transportsysteme

Industrielle
Industrielle
Schienenverkehr Traktion Elektrostraßen- Klassische
Schienenverkehr Traktion
(stationär, (Material fahrzeuge Kfz-Starterbatterie
(Dieselstart) (Hybrislösungen)
Signalanlagen) Handling) (EV) (SLI)

Hybrid-
Schienenverkehr Elektrostraßen-
(Boardnetz) fahrzeuge
(HEV)

Energie-
und Elektronik-
Leistungs- anwendungen
Schiffsantriebe
speicher (Consumer-

7 Elektronik)

Luftfahrt
Raumfahrt Professionelle
Satelliten- Schiffsboard- Power-Tools
technik netze Kleinenergie-
speicher
(Elektronik)
Indirekte Versorgung
Notstrom- stationäre
versorgung Anwendungen
Dieselstart remote Areas

Energie- Leistungs-
Direkte
Notstrom-
versorgung
orientierte
Batteriespeicher

. Abb. 7.8  Batteriesysteme und deren Anwendungsbereiche

Ragone-Diagrammen in seiner Aussagefähigkeit stehen im engen Verhältnis zu den Entwicklungen


eingeschränkt und wird häufig überinterpretiert. auf dem Gebiet der Kunststoffe. Separatormateria-
lien und Elektrodenhüllen sowie Batteriecontainer
werden mit neuen weiterentwickelten Kunststoffen
7.2 Blei-Säure-Batterien hergestellt. Bleibatterien mit geringerem Wasserver-
bauch (wartungsarme ­Batterien) werden in Amerika
Das Blei-Schwefelsäure-System als eines der be- seit 1935 mit Elektrodengittern nicht mehr aus Blei-
kanntesten elektrochemischen Systeme hat eine Antimon-Legierungen, sondern aus Blei-Calcium-
inzwischen 150 Jahre alte Entwicklungsgeschichte. Legierungen produziert. Ende der 1950er-Jahre wur-
Diese begann mit dem Gegenüberschalten von Blei- den »Trockenbatterien« mit geliertem Elektrolyt von
blechen, die durch Laden mit wiederholtem Um- der Firma Sonnenschein zur kommerziellen Reife
polen eine oberflächliche Aktivmasseschicht erhiel- entwickelt. Zu diesen ersten sogenannten verschlos-
ten (Gaston Planté 1859). Es folgten erste Elektroden senen Batterien gesellten sich 1972 solche mit Glasfa-
mit einem Elektrodengitter und pastöser Aktivmas- sermatten, in denen der Elektrolyt aufgesogen wird
se (Camille Faure 1881). Die industrielle Produktion (Gates Rubber Corporation, Cyclon-Wickelzelle).
begann Ende des 19. Jahrhunderts (Henri Tudor Die Bleibatterie ist zu Beginn des 21. Jahrhun-
1887). Die weiteren Neuerungen in der Bleibatterie derts der am häufigsten eingesetzte Speicher für
7.2 • Blei-Säure-Batterien
213 7

. Tab. 7.3  Überblick über gängige Batteriesysteme

Sekundär- Negativ Positiv Zellreaktion Temp.a/ E [V] g/Ah Ah/kg


batterien Elektrolyt
(Akkumula-
toren)

Blei-Säure Pb Pb02 Pb + PbO2 + 2H2SO4 → RT, sauer 2,1 8,32 120


2PbSO4 + 2H2O

Edison (Ni- Fe NiOOH Fe + 2NiOOH + 2H2O → RT, alkal 1,4 4,46 224


ckel-Eisen) 2Ni(OH)2 + Fe(OH)2

Nickel-Cad- Cd NiOOH Cd + 2NiOOH + 2H2O RT, alkal 1,35 5,52 181


mium →2Ni(OH)2 + Cd(OH)2

Silber-Zink Zn AgO Zn + AgO + H2O → RT, alkal 1,85 3,53 283


Zn(OH)2 + Ag

Nickel-Zink Zn NiOOH Zn + 2NiOOH + 2H2O RT, alkal 1,73 4,64 215


→2Ni(OH)2 + Zn(OH)2

Nickel-Was- H2 NiOOH H2 + 2NiOOH → RT, alkal 1,5 3,46 289


serstoff 2Ni(OH)2

Nickel-Metall- MH NiOOH MH + NiOOH → RT, alkal 1,35 6,50 206


Hydrid M + Ni(OH)2

Silber-Cad- Cd AgO Cd + AgO + H2O → RT, alkal 1,4 4,41 227


mium Cd(OH)2 + Ag

Zink/ Chlor Zn Cl2 Zn + Cl2 → ZnCl2 RT, sauer 2,12 2,54 394

Zink/ Brom Zn Br2 Zn + Br2 → ZnBr2 RT, sauer 1,85 4,17 239

Li/ Mangan- Li MnO2 Li + MnIVO2 → RT, org. 3,5 3,50 286


dioxid MnIVO2 (Li + )

Li/ Eisendi- Li(Al) FeS2 2 Li (Al) + FeS2 → HT, anorg 1,73 3,50 285
sulfide Li2FeS2 + 2 Al

Li/ Eisen- Li(Al) FeS 2 Li (Al) + FeS → HT, anorg 1,33 2,99 345
monosulfid Li2S + Fe + 2 Al

Natrium Na S 2 Na + 3 S → Na2S3 HT, ß-Al2O3 2,1 2,65 377


Schwefel

Natrium/ Na NiCl2 2 Na + NiCl2 → HT, ß-Al2O3 2,58 3,28 305


Nickelchlorid 2 NaCl + Ni

a  RT Raumtemperatur, HT Hochtemperatur

Anwendungen außerhalb des sogenannten Con- den netzgekoppelten Einsatz im lokalen (≈ 10 kWh)
sumerbereichs. Die Hauptanwendungen, für die und im dezentralen (≈ 1 MWh) Bereich. Im lokalen
die Bleibatterie im Laufe der 150-jährigen Ent- Einsatz können die Anlagen im Inselbetrieb oder
wicklungsgeschichte hin optimiert wurde, sind die netzgekoppelt betrieben sein und stehen häufig im
Starterbatterie, die Elektroantriebsbatterie und die Zusammenhang mit erneuerbarer Energieerzeu-
ortsfeste Batterie für N
­ otstromversorgungen. gung. Für diese Anwendungen werden speziell
Mit dem beginnenden 21. Jahrhundert wächst weiterentwickelte ortsfeste Bleibatterien verwen-
die Bedeutung des Blei-Säure-Batteriespeichers für det.
214 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

. Tab. 7.4  Eigenschaften der Aktivmasse

Positive Aktivmasse Negative Aktivmasse

Oberfläche (BETa) m2/g 3 – 5 0,5 – 0,7

Porengrößenverteilung (maximal) µm 0,3 – 1 1 – 4

Porosität % 50 – 55 55 – 60

Spezifischer Widerstand 10− 6 Ωm 200 2

a BET: Das Brunauer-Emmett-Teller-Analyseverfahren ermöglicht die Bestimmung der massebezogenen spezifischen

Oberfläche aus experimentellen Daten

7.2.1 Aufbau der Unterkante des Plattensatzes ein Schlammraum


vorgesehen. Der Bereich oberhalb des Plattensat-
Die Zelle einer Bleibatterie setzt sich aus folgen- zes ist ausgefüllt mit dem sogenannten Kopfblei,
7 den, in Serie geschalteten elektrochemischen Ket- d.  h. der jeweiligen Brücke zwischen den parallel
ten zusammen: Pb/PbSO4/H2SO4(aq), H2SO4(aq)/ geschalteten Elektroden und dem damit fest ver-
PbSO4/PbO2/Pb. Jede dieser elektrochemischen bundenen Pol bzw. Flansch (s. . Abb. 7.9).
Ketten besteht aus einer Elektrode zweiter Art und Die Zellen werden neben den Anwendungsge-
bildet eine Halbzelle. Die Elektroden setzen sich bieten auch nach der Art der positiven Elektrode
wiederum aus dem Ableiter (z. B. Gitter) und der charakterisiert. Hier haben sich Großoberflächen-,
aktiven Masse zusammen. Die Ableiter der Elekt- Gitter- und Röhrchenelektroden durchgesetzt. So-
roden bestehen aus einer Bleilegierung. Die aktive mit werden die Batterien auch häufig mit Abkür-
Masse der positiven Elektrode besteht aus Blei- zungen bezeichnet, die die Buchstabenkombinatio-
dioxid, die der negativen Elektrode aus porösem nen »GroE« (Großoberflächenplatte/planté plate),
»Schwammblei« (s. . Tab.  7.4). Beide Elektroden »Gi« (Gitterplatte/flat plate) oder »Pz« (Panzerplat-
sind vollständig im Elektrolyten (verdünnte Schwe- te/tubular plate) enthalten.
felsäure) eingetaucht. Zur Erhöhung der mechani- Bei der Großoberflächenelektrode wird ein bis
schen Stabilität und zur Vermeidung von Kurz- zu 10  mm dicker Feinbleiableiter in Form eines
schlüssen ist zwischen den Elektroden ein Separa- Kühlergrills mit feinen engmaschigen Lamellen ge-
tor angebracht. Höhere Kapazitäten werden durch gossen. Auf der stark vergrößerten Ableiteroberflä-
paralleles Verschalten und durch Verlängern der che wird durch einen speziellen Formationsprozess
Elektroden erreicht. eine ca. 200 µm dicke PbO2 Schicht gebildet.
Das Zellgefäß wird fast ausschließlich aus Am weitesten verbreitet sind Gitterelektroden.
Kunststoffen wie z. B. Polypropylen, Styrol-Acryl- In das gitterförmige Bleinetz des Ableiters wird
nitril, Acrylnitril-Butadien-Styrol gefertigt. Gerade über einen Pastierprozess die zunächst inaktive
für ortsfeste Anwendungen haben sich transpa- Masse eingebracht und über verschiedene Produk-
rente Materialien durchgesetzt. Diese ermöglichen tionsschritte in Aktivmasse umgewandelt.
einen Einblick in die Zelle. So können Kontrollen Die Röhrchenelektrode besteht heutzutage aus
bezüglich des Säurestands, der Gasung, des begin- einer Röhrchentasche aus schwefelsäurestabilem
nenden Dendritenwachstums oder der Menge des Polyester mit einer Polyacrylharzbeschichtung, die
aktiven Materials im Schlammraum vorgenommen zu nebeneinanderliegenden Röhrchen mit einem
werden. Außendurchmesser von bis zu 10 mm geformt ist.
Für abfallendes Material wie abschlammende Diese Tasche wird auf die Wulst am Kopfblei eines
Aktivmasse wird häufig zwischen Gefäßboden und Seelengitters gezogen. Von dieser Wulst gehen sich
7.2 • Blei-Säure-Batterien
215 7

7
6
5

4
3 1 Kasten
2 Interzellenverschweißung
9 3 Pol
10 4 Deckel
2 5 Verbinder
6 Polschraube
7 Ventilstopfen
8 Zündschutzstopfen
9 negative Platte in Vlies
10 positive Platte

. Abb. 7.9  Batterieaufbau, Explosionszeichnung

Die ersten beiden Elektrodenarten werden vor


allem in leistungsbezogenen Anwendungen einge-
setzt. Die Konstruktion mit der Röhrchentasche ist
aber für eine zyklenstabile Bleizelle optimal, weil
durch das feste Umschließen das Abschlammen
von positiver Aktivmasse entscheidend reduziert
werden kann. In . Abb. 7.10 sind die verschiedenen
Formen der positiven Elektrode dargestellt.

7.2.2 Grundreaktionen,
. Abb. 7.10  Elektrodenformen: GroE, Röhrchenelektrode, Gleichgewicht, Zellenspannung
Gitterelektroden
Durch die Separation in zwei Halbzellen können
die zentralen chemischen Reaktionen jeweils ge-
auf ca. 3 mm Durchmesser verjüngende Bleiseelen trennt voneinander ablaufen:
aus, die in jedes der Röhrchen führen. Die Seele
PbO 2 + 3H + + HSO 4− + 2e − ↔ PbSO 4 + 2H 2 O
befindet sich im Mittelpunkt eines jeden Röhr-
chens und zieht sich durch deren gesamte Länge. (7.32)
Sie ist komplett mit der Aktivmasse umschlossen,
die wiederum durch die Röhrchentasche fixiert Pb + HSO 4− ↔ PbSO 4 + H + + 2e − .
(7.33)
wird.
216 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

SO42–

H+ H+
Pb Pb
SO4 2– SO4
SO4
H+
H+
H+ H+

Pb2+
Pb2+ O2–

H+ H+
e–

e– O2–
e–
7
H+ H+ e–
e–

e–

. Abb. 7.11  Zellreaktionen Entladung

Die Zellreaktion der Gesamtzelle ist eine Synpro- funktion des Elektrolyten verknüpft dessen Kon-
portionierung aus elementarem nullwertigem Blei zentration bzw. Säuredichte mit dem Umwand-
und vierwertigem Blei zur Stufe des zweiwertigen lungsgrad der Elektroden bzw. dem Ladezustand
Bleis. Sie ergibt sich durch Addition der Einzelre- der Batterie. Weil die Dichteänderung auch einen
aktionen in den Halbzellen. Unterhalb der Gesamt- Einfluss auf die Spannungslage der Batterie hat, er-
reaktion ist die molare Stoffmengenbilanz aufge- gibt sich eine zusätzliche Stromabhängigkeit der
führt, entladbaren Ladungsmenge, die sogenannte Peu-

kert-Charakteristik (s. 7 Abschn. 7.2.4).
Pb + PbO 2 + 2H + + 2HSO 4 ↔ 2PbSO 4 + 2H 2 O Ein Stromfluss ist nur möglich, weil die Elekt-
(7.34) ronenleitung in den Elektroden und durch den äu-
ßeren Verbraucher durch Ionenleitung im Elektro-
207 g + 239  g + 2 · 98  g ↔ 2 · 303  g + 2 · 18  g. lyten zu einem Kreislauf vervollständigt wird. Die
Übergänge an den Grenzflächen der Elektroden
Dabei entspricht die Hinreaktion der Entladung zum Elektrolyten entsprechen den oben angegebe-
und die Rückreaktion der Ladung. Aus den Glei- nen chemischen Reaktionen.
chungen geht auch hervor, dass der Elektrolyt nicht Der Ablauf der chemischen Reaktionen erfolgt
nur als Ionenleiter dient, sondern auch selbst an der an beiden Elektroden über die Lösungsphase. Ein-
Reaktion teilnimmt (s. . Abb. 7.11). Diese Doppel- zelne Schritte der Reaktion sind die Durchtritts-
7.2 • Blei-Säure-Batterien
217 7
Stromableiter (gelöste
lonen)
SO42
Di 0
2e– ffu CPb2+ > CPb2+
sio
elektrolytische Pb2+ n

Entladen
chemische
Auflösung Diffusion
(gelöste Abscheidung
lonen)

PbMet(solid) PbSO4(solid)

chemische
elektrolytische Pb2+ Diffusion Auflösung

Laden
Kristallisation
ion
0
(gelöste CPb2+ < CPb2+
2e– ffus
lonen) Di
SO42–
(gelöste
lonen)

Elektrochemischer Chemischer
Prozessschritt Diffusion Prozessschritt

. Abb. 7.12  Teilschritte der chemischen Reaktion (hier negative Elektrode)

reaktion selbst, aber auch der Transport der ioni- 7.2.3 Stoffmengenbilanz,
schen Spezies Pb2+ und HSO−4 sowie die Auflösung Speicherfähigkeit
und Abscheidung. In 7 Abschn. 7.2.3 werden jedem
einzelnen Teilschritt der Gesamtreaktion Über- Die Gesamtreaktion Gl.  7.34 läuft bei molarem
spannungen zugeordnet (s. . Abb. 7.12). Stoffumsatz mit 642  g Edukten unter Umsetzung
Die Spannung des Systems im unbelasteten Zu- von 2 mol Elektronen ab. Das entspricht einer La-
stand kann mithilfe der freien Reaktionsenthalpie dungsmenge von 2 · 96500 As = 53,6 Ah. Bei einer
der Reaktionspartner und der Nernst‘schen Glei- mittleren Entladespannung von 1,92 V ist der ideale
chung berechnet werden. Sie kann für Säuredichten Energieinhalt:
zwischen 1,20 g/cm³ und 1,30 g/cm³ sehr genau mit
einer Faustformel (s. [1]) angenähert werden (gültig 53,6 Ah · 1,92 V/0,642 kg = 160 Wh/kg.
für Säuredichten bei 25 °C):
Den idealen Energieinhalt kann man allerdings nie
U 0 [ V ] = Säuredichte [g / cm³] + 0,84 .
(7.35) erreichen,
55 weil das reale System auch nicht aktive Kom-
Die Zusammenhänge zwischen Schwefelsäuredich- ponenten enthalten muss (Gitter, Kopfblei,
te bei 25  °C, deren Molalität (temperaturunabhän- Pole, Batteriegehäuse, Separatoren, Wasser zur
gig) und Ruhespannung U0 (Temperaturkoeffizient Verdünnung der Schwefelsäure) und
von + 0,20  mV/K (s. [3]), d.  h. nahezu tempera- 55 weil im realen System die aktiven Komponen-
turunabhängig) können . Abb.  7.13 entnommen ten nicht vollständig entladen werden können
werden. (Massewirkungsgrad, Säurenutzung).

Der reale Energieinhalt der Bleibatterie wird also


zwischen 25 Wh/kg und 40 Wh/kg liegen. Die unter
218 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

U0, Zelle U0 (Faustformel) Molalität


2300 16

14
2200

12

2100
10

Molalität [mol/kg]
U0 (Zelle) in mV

2000 8

6
1900

7 4

1800
2

1700 0
1,00 1,05 1,10 1,15 1,20 1,25 1,30 1,35 1,40 1,45 1,50
Säuredichte in kg/I @ 25°C

. Abb. 7.13  Säuredichte, Säurekonzentration, Ruhespannung

. Tab. 7.5 Ladungsinhalt realen Bedingungen der Bleibatterie entnehmbare


Ladungsmenge wird Kapazität genannt. Entlädt
Eine Amperestunde verbraucht bei Entladung und man eine Batterie unter in Normen festgelegten
bildet bei Ladung
Standardbedingungen (z.  B. 20 °C, zwanzigstündi-
Pb PbO2 2 H2SO4 ge Entladung, 1,8  V/Zelle Entladeschlussspannung
3,86 g 4,46 g 3,66 g
bei Starterbatterien), so erhält man auf diese Weise
einen Messwert für die Nennkapazität (s. . Tab. 7.5).
… bildet bei Entladung und verbraucht bei Ladung

2 PbSO4 2 H 2O

11,315 g 0,672 g 7.2.4 Entladecharakteristik

… zersetzt und bildet Elektrolysegase


bei Über-
Unter Stromfluss erhält man einen Spannungsabfall
ladung über den Widerständen aller Zellkomponenten. Zu-
sätzlich muss berücksichtigt werden, dass auch der
H 2O H2 O2
chemischen Reaktion die Reaktionsgeschwindigkeit
0,336 g 0,037 g = 0,418 la 0,299 g = 0,209 la aufgezwungen wird. Diesem Zwang kann nur Fol-
a bei 0 °C, 1 bar
ge geleistet werden, wenn eine zusätzliche Aktivie-
rungsenergie (Q·ΔU) für die Ladungsträgerbewe-
gung (Ladung Q) zur Verfügung steht. Die zusätzli-
7.2 • Blei-Säure-Batterien
219 7

. Tab. 7.6  Überspannungen im Bleiakkumulator

Bezeichnung Ursache Zeitkonstante

Ohmscher Spannungsabfall Ohmscher Widerstand, Ableiter + –


Elektrolyt + Aktivmasse

Induktiver Spannungsabfall Induktivität der Batteriekonstruktion –

Durchtrittsüberspannung Ladungsträger benötigen zum ms bis s, bedingt durch die Doppel-


Durchtritt durch die Elektrode/ schicht-kapazität
Elektrolyt-Grenzfläche Aktivierungs-
energie

Diffusionsüberspannung Inhomogene Verteilung für die an 15–60 min bis zu einigen Tagen bei
der Reaktion beteiligten Ionen verschlossenen Zellen

Reaktionsüberspannung Gehemmter Ablauf vor- oder nach- –


gelagerter Reaktionen

Konzentrationsüberspannung Diffusions- und Reaktionsüberspan- 15–30 min


nung zusammengefasst

Kristallisationsüberspannung Verzögerung der Kristallisations- s bis min


bildung, z. B. Spannungssack beim
Entladen

che Spannung ΔU wird Überspannung genannt. Sie Bei einer Entladung mit konstantem Strom lässt
ist nicht wie die Spannungsabfälle an den ohmschen sich der Einfluss der unterschiedlichen Spannungs-
Widerständen linear zum Strom. Alle Spannungs- abfälle schematisch in einer einfachen Grafik dar-
abfälle und Überspannungen hängen im Wesentli- stellen (s. . Abb. 7.14). Der Spanungsrückgang der
chen von der Stromstärke, der Temperatur und der Ruhespannung mit der Entladetiefe ist ein Resul-
Säuredichte ab. Die Durchtrittsreaktion wird durch tat der Teilnahme des Elektrolyten an der chemi-
die Butler-Volmer-Gleichung (7.26) beschrieben. schen Reaktion. Darin zeigt sich ein entscheiden-
Für große Überspannungen kann der zweite Term der Unterschied des Blei-Schwefelsäure-Systems
der Butler-Volmer-Gleichung (die Rückreaktion) zu den Systemen NiCd-, (NiMH-), Na-NiCl- und
vernachlässigt und die Gleichung kann analytisch Lithium-Ionen.
nach der Überspannung aufgelöst werden. In halb- Die Konzentrationsänderung des Elektrolyten,
logarithmischer Darstellung erhält man dann eine aber auch die Diffusion der aktiven Sulfatanionen
Gerade, die sogenannte Tafel‘sche Gerade. begrenzt die Hochleistungsfähigkeit von Bleizel-
Die Überspannung ist zunächst eine empirisch len zusätzlich zu der Spannungsabsenkung durch
messbare Größe, die z.  B. in Impedanzmessungen den Innenwiderstand der Zelle. Die resultierende
von dem rein ohmschen Spannungsabfall getrennt Stromabhängigkeit der Kapazität wird nach Peu-
werden kann. Die Ursache für die Überspannung kert wie folgt beschrieben:
liegt aber in den verschiedenen physikalischen und
chemischen Phänomenen der Teilschritte der Ge- I ⋅ pc ⋅ t = konstant.
(7.36)
samtreaktion verborgen (s. .  Abb.  7.12). Überspan-
nungen und ohmsche Spannungsabfälle bilden zu- Der Peukert-Koeffizient »pc« nimmt Werte zwi-
sammen die Abweichung der unter Stromfluss ge- schen 1 und 2 an. Besitzt der Koeffizient den Wert
messenen Spannung zur Ruhespannung, die auch 1, entspricht das der Unabhängigkeit der Entlade-
Polarisation genannt wird. Die wichtigsten Beiträge zeit (Kapazität) vom Strom. Für Bleibatterien liegt
zur Polarisation einer Zelle sind in . Tab. 7.6 zusam- der Koeffizient bei ca. 1,3. Je kleiner dieser Koeffi-
mengestellt. zient ist, desto günstiger verhält sich die Batterie
220 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

U0, ohne Teilnahme des Elektrolyts U0, mit Abnahme der Elektrolytkonz.
inkl. Ableiterwiderstand inkl. Elektrolytwiderstand
Spannung in V inkl. Überspannung inkl. Widerstand Aktivmasse

Spannungssack

reale Entladekennlinie

7 Entladeschlusspannung

0 % SoC

entnommene Ladung Q in Ah

. Abb. 7.14  Schematische Entladecharakteristik, bei Entladung mit konstantem Strom

im Hochleistungseinsatz. Weil der Koeffizient aber 7.2.5 Die Nebenreaktionen


nicht allgemeingültig ist, muss der Batterieherstel-
ler für unterschiedliche Zellenauslegungen auch Die Halbzellenreaktionen Gl.  7.32 und 7.33 sind
die Stromabhängigkeit der Kapazität mitliefern. leider nicht die einzigen, die im Blei-Schwefelsäu-
Ein Beispiel für die Stromabhängigkeit der Kapazi- re-System ablaufen. Es gibt an beiden Elektroden
tät ist in der folgenden . Abb. 7.15 gezeigt. Nebenreaktionen. Diese sind quasi zur Hauptre-
Aus dieser Darstellung wird auch die für Bleibat- aktion parallel geschaltet und zweigen während
terien typische Nomenklatur der Kapazitäten deut- der Ladeprozedur einen Teil des Stromes ab oder
lich. Und zwar wird in den Index die projektierte entladen die Elektroden im Fall des offenen äuße-
Entladezeit geschrieben. Somit bezeichnet die zehn- ren Stromkreises (Selbstentladung). Das folgende
stündige Kapazität C10 diejenige Kapazität, die durch Ersatzschaltbild . Abb.  7.16 zeigt alle im letzten
Entladung mit dem Strom I10 entnommen werden Abschnitt erwähnten, zum Spannungsabfall bei-
kann. Die dreistündige Kapazität bis zu einer Ent- tragenden »Widerstände« und die zur Hauptreak-
ladeschlussspannung von 1,8 V/Zelle ist gemäß der tion parallel geschalteten Nebenreaktionen. Die
in . Abb.  7.15 dargestellten Projektierungsdaten vor die Nebenreaktionen geschaltete Diode lässt
C3 = 140 Ah. Dazu gehört der Strom I3 = 46,7 A. jeweils nur den Stromfluss in einer Richtung zu.
Die Abhängigkeit von der Entladeschlussspan- Nebenreaktionen sind nicht unbedingt direkt mit-
nung ist ebenfalls in . Abb. 7.15 integriert. Die Tem- einander gekoppelt, sodass sie für die positive und
peraturabhängigkeit der Kapazität ist jedoch ausge- negative Halbzelle getrennt betrachtet werden.
spart. Dabei nimmt die Kapazität der Bleizellen um Sie führen tatsächlich auch zu unterschiedlichen
etwa 0,6 % je Grad Temperaturerhöhung zu. Selbstentladeraten an positiver und negativer
7.2 • Blei-Säure-Batterien
221 7
Gemäß DIN 60896-11 wird die 10 stündige Entladung bis 1,8 V/Zelle bei 20 °C als Nennkapazität definiert
10h
200
5h
190 Ah, C10

3h

150
190 Ah, C3
1h
Kapazität C in Ah

30min
100

15min

70 Ah, C30min 10min

50
5min

3min
1,9V 1,85V 1,8V 1,75V 1,7V 1,65V 1,6V

1min

0 100 200 300 400 500 600


Strom I in A

. Abb. 7.15  Projektierungsdaten von Bleisäurezellen

Elektrode. Einen guten Überblick liefern die Ar- halten größer 4 % zu einer Explosionsgefährdung
tikel [33] und [4]. und ist somit auch eine Ursache für die notwendigen
Lüftungsanforderungen an Batterieanlagen (s. [6]).
zz Negative Elektrode Die zweite wichtige Nebenreaktion an der ne-
Die größte Bedeutung der Nebenreaktionen hat die gativen Elektrode ist die Sauerstoffreduktion:
Wasserstoffentwicklung,
+ ½ O 2 + H + + HSO 4− ↔ PbSO 4 + H 2 O.
(7.38)
Pb
+ −
Pb + H + HSO ↔ PbSO4 + H 2 ,
(7.37) 4
Sie wird durch den Antransport von Sauerstoff be-
die abhängig von Spannung, Säuredichte, Tempera- grenzt. Die Diffusionsgeschwindigkeit von Sauer-
tur und Druck ist. Sie wird durch Fremdstoffe im stoff in verdünnter Schwefelsäure ist sehr klein, da-
System katalysiert, wobei Antimon hier eine be- her spielt die Sauerstoffreduktion in geschlossenen
sondere Bedeutung trägt, weil es in geschlossenen Bleibatterien nur eine untergeordnete Rolle. In ver-
Batterien üblicherweise als Legierungsbestandteil in schlossenen Batterien gibt es dagegen innerhalb der
den Ableitern enthalten ist. Die Geschwindigkeit der festgelegten Schwefelsäure Gaskanäle zwischen den
Wasserstoffbildung kann mit dem korrosiven Frei- Elektroden. Hier ist die Diffusionsgeschwindigkeit
setzen des Antimons während der Batterielebens- des Sauerstoffs hoch. Deshalb ist die Sauerstoffre-
dauer so stark ansteigen, dass die negative Elektrode duktion in verschlossenen Batterien die wichtigste
nicht mehr vollgeladen werden kann (s. Antimon- Nebenreaktion an der negativen Elektrode. Darauf
vergiftung im Kapitel  Alterungserscheinungen). Die wird näher im Abschnitt über verschlossene Blei-
Wasserstoffbildung führt schon bei Wasserstoffge- batterien eingegangen.
222 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

e– Entladen
Last

=
e– Laden
Gleichspannungsquellle
Ableiter Ableiter

Übergang Bei verschlossenen Übergang


Zellen Elektrode/
Elektrolyt
Aktivmasse Übergangswiderstände Aktivmasse

1
Nebenreaktion: O2– → 2
O2 ↑ +2e– Nebenreaktion: 2H + + 2e– = H2 ↑

7 Überspannungnen Überspannungnen

+ Elektrolyt/ –
Seperator

. Abb. 7.16 Ersatzschaltbild

zz Positive Elektrode PbO 2 + Pb + 2H + + 2HSO 4−


Die Sauerstoffentwicklung  ↔ 2PbSO 4 + 2H 2 O. (7.40)
+

PbO 2 + H + HSO 4− ↔ PbSO 4 + H 2 O + ½ O 2 Das Blei entstammt dem Ableiter und die Elektro-
(7.39) nen werden von der hochoxidierten Form des vier-
wertigen Bleis, d. h. im Bleidioxid der Aktivmasse,
ist sowohl in geschlossenen als auch in verschlosse- aufgenommen. Die Reaktion kann nur ablaufen,
nen Bleibatterien die wichtigste Nebenreaktion an wenn verdünnte Schwefelsäure durch die Poren der
der positiven Elektrode. Auch diese Reaktion wird Aktivmasse bis an den Ort der Korrosionsreaktion
durch Verunreinigungen katalysiert (z.  B. Co). In vordringen kann. Wird aber während Überladung
verschlossenen Batterien diffundiert der Sauerstoff oder Erhaltungsladung eine dichte PbO2-Korro-
zur negativen Elektrode und wird dort reduziert (s. sionsschicht gebildet, kann nur eine Reaktion mit
Sauerstoff-Rekombinationszyklus in 7 Abschn. 7.2.7. Transport durch den Festkörper ablaufen. H2O
Zusammen mit dem entstandenen Wasserstoff bil- wird durch die PbO2-Schicht transportiert, und
det der Sauerstoff Knallgas (Sicherheitsvorkehrun- PbO2 entsteht an der Pb-/PbO2-Grenzfläche. Die
gen, Belüftungsanforderungen). Schichtbildung wird gefördert durch die Ähnlich-
keit der Struktur bestimmter Modifikationen von
zz Gitterkorrosion Pb, PbO und PbO2. Die Gesamtreaktion dafür wird
Im Unterschied zur Gesamtreaktion zwischen den wie folgt formuliert:
zwei Halbzellen (Gl. 7.34) findet diese Korrosions-
+ −
reaktion im Ruhezustand an der positiven Elekt- Pb + 2H 2 O ↔ PbO 2 + 4H + 4e .
(7.41)
rode statt,
7.2 • Blei-Säure-Batterien
223 7
Stromdichte in 10--6 A/cm2

25 Stromdichte 1 molar (8,9%)


Stromdichte 5 molar (32,9%)
20
PbSO4/PbO2
Pb/PbSO4
15
Pb/PbO PbO/PbO2

10

0
–1 –0,8 –0,6 –0,4 –0,2 0 0,2 0,4 0,6 0,8 1 1,2 1,4
–5 Elektrodenpotential in V vs. Hg/HG2SO4

. Abb. 7.17  Spannungsabhängigkeit der Korrosion gemäß [9, 17]

Aber auch die Legierungsbestandteile des Ab- die Korrosion. . Abbildung 7.17 zeigt vor allem die
leiters (z. B. Antimon) werden oxidiert: Spannungsabhängigkeit der Korrosionsgeschwin-
digkeit. Ein Minimum ist bei geringfügiger Lade-
 5PbO 2 + 2Sb + 6H + + 6HSO 4− polarisation erkennbar und ein Maximum bei ge-
(7.42)
↔ (SbO 2 ) 2 SO 4 + 5PbSO 4 + 6H 2 O. ringfügiger Entladepolarisation (z. B. aufgrund von
Verunreinigungen). Daher soll man lange Stand-
Das antimonhaltige Sulfat ist im Gegensatz zum zeiten von Batterien vermeiden und sie regelmäßig
Bleisulfat auch bei hohen Säuredichten gut löslich, nachladen oder unter Ladeerhaltung bei geringen
sodass ein Teil davon in Lösung geht und an der ne- Polarisationsspannungen aufstellen.
gativen Elektrode wieder zu metallischem Antimon Eine weitere Folge der Gitterkorrosion ist eine
reduziert werden kann. Dies führt dann zu der ka- Volumenvergrößerung des positiven Gitters, da
talytischen Beschleunigung der Wasserstoffbildung die Korrosionsprodukte ein größeres Volumen als
an der negativen Elektrode (Antimonvergiftung). die Ausgangsprodukte einnehmen. Diese Tatsache
Die Korrosionsgeschwindigkeit hängt stark von ist der Verwendung von Gleitringdichtungen um
der Spannung, von der Säuredichte (s. [17, 32]), von den Batteriepol herum bei Industriebatterien ge-
der Art der Gitterlegierung, von Fremdstoffen (z. B. schuldet. Somit kann der positive Ableiter wach-
Chlorid-Ionen) und von der Temperatur ab. Für die sen, ohne das Batteriegefäß zu zerstören. Der Kurz-
Temperaturabhängigkeit der Gitterkorrosion wird schluss aufgrund gewachsener positiver Ableiter ist
ein Arrhenius-Zusammenhang angenommen. Der ein klassisches Fehlerbild, das auch immer wieder
Ansatz ist derart, dass man bei 10 °C höherer Tem- in Starterbatterien beobachtet wird.
peratur auch eine doppelte Korrosionsgeschwin-
digkeit erhält (Faustformel). Bei kleinen Säure- zz Oxidation von organischen Substanzen
dichten ist die Korrosionsgeschwindigkeit höher Organische Substanzen, die mit der positiven Ak-
als bei großen Säuredichten. Antimon als Legie- tivmasse in Kontakt kommen, werden oxidiert,
rungsbestandteil hemmt bei kleinen Säuredichten
224 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

PbO + organische Substanz + H + + HSO − Der Wirkungsgrad der Ladung wird durch die
2 4
in 7 Abschn.  7.2.4 beschriebenen Spannungsabfäl-
↔ PbSO4 + H 2 O + CO 2 . (7.43)
le bestimmt. Diese führen dazu, dass mit höherer
Spannung geladen werden muss, als entladen wer-
Zu diesen Substanzen gehören organische Verun- den kann. Während der Ladereaktion sind die Auf-
reinigungen, aber auch extra zugesetzte organische lösung der Bleisulfat-Kristalle und der Transport
Verbindungen und vor allem die Separatoren. Daher von Pb2+ geschwindigkeitsbestimmend. Das macht
wird versucht, durch Rippen auf den Separatoren de- sich im Anstieg der Überspannung in . Abb.  7.18
ren Abstand zur positiven Aktivmasse zu vergrößern. bemerkbar. Zusätzlich zum Spannungswirkungs-
Bestehen die Separatoren aus PVC, entsteht grad müssen Blei-Säure-Batterien auch noch mit
bei deren Zersetzung Chlor. Der Oxidation von einer größeren Ladungsmenge geladen werden, als
Chlorid-Ionen und Chlor bis hin zur Perchlor- man ihnen entnommen hat, man spricht von dem
säure (HClO4) kommt dabei eine besondere Be- Ladefaktor. Beides reduziert den Energiewirkungs-
deutung zu, da Perchlorsäure ab ca. 200 mg/l den grad. Die zusätzlich geladene Strommenge fließt
Korrosionsvorgang der positiven Ableiterteile er- in die Nebenreaktionen. Der größte Teil fließt in
heblich verstärkt. Auch Chlorid-Ionen, die in nicht die Elektrolysereaktion (Zersetzung zu H2 und
7 entsalztem Wasser enthalten sind, können bis O2), die bei geschlossenen Batterien als positiven
zur Perchlorsäure oxidiert werden. Das ist einer Effekt ein Durchmischen des Elektrolyten bewirkt.
der Gründe, warum Bleiakkumulatoren nur mit Diese Durchmischung ist bei hohen Zellen unent-
vollentsalztem Wasser aufgefüllt werden dürfen behrlich. Denn während der Entladung reagiert
(s. [44]). die Schwefelsäure der variablen Aktivmassenut-
zung in unterschiedlichen Bereichen des Ableiters
zz Weitere Nebenreaktionen entsprechend unterschiedlich stark ab. Im oberen
Weniger bedeutsame Nebenreaktionen an der posi- Zellenbereich wird mehr Schwefelsäure verbraucht,
tiven Elektrode sind die Oxidation von Wasserstoff und es entsteht während der Entladung eine nied-
oder die Bildung von Peroxoschwefelsäure (H2S2O8). rigere Dichte. Für den unteren Zellenbereich gilt
Hier nicht näher behandelt sind die Wandermetalle jedoch genau das Gegenteil. Während der Ladung
wie Eisen, welche an der positiven Elektrode oxidiert tritt dann hochkonzentrierte Schwefelsäure aus
(Fe2 + → Fe3 + + e−) und an der negativen Elektrode den Poren der Aktivmasse aus und »fällt« an der
reduziert werden (Fe3 + + e− → Fe2 +) und dadurch Elektrodenoberfläche nach unten. Somit entsteht
die Selbstentladung einer Batterie erhöhen können. im unteren Zellenbereich mitunter eine sehr hohe
Schwefelsäuredichte, die sich dagegen im oberen
Elektrodenbereich (und über den Elektroden) erst
7.2.6 Laden von Bleibatterien dann signifikant ändert, wenn die sogenannte Ga-
sungsspannung von 2,4 V/Zelle überschritten wird.
Das Laden ist essenziell für eine Sekundärzelle und Wird eine nicht ausreichend geladene und dem-
stellt chemisch gesehen die Umkehrung der Entla- entsprechend geschichtete Zelle stehen gelassen,
dereaktion von Blei-Säure-Batterien in Gl. 7.34 dar. gleicht sich die Schwefelsäuredichte in den unter-
Das Laden wird mit unterschiedlichen Laderegi- schiedlichen Höhen einander an. Verantwortlich
men durchgeführt, bei denen entweder der Strom, dafür ist nicht nur die Diffusion, sondern vor allem
die Spannung oder die Leistung des Ladegerätes das zur Schwefelsäuredichte korrelierende unter-
konstant gehalten wird. Nach DIN  41772 (s. [5]) schiedliche Potenzial (Nernst’sche Gleichung) in
heißen die Phasen I, U und W. Ein komplettes Re- unterschiedlichen Zellhöhen. Dieser Potenzial-
gime ist z. B. eine IoUoIa-Ladung, wobei die Indi- unterschied ist durch die Elektrode kurzgeschlos-
zes »o« für »umschalten« und »a« für »abschalten« sen und sorgt für eine stärkere Sulfatbildung im
stehen. Die Dauer der Ladung ist wichtig, denn das unteren Elektrodenbereich als im oberen. Also
mit der Batterie betriebene Gerät ist während der spiegelt sich die Dichteverteilung nach Lagerzeit
Ladezeit nicht einsetzbar, es sei denn, es ist eine in der entsprechenden Verteilung des Sulfatgehalts
zweite Batterie vorhanden. der Elektroden wider.
7.2 • Blei-Säure-Batterien
225 7
Spannung in V Inkl. Überspannung Inkl. Elektrolytwiderstand
Inkl. Aktivmassewiderstand Inkl. Ableiterwiderstand
U0 mit Zunahme Elektrolytkonz.

Gasungsspannung

0 % SOC
1. Umschaltpunkt

Geladene Ah

. Abb. 7.18  Schematische Ladecharakteristik, bei Ladung mit konstantem Strom

Will man den Säuredichteausgleich mittels führt werden. Man nimmt regulär eine Spannungs-
Überladung erreichen, führt das zu einem geringe- korrektur von − 4  mV/°C an. Der temperaturab-
ren Ladewirkungsgrad. Es wird die hochwertigste hängige Ladewirkungsgrad muss durch niedrigere
Energieform (elektrische Energie) genutzt, um den Ladespannungsvorgaben bei höherer Temperatur
einfachen Vorgang der Durchmischung zu forcie- berücksichtigt werden, um die Überladung der
ren und dabei wird auch noch eine gezielte Über- Batterie zu vermeiden. Umgekehrt muss diese Tem-
ladung mit den Nachteilen für die Lebensdauer, peraturabhängigkeit auch bei niedriger Temperatur
eines erhöhten Wasserverbrauchs und einer erhöh- durch Erhöhen der Vorgaben für die Ladespannung
ten Temperaturentwicklung in Kauf genommen. ausgeglichen werden. Bei hohen Temperaturinho-
Die auf dem Markt erhältlichen Lösungen für Zy- mogenitäten über die Batterie hinweg kommt es
klenbatterien gehen dahin, mittels Pulsladung oder vor, dass Zellen in niedrigeren Temperaturberei-
Einblasen von Luft unterhalb der Elektroden die chen sich noch im Teilladezustand befinden, wäh-
Durchmischung vorzunehmen. Dies führt dann zu rend solche in hohen Temperaturbereichen bereits
einem höheren Ladewirkungsgrad und kürzerer überladen werden. Daher ist eine homogene Tem-
Ladedauer. peraturverteilung auch eine Voraussetzung für den
Der Ladewirkungsgrad wird auch sehr stark langfristig ungestörten Betrieb einer Batterie.
durch die Temperatur beeinflusst. Bei höherer Tem- Der geschwindigkeitsbestimmende Schritt der
peratur laufen die geschwindigkeitsbestimmenden Bleisulfatauflösung spielt die Hauptrolle, wenn man
Reaktionsschritte der Bleisulfatauflösung und der von einer sulfatierten Batterie spricht. In dieser sind
Pb2+ -Diffusion schneller ab und die Ladung kann nämlich die Bleisulfatkristalle so groß geworden,
entsprechend bei geringeren Spannungen durchge- dass deren Auflösung nur mit entsprechend hoher
226 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

Überspannung einhergeht. Es muss dann ein kleiner 7.2.7 Die verschlossene Bleibatterie
Strom gewählt werden, um die irreversible Sulfatie-
rung aufheben zu können. Eine andere Möglichkeit Die Nebenreaktionen der Wasserstoff- und Sau-
stellt eine Tiefentladung, gefolgt von der Wiederauf- erstoffgasung führen zum Wasserverlust aus dem
ladung dar. Dabei werden während des Tiefentla- Elektrolyten der Bleibatterie. Ein regelmäßiges
dezustands und der korrespondierenden niedrigen Nachfüllen der einzelnen Zellen der Bleibatterie
Säuredichte die Sulfatkristalle aufgelöst, weil deren bedeutet aber einen Wartungsaufwand, der gerade
Löslichkeit mit Abnahme der Säuredichte zunimmt. für weit im Raum verteilte und nicht immer einfach
Der Temperaturaspekt der Ladung muss noch zugängliche Batterieanlagen sehr kostspielig werden
einmal aufgenommen werden, weil während der kann. Wenn dieser Wartungsaufwand entfällt, muss
Ladung ein Teil der verlorenen Energie in Wär- nur noch in längeren Abständen gewartet werden.
meenergie überführt wird. Dies führt zur Erwär- Die katalysierte Rekombination von entstande-
mung der Batterie. Damit bedingt sich die Tem- nem Wasserstoff und Sauerstoff zu Wasser, welches
peraturentwicklung direkt aus dem Laderegime. zurück in das Batteriegefäß fließt, kann über einen
Zur Berechnung der in Wärme umgewandelten externen Rekombinator ermöglicht werden (s. [14]).
Energiemenge kann vereinfacht die aktuelle Span- Ein interner Rekombinationszyklus kann for-
7 nungsdifferenz zur Ruhespannung der ablaufenden ciert werden, indem Diffusionspfade durch den
Reaktion genutzt werden. Multipliziert mit dem Elektrolyten angeboten werden und indem durch
Strom, der in die betrachtete Reaktion fließt, er- Verschließen der Zelle mit einem Überdruckventil
hält man die aktuelle Wärmeleistung. Zu Beginn Gas zurückgehalten wird. Dann kann der an der
der Ladung läuft die Ladereaktion (Gl.  7.34) mit positiven Elektrode während der Ladereaktion ent-
einer Ruhespannung von beispielsweise 2,04 V ab stehende Sauerstoff die Diffusionspfade nutzen und
(gemäß Gl. 7.35 zu 1,20 g/cm³ Säuredichte korres- an der negativen Elektrode gemäß der exothermen
pondierend). Die Ladung findet mit 50 A bei 2,2 V Reaktion (Gl. 7.38) abreagieren. Das Potenzial der
statt. Die aktuelle Wärmeleistung für eine Zelle ist negativen Elektrode wird während der Ladereak-
also (2,2 − 2,04  V)·50  A = 8  W. Tatsächlich ist die tion aufgrund der dauerhaften Oxidation nicht
Wärmeleistung noch um den Teil der reversiblen stark in die negative Richtung verschoben. Bei mo-
Wärme größer. Dabei handelt es sich um die Entro- deratem Potenzial der negativen Elektrode fließt
pie der Reaktion, die bei der Ladereaktion der Blei- nur ein sehr geringer Strom in die Nebenreaktion
zelle (Gl.  7.34) abnimmt und somit die reversible der Wasserstoffbildung. Damit ist der sogenannte
Wärme zusätzlich freisetzt. Das kann durch Ein- Sauerstoff-Rekombinationszyklus aus . Abb.  7.19
führen der kalorischen Ruhespannung, die immer umschrieben.
um 68  mV unterhalb der realen Ruhespannung Damit sich die Wasserstoffbildung an der ne-
liegt, berücksichtigt werden. Gegen Ende der La- gativen Elektrode nicht durch eine Antimonvergif-
dung fließt der Strom nahezu ausschließlich in die tung vervielfachen kann, werden die Ableiter mit
Elektrolysereaktionen (Gl.  7.37 und 7.39) mit der einer Blei-Calcium-Zinn-Legierung hergestellt.
Ruhespannung der Elektrolysereaktion von 1,23 V. Die Diffusionspfade werden offen gehalten, wenn
Der Ladestrom sei 10 A und die Spannung soll bei der Elektrolyt in einem Gel oder in einer AGM-
2,5 V liegen. Dann ist die aktuelle Wärmeleistung Glasfasermatte (Adsorptive Glass Matt) fixiert
(2,5  V − 1,23  V)·10  A = 12,7  W. Die Wärmeenergie wird. Diffusionspfade entstehen, wenn das Gel
ergibt sich durch Integrieren der Wärmeleistungen. Risse ausbildet bzw. wenn die Glasfasermatte nicht
Die Wärmeleistung ist zu Beginn der Ladung hoch, vollständig mit Elektrolyt gesättigt ist. Durch Fi-
weil die Ladeströme hoch sind. Die Wärmeleistung xieren des Elektrolyten ergibt sich auch die Mög-
steigt aufgrund der höheren Spannungsdifferenz lichkeit, Bleizellen lageunabhängig einzusetzen.
wieder an, wenn der Strom vor allem in die Elek- Außerdem ist das Gefahrenpotenzial beim Trans-
trolysereaktion fließt. Daher muss der Ladestrom port, bei der Montage und während des Betriebs
abgesenkt werden, wenn ein Großteil des Stroms erheblich geringer als bei geschlossenen Batterien.
in die Gasbildungsreaktion fließt, was mit dem Er- Das Überdruckventil zum Verschließen der
reichen von ca. 2,4 V/Zelle der Fall ist. Bleizelle hält Elektrolysegase in der Zelle, verhin-
7.2 • Blei-Säure-Batterien
227 7
e-
+ –
Wasserverlust

+ –
nahezu kein
Wasser- Temperatur-
verlust erhöhung

höherer
Durchsatz
O2 trockeneres Gel Reaktion (7)
geringere Rekombination
Sättigung
mehr Gaskanäle
mehr
Sauerstofftrans-
port

höhere pos. geringere neg.


Ladespannung Ladespannung
höhere Säuredichte
höherer Übergangswiderstand
höherer Übergangswiderstand

geringerer
Ladezustand

geringere Kapazität

. Abb. 7.19 O2-Rekombinationszyklus und Wirkungsmechanismen in einer verschlossenen Blei-Säure-Zelle

dert den Zutritt von Luftsauerstoff ins Zelleninnere chend immer mehr Sauerstoff transportiert. Die
und dient im Falle eines internen Überdrucks zur Ladespannung der negativen Elektrode reduziert
Entlastung. sich. Ein effektiverer Rekombinationszyklus und
Die Entlastung geht mit dem Verlust von Was- geringere Ladespannung der negativen Elektrode
serstoff und Sauerstoff (= Wasser) einher. Auch resultieren in einem geringeren Wasserverbrauch,
die Korrosion des positiven Ableiterbleis gemäß aber auch in einem niedrigeren Ladezustand der
Reaktion Gl. 7.41 verbraucht Wasser. Der Wasser- negativen Elektrode. Mit dem Wasserverlust erhöht
verlust ist also nicht zu vermeiden und kann nicht sich der Übergangswiderstand zwischen Elektrode
durch Auffüllen der Zellen ausgeglichen werden. und Elektrolyt. Die Erhöhung des Übergangswi-
Er führt dementsprechend zu höherer Säuredich- derstands und die Abnahme des Ladezustands der
te. Der Wasserverlust wird mit ansteigender Lade- negativen Elektrode ergibt eine verringerte Kapazi-
spannung und ansteigender Temperatur größer. tät der Zelle.
Mit abnehmendem Wassergehalt werden immer Die exotherme Rekombinationsreaktion Gl. 7.38
mehr Gaskanäle gebildet und es wird dementspre- führt zur Erwärmung der Zelle. Im Extremfall kann
228 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

es durch übermäßige Erwärmung der Zelle zu über- . Tab. 7.7  Verschlossene Batterie im Vergleich zur
mäßigem Wasserverlust kommen. Der Wasserver- geschlossenen Batterie
lust verstärkt wiederum die Erwärmung und sorgt
Vorteile Nachteile
somit für einen Rückkopplungseffekt (s. . Abb. 7.19),
der »thermal runaway« genannt wird. Dieser Teu- Geringerer Wasserverlust Höhere Investitions-
felskreis tritt eher bei gealterten Zellen auf, in denen kosten

sich ohnehin schon ein Wasserdefizit ausgebildet Kein Wassernachfüllen Wasserverlust führt zu
hat. Andere Randbedingungen, die zum thermal Kapazitätsverlust
runaway beitragen, sind eine hohe Ladespannung, Keine Auslaufen der Säure Höhere Spannungs-
schlechte Wämeabfuhr und eine hohe Umgebungs- möglich streuung
temperatur. Die Erwärmung der Zelle kann bis zum Lageunabhängiges Auf-
Erweichen des Zellgehäuses führen. Da bei AGM- stellen
Batterien das Zellgehäuse dann dem Plattensatz-
Säureschichtung kann
pressdruck nachgibt, werden sich die Seitenwände vermieden werden
im Falle des thermal runaways stark ausbauchen.
Höhere Zyklenlebens-
Da neue verschlossene Zellen unterschiedli-
7 che Sättigungsgrade aufweisen, unterliegen deren
dauer

Zellspannungen bei Ladung mit konstanter Bat-


teriespannung (z.  B. zur Erhaltungsladung) einer
größeren Streuung als geschlossene Zellen. Wie aus 55 Eindringen von Luftsauerstoff durch Undich-
. Abb. 7.19 ersichtlich, haben Zellen mit höherem tigkeiten oder von Sauerstoff aus einer Nach-
Sättigungsgrad des Elektrolyten höhere negative barzelle.
Spannungen und einen geringeren Rekombina-
tionswirkungsgrad. Diese Zellen verlieren mehr Der Einfluss der Säureschichtung auf das Betriebs-
Wasser und gleichen sich auf diese Weise innerhalb verhalten kann bei Gelzellen weitgehend vermie-
einiger Monate den Zellen geringerer Sättigung an. den werden. AGM-Zellen können jedoch eine
Bei der Entladung der negativen Elektrode über Schichtung aufweisen. Diese ist nicht direkt mess-
den Sauerstoffkreislauf sind die Nebenreaktionen bar, kann aber anhand der Verteilung des Sulfatge-
der negativen Elektrode an die der positiven Elek- halts in den Elektroden nachgewiesen werden. Da
trode gekoppelt: eine Schichtung verschlossener Zellen nicht ein-
fach durch Elektrolytumwälzung aufgehoben wer-
i O2 + i korr = i rekom + i H2 ,
(7.44) den kann, muss diese durch adäquate Konstruktion
und Materialwahl vermieden werden.
Insbesondere können ein geeigneter AGM-Se-
gemäß der Reaktionen Gl. 7.38, 7.37, 7.39 und 7.41. parator mit hohem Feinfaseranteil und ein hoher
Damit überträgt sich eine Veränderung der Satzpressdruck vorteilhaft für die Vermeidung
Situation an der positiven (verstärkte Korrosion) einer Schichtung eingesetzt werden. Der Vorteil
auf die negative Elektrode (erhöhte Wasserstoffent- einer AGM-Batterie mit hohem Satzpressdruck
wicklung). Das gilt nicht umgekehrt, sodass ein zu- zeigt sich auch in einem geringeren Übergangs-
sätzlicher Stromfluss in eine Nebenreaktion an der widerstand zwischen Elektrode und Elektrolyt
negativen keinen Einfluss auf die positive Elektrode sowie in einer höheren Zyklenlebensdauer. De fac-
hat. Dieser zusätzliche Stromfluss kann nur durch to wirkt ein eng an eine flache positive Elektrode
eine »Selbstentladung« der negativen Elektrode angepresster Stoff ähnlich vorteilhaft auf das Ab-
aufrechterhalten werden. So kann der Ladezustand schlammen positiver Aktivmasse wie eine Röhr-
der negativen Elektrode sogar während einer La- chentasche.
dung abfallen. Zusätzliche Nebenreaktionen an der Die oben beschriebene schleichende Entla-
negativen Elektrode sind z. B.: dung der negativen Elektrode würde durch eine
55 erhöhte Wasserstoffentwicklung durch Ver- Antimonvergiftung stark beschleunigt. Deshalb
unreinigungen werden für die Ableiter verschlossener Batterien
7.2 • Blei-Säure-Batterien
229 7
110
Kleintraktiontest mit Hochstromentladung (I2, 30 °C)
105
Solarzyklen, gem. DIN 61427 (40 °C)
100 Traktionstest gem. DIN 60254-1(40 °C)
K5 in % normiert auf 30°C

95

90

85

80

75

70

65
0 200 400 600 800 1000 1200 1400 1600 1800
Zyklenzahl

. Abb. 7.20  Verlauf der Kontrollkapazitäten bei drei unterschiedlichen Zyklenregimen am Beispiel einer verschlossenen
50 Ah-Blockbatterie

keine Blei-Antimon-Legierungen eingesetzt. Viel- de zwischen den Zellen abgefragt. Die wichtigs-
mehr werden Blei-Calcium-Zinn-Legierungen te Kenngröße für den Grad der Alterung ist die
verwendet oder bei entsprechenden Produk- entnehmbare Ladung. Deshalb werden in jedem
tionsverfahren nur Blei-Zinn-Legierungen bzw. Lebensdauertest Kontrollkapazitätstests durch-
reines Feinblei. Diese Ableitermaterialien unter- geführt. Solche Kapazitätsverläufe sind für unter-
scheiden sich u. a. durch Korrosionseigenschaften schiedliche Lebensdauertests in . Abb.  7.20 dar-
und Ausprägung des Gitterwachstums von Blei- gestellt. Die Lebensdauer gibt die Zeit an, die von
Antimon-Legierungen (stärkeres Wachstum von der Inbetriebnahme bis zum Ausfall des Speichers
Blei-Calcium-Legierungen). Von Bedeutung ist erreicht wird. Nach DIN 43539/Teil 4 ist das Ende
jedoch, Passivierungsschichten zwischen Gitter der Lebensdauer erreicht, wenn die Speicherfähig-
und Aktivmasse (den sogenannten Antimonfrei- keit auf weniger als 80 % der Nennkapazität abge-
Effekt) z.  B. durch Zinnzugabe zu vermeiden (s. sunken ist.
. Tab. 7.7). Die Alterungsmechanismen, die zum Kapazi-
tätsverlust führen, sind abhängig von der Betriebs-
führung. In . Abb.  7.20 unterliegen Batterien mit
7.2.8 Alterungsmechanismen identischem Aufbau unterschiedlichen Lebensdau-
ertests. Zum einen sind dies Traktionszyklen mit
Eine zentrale Eigenschaft von Sekundärbatterien hohem Strom bei Raumtemperatur und modera-
ist deren Lebensdauer. Die Lebensdauer einer Bat- tem Strom bei erhöhter Temperatur. Zum anderen
terie ist aber nicht allein zeitabhängig, vielmehr sind dies Zyklen mit geringerer Entladetiefe, die in
spielen auch Belastung und Betriebsführung eine der Ladung aber teilweise nur den Teilladezustand
wichtige Rolle. Dabei werden neben dem zeitlichen erreichen, also Zyklen entsprechend dem Einsatz
Aspekt vor allem die Entladetiefe, die Temperatur, als »Solarbatterie«. Offensichtlich wirkt in diesem
die Ladeprozedur, der mittlere Ladezustand, die Fall die höhere Entladetiefe der Traktionszyklen
Leistungsanforderung (Stromhöhe) an die Batterie stärker degradierend. Bei den Traktionszyklen
und Rahmenbedingungen wie Elektrolytfüllstand, wirkt sich die höhere Temperatur stärker als die
Temperaturverteilung oder Isolationswiderstän- hohe Entladestromdichte auf die Alterung aus.
230 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

. Tab. 7.8  Alterungsmechanismen in Bleibatterien. Eine ausführliche Zusammenstellung für die auftretenden
Mechanismen findet sich in [32]

Mechanismus Beschreibung Folge Ursachen

Korrosion des Korrosion des positiven Gitters. Ohmscher Widerstand des Hohe Ladespannung, hohe
positiven Ab- Das Kopfblei korrodiert eben- Ableiters steigt, Ableiter Temperaturen, hoher Per-
leiters falls, sodass die Korrosionspro- bricht, schlechter Kontakt chlorsäuregehalt, kleine
dukte zwischen die Elektroden Ableiter/ Aktivmasse, bei Säuredichten, ungünstige
fallen können Panzerplatten Aufbrechen Legierungen für die Ableiter
der Röhrchen möglich

Gitterwachstum Die Korrosionsprodukte neh- Kurzschluss zwischen den Alle Ursachen der Korrosion,
men ein größeres Volumen als Elektroden ungünstige Gitterlegierungen
die Ausgangsprodukte ein

Ausfall aktiver Ein Teil vor allem der positiven Kapazitätsverlust, Kurz- Mechanischer Stress beim
Masse Aktivmasse löst sich ab und schluss Zyklieren, hohe Stromdich-
fällt in den Schlammraum. Es ten beim Entladen, hohe
wird auch beobachtet, dass Ladespannungen, d. h. starke
7 das aktive Material auf den Gasung, Tiefentladungen und
negativen Elektroden oder Umpolung
zwischen den Elektroden und
dem Separator hängen bleibt
(Ladekämme)

Dendriten- Wachstum kleiner »Bleifinger« Kurzschluss zwischen den Hohe Stromdichten beim Ent-
wachstum da, wo nicht genug Kristalli- Elektroden laden, geringe Säuredichten,
sationskeime zur Verfügung Tiefentladungen
stehen; führt bis hin zum
Durchwachsen des Separators

Sulfatation Es bilden sich große Bleisulfat- Verringerung der Kapa- Lange Standzeiten, unzurei-
der positiven kristalle (hartes Bleisulfat), die zität, Verringerung der chendes Laden, Teilladezu-
und negativen sich auch durch längeres Laden Säuredichte stände, hohe Säuredichte,
Elektrode nicht mehr umwandeln lassen Säureschichtung

Wasserverlust Insbesondere bei verschlosse- Negative Sulfatation we- Hohe Ladespannung, hohe
nen Batterien führt Wasserver- gen erhöhtem Rekombi- Temperaturen, Verunreini-
lust zu irreversiblem Kapazi- nationsstrom, Säuredich- gungen
tätsverlust teerhöhung, Schichtung,
thermal runaway

Dabei bedingen sich die Alterungsmechanis- senden Anforderungen an das Fahrzeug-Bordnetz


men auch untereinander (s. . Tab.  7.8). So führt zu immer intensiverer Nutzung der Starterbatterie.
z. B. Gitterkorrosion zu einem erhöhten Widerstand Das hat zur Folge, dass sich Starterbatterien auch
innerhalb des Gitters und somit zu einer noch stär- immer mehr im zyklischen Einsatz befinden. Dabei
keren Ungleichverteilung des Stroms. Sie beeinflusst durchlaufen sie auch häufig Teilladezustände. Be-
dadurch die Ladung vor allem solcher Elektroden- sonders ausgeprägt ist dieser Einsatz in Fahrzeugen
teile, die weiter vom Stromableiter entfernt sind. mit Start-Stop-Funktion. Die typische Alterung sol-
Als Resultat ungenügender Aufladung findet man cher Batterien ist die Massedegradation bzw. die Sul-
schließlich bei der Öffnungsanalyse erhebliche Sul- fatation. Eine ähnliche Tendenz ist bei stationären
fatanteile auf der Elektrode (Sulfatation). Batterien zu beobachten, da diese immer häufiger als
Die Hauptausfallursachen unterscheiden sich aktive Energiespeicher in lokalen Netzen eingesetzt
entsprechend dem Einsatzgebiet. Starterbatterien werden (in Verbindung mit z. B. einer Photovoltaik-
und stationäre Batterien altern hauptsächlich auf- anlage). Batterien im Zykleneinsatz in Elektrofahr-
grund von Korrosion. Dabei führen die stetig wach- zeugen leiden hauptsächlich unter Massedegrada-
7.3 • Nickel-Batterien
231 7
tion. Soll die Lebensdauer von Bleibatterien erhöht hydroxid-Elektrode beruhten. Praktisch realisiert
werden, so müssen die Ursachen dieser Alterungs- wurden Nickel/Cadmium- und Nickel/Eisen-Bat-
mechanismen möglichst vermieden werden. terien. Im Unterschied zu den Bleiakkumulatoren
weisen solche Batterien eine geringere Nennspan-
Fazit nung von nur 1,3 V auf. Der Nachteil der geringeren
55 Die Blei-Schwefelsäure-Batterie ist vielleicht Zellspannung erwies sich jedoch als vorteilhaft, da
das bekannteste System zur elektrochemischen im alkalischen Elektrolyten kaum Alterungs- und
Energiespeicherung und hat eine inzwischen Korrosionsvorgänge auftreten und die Zellen somit
150 Jahre alte Entwicklungsgeschichte erfahren. eine sehr lange kalendarische und Zyklenlebens-
55 Die Hauptanwendungen sind die Starterbatte- dauer aufweisen. Daneben erwiesen sich diese
rie, die Elektroantriebsbatterie und die ortsfeste Zellen als überaus robust in Hinblick auf Fehlbe-
Batterie für Notstromversorgungen. dienung (»Abuse«-Verhalten). Dazu trug auch die
55 Im stationären Einsatz können Bleibatterien Fertigung in einem Stahlgehäuse bei. Wegen der
im Inselbetrieb oder netzgekoppelt betrieben nahezu konstant hohen Elektrolytkonzentration
werden und stehen häufig im Zusammenhang erwiesen sich die Zellen als geeignet, auch bei sehr
mit erneuerbarer Energieerzeugung. Für diese tiefen Temperaturen eingesetzt zu werden.
Anwendungen werden speziell weiterentwi- Als positive Elektroden alkalischer Batterien
ckelte ortsfeste Bleibatterien verwendet. haben sich neben der Nickeloxyhydroxid/Nickel-
55 Bleibatterien können eine lange Lebensdauer hydroxid- Elektrode nur wenige Alternativen ent-
erreichen. Alterungsfördernde Betriebszustän- wickelt. Dazu gehören die Silber/Silberoxid-Elek-
de müssen möglichst vermieden werden. Hier- trode und die Mangandioxid-Elektrode. Diese
zu zählen: werden vorwiegend in Primärzellen eingesetzt und
55 richtige Dimensionierung der Batterie für die häufig mit einer Zinkelektrode kombiniert. Ursa-
Anwendung che für die Begrenzung auf Primärzellen sind die
55 keine Tiefentladung hohe Oxidationskraft der Silberelektrode, die eine
55 Vermeidung von längeren Standzeiten in tiefen Degradation des Separators bewirkt, und die Kom-
Ladezuständen plexität des Mechanismus der MnO2-Elektrode.
55 Aufheben der Elektrolytschichtung möglichst Daneben sind Zink-Elektroden problematisch, da
bald nach der Entstehung aufgrund der hohen Löslichkeit des Zinkhydroxids
55 Verwendung eines Ladeverfahrens mit nicht zu die Ausbildung von Dendriten begünstigt wird und
hoher (Wasserverlust), aber mit ausreichender die Zink-Elektrode zu einer Passivierung und De-
Überladung, um Effekte wie periphere Sulfat- formation neigt. Trotzdem haben diese Elektroden
nester oder Säureschichtung aufzuheben eine Verbreitung für Spezialbatterien gefunden, so
55 Anpassen der Ladespannung an die Tempe- z. B. in Knopfzellen und in Hochleistungs- und mi-
ratur litärischen Anwendungen.
55 Halten der Zelltemperatur zwischen 20 und Eine Sonderposition nimmt die Luftelektrode
45 °C ein. Diese wird in Verbindung mit der Zinkelekt-
rode als leichte Primärbatterie eingesetzt. Das be-
gründet ihre Anwendung in Hörgerätebatterien,
7.3 Nickel-Batterien aber auch bei der Stromversorgung von Kameras
(Polaroid-System). In den vergangenen Jahrzehn-
Bereits Ende des 19. Jahrhunderts bemühte man ten gab es wiederholt Versuche, dieses System auf-
sich, neue elektrochemische Speicher zu entwi- ladbar zu gestalten. Der Anreiz dahinter ist die
ckeln, die eine höhere Energiedichte und Robust- enorme Energiedichte, die das System aufgrund
heit gegenüber den bekannten Bleibatterien aufwei- der Spannungslage und des Wegfalls des Speichers
sen sollten. Nahezu zeitgleich wurden von Jungner für die Luftseite erreichen kann. Daneben ist Zink
und Edison alkalische Batterien vorgestellt, die auf weitgehend unproblematisch in Hinblick auf sei-
der Verwendung einer Nickeloxyhydroxid/ Nickel- ne Verfügbarkeit und Umweltverträglichkeit. Es
232 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

wurde wiederholt versucht, das Zink-Luft-System Fazit


für die Belange des Fahrzeugantriebs, aber auch 55 Ziel der Entwicklung von Nickelbatterien war
als Stand-by-Batterie zu nutzen. Dem steht jedoch der Wunsch nach einem elektrochemischen
die Komplexität der Probleme entgegen (Luftelek- Speicher mit einer höheren Energiedichte und
trode, Dendritengefahr, Shapechange, Passivierung Robustheit im Vergleich zur bekannten Blei-
und schlechte Zyklenstabilität der Zinkelektrode, batterie.
die Unverschließbarkeit des Systems gegenüber der 55 Nickelbatterien weisen eine geringere Nenn-
Umgebung etc.) spannung von lediglich etwa 1,3 V auf.
Als negative Elektroden finden deshalb in al- 55 Im alkalischen Elektrolyten treten kaum Alte-
kalischen Elektrolyten bisher vor allem Cadmium- rungs- und Korrosionsvorgänge auf. Dadurch
und Zinkelektroden und Elektroden auf der Basis erreichen die Zellen eine lange Lebensdauer.
von Wasserstoffspeicherlegierungen Verwendung. 55 Nickelbatterien sind zum Betrieb bei tiefen
Eine gewisse Bedeutung hat auch die Druckwasser- Temperaturen geeignet.
stoffelektrode für Hightech-Anwendungen (Raum- 55 Nickelbatterien stellen eine ganze Familie von
fahrt, Luftfahrt, Militär) erlangt. In der Vergangen- Batterien dar. In der praktischen Anwendung
heit wurden Nickeloxyhydroxid/ Nickelhydroxid- dominieren Nickel-Cadmium- und Nickel-Me-
7 Elektroden auch mit Eisenelektroden kombiniert. tall-Hydrid-Batterien, die im Folgenden be-
Die daraus resultierenden Nickel/Eisen-Zellen wie- sprochen werden.
sen jedoch sehr viele Nachteile hinsichtlich Zyklen-
festigkeit, Gasungsverhalten, Energiewirkungsgrad
und Selbstentladung auf, sodass sie heute kaum 7.3.1 Nickel Cadmium-Batterien
noch eingesetzt werden. Auch der Einsatz von Alu-
miniumelektroden (primär bzw. mechanisch rege- Nickel/Cadmium-Akkumulatoren gehören zu den
nerativ) fand keine technische Verbreitung. alkalischen Batterien. Die Energiespeicherung be-
Eine grobe Übersicht über die wichtigsten ruht auf der Umwandlung von Nickelhydroxid zum
Daten der verschiedenen Batteriesysteme gibt Nickeloxyhydroxid an der positiven Elektrode, bei
. Tab. 7.9. der ein formaler Wertigkeitswechsel des Nickels
Die Lage der Potenziale im Vergleich zur jewei- von + 2 zu + 3 eintritt. An der negativen Elektrode
ligen Überladereaktion (Wasserstoff- bzw. Sauer- wird beim Laden Cadmiumhydroxid (Cadmium
stoffentwicklung) ist in . Abb. 7.21 zu erkennen. mit der Wertigkeit + 2) zu metallischem Cadmium
Das Potenzial der positiven Elektrode liegt im (Wertigkeit 0) umgewandelt. Die Reaktanten und
Bereich der Sauerstoffabscheidung, sodass diese als Reaktionsprodukte liegen im festen Aggregat-
Nebenreaktion mit der Ladung konkurriert bzw. zustand vor und sind weitgehend im alkalischen
eine Sauerstoffabgabe aus dem Nickeloxyhydroxid Elektrolyten, einer Lösung von Kaliumhydroxid,
thermodynamisch möglich ist. Durch Zusätze in unlöslich. Die Nennzellspannung beträgt ca. 1,3 V.
der Paste kann dieser Effekt verringert werden. Die Zusammensetzung der Elektroden, des
Die höhere Spannung einer Nickel-Zink-Zelle Elektrolyten und der Aufbau der Elektroden und
gegenüber den anderen Systemen beruht im We- Zellen variieren entsprechend dem Anwendungs-
sentlichen auf der Lage des Potenzials der negativen zweck. Der theoretische Energieinhalt des Ni/Cd-
Elektrode. Dieses befindet sich jedoch bereits im Be- Systems beträgt ca. 210 Wh/kg.
reich der Wasserstoffabscheidung, sodass die Zink-
elektrode zu einer starken Selbstentladung neigt, die 7.3.1.1 Zellen
kinetisch unterbunden werden muss. Das wurde be- Die passiven Bestandteile der Zelle (metallische
reits bei Primärzellen (alkalisches Zink-Braunstein- Ableitungen etc.) bestehen in der Regel aus Nickel
System) erkannt. Die dafür lange Zeit verwendeten oder vernickeltem Stahl. Als Zellgehäuse kommen
Zusätze (z. B. Quecksilber) sind heute aus Gründen neben Kunststoffen (z. B. Polyolefine (PP, PE), Poly-
der Umweltschädlichkeit ersetzt worden. amide, Polyethersulfon) auch Stahlgehäuse zum
Einsatz.
7.3 • Nickel-Batterien
233 7

. Tab. 7.9  Übersicht über Nickel-Batterien

System UG = UH =  ΔH/ΔG theor. spez. prakt. spez. prakt.


−zFΔG298 [V] −zFΔH298 [V] [%] Energie Energie Energie
Wh/kg Wh/kg Dichte Wh/l

Ni/H2 1,31 1,51 115,3 379 50 60

Ni/MeH 1,31 1,35 103,0 213 60 150

Ni/Cd 1,29 1,44 111,6 209 50 100

Ni/Zn 1,72 1,88 109,0 324 70 130

Zn/NIOOH
Wasserstoff Überspannung

Sauerstoff Überspannung
Überladung Überladung

Cd/NIOOH

Fe/NIOOH

Region MHx/NIOOH Region


der der
Wasserstoffentwicklung Sauerstoffentwicklung
U in V
–0,5 0 0,5 1 1,5 2,0

. Abb. 7.21  Die Lage der Potenziale im Vergleich zu den jeweiligen Überladereaktionen

Die Zellen können in offener (Entgasungsöff- 


Cd + 2 NiOOH + 2H 2 O ← 


Entladen

nung) oder verschlossener Bauweise (Überdruck- Zelle : Laden

ventil/ Sicherheitsventil/ Berstscheibe, zum Teil Cd(OH) 2 + 2 Ni(OH) 2


(7.47)
hermetisierte Zellen) aufgebaut werden.
Als Beispiel einer alkalischen Zelle ist der Auf- Die resultierende Gleichgewichtszellspannung bei
bau einer FNC-Zelle in . Abb. 7.22 Raumtemperatur beträgt 1,30  V. Aus dem Fara-
dargestellt. day‘schen Gesetz ergeben sich die folgenden spezi-
fischen Ladungen für die Reaktanten:
zz Chemische Reaktionen
Entladen
 → Ni(OH)2:  0,289 Ah/g,
Cd + 2OH − ← 
 Negative Elektrode : Laden Cd(OH)2:  0,366 Ah/g

Cd(OH) 2 + 2 e (7.45) 7.3.1.2 Positive Elektrode
Die hier angeführten Reaktionen stellen eine Ver-
 2 NiOOH einfachung der tatsächlich ablaufenden Prozesse
→ Entladen dar. Auch wenn diese Zellen schon seit weit über
Positive Elektrode : + 2 H 2 O + 2e − ←
 Laden hundert Jahren eingesetzt werden, sind noch nicht
2 Ni(OH) 2 + 2 OH − alle Details der beinhaltenden Reaktionen völlig
(7.46) verstanden. Daher kann nur auf einige Aspekte ein-
gegangen werden.
234 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

1 Positiver Pol Aufbau der FNC®- Zelle


2 Negativer Pol
2
3 Zellengefäß
5
4 Zellendeckel 1
6
5 Verschlussstopfen
7
6 Polmutter 4
7 Zellenpol

11

7 3

Negatives Elektrodenpaket 8

12 Positives Elektrodenpaket 9

Positive Faserstruktur- 10
elektrode mit Seperator

Stromfahne 11
10
Negative Faserstrukturelektrode 12

Separator 13

13

. Abb. 7.22  Aufbau der FNC-Zelle

Das Nickeloxyhydroxid weist im Unterschied Für die Elektrodenreaktion ist die Einlagerung
zum reinen Nickelhydroxid eine elektrische Leit- von Wasserstoffionen in die Gitterstruktur des Ni-
fähigkeit auf. Diese reicht jedoch nicht aus, einen ckelhydroxids erforderlich. Das aktive Nickelhyd-
niedrigen Innenwiderstand zu gewährleisten. Da- roxid liegt in der sogenannten ß-Modifikation vor.
her sind Leitzusätze zur Elektrodenmasse oder eine Im eigentlichen Sinne ist die reversible Reaktion mit
Einbettung der aktiven Materialien in eine elekt- der Einlagerung von Wasserstoffionen verbunden,
risch leitfähige Elektrodenmatrix erforderlich. An-
Entladen
dernfalls wird die elektrochemische Zyklierung auf 
ß − NiOOH + H + + e − ← → ß − Ni(OH) 2 .

dünne Schichten beschränkt. Laden
(7.48)
7.3 • Nickel-Batterien
235 7

Ni
OH
Ni
OH
O
OH
Ni
OH
0,46nm OH
Ni
OH

. Abb. 7.23 Nickelhydroxid-Schichtstruktur

Das Nickelhydroxid bildet eine Schichtstruktur Ladezustand (SOC, engl.: state of charge) der Zelle
aus, die die Einlagerung anderer Ionen ermöglicht gewonnen werden kann.
(s. . Abb. 7.23). Die meisten alkalischen Zellen sind so ausge-
Das Potenzial der positiven Elektrode ergibt legt, dass die Kapazität der positiven Elektrode die
sich damit formal aus der folgenden Nernst-Glei- Entladung der gesamten Zelle begrenzt. Die positi-
chung: ve Begrenzung der Zellen wird bewusst gewählt, da
die Entladbarkeit (entnehmbare Kapazität) der ne-
R ⋅T gativen Elektrode stärker als die der positiven Elek-
E = Eo +
 aNiOOH ⋅ a −
 trode von der Größe des Entladestroms bestimmt
F ⋅ ln 
(7.49) OH
 wird. Damit entspricht der Ladezustand der Zelle
 aNi (OH)2 ⋅ aH2 O  etwa dem Ladezustand der positiven Elektrode. Bei
genaueren Betrachtungen (insbesondere bei ver-
mit E0 = 0,49 V. schlossenen Zellen oder besonderen Betriebsmodi)
Durch Alterung und Überlagerung kann das ß- gilt diese Vereinfachung nicht.
Ni(OH)2 in weniger aktive Modifikationen über- Beim Zyklieren der Nickelhydroxid/Nickeloxy-
gehen. Diese Zusammenhänge werden in dem so- hydroxidelektrode werden auch Bestandteile des
genannten Bode-Diagramm dargestellt. Elektrolyten (Li+-, K+-Ionen) eingelagert. Diese
Da die Reaktanten Feststoffe sind, die separat Veränderungen erfolgen zum Teil irreversibel und
kristallisieren, hängt das Potenzial im Wesentli- führen durch Quellen zu einer Volumenverände-
chen nur vom pH-Wert an der Elektrode ab. Da die rung der Elektrode.
negativen Elektroden eine ähnliche Abhängigkeit Aufgrund des geringen Abstandes des Elektro-
vom pH-Wert aufweisen, kompensiert sich der pH- denpotenzials der Nickelhydroxidumwandlung zum
Einfluss auf die Zellspannung weitgehend, solange Potenzial der Sauerstoffentwicklung kommt es be-
sich die Elektrodenmechanismen nicht verändern. reits vor Erreichen der kompletten Umwandlung zu
Die Zellspannung und auch der Innenwiderstand einer Sauerstoffbedeckung der Oberfläche und zur
bei Nickel/Cadmiumzellen sind damit aber auch Sauerstoffabscheidung. Diese Prozesse führen dazu,
weitgehend unabhängig vom Ladezustand der Zel- dass nicht die gesamte zugeführte Strommenge in
le. Das erweist sich als Vorteil, da damit die Zelle die Umwandlung des Nickelhydroxids fließt. Zur
über den gesamten Bereich des Ladezustands gut Erreichung des Vollladezustandes ist daher ein La-
ent- bzw. ladbar ist. Nachteilig wirkt sich aus, dass dungsüberschuss von bis zu 20 %, je nach Batterie-
aus Spannungsmessungen keine Aussage über den typ und Anwendung, erforderlich (s. . Abb.  7.24).
236 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

150

nz
zie
Effi
% 20 °C
0
10
mögliche Ladung in % CN

30 °C
100
T

40 °C

50
50 °C

0
7 0 50 100 150 200
Ladezustand in % CN

. Abb. 7.24  Verluste bei Batterievollladung

Der Abstand zwischen dem Potenzial der Nickel- Eine Besonderheit der positiven Elektrode ist
hydroxidumwandlung zur Sauerstoffabscheidung darin zu sehen, dass das Nickelhydroxid in mehre-
verringert sich mit steigender Temperatur, sodass ren Kristallmodifikationen vorliegen kann, deren
bei Temperaturen oberhalb von 50 °C die Sauer- Ladbarkeit unterschiedlich ist. Darauf beruhen
stoffabscheidung überwiegt. auch die Mechanismen der Alterung (Bode-Dia-
Gleichzeitig nimmt die chemische Stabilität gramm).
des Nickeloxyhydroxids ab. Das hat zur Folge, Bei langer kontinuierlicher Überladung wird
dass auch die Selbstentladung der Zelle stark zu- bei den darauffolgenden Entladungen eine zeitwei-
nimmt. Durch verschiedene Zusätze zur positiven lige stärkere Polarisation beobachtet, die ebenfalls
Elektrode und dem Elektrolyten können sowohl auf chemische Veränderungen der positiven Elek-
Ladbarkeit als auch eine bessere Ladungserhal- trode zurückgeführt wird (voltage depression, lazy
tung erreicht werden. Ziel ist es, die praktisch battery effect).
erreichbare spezifische Ladung (in mAh/g) im In diesem Zusammenhang steht auch der, ins-
Betrieb zu erhöhen. Das wird durch solche Zu- besondere bei verschlossenen Nickel/Cadmium
sätze ermöglicht, die die elektrische Leitfähigkeit Zellen, beobachtete »Memory«-Effekt, bei dem
des Elektrodenmaterials anheben (z.  B. Nickel- nach Teilentladungen die folgende Entladung einen
pulver, Cobalt). Durch Verbesserung der chemi- Spannungseinbruch an der gleichen Stelle der Ent-
schen Stabilität des geladenen Nickeloxyhydro- ladekurve aufweist. Nach einer oder mehreren voll-
xids wird eine Sauerstoffabspaltung verhindert. ständigen Entladungen ist diese Hemmung wieder
Eine vorzeitige Sauerstofffreisetzung beim Laden beseitigt (s. .  Abb.  7.25). Die Ursachen dieses Ef-
kann durch Vergrößern der Sauerstoffüberspan- fekts wurden zunächst in der negativen Elektrode
nung zurückgedrängt werden. Außerdem wird bzw. in der Elektrolytbegrenzung an den Elektro-
versucht, das Quellen (Volumenänderung) der den vermutet. Trotz intensiver Untersuchungen
Elektrodenmaterialien durch geeignete Zusätze sind noch nicht alle Details des zugrunde liegenden
zu begrenzen. Mechanismus verstanden.
7.3 • Nickel-Batterien
237 7
2,0 als Rückzündungsschutz, Zentralentgasungssyste-
me) abgeführt. Die überschüssige Energie, die beim
Spannug U in V

1,5 Teilentladungen
vorangegangene Kennlinie Überladen nicht mehr von der Zelle aufgenommen
1,0 werden kann, wird somit durch die Freisetzung von
Entladekennlinie nach Teilzyklen Wasserstoff und Sauerstoff abgeleitet. Da das ent-
0,5
stehende Gasgemisch entzündlich ist, werden vom
0 Betreiber Maßnahmen zur Abführung der freige-
0 1 2 3 4 setzten Gase (Durchlüftung) aus der Batterie bzw.
Zeit t in h
dem Batterieraum gefordert. In der Regel wird die
. Abb. 7.25  Veränderung der Entladekennlinie nach Gasmenge durch die Wahl eines geeigneten Lade-
vorangegangenen Teilzyklen verfahrens mit einer geringen Ladespannung mini-
miert. Die Zersetzung des Elektrolyten erfordert es,
den bei der Gasbildung eintretenden Wasserverlust
Beim Zyklieren werden zunächst die ober- periodisch zu korrigieren. Dies kann durch einen
flächennahen Schichten (Elektrolytinterface) der Wartungsplan oder ein automatisches bzw. halb-
Körner des Elektrodenmaterials bei Stromfluss che- automatisches Wassernachfüllsystem geschehen.
misch verändert. Das bedingt eine unterschiedliche Ähnlich wie bei Bleiakkumulatoren besteht die
Phasenzusammensetzung zwischen Oberflächen Möglichkeit der Rekombination der Gase durch ge-
und innerem Volumen der Partikel. Die Poten- eignetes Zellzubehör. Bei der Abschätzung der frei-
zialbildung der Elektrode folgt dem Zustand der gesetzten Gasmengen ist zu berücksichtigen, dass
Phasengrenze, sodass sich eine Potenzialhysterese ein Teil des gebildeten Sauerstoffs an der negativen
beim Zyklieren ergibt. Dieser Zustand bleibt auch Elektrode reduziert werden kann.
nach Abschalten des Stromes längere Zeit erhalten. Bei gasdichten Zellen (Rundzellen oder pris-
Wird beim Laden bzw. Entladen der Stromfluss matische Zellen, z. B. für Elektronikanwendungen
unterbrochen, so wird sich das Potenzial an der oder Fahrzeuganwendungen) wird beim Über-
Elektrode je nach Richtung des zuvor geflossenen laden ein interner Sauerstoffkreislauf wirksam.
Stromes unterscheiden. Dieser Umstand erschwert Dabei wird der an den positiven Elektroden ge-
zusätzlich die Erkennung des Ladezustands aus bildete Sauerstoff an die negativen Elektroden ge-
Potenzialmessungen im zyklischen Betrieb. leitet. Dafür sorgt ein spezielles Design, oder die
Leitung erfolgt über den Elektrolyten. Dort wird
7.3.1.3 Negative Elektrode der Sauerstoff reduziert, sodass praktisch keine
Die negative Elektrode wird vom Cadmium/Cad- Wasserstofffreisetzung erfolgt und der Druck in der
miumhydroxid-Gleichgewicht gebildet. Das Poten- Zelle begrenzt wird. Da die überschüssige Energie
zial gegen die SHE beträgt − 0,81 V. Als Ableitmate- beim Überladen in der Zelle verbleibt, steigt die
rial wird hier ebenfalls vernickelter Stahl eingesetzt. Temperatur bei Erreichen des Ladeendes an. Die-
Nach dem vollständigen Aufladen der Elektro- se Temperaturerhöhung kann bei gasdichten Zel-
de wird beim Überladen Wasserstoff gebildet. Die len zur Erkennung des Ladeendes genutzt werden.
Wasserstoffabscheidung ist an der Cadmiumober- Durch eine entsprechende Gestaltung der Elektro-
fläche sehr deutlich gehemmt, sodass das Potenzial den wird erreicht, dass die Zellen dauerhaft völ-
dabei sehr stark negativ wird. Dadurch erhöht sich lig verschlossen betrieben werden. Die Kennlinie
die Zellspannung am Ende des Ladens intensiv, so- beim Laden unterscheidet sich von der einer offe-
dass bei offenen Industriezellen eine Ladung mit nen Zelle. Bei der verschlossenen Zelle wird wegen
konstanter Spannung ohne weitere elektronische der Sauerstoffrekombination das Elektrodenpoten-
Begrenzung (IU-Ladung) möglich ist. Bei Errei- zial am Ladeende nicht negativ. Die Zellspannung
chen der vorgegebenen Spannung sinkt der Strom steigt am Ladeende zunächst nur gering an. Da die
ab. Die bei Überladung entstehenden Gase werden Zellspannung des Nickel-Cadmium-Systems einen
bei offenen, ventilierten Zellen über eine Öffnung negativen Temperaturgradienten aufweist (Reak-
(gasdurchlässiger Zellstopfen, z. B. poröse Scheibe
238 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

tionsentropie), führt der Temperaturanstieg in der mit sehr begrenzter Elektrolytmenge (»festgeleg-
Zelle sogar zu einer Abnahme der Zellspannung. In ter« Elektrolyt) betrieben werden. Dies wird bei
einer Reihe von Ladegeräten wird der Wendepunkt Kompaktzellen und gasdicht aufgebauten Zellen
des Spannungsverlaufs oder auch des Widerstandes genutzt. Im Allgemeinen hängt die Stromfähigkeit
zur Erkennung des Ladeendes eingesetzt. der Zellen nur geringfügig vom Ladezustand ab.
Wie bei allen Metallelektroden verläuft der Me- Die bereits angesprochene Sauerstoffentwicklung
chanismus der Umwandlung über eine Lösungs- als Nebenreaktion des Ladevorgangs wird stark von
phase. Das führt dazu, dass die Abscheidung des der Temperatur und vom Elektrolyten beeinflusst.
Metalls tendenziell an den thermodynamisch be- Die Verwendung von Lithiumhydroxid- bzw. Na-
günstigten Positionen des Kristallgitters erfolgt. triumhydroxidzusätzen (ternärer Elektrolyt) kann
Dieser Prozess führt zur Vergröberung der Kristall- die Ladbarkeit der positiven Elektrode bei erhöhten
struktur und damit zur Abnahme der spezifischen Temperaturen begünstigen.
Oberflächengröße. Durch den Zusatz von Spreiz- Für spezielle Tieftemperaturanwendungen kom-
mitteln wird versucht, diesen Prozess zu verlangsa- men konzentriertere Elektrolytlösungen zum Ein-
men bzw. zu unterbinden. Bei der Verwendung ni- satz. Praktisch kann der Betrieb der Zellen bis zum
ckelhaltiger Träger (oder Nickelzusätze) wird auch Tripelpunkt des KOH/H2O-Phasendiagrams (ca.
7 eine Bildung intermetallischer Phasen zwischen − 50 °C) ausgedehnt werden, allerdings unter Ein-
Cadmium und Nickel beobachtet, die die Zyklier- schränkung der Kapazitäts- und Leistungsanfor-
barkeit vermindern. derungen (. Abb. 7.26). Die Verwendung höherer
Elektrolytkonzentrationen führt zwar zur Erhö-
7.3.1.4 Elektrolyte hung der nutzbaren Kapazität, verringert aber die
Die Zellen arbeiten mit einem alkalischen Elekt- Zyklenlebensdauer.
rolyten. Dieser besteht aus einer Kaliumhydroxid-
lösung (KOH). Üblich sind Konzentrationen um 7.3.1.5 Technologien für alkalische
20 %, die Laugedichte beträgt ca. 1,19 g/cm3. Kali- Zellen
lauge ist eine stark ätzende Flüssigkeit. Kontakt mit Nickel-Cadmium-Batterien werden in unter-
der Haut führt zu starken Verätzungen und muss schiedlichen Bauformen gefertigt. Als Techno-
unbedingt vermieden werden. Bei Arbeiten an offe- logien haben sich insbesondere die sogenannten
nen Zellen sind entsprechende Schutzmaßnahmen Taschenplattenelektroden, Sinterelektroden, Faser-
(Schutzbrille, Handschuhe) vorzusehen. strukturelektroden und Schaumelektroden heraus-
Bei Kontakt mit der Luft kann der Elektrolyt gebildet, die sich in ihrer Zusammensetzung und
Kohlendioxid absorbieren. Dabei erhöht sich sein ihren Eigenschaften teils stark unterscheiden. Die
Carbonatanteil, der die Leitfähigkeit verringert und auf Edison zurückgehende Röhrchentaschentech-
den Widerstand der Zellen erhöht. Deshalb sind nologie wird heute wegen des hohen Aufwandes
»offene« Zellen durch einen Stopfen weitgehend nicht mehr gefertigt.
verschlossen. Dieser Stopfen ist so gestaltet, dass
die beim Laden freigesetzten Gase entweichen kön- zz Taschenplattenzellen
nen. Bei der Taschenplattentechnologie werden die
Da während des Betriebs offener Zellen Wasser elektrochemisch aktiven Materialien in perforier-
zersetzt werden kann, verändert sich die Konzen- te »Metall-Lamellen« eingebracht. Diese Lamellen
tration des Elektrolyten (die Elektrolytkonzentra- werden durch Fixierleisten kontaktiert und bilden
tion kann durch Dichtemessung abgeschätzt wer- die Elektroden. Der Vorteil besteht in dem mecha-
den). Das Wasser muss bei Wartungsarbeiten durch nisch robusten Aufbau. Die Fertigung der Elektro-
entionisiertes Wasser ergänzt werden. Bei diesen den ist stark automatisiert und in der Regel werden
Zellen sind abnehmbare Stopfen oder Klappstop- beide Elektroden in dieser Technologie hergestellt.
fen vorhanden. Die Elektroden werden durch Separatoren, mit-
Der Elektrolyt wird bei der Zellreaktion prak- unter auch nur durch Abstandshalter voneinander
tisch nicht verbraucht. Somit können Zellen auch getrennt. Durch die Formgebung der Lamellen
7.3 • Nickel-Batterien
239 7
280

240

200
g KOH /100g H2O

KOH * H2O
160

120
KOH * 2H2O

80
KOH * 4H2O

40
Eis

0
–60 –40 0 40 80 120
Temperatur in °C

. Abb. 7.26  Einsatz von Elektrolytlösungen für den Tieftemperatureinsatz nach [12]

keit des Elektrolyten herabsetzt und einen Lau-


genwechsel erfordern kann. Aufgrund der großen
Elektrodendicken werden diese Zellen häufig für
geringe und mittlere Belastungen eingesetzt. Lan-
ge Zeit dominierten diese Zellen im stationären
Bereich (Notstromversorgungen) und bei Eisen-
bahnen (Bordnetz, Notstromversorgung) und er-
wiesen sich als sehr zuverlässig in einem weiten
Temperaturbereich.

zz Sinterzellen
. Abb. 7.27  Aufbau einer Taschenplattenzelle
Die Anforderungen an eine spezifisch hohe Belast-
barkeit der Zellen erfordert eine sehr gute Kontak-
tierung der aktiven Komponenten. Bei Sinterelekt-
können Elektroden unterschiedlicher Flächenka- roden wird das dadurch erreicht, dass auf ein Trä-
pazität erzeugt werden. Zur Gewährleistung einer gerblech (meist Lochblech) beidseitig Nickelpulver
ausreichenden Kontaktierung der aktiven Kom- aufgesintert wird. Diese metallische Sinterschicht
ponenten ist der Zusatz von elektrisch leitenden wird durch chemische und elektrochemische Pro-
Materialien erforderlich. Dazu werden Kohlenstoff zesse mit den aktiven Komponenten gefüllt (z.  B.
(Ruße, Graphit) und Nickelpulver verwendet. Bei Ausfällen des Nickelhydroxids aus Nickelnitratlö-
der negativen Elektrode werden ebenfalls Kohlen- sungen). Durch diesen aufwendigen Prozess wer-
stoff, aber auch Nickel, Eisen bzw. Eisenoxide zu- den belastbare Elektroden erzielt, die den Aufbau
gesetzt (s. . Abb. 7.27). von Hochleistungszellen für verschiedene Anwen-
Nachteilig ist die Verwendung von Kohlen- dungen erlauben. Nachteilig wirken sich neben den
stoffen dadurch, dass im Laufe der Zeit eine Um- hohen Kosten die mechanische Beanspruchung der
wandlung zu Carbonaten erfolgt, die die Leitfähig- Sinterstruktur bei der Volumenänderung im Ver-
240 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

. Abb. 7.28  Beispiel für eine Sinterzelle

. Abb. 7.30 Faserstrukturelektroden

zz Faserstrukturelektroden
Als Alternative zu den bestehenden Strukturen
wurden in den 1980er-Jahren die Faserstruktur-
elektroden eingeführt. Hierbei bringt man das
7 aktive Material in ein leitfähiges Substrat ein, das
aus vernickelten Kunststofffasern besteht. Dieses
Substrat wird durch eine filzähnliche Struktur ho-
her Faserdichte gebildet. Dadurch lässt sich sowohl
eine sehr gute Kontaktierung und Fixierung der
elektrochemisch aktiven Komponenten als auch
eine Kompensation der Volumenänderung beim
. Abb. 7.29 Sinter-Sinterzelle Zyklieren erreichen. Damit werden extrem lang-
lebige Zellen möglich, die ein sehr weit gefächertes
Anwendungsspektrum haben. Da die Trägerstruk-
lauf des Zyklierens aus. Weiterhin können Reste der tur in Formgebung und Dicke sehr variabel ist, ist
Nitratlösungen zu einer erhöhten Selbstentladung es möglich, sowohl leistungsorientierte als auch
führen (s. . Abb. 7.28). energieorientierte Zellen zu konzipieren. Damit ge-
Zur Kostenbegrenzung werden heute in vie- lingt es, kundenspezifische Lösungen für vielfältige
len Zellen die Sinterelektroden ausschließlich als Anwendungen zu gestalten. Ein besonderer Vorteil
positive Elektroden eingesetzt. Die Cadmium- ist die Schnellladefähigkeit und der Betrieb bei ho-
elektroden werden als kunststoffgebundene (ex- hen bzw. tiefen Temperaturen. Diese Zellen werden
trudierte) Elektroden gefertigt. Bei diesen Elek- sowohl für stationäre und mobile Anwendungen
troden wird das Elektrodenmaterial zusammen (Eisenbahn, führerlose Transportsysteme) als auch
mit einem polymeren, organischen Binder auf in Luft- und Raumfahrt eingesetzt (s. . Abb. 7.30).
einen Träger (Lochblech, Metallgewebe etc.) auf-
gebracht. Die Elektrodendicke ist hier meist be- zz Technologien für verschlossene Zellen
grenzt. Aufgrund der Entwicklung mobiler elektrischer
Sinter-Sinterzellen werden häufig im Flugzeug- und elektronischer Geräte sowie der Konzipierung
bau und militärischen Anwendungen eingesetzt. von Elektroantrieben entstand der Wunsch nach
Die Kombination Sinter-kunststoffgebundene Batterien, die verschlossen sind und lageunabhän-
Elektrode findet sich auch in anspruchsvollen An- gig betrieben werden können. Wegen der guten
wendungen (Eisenbahnen, Fahrzeugen, stationä- Eigenschaften der alkalischen Zellen wurde ver-
ren Anwendungen) wieder (s. . Abb. 7.29). sucht, diese Systeme in gasdichten Zellen zu ver-
wirklichen. Diesen Zellen ist ein sehr kompakter
7.3 • Nickel-Batterien
241 7
2500
100

80
2000

E in % Wh
FNC
60
Sinter/ Sinter
1500 FNC Sinter / Tasche
Strom in A

40
Sinter / Sinter Tasche / Tasche
Sinter / Tasche 20
1000 Tasche / Tasche 0
0 500 1000 1500 2000 2500
500 Zyklen
Belastung
30 sec
UEE 0,65 V
0 . Abb. 7.32  Zyklenlebensdauer verschiedener
0 50 100 150
­Technologien
Notwendige Kapazität in Ah

. Abb. 7.31  Abhängigkeit der notwendigen Kapazität von


auch Entladereserven einzuplanen. Bei den Zellen
der Strombelastbarkeit und der verwendeten Technologie
für Elektronikanwendungen wurde in den letzten
Jahren das Nickel-Cadmium-System aus Umwelt-
gründen (Recylingerfassung) weitgehend durch
Aufbau eigen, der der anwendungsseitigen Volu- das System Nickel-Metallhydrid- oder Lithiumzel-
menbegrenzung geschuldet ist. len abgelöst.
Als Elektroden können sowohl kunststoff-
gebundene Elektroden als auch Sinterstrukturen 7.3.1.6 Eigenschaften von Nickel-Cad-
verwendet werden. Auch die Faserstrukturtechno- mium-Zellen
logie hat sich in gasdichten Zellen (Fahrzeugan- Die Zyklenlebensdauer der Batterien hängt vom
triebe, Luft- und Raumfahrt) bewährt. Eine weitere Lastprofil (Zyklentiefe, Stromstärke) ab. Die über
Variante stellen Elektroden auf der Basis von Ni- die Lebenszeit der Batterie durchgesetzte Strom-
ckelschaum dar. Offene Nickelschäume entstehen menge (bei FNC ca. das 3000-Fache der Nenn-
durch Vernickelung aus einem geschäumten Poly- kapazität) nimmt mit Erweiterung des Zyklenka-
mer (z. B. Polyurethan). Der organische Kern des pazitätsfensters ab. Einen noch stärkeren Einfluss
Schaums wird thermisch entfernt und hinterlässt hat die Umgebungstemperatur. Die Alterungsme-
eine sehr gut leitende Nickelstruktur. chanismen der die Kapazität begrenzenden posi-
Gasdichte, verschlossene Zellen werden so- tiven Elektrode sind temperaturabhängig (Arrhe-
wohl zylindrisch als auch quaderförmig (mitunter nius-Gleichung: ca. 8–12 K Temperaturerhöhung
als »prismatisch« bezeichnet) aufgebaut. Daneben beschleunigt die Alterung um den Faktor zwei).
werden kleine Zellen als Knopfzellen gestaltet. Zy- Daher können Maßnahmen zur Thermostatie-
lindrische Zellen stellen eine sehr kostengünstige rung die Lebensdauer erhöhen. Dies gilt insbe-
Variante dar und werden in großen Stückzahlen sondere, wenn die Batterien hochstrombelastet
ähnlich den Primärzellen produziert. Günstig ist werden. Bei einer Reihe anderer Batterien triff das
auch die mechanische Stabilität der Zylindergeo- ebenfalls zu.
metrie bei Druckveränderungen in den Zellen. Die Auswahl einer bestimmten Zelltechnologie
Diese Zellen weisen jedoch bei Hochstrombelas- wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst. Ein
tung den Nachteil auf, dass die Wärmeabfuhr durch Beispiel ist, die erforderliche Batteriegröße (Kapa-
die Mantelfläche des Zylinders begrenzt ist. Das zität) um ein vorgegebenes Profil (Stromanforde-
Oberflächen-Volumen-Verhältnis ist hier ungüns- rung) nach definierter Ladezeit zu erreichen. Da
tiger als bei quaderförmigen Zellen. die Batteriegröße in die Investitionskosten einer
Das Verhältnis der beiden Elektrodenkapazi- solchen Anlage einfließt, sind die Entscheidungen
täten muss bei gasdichten Nickel-Cadmium-Zel- für das richtige System schwierig und müssen die
len bzw. Nickel-Metallhydridzellen in besonderer Laufzeitkosten (Peripherie, Service, Lebensdauer)
Weise dimensioniert werden, um sowohl Lade- als einschließen (s. . Abb. 7.31 und . 7.32).
242 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

tungstyp bei Werten von 20–100 mΩ·Ah (d. h., eine


200 Ah-Zelle besitzt typischerweise einen Innenwi-
derstand von weniger als 1 mΩ). In der Praxis gibt
es sowohl Reihen- als auch Parallelverschaltung
von Zellen zu Batterien (s. . Abb. 7.35 und . 7.36).
Die Zellen einer Batterie werden je nach An-
wendungsfeld in Trögen oder Träger bzw. auf spe-
ziellen Gestellen eingebaut. In den letzten Jahren
hat sich der Trend verstärkt, Batteriekomplett-
lösungen (incl. Lade- und Steuerungstechnik) zu
entwickeln und bereitzustellen.
Nickel-Cadmium-Batterien weisen eine sehr
hohe Zyklen- und kalendarische Lebensdauer auf,
sind hochstromfähig und arbeiten über einen wei-
ten Temperaturbereich. Ein weiterer Vorteil besteht
. Abb. 7.33  Verschiedene Aufbauformen von Nickel-­
darin, dass diese Zellen relativ tolerant gegen Be-
7 Cadmium-Zellen
triebsstörungen wie Tiefentladung und Überla-
dung sind (»Abuse«-Verhalten). Im Unterschied
7.3.1.7 A
 ufbauformen und zu anderen Batteriechemien können Nickel-Cad-
Anwendungsgebiete mium-Batterien praktisch in jedem Ladezustand
Der größte Teil der heute industriell eingesetzten gelagert werden, ohne dass irreversible Verände-
Nickel-Cadmium-Zellen ist in offener Bauweise rungen bzw. Schädigungen eintreten.
realisiert. Bei gasdichtem Aufbau, z.  B. RECOM- Die Batterien werden in vielen Anwendungen
Design, erfolgt eine vollständige Rekombination im sogenannten Bereitschafts-Parallelbetrieb (sta-
des bei der Ladung gebildeten Sauerstoffs an den tionärer Einsatz, Eisenbahn etc.) eingesetzt. Dabei
negativen Elektroden. Daneben gibt es Zwischenlö- werden sie mit konstanter Ladespannung (float
sungen (z. B. Hoppecke FNC-A-Design), bei denen charge) betrieben. Um eine Überladung und die
eine partielle Sauerstoffrekombination realisiert Gefahr einer thermischen Überhitzung zu vermei-
wird (. Abb. 7.33). den, wird die Ladespannung in der Regel an die
Für einen wartungsfreien Betrieb werden exter- Umgebungstemperatur angepasst. Die konkrete
ne Rekombinationseinrichtungen und halb- bzw. Anpassungsfunktion hängt vom Typ und der Be-
vollautomatische Wassernachfüllsysteme einge- triebsweise der Zellen (Überspannung der Gasent-
setzt. wicklung) ab. Aus thermodynamischen Gründen
Der Verlauf der Ladekennlinie dieser Zellen besitzt die Gleichgewichtszellspannung der Nickel-
unterscheidet sich wie zuvor beschrieben und in Cadmium-Batterie einen negativen Temperatur-
. Abb. 7.34 (Konstant-Strom-Ladung) dargestellt. koeffizienten. Steigt aufgrund des Stromflusses die
Industrielle Zellen werden typischerweise in Temperatur, so kann beim Laden an unkompen-
Größen von wenigen Ah aufwärts bis ca. 2000 Ah sierter konstanter Spannung eine weitere Erhöhung
in verschiedenen Belastungsklassen gefertigt: L des Ladestromes eintreten (s. . Abb. 7.37).
(niedrig, Entladung über mehrere Stunden), M Beim Bereitschaftsparallelbetrieb (USV-An-
(mittel, Entladezeiten im Stundenbereich), H wendung) wird die Float-Charge-Ladespannung
(hoch, Entladezeiten unterhalb einer Stunde), X so eingestellt, dass über den gesamten Temperatur-
(extrem, Kurzzeitbelastungen mit sehr hohen Strö- bereich nur ein minimaler Wasserverbrauch statt-
men, z. B. Dieselstart). Die möglichen Ladeströme findet. Sollte die Ladespannung absinken oder die
folgen ebenfalls diesem Schema, werden aber an- primäre Stromversorgung ausfallen, würde dann
wendungsabhängig gestaltet. Der Innenwiderstand die Batterie sofort die Versorgung der angeschlos-
(Pulswiderstand) der Zellen liegt je nach Belas- senen Verbraucher übernehmen.
7.3 • Nickel-Batterien
243 7
Spannung Ladung Pause Entladung

FNC

FNC-A

FNC-recom

Zeit

. Abb. 7.34  Ladekennlinien von Nickel-Cadmium-Zellen

. Abb. 7.36  FNC-Zellen für verschiedene Anwendungen

. Abb. 7.35  a FNC-A Industriezelle b Gasdichte FNC-


Recom-Zelle
Bei führerlosen Transportfahrzeugen besteht
die Forderung, die Batterie nach einer definierten
Entnahme von Ladung (z. B. 30 % der Nennkapa-
In einigen Fällen wird auch ein Boost-Char- zität) in sehr kurzer Zeit automatisch aufzuladen.
ge-Verfahren gewählt, bei dem die Batterie nach Dazu werden sehr hohe Ladeströme (Ströme bis
einem Lastfall zunächst mit erhöhter Ladespan- zum 2,5-Fachen des Zahlenwertes der Nennkapa-
nung beaufschlagt wird, um danach mit einer nied- zität in Ah) angewendet. Die Ladung wird als be-
rigeren Erhaltungsladespannung weiter geladen zu endet betrachtet, wenn der Ladestrom bei der kon-
werden. stant angelegten Spannung unter einen Schwellwert
gefallen ist. Alkalische Batterien können mit einem
244 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

1,7

1,6
Ladespannung in V

Taschenplattenzellen
1,5
FNC / Sinter
1,4

1,3

1,2
-20 0 20 40 60
Temperatur in °C

. Abb. 7.37  Temperaturkompensierte Ladespannung bei


float-charge

solchen Verfahren den kontinuierlichen Betrieb . Abb. 7.38  Batterie für führerlose Transportsysteme
automatischer Fahrzeuge über Monate gewährleis-
7 ten (s. . Abb. 7.38).
wechsel des Nickels von + 2 zu + 3 stattfindet.
An der negativen Elektrode wird beim Laden
7.3.1.8 Wasserzersetzung beim Laden
Cadmiumhydroxid (Cadmium mit der Wertig-
Insbesondere bei stationären Anlagen tritt eine ge-
keit + 2) zu metallischem Cadmium (Wertigkeit
wisse Überladung der Zellen auf. Dabei laufen fol-
0) umgewandelt.
gende Überladereaktionen ab:
55 Nickel-Cadmium-Batterien weisen eine sehr
hohe zyklische und kalendarische Lebens-
1 (7.50)
2OH − → O 2 + H 2 O + 2e − dauer auf, sie sind hochstromfähig und können
 2 über einen weiten Temperaturbereich einge-
− − setzt werden.
2H 2 O + 2e → H 2 + 2OH .
(7.51)
55 Nickel-Cadmium-Batterien sind relativ tolerant
gegenüber Betriebszuständen wie Tiefentla-
Diese Reaktion verbraucht Elektrolytwasser:
dung und Überladung.
55 Im Unterschied zu anderen Batterietechnolo-
H 2 O → 1 / 2O 2 + H 2 .
(7.52)
gien können Nickel-Cadmium-Batterien prak-
tisch in jedem Ladezustand gelagert werden,
Nach dem Faraday‘schen Gesetz zersetzt 1  Ah
ohne dass irreversible Veränderungen bzw.
0,335  ml Wasser. Daraus scheiden sich bei 298  K
Schädigungen eintreten.
und einem Druck von 0,101 MPa an der negativen
Elektrode ca. 0,448 l Wasserstoff und an der positi-
ven Elektrode 0,224 l Sauerstoff ab.
Der Wasserverlust kann hiervon abweichen, je 7.3.2 Nickel-Metall-Hydrid Batterien
nachdem, ob Wasser als Dampf mit den Gasen die
Zelle verlässt oder ob dies durch geeignete Maß- Der anhaltende Wunsch nach Erhöhung der Leis-
nahmen wie partielle interne oder externe Rekom- tungs- und Energiedichte führte immer wieder
bination, Zusätze oder Zellverschlussmechanismen zur Suche nach alternativen Elektrodenkombina-
eingeschränkt wird. tionen. Die Verwendung von Druckwasserstoff
als Reaktant an der negativen Elektrode hatte zur
Fazit Entwicklung sehr leistungsfähiger Spezialbatterien
55 Zur Energiespeicherung wird an der positiven geführt, deren Aufwand jedoch für allgemeine
Elektrode Nickelhydroxid zu Nickeloxyhyd- Anwendungen zu hoch ist. Bereits in den 1960er-
roxid umgewandelt, wobei ein Wertigkeits- Jahren war von Phillips die reversible Speicherung
7.3 • Nickel-Batterien
245 7
von Wasserstoff in speziellen Metalllegierungen weitere aus der Chemie bekannte Hydride nicht, sie
untersucht worden. Die Weiterführung dieser Ent- werden hier jedoch nicht betrachtet). Es stellt sich
wicklung führte zum Nickel-Metallhydrid-Batte- ein thermodynamisches Gleichgewicht zwischen
riesystem, welches für Anwendungen im Hochleis- der Aktivität (Konzentration) des Wasserstoffs im
tungsbereich eingesetzt werden kann. Dieses Sys- Metallgitter und dem Druck des Wasserstoffs in der
tem erlangte weite Verbreitung in der sogenannten Umgebung der Speicherlegierung ein. Eine Reihe
Consumerelektronik und wurde erfolgreich als von Metallen und Legierungen besitzen die Fähig-
Energiespeicher in Hybridfahrzeugen des Toyota keit, als Speicherlegierungen zu dienen. Sie unter-
Prius eingesetzt. scheiden sich in der Speicherkapazität (Wasserstoff
Nickel-Metallhydrid-Batterien weisen viele Ge- pro Gewichtseinheit der Legierung) und dem er-
meinsamkeiten mit dem gasdichten Nickel-Cad- forderlichen Druckbereich bzw. Temperaturbe-
mium-System auf. Dazu zählen Spannungslage, reich, bei dem der Wasserstoff gespeichert bzw.
Langlebigkeit und Zuverlässigkeit im Betrieb. Die abgegeben werden kann. Der Gleichgewichtsdruck
positive Elektrode, die Separation und der Elektro- des Wasserstoffs über einer speziellen Legierung
lyt sind weitgehend ähnlich aufgebaut. Der wesent- nimmt mit der Temperatur und der Konzentra-
liche Unterschied besteht in der negativen Elektro- tion an gelöstem Wasserstoff zu. Damit ändert sich
de. An ihr erfolgt die Umsetzung von Wasserstoff, der Druck in den NiMH-Zellen beim Zyklieren
der in der Legierung gespeichert werden kann. Die (s. . Abb. 7.39).
Zellreaktion vereinfacht sich zu einem Wasserstoff- In Batterien können nur solche Speicherlegie-
Shuttle-Mechanismus und erleichtert den Aufbau rungen verwendet werden, bei denen der Aus-
sehr kompakter Zellen. tausch des Wasserstoffs bei Arbeitstemperatur im
Umgebungsdruckbereich möglich ist und der Aus-
7.3.2.1 Chemische Reaktionen tausch weitgehend reversibel erfolgen kann. Dazu
Negative Elektrode: zählen insbesondere Laves-Phasen vom AB2-Typ
und Nickel-Lanthanlegierungen vom Typ AB5

Entladen
→
M ( H ) + OH
(7.53)

 M + H2O + e
←

(LaNi5). Anstelle reinen Lanthans wird ein soge-
Laden
nanntes Mischmetall eingesetzt, welches leichter
aus den Seltenen Erden (Elemente der Lanthan-
Positive Elektrode: gruppe) gewonnen werden kann (s. . Abb. 7.40).
Die Legierungszusammensetzung wird derart

Entladen
→
 Ni ( OH )2 + OH
− −
 NiOOH + H 2 O + e ← variiert, um Speicherfähigkeit, Leistungsfähigkeit,
Laden
Arbeitstemperaturbereich, Langlebigkeit und Kos-
(7.54) ten zu optimieren. Es werden Speicherfähigkeiten
Zelle: von 300–350  mAh/g bei den bisher bevorzugten
AB5-Legierungen angegeben (das entspricht einer

Entladen
→
M ( H ) + NiOOH ←
(7.55)  M + Ni ( OH )2 Speicherfähigkeit von ca. einem Wasserstoffatom
Laden
pro Metallatom der Legierungen). In Gegenwart
von Sauerstoff oder bei hohen Elektrodenpotenzia-
Die resultierende Gleichgewichtszellspannung bei len kann die Legierung zerstört werden. Sie bildet
Raumtemperatur beträgt  1,30 V. dann Grenzschichten aus, die zu einer erhöhten
Polarisation führen. Legierungszusätze wie Cobalt,
7.3.2.2 Negative Speicherelektrode Aluminium, Mangan etc. sollen die Eigenschaften
Nicht ausschließlich für Batterien wurden ver- verbessern. Durch Weiterentwicklungen von z.  B.
schiedene Speicherlegierungen für Wasserstoff kristallinen Überstrukturen und der Verwendung
entwickelt. Die Aufnahme (Absorption) des Was- von anderen Legierungselementen werden weitere
serstoffs in den verwendeten Legierungen ist als Steigerungen der Energiedichte erwartet.
physikochemischer Prozess anzusehen (das gilt für
246 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

100

10
Druck in bar

120 °C
90 °C
1,0
60 °C

45 °C

0,1
0 0,5 1,0 1,5
H Gewicht in %

. Abb. 7.39  Typischer Isothermenverlauf von AB5-Speicherlegierungen


7
AB2 Laves Phase: ZrV2H45 AB5 Mm Ni38 Al03 Co05

Ni, Mn, Co
Zr
Mm
V
Al
H
H

. Abb. 7.40  Laves-Phasen des AB2- und AB5-Typs

Die elektrochemische Reaktion erfolgt an der − 10 °C) verringert sich jedoch die Beweglichkeit
Grenzfläche der Speicherlegierung zum Elektro- des Wasserstoffs in der Legierung merklich, so-
lyten. Beim Laden bzw. Entladen muss daher ein dass auch die elektrochemische Belastbarkeit der
Transport des Wasserstoffs aus der Volumenpha- Elektroden zurückgeht. Die Elektroden werden
se der Legierung an die Oberfläche erfolgen. Bei gegenüber der positiven Elektrode überdimensio-
tiefen Temperaturen (insbesondere unterhalb von niert.
7.3 • Nickel-Batterien
247 7
Die Elektroden werden als kunststoffgebunde-
ne Elektroden realisiert. Als Träger dienen Loch-
bleche, Nickelschäume oder -gewebe. Die Zellen
werden prismatisch quaderförmig bzw. als Rund-
zellen ausgeführt und in verschlossenem Zustand
betrieben.

7.3.2.3 Anwendungen
. Abb. 7.41  Nickel-Metall-Hydrid-Modul Hoppecke 75 Ah/
Die ersten Nickel-Metallhydrid-Zellen zeigten 10 Zellen
noch eine Neigung zu erhöhter Selbstentladung.
Durch die Wahl spezieller Separatoren und Elekt-
rodenkomponenten konnte die Selbstentladung so Ähnlich den Nickel-Cadmium-Zellen geht
weit zurückgedrängt werden, dass die Zellen jetzt auch hier die verfügbare Kapazität durch Abbau
eine sehr gute Ladungsretention zeigen und auch der Zyklierfähigkeit der positiven Elektrode zu-
bei längeren Lagerzeiten im geladenen Zustand rück. Daneben wirken Korrosionsprozesse an der
verbleiben. Speicherlegierung. Bei gasdichten Zellen kann eine
Im Unterschied zu Nickel-Cadmium-Zellen ist Elektrolytverarmung im Separator eintreten (er-
nach Erreichen des Voll-Ladezustands kein deut- höhte Porosität der Elektroden, Wasserzersetzung
licher Spannungsanstieg zu beobachten, da sich der bei Überladung).
Prozess der Ladung und Überladung an der nega-
tiven Elektrode nicht ändert. Da an der Oberfläche Fazit
der negativen Elektrode die Sauerstoffreaktion weit- 55 Nickel-Metall-Hydrid-Batterien wurden im Hin-
gehend ungehemmt ablaufen kann, ähneln die Ver- blick auf Anwendungen im Hochleistungsbe-
hältnisse denen verschlossener Nickel-Cadmium- reich entwickelt.
Zellen mit vollständiger Sauerstoff-Rekombination. 55 Sie sind in der sogenannten Consumerelekt-
Der Temperaturanstieg bzw. das Erreichen ronik weit verbreitet und als Energiespeicher
eines Spannungswendepunktes bei Ladung mit be- in Hybridfahrzeugen erfolgreich zum Einsatz
grenztem Strom kann zur Identifizierung des Voll- gekommen.
ladezustandes genutzt werden. In der Regel werden 55 Der wesentliche Unterschied zur Nickel-Cad-
große Batterien thermisch überwacht bzw. im La- mium-Batterie besteht in der negativen Elekt-
dezustand elektronisch begrenzt betrieben. rode. An ihr erfolgt die Umsetzung von Wasser-
Die Vorteile bestehen in der deutlich höheren stoff, der in der Legierung gespeichert werden
Energie- und Leistungsdichte, dem Vermeiden kann. Die Zellreaktion vereinfacht sich zu einem
des unerwünschten Cadmiums und der für eine Wasserstoff-Shuttle-Mechanismus. Das er-
vollständige Aufladung niedrigeren Ladeend- leichtert den Aufbau sehr kompakter Zellen.
spannung. Der Ausgleich des Ladezustands von 55 Die Vorteile der Nickel-Metall-Hydrid-Batterie
Zellen in einer größeren Batterie ist durch kont- bestehen in der deutlich höheren Energie-
rollierte Ladung im Batterieverband möglich. Bei und Leistungsdichte, dem Vermeiden des
geeigneter interner Konstruktion zeigen die Zellen unerwünschten Cadmiums und der für eine
auch eine beschränkte Toleranz gegenüber Tief- vollständige Aufladung niedrigeren Ladeend-
entladung (und sogar Umpolung). Da die Zellen spannung.
praktisch keine löslichen Elektrodenkomponen- 55 Die Zellen der Nickel-Metall-Hydrid-Batterie
ten aufweisen, ist die Gefahr der Ausbildung von besitzen praktisch keine löslichen Elektroden-
dendritischen Kurzschlüssen minimal. Die Zellen komponenten. Daher ist die Gefahr der Ausbil-
erreichen daher eine sehr hohe Zyklenlebensdau- dung von dendritischen Kurzschlüssen minimal.
er. Diese Eigenschaften begünstigen den Einsatz Die Zellen erreichen daher eine sehr hohe
dieser Zellen in hybridisch betriebenen Systemen Zyklenlebensdauer.
(s. . Abb. 7.41, . 7.42 und . 7.43).
248 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

1,5

1,4
1,3
1,2
1,1
U in V

1,0
0,9 11A = 0,1C
22A = 0,2C
0,8 55A = 0,5C
0,7 110A = 1C
220A = 2C
0,6 550A = 5C
0,5
0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 130
C in Ah

7 . Abb. 7.42  Zellcharakteristik NiMH-Industriezellen

Materials der positiven Elektrode und des Lithiums


(negative Elektrode). Die durch die Reaktion von
Li → Li+ + e− entstandenen Li-Ionen wandern durch
den Elektrolyten zur positiven Elektrode, während
die entstandenen Elektronen durch den äußeren
Stromkreis fließen und elektrische Arbeit verrich-
ten können.
Lithium-Batterien können daher in Systeme
mit metallischem Lithium und in Systeme ohne
metallisches Lithium eingeteilt werden. Mit dem
Begriff Lithiumionen-Zellen werden Systeme be-
. Abb. 7.43  25 kWh NiMH-Hybrid-Antriebsbatteriesystem zeichnet, bei denen Li-Ionen in die positiven und
für Busse negativen Elektrodenmaterialien (in Festkörper)
eingelagert werden können. In Lithiumionen-Zel-
len wird damit kein metallisches Lithium als nega-
7.4 Lithium-Batterien tive Elektrode verwendet.
Erste Arbeiten zu Lithium-Batterien datieren
Unter dem Begriff Lithium-Batterien wird eine aus den frühen 1970er-Jahren. In der Zwischenzeit
Reihe von verschiedenen Zellchemien zusammen- sind eine Reihe von verschiedenen Elektrodenma-
gefasst. In Lithium-Batterien dient die negative terialien entwickelt und untersucht worden. Diese
Elektrode bei einer Entladung als Quelle für Lit- Materialvielfalt für Elektroden und Elektrolyte ist
hiumionen (Li-Ionen), die positive Elektrode als im Vergleich z. B. zum Blei-Säure-System eine Be-
Senke. Der Elektrolyt trennt den Transport der sonderheit des Lithium-Systems.
Li-Ionen vom Transport der Elektronen. Wird Im Folgenden werden einige Entwicklungs-
metallisches Lithium als negative Elektrode ein- schritte erläutert. Die frühen Arbeiten befassten
gesetzt, ergibt sich die Spannung der Zelle durch sich im Wesentlichen mit Li-Metallsystemen (s.
die Differenz des elektrochemischen Potenzials des [40]). Es wurde an Systemen wie Li/(CF)n, später
7.4 • Lithium-Batterien
249 7
dann Li/I2 oder dem in Konsumanwendungen weit deutlich höhere Zellspannung erreicht werden.
verbreiteten Li/MnO2 gearbeitet. Das Li/Ag2V4O11- Zudem haben kohlenstoffhaltige negative Elektro-
System hat beispielsweise Einzug in medizinische den gegenüber metallischem Lithium den wesent-
Anwendungen wie implantierte Defibrillatoren ge- lichen Vorteil, dass die Bildung von sogenannten
halten. Dendriten bei der Metallabscheidung umgangen
Für wiederaufladbare Lithium-Batterien müs- wird.
sen die bei der Entladung eines geeigneten Mate- Die in den Konsumanwendungen eingesetz-
rialsystems stattfindenden Prozesse auch in umge- ten Speicher verfügen über Nennkapazitäten ty-
kehrter Richtung reversibel ablaufen können. Erste pischerweise im Bereich bis zu einigen Hundert
Arbeiten dazu begannen ebenso in den 1970er-Jah- Milliamperestunden. Sollen wiederaufladbare, se-
ren (s. [40]). Beispielsweise seien hier Systeme mit kundäre Lithiumionen-Batterien für industrielle
einer Lithium-Aluminium-Verbindung (LiAl) als Anwendungen eingesetzt werden, handelt es sich
Material für die negative Elektrode und Eisensulfi- um großformatige Lithiumionen-Zellen mit einer
de oder Vanadiumoxide (LixV2O5) als Material für Nennkapazität typischerweise im Bereich von zehn
die positive Elektrode genannt. bis hundert Amperestunden. In diesen großforma-
Nahezu parallel dazu wurde begonnen, die Ein- tigen Lithiumionen-Zellen haben für die positive
lagerung von elektrochemisch aktiven Materialien Elektrode neuere Materialentwicklungen Einzug
in elektrisch leitfähige Wirtsstrukturen – wie Tan- gehalten. Als ein Vertreter seien beispielsweise
taldisulfid (TaS2) – zu untersuchen (s. [40]). Für Übergangsmetalloxide wie LiNiaMnbCo1-a-bO2 in
die Verwendung in Energiespeicheranwendungen verschiedener Stöchiometrie genannt. Für eine de-
zeigte sich Titandisulfid (TiS2) als aussichtsreichs- tailliierte Darstellung zu den Anfängen und weite-
tes Material. Die Kristallstruktur dieser Materialien ren Entwicklungen auf dem Gebiet der Zellchemie
ist schichtartig aufgebaut, sodass Li-Ionen leicht in für Lithium-Batterien sei auf den Überblicksartikel
die freien Räume zwischen den Ebenen eingelagert von Whittingham [40] oder andere Stellen verwie-
werden können. Neben TiS2 wurde an ähnlichen sen (s. [2, 9]).
Verbindungen wie z.  B. MoS2, LiVS2 und LiCrS2 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die
gearbeitet. Erste größere Prototypen und kommer- Untersuchungen zur Zellchemie für Lithiumio-
zielle Produkte von wiederaufladbaren Lithium- nen-Zellen bei Weitem nicht abgeschlossen sind
Zellen wurden mit metallischem Lithium oder und auch weiterhin Gegenstand aktueller For-
LiAl-Verbindungen als negativer Elektrode und schung und Entwicklung sein werden. Es ist damit
Materialien wie TiS2 oder MoS2 realisiert. zu rechnen, dass neue Materialien insbesondere für
Nachdem John B. Goodenough mit seiner Elektroden und Elektrolyte hinzukommen werden.
Arbeit zu Lithiumcobaltat (LiCoO2) zeigte, dass Daher wird in den folgenden Abschnitten eine
sich diese Verbindung als elektrochemisch aktives Einführung zu wiederaufladbaren Lithiumionen-
Material für die positive Elektrode eignet, gelang Zellen gegeben. Der Schwerpunkt liegt dabei auf
Sony mit diesem System Anfang der 1990er-Jah- großformatigen Zellen. Die in den 7 Abschn. 7.4.6
re der Durchbruch. Durch Kombination einer und 7 Abschn. 7.4.7 gezeigten Messdaten und An-
LiCoO2-Elektrode mit einer kohlenstoffhaltigen gaben zu Zellen und deren Leistungseigenschaften
negativen Elektrode wurde es möglich, die erste beziehen sich zwar auf kommerziell erhältliche,
wiederaufladbare Lithiumionen-Zelle in großem großformatige Zellen, sollen aber lediglich der Il-
Maßstab erfolgreich auf den Markt zu bringen. In lustration von typischem Verhalten von Lithiumio-
der Zwischenzeit werden diese millionenfach in nen-Zellen dienen. Da Bauformen und Zelleigen-
transportablen elektronischen Anwendungen des schaften ebenso einer ständigen Weiterentwicklung
Konsumbereichs (z.  B. Computer, Mobiltelefone unterliegen, sei für aktuelle und detaillierte Anga-
und Kameras) eingesetzt (s. [9, 40]). Mit der Ver- ben auf die jeweilig von den Herstellern herausge-
wendung des LiCoO2 anstelle von TiS 2 konnte eine gebenen Datenblätter verwiesen.
250 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

Laden
Entladen
Ladegerät
e– e–

Last
e– e–
Stromkollektor

Stromkollektor
7

Li+ ion

Kathode Elektrolyt Anode

. Abb. 7.44  Schematischer Aufbau und Funktionsweise einer Lithiumionen-Zelle. Lithium-Ionen können in das Aktivma-
terial der positiven und negativen Elektrode reversibel eingelagert (interkaliert) werden. Der äußere Stromkreis gewährleis-
tet den Elektronenfluss, wohingegen positive und negative Elektrode durch den Elektrolyten (Ionenleiter) getrennt sind

7.4.1 Funktionsprinzip, chemische eingelagert werden. Das ist z.  B. zwischen den
Reaktionen und Ebenen des Graphits mit einem Abstand von
Aktivmaterialien ~ 3,35  nm der Fall. Das Aktivmaterial wird bei
Einlagerung bzw. Auslagerung der Li-Ionen ent-
Die Energiespeicherung in wiederaufladbaren sprechend reduziert bzw. oxidiert. Wird an der
Lithiumionen-Zellen beruht auf der reversiblen negativen Elektrode metallisches Lithium ver-
Ein- und Auslagerung von Li-Ionen in sogenann- wendet, so handelt es sich um eine Abscheidung
te Aktivmaterialien durch elektrochemische Re- und Auflösung von Li-Ionen an einer metalli-
doxreaktionen. Die Einlagerung der Li-Ionen in schen Elektrode.
das Wirtsgitter wird als Interkalation bezeichnet. Schematisch ist der Aufbau einer Lithium-Zelle
Die Aktivmaterialien werden daher auch Inter- in . Abb. 7.44 dargestellt. Die positive und negative
kalationsverbindungen und die Elekroden Inter- Elektrode sind über den ionenleitenden Elektroly-
kalationselektroden genannt. Es wird mitunter ten miteinander verbunden. Der Separator dient als
auch der Begriff Insertation verwendet. Die Ein- elektrischer Isolator und verhindert den direkten
lagerung kann sowohl an der positiven als auch Kontakt zwischen beiden Elektroden (elektrischer
der negativen Elektrode stattfinden. Aufgrund Kurzschluss). Die beiden Elektroden werden über
des kleinen Li+ -Ionenradius von ca. 0,068  nm den äußeren Stromkreis mit dem Verbraucher elek-
kann Li+ problemlos in bestimmte Strukturen trisch verbunden.
7.4 • Lithium-Batterien
251 7
Die elektrochemischen Reaktionen während 7.4.2 Zellspannung
des Ladens und Entladens finden an den Aktivma-
terialien der Elektroden statt. Dies wird am Beispiel Damit die resultierende Zellspannung möglichst
des folgenden Systems erläutert: Übergangsmetall- groß ist, muss das Redox-Paar des Aktivmaterials
oxid (Lix MeO2, Me z. B. Co, Mn, Ni)/ Elektrolyt/ der positiven Elektrode ein möglichst hohes Stan-
Graphit (C6): dardpotenzial gegenüber der negativen Elektrode
Beim Laden wird das Aktivmaterial der positi- aufweisen. Für eine hohe Kapazität muss die An-
ven Elektrode oxidiert, womit sich die Oxidations- zahl der Li-Ionen maximiert werden, die in das
zahl des Übergangsmetallatoms um eins (im Bei- Material eingelagert werden können. Die Eignung
spiel von MeIII auf MeIV) erhöht und ein Elektron eines Aktivmaterials für den Einsatz in einer Lit-
an den äußeren Stromkreis abgegeben wird. Li-Io- hiumionen-Zelle ist an folgende Anforderungen
nen werden dabei aus dem Wirtsgitter ausgelagert gebunden:
und gehen in den Elektrolyten über, in dem sie bis 55 hohe spezifische Energiedichte (in Wh/kg)
zur negativen Elektrode wandern (s. . Abb. 7.44). 55 reversible und schnell ablaufende Interkala-
An der negativen Elektrode findet eine Reduktion tionsreaktion
statt. Dabei gehen Li-Ionen aus dem Elektrolyten in 55 gute elektrische und ionische Leitfähigkeit
das Aktivmaterial (Graphit) über und werden dort 55 thermische Stabilität
eingelagert. Zur Erhaltung der Ladungsneutralität 55 Strukturstabilität bei Interkalation der Li-Ionen
werden der negativen Elektrode Elektronen über 55 elektrochemische Stabilität.
den äußeren Stromkreis zugeführt (s. . Abb. 7.44).
Damit wird dem Graphit pro eingelagertem Li-Ion Ein weiterer Aspekt ist die bei der Ein- und Aus-
ein Elektron zugeordnet. lagerung von Li-Ionen auftretende mechanische
In vereinfachter Form können die stattfinden- Dehnung durch Volumenänderung des Aktivma-
den chemischen Reaktionen mit folgenden Glei- terials. Ist diese zu groß, kann es zum Herauslösen
chungen beschrieben werden: und Abplatzen einzelner Bruchstücke des Elektro-
Positive Elektrode: denmaterials kommen, das dann zu einer irrepa-
rablen Schädigung der Zelle führt. Ebenso kann es

Li x Me O 2 ↔ x Li + x e + Me O 2
(7.56)
I III + IV
bei der Ein- und Auslagerung von Li-Ionen zu einer
Phasenumwandlung des Aktivmaterials kommen
Negative Elektrode: (s. z. B. [2, 9]). Die Auswahl geeigneter Aktivma-
terialien für Lithiumionen-Zellen ist außerdem mit
+ − −I
xLi + x e + C6 ↔ Li x C6 ,
(7.57)
I
der Betrachtung von Rohstoff- und Herstellungs-
kosten, natürlichen Vorkommen sowie der Um-
wobei x zwischen null und eins liegt. Bei Verwen- weltverträglichkeit und der Toxizität verbunden.
dung von metallischem Lithium würde dann an der So ist z. B. das chemische Element Cobalt im Ver-
Anode eine Abscheidung der Li-Ionen erfolgen. gleich zu Mangan oder Eisen wesentlich seltener
Die an den Elektroden beschriebenen Prozesse und teurer und soll idealerweise durch letztere er-
laufen bei Entladung dann in umgekehrter Rich- setzt werden.
tung ab, wobei im äußeren Stromkreis elektrische Lithium zeigt mit einem Wert für das Redox-
Arbeit verrichtet werden kann. Die Li-Ionen wer- potenzial von − 3,05 V (gegen SHE) das negativste
den an der negativen Elektrode ausgelagert und Standardpotenzial der möglichen Materialien für
nach Wanderung zur positiven Elektrode in das die negative Elektrode. Auch aufgrund seiner ho-
dortige Aktivmaterial eingelagert. Dabei werden hen spezifischen Kapazität von ca. 3800 Ah/kg wäre
Elektronen von der negativen Elektrode an den Lithium damit ein ideales Material für den Einsatz
äußeren Stromkreis abgegeben. Das Aktivmaterial als negative Elektrode. Die Neigung zu Dendriten-
der positiven Elektrode wird reduziert, das Aktiv- wachstum auf der metallischen Li-Elektrode ver-
material der negativen Elektrode oxidiert. bietet aber deren Einsatz als negative Elektrode
in wiederaufladbaren Batterien. Unter Dendriten-
252 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

. Tab. 7.10  Redoxpotenzial und maximal nutzbare spezifische Kapazität für einige mögliche Aktivmaterialien

Aktivmaterial Potenzial Maximal nutzbare Bemerkungen


vs. Li/Li + [V] spezifische Kapazität
[Ah/kg]

LixCoO2 3,9 130–150 x: 0,5–1

LiNi1-a-bMnaCobO2 ~ 3,8 150–190 z. B. a = 0,33, b = 0,33

LiNi0,8Co0,15Al0,05O2 3,8 ~ 190

LiFePO4 3,4 150–160

LixMn2O4 4,1 100–120 x: 0–1

Graphit 0,05–0,3 theor. 372 neg. Elektrode

Li4Ti5O12 1,55 ~ 150 neg. Elektrode

7 wachstum wird die Bildung von baumartigen oder In . Tab.  7.10 sind für einige mögliche Aktiv-
auch nadelförmigen Li-Strukturen auf der Elektro- materialien die Redoxpotenziale gegenüber Li+ /
denoberfläche bei Abscheidung der Li-Ionen aus Li und typische Werte für die maximal nutzbare
dem Elektrolyten verstanden. Die Li-Ionen-Ab- spezifische Kapazität der Elektrode zusammen-
scheidung führt zum Verlust von Kapazität und gefasst (s. [9, 40]). Neben dem bereits erwähnten
damit zu einer geringeren Lebensdauer und Zy- LiCoO2 gehören zu den Materialien für die posi-
klierbarkeit der Zelle. Wenn Dendriten den Sepa- tive Elektrode auch andere Schichtoxide wie z.  B.
rator durchdringen und die positive und negative LiNi1/3Mn1/3Co1/3O2 und LiNi0,8Co0,15Al0,05O2, Ver-
Elektrode verbindet, ist die Zelle kurzgeschlossen. bindungen mit einer Spinellstruktur wie LiMn2O4
Gegen elementares Lithium spricht aber auch des- oder auch Verbindungen mit einer Olivinstruktur
sen hohe Reaktivität mit Wasser bzw. Restfeuchtig- (z.  B. LiFePO4). Die Titanatverbindung Li4Ti5O12
keit der Zellkomponenten. (Spinellstruktur) ist als Material für die negative
Für den Einsatz als negative Elektrode eignen Elektrode geeignet.
sich anstelle metallischen Lithiums aufgrund ihres Wie aus . Tab. 7.10 ersichtlich, liegen die Wer-
niedrigen Redoxpotenzials pulverförmige Koh- te für die maximal nutzbare spezifische Kapazität
lenstoffe wie Graphit. Auch amorphe Kohlenstof- in einem Bereich von 110–190  Ah/kg. Der maxi-
fe oder andere Modifikationen sind interessant. mal nutzbare Spannungsbereich ist auf Werte von
Kohlenstoffe können sich hinsichtlich Grad der < 4,5  V (vs. Li + /Li) beschränkt. Wie bereits er-
Kristallinität, Partikelgröße, Morphologie, Porosi- wähnt, werden in den meisten kommerziell erhält-
tät, Reinheit, Grad der Verdichtung, Ursprung des lichen Zellen Graphite oder andere Kohlenstoff-
Graphits (natürlich, synthetisch) etc. unterschei- verbindungen als negative Elektrode eingesetzt.
den. Das Redoxpotenzial für Graphit liegt bei ca. Die resultierenden mittleren Zellspannungen für
50–300 mV (vs. Li + /Li), die hohe theoretische Ka- die in . Tab.  7.10 aufgeführten Systeme ergeben
pazität mit 372 Ah/kg ist bei Interkalation bis zur sich damit aus dem Redoxpotenzial der positiven
Zusammensetzung von LiC6 gegeben. Im Vergleich Elektrode abzüglich des Potenzials von im Mittel
zu metallischem Lithium sind Graphite deutlich si- ~ 200  mV (Graphitelektrode). Beispielsweise er-
cherer und weisen eine höhere Reversibilität der gibt sich für das LiFePO4/Graphit-System eine
elektrochemischen Reaktion auf. Die auftretende mittlere Zellspannung von 3,2  V. Kennzeichnend
mechanische Dehnung bei einer Volumenände- für die Funktionsweise von Lithiumionen-Zellen
rung von ~ 12 % (s. [42]) kann durch die günstige bei Ladung und Entladung ist, dass Lithium bei
Schichtstruktur aufgenommen werden, ohne dass den Prozessen an den Interkalationselektroden
es dabei zu einer Zellschädigung kommt. weder oxidiert noch reduziert wird. Die Li-Ionen
7.4 • Lithium-Batterien
253 7
5
4 Bei Entladung

4
Zellspannung in V

3
Vpos.

Spannung in V vs. Li/Li+


3

Stabilitätsfenster des
2

UZelle = Vpos. - Vneg.


Elektrolyten
2
1

1
0
0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0
Normierte Kapazität Vneg.

LMO/C NMC/C 0
LFP/C NMC/LTO 0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0
NCA/A Kapazität (a.u.)

. Abb. 7.45  Schematische Darstellung der Elektroden- . Abb. 7.46  Lade-Entlade-Kurven für verschiedene Syste-
potenziale an positiver (Vpos.) und negativer (Vneg.) Elek- me von Aktivmaterialien mit LiMn2O4 (LMO), LiFePO4 (LFP),
trode während der Entladung am Beispielsystem LiFePO4/ Li(Ni, Co,Al)O2 (NCA), Li(Ni, Mn,Co)O2 (NMC), Kohlenstoff (C)
Graphit. Die Differenz (gestrichelte Linie) ergibt die Entlade- und Li4Ti5O12 (LTO)
kurve der Zellspannung. Ergänzend ist der Potenzialbereich
angegeben, innerhalb dessen in Lithiumionen-Zellen ein-
gesetzte Elektrolyte elektrochemisch stabil sind
Eine analoge Betrachtung der Elektrodenpoten-
ziale kann für die Ladephase angestellt werden.
werden reversibel ein- bzw. ausgelagert. Aufgrund Das außerdem in . Abb. 7.45 eingetragene Stabili-
dessen geht in die Berechnung der Zellspannung tätsfenster kennzeichnet den Potenzialbereich für
das Redoxpotenzial des Lithiums (Li+ /Li) nicht typisch verwendete flüssige Elektrolyte. Für nähe-
ein. re Erläuterungen sei auf den Bereich Elektrolyte
Die während der Entladung herrschenden (7 Abschn. 7.4.3) verwiesen.
Potenzialverläufe an beiden Elektroden sind sche- In . Abb. 7.46 sind Entladekurven für verschie-
matisch in . Abb. 7.45 dargestellt. Die Elektroden- dene Systeme von Aktivmaterialien dargestellt.
potenziale sind gegenüber dem Redoxpotenzial Die Lage der zu den Aktivmaterialien gehören-
von Li+/Li (mit 0  V) aufgetragen. Als Beispiel- den Redoxpotenziale bestimmt die resultierende
system dient LiFePO4/Graphit. Die entladene Zellspannung: Die höchste Zellspannung wird für
Kapazität wird hochgezählt (in willkürlichen Ein- LiMn2O4 (~ 3,9  V), die niedrigste für das System
heiten angegeben). Bei Entladung (Einlagerung Li(Ni, Mn,Co)O2/Li4Ti5O12 mit 2,3  V erreicht.
der Li-Ionen in LiFePO4) sinkt das Potenzial an Ein weiteres Kennzeichen für Lithiumionen-Zel-
der positiven Elektrode ab. Das mittlere Poten- len ist der unterschiedliche Verlauf der Zellspan-
zial für LiFePO4 liegt bei ~ 3,4 V (vs. Li+/Li), wie nung in Abhängigkeit vom Ladezustand der Zelle
in . Abb.  7.45 zu sehen ist. Bei Auslagerung der (s. . Abb.  7.46). Das System Li(Ni, Mn,Co)O2/C
Li-Ionen aus dem Graphit (LiC6 als interkalier- zeigt eine kontinuierlich abnehmende Zellspan-
te Form) steigt das Potenzial an der negativen nung. Dagegen wird für das LiFePO4/C-System
Elektrode allmählich an. Die Differenz beider eine plateauähnliche Abhängigkeit mit ausgepräg-
Verläufe an den Elektroden (gestrichelte Linie in tem konstantem Bereich für die Zellspannung be-
. Abb. 7.45) bestimmt dann den Verlauf der Ent- obachtet. Thermodynamische Überlegungen kön-
ladungskurve. Für das hier diskutierte Beispiel- nen herangezogen werden, um dieses Verhalten zu
system LiFePO4/Graphit resultiert dies in einer erklären (s. 7 Abschn. 7.1).
mittleren Zellspannung von 3,2 V (s. . Tab. 7.10).
254 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

Da auch die Aktivmaterialien für die positive Lithiumionen-Polymerzellen oder von Lithiumio-
Elektrode pulverförmig sind, können die resultie- nen-Zellen mit flüssigem Elektrolyt gesprochen.
renden Eigenschaften Partikelgröße, -morpholo- Bei flüssigen Elektrolyten handelt es sich in
gie, Porosität, Reinheit, Grad der Verdichtung, Zu- der Regel um organische Lösungsmittel, in denen
sammensetzung etc. variieren, worauf in Abschnitt ein Leitsalz gelöst ist. Wässrige Elektrolytlösungen
zum Elektrodenaufbau eingegangen wird. kommen aufgrund der Wirkung des Lithiums als
Für eine detailliertere Behandlung zu einzel- Reduktionsmittel und der dann stattfindenden Re-
nen Aktivmaterialien, den an den Elektroden ab- duktion der Wasserstoffionen zu Wasserstoff nicht
laufenden elektrochemischen Vorgängen sowie zu zum Einsatz. Vielmehr müssen die Elektrolytlösun-
strukturellen Besonderheiten sei auf entsprechende gen aprotisch sein, das heißt, dass von den Elek-
weiterführende Literatur verwiesen (z. B. [40, 42]). trolyten keine Protonen (= Wasserstoffionen) ab-
gespalten werden können. Anstelle der organischen
Fazit Lösungsmittel können auch ionische Flüssigkeiten
55 Die Energiespeicherung in wiederaufladbaren verwendet werden. Bei diesen handelt es sich um
Lithiumionen-Batterien beruht auf der rever- Salze, die sogar bei Raumtemperatur flüssig sein
siblen Ein- und Auslagerung von Li-Ionen in können. Bei Polymerelektrolyten ist das Leitsalz
7 sogenannte Aktivmaterialien durch elektro- in Makromolekülen eingebunden oder in einer
chemische Redoxreaktionen. Dies wird als Inter- Polymermatrix eingebettet, ebenso können flüssige
kalation bezeichnet. Elektrolyte eingebettet sein. (Da Polymere elekt-
55 Als Aktivmaterialien für die positive und negati- risch isolierend und zugleich formstabile, mecha-
ve Elektrode sind verschiedene Verbindungen nisch feste Verbindungen sind, kann auf den Ein-
möglich. Lithiumionen-Zellen variieren daher satz eines Separators verzichtet werden. Aufgrund
in der Zellspannung und spezifischen Kapazi- des höheren Innenwiderstands (schlechtere Ionen-
tät. leitfähigkeit) sind im Vergleich zu flüssigen Elek-
55 Heutzutage werden in großformatigen Zel- trolyten nur geringere Entladeströme erreichbar.
len üblicherweise in der positiven Elektrode Gel-Elektrolyte arbeiten bei Raumtemperatur, feste
Schichtoxide (wie Li(Ni, Mn,Co)O2), Spinelle Elektrolyte erst bei Temperaturen von ca. > 60 °C.)
(wie LiMn2O4) oder Übergangsmetallphos- Als Beispiele seien hier einige Polymere wie
phate/Olivine (wie LiFePO4) eingesetzt. Für die Polyvinylidenfluorid, Polyacrylnitril oder Poly-
negative Elektrode werden häufig Graphite und ethylenglykol angeführt (s. [13, 21]). Oftmals ist
auch amorphe Kohlenstoffe verwendet. die Ionenleitfähigkeit von Polymerelektrolyten bei
55 Typische Werte für die praktisch nutzbare Raumtemperatur nicht ausreichend. Andere Fest-
spezifische Kapazität der (positiven) Aktivmate- stoffelektrolyte sind z. B. ionenleitende Gläser. Ge-
rialien liegen zwischen 110 Ah/kg und 190 Ah/ nerell sind auch Kombinationen der verschiedenen
kg; typische Zellspannungen liegen im Bereich Elektrolyte möglich, da so Vorteile einzelner Ma-
von 2,3–3,9 V. terialien kombiniert werden können (s. [13, 41]).
Darüber hinaus werden Polymer- und andere Fest-
stoffelektrolyte sowie ionische Flüssigkeiten inten-
7.4.3 Elektrolyt und siv erforscht (s. [13] oder [41]).
elektrochemisches Im Weiteren wird aufgrund der praktischen
Stabilitätsfenster Relevanz nur auf die flüssigen Elektrolyte einge-
gangen. Der Elektrolyt dient dem Transport der Li-
In Lithium-Batterien können prinzipiell Flüs- Ionen. Die Leitsalze lassen sich genau dann leicht
sig-, Feststoff- oder auch Polymerelektrolyte zum lösen, wenn das Lösungsmittel eine hohe Dielek-
Einsatz kommen. Li-Systeme können daher auch trizitätszahl ε aufweist und die Lösungsmittel Di-
hinsichtlich des verwendeten Elektrolyten unter- polcharakter haben. Zudem erleichtert eine geringe
schieden werden. Es wird dann beispielsweise von Gitterenergie zwischen Kation und Anion des Leit-
salzes dessen Dissoziation. In . Tab. 7.11 sind einige
7.4 • Lithium-Batterien
255 7

. Tab. 7.11  Zusammenstellung physikalischer Eigenschaften für einige häufig eingesetzte nicht wässrige Lösungs-
mittel (EC – Ethylencarbonat, PC – Propylencarbonat, DMC – Dimethylcarbonat, DEC – Diethylcarbonat, EMC – Ethyl-
methylcarbonat, LiPF6– Lithiumhexafluorphosphat); Angaben s. [20, 41]

Lösungs- Viskosität Dielektrizitäts- Schmelz- Siede- Flammpunkt (°C)


mittel (cP) konstante temperatur (°C) temperatur (°C)

EC 1,9 (40 °C) 89,8 36,4 248 160

PC 2,5 64,9 − 48,8 242 132

DMC 0,59 3,1 4,6 91 18

DEC 0,75 2,8 − 74,3 126 31

EMC 0,65 3,0 − 53 110 0…23

gebräuchliche Lösungsmittel und zugehörige phy- für Flüssigkeiten durch folgenden einfachen Zu-
sikalische Eigenschaften aufgeführt. Ethylencarbo- sammenhang mit den Konstanten a und b (a, b > 0)
nat (EC) mit einer hohen Dielektrizitätszahl von beschrieben werden:
~  89,7 ist beispielsweise ein geeignetes Lösungsmit-
tel hinsichtlich einer guten Löslichkeit für Leitsalze. η(T ) = a exp (b /T ) .
(7.60)
Eine hohe Ionenbeweglichkeit wird dann er-
reicht, wenn die Li-Ionen sich leicht im Lösungs- Mit steigender Temperatur T nimmt die Viskosität
mittel verschieben lassen und die elektrostatische ab, die Verschiebung der Ionen wird erleichtert.
Wechselwirkung mit dem dazugehörigen Anion Das oben eingeführte Ethylencarbonat zeigt
gering ist. Ein einfaches Bild wird vermittelt, wenn gegenüber den anderen Lösungsmitteln wie Dime-
die Verschiebung der Li-Ionen in der Elektrolyt- thylcarbonat (DMC), Diethylcarbonat (DEC) und
lösung im angelegten äußeren elektrischen Feld E Ethylmethylcarbonat (EMC) eine vergleichsweise
betrachtet wird. Auf die Ionen wirkt eine elektri- hohe Viskosität (s. . Tab.  7.11) mit entsprechend
sche Kraft sowie in dazu entgegengesetzter Rich- geringer Ionenbeweglichkeit. Um nun gleichzeitig
tung eine Reibungskraft, die zur Geschwindigkeit eine hohe Dielektrizitätszahl mit einer geringen
v proportional ist (s. Stokes‘sche Reibung). Im sta- Viskosität kombinieren zu können, werden Gemi-
tionären Zustand herrscht dann ein Kräftegleich- sche von organischen Lösungsmitteln eingesetzt.
gewicht, es gilt: Die Mischungsverhältnisse werden entsprechend
auf den Anwendungsbereich abgestimmt.
q · E = 6· π · r · v · η
(7.58) Der Einsatzbereich der organischen Elektrolyte
wird prinzipiell durch eine untere Temperaturgren-
mit der elektrische Ladung q des Ions, der dynami- ze (Erstarrung) und eine obere Temperaturgrenze
schen Viskosität der Elektrolytlösung η und dem (Verdampfung oder Zersetzung) bestimmt. Die
Radius des Teilchens r. Es lässt sich weiter eine Be- zugehörigen Schmelz- und Siedetemperaturen der
weglichkeit u für die Ionen angeben mit: bereits besprochenen Lösungsmittel sind ebenso
in . Tab. 7.11 angegeben. Da Schmelz- und Erstar-
 υ q rungstemperatur der Elektrolytlösung vom jeweili-
u= = . (7.59)
E 6πηr gen Mischungsverhältnis abhängen, sind diese ge-
sondert zu bestimmen oder entsprechenden Pha-
sendiagrammen zu entnehmen.
Die Ionenbeweglichkeit der Li-Ionen ist damit ge- Beispielsweise kann ein auf EC-basierter Elek-
nau dann hoch, wenn die dynamische Viskosität trolyt (Schmelztemperatur von EC ca. 36,4 °C,
der Elektrolytlösung gering ist. Näherungsweise d. h. bei Raumtemperatur fest) nur in Verbindung
kann die Temperaturabhängigkeit der Viskosität mit einem niedriger schmelzenden Lösungsmit-
256 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

tel wie DEC oder auch EMC bis zu einer unte- tretenden Elektrodenpotenziale (s. 7 Abschn. 7.4.1),
ren Einsatztemperatur von ca. − 20 °C verwendet elektrochemisch stabil. Die organischen Lösungs-
werden. Dagegen ist die obere Einsatzgrenze von mittel (mit obigen Leitsalzen) sind innerhalb eines
Lithiumionen-Zellen praktisch nicht durch die Bereichs von ~ 1 – ~ 4,5 V stabil (s. [13, 41]). Neuere
Lösungsmittelgemische und deren Verdampfung, Elektrolyte werden dahingehend entwickelt, neben
sondern im Wesentlichen durch das Leitsalz bzw. einer hohen Leitfähigkeit vor allem bei höheren
andere Komponenten und Nebenreaktionen be- Spannungen elektrochemisch stabil zu sein.
stimmt (s. 7 Abschn. 7.4.7.5). Das sogenannte elektrochemische Spannungs-
Einige mögliche Leitsalze mit einer guten Lös- fenster wird demzufolge durch das Oxidations-
lichkeit und elektrochemischen Stabilität sind z. B. potenzial EOx und das Reduktionspotenzial ERed
Lithiumperchlorat (LiClO4), Lithiumhexafluor- des Elektrolyten begrenzt. Beide Potenziale sind
arsenat (LiAsF6) und Lithiumhexafluorphosphat schematisch in . Abb. 7.45 eingezeichnet und en-
(LiPF6). Die erzielten ionischen Leitfähigkeiten gen den Einsatzbereich hinsichtlich der nutzbaren
liegen im Bereich von einigen mS/cm und sind für Zellspannung ein. (Das Oxidationspotenzial von
ein Leitsalz abhängig vom jeweilig verwendeten ca. 4,5 V ist an das energetisch höchstgelegene be-
Lösungsmittel. Erhöht man allmählich die Kon- setzte Energieniveau (highest occupied molecular
7 zentration des Leitsalzes – beginnend mit einer orbital), das Reduktionspotenzial von ca. 1,0 V an
sehr geringen Konzentration –, so wird ein An- das niedriggelegenste unbesetzte Energieniveau
stieg in der Leitfähigkeit gemessen. Dies lässt sich (lowest unoccupied molecular orbital) gebunden.)
über die Zunahme der Anzahl der dissoziierten Liegen die Redoxpotenziale der Aktivmateria-
Ionen in der Elektrolytlösung und der damit ver- lien (z.  B. LiFePO4, Li(Ni, Mn,Co)O2) innerhalb
bundenen höheren Ladungsträgeranzahl erklären. des elektrochemischen Spannungsfensters und
Bei weiterer Konzentrationserhöhung würde eine wird die Zelle innerhalb dieses Fensters betrieben,
Abnahme der Leitfähigkeit beobachtet werden. wird eine irreversible Zersetzung des Elektrolyten
Höhere Konzentrationen führen zu einer verstärk- durch Reduktion oder Oxidation weitestgehend
ten Wechselwirkung der Ionen untereinander und vermieden.
resultieren in einer schlechteren Ionenleitfähigkeit Tatsächlich ist aufgrund der starken reduktiven
des Elektrolyten. Eine gebräuchliche Konzentration bzw. oxidativen Wirkung der eingesetzten Aktiv-
der Leitsalze ist daher ~ 1 mol/l. LiPF6 wird heutzu- materialien eine Stabilität des Elektrolyten in Kon-
tage aufgrund seiner günstigen Eigenschaften und takt mit den Elektroden eher durch eine chemische
trotz seiner Wasserempfindlichkeit weit verbreitet Passivierung der Oberflächen des Aktivmaterials
als Leitsalz eingesetzt. gegeben, als dass beide Phasen thermodynamisch
Um die elektrochemische Stabilität der Elekt- nebeneinander stabil sind.
rolyte zu bestimmen, werden üblicherweise Mes- Werden nun Kohlenstoffelektroden als negative
sungen gegenüber einer inerten Referenzelektrode Elektrode verwendet, liegt das zugehörige Redox-
durchgeführt. Für eine genauere und hinsichtlich potenzial sogar außerhalb des elektrochemischen
der Anwendung relevantere Beurteilung der elekt- Stabilitätsfensters der o.  g. organischen Lösungs-
rochemischen Stabilität von Elektrolyten sind diese mittel (ca. 1–4,5 V). Der Elektrolyt wird demzufolge
gegenüber den Oberflächen der Aktivmaterialien bei dem auftretenden niedrigen Potenzial an der
zu bestimmen, mit denen sie zusammen in der negativen Elektrode reduziert. Für das Lösungs-
Lithium-Zelle eingesetzt werden. Die Auswertung mittel EC findet dies bei einem Potenzial von ca.
von Messungen gegenüber Elektroden aus Aktiv- 0,9  V (vs. Li+/Li) statt. Bei jedem Laden kommt
materialien ist hingegen deutlich komplizierter, da es zur Elektrolytzersetzung und zwar immer genau
dann zusätzliche Einflüsse und Prozesse wie die dann, wenn das Elektrodenpotenzial nicht mehr
eigentlichen reversiblen Redoxreaktionen, Passi- innerhalb des Stabilitätsfensters liegt. Dies führt
vierungseffekte etc. hinzukommen würden. Ein langfristig zu einem starken Kapazitätsverlust. Hin-
idealer Elektrolyt wäre in einem Bereich von ca. zu kommt, dass beim Laden neben Li-Ionen auch
0–5 V (vs. Li+/Li), d. h. für den Bereich aller auf- solvatisierte Li-Ionen eingelagert werden, was zu
7.4 • Lithium-Batterien
257 7
chemischer Stabilität zu betrachten. Beobachtet
Li+
wurde, dass die Dicke der Zwischenschicht all-
mählich mit der Lebensdauer zunimmt und damit
einen Beitrag zur Erhöhung des Innenwiderstands
der Zelle liefert (s. [41]).
Werden Aktivmaterialien für die negative Elek-
trode eingesetzt, deren Redoxpotenzial innerhalb
des elektrochemischen Stabilitätsfensters liegt,
Graphit SEI Elektrolyt kommt es zu keiner SEI-Schichtbildung (z. B. Li4T-
i5O12 mit 1,55 V (vs. Li+/Li)). (Bei Verwendung von
. Abb. 7.47  Schematische Darstellung der Bildung der Li4Ti5O12 als negativer Elektrode resultiert das hö-
SEI-Zwischenschicht durch Zersetzung von EC-basierten here Redoxpotenzial mit 1,55 V (vs. Li+/Li) in einer
Elektrolyten
kleineren Zellspannung. Damit ist auch eine Re-
duzierung der Energiedichte verbunden. Insofern
einer Aufweitung der Schichten des Aktivmaterials ist eine Abwägung zwischen höherer Energiedichte
führt. Das dabei auftretende Abtrennen einzelner oder Stabilität (höherer Lebensdauer) und gerin-
Lagen des Aktivmaterials wird als Exfoliation be- gerer Innenwiderstand der negativen Elektrode zu
zeichnet. Demzufolge wäre die Reversibilität beim treffen.) Diese Materialien sind damit zwar hin-
Betrieb der Zelle nur für wenige Zyklen gegeben sichtlich der Langlebigkeit einer Zelle vorteilhaft,
und Kohlenstoffelektroden wären nicht geeignet. reduzieren aber gleichzeitig die nutzbare spezifi-
Die Tatsache, dass die Zersetzungsprodukte einiger sche Energiedichte.
Lösungsmittel (z. B. EC) an der Anodenoberfläche Zwischenschichten im Sinne von Passivie-
eine stabile Lithiumionen leitende Passivierungs- rungsschichten auf Aktivmaterialien der positi-
schicht bilden, ermöglicht erst den reversiblen Be- ven Elektrode und deren Bildung und Einflüsse
trieb der Lithiumionen-Zelle. Die sich dabei aus- auf Leitfähigkeitsmechanismen sind im Vergleich
bildende Schicht wird als solid electrolyte interface zur SEI-Bildung auf kohlenstoffhaltigen negativen
(kurz: SEI) bezeichnet. In . Abb. 7.47 wird dies in Elektroden weniger erforscht, werden aber den-
einer schematischen Darstellung wiedergegeben. noch diskutiert.
Die SEI-Schicht ist nur für Li-Ionen durchlässig.
Diese Zwischenschicht schützt die negative Elek-
trode vor der Einlagerung weiterer solvatisierter 7.4.4 Weitere Zellkomponenten
Li-Ionen und verhindert die weitere Zersetzung
des Elektrolyten. Sie entsteht während des ersten Beide Elektroden werden durch den Separator
Ladens. elektrisch voneinander getrennt, wobei zugleich
Demgegenüber zersetzt sich das Lösungsmittel der Ionenfluss gewährleistet sein muss. Mikro-
Propylencarbonat bei einem geringeren Elektro- poröse Kunststofffolien aus Polyolefinen wie Poly-
denpotenzial (ca.  0,5  V vs. Li+/Li) und hat dem- ethylen (PE) und Polypropylen (PP) oder auch in
entsprechend ein schlechteres Schichtbildungsver- Form eines mehrlagigen Aufbaus eignen sich dabei
halten. Neben dieser Schutzwirkung stellt die Zwi- als Materialien. Bei Verwendung von Polymerelek-
schenschicht einen zusätzlichen Widerstand für die trolyt kann das Polymer zugleich den Separator
Ionenleitung dar. Für die Diffusion der Li-Ionen darstellen.
durch die SEI-Schicht ist Festkörperdiffusion maß- Die Dicke der Kunststofffolien liegt typischer-
geblich. Diese kann deutlich von der Diffusion in weise im Bereich von 20–30 µm und die Porosität
Flüssigkeiten abweichen. Der mit der SEI-Schicht bei ca. 40 %. Werden in der Zelle Temperaturen von
verbundene Widerstand für die Ionenleitung geht ca.  130–150 °C erreicht, tritt eine Erweichung der
als ein Einfluss in den Innenwiderstand der Zelle o.  g. Kunststoffe (PE und PP) ein, die mit einem
ein. Zudem ist diese hinsichtlich thermischer und Verschließen der Poren des Separators einhergeht.
258 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

In der Folge wird dadurch der Ionenfluss unter- schaffenheit gezielt zu beeinflussen und eine bes-
brochen. Dieser Mechanismus wird als shutdown sere Adhäsion sowie elektrische Kontaktierung zu
bezeichnet. Tritt in einer Zelle ein lokaler kleine- erreichen. Für die elektrochemische Stabilität der
rer Kurzschluss auf (z. B. an einem Fremdpartikel) Ableitermaterialien im Kontakt mit dem Elektro-
oder erhöht sich die Zelltemperatur auf Werte von lyten sind die auftretenden Elektrodenpotenziale
~ 130 °C kann durch die Shutdown-Funktion eine und eventuell eine einsetzende Korrosion zu be-
weitere Ladung oder Entladung der Zelle unter- trachten. Korrosive Leitsalze können Aluminium
bunden werden. Erhöht sich die Temperatur aller- auflösen, bei höheren Potenzialen kann es auch zur
dings auf Werte von mehr als 150 °C, kommt es zum lokalen Lochfraß-Korrosion kommen, die letzt-
vollständigen Schmelzen des Separators und einer lich in einer Schädigung der Zelle resultiert (s. [21,
Schrumpfung, sodass die elektrische Isolierung 41]). Aluminium ist thermodynamisch instabil und
zwischen positiver und negativer Elektrode nicht das Oxidationspotenzial liegt bei 1,39 V vs. Li+/Li.
weiter aufrechterhalten wird. Die Stabilität des Aluminiums kommt allein da-
Die Dicke des Separators, dessen Porosität, durch zustande, dass sich beim Betrieb der Zelle
Formstabilität und Festigkeit werden an die ge- eine natürliche Passivierungsschicht ausbildet.
wünschten Zelleigenschaften angepasst. Beispiels- Je nach verwendetem Leitsalz und anliegendem
7 weise ist zur Erhöhung der Energiedichte der Zelle Elektrodenpotenzial kann während der ersten La-
möglichst eine geringe Dicke des Separators vor- de-Entlade-Zyklen, wenn der Elektrolyt mit dem
teilhaft, zugleich ist allerdings eine gewisse Min- Aluminiumableiter in Kontakt kommt, eine Zer-
destdicke gefordert, sodass im Falle der metalli- setzung des Elektrolyten beobachtet werden. Da
schen Abscheidung von Lithium an der negativen sich bei der Zersetzung auf der Aluminiumober-
Elektrode (z.  B. beim Überladen) ein Dendriten- fläche wieder eine Passivierungsschicht ausbildet,
wachstum zur positiven Elektrode unterbunden die die Oberfläche vollständig bedeckt, wird ein
werden kann. Weitere Anforderungen wie chemi- stabiler Betrieb der Zelle ermöglicht. Tiefenkorro-
sche Beständigkeit und moderate Herstellungskos- sion wird dadurch vermieden. Das gilt für alle in
ten sind auch zu betrachten. Neuere Separatoren Abschn. Elektrolyte aufgeführten Salze (s. [21]). Ob
bestehen häufig aus Gewebe und Membranen oder sich solch eine stabile Schicht innerhalb der ersten
sind mit einer keramischen Beschichtung versehen. Zyklen ausbildet, hängt vom verwendeten Elektro-
Diese Materialien sind daher über einen breiteren lyten (insbesondere Leitsalz) ab und muss separat
Temperaturbereich formstabil, ein Shutdown-Me- untersucht werden.
chanismus tritt dann nicht mehr auf. Bei Verwendung von Kupfer als Stromableiter
Als Anforderungen an die eingesetzten Strom- für die negative Elektrode ist die einsetzende Oxi-
ableiter sind neben einer ausreichenden mecha- dation und Auflösung des Kupfers bei sehr gerin-
nischen Festigkeit eine gute Benetzbarkeit und gen Zellspannungen (von ca. < 1 V) zu betrachten.
Haftung für die Elektrosdenmaterialien, eine aus- Die bei solch einer Tiefenentladung einer Zelle an
reichende chemische und elektrochemische Stabi- der negativen Elektrode auftretenden Potenzia-
lität (idealerweise von 0–5 V vs. Li+/Li), eine gute le können über dem Redoxpotenzial für Kupfer
elektrische Leitfähigkeit sowie moderate Material- liegen, sodass Kupferionen in Lösung gehen. Bei
und Herstellungskosten zu nennen. Zudem darf einer anschließenden Ladung scheidet sich Kupfer
keine Legierungsbildung zwischen den Elektro- auf der negativen Elektrode ab und verringert die
den- und Ableitermaterialien auftreten. Auf der Durchlässigkeit der Elektrode für Li-Ionen, sodass
Seite der positiven Elektrode kommt Aluminium ein Teil des ursprünglichen Elektrodenmaterials
und auf der Seite der negativen Elektrode Kupfer nicht mehr elektrochemisch aktiv ist. In der Folge
zum Einsatz. Die Ableiter sind als Folien mit einer führt dies bei weiterem Betrieb der Zelle zu einer
Dicke von ca. 10–30 µm ausgeführt. Oftmals wer- verstärkten Li-Metallabscheidung mit Dendriten-
den die Oberflächen nasschemisch vorbehandelt bildung (Kurzschlussgefahr) und einem Verlust an
oder sogar beschichtet, um die Oberflächenbe- Kapazität.
7.4 • Lithium-Batterien
259 7
Fazit weglichkeit und Diffusion von Li-Ionen in Flüssig-
55 In Lithium-Batterien können prinzipiell Flüssig-, keiten, sondern auch in Festkörpern maßgeblich.
Feststoff- oder auch Polymerelektrolyte bzw. Die dabei eingesetzten elektrochemisch aktiven
deren Kombination zum Einsatz kommen. Materialien bestehen aus einzelnen Partikeln. Um
55 Häufig werden flüssige Elektrolyte bestehend den elektrischen Kontakt zwischen den einzelnen
aus einem Leitsalz und organischen, aproti- aktiven Partikeln herzustellen, werden diese mit
schen Lösungsmitteln eingesetzt. einem leitfähigen Material (guter elektrischer Lei-
55 LiPF6 wird aufgrund seiner günstigen Eigen- ter) wie z. B. Kohlenstoff vermischt. Zugleich wird
schaften weit verbreitet als Leitsalz verwendet. dadurch eine bessere elektrische Anbindung an den
Bei der Auswahl der organischen Lösungsmittel Stromableiter ermöglicht. Um das Elektrodenma-
ist ein Optimum zwischen einer hohen Dielek- terial zusammenzuhalten, werden sogenannte Bin-
trizitätszahl für eine gute Löslichkeit des Leit- der eingesetzt. Die meisten in Lithiumionen-Zellen
salzes und einer geringen Viskosität für einen verwendeten Elektroden sind daher als komplexe
guten Ionenleiter zu finden. poröse Verbundwerkstoffe aufzufassen.
55 Oft werden EC/DEC/EMC-Gemische verwendet. Die Diffusion in kondensierter Materie (Fest-
Die Ionenleitfähigkeit von Polymerelektrolyten körper und Flüssigkeiten) beruht im Allgemeinen
oder anderen Feststoffelektrolyten bei Raum- auf der thermischen Zufallsbewegung von Atomen
temperatur ist oftmals nicht ausreichend. bzw. Ionen und stattfindenden Platzwechseln. Die
55 Als Separatormaterial kommen Kunststoffe Kinetik der Platzwechselvorgänge ist temperatur-
(oftmals PE und PP) oder auch andere Gewebe abhängig und kann mithilfe einer Arrhenius-Be-
zum Einsatz. Ein einlagiger oder auch mehr- ziehung beschrieben werden. In Flüssigkeiten
lagiger Aufbau, z. T. mit Beschichtungen, ist werden einfache Modellvorstellungen wie das
möglich. bereits unter 7 Abschn.  7.4.1 erwähnte Stokes’sche
55 Auf Seite der positiven Elektroden werden Reibungsgesetz für die laminare Umströmung
Stromableiter aus Aluminium, für die negative einer Kugel verwendet. Festkörperdiffusion lässt
Elektrode Kupferableiter eingesetzt. Diese sind sich in verschiedene Mechanismen unterteilen.
als dünne Folien ausgeführt. Li-Ionen können aufgrund ihres kleinen Radius
leicht über Zwischengitterplätze diffundieren. Für
die Bewegung der Li-Ionen sind damit die Struk-
7.4.5 Leitfähigkeit der Elektrodenma- tur des Festkörpers und dessen Bindungsverhält-
terialien nisse sowie mögliche Defekte maßgeblich. Je nach
resultierendem Diffusionspfad im Kristall können
Bei den in den Lithiumionen-Zellen eingesetzten Strukturen mit in einer Richtung ausgerichteten
Interkalationselektroden (z.  B. LiCoO2, LiFePO4 Tunneln (1D), Schichten bzw. Lagen (2D) und mit
und Graphit) handelt es sich gegenüber den Elek- in drei Richtungen ausgerichteten Tunneln (3D,
troden in Blei-Säure-Batterien und alkalischen mit Knotenpunkten) voneinander unterschieden
Systemen um sogenannte Kontinuumselektroden. werden. LiFePO4 zeigt eine typische 1D-Struk-
Die Redoxreaktion findet im Volumen des Aktiv- tur, Li(Ni, Mn,Co)O2 und LiCoO2 dagegen eine
materials statt. Nach dem Übergang der Li-Ionen Schichtstruktur (2D) sowie LiMn2O4 eine typische
aus dem Elektrolyten in das Aktivmaterial müssen 3D-Struktur. Damit lassen sich die in . Tab.  7.12
diese zu ihrem Gitterplatz wandern. Damit sind angegebenen Diffusionskoeffizienten leicht verste-
zum einen die ionische Leitfähigkeit (Li-Ionen) hen: Können Li-Ionen zwischen den Schichtlagen
des Elektrolyten und der Elektroden und zum an- (2D) leicht diffundieren (wie bei LiCoO2), spiegelt
deren die elektrische Leitfähigkeit der Elektroden sich dies in den größten Diffusionskoeffizienten
und Stromableiter zu betrachten. Hinzu kommt die mit 10−10–10−8 cm²/s wider. Damit ist es auch nach-
Ionenleitfähigkeit des gebildeten SEI-Festkörpers zuvollziehen, dass Li-Ionen leicht parallel zu den
(s. 7 Abschn. 7.4.3). Es ist damit nicht nur die Be- Graphenebenen diffundieren können. Aufgrund
der angeführten Strukturen wird deutlich, dass
260 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

. Tab. 7.12  Zusammenstellung der Diffusionskoeffizienten und elektrischer Eigenschaften für einige in Lithiumio-
nen-Zellen eingesetzte Materialien; Angaben s. [29, 39]

Komponente Diffusionskoeffizient Elektrische Leitfähigkeit Bandlücke (eV)


D (cm2/s−1) (S cm−1)

LiCoO2 10– 10 … 10− 8 ~ 10− 4 0,5–2,7

LiFePO4 10− 15 … 10− 10 ~ 10− 9 0,3–1

LiMn2O4 10− 11 … 10− 9 ~ 10− 6 0,28–2,2

Kohlenstoff (Graphit, 10− 12 … 10− 7 Graphit: ~ 103 –


MCMB, Faser)

Elektrolyt (Leitsalz LiPF6) ∼10− 6 – –

Aluminium – ~ 3 × 105 0

Kupfer – ~ 6 × 105 0

7
für eine realistische Beschreibung der Diffusion der Partikelform untersucht werden. Diese beiden
eine kristallografische Richtungsabhängigkeit der einfachen Modelle zeigen, dass durch eine Beein-
Diffusionskonstante für Li-Ionen (z. B. Tunnel für flussung der Partikelgröße sowie der Partikelform
LiFePO4) ebenso wie Einflüsse durch Korngrenzen das Verhältnis von Oberfläche zu Volumen beein-
und Mikrostrukturen zu berücksichtigen sind. flusst werden kann. Steht eine größere Oberfläche
Vergleicht man nun die Diffusionskoeffizien- zur Verfügung und sind die Diffusionswege kürzer
ten mit denen der Elektrolyte, ist ersichtlich, dass (mehrere kleinere Partikel anstatt eines größeren
die Diffusion der Li-Ionen in den Aktivmaterialien Partikels), werden Ladungsaustausch und Diffu-
deutlich geringer ist und damit geschwindigkeits- sion erleichtert.
bestimmend sein kann. Um die Diffusion zu be- Nachteilig kann sich die größere Oberfläche
einflussen, sind nun verschiedene Ansätze denk- allerdings auswirken, wenn vermehrt Passivschich-
bar. Zum einen können Aktivmaterialien dotiert ten gebildet werden, die dann als Diffusionsbar-
werden. Hierbei wird versucht, die (elektronische) riere (ionischer Widerstand) wirken können. Zu
Bandstruktur derart zu ändern, dass die Diffusion diesen Ansätzen sind bisher viele Punkte noch un-
der Li-Ionen erleichtert wird. Ein weiterer Ansatz zureichend verstanden.
ist eine Verkürzung der Diffusionspfade durch Auf Seite der negativen Elektrode ist bei Ver-
eine Reduzierung der Partikelgröße und eine Be- wendung von kohlenstoffhaltigen Aktivmaterialien
einflussung der Partikelmorphologie und -gestalt die SEI-Bildung zu berücksichtigen. Im Vergleich
(z. B. abgeflachte Gestalt). Zur Veranschaulichung zum Aktivmaterial ist diese durch einen schlech-
dient eine vereinfachte Modellvorstellung. Betrach- teren Diffusionskoeffizienten gekennzeichnet und
tet wird zunächst ein Würfel mit einer Kantenlän- stellt damit einen weiteren (ionischen) Wider-
ge von einer Längeneinheit (LE). Die Oberfläche stand dar. Im Graphit zeigt sich bei Interkalation
des Würfels entspricht 6  LE2. Wird dieser Würfel von Li-Ionen zudem eine Besonderheit. Es kommt
in zwei Hälften zerlegt, folgt eine Oberfläche mit zu mehreren Einlagerungsstufen (intercalation
einem Wert von 8  LE2. Wird der ursprüngliche stages), die sich in der Ruhespannungskennlinie in
Würfel (Kantenlänge 1  LE) in 8 gleiche Teile zer- kleinen Plateaus zeigen (s. Verhalten bei LiFePO4,
legt (8 Würfel), folgt für die gesamte Oberfläche 7 Abschn. 7.4.1 und . Abb. 7.46). Bei nicht graphiti-
ein Wert von 12 LE2. Ebenso können Betrachtun- schen (amorphen) Kohlenstoffen werden dagegen
gen anhand des Oberfläche-Volumen-Verhältnis- keine Einlagerungsstufen beobachtet. Interessan-
ses einer Kugel im Vergleich zu dem eines Okta- terweise zeigen amorphe Phasen im Vergleich zur
eders angestellt werden und darüber der Einfluss graphitischen Phase eine schlechtere elektrische
7.4 • Lithium-Batterien
261 7
Leitfähigkeit, aber gleichzeitig eine begünstigte de (aus Aktivmaterial, Leitfähigkeitszusatz, Binder,
Diffusion. Damit kann durch eine gezielte Varia- Beschichtung) im Gesamten verändert wird.
tion der Anteile von graphitischer und amorpher
Phase (Ruß) die Diffusion beeinflusst werden. Fazit
Ebenso kann dieser Ansatz bei Aktivmaterialien 55 Die in Lithiumionen-Zellen eingesetzten Elekt-
für die positive Elektrode eingesetzt werden, in- roden bestehen typischerweise aus den Aktiv-
dem durch Einbringen von Korngrenzen nahezu materialien, leitfähigkeitsverbessernden Ma-
amorphe Phasen entstehen. terialien wie Kohlenstoff und Bindern. Die am
Die auf der positiven Elektrodenseite verwen- häufigsten eingesetzten Elektroden sind daher
deten Materialien (Oxide, Spinelle, Phosphate) zei- als komplexe poröse Verbundwerkstoffe auf-
gen im Vergleich zum Graphit der negativen Elekt- zufassen. Weiter ist festzuhalten, dass zwischen
rode oder den metallischen Stromableitern (Al, Cu) den einzelnen Zellkomponenten deutliche
eine um mehrere Größenordnungen niedrigere Unterschiede in der elektrischen Leitfähigkeit
elektrische Leitfähigkeit. Einige Werte dazu sind in und der Diffusion (für Li-Ionen) bestehen. Durch
. Tab. 7.12 angegeben. Zudem sind diese Materia- eine Variation der Partikelgröße in Verbindung
lien Halbleiter, womit deren Leitfähigkeit ein ther- mit einer leitfähigen Beschichtung kann bei-
misch aktivierter Prozess ist. Auch hier gibt es ver- spielsweise die Leitfähigkeit der Elektroden und
schiedene Ansätze, die elektrische Leitfähigkeit der damit die Hochleistungsbereitschaft der Zelle
Aktivmaterialpartikel durch Dotierung oder die beeinflusst werden. Für das Verhalten einer
Leitfähigkeit der Elektrode durch Beschichtung der Lithiumionen-Zelle und deren Innenwiderstand
einzelnen Partikel bzw. auch einer Reduzierung der sind damit folgende Beiträge zu betrachten
Partikelgröße (analog Diffusion) zu beeinflussen. (s. [29]):
Der erfolgreichste Ansatz ist dabei die Beschich- 55 Ladungsdurchtritt
tung von Aktivmaterialpartikeln im Submikrome- 55 Flüssigkeitsdiffusion im Elektrolyten (ionisch)
ter- bis Nanometerbereich (z. B. mit Kohlenstoff). 55 Festkörperdiffusion in Aktivmaterial und SEI
Hierbei wird eine Reduzierung der Partikelgröße (ionisch)
in Verbindung mit einer leitfähigen Beschichtung 55 Elektrische Leitfähigkeit (Aktivmaterial,
eingesetzt. Damit kann eine verbesserte elektrische Leitfähigkeitszusätze, Stromableiter, Binder-
Kontaktierung der einzelnen Partikel gewährleistet zusätze)
und elektrisch isoliertes inaktives Material weitest- 55 Grenzflächeneinflüsse (Elektrolyt/Elektrode,
gehend vermieden werden. Aktivmaterial/Leitfähigkeitszusätze, Aktiv-
Da aufgrund der Herstellung der Materialien material/Stromableiter, Leitfähigkeitszusät-
die Einflüsse infolge einer Veränderung der Parti- ze/Stromableiter)
kelgröße bzw. -morphologie und der Beschichtung
in Untersuchungen kaum unabhängig voneinander
variiert werden können, ist eine Zuordnung der 7.4.6 Bauformen und
einzelnen Mechanismen zu elektrischer und ioni- Anwendungsgebiete
scher Leitfähigkeit bisher unvollständig. Generell
sind auch bei der Betrachtung der elektrischen Großformatige Lithiumionen-Zellen sind prinzi-
Leitfähigkeit u.  a. Einflüsse durch Korngrenzen piell in den drei verschiedenen Bauformen Rund-,
und strukturelle Änderungen der Aktivmaterialien Prisma- und Coffee-Bag-Zelle erhältlich. Zellen
wie reversible Phasentransformationen zu berück- mit Kapazitäten von mehr als 40 Ah werden nur in
sichtigen. Die Lösungsansätze sind dahingehend zu prismatischer Form oder als Pouch-Form angebo-
trennen, ob die elektrischen Eigenschaften des Ak- ten. Neben diesen Bauformen gibt es noch die so-
tivmaterials an sich beeinflusst werden (z. B. Dotie- genannten Knopfzellen, die bei kleinen Kapazitäten
rung) oder ob durch eine Variation der Partikelgrö- wie z. B. in Uhren oder als Stützakkumulatoren in
ße und -morphologie die Leitfähigkeit der Elektro- elektronischen Schaltkreisen Anwendung finden.
262 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

Verbundanode (–)

Stromsammler (–)

ca. 400 µm
Mikroporöser Separator
(Elektrolyt)

Verbundkathode (+)

Stromsammler (+)

. Abb. 7.48  Aufbau des Elektrodenstapels einer Lithiumionen-Zelle

7 Überdruckventil
Poistive Platte Sicherheitseinrichtung
. Tab. 7.13  Übersicht zu typischen Abmessungen
bei Kurzschluss von Lithium-Zellen
PTC- Bauteil
Positiver Tab
Dichtung Bezeichnung Durchmes- Höhe Nenn-
Separator
Isolator ser (mm) (mm) kapazi-
tät (Ah)

Gehäuse AAA 10,3 45 < 1

18650 18 65 ca. 2
Positive Elektrode Großformatig 55 220 ca. 40
Negative Elektrode
Großformatig 40 145 ca. 7
Negativer Tab

. Abb. 7.49  Schematische Darstellung einer Rundzelle.


Wesentliche Bestandteile sind gekennzeichnet se. Die Pole sind entweder auf einer Seite oder an
gegenüberliegenden Seiten nach außen geführt.
Der Elektrodenstapel und die zugehörigen Pole
Lithiumionen-Zellen sind luftdicht verschlos- sind gegenüber dem Gehäuse durch eine Separa-
sen, sodass kein unmittelbarer Kontakt zwischen torlage elektrisch isoliert. Zur Veranschaulichung
dem Zellinneren und der äußeren Umgebung (z. B. zeigt . Abb. 7.49 eine Prinzipskizze.
Luftfeuchtigkeit) besteht. Je nach Nennkapazität Kleinformatige Lithiumionen-Rundzellen mit
sind mehrere Elektrodenpaare gestapelt angeord- typischen Kapazitäten werden in den üblichen Ge-
net oder ein Elektrodenpaar durch Wicklung auf- rätebatterie-Abmessungen gebaut. Großformatige
gerollt (s. [4] und . Abb.  7.48). Generell werden Rundzellen haben Sondermaße. Zwei Beispiele für
positive und negative Elektroden so dimensioniert, jede Sorte sind . Tab. 7.13 zu entnehmen.
dass die Kapazität der positiven Elektrode kleiner Ein Vorteil dieser Bauform ist die relativ einfa-
als die Kapazität der negativen Elektrode ist. So- che Integration eines Überdruckventils (safety vent)
mit kann beim Laden ein Überladen der negativen in das Gehäuse sowie einer Sicherheitseinrichtung
Elektrode vermieden werden. zur Abschaltung des Stromes bei Kurzschluss (so-
In Rundzellen befindet sich der Elektroden- genanntes Current Interrupt Device). Ebenso sind
stapel (Wicklung) in einem metallischen Gehäu- zylindrische Zellen aufgrund ihres Metallgehäuses
7.4 • Lithium-Batterien
263 7
relativ robust. Als Kühlfläche steht die Mantelfläche
der Zelle zur Verfügung. Das wirkt sich besonders
bei hohen Strömen oder niedrigen Außentempera-
turen nachteilig auf die Temperaturverteilung aus.
Bedingt durch die konstruktive Anordnung der
Elektroden (Wicklung) bildet sich ein axialsym-
metrisches Temperaturprofil mit starkem Tempe-
raturgradienten in der Zelle aus. Daraus folgen ein
räumlich variierender Innenwiderstand sowie eine
stärkere Alterung der Zelle im Zellinneren. Auf-
grund der Zylinderform ist zudem bei Stapelung
mehrerer Zellen der Bauraum nicht voll ausnutz-
bar.
Bei prismatischen Zellen kommen entweder
Wicklungen von Elektroden zum Einsatz oder . Abb. 7.50  Prismatische Zelle: Wesentliche Bestandteile
sind gekennzeichnet
es werden mehrere Elektrodenpaare übereinan-
dergelegt, die durch Separatorlagen voneinander
getrennt sind. Die Separatorlagen sind dann als te ist, stellen sich im Zellvolumen ein geringerer
einzelne Lagen zwischen den Elektroden ange- Temperaturgradient und damit eine gleichmä-
ordnet oder eine Lage wird in einer sogenannten ßigere Temperaturverteilung ein. Aufgrund der
z-Faltung verwendet. Elektrisch sind die einzel- geometrischen Form der Zelle ist bei Auslegung
nen Elektrodenpaare parallel zueinander ange- von Batteriesystemen eine größere Ausnutzung
ordnet, sodass eine große Kapazität erreicht wer- des Bauraumes möglich. Nachteilig ist gegenüber
den kann. Die einzelnen Elektrodenpaare werden der noch zu behandelnden Pouch-Bauform die
über sogenannte Ableiterfahnen innerhalb des geringere Energiedichte auf Zellebene zu nennen.
Zellgehäuses zusammengeführt. Dafür können Bei Verwendung eines Metallgehäuses reduziert
verschiedene Schweiß-, Füge- oder andere Ver- dessen Masse die nutzbare Energiedichte. Werden
bindungsverfahren genutzt werden. Die Pole wer- Kunststoffgehäuse eingesetzt, ist das Eindringen
den elektrisch isoliert voneinander nach außen von Feuchtigkeit in das Zellinnere bzw. die abneh-
geführt. Als Material des Gehäuses kommen Stahl mende Barrierewirkung des Kunststoffes insbeson-
oder Aluminiumlegierungen zum Einsatz, aber dere bei einer Standzeit von mehreren Jahren pro-
auch Kunststoffe finden Verwendung. . Abbil- blematisch, allerdings auch noch wenig untersucht
dung 7.50 zeigt eine prismatische Zelle. Die nach (Alterung von Kunststoffen bzw. deren Schweiß-
außen geführten Pole befinden sich in der Regel verbindungen). Ein Eindringen von Feuchtigkeit
immer auf einer Seite. Typische Kapazitäten lie- kann zu einer irreparablen Schädigung bzw. einer
gen im Bereich von ~ 10 Ah bis zu wenigen hun- beschleunigten Alterung der Eigenschaften führen.
dert Ah. Die Abmessungen beispielsweise für eine Die Pouch-Form wird mitunter auch als Cof-
Zelle mit einer Nennkapazität von 20 Ah (Masse fee-bag-Bauform bezeichnet. Bei dieser Bau-
0,68 kg) liegen im Bereich von 90 × 148 × 27 mm form wird ein Elektrodenstapel ähnlich dem der
(H × L × B). Eine typische Dicke des Metallgehäu- prismatischen Zelle eingesetzt. Ein wesentlicher
ses liegt beispielsweise je nach Ausführung bei ca. Unterschied besteht in der Hülle. Die hier ver-
0,7 mm. wendete Hülle ist eine mit Kunststoff laminier-
Als Vorteile dieser Bauform sind die Robust- te Aluminiumfolientasche (typische Foliendicke
heit durch die Verwendung metallischer Gehäuse ca. 150 µm). Die Pole sind entweder an einer Seite
und die im Vergleich zu den zylindrischen Zellen oder an den gegenüberliegenden Seiten nach außen
größere Kühlfläche anzuführen. Da die Dicke des geführt. . Abbildung  7.51 zeigt eine Coffee-Bag-
Elektrodenstapels deutlich kleiner als seine Brei- Zelle. Typische Nennkapazitäten liegen im Bereich
264 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

den Austausch von Feuchtigkeit mit der Umgebung


darstellen. Im Bereich der Siegelnähte besteht so-
gar die Möglichkeit, dass bei einer Beschädigung
der Laminierung oder der Siegelnaht Elektrolyt in
Kontakt mit Luftfeuchtigkeit kommen kann (irre-
versible Zersetzung des Elektrolyten, Bildung von
Flusssäure).

zz Elektrodenaufbau und Dimensionierung


Die in den verschiedenen Lithiumionen-Zellen
verwendeten Elektroden sind im Wesentlichen
gleich aufgebaut. Aufgrund ihrer partikulären
Struktur sind sie porös. Zwei Arten der Porosi-
tät sind voneinander zu unterscheiden: die dem
Elektrolyten zugängliche offene Porosität und die
geschlossene Porosität. Wie schon eingeführt,
7 stellt das Elektrodenmaterial ein Verbundmate-
rial (Komposit) dar, das aus Aktivmaterial (posi-
tiv oder negativ), Leitfähigkeitszusätzen und dem
Bindermaterial aufgebaut ist. Das Bindermaterial
hält die Aktivmaterialpartikel zusammen; die Leit-
fähigkeitsphase stellt die elektrische Anbindung
zwischen den einzelnen Aktivmaterialpartikeln
her und erhöht damit die elektrische Leitfähigkeit
der Elektrode (s.  7  Abschn.  7.4.5). Als Binderma-
terial kommen oftmals die chemisch beständigen
Fluorpolymere wie Polyvinylidenfluorid (PVdF)
. Abb. 7.51 Coffee-Bag-Zelle zum Einsatz.
Das Elektrodenmaterial wird mittels eines ge-
von 10 Ah bis zu ca. 100 Ah. Abmessungen liegen eigneten Beschichtungsverfahrens auf den ent-
für eine Zelle mit einer Nennkapazität von ~ 40 Ah sprechenden Stromableiter aufgetragen. Die ein-
beispielsweise bei 220 × 210 × 11 mm (Länge, Breite, gesetzten pulverförmigen Ausgangsmaterialien
Dicke, Gewicht ~ 1,1 kg). (Aktivmaterial, Binder, Zusätze) werden zunächst
Der Vorteil dieser Bauform ist die gegenüber in einem Lösungsmittel verteilt, sodass eine homo-
der prismatischen Bauform weiter reduzierte Mas- gene Dispersion entsteht. Diese wird dann mittels
se des Gehäuses, da auf ein festes Metallgehäuse Sprühverfahren oder anderen geeigneten Verfah-
verzichtet wird. Bezogen auf eine bestimmte Zell- ren aufgetragen. Typische Elektrodenschichtdicken
chemie kann mit dieser Bauform eine nochmals liegen im Bereich von einigen zehn µm bis zu ca.
höhere spezifische Energiedichte erreicht werden. 100  µm. Für Aktivmaterialien, die PVdF-Binder
Ebenso ist die Raumausnutzung bei Stapelung ähn- enthalten, kommt als Lösungsmittel oftmals N-
lich hoch wie bei prismatischen Zellen. Aufgrund methyl-2-pyrrolidone (NMP) zum Einsatz. In-
der geringeren Gehäusemasse ist zudem die Wär- tensiv wird auch an anderen geeigneten Binder-
mekapazität des Gehäuses geringer, womit sich systemen auf Wasserbasis gearbeitet. Nach der
die Zelle leichter kühlen lässt. Als Nachteil dieser Beschichtung schließt sich ein Trocknungsschritt
Bauform ist die geringere mechanische Robustheit zur Entfernung des Lösungsmittels an. Bei Verwen-
(Aluminiumfolientasche) zu nennen. Weiter ist dung von Wasser kommt dem Trocknungsschritt
die Hülle durch sogenannte Heißsiegelnähte ver- eine besondere Bedeutung zu, da häufig eingesetzte
schlossen, die eine geringe Barrierewirkung für Elektrolyte wasserempfindlich sind. Zudem neigen
7.4 • Lithium-Batterien
265 7

. Tab. 7.14  Vergleich von typischen Leistungskenndaten einer Hochleistungs- und einer Hochenergie-Zelle am
Beispiel des Li(Ni, Mn,Co)O2/C-Systems (Pouch-Bauform, Nennkapazität der Zellen ~ 50 Ah, Angaben lt. Hersteller;
Vergleich dient zur Illustration einer Zellauslegung mit typischen Parametern)

Merkmal Hochleistungs-Zelle Hochenergie-Zelle

Max. Ladestrom (kontinuierlich) 3C 2C

Max. Ladestrom (Puls < 10 s) 5C 3C

Max. Entladestrom (kontinuierlich) 12C 5C

Max. Entladestrom (Puls < 10 s) 15C 8C

Spezif. Energiedichte (Wh/kg) 150 180

Zellmasse (g/Ah) ~ 25,7 ~ 21,3

Typische Anwendungen z. B. HEV z. B. EV

einige Aktivmaterialien zur Alterung unter dem Eine auf Energiedichte optimierte Zelle kommt
Einfluss von Feuchtigkeit. Daher finden besonders daher mit weniger Elektroden- und Ableiterfläche
kritische Prozessschritte innerhalb der Zellferti- aus als eine Hochstromzelle mit nominell gleicher
gung in sogenannten Trockenräumen bzw. unter Nennkapazität. Typische Leistungskenndaten für
Inertgasatmosphäre statt. Für Ausführungen zur eine Hochenergie- und eine Hochstrom-Zelle am
Materialsynthese und Herstellung der Aktivmate- Beispiel eines Li(Ni, Mn,Co)O2/C-Systems sind
rialien sei auf entsprechende weiterführende Lite- in . Tab.  7.14 zusammengestellt (Nennkapazität
ratur verwiesen (s. [18, 36]). der Zellen: ~ 50 Ah). Wesentlich höhere Lade- und
Über die Partikelform, die Größenverhältnisse Entladeströme sind für die Hochleistungs-Zelle zu-
und die eingestellte Porosität beim Verdichten des lässig. Kurzzeitig, d.  h. für Pulsbelastungen, kön-
Elektrodenmaterials (Kalandrieren während der nen sogar noch höhere Lade- und Entladeströme
Herstellung) kann Einfluss auf die Leistungseigen- erreicht werden.
schaften der Zelle genommen werden. Ausgenutzt Im Beispiel kann dieser kurzzeitige Entlade-
wird dies, indem Elektroden für hochstromfähige strom (Ladestrom) sogar 15C (5C) (xC entspricht
Zellen bzw. Hochleistungszellen mit einer höhe- der x-fachen Kapazität des Moduls (z.  B. Ladung:
ren Porosität und geringeren Elektrodenschichtdi- C = 50 Ah → xC = 250 A) betragen. Ob es sich nun um
cke sowie eventuell kleineren Partikelgrößen (vgl. eine Hochleistungs- oder Hochenergiezelle handelt,
7 Abschn.  7.4.5) aufgebaut werden. Damit kann wird üblicherweise an einem zulässigen kontinu-
durch eine größere Kontaktfläche zwischen Elek- ierlichen Entladestrom von > 5C entschieden. Die
trolyt und Aktivmaterial der Ladungstransfer von Hochleistungszelle benötigt dafür eine höhere Zell-
Li-Ionen in bzw. aus dem Aktivmaterial erleichtert masse pro Ah. Werden beispielsweise schnellladefä-
werden. Außerdem können Diffusionswege sowie hige Lithiumionen-Batterien in Hybridfahrzeugen
Leitfähigkeitspfade im Aktivmaterial verkürzt wer- für die Speicherung der Bremsenergie bei Reku-
den. Diese Optimierung führt aber auch zu einer peration gefordert, würden Hochleistungs-Zellen
Reduzierung der Energiedichte der Zelle, da die eingesetzt werden. Hochenergie-Zellen würden da-
spezifische Massenbelegung (Elektrodenmasse pro gegen beispielsweise in (rein) batteriebetriebenen
Ableiterfläche) reduziert wird. Sollen dagegen auf Elektrofahrzeugen (EV) eingesetzt werden.
Energiedichte optimierte Zellen entwickelt wer- Mit den Werten aus 7 Abschn. 7.4.1. folgt ein ma-
den, wird mit einer geringeren Porosität und grö- ximaler Wert von ~ 650 Wh/kg für die Energiedichte
ßeren Elektrodenschichtdicken gearbeitet. Damit von Li(Ni, Mn,Co)O2 (3,8 V; ~ 170 Ah/kg). Die da-
ist die spezifische Massenbelegung größer als im gegengehaltenen praktischen Werte der spezifischen
Vergleich zu hochstromoptimierten Elektroden. Energiedichte einer Li(Ni, Mn,Co)O2/C Zelle liegen
266 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

laut . Tab. 7.14 bei 150 Wh/kg bzw. bei 180 Wh/kg. 4,5 60

Die Differenz erklärt sich daraus, dass neben den ak- 40


tiven auch alle notwendigen passiven Komponenten 4,0
20
zum Gewicht der Zelle beitragen. Diese Diskrepanz

Spannung in V
C/20,

Strom in A
Abschalten des
zwischen theoretischer Energiedichte und praktisch 3,5
Ladestroms
0
erzielter Energiedichte findet sich dementsprechend
-20
bei allen Batteriesystemen wieder. 3,0
-40
CC CV
2,5 -60
7.4.7 Betriebsweise und typische 0 40 60 80 100
Zeit in min
Leistungskenndaten
. Abb. 7.52  Typischer Ladungs- und Entladungszyklus
7.4.7.1 Laden- und Entladen von für eine Lithium-Batterie. Man unterscheidet die Konstant-
Lithium-Zellen strom- (CC) und Konstantspannungsphase (CV) beim Laden
Für jede Lithiumionen-Zelle gibt es in Abhängig- sowie die Entladung bei konstantem Strom. Die konstant zu
haltende Zellspannung (CV) entspricht dem Wert der vorzu-
keit der verwendeten Zellchemie Spannungsgren-
7 zen, innerhalb der die Zelle sicher betrieben wer-
gebenden Ladeschlussspannung. Der minimale Ladestrom
für die Beendigung der Konstantspannungsphase ist ebenso
den kann. Die obere Spannungsgrenze entspricht wie die Entladeschlussspannung vorzugeben. Am Beispiel
der Spannung bei Ladezustand 100 % und die unte- eines Li(Ni, Mn,Co)O2/C-Systems: Nennkapazität 53 Ah, Lade-
re derjenigen bei Ladezustand 0 %. Je nach Zellche- und Entladestrom 53 A (bzw. einstündiger Strom), Lade-
schlussspannung von 4,2 V, Abschaltstrom CV-Phase C/20
mie sind diese Spannungsgrenzen unbedingt den
Herstellerangaben zu entnehmen. Wird eine Zelle
tiefentladen, führt dies zu einer Schädigung der tantem Strom wird im Beispiel fortgeführt, bis eine
Elektroden (z. B Kupferauflösung) und einer Elek- vorzugebende, für das System typische Spannung
trolytzersetzung bis hin zu einem »thermischen – hier 4,2  V – erreicht ist, die sogenannte Lade-
Durchgehen« der Zelle (bei erneuter Ladung). Die schlussspannung. Diese Spannung ist in Abhängig-
Überladung einer Zelle führt ebenso zu einer irre- keit des verwendeten Systems zu wählen.
parablen Schädigung. Dabei kann es zu einer stark Dann wird die Zellspannung konstant auf dem
exothermen Zersetzung der Elektrodenmaterialien Wert der Ladeschlussspannung gehalten. Während
und einer Zersetzung des Elektrolyten sowie wei- dieser Konstantspannungsphase sinkt der Lade-
teren Reaktionen auch verschiedener Zellkompo- strom allmählich ab (s. . Abb. 7.52). Die Entladung
nenten untereinander kommen. ist beendet, wenn ein vorzugebender Wert z. B. ein
Zur Bestimmung der Zellkapazität oder zum Stromwert von I = C/20 erreicht ist. In der Abbil-
Test des Zellverhaltens wird häufig eine sogenannte dung folgt auf die Ladephase eine Ruhephase. Bei
CCCV-Ladung in Kombination mit einer CC-Ent- der sich anschließenden Konstantstromentladung
ladung verwendet. Die Ladung setzt sich dabei aus (z.  B. zur Bestimmung der Kapazität) wird mit
zwei Ladephasen zusammen: der Konstantstrom- einem konstanten Strom entladen, bis eine für das
ladung (constant current) und der Konstantspan- System vorzugebende typische Zellspannung – die
nungsladung (constant voltage). In . Abb.  7.52 ist sogenannte Entladeschlussspannung – erreicht ist.
diese exemplarisch für das Li(Ni, Mn,Co)O2/C- In . Abb.  7.52 ist die Entladung bei einem Strom
System (Nennkapazität 53 Ah) gezeigt. Die Ladung von 53 A und für eine Entladeschlussspannung von
beginnt mit konstantem Strom (im Beispiel ein- 2,75 V dargestellt.
stündiger Strom, 53 A). Je nach verwendeter Zell- Zusammenfassend ist für den Betrieb einer Lit-
chemie und weiteren Bedingungen wie Temperatur hiumionen-Zelle zu beachten, dass dieser auf einen
und Innenwiderstand stellt sich die Zellspannung von der Zellchemie abhängigen zulässigen Span-
ein, die kontinuierlich mit zunehmendem Lade- nungsbereich beschränkt wird. Für den sicheren
zustand der Zelle ansteigt. Die Ladung mit kons- Betrieb von Lithiumionen-Zellen sind damit eine
7.4 • Lithium-Batterien
267 7
4,5 4,5

4 4
Spannung in V

Spannung in V
3,5 3,5

3 3
Ladung: 4,2 V:CCCV:1C Ladung: 4,2 V:CCCV:1C
Entladung: 2,75V:CC; Entladung: 2,75V:CC;
100% DOD 100% DOD
2,5 2,5
0 20 40 60 80 100 120 0 20 40 60 80 100 120
a Normierte Kapazität % b Normierte Kapazität %

0,2C 1,0 C 4,0 C 8,0 C 0,5C 2,0 C 7,0 C

. Abb. 7.53  a Entladecharakteristik einer Lithiumionen-Zelle (Hochenergie-Zelle), b Entladecharakteristik einer Hochleis-


tungszelle (CCCV-Ladung: Stromrate 1C, bis 4,2 V; CC-Entladung: 2,75 V, Entladetiefe 100 %)

Überwachung der Einzelzellspannung und eine Der Zusammenhang zwischen Zellspannung


Begrenzung der Zellspannung auf einen vorgege- und entnommener Kapazität gilt fast genauso auch
benen Bereich unerlässlich. für höhere Entladeraten mit verschobenem Span-
nungslevel. Lediglich zu Beginn der Entladung
7.4.7.2 Entladecharakteristik nimmt die Zellspannung aufgrund der auftreten-
In . Abb. 7.53a) ist eine typische Entladecharakte- den Überspannung stärker ab. Würde die Zelle im
ristik einer Lithiumionen-Zelle des Li(Ni, Mn,Co) nicht mehr zugelassenen Bereich betrieben, d.  h.
O2/C-Systems gezeigt. Einige charakteristische im Beispiel mit > 3C entladen, bräche die Zellspan-
Merkmale sollen daran erläutert werden. Der Ver- nung ein. Die mittlere Zellspannung nimmt mit
lauf der Zellspannung ist in Abhängigkeit der ent- steigender Entladerate ab. Die geladene und ent-
nommenen Kapazität dargestellt. Dabei wurde die nommene Ladungsmenge hängt von der C-Rate ab.
Entladerate (C-Rate) bzw. der Entladestrom vari- Diese Abhängigkeit ist für Zellchemie und -aufbau
iert. Es sind die Entladekurven für C-Raten von C/5 gesondert zu untersuchen.
bis zu 3C wiedergegeben. Die Zelle wurde jeweils Bei diesem Beispiel handelt es sich um eine
mit einem konstanten Strom entladen. Die Kapa- typische Hochenergie-Zelle. Demgegenüber ist
zität ist auf die Nennkapazität der Zelle bei einer in . Abb.  7.53b) die Entladecharakteristik einer
C-Rate von eins (einstündige Entladung) normiert. Hochleistungszelle gezeigt. Die Entladekurven zei-
Typisch für das vorliegende Li(Ni, Mn,Co)O2/C- gen die kontinuierliche Abhängigkeit der Zellspan-
System ist die kontinuierlich abnehmende Zellspan- nung vom Entladezustand bis zu Entladeströmen
nung bei Entladung der Zelle (s. 7 Abschn. 7.4.1). Da von 8C. Selbst bei diesen hohen Stromraten ist kein
es bei diesem System einen eindeutig zuzuordnen- Einbrechen der Zellspannung zu verzeichnen. Die-
den Zusammenhang zwischen Zellspannung und se Zelle ist damit hochstromfähig. Wiederum hängt
Ladezustand gibt, kann hierfür leicht der Ladezu- die auf der Abszisse aufgetragene nutzbare Kapazi-
stand der Zelle messtechnisch über die Zellspan- tät von der verwendeten Stromrate (C-Raten) ab.
nung bestimmt werden. (Im Vergleich dazu ist die- Aus den Erläuterungen zu . Abb.  7.53 wird
ses bei dem LiFePO4/C-System nicht ohne Weiteres deutlich, dass je nach Auslegung einer Zelle die-
möglich.) se nur bestimmten maximal zulässigen Lade- und
268 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

4,5 nimmt. Die mittlere Zellspannung sinkt mit ab-


nehmender Temperatur. Bei Temperaturen unter
4,0 − 10 °C ändert sich sogar der Verlauf der Entlade-
kurve und zeigt einen deutlichen Einbruch in der
Spannung in V

Spannung.
3,5
Zum Verständnis dieses Verhaltens kann zu-
nächst die Viskosität des Elektrolyten betrachtet
3,0 werden. Mit der geringeren Temperatur der Zelle
sinkt seine Viskosität, sodass die Ionenbeweglich-
keit abnimmt und daraus ein höherer Innenwi-
2,5
0 20 40 60 80 100 120 derstand der Zelle resultiert. Dies führt bei einem
Normierte Kapazität in % konstanten Entladestrom dann zu einem stärkeren
45 °C -10 °C 0 °C Spannungsabfall, und die Entladeschlussspannung
20 °C -20 °C ist eher erreicht. In der Folge kann nicht die gesam-
te Kapazität der Zelle genutzt werden. Außerdem
. Abb. 7.54  Entladecharakteristik einer Lithiumionen-
wirken die abnehmende Leitfähigkeit der Elektro-
7 Zelle (Hochenergietyp) in Abhängigkeit der Temperatur
(CCCV-Ladung: Stromrate 1C, bis 4,2 V; CC-Entladung: 2,75 V, denmaterialien, die kinetische Hemmung und die
100 % DOD) Effekte durch die Orientierungspolarisation. Deut-
lich wird, dass die Leistungseigenschaften stark von
der Temperatur abhängen. Eine Überwachung der
Entladeströmen standhalten kann. Werden diese Zelltemperatur auf den zulässigen Temperaturbe-
maximal zulässigen Ströme überschritten, kann reich ist unerlässlich.
es zum Einbruch der Zellspannung kommen. Die
Potenzialverhältnisse können sich so einstellen, 7.4.7.4 Lebensdauer und Selbstentladung
dass die Elektrodenpotenziale außerhalb des zu- Für Aussagen in Bezug auf Lebensdauer und Al-
lässigen Spannungsfensters (Stabilitätsfensters) terung von Lithiumionen-Zellen wird die übliche
liegen. Dies kann in der Folge zu einer irrepara- Unterscheidung in kalendarische Lebensdauer und
blen Schädigung der Zelle führen. Also muss als Zyklenfestigkeit vorgenommen. Beide Größen be-
zusätzliche Anforderung die Überwachung der schreiben damit die Veränderung des Zellzustands
Lade- und Entladeströme jeweils auf maximal zu- mit der Zeit bzw. der Zyklenzahl. Die Änderung des
lässige Ströme im kontinuierlichen Betrieb als auch Zellzustands wird üblicherweise anhand des Ver-
bei Pulsbelastungen vorgenommen werden, um die lusts an Kapazität der Zelle gemessen. Qualitativ
Sicherheit zu garantieren. können folgende äußere Einflussfaktoren angege-
ben werden:
7.4.7.3 Temperaturverhalten 55 Kalendarische Alterung: Temperatur, Ladezu-
Die Entladecharakteristik besitzt auch eine Tem- stand
peraturabhängigkeit. Je nach verwendetem Sys- 55 Zyklenfestigkeit: Lade- und Entladerate, Tem-
tem und Elektrolyten muss die Temperaturab- peratur, Ladezustand, Entladetiefe.
hängigkeit gesondert untersucht werden. Exem-
plarisch ist dies in . Abb. 7.54 für eine Zelle des Diese Einflussfaktoren werden auch als Stressfak-
Li(Ni, Mn,Co)O2/C-Systems gezeigt. Dabei wur- toren bezeichnet. Schließlich kann der Verlust der
de die Zelle mit einem konstanten Strom (1C-Ra- nutzbaren Kapazität in Abhängigkeit der Zeit, der
te) jeweils bei Temperaturen von − 20, − 10, 0, 20 Zyklenzahl (bzw. durchgesetzten Ladungsmenge)
und 45 °C entladen. Bezogen auf eine Temperatur sowie der o.  g. Stressfaktoren untersucht werden.
von 20 °C wird deutlich, dass bei höheren Tempe- Exemplarisch ist in . Abb. 7.55 für das System Li(Ni,
raturen die entnommene Kapazität ansteigt, bei Mn,Co)O2/C die Abhängigkeit der Kapazität der
Temperaturen unter 20 °C dagegen deutlich ab- Zelle von der Zyklenzahl für verschiedene Entlade-
7.4 • Lithium-Batterien
269 7

1,0 Material und kann auch zum Anstieg des Innen-


widerstands führen. Ein weiterer Einfluss ist das
0,9
kontinuierliche Wachsen der SEI-Schicht und
Normierte Kapazität

0,8 20% DOD damit des Innenwiderstands der Zelle. Entste-


50% DOD
80% DOD hen innerhalb dieser SEI-Zwischenschicht Risse,
0,7
100% DOD kommt es bei der Neubildung der SEI-Schicht
0,6
Ladung: CCCV:1C
zu einem allmählichen Verbrauch des Lithiums
Entladung: CC;x%
Datenpunkte aller 28 Tage
und damit zu einer verringerten Ladungsträ-
0,5
0 4000 8000 12000 16000 gerkonzentration. Ein anderer Einfluss ist das
Zyklenzahl
sukzessive Herauslösen von Übergangsmetallio-
. Abb. 7.55  Kapazität in Abhängigkeit der Zyklenzahl
nen (Schichtoxide) durch den Elektrolyten. Für
für verschiedene Entladetiefen (DOD) am Beispiel einer weiterführende Studien zur Alterung sei auf die
Lithium-Zelle des Li(Ni, Mn,Co)O2/C-Systems (Raumtem- zahlreiche wissenschaftliche Literatur verwiesen
peratur, einstündiger Lade- und Entladestrom, variierte (s. [18]).
Entladetiefe)

7.4.7.5 Sicherheit von Lithiumionen-Zellen


tiefen dargestellt (einstündiger Lade- und Entlade- Untersuchungen hinsichtlich der Sicherheit von
strom). Erreicht die nutzbare Kapazität der Zelle Lithiumionen-Zellen sind Gegenstand aktueller
80 % der Anfangskapazität, wird dies üblicherweise Forschung, wobei ein abschließender Kenntnis-
als Lebensende für eine Zelle definiert (end of life). stand bei Weitem noch nicht erreicht ist. Einige
Ein deutlicher Einfluss infolge der Entladetiefe ist wenige Aspekte seien im Folgenden aufgeführt.
erkennbar. Werden andere Aktivmaterialsysteme Für Aussagen hinsichtlich der Sicherheit von
untersucht, so erhält man andere Abhängigkeiten Lithiumionen-Zellen wird häufig die thermische
und Lebensdauern. Zersetzung von Materialien der positiven Elekt-
Lithiumionen-Zellen zeigen üblicherweise rode herangezogen. Zugehörige Untersuchungen
eine sehr geringe Selbstentladungsrate. Werte zeigen, dass in Abhängigkeit des Materials eine
für den Kapazitätsverlust pro Jahr bei Raum- Zersetzung im Bereich von 150–250 °C einsetzt. Bei
temperatur liegen durchaus bei < 3 % (für einen dieser thermisch initiierten Zersetzung wird Wär-
mittleren Ladezustand), können allerdings bei me freigesetzt, die das Fortschreiten der Zersetzung
höheren Temperaturen auch auf Werte von bis des Aktivmaterials zusätzlich beschleunigt. Dieses
zu 15 % ansteigen. Die Lagertemperatur und der wird als thermal runaway oder thermisches Durch-
Ladezustand der Zelle nehmen einen deutlichen gehen bezeichnet. Wird bei dieser Zersetzung
Einfluss, derart, dass die Selbstentladung mit Sauerstoff freigesetzt – wie bei den diskutierten
steigender Lagerungstemperatur und steigendem Übergangsmetalloxiden – kann extrem viel Wärme
Ladezustand der Zelle typischerweise zunimmt. erzeugt werden (LiFePO4 dagegen setzt beispiels-
Unterliegen Lithiumionen-Zellen längeren Ruhe- weise keinen Sauerstoff frei).
zeiten und werden dabei mit einer aus den Zellen Diese Betrachtung ist allerdings einseitig, wer-
gespeisten Elektronik überwacht, muss zusätzlich den nicht andere Faktoren wie die thermische Sta-
zur eigentlichen Selbstentladung auch der Eigen- bilität der negativen Elektrode, des Elektrolyten
stromverbrauch der Elektronik berücksichtigt oder anderer Zellkomponenten berücksichtigt.
werden. Außerdem spielen Randbedingungen durch den
Zu den Alterungseinflüssen auf Elektroden- Zellaufbau bzw. mögliche Fertigungs- und Herstel-
ebene gehört der Kontaktverlust zwischen den lungsfehler eine Rolle.
Aktivmaterialpartikeln. Die mechanische Be- Den Ausführungen zu den Separatoren folgend
anspruchung infolge der Volumenänderung bei sind diese bis zu ca.  130–150 °C stabil. Die obere
Ein- und Auslagerung der Li-Ionen ist die Ursa- Temperaturgrenze für den Einsatzbereich der Elek-
che für das Aufbrechen der Kontakte. Dies führt trolyte wird eher durch die thermische Stabilität
dann zum Verlust von elektrochemisch aktivem der sich in Lösung befindenden Leitsalze und das
270 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

Einsetzen möglicher Nebenreaktionen bestimmt. 55 Wird eine Lithiumionen-Zelle außerhalb des


Die häufig verwendeten Leitsalze beginnen bei zulässigen Bereichs betrieben, ist dies mit
Temperaturen von ca. 100 °C und mehr sich zu zer- einem hohen Gefahrenpotenzial verbunden.
setzen. Da der Ablauf von chemischen Reaktionen 55 Eine Lithiuminonen-Zelle hat für eine lange
bei höheren Temperaturen erleichtert wird (Arrhe- Lebensdauer idealerweise einen Ladezustand
nius-Verhalten), geht der Anstieg der Zelltempera- zwischen 30–70 %. Bei hohen Temperaturen
tur mit einer verstärkten Reaktion zwischen dem können hohe Ladezustände sich schädlich auf
Elektrolyten und z. B. LiC6 und einem verstärkten die Lebensdauer auswirken und sollten daher
Wachstum der SEI-Schicht (Erhöhung Innenwi- vermieden werden.
derstand) einher. Dieses kann auch mit einer Gas-
bildung und einem Anschwellen der Zelle verbun- Fazit
den sein. Hinzu kommt, dass es bei Temperaturen Ausblick
von > 70 °C zu einer verstärkten Zersetzung der Die Entwicklung auf dem Gebiet der Lithiumionen-
SEI-Passivierungsschicht kommt. Diese Reaktio- Zellen ist bei Weitem nicht abgeschlossen. Reicht
nen verlaufen in der Regel exotherm, sodass damit beispielsweise eine Lebensdauer der Lithium-Zel-
eine Wärmefreisetzung und Erwärmung der Zelle len mit einigen hundert Zyklen und mit einer Halt-
7 verbunden ist. Ist eine Lithiumionen-Zelle ther- barkeit von wenigen Jahren (z. B. < 5 Jahre) für den
misch gut isoliert, kann die freiwerdende Wärme Konsumgüterbereich aus, sind diese Werte für viele
für die Initiierung des thermal runaway ausreichen. Anwendungen im Industriebereich nicht zu akzep-
Ist das Ausfrieren der Lösungsmittelkomponen- tieren. Als verstärkte Anforderungen an die Spei-
ten bei tieferen Temperaturen (ca. − 30–20 °C) in der cher seien hier Hochstromfähigkeit und Schnellla-
Regel noch reversibel, handelt es sich bei den Zer- defähigkeit, Energiedichte sowie Lebensdauer und
setzungsreaktionen des SEI oder anderen Neben- Sicherheit angeführt. Beispielsweise sind schnell-
reaktionen bei höheren Temperaturen um einen ladefähige Batterien in Hybridfahrzeugen für die
irreversiblen Vorgang. Folglich wird für EC-basier- Speicherung der Bremsenergie bei Rekuperation
te Elektrolyte in der Regel ein Einsatztemperatur- gefordert. Für den Einsatz als Speicher in elektri-
bereich mit − 20 °C bis zu ca. 50/60 °C angegeben. schen Netzen werden Lebensdauern von > 10  Jah-
Kommt es unter anormalen Betriebsbedingungen ren benötigt.
zu einem Öffnen der Zelle, sind die leicht entflamm- Der Aufbau hierfür geeigneter Lithiumtechno-
baren Komponenten wie DMC, DEC und EMC als logien erfordert noch die Lösung zahlreicher wis-
eine Gefahrenquelle zu betrachten (s. . Tab.  7.11). senschaftlicher Fragestellungen und weitere tech-
In neueren Elektrolyten werden verstärkt Additive nische Entwicklungen. Für eine Verbesserung der
eingesetzt, die Einfluss auf die Zersetzungsreaktio- Hochstromfähigkeit von großformatigen Lithium-
nen und die Entflammbarkeit nehmen. Zellen ist ein vertieftes Verständnis der Beziehun-
gen zwischen Materialsynthese, Elektrodenaufbau
Fazit (Partikelgröße, -morphologie, -verteilung, Porosität,
55 Die Leistungseigenschaften von Lithiumio- Zusammensetzung) und den resultierenden Leis-
nen-Zellen hängen stark von der eingesetzten tungseigenschaften (Stromraten, Innenwiderstand)
Zellchemie und dem verwendeten Aufbau der Voraussetzung.
Elektroden und der Zelle ab. Sie lassen sich in Zur Erhöhung der Energiedichte (spezifische
Hochleistungs- und Hochenergie-Zellen unter- Kapazität, Redoxpotenziale) wird an neuartigen
teilen. Für den sicheren Betrieb von Lithium-Zel- Aktivmaterialien für die positive und negative Elek-
len ist eine Überwachung und Steuerung (z. B. trode gearbeitet. Beispielsweise seien hier Über-
in Form eines Batteriemanagementsystems) gangsmetallphosphate (Hochvoltolivine, ca. 5°V vs.
erforderlich. Überwacht werden müssen: Li + /Li) wie LiMnPO4, LiCoPO4 oder LiNiPO4, über-
–– Einzelzellspannung stöchiometrische Schichtoxide Li1+δ(Ni, Mn,Co)O2
–– maximal zulässige Lade- und Entladeströme und neuartige Manganspinelle bzw. auch Mischun-
–– Zelltemperatur. gen verschiedener Aktivmaterialien genannt. Ein
7.5 • Natrium-Schwefel-Batterien
271 7
Anode(–) Kathode(+) her ist deren Einsatz aufgrund ihres höheren Innen-
widerstands beschränkt. An alternativen Ansätzen
Innen-
behälterwand wird gearbeitet.
Natrium
Elektrolyt
Natrium Schwefel
Natrium-
Außenbehälter-
elektrode
wand 7.5 Natrium-Schwefel-Batterien
Anoden-
behälter
Festkörper- Der Natrium-Schwefel-Akkumulator ist eine Hoch-
elektrolyt
Schwefel- temperaturbatterie. Sie zeichnet sich durch eine Be-
elektrode triebstemperatur von über 300 °C aus (s. [35]).
Überdruck
Kathoden- .  Abbildung  7.56 zeigt einen Natrium-Schwe-
behälter
fel-Akkumulator mit zylindrischem Aufbau. Im
Inneren der Zelle befindet sich die negative Elek-
trode. Diese ist bei Betriebstemperatur von ge-
. Abb. 7.56  Aufbau eines Natrium-Schwefel-­
Akkumulators
schmolzenem Natrium umgeben. Innerhalb des
zylinderförmigen, keramischen und Na+-Ionen lei-
tenden Festelektrolyten aus dotiertem Aluminium-
Einsatz dieser neuartigen Verbindungen ist aller- oxid (auch als ß-Aluminat (ß-Al2O3) bezeichnet),
dings an neue Elektrolyte geknüpft, die hinsichtlich befindet sich ein eprouvettenförmiger Metallzy-
des elektrochemischen Spannungsfensters den Be- linder mit einer Bohrung an der Unterseite. Somit
reich der dann auftretenden Redoxpotenziale ein- trennt der Metallzylinder den Festelektrolyten von
schließen. der flüssigen Natriumelektrode. Die Bohrung wird
Silizium- und Zinnlegierungen, ebenso wie Sili- auch als Sicherheitseinsatz bezeichnet und ist der-
zium-Kohlenstoff-Verbundwerkstoffe, sind aufgrund art dimensioniert, dass das flüssige Natrium por-
ihrer hohen spezifischen Kapazität als Material für tionsweise geregelt aus dem Inneren ausfließen und
die negative Elektrode interessant. Weil bei der durch die Kristallgitterfehlstellen des Festelektroly-
Ein- und Auslagerung der Li-Ionen eine enorme Vo- ten diffundieren kann. Beim Entladevorgang wird
lumenausdehnung auftritt, ist ihr Einsatz an geeig- dann das flüssige Natrium zu Na+-Ionen oxidiert.
nete Ansätze zur Kompensation der mechanischen Der Sicherheitseinsatz verbindet also den positiven
Dehnungen geknüpft. mit dem negativen Pol.
Intensiv wird an Additiven für Elektrolyte ge- Im Falle eines Bruchs des Keramik-Separators
arbeitet. Sogenannte Shuttle-Mechanismen könn- würde ein interner Kurzschluss entstehen. Mit dem
ten für eine höhere Sicherheit eingesetzt werden: Sicherheitseinsatz kann der Austritt von Natrium
Bei Erreichen einer gewissen Zellspannung wird so begrenzt werden, dass die entstehende Wärme
das weitere Ansteigen der Spannung vermieden, da ohne sogenanntes »thermisches Durchgehen« ab-
eine reversible Reaktion des Additivs beginnt. Eben- geführt werden kann (s. [16, 34]).
so kann bei Erreichen einer bestimmten Zellspan- Im Kathodenbehälter im äußeren Bereich der
nung eine Polymerisation von Additiven einsetzen, Zelle befindet sich der in flüssigem Schwefel ge-
die zu einer Erhöhung des Innenwiderstands und tränkte Graphitfilz. Dieser bildet die positive Elek-
damit zu einer Abschaltung der Zelle führt. Zudem trode.
können Additive für eine stabilere SEI-Bildung ver- Alle Zellen befinden sich in einem wärmeiso-
wendet werden. Polymer- oder andere Feststoff- lierten Behälter, in den auch Kühlung und Heizung
elektrolyte sind als Ersatz flüssiger Elektrolyte des- integriert sind. Zur Temperaturregelung wird ein
halb interessant, weil die Gefahr des Elektrolytaus- außerhalb des Systems platziertes Batteriemanage-
tritts gebannt wird und weil man gegebenenfalls mentsystem benötigt.
auf den klassischen Separator verzichten kann. Bis-
272 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

den Natriumpolysulfide von der äußeren Festelek-


trolytoberfläche zu entfernen und neuen flüssigen
Schwefel zur Reaktionszone zu transportieren. So
soll der Graphitfilz in Verbindung mit dem Sicher-
heitseinsatz eine spontane chemische Reaktion bei
einem Bruch des keramischen Festelektrolyten ver-
hindern (s. [34]).

7.5.2 Der Elektrolyt/Separator

Der Separator trennt in elektrochemischen Ele-


. Abb. 7.57  Darstellung von Bauformen des keramischen menten Anode und Kathode sowohl elektrisch als
Festkörperelektrolyts des Unternehmens Ionotec
auch räumlich (s. . Abb.  7.57). Hinsichtlich des
NaS-Systems trennt der Separator das Natrium auf
der negativen Elektrode vom Schwefel auf der posi-
7 7.5.1 Die Elektroden tiven Elektrode. Zur Umwandlung von chemischer
in elektrische Energie (und umgekehrt) muss der
Bei NaS-Akkumulatoren ist eine hohe Temperatur Separator zudem ionendurchlässig sein. Der Sepa-
erforderlich, damit Natrium und Schwefel in flüs- rator besteht im NaS-System aus einer Keramik, die
siger Form vorliegen. Die Erstarrungstemperatur im Gegensatz zu den Elektroden nicht in flüssiger,
der beiden Stoffe muss überschritten sein, damit sondern in fester Form vorliegt. Hauptbestandteil
ein ausreichender Energiefluss zwischen den Elekt- des keramischen Festkörperelektrolyten ist das Na-
roden zustande kommen kann (s. [16]). Ionen gut leitende β-Aluminat (Al2O3). Es erinnert
Ein weiterer Grund für das Vorliegen des flüs- hinsichtlich seines Erscheinungsbildes an eine un-
sigen Aggregatszustands ist die unveränderte Kris- glasierte Keramik und wird ab einer Temperatur
tallstruktur der aktiven Masse während kontinu- von ca. 300 °C ionenleitfähig.
ierlicher Lade- und Entladevorgänge. Damit wird Der Al2O3-Elektrolyt ermöglicht eine Leitfähig-
dem Aufbau inaktiver, zerstörender Verbindungen, keit von Natriumionen von 0,2– ~ 0,4 S/cm. Gleich-
den sogenannten Dendriten, entgegengewirkt. Die- zeitig wirkt er für Elektronen als Isolator. So ist eine
se Dendriten können beim Durchdringen des Se- elektrische Isolation von 1·1014–1·1015 Ωcm möglich
parators einen Kurzschluss in der Zelle auslösen, (s. [16, 35, 43]).
was zu einer beschleunigten Entladung bis hin zu Die Zusammensetzung der Beta-Aluminat-
einem Totalausfall führen kann. Im Vergleich zu Gruppe von Oxiden ist durch ein Zusammenspiel
anderen Batterien kann aufgrund des flüssigen Zu- aus abwechselnd dicht und locker verpackten
stands der Elektroden eine höhere Zyklenzahl er- Schichten charakterisiert. Die lockeren Schichten
reicht werden (s. [10, 11]). werden als Leitflächen bezeichnet. In diesen kön-
Da Natrium ein reaktionsfreudiges und mit nen sich die Natrium-Kationen frei in einem elekt-
Wasser heftig reagierendes Alkalimetall ist, muss es rischen Feld bewegen. Der Anteil an Oxidionen ist
durch den Metallbehälter gut vor Umwelteinflüssen in dieser Schicht sehr gering. Die festen Schichten,
geschützt werden. Im äußeren Bereich der Zelle be- die auch als Spinellblöcke bezeichnet werden, sind
findet sich der flüssige Schwefel als zweite aktive Schichten von mit Aluminiumionen gepaarten
Komponente. Schwefel ist im festen wie im flüssi- Sauerstoffionen. Beide befinden sich in oktaedrisch
gen Zustand ein elektrischer Nichtleiter. Zur Errei- und tetraedrisch angeordneten Gitterstrukturzwi-
chung einer guten elektrischen Leitfähigkeit wird schenräumen. In der Beta-Aluminat-Gruppe gibt
er in einen Graphitfilz eingebracht. Neben dem es zwei sich voneinander klar abgrenzende Kris-
Elektronentransport hat die Filzstruktur auch die tallstrukturen. Hierbei handelt sich um eine hexa-
Funktion, die sich bei der Entladung entwickeln- gonale Anordnung. Die beiden Kristallstrukturen
7.5 • Natrium-Schwefel-Batterien
273 7

A A
B B
C C
D A

C- Achse
Leitfläche Leitschicht

A C
B A
C B
D C

Leitschicht
O2– NA+ Al3–
B
C
A
B

. Abb. 7.58  Darstellung der Anordnungssequenz von Beta-Aluminat Al2O3

unterscheiden sich in ihrer chemischen Stöchiome- 7.5.3 Das Heizsystem


trie und ihrer Anordnungssequenz von Sauerstoff-
ionen entlang der Leitflächen (s. [19, 31]). Aufgrund der notwendigen Betriebstemperatur
Die Grafik in . Abb.  7.58 soll eine ungefähre von 300–350 °C ist das Heizsystem eine wichtige
Vorstellung davon geben, wie die Verhältnisse der Komponente des Akkumulators (s. . Abb. 7.59 und
Moleküle und deren Anordnung zueinander sind. . 7.60). Im genannten Temperaturbereich ist der
Die Spinellblöcke sind durch die Leitflächen Innenwiderstand der Batterie am geringsten. Ein
miteinander verbunden. Wie in . Abb. 7.58 darge- Temperaturabfall würde zu einer starken Degrada-
stellt, diffundieren die beweglichen Natriumionen tion der Leistung bzw. des Wirkungsgrades führen.
innerhalb der Leitschichten senkrecht zur darge- Während der aktiven Nutzung der Hochtempe-
stellten C-Achse (s. [19]). raturbatterie reicht die Reaktionswärme zur Auf-
Der Elektrolyt bzw. der Separator wird auf- rechterhaltung der Temperatur aus. Eine Regelung
grund seiner Natrium-Ionen leitenden Eigenschaft des Heizsystems bei Ruhephasen ist jedoch un-
als Membran in NaS-Batterien eingesetzt. Dort ist entbehrlich. Aus diesem Grunde verfügen Hoch-
er als zylinderförmiger Kelch vorhanden, dessen temperaturbatterien immer über Batteriemanage-
Innenraum mit flüssigem Natrium gefüllt ist. Beim mentsysteme. Diese Regelung befindet sich außer-
Entladen wird Natrium somit an der Grenze des halb der Batterie und kann durch Ansteuern einer
Elektrolyten zu Na + oxidiert und kann durch die internen oder externen Heizung einen Ausgleich
Keramik zum Kathodenbehälter mit dem Schwefel für die Wärmeverluste bei Standzeiten schaffen.
diffundieren (s. [16, 35]). Beim Batteriebetrieb kann die Temperatur solch
Aufgrund der hohen Druckfestigkeit des Elek- hohe Werte erreichen, dass eine aktive Kühlung er-
trolyten von 2000–4000  MPa sowie seiner hohen forderlich werden kann. In Abhängigkeit von der
Korrosions- und Verschleißbeständigkeit eignet er Temperatur kann mithilfe von Thermosensoren
sich für die innerhalb einer NaS-Batterie auftreten- die Zufuhr bzw. Abfuhr von Wärme gesteuert wer-
den Belastungen sehr gut (s. [43]). den (s. [35]).
274 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

Isolationsplatte trockener
Sand

Hitzeisolierter
Behälter (oben)

Hitzeisolierter Hauptpole Elektrische Zelle Sicherungen


Behälter (unten) Heizung

. Abb. 7.59  Schematischer Aufbau eines Batteriemoduls

Oberhalb- liegendes Unterhalb- liegendes


Batteriegehäuse Batteriegehäuse

Thermoelement Thermoelement

Einzellne Zelle Einzellne Zelle

Haupterhitzer (1kW) Haupterhitzer (1 kW)


Nebenerhitzer (0,5 kW)

. Abb. 7.60  Schematische Darstellung des Heizsystems

Bei der Positionierung der Thermosensoren Zellen sind in der Regel in einem vakuumisolierten
sind einige Modalitäten zu beachten. So muss ein Modul zusammengefasst. Die thermische Isolie-
Kurzschluss zwischen den Zellen und Zellengrup- rung hat die Funktion, den Wärmeverlust gering zu
pen und eine Verschiebung der Position des Mess- halten und die Betriebstemperatur bei Ruhephasen
ortes während des Betriebs vermieden werden. weitestgehend beizubehalten, damit bei Strombe-
Eine weitere Herausforderung besteht in der darf unmittelbar auf das Speichersystem zugegrif-
Platzierung der Sensoren, die nach Fertigstellung fen werden kann.
der Batterie und der Wärmeisolierung nicht mehr Aufgrund des hohen Energiebedarfs zur Bei-
zugänglich sind. Die Batterie müsste im Falle eines behaltung der Betriebstemperatur während der
defekten Sensors abgekühlt und geöffnet werden. Ruhephasen eignen sich Natrium-Schwefel-Akku-
Dieser Vorgang ist zeitaufwendig und kostspielig mulatoren nur zum kurzzeitigen Speichern von
(s. [8, 14, 34, 35]). Energie (s. [16, 34]).
Ein weiterer Aspekt des Heizsystems ist die
Wärmeisolierung. Die einzelnen zylindrischen
7.5 • Natrium-Schwefel-Batterien
275 7
7.5.4 Formen und Modulgrößen

Batteriemodule setzen sich aus einzelnen, in Par-


allel- und Reihenschaltung miteinander verbun-
denen Zellen zusammen. Diese Module sind dann
wiederum in Serien- und/oder Parallelschaltung
zusammengefasst, um die gewünschten elektri-
schen Eigenschaften zu erhalten. Das Unterneh-
men NGK bietet hier zum einen das »Load Leve-
ling Module« und zum anderen das »Power Quality
Module« an. Der Hauptunterschied liegt in der An-
ordnung der Zellen innerhalb der Module und im
Schutzsystem (s. [27, 37]).
Die Zellen im Inneren eines NaS-Moduls sind
zylinderförmig aufgebaut. Mit einem durchschnitt-
lichen Durchmesser von 90,5 mm und einer Höhe
von 542  mm beläuft sich das Gewicht jeder ein-
zelnen Zelle auf ca. 5,3  kg. Die durchschnittliche
Entladespannung jeder Zelle liegt bei ca. 1,93 V bei
einer Entladedauer von ca. 6 h (s. [27]).
Die Module werden in einem Blocksys-
tem untereinander verschaltet aufbewahrt.
. Abbildung  7.61 stellt ein solches Blocksystem
dar. Hier sind 20-mal 50 kW Module miteinander
verbunden und erreichen somit eine Leistung von
1 MW. . Abb. 7.61  Ein 1 MW NaS-Speicherblock
Es werden unterschiedliche Größenordnungen
dieser Speicherblöcke eingesetzt. Durch zusätzli-
ches Verschalten der Speicherblöcke untereinander stehenden 54  MW-Windpark dient sie zum Aus-
kann die Leistung erhöht werden (s. [22]). gleich von Leistungsfluktuationen (s. [22]).
In den Abbildungen . Abb. 7.62 und . 7.63 wer-
den unterschiedliche Größenordnungen von NaS-
Systemen dargestellt. 7.5.5 Lade- und Entladevorgang
Der in . Abb. 7.62 gezeigte 2 MW-Block hat eine
Höhe von ca. 5,1 m und eine Länge von ca. 10,3 m. Die NaS-Zelle zeichnet sich u.  a. durch eine ge-
Der Block besteht aus 2-mal 1000  kW, die je ein ringe elektrochemische Selbstentladung aus. Nur
Gewicht von 86 t haben. Speicherblöcke mit einer im Fall eines längeren Speicherzeitraums, in dem
Kapazität von 12.000 kWh gehören jedoch nicht zu keine Lade- und Entladevorgänge stattfinden, ent-
den größten NaS-Systemen (s. [22]). lädt sich die Batterie zur Aufrechterhaltung der Be-
Mit einer parallelen Verschaltung von 17-mal triebstemperatur mit ca.  100  W bei einer Batterie
2  MW NaS-Blöcken wird eine Nennleistung von mit einer Kapazität von 20 kWh. Es wird dann von
34 MW und eine Gesamtenergie von 204 MWh er- einer thermischen Selbstentladung gesprochen.
reicht. Wird diese der elektrochemischen Selbstentladung
Das System in . Abb.  7.63 speist die Energie zugerechnet, liegt eine sehr hohe Selbstentladung
in das 154 kV-Hochspannungsnetz ein. Dies ist die vor (s. [27]).
bisher größte Installation von NaS-Systemen. In Beim Entladevorgang wird das Natrium an
Verbindung mit einem aus 34 Windturbinen be- der Grenze des Elektrolyten zu Na+ oxidiert. Das
positiv geladene Natrium-Ion kann nun durch den
276 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

5,162 m
2,1 m
FL

. Abb. 7.62  Schematische Darstellung eines 2 MW-Blocks

. Abb. 7.63  34 MW NaS-Speicherblocksystem

keramischen Elektrolyten zur positiven Elektrode Somit lautet die Reaktionsgleichung für den
diffundieren und dort den Schwefel reduzieren. Die ersten Schritt der Entladung (s. . Abb. 7.64):
Zellspannung stellt sich entsprechend des vorhan- Entladen
denen Schwefelgehalts im Außenraum des Elektro- (7.61)
2 Na + 5 S → Na 2S5 .
lyten ein (s. . Abb. 7.62).
Sind die Natriumionen durch den Elektrolyten
diffundiert und an der positiven Elektrode ange- Im geladenen Zustand der Zelle, in dem noch Nat-
kommen, reduzieren sie den Schwefelgehalt durch riumpentasulfide gebildet werden können, beträgt
Ablagerung in verschiedenen Sulfid-Verbindun- die Leerlaufspannung ca. 2,08 V. Solange noch ge-
gen. Steht genügend Schwefel zur Verfügung, bil- nügend Schwefel in der Elektrode vorhanden ist,
det sich zunächst Natriumpentasulfid Na2S5 (s. [16, bleibt die Spannung von 2,08 V bestehen.
35]).
7.5 • Natrium-Schwefel-Batterien
277 7

Na
Na
Na
e-
e-
Na e-
Na e-
e- e- 2Na+
Na+ 2Na+
e- e-
2Na+ e- Na
e- Na+ 2Na
Na
Na 5S
yS

xNa2
xNa2 S5
Sy
y=4...2 x=1...4
x=y+1
2. 1.

. Abb. 7.64  Reaktionen in der NAS-Zelle

Aufgrund der hohen Betriebstemperaturen Die Nernst-Gleichung beschreibt die Konzentra-


kann die Leerlaufspannung der NaS-Zelle nicht tionsabhängigkeit des Elektrodenpotenzials des
über die festgelegten Maßstäbe der elektroche- Redox-Paares.
mischen Spannungsreihen bestimmt werden. Sie Erst nach ca. 65 %-iger Entladung ändert sich
muss an dieser Stelle über die Nernst-Gleichung der Zustand und die Spannung fällt ab. Dies ge-
hergeleitet werden (s. [16]): schieht aufgrund des sich mit fortschreitender
Entladung verringernden Natrium- und Schwe-
 RT cOx felgehalts im Außenbereich. Sollten aufgrund von
E = E0 + ln , (7.62)
zF c Red Sättigung keine Na2S5-Verbindungen mehr hervor-
gebracht werden, können nur noch verschiedene
E    Elektrodenpotenzial
Natriumpolysulfide gebildet werden, die einen
E0     Standardelektrodenpotenzial geringeren Schwefelanteil aufweisen. Dementspre-
R      Universelle oder molare Gaskonstante R = 8,31447 chend wird zunächst Natriumtetrasulfid Na2S4 ge-
J·mol−1·K−1 = 8,31447 C · V·mol−1 · K−1 bildet (s. [11, 16, 35]). Die Reaktionsgleichung für
T    Absolute Temperatur [K]
den zweiten Schritt lautet somit:
z     Anzahl der übertragenen Elektronen
F    Faraday-Konstante  F = 96485,34 C · mol−1 = 96485,34
J · V−1 · mol−1 2 Na + 4 S 
Entladen
→ 5Na 2S4 .
c    Aktivität des Redoxpaares (Red→Reduzierer, Ox→Oxi-
dierer) In diesem Stadium des Entladevorgangs fällt die
Zellspannung auf ca. 1,9 V.
278 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

2,3 70

2,1 60

Widerstand in Ω
Spannung in V

1,9 50

1,7 40

1,5 30
0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
7 Entladetiefe in %
Ladespannung Leerlaufspannung Entladespannung Widerstand

. Abb. 7.65  Ruhespannung sowie Zellspannung beim Laden- und Entladen einer A08-Zelle

Die weitere Reduktion von Natrium und Unter Stromfluss lässt sich ein Absinken der
Schwefel hat wiederum ein weiteres Absinken der Zellspannung erkennen, welches vom ohmschen
Zellspannung zur Folge. Durch die geringen Nat- Spannungsabfall in den elektronen- und ionenlei-
rium- und Schwefelanteile im System können nur tenden Bestandteilen herrührt. Der Innenwider-
noch Natriumtrisulfide Na2S3 gebildet werden, wo- stand ist vom Ladezustand nahezu unabhängig. Er
durch die Zellspannung auf ca. 1,78 V sinkt. steigt bei voller Ladung des Akkumulators deutlich
Setzt sich der Entladevorgang weiter fort, an, da der an der positiven Elektrode befindliche
kommt es zu einer für den Akkumulator schäd- Schwefel die Leitfähigkeit begrenzt.
lichen Tiefenentladung. Die daraus folgende Bil- Angesichts des hochohmigen Zustands der
dung von Natriumdisulfid Na2S2 hat verheerende NaS-Zelle bei Ladeschluss, kann sie nach Belieben
Auswirkungen für die NaS-Zelle. Aufgrund der in Reihe oder parallel verschaltet werden. Durch
Tatsache, dass der Innenwiderstand in diesem Sta- den aktiven Zellspannungsausgleich stabilisiert
dium sehr stark ansteigt, kann es zu erheblichen sich die Zellspannung, auch wenn diese aufgrund
thermischen Verlusten und Belastungen der Zelle von Fertigungstoleranzen unterschiedliche Innen-
kommen. Um die Lebensdauer des Akkumulators widerstände besitzt.
zu maximieren, vermeiden Entwickler bereits die Der Vollladezustand wird an dem steilen An-
Bildung von Natriumtrisulfid. Dies kann durch stieg des Widerstandes erkannt. Im Hinblick darauf
einen Abbruch des Entladevorgangs bei einer Ent- kann der Akkumulator bis zum steilen Anstieg des
ladetiefe von 70 % realisiert werden (s. [16, 35]). Innenwiderstandes mit einem konstanten Strom
bis zur Ladeschlussspannung von 2,12  V geladen
zz Elektrische Betriebsgrenzen und Probleme werden. Werden NaS-Systeme parallel verschaltet,
bei Lade- und Entladevorgängen fließt der Strom gegen Ladeende nur noch durch
. Abbildung  7.65 veranschaulicht die Kennlinien die nicht vollständig geladenen Stränge. Ein Prob-
der Lade-, Leerlauf- und Entladespannung. Die lem stellt die serielle Verschaltung mehrerer Zellen
blau gekennzeichnete Linie gibt den Verlauf des In- dar. Hat eine Zelle bereits einen Ladezustand von
nenwiderstands an.
7.5 • Natrium-Schwefel-Batterien
279 7
440 100

420 98

Kapazität: -1,3 %/Jahr


400 96

Wirkungsgrad in %
Kapazität in Wh

380 94

Wirkungsgrad: -0,2 %/Jahr


360 92

340 90

320 88
0 1000 2000 3000 4000 5000 6000
Lade- und Entladezyklen

. Abb. 7.66  Kapazität und Wirkungsgrad für NaS-Batterien

100 % erreicht, die Gesamtspannung des Strangs je- 7.5.6 Zyklen, Kapazitäten und
doch noch nicht den Abbruchwert von 2,12 V, kann Lebensdauer
es in der bereits vollgeladenen Zelle zu einem di-
elektrischen Überschlag aufgrund der drastischen In den Datenblättern des Herstellers NGK Insulator
Reduzierung von Natrium-Ionen kommen. ist von einer Lebenserwartung von bis zu 15  Jah-
Ein dielektrischer Überschlag kann zu einer ren die Rede. Im diesem Zeitraum können bis zu
Zerstörung des keramischen Festelektrolyten füh- 2500 Entladungen bei einer Entladetiefe von 100 %
ren. Durch eine integrierte Modulspannungsmes- durchgeführt werden. Bei einer kontinuierlich
sung und eine Bypass-Vorrichtung, die den Strom 90 %-igen Entladung steigt die Anzahl der Ladezy-
an den bereits aufgeladenen Modulen vorbeiführt, klen auf 4500 an. Wird das NaS-System mit 65 % der
wird dies verhindert. möglichen Entladetiefe entladen, sind bis zu 6500
Des Weiteren geben die Entwickler für Lade- Zyklen möglich. Einige Quellen geben Werte von
und Entladeströme Obergrenzen an, um einer über 10.000 Ladezyklen an. Diese sind jedoch nur
Überhitzung des Elektrolyten/Separators entgegen- bei Minimalentladungen von < 20 % zu erreichen.
zuwirken. Der größte ohmsche Anteil in einem Natrium-Schwefel-Akkumulatoren reagieren sehr
NaS-System ist der Elektrolytwiderstand, durch empfindlich auf Tiefenentladungen, sodass Entla-
den es bei zu hohen Ladeströmen zur Bildung von detiefen von 100 % so gut wie nie vorgenommen
Natriumdendriten kommen kann (s. [35, 7]). werden. Aufgrund der drastischen Reduzierung
von Natrium und Schwefel kommt es zur Bildung
von Natriumdisulfid, das wegen seiner korrosiven
Eigenschaften vermieden werden soll (s. [22, 30]).
. Abbildung  7.66 veranschaulicht die Anzahl
der Lade- und Entladezyklen in einem Lebensdau-
280 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

90

η1
85

η2
80
Wikungsgrad in %

75

η3

7 70

η4

65
290 295 300 305 310 315 320
Betriebstemperatur in °C

. Abb. 7.67  Wirkungsgrad in Abhängigkeit zur Betriebstemperatur

ertest. Die Degradation der Kapazität beträgt 1,3 % U0      Leerlaufspannung
IE     Entladestrom
pro Jahr, die Reduktion des Wirkungsgrades liegt
IL      Ladestrom
bei ca. 0,2 % pro Jahr. RI     Innenwiderstand.

Bei einer Betriebstemperatur von ca. 300 °C liegt


7.5.7 Wirkungsgrad, Leistung und der Wirkungsgrad einer NaS-Anlage bei ca.  85 %.
Energien Nach dem Wechselrichten und nach Abzug der
thermischen Heizung in Ruhephasen ergeben sich
Der Wirkungsgrad einer NaS-Batterie hängt von realistische Wirkungsgrade von etwa 75 % (s. [30]).
mehreren Faktoren ab. In jeder Batterie erzeugen Die Energiedichte von NaS-Akkumulatoren
die inneren Widerstände Verluste. Bei Natrium- liegt bei ca.  218 Wh/kg. Die Leistungsdichte von
Schwefel-Akkumulatoren kommen zu den ohm- NaS-Akkumulatoren beträgt ca. 200 W/kg.
schen Verlusten aufgrund des Innenwiderstands In . Abb.  7.67 wird der Wirkungsgrad eines
die thermischen Verluste zur Aufrechterhaltung 100 kW-Moduls diskutiert.
der Betriebstemperatur hinzu. Der Wirkungsgrad Der Wirkungsgrad ist in Abhängigkeit der
eines Akkumulators hängt vom Betriebsstrom ab Temperatur aufgetragen. Der oben stehende Graph
(s. [7, 30]): η1 zeigt den rein elektrochemischen Wirkungsgrad
der Batterie. Der darunter liegende Graph η2 gibt
U − I ⋅R
η= 0 E i ,
(7.63) den energetischen Wirkungsgrad unter Berück-
U 0 + I L ⋅ Ri sichtigung von Wärmeleitungsverlusten an. Die
7.5 • Natrium-Schwefel-Batterien
281 7
Batteriezelle
12 Zellstrings
NAS Batteriesystem (2000 kW) (1) Geschmolzenes Metall
50 kW Module x 40 läuft oben aus der Zelle Thermische lsolation parallel Batteriezelle

Block 3 Block 2
8 Zellstrings
in Reihe
Kurzschluss
Stromkreis

(3) (2) Geschmolzenes


Material fließt über
die Sandschicht
Normaler
Stromfluss
beim Entladen Block 4 Block 1

Batteriezelle
50 kW Modul
Minuspol Sandschicht Pluspol

. Abb. 7.68  Schematische Darstellung eines NaS-Batterie-Systems und Anordnung der Zellen

beiden Graphen η1 und η2 betrachten ausschließ- flüssigen Elektroden ablaufen können, die zur Er-
lich die Gleichstromseite. zeugung von Temperaturen von weit über 1000 °C
Die Funktion η3 gibt den täglichen Gesamtwir- führen.
kungsgrad des Akkumulators unter Berücksichti- Der bekannteste Unfall mit einem NaS-Ak-
gung von Wärmeleitungsverlusten und Wechsel- kumulator ereignete sich im September 2011, als
richterverlusten an. Für den Wechselrichter wird ein großer 2000  kW-Speicherblock Feuer fing.
ein Wirkungsgrad von 95 % angenommen. Die Die Ursache dieses Brandes war eine fehlerhafte
letzte Funktion η4 stellt den wöchentlichen Ge- NaS-Zelle. Durch einen Bruch innerhalb der Zelle
samtwirkungsgrad dar. Es werden hier die Wärme- konnte das flüssige Elektrodenmaterial auslaufen.
leitungsverluste einbezogen, unter der Annahme, Es floss über zwischen den Zellen befindlichen
dass an zwei Tagen der Woche keine Zyklen gefah- Sand und löste einen Kurzschluss der Zellen im
ren werden. Die Graphen η3 und η4 wurden wech- angrenzenden Block aus (s. . Abb.  7.68). Da kei-
selspannungsseitig betrachtet. ne begrenzende Sicherung zwischen den Zellen
Aus der Abbildung wird deutlich, dass ein installiert worden war, floss der Kurzschlussstrom
Steigen der Betriebstemperatur nur zu einem An- kontinuierlich weiter und erhitzte das System in
stieg des rein elektrochemischen Wirkungsgrades zunehmendem Maße. Die Folge war, dass eine gro-
führt. Die Graphen η2, η3 und η4 fallen bei steigen- ße Anzahl von Zellen zerstört wurde und diese in
der Temperatur ab. Die Grafik verdeutlicht, dass Brand gerieten, worauf sich das Feuer im ganzen
η1 zum größten Teil vom Innenwiderstand des Modul verbreitete. Die Flammen und das heiße,
Moduls beeinflusst wird, der bei steigender Tem- geschmolzene Elektrodenmaterial zersetzten die
peratur abnimmt. Das elektrische Heizsystem hat Hülle der darüber- und darunterliegenden Module
dagegen einen starken Einfluss auf die Wirkungs- und verbreiteten sich somit im ganzen Speicher-
grade η2–4. block (s. [23, 24]).
Um den Gesamtwirkungsgrad zu steigern, sind Nachdem die Brandursache bestimmt worden
das Design bzw. die Beschaffenheit des wärmeiso- war, wurden zahlreiche Schutzmaßnahmen vor-
lierten Behälters und die festgelegte Betriebstempe- genommen, die einer erneuten Kettenreaktion
ratur von größter Bedeutung. vorbeugen sollten (s. [23, 24]). So wurden Siche-
rungen zwischen den Zellen installiert, um einen
Kurzschlussstrom zu verhindern (s. . Abb. 7.69a).
7.5.8 Gefahren und Sicherheit Des Weiteren wurden Isolationstafeln zwischen
die Zellblöcke gesteckt, um einen Kurzschluss, der
Eine der größten Herausforderungen von Natrium- durch das geschmolzene Elektrodenmaterial verur-
Schwefel-Akkumulatoren ist die Betriebssicherheit, sacht werden kann, zu unterbinden (s. . Abb. 7.69b).
da bei einem Unfall unmittelbare Reaktionen der Bei der letzten Sicherheitsmaßnahme handelt es
282 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

Zusätzliche
Sicherungen Sicherungen
lsolation

Feuerfeste
Anode Kathode lsolation
a b c

. Abb. 7.69  a–c Schutzmaßnahmen des NaS-Systems

sich um Feuerschutztafeln, die oberhalb und unter- 7.6 Redox-Flow-Batterien


7 halb der Module angebracht wurden und somit
das Ausbreiten der Flammen verhindern soll- Die bisher betrachteten Batterietypen sind zugleich
ten (s. . Abb. 7.69c). Lade-, Speicher- und Entladeeinheit. Nun wird ein
Batterietyp mit einem externen Speicher betrach-
Fazit tet, bei dem die Dimensionierung von Leistung
55 Natrium-Schwefel-Akkumulatoren sind Hoch- und Energie unabhängig voneinander möglich ist:
temperaturbatterien und haben eine Betriebs- die Redox-Flow-Batterie.
temperatur von etwa 300 °C. Diese Eigenschaft
bestimmt auch die Besonderheiten dieses zz Geschichte
Batterietyps: In der Mitte des 20. Jahrhunderts wurde erstmals
55 Die Zellen werden in einem wärmeisolierten die Möglichkeit zur Energiespeicherung in Redox-
Behälter mit Heizung und Kühlung platziert. Paaren erkannt und damit begonnen, die Grund-
55 Die Elektroden Natrium und Schwefel liegen lagen der Redox-Flow-Batterie zu erforschen. 1970
in flüssiger Form vor, der Separator besteht beschäftigte sich die amerikanische Raumfahrtbe-
aus einer in fester Form vorliegenden Keramik hörde NASA mit dieser Technologie und entwi-
55 Das mit Wasser reaktionsfreudige Natrium ckelte am Lewis (heute Glenn) Research Center
wird durch einen Metallbehälter vor Um- eine Zelle, in der das Elektrolytpaar Eisen-Titan
welteinflüssen geschützt. zum Einsatz kam. Eisen(III)-chlorid (FeCl3) wurde
55 Während des Betriebs reicht die Reaktions- als Oxidationsmittel und Titanchlorid (TiCl2) als
wärme zur Aufrechterhaltung der Tempe- Reduktionsmittel in alkalischen Elektrolyten ein-
ratur aus. Für die Ruhephase ist jedoch ein gesetzt. Nach weiteren Forschungsarbeiten wur-
Heizsystem erforderlich. de zur Erzielung besserer Wirkungsgrade von L.
55 Dies bestimmt auch den Wirkungsgrad: Thaller Titan durch Chrom ersetzt (s. [38]). Dabei
Eigentlich hat die Batterie eine geringe traten jedoch zwei Probleme auf. Zum einen wur-
Selbstentladung. Im Falle längerer Still- de aufgrund der hier benötigten ionenselektiven
standzeiten entlädt sich die Batterie zur Membran die Zelle deutlich teurer, und zum ande-
Aufrechterhaltung der Betriebstemperatur ren durfte diese nicht verkleben, um den reibungs-
überdurchschnittlich schnell. losen Ablauf der Reaktionen zu gewährleisten.
Das US-Patent 3996064 »Electrical Rechargeable
Redox Flow Cell« von 1976 beschreibt den noch
7.6 • Redox-Flow-Batterien
283 7
bis heute verwendeten Aufbau und das Funktions- vom Typ 115 und 117. In den letzten Jahren wurden
prinzip. Die Zelle mit einer reinen Vanadium-Lö- auch modifizierte Nafion-Varianten wie Nafion/
sung wurde 1978 erstmals vorgeschlagen, in den SiO2 oder die sandwichartige »SPEEK« Membran
1980er-Jahren dann an der Universität von New (Sulfonated Poly(tetramethyldiphenyl) Ether Ether
South Wales durch Maria Skyllas-Kazakos entwi- Ketone) in VRF-Batterien eingesetzt. Die eigentli-
ckelt und schließlich 1986 zum australischen Pa- chen Reaktionen, Reduktion und Oxidation (d. h.
tent angemeldet. International bekannt wurde die Elektronenabgabe und Elektronenaufnahme), lau-
Vanadium-Redox-Flow-Batterie (VRFB) durch fen aus elektrotechnischer Sicht an den Elektroden
das US-Patent 4786567 von 1988 und zahlreiche ab (s. [34]).
wissenschaftliche Publikationen. Die reine VRF- Die Elektroden bestehen aufgrund des elek-
Zelle ist bis heute die am weitesten verbreitete trochemischen Spannungsfensters meist aus
Zellart, obwohl sie auch noch eine Weiterentwick- Graphit und befinden sich in der wässrigen Elek-
lung zur Vanadium-Bromid-Zelle erfuhr. Letztere trolytflüssigkeit. Für eine möglichst hohe spezi-
weist eine doppelt so hohe Energiedichte wie ihr fische Leistung werden Graphitfilze mit großer
Vorgänger auf. Die Bezeichnung »elektrisch« wie- spezifischer Oberfläche als Elektroden eingesetzt.
deraufladbar wurde gewählt, um das neue Konzept Die großflächigen Elektroden aus Kohle- oder
von der seit der Mitte der 1950er-Jahre bekannten Graphit-Filz nehmen an der elektrochemischen
»wiederaufladbaren Redox-Zelle« zu unterschei- Reaktion nicht aktiv teil, sie dienen nur als Strom-
den, in der die aktiven Massen »chemisch« wie- ableiter der Elektronenübergänge zwischen den
der geladen werden. Das Verwendungspotenzial oxidierten bzw. reduzierten Ionen der jeweiligen
des Systems als Energiespeicher für Strom aus für Redox-Paare (Elektrolyte). Der Graphit-Filz ist
Photovoltaik und Windkraftanlagen (load shif- thermisch gebunden und befindet sich auf einem
ting) sowie als Spitzenlastausgleichsanlage (peak- bipolaren leitfähigen, mit Kohlenstoff gefüllten
shaving/ load levelling) oder unterbrechungsfreie Polyethylen-Substrat. Die Elektrolyte sind flüssig,
Stromversorgungsanlage (USV) wurde schon im bestehen aus in einem Lösungsmittel gelösten Sal-
Frühstadium von den Entwicklern des Systems er- zen und stellen die eigentlichen Reaktionspartner
kannt. dar (die aktiven Massen oder Spezies). Als Lö-
sungsmittel kommen anorganische oder organi-
sche Säuren infrage. Die Dichte des Elektrolyten
7.6.1 Aufbau und Funktionsweise der und die Zellspannung bestimmen maßgeblich die
Redox-Flow-Zelle Energiedichte der Batterie. Die Elektrolyte wer-
den außerhalb der Zelle in zwei getrennten Tanks
Die galvanische Zelle einer Redox-Flow-Batterie gelagert. Somit ist die Redox-Flow-Zelle der ein-
ist durch die Membran in zwei Halbzellen unter- zige Typ elektrochemischer Energiespeicher, in
teilt. Die energiespeichernden Elektrolyte werden dem sich Energiemenge und Leistung unabhängig
in zwei voneinander getrennten Kreisläufen, wel- voneinander skalieren lassen. Zu der Peripherie
che über eine Membran miteinander verbunden einer RFB zählen die Pumpen, Leitungen, Venti-
sind, durch die Zelle gepumpt. Über die Membran le, Wärmetauscher und Elektrolyttanks. Alle mit
findet ein Ionenaustausch statt. Die Ionen-Aus- dem Elektrolyten in Kontakt stehenden Teile müs-
tausch-Membran ist abhängig vom RFB-Typ und sen schwefelsäurebeständig sein oder eine säure-
besteht entweder aus einem mikroporösen Sepa- beständige Beschichtung besitzen. In den meisten
rator, der alle Ionen passieren lässt, oder aus einer RFB-Anlagen bestehen die peripheren Kompo-
selektiven Anionen- oder Kationenaustausch- nenten aus Standardteilen, die auch für andere
membran, die die Vermischung der Elektrolyte Anwendungen eingesetzt werden. Die Elektro-
verhindert. Verwendet wurden perfluorierte, sul- lytleitungen sollten Temperaturzyklen ohne Le-
fonierte, ionenselektive Nafion ®- Membranen ckagebildung aushalten. Elektrolytverluste durch
284 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

Elektrolyttank Stromquelle / Last Elektrolyttank

Membran

Elektrolyt l Elektrolyt ll

7 Elektrode

Pumpe Pumpe

. Abb. 7.70  Technischer Aufbau einer Redox-Flow-Batterie

Leckagen gehören zu den häufigen Betriebsstö- und Leistung unabhängig voneinander skalieren
rungen von RFB. Eine besonders wichtige Kom- lassen (s. [26]). Die Elektrolytmenge bestimmt die
ponente der Steuerelektronik ist das Batterie- zu speichernde Energie und die Größe der aktiven
managementsystem. Das Laden der Zelle erfolgt Elektrodenflächen die Leistung. In . Abb. 7.70 ist
durch ein manuelles Befüllen der Tanks oder das der technische Aufbau von Redox-Flow-Batterien
Anlegen einer äußeren Spannung. Die Zellspan- dargestellt.
nung ist durch die Nernst-Gleichung gegeben und Die Redox-Flow-Zelle ist im Wesentlichen ein
liegt bei 1,0–2,2  V. Die einzelnen Zellen können Akkumulator, in dem zwischen den Elektroden
wie bei der Brennstoffzelle in Reihe zu einem und über die Membran in einer Halbzelle eine Re-
Stack verschaltet werden, wobei die Elektroden duktion (Elektronenaufnahme) und in der anderen
als Bipolarelektroden wirken (s. . Abb. 7.72). Die Halbzelle eine Oxidation (Elektronenabgabe) statt-
Zufuhr des flüssigen Elektrolyten erfolgt dann findet. Sie speichert elektrische Energie in Form
parallel, und die einzelnen Stacks können wie an- chemischer Verbindungen. In . Abb.  7.71 werden
dere Batterien elektrisch parallel oder seriell ver- die Reaktionen schematisch dargestellt und am
schaltet werden, um die gewünschte Kombination Beispiel der reinen Vanadium-Redox-Flow-Zelle
aus Kapazität und Spannung zu erreichen. Somit erklärt.
ist die Redox-Flow-Zelle hinsichtlich ihres Auf- Die Reaktionen innerhalb der Halbzellen sind:
baus mit der Brennstoffzelle als auch durch die
elektrochemische Reversibilität mit den Akku- Katholyt : VO +2 + 2H + + e − → VO 2 + + H 2 O
(7.64)
mulatoren verwandt. Die wichtigste Eigenschaft (V5+ + e − → V 4 + )
dieser Technologie besteht jedoch, wie bereits er-
wähnt, darin, dass sich durch die Trennung von
Anolyt : V 2 + → V 3+ + e −
(7.65)
Energiewandler und Speichermedium Energie
7.6 • Redox-Flow-Batterien
285 7

V3+ O2- H+
V4+
H+
H+
SO42-
2-
SO4
e- H+
H+
Elektrolyt O2- Elektrolyt
V2+ H+ V4+
v2+/V3+ H + v4+/V5+
+
H
O2-
SO42-
H+
H+ O2- e-
e- O2-
V2+ V5+
e-
H+ H+

Entladen

. Abb. 7.71  Reaktionen innerhalb der Halbzellen

Gesamtreaktion : V 2 + + VO 2+ + 2H + Vanadium ( V 2+ ) ein Elektron über die Elektroden


↔ V 3+ + VO 2 + + H 2 O. ab und wird zu einem dreiwertigen Vanadium-Ion
( V 3+ ). Kathodenseitig gehen die Vanadium-Ionen
(7.66)
mit dem Sauerstoff eine Verbindung zu Molekü-
 R ⋅T +
len ein ( VO 2 ). Von den Vanadium-Ionen, die in
Das Potenzial : U = U 0 ⋅ ·
z⋅F fünfwertiger Form vorliegen ( V 5+ ), wird zunächst
 c VO+ ⋅ γ VO+ ⋅ c 2 H + ⋅ γ 2 H +   c V 2+ ⋅ γ V 2+   ein Elektron aufgenommen. Neben Wasser entsteht
4+
ln  2 2
 ⋅  . aus dem Vanadium-Ion ( V ) eine Sauerstoffver-
c ⋅ γ VO2+   c V3+ ⋅ γ V3+  

2+
VO 2 + bindung ( VO ). Im Falle des Ladungsprozesses
(7.67) laufen die Reaktionen analog in entgegengesetzter
Richtung ab.
Elektrolyt: 1,5 M VSO4 in 2M H2SO4 Die elektrochemischen Grundlagen und In-
Membran: Nafion (perfluorosulfonic acid mem- dizes sind in 7 Abschn.  4.4.1 näher erläutert. Man
brane) oder modifiziertes Nafion kann nun die Gleichgewichtsbedingung bzw. die
Elektroden: Kohlenstoff-Filzelektrode theoretische Leerlaufspannung Voc (engl.: open cir-
Beim Entladeprozess einer Vanadium-Zelle dis- cuit voltage) einer einzelnen Zelle bestimmen, in-
soziiert zunächst die schweflige Säure anodenseitig dem die chemischen Gleichungen der Reaktionen
in der wässrigen Elektrolytlösung. Das  heißt, das in die Nernst-Gleichung überführt werden.
Schwefelsäuremolekül zerfällt in seine Ionen und Die allgemeine Form der Nernst-Gleichung
gibt Protonen frei, die über die Membran in die ka- lautet:
thodenseitige Halbzelle abgegeben werden und sich
RT C
dann an einem Sauerstoff-Ion anlagern. Somit bil- U =U0 +
(7.68) ln ox ,
det sich Wasser ( H 2 O ). Dabei gibt das zweiwertige zF Cred
286 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

V(ll)/V(lll) Ableitung V(V)/V(lV) Ableitung schluss führen, der wiederum eine Zerstörung der
gesamten Zelle zur Folge hätte. Die Überführung
der Vanadium-Ionen bewirkt nun nur noch die ge-
– + – + – + – + – + wünschte Entladung der Batterie. Somit stellt die
Batterie in einem erneuten Ladezyklus wieder ihre
gesamte Kapazität zur Verfügung. Es laufen auch
keine Prozesse mehr ab, die zu einer Verunreini-
gung der Elektrolyte führen, was die Redox-Flow-
– + – + – + – + – + Zelle zu einer sehr robusten und langlebigen Zelle
macht. Nachteilig ist, dass die Energiedichte durch
die begrenzte Löslichkeit von Vanadiumpentoxid
V(ll)/V(lll) Zuleitung V(V)/V(lV) Zuleitung in Schwefelsäure eingeschränkt wird. Im Katho-
lyten entsteht beim Entladen aus fünfwertigem
. Abb. 7.72  Redox-Flow-Zelle in Reihe, gestrichelte Linie
ist die Membran, die dunklen Elektroden sind die Monopol-
Vanadium vierwertiges, welches mit Sauerstoff zu
arelektroden und die helleren die Bipolarelektroden. Der Dyvanadylkationen (VO2 + ) reagiert. Die Betriebs-
dunkle Zu- bzw. Ablauf symbolisiert den Kreislauf des zwei- temperatur wird zwischen 20 und 30 °C gewählt,
7 bzw. dreiwertigen und der helle den Kreislauf des vier- bzw. um zu verhindern, dass die Dyvanadylkationen
fünfwertigen Vanadiums weiter zu festem Vanadiumpentoxid reagieren.
Diese Reaktion läuft in Abhängigkeit von der Kon-
wobei U für das Nernst-Potenzial, U0 für die zentration und der Standby-Zeit ab, wenn die Tem-
Gleichgewichtsspannung, R für die Gaskonstante peratur 40 °C überschreitet. Die Konzentration der
mit R = 8,3145  J/(mol·K), T für die Temperatur, z Vanadium-Ionen im Elektrolyten liegt im Bereich
für die Ladungszahl und F für die Faraday-Kons- von 0,1–10 mol/L. Idealerweise liegt die Konzentra-
tante steht. Hinzu kommt der Quotient der Kon- tion bei 2–3 mol/L. Ab einer Temperatur von 40 °C
zentrationen des Oxidations- bzw. Reduktionsmit- und einer Konzentration ab 1,6  mol/L in Wasser
tels. bzw. in Wasser gelösten Säuren entsteht Vanadium-
Allgemein gilt: pentoxid. Die Entstehung von Vanadiumpentoxid
ist irreversibel und unerwünscht, weil hierdurch
 Katholyt : K n → K n+1 + e − die Zelle verstopft und beschädigt würde. Dieser
(7.69) Prozess kann durch das Einsetzen ionischer Flüs-
(Ladung ) K n+1 + e − → K n (Entladung ), sigkeiten anstelle von wässrigen Lösungen vermie-
den werden. Durch die höhere Konzentration an
 Anolyt : A n + e − → A n −1 (Ladung) Vanadium im Elektrolyten wird eine höhere Ener-
(7.70) giedichte erreicht. Auch kann die Betriebstempe-
A n −1 → A n + e − (Entladung). ratur dann über 40 °C liegen, woraus eine höhere
Leistungsdichte resultiert, da die ionischen Flüssig-
. Abbildung  7.72 zeigt eine schematische Darstel- keiten höhere Schmelz- und Siedepunkte als Was-
lung eines Redox-Flow-Zellstacks aus fünf in Reihe ser und wässrige Lösungen aufweisen. Weitere Vor-
geschalteten Zellen. teile, wie die hohe chemische Stabilität, eine hohe
Mit der Möglichkeit, nur ein Element in beiden chemische Leitfähigkeit, ein geringer Dampfdruck
Elektrolyten als Redox-Paar mit den Oxidations- oder die hohe thermische Stabilität, ergeben sich
stufen + 2, + 3, + 4, und + 5 zu verwenden, wurden aus den chemischen Eigenschaften der ionischen
die größten Probleme früherer Zellen in der reinen Flüssigkeiten. Folgende Auswahlkriterien gelten
Vanadium-Zelle beseitigt. Damit konnte das Pro- für die elektrochemisch aktive Redox-Spezies:
blem unerwünschter Ablagerungen und Dendri- 55 Löslichkeit der oxidierten und reduzierten
tenbildungen beseitigt werden. Diese können die Spezies im Elektrolyten
Membran zerstören bzw. zu einem internen Kurz- 55 hohe Reversibilität und schnelle Reaktions-
kinetik der Redox-Paare in Lade- und Entla-
7.6 • Redox-Flow-Batterien
287 7
de- Richtung, wenn möglich Vermeidung von auf der Cr-Seite, um die Chrom-Reaktion reversi-
mehrstufigen Vorgängen bel zu gestalten)
55 Stabilität des Elektrolyten bei der Oxidation Membran: Ionen Austauschmembran Series
oder Reduktion der aktiven Redox-Stoffe, z. B. CD1 L von Ionics Inc. aus Watertown Ma.
zur Vermeidung von Wasserzersetzungspoten- Nebenreaktion auf der Cr (negativen)-Seite:
zialen
55 Verzicht auf den Einsatz komplexer, schwerer 2H + + 2e − → H Nebenreaktion auf der Cr
2
Ionen.
( negativen ) -Seite : 2H + + 2e − → H 2 ; (7.74)
Anforderungen an die ionenselektive Membran: U 0 = 0 V vs. NHE
55 hohe Ionenleitfähigkeit für ausgewählte Anio-
nen oder Kationen je nach System zz Polysulfid-Bromid-Redox-Flow-Zelle
55 Minimierung der Kreuzdiffusion von Ionen
aus dem Katholyt- und Anolyt-Raum  Katholyt : Br2 + 2e − → 2Br − (7.75)
55 chemische und mechanische Stabilität im Be-
triebstemperaturbereich  Anolyt : S24 − → 2S22 − + 2e − (7.76)
55 geringe Abnahme der Leitfähigkeit und der
Ionenselektivität aufgrund im Zyklenbetrieb
Gesamtreaktion :
bedingter Alterungsvorgänge.  (7.77)
S24 − + Br2 ↔ 2S22 − + 2Br −

7.6.2 Mögliche Materialpaarungen Standardgleichgewichtsspannung: U 0 = 1,5 V


Elektrolyt: NaS2/NaBr
Neben der bereits im vorangegangenen 7 Abschn. 7.6.1
beschriebenen reinen Vanadium-Redox-Flow-Zel- zz Vanadium-Brom-Redox-Flow-Zelle
le gibt es weitere Typen mit unterschiedlichen Ma-
terialpaarungen, die im Folgenden erläutert wer-  Katholyt : Br3− + 2e − → 3Br − (7.78)
den.
 Anolyt : V 2 + → V 3+ + e − (7.79)
zz Eisen Chrom Redox-Flow-Zelle

Gesamtreaktion :
Katholyt : Fe3+ + e − → Fe 2 +
(7.71) (7.80)
0 2V 2 + + Br3− ↔ 2V3+ + 3Br −
U = 0,77 V vs. NHE
Standardgleichgewichtsspannung: U 0 = 1,3 V
2+ 3+ −
(7.72) Elektrolyt: VCl3-HCl/ NaBr-HCl
Anolyt: Cr → Cr +e
0 Hybrid-Flow-Systeme funktionieren nach
U = −0, 41 V vs. NHE
demselben Prinzip wie die Redox-Flow-Batterie,
mit dem Unterschied, dass sich während des Lade-
Gesamtreaktion:
(7.73) vorgangs eine ihrer elektroaktiven Komponenten
Cr 2 + + Fe3+ ←
→ Cr 3+ + Fe 2 + (Zn) in fester Form an der Anode absetzt.

Standardgleichgewichtsspannung : U 0 = 1,18 V zz Zink-Brom-Zelle

− − −
Elektrolyt: 1M CrCl3 auf der negativen und FeCl2 in Katholyt : Br3 + 2e → 3Br
(7.81)
2M HCl auf der positiven Seite
2+ −
Elektroden: 3,15 mm Kohlenstoff-Filz (mit Spu- Anolyt : Zn → Zn + 2e
(7.82)
ren von Pb- und Au-Abscheidungen als Katalysator
288 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

Wasserstoffbildung Sauerstoffbildung

V(2/3) V(4/5) Mn(2/3)

Ni(2/3)
Cr(2/3) Fe(2/3)
Zn(2/0) Br(1/0) Ce(3/4)
S(0/1)

–1.0 –0.5 0.0 0.5 1.0 1.5 2.0 Potential im


Verhältnis zur
Bsp.: Spannung des Normwasserstoff-
7 Cr/Fe Systems elektrode

. Abb. 7.73  Mögliche Materialpaarungen (s. [15])

Gesamtreaktion : lenzahl) von eher geringer Bedeutung. Das hebt


− 2+ − (7.83) diesen Energiespeicher im Vergleich zu anderen
Zn + Br ↔ Zn
3 + 3Br
elektrochemischen Speichern besonders hervor.
Standardgleichgewichtsspannung: U 0 = 1,8 V Bei Blei-Akkumulatoren und auch Lithium-Ionen-
Elektrolyt: ZnBr2/ ZnBr2 Akkumulatoren ist die Strategie zur Be- und Ent-
ladung dagegen von elementarer Bedeutung, weil
zz Zink-Cerium-Zelle hier die Lebensdauer und die Zyklenzahlen stark
von der gewählten Strategie abhängen.
4+ − 3+
Katholyt : 2Ce + 2e → 2Ce
(7.84) Ein einfaches Monitoring des Ladezustands der
Anlage ist durch die Messung der Leerlaufspan-
2+ −
Anolyt : Zn → Zn + 2e
(7.85) nung möglich. . Abbildung  7.74 zeigt die Ruhe-
spannung der Zelle als Funktion des Ladezustands
Gesamtreaktion : des Moduls. Der Betrieb einer Redox-Flow-Anlage
(7.86) setzt die Verwendung eines Batteriemanagement-
Zn + 2Ce 4 + ↔ Zn 2 + + 2Ce3+
systems voraus. Dieses System misst das Tempera-
Standardgleichgewichtsspannung: U 0 = 2,4 V turniveau, die Spannung und den Strom und hält
Elektrolyt: CH3SO3H/ CH3SO3H die Zelle möglichst in einem optimalen Betriebs-
Folgendes Schema in . Abb.  7.73 zeigt die in punkt.
Frage kommenden Redox-Paarungen:
zz Strom-Spannungscharakteristik
Bei niedrigen Strömen ist die Durchtrittsüberspan-
7.6.3 Lade- und Entladestrategien nung am größten. Bei hohen Strömen, wenn die
elektrochemischen Reaktionen schneller ablaufen,
Die Lade- und Entladestrategien sind für Redox- als Edukte nachgeführt werden, tritt die Diffusions-
Flow-Zellen aufgrund ihrer technischen Eigen- überspannung Uχ auf. In dem Bereich der ohm-
schaften (Tiefenentladefähigkeit, sehr hohe Zyk- schen Verluste ist der Verlauf näherungsweise li-
7.6 • Redox-Flow-Batterien
289 7
1,7

Spannung in V 1,3

0,9
0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0
Ladezustand

. Abb. 7.74  Ruhepotenzial einer VRF-Zelle vs. Ladezustand

UCell

Spannung steigt weiter


wegen der Dissoziation von
Uη laden Laden Schwefelsäure in
Wasserstoff & Sauerstoff

U0

Entladen
Uη entladen

Pel = U . l

Elektrochemische Kinetik Ohm’ sch Diffusionseinfluss

. Abb. 7.75  Strom- Spannungscharakteristik

near. Der Zellwiderstand sowie die Überspannung U0 Uη UΩ Uχ


Uη können experimentell von Strom-Spannungs-
RD RΩ Rχ
werten im linearen Bereich bei einem bestimmten lladen
Ladezustand der Zelle ermittelt werden. CD Cχ
Die Strom-Spannungscharakteristik wird in
. Abb. 7.75 dargestellt.

zz Ersatzschaltbild lentladen Uk
Das stark vereinfachte Ersatzschaltbild der Redox-
Flow-Zelle in . Abb. 7.76 besteht aus einem ersten . Abb. 7.76  Das Ersatzschaltbild der Redox-Flow-Zelle
RC-Glied und einem ohmschen Widerstand. Wei-
terhin muss das RC-Glied zu den Diffusions- und
290 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

. Tab. 7.15  Kennwerte RFB-Systeme im Vergleich (s. [15])

System Zellspannung [V] Stromdichte Ah-Wirkungsgrad [%] Energie- Wirkungs-


[mA/cm2] grad [%]

Fe/Cr 1,03 6,5 81 66

Bromine/ Polysulfide 1,53 60 90 67

Vanadium/ Vanadium 1,70 80 90 72–81

Vanadium/ Brom 1,70 – – 80

Ausgleichsprozessen berücksichtigt werden. Auch Bipolarelektroden fließt. Diese Shunt-Ströme ver-


wenn dies z. B. in einem Betrieb mit einem optima- ursachen Energieverluste zwischen 3 und 5 %. Es
len Temperaturniveau fast zu vernachlässigen ist, besteht dabei die Gefahr der Bildung von metal-
erhöht sich der Widerstand bei sinkender Tempe- lischen Dendriten entlang der Elektrolytleitungen,
ratur deutlich. die zu Verstopfungen führen können. Die resultie-
7 RD steht für den Durchtrittswiderstand des La- rende Entstehung von Konzentrationsgradienten
dungstransfers der Elektrodenreaktion und CD für der elektroaktiven Spezies kann zu Korrosions-
die Aufladung der Doppelschicht. Mit RΩ werden erscheinungen der Zellkomponenten führen. Als
die ohmschen Widerstände beschrieben. Im RC- Gegenmaßnahme werden dünnere Elektrolytlei-
Glied der Diffusions- und Ausgleichsprozesse be- tungen verwendet, die eine Erhöhung des Wider-
einflusst das Temperaturniveau den Widerstand stands bewirken. Dies erfordert einen schnelleren
und die Diffusionsprozesse die Kapazität. Ionenfluss mit entsprechend höheren Druckdiffe-
renzen. Andererseits steigert dies den Energiebe-
darf der Peripherieeinrichtungen.
7.6.4 Energie-, Leistungsdichte und 2. Pumpleistung
Wirkungsgrad
Sie wird benötigt, um den Elektrolyten zirkulie-
Der elektrische Wirkungsgrad der Redox-Flow-Zel- ren zu lassen. Die Gegenmaßnahme, größere Lei-
le ist relativ hoch und liegt bei ca. 90 %. Betrachtet tungsquerschnitte zu verwenden, würde jedoch die
man jedoch den Wirkungsgrad unter Berücksich- Shunt-Ströme steigern.
tigung der Verluste durch sogenannte Peripherie- Jede Optimierung bezüglich der oben genann-
geräte wie Pumpen, so wird ein Wirkungsgrad von ten Effizienzminderungsfaktoren kann nur als
70–80 % erzielt (s. . Tab. 7.15). Wie bereits erwähnt, Kompromiss zwischen den beiden Punkten gestal-
lassen sich Energiedichte und Leistung unabhängig tet werden.
voneinander skalieren. Die Energiedichte hängt so-
mit lediglich von der Löslichkeit der Elektrolyte in
den Flüssigkeiten ab und die Leistung von der Art 7.6.5 Die Redox-Flow-Batterie im
der Verschaltung einzelner Stacks. Die Kapazität Vergleich
wiederum ist von der Größe der Tanks abhängig.
Es gibt zwei wichtige Faktoren, die zu einer Im Vergleich zu anderen elektrochemischen Bat-
Minderung der Energieeffizienz von RFB führen: terietechnologien lassen sich folgende Vorteile be-
1. Parasitäre Ströme entlang der parallel geschal- nennen:
teten Elektrolytleitungen 55 einfacher und modularer Zellenaufbau
55 für große Speicherkapazitäten geeignet
Dabei handelt es sich um einen Ionenstromfluss, 55 sehr hohe Lebensdauer, da Elektroden nicht
der als Nebenschluss zu den Stromleitungen der reagieren und somit nicht degenerieren
7.6 • Redox-Flow-Batterien
291 7
55 flexible Dimensionierung von Energie und Vanadium-Zelle werden von den Herstellern Zyk-
Leistung durch Trennung von Energiewandler lenzahlen oberhalb 13.000 angegeben. Auch für die
und Speicher anderen Elektrolyt- und Zelltypen werden bereits
55 gute Vermeidbarkeit von Selbstentladung, da 10.000  Zyklen veranschlagt, wenn diese in einem
die Elektrolytflüssigkeiten getrennt voneinan- Bereich des Ladezustands von 20–80 % betrieben
der gelagert werden (Anolyt und Katholyt)). werden. Damit stellt die Redox-Flow-Zelle eine der
Das heißt, die Selbstentladung beschränkt sich langlebigsten Akkumulatoren-Typen dar. Lebens-
auf die in der Zelle selbst befindlichen Reak- dauerverkürzende Mechanismen wie z. B. eine Zer-
tanten störung der Zelle durch Dendritenbildung können
55 kurze Reaktionszeit von unter 100 ms durch die richtige Handhabung und Anwendung
55 geringer Wartungsaufwand quasi ausgeschlossen werden. Die Langlebigkeit
55 gute Umweltverträglichkeit der Redox-Flow-Zelle mit wässrigen Lösungen
55 schnelle Ladbarkeit durch Austausch der Elek- wird jedoch stark beeinträchtigt, sobald sie z. B. bei
trolyten (was jedoch im Akkumulatorbetrieb einem zu niedrigen oder zu hohen Arbeitstempe-
keine Rolle spielt). raturniveau betrieben wird. Die Lebensdauer kann
auch verkürzt werden, wenn die Konzentration des
Dahingegen können die folgenden Nachteile ange- Elektrolyten in der Flüssigkeit falsch gewählt wird
führt werden: und sich dadurch Ablagerungen bilden, die wiede-
55 relativ geringe Energie und Leistungsdichte rum die Membran zusetzen, »verkleben« oder gar
55 Erforderlichkeit von Hilfsaggregaten und der zerstören.
damit zusammenhängende Energieverbrauch,
der den Systemwirkungsgrad mindert
55 Nebenströme (Bypass-Ströme) führen zur Ver- 7.6.7 Anwendungsbereiche von
ringerung des Wirkungsgrades Redox-Flow-Batterien
55 gleichmäßige Strömungsverhältnisse in der
Zelle nötig; besonders bei großen Zellen kön- Redox-Flow-Systeme werden derzeit für vier An-
nen ungleichmäßige Strömungsverhältnisse wendungsgebiete vorgesehen:
Nebenprodukte erzeugen, beispielsweise Gase, 1. Zum Lastspitzenausgleich und zur Spannungs-
die den Zellstapel zerstören stützung
55 Schwierigkeiten beim Abdichten der Zellen
und Zellstapel Die reine Vanadium-Redox-Flow-Zelle und die
55 verringerte Zellspannung aufgrund der Ver- Zink/Brom-Zelle werden in diesem Bereich bereits
mischung der Reaktanten während der Ent- heute eingesetzt, vor allem in den USA und in Ja-
ladung pan.
55 schwieriges Beibehalten der Konzentration 55 Der japanische Energieversorger Kansai Elec-
und Reinheit der Redox-Paare tric Power Corporation setzt zum Lastspitzen-
ausgleich seit ca. zwei Jahrzehnten auf Redox-
Flow-Batterien.
7.6.6 Lebensdauer und lebensdauer- 55 Seit 2004 setzt die Pacific Corporation in Utah,
verkürzende Mechanismen USA, die Vanadiumtechnologie ein, um durch
Lastspitzenausgleich das eigene Versorgungs-
Zurzeit gibt es noch relativ wenig Erfahrung zur netz zu stabilisieren. Die hier verwendete
Lebensdauer der zentralen Reaktionseinheit bzw. Vanadium-Redox-Flow-Batterie weist eine
der Elektrolyte der Redox-Flow-Zelle. Prinzipiell Leistung von 250 kW und eine Energiemenge
finden bei den aktuellen Zelltypen (Vanadium) von 2 MWh auf.
keine strukturellen Änderungen der einzelnen 55 Die ZBB Energy Corporation und die Cali-
Komponenten statt und es wird von einer sehr fornia Energy Comission betreiben je einen
hohen Lebensdauer ausgegangen. Für die reine Energiespeicher mit einer Kapazität von
292 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

2 MWh, um Lastspitzen von bis zu 1,5 MW zu 7.6.8 Recycling, Umwelt und


kompensieren. Sicherheit
55 In der irischen Grafschaft Donegal wird die
erzeugte Elektrizität eines Windparks teilweise Der Elektrolyt kann sowohl intern (durch den La-
in einer 2 MW/12MWh Vanadium-Redox- devorgang) als auch extern (durch einen Recyc-
Flow-Zelle zwischengespeichert und zeitver- lingprozess) vollständig regeneriert werden, ohne
setzt ins Netz eingespeist (s. [28]). Vanadium-Verluste in Kauf nehmen zu müssen.
2. Zur Bereitstellung von Regel- und Ausgleichs- Bei unsachgemäßer Handhabung oder bei Unfäl-
energie len wäre Vanadium zwar unkritisch, aber Schwefel-
säure (Lösungsmittel) und sich durch Austrocknen
Aufgrund der zukünftigen Zunahme dezentraler oder Brände entwickelnde Vanadium-Stäube wä-
Erzeugungsanlagen und der damit verbundene ren gegebenenfalls problematisch.
größer werdende Bedarf an Regel- und Ausgleichs-
energie kann die Technologie der Redox-Flow- Fazit
Zelle eine Möglichkeit sein, einen Teil dieser be- 55 Die Besonderheit der Redox-Batterien besteht
nötigten Energie auch lokal bereitzustellen bzw. zu in der räumlichen Trennung der Speicherbe-
7 kompensieren. hälter und der Reaktionszelle. Damit kann bei
3. Als Backup-/ UPS-Systeme zur Notstromver- diesem Batterietyp Energie und Leistung nahe-
sorgung und zum Betrieb von Inselnetzen zu beliebig kombiniert werden.
55 Die Technologie ist weit fortgeschritten, den-
Überschüssige Windenergie wird auf King Is- noch sind noch viele Fragen unbeantwortet,
land (Australien) durch eine Redox-Flow-Zelle die in aktuellen Forschungsprojekten unter-
(200/800  kWh) zwischengespeichert und bei Be- sucht werden:
darf ins Netz gespeist. Dabei wird das Inselnetz 55 Durch Materialverbesserun-
durch eine Vanadium-Redox-Flow-Zelle betrie- gen könnten Wirkungsgrade
ben, die 1800 Personen mit Strom versorgt (s. [28]). von bis zu 90 % erreicht werden.
4. Als Speicher in der Elektromobilität 55 Elektroden aus Karbonfasern mit deut-
lich geringerem Widerstand könnten ihren
In der Elektromobilität könnte der Einsatz von Re- Einsatz finden.
dox-Flow-Batterien einen entscheidenden Vorteil 55 Weitere Themen sind die Kostenreduktion
gegenüber den Lithium-Ionen-Akkus dadurch er- der Anlagen durch Verwendung preisgüns-
langen, dass die Ladezeiten deutlich gesenkt wer- tigerer Materialen.
den könnten. Ist der Elektrolyt der Zelle verbraucht
bzw. entladen, könnte die Elektrolytflüssigkeit an
der Tankstelle abgelassen und geladene Flüssigkeit Literatur
nachgetankt werden, ähnlich dem Tankvorgang
mit Benzin oder Diesel. Die abgelassene Elektro- 1. Berndt D (1986) Bleiakkumulatoren, 11., neubearb. u.
erw. Aufl. VDI-Verlag, Düsseldorf
lytflüssigkeit würde dann an der Tankstelle elekt-
2. Besenhard JO (1999) Handbook of battery materials.
risch wieder aufgeladen werden und dem nächsten Wiley-VCH, Weinheim
Verbraucher zur Verfügung stehen. Dieser Prozess 3. Bode H (1977) Lead-acid batteries. A Wiley-interscience
wäre reversibel und regenerativ. Der große Nach- series. Wiley, New York
teil im Vergleich zur Lithium-Ionen-Technologie 4. Bullock KR (1982) Self-discharge in acid-starved
lead-acid batteries. J Electrochem Soc 129(7):1393.
besteht in der noch geringeren Energiedichte, die
doi:10.1149/1.2124172
sich auf die Reichweite auswirkt. Zurzeit betrüge 5. DIN (1979) DIN 41 772: Halbleiter-Gleichrichtergeräte,
die Reichweite eines mit einer Redox-Flow-Zel- DIN – Deutsche Industrie Norm. Beuth Verlag, Berlin
le betriebenen Fahrzeugs in etwa nur ein Viertel 6. DIN (2011) DIN EN 50272–2– Sicherheitsanforderungen
der Reichweite eines Fahrzeugs, in dem Lithium- an Batterien und Batterieanlagen – Teil 2: Stationäre
Akkus eingesetzt werden (s. [25]).
Literatur
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294 Kapitel 7 • Elektrochemische Energiespeicher

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7
295 8

Chemische Energiespeicher
Übersicht
Die rein elektrische Energiespeicherung ist die Stromspeichertechnologie mit
der höchsten Effizienz, aber mitunter auch mit den höchsten Kosten und
kleinsten Kapazitäten. Die elektrochemische Energiespeicherung erreicht
höhere Kapazitäten bei geringeren Kosten – zulasten des Wirkungsgrades.
Ähnlich setzt sich das Ganze mit chemischen Energiespeichern fort: Batterien
(Akkumulatoren) kommen kapazitätsmäßig an ihre Grenzen, wenn es um eine
verlustarme Langzeitspeicherung geht. Die chemische Energiespeicherung
und -lagerung erfüllt diese Ansprüche vollends. Zwar ist das Einspeichern mit
deutlichen Wirkungsgradverlusten verbunden, aber aus heutiger Sicht in
Verbindung mit der vorhandenen Gas- und Kraftstoffinfrastruktur die einzige
nationale Option zur Langzeitspeicherung erneuerbarer Energien.
Chemische Energiespeicher sind heute das Rückgrat der konventionellen
Energieversorgung. Feste (Holz, Kohle), flüssige (Erdöl) und gasförmige
(Erdgas) Energieträger stellen selbst »Energiespeicher« dar und werden über
unterschiedliche Technologien gespeichert. Auch in der Energiewende kommt
chemischen Energiespeichern eine tragende Rolle zu, vor allem in der
Funktion als Langzeitspeicherung für den Stromsektor, aber auch als Brenn-
und Kraftstofflieferant für Mobilität und Wärme. Neben den konventionellen
Speichertechnologien wird daher in diesem Kapitel ausführlich auf die
Speicherung von erneuerbaren Energien in Form von gasförmigen
(Power-to-Gas) und flüssigen (Power-to-Liquid) Energieträgern für Strom,
Wärme, Chemie und als Stromkraftstoffe eingegangen.

M. Sterner, I. Stadler, Energiespeicher – Bedarf, Technologien, Integration,


DOI 10.1007/978-3-642-37380-0_8, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
296 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

8.1 Grundlagen lichen Zusammenhänge: Die Prozesse der fossilen


Energiewirtschaft sind durch Verbrennung von
8.1.1 Das C-H-O-System als Basis der Kohlenwasserstoffen und Kohle gegeben, d. h. deren
chemischen Energiespeicherung Oxidation und damit Überführung auf die Verbren-
nungsproduktlinie. Es wird ersichtlich, dass sich die
Die drei entscheidenden Elemente der chemischen fossile Energiewirtschaft lediglich von links nach
Energiewirtschaft – und damit auch der chemi- rechts bewegt. Die Reduktion des globalen Biomas-
schen Speicherung – sind Kohlenstoff (C), Wasser- sebestands vor allem durch die nicht nachhaltige
stoff (H) und Sauerstoff (O). Abholzung der Regenwälder sowie der Abbau von
Aus .  Abb. 8.1 können die chemische Zusam- Torf folgen dem gleichen Prinzip und erhöhen folg-
mensetzung von organischen Verbindungen sowie lich den CO2-Anteil der Atmosphäre.
ihre Verbrennungsprodukte abgelesen werden. Die
Verbindungslinien zwischen Sauerstoff, Wasser- zz Natürliche und künstliche Photosynthese
stoff und Kohlenstoff werden dafür im Verhältnis schließt den Kohlenstoffkreis
der Stoffzusammensetzung geteilt. Die Abbildung Die einzige natürliche »Gegenbewegung« bzw. Al-
zeigt die drei Elemente und ihre für die Energie- ternative zur fossilen Energiewirtschaft stellt die
wirtschaft wichtigsten Verbindungen: Photosynthese dar, indem sie unter Einbeziehung
55 H2O und CO2 als Verbrennungsprodukte von Solarenergie Verbrennungsprodukte zu Bio-
8 sowie alle Mischungen daraus, die auf der masse und damit einen energiehaltigen Ausgangs-
Verbrennungsproduktlinie zwischen diesen punkt der fossilen Energieträger aufarbeitet. Ihr
beiden Verbindungen liegen Umsatz ist jedoch viel zu gering, um den mensch-
55 CH2O als Stellvertreter für Biomasse (Zucker: lichen Bedarf an Energieträgern zu decken. Dieser
C6H12O6) sowie deren Dehydratisierungspro- Engpass begründet, warum biogene Kohlenwasser-
dukte Torf, Braunkohle, Steinkohle und An- stoffe und biogene Kohle aus hydrothermaler Kar-
thrazit auf der Karbonisierungslinie zwischen bonisierung (dunkelgrauer Pfeil, auch Pflanzen-
CH2O und C kohle, Biokohle oder engl. »biochar«) keine Lösung
55 gasförmige und flüssige Kohlenwasserstoffe, zur Deckung des Bedarfs an chemischen Energie-
also Methan, Flüssiggase, Benzin, Diesel, trägern darstellen können.
Kerosin und Wachse, die zwischen CH4 mit Zur Überwindung dieses Engpasses kam das
aufsteigender Kettenlänge bis zum CH2 (stell- Konzept der Wasserstoffwirtschaft (hellgrauer
vertretend für eine unendlich lange Kohlen- Pfeil) auf, deren wichtigste Fähigkeit in der Photo-
wasserstoffkette) aufgereiht liegen synthese-unabhängigen Herstellung eines chemi-
55 alle Alkohole, die durch ihre OH-Gruppe ana- schen Energieträgers durch Elektrolyse liegt. Damit
log rechts der Kohlenwasserstoffe liegen (nicht wurde es möglich, die Einbahnstraße der Verbren-
dargestellt) nung in eine geschlossene Kreislaufwirtschaft ohne
55 Der Energiegehalt und damit das Speicher- biologische Prozesse zu überführen.
potenzial eines Stoffes steigen, je näher er sich Da Wasserstoff hinsichtlich Lager- und Trans-
an der HC-Achse der Kohlenwasserstoffe be- portierbarkeit jedoch nicht von allen Anwendun-
findet, und fallen mit zunehmender Oxidation gen, die bisher mit Kohlenwasserstoffen arbeiten,
und Nähe zum Sauerstoff. adaptiert werden kann, folgten in jüngerer Zeit die
Konzepte der synthetischen Kohlenwasserstoffe
zz Fossile Energiewirtschaft und (gelber Pfeil: Wind-/Solarmethan, Windgas, Pow-
Biomassenutzung als Einbahnstraße er-to-Gas; blauer Pfeil: Power-to-Liquid).
Die größte Bewegung in diesem System erfolgt heute Über Power-to-Gas können vorhandene Gas-
von links nach rechts durch die Verbrennung gespei- speicherkapazitäten und Gaskraftwerke genutzt
cherter chemischer Verbindungen. . Abbildung 8.2 werden. Damit wird der Bedarf an Langzeitspei-
zeigt die wichtigsten chemisch-energiewirtschaft- chern befriedigt und das Problem der Langzeitspei-
8.1 • Grundlagen
297 8
H2O (Wasser)
H O

CO2+2 H2O

(Verbrennungsprodukte)
CH4
(Methanagas) CO2+H2O
(Erdgas)

CH2O
(Biomasse)
CH2
(Benzin,
Diesel, Wachs) CO2
(Kohlendioxid)

C6H2O
(Kohle)

. Abb. 8.1  Aufbau des fossilen Systems zwischen den Elementen Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff. (Quelle: an-
gepasst nach [124])

cherung im Stromnetz gelöst (s.  7  Kap. 3). Ebenso für die technisch nachgebildete Photosynthese
wird dafür eine Option geschaffen, im Wärmebe- aus kohlenstofffreien Energieträgern wie Wind-
reich den zukünftigen Speicherbedarf zu decken kraft, Solarenergie, Wasserkraft oder Geothermie
(s.  7  Kap.  4). Insbesondere aber der Luft- sowie stammt. Alle anderen Wege der Nutzung koh-
der terrestrische Langstreckenverkehr sind auf die lenstoffhaltiger Energieträger wie fossile Ener-
höhere Energiedichte der flüssigen Kohlenwasser- gie oder Biomasse führen aufgrund der Verluste
stoffe angewiesen (s. 7 Kap. 5). Diese hohe Energie- im Prozess zu einem höheren CO2-Ausstoß und
dichte liegt zum einen im molekülspezifisch größe- können den Kreis nicht schließen. Die CO2-arme
ren Heizwert (Methan, Flüssiggase), zum anderen Kernkraft ist ebenso auszuschließen, da zwar
im flüssigen oder festen Aggregatzustand (Benzin, CO2 weitgehend vermieden wird, dafür aber ein
Diesel, Kerosin, Wachs) begründet. bisher ungelöstes Entsorgungs- und Sicherheits-
problem mit nicht abschätzbaren Folgekosten ge-
zz Wind- und Wasserkraft, Solarenergie und schaffen wird. Die verbleibenden erneuerbaren
Geothermie als einzige Energieoptionen kohlenstofffreien Energiequellen werden für das
Damit der Kohlenstoffkreislauf tatsächlich ge- Schließen des Kohlenstoffkreislaufs aus heutiger
schlossen wird, ist es notwendig, dass die Energie Sicht am kostengünstigsten über ihre Wandlung
298 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

H2O (Wasser)
H O
Wasserstoff
CO2+2 H2O
largas
Windgas / So
(Verbrennungsprodukte)
CH4
(Methangas) KS CO2+H2O
(Erdgas) Bio-

S
lar-K
d / So
CH2 Win
CH2O
(Benzin,
(Biomasse)
Diesel, Wachs) CO2
(Kohlendioxid)

8 C6H2O
(Kohle)
= Photosynthese

= Verölung

= Inkohlung

= Verbrennung

C KS = Kraftstoffe

. Abb. 8.2  Natürliche Photosynthese und ihre Nachbildung über Wasserelektrolyse und Synthesen als chemische Energie-
speicherung zur Schließung des Kohlenstoffkreislaufs. (Quelle: eigene Darstellung)

in Strom bereitgestellt, weshalb die Wasserelek- bei chemischen Reaktionen die Masse der Reaktan-
trolyse die zentrale technische Komponente für den erhalten bleibt. Dabei entdeckte er Knallgas,
diesen Weg darstellt. was er in einer entsprechenden Probe nachwies.
Die Volumenangaben für Gase sind stets in In weiteren Experimenten wandelte er Knallgas in
Normkubikmeter (Vn) angegeben. Wasser um, was für ihn ausschlaggebend für die
Namensgebung von »Wasserstoff« war. Der Name
»Wasserstoff« oder engl. »hydrogen« bzw. das Sym-
8.1.2 Wasserstoff als Energieträger bol H leiten sich aus der lateinischen Bezeichnung
»hydrogenium« (»Wassererzeuger«) bzw. aus dem
zz Entdeckung und Vorkommen Altgriechischen »hydor gignomai« (»Wasser wer-
Wasserstoff wurde im Jahre 1766 von dem engli- den/entstehen«) her (s. [84]).
schen Physiker und Chemiker Henry Cavendish Wasserstoff ist das leichteste Gas und steht im
bei Forschungsarbeiten zu Metallen und Säuren Periodensystem der Elemente an erster Stelle. Das
entdeckt und erstmals beschrieben. Parallel dazu häufigste Isotop hat ein Proton und ein Elektron.
wies der französische Chemiker Antoine Laurent Wasserstoff ist farb- und geruchlos und kommt in
de Lavoisier 1787 in einem Experiment nach, dass der Natur nur selten in Reinform vor. Da er sehr
8.1 • Grundlagen
299 8

. Tab. 8.1  Wichtige Kenngrößen von Wasserstoff. (Quelle: [34])

Gasdichte bei 0 °C und 1,013 bar 0,0899 kg/m3

Molare Masse 2,0158 kg/kmol oder 2,0158 g/mol

Kritischer Punkt T = 33,19 K, p = 13,15 bar, ρ = 0,03012 kg/l

Tripelpunkt T = 13,957 K, p = 0,072 bar

Siedepunkt bei 1,013 bar T = 20,39 K, ρ = 0,07079 kg/l

Spez. Wärmekapazität cp bei 25 °C und 1 bar 14,3 kJ kg−1 k−1

Wärmeleitfähigkeit λ bei 25 °C und 1 bar 0,1861 W m−1 K−1

Spez. Heizwert bei 0 °C und 1,013 bar 3,0 kWh/m3 bzw. 33,4 kWh/kg

Spez. Brennwert bei 0 °C und 1,013 bar 3,55 kWh/m3 bzw. 39,5 kWh/kg

Gestehungskosten fossiler Wasserstoff ca. 4 €-ct./kWh bzw. 1,34 €/kg (2014)

Gestehungskosten erneuerbarer Wasserstoff ca. 25–30 €-ct./kWh bzw. 8–10 €/kg (2014)

reaktiv ist, geht er zahlreiche chemische Bindungen Vorteile:


ein. In der Natur kommt er in fast allen organi- 55 keine Knappheit, da häufigstes Element der
schen Verbindungen, in vielen chemischen Verbin- Erde
dungen wie Kohlenwasserstoffen und natürlich in 55 nachhaltige Gewinnung aus erneuerbarem
Wasser vor. Die Erdkruste besteht zu ca. 50 % aus Strom, aus Solarthermie und Biomasse mög-
Wasserstoff, womit dieser das häufigste Element auf lich
der Erde ist (s. [123]). 55 saubere Verbrennung, da ausschließlich Was-
ser entsteht
zz Eigenschaften 55 höchste gravimetrische Energiedichte von
Wasserstoff ist sehr gut brennbar und viel leichter Gasen
als Luft. Er hat einen sehr weiten Zündbereich von 55 in Wasser kaum löslich
4,0–77 % bei einer Zündtemperatur von 560 °C 55 hohe Wirkungsgrade über die »kalte« Verbren-
und ist damit hochreaktiv und sicherheitstechnisch nung in Brennstoffzellen möglich, die nicht
nicht ungefährlich. Wasserstoffflaschen werden mit dem Carnot-Wirkungsgrad unterworfen ist
roten Schultern gekennzeichnet. Das brennbare 55 flexibel in allen Bereichen Strom, Wärme, Ver-
Gas kann sich bei hohen Ausströmgeschwindigkei- kehr einsetzbar
ten selbst entzünden. 55 technisch-ökonomische Einschränkungen
Wasserstoff hat mit 33,3  kWh/kg die höchs- können überwunden werden, da Wasserstoff
te gravimetrische Energiedichte von Gasen, aber flexibel in andere Energieträger wandelbar ist.
unter Normalbedingungen im Vergleich zu Erdgas
nur ein Drittel der volumetrischen Energiedichte Nachteile:
von 3 kWh/m3 und ist damit unter den chemischen 55 Wasserstoff besitzt als kleinstes Atom ein
Energieträgern Schlusslicht in dieser Kategorie großes Diffusionsvermögen und kann zur
(s. [34]). Wichtige Parameter von Wasserstoff fin- Versprödung von Metallen und Dichtungen in
den sich in . Tab. 8.1. Leitungen und Tanks führen
55 hohe Explosivität aufgrund des sehr weiten
zz Vor- und Nachteile als Energieträger Zündbereichs
Vergleichend lassen sich für Wasserstoff als Ener- 55 in konventionellen Gaskraftwerke wegen der
gieträger folgende Vor- und Nachteile festhalten: hohen Flammgeschwindigkeit schwierig zu
verbrennen
300 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

55 Energiedichte von Wasserstoff ist höher als bei logien. Dieser hohe Gehalt an chemischer Energie
Batterien oder Pumpspeicherwerken, jedoch ist bei der Herstellung von Wasserstoff aus Wasser
geringer als bei Kohlenwasserstoffen. oder anderen Stoffen entsprechend aufzubringen
55 da Wasserstoff praktisch nur in gebundener und an die Gesetze der Thermodynamik gebunden.
Form vorkommt und nicht wie andere Roh- Die Energiequelle und Effizienz seiner Herstellung
stoffe einfach »abgebaut« werden kann, ist ist also entscheidend im technischen und energeti-
seine Herstellung energieintensiv – z. B. in der schen Vergleich mit anderen Technologien.
Wasserelektrolyse mit Wirkungsgraden im Be-
reich von ca. 54–84 %. zz Übersicht zur Wasserstoffherstellung
Wasserstoff kann auf vielfältige Art und Weise ge-
Wasserstoff wird heute überwiegend stofflich in der wonnen werden (s. .  Abb.  8.3). Neben der Was-
chemischen Industrie und energetisch nur in sehr serelektrolyse, die für die Energiespeicherung sehr
geringem Umfang als Treibstoff in der Raumfahrt relevant ist, gehören thermische Verfahren zu den
eingesetzt (s. [40]). Ihm wird ein hohes Potenzial gängigen Standardprozessen. Die photolytischen
zum Ersatz fossiler Kraftstoffe beigemessen. Da er Verfahren befinden sich noch weitgehend in der
aber heute fast ausschließlich aus fossilen Kohlen- Grundlagenforschung. Als Energiequellen können
wasserstoffen gewonnen wird, ist eine Substitution elektrische, thermische und chemische Energie so-
konventioneller Treibstoffe nur sinnvoll, wenn wie elektromagnetische Strahlungsenergie (Licht-
8 der Wasserstoff erneuerbar ist. Verschiedene er- energie aus Photonen) dienen.
neuerbare Wasserstoff-Speichersysteme werden Auch wenn fossile Energieträger die Wasser-
in 7 Abschn. 8.6.1 näher dargestellt. stoffherstellung dominieren, ermöglicht lediglich
die Nutzung erneuerbarer Energien eine klimaneu-
zz »Henne-Ei-Problematik« trale Herstellung von Wasserstoff. Im weiteren Ver-
Die Herausforderung für Wasserstoff als Energie- lauf dieses Kapitels steht daher die Wasserelektroly-
träger besteht heute in der sogenannten »Henne- se im Vordergrund, und die prinzipiellen Pfade der
Ei-Problematik«: Ohne Infrastruktur gibt es nur Wasserstoffherstellung werden kurz im folgenden
wenige Abnehmer und umgekehrt. Wenn es keine Abschnitt erklärt.
Wasserstofftankstellen gibt, werden vom Kunden
keine Wasserstofffahrzeuge angeschafft. Die Kosten zz Globale Wasserstoffherstellung und
für reine Wasserstofffahrzeuge sind aber mit über -nutzung
mindestens 100.000 € pro Fahrzeug noch außerhalb Im industriellen Maßstab wird Wasserstoff heu-
der Reichweite von durchschnittlichen Kunden. Die te hauptsächlich in Dampfreformern gewonnen,
Kosten würden – technische Probleme unberück- in denen Kohlenwasserstoffe mit hohem Wasser-
sichtigt – nur in einer Serienproduktion deutlich fal- stoffanteil wie Methan oder Methanol reformiert
len. Sind aber keine Abnehmer vorhanden, ist auch werden. Auch andere Umsetzungsverfahren, wie
eine Implementierung einer Wasserstoffinfrastruk- Chlor-Alkali-Elektrolyse oder Kohlevergasung, be-
tur unwirtschaftlich. Eine Abhilfe kann die ange- ruhen auf fossile Ausgangsstoffe (s. [8, 108]).
schlossene Methanisierung von Wasserstoff sein, die Jährlich werden heute in Deutschland ca.
zwar zusätzliche Kosten und Wirkungsgradverluste 20  Mrd.  m³ Wasserstoff hergestellt; weltweit sind
verursacht, aber den Wasserstoff der vorhandenen es ca. 500  Mrd.  m³ oder ca. 50  Mio.  t, was etwa
Erdgasinfrastruktur samt Gasanwendungen allen 2 % des Weltprimärenergiebedarfs entspricht (s. [8,
Energiemärkten zugänglich macht. 36, 105]). Wasserstoff wird global fast ausschließlich
über fossile Kohlenwasserstoffe gewonnen:
55 Erdgas (48 %)
8.1.3 Wasserstoffherstellung 55 flüssige Kohlenwasserstoffe (30 %)
55 Kohle (18 %)
Die hohe Energiedichte von Wasserstoff ist der 55 Wasserelektrolyse (4 %).
größte Vorteil gegenüber anderen Speichertechno-
8.1 • Grundlagen

Wasser
Eingangs-
stoffe Kohlenwasserstoffe
Salz Erdgas Kohle
Biogas Biomasse
Biokraftstoffe
Elektrolytische Verfahren ThermochemischeVerfahren PhotolytischeVerfahren

el. Wasser- therm. el. magn.


Energie- Energie Energie Hoch- Strahlung Photo-
elektrolyse Chlor- Photo-
zufuhr Reform- temperatur elektro-
(Strom) (AEL, Alkali- (Wärme) Vergasung (Licht) biologisches
ierung Wasser- chemisches
PEMEL, Elektrolyse Verfahren
spaltung Verfahren
HTEL)

Hauptprodukte H2 Cl2, NaOH H2 H2 H2, H H2 H2

Nebenprodukte O2 H2 CO CO, CO2, O 2, O O2 O2

. Abb. 8.3  Verschiedene Wege zur Gewinnung von Wasserstoff. (Quelle: eigene Zusammenstellung)
8 301
302 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

Die globale Wasserstoffnutzung ist nur schwer zu 8.1.3.1 Elektrolytische Verfahren


quantifizieren, da große Mengen in Chemieparks zz Wasserelektrolyse
vor Ort erzeugt und verbraucht und dadurch sta- Die elektrolytische Wasserspaltung ist seit über 200
tistisch nicht erfasst werden (s.  [105]). Oft wird Jahren bekannt und damit keine grundlegend neue
Wasserstoff als Teil von Synthesegas direkt weiter- Technologie. Dennoch erfährt sie im Kontext der
verwendet. Synthesegas wird global wie folgt ver- Energiespeicherung über Power-to-Gas und Power-
wendet (s. [8]): to-Liquid eine neue Bedeutung und wird zur Kern-
55 ~ 51 % für die Ammoniakherstellung komponente der chemischen Energiespeicherung.
55 ~ 35 % in Erdölraffinerien für Hydrierprozesse Mit der Erfindung der Volta’schen Säule (1799),
55 ~ 8 % für Methanolherstellung. welche als erste anhaltend nutzbare Stromquelle
gesehen werden kann, wurden auch erste Untersu-
Wasserstoff selbst wird analog zu Synthesegas chungen zur Elektrolyse gemacht. Die Elektrolyse
ebenfalls hauptsächlich in diesen drei Anwendun- ist ein Prozess, bei dem durch elektrischen Strom
gen verwertet. Nach [36] wurde 2010 Wasserstoff in eine Redoxreaktion erzeugt wird. Dieses Prinzip
folgenden Anwendungen eingesetzt: haben als Erste um 1800 der Deutsche Johann Wil-
55 ~ 45 % für die Herstellung von Ammoniak helm Ritter (1776–1810) und zeitgleich parallel die
(Düngemittel) Engländer William Nicholson, Anthony Carlisle
55 ~ 46 % in Erdölraffinerien zur Zerkleinerung und William Cruickshank entdeckt.
8 und Hydrierung langkettiger fossiler Kohlen- Ritter wies das Entstehen von geruchlosem gal-
wasserstoffe zur Gewinnung von Benzin, Die- vanischem Wasserstoff und Sauerstoff in der Zer-
sel oder Kerosin (z. B. Hydrocracking, Hydro- setzung von Wasser nach. Im Nachwort beschrieb
desulfurierung) sein früherer Professor und der Herausgeber des
55 ~ 4 % zur Methanolherstellung (z. B. als chemi- Magazins Johann Heinrich Voigt das bei der Elek-
scher Grundstoff) trolyse entstehende Gasgemisch als »Lebensluft«
55 ~ 2 % in der Metallherstellung und -verarbei- oder entzündbare Luft, die bei ihrer Verpuffung
tung (z. B. in der Metallurgie als Schutzgas für Wärme, Licht und Wasser freigibt. Er vermutete
Schweißen und Schneiden) in den Gasen bzw. den dabei freigesetzten Kräften
55 ~ 1 % in der Elektronikindustrie (z. B. Halblei- (»Thätigkeiten«) den »wärmenden und leuchten-
terherstellung) den Theil im Sonnenstrale« (J. W. Ritter in [117]).
55 ~ 1 % in der Lebensmittelindustrie (z. B. Hyd- Tatsächlich liegt diese Vermutung bei der Betrach-
rierung von flüssigen Ölen zu gehärteten Fet- tung der Knallgasreaktion nahe, in der Wärme-
ten wie z. B. Pflanzenöl zu Margarine) und Strahlungsenergie freigesetzt werden. Voigt
55 ~ 1 % in weiteren Prozessen (z. B. Hydroformy- erkannte bereits damals, dass dieser Prozess auch
lierung (Oxo-Synthese) oder als Kühlmittel für in der Photosynthese eine Rolle spielen musste:
große Synchrongeneratoren in konventionel-
len Kraftwerken).
» Wenn man die Bläschensäulen (der Elektrolyse)
in fig. 3 (s. . Abb. 8.4 oben) betrachtet, so kann
man sich des Gedankens kaum erwehren, daß
Die konventionelle Herstellung erfolgt überwie-
auch beym Wachsthum der Pflanzen ein ganz ähn-
gend aus der Reformierung von Erdgas, da sie
licher Proceß statt finde. In der Erde ist vielleicht
mit Herstellungskosten von 1  €/kg konkurrenzlos
der wärmende, und in der Luft der leuchtende
günstig ist. Wasserstoff aus erneuerbaren Energien
Theil des zur Vegetation so unentbehrlichen Son-
hat derzeit eine Preisspanne von 6–10 €/kg. Damit
nenscheins ebendasselbe, was in der Voltaischen
ist ein entscheidender Wert für die Wirtschaftlich-
Batterie die Kraft am Silber und am Zink ist –; und
keit von erneuerbarem Wasserstoff die Einpreisung
daß die aufsteigenden Bläschen des entzünd-
externer Kosten, die durch fossiles CO2 entstehen.
baren Gas aus der Erde und dem Wasser womit
sie begossen wird, eine Menge zur Nahrung und
Wachsthum dienender Stoffe mit sich fortführend
und an schicklichen Orten wieder absetzen, kann
8.1 • Grundlagen
303 8
durch den Apparat fig. 3 (s. . Abb. 8.4) ganz au-
genscheinlich dargethan werden, …  «
Entsprechend dieser Analogie zur Natur kann die
Umkehrung der Knallgasreaktion über die Elekt-
rolyse von Wasser mithilfe von Solarenergie voll-
zogen werden.
Aus diesen ersten Versuchen von 1800 haben
sich bis heute prinzipiell drei Verfahren zur Was-
serelektrolyse entwickelt, die in  7  Abschn. 8.2 ein- . Abb. 8.4  Erster alkalischer Elektrolyseur (Versuchsauf-
gehender beschrieben werden: bau von Johann Wilhelm Ritter um 1800), durch den die Ent-
1. Alkalische Elektrolyse (AEL) stehung von Wasserstoff und Sauerstoff im Verhältnis von 2:1
2. Membran-Elektrolyse oder auch Saure Elekt- nachgewiesen wurde
rolyse (Proton Exchange Membrane) PEMEL
3. Hochtemperatur-Elektrolyse (Solid Oxide vom Wasser getrennt. Die Membran ist durchlässig
Electrolysis) HTES oder SOEL. für Natrium-Ionen, aber nicht für Chlorid-Ionen
und Hydroxid-Ionen. Unter Spannung entsteht an
zz Herstellung als Nebenprodukt der Chlor- der Anode Chlorgas und an der Kathode Wasser-
Alkali-Elektrolyse stoffgas, welche getrennt voneinander aufgefangen
Chlor ist eine der häufigsten Grundchemikalien und werden. Die verbleibenden Hydroxid-Ionen bilden
wird über die Chlor-Alkali-Elektrolyse aus Strom zusammen mit den Natrium-Ionen eine 33 %ige
und Sole (salzhaltiges Wasser) gewonnen. Wird im Natronlauge, welche ebenfalls als Nebenprodukt
Wasser einer Elektrolyse Kochsalz (Natriumchlorid) genutzt wird (Gl. 8.1):
aufgelöst, ergibt sich als Produkt neben Wasser-
stoff auch Chlor. In der Elektrolyse von wässrigem  2 H 2 O (l ) + 2 NaCl ( aq ) → 2 NaOH (l )
Natriumchlorid bildet sich ein explosionsgefährli-
+ H 2 ( g ) + Cl2 ( g ) E 0 = − 2,19 V . (8.1)
ches Chlor-Knallgas. Daher sind – wie auch bei der
Wasserelektrolyse – die Produkte im Moment der Die Weltjahresproduktion von Chlor beträgt etwa
Entstehung voneinander zu trennen. In einer Zel- 45 Mio. t. Dabei fällt eine sehr große Menge Was-
le der Chlor-Alkali-Elektrolyse wird entsprechend serstoff – etwa 14  Mrd.  m3 oder 3 % der globalen
der Anodenraum vom Kathodenraum getrennt. Die Wasserstoffproduktion – als Nebenprodukt an,
einzelnen Zellen sind in einem Zellensaal in Reihe welcher im Chemiepark integriert wird oder un-
geschaltet und werden parallel mit Salzlösung ver- genutzt bleibt (s. [34, 105]).
sorgt. Der Stromverbrauch ist immens, weshalb die
Stromversorgung oft mit eigenen Höchstspannungs- 8.1.3.2 Thermochemische Verfahren
leitungen (z. B. 220 kV) erfolgt. zz Herstellung aus Erdgas oder Biomethan über
Es wurden drei Verfahren zur Chlor-Alkali- Dampfreformierung (Steam Reforming)
Elektrolyse entwickelt: Das Diaphragma-Verfahren Global ist das gängigste Verfahren zur Herstellung
war das erste und wurde wegen des hohen Reini- von Wasserstoff die Dampfreformierung (Steam
gungsaufwandes vom Amalgam-Verfahren abge- Reforming) mithilfe von fossilem Erdgas oder nied-
löst, welches wiederum mit Quecksilber arbeitet rig siedenden Erdölfraktionen (Naphtha). Dieses
und einen giftigen Quecksilbereintrag in Luft und Verfahren kann prinzipiell auch für Biomasse ein-
Abwasser verursacht. Daher hat sich dank fortge- gesetzt werden. In der Fermentation von Biomasse
schrittener Materialentwicklungen seit den 1970er- wie Mais, Gras oder Gülle entsteht Biogas als Mi-
Jahren das Membranverfahren durchgesetzt. schung aus Methangas und CO2. Aus dem Methan-
.  Abbildung  8.5 zeigt eine solche Anlage der Thys- gas kann über die Dampfreformierung wiederum
senKrupp Electrolysis GmbH in Marl, Deutschland. Wasserstoff gewonnen werden.
Im Membranverfahren wird die 31 %ige Koch- Aus Erdgas und Wasserdampf werden in einem
salzsole durch eine Kationenaustauscher-Membran gasbeheizten Röhrenofen Kohlenmonoxid und
304 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

. Abb. 8.5  Anlage zur Chlor-Alkali-Elektrolyse der Vestolit GmbH in Marl, Deutschland mit einer jährlichen Produktionska-
pazität von 237.000 t Natriumhydroxid und 210.000 t Chlor, welche von der ThyssenKrupp Electrolysis GmbH (früher Electroly-
sis Divison der ThyssenKrupp Uhde GmbH), Dortmund projektiert wurde, Quelle: ThyssenKrupp Electrolysis GmbH

Wasserstoff gebildet (Gl. 8.2). Der Reaktor enthält Base ausgewaschen, der reine, wasserunlösliche
einen Nickelkatalysator. Das Erdgas wird vorher Wasserstoff bleibt zurück und steht zur Verfügung,
entschwefelt, um eine Deaktivierung des Kataly-
sators zu vermeiden. Die katalytische Reaktion ist  CO( g ) + H 2 O( g ) → CO2 ( g ) + H 2 ( g )
stark endotherm und findet bei 800–900 °C und ∆H R0 = − 41, 2 kJ / mol. (8.3)
20–40 bar statt. Der gesamte Prozess ist allotherm
(s. [34]), .  Abbildung  8.6 zeigt einen befeuerten Dampfre-
formierer der ThyssenKrupp Industrial Solutions
 CH 4 ( g ) + H 2 O( g ) → CO( g ) + 3 H 2 ( g ) AG (früher Uhde GmbH).
∆H R0 = + 206 kJ / mol. (8.2)
zz Herstellung aus Kohle oder fester Biomasse
Das Kohlenmonoxid kann in einem weiteren über Vergasung und Pyrolyse
Schritt mit Wasserdampf und einem Kobaltoxid- Über die Pyrolyse (Verschwelung, Entgasung) kön-
oder Eisen(II)-oxid-Katalysator bei 250–450 °C zu nen Kohlenwasserstoffe unter Luftabschluss rein
Kohlendioxid und weiterem Wasserstoff konver- durch Wärme in Koks (fast reiner Kohlenstoff), Py-
tiert werden. Diese homogene Wassergas-Shift-Re- rolyseöl und wasserstoffreiches Pyrolysegas zersetzt
aktion ist exotherm (Gl. 8.3). Die Reaktorauslegung werden. Die Pyrolyse ist auch Teil des Vergasungs-
wird so konstruiert und konzipiert, dass Kinetik prozesses. Dieser findet allerdings unter teilweiser
und Gleichgewichtslage der Reaktion optimal auf- Zuführung von Sauerstoff bzw. Luft (partielle Oxi-
einander abgestimmt sind. Aus dem so entste- dation) statt. So wird die Wärme zur Zersetzung der
henden Gasgemisch wird das Kohlendioxid unter Kohlenwasserstoffe aus ihrer eigenen Verbrennung
Druck mit kaltem Wasser oder einer schwachen gewonnen. Die Vergasung läuft in vier Schritten ab:
8.1 • Grundlagen
305 8

. Abb. 8.6  Anlage zur Dampfreformierung der Neste Oil Oyj in Porvoo, Finnland mit einer jährlichen Produktionskapazität
von 153.000 Nm(hoch)3/h Wasserstoff, welche von der ThyssenKrupp Industrial Solutions AG (früher Uhde GmbH), Dortmund
projektiert wurde, Quelle: ThyssenKrupp Industrial Solutions AG

1. Trocknung der Kohlenwasserstoffe bei ca. 200 °C Daneben finden in der Vergasung noch die hetero-
2. Pyrolyse bei 200–500 °C gene Wasser-Gas-Shift-Reaktion (Gl.  8.3) und die
3. Oxidation: Während der partiellen Verbren- Methanreaktion (Gl.  8.6) statt, in der Kohlenstoff
nung steigen die Temperaturen bis zu 2000 °C und Wasserstoff zu Methan umgesetzt werden. Ein
an und Teile der Kohlenwasserstoffe werden höherer Methangehalt kann durch höhere Drücke
in leichte Gaskomponenten zerlegt (CO, H2, erreicht werden,
H2O, CO2 und CH4)
4. Reduktion: Über die Reduktion von CO und  C ( s ) + 2 H 2 ( g ) → CH 4 ( g )
H2O werden die meisten Komponenten des ∆H R0 = −87,5 kJ / mol. (8.6)
Synthesegases gebildet (Boudouard-Reaktion
(Gl. 8.4) und homogene Wasser-Gas-Shift-Re- Die Vergasung läuft je nach Reaktortyp (Festbettre-
aktion (Gl. 8.3): aktor, Wirbelschichtreaktor oder Flugstromvergaser)
in Temperaturbereichen zwischen 800 und 1500 °C
 C ( s ) + CO2 ( g ) → CO( g ) bei Drücken von 1 bis 80 bar ab. Es können Kaltgas-
∆H R0 = 159,9 kJ / mol , konversionsraten von 75–80 % erreicht werden.
(8.4)
Das entstandene Rohgas wird durch Gasreini-
 C ( s ) + H 2 O( g ) → CO( g ) + H 2 ( g ) gung zu Synthesegas, welches über die Gasaufbe-
reitung (Wasser-Gas-Shift-Reaktion zur Erhöhung
∆H R0 = 118,5 kJ / mol. (8.5) des Wasserstoffanteils und CO2-Abtrennung durch
306 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

Absorption oder Auswaschung) zu Wasserstoff antreibt. Bei sehr hohen Temperaturen von 3300 K
prozessiert wird (s. [99]). treten Wasserdampf und Wasserstoff in gleichen
Auf diese Weise kann Stein- oder Braunkohle Konzentrationen im Gleichgewicht auf, womit bei
in fossilen Wasserstoff gewandelt werden. Das in diesen Temperaturen Wasser rein durch Wärme in
Deutschland bekannteste Beispiel ist »Stadtgas«, Wasserstoff und Sauerstoff zerlegbar wäre. Aller-
welches über die Vergasungsmittel Wasserdampf dings scheitert die technische Umsetzung daran,
und Luft erzeugt wird. Stadtgas ist eine giftige Mi- dass Wasserstoff über die Knallgasreaktion wieder
schung aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff. Es mit Sauerstoff zu Wasserdampf rekombiniert und
diente lange Zeit als Brennstoff zur Straßenbeleuch- es keine Materialien in diesem Temperaturbereich
tung und Heizung von Gebäuden und Herden. gibt, die eine selektive Wasserstoffabscheidung
Wasserstoff kann nach dem gleichen Prinzip möglich machen (s. [123]).
auch über die Biomassevergasung gewonnen wer- Ähnlich wie die Photosynthese nur schwer in
den: Biomasse wird mechanisch zerkleinert (z.  B. einem Schritt abzubilden ist (s.  7  Abschn.  1.1 und
in Holzhackschnitzel), bei 200 °C getrocknet und 8.1.3.3), lohnt es sich auch bei der Wasserspaltung
anschließend in einem Reaktor vergast, gereinigt mit Hochtemperaturwärme, den Prozess in zwei
und zu Wasserstoff aufbereitet. Schritte zu unterteilen und dadurch die Tempera-
Ebenso ist eine Gewinnung von Wasserstoff turniveaus deutlich zu senken. In einem zweistu-
über die Pyrolyse von Biomasse möglich: Holzarti- figen thermischen Kreisprozess mit Arbeitstem-
8 ge Biomasse wird nach dem Trocknen und Zerklei- peraturen von 600–1200 °C werden Metalloxide
nern bei 400–450 °C und etwa 35 bar unter Luftab- selektiv reduziert und oxidiert. Die Metalle wirken
schluss in Koks und Pyrolysegas zersetzt. Der Koks dabei wie ein Katalysator, bleiben im Idealfall un-
wird anschließend fein gemahlen und wiederum in verändert und können recycelt werden. Die Hoch-
CO und Wasserstoff vergast. Das Synthesegas kann temperaturwärme Q für den Prozess stammt von
anschließend zu Wasserstoff aufbereitet werden solarthermischen Kollektoren. . Abbildung 8.7 ver-
(s. [116]). anschaulicht den Prozess:
Die Verfahren zur Biomassenutzung weisen 55 Im ersten Schritt werden Metalloxide wie
neben technischen und ökonomischen Einschrän- Zinkoxid oder Eisenoxid mithilfe von konzen-
kungen im Gegensatz zur Wasserelektrolyse das trierter Solarwärme Q zu Metallpulver redu-
Problem der Verfügbarkeit und des nachhaltigen ziert. Die Metalloxide werden dabei in reines
Potenzials von Biomasse auf. Metall und Sauerstoff dissoziiert. Das Metall
kühlt ab, wird getrennt und dem zweiten
zz Herstellung aus thermochemischer Schritt zugeführt.
Wasserspaltung mit konzentrierter 55 Im zweiten Schritt reagiert das Metall mit
Solarenergie Wasserdampf zu Wasserstoff und Metalloxid.
Konzentrierte Solarthermie kann durch die Bereit- Das Metallpulver oxidiert. Dabei wird dem
stellung von Hochtemperaturwärme über verschie- Wasserdampf der Sauerstoff entzogen, übrig
dene Wege zur Wasserstoffherstellung verwendet bleibt reiner Wasserstoff. Die Solarwärme Q
werden: Zunächst liegt es nahe, den Strom im Fall wird hier zur Aufrechterhaltung der Reaktion
eines fehlenden oder unrentablen Stromnetzan- benötigt.
schlusses aus entlegenen solarthermischen Kraft-
werken für die Wasserelektrolyse einzusetzen. Des Die entsprechenden Reaktionen lauten für Zink-
Weiteren kann die Hochtemperaturwärme unter- oxid (Gl. 8.7 und 8.8)
stützend in der Wasserdampfelektrolyse eingesetzt

werden (s. 7 Abschn. 8.2.2.2). 2 ZnO(s) 
(8.7) Warme Q
→ 2 Zn(s) + O2 ( g ),
Die hochkalorische Wärme kann aber auch
zur thermochemischen Wasserspaltung verwendet (8.8)
2 Zn(s) + 2 H 2 O( g ) → 2 ZnO(s) + 2 H 2 ( g )
werden, indem sie thermochemische Kreisprozesse
8.1 • Grundlagen
307 8
Metalloxid-
speicher
O2 H2

T > 2000 °C Reaktor A B Reaktor T > 600 °C

H2O
Metallpulver-
QSolar QSolar
speicher

Konzentrierte Solarenergie

. Abb. 8.7  Funktionsprinzip der thermochemischen Wasserspaltung in einem zweistufigen thermischen Kreisprozess

und für Eisenoxid (Gl. 8.9 und 8.10): zz Herstellung aus Wasser über
photobiologische Verfahren mit

Fe3O4 (s) 
(8.9) Warme Q
→ 3Fe(s) + 2 O2 ( g ), Mikroorganismen und Lichtenergie
Photosynthetische Mikroorganismen wie Grün-
(8.10)
3 Fe(s) + 4 H 2 O( g ) → Fe3O4 (s) + 4 H 2 ( g ). algen oder Cyanobakterien können in den Licht-
reaktionen Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff
Neben Zink und Eisen kommen auch noch andere spalten. Über das spezielle Enzym Hydrogenase
Stoffe wie H2SO4 zum Einsatz. können die entstehenden Protonen H+ und Elek-
Die Verfahren zur thermochemischen Wasser- tronen e-in reinen Wasserstoff gewandelt werden.
spaltung befinden sich noch weitgehend im Labor- Hydrogenasen sind mikrobielle Metallproteine,
maßstab in der Entwicklung. die die Funktion der Katalyse übernehmen. Sie ha-
ben in ihrem katalytischen Zentrum Mono-Eisen,
8.1.3.3 Photolytische Verfahren Di-Eisen oder Nickel-Eisen und sind empfindlich
In der Grundlagenforschung der Biologie wird gegenüber Sauerstoff. Je nach verwendetem Bakte-
seit Langem versucht, die Photosynthese in einem rienstamm unterscheiden sich die Zusammenset-
Schritt nachzubilden. Ebenso verhält es sich mit zung mit Hydrogenasen und die internen Prozesse
der Gewinnung von Wasserstoff über photolyti- im Photosystem I und II bzw. in der Wasserstoff-
sche Verfahren, welche die chemisch-katalytische katalyse (s. [2]).
Herstellung und weitere Synthese von Wasserstoff Mikroorganismen können letztlich analog zu
deutlich effizienter biologisch und bioelektroche- Pflanzen gesehen werden: Auch Pflanzen nutzen
misch nachbilden können. Auch wenn die Ansätze die Photosynthese, bei der sie mit Lichtenergie
vielversprechend sind, steckt diese Einspeicher- Wasser spalten, Kohlenwasserstoffe speichern und
technologie noch in den Anfängen und bedarf aus- Sauerstoff freigeben. Der Unterschied zu ihnen
führlicher Grundlagenforschung, um langfristig liegt lediglich in der Freigabe von Wasserstoff statt
daraus preisgünstige und langzeitstabile Verfahren Sauerstoff. Im Vergleich zu anderen Verfahren ist
zu entwickeln. der Prozess noch sehr langsam, aber die Perspekti-
ven sind vielversprechend.
308 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

zz Herstellung aus Wasser über Die Energie, die zur Wasserspaltung benötigt wird,
photoelektrochemische Verfahren mit ergibt sich aus der Gibbs-Helmholtz-Gleichung:
speziellen Halbleitern
Neben Forschungen zu bio-inspirierten Katalysa- ∆H R = ∆GR + T ·∆S R ,
(8.12)
tormaterialien gibt es auch die Entwicklung spe-
zieller Halbleiter, die aus Sonnenlicht eine für die wobei hier ∆HR die nutzbare Reaktionsenthalpie,
Wasserspaltung ausreichende Spannung generie- ∆GR die freie Reaktionsenthalpie oder Gibbs’sches
ren. Eine Analogie zu bestehenden Technologien Potenzial, T die Temperatur in Kelvin und ∆SR die
wäre eine »Photovoltaik- und Elektrolysezelle in Entropieänderung ist. ∆HR entspricht dem Brenn-
einem«. Das photoelektrochemische System disso- wert (oberer Heizwert) von Wasserstoff, ∆GR dem
ziiert mithilfe von elektromagnetischer Strahlungs- unteren Heizwert. Bezogen auf ein Mol Wasserstoff
energie Wasser direkt in Wasserstoff und Sauerstoff. ergibt sich bei Standardbedingungen:
Ähnlich zur Photovoltaik arbeiten die verschiede-
nen Halbleitermaterialien mit unterschiedlichen  kJ
∆H R0 = 285,83 , (8.13)
Bandbreiten und spektralen Empfindlichkeiten. mol
Der Vorteil dieser Wasserstofferzeugung ist der
kJ
sehr kompakte Prozess und ein weiter Bereich der ∆GR0 = 237,13
(8.14) .
Betriebstemperatur von 0 °C bis zu hohen Tempera- mol
8 turen. Die Herausforderungen liegen in der prozes- Die Null im Index der physikalischen Größe bedeu-
soptimierten Materialentwicklung, der Minimie- tet, dass die Werte für Normalbedingungen gelten:
rung der internen Verluste an Innenwiderständen, bei einer Temperatur von T = 298,15  K (25,15 °C)
der Steigerung der Langzeitstabilität im Hinblick und einem Druck von p = 1013 hPa (1 bar).
auf Korrosion, der Steigerung der Energieausbeute
und der Reduktion der Systemkosten durch fortge- zz Zersetzungsspannung und theoretische
schrittene Fertigungstechnologien (s. [53]). Wirkungsgrade
Elektrolyte sind im Wesentlichen wässrige Lösun-
gen von Salzen, Säuren und Laugen. Mithilfe der
8.1.4 Thermodynamik der beiden Faraday’schen Gesetze lässt sich die für ihre
Wasserspaltung Elektrolyse benötigte Spannung errechnen:
1. Faraday’sches Gesetz: Die aus dem Elektro-
Kohlenstoffneutrale Wege zur Gewinnung von lyten abgeschiedene Stoffmenge n ist proportional
Wasserstoff basieren überwiegend auf der Wasser- der Ladung Q = I·t, die durch den Leiter fließt,
elektrolyse, weshalb die Wasserelektrolyse im Fo-
kus dieses Kapitels steht. Die elektrochemischen n = k · I · t.
(8.15)
Grundlagen sind in 7 Abschn. 7.1 ausführlich erläu-
tert und werden daher an dieser Stelle nur kompakt 2. Faraday’sches Gesetz: Durch die gleiche Ladung
im Bezug auf die Wasserelektrolyse behandelt. Q wird immer eine äquivalente Stoffmenge aus ver-
schiedenen Elektrolyten abgeschieden,
8.1.4.1 G
 esamtreaktion und maximale
1
Wirkungsgrade (8.16)
k= .
zz Gesamtreaktion z·F
Die Gesamtgleichung der Wasserelektrolyse lässt Zusammengefasst ergeben sie für die Stoffmenge n
sich wie folgt darstellen:
I ·t
n=
(8.17)
2 H 2 O 
(8.11) → 2 H 2 + O2 .
el .Energie z·F
und die Ladung Q
Q = n· z · F (8.18)

in As oder Coulomb (C)
8.1 • Grundlagen
309 8

. Tab. 8.2  Werte der Wasserspaltung in Anlehnung an [78]

Zweiphasensystem: Wasser Gasphasenreaktion: Wasser


liegt flüssig vor (25 °C, liegt gasförmig vor (100 °C,
1 bar) 1 bar)

Gibbs’sches Potenzial ΔG 237,13 kJ/mol 228,57 kJ/mol

Bindungsenthalpie ΔH 285,83 kJ/mol 241,82 kJ/mol

Thermodynamischer Wirkungsgrad 83,0 % 94,5 %

Reversible Zellspannung 1,23 V 1,18 V

Thermoneutrale Zersetzungsspannung 1,48 V 1,25 V

Temperaturabhängigkeit der reversiblen Spannung − 0,85 mV/K − 0,23 mV/K

Temperaturabhängigkeit der thermoneutralen 0 0,046 mV/K


Spannung

mit 
k:  elektrochemisches Äquivalent des Elektrolyten ∆H R0
U th =
z:  Anzahl der Elektronen, die ausgetauscht werden z·F
(bei der Wasserspaltung z = 2), 285,9 kJ
F:  Faraday-Konstante aus Elementarladung und = = 1, 48 V. (8.21)
1 mol ·2·96486 A · s / mol
Avogadro-Konstante: F = 96485 A ∙ s ∙ mol−1 = 26,8 Ah
I:  Stromstärke im Elektrolyten Diese Werte spiegeln den thermodynamischen
t:  Dauer des Stromflusses. Wirkungsgrad wider, der dem maximal erreich-
baren Wirkungsgrad der Wasserelektrolyse ent-
Die für die Zersetzung benötigte elektrische Ener- spricht, wenn das Wasser in flüssiger Form vorliegt:
gie Wel ist wie folgt definiert:
 ∆GR0 U rev
Wel = U ⋅ Q = U ⋅ I ⋅ t. η rev , l = = = 0,831 = 83,1 % . (8.22)
(8.19) ∆H 0
R
U th
Wird die elektrische Energie Wel mit der freien mo-
laren Reaktionsenthalpie ∆GR aus Gl.  8.14 gleich- Falls das Wasser als Dampf bei 100 °C und 1 bar im
gesetzt und die resultierende Gleichung nach gasförmigen Aggregatszustand ist, ist die für die
der Spannung umgestellt, ergibt sich aus der Zu- Wasserspaltung aufzuwendende Energie geringer,
sammenführung der Faraday’schen Gesetze für weshalb sich der Abstand zwischen den beiden
n = 1 mol die theoretische Mindestzersetzungsspan- Spannungen verringert und der maximal erreich-
nung oder auch reversible Zellspannung: bare Wirkungsgrad höher liegt:
∆GR0 U rev
 ∆G 0 η = = = 0,944 = 94, 4 % . (8.23)
U rev = R rev , g
∆H 0
U th
n· z · F R

237, 2 kJ
= = 1, 23 V. (8.20) . Tabelle 8.2 können alle Werte der Wasserspaltung
1 mol ·2·96486 A · s / mol für ein Zweiphasensystem als auch für eine Gas-
phasenreaktion entnommen werden.
Da aber die tatsächlich aufzuwendende Energie we- .  Abbildung  8.8 zeigt die Temperaturabhängig-
gen der Entropie ∆S R höher liegt, ergibt sich für keit der einzelnen Parameter. Es ist zu erkennen, dass
die thermoneutrale Zersetzungsspannung: die Entropie mit der Temperatur ansteigt, womit
auch der Wirkungsgrad mit der Temperatur fällt. Der
ideale Punkt für die Wasser(dampf)elektrolyse befin-
310 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

1,54 300

∆ HR ~ Uth

1,28 250

Freie Energie und Bindungsenthalpie in kJ / mol


Theoretische Spannug in V

1,03 200

∆ GR ~ Urev

0,77 150

reversible Spannung und Gibbs’sches Potenzial G

thermoneutrale Spannung und Bindungsenthalpie


0,51 100
T∆S

0,26 50

H2O(fl) H2O(g)
0,00 0
8 200 273,15 400 600 800 1000 1200
Temperatur in K

. Abb. 8.8  Temperaturabhängigkeit der Standardwerte

det sich somit bei einer Temperatur von etwa 373– mit
400 K. In der Praxis ist es natürlich schwierig, diese R      molare Gaskonstante R = 8,31451 J mol−1 K−1
{ai}   A  ktivität eines Stoffes i, bezogen auf die Standard-
idealen Bedingungen technisch umzusetzen, was an
aktivität
den im Folgenden beschriebenen Effekten liegt. νi  stöchiometrischer Koeffizient des Stoffes i (Produkte
+, Edukte −)
8.1.4.2 N
 ernst’sche Gleichung und
zusätzliche Verluste Im Jahr 1889 erkannte Walther Hermann Nernst, dass
Mithilfe der Nernst’schen Gleichung, die die Ab- sich zwischen zwei Halbzellen aus gleichem Element
hängigkeit des Elektrodenpotenzials von den vor- und einfacher Ladung, aber unterschiedlicher Stoff-
liegenden Konzentrationen der beteiligten Stoffe konzentration eine Zellspannung von U = 0,059  V
beschreibt, lässt sich die Änderung der freien En- pro Zehnerpotenz Konzentrationsunterschied ein-
thalpie ∆GR und der Leerlaufspannung U0 (auch in stellt. Bei zweifach geladenen Halbzellen halbierte
der alten Schreibweise als ∆E für elektromotorische sich diese Zellspannung. Diese Spannungen gelten
Kraft) für jede Redoxreaktion berechnen. für die Standardtemperatur von T = 298 K.
Die Nernst’sche Gleichung ist ausführlich Für die Elektrolyse geht die Gl. 8.25 unter Um-
in 7 Kap. 7 hergeleitet und wird an dieser Stelle für wandlung des natürlichen Logarithmus in den
die Wasserelektrolyse betrachtet: Zehnerlogarithmus (ln(x) = ln(10)*log10(x)) über:

∆GR = ∆GR + R ⋅ T ⋅ ln ∏ k =1 {ai } ,


(8.24)
0
( k vi
) 0
U = U +
0, 059 V  c 
⋅ log10  Ox 
z  cRed 
∆U = ∆U +
(8.25) ⋅ ln ∏ k =1 {ai } 0 R ⋅T
z⋅F ( k vi
) =U0 +
0, 059 V
z
⋅ log10 cOx − log10 cRed  .

(8.26)
8.1 • Grundlagen
311 8
zz Reaktion an der Kathode Aus der Summe der Elektrodenpotenziale aus den
Für jeden Elektrodenprozess kann eine chemische Gl. 8.28 und 8.30 ergibt sich die theoretische Min-
Redoxreaktion formuliert werden. An der Katho- destzersetzungsspannung, welche identisch mit
de entsteht der Wasserstoff unter Aufnahme eines Gl. 8.20 ist.
Elektrons (z = 1): Aus der Nernst’schen Gl. 8.25 lässt sich der Ein-
+ − 1 fluss des Druckes auf die Zellspannung bei kons-
+
e →
H
(8.27)
 H2 . tanter Temperatur herleiten:
oxid . Komponenten 2

red . Kompenente
 3· R · T  p
U rev , p = U rev + ·ln   . (8.32)
Da der Wasserstoff unmittelbar entweicht, findet 4· F  p0 
nur eine minimale Konzentrationsänderung statt.
Ferner ist das Standard-Elektrodenpotenzial UH0 Diese Gleichung ist in .  Abb. 8.9 für verschiedene
zur Wasserstoffbildung bei 25 °C definitionsgemäß Temperaturen dargestellt: Je höher die Betriebs-
gleich null (RHE – engl.: reference hydrogen electro- temperatur, desto geringer ist die aufzuwendende
de oder auch SHE – standard hydrogen electrode) Zellspannung. Im Gegensatz dazu steigt die Zell-
und dient als Bezugspunkt für alle anderen Elekt- spannung bei Druckerhöhung logarithmisch.
rodenpotenziale.
Die Konzentrationsänderung der oxidier- zz Kinetische Effekte und Spannungsabfälle
ten Komponente entspricht der Protonen- bzw. Analog zur Batterie treten auch bei der Elektrolyse
Wasserstoffionenänderung. Durch die Definition kinetische Effekte auf, die einen Spannungsabfall
des pH-Wertes (lat. potentia Hydrogenium – das in der Zelle bewirken. Ähnlich zur Reibung in der
»Potenzial von Wasserstoff«) pH = −log10([H+]), gilt technischen Mechanik verursachen Teilprozesse
für das Potenzial an der Kathode: wie Diffusion, Migration oder Adsorption der La-
dungsträger »Reibungsverluste«, die sich in Span-
 U = 0 + 0, 059 V · (log10 ([H + ]) − 0) nungsabfällen bemerkbar machen. Diese »Über-
= −0, 059 V ·pH. (8.28) spannungen« an Kathode und Anode sind zusätz-
lich zur Mindestzersetzungsspannung Urev aufzu-
zz Reaktion an der Anode bringen, damit die Elektrolyse in Gang kommt. Sie
An der Anode entsteht unter Abgabe eines Elekt- treten beim Durchtritt der Ladungsträger an der
rons Sauerstoff unter folgender Beziehung: Grenze von Elektroden und Elektrolyten auf (Pola-
risationsverluste) und sind abhängig von Elektro-
 1 1 denmaterial und entstehenden Gasen.
H 2 O → O2 + H + + e− . (8.29)
2
 4 
 Darüber hinaus gibt es irreversible Verluste in
oxid.Komponente red.Komponenten Abhängigkeit der Stromdichte und wie bei allen
elektrischen Systemen einen Ohm’schen Verlust
Das Standardnormalpotenzial der Sauerstoffbil- durch den Innenwiderstand der Schaltung.
dung lautet In der Realität liegt damit die tatsächliche Zell-
spannung Ucell im Bereich zwischen 1,5 und 2,0 V
U 0 = +1, 23 V.
(8.30) und ergibt sich zu:
U cell = U rev + I · R + | η A | + | ηK | (8.33)
Die Wasserkonzentration bleibt annähernd konstant 
und ist bereits in das Standardnormalpotenzial einge- mit
rechnet. Die Konzentration des entstehenden Gases IR   Ohm’scher Spannungsabfall am Widerstand – linear
abhängig von der Stromstärke
kann wie bei der Kathode unberücksichtigt bleiben.
ηA    Überspannung an der Anode – logarithmisch abhängig
Damit gilt: von der Stromstärke
ηK    Ü berspannung an der Kathode – logarithmisch abhän-
U = 1, 23 V − 0, 059 V ·pH.
(8.31) gig von der Stromstärke
312 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

1,36

1,34

1,32
Reversible Zellspannung Urev in V

1,3

1,28

1,26 273 K
298 K
1,24
323 K
1,22 353 K
373 K
1,2

1,18

1,16

1,14
0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
Druck in bar
8
. Abb. 8.9  Einfluss des Betriebsdruckes auf die reversible Zellspannung (Mindestzersetzungsspannung) der Wasserspal-
tung bei unterschiedlichen Temperaturen

Vereinfacht kann ein Gesamtwirkungsgrad unter solvatisierter, für Wasser auch hydratisierter Ionen
Berücksichtigung aller Verluste für spezifische in Lösung.
Punkte betrachtet werden: Die treibende Kraft für diesen Vorgang ist die
U rev Energie, die durch die Bildung von Lösungsmittel-
ηges =
(8.34) . molekülhüllen um die Ionen herum frei wird. Ist
U cell
diese Energie nicht mindestens genauso groß wie
.  Abbildung  8.10 zeigt die Abhängigkeit der Zell- die den Elektrolyten zusammenhaltende Kraft
spannung von der Stromdichte aufgeteilt nach (bei Salzen entspricht dies der Gitterenergie) oder
Mindestzersetzungsspannung Urev und den Antei- größer, würde keine »Auflösung« stattfinden. Alle
len der Spannungsverluste. Durch die Wärmever- Vorgänge in der Elektrochemie sind an bestimm-
luste wird bei hohen Stromdichten eine Kühlung te Gesetzmäßigkeiten und Formeln gebunden. Im
der Zellen notwendig. Folgenden wird dazu eine Auswahl wichtigster Zu-
sammenhänge nach [69] erklärt.

8.1.5 Elektrolytische Leitfähigkeit 8.1.5.1 Von der Ionenwanderung zum


elektrischen Stromfluss
Bei der Elektrolyse sorgen unterschiedliche La- zz Herleitung von Kräften an Ionen
dungsträger für den Stromfluss, wobei zwischen Jede Elektronenaufnahme ist mit einer entsprechen-
elektrischer und elektrolytischer Leitfähigkeit den Abgabe von Elektronen gekoppelt. Bei elektro-
unterschieden wird. In Metallen sorgen die Elek- chemischen Reaktionen sind zwar beide Vorgänge
tronen für den Stromtransport. Bei der elektro- räumlich durch Kathode und Anode voneinander
lytischen Leitfähigkeit sind es Ionen, die sich in getrennt, trotzdem ist es nicht möglich, dass eine
Schmelzen oder Lösungen von Salzen, Säuren der beiden Reaktionen alleine abläuft.
oder Laugen bewegen. Ein Elektrolyt geht in Die Bildung von elektrisch geladenen Teilchen
einem geeigneten Lösungsmittel unter Bildung in Wasser beweist die elektrische Leitfähigkeit von
8.1 • Grundlagen
313 8

2,0

1,8
η Kathode
Zellspannung in V

1,6

η Anode

1,4

I RA

1,2

URev

1,0
0 200 400 600 800 1000

Stromdichte in mA cm-2

. Abb. 8.10  Abhängigkeit der Zellspannung von der Stromdichte. (Quelle: [90])

Elektrolytlösungen. Würden neutrale Moleküle ent- mit


stehen, könnte kein Stromfluss festgestellt werden. ne      Ä
 quivalentzahl (auch z): Anzahl der Ionen (oder Elektro-
den), die ausgetauscht werden,
Daraus ist ersichtlich, dass die Fähigkeit einer
e0    elektrische Elementarladung 1,602 × 10−23 J/K
Elektrolytlösung zum Stromtransport auf der Wande- 
E    
elektrische Feldstärke
rung solvatisierter Ionen beruht. Getrieben durch das
elektrische Feld werden die Ionen auf eine bestimm-

te Geschwindigkeit beschleunigt.
 Diese konstante Die maximale Transportgeschwindigkeit v der
Transportgeschwindigkeit v stellt sich nach kurzem solvatisierten Ionen wird erreicht, wenn elektrische
Anlaufvorgang ein und hängt im  Wesentlichen von Kraft und Reibungskraft im Gleichgewicht stehen:

der Stokes’schen Reibungskraft FR ab (s. [43]):  z ⋅ e0 ⋅ E
   v= . (8.37)
FR = 6 ⋅ π ⋅ η ⋅ rI ⋅ v (8.35) 6 ⋅ π ⋅ η ⋅ rI

mit Aus Gl.  8.37 wird ersichtlich, dass für vorgegebe-
η      Zähigkeit des umgebenden Mediums ne η- und E-Werte jede Ionensorte eine von der
rI      Radius des solvatisierten Ions
Ionenladung und dem Radius der solvatisierten
 Ionen abhängige charakteristische Transportge-
Die auf das Ion wirkende elektrische Kraft Fel schwindigkeit hat. Später wird dafür die sogenann-
berechnet sich zu: te Ionenbeweglichkeit eingeführt.
 
Fel = ne ⋅ e0 ⋅ E (8.36)

314 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

zz Herleitung der Ladungen in Elektrolyten Um eine Aussage über den Ohm‘schen Widerstand
Zum besseren Verständnis wird im Folgenden eine einer Elektrolytlösung machen zu können, wird
binäre Elektrolytlösung (A+ + B−) betrachtet, d. h., die elektrische Beweglichkeit u+ für Kationen und
sie enthält jeweils nur eine Sorte Anionen und Kat- u- für Anionen eingeführt. In der physikalischen
ionen: Chemie ist die Ionenbeweglichkeit als die Wander-
AB → A+ + B − . (8.38) geschwindigkeit von Ionen einer bestimmten Art
 in Wasser bei einem elektrischen Feld von 1  V/m
Der Strom I, der in einer bestimmten Zeit ∆t durch definiert. Die Beweglichkeit hängt, wie zuvor be-
eine senkrecht zur Bewegungsrichtung gedachten schrieben, von Größe, Ladung, Hydrathülle und
Kontrollfläche A hindurchtreten kann, setzt sich anderen Wechselwirkungen mit dem Lösungsmit-
aus der Summe der negativen und positiven La- tel ab. Sie liegt meist in einer Größenordnung von
dungen zusammen. Die Menge N der Kationen rund 5·10−8 m²/(V s). Ausnahmen bilden nur OH−
(hochgestelltes »+«- Zeichen) bzw. Anionen (hoch- und H3O+ mit einer vier- bzw. siebenmal höheren
gestelltes»−«- Zeichen), die in der Zeit ∆t durch Beweglichkeit (s. [111]).
den Querschnitt A wandern können, errechnet sich Wird die Geschwindigkeit in Gl.  8.44 durch
nach Gl. 8.39 und 8.40: v = E·u ersetzt, ergibt sich:

 N + = γ + ⋅ c ⋅ N A ⋅ A ⋅ v + ∆t , (8.39)
( )
I = F ⋅ A⋅ E ⋅ z+ ⋅γ + ⋅ c ⋅ u+ + z− ⋅γ − ⋅ c ⋅ u− .
(8.45)
8 N − = γ − ⋅ c ⋅ N A ⋅ A ⋅ v − ∆t (8.40)
 Nun wird noch die elektrische Feldstärke E = U/l
durch die Spannung U und die Länge des Leiters
mit l ersetzt:
y+, y+    
stöchiometrischer Koeffizient der Anionen und

c   
Kationen
   Konzentration
(
A + + + − − −
)
 I = F ⋅ l ⋅ z ⋅ γ ⋅ c ⋅ u + z ⋅ γ ⋅ c ⋅ u ⋅U .
(8.46)

NA       Avogadro-Konstante 6,022 · 1023 1/mol


Durch Auflösen ergibt sich Gl.  8.47 zur Bestim-
Die Teilladungen ∆Q+ bzw. ∆Q− lassen sich aus der mung des elektrischen Widerstandes R:
Ionenladung z±·e0 und der Anzahl n der Ionen, die 1
R= . (8.47)
durch die Fläche A hindurchtreten, berechnen:  A
( )
F ⋅ ⋅ z+ ⋅γ + ⋅ c ⋅ u+ + z− ⋅γ − ⋅ c ⋅ u−
l
∆Q = z · e0 · N = z · e0 ·(γ · c · N A · A · v ⋅ ∆t ),
(8.41)
+ + + + + +

zz Zusammenfassung
∆Q − = z − · e0 · N − = z − · e0 ·(γ − · c · N A · A · v − · ∆t ).
(8.42) Die elektrolytische Leitfähigkeit ist abhängig von
55 der Zahl der Ladungsträger (Konzentration)
Somit ergibt sich für die Ladung ∆Q mit Einfüh- 55 der Ladung pro Ion (Ladungszahl)
rung der Faraday-Konstante F = e0·NA: 55 der Wanderungsgeschwindigkeit der Ionen in
der Flüssigkeit (je schneller, umso größer die
+ −
∆Q = ∆Q + ∆Q Leitfähigkeit).
= F · A ·( z + · γ + · c · v + + z − · γ − · c · v − )· ∆t. (8.43)
Der elektrische Widerstand wird durch Faktoren, die
zz Herleitung der Ionenbewegung, der die Beweglichkeit behindern, erhöht. Dazu zählen
Stromstärke und des Ohm‘schen interionische Anziehungskräfte, Viskosität der Elek-
Widerstands in Elektrolytlösungen trolytlösung und Solvation von Ionen. Eine Tem-
Über das Gesetz der elektrischen Ladung ∆Q = I·∆t peraturerhöhung wirkt diesen Einflüssen entgegen
ergibt sich Gl. 8.44. für die elektrische Stromstärke: und bewirkt daher eine Abnahme des elektrischen
Widerstandes (s. [69]). Bei Anwendung der herge-
I = F · A ·( z + · γ + · c · v + + z − · γ − · c · v − ).
(8.44) leiteten Formeln sind alle Werte exakt und richtig
zu bestimmen, um sinnvolle Ergebnisse zu erhalten.
8.1 • Grundlagen
315 8
Die Leitfähigkeit ist für die Wasserelektroly-
+ K
se von entscheidender Bedeutung und wird bei- +
– A
spielsweise in der alkalischen Elektrolyse durch A
die Zugabe von Kaliumhydroxid (KOH) erhöht T
N
(s. 7 Abschn. 8.2.2.1). H
O – – O
D
8.1.5.2 Spezifische und molare + D
E
Leitfähigkeit E
Meist ist es sinnvoller mit dem spezifischen Wi- +
derstand ρ bzw. der spezifischen Leitfähigkeit κ + – –
zu rechnen, weil diese Werte unabhängig von der
Querschnittsfläche und der Länge bestimmt wer- . Abb. 8.11  Ionenwanderung in Lösungen von starken
Elektrolyten mit ihren Solvathüllen, nach [43]
den können.
Zudem gilt die elektrische Leitfähigkeit als cha-
rakteristischer Wert für das Verhalten von Elektro- Daraus folgt die Äquivalentleitfähigkeit Λeq:
lytlösungen. Sie wird in Analogie zum spezifischen
Widerstand als der Leitwert eines Würfels mit einer Λ
(8.51)
Λ = m. eq
Kantenlänge von 1 cm nach Gl. 8.48 definiert (s. [43]): ne
1
= κ = F · c · (z · γ · u + z · γ · u )
(8.48)
+ + + − − −
Nach Gl. 8.49 sollte die molare Leitfähigkeit kon-
ρ zentrationsunabhängig sein. Die Theorie von De-
l bey-Hückel-Onsager besagt jedoch, dass sich in
mit R = ρ ⋅
A der Nähe eines positiven Ions mehr negative Ionen
1 als anderswo befinden und umgekehrt. Somit ist
mit ρ = . jedes Ion von einer Gegenionenwolke umgeben,
κ
die ein bewegungshemmendes Feld erzeugt, das
Laut Gl. 8.48 ist die Leitfähigkeit also proportional umso stärker ist, je höher die Konzentration ist.
zur Konzentration des gelösten Salzes. Dies gilt je- Damit steigt also mit zunehmender Konzentration
doch nur für Elektrolytlösungen mit unendlicher die Wahrscheinlichkeit, dass es zu interionischen
Verdünnung, da bisher vorausgesetzt wurde, dass Wechselwirkungen kommt, da die Menge der ge-
die Bewegungen der Ionen in der Lösung völlig un- lösten geladenen Teilchen zunimmt. Diese Effekte
abhängig voneinander sind. Um diesen Effekt zu sind vereinfacht in . Abb. 8.11 dargestellt.
berücksichtigen, wird zunächst die molare Leitfä- Bei realen Lösungen bewirken die elektrosta-
higkeit Λm eingeführt: tischen Anziehungskräfte und die Reibung der
solvatisierten Teilchen zu- und aneinander mit
κ
Λm = .
(8.49) steigender Konzentration einen Abfall der molaren
c Leitfähigkeit bzw. der Äquivalentleitfähigkeit. Da-
Die Division von Λm durch die Äquivalentzahl ne mit wird die Beweglichkeit der Ionen mit steigen-
(oder auch z) ergibt die sogenannte Äquivalentleit- der Konzentration herabgesetzt und die elektrische
fähigkeit Λeq. Dabei beschreibt die Äquivalentzahl Leitfähigkeit nimmt nach Überschreiten eines Ma-
die bei der elektrochemischen Reaktion ausge- ximums wieder ab. Es besteht also nur für kleine
tauschten Ladungsträger. Sie wird auch als elektro- Konzentrationen ein etwa linearer Zusammenhang
magnetische Wertigkeit bezeichnet und ergibt sich zwischen spezifischer Leitfähigkeit und Konzentra-
aus folgender Gleichung: tion. Die nichtlinearen Einflüsse nach Debey-Hü-
ckel-Onsager sind mit steigender Konzentration
ne = z + · γ + = z − · γ − .
(8.50) zunehmend relevant.
316 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

Als konzentrationsunabhängig können die schwachen Elektrolyten gehören u. a. Brönstedsäu-


molare Leitfähigkeit und auch die Äquivalentleit- ren und -basen (z. B. CH3COOH oder NH3). Die
fähigkeit nur bei unendlicher Verdünnung betrach- Leitfähigkeit hängt vom Dissoziationsgrad (Depro-
tet werden. Dies trifft nur bei idealen Lösungen tonierungsgrad) α  ab, welcher das Verhältnis von
zu, in denen die Konzentration c gegen null geht. der Anzahl der in Lösung gegangenen Teilchen zur
Friedrich Kohlrausch fand als Erster Ende des 19. Gesamtzahl der Teilchen beschreibt. Es läuft Re-
Jahrhunderts ein empirisches Gesetz, das die Kon- aktion 8.55 ab:
zentrationsabhängigkeit der molaren Leitfähigkeit
starker Elektrolyte beschreibt (Kohlrausch’sches KA + H 2 O  K + + A−
(8.55)
Quadratwurzelgesetz, s. [41]):
mit
Λ m = Λ 0m − kc · c
(8.52) KA     nicht protolysierter Elektrolyt
K+    Kationen
mit A−    Anionen
Λ  
0
m molare Grenzleitfähigkeit
Kc     empirische Konstante Dabei kann die Konzentration von Wasser als kon-
stant angenommen werden, da dieses im Über-
Kohlrausch zeigte zudem, dass die molare Grenz- schuss vorliegt. Für die Säurestärke bzw. Gleichge-
8 leitfähigkeit Λ 0m als Summe von Beiträgen der ein- wichtskonstante KS gilt damit:
zelnen Ionen beschrieben werden kann:
+ −
c( K ) · c( A )
(8.56)
K = .
Λ m = F · (γ · u + · γ · u ).
+ + − −
0 s
(8.53) c( KA)

Die empirische Konstante kc kann nach der Theo- Der Dissoziationsgrad wird so definiert, dass im
rie von Debey-Hückel-Onsager für einen starken Gleichgewichtszustand für eine Säure der Konzen-
Elektrolyten mit der Wertigkeit 1,1 bei T = 298  K tration c gilt:
(z. B.: NaCl, HCl, KOH) nach Gl. 8.54 beschrieben
werden (s. [68]):  K +  = α c,  A−  = α c und [ KA] = (1 − α ) c.
(8.57)
   

kc = 0, 229·Λ m + 60, 20.


(8.54)
0
Bei Vernachlässigung der Abweichungen der Akti-
vitätskoeffizienten von eins gilt für die Säurekons-
Dabei ist die Konstante von der Temperatur, der tante Ks näherungsweise:
molaren Grenzleitfähigkeit des Elektrolyten, der
Dielektrizitätskonstanten und der Viskosität des α c
(8.58) α c 2 2 2
K = = .
(1 − α )c 1− α
s
Lösungsmittels abhängig. Diese Gleichung ist nur
für verdünnte Lösungen bis zu einer Konzentration
von 0,01 mol/l gültig. Ist eine Säure unendlich verdünnt, wird von voll-
Für konzentriertere Lösungen gibt es auch ständiger Deprotonierung gesprochen. Das bedeu-
heute noch keine geschlossene Theorie. Es gilt tet, dass auch schwache Elektrolyte bei hinreichen-
der Grundsatz, dass mit steigender Konzentration der Verdünnung praktisch vollständig dissoziiert
Theorie und Realität immer weiter auseinander- sind. Die molare Leitfähigkeit entspricht in diesem
driften. Um relativ genaue Aussagen über Elektro- Fall der Grenzleitfähigkeit Λ 0m. Für die Berechnung
lytlösungen mit höherer Konzentration machen zu der tatsächlichen molaren Leitfähigkeit Λm bei
können, sind experimentelle Messverfahren anzu- nicht unendlicher Verdünnung ist der Dissozia-
wenden (s. 7 Abschn. 8.1.5.3). tionsgrad zu berücksichtigen, da nur ein Bruchteil
Im Gegensatz zu starken Elektrolyten kenn- der Moleküle in Ionen dissoziiert vorliegt:
zeichnen sich schwache Elektrolyte durch die un-
vollständige Dissoziation im Lösungsmittel aus. Zu  Λ m = α · Λ 0m . (8.59)
8.1 • Grundlagen
317 8
Gleichung 8.59 nach dem Dissoziationsgrad aufge- l in A

löst und in Gl. 8.58 eingesetzt, ergibt das sogenann-


te Ostwald’sche Verdünnungsgesetz:
Wechselspannung
(Λ ) 2 Gleichspannung
Ks = 0 m
(8.60) · c.
(Λ m − Λ m )· Λ 0m

Dieses Gesetz ist ein Spezialfall des Massenwir- Ez UKL in V


kungsgesetzes, welches das Verhältnis der Aktivi-
täten der Produkte und Edukte einer chemischen . Abb. 8.12  Strom-Spannung-Kennlinie einer Elektrolyse-
zelle bei Wechsel- und Gleichspannung. Nur bei Wechsel-
Reaktion im chemischen Gleichgewicht beschreibt.
spannung wird die Messung nicht verfälscht
Korrekterweise ist anstelle der Konzentrationen
mit den Aktivitäten zu rechnen, was aber nur zu
sehr geringen Wertänderungen führt. Den spezifischen Widerstand ρ bzw. die spezifische
Auch diese Formeln ergeben mit zunehmender Leitfähigkeit κ ergibt sich wie beim Kondensator
Konzentration zunehmend ungenauere Ergebnisse (s.  7  Kap. 6) unter Berücksichtigung der Zellkons-
mit größeren Fehlerbalken. Für eine konzentrierte- tante C = l/A. Diese wird für gewöhnlich über eine
re Lösung ist eine Widerstandsmessung von Vor- Kalibrierungsmessung mit einer Lösung, bei der
teil, welche im folgenden Abschnitt beschrieben die Leitfähigkeit bekannt ist, bestimmt:
wird (s. [3]).
1 R R·A
(8.63)
ρ= = =
8.1.5.3 M
 essung der elektrolytischen κ C l
Leitfähigkeit mit
Meist wird die elektrolytische Leitfähigkeit über l      Plattenabstand
eine experimentelle Widerstandsmessung be- A    Plattenoberfläche
stimmt, da die Größen, die in 7 Abschn. 8.1.5.2 ein-
geführt wurden, oft schwer zugänglich bzw. schwer Bei Anlegen einer Gleichspannung ist entgegen der
zu bestimmen sind. Bei der experimentellen Er- Erwartung kein linearer Zusammenhang nach der
mittlung können die Messungen für Elektrolytlö- Ohm’schen Regel erkennbar (s. . Abb. 8.12).
sungen aller Art mit relativ geringem Messfehler Die Verwendung von Gleichstrom führt zu
durchgeführt werden. einem Aufbau von Ladungen an den Elektroden
Dabei werden zwei elektrisch gut leitende Elek- (Polarisation) und zudem zu einer Stoffumsetzung
troden wie Platin, Kohle, Graphit oder nichtros- durch Elektrolyse, wodurch die Leitfähigkeitsmes-
tender Stahl in die Elektrolytlösung getaucht. Die sung verfälscht wird.
anliegende Spannung und der resultierende Strom Die Elektroden können im elektrischen Ersatz-
durch die Zelle werden messtechnisch erfasst. Ge- schaltbild einer Elektrolysezelle durch eine Paral-
mäß dem Ohm’schen Gesetz gilt für den Wider- lelschaltung von einem nichtlinearen Widerstand
stand R (s. [19]): (R+ und R−) und einer Doppelschichtkapazität
(C + und C − ) an der Phasengrenze zwischen Elek-
U
R= .
(8.61) trolytlösung und Elektrode beschrieben werden.
I Dazu liegt der Ohm’sche Widerstand der Elektro-
lytlösung RE in Reihe (s. . Abb. 8.13).
Der Kehrwert des Widerstandes R ist der Leitwert Diese Elektrodenwiderstände sind für die Mes-
G bzw. der Wert der Leitfähigkeit: sung zu eliminieren. Daher wird zur Vermeidung
von Elektrodenreaktionen eine stationäre Wechsel-
1 I
G= = .
(8.62) spannung (1000–4000  Hz) angelegt (s. [68]). Die-
R U se bewirkt eine Umladung der Doppelschicht im
Rhythmus der Wechselspannung wie beim Konden-
318 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

U A

Fläche: A

8
C– Abstand der Elektroden: l C+

R– R+
RE

. Abb. 8.13  Ersatzschaltbild einer Leitfähigkeitsmesszelle

sator. Mit wachsender Frequenz wirkt die Kapazität gesetzt. Diese Leitfähigkeitsmessgeräte ermitteln
als Kurzschluss und der Strom wird allein durch den Stromstärke I und Spannung U, woraus der Leit-
Ohm’schen Widerstand der Elektrolytlösung be- wert bzw. die Leitfähigkeit automatisch errechnet
stimmt. Nun fließt ein Strom, ohne dass ein Ladungs- und angezeigt wird. Dabei ist der Messbereich ent-
durchtritt an der Phasengrenze erforderlich ist. scheidend. Ein weiter Messbereich erfordert Mess-
Bei der Wechselspannungsmessung ergibt sich geräte mit sehr hohen Anschaffungskosten. Diesem
wie nach .  Abb.  8.9 der erwartete lineare Kur- Problem kann Abhilfe geleistet werden, indem eine
venverlauf. Dabei stellt Ez die notwendige Zer- Messapparatur mit einer Wheatstone’schen Brü-
setzungsspannung bei Gleichspannung dar. Beim ckenschaltung verwendet wird. Diese Brücken-
Überschreiten dieser Spannung werden die Elekt- schaltung besteht aus vier Widerständen, wobei
rodenpotenziale überwunden und ein merklicher jeweils zwei in Reihe geschaltet und diese dann
Strom fließt. Mit steigender Messfrequenz und wiederum parallel zueinander sind (s. . Abb. 8.14).
Elektrodenoberfläche werden die oben beschrie- Dabei sind zwei Widerstände bekannt, ein drit-
benen Polarisationswiderstände verringert. Die ter ist variierbar und der vierte Widerstand ergibt
geringsten Effekte weisen Elektroden aus platinier- sich aus der Leitfähigkeit der zu untersuchenden
tem Platin auf (s. [50]). Elektrolytlösung. Diese wird in ein Gefäß – die Leit-
In der Praxis werden zur Bestimmung der Leit- fähigkeitszelle – mit zwei Elektroden aus Platin, Sil-
fähigkeit häufig sogenannte Konduktometer ein- ber, Graphit oder Werkstoffe mit ähnlichen Eigen-
8.2 • Einspeichertechnologie Wasserelektrolyse
319 8

R1 R3

U a b

R2 RE

. Abb. 8.14  Wheatstone’sche Brückenschaltung zur Leitfähigkeitsbestimmung

schaften gegeben. Daraufhin wird die Zelle in die 8.2 Einspeichertechnologie


Brücke geschaltet und der Widerstand bzw. Leitwert Wasserelektrolyse
der Lösung durch Abgleich bestimmt. Die Brücke
gilt genau dann als abgeglichen, wenn das Ampere- 8.2.1 Überblick
meter bzw. Oszilloskop den Wert null anzeigt. Das
bedeutet für die vorliegende Schaltung, dass zwi- zz Drei Verfahren der Wasserelektrolyse
schen den Knoten a und k Stromlosigkeit herrscht: Für die Wasserelektrolyse stehen heute drei Verfah-
R2 ren zur Verfügung, die technisch von Bedeutung
 RE = · R3 (8.64) sind und sich in Funktion, Betriebsbedingungen
R1
und Entwicklungsstand stark unterscheiden:
mit 55 Alkalische Elektrolyse (AEL)
R1 , R2  feste Widerstände 55 Membran-Elektrolyse oder auch Saure Elekt-
R3     variabler, einstellbarer Widerstand rolyse (Proton Exchange Membrane) PEMEL
55 Hochtemperatur-Elektrolyse (High Tempe-
Abschließend kann laut Gl.  8.63 aus dieser Mes- rature Electrolysis of Steam oder Solid Oxide
sung der Leitwert bzw. die spezifische Leitfähigkeit Electrolysis) HTES oder SOEL.
bestimmt werden.
320 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

Grundsätzlich kann dabei zwischen druckloser, 8.2.2 Elektrolysezelle –


atmosphärischer Elektrolyse und Druckelektrolyse Elektrolysearten
unterschieden werden.
8.2.2.1 Alkalische Elektrolyse (AEL)
zz Atmosphärische Elektrolyse Die alkalische Elektrolyse ist ein seit vielen Jahren
Die atmosphärische Elektrolyse (s. . Abb. 8.15) bie- großtechnisch erprobtes Verfahren. Bisher reali-
tet die Vorteile eines einfachen und robusten An- sierte Anlagen entstanden aufgrund der kontinu-
lagendesigns, vergleichsweise einfacher Steuerung ierlich benötigten Leistung meist in der Nähe zu
und eines großen Lastbereiches von unter 20 % Großkraftwerken, so z.  B. das größte drucklose
Auslastung bis Volllast. Außerdem gibt es langjäh- Elektrolysekraftwerk der Welt am Assuan-Stau-
rige Betriebserfahrungen, und die Investitionskos- damm in Ägypten mit 156 MW Nennleistung und
ten liegen deutlich unter denen der Druckelektroly- einer Wasserstoffproduktionsrate von 33.000 m3/h.
se. Da die maximal sinnvolle Stromdichte im atmo- Die Technologie ist seit vielen Jahren erprobt und
sphärischen Betrieb (0,02–0,05 bar Überdruck) die kommerziell verfügbar, für die Anwendung in
Stack-Kapazität begrenzt, ist hier der Raumbedarf Kombination mit fluktuierenden erneuerbaren
jedoch hoch. Zusätzlich wirken sich eine aufwändi- Energien besteht aber noch Optimierungsbedarf
ge Gastrocknung und eine erste Kompressionsstu- im dynamischen Betrieb, beim Betrieb unter Druck
fe nachteilig aus. Um ein ständiges Anlaufen und sowie bei der Effizienz.
8 Abschalten des Kompressors zu verhindern, wird
ein vorgeschalteter Gasbehälter auf Atmosphären- zz Funktionsweise
druck notwendig. .  Abbildung  8.17 zeigt den schematischen Auf-
bau und die Funktion der Zelle eines alkalischen
zz Druckelektrolyse Elektrolyseurs. In den beiden Halbzellen, die durch
Die Druckelektrolyse (s. . Abb. 8.16) arbeitet meist eine ionenleitende Membran getrennt sind, zir-
bei Systemdrücken um 30  bar, Testanlagen errei- kuliert Wasser, dessen Leitfähigkeit durch Zugabe
chen 120 bar. Dadurch wird eine direkte Ankopp- von 20–40 Gew.-% Kaliumhydroxid (KOH) erhöht
lung an viele industrielle Anwendungen möglich, wird. Dadurch sinken die inneren Widerstände der
die oftmals bei niedrigen Drücken arbeiten. Durch Zelle und der Wirkungsgrad wird gesteigert. Nahe
den erhöhten Druck reduziert sich die Baugröße der Membran liegen auf beiden Seiten poröse Elek-
merklich, etwaige Vorkompressionsstufen fallen troden mit einer großen Oberfläche. Wird nun an
weg, wodurch die Investitionskosten sinken. Dem den Elektroden eine Spannung angelegt, die unter
stehen höhere Investitionskosten des Druckelek- idealen Bedingungen gleich oder größer der Zer-
trolyseurs sowie ein größerer Wartungsaufwand setzungsspannung von Wasser mit 1,23 V ist, wird
und umfangreichere Sicherheitstechnik gegenüber. das kathodenseitige Wasser in der Kathodenreak-
Nicht zuletzt verringert sich bei Drücken über tion (Gl. 8.65) in atomaren Wasserstoff und Hydro-
10 bar der nutzbare Lastbereich auf 30–100 %, was xid-Ionen (OH-) aufgespalten:
vor allem im Betrieb mit fluktuierenden erneuer-
− −
baren Energien von Nachteil sein kann (s. [121]). 2 H 2 O(l ) + 2 e → H 2 ( g ) + 2OH .
(8.65)
Um durch Elektrolyse verwertbare Produktgase
erzeugen zu können, wird eine Vielzahl von Elekt- Während die entstehenden Protonen zu H2-
rolysezellen (s. 7 Abschn. 8.2.2) in Reihe zu Elektro- Molekülen reagieren, aufsteigen und vom Elektro-
lyseblöcken, den sogenannten Stacks, zusammen- lyten abgeschieden werden, diffundieren die Hyd-
geschaltet (s. 7 Abschn. 8.2.3). Diese wiederum ste- roxid-Ionen durch die Membran und reagieren in
hen in einer Elektrolyseanlage (s.  7  Abschn. 8.2.4), der Anodenreaktion (Gl.  8.66) unter Abgabe von
eingebettet in verschiedene periphere Systeme, die Elektronen zu Wasser und atomarem Sauerstoff:
einen sicheren und effizienten Betrieb gewährleis-
1
ten. In den folgenden Unterkapiteln werden die 2 OH − → O2 ( g ) + H 2 O(l ) + 2 e − .
(8.66)
einzelnen Teilsysteme eingehender beschrieben. 2
Nutzung
Wasserstoff
Gasbehälter
(atmosphärisch)

Speicher
Stromversorgung H2
Netz (Trafo, Netzfilter, Gleichrichter)
(400V, 3 Ph., 50–60 Hz)
8.2 • Einspeichertechnologie Wasserelektrolyse

Gaswäscher
Wasserstoff

Wasserversorgung Kompressor
Reinigungs- und Abfüllstation Nutzung
Rohwasser (Demin, Aufbereitung) Trocknungsanlage Sauerstoff
Elektrolyseur
(Trinkwasserqualität) Gasbehälter
(atmosphärisch)
Gaswäscher
Kühlwasserversorgung Sauerstoff
Kühlwasser Speicher
O2

Kompressor
Reinigungs- und
Abfüllstation
Trocknungsanlage

. Abb. 8.15  Anlagenschema der atmosphärischen Elektrolyse, nach [121]


8 321
322 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

Nutzung
Wasserstoff

Speicher
Stromversorgung
(Trafo, Netzfilter,
Netz
Gleichrichter)
(400V, 3 Ph., 50–60 Hz) Kompressor

Wasserversorgung
(Demin, Aufbereitung) Reinigungs- und Abfüllstation Nutzung
Rohwasser
(Trinkwasserqualität)
Elektrolyseur Trocknungsanlage Sauerstoff

Kühlwasserversor-
Kühlwasser gung
Speicher

Kompressor

Reinigungs- und Abfüllstation


Trocknungsanlage

. Abb. 8.16  Anlagenschema der Druckelektrolyse, nach [121]

8 Auch die entstandenen Sauerstoffmoleküle werden zz Funktionsweise


vom Elektrolyten abgeschieden und abgeführt, das Eine PEM-Elektrolysezelle (s. .  Abb. 8.18) besteht
verbrauchte Wasser wird über die Stutzen nach- aus einer protonenleitenden Membran (Proton Ex-
gefüllt. Für die Gesamtreaktion (Gl.  8.67) werden change Membrane, PEM), die beidseitig meist fest
in beiden Halbzellen jeweils zwei Elektronen be- mit den Elektroden zum sogenannten Membrane
nötigt, die über den geschlossenen Stromkreis samt Electrode Assembly (MEA) verbunden ist. Auf
Stromquelle transportiert werden: den Elektroden liegt ein fester Polymerelektrolyt
(Solid Polymer Electrolyte, SPE) wie beispielswei-
1
H 2 O(l ) → H 2 ( g ) + O2 ( g ).
(8.67) se Nafion auf. Er ist hochporös und bewerkstelligt
2 einerseits den Stromfluss von den bipolaren Platten
Der Zellrahmen dichtet die Zelle nach außen hin zur Elektrode und andererseits den Transport von
ab, isoliert die Elektroden voneinander und dient Wasser hin zur Elektrode sowie der Produktgase
als Träger für die Membran. Die Zirkulation des von der Elektrode weg.
Elektrolyten und damit die homogene Ladungsträ- Die je nach Stackdesign bipolaren Platten leiten
gerverteilung können bei niedriger Last größten- über die auf ihnen eingravierten Kanäle das Wasser
teils durch die von den aufsteigenden Gasblasen er- zur Anode und erlauben den Abtransport der Pro-
zeugte Strömung gewährleistet werden. Bei höhe- duktgase. Zusätzlich dienen sie der gleichmäßigen
rer Last ist eine aktive Umwälzung des Elektrolyten Verteilung der Stromdichte auf den Elektolyten.
mit entsprechendem Energieaufwand erforderlich. In ihrer Funktion unterscheidet sich die PEM-
Elektrolyse also grundsätzlich von der alkalischen
8.2.2.2 M
 embran-Elektrolyse (PEM, Elektrolyse. Wasser wird an der Anode zugeführt
PEMEL) und dort in der Anodenreaktion (Gl.  8.68) unter
Die Membran-Elektrolyse, auch PEM-Elektrolyse Zersetzungsspannung des Wassers in atomaren
(PEM von Proton Exchange Membrane), hat ihren Sauerstoff und zwei Protonen aufgespalten:
Ursprung in der Brennstoffzellentechnik und basiert
1
auf den inversen Vorgängen in einer Brennstoffzelle. H 2 O(l ) → O2 ( g ) + 2 H + + 2 e − .
(8.68)
Sie eignet sich besser als die alkalische Elektrolyse 2
für den dynamischen Betrieb, auch unter Druck,
wurde aber bisher nur in kleineren Anlagen erprobt.
8.2 • Einspeichertechnologie Wasserelektrolyse
323 8
½O2 H2
Gasaustritt
∆H0= +571,8 kJ

20H¯ → ½02 + H20 + 2e¯ 2H20 + 2e¯ → H2+2OH¯

Membran
KOH
H2O
½O2 H2O

2e¯ 2e¯
+ + –
- - -
- e¯ OH¯ +
-
OH¯
- H2

+
+ OH¯
Alkalischer
Elektrolyt
+ KOH
H2O
OH¯

Anode Kathode
Dichtung
Nachfüllstutzen

2H2O

. Abb. 8.17  Funktionsschema der alkalischen Elektrolyse

Der Sauerstoff verbindet sich zu O2-Molkülen und le bildet sich in der Theorie ausschließlich reiner
wird abgeführt, während die Protonen durch die Wasserstoff. In der Praxis ist diese aber noch mit
Membran zur Kathode diffundieren und dort in hoher Feuchtigkeit beladen. Verglichen mit der
der Kathodenreaktion (Gl. 8.69) mit zwei Elektro- alkalischen Elektrolyse sind jedoch weitaus weni-
nen zu Wasserstoff reagieren: ger unerwünschte Stoffe im erzeugten Wasserstoff
enthalten. Hier sind teilweise noch Rückstände aus
2 H + + 2 e − → H 2 ( g ).
(8.69) dem alkalischen Elektrolyten auszuwaschen.

Somit ist nur die anodenseitige Halbzelle von


Wasser umspült, in der kathodenseitigen Halbzel-
324 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

Dichtungsring

H2 2H+ + 2e¯ → H2 H 2O → ½O2


+
½O2+2H +2e¯

Eingravierte
Kanäle

H2 e¯

H 2O
2e¯ – + e¯ 2e¯
– –
– e¯ H+ +
– e¯ + – –
– +
H+ +
H+
+ H+

8 +

H 2O

Membran Polymerelektrolyt
Kathode Anode
(Bipolare) Platte
Membrane-Electrode-Assembly (MEA)

. Abb. 8.18  Funktionsschema der Membran-Elektrolyse

8.2.2.3 H
 ochtemperatur-Elektrolyse zz Funktionsweise
(HTES) Die Funktion der Hochtemperatur-Elektrolyse
Bei der Hochtemperatur-Elektrolyse (High Tem- basiert auf den Umkehrreaktionen der Festoxid-
perature Electrolysis of Steam, HTES) oder auch brennstoffzelle (Solid Oxide Fuel Cell, SOFC). Bei-
Dampf-Elektrolyse wird ein Teil der Spaltungs- de Halbzellen sind von einem O2-Ionen leitenden
energie, die zur Trennung von Sauerstoff und Was- Festelektrolyten getrennt, an dem beidseitig die
serstoff nötig ist, durch Hochtemperaturwärme bei Elektroden aufgebracht sind (s. . Abb. 8.19).
etwa 850–1000 °C bereitgestellt. So kann die Zell- Kathodenseitig wird überhitzter Wasserdampf
spannung im Vergleich zur PEM- und alkalischen zugeführt, der mit zwei Elektronen zu Wasserstoff
Elektrolyse um mehr als 0,5 V auf unter 1 V gesenkt und O2-Ionen reagiert (Gl.  8.70 Kathodenreak-
und hohe strombezogene Wirkungsgrade erreicht tion). Der Wasserstoff kann entnommen werden,
werden. die O2-Ionen diffundieren durch den Elektrolyten
8.2 • Einspeichertechnologie Wasserelektrolyse
325 8

+ –

– 2e¯
2e¯
– – –

H2O+2e¯ → O2¯ → 2e¯+½O2


H2+O2¯
H2O (g)

H2O (g)
Dampfeintritt

H2

½O2


– e¯
O2¯

½O2 Gasaustritt

O2¯

H2 O2¯

Kathode Anode
Gehäuse
Wasserdampf Gasdichter Elektrolyt

. Abb. 8.19  Funktionsschema der Hochtemperatur-Elektrolyse

zur Anode, wo sie unter Elektronenabgabe in der 8.2.3 Elektrolyseblock – Stackdesign


Anodenreaktion (Gl. 8.71) zu Sauerstoff reagieren:
Da die Gasproduktionsraten einzelner Elektrolyse-
− 2−
H 2O + 2 e → H 2 + O ,
(8.70) zellen begrenzt sind, wird für größere Leistungen
und Gasmengen die Anzahl der Zellen nach oben
1
O2− → 2 e− + O2− ,
(8.71) skaliert und mehrere Zellen werden im Filterpres-
2 senaufbau zu einem »Stack« zusammengeschaltet.
Gesamtreaktionsgleichung: Der Aufbau ist bipolar oder monopolar realisierbar.
1
H 2 O → H 2 + O2 .
(8.72) zz Monopolares Stackdesign
2 Beim monopolaren Filterpressenaufbau werden
einzelne Zellen parallel geschaltet, wodurch die
326 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

H2
– H O2 + O2 H2 – H2 O2
+
O2 – H
2
O2 H2 O2 H2 O2 +
2

Kathode Membran Anode Kathode Bipolares Membran Anode


Blech
. Abb. 8.20  Schematische Darstellung des monopolaren
Stackdesigns . Abb. 8.21  Schematische Darstellung des bipolaren
Stackdesigns

Systemspannung bei hohen Strömen gering ist. serzersetzung‘ die Produktgase Wasserstoff und
Dieser Aufbau bietet den Vorteil, dass defekte Sauerstoff erzeugt« [14].
8 Zellen stillgelegt werden können, ohne die Funk- Wie in 7 Abschn. 8.2.1 beschrieben, wird für den
tion der übrigen Zellen wesentlich zu beeinflussen Betrieb einer ganzen Anlage jedoch noch eine Rei-
(s. . Abb. 8.20). he weiterer, den Stacks vor- und nachgeschalteter
sowie dem Gesamtsystem übergeordneter periphe-
zz Bipolares Stackdesign rer Systeme benötigt (s. [14]). Grundsätzlich sind
Um die Systemspannung, also die Klemmenspan- viele Teilsysteme für die alkalische und die PEM-
nung des Stacks, zu erhöhen und damit den Ein- Elektrolyse identisch. Sie unterscheiden sich bau-
gangsstrom zu verringern, wird das bipolare Stack- lich primär im Aufbau der Zellen sowie anhand der
design (s. . Abb. 8.21) angewendet. Tatsache, dass bei der PEM-Elektrolyse der Elek-
Dafür werden zwischen den Halbzellen Bleche trolytkreislauf mit Laugenaufbereitung wegfällt.
angeordnet, die auf einer Seite einer Anode, auf der .  Abbildung  8.22 gibt eine Übersicht über die an-
anderen einer Kathode zugewandt sind. Sie heißen schließend eingehender erläuterten Komponenten
bipolare Bleche. Mit dieser Methode sind einzel- einer Elektrolyse-Anlage.
ne Zellen direkt in Reihe zu einem Stack schaltbar,
der dann allerdings vom Verhalten jeder einzel- 8.2.4.1 V
 orgeschaltete
nen enthaltenen Zelle abhängt. Tritt in einer davon Anlagenkomponenten – Wasser
ein Fehler auf, ist der ganze Stack stillzulegen, was und Laugen
einen höheren Wartungsaufwand bedeutet. Im dem Stack vorgeschalteten Anlagenteil wird
Speisewasser beispielsweise mittels Umkehrosmo-
se aufbereitet. Pro produziertem Normkubikme-
8.2.4 Elektrolyseur, ter Wasserstoff werden ca. 0,8  l Wasser benötigt.
Elektrolyse-Anlage und ihre Schädliche Ionen und Schwebstoffe gelangen so
Peripherie nicht in die Laugenaufbereitung, die der nächste
Schritt ist. Hier wird der durch die Elektrolyse ge-
Die vorhergehend beschriebenen Stacks bilden sunkene Wassergehalt im Laugenkreislauf wieder
das Kernsystem jeder Elektrolyse-Anlage. Dabei hergestellt. Der Laugenkreislauf zirkuliert durch
bezeichnet der Begriff »(…) Elektrolyseur‘ (…) den Stack und die Gasabscheider für die Produkt-
prinzipiell nur den Apparat, der aus elektrischer gase Wasserstoff und/oder Sauerstoff. Gleichzeitig
Energie und Wasser durch elektrochemische Was- dient der Kreislauf der Kühlung der Zellen. Die aus
8.2 • Einspeichertechnologie Wasserelektrolyse
327 8

Gesamtanlagen - Steuerungs- und Sicherheitssystem

Produktgas- Raumluft- Wärme-/Kälte- Inertgas-


El. Leistung
analyse überwachung management spülsystem

übergeordnet
vorgeschaltet nachgeschaltet

Kühlung Stack Speicher

Laugenkreislauf (nur AEL) Verdichter

Laugenaufbereitung Druckwechseladsorption
(nur AEL)
Stack Reinigungs- und Trocknungsanlage
Speisewasser-
aufbereitung Kondensatabscheider

Gasnachkühlung

. Abb. 8.22  Komponenten einer Elektrolyse-Anlage: Die Übersicht gliedert sich in dem Stack vor- und nachgeschaltete
sowie übergeordnete Teilsysteme

ihm entnommene thermische Nutzleistung kann in abgeschieden, womit eine Wasserstoffreinheit von
anderen Prozessschritten wiederverwertet werden 99,9 Vol.-% erreicht wird. Diese Reinheit wird auch
(s. 7 Abschn. 8.2.6). mit Wasserstoff 3.0 bezeichnet, wobei die Zahl vor
dem Punkt für die Anzahl der 9er in der Prozent-
8.2.4.2 N
 achgeschaltete angabe steht und die Zahl nach dem Punkt für die
Anlagen­komponenten – letzte Zahl nach den 9ern.
Gasaufbereitung Um die Reinheit weiter auf 99,999  Vol.-%
In den Gasabscheidern des Elektrolytkreislaufs (Wasserstoff 5.0) zu steigern, kann der Restwasser-
wird das Produktgas abgetrennt oder bei der PEM- gehalt mittels Druckwechseladsorption weiter ge-
Elektrolyse direkt dem Stack entnommen. Das Pro- senkt werden.
duktgas wird in Gasnachkühlung und Kondensat- Über Gasverdichter und Zwischenspeicherung
abscheidern soweit abgekühlt, dass übrige, im Gas können, beispielsweise auch für den Transport, das
enthaltene Elektrolyte auskondensiert und zum Volumen des Produktgases minimiert und defi-
Elektrolytkreislauf rückgeführt werden können. nierte Druckniveaus eingestellt werden.
Hierdurch werden die nachfolgenden Bauteile vor
aggressivem Kondensat geschützt, und der kann 8.2.4.3 Ü
 bergeordnete
Betrieb optimiert werden. Anlagenkomponenten – Energie,
Um Produktgase hoher Reinheit zu erhalten, Stoffe, Steuer- und Regelsysteme
wird im Anschluss in einer Reinigungs- und Trock- Aus Sicherheitsgründen und zum Betrieb ist die
nungsanlage (RTA) in einer Katalysatorpatrone zu- Anlage mit Inertgas wie Stickstoff zu versorgen.
nächst übriger Sauerstoff mit Wasserstoff zu Wasser Über ein Spülsystem können im Bedarfsfall so alle
und Wasserdampf rekombiniert. Das enthaltene gasführenden Teile der Anlage mit Inertgas gespült
Wasser wird durch Kühlung auskondensiert und werden, was die Explosionsgefahr minimiert.
328 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

Die elektrische Eingangsleistung Pein wird zum Anlagenbetriebes verbessern kann. Im Folgenden
größten Teil über Leistungselektronik für den Be- werden dazu die Auslegung der benötigten Bau-
trieb der Elektrolyseure benötigt. Ein geringer An- gruppen, die Integrationsmöglichkeiten und die
teil unter 10 % dient im Jahresmittel dem Eigenver- Auswirkungen auf die Gesamtanlage betrachtet.
brauch zur Versorgung der Hilfssysteme der Anla-
ge. Eine Druckluftversorgung wird nur dann nötig, 8.2.6.1 Grundlagen
wenn Anlagenteile wie Ventile druckluftbetrieben Bei der Wasserelektrolyse entsteht Prozessabwär-
ausgelegt sind. Elektrische Systeme bieten hier eine me, welche das Potenzial besitzt, in Wärmekreis-
energieeffiziente Alternative. läufe integriert zu werden. Abwärme fällt auch bei
Ein Wärmemanagementsystem regelt den Wär- unterschiedlichen Prozessen im Industriesektor an.
me- und Kältebedarf zwischen Elektrolytkreislauf, Ihre Nutzung ist häufig kostengünstig und tech-
Gaskühlung, Wasserkondensation, Gasreinigung nisch einfach realisierbar. Dennoch wird der Groß-
und Verdichtung. teil der Abwärme durch Kühlsysteme lediglich an
Das Produktgasanalysesystem und die Raum- die Umgebung abgegeben.
luftüberwachung stellen einen essenziellen und Durch die Nutzung des Abwärmepotenzials
sicherheitskritischen Bestandteil einer Elektrolyse- einer Elektrolyseanlage kann nicht nur der Ge-
Anlage dar. Ausgereifte und standardisierte Tech- samtwirkungsgrad gesteigert, sondern auch Wirt-
nik überwacht die Produktgaseigenschaften und schaftlichkeit und CO2-Bilanz können verbessert
8 die Raumluft, um eventuelle Gefährdungen früh- werden (s. 7 Abschn. 8.2.6.4).
zeitig erkennen zu können. Die Voraussetzung für die Integration der Ab-
Im Normalbetrieb und zur Fehlerüberwachung wärme in einen Wärmekreislauf ist ihre zuverläs-
steht dem Anlagenbetreiber als Prozessleitsystem sige Abnahme, da sie stets aus der Elektrolysean-
ein Gesamtanlagen-Steuerungs- und Sicherheits- lage abzuführen ist. Der im Takt von Wind- und
system zur Verfügung. Hier können Betriebszu- Solarenergie wechselnde Betrieb ist daher eine
stände der einzelnen Komponenten abgefragt wer- Herausforderung für die Identifikation einer opti-
den, der Betrieb wird überwacht und es kann auf malen Wärmesenke. Optional wird ein zusätzliches
Fehler reagiert werden. Kühlsystem installiert, welches bei Bedarf die über-
schüssige Abwärme abführt.
Nutzbar gemachte Abwärme ist ein zusätzliches
8.2.5 Vergleich der einzelnen Produkt der Elektrolyse, neben Wasserstoff und
Elektrolysetechnologien Sauerstoff (s. .  Abb.  8.23). Ein Teil der Abwärme
bleibt jedoch aufgrund des zu niedrigen Tempera-
In diesem Abschnitt werden die vorgestellten Elek- turniveaus – wie beim Anfahren der Anlage – nicht
trolysetechnologien verglichen. In .  Tab.  8.3 sind genutzt.
die Technologien und deren Eigenschaften an-
schaulich gegenübergestellt. 8.2.6.2 A
 uslegungs- und Berechnungs-
grundlagen
Zur Nutzung der Elektrolyseabwärme werden im
8.2.6 Wirkungsgradsteigerung durch Wesentlichen drei Hauptbaugruppen benötigt:
Abwärmenutzung 55 wärmeisoliertes Rohrsystem zum Transport
der Wärme
Zu den wichtigsten Kriterien von energietechni- 55 Kühlmittelpumpe zur Zirkulation des Wärme-
schen Prozessen zählt der Wirkungsgrad. Im Ver- fluids
gleich zu anderen Speichertechnologien sind der 55 Wärmetauscher zur Übergabe der Wärme.
Wirkungsgrad der Wasserelektrolyse und die an-
schließende Nutzung nicht sehr hoch (s. 7 Kap. 12). Die bestmögliche Auslegung dieser Komponenten
Er lässt sich jedoch durch den Einsatz von Abwär- gleicht einer Optimierungsaufgabe, da die gegen-
me steigern, was auch die Wirtschaftlichkeit des seitige Einflussnahme der Baugruppen sehr stark
8.2 • Einspeichertechnologie Wasserelektrolyse
329 8

. Tab. 8.3  Elektrolyseure im technischen Vergleich

AEL – Alkalische PEMEL – Membran- HTES – Hochtemperatur-


Elektrolyse Elektrolyse (Proton elektrolyse (High Temperatu-
Exchange Membrane re Electrolysis of Steam)
Electrolysis)

Elektrolyt Flüssig KOH Fest Membran Fest Keramik

Betriebstemperatur in°C 40–90 20–100 700–1000

Druck in bar 1–30 30–50 ca. 30

Reaktionen

Kathodenreaktion 2 H2O + 2 e− → 2 H+ + 2 e− → H2 H2O + 2 e− → H2 + O2−


H2 + 2 OH−

Ladungsträger OH− H+ O2−

Anodenreaktion 2 OH− → O2− → ½ O2 + 2 e− O2− → ½ O2 + 2 e−


½ O2 + H2O + 2 e−

Wirkungsgrad in % 62–82 67–82 65–82

Stackdesign

Aufbau Bipolar, Filterpresse Filterpresse Kommerzielle Produkte noch


nicht vorhanden

Aktive Zellfläche 0,1–4 m2 10–750 cm2 bis 100 cm2

Stromdichte in A/cm2 0,2–0,45 bis zu 2,5 0,3–3,0

Zellspannung in V < 2,4 < 2,2

Zellen pro Stack bis zu 700 < 120

Systemdesign Laugenkreislauf (KOH) Ähnlich AEL, einfa- Bisher nur als Konzept, Kopp-
Leistungselektronik cheres Systemdesign, lung mit HT-Quelle
Gasseparatoren, druckfeste Auslegung
-wäsche, Kompression,
Feinreinigung

Wasserstoffproduktions- 1–760 0,01–30 bisher größte Anlage:


rate in m3/h 5,7 m3/h bei 18 kW

Elektrische Leistung 5 kW–3,4 MW 0,5–160 kW

Standzeiten inkl. Über- 20–30 10–20 k. A.


holung in a

Energie in kWhel/m3 H2 4,5–7,0 4,5–7,5 3,2


0,6 kWhth/m3 H2

Teillastbereich in % 20–100 0–100

Leistungsdichte in W/cm2 bis 1,0 bis 4,4

Investitionskosten I0 in €/ 800–1500 2000–6000


kW, Stand 2014 k. A.

Aufbau, Anlieferung 10 % I0 10 % I0

Wartung, Betrieb, Ver- 4 % I0 pro Jahr 4 % I0 pro Jahr


sicherung
330 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

. Tab. 8.3 Fortsetzung

AEL – Alkalische PEMEL – Membran- HTES – Hochtemperatur-


Elektrolyse Elektrolyse (Proton elektrolyse (High Temperatu-
Exchange Membrane re Electrolysis of Steam)
Electrolysis)

Vorteile Günstig in Herstellung Einfacher Aufbau und Zellspannung bei Wasser-


und Anschaffung, Verfahrenstechnik, da dampf geringer als bei
größter Erfahrungs- kein Elektrolytkreis- flüssigem Wasser, bei hohen
umfang, erprobte lauf nötig, kleinere Temperaturen kann Wärme
Technologie Überspannungen durch als Energieeintrag zugeführt
Edelmetallkatalysatoren werden, z. B. aus chemischen
Synthesen

Nachteile Aufwändige Laugen- Materialanforderungen Separation von Wasserstoff


reinigung nötig, nicht hoch, teure Werkstoffe und Wasserdampf bei hohen
für dynamischen Temperaturen mögliches
Betrieb ausgelegt Problem

Elektrolyseure im Vergleich

8
Elektrische Energie Wasserstoff Der Massenstrom des Fluides mFl hängt von
Elektrolyse- Sauerstoff
Wasser
anlage Abwärme der nutzbaren Abwärme der Elektrolyse QEl und
Nicht nutzbare Energie
der Temperaturspreizung der Vor- und Rücklauf-
leitung ∆TFl ab (Gl. 8.73),
. Abb. 8.23  Abwärme als zusätzliches Produkt der Elekt-
rolyseanlage Q El
m Fl =
(8.73)
c p Fl ·∆TFl
ist. Die einzelnen Bauteile sind Stand der Technik mit
und lange erprobt. cp, Fl   spezifische Wärmekapazität bei konstantem Druck
(meist Wasser mit 4,182 kJ kg−1 K−1)
zz Rohrsystem
Die Wahl der Rohrnennweite (Diameter Nominal
Das Rohrsystem transportiert das Fluid, in welchem
DN) bzw. der resultierenden Fläche ARi hat direk-
die Energie in Form von (Ab-)Wärme gespeichert
ten Einfluss auf den Volumenstrom VFl und die da-
ist. Dabei ist eine gute Isolierung entscheidend, um
raus resultierende Fluidgeschwindigkeit cFl,
die Wärmeverluste gering zu halten. Die vielfälti-
gen Rohrsysteme variieren im Aufbau sowie bei  Fl = VFl ⋅ ρFl = ARi ⋅ cFl ⋅ ρFl
m (8.74)
den verwendeten Materialien. Es gibt Systeme mit 
einem Rohr mit einfacher Isolierung und Systeme mit
mit zwei Rohren für die Hin- und Rückleitung, ρFl     Dichte des Fluids (meist Wasser mit 1 kg/l)
welche von einer Mantelisolierung umschlossen
sind. Letzteres spart Isolierungsmaterial und Platz- Eine Verringerung der Rohrnennweite wirkt sich
bedarf. Durch die nah beieinander liegenden Rohre positiv auf den Material- sowie Platzbedarf des
ergeben sich zudem Vorteile im Bereich des Wär- Rohrsystems aus, steigert jedoch auch die Strö-
meverlustes während des Transportes. Der Nachteil mungsgeschwindigkeit. Als Richtwert kann eine
liegt in den höheren Investitionskosten. Strömungsgeschwindigkeit von ca. 0,8–2,0 m/s an-
Die Dimensionierung des Rohrsystems hat genommen werden.
Auswirkungen auf den Volumenstrom und somit Für die Effizienz des verwendeten Rohrsystems
auf die resultierende Strömungsgeschwindigkeit. sind die Wärmeverluste entscheidend, die sich aus
Temperaturdifferenz und Wärmewiderstand des
8.2 • Einspeichertechnologie Wasserelektrolyse
331 8
Rohrsystems ergeben. Dieser setzt sich zusammen teln (Gl. 8.78). Sie ist die Differenz aus der durch-
aus: schnittlichen Temperatur in der Vorlaufleitung TVl
55 Wärmeübergangswiderstand vom Fluid auf die und der Rücklaufleitung TRl sowie der Temperatur
Rohrinnenwand im Erdreich TE,
55 Wärmeleitungswiderstände der einzelnen
T +T
Rohrschichten RRS Tm = Vl
(8.78) Rl
− TE .
55 Wärmeübergangswiderstand der Rohraußen- 2
wand auf das Erdreich RE Die vorangehenden Gleichungen führen zum ther-
55 gegenseitigem Einfluss der Vor- und Rücklauf- mischen Verlust des Rohrsystems QRS, für welchen
leitung RVR. die Gesamtlänge der Rohrleitung l zu berücksichti-
gen ist (Gl. 8.79),
Der Wärmeübergangswiderstand an der Innenseite Tm · l
des Rohrsystems kann aufgrund der geringen Ein- QRS = .
(8.79)
RVR + RE + RRS
flussnahme sowie der komplexen Bestimmung ver-
nachlässigt werden.
Der Wärmeleitungswiderstand des Rohres RRS, zz Kühlmittelpumpe
hängt von den geometrischen Maßen sowie den Die Kühlmittelpumpe stellt den benötigten Kühl-
verwendeten Materialien und deren Wärmeleit- mittelvolumenstrom zur Verfügung und gleicht die
fähigkeiten λ1, λ2 ab und lässt sich nach Gl.  8.75 auftretenden Druckverluste, welche im Rohrsystem
exemplarisch für ein Rohr mit zwei Schichten be- sowie im Wärmetauscher auftreten, aus.
stimmen: Verluste an Strömungsenergie im Rohrsystem
 d a1 d  durch irreversible Vorgänge (z.  B. Reibung) tre-
 ln ln a 2 ten als Druckverluste ∆pVRS in Erscheinung. Diese
1  d i1 d a1 
RRS = · + . (8.75) Druckverluste können durch bekannte Abmessun-
2·π  λ 1 λ2  gen (lRS, dRS) und Eigenschaften des Rohrsystems
 
sehr gut abgeschätzt werden. Beeinflusst wird die-
ser Wert durch die Oberflächenbeschaffenheit des
Auf den Wärmeleitungswiderstand des Erdreiches Rohrsystems λRau an der Innenseite bzw. die Anzahl
RE wirkt sich neben der Wärmeleitfähigkeit des der verwendeten Krümmer Σξ. Zudem geht in die
Erdreiches λE, noch die Verlegetiefe hm sowie der Berechnung die Fließgeschwindigkeit des Fluides
Außendurchmesser des verwendeten Rohres da2 cFl quadratisch ein (Gl. 8.80):
aus (Gl. 8.76),

(8.80) l  c 2

1 4·h m ∆p = λ · RS + Σξ · ρ · Fl .
VRS  Rau  Fl
(8.76)
RE = ·ln . d RS g
2· π · λ E da 2
Diese Gleichung gilt jedoch ausschließlich für in-
Die gegenseitige Einflussnahme der Vor- und kompressible Fluide. In den meisten Fällen ist dies
Rückleitung RVR hat ebenfalls einen zu berücksich- der Fall, da als Kühlfluid häufig Wasser verwendet
tigenden Anteil am Energieverlust des Rohrsystems wird.
(Gl. 8.77). Zudem besitzt auch der Achsabstand der Die Druckverlusthöhe des Rohrsystems HVRS
Hin- und Rückleitung a einen Einfluss, berechnet sich direkt aus dem Druckverlust und
stellt eine wichtige Größe für die Pumpenausle-
 1 1  4·h 2  gung dar (Gl. 8.81):
RVR = · ·ln 1 + 2 m  . (8.77)
2· π 2· λ E  a 
ρ
HV RS = ∆ pVRS · Fl .
(8.81)
Die Berechnung der wirksamen mittleren Tempe- g
ratur Tm ist die letzte zu bestimmende Größe, um Der auftretende Druckverlust im Wärmetauscher
den Energieverlust des Rohrsystems QRS zu ermit- hat zwei Aspekte:
332 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

Tc1 m. c Tc2 m. c Tc2 m. c


m. h m. h
m. h m. h
Th1 Th2
Th1 Th2 Th1 Th2

Tc2 Tc1 Tc1

. Abb. 8.24  Unterschiedliche Strömungsführung in Wärmetauschern (Rekuperatoren), c cold, kaltes Fluid, h hot, warmes
Fluid

55 Sind die Druckverluste zu gering, kommt es zz Wärmetauscher


innerhalb des Wärmetauschers zu laminaren Der Wärmetauscher überträgt die als Abwärme der
Strömungen, wodurch der thermische Verlust Elektrolyse im Wärmefluid gespeicherte Energie
ansteigt. auf ein kühleres Medium, die Wärmesenke. Für
55 Ein sehr hoher Druckverlust führt hingegen diesen Prozess gibt es eine Vielzahl von Apparatu-
zu einer stärkeren Belastung der Kühlmittel- ren, welche sich hinsichtlich Funktionsprinzip und
pumpe mit entsprechend höherem Energie- Aufbau zum Teil erheblich unterscheiden. Prinzi-
8 aufwand. piell lassen sich die vorhandenen Wärmetauscher
in drei Bauarten unterteilen:
Die exakte wissenschaftliche Berechnung des auf-
tretenden Druckverlustes im Wärmetauscher stellt Regenera- Die vorhandene Wärme wird an ein
eine sehr umfangreiche und komplexe Betrachtung toren Speichermedium übertragen und
zu einem späteren Zeitpunkt wieder
dar und wird an dieser Stelle nicht näher behandelt. abgegeben
Die Größe des Druckverlustes kann entweder beim
Hersteller erfragt werden, oder es werden Schätz- Mischung Das warme Fluid wird direkt mit dem
der Fluide zu erwärmenden Fluid vermischt
werte verwendet, welche von der Leistung, dem
Funktionsprinzip und der Größe des verwendeten Rekupera- Die Wärme wird zuerst an eine Trenn-
toren wand geleitet, von welcher sie sofort
Wärmetauschers abhängen.
an das kalte Fluid übertragen wird
Der gesamte auftretende Druckverlust ∆pV,ges
ergibt sich aus dem Druckverlust im Rohrsystem
∆pV, RS und dem im Wärmetauscher ∆pV,WT, Die gängigste Bauart ist der Rekuperator. Bei ihm
kann die Strömungsführung in drei Hauptkatego-
∆pV ges = ∆pV RS + ∆pV WT .
(8.82) rien unterteilt werden (s. . Abb. 8.24):
Die verschiedenen Strömungsführungen wei-
Neben dem oben ermittelten gesamten Druckver- sen unterschiedliche Eigenschaften auf und haben
lust ∆pV,ges haben der benötigte Volumenstrom VFl je nach Anwendungsfall Vor- bzw. Nachteile. Bei
sowie der Wirkungsgrad der Kühlmittelpumpe ηP der Verwendung des Gegenstromprinzips fällt die
Einfluss auf die elektrische Leistungsaufnahme der benötigte Fläche zur Übertragung der Wärme we-
Kühlmittelpumpe Pel,P, sentlich geringer aus als beim Gleichstromprinzip.
Zudem ist bei der Verwendung eines Gegenstrom-
  ⋅ ∆p
V Wärmetauschers eine tiefere Abkühlung des war-
Pel P =
Fl vges
. (8.83)
ηP men Fluides möglich (s. . Abb. 8.25). Vor allem bei
der Nutzung der Abwärme einer Elektrolyseanlage
Das Druckniveau der Anlage ist relativ gering, wo- kann dies von Vorteil sein, da je nach Elektrolyse-
durch dieser Aspekt keinen großen Einfluss auf die verfahren das vorhandene Temperaturniveau nicht
Auswahl der Pumpe darstellt. allzu hoch ist.
8.2 • Einspeichertechnologie Wasserelektrolyse
333 8
Gleichstromprinzip Gegenstromprinzip

1 1

Temperatur
Temperatur

2 2 2 1 Eintritt am Wärmetauscher
2
2 Austritt am Wärmetauscher
1
1

Zeit Zeit

. Abb. 8.25  Temperaturverläufe in Wärmetauschern nach dem Gleich- und Gegenstromprinzip

Die unterschiedlichen Temperaturverläufe des Ein wichtiger Parameter ist die benötigte wär-
warmen und kalten Fluids im Gleich- sowie im meübertragende Fläche A des Wärmetauschers
Gegenstromprinzip sind in . Abb. 8.25 dargestellt. (Gl.  8.88). Sie hat einen gewichtigen Einfluss auf
Vereinfacht kann für einen idealen Wärmetau- die Baugröße und den Preis des Wärmetauschers,
scher davon ausgegangen werden, dass der gesamte Q
Wärmestrom Q, welchen das warme Fluid abgibt,  A= (8.88)
k · ∆Tlog
vom kalten Fluid aufgenommen wird. Zudem spie-
len die Wärmekapazitäten cp,h, cp,c der Fluide eine mit
große Rolle (Gl. 8.84). Die Indizes c stehen für das k     Wärmeübertragungskoeffizient
kalte Fluid (cold), h für das warme Fluid (hot),
Der Bestimmung des exakten Druckverlustes
Q = m h ⋅ c p h ⋅ ∆Th = m c ⋅ c pc ⋅ ∆Tc .
(8.84) ΔpWT im Wärmetauscher liegt ein komplexes Be-
rechnungsverfahren zugrunde, welches zudem von
Die auftretenden Temperaturdifferenzen ΔTh, ΔTc dem verwendeten Prinzip des Wärmetauschers
lassen sich durch die Temperatur am Eingang Th,1, abhängt. Vereinfacht kann der Druckverlust nach
Tc,1 sowie am Ausgang Th,2, Tc,2 des Wärmetau- Gl. 8.89 errechnet werden:
schers bestimmen (Gl. 8.85 und 8.86),
ρ
∆ pWT = Σ ξ · Fl · c 2
(8.89)
∆Th = Th 2 − Th 1 ,
(8.85) 2
mit
∆Tc = Tc 2 − Tc 1 .
(8.86) ρFl    Dichte des Fluids,
Σξ    geometrische Bauform und
Bei vielen Anwendungsfällen wird für den warmen c     Geschwindigkeit des Fluids im Wärmetauscher
und den kalten Kreis dasselbe Fluid mit der dadurch
folgenden selben Wärmekapazität verwendet. 8.2.6.3 Integrationsmöglichkeiten der
Jedoch unterscheiden sich der kalte und warme Abwärme
Kreislauf in ihren Massenströmen. Daher ist der Die Abwärme der Elektrolyse, welche nach den
mittlere Temperaturabstand logarithmisch ΔTlog Verlusten im Rohrsystem und im Wärmetauscher
nach Gl. 8.87 zu bestimmen: übrigbleibt, kann in verschiedenen Wärmesyste-
∆Th − ∆Tc men genutzt bzw. Wärmekreisläufen eingespeist
∆Tlog =
(8.87) . werden. Wie die Abwärme integriert wird, hängt
∆T
ln h maßgeblich von drei Faktoren ab:
∆Tc
334 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

. Tab. 8.4  Temperaturniveaus und Entwicklungs- . Tab. 8.5  Darstellung möglicher Wärmesenken
stände der drei gängigen Elektrolyseverfahren für die Abwärme aus Elektrolyseanlagen

Elektrolysever- Tempera- Entwick- Integrationsmöglichkeit Temperaturniveau


fahren turniveau lungsstand
Fernwärmenetz Vorlauf 90–130  °C
(°C)
Rücklauf 55–80 °C
Alkalische Elektrolyse 40–90 Hoch
Nahwärmenetz Vorlauf 70–100 °C
PEM-Elektrolyse 20–100 Mittel
Rücklauf 55–70 °C
Hochtemperatur- 700–1000 Gering
Elektrolyse Öffentliche Einrichtungen von Fall zu Fall
unterschiedlich

Industrie > 100°C
55 verwendetes Elektrolyseverfahren bzw. vor-
herrschendes Temperaturniveau
55 Nähe zu einer möglichen Wärmeeinspeisung Als Ausnahme können öffentliche Einrichtun-
am Standort gen oder ähnliche Verbraucher mit großem Wär-
55 am Anlagenstandort vorhandene Integrations- mebedarf gesehen werden, bei denen die Höhe des
möglichkeiten. Temperaturniveaus eine sekundäre Rolle spielt.
8 Beispiele sind Schwimmbäder oder Krankenhäu-
Die in  7  Abschn. 8.2.2 beschriebenen drei Elektro- ser, aber auch Industriestandorte in unmittelbarer
lyseverfahren unterscheiden sich hinsichtlich Tem- Nähe mit einem Wärmebedarf auf niedrigem Tem-
peraturniveau und Entwicklungsstand deutlich peraturniveau.
(s. . Tab. 8.4).
Die alkalische Elektrolyse ist zwar das gängigste 8.2.6.4 Auswirkungen der
und wirtschaftlichste Verfahren, weist jedoch auch Abwärmenutzung
das geringste Temperaturniveau auf. Das schränkt zz Steigerung des Gesamtwirkungsgrades
die Anwendungs- bzw. Integrationsmöglichkeiten Kann die Abwärme der Elektrolyse genutzt werden,
der Abwärme ein. Generell gilt, dass das Tempera- wirkt sich das erheblich auf den Gesamtwirkungs-
turniveau der Elektrolyse deutlich über dem Tem- grad der Anlage aus.
peraturniveau des Wärmekreislaufes sein soll. Das Im Wirkungsgrad der Elektrolyseanlage ohne
nächste Kriterium stellt die Nähe zu den Einspei- Abwärmenutzung ηohne wird als Aufwand die ein-
semöglichkeiten am Anlagenstandort dar. Lange gespeicherte elektrische Energie Pel,ein und als Nut-
Übertragungswege verursachen hohe Investitions- zen der Energieinhalt des erzeugten Wasserstoffes
kosten und zusätzliche Übertragungsverluste. verwendet. Dieser Nutzen setzt sich aus der stünd-
Diese beiden Faktoren minimieren den tech- lichen Produktion von Wasserstoff m  H 2 sowie des-
nisch und wirtschaftlich sinnvollen Einsatz einer sen Brennwert H sH2 zusammen (Gl. 8.90),
Abwärmenutzung zum Teil erheblich.
In welches Wärmesystem die Abwärme der  m H2 · H sH
ηohne = 2
. (8.90)
Elektrolyse eingespeist wird, hängt in erster Linie Pel,ein
von den Integrationsmöglichkeiten am Anlagen-
standort ab. Beispielhafte Wärmesenken sind in Der Wirkungsgrad ist stark von der verwendeten
. Tab. 8.5 aufgeführt. Elektrolysetechnik, dem Druckniveau sowie der
Der Vergleich von .  Tab.  8.4 und 8.5 und die Größe der Anlage abhängig (s. . Tab. 8.3).
Tatsache, dass derzeit die alkalische bzw. die PEM-

Die nutzbare Prozessabwärme Qnutz überwiegt

Elektrolyse am gängigsten sind, führt zur Schluss- die Wärmeverluste im Rohrsystem QRS und die
folgerung, dass in den meisten Fällen nur die Ein- elektrische Leistungsaufnahme der Kühlmittel-
speisung in den Rücklauf der Wärmenetze infrage pumpe Pel,P. Damit kann der Gesamtwirkungsgrad
kommt. ηmit der Elektrolyse gesteigert werden (Gl. 8.91), der
8.3 • Einspeichertechnologien Methanisierung und chemische Synthesen
335 8

Zugeführte Zugeführte
elektrische elektrische
Energie Energie

gesamt
Wärme
Verluste
Elektrolyse
Chemische Chemische
Verluste

nutzbar
Wärme
Energie Energie Verluste
Elektrolyse
(H2) (H2) Abwärmenutzung
(Pumpe, etc.)

. Abb. 8.26  Sankey-Diagramme einer Elektrolyseanlage mit und ohne Abwärmenutzung

schematisch in Sankey-Diagrammen in . Abb. 8.26 Den Einnahmen, die sich aus dem Produkt der
dargestellt ist, Wärmemenge W und dem Vergütungssatz erge-
ben, stehen die Ausgaben für das Rohrsystem, die
m H2 · H sH + Q nutz − Q RS
 ηmit = 2
. Kühlmittelpumpe und den Wärmetauscher gegen-
(8.91)
Pel,ein + PelP über. Da diese Baugruppen schon seit Längerem
dem Stand der Technik entsprechen, halten sich die
Die Steigerung des Gesamtwirkungsgrades einer Investitionskosten im Rahmen. Auch die Betriebs-
Elektrolyseanlage lässt sich sehr anschaulich aus kosten fallen für diese Baugruppen gering aus.
den in .  Abb.  8.26 dargestellten schematischen Bei einem schlüssigen Wärmenutzungskonzept
Sankey-Diagrammen entnehmen. und einer synergetischen Nutzung vor Ort kann
die Wirtschaftlichkeit der Anlage verbessert wer-
zz Wirtschaftlichkeitsbetrachtung den. Die Entscheidung hinsichtlich der Abwärme-
Die Wirtschaftlichkeit der Abwärmenutzung hängt nutzung ist individuell wie jedes Projekt selbst. Die
maßgeblich von drei Faktoren ab: Überprüfung lohnt sich in jedem Fall mit der Aus-
55 Anzahl der Volllaststunden pro Jahr sicht auf eine Verbesserung der Wirkungsgrade und
55 Strombezugsquelle für die Elektrolyse den zusätzlichen Erlös durch die interne Nutzung
55 eingespeiste Wärmemenge pro Jahr. oder Vermarktung des Nebenprodukts Abwärme.

Die eingespeiste Wärmemenge pro Jahr W ergibt



sich nach Gl. 8.92 aus der Wärmeleistung Qnutz so- 8.3 Einspeichertechnologien
wie den Volllaststunden der Elektrolyse tVLS , Methanisierung und chemische
Synthesen
W = Q nutz · tVLS .
(8.92)
8.3.1 Überblick und CO2-Quellen
Die Erlöse aus der Abwärmenutzung variieren mit
der Vergütung für die Wärme, die etwa zwischen 8.3.1.1 S
 ynthesen – die Lösung des
3 und 15  ct/kWh liegen kann. Wird in der Elekt- »Henne-Ei-Problems« von
rolyse erneuerbarer Strom verwendet, ist auch die Wasserstoff
entstehende Abwärme erneuerbare Energie. Damit Der elektrolytisch erzeugte Wasserstoff kann in
können Fördermechanismen (EEG, KWK) greifen einem zweiten Schritt unter Nutzung von CO2 zu
und genutzt werden. gasförmigen oder flüssigen Kohlenwasserstoffen
336 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

. Tab. 8.6  Quellen für CO2 als Edukt für die Methanisierung und andere Synthesen

Quelle Engl. Bezeichnung/ Beispielverfahren


Kategorie

Atmosphärisches CO2 Green carbon Abscheidung aus der Luft über Elektrodialyse oder Adsorption

Biogenes CO2 Green carbon Abscheidung aus Biogas

Fossiles CO2 Black carbon Abscheidung aus Rauchgasen von z. B. Kraftwerken, Zement-
und Stahlproduktion

CO2-Recycling Green carbon Verbrennung von klimaneutralem Gas (Biogas, Windgas) in Gas-
kraftwerken und anschließende Abscheidung aus dem Rauch-
gas und Wiederverwendung des CO2 für die Energiespeicherung

verarbeitet werden. Dafür kommen vorwiegend die talytische, thermochemische Methanisierung als
folgenden Technologien in Betracht: »chemische Methanisierung« bezeichnet.
55 Methanisierung
55 Methanolsynthese 8.3.1.2 C
 O2-Quellen für Power-to-Gas,
55 Fischer-Tropsch-Synthese Power-to-Liquid und
8 Power-to-Chemicals
Da Wasserstoff nur in geringem Umfang direkt Für verschiedene Einspeichertechnologien wird CO2
in die vorhandene Energieinfrastruktur integriert als Eduktgas benötigt. Grundsätzlich lässt sich dabei
werden kann, ist seine Weiterverarbeitung unter auf folgende Quellen zurückgreifen (s. . Tab. 8.6):
zusätzlichem Aufwand sinnvoll. Über die beschrie- Die Nutzung von CO2 im Prozess ist insgesamt
benen Technologien kann Wasserstoff leichter ge- klimaneutral, sofern nicht eigens dafür fossiles CO2
speichert, transportiert und genutzt werden. freigesetzt wurde. Ferner ist zu beachten, dass fos-
Das in 7 Abschn. 8.1.2 beschriebene »Henne-Ei- sile Kraftwerke durch die CO2-Nutzung nicht CO2-
Problem« von Wasserstoff ist damit gelöst. neutral werden (green washing), da das CO2 nach
der Nutzung (Carbon Capture and Use – CCU)
zz Methanisierungsarten im Speicherprozess bei energetischer Verwendung
Bei der Methanisierung wird zwischen zwei Va- wieder in die Atmosphäre gelangt. Zudem sind
rianten unterschieden: CO2-reiche Gase wie z. B. aus Biomasse besser als
55 chemische Methanisierung – oder auch ther- Quelle geeignet als Rauchgas aus Kraftwerken, da
mochemische, katalytische Methanisierung der Energiebedarf zur Abtrennung des CO2 gerin-
bzw. katalytische Hydrierung von CO oder CO2 ger ausfällt (s. [45, 100]).
55 biologische Methanisierung. Im Folgenden werden die Potenziale dieser ein-
zelnen Quellen erörtert. Die Integration der CO2-
zz Chemische Methanisierung Quellen in ein Power-to-Gas Speichersystem ist
Oft wird der Begriff katalytische Methanisierung in 7 Abschn. 8.6.3 ausgeführt.
synonym für die (thermo)chemische Methanisie-
rung verwendet. Da jedoch auch die biologische zz Biogenes CO2 aus
Methanisierung auf dem gleichen Prinzip basiert Biogasaufbereitungsanlagen
und die Katalysatoren intrinsisch in den Enzymen Biogas besteht zu ca. 60 % aus Methan und zu 40 %
enthalten sind, ist die Unterscheidung zwischen aus CO2. Für die Einspeisung in das Gasnetz ist
(thermo)chemischer und biologischer Methanisie- das CO2 vom Methan zu trennen, um Biogas auf
rung klarer. Zudem wird von thermochemischen Erdgasqualität zu bringen. Nach der Biogasaufbe-
Prozessen gewöhnlich erst ab Temperaturen über reitung steht reines CO2 zur Verfügung, welches
700–800 °C gesprochen, welche bei der Methani- kostengünstig und klimaneutral ist, da es nor-
sierung nicht erreicht werden. Daher wird die ka- mal ungenutzt bleibt und zuvor durch pflanzliche
Photosynthese der Atmosphäre entzogen wurde.
8.3 • Einspeichertechnologien Methanisierung und chemische Synthesen
337 8
2010 wurden in weniger als 100 Biogasaufbe- von Stromüberschüssen. Beim weiteren Ausbau der
reitungsanlagen ca. 280  Mio.  m³ Biomethan er- Biogasanlagen kann in 2050 von einem Potenzial
zeugt, mit dessen abgeschiedenem CO2 bei einem von 18 TWh zur Aufnahme von Überschüssen aus-
angenommenen Wirkungsgrad des Power-to-Gas- gegangen werden (s. [109]).
Systems von 60 % theoretisch 3,1 TWh Stromüber-
schüsse in Form von Methan speicherbar gewesen zz Sonstige biogene CO2-Quellen
wären. Energiepolitisch soll als Ziel bis 2020 eine CO2 fällt bei weiteren Verfahren als Abfallprodukt
Biomethaneinspeisung von 6000  Mio.  m³ umge- wie z.  B. in Kompostieranlagen an und lässt sich
setzt werden. Da dies aus Kostengründen unwahr- für die Methanisierung kostengünstig verwen-
scheinlich ist, kann von einer Biomethaneinspei- den. Zwei wichtige Verfahren sind die Erzeugung
sung von ca. 2600  Mio.  m³ ausgegangen werden, von Bioethanol und die CO2-Abscheidungen von
was einer Wandlung von 29 TWh Überschussstrom Kläranlagen. Damit ließen sich 2010 mit 300 bzw.
entspricht (s. [109]). 250 Mio. m3 CO2 etwa 5 TWh bzw. 4 TWh Strom-
überschüsse methanisieren. Mit steigendem Hekt-
zz Biogenes CO2 aus Rohbiogas arertrag und steigendem Anteil von Bioethanol im
Eine weitere Möglichkeit biogenes CO2 zu verwen- Verkehrssektor wird dort ein Potenzial von 17 TWh
den, ist der Einsatz von Rohbiogas. Diese Option 2020 gesehen (s. [109]). Weitere mögliche biogene
bietet den Vorteil, dass das CO2 nicht extra abzu- CO2-Quellen stellen Biomassevergasungsverfah-
trennen ist. Der Wasserstoff aus der Elektrolyse ren dar, die Lignocellulosepflanzen zu Synthesegas
wird im Reaktor direkt mit Biogas vermischt und wandeln (s. 7 Abschn. 8.1.3 und 8.3.5).
reagiert dort mit dem überschüssigen CO2. Das
entstandene Methan, das zum einen aus Biomethan zz CO2-Abscheidung aus der Luft
aus der Biogasanlage und zum anderen aus Methan Naheliegend ist die Verwendung von CO2 direkt
aus dem Sabatier-Prozess besteht, kann so in der aus der Luft, was zusammen mit einem CCS-Ver-
benötigten Qualität in das Erdgasnetz eingespeist fahren zu einer Reduktion des CO2-Anteils der Luft
werden. Das ermöglicht die flexible Nutzung des führen würde. Eine Abscheidung aus der Luft ist
biogenen Gases über Speicher und Kraftwerke im aber nur mit hohem technischem und finanziellem
Gegensatz zur starren Verstromung als Grundlast Aufwand möglich, weshalb andere CO2-Quellen
vor Ort. Ist die Residuallast positiv, d. h., die Ein- dieser Option vorgezogen werden. Heute sind ver-
speisung der erneuerbaren Energien ist geringer schiedene Verfahrensweisen bekannt (s. [100, 109]):
als die Last, kann das Biogas vor Ort verstromt 55 Adsorption an Feststoffen
werden, während die Elektrolyse nicht betrieben 55 Absorption in Lösungsflüssigkeiten
wird. Ist die Residuallast negativ, d. h., es ist mehr 55 Kondensation in kryogenen Prozessen
EE-Strom vorhanden als Bedarf besteht, wird die 55 Abscheidung aus Luft mittels Membranen.
Elektrolyse mit anschließender Methanisierung be-
trieben und das Methan ins Erdgasnetz zur Spei- Die erste deutsche Power-to-Gas-Pilotanlage in
cherung eingespeist. In dieser Zeit wird das BHKW Stuttgart (s. 7 Abschn. 14.3.2) nutzt die Abscheidung
an der Biogasanlage nicht betrieben. 2010 wurden aus der Luft über die Absorption in Lösungsflüs-
13,3 TWh Strom in Deutschland durch die Block- sigkeiten (Elektrodialyse) und demonstriert so die
heizkraftwerke eingespeist, was bei einem Wir- technische Machbarkeit des Konzepts (s. [100]).
kungsgrad von 37 % und obiger Biogaszusammen- Der Vorteil ist die Standortunabhängigkeit zur
setzung einem CO2-Potenzial von 2400  Mio.  m3 CO2-Gewinnung, was oft ein limitierender bzw.
entspricht. Wird berücksichtigt, dass Stromüber- standortbestimmender Faktor in der Umsetzung
schüsse nicht jederzeit vorhanden sind, ergibt sich von Hydrierungssynthesen ist. Da es dazu einige
eine zukünftige Überschneidung von etwa einem erfolgreiche Forschungsvorhaben gibt, ist mit einer
Viertel der Betriebsstunden der Biogasanlage mit Kostenreduzierung und einer Steigerung der Wirt-
den Überschüssen. Daraus resultiert für 2020 ein schaftlichkeit zu rechnen, womit diese CO2-Quelle
theoretisches Potenzial von 10 TWh zur Aufnahme in Zukunft eine tragende Rolle spielen kann. Dies
338 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

ist auch dadurch begründet, dass biogenes und fos- zz CO2-Recycling/Oxyfuel-Konzept


siles CO2 ein begrenztes Potenzial hat und es Re- Unter CO2-Recycling wird ein geschlossener
gionen ohne jegliche CO2-Quelle gibt. CO2-Kreislauf verstanden (s.  7  Kap.  1). Nach der
Verbrennung von erneuerbarem Methan mit den
zz CO2 aus Kraftwerks- oder Industrieanlagen Ausspeichertechnologien aus  7  Abschn.  8.5.1 wird
In Kraftwerken und Industrieanlagen fallen sehr das CO2 aus den Abgasen abgeschieden und wie-
große Mengen an CO2 an. Sie bilden die größten der der Methanisierung zur Verfügung gestellt.
Potenziale für die Methanisierung und andere Wird bei der Verbrennung des Methans reiner
Synthesen. Während Kraftwerke durch erneuerba- Sauerstoff verwendet, der bei der Elektrolyse als
re Energien ersetzt werden können, sind z.  B. die Nebenprodukt anfällt, und unter richtigem stö-
Stahl- und Zementindustrie weiterhin auf kosten- chiometrischem Verhältnis verbrannt, ist eine
günstige fossile Energieträger mit hoher Energie- CO2-Abscheidung ohne großen Aufwand möglich,
dichte angewiesen. Diese emittieren zwangsläufig da bei einer solchen Verbrennung nur CO2 und
CO2, falls das Energiesystem nicht auf Wasserstoff Wasser entstehen. Diese theoretische Betrachtung
umgestellt wird, was in absehbarer Zeit flächen- ist in der Praxis nicht trivial umsetzbar (s. [100]).
deckend nicht geschehen wird (s.  7  Abschn. 8.6.6). Wie eine geeignete Einbindung der Ausspeicher-
Zudem gibt es Prozesse, in denen auch unabhän- technik, der Elektrolyse und der Methanisierung
gig von der Energiewende weiterhin CO2 als Ab- in das Stromsystem erfolgen kann, wird detailliert
8 fallprodukt anfällt. Diese CO2-Quellen sind jedoch in 7 Abschn. 8.6.3 gezeigt.
anders als biogenes CO2 nicht dezentral verteilt.
In der Stahlindustrie würden sich mit den heu- zz Stromüberschüsse
tigen CO2-Emissionen 142 TWh Stromüberschüsse Power-to-Gas-Anlagen werden betrieben, wenn
methanisieren lassen. In der Zementindustrie ist die Residuallast negativ ist. Daher nützen die bes-
ein Potenzial von 77 TWh vorhanden. Da der CO2- ten CO2-Quellen nichts, wenn keine Stromüber-
Gehalt der Abgase in beiden Sparten geringer als schüsse im deutschen System vorhanden sind.
beispielsweise bei einer Biogas-Anlage ist, kann zu- Denn aufgrund der Wirkungsgradverluste eines
dem mit einer aufwendigen und damit kosteninten- Power-to-Gas-Speichersystems ist zunächst die
siven Aufbereitung der Abgase gerechnet werden (s. direkte Verwendung des erneuerbaren Stroms
[109]), weshalb eine Einbindung der Power-to-Gas- anzustreben und erst in Überschusszeiten bzw.
Anlage in eine Biogasanlage bevorzugt wird. Netzengpässen sollte Methan produziert werden
Kraftwerke werden nicht als CO2-Quelle be- (s.  7  Abschn. 14.3). Wie, wann und wo Stromüber-
rücksichtigt, da auf kurze Sicht mit CCU kein schüsse entstehen und wie diese gespeichert wer-
»green washing« der CO2-intensiven Kraftwerke den, wird in  7  Kap.  3 ausführlich beschrieben. In
betrieben und auf lange Sicht eine Dekarbonisie- .  Tab.  8.7 sind die prognostizierten Überschüsse
rung des Stromsektors vollzogen werden soll. Fer- für 2020 mit aufgeführt.
ner steigt durch den zusätzlichen Aufwand der Ab- Die Rolle der verschiedenen CO2-Quellen in
gasaufbereitung der Primärenergieverbrauch der den gesamten Power-to-Gas-Speichersystemen
Kraftwerke um 20–44 % (s. [109]). Das heißt, ein wird in  7  Abschn.  8.6.3 ausführlich beschrieben
Teil der CO2-Emissionen, die abgetrennt werden, und kann auf alle anderen Synthesen übertragen
entstehen durch den erhöhten Energieaufwand, werden.
nur weil CO2 abgetrennt werden soll. Dies ist bei
genauerer Betrachtung paradox und hat nur einen
Nettoeffekt, wenn das CO2 über Jahrtausende ge- 8.3.2 Chemische Methanisierung
speichert oder über die stoffliche Nutzung fest ge-
bunden nicht mehr in die Atmosphäre entweicht. Bereits im Jahr 1902 wurden von dem französi-
Ein weiterer Zweig, bei dem 2009 CO2in Höhe schen Chemiker Paul Sabatier erste Ergebnisse zur
von 15,6 Mio. t angefallen ist (s. [109]), ist die che- Entdeckung der katalytischen Umwandlung von
mische Industrie. CO2 bzw. CO und Wasserstoff zu Methan veröf-
. Tab 8.7 CO2-Emissionen in Mio. t und Potenzial an Stromüberschüssen in TWh für Power-to-Gas (100 % maximal möglich, 25 % Berücksichtigung von Zeiten, in denen
CO2-Produktion und Überschüsse sich überschneiden)

2010 2020

CO2 Emissionen Speicherbare Speicherbare CO2 Emissionen Speicherbare Strom- Speicherbare Strom-
in Mio. t Stromüber- Stromüberschüsse in Mio. t überschüsse in TWh überschüsse in TWh
schüsse in TWh in TWh (100 % Zeit- (25 % Zeitüberlap- (100 % Zeitüberlap-
(25 % Zeitüber- überlappung) pung) pung)
lappung)

Stromüberschüsse – 0,1 0,1 – 0,26 0,26

CO2 aus Biogas-Abgasstrom 2400 10 10 3480 14,5 14,5


8.3 • Einspeichertechnologien Methanisierung und chemische Synthesen

CO2 aus Biogasaufbereitung 187 0,775 3,1 1730 7,25 29

Bioethanol 300 1,25 5 1020 4,25 17

Kläranlagen 250 1 4 250 1 4

Stahlindustrie 8400 35,5 142 wie 2010

Zementindustrie 4600 19,3 77


8 339
340 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

fentlicht. Der Wissenschaftler ist somit auch der Concept in den USA diskutiert (s. [18, 65]). Im La-
Namensgeber dieser chemischen Reaktion, dem bormaßstab gab es in Japan in den 1990er-Jahren
Sabatier-Prozess. die ersten Arbeiten und Anlagen zur chemischen
CO2-Methanisierung, da Japan als ressourcenar-
zz Durchbruch der CO-Methanisierung mes und dicht bevölkertes Land an LNG-Kraftwer-
Der industrielle Durchbruch der CO-Methanisie- ken forschte (s. [44, 126]. In Deutschland wurde die
rung gelang während der Ölkrise in den 1970er- CO2-Methanisierung Anfang der 2000er Jahre im
Jahren, als der Ölpreis in sehr kurzer Zeit sprung- Kontext von Brennstoffzellen diskutiert (s. [88]).
haft anstieg. Durch die Kopplung des Erdgaspreises 2006 hatte Michael Specht vom Zentrum für Son-
an den Ölpreis verteuerte sich der Energieträger nenenergie- und Wasserstoffforschung in Stuttgart
Erdgas ebenso drastisch. aufbauend auf Arbeiten zu solarem Methanol und
Der explosionsartige Anstieg der Energiepreise Biomassevergasung die Idee, den Sabatier-Prozess
belastete die Wirtschaft der Industrienationen er- auch in Deutschland zur Energiespeicherung um-
heblich, weshalb es einen großen »Roll-out« der zusetzen (s. [5, 100]).
Kernenergie und die Gründung der Internationa- Jürgen Schmid und Michael Sterner vom Insti-
len Energieagentur (IEA) in Paris gab. tut für Solare Energieversorgungstechnik in Kassel
Ihr Ziel war die Herstellung von künstlichem zeigten 2007 unabhängig davon ein gekoppeltes
Erdgas aus Kohle, auch »Synthetic Natural Gas« Strom- und Gassystem auf, das zusammen mit den
8 (SNG), dt. synthetisches Erdgas, oder »Substitute Arbeiten von Specht die Grundlage für das gemein-
Natural Gas«, dt. Erdgas-Substitut, genannt. Hier- sam entwickelte Power-to-Gas-Konzept wurde und
für kam vor allem Braunkohle zum Einsatz, da der CO2-Methanisierung für die Energiespeiche-
diese im Vergleich zu anderen Energieträgern sehr rung zwischen 2009 und 2011 zum Durchbruch
kostengünstig war und die Industrienationen gro- verhalf (s.  7  Abschn.  8.6.1 und [95, 119]). Weitere
ße heimische Vorkommen besaßen, die den Preis- Arbeiten von Sterner und Schmid machten die Idee
schwankungen von Erdöl und Erdgas nicht unter- der CO2-Methanisierung im Kontext der Energie-
worfen waren (s. [45]). wende bekannt (s. [73, 100, 110]).
Somit wurde im industriellen Maßstab mithil- Heute zählt die CO2-Methanisierung zum we-
fe der CO-Methanisierung künstliches Erdgas aus sentlichen Bestandteil nachhaltiger und umfassen-
Braunkohle erzeugt. Das dabei produzierte Gasge- der Energiesysteme, die die Strom- und Gasnetze
misch hatte einen relativ niedrigen Methangehalt zur Entlastung der Stromnetze koppeln und den
und wurde vor der Einspeisung in das Gasnetz auf- Wärmemarkt und die Mobilität integrieren.
bereitet. Die Anfänge von Power-to-Gas werden weiter-
gehend in 7 Abschn. 8.6.1 beschrieben.
zz Durchbruch der CO2-Methanisierung
In verschiedenen Arbeiten in den 1990er und 8.3.2.1 Grundlagen
2000er-Jahren in Deutschland zeichnete sich in zz Chemische Reaktionen
erneuerbaren Energiesystemen der Zukunft ein In der chemischen Methanisierung laufen zwei re-
hoher Speicherbedarf ab, der entweder über Spei- versible Gleichgewichtsreaktionen ab (s. [57]):
cherwasserkraft in Skandinavien oder Wasserstoff- 55 die Wassergas-Shift-Reaktion und
kavernen gedeckt wurde (s. [97, 113]). 55 die CO-Methanisierung.
Die CO2-Methanisierung wurde trotz ihrer
Entdeckung in Frankreich bereits im Jahr 1902 für Die erste chemische Reaktion ist zum Auftrennen
die Energietechnik erst sehr viel später erforscht, des sehr schwach reaktiven CO2 zuständig und läuft
da analog zur CO-Methanisierung durch die güns- vor der Methanisierungsreaktion selbst ab (Gl. 8.93).
tigen verfügbaren Ressourcen keine Notwendigkeit Prinzipiell ist aber auch eine direkte Hydrierung von
dafür bestand. In den 1970er- und 1980er-Jahren CO2 möglich, wenn auch sehr selten (s. [88]),
wurde die chemische Energiespeicherung über
CO2 für Solarenergie im sogenannten SolChem H 2 + CO2 → CO + H 2 O ∆H R0 = 41 kJ /mol.
(8.93)
8.3 • Einspeichertechnologien Methanisierung und chemische Synthesen
341 8
Die zweite chemische Reaktion ist die Hauptreak- die Prozesstemperatur nicht fallen, um die Bildung
tion, in der CO hydriert wird (Gl. 8.94). Die CO- des Katalysatorgifts Nickeltetracarbonyl zu vermei-
Methanisierung stellt sich wie folgt dar: den (s. [54]). In der Praxis werden verschiedene
Reaktoren in Pilot- und Demonstrationsvorha-
 3H 2 + CO → CH 4 + H 2 O ben erprobt. Der derzeit größte bekannte Reaktor
∆H R0 = −206 kJ / mol. (8.94) zur reinen CO2-Hydrierung wird als Zweizonen-
MAN-Reaktor der MW-Klasse bei einem Druck
Als Gesamtreaktion ergibt sich somit für die CO2- von 5–10 bar und Temperaturen im Normalbetrieb
Methanisierung Gl. 8.95: von 200–350 °C betrieben und im Stand-by auf Be-
triebstemperatur gehalten (s. 7 Abschn. 14.3).
 4 H 2 + CO2 → CH 4 + 2 H 2 O
∆H R0 = −165 kJ / mol. (8.95) zz Anforderungen der chemischen
Methanisierung an die CO2-Quelle
Diese Sabatier-Reaktion ist in umgekehrter Rich- Zwei wesentliche Anforderungen stellt die chemi-
tung als Dampfreformierung von Erdgas bekannt sche Methanisierung an die CO2-Quelle: Sie hat
und das häufigste Verfahren zur Gewinnung von einem bestimmten Reinheitsgrad zu entsprechen
Wasserstoff (s.  7  Abschn. 8.1.3.2). Die genauen Me- und den benötigten Gasstrom in Menge und Zeit-
chanismen der Methanisierung von Kohlenoxiden raum zuverlässig zur Verfügung zu stellen.
sind in [88] ausführlich beschrieben. Entscheidend ist vor allem die Reinheit des
Die Gesamtreaktion (Gl. 8.95) ist stark exotherm. CO2-Stromes, da spezielle Bestandteile wie Schwe-
Ein Wärmemanagement, welches die freiwerdende fel degradierend auf den Katalysator auswirken und
Energie zuverlässig abführt, ist daher unerlässlich, ihn über kurz oder lang deaktivieren können.
um die Methanisierungsreaktion in einem günstigen Verschärft wird diese Anforderung durch die
Temperaturbereich zu halten und das Reaktions- Methanisierungsreaktion. Zunächst wird der Vo-
gleichgewicht in Richtung Methan zu verschieben. lumentanteil der Minorkomponenten wie z.  B.
Zur Umgehung der benötigten hohen Reak- Schwefelverbindungen durch die Beimischung von
tionstemperaturen werden Katalysatoren einge- H2 reduziert. Sobald die Reaktion jedoch stattfin-
setzt. Paul Sabatier und Jean-Baptiste Senderens det, wird aus fünf Teilen Eduktgasen, von denen
haben bereits 1902 entdeckt, dass verschiedene ein Teil das verunreinigte CO2 ist, ein Teil Methan
Materialien wie Nickel, Ruthenium, Rhodium, Pla- (Gl. 8.95). Die verbleibenden Minorkomponenten
tin, Eisen und Cobalt die Reaktion beschleunigen. treffen auf weniger Teile Wasserstoff und CO2, wo-
Nickel ist aufgrund der guten Verfügbarkeit, Selek- durch sich die Konzentrationen der Verunreini-
tivität und Aktivität in der Reaktion und des relativ gungen im Verlauf des Gasstromes durch das Kata-
günstigen Preises nach wie vor die erste Wahl für lysatorbett erhöhen, sodass die Grenzwerte für die
diesen Prozess. Allen Katalysatoren ist gleich, dass Katalysatoren überschritten werden können.
sie hochempfindlich gegenüber Gasverunreini- Unter diesem Aspekt eignet sich die Nutzung
gungen durch einige Spurenstoffe sind, besonders des Abgasstromes von Biogasanlagen für Ener-
gegen Schwefel in Verbindungen wie z. B. H2S oder giepflanzen sehr gut, wenn das CO2 mit einer
COS und gegen organischen Schwefel, Chlor und Druckwechselabsorptionsanlage (Pressure Swing
Schwermetalle. Die Folge ist eine Deaktivierung Absorption – PSA) oder einer Aminwäsche abge-
des Katalysators, weshalb in der chemischen Met- trennt wird. Zudem wurde das CO2 unmittelbar
hanisierung hohe Anforderungen an die Gasauf- von den verwendeten Pflanzen aus der Atmosphäre
bereitung gestellt werden (s. [57, 88]). durch die Photosynthese aufgenommen, wodurch
Der Betriebsdruck und die Betriebstemperatur der Kohlenstoffkreislauf geschlossen wird.
können je nach verwendetem Reaktorkonzept va-
riieren. Aus thermodynamischer Sicht sind niedri- zz Abwärmenutzung
ge Temperaturen und hohe Drücke von Vorteil (s. Die Nutzung der entstehenden Prozessabwärme
[57]). Üblich sind Temperaturen von ca. 200–600 °C auf hohem Temperaturniveau kann den Wirkungs-
und ein Druck von ca. 20–80 bar. Unter 200 °C sollte grad, die Wirtschaftlichkeit und die CO2-Bilanz der
342 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

Methanisierung deutlich verbessern. Auch in der Technologie verspricht Wirkungsgradsteigerungen


vorgeschalteten alkalischen oder PEM-Elektroly- um über 20 % (7 Abschn. 8.7).
seeinheit entsteht Abwärme, die für eine Wärme- Die Einspeisung der Abwärme in Fern- bzw.
senke mit niedrigem Temperaturniveau genutzt Nahwärmenetze eignet sich ebenfalls. Zu beachten
werden kann (s.  7  Abschn. 8.2.6). Ein Gesamtwär- ist jedoch, dass die Abnahme der Wärme zeitlich
mekonzept für die niederkalorische Abwärme aus mit dem Anfallen der Abwärme zu koppeln ist. Im
Elektrolyse und die hochkalorische Abwärme der Falle eines intermittierenden Betriebes mit Wind-
Methanisierung ist aus diesen Gesichtspunkten zu und Solarstromüberschüssen ist das eine Heraus-
empfehlen und für jeden Standort auf Synergien zu forderung. Beim durchgängigen Betrieb hat die
überprüfen. Wärmeabnahme ganzjährig und zuverlässig zu er-
Die entstehende Prozessabwärme kann für di- folgen. Dies ist bei einigen Wärmesenken im Som-
verse Anwendungen eingesetzt werden: mer nicht der Fall, was zu einer Störung des Be-
55 Bereitstellung von Dampf bei Ein- triebes der Methanisierungsanlage führen würde.
satz einer Hochtemperatur-Elektrolyse
(s. 7 Abschn. 8.6.4) 8.3.2.2 Reaktorkonzepte
55 interne Prozesswärme (Gasaufbereitung) Die Methanisierung ist im Grunde genommen
55 Stromerzeugung (ORC-Prozess) für interne eine Spezialform der Fischer-Tropsch-Synthese, in
(Elektrolyse, Eigenbedarf) oder externe Ver- der die Wahrscheinlichkeit des Kettenwachstums
8 wendung gegen null geht. Daher sind auch die Reaktorkon-
55 Integration Wärmesenke (Fernwärmenetz, zepte sehr ähnlich zur Fischer-Tropsch-Synthese
Nahwärmenetz). (s. 7 Abschn. 8.3.5.2).

Am naheliegendsten ist die Deckung des internen zz Ableitung der Abwärme – Vermeidung von
Wärmebedarfs der Gesamtanlage. Energie in Form Hotspots
von Wärme wird für die unterschiedlichsten tech- Bei der chemischen Methanisierung wird viel Ener-
nischen und chemischen Prozesse benötigt. Ein gie in Form von Wärme frei. Diese Wärme ist bei
Beispiel ist die Aufbereitung der Edukt- und Pro- allen Reaktorkonzepten mit einem hohen Maß an
duktgase, welche im besten Fall synchron erfolgt: Zuverlässigkeit abzuführen, da ansonsten die Ge-
Während Abwärme in der Methanisierung anfällt, fahr der Hotspot-Bildung im Reaktor besteht.
kann damit die mit CO2 beladene Waschflüssigkeit
der Aminwäsche regeneriert werden. Auch hier Definition
können Wärmespeicher zur zeitlichen Pufferung Ein Hotspot ist eine lokale punktuelle Über-
der Abwärme zum Einsatz kommen. Dies ist nur hitzung des Katalysators innerhalb eines
ein Beispiel von vielen. Bei Biogasanlagen besteht (thermo)chemischen Reaktors.
die Möglichkeit, die Wärme für die Heizung der
Fermenter oder für die Hygienisierung von Ab- Infolge einer Überhitzung wird das Gleichgewicht
fällen bzw. das Prozessieren anderer Substrate zu der Reaktion in Richtung Eduktgas verschoben
nutzen. und der Katalysator kann deaktiviert oder sogar
Die anfallende Abwärme hätte jedoch auch das dauerhaft beschädigt werden. Das Betriebsverhal-
notwendige Temperaturniveau, um eine Umwand- ten wird in beiden Fällen nachhaltig gestört.
lung in Strom zu ermöglichen. Theoretisch kom-
men dafür ein herkömmliches Dampfturbinen- zz Flexibler Betrieb
system oder ein ORC- bzw. Kalina-Prozess infrage. Ein weiteres Kriterium, welches die vorhandenen
Ein weiterer großer Effizienzgewinn wird durch die Reaktorkonzepte zu erfüllen haben, ist die Mög-
Verdampfung des Speisewassers und den Einsatz lichkeit der flexiblen Betriebsweise. Die Methani-
des Dampfes in einer Hochtemperatur-Elektroly- sierungsanlage wird zukünftig in einer Power-to-
se realisiert, wie dies in Power-to-Liquid-Anlagen Gas-Anlage für die Aufnahme und den Ausgleich
geschieht. Diese erst im Labormaßstab umgesetzte von Fluktuationen im Stromnetz durch Wind- und
8.3 • Einspeichertechnologien Methanisierung und chemische Synthesen
343 8
Solaranlagen eingesetzt. Daher sind eine dynami- 55 Festbettreaktor (Praxisanwendung und For-
sche Fahrweise des Reaktors und der Betrieb bei schung)
unterschiedlichen Lastpunkten erforderlich. 55 Dreiphasenreaktor (Forschung).
Um eine gleichmäßige Temperierung des Reak-
tors zu gewährleisten, werden z. B. Salzschmelzen zz Festbettreaktor
und Wasserdampf zur Wärmeabfuhr eingesetzt. Das etablierteste Reaktorkonzept ist der Festbett-
Zudem sind die Wärmeverluste durch Konvektion reaktor. Der Prozess kann einstufig oder mehrstufig
und Strahlung bei Stand-by-Zeiten zu decken. Dies ausgeführt werden. Nur über einen mehrstufigen
erfolgt in Versuchsanlagen über eine elektrische Prozess bzw. eine dem einstufigen Prozess ange-
Begleitheizung und eine ausreichend dicke Isola- schlossene Gasaufbereitung wird die gewünschte
tion des Reaktors. Zudem ist die Masse des Kata- Gasqualität nach DVGW G 260 erreicht (s. [20]).
lysatorbettes ein Kriterium für die Anfahrzeit. Der Katalysator wird zwischen Rohren oder Platten
Ein weiterer Punkt, der eine gewisse Trägheit in eingeschüttet.
das System bringt, ist das Vor- und Nachspülen des Der konstruktive Aufbau von Reaktoren ist so
Reaktors beim An- und Abfahren. Damit der Reak- vielfältig wie das eingesetzte thermische Manage-
tor aus einem für den Katalysator sicheren Betrieb ment. Das Eduktgas strömt am Katalysator vorbei
angefahren werden kann, ist er vor der Benutzung und wird zum Produktgas gewandelt. Die entste-
mit Wasserstoff vorzuspülen. Ebenso dürfen nach hende Wärme wird durch ein Kühlmedium im
seiner Nutzung keine schädlichen Restgase im Re- Rohr oder in der Platte abgeführt (s. . Abb. 8.27)
aktor verbleiben, damit der Katalysator nicht ge- Die Standardausführung des Festbettreaktors ist
schädigt wird. Für diesen Zweck wird der Reaktor der Rohrbündelreaktor, welcher in 7 Abschn. 8.3.5.2
im Stand-by ebenfalls mit Wasserstoff befüllt bzw. beschrieben ist. Ein heute kommerziell verfügba-
unter Inertatmosphäre gehalten. Diese internen res Verfahren ist das sogenannte TREMP-Verfah-
Betriebszeiten legen gewisse An- und Abfahrgra- ren der Firma Haldor Topsoe (Topsoe’s Recycle
dienten (auch »Rampen«) fest, die einen flexiblen Methanation Process), welches aus drei adiabaten
Betrieb im Takt von Wind und Sonne zur Heraus- Festbettreaktoren besteht (s. . Abb. 8.28). In jedem
forderung machen. Reaktor wird nur ein Teil des Eduktgases umge-
setzt. Die Temperaturen in den Reaktoren vari-
zz Verfahren zur chemischen Methanisierung ieren zwischen 250 und 700 °C und nehmen bei
von CO2 in Anwendung und Forschung Drücken von bis zu 30 bar von Reaktor zu Reaktor
Für die Umsetzung der chemischen Methanisie- ab (s. .  Tab.  8.8). Zur Begrenzung von Hotspots
rung sind verschiedene Reaktorkonzepte vorhan- wird im ersten Reaktor ein Teil des Gasgemischs
den. Sie werden ausführlich im Unterkapitel zur recycelt. Nach allen drei Reaktoren wird Reaktions-
Fischer-Tropsch-Synthese in  7  Abschn.  8.3.5.2 be- wärme ausgekoppelt, vorwiegend zur Hochdruck-
schrieben. Das Wirbelschichtverfahren eignet sich dampferzeugung (s. [57, 81].
rein theoretisch aufgrund der homogenen Tem- Die Stabilität des Katalysators wurde im sta-
peraturverteilung voraussichtlich nicht für den tionären Betrieb für die CO-Methanisierung über
zweistufigen Prozess der CO2-Methanisierung, in Langzeittests von mehr als 8000  h nachgewiesen.
dem unterschiedliche Temperaturen für die CO2- Der Stabilitätsnachweis des Katalysators in der
Spaltung und die CO-Methanisierung vorteilhaft CO2-Methanisierung bei durch Wind- und Solar-
sind. Praktische Nachweise sind zu diesem Zeit- strom bedingtem stark schwankendem Betrieb
punkt nicht bekannt. über lange Zeiträume ist noch zu erbringen.
Die real eingesetzten und im Labor erprobten Der TREMP-Prozess bietet einige wesentliche
Konzepte unterscheiden sich zum Teil erheblich Vorteile:
in Bezug auf den aktuellen Entwicklungsstand, die 55 mögliche Rückgewinnung von überhitztem,
Form des Katalysators sowie die grundsätzliche unter hohem Druck stehendem Dampf, der
Konzeption. Im Folgenden wird auf zwei Reaktor- direkt in der Dampfturbine verwendet werden
konzepte eingegangen: kann
344 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

Synthese-
Synthese- gas
gas
Synthese-
gas

Wasser-
dampf

Rohrbündel

Katalysator-
pellets

Wasser-
eintritt

Wand
Produkte

Produkte
Produkte

. Abb. 8.27  Schema eines Reaktors und Detail einer Katalysatorschüttung in einem Rohrbündelreaktor, nach [80]

8 Synthesegas Reaktor 1 Reaktor 2 Reaktor 3

Dampf- Dampf- Speisewasser-


überhitzer erzeuger vorwärmer
Recyclegas- SNG
Kühler Dampf-
erzeuger

Recyclegas- Wärmeübertrager
gebläse Niedertemperatur-
rückgewinnung Kondensat

. Abb. 8.28  Schematischer Aufbau eines TREMP-Prozesses von Haldor Topsoe, Schweden, nach [57, 81]

55 Energieeinsparungen durch eine niedrige Re- Weitere nennenswerte und teilweise kommerzielle
cyclingquote, d. h., pro Zyklus wird der Groß- Methanisierungsverfahren sind der Lurgi-Prozess,
teil des Synthesegases umgesetzt, welches sonst der Linde-Prozess, der RMP-Prozess, die Entwick-
unter Energieverlust wieder in den Kreislauf lungen von MAN und das HICOM-Verfahren der
eingeführt werden müsste Firma Davy, die alle im Wesentlichen Rohrbündel-
55 stabiles und hohes Reaktionsvermögen in reaktoren sind (s. [57]). Diese haben den Vorteil,
einem breiten Temperaturbereich (250– dass der Druck und dadurch der Volumenstrom
700 °C) aufgrund eines Mix verschiedener in jedem Rohr einzeln oder in Rohrbündeln zu-
Katalysatoren. sammen gesteuert werden kann und damit die Re-
8.3 • Einspeichertechnologien Methanisierung und chemische Synthesen
345 8

. Tab. 8.8  Betriebsparameter eines CO-Methanisierungsreaktors nach dem TREMP-Prozess von Haldor Topsoe,
Schweden im März 1979 (ADAM I), nach [57]

Eduktgas Reaktor 1 Reaktor 1 Reaktor 2 Reaktor 3 Aus- SNG


Eingang Ausgang Ausgang gang

Temperatur in °C 300 604 451 303 23

Druck in bar 27,3 27,2 27,1 27,05 27,0 27,0

Gas in m3/h 535 1416 1255 348 334 119

Gaszusammensetzung

H2 65,45 36,88 20,96 8,10 1,77 3,11

CO 9,84 4,28 1,17 0 0 0

CO2 8,96 6,13 4,46 2,07 0,95 1,67

CH4 11,30 28,12 37,44 44,36 47,28 82,95

N 2O – 19,19 29,82 38,84 43,06 0,10

N2 4,4 5,41 6,15 6,64 6,93 12,16

aktion gleichmäßig abläuft. Die Herausforderung zz Dreiphasen-Reaktor


liegt auch hier im Wärmemanagement und dem Bereits in den 1970er-Jahren wurde der Dreipha-
Vermeiden von Hotspots und Wärmenestern. sen-Reaktor erprobt (s. [57]). Die Technologie
Daneben gibt es in der Forschung auch Platten- wurde Anfang der 2010er-Jahre von der DVGW-
reaktoren, in denen der Katalysator als feste Schüt- Forschungsstelle am Engler-Bunte-Institut (EBI)
tung zwischen den Platten vorliegt. Diese sollen ein des Karlsruher Instituts für Technologie wieder
besseres Wärmeverhalten als Rohrbündelreaktoren aufgegriffen. Dieses Reaktorkonzept befindet sich
aufzeigen, was in der Langzeitstabilität noch zu im Vergleich zum Rohrbündelreaktor noch rein in
beweisen ist. Obwohl zum Festbettreaktor bereits der Forschung und Entwicklung.
seit mehr als einem Jahrhundert praktische Erfah- Im Reaktor sind alle drei Phasenzustände:
rungen vorliegen, gibt es zum Verhalten von Rohr- fest (Katalysator), flüssig (Reaktorflüssigkeit)
bündel- und Plattenreaktoren noch folgende offene und gasförmig (Wasserstoff und CO2) vorhanden
Forschungsfragen, zu denen an verschiedenen Ins- (s. .  Abb.  8.29). Die von unten einströmenden
tituten wie dem ZSW Stuttgart, dem Engler-Bunte- Eduktgase steigen blasenförmig durch die Flüssig-
Institut Karlsruhe, den Max-Planck-Instituten, der keit nach oben, wodurch der pulverförmige Kataly-
TU München und der FAU Nürnberg-Erlangen ge- sator in Suspension gehalten wird. Eine Suspension
forscht wird: ist eine sehr feine Verteilung von kleinen Teilchen
55 Reaktionsverhalten eines festen Stoffes in einer Flüssigkeit, sodass sie
55 wechselnder Betrieb von Grund-, Teil- und darin schweben. Auf ihrem Weg lösen sich Wasser-
Spitzenlast stoff und CO2 in der Suspension auf und reagieren
55 An- und Abfahrvorgänge mit den in der Flüssigkeit befindlichen Katalysator-
55 Stabilität des Prozesses und der Katalysatoren partikeln. Die Flüssigkeit selbst nimmt nicht an der
55 Reaktordesign und konstruktiver Aufbau zur Reaktion teil und dient lediglich zur Wärmeabfuhr.
optimalen Durchströmung des Katalysatorbetts. Da die Katalysatorpartikel direkt in der Flüssigkeit
sind, wird die Gefahr einer Hotspot-Bildung ver-
Die wesentlichen Grundlagen und Kenngrößen zur mieden. Die Reaktion findet bei 300 °C und 20 bar
Reaktorauslegung sind in [47] zu finden. statt (s. [42]).
Die Methanisierung auf Basis eines Dreipha-
sen-Reaktors bietet daher deutliche Vorteile im
346 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

CH4 (SNG) Methangehalt von ca. 95 % im Produktgas erreicht


werden kann. Um den Methangehalt im Nachgang
zu steigern und um das Produktgas als Austausch-
gas für Erdgas nach DVGW G 260 zu qualifizieren,
Siedewasser Dampf
wird die Nachschaltung eines Membranverfahrens
notwendig (s. [127]).
Alternativ kann die biologische Methanisie-
Gasblasen
rung anstatt der chemischen Methanisierung ver-
wendet werden, die wie folgt beschrieben im Re-
Flüssigkeit + aktor selbst bei geringen Durchsatzraten auf höhere
Katalysator Methangehalte kommt.

H2 8.3.3 Biologische Methanisierung


CO2

. Abb. 8.29  Dreiphasen-Reaktor zur Methanisierung des Bei der biologischen Methanisierung handelt es
DVGW Engler-Bunte-Instituts in Karlsruhe sich um die sogenannte »Methanogenese«. Sie
wurde erstmals im 16. Jahrhundert erwähnt, als der
8 italienische Physiker Alessandro Volta Versuche zu
Bereich der Wärmeabfuhr und -kontrolle und der Entflammbarkeit von Sumpfgas durchführte.
kann flexibel für einen dynamischen Betrieb ge- Das entstehende Gas bezeichnete er als »brennende
handhabt werden. Aufgrund des hohen Flüssig- Luft« (s. [6, 72]).
keitsanteils besitzt diese Reaktorart eine hohe
Masse, wodurch kurze Betriebsunterbrechungen zz Einordnung der Methanogenese in der
gepuffert und die Temperatur kurzzeitig auf dem Biologie
notwendigen Niveau gehalten werden kann. Eine Die biologische Methanisierung beruht analog zur
externe Wärmezufuhr ist zudem auf einfache chemischen Methanisierung auf der Umsetzung
Weise möglich. Diesen Vorteilen stehen gewisse von Wasserstoff und CO2 zu Methan. Dies erfolgt
Nachteile gegenüber: Eine Herausforderung ist die allerdings durch Organismen aus der Domäne der
Temperaturbeständigkeit der Flüssigkeit und das Archaea, welche vormals auch als Archaeabakteri-
Upscaling der Technologie vom Labormaßstab in en oder »Urbakterien« bezeichnet wurden. Sie zäh-
den industriellen Maßstab. Darüber hinaus ist das len zu den ältesten Lebewesen der Erde.
Anfahren des Reaktors aus dem Kaltstart relativ Das Reich der Archaea existiert als erste Le-
energieintensiv. bensdomäne seit 3–4  Mrd. Jahren. Es wurde in
seiner heutigen Form Ende der 1970er Jahre von
zz Betriebsmodus und Umsetzungsraten Carl Woese durch Sequenzanalyse der Ribonukle-
Alle Reaktoren können entweder im »Once- insäure 16SrRNA entdeckt. Dieses Molekül erfüllt
through«- oder im »Full-Conversion«-Modus be- in Zellen lebenswichtige Funktionen (s. [106]).
trieben werden. Im »Once-through«-Betrieb wird Aufgrund dieser Entdeckung wurden die ur-
das Synthesegas einmalig durch den Reaktor geführt sprünglich fünf biologischen Domänen, welche
und möglichst vollständig umgesetzt. Restgase wer- sich in Tiere, Pflanzen, Protisten, Pilze und Bak-
den thermisch verwertet oder im Prozess integriert. terien aufgliederten, auf drei Domänen reduziert:
Im »Full-Conversion«-Betrieb werden Restgase 55 Bacteria
aufbereitet und dem Reaktor erneut zugeführt, um 55 Archaea
möglichst maximale Umsetzungsraten zu erzielen. 55 Eukarya.
Die chemische Methanisierung hat – unab-
hängig vom Reaktorkonzept – den Nachteil, dass Die Archaea selbst lassen sich in die drei Hauptäste
nach heutigem Stand im Dauerbetrieb maximal ein Euryarchaeota, Crenarchaeota sowie Korarcheaota
8.3 • Einspeichertechnologien Methanisierung und chemische Synthesen
347 8
unterteilen. Für die biologische Methanisierung re- 8.3.3.1 Grundlagen
levant sind hierbei vor allem die Euryarchaeota, zu Die biologische Methanisierung nutzt ebenso wie
denen die Gruppe der Methanogene zählt. die chemische Methanisierung Katalysatoren. Der
Unterschied liegt darin, dass diese in Enzymen ver-
zz Vorkommen in der Natur packt sind und Bakterien als organische Lebewesen
Die Archaea entstanden zu Zeiten, als in der At- die Reaktionen leiten.
mosphäre noch kein Sauerstoff vorhanden war.
Sie nutzen Wasserstoff und CO2, um Methan zu zz Vor- und Nachteile gegenüber der
produzieren, was ein essenzieller Bestandteil des chemischen Methanisierung
Stoffwechsels ist. Allerdings sind sie generell anae- 55 Dieser von der Natur adaptierte Umwand-
rob, also nicht mit Sauerstoff verträglich, weshalb lungsprozess bietet gegenüber der chemischen
sie sich durch das Entstehen von Sauerstoff in der 55 Methanisierung verschiedene Vorteile (s. [79]):
Atmosphäre im Laufe der Zeit an Orte ohne Sauer- 55 ein Methananteil von mehr als 98 % ist bei ge-
stoff zurückzogen. ringer Reaktorbelastung (geringem Gasdurch-
Ihr natürlicher Lebensraum liegt in der Tief- satz) in einem einzigen Wandlungsschritt ohne
see, nahe sogenannten »schwarzen Rauchern«. Gasaufbereitung erreichbar
Schwarze Raucher sind hydrothermale Quellen 55 niedrige Prozesstemperaturen bei ca. 40–60 °C
am Meeresgrund in Wassertiefen von etwa 2000– vs. 200–600 °C
4000  m. In dieser Tiefe herrschen Wasserdrücke 55 niedrige Prozessdrücke bei ca. 1–3 bar vs.
von ca. 200–400 bar. Durch das heiße Wasser aus 5–80 bar
den schwarzen Rauchern weist der Ozean in ihrer 55 geringer Anspruch an die Reinheit der Edukt-
direkten Umgebung eine Temperatur um 350 °C gase Kohlendioxid und Wasserstoff
auf. Da mit dem Thermalwasser große Mengen an 55 schnelle und flexible Lastwechsel ohne Vor-
Gasen und Mineralien wie etwa Schwefelverbin- oder Nachspülen mit Stickstoff möglich
dungen ins Meer gelangen, liegt in der Nähe von 55 kleine Anlagen in dezentralen Konzepten im
schwarzen Rauchern ein pH-Wert zwischen 4 und kW-Maßstab technisch sinnvoll umsetzbar.
8 vor. Diese unwirtlichen Umgebungsbedingungen
fordern sehr widerstandsfähige Mikroorganismen. Dem stehen verschiedene Nachteile gegenüber, die
Die Methanogenese funktioniert über die Archaea- überwiegend damit begründet sind, dass es sich
Bakterien in dieser Umgebung und verdeutlicht bei den Bakterienstämmen um Lebewesen handelt,
die Robustheit der Bakterien, die technisch bei der welche entstehen, konsumieren, ausscheiden und
Methanisierung von Vorteil ist (s. [58]). Archaea absterben:
sind auch in anderen Habitaten zu finden wie am 55 konstante Fütterung der Bakterien notwendig
Boden von Vulkanen, in Kläranlagen, in Böden (ähnlich zu Düngemitteln)
oder in Verdauungstrakten von Wiederkäuern. 55 Abwasserrecycling und ggf. -aufbereitung
Die Flexibilität, die die Biologie hier als Überle- notwendig
bensstrategie gebildet hat, kommt der technischen 55 schlechte Löslichkeit von Wasserstoff in Was-
Nutzung für die Energiespeicherung entgegen: So- serlösungen bzw. Energieaufwand für Gasein-
bald es keinen Wasserstoff und kein CO2 mehr gibt, tragung (ca. 1 % des Produktgases als elektrische
gehen die Bakterienstämme in »Winterschlaf« und Energie: z. B. 2 kWh pro m3 Reaktorvolumen
werden erst dann wieder aktiv, wenn die Eduktgase bei 200 kWh Methangas pro Stunde)
vorhanden sind. Dieser Prozess läuft in der biolo- 55 Upscaling für große Anlagenmaßstäbe nicht so
gischen Methanisierung anders als in der chemi- einfach wie bei der chemischen Methanisie-
schen Methanisierung ohne Druck und ist ein Phä- rung, die höhere Raum-Zeit-Ausbeuten erzielt
nomen der fehlenden Energiespeichermöglichkeit als die biologische Methanisierung, welche aus
der Bakterien (s. [58, 59]). heutiger Sicht im einstelligen MW-Bereich an
ihre Dimensionierungsgrenze stößt, die nur
durch einen modularen Aufbau überwunden
werden kann.
348 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

CO2 An jedem der in .  Abb. 8.30 dargestellten vier


2 reduzierenden Prozessschritte ist eine Hydrogenase
1
2 [H] beteiligt. Dies bedeutet, dass hier in jedem Schritt
H
Wasserstoff als Elektronendonor fungiert. Diesen
O Prozess begleiten unterschiedliche Cofaktoren, die
MFR N C
H verschiedene Aufgaben besitzen und sich wie folgt
3
unterteilen lassen:
55 C1–carrier: z. B. Methanofuran (MFR), Tetra-
O
H4MPT N C hydromethanopterin (H4MPT)
R
H 55 Elektronendonatoren: z. B. Coenzym B (CoB),
2 [H] F420
4 55 Katalysator: z. B. F430.
2 [H]

H4MPT N CH3 Die C1-carrier sind dabei die Cofaktoren, an wel-


R che der Kohlenstoff (C) aus dem CO2 im Laufe des
Methyl-
Prozesses gebunden wird. Die Bezeichnung Elekt-
transferase
ronendonator beschreibt Teilchen wie etwa F420,
CoM S CH3
welche in der Lage sind Elektronen abzugeben. Der
Methyl-
8 Coenzym M- Faktor F430 hingegen besitzt eine rein katalysieren-
Reductase de Funktion.
CoB SH Der erste Schritt der Methanogenese besteht
CH4
aus der MFR-Dehydrogenase, bei welcher CO2 an
CoM S S CoB Methanofuran (MFR) gebunden wird und dessen
2 [H] Reduktion zur Formylgruppe. Diese wird auf Te-
trahydromethanopterin (H4MPT) übertragen und
CoB SH
anschließend durch F420 in zwei weiteren Schrit-
CoM SH
ten zur Methylgruppe reduziert. Die Übertragung
. Abb. 8.30  Methanogenese aus CO2, nach [70]. Folgende jener Gruppe von H4MPT auf CoM-S-CH3 wird
Farbgebung und einzelne Prozessschritte sind darin ent- mittels Methyltransferase durchgeführt. Über die
halten. Schwarze Pfeile: von löslichen Enzymen katalysierte Methyl-Coenzym-M-Reductase wird die Methyl-
Reaktionen. Blaue Pfeile: von membranständigen Enzy- gruppe schließlich zu Methan reduziert.
men, welche den Teilchentransport von der einen Seite
Als Nebenprodukt fällt hierbei CoM-S-S-CoB
der Zellmembran zur anderen unterstützen, katalysierte
Reaktionen. 1 MFR-Dehydrogenase (Enzym, welches sein an, welches über Hydrogenase zu den Coenzymen
Substrat oxidiert. Dies geschieht über die Katalyse eines M und B umgewandelt werden kann. Diese können
Protonenübertrags auf einen Akzeptor.). 2 Hydrogenase anschließend im Kreislauf der Methanogenese wie-
(s. 7 Abschn. 8.1.3.3). 3 Formyltransferase (Enzym, welches derverwendet werden (s. [9, 21, 70]).
die Übertragung einer Methyl-Gruppe von einem Donator
Von Michael Hermann Bott und Rudolf Kurt
zu einem Akzeptor katalysiert). 4 Elektronendonor bzw.
Elektronendonator Thauer wurden Umsetzungsgeschwindigkeiten
für einzelne Methanogene in Batch-Versuchen be-
stimmt (s. [12]). Bei diesen Versuchen wurde jeweils
zz Biologische Reaktionen nur ein einzelner Bakterienstamm, eine sogenannte
Grundsätzlich findet eine Reduktion von CO2 unter Reinkultur, eingesetzt. Für die Versuchsdurchfüh-
Einbindung von mehreren H2-Molekülen über eine rung wurde einmalig Gas in idealer Mischung in
Formiatstufe (Salze), des Formaldehyds sowie des Druckbehältern eingeleitet. Über die Druckabnah-
Methanols zu CH4 statt. me wurde im Anschluss daran die Methanbildung
Die Funktionsweise des Prozesses der Metha- verfolgt (s. .  Tab.  8.9). Es zeigten sich deutliche
nogenese wird anhand . Abb. 8.30 erläutert. Unterschiede in den Bildungsraten je Reinkultur.
8.3 • Einspeichertechnologien Methanisierung und chemische Synthesen
349 8

. Tab. 8.9  Methanbildungsraten unterschiedlicher Bakterienstämme (Reinkulturen). (Quelle: [85])

Stamm Wachstums- Rate der Rate der Rate der Rate der Rate der
dichte [mg CH4-Bildung CH4-Bildung CH4-Bildung CH4-Bildung CH4-Bildung
Protein/l] [nmol/ [μmol/ [mg/(min*l [ml/(min*l [l/(Tag*l
(min*mg (min*l (Kul- (Kultur))] (Kultur))] (Kultur))]
Protein)] tur))]

Methano-bacte- 500 6000 3000 48 66 96


rium thermoau-
to-trophicum

Methano- 500 840 420 6,7 9,0 13,4


brevibacter
aboriphilus

Methano-spiril- 180 220 40 0,64 0,8 1,27


lum hungatei

Methano-sarci- 170 150 26 0,41 0,6 0,82


na barkeri

Die ermittelten Bildungsraten von bis zu 96  l 55 0,6 % CO2


Methan pro l Reinkultur und Tag belegen den effek- 55 0,5 % H2.
tiven Stoffumsatz, entsprechend einer spezifischen
Dauerleistung von ca. 40  kW/m³ Fermentervolu- Technikumsmaßstab mit einem Reaktorvolumen
men (s. [85]). von 1 m3:
In anderen Verfahren werden auch Methanbil- 55 98 % CH4
dungsraten von bis zu 540 l pro Tag und l Kultur er- 55 2 % CO2
reicht, was einer thermischen Leistung von 250 kW 55 < 0,1 % H2.
pro m3 entspricht (s. [58]).
Die vom DVGW spezifizierte Gasqualität für Aus-
zz Gasreinheit und Gasqualität tauschgase kann damit bei geringer Raumbelastung
Das Eduktgas CO2 kann aus den in 7 Kap. 8.3.1 ge- bzw. geringer Reaktorauslastung durch die biologi-
nannten Quellen gewonnen werden. Im Gegensatz sche Methanisierung ohne zusätzliche Gaskonditio-
zur chemischen Methanisierung ist jedoch weder nierung oder -aufbereitung erreicht werden (s. [20]).
eine Aufbereitung des CO2 noch des von einem Die biologische Methanisierung ist eine viel-
Elektrolyten erzeugten Wasserstoffes notwendig, versprechende Technologie. Die Herausforderung
da die meisten der enthaltenen Zusatzstoffe für das liegt in der Einbringung der Gase (vor allem Was-
Bakterienwachstum förderliche Mineralien liefern serstoff), der dafür notwendigen Energie und dem
(s. [46, 79]). Upscaling der Technologie und wird vorwiegend
Bei einem entsprechenden Anlagenaufbau durch die Raum-Zeit-Ausbeute limitiert. Je höher
kann mithilfe der Organismen ein Produktgas ge- die Methanbildungsrate ist gegenüber dem Ergeb-
neriert werden, welches einen Methananteil von nis der Raum-Zeit-Ausbeute und dem damit ver-
etwa 97  Vol.-% aufweist. Rund 1  Vol.-% verbleibt bundenen Energieaufwand in Rühreintrag und
als Wasserstoff und ca. 0,5 Vol.-% als CO2 im Pro- Prozessengineering, desto effizienter und wirt-
duktgas (s. .  Abb.  8.31). Auch in anderen Versu- schaftlicher kann die Anlage betrieben werden.
chen wurde aus einem Eduktgas von 80 % Wasser-
stoff und 20 % CO2 folgende Produktgasqualität in 8.3.3.2 Reaktorkonzepte
einem Schritt erreicht (s. [79]): Derzeit existieren zwei gängige Verfahren zur Um-
Laborversuche: setzung der biologischen Methanisierung: Reakto-
55 98,9 % CH4 ren mit Reinkulturen und mit Mischkulturen.
350 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

200 20 100 8 100

80 80
150 15 6
MER in mMol / lh

60 60

H2 in Nl / min
CO2 in Vol %

CH4 in Vol %

H2 in Vol %
100 10 4

40 40

50 5 2
20 20

0 0 0 0 0
30 32 34 36 38 40 42 44 46
Zeit in h

. Abb. 8.31  Gasqualität der biologischen Methanisierung bei konstanter Wasserstoff- und CO2-Zugabe in einem 10-Liter-
Reaktor mit Reinkulturen in Linz. (Quelle: [58])

8
zz Reaktor mit Reinkulturen Das Produkt sammelt sich im Kopfraum des
Dieses Reaktorkonzept beruht auf der Zufuhr von Reaktors und verlässt diesen kontinuierlich durch
Wasserstoff und Kohlendioxid in einen eigenständi- die Abgasleitung in der Deckelplatte. Neben den
gen Methanisierungsreaktor unter kontinuierlichen gasförmigen Substraten H2 und CO2 benötigen die
Prozessbedingungen. In diesem Reaktor sind ther- eingesetzten Mikroorganismen noch eine geringe
mophile (dt. »wärmeliebende«) Archaea in Rein- Anzahl an weiteren Elementen (N, S, P, Spurenele-
kultur enthalten, die als Biokatalysator fungieren. mente), die in Form von wässrigen Salzlösungen
Neben den Eduktgasen Wasserstoff und CO2 kontinuierlich dem Fermenter zugeführt werden.
werden lediglich einige in Wasser gelöste Minera- Diese kontinuierliche Flüssigkeitszufuhr sowie das
lien für das Wachstum der Organismen benötigt durch die Methanbildung entstehende Wasser be-
und kontinuierlich zugeführt (s. [46]). dingen auch die Notwendigkeit, kontinuierlich Fer-
Verschiedene Unternehmen entwickeln der- mentationsflüssigkeit aus dem Reaktor abzuführen,
zeit die biologische Methanisierung. Ein Pionier um das Volumen konstant zu halten. Dies führt zu
auf diesem Gebiet ist die Krajete GmbH, die seit einer kontinuierlichen Betriebsweise, in der sich
2007 daran arbeitet. Kernstück des Prozesses ist ein ein Reaktionsgleichgewicht einstellt. Damit sind
speziell entworfener Rührkesselreaktor. In diesem die Umsatzraten und Konzentrationen aller Stoffe
liegen in wässriger Lösung die eingesetzten Mik- keiner zeitlichen Änderung unterworfen. Das trifft
roorganismen (Monokultur) vor, welche die Reak- auch auf die lebende Biomasse zu, da diese ständig
tion katalysieren. Im Rührkessel findet somit durch neu generiert wird.
den kontinuierlichen Eintrag von H2 und CO2 die Die Bandbreite, in welcher der thermophile
Methanbildung statt. Die Eduktgase werden hier- Stamm der Mikroorganismen für die Produktion
für am Boden des Reaktors mithilfe eines Rührers ausreichend aktiv ist, liegt dabei im Temperaturbe-
– ähnlich wie beim Slurry-Reaktor der Fischer- reich von ca. 45–70 °C. Das pH-Optimum liegt bei
Tropsch-Synthese – in die Fermentationsflüssigkeit einem pH-Wert von 7,0 wobei in Laborversuchen
(Flüssigkeit und Biomasse) eingetragen und über auch ein pH-Bereich von 5,0 bis 8,0 toleriert wurde
den Weg durch den Reaktor in Methan umgewan- (s. [58]).
delt (s. [59]).
8.3 • Einspeichertechnologien Methanisierung und chemische Synthesen
351 8

13 14 15
I. Gase CH4
Trennmodule
(optional)
H2 CO2

10
II. Flüssigkeiten Trennmodul
6 Pumpe »Slurry«
A 11 Biomasse
(Wasser, Biomasse)
7 III. Feststoffe
B

8
C
12 Trennmodul
2 9
D
3 1
Pumpen Abwasser
Biodruckreaktor
Behälter
4
5

. Abb. 8.32  Anlagenschema des Reaktorkonzepts mit Reinkulturen. 10-l-Reaktor in Linz. Blockdiagramm des Bioreaktors
im Produktionsmaßstab (1) mit Anlagenperipherie. Über die Module I und II werden Gase und Flüssigkeiten zugegeben.
Modul III dient der Abtrennung und Aufarbeitung der Suspension. In Komponente 11 erfolgt die Abtrennung der Biomasse,
Komponente 12 (als optional zu sehen) macht das Suspensionswasser, falls erforderlich, abwassertauglich. 13 und 14 symbo-
lisieren Wasserabscheider und einen H2S-Wäscher, um Restfeuchte und Rest-H2S zu entfernen, die Komponente 15 zeigt eine
Feinreinigung mittels Molsieb. (Quelle: [58])

Die erreichten Methanbildungsraten liegen tät der Bakterien, wobei die Langzeitstabilität des
bei max. 1  Mol Methan pro Liter Fermentations- Prozesses noch in Langzeittests und in größeren
volumen und Stunde, was 22,41 m3 pro Stunde und Maßstäben zu erbringen ist.
Kubikmeter Reaktorvolumen entspricht. Der Was- Neben Methan werden auch noch Wasser und
serstoff wird unter günstigen Bedingungen zu über Biomasse gebildet. Circa 2 % des über CO2 bereit-
99 % umgesetzt. Dies entspricht bei reinen Edukt- gestellten Kohlenstoffes gehen in Biomasse über.
gasströmen einer trockenen Rohgaszusammen- Biomasse und generiertes Wasser sind kontinuier-
setzung von mindestens 96 Vol.-% CH4, maximal lich aus dem Prozess zu entfernen, weshalb als Ab-
3 Vol.-% H2 und 1 Vol.-% CO2. fallstrom biomassehaltiges Abwasser anfällt. Prin-
Der biologische Katalysator toleriert Neben- zipiell kann dieses Abwasser auch als Substrat in
komponenten, wodurch eine direkte Methanisie- Biogasanlagen bzw. Düngemitteln verwendet oder
rung von Rohbiogas, aufbereitetes Biogas, Auto- nach einer Aufreinigung über das Abwassersystem
mobilabgase und Koksgas prinzipiell möglich ist. in Kläranlagen entsorgt werden. Die Aufbereitung
Unter optimalen Bedingungen kann der Reaktor umfasst eine Abtrennung der Biomasse zur Kom-
innerhalb weniger Sekunden vom Stand-by-Zu- postierung oder Verbrennung sowie das Entfernen
stand in den Volllastbetrieb gebracht werden. Ent- bestimmter Ionen (s. [58]).
scheidend dafür ist die technische Optimierung der In . Abb. 8.32 ist ein beispielhafter Aufbau eines
Anfahrweise. Auch mehrfache Lastwechsel und derartigen Anlagenkonzeptes aus Linz dargestellt.
längere Stillstandzeiten zeigen in Laborversuchen Die Eduktgase, Wasserstoff und CO2, werden
keine negativen Auswirkungen auf die Produktivi- über ein Begasungssystem in den Bioreaktor (1)
352 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

Die Behälter (2, 3, 4, 5) werden für die Förde-


rung der Suspension benötigt. Die Pumpen (6, 7, 8,
9, 10) dienen zur Förderung der Salzlösungen und
zur Abnahme des Prozesswassers.
Die Reinigungs- und Trennmodule (11,12 op-
tional, 13, 14, 15) werden benötigt, um das Suspen-
sionsabwasser aufzuarbeiten bzw. um Restfeuchte
und ca. 500 ppm H2S sowie restliches CO2 aus dem
Gasstrom zu entfernen.
Der Wärmeaustausch erfolgt über den Mantel
mit Wasser als Kühlmedium. Ziel ist es, den Ener-
gieeintrag über das Heiz-/Kühlaggregat zu mini-
mieren, sodass der biologische Prozess das Wär-
memanagement übernimmt und Heiz- oder Kühl-
aggregate kaum notwendig sind.
Ein praktischer Laboraufbau eines Reaktors mit
Reinkulturen ist in . Abb. 8.33 wiedergegeben.
Verschiedene Versuche im Labor- und Pilot-
8 maßstab mit Reaktorvolumen von wenigen Litern
bis wenigen Kubikmetern zeigen, dass sich die hohe
Gasqualität im Kopfraum des Reaktors auch über
längere Stillstandszeiten hält und die Methanisie-
. Abb. 8.33  10-l-Reaktor mit Reinkulturen in Linz. (Quelle: rung von Wasserstoff und CO2 wieder ohne Ver-
[58]) zögerung unmittelbar einsetzt und eine konstante
Gasqualität liefert (s. [58, 79]).
geleitet. Das Produktgas verlässt den Reaktor und Zudem sind gewisse Bakterienstämme meist
wird durch weitere Trennmodule (13, 14, 15) aufge- sehr robust gegenüber Fremdstoffen wie Sauerstoff
reinigt, sodass Wasser und Schwefel komplett ent- und auch langzeitstabil, sodass sie nach mehreren
fernt werden und die DVGW-Spezifikation für die Wochen des Stillstands noch im vollen Umfang re-
Gaseinspeisung erfüllt wird. aktivierbar sind (s. [49]).
Hilfsstoffe in Form von wässrigen Salzlösungen Offen ist die großtechnische Umsetzung des
werden aus entsprechenden Behältern (2, 3, 4, 5) Verfahrens, was vor allem die Vermischung der
durch Pumpen (6, 7, 8, 9) zudosiert. Das Prozess- Gase mit der Reaktorflüssigkeit betrifft, die sich
wasser wird mitsamt feuchter Biomasse ebenfalls nachteilig auf die Gasqualität und den Energiebe-
per Pumpe (10) abgesaugt, wo in einem ersten darf für die Durchmischung auswirken kann. Zur
Schritt die Biomasse abgetrennt wird (11). Je nach Klärung dieser offenen Fragen besteht Forschungs-
Anforderung an das Abwasser wird dieses dann in bedarf.
einem weiteren Schritt (12) aufbereitet.
Der Prozess besteht hauptsächlich aus dem zz Reaktor mit Mischkulturen
Kernreaktor (Biodruckreaktor) (1) und Behältern Neben Reaktoren mit Reinkulturen existieren auch
(2, 3, 4, 5) sowie den Trennmodulen (11, 12 optio- Reaktoren, in welchen die thermophilen Archaeen
nal, 13, 14, 15). Weitere Anlagenteile wie Massen- in Mischkulturen enthalten sind. Diese Mischkul-
und Volumendurchflussmesser, Kompressoren auf turen setzen sich aus verschiedenen methanogenen
der Produktseite und analytische Messinstrumente Bakterienstämmen zusammen. Eine Beigabe von
sind nicht dargestellt. In dieser Abbildung sind so- in Wasser gelösten Mineralien ist auch hier für das
wohl der Reaktor als auch die Peripherie für die Bakterienwachstum wichtig.
Verarbeitung des Gasstromes bzw. der Suspension
zu sehen.
8.3 • Einspeichertechnologien Methanisierung und chemische Synthesen
353 8

Zugabe Wasserstoff 5 m3 / h

65
10

60
9

55 8

7
Gasqualität (CH4 / CO2) in %

50

Gasqualität H2 in %
6
CH4
45 CO2
5
H2

40 4

3
35
2

30
1

25 0
15:00 15:10 15:20 15:30 15:40 15:50 16:00 16:10 16:20 16:30 16:40
Uhrzeit

. Abb. 8.34  Erhöhung des Methananteils in einem Klärgasfermenter (Faulturm) durch Wasserstoffzugabe; Versuchsergeb-
nisse aus Schwandorf. (Quelle: [79])

zz Mischkulturen in Bio- oder Klärgasanlagen ren Produktivität stark vermindert oder gar zum
Mischkulturen sind im Gegensatz zu Reinkulturen Erliegen bringt (s. [56]). Die im Faulturm einer
bereits in bestehenden Prozessen und Verfahren Kläranlage enthaltenen Methanogene sind jedoch
wie Biogasfermentation oder in Kläranlagen im nicht nur in der Lage, das reguläre Wasserstoffauf-
Einsatz. Die Idee ist, diese auch für die Methanisie- kommen zu verarbeiten, sondern können einen bis
rung zu verwenden. Dabei wird durch die Zugabe zu 100-fach größeren H2 Volumenstrom umsetzen
von Wasserstoff in eine Bio- oder Klärgasanlage de- (s. [9]).
ren Methanausbeute erhöht. Die Organismen hier- In Schwandorf wurden entsprechende Versu-
für sind zum Teil bereits aus der Bio- bzw. Klärgas- che in Biogasfermentern und realen Kläranlagen
herstellung in dem Reaktor vorhanden. Außerdem durchgeführt. Es zeigte sich, dass eine zusätzliche
werden der Anlage einige spezielle methanogene Einspeisung von Wasserstoff in einen stabilen Fer-
Bakterienstämme zugeführt, um die Umsetzung mentationsprozess keine messbaren negativen Aus-
des Wasserstoffes zu optimieren. Da die Bakterien wirkungen zur Folge hat.
Nährstoffe aus dem im Fermenter enthaltenen .  Abbildung  8.34 zeigt den Effekt der Zuga-
Substrat erhalten, ist eine zusätzliche Zugabe von be einer kleinen Wasserstoffmenge von 5  m3/h in
Mineralien nicht mehr notwendig. einem Faulturm, der etwa 36 m3/h Klärgas in der
Bisher wurde angenommen, dass ein erhöhter Mischung von 65 Vol.-% CH4 und 35 Vol.-% CO2
Wasserstoffgehalt in Fermentationsprozessen de- erzeugt. Es zeigt sich, dass der Methangehalt in-
354 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

nerhalb einer Stunde von 60 Vol.-% auf 63 Vol.-% Die Methanolsynthese ist eine Gleichgewichtreak-
gesteigert werden kann (blaue Linie), der Anteil an tion, die mittels Druck- und Temperaturerhöhung
CO2 entsprechend verringert wird (rote Linie) und hin zu Methanol beeinflusst werden kann. Da das
über einige Zeit der Wasserstoff vollkommen auf- thermodynamische Gleichgewicht aber keine allzu
genommen wird, sodass nur sehr geringe Restmen- hohe Konversion des Synthesegases erlaubt, wird
gen von Wasserstoff im Produktgas übrig bleiben dieses recycelt und der Synthese erneut zugeführt.
(grüne Linie). Dazu sind Wärmetauscher und Kompressoren
Der Vorzug von Mischkulturen ist die Nutzung notwendig. Ein Zyklus besteht aus der Synthese,
der vorhandenen Reaktoren, Stromanschlüsse, anschließender Abtrennung von Methanol und
Gasinfrastruktur und Gasverwertung, was zu ent- Wasser und Wiederzuführung des noch übrigen
sprechenden Kostenreduktionen für Power-to- Synthesegases. Die Methanolsynthese erfolgt unter
Gas-Anlagen führt. Eine Herausforderung bilden Anwesenheit eines Katalysators auf der Basis von
der Energieaufwand für den Gaseintrag in den Fer- Zink (Zn), Chrom (Cr) oder Kupfer (Cu) bei Drü-
menter über Rührer und die damit verbundenen cken über 50 bar und Temperaturen im Bereich von
erreichbaren Gasqualitäten und Gasmengen pro 220–380 °C und besitzt nach dem heutigen Stand
Reaktorvolumen. der Technik eine Selektivität von 99,9 % und einen
Wirkungsgrad von über 70 %.
Folgende Maßnahmen können zur Verbesse-
8 8.3.4 Methanolsynthese rung der Methanolausbeute pro Zyklus getroffen
werden:
Im Zeitraum von 1920–1923 entwickelte der deut- 55 Anpassung des Synthesegasverhältnisses an
sche Chemiker und Professor Matthias Pier die ers- Stöchiometrie
te Methanol-Hochdrucksynthese im industriellen 55 Erhöhung des Gleichgewichts hin zu Metha-
Maßstab zur Herstellung von Methanol als Grund- nol, indem Druck und Temperatur erhöht
stoff der chemischen Industrie am Chemiestand- werden
ort Leuna in Mitteldeutschland. Als Ausgangsstoff 55 neue Katalysatoren, die bei niedrigeren Tem-
diente Braunkohle, welche über ein Wirbelschicht- peraturen arbeiten
verfahren vergast und zu Synthesegas konditioniert 55 Methanol aus der Reaktion über Membranen,
wurde. Zuvor wurde Methanol rein aus der Biomas- Absorber oder Kondensation entziehen, um
se Holz über eine einfach Destillation ­gewonnen. das Gleichgewicht auf der Produktseite hin zu
erhöhen.
8.3.4.1 Grundlagen
zz Chemische Reaktionen Die Synthese kann durch die Verwendung von CO2
Methanol kann aus Kohlenstoffmonoxid und Was- bei niedrigeren Temperaturen und höherer Selek-
serstoff (Gl. 8.96) oder Kohlendioxid und Wasser- tivität gefahren werden, was für die Verwendung
stoff (Gl. 8.97) gebildet werden. Beide Reaktionen von Synthesegas im Speicherverfahren Power-to-
sind stark exotherm, weshalb eine Kühleinheit im Liquid spricht. In der Reaktion (Gl. 8.97) entsteht
Reaktor notwendig ist, welche durch siedewasser- aber auch Wasser, welches entsprechend abzutren-
gekühlte Reaktoren oder im Synthesegas-Rücklauf nen ist (s. [55]).
realisiert wird. Eine weitere Kühlmöglichkeit ist die
Injektion von kaltem Synthesegas, zz Herstellung
Zur Methanolherstellung haben sich verschiedene
CO + 2 H 2 ↔ CH 3OH ;
 Verfahrenswege etabliert (s. . Abb. 8.36):
∆H R0 = −91 kJ / mol , (8.96) 1. Synthese von Synthesegas aus fossilen und bio-
genen Rohstoffen (kommerzielle Anlagen)
CO2 + 3H 2 ↔ CH 3OH + H 2 O ; 2. direkte Umsetzung von Methan zu Methanol
 3. Energiespeicherverfahren auf Basis der Reak-
∆H R0 = −49 kJ / mol. (8.97) tion von Kohlenstoffdioxid und Wasserstoff.
8.3 • Einspeichertechnologien Methanisierung und chemische Synthesen
355 8
Als Ausgangsprodukt für die Synthesegaser- zugt ablaufen, ist eine Aufspaltung in zwei Schritte
zeugung kann jedes kohlenstoffhaltige Material wie sinnvoll. Dabei wird zuerst eine Dampfreformie-
Kohle, Koks, Erdöl, Methan oder CO2 verwendet rung durchgeführt, und anschließend reagiert das
werden, wobei heute Erdgas bevorzugt wird, da es nicht umgesetzte Methan in der partiellen Oxida-
kaum katalysatorschädigende Verunreinigungen tion zu Synthesegas.
enthält, der Wasserstoffanteil hoch ist und die Reak- Die abschließende Synthese zu Methanol aus
tionen im Verhältnis zu den anderen Pfaden weniger CO und H2 erfolgt über Gl. 8.96.
Energie benötigt (s. [8, 75]). Der Hauptgrund ist je-
doch die günstige Verfügbarkeit von Erdgas im Ver- zz 2. Synthese über die direkte Umsetzung von
gleich zu Biomasse oder erneuerbarem Wasserstoff. Methan in Methanol
Die zweite Möglichkeit liegt darin, das Methan
zz 1. Synthese von Synthesegas über die nicht zuerst in das Synthesegas, sondern direkt in
indirekte Umsetzung von Methan in Methanol über eine partielle Oxidation zu wan-
Methanol deln. Diese Reaktion ist zu bevorzugen, da die auf-
Bei den Wandlungsprozessen von Methan kann wendige Synthesegaserzeugung umgangen wird,
zwischen einer direkten und einer indirekten Um-
setzung unterschieden werden. Bei der indirekten 1
CH 4 + O2 ↔ CH 3OH ;
Umsetzung von Methan in Methanol wird über  2
einen Zwischenschritt Synthesegas durch die par- ∆H R0 = −126 kJ / mol. (8.100)
tielle Oxidation erzeugt.
Bei der partiellen Oxidation (Gl.  8.98) wird Für die Methanolsynthese ist reiner Sauerstoff als
Methan mit Sauerstoff in einem unterstöchiome- Oxidationsmittel besser geeignet als Luft, da die
trischen Verhältnis zu Synthesegas teilverbrannt Reaktion bei hohem Druck abläuft und es kosten-
(s. Dampfreformierung von Methan zur Herstel- intensiver ist, Luft bei Drücken von 10–20  bar zu
lung von Wasserstoff in 7 Abschn. 8.1.3.2). Das Syn- halten als O2 aus der Luft zu gewinnen.
thesegasverhältnis H2 zu CO ist bei dieser Reaktion Die Herausforderung in dieser Reaktion ist die
2:1. Die entstehende Abwärme erfordert eine Kühl- Handhabung der Produkte. Methanol und ein klei-
einrichtung, ner Anteil an Formaldehyd können weiter oxidie-
ren und so die komplette Verbrennung von Methan
1 hervorrufen.
CH 4 + O2 ↔ CO + 2 H 2 ;
 2
∆H R0 = −35 kJ / mol. (8.98) zz 3. Erneuerbarer Wasserstoff und
Kohlenstoffdioxid
Um Synthesegas ohne Energiezufuhr oder geson- Eine weitere Möglichkeit Methanol zu gewinnen
derte Kühleinheiten herzustellen, kann eine Kom- ist die Synthese von Wasserstoff und Kohlenstoff-
bination aus der exothermen Dampfreformierung dioxid in Gl. 8.97. Dieses Verfahren ist anders als
(Gl. 8.98) und der stark endothermen Reaktion in die oben vorgestellten nicht auf fossile oder bioge-
Gl.  8.99 in der sogenannten autothermen Refor- ne Kohlenstoffquellen angewiesen und kann daher
mierung angewendet werden, auch für die Speichertechnologie Power-to-Liquid
mit Wind- und Solarenergie verwendet werden.
CH 4 + H 2 O ↔ CO + 3 H 2 ; Der limitierende Faktor dieses Verfahren sind
 die beiden Ausgangsstoffe CO2 und H2. Wasser-
∆H R0 = +206 kJ / mol. (8.99) stoff kann durch Elektrolyse bei hohem Anteil er-
neuerbarer Energien aus Überschüssen der Strom-
Dabei können die Reaktionen bei einem Gemisch produktion erzeugt werden. Quellen für CO2 sind
aus Methan, Wasserdampf und Sauerstoff gleich- Abscheidung aus Kohlekraftwerken oder Indus-
zeitig erfolgen. Da aber die Reaktionen bei unter- trieprozesse, Biogasanlagen, Luft oder ein CO2-
schiedlichen Drücken und Temperaturen bevor- Recycling (s. 7 Abschn. 8.3.1).
356 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

. Tab. 8.10  Vergleich der Betriebsbedingungen unterschiedlicher Verfahren zur synthetischen Kraftstoffherstel-
lung [55]

H2:CO-Verhältnis Druck in bar Temperatur in °C Katalysator (Basisma-


terial)

Methanolsynthese 1–2,15 50–300 220–380 Zn/Cr/Cu

Fischer-Tropsch-Synthese 0,85–3 1–70 120–350 Fe/Co/Ru/ZrO2

Dieses Verfahren hat den Vorteil, dass die Tem- fer, Zink und Aluminiumoxid (Al2O3). Die
peratur niedriger ist als bei der Methanolisierung Niederdruck-Synthese ist das heute meist an-
mit Synthesegas und dass die Selektivität zu Me- gewandte Methanolsyntheseverfahren, seitdem
thanol höher ist. Außerdem hat es einen höheren es Möglichkeiten gibt, Schwefel aus dem Syn-
Wirkungsgrad, da die endotherme CO2-Reduktion thesegas zu entfernen. Deshalb kann auf die
zu Kohlenmonoxid parallel zur finalen, exother- resistenten Katalysatoren verzichtet werden,
men Methanolsynthese abläuft und die entstehende die hohe Temperaturen und Drücke voraus-
Wärme direkt genutzt wird. setzen. Bei diesen Verhältnissen entstehen im
Die Herausforderung dieses Verfahrensweges Vergleich nur geringfügig Nebenprodukte, und
8 liegt in der Abtrennung des entstehenden Wasser- die Selektivität für Methanol liegt bei nahezu
dampfs im Produktgas, um reines Methanol zu ge- 100 %.
winnen.
zz Reaktortypen
8.3.4.2 Reaktorkonzepte Ähnlich zur Fischer-Tropsch-Synthese werden
zz Syntheseverfahren die Reaktoren zur Methanolsynthese unterschie-
Die Methanolsynthese kann anhand der Arbeits- den nach Festbettreaktor oder Slurry-Reaktor.
drücke in drei verschiedene Verfahren klassifiziert Der grundsätzliche Aufbau dieser Reaktortypen
werden (s. [55]): ist  7  Abschn.  8.3.5 zu entnehmen. Ein Festbettre-
1. Hochdruck-Synthese: Das Hochdruckver- aktor arbeitet bei der Methanolsynthese mit einem
fahren war das erste Verfahren zur Methanol- H2:CO-Verhältnis von 2,05–2,15, während bei
synthese. Es findet bei einem Druck von 250– einem Slurry-Reaktor ein Wert um 1,0 ausreicht.
350 bar und bei Temperaturen von 320–380 °C . Tabelle 8.10 zeigt den Vergleich zwischen den
statt. Der Katalysator basiert auf Zink-Chrom- Betriebsbedingungen verschiedener Verfahren zur
oxid (Zn/Cr2O3). Er ist nicht besonders aktiv, synthetischen Kraftstoffherstellung wie Power-to-
aber dafür thermisch stabil und nicht anfällig Liquid und Biomass-to-Liquid.
gegenüber Katalysatorgifte wie Schwefelver- Eine praktische Ausführung eines Metha-
bindungen. Dieses Verfahren wird heute kaum nol-Reaktors ist der Isothermreaktor von Linde
noch eingesetzt, da die Methanolausbeute (s. .  Abb. 8.35). Der Festbettreaktor hat einen in-
gering und die Temperaturführung schwierig tegrierten Wärmeaustausch. Zur Kühlung wird die
ist. sensible Wärme sowohl der Gase und Flüssigkei-
2. Mitteldruck-Synthese: Diese verläuft bei Tem- ten als auch der latenten Verdampfungswärme des
peraturen bis 300 °C und bei einem Druck im Kühlwassers verwendet. Die Wärme, die in der Re-
Bereich von 100–250 bar auf Basis von Zn/ aktion des Synthesegases zu Methanol an den Kata-
Cr2O3oder Zink-Kupfer-Katalysatoren. lysatorpellets entsteht, wird über die Kühlrohrbün-
3. Niederdruck-Synthese: Die Niederdruck-Syn- del abgeführt. Der Linde-Reaktor hat eine spezielle
these erfolgt bei Drücken zwischen 50 und Konstruktion dieser Rohrbündel, die spiralförmig
100 bar und bei moderaten Temperaturen von angeordnet sind, um Wärmespannungsprobleme
220–280 °C. Der Katalysator basiert auf Kup- in den Rohren und dem Reaktor zu vermeiden.
8.3 • Einspeichertechnologien Methanisierung und chemische Synthesen
357 8
zur Produktion von Farben, Silikonen und Kunst-
stoffen.
Methanol ist ein universeller Ausgangsstoff als
Energieträger und chemischer Grundstoff bzw.
Zwischenprodukt. Er findet vielfältig Anwendung,
z.  B. in der Petrochemie als Zwischenprodukt für
eine Vielzahl chemischer Verbindungen. Zusam-
men mit Kohlenstoffmonoxid kann aus Methanol
Essigsäure hergestellt werden. Mittels Zeolith-Ka-
talysatoren kann Methanol auch in Olefine umge-
wandelt werden. Formaldehyd ist eine weitere che-
mische Verbindung, die aus Methanol gewonnen
wird. Es ist eines der wichtigsten Grundstoffe in der
chemischen Industrie, dient in Kosmetika als Kon-
servierungsstoff, war lange Zeit in der Textilbran-
che Zusatz, um die Kleidung knitterfrei zu halten,
oder wird in Arzneimitteln eingesetzt.
In der Mineralölindustrie wird es zu Methyl-
Tertiär-Butyl-Ether (MTBE) verarbeitet und dem
fossilen Benzin beigemischt. MTBE ist ein sauer-
stoffhaltiger Zusatz, um die Brennstoffeigenschaf-
ten des Benzins durch die hohe Oktanzahl zu ver-
bessern. Außerdem reduziert dieser Zusatz auf-
grund des Sauerstoffes im Molekül die schädlichen
. Abb. 8.35  Methanol-Reaktor der Linde AG. (Quelle: Abgase. Ein Nachteil von MTBE und damit auch
Linde AG) von Methanol ist die hohe Giftigkeit dieser Stof-
fe, weshalb nur doppelwandige Tanks zum Einsatz
zz Produktaufbereitung kommen sollen, um Grundwasservergiftungen zu
Der Produktstrom ist wegen der Bedingungen im vermeiden.
Reaktor gasförmig. Zuerst werden nach dem Reak- Ferner kann gasförmiges Methanol auch direkt
tor höherwertige Kohlenwasserstoffe abgeschieden, zu Dimethylether (DME) weiterverarbeitet und als
die als Nebenprodukte entstehen. Die Menge dieser Dieselsubstitut oder chemischer Grundstoff einge-
Kohlenwasserstoffe ist vom Synthesegasverhältnis, setzt werden. Dafür wird Methanol in einem eige-
der Reaktionsumgebung und von Typ und Alter nen Reaktor katalytisch nach Gl.  8.101 bei einem
des Katalysators abhängig. Das verbleibende Gas Druck von 15 bar und in einem Temperaturbereich
wird recycelt und wieder dem Reaktor zugeführt. von 250–300 °C dehydriert. Das Roh-DME wird
Das abgeschiedene Rohmethanol wird an- über eine Destillationskolonne vom restlichen
schließend in einer Destillationskolonne aufge- Wassergehalt getrennt und zu reinem DME auf-
arbeitet, um den Wassergehalt des Produktes auf bereitet,
unter 2 Vol.-% zu reduzieren. Das flüssige Metha-
nol kann nun für die entsprechenden Anwendun- 2CH 3OH ↔ CH 3OCH 3 + H 2 O.
(8.101)
gen verwendet werden.
DME hat ebenfalls hervorragende Eigenschaften,
zz Verwendung um in Verbrennungs- oder Dieselmotoren verwen-
Weltweit werden ca. 70 % der Methanolproduktion det zu werden, da seine Cetanzahl sehr hoch ist.
zur Herstellung von Formaldehyden, MTBE, Di- In Skandinavien wurden größere Pilotprojekte zur
methylether (DME) oder Essigsäure verwendet (s. Herstellung von DME aus Holz und zum Einsatz in
[8, 75]). Des Weiteren dient Methanol als Rohstoff Lkw durchgeführt.
358 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

Reinkraftstoff
Beimischung zu Benzin oder Benzinzusatz
Formaldehyd (CH2O)
Farbstoffe
Arznei
CO2 + H2
Kunststoffe
etc.
CH4 Methanol Dimethylether DME
CH3OH
Beimischung zu Diesel oder Dieselzusatz
Synthesegas Ethen
Kunststoffe
H2 + CO Propen
Essigsäure
Methyl-tert-butylether (MTBE)
Weitere

. Abb. 8.36  Schema der Erzeugung und Weiterverarbeitung von Methanol

8 Über Methanol-to-Gasoline (MTG) kann DME DME (CH3OCH3) wird dafür katalytisch dehy-
auch zu Benzin gewandelt werden: Unter Wasser- driert, wobei Kohlenwasserstoffe und Wasser ent-
abspaltung werden aus DME leichte Alkane er- stehen (Gl. 8.102 und 8.103),
zeugt, welche wiederum zu Kohlenwasserstoffen
mit maximal 10 Kohlenstoffatomen gewandelt CH 3OCH 3 ↔ C2 H 4 + H 2 O,
(8.102)
werden. Diese können fossiles Benzin in der kon-
ventionellen Mineralölwirtschaft unter Nutzung 3CH 3OCH 3 ↔ 2C3 H 6 + 3H 2 O.
(8.103)
der vorhandenen Infrastruktur direkt ersetzen, was
einen ähnlichen Vorteil wie Power-to-Gas auf Basis Um auch die nichtenergetische Nutzung von Erdöl
von Methan mit sich bringt (s. 7 Abschn. 8.6). einzudämmen und die dortigen CO2-Emissionen
. Abbildung 8.36 zeigt schematisch, wie Metha- zu mindern, kann Methanol aus erneuerbarem
nol erzeugt werden kann und für welche chemi- Wasserstoff und CO2 als Rohstoff für die chemische
schen Verbindungen es als Zwischenprodukt dient. Industrie dienen.
Methanol kann auch als Reinkraftstoff-Ersatz Eine erste kommerzielle Anwendung der erneu-
für LNG oder LPG dienen oder in Brennstoff- erbaren Methanolherstellung wird in Island auf Ba-
zellen verwendet werden, wenn sie korrosionsbe- sis von erneuerbarem Strom und CO2 aus geother-
ständig sind. Da Methanol-Brennstoffzellen heute malen Quellen von der Firma Carbon Recycling
nicht wirtschaftlich im großen Maßstab einzuset- International umgesetzt und ist in  7  Abschn.  14.3
zen sind, wird Methanol in der Energiewirtschaft beschrieben.
hauptsächlich als Beimischung zu konventionellen
Kraftstoffen verwendet.
Ethen (Ethylen, C2H4) und Propen (Propylen, 8.3.5 Fischer-Tropsch-Synthese
C3H6) sind wichtige Grundstoffe zur Herstellung
von Kunststoffen und bieten weitere Möglichkeiten In den 1920er-Jahren entwickelten Franz Fischer
zur Verwertung von Methanol. Propen und Ethen und Hans Tropsch am Kaiser-Wilhelm-Institut
werden normalerweise aus Erdöl gewonnen. Die- für Kohleforschung in Mühlheim an der Ruhr das
ser Prozess wird allgemein als Methanol-to-Olefin Verfahren zur Kohleverflüssigung. Die beiden Che-
(MTO) bezeichnet (s. [8]). miker waren die ersten, die dazu einen Katalysator
verwendeten. Bei der Kohleverflüssigung wird ein
8.3 • Einspeichertechnologien Methanisierung und chemische Synthesen
359 8
Synthesegas aus Kohlenstoffmonoxid (CO) und (8.106)
nCO + 2nH 2 ↔ Cn H 2 n + nH 2 O,
Wasserstoff (H2) in gasförmige, flüssige und feste
Kohlenwasserstoffe gewandelt (s. [55]).
Während des Zweiten Weltkrieges war das Fi- nCO + (2n + 1) H 2 ↔ Cn H 2 n + 2 + nH 2 O.
(8.107)
scher-Tropsch-Verfahren aufgrund der Ressour-
cenknappheit kommerzialisiert worden. Zu dieser Im Realen ist die Reaktion weitaus komplexer, denn
Zeit gab es in Deutschland neun Anlagen zur Um- es laufen diverse Reaktionen ab, die von einer Reihe
wandlung von Kohle. Nach dem Zweiten Weltkrieg verschiedenster Parameter abhängig sind.
waren die Fischer-Tropsch-Kraftstoffe nicht mehr Der thermodynamische und kinetische Ablauf
mit dem wieder verfügbaren günstigen Erdöl kon- der Reaktion ist weitestgehend bekannt. Die Pro-
kurrenzfähig. duktzusammensetzung hängt stark von den Reak-
Erst die Ölkrise 1973 ließ das Interesse an der tionsbedingungen ab. Zum einen ist die Wahl des
Fischer-Tropsch-Synthese (FT-Synthese) wieder Katalysators entscheidend, zum anderen sorgen
aufkeimen. Seitdem gibt es an verschiedensten Or- niedrige Temperaturen und hohe Drücke für lange
ten der Welt Pilotprojekte und Industrieanlagen – Kohlenwasserstoffketten und umgekehrt.
insbesondere in Südafrika (Coal-to-Liquid) und in Die Reaktionsrate ist etwa proportional zum
Katar (Gas-to-Liquid). In den letzten beiden Jahr- Quadrat des Wasserstoffpartialdruckes und in-
zehnten kamen auch Anlagen für die Umwandlung direkt proportional zum Kohlenmonoxidpartial-
von holzartiger Biomasse über Biomass-to-Liquid druck (s. [60]). Zudem ist die Produktionswahr-
und Wind- und Solarstrom samt CO2 über Power- scheinlichkeit von Alkanen höher als von Alkenen.
to-Liquid hinzu, womit der Prozess auf eine nach- Die Fischer-Tropsch-Synthese ist eingebettet in
haltige und breitere Rohstoffbasis gestellt werden eine Prozesskette zur Herstellung von Kohlenwas-
kann (s. 7 Abschn. 8.7). serstoffen, welche üblicherweise aus vier Einheiten
besteht und im Folgenden näher beschrieben wird:
8.3.5.1 Grundlagen 1. Erzeugung von Synthesegas (H2 und CO)
zz Chemische Reaktionen 2. Gasreinigung und Gasaufbereitung
Die Fischer-Tropsch-Synthese ist ein Polymerisa- 3. Fischer-Tropsch-Synthese
tionsverfahren, bei dem aus Synthesegas vorwie- 4. Aufbereitung der Produkte.
gend gasförmige, flüssige und feste Kohlenwasser-
stoffe unterschiedlicher Kettenlängen gewonnen zz 1a. Gewinnung von Synthesegas
werden. Es entstehen gasförmige Kohlenwasser- aus erneuerbarem Strom und
stoffe (C1–C4), Benzin (C5–C10), Diesel (C11–C18) CO2 zur Energiespeicherung und
und Wachse (C19+). Die einfache Grundgleichung Kraftstoffproduktion
des Fischer-Tropsch-Verfahrens ist in Gl. 8.104 dar- Der relevante Weg zur Gewinnung von Synthese-
gestellt: gas für die Herstellung von erneuerbaren Strom-
kraftstoffen läuft über die Wasserelektrolyse mit
 CO + 2 H 2 ↔ −CH 2 −  + H 2 O; erneuerbarem Strom (s.  7  Abschn.  8.1.3.1) und die
(8.104) Reduktion von CO2 zu CO über die reverse Was-
∆H R0 = −165 kJ/ mol . sergas-Shift-Reaktion analog zur Methanisierung
(Gl. 8.93). Diese Verfahren sind an den jeweiligen
Diese Grundgleichung lässt sich in Reaktionen Stellen ausführlich beschrieben.
zur Bildung von Alkoholen (Gl.  8.105), Alkenen
(Gl. 8.106) oder Alkanen bzw. Parafinen (Gl. 8.107) zz 1b. Gewinnung von Synthesegas in
erweitern, die in Abhängigkeit von Katalysator, herkömmlichen Verfahren aus fossilen und
Druck und Temperatur mit unterschiedlichen Ge- biogenen Rohstoffen
schwindigkeiten ablaufen (s. [55]): Neben der Wasserspaltung und CO2-Reduktion
durch erneuerbare Energien kann Synthesegas
nCO + 2nH 2 ↔ Cn H 2 n +1 OH + ( n − 1) H 2 O ,
(8.105) auch auf konventionelle Weise über die Verga-
360 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

sung von biogenen und fossilen Rohstoffen ge- zz 2. Gasreinigung und Gasaufbereitung
wonnen werden. Diese Prozesse sind ähneln der Je nach Herstellungsverfahren ist das Synthese-
thermochemischen Herstellung von Wasserstoff gas zu reinigen und aufzubereiten. Während der
(s.  7  Abschn.  8.1.3.2) und werden der Vollständig- Weg über die Wasserelektrolyse durch erneuer-
keit halber an dieser Stelle beschrieben. bare Energien und die Zugabe von CO2 stöchio-
Bei der Vergasung wird ein kohlenstoffbasierter metrisch vergleichsweise einfach zu handhaben ist
Brennstoff unter der Zugabe eines Oxidationsmit- und je nach CO2-Quelle nur geringe Maßnahmen
tels, wie Sauerstoff O2, Luft oder Wasserdampf, zur Gasreinigung zu treffen sind, ist bei Synthese-
durch partielle Oxidation zu Kohlenstoffmonoxid gas aus Vergasungsverfahren der Aufwand deutlich
oxidiert. Es wird von einer Teilverbrennung ge- höher. Das Synthesegas enthält viele Begleitstoffe
sprochen, da nicht vollständig bis zu CO2 oxidiert wie Phenol, Ammoniak, Schwefelwasserstoffe und
wird. Für die Synthesegaserzeugung dient ein was- weitere unerwünschte Bestandteile und andere Ka-
serstoffhaltiges Oxidationsmittel, in den meisten talysatorgifte, die den Betrieb der FT-Synthese er-
Fällen Wasserdampf (s. [99]). schweren können.
In Gl. 8.108 ist die Vergasung von Kohlenstoff Darüber hinaus ist oft das Verhältnis von H2
mittels Wasserdampf dargestellt: zu CO nicht passend und über die katalytische
Wassergas-Shift-Reaktion, eine Abtrennung von
0
C + H 2 O ↔ CO + H 2 ; ∆H R = +131 kJ / mol .
(8.108) CO2 durch ein geeignetes Verfahren wie z.  B. die
8 Druckwechselabsorption (PSA) oder eine Zugabe
Bei der Vergasung von Kohle werden 25 % der in von elektrolytischem Wasserstoff entsprechend zu
der Kohle enthaltenen Energie zur Deckung der justieren. Die recycelten leichten Kohlenwasser-
endothermen Reaktion aus Gl. 8.108 gebraucht. Ein stoffe (C2–C8) können ferner für die FT-Synthese
weiterer Anteil an Kohleenergie wird für die Auf- über eine Dampfreformierung oder die autother-
bereitung des Synthesegases benötigt, um das stö- male Reformierung katalytisch aufbereitet werden
chiometrisch richtige Verhältnis aus CO und H2 für (s. [99]).
die Fischer-Tropsch-Synthese zu erhalten. Diese er-
folgt über die Wassergas-Shift-Reaktion (Gl. 8.109), zz 3. Ablauf der Fischer-Tropsch-Synthese
um den Wasserstoffgehalt zu erhöhen. Das stöchio- Die Fischer-Tropsch-Synthese verläuft über meh-
metrische Verhältnis von Wasserstoff zu Kohlen- rere Schritte:
stoffmonoxid sollte bei 2:1 liegen (Gl. 8.104), 1. Adsorption der Edukte am Katalysator
2. Bildung von Zwischenprodukten
3. Kettenpolymerisation und andere Transforma-

CO + H 2 0 ↔ CO2 + H 2 ; tionen der Zwischenprodukte
∆H R0 = −40,9 kJ / mol. (8.109) 4. Desorption der Produkte.

Wird Biomasse als Ausgangsrohstoff verwendet, Hierbei ist der dritte Punkt der wichtigste Schritt
ist diese vorher zu behandeln, um daraus reinen der Synthese. Die Kettenpolymerisation ist eine
Kohlenstoff für die Vergasung zu erzeugen. Bei die- chemische Reaktion, bei der sich gleiche oder
sem pyrolytische Zersetzung genannten Vorgang unterschiedliche Monomere zu einem Polymer
wird unter Luftabschluss die Biomasse langsam auf über eine wachsende Kette zusammenschließen.
Temperaturen im Bereich von 500 °C erhitzt. Die Das Kettenwachstum kann allgemein über die
Makromoleküle der Biomasse werden zersetzt und Gl. 8.110 beschrieben werden:
es entstehen Gase und ein fester Rückstand, der
vorwiegend aus Kohlenstoff besteht (Biokoks). Ins- Cn + C1 = Cn +1 ,
(8.110)
gesamt werden so ca. 80–85 % in gasförmige Pro-
dukte umgesetzt, wie CO, CO2, H2O oder CH3OH Wobei C1 das Ausgangsmolekül der wachsenden
(Methanol). Demnach bleiben 15–20 % als Rohstoff Kette ist und n die Anzahl der Kohlenstoffatome
für die Vergasung übrig (s. [55, 99, 116]). darstellt. Es gibt drei typische Mechanismen, die
8.3 • Einspeichertechnologien Methanisierung und chemische Synthesen
361 8
Cn-1 Cn Cn+1

k2 k2 k2

C1 C1 C1 C1
R Cn-1 R Cn R Cn+1
k1 k1 k1 k1

. Abb. 8.37  Reaktionsschema der Fischer-Tropsch-Synthese

sich durch das Ausgangsmolekül unterscheiden Das Molekulargewichtsverhältnis der Produk-


lassen (s. [60]): te ist eindeutig durch die Kettenwachstumswahr-
1. C1 beinhaltet keinen Sauerstoff: Ausgangsstoff scheinlichkeit α definiert:
ist hier meist reiner Kohlenstoff (C). Der Koh-
lenstoff hydriert und CHx werden erzeugt, die k1
(8.111)
α= .
leicht polymerisiert werden können. k1 + k2
2. C1 besitzt H2 oder O2: Die hier ablaufende Re-
aktion zur Bildung von langkettigen Kohlen- Die Kettenwachstumswahrscheinlichkeit ist ab-
wasserstoffen wird Polykondensation genannt. hängig von den Umgebungsbedingungen und der
Die Monomere werden unter Abspaltung von Wahl des Katalysators.
H2O-Molekülen zu Polymeren zusammenge- Die Verteilung der Kohlenwasserstoffe lässt
führt. sich über die Schulz-Flory-Verteilung ausdrücken,
3. C1 ist Kohlenstoffmonoxid: Das CO-Molekül mit der sich die Gewichtsverteilung Wn der Koh-
wird absorbiert und lagert sich an der Kataly- lenwasserstoffe mit n Kohlenstoffatomen ermitteln
satoroberfläche an. Es entsteht eine R–C-Ver- lässt:
bindung, wobei R für das Katalysatormaterial
Wn = n ⋅ α n −1 ⋅ (1 − α ) .
2
steht. Das C-Atom bildet eine Verbindung mit (8.112)
einem Metallatom des Katalysators und eine
Verbindung mit dem Kohlenstoffatom, das die .  Abbildung  8.38 zeigt die Gewichtsverteilung der
Kohlenwasserstoffkette an die Katalysatorober- Kohlenwasserstoffe, sortiert nach gasförmigen
fläche bindet. Kohlenwasserstoffen (C1–C4), Benzin (C5–C10),
Diesel (C11–C18) und Wachse (C19+).
Bei einer konstanten Molekulargewichtverteilung Sowohl Methan als auch Wachse können eine
der Fischer-Tropsch-Produkte (Verhältnis zwi- Selektivität von 100  % erlangen. Die folgende
schen den unterschiedlich langen Molekülketten) .  Abb. 8.39 zeigt die Verteilung der entstehenden
folgt die Synthese einer formellen Kinetik der Poly- Produkte bei einer Fischer-Tropsch-Synthese mit
merisation. Sie kann in zwei Teilreaktionen unter- einer Kettenwachstumswahrscheinlichkeit von
teilt werden, und zwar in Kettenwachstum (k1 ) und 0,85.
Desorption des Polymers (k2 ). Das Reaktionssche- Die Fischer-Tropsch-Produkte verhalten sich
ma ist in . Abb. 8.37 dargestellt. nach dem in Gl.  8.112 beschriebenen Gesetz. In
C1 reagiert mit dem Kohlenwasserstoff, der am realen Prozessen ist der Anteil von Methan jedoch
Katalysator angelagert ist (R–Cn), und bereichert die meist erhöht. Der Grund dafür ist, dass Methan
Kette zu R–Cn+1 bzw. vollendet die Kette, die sich über zwei Wege erzeugt werden kann, zum einen
vom Katalysator zu Cn desorbiert. Das Kettenwachs- als Produkt der Polymerisation, aber zum ande-
tum kann bis zu einem gewissen Grad weitergehen. ren auch als Produkt der direkten Hydrierung von
Ob ein weiteres Wachstum oder eine Desorption CO. Die Höhe der jeweiligen Reaktion hängt stark
erfolgt, ist unabhängig von der Kettenlänge. vom Katalysator und von der Temperatur ab. Dabei
362 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

0,9
C1-C4 C19+
0,8

0,7

0,6
Selektivität

0,5

0,4
C5-C10
0,3
C11-C8
0,2

0,1

0
0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 1
8 alpha

. Abb. 8.38  Wahrscheinlichkeitsverteilung der Fischer-Tropsch-Produkte

sollte versucht werden, die Hydrierung soweit wie Synthesegas im Anschluss das NH3 wieder entfernt,
möglich einzugrenzen. bleibt die C5+ -Ausbeute weiterhin hoch und die
Die Katalysatoren auf Basis der Übergangsme- von Methan weiterhin niedrig. Die Schulz-Flory-
talle Eisen, Cobalt, Nickel und Ruthenium können Verteilung steigt hin zu einem höheren α (s. [60]).
auf chemische Weise derart bearbeitet werden, dass Eine Kombination aus chemischer Modifika-
eine Polymerisation bevorzugt wird. Dafür werden tion des Katalysators und Anpassung des Synthe-
die Elemente auf porösen Metalloxiden aufgetra- segases kann die Selektivität von Methan sogar
gen. Diese Metalloxide können Kieselgur, Zeolith theoretisch auf eins erniedrigen und die Selektivität
oder Titanoxide sein. Ferner ist Zirkonium-Oxid flüssiger Kohlenwasserstoffe auf ca. 90 % erhöhen.
(ZrO2) ein sehr effektives Trägermaterial für Co- Vergleichend zu .  Abb. 8.39 ist in .  Abb. 8.40 die
balt, da dieser Co-ZrO2-Katalysator bei Tempera- Verteilung der Produkte dargestellt. Es ist deutlich
turen bereits um die 160 °C arbeitet und bei Umge- zu sehen, wie sich die Verteilung hin zu langket-
bungsdruck flüssige Kohlenwasserstoffe mit einer tigen Kohlenwasserstoffen verschiebt. Die Selekti-
Selektivität von 90 % erzeugt werden. Methan wird vität der Methanproduktion erreicht den theoreti-
dabei nur wenig erzeugt. Die Kettenwachstums- schen Wert von 1 %. Die Selektivität von langketti-
wahrscheinlichkeit α kann bei diesem Katalysator gen Wachsen steigt stark an.
mit 0,9 beziffert werden.
Die Methanbildung lässt sich aber nicht nur zz 4. Produktaufbereitung
über eine chemische Modifikation des Katalysa- Die entstandenen Rohprodukte werden nach der
tors auf ein Minimum reduzieren, sondern auch Fischer-Tropsch-Synthese aufgearbeitet, damit sie
über eine Anpassung des Synthesegases. Die Zu- als Stromkraftstoffe zu nutzen sind.
gabe von Ammoniak (NH3) zum Synthesegas von 55 Aufarbeitung des Rohbenzins (Naphtha):
1–4 % führt zu einer Erhöhung der Selektivität von Naphtha kann als Rohstoff in der Petroche-
C5+ und einer Minderung von Methan. Wird dem mie eingesetzt oder über eine Isomerisierung
8.3 • Einspeichertechnologien Methanisierung und chemische Synthesen
363 8
7%
Rohbenzin
Gase
6%
Dieselöl

5%

4%
Selektivität

3%
Wachse

2%

1%

0%
1 5 10 15 20 25 30 35 40+
Anzahl der Kohlenstoffatome im Molekül

. Abb. 8.39  Verteilung der Produkte bei einer Fischer-Tropsch-Synthese mit einer Kettenwachstumswahrscheinlichkeit von 0,85

5%

Rohbenzin Dieselöle
4%
Wachse
Gase

3%
Selektivität

2%

1%

0%
1 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50+
Anzahl der Kohlenstoffatome im Molekül

. Abb. 8.40  Verteilung der Produkte bei einer Fischer-Tropsch-Synthese mit einer Kettenwachstumswahrscheinlichkeit von 0,9
364 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

Synthese-
gas
Produkte
Produkte

Wasser- Bunker Blasen-


dampf säule

Dampf Wasser-
eintritt
Katalysator
Wachs

Gas-
verteiler
Wasser-
eintritt

Synthesegas-
Synthese- eintritt
gas
Produkte

. Abb. 8.41  Schematische Darstellung der unterschiedlichen Reaktortypen, links Rohrbündelreaktor, mitte Wirbelschicht-
reaktor, rechts Slurry-Reaktor

8
der Moleküle in Ottokraftstoffe umgewandelt Wirbelschicht- oder Slurry-Reaktoren eine bessere
werden (s. [55]). Dabei findet eine Positions- Wärmeabfuhr möglich ist. Alle drei Varianten wer-
änderung von einzelnen Atomen oder Atom- den im Folgenden kurz beschrieben (s. [55, 99]):
gruppen im Molekül selbst statt. 55 Rohrbündelreaktor: Der Rohrbündelreaktor ist
55 Dieselöle aus der Fischer-Tropsch-Synthese: ein Festbettreaktor, der aus bis zu 25.000 Roh-
Der Fischer-Tropsch-Diesel muss ebenfalls ren mit einem Durchmesser von 15–25 mm
einer Isomerisierung unterzogen werden, besteht. Dabei strömt das Synthesegas von
damit seine Fließeigenschaften bei niedrigen oben in den Reaktor ein und durchströmt die
Temperaturen den technischen Anforderun- Rohre, in denen der Katalysator als Festkörper
gen für Kraftstoffe entsprechen. in einer feinkörnigen Schüttung eingebracht
55 Wachse (C19+): Die langkettigen Kohlenwasser- ist (s. . Abb. 8.41 links). Durch den geringen
stoffe können über Hydrocracken in kurzket- Querschnitt der Rohre hat das strömende
tige gesättigte und ungesättigte Bruchstücke Gas eine sehr hohe Geschwindigkeit, was zu
aufgespalten werden. Dabei wird Wasserstoff Turbulenzen führt, die für hohen Wärme- und
zugesetzt. Das Hydrocracken von Wachsen Stofftransport sorgen. Außen werden die Roh-
wird bei relativ niedrigen Temperaturen durch- re von Wasser umströmt, das die freiwerdende
geführt, damit der Bruch der Kette in der Mitte Wärme aufnimmt, indem es verdampft. Auch
erfolgt. Nach dem Bruch setzen Folgereaktio- andere Temperierungskonzepte wie z. B. über
nen an den Bruchstücken ein, wie z. B. eine Iso- Salzschmelzen als Latentwärmespeicher sind
merisierung. Am Ende entstehen infrastruktur- möglich. Der Nachteil bei diesem Reaktortyp
kompatible nutzbare synthetische Kraftstoffe. ist, dass die Wärmeverteilung nicht gleich-
mäßig und dadurch die Wärmeabgabe an das
8.3.5.2 Reaktorkonzepte Wasser nicht optimal ist. Es kann deshalb zur
Eine große Herausforderung der Fischer-Tropsch- Hotspot-Bildung kommen, die den Katalysator
Synthese liegt im Umgang mit der freiwerdenden schädigen kann.
Reaktionsenthalpie von ΔHR0 = −165  kJ/mol. Stan- 55 Wirbelschichtreaktor: In . Abb. 8.41 Mitte ist
dardmäßig kommen häufig Festbettreaktoren der Wirbelschichtreaktor schematisch dar-
(Rohrbündelreaktoren) zum Einsatz, wobei in gestellt. Das Synthesegas wird hier von unten
8.4 • Speichermedien und Lagerung
365 8
in den Reaktor geblasen und reißt dabei den 55 Sie brauchen eine hohe mechanische und ther-
feinkörnigen Katalysator mit. Die Fischer- mische Belastungsfähigkeit.
Tropsch-Produkte werden ausgeleitet, wobei 55 Die sogenannte Gasraumgeschwindigkeit
darauf zu achten ist, dass keine Katalysator- (gas hourly space velocity) soll für eine hohe
teilchen ausgetragen werden. Der Katalysator Produktionsrate bei 1000 l/h liegen. Diese be-
wird mechanisch vom Produktgasstrom ge- schreibt das Verhältnis des Gasvolumenstroms
trennt und fällt in den Bunker. Dort wird er zu Katalysatorvolumen und findet Anwendung
wieder in den Reaktor geleitet. in der Bestimmung der notwendigen Edukt-
55 Dreiphasen-Reaktor: Der Dreiphasen-Reak- menge bei gegebener Verweilzeit im Katalysa-
tor (auch Slurry-Reaktor) besteht aus einem torvolumen.
Behälter mit einer Kühlspule. Der Behälter 55 Aus wirtschaftlicher Sicht sollte der Katalysa-
ist mit einer Suspension (Slurry) gefüllt, die tor seine Selektivität eher zu flüssigen als zu
aus Wachs und Katalysatorteilchen besteht gasförmigen Kohlenwasserstoffen haben. Die
(s. . Abb. 8.41 rechts). Das Synthesegas wird Selektivität bei einer Reaktion mit mehreren
unten eingeführt und über den Gasverteiler Produkten beschreibt den Anteil, mit dem das
gleichmäßig in die Suspension eingetragen. jeweilige Produkt erzeugt wird. Je höher dieser
Während des Aufstiegs durch die Suspension Anteil ist, desto mehr wird das Produkt bei der
wird das Synthesegas umgesetzt. Oben am Reaktion bevorzugt.
Reaktorausgang werden übriges Synthesegas, 55 Die Übergangsmetalle Eisen (Fe), Cobalt (Co),
leichte Kohlenwasserstoffe und Wasser ausge- Nickel (Ni) und Ruthenium (Ru) sind die ge-
leitet. Die entstehenden schweren Kohlenwas- eignetsten Elemente als Katalysatoren und
serstoffe werden in der Mitte abgeführt. Durch werden je nach Anforderungen unterschied-
die Kühlschlange wird Wasser geleitet, das lich eingesetzt.
durch Verdampfung freiwerdende Wärme auf-
nimmt und so den Reaktor kühlt. Das Wärme- .  Tabelle  8.11 vergleicht die Katalysatoren mitein-
management ist durch die große Reaktormasse ander. Die Selektivität von Cobalt und Eisen ist am
einfacher, jedoch dauert es länger, den Reaktor besten geeignet für einen wirtschaftlichen Einsatz,
anzufahren als einen Rohrbündelreaktor, und weshalb diese in der Praxis am häufigsten verwen-
Erfahrungen im industriellen Maßstab liegen det werden. Ruthenium scheidet aus heutiger Sicht
bislang nicht vor. aufgrund der hohen Weltmarktpreise als möglicher
Kandidat für eine großtechnische Lösung aus.
Allen Reaktortypen ist gleich, dass sie auf zwei ver- Ein Beispiel einer Power-to-Liquid-Anlage der
schiedene Weisen betrieben werden können (s. [55, Firma sunfire, in der die Fischer-Tropsch-Synthese
99, 115]): für die Herstellung von Stromkraftstoffen einge-
1. »Once-through«-Betrieb. Das Synthesegas setzt wird, ist in 7 Abschn. 14.3 zu finden.
wird nur einmal durch den Reaktor geführt
und möglichst vollständig umgesetzt. Verblei-
bende Restgase werden zur Wärmeerzeugung 8.4 Speichermedien und Lagerung
oder Kraft-Wärme-Kopplung genutzt.
2. »Full-conversion«-Betrieb. Das nicht umge- Chemische Energieträger können ihrem jeweiligen
setzte Synthesegas wird dem Reaktor erneut Aggregatszustand entsprechend in gasförmiger,
zugeführt und ggf. reformiert, um eine mög- flüssiger und fester Form gespeichert werden. Wie
lichst hohe Kraftstoffausbeute zu erzielen. die entsprechenden Gefäße, technischen Geräte,
Räume und Anlagen aussehen und funktionieren,
zz Katalysator ist Gegenstand der folgenden Ausführungen. Der
Als Katalysatoren für das FT-Verfahren sind nur Schwerpunkt liegt auf Speichermedien im gasför-
Materialien geeignet, die folgende Voraussetzun- migen Zustand.
gen erfüllen (s. [60]):
366 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

. Tab. 8.11  Übersicht über die Katalysatoren bei der Fischer-Tropsch-Synthese

Material Druck Temperatur Selektivität

Nickel Umgebungsdruck 150–250 °C Methan

Cobalt Umgebungsdruck bis leicht 150–250 °C unverzweigte Paraffinea


erhöhter Druck

Eisen mäßiger Druck 200–350 °C Olefineb, Paraffine und sauerstoffhalti-


ge KW-Verbindungen (Alkohole)

Ruthenium sehr hohe Drücke (bis niedrige Temperaturen Produkte mit hohem Molekulargewicht
1000 bar) (100 °C)

a Paraffine = Gemisch aus Alkanen (CnH2n+2) mit 18 + Kohlenstoffatomen


b Olefine = Alkene (CnH2n), Cycloalkene und Polyene

8.4.1 Gasförmige Speichermedien entwickelt. Nur in Einzelfällen wurden bestimm-


te Behältervarianten auch für reinen Wasserstoff
8 Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts begann der Auf- genutzt. Wenn nachfolgend von Großspeichern
bau der Gasinfrastruktur in Deutschland – zu- die Rede ist, bezieht sich dies auf die Speicherer-
nächst für Leuchtgas, später als Stadtgas bezeichnet fordernisse in der Stadtgas-Ära. In der heutigen
– der nach dem Übergang zu Erdgas in den 1970er- Erdgaswirtschaft und auch in der zukünftigen
Jahren selbst im angehenden 21. Jahrhundert noch Energiewirtschaft, die vorrangig auf erneuerbaren
immer nicht abgeschlossen ist. Von Beginn an stell- Energien beruhen wird, erfordern Großspeicher
te sich dabei das Problem der Anpassung der eher Kapazitäten, die um mehrere Größenordnungen
stetigen Gasproduktion an die tages- und jahres- höher liegen.
zeitlichen Verbrauchsschwankungen. Die Lösung Die ersten Großspeicher für Stadtgas, die soge-
bestand in der Entwicklung von Gasspeichern – be- nannten Gasometer, arbeiteten bei geringem Über-
ginnend mit weitgehend drucklos betriebenen Ga- druck als Konstantdruckspeicher bei variablem
sometern über Kugelgasbehälter bis zu den heute Volumen. Ein typischer Vertreter war der Glocken-
dominierenden Untertagespeichern mit enormer gasbehälter, bei dem die Abdichtung des gasgefüll-
Speicherkapazität. ten Speichers gegen die Atmosphäre durch eine
Analog gewinnt die Entwicklung von Einspei- Wasservorlage erreicht wurde. Spätere Teleskop-
chertechnologien wie Power-to-Gas in der jetzi- gasbehälter (s. . Abb. 8.42), die nach dem gleichen
gen Übergangsphase von fossilen zu erneuerbaren Grundprinzip arbeiteten, erlaubten eine wesentlich
Energieträgern zunehmend an Bedeutung. Auch größere Speicherkapazität.
diese Entwicklung, die heute noch in den Anfän- Der eigentliche Speicher war innerhalb einer
gen steckt, wird sich über einen längeren Zeitraum Stützkonstruktion installiert (s. .  Abb.  8.43). Den
hinziehen. Im Folgenden wird daher auch immer Teleskopgasspeichern folgten sogenannte Schei-
wieder Bezug genommen auf die Speicherung von bengasbehälter, bei denen ein flacher Kolben
»erneuerbaren Gasen« wie Wasserstoff oder Me- (Scheibe) in einem Zylinder bei weiterhin gerin-
than aus erneuerbarem Strom. gem Druck das Speichervolumen erzeugt.
Da die Beschränkung auf geringfügig über At-
8.4.1.1 Speicherbehälter mosphärendruck liegende Betriebsdrücke die Spei-
Die in diesem Abschnitt beschriebenen Druckgas- cherkapazität stark limitierte, entstand bald das In-
behälter wurden für die Speicherung von Stadtgas teresse am Einsatz von Druckbehältern.
8.4 • Speichermedien und Lagerung
367 8

Gas

Wasser

. Abb. 8.42  Gasometer (Teleskop-Prinzip). (Quelle: KBB UT)

Arbeitsgas und Kissengas


Im Gegensatz zu Gasometern werden Druck-
behälter bei konstantem Volumen, aber
variablem Druck zwischen einem Minimal- und
einem Maximalwert betrieben. Die nutzbare
Gasmenge zwischen diesen Drücken wird als
Arbeitsgas und die bei Minimaldruck verblei- . Abb.8.43  Hoesch-Gasometer im Westfalenpark, Dort-
bende Gasmenge als Kissengas bezeichnet, mund

wobei das Verhältnis von Arbeits- zu Kissengas


bei den einzelnen Druckspeicherverfahren . Tab. 8.12  Typische Dimensionierung von Kugel-
unterschiedlich ist. gasbehältern

Kugeldurchmesser 40 m

In zwei Fällen werden in Deutschland Gasometer Maximaler Druck 10 bar


auch für die Wasserstoffspeicherung verwendet, Speicherkapazität 335.000 m³ (Vn)
und zwar in Frankfurt-Höchst (Infraserv Höchst)
und in Gersthofen (CABB GmbH) (s. [107]).
Kugelgasbehälter erlauben aufgrund der güns- Im Gegensatz zu Untertagespeichern in geolo-
tigen Geometrie wesentlich höhere Betriebsdrücke gischen Formationen können diese Speicher in fast
und damit Energiespeicherdichten (s. . Tab. 8.12 und jeder Region installiert werden. Die Verwendung
.  Abb. 8.44). Diese Variante erfordert den gerings- handelsüblicher Stahlrohre erlaubt im Vergleich
ten spezifischen Materialverbrauch für den Behälter. zu Kugelgasbehältern den Betrieb bei wesentlich
Das ist ein entscheidender Aspekt, da die Investkos- höheren Drücken; darüber hinaus ist die Kapazi-
ten in erster Linie von den Materialkosten abhängen. tät letztendlich nur von der Gesamtlänge der Rohre
Bisher ist keine Anwendung von Kugelgasbe- abhängig. Die Geometrie eines langen Zylinders
hälter für die Speicherung von reinem Wasserstoff mit geringem Durchmesser im Vergleich zu einer
bekannt; eine Ausnahme sind Kryogasbehälter für Kugel führt allerdings bei gleichem geometrischem
flüssigen Wasserstoff, die in der Raumfahrt einge- Volumen zu einem sehr viel höheren Stahlver-
setzt werden. brauch und damit höheren spezifischen Investkos-
Röhrenspeicher sind im Boden in gerin- ten, weshalb diese Speicher auch für eher kleinere
ger Tiefe mäanderförmig verlegte Gaspipelines Kapazitäten und damit nur für den Ausgleich eher
(s. . Abb. 8.45). Beispielhaft zeigt . Tab. 8.13 die Di- geringer Verbrauchsschwankungen im Gasnetz
mensionen des Erdgasspeichers in Urdorf, Schweiz. eingesetzt werden.
368 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

8
. Abb. 8.44  Kugelgasbehälter in Aachen, © Turbowerner / fotolia

. Tab. 8.13  Dimensionen des Erdgasspeichers in


Urdorf, Schweiz

Rohrdurchmesser 1400 mm

Überdeckung der Speicherrohre 2m

Rohrlänge gesamt 4140 m

Geometrisches Volumen 6400 m³

Maximaler Betriebsdruck 100 bar

Speicherkapazität 574.000 m³ (Vn)

. Abb. 8.45  Bau des Erdgas-Röhrenspeichers bei Urdorf, zunehmender Überdeckung bzw. Teufe (Ausdruck
Schweiz. (Quelle unbekannt) im Bergbau für Tiefe) in der Praxis Speicherdrücke
bis 200  bar und darüber realisierbar sind. Da die
8.4.1.2 U
 ntertage-Gasspeicher in Speicherkapazität in erster Linie vom Produkt aus
geologischen Formationen Volumen und Druck abhängt, ergeben sich damit
Die Speicherkapazität von Speichern ober Tage ist im Vergleich zu Obertagespeichern völlig andere
grundsätzlich begrenzt durch die in ökonomischer Größenordnungen. Während die oben erwähnten
Hinsicht sinnvollen geometrischen Volumen in Druckbehälter Kapazitäten meist weit unterhalb von
Verbindung mit dem realisierbaren Speicherdruck, Vn = 1 Mio. m³ ermöglichen, liegt der Wert z. B. bei
wobei die Materialkosten der entscheidende Faktor den deutschen Untertagespeicher-Anlagen im Mittel
sind. Im geologischen Untergrund können dagegen bei einem Normvolumen von knapp 500 Mio. m³.
kostengünstig wesentlich größere Speichervolumen Dies ist der Grund, warum die Speicherung
bei gleichzeitig wesentlich geringerem Flächenver- großer Erdgasmengen seit mehreren Jahrzehn-
brauch realisiert werden. Dazu kommt, dass mit ten fast ausschließlich unter Tage stattfindet.
8.4 • Speichermedien und Lagerung
369 8

. Abb. 8.46  Optionen für Gasspeicher im geologischen Untergrund. (Quelle: KBB UT)

. Abbildung 8.46 zeigt die verschiedenen Speicher- 55 die sehr große Speicherkapazität durch große
optionen im Untergrund. In der Anfangszeit wur- geometrische Volumen bei hohen Betriebs-
den zunächst ausgeförderte Gas- oder Öl-Lager- drücken
stätten und poröse wasserführende Formationen 55 der geringe Flächenverbrauch ober Tage
(Aquifere) als Speicher genutzt. Diese wurden spä- 55 die im Vergleich zu Gasspeichern ober Tage
ter durch künstlich erstellte Salzkavernen ergänzt. geringen spezifischen Installations- und Be-
In geringem Umfang wurden in der Vergangenheit triebskosten
Poren- und Salzkavernenspeicher für die Speiche- 55 Abhängigkeit der Realisierung von der Verfüg-
rung von Stadtgas verwendet, das zu über 50 % aus barkeit geeigneter geologischer Formationen,
Wasserstoff besteht. Die Speicherung reinen Was- was regional in vielen Fällen eine große Ein-
serstoffs erfolgt seit vielen Jahren erfolgreich in spe- schränkung bedeutet
ziell ausgelegten Salzkavernen in Großbritannien 55 umfangreiche positive Erfahrungen in vielen
und in Texas, USA. Industrienationen und damit gute Vorausset-
Alle heute international im großen Maßstab zungen für die Akzeptanz zukünftiger Speicher
eingesetzten Gasspeicheroptionen im geologischen für Gase wie Wasserstoff oder Methan, die aus
Untergrund besitzen folgende Gemeinsamkeiten: erneuerbaren Energien erzeugt wurden.
55 die sehr große Sicherheit gegen unbeabsichtig-
tes Austreten von Gas durch abdichtende Ge- 8.4.1.3 Salzkavernen
steinsschichten von bis zu mehreren hundert zz Erstellung
Metern »Wandstärke« – verglichen mit weni- Bei Salzkavernen handelt es sich um künstlich
gen Zentimetern Materialstärke bei Behältern im Salzgestein unter Tage erstellte Hohlräume (s.
ober Tage . Abb. 8.47). Stehen ausreichend große, weitgehend
370 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

Wasser
Sole
Blanket
(Nitrogen)

Deckgebirge

Salz

Blanket (N2)

Sumpf

8
. Abb. 8.48  Solprozess – Hohlraumerstellung im Salz-
gestein. (Quelle: KBB UT)

das Meer umweltverträglich abgeleitet. Eine stoff-


liche Nutzung dieser Sole sind die Chlor-Alkali-
Elektrolyse zur Herstellung von Chlor, Natronlauge
. Abb. 8.47  Gasspeicherkavernen. (Quelle KBB UT)
und Wasserstoff, wie in 7 Abschn. 8.1.3 beschrieben,
oder die Gewinnung von Siedesalz.
homogene Steinsalzformationen zur Verfügung, Zusätzlich wird in den äußeren Ringraum ein
wird eine Bohrung mit einem Durchmesser d < 1 m Schutzfluid (Blanket) injiziert (z. B. Stickstoff), das
in das Salzgestein abgesenkt (abgeteuft) und mit ein unkontrolliertes Solen nach oben verhindert.
einzementierten Stahlrohren abgedichtet. Danach Die räumliche Entwicklung der Kaverne in Abhän-
beginnt die eigentliche Erstellung des Hohlraums gigkeit von der Zeit kann durch Sonarvermessun-
durch den sogenannten Solprozess. Der große Vor- gen kontrolliert und damit angepasst werden.
teil des nachstehend näher beschriebenen Verfah- Ziel ist es, einen Hohlraum zu erstellen, der
rens ist, dass zum Auffahren der Kaverne weder ein einerseits das vorhandene Salzgebirge gut ausnutzt,
aufwändiger Schacht abgeteuft noch Personal oder der aber anderseits später in der Betriebszeit eine
Maschinen nach unter Tage transportiert werden langzeitsichere Speicherung von Gas gewährleistet.
müssen und dass alle Arbeiten von ober Tage ge- Bedingt durch die besonderen Kriecheigenschaften
schehen – ein erheblicher Kosten- und Zeitvorteil von Salzgestein sind Kavernen technisch dicht für
gegenüber dem konventionellen Bergbau. Gase, solange die zulässigen Betriebsdrücke einge-
Um das für den Lösungsprozess erforderliche halten werden. Das Kriechen führt allerdings auch
Wasser in die Bohrung injizieren zu können, wer- dazu, dass das verfügbare Volumen mit der Zeit ge-
den zunächst zwei konzentrische Rohre in die Boh- ringfügig abnimmt.
rung gehängt (s. .  Abb.  8.48). Durch das innere Hat die Kaverne das gewünschte Volumen er-
Rohr wird Wasser eingepresst, das das Salzgestein reicht, erfolgen Dichtheitstests, Umrüstung zum
auflöst. Durch den Ringraum zwischen den Rohren Gasbetrieb und Gaserstbefüllung. Als erster Schritt
wird die entstehende Sole nach ober Tage verdrängt muss die Dichtheit der Zugangsbohrung nach-
und dort entweder als Rohstoff genutzt oder z. B. in gewiesen werden – eine entscheidende Voraus-
8.4 • Speichermedien und Lagerung
371 8
setzung für die spätere Freigabe als Gasspeicher. . Tab. 8.14  Daten des Erdgasspeichers Nüt-
Danach wird die Kaverne mit einer Gasfördertour termoor der EWE Vertrieb GmbH in Ostfriesland.
ausgerüstet und ein sogenannter Soleentleerungs- (Quelle: [89])
strang in der Kaverne abgehängt. Dieser erlaubt das Anzahl der Kavernen 21
Einpressen des Speichergases im Ringraum in die
Teufe 950–1300 m
Kaverne und dabei das Verdrängen der Sole nach
ober Tage. Abschließend wird dieser Strang unter Mittleres Volumen einer einzel- etwa 400.000 m³
nen Kaverne (geometrisch)
Druck wieder ausgebaut und ein Untertagesicher-
heitsventil installiert. Sollte im schlimmsten Fall Arbeitsgasmenge 1319 Mio. m³
der sogenannte Kavernenkopf an der Tagesober- Entnahmerate kurzfristig 1,5 Mio. m³/h
fläche beschädigt werden, verhindert dieses Ventil
automatisch ein unkontrolliertes Ausströmen des
gespeicherten Gases (Blow out). zogen auf Wasserstoff oder 46.000  t bezogen auf
Methan.
zz Geologisch-geotechnische Voraussetzungen Als Beispiel für eine große Speicheranlage soll
Grundsätzlicher Nachteil aller Untertagespeicher- der Erdgasspeicher Nüttermoor der EWE Ver-
Optionen ist die Bindung an eine geeignete Lager- trieb GmbH in Ostfriesland aufgeführt werden
stätte. Voraussetzungen für die Erstellung von Gas- (s. . Tab. 8.14):
kavernen sind in erster Linie
55 die Verfügbarkeit einer Salzformation mit zz Erfahrungen mit der Speicherung von
ausreichender lateraler und vertikaler Aus- wasserstoffreichem Stadtgas
dehnung Gaskavernen werden heutzutage in erster Linie für
55 eine Mächtigkeit der nutzbaren Salzformation die Speicherung von Erdgas genutzt. Weitere Spei-
von mindestens etwa 200 m in einem Teufen- chermedien sind z. B. reiner Wasserstoff, Helium,
bereich von typisch 500–2000 m Druckluft und früher Stadtgas mit einem hohen
55 ein begrenzter Anteil an unlöslichen Bestand- Wasserstoffanteil.
teilen im Salz Stadtgas ist ein Gasgemisch mit hohen Antei-
55 die Möglichkeit, die entstehende Sole (ca. len von Methan, Stickstoff, Kohlenmonoxid und
8-faches Kavernen-Volumen) verwerten oder Wasserstoff (je nach Qualität bis über 50 %), das
umweltgerecht entsorgen zu können. in Deutschland und anderen europäischen Län-
dern vorwiegend in ausgeförderten Lagerstätten,
In Deutschland sind vor allem im Nordseeküsten- in Aquiferen und zum Teil auch in Salzkavernen
bereich und in Mitteldeutschland sehr gute geolo- gespeichert wurde. Der sehr reaktive Wasserstoff
gische Voraussetzungen gegeben. Im südlichen Teil in Verbindung mit den anderen Gasbestandteilen,
Deutschlands werden mangels geeigneter Salzfor- Mineralbestandteilen der Lagerstätte sowie Mikro-
mationen vor allem ausgeförderte Gaslagerstätten organismen (Bakterien) führte teilweise zu Korro-
zu Speichern umgewidmet (s. 7 Abschn. 8.4.1.2). sion an der Untertageausrüstung, Minderung der
Fließfähigkeit in den porösen Lagerstätten, Ände-
zz Typische Dimensionen rung der Gaszusammensetzung (z. B. Bildung von
Abhängig von der geologischen Situation beträgt Schwefelwasserstoff (H2S)) und damit auch zu Gas-
das typische geometrische Volumen einer Gasspei- verlusten.
cherkaverne mehrere 100.000 m³ bis maximal etwa Die Bakterienproblematik betrifft besonders
1.000.000 m³. Der Betriebsdruck nimmt linear mit Aquiferspeicher wegen der großen Gas-Wasser-
der Kavernenteufe zu. Bei einer angenommenen Kontaktfläche, ausgeförderte Gasfelder sind weni-
Teufe des Kavernendachs von 1000  m und einem ger und am wenigsten sind Kavernen davon be-
Volumen von 500.000  m³ ergeben sich Betriebs- troffen.
drücke zwischen etwa 60 und 180 bar. Aufgrund der unterschiedlichen Gasbestand-
Für eine einzelne 500.000  m³-Kaverne ergibt teile im Stadtgas ist eine Übertragung der Erfah-
sich damit eine Arbeitsgasmasse von 4900  t be- rungen auf die Speicherung von Erdgas/Wasser-
372 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

. Abb. 8.49  Wasserstoffkavernen in Houston, Texas, USA. (Quelle: KBB UT und OpenStreetMap)

stoffgemischen oder reinem Wasserstoff nur be- sind wissenschaftlich basierte Nachweise z. B. zur
dingt möglich (s. [48]). Dichtheit von Salzgestein bei Wasserstoff geplant,
um die erforderliche öffentliche Akzeptanz zu ge-
zz Erfahrungen mit der Speicherung reinen währleisten.
Wasserstoffs
Langjährige praktische Erfahrungen mit der Spei- 8.4.1.4 Porenspeicher
cherung von reinem Wasserstoff basieren auf drei Im Bereich der Erdgasversorgung spielen Poren-
kleinen Kavernen in Teesside, Großbritannien, und speicher weltweit die mit Abstand größte Rolle. Es
vor allem auf zwei großen Kavernen in der Nähe von handelt sich dabei um natürliche poröse Lagerstät-
Houston, Texas, USA. Eine dritte Kaverne steht kurz ten, deren Dichtheit nach oben durch gasdichte Ge-
vor der Fertigstellung (s. .  Abb.  8.49). Veröffent- steinsformationen gewährleistet wird.
lichte Daten zur Dichtheit zeigen ähnlich gute Er- Der Zugang zu der Lagerstätte erfolgt durch
gebnisse wie bei Erdgaskavernen. Im BMBF-Projekt Bohrungen. Da es sich bei einer Lagerstätte im
HYPOS soll bis 2020 eine bestehende Erdgaskaverne Gegensatz zu den Verhältnissen bei einer Kaverne
in Sachsen-Anhalt zu einer Wasserstoffkaverne um- nicht um einen offenen Hohlraum handelt, son-
gesolt werden. Die Kaverne wäre der erste unterir- dern um ein System kleiner verbundener Poren,
dische Wasserstoffspeicher in Deutschland (s. [51]). ist es erforderlich, mehrere Bohrungen vorzuneh-
Vor einer Genehmigung für neue Wasserstoff- men, um die Fließwege und die resultierenden
kavernen in Europa und insbesondere in Deutsch- Fließwiderstände innerhalb der Lagerstätte bei der
land ist jedoch die Anpassung an die hiesigen Ein- und Auslagerung des Gases zu reduzieren. Mit
wesentlich höheren Sicherheitsanforderungen der in den letzten Jahren entwickelten Horizontal-
erforderlich. Insbesondere muss die Auswahl der bohrtechnik kann die Einspeicher- bzw. Ausspei-
zu verwendenden Zemente, Stähle und Kunststof- cherdauer verkürzt und die Zahl der erforderlichen
fe hinsichtlich der Eignung für Wasserstoff noch Bohrungen reduziert werden.
ausreichend nachgewiesen werden. Außerdem
8.4 • Speichermedien und Lagerung
373 8
zz Ausgeförderte Gas- oder Öllagerstätten
Unter den Porenspeichern spielen ausgeförderte
Gaslagerstätten die größte Rolle (s. . Abb. 8.50). Bei
Eignung können sie zu einem Speicher umgewidmet
werden. Der Nachweis der Dichtheit ergibt sich aus
der Tatsache, dass die Kohlenwasserstoffe über geo-
logische Zeiträume eingeschlossen waren und trotz
ihrer geringeren Dichte nicht in höhere Stockwerke
bis zur Tagesoberfläche migriert sind. Vorteilhaft
ist weiterhin, dass die Lagerstätte und die darüber
liegende abdichtende Gesteinsschicht durch die
vorangegangene Exploration und die nachfolgende
Förderung bereits optimal erkundet sind. Die be-
reits bestehenden Förderbohrungen können ggf. im
Speicherbetrieb weiter genutzt werden.
Wichtige geologische bzw. geotechnische Vor-
aussetzungen für die Eignung einer ausgeförderten
Kohlenwasserstoff-Lagerstätte als Gasspeicher sind
55 ein geeigneter Teufenbereich (Dimensionen in
der Tiefe), damit die Betriebsdrücke mit den
Betriebsdrücken des angeschlossenen Pipe-
linesystems verträglich sind
55 die reservoirmechanischen Eigenschaften der
Formation – nämlich die Porosität und die
. Abb. 8.50  Gasspeicherung in porösen Lagerstätten.
Durchlässigkeit für Gasströmung (Permeabili- (Quelle: KBB UT)
tät). Für einen Speicher, der häufig befüllt bzw.
entleert werden soll, sind hohe Porosität und
Permeabilität erwünscht. Aufwand nach dem Verlassen des Speichers
für die Abtrennung ober Tage zur Folge hat.
In der Praxis sind nur etwa 10 % der ausgeförderten 55 Da die Gesteinsmatrix der Lagerstätte aus
Lagerstätten zur Umwidmung als Erdgasspeicher unterschiedlichen Mineralien besteht und
geeignet (s. [87]). Wasserstoff sehr reaktiv ist, sind chemische
In Hinblick auf eine mögliche zukünftige Nut- Reaktionen des Wasserstoffs möglich. Die
zung einer Gaslagerstätte als Wasserstoffspeicher Folgen können sowohl Verlust an Wasserstoff
sind weitere Aspekte zu beachten: als auch die Bildung von Reaktionsprodukten
55 Eine Kohlenwasserstoff-Lagerstätte wird vor der sein, die die Fließeigenschaften des Speichers
Umwidmung zu einem Speicher üblicherweise negativ beeinflussen können.
nur zu einem bestimmten Prozentsatz (typisch 55 Betriebserfahrungen zeigen, dass in der Lager-
50 %) entleert; d. h., das Speichergas kommt in stätte auch Mikroorganismen wie Bakterien
der Lagerstätte in Kontakt mit Restbeständen vorhanden sind, die ebenfalls mit Wasserstoff
unterschiedlicher Kohlenwasserstoffgase und reagieren können. Die Folgen können Verlust
ggf. -flüssigkeiten. Das ist auch der Grund, an Speichergas wie auch Beeinträchtigung der
warum ausgeförderte Öllagerstätten eher nicht Fließeigenschaften sein.
als Erdgasspeicher nachgenutzt werden.
55 Im Fall einer zukünftigen Nutzung für Wasser- Die beschriebenen möglichen Reaktionen von Was-
stoff ist davon auszugehen, dass das Speicher- serstoff mit dem In-situ-Inventar von Lagerstätten
gut mit Kohlenwasserstoffen verunreinigt wer- sind Gegenstand umfangreicher Forschungsvorha-
den wird, was bei den hohen Anforderungen ben auf nationaler und internationaler Ebene. Auch
an die Reinheit des Wasserstoffs erheblichen wenn Salzkavernen als Wasserstoffspeicher grund-
374 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

sätzlich zu bevorzugen sind, besteht doch großes . Tab. 8.15  Daten zum Erdgasspeicher Bierwang
Interesse, auch zukünftig Porenspeicher einzuset- der E.ON Gas Storage GmbH. (Quelle: [89])
zen, da nur dann eine ausreichend gute Abdeckung
Teufe ca. 1560 m
des Speicherbedarfs der betreffenden Regionen
bzw. Länder zu erreichen ist. Arbeitsgasmenge (Erdgas) 1450 Mio. m³

Die typischen Dimensionen von Porenspei- Entnahmerate kurzfristig 1,2 Mio. m³/h


chern werden beispielhaft am Erdgasspeicher Bier-
wang der E.ON Gas Storage GmbH in einer ehe-
maligen Gaslagerstätte aufgeführt (s. . Tab. 8.15): Aquiferformation zur Nutzung als Gasspeicher ent-
Erfahrungen mit der Speicherung von Wasser- sprechen weitgehend denen für ausgeförderte Koh-
stoff in Porenspeichern liegen in Deutschland hin- lenwasserstoff-Lagerstätten: Eine kuppelförmige
sichtlich der Speicherung von wasserstoffhaltigem Ausbildung der im Top abdichtenden Formation,
Stadtgas vor, wobei diese nur begrenzt übertragbar ein geeigneter Teufenbereich für die angestrebten
sind, da bestimmte Reaktionen im Speicher z.  B. Speicherdrücke und geeignete Lagerstättenpara-
an das im Stadtgas enthaltene Kohlenmonoxyd meter hinsichtlich ausreichender Porosität und
gebunden sind: In der Vergangenheit wurden in Permeabilität. In den vergangenen Jahren wurden
Deutschland dafür drei ausgeförderte Kohlenwas- Aquifere vielfach als mögliche Speicher bzw. Endla-
serstoff-Lagerstätten umgewidmet, die später auf ger für CO2 (Kohlendioxid) aus Kohlekraftwerken
8 Erdgas umgestellt wurden. An einigen Speichern untersucht. Der mögliche Einsatz eines bestimmten
kam es während des Betriebs zu Gasverlusten und Aquifers für die einmalige Einlagerung von CO2
Gasqualitätsänderungen, die aus Reaktionen mit lässt aber nicht unbedingt auf die Eignung für eine
dem im Stadtgas enthaltenen Kohlenmonoxyd re- häufige Ein- und Auslagerung bei der Nutzung des
sultierten. CO kann bei Verfügbarkeit von H2 zu Speichers zum Ausgleich fluktuierender erneuer-
CO2 und H2O abgebaut werden, wobei das CO2 zu barer Energien in Form von Wasserstoff schließen.
weiteren Reaktionsprodukten führen kann (s. [87]). Der entscheidende Unterschied zwischen der
Soweit bekannt ist, wurde reiner Wasserstoff Umwidmung von ausgeförderten Kohlenwasser-
bisher nur im Demonstrations-Maßstab in ausge- stoff-Lagerstätten und der von Aquiferen zu einem
förderten Gaslagerstätten gespeichert. Gasspeicher liegt darin, dass für einen Aquifer zu
Beginn noch keine ausreichenden Daten zur geo-
zz Aquiferformationen logischen und lagerstättentechnischen Situation
Aquiferformationen werden ebenfalls seit Jahr- und zur Dichtheit des überlagernden Gebirges zur
zehnten in umfangreichem Maße zur Speicherung Verfügung stehen. Vielmehr ist in der Regel ein er-
großer Erdgasmengen genutzt. Hierbei handelt es heblicher Explorationsaufwand erforderlich, um
sich um natürliche poröse und permeable Lager- zu klären, ob die Formation überhaupt als Gasspei-
stätten, die hier aber ursprünglich nicht mit Erdgas cher geeignet ist.
oder Erdöl, sondern mit mehr oder weniger salz- In Hinblick auf eine mögliche zukünftige Nut-
haltigem Wasser gefüllt waren. zung eines Aquifers als Wasserstoffspeicher sind
Wird diese Lagerstätte von einer undurchläs- im Grunde ähnliche Aspekte zu beachten wie bei
sigen Gesteinsschicht überdeckt und zeigt diese ausgeförderten Lagerstätten, wenn von möglichen
Überdeckung gleichzeitig auch noch eine kup- Verunreinigungen des gespeicherten Wasserstoffs
pelartige Ausformung, kann der Aquifer ggf. als durch Reste von fossilen Kohlenwasserstoffen ab-
Gasspeicher genutzt werden. Dafür werden Boh- gesehen wird. Problematisch sind auch hier mögli-
rungen im Topbereich der Formationen abgeteuft, che Reaktionen des In-situ-Inventars an Mineralien
durch die das Gas injiziert wird (s. .  Abb. 8.51). In und Mikroorganismen mit dem reaktionsfreudigen
dieser Zeichnung ist auch der sogenannte spill point Wasserstoff, was sowohl zum Verlust an Speichergas
eingetragen – der tiefste Punkt, bis zu dem Gas in- als auch zur Produktion von ungewünschten Gasen
jiziert werden kann. und weiteren Reaktionsprodukten führen kann, die
Die entscheidenden geologischen und geotech- die Fließwege nachhaltig schädigen können.
nischen Voraussetzungen für die Eignung einer
8.4 • Speichermedien und Lagerung
375 8
Beobachtungs- lnjektions / Beobachtungs-
bohrung Förderbohrungen bohrung

Deckgebirge

abdeckende Schicht

seal Speicher

salines
Grundwasser

. Abb. 8.51  Gasspeicherung in einer Aquiferformation. (Quelle: KBB UT)

Die Erfahrung mit der Speicherung von Stadt- . Tab. 8.16  Daten zum Erdgasspeicher Kalle der
gas hat gezeigt, dass die Gefahr insbesondere von RWE Gasspeicher GmbH ausgeführt in einer Aquifer-
bakteriell indizierten Reaktionen in einem Aquifer formation
erheblich größer sind als in einer ausgeförderten
Teufe ca. 2100 m
Lagerstätte oder gar einer Salzkaverne; Grund ist
die große Kontaktfläche zwischen Gas- und Was- Arbeitsgasmenge (Erdgas) 215 Mio. m³

serphase. Entnahmerate kurzfristig 0,45 Mio. m³/h


Typische Dimensionen werden beispielhaft an-
hand des Erdgasspeichers Kalle der RWE Gasspei-
cher GmbH in einer Aquiferformation veranschau- 8.4.1.5 F
 elskavernen und aufgelassene
licht (s. . Tab. 8.16): Bergwerke
In Deutschland war in der Vergangenheit in zz Bergmännisch aufgefahrene Hohlräume
acht von dreizehn Aquiferspeichern wasserstoff- (Felskavernen)
haltiges Stadtgas gespeichert. Drei dieser Speicher Flüssige Kohlenwasserstoffe werden seit Langem in
wurden später stillgelegt. An einigen Speichern großen, bergmännisch aufgefahrenen, nicht aus-
kam es während des Betriebs aufgrund der bereits gekleideten Felskavernen im Festgestein wie z.  B.
erwähnten Zusammenhänge zu erheblichen Gasvo- Granit gespeichert. Obwohl dieses Gestein nicht
lumenverlusten und -qualitätsänderungen (s. [87]). rissfrei ist, kann das Speichergut in der Kaverne
Soweit bekannt, wurde reiner Wasserstoff bis- eingeschlossen werden. Voraussetzung ist, dass
her nicht in Aquiferformationen gespeichert. We- aufgrund der Lage weit unterhalb des Grundwas-
gen des großen Interesses an dieser Option werden serspiegels ständig geringe Mengen Grundwasser
die Wechselwirkungen zwischen Wasserstoff und durch die Risse in den Speicher fließen, womit ein
den mineralischen und biologischen Komponen- Austritt von gasförmigem und flüssigem Speicher-
ten des In-situ-Inventars verschiedener Speicher gut durch diese Wegsamkeiten vermieden wird.
derzeit in Forschungsvorhaben untersucht. Das im Kavernensumpf gesammelte Wasser wird
bei Bedarf abgepumpt.
376 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

Dieses sogenannte hydrodynamische Speicher- . Tab. 8.17  Daten zur Prototypkaverne LRC in
konzept wird für Gase unter hohem Druck weltweit Schweden
bisher nur im Erdgasspeicher Haje in Tschechien
Teufe 130 m
realisiert. Einer größeren Verbreitung dieses Kon-
zepts für Gase unter hohem Druck steht entgegen, Durchmesser 40 m

dass der Speicher in großen Teufen (Tiefen) ange- Höhe 100 m


legt werden muss, um sinnvolle Betriebsdrücke er- Maximaler Betriebsdruck 230 bar
reichen zu können. Dies führt wiederum zu extrem
hohen Kosten für das Abteufen der Schächte und
das bergmännische Auffahren der Stollen für den Schwierigkeit besteht in dem belastbaren Nachweis
späteren Speicher. Im Fall von Haje spielten nicht der Dichtheit, der erst möglich ist, nachdem bereits
nur wirtschaftliche Gesichtspunkte bei der Reali- große Summen in die Abdichtung der Schächte
sierung eine Rolle. Soweit bekannt konnten hier gegen den hohen Gasdruck investiert wurden. Ge-
bestehende Bergwerksanlagen weiter genutzt bzw. rade in Anbetracht der Mobilität des sehr kleinen
erweitert werden, die zuvor für ein nukleares End- Wasserstoffmoleküls wird diese Variante als eher
lager vorgesehen worden waren. kritisch angesehen.
Eine konsequente Weiterentwicklung für die
Gasspeicherung im Festgestein stellen ausgekleide- 8.4.1.6 V
 ergleich der Gasspeichertechno-
8 te Felskavernen (engl. lined rock caverns bzw. LRC) logien
dar. Um Felskavernen für Gase unter hohem Druck zz Zukünftige Rolle von Gasspeichern im
auch in geringeren Teufen anlegen zu können, in Gashandel und für Power-to-Gas
denen das hydrodynamische Dichtkonzept nicht Die Speicherung von Erdgas in Untertagespeichern
einsetzbar ist, wird die bergmännisch erstellte Fels- ist im großtechnischen Maßstab seit Jahrzehnten
kaverne bei diesem Konzept mit einer gasdichten technischer Standard. Da Methan der Hauptbestand-
Stahlauskleidung versehen. teil von Erdgas ist, gelten nachstehende Aussagen
In Schweden wird seit einigen Jahren eine unter ebenso für erneuerbares Methan. In der Vergangen-
dem Namen »LRC« bekannte Prototypkaverne er- heit spielten die Speicher in natürlichen Lagerstät-
folgreich betrieben. Die wesentlichen Daten sind in ten im Vergleich zu Salzkavernen die größere Rolle.
. Tab. 8.17 dargestellt: Hintergrund waren die enormen Kapazitäten und
Eine weitere ausgekleidete Gaskaverne ist der- gleichzeitig der Bedarf in erster Linie an saisonalen
zeit in Innertkirchen, Schweiz, geplant. Der Bau Speichern zum Ausgleich von kontinuierlicher An-
von Speichern dieser Bauart ist allerdings aufgrund lieferung und saisonal unterschiedlichem Verbrauch.
der sehr hohen spezifischen Erstellungskosten nur Im Zuge der Liberalisierung der Gaswirtschaft hat
in Regionen angebracht, die wie Schweden oder die der Bedarf an Handelsspeichern zugenommen, die
Schweiz nicht über geeignete Salzformationen oder abhängig vom aktuellen Gaspreis in der Lage sind,
Lagerstätten, dafür aber über geeignete Felsforma- kurzfristig große Mengen einzulagern oder auch aus-
tionen verfügen. zulagern. Dies führte zu einem großen Zuwachs an
Erfahrungen zum Betrieb von Felskavernen mit Speicherkapazität in Salzkavernen, da diese aufgrund
Wasserstoff liegen nicht vor. ihres Aufbaus für diese Anforderungen wesentlich
besser geeignet sind als andere Optionen.
zz Aufgelassene Bergwerke Es ist davon auszugehen, dass diese Anforde-
In ganz wenigen Fällen wurden Bergwerke nach rungen an große Flexibilität, d. h. hohe Umschlags-
Beendigung des Abbaubetriebs zu einem Gasspei- häufigkeit bei hohen Raten, auch an zukünftige Me-
cher umgewidmet. Allerdings steht dem Vorteil than- und auch Wasserstoffspeicher zu stellen sind,
des bereits vorhandenen, oft sehr großen Hohl- da die Produktion dieser Gase direkt an den Output
raumvolumens das Problem der Abdichtung des der Power-to-Gas-Anlagen gekoppelt sind, welche
komplizierten Grubensystems mit zahlreichen wiederum im Takt von Wind und Sonne betrieben
Strecken und Schächten entgegen. Eine weitere werden sollen.
8.4 • Speichermedien und Lagerung
377 8

. Tab. 8.18  Vergleich der Gasspeicheroptionen für Wasserstoff

Ausgeförderte Aquifer-Forma- Salzkavernen Ausgekleidete


Gaslagerstätte tion (Feld) Felskavernen

Sicherheit + +/− ++ +

Dichtheit + +/− ++ +

Nachweis der Dichtheit + +/− ++ +

Praktische Erfahrung +/− +/− ++ −

Machbarkeit +/− +/− ++ +/−

Speicherkapazität ++ ++ ++ +/−

Flexibilität +/− +/− ++ ++

Kontamination von H2 − +/− + ++

Reaktionen H2 <> In-situ-Inventar +/− − + ++

Exploration ++ − + +

Kissengas-Anteil +/− − + ++

Investment ++ +/− ++ −

Betrieb + + + +

Legende:
++ sehr gut bzw. sehr geeignet
+ gut bzw. geeignet
+/− ausreichend
− weniger gut bzw. weniger gut geeignet
− schlecht bzw. ungeeignet

Da aber Salzvorkommen wie Öl- und Gaslager- Gasspeicheroptionen für Wasserstoff. Salzkavernen
stätten oder Aquiferformationen geografisch sehr sind für zukünftige Wasserstoffspeicher mit sehr
ungleichmäßig verteilt sind, besteht großes Inter- großen Kapazitäten am besten geeignet – allerdings
esse, möglichst alle drei Optionen für die Speiche- unter der Voraussetzung der Verfügbarkeit geeigne-
rung erneuerbarer Energien einsetzen zu können. ter Salzformationen und einer Lösung für die Ent-
So kann z. B. die geringere Flexibilität von Poren- sorgung der großen Solemengen bei der Herstellung.
speichern durch eine größere Zahl von Zugangs- Wesentliche Gründe für diese Präferenz sind
bohrungen teilweise kompensiert werden. Eine folgende:
neue Option stellen ggf. ausgekleidete Felskavernen 55 Salzkavernen sind für Wasserstoff technisch
dar, die bisher nur als Prototyp realisiert wurden. dicht.
Im den folgenden Abschnitten werden zu- 55 Der Wasserstoff im Speicher wird nicht durch
nächst die spezifischen Eigenschaften der Spei- das Wirtsgestein Steinsalz verunreinigt, da
cheroptionen für Wasserstoff tabellarisch in einer dieses gegenüber Gasen inert ist.
Bewertungsmatrix dargestellt; daran anschließend 55 Biochemische Reaktionen spielen wegen der
erfolgt ein Vergleich der Kapazitäten für beide er- geringen Kontaktfläche Gas/Sole und der ho-
neuerbaren Gase. hen Salinität der Sole nach bisherigen Erfah-
rungen keine Rolle.
zz Vergleich der Speichertechnologien für 55 Kavernen eignen sich sehr gut für hohe Ein-
Wasserstoff und Auslagerungsraten – d. h. kurze Ein- und
.  Tabelle  8.18 zeigt eine detaillierte Bewertung und Ausspeicherdauern und gleichzeitig für häufi-
den Vergleich der Eigenschaften der verschiedenen ge Lastwechsel.
378 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

. Tab. 8.19  Kenndaten der deutschen Erdgasspeicherung. (Quelle: [61])

Porenspeicher Kavernenspeicher Einheit

Arbeitsgasvolumen in Betrieb 10,6 12,1 Mrd. m³ (Vn)

Arbeitsgasvolumen in Planung oder Bau 1,0 7,2 Mrd. m³ (Vn)

Arbeitsgasvolumen Summe 11,8 19,9 Mrd. m³ (Vn)

Anzahl Speicherbetriebe in Betrieb 21 29 Anzahl

Der wesentliche Grund, sich dennoch mit Poren- Norddeutschland mit ihren lateralen Ausmaßen
speichern für Wasserstoff zu beschäftigen, liegt da- und Tiefenlagen verzeichnet waren. Da es selbst
rin, dass der zukünftig erwartete Bedarf an Groß- für den Fachmann schwierig ist, von diesen Daten
speichern in Europa und weltweit aus geografischen auf das Speicherpotenzial (Anzahl möglicher Ka-
Gründen nicht ausschließlich mit Salzkavernen vernen, Volumen, Druckspiel und damit Kapazi-
abgedeckt werden kann. Die Erfahrung mit Erd- tät) der jeweiligen Formation zu schließen, sind die
gasspeichern zeigt, dass erst mit einer Kombination bisher veröffentlichten Zahlen eher als grobe Grö-
von Poren- und Salzkavernenspeichern größere ßenordnungen zu betrachten. Wegen des großen
8 Areale in den wichtigen europäischen Staaten gut öffentlichen Interesses an dem tatsächlichen Aus-
abgedeckt werden können. baupotenzial laufen derzeit größere Forschungs-
arbeiten sowohl auf nationaler als auch auf inter-
8.4.1.7 H
 eutiges und zukünftiges nationaler Ebene, die das Ziel haben, belastbarere
Potenzial der Speicherkapazitäten Angaben zu liefern.
zz Vergleich der Speicherkapazitäten für Grundsätzlich geeignete Salzformationen fin-
Wasserstoff und Methan den sich zahlreich im nördlichen Niedersachsen
Die nachfolgenden Ausführungen beschränken und in Schleswig-Holstein, im geringeren Maße
sich auf die Situation in Deutschland. Der Einfach- in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg
heit halber wird dabei unterstellt, dass Wasserstoff und wiederum zahlreich in Sachsen-Anhalt. Die
zunächst ausschließlich in Kavernen gespeichert südlichsten Vorkommen mit allerdings geringerem
werden soll, Methan dagegen sowohl in Kavernen Potenzial finden sich im Werra-Gebiet (Nordost-
als auch in Porenspeichern. Die Daten zu Speicher- Hessen). In der Studie »Energieziel 2050« des Um-
kapazitäten (Arbeitsgasvolumen) und Zahl der weltbundesamts wird ein technisch-ökologisches
Speicherbetriebe in .  Tab.  8.19 basieren auf der Zubaupotenzial von 400 Salzkavernen mit einem
offiziellen Statistik des Landesamts für Bergbau, nutzbaren Arbeitsgasvolumen von 22 Mrd. m³ (Vn)
Energie und Geologie (LBEG) in Niedersachsen genannt (s. [110]).
mit dem Stand Ende 2012 (s. [61]). In .  Tab.  8.20 werden die verschiedenen Ka-
Bei einer Abschätzung des zukünftigen Poten- pazitäten, Leistungen und Jahresverbräuche zur
zials für erneuerbares Gas wie Methan und Was- Speicherung von Gasen in Deutschland für heute
serstoff ist zu unterscheiden zwischen der Nutzung (Stand 2012 inkl. derzeit geplante und in Bau be-
bereits vorhandener Speicher unter der Annahme, findliche Speicher) und das zukünftige technische
dass mit abnehmender Bedeutung fossilen Erdga- Potenzial (2050) miteinander verglichen. Verein-
ses bestehender Speicherraum frei wird, und den fachend wird angenommen, dass Methan sowohl
Möglichkeiten für den Zubau. in Porenlagerstätten als auch in Salzkavernen ge-
Das Zubaupotenzial für Druckluft- und für speichert werden kann, Wasserstoff jedoch nur in
Wasserstoffkavernen wurde bereits in mehreren Salzkavernen. Die mittlere Ausspeicherleistung der
Arbeiten abgeschätzt. Die Abschätzungen beruhten Gasspeicher ist mit 106 GW bereits heute sehr hoch
auf veröffentlichten geologischen Karten, in denen und weist damit die Fähigkeit auf, genügend Gas
die zahlreichen Salzformationen hauptsächlich in zu jedem Zeitpunkt zur Stabilisierung des Strom-
8.4 • Speichermedien und Lagerung
379 8

. Tab. 8.20  Vergleich der Speicherkapazitäten für erneuerbare Gase in Deutschland – heute und zukünftig bei
einem Brennwert von 10 bzw. 3 für Methan bzw. Wasserstoff in kWh/m3. (Quelle: [61, 110])

Wasserstoff Methan

Zeitraum 2012+ 2050 (Potenzial) 2012+ 2050 (Potenzial)

Kapazität in TWh 60 126 317 533

Mittlere Ausspeicherleistung s. 7 Kap. 3 (mehrere Werte) 106 s. 7 Kap. 3 (mehrere Werte)


in GW

Jahresverbrauch in TWh/a s. 7 Kap. 3 (mehrere Werte) 930 s. 7 Kap. 3 (mehrere Werte)

. Tab. 8.21  Gesamtarbeitsgasvolumen der Kavernen-/Porenspeicher 2050

Arbeitsgas Ein- Kavernenspeicher Porenspeicher Summe Summe


heit
Mrd. m³ (Vn) Mrd. m³ (Vn) Mrd. m³ (Vn) TWhth

Wasserstoff 42 0 42 126

eE- Methan 42 12 53 530

netzes über Power-to-Gas und Gaskraftwerke be- 8.4.2.1 F


 lüssiggas, Autogas, LPG, LNG und
reitzustellen. CNG
Insgesamt ergibt sich für 2050 die Zusam- zz Technische Eigenschaften
mensetzung der Langzeitspeicherkapazitäten in Flüssiggase sind alle Gase, die aufgrund von Kom-
. Tab. 8.21. Wird Methan als Energieträger genutzt, pression oder tiefen Temperaturen flüssig gelagert
wären demnach 53 Mrd. m3 Speicherkapazität bzw. werden. Unter Flüssiggas wird weitestgehend Auto-
530 TWh in 2050 vorhanden. Bei Wasserstoff wä- gas oder LPG verstanden (Liquefied Petroleum
ren es immerhin noch 42 Mrd. m3 bzw. 126 TWh. Gas), wobei dieses nicht mit LNG (Liquefied Na-
Die bisher veröffentlichten Abschätzungen tural Gas; verflüssigtes Erdgas) oder CNG (Com-
zum zukünftigen Speicherbedarf bewegen sich im pressed Natural Gas, komprimiertes Erdgas) zu ver-
Vergleich im zweistelligen TWh-Bereich. Damit wechseln ist. Bei LNG wird Erdgas zu Lagerungs-
wird klar, dass die Speicherkapazitäten in vollem oder Transportzwecken unter Umgebungsdruck
Maße ausreichend und für die Energiewende zu auf − 160 °C gekühlt, wobei es dann 1/600 des Vo-
Genüge vorhanden sind. Die heute vorhandenen lumens von Erdgas unter Normalbedingungen hat.
Kapazitäten reichen aus. Porenspeicher haben kein Die Bestandteile von Flüssiggas sind gesättigte
wesentliches weiteres Potenzial. Wenn zusätzliche (CnH2n+2) oder ungesättigte (CnH2n) Kohlenwas-
Gaskavernen neu erschlossen werden sollen, dann serstoffe mit n = 3 oder 4, wobei als LPG/Autogas
handelt es sich um Salzkavernen. nur Propan und Butan eingesetzt werden:
55 Propan (C3H8)
55 Propen(C3H6)
8.4.2 Flüssige Speichermedien 55 Butan (C4H10)
55 Buten (C4H8)
Es gibt eine Reihe von flüssigen Medien, deren 55 Methylpropan (Isobutan) (C4H10)
Eigenschaften für den Einsatz in der Energiewirt- 55 Methylpropen (Isobuten) (C4H8).
schaft geeignet sind. Hier werden nur die heute
wichtigsten Energieträger samt Eigenschaften vor- Gewonnen wird Autogas als Produkt bei der Um-
gestellt und ihre Lagerung – also Speicherung – be- wandlung von Erdöl in Raffinerien oder direkt bei
schrieben. der Erdöl- und Erdgasförderung als Begleitgas.
380 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

. Tab. 8.22  Vergleich von LPG und CNG anhand technischer Parameter

LPG CNG

Oktanzahl 105–115 (je nach Zusammensetzung) 120–140

Speicherung Flüssig bei 8–10 bar und Umgebungstemperatur Gasförmig bei 200 bar


(400 g Kraftstoff/l) (160 g Kraftstoff/l)

CO2-Ausstoß Reduktion um ca. 15 % gegenüber Benzinfahrzeugen Reduktion um ca. 25 % gegenüber
Benzinfahrzeugen

Heizwert 12,9 kWh/kg 14,0 kWh/kg

zz Vergleich von LPG und CNG isolierten Tanks in flüssiger Form bei Umgebungs-
. Tabelle 8.22 zeigt den Vergleich von LPG zu CNG. druck gespeichert.
In .  Abb.  8.52 ist beispielhaft ein Gastank für
zz Speicherung CNG in einem Automobil dargestellt.
Die Verflüssigung von Gasen führt zu einer we-
sentlich höheren spezifischen Dichte und damit 8.4.2.2 Erdöl
8 geringerem geometrischen Speichervolumen. Die Erdöl ist heute nach Kohle der meistgenutzte Ener-
unter LPG zusammengefassten Gase erlauben im gieträger weltweit (s. 7 Abschn. 1.2). Aus Erdöl wer-
Gegensatz zu Erdgas bzw. Methan oder Wasserstoff den viele Kraftstoffe und Zwischenprodukte für
die Verflüssigung bereits bei Umgebungstempera- die heutige Energiewirtschaft und die chemische
tur und geringen Drücken. Damit ergibt sich eine Industrie gewonnen. Seine Lagerung ist eine Form
hohe volumetrische Energiedichte bei einfacher von Energiespeicherung.
Handhabung und geringem Aufwand des Umrüs-
tens von Tankstellen, woraus die größeren Anteile zz Technische Eigenschaften
von LPG im Vergleich zu CNG in Deutschland und .  Tabelle  8.23 zeigt die Bestandteile von Erdöl,
anderen Ländern resultieren. deren jeweilige Siedetemperaturen und ihre Ver-
LPG wird in kleinen Mengen in Behältern aus wendung. Um die Bestandteile zu trennen, wird
Stahl gespeichert. In großen Mengen wird das Flüs- in Raffinerien fraktionierte Destillation betrieben,
siggas meist oberirdisch in Kugeldruckbehältern bei der die Bestandteile aufgrund der unterschied-
(s. 7 Abschn. 8.4.1.1) oder unterirdisch in Kavernen- lichen Siedetemperaturen getrennt werden.
speichern (s. 7 Abschn. 8.4.1.3) gelagert. Da aber der Bedarf an den Erdölbestandteilen,
Bei Erdgas ist der energetische Aufwand für die die unter der Bezeichnung Benzin, Diesel, Kerosin
Verflüssigung in Anbetracht der Siedetemperatur etc. zusammengefasst werden, größer ist, als die-
von − 160 °C wesentlich größer. Deshalb wird Erd- se anteilig im Erdöl vorhanden sind, werden über
gas hauptsächlich gasförmig über Pipelines trans- weitere chemische Prozesse die vorhandenen hö-
portiert und gespeichert. Da der Transport über heren Kohlenwasserstoffe umgewandelt. Häufig
sehr lange Entfernungen sehr energieintensiv und findet das sogenannte Cracken Anwendung. Dabei
auf dem Seeweg oft nicht möglich ist, kommt für werden die langkettigen Kohlenwasserstoffe unter
größere Entfernungen und den Seetransport die Einfluss von hohen Temperaturen aufgebrochen
Verflüssigung zu LNG und die anschließende Ver- (s.  7  Abschn. 8.1.2). Je nach gewünschten Produk-
dampfung und Einspeisung in die Erdgasinfra- ten werden unterschiedliche Temperaturen, Drü-
struktur infrage. cke oder Katalysatoren verwendet.
LNG wird sowohl im Bereich des Verflüssi-
gungsterminals, auf speziellen LNG-Tankern als zz Transport
auch im Bereich des Empfangsterminals in speziell Der Transport von Erdöl erfolgt fast ausschließlich
in Tankschiffen mit bis zu 500.000 t Rohöl über den
8.4 • Speichermedien und Lagerung
381 8

innere Schicht: gasdichter PA-Kunststoff

mittlere Schicht: CFK

äußere Schicht: GFK

. Abb. 8.52  Aufbau des Gastanks im Audi A3 Sportback g-tron. (Quelle: Audi AG)

. Tab. 8.23  Zusammensetzung von Erdöl [69]

Siedetemperatur Zahl der Kohlenstoffatome Verwendung

Gas < 20 °C C1–C4 Brennstoff, Synthesegas

Petrolether 20–90 °C C5–C7 Lösungsmittel

Ligroin 90–120 °C C 7, C 8 Lösungsmittel

Benzin 100–200 °C C7–C12 Treibstoff

Kerosin 200–315 °C C12–C16 Flugzeugtreibstoff

Diesel/Heizöl 250–375 °C C15–C18 Brenn- und Treibstoff

Schmieröl > 350 °C C16–C20 Schmiermittel

Paraffinwachs Schmelzpunkt 50–60 °C C20–C30 Kerzen

Asphalt Nichtflüchtig Straßenbau

Rückstand Fest Festbrennstoff


382 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

8 . Abb. 8.53  Öltanker an einer Bohrinsel, © apfelweile / fotolia

. Abb. 8.54  Ausmaße eines großen Öltankers, © apfelweile / fotolia

Seeweg und über Pipelines an Land (s. .  Abb. 8.53 Eisenbahn, Straßengüterverkehr und Binnen-
und 8.54). Pipelines dienen zur Übernahme an Hä- schifffahrt spielen bei der Verteilung erst bei den
fen, der Lagerung, dem sicheren Transport und der Produkten aus Erdöl eine wichtige Rolle.
Übergabe an verschiedene Abnehmer. Dabei kön-
nen Erdölpipelines eine Leistung von bis zu 80 GW zz Speicherung und Speichertechnologien
haben. In Deutschland beträgt ihre Länge rund Bei der Speicherung von Erdöl kann zwischen
2400 km. oberirdischen und unterirdischen Speichertech-
8.4 • Speichermedien und Lagerung
383 8

+ Treppenaufgang

Erdung

Einstiegsluke
Schwimmdach

Oberdeck
Dichtring

Unterdeck
Mantelblech + Leiter

+ Thermometer

Einfüllstutzen
+ Ablassventil

. Abb. 8.55  Schwimmdachtank zur Speicherung von Öl

niken unterschieden werden. Üblich sind heute die Messung des Drucks der Ölsäule sowie über
Schwimmdachtanks und Salzkavernen. den Stand des Schwimmdachs. Typische Dimensio-
Die übliche Speichertechnik bei Raffinerien nen sind Durchmesser von bis zu 70 m bei einem
oder im Handel ist die Lagerung in oberirdi- Volumen von bis zu 100.000 m3.
schen Stahltanks mit einem Volumen von bis zu Unterirdische Speicher kommen zum Zuge,
125.000  m³ je Einzeltank. .  Abbildung  8.55 zeigt wenn es um die Speicherung sehr großer Mengen
den Aufbau des heute üblichen Schwimmdach- z.  B. als strategische Speicher geht und gleichzei-
tanks. Das Öl wird hierbei innerhalb des Stahlzy- tig geeignete geologische Formationen vorhanden
linders nach oben durch ein schwimmendes Dach sind.
eingeschlossen. Dieser an den Außenflächen abge- In Deutschland und in den USA (Strategic Pet-
dichtete Kolben verhindert das Austreten gasför- roleum Reserve – SPR) werden in zahlreichen Salz-
miger Bestandteile des Rohöls in die Atmosphäre kavernen große Mengen an Erdöl gespeichert. Salz-
und gleichzeitig das Eintreten von Regenwasser. kavernen eignen sich gut für die Speicherung, da
Gegenüber früher üblichen Festdachtanks exis- das Salzgestein dicht und gegenüber dem Öl inert
tiert damit oberhalb des Flüssigkeitsspiegels kein ist und die Erstellungskosten relativ gering sind. Da
gasgefüllter Raum, was ein wichtiger Sicherheits- Öl nicht kompressibel ist, kann das Laden und Ent-
vorteil ist. laden (Ein- und Auslagerung oder Ein- und Aus-
Die Außenwand des Tanks ist doppelwandig speichern) nicht wie bei Gaskavernen über Kom-
ausgeführt; zusätzlich ist der Tank von einem Ring- pression bzw. Entspannung erfolgen.
wall umgeben. Die Füllstandskontrolle erfolgt über
384 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

In Deutschland werden gesetzlich vorgeschrie-


ben große Mengen an Erdöl für den Notfall vor-
gehalten. Die Energiemenge entspricht dem durch-
schnittlichen Nettoimport von 90 Tagen (s. [22]).
Ein erheblicher Teil wird dabei in Salzkavernen an
der Nordseeküste gespeichert (s. 7 Abschn. 1.2).
Die Speicherkapazitäten der Mineralöltankla-
ger über 1000  m3 betrugen in Deutschland 2009
gesamt 64,3 × 106 m³. Davon waren knapp 65 % ex-
terne Tanklager wie z.  B. Kavernen, die mit 40 %
die größten Speicherkapazitäten in Deutschland
besitzen (s. [71]).

zz Erdölprodukte Benzin, Diesel und Kerosin


Die wichtigsten Produkte aus Erdöl sind Benzin,
Diesel, Heizöl und Kerosin. Die Größenordnung
von Tanklagern bei den Verbrauchern ab 100  m³
liegt bei etwa 40 × 106 m³. Da kleinere Tanklager
8 wie z.  B. die Heizöltanks in privaten Haushalten
oder Tankstellen nur schwer zu registrieren sind,
werden sie statistisch nicht erfasst.
In Deutschland gab es 2010 14.744 Tankstellen
. Abb. 8.56  Dieseltankstelle in einem land- und forstwirt- (s. [71]). Ihre individuelle Speicherkapazität ist je-
schaftlichen Betrieb doch nicht bekannt. Demnach ist eine Gesamtspei-
cherkapazität für Mineralölprodukte ohne Tank-
stellen von knapp 105 × 106 m³ in Deutschland vor-
Vielmehr wird bei der Befüllung mit Öl die Sole handen. .  Abbildung  8.56 zeigt beispielhaft einen
nach ober Tage verdrängt. Die Entnahme geschieht Dieseltank in einem land- und forstwirtschaftli-
entweder mit Wasser bei einem strategischen Lager chen Betrieb.
oder ansonsten mit Sole. Der Umschlag mit Was- Der Inlandsabsatz an Mineralölprodukten lässt
ser ist auf wenige Male begrenzt, da die Kavernen sich für 2010 mit etwa 106 × 106 t beziffern. Davon
durch die Lösungsvorgänge jedes Mal um etwa 15 % entfallen ca. 34 % auf Super- und Rohbenzin, 30 %
größer werden. auf Dieselkraftstoff, knapp 25 % auf leichtes und
In Ländern, die nicht über geeignete Salzforma- schweres Heizöl und 8 % auf Flugzeugkraftstoffe
tionen verfügen, wird Rohöl auch in bergmännisch wie Jet-A1. Der Rest verteilt sich auf Neben- und
aufgefahrenen Felskavernen gespeichert. Da das Sonderprodukte wie beispielsweise Schmierstoffe
Gestein wie Granit z. B. nicht rissfrei ist, wird das oder Gase.
bereits beschriebene hydrodynamische Speicher-
konzept (s.  7  Abschn.  8.4.1.5) angewendet: Durch 8.4.2.3 Biokraftstoffe
geeignete Anordnung und ggf. zusätzliche Maß- 2011 hatten Biokraftstoffe einen Anteil von 5,5 %
nahmen wird dafür gesorgt, dass ein sehr geringer am Kraftstoffverbrauch in Deutschland (s. [71]).
Zufluss von Grundwasser in den Speicher erfolgt, Sie werden in Biodiesel, Bioethanol und Pflanzenöl
der das Austreten des weniger dichten Rohöls si- unterschieden. Die verpflichtenden Beimischquo-
cher verhindert. Das Wasser wird in einem Sumpf ten sind gesetzlich geregelt und in  7  Abschn. 13.3.1
gesammelt, abgepumpt und danach gereinigt. näher beschrieben.
Porenspeicher sind grundsätzlich aufgrund ihrer
Porosität und der biologischen Wechselwirkung zz Bioethanol
nicht als Rohölspeicher geeignet. Die Bezeichnung ist eine Kombination aus der
biologischen Herkunft und dem Alkohol Ethanol.
8.4 • Speichermedien und Lagerung
385 8

. Tab 8.24  Vergleich der Eigenschaften von Etha- . Tab. 8.25  Vergleich der Eigenschaften von Bio-
nol und Benzin. (Quelle: [55, 76]) diesel und Diesel [55, 76]

Ethanol Benzin Biodiesel Diesel

Heizwert 26,8 MJ/kg 42,7 MJ/kg Heizwert (Ty- 37,1 MJ/kg 43,1 MJ/kg


pischer Wert)
Dichte (bei 15°C) 0,794 kg/l 0,72–0,78 kg/l
Dichte (15 °C) 860–900 kg/m3 820–845 kg/m3
Oktanzahl 107 93
Cetanzahl 51 51

Schadstoff- ca. 10 % weni-


Alkohole sind Verwandte (Derivate) der Kohlen-
emissionen ger als Diesel
wasserstoffe. Bei ihnen wird ein Wasserstoffatom
durch eine OH-Gruppe ersetzt. Diese sogenannte
funktionelle Gruppe verleiht den Alkoholen ihre Bei der Umesterung wird dem pflanzlichen Öl
chemischen und physikalischen Eigenschaften. Für (Fettsäuren) ein einwertiger Alkohol (meist Metha-
die Energiewirtschaft ist vor allem Ethanol und nol) zugegeben, welcher nur eine OH-Gruppe (Hy-
Methanol von Interesse, da diese dem Benzin bei- droxy-Gruppe) besitzt. Das entstehende Produkt
gemischt werden können. ist chemisch ein Fettsäuremethylester (FAME) oder
Ethanol oder auch Ethylalkohol hat die Formel Pflanzenölmethylester (s. . Tab. 8.25).
C2H5-OH und wird über die alkoholische Gärung
und anschließende Destillation aus zucker- oder zz Pflanzenöl
stärkehaltigen Pflanzen wie Zuckerrohr/-rüben Pflanzenöl wurde trotz der einfachen Integra-
oder Getreide gewonnen. Bioethanol zählt zu den tion in ländlichen Bereichen und der regionalen
Biokraftstoffen der ersten Generation. Heute wird Wertschöpfung im Energiesteuergesetz zurück-
versucht, aus biogenen Reststoffen wie Stroh oder gedrängt, weshalb es heute nur noch eine geringe
Holzresten (Cellulose) über das Biomass-to-Li- Rolle spielt. Erst bei einer Anpassung der Geset-
quid-Verfahren Biokraftstoffe zweiter Generation zeslage kann Pflanzenöl wieder einen größeren
herzustellen, die keine negativen Landnutzungs- Absatz finden. Gerade in der Landwirtschaft lie-
änderungen verursachen und aus Abfallproduk- gen große Potenziale in der Nutzung, da dadurch
ten gewonnen kostengünstiger sind (s. [119]). Die lokale Wirtschaftskreisläufe geschlossen werden
Marktreife ist heute noch nicht gegeben (s. [10]). (s. 7 Abschn. 13.3.3).
Den Vergleich von Ethanol mit Benzin zeigt
.  Tab. 8.24. Durch die Beimischung kann die Ok- zz Lagerung von Rohstoffen und
tanzahl der konventionellen Kraftstoffe erhöht Biokraftstoffen
werden, wodurch der Kraftstoff mit besserem Wir- Bei der Lagerung und Speicherung wird nach Ver-
kungsgrad verbrannt werden kann. Der Heizwert arbeitungsstand unterschieden: zum einen die
von Ethanol liegt aber gut ein Drittel unter dem Lagerung der Ölsaat bzw. Körner, zum anderen
des Benzins. die Lagerung des Öls bzw. des jeweiligen Biokraft-
stoffes. Um möglichen Umsetzungsvorgängen wie
zz Biodiesel Autooxidation, Fettspaltung oder Polymerisierung
Biodiesel wird ausgehend von Pflanzenöl über die entgegenzuwirken, ist bei der Lagerung zu beach-
Umesterung gewonnen. In Deutschland wird hier- ten, dass diese Vorgänge durch Sauerstoff, Licht,
für meist Rapsöl verwendet, das in angepassten Mo- Temperatur, Wasser und beinhaltende Metallionen
toren auch direkt verbrannt werden kann. Um diese beschleunigt werden. Zwar werden diese Vorgänge
Anpassung jedoch zu vermeiden wird Pflanzenöl in durch die in der Biomasse enthaltenen Antioxi-
Biodiesel gewandelt. Biodiesel kann als Reinkraft- dantien gehemmt, die aber mit der Zeit auch ver-
stoff oder in beliebigem Mischungsverhältnis in braucht werden. Daher sollte eine Lagerung der
mineralischem Diesel beigemischt werden. Biomasse je nach Grad der äußeren Bedingungen
nicht länger als sechs bis zwölf Monate dauern.
386 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

. Tab. 8.26  Vergleich der Eigenschaften von neres Volumen verdichtet werden kann. Zudem hat
Methanol und Benzin. (Quelle: [8, 75]) Methanol eine höhere Flammgeschwindigkeit, was
zu einer saubereren Verbrennung als bei Benzin
Methanol Benzin
führt. Deshalb wird für die gleiche Leistung nicht
Heizwert 22,7 MJ/kg 42,7 MJ/kg die doppelte Menge an Methanol benötigt, sondern
Dichte (bei 20°C) 0,79 kg/l 0,72–0,78 kg/l weniger.
Aufgrund der Wasserstoffbrückenbindung,
Oktanzahl 100 93
die sich zwischen den Wasserstoffatomen und den
Verdichtungsver- 11:1 10:1 Sauerstoffatomen eines benachbarten Methanol-
hältnis moleküls ausbilden, ist der Siedepunkt von Metha-
nol höher als von Benzin. Daher kann Methanol
Bei der Lagerung von Rapsölsaat, Mais- und mehr Wärme aufnehmen, was zu einer besseren
Getreidekörnern ist eine niedrige Feuchte ratsam, Wärmeabfuhr führt und so eine Luftkühlung an-
bei der der Trockenmassenverlust durch Verat- statt einer Wasserkühlung verwendet werden kann
mung nahezu vernachlässigbar ist. Pflanzenöl und (s. [8, 75]). Dazu wäre aber Methanol als Reinkraft-
Biodiesel werden idealerweise in kühlen, dunklen, stoff zu verwenden, wozu eine leichte Modifika-
luftdichten und rostfreien Tanks gespeichert. tion der aktuellen Ottomotoren notwendig wäre.
Zuckerhaltige Erntegüter, bei denen der Zucker Diese können Methanol bereits heute in einer
8 in kurzer Zeit veratmet werden kann, sollten nach Beimischung zu Benzin bis zu rund 20 Vol.-% ver-
der Ernte zügig weiterverarbeitet und als Endpro- arbeiten. Zulässig ist die Beimischung aktuell bis
dukt Bioethanol in Tanks gespeichert werden. 3 Vol.-% (s. [67]).
Methanol als Beimisch- oder Reinkraftstoff re-
8.4.2.4 M
 ethanol und Dimethylether duziert schädliche Emissionen eines Fahrzeuges,
(DME) da bei der Verbrennung kaum Kohlenwasserstoffe,
Methanol ist der einfachste Vertreter der Alkohole Stickstoffoxide oder Partikel entstehen.
und besitzt die Summenformel CH3OH. Metha- Methanol eignet sich nicht als Dieseladditiv, da
nol wird auch als Methylalkohol bezeichnet und ist es in Diesel nicht lösbar ist. Über eine Dehydrie-
unter Standardbedingungen eine farblose, sehr gifti- rung lässt es sich leicht zu Dimethylether (DME)
ge Flüssigkeit. Der Siedepunkt liegt bei 65 °C und der wandeln. Dimethylether ist ein farbloses, nicht
Schmelzpunkt bei − 98 °C. Aufgrund der Hydroxy- korrosives, ungiftiges, umweltfreundliches Gas,
Gruppe ist Methanol unbegrenzt in Wasser löslich. welches meist unter Druck flüssig gespeichert wird.
Die Energiedichte von Methanol beträgt etwa DME ist als Diesel-Substitut vor allem wegen seiner
die Hälfte von Benzin (s. . Tab. 8.26). Um dieselbe Cetanzahl von 55–60 interessant. Konventioneller
Reichweite zu erzielen, ist prinzipiell die doppel- Diesel hat nur einen Wert von ca. 51 (s. . Tab. 8.27).
te Menge und aufgrund der ähnlichen Dichte die Ferner ist die Verbrennung sehr sauber, wodurch
doppelte Masse mitzuführen. Ein weiterer Nachteil ohne Nachbehandlung des Gases die Emissions-
betrifft die Beimischung von Methanol zu Ben- grenzwerte eingehalten werden.
zin. Einige Materialien, die bei Distribution und Darüber hinaus kann Methanol auch zu Benzin
Lagerung oder im Fahrzeug verwendet werden, über das Verfahren Methanol-to-Gasoline (MTG)
sind nicht an Methanol anpassbar. Methanol kann verarbeitet (s. 7 Abschn. 8.3.4) und entsprechend in
Metalle, wie Aluminium oder Magnesium, kor- konventionellen Tanks gelagert werden.
rodieren. Ferner greift es einige Kunststoffe oder
Gummis an, die dadurch spröde oder aufgeweicht
werden können. 8.4.3 Feste Speichermedien
Methanol hat aber auch Vorteile gegenüber
Benzin. So liegt die Oktanzahl von Methanol bei 8.4.3.1 Kohle
100, wodurch das Luft/Methanol-Gasgemisch beim Kohle in Form von Braun- und Steinkohle ist der-
Takt »Verdichten« (s. 7 Abschn. 8.5.3.1) auf ein klei- zeit nach wie vor die Hauptenergiequelle für die
8.4 • Speichermedien und Lagerung
387 8

. Tab. 8.27  Vergleich der Eigenschaften von DME zu einigen 100.000  t. Die Lagerkapazität ist auch
und Diesel. (Quelle: [8, 75]) hier für eine flexible Anlieferungslogistik ausgelegt
und wird teilweise zur Lagerung unterschiedlicher
Dimethylether Diesel
Kohlensorten benötigt, die nur im Gemisch ver-
Heizwert 28,8 MJ/kg 43,1 MJ/kg feuert werden können.
Dichte (20 °C) 0,67 kg/l 0,84–0,89 kg/l Bei der Lagerung wird zwischen Aktiv- und
Passivhalden unterschieden. Die Aktivhalde wird
Cetanzahl 55–60 51
für die Kohleanlieferung und die Kraftwerksbekoh-
lung benötigt. Nur ein Passivlager kann als Lang-
Stromversorgung in Deutschland, trotz der mit zeitlager zur Überwindung von Lieferengpässen ge-
Abstand höchsten spezifischen CO2-Emissionen in nutzt werden. Die meisten Standorte verfügen nicht
der Energieversorgung. über Passivlager. Viele Kohlen eignen sich nicht für
Die Braunkohle trug in den vergangenen Jahren eine Langzeitlagerung, da sie zur Selbstentzündung
mit einem Anteil von etwa 25 % zur Stromerzeu- neigen. Brennende Halden bedeuten ein hohes fi-
gung bei. Braunkohle wird mit einer Menge von nanzielles und auch ökologisches Risiko.
knapp 200 Mio. t/a in vier Revieren gewonnen. Die Kohle kann grundsätzlich auf Halden
Fördermengen verteilten sich in den letzten Jah- oder in Bunkern bzw. Hallen gelagert werden
ren in etwa mit folgenden Anteilen auf die Reviere (s. . Abb. 8.57). Die Haldenlagerung ist eine offene
Rheinland 50 %, Helmstedt 1 %, Mitteldeutschland Lagerung von festen Energieträgern, die dabei der
19 % und in der Lausitz 30 %. Braunkohle im direk- Witterung ausgesetzt sind. Diese Art der Lagerung
ten Zugriff, sogenannte »freiliegende Kohle«, stellt ist sehr einfach und für große Mengen leicht um-
einen großen Energiespeicher dar. setzbar. Dabei wird zwischen Kegelhalden, Reihen-
Steinkohle wird in Deutschland voraussichtlich halden und Flächenhalden unterschieden:
noch bis 2018 abgebaut. Zurzeit beträgt die jähr- 55 Kegelhalden: Die Schüttung erfolgt von einem
liche Fördermenge etwa 10 Mio. t. Darüber hinaus festen Abwurfpunkt.
werden in Deutschland ca. 30 Mio. t/a Steinkohle 55 Reihenhalden: Die Halde ist in eine Richtung
vorwiegend aus Russland, USA, Kolumbien, Süd- ausgedehnt und mit beschränkter Höhe. Sie
afrika und Polen importiert. Die Importkohle für findet Anwendung bei Lagerung mehrerer
Deutschland wird über die Seehäfen in Rotterdam, Kohlesorten.
Antwerpen, Wilhelmshaven, Nordenham und 55 Flächenhalden: Die Schüttung erfolgt flächig
Hamburg angelandet und per Binnenschiff oder für sehr große Mengen.
Bahn zu den Kraftwerksstandorten transportiert
bzw. in Wilhelmshaven auch direkt über Band- Grund für die Errichtung von Hallenlagern ist in
anlagen zum Kraftwerk. Die Seehäfen verfügen der Regel die Vermeidung von Belastungen der Um-
über Halden mit einer Speicherkapazität von bis zu gebung durch Staubemissionen und Gewässerver-
2 Mio. t, die für einen schnellen Umschlag benötigt unreinigungen. Genehmigungsbehörden verlangen
und nicht als Vorratslager genutzt werden. 2 Mio. t bei Neubauten die Einrichtung von Hallenlagern,
entsprechen bei einem Heizwert von ca. 8 MWh/t wie es z. B. für das Kohlekraftwerk Staudinger bei
etwa 16  TWh gespeicherter Energie, was das Frankfurt der Fall ist. Da Kohle an Sauerstoff oxi-
350-Fache der Speicherkapazität von Pumpspei- diert, dabei Wärme produziert und sich selbst ent-
chern darstellt. Kohlespeicher sind damit neben zünden kann, ist ein Brandschutz erforderlich. Der
den Gasspeichern mit 217 TWh die größten Spei- Aufwand für den Brandschutz ist erheblich, da die
cherkapazitäten in Deutschland. Das unterstreicht Brandbekämpfung in Hallen deutlich schwieriger
abermals die Rolle von chemischen Energiespei- ist als im Freien. Die damit verbundenen Anforde-
chern und ihre im Vergleich zu anderen Speichern rungen für den Personenschutz sind ebenfalls hoch.
mit Abstand höchste Energiedichte. Neben den Kohlelagern für die Stromerzeu-
Die Kraftwerksstandorte verfügen über Kohle- gung gibt es auch vereinzelt noch Kohlespeicher in
halden mit einer Kapazität von einigen 10.000 t bis Haushalten, die eine ähnliche Größe wie Pellets-
388 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

. Abb. 8.57  Haldenlagerung von Steinkohle in einem Hafen zur Stromerzeugung im Kraftwerk, © Klaus Eppele / fotolia

lager aufweisen. Steinkohleheizungen werden über zutritt geschütztem Boden gelagert werden. In
eine Förderschnecke ähnlich beschickt wie Pellets- beiden Fällen sollte eine Verschmutzung ver-
heizungen und verursachen ebenfalls nicht zu ver- mieden werden.
nachlässigende Staubemissionen (s. . Abb. 8.58). 55 Mit Witterungsschutz: Bei Brennholz ist für
die Verfeuerung ein lufttrockener Zustand
8.4.3.2 Biomasse notwendig, der erst bei einer Lagerung von
Biomasselagerung wird meist zur Überbrückung 6–24 Monaten erreicht wird. Daher werden
der Zeit zwischen Ernte und energetischer Nut- gewöhnlich Holzlager mit Regenschutz aus-
zung verwendet. Die Lagerung kann beim Produ- gestattet und auf gegen Feuchtezutritt ge-
zenten sein, aber auch beim Zwischenhändler oder schütztem Boden eingerichtet (s. . Abb. 8.59).
direkt beim Verbraucher. Da bei Energiepflanzen Außerdem sollten die entstehende Wärme und
und Holz zwischen Ernte und Nutzung oft Monate die feuchte Luft ausreichend abgeführt werden
vergehen, handelt es sich bei Biomasselagern um können. Dafür werden Abstände zwischen
saisonale Speicher. den einzelnen Holzstapeln bzw. zur Gebäude-
Folgende Speichertechniken kommen zum wand zur Durchlüftung eingerichtet. Einfache
Einsatz: Kunststoffplanen dienen als Abdeckung von
Schüttgut wie Hackschnitzel oder der Silage
zz Lagerung im Freien von Mais oder Gras (s. . Abb. 8.60). Neben
55 Ohne Witterungsschutz: Grobe Biomasse wird dem Witterungsschutz erfüllen die Planen den
auf Paletten oder Kiesböden abgelegt, während Zweck einer anaeroben Vorvergärung der ge-
Schüttgüter auf festem und gegen Feuchte- lagerten Energiepflanzen (s. . Abb. 8.61).
8.4 • Speichermedien und Lagerung
389 8

. Abb. 8.60  Biomasselagerung am Beispiel von Mais in


einem Fahrsilo, Vorderansicht

. Abb. 8.58  Kohlespeicher im Haushalt für eine Stein-


kohleheizung
. Abb. 8.61  Biomasselagerung am Beispiel von Mais in
einem Fahrsilo, Draufsicht

Luftzutritt zu gewährleisten. Idealerweise wird


eine Drainage für das Kondenswasser im Bo-
den errichtet und der Abfluss gewährleistet.
Für Schüttgüter wie Holzhackschnitzel, Heu
oder Stroh ist außerdem eine Umrandung
erforderlich, die den Anforderungen an den
Seitendruck der aufgeschütteten Biomasse
standhalten muss. Oft wird Halmgut auch
komprimiert in Form von Ballen gelagert
. Abb. 8.59  Biomasselagerung am Beispiel eines Holz- (s. . Abb. 8.63).
lagers im Freien 55 Behälter: Diese dienen hauptsächlich Schütt-
und Halmgütern wie beispielsweise Hochsilos
zz Lagerung in Gebäuden für Hackschnitzel, Gras oder Mais.
55 Hallen: Biomasse wird auch in bestehenden
oder neu errichteten Hallen oder Scheunen Bei der Speicherung und Lagerung von Biomasse
gelagert (s. . Abb. 8.62). Zur Trocknung der laufen natürliche Vorgänge ab, die von großer Be-
Biomasse und zum Schutz vor Kondenswas- deutung sein können und unter sogenannten Lage-
serschäden am Gebäude ist ein bestmöglicher rungsrisiken eingeordnet werden können:
390 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

. Abb. 8.63  Biomasselagerung am Beispiel von Stroh-


ballen in einer Scheune

einem Pumpspeicherwerk ist, sind bei festen, flüs-


sigen und gasförmigen chemischen Energieträgern
die dazugehörigen Verbrennungstechnologien, um
die gespeicherte Energie in Strom, Kraft und Wär-
8 me zu wandeln. Diese Ausspeichertechnologien
sind Gegenstand des vorliegenden Abschnittes. Sie
werden für Gase und Flüssigkeiten beschrieben
und in  7  Abschn. 8.6 sowie in 8.7 als Energiespei-
chersysteme vervollständigt.

. Abb. 8.62  Biomasselagerung am Beispiel von Holzhack- 8.5.1 Stromerzeugung durch


schnitzel in einer offenen Scheune Kraft-Wärme-Kopplung

55 Substanzverlust durch biologische Prozesse: Unter Kraft-Wärme-Kopplung werden Kraftwerke


Bei Holzhackgut, Rinde, Halmgut oder Scheit- zusammengefasst, in denen sowohl die erzeug-
holz ist der Substanzverlust bei guter Lagerung te mechanische und dann meist direkt in elekt-
gering, so ist der Trockenmassenverlust z. B. rische gewandelte als auch die dabei anfallende
bei Fichte bis zu ca. 4 % innerhalb von drei thermische Energie genutzt wird. Grundsätzlich
Jahren relativ gering. Bei zuckerhaltigen Roh- kann die KWK strom- oder wärmegeführt oder
stoffen ist die Lagerung problematischer, da im Idealfall stromorientiert betrieben werden
innerhalb kurzer Zeit der Zucker durch Respi- (s. 7 Abschn. 14.1).
ration der Pflanze reduziert werden kann.
55 Selbsterhitzung bzw. -entzündung, vor allem 8.5.1.1 Brennstoffzelle
bei Heu Das Prinzip der Brennstoffzelle ist bereits seit 1838
55 Gesundheitsrisiko aufgrund Pilzwachstums bekannt. Da jedoch die Handhabung von Brennstoff
55 Wiederbefeuchtung. und Materialien komplex war, wurde der elektri-
sche Generator über die Jahre hin bevorzugt. Erst in
Zeiten steigender Öl- und Energiepreise rückte die
8.5 Ausspeichertechnologien Brennstoffzelle wieder in den Fokus der Forschung.

Energiespeicherkonzepte werden neben Einspei- zz Funktionsprinzip


cher- und Speichertechnologien mit den Ausspei- Die Brennstoffzelle ist die Umkehrung der Elek-
chertechnologien komplett. Was die Turbine bei trolyse und generell aufgebaut wie in .  Abb.  8.64
8.5 • Ausspeichertechnologien
391 8
Last

Wasserstoff/Brenngas Sauerstoff/Luft

e- e-

lonen

Elektrolyt
Anode Kathode

. Abb. 8.64  Genereller Aufbau einer Brennstoffzelle, nach [25]

dargestellt. Sie besteht aus zwei Elektroden, die ist. Der Elektrolyt ist gasundurchlässig und ionen-
porös (gasdurchlässig) und katalytisch aktiv sind. leitend, um eine Mischung der beiden alerten Gase
Katalytisch bedeutet, dass die Aktivierungsenergie zu vermeiden, was zu einer Knallgasreaktion und
der Reaktion aufgrund der Eigenschaften des Elek- damit zu einer unkontrollierten Energieabgabe
trodenmaterials heruntergesetzt wird. Die Anode, führen könnte (s. [25]).
an der die Elektronenabgabe (Oxidation) stattfin- Der Wasserstoff an der Anode gibt zu Beginn
det, wird von reinem Wasserstoff oder von einem seine Elektronen ab und ionisiert zu H+- Ionen. Die
wasserstoffhaltigen Brenngas umströmt. An der frei gewordenen Elektronen wandern über einen
Kathode befindet sich das Oxidationsmittel, ent- elektrischen Leiter von der Anode zur Kathode,
weder reiner Sauerstoff O2 oder Luft (ca. 21 Vol.- % wo die Stromquelle mittels Last genutzt werden
O2). Die beiden Elektroden werden durch einen kann. An der Anode angelangt verursachen sie
Elektrolyten getrennt, was für einen kontrollierten eine Aufspaltung der Sauerstoffmoleküle in O2− Io-
Ablauf der chemischen Reaktion ausschlaggebend nen. Je nach Brennstoffzellentyp wandern nun die
392 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

. Tab. 8.28  Brennstoffzellentypen mit Reduktionsmittel, Oxidationsmittel, Elektrolyt und Temperaturbereich, nach [78]

Typ Deutscher und engli- Reduktionsmittel Elektrolyt Temperatur- Oxidations-


scher Name bereich mittel

AFC Alkalische Brennstoffzelle H2 Kalilauge KOH 20–90 °C O2


(Alkaline Fuel Cell)

DM-FC Direktmethanol-Brenn- CH4O Protonen-leitende 60–130 °C O2, Luft


stoffzelle Membran
(Direct Methanol Fuel
Cell)

MC-FC Schmelzkarbonat-Brenn- H2, CH4, H2− halti- Li2CO3, K2CO3 600–650 °C O2, Luft
stoffzelle ge Brenngase
(Molten Carbonate Fuel
Cell)

PA-FC Phosphorsäure-Brenn- H2 H3PO4 160–220 °C O2, Luft


stoffzelle
(Phosphoric Acid Fuel
Cell)

PEM- Membran-Brennstoffzelle H2, H2− haltiges Protonen- leiten- 60–120 °C O2, Luft
8 FC (Proton Exchange Memb- Brenngas de Polymermem-
rane Fuel Cell) bran

SO-FC Festoxidkeramische H2, CH4, H2− halti- Keramiken 800–1000 °C O2, Luft
Brennstoffzelle ges Brenngas ZrO2/Y2O3
(Solid Oxide Fuel Cell)

O2− I­onen entweder durch den Elektrolyten zur steht hier aus einer protonenleitenden Membran
Anode und reagieren dort mit den H+- Ionen zu auf Polymerbasis. Die Elektroden sind meist als
Wasser (H2O) oder umgekehrt (s. . Abb. 8.64). Kohlenstoff- oder Metallträger ausgeführt, die mit
Selten kommt nur eine einzelne Brennstoffzelle einem Platinkatalysator beschichtet sind. Der Vor-
zur Anwendung. Für gewöhnlich werden mehrere teil dieser Brennstoffzelle liegt darin, dass sie auch
Zellen in Reihe zu einem Stack zusammengeschal- mit Luft statt mit Sauerstoff arbeiten kann. Außer-
tet, ähnlich wie bei den Elektrolysezellen. Die Zu- dem erreicht die Membran-Brennstoffzelle hohe
sammenschaltung der einzelnen Zellen zu einem Energiedichten. Die Probleme liegen heute noch in
Stack erfolgt generell bipolar, d. h., jede Wand, die der kurzen Lebensdauer der Membran und in der
die Zellen voneinander trennt, fungiert auf einer Wahl des Elektrodenmaterials.
Seite als Katode und auf der anderen als Anode (s. Folgende Reaktionen finden in der PEM-
Stackdesign in 7 Abschn. 8.2.3). Brennstoffzelle statt:

zz Brennstoffzellentypen Anode (Oxidation):


Die Hauptunterscheidungskriterien bei Brennstoff- H 2 → 2 H + + 2e −, (8.113)
zellen sind die verwendeten Elektrolyte, Brenngase
sowie Betriebstemperaturen, welche mit den je- Kathode (Reduktion):
weiligen Reduktions- und Oxidationsmittel für die 1
heute gängigsten Typen in .  Tab.  8.28 dargestellt O2 + 2 e − → O 2 −, (8.114)
2
und in . Abb. 8.65 veranschaulicht werden (s. [78]).
Da die PEM-Brennstoffzelle heute die am häu- Gesamt (Redoxreaktion):
figsten verwendete Brennstoffzelle ist, wird sie an
1
dieser Stelle näher beschrieben. Der Elektrolyt be- H2 + O2 → H 2 O. (8.115)
2
8.5 • Ausspeichertechnologien
393 8

Wasserstoff/Brenngas Sauerstoff/Luft

Last
e¯ e¯

H2
OH¯ O2
AFC
H2O

CH3OH H2O
DMFC H+
CO2 O2

H2
CO2
MCFC CO2 CO32-
O2
H2O

PAFC H2O
H2 H+
PEMFC O2

H2
SOFC O2- O2
H2O

Elektrolyt
Oxidation Kathode Reduktion
Anode

nicht umgesetzter nicht umgesetzter


Brennstoff und Produkte Sauerstoff/restliche
Luftbestandteile und Produkte

. Abb. 8.65  Reaktionen und Stoffe in den verschiedenen Brennstoffzellentypen. (Quelle: [78])

zz Thermodynamische Grundlagen umgangen werden und die üblichen großen Ab-


Der große Vorteil der Brennstoffzelle gegenüber wärmeverluste der konventionellen Stromerzeu-
der »Knallgasreaktion« ist, dass dabei die Ener- gung werden vermieden. Die Wandlung ist nur
gieumwandlung direkt von der chemischen Bin- von der freien Enthalpieänderung ∆GR (oder
dungsenergie in elektrische Energie erfolgt, ohne Gibbs’sches Potenzial) als begrenzendem Faktor
zuerst thermische Energie zu erzeugen. Dies führt abhängig (s. [25]). Die maximale theoretisch wan-
dazu, dass die Zelle auch im Teillastbereich hohe delbare Energie ist demnach bestimmt durch:
Wirkungsgrade aufweist und geräusch- und emis-
sionsarm gefahren werden kann. So kann bei der (8.116)
∆GR = ∆HR − T · ∆ SR ,
Energieumwandlung der Carnot-Wirkungsgrad
394 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

. Tab. 8.29  Wichtigste Kenngrößen einer H2/O2-Brennstoffzelle für Wasser als flüssiges und gasförmiges Produkt

Zweiphasensystem: Gasphasenreaktion:
Wasser liegt flüssig vor Wasser liegt als Dampf vor
(25 °C, 1 bar) (100 °C, 1 bar)

Enthalpieänderung/Gibbs’sches Potenzial ΔG 237,13 kJ/mol 228,57 kJ/mol

Bindungsenthalpie ΔH 285,83 kJ/mol 241,82 kJ/mol

Thermodynamischer Wirkungsgrad 83,0 % 94,5 %

Reversible Zellspannung 1,23 V 1,18 V

Thermoneutrale Zellspannung 1,48 V 1,25 V

wobei die Bildungsenthalpie ∆HR bei 25°C und die Höhe der maximalen Spannung Umax und der
1 bar gleich − 285,83 kJ/mol ist, was dem Brennwert reversiblen Spannung Uref erkennbar. In einer rea-
Hs von Wasserstoff entspricht. Es gilt: len Brennstoffzelle treten zusätzlich noch weitere
Effekte auf, welche die Spannung der Zelle reduzie-
kJ
 ∆GR = −237,13 . (8.117) ren bzw. Verluste verursachen.
mol
8 Die auftretenden Spannungsverluste aus
Da die umzusetzende Energie aufgrund der Ent- . Abb. 8.66 sind wie folgt zu beschreiben (s. [25]):
ropieänderung niedriger ist, liegt die erreichbare 55 ∆UD sind die Spannungsverluste aufgrund des
Zellspannung Urev bei 1,229  V, welche kleiner ist Durchtritts der Elektronen über die Grenze
als die theoretisch maximal mögliche Spannung von Elektrode und Elektrolyt.
Umax = 1,481 V. Das Verhältnis der beiden bildet den 55 ∆UR ist der Ohm’sche Spannungsabfall am
thermodynamische Wirkungsgrad (s. [24]): Innenwiderstand der Elektrode und der Leiter.
55 ∆DDif sind die Diffusionsverluste, die vor allem
 ∆GR bei großen Stromdichten entstehen, da bei
U rev = − , (8.118)
z·F diesen der Wasserstoff und der Sauerstoff nicht
so schnell nachgeführt werden können, wie es
 ∆H R die chemische Reaktion eigentlich erfordert.
U max = − , (8.119)
z·F
Dafür wird ein elektrischer Wirkungsgrad (auch
∆GR U rev
 ηrev = = = 0,83 = 83% (8.120) Spannungswirkungsgrad) beschrieben, der sich aus
∆H R U max dem Verhältnis der gemessenen Spannung U einer
Zelle und der theoretisch maximalen Spannung
mit Umax ergibt und alle genannten Verluste beinhaltet:
z      Zahl der Elektronen je Molekül (z(H2) = 2)
F      96485 As/mol als Faraday-Konstante  = U U rev − ∆U R − ∆U D − ∆U Dif
ηU = . (8.121)
U max U max
In .  Tab.  8.29 sind die Kenngrößen einer H2/O2-
Brennstoffzelle für ein flüssiges und ein gasförmi- Für die Gesamtbetrachtung ist der Brennstoffzel-
ges Produkt aufgelistet. Hier wird der Unterschied lenwirkungsgrad ηFC von Bedeutung. Er vergleicht
zwischen Dampf und Wasser in punkto Effizienz die elektrische Leistung der Brennstoffzelle in-
ähnlich deutlich wie in der Wasserelektrolyse klusive der Hilfsenergien mit der Leistung, die im
(s. 7 Abschn. 8.6.4). Brennstoffvolumenstrom enthalten ist:
In .  Abb.  8.66 ist die für jede Brennstoffzel-
P
le gleichermaßen charakteristische Spannungs-  ηFC =  el . (8.122)
Stromdichtenkennlinie aufgezeichnet. Darin wird VH · ∆H R
2
8.5 • Ausspeichertechnologien
395 8

U in V

Umax

T•∆S
Urev
Ohm’sche Verluste
U0 ∆UR

Elektrodenaktivierung
∆UD

lonendiffusion
∆UDiff

J = l/A in A/cm2

. Abb. 8.66  Charakteristische Spannungs-Stromdichtenkennlinie einer Brennstoffzelle mit zu Verlusten führenden Ein-
flussfaktoren durch Innenwiderstand, Durchtritt der Elektronen über die Grenze von Elektrode und Elektrolyt und Ionendiffu-
sion, nach [25]

Dieser lässt sich auch wie folgt beschreiben (s. [78]): Multipliziert mit der Zellenzahl n ergibt sich der
Gesamtvolumenstrom des Systems. Für den einge-
ηFC = ηU · ηI · ηrev · ηsys · ηB .
(8.123) stellten Umsatz ηB ergibt sich:

Die Wirkungsgrade ηrev und ηU sind bereits aus den  n · I · R ·T


Vges ,theo = . (8.125)
Gl. 8.120 und 8.122 bekannt. Der Systemwirkungs- ηB · z · F · p
grad ηsys erfasst die Verluste der Peripheriegeräte
wie z.  B. angeschlossener Pumpen. Der Brenn- Mithilfe der Gl.  8.125 und des gemessenen Was-
wirkungsgrad ηB bezieht sich auf den umgesetzten serstoffvolumenstromes lässt sich der Stromwir-
Anteil des Wasserstoffes. ηI ist der Stromwirkungs- kungsgrad ermitteln. Er wird in der Literatur auch
grad, der sich wie folgt herleiten lässt: als Faraday’scher Wirkungsgrad oder Umsatzwir-
Unter Zuhilfenahme des ersten Faraday’schen kungsgrad bezeichnet:
Gesetzes wird der theoretisch nötige Volumenstrom
errechnet, der den minimalen Volumenstrom für die  Vges ,theo I
ηI =  = (8.126)
gemessene elektrische Leistung angibt: Vmess I th
I · R ·T
Vtheo =
(8.124) mit
z·F · p
Ith  ­    theoretischer Strom in Ampere, der sich beim ge-
mit messenen Brennstoffvolumenstrom bei einer idealen
Brennstoffzelle einstellen würde
I      gemessener Strom in Ampere
R     universelle Gaskonstante von 8,314 J K−1 mol−1 I      gemessener Strom in Ampere
T     Temperatur des Wasserstoffes in Kelvin
p      Umgebungsdruck in Pascal
396 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

Brennstoff
mit
VH2 ,M   Volumenstrom im Normzustand
ΔHU,H2  unterer Heizwert von 3,0 kWh/m3
Verdichter Brennkammer Turbine

Luft G Brennstoffzellen sind heute nicht wirtschaftlich


Welle
einsetzbar bzw. nur mit entsprechenden Subventio-
nen in den Markt zu bekommen. Sie gehören aber
Zum Abgaskanal zu den vielversprechenden Zukunftstechnologien,
da bei der Verbrennung nur Wasser entsteht, diese
. Abb. 8.67  Aufbau und Funktionsweise einer Gasturbine
»kalt« stattfindet und damit der bei konventionel-
len Kraftwerken nachteilige Carnot-Wirkungsgrad
umgangen wird (s. [25]).
zz Technische Anwendung
Brennstoffzellen haben einen gewissen Be- 8.5.1.2 Gasturbinenkraftwerk
triebstemperaturbereich, der einzuhalten ist In Bezug auf die Energiebereitstellung erlangen
(s. .  Tab. 8.28). Konkret heißt das in den meisten stationäre Gasturbinen zunehmende Bedeutung
Fällen, dass Wärme abgeführt wird. Für die PEM- als Anlagen zur Spitzenlastdeckung, in Kombina-
Brennstoffzelle wird meist eine Wasserkühlung tionskraftwerken mit nachgeschaltetem Dampf-
8 verwendet. Zur Ermittlung der Verlustleistung und kraftwerk und in geringem Umfang auch in der
des in Gl.  8.122 bzw. 8.123 beschriebenen Brenn- Kraft-Wärme-Kopplung. Dabei reicht die Spanne
stoffzellenwirkungsgrades dient folgende Gl. 8.127: der elektrischen Nennleistung von wenigen kW
(Mikrogasturbinen) bis zu mehreren Hundert MW
PV = VKW · ρW (T ) · c p ,W (T ) · ∆TKW .
(8.127) (GuD-Kraftwerke). Als Arbeitsmedium wird in
einer offenen Gasturbine üblicherweise Luft und
Die Dichte ρW(T) und Wärmekapazität cp, W(T) sind Rauchgas eingesetzt. Der Begriff Gasturbine kommt
die temperaturabhängigen Parameter von Wasser nicht vom Brennstoff, der gasförmig, flüssig oder
und ∆TKW die Temperaturdifferenz zwischen ein- fest sein kann, sondern vom gasförmigen Arbeits-
tretendem und austretendem Kühlwasservolumen- medium. Aufgrund ihrer kurzen Anfahrzeiten von
strom VKW . 7–15  min und ihrer geringen Investitionskosten
Aufgrund des ersten Hauptsatzes der Thermo- eignen sich Gasturbinenkraftwerke besonders gut
dynamik sind zugeführte und abgeführte Leistung als Spitzenlastkraftwerke. .  Abbildung  8.67 illust-
gleich, somit gilt für das System: riert den Aufbau und die Funktionsweise einer sol-
chen Gasturbine (s. [17]).
 Pzu = Pel + PV (8.128) Die Anlage besteht prinzipiell aus einer Frisch-
 
Pab luftansaugung, einem Verdichter, einer Brenn-
kammer, einer Turbine und einem Generator. Die
mit angesaugte Luft wird zunächst im Verdichter kom-
Pel     abgegebene elektrische Leistung der Brennstoffzelle primiert und in der Brennkammer auf Temperatu-
Pzu    Leistung, die über den Wasserstoff und dessen Heiz- ren von ca. 1500 °C erhitzt, bevor sie in der Turbine
wert in das System eingebracht wird unter Enthalpieabgabe entspannt wird. Dabei wird
der mit der Turbine auf einer Welle sitzende Ge-
Beide Größen ergeben sich aus Gl. 8.129 und 8.130: nerator angetrieben und mechanische Energie in
elektrische Energie gewandelt.
 Pel = U · I , (8.129) Eine Gasturbinenanlage arbeitet nach dem
Joule-Prozess, der in . Abb. 8.68 im T-s-Diagramm
 (8.130) dargestellt ist:
Pzu = VH 2 · ∆HU , H 2
8.5 • Ausspeichertechnologien
397 8
T

p2=p3

qzu p1=p4
Wj

2
4

qab
1

. Abb. 8.68  Der Joule-Prozess im T-s-Diagramm

Gasturbinen arbeiten mit stationärer isobarer 55 4→1: Das Abgas wird isobar an die Atmosphäre
Wärmezufuhr. Die einzelnen Prozessschritte beim abgegeben. Dabei wird Wärme an die Umge-
idealen Joule-Prozess sind: bung abgeführt.
55 1→2: Die Luft wird im Turboverdichter vom
Umgebungszustand auf den oberen Prozess- Die in .  Abb.  8.68 schraffierte Fläche ist propor-
druck komprimiert, idealerweise in einer tional der spezifischen Arbeit der Turbine. Sie er-
isentropen Verdichtung. Dabei steigt die Tem- gibt sich aus der Differenz zwischen abgegebener
peratur an. Turbinenarbeit und aufgenommener Verdichter-
55 2→3: In der stationär durchströmten Brenn- arbeit und beschreibt den maximal in elektrische
kammer wird die verdichtete Luft mit Brenn- Energie wandelbaren Anteil. Zusätzlich illustriert
stoff versetzt. Das entstehende Luft-Brenn- qzu die zugeführte Wärmeenergie und qab die im
stoff-Gemisch wird verbrannt. Da der Druck Kühlkreislauf abgeführte Wärmeenergie.
unverändert bleibt und sich die Temperatur In der Realität ist der Joule-Prozess verlustbehaf-
erhöht, wird dieser Schritt als isobare Wärme- tet. Diese Verluste ergeben sich beispielsweise durch
zufuhr bezeichnet. irreversible Druckabfälle in Turbine, Verdichter und
55 3→4: Das heiße Rauchgas wird in der Turbine den Strömungskanälen, durch unvollständige Ver-
auf Umgebungsdruck entspannt. Dabei liefert brennung in der Brennkammer oder durch Schau-
die Turbine Arbeit, die Generator und Ver- felkühlung in Turbine und Verdichter. Die Verluste
dichter antreibt. Es handelt sich idealerweise führen zu geringeren Turbinen- und höheren Ver-
um eine isentrope Entspannung, in der die dichterleistungen. Folglich ergibt sich eine deutlich
Temperatur sinkt. reduzierte Nutzleistung, d. h., es steht weniger An-
triebsleistung für den Generator bereit (s. [1]).
398 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

Abgase
kühlerer Dampf

Strom Kühlflüssigkeit

G
Generator Kondensator Wasser

Dampfturbine Kamin
Pumpe
heißer Dampf
Luft

Strom
Gasturbine

heißer Abgase
G
Generator
8
Gas Abhitzekessel

. Abb. 8.69  Aufbau und Funktionsweise eines GuD-Kraftwerks

Dampfturbinen arbeiten bis zu einer Tempe- das die Prinzipien eines Gasturbinenkraftwerkes
ratur von ca. 650 °C. Sie sind Teil eines geschlos- mit denen eines Dampfkraftwerkes kombiniert.
senen Wasserkreislaufes, in dem ständig Wasser Dabei fungiert die Gasturbine als Wärmequelle für
verdampft, überhitzt und anschließend über einen den Dampfturbinenprozess.
Kühlkreislauf wieder kondensiert wird. Aus wirtschaftlichen und thermodynamischen
In Gas- und Dampfkraftwerken wird die Gründen liegt das obere Temperaturniveau von
Dampfturbine ausschließlich durch die Strö- Dampfkraftwerken zurzeit bei etwa 550–650 °C.
mung des heißen Wasserdampfes angetrieben und Dem stehen Gasturbinenkraftwerke mit Turbinen-
kommt daher nicht in Kontakt mit dem eingesetz- eintrittstemperaturen von bis zu 1500 °C und Ab-
ten Brennstoff. Im Gegensatz dazu kommen die gastemperaturen von rund 550 °C gegenüber. Es
Gasturbinen durch die Verbrennung des Gas-Luft- bietet sich also an, die heißen Abgase der Turbine
Gemisches direkt in Kontakt mit den heißen Ver- in einem Dampfkraftwerk durch einen Abhitze-
brennungsabgasen. Dabei werden Temperaturen dampferzeuger weiter zu nutzen. . Abbildung 8.69
bis 1500 °C erreicht, was eine Schaufelkühlung in veranschaulicht die Funktionsweise eines GuD-
der Turbine notwendig macht. Ohne Vorkehrung Kraftwerks (s. [17]).
würde das Schaufelmaterial schnell verschleißen Der Gasturbinenprozess ist derselbe, wie
(s. [31]). in  7  Abschn.  8.5.1.2 beschrieben. Zusätzlich wird
beim GuD-Kraftwerk das Abgas durch einen
8.5.1.3 Gas- und Dampf-Kraftwerk Abhitzedampfkessel geleitet. Dort wird der Ab-
Unter einem Gas- und Dampf-Kombikraftwerk gasstrom zum Verdampfen bzw. Überhitzen des
oder Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerk (kurz Wassers eines geschlossenen Dampfkraftprozesses
GuD-Kraftwerk) wird ein Kraftwerk verstanden, genutzt. Das erhitzte, dampfförmige Medium wird
8.5 • Ausspeichertechnologien
399 8
Raumheizung /
Kühlwasser- Warmwasser
wärmetauscher Pumpe

Abgaswärme-
tauscher

Pumpe

Strom

Brennstoff Verbrennungsmotor
Generator

. Abb. 8.70  Aufbau und Funktionsweise eines Blockheizkraftwerks, nach [35]

in der Dampfturbine entspannt und abgekühlt. An- lung (s.  7  Abschn. 14.1). Betrieben werden BHKW
schließend wird es in einem Kondensator wieder meist am Ort des Wärmeverbrauchs oder auch an
komplett verflüssigt und mithilfe einer Speisewas- Standorten mit Anschluss an ein Wärmenetz. Da
serpumpe wieder in den Ursprungszustand über- für eine Wärmelieferung über große Distanzen
führt. Der Kreislauf beginnt von Neuem. hohe Investitions- und Betriebskosten bestehen,
GuD-Kraftwerke haben höhere Wirkungsgra- kommen oft kleine, dezentrale BHKW mit kleinen
de von bis zu 62 % im Vergleich zu Gasturbinen- Gasturbinen oder Gasmotoren mit direktem An-
kraftwerke mit ca. 38 % und Dampfturbinen mit ca. schluss an Wohnsiedlungen und andere Wärme-
35 % in GuD-Kraftwerken und 30–45 % in reinen abnehmer zum Einsatz. Dabei reicht die Spanne
Dampfkraftwerken und können in kürzerer Bauzeit der bereitgestellten elektrischen und thermischen
als Kohlekraftwerke errichtet werden. Gaskraftwer- Energie von wenigen Kilowatt bis zu mehreren
ke können erneuerbares (Speicher-)Gas einsetzen hundert Megawatt (s. [1]). .  Abbildung  8.70 zeigt
und haben im Vergleich zu Kohlekraftwerken auch Aufbau und Funktionsweise eines BHKW (s. [17]).
bei der Verwendung von fossilem Gas geringere Voraussetzung ist eine Verbrennungskraftma-
spezifische Emissionen an CO2 und anderen Abga- schine, die zum Antrieb des Generators eingesetzt
sen. Im Betrieb sind jedoch heute noch Kohlekraft- wird. Betrieben werden kann dieser Motor mit allen
werke günstiger, da der Brennstoff weniger kostet herkömmlichen Brennstoffen wie Erdgas, Biogas,
und der Emissionshandel zu wenig greift (s. [1]). erneuerbarem Gas oder auch flüssigen Kraftstoffen
wie Pflanzenöl. Selten, aber im Prinzip auch mög-
8.5.1.4 Blockheizkraftwerk lich ist die Verstromung von Wasserstoff in einem
Ein Blockheizkraftwerk (BHKW) wandelt den BHKW, wie sie beispielsweise das Unternehmen 2G
eingesetzten Brennstoff gleichzeitig in Strom und umsetzt. Gegenüber Brennstoffzellen hat diese den
Wärme nach dem Prinzip der Kraft-Wärme-Kopp- Nachteil eines geringeren Stromwirkungsgrades,
400 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

Abgase
zum Kamin
8.5.2 Wärme- und Kälteversorgung
von Gebäuden

Gas wird heute aufgrund seiner Vorteile der ein-


fachen Verteilung, relativ geringeren CO2-Emiss-
Rücklauf ionen und guten Verbrennungseigenschaften im
Wärmemarkt als Brennstoff in Niedertemperatur-
heizkesseln oder Brennwertheizkesseln verwendet.
Vorlauf
Außerdem kann Gas auch in gasmotorischen Wär-
mepumpen oder als Betriebsmittel bei Klimaanla-
gen eingesetzt werden.
Diese Wärme- und Kälteanwendungen können
auch mit erneuerbarem, gespeichertem Gas betrie-
Gas
ben werden und damit neben Elektrowärmepum-
Luftzufuhr
pen und solarthermischen Anlagen zur Dekarbo-
nisierung des Wärmesektors beitragen. In dieser
Funktion stellen sie Ausspeichertechnologien für
. Abb. 8.71  Aufbau und Funktionsweise eines Niedertem- erneuerbares Gas dar.
8 peraturkessels, nach [77]
8.5.2.1 Gasheizung
Die heute gängigsten Gasheizungen sind Nieder-
aber auch den großen Vorteil geringerer Investi- temperaturkessel (Heizwertkessel) und Brennwert-
tionskosten und längerer Lebensdauer (s. [35]). kessel.
KWK-Wärme wird auf zwei Ebenen ausgekop-
pelt: einerseits als Abwärme des Motors und ande- zz Niedertemperaturkessel
rerseits als Wärme aus den heißen Abgasströmen. Niedertemperaturkessel sind eine Verbesserung
Der durch den Generator erzeugte Strom wird zur der Standardkessel und können ihre Vorlauftem-
Deckung des Eigenverbrauchs der jeweiligen Ge- peratur einer Führungsgröße, wie beispielsweise
bäude genutzt oder in das Stromnetz eingespeist der Außentemperatur, anpassen. Durch niedrigere
und vom Netzbetreiber vergütet. Temperaturen haben sie, verglichen mit herkömm-
Die Betriebsweise eines Blockheizkraftwerks lichen Kesseln, geringere Stand-by-Verluste bzw.
wird allgemein für lange Laufzeiten mit Volllast Wärmeverluste in den Rohrleitungen zur Umge-
konzipiert, um einen wirtschaftlichen Betrieb zu bungsluft. Durch die geringere Vorlauftemperatur
gewährleisten. Zur optimalen Anpassung der ange- können größere Heizkörper oder Flächenheizun-
schlossenen Abnehmer sind genaueste Kenntnisse gen in Wänden und Fußböden verwendet werden.
über deren Wärme- bzw. Strombedarf erforderlich. . Abbildung 8.71 zeigt den prinzipiellen Aufbau
Dazu werden BHKW mit entsprechenden Steuer- eines solchen Niedertemperaturkessels (s. [17, 77]).
und Regelungsgeräten ausgestattet. Das Gas tritt im Kessel mit Versorgungsgasdruck
Folgende Betriebsweisen, die in  7  Abschn. 14.1 aus und vermischt sich mit der Luft. Anschließend
weitergehend beschrieben werden, sind möglich: verbrennt das Gasgemisch durch Aktivierung einer
55 wärmegeführte KWK Zündflamme durch einen Zündfunken. Das Abgas
55 stromgeführte KWK wird durch einen Wärmetauscher geleitet und gibt
55 stromorientierte KWK (stromgeführt mit die Wärme an das Heizungs- und Brauchwasser ab.
Wärmespeicher). Das abgekühlte Abgas wird über den Schornstein
abgeleitet.
8.5 • Ausspeichertechnologien
401 8
Abgase
zum Kamin

1. 160 ˚C 2.
Wärme- Wärme-
tauscher tauscher

Vorlauf
55 ˚C Rücklauf
35 ˚C

Gas

Kondensat
Luftzufuhr Ventilator

Kondensatablauf

. Abb. 8.72  Aufbau und Funktionsweise eines Brennwertkessels, nach [77]

zz Brennwertkessel Abgas kondensieren kann. Diese Kondensations-


Brennwertkessel nutzen, wie der Name schon an- wärme wird bei normalen Anlagen nicht verwendet
deutet, zusätzlich zum Heizwert auch den Brenn- und über den Schornstein an die Umwelt abgege-
wert des Gases und können so höhere Wirkungs- ben. Sie kann zur Erhöhung des Temperaturniveaus
grade erreichen. Bezogen auf den Heizwert können des Heizungsrücklaufs dienen (s. .  Abb. 8.72). Für
solche Anlagen einen Nutzwärmegrad von bis zu einen Brennwertkessel ist ein Heizungssystem mit
107 % erreichen. niedriger Rücklauftemperatur geeignet.
Brennwertkessel sind ähnlich aufgebaut wie Die bessere Energieausbeute im Vergleich zu
Niedertemperaturkessel, nur wird zusätzlich noch Niedertemperaturkessel entsteht einerseits durch
ein weiterer Wärmetauscher eingesetzt, an dem das die Nutzung der Kondensationswärme, welche im
402 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

Bereich von 5–9 % liegt. Andererseits haben die tungszahlen können erreicht werden. Im Falle der
Kessel dadurch eine geringere Oberflächentempe- Gaswärmepumpe ergibt sich folgendes Verhältnis:
ratur, wodurch die Wärmeabstrahlung und damit
die Verluste um 1 % verringert werden. Zusätzlich  QNutz
εWP = COP = . (8.131)
sind die Abgasverluste um bis zu 8 % geringer. Wzu , Gas
Insgesamt ergibt sich damit eine Verbesserung
des Wirkungsgrades des Brennwertkessels um Der Wirkungsgrad einer Wärmepumpe kann nach
14–18 % gegenüber herkömmlichen Gasheizungen dieser Definition größer eins werden. Ist die Leis-
(s. [17, 77]). tungszahl zum Beispiel 3,5, wird das 3,5-Fache der
Das entstehende Wasser erfordert zwei Einrich- zugeführten Energie des Gasmotors in nutzbare
tungen: erstens einen Ablauf für im Schnitt 1,0–1,5 l Heizungswärme umgesetzt.
Kondensat pro m3 Erdgas. Zweitens reagiert das Eine weitere wichtige Kennzahl ist die Jahres-
CO2 im Abgas mit dem Kondensationswasser zu arbeitszahl JAZ (Gl. 8.132). Sie wird zur Einschät-
Kohlensäure (H2CO3). Bei kleinen Anlagen ist die- zung der Wirtschaftlichkeit einer Wärmepumpe
se Tatsache unproblematisch. Bei größeren Anla- benötigt. Dazu ist der Betrieb der Wärmepumpe
gen ist eine entsprechende Neutralisationseinheit über einen längeren Zeitraum zu betrachten, idea-
anzubringen, um Ab- und Grundwasser nicht zu lerweise ein ganzes Jahr. Die Jahresarbeitszahl stellt
belasten. dabei das Verhältnis der abgegebenen Wärme-
8 menge QWP zur aufgenommenen Energie Wel bzw.
8.5.2.2 Gaswärmepumpe Wchem pro Jahr dar. Bei der aufgenommenen Ener-
Unter Wärmepumpen werden gewöhnlich Elekt- gie werden neben dem Brennstoff auch Hilfsener-
rowärmepumpen verstanden, also mit Strom be- gien für Pumpen, Regelung und andere Elemente
triebene Wärmepumpen. Neben diesen ist auch ein berücksichtigt,
Betrieb mit Gas in sogenannten Gaswärmepumpen QWP
möglich. Dabei wird zwischen gasmotorbetriebe- JAZ = .
(8.132)
nen Wärmepumpen, Absorptions-Wärmepumpen
Wel / chem
und einer neueren Bauweise, der Adsorptions-
Wärmepumpe (auch Zeolith-Heizgerät), unter- zz Gasmotorbetriebene Wärmepumpe
schieden (s. [11]). Die gasmotorbetriebene Wärmepumpe funktio-
niert ähnlich wie die elektrische Wärmepumpe
zz Effizienz der Wärmepumpe mit dem Unterschied, dass der Kompressor bzw.
Für die Effizienz einer Wärmepumpe sind die Tem- Verdichter nicht elektrisch, sondern über den Gas-
peratur der Wärmequelle (Umweltwärme) und die motor angetrieben wird. Die Abwärme des Motors
heizungsseitige Vorlauftemperatur entscheidend. Je kann in den Heizkreislauf überführt werden, was
geringer die Temperaturdifferenz zwischen diesen ein Vorteil dieser Technologie ist.
beiden Größen ist, umso geringer ist der Energie- Aufbau und Funktionsweise einer gasmotorbe-
aufwand des Verdichters zur Überbrückung dieser triebenen Wärmepumpe sind in .  Abb.  8.73 dar-
Differenz. gestellt. Die Umweltwärme wird je nach Betriebs-
Zur Berechnung der Effizienz einer Wärme- weise aus dem Erdreich, dem Grundwasser oder
pumpe wird die Leistungszahl εWP herangezogen. der Außenluft gewonnen. Im Verdampfer, der nach
Diese wird auch »Coefficient of Performance« demselben Prinzip wie ein Wärmetauscher funk-
(COP) genannt. Die Leistungszahl einer Wärme- tioniert, wird ein zirkulierendes Kältemittel durch
pumpe stellt das Verhältnis der von der Wärme- die gewonnene Umweltwärme in seine gasförmige
pumpe abgegebenen Heizleistung QNutz zur Leis- Phase versetzt. Anschließend wird im Verdichter
tungsaufnahme der Wärmepumpe in Form elektri- das Gas verdichtet, wodurch das Temperaturniveau
scher oder verbrannter chemischer Energie Wzu,Gas des Kältemittels steigt. Im Anschluss wird das ver-
dar. Je geringer die Temperaturdifferenz zwischen dichtete Gas über einen weiteren Wärmetauscher,
Wärmequelle und Heizung ist, umso größere Leis- den Kondensator, abgekühlt und verflüssigt. ­D­abei
8.5 • Ausspeichertechnologien
403 8

Konden-
sations- Heizung
wärme

Vorlauf Rücklauf

Kondensator
Abwärme
Gasmotor

Drossel Verdichter
Gasmotor

Brennstoff-
Verdampfer zufuhr

Kältemittel- warmes kaltes


kreislauf Medium Medium

Umweltwärme

. Abb. 8.73  Aufbau und Funktionsweise einer gasmotorbetriebenen Wärmepumpe, nach [11]

gibt es die bei der Kondensation frei werdende Kompressor, sondern einen sogenannten thermi-
Energie (Kondensationswärme) an das Wasser schen Verdichter (s. [11, 17]). Dieser besteht aus
des Heizungskreislaufes ab. Um den Kreislauf zu einem Absorber, einer Lösungsmittelpumpe, einem
schließen, wird das unter Druck stehende, flüssi- Wärmetauscher, einem Austreiber und einem
ge Kältemittel über ein Expansionsventil (Drossel) Brenner, der mit Gas befeuert wird (s. . Abb. 8.74).
entspannt und wieder dem Verdampfer zugeführt Nach dem Verdampfer wird das gasförmige
(s. [11, 17]). Kältemittel, z. B. Lithium-Bromid, in ein Lösungs-
mittel, meist Wasser, in den Absorber gegeben, wo
zz Absorptionswärmepumpen mit Gas es vom Lösungsmittel absorbiert wird. Die Auf-
Im Unterschied zur gasmotorbetriebenen Wärme- nahmefähigkeit des Lösungsmittels steigt mit dem
pumpe nutzt die Absorptionswärmepumpe keinen Druck, sinkt aber mit der Temperatur. Der gleiche
404 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

»Thermischer Verdichter«
Vorlauf
Brennstoff
Heizung
Austreiber
Kondensator Brenner

Lösungsmittel-
kreislauf

Drossel Kältemittel- Wärmetauscher


kreislauf

Lösungs- Lösungsmittel-
ventil pumpe

Verdampfer Absorber

Rücklauf
warmes kaltes
8 Medium Medium

Umweltwärme

. Abb. 8.74  Aufbau und Funktionsweise einer Absorptionswärmepumpe, nach [11]

Effekt ist bei Mineralwasser zu beobachten: Gas- Kondensationswärme an den Heizkreislauf abgibt.
förmiges CO2 ist im Wasser absorbiert. Sinkt beim Über ein Drosselventil wird das Kältemittel wieder
Öffnen der Flasche der Druck, entweicht ein Teil dem Verdampfer zugeführt, und der Kreisprozess
des gelösten Gases. beginnt von Neuem.
Im Absorber entsteht Wärme durch die Absorp- Bis auf die Lösungsmittelpumpe werden alle
tion und durch die Kondensation des aus dem Aus- Komponenten durch thermische Energie betrie-
treiber rücklaufenden Lösungsmittels. Die Wärme ben, wobei die Pumpleistung im Vergleich zur Leis-
wird vom Heizwasser aufgenommen und dient tung des thermischen Verdichters gering ausfällt.
zur Erhöhung des Temperaturniveaus des Wassers
am Kondensatoreingang. Das Lösungsmittel wird zz Adsorptionswärmepumpe
durch eine Pumpe auf ein höheres Druckniveau Ähnlich zur Absorptionswärmepumpe arbeitet die
gebracht und über den Wärmetauscher durch das Adsorptionswärmepumpe mit einem Kältemittel
rücklaufende Lösungsmittel erhitzt. und Wärmetauschern. Die Zufuhr von Exergie
Im Austreiber wird unter Wärmezufuhr aus erfolgt durch das Verbrennen von Gas mit ther-
dem Gasbrenner das angereicherte Lösungsmittel mischer und nicht mit mechanischer Energie, wie
weiter erhitzt, wodurch das absorbierte Kältemit- es bei elektrischen oder gasmotorischen Wärme-
tel ausgetrieben wird. Das Lösungsmittel wird über pumpen der Fall ist (s. [11]). Die Technologie der
den Wärmetauscher und ein Lösungsventil wieder Adsorptionswärmepumpen ist relativ jung und
auf Absorberdruck entspannt und zurück in den arbeitet mit folgenden Medien:
Absorber geleitet. 55 Brennstoff: Gas
Anschließend wird das Kältemittel in den 55 Wärme auf niedrigem Temperaturniveau:
Kondensator geleitet, wo es kondensiert und die Solar- oder Umweltwärme
8.5 • Ausspeichertechnologien
405 8
55 Sorptionsmittel für die Adsorption des Kälte- Verdampfungs- und Kondensationsenergie zu er-
mittels: Zeolith niedrigen.
55 Kältemittel: Wasser (Dampf). Die Zeolith-Gas-Adsorptionswärmepumpe
kann dort genutzt werden, wo keine herkömmli-
Adsorptionswärmepumpen arbeiten nach demsel- che Wärmepumpe einsetzbar ist. Die relativ junge
ben Prinzip wie alle anderen Wärmepumpen auch. Technologie ist im technischen Aufbau sehr ein-
Im ersten Schritt wird im Verdampfer das Kältemit- fach: Anders als bei Kompressionswärmepumpen
tel (z. B. Wasser) verdampft. Es nimmt dabei nie- werden keine bewegten Teile benötigt, und neben
derkalorische Wärme aus der Umwelt oder einem Wärmetauscher bzw. Verdampfer und Kondensator
Solarkollektor auf. Der dafür notwendige niedrige gibt es nur Pumpen für das Kühlmittel, die gleich-
Druck wird jedoch nicht durch einen Verdichter zeitig auch die Wärme transportieren.
erzeugt, sondern durch die Adsorption (Anlage- Diese Wärmepumpenart ist im Prinzip jedoch
rung) des Wasserdampfes am Zeolith. nur eine Verbesserung der Gasbrennwerttechnik,
Zeolith ist ein ungiftiges, nicht brennbares und da laut Herstellerangaben immer noch 80 % der
ökologisch unbedenkliches Mineral wie beispiels- Heizungs- bzw. Warmwasserwärme über die Ver-
weise kristalline Silikate, hat auf kleinstem Raum brennung von Gas erreicht werden und nur 20 %
eine sehr große Oberfläche und kann auf dieser gro- über Umwelt- oder Solarenergie.
ße Mengen an Wasserdampf aufnehmen (s. Ther- Definition
mochemische Energiespeicher in  7  Abschn.  10.6).
Absorption vs. Adsorption: Bei der Absorption
Dabei wird dem Zeolith-Block über einen Wärme-
dringt ein Stoff in eine Flüssigkeit oder einen
tauscher die in der Adsorption entstehende Wär-
Festkörper ein, während sich bei der Adsorp-
me als Nutzwärme zum Heizen entnommen. Diese
tion Gase oder Flüssigkeiten an der Oberfläche
Phase läuft so lange, bis eine Sättigung des Zeolith-
(Grenzschicht zwischen beiden Phasen) eines
Blocks eintritt.
Festkörpers anlagern. Der Begriff »Sorptions-
Im zweiten Schritt der Desorption wird durch
wärmepumpe« umfasst beide Technologien:
Wärmezufuhr der gespeicherte Wasserdampf aus
die Absorptions- und die Adsorptionswärme-
dem Zeolith-Block wieder ausgetrieben. Die da-
pumpen.
für notwendige Wärme stammt aus der Verbren-
nung von Gas und wird an den Zeolith-Block über
denselben Wärmetauscher zugeführt, der zuvor 8.5.2.3 Sorptionskältemaschinen
in der Adsorptionsphase dem Block die Nutzwär- Genau wie die Wärmepumpe nach demselben
me entzogen hat. An einem Wärmetauscher im Prinzip (linkslaufender Kreisprozess) wie ein
Kondensator – der zeitgleich im ersten Schritt der Kühlschrank funktioniert, können Sorptions-
Verdampfer ist – kondensiert der Wasserdampf, wärmepumpen als Sorptionskälteanlagen reali-
und die Kondensationswärme kann wiederum für siert werden. Sie folgen dem gleichen Ablauf wie
Heizzwecke verwendet werden. Das Wasser steht in 7 Abschn. 8.5.2.2 geschildert.
damit wieder zur Adsorption zur Verfügung, der Der Unterschied liegt in der Zielsetzung: Wäh-
Prozess kann von vorne beginnen. rend bei Wärmepumpen möglichst viel Wärme bei
Für die Aktivierungsenergie der Adsorption der höheren Temperatur abgegeben werden soll,
kann eine Solaranlage oder die Umwelt dienen, ist bei Kältemaschinen das Ziel die möglichst hohe
da schon kleine Temperaurniveaus ab 3 °C ausrei- Aufnahme von Wärme bei niedriger Temperatur
chend sind. und damit die Kühlung an dieser Stelle.
Für die Aktivierungsenergie der Desorption Die Kälte wird im Verdampfer »erzeugt«, wo
dagegen ist ein höheres Temperaturniveau von ca. das Kühlmittel (z.  B. Wasser) unter niedrigem
120°C nötig, das mit einem Gasbrennwertkessel er- Druck verdampft. Die am Wärmetauscher des Ver-
reicht werden kann. Das Wasser zirkuliert dabei bei dampfers entstehende Kälte kann über geeignete
einem Druck zwischen 5 und 200  mbar, um die Kälteträger (z. B. Wasser) an den Ort des Bedarfs
weitergegeben werden (s. [11]).
406 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

1. Takt 2. Takt 3. Takt 4. Takt


Ansaugen Verdichten und Zünden Arbeiten Ausstoßen

. Abb. 8.75  Vier-Takt-Prinzip des Ottomotors

Der Wirkungsgrad der Anlage, der abermals als wendet werden, d. h., diese bewährte Technologie
Leistungszahl εKM bezeichnet wird, ist größer eins kann als Ausspeichertechnik für erneuerbares Gas
8 und definiert sich nach Gl. 8.133 als Nutzen (entzo- oder allgemein für Stromkraftstoffe dienen.
gene Wärme Qentzogen) durch Aufwand (zugeführte Konventionelle Ottomotoren arbeiten nach
Brennstoffenergie Wzu,Gas): dem Vier-Takt-Prinzip, welches in . Abb. 8.75 ver-
Qentzogen einfacht dargestellt ist (s. [66]). Der Ottomotor
ε KM =
(8.133)
. wurde nach dem Miterfinder dieses Prinzips Nico-
Wzu , Gas laus August Otto benannt.

zz 1. Takt: Ansaugen
8.5.3 Mobilität und Verkehr Beim Ansaugen wird durch die Kolbenbewegung
nach unten bei geschlossenem Auslassventil und
Verbrennungsmotoren sind die »Ausspeicher- offenem Einlassventil Luft oder ein Gasgemisch
technologien« für chemische Energiespeicher im angesaugt. Bei Vergaser-Motoren wird das Gas-
Verkehrssektor. Seit Jahrzehnten werden sie kon- gemisch aus Kraftstoff und Luft vorher im Verga-
tinuierlich verbessert, ihr Funktionsprinzip ist aber ser erstellt und angesaugt; bei den heute gängigen
unverändert geblieben. Die konventionellen An- Ottomotoren mit Direkteinspritzung wird nur Luft
triebe können sowohl Gas aus Power-to-Gas oder angesaugt und der Kraftstoff direkt in den ersten
Biogas als auch Brennstoffe aus Power-to-Liquid Takt eingespritzt. Der Luftstrom wird gemessen
oder Biokraftstoffen verarbeiten. In den folgenden und Kraftstoff im Verbrennungsluftverhältnis λ = 1
Abschnitten werden die heute gebräuchlichsten zugegeben, d.  h., es wird genauso viel Luft beige-
Verbrennungskraftantriebe kurz vorgestellt. mischt wie für die Verbrennung theoretisch not-
Auch Brennstoffzellen sind Ausspeichertechno- wendig ist. Die Masse des angesaugten Gasgemi-
logien für den Verkehrssektor, wenn der generierte sches oder der Luft wird je nach Betriebszustand
Strom in einem elektrischen Antrieb zum Einsatz durch eine Drosselklappe geregelt. Am unteren
kommt. Ihre Technologie ist in 7 Abschn. 8.5.1.1 zur Totpunkt des Kolbens schließt sich das Einlassven-
Stromerzeugung grundlegend beschrieben. til; der Übergang zum zweiten Takt erfolgt.

8.5.3.1 Ottomotor und Vier-Takt-Prinzip zz 2.Takt: Verdichten und Zünden


Als Kraftstoffe für Ottomotoren können neben Durch die Kolbenbewegung nach oben wird das
Benzin auch Methan, Ethanol oder Wasserstoff ver- Gasgemisch verdichtet. Die kinetische Energie
8.5 • Ausspeichertechnologien
407 8
dafür stammt aus der Rotationsbewegung des Kol- Das Prinzip des Dieselmotors beruht ebenfalls
bens bzw. dem Schwungmassenspeicher am Kol- auf dem Vier-Takt-Prinzip in .  Abb. 8.75 (s. [66]).
ben selbst oder an anderen Kolben auf derselben Es unterscheidet sich gegenüber dem Ottomotor
Motorwelle. Bei der Verdichtung sind sowohl Ein- in punkto Zündung und Betriebsparameter. So
lass- als auch Auslassventil geschlossen. Durch die erfolgt im Dieselmotor keine Fremdzündung des
Kompression und die damit steigende Temperatur Gasgemisches, sondern eine Selbstzündung. Beim
auf ca. 400–500 °C verdampft der größte Teil der Ansaugen wird nur Luft bzw. bei neueren Modellen
Kraftstofftröpfchen. Kurz vor Ende des zweiten ein Luft-Abgas-Gemisch angesaugt, das anschlie-
Takts wird das komprimierte Gasgemisch durch ßend verdichtet wird. Während der Verdichtung
einen Zündfunken fremdgezündet. steigt die Temperatur der Luft auf ca. 700–1000°C.
Kurz vor dem oberen Totpunkt (Ende 2. Takt) wird
zz 3. Takt: Arbeiten im Dieselmotor der Kraftstoff eingespritzt, was im
Im Arbeitstakt verbrennt das Gemisch nach der 3. Takt (Arbeiten) fortgesetzt wird. Da die Tempe-
Überquerung des oberen Totpunktes selbstständig ratur der verdichteten Luft über der Zündungstem-
bei Temperaturen über 2000 °C und Drücken bis zu peratur des Diesels liegt, kommt es zur Selbstent-
120 bar. Entsprechend hoch sind die Anforderun- zündung nach einer kurzen Zündungsverzugszeit.
gen an das Material. Der Kolben wird zum unteren Einspritzung, Vermischung und Verbrennung lau-
Totpunkt geschoben und verrichtet dabei mechani- fen teilweise gleichzeitig ab. Im 3. Takt entstehen bei
sche Arbeit. Das verbrannte Gas kühlt sich ab, der der Verbrennung des Kraftstoffs Temperaturen von
Druck sinkt auf wenige bar. Das Auslassventil wird ca. 1500–2500 °C und Drücke von bis zu 150 bar.
am Ende des dritten Takts geöffnet. Während beim Ottomotor über die Drossel-
klappe die Luftzufuhr und darüber die Brennstoff-
zz 4. Takt: Ausstoßen zugabe geregelt werden, wird beim Dieselmotor
Beim Ausstoßen wird der Kolben durch die eine sogenannte Qualitätsregelung verwendet,
Schwungmasse bzw. andere Kolben auf derselben d. h., es wird über die eingespritzte Brennstoffmen-
Welle wieder nach oben geschoben und das Abgas ge geregelt, welche Leistung der Motor abgeben
über das geöffnete Auslassventil aus dem Zylinder soll. Der bessere Wirkungsgrad im Vergleich zum
ausgestoßen. Der Kreisprozess kann wieder von Ottomotor resultiert aus der höheren Verdichtung
vorne beginnen. und den vermiedenen Drosselverlusten im Teil-
lastbereich, was zu einem geringeren Kraftstoffver-
8.5.3.2 Dieselmotor brauch führt. Das Verbrennungsluftverhältnis λ
Dieselmotoren gibt es in verschiedenen Ausfüh- variiert zwischen Werten von 1,1–10.
rungen als Zwei- oder Vier-Takt-Motoren. Den
größten Anteil machen Vier-Takt-Motoren aus, die 8.5.3.3 Turbine und Strahltriebwerk
vor allem in Kraftfahrzeugen, Lokomotiven, Schif- Anders als an Land, wo die Kraftübertragung zur
fen, Arbeitsmaschinen oder Dieselgeneratoren An- Fortbewegung eines Fahrzeugs über Reibung auf
wendung finden. Erfunden wurde der Dieselmotor der Straßenoberfläche geschieht, ist in der Luft die
1893 von Rudolf Diesel, um einerseits das thermo- Vorwärtsbewegung über eine Impulswirkung zu
dynamische Optimum einer Wärmekraftmaschine erzielen, indem die Luft entgegen der Fahrtrich-
umzusetzen und zum anderen heimische Kraftstof- tung beschleunigt wird. In der Luftfahrt wird dies
fe wie Pflanzenöl zu nutzen. durch Strahltriebwerke realisiert (s. [13]). Die Vor-
Bei konstantem Betrieb mit Nennleistung ist triebsleistung erfolgt also durch eine thermische
die effizienteste Variante der Zwei-Takt-Dieselmo- Beschleunigung der Umgebungsluft, indem im
tor, der auch bei Schiffsmotoren oder Kraftwerken Triebwerk Luft angesaugt, mit dem Kraftstoff ge-
eingesetzt wird. Für Betriebsweisen mit häufigen mischt und verbrannt und als heißer Antriebsstrahl
Lastwechseln ist der Vier-Takt-Motor besser ge- auf Luft mit geringerer Geschwindigkeit trifft, wo-
eignet. durch eine Schubkraft entsteht.
408 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

Einlauf Verdichter Brennkammer Turbine Schubdüse

. Abb. 8.76  Aufbau und Funktionsweise eines Strahltriebwerks und Temperaturverlauf in den einzelnen Bauteilen

Es gibt eine Vielzahl an Strahltriebwerken: Gas- das Bordnetz. Der Großteil der gewandelten Ener-
8 turbinen, Staustrahltriebwerke, kombinierte Gas- gie des Kraftstoffs wird dafür aufgewendet. Aus der
turbinen-Staustrahltriebwerke, Puls- oder Verpuf- verbleibenden Energie wird der Schub erzeugt, in-
fungsstrahltriebwerke oder Turboraketentriebwer- dem das verbrannte Gasgemisch über die Schub-
ke. Alle gründen auf dem 3. Newton’schen Axiom düse weiter expandiert und abschließend etwa auf
actio = reactio. Umgebungsdruck ist. Durch die Expansion ver-
Eine einfache und heute viel verwendete Bau- lässt das Gas die Schubdüse mit einer Strömungs-
form ist das Turbo-Luftstrahltriebwerk, welches geschwindigkeit von 600–900  m/s oder mehr.
aus den Komponenten Einlauf, Verdichter, Brenn- Um eine weitere Leistungssteigerung zu erzielen,
kammer, Turbine und Schubdüse besteht (s. kann nach der Turbine ein Nachbrenner instal-
.  Abb.  8.76). Der Verdichter, die Brennkammer liert werden, der das Gas zusätzlich erhitzt und
und die Turbine werden zusammen als Gasgene- beschleunigt. Dadurch sind zwar Schubsteigerun-
rator bezeichnet und sind die Kernkomponenten gen um 30–70 % möglich, aber gleichzeitig steigt
eines Flugzeugtriebwerks. Der Vorteil ist, dass auch der Brennstoffverbrauch um 80–120 % an, weshalb
bei geringen Geschwindigkeiten ein moderater Nachbrenner nicht in der kommerziellen Luftfahrt
Wirkungsgrad bei geringer Lärmbelastung zu er- eingesetzt werden (s. [64]).
reichen ist. Heute wird als Kraftstoff fast ausschließlich
Durch den Einlauf wird in der Gasturbine Um- Kerosin (Jet-A1) verwendet. Möglich ist auch eine
gebungsluft angesaugt und mithilfe des Verdichters Verwendung von Bio- und Stromkraftstoffen. Eine
komprimiert. Da im Gegensatz zu Raketentrieb- Umstellung des verwendeten Kraftstoffs ist nur im
werken der für die Verbrennung notwendige Sauer- internationalen Konsens möglich, da Flugzeuge
stoff aus der Luft genommen wird, bezeichnet man große Strecken überwinden und weltweit auf die-
diese Turbinenart auch als luftatmend. selben Infrastrukturkomponenten zurückgreifen.
In der Brennkammer wird der verdichteten Obwohl Pflanzenkraftstoffe und Biomass-to-Li-
Luft Kraftstoff zugemischt und als Gasgemisch ver- quid geeignet sind und für den Flugverkehr getestet
brannt. Anschließend wird das heiße Gas in der werden, ist ihr Potenzial begrenzt (s. [119]). Daher
Turbine expandiert, wodurch dem Gas ein nicht kommt Stromkraftstoffen aus den potenzialseitig
unerheblicher Teil seiner Energie entzogen wird. kaum begrenzten Quellen Wind-, Solarenergie und
Die Turbine treibt wiederum den Verdichter an, Wasserkraft über Power-to-Liquid zukünftig eine
aber auch Hilfsaggregate, wie den Generator für große Bedeutung zu (s. 7 Abschn. 8.7).
8.6 • Das Speichersystem Power-to-Gas
409 8
8.6 Das Speichersystem land wie Pumpspeicher, Batteriekraftwerke oder
Power-to-Gas Druckluftspeicher gedeckt werden. Lediglich reine
Wasserstoffkavernen wurden als Lösungsoption
Nun werden die zuvor beschriebenen Elemente zu angesehen (s. [83, 113]). Da die Wasserstoffinfra-
kompletten Speichersystemen zusammengefügt. struktur fehlt und die Wasserkraft in Deutschland
Ein Speichersystem ist aus Einspeichertechno- potenzialseitig im Zubau begrenzt ist, waren rein
logien (s.  7  Abschn.  8.2 und 8.3), Speichertechno- erneuerbare Energiesysteme in ihrem Design auf
logien (s.  7  Abschn.  8.4) und Ausspeichertech- Bioenergie als Ausgleichsenergie angewiesen.
nologien (s.  7  Abschn.  8.5) aufgebaut. In diesem
Abschnitt wird das Speichersystem Power-to-Gas zz Das Kombikraftwerk am ISET Kassel – heute
(Strom-zu-Gas) dargestellt. Fraunhofer IWES
Bei gasförmigen Energieträgern stehen vor al- In den 1990er-Jahren wurde von Enßin, Füller,
lem Speichersysteme auf Basis von Power-to-Gas Hahn, Rohrig und Kollegen am Institut für So-
(PtG) im Mittelpunkt, da diese aufgrund der Nut- lare Energieversorgungstechnik (ISET) in Kassel
zung vorhandener Infrastruktur und der Möglich- im Rahmen des 250-MW-Messprogramms eine
keit der Substitution von konventionellen Energie- Datenbank zur Einspeisung aus Windkraftanla-
trägern in Verkehr, Strom und Wärme das größte gen aufgebaut, aus dem Anfang der 2000er-Jahre
Potenzial besitzen. Windprognosen und ein erstes virtuelles Kraft-
Grundsätzlich ist aufgrund der Eigenschaften werk in Form eines Windpark-Clusters entwickelt
der beiden Energieträger Wasserstoff H2 und Me- wurden (s. [26–28]. Daraus entstand das Projekt
than CH4zwischen zwei verschiedenen PtG-Kon- »Kombikraftwerk« (s. .  Abb. 8.77), welches zeigen
zepten zu unterscheiden. Der Unterschied liegt vor konnte, dass eine zu 100 % erneuerbare Stromver-
allem in der Verwendung der Speicher und den sorgung im Maßstab 1:10.000 in Deutschland zu
Ausspeichertechnologien sowie der optionalen jedem Zeitpunkt möglich ist. Dazu wurden exem-
Stufe der Methanisierung und deren Komponen- plarisch Windkraftanlagen der Enercon GmbH,
ten. Im Folgenden wird auf die Grundkonzepte von Photovoltaikanlagen der Solarworld AG und Bio-
Power-to-Gas eingegangen; konkrete Anwendun- gasanlagen der Schmack Biogas GmbH zusam-
gen und einzelne Projekte werden in 7 Kap. 13 und mengeschlossen und gemeinsam in Echtzeit nach
14 vorgestellt. dem deutschen Lastprofil gesteuert. Einzig der
Stromspeicher wurde als das Pumpspeicherwerk
Goldisthal simuliert. Damit wurden Annahmen
8.6.1 Anfänge von Power-to-Gas widerlegt, dass ein rein erneuerbares Stromsystem
nicht in der Lage sei, eine stabile Stromversorgung
zz Bedarf an Energiespeichern in dynamischen zu gewährleisten (s. [63]).
Simulationen – Wasserstoff und Biomasse Die Analysen von Reinhard Mackensen zeig-
Im Zuge des Ausbaus erneuerbarer Energien in ten, dass für einen Vollausbau erneuerbarer Ener-
Deutschland – vor allem Wind und Photovoltaik gien vorwiegend Windkraft und Photovoltaik zum
– wurde in den 2000er-Jahren die Frage nach Ener- Zuge kommen und diese massive Ausgleichsmaß-
giespeichern immer dringender. nahmen in Form von großen Speicherkapazitäten
Nachdem lange Zeit eine jahresbilanzielle Be- oder gespeicherter Biomasse benötigen, die weder
trachtung ausreichte, die nur einen Wert für die über einen Zubau von Pumpspeichern in Deutsch-
Stromerzeugung aus Wind und Solar zugrunde land noch über die verfügbaren Flächen für Biogas
legte, wurde in den dynamischen Simulationen realisierbar wären (s. [62, 63]). Das Kernproblem
des Stromsystems mit hohem Anteil erneuerbarer bestand in der realistischen Hochskalierung der
Energien (s.  7  Kap.  3) ein großer Speicher- und installierten Biogas- und Speicherleistung um den
Ausgleichsbedarf nachgewiesen und sichtbar ge- Faktor 10.000. Ein Lösungsansatz des ISET war
macht. Dieser Bedarf konnte nicht über die her- die Kopplung von Strom- und Gassektor, um auch
kömmlichen Speichertechnologien in Deutsch- Wind- und Solarenergie als Wasserstoff im Erdgas-
410 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

. Abb. 8.77  Kombikraftwerk am ISET. (Quelle: Mackensen, ISET)

netz zu speichern und flexibel über Gaskraftwerke und chemischen Energieträgern am ZSW auf die
und BHKW zurück zu verstromen (s. [119]). Biomassevergasung, indem ein eigenes Verfahren
(Absorption Enhanced Reforming Process) zur
zz CO2-Methanolisierung und Gewinnung eines wasserstoffreichen Produktgases
Biomassevergasung am ZSW Stuttgart aus Biomasse über zwei gekoppelte Wirbelschicht-
In den 1990er-Jahren entwickelten Andreas Ban- reaktoren entwickelt wurde (s. [93, 94]).
di, Thomas Weimer, Michael Specht und Kollegen
am Zentrum für Solarenergie- und Wasserstoff- zz Das erste gekoppelte Strom- und Gasnetz im
forschung in Stuttgart eine Synthese zur Gewin- WBGU-Bioenergiegutachten
nung von Methanol aus atmosphärischem CO2 Mitte bis Ende der 2000er-Jahre wurde deutlich,
und Solarenergie. Eine kleine Pilotanlage wurde dass das Potenzial an Biomasse begrenzt ist und
umgesetzt, die das CO2 aus der Luft über Adsorp- bleibt. Der kurzfristige Anstieg der Nahrungs-
tion und Elektrodialyse entzog und zusammen mittelpreise verursachte 2008 die »Tank-Teller-
mit Wasserstoff aus solarbetriebener Elektrolyse in Diskussion« und die Frage, wie weit Biomasse für
einem Reaktor zu Methanol umsetzte. Damit konn- Energie genutzt werden kann und soll (s. [29, 82]).
te die technische Machbarkeit des CO2-Recyclings Im WBGU-Bioenergiegutachten wird deutlich,
zur Methanolherstellung erfolgreich nachgewiesen dass Bioenergie einerseits sehr gut für den Aus-
werden (s. [5, 91, 92, 120]). In den 2000er-Jahren gleich von schwankender Wind- und Solarenergie
konzentrierte sich die Forschung zu Wasserstoff ist, jedoch nicht das notwendige nachhaltige Poten-
8.6 • Das Speichersystem Power-to-Gas
411 8
Direkte Nutzung
Transport

Erdgas / CH4
Erdgas

Wärme
Biomasse
CH4 / CO2 CH4 Strom
Gasqualität Kraft-Wärme-
Fermentation
Verbesserung Kopplung
CO2
Abfall CH4
CO, H2 H2 Brennstoffzellen
Vergasung Normale
Methanisierung Reformer Kraft-Wärme-
Pyrolyse Verwendung
CH4 Kopplung
CO2
Kohle
Wärme Transport
Elektrolyseur
Speicherung

Wärmepumpe

CO2 Sonne
Depot Wärme

Wind

Wasser

. Abb. 8.78  Kopplung von Strom- und Gassystem über Elektrolyse im WBGU-Hauptgutachten Bioenergie. (Quelle: [119])

zial besitzt. Die beiden Autoren Jürgen Schmid und mit seinem Hintergrund die Idee ein, für die besse-
Michael Sterner vom ISET in Kassel kamen zum re Integrierbarkeit von Wasserstoff im Erdgasnetz
Schluss, dass aufgrund der Knappheit Bioenergie den Sabatier-Prozess über die Methanisierung von
am besten über die Wege der Vergärung, Vergasung CO2 zu verwenden, welcher in .  Abb. 8.78 für die
und Methanisierung in die vorhandene Erdgasin- Methanisierung von Synthesegas aus Kohle und
frastruktur zu integrieren ist (s. [104, 119]). Dort Biomasse verwendet wurde.
sind die notwendigen Transport- und Speicherka-
pazitäten vorhanden, und Gas ist über Kraftwerke, zz Patent, Studien und Projekte zu
BHKW, Gasautos und Gasheizungen allen Energie- Power-to-Gas
sektoren zugänglich. Zugleich besteht über diesen Hier konvergierten die Vorarbeiten beider Institu-
Weg zum einen die Möglichkeit, das CO2 abzutren- te und die Idee wurde zum Power-to-Gas-Konzept
nen und eine echte Kohlenstoffsenke zu etablieren, ausgearbeitet. Es mündete 2009 in einer Patent-
und andererseits auch die noch lange vorhandene anmeldung (s. [95]), einer ersten Doktorarbeit zu
fossile Kohle klimafreundlich zu integrieren. Power-to-Gas, welche die alte Idee der chemischen
Das integrierte Energiesystem bestand schließ- Speicherung von Wind- und Solarenergie in den
lich aus einem Strom- und Gassystem, das über Kontext der Energiewende stellte und bekannt
Gaskraftwerke und BHKW einerseits und einen machte (s. [100]), und der Entwicklung der ersten
Elektrolyser, welcher Wasserstoff für Brennstoffzel- Power-to-Gas-Anlage zur CO2-Methanisierung in
len erzeugte, gekoppelt war (s. . Abb. 8.78). Dieses Deutschland in Stuttgart im Auftrag von Waldstein,
System wurde samt Kombikraftwerk von Schmid dem Gründer der SolarFuel GmbH (s. [30, 96]).
und Sterner auf der 16. Europäischen Biomassekon- Im Weiteren entstanden verschiedene Pilot-
ferenz vorgestellt (s. [86, 103]). Anwesend war auch projekte. In Stuttgart wurde die Hardware weiter-
Michael Specht vom ZSW in Stuttgart, der mit Kol- entwickelt, während in Kassel Studien für E-On,
legen die Arbeiten zur chemischen Energiewand- Greenpeace Energy und die Audi AG angefertigt
lung von Biomasse vorstellte (s. [94]). Er brachte wurden. Beides ebnete den Weg zur Umsetzung
412 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

von Pilotprojekten und der Bekanntmachung des 1 Vol.-% CO2, 2 Vol.-% Stickstoff (N2) und 1 Vol.-%
neuen Konzepts (s. 7 Abschn. 14.3 und [101]). Kohlenwasserstoffe wie Propan oder Butan (s. [45]).
In der Energiewirtschaft wurde das Konzept Laut DVGW ist eine Beimischung von Wasserstoff
durch die Arbeiten des Fraunhofer IWES (vormals zu 1,5 % möglich. Für eine höhere Beimischungs-
ISET) über die Simulation in größeren Studien die quote herrscht für gewisse Anwendungen noch
den BMU Langfristszenarien (s. [73]), des Sachver- Anpassungs- bzw. Forschungsbedarf, wie z. B. bei
ständigenrates für Umweltfragen (SRU) Gutach- Gasturbinen, Porenspeichern oder Erdgastanks in
tens (s. [97]), dem UBA Energieziel 2050 (s. [110]) Fahrzeugen, die auf niedrige einstellige Prozent-
und der VDE ETG Speicherstudie (s. [114]) bekannt bereiche von 0–4 % limitiert sind. Deshalb unter-
(s. 7 Kap. 3). Das größte bisher realisierte Projekt im scheiden sich Power-to-Gas- Wasserstoff-Speicher-
Bereich Power-to-Gas wurde von der Audi AG um- systeme darin, wie die Nutzung des Wasserstoffs im
gesetzt, um 1500 Fahrzeuge CO2-neutral mit Gas zu Anschluss an die Elektrolyse erfolgt.
betreiben (s. 7 Abschn. 14.3). In diesem Buch wird zwischen einer stofflichen
(1) und einer energetischen Nutzung von Was-
serstoff unterschieden. Darüber hinaus kann die
8.6.2 Power-to-Gas-Wasserstoff energetische Nutzung weiter differenziert werden
in eine Verwendung des Wasserstoffs in einer rei-
Im Speichersystem Power-to-Gas-Wasserstoff nen Wasserstoffinfrastruktur (2) bzw. in eine Ver-
8 (PtG-H2) werden Stromüberschüsse aus erneuerba- wendung in der vorhandenen Gasinfrastruktur (3).
ren Energien (s. 7 Kap. 3) in Wasserstoff gewandelt. . Abbildung 8.79 zeigt übersichtlich die unterschied-
Für den Wasserstoff sind verschiedene Nutzungs- lichen Nutzungsmöglichkeiten von Wasserstoff.
möglichkeiten gegeben, wie z. B. die Beimischung
in das Erdgasnetz oder die Abfüllung in Trailern, 8.6.2.1 Stoffliche Nutzung
um ihn an einem anderen Ort und zu anderer Zeit In  7  Abschn. 8.1.2 sind die verschiedenen Anwen-
energetisch zu verwerten. Folgende Schritte wer- dungsmöglichkeiten von Wasserstoff beschrieben,
den durchlaufen: welche an dieser Stelle durch die Beschreibung
55 Einspeichern: eines Power-to-Gas-Wasserstoff-Speichersystems
Einspeichertechnologien (s. 7 Abschn. 8.2) zur stofflichen Nutzung ergänzt werden.
55 Alkalische Elektrolyse (AEL) Die Anbindung einer Industrieanlage oder
55 Membran-Elektrolyse (PEMEL) einer Raffinerie mit einem hohen Bedarf an Was-
55 Hochtemperatur-Elektrolyse (HTES) serstoff kann direkt an eine Power-to-Gas-Anlage
55 Speichern erfolgen (s. .  Abb.  8.80). Da die meisten indust-
Speicherarten (s. 7 Abschn. 8.4) riellen Anwendungen einen kontinuierlichen Was-
55 Gasnetz serstoffstrom benötigen, wird im System noch ein
55 Kavernenspeicher Wasserstofftank zur Zwischenspeicherung einge-
55 Gas-Öl-Lagerstätten setzt. Voraussetzung für ein solches PtG-H2- Spei-
55 Oberirdische Speicher chersystem ist demnach ein Standort mit hohem
55 Ausspeichern erneuerbarem Strompotenzial und geeigneten Ab-
Ausspeichertechnologien (s. 7 Abschn. 8.5) nehmern für Wasserstoff.
55 Brennstoffzelle Die Integration von grünem Wasserstoff in
55 Gasturbine, GuD-Kraftwerk, BHWK Erdölraffinerien ist ergänzend in  7  Abschn.  13.3.2
55 Gasheizung, Gaswärmepumpe, Kältema- beschrieben.
schinen
55 Brennstoffzellenfahrzeug, Raketenantrieb Beispiel
55 Stoffliche Nutzung. Eisenreduktion: Hohes Klimaschutzpotenzial besitzt
das Direktreduktionsverfahren zur Eisenherstellung,
zz Mögliche Anlagenkonzepte welches das CO2-intensive Hochofenverfahren erset-
Die Zusammensetzung von Erdgas in Deutsch- zen könnte. Bei dem Direktreduktionsverfahren wird
land mit hoher Qualität ist zu 96 Vol.-% Methan, dem Eisenerz (Fe2O3) mithilfe des Wasserstoffs Sauer-
8.6 • Das Speichersystem Power-to-Gas
413 8
Wasserstoff
H2

Stoffliche Energetische
1 Nutzung Nutzung

Reines Nutzung des


Wasserstoff- 2 3 Gasnetzes
System
Kühlmittel uvm.
Methanol- Industrielle
Produktion Ammoniak- Prozesse
synthese (Hydrocracken)

Strom Verkehr Strom Verkehr


Wärme Wärme

. Abb. 8.79  Übersicht über die Nutzungsmöglichkeiten von Wasserstoff

Strom- Stoffliche
netz Nutzung

Wind H 2O O2

Elektrolyse, H2
Solar Raffinerien,
H2 -Tank Industrieanlagen

Andere
Erneuerbare Power-to-Gas Anlage

. Abb. 8.80  Schematische Darstellung eines Power-to-Gas-Systems zur stofflichen Nutzung von Wasserstoff

stoff entzogen. Als Produkte entstehen Roheisen und serstoffsystem genutzt werden (s. .  Abb. 8.81). Als
Wasser. Ein weiterer Vorteil des Direktreduktionsver- Ausgangspunkt sind Regionen mit hoher Dichte
fahrens ist, dass das entstandene Eisen einen Kohlen- von Abnehmern in Chemieparks, bereits vorhan-
stoffanteil kleiner 1 % besitzt. Bei dem Hochofenverfah- denen Wasserstoffleitungen und geeigneten Spei-
ren sind es mehrere Prozent, die anschließend noch zu chermöglichkeiten denkbar, wie sie im BMBF-Pro-
entfernen sind. Roheisen ist das Ausgangsprodukt für jekt HYPOS für Ostdeutschland in Wind-PV-Was-
Stahl, welches laut DIN-Norm im Allgemeinen nicht serstoff-Hybridparks und Wasserstoff-Testfeldern
mehr als 2 % Kohlenstoffanteil haben darf. samt erstem Wasserstoffspeicher Deutschlands er-
forscht werden (s. [51]). Als Speichermöglichkeiten
8.6.2.2 E
 nergetische Nutzung über eine stehen für eine kurzzeitige Lagerung neben Wasser-
Wasserstoffinfrastruktur stoffleitungen oberirdische H2-Tanks und für die
Zukünftig kann Wasserstoff beim Aufbau einer Langzeitspeicherung Gaskavernen zur Verfügung.
Wasserstoffwirtschaft direkt in einem reinen Was- Porenspeicher sind dagegen aufgrund der mikro-
414 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

Stoffliche oder
energetische Nutzung:
Strom- – in der Industrie
netz – für Wärme
– für Mobilität
Wind

Gasturbine,
Solar
Brennstoffzelle

Andere
Erneuerbare Stromerzeugung
Kavernenspeicher
Stromspeicherung

H2O O2

H2
Elektrolyse,
H2 -Tank

8 Power-to-Gas Anlage

. Abb. 8.81  Energetische Nutzung von Wasserstoff in einer reinen Wasserstoffinfrastruktur

biologischen Schwefelwasserstoffbildung und der infrastruktur ist ergänzend in  7  Abschn.  13.3.2
damit verbundenen Korrosion nicht für eine Was- e­ rläutert.
serstoffhaltung geeignet (s. 7 Abschn. 8.4.1.4).
In diesem System kann der gespeicherte Was- 8.6.2.3 E
 nergetische Nutzung durch
serstoff in Defizitzeiten der fluktuierenden erneuer- Beimischung zu Erdgas und
baren Energien über eine speziell angepasste Gas- Nutzung der vorhandenen
turbine oder eine Brennstoffzelle wieder in Strom Gasinfrastruktur
gewandelt werden und damit als Stromspeicher Eine eigene Wasserstoffinfrastruktur ist aus heuti-
dienen. Die eigenständige Wasserstoffinfrastruktur ger Sicht aus Kostengründen nur für einzelne Re-
wirkt in diesem Fall als saisonaler Ausgleich für gionen geeignet, wo ein hoher Bedarf an Wasser-
Zeiten mit geringen Sonnenstunden und gleichzei- stoff herrscht, es Abnehmer in der Industrie gibt
tiger Windflaute. und geeignete Speichermöglichkeiten vorhanden
Darüber hinaus kann der Wasserstoff für die sind, vor allem Kavernenspeicher.
Mobilität über Wasserstofftankstellen oder für An- Anders sieht dies bei der Beimischung zu Erd-
wendungen im Bereich der Wärmeversorgung ge- gas und bei der Nutzung der vorhandenen Gasin-
nutzt werden. frastruktur aus. Das Gasnetz ist deutschlandweit
Hinderlich in der Umsetzung sind die hohen ausgebaut und es bestehen zudem große Fernlei-
Kosten des Aufbaus einer eigenen Wasserstoffinfra- tungsverbindungen ins Ausland. Außerdem gibt es
struktur und die hohen Preise der Wasserstoff-Ent- in jedem Energiesektor Verbraucher, die seit Lan-
ladetechnologien wie Brennstoffzellenfahrzeuge, gem Stand der Technik sind. So sind bis auf Anpas-
Brennstoffzellen-BHKW und Rückverstromungs- sungen aller Gaskomponenten auf höhere Wasser-
einheiten. stoffanteile keine neuen Entwicklungen erforder-
Die Integration von Wasserstoff in die Wasser- lich, sondern es können die bereits vorhandenen
stoffmobilität samt Transport und Distributions- Technologien genutzt werden.
8.6 • Das Speichersystem Power-to-Gas
415 8
Strom- Gas-
netz netz

Wind Beimischung und


Nutzung in der
Gasinfrastruktur
Gaskraftwerk,
Solar
BHKW
Gasspeicher
Andere
Erneuerbare Stromerzeugung
Verdichter und
Stromspeicherung Einspeisung

H2O O2
H2
Elektrolyse,
H2 -Tank

Power-to-Gas Anlage

. Abb. 8.82  Schema zur Wasserstoffnutzung in der vorhandenen Gasinfrastruktur

Die große Herausforderung liegt in der Verträg- dische Gasspeicher. Ferner kann das Gas samt er-
lichkeit von Wasserstoff mit einzelnen Komponen- neuerbarem Wasserstoff über das Gasnetz zu allen
ten (s. .  Abb. 8.91). In diesem Bereich gibt es noch Verbrauchern in Haushalten, Gewerbe und Indus-
Anpassungs- bzw. Forschungsbedarf, um die derzeit trie transportiert werden. Anwendungen sind dort
technisch umsetzbare Einspeisegrenze von 1–2 Vol.% Gasmotoren, Gasbrennwertkessel, Gaswärmepum-
Wasserstoff zu erhöhen (s. [45] 7 Abschn. 8.6.5.1). pen, Gasherde, Gas als Werkzeug oder Grundstoff
In einem Power-to-Gas-Wasserstoff-Speichersys- oder die Rückverstromung in Spitzenlastzeiten.
tem wird überschüssiger Strom zur Wasserspaltung
durch einen Elektrolyseur eingesetzt (s. . Abb. 8.82).
Der erzeugte Wasserstoff wird einer Gaseinspeisesta- 8.6.3 Power-to-Gas-Methan
tion samt Verdichter zugeführt, wo er für eine Ein-
speisung in die Gasinfrastruktur aufbereitet wird. Der Im Speichersystem Power-to-Gas-Methan (PtG-
anschließende Nutzungspfad ist unter Beachtung der CH4) kommt zur Elektrolyse die weitere Ladetech-
Wasserstofftoleranzen von .  Abb. 8.91 für alle Wege nologie Methanisierung (s.  7  Abschn.  8.3) hinzu.
offen: Rückverstromung des Gasgemisches, Wärme, Der generierte Wasserstoff wird auf chemischem
Verkehr und stoffliche Nutzung. oder biologischem Weg mit Kohlenstoffdioxid
Zum saisonalen Ausgleich kann das Erdgas- (CO2) in die Produkte Methan (CH4) und Wasser
Wasserstoffgemisch in Gasspeichern gelagert wer- (H2O) gewandelt (s. [100]).
den. Anders als reiner Wasserstoff kann für Erdgas Das daraus entstehende Methan lässt sich dank
mit einer 1  %igen Wasserstoffbeimischung jeder seiner höheren Energiedichte leichter verdich-
Gasspeicher genutzt werden. Neben Salzkavernen ten, lagern, transportieren und nutzen als reiner
kommen auch Porenspeicher infrage. Für eine kurz- Wasserstoff, was die größten Vorteile dieses Kon-
zeitige Pufferung des Gasgemisches dienen oberir- zeptes sind. Der Nachteil liegt in einem weiteren
416 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

Strom- Gas-
netz netz

Wind – für Wärme


– für den Verkehr
Gaskraftwerk-
Solar
BHKW Wind- und Solar-
Kraftstoffe
Andere (z. B. e - gas)
Erneuerbare Stromerzeugung
Gasspeicher
Stromspeicherung

H2O O2
– Atmosphäre H2
Elektrolyse,
– Biomasse, Abfall CH4
H2 -Tank
– (lndustrie) Methan- Windgas
CO2 isierung Solargas
CO2 CO2 -Tank
H2O

8 Power-to-Gas Anlage

. Abb. 8.83  Grundkonzept von Power-to-Gas-Methan. (Quelle: [100])

Wandlungsschritt mit entsprechenden Abwärmen 55 Kavernenspeicher


und dem Bedarf an CO2. Dadurch sinkt der Wir- 55 Porenspeicher
kungsgrad des Gesamtprozesses. Diesem Nach- 55 Gas-Öl-Lagerstätten
teil kann u.  a. durch ein intelligentes Wärmekon- 55 Oberirdische Speicher
zept in Verbindung mit der Elektrolyseabwärme 55 Ausspeichern
(s.  7  Abschn.  8.2.6) oder durch den Einsatz der Ausspeichertechnologien (s. 7 Abschn. 8.5)
Hochtemperatur-Elektrolyse begegnet werden, 55 Brennstoffzelle
wenn die Exothermie der Synthese zur Verdamp- 55 Gasturbine, GuD-Kraftwerk, BHWK
fung des zu elektrolysierenden Wassers genutzt 55 Gasheizung, Gaswärmepumpe, Kältema-
wird (s. 7 Abschn. 8.6.4). schinen
Ein Power-to-Gas-Methan-Speichersystem kann 55 Gasfahrzeug, Schiffe, Flugzeuge
aus folgenden Komponenten aufgebaut sein: 55 Stoffliche Nutzung
55 Einspeichern:
Einspeichertechnologien (s. 7 Abschn. 8.2) zz Mögliche Anlagenkonzepte
55 Elektrolyse Im Bereich PtG-CH4gibt es verschiedene Konzept-
–– Alkalische Elektrolyse (AEL) kategorien, die alle auf dem in . Abb. 8.83 abgebil-
–– Membran-Elektrolyse (PEMEL) deten Grundkonzept basieren (s. [100]).
55 Hochtemperatur-Elektrolyse (HTES) Die Grundidee von Power-to-Gas ist die
55 Methanisierung (s. 7 Abschn. 8.3) gegenseitige Vernetzung des Strom- und Gasnet-
–– chemische Methanisierung zes zur Speicherung von erneuerbaren Energien
55 biologische Methanisierung (s.  7  Abschn.  8.6.1). Überschussstrom treibt die
55 Speichern Wasserspaltung in der Elektrolyse an. Der entste-
Speicherarten (s. 7 Abschn. 8.4) hende Wasserstoff wird zusammen mit CO2 in der
55 Gasnetz
8.6 • Das Speichersystem Power-to-Gas
417 8
Strom- Gas-
netz netz

Wind
– für Wärme
– für den Verkehr
Gaskraftwerk,
Solar
BHKW

Andere
Erneuerbare Stromerzeugung

Gasspeicher
Stromspeicherung

H2O O2
Elektrolyse, H2
H2 -Tank CH4
Methan-
Absorption, CO2 isierung
Luft CO2 -Tank
Adsorbtion H2O

Power-to-Gas Anlage Wärme

. Abb. 8.84  Power-to-Gas-Methan mit Luft als CO2-Quelle. (Quelle: [100])

Methanisierung zu Methan umgesetzt. Dazu wird Es gibt verschiedene Wege zur Extraktion von
eine CO2-Quelle benötigt. Diese kann unterschied- CO2 aus der Luft:
licher Herkunft sein. Mögliche Quellen sind bei- 55 Adsorption
spielsweise CCS (engl. Carbon Dioxid Capture and 55 Absorption
Storage; dt. CO2-Abscheidung und -Speicherung), 55 Kondensation
Biogas- oder Kläranlagen, CO2 aus der Luft, Indus- 55 Membranabtrennung.
trieprozesse oder konventionelle Kraftwerke. Das
erneuerbare Methan kann in Gasspeichern zwi- Alle Prozesse sind jedoch energieintensiv, da die
schengespeichert oder ins Gasnetz eingespeist wer- Konzentration von CO2 in der Atmosphäre nur
den. Dort kann es für den Wärme- oder Verkehrs- ca. 400 ppm, also 0,4 ‰ beträgt. Daher sollten zu-
sektor verwendet oder über Gasturbinen, BHKW nächst reine CO2-Quellen genutzt werden, um Ef-
etc. rückverstromt werden. fizienz und Wirtschaftlichkeit von Power-to-Gas-
Der Unterschied zwischen den einzelnen Kon- Anlagen zu steigern.
zepten liegt darin, woher das Kohlenstoffdioxid Trotzdem hat dieses System seine Daseinsbe-
stammt und wie die CO2-Quelle in die Methanisie- rechtigung, da es weltweit Regionen mit hohem
rung eingebunden wird. Potenzial an erneuerbaren Energien gibt, die fernab
von Verbrauchern liegen. Da dort Luft die einzige
8.6.3.1 CO2 aus der Luft CO2-Quelle darstellt, bietet das System die Mög-
Wird CO2 aus der Atmosphäre gewonnen und er- lichkeit, dieses Potenzial zu nutzen und die Abhän-
neuerbarer Strom verwendet, kann CO2-neutrales gigkeit von Erdgasimporten in diesen Regionen zu
Methan hergestellt werden (s. .  Abb.  8.84). Wird reduzieren (s. [100]).
der Verbrennung noch ein CCS-System ange- Zwei der vier Verfahrensmöglichkeiten sind
schlossen, kann es sogar zu einer Senkung des CO2- sehr energieintensiv: Die Kondensation erfor-
Gehaltes der Luft durch die Anlage kommen. dert eine sehr starke Abkühlung der Luft und die
418 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

Membranabtrennung einen sehr hohen Druck, um ben. Ein Zyklus dauert etwa sechs Stunden. Dabei
das CO2 aus der Luft zu gewinnen. Diese Prozesse wird zuerst die Luft durch die Adsorptionskammer
werden standardmäßig in Luftzerlegungsanlagen geleitet, wo sich das CO2 an Zellstoff-Granulat an-
(LZA, oder ASU – Air Separation Units) zur indus- lagert. Innerhalb von drei Stunden ist genügend
triellen Gewinnung von Stickstoff, Sauerstoff und CO2 gesammelt, sodass bei 95 °C und vermindertem
Edelgasen wie Argon eingesetzt (s. [92]). Druck die Desorptionsphase beginnen kann, wel-
Aus heutiger Sicht erscheinen daher Ab- und che wiederum etwa drei Stunden dauert und einen
Adsorptionsprozesse als favorisierte Technologie Zyklus abschließt. Unter diesen Bedingungen kann
hinsichtlich Aufwand und Verluste. durch eine Vakuumpumpe das CO2vom Zellstoff ge-
löst und mit einem Reinheitsgrad von 99,5 % gewon-
zz Absorptionsverfahren nen werden. Mit der Anlage ist es möglich, 80 % der
Während der Absorption wird das CO2 durch eine CO2-Moleküle mittels Sorbentmittel aus der Luft zu
Lauge, wie z.  B. Natronlauge (NaOH), Kalilauge filtern. In absoluten Zahlen bedeutet dies 800 m³/h
(KOH) oder Calciumhydroxid (Ca(OH)2), aus der Luft und 4 kg/d bzw. 1000 kg/a CO2 (s. [38, 39, 125]).
Luft absorbiert. Dabei entsteht ein Carbonat, bei- Zukünftig sollen mit einer Fläche von 100  m2
spielsweise Natriumcarbonat (Na2CO3). Aus die- ca. 1000  t CO2/a mit einer Gaszusammensetzung
sem Carbonat kann mithilfe einer Säure das CO2 von 99,9 % CO2, 30  ppm O2 und 20  ppm H2O er-
wieder gelöst werden. zielt werden. Der Energieaufwand beläuft sich auf

8 Um die Lauge und die Säure anschließend 200–300  kWh Strom pro Tonne CO2vor allem für
den Betrieb des Lüfters und 1500–2000  kWh/t CO2
wiederherzustellen, wird eine Elektrodialyse mit
bipolaren Membranen durchgeführt. Die Elektro- an niederkalorischer Wärme von 105°C im Vorlauf
dialyse ist ein elektrochemischer Prozess, wo mit- und 95°C im Rücklauf vor allem für die Desorption.
hilfe eines elektrischen Feldes Protonen (H+) und Die Kosten für die Abtrennung liegen heute bei ca.
Hydroxidionen (OH-) getrennt werden, die durch 800  €/t bei einem Kostenaufwand für Wärme und
Wasserspaltung gewonnen werden, die wiederum Strom von ca. 30  €/t. Zukünftig sollen die Kosten
durch die bipolare Membran aktiviert wird. auf ca. 200 €/t sinken (s. [37]).
Die Absorption und die Elektrodialyse benötig- Die Demonstrationsanlage wurde Anfang 2013
ten im Laborversuch am ZSW Stuttgart zusammen installiert und konnte unter verschiedenen Umge-
2,28 MWh pro Tonne CO2 (s. [5, 92]). In der Praxis bungsbedingungen ihre Alltagstauglichkeit unter
liegt der Wert darüber. Beweis stellen. Eine Kooperation mit Audi für die
Bereitstellung von CO2 für die Power-to-Gas-Anlage
zz Adsorptionsverfahren in Werlte ist geplant (s. [4] und 7 Abschn. 14.2.2.2).
Beim Adsorptionsverfahren wird im Batch-Ver-
fahren zunächst CO2 adsorbiert und dann mithilfe 8.6.3.2 C
 O2aus Biogasaufbereitungsanla-
niederkalorischer Wärme wieder freigesetzt und gen
verfügbar gemacht. Adsorptionsverfahren wie die zz Prinzip
Druckwechseladsorption (PSA) sind Standardpro- Bei diesem Konzept ist das Ausgangsmaterial für
zesse in der Gasaufbereitungs- und Gasreinigungs- CO2 Biomasse oder Abfall, welche in einem Fer-
technik. Der Vorteil liegt darin, dass auch Nieder- menter vergärt werden. Je nach Verweildauer
temperaturabwärme aus verschiedenen Prozessen und Fermentertyp kann das gereinigte Biogas bis
(z.  B. Elektrolyse, KWK, ggf. auch Synthesen) für zu 45 % CO2 enthalten. Für viele technische An-
die Desorptionsphase verwendet werden kann. wendungen ist das inerte CO2 hinderlich, weshalb
das Biogas vor der Einspeisung in das Gasnetz auf
Beispiel Erdgasqualität (> 96 % CH4) gebracht wird. Nach
Eine kommerziell erhältliche Demonstrationsanla- der Abtrennung wird das Gas deshalb als Biome-
ge zur CO2-Gewinnung aus der Luft wird von dem than bezeichnet. Im Gasnetz kann es gespeichert,
Unternehmen Climeworks hergestellt und betrie- verteilt und flexibel in allen Bereichen eingesetzt
8.6 • Das Speichersystem Power-to-Gas
419 8
Strom- Gas-
netz netz

Wind – für Wärme


– für den Verkehr
Gaskraftwerk,
Solar
BHKW

Andere
Erneuerbare Stromerzeugung
Gasspeicher
Stromspeicherung

H 2O O2
H2
Elektrolyse,
H2 -Tank CH4
Mathan-
isierung
CH4/CO2 -Tank
(Biogas- Tank)
CO2 Wärme

Biomasse, Biogas- Biogas


Abfall anlage Aufbereitung
CH4/CO2

. Abb. 8.85  Power-to-Gas-Methan mit CO2 aus der Biogasaufbereitung oder der Biomassevergasung. (Quelle: [100])

werden. Die Nutzung der bestehenden Gasinfra- zz Vorteile


struktur hat viele Vorteile: So kann auf bestehende Der große Vorteil dieser Kopplung der Prozesse
Technologie zurückgegriffen und im Gegensatz zur liegt in einer effizienteren Ressourcen- und Ener-
Verstromung des Biogases vor Ort die entstehende gienutzung: Die Abwärme der Methanisierung
Wärme gezielter genutzt und damit das Biogas effi- kann in diesem System entweder für die Vergärung
zienter verwertet werden. oder für das Aufbereitungsverfahren komplett ein-
Verfahren zur Gastrennung sind Adsorption, gebunden werden. Durch die Nutzung der natür-
Adsorption, chemische Absorption, Membranab- lich gebundenen Ressource CO2 kann die Methan-
trennung oder Kühlung (s. [7]). produktion einer Biogasaufbereitungsanlage mit-
In Kombination mit Power-to-Gas kann das hilfe von Power-to-Gas nahezu verdoppelt und im
abgetrennte CO2, welches normalerweise in hoch- Idealfall der klimaschädliche Methanschlupf der
reiner Form einfach in die Atmosphäre gegeben Biogasaufbereitungsanlagen vermieden werden.
wird, der Methanisierung hinzugefügt werden, wo
es mit dem aus überschüssigem Strom erzeugten zz Variante Biomassevergasung
Wasserstoff zu Methan umgewandelt wird. Sind Anstelle des Fermenters kann auch eine Verga-
die Stromüberschüsse zu gering für die Wasser- sungsanlage für feste Biomasse verwendet werden.
stoffproduktion oder ist der Wasserstoffpuffer leer, Unter Wärme- und Sauerstoffzufuhr werden die
kann das CO2 zwischengespeichert und erst wieder Kohlenwasserstoffverbindungen der festen Bio-
bei Bedarf verwendet werden (s. . Abb. 8.85). masse in ein Gasgemisch aus CO, H2, H2O, CH4
und CO2 gespalten. Dieses Gemisch wird nach
420 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

Strom- Gas-
netz netz

Wind – für Wärme


– für den Verkehr
Gaskraftwerk,
Solar
BHKW

Andere
Erneuerbare Stromerzeugung
Gasspeicher
Stromspeicherung

H2O O2
Elektrolyse, H2
H2 -Tank CH4
Methan-
Biogas isierung
CH4/CO2 -Tank

8
Biomasse, Bio- / Klärgas- Wärme
Abfall anlage
CH4/ CO2

. Abb. 8.86  Power-to-Gas-Methan mit direkter Umsetzung eines CH4/CO2-Gasgemisches aus Biogas- oder Klärgasanlagen.
(Quelle: [100])

Gasreinigung und Gaskonditionierung katalytisch Energieaufwand für die Aufbereitung des Biogases
in Methan umgesetzt. Eine Power-to-Gas-Anlage mehr notwendig.
kann für diesen Prozess Sauerstoff und Wasserstoff
zur Verfügung stellen und die Ausbeute der Anlage zz Vorteile der biologischen Methanisierung
erhöhen, indem Überschussstrom genutzt wird. Das Verfahren kann entweder chemisch oder biolo-
gisch umgesetzt werden. Besonders die biologische
8.6.3.3 C
 O2 als Bestandteil von Bio- und Methanisierung bietet sich hierfür an, da die er-
Klärgas aus Biogas- und forderlichen Bakterienstämme bereits in Bio- und
Klärgasanlagen Kläranlagen enthalten sind (s.  7  Abschn.  8.3.2.2).
zz Prinzip Zudem können bei bestehenden Bio- und Kläranla-
Biogas kann auch direkt ohne vorherige CO2- gen Bestandteile der Infrastruktur genutzt und da-
Abtrennung methanisiert werden; ebenso Klärgas durch Investitionskosten eingespart werden. Dazu
(s. .  Abb.  8.86). Beide Gase bestehen zu 50–60 % zählen Räumlichkeiten, elektrische Anlagen und
aus Methan und zu 40–50 % aus CO2 und geringen ggf. Bio- oder Klärgasverwertung (Verstromung,
Mengen an Begleitstoffen. Das Produktgas aus dem Gasnetz etc.). Gerade in Verbindung mit einer
Fermenter wird direkt in die Methanisierung gege- kommunalen Infrastruktur (z. B. einem Fuhrpark)
ben, wo das CO2 des Bio- oder Klärgases mit dem ist Power-to-Gas an Kläranlagen vielversprechend.
erneuerbaren Wasserstoff zu hochprozentigem Me- Neben der Integration in bestehende Bio- oder
thangas reagieren kann. Klärgasanlagen steht die Umsetzung der Metha-
Die Methanproduktion der Biogasanlage kann nisierung in Reinkulturen offen. Diese haben den
über die Anbindung in das Power-to-Gas-System Vorteil gegenüber bestehenden Fermentern, dass
fast verdoppelt werden. Ferner ist kein zusätzlicher die Bakterienstämme gezielt gehandhabt werden
8.6 • Das Speichersystem Power-to-Gas
421 8
Strom- Gas-
netz netz

– für Wärme
Wind Wärme – für den Verkehr

Gaskraftwerk,
Solar BHKW
H2O
Andere Gasspeicher
Erneuerbare
H2
Elektrolyse,
H2 -Tank CH4
Mathan-
isierung
O2 CO2 -Tank
CO2 Wärme

Kohlekraftwerk mit
Kohle CO2 -Abscheidung

Luft LZA O2

. Abb. 8.87  Power-to-Gas-Methan mit CO2 aus Kohlekraftwerken über das Oxyfuel-Verfahren. (Quelle: [100])

können und höhere Umsatzraten bei geringeren gasung oder bei der Verbrennung der Kohle in
Verweildauern zu erreichen sind. reiner Sauerstoffatmosphäre (Oxyfuel-Verfahren,
s. . Abb. 8.87) abgeschieden werden.
8.6.3.4 C
 O2 aus dem Rauchgas von
Kohlekraftwerken zz Oxyfuel-Verfahren
zz Prinzip Da in der Wasserelektrolyse reiner Sauerstoff an-
Der Ausstoß von CO2ist das Hauptmanko der fällt, erscheint das letztgenannte Verfahren am at-
derzeitigen Kohlenutzung. Angesichts der großen traktivsten. Reicht der Sauerstoff aus der Elektro-
weltweiten Vorräte werden Konzepte zur Abtren- lyse nicht aus, kann zusätzlich Sauerstoff über eine
nung, Sequestrierung und Speicherung erarbeitet Luftzerlegungsanlage (LZA) gewonnen werden,
und erprobt (Carbon Capture and Storage – CCS) was aber energieintensiv ist und somit den Wir-
(s. [100]). Statt CO2 aus Kohlekraftwerken unter- kungsgrad des Gesamtsystems verringert. In der
irdisch in ggf. undichten Formationen zu lagern, Gesamtbetrachtung kann diese CO2-Abscheidung
erscheint seine Nutzung für energetische und aber trotzdem vorteilhafter sein als eine energie-
stoffliche Produkte weitaus realistischer (Carbon intensive nachgeschaltete Abscheidung.
Capture and Use – CCU). Um das Kohlenstoffdi-
oxid aus den Abgasen des Verbrennungsprozesses zz Zuordnung der Emissionen
von Kohle abzuscheiden, gibt es unterschiedliche Herausfordernd ist die Allokation der CO2-Emiss-
Verfahren. Das CO2 kann entweder nach der Ver- ionen. Das Kraftwerk veräußert einerseits das ent-
brennung über eine nachgeschaltete Abscheidung standene fossile CO2. Bei der Verbrennung des
im Abgas, in der Vergasungsphase vor der Ver- mithilfe erneuerbarer Energien erzeugten Methans
brennung bei Kombikraftwerken mit Kohlever- wird jedoch andererseits das CO2wieder freige-
422 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

setzt. Daher ist dieses Konzept maximal klimaneu- stoffliche, nicht-energetische CO2-Emissionen re-
tral. Eine eindeutige Zuordnung der Emissionen zu duziert werden. Weitere Quellen sind Abgase aus
Kohlekraftwerk oder Gasnutzer ist erforderlich, da Motorenprüfständen und spezielle Industriepro-
ansonsten die Gefahr besteht, dass CO2-Emission- zesse (s. 7 Abschn. 8.3.1.2)
en vom Strom- in den Wärme- oder Verkehrssek-
tor ausgelagert werden, wobei nur im Stromsektor
der CO2-Zertifikatehandel greift. Ein sogenanntes 8.6.4 Wirkungsgrade, Potenziale,
Green washing von Kohlekraftwerken ist zu ver- CO2-Emissionen und Kosten
meiden.
Wichtig ist bei diesem Konzept, dass das Kohle- 8.6.4.1 W
 irkungsgradsteigerung durch
kraftwerk bei hoher Wind- und Solareinspeisung Integration der Hochtemperatur-
nicht oberhalb seiner Must-Run-Grenze betrieben Elektrolyse
wird, wenn die Methanisierungsanlage läuft. Da- Unabhängig vom konkreten Prozess und Endpro-
mit soll die energetisch sinnfreie Wandlung eines dukt haben alle Erzeugungsvarianten für synthe-
chemischen Energieträgers in einen elektrischen tische Kohlenwasserstoffe eine Gemeinsamkeit:
und wiederum in einen chemischen vermieden Während die Gewinnung von Wasserstoff am An-
werden (sogenannter »chemischer Kurzschluss«). fang der Prozesskette steht und endotherm ist, wird
Die Einspeisung von erneuerbarem Strom gilt da- durch die Exothermie der folgenden Synthese von
8 her vorrangig zum Betrieb von fossilen Kraftwer- Kohlen- und Wasserstoffen zu Kohlenwasserstof-
ken. Das Kraftwerk darf nicht betrieben werden, fen wie Methan, Methanol, Benzin, Diesel, Kerosin
um die Elektrolyse mit Elektroenergie zu versorgen oder Wachs ein Teil der vorher zur Wasserstoff-
(s. auch 7 Abschn. 14.3). gewinnung aufgewandten Elektroenergie in Form
von Wärme frei.
8.6.3.5 C
 O2-Recycling aus Gaskraftwerken Dieses thermodynamische Grundprinzip be-
und weiteren Quellen gründet einen Wirkungsgradverlust bei der Her-
zz Prinzip stellung synthetischer Kohlenwasserstoffe im Ver-
Das Oxyfuel-Konzept kann auch bei der Verbren- gleich zur reinen Wasserstoffherstellung, dem nur
nung des erzeugten Methans in Gaskraftwerken durch die Wiedereinkopplung der frei werdenden
angewendet werden, um einen geschlossenen CO2- Wärme in den Prozess begegnet werden kann.
Kreislauf zu schaffen. Hierfür ist eine räumliche Einen möglichen Weg stellt die Verdampfung
Nähe von Lade- und Entladetechnik förderlich, des Speisewassers dar, indem der daraus gebildete
denn für eine saubere Verbrennung mit ausschließ- Dampf in eine Dampfelektrolyse (Hochtemperatur-
lich Kohlenstoffdioxid und Wasser als Produktgase Elektrolyse) geführt wird. So wird die erforderliche
ist reiner Sauerstoff nötig, der aus der Elektrolyse elektrische Energie nur noch zur Überwindung des
gewonnen werden kann. Das bei der Verbrennung Heiz- und nicht – wie bei Verwendung einer Flüs-
entstehende CO2 wird wieder in der Methanisie- sigwasserelektrolyse – des Brennwertes eingesetzt.
rung recycelt, und der CO2-Kreislauf ist klimaneu- Die thermodynamische Einsparung von 16 %
tral geschlossen. elektrischer Energie durch die Rekuperation der
Syntheseabwärme ermöglicht es, synthetische Koh-
zz Weitere Quellen lenwasserstoffe mit ähnlichen Wirkungsgraden wie
Eine weitere Möglichkeit zur Verwendung von fos- bei reinem Wasserstoff herzustellen.
silem CO2 ist die Anbindung von energieintensiven .  Abbildung  8.88 und 8.89 vergleichen diese
Industrieanlagen, wie Stahl-, Zement- oder Papier- beiden Prozessketten. Die thermodynamisch maxi-
fabriken, welche einen hohen Energieverbrauch für malen Wirkungsgrade liegen jeweils bei 84 %, was
Prozesswärme haben (Möglichkeit zur Integration der Differenz zwischen Heiz- und Brennwert von
der Abwärme) und diese meist über die Verbren- Wasserstoff entspricht (LHVH2/HHVH2-Verhält-
nung von fossilen Energieträgern erzeugen. Diese nis). Die praktisch zu erwartenden Wirkungsgrade
CO2-Quellen sind sehr günstig. So können auch liegen bei ca. 65–79 %.
8.6 • Das Speichersystem Power-to-Gas
423 8

H2

Nutzung
Elektrolyse -726 kJ
+726 kJ
Energieeintrag
1, 19 MJel / MJH2

3 H2O H2O Dampf

Verdampfung- Kondensation
+141 kJ -141 kJ/mol

3 H2O flüssig
ηmax theor. = 726 / (141 + 726) = 84%

. Abb. 8.88  Hochtemperatur-Elektrolyse zur Gewinnung von Wasserstoff aus Dampf ohne Rekuperation der Abwärme
von Synthesen. (Quelle: sunfire GmbH)

8.6.4.2 W
 irkungsgrade der Power-to-Gas- bzw. thermische Speicherkapazität von 217  TWh
Systeme mit beträchtlichem Potenzial zu Erweiterung
Ein vollständiges Power-to-Gas-Speichersystem (s.  7  Abschn.  8.4.1.7). Bei einer effizienten Rück-
besteht aus verstromung über ausreichend GuD-Kraftwerke
55 Transformator (η = 0,90) mit einem Wirkungsgrad von 60 % können aus
55 Elektrolyseur (η = 0,70) den gespeicherten Gasmengen rein bilanziell etwa
55 Methanisierung (η = 0,825) 120  TWh Strom generiert werden, was 20 % des
55 Kompression und Gasspeicherung (η = 0,97) jährlichen Stromverbrauchs in Deutschland ent-
55 einer Entladetechnik, die je nach Energie- spricht und alle großen Lücken in einer erneuer-
dienstleistung variieren kann. baren Stromversorgung schließen kann.
Für ein System mit Methanisierung steht diese
Die angegebenen Wirkungsgrade sind Mittelwerte, Speicherkapazität vollständig zur Verfügung. Bei
aus denen sich unterschiedliche Gesamtwirkungs- Einspeisung von Wasserstoff sind die geltenden
grade ergeben (s. . Tab. 8.30). Bei reinen Power-to- Grenzwerte zu berücksichtigen. Wird eine Toleranz
Gas-Wasserstoff- Speichersystemen ist durch den von 1–2 % unterstellt, stünden über eine einfache
fehlenden Zwischenschritt Methanisierung der Ge- Umrechnung ca. 2–4  TWh Speicherkapazität für
samtwirkungsgrad etwa 5–12 % höher als bei den Wasserstoff zur Verfügung. Dieser Wert ist jedoch
Varianten mit Methanisierung. rein theoretischer Natur, da eine Gleichverteilung
des Wasserstoffs über ganz Deutschland Vorausset-
8.6.4.3 P
 otenziale für die zung wäre und sehr viele Gasnetze stark saisona-
Energiespeicherung le Schwankungen im Gasdurchfluss aufzeigen. In
Das Gasnetz bietet im Gegensatz zum Stromnetz der Realität sind für Wasserstoff vorwiegend rei-
genügend Übertragungs- und Speicherkapazitä- ne Wasserstoffkavernen zur Speicherung geeignet
ten. In den Gasspeichern besteht eine chemische (s. 7 Abschn. 8.4.1).
424 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

Synthesegas
CO + H2O + 2H2
Konvertierung Synthese
+41 kJ -146 kJ

Energieeintrag
1,23 MJel / MJ-CH2 CO2 CO2 + 3H2 CH2 + 2H2O

Dampf- Nutzung
elektrolyse -620 kJ
Rekuperation
+726 kJ

3 H2ODampf CO2 + 3H2O

Verdampfung-
+141 kJ Kondensation
8 -141 kJ/mol

3 H2Oflüssig
ηmax theor. = 620 / (726 + 41) = 81%

. Abb. 8.89  Hochtemperatur-Elektrolyse zur Gewinnung von Kohlenwasserstoffen aus Dampf und CO2 mit Rekuperation
der Abwärme von Synthesen für die Verdampfung von Wasser, wodurch ähnliche Wirkungsgrade wie bei der Wasserstoffher-
stellung erreicht werden können. (Quelle: sunfire GmbH)

Pumpspeicherwerke haben zum Vergleich 380 kV-Drehstromsysteme), so kann z. B. über die


eine Speicherkapazität von 0,04  TWh. Wären in Erdgasfernleitung Trans-Europa-Naturgas-Pipe-
der Theorie die heute in Deutschland existieren- line ein Gastransport mit einer Leistung von ca.
den 42 Mio. Fahrzeuge als Elektromobile mit einer 70 GW erfolgen.
Kapazität von 20 kWh zeitgleich am Netz, wovon Damit ermöglicht die Strom-Gasnetz-Kopp-
die Hälfte realistisch für den Ausgleich von Defizi- lung nicht nur die Speicherung von großen Ener-
ten im Stromsystem genutzt werden kann, würden giemengen, sondern auch eine räumliche Verlage-
0,42 TWh Speicherkapazität zur Verfügung stehen. rung von Einspeicherung und Nutzung des erneu-
Bei einer Entladung mit 60 GW würden alle Fahr- erbaren Methans, was ein Alleinstellungsmerkmal
zeuge das Stromnetz für 7 h stabilisieren können; von Power-to-Gas ist.
alle Gasspeicher mit der gleichen Entladeleistung
2000  h, also ca. 3 Monate. Dieser Vergleich zeigt, 8.6.4.4 C
 O2-Emissionen von Power-to-Gas
welches Speicherpotenzial Power-to-Gas erschließt zz Potenzial zur Senkung der CO2-Emissionen
(s. auch 7 Abb. 12.2). nur mit erneuerbarem Strom
Neben den Speicherkapazitäten verfügt das Für die Klimawirkung des Betriebs eines Power-
Gasnetz auch über ein gut ausgebautes Transport- to-Gas-Speichersystems sind zwei Dinge entschei-
und Verteilnetz. Während typische Übertragungs- dend: erstens die Stromquelle bzw. der Strombezug
leitungen im Stromnetz eine elektrische Über- und zweitens der substituierte Energieträger.
tragungsleistung von 3,5  GW ermöglichen (zwei
8.6 • Das Speichersystem Power-to-Gas
425 8

. Tab.8.30  Wirkungsgradketten für unterschiedliche Power-to-Gas-Speichersysteme. (Quelle: eigene Darstellung,


basierend auf [101], ergänzt um die Rekuperation von Synthesewärme für die Hochtemperatur-Elektrolyse)

Pfad Gesamtwirkungs- Randbedingungen


grad (%)

Power-to-Gas

Strom zu Wasserstoff 54–79 Kompression auf 200 bar (Gasspeicher)

Strom zu Methan 49–78

Strom zu Wasserstoff 57–80 Kompression auf 80 bar


(Fern- und Transportleitung)
Strom zu Methan 50–78

Strom zu Wasserstoff 64–84 Ohne Kompression

Strom zu Methan 51–79

Stromsektor

Strom zu Wasserstoff zu Strom 34–51 Verstromung via Brennstoffzelle

Strom zu Methan zu Strom 30–38 Verbrennung über GuD-Kraftwerke (60 %)

Verkehrssektor

Strom zu Wasserstoff zu Motorleistung 38–53 Umsetzung in Brennstoffzelle (60 %)

Strom zu Gas zu Strom zu Motorleistung 24–49 Rückverstromung mit GuD-Kraftwerken und


Nutzung Elektrofahrzeug (80 %)

Strom zu Methan zu Motorleistung 18–37 Verbrennung im Ottomotor (35 %)

Wärmesektor

Strom zu Methan zu Wärme und Strom 43–68 KWK


(45 % Wärme und 40 % Strom)

Strom zu Methan zu Wärme 53–84 Brennwertkessel (105 %)

Der erste Punkt ist ausführlich in 7 Abschn. 14.3 Genauso verhält es sich in der Mobilität: Bei
diskutiert. Zusammenfassend lässt sich festhalten, einem sparsamen Verbrauch von 40 kWh/100 km
dass nur erneuerbarer, CO2-freier Strom emis- (ca. 4  l Diesel oder 0,4  kWh/km) stößt ein Fahr-
sionsmindernd wirkt und umweltfreundlich ist. zeug mit Gas aus Braunkohle-Power-to-Gas 774 g
Der Einsatz von Graustrom aus Kohle oder Gas in CO2-äq./km aus und liegt damit Faktor 6 über den
Wasserstoff oder Methan ist nicht nur energetisch Werten von fossilem Diesel mit 126 g CO2-äq./km.
widersinnig, sondern führt auch zu einem Vielfa- Trotz dieser sehr negativen Umweltbilanz wird
chen an Emissionen gegenüber konventionellem Braunkohlestrom als Strombezug für Power-to-
Wasserstoff oder Erdgas. Bereits eine stark verein- Gas diskutiert, da er aktuell der günstigste Strom
fachte Treibhausgasbilanz legt dies offen: am Markt ist. Hier zeigt sich der Widerspruch zwi-
Wird günstiger Braunkohlestrom mit 1161  g schen Ökonomie und Ökologie, wie in 7 Kap. 1 dis-
CO2-äq. /kWh in Methangas mit einem Wirkungs- kutiert.
grad von 60 % verwandelt (1935  g CO2-äq.  /kWh)
und über GuD-Kraftwerke mit einem Wirkungs- zz Potenzial zur Senkung der CO2-Emissionen
grad von 60 % rückverstromt, entsteht Speicher- – auch eine Frage des substituierten
strom mit einer Belastung von 3225 g CO2-äq. /kWh Energieträgers
(s. . Tab. 8.31) – ein Wert, der fast über dem Acht- Der zweite Punkt der Klimawirkung von Power-to-
fachen von fossilem Strom aus Erdgas liegt. Gas ist die Frage der Substitutionsreihenfolge fossi-
ler Energieträger. Um den Klimaschutz weiter vor-
426 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

. Tab. 8.31  Emissionen von fossilen Brennstoffen und Power-to-Gas-Speichersystemen in g CO2-äq. pro erzeugte
Energieeinheit (kWh) und je Energiedienstleistung bzw. in g CO2-äq./km Fahrleistung bei einem sehr moderaten Ver-
brauch von 40 kWh/100 km (ca. 4 l Diesel/100 km); Angaben bei 100 %iger Verbrennung und mit Wandlungsverlusten.
Referenzsysteme von 2010. Graustrommix- Emissionen 546 g CO2-äq./kWh. (Quelle: [52])

Energieträger g CO2-äq. pro kWhth g CO2-äq. pro kWh der g CO2-äq./km Fahr- Energie-
Brennstoff Energiedienstleistung leistung dienstleistung

Fossile Systeme

Braunkohle 404 1161 (η = 0,35) Strom

Steinkohle 339 902 (η = 0,38)

Erdgas 202 411 (η = 0,49)

Erdgas 202 224 (η = 0,90) Wärme

Heizöl 266 296 (η = 0,90)

Diesel 266 106 Mobilität

Erdgas 202 81

Power-to-Gas-Systeme (Wirkungsgrad Strom-zu-Gas: 60 %)

8 Braunkohle-Gas 1935 3949 (η = 0,49) Strom

Graustrom-Gas 950 1857 (η = 0,49)

Windgas 33 68 (η = 0,49)

Braunkohle-Gas 1935 2050 (η = 0,90) Wärme

Graustrom-Gas 950 1011 (η = 0,90)

Windgas 33 37 (η = 0,90)

Braunkohle-Gas 1935 774 Mobilität

Graustrom-Gas 950 364

Windgas 33 13

anzutreiben und die Ziele der Bundesregierung zu in den seltenen Defizitzeiten erneuerbarer Ener-
erreichen, ist der Ersatz fossiler Brennstoffe für den gien zum Einsatz kommt, sind die Wirkungsgrad-
Strom-, Wärme- und Verkehrssektor mithilfe von einbußen akzeptabel.
erneuerbaren Energien, erneuerbaren Kraftstoffen Eine Substitution von Diesel- und Benzinkraft-
und Energiespeichern essenziell. Die Vorgehens- stoffen ist sinnvoll, soweit diese nicht über eine di-
weise bei der Substitution fossiler Rohstoffe sollte rekte Verwendung von erneuerbarem Strom durch
zunächst die emissionsreicheren Energieträger wie Elektromobile ersetzt werden können.
Kohle erfassen und anschließend die emissionsär- Da aber wirtschaftliche Aspekte eine tragende
meren Energieträger wie Erdgas. Rolle spielen und der Ersatz von Kohle deutlich hö-
.  Tabelle  8.31 zeigt die CO2 Emissionen von here CO2-Preise im Bereich über 90 €/t erfordert,
verschiedenen fossilen Energieträgern. Der Er- wird die Substitution von fossilen Energieträgern
satz von Braun- und Steinkohle im Stromsektor durch Power-to-Gas dort geschehen, wo die Prei-
ist demnach aus Klimaschutzsicht die erste Wahl; se konkurrenzfähig sind. Dies wird voraussichtlich
zunächst direkt mittels Wind-, Solar- und Wasser- zuerst im Verkehrssektor der Fall sein.
kraftstrom und im zweiten Schritt über Energie- Eine Hochrechnung der CO2-Minderungs­
speicher wie Power-to-Gas. Da Power-to-Gas nur potenziale einzelner Anlagen auf Gesamtdeutsch-
8.6 • Das Speichersystem Power-to-Gas
427 8
50

45

40
Gasgestehungskosten in ct. / KWh (Brennwert)

35

30
Wasserstoff
ohne Infra-
25 strukturkosten
Methan
20

15
Referenzen
10
Biogas, Benzin, Diesel
Erdgas an Tankstelle
5
H2 aus Erdgas
Erdgas (Import)
0
1200 h 7000 h 1200 h 7000 h 1200 h 7000 h 1200 h 7000 h 1200 h 7000 h 1200 h 7000 h jeweils ohne
Steuern
0 Cent (reine Anlagenkosten) 5 Cent (z.B. Börse -> Graugas) 9 Cent (z.B. Wind -> Grüngas)

Strombezugskosten in ct. / kWh und Auslastung

. Abb. 8.90  Bandbreiten der Gasgestehungskosten in €-ct.//kWh für Power-to-Gas-Wasserstoff und -Methan bei ver-
schiedenen Strompreisen und Volllaststunden im DVGW-Projekt »Energiespeicherkonzepte«. Die Wasserstoffpfade sind
in Blau und die Methangaspfade in Orange dargestellt, jeweils in der Spannweite von optimistisch bis pessimistisch. Der
Strombezug ist von 0 €-ct./kWh (reine Anlagenkosten), über einen mittleren Wert für Börsenstrom von 5 €-ct./kWh bis hin
zum Strombezug aus einer Windkraftanlage für 9 €-ct./kWh aufgetragen, jeweils für unterschiedliche Benutzungs- und Aus-
lastungsdauern, wobei das Jahr 8760 h hat. Die Referenzkosten von Gasen und Kraftstoffen aus fossiler und biogener Energie
sind als Stiche eingetragen. (Quelle: nach [45])

land ist nur in Verbindung mit der Betrachtung von zz Wirtschaftlichkeit


Überschussmengen möglich (s.  7  Kap.  3). In der Bei Power-to-Gas handelt es sich um eine sehr jun-
Regel gilt: Der Einsatz von erneuerbarem Strom ist ge Energietechnologie, die heute noch nicht wirt-
die Grundvoraussetzung; je CO2-intensiver der er- schaftlich darstellbar ist. Die Investitionskosten für
setzte Energieträger ist, desto höher ist das Reduk- neue Anlagen belaufen sich auf 2500–5000 €/kW;
tionspotenzial. die Betriebskosten werden maßgeblich durch den
Strompreis bestimmt, welcher zwischen 0  €-ct./
8.6.4.5 K
 osten von Power-to-Gas kWh (sehr selten) und 9 €-ct./kWh (durchschnitt-
zz Marktrahmen licher Preis für Windstrom) schwankt.
Wasserstoff aus Erdgasreformierung wird mit Her- .  Abbildung  8.90 zeigt die Ergebnisse der fun-
stellungspreisen von 3–4  €-ct./kWh gehandelt, dierten Kostenkalkulationen des Projekts »Ener-
Erdgas mit Börsenpreisen von 2–3  €-ct./kWh, giespeicherkonzepte« für Power-to-Gas-Wasser-
Graustrom zwischen 1 und 6  €-ct./kWh (s. [23]). stoff und -Methan. Darin sind jeweils Bandbreiten
Überschüssiger Strom für noch geringere Preise angegeben, die optimistische Annahmen (geringe
ist nur für sehr wenige Stunden verfügbar. Allein Investitions- und Betriebskosten, geringe Zinssät-
diese Betrachtung eröffnet die Schwierigkeit für ze, niedriges Risiko) und pessimistische Erwartun-
Power-to-Gas, aus Strom konkurrenzfähig Gas zu gen (hohe Investitions- und Betriebskosten, hohe
erzeugen. Zinssätze, hohes Risiko) vereinen. Die detaillierten
Annahmen sind dem DVGW-Endbericht zur Stu-
die zu entnehmen (s. [45]).
428 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

Für die Gewinnung von konkurrenzfähigem Weitere rechtliche Rahmenbedingungen zu


erneuerbarem Wasserstoff oder Methan wäre ein Power-to-Gas wie eine mehrfache Quotenanrech-
über 7000  h dauerhafter Strombezug zu 0  €-ct./ nung als Biokraftstoffe werden in 7 Abschn. 14.3 er-
kWh ohne weitere Abgaben notwendig. Derzeit ist örtert.
dieses Szenario mehr als unrealistisch.
Erst wenn es gelingt, Konzepte mit Strombe- zz Wasserstoff vs. Methan
zugskosten von 5  €-ct./kWh im Grundlastbetrieb Ein Power-to-Gas-Wasserstoff-Speichersystem spart
von mehr als 7000 h zu entwickeln, wie z. B. Segel- zwar die Methanisierungseinheit und entsprechend
energie (s. 7 Abschn. 8.8) kann in Zukunft Wasser- Wirkungsgradverluste und Kosten ein. Andererseits
stoff zu Preisen von 8–17 €-ct./kWh bzw. Methan sind die Kosten der Anpassungen der wasserstoffun-
für 13–24 €-ct./kWh bereitgestellt werden. Steigen verträglichen Anlagen in der Gasinfrastruktur bzw.
die Abgaben für CO2 und der Preis für Erdgas an, beim Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur derzeit
könnten diese erneuerbaren Gase auch zu gerin- nicht abschätzbar. Daher ist aus heutiger Sicht die
geren Kosten eine wirtschaftliche und nachhaltige Ausreizung der Wasserstoffbeimischungsgrenze
Alternative bieten. von 1–2 % samt nachgeschalteter Methanisierung
Es wird deutlich, dass nur im optimistischen die günstigere Variante für die Langzeitspeicherung
Fall bereits heute eine Wirtschaftlichkeit für Was- mittels Power-to-Gas. Nähere Informationen sind in
serstoff erreicht werden kann, und zwar wenn nahe- den Gasnetzentwicklungsplänen der Fernleitungs-
8 zu konstant Strom zu Börsenpreisen bzw. darunter netzbetreiber Gas zu entnehmen (s. [32]).
verwendet wird. Das bedeutet aber, dass es sich
nicht um überschüssige Wind- oder Solarenergie
handelt, da diese nur zu geringen Zeiten überschüs- 8.6.5 Vor- und Nachteile von
sig und nicht konstant ist. Falls Graustrom verwen- Wasserstoff vs. Methan
det wird, ist das Produktgas einem fossilen Gas
gleichzusetzen, mit entsprechenden Nachteilen in 8.6.5.1 P
 ower-to-Gas-Wasserstoff
der CO2-Bilanz und bei der Vermarktung des Gases Ein Power-to-Gas-Wasserstoff-Speichersystem ist
(s. 7 Abschn. 8.6.4.4). An vielen Stellen in Deutsch- aus Gründen der Kosten und des Wirkungsgrades
land wird bereits das Einspeisemanagement zur zu bevorzugen, solange die Beimischungsgrenze des
Abregelung von Überschüssen angewandt. Derzeit Gasnetzes nicht erreicht ist oder lokal Wasserstoff
halten sich die absoluten Mengen noch in Grenzen: gespeichert und genutzt werden kann. Dabei ist zu
Etwa 1 ‰ des deutschen Stromverbrauchs wurde in berücksichtigen, dass bei einem geringen Erdgas-
den vergangenen Jahren abgeregelt (s. 7 Kap. 12). lastfluss die Einspeisegrenze schnell erreicht ist und
Grundsätzlich gilt für Power-to-Gas: Nur wenn ein Wasserstoffzwischenspeicher eingesetzt werden
der Strombezug aus überwiegend erneuerbaren muss, um die Wasserstoffeinspeisung zu nivellieren.
Energien stammt (zu mehr als 80 %), erhält das er- Anders als bei Methan bzw. Erdgas fehlen für
zeugte Gas das Privileg, mit Biogas gleichgestellt zu einige Anwendungen noch massentaugliche und
werden. Dadurch wird der Anschluss der Power- flächendeckende Lösungen. So ist zwar die Brenn-
to-Gas-Anlage an das Gasnetz erleichtert und der stoffzellentechnik in der Automobilindustrie und
Benchmark des Gases von 2–3  €-ct./kWh fossiles Wärmeversorgung seit Langem Thema der For-
Erdgas auf 7–8 €-ct./kWh Bio-Erdgas gehoben. schung und Entwicklung, aber eine marktreife
Wird das gespeicherte Gas über Gaskraftwerke Technologie wird immer wieder lediglich ange-
rückverstromt, liegt der Strompreis für die gesamte kündigt. Auch ist der Markteintritt nur durch Sub-
Stromspeicherkette nochmal etwa doppelt so hoch. ventionen von Firmen oder der öffentlichen Hand
Ein Markteintritt wird sich nach heutigen Ge- möglich und dann auch nur in geringen Stückzah-
sichtspunkten am ehesten bei der Verwendung des len. Ob sich Brennstoffzellen gegen Elektromobi-
Gases als Kraftstoff in der Mobilität bzw. als Rohstoff lität, konventionelle Antriebstränge und Elektro-
in der chemischen Industrie zeigen, da diese Märkte wärmepumpen bzw. alternative erneuerbare Heiz-
hochpreisiger sind als der Strom- oder Wärmemarkt. systeme auf Basis von Holz und Sonne durchsetzen
können, ist zudem noch fraglich.
8.6 • Das Speichersystem Power-to-Gas
429 8
70
Wasserstoffanteil im Erdgas in Vol.-%

60

50

40

30

20

10
1% 2% 1%
0
Kaverne
Poren
Transportleitung
Gasturbine

Kugel / Tanks

Dichtungen

Armaturen

Gasherd
BHKW
Ultraschallgaszähler
Turbinenradgaszähler
Balgengaszähler
Mengenumwerter

Druckregelgeräte

Fahrzeuge: Motoren

Gebläsebrenner
Brennwertkessel
Brennstoffzelle
Stirlingmotor
Prozessgaschromatograph

Odonieranlage (Impfdüse)
Stahl (Verteilungsleitungen)

Gasströmungswächter

Fahrzeuge: CNG-Tanks
Hausinstallation (Verrohrung)

Atmosphärische Gasbrenner
Transport- und Speicherverdichter

Komplettierungstechnik / OT-Analgen

PVC, PE, Inliner (Verteilungsleitungen)

Steck- , Schraub- und Pressverbindung


7)
7)
4)
5)
8)
8)
1)
2) 1)
8) 3)
4) 7)
6) 8)
8)
8)
7)
Transport Gasspeicher M&R Verteilung Anwendung
1) Limit nach Regelwerk / Normen / Herstellevorgaben 4) Limit nach sensiblen Komponenten 7) DVGW-Folgeprojekt / F&E-Projekt
2) Berücksichtigung der Methanzahl 5) Dichteelemente, Flammenrückschlgen, Garantien / Gewährleistungen zur weiteren Untersuchung
3) Max. 2 Vol.-% H2 (DIN 51624) 6) H2 - Anteil > 0,2 Vol.-%; PGC’s mit eichfähiger H2 -Bestimmung notwendig 8) Lösung für höhere H2 -Zumischung
vorhanden
Zumischung Wasserstoff unbedenklich Anpassungs- und Regelbedarf Forschnungs- und Untersuchungsbedarf

. Abb. 8.91  Wasserstofftoleranzen einzelner Komponenten der Gasinfrastruktur. (Quelle: [45])

Bei der Beimischung des Wasserstoffs zum Erd- ein hoher H2-Gehalt problematisch, denn Gas-
gas ist zu beachten, dass sich die Brennstoffeigen- turbinen sind nach Herstellerangaben wegen der
schaften des Gasgemisches ändern. Zum einen geänderten Verbrennungseigenschaften von Was-
sinkt der volumetrische Heizwert: So kann bei serstoff (höhere Flammgeschwindigkeiten, andere
einer Beimischung von 10  Vol.-% Wasserstoff der Temperaturen etc.) nur für eine Zumischung von
Heizwert je Erdgasqualität um ca. 7 % sinken. Dies max. 1–3 Vol.-% einsatzfähig. Selbst vom Hersteller
ist mit einer Erhöhung der zu liefernden Gasmenge deklarierte, zu 25 % Wasserstoff-tolerante BHKW
zu kompensieren, wodurch z. B. die Verdichter an- werden aus diesen Gründen in der Praxis bei maxi-
gepasst werden müssen. mal 15 % betrieben.
Eine Anpassung der Erdgasinfrastruktur an Daher wird im Allgemeinen von einer Beimi-
eine höhere Wasserstoffbeimischung ist mit For- schungsgrenze von 1–1,5  Vol.-% Wasserstoff ins
schungsaufwand und hohen Kosten verbunden. Erdgasnetz ausgegangen. Problematisch ist eine
.  Abbildung  8.91 verdeutlicht, welche Elemen- hohe lokale Einspeisung von Wasserstoff bei gerin-
te besonders betroffen sind und wo noch Anpas- gem Erdgaslastfluss, weil dort lokal diese Grenz-
sungs- bzw. Forschungsbedarf herrscht. werte überschritten werden können. Auch gibt es
Beispielsweise ist im Verkehrssektor zu be- einige Gasanwendungen in der Industrie, bei denen
achten, dass Erdgas als Kraftstoff keinen höheren Gas als »Flammenwerkzeug« für verschiedene Pro-
Wasserstoffanteil als 2  Vol.-% enthalten darf, da zesse eingesetzt wird (z. B. bei der Trocknung in der
es bei höheren Konzentrationen zu einer Versprö- Porzellan- und Glasindustrie) und schwankende
dung der Stahltanks von CNG-Fahrzeugen kom- Gasqualitäten die Produktqualität stark beeinflus-
men kann. Auch in der Rückverstromung ist heute sen können (s. [45]).
430 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

. Tab. 8.32  Vor- und Nachteile eines Power-to-Gas-Speichersystems mit Wasserstoff- vs. Methan-Einspeisung

Wasserstoff Methan

Vorteile Nachteile Vorteile Nachteile

Wirkungsgrad

Ladetechnologie 54–84 % Gleich 49–79 %

Speichertechnologie Gleich Gleich

Entladetechnologie Gleich

Einspeisung in das Zusatzgas: Beimisch- Austauschgas:


Gasnetz grenzen heute bei keine Einspeise-
1–1,5 Vol.-%, max. grenzen
2 Vol.-%

Infrastruktur Weitgehend fehlende Vorhandene


Infrastruktur, fehlen- Infrastruktur samt
– Transport
de bezahlbare und Anwendungstech-
– Speicherung ausgereifte Anwen- nologien vollum-
dungstechnologien fänglich nutzbar
– Anwendung
8 Stoffbedarf, Klima- Unabhängig Bei schwankendem In Verbindung CO2-Quelle notwendig;
wirkung und An- von CO2 und Erdgaslastfluss zu- mit CCS-Betrieb kontinuierlicher Betrieb
lagenbetrieb damit flexibler sätzlicher Wasser- als CO2-Senke der Methanisierung
in der Stand- stoffspeicher zur möglich setzt vorgelagerten
ortwahl (mit Pufferung notwendig Wasserstoff voraus
Ausnahme der
Nutzung von
CO2 aus der Luft
für die Methani-
sierung)

Energiedichte (Spez. 3,0 kWh/m3 10,0 kWh/m3


Heizwert bei 0 °C dreifach höhere
und 1,013 bar bzw. volumetrische
Platzbedarf für Energiedichte;
Speicher) dadurch kleiner
Speicher möglich

Transformations- Kosten- Einspeicherung Nur Einspeicherung und


kosten günstiger als Strom-H2 zusätzlich Methanisie-
Methan bis zur Speicherung rung und CO2-Bereits-
Beimischungs- Ausspeicherung tellung vs. Wasserstoff
grenze ­H2-Strom
Transport, Speicherung

Die Gegebenheiten und Anforderungen in den den Gasnetzentwicklungsplänen der Fernleitungs-


Gasfernleitungs- und -verteilnetzen sind jedoch lo- netzbetreiber Gas der Austausch aller Verdichter-
kal und regional stark unterschiedlich, weshalb die stationen notwendig, was allein im Fernleitungs-
Prüfung einer Einspeisemöglichkeit des Zusatzga- netz zusätzliche Kosten von über 3,6  Mrd.  € ver-
ses Wasserstoff in das Gasnetz individuell vorge- ursacht (s. [32]).
nommen werden muss. Vor- und Nachteile der Wasserstoffeinspeisung
Bei einer Erhöhung der Wasserstoffeinspeiseg- in das Gasnetz vs. Power-to-Gas-Methan sind in
renze von heute 1–1,5 Vol.-% auf 10 Vol.-% wird laut . Tab. 8.32 gegenübergestellt.
8.7 • Das Speichersystem Power-to-Liquid
431 8
8.6.5.2 Power-to-Gas-Methan In .  Tab. 8.32 sind die Vor- und Nachteile von
Das Speichersystem PtG-CH4 hat gewisse Vorteile Power-to-Gas-Wasserstoff- vs. -Methan-Speicher-
gegenüber dem System mit Wasserstoff und gegen- systemen zusammengestellt.
über anderen Langzeitspeichersystemen, aber auch
Nachteile.
Die Vorteile des Systems liegen klar auf der 8.7 Das Speichersystem
Hand. Erneuerbares Methan ist in die heutige Power-to-Liquid
Energieinfrastruktur ohne Probleme integrier-
bar, da es Erdgasqualität hat und daher als Aus- zz Bedeutung von Power-to-Liquid in der
tauschgas Erdgas 1:1 ersetzen kann. Anders als bei Energiewende
Wasserstoff sind Gasturbinen, Porenspeicher, Ver- Die bekannteste und älteste Form eines Power-to-
teilungsleitungen, Dichtungen, Anwendungen wie Liquid- bzw. Power-to-Solid-Speichersystems ist
Verbrennungsmotoren oder Gasherde bei jedem Biomasse. Schon seit Urzeiten wird solare Energie
Beimischungsverhältnis bis hin zu reinem erneuer- mittels Photosynthese in Biomasse (vor allem Zu-
barem Methan unbedenklich einsetzbar. cker und Stärke) gespeichert. Die Biomasse selbst
Zudem ist eine flächendeckende Infrastruktur dient als »Kurzzeitspeicher« für die Lebewesen. Sie
für Transport, Speicherung und Anwendungstech- konnte aber auch zur »Langzeitspeicherung« über
nologien vorhanden, d. h., es gibt in jedem Ener- Jahrmillionen in der Erdkruste in fossile Energie-
giesektor und auch in der chemischen Industrie träger konvertiert und dort gespeichert werden
Anwendungen, die seit Langem Stand der Technik (s.  7  Kap. 1). Da aber das weltweit nachhaltig ver-
sind (s. 7 Abschn. 8.5). fügbare Biomassepotenzial nicht ausreicht, um den
Ein weiterer Vorteil ist die höhere volumetri- Energie- bzw. Kraftstoffbedarf zu decken und fos-
sche Energiedichte von Methan gegenüber Wasser- sile Energieträger vollständig zu ersetzen, ist eine
stoff. Auf den Heizwert pro Normkubikmeter be- synthetische Nachbildung dieses Prozesses über
zogen liegt die Energiedichte von Methan um das Power-to-Gas und Power-to-Liquid notwendig.
3,3-Fache über der von Wasserstoff, wodurch für Zur Dekarbonisierung des Energiesektors spielt
die Speicherung von Methan kleinere Speicher aus- nicht nur Gas in Form von Wasserstoff oder Me-
reichen, was Platz und Kosten spart. than eine wichtige Rolle, sondern auch der Ersatz
Die Kostensituation für das Speichersystem flüssiger oder fester fossiler Energieträger mit ho-
ist differenziert zu betrachten. Bis zum Erreichen her Energiedichte. Insbesondere die Anwendun-
der Wasserstoffbeimischungsgrenze ist ein System gen, die beim Kraftstoff auf eine hohe gravimetri-
ohne Methanisierung kostengünstiger, da auf die sche und volumetrische Energiedichte angewiesen
Einheiten Methanisierung und CO2-Bereitstellung sind – Luftfahrt, Schifffahrt, Arbeitsmaschinen und
verzichtet werden kann. Ist diese ausgereizt, ist es Schwerlast-Langstreckenverkehr –, werden auf ab-
aus heutiger Sicht kostenoptimaler, erneuerbare sehbare Zeit nicht auf elektrische Akkumulatoren
Energien in Form von Methan zu speichern, anstatt setzen und nur begrenzt Wasserstoff verwenden
die Infrastruktur in Deutschland an einen höheren können. Methan ist für Schifffahrt, Arbeitsmaschi-
Wasserstoffanteil anzupassen. nen und Lkw attraktiv, die Luftfahrt wird aber auch
Ein Nachteil von Power-to-Gas-Methan ist die weiterhin auf einen flüssigen Kohlenwasserstoff an-
erforderliche Bereitstellung von CO2. Der dafür zu- gewiesen sein.
sätzliche Aufwand spiegelt sich in einer Wirkungs- Als Zielprodukte von Power-to-Liquid eignen
gradverschlechterung des Gesamtprozesses. Ande- sich die Stromkraftstoffe Methanol, Benzin, Die-
rerseits bietet die Gewinnung von CO2 aus der Luft sel, Kerosin, Wachs und Dimethylether (DME,
samt Einlagerung die Möglichkeit einer Reduktion s. 7 Abschn. 8.4.2.4).
der CO2-Konzentrationen in der Atmosphäre Power-to-Liquid ist grundsätzlich auf die Ein-
durch das Energiesystem selbst (s. 7 Abschn. 8.9). bindung von Kohlenstoff angewiesen. Dieser Koh-
lenstoff kann aus der Vergasung von Biomasse
432 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

H2O
H 1 O

CH2 4 3
CO2

CO

1. Elektrolyse
8 2. Bildung von Konvertierungsgas (H2 + CO2)
3. Auskondensation von H2O
4. Bildung von Synthesegas (2 H2 + CO)
5. Synthese

. Abb. 8.92  Umwandlung von Wasser und CO2 in flüssige Kohlenwasserstoffe (Diesel, Kerosin), erklärt am C-H-O-System
mit Hochtemperatur-Elektrolyse und Fischer-Tropsch-Synthese

(s. 7 Abschn. 8.3.5.1) oder aus CO2 stammen. Auf die Im ersten Schritt wird H2O zu H2 (und O2)
verschiedenen CO2-Quellen und ihre Gewinnung elektrolysiert. Im zweiten Schritt wird H2 mit CO2
für die Energiespeicherung wird in  7  Abschn. 8.3.1 zu Konvertierungsgas vermischt und das CO2 zu
eingegangen. CO reduziert. Das sich dabei bildende H2O wird im
dritten Schritt auskondensiert. Im vierten Schritt
zz Das C-H-O-System, angewandt auf erfolgt die Vermischung von CO mit weiterem H2
Synthesen zu Synthesegas, welches in der (Fischer-Tropsch-)
Am Beginn der Herstellung von Methan oder an- Synthese zu Kohlenwasserstoffen, dargestellt als
deren Kohlenwasserstoffen steht die Gewinnung CH2, reagiert. Wird das dabei gebildete H2O ab-
von Wasserstoff, der mit Kohlenstoff aus CO2 zu geschieden (Schritt 5), ergibt sich eine statistisch
Methan oder anderen Kohlenwasserstoffen syn- verteilte Mischung verschiedener n-Paraffine, die
thetisiert wird. Auch solche Verfahren lassen sich durch Raffinerieprozesse nach dem Stand der Tech-
im C-H-O-System (s.  7  Abschn. 8.1.1) veranschau- nik zu handelsüblichen Brenn- und Kraftstoffen so-
lichen, wie das Beispiel in . Abb. 8.92 zeigt. wie Chemikalien weiterverarbeitet werden können.
Die Umwandlung von H2O und CO2 in flüssige Auf diese Weise lässt sich ein erneuerbarer Er-
Kohlenwasserstoffe (Power-to-Liquid) mittels Elek- satz für fossiles Erdöl erzeugen, der mit der vor-
trolyse, Konvertierung und in diesem Fall Fischer- handenen Kraftstoffinfrastruktur kompatibel ist –
Tropsch-Synthese geschieht folgendermaßen: analog zu Power-to-Gas und zur Gasinfrastruktur.
8.7 • Das Speichersystem Power-to-Liquid
433 8
Für die chemische Methanisierung mittels Sa- mer aufgebaut. Der Unterschied liegt vor allem im
batier-Reaktion finden die Schritte 2, 4 und 5 direkt Fokus auf die reverse Wassergas-Shift-Reaktion und
im Sabatier-Reaktor statt, während die Auskonden- in der Art der Einbringung der notwendigen Ener-
sation entweder als Zwischenschritt (mehrstufiges gie. Bei Dampfreformern wird die thermische Ener-
Reaktorkonzept) oder im Anschluss an die Saba- gie üblicherweise durch die Verbrennung von Erd-
tier-Reaktion vorgenommen wird. gas eingebracht, während bei Power-to-Liquid eine
elektrische Heizung genutzt wird. Schließlich sollen
Kraftstoffe nicht verbrannt, sondern durch die Ein-
8.7.1 Power-to-Liquid zur Gewinnung kopplung elektrischer Energie erzeugt werden.
von Fischer-Tropsch- Wichtig ist eine ausreichend hohe Temperatur
Flüssigkraftstoffen oberhalb von 700 °C in der Reaktion, damit fast
ausschließlich CO und H2 und kein Methan an die
Für ein Power-to-Liquid-Speichersystem sind fol- folgende Fischer-Tropsch-Synthese weitergegeben
gende Stufen zu durchlaufen: wird. Methan wäre inert und damit ein verlust-
55 Einspeichern: bringendes Schleppgas. Der Fokus dieser Synthese
Einspeichertechnologien (s. 7 Abschn. 8.2 unterscheidet sich damit deutlich von der Methani-
und 7 Abschn. 8.3.5) sierung und der »Methanolisierung«.
55 Alkalische Elektrolyse (AEL) Während die Fischer-Tropsch-basierten Flüs-
55 Membran-Elektrolyse (PEMEL) sigkraftstoffe in fast allen Anwendungen zum Zuge
55 Hochtemperatur-Elektrolyse (HTES) kommen können, wird ihr Alleinstellungsmerkmal
55 Fischer-Tropsch-Synthese aus heutiger Sicht im Flugverkehr gesehen. Eine
55 Speichern mögliche Realisierung eines Power-to-Liquid-
Speicherarten (s. 7 Abschn. 8.4) Speichersystems ist in . Abb. 8.93 dargestellt.
55 Oberirdische Mineralölspeicher
55 Pipelines, Tankstellen
55 Ausspeichern 8.7.2 Power-to-Liquid zur Gewinnung
Ausspeichertechnologien (s. 7 Abschn. 8.5) von Methanol
55 Flugzeugturbine
55 BHWK, Gasturbine, GuD-Kraftwerk, Die- Methanol wird heute weitestgehend noch über fos-
selgenerator sile Rohstoffe wie Methan oder Kohle gewonnen.
55 Ottomotor, Dieselmotor, alle konventionel- Um die Dekarbonisierung des Energiesektors wei-
len Verkehrsantriebe terzuführen, sind gerade im Verkehrssektor erneu-
55 Brennstoffzelle nach Reformierung oder erbare Alternativen notwendig. Methanol könnte
mit Methanol, das durch PtL erzeugt wer- dabei eine wichtige Rolle spielen und über ein Pow-
den kann er-to-Liquid-Methanol-Speichersystem nachhaltig
55 Stoffliche Nutzung. aus erneuerbaren Energien gewonnen werden.
Außerdem kann es in der chemischen Industrie als
Bei der Konvertierung wird CO2 mittels Wasser- Rohstoff für eine C1-Chemie eingesetzt werden und
stoff durch die reverse Wassergas-Shift-Reaktion fossile Energieträger ersetzen (s.  7  Abschn.  8.3.4
(s. Gl.  8.3) zu Kohlenmonoxid reduziert. Diese und [8]).
Reaktion ist eine endotherme Nebenreaktion in Ein Power-to-Liquid-Methanol-Speichersys-
bestehenden Dampfreformierungsanlagen zur Ge- tem besteht aus folgenden Komponenten, die je
winnung von Wasserstoff aus Erdgas (Steam Refor- nach Bedarf zusammengefügt werden können:
ming). Sie läuft bei hohen Temperaturen an Nickel- 55 Einspeichern:
Katalysatoren ab (s. 7 Abschn. 8.1.3.2). Einspeichertechnologien (s. 7 Abschn. 8.2
Die im Power-to-Liquid-Prozess genutzte Kon- und 7 Abschn. 8.3.4)
vertierungseinheit ist ähnlich wie ein Dampfrefor- 55 Alkalische Elektrolyse (AEL)
55 Membran-Elektrolyse (PEMEL)
434 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

Strom- Verkehrs-
netz sektor

Wind O2 CO2 Diesel


H2 CO, H2 [-CH2-] Benzin
Kerosin
Dampf- Wassergas-Shift- Fischer-Tropsch-
Solar
Elektrolyse Reaktion Synthese
Andere Wärme
Erneuerbare H2O (g)
H2O (fl.)

. Abb. 8.93  Aufbau eines Power-to-Liquid-Speichersystems auf Basis von Fischer-Tropsch- Flüssigkraftstoffen für den
Flugverkehr

Strom- Verkehr
netz

CO2 (Reinkraftstoff)
Wind HO2 O2
H2 Diesel-, Benzin-Zusatz
Methanol- CH3OH Stoffliche
8 Solar Elektrolyse
synthese Nutzung
Andere
Erneuerbare HO2

. Abb. 8.94  Aufbau des Power-to-Liquid-Methanol-Speichersystems

55 Hochtemperatur-Elektrolyse (HTES) Zwei Vorteile der Methanolsynthese gegenüber


55 Methanolsynthese der Fischer-Tropsch-Synthese sind die höhere Se-
55 Speichern lektivität und der höhere Wirkungsgrad der Ener-
Speicherarten (s. 7 Abschn. 8.4) giewandlung. Im Methanol-Speichersystem wird
55 Oberirdische Mineralölspeicher ein einheitlicher Energieträger hergestellt, während
55 Pipelines, Tankstellen bei der Fischer-Tropsch-Synthese eine ganze Band-
55 Ausspeichern breite von Flüssigkraftstoffen aus verschiedenen
Ausspeichertechnologien (s. 7 Abschn. 8.5) Kohlenwasserstoffen und Kettenlängen entstehen,
55 Stoffliche Nutzung welche den weiteren Schritt der Kraftstoffaufberei-
55 Ottomotor tung erfordern (z. B. Hydrocracking). Des Weiteren
55 Gasturbine, GuD-Kraftwerk, BHWK kann der Energieträger Methanol auch für nicht-
55 Wärmepumpen, Kältemaschinen energetische Anwendungen in der Chemie verwen-
55 Brennstoffzellenfahrzeug, Turbinenantriebe. det werden.
Im Vergleich zu Power-to-Gas-Methan kann
. Abbildung 8.94 zeigt den Aufbau eines Speicher- zwar keine geschlossene vorhandene Infrastruktur
systems für Methanol. Differenzieren lassen sich von Speicher über Verteilung bis hin zu den Ver-
die Systeme vor allem durch die Verwendung des brauchern genutzt werden; Methanol ist jedoch in
Methanols. Der Vorteil gegenüber den gasförmi- der Herstellung effizienter und in gewissen Teilen
gen Energieträgern Wasserstoff oder Methan ist die auch kompatibel mit der Mineralölinfrastruktur.
volumetrische Energiedichte, was sich vor allem in Die einstellige prozentuale Beimischung von Me-
einer leichteren Handhabung in der Energielogistik thanol zu Benzin ist heute Standard und böte einen
(Be- und Entladen von Tanks etc.) widerspiegelt. einfachen Weg, die geforderten (Bio-)Kraftstoff-
8.7 • Das Speichersystem Power-to-Liquid
435 8
quoten zu erfüllen und den Anteil erneuerbarer zz Kosten und erste Märkte
Energien im Verkehrssektor zu erhöhen. Ein Nach- Die Kosten zur Herstellung von Fischer-Tropsch-
teil von Methanol ist seine hohe Toxizität, wenn- Produkten aus Power-to-Liquid werden bei Strom-
gleich es wasserlöslich ist und mikrobiologisch bezugskosten von 5  €-ct./kWh und einem Wir-
leichter abgebaut werden kann als Erdöl. Daher ist kungsgrad von ca. 70 % (Verhältnis des Heizwerts
Methanol neben LNG (aus Power-to-Gas) auch ein von CH2 zur bezogenen elektrischen Energie) mit
interessanter Energieträger für die Schifffahrt. 10–15  €-ct./kWh chemischer Energie angenom-
Automobile können auch mit Methanol als men, wobei die Anlagengröße hier einen entschei-
Reinkraftstoff oder in einer hochprozentigen Bei- denden Einfluss hat (s. [74]).
mischung zu Benzin betrieben werden, wenn die Der Marktzugang für Power-to-Liquid-Anla-
Motoren entsprechend angepasst sind. Falls sich gen wird aller Voraussicht nach in der Umstellung
zukünftig Brennstoffzellen etablieren sollten, kön- bestehender Raffinerien liegen. Diese können auf
nen diese auch sehr gut mit Methanol für Strom, diese Art und Weise CO2-Emissionen recyceln und
Wärme und Mobilität betrieben werden. schrittweise auf erneuerbare Kohlenwasserstof-
fe umstellen, die sich innerhalb der EU durch die
Biokraftstoffquoten-Regelung vermarkten lassen.
8.7.3 Wirkungsgrade, Kosten und Technisch ergibt sich der Vorteil, dass insbesonde-
erste Märkte re Fischer-Tropsch-Anlagen dadurch keine weitere
Produktaufbereitung benötigen, da das Fischer-
Wie beschrieben, besteht der Power-to-Liquid- Tropsch-Produkt direkt in die Raffinerieprozesse
Prozess aus den Komponenten Elektrolyse, Kon- integriert werden kann.
vertierung und Synthese. Die Konvertierung wird Ein weiterer Markt für Power-to-Liquid ergibt
nur benötigt, sofern die Synthese auf CO angewie- sich aus der Nutzung der Fischer-Tropsch-Wachse.
sen ist. Das ist vor allem bei der Fischer-Tropsch- Diese synthetischen n-Paraffine bestehen aus gera-
Synthese der Fall (s.  7  Abschn.  8.3.5). Die Metha- den Ketten und sind hochrein, weshalb sie sich für
nolsynthese kann auch mit CO2 betrieben werden die Kosmetik und andere feinchemische Prozesse
(s. 7 Abschn. 8.3.3). der chemischen Industrie eignen. Diese Märkte
weisen eine deutlich höhere Zahlungsbereitschaft
zz Wirkungsgrad auf als der Kraftstoffmarkt, der wiederum hoch-
Der Wirkungsgrad hängt maßgeblich von der preisiger ist als der Strom- oder Wärmemarkt. Der
Art der eingesetzten Elektrolyse ab. Wie in Anfang für Power-to-Liquid wird sich demnach in
7  Abschn.  8.6.4 beschrieben, kann durch Einsatz einer kombinierten Vermarktung der gewonnenen
der Wasserdampfelektrolyse der Verlust sensibler Produkte ergeben (s. [74]).
Wärme aus der exothermen Synthese stark verrin- Für Methanol besteht heute bereits ein Welt-
gert werden. markt. Solange Methanol aus Methan gewonnen
Damit kann durch die Kopplung von Hochtem- wird ist Power-to-Methanol dem Verfahren Pow-
peratur-Elektrolyse mit Wasserdampf und Kraft- er-to-Gas aus technischen Gründen bei gleichen
stoffsynthese ein höherer Gesamtwirkungsgrad von Standortbedingungen vorzuziehen. Methanol hat
65–70 % erreicht werden; beim Einsatz einer alka- darüber hinaus eine höhere Wertigkeit als Erdgas
lischen oder PEM-Elektrolyse (s.  7  Abschn.  8.2.2.1 und ist für die Vermarktung besser geeignet. Als
und 8.2.2.2) hingegen nur 55–60 % (s. [74]). Kraftstoff kann er bereits heute zu 3 Vol.-% zu Ben-
Die Methanolsynthese ist aus den thermody- zin beigemischt werden. Ein Anreiz über die Bio-
namischen Grundlagen heraus effizienter als die kraftstoffquotenregelung ist sinnvoll, um Power-to-
Methansynthese, da weniger Abwärme in der Re- Methanol zu etablieren (s. [67]).
aktion entsteht. Der Gesamtwirkungsgrad wird für Aber auch ohne staatlichen Anreiz entstehen
größere Anlagen mit 75–80 % beziffert (s. [67]). erste Anlagen: Eine Anlage in Island erzeugt gegen-
wärtig konkurrenzfähig aus Geothermiestrom und
fossilem CO2 Methanol, das aufgrund der fossilen
436 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

CO2 Quelle als fossiles Methanol zu werten ist. werden. Einige erneuerbare Quellen wie Biomas-
Diese ersten Power-to-Liquid- Anlagen sind näher se, Geothermie, Wasserkraft oder Gezeitenenergie
in 7 Abschn. 14.3. beschrieben. sind jedoch potenzial und akzeptanzseitig nur ein-
geschränkt nutzbar und können kaum den globalen
Bedarf an Strom, Wärme und Kraftstoffen decken.
8.8 Ocean Fuels als Die beiden ergiebigsten erneuerbaren Energiequel-
Weiterentwicklung von len sind Wind- und Solarenergie, deren Potenzial
Power-to-Gas und ein Vielfaches des globalen Energiebedarfes über-
Power-to-Liquid steigt. Allerdings ist ihre zeitliche Verfügbarkeit ein
Kriterium, das für eine planbare und sichere Bereit-
stellung ihre Speicherung unumgänglich macht.
Die Schwächen von Power-to-Gas und Po- Die wirtschaftliche Nutzung der Ur- und Pri-
wer-to-Liquid liegen derzeit maßgeblich in märenergien Sonne und Wind ist auf Photovoltaik-
ihrer fehlenden Wirtschaftlichkeit. Fossile und Windenergieanlagen begrenzt, was diese lang-
und nukleare Energiegewinnung sollte aus fristig zu den größten Primärenergiequellen werden
Gründen der Nachhaltigkeit und technolo- lässt. Einschränkend wirken sich dabei einerseits
gischer Sinnhaftigkeit ausgeschlossen wer- die technisch nutzbaren oder regulatorisch zur
den. Da auf erneuerbarer Seite die Nutzung Verfügung stehenden Flächen und andererseits die
8 von Wasserkraft, Geothermie und Biomasse Akzeptanz der Energiegewinnung dieser Art in der
potenzialmäßig begrenzt ist, bleiben für die Bevölkerung vor Ort aus.
Umsetzung der Energiewende in erster Linie
Windkraft und Photovoltaik. Diesen Quellen zz Argumentation zur Nutzung der Energie
mit fluktuierendem Charakter und geringen vom Meer
Volllaststunden oder Überschüssen steht eine Unter anderem aus der Knappheit fossiler Energie-
Technologie gegenüber, die im Chemiesektor ressourcen und dem anthropogenen Klimawandel
aus wirtschaftlichen und technischen Gründen (s.  7  Abschn.  1.3) heraus ergibt sich die Notwen-
meist im großtechnischen Maßstab gebaut digkeit zur Energiewende. Diese Wende ist ein
und 8760 h im Jahr rund um die Uhr bei kons- Zweiklang aus Energieeffizienz und Nutzung von
tanter Auslastung betrieben wurde. erneuerbaren Energien. Die Kernenergie als Op-
Aus den vorangegangenen Kapiteln wurde tion kann aufgrund ungelöster Probleme wie die
offensichtlich, dass die chemische Energiespei- Entsorgung des Atommülls, die nicht zu trennende
cherung ein elementarer Baustein für die Ener- Proliferation, die Gefahr eines größten anzuneh-
giewende ist. Der folgende Abschnitt versucht menden Unfalls (GAU) durch äußere oder innere
eine Antwort darauf zu geben, wie die dafür er- Einwirkungen oder Terroranschläge, die Verfüg-
forderliche Energie nachhaltig aus erneuerbaren barkeit von umgänglichem spaltbarem Material
Quellen mit konstanter Auslastung und unter und die Auswirkungen des Uranabbaus oftmals in
akzeptablen Bedingungen wie gesellschaftliche Entwicklungsländern bis hin zur Akzeptanz- und
Akzeptanz bereitgestellt werden kann. Potenzialfrage ausgeschlossen werden. Die Poten-
ziale erneuerbarer Technologien bieten hier eine
sinnvolle Alternative (s. . Abb. 8.95).
8.8.1 Rohstoffe und Kraftstoffe vom
Meer – eine Frage des Potenzials zz Mobilität und chemische Grundstoffe als
und der Akzeptanz Stiefkinder der Energiewende
In der Energiewende werden die Bereiche Mobilität
zz Das größte erneuerbare Potenzial liegt in und Grundstoffe der chemischen Industrie bislang
Wind- und Solarenergie stiefmütterlich behandelt.
Zur sicheren, umweltfreundlichen Bereitstellung Die Abhängigkeit von Erdöl und Erdgas ist in
von Energie werden CO2-neutrale Energieträger beiden Bereichen extrem hoch, die Alternativen
benötigt, die aus erneuerbaren Energien gewonnen sind teuer und rar. Ein großer Hoffnungsträger
Energiewende

Antrophogener Knappheit unterirdischer


Energieversorgung wird oberirdisch
Klimawandel fossiler Ressourcen
Akzeptanz
Flächenverfügbarkeit
Energieeffizienz
Landschaftsbild
Energieeffizienz Natureingriff (Flora und Fauna)
alleine reicht nicht Umweltauswirkungen

Landnutzung bergrenzt
Sackgasse Kernenergie Erneuerbare Energien EINSCHRÄNKUNG

Endlagerung / Entsorgung Potential POTENTIAL


Wasser Meer
Proliferation Umwelteingriff ÖKOLOGIE
GAU, Terror + Akzeptanz gegeben
Potential, Umwelteingriff + Flächen vorhanden AKZEPTANZ
Ressourcenknappheit Biomasse
Akzeptanz Flächenverbrauch Akzeptanz + Energiepotentiale sehr groß
Nutzung von
Geothermie Seismik, Umwelteingriff Segelenergie zur
Globale Verdoppelung
Kosten Der Wind (Wind, Solar) Energie- und Stoffbereitstellung
spart maximal 4% der
globalen Treibhausgas- Volllaststunden, Ausgleich folgt nicht dem Energiebedarf,
Solar Landschaftsbild Akzeptanz also folgen wir dem Wind
emissionen ein bei 67% TECHNIK
8.8 • Ocean Fuels als Weiterentwicklung von Power-to-Gas und Power-to-Liquid

Anteil der mit der Energieerzeugung. An Land


energiebedingten Volllaststunden, Ausgleich (Follow the wind) schwer möglich
Wind Onshore
Emissionen an den Landschaftsbild Akzeptanz
Gesamt- Treibhausgas- Volllaststunden, Ausgleich
emissionen und 6% Anteil Wind Offshore
Wartung, Kosten
Kernenergie am globalen
Primärenergiebedarf Potential, Technikreife,
Wellen, Gezeiten Kosten

. Abb. 8.95  Argumentationskette für die Erzeugung und Speicherung von Stromkraftstoffen und strombasierten Rohstoffen auf dem Meer
8 437
438 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

sind Biokraftstoffe oder biomassebasierte Rohstof- mittelbarer Reichweite von Wohnräumen von
fe, die jedoch durch Nutzungskonkurrenzen, bei- Menschen (kein »Not-in-my-Backyard« oder
spielsweise des Nahrungsmittelsektors, begrenzt »Built-Absolutely-Nothing-Near-Anybody«).
sind (s. [2]). Dies setzt voraus, dass keine einseitige Bevor-
Im Verkehrssektor werden große Hoffnungen teilung großer Konzerne gegenüber kleineren
auf die Elektromobilität gesetzt, welche, regene- Betreibern oder Bürgergesellschaften beim
rativ betrieben, drei- bis viermal effizienter ist als Bau von Offshore-Windkraft vorliegt.
konventionelle Antriebe. Das Hauptproblem der 55 Die Umweltauswirkungen sind je nach ange-
begrenzten Reichweite mit Batterietechnologien wandter Technologie vergleichsweise gering im
bleibt jedoch bestehen. Hier können Wind- und Vergleich zu Biomasse, fossiler Energie, Kern-
Solarkraftstoffe eine Lösung bringen und einen energie oder anderen Energieformen.Neben
Energieträger mit hoher Energiedichte anbieten. Tiefengeothermie, Algenanpflanzungen und
Ihr Vorteil liegt darin, dass sie einfach transpor- Gezeiten- oder Meeresströmungskraftwerken
tiert, gespeichert und zentral oder dezentral ge- liegen die größten Potenziale im Wind auf dem
nutzt werden können. Meer, wie . Abb. 8.96 verdeutlicht.
Bei chemischen Grundstoffen werden viele An-
sätze unter dem Stichpunkt »Bioraffinerien« disku- zz Grenzen der klassischen Offshore-
tiert und verfolgt, die auf dem Speicherprozess der Windenergie
8 Photosynthese beruhen und deren Potenzial letzt- Die wesentlichen Unterschiede zwischen Wind-
endlich analog zur Bioenergie der Nutzung von kraft an Land und auf See bestehen darin, dass sich
Landfläche bedarf. Analog zu Windkraftstoffen auf See eine bessere Anlagenauslastung erzielen
werden Konzepte zur Nutzung von CO2 als Roh- lässt, aber auch ein höherer Aufwand an Wartung,
stoff mit Windenergie als Energielieferant oder die Installation und Logistik in Kauf zu nehmen ist. So
Integration von Windwasserstoff zur Rohölaufbe- erfahren die Anlagen im Offshore-Einsatz neben
reitung in Raffinerien diskutiert (s. 7 Abschn. 8.1). dem Wind zusätzliche Belastungen durch Wellen-
und Eisgang und sind deshalb auf höhere dynami-
zz Globale Windpotenziale auf dem Meer als sche Lasten auszulegen.
Lösungsoption Für die Aufstellung von Windenergieanlagen in
Zum Thema nachhaltige Kraftstoffe und Rohstoffe unterschiedlichen Wassertiefen existieren derzeit
werden global derzeit vor allem biomassebasierte verschiedene Gründungstechniken:
Standpunkte diskutiert. Das Potenzial der Biomas- 55 Geringe Wassertiefe (ca. 10–25 m):
se ist jedoch für beide Bereiche nicht ausreichend 55 Schwergewichtsfundament (Gewichtsfun-
groß und erreicht mit einer Effizienz von 0,5–2 % dament)
(von Solarenergie zu Biomasse über die Photosyn- 55 Einpfahlgründungen (Monopile)
these) eine äußerst geringe Energieausbeute pro 55 Mittlere Wassertiefen (ca. 20–50 m):
Fläche (s. [2, 119]). 55 Dreipfahlgründungen (Tripile)
Dieser Argumentation folgend, stechen bei 55 Drei-/Vierbeinfundamente (Tripod, Qua-
der Analyse der globalen Potenziale erneuerbarer dropod)
Energien die Windpotenziale auf dem Meer ins 55 Gitterturmkonzepte (Jacket)
Auge: 55 Saugpfahlgründung (Bucket-Fundament).
55 Etwa 71 % der Erdoberfläche sind von Ozeanen
bedeckt. Ein weiterer bedeutsamer Unterschied zur Onsho-
55 Die besten und größten Windpotenziale der re-Technik liegt in der Zugänglichkeit der Wind-
Welt liegen auf dem Meer. energieanlagen. Für den einfachen und sicheren
55 Das erneuerbare Energiepotenzial auf dem Zugang des Wartungspersonals sind die Offshore-
Meer ist weitgehend ungenutzt. Windenergieanlagen mit Anlegestellen für Schiffe
55 Die Akzeptanz der Energienutzung auf dem oder Helikopterlandeplätzen auszustatten. Zudem
Meer ist höher als bei Technologien in un-
8.8 • Ocean Fuels als Weiterentwicklung von Power-to-Gas und Power-to-Liquid
439 8

Wind-
geschwindigkeit
< 7 m/s
7 - 9 m/s
> 9 m/s

. Abb. 8.96  Große Windpotenziale auf dem Meer: durchschnittliche Windgeschwindigkeiten auf 10 m Höhe über der
Meeresoberfläche

ist die Zugänglichkeit mit Schiffen nur an Tagen das Stromnetz wird dieses Logistikproblem gelöst.
mit geringem Wellengang gewährleistet. Die größten Windpotenziale liegen jedoch weiter
Das Betriebsführungssystem der Anlage ist draußen auf hoher See, wo sich eine Kabelanbin-
mit zuverlässiger Fernwirktechnik ausgerüstet. dung für gewöhnlich nicht mehr lohnt.
Redundante Hilfsaggregate, Sensoren und Einrich- Im Folgenden werden daher exemplarisch zwei
tungen für eine Maschinenzustandsüberwachung unkonventionelle Optionen zur Gewinnung und
zur Fehlerfrüherkennung sind installiert. Für den Speicherung der Energie vom Meer mit ihren je-
Austausch von Komponenten (Getriebe, Gene- weiligen Vor- und Nachteilen dargestellt.
rator, Lager, Transformator) bei Wartungs- und
Reparaturarbeiten sind Hebe- bzw. Krankapazitä-
ten vorzusehen. Ein weiteres wesentliches Unter- 8.8.2 Option schwimmende
scheidungsmerkmal zu Onshore-Anlagen sind die Windplattformen
besonderen Anforderungen durch die hohe Luft-
feuchtigkeit sowie den hohen Wasser- und Salzge- zz Funktionsprinzip
halt der maritimen Atmosphäre. Zum Schutz vor Die Windenergie auf dem Meer kann durch große
Korrosion und Verschleiß sind die Anlagenteile schwimmende Plattformen mit mehreren Wind-
speziell beschichtet und die Gondel zur Wahrung energieanlagen oder mehrere in tiefem Wasser ver-
der elektrischen und elektronischen Betriebszuver- ankerte und zu einem Windpark zusammengefass-
lässigkeit hermetisch gekapselt (s. [15]). te Einzelanlagen in elektrische Energie gewandelt
Der Einsatz von klassischen Offshore-Wind- werden. Die schwimmenden Konstruktionen sind
kraftanlagen ist auf geringe Wassertiefen be- robust gegenüber maritimen Bedingungen auszu-
schränkt. Da diese vor allem in küstennahen Ge- legen, um auch Extremwettersituationen standhal-
wässern zu finden sind, ist die Netzeinspeisung der ten zu können und gut zugänglich zu sein. Durch
elektrischen Energie gegenüber der Kraftstoffer- die Speicherung elektrischer Energie und das dafür,
zeugung zu bevorzugen. Über die Anbindung an zumindest während der Technologieeinführung,
440 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

notwendige und ständig anwesende Personal sind durch den tief liegenden Schwerpunkt aus. Bei
andere Betriebskonzepte für Wartung und Logistik flexiblen, halb tauchenden Bauformen wird Bal-
nötig. lastwasser zwischen mehreren im Auftriebskörper
Die Errichtung schwimmender Windkraftplatt- integrierten Tanks umgepumpt, um durch Schwer-
formen ist in Wassertiefen über 50 m möglich. Klassi- punktverlagerung die Wind- und Wellenkräfte
fiziert werden solche Anlagen nach deren Schwimm- auszugleichen. Die Stabilität hängt aber nicht nur
körper und Verankerungssystem (Mooring). vom Schwimmkörper, sondern auch vom Veran-
55 Einzelanlagen auf Bojen (Spar-/Spar-Buoy- kerungssystem ab. Je nach Ausführung ergeben
Typ) sich zusätzliche Probleme bezüglich der Stabili-
55 Anlagen mit halbtauchenden Schwimmkör- tät im Wasser, des Abtreibens der Plattform und
pern (Semi-Submersible-Typ) der Rotation um die vertikale Achse. Ketten sind
55 Tension-Leg Plattformen (TLP, Standard für kostengünstig, unterbinden allerdings die Bewe-
Offshore Öl- oder Gasplattformen) gungen durch Wind- und Wellen wenig und lassen
55 Ponton- und Hybridtypen. Dreh- und Schlingerbewegungen zu. Eine Befesti-
gung mit mehreren straffen Sehnen (Tendons, TLP-
Einige Konzepte sind modular aufgebaut, sodass Konzepte) unterbindet das Schwanken effektiv und
eine Vormontage in Werften möglich ist. Aller- wird daher auch in der Öl- und Gasförderindustrie
dings ist die Montage der Windkonverter auf den oft eingesetzt.
8 Plattformen bzw. die Verschaltung in Windparks Schwimmende Windenergieanlagen des Spar-
bei einigen Konzepten auf dem Meer notwendig, Typs können in der Multi-Megawatt-Klasse nur in
was sich in den Investitionskosten und der Bau- Wassertiefen über 100 m eingesetzt werden, da der
zeit niederschlägt. Plattformen mit halbtauchenden Schwimmkörper einen großen Tiefgang aufweist.
Schwimmkörpern (semi-submersible) können in- Aufgrund der geringen Stabilität im Wasser eig-
klusive der Windkonverter in einer Werft errichtet nen sie sich nicht zum Aufbau einer Plattform zur
und an den Einsatzort geschleppt werden. Einen Kraftstofferzeugung. Bei großen Anlagen, die meh-
guten Überblick über Technologie und Potenzial rere Windkonverter tragen, ist der Verankerungs-
bietet das ORECCA-Projekt (s. [112]). aufwand bezogen auf die Leistung geringer.
Ein komplexes Problem ist, die Konstruktion Semi-Submersible-Konzepte und Tension-Leg-
auch bei stürmischer See einigermaßen stabil zu Plattformen sind am besten geeignet, da sich diese
halten und gegen die fortwährend einwirkenden stabil im Wasser halten. Trotz der hohen Kosten
Belastungen widerstandsfähig zu machen. Bei Stür- kommen sie, neben bereits realisierten und güns-
men tauchen mit Ketten verankerte Anlagen aktiv tigeren Bojen-Konzepten, bei aktuellen in Planung
durch Aufnahme von Ballastwasser, oder durch den oder Aufbau befindlichen Projekten zum Einsatz.
starken Abtrieb, tiefer ins Wasser, um ihre Stabilität In jedem Fall sind bei der Konzeption aufwändige
zu verbessern. Das hohe Gewicht der Windkonver- Simulationen des dynamischen Verhaltens und der
ter bewirkt im Zusammenspiel mit dem Turm, der Bauteilbeanspruchung durchzuführen (s. [16, 33,
einen langen Hebelarm darstellt, ein hohes dyna- 98, 122]).
misches Moment in der Aufnahme auf der Platt- Ein konstruktiver Entwurf einer Plattform mit
form bzw. dem Schwimmkörper. Es dürfen deshalb halbtauchenden Schwimmkörpern zur Herstellung
maximale Auslenkungswinkel und Beschleunigun- von Methanol als Stromkraftstoff mit drei Wind-
gen der Gondel (typisch: αvertikal < 3–4, a < 2  m/s2) konvertern ist in .  Abb. 8.97 dargestellt. Basierend
nicht überschritten werden (s. [118]). auf dem WindSea-Konzept (s. [122]), kommen ein
Die Schwimmkörper werden aus langlebigem Luv-Läufer und zwei Lee-Läufer mit einer Gesamt-
Stahlbeton oder bevorzugt aus Stahl hergestellt, leistung von 10,8 MW zum Einsatz. Die Seitenlänge
wobei zwischen starren und flexiblen Bauwei- der dreieckigen Plattform beträgt 81 m. Der Abstand
sen unterschieden wird. Starre Schwimmkörper zwischen den Turbinen beträgt 103 m. Die Konst-
(Spar-Typ) halten die Windkraftanlage durch ihren ruktion weist eine Tragfähigkeit von ca. 9600 t auf.
Auftrieb im Wasser und gleichen die Bewegung Über eine mittlere Auslastung von 4350 h können
8.8 • Ocean Fuels als Weiterentwicklung von Power-to-Gas und Power-to-Liquid
441 8
fen (maximal 60  m) meist nicht notwendig oder
möglich.

zz Kosten
Da bisher keine schwimmenden Windparks er-
richtet wurden, ist eine verlässliche Aussage über
Kosten schwer möglich. Das Problem liegt darin,
einen geeigneten Kompromiss zwischen Wind-
parkleistung, Kraftstoffproduktionskapazität, Spei-
cherkapazität auf der Plattform und den Investiti-
ons- und Betriebskosten für die Komponenten zu
finden. Für die Forschung und Entwicklung eignen
sich Konzepte mit geringer Anlagenleistung. Al-
lerdings wird hier ein wirtschaftlicher Betrieb auf-
grund der hohen Technologie- und Personalkosten
aus heutiger Sicht nur schwer möglich sein. Sehr
große Strukturen oder Windparks könnten jedoch
langfristig sowohl kosten- als auch potenzialmäßig
eine interessante Option zur Erzeugung von Strom-
kraftstoffen und Grundstoffen der chemischen In-
dustrie wie Methanol darstellen.
. Abb. 8.97  Schwimmende halbtauchende Plattform zur
Gewinnung des Stromkraftstoffs Methanol über drei Wind-
konverter (basierend auf dem WindSea-Konzept nach [122])
zz Vor- und Nachteile
Das Konzept weist folgende Vorteile auf:
55 Das große ungenutzte Potenzial erneuerbarer
bei einem angenommenen Wirkungsgrad von 26 % Windenergie auf dem Meer wird erschlossen.
im Jahr etwa 4,2 Mio. t (11.660 MWh) Methanol ge- 55 Gerade die großen Potenziale in tiefem Wasser
wonnen werden. Um die Menge logistisch an Land können über diese Technologie im Gegensatz
zu bringen, werden 21 Fahrten im Jahr notwendig. zur klassischen Offshore-Windkraft genutzt
werden.
zz Potenzial und Wirkungsgrad 55 Durch die hervorragenden Windbedingungen
Durch schwimmende Windkraftanlagen in tie- können hohe Anlagenauslastungen erzielt
fem Wasser können wesentlich mehr Standorte werden.
mit guten Windbedingungen auf dem Meer ge- 55 Bei geeigneter Konstruktion können Wind-
nutzt werden als bisher, ohne dass Konflikte mit kraftstoffparks mit hohen installierten Leistun-
der Schifffahrt entstehen. Die größten Vorteile von gen realisiert werden.
schwimmenden Windkraftplattformen sind eine 55 Bei günstiger Auslegung und hohem Automa-
große realisierbare elektrische Leistung und eine tisierungsgrad ist der Personalaufwand kleiner
gute Anlagenauslastung auf hoher See. Das theo- als bei mobilen Seekraftstoffplattformen wie
retische Potenzial in tiefen Meeresgebieten ist aus- Energieschiffen.
reichend groß, um neben der Netzeinspeisung auch
Stromkraftstoffe zu erzeugen. In den europäischen Die Umsetzung des Konzepts zeigt allerdings auch
Gewässern sind vor allem im nördlichen Teil der Nachteile:
Nordsee, der Irischen See und vor der Küste von 55 Für viele Konzepte samt Verankerungssyste-
Frankreich und Portugal geeignete Einsatzorte zu men ist eine Mindestwassertiefe von mehr als
finden (s. .  Abb.  8.96). Im zu Deutschland gehö- 100 m notwendig, weshalb die Anlagen oft weit
renden Nordseeteil ist der Einsatz schwimmender entfernt von der Küste zu finden wären.
Windenergieanlagen aufgrund geringer Wassertie-
442 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

Prinizip des Flettner-Rotors

Kraft

Wind

Wind

Energie-
speicher
Energie-
wandler

Turbinen mit Generator


8
. Abb. 8.98  Funktionsprinzip Segelenergie – Energieschiff am Beispiel eines Segelrotors. (Quelle: [102])

55 Wie bei der klassischen Offshore-Windenergie taikanlagen zur Stromerzeugung liegen zwischen
ist Offshore-Anlagentechnik teuer, der Zu- 600 und 4000  h. Eine für die Wirtschaftlichkeit
gang zu den Anlagen wetterabhängig und die ausreichende hohe Auslastung könnte derzeit nur
mechanische Beanspruchung von Windkon- durch den Betrieb der Anlagen mit fossiler und nu-
vertern und Plattform sehr hoch. klearer Energie erreicht werden, was sich jedoch
55 Alle Konzepte benötigen einen Ausgleich von kontraproduktiv auf die Qualität und den Wert des
Wind- und Wellenbewegungen. gespeicherten Energieträgers auswirkt, da er nicht
55 Bisher liegen bis auf die klassischen TCP- mehr regenerativ ist und mit konventioneller Ener-
Plattformen für Erdöl und Erdgas fast keine gie konkurriert. Darüber hinaus ist eine derartige
Erfahrungen mit schwimmenden Windplatt- Erhöhung der Auslastung technisch nicht sinnvoll,
formen vor. da gespeicherte Energie in Strom gewandelt und
gleichzeitig dieser Strom wieder gespeichert würde.
Diese beiden Kernprobleme von Power-to-Gas
8.8.3 Option Segelenergie könnten mit dem Konzept der Segelenergie gelöst
werden.
zz Lösungsansatz zum Kernproblem von
Power-to-Gas zz Funktionsprinzip
Ökonomische Betrachtungen ergeben, dass sich ein Bei dem Konzept »Segelenergie« handelt es sich um
wirtschaftlicher Betrieb von Power-to-Gas-Anlagen ein kombiniertes Wind-Wasserkraft-Speicher-Sys-
heute vor allem bei sehr hoher Anlagenauslastung tem in Form eines Energieschiffes.
ergibt. Aus regenerativen Quellen wird Grundlast Ein Schiff wird durch ein Segelsystem in Bewe-
nur von Wasserkraft geliefert, deren Ausbaupoten- gung versetzt (s. . Abb. 8.98). Einen Teil dieser Be-
zial europaweit zu großen Teilen erschöpft ist. Die wegungsenergie des Schiffes wandelt eine Turbine
Volllaststunden aus heutigen Wind- und Photovol- im Wasser in Strom um. Sie wird am Schiff befestigt
8.8 • Ocean Fuels als Weiterentwicklung von Power-to-Gas und Power-to-Liquid
443 8
und besteht aus einer Strömungsmaschine (Rotor 55 Schlussendlich wird die elektrische Energie
oder Propeller), die einen Generator zur Strom- über verschiedene verfahrenstechnische Wege
erzeugung antreibt. Alternativ kann auch direkt (s. 7 Abschn. 8.2 und 8.3) in einen Stromkraft-
aus der Windströmung Strom gewonnen werden. stoff oder Grundstoff für die chemische Indus-
Der Strom wird zusammen mit Wasser und CO2 trie umgewandelt, wodurch insgesamt 5–30 %
durch eine elektrochemische Umwandlung (Pow- der ursprünglichen Windenergie in einem
er-to-Gas, Power-to-Liquid) in eine speicherbare chemischen Energieträger gespeichert werden
Energieform gebracht (s. [102]). können.
Mit diesen Energieschiffen kann das große
Windpozential auf dem Meer konstant geerntet Die Gesamteffizienz des Prozesses ist gering und
und erneuerbare Kraftstoffe mit hoher Energie- vergleichbar mit dem Nutzungsgrad von fossilen
dichte können nachhaltig gewonnen werden: Was- Kraftstoffen in Fahrzeugen mit herkömmlichen
serstoff, Methan (Erdgas), Methanol und langfristig Verbrennungsmotoren. Für die Umsetzung sind
auch Diesel und Flugbenzin. jedoch Potenzial und Kosten der Technologie re-
levant.
zz Potenziale und Wirkungsgrade Eine direkte Wandlung von Windströmung in
Um beispielsweise den heutigen regenerativen Rotation und elektrische Energie spart einen Kon-
Anteil am Kraftstoffverbrauch (5,5  % im Jahr versionsschritt und ist damit effizienter. Der Nach-
2011) von 34,5  TWh zu substituieren, für den teil ist die höhere Anforderung an die mechani-
2,4 Mio. ha Energiepflanzen angebaut werden und schen Komponenten auf dem Deck, die dem Wind
ca. 90.000 Traktoren im Einsatz sind, wären etwa ausgesetzt sind.
2200 Energieschiffe mit fünf MW Leistung auf See
notwendig. zz Kostenreduktion durch Routenoptimierung
Der Wirkungsgrad des Energiepfades ergibt Entscheidend für die Kostenreduktion von Power-
sich beispielhaft wie folgt: to-Gas ist eine konstante Auslastung der Anlagen.
55 Die mechanische Bewegung von Luft (Wind- Diese wird über eine Routenoptimierung erreicht,
kraft) wird über verschiedene Segelkonzepte in mit der einerseits Stürme und Gefahrenzonen für
eine konstante Translation (mechanische Ener- das Energieschiff vermieden und andererseits Flau-
gie, Zugkraft) gewandelt (100 % Startpunkt). ten und Gebiete mit wenig Wind umschifft werden
55 Ein Teil dieser Zugkraft wird für die Überwin- können.
dung des Rumpfwiderstandes benötigt. Dieser . Abbildung 8.99 illustriert eine mögliche Rou-
Widerstand ist abhängig von der Länge des te einer dreimonatigen Fahrt von Cuxhaven in
Schiffes, der Fahrtgeschwindigkeit und wei- Norddeutschland aus über den Nordatlantik.
teren Faktoren wie Wellengang (verbleibende Durch eine geschickt gewählte Route und eine
Energie: 75–90 %). optimale Steuerung wird erreicht, dass sich das
55 Die Strömung des Meerwassers, welche sich Energieschiff möglichst an Orten mit gleichmäßi-
relativ durch die Bewegung des Schiffskör- gem Wind aufhält. Mithilfe von GPS-Navigation
pers am Schiffsrumpf ergibt, wird durch eine sowie einer satelliten- und computergestützten
Turbine (Betz-Faktor) in mechanische Rota- Wettervorhersage erfolgt die Navigation des Ener-
tionsenergie gewandelt (verbleibende Energie: gieschiffes. Das Ziel einer computergestützten
34–45 %). Routenoptimierung ist die bestmögliche Energie-
55 Über die elektrische Maschine, ggf. Getriebe erzeugung mit größtmöglicher Sicherheit für das
und Leistungselektronik, wird die mechani- Energieschiff.
sche Energie in elektrische Energie gewandelt Zur Lösung dieses Problems wird die Route
und der Power-to-Gas- oder Power-to-Liquid- zunächst in mehrere Abschnitte aufgeteilt, da die
Anlage zur Verfügung gestellt (verbleibende Energieerträge kleinerer Abschnitte leichter zu be-
Energie: 25–40 %). rechnen sind als die einer langen Route. Jedem die-
444 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

. Abb. 8.99  Routenoptimierung für Energieschiffe – Beispiel einer dreimonatigen Erntefahrt über den Nordatlantik vom Aus-
gangs- und Endpunkt Cuxhaven in Norddeutschland

ser Abschnitte wird ein Energieertrag zugewiesen. tere Parameter sind Füllstand der Behälter an Bord
Die Route in .  Abb. 8.99 wird als Rundreise kon- und Anlagenauslastung. Alle Parameter werden
zipiert: Der Startpunkt der Route ist gleichzeitig dabei bereichsweise, also für ein geografisches Feld,
der Endpunkt. Bei verschiedenen Abnahme- oder sowie in zeitlichen Intervallen erfasst und gehen als
Übergabepunkten auf hoher See können auch an- Haupt- und Nebenbedingungen in die mathemati-
dere Reiserouten gewählt werden. Die vom Schiff sche Berechnung und Optimierung ein.
gefahrene Route und somit auch der Energieertrag Erste Berechnungen zeigen mittlere Windge-
der einzelnen Abschnitte sind abhängig von ver- schwindigkeiten im stationären Fall von 12 m/s an
schiedenen Parametern. Dazu zählen Umgebungs- einem Punkt, der entsprechend den Wetterextre-
zustände wie beispielsweise die Windrichtung und men ausgesetzt ist und die Kraftstoffanlagen poten-
Windstärke an verschiedenen Orten, Wellenrich- ziell gefährdet. Durch die Routenoptimierung kön-
tung und -höhe, die Wasserströmungsrichtung nen einerseits mittlere Windgeschwindigkeiten
und -stärke sowie Luftdruck, Lufttemperatur, Luft- von 15 m/s erreicht werden, was durch die kubische
feuchtigkeit und Niederschlag. Die Wetterzustände Zunahme der Leistung von Wind einer Verdopp-
werden aus meteorologischen und die Wasserzu- lung des Energiepotenzials gleichkommt; anderer-
stände aus hydrologischen Daten abgeleitet. Wei- seits können die Wetterextreme durch eine mobile
8.9 • CO2-minderndes Energiesystem mit Power-to-Gas, Power-to-Liquid …
445 8
Kraftstoffanlage in Form eines Energieschiffs ver- möglich; eine Anpassung an geografische oder
mieden werden. meteorologische Begrenzungen (Wind, Solar,
Biogas etc.) ist nicht erforderlich.
zz Vor- und Nachteile
Das Konzept weist folgende Vorteile auf: Trotz der Vorteile stehen der Umsetzung dieser
55 Das große ungenutzte Potenzial erneuerbarer Idee einige Herausforderungen gegenüber:
Windenergie auf dem Meer wird erschlossen. 55 Der Betrieb eines Schiffes hat mit dem einer
55 Segelenergie ist eine Kombination bekannter chemischen Industrieanlage viel gemeinsam:
Technologien: Windantrieb über Segeltechno- Anders als bei Windkraft- oder Solaranlagen
logien, Schiffbau, Strömungsmaschinen und ist wegen des Schichtbetriebes ständig Personal
Verfahrenstechnik sind im Einzelnen ausge- vor Ort erforderlich, was zur Folge hat, dass
reifte Prozesse und Technologien. In der Kom- für einen wirtschaftlichen Betrieb große Ener-
bination sind sie neu, im Einzelnen nicht, was gieschiffe notwendig sind. Ein zukünftig hoher
das Risiko einer Fehlfunktion minimiert. Automatisierungsgrad mindert diese Kosten.
55 Die meteorologischen und geografischen 55 Die Umsetzung eines Pilotschiffes ist sehr
Gegebenheiten auf hoher See lassen deut- kapitalintensiv. Die Inbetriebnahme erfordert
lich höhere Windgeschwindigkeiten als am die Zulassung für den Schiffsverkehr.
Festland zu. Energieschiffe sind zudem in der
Lage, ertragreichen Windgebieten zu folgen.
Dadurch können sehr hohe Auslastungen mit 8.9 CO2-minderndes Energiesystem
erneuerbaren Energien erzielt werden. Erste mit Power-to-Gas,
Routenoptimierungen kommen auf eine Aus- Power-to-Liquid und Ocean
lastung von 7000 h, womit Wind als Grundlast Fuels
zur Erzeugung von Kraftstoffen und chemi-
schen Rohstoffen verwendet wird. Zum Abschluss dieses Kapitels wird ein Energiesys-
55 Die Wartung von Energieschiffen ist einfacher tem auf der energetischen Basis von Wind, Sonne
als bei Meeresplattformen: Sie können zur und Wasserkraft mit Power-to-Heat, Power-to-Gas,
Wartung in entsprechend geschützte Hafenge- Power-to-Liquid und Ocean Fuels als Vision für
biete eingefahren werden. eine nachhaltige, technisch mögliche Energiever-
55 Der Meereskraftstoff kann weitestgehend in sorgung auf Basis erneuerbarer Energien vorge-
die vorhandenen Versorgungswege eingespeist, stellt (s. . Abb. 8.100, angelehnt an [100]).
transportiert, verteilt und genutzt werden. Das System kann optional Bioenergie und Geo-
So ist eine Einspeisung von Wasserstoff oder thermie nutzen und ermöglicht durch Gewinnung,
Methangas in das Nordseegasnetz denkbar. Nutzung, Recycling und Speicherung von CO2 aus
Im Fall von Methangas oder flüssigen Koh- der Luft eine erneuerbar getriebene Reduktion der
lenwasserstoffen kann auch die vorhandene globalen CO2-Emissionen bei gleichzeitiger Ener-
Fahrzeugtechnologie und Tankinfrastruktur giegewinnung.
genutzt werden. Methanol ist zudem bereits Über eine sektorenübergreifende Kopplung von
heute ein wichtiger Grundstoff der chemischen Strom-, Gas-, Kraftstoff- und Wärmenetzen samt er-
Industrie, welcher auf diese Art und Weise er- neuerbaren Energiequellen, verschiedenen Energie-
neuerbar erzeugt werden kann. speichern und intelligenter Steuerung kann jederzeit
55 Das Thema »Green Ships« schafft Perspektiven der Energiebedarf erneuerbar gedeckt werden. Aus
für neue Arbeitsplätze und Wertschöpfung erneuerbarem Wasserstoff und CO2 aus der Luft
in der marinen Wirtschaft und im Maschi- wird primär Gas gewonnen, welches in KWK, Gas-
nen- und Anlagenbau. Bau und Wartung von turbinen, Gaswärmepumpen oder Brennstoffzellen
Energieschiffen sorgt für eine nachhaltige für Strom- und Wärmeversorgung genutzt wird.
Nutzung der vorhandenen Werftinfrastruktur. Die Abwärme von Power-to-Gas bzw. Power-to-
Eine serienmäßige Fertigung der Anlagen ist Liquid wird im System genutzt. Ferner werden alle
8
446

Solarstrahlunng

Wasserkreislauf Solarenergie Geothermie Photosynthese, Windkraft H T

Pflanzen

Erzeugung / Biomasse
Wandlung Erd- Energie-
Wasserkraft PV CSP Solar wärme KWK Heizung Strom KWK Gas KS Wind schiff

Strom-
netz
Carbon
CO2
Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

Strom- Capture Wasser


speicher
Gas- Power- Power-
to- to- to-
CO2-
Power Gas Liquid
Verteilung, speicher
Gas-
Speicherung,
netz
Wandlung

Gas-
speicher Power-
Wärme-
to-
pumpe
Heart

Wärme- Kraftstoff-
netz netz

Wärme- Kraftstoff-
speicher speicher

Verbrauch

Haushalte Gewerbe Handel Industrie Pkw und Lkw Bus und Bahn Arbeits- Schiff Flugzeug
Dinestleistung maschine

. Abb. 8.100 CO2-minderndes Energiesystem für Strom, Wärme, Mobilität und chemische Industrie auf Basis von Power-to-Heat, Power-to-Gas und Power-to-Liquid
mit CO2 als Dreh- und Angelpunkt für chemische Energiespeicher, nach [100]
8.10 • Zusammenfassung
447 8
­ raftstoffe für den Straßen-, Schienen-, Flug- und
K 55 Da Wasserstoff nur in geringem Umfang
Schiffsverkehr daraus gewonnen, je nach Bedarf direkt in die vorhandene Energieinfrastruk-
Methan, Methanol, Diesel oder Kerosin und dar- tur integriert werden kann, ist seine Weiter-
aus ebenfalls die Grundstoffe für die chemische In- verarbeitung unter zusätzlichem Aufwand
dustrie. Der Großteil der Individualmobilität wird sinnvoll. Über verschiedene Synthesen kann
elektrisch erfüllt. Auch ein elektrifizierter Lkw- und Wasserstoff zusammen mit CO2 zu Methan,
Busverkehr ist technisch möglich. Im Wärmesektor Methanol, Diesel, Benzin oder Kerosin ge-
ergänzen Elektrowärmepumpen und Erdwärme das wandelt und damit leichter gespeichert, trans-
Portfolio. portiert und genutzt werden. Das »Henne-Ei-
Die Biomasse ist in diesem Energiesystem frei Problem« von Wasserstoff ist damit gelöst, für
verfügbar für die Gewinnung von Nahrung und die Synthesen ist genügend CO2 vorhanden.
Futtermitteln und die stoffliche Nutzung von Holz 55 Die biologische Methanisierung ist robuster
und Pflanzen für Produkte, die in der chemischen und milder als die chemische Methanisierung,
Industrie vormals aus Erdöl und Erdgas gewonnen aber dafür nur für kleine, dezentrale Verfah-
wurden. ren geeignet. Die chemische Methanisierung
ist seit Langem erprobt und auch im großen
Maßstab verfügbar.
8.10 Zusammenfassung 55 Die Methanolsynthese und die Fischer-
Tropsch-Synthese werden ähnlich wie bei der
55 Das C-H-O-System eignet sich hervorragend chemischen Methanisierung in chemischen
zur Veranschaulichung sowohl der Geschichte Reaktoren umgesetzt, die Stand der Technik
der fossilen und biogenen Energiespeiche- sind und die Gewinnung bzw. Speicherung
rung als auch der neuen Verfahren Power-to- von erneuerbaren Energien in Form von flüs-
Gas und Power-to-Liquid. sigen Kohlenwasserstoffen ermöglichen.
55 Wasserstoff ist ein chemischer Energieträger, 55 Die Speicherkapazitäten in der Gasinfra-
der über verschiedene Wege hergestellt werden struktur sind in vollem Maße ausreichend
kann. Die größten Mengen werden heute welt- und für die Energiewende zu Genüge vorhan-
weit über die Dampfreformierung von Erd- den. Selbst die heute gegebenen Kapazitäten
gas zu Preisen von 3–4 €-ct./kWh gewonnen reichen für diesen Zweck aus. Darüber hinaus
und in der Petrochemie zur Herstellung von haben Porenspeicher kein wesentliches weite-
Ammoniak, Hydrierung von Kohlenwasser- res Potenzial, Gaskavernen in Form von Salz-
stoffen und Methanolherstellung verwendet. kavernen jedoch schon.
55 Bereits um 1800 wurde die Wasserelektrolyse 55 Für flüssige und feste chemische Spei-
in England und Deutschland entdeckt. Der be- chermedien ist ebenfalls die vorhandene
treuende Professor von Ritter erkannte schon Infrastruktur ausreichend, in der in großen
damals die Verbindung zur Photosynthese, Mengen, vor allem in der Mineralölindustrie,
indem er in der Verbrennung von Wasserstoff Energieträger gespeichert werden können.
den wärmenden und leuchtenden Teil der Über Power-to-Liquid und den natürlichen
Sonnenstrahlen vermutete. Speicherprozess Photosynthese können diese
55 Die Wasserelektrolyse ist eine entscheidende Infrastrukturen genutzt werden.
Komponente. Sie kann in drei Varianten aus- 55 Alle Entladetechnologien für chemische
geführt werden: Die Alkalische Elektrolyse, Energiespeicher sind – bis auf die Brennstoff-
die am weitesten etabliert und derzeit am kos- zellen – heute kommerziell ohne Subventio-
tengünstigsten ist, die Membran-Elektrolyse nen verfügbar – von der Gasbrennwerttherme
und die Hochtemperatur-Elektrolyse mit vie- über das Gas- und Dampfkraftwerk und den
len Vorteilen (Wirkungsgrade, Teillastverhal- Dieselmotor bis hin zum Strahltriebwerk für
ten), aber auch vielen Herausforderungen (vor den Luftverkehr.
allem Kostenreduktion und Lebensdauer).
448 Kapitel 8 • Chemische Energiespeicher

55 Power-to-Gas-Wasserstoff kann stofflich und Windkraftstoffe auf Basis von Wind-,


integriert in Raffinerien direkt genutzt Solarenergie und Wasserkraft führen bei ihrem
werden; der Aufbau einer reinen Wasser- Einsatz zur Emissionsminderung.
stoffinfrastruktur ist jedoch sehr teuer. Die 55 Nur im optimistischen Fall bei konstantem
Einspeisung von Wasserstoff als Zusatzgas in Strombezug zu ca. 0–1 €-ct./kWh kann bereits
das Erdgasnetz ist nach heutigem Stand der heute eine Wirtschaftlichkeit für Power-to-
Technik wegen Restriktionen unter anderem Gas erreicht werden, wobei Betriebsstunden
in Gasturbinen und Gasspeichern auf 1–1,5 % von über 4500 h den Speichergedanken von
bzw. max. 2 % begrenzt, weshalb für die Er- Power-to-Gas torpedieren. Ein Markteintritt
schließung der Gasinfrastruktur als großer, wird sich nach heutigen Gesichtspunkten am
saisonaler Langzeitspeicher kein Weg an der frühesten für die Verwendung des Gases als
Methanisierung vorbeiführt. Kraftstoff in der Mobilität bzw. als Rohstoff
55 Das Speicherpotenzial, welches durch Power- in der chemischen Industrie zeigen, da diese
to-Gas-Methan erschlossen werden kann, ist Märkte hochpreisiger sind als der Strom- oder
immens. Bei einer Entladung der Gasspeicher Wärmemarkt.
über 60 GW GuD-Kraftwerke kann der Strom- 55 Wasserstoff aus Power-to-Gas ist aus Grün-
bedarf in Deutschland über 3 Monate rein aus den der Kosten und des Wirkungsgrades
den Gasspeichern gedeckt werden. Eine voll- zu bevorzugen, solange die Beimischungs-
8 umfängliche Elektrifizierung aller Fahrzeuge grenze des Gasnetzes nicht erreicht ist oder
in Deutschland würde bei zeitgleicher Einspei- lokal Wasserstoff gespeichert und genutzt
sung in das Stromnetz den Bedarf bei gleicher werden kann. In allen anderen Fällen ist aus
Entladeleistung für maximal 7 Stunden decken technischen und wirtschaftlichen Gründen
können. die Methanisierung vorteilhaft, da darüber
55 Ein weiterer großer Vorteil von Power-to-Gas die vollständige Gasinfrastruktur erschlossen
liegt in der zweifachen Möglichkeit des zeit- werden kann.
lichen und räumlichen Ausgleichs (Speicher 55 Power-to-Liquid ermöglicht die Integration
und Transport), was ein Alleinstellungsmerk- von erneuerbaren Energien im Luft-, Schiffs-
mal dieser Technologie ist. und Schwerlastverkehr sowie in Arbeitsma-
55 Durch die Nutzung der hochkalorischen schinen, ohne Konkurrenz zu Nahrungs- und
Abwärme von chemischen Synthesen für die Futtermitteln. Fischer-Tropsch-Kraftstoffe
Dampferzeugung können durch die thermo- eignen sich als Stromkerosin besonders für
dynamischen Einsparungen synthetische den Flugverkehr, Methanol ist zusammen
Kohlenwasserstoffe wie Stromkraftstoffe mit mit LNG interessant für den Schiffsverkehr.
ähnlichen Wirkungsgraden wie von reinem Methanol zeigt darüber hinaus eine hohe
Wasserstoff hergestellt werden. Selektivität und mit die besten Wandlungs-
55 Der Einsatz von erneuerbarem Strom ist die grade von Stromkraftstoffen, weshalb es sich
Grundvoraussetzung für eine Reduktion von auch als Kraftstoff für die Individualmobilität
CO2 durch Power-to-Gas; je CO2-intensiver empfiehlt. Pflanzenölkraftstoffe sind aufgrund
der ersetzte Energieträger ist, desto höher ist der regional geschlossenen Wertschöpfungs-
das Reduktionspotenzial. Der Einsatz von kette besonders für Arbeitsmaschinen wie
Graustrom kehrt die Klimaschutzwirkung von Traktoren geeignet.
Power-to-Gas in das Gegenteil: Im Extremfall 55 In der Energiewende werden die Bereiche
von Braunkohle würde das Speichergas bei Mobilität und Grundstoffe der chemischen
Rückverstromung mit ca. 3200 g CO2-äq./kWh Industrie bislang stiefmütterlich behandelt.
über dem Achtfachen von fossilem Strom Die Abhängigkeit von Erdöl und Erdgas ist
aus Erdgas liegen und in der Mobilität mit ca. in beiden Bereichen extrem hoch, die Alter-
775 g CO2-äq./km über dem Siebenfachen von nativen sind teuer und rar. Das Meer birgt mit
fossilem Diesel als Kraftstoff. Allein Windgas seinen großen ungenutzten Windpotenzialen
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eine große Chance: Etwa 71 % der Erdober- 7. Beil M (2008) BiogasMAX. Biogasaufbereitung zu Bio-
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schwimmende Stromkraftstoffplattformen. formation of CO from CO2 and H2 in methanogenic
In beiden Fällen bietet sich Methanol als bacteria. Eur J Biochem 168:407–412
flexibler Energieträger an. Das Logistikpro- 13. Bräunling, WJG (2009) Flugzeugtriebwerke. Grundlagen,
blem bisheriger Offshore-Technologien wird Aero-Thermodynamik, ideale und reale Kreisprozesse,
thermische Turbomaschinen, Komponenten, Emissio-
in beiden Konzepten über die Energiespei-
nen und Systeme, 3., vollständig überarbeitete und erw.
cherung auf einfache Art und Weise gelöst. Aufl. VDI-Buch. Springer, Dordrecht
Welche Konzepte sich in Zukunft in der Kraft- 14. Brinner A (2013) Elektrolyse – Basics IV, ZSW – Zentrum
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werden, ist offen. An Ideen zur Nutzung und Wuerttemberg, Stuttgart
15. Brückl O (2013) Wind- und Wasserkraft. Vorlesungsskript.
Speicherung erneuerbarer Energien wird es
OTH Regensburg, Regensburg
nicht mangeln. 16. Casale C, Lembo E, Serri L et al (2010) Preliminary design
55 Ein Energiesystem auf Basis von Wind, Son- of a floating wind turbine support structure and rele-
ne, Wasser und Luft ist technisch realisierbar vant system cost assessment. Wind Eng (34):29–50
und kann in Kombination mit der Speiche- 17. Cerbe G (2008) Grundlagen der Gastechnik. Gasbeschaf-
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455 9

Mechanische Energiespeicher

Übersicht
Die chemischen Energiespeicher nutzen Kavernen, Porenspeicher, Tanks und
Lagerräume für die Speicherung der chemischen Energieträger. Kavernen,
Hohlräume und Lagerstätten können auch für die Speicherung von
gasförmigen Medien wie Luft, von flüssigen Medien wie Wasser und von
festen Medien wie Gestein verwendet werden.
Die Prinzipien der mechanischen Energiespeicherung fußen auf der
klassischen Newton’schen Mechanik und somit auf der Grundlage der Physik
des 18. und 19. Jahrhunderts. Entsprechend gliedern sich die Funktionsprinzi-
pien in Betrachtungen zur Speicherung von Energie in kinetischer und
potenzieller Form oder als »Druckenergie«.
Im vorliegenden Kapitel werden die Speichermedien nach Aggregatszu-
ständen gegliedert und in Funktion und Anwendung beschrieben: zunächst
die Druckluftspeicher, gefolgt von der klassischen Stromspeicherart – den
Pumpspeicherwerken. Im Anschluss werden innovative Varianten der
Speicherung potenzieller Energie über das Medium Wasser beschrieben:
Ringwallspeicher auf offenem Land, Kugelpumpspeicher in der Tiefsee,
Staustufenspeicher an Flüssen und die Nachnutzung von Bergbaurevieren
über Halden-Pumpspeicher, Unterflurpumpspeicher oder Untertage-Pump-
speicher und Tagebauspeicher.
Den Abschluss des Kapitels bilden klassische und moderne Schwungmas-
senspeicher, die eine jahrtausendealte Geschichte haben und eine neue Idee:
Lageenergiespeicher als Kombination aus Pumpspeicher und Änderung der
potenziellen Energie von Gesteinen bzw. großen Felsblöcken.

M. Sterner, I. Stadler, Energiespeicher – Bedarf, Technologien, Integration,


DOI 10.1007/978-3-642-37380-0_9, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
456 Kapitel 9 • Mechanische Energiespeicher

9.1 Gasförmige Medien tion« dem US-amerikanischen Patentamt vorlegte


(s. [32]). Dennoch wurde die energetische Druck-
9.1.1 Druckluftspeicherkraftwerke luftspeicherung bis in die 1960er Jahre weder in
Wissenschaft noch in Industrie aktiv verfolgt. Dies
Als weltweit ortsunabhängig und kostenlos verfüg- kann weitestgehend auf die Tatsache zurückgeführt
bares Medium bietet Umgebungsluft geradezu idea- werden, dass kaum die Notwendigkeit bestand,
le Voraussetzungen zum Einsatz als Energiespei- neben Pumpspeicherwerken weitere Möglichkei-
cher. Im Gegensatz zu Wasser ist Luft kompressibel. ten der großtechnischen Energiespeicherung tech-
Daher erlaubt Umgebungsluft die Speicherung von nologisch zu erschließen. Dieser Zustand änderte
Energie über eine Druckdifferenz. In industriellen sich nach und nach in den 1960er Jahren durch
Anwendungen wird komprimierte Umgebungsluft die Einführung von Kernkraftwerken und die Ver-
bereits flächendeckend als Energieträger genutzt. breitung von in der Leistung stark zunehmenden
Sie kommt dort in unterschiedlichen Prozessen wie Braunkohlekraftwerken zur Deckung der Grund-
Bohren, Pressen, Reinigen, um nur einige zu nen- last. Dabei entstand eine zumindest ökonomische
nen, zum Einsatz. Besonders in explosionsgefähr- Motivation, günstigen Grundlaststrom während
deten Umgebungen wie z. B. dem Kohlebergbau ist Schwachlastzeiten, also nachts und am Wochen-
Druckluft als Energieträger ideal. Im industriellen ende, zu speichern und zu Spitzenlastzeiten wieder
Einsatz wird Druckluft nahezu ausschließlich de- zur Verfügung zu stellen. Wo immer möglich, ge-
zentral mittels elektrisch betriebener Kompresso- schah dies durch den Zubau von Pumpspeicher-
ren erzeugt. So wurden in Deutschland im Jahr werken. Das Diagramm in .  Abb. 9.1 verdeutlicht
1998 14 TWhel zur Bereitstellung von industriell diesen starken Zubau von Pumpspeicherwerken in
9 genutzter Druckluft verwendet, was ungefähr 2,5 % den 1960er und 1970er Jahren eindrucksvoll.
der deutschen Stromnachfrage entspricht (s. [77]).
Aktuellere Zahlen sind derzeit nicht bekannt. zz Druckluftspeicherkraftwerk Huntorf
Im Gegensatz zu elektrischer Energie oder Erd- Diese Situation führte 1969 im Energieversor-
gas etablierte sich Druckluft nie in der allgemeinen gungsunternehmen Nordwestdeutsche Kraft-
Energieversorgung als Energieträger. Zur Speiche- werke (NKW – heute E.ON Kraftwerke) zu dem
rung elektrischer Energie fand Druckluft allerdings Entschluss, ein Druckluftspeicherkraftwerk zu
sehr wohl Anwendung. In der Praxis stellt hier das errichten. Das Speicherkraftwerk wurde mit
1978 in Betrieb genommene Druckluftspeicher- dem Ziel entwickelt, kostengünstige Grundlast
kraftwerk Huntorf einen ersten Meilenstein dar. aus Kernkraftwerken zwischenzuspeichern und
Es gilt als weltweit erstes Kraftwerk seiner Art und die Schwarzstartfähigkeit für das norddeutsche
befindet sich bis heute in Betrieb (s. [47]). Im Eng- Stromnetz zu gewährleisten (s. [62]). Das Vor-
lischen wird der Terminus »Compressed Air Energy haben wurde zudem durch die dortigen, für die
Storage« für die Druckluftspeicherung innerhalb großtechnische Druckluftspeicherung günstigen
der allgemeinen Energieversorgung und auch für geologischen Formationen unterstützt. Über weite
das Druckluftspeicherkraftwerk als solches ver- Teile der norddeutschen Tiefebene befinden sich
wendet. Die entsprechende Abkürzung »CAES« ist Salzschichten in geeigneter Tiefe (etwa 500 bis
auch im Deutschen gebräuchlich. 1500 m), um dort unterirdische Kavernen zu schaf-
fen, in denen Druckluft kostengünstig gespeichert
9.1.1.1 Hintergrund und erste Anlagen werden kann.
zz Geschichte der energetischen Schließlich dauerte es vom Entschluss zum Bau
Druckluftspeicherung des Druckluftspeicherkraftwerks bis zu seiner In-
Die ersten Ideen für die Nutzung von Umgebungs- betriebnahme neun Jahre. Auch die damalige tech-
luft zur mechanischen und letztlich elektrischen nische Bezeichnung unterschied sich von der heute
Energiespeicherung kamen in den 1940er Jahren gebräuchlichen. So sprach der Kraftwerksbetreiber
auf (s. [54]). Es war F.W. Gay, der 1948 sein Pa- NKW von »ASSET« als Akronym für »Air Storage
tent »Means for Storing Fluids for Power Genera- System Energy Transfer«, was den eigentlichen Nut-
9.1 • Gasförmige Medien
457 9
9.1 180

160

140
Anzahl der installierten Anlagen

120 Pumpspeicher

100 Druckluftspeicher

80

60

40

20

0
1920 1940 1960 1980 2000
Jahr

. Abb. 9.1  Zubau Pumpspeicherwerke

zen des Speicherkraftwerkes unterstreicht und da- die Luft nochmals gekühlt werden. Da es sich in
mit der Sichtweise eines Energieversorgungsunter- Huntorf um einen diabaten Prozess handelt, wird
nehmens gerecht wird (s. [47]). Der damalige Tech- sämtliche rückgekühlte Kompressionswärme an
nologieentwickler BBC (heute Alstrom) hingegen die Umgebung abgegeben.
brachte die Bezeichnung »Gas Turbine Air Storage . Abbildung 9.4 zeigt das Speicherkraftwerk in
Peaking Plant« ins Spiel. Die Betonung lag somit Außenansicht. Die Druckluft wird in zwei eigens
auf der technologischen Herkunft des Druckluft- ausgesolten Salzkavernen mit einem Gesamt-
speicherkraftwerks als Abwandlung einer offenen fassungsvermögen von 310.000  m³ gespeichert,
Gasturbine. die sich in einer Tiefe von ca. 700  m befindet. In
.  Abbildung 9.2 zeigt ein vereinfachtes Block- .  Abb. 9.4 ist lediglich die Zuleitung zur Kaverne
schaltbild des Huntorf-Speicherkraftwerks. Der als helle horizontale Line direkt unter dem Kraft-
Prozess besteht aus je zwei Kompressions- (Komp) werk zu erkennen. In Huntorf entschied man sich
und Expansionseinheiten (Exp), die auf einer Welle aus Gründen der Verfügbarkeit für zwei getrennte
angeordnet und über schaltbare Kupplungen mit Kavernen, sodass bei Wartungsarbeiten an einer
dem Motorgenerator (M/G) verbunden sind. Kaverne der Kraftwerksbetrieb weiter aufrecht-
Lediglich der Hochdruckkompressor (HD erhalten werden kann. Während des Betriebs
Komp) sitzt auf einer eigenen Welle, die über ein schwankt der Druck in den Kavernen zwischen 46
Getriebe an die Hauptwelle angebunden ist. In bar (Speicher leer) und 72  bar (Speicher voll). In
.  Abb. 9.3 ist diese Konfiguration mit dem Hoch- Notfällen kann das Kraftwerk auch unterhalb von
druckkompressor samt Getriebe im Vordergrund 46 bar sicher betrieben werden.
und dahinter liegendem Niederdruckkompressor Während des Ausspeichervorgangs verlässt die
(ND Komp) deutlich zu erkennen. komprimierte Luft die Kaverne und wird zunächst
Während des Kompressionsvorgangs wird die auf konstant 42 bar gedrosselt, bevor sie der Hoch-
Luft in Nieder- und Hochdruckkompressor zwi- druckbrennkammer zugeführt wird (s. Punkt (1)
schengekühlt und auf einen Austrittdruck von bis in . Abb. 9.2 und [47]). Nach der Hochdruckbrenn-
zu 72  bar verdichtet. Bevor sie anschließend in kammer werden die nun heißen Verbrennungsgase
der Salzkaverne gespeichert werden kann, muss in der Hochdruckturbine, die als Dampfturbinen-
458 Kapitel 9 • Mechanische Energiespeicher

9.2
HD Komp

ND Komp M/G HD Exp ND Exp

2 3 4 5

1
4
T
Druckluftspeicher qND-C
2
5
qHD-C 3
1

9 . Abb. 9.2  Vereinfachtes Blockschaltbild Huntorf

derivat ausgeführt wurde, auf ca. 10 bar entspannt. gen geöffnet werden und der Generator muss last-
Auf diesem Druckniveau wird die Luft erneut per frei im Netzparallelbetrieb mitlaufen.
Erdgaszufeuerung aufgeheizt und in der Nieder- Als das Erste seiner Art brachte das Druckluft-
druckturbine entspannt. Die Niederdruckstufe speicherkraftwerk in Huntorf einige Weltneuheiten
wurde basierend auf Gasturbinentechnologie ent- mit sich. Diese sind (s. [78]):
wickelt. Im Jahr 2006, nach 28 Jahren Betrieb, 55 Druckluftspeicherung in ausgesolten unterir-
wurde der Expansionsstrang einem Retrofit unter- dischen Salzkavernen
zogen. Dabei wurde die Eintrittstemperatur der 55 Hochdruckbrennkammer für Gasturbinen
Hochdruckturbine (s. Punkt (2) in . Abb. 9.2) von 55 Hochdruckgasturbine mit Schnellstarteigen-
550 °C auf jetzt 490 °C gesenkt. Im Niederdruck- schaften
teil wurden die Eintrittsparameter jedoch von 55 Verhältnis von Motor zu Generatorleistung
10 bar/825 °C auf 13 bar/945 °C erhöht (s. Punkt (4) von 1:5 in einer Komponente.
in . Abb. 9.2). Als Folge dieser Maßnahmen konnte
die elektrische Leistung von 290 MW auf 321 MW Trotz dieser hohen Innovationsdichte konnte ein
gesteigert werden. zuverlässiger Betrieb erzielt werden (s. [75, 78]).
In den vergangenen Jahren wurde die Anlage
in Huntorf vermehrt zur Bereitstellung von Minu- zz Entwicklungen in den USA
tenreserven herangezogen. Darüber hinaus ist das Hervorgerufen durch das erfolgreiche Huntorf-
Speicherkraftwerk in der Lage, sich an der Blind- Projekt stieg auch in den USA das generelle Inter-
leistungsregelung zu beteiligen. Dies ist im so- esse an dieser Technologie (s. [25, 92]). Schließlich
genannten Phasenschieberbetrieb auch dann mög- wurde dort Ende der 1970er Jahre ein großange-
lich, wenn das Speicherkraftwerk weder ein- noch legtes Forschungsprogramm zur Entwicklung und
ausspeichert. Es müssen lediglich beide Kupplun- Implementierung der energetischen Druckluftspei-
9.1 • Gasförmige Medien
459 9
cherung in der Energieversorgung ins Leben geru- 9.3
fen (s. [5]). Der Fokus lag dabei vor allem auf diesen
beiden Punkten:
55 Ermittlung von Langzeit-Stabilitätskriterien
für unterirdische Reservoirs zur Druckluft-
speicherung
55 Weiterentwicklung und Machbarkeitsbewer-
tung von fortgeschrittenen CAES-Konzepten
mit dem Ziel, den Einsatz von fossilen Ener-
gieträgern bei der Entladung zu minimieren.

Neben dem Forschungsprogramm wurde parallel


auch ein CAES-Demonstrationsprogramm auf-
gelegt. Beide Aktivitäten, sowohl das Forschungs-
als auch das Demonstrationsprogramm, wurden
vom US Department of Energy (DOE) finanziert
und vom Pacific Northwest National Laborato-
ry (PNNL) geleitet. Als eine Erkenntnis des For-
schungsprogramms wurden diabate CAES, zu
dem auch das Speicherkraftwerk Huntorf zählt, als
technologisch beherrschbar und kurzfristig um-
setzbar erachtet. Daher wurde das industrienahe
Forschungsinstitut EPRI (Electric Power Research
Institute) mit der Weiterentwicklung und Ver-
breitung diabater CAES betraut. Die Entwicklung
fortgeschrittener CAES-Konzepte hingegen wurde
vorerst nicht weiter verfolgt, sondern an eine er- . Abb. 9.3  Nieder- und Hochdruckkompressor Huntorf
folgreiche Umsetzung diabater CAES innerhalb
der USA geknüpft. Als weitere Erkenntnis des For-
schungsprogramms wurden adiabate CAES – also weitaus gemäßigterem Anstieg der Stromnachfrage
Druckluftspeicherkraftwerke mit interner Zwi- als zuvor erwartet begründet (s. [5]). Neben dem
schenspeicherung der Kompressionswärme unter abflauenden Stromnachfragezuwachs war es dem
Verzicht auf jegliche Zufeuerung bei der Ausspei- Versorger zudem möglich, günstigere Quellen zur
cherung – von PNNL als aussichtsreichste Variante Spitzenlastdeckung zu erschließen. Diese Fakto-
innerhalb der fortgeschrittenen CAES Konzepte ren mündeten schließlich in die Entscheidung, das
ermittelt (s. [102]). Im Gegensatz dazu identifizier- Speicherkraftwerk nicht zu bauen (s. [9]).
te EPRI innerhalb der fortgeschrittenen Lösungen
einen CAES-Hybrid als am aussichtsreichsten, der zz McIntosh
sowohl Zufeuerung als auch Zwischenspeicherung Das erste Druckluftspeicherkraftwerk in den USA
der Kompressionswärme beinhaltet (s. [34]). wurde daher erst im Jahr 1991 von der Alabama
Ein Ergebnis des Demonstrationsprogramms Electric Cooperative (AEC) am Kraftwerksstand-
war die Planung eines diabaten CAES in Zusam- ort McIntosh im Bundesstaat Alabama in Betrieb
menarbeit mit dem Energieversorgungsunterneh- genommen (s. [69]). Wie auch in Norddeutschland
men Soyland Power Cooperative Inc. (s. [67]). Die ist es dort möglich, die Druckluft in unterirdischen
Verträge für die 220  MW-Anlage waren bereits Salzkavernen zu speichern. Im Gegensatz zu Hun-
unterzeichnet, als der Energieversorger sich letzt- torf kommt in McIntosh allerdings nur eine große
lich doch gegen das Projekt entschied. Die An- Salzkaverne zum Einsatz. Die grundsätzliche Kom-
nullierung des Projekts wurde offiziell mit einem ponentenauswahl mit einem zentralen Motor-Ge-
460 Kapitel 9 • Mechanische Energiespeicher

9.4

9
. Abb. 9.4  Huntorf – Außenansicht

9.5

HD MD Komp ND M/G ND Exp HD Exp

Rek

Druckluftspeicher

. Abb. 9.5 Prozessschaltbild

nerator und der Anordnung der Arbeitsmaschinen Der hauptsächliche Unterschied und Fortschritt
auf einer durchgehenden Welle ist der in Huntorf zum Speicherkraftwerk in Huntorf besteht in der
sehr ähnlich, wie im Prozessschaltbild in . Abb. 9.5 Integration eines Abgasrekuperators (Rek). Dieser
deutlich wird (s. [14, 64]). erlaubt es während der Expansionsphase, also der
9.1 • Gasförmige Medien
461 9
9.6 T T
qND, Verbr. qND, Verbr.

qHD, Verbr.
qHD, Verbr.

qRek qRek
qRek qRek

S S

. Abb. 9.6  Expansionsvorgang im T, s- Diagramm McIntosh vs. Huntorf

Entladung des Speichers, die noch heißen Abgase hung der elektrischen Leistung um 31  MW zur
der Niederdruckturbine (ca. 370 °C) zur Vorwär- Folge hatte.
mung der Druckluft vor Eintritt in die Hochdruck- In .  Tab.  9.1 sind die relevanten technischen
brennkammer zu nutzen. . Abbildung 9.6 gibt hier- Daten der beiden Speicherkraftwerke zusammen-
zu einen Überblick im T, s-Diagramm des Expan- gefasst.
sionsvorgangs des McIntosh-Kraftwerks (schwarze Beim Vergleich der technischen Daten fällt
Linie). Im Vergleich dazu ist der Huntorf-Prozess vor allem auf, dass der Zykluswirkungsgrad von
ohne Rekuperation im selben Diagramm als graue McIntosh mit 54 % deutlich über dem von Huntorf
Linie dargestellt, links für den Prozess vor dem mit 42 % liegt. Das liegt vor allem im Einsatz des
Huntorf-Retrofit und rechts danach. Rekuperators begründet. Nur in zweiter Linie ist
Es wird deutlich, dass im Falle McIntosh die Er- die Effizienzsteigerung auf Fortschritte auf Einzel-
wärmung der Luft zwischen Punkt (1) und (2) aus komponentenebene zurückzuführen. Mit einem
der Abkühlung der heißen Abgase im Rekuperator Blick auf das Betriebsregime des McIntosh-Kraft-
qRek erfolgen kann. Die letztlich notwendige Tem- werks wird deutlich, warum hier gesteigerter Wert
peraturerhöhung vor Turbineneintritt auf 490 °C auf hohe Effizienz gelegt wurde. Das Kraftwerk war
wird anschließend über Erdgaszufeuerung erreicht. für Lastverschiebungen größerer Strommengen in
Wie hier ersichtlich, führt die Nutzung eines Ab- einem wöchentlichen Zyklus geplant, wofür eine
gasrekuperators zur Einsparung von Erdgas und hohe Effizienz schon aus wirtschaftlichen Gründen
macht auf diese Weise den Ausspeichervorgang nötig ist (s. [69]). Huntorf hingegen bedient mit
effizienter. Im Huntorf-Prozess hingegen wurde einer zweistündigen Entladedauer lediglich kurze
vollständig auf eine Abgasrekuperation verzichtet, Zeiträume zu Hochpreiszeiten (Peakstunden) und
was sich im spezifischen Kraftstoffverbrauch nie- agiert auf diese Weise mehr als Reservekraftwerk
derschlägt. Während McIntosh zur Bereitstellung als zur großvolumigen Lastverschiebung. Hierfür
einer kWh elektrischer Energie 1,17  kWh Erdgas ist eine hohe Effizienz eher zweitrangig. Vielmehr
benötigt, braucht Huntorf 1,6 kWh. sind hohe Startzuverlässigkeit und Verfügbarkeit
Wie man weiterhin im Vergleich der beiden gefragt, was ebenfalls im Anlagenentwurf Berück-
Diagramme in .  Abb.  9.6 sehen kann, wurde die sichtigung fand (s. [8]).
Niederdruckeintrittstemperatur des Huntorf-Pro-
zesses (graue Linie) im Zuge des Retrofit unter die zz Aktuelle Projekte
des McIntosh-Prozesses (schwarze Linie) gebracht. Das Speicherkraftwerk in McIntosh erzeugte auch
Die Eintrittstemperatur der Hochdruckturbine bei anderen US-amerikanischen Energieversor-
wiederum wurde um 70 °C über die McIntosh- gern Interesse an der Technologie, darunter die
Temperatur angehoben, was die deutliche Erhö- Tennessee Valley Authority und die Hawaiian Elec-
462 Kapitel 9 • Mechanische Energiespeicher

. Tab. 9.1  Auflistung relevanter technischer Parameter der Druckluftspeicherkraftwerke in McIntosh und Huntorf.
(Quelle: [24, 64, 69, 78, 94])

Huntorf McIntosh

Kraftwerk Anlagenbetreiber E.ON Kraftwerke Alabama electric coop

Zykluswirkungsgrad 0,42 0,54

Energieaufwand für 1 kWhel Ausspeicher- 0,8 kWhel/1,6 kWhgas 0,69 kWhel/1,17 kWhgas


arbeit

Speichervolumen (ausspeicherbare Arbeit) 560 MWh 2.640 MWh

Dauer Planung – Errichtung – Inbetrieb- 1969–1978 1988–1991


nahme

Kompression Kompressorhersteller Sulzer (heute MAN Turbo) Dresser-rand

Max. el. Leistungsaufnahme 60 MW 50 MW

Max. Luftmassenstrom 108 kg/s ca. 90 kg/s

Kompressoreinheiten 2 3

Beladedauer (bei Volllast) ca. 8 h ca. 38 h

Speicherung Kavernenbaugesellschaft KBB PB-KBB

Druckspiel in der Kaverne 46–72 bar 46–75 bar


9 Kavernenvolumen 310.000 m³ 538.000 m³

Expansion Turbinenhersteller BBC (heute Alstom) Dresser-rand

Max. el. Leistungsabgabe 321 MW 110 MW

Regelbereich 100–321 MW 10–110 MW

Entladedauer (bei Volllast) ca. 2 h ca. 24 h

Anfahrdauer (Normalfall/Notfall) 14/8 min 12/7 min

Max. Luftmassenstrom 455 kg/s 154 kg/s

Einlassparameter Hochdruckturbine 41,3 bar/490 °C 42 bar/538 °C

Einlassparameter Niederdruckturbine 12,8 bar/945 °C 15 bar/871 °C

Abgastemperatur 480 °C 370 °C (vor Rekuperator)

Im Fall von diabaten CAES mit Erdgaszufeuerung ist der angegebene Zykluswirkungsgrad nicht als AC/AC-Wirkungs-
grad wie der reiner Energiespeicher zu verstehen. In 7 Abschn. 9.1.1.2 wird die Definition des Zykluswirkungsgrades
erläutert

tric Co. Allerdings zog kein Unternehmen ernst- den zu können, ist eine Turbinenleistung von ca.
haft den Bau eines Druckluftspeicherkraftwerks in 2  GW nötig. Diese sollte ursprünglich über neun
Erwägung (s. [26]). Im Jahr 2001 wurde ein CAES- 300 MWel Gasturbinen von Alstom (Typ ET11NM)
Projekt angekündigt, das ein stillgelegtes Kalkstein- bereitgestellt werden (s. [94]). Allerdings wurde das
bergwerk in c nutzen sollte (s. [85]. Dieses Berg- Vorhaben bis heute nicht realisiert. Im Dezember
werk bietet ein gigantisches Speichervolumen von 2006 zog Alstom als bisheriger Technologieliefe-
ca. 10  Mio.  m³. Um dieses riesige Reservoir über rant mangels interner Ressourcen sein Angebot
eine Dauer von zwei Tagen kontinuierlich entla- zurück. Alternativ legte Dresser-Rand ein Ange-
9.1 • Gasförmige Medien
463 9
bot als Technologielieferant für die Turbomaschi- werden, ist jedoch nicht zulässig! Dies liegt in
nen vor (s. [92]). Im November 2009 wurden die der grundsätzlichen Eigenschaft diabater Druck-
Rechte am Norton-Projekt von dem US-amerika- luftspeicherkraftwerke, keine reinen elektrischen
nischen Energieversorger FirstEnergy Generation Speicher zu sein. Vielmehr stellen sie eine Hybrid-
Corp. gekauft. Neben dem Projekt in Norton, Ohio, anlage aus Kraftwerk und Speicher dar. Dies wird
existieren aktuell in den USA weitere Bauvorhaben vor allem deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt,
für Druckluftspeicherkraftwerke. So ist in Kalifor- dass ein diabates Druckluftspeicherkraftwerk mehr
nien ein diabates Druckluftspeicherkraftwerk über elektrische Energie während des Entladevorgangs
300  MWel und einem Speichervolumen von 10  h abgibt, als es zuvor während des Beladevorgangs
Volllast bei dem Energieversorger PG&E in Pla- aufgenommen hat. Dies ist aufgrund des 1. Haupt-
nung. Als Speichermedium werden dort erstmals satzes der Thermodynamik für reine Speicher un-
poröse Felsformationen in Betracht gezogen. Die möglich! Die Möglichkeit, einem diabaten CAES
Inbetriebnahme ist für das Jahr 2021 geplant. We- mehr elektrische Arbeit während der Entladung
niger erfolgversprechend verlief ein Bauvorhaben zu entnehmen, als zuvor bei seiner Beladung zu-
an der Ostküste der USA. Dort wurde vom Ener- geführt wurde, lässt sich durch die Notwendigkeit,
gieversorgungsunternehmen NYSEG eine Anlage während der Entladung Erdgas zuzufeuern, be-
im Leistungsbereich 100 bis 300 MWel geplant. Als gründen. Daher sieht die hier verwendete Defini-
Speichermedium wurde hier wiederum auf auszu- tion des Zykluswirkungsgrades von diabaten CAES
solende Salzkavernen gesetzt. Letztlich wurde das vor, sowohl die zur Kompression notwendige elekt-
Projekt im Jahr 2012 gestoppt, da unter den damali- rische Energie Eein,el als auch die zur Expansion not-
gen energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen wendige thermische Energie der Verbrennung von
die Investition nicht wirtschaftlich darstellbar war Erdgas Eein,th (unterer Brennwert) gleichwertig als
(s. [87]). Neben den US-Unternehmungen gibt es Aufwand zu definieren. Die entladbare elektrische
auch in Europa ein Bauvorhaben für ein diabates Arbeit Eaus,el wird wie bei reinen Speicherprozessen
Druckluftspeicherkraftwerk. Dabei handelt es sich als Nutzen definiert:
um eine 135  MWel-Anlage in Larne, Nordirland. Eaus ,el
Sie soll über eine Entladedauer von 6–8  h unter ηzyk =
(9.1) .
Volllast verfügen und nutzt ebenfalls unterirdische Eein ,el + Eein ,th
Salzformationen zur Speicherung der Druckluft
(s. [31]). Des Weiteren existieren Bauvorhaben Die bislang angegebenen Zykluswirkungsgrade für
adiabater Druckluftspeicher, die über einen in- Huntorf und McIntosh wurden nach dieser Defini-
ternen Wärmespeicher verfügen und somit ohne tion errechnet und seien nachfolgend beispielhaft
Zufeuerung auskommen und daher emissionsfrei für McIntosh dargestellt:
arbeiten. Auf diese Projekte wird an späterer Stelle Um im McIntosh-CAES eine kWh elektrische
in 7 Abschn. 9.1.2.1 näher eingegangen. Energie bereitzustellen, müssen 0,69 kWh elektri-
sche Energie Eein , el und 1,17 kWh thermische Ener-
9.1.1.2 Wirkungsgrade von diabaten und gie Eein,th aufgewendet werden:
adiabaten Druckluftspeichern
zz Diabate CAES  Eaus , el 1
ηzyk = = = 0,54.
Im vorigen Abschnitt wurde der Zykluswirkungs- Eein ,el + Eein ,th 0, 69 + 1,17
grad des Druckluftspeicherkraftwerks in Huntorf (9.2)
mit 42 % und der der McIntosh Anlage mit 54 %
angegeben. Die beiden Zykluswirkungsgrade sind Konkret bewirkt die Erdgaszufeuerung eine En-
untereinander vergleichbar und erlauben die Aus- thalpieerhöhung im Arbeitsgas und steigert so-
sage, dass das McIntosh-CAES effizienter als die mit dessen Fähigkeit, Arbeit zu leisten. In diesem
Anlage in Huntorf arbeitet. Ein direkter Vergleich Fall wird im Expansionsprozess extern zugeführte
mit den Zykluswirkungsgraden aller übrigen Spei- Wärme in Arbeit umgesetzt. Wird die Turbinenein-
chertechnologien, die in diesem Buch vorgestellt trittstemperatur erhöht, steigt die abgegebene Leis-
464 Kapitel 9 • Mechanische Energiespeicher

tung, der Wirkungsgrad bleibt hierdurch allerdings Dabei vereinfacht sich die Definition des Zyklus-
unbeeinflusst. Deutlich wird dies an der Definition wirkungsgrad zu:
des thermischen Wirkungsgrades eines Gasturbi-
nenprozesses (Joule-Prozess): E
(9.4)
η = aus ,el . zyk
( k −1) Eein , el
  p  k
ηth _ Joule = 1−  0  . (9.3)
Diese Art von CAES lässt sich nun bezüglich ihres
 pmax 
Zykluswirkungsgrades direkt mit anderen reinen
Wie aus Gl.  9.3 hervorgeht, bestimmt sowohl das Speichertechnologien wie Batterien und Pump-
Verhältnis zwischen Turbinenaustrittsdruck po speichern vergleichen. Typische Werte für den Zy-
und Turbineneintrittsdruck pmax als auch der Isen- kluswirkungsgrad adiabater CAES bewegen sich
tropenexponent κ den erreichbaren thermischen zwischen 55 und 75 %.
Wirkungsgrad. Da κ eine Stoffeigenschaft darstellt
und somit beim vorgegebenen Arbeitsmedium 9.1.1.3 Klassifizierung
Luft (κ = 1,4) als nicht veränderbar gilt, ist der er- Neben diabaten und adiabaten CAES-Prozessen
reichbare Wirkungsgrad lediglich über das Druck- gibt es noch weitere mögliche Prozesse zur energe-
verhältnis beeinflussbar. Je größer das Druckver- tischen Druckluftspeicherung. Für eine systemati-
hältnis, desto größer der erreichbare thermische sche Diskussion ihrer individuellen Eigenschaften
Wirkungsgrad: erfolgt eine Einteilung in Klassen. Anhand der zu-
55 Erhöhung des Druckverhältnisses vor getroffenen Definition der Zykluswirkungsgra-
55 Nutzung der Abgaswärme zur Vorheizung der de von CAES mit und ohne Zufeuerung lässt sich
9 Luft vor Brennkammereintritt über einen Ab- eine erste Strukturierung vornehmen:
gasrekuperator (s. McIntosh) 55 Prozesse mit externer Zufeuerung: diabat
55 vermehrte Zwischenkühlung während des 55 Prozesse ohne externe Zufeuerung: adiabat,
Verdichtungsvorganges isotherm etc.
55 Steigerung der isentropen Verdichter- und
Turbinenwirkungsgrade. Eine weitere, noch feinere Unterteilung ist anhand
der Prozesstemperatur möglich. Wie schematisch
zz Adiabate CAES in .  Abb. 9.7 dargestellt, zeigen diabate CAES mit
Anhand der Definition des Zykluswirkungsgrades ca. 500–1400 °C die höchsten Prozesstemperaturen,
(s. Gleichung 9.1) konnte gezeigt werden, dass dia- gefolgt von adiabaten CAES mit 90–700 °C und iso-
baten CAES neben dem Speicher- auch ein Kraft- thermen CAES mit 20–90 °C.
werksprozess innewohnt. Ein direkter Vergleich Darüber hinaus lässt sich Luft durch Abkühlung
der Effizienz eines solchen Prozesses mit einem rei- auf unter − 196 °C auch in flüssiger Form speichern.
nen Speicherprozess, wie er etwa in Batterien oder Solche Anlagenkonzepte werden nicht als Druck-
Pumpspeichern zu finden ist, ist also per Definition luftspeicher (CAES) bezeichnet. Stattdessen wird
nicht möglich. Zwar wurden in der Literatur Versu- die Bezeichnung Flüssigluftenergiespeicher (engl.:
che unternommen, für diabate CAES eine aussage- Liquid Air Energy Storage = LAES) verwendet. Im
kräftige und möglichst mit reinen Speichern ver- folgenden Abschnitt wird näher auf die jeweiligen
gleichbare Definition des Zykluswirkungsgrades Eigenheiten von adiabaten, isothermen CAES und
zu finden, eine direkte Vergleichbarkeit mit reinen LAES eingegangen.
Speicherprozessen wurde dabei allerdings nie er-
reicht (s. [93]). Allerdings existieren auch Druck-
luftspeicherprozesse, die reine Speicherprozesse 9.1.2 Erneuerbare, emissionsfreie
darstellen. Diese Prozesse kommen ganz ohne die Druckluftspeicherprozesse
Zuführung externer Wärme aus. Als wohl bekann-
teste Gruppe sind hier adiabate CAES zu nennen. Der Schritt vom diabaten Druckluftspeicherkraft-
werk hin zu einem reinen Speichersystem erfordert
9.1 • Gasförmige Medien
465 9
9.7
Luftenergiespeicher

Komprimierte Luft verflüssigte Luft

diabat adiabat isotherm

>1000 °C Prozesstemperatur -200 °C

. Abb. 9.7  Einteilung der Luftenergiespeicher in Abhängigkeit der Prozesstemperatur

den Verzicht auf externe Energieträger zur Vorwär- spätere Erwärmung der Druckluft gänzlich entfal-
mung der Luft vor der Expansion. Hierzu muss die len (s. . Abb. 9.8).
ohnehin anfallende Kompressionswärme gespei- Bei diesem Konzept erweisen sich einerseits die
chert und vor dem Expansionsprozess der Luft zu- hohen Temperaturen innerhalb der höheren Ver-
rückgeführt werden. Dazu gehören adiabate und dichterstufen als problematisch, andererseits muss
isotherme CAES sowie LAES. All diese Prozesse ha- auch der Druckluftspeicher (engl.: Compressed Air
ben die Gemeinsamkeit, dass sie im Gegensatz zu Storage = CAS) den vorherrschenden Temperatu-
diabaten CAES emissionsfrei funktionieren (ohne ren standhalten. Dies erweist sich gerade in Kom-
Betrachtung der Emissionen, die durch die Erzeu- bination mit entsprechenden Speicherdrücken als
gung des Speicherstroms entstehen). Zudem wer- aufwendig und herausfordernd. Das U-CAES-
den sie noch nicht großtechnisch eingesetzt und Konzept ist bisher nur Gegenstand labortechni-
sind Gegenstand von Forschung und Entwicklung scher Untersuchungen (s. [55, 61]).
bzw. werden in ersten Demonstrationsvorhaben Aufgrund der beschriebenen Herausforderun-
umgesetzt. Sie sollen in diesem Abschnitt näher gen basiert der weit überwiegende Teil der adia-
vorgestellt werden. baten Konzepte auf einer Trennung von Druck-
luft- und Wärmespeicherung. Dazu wird das Spei-
9.1.2.1 Adiabate Druckluftspeicher chermedium während des Verdichtungsprozesses
Die einfachste Möglichkeit der Nutzung von Kom- ­zwischen verschiedenen Stufen abgekühlt. Anders
pressionswärme findet sich in sogenannten unge- als bei diabaten CAES (D-CAES) wird die ther-
kühlten Druckluftspeichern (engl.: Uncooled Com- mische Energie aber nicht an die Umgebung ab-
pressed Air Energy Storage = U-CAES). In diesen gegeben, sondern in einem Wärmespeicher (engl.:
Prozessen erreicht die Luft in Abhängigkeit vom Thermal Energy Storage = TES) gespeichert und
Speicherdruck sehr hohe Temperaturen und wird später für die Vorwärmung der komprimierten Luft
im heißen Zustand gespeichert. Dadurch kann die wiederverwendet (s. . Abb. 9.9).
466 Kapitel 9 • Mechanische Energiespeicher

9.8 9.9

M Komp Exp G M Komp Exp G

Druckluftspeicher Wärmespeicher

. Abb. 9.8  Blockschaltbild eines ungekühlten Druckluft-


Druckluftspeicher
speichers

. Abb. 9.9  Blockschaltbild mit einem Wärmespeicher

zz Exkurs: In Druckluftspeichern einsetzbare


Wärmespeicher
Die wichtigste Komponente adiabater Druckluft- Die genannten Anforderungen können von ver-
speicher (engl.: Adiabatic Compressed Air Energy schiedenen Wärmespeichern erfüllt werden.
Storage = A-CAES) ist der Wärmespeicher, der in Einen Überblick der einsetzbaren Varianten gibt
seiner Funktion die fossile Zufeuerung der diaba- .  Abb. 9.10. Wie der Abbildung zu entnehmen ist,
ten Ausführung ablöst. Entsprechend groß ist der können die verfügbaren Technologien im ersten
Einfluss dieser Komponente auf die Ausspeicher- Schritt nach der Art des Kontaktes zwischen Luft
leistung und damit auch auf den Zykluswirkungs- und Wärmespeichermedium unterteilt werden.
9 grad des Speichers. Die Auswahl der eingesetzten Man unterscheidet zwischen Systemen mit direk-
Wärmespeichertechnologie ist von vielen Parame- tem und indirektem Kontakt. Direkter Kontakt ist
tern abhängig und hat ihrerseits einen großen Ein- dabei einhergehend mit einer Druckbeaufschla-
fluss auf die Auslegung aller übrigen Komponenten gung des Wärmespeichermediums, während das
im System. Darüber hinaus hat der Wärmespeicher Speichermedium bei indirekten Systemen keinem
aufgrund seines hohen Investitionskostenanteils zusätzlichen Druck ausgesetzt ist.
einen starken Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit In der zweiten Ebene wird die Unterscheidung
des Gesamtsystems. Technologieabhängig sum- hinsichtlich des Wärmespeichermediums verfei-
mieren sich die Kosten des Wärmespeichersystems nert. Es wird entsprechend der Aggregatzustände
auf bis zu 20 % der Gesamtinvestitionskosten eines zwischen gasförmigen, flüssigen und festen Medi-
A-CAES (s. [63]). Daher sollte ein technisch geeig- en unterschieden. Dabei verfügen flüssige und feste
neter und wirtschaftlich effizienter Wärmespeicher Speichermedien über eine höhere Wärmekapazität
eingesetzt werden. und erweisen sich daher als vorteilhaft.
Allgemein bestehen an Wärmespeicher für den Die aufgezeigte gasförmige Variante eines unter
Einsatz in einem adiabaten Druckluftspeicher fol- Druck befindlichen Wärmespeichers ist nur sinn-
gende technische Anforderungen: voll, wenn hierdurch andere Vorteile generiert
55 Abkühlung der Druckluft auf eine möglichst werden können. Ein Beispiel ist die komplette
geringe Austrittstemperatur während des Be- Einsparung eines eigenständigen Wärmespeichers
ladungsprozesses durch die Kombination von Wärme- und Druck-
55 Erwärmung der Druckluft auf eine möglichst luftspeicher in einer technischen Einheit (s. U-CA-
hohe Austrittstemperatur während des Ent- ES, 7 Abschn. 9.1.2.1).
ladungsprozesses Die Möglichkeit der Umsetzung für die Wär-
55 geringe Schwankung der Luftaustrittstempera- mespeicherung in direktem Kontakt mit der
tur aus dem Wärmespeicher Druckluft bietet der Einsatz eines festen Speicher-
55 geringer Druckverlust mediums. Ein solches System kann mit einem
55 geringe Standzeitverluste. Druckbehälter mit einer Schüttung aus Gestein
9.1 • Gasförmige Medien
467 9
9.10
Wärmespeicher
für A-CAES

Medium druckbeaufschlagt Medium nicht druckbeaufschlagt


direkter Kontakt indirekter Kontakt

gasförming fest fest flüssig

Druckluft- Beton- 1-Tank- 2-Tank-


Regenerator
speicher speicher System System

. Abb. 9.10  Varianten verschiedener Wärmespeicher

oder Keramikstrukturen realisiert werden. In bei- am oberen Eintritt annähernd der Lufteintrittstem-
den Fällen verbleibt ausreichend Raum zwischen peratur. Nach unten hin nimmt diese Temperatur
dem Speichermaterial, damit die Druckluft direkt dann immer weiter ab, bis das feste Material am
hindurchströmen kann (s. . Abb. 9.11). Dadurch er- unteren Austritt der Luftaustrittstemperatur ent-
gibt sich ein sehr guter Wärmeübergang zwischen spricht.
Luft und festem Speichermedium. Solche Wärme- Der Einsatz von Regeneratoren in A-CAES ist
speicher kommen als Regeneratoren in Stahlwer- Gegenstand etlicher Untersuchungen, die sich mit
ken seit Jahrzehnten zum Einsatz, wobei die Drü- der Konstruktion und der Wahl eines geeigneten
cke dieser Systeme deutlich unter den Drücken in Feststoffes beschäftigen (s. [23, 35, 48, 53, 108]).
einem Druckluftspeicher liegen. Der zweite in .  Abb. 9.10 dargestellte Techno-
In einem solchen Wärmespeicher, dem soge- logiepfad umfasst die Wärmespeichervarianten, in
nannten Regenerator, ist eine thermische Schich- denen das Speichermedium sich nicht unter Druck
tung notwendig, um die nötigen Luftaustrittstem- befindet. Die Druckluft wird dabei durch Rohrlei-
peraturen zu erreichen. Das bedeutet, dass sich tungen geführt, deren Wandungen eine physische
in einem wie in .  Abb.  9.11 dargestellten vertikal Trennung vom Wärmespeichermedium darstellen.
durchströmten Regenerator horizontale Schichten Durch den Einsatz solcher Wärmeübertragersys-
mit unterschiedlichen Temperaturen ausbilden. Ist teme verschlechtert sich der Wärmeübergang auf-
der Regenerator beispielsweise vollständig geladen, grund des thermischen Widerstandes des Rohrma-
so entspricht die Temperatur des Speichermediums terials.
468 Kapitel 9 • Mechanische Energiespeicher

9.11 wird, auf eine entsprechend ausgelegte Zu- und Ab-


Druckluft leitung geachtet werden. Eine Alternative bieten die
sogenannten Zwei-Tank-Systeme (s. . Abb. 9.12), in
denen warmes und kaltes Speichermedium in ge-
trennten Behältern gelagert werden. In diesen Sys-
temen ist keine Temperaturschichtung notwendig
und somit die Durchmischung der Flüssigkeit in-
nerhalb des Behälters unproblematisch.

zz Ausführungsformen adiabater
Schüttung
Druckluftspeicher
Im Rahmen eines EU-Projektes wurde zwischen
2003 und 2007 das Konzept eines sogenannten
»Advanced Adiabatic Compressed Air Energy Sto-
rage« (AACAES) entwickelt (s.  7  Abschn. 9.4).
Bei diesem Konzept wird die angesaugte Luft mit
einem Axialkompressor auf 2  bar verdichtet und
dann nach einmaliger Rückkühlung mit radialen
Maschinen auf den Enddruck von 62 bar gebracht
(s. . Abb. 9.13).
Dabei erhöht sich die Temperatur der Luft auf
9 ca. 620 °C. Die heiße Luft wird dann durch einen
TES geleitet, der als direkt durchströmter Regene-
Druckluft rator vorgesehen ist. Das Speichermedium bildet
dabei eine Schüttung festen Materials, weshalb der
hier geplante TES auch als Schüttbettspeicher be-
. Abb. 9.11  Vertikal durchströmter Regenerator
zeichnet wird. Während der Durchströmung gibt
die Luft einen Teil ihrer thermischen Energie ab
In dieser Kombination eignen sich in besonde- und wird im Anschluss mit einer Temperatur von
rer Weise Feststoffe, die den Wärmeübertrager um- 30–50 °C in den CAS geleitet und dort gespeichert.
manteln. Für die Verwendung in A-CAES werden Der im System vorgesehene Notkühler zwischen
speziell mit Rohren durchzogene Betonspeicher TES und CAS sorgt dafür, dass die Temperatur
entwickelt. In ähnlicher Weise können Flüssigkei- der Druckluft für die in diesem Fall vorgesehene
ten als Wärmespeichermedium eingesetzt werden, unterirdische Salzkaverne nicht zu hoch ist. Wei-
indem die Wärmeübertragerrohre entsprechend tere Informationen zur Nutzung unterirdischer
. Abb. 9.12 vertikal durch die Flüssigkeit führen. Da Kavernen und anderen Möglichkeiten zur Speiche-
flüssige Speichermedien aber in der Regel gut pump- rung der Druckluft enthält  7  Abschn.  9.1.3. Bei der
bar sind, können diese auch durch den Wärmeüber- Ausspeicherung wird die komprimierte Luft aus
trager geleitet und dann in einem externen Behälter der Kaverne entnommen und in entgegengesetzter
gespeichert werden. In jedem Fall ergibt sich in sol- Richtung erneut durch den TES geleitet. Während
chen Ein-Tank-Systemen (s. . Abb. 9.12) eine Tem- der Durchströmung heizt sich die Luft auf und
peraturschichtung vergleichbar mit der zuvor für strömt dann mit einer Temperatur von ca. 600 °C
Regeneratoren beschriebenen. Bei Flüssigkeiten be- und 55 bar Druck in den Expander. Hier erfolgt die
steht allerdings die Gefahr der Durchmischung und Expansion bis auf Umgebungsdruck ohne weitere
damit der Zerstörung der Schichtung des Speicher- Wärmezufuhr (s. . Abb. 9.14).
mediums. Aus diesem Grund muss gerade in Sys- Das beschriebene Konzept eines adiabaten
temen, in denen das flüssige Medium umgepumpt Druckluftspeichers kann Zykluswirkungsgrade
9.1 • Gasförmige Medien
469 9
9.12

. Abb. 9.12 Zwei-Tank-System

9.13

M Komp Exp G

Wärme-
Speicher

M Komp

Drukluftspeicher

. Abb. 9.13  Advanced Adiabatic Compressed Air Energy Storage

von bis zu 70 % erreichen (s. [59]). Aufgrund der benötigt, um die Anlage aus dem Stillstand auf die
hohen Temperaturen und den daraus resultieren- Nennleistung hochzufahren.
den thermischen Spannungen werden ca. 15  min
470 Kapitel 9 • Mechanische Energiespeicher

9.14 1273

1173

1073
62 bar 55 bar 21 bar 7 bar
973

873
Temperatur in K

Kompression
773
Expansion
673 2 bar 1 bar

573

473

373

273
5,0 5,5 6,0 6,5 7,0 7,5 8,0
Entropie in kJ/kgK

. Abb. 9.14 Temperatur/Entropie-Diagramm

9
Die im AA-CAES-Projekt geplante Anlage Dadurch können am Markt verfügbare Verdichter
nutzt die Vorteile der gewählten Wärmespeicher- und Wärmespeichersysteme eingesetzt werden. Bei
technologie aus. Speziell sind dies die geringen gleichem Speicherdruck ist dies nur durch häufi-
spezifischen Kosten des Schüttgutes (Kies, Ke- geres Zwischenkühlen der Druckluft möglich. Da-
ramik o. Ä.), die hohe spezifische Speicherdichte durch steigt die Anlagenkomplexität an, da nun
und der hohe Zykluswirkungsgrad. Durch die di- zwei Wärmespeicher in Serie notwendig werden.
rekte Beaufschlagung des TES entstehen aber auch Auf der anderen Seite können so marktverfügbare
hohe Anforderungen an dessen Konstruktion, da Verdichter zum Einsatz kommen. Auf den erreich-
er gleichzeitig den hohen Temperaturen und ho- baren Zykluswirkungsgrad hat die Prozesskonfigu-
hen Betriebsdrücken standhalten muss. Auch für ration kaum einen Einfluss, da der Zykluswirkungs-
die einzusetzenden Verdichter stellen die hohen grad adiabater Druckluftspeicher hauptsächlich
Temperaturen eine Herausforderung dar. Da bisher von der möglichst vollständigen Nutzung der ent-
keine Nachfrage nach solchen Verdichtern bestand, stehenden Kompressionswärme und nicht von der
sind die heute am Markt verfügbaren Maschinen absoluten Speichertemperatur abhängig ist (s. [10]).
nur bis zu Temperaturen von ca. 400 °C einsetzbar. Das Blockschaltbild eines A-CAES mit
In beiden Bereichen sind somit umfangreiche Neu- Speichertemperaturen von knapp 400 °C ist in
entwicklungen nötig. Mit dem Ziel der Errichtung .  Abb.  9.15 dargestellt (s. [102]). Man erkennt die
einer Pilotanlage stellt sich seit 2010 ein Konsor- Verwendung von zwei direkt durchströmten TES,
tium aus Industrie und Wissenschaft im Rahmen d.  h., die Kompressionswärme wird während der
des Projektes ADELE diesen Herausforderungen Kompression an zwei Stellen an ein Wärmespei-
(s. [73, 74]). chermedium übertragen.
Andere Konzepte zielen darauf ab, die erforder- In der in .  Abb. 9.15 dargestellten Anlage wird
lichen Neuentwicklungen zu umgehen, indem sie die Umgebungsluft nach der ersten Verdichter-
mit niedrigeren Speichertemperaturen arbeiten. stufe einmal zwischengekühlt und dann auf ein
9.1 • Gasförmige Medien
471 9
9.15

M Komp
Exp Exp G
Wärme- Wärme-
speicher speicher

M Komp

M Komp Druckluftspeicher

. Abb. 9.15  Zweistufige Anlage

mittleres Druckniveau komprimiert. Die Luft er- .  Abbildung  9.16 zeigt eine mögliche Anlagen-
reicht am Austritt der zweiten Verdichterstufe eine variante dieser Art. Durch die Aufteilung der Kom-
Temperatur von etwa 400 °C. Diese Austrittstem- pression auf sechs Verdichterstufen mit jeweils zwi-
peratur entspricht den Möglichkeiten heute am schengeschalteter Wärmeabgabe an ein flüssiges
Markt verfügbarer Verdichter. Nach der Abgabe Speichermedium ist die Verdichteraustrittstempe-
der Kompressionswärme an den ersten TES wird ratur im Vergleich zu ein- oder zweistufigen Anla-
die Druckluft in einer weiteren Verdichterstufe auf gen bei gleichem Speicherdruck deutlich geringer.
den letztlich benötigten Speicherdruck gebracht. Aufgrund des niedrigen Temperaturniveaus sind
Bei dieser Kompression erreicht die Luft erneut Speichermedien wie Wasser oder Thermoöl ein-
Temperaturen im Bereich von 400 °C und kann so- setzbar, die aus zahlreichen Anwendungen bekannt
mit auch den zweiten TES entsprechend beladen. sind. Zusätzlich lassen sich diese Medien in einem
Die Entladung des Speichers erfolgt in einer zwei- Zwei-Tank-Wärmespeichersystem einsetzen, da
stufigen Expansion mit zweimaliger Vorwärmung sie je nach aktuellem Prozessstatus umgepumpt
durch die beiden TES auf etwa 380 °C. Der Zyk- werden können. Der eigentliche Wärmeübergang
luswirkungsgrad verringert sich in einem solchen von der Druckluft an das Speichermedium kann in
Anlagenlayout nur unwesentlich gegenüber einer diesen Fällen z. B. in einfachen Rohrbündelwärme-
Variante mit nur einem TES und dadurch deut- übertragern erfolgen. Auch der Entladeprozess ist
lich höheren Speichertemperaturen. Auch die An- mehrstufig ausgeführt, damit die Druckluft mehr-
fahrgeschwindigkeit bleibt aufgrund der nach wie fach auf die niedrige Speichertemperatur vorge-
vor hohen thermischen Spannungen unverändert wärmt werden kann (s. [21]).
(s. [102]). Das beschriebene Konzept erreicht mit einem
Mit dem Ziel, sowohl bei Verdichtern, bei Ex- Zykluswirkungsgrad von ca. 56 % nicht die Werte
pandern als auch bei TES auf heute verfügbare der zuvor beschriebenen Varianten. Dafür ist die
Standardkomponenten zurückgreifen zu können, beschriebene Anlage in der Lage, innerhalb von
werden auch Anlagenlayouts mit noch geringeren fünf Minuten zu starten und kann dadurch andere
Speichertemperaturen untersucht (s. [10, 11]). Im Vermarktungsebenen adressieren. Eine ausgelegte
Temperaturbereich zwischen 80 °C und 200 °C sind Anlage dieser Art zeigt . Abb. 9.17 (s. [21]).
hierzu vielstufige Wärmespeichersysteme nötig.
472 Kapitel 9 • Mechanische Energiespeicher

9.16

M Komp Komp Komp Komp Komp Komp

Wärmespeicher
Kaltes Fluid

Wärmespeicher
Warmes Fluid

G Exp Exp Exp Exp Drukluftspeicher

. Abb. 9.16  Mögliche Anlagenvariante mit sechs Verdichterstufen

9
9.17 Speichers strömt die Druckluft in Gegenrichtung
durch dieses Rohr zurück und wird dann im eben-
falls auf der rechten Bildseite zu erkennenden vier-
stufigen Radialgetriebeexpander auf Umgebungs-
druck entspannt (s. . Abb. 9.16).

9.1.2.2 Isotherme Druckluftspeicher


Im Gegensatz zu A-CAES-Konzepten, welche ver-
suchen die entstehende Kompressionswärme zu
speichern und bei der Expansion zu nutzen, zielen
isotherme Konzepte darauf ab, die Temperatur-
. Abb. 9.17  Anlage ohne Speichereinheit änderung während der Druckänderungsphasen
zu begrenzen. Der Idealfall dieses Ansatzes ist die
Kompression ohne Temperaturerhöhung bzw. die
Zu erkennen ist die Vielzahl der Wärmeüber- Expansion ohne Temperaturabfall – kurz eine ther-
trager, die die entstehende Kompressionswärme modynamisch isotherme Zustandsänderung. Der
nach jeder einzelnen Verdichterstufe entnehmen Vorteil dieser Zustandsänderung ist, dass die in den
und vor jeder Expanderstufe wieder an die Druck- Verdichter geleitete Energie in vollem Umfang für
luft abgeben. Die Luft wird in der Darstellung auf die Druckänderung der Luft zur Verfügung steht.
der linken Seite aus der Umgebung angesaugt und Es entsteht somit im Idealfall kein Verlust durch die
in dieser Anlage mit einem achtstufigen Radialge- Erwärmung des Mediums. Daher ist die isotherme
triebekompressor auf den Speicherdruck verdich- Verdichtung nicht nur im Zusammenhang mit der
tet. Das hier nicht abgebildete Speichervolumen Speicherung elektrischer Energie von Interesse. In
wird auf der rechten Seite an das abgehende Hoch- fast allen großtechnischen Verdichtungsprozessen
druckrohr angeschlossen. Bei der Entladung des wird versucht, sich der isothermen Zustandsände-
9.1 • Gasförmige Medien
473 9
rung durch häufiges Zwischenkühlen des kompri- pneumatische Maschine erreicht (s. .  Abb.  9.18).
mierten Gases anzunähern. Im Grunde zielen auch Gleichzeitig nimmt die Flüssigkeitssäule einen Teil
die adiabaten CAES-Konzepte mit niedrigen Spei- der entstehenden Kompressionswärme auf. Dieser
chertemperaturen hierauf ab. Allerdings entstehen Wärmeübergang funktioniert wegen des direkten
bei jeder Zwischenkühlung zusätzliche Tempera- Kontaktes von Luft und Flüssigkeit sehr gut.
tur- und Druckverluste in den benötigten Wärme- Auf diesem Konzept aufbauend ist das Ziel
übertragern. weiterer Untersuchungen und Entwicklungen die
Bei der Entwicklung isothermer Druckluft- Verbesserung des Wärmeübergangs, z.  B. durch
speicher (engl.: Isothermal Compressed Air Energy zusätzliche Einbauten in den Kolbenraum üblicher
Storage = I-CAES) wird daher versucht, die isother- Kolbenmaschinen (s. [33, 90]).
me Zustandsänderung ohne diese Zusatzverluste Einschränkende Größe der genannten Bemü-
direkt im Verdichter bzw. Expander selbst zu er- hungen ist stets die zur Verfügung stehende Wär-
reichen. Da hierzu die Wärmeabfuhr aus bzw. die meübertragungsfläche. Da der Kolbenraum ein be-
Wärmezufuhr an die Luft im Gleichgewicht mit der grenztes Volumen darstellt, steht dementsprechend
entstehenden Kompressionswärme stehen muss, ist wenig Raum für zusätzliche Einbauten bereit. Im
die Geschwindigkeit der Zustandsänderung von Fall einer Flüssigkeitssäule begrenzt der Durch-
entscheidender Bedeutung. Nur bei entsprechend messer des Kolbenraumes die zur Wärmeübertra-
langsam ablaufender Zustandsänderung können gung verfügbare Oberfläche der Flüssigkeit.
hierfür ausreichende Wärmeströme generiert wer- Diese Beschränkungen zu überwinden ist Ziel
den. Neben der Geschwindigkeit sind eine Verbes- aktueller Entwicklungen. Zur Vergrößerung der
serung der Wärmeübergänge und eine Verminde- für den Wärmeübergang zur Verfügung stehenden
rung der entstehenden Kompressionswärme mög- Oberfläche wird bei diesen Konzepten Wasser in
liche Wege zur Annäherung an einen isothermen den Kolbenraum eingesprüht. Dabei entstehen sehr
Prozess. kleine Wassertropfen, deren Oberfläche im Ver-
Aufgrund der dargelegten Geschwindigkeits- hältnis zu ihrem Volumen sehr groß ist. Dadurch
abhängigkeit werden für isotherme Druckluftspei- wird die Wärmeübertragung von der Luft an das
cher vornehmlich Kolbenmaschinen eingesetzt, da Wasser deutlich verbessert. Gleichzeitig erhöht sich
diese auch bei langsamem Lauf gute Wirkungsgra- die Wärmekapazität der Luft durch die Zugabe des
de erreichen. Durch langsamen Lauf und maximale Wassers, wodurch die Temperaturänderung zusätz-
Baugröße der Kolbenmaschinen ist der förderbare lich gemindert wird. Druckluft und Wasser werden
Volumenstrom begrenzt. Somit ist auch die mög- nach einer solchen Verdichtung je nach Konzept
liche Leistung auf etwa 2 MW je Einzeleinheit be- entweder getrennt oder gemeinsam gespeichert.
schränkt. Deshalb arbeiten viele aktuelle Konzepte Zur Erzielung eines ähnlichen Effektes bei der Ex-
mit dieser Modulgröße. Größere Anlagenleistun- pansion wird das Wasser erneut im Kolbenraum
gen können durch die Verschaltung mehrerer Mo- versprüht (s. [90, 92]).
dule erreicht werden (s. [90]).
Umfangreiche Untersuchungen isothermer 9.1.2.3 Flüssigluftenergiespeicher
Druckluftspeicher wurden z. B. im Jahr 2006 durch- Das Konzept eines Flüssigluftenergiespeichers
geführt (s. [57]). Diese zielen vor allem darauf ab, (engl.: Liquid Air Energy Storage = LAES) basiert
die entstehende Kompressionswärme aufzunehmen auf dem bekannten Linde-Verfahren zur Verflüs-
bzw. bei der Expansion wieder an die Druckluft zu sigung von Luft. Übertragen auf die Aufgabe der
übertragen. Dazu werden Maschinen eingesetzt, Speicherung elektrischer Energie wird dieser in
welche nach dem Prinzip einer Kolbenmaschine der Industrie weit verbreitete Prozess genutzt, um
arbeiten, die Luft jedoch anstelle des Hubkolbens während der Luftverflüssigung elektrische Energie
mit einer Flüssigkeitssäule (z.  B. Öl) verdichten zum Betrieb der Verdichter aus dem Netz aufzu-
bzw. entspannen. Die eigentliche Energiewandlung nehmen. Der Strom wird somit, wie bei allen bis-
geschieht dann in einer hydraulischen Maschi- her beschriebenen CAES-Prozessen auch, zuerst in
ne, welche einen höheren Wirkungsgrad als eine die potenzielle Energie der verdichteten Luft um-
474 Kapitel 9 • Mechanische Energiespeicher

9.18

Luft Luft

Druck-
luft-
speicher

Öl Öl

9
Pumpe/
M/G Motor

. Abb. 9.18  Anlage mit dem Prinzip einer Kolbenmaschine

gewandelt. Die angesaugte Umgebungsluft wird in speichervarianten. Im Gegensatz zu den meisten


mehreren Schritten auf 70 bar verdichtet und dabei großtechnisch einsetzbaren CAESAnlagen entfällt
mehrfach zwischengekühlt (s. . Abb. 9.19). so die örtliche Bindung aufgrund des Bedarfs an ge-
Die kalte, komprimierte Luft wird dann aber vor eigneten Druckluftspeichervolumen wie z. B. Salz-
der Einleitung in das Speichervolumen entspannt. kavernen (s. 7 Abschn. 9.1.3). Zur späteren Rückge-
Durch die Expansion wird die Luft im Gegenstrom- winnung der elektrischen Energie wird die Luft auf
prinzip so weit abgekühlt, dass sie in den flüssigen Umgebungstemperatur erwärmt und so wieder in
Zustand übergeht. Anschließend kann die Luft den gasförmigen Zustand gebracht. Der dabei auf-
dann im flüssigen Zustand und somit mit hoher gebaute Druck von etwa 40 bar kann dann in meh-
Energiedichte in isolierten Tanks bei Umgebungs- reren Expansionsstufen ausgenutzt werden. Durch
druck gelagert werden. Die Energiedichte flüssiger das sehr niedrige Temperaturniveau (ca. 10 °C) der
Luft ist etwa zehn- bis zwanzigmal so hoch wie die verdampften Luft bei der Entspannung ist auch die
Energiedichte der bereits vorgestellten Druckluft- Einbindung nicht oder nur schwer nutzbarer Ab-
9.1 • Gasförmige Medien
475 9
9.19 523

473
3 bar
423
13 bar
40 bar
373
Kompression
Temperatur in T K

323
Expansion
22 bar 6 bar
273

223
19 bar 5 bar
173

123

73

23
2,5 3,0 3,5 4,0 4,5 5,0 5,5 6,0 6,5 7,0
Entropies in kJ/kgk

. Abb. 9.19 Temperatur/Entropie-Diagramm

wärme mit niedrigen Temperaturen (< 90 °C) mög- Be- und Entladung der Druck des gespeicherten
lich. Hierdurch kann der ansonsten eher niedrige Gases kontinuierlich.
Zykluswirkungsgrad deutlich angehoben werden. Als anschauliches Beispiel eines isochoren
Das T, s-Diagramm in . Abb. 9.19 zeigt einen Pro- Speichervolumens dient jede handelsübliche Gas-
zess ohne äußere Wärmezufuhr. Dieser erreicht flasche. Diese hat ein definiertes Volumen und
einen Zykluswirkungsgrad von etwa 30 %. Die An- einen maximal zulässigen Flaschendruck. Wird
fahrzeit entsprechender Anlagen wird mit unter die Gasflasche geöffnet, entweicht das unter Druck
zehn Minuten angegeben (s. [91]). befindliche Gas und der Flaschendruck sinkt mit
der Zeit ab. Damit das Gas, z. B. in einem Schweiß-
brenner, genutzt werden kann, ist ein konstanter
9.1.3 Druckluftspeichervolumen Druck nötig. Dieser liegt üblicherweise weit unter-
halb des Speicherdruckes der Gasflasche. Die ho-
Wesentlicher Bestandteil sowohl der Druckluft- hen Flaschendrücke dienen also hauptsächlich
speicherkraftwerke als auch aller Druckluftspeicher dazu, das enthaltene Gas platzsparend zu lagern.
ist das Speichervolumen zur Aufnahme der Druck- Daher werden die meisten Gasflaschen für den Be-
luft. Dieses bestimmt in erster Linie die Speicher- trieb mit einem Druckminderer versehen. Dieser
kapazität des Druckluftsystems, hat aber auch auf reduziert den jeweils anliegenden Flaschendruck
die Auslegung aller anderen Systemkomponenten auf den benötigten konstanten Betriebsdruck.
einen nennenswerten Einfluss. Es werden zwei Ar- Auf gleiche Weise werden die isochoren Speicher-
ten von Speichervolumen unterschieden: volumen der im Betrieb befindlichen Druckluft-
speicherkraftwerke in Huntorf und McIntosh be-
zz Isochore Speichervolumen trieben. Beide Anlagen arbeiten mit einem Spei-
Isochore Druckluftspeicher sind dadurch gekenn- cherdruck, welcher je nach Ladezustand zwischen
zeichnet, dass sie ein konstantes Volumen aufwei- 45 und 75  bar variiert. Vor der Expansion inner-
sen (s. .  Abb.  9.20). Dadurch ändert sich bei der halb der Gasturbine wird dieser Druck aber bei
476 Kapitel 9 • Mechanische Energiespeicher

9.20 9.21

Flüssigkeit

Druckluft

Druckluft
Flüssigkeit

. Abb. 9.21  Hydraulischer Ausgleichsprozess mit einer


Flüssigkeit

. Abb. 9.20  Isochorer Druckluftspeicher draulischem Ausgleich mit einer Flüssigkeit steht.
Wird Druckluft in den Behälter gepresst, so ver-
drängt diese die Flüssigkeit, mit der sie in direktem
der Entladung des Druckluftspeichers auf einen Kontakt steht. Die Flüssigkeit selbst muss in einen
konstanten Turbineneintrittsdruck von 41 bar ge- anderen Behälter ausweichen. Bei entsprechendem
drosselt. Der Grund hierfür ist die maximal zuläs- Höhenunterschied kann dieser Ausgleichsbehäl-
sige Druckbelastung der Brennkammer. Systeme ter unter Umgebungsdruck betrieben werden. Die
ohne Brennkammer sind dieser Begrenzung nicht anstehende Flüssigkeitssäule bestimmt dabei den
unterworfen und arbeiten daher sowohl auf der Druck im Druckluftspeicher (s. . Abb. 9.21).
Verdichter- als auch auf der Expanderseite mit ver-
änderlichem Druck. zz Ausführungsformen
Sowohl isochore als auch isobare Speichervolu-
zz Isobare Speichervolumen men sind ober- oder unterirdisch realisierbar. Eine
Isobare Druckluftspeicher kennzeichnet ein über oberirdische Variante kann mit Behältern oder
den gesamten Be- und Entladeprozess hinweg Rohren aus Stahl oder Verbundwerkstoffen um-
konstant bleibender Druck. Dies kann erreicht gesetzt werden. Auch Kugelbehälter aus anderen
werden, indem die gespeicherte Druckluft in hy- Materialien wie z. B. Beton sind denkbar. Die we-
9.1 • Gasförmige Medien
477 9
sentlichen positiven und negativen Eigenschaften Eine Salzkaverne mit Solependelbecken zur
oberirdischer Speichervolumen sind: Schaffung eines isobaren Speichervolumens wur-
55 weitgehend ortsunabhängig umsetzbar de im Rahmen der Planungen eines Druckluft-
55 Realisierung hoher Druckunterschiede speicherkraftwerkes in den USA vorgesehen, aber
55 hohe spezifische Investitionskosten ebenso wie das Kraftwerk selbst letztlich nicht um-
55 hoher Flächenbedarf, auch bei moderaten gesetzt (s. [68]). Auch einige aktuelle Konzepte se-
Speichergrößen hen solche isobaren Speicher vor (s. [66]).
55 Notwendigkeit regelmäßiger Druck- und Die Nutzung anderer geologischer Formatio-
Sicherheitsprüfungen. nen ohne Salzgestein wurde bisher nur getestet,
aber nicht umgesetzt. Möglichkeiten würden aus-
Für die Umsetzung unterirdischer Speichervolu- geförderte Erdöl- oder Erdgasfelder bieten. Hierbei
men existiert eine große Bandbreite an möglichen handelt es sich in der Regel um poröse Gesteins-
Varianten. Grundsätzlich ist jeder unterirdische schichten, welche mit gasdichten Schichten über-
Hohlraum nutzbar, sofern er dem benötigten deckt sind. Entsprechende Tests wurden bereits in
Druck standhält und gasdicht ist bzw. gemacht wer- den frühen 1980er Jahren vor allem in den USA
den kann. Infrage kommen u.  a. ausgesolte Salz- durchgeführt (s. [5, 101]). Hier zeigte sich, dass zur
kavernen, bergmännisch geschaffene Schächte und Erreichung von in Salzkavernen üblichen Volu-
Stollen oder auch ausgeförderte Gasfelder. Die all menströmen wesentlich mehr Bohrungen durch-
diesen Varianten gemeinsamen positiven und ne- zuführen sind. Dies führt im Vergleich zu Salzka-
gativen Eigenschaften sind: vernen zu höheren Erschließungskosten.
55 geringer oberirdischer Flächenbedarf Darüber hinaus ist die Wahl geeigneter Stand-
55 geringe spezifische Investitionskosten orte weiterhin mit hohen Risiken verbunden. In
55 abhängig von geeigneten geologischen For- den USA wurde auf Basis umfangreicher geolo-
mationen gischer Untersuchungen und Modellanalysen die
55 geologisch begrenzte nutzbare Druckunter- Dallas Center Iowa Aquiferstruktur für den Bau
schiede. eines Druckluftspeicherkraftwerkes ausgewählt
(s. [56]). Das Projekt musste dann aber aufgrund
Die Druckluftspeicherkraftwerke in Huntorf und der Testergebnisse der ersten Bohrungen eingestellt
McIntosh verfügen über ausgesolte Salzkavernen werden, da die geplanten Volumenströme nicht
als isochore Speichervolumen (s. [69, 75]). Der gro- realisiert werden konnten (s. [82]).
ße Vorteil von Salzkavernen ist, dass diese bereits In Japan liegt der Fokus bei den unterirdischen
seit Jahrzehnten für die saisonale Erdgas- und stra- Speichervolumen auf der Nutzung bergmännisch
tegische Erdölspeicherung eingesetzt werden. Die geschaffener Stollen und Schächte, da es an geolo-
Erstellung entsprechender Kavernen ist daher viel- gischen Salzformationen mangelt. Die Herausfor-
fach erprobt und kann heute als Stand der Technik derung bei der Nutzung solcher Hohlräume ist die
angesehen werden. Hinzu kommt, Salzgestein kann Gewährleistung ihrer Dichtigkeit. In einem ehe-
für die meisten Gase als technisch dicht angesehen maligen Zinkbergwerk in Kamioka wurde in einer
werden, d.  h. dass es in technisch üblichen Zeit- Tiefe von 1.000 m ein Volumen von 200 m³ durch
räumen nicht zu nennenswerten Druckverlusten einen Verschluss aus Beton abgetrennt (s. [92]).
kommt. Allerdings weisen Salzkavernen aufgrund Da keine weiteren Maßnahmen zur Abdichtung
der Stabilität des umgebenden Salzgesteins eine unternommen wurden, konnte dieses Volumen
von ihrer Teufe abhängige maximal zulässige Be- nicht luftdicht abgeschlossen werden. An anderer
triebstemperatur auf, was einen Nachteil bedeutet. Stelle in Japan konnte aber z. B. ein Volumen von
Außerdem ist ein ebenfalls tiefenabhängiger Min- 1.600  m³ durch eine innere Gummierung erfolg-
destdruck aufrechtzuerhalten, damit die geschaffe- reich abgedichtet und mit bis zu 80  bar beauf-
ne Kaverne nicht durch den äußeren Gesteinsdruck schlagt werden (s. [92]).
zusammengedrückt wird (s. [34]). Auch in Europa wird die Nutzung ehemaliger
Bergwerke zur Speicherung von Druckluft unter-
478 Kapitel 9 • Mechanische Energiespeicher

sucht. In Deutschland ist das Potenzial solcher geschätzt (s. [6]). Dies entspricht je nach Anlagen-
Anlagen aber aufgrund der mangelnden Dichtig- typ einer Speicherkapazität von 600–900 GWh.
keit äußerst beschränkt (s.[18]). Aktuelle Arbeiten Die mit tiefen Bohrungen zusammenhängen-
in der Schweiz beschäftigen sich mit der Nutzung den hohen Kosten erweisen sich auch bei der Er-
nicht mehr genutzter Tunnelabschnitte (s. [2]). schließung von Aquiferspeichern als nachteilig.
Eine vielversprechende Möglichkeit isobare Zwar entstehen bei diesen Speichern keine Kosten
Volumen zu errichten bieten Speicher, die unter für die Schaffung des eigentlichen unterirdischen
Wasser installiert werden. Hier werden derzeit zum Speichervolumens, doch sind wesentlich mehr
einen am Meeresgrund installierte Strukturen ent- Bohrungen notwendig, um zu gesolten Salzkaver-
wickelt, in denen die Druckluft in direktem Kon- nen vergleichbare Ein- und Ausspeicherleistungen
takt mit dem umgebenden Wasser steht. Zum an- zu erreichen. Aquiferspeicher eignen sich daher vor
deren werden am Meeresgrund verankerte flexible allem für sehr hohe Speicherkapazitäten bei gleich-
Behälter und Ballone entwickelt. In diesen ist die zeitig moderaten Ein- und Ausspeicherleistungen.
Druckluft durch eine dünne Behälterhülle stofflich Andere unterirdische Hohlräume, die zumeist
vom umgebenden Wasser getrennt (s. [67]). Beide noch aufwendig zur Gasdichtigkeit ausgebaut wer-
Systemvarianten bieten den Vorteil, dass das um- den müssen, eignen sich eher für mittlere Spei-
gebende Wasser, in Abhängigkeit von der Meeres- chervolumen (bis 150.000  m³). Gleiches gilt für
tiefe, einen konstanten Druck erzeugt. die unter Wasser befindlichen Speichervolumen
und oberirdische Röhrenspeicher, wie sie auch zur
zz Speicherkapazität Speicherung von Erdgas häufig eingesetzt werden.
Alle beschriebenen Speichertypen können aus Einzeln errichtete zylindrische Druckbehälter
9 technischer Sicht in nahezu beliebiger Größe er- erreichen Volumen von 200 m³ und Drücke bis zu
richtet werden. Es ergeben sich jedoch entspre- knapp 200  bar. Noch kleinere Volumen sind mit
chend den unterschiedlichen Investitionskosten einzelnen Gasflaschen oder Gasflaschenbündeln zu
jeweils vorteilhafte Einsatzbereiche. Zu beachten erreichen (bis zu 0,15 m³ und 300 bar je Flasche).
ist, dass die Speicherkapazität eines Druckluft-
speichers sowohl vom geometrischen Volumen als Fazit
auch vom anliegenden Speicherdruck abhängig ist. 55 Netzgekoppelte elektrische Speicher können
Im Folgenden werden die unterschiedlichen Spei- allgemein eine große Bandbreite an Aufgaben
chertypen im Wesentlichen anhand ihres geomet- übernehmen. Allerdings eignen sich nicht alle
rischen Volumens charakterisiert, da der zulässige Technologien gleichermaßen für die unter-
Speicherdruck von einer Vielzahl von Randbe- schiedlichen Aufgaben. Es zeigt sich, dass
dingungen abhängig ist. Als Anhaltswert können Luftenergiespeicher für einige Aufgaben grund-
Speicherdichten zwischen 1,8 und 9  kWh/m³ an- sätzlich nicht infrage kommen. Dies sind im
genommen werden. Wesentlichen Aufgaben mit der Voraussetzung
Ausgesolte Salzkavernen weisen ab einem geo- sehr schneller Reaktionszeiten. Beispiele hier-
metrischen Volumen von mehr als 150.000 m³ sehr für sind die Kompensation von Flickern oder
geringe spezifische Investitionskosten auf. Der Spannungsschwankungen im Netz oder die
Grund hierfür sind die geringen Kosten für die unterbrechungsfreie Stromversorgung (USV).
Vergrößerung der Kaverne, sobald die Solung in Im Folgenden sollen die in diesem Abschnitt
Betrieb ist. Ist die Salzkaverne kleiner, fallen die vorgestellten Luftenergiespeicher ihren ent-
sehr hohen Startinvestitionskosten für die erfor- sprechenden Anwendungsgebieten zugeord-
derlichen Bohrungen deutlich ins Gewicht und die net werden.
spezifischen Investitionskosten steigen stark an. Je Anwendungsbereiche nach Art der eingesetzten
nach Tiefe der Kaverne sind maximale Drücke bis Verdichter- und Expandertechnologie
zu 200 bar möglich. Das CAES-Ausbaupotenzial in 55 Die derzeit existierenden und diskutierten
Deutschland unter Nutzung von Salzkavernen wird Druckluftspeicherkraftwerke erfordern auf-
auf ein geometrisches Volumen von 200  Mio.  m³
9.2 • Flüssige Medien
479 9
grund der Verwendung üblicher Gasturbinen nen Speichervolumentypen wurden bereits
eine gewisse Mindestleistung und sind daher in in 7 Abschn. 9.1.3 diskutiert. Allgemein ergeben
erster Linie eine Technologie für den mit Gas- sich für große Speichervolumen eher Anwen-
turbinenkraftwerken vergleichbaren Einsatz. dungen zur Verschiebung großer Energiemen-
Sie eignen sich bei entsprechenden Speicher- gen zum Lastausgleich an zentraler Stelle im
volumen zur zeitlichen Verschiebung großer Netz. Üblicherweise sind solche Volumen (z. B.
Energiemengen und können darüber hinaus Salzkavernen) ohnehin ortsgebunden. Mittlere
Netzdienstleistungen wie Minutenreserven Volumen eignen sich aufgrund der örtlichen
bereitstellen. Auch Blindleistungskompensation Flexibilität auch für Aufgaben der dezentralen
und Schwarzstartfähigkeit können auf Netzebe- Netzstützung oder zur Erzeugungs- und Ver-
ne bereitgestellt werden. brauchsoptimierung. Sehr kleine Volumen in
55 Die gleichen Anwendungsfelder werden von der Größenordnung von Gasflaschenbündeln
den bekannten A-CAES-Konzepten adressiert. agieren mit ihrer Speicherkapazität auf End-
Anlagen mit hohen Speichertemperaturen kundenebene und adressieren eher den Bereich
weisen aufgrund der vergleichbaren Turbo- der Eigenverbrauchsoptimierung oder autarken
maschinen mit D-CAES fast identische Anfahr- Stromversorgung.
eigenschaften auf. Die A-CAES Ansätze mit
niedrigen Speichertemperaturen zielen mit
ihrer schnelleren Startfähigkeit zusätzlich auf 9.2 Flüssige Medien
den Sekundärregelleistungsmarkt (erforderliche
Reaktionszeit < 5 min) ab (s. [21]). Ein ähnliches 9.2.1 Pumpspeicherwerke
Anfahrverhalten weisen auch die vorgestellten
LAES-Konzepte auf. Wasserkraft zählt zu den ältesten Energiequellen.
55 Kleinere ACAES eignen sich auch zur Kompen- In China wurde bereits im 3. Jahrhundert v.  Chr.
sation von Erzeugungs- und Verbrauchsspitzen Wasserkraft genutzt, um mechanische Arbeitsgerä-
oder zur Absicherung von Inselnetzen. Da die te zu betreiben (s. [92]). In Deutschland kam die
meisten Konzepte Turbomaschinen verwenden, Technologie, Energie mithilfe von Pumpspeichern
erfordern ACAES üblicherweise Mindestleistun- zu speichern, bereits Anfang des 20. Jahrhunderts
gen im Megawattbereich. Somit eignen sie sich zum Einsatz (s. [62]).
eher für den Einsatz bei größeren fluktuieren- Im Folgenden wird das Thema Pumpspei-
den Erzeugern (z. B. Windparks) oder bei Groß- cher- und Speicherkraftwerk thematisiert. Diese
verbrauchern (z. B. Industrieanlagen) (s. [17]). Kraftwerkstypen besitzen heute mit Abstand das
55 In diesen Einsatzbereichen ist der Übergang zu größte Speicher- und Leistungsvermögen: Keine
I-CAES-Anlagen fließend. Durch den Einsatz von anderen Speichertechnologien erreichen annä-
Kolbenmaschinen sind I-CAES-Anlagen aber in hernd solche Werte. Zudem stellen sie eine lang
der Lage, auch in kleineren Leistungsbereichen erprobte Technik mit viel Erfahrung dar, die bis
(< 1 MW) mit guten Wirkungsgraden zu agieren. heute z.  B. durch neue Maschinenkomponenten
Sie sind als Mini-CAES auch als Speicher für weiterentwickelt wird. Damit leisten sie einen ent-
einzelne Haushalte denkbar. scheidenden Beitrag, die Energieversorgung auf
Anwendungsbereiche nach Art der verwendeten erneuerbare Energiequellen umzustellen (s. [12,
Speichervolumen 62]).
55 Ebenso wie für die unterschiedlichen Maschi-
nentypen gibt es auch bei den verwendeten zz Pumpspeicherwerke
Speichervolumen ideale Betriebsbereiche. Die Pumpspeicherwerke (oder auch Pumpspeicher-
technisch und wirtschaftlich bevorzugt um- kraftwerke bzw. Pumpspeicher) bestehen aus
zusetzenden Speicherkapazitäten der einzel- einem Ober- und einem Unterbecken, die meist
480 Kapitel 9 • Mechanische Energiespeicher

künstlich angelegt sind. Das Oberbecken ist ein pen (s. [105]). In Abhängigkeit des Speichervolu-
separates Becken ohne bzw. ohne nennenswerten mens und des Zulaufs werden Speicherkraftwerke
natürlichen Zulauf. Dagegen kann das Unterbe- in Tages-, Wochen-, Saison- und Jahresspeicher
cken in ein Fließgewässer münden oder ebenfalls eingeteilt (s. [16]). Wegen der durchschnittlich ge-
ein abgeschlossenes Becken darstellen. Zu den ringeren Fallhöhen kommen auch die Kaplan- und
Hauptaufgaben von Pumpspeicherwerken gehört, Propellerturbinen zum Einsatz. Je nach Fallhöhe
elektrische Energie in Schwachlastzeiten zu spei- und Turbinentyp zählen Speicherkraftwerke zu
chern und in Spitzenlastzeiten zu erzeugen. Zudem Hochdruck- oder Mitteldruckanlagen. Die Grenze
dienen sie der Frequenzhaltung und zur Blindleis- zwischen Hoch- und Mitteldruckanlagen ist jedoch
tungskompensation, dem sogenannten Phasen- fließend (s. [105]). Neben der Stromerzeugung die-
schieberbetrieb. Ohne natürlichen Wasserzufluss nen Speicherkraftwerke zur Wasserversorgung
sind Pumpspeicherwerke reine Energiespeicher von Städten, Landwirtschaft und Industrie und ge-
(Stromspeicher) und zählen nicht zu den erneuer- währleisten durch Wasserstandsregulierungen die
baren Energiequellen (s. [76]). Schifffahrt ebenso wie den Schutz gegen Hochwas-
Wird Energie im Netz benötigt, beispielsweise ser. Das Stauwehr filtert mithilfe der Rechenanlage
zur Spitzenlastabdeckung, erzeugt der Generator zudem Abfälle und Treibgut und schützt Fische vor
im Maschinenhaus Elektrizität und wird mithilfe dem Eindringen in die Turbinen (s. [92]).
des Transformators in das öffentliche Netz einge- Ein Speicherwasserkraftwerk zählt zu den er-
speist. Der Generator wird von der vom Wasser neuerbaren Energiequellen. Gleichzeitig stellt es
durchströmten Turbine angetrieben. Das Was- einen Primärenergiespeicher dar.
serschloss dient zum Ausgleich von schnellen
9 Druckänderungen beim Starten bzw. Stoppen der 9.2.1.1 Grundlagen
Stromerzeugung. In Schwachlastzeiten wird über- Die bei Wasserkraftwerken zur Erzeugung von
schüssige Energie aus dem Netz dazu verwendet, Elektrizität genutzte Energie ist die potenzielle
das Wasser aus dem Unterbecken ins Oberbecken Energie, auch Lageenergie genannt. Sie beschreibt
zu pumpen. Das Oberbecken ist in der Regel so die Energie auf einem höheren in Bezug zu einem
ausgelegt, dass es mindestens einen drei- bis fünf- niedrigeren Niveau (s. . Abb. 9.22) und [62]).
stündigen Volllastbetrieb decken kann. Bei grö- Das Oberbecken liegt oberhalb des Unterbe-
ßeren Speicherbecken reicht das Wasserreservoir ckens, welches dadurch eine größere potenzielle
auch für eine Wochenendversorgung. Zum Einsatz Energie besitzt. Diese Energie wird auch Arbeits-
kommen Francis- oder Peltonturbinen, da Pump- vermögen genannt. Es berechnet sich aus dem
speicher zu den Hochdruckanlagen zählen und Speicherinhalt V, der Dichte des Wassers, der Gra-
Fallhöhen weit über 50  m vorkommen. Die Wahl vitation, der effektiven Fallhöhe ∆h und dem Ge-
der Turbine ist abhängig von der geforderten Leis- samtwirkungsgrad ηges .
tung, der Fallhöhe und dem Durchfluss (s. [62]).
E = V ⋅ ρ ⋅ g ⋅ ∆h ⋅ ηges ,
(9.5)
zz Speicherkraftwerke
Speicherkraftwerke nutzen ebenfalls die potenziel- Mit
le Energie eines Höhenunterschieds. Das Oberbe- E     potenzielle Energie
cken entsteht durch das Aufstauen eines Flusses V      Volumen
mithilfe eines Stauwehrs. Somit besitzt das Ober-  m
g     Erdbeschleunigung  g = 9,81 
 s2 
becken einen natürlichen Zufluss. Im Normalfall
reicht der Zulauf zur Deckung des Speicherbedarfs  kg 
ρ      Dichte des Wassers  ρ ≈ 1.000 3 
im Oberbecken aus, andernfalls besteht auch die  m 
Möglichkeit, wie beim Pumpspeicherwerk, das ∆h      effektive Fallhöhe
Wasser aus dem Unterbecken nach oben zu pum- ηges     Gesamtwirkungsgrad
9.2 • Flüssige Medien
481 9
9.22
Wasserschloss
Oberbecken

h1

Motor /
Generator Transformator
∆h

h2 Unterbecken

h0
Pumpe / Turbine

. Abb. 9.22  Beziehung Oberbecken/Unterbecken

Daraus ergibt sich die Leistung, wobei Q dem Ab- 9.2.1.2 Kennwerte
fluss entspricht: Wichtige Kennwerte von Pump- und Speicher-
kraftwerken sind:
P = E = V ⋅ ρ ⋅ g ⋅ ∆h ⋅ ηges = Q ⋅ ρ ⋅ g ⋅ ∆h ⋅ ηges ,
(9.6) 55 Wirkungsgrad
55 Verluste
Mit 55 Energiedichte
P      Leistung 55 Leistungsdichte
E        zeitliche Ableitung der potenziellen Energie 55 Volllaststunden.
V       zeitliche Ableitung des Volumens
Q       Abfluss/Durchfluss Der Wirkungsgrad ist das Verhältnis der abgege-
benen elektrischen Energie bzw. der elektrischen
Der Abfluss, auch Durchfluss genannt, ist das Was- Leistung zur zugeführten elektrischen Energie bzw.
servolumen, das in einer bestimmten Zeiteinheit elektrischen Leistung. Die Verluste und der damit
durch die Druckrohrleitung strömt. resultierende Gesamtwirkungsgrad lassen sich
Die effektive Fallhöhe ist in .  Abb. 9.22 einge- am Beispiel des Pumpspeicherwerks anhand der
tragen und errechnet sich aus dem Mittelwert der . Abb. 9.23 verdeutlichen.
Höhe des Speicherseebodens und der Wasserober- Die zugeführte elektrische Energie ist stets grö-
fläche, subtrahiert von der Höhe des Unterbeckens. ßer als die zurückgewonnene elektrische Energie.
Der Wert ist proportional zum Arbeitsvermögen Im Pump- und Turbinenbetrieb entstehen Verluste
und zur Leistung, im Transformator, im Generator bzw. Motor, in der
Turbine bzw. Pumpe sowie in den Rohrleitungen.
(9.7)
h +h Daraus ergibt sich der Gesamtwirkungsgrad für
∆h = 1 2 − h0 ,
2 den Generator- und Pumpenbetrieb durch Multi-
Mit plikation der Teilwirkungsgrade:
h0      Höhe Unterbecken
h1        Höhe Speicherbeckenoberfläche ηges = ηR ⋅ ηT , P ⋅ ηG , M ⋅ ηTrans ,
(9.8)
h2      Höhe Speicherbeckenboden
482 Kapitel 9 • Mechanische Energiespeicher

9.23 zugeführte elek-


trische Arbeit

100 %

Transformator
99,5 % - 99 %

Motor
98,5 % - 96 %

90,5 % - 86 %
Pumpe

90 % - 85 %
Rohrleitung

Gespeicherte
potentielle
Energie

9
Rohrleitung
89,5 % - 84 %

Turbine
85,5 % - 74 %
Generator

84,5 % - 71 %
Transformator

84,5 % - 70 %

zurückgewonnene
elektrische Arbeit

. Abb. 9.23 Verluste/Wirkungsgrad

Mit Heute werden Gesamtwirkungsgrade von Pump-


ηR     Rohrleitungswirkungsgrad speicherwerken von bis zu 83 % erreicht (s. [62]).
ηT, P       Turbinen-/Pumpenwirkungsgrad Die Energiedichte, also das Verhältnis der
ηG, M       Generator-/Motorwirkungsgrad potenziellen Energie zum Volumen des gepumpten
ηTrans      Transformatorwirkungsgrad Wassers, berechnet sich wie folgt:

m ⋅ g ⋅ ∆h
(9.9)
w= = ρ ⋅ g ⋅ ∆h,
V
9.2 • Flüssige Medien
483 9
Mit Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit gewährleistet
w       Energiedichte werden (s. [84]).
m     Masse Praktische Anwendungsbeispiele zu Pump-
speicherwerken in Deutschland und weltweit sind
Durch das extrem große Volumen hat die Energie- in 7 Abschn. 13.1.2 aufgeführt.
dichte einen sehr geringen Wert, der mit Energie-
dichten von Kondensatoren vergleichbar ist. 9.2.1.3 Kosten
Die Leistungsdichte ist das Verhältnis der elek- Die Baukosten für Wasserkraftanlagen schwanken
trischen Leistung zum Volumen. Bei Wasserturbi- extrem und sind nicht nur von der Größe der Spei-
nen werden, bedingt durch die größere Dichte des cherbecken und Maschinenkomponenten abhän-
Wassers, wesentlich höhere Leistungsdichten als gig, sondern variieren je nach Land, Standort und
bei Gas- oder Dampfturbinen erzielt (s. [105]). ob es sich um Neu- oder Modernisierungsbauten
handelt. Somit sind allgemeine Aussagen schwer
zz Lebensdauer zu treffen. Bei einem Neubau einer Großanlage
Die Lebensdauer von Pump- und Speicherkraft- mit einer Leistung von 20  MW in Spanien lagen
werken ist grundsätzlich sehr hoch. Es müssen die spezifischen Investitionskosten bei 440  €/kW.
jedoch regelmäßige Wartungen und Reparaturen Dies wird jedoch als Sonderfall angesehen. Die
vorgenommen werden. Die Maschinenkomponen- Baukosten für Kleinkraftwerke (500 kW – 10 MW)
ten werden durch die großen Wassermassen dyna- reichen in Deutschland und in der Schweiz von
misch, mechanisch und thermisch beansprucht. 1000  €/kW bei Modernisierung, 1500 bei Revita-
Das Speicherbecken und die Staumauer sind der lisierung bis hin zu 4000–5000 €/kW bei Neubau.
Witterung ausgesetzt, wodurch Dichtungssysteme Modernisierung und Revitalisierung sind somit im
stark belastet werden. Hinzu kommen Wasserspie- Vergleich zum Neubau relativ kostengünstige Maß-
gelschwankungen und Temperaturänderungen. nahmen zur Steigerung des Ertrags und Leistungs-
Das Wasser übt eine enorme Kraft auf die Beton- vermögens von bestehenden älteren Anlagen. Bei
wände aus. Durch Wasserverlust im Oberbecken Großanlagen verringern sich die Baukosten. Bei-
infolge von Undichtigkeiten entstehen Verluste spielsweise betrugen die Gesamtkosten des Pump-
der potenziellen Energie und Wirkungsgradein- speicherwerks Goldisthal weniger als 600  €/kW
bußen bis zu 10 %. Wasserverdunstung und Ver- (s. [16]).
sickerung können jedoch vernachlässigt werden Die Baukosten für ein Pumpspeicherkraftwerk
(s. [62]). können bis zu 30 % gesenkt werden, wenn eine
Die Lebensdauer des Pumpspeicherwerks Gol- leistungsstarke Francis-Turbine verwendet wird,
disthal ist z. B. auf 80 bis 100 Jahre ausgelegt. Jähr- die sowohl als Turbine als auch als Pumpe arbeitet
lich werden ein bis zwei Wochen für Wartungen (s. [62]).
und Reparaturen angesetzt. Alle fünf bzw. 15 Jahre
erfolgen längere Revisionen von zwei bis drei bzw. Fazit
sechs Monaten (s. [16]). 55 Die Technologie der Pump- und Speicherkraft-
Ein weiteres Beispiel für die hohe Lebensdau- werke ist die am meisten erprobte und verbrei-
er von Pump- und Speicherkraftwerken ist das tete Form der großtechnischen Energiespeiche-
Kraftwerk Vianden. Erst nach über 40 Jahren im rung und hat demnach eine hohe Bedeutung
Betrieb lassen sich Alterungs- und Verschleiß- sowohl bei der Speicherung von Elektrizität
erscheinungen nachweisen. Diesen kann jedoch (Pumpspeicherkraftwerk) als auch bei der Pri-
durch umfangreiche Instandhaltungsmaßnahmen märenergiespeicherung (Speicherkraftwerk).
entgegengewirkt werden. Alle zwei bis drei Jahre Überschüssige Energie, vorzugsweise aus er-
werden Kurzrevisionen (zwei bis drei Wochen) und neuerbaren Energiequellen, kann in Schwach-
alle zehn bis 15 Jahre Generalrevisionen (Dauer ca. lastzeiten gespeichert und in Spitzenzeiten
26  Wochen) durchgeführt. Damit soll eine hohe rückverstromt werden.
484 Kapitel 9 • Mechanische Energiespeicher

9.24 9.25

. Abb. 9.25  Offshore-Ringwallspeicher für tiefe Gewässer

. Abb. 9.24  Ringwallspeicher – idealisierte Bauweise [70]

dingungen für Pumpspeicher verfügen – also z. B.


55 Nicht nur die Speicherung und Erzeugung von in flachen und windreichen Regionen.
Energie sprechen für diese Technologie, son- Verschiedene Bauweisen eines Ringwallspei-
dern auch die Nebeneffekte, wozu die gute und chers sind denkbar. In .  Abb. 9.24 ist die am ein-
schnelle Regelbarkeit, die Wasserversorgung fachsten zu verwirklichende Form eines Ringwall-
von Städten und Industrie und der Hochwasser- speichers dargestellt. Die Erdmassen, welche für
schutz zählen. Zudem erreichen sie einen ho- die Aushebung des Unterbeckens bewegt werden
hen Wirkungsgrad von bis zu 83 % und weisen müssen, werden dabei als Wall zur Abgrenzung des
eine hohe Lebensdauer auf. Oberbeckens genutzt. Die runde Form sorgt für ge-
55 Es muss jedoch auch auf einige Nachteile hin- ringstmögliches Erdbauvolumen und kurze Trans-
gewiesen werden. Der Bau von Speicherbecken portwege. Die Idee zum Bau von Ringwallspei-
und das Aufstauen eines Flusses erfordern chern wurde von Matthias Popp entwickelt. Eine
einen starken Eingriff in die Natur. Den Planun- Umsetzung fand diese Idee bislang nicht. Sämtliche
9 gen und Bauten stehen oft Kritik und Protest hier wiedergegebenen Abschätzungen stammen
von Umweltschützern und Bürgerinitiativen aus dessen Quellen.
entgegen. Deshalb muss ein großes Augenmerk Auch Offshore-Varianten von Ringwallspei-
auf den Schutz von Flora und Fauna gelegt chern sind vorstellbar. Bei Gewässern mit großer
werden (s. [14]). Obwohl in Deutschland das Tiefe wird das Prinzip umgekehrt, das Innenbe-
Potenzial an Wasserkraftanlagen weitestgehend cken als Unterbecken und das Meer als Oberbecken
erschöpft ist und nicht mehr maßgeblich ge- genutzt. In Regionen mit hoher Verdunstung leert
steigert werden kann, können europaweite sich das Unterbecken teilweise. .  Abbildung  9.25
Ressourcen wie z. B. in Norwegen, Schweden zeigt einen solchen Offshore-Ringwallspeicher im
und in den Alpenregionen genutzt werden, um Schnitt (s. [70]).
Energie aus benachbarten Staaten zu speichern. Bei Gewässern mit geringer Tiefe kann ein er-
Dies erfordert jedoch einen großen Ausbau des höhtes Oberbecken abgegrenzt werden. Das Meer
Netzverbundes (s. [92]). fungiert dann als Unterbecken. .  Abbildung  9.26
zeigt einen solchen Offshore-Ringwallspeicher. Ein
großer Vorteil der Offshore-Bauweise ist der gerin-
9.2.2 Innovative Konzepte zur ge Flächenverbrauch, da nur ein Becken mit einem
Speicherung potenzieller Wall abgegrenzt werden müsste. Des Weiteren ist
Energie in flüssigen Medien genügend Wasser vorhanden, und im Falle eines
Auslaufens würden keine genutzten Landflächen
9.2.2.1 Ringwallspeicher überflutet werden.
Ein Ringwallspeicher ist ein Pumpspeicherwerk, Eine weitere Möglichkeit ist die Nutzung und
bei welchem der Höhenunterschied zwischen Vergrößerung natürlicher oder bereits künstlich
Ober- und Unterbecken künstlich geschaffen wird. geschaffener Höhenunterschiede, beispielsweise
Der Vorteil künstlich geschaffener Pumpspeicher stillgelegte Tagebaue oder Standorte, welche für
ist die Möglichkeit der Errichtung in Regionen, die konventionelle Pumpspeicher zu geringe Höhen-
über keine notwendigen geologischen Rahmenbe- unterschiede aufweisen. .  Abbildung  9.27 zeigt die
9.2 • Flüssige Medien
485 9
9.26 Das austauschbare Wasservolumen VA ergibt sich
bei einer idealisierten kreisrunden Bauweise des
Walls aus

VA = π ⋅ hPegel
3
(
⋅ rWall oben 2 + rWall oben ⋅ rWall unten + rWall unten 2 ) (9.11)
. Abb. 9.26  Offshore-Ringwallspeicher für flache Ge-
wässer [70] und entspricht der Volumenberechnung eines Ke-
gelstumpfes.
Die Radien rWall oben und rWall unten sind abhän-
Nutzung vorhandener Höhenunterschiede sowie gig vom Böschungswinkel α Boschung
 , der Pegel-
eine von kreisförmig gestalteten Speichern abwei- schwankung im Oberbecken hPegel , der Freibord-
chende Form (s. [70]). höhe hFreibord und der Kronenbreite bKrone des Walls
in . Abb. 9.28 und ergeben sich aus:
zz Funktionsweise
Das Funktionsprinzip eines Ringwallspeichers d − bKrone
(9.12)
r = Wall −bWall oben Wall oben
ist dasselbe wie das eines konventionellen Pump- 2
speicherwerks. Strom wird bei Überangebot ge-
speichert, indem Wasser vom Unterbecken mittels und
einer Pumpe ins Oberbecken gepumpt wird. Bei
erhöhter Stromnachfrage wird das Wasser vom d − bKrone
(9.13)
r = Wall −b ,
Wall unten Wall unten
Oberbecken in das Unterbecken durch eine Turbi- 2
ne mit angeschlossenem Generator geleitet und die
erzeugte elektrische Energie mittels eines Transfor- wobei sich bwall oben und bwall unten über die Winkel-
mators ins Netz eingespeist. funktionen eines rechtwinkligen Dreiecks berech-
nen lassen (s. . Abb. 9.29),
zz Wirkungsgrad
Der erreichbare Wirkungsgrad eines Ringwallspei- (9.14)h hFreibord
tan α = Freibord → b =
tan α Böschung
Wall oben
chers unterscheidet sich im Wesentlichen nicht von bWall oben
konventionellen Pumpspeicherwerken.

tan α =
(h Freibord + hPegel )→b
zz Speicherkapazität und Energiedichte Wall unten
bWall unten
Die Speicherkapazität ergibt sich aus der Masse
des Wassers, die im Oberbecken gespeichert wer-
=
(h Freibord + hPegel ). (9.15)
den kann, der Höhendifferenz zwischen Ober- und tan α Böschung
Unterbecken und der Pegelschwankung im Ober-
und Unterbecken (s. [103]). Mit der Gravitation auf
der Erdoberfläche g = 9,81 m/s 2 und der Dichte Zusammen ergeben sich die Radien aus:
von Wasser ρW = 1.000kg/m3 ergibt sich die gespei-
cherte potenzielle Energie des Wassers im Ober- (9.16) d −b hFreibord
rWall oben = Wall Krone −
becken bei einer mittleren Fallhöhe hFRWS und dem 2 tan(α Böschung )
austauschbaren Wasservolumen VA zu
und dWall − bKrone (hFreibord + hPegel )
ERWS = g ⋅ ρW ⋅ hFRWS ⋅ VA .
(9.10) rWall unten = − .
2 tan(α Boschung )
(9.17) 
486 Kapitel 9 • Mechanische Energiespeicher

9.27 Gelände auf


erhöhtem Niveau
abgedichtetes
Oberbecken

Gelände neben Fluss


auf niedrigem Niveau

Ringwall

Unterbecken, mit dessen Aushub


der Ringwall errichtet wird

9 Gewässer unter Umgebungsniveau


zur Befüllung der Anlage

. Abb. 9.27  Ringwallspeicher – alternative Form [71]

9.28 bKrone
rWall oben hFreibord

hPegel
rWall unten
hWall VA

α Böschung

dWall

. Abb. 9.28  Schnittansicht eines Ringwalls zur Abtrennung eines innenliegenden Oberbeckens

. Tabelle 9.2 zeigt die Energiedichte, das austausch- an, wie viel Energie pro Kubikmeter Wasser ge-
bare Wasservolumen und die Speicherkapazität speichert ist, und liegt je nach Wallhöhe auf dem
in Abhängigkeit von mittlerer Fallhöhe, Pegel- Niveau von konventionellen Pumpspeicherwerken.
schwankung und Walldurchmesser. Wird der Ringwallspeicher wie in .  Abb.  9.24
Die Speicherkapazität wird zum einen als Brut- dargestellt gebaut, ergeben sich geometrische Be-
tokapazität und zum anderen unter Berücksichti- ziehungen, welche die Kapazität enorm ansteigen
gung der Verluste durch die Rückverstromung als lassen. So vervierfacht sich bei Verdopplung des
Nettokapazität dargestellt. Die Energiedichte gibt Durchmessers die Wasseroberfläche. Bei gleich-
9.2 • Flüssige Medien
487 9
9.29 d Wall / 2

bKrone / 2

hFreibord

bWall oben

hPegel

α rWall unten

. Abb. 9.29  Berechnung der Radien

. Tab. 9.2  Brutto/Nettokapazität, Energiedichte sowie austauschbares Volumen für verschieden große Speicher-
ausführungen mit Verdopplung der Abmessungen für Fallhöhe, Pegel und Durchmesser

Mittlere Fallhöhe [m] 100 200 400 800

Pegelschwankung [m] 25 50 100 200

Walldurchmesser [km] 2 4 8 16

Böschungswinkel [°] 32

Freibordhöhe [m] 2

Austauschbares Volumen [km3] 0,08 0,62 4,93 39,44

Energiedichte [kWh/m3] 0,27 0,55 1,09 2,18

Bruttokapazität [GWh] 20,94 335,49 5.371,88 85.982,86

Nettokapazität ηRü = 90 % [GWh] 18,84 301,94 4.834,69 77.384,57

zeitiger Verdopplung der mittleren Fallhöhe ergibt durchmesser verdoppelt, folgt daraus eine Veracht-
sich eine verdoppelte Energiedichte (s. .  Tab. 9.2). fachung der Speicherkapazität (s. [103]).
Die Verdopplung der Pegeldifferenzen im Ober- Die Daten eines Ringwallspeichers mit einem
und Unterbecken führt zu einem verdoppelten aus- Aufbau entsprechend .  Abb.  9.24, welcher über
tauschbaren Wasservolumen. Im Gesamten führt 30  Tage mit einer Durchschnittsleistung von
eine Verdopplung aller Abmessungen zu einer 10  GW entladen werden kann, sind in .  Tab.  9.3
Steigerung der Speicherkapazität um das 16-Fa- dargestellt(s. [70]).
che. Gleichzeitig steigt das nötige Erdbauvolumen .  Abbildung  9.30 zeigt die Kapazität verschie-
zur Errichtung des Walls lediglich um das Acht- dener Anlagengrößen mit ähnlichem Bauaufwand
fache, was zu einer Verringerung des spezifischen bei Nutzung natürlicher Höhenunterschiede bis
Erdbauvolumens führt. Wird lediglich der Außen- hin zu Offshore-Bauweisen. Ist die Nutzung natür-
488 Kapitel 9 • Mechanische Energiespeicher

. Tab. 9.3  Beispiel eines Ringwallspeichers mit einem Aufbau nach . Abb. 9.42, welcher über 30 Tage eine Durch-
schnittsleistung von 10 GW abgeben kann (s. [70])

Oberbecken Unterbecken Gesamtsystem

Höhe ü. Umgebung 440 m Innendurchmesser 11,0 km Austauschvolumen 7,00 km3

Durchmesser 9,6 km Außendurchmesser 22,2 km Flächenbedarf 400 km2

Wasserfläche 73,0 km2 Wasserfläche 290,0 km2 Wasserfüllung 37,00 km3

Böschungswinkel 32° Pegelschwankung 25,0 m Speicherkapazität 7,0 TWh

Pegelschwankung 100 m Wassertiefe 34,5 m

Wallvolumen 9,54 km3

9.30 160 Erdbau 2.3 bis 2.4 m3 /KWh


mittlere Fallhöhe ca. 200 m
140
50 GWh Speicherdichte 4.5 bis 6.5 KWh/m2
120
Natürlicher Höhenunterschied in m

100 9 GWh
80 220 GWh
Gebirge
60
9 40
120 GWh 530 GWh
26
20 360 GWh
140
0 Flachland 1000 GWh
1600 GWh
350
-20 740 GWh
650 Offshore
-40
Durchschnittsleistung in MW bei 1100 2200
-60 14 Tagen Speicherreichweite 1600 1280 GWh
-80 4700
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Ringwalldurchmesser in km

. Abb. 9.30  Auswirkungen von vorhandenen Höhenunterschieden auf die Speicherkapazität eines Ringwallspeichers bei
ähnlichem Bauaufwand [104]

licher Höhenunterschiede möglich, sind ggf. auch zz Erdbauvolumen


Speicher mit kleinen Radien wirtschaftlich reali- Das Unterbecken ist so dimensioniert, dass die
sierbar. Je geringer dieser wird, desto größer muss Menge des ausgehobenen Erdreichs für die Er-
der Durchmesser werden, um die spezifischen stellung des Walls für das Oberbecken ausreicht
Kennwerte zu erreichen. Alle markierten Speicher- (s. [70]). Die Menge bewegten Erdreichs zum Bau
größen führen bei einer mittleren Fallhöhe von ca. eines Walls entsprechend . Tab. 9.3 ist im Tagebau
200 m zu einem spezifischen Erdbauvolumen von durchaus üblich. Der größte deutsche 1978 in Be-
2,3–2,4 m³/kWh, einer spezifischen Speicherkapa- trieb genommene Tagebau Hambach baut jährlich
zität von 4,5–6,5 kWh/m2 und geschätzten spezifi- ca. 0,3 km3 ab. Über die gesamte Betriebsdauer bis
schen Baukosten von ca. 5000 €/kW bzw. ca. 15 €/ zur geplanten Stilllegung im Jahr 2040 werden dort
kWh (s. [104]). ca. 18,6 km3 abgebaut worden sein (s. [79]).
9.2 • Flüssige Medien
489 9

. Tab. 9.4  Erdbauvolumen für verschiedene . Tab. 9.5  Flächenbedarf in Abhängigkeit des
Wallgrößen Außendurchmessers des Unterbeckens

Wallhöhe [m] 200 400 800 1600 Außendurch- 10 15 20 25


messer [km]
Walldurch- 2 4 8 16
messer [km] Flächenbedarf 78,54 176,71 314,16 490,87
[km2]
Kronenbreite 15
[m]

Böschungs- 32 zz Flächenbedarf
winkel [°] Der Flächenbedarf hängt von der Bauweise des
Wallvolumen 0,399 3,117 24,636 195,879 Speichers ab. So benötigt ein Ringwallspeicher mit
[km3] der Bauweise entsprechend .  Abb.  9.24 und den
Wallhöhe [m] 200 400 800 1600 Abmessungen aus .  Tab.  9.3 eine zusammenhän-
gende Gesamtfläche von ca. 400 km2. Im dicht be-
Walldurchmesser [km]
siedelten Deutschland ist eine solche Fläche schwer
zu finden. Daher kann zur Vermeidung von Umsie-
Das Erdbauvolumen VWall hängt von der Höhe delungen und zur Erleichterung der Standortsuche
hWall , dem Böschungswinkel α Boschung
 , der Kronen- von der Form abgewichen und der Speicher in die
breite bKrone und dem Durchmesser dWall des Walls natürlichen Gegebenheiten des Standorts integriert
ab und ergibt sich aus werden. Hiermit sind dann größer werdende Erd-
bauvolumina verbunden (s. [72]). Bei Tagebauen ist
  hWall  dies nicht möglich. Das Areal deutscher Tagebaue
VWall = hWall ⋅  bKrone + ⋅ π ⋅ dWall .
 tan(α Böschung )  (aktiv oder bereits stillgelegt) erstreckt sich über
mehr als 1000 km2 (s. [70]). . Tabelle 9.5 zeigt den
(9.18) Flächenbedarf für kreisrunde Ringwallspeicher mit
verschiedenen Durchmessern,
Bei Nutzung von natürlichen oder bereits vorhan-
π
denen Höhenunterschieden lässt sich das notwen- AGesamtRWS = ⋅ d Außen 2 .
(9.20)
dige Volumen verringern (s. [103]). .  Tabelle  9.4 4
zeigt das Wallvolumen und die zuvor diskutierte
Verachtfachung des Wallvolumens bei gleichzeiti- Die Speicherkapazität pro Quadratmeter nimmt
ger Vergrößerung der Kapazität um das 16-Fache mit größer werdenden Abmessungen zu und ergibt
bei Verdopplung der Abmessungen. sich aus der gespeicherten Energie ERWS und der
Ein Vergleich des spezifischen Erdbauvolumens Gesamtfläche des Speichers AGes. RWS
pro gespeicherte Kilowattstunde v(Erdb.RWS) erlaubt
E
den Vergleich eines Ringwalls mit konventionellen e RWS =
(9.21) RWS
.
Pumpspeichern: A Ges.RWS

V
ν Erdb. RWS = Wall .
(9.19) So verfügt das Beispiel aus . Tab. 9.3 über eine spe-
ERWS zifische Speicherkapazität von e RWS = 17, 5kWh / m 2.
Das Pumpspeicherwerk Goldisthal hat zum Ver-
Für das Beispiel aus . Tab. 9.3 ergibt sich ein spezifi- gleich eine spezifische Speicherkapazität von
sches Erdbauvolumen von ν Erdb. RWS = 1,36 m3 / kWh. eGoldisthal = 15, 5kWh / m 2 (s. [21]). Anders verhält
Zum Vergleich weist das Pumpspeicherwerk es sich bei Offshore-Anlagen. Der Platzbedarf ver-
Goldisthal ein spezifisches Erdbauvolumen von ringert sich signifikant, da lediglich der Wall für das
ν Erdb. Goldisthal = 0,72 m3/kWh auf (s. [95]). Oberbecken aufgeschüttet werden muss.
490 Kapitel 9 • Mechanische Energiespeicher

zz Wasserbedarf . Tab. 9.6  Investitionskosten und spezifische


Der Wasserbedarf eines Ringwallspeichers ergibt Kosten für das Beispiel aus . Tab. 9.4
sich aus dem Volumen des Oberbeckens VOberbecken , Kapazität [GWh] 7
der Füllung des Unterbeckens VUnterbecken sowie dem
austauschbaren Wasservolumen VA . Kosten [Mio. €] 40.341

Der Wasserbedarf des Beispiels aus .  Tab.  9.3 Spez. Kosten pro kWh [€/kWh] 6,04
liegt bei 37 km2. Zum Vergleich: Der Bodensee hat Spez. Kosten pro kW [€/kW] 4.034
ein Wasservolumen von 48 km2 (s. [52]). Zur Erst-
befüllung ist ein Standort nahe einer großen Was-
serquelle notwendig, beispielsweise in der Nähe Kilowatt Leistung beträgt ca. 4000  €/kW. Ver-
eines Flusses, welchem bei Hochwasser Wasser ent- gleichsweise hat ein Neubau eines Pumpspei-
nommen werden kann (s. [103]). Das Füllen eines cherwerks in Deutschland spezifische Kosten von
solch riesigen Volumens dürfte mehrere Jahre dau- 4000–5000  €/kW (s. [16]). Je nach Größe und
ern. Bei Offshore-Anlagen stellt der Wasserbedarf Bauweise des Ringwallspeichers variieren die
kein Problem dar. Kosten extrem (s. . Tab. 9.6).

zz Bau, Kosten und Wirtschaftlichkeit zz Ringwallspeicher Hybridkraftwerk


Der Bau eines Ringwallspeichers erfordert kei- Zur erneuerbaren Stromerzeugung bietet sich die
ne unbekannten Techniken. Die Aushebung des Nutzung der Flächen eines Ringwallspeichers an.
Unterbeckens erfolgt mit aus dem Tagebau be- So sind die zum Sonnenverlauf ausgerichteten Flä-
kannten Schaufelradbaggern. Der Abtransport des chen des Walls für die Nutzung von Photovoltaik-
9 Abraums erfolgt über Förderbänder und wird über Anlagen prädestiniert, und an windreichen Stand-
sogenannte Absetzer zu einem Wall aufgeschüttet. orten ist die Installation von Windkraftanlagen auf
Dieser wird von innen abgedichtet (s. [72]). dem Wall und um das Unterbecken herum denk-
Bereits realisierte Projekte zeigen, dass eine Um- bar. . Abbildung 9.31 zeigt einen solchen Ringwall-
setzung eines Ringwallspeichers mit den Dimen- speicher als Hybridkraftwerk mit den Abmessun-
sionen aus . Tab. 9.9 durchaus machbar erscheint. gen aus . Tab. 9.7 als Illustration.
So hat beispielsweise der Nurek-Staudamm in Tad- Darüber hinaus ist eine touristische Nutzung
schikistan eine Talsperre mit einer Höhe von 300 m. der Wasserflächen und des Höhenunterschiedes
In Argentinien wird mit 224 km einer der längsten des Walls möglich. Auch die Pegelschwankungen
Staudämme gebaut. Der Kariba-Stausee in Afrika im Unterbecken von 20 m stellen kein Problem dar.
weist ein angestautes Wasservolumen von 180 km³ Zum einen ändert sich der Pegel nur sehr langsam,
auf. Mit der in Deutschland vorhandenen Erfahrung zum anderen zeigt z. B. der Edersee in Hessen bei Pe-
im Tagebau zeigt sich, dass die technische Machbar- gelschwankungen bis zu 30 m, dass eine touristische
keit bereits bei ähnlichen Vorhaben erwiesen ist. Nutzung unabhängig der Pegelschwankung möglich
Die Kosten des Speichers aus .  Tab.  9.3 be- ist. Ermöglicht wird dies durch schwimmende Inseln
laufen sich überschlägig bei Berechnung mittels und Verbindungsstege zum Festland (s. [72, 104]).
eines Berechnungstools von M. Popp auf ca. In den .  Abb.  9.32, 9.33 und 9.34 sind Off-
40  Mrd.  € (s. [104]). Berücksichtigt wurden da- shore-Speicher mit abgesenktem Innenbecken
bei Kosten für den Grunderwerb, den Aufbau der dargestellt. Die Abbildungen zeigen eine vielfälti-
Infrastruktur, die Aushebung der Becken und den ge Gestaltung in Form und Größe des Walls zur
Bau des Walls, die Abdichtung des Oberbeckens, Abgrenzung des Innenbeckens. Bei Aufschüttung
die Wasserfüllung sowie Kosten für die Pump- größerer Landflächen ist eine Nutzung für Wohn-
speichertechnik, Überwachungssysteme und die siedlungen oder Industriegebiete vorstellbar.
Netzanbindung. Bei einer Speicherkapazität von Auf der Wasserfläche des Innenbeckens könnten
7  TWh ergeben sich daraus spezifische Kosten schwimmende Photovoltaik-Anlagen oder wie in
pro gespeicherter Kilowattstunde von ca. 6  €/ .  Abb. 9.33 schwimmende solarthermische Kraft-
kWh. Die spezifischen Kosten pro installiertem werke errichtet werden.
9.2 • Flüssige Medien
491 9
9.31

. Abb. 9.31  Illustration eines Ringwallspeicher-Hybridkraftwerks [104]

. Tab. 9.7  Daten eines Ringwallspeicher-Hybridkraftwerks mit 2000 auf dem Wall und der Region installierten
Windkraftanlagen sowie Photovoltaik auf dem Wall und den Dächern der Region (s. [72])

Oberbecken Unterbecken Gesamtsystem

Höhe ü. Umgebung 215 m Innendurchmesser 6,7 km Austauschvolumen 1,39 km3

Durchmesser 6,0 km Außendurchmesser 11,4 km Flächenbedarf 100 km2

Wasserfläche 29,0 km2 Wasserfläche 66,8 km2 Speicherkapazität 0,7 TWh

Böschungswinkel 32° Pegelschwankung 20,0 m Durchschnittsleistung 2,0 GW

Pegelschwankung 50 m Spitzenleistung 3,2 GW

Wallvolumen 1,46 km3

9.32 9.33

. Abb. 9.32 Offshore-Ringwallspeicher-Hybridkraftwerk . Abb. 9.33 Offshore-Ringwallspeicher-Hybridkraftwerk


mit Windkraftanlagen und Photovoltaik sowie Nutzung der mit Windkraftanlagen und solarthermischen Kraftwerken so-
gewonnenen Landfläche für Wohnungen [36] wie Nutzung der gewonnenen Landfläche für Wohnungen [36]
492 Kapitel 9 • Mechanische Energiespeicher

9.34 9.35

. Abb. 9.34 Offshore-Ringwallspeicher-Hybridkraftwerk
mit Windkraftanlagen sowie Nutzung der gewonnenen . Abb. 9.35  Geplanter Ringwallspeicher vor der Küste
Landfläche für die Industrie [36] Belgiens [107]

Eine erste Umsetzung des Konzepts könnte in zz Wirkungsgrad


Belgien mit einer Offshore-Variante mit innenlie- Der Wirkungsgrad eines Kugelpumpspeichers liegt
gendem Unterbecken erfolgen. Die Idee ist, dass bei ca. 80–85 % (s. [7, 49]). Wirkungsgradeinbußen
das Meer als Oberbecken genutzt wird und ein entstehen durch die Verluste des Transformators
Wall mit einem Durchmesser von 3,5 km in einer ηTr , des Motors bzw. des Generators ηM , G sowie
Hufeisenform (s. . Abb. 9.35) das Unterbecken ab- der Pumpe bzw. der Turbine ηP , T . Durch die direk-
grenzt (s. [107]). te Platzierung der Hohlkugel im Meer ergeben sich
im Gegensatz zu konventionellen Pumpspeichern
9.2.2.2 Kugelpumpspeicher keine Rohrleitungsverluste. Auch Verluste durch
Das Funktionsprinzip der Energiespeicherung Selbstentladung sind auszuschließen.
im Kugelpumpspeicher ist dem konventioneller
9 Pumpspeicherwerke ähnlich. Eine Hohlkugel aus zz Speicherkapazität, Energiedichte und
Beton wird auf dem Meeresboden in großer Tiefe Wirtschaftlichkeit
befestigt. Deren Volumen dient als Unterbecken. Die Speicherkapazität einer solchen Hohlkugel auf
Das Meer fungiert als Oberbecken. Bei Stromüber- dem Meeresgrund ist von der Installationstiefe und
schuss wird Wasser aus der Hohlkugel pumpt. Wird vom Volumen der Kugel abhängig. Mit der Gra-
Strom benötigt, strömt das unter Druck stehende vitation g = 9, 81m / s 2 und der Dichte von Was-
Wasser in die Hohlkugel zurück und treibt dabei ser ρW = 1.000kg/m3 ergibt sich die gespeicherte
eine Turbine an. Hier kommt eine Pumpturbine potenzielle Energie EKPS des Wassers im Kugel-
zum Einsatz. Als einzige Verbindung zum Spei- pumpspeicher bei einer Tiefe TKugel und dem aus-
cher dient zur Übertragung des Stroms ein Kabel. tauschbaren Wasservolumen VKugel zu
.  A
­ bbildung  9.36 zeigt das Funktionsprinzip des
Kugelpumpspeichers (s. [7]). EKPS = g ⋅ ρW ⋅ TKugel ⋅ VKugel .
(9.22)
Im StEnSea-Projekt wird erstmalig ein solcher
Energiespeicher entwickelt. StEnSea steht für »Sto- Zu beachten ist, dass die Hohlkugel nur bis nahe
red Energy in Sea«, bedeutet so viel wie »Energie- ans Vakuum entleert wird, dies führt zu einer Ver-
speicherung im Meer« und ist ein Gemeinschafts- ringerung der Speicherkapazität. Das Volumen der
projekt mit Beteiligung des Fraunhofer-Instituts Hohlkugel ist abhängig vom Innendurchmesser
für Windenergie und Energiesystemtechnik und d Kugel und ergibt sich aus
der Hochtief AG (s. [7, 49]).
1
Der Vorteil dieses Konzepts ist die Ausnutzung VKugel = ⋅ π ⋅ d Kugel3 .
(9.23)
des Druckunterschiedes zwischen der Wasser- 6
oberfläche und dem Grund des Gewässers, ohne
Notwendigkeit baulicher Maßnahmen wie die Der Druck p Kugel ist abhängig von der Tiefe der
Konstruktion von Ober- und Unterbecken auf den Hohlkugel, der Dichte des Wassers und der Gravi-
unterschiedlichen Höhen. .  Abbildung  9.37 stellt tation und ergibt sich zu
den Speicher im geladenen und im entladenen Zu-
stand dar. p Kugel = g ⋅ ρW ⋅ TKugel .
(9.24)
9.2 • Flüssige Medien
493 9
9.36 Umspannwerk

2000 m

Beton- Stromkabel
hohlkugel

. Abb. 9.36  Funktionsprinzip eines Unterwasserpumpspeichers [30]

9.37 ca. 8,5 GWh. Diese ist mit der Speicherkapazität des


Pumpspeicherwerk Goldisthal identisch (s. [76]).

zz Bau, Anwendung und Standorte


Der Bau einer Betonhohlkugel mit einem Durch-
messer von über 20 m kann aufgrund des Gewichts
von mehreren tausend Tonnen nicht an Land
durchgeführt werden und muss im Wasser erfol-
gen (s. [7]). Des Weiteren muss die Hohlkugel äu-
ßerst stabil gebaut werden, da in großen Tiefen ein
großer Druck herrscht. Auch der Wassereinlass zur
Pumpturbine muss frei von Fremdkörpern wie z. B.
Muscheln gehalten werden (s. [30]).
. Abb. 9.37  Füllung des Speichers bei geladenem und Eine einzelne Hohlkugel weist eine geringe
entladenem Zustand [49]
Speicherkapazität auf. Daher ist zum Erreichen
einer hohen Speicherkapazität die Errichtung von
. Tabelle 9.8 zeigt die Energiedichte, den Druck, das mehreren hundert Hohlkugeln und Anordnung zu
Volumen und die Speicherkapazität der Hohlkugel in einer Anlage notwendig. Dies erfordert eine effizi-
Abhängigkeit von der Tiefe und dem Durchmesser. ente und kostenoptimierte Herstellung. Für die In-
Mit der Verdopplung der Installationstiefe stallation am Meeresgrund ist es notwendig, Hart-
verdoppelt sich auch die Speicherkapazität. Wird substratflächen einzubringen.
gleichzeitig der Durchmesser verdoppelt, ergibt Zur Wartung und bei einem Notfall oder De-
sich eine Verachtfachung des Volumens und eine fekt muss ein solcher Speicher an die Oberfläche
Steigerung der Speicherkapazität um das 16-Fache. geholt werden können, was durch aufblasbare
Wird nur der Durchmesser verdoppelt, veracht- Gürtel g­ eschehen könnte. .  Abbildung  9.38 zeigt
facht sich die Speicherkapazität. eine Anlage mit mehreren Kugelpumpspeichern
Eine Anlage mit 230 Kugelspeichern mit einem (s. [7, 49]).
Durchmesser von 40 m, in einer Tiefe von 400 m Die geografischen Standortanforderungen sind
installiert, ergibt bereits eine Speicherkapazität von gering, einzig eine genügend große Wassertiefe und
494 Kapitel 9 • Mechanische Energiespeicher

. Tab. 9.8  Speicherkapazität eines Kugelpumpspeichers in Abhängigkeit von Tiefe und Durchmesser der H
­ ohlkugel

Tiefe [m] 200 400 800 1.600 3.200

Druck [bar] 19,62 39,24 78,48 156,96 313,92

Energiedichte [kWh/m3] 0,55 1,09 2,18 4,36 8,72

Durchmesser [m] 20 40 80 160 320

Volumen [m3] 4.188 33.510 268.082 2.144.660 17.157.284

Kapazität [MWh] 2,28 36 584 9.350 149.000

9.38

. Abb. 9.38  Installationsbeispiel einer Anlage mit mehreren Kugelpumpspeichern auf dem Meeresgrund [49]

Grundfläche muss für die Installation einer Anla- im Vergleich zu konventionellen Pumpspeicher-
ge mit mehreren hundert Hohlkugeln vorhanden werken als gering.
sein. Ein weltweiter Einsatz ist somit möglich. Die Aufgrund der geringen Speicherkapazität ist
Küsten vor der Nord- und Ostsee sind als Standort der Speicher nicht für den Ausgleich von Wochen-
nicht geeignet, da das Meer für einen wirtschaftli- oder gar Monatsschwankungen geeignet. Geplant
chen Betrieb nicht tief genug ist. Ein erster Standort ist in naher Zukunft eine erste Umsetzung des Kon-
aus deutscher Sicht wäre die Norwegische Rinne zepts mit dem Bau und Betrieb eines kleinen Pilot-
mit Wassertiefen von 600–800  m und mehreren speichers in einem See mit einer Tiefe von 100 m.
tausend Quadratkilometern Fläche. Ein weiterer Weiterhin soll in einigen Jahren ein erster Kugel-
Vorteil des Standorts ist die Nähe zu vorhandenen pumpspeicher auf dem Meeresgrund installiert
oder geplanten Offshore-Netzen und bereits instal- werden (s. [7]).
lierten Windkraftanlagen (s. [7]).
Ein Eingriff in das für den Menschen sichtba- 9.2.2.3 Staustufenspeicher
re Landschaftsbild geschieht nicht, da die Speicher In . Abb. 9.39 sind die Wasserstraßen Deutschlands
tief im Meer installiert würden. Der Eingriff in die dargestellt, welche in die sieben Verwaltungsgebie-
Flora und Fauna auf dem Meeresboden erscheint te Nord, Nordwest, West, Mitte, Ost, Südwest und
9.2 • Flüssige Medien
495 9
9.39

. Abb. 9.39  Übersichtskarte der Bundeswasserstraßen [98]


496 Kapitel 9 • Mechanische Energiespeicher

9.40
VA1 = VS1

VSI: Nutbares Speichervolumen in m3


Vai: Volumenabfluss in m3 VS1
VZi: Volumenzufluss in m3 VA2 = VZ1 + VZ1 h1
Li: Kanalabschnittslänge in km VZ1 = VA1
L1
hi: Höhenunterschied in m VS2
VA3 h2
Höhenunterschied

L2
VA4
L3
VAn

L4

Ln

Fluss

Kanallänge

. Abb. 9.40  Funktionsprinzip von Bundeswasserstraßen als Einzel- und Speicherketten-Pumpspeicher [88]

9
Süd unterteilt sind. Unterschieden wird zwischen zz Speicherkapazität und Standorte
staugeregelten und naturbelassenen Flüssen sowie Die in Deutschland zur Energiespeicherung nutz-
Kanäle, welche zum Teil oder gar nicht als Wasser- baren Wasserstraßen haben eine Gesamtlänge von
straße betrieben werden, und Seen (s. [88]). 1340 km und eine Gesamtfallhöhe von 611 m, wel-
che sich auf 64 Staustufen mit Fallhöhen von unter
zz Funktionsweise einem Meter bis 38 m verteilen (s. [88]).
Die Funktionsweise von Bundeswasserstraßen als Die Speicherkapazität von Wasserstraßen
Pumpspeicher ist in .  Abb. 9.40 dargestellt. Unter- hängt von der Höhendifferenz zwischen Ober- und
schieden werden Einzelspeicher und Speicherketten. Unterbecken sowie vom austauschbaren Wasser-
Die Staustufe, welche eine Schleuse oder ein Schiffs- volumen ab. Mit der Gravitation g = 9, 81m / s 2 und
hebewerk sein kann, grenzt dabei das Ober- vom der Dichte von Wasser ρW = 1.000kg/m3 ergibt sich
Unterbecken ab und sorgt für den Höhenunterschied die gespeicherte potenzielle Energie ESSS des Was-
zwischen den Becken (s. [88]). Bei einem Stromüber- sers im Oberbecken bei einer mittleren Fallhöhe
angebot wird Wasser vom Unter- ins Oberbecken ge- hFSSS und dem austauschbaren Wasservolumen
pumpt. Wird Strom benötigt, wird das Wasser vom VASSS zu
Oberbecken durch eine Turbine mit angeschlosse-
nem Generator ins Unterbecken geleitet und Strom ESSS = g ⋅ ρW ⋅ hFSSS ⋅ VASSS .
(9.25)
erzeugt. Das Prinzip beruht auf denselben Grund-
lagen wie konventionelle Pumpspeicherwerke. Das austauschbare Wasservolumen VASSS wird durch
die Wasserstraßen selbst begrenzt. Die Wasserstra-
zz Wirkungsgrad ßen dienen in erster Linie der Schifffahrt. Für einen
Der Wirkungsgrad von Staustufenspeichern ist Kanal typisch ist ein Normalwasserstand von 4 m mit
dem von konventionellen Pumpspeicherwerken Schwankungen von bis zu 25  cm. Beim Hin-und-
und somit dem Wirkungsgrad von Lageenergie- her-Pumpen des Wassers dürfen die Sollwasserstän-
speichern vergleichbar. de nicht über- oder unterschritten werden, da sonst
9.2 • Flüssige Medien
497 9

. Tab. 9.9  Nutzbare, relevante Kanäle für die Energiespeicherung (s. [88])

Verwaltungsgebiet Name Länge [km] Schleusen [St] Σ Fallhöhe [m]

Mitte Elbe-Seitenkanal (ESK) 115 2 61

Süd Main-Donau-Kanal (MDK) 171 16 243

Mitte Mittellandkanal (MLK) 326 3 (14)b 43 (133)b

Ost Havel-Oder-Wasserstraße (HOW)a 135 4 46

West Wesel-Datteln-Kanal (WDK) 60 6 44

West Rhein-Herne-Kanal (RHK) 45 5 35

West Dortmund-Ems-Kanal (DEK)c 226 10 (15)b 68 (79)b

Nord Nord-Ostsee-Kanal (NOK) 99 2 10

Ost Elbe-Havel-Kanal (EHK) 55 2 9

Ost Spree-Oder-Wasserstraße (SOW)a 130 6 23

West Datteln-Hammeln-Kanal (DHK) 47 2 7

Ost Finowkanal (FiK) 32 12 36

a Wasserstraße, bestehend aus Seen, staugeregelten Flüssen und Kanälen, deren wirtschaftliche Erschließung als

Pumpspeicher in einzelnen Stauabschnitten, nicht aber als Kettenspeicher vorstellbar ist


b mit Stich- und Nebenkanälen
c inkl. staugeregelter Flussstrecke

bei zu hohem Wasserstand Probleme mit der Durch- Der Einzelspeicher mit der höchsten Speicher-
fahrthöhe an Brücken und die Gefährdung von kapazität von 25  MWh befindet sich am Schiffs-
Dämmen auftreten. Bei zu geringem Pegel kommt es hebewerk Lüneburg auf dem Elbe-Seiten-Kanal
zu Problemen mit der Wassertiefe (s. [97]). (s. .  Abb.  9.42). Für Speicherketten und kanal-
Das austauschbare Wasservolumen VASSS ergibt übergreifende Speicherketten sind die Standorte
sich vereinfacht aus der Länge lK und der Breite mit der höchsten Speicherkapazität die Nordstre-
bK sowie der möglichen Pegelschwankung hPK des cke des Main-Donau-Kanals (MDK-Nord), die
Kanals, übergreifende Nutzung von Mittellandkanal und
Elbe-Seitenkanal (MLK-ESK) sowie der Wesel-­
­
VASSS = lK ⋅ b K ⋅ h PK .
(9.26) Datteln-Kanal inklusive westdeutschem Kanal-
kreuz (WDK +) (s. [88]).
Die für die Speicherung infrage kommenden Ka- Bei optimaler Ausnutzung von Einzelspeichern
näle und die darauf nutzbaren Schleusen mit ihrer und Speicherketten sowie kanalübergreifenden
Fallhöhe sind in . Tab. 9.9 dargestellt. Speicherketten ergibt sich ein Gesamtspeicher-
Die Speicherkapazität der nutzbaren Bundes- potenzial von ca. 400 MWh (s. [88]).
wasserstraßen ist in . Abb. 9.41 für Einzelspeicher,
Speicherketten und kanalübergreifende Speicher- zz Bau und Anwendung
ketten dargestellt. Zu beachten ist, dass zur Er- Zum Bau eines Staustufenspeichers ist es nicht er-
mittlung der Gesamtspeicherkapazität nicht alle forderlich, das Ober- und Unterbecken auszuhe-
Kapazitäten der Einzelspeicher und Speicherketten ben, da diese bereits vorhanden sind. Dies führt
addiert werden können, da es sonst zu einer Mehr- zu einer erhöhten Akzeptanz in der Bevölkerung.
fachverwendung von Kanalabschnitten kommen Ebenso sind die Maschinenhäuser mit bereits in-
würde (s. [88]). stallierten Pumpen vorhanden. Lediglich die Ma-
498 Kapitel 9 • Mechanische Energiespeicher

9.41 Einzelspeicher Speicherkette Kanalübergreifende Speicherkette

Lüneburg (ESK) 25
Uelzen (ESK) 15
Anderten (MSK) 10
Niedefinow (HOW) 8
Sülfeld (MLK) 6
Dietfurt (MDK) 4
Berching (MDK) 3
Bachhausen (MDK) 3
Leerstetten (MDK) 3
Hohenwarte (MLK) 3
Bevergen (MLK) 3
Eisenhüttenstadt (SOV) 2
Spandau (HOW) 2
Riedenburg (MDK) 2
Kelheim (MDK) 2
MDK-Nord 131
ESK 79
MDK-Süd 50
MLK-West 47
MLK-Ost 46
WDK 16
MLK-ESK 120
WDK+ 98
0 20 40 60 80 100 120 140
9 Speicherkapazität in MWh

. Abb. 9.41  Potenziale der Energiespeicherung in Bundeswasserstraßen für Einzelspeicher, Speicherketten und kanalüber-
greifende Speicherketten [88]

schinenkomponenten für den Turbinenbetrieb 9.2.2.4 Nachnutzung von


müssten nachgerüstet werden. Die Kosten und der Bergbaurevieren
Aufwand unterscheiden sich bei Einzelspeichern Generell kann zwischen drei Arten der Nachnut-
und Speicherketten. Prinzipiell müssen alle genutz- zung von Bergbaurevieren unterschieden werden:
ten Schleusen für den Turbinenbetrieb umgerüstet 55 Unterflurspeicher oder Untertage-Pumpspei-
werden. Bei Speicherketten kommt zusätzlich noch cher
ein erhöhter Aufwand für das Wassermanagement 55 Tagebau-Pumpspeicher
hinzu. 55 Halden-Pumpspeicher.
Mit einer Speicherkapazität von ca. 400 MWh
finden Staustufenspeicher ihre Anwendung als zz Funktionsweise
Stundenspeicher. Eine weitere Anwendungsmög- Die Funktionsweise des Halden-, Tagebau- und
lichkeit ist die Nutzung als virtuelles Kraftwerk und Untertage-Pumpspeichers ist mit der des Ringwall-
damit die Bereitstellung von Regelenergie (s. [88]). speichers und somit mit der Funktionsweise eines
Die Gesamtkapazität ist eher gering. Jedoch ist eine konventionellen Pumpspeicherwerks identisch.
Realisierung aufgrund der bereits vorhandenen
Infrastruktur an den Schleusen ohne Eingriff in zz Wirkungsgrad
die Natur und mit wenigen Akzeptanzproblemen Der Wirkungsgrad der drei Speicherarten in Berg-
in der Bevölkerung bei verhältnismäßig geringem baugebieten ist mit dem konventioneller Pump-
Aufwand und Kosten möglich. speicherwerke vergleichbar.
9.2 • Flüssige Medien
499 9
9.42

. Abb. 9.42  Schiffshebewerk Lüneburg mit der größten potenziellen Einzelspeicherkapazität bei einer Fallhöhe von 38
Metern [80]

zz Speicherkapazität und Energiedichte . Tab. 9.10  Fallhöhe und daraus resultierende


Die Speicherkapazität aller drei Nachnutzungs- Energiedichte für die Speicherarten bei Nachnutzung
arten ist abhängig von der Fallhöhe und dem von Bergbaugebieten
austauschbaren Wasservolumen. Mit der Gravi-
­
Speicher- Unterta- Tagebau- Halden-
tation g = 9, 81m / s 2 und der Dichte von Wasser art ge-Pump- Pump- Pump-
ρW = 1000kg/m3 ergibt sich die gespeicherte poten- speicher speicher speicher
zielle Energie EBBS des Wassers im Oberbecken bei
Fallhöhe 500–1500 100–400 50–150
einer mittleren Fallhöhe hFBBS und dem austausch- [m]
baren Wasservolumen VBBS aus
Energie- 1,36–4,09 0,27–1,09 0,14–0,41
dichte
EBBS = g ⋅ ρW ⋅ hFBBS ⋅ VBBS .
(9.27) [kWh/m3]

Die mittlere Fallhöhe variiert nach Speicherart, so


können bei Halden-Pumpspeichern Fallhöhen von .  Tabelle  9.10 zeigt die Fallhöhe und die daraus
50 bis 150  m (s. [106]), bei Untertage-Pumpspei- resultierende Energiedichte für Halden-, Tagebau-
chern Fallhöhen von 500 bis 1500 m (s. [29]) und und Untertage-Pumpspeicher.
bei Tagebau-Pumpspeichern Fallhöhen von 100 bis
400 m (s. [106]) erreicht werden. zz Halden-Pumpspeicher
Die Energiedichte der Speichersysteme ist ab- Als Halden-Pumpspeicher werden Pumpspeicher
hängig von der Fallhöhe und ergibt sich aus bezeichnet, die an Abraumhalden von z. B. Stein-
bzw. Braunkohlebergbaurevieren errichtet werden.
wBBS = g ⋅ ρW ⋅ hFBBS .
(9.28) Das Oberbecken befindet sich dabei direkt auf der
500 Kapitel 9 • Mechanische Energiespeicher

9.43 Oberbecken tung bei einer Speicherentleerung innerhalb von


sechs Stunden.
Halden-Pumpspeicher erreichen aufgrund der
geringen Fallhöhe und dem begrenzt austauschba-
ren Wasservolumen nur geringe Speicherkapazitä-
ten. Dennoch stellen sie eine dezentrale Speicher-
lösung mit kurzen Wegen zu Verbrauchern dar.
Für einen wirtschaftlichen Betrieb muss eine
50 bis 150 m

möglichst hohe Anzahl an Zyklen erreicht werden.


. Tabelle 9.12 zeigt die spezifischen Kosten pro Ki-
lowattstunde Speicherkapazität. Die Investitions-
Abraum kosten belaufen sich auf ca. 60 Mio. € (s. [99]).
Trotz Bau des Oberbeckens ist eine Rekultivie-
rung von 70 % der Halde möglich (s. [99]). Eine
öffentliche Nutzung durch das Anlegen von Wan-
Reservoir
derwegen und Aussichtspunkten rund um das
Pumpturbine
Oberbecken ist denkbar (s. [51]).
Der Eingriff in die Natur ist als gering zu be-
. Abb. 9.43  Prinzip des Halden-Pumpspeichers [106]
zeichnen. Die Halde, auf welcher das Oberbecken
errichtet wird, ist bereits vorhanden und es wird
nicht in unberührte Natur eingegriffen (s. [50]). Da
9 Abraumhalde und das Unterbecken auf Gelände- lediglich das Unterbecken errichtet werden muss,
niveau oder auch tiefer gelegen (s. .  Abb.  9.43). ist u.  a. wenig Konfliktpotenzial bei den Anwoh-
Die Abmessungen und die Belastbarkeit der Halde nern zu erwarten.
bestimmen dabei die Speicherkapazität. Denkbar Des Weiteren wird im Saarland im Auftrag von
sind die Installation von Photovoltaik- und Wind- RAG Montan Immobilien und der Steag New Ener-
kraftanlagen auf den Halden (s. [29, 81]). gies für den Haldenstandort Luisenthal eine Mach-
Insgesamt sind deutschlandweit 20 Standorte barkeitsstudie durchgeführt (s. [29]).
für ein Halden-Pumpspeicher-Kombikraftwerk ge-
eignet. Im Ruhrgebiet bieten 71 Halden geeignete zz Unterflurpumpspeicher oder Untertage-
Fallhöhen, jedoch nur acht Standorte ausreichend Pumpspeicher
Volumen, welche ein Speicherpotenzial von insge- Unterflurspeicher oder auch Untertage-Pumpspei-
samt 2200 MWh aufweisen. . Abbildung 9.44 zeigt cher machen sich nicht wie konventionelle Pump-
eine Karte mit den in Nordrhein-Westfalen gelege- speicherwerke einen Berg für die Höhendifferenz
nen Halden (s. [51]). zwischen Ober- und Unterbecken zunutze, sondern
In einer Machbarkeitsstudie von RAG Montan Schächte von z. B. Steinkohle- oder Erzbergwerken.
Immobilien und RWE Innogy wird untersucht, ob Ober- und Unterbecken liegen dabei unter Tage,
die Halde Sundern bei Hamm, Westfalen, für ein wobei das Oberbecken bei ausreichendem Flächen-
Pumpspeicherwerk in Kombination mit Wind- angebot auch oberirdisch errichtet werden könnte.
kraftanlagen geeignet ist (s. [51]). . Abbildung 9.45 In besonders günstigen Fällen könnte es auf einer
zeigt die angesprochene Halde im aktuellen Zu- erhöhten Abraumhalde errichtet werden. Bei der
stand und als Illustration mit Ober- und Unterbe- Nachnutzung von stillgelegten Bergwerken erge-
cken und drei Windkraftanlagen. ben sich Fallhöhen von 500 bis 1500 m (s. [29, 81]).
.  Tabelle  9.11 zeigt die Daten des geplanten Deutschlandweit sind 100 Bergwerke für den
Speichers mit einem Austauschvolumen im Ober- Bau von Unterflurpumpspeichern geeignet. Bei
becken von 600.000  m³ und einer mittleren Fall- Nutzung aller möglichen Bergwerke ergibt sich
höhe von 50 m sowie die mögliche installierte Leis- ein Speicherpotenzial von insgesamt ca. 20 GWh.
9.2 • Flüssige Medien
501 9
9.44

. Abb. 9.44  Karte von Nordrhein-Westfalen mit eingezeichneten Halden [51]

9.45

. Abb. 9.45  Vergleich der Halde Sundern aktuell und als Illustration als Halden-Pumpspeicher [39, 51]

Die meisten potenziellen Standorte liegen im Harz, stillgelegter Bergwerke anhand der Bergwerke am
Erzgebirge, Siegerland und im Lahn-Dill-Gebiet Standort Bad Grund im Harz und Pöhla im Erz-
(s. [89]). gebirge untersucht.
In der bereits abgeschlossenen Studie »Wind-
energiespeicherung durch Nachnutzung stillgeleg- zz Bau eines Unterflurpumpspeichers
ter Bergwerke« des Energie-Forschungszentrums Der Bauaufwand ist von Bergwerk zu Bergwerk
Niedersachsen wurde die Nutzungsmöglichkeit unterschiedlich. Dies ist bereits beim Vergleich der
502 Kapitel 9 • Mechanische Energiespeicher

. Tab. 9.11  Daten des geplanten Halden-Kombi- eines neu zu erstellenden Oberbeckens mit einem
Pumpspeicherwerks Sundern bei Hamm, Westfalen für den Menschen sichtbaren Eingriff in die Natur
(s. [99]) (s. [27]).
Austauschbares Volumen [m3] 600.000 Für eine Verringerung der Wasserverschmut-
zung und die damit verbundene Verkürzung der
Mittlere Fallhöhe [m] 50
Lebensdauer der Maschinenkomponenten ist eine
Speicherkapazität [MWh] 81,75 Abdichtung der Speicherbecken sinnvoll, beson-
Installierte Leistung [MW] 10 ders wenn für das Oberbecken über Tage ein vor-
handenes Wasserreservoir genutzt wird.
Wasserablauf in 6 h [m3/s] 27,78
Weiterhin wirkt sich ein möglichst senkrech-
Energiedichte [kWh/m3] 0,14 ter Druckschacht mit verkürzten Leitungslängen
Windkraftanlagen (Leistung [MW]) 3 (6) positiv auf die Wirtschaftlichkeit aus (s. [27]). Die
Wartungs- und Reparaturkosten eines Unterflur-
speichers führen zu höheren Kosten als bei kon-
. Tab. 9.12  Speicherkapazität und spezifische
Kosten für den Halden-Pumpspeicher Suldern
ventionellen Pumpspeicherwerken (s. [81]).

Speicherkapazität [MWh] 81.75 zz Kosten und Wirtschaftlichkeit


Spez. Kosten pro kWh [€/kWh] 733,9 . Tabelle 9.13 zeigt die Fallhöhe, das austauschbare
Wasservolumen sowie die Energiedichte und die
Speicherkapazität der beiden Standorte.
.  Abb. 9.47 und .  Abb. 9.48 zu erkennen. So muss Die Investitionskosten der beiden untersuch-
9 ein abgesoffenes Bergwerk zuerst trockengelegt ten Standorte liegen in ähnlicher Größenordnung
werden, was die Kosten erhöht. Allgemein sind für (s. .  Tab.  9.14). Die einzelnen Positionen weichen
den Bau eines Unterflurspeichers drei Schächte not- jedoch teilweise erheblich voneinander ab. Dies
wendig: der Hauptschacht, ein Schacht als Flucht- macht deutlich, dass keine allgemeingültigen Aus-
möglichkeit sowie ein Schacht zur Netzanbindung sagen zu Bau- und Kostenaufwand getroffen wer-
(s. . Abb. 9.46). Je nach Bergwerk und Zustand der den können und jedes potenzielle Bergwerk ein-
vorhandenen Schächte müssen diese neu angelegt zeln betrachtet werden muss.
werden (s. [27]). .  Tabelle  9.14 zeigt die Abweichungen mit den
Unter Berücksichtigung geomechanischer in Klammern angegebenen Anteilen an den Ge-
Gesichtspunkte erscheint eine Nachnutzung be- samtkosten in Prozent für die beiden untersuchten
stehender Hohlräume als nicht sinnvoll, was eine Bergwerke (s. [27]).
generelle Neuauffahrung der Speicherstrecken er- Beide Unterflurspeicher erreichen eine Spei-
fordert. Bevorzugt werden zur Neuauffahrung das cherkapazität von 400 MWh. Die installierte Leis-
Bohren und Sprengen (s. [27]). tung beträgt jeweils 100 MW. Die spezifischen Kos-
Die Kosten für die Untertagearbeiten können ten von 1816  €/kW für den Standort Bad Grund
gesenkt und die Fallhöhe gesteigert werden, wenn sind ein arithmetischer Mittelwert aus den beiden
der Standort eine Errichtung des Oberdeckens über Extremszenarien und führen zu Gesamtinvesti-
Tage zulässt oder ein vorhandenes Wasserreservoir tionskosten von 181,6 Mio. €. Das Modellbergwerk
genutzt werden kann. Der Aushub des Unterbe- am Standort Pöhla erreicht spezifische Kosten von
ckens und der Schächte könnte so zur Errichtung 2086  €/kW, dies führt zu Investitionskosten von
des Oberbeckens genutzt werden. Beim Standort 208,6 Mio. € (s. [27]) (. Tab. 9.15).
Bad Grund wirkt sich die Auffahrung des Ober- Im Vergleich zu konventionellen Pumpspei-
beckens mit 16,4 % und beim Standort Pöhla mit cherwerken sind Unterflurpumpspeicher mit hö-
17,2 % auf die Gesamtinvestition aus (s. [27]). heren Investitionskosten verbunden (s. [27]). Die
Nachteilig wirkt sich ein Oberbecken über Tage Nutzung der Erdwärme bietet eine weitere Er-
auf die Kosten der Schächte aus, welche dement- lösmöglichkeit. Temperaturen von 40 °C sind im
sprechend länger wären, und auf die Akzeptanz Bergwerk durchaus üblich (s. [106]).
9.2 • Flüssige Medien
503 9
9.46 Tagesanlagen Zuwegung

Halde

Oberbecken

Wasserlassungsstollen

Vorhandene Strecken und


Schächte
Netzanbindung

Fluchtschacht
Druckrohr
Schacht Neu aufzufahrende
Strecken, Schächte und
Holräume

(Tiefste) Sohle
Unterbecken

. Abb. 9.46  Konzept eines Unterflurpumpspeichers [27]

9.47
Halde Ventilation
Zuwegung
Oberbecken
Nutzbar ca. 240.000 m3

Ernst August Stollen


Wiemannsbuchtschacht

Vorhandene Strecken
Schacht 2

und Schächte
t
ach
ca. 700 m

h
ksc

Neu aufzufahrende
uc
Dr

Strecken, Schächte
und Hohlräume

Ventilation

Unterbecken
Nutzbar ca. 240.000 m3

Tiefste Sohle

. Abb. 9.47  Unterflurpumpspeicher am Standort Bad Grund im Harz [27]


504 Kapitel 9 • Mechanische Energiespeicher

9.48

150 m
Ventilation
Wasserbehandlungs- Stollen 7
anlage Stollen 15 Oberbecken
Nutzbar ca. 282.000 m3
wü 7 500 m
Wasserlösungsstollen (Pöhla-Stollen)

Besucher-
Halde bergwerk

Blindschacht 2 (Fahrt, Förderung, Flucht)


Vorhandene

Blindschacht (Fahrt,
Förderung, Flucht)
Strecken und

ca. 600 m

ht
Kabelführung
Schächte

hac
cksc
Neu aufzufahrende
Strecken, Schächte

Dru
und Holräume
Sohle +240 Ventilationsstrecke

Unterbecken
Sohle +150 Nutzbar ca. 282.000 m3

Sohle +120
100m

. Abb. 9.48  Unterflurpumpspeicher am Standort Pöhla im Erzgebirge [27]


9
. Tab. 9.13  Pumpspeichereigenschaften der Berg- . Tab. 9.14  Kostenpositionen und Anteil an den
werke Bad Grund im Harz und Pöhla im Erzgebirge Gesamtinvestitionskosten für die Standorte Bad
(s. [27]) Grund und Pöhla im Vergleich (s. [27])

Standort Bad Grund Pöhla Standort Band Grund Pöhla (Anteil


(­ Anteil an Ge- an Gesamt-
Fallhöhe [m] Ca. 700 Ca. 600
samtkosten [%]) kosten [%])
Austauschbares Was- Ca. 240.000 Ca. 282000
Untertage- 109,71 (60,41) 112,12 (53,74)
servolumen [m3]
arbeiten
Energiedichte 1,91 1,64 [Mio. €]
[kWh/m3]
Netzanbin- 20,33 (11,19) 27,22 (13,04)
Speicherkapazität 400 dung [Mio. €]
[MWh]
Infrastruktur 1,97 (1,09) 4,10 (1,97)
[Mio. €]

Maschinen- 47,18 (25,98) 58,18 (27,89)


technik [Mio. €]
zz Tagebauspeicher
Eine weitere Variante der Nachnutzung von Berg- Sonstige Kos- 2,40 (1,33) 7,03 (3,36)
ten [Mio. €]
baurevieren ist die Nutzung offener Tagebaue. Der
Tagebau-Pumpspeicher ist dem Halden-Pump-
speicher ähnlich. Das Oberbecken wird auf Ge-
ländeniveau oder im optimalen Fall zur Erhöhung Nutzung des Tagebaurestloches als Unterbecken
der Fallhöhe auf einer zum Tagebau gehörigen Ab- nach Ende des Tagebaubetriebs (s. .  Abb.  9.49)
raumhalde errichtet. Für das Unterbecken gibt es und zum anderen das Unterbecken auf der unters-
zwei Ausführungsmöglichkeiten: zum einen die ten Sohle des Tagebaus als abgeschlossene Kaverne
9.3 • Feste Medien
505 9

. Tab. 9.15  Technische und wirtschaftliche Rah- Höhenniveau. Der Bau eines Oberbeckens wäre
mendaten für die Standorte Bad Grund und Pöhla im nicht notwendig (s. [29]).
Vergleich (s. [27]) Das Konzept des Unterflurspeichers aus
.  Abb. 9.50 lässt sich auf Küstenregionen übertra-
Standort Bad Grund Pöhla
gen (s. .  Abb. 9.52). Eine abgeschlossene Kaverne
Speicherkapazität [MWh] 400 wird dabei als Unterbecken im Meer versenkt, wäh-
Installierte Leistung [MW] 100 rend das Oberbecken auf einer höher gelegenen
Spez. Kosten [€/kW] 1816 2086
Steilküste errichtet wird (s. [106]).

Investitionskosten [Mio. €] 181,6 208,6 Fazit


55 Die Speicherung von Energie durch das Ausnut-
zen von Potenzialunterschieden flüssiger Me-
(s. .  Abb. 9.50). Letztere Variante hat den Vorteil, dien hat eine lange Tradition und ist zumindest
dass mit der Installation der Kaverne und des Rohr- im Bereich der elektrischen Energieversorgung
systems noch während des Betriebs des Tagebaus nach wie vor die meist genutzte und angewen-
begonnen werden kann und eine entsprechende dete Form der Energiespeicherung. Dies gilt
Fallhöhe garantiert wird. Nach der Fertigstellung insbesondere für die in diesem Kapitel zuerst
wird, wie bei ausgekohlten Tagebauen üblich, das erwähnten Speicher, die Pumpspeicherwerke.
Restloch mit dem Abraum aus dem Tagebaubetrieb 55 Im zweiten Teil dieses Kapitels wurden Alter-
oder mit Wasser verfüllt (s. [29, 81]). nativen zu Pumpspeicherwerken vorgestellt,
Die Speicherkapazität ist abhängig vom maxi- die demselben grundlegenden Prinzip folgen,
mal realisierbaren austauschbaren Wasservolumen jedoch verschiedene Nachteile Ersterer zu um-
und von der Fallhöhe. .  Abbildung  9.51 zeigt das gehen versuchen. Hierbei handelt es sich um
wasserwirtschaftliche Planungskonzept für die Ge- Prinzipien, die sich derzeit noch im Stadium von
biete Lausitz und Mitteldeutschland. Zusammen Ideen, Studien oder in Pilotstadien befinden.
haben beide Gebiete 68 Restseen mit einem Ge- 55 So benötigen Pumpspeicherwerke ganz be-
samtvolumen von 4,511  km2. Angenommen, ein stimmte geografische Voraussetzungen mit
Zehntel des Gesamtvolumens der Restseen kann großen Höhendifferenzen und sind deshalb
für einen Pumpspeicher genutzt werden, ergäbe vor allem in bergigen Gegenden zu finden. Das
sich bei einer mittleren Fallhöhe von 80 m eine Ge- Prinzip des Ringwallspeichers ermöglicht die
samtspeicherkapazität Übertragung der Pumpspeicherwerke auch
in ebene Landschaften. Kugelpumpspeicher
g ⋅ ρ ⋅ h ⋅V
EBBS =
(9.29)W FB Oberb. vermeiden große Bauwerke, indem die Druck-
10 differenz einer hohen Wassersäule (des Meeres)
ausgenutzt wird. Bei Staustufenspeichern und
von ca. 98,3 GWh (s. [83]). der Nachnutzung von Bergbaurevieren wird
Die Kosten eines solchen Speichers fallen ge- angestrebt, bereits bestehende Infrastrukturen
ringer als die konventioneller Pumpspeicherwerke zum Zwecke der Energiespeicherung zu nutzen.
aus, da das Unterbecken bereits vorhanden ist. Des
Weiteren kann der Bau im Rahmen der Rekultivie-
rung erfolgen (s. [83]). 9.3 Feste Medien
Ein bereits geflutetes Tagebaurestloch, welches
öffentlich als Naherholungsgebiet genutzt wird, 9.3.1 Schwungradspeicher
nachträglich zu einem Pumpspeicher umzurüsten,
wird auf Akzeptanzprobleme stoßen und daher Die älteste Erfindung, die sich das Massenträgheits-
nicht ohne Widerstand zu realisieren sein (s. [89]). moment zunutze macht, lässt sich auf 6000 v. Chr.
Eine weitere Möglichkeit ist die Verbindung zurückdatieren. Die Chinesen und später die Meso-
zweier Tagebaurestlöcher mit unterschiedlichem potamier nutzten als erstes Volk diese Technik. Sie
506 Kapitel 9 • Mechanische Energiespeicher

9.49 Staumauer

Oberbecken

Rohrleitung
Erdoberfläche
Maschinenkaverne

Unterbecken

Grund

. Abb. 9.49  Unterbecken im Tagebaurestloch als Tagebau-Pumpspeicher

9.50 Druckentlastungs- und erzeugt wurden. Aufgrund alter Funde wird vermu-
Wassererhebungsrohre
tet, dass die Erfindung des Rads als Fortbewegungs-
mittel erst nach der Erfindung des Schwungrads als
Speicherbecken
»Maschine« gemacht wurde (s. [44]).
Bei Funden aus späteren Jahrhunderten wur-
9 den immer mehr Variationen von Töpferscheiben
Verfüllter Tagebau entdeckt. Eine besonders erstaunliche Entdeckung
mit Pumpspeicher
gab es in Indien. Hier wurde eine Töpferscheibe
. Abb. 9.50  Unterbecken im Tagebaurestloch als Unter- entdeckt, bei der die Schwungmasse aus einem
flurspeicher [96] Verbund von Lehm und Bambusringen bestand,
welche über hölzerne Speichen mit der Achse ver-
bunden waren. Es handelt sich hierbei wohl um
steckten als Schwungmasse eine kleine rotieren- das erste Schwungrad, welches aus einem Faserver-
de Scheibe mit zentraler Bohrung auf einen Stock. bund hergestellt worden ist.
Die Schwungmasse bestand aus Holz, Stein, Ton, Angetrieben wurden die Töpferscheiben ent-
Metall, Glas oder Knochen. Diese einfache Aus- weder von Hand oder mit den Füßen. Ihre Rota-
führung eines Schwungrads wurde zur Herstellung tion konnte bei Drehzahlen bis zu 100 U/min über
von Fäden genutzt. Hierzu wurden Fasern direkt an mehrere Minuten aufrechterhalten werden. Schon
die Spindel geheftet, um diese zu einem Faden zu- für ein gefundenes Töpferrad aus Mesopotamien
sammen zu spinnen. Eine weitere frühe Anwendung konnte ein Energiegehalt von 0,14 Wh nachgewie-
von Schwungrädern um 4000 v. Chr. waren die Töp- sen werden.
ferscheiben. Der Umstand, dass die Töpferscheibe Die Voraussetzung für solche Werte war eine
erst viel später erfunden wurde, lässt sich durch die möglichst gute Lagerung. In den meisten Fällen
Schwierigkeit erklären, eine sehr viel schwerere Mas- wurde die Axiallast von einem Nadellager, welches
se möglichst reibungsarm stationär lagern zu kön- in einer Lagerschale aus Stein, Porzellan oder Holz
nen. Die ersten Töpferscheiben wurden aus Holz und installiert war, aufgenommen. Die Stabilisierung
einem aus Stein bestehenden Lager gefertigt. Nach- erfolgte entweder durch eine präzise Herstellung,
weisen lässt sich ihre Existenz durch die gefertigten sodass sich die Scheibe selbst stabilisieren konnte,
Produkte. Anhand alter Töpferkunstwerke lässt sich oder durch ein Gleitlager. Teilweise erfolgte eine
erkennen, ob diese mithilfe einer Töpferscheibe und Lagerschmierung mittels Ölen aus pflanzlicher
die dadurch bedingte Fliehkraft oder nur von Hand Herkunft, Tierfetten oder Bitumen.
9.51
9.3 • Feste Medien

. Abb. 9.51  Wasserwirtschaftliches Planungskonzept für die Gebiete Lausitz und Mitteldeutschland [83]
9 507
508 Kapitel 9 • Mechanische Energiespeicher

9.52 Form von Töpferscheiben als Energiespeicher ge-


Speicherbecken
nutzt, fanden sie mit dem Aufkommen der Dampf-
maschinen bis ins 20. Jahrhundert Anwendung als
Druckentlastungsrohre träge Masse zur Ausbalancierung von Drehbewe-
gungen. In vielen Fällen waren die Riemenscheibe
und das Schwungrad das gleiche Bauteil und über-
nahmen somit zwei Funktionen. Im Laufe der Ent-
wicklung kamen immer größere Dampfmaschinen

100 bis 200 m


Meer
auf. Dies führte dazu, dass die Größe der Schwung-
räder weiter zunahm und die meist aus Gusseisen
bestehenden Räder nicht die ausreichende Festig-
keit besaßen, um den entstehenden Fliehkräften
entgegenzuwirken und zerbarsten (s. [44]).
Ohne Schwungräder zur Übertragung der
Kolbenkräfte auf den Antriebsstrang wäre die Ent-
wicklung der ersten Verbrennungsmotoren im 19.
Pumpturbine Jahrhundert gescheitert. Etwa zur gleichen Zeit ent-
wickelten und bauten Carl de Laval und Sir Parsons
Reservoir die erste Dampfturbine zur Stromerzeugung und
ließen sich diese patentieren. Durch ihren revolu-
tionären Durchbruch in Bezug auf das Schwung-
9 . Abb. 9.52  Übertragung des Konzepts des Tagebau-
Pumpspeichers auf Regionen mit Steilküsten und schnell raddesign war es möglich, den Drehzahlbereich für
anwachsenden Wassertiefen [106] Schwungräder zu erhöhen (s. [19]).
Das erste, rein zur Energiespeicherung verwen-
dete Schwungrad bestand aus Stahl und wurde 1883
Durch das spätere Aufkommen von kurbelge- von John A. Howell entwickelt. Es hatte eine Mas-
triebenen Spinnrädern und Handmühlen wurde se von 160 kg bei einem Durchmesser von 45 cm.
die Schwungmasse zu einem unentbehrlichen Be- Wurde es auf 21.000 U/min beschleunigt, konnte es
standteil vieler Maschinen. Ohne den Einsatz einer einen Torpedo 1,5 km weit bei einer Durchschnitts-
Schwungmasse konnten die ungleichförmigen geschwindigkeit von 55 km/h durch das Wasser be-
Antriebsbewegungen nicht ausreichend geglättet fördern.
werden. Auch bei den im Mittelalter immer mehr Mit Beginn der 1920er Jahre kamen die ersten
aufkommenden Wasser- und Windmühlen mach- Ilgner-Umformer auf. Diese beruhen auf demsel-
te man sich die Trägheit großer Schwungmassen ben Prinzip wie der Leonard-Umformer, allerdings
zunutze, um die unstetige Antriebskraft und die besitzen hierbei die Drehstrommotoren ein gekop-
dadurch bedingten wechselnden Lastsituationen peltes Schwungrad, um Antriebsausfälle oder Last-
auszugleichen. stöße zu überbrücken. Häufig finden diese Anlagen
Erst im 17. Jahrhundert formulierte Galileo Ga- in Walzwerken und bei Fördermaschinen Anwen-
lilei das Gesetz von der Trägheit der Masse. Zuvor dung.
konnten sich die Philosophen und Naturwissen- Vor dem Aufkommen handelsüblicher Tro-
schaftler das Phänomen der Massenträgheit nicht ckenbatterien wurden Schwungräder auch in der
erklären, obwohl diese schon seit Jahrtausenden Spielzeugindustrie eingesetzt. Anwendungsgebie-
genutzt wurde. te gab es viele, z. B. Spielzeugautos, Jo-Jos, Kreisel
Mit der Industrialisierung und der ersten Ent- und viele mehr.
wicklung einer Dampfmaschine im 18. Jahrhun- Das erste moderne Schwungrad wurde 1950 von
dert gewannen Schwungräder immer mehr an Be- der Schweizer Firma Oerlikon entwickelt. Sie kon-
deutung. Wurden die Schwungräder zu Beginn in struierte den ersten mobilen Schwungradspeicher
9.3 • Feste Medien
509 9
für den Nahverkehr mit Bussen (Gyrobus). Der Zeitraum von 10–15  s bereitstellen. Durch kurze
Speicherinhalt betrug 9,15  kWh und ermöglichte Laufzeiten und den geplanten Einsatzzeitpunkt
mit Ausnutzung der Bremsenergierückgewinnung wurde auf eine evakuierte Atmosphäre verzichtet
einen Aktionsradius von 3,5 km Zur Aufladung des und Luftreibungsverluste von 650 kW bei 1650 U/
Speichers gab es an jeder Haltestelle eine Anbin- min wurden einkalkuliert.
dung an das öffentliche Stromnetz. Zur gleichen Zeit etwa entwickelte die Boe-
Das Schwungrad der Gyrobusse bestand aus ing Vertol Co., Philadelphia, im Auftrag des US-
Stahl und lief zur Verringerung der Luftreibungs- Verkehrsministeriums eine Schnellbahn, die von
verluste in einer Wasserstoffatmosphäre. Besonders einem Schwungradspeicher angetrieben wurde.
auf die Flansche der Wellenenden wurde bei die- Durch eine moderne magnetische Lagerung und
ser Konstruktion geachtet. Diese waren elastisch eine evakuierte Atmosphäre des Schwungrads soll-
ausgeführt, um einen Spannungsübergang vom ten neue Maßstäbe gesetzt werden. Der sogenannte
Flansch zum Schwungrad zu vermeiden. Concept Train (ACT 1) hatte 1975 seine Jungfern-
Mit der gleichen Technologie baute die Firma fahrt, kam aber im regulären Betrieb mangels feh-
MFO im Jahr 1954 für die Lothringische Eisenerz- lender Stromschienen nie zum Einsatz.
mine »Mines de Saint Pierremont« eine Gyrolo- Im Jahr 1978 entwarf MAN im Auftrag des Bun-
komotive, die bis zur Schließung im Jahr 1966 im desministeriums für Forschung und Technologie
Gonzenbergwerk in Betrieb war. Weitere drei Gy- eine stationäre Schwungradenergiespeicheranlage.
rolokomotiven wurden von MFO 1955 nach Südaf- Diese sollte später als Bremsenergiespeicher für
rika verkauft und verrichteten dort ihren Dienst in eine Gefällstrecke der Stuttgarter S-Bahn dienen.
einer Goldmine bei Johannesburg. Seit 1994 befin- Der in der Studie konzipierte Schwungradenergie-
det sich die Gyromotive im Gonzenbergwerk nach speicher hatte eine Kapazität von 36 kWh, was der
einer Restauration wieder im Einsatz und befördert zu entwerfenden Schwungradenergiespeicheran-
Besucher durch das stillgelegte Bergwerk. lage mit 50  kWh recht nahe kam. Das Schwung-
Im Jahr 1973 schlug Richard F. Post ein Auto- rad aus Stahl mit einer Masse von 5  t sollte ver-
mobil mit einem Schwungrad als Antriebskonzept tikal unter Luftatmosphäre bei einem Druck von
vor. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits erste Faser- 10  mbar und 2800  U/min arbeiten. Das Konzept
verbund-Materialien entwickelt, mit denen deut- wurde jedoch nie verwirklicht.
lich höhere Drehzahlen erreicht werden konnten Erste Hybridfahrzeuge, die über einen Ver-
und die fehlende Masse mehr als ausgeglichen wer- bund von Verbrennungs- und Elektromotor mit
den konnte. Sein Konzept sah vor, dass Schwung- einem zwischengeschalteten Schwungradspeicher
radautomobile an Stromtankstellen ähnlich wie verfügten, wurden bereits Mitte 1984 an der Uni-
Gyrobusse wieder aufgeladen werden, um auf diese versität Kaiserslautern erprobt. In ersten kleineren
Weise erneut 30 kWh elektrische Energie zu spei- Tests wurde mit dieser Methode eine Kraftstoffein-
chern. Eine Aufladung reichte bei einer Geschwin- sparung von ca. 3  L 100  km im Stadtverkehr er-
digkeit von 100  km/h für ca. 320  km Aufgrund reicht. Durch den Einsatz des Schwungrads konnte
magnetischer Lagerung und vakuumversiegelter der Motor während des Leerlaufs und Null-Last-
Schwungscheibe hielt die Aufladung bei Stand zuständen abgeschaltet und bei Last durch das
mehrere Monate. Dieses Konzept wurde lange Zeit Schwungrad wieder schnell zugeschaltet werden.
nicht weiter beachtet (s. [1]). Ein ganz anderes Einsatzgebiet für Schwung-
Bereits im Jahr 1974 bekam das Max-Planck- radenergiespeicher ist die Verbindung mit er-
Institut in Garching eine stationäre Schwungrad- neuerbaren Energien. Das Rutherford Appleton
speicheranlage. Dies war der Grundstein, um die Laboratory in Großbritannien untersucht den
späteren Fusionsexperimente mit ausreichend Einsatz von Schwungradspeichern in Verbindung
Energie zu versorgen. Die Schwungradspeicher- mit Windenergie. Im Inselbetrieb wurde eine Ver-
anlage besteht aus vier einzelnen, geschmiedeten suchsanlage mit einer Windkraftanlage von 45 kW,
Stahlscheiben, die auf einer gemeinsamen Welle einem Dieselstromgenerator und einer Schwung-
rotieren und eine Leistung von 155 MW für einen radspeicheranlage betrieben. Um Flauten zu über-
510 Kapitel 9 • Mechanische Energiespeicher

brücken und häufige Start-Stopp-Vorgänge des ω 9.53


Dieselstromgenerators zu vermeiden, wurde ein
Schwungradspeicher als Puffer eingesetzt. Durch
die kurzen Schaltzeiten des Schwungradspeichers
im Bereich von Millisekunden wurden Leistungs-
fluktuationen vermieden. m
Der wichtigste Fortschritt in der Schwungrad- r
speichertechnologie fand Ende der 1990er Jahre
statt. Zur Speicherung möglichst große Energie-
mengen in leichteren Schwungmassen war die Ent-
wicklung neuer Materialien mit besonders hoher
Zerreißfestigkeit notwendig. Durch den Einsatz
von Fibermaterialien gelang es, höhere Umdre-
hungszahlen zu erreichen. Diese Fiberräder können
bei geringerem Gewicht bis zu 1000 % mehr Ener-
gie speichern. Zum Vergleich benötigt ein Stahlrad
mit 1 t Masse eine Drehzahl von 1500–3000 U/min, . Abb. 9.53 Kreisbahn
um einen gleichwertigen Energiegehalt zu errei-
chen wie ein Faserverbundrad, das nur 10 kg Masse
besitzt, die dafür mit 12.000–24.000 U/min rotiert. Wird ein einzelner Massepunkt m auf der Kreis-
Allerdings ist ab etwa 500  U/min der Luftwider- bahn r (s. . Abb. 9.53) betrachtet, lässt sich die Be-
9 stand so bedeutend, dass es erforderlich wird, das wegungsenergie wie folgt ausdrücken:
Faserverbundrad in einem geeigneten Medium wie
Wasserstoff oder in einem Vakuum zu betreiben. 1
(9.31)
Ekin = mv 2 .
Eine weitere wichtige Optimierung wurde von 2
der Technischen Universität Braunschweig in Zu-
sammenarbeit mit dem Deutschen Zentrum für bzw.
Luft- und Raumfahrt (DLR) im Jahr 2004 entwi-
1
ckelt. Das Ziel der Forschung war die Entwicklung Ekin = m(rω ) 2 .
(9.32)
eines Schwungradspeichers mit einer Energiedichte 2
von 56 Wh/kg. Um dies zu erreichen, konzentrier-
ten sich die wesentlichen Weiterentwicklungen auf In dieser Formel steckt eine weitere, aus der Ki-
die Reluktanzmaschine. Diese ist wesentlich reak- nematik bekannte Größe, das Massenträgheits-
tionsschneller und als verlustarmer Energiewand- moment oder auch nur Trägheitsmoment J. Dieses
ler für Schwungradspeicheranlagen gut geeignet. setzt sich aus der Masse m eines Körpers und dem
Radius r zum Quadrat bezüglich einer Drehachse
9.3.1.1 Physikalische Grundlagen zusammen:
Für die vereinfachte Betrachtung der Energiespei-
cherung in einem Schwungrad wird zunächst ein J = mr 2 .
(9.33)
einziger Massepunkt m  betrachtet, der mit dem
Abstand r und der Winkelgeschwindigkeit ω um Durch diese neue Größe ergibt sich dann die ki-
eine festliegende Achse kreist. netische Energie eines umlaufenden Körpers Ekin :
Die Bahngeschwindigkeit v ergibt sich dann aus
1
dem Abstand r und der Winkelgeschwindigkeit ω : Ekin = J ω 2 .
(9.34)
2
v = r ⋅ ω.
(9.30)
9.3 • Feste Medien
511 9
9.54 zz Berechnung von Trägheitsmomenten
Aus den vorausgegangenen Überlegungen ist das
gesamte Massenträgheitsmoment durch eine Sum-
me gegeben:
∆m
J = ∑ i =1 ri ∆mi .
n 2
ri (9.37)

0 In vielen Fällen kann die Summe nur näherungs-


weise mit elementaren Mitteln bestimmt werden.
Vorteilhafter ist das Verwenden einer Differential-
gleichung zur Bestimmung der endlichen Masse
∆mi . Zu beachten ist jedoch, dass der Körper mit
seinem gesamten Volumen v zu betrachten ist:

J = ∫ r dm.
(9.38)
2
[v]
. Abb. 9.54  Rotierende Masse
Für einige häufig vorkommende und einfache geo-
metrische Formen gibt es in vielen Büchern Tabel-
Um einen ausgedehnten Körper zu berechnen, len mit den entsprechenden Massenträgheitsmo-
kann dieser gedanklich in mehrere n Massepunk- menten (s. [58]).
te aufgeteilt werden. Dabei umkreist jeder Masse-
punkt der Masse ∆mi die Drehachse mit einem be- 9.3.1.2 Materialien
stimmten Abstand ri (s. . Abb. 9.54). Hierbei gilt es Durch die technischen Entwicklungen in den letzten
zu beachten, dass zwar jeder Massepunkt die glei- 20 Jahren, u. a. hin zu Speichern aus Faserverbund-
che Winkelgeschwindigkeit ω besitzt, aber nicht werkstoffen, ergeben sich neue Einsatzmöglichkei-
zwingend auch denselben Abstand r zur Drehach- ten. Schwungräder der neuen Generation zeichnen
se. Somit ist die Rotationsenergie Erot eines Körpers sich durch eine hohe Energiedichte und ihre kom-
durch die Summe der kinetischen Energie Ekin der pakte Bauweise aus. Werden die Eigenschaften und
einzelnen Massepunkte gegeben: Energiedichten von Materialien (s. .  Tab. 9.16) be-
trachtet, lassen sich signifikante Unterschiede fest-

Erot = ∑ i =1 Ekin =
n 1
2
(∑ n
i =1 )
∆mi ri 2 ω 2 , (9.35)
stellen. Besonders der Unterschied zwischen den
metallischen und den Rotoren aus faserverstärkten
Kunstoffen ist maßgebend. Durch die höhere spezi-
 1 fische Festigkeit von faserverstärkten Kunststoffen
Erot = Jω 2. (9.36)
2 enthalten diese bei kleinerer Dichte und gleicher
Masse einen höheren Energieinhalt.
Bei dem Vergleich zwischen Rotationsenergie und
der kinetischen Energie m /2 ⋅ ν 2 eines Körpers, zz Berstverhalten
der sich gradlinig bewegt, ergibt sich in formaler Die meisten sich in Betrieb befindlichen Rota-
Hinsicht eine vollkommene Übereinstimmung. In tionsenergiespeicher sind überwiegend mit einem
beiden Fällen wird ein Körper der Masse m ent- Schwungrad aus Stahl ausgestattet. Dessen Nach-
gegen seiner Trägheit in Bewegung gesetzt. Es gilt teile beschränken sich hierbei nicht nur auf die
allerdings zu beachten, dass bei der Rotationsener- geringere Energiedichte, sondern haben auch Ein-
gie das Massenträgheitsmoment J maßgebend ist. fluss auf die Sicherheitsmaßnahmen im Fall eines
Durch dieses erst wird die räumliche Verteilung Totalschadens des Schwungrads. Durch die im
des Körpervolumens und der Masse berücksichtigt Betrieb erreichbaren Umfangsgeschwindigkeiten
(s. [58]). von bis zu 500 m/s kann es im Fall des Zerberstens
eines Schwungrades aus Stahl passieren, dass sich
512 Kapitel 9 • Mechanische Energiespeicher

. Tab. 9.16  Energiedichten im Vergleich. (Quelle: VDI [20])

Material Zugfestigkeit Dichte spez. Festigkeit max. Umfangsge- mögliche Energie-


[N/mm²] [kg/m³] [kNm/kg] schwindigkeit [m/s] dichte [kJ/kg]

Stahl 1.300 7.800 167 410 106

Titan 1.150 5.100 225 570 143

GFK 1.300 1.900 680 820 335

CFK 6.300 1.546 2.470 1.570 1.570

9.55 9.56

9
. Abb. 9.55  Stahlrotor (s. [22]) . Abb. 9.56  Verbundrotor (s. [22])

der Speicher bei falscher Sicherung mehrere Me- durch ist es möglich, das Gehäuse eines Schwung-
ter in die Luft hebt. Trotz mehrfacher Prüfung des radenergiespeichers mit Faserverbundstoffrotor
Schwungrads bei Überdrehzahl kann nie ganz aus- wesentlich kompakter zu gestalten (s. [20]).
geschlossen werden, dass über die gesamte Lebens-
dauer des Rotors nicht doch ein Schadensfall, wie 9.3.1.3 Aufbau von Schwungradspeicher-
in .  Abb. 9.55 dargestellt, eintritt. Hierdurch wird anlagen
es zwingend notwendig, Schutzvorrichtungen Der Schwungradspeicher verfügt über einen Auf-
einzurichten, die auch im Turbinenbau Anwen- bau entsprechend .  Abb.  9.57. Der Energiespei-
dung finden. Zum rechtzeitigen Erkennen eines cher und damit das Kernstück der Anlage ist das
Versagens sollte auf regelmäßige Wartungen und Schwungrad, welches meist in einem Vakuum oder
Inspektionen der Anlage nicht verzichtet werden. in einer Gasumgebung rotiert. Dies sorgt dafür,
Mit dem Aufkommen der ersten Faserverbund- dass die Luftreibungsverluste auf ein Minimum re-
schwungradspeicher stiegen zwar die maximalen duziert werden. Das Schwungrad selbst ist über ein
Umfanggeschwindigkeiten, die Gefahr im Fall des Lager mit dem Gehäuse verbunden. Der Schwung-
Zerberstens des Rotors wurde jedoch nicht grö- radspeicher ist mit einer elektrischen Maschine
ßer. Ein Rotor aus Metall zerbirst im Schadensfall (Motor/Generator) gekoppelt und im Falle einer
in größere einzelne Stücke, die mit hoher Energie Netzkopplung mit diesem über einen Frequenzum-
und Geschwindigkeit auf die Gehäusewand auf- richter verbunden, um jederzeit mit Netzfrequenz
schlagen und dort zu erheblichem Schaden führen. einzuspeisen zu können.
Der Kunststoffrotor hingegen kann so ausgelegt
werden, dass eine extrem große Anzahl feinster Fa- 9.3.1.4 Bauformen des Schwungrads
serteilchen mit relativ kleiner Energie gleichmäßig Die Energie in einem Schwungrad wird als Ro-
auf die Gehäusewand auftritt (s. . Abb. 9.56). Hier- tationsenergie gespeichert. Bei der Verwendung
9.3 • Feste Medien
513 9
9.57 Netz

Betriebsdatenerfassung
und Regelung

Umrichter
M/G

Elektrische Maschine

Vakuumpumpe

Schwungrad

. Abb. 9.57 Bauform

eines Werkstoffs, der sich unter Einwirkung der triebsmoment bei Beschleunigung oder Verzö-
Fliehkraft elastisch verformt, würde zusätzliche gerung zusammen. Des Weiteren können äußere
potenzielle Energie gespeichert werden. Allerdings Einflüsse wie Temperatur/Druckdifferenz und
ist dieser Anteil bei konventionellen Schwungrä- Kreiselmomente eine Rolle spielen. Da es sich um
dern, die aus Stahl oder faserverstärkten Kunststof- ein schnell rotierendes Schwungrad handelt, ist die
fen bestehen, aufgrund der geringen Verformung Fliehkraft von entscheidender Bedeutung. Daraus
vernachlässigbar gering. Wie bereits zuvor erklärt, ergibt sich für die voneinander unabhängigen Ele-
ergibt sich die gespeicherte Energie zu mente des Spannungstensors σ i folgender Zusam-
menhang:
1
Ekin = J ω .
(9.39)
2

2 {σ i } = ρω ra {ki (r , ϕ , z )}
2 2
(9.40)
Das Massenträgheitsmoment J wird von der Form
des Schwungrads und der Dichte des verwendeten
ρ    Dichte
Materials bestimmt. Die gespeicherte Energie wird ra     Außenradius Schwungrad
durch die maximal zulässige Drehzahl begrenzt, ki     Funktion mit Abhängigkeit von der Schwungradform
welche wiederum vom verwendeten Material ab- und den Zylinderkoordinaten r, φ und z.
hängt.
Für einen Vergleich verschiedener Schwung- Mithilfe der Festigkeitshypothese wird aus den
radformen und Materialien eignet sich am besten einzelnen Komponenten des mehrachsigen Span-
die massenspezifische Energiedichte. Für die Her- nungszustandes eine Vergleichsspannung σ v er-
leitung der Energiedichte werden zunächst die rechnet. Diese entspricht einer äquivalenten Belas-
Spannungen innerhalb des Rads betrachtet. tung eines einachsigen Spannungszustands:
Die Berechnung erfolgt mit einer Differential-
gleichung für ein infinitesimal kleines Volumen- σ v = f (σ i ) mit i = 1 bis 6.
(9.41)
element und dessen Verformungsbedingungen,
Gleichgewichtsbedingungen und dem Hook’schen Nachdem die größte auftretende Vergleichsspan-
Gesetz. Die wirkenden Kräfte setzten sich hierbei nung im Schwungrad bekannt ist, muss diese mit
aus der Gewichtskraft, Fliehkraft und dem An- der zulässigen Materialbelastung verglichen wer-
514 Kapitel 9 • Mechanische Energiespeicher

den. Bei der Berechnung der zulässigen Material- 9.58


belastung sollte darauf geachtet werden, dass die
Dauerfestigkeit und die Sicherheit entsprechend
berücksichtigt werden. Zur Vereinfachung sollte
der Wert aus der Festigkeitshypothese ausgeklam-
mert werden, wodurch sich folgender Zusammen-
. Abb. 9.58  Alternative Bauformen
hang ergibt:

σ zul = σ v max = ρω ra max { f (ki )} .


(9.42)
2 2
Frühe Schwungräder, die schon bei den ersten
Dampfmaschinen Anwendung fanden, wurden
Im nächsten Schritt wird die Gleichung nach ω 2 als Rad mit Speichen gebaut. Bei dieser Bauform
umgestellt und anschließend in Gl. 9.35 eingesetzt: liegt fast die gesamte Masse im äußeren Bereich
des Rads. Über mehrere Speichen oder eine dünne
J
E= σ zul .
(9.43) Scheibe ist das Rad mit der Nabe verbunden. Durch
2
2 ρra max { f (ki )} seine große Masse im äußeren Bereich verfügt diese
Bauform über ein großes Massenträgheitsmoment.
Nachdem beide Seiten durch m dividiert wurden, Nachteilig ist allerdings die schwach ausgelegte
ergibt sich: Verbindung zwischen Nabe und Rad, sodass die
maximale Drehzahl begrenzt ist. In diesem Bereich
 E 1 J 1 σ zul kommt das Material schnell an seine maximal zu-
= . (9.44)
m 2 mra2 max { f (ki )} ρ lässige Spannungsgrenze.
9 Alternative Bauformen sind kompakter und
Jetzt kann der erste Teil der Gleichung zu einem haben die Form von Zylindern oder massiven
Faktor zusammengefasst werden. Dieser neu gebil- Scheiben (s. .  Abb. 9.58). Hierdurch kommt es zu
dete Faktor wird Formfaktor K genannt und hängt geringeren Spannungen im Außenbereich und die
nur von der Form und nicht vom Material oder den Hauptbelastung konzentriert sich auf das Zentrum.
Abmessungen des Schwungrades ab, Die Auslegung des Schwungrads als dünne Scheibe
ergäbe näherungsweise einen zweiachsigen Span-
 1 J 1 nungszustand. Mit zunehmender Scheibendicke
K= . (9.45)
2 mra2 max { f (ki )} treten zusätzlich zu den radialen und tangentialen
Zugspannungen auch Druckspannungen auf, die
Der Formfaktor kann Werte zwischen 0 und 1 an- wiederum die Festigkeit des Schwungrads und so-
nehmen und beschreibt die Gleichmäßigkeit der mit die maximale Drehzahl reduzieren.
Schwungscheibenbelastung. Der Faktor  1 ist nur Wie bereits zu Beginn des Abschnitts erwähnt,
in der Theorie erreichbar. Es würde an jeder Stelle befasste sich Carl Gustav de Laval bereits im 19.
des Schwungrads die gleiche Spannung herrschen. Jahrhundert mit dem Auftreten von Spannungen
Um die Gesamtgleichung für die massenspezifische bei rotierenden Materialien. Allerdings bezogen
Energiedichte E/m zu erhalten, muss Gl.  9.45 in sich seine Überlegungen auf die Geometrie beim
Gl. 9.44 eingesetzt werden: Turbinendesign. Seine Konstruktion eines Turbi-
nenschaufelrads mit einer gleichmäßigen Vertei-
E σ
= K zul .
(9.46) lung aller Materialspannungen über die gesamte
m ρ Fläche war entscheidend für die Entwicklung der
Mithilfe der massenspezifischen Energiedichte späteren Scheibengeometrie für Schwungräder.
kann eine geeignete Abschätzung für das Schwung- Sein in der Theorie entworfenes Turbinenschaufel-
rad getroffen werden. Durch die Auswahl einer rad kann dem Formfaktor 1 zugeordnet werden.
Schwungradform und den Werkstoff kann somit Die Voraussetzung hierfür ist unter realen Bedin-
die benötigte Masse zu einem geforderten Energie- gungen aber nicht erfüllbar, denn das Produkt aus
inhalt errechnet werden. Drehzahl und Radius müsste unendlich groß sein.
9.3 • Feste Medien
515 9
Unter reellen Voraussetzungen fällt die Span- die für die Sicherheit im Fall des Zerberstens sorg-
nung im äußeren Bereich ab. Mithilfe eines Kranzes ten. Zusätzlich sollte mit einem zerstörungsfreien
am Rand der Scheibe wird die notwendige Span- Prüfverfahren eine regelmäßige Überprüfung des
nung erzwungen und zusätzlich die Festigkeit der Rotors auf Risse erfolgen.
Scheibe erhöht. Hierbei können Formfaktoren von Hochfester Stahl gehörte lange Zeit zu den am
bis zu 0,95 erreicht werden. Bei massiven Schwung- häufigsten eingesetzten Werkstoffen zur Herstel-
rädern gilt zu beachten, dass eine Zentralbohrung lung von Rotoren für Schwungradspeicheranlagen
zu einer Verdopplung der Tangentialspannung am und wird auch heute meist in stationären Anlagen
Rand der Bohrung führt. noch eingesetzt. Das Stahlgussverfahren bietet sich
Beim Einsatz moderner faserverstärkter Kunst- zur Herstellung von kleineren Schwungscheiben
stoffe ist die Festigkeit in Faserrichtung etwa zwan- gleicher Festigkeit an. Problematisch wird es bei
zigmal höher als in senkrechter Richtung zur Faser. Schwungrädern mit größerer Wandstärke. Hier
Hierdurch wird eine andere Formgeometrie als bei führen Einschlüsse zu einer Qualitätsminderung,
einem Stahlrad benötigt. Die ideale Bauform ist ein wodurch die Festigkeit herabsetzt wird.
dünner Ring. Dennoch erreichen die Fasern im Bei der Verwendung von geschmiedeten Stäh-
Betrieb durch Radialspannungen ihre Belastungs- len können auch Schwungradscheiben mit größe-
grenze, noch bevor die maximal zulässige Span- rer Wandstärke hergestellt werden. Ein vergüteter
nung in Faserrichtung erreicht wird. Stahl aus z.  B. 36NiCrMo16 besitzt eine Streck-
Heutige Schwungräder aus faserverstärkten grenze von 1050  N/mm² und würde somit auch
Kunststoffen werden häufig aus vielen ineinan- größeren Belastungen standhalten (s. [45]). Aller-
dergesteckten dünnen Ringen hergestellt. Bei die- dings ist dieser bei der Herstellung von Turbinen
sem Verfahren muss darauf geachtet werden, dass eingesetzte Werkstoff aufs Volumen bezogen etwa
Wechselwirkungen der einzelnen Ringe unter- 2,7-mal teurer als ein S235JR-Stahl. Zudem sollte
einander nicht zu Radialspannungen führen. Aus bei der Auswahl eines geeigneten Werkstoffes be-
diesem Grund werden die Ringe mithilfe von Fe- dacht werden, dass dieser wegen der wechselnden
derelementen oder elastischen Abstandshaltern Be- und Endladezyklen eine hohe Dauerfestigkeit
entkoppelt. aufweisen muss (s. [45]).
Zum Erreichen einer Minderung der Radial- Moderne Schwungradspeicher besitzen einen
spannungen besteht die Möglichkeit, einzelne Rotor aus z. B. anisotropen Werkstoffen. Insbeson-
Ringe über Kegelspitzen ineinanderzufügen. Hier- dere im mobilen Einsatz gewinnen diese an Bedeu-
durch kommt es zu erzwungenen Druckspannun- tung. Durch den hohen spezifischen Energieinhalt
gen im Schwungrad, die im Betriebszustand radiale bei geringer Masse sind sie den Stahlschwungrä-
Zugspannungen verringern (s. [13, 22]). dern überlegen, und die Gefahr im Versagensfall ist
zudem wesentlich geringer.
zz Werkstoffeigenschaften Faserverstärkte Kunststoffe sind neben den
Die verschiedenen Werkstoffe werden anhand ihres Vergütungsstählen die wichtigsten Materialien zur
Verhaltens im Belastungszustand in isotrope und Herstellung von Schwungrädern. In die Kategorie
anisotrope Werkstoffe unterteilt. Stahl gehört zu »faserverstärkte Kunststoffe« gehören die Glasfa-
den isotropen Werkstoffen, dessen Belastungszu- ser- Kunststoffe (GfK), Kohlefaserverstärkte Kunst-
stand am besten mit der Form einer Scheibe har- stoffe (CfK) und Aramidfaserverstärkte Kunststoffe
moniert (Formfaktor 0,95). Um die verschiedenen (AFK). Hergestellt werden diese mithilfe verschie-
Werkstoffe vergleichen zu können, wird häufig die dener Epoxyd-Harze und den entsprechenden Fa-
spezifische Festigkeit herangezogen. Diese ergibt sern, im Verbund auch Matrix genannt (s. [22]).
sich aus dem Quotienten der Zugfestigkeit und
der Dichte eines Materials. Wie in .  Tab. 9.16 be- 9.3.1.5 Lagerungsarten und
reits vermerkt, besteht der größte Unterschied zu Lageranordnung
früheren kinetischen Energiespeichern in den ver- Die Lagerung der Schwungräder ist eine der an-
wendeten Werkstoffen. Bei Rotoren aus Stahl gab es spruchsvollsten Aufgaben bei der Entwicklung
oft eine Minderung der Leistung durch Bauformen, einer Schwungradspeicheranlage. Während des
516 Kapitel 9 • Mechanische Energiespeicher

Betriebs müssen die Lager hohen Belastungen chenden Gleitfilm) bei allen Drehzahlen ohne Ver-
standhalten und zum Gewicht des Rotors noch schleißerscheinungen.
auftretende Unwuchten und Kreiselmomente aus- Das hydrodynamische Gleitlager erzeugt den
gleichen. Zudem kommt es durch die Entwicklung Schmierfilm und somit die Tragkraft durch die
von neuen faserverstärkten Kunststoffen zu immer Relativbewegung zwischen Welle und Lagerschale.
höheren Drehzahlen, die größere Anforderungen Hierbei werden drei Stadien der Reibung durch-
an die Lagerung stellen. Zur Erreichung eines ak- laufen. Zu Beginn stellt sich Haftreibung ein, die-
zeptablen Wirkungsgrads sollten Reibungsverluste se geht über in Mischreibung und mit steigender
in Lager und Rotor so gering wie möglich gehalten Drehzahl stellt sich Flüssigkeitsreibung ein. Einsatz
werden. Hierzu laufen die Rotoren häufig im Va- finden hydrodynamische Gleitlager vor allem in
kuum oder in einer mit Gas gefüllten Atmosphäre, Dampfturbinen, da diese keine Last- und Dreh-
was wiederum höhere Ansprüche an die Lager- zahlbeschränkung aufweisen. Für den Einsatz in
schmierung stellt. Zuletzt sollte das Lager über eine Schwungradspeichern ist diese Art der Lagerung
möglichst lange Lebensdauer verfügen, um die nicht geeignet. Durch die vielen Lade- und Endla-
Wartungskosten so gering wie möglich zu halten. dezyklen würde das Gleitlager immer wieder Haft-
reibung erfahren und frühzeitig altern (s. [46]).
zz Wälzlager
Wälzlager sind nur bedingt zur Lagerung großer zz Magnetlager
Schwungräder geeignet. Bei zunehmender Lager- Magnetlager sind dazu in der Lage, rotierende
größe sinkt die Drehzahlgrenze und die Lagerrei- Körper berührungslos mithilfe von magnetischen
bung nimmt zu. Lediglich die Tragfähigkeit steigt Kräften zu stabilisieren. Es besteht die Möglichkeit,
9 bei zunehmendem Durchmesser. Durch die großen Lasten von konventionellen Lagern zu verringern
Belastungen bei hoher Drehzahl sinkt die Lebens- oder diese ganz zu unterbinden. Die Vorteile bei
dauer des Lagers. Vorteilhaft sind die günstigen An- dieser Art der Lagerung sind:
schaffungskosten, da es sich hierbei um ein Massen- 55 Verschleißfreiheit, da es zu keiner Reibung
produkt handelt. Durch das Erstellen eines Arbeits- zwischen Welle und Lageraufnahme kommt.
zyklus und Ermittlung der Einsatzzeiten des Lagers 55 Es werden keine zusätzlichen Schmiermittel
kann abgeschätzt werden, ob die Lebensdauer des benötigt, wodurch sich die Lagerung bestens
gewählten Wälzlagers ausreichend bemessen ist. Für für den Vakuumbetrieb eignet.
eine ausreichende Schmierung sollte eine Ölumlauf- 55 Sehr hohe Drehzahlen sind unproblematisch
schmierung verwendet werden, da diese im Gegen- und werden nur durch die Festigkeit des Ro-
satz zur Ölnebelschmierung im Vakuum funktional tors begrenzt.
bleibt. Zusätzlich sorgt die Ölumlaufschmierung für 55 Nahezu Wartungsfreiheit und somit kosten-
eine ausreichende Kühlung des Lagers. sparend. Anfallende Kosten für Betriebsstrom
bei aktiven Magnetspulen oder für das Kühl-
zz Gleitlager system gleichen sich durch die lange Lebens-
Gleitlager sind Lager, bei denen die zueinander be- dauer wieder aus.
weglichen Teile, Welle und Lagerschale, durch ein
Zwischenmedium getrennt werden. Hierbei wird Nachteilig sind die höheren Anschaffungskosten
zwischen zwei Arten unterschieden, hydrostatische und der wesentlich größere Einbauraum des Sys-
und hydrodynamisch wirkende Gleitlager. tems. Zudem müssen Vorkehrungen für den Fall
Bei den hydrostatischen Gleitlagern wird der getroffen werden, dass es zu einem Ausfall des Ma-
benötigte Öldruck zur Lastaufnahme durch eine gnetfelds kommt. Es werden Notlager (sogenannte
externe Ölpumpe bereitgestellt. Leistungsverluste Fanglager in Wälz- oder Gleitlagertechnik) benö-
setzen sich aus Pump- und Reibungsverlusten zu- tigt, die dazu in der Lage sind, dem Stoß und der
sammen. Vorteilhaft ist die nahezu grenzenlose Belastung bis zum Stillstand des Rotors sowie den
Lastaufnahme (vorausgesetzt, die Ölpumpe er- enormen Beschleunigungen im Fall eines Wellen-
bringt den benötigten Öldruck für einen ausrei- absturzes aus hoher Drehzahl standzuhalten.
9.3 • Feste Medien
517 9
9.59
Fv

Ft

Vakuum

Kühlsystem Vakuumpumpe

Thermische lsolation

HTSL PM Eisen Kupfer

. Abb. 9.59  Magnetlager in Schwungradspeichern

zz Art der Lagerung duktion zunutze. Der Aufbau eines supraleitenden


Es wird zwischen zwei Arten der Lagerung unter- Magnets, wie in .  Abb.  9.59 ersichtlich, benötigt
schieden, der aktiven und passiven Lagerung: zusätzlich zur elektronischen Überwachung noch
Aktive Lagerung: ein Kühlsystem. Die Vakuumpumpe ist bei vielen
55 Lagerparameter einstellbar (Dämpfung, Stei- Schwungradspeicheranlagen ein fester Bestandteil.
figkeit) Die Kühlung kann auf zwei verschiedene Arten
55 Elektronische Unwucht-Kompensation erfolgen. Zum einen ist es möglich, die Kühlung
55 Feinpositionierung des Rotors im Rahmen des mithilfe eines Kühlmediums wie flüssigen Stick-
vorhandenen Luftspalts stoff, Wasserstoff oder Helium zu realisieren. Diese
55 Überwachung aller Lagerparameter möglich Art der Kühlung ist nur dann sinnvoll, wenn sich
55 Vibrationsarm in der näheren Umgebung Tanks befinden, welche
das Kühlmedium bereitstellen, oder Aggregate auf-
Passive Lagerung: gestellt sind, die solche Kühlmedien produzieren.
55 Supraleitende Magnetlager (benötigt Kühlung) Es kann aber auch eine Kühlung durch ein Kühl-
55 Entlastung konventioneller Lager durch mag- aggregat erfolgen, mit dem Vorteil, dass es sich um
netische Unterstützung ein geschlossenes System ohne externen Betriebs-
55 Vibrationsarm stoff handelt. Somit ist dieses System am besten zur
Lagerkühlung geeignet. Bei realen Anwendungen
Moderne supraleitende magnetische Lager (SML) werden Temperaturbereiche zwischen 60 und 77 K
oder hochtemperatursupraleitende Lager (HTSL) für Niedertemperatursupraleiter benötigt. Neu ent-
werden mithilfe von Supraleitern hergestellt. Hier- wickelte Materialien, die bereits oberhalb von 77 K
bei macht man sich den Meißner-Ochsenfeld-Ef- supraleitend werden (Hochtemperatur-Supraleiter,
fekt und die von der Lenz‘schen Regel beschrie- HTSL), stellen eine energiesparende Alternative
benen Zusammenhänge über die Richtung des dar (s. [38]).
elektrischen Stroms bei elektromagnetischer In-
518 Kapitel 9 • Mechanische Energiespeicher

9.60 Last

Last

Lager

Reihenschaltung von Parallelschaltung von


Lagern Lagern

. Abb. 9.60  Reihen- und Parallelschaltung von Lagern in Schwungradspeichern

zz Anordnung der Lagerung Durch die Reihenschaltung (s. .  Abb.  9.60, links)
Die Schwungradwelle kann sowohl waagerecht als kann bei einem Axialwälzlager die Verteilung der
auch senkrecht gelagert werden. Erfolgt eine La- Last auf mehrere Lager erfolgen. Ebenso können
gerung in horizontaler Anordnung, so wird die zwei oder mehr Lager parallel geschaltet werden
9 Gewichtskraft und eventuell aufkommende Un- (s. . Abb. 9.60, rechts). Dies kann mit Lagern glei-
wucht gleichmäßig auf die Lagerung aufgeteilt. Von cher oder unterschiedlicher Bauform und Größe
Nachteil ist bei dieser Art der Lagerung das aus der erfolgen.
Gewichtskraft resultierende Aufkommen von Bie- Erwähnenswert ist die Zusammenschaltung
gemomenten. Zusätzlich kommt es zu hohen Zug- mehrerer Schwungräder, um den Energieinhalt
schwellenbelastungen. einer Schwungradspeicheranlage zu erhöhen. Hier-
Bei der senkrechten Lagerung werden zusätzlich durch werden die Abmessungen der Schwungrad-
zur radialen Lagerung auch Axiallager benötigt, um anlage kaum größer, und durch das Verwenden
die Gewichtskraft auffangen zu können. Zusätzlich mehrerer kleiner Schwungscheiben lässt sich zu-
werden ein oder zwei Radiallager benötigt, um die sätzlich das Berstverhalten verbessern. Jedoch soll-
Führung des Rotors und die Aufnahme eventuell te bedacht werden, dass es bei waagerechter Welle
aufkommender Unwucht zu gewährleisten. Dabei zu einer zusätzlichen Belastung des axialen Lagers
können mehrere Variationen zum Einsatz kommen: kommt. Bei einer senkrechten Welle hat sich in
Axiallager: der MAN-Studie gezeigt, dass sich das Aufteilen in
55 Hydrostatisches Gleitlager mehrere Schwungscheiben positiv auf die Lebens-
55 Magnetlager dauer des Lagers auswirkt (s. [109]).
55 Kombination mehrerer Wälzlager
9.3.1.6 Laden und Entladen des Speichers
Radiallager: Zur Be- und Entladung der Schwungradspeicher-
55 Wälzlager in Rollen- oder Kugelausführung anlage werden eine elektrische Maschine und ein
(in modernen Anlagen kommen Wälzlager Umrichter benötigt. Beim Entladen übernimmt die
mit keramischen Wälzkörpern zum Einsatz, elektrische Maschine die Aufgabe, die mechanisch
welche sich durch ihre hohe Festigkeit und ein gespeicherte Energie in elektrische Energie umzu-
gutes Verschleißverhalten auszeichnen) wandeln. Beim Laden wandelt sie die elektrische
55 Magnetlager Energie in mechanische Energie. Hierbei kommt es
9.3 • Feste Medien
519 9
durch Reibung und elektrische Verluste zur Wär- zur Frequenzregulierung des öffentlichen Strom-
meentwicklung. Folgende elektrische Maschinen netzes gekoppelt, kommt es zu einer sprunghaften
kommen zum Einsatz: Drehzahländerung des Läufers. Dies ist durch das
Nacheilen des Läufers im Motorbetrieb und das
zz Gleichstrommaschine Voreilen im Generatorbetrieb bedingt.
Die Gleichstrommaschine ist eine elektrische Ma-
schine, die als Generator oder elektrischer Motor zz Synchronmaschine
betrieben werden kann. Ihr Rotor mit Ankerwick- Die Drehstrom-Synchronmaschine wird in ver-
lung dreht sich in einem festen Magnetfeld, das in schiedenen Bauformen ausgeführt. Nach einer Ein-
einem massiven Gehäuse verbaut wird. Zusätzlich teilung in Außen- und Innenpolmaschine werden
wird aufgrund des sich drehenden Rotors eine Än- diese nochmals in Schenkelpol- und Vollpolma-
derung des Magnetfelds hervorgerufen, das mit- schine unterteilt. Alle Arten verfügen über einen
hilfe eines Kommutators periodisch umgepolt wer- Ständer, einen Rotor und eine Erregereinrichtung.
den muss. Der Betrieb erfolgt bei einer anliegenden Der Ständer besteht aus drei Wicklungssträngen,
Wechselspannung und benötigt eine Leistungselek- die um 120°/Polpaarzahl versetzt werden. Bezeich-
tronik, um vom Wechselspannungsnetz betrieben net werden die Wicklungen mit U, V, W und es
zu werden oder in dieses einspeisen zu können. Bei erfolgt eine Verschaltung in Stern- oder Dreiecks-
Verwendung eines Umrichters kann es durch Leis- schaltung. Der Aufbau des Ständers gleicht dem der
tungsspitzen zu einer hohen Beanspruchung der Asynchronmaschine. Nachdem die Maschine mit-
Schleifkontakte kommen. Auch wenn Umrichter hilfe eines Wechselrichters netzsynchron geschaltet
in der Lage sind, hohe Leistungen zu verarbeiten, ist, kann dieser im Gleichlauf überbrückt werden.
spricht die starke Abnutzung der Schleifkontakte Ab diesem Zeitpunkt läuft die Synchronmaschine
durch Funkenfeuer bei einer hohen Polpaarzahl exakt mit der Frequenz der anliegenden Netzspan-
gegen den Einsatz in Anlagen, die schnell viel Ener- nung gleich. Selbst wenn es zu einem Stromausfall
gie bereitstellen sollen. kommt, verhindert die Masse des Rotors einen ab-
rupten Stillstand, und es wird eine Spannung mit
zz Asynchronmaschine der Frequenz äquivalent zur Drehzahl erzeugt.
Die Drehstrom-Asynchronmaschine kann ebenso
als Motor oder als Generator betrieben werden. zz Reluktanzmaschine
Der Motor besteht aus einem festen Teil, dem Stän- Die Reluktanzmaschine ist ein Elektromotor, bei
der oder auch Stator genannt, und einem innenlie- dem das Drehmoment im Rotor nur durch die
genden Rotor, auch als Läufer bezeichnet. Der Läu- Reluktanzkraft erzeugt wird. Bei Elektromotoren
fer ist frei beweglich und über eine Welle gelagert. mit magnetischen Erregern erfolgt dies zum we-
Es wird zwischen Kurzschlussläufern und Läufern sentlichen Teil durch die Lorenzkraft. Dies hat den
mit Spulen unterschieden. Ein Kurzschlussläufer Vorteil, dass die Reluktanzmaschine weder mit
besteht aus einem Eisenblechpaket, in dem Metall- Permanentmagneten noch mit einer elektrischen
stäbe aus Nichteisenmetall eingebettet sind. Das Wicklung am Rotor versehen ist. Hierdurch ent-
Eisenblechpaket besteht aus vielen, wenige Milli- fallen fast alle Verschleißteile wie z. B. Schleifring
meter dicken Blechen, die gegenseitig isoliert wer- oder Bürsten.
den und mit Nuten für die Läuferstäbe versehen Im Vergleich zu magnetisch erregten Elektro-
sind. In die Aussparungen des Eisenblechpakets motoren ist das Drehmoment der Reluktanzma-
wird Aluminium im Aluminium-Druckgussver- schine gering. Somit ist eine im Verhältnis größere
fahren eingelassen. Reluktanzmaschine nötig, um ein gleiches Dreh-
Befindet sich die Asynchronmaschine im Mo- moment wie ein Asynchronmotor erzeugen zu
torbetrieb, ist die Drehzahl des Läufers immer lang- können. Nachteilig ist zudem, dass es zu einem
samer als das Drehfeld an der Spule. Diese Dreh- pulsierenden Drehmoment kommt, das bei klei-
zahldifferenz wird auch Schlupf genannt. Wird eine nerer Startpolzahl stärker ausfällt. Der Betrieb
Asynchronmaschine an einen Schwungradspeicher als Generator ist nur mithilfe von Kondensatoren
520 Kapitel 9 • Mechanische Energiespeicher

möglich. Durch den robusten Bau des Rotors ist die Abhängigkeit vom Gehäuseinnendruck ein Ver-
Reluktanzmaschine unempfindlich gegen kurzzei- lustmoment. Hierdurch ändert sich Gleichung 9.42
tige Überlastungen und zu hohe Drehzahlen. In der wie folgt:
Serienfertigung kann sie kostengünstig produziert
werden, was an ihrem einfachen Aufbau liegt. ΣM = ± M mech − M L (ω ) − M Aero (ω ) − M D (ω )
= J ⋅ ω . (9.51)
zz Dynamische Vorgänge
Bei der Beschleunigung des Schwungrads, dem La- Um die Differentialgleichung für die Energiespei-
den, wird elektrische Energie mechanisch gespei- cherung in einem reibungsbehafteten Schwungrad
chert. In dieser Phase ist das mechanische Moment zu erhalten, wird sie mit der Winkelgeschwindig-
positiv. Umgekehrt entsteht bei der Entladung des keit erweitert:
Schwungradspeichers ein negatives mechanisches
Moment. Die erbrachte mechanische Leistung Pmech  dE = ± Pmech (ω ) − PL (ω ) − PAero (ω ) − PD (ω ).
ist hierbei proportional zur Winkelgeschwindigkeit dt
(9.52)
ω und zum Moment M ,
Zu den weiteren Verlusten zählt der Energiebe-

 = J ⋅ ω mit
± M mech = J ⋅ ϕ
(9.47) = ω, darf für Hilfsaggregate. Je nach Ausführung der
dt Schwungradspeicheranlage zählen zu den Hilfsag-
gregaten der Steuerelektronik die Kühlung der La-
Pmech = M mech ⋅ ω = J ⋅ ω ⋅ ω .
(9.48) ger, eine Niederdruckpumpe für die Ölversorgung
von Wälzlagern oder eine Hochdruckpumpe bei
9 Zur Berechnung der über einen Zeitraum gespei- hydrostatischer Lagerung, die Gleichstromversor-
cherten oder entnommenen Energie Esp wird das gung bei elektromagnetischen Lagern, eine Vaku-
Integral der Leistung über diesen Zeitraum berech- umpumpe zur Gehäuseevakuierung und eventuell
net: eine Kühlungseinrichtung für weitere elektronische
t2 t2 Bauteile der Anlage (. Abb. 9.61).
Esp = ∫
Pmech dt =
(9.49)
t1 ∫
J ⋅ ω ⋅ ω ⋅ dt
t1

9.3.2 Lageenergiespeicher

ω2 1
= J ∫ ω ⋅ d ω dt = J (ω 22 − ω12 ). (9.50) Der Lageenergiespeicher ist ein mechanischer Spei-
ω1 2 cher, der ein flüssiges Medium (Wasser) benutzt,
um die potenzielle Energie eines festen Mediums
Einschränkung beim Be- und Entladevorgang ist (Gestein) zu verändern.
die begrenzte Drehzahl der Schwungmasse durch Die Funktionsweise eines Lageenergiespeichers
die maximale Belastungsgrenze des Materials. Zu- ist in . Abb. 9.62 dargestellt. Bei Stromüberangebot
dem wird die Drehzahl nochmals verringert, um wird Wasser mit entsprechendem Druck mittels
eine längere Lebensdauer des Schwungrads zu ge- elektrisch betriebenen Pumpen unter einen frei-
währleisten. Zusätzlich ist zu bedenken, dass die gelegten Felszylinder gepumpt und in Form von
maximale Leistungszufuhr durch den elektrischen potenzieller Energie gespeichert. Der Felszylinder
Anlagenteil und die Schwungwelle begrenzt wird. hebt sich aufgrund der hydraulischen Kräfte an.
Die Höhe des nötigen Druckes ist abhängig von der
zz Verluste beim Laden und Entladen Masse des freigelegten Felszylinders und liegt im
Gleichung 9.43 beschreibt das betrachtete mecha- Bereich zwischen 26 und 206 bar (s. [41]).
nische System nur unvollständig. Es kommt zu Zur Rückverstromung wird der Felszylinder
weiteren Verlusten durch Reibung in den Lagern abgesenkt, das unter Druck stehende Wasser durch
M L oder durch Reibungsverluste von Dichtungen eine Turbine mit angeschlossenem Generator gelei-
M D . Auch durch Luftreibung M Aero entsteht in
9.3 • Feste Medien
521 9
9.61 QUmrichter Qel QLager

QAero QDicht

~
M
=

PHilf

. Abb. 9.61  Verluste eines Lageenergiespeichers

9.62

. Abb. 9.62  Funktionsweise eines Lageenergiespeichers. (Quelle: [43])

tet und der so erzeugte Strom mittels eines Trans- Speicherkapazität. Das Wasser dient bei diesem
formators in das Stromnetz eingespeist. Konzept lediglich als Hydraulikflüssigkeit (s. [43]).
Die Besonderheit des Speichers ist die Nutzung Beim Lageenergiespeicher handelt es sich um
des Gesteins zur Speicherung der potenziellen ein von Eduard Heindl entwickeltes Speicherkon-
Energie, dessen Dichte um ein Vielfaches höher als zept, das bislang noch nicht realisiert worden ist.
die von Wasser ist. Dies führt zu einer erhöhten Sämtliche hier wiedergegebenen Abschätzungen
stammen aus dessen Quellen.
522 Kapitel 9 • Mechanische Energiespeicher

9.63
gespeicherte
potentielle Energie
85 % – 90 %

Rohrleitung

Pumpe 86 % – 90,5 %

Motor 96 % – 98,5 % 84 % – 89,5 %


Rohrleitung
Transformator 99 % – 99,5 % 74 % – 85,5 %
Turbine
100 % 71 % – 84,5 %
Generator
70 % – 84,5 %
Transformator

zugeführte zurückgewonnene
elektrische Energie elektrische Energie

. Abb. 9.63  Wirkungsgrad eines Lageenergiespeichers. (Quellen: [62, 70, 76, 95])
9
9.3.2.1 Kennwerte Energie EZ des Zylinders von einem Volumen VZ ,
zz Wirkungsgrad gehoben auf eine Höhe hZ zu
Der erreichbare Wirkungsgrad eines Lageenergie-
speichers ist mit dem eines Pumpspeicherwerks EZ = g ⋅ ρG ⋅ VZ ⋅ hZ .
(9.54)
vergleichbar, da die Maschinenkomponenten fak-
tisch identisch eingesetzt werden (s. .  Abb.  9.63). Das Volumen VZ des Zylinders ist abhängig von
Er setzt sich aus dem Wirkungsgrad des Transfor- dessen Radius rZ und Höhe lZ :
mators ηTr , des Motors bzw. des Generators ηM ,G ,
der Pumpe bzw. der Turbine ηP ,T sowie der Rohr- VZ = π ⋅ rZ 2 ⋅ lZ .
(9.55)
leitung ηR zusammen:
Damit der Zylinder aufgrund des schwimmenden
ηges = ηTr ⋅ ηM , G ⋅ ηP ,T ⋅ ηR .
(9.53) Systems nicht kippt oder sich nicht verkantet, muss
der Schwerpunkt der Felsmasse immer unterhalb
zz Energiespeichervolumen und Kapazität der Dichtungslinie liegen. Grund dafür ist das aus
Die gespeicherte Energie eines Lageenergie- dem Schiffsbau bekannte Auftriebsprinzip (s. [43]).
speichers ergibt sich aus der Masse des Gesteins, Dies hat zur Folge, dass der Zylinder bis zur Ab-
aus welchem der Zylinder geschnitten wird, und dichtung, welche auf der halben Höhe des Zylin-
der Masse des Wassers, welches unter den Zy- ders angebracht wird, also maximal um
linder in den Hohlraum gepumpt werden kann
(s. . Abb. 9.64). Angenommen, die Dichte ρG des (9.56)
lZ
Gesteins beträgt 2600 kg/m3, welches der Dichte
hZ =
2
der kontinentalen Erdkruste entspricht (s. [28])
und die Gravitation beträgt auf der Erdoberflä- angehoben werden kann (s. [41]).
che g = 9,81 m/s 2, dann ergibt sich die potenzielle
9.3 • Feste Medien
523 9
d = 2r
9.64

r Wasserreservoir

Pumpe
Zylinder und
lz Turbine
Generator
Dichtung
Oberfläche

hz = lz/2
Hubraum

Wasserzulauf

Rohrsystem

. Abb. 9.64  Aufbau und Prinzip eines Lageenergiespeichers. (Quelle: [81])

Die potenzielle Energie EZ des Zylinders ergibt berechnet. Zusammengesetzt ergeben sich die
sich daraus zu potenziellen Energieverluste des Wassers aus

 lZ 2   lZ 
EZ = g ⋅ ρG ⋅ π ⋅ rZ 2 ⋅ . (9.57)  lZ + 2  2
2 l 
EW = − ⋅ g ⋅ ρW ⋅ π ⋅ rZ 2 ⋅  Z  . (9.61)
lZ  2
Verringert wird die gespeicherte Energie EZ durch
die potenziellen Energieverluste EW des Wassers
mit einer Dichte ρW = 1000 kg/m3, welches aus der Die gespeicherte potenzielle Energie des Lageener-
Wasserquelle von der Oberfläche unter den Zy- giespeichers ELES ergibt sich daher aus
linder gepumpt wird, seinen Schwerpunkt auf der
 lZ 2
Höhe rS und ein Volumen VH hat,  ELES = g ⋅ ρG ⋅ π ⋅ rZ 2 ⋅
2

EW = rS ⋅ g ⋅ ρW ⋅ VH ⋅ hZ .
(9.58)  l 
l + Z
 Z 2 
2
l 
Das Volumen VH des Hubraums ist abhängig vom − ⋅ g ⋅ ρW ⋅ π ⋅ rZ 2 ⋅  Z  .
lZ  2
Radius VH und der Höhe lZ des Zylinders und er-
gibt sich aus (9.62)
Dies ergibt zusammengefasst
l
VH = π ⋅ rZ 2 ⋅ Z .
(9.59)
2    lZ  
  lZ + 2 
 lZ  
2
l 2
ELES =  ρG ⋅ Z − ⋅ ρW ⋅    ⋅ g ⋅ π ⋅ rZ 2 .
Das Wasser im Hubraum liegt zwischen den Tiefen  2 lZ  2 
  
lZ und lZ , dessen Schwerpunkt rS sich aus
2 (9.63)
  l  Nutzt man Gl. 9.63 für die Berechnung eines Spei-
 lZ + Z  chers mit einem Radius rZ = 500 m und einer Höhe
  2 (9.60)
rS = − lZ = 1000 m , ergibt sich daraus eine Speicherka-
lZ
524 Kapitel 9 • Mechanische Energiespeicher

. Tab. 9.17  Brutto- und Nettospeicherkapazität für pW = g ⋅ ρW ⋅ (lZ − hZ ) .


(9.65)
verschiedene Größen eines Lageenergiespeichers, lZ
gleich 2rZ Je niedriger die Position des Zylinders ist, desto
Radius [m] 62,5 125 250 500 geringer wird der Druck an der Dichtung, da die
gegen den Zylinder arbeitende Wassersäule steigt.
Bruttokapazität 0,48 7,73 123,67 1.978,69
[GWh]
Der resultierende Druck an der Dichtung wird zu

Nettokapazi-
tät ηRü = 90 %
0,43 6,96 111,30 1.780,82
(
 pD = pZ − pW = g ⋅ ρG ⋅ lZ − ρW ⋅ (lZ − hZ ) .)
[GWh] (9.66)

Werden Pumpe und Turbine an der Oberfläche des


Zylinders platziert, sinkt der Druck, ist über den
pazität von ELES = 1980 GWh . Des Weiteren zeigt Ladezustand konstant und ergibt sich zu
Gl. 9.63, dass die Verdoppelung des Radius und der
Höhe zu einer 16-fach gespeicherten Energiemenge pWV 2 = g ⋅ ρW ⋅ lZ .
(9.67)
ELES führt (s. [43]). Wird lediglich die Höhe oder
der Radius verdoppelt, führt das zu einer Steige- Der Druck auf die Dichtung ist entsprechend
rung der Speicherkapazität um das Vierfache.
Die Speicherkapazität liegt damit im Bereich pDV 2 = pZ − pWV 2 = g ⋅ lZ ⋅ ( ρG − ρW ) .
(9.68)
von Terrawattstunden. Selbst nach Abzug der Ener-
gieverluste durch die Rückverstromung ergibt sich Schwieriger in letzterem Fall ist die Umsetzung
9 eine Speicherkapazität, welche den Strombedarf der Konstruktion für die Zuleitungen von Wasser
Deutschlands für einen Tag decken könnte (s. [70]). und Strom zu Pumpe und Turbine, welche bei Ab-
Um die extreme Steigerung der Speicherkapazität senken und Anheben des Zylinders in der Länge
mit Verdoppelung des Radius und der Höhe darzu- flexibel sein müssten, sowie die Speicherung des
stellen, zeigt . Tab. 9.17 sowohl die Brutto- als auch Wassers auf der Zylinderoberfläche (s. . Abb. 9.65).
die Nettospeicherkapazität für verschiedene An- .  Tabelle  9.18 zeigt die auftretenden Drücke
lagengrößen, bei welchen lZ gleich 2rZ entspricht für verschieden große Speicher unter der Annah-
(s.[41]). me, dass lZ gleich 2rZ entspricht, in Abhängigkeit
des Ladezustands. Die technische Umsetzung des
zz Druck Systems bei Drücken über 200 bar bedarf weiterer
Die Drücke innerhalb des Lageenergiespeichers Untersuchungen (s. [41]).
variieren je nach Anlagengröße und Ladezustand.
Ein guter Anhaltspunkt für die in der Pumpe und zz Flächenbedarf
der Turbine maximal auftretenden Drücke ist der Der Flächenbedarf von Lageenergiespeichern er-
Druck pD an der Dichtung. Dieser Punkt liegt bei rechnet sich vereinfacht durch die Oberfläche Az
voll aufgeladenem Speicher auf derselben Höhe mit des freigelegten Zylinders:
der Pumpe bzw. der Turbine, sofern diese an der
Geländeoberfläche platziert werden. Der Druck des AZ = π ⋅ rZ 2 .
(9.69)
Felszylinders auf das Wasser ergibt sich aus
Ein Speicher mit einem Radius rZ = 125 m , einer
pZ = g ⋅ ρG ⋅ lZ .
(9.64) Höhe lZ = 250 m und einer Kapazität von ca.
8 GWh hat entsprechend Gl. 9.69 eine Oberfläche
Der Druck des Wassers auf den Felszylinder vari- von A Z = 0,049 km 2 . Zum Vergleich, das Oberbe-
iert aufgrund der sich verändernden Wassersäule cken des größten deutschen Pumpspeicherwerks in
im Hubraum. Dieser hängt von der Höhe hZ ab, auf Goldisthal weist bei einer Kapazität von 8,5 GWh
welche der Felszylinder angehoben ist und ergibt eine Fläche von 0,55 km2 auf (s. [75]).
sich aus
9.3 • Feste Medien
525 9
9.65 Pumpe
und Turbine

Pumpe
und Turbine

lz Erdoberfläche
Erdoberfläche
lz

hz = lz /2
hz = lz /2

. Abb. 9.65  Druck; Platzierung von Pumpe und Turbine auf der Landoberfläche bzw. dem Zylinder

. Tab. 9.18  Druck in Abhängigkeit des Radius bei . Tab. 9.19  Spezifische Speicherkapazität für ver-
vollgeladenem Speicher mit installierter Pumpe und schiedene Anlagengrößen, lZ gleich 2rZ
Turbine auf der Erdoberfläche bzw. dem Zylinder, lZ
gleich 2rZ Radius [m] 62,5 125 250 500

Fläche [m2] 12.272 49.087 196.350 785.398


Radius [m] 62,5 125 250 500
Spez. Spei- 37,74 157,48 629,84 2.519,35
Druck Erdober- 20–26 39–52 78–103 157–206
cherkapazi-
fläche [bar]
tät [kWh/m2]
Druck Zylin- 20 39 78 157
deroberfläche
[bar]
.  Tabelle  9.19 zeigt die spezifische Speicher-
kapazität und den Flächenbedarf für verschiedene
Zum Erhalt eines besseren Vergleichswerts wird Anlagengrößen, wiederum unter der Annahme
die Energie in Bezug auf die Oberfläche betrachtet. von lZ gleich 2rZ .
Dieser Wert gibt an, wie viel Energie pro Quadrat- Die spezifische Speicherkapazität eines Lage-
meter Fläche gespeichert ist. Die spezifische Spei- energiespeichers mit einem Radius rZ = 62,5 m und
cherkapazität eLES ergibt sich in Abhängigkeit von einer Höhe lZ = 125 m läge bereits um den Faktor
Radius und Höhe des Systems aus 2,4 höher als die des Pumpspeicherwerks Goldis-
thal. Voraussetzung für die Werte ist der Bau des
   l   Speichers nahe einer großen Wasserquelle, aus wel-
l + Z
ELES  lZ 2  Z 2   
2
l cher das Wasser bei Bedarf entnommen und bei
eLES = =  ρG ⋅ − ⋅ ρW ⋅  Z   ⋅ g.
AZ  2 lZ  2  Entladung des Speichers zurückgeführt werden
 
kann. Ansonsten müsste ein Becken errichtet wer-
den, das für den Wasseraustausch ausreichend groß
(9.70)
dimensioniert ist. Der notwendige Flächenbedarf
Dies ergäbe bei einem Lageenergiespeicher würde sich um ein Vielfaches erhöhen.
mit einem Radius rZ = 500 m und einer Höhe Dennoch ist gerade für dicht besiedelte Länder
lZ = 1000 m eine spezifische Speicherkapazität der mögliche Platz für riesige Speicherseen be-
von eLES = 2.519 kWh /m 2. Das Pumpspeicherwerk schränkt oder passende Standorte sind nicht vor-
Goldisthal weist vergleichsweise eine spezifische handen (s. [65]).
Speicherkapazität von eGoldisthal = 15,5 kWh /m 2 auf
(s. [75]).
526 Kapitel 9 • Mechanische Energiespeicher

. Tab. 9.20  Energiedichte, Wasserbedarf und spezifisches Volumen für verschiedene Anlagengrößen, lZ gleich 2rZ

Radius [m] 62,5 125 250 500

Wasserbedarf [m3] 767.000 6.136.000 49.087.000 392.699.000

Masse Felszylinder [Mio. t] 3,99 31,91 255,25 2.041,98

Spez. Volumen [m3/kWh] 1,598 0,794 0,397 0,198

Energiedichte [kWh/m3] 0,63 1,26 2,52 5,04

. Tab. 9.21  Wasserzufluss sowie Turbinen- und Pumpenleistung für verschiedene Anlagengrößen (lZ gleich 2rZ )

Radius [m] 62,5 125 250 500

Wasserablauf 8 h [m3/s] 26,63 213,06 1.704,41 13.635,35

Wasserablauf 168 h [m3/s] 1,27 10,15 81,16 649,30

Wasserablauf 720 h [m3/s] 0,30 2,37 18,94 151,50

Turbine/Pumpe 8 h [MW] 60,00 966,25 15.458,75 247.336,25

Turbine/Pumpe 168 h [MW] 2,86 46,01 736,13 11.777,92

Turbine/Pumpe 720 h [MW] 0,67 10,74 171,76 2.748,18


9
zz Wasserbedarf das eine Energiedichte von wLES = 5,04 kWh /m3 .
Für Pumpspeichersysteme sind oftmals große Men- . Tabelle 9.20 zeigt die Energiedichte, den Wasser-
gen an Wasser notwendig. Das benötigte Wasservo- bedarf und das spezifische Volumen für verschie-
lumen ergibt sich aus dem Volumen des Hubraums den große Anlagen, bei welchen lZ gleich 2rZ ent-
VH , welcher je nach Radius und Höhe des Zylinders spricht. Das Pumpspeicherwerk Goldisthal hat eine
variiert, und berechnet sich entsprechend Gl. 9.59. kWh
Ein System mit einem Radius r = 500 m und Energiedichte von wGoldisthal = 0,71 m3 (s. [76]).
einer Höhe lZ = 1000 m benötigt nach Gl.  9.59 Dies entspricht etwa einem Siebtel der Energie-
zur Vollladung 0,39  km3 Wasser. Da dieser Wert dichte eines Lageenergiespeichers. Die Tatsache,
schlecht vergleichbar ist, ist es interessant zu sehen, dass Wasser bei einem Lageenergiespeicher nur als
wie viel Energie pro Kubikmeter Wasser gespei- Hydraulikflüssigkeit und nicht als Speichermedium
chert ist. Für einen Lageenergiespeicher errechnet genutzt wird, erklärt diesen Unterschied (s.[41]).
sich die Energiedichte aus dem Volumen des Hub- Die Zu- und Abflussmenge ergibt sich aus der
raumes, welcher mit Wasser gefüllt wird, und der Leistung von Pumpe und Turbine. In . Tab. 9.21 ist
gesamten gespeicherten Energie: die Abflussmenge für verschiedene Anforderun-
gen, d. h. Tages-, Wochen- und Monatsausgleich für
   l   verschieden große Speicher dargestellt (wiederum
l + Z
 lZ 2  Z 2   lZ  
2
lZ gleich 2rZ ). Ein Lageenergiespeicher mit einem
 ρG ⋅ − ⋅ ρW ⋅    ⋅ g
 2 lZ  2  Radius rZ = 250 m und einer Höhe lZ = 500 m hat
E 
  bei einer Turbinenleistung von 736 MW und einer
wLES = LES = .
VH rZ Ablaufzeit von einer Woche einen Wasserbedarf
(9.71) von 81,2  m3/s. Das Pumpspeicherwerk Goldisthal
benötigt bei einer installierten Turbinenleistung
Mit den genannten Werten, einem Radius von 1060  MW acht Volllastbetriebsstunden zum
rZ = 500 m und einer Höhe lZ = 1000 m , ergibt Abruf der komplett gespeicherten Energie, dies
9.3 • Feste Medien
527 9
9.66 Bohrlöcher

Baustraße
Obere Säge

1. Tunnel
Untere Säge
Seilsägen

2. Tunnel
Schacht

. Abb. 9.66  Bau des Lageenergiespeichers. (Quelle: [40])

entspricht einem Wasserablauf von 416,67  m³/s 1. Tunnel 2. Tunnel 9.67


Abraum Schräm-
(s. [76]). verstopfen maschine

9.3.2.2 Bau, Kosten und Wirtschaftlichkeit . Abb. 9.67  Seitenansicht Abtrennung der Bodenplatte.
Für den Bau eines Lageenergiespeichers sind Stand- (Quelle: [43])
orte wie beispielsweise der Schwarzwald mit seinen
oberflächennahen Granitflächen sehr gut geeignet
(s. [40]). Optimal ist Gestein mit einer hohen Fes- lT = 4 ⋅ π ⋅ rZ + lZ ,
(9.72)
tigkeit und wenig Zerklüftungen, um den siche-
ren Betrieb zu gewährleisten. Zum Bau werden dies ergibt bei Baukosten für den Tunnel von
größtenteils aus dem Bergbau bekannte Verfahren 10.000  € pro Meter (s. [3]) Kosten von etwa
verwendet, die eine erste Kostenabschätzung er- 72,8 Mio. €. Ob bei dieser Dimension des Speichers
möglichen. Da ein solcher Speicher bislang nie ge- zwei Tunnel zur Errichtung reichen, bedarf weite-
baut wurde, können nur Abschätzungen getroffen rer Forschung (s. [41]).
werden. Nachfolgend werden die Kosten für einen
Speicher mit einem Radius rZ = 500 m und einer zz Abtrennen der Bodenplatte
Höhe lZ = 1000 m betrachtet. Im nächsten Schritt wird mittels einer aus dem
Bergbau bekannten Schrämmaschine die Boden-
zz Tunnelsystem platte freigelegt. Anschließend wird eine Abdich-
Zur Freilegung des Felszylinders wird zunächst ein tungsfolie aus Geomembranen verlegt und der
Schacht mit der Tiefe lZ abgeteuft und in den Tie- Hohlraum mit dem ausgebrochenen Abraum ver-
fen lZ /2 (zur Installation des Dichtungssystems) stopft, damit der Zylinder nicht frei hängt. Nach
und lZ (zur Abtrennung der Bodenplatte) Rund- Abschluss des Vorgangs liegt der Zylinder auf sei-
tunnel mit dem Umfang 2 π rZ ausgebrochen. In nem Aushub. . Abbildung 9.67 stellt dies anschau-
.  Abb.  9.66 sind alle zum Bau benötigten Tunnel lich dar.
eingezeichnet. Die Fläche, welche abgetrennt werden muss, er-
Die Länge des benötigten Tunnelsystems ergibt gibt sich aus
sich aus
ABodenplatte = π ⋅ rZ .
(9.73)
2
528 Kapitel 9 • Mechanische Energiespeicher

9.68 Bohrlöcher
ratmeter (s. [37]). Die notwendige Sägefläche ergibt
sich aus
Geschnittene
Fläche Fels dB = 20 m

AS = 4 ⋅ π ⋅ rZ ⋅ lZ ,
(9.75)
Diamant
r
Seilsäge
Seitenansicht
mit daraus folgenden Kosten von 62,8  Mio.  €
1. Tunnel (s. [41]).

. Abb. 9.68  Abstand der Bohrlöcher für den Einlass der zz Dichtung
Seilsägen. (Quelle: [42]) Damit die Felsoberfläche durch das unter Druck
stehende Wasser nicht angegriffen wird, muss das
System abgedichtet werden. Ansonsten kann das
Dies führt bei Kosten von 1000 € pro Quadratmeter Wasser die vorhandenen Risse innerhalb des Fel-
(s. [3]) zu einer Summe von etwa 785 Mio. €. Aller- sens erweitern und diesen somit destabilisieren. Des
dings sind 1000 € pro Quadratmeter ein eher hoch Weiteren wird das Wasser vor Verunreinigungen
geschätzter Wert, welcher in der Praxis niedriger geschützt, welche unweigerlich durch den Kontakt
liegen sollte (s. [41]). zur Felswand entstehen würden. .  Abbildung  9.70
zeigt die abgedichteten Flächen.
zz Freilegen der Zylinderwand Die obere Hälfte der äußeren Felswand AEdelstahl
Nachdem die Bodenplatte abgetrennt und abge- wird mit Edelstahl abgedichtet, damit der Dich-
dichtet wurde, folgt die Freilegung der Zylinder- tungsring besser daran entlanggleiten kann. Dies
9 wand. Dazu werden Löcher gebohrt, in welche ergibt eine Fläche von
die Seilsägen eingelassen werden. Aufgrund des
Bergdruckes ist ein Schnitt nicht ausreichend, da AEdelstahl = π ⋅ rZ ⋅ lZ .
(9.76)
dieser sich wieder verschließen würde. Daher müs-
sen zwei V-förmige Schnitte gesägt werden, welche Bei Kosten von 200 € pro Quadratmeter Edelstahl
mit zunehmender Tiefe der Bohrung und mit zu- (s. [86]) führt dies zu einer Summe von 314,2 Mio. €.
nehmendem Bergdruck weiter auseinanderlaufen Die restlichen Flächen AHDPE werden mit einer
(s. . Abb. 9.68). Abdichtungsfolie aus HDPE abgedichtet. Diese
Fällt das Gestein aus dem Zwischenraum zwi- wird auf die glatt geschliffenen Oberflächen mon-
schen den Schnitten hinab, dehnen sich der Fels tiert und mittels Mikrowellenerhitzung versiegelt.
und der Zylinder aus und es entstehen bei richti- Neben der Abdichtung dient dies der Stabilisie-
ger Dimensionierung des Abstands zwischen den rung des Felsens. Die abzudichtende Fläche ergibt
Schnitten lotrechte Wände, in . Abb. 9.69 mit einem sich zu
Abstand von zwei Metern. Aufgrund der mecha-
nischen Voraussetzungen der Seilsäge können die (
AHDPE = 2 ⋅ π ⋅ rZ 2 + rZ ⋅ lZ .
(9.77) )
Bohrungen maximal in einem Abstand d B = 20m
liegen und eine Tiefe von lZ haben (s. . Abb. 9.68).
Die Gesamtlänge der Bohrlöcher errechnet Daraus folgen bei spezifischen Kosten von 100  €
sich aus pro Quadratmeter HDPE-Folie (s. [4]) Kosten von
471,2 Mio. €.
4 ⋅ π ⋅ rZ
(9.74) Schließlich folgt das Dichtungssystem, welches
lB = ⋅ lZ .
dB am Zylinder auf der Höhe lZ /2 angebracht wird.
Hier muss beachtet werden, dass die Oberflächen
Dies ergibt bei Kosten von 500 € pro Meter (s. [100]) des Zylinders und der Außenwand nicht eben sind.
eine Gesamtsumme von 157 Mio. €. Das Sägen des Zur Verringerung des Drucks auf einen einzelnen
Gesteins mittels der Seilsägen kostet 10 € pro Quad- Dichtungsring wird eine Multidichtung eingesetzt.
. Abbildung 9.71 stellt das Dichtungssystem dar.
9.3 • Feste Medien
529 9
9.69 Versorgungs- Versorgungs- Versorgungs-
tunnel tunnel tunnel

Seilsägen Graben Abdichtung

Fels Zylinder Fels Zylinder Fels Zylinder

Bergdruck Bergdruck

Felsen
Versorgungs- Versorgungs- Versorgungs-
tunnel Ausgebrochenes tunnel Ausgebrochenes tunnel Ausgebrochenes
Material Material Material

. Abb. 9.69  Freilegung der Zylinderaußenwände. (Quelle: [42])

9.70
Felssicherung

Dichtungssystem

Metalldichtung

Schwimmender
Felszylinder

HDPE-Abdichtung Wasser im
Zylinderhohlraum

. Abb. 9.70  Dichtungsfläche eines Lageenergiespeichers. (Quelle: [40])

Die Länge des Dichtungssystems ergibt sich aus zz Investitionskosten und Wirtschaftlichkeit
.  Tabelle  9.22 zeigt eine Übersicht der abgeschätz-
lDichtungssystem = 2 ⋅ π ⋅ rZ
(9.78) ten Kosten, ohne die Kosten für Turbine, Pum-
pe und Generator sowie sonstiger Infrastruktur
und ergibt bei spezifischen Kosten von 10.000  € (s. [42]).
pro Meter Dichtungssystem eine Summe von Die Kosten steigen mit zunehmender Größe
31,4 Mio. €. 10.000 € pro Meter ist ein pauschaler des Systems. Gleichzeitig steigen jedoch auch die
Wert, welcher in Abhängigkeit von Druckhöhe und erzielbaren Einnahmen bei der Speicherung von
Sicherheitsanforderungen variiert (s. [41]). Stromüberschuss und der Abgabe bei Lastspit-
530 Kapitel 9 • Mechanische Energiespeicher

9.71
Metalldichtung Gelenk für
bewegliche
Dichtung
Stahl
Podest

W
as Podest
se
rd
ru
ck

Dichtung

. Abb. 9.71  Dichtungssystem des Zylinders. (Quelle: [42])

. Tab. 9.22  Kostenaufstellung für einen Speicher mit 1 km Durchmesser und Höhe (s. [41])

Tunnelsystem 10.000 €/m 7.283,2 m 72,80 Mio. €

Bodenplatte abtrennen 1000  €/m2 785.398 m2 785,40 Mio. €


9 Bohrungen 500 €/m 314.159 m 157,10 Mio. €

Sägen 10 €/m2 6.283.185 m2 62,80 Mio. €

Abraum 20 €/m3 6.283.185 m3 125,70 Mio. €

Edelstahldichtung 200 €/m2 785.398 m2 314,20 Mio. €

HDPE-Dichtung 100 €/m2 4.712.398 m2 471,20 Mio. €

Dichtungssystem 10.000 €/m 3141,6 m 31,40 Mio. €

Summe 2.020,60 Mio. €

zen. Interessanter als die Investitionskosten insge-


. Tab. 9.23  Investitionskosten und spezifische
samt sind die Investitionskosten pro gespeicherte Kosten für verschiedene Anlagengrößen (ohne Kos-
Kilowattstunde elektrischer Energie, welche in ten für Turbine, Pumpe, Generator und Infrastruktur)
. Tab.  9.23 dargestellt sind. Berechnet werden die
Radius [m] 61,5 125 250 500
spezifischen Kosten k LES aus den Kosten k LES und
der Speicherkapazität ELES wie folgt: Kapazität 0,48 7,73 123,67 1.978,69
[GWh]
K LES
(9.79) Kosten [Mio. €] 43,0 145,8 531,2 2.020,6
k LES = .
ELES Spez. Kosten 89,58 18,86 4,30 1,02
[€/kWh]
Mit zunehmendem Radius und zunehmender
rz = 62,5; 125 m = 365; rz = 250 m = 52; rz = 500 m = 6;
Höhe sinken die Kosten pro gespeicherter Kilo-
ηGes. = 81 %
wattstunde. Dies bedeutet, dass die Speicherkapa-
zität schneller ansteigt als die Kosten, was beliebig
Literatur
531 9
günstige Speicher ermöglicht. Dies hängt damit elektrischen Energiespeicher. Nicht zuletzt
zusammen, dass die Baukosten hauptsächlich von steht in nahezu jedem Gebäude ein Warmwas-
der Oberfläche abhängen und die Masse des Zy- serspeicher.
linders als solche nicht bewegt werden muss. Eine
Verdopplung des Radius bewirkt bei gleichzeitiger
Verdopplung der Höhe eine Steigerung der Spei- Literatur
cherkapazität um das 16-Fache, während gleichzei-
tig die Kosten um weniger als das 4-Fache steigen 1 Khammas AAW Buch der Synergie. 7 http://www.
buch-der-synergie.de/c_neu_html/c_10_06_e_spei-
(s. [41]).
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gebaut werden, um beim Bau auftretende techni- 2. ALACAES (2013) ALACAES SA: the AA-CAES technology.
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zuletzt ist jede Turbine und jeder elektrische
ern2/sendungen/notizbuch/energiespeicher-kugelspei-
Generator eines herkömmlichen Kraftwerkes cher-100.html. Zugegriffen: 04. Mai 2013
ein Schwungradmassenspeicher, der für die 8. BBC (1986) Operating experience with the Huntorf
Stabilität der Stromversorgung eine wichtige air-storage gas turbine power station. Brown Boveri Rev
Rolle spielt. Insgesamt zeichnen sich Schwung- 73(6):12
9. Berk B, Hurwitch JW, Schuller CR (1983) CAES and UPH
radspeicher dadurch aus, dass innerhalb kur-
technologies: an uncertain future. Undergr Sp 7:342, 346
zer Zeiten eine hohe Leistung abgerufen wer- 10. Budt M, Wolf D, Prümper H-J (2012) LTA-CAES—a low-
den kann, die gespeicherten Energiemengen temperature approach to adiabatic compressed air
jedoch eher gering sind. energy storage. Präsentation auf Innostock 2012—the
55 Höhere Energiedichten mithilfe fester Medien 12th international conference on energy storage, Lleida
11. Buffa F, Kemble S, Manfrida G, Milazzo A (2013) Exergy
strebt die Idee des Lagenenergiespeichers an,
and exergoeconomic model of a ground-based CAES
indem äquivalent zu Pumpspeicherwerken die plant for peak-load energy production. Energies
Lage großer Massen (hier z. B. von Felsblö- 6:1050–1067
cken) in der Höhe variiert wird. 12. BWE (2013) neue energie. 7 www.neueenergie.net/
55 Insgesamt lässt sich für mechanische Ener- index.php?id=657&tx_ttnews[tt_news]=4508&tx_ttnew-
s[backPid]=621&cHash=614afaa09 f. Zugegriffen: 31. Jan.
giespeicher schließen, dass sie die weltweit
2013
größten installierten Leistungen und Energie- 13. cand.-Ing. Florian Strößenreuther: Machbarkeitsstudie
mengen in der Energiespeicherung reprä- und Konzept einer stationären Schwungradanlage zur
sentieren. Dies stimmt zumindest dann, wenn dezentralen, verbraucherorientierten Energiespeiche-
das Augenmerk ausschließlich auf die elekt- rung
14. Collins S (1993) Commercial options for energy storage
rische Energieversorgung gerichtet wird. Im
multiply. Power 137(1):55–57 (McGraw-Hill, New York)
folgenden 7 Kap. 10 werden die thermischen 15. cordis.europa.eu (2007) AA-CAES: advanced adiabatic
Energiespeicher diskutiert. Diese erscheinen compressed air energy storage Abschlussbericht, Auf-
oft als unspektakulär, haben insgesamt aber trag ENK6-CT-2002 − 000611. 7 http://cordis.europa.eu/.
eine viel größere Verbreitung als jede Art der Zugegriffen: 14. Nov. 2007
532 Kapitel 9 • Mechanische Energiespeicher

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535 10

Thermische Energiespeicher
Übersicht
Thermische Energiespeicher können auf dem Weg zu einer regenerativen und
effizienten Energieversorgung von großer Bedeutung sein. Zumal der Wärme-
und Kältesektor mit einem Anteil von ca. 50  % noch vor dem Transport- und
Elektrizitätssektor den größten Teil des Endenergieverbrauchs in Europa
ausmacht.
Die verwendeten Technologien können in drei grundlegende Systeme
unterteilt werden. Das wohl bekannteste Beispiel ist die Speicherung sensibler
Wärme, wie sie als Pufferspeicher in Heizungsanlagen Verwendung findet.
Zudem kann thermische Energie in sogenannten Latentwärmespeichern oder
in thermochemischen Speichern erhalten werden. Die Eigenschaften dieser
drei Technologien werden nachfolgend ausführlich beschrieben.
Unter dem Begriff Thermische Energiespeicher sind sowohl Wärme- als
auch Kältespeicher zu verstehen. Wärme- und Kältespeicher haben ein
entgegengesetztes Funktionsprinzip. Während ein Wärmespeicher beim
Einspeichern Energie aufnimmt, gibt der Kältespeicher hierbei Energie in Form
von Wärme ab. Liegt die gespeicherte Energie in einem Temperaturniveau
unter der Umgebungstemperatur vor, wird von einem Kältespeicher
gesprochen. Bei einer Temperatur oberhalb der Umgebungstemperatur
hingegen handelt es sich um einen Wärmespeicher.
Die verschiedenen Einsatzgebiete der Speichertechnologien umfassen
Zeiträume von Kurzzeit- bis hin zu saisonalen Speichern, die von
Niedertemperaturniveau zur Brauchwassererwärmung bis zu Hochtempera-
turspeichern in der Elektrizitätserzeugung (solarthermische Kraftwerke)
reichen. Des Weiteren wird auch zwischen mobilen und stationären
Anwendungen für Wärmespeicher unterschieden.

M. Sterner, I. Stadler, Energiespeicher – Bedarf, Technologien, Integration,


DOI 10.1007/978-3-642-37380-0_10, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
536 Kapitel 10 • Thermische Energiespeicher

10.1 Unterscheidungsmerkmale Lebensmitteln, bei dem Temperaturen von unter


thermischer Speicher − 18 °C notwendig sind.

Im Folgenden werden die verschiedenen Einsatzge- zz Lang-/Kurzzeitspeicher


biete und Eigenschaften thermischer Energiespei- Ein wesentliches Merkmal eines thermischen Ener-
cher näher erläutert: giespeichers, wie bei allen Energiespeichertechno-
logien, ist die Dauer des zu überbrückenden Zeit-
zz Temperaturbereich raums zwischen Laden und Entladen. Während
Das wichtigste Merkmal eines Energiespeichers ist Kurzzeitspeicher im Bereich von Stunden bis we-
seine Temperatur. Die Temperatur, bei der ein ther- nigen Tagen eingesetzt werden, können Langzeit-
mischer Speicher geladen und entladen wird, legt speicher Energie über Zeiträume von Wochen bis
seinen Einsatzbereich maßgeblich fest. Aufgeführt zu einem Jahr speichern.
sind die verschiedenen Temperaturniveaus in den Hierbei ist zu beachten, dass Kurzzeitspeicher
Anwendungsbereichen für thermische Energie- im Vergleich zu Langzeitspeichern meist hohe
speicher: Lade- und Entladeleistungen bereitstellen, jedoch
Hochtemperatur-Anwendungen finden bei Tem- nur eine geringe Energiemenge speichern können.
peraturen von über 300 bis 600 °C statt. Im Bereich
der erneuerbaren Energien liegen hier die solar- zz Zentrale/dezentrale Speicher
thermischen Kraftwerke im Fokus. Zur Sicher- Der Standort eines Energiespeichers im Energie-
stellung einer kontinuierlichen Stromerzeugung, system ist ebenfalls ein wichtiges Kriterium zur
auch wenn die Sonne in der Nacht nicht scheint, Charakterisierung eines Energiespeichers. Es wird
werden große Speicher mit flüssigem Salz bei Tem- von »zentralen« und »dezentralen« Speichersys-
peraturen von bis zu 450 °C tagsüber geladen und temen gesprochen. Eine offizielle und eindeutige
10 in der Nacht entladen. Auch bei der Druckluftspei- Definition dieser Begriffe existiert nicht und kann
cherung (Compressed Air Energy Storage, CAES) hier nur anhand von Beispielen gegeben werden.
kommen thermische Speicher zum Einsatz, die mit So kommen bei großen solarthermischen Kraft-
Temperaturen von ca.  600 °C beladen werden. In werken große, sich im Kraftwerk befindende Salz-
der Glas- und Stahlindustrie werden für die Ab- speicher zum Einsatz. In diesem Fall handelt es sich
wärmenutzung ebenfalls Hochtemperaturspeicher eher um einen zentralen Speicher. Der Pufferspei-
verwendet. cher einer Heizung in einem Einfamilienhaus oder
Prozesswärme. Der Temperaturbereich von der Latentwärmespeicher zur Klimatisierung von
über 100 bis 250 °C wird vor allem für die Bereit- Bürogebäuden sind klassische dezentrale Speicher.
stellung von Dampf für industrielle Prozesse ver- Je näher sich ein Speicher auf der Verbraucherseite
wendet. Mögliche Prozesse sind beispielsweise Pas- befindet, desto dezentraler ist er.
teurisierung oder Sterilisation.
Bei Wärmespeicherung zum Heizen von Ge- zz Stationäre/mobile Speicher
bäuden reichen die Temperaturen von 25 °C bei Unter stationären Energiespeichern sind an einem
Flächenheizsystemen (Fußbodenheizung) bis zu Standort fest installierte Systeme zu verstehen. Es
90 °C für Radiatoren mit kleinen Flächen. Für die kommen aber auch mobile Speicher zum Einsatz.
Brauchwasserbereitung in Haushalt und Gewerbe Da hier vor allem die Energiespeicherdichte eine
sind aus hygienischen Gründen zumindest zeitwei- große Rolle spielt, werden meist Latentwärmespei-
se Temperaturen von über 60 °C notwendig. cher bzw. thermochemische Speichersysteme
Für Kältespeicher im Bereich der Klimatisie- eingesetzt. Die gespeicherte Energie kann in die-
rung und Kühlung sind Temperaturen von 5 bis sem Fall beispielsweise in Containern vom Ort der
18 °C üblich. Das Kühlen von Lebensmitteln findet Beladung, an dem keine Verwertung der Energie
generell im Bereich von 5 bis 8 °C statt, während die stattfinden kann, zum Verbraucher transportiert
Raumklimatisierung zwischen 6 und 18 °C abläuft. werden.
Zudem gibt es den Bereich des Gefrierens von
10.2 • Speichertechnologien
537 10

Wärme-
speicher

Thermo-
Sensibel Latent
chemisch

Flüssig- Chemisch
Fest Flüssig Fest-flüssig Fest-fest Sorbtion
gasförmig reversibel

Gering Energiedichte in kWh/m3 Hoch

Hoch Entwicklungsstand Gering

. Abb. 10.1  Übersicht über die verschiedenen Technologien zur Speicherung thermischer Energie

10.2 Speichertechnologien trieb von Pufferspeichern. Aber auch über mittlere


und lange Zeiträume (saisonal) werden sensible
Thermische Energie kann auf verschiedene Weise Wärmespeicher verwendet. Dabei kann Wasser
gespeichert werden. In diesem Abschnitt werden als Wärmeträgermedium z.  B. zur Frostschutzsi-
die Begriffe sensible, latente und thermochemische cherung durch Zugabe von Alkoholen modifiziert
Wärmespeicherung eingeführt (s. . Abb. 10.1). oder substituiert werden. So finden auch Feststoffe
wie Kies oder Eisenoxidsteine bei sensiblen Wär-
mespeichern Verwendung.
10.2.1 Sensible Wärmespeicherung Im Vergleich zu latenten oder thermochemi-
schen Wärmespeichern weisen sensible Wärme-
Bei der sensiblen Speicherung thermischer Ener- speicher niedrigere Energiedichten auf. Aller-
gie erfolgt eine fühlbare Änderung der Temperatur. dings verfügen sensible Wärmespeicher über eine
Ein Speichermedium wird erhitzt oder abgekühlt. ausgereifte Technik und sind heute deutlich kosten-
Die Menge der gespeicherten Energie ist abhängig günstiger verfügbar.
von der spezifischen Wärmekapazität (cp-Wert)
des Stoffes. Da bei sensiblen Energiespeichern die
Temperaturdifferenzen zwischen Speichermedium 10.2.2 Latente Wärmespeicherung
und Umgebung in der Regel größer sind als bei den
anderen Speicherarten, spielt hier die Wärmedäm- Bei Latentwärmespeichern wird zusätzlich zur sen-
mung eine große Rolle. siblen Wärme die für einen Phasenwechsel not-
Da Wasser eine hohe spezifische Wärmekapa- wendige Energie gespeichert. In der Praxis wird
zität hat und über weitere Vorteile wie eine gute üblicherweise der Phasenübergang fest – flüssig
Umweltverträglichkeit, eine hohe Verfügbarkeit genutzt. Bei diesem Phasenwechsel liegt die Volu-
und geringe Kosten verfügt, werden viele sensible menänderung in der Regel bei unter 10 % und ist
Wärmespeicher mit Wasser betrieben. somit technisch zu beherrschen. Die Übergangs-
Die meisten Anwendungen dieser Speicherart enthalpie ist ebenfalls ausreichend hoch.
befinden sich in der Heizungstechnik beim Be-
538 Kapitel 10 • Thermische Energiespeicher

Der Phasenwechsel flüssig – gasförmig ist auf- Industrieanlagen. Hier werden beispielsweise Eis-
grund der hohen Volumenänderung nur schwer Slurries eingesetzt.
zu beherrschen und wird daher eher nicht genutzt.
Prinzipiell sind drei Varianten der Speicherung
denkbar. Zum einen sind dies die isochore Spei- 10.2.3 Thermochemische
cherung, wobei sich der Druck mit der Temperatur Wärmespeicherung
erhöht und damit gleichzeitig die Verdampfungs-
temperatur. Bei der isobaren Speicherung müsste Unter dem Begriff der thermochemischen Energie-
ein sehr großes Ausgleichsgefäß zur Verfügung speicherung sind strenggenommen chemisch re-
stehen, diese Variante wird nicht verwendet. Die versible Reaktionen zu verstehen, bei denen die
dritte Möglichkeit zur Nutzung des Phasenüber- Reaktionsprodukte getrennt und über lange Zeit
gangs von flüssig zu gasförmig ist die Speicherung gespeichert werden können. Durch die Trennung
in einem offenen System bei Umgebungsdruck. treten keine Speicherverluste auf. Erst bei der Ent-
Diese Art der Speicherung fällt aber in den Bereich ladung gibt die exotherme Reaktion die gespeicher-
der chemischen Speicherung und wird dort näher te Energie wieder frei. Thermochemische Energie-
beschrieben, und zwar unter dem Begriff der »Ad- speicher erlauben sehr hohe Energiespeicherdich-
sorption« (s. [28]). ten, finden derzeit aber kaum Anwendung in der
Latentspeicher haben einige Vorteile gegen- Praxis, da sich diese Technologie größtenteils noch
über sensiblen Speichern. So kann bei kleinen in der Grundlagenforschung befindet.
Temperaturunterschieden wesentlich mehr ther- Auch Sorptionsspeicher werden oft unter dem
mische Energie als bei sensiblen Speichern erhal- Begriff thermochemischer Speicher geführt. Der
ten werden. Sie weisen also eine höhere Energie- Forschungsschwerpunkt bei den Sorptionsspei-
dichte auf. Des Weiteren ist die Temperatur beim chern liegt derzeit auf der Nutzung industrieller
10 Laden und Entladen über lange Zeit konstant. Abwärme. Diese Technologie eignet sich besonders
Dieser Umstand kann beispielsweise bei in die für industrielle Trocknungsprozesse. Bei Ab- oder
Gebäudestruktur integrierten Phase Change Ma- Adsorptionsprozessen handelt es sich vielmehr
terials (PCM) mit einer Schmelztemperatur von um einen physikalischen als um einen chemischen
20–25 °C genutzt werden. Die Raumtemperatur Vorgang. Da diese Art der Zuordnung allgemein
kann so auf einem komfortablen Niveau gehalten üblich ist, werden die Sorptionsspeicher in diesem
werden, da eine Unterkühlung oder auch Über- Kapitel  jedoch den thermochemischen Energie-
hitzung des Raums wesentlich länger dauert. Auf- speichern zugeordnet.
grund der hohen Speicherkapazität können La-
tentwärmespeicher wesentlich kompakter gebaut
werden. Die Schmelztemperatur der verschiede- 10.3 Thermodynamische Grundlagen
nen Materialklassen reicht von − 40 °C bis weit
über 1000 °C. 10.3.1 Thermische Energie
Eine Interessante Variante, vor allem für den
Transport thermischer Energie, sind sogenannte Thermische Energiespeicher erhöhen durch Ener-
Slurries. Im Englischen werden sie Phase Change giezufuhr bzw. durch Zufuhr eines Energieträgers
Slurries (PCS) genannt. Sie bieten den Vorteil, ihren Energieinhalt (Laden), speichern diesen
dass sie unabhängig vom Aggregatzustand immer Energieinhalt über einen bestimmten Zeitraum
pumpfähig sind. Um dies zu realisieren, wird das möglichst verlustfrei (Speichern) und geben bei
PCM in ein Trägerfluid mit geringerer Erstarrungs- Bedarf Energie bzw. den Energieträger wieder ab
temperatur gegeben. Alternativ kann aber auch (Entladen). Beim Entladen reduziert sich der Ener-
nur ein Teil der Wärmekapazität des PCM genutzt gieinhalt des Speichers (s. . Abb. 10.2).
werden, damit noch genug der flüssigen Phase be- Thermische Energie – Wärme und Kälte – ist
stehen bleibt. Anwendung findet dies beispiels- keine Zustandsgröße, die einen Systemzustand be-
weise bei der Klimatisierung von Gebäuden oder schreibt, sondern eine Prozessgröße, die nur wäh-
10.3 • Thermodynamische Grundlagen
539 10
Energie Energie
Wärmespeicher Temperatur
Energietrager Energietrager

Laden Speichern Entladen Volumen Innere Energie

Druck Masse
. Abb. 10.2  Vorgänge bei einer Energiespeicherung Entropie
Enthalpie

. Abb. 10.4 Zustandsgrößen

Arbeit

Wärme konstant. In Gl. 10.1 ist die Berechnung des Exer-


giegehaltes dargestellt:

. Abb. 10.3 Prozessgrößen T −T  T 
EExergie = Q · S U = Q · 1 − U  .
(10.1)
TS  TS 
rend Zustandsänderungen bzw. Prozessen auftritt
(s. . Abb. 10.3). Dies gilt insbesondere auch für die Es wird deutlich, dass der Exergiegehalt von der
Speicherkapazität (bzw. Energiespeicherdichte), Wärmemenge Q, der Speichertemperatur TS und
die gespeicherte thermische Energie im Verhältnis der Umgebungstemperatur TU abhängt. Der Bruch
zur Masse oder zum Volumen des Speichers. entspricht dem Carnot’schen Wirkungsgrad, also
Ein Speicher enthält also keine bestimmte Wär- der maximalen Arbeitsfähigkeit, die in der Wärme
me- oder Kältemenge, sondern der Speicher besitzt enthalten ist. Der Einfachheit halber werden im
das thermodynamische Potenzial, eine Wärme- Folgenden die umgangssprachlich gebräuchlichen
oder Kältemenge an ein anderes Medium zu über- Begriffe Energiespeicherung, Wärmemenge etc.
tragen (s. . Abb. 10.4). verwendet.
Auch der Ausdruck »Energieverbrauch« ist
im physikalischen Sinne nicht korrekt, da Ener-
gie nicht verbraucht, sondern nur in eine ande- 10.3.2 Wärmeübertragung
re Form umgewandelt werden kann. Daher ist
der Begriff »Energiespeicherung« ebenfalls nicht Bei der Wärmeübertragung werden die drei Arten
ganz korrekt, da die Energie in jedem Fall erhalten Konvektion, Wärmestrahlung und Wärmeleitung
bleibt, ggf. aber nicht mehr nutzbar ist. Folglich unterschieden.
beschreibt der Begriff Exergie den Anteil der Ener- Die Konvektion beschreibt innerhalb eines
gie, der unter Umgebungsbedingungen uneinge- strömenden Fluids den Transport von Teilchen,
schränkt in andere Energieformen umgewandelt die thermische Energie mitführen, und wird daher
werden kann. Je höher die Differenz von Speicher- auch als Wärmeströmung bezeichnet. So wird z. B.
zu Umgebungstemperatur ist, desto höher ist der bei Schwerkraftheizungen die Wärme eines Wär-
Exergiegehalt und desto größer ist die Wertigkeit mespeichers durch zirkulierendes Wasser, und so-
der Wärme. Der Begriff Anergie beschreibt hin- mit durch Konvektion, zu den Heizkörpern trans-
gegen den Anteil der Energie, die an die Umge- portiert. Diese Art der Konvektion wird auch als
bung abgegeben wird und somit nicht weiter nutz- natürliche oder freie Konvektion bezeichnet. Bei
bar ist. Bei der Betrachtung eines verlustbehafteten erzwungener Konvektion wird der Teilchentrans-
Beladungs-, Speicher- und Entladevorgangs eines port hingegen durch mechanische Einwirkungen
thermischen Energiespeichers erhöht sich der An- auf ein Fluid wie durch Pumpen oder Ventilatoren
ergiegehalt und der Exergiegehalt sinkt. Die Sum- hervorgerufen (z.  B. Umwälzpumpen bei Warm-
me aus Anergie- und Exergiegehalt hingegen bleibt wasserheizungen). Auch an der Außenseite von
540 Kapitel 10 • Thermische Energiespeicher

Heizkörpern findet Konvektion statt. Dort dehnt higkeit gefertigt, damit eine möglichst große Wär-
sich die erwärmte Luft aus, strömt nach oben und memenge des warmen Wassers an die Raumluft
kalte Luft strömt von unten nach. Die Strömung des geleitet wird,
Fluids kann durch Temperatur-, Dichte-, Konzen-
trations- oder Druckunterschiede innerhalb eines
λ
Systems hervorgerufen werden. Q = A(T2 − T1 ).
(10.3)
Wärmestrahlung ist elektromagnetische Strah- d
lung, die Materie aufgrund ihrer Temperatur aus-
sendet. Bei thermischen Energiespeichern findet 10.3.3 Wärmedämmung
Wärmestrahlung im infraroten Bereich statt, bei
höheren Temperaturen verschiebt sich das Strah- Zur Reduzierung thermischer Verluste spielt die
lungsmaximum der Wärmestrahlung zu kürzeren Wärmedämmung bei sensiblen Wärmespeichern
Wellenlängen. Wärmestrahlung ist materialunab- eine besonders große Rolle. Latente und thermo-
hängig und hängt nach dem Stefan-Boltzmann- chemische Wärmespeicher müssen zwar auch ge-
Gesetz von der Temperatur T, der Oberfläche A dämmt werden, die Dämmung steht aber aufgrund
und dem Emissionsgrad ε des abstrahlenden Kör- geringerer Temperaturdifferenzen zwischen Wär-
pers sowie von der Stefan-Boltzmann-Konstante mespeicher und Umgebung bzw. wegen der aus-
σ ab: schließlichen Notwendigkeit der Isolation während
des Lade- und Entladeprozesses nicht derart im
∂Q
Q = = εσ AT 4 .
(10.2) Fokus.
∂t Der Zusammenhang zwischen Temperaturdif-
ferenz und Wärmeverlusten eines Speichers ist in
Da es sowohl eine (größere) Wärmestrahlung vom 10.4 dargestellt:
10 warmen zum kalten Medium als auch eine (kleine-
re) Wärmestrahlung vom kalten zum warmen Me- QVerlust = U · A · (TS − TU ).
(10.4)
dium gibt, reduziert sich der resultierende Tempe-
raturunterschied. Durch Emaillierung, Eloxierung Neben der Fläche A, der Speichertemperatur (TS)
oder Lackierung von metallischen Gegenständen und der Umgebungstemperatur TU ist der Wärme-
wie Heizkörpern kann die Emission von Strahlen durchgangskoeffizient U der entscheidende Kenn-
im Infrarotbereich und somit die Wärmestrahlung wert der Wärmedämmung. Dieser Wert beschreibt,
erhöht werden. welche Leistung pro Kelvin Temperaturdifferenz
Wärmeleitung, auch Konduktion genannt, durch eine einen Quadratmeter große Fläche hin-
beschreibt die Übertragung kinetischer Energie durchgeht, und wird in der Einheit W/(m² K) an-
zwischen benachbarten Atomen oder Molekülen gegeben. Er wird für n Schichten folgendermaßen
in Feststoffen oder ruhenden Fluiden, ohne dass bestimmt:
ein Materialtransport stattfindet. Grund für den
Wärmefluss ist ein Temperaturunterschied, sodass
λ λ λ
ein Wärmestrom vom warmen zum kalten Me- U = αi + 1 + 2 + … + n + α a .
(10.5)
dium fließt. Zur Bestimmung des Wärmestroms, s1 s2 sn
der durch einen Gegenstand fließt, ist neben der
Temperaturdifferenz zwischen einer warmen Aus Gl.  10.5 wird ersichtlich, dass der Wärme-
Oberfläche (T2) und einer kalten Oberfläche (T1) durchgangskoeffizient von der Wärmeleitfähig-
die Fläche A, die Dicke d des Körpers sowie die keit λ, den Schichtdicken si der Materialien und
Wärmeleitfähigkeit λ entscheidend. Die Wärme- von der Wärmeübergangszahl α abhängt. Diese
leitfähigkeit ist material- und temperaturabhän- ist ein Proportionalitätsfaktor, der die Intensität
gig und wird in W/(m K) angegeben. So werden des Wärmeübergangs an einer Grenzfläche be-
Heizkörper aus Metallen mit hoher Wärmeleitfä- schreibt. Die Wärmeübergangszahl ist keine Ma-
10.4 • Sensible thermische Energiespeicher
541 10

. Tab. 10.1  Wärmeleitfähigkeit verschiedener . Tab. 10.2  Wärmedurchgangskoeffizient verschie-


Materialien dener Materialien

Material Wärmeleitfähigkeit Material Dicke [cm] Wärmedurch-


λ [W/(m K)] gangskoeffizient
U [W/(m² K)]
Wasser 0,562
Beton 25 3,3
Luft (78 % Stickstoff, 0,0262
21 % Sauerstoff ) Porenbeton 40 0,163–0,210

Vakuum 0 Mauerziegel 24 1,5

Glas 0,76 Mauerziegel + 30 0,32


Wärmeverbund-
Beton 2,1
system (PUR)
Eisen 80
Massivholz 20,5 0,5
Kupfer 400
Einfach verglas- – 5,9
Aluminium 235 te Fenster

Diamant 1.000–2.500 Doppelt ver- – 3


glaste Fenster
Silber 430
Fenster nach – 0,5–0,8
Polyurethan (PUR) 0,021–0,035 Passivhausstan-
Wolle/Kork ca. 0,035 dard

Polystyrol 2 1,7

Polystyrol 10 0,35
terialkonstante und von der Strömungsgeschwin-
digkeit, der Art des Fluids, den geometrischen
Verhältnissen und der Oberflächenbeschaffenheit
abhängig. 10.4 Sensible thermische
In den folgenden .  Tab.  10.1 und 10.2 werden Energiespeicher
die Materialkonstanten einiger Materialien dar-
gestellt. Als sensible Wärme wird die Wärmeaufnahme oder
Hohe Dämmwirkung kann auch dadurch er- Wärmeabgabe verstanden, die eine fühlbare Ände-
zielt werden (analog zur doppelwandigen Ther- rung der Temperatur zur Folge hat. Das verwendete
moskanne), dass das Dämmmaterial durch ein Speichermedium wird erhitzt oder abgekühlt. Der
Vakuum ersetzt wird. Wärmeverluste werden bei Zusammenhang zwischen Wärmemenge Q und
Drücken von weniger als 0,001  mbar quasi nur Temperaturänderung wird durch folgende Glei-
noch durch Wärmestrahlung hervorgerufen. Va- chung beschrieben:
kuumdämmung wird vor allem dann eingesetzt,
wenn größere Dämmstärken konstruktiv nicht Q = m · c p · (T2 − T1 ).
(10.6)
möglich sind.
Um schließlich auch die Wärmestrahlung in Neben der Temperaturdifferenz und der Stoffmas-
einer Vakuumisolation zu verringern, werden se m ist die Wärmemenge von der spezifischen
Pulver oder Faserdämmstoffe eingebracht. Mit Wärmekapazität cp abhängig. Diese physikalische
solchen Vakuumsuperisolationen kann die Wär- Stoffeigenschaft gibt die Wärme an, die einem Ki-
meleitfähigkeit auf Werte von 0,01  W/mK bis zu logramm des Stoffs zugeführt werden muss, um
0,003  W/mK verringert werden. Dies ist eine um seine Temperatur um ein Kelvin zu erhöhen. In
den Faktor 5- bis10-mal so hohe Dämmeigenschaft .  Tab.  10.3 werden cp-Werte verschiedener Spei-
wie die konventioneller Dämmmaterialien. chermaterialien genannt. Eine hohe spezifische
Wärmekapazität ist für die Wärmespeicherung
542 Kapitel 10 • Thermische Energiespeicher

. Tab. 10.3  Temperaturbereich, Wärmekapazität, Dichte und Anwendungsbereiche verschiedener Materialien


(s. [3, 8])

Medium Temperaturbe­ Spezifische Wär- Volumetrische Dichte Anwendungen


reich mekapazität Wärmekapazität

Einheit °C kJ/(kg K) kJ/(m³ K) kg/m³

Wasser 0–100 4,19 4175 998 Brauchwasser,


Heizungsan-
lagen

Sand, Kies, 0–800 0,71 1278–1420 1800–2000 Erdreich-Wär-


Gestein mespeicher

Granit 0–800 0,75 2062 2750 Erdreich-Wär-


mespeicher

Beton 0–500 0,88 1672–2074 1900–2300 Thermisch akti-


ve Bauteile

Ziegelstein 0–1000 0,84 1176–1596 1400–1900

Eisen 0–800 0,47 3655 7860 Speichermate-


rial bei solaren
Speichern

Thermoöl 0–400 1,6–2,1 1360–1620 850–900 Solaranlagen


mit Parabolrin-
nen-kollektor

10 Kies-Wasser-
Schüttung
0–100 1,32 2904 2200 Erdreich-Wär-
mespeicher

Salz-schmelze 150–450 1,3 1970–1725 2561–2243 Solarturmkraft-


werken

Natrium 100–800 1,3 925–750 1203–975 Solarturmkraft-


werken

hilfreich, da für eine zu speichernde Energiemenge hohe Temperaturen gespeichert werden. Sensible
eine geringere Menge des Stoffes benötigt wird und Wärmespeicher haben im Vergleich zu den beiden
der Speicher damit kleiner ausfällt. anderen Wärmespeichertechnologien eher gerin-
Verglichen mit latenten und thermochemi- gere Investitionskosten, sind am weitesten entwi-
schen Speichern weisen sensible Wärmespeicher ckelt und am Markt etabliert.
eine eher geringe Energiedichte auf. Diese ist durch
die spezifische Wärmekapazität und die maximal
mögliche Temperaturdifferenz begrenzt. Die Tem- 10.4.1 Speichermaterialien
peraturdifferenz hängt von den Randbedingungen
der Anwendung bzw. von den Temperaturen der Bei der Auswahl des Speichermaterials sind im
Phasenwechsel (bei Wasser zwischen 0 und 100 °C) Vorfeld folgende Aspekte zu klären:
des Speichermediums ab. 55 Betriebstemperatur des Systems
Der Vorteil flüssiger sensibler Speichermedien 55 Wahl des für den Wärmetransport geeigneten
ist die Übertragbarkeit hoher Leistungen. Die Leis- Materials
tung hängt hier lediglich von der Pumpleistung ab. 55 Eignung des gleichen Materials für Transport
Bei festen Speichermedien können hingegen sehr und Speicherung
10.4 • Sensible thermische Energiespeicher
543 10
55 Verfügbarkeit und Preis des Materials sind die Wärmespeicherung über mittlere Zeit-
55 Umweltverträglichkeit des Materials. räume (Wochen/Monate) bis hin zur saisonalen
Wärmespeicherung (Sommer/Winter) im Tempe-
In .  Tab. 10.3 werden einige Kennwerte für Mate- raturbereich 0–100 °C. Saisonale Speicher werden
rialien genannt, die in sensiblen Wärmespeichern häufig dazu verwendet, solare Wärme zu speichern
Verwendung finden. Neben der spezifischen Wär- und zum Heizen im Gebäudebereich einzusetzen.
mekapazität wird insbesondere im Gebäudebereich In Verbindung mit einem Nahwärmenetz errei-
häufig die volumetrische Wärmekapazität angege- chen diese Speicher oft einen solaren Anteil von
ben, da dort weniger das Gewicht als das benötigte etwa 50 % des Gesamtwärmebedarfs für Heizung
Raumvolumen von Bedeutung ist. und Brauchwarmwasser der versorgten Gebäude.
Das am häufigsten verwendete Medium bei Bei Temperaturen über 100  °C steigt der
sensiblen Wärmespeichern ist Wasser. Es besitzt Dampfdruck stark an, was die Druckanforderun-
die folgenden Eigenschaften (s. [39]): gen an den Behälter erhöht und zu entsprechend
55 fast überall in großen Mengen verfügbar höheren Kosten des Speichers führt. Daher wird
55 kostengünstig bei Temperaturen über 100 °C häufig Thermoöl als
55 leicht zu transportieren Wärmeträger verwendet. Dieses hat allerdings eine
55 umweltverträglich, da nicht toxisch, nicht deutlich geringere Wärmeleitfähigkeit (ca.  0,1  W/
aggressiv, nicht brennbar, nicht explosiv (m  K)) und eine niedrigere Wärmekapazität als
55 einfach zu handhaben (große Erfahrung im Wasser. Durch Kombination von Thermoöl und
Umgang mit Wasser, die Technologie wird von Gesteinsschüttungen mit hoher Wärmekapazität
Handwerkern beherrscht) kann einerseits die Speicherkapazität erhöht, an-
55 hohe spezifische Wärmekapazität dererseits die Menge an relativ teurem Thermoöl
(4,219 − 4,185 kJ/(kg K)) reduziert werden. Eine Alternative dazu sind Salz-
55 geringe Wärmeleitfähigkeit schmelzen, die bei Temperaturen von bis zu 450 °C
(0,562 − 0,560 W/(m K)) eingesetzt werden.
55 dies erschwert den Wärmeaustausch zwi- Feststoffspeicher aus Beton (thermisch aktive
schen heißem und kaltem Wasser Bauteile) oder Eisenoxidsteinen (Speicherheizun-
55 Schichtung: direktes Abzapfen von warmem gen) werden bei sehr hohen Temperaturen ver-
Wasser aus oberem Speicherbereich ohne wendet.
zusätzliches Aufheizen möglich Wärme- und Kältespeicherung über länge-
55 unterschiedliche Dichten bei verschiedenen re Zeiträume findet größtenteils unterirdisch
Temperaturen statt.  Dabei bieten sich vor allem folgende Spei-
55 Schichtung möglich chertypen an:
55 relativ niedrige Viskosität 55 Aquiferspeicher
(1,792 − 1,003 × 10−6 m2/s) 55 Kavernenspeicher
55 sehr gutes Wärmetransportmedium und 55 Erdwärmesonden-Speicher
erlaubt dadurch hohe Be- und Entladeleis- 55 Erdwärmekollektor-Speicher
tungen 55 Kies/Wasser- oder Erdreich/Wasser-Speicher
55 sehr gute Lösungsmitteleigenschaften
55 Bei der Brauchwassererwärmung ist Wasser Im Folgenden werden verschiedene Bauformen
nicht nur Wärmeträger- und Wärmespeicher- sensibler thermischer Energiespeicher beschrie-
medium, sondern auch das benötigte Produkt. ben. Die Unterteilung der Speicher erfolgt hin-
sichtlich des Aggregatzustandes des Speicherme-
Der Haupteinsatzbereich von Wasser als Speicher- diums. So werden zuerst Speicher mit festem Spei-
material sind Pufferspeicher bei Heizungsanlagen. chermedium, gefolgt von Speichern mit flüssigem
Diese gleichen kurzzeitige (einige Stunden/Tage) Speichermedium genannt. Zuletzt werden Speicher
Differenzen zwischen erzeugter und verbrauchter erläutert, bei denen sowohl ein festes als auch ein
Wärme aus. Andere Einsatzbereiche von Wasser flüssiges Speichermedium Anwendung findet.
544 Kapitel 10 • Thermische Energiespeicher

Die Wärmeübertragung geschieht über U-


Rohre oder koaxiale Wärmeübertragerrohre (oft
aus Polyethylen), die in einer senkrechten Bohrung
20–150  m ins Erdreich eingebracht werden. Der
Haushalt Durchmesser des Bohrlochs beträgt etwa 10–15 cm.
Ab 100 m Bohrtiefe ist in Deutschland eine berg-
baurechtliche Genehmigung notwendig (s. [39]).
Da Polyethylen eine relativ schlechte Wärme-
leitfähigkeit besitzt (0,4  W/(m  K)) und somit die
Wärmeübertragungsleistung einschränkt, kann
das Bohrrohr mit einer Bentonit-Zement-Sand-
Mischung verfüllt werden, welche die Wärmeüber-
tragung erhöht (s. [26]).
Als Wärmeträger findet ein Wasser-Frostschutz-
Erdsonde
Gemisch Anwendung, das mit ca. 0,5–1 m/s durch
das Rohr gefördert wird, sodass eine turbulente
Strömung entsteht, was die Wärmeübertragung er-
höht. Die indirekte Be- und Entladung des Systems
erfolgt dann größtenteils durch Wärmeleitung.
Bei der Verwendung mehrerer Erdsonden
und deren Zusammenschluss zu einem Sonden-
. Abb. 10.5 Erdsonde feld kann Erdreich als Speichermasse erschlossen
werden. Der Sondenabstand liegt dabei zwischen
10 1,5 und 12 m. In der Regel werden Erdsondenfelder
10.4.2 Speicher mit festem nicht überbaut und können Speichervolumen grö-
Speichermedium ßer 50.000 m³ aufweisen. Die Speichertemperatur
liegt meist bei ca. 40–80 °C.
Im Folgenden werden drei Speicherarten be- Erdsonden-Speicher sind sowohl als Wärme-
schrieben, die sich hinsichtlich Aufbau und Funk- als auch als Kältespeicher mit reversibler Wärme-
tion relativ ähnlich sind. Sowohl bei Erdsonden pumpe nutzbar und können bei geringen Tempe-
als auch bei Erdkollektoren und Fundamentspei- raturspreizungen und niedrigen Vorlauftempe-
chern wird ein festes Speichermedium (Erdreich, raturen (wie z.  B.  35 °C bei Fußbodenheizungen)
Beton) über ein Wärmeträgerfluid indirekt be- am effizientesten betrieben werden (s. .  Abb. 10.5
und entladen. Bei Nachtspeicherheizungen wird und [8]).
zwar auch ein festes Speichermedium verwendet
(Eisenoxidstein), die Wärmeübertragung erfolgt 10.4.2.2 Erdkollektorspeicher
hingegen durch einen elektrischen Heizwider- Erdkollektoren werden oberflächennah in lo-
stand. ckerem Erdreich in ca.  1–2  m Tiefe verbaut und
unterliegen somit jahreszeitlichen Temperartur-
10.4.2.1 Erdsondenspeicher schwankungen (s.  [15]). Wie bei den Erdsonden
Bei Erdsondenspeichern wird Erdreich oder Fels- dient auch bei den Erdkollektoren das Erdreich als
gestein als Speichermedium verwendet. Besonders Speichermedium. Ein Wärmeträgerfluid (Wasser-
häufig werden Erdsonden bei wassergesättigten Frostschutz-Gemisch) strömt durch im Erdreich
Tongesteinen mit hoher Wärmekapazität und ge- verlegte, horizontal verlaufende Kunststoffrohre
ringer Durchlässigkeit genutzt. Bei hoher Grund- mit einem Durchmesser von etwa 25 mm (s. [41]).
wasserfließgeschwindigkeit würde die Wärme an- Über eine Kopplung mit einer Wärmepumpe
sonsten schnell abtransportiert werden (s. [41]). kann so Erdwärme zum Heizen nutzbar gemacht
10.4 • Sensible thermische Energiespeicher
545 10

. Tab. 10.4  Entzugsleistung verschiedener Böden


bei Erdkollektoren

Bodenbeschaffenheit Wärmeentzugsleistung
[W/m²] Haushalt

Trocken, sandig 10–15

Feucht, sandig 15–20

Trocken, lehmig 20–25


Erdkollektor
Feucht, lehmig 25–30

Grundwasserführend 30–35
. Abb. 10.6 Erdkollektor

werden, im Kühlmodus wird überschüssige Wärme


aus dem Gebäude ins Erdreich gebracht. Die ein- Der Speicher wird in der Regel zu allen Seiten
zelnen Rohrstränge sollten einzeln abschaltbar und isoliert und häufig in Kombination mit solarther-
nicht länger als 100 m sein, da sonst eine erhöhte mischen Anlagen betrieben. So kann der im Som-
Pumpenleistung erforderlich wird (s. [16]). mer mit überschüssiger solarer Energie gefüllte
Erdkollektoren haben einen großen Flächenbe- Fundamentspeicher in den Wintermonaten über
darf. Bei Wohnhäusern gilt der Richtwert, dass das eine Wärmepumpe entladen werden (s. [19]).
Doppelte der Wohnfläche für die Erdkollektoren Die Befestigung der Kunststoffrohre an der Be-
zur Gebäudeheizung benötigt wird. Dieser Bereich wehrung erfolgt in der Regel durch Kabelbinder.
sollte zudem nicht überbaut oder durch Bepflaste- Die einzelnen Rohrstränge sind individuell an-
rung zu stark verdichtet sein und ist für Pflanzen steuerbar, wodurch im Störungsfall ein komplet-
mit tiefem Wurzelwerk nur eingeschränkt geeignet ter Ausfall des Systems vermieden werden kann
(s. [17]). Ein weiterer Nachteil ist, dass für das Ver- (s. [8]).
legen der Rohre der kostenintensive Aushub einer Im Unterschied zu Erdsonden- oder Erdkol-
Grube notwendig ist. lektorsystemen sind Fundamentspeicher überbaut
.  Tabelle  10.4 zeigt Wärmeentzugsleistungen (s. . Abb. 10.7). Je nach Gründungsbauwerk unter-
verschiedener Bodenarten. Es wird deutlich, dass scheidet man zwischen
feuchten Böden mehr Wärme entzogen werden 55 Energiepfählen: Pfahlgründung als Grün-
kann als trockenen Böden. dungsbauwerk (s. . Abb. 10.8)
Da Erdkollektoren in der Regel keinen direk- 55 Fundamentabsorber: Bodenplatte als Grün-
ten Kontakt mit Grundwasser haben, können sie dungsbauwerk
ohne spezifische Genehmigungen verbaut werden 55 Schlitzwand als Gründungsbauwerk.
(s. . Abb. 10.6 und [18]).
Prinzipiell ist sowohl ein wärmepumpengestützter
10.4.2.3 Fundamentspeicher Heizbetrieb als auch ein kältemaschinengestützter
Fundamentspeicher sind ähnlich aufgebaut wie Kühlbetrieb möglich. Die Temperaturen im Erd-
Erdsondensysteme. Allerdings werden hier Kunst- reich bewegen sich zwischen 4 und 20 °C. Niedrige-
stoffrohre an der Bewehrung im Gründungsbereich re Temperaturen sind zu vermeiden, da es sonst zu
von Bauwerken befestigt, durch die ein Wärmeträ- einer Rissbildung im angrenzenden Betonbauwerk
germittel fließt. Das Gründungsbauwerk dient zum kommen kann.
einen als Wärmeübertrager, andererseits bildet es
als thermisch aktiviertes Bauteil mit dem umgebe- 10.4.2.4 Thermisch aktive Bauteile
nen Erdreich die Speichermasse. Die Be- und Ent- Nicht nur im Gründungsbereich von Gebäuden,
ladung findet somit indirekt statt (s. [39]). auch in den Gebäuden selbst können thermisch ak-
tive Bauteile zur Speicherung thermischer Energie
546 Kapitel 10 • Thermische Energiespeicher

. Abb. 10.7 Fundamentspeicher

doppeltes U-Rohr aus Kunststoff

10
Betonpfahl

. Abb. 10.9  Thermisch aktive Bauteile

Personen im Gebäude und zum anderen kann es


zur Kondensatbildung an den aktivierten Bauteilen
kommen. Massive Gebäude können Energie über
. Abb. 10.8 Energiepfahl längere Zeiträume als Leichtbauten speichern, und
dementsprechend reagieren Träger auf Tempera-
turschwankungen, sodass die Raumlufttemperatur
verwendet werden. Häufig wird in diesem Zusam- relativ konstant bleibt. Thermisch aktive Bauteile
menhang auch von einer thermischen Bauteilak- können sowohl für Heiz- als auch für Kühlzwecke
tivierung oder Betonkernaktivierung gesprochen. verwendet werden (s. . Abb. 10.9 und [8]).
Als Speichermassen dienen die Betonbauteile
eines Gebäudes wie Decken, Wände oder der Bo- 10.4.2.5 Speicherheizungen
den. Die Be- und Entladung der Bauteile geschieht Eine andere Form der Energiespeicherung in sen-
durch mit Wasser durchströmte Rohrschlangen, siblen, thermischen Speichern sind Speicherhei-
die im Betonkern integriert sind. Bekanntestes Bei- zungen (s. . Abb. 10.10). Diese verfügen im Gegen-
spiel ist die Fußbodenheizung. satz zu allen anderen genannten sensiblen Energie-
Die Temperierung der Bauteile erfolgt in der speichern über kein Wärmeträgermedium, welches
Regel im Bereich von 18–35 °C. Bei Temperaturen den Speicher lädt. Die Wärmespeicherung erfolgt
unter 18 °C leidet zum einen die Behaglichkeit der direkt durch die Konvertierung von Elektrizität in
10.4 • Sensible thermische Energiespeicher
547 10
mittelbar zur Austrittsöffnung gelangt und nicht
erwärmt wird.
Das meist verwendete Speichermedium sind
Eisenoxidsteine oder Magnesit mit den Handelsna-
men Feolit (s. [5]). Bedingung für die Auswahl des
Speichermediums ist neben der hohen Speicher-
fähigkeit die Möglichkeit, die gespeicherte Wärme
bei Bedarf schnell wieder abzugeben, d. h., die Wär-
meleitfähigkeit sollte möglichst groß sein.
Magnesit ist ein keramisches Material aus
Eisenoxid und Magnesium. Seine spezifische Wär-
. Abb. 10.10  Schnitt durch eine Speicherheizung mekapazität ist temperaturabhängig. Sie beträgt
bei Raumtemperatur ca. 0,245 Wh/(kg K) und bei
einer Temperatur von 600 °C ca. 0,34 Wh/(kg K).
Wärme über Heizwiderstände und die Speicherung Ein weiterer Vorteil von Magnesit liegt in der Tem-
in Eisenoxidsteinen. peraturabhängigkeit der Wärmeleitfähigkeit. Sie
Die Speicherheizung nimmt elektrische Ener- liegt bei 200 °C bei ca. 9,3 W/(m K) und bei 600 °C
gie auf, wandelt diese in Wärme und speichert die bei 5,8 W/(m K). Dies bedeutet etwa eine Verdopp-
Wärme in ihrem Kern. Verteilt über einen länge- lung der Wärmeleitfähigkeit bei niedrigen Tempe-
ren Zeitraum gibt die Heizung ihre Wärme an den raturen und ermöglicht auch noch bei niedrigen
Raum wieder ab. Energieversorgungsunternehmen Temperaturdifferenzen eine hohe Wärmeentnah-
stellten in der Vergangenheit zur Versorgung der me (s. [30]).
Nachtspeicherheizungen vergünstigten Nacht-
strom zur Verfügung. In Zukunft könnte der La-
devorgang anderen Gesetzmäßigkeiten folgen, 10.4.3 Speicher mit flüssigem
nämlich der Verfügbarkeit erneuerbarer Energie- Speichermedium
quellen, z.  B. dem temporär auftretenden Über-
schuss aus Windkraft. Durch die Umwandlung von Im folgenden Abschnitt werden Speicherbaufor-
Elektrizität in Wärme können prinzipiell beliebig men beschrieben, bei denen ein flüssiges Speicher-
hohe Temperaturen gespeichert werden. In der medium verwendet wird. Ein prinzipieller Vorteil
Praxis werden hier deutlich höhere Temperaturen besteht darin, dass in den meisten Anwendungen
(bis zu 600 °C) gespeichert, als für die Anwendung das Speichermedium auch gleichzeitig das Wärme-
»Raumheizung« notwendig. trägermedium darstellt. Damit können sehr hohe
Speicherheizungen können mit nicht steuer- thermische Leistungen realisiert werden.
barer Wärmeabgabe ausgeführt sein. Ihr Speicher- Das am häufigsten eingesetzte Material ist Was-
kern ist dann komplett von einer schwachen Wär- ser. Während Kavernenspeicher nur eine Rand-
meisolierung umgeben. Die Wärmeabgabe erfolgt erscheinung bei der Speicherung von thermischer
über Konvektion und Strahlung. In Deutschland Energie sind, findet die Warm- bzw. Heißwasser-
werden allerdings fast ausschließlich Speicherhei- speicherung in Erdbecken und Tanks aus Stahl, Be-
zungen mit automatisch gesteuerter Wärmeabgabe ton oder Kunststoff vielfältige Anwendungen. Auch
eingesetzt. Die Steuerung der Wärmeabgabe erfolgt auf die Kältespeicherung im Temperaturbereich
über einen Ventilator. Dieser saugt Kaltluft an, wel- von 0–20 °C wird in diesem Abschnitt eingegangen.
che aufwärts strömt und sich teilt. Ein Teil der Luft
durchstreicht die Speicherschächte und wird er- 10.4.3.1 W
 arm- und Heißwasserspeiche-
wärmt. Dieser Teilstrom kann nach Verlassen des rung in Beton-, Stahl-
Speicherkerns sehr hohe Temperaturen aufweisen. und Kunststoffbehältern
Daher wird die Warmluft mit dem anderen Teil- Die in diesem Abschnitt beschriebenen Speicher
strom gemischt, der durch eine Bypassklappe un- gehören zu dem mit Abstand am häufigsten ver-
548 Kapitel 10 • Thermische Energiespeicher

wendeten Speichertyp zur Speicherung sensibler das Wärmespeichermedium auch gleichzeitig das
Wärmeenergie. Das Speichermedium ist Wasser. Wärmeüberträgerfluid. Es liegt keine hydraulische
Der Temperaturbereich geht dabei bis zu 95 °C. Trennung vor. Das erzeugte Warmwasser wird
Typische Anwendung finden diese Speicher in der oben in den Speicher eingespeist und bleibt auf-
Heizungstechnik in kleiner bis mittelgroßer Aus- grund der durch die höhere Temperatur geringe-
führung als Pufferspeicher zur Überbrückung kur- ren Dichte oben. Dort kann es im Bedarfsfall auch
zer Zeiträume. Größere Modelle werden für die entnommen werden. Es wird von »geschichteten«
Einbindung in Nah- oder Fernwärmeversorgungs- Speichern gesprochen. Ein Beispiel hierfür ist ein
netze zur Überbrückung längerer Zeiträume ver- mit Heizwasser gefüllter Pufferspeicher, aus dem
wendet. im Heizfall Wasser entnommen und durch ein
Bei der Speicherung von Warm- bzw. Heißwas- Rohrnetz zu den Wärmeabgabebereichen (Heiz-
ser werden Beton-, Stahl- und Kunststoffbehälter körper, Heizregister) geleitet wird. Vorteile bei der
eingesetzt, wobei bei großen Speichern inzwischen direkten Be- und Entladung sind die einfache Bau-
wasserdichter Stahlbeton die ehemals verwendeten weise und der Wegfall innerer Speichereinbauten.
Stahlbleche verdrängen. Warmwasserspeicher für Bei der indirekten Beladung des Speichers wird
den häuslichen Gebrauch bestehen wegen eines über Wärmetauscher Wärme an das Speicherme-
geringen Sauerstoffeintrages in der Regel aus kor- dium abgegeben. Dieses Konzept wird dann ver-
rosionsunempfindlichen Materialien wie Edelstahl, wendet, wenn bei der Wärmeversorgung unter-
beschichtetem Stahl oder Kupfer. Bei den als ge- schiedliche Flüssigkeiten für Wärmetransport und
schlossene Systeme ausgeführten Heizwasser- bzw. Wärmespeicherung verwendet werden. Bei Bedarf
Pufferspeichern, die nur einen sehr geringen Sauer- wird über Wärmetauscher im oberen Teil des Spei-
stoffeintrag haben, kann unveredelter und unbe- chers Wärme an den angeschlossenen Warmwas-
schichteter Stahl verwendet werden (s. [8]). Auch serkreislauf abgegeben (s. [8]). Ein Beispiel hierfür
10 glasfaserverstärkte Kunststoffe werden neuerdings ist der Tank-im-Tank-Speicher, bei dem sogar drei
eingesetzt (s. [20]). verschiedene Wärmeträger zum Einsatz kommen
Die Speicher sind sowohl oberirdisch, unter- (s. .  Abb.  10.11). Im Solarkollektor-Kreislauf wird
irdisch, halbversenkt als auch in Gebäuden ste- ein frostschutz- und verdampfungssicheres Was-
hend ausführbar (s. [39, 41]). Zur Vermeidung von ser-Alkohol-Gemisch verwendet, welches über
Wärmeverlusten ist ein gutes Oberflächen-Volu- einen Wärmetauscher Wärme an das Heizwasser
men-Verhältnis vorteilhaft. Deshalb haben größere im Tank abgibt. In diesem Tank befindet sich ein
Speicher verhältnismäßig geringere Wärmeverlus- weiterer Tank, der mit Trinkwarmwasser gefüllt ist.
te. Optimal wären daher kugelförmige Speicher, die Ein Vorteil der indirekten Be- und Entladung ist
aber aus mehreren Gründen kaum verbaut werden. der bessere Schutz vor Korrosion, Verschmutzung
So gestalten sich Bau und Aufstellung eines Spei- und Speichermaterialverlust, da die Speicher ge-
chers in Kugelform schwierig, außerdem sollte we- schlossene Systeme sind und keine Stoffanbindung
gen der Schichtung des Wassers im Speicher die an die Umwelt besteht.
Kontaktfläche von heißem und kaltem Wasser re- Kleine und mittelgroße Speicher (0,1–200 m³)
duziert werden, um Wärmeleitung und somit die werden häufig als zylinderförmige Druckbehälter
Zerstörung der Schichtung zu vermeiden. Daher mit zwei nach außen gewölbten Böden gebaut,
werden in der Regel zylindrische Warm- und Heiß- größere Speicher (bis ca.  50.000  m³) weisen eine
wasserspeicher verwendet, die ebenfalls bei Über- Flachbodenform auf. Die Dämmung erfolgt ent-
druck arbeiten können. Typische Verhältnisse von weder durch Ausschäumung des Zwischenraums
Höhe zu Durchmesser des Speichers sind 2:1 bis 5:1 zwischen Stahlwand und Verkleidungsblech oder
(s. [8]). Dämmstoffe sind z. B. Schaumstoffe, Mine- durch das Verlegen von Dämmplatten. Wichtig
ralwolle, Schaumglas oder auch Glaswolle. ist hierbei die Verwendung von Wärmedämm-
Bei Warm- und Heißwasserspeichern gibt es stoffen mit großem Diffusionswiderstand, sodass
sowohl direkte als auch indirekte Be- und Ent- der Dämmstoff als Dampfsperre fungiert. Weich-
ladungskonzepte. Bei der direkten Beladung ist schaum-Formteile bestehen häufig aus syntheti-
10.4 • Sensible thermische Energiespeicher
549 10
F

Brauch-
wassertank

lsolierung
Solarkreislauf

. Abb. 10.11 Tank-im-Tank-Wärmespeicher

schem Kautschuk (EPDM), bei Fugen und Dich- gibt es auch bei den Kaltwasserspeichern Stahl-
tungen wird Polyurethan verwendet. behälter, die aufgrund ihrer hohen mechanischen
Behälter aus glasfaserverstärktem Kunststoff Belastbarkeit, ihrer Diffusionsdichte und der Tat-
(GFK) erreichen nicht die Größen wie Stahlbehäl- sache, dass sie einfach form- und schweißbar sind,
ter. Bisher gibt es einige 1.500 m³ große GFK-Tanks, häufig zur Anwendung kommen.
erreicht werden sollen 6.000  m³. Die GFK-Tanks Kaltwasserspeicher werden oberirdisch,
bestehen aus einer Mischung verschiedener Glas- unterirdisch und in Gebäuden verbaut. Die Be-
sorten, ungesättigten Polyester- und Vinylharzen. und Entladung geschieht in der Regel direkt.
Als Wärmedämmmaterial wird häufig Polyur- Da sie eher für die Kurzzeitspeicherung gedacht
ethan-Hartschaum (PUR) verwendet. sind, weisen sie hohe Be- und Entladeleistungen
Auch Beton-, Stahlbeton- oder Spannbetonbe- auf. Wie bei Warmwasserspeichern gibt es auch
hälter werden zur Speicherung von Warmwasser bei Kältespeichern eine Schichtung des Wassers.
verwendet, bisweilen auch bei Kaltwasser. Hoch- Allerdings sind wegen der geringen Tempera-
fester und ultrahochfester Beton übernimmt bei turdifferenzen auch die Dichtedifferenzen sehr
neueren Speichern sogar die Abdichtfunktion, so- gering, sodass Diffusoren für eine Strömungs-
dass auf weitere Auskleidungen verzichtet werden beeinflussung sorgen und so die Schichtung auf-
kann. rechterhalten. Typische Vor- und Rücklauftem-
peraturen bei Kaltwasserspeichern sind 6 °C und
10.4.3.1.1 Kaltwasserspeicher 12 °C (s. [39]).
Von Kaltwasserspeichern ist die Rede, wenn das ge-
speicherte Wasser eine Temperatur von 0–20 °C be- 10.4.3.1.2  Salze, Öle und Natrium im
sitzt. Anwendung finden Kaltwasserspeicher beim Hochtemperaturbereich
Anschluss an die zentrale Kälteerzeugung eines Im Hochtemperaturbereich scheidet Wasser auf-
Kaltwassersystems. grund der Verdampfung und der damit verbun-
Der Aufbau dieser Speicherart ist dem der denen Druckprobleme als Speichermedium aus.
Warm- und Heißwasserspeicher sehr ähnlich. So Alternativ werden Flüssigsalzspeicher verwendet.
550 Kapitel 10 • Thermische Energiespeicher

Abdeckung fen werden, die stark exotherme Reaktionen mit


z. B. Wasser verhindern.

Speichermedium 10.4.3.1.3  Kavernen


Kavernen sind unterirdische, künstlich hergestellte
(z. B. Bergbau: Erzabbau, Salzgewinnung) oder na-
türlich entstandene (z.  B. durch Auswaschungen)
Hohlräume, die mit Wasser gefüllt werden und so
als Energiequelle oder -senke dienen. Die Be- und
Wärmespeicher
Entladung geschieht direkt.
. Abb. 10.12  Aufbau eines Heißwasser-Wärmespeichers
Es gibt keine künstlichen Abdichtungen oder
mit selbsttragender Abdeckung Wärmedämmungen, daher ist eine hohe Stabilität
und Dichtheit der betroffenen Erdschichten erfor-
derlich. Geeignete Gesteinsschichten sind Gneis,
Da das Salz einmalig über seine Schmelztempera- Granit, magmatische Gesteine und andere Sedi-
tur erhitzt wird und dabei seinen Aggregatzustand mente mit hoher Festigkeit.
von fest zu flüssig ändert und danach im flüssigen Kavernen können sowohl als Kurzzeit- als
Zustand verbleibt, zählt diese Art nicht zu den la- auch als Langzeitspeicher verwendet werden, aller-
tenten, sondern zu den sensiblen Wärmespeichern. dings sind nur wenige Kavernenspeicher weltweit
Diese Speichermethode wird z.  B. bei solar- in Betrieb, in denen Wasser als Speichermedium
thermischen Kraftwerken angewendet, wo die verwendet wird. Die meisten davon befinden sich
Speichertemperatur zwischen ca. 250 °C und 565 °C in Skandinavien. Aufgrund der hohen Fixkosten
variiert. Da bei einer Unterschreitung der Schmelz- eignen sich Kavernen vor allem als große Speicher,
10 temperatur bei ca. 240 °C das flüssige Salz kristalli- da so die einmalige Erschließung und Herstellung
sieren und damit der Speicher zerstört würde, muss des Speichers im Verhältnis zum Speichervolumen
der Salzvorrat immer eine Mindesttemperatur von kostengünstiger wird (s. [39]). Häufiger dienen Ka-
250 °C haben. Bei zu hohen Temperaturen zerset- vernenspeicher allerdings als Gasspeicher (Erdgas,
zen sich die verwendeten Salze und brandfördern- Wasserstoff).
der Sauerstoff wird frei, sodass bei der Planung des
Speichers sicherheitstechnische Maßnahmen er- Warm- und Heißwasserspeiche-
10.4.3.2 
griffen werden müssen. rung in Erdbecken
Verwendete Stoffe sind Nitratsalze oder Salz- Ein großer Vorteil der unterirdisch verbauten
schmelzen. Da Salze eine höhere Wärmeleitfähig- Heißwasser-Wärmespeicher ist, dass sie mit dem
keit als Öle haben und zudem in einem höheren Speichermedium Wasser ein kostengünstiges Ma-
Temperaturbereich eingesetzt werden können, er- terial mit hoher Speicherkapazität und vergleichs-
lauben sie einen flexibleren Anlagenbetrieb. Die weise einfacher Handhabung nutzen (s. [33]).
verwendbaren Mineral-, Synthetik- oder Silikonöle Während Wärmespeicher mit abgestützter
eignen sich nur für die thermische Kurzzeitspei- oder selbsttragender Abdeckung höhere Lasten
cherung. Für die Speicherung größerer Energie- aushalten und somit begeh- und befahrbar sind
mengen würden viele teure Drucktanks benötigt, (s. .  Abb.  10.12), bieten aufschwimmende Abde-
deren Herstellung und Betrieb derzeit nur in klei- ckungen diesen Vorteil nicht, sind aber kosten-
nem Maßstab existieren. günstiger. Zudem sind Wärmespeicher mit abge-
Selten wird flüssiges Natrium als Speicherme- stützter oder selbsttragender Abdeckung besser
dium eingesetzt. Dieses weist zwar eine hervor- zugänglich, was im Wartungsfall von Vorteil ist
ragende Wärmeleitfähigkeit auf und ist in einem (s. . Abb. 10.13).
breiten Temperaturbereich einsetzbar, allerdings Mit abgestützten Abdeckungen sind zwar be-
müssen auch hier Sicherheitsvorkehrungen getrof- liebige Speichergrößen realisierbar, allerdings
10.4 • Sensible thermische Energiespeicher
551 10
Selbsttragende Abdeckung Aufschwimmende Abdeckung

Speichermedium Speichermedium

Wärmespeicher Wärmespeicher

. Abb. 10.13  Aufbau eines Heißwasser-Wärmespeichers . Abb. 10.14  Aufbau eines Heißwasserspeichers mit
mit abgestützter Abdeckung schwimmender Abdeckung

können durch notwendige Durchführungen durch Bei der Speicherung wird warmes oder kaltes
Boden und Decke Undichtigkeiten und Wärme- Wasser über eine »warme« oder eine »kalte« Boh-
brücken entstehen, was zusätzlich zum aufwendi- rung in den Speicher eingebracht. Dabei wird die
geren Fundament auch die Montage verkompli- Speicherkapazität des Wassers und des Erdreichs
ziert. zur Energiespeicherung verwendet. Im Betrieb
Aufschwimmende Abdeckungen hingegen sind wird einer der Bohrungen Wasser entnommen,
einfach, kostengünstig und für beliebige Speicher- welches über ein Brunnensystem durch einen
größen konzipierbar, allerdings gestaltet sich die Wärmetauscher zur anderen Bohrung gepumpt
Be- und Entladung schwieriger (s. . Abb. 10.14). wird. Am Wärmetauscher wird Wärme an einen
Erdbecken mit selbstragender Abdeckung sind Sekundärkreislauf abgegeben bzw. von diesem auf-
derzeit in Planung und Konstruktion noch recht genommen. So kann je nach Bedarf Wärme oder
teuer und aufwendig. Zudem sind nur begrenzte Kälte gespeichert und zu einem späteren Zeitpunkt
Speichervolumen und Speicheroberflächen mög- wieder zur Verfügung gestellt werden. Die Be- und
lich (s. [33]). Entladung des Speichers findet somit direkt statt
(s.  [41]). Oberirdisch erfolgen zudem eine Filte-
Aquiferspeicher
10.4.3.3  rung, eine chemische Wasseraufbereitung und die
Bei Aquiferen, auch Grundwasserleiter genannt, Druckhaltung des Systems. So können, z. B. bei der
wird Wasser in die Hohlräume von lockerem oder Beladung des Speichers mit Solarthermie im Som-
auch festem Gestein im Erdreich geleitet und dort mer, durchaus Betriebstemperaturen größer 50 °C
gespeichert. Das Aquifer wird an Ober- und Unter- erreicht werden.
seite durch wasserundurchlässige Aquitarde (Ge- Aquiferspeicher werden als Langzeitspeicher
ringleiter) oder Aquiclude (Nichtleiter) begrenzt. eingesetzt. Sie speichern im Sommer überschüssige
Es wird zwischen Wärme ein und in den Wintermonaten wieder aus.
55 Poren-Grundwasserleitern: Sand, Kies, Generell können Aquiferspeicher über eine Kopp-
55 Kluft-Grundwasserleitern: Sand, Kalkstein, lung mit Wärmepumpen oder Sorptionskältema-
Basalt schinen sowohl für die Beheizung als auch für die
55 Karst-Grundwasserleitern: Kalkgestein Kühlung von Gebäuden verwendet werden.
Anwendungen finden Aquiferspeicher häufig
unterschieden (s.  [39]). Das wassergesättigte Erd- in 100–500  m Tiefe, der Abstand der Bohrungen
reich wird über eine oder häufig auch über mehre- beträgt zwischen 50 und 300 m (s. [8]). Die meis-
re räumlich getrennte Bohrungen erschlossen. Die ten Projekte befinden sich in Skandinavien, den
Standorte der dort installierten Brunnensysteme Niederlanden und Belgien. Typische Speichergrö-
richten sich an der natürlichen Grundwasserströ- ßen sind 5000–200.000  m³. Geologisch geeignete
mung aus. Bereiche in Deutschland sind das Alpenvorland
552 Kapitel 10 • Thermische Energiespeicher

Einleitung / Entnahme Einleitung / Entnahme

Warmer Brunnen Kalter Brunnen

Aquiclud / Aquitard

Aquifer

Warme Zone Kalte Zone


Grundwasserströmung

Aquiclud / Aquitard

. Abb. 10.15 Aquifer-Wärmespeicher

10 und Norddeutschland, realisierte Projekte sind z. B. aus Sand-Wasser-Gemischen nahezu standortun-
ein Gebäude mit Aquiferspeicher in Rostock oder abhängig einsetzbar (s. [32]).
der Reichstag in Berlin (s. [10]). Beim Reichstag er- Die ausgehobenen Erdbecken werden beim
gibt sich dabei ein Verhältnis von genutzter zu ein- Bau zuerst mit Drainagematten ausgelegt, die
gelagerter Wärme von ca. 77 % (bzw. 67 %, sofern verhindern, dass Oberflächenwasser in die dar-
die Pumpenergie berücksichtigt wird). Bei der Käl- unterliegenden Wandschichten eindringt. Weitere
tespeicherung beträgt das Verhältnis ca. 93 % (bzw. Wandbestandteile sind Schutzvlies, Abdichtungs-
88 %) (s. [9]). schichten, Wärmedämmung und Dampfsperre.
Neben Wärmeverlusten stellen die Verschlam- Bisher realisierte Projekte weisen Größen von
mung der Wärmetauscher und der Pumpen ein ca. 100–10.000 m³ auf (s. [31]).
Problem dar. Zudem kann es je nach Art des Erd- Die Erdbecken können zum einen über ein
reiches zu Eisenablagerungen in den Leitungen durch Kunststoffrohre fließendes Wärmeträger-
kommen (s. [41]). medium indirekt be- und entladen werden. Eine
Für den Bau von Aquiferspeichern (s. andere Möglichkeit ist die direkte Be- und Entla-
.  Abb.  10.15) ist eine wasserrechtliche Genehmi- dung durch vertikale und horizontale Kieswege,
gung notwendig, die für das Einleiten von Wasser durch die Wasser gepumpt wird (s. [8]). In beiden
in den Untergrund erforderlich ist. Fällen dienen das verwendete Wärmeträgerme-
dium (Wasser) und das Erdreich (Kies, Sand) als
Erdbecken
10.4.3.4  thermischer Energiespeicher (s. .  Abb. 10.16). Die
Erdbecken-Wärmespeicher werden anhand ihres Speichertemperatur ist wegen der verwendeten
Speichermaterials kategorisiert. So sind Kies-Was- Wärmedämmmaterialien auf ca.  85 °C begrenzt
ser-Wärmespeicher und Erdreich-Wärmespeicher (s. [36]).
10.5 • Latente thermische Energiespeicher
553 10
Abdeckung

Kies- oder Sand-


Wasser-Gemisch

Kuststoffrohr mit
Wärmeträger

Erdreich

. Abb. 10.16 Erdbecken-Wärmespeicher

10.4.4 Zusammenfassung direkten Kontakt von heißer Luft und Speicher-


material. Verwendete Materialien sind Oxid-
55 Verglichen mit latenten und thermochemi- keramiken oder Natursteine. Zudem werden
schen Speichern sind sensible Wärmespeicher Regeneratorspeicher häufig als Kurzzeitspei-
am weitesten entwickelt. Es gibt daher weniger cher bei industriellen Prozessen verwendet, bei
Entwicklungs- und Kostenreduzierungspoten- denen diskontinuierlich anfallende Abwärme
ziale als bei den beiden anderen Speicherarten. gespeichert und zu einem späteren Zeitpunkt
Trotzdem sorgen Innovationen bei den sensib- zur Luftvorwärmung verwendet wird.
len Wärmespeichern immer wieder für Ver- 55 Im Bereich der saisonalen Speicherung solarer
besserungen an bestehenden Systemen (z. B. Wärme, die aufgrund der wirtschaftlichen
weniger Wärmeverluste, bessere Schichtung) Randbedingungen auf absehbare Zeit nur
sowie neue Anwendungsfelder (s. [8]). durch große Wasserspeicher realisiert werden
55 Bei solarthermischen Kraftwerken wird bei- kann, stehen zwei Themen im Vordergrund:
spielsweise der Einsatz neuer Speichertypen innovative Dämmkonzepte, die sich für diese
erprobt. So finden Betonfeststoffspeicher für Anwendung vor allem durch Kostenreduktion
den Hochtemperaturbereich bis ca. 500 °C An- auszeichnen müssen, und geeignete Schicht-
wendung. Bei dieser Speicherart gibt das vom ladeeinheiten, die bei direkter Beladung das
solarthermischen Kraftwerk kommende Wär- Wärmeträgerfluid in der passenden Tempera-
meträgermedium Wärme an den Beton ab (Be- turschicht einspeichern.
ladung des Speichers) oder nimmt Wärme vom
Betonspeicher auf (Entladung des Speichers)
(s. [38]). Bei Solarturmkraftwerken mit Luft- 10.5 Latente thermische
receivern kann die dort erhitzte Luft zu einem Energiespeicher
Regeneratorspeicher mit festem Speichermate-
rial geleitet werden, das sich in einem Stahltank Zur Ermittlung der gespeicherten Wärme QLat in
befindet. Die Energieabgabe erfolgt durch den einem Latentwärmespeicher wird die Gl.  10.6 mit
554 Kapitel 10 • Thermische Energiespeicher

der Schmelzenthalpie ∆H ls beim Phasenübergang Die gespeicherte Wärme eines sensiblen, in diesem
von fest zu flüssig erweitert: Falle eines Wasserspeichers, lässt sich so definieren:

T2 ∆q = cp
(10.10)· ∆T , Wasser Wasser

QLat = ∫ cP dT + ∆H ls = T ∆S12 + Tls ∆Sls


T1 mit den folgenden Materialdaten,
 T2

≈ T ( ∆S12 + ∆Sls ) > QSens = ∫ cP dT . (10.7) J


T1 c Wasser
p ≈ 4, 2 ,
g·K

Der Phasenwechsel findet bei der Temperatur Tls J


statt und erfährt dabei die Entropieänderung ∆Sls . c PCM
p ≈ 2,1 und ∆h ≈ 150 J/g ,
g·K
Die Gleichung zeigt, dass ein Latentwärmespeicher,
bei kleinen Temperaturänderungen, mehr Wärme
speichern kann als ein sensibler Wärmespeicher, wobei c PCM
p jetzt eine mittlere spezifische Wärme-
vorausgesetzt es findet ein Phasenwechsel im Tem- kapazität (gemittelt über feste und flüssige Phase)
peraturbereich zwischen T1 und T2 statt. und ∆T die gesamte Temperaturdifferenz darstellt.
Ab wann ist der Einsatz eines Latentwärme- Damit ergibt sich
speichers sinnvoll? Wasser ist als Speichermedium
∆q PCM c PCM ∆h
für sensible Wärme, aber auch für latente Kälte eta- (10.11) =
p
+ Wasser ,
bliert. So wurden früher im Winter Eisblöcke aus ∆q Wasser c Wasser
p c p · ∆T
zugefrorenen Seen geschnitten und in Kellergewöl-
∆q PCM 35, 7K
ben, bis in den Sommer hinein, zur Kühlung von ≈ 0,5 +
(10.12) .
Wasser
∆q ∆T
10 Lebensmitteln gelagert.
Wasser zeichnet sich durch seine hohe Verfüg-
barkeit, eine hohe spezifische Wärmekapazität cp Bei diesem Beispiel ist die Speicherkapazität des
sowie einen geringen Preis und Umweltverträglich- Latentwärmespeichers bei einer Temperaturdiffe-
keit aus. Allerdings gilt dies nur für den Tempera- renz kleiner als 70 K höher als die eines sensiblen
turbereich zwischen etwa 5 und 95 °C. Das folgende Warmwasserspeichers.
Beispiel zeigt exemplarisch, in welchen Tempera- Ein PCM mit einer Schmelzenthalpie von
turbereichen PCM (Phase Change Material) Vor- 250  J/g, was in etwa der durchschnittlichen
teile gegenüber einer sensiblen Wärmespeicherung Schmelzenthalpie bei Salzhydraten entspricht,
bieten kann. vergrößert die mögliche Temperaturdifferenz auf
Allgemein gilt: 120  K. Es zeigt sich also, dass ein PCM-Speicher
einem Warmwasserspeicher hinsichtlich der ma-
∆q = c p · ∆T + ∆h.
(10.8)
PCM PCM
terialbezogenen Speicherdichte überlegen ist. Dies
gilt vor allem, wenn durch die Anwendung die
Da aber in der Regel die spezifische Wärmekapazi- nutzbare Temperaturdifferenz eingeschränkt ist.
tät des PCM in der festen Phase nicht den gleichen Ein sehr geeignetes Feld für Latentwärmespei-
Wert wie in der flüssigen Phase besitzt, setzt sich cher ist daher die Kältespeicherung. Bei der Gebäu-
die gespeicherte thermische Energie in einem La- dekühlung wird meist mit Systemen gearbeitet, die
tentwärmespeicher aus drei Termen zusammen: eine Temperaturdifferenz um die 6 K ausnutzen. Bei
der Heizung von Gebäuden und der Warmwasser-
bereitung liegen die genutzten Temperaturunter-
∆q PCM = c PCM (fest) · ∆T fest + ∆h
p
schiede eher im Bereich von 20–50  K oder mehr.
+ c p (flüssig) · ∆T flussig
(10.9) 
PCM
. Geht es darum, Kälte bei etwa 0 °C zu speichern,
ist Wasser mit seiner sehr hohen Schmelzenthalpie
von 334 J/g das etablierte PCM (s. auch . Tab. 10.5).
10.5 • Latente thermische Energiespeicher
555 10

. Tab. 10.5  Eigenschaften verschiedener PCM

Material- Material Summen-formel Schmelz- Schmelz- Wärmeleit- Dichte


klasse temperatur enthalpie fähigkeit [kg/m³]
[°C] [kJ/kg] [W/m²K]

Eutektische Wasser/Nat- H2O/NaCl − 21 222 – 1165 (flüssig


Salzwasser- riumchlorid 20 °C)
mischung

Wasser Wasser H 2O 0 334 0,597 (flüs- 998 (flüssig,


sig, 20 °C) 20 °C)
917 (fest)

Salzhydrate Calcium- CaCl2 29 171 0,54 (flüssig, 1562 (flüssig,


chlorid *6H2O 39 °C) 32 °C)
­Hexahydrat

Di-Natrium- Na2HPO4 35–40 280 0,476 (flüs- 1442 (flüssig)


hydrogen- *12H2O sig)
phosphat
Dodekahy-
drat

Natriumthio- Na2S2O3 48 187 – 1670 (flüssig)


sulfat Pent- *5H2O
hahydrat

Natriumace- Na(CH3COO)*3H2O 58 226 – 1280 (flüssig)


tat Trihydrat

Magnesi­ Mg(NO3)2 89 149 0,49 (flüssig, (flüssig)


umnitrat *6H2O 95 °C)
Hexahydrat

Magnesi­ MgCl2 117 165 0,57 (flüssig, (flüssig)


umchlorid *6H2O 120 °C)
Hexahydrat

Salze Natriumni­ NaNO3 307 172 0,51 (flüssig) 1900 (flüssig)


trat

Kaliumnitrat KNO3 333 266 0,5 (flüssig) 1890 (flüssig)

Salzmi- Natriumnit- KNO3/NaNO3 222 100 – 1950 (flüssig)


schung rat + Kalium-
nitrat

Paraffin Oktadekan C18H38 28 245 0,15 (fest) 777 (flüssig)

Fettsäure Laurinsäure CH3(CH2)10COOH 43 178 0,15 (flüssig, 870 (flüssig,


50 °C) 50 °C)

Myristin- CH3(CH2)12COOH 58 186 – 861 (flüssig,


säure 55 °C)

Zuckeral- Erythritol C4H5(OH)6 120 340 0,32 (flüssig, 1300 (flüssig,


kohol 140 °C) 140 °C)

PEG PEG 6000 HO–[CH2–CH2– 60 190 1085 (flüssig,


O]n–H 70 °C)
556 Kapitel 10 • Thermische Energiespeicher

Messzelle
Gespeicherte Wärme

PCM 1
PCM 2 Tiegel Referenztiegel
Messprobe

Wasser
Temperatursensor Temperatursensor

Schmelztemperatur Temperatur

. Abb. 10.17  Gespeicherte Wärmemenge in Abhängigkeit . Abb. 10.18  Messzelle mit Probe- und Referenztiegel und
von der Temperatur Temperatursensoren unterhalb der Tiegel

.  Abbildung 10.17 zeigt schematisch den zuvor 10.5.1 Charakterisierung von


besprochenen Zusammenhang zwischen der Tem- Materialien zur Latentwärme-
peratur und der gespeicherten Wärme. Das gelb speicherung
dargestellte PCM 2 hat eine geringere Schmelz-
enthalpie als PCM 1. Daher kann es nur bei klei- Die Standardmethode zur Charakterisierung von
neren Temperaturdifferenzen sinnvoll eingesetzt PCM ist die Differential Scanning Calorimetry
werden. Bei zu großen Temperaturintervallen wird (DSC). Hierbei werden sehr kleine Mengen einer
die Schmelzenthalpie des PCM durch die Wärme- Probe (5–10  mg) in einen Tiegel gegeben und in
kapazität des Wassers wieder ausgeglichen. In dem einer symmetrisch aufgebauten Messzelle zusam-
10 Diagramm entspricht die Steigung der Geraden der men mit einem leeren Tiegel (Referenz) einem
spezifischen Wärmekapazität. definiertem Temperaturprogramm unterworfen.
Man unterscheidet hierbei zwischen dynamischen
zz Eigenschaften Messungen mit Temperaturrampen von üblicher-
Der große Vorteil von PCM-Speichern ist die Fä- weise 2  K/min und Stufenmessungen, bei denen
higkeit, in kleinen Temperaturintervallen große schrittweise die Temperatur variiert und das Er-
Mengen an Energie zu speichern. Der Exergiever- reichen des thermodynamischen Gleichgewichts
lust bei der Speicherung ist dabei geringer als bei abgewartet wird. Aus der Temperaturdifferenz zwi-
sensiblen Speicherkonzepten, da die Energiezu- schen den Temperatursensoren unter den zwei Tie-
fuhr nicht gleichzeitig die Temperaturdifferenz zur geln wird der Wärmefluss berechnet (s. . Abb. 10.18
Umgebung erhöht. Die technische Umsetzung ist und 10.19). Aus diesen Daten können dann in einem
allerdings komplex. Je nach eingesetztem Material weiteren Schritt Enthalpie-Temperatur-Diagram-
kann es zu Separierung, Unterkühlung oder auch me generiert werden.
zu nicht zu beherrschenden Volumenänderungen .  Abbildung  10.20 zeigt ein typisches Ergeb-
kommen. Häufig sind auch der Wärmeübergang nis einer dynamischen DSC-Messung mit einer
und die damit einhergehende geringe Leistung Heiz- und Kühlrate von 2 K/min. Die Hysterese ist
ein Problem. Hier muss durch konstruktive Maß- in diesem Fall nur schwach ausgeprägt, da es sich
nahmen ein Weg gefunden werden, der es ermög- hierbei um die Messung von Pentadekan, einem
licht, den Speicher an die geforderten Parameter Alkan, handelt. Der lineare Verlauf der Heizkur-
anzupassen. Aufgrund dieser Tatsache sind PCM- ve bei niedrigen Temperaturen und der Kühlkurve
Speicher häufig teurer als vergleichbare sensible bei hohen Temperaturen spiegelt die relativ kons-
Speicher. tant bleibende spezifische Wärmekapazität wider.
Eine Auffälligkeit bei Pentadekan sind allerdings
10.5 • Latente thermische Energiespeicher
557 10
Schmelztemperaturen weichen voneinander ab.
Dieser als Hysterese bezeichnete Effekt kann bei
bestimmten Stoffen bis zu 10  K betragen. Die be-
reits bei den Salzhydraten erläuterte Unterkühlung
ist ebenfalls zu sehen.

10.5.2 Materialien zur Latentwärme-


speicherung

Es gibt eine Vielzahl Materialien, welche sich für


die Wärmespeicherung im Phasenübergang eig-
nen. Einen Überblick über die verschiedenen Ma-
terialklassen sowie deren Schmelztemperatur und
Schmelzenergie zeigt .  Abb.  10.22. In der Praxis
wird hauptsächlich der Übergang von fest zu flüs-
sig verwendet. Der Phasenwechsel von flüssig zu
gasförmig wird trotz hoher Phasenübergangsent-
halpien aufgrund der großen Volumenänderung
gemieden.
Einige Materialklassen zeigen beim Abkühlen
der flüssigen Phase eine sogenannte Unterkühlung.
Dabei kühlt die Schmelze unter den Schmelzbe-
reich ab ohne zu kristallisieren. Die Probe befin-
det sich in einem metastabilen Zustand. Wird die
. Abb. 10.19  DSC Q 2000 Kristallisation ausgelöst, kristallisiert das Material
und setzt die Phasenübergangsenthalpie frei. Dabei
erwärmt sich das Material bis maximal zur Kristal-
die zwei Phasenübergänge. Der erste Phasenüber- lisationstemperatur, die (bei einem Material ohne
gang mit der geringeren Enthalpie entspricht einem Hysterese) der Schmelztemperatur entspricht. Wel-
Fest-fest-Phasenübergang. Der zweite Phasenüber- che maximale Temperatur wirklich erreicht wird,
gang bei 5 bis 15 °C gibt den Fest-flüssig-Phasen- hängt von der Höhe der Unterkühlung, bei der die
übergang wieder. Kristallisation ausgelöst wurde, und dem während
Bei der Charakterisierung von PCM kann auch der Kristallisation an die Umgebung auftretenden
die T-History-Methode angewendet werden. Bei Wärmeverlust ab.
dieser Messprozedur werden zwei identische Be- Nicht jedes Material kann als PCM verwendet
hälter, einer mit dem zu prüfenden PCM und der werden. Im Folgenden sind die zu erfüllenden Eig-
andere mit einer Referenz-Substanz gefüllt, einem nungskriterien thematisch aufgeführt (s. [27]).
schnellen Sprung der Umgebungstemperatur aus- 55 Physikalische Kriterien:
gesetzt. Die Reaktionen der Proben werden dabei 55 Hohe Phasenübergangsenthalpie und spezi-
in einem Temperatur-Zeit-Diagramm festgehalten. fische Wärmekapazität
Die Referenz-Substanz wird zur späteren Bestim- 55 Geeignete Schmelztemperatur
mung der Wärmekapazität und der Übergangs- 55 Gute Wärmeleitfähigkeit
enthalpie benötigt (s.  [21]). In .  Abb.  10.21 ist das 55 Reproduzierbarer Phasenübergang
Ergebnis einer solchen Messung dargestellt. Man 55 Beherrschbare Unterkühlung
erkennt deutlich, dass das geprüfte PCM keine 55 Technische Kriterien:
diskrete Phasenwechseltemperatur, sondern einen 55 Physikalische und chemische Stabilität
Schmelzbereich aufweist. Die Erstarrungs- und 55 Geringer Dampfdruck
558 Kapitel 10 • Thermische Energiespeicher

-50
Enthalpie in J g-1

-100

Kühlen mit 2 K / min


-150
Heizen mit 2 K / min

-200

-250

-15 -10 -5 0 5 10 15 20 25
Temperatur in °C

. Abb. 10.20  Enthalpie-Temperatur-Diagramm als Resultat einer dynamischen DSC-Messung

10 -40
Hysterese

Unerkühlung
Enthalpie in J g-1

-80

Kühlen
-120 Heizen

-160

-200

16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36
Temperatur in °C

. Abb. 10.21  Typische T-History-Messung an Calciumchlorid Hexahydrat als PCM

55 Beherrschbare Volumenänderung 55 Ökonomische Kriterien:


55 Geringe Korrosivität gegenüber Konstruk- 55 Niedriger Preis
tionswerkstoffen 55 Verfügbarkeit
55 Geeignetes Schmelz- und Erstarrungsver- 55 Umweltverträglichkeit; geringe Toxizität
halten; Zyklenstabilität
10.5 • Latente thermische Energiespeicher
559 10
1200

1100
Fluoride
1000
Karbonate

900

800
Schmelzenergie in kJ/l

Chloride
700

600
Hydroxide
Salzhydrate
500
Nitrate
400 Wasser
0,1 kWh / t
300 wässrige Zucker-
Salzlösung alkohlole
200 Paraffine
Chlatrate Fettsäuren
100

0
-100 0 100 200 300 400 500 600 700 800 900 1000
Schmelztemperatur in °C

. Abb. 10.22  Materialklassen von PCM

Die oben genannten Kriterien werden beispielswei- zen bilden sich mehrere Phasen aus, welche sich
se von Wasser erfüllt. Daher wird Wasser schon seit aufgrund ihrer Dichteunterschiede räumlich tren-
langem, auch aufgrund seiner Schmelztemperatur, nen. Auf diese Weise verringert sich die Wärmeka-
gerade für Klimatisierungszwecke eingesetzt. pazität mit zunehmender Zyklenzahl. Um dem ent-
Die folgende .  Tab.  10.5 zeigt eine Auswahl gegenzuwirken und eine hohe Zyklenstabilität zu
unterschiedlicher Materialklassen, deren Schmel- erreichen, können die Salzhydrattanks umgerührt
zenthalpien und Schmelztemperaturen. werden. Ebenso führt auch eine Makro- bzw. Mik-
Da neben Wasser die Materialklassen Salzhyd- roverkapselung oder auch das Impfen mit Borax zu
rate und Paraffine am häufigsten zur Realisierung einer Stabilisierung (s. [19, 20]).
von Latentwärmespeichern genutzt werden, sind Ein weiteres Problem beim Einsatz von vielen
diese im Folgenden näher beschrieben. Salzhydraten ist die hohe Unterkühlungsneigung.
In der Praxis bedeutet dies, dass die gespeicherte
Salzhydrate
10.5.2.1  Wärme erst bei wesentlich niedrigeren Temperatu-
Als Salzhydrat werden Salze bezeichnet, die Was- ren oder evtl. gar nicht freigesetzt wird. Eine starke
ser in stöchiometrisch festen Anteilen an die Kris- Unterkühlung kann aber auch, wie im Fall eines
tallstruktur gebunden haben (s. .  Abb. 10.23). Die Taschenwärmers, gewollt und nützlich sein. Durch
Übergangsenthalpie eines Salzhydrates kann be- die Zugabe von anorganischen Feststoffen kann die
reits bei geringen Änderungen der stöchiometri- Keimbildung beschleunigt und somit die Unter-
schen Konzentration negativ beeinflusst werden. kühlungsneigung herabgesetzt werden (s. [6]). Dies
Ein Kriterium beim Einsatz von Salzhydraten als verringert allerdings die spezifische Speicherkapa-
PCM ist somit ein über die Lebensdauer konstan- zität.
ter Wassergehalt. Ein weiteres Problem bei der Ver- Neben den aufgeführten Problemen in der tech-
wendung von Salzhydraten besteht in dem nicht nischen Umsetzung sind aber noch die inhärente,
kongruenten Schmelzverhalten. Beim Aufschmel- hohe erreichbare volumenbezogene Speicherdichte
560 Kapitel 10 • Thermische Energiespeicher

aus langkettigen Alkanen zusammen. Durch die


Variation der Kettenlänge lässt sich der Schmelz-
punkt bedarfsgerecht einstellen. Kommerziell
werden Paraffine zur Wärmespeicherung in einem
Temperaturbereich von − 5 bis 120 °C eingesetzt.
Da Paraffine auch im Gemisch nur aus Paraffinen
verschiedener Kettenlängen bestehen, schmelzen
sie kongruent und besitzen somit eine hohe Zyk-
lenstabilität. Des Weiteren zeichnen sich Paraffine
durch ihre ökologische Unbedenklichkeit und ihr
nicht korrosives Verhalten gegenüber Metallen aus.
Sie sind nicht gesundheitsschädlich und zeigen nur
im Falle einer Mikroverkapselung Unterkühlungs-
erscheinungen.
Nachteilig beim Einsatz von Paraffinen ist ihre
Brennbarkeit. Deshalb werden sie nicht in jedem
Umfeld eingesetzt. Sie sind im Vergleich zu Salz-
hydraten teurer und ihre Wärmeleitfähigkeit von
ca.  0,2  W/(m  K) ist sehr gering. Außerdem kann
beim Phasenwechsel eine Volumenänderung von
bis zu 20 % auftreten (s. [6]).
Das wichtigste Kriterium bei der Wahl eines
PCM ist seine Phasenwechseltemperatur. Sie wird
10 durch das Mischen verschieden langer Alkanket-
ten dem jeweiligen Zweck angepasst. Durch das
Mischen von reinen/technischen Paraffinen wird
in den meisten Fällen aber die Phasenübergangs-
enthalpie herabgesetzt und der Schmelzbereich
verbreitert sich. Ähnliche Auswirkungen hat die
Verwendung von technischen Paraffinen. Diese
werden aufgrund des niedrigeren Preises häufig
bevorzugt eingesetzt. Aus diesen Gründen ist der
genauen Charakterisierung dieser Materialien eine
hohe Aufmerksamkeit zu widmen. Die Qualitäts-
sicherung sowie die notwendigen Messvorschriften
sind beispielsweise durch das RAL-Gütezeichen
. Abb. 10.23  Separiertes Glaubersalz (NaSO4*10 H2O), PhaseChangeMaterial (RAL-GZ 896; 7 http://www.
oben: gesättigte wässrige Lösung, Mitte: Glaubersalz, unten: pcm-ral.de) geregelt.
wasserfreies Natriumsulfat

Verbundwerkstoffe
10.5.2.3 
und die gute Wärmeleitfähigkeit im Vergleich zu Phasenwechselmaterialien haben in ihrer reinen
Paraffinen zu erwähnen. Auch die Beschaffungs- Form häufig eine geringe Wärmeleitfähigkeit, oder
kosten sind geringer als bei Paraffinen. sie separieren sich mit steigender Zyklenzahl. Es
gibt bereits eine Vielzahl an Lösungsansätzen, um
Paraffine
10.5.2.2  diesen Problemen zu begegnen. Im Folgenden wer-
Paraffine sind ein organisches, durch Destillation den verschiedene Konzepte vorgestellt.
aus Erdöl gewonnenes Gemisch aus gesättigten Um die Wärmeleitfähigkeit von PCM zu stei-
Kohlenwasserstoffen. Sie setzen sich größtenteils gern, kann beispielsweise eine Graphitmatrix mit
10.5 • Latente thermische Energiespeicher
561 10
Füllstutzen z. B. Gipsbauplatten, Putze, Holzwerkstoffe oder
auch polymere Bindemittel, eingebracht werden.
Aufgrund seiner Größe und der somit gering ent-
haltenen Menge an PCM tritt bei mechanischen
Lufttasche Beschädigungen der Verkapselung nur sehr wenig
PCM aus. Zudem bewirkt die Mikroverkapselung
ein enormes Oberflächen/Volumen-Verhältnis, was
den Wärmeübergang begünstigt (1ml entsprechen
30 m² Oberfläche). Mikroverkapselte PCM trennen
PCM
die Aufgaben der Wärmeleitfähigkeit und -kapazi-
tät. Hierdurch kann jeder Parameter für sich opti-
miert werden. Kommerziell wird mikroverkapsel-
tes PCM beispielsweise von der Firma BASF SE ver-
trieben. Die PCM-Kugeln mit einem Durchmesser
von 2–20 µm bestehen aus mit Acryl ummanteltem
Paraffin. Eingesetzt wird dieses Produkt vor allem
in Kombination mit Baustoffen, die zur passiven
. Abb. 10.24  Makroverkapseltes Paraffin
Gebäudekühlung genutzt werden. Mikroverkap-
seltes PCM kann mit Farben, Gipskarton etc. ver-
PCM getränkt werden. Am ZAE Bayern konnte die mengt werden. Die realisierten Modifizierungsra-
Wärmeleitfähigkeit auf diese Weise um den Faktor ten reichen je nach Trägermatrix von 5 % bis 60 %.
8–100 erhöht werden, obwohl dem PCM nur ein Vo- Ein Verfahren, welches zum einen die Wärme-
lumenanteil von 10 % Graphit hinzugefügt wurde. leitfähigkeit verbessert und zum anderen stabilisie-
Zur Vermeidung der schlechten Wärmeleitfä- rend wirkt, ist das Einbringen von PCM in poröse
higkeit und der mangelnden Stabilität großer PCM- Strukturen. So können beispielsweise Holzfaser-
Einheiten, vor allem von PCM aus mehreren Kom- platten mit flüssigem PCM getränkt werden. Bei
ponenten, werden diese häufig in kleinere Einheiten Paraffinen bietet sich die Möglichkeit zur Integ-
verkapselt. Hier bieten sich Kunststoff- oder Metall- ration in eine Kunststoffmatrix. Ein solches Ver-
behälter sowie Beutel aus Kunststoff-Metall-Ver- bundmaterial bietet den Vorteil, dass es, wie auch
bundmaterialien an. Bei dieser Art der Verkapse- verkapseltes PCM, als Schüttung in Speichern an-
lung ergibt sich durch den hermetischen Abschluss gewendet werden kann.
des PCM der Vorteil, dass kein stofflicher Austausch Am Fraunhofer-IFAM in Dresden wird in eine
mit der Umgebung stattfinden kann. Dies bietet vor Metallmatrix eingebundenes PCM untersucht. Hier
allem bei der Verwendung von Salzhydraten Vor- kommen Faser- oder Drahtstrukturen sowie infilt-
teile. PCM in dieser Form kann auch zum einfa- rierte metallische Schäume zur Verbesserung der
chen Aufrüsten von bestehenden Wärmespeichern Wärmeleitfähigkeit zum Einsatz. Dabei ist es wich-
genutzt werden, da es aufgrund seiner kompakten tig, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen PCM
Form ohne Probleme in z. B. Speichertanks gegeben und Trägersubstanz herzustellen, da mit steigen-
werden kann. Um Problemen mit der auftretenden dem PCM-Volumenanteil die Wärmeleitfähigkeit
Volumenänderung entgegenzuwirken, wird häufig sinkt und die Speicherkapazität zunimmt (s. [29]).
Luft mit eingekapselt (s. . Abb. 10.24).
Neben der soeben beschriebenen sogenannten
Makroverkapselung gibt es auch die Möglichkeit, 10.5.3 Wärmeübertragungskonzepte
PCM durch Mikroverkapselung zu verarbeiten (s.
.  Abb. 10.25). Mikroverkapseltes PCM verhält sich Die Wärmeübertragungskonzepte für latente Spei-
wie Pulver unabhängig von seinem aktuellen Pha- chermaterialien sind vor allem auf die thermische
senzustand. Die Vorteile einer solchen Verkapse- Leistung hin optimiert. Dabei können verschie-
lung liegen in der einfachen Handhabung. So kann dene technische Varianten zur Verbesserung des
es ohne große Umstände in Baustoffe aller Art, wie Wärmeübergangs zum Einsatz kommen.
562 Kapitel 10 • Thermische Energiespeicher

10

. Abb. 10.25  Mikroverkapseltes Paraffin des Produkts Micronal® PCM. (Quelle: BASF SE)

Im Folgenden werden verschiedene Wärme- zwischen der indirekten und der direkten Wär-
übertragungskonzepte vorgestellt. Generell ist meübertragung unterschieden. Für den Fall, dass
zwischen einer passiven und einer aktiven Wär- das PCM nicht mit dem Wärmeträgerfluid in Be-
meübertragung zu unterscheiden. Bei der passi- rührung kommt, ist die Rede von einer indirekten
ven Wärmeübertragung wird das PCM lediglich Beladung. Wird das Speichermedium vom Wär-
durch freie Konvektion bewegt und das Wärme- meträgerfluid durchströmt, handelt es sich um eine
trägerfluid kommt nicht mit dem Speicherme- direkte Beladung, es kommt kein Wärmeübertrager
dium in Kontakt. Die Wärmeübertragung erfolgt zum Einsatz (s. [35]).
über eine definierte Oberfläche (Wärmeüber- Bei diesen Wärmeübertragungskonzepten wird
trager). Bei dieser Art der Wärmeübertragung die Wärme über die Systemgrenzen transportiert.
können Schmelzfronten auftreten, die den Wär- Durch die Einbringung interner Wärmeleitstruk-
meübergangswiderstand negativ beeinflussen. turen kann die thermische Leistung eines solchen
. Abbildung 10.26 zeigt Beispiele für einfache pas- Speichers gesteigert werden. Generell ist die Leis-
sive Speicherbauformen. tung aber eher gering.
Wird das Speichermaterial zusätzlich durch Speicher dieser Art sind in der Regel günstig
ein Rührwerk in Bewegung gehalten, spricht man in der Anschaffung sowie im Betrieb und errei-
von einer aktiven Wärmeübertragung. Hier wird chen hohe Speicherdichten, da keine Peripherie
10.5 • Latente thermische Energiespeicher
563 10
Speicher ohne interne Wärmeleitstruktur Speicher mit internen Wärmeleitstrukturen

. Abb. 10.26  Einfacher Speicher, ohne und mit internen Wärmeleitstrukturen

Plattenmodule Kugelmodule homogen ist. Bedingt durch das zusätzlich ein-


gebrachte Verkapselungsmaterial sinkt der Anteil
an PCM im Speicher und die spezifische Leistung
sowie die Kapazität nehmen ab. .  Abbildung  10.27
zeigt den schematischen Aufbau dieses Konzeptes.
Anwendung finden modulare Speicher häufig in Ja-
pan. Hier wird wegen der hohen Peak-Strompreise
Wärmefluid Wärmefluid vor allem nachts Kälte zur Klimatisierung einge-
speichert. Neben Schüttungen zählen aber auch
. Abb. 10.27 Modul-Speicher, links: Plattenmodule, rechts:
Kugelmodule (»nodules«)
PCM-Platten, welche in Lüftungskanäle montiert
werden, zu diesem Wärmeübertragungskonzept.
Die einfachste Form der passiven Beladung fin-
notwendig ist. Da es sich um geschlossene Syste- det häufig bei sensiblen Speichern Anwendung. Hier
me handelt, ist ein stofflicher Austausch mit der wird ein in seiner Geometrie an das PCM angepass-
Umgebung nicht möglich. Dies bietet Schutz vor ter Wärmeübertrager in den Speicher integriert. Die
Verschmutzung, Korrosion und Verlust an Spei- Geometrie des Wärmeübertragers ist maßgeblich
chermaterial. Kühlakkus oder auch makro- und von den Wärmeleitungseigenschaften sowie von
mikroverkapselte PCMs sind Vertreter dieses Wär- der geforderten Kapazität und Leistung abhängig.
meübertragungskonzeptes. Dieses Konzept bietet den Vorteil, dass hohe Antei-
Eine Möglichkeit zur Steigerung der Lade- und le an Speichermaterial (mehr als 90 %) eingebracht
Entladeleistung besteht in einem modularen Auf- werden können. Die Nachteile sind die Ausbildung
bau des Speichers (s. .  Abb.  10.27). Dabei kann einer Schmelzfront, welche den Wärmeübergangs-
makroverkapseltes PCM als Schüttung in einen widerstand erhöht, sowie die Separationsneigung
Speicher eingebracht werden. Vorteilhaft bei die- von Salzhydraten. In .  Abb.  10.28 ist der Aufbau
sem Konzept ist, dass das PCM einfach und flexibel eines solchen Speichers schematisch dargestellt.
im Hinblick auf die Tankgeometrie eingesetzt wer- Speicher mit einem innen liegenden Rühr-
den kann. Der Speicher und die PCM-Schüttung werk und einem integrierten Wärmetauscher (s.
werden von einem Wärmeträgerfluid durchströmt. . Abb. 10.29) zählen zu den indirekten aktiven Wär-
Aufgrund der großen Kontaktfläche steigt die ge- meübertragungskonzepten. Sie bieten den Vorteil,
samte Leistung eines solchen Speichers. Allerdings dass sie beispielsweise bei Salzhydraten einer Se-
werden häufig nicht alle Module gleichmäßig ange- paration entgegenwirken und somit die Zyklen-
strömt. Dies hat zur Folge, dass die Wärmeübertra- stabilität erhöhen. Durch das ständige Umrühren
gung auf die einzelnen Module im Speicher nicht wird verhindert, dass sich eine Erstarrungsfront
564 Kapitel 10 • Thermische Energiespeicher

Wärmeübertrager Rührwerk

Wärmefluid

. Abb. 10.28  Speicher mit innen liegendem Wärmeüber- . Abb. 10.29  Aktiver indirekter Speicher mit innen liegen-
trager dem Rührwerk

mit schlechteren Wärmeübergangskoeffizienten die Regelung solcher Systeme schwierig und das
ausbildet. So kann eine gleichbleibende Leistungs- PCM darf nicht vollständig erstarren. Dieser Um-
aufnahme und -abgabe erreicht werden. Der Ge- stand reduziert die Kapazität. Nur mit technischem
samtwirkungsgrad wird durch den zusätzlichen Mehraufwand, beispielsweise einem Bypass, ist ein
10 Leistungsbedarf des Motors negativ beeinflusst. vollständiges Erstarren des PCM und somit eine
Es bietet sich an, das Rührwerk gleichzeitig als Speicherung von sensibler Wärme möglich. Hier-
Wärmetauscher zu verwenden. Ein zusätzlicher bei wird allerdings die Leistung reduziert, da sich
Wärmetauscher würde den Anteil an Speicherma- die Kontaktfläche verkleinert. In .  Abb.  10.30 ist
terial und somit die Wärmekapazität des Speichers schematisch ein »Direkt-Kontakt-Speicher« dar-
herabsetzen. Es besteht auch die Möglichkeit, den gestellt.
gesamten Tank zu drehen und auf ein innenliegen- Ein weiteres Konzept, bei dem Wärmeträger-
des Rührwerk zu verzichten. fluid und PCM in Berührung kommen können,
Ein »Direkt-Kontakt-Speicher« zählt zu den sind sogenannte »Slurries«. Sie sind noch pump-
aktiven, direkten Wärmeübertragungskonzepten. fähig, auch wenn das PCM bereits erstarrt ist. Diese
Das Speichermaterial wird in diesem Fall vom Tatsache bedingt, dass Slurries nicht nur der Spei-
Wärmeträgerfluid durchströmt und durchmengt cherung von thermischer Energie dienen, sondern
dieses gleichzeitig. Vor allem bei Salzhydraten kann auch gleichzeitig zur Verteilung von Wärme oder
durch dieses Verfahren eine Separation der einzel- Kälte genutzt werden können. Im Allgemeinen
nen Komponenten verhindert werden. Durch den spricht man in diesem Zusammenhang von PCS
notwendigen Dichteunterschied beider Materia- (Phase Change Slurries). »Slurries« können in ver-
lien und die Speichergeometrie kann die Verweil- schiedener Weise realisiert werden. Es können,
zeit des Wärmeträgerfluids an den Wärmeüber- wie im Falle von »Eis-Slurries«, Wärmeträgerfluid
gangskoeffizienten des PCM angepasst werden. und PCM gleicher Substanz zum Einsatz kommen.
Allerdings kann nicht jedes Wärmeträgerfluid zum Emulsionen mit Substanzen unterschiedlicher Hy-
Einsatz kommen, da die Stoffe in direktem Kon- drophilie, die mit Emulgatoren kombiniert sind,
takt stehen und sich vermengen können. »Direkt- sind ebenfalls möglich. Auch die bereits angespro-
Kontakt-Speicher« zeichnen sich aufgrund des chenen mikroverkapselten PCM können anteilig in
fehlenden Wärmeübertragers durch eine kompakte das Wärmeträgerfluid eingebracht werden, sodass
Bauweise und hohe Leistungen aus. Allerdings ist das Gemisch weiter pumpfähig bleibt. Bei dieser
10.6 • Thermochemische Energiespeicher
565 10
Separation
der Komponenten

Wärmefluid
Wärmefluid
. Abb. 10.30 Direkt-Kontakt-Speicher
. Abb. 10.31 Slurry-Speicher

Variante muss allerdings darauf geachtet werden,


dass die Verkapselung durch die Pumpe nicht be- der Unterkühlung und der die Kristallisation
schädigt wird. auslösenden Prozesse an (s. [13]). Momentan
Typischerweise liegt der Anteil von PCM in werden auch sogenannte »Fest-fest«-Übergän-
Slurries bei ca.  20–40 %, in Ausnahmefällen auch ge und Phasenwechsel, bei dem das Material
bei bis zu 60 %. Je geringer der Anteil des Wärme- formstabil bleibt, für den Einsatz im Gebäude-
trägerfluids ist, desto größer wird die Viskosität. bereich untersucht (s. [2, 7, 42]).
Es ist dann eine erhöhte Pumpleistung notwendig, 55 Bei den Latentwärmespeicherkomponenten
wodurch Mehrkosten verursacht werden. geht es in der Forschung und Entwicklung
Bedingt durch die im Verbund beförderten hauptsächlich um Verbesserungen des Wärme-
Substanzen und das damit einhergehende, meist transports und damit um eine Maximierung der
konstante Temperaturniveau, sind die Exergiever- thermischen Leistung beim Laden und Entladen.
luste gegenüber konventionellen Konzepten gerin- Untersucht werden aber auch passive Speicher-
ger. Mit Slurry-Speichern ist es möglich, sehr hohe systeme zur Raumklimatisierung (»Passive
Leistungen zu realisieren. Cooling«). Dabei wird PCM in den zu kühlen-
.  Abbildung  10.31 zeigt das Schema eines Slur- den Raum eingebracht (makro- oder mikro-
ry-Speichers. verkapselt), wo es bei der Erhöhung der Tem-
peratur Wärme im Schmelzvorgang aufnimmt
und so den Raum bis zu einem gewissen Grad
10.5.4 Zusammenfassung kühlt. Wenn nachts die Temperaturen unter
den Schmelzpunkt fallen, wird das PCM wie-
55 Auf dem Gebiet der Phasen-Wechsel-Mate- der fest und kann am nächsten Tag wieder zur
rialien werden in vielen Forschungsvorhaben Kühlung des Raums beitragen.
neue Materialien untersucht, die eine mög-
lichst hohe Schmelzenthalpie bei einer durch
die Anwendung festgelegten Schmelztempera- 10.6 Thermochemische
tur aufweisen sollen (s. [1, 12, 34, 43]). Heizung Energiespeicher
und Klimatisierung von Wohn- und Bürogebäu-
den stehen dabei im Mittelpunkt. Die thermochemische Energiespeicherung nutzt
55 Materialforschung und Materialentwicklung die Reaktionsenergie von reversiblen chemischen
nehmen sich der Frage nach den Ursachen Prozessen oder von physikalischen Oberflächenre-
566 Kapitel 10 • Thermische Energiespeicher

aktionen und zeichnet sich besonders durch eine Reaktion) erfolgt bei einer Temperatur unterhalb
hohe Energiedichte aus. Die Reversibilität des Vor- der Gleichgewichtstemperatur. Das Laden hin-
gangs ist hier von zentraler Bedeutung. Die Energie gegen (endotherme Reaktion) muss auf einem hö-
wird dabei nicht in Form von Wärme, sondern als heren Temperaturniveau stattfinden.
Reaktionsenergie gespeichert. Dadurch treten kei-
ne thermischen Verluste während der Speicherung zz Adsorptionsspeicher
auf, was wiederum – zumindest technisch – sehr Unter dem Begriff der Adsorption ist eine physi-
lange Speicherdauern ermöglicht. Aus wirtschaftli- kalische Anlagerung von Molekülen (Adsorbat)
chen Gründen lässt sich diese Eigenschaft thermo- an die Oberfläche des meist porösen Adsorbens zu
chemischer Speicher allerdings kaum nutzen. Erst verstehen. Bei diesem Prozess gibt es im Gegen-
bei der Entladung, dem erneuten Zusammenfüh- satz zu chemischen Reaktionen keine eindeutige
ren der Reaktionspartner, gibt die exotherme Re- Gleichgewichtstemperatur. Die Wärmefreisetzung
aktion die gespeicherte Energie wieder frei. ist abhängig von der variierenden Bindungsenergie
Die thermochemischen Energiespeicher wer- der Beladungsplätze im Adsorbens und demnach
den im Folgenden in chemisch reversible Prozesse, nicht konstant. Die Speicherdichte des Adsorp-
Adsorptions- und Absorptionsspeicher unterteilt. tionsspeichers ist von der Verdampfungsenthalpie
Bei der thermischen Energiespeicherung des Adsorbats, den Bindungskräften zwischen Ad-
kommt es im Idealfall zu einer endothermen und sorbat und Adsorbens und dem Beladungshub zwi-
reversiblen Dissoziation einer kondensierten Ver- schen der Lade- und Entladetemperatur abhängig.
bindung AB in zwei Reaktionsprodukte, zum einen
in ein kondensiertes Reaktionsprodukt A und zum zz Absorptionsspeicher
anderen in ein Reaktionsprodukt B in Gasform. Bei der Absorption handelt es sich im Gegensatz
Die Abkürzungen s, l und g stehen hier für die ver- zur Adsorption nicht um eine Anlagerung, son-
10 schiedenen Aggregatszustände der Reaktionsteil- dern um eine Einlagerung eines Moleküls in die
nehmer: fest (solid), flüssig (liquid) und gasförmig, absorbierende Phase. Das Absorbat ist in diesem
Zusammenhang der zu lösende Stoff, der im Lö-
AB( s, l ) ↔ A( s, l ) + B( g ).
(10.13) sungsmittel (Absorbens) gelöst wird. Die Absorp-
tion ist streng genommen kein chemischer Prozess,
Durch die unterschiedlichen Aggregatszustände da keine chemische Reaktion stattfindet, sondern
der Reaktionsprodukte ist eine einfache Trennung nur ein Verdünnungsprozess. Absorbentien sind
sehr gut möglich, was wiederum eine verlustfreie flüssig (z.  B. Salzlösungen, die Wasserdampf auf-
Speicherung ohne ungewollte Rückreaktion er- nehmen können), während Adsorbentien feste, mi-
möglicht. Allerdings sinkt die Energiespeicher- kroporöse Stoffe sind.
dichte aufgrund des großen benötigten Volumens Die Energiespeicherdichte hängt bei der Ab-
zur Gasspeicherung. Dies lässt sich durch Konden- sorption von der molaren Masse des Absorbats,
sation der gasförmigen Phase oder in einem »offe- der Affinität und den Aggregatszuständen des Ab-
nen« System, in dem die gasförmige Komponente sorbens und des Absorbats ab.
in die Atmosphäre entlassen und auch wieder aus
dieser bezogen werden kann, weitgehend vermei-
den. 10.6.1 Speichermaterialien
thermochemischer Prozesse
zz Chemisch reversible Prozesse
Jede reversible chemische Reaktion ist prinzipiell Die zur thermochemischen Energiespeicherung
als thermischer Energiespeicher einsetzbar. Das einsetzbaren Materialien lassen sich ebenfalls in
entscheidende Kriterium ist hierbei die Gleichge- drei Kategorien unterteilen: die Materialien für
wichtstemperatur, bei der sich die Produkte und chemisch reversible Reaktionen, Adsorptionsma-
Edukte im thermodynamischen Gleichgewicht be- terialien und Absorptionsmaterialien.
finden. Die Entladung des Speichers (exotherme
10.6 • Thermochemische Energiespeicher
567 10
Zeolith
Beladungen
32 % 28 % 24 % 20 % 16 %
10000
Dampfdruckkurve
Silicagel 12%
Beladungen

1000 8%

37 %
Wasserdampfpartialdruck in Pa

32 %
28 %
24 %
20 %
100 16 %
12 %
8% 4%

4%
10

1,0

1%

1%
0,1
260 280 300 320 340 360 380 400 420
Temperatur in K

. Abb. 10.32  Isosteren-Diagramm für Silicagel/Wasser und Zeolith/Wasser

Die in thermochemischen Speichern ab- gung der Isosteren je nach Beladung variiert, was
laufenden Reaktionen können durch ihre Reak- bei chemischen Reaktionen im Allgemeinen nicht
tionsgleichgewichte beschrieben werden. Diese der Fall ist.
Gleichgewichte hängen in der Regel von Druck Aus dem Diagramm ist auch zu entnehmen,
und Temperatur ab. Bei einem Stoffpaar, wie z. B. dass bei konstantem Druck zum Erreichen niedri-
Magnesiumoxid und Wasser, stellt sich nach Tem- ger Beladungen (entspricht in der Speicheranwen-
peratur und Wasserdampfpartialdruck ein be- dung dem Ladeprozess) für Zeolith deutlich höhere
stimmtes Reaktionsgleichgewicht ein. Dies kann Temperaturen notwendig sind als für Silicagel. Da-
in Form von für sind allerdings beim Entladen mit Zeolith auch
55 Isothermen (Kurven gleicher Temperatur) höhere Temperaturhübe zu erwarten.
55 Isobaren (Kurven gleichen Drucks)
55 Isosteren (Kurven gleicher Wasserbeladung) Chemisch reversible Reaktionen
10.6.1.1 
Die verschiedenen Speichermaterialien für che-
dargestellt werden. misch reversible Reaktionen unterscheiden sich
.  Abbildung  10.32 zeigt die Kurven gleicher einerseits durch die Gleichgewichtstemperatur bei
Wasserbeladung. Die maximale Beladung wird er- Umgebungstemperatur und andererseits durch die
reicht, wenn sich die Isosteren der Dampfdruck- in der Reaktion umgesetzte Energie. Diese Parame-
kurve nähern. Hier ist die Luft mit Wasserdampf ter sind in . Tab. 10.6 dargestellt.
gesättigt. Unter diesen Bedingungen wird die ma- Die angegebene Energiespeicherdichte bezieht
ximale Wasserbeladung erreicht. Sie liegt für Sili- sich auf die Masse der Reaktanten und ist der ma-
cagel bei 37 % und für Zeolith bei 32 %. Bei solchen ximal erreichbare Wert. Die höchsten Temperatu-
Adsorptionssystemen ist zu beachten, dass die Stei- ren von bis zu 1497 °C erreicht die Reaktion von
568 Kapitel 10 • Thermische Energiespeicher

. Tab. 10.6  Materialien für chemisch reversible Reaktionen

Reaktionstyp Gleichung Gleichgewichts- Energiespeicher-


temperatur dichte [kWh/kg]
(1 bar) [°C]

Salz Hydrate MgSO 4 · 7H 2O ⇔ MgSO 4 + 7H 2O 122 0,463


174 0,091
CaCl2 ⋅ 2H 2O ⇔ CaCl2 ⋅ H 2O + H 2O

Hydroxide Mg(OH) 2 ⇔ MgO + H 2O 268 0,372


521 0,373
Ca(OH) 2 ⇔ CaO + H 2O

Carbonate CaCO3 ⇔ CaO + CO 2 896 0,463


1497 0,298
BaCO3 ⇔ BaO + CO 2

Metall Hydride MgH 2 ⇔ Mg + H 2 293 0,834

Katalytische Reaktionen SO3 ⇔ SO 2 + 0.5O 2 767 0,340

Dampfreformierung CH 4 + H 2O ⇔ CO + 3H 2 687 1,672

10 . Tab. 10.7  Materialien für Adsorption

Adsorbens Maximale Beladung Adsorptionsenthalpie Energiedichte


[kgH2O/kgAdsorbens] [kWh/kgH2O] [kWh/kgAdsorbens]

Zeolith 13X 0,32 0,964 0,308

Silicagel-Trockenperlen 0,37 0,758 0,280

Bariumcarbonat zu Bariumoxid und Kohlendi- Ein wichtiges Kriterium für die Adsorbentien
oxid. Die theoretisch höchste Energiespeicher- in Adsorptionsprozessen ist die spezifische Ober-
dichte ist bei der Dampfreformierung von Methan fläche des Materials. Je mehr Wasser an der Ober-
und Wasser zu Kohlenmonoxid und Wasserstoff fläche angelagert werden kann, desto größer ist die
zu erwarten. Sie beträgt im Idealfall 1,672 kWh/kg. speicherbare Energie. . Tabelle 10.8 zeigt verschie-
Eine technische Umsetzung solcher Reaktionen in dene Materialien für die Adsorption mit ihren spe-
thermische Energiespeichersysteme bedarf noch zifischen Oberflächen in m² pro Gramm.
großer Anstrengungen im F&E-Bereich. Allerdings hängt die erreichbare Entladetem-
peratur von der spezifischen Adsorptionsenthal-
Adsorption
10.6.1.2  pie bzw. von der sogenannten Bindungsenergie
Adsorptionsprozesse gelten als Untergruppe der (Adsorptionsenthalpie minus Verdampfungsen-
thermochemischen Speicherreaktionen. Die be- thalpie) ab. So können bestimmte Adsorbentien
kanntesten Adsorbentien sind Zeolith und Silicagel. unter Umständen sehr viel Wasser aufnehmen. Da
Die maximalen Wasserbeladungen und Energiedich- dies oft sehr schwach gebunden ist, wird relativ
ten der verschiedenen Materialien sind in . Tab. 10.7 wenig nutzbare Wärme beim Entladen des Spei-
dargestellt. Auch hier ist die angegebene Energie- chers frei.
speicherdichte der maximal erreichbare Wert.
10.6 • Thermochemische Energiespeicher
569 10

. Tab. 10.8  Materialien für Adsorption und ihre Oberflächen

Adsorbens Chem. Summenformel Spez. Oberfläche [m²/g]

Aluminiumoxid Al2O3 100–400

Adsorberharze z. B. Styrol 100–800

Silicagel SiO2 500–800

Kohlenstoffmolekularsieb C (als Anthrazit) 500–1000

Zeolithe Al2O3, SiO2 800–1200

Aktivkohle C 800–2000

. Tab. 10.9  Materialien für Absorption

Absorbens Absorbat Absorptionsenthalpie Molmasse Energiespeicherdichte in


kJ/molabsorbat g/molabsorbat kWh/kgabsorbat

H2O(l) LiBr(s) 49,04 86,85 0,157

H2O(l) NH3(g) 34,18 17,03 0,558

H2O(l) H2SO4(l) 95,28 98,08 0,270

10.6.1.3 Absorption
Reaktor Kondensator
Die folgende .  Tab. 10.9 zeigt verschiedene Absor-
bentien mit den zugehörigen Molmassen, der Ab- Wärme
AB A+B BKond
sorptionsenthalpie und der theoretischen Energie- Bg
speicherdichte. Absorbentien verfügen im Allge-
meinen über eher geringe Bindungsenergien, was . Abb. 10.33  Bauform der Gaskomponente Kondensator
im Vergleich zu festen Adsorbentien zu geringen
Temperaturhüben beim Entladen führt.
ge Komponente frei wählbar ist. Für die Reaktion
sind sehr niedrige Drücke im Vakuum erforder-
10.6.2 Bauformen lich. Allerdings muss die gasförmige Komponen-
te nach dem Ladevorgang im System gespeichert
Die Auslegung von thermochemischen Speichern werden. Zur Verringerung des benötigten Volu-
ist im Vergleich zu latenten Wärmespeichern eine mens für die Komponente B kann diese konden-
deutlich komplexere Angelegenheit. Neben dem siert werden. Dies ist schematisch in .  Abb. 10.33
Wärmeaustausch muss auch ein Stoffaustausch rea- gezeigt.
lisiert werden. Dabei muss eine Trennung bzw. ein Für die Rückreaktion muss jetzt die konden-
Austausch der verwendeten Materialien bei gleich- sierte Komponente B wieder verdampft werden.
zeitiger Wärmezu- bzw. Wärmeabfuhr stattfinden. Dazu muss Wärme aus der Umgebung eingesetzt
Die Herausforderung hierbei ist es, eine kompakte werden. Dieser Verdampfungsprozess hat wesent-
Bauweise des Speichers und eine möglichst hohe lichen Einfluss auf die nutzbare Energie bzw. Leis-
Effizienz der Wärme- und Stoffübertragung umzu- tung des Speichers.
setzen. Der Aufbau der thermochemischen Ener- Geschlossene Systeme können, wenn sie ther-
giespeicher lässt sich grob in zwei Prinzipien unter- misch geladen sind, sowohl Wärme durch das
teilen: geschlossene und offene Systeme. Freiwerden der Reaktionsenthalpie im Reaktor als
Geschlossene Systeme sind in der Regel evaku- auch Kälte durch das Aufnehmen der Verdamp-
ierte und luftfreie Systeme, in denen die gasförmi- fungswärme im Kondensator bereitstellen. Die
570 Kapitel 10 • Thermische Energiespeicher

Festbett Reaktor Reaktor Reaktor


(fest) (flüssig) Wärme Q
AB A+B Umgebung
A Bg
A

. Abb. 10.35  Bauform der Gaskomponente Umgebung


A

Gaskomponente. Beim Entladen des offenen Ad-


B B B sorptionsspeichers ist jedoch zu beachten, dass
die gasförmige Komponente B in ausreichender
. Abb. 10.34  Verschiedene Bauarten offener thermoche-
Konzentration in der Umgebung vorhanden sein
mischer Speicher muss (s. . Abb. 10.35).
Ein weit verbreitetes Beispiel für einen offenen
Adsorptionsspeicher ist das Zeolith/Wasser-System.
­ älteerzeugung kann z. B. mit dem Stoffpaar Zeo-
K Hierbei handelt es sich mehr um einen physi-
lith/Wasser am Kondensator zu Eisbildung führen. kalischen Vorgang als um eine chemische Reak-
Bei offenen Systemen muss diese Komponente tion. Das Funktionsprinzip dieses Speichers ba-
Teil der Atmosphäre sein, in die sie beim Laden siert auf der Adsorption von Wasserdampf durch
entlassen und aus der sie beim Entladen wieder elektrostatische Kräfte im mikroporösen Zeolith
aufgenommen wird. (s. .  Abb.  10.36). Dieser Vorgang entspricht dem
Offene Systeme lassen verschiedene Bau- Entladen des Speichers. Hierbei wird die Adsorp-
arten zu. Am häufigsten, da am einfachsten und tionsenthalpie in Form von Wärme frei.
kostengünstigsten, ist das Festbett. Hier liegt das Zum Beladen des Speichers muss Wärme auf-
10 Adsorbens als Schüttung vor und wird bei Umge- gebracht werden, um das angelagerte Wasser im
bungsdruck vom Adsorbat (meist Wasserdampf) Zeolith zu lösen und zu verdampfen. Der hier-
durchströmt (s. .  Abb.  10.34). Es kann aber auch bei entstehende Wasserdampf kann in die Um-
ein Reaktor eingesetzt werden, der einen Massen- gebung über das Trägermedium Luft abgegeben
strom aus festem oder flüssigem Sorbens mit dem und muss nicht zwischengespeichert werden.
Adsorbatstrom in Austausch bringt. Der Vorteil Beim Entladen muss jedoch ein Luftstrom mit
solcher Reaktoren liegt in der Entkopplung von ausreichender Feuchte zur Verfügung stehen.
Leistung und Speicherkapazität. Die Leistung Daher eignet sich dieser thermische Speicher be-
wird durch die Größe des Reaktors bestimmt, sonders für Trocknungsprozesse. Dieses Verfah-
während die Kapazität von der Größe der Lager- ren wird in modernen Geschirrspülern bereits
behälter des Sorbens abhängig ist. Allerdings wird angewendet.
diese Variante in der Realität meist nur für flüs-
sige Reaktionspartner in Betracht gezogen. Beim
Adsorptionsspeicher, z.  B. mit festem Zeolith, ist 10.6.3 Zusammenfassung
ein Transport des Zeolith in den Reaktor wegen
der mechanischen Beanspruchung des Materials 55 Zur effizienteren Gestaltung thermochemi-
schwer umsetzbar. scher Speichersysteme wird momentan viel an
Bei offenen Adsorptionssystemen kann auf der Entwicklung neuer Speichermaterialien
die Speicherung der Gaskomponente B inner- geforscht. Dabei soll bei geforderten Tempera-
halb des Speichersystems ganz verzichtet wer- turen eine möglichst hohe Reaktionsenthalpie
den. Idealerweise ist diese Bestandteil der At- (oder Sorptionsenthalpie) erreicht werden. Im
mosphäre und kann so in der Umgebungsluft Bereich der Sorptionsspeicher wird sowohl
zwischengespeichert werden. In diesem Fall die Optimierung bekannter Adsorbentien
steigt die Energiespeicherdichte um den Anteil (s. 37]), als auch die Entwicklung neuer Ad-
des wegfallenden Volumens zur Speicherung der sorbensklassen wie AlPos, Sapos und MOFs
10.7 • Kosten
571 10
Entladen des Speichers Laden des Speichers

Luftstrom Luftstrom
warm und trocken warm und trocken
TAds. Luft warm TDes. Luft warm

Adsorption
(exothermer Prozess) Desorbtion
(endothermer Prozess)

Zeolith
Zeolith

Wasserdampfmolekül
Wasserdampfmolekül

Luftstrom Luftstrom
kühl und feucht kühl und wassergesättigt
TAds. Luft TDes. Luft kühl

. Abb. 10.36 Zeolith/Wasser-Speicher

untersucht (s. [14, 23]). Auch Verbindungen zeitiger Reduzierung der Kosten, z. B. durch
flüssiger und fester Adsorbentien – sogenann- Minimierung der Hilfsenergien (s. [4, 25]). Für
te Kompositmaterialien – sind Gegenstand eine Abschätzung möglicher Einsatzpotenziale
nationaler und internationaler Forschungsvor- werden Modellierungstools der verschiedenen
haben (s. [11]. Neben den Sorptionsprozessen Speicherreaktionen erarbeitet.
stehen aber auch andere chemische Reaktio-
nen, vor allem im Hinblick auf Hochtempe-
raturanwendungen und saisonale Wärme- 10.7 Kosten
speicherung, im Fokus der Forschung und
Entwicklung (s. [24, 40]). Für den Einsatz von thermischen Energiespeichern
55 Allgemein werden auch Stabilität und Alte- sind die Kosten, wie für alle Speichertechnologien,
rungsmechanismen geeigneter Stoffpaare ein entscheidender Faktor. Um eine Vergleichbar-
unter Anwendungsbedingungen getestet. keit der verschiedenen Technologien sicherzustel-
55 Neben den Speichermaterialien konzentrieren len, werden die spezifischen Investitionskosten in
sich die Forschungsaktivitäten im Bereich Euro pro Speicherkapazität, €/kWh, angegeben.
thermochemischer Speicher auf das Re- Oft werden die Kosten eines thermischen Ener-
aktordesign. Ziel ist eine Optimierung der giespeichers an den Kosten des Speichermaterials
thermischen Leistung, am besten mit gleich- festgemacht. In den meisten Fällen, vor allem bei
572 Kapitel 10 • Thermische Energiespeicher

latenten und thermochemischen Speichern, kön- gung notwendig. Hierbei werden beispielsweise
nen aber die Kosten für Wärmetauscher oder Aus- Speicher- und Wärmeübertragergeometrie den
tauschflächen weit über den Kosten des Speicher- kundenspezifischen Wünschen hinsichtlich der
materials liegen. Hier sind allgemeine Aussagen Kapazität und der Leistung des Speichers angepasst
kaum zu treffen. sowie die physikalischen Eigenschaften des ver-
Weiterhin wird die Wirtschaftlichkeit eines wendeten PCM berücksichtigt.
thermischen Energiespeichers entscheidend durch Die Kosten für einen PCM-Speicher liegen im
die Anwendung und die damit festgelegte Zyklen- Allgemeinen zwischen 10 und 50 € pro kWh Spei-
zahl pro Zeit beeinflusst. Die in diesem Kapitel  cherkapazität, können aber auch wesentlich höher
vorgestellten sensiblen Speicher zur saisonalen ausfallen. Mikroverkapseltes PCM hat den Vorteil,
Speicherung solarer Wärme laufen mit 1–1,5  Zyk- dass keine weitere Peripherie benötigt wird, um
len pro Jahr. Damit können nur extrem preiswerte Wärme effektiv zu speichern. In manchen Fällen
Materialien wie Wasser und kostengünstige Spei- kann sich das Einbringen von mikroverkapseltem
cherbehälter, z. B. aus Beton, zum Einsatz kommen. PCM zur passiven Gebäudekühlung bereits nach
Ein thermischer Speicher zur Nutzung industriel- fünf Jahren amortisiert haben, da auf diese Weise
ler Abwärme mit 3 Zyklen pro Tag, kann hingegen Kosten für das Heizen bzw. Kühlen des Gebäudes
deutlich teurer sein. In solchen Anwendungen kön- wegfallen. Aktuell liegt der Preis für mikroverkap-
nen auch latente oder thermochemische Speicher seltes PCM bei ca. 10 €/kg (s. [22]).
wirtschaftlich betrieben werden. Die Speicherung von latenter Kälte mittels Was-
ser als Phasenwechselmaterial hingegen ist schon
zz Sensible Wärmespeicher lange etabliert (z.  B. in Japan) und liegt preislich
Die kostengünstigste Technologie, thermische etwa gleichauf mit den sensiblen Wärmespeichern.
Energie zu speichern, ist der sensible Wärmespei-
10 cher. Die eingesetzten Speichermaterialien (Was- zz Thermochemische Energiespeicher
ser, Steine, Erdreich etc.) sind meist sehr günstig Bei der thermochemischen Energiespeicherung
und in großen Mengen überall verfügbar. Der be- liegen die Preise für die Speichermaterialien in der
nötigte Behälter muss jedoch eine gute Isolation Größenordnung von PCM. Jedoch ist eine zusätz-
aufweisen, die sich in den Gesamtkosten deutlich liche Bearbeitung der Materialien wie z.  B. Pelle-
bemerkbar macht. tierung nötig und der Reaktor ist komplex und teu-
Die größten sensiblen Wärmespeicher In er. Die aufwendig gebauten Reaktoren, die sowohl
Deutschland sind saisonale Warmwasserspeicher einen Stoff- als auch Wärmeübergang gewährleisten
mit Volumina von 5.000 bis 10.000 m³ und liegen müssen, sind in erster Linie für die Kosten thermo-
mit ihren spezifischen Investitionskosten bei 0,5 bis chemischer Speichersysteme verantwortlich. Wei-
3 €/kWh. Einen noch größeren Kostenbereich de- ter ist zu berücksichtigen, dass noch zusätzliche Pe-
cken die Erdsonden-Speicher ab. In starker Abhän- ripherie für den Betrieb notwendig sein kann, z. B.
gigkeit von lokalen Gegebenheiten variieren hier wird ein Kondensator oder Befeuchter gebraucht.
die Kosten zwischen 0,1 und 10 €/kWh. Je nach Bauform und Betriebsbedingungen (Vaku-
um, Umgebungsdruck) liegen die Kosten zwischen
zz Latentwärmespeicher 8 und 100  €/kWh für einen thermochemischen
Die Kosten für Latentwärmespeicher liegen aktuell Energiespeicher.
noch deutlich über denen der sensiblen Wärme-
speicherung. Dieser Umstand ist neben den teu-
reren Speichermaterialien und der vergleichsweise Literatur
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auch auf den aktuellen Forschungsstand und die 1. Acem Z, Lopez J, Del Barrio EP (2010) KNO3/NaNO3 –
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574 Kapitel 10 • Thermische Energiespeicher

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10
575 11

Lastmanagement als
Energiespeicher
Übersicht
Wurden in den 7 Kap. 6–9 vor allem Speicher diskutiert, die elektrische
Energie in welcher Form auch immer speichern und im Anschluss diese wieder
als Elektrizität freigeben, wurden in 7 Kap. 10 thermische Energiespeicher
zum Management des Wärmehaushalts behandelt.
Hier nun werden Managementmaßnahmen und somit Prozesse
betrachtet, die meist elektrische Energie einsetzen, um diese in eine andere
Form der Endenergie zu wandeln, welche ebenfalls gespeichert werden kann
– häufig handelt es sich wieder um thermische Energie. Im Unterschied zu
den vorangegangenen Kapiteln wird die gespeicherte Energie aber nicht
wieder in Elektrizität gewandelt, sondern in der Form genutzt, in der sie auch
gespeichert wurde.
Mit Sicht auf das Energieversorgungssystem erfüllen diese Maßnahmen
exakt dieselbe Aufgabe wie Energiespeicher. Im Allgemeinen wird hier von
Lastmanagement gesprochen.

M. Sterner, I. Stadler, Energiespeicher – Bedarf, Technologien, Integration,


DOI 10.1007/978-3-642-37380-0_11, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
576 Kapitel 11 • Lastmanagement als Energiespeicher

In der Literatur werden die verschiedensten Be- dungen wie Waschmaschinen, Wäschetrocknern
griffe für den Energiebedarf beeinflussender Maß- und Geschirrspülern genannt. Eine Verschiebung
nahmen gebraucht. Hierzu zählen unter anderem dieser Lasten im Haushaltsbereich bringt jedoch
Lastmanagement, Demand Side Management, De- eine Beeinträchtigung der Nutzer mit sich und
mand Response und Demand Side Bidding. Eine bildet die Ausnahme. Auch ist hier keine Energie-
verlässliche und allgemein gültige Definition lässt speicherung im Spiel (es sei denn, die Geduld der
sich schwer finden. Menschen, auf saubere Wäsche zu warten, wird als
Nach den Begrifflichkeiten des »Implementing Speicher betrachtet).
Agreement on Demand Side Management Techno- Die meisten Prozesse für eine Lastverschiebung
logies and Programmes« der Internationalen Ener- beinhalten Energiespeicherung, auch wenn es sich
gieagentur (IEA) werden die Bezeichnungen »De- hierbei um nicht elektrische Energiespeicher han-
mand Side Management« und »Demand Side Bid- delt. Letztendlich wird Elektrizität bei Verbrau-
ding« unterschieden. Dabei sind Maßnahmen des chern in viele unterschiedliche Formen der Ende-
Demand Side Managements als Aktionen definiert, nergie gewandelt – sehr oft in Wärme und Kälte –,
die die Energieeffizienz im Allgemeinen betreffen und diese Formen der Endenergie können wesent-
und Energieverbräuche langfristig verändern. lich besser und kostengünstiger gespeichert werden
Dagegen ist der Prozess des Demand Side Bid- als Elektrizität. So speichert z. B. ein Kühlschrank
dings als derjenige definiert, der die eher kurzfristige thermische Energie und ist auch bei unterbroche-
Flexibilität der Stromverbraucher betrifft und so- ner Stromzufuhr nach wie vor kalt, d.  h., wann
mit aktiv am Ausgleich von Stromgenerierung und ein Kühlschrank wirklich elektrisch Leistung zur
Stromverbrauch mitwirkt. Die einzelnen Maßnah- Kälteerzeugung aufnimmt, beeinflusst den Nutzer
men des Demand Side Biddings, die Flexibilisierung in seinem täglichen Leben nicht. Und das ist der
der Lasten, werden unter dem Oberbegriff »Demand zweite Grund, weshalb Demand Response in einem
Response« zusammengefasst. Damit ist Demand Buch zur Energiespeicherung betrachtet wird:
Response die eigentlich treffende Bezeichnung. Im
deutschen Begriff »Lastmanagement« sind auch die >> Die meisten Prozesse einer Lastverschie-
11 Maßnahmen des Demand Response mit einbezogen. bung speichern Endenergie, die nicht wie-
der in Elektrizität zurückgewandelt wird,
zz Wieso wird Demand Response in einem Buch sondern in derselben Form zeitversetzt
über Energiespeicher behandelt? Verwendung findet.
Die Aufgabe von Energiespeichern ist die Entkopp-
lung der Stromproduktion (oder der Produktion Letztendlich ist das Demand Response die logische
anderer Energieträger) vom Strombedarf (bzw. von Konsequenz einer auf erneuerbaren Energien auf-
anderweitigem Energiebedarf). Im Falle der elek- gebauten Energieversorgung, die aus einem mehr-
trischen Energieversorgung kann diese Entkopp- heitlich fossilen und nuklearen Energieversor-
lung nicht ausschließlich durch eine Speicherung gungssystems hervorgeht, wie dies in . Abb. 11.1 in
von Elektrizität erreicht werden. einem provokanten Vergleich dargestellt ist.
Fälschlicherweise wird eine nicht erneuerba-
>> Eine Verschiebung des Strombedarfs in re Elektrizitätsversorgung gerne so dargestellt, als
Zeiten der Erzeugung von Strom aus z. B. wenn hier keine Energiespeicherung (abgesehen
Wind und Sonne erfüllt exakt denselben von wenigen Pumpspeicherkraftwerken) notwen-
Zweck wie ein Energiespeicher. dig ist. Elektrizität wird immer dann »just in time«
erzeugt, wenn der Bedarf dafür da ist (s. Knochen
Das ist der erste Grund, weshalb Demand Response in . Abb. 11.1 oben). Real beginnt das Energiever-
in einem Buch zur Energiespeicherung auftaucht. sorgungssystem jedoch nicht im Kraftwerk, son-
Wird über Lastverlagerungen diskutiert, wird häu- dern es stellt eine weltumspannende Logistikauf-
fig der zeitlich verschobene Betrieb von Anwen- gabe zur Versorgung von Kraftwerken dar. Und
Lastmanagement als Energiespeicher
577 11
Die Energieversorgung ist Kein Knochen:
Sie ist eine Schweinshaxe!

Erzeugung
Gängige

Verbrauch
Übertragung,
Vorstellung
Verteilung

Energieversorgung vor der Umstlelung auf


Erneuerbare Energien

Kohleförderung Kohlelagerung
Pumpspeicher
Kohleltransport
Naturgasförderung
Kohlelhalde
Entschwefelung, CO2-
Abrennung
Erdgasnetz
Erzeugung

Verbrauch

Verbrauch
Erdgasspeicher
Übertragung,
Ölspeicher
Verteilung
Raffinierie
Erdölpipelines
Erdöltanker
Erdölförderung Brennelement-
lagerung

Lagerung Brennelementfertigung

Uranerz Uran 235 Urananreicherung

Energieversorgung nach der Umstellung auf


Erneuerbare Energien

Pumpspeicher
Kälteanwendungen

Druckluftspeicher Wärmeanwendungen

Speicherheizung
Erzeugung

Erzeugung
Verbrauch

Umwälzpumpen
Übertragung,
Verteilung Lüftungsanlagen

Druckluft in der industrie

Batterien KWK mit Wärmespeicherung

Wasserstoffspeicher Wärmepumpen mit


Bioenergieträger
Wärmespeicherung
Schwungradspeicher
Kondensatoren Spulen

. Abb. 11.1  Der Wandel von Supply Side Management zum Demand Side Management

hier sind mannigfaltige Speicherprozesse involviert Rotterdam gespeichert, in Binnenschiffen gespei-


(s. auch 7 Kap. 1). chert und auf der Kohlehalde neben dem Kraft-
Die Kohle fällt nicht direkt aus der Grube ins werk gespeichert, bevor dann viel später »just in
Kraftwerk. Steinkohle wird z.  B. in Australien ge- time« Strom erzeugt wird. Ähnlich vorgelagerte
fördert und auf einer Kohlehalde gespeichert, wird Speicherprozesse existieren bei z. B. in Russland ge-
dann in Überseeschiffen gespeichert, im Hafen von fördertem Naturgas, bis es nach vielen Stationen als
578 Kapitel 11 • Lastmanagement als Energiespeicher

Erdgas in unterirdischen Salzkavernen in Deutsch- 11.1 Besonderheiten von Demand


land gespeichert wird und dann viel später »just in Response im Vergleich zu
time« in einem Gaskraftwerk in Elektrizität (und anderen Energiespeichern
Wärme) gewandelt wird. Ein besonderer Fall liegt
bei der Nutzung von Kernenergie vor. Auch hier zz Investitionskosten
existieren viele Prozesse mit zwischengelagerter Der größte Vorteil des Demand Response im Ver-
Speicherung, bis aus z.  B. in Kanada geförderten gleich zu anderen Energiespeichern sind die Kos-
Uranerzen Brennelemente in deutschen Kernkraft- ten für die Investitionen in Speicherkapazität. Die-
werken geworden sind. Das Besondere bei der Nut- se sind gleich null! Die Besonderheit besteht gerade
zung der Kernenergie ist, dass diese Brennelemente darin, bereits existierende Prozesse zu verwenden.
noch viele Jahre als radioaktiver Abfall gespeichert Das heißt, es wird z. B. kein Kühlhaus mit dem Ziel
werden müssen, nachdem der Strom längst ver- gebaut, es als Energiespeicher zu verwenden. Das
braucht ist. Kühlhaus wird zur Lagerung von leicht verderb-
Etwas provokativ lässt sich deshalb sagen, dass licher Ware gebaut. Zufällig verfügt es über eine
die Energieversorgung keinem Knochen, sondern thermische Speicherkapazität, die es erlaubt, elek-
eher einer Schweinshaxe gleicht. Hierbei stellt trisch betriebene Kälteaggregate bevorzugt dann
das Fleisch die gespeicherte Energie dar. In einem zu betreiben, wenn Strom aus Wind und Sonne im
auf fossilen und nuklearen Energien basierenden Überfluss verfügbar ist.
Energiesystem befindet sich das Fleisch (die Ener- Trotzdem entstehen beim Demand Response
giespeicherung) auf der linken Seite, also vor der Kosten. Diese betreffen jedoch nicht die Speicher-
Stromerzeugung. kapazität selbst.
Bei einer erneuerbaren Energieversorgung ent-
fällt diese Art der Energiespeicherung weitgehend. zz Kommunikationstechnische Integration
Wind und Sonne lassen sich vor der Stromerzeu- Was nutzen all diese in großer Zahl herumstehen-
gung nicht speichern. Die einzigen erneuerbaren den Energiespeicher, die nur darauf warten, ihre
Energieträger, die nach demselben Prinzip wie Unterstützung für die Integration erneuerbarer
11 fossile Energieträger betrieben werden können, Energien bereitzustellen? Diese wissen ja nicht, zu
sind Bioenergie und Speicherwasser. Diese beiden welchem Zeitpunkt und für wie lange ihre Leistung
Formen der Strombereitstellung verfügen über eine gefragt ist. Sie wissen auch nicht, ob sie gerade ge-
Speicherbarkeit auch vor der Stromerzeugung. An- laden oder entladen werden müssen. In der Konse-
sonsten muss erneuerbare Energie als Sekundär- quenz heißt dies, dass es zwar Unmengen an bereits
energie gespeichert werden, wie in den 7 Kap. 6–10 existierenden Speichern gibt und man erst gar nicht
ausführlich beschrieben wird. Meistens wird die in Speicherkapazität investieren muss, allerdings
hier gespeicherte Energie zu einem späteren Zeit- muss diese Vielzahl von Speichern kommunika-
punkt (mit Konversionsverlusten) wieder in Elekt- tionstechnisch in das Management der Energiever-
rizität zurückgewandelt. sorgung integriert werden.
Die Alternative hierzu ist die Umkehrung des Ein Schlüssel zur Verwirklichung des Demand-
bestehenden Systems. Die Schweinshaxe wird so Response-Gedankens ist die Tendenz von immer
gedreht, dass sich das Fleisch (die gespeicherte mehr Energiedienstleistern, ihre Abrechnungs-
Energie) auf der rechten Seite des Systems wie- dienste durch die Fernauslesung von Energiezäh-
derfindet. Die Energie wird also gespeichert, lern vorzunehmen. Mit diesem Schritt werden alle
nachdem der Strom bereits verbraucht wurde. Es Haushalte kommunikationstechnisch vernetzt. Das
handelt sich hierbei um Speicherung der Ende- ist die Voraussetzung für ein breit angelegtes De-
nergie mit dem großen Vorteil, dass ein anschlie- mand Response. Der Vorreiter war hier der italie-
ßender Wandlungsprozess mit Konversionsver- nische Energieversorger ENEL. In Italien wurden
lusten entfällt. Dies ist Demand Response. Diese 30  Mio. herkömmliche durch elektronische, fern-
Prozesse zur Energiespeicherung werden hier auslesbare Stromzähler ersetzt. Neben den Einspa-
beschrieben. rungen im administrativen Bereich werden diese
11.2 • Demand Response in Haushalten und Querschnitttechnologien
579 11
Zähler auch zur Leistungsbegrenzung während der Zeitbereich ist hierbei jedoch die einschrän-
Spitzenlastzeiten, zur Vereinfachung von Tarif- und kende Größe. Die meisten Prozesse erlauben eine
Anbieterwechsel sowie zur Fernabschaltung säu- zeitliche Verschiebung von Minuten bis einigen
miger Zahler genutzt. Und so, wie säumige Zahler Stunden. Über einen Tag hinaus gibt es kaum infra-
abgeschaltet werden können, können auch die in ge kommende Prozesse, es sei denn, es werden z. B.
diesem Artikel beschriebenen Speicher zu- und ab- zusätzliche thermische Speicher implementiert.
geschaltet werden. Im Folgenden werden zunächst Potenziale in
Haushalten sowie von sogenannten Querschnitt-
zz Haushalt versus Industrie technologien, wie sie in vielen Gebäuden vorkom-
Potenziale zur Lastverschiebung sind in allen Be- men, beschrieben, gefolgt von der Darstellung in-
reichen von Stromanwendungen in hohem Maße dustrieller Prozesse.
zu finden. Dennoch lassen sich einige Unterschiede
feststellen, gerade in der Frage, welche Potenziale
lohnenswerter zu erschließen sind. 11.2 Demand Response in Haushalten
Häufig wird als Vorteil der industriellen Anwen- und Querschnitttechnologien
dungen gegenüber denen der Haushalte genannt,
dass dort die Leistungen für eine Lastverschiebung 11.2.1 Speicherheizungen
erheblich größer sind. Zusammen mit den eben
angestellten Überlegungen der kommunikations- Nachtspeicherheizungen zum Demand Response
technischen Erschließung und mit der Tatsache, wurden lange vor dem enormen Wachstum er-
dass dieser Aufwand an beiden Orten ähnlich groß neuerbarer Energien in unser elektrisches Energie-
ist, ergibt sich ein klarer Vorteil von industriellen versorgungssystem integriert. Sie wurden in den
Prozessen. Demgegenüber muss einschränkend 1960er-Jahren entwickelt, um die Auslastung von
angemerkt werden, dass nicht alle industriellen schlecht regelbaren Kraftwerken und damit deren
Prozesse Energiespeicherprozesse darstellen und Wirkungsgrad zu erhöhen. Das heißt, bezogen auf
somit in Wirtschaftlichkeitsüberlegungen neben ihre Fähigkeit, um ein elektrisches Lastprofil zu de-
der Kommunikationstechnik auch Einflüsse nicht cken, verfügen Kern- oder Braunkohlekraftwerke
stattfindender Produktion mit einfließen. und Windkraftanlagen über dieselben Eigenschaf-
Ein anderer Aspekt sind die absoluten Poten- ten. Sie können nicht oder nur schlecht an ein vor-
ziale. Das Potenzial pro Anlage oder pro Liegen- gegebenes Lastprofil angepasst werden, und Spei-
schaft ist in industriellen Anwendungen deutlich cherheizungen sind eine Möglichkeit, Erzeugung
höher. Aufgrund der großen Anzahl von Haushal- und Bedarf in Einklang zu bringen.
ten gegenüber manchen Industrieprozessen ist das Die Nachtspeicherheizung nimmt während
Potenzial in absoluten Zahlen jedoch in Haushalten der Schwachlastzeit elektrische Energie auf, wan-
deutlich größer. So übersteigt z. B. der elektrische delt diese in Wärme und speichert die Wärme in
Anschlusswert eines Kühlhauses denjenigen eines ihrem Kern. Verteilt über den Rest des Tages gibt
Kühlschranks um ein Vielfaches. Die Anzahl von die Heizung ihre Wärme an den Raum wieder ab.
Kühlschränken ist jedoch derart hoch, dass im Käl- Nachtspeicherheizungen sind sogenannte Einzel-
tebereich das Potenzial privater Kühlschränke das raumheizungen. Wird eine komplette Wohnung
von Kühlhäusern bei Weitem übersteigt. mit Speicherheizungen beheizt, erhält jeder Raum
ein Heizgerät.
zz Das Leistungs-Zeit-Dilemma Aus primärenergetischer bzw. ökologischer
Wird das Potenzial von Demand Response mit dem Sicht ist die Verwendung von elektrischer Energie
anderer Energiespeicher verglichen, ergibt sich ein zu Heizzwecken sicher nicht zu empfehlen – zu-
Bild, das den Sachverhalt mit wenigen Worten zu- mindest solange die Elektrizität in Kondensations-
sammenfasst. Die verfügbaren Leistungen sind der- kraftwerken durch die Verbrennung von Kohle
art hoch, dass im Zeitbereich des Demand Response generiert wurde. Wird in Speicherheizungen je-
keine anderen Speicher benötigt würden. Gerade doch über den Bedarf generierte Elektrizität aus
580 Kapitel 11 • Lastmanagement als Energiespeicher

erneuerbaren Energiequellen gespeichert, trifft die- Der Beitrag der Speicherheizungen lag damit um
se Aussage nicht mehr zu. Dann nämlich können mehr als das Siebenfache über dem der Pumpspei-
Speicherheizungen bei der Integration von großen cherkraftwerke.
Leistungen erneuerbarer Energien in Versorgungs- Der im Vergleich zu den Speicherheizungen ge-
netze hervorragende Dienste leisten. ringe Einsatz der Pumpspeicherkraftwerke erklärt
Da elektrische Speicherheizungen weit verbrei- sich vor allem durch den mit ca. 70 % geringen
tet sind, ein großes Speicherpotenzial darstellen Wirkungsgrad der Pumpspeicherkraftwerke. Der
und nicht ohne Weiteres auf z.  B. Warmwasser- Wirkungsgrad der Speicherheizungen kann mit
heizungen umzustellen sind, werden die Speicher- nahezu 100 % angesetzt werden, sofern die Spei-
heizungen zumindest im Bestand noch lange vor- cher nicht zu stark aufgeladen werden und sich
handen sein. Nur werden sie dann möglicherweise dadurch eine Raumüberhitzung ergibt. Bei korrek-
nicht mehr bevorzugt nachts geladen, sondern im- tem Speichermanagement wird die statische Selbst-
mer dann, wenn z. B. ein Überschuss aus Windkraft entladung der Speicherheizungen als Nutzwärme
oder Solarstrom vorhanden ist. frei und beeinträchtigt den Wirkungsgrad nicht.
In Bezug auf elektrische Bereitstellung von Speicherheizungen sind ausführlich in  7  Kap.  10
Raumwärme werden Direktheizungen, Speicher- beschrieben.
heizungen und Wärmepumpen unterschieden. Aus .  Abb. 11.2 geht hervor, wie Speicherhei-
Für das Demand Response sind ohne zusätzliche zungen zum positiven und negativen Lastausgleich
technische Erweiterungen (z.  B. Warmwasser- bzw. zur Bereitstellung positiver und negativer Re-
speicher) lediglich die Speicherheizungen von Be- gelleistung beitragen. Die Speicherheizung muss
deutung. Speicherheizungen werden wiederum in im Vergleich zu einer Elektrodirektheizung be-
Speicherheizgeräten, Fußbodenspeicherheizungen trachtet werden, d. h. einer Heizung, die denselben
und Zentralspeicher unterschieden, wobei hier die »Brennstoff« verwendet, aber auf eine Speicherung
Speicherheizgeräte den größten Teil ( > 95 %) aus- der Wärmeenergie verzichtet. Der von der Außen-
machen (s.[1]). temperatur abhängige konstante Leistungsbezug
1996 waren in Deutschland gut 2,5 Mio. Nacht- der Direktheizung ist durch die blaue Linie gekenn-
11 speicherheizungen installiert (s. [2]). Die meisten zeichnet. Er nimmt mit steigender Außentempera-
Anlagen (2,37  Mio.) befinden sich in Haushalten. tur ab. Der Leistungsbezug der Speicherheizung ist
Etwa 8 % der Haushalte in den alten Bundeslän- in der roten Kennlinie dargestellt.
dern und 3 % der Haushalte in den neuen Bun- Aus den Daten der installierten Speicher-
desländern heizen mit Nachtspeicheröfen (s. [3]). heizungsleistung in Deutschland und den Unter-
Insgesamt verbrauchten die Speicherheizungen in suchungen zum Betriebsverhalten lässt sich das
diesem Jahr knapp 27 TWh Strom (s. [2]). Die in- Potenzial der Speicherheizungen für ein Demand
stallierte Leistung wuchs zwischen 1970 von etwa Response ermitteln. Die negative Regelleistung,
10 GW und 1995 auf knapp 40 GW. Durch gezielte die durch Speicherheizungen bereitgestellt werden
Förderung von Nachtspeicherheizungen gelang es kann, entspricht gerade der Anschlussleistung der
den Energieversorgungsunternehmen, das Last- Speicherheizung abzüglich des Leistungsbezugs
profil stark zu vergleichmäßigen. In den letzten einer Direktheizung (Details s. [4]).
40 Jahren hat sich hingegen der Verlauf des Last- Das Entladen der Speicherheizungen ohne
ganges in den Sommermonaten nur unwesentlich Strombezug entspricht gerade dem vermiede-
verändert. nen Leistungsbezug einer Elektrodirektheizung.
Das bedeutet, dass das Stromverlagerungs- Somit ist das Leistungsniveau einer angenom-
potenzial rund 27  TWh beträgt, die in den Spei- menen Direktheizung genau die durch Speicher-
cheröfen gespeichert und zeitversetzt in Form von heizungen bereitgestellte positive Regelleistung.
Wärme wieder freigegeben werden. Im Vergleich Für Deutschland ergibt sich zur Spitzenzeit eine
dazu betrug die Stromerzeugung aus Pumpwasser positive Regelleistung von 14 GW (s. .  Abb. 11.3).
aller Pumpspeicherkraftwerke ohne natürlichen Die positive Regelleistung hat demnach ihr höchs-
Zufluss in Deutschland 1996 lediglich 3,7  TWh. tes Niveau bei der tiefsten Außentemperatur und
11.2 • Demand Response in Haushalten und Querschnitttechnologien
581 11
P Speicherheizung (kältester Tag)

Außentemperatur
Zunehmende
Maximale Ladeleistung

Negative Regelleistung

Elektrodirektheizung (Kältester Tag)


Zunehmende
ohne Speicher

Regelleistung
Heizleistung

Außentemperatur

Positive
8h t

. Abb. 11.2  Bereitstellung positiver und negativer Regelleistung durch Speicherheizungen

nimmt kontinuierlich bis zu der Außentempera- serbedarfs (morgens, abends und an Wochenen-
tur ab, bei der keine Raumheizung mehr stattfin- den) zu anderen Zeiten liegen als die Lastspitzen
det. Das negative Regelleistungspotenzial ist in [4] z. B. in der Industrie. Geräte ohne Speicher dienen
beschrieben. dem aktiven Demand Response jedoch nicht.
Gegenüber der Warmwasserbereitung mit Gas,
Öl oder Fernwärme hat die elektrische Warmwas-
11.2.2 Elektrische serbereitung den Vorteil, dass elektrische Ener-
Warmwasserbereitung gie quasi verlustlos im Haus verteilt werden kann
und die Wärmeerzeugung direkt am Ort des Ver-
Ähnlich wie Speicherheizungen Raumwärme brauchs möglich ist. Dadurch können verlustrei-
durch den Einsatz von Elektrizität bereitstellen, che und lange Warmwasserleitungen oder auch
erfolgt durch die elektrische Warmwasserversor- Zirkulationsleitungen vermieden werden. Die
gung das Erhitzen von kaltem Wasser zum Baden, Widerstandsheizkörper wandeln quasi 100 % der
Duschen, Händewaschen, Spülen etc. Und ähn- elektrischen Energie in Wärme um. Allerdings
lich wie die elektrischen Speicherheizungen bieten muss berücksichtigt werden, dass die vorgelagerten
Elektrowarmwassergeräte die Möglichkeit, den Verluste bei der Stromerzeugung in Kraftwerken
elektrischen Lastverlauf zu verlagern und damit die primärenergetische Betrachtung deutlich ver-
die Wirtschaftlichkeit des Betriebs der Netze und ändern. Abhängig von der Länge der Transportlei-
Kraftwerke zu erhöhen. tung können Warmwasserheizungen primärener-
Erfolgt die elektrische Warmwasserbereitung getisch trotzdem durchaus gut abschneiden.
durch Geräte mit integrierten Speichern, werden Das gerätetechnische Verfahren, wie Wasser
diese während der Schwachlastzeit geladen, um elektrisch erwärmt werden kann, ist äußerst viel-
(vor allem während der Nacht) Lasttäler zu füllen. fältig, und nicht alle Geräte zur Warmwasserer-
Auch Geräte ohne Speicherfunktion vergleichmä- wärmung eignen sich für den Einsatz im Demand
ßigen den Lastgang, da die Spitzen des Warmwas- Response. Zu den Geräten ohne festen Wasser-
582 Kapitel 11 • Lastmanagement als Energiespeicher

16

14

12

10 0

6
Positive
Regelleistung 12
8
in GW
14–16
11 6
18
12–14
24
10–12
4 30
8–10

6–8
36
2
4–6 Entladedauer
in h
42
2–4
0
0–2 –15 –11 –7 –3 1 5 9 13 17
Außentemperatur
in ° C

. Abb. 11.3  Bereitstellung positiver Regelleistung nach Leistungsniveau und Dauer der in Deutschland installierten Spei-
cherheizungen in Abhängigkeit von der Außentemperatur
11.2 • Demand Response in Haushalten und Querschnitttechnologien
583 11
anschluss zählen Tauchsieder, Wasserkocher und In einem SAVE-Projekt der Europäischen
Kaffeemaschinen. Sie werden immer in dem Mo- Kommission wurde im Rahmen einer Energieef-
ment betrieben, in dem ein Bedarf an Warmwasser fizienzanalyse für die elektrische Warmwasserbe-
besteht. Sie verfügen über keine Speicherkapazität reitung in Haushalten eine Bestandsaufnahme in
und sind für das Demand Response nicht geeignet. mehreren Mitgliedsstaaten unternommen. Dem-
Geräte mit festem Wasseranschluss werden in nach lag der Stromverbrauch für die elektrische
die Gruppen Boiler, Durchlauferhitzer und Spei- Warmwasserbereitung in Europa bei 87 TWh (be-
cher eingeteilt. Boiler erwärmen Wasser einmalig. zogen auf das Jahr 1997). Der Stromverbrauch für
Wird warmes Wasser benötigt, muss das Gerät die elektrische Warmwasserbereitung entspricht
jedes Mal wieder neu eingeschaltet werden. Das damit in etwa 15 % des Haushaltstromverbrauchs
Wasser wird meistens unmittelbar nach dem Er- der europäischen Union (s. [5]).
wärmen entnommen. Boiler gehören zu den so- Für Deutschland wird angegeben, dass in
genannten offenen Geräten und sind ständig mit 15,2 Mio. von insgesamt 34,6 Mio. Haushalten das
Wasser gefüllt. Durch Einlassen von Kaltwasser Warmwasser elektrisch bereitet wird. Das entspricht
wird warmes Wasser durch ein Überlaufrohr nach 43,9 %. Etwa ein Drittel der in Europa installierten
außen gedrückt. Früher waren Boiler ungedämmt. Warmwassergeräte befinden sich in Deutschland.
Heute werden Boiler, die vorwiegend für den Er- Im Jahr 2003 betrug der Prozesswärmeverbrauch in
satzbedarf gefertigt werden, auch mit Dämmung Haushalten 123 TWh (s. [6]). Davon wurden rund
angeboten. Boiler eignen sich nur bedingt zum 49  TWh elektrisch erzeugt. Darin enthalten sind
Demand Response. Auch Kochendwassergeräte, die die Verbräuche für elektrisches Kochen, Warmwas-
vor allem in Küchen montiert werden, gehören zur serbereitung und sonstige Verbraucher. Der Anteil
Gruppe der Boiler. Sie haben meist ein Volumen der Warmwasserbereitung wird mit 15 TWh ange-
von fünf Litern, in Ausnahmefällen auch bis zu 50 l. geben (s. [6–8]).
Auch sie eignen sich nicht für das Demand Respon- Im Sektor Gewerbe, Handel und Dienstleistun-
se (s. [5]). gen (GHD) wird der elektrische Stromverbrauch für
Durchlauferhitzer sind kompakte, geschlossene Prozesswärme mit 32,5 TWh angegeben, 40 % der
Warmwassergeräte mit sehr hoher Heizleistung, die Prozesswärme werden für die Bereitung von Warm-
zwischen 12 und 27 kW liegt. Sie können eine oder wasser eingesetzt (s. [9]). Dies entspricht einem
mehrere Entnahmestellen bedienen. Durch die ho- Verbrauch von 13 TWh. Insgesamt ergibt sich somit
hen Anschlussleistungen kann das Wasser während für Deutschland ein Verbrauch von 28 TWh Elekt-
des Durchfließens erwärmt werden, wodurch auf rizität für die elektrische Warmwasserbereitung.
Speicher verzichtet werden kann. Auch unter den Deutschland nimmt bezüglich der Art der
Durchlauferhitzern gibt es zahlreiche Bauformen, Warmwasserbereitung eine Sonderstellung ein.
die sich aber alle aufgrund der fehlenden Speicher- Während das in Europa dominierende System eine
möglichkeit nicht zum Demand Response eignen zentrale Lösung ist, verfügen in Deutschland von
(s. [5]). den über 15  Mio. Haushalten nur vier Millionen
Warmwasserspeicher sind Warmwassergeräte, über eine zentrale elektrische Warmwasserberei-
in denen Wasser mittels einer elektrischen Wider- tung (s. [10]). Wird davon ausgegangen, dass ein
standsheizung erwärmt wird und in einem wärme- Viertel des für die Warmwasserbereitung ermit-
gedämmten Behälter längere Zeit ohne nennens- telten Stromverbrauchs für ein Demand Response
werte Verluste gespeichert werden kann. Übliche brauchbar ist, stehen somit zur Lastverschiebung
Speichervolumen liegen zwischen fünf und 1000 l. 7 TWh pro Jahr zur Verfügung.
Aufgrund des veränderten Oberfläche/Volumen- . Abbildung 11.4 erklärt die Funktionsweise des
Verhältnisses sinken die Verluste mit zunehmen- Demand Response bei elektrischen Warmwasser-
dem Speicherinhalt. Schon aufgrund der Verluste, geräten. Die waagrechte Linie zeigt die elektrische
aber auch wegen der zu überbrückenden Zeiten, Leistungsaufnahme von vielen nicht koordiniert
kommen für das Demand Response nur größere betriebenen Speichergeräten. Da hier ausschließ-
Speicher infrage (s. [5]). lich der Energieverbrauch von Speichergeräten be-
584 Kapitel 11 • Lastmanagement als Energiespeicher

Elektrisch beheizte Warmwasserepeicher


im Demand Side Management

Negative Regelleistung
Installierte Leistung

Elektrisch beheizte Warmwasserspeicher


ohne Koordination

Regelleistung
Positive
8h t

. Abb. 11.4  Erläuterung der Bereitstellung von Regelleistung von im Demand Response betriebenen Speicher-Warmwas-
sergeräten

rücksichtigt wird, ist eine solche waagrechte Dar- Negative Regelleistung kann durch elektrisch
stellung zulässig. Würden auch Durchlauferhitzer betriebene Warmwasserspeicher dann zur Ver-
mit in die Betrachtungen einfließen, müsste das fügung gestellt werden, wenn die Speicher nicht
11 über den Tag variable Verbrauchsprofil Berück- vollgeladen sind und durch den Einsatz elektri-
sichtigung finden. scher Energie Wasser erwärmt und gespeichert
In ein Demand Response integrierte Warmwas- wird. Dabei sind die Geräte zur Nutzung der
sergeräte mit leerem Speicher können gezielt elekt- Niedertarifzeiten derart ausgelegt, dass sie ihren
rische Leistung aufnehmen und somit eine negative Speicher innerhalb von acht Stunden komplett
Regelleistung bereitstellen. Sind die Speicher ge- laden können. Damit addiert sich die gesamt
füllt, kann auf eine elektrische Leistungsaufnahme verfügbare negative Regelleistung zu etwa 5 GW
verzichtet und die durchschnittliche Leistungsauf- (s. [4]).
nahme der unkoordiniert betriebenen Speicher-
geräte als positive Regelleistung zur Verfügung ge-
stellt werden. 11.2.3 Elektrische Kälteerzeugung
Ein Standspeicher ist für den höchsten, an
einem Tag auftretenden Warmwasserbedarf di- Die technische Erzeugung von Kälte ist in vielen
mensioniert. Von daher kann der elektrische Bereichen unseres täglichen Lebens von großer
Leistungsbezug zumindest um 24  h verschoben Bedeutung. Kälte wird nicht nur in den privaten
werden, bei kleineren täglichen Verbräuchen Haushalten in Kühl- und Gefriergeräten eingesetzt,
noch länger. Die Speicherkapazität der für ein sondern in der gesamten Nahrungsmittelkette von
Demand Response nutzbaren Warmwasserspei- der Erzeugung über die Verteilung bis zur Lage-
cher beträgt etwa 44  GWh bei einer maximalen rung in den Kühlschränken. Des Weiteren spielt
positiven Regelleistung von etwas unter 800 MW Kälte in vielen Industriebereichen eine bedeutende
(s. [4]). Rolle – allen voran in der chemischen Industrie.
11.2 • Demand Response in Haushalten und Querschnitttechnologien
585 11

. Tab. 11.1  Energiebedarf zur technischen Erzeugung von Kälte in Deutschland [11]

Gesamtenergiebedarf [GWh/a] Primärenergie Gesamtkälte


[GWh/a] [GWh/a]
Elektr. Nicht el. Gesamt

Nahrungsmittel 48.050 3.071 51.121 153.909 108.058

Industriekälte 6.845 0 6.845 20.795 5.255

Klimatisierung 9.705 7.776 17.481 50.349 48.548

Sonstige 1.579 65 1.644 4.981 3.066

Gesamt 66.179 10.912 77.091 230.034 164.927

. Tab. 11.2  Kälteeinsatz im Nahrungsmittelbereich [11]

Gesamtenergiebedarf [GWh/a] Primärenergie Gesamtkälte


[GWh/a] [GWh/a]
Elektr. Nicht el. Gesamt

Erzeugung 19.616 0 19.616 59.436 54.929

Transport 0 3.071 3.071 8.316 7.751

Verteilung 9.805 0 9.805 29.708 19.146

Haushalt 18.630 0 18.630 56.449 26.232

Gesamt 48.050 3.071 51.121 153.909 108.058

Nicht zuletzt handelt es sich bei der zunehmenden Der Bereich der Nahrungsmittelkühlung ist in
Klimatisierung von Gebäuden auch um eine Kälte- die Erzeugung, den Transport sowie die Verteilung
anwendung. und Lagerung bis zum Verkauf und schließlich in
Durch die Wärmekapazität der gekühlten und die Kaltlagerung im Haushalt der Verbraucher auf-
gefrorenen Güter ist fast allen Kälteanwendungen geteilt. Die Ergebnisse der Studie für die Kältean-
eine Speicherwirkung inhärent. Durch die Ausnut- wendung zur Nahrungsmittelkühlung zeigen, dass
zung dieser Wärmekapazitäten eignen sich Kälte- sowohl zu Beginn und Ende der Kühlkette bei der
anwendungen hervorragend für den Einsatz im De- Erzeugung in Groß- und Kleinindustrie als auch bei
mand Response. Das heißt, ein Kälteaggregat kann der Endlagerung im Haushalt der größte Energie-
ohne Weiteres für einen gewissen Zeitraum außer bedarf entsteht, wobei beide Bereiche etwa gleich
Betrieb genommen werden, ohne dass die Tempe- groß sowohl hinsichtlich des Gesamtenergie- als
ratur des zu kühlenden Mediums unmittelbar auf auch des Primärenergiebedarfs sind. In zweiter Li-
nicht tolerierbare Temperaturen ansteigt. nie kommt der gesamte Bereich der Verteilung und
Der Gesamtenergiebedarf für die technische Lagerung mit etwa der Hälfte des Energiebedarfs
Erzeugung von Kälte für das Jahr 1999 wurde in der beiden vorgenannten Bereiche. Der Transport
einer Studie (s. [11]) zu 77.000 GWh ermittelt. Da- im Bereich der Nahrungsmittelkühlkette hat den
bei entfallen 66.000 GWh auf den elektrischen und geringsten Energiebedarf bei der Kälteerzeugung
11.000 GWh auf den nicht elektrischen Bedarf. Das (s. . Tab. 11.2).
entspricht einem Anteil von 14 % am Strombedarf. Die zur Erzeugung der Nahrungsmittel not-
Dieser Energiebedarf zur technischen Erzeugung wendige Kälte wird hier für die Relevanz des De-
von Kälte in Deutschland teilt sich entsprechend mand Response nicht in Betracht gezogen, auch
. Tab. 11.1 auf. wenn der hohe Anteil am Stromverbrauch diesen
586 Kapitel 11 • Lastmanagement als Energiespeicher

. Tab. 11.3  Kälteeinsatz bei Verteilung und Lagerung von Nahrungsmitteln (s. [11])

Nahrungsmittel, Verteilung und Gesamtenergiebedarf Primärenergiebedarf Gesamtkältebedarf


Lagerung [GWh/a] [GWh/a] [GWh/a]

Supermärkte 6.294 19.071 13.182

Gaststätten 984 2.981 1.801

Eisdielen 118 358 173

Imbisshallen 198 600 322

Kantinen 248 752 399

Hotels 375 1.136 725

Jugendherbergen 1 3 2

Getränke-Einzelhandel 351 1.065 497

Apotheken 33 99 49

Tankstellen 498 1.510 675

Kühlhäuser 704 2.133 1.321

Gesamt 9.805 29.708 19.146

Einsatz nahelegen würde. Da für manche Prozes- zität eingegangen. Im Bereich der Nahrungsmittel
se enge Zeitgrenzen eingehalten werden müssen – wird wiederum nur der Bereich Lebensmittelhan-
z. B. muss Milch spätestens drei Stunden nach dem del und private Haushalte betrachtet, und der gro-
Melkvorgang von 35  °C auf 5  °C abgekühlt werden ße Bereich der Erzeugung wird außen vor gelassen
11 – wird hier darauf verzichtet. Das bedeutet aber und somit wiederum 41 % dieses Bereichs vernach-
nicht, dass es auch in der Erzeugung von Nah- lässigt. Das heißt aber nicht, dass in den Bereichen
rungsmitteln nicht Prozesse gibt, die sich für ein Klimatisierung, Industrie und Sonstige keine Mög-
Demand Response eignen würden. lichkeiten zum Demand Response vorhanden sind.
Unter die Rubrik Verteilung und Lagerung fal- Haushaltskühlgeräte bestehen aus einem Ge-
len alle Kälteanwendungen des Handels. Er wird häuse mit Tür und den Einbauten zur Aufnahme
von den Supermärkten dominiert, aber auch eine des Kühlgutes sowie der Kältemaschine. Je nach
Reihe anderer Gewerbearten trägt mit zu dem Ener- Temperaturbereich der Geräte unterscheidet man
giebedarf von knapp 10 GWh bei (s. . Tab. 11.3). zwischen reinen Kühlgeräten (+ 5 °C), reinen Ge-
Der Bereich der Haushaltskälte mit Einrichtun- friergeräten (–18 °C) sowie Kühl- und Gefrierkom-
gen zum Kühlen und Gefrieren wird mit 18,6 TWh binationen (+ 5 °C und −18 °C). Gefriergeräte sind
beziffert. Im Vergleich zu anderen Quellen fällt besser isoliert als Kühlgeräte und besitzen im Tür-
diese Abschätzung sehr gering aus. So wird der bereich meist eine elektrische Heizung oder eine
Stromverbrauch für Kühlschränke und Gefrierge- Hochdruckleitung des Kältemittelkreislaufs, um
räte in einer anderen Quelle in privaten Haushalten das Einfrieren der Türdichtung zu vermeiden. In
mit zusammen 25,6  TWh angegeben (s. [12]). In Kühl- und Gefrierkombinationen wird Wärme auf
einer weiteren Quelle (s. [13] mit Verweis auf [14, zwei Temperaturniveaus abgeführt.
15]) wird der Stromverbrauch dieser Kategorie mit Haushaltskühlgeräte werden je nach Aufstel-
83 PJ (23 TWh) angegeben. lungsort in verschiedene Klimaklassen eingeteilt
In dem vorliegenden Abschnitt wird lediglich (s. [16]). Für ein Gerät der Klimaklasse SN variiert
auf die Aspekte der Nahrungsmittelkühlung, d. h. die Kältelast durch Änderung der Umgebungstem-
nur auf 73 % der für Kälte aufgewendeten Elektri- peratur damit in einem Bereich von 18 % bis 100 %.
11.2 • Demand Response in Haushalten und Querschnitttechnologien
587 11
Die Kältemaschine arbeitet daher grundsätzlich im Neben den Kühl- und Gefriergeräten in priva-
Teillastbetrieb (s. [17]). Die aus diesen Rahmenbe- ten Haushalten wird hier eine weitere große Grup-
dingungen resultierende notwendige Überdimen- pe von Kälteanwendungen diskutiert, die Gruppe
sionierung ist die Voraussetzung dafür, dass sich der Kühl- und Gefriergeräte im Lebensmittelein-
ein Kühlschrank überhaupt im Demand Response zelhandel. Lebensmittelmärkte stellen vor allem
einsetzen lässt. deswegen eine interessante Kategorie dar, weil der
Das Erwärmungsverhalten und damit die Spei- weitaus größte Teil ihres Energiebedarfs (73 %) die
cherkapazität des Kühlschranks hängen stark von technische Erzeugung von Kälte ausmacht (s. [24]).
seinem Inhalt ab, da Kühlschränke nach derzeitiger Die Formen der Kühlmöbel, die in Lebensmit-
Bauart über so gut wie keine Wärmekapazität ver- telmärkten aufgestellt werden, sind äußerst vielfäl-
fügen. Messungen am leeren Kühlschrank haben tig. Zu ihnen zählen Kältetheken, Kühlregale, Tief-
ergeben, dass bereits 20 min nach dem Ausschalten kühlinseln, Tiefkühlschränke, Kühlräume und Tief-
die Innenraumtemperatur annähernd auf Umge- kühlräume. Diese Formen unterscheiden sich dann
bungstemperatur angestiegen ist. Als Nischenpro- noch einmal dadurch, ob es sich um sogenannte
dukte werden Kühlschränke mit integrierten Pha- steckerfertige Geräte oder sogenannte Verbundanla-
senwechselmaterialien hergestellt, die Kompressor- gen für Kühlmöbel bzw. Tiefkühlmöbel handelt. Bei
ausschaltzeiten von mehreren Tagen überbrücken steckerfertigen Geräten ist das Kälteaggregat bereits
können (s. [18–23]). in das Möbel integriert, bei Verbundanlagen werden
In den weiteren Betrachtungen wird von einer mehrere Kühlmöbel über eine Kältemittelleitung
Temperaturspreizung von + 2 °C bis + 7 °C ausge- mit zentral angeordneten Verdichtern versorgt.
gangen. Angemerkt sei aber, dass sich bei einer Er- Entsprechend der Vorgehensweise bei Kühl-
höhung der zulässigen Temperatur auf + 10 °C die und Gefriergeräten für Haushalte ergeben sich für
Ausschaltzeiten fast verdoppeln ließen. die Kälteaggregate im Lebensmittelhandel eine
Zusammen mit der numerisch ermittelten positive Regelleistung von 1,1 GW und eine negati-
Abhängigkeit der Ausschaltzeit vom Füllgrad des ve Regelleistung von 2,8 GW (s. [4]).
Kühlgeräts ergibt sich die positive Regelleistung
in Abhängigkeit der Zeit, in der sie zur Verfügung
steht. Sie summiert sich zu etwa 1,5 GW. Die ma- 11.2.4 Heizungsumwälzpumpen
ximal negative Regelleistung ergibt sich, wenn alle
Kühlschränke eine Kühlguttemperatur von + 7 °C Anders als elektrische Speicherheizungen verfügen
besitzen und gleichzeitig den Kompressor in Be- Warmwasserheizungsanlagen über keine Speicher-
trieb nehmen. Diese Leistung summiert sich zu einheit. Des Weiteren nutzen sie keine Elektrizität
etwa 4,3 GW. zur Wärmeerzeugung. Die Wärme wird in der Re-
Eine weitere Kälteanwendung in privaten gel durch die Verbrennung von Erdgas oder Erdöl
Haushalten sind Gefrierschränke und -truhen. erzeugt oder gelangt über ein Fernwärmenetz in
Die Speicherzeiten sind hier deutlich kürzer als bei das Gebäude.
Kühlschränken. Dafür gibt es zwei Gründe. Zum Dennoch können Warmwasserheizungen zum
einen ist die Temperaturdifferenz zwischen dem Demand Response eingesetzt werden. Die Gebäu-
Kühlschrankinnern und der Umgebungstempera- de, die von den Warmwasserheizungen geheizt
tur deutlich höher und somit der Wärmeeintrag in werden, verfügen über thermische Speicherkapazi-
den Kühlschrank größer. Zum anderen reduziert täten, d.  h., Wärme wird in der Baukonstruktion
sich die Wärmekapazität von Wasser fast auf die gespeichert. Beim Ausschalten der Heizung fällt
Hälfte, wenn es zu Eis gefriert. Ähnlich verhält es die Raumtemperatur nicht unmittelbar ab, son-
sich auch mit anderen Lebensmitteln. Im Folgen- dern behagliche Temperaturen bleiben über eine
den wird von einer Temperaturspreizung zwischen vom Gebäudestandard abhängige Zeit auch ohne
−18 °C bis −12 °C ausgegangen. Die positive Regel- Wärmezufuhr erhalten. .  Abbildung  11.5 zeigt das
leistung summiert sich hier wiederum zu zirka Auskühlverhalten eines Raumes in Abhängigkeit
1,4 GW (s. [4]). von seinem Wandaufbau.
588 Kapitel 11 • Lastmanagement als Energiespeicher

20,0

19,8
VollziegeImauerwerk
19,6
Kalksand Vollsteine
19,4
Bimshohlblock
Temperatur in °C

19,2 Bimsvollsteine
19,0 Mauerziegel
Gasbeton-Blocksteine
18,8
Kiesbeton
18,6
Leichtbeton-Vollsteine II
18,4 Eichenfachwerk

18,2

18,0
0 200 400 600 800 1000 1200 1400
Zeit in min

. Abb. 11.5  Verlauf der Raumlufttemperatur bei neun verschiedenen Mauertypen und 12 cm Mineralwolldämmung, aus-
gehend von einem stationären Temperaturverlauf in der Mauer bei 0 °C Außentemperatur und 20 °C Raumlufttemperatur

Da die Wärme aus Erdgas oder Erdöl erzeugt Während die für das Demand Response zur
wird, beschränkt sich der für das Demand Respon- Verfügung stehende Leistung alleinig von den Um-
se bedeutende Anteil elektrischer Energie auf die wälzpumpen abhängt, wird die mögliche Dauer des
sogenannte Hilfsenergie. Diese ist für den Trans- Leistungsangebots von der Struktur eines Gebäu-
11 port der Wärme von der Erzeugung in einem des und seinem Speichervermögen bestimmt.
Kessel bzw. von der Übergabestation im Falle der Die Funktionsweise der heute üblichen Art
Fernwärmeheizung hin zur Wärmeabgabe in den der Regelung von Warmwasserheizungen basiert
Räumen über die Heizkörper bzw. Fußbodenhei- auf der Regelungsfunktion »Heizkurve«. Die
zungen zuständig. Mithilfe elektrischer Energie »Heizkurve« bestimmt den Sollwert der Vorlauf-
wird durch Umwälzpumpen warmes Wasser durch temperatur und damit der Heizleistung in Ab-
die Heizkreise gepumpt und somit die Wärme ver- hängigkeit von der Außentemperatur – unter der
teilt. Voraussetzung eines konstanten Heizmedium-
Da bei Warmwasserheizungen – mit denen Ge- durchflusses.
bäude in Deutschland überwiegend beheizt werden Das bedeutet, dass im »Normalbetriebsfall«
– »nur« die Hilfsenergie zum Demand Response eines beheizten Raumes die Netzkennlinie bei
taugt, kann leicht der Eindruck entstehen, dass die- konstanter Raumtemperatur ebenfalls konstant
ser Anteil vernachlässigbar ist. Allerdings ist der ist (die Thermostatventile verändern diese Kenn-
Anteil der Umwälzpumpen am Stromverbrauch in linie nicht). Der Durchfluss durch die Heizkörper
privaten Haushalten einer der größten überhaupt. ändert sich ebenfalls nicht, auch nicht bei einer
In Deutschland beträgt der jährliche Strombedarf veränderten Außentemperatur. Die Anpassung an
von Umwälzpumpen ca. 15  TWh, also immerhin die veränderte notwendige Heizleistung geschieht
3,5 % des deutschen Gesamtstrombedarfs, und so- durch die Veränderung der Heizwassertemperatur.
mit ist dieser Anteil genauso groß wie der gesamte Im »Normalbetriebsfall« ist der Arbeitspunkt einer
Strombedarf der Deutschen Bahn und aller Stra- Heizanlage also immer derselbe. Erst wenn es zu
ßenbahnen zusammen (s. [25]). Änderungen kommt, die nicht über den Außen-
11.2 • Demand Response in Haushalten und Querschnitttechnologien
589 11
temperaturfühler erfasst werden (Wärmeeintrag gegen ungewollten Luftaustausch bis hin zur Ein-
durch solare Einstrahlung oder eine Zunahme in- haltung von Schallpegeln in Räumen.
nerer Wärmelasten), kommt es zu einer Verengung Eine Lüftungsanlage selbst stellt noch keinen
des Leitungsquerschnitts durch die Thermostat- elektrischen Energiespeicher dar. Erst in Zusam-
ventile. Damit wird der Verlauf der Netzkennlinie menhang mit einem mit Luft gefüllten Raum oder
steiler. Eine ungeregelte Pumpe reduziert zwar mit einem Gebäude kann die Lüftungsanlage wie
den Durchfluss, erhöht aber den Druckabfall. Eine ein elektrischer Speicher betrieben werden.
drehzahlgeregelte Pumpe, die z. B. eine konstante Dabei ist das eigentliche Speichermedium die
Druckdifferenz Δp regelt, reduziert in diesem Fall Luft und der Indikator des Ladezustandes des elekt-
den Durchfluss, ohne dass es zu einer Druckerhö- rischen Speichers die Luftqualität. Ist die Luftquali-
hung kommt. Damit kann der Leistungsbedarf der tät gut, kann von einem vollen Speicher gesprochen
Pumpe sinken. werden. Infolgedessen kann die Lüftungsanlage
Für die Bestimmung des potenziellen Beitrags solange ausgeschaltet – bzw. mit geringerer Leis-
der Warmwasserheizungen zum Demand Response tung betrieben – werden, bis die Luftqualität auf
sind die folgenden Rahmenbedingungen von Be- einen zulässigen Grenzwert sinkt. Dann kann der
deutung: der jährliche elektrische Energieaufwand Speicher als entladen angesehen und die Lüftungs-
für Umwälzpumpen in Deutschland, die Anzahl anlage muss wieder eingeschaltet werden, um die
der Umwälzpumpen, die in Deutschland in Be- Raumluftqualität wieder zu erhöhen.
trieb sind, bzw. die Höhe der installierten Leistung Somit kann die Lüftungsanlage – durch die Fä-
und die Dauer, während der die Umwälzpumpen higkeit der sich im Raum befindlichen Luft, auch
arbeiten. Zusammen mit der Jahresdauerlinie der ohne Lufterneuerung die Raumluftqualität auf-
Außentemperatur ergibt sich die Heizdauer in Ab- rechtzuerhalten – zur Lastverschiebung eingesetzt
hängigkeit von der Heizgrenztemperatur. Das re- werden. Und dies entspricht der Funktion eines
sultiert in einer positiven Regelleistung während elektrischen Energiespeichers.
der Heizperiode von ca. 2,3 GW über von der Wär- In einer Reihe von Untersuchungen (s. [26–28])
medämmung abhängige Zeiträume. wurde der Energieverbrauch für Deutschland und/
Im Falle der Umwälzpumpen gibt es nur positi- oder Europa für elektrische Antriebe bzw. Venti-
ve Regelleistungen. Entweder ist eine Heizungsan- latoren ermittelt. Im Folgenden dienen die Er-
lage in Betrieb, dann ist auch die Umwälzpumpe in gebnisse des von der Europäischen Kommission
Betrieb und kann für einen Zeitraum ausgeschaltet unterstützten SAVE-Projektes »Market Study for
werden. Oder eine Heizungsanlage ist ausgeschal- Improving Energy Efficiency for Fans« als Grund-
tet, dann ergibt ein Zuschalten der Pumpe ohne lage für weitere Betrachtungen. Hierin wurde der
Heizleistung für ein Demand Response keinen Sinn. Energieverbrauch von Ventilatoren mit einer Leis-
tung zwischen einem und 500 kW auf 43217 GWh
für Deutschland für das Jahr 1997 ermittelt. Da-
11.2.5 Lüftungsanlagen von fielen 43 % auf die Industrie, 5 % auf den Ver-
kehr und 52 % auf den Tertiärbereich. Für Euro-
Die Aufgabe einer Lüftungsanlage ist es, innerhalb pa beträgt der Energieverbrauch für Ventilatoren
eines Raumes oder eines Gebäudes Luftzustände 197 TWh.
herzustellen oder zu erhalten, die für den Men- In derselben Studie wurde ein technisches
schen als behaglich gelten oder für Produktions- Energieeinsparpotenzial von 10 % bis 15 % und
prozesse wichtige Rahmenbedingungen darstellen. ein realistisches Potenzial von 3,5 % bis 8,3 % er-
Dabei können die Kriterien für diese Ansprüche mittelt. Zusammen mit erwarteten Zuwächsen an
sehr vielschichtig sein. Sie reichen von der Zufuhr Ventilatorleistung wird für das Jahr 2020 in Europa
von Frischluft bzw. Sauerstoff zur Beseitigung von ein Energieverbrauch von 220 TWh unter Berück-
Schadstoffen über die Reinigung der Zuluft, Ein- sichtigung der Energieeinsparungen bzw. ein Ener-
stellung behaglicher Temperaturen und Luftfeuch- gieverbrauch von 290 TWh ohne Realisierung der
ten, Abfuhr von Wärme, Druckhaltung zum Schutz Einsparpotenziale vorhergesagt.
590 Kapitel 11 • Lastmanagement als Energiespeicher

. Tab. 11.4  Stromverbrauch der Haushalte für das Jahr 2003 (RW: Raumwärme, PW: Prozesswärme, ME: Mechani-
sche Energie, BL: Beleuchtung, IuK: Information und Kommunikation) [12]

Geräteart Verbrauch [TWh/a]

RW PW ME BL IuK Summe

Speicherheizung 20,7 0,0 0,4 0,0 0,1 21,2

Elektroherd 0,0 15,0 0,1 0,1 0,1 15,3

Warmwasser 0,0 14,9 0,0 0,0 0,1 15,0

Beleuchtung 0,0 0,0 0,0 14,8 0,0 14,8

Kühlschrank 0,0 0,1 13,1 0,0 0,1 13,3

Gefriergerät 0,0 0,1 12,2 0,0 0,1 12,3

Waschmaschine 0,0 4,4 1,4 0,0 0,1 5,8

Wäschetrockner 0,0 2,7 0,9 0,0 0,0 3,6

Geschirrspüler 0,0 4,4 1,4 0,0 0,0 5,8

Fernseher 0,0 0,0 0,0 0,0 10,2 10,2

Direktheizung 4,0 0,0 0,2 0,0 0,0 4,2

Sonstiges 0,0 3,5 10,5 0,4 3,2 17,6

Insgesamt 24,6 45,2 40,2 15,2 13,9 139,1

Über Referenzanlagen und Modellbildungen nen und Spülen den Bedürfnissen der elektrischen
wurden mögliche Abschaltzeiten für Lüftungsanla- Energieversorgung anpasst. Bei allen anderen dis-
11 gen und daraus die sich ergebende positive (6 GW) kutierten Maßnahmen basiert die elektrische Last-
und negative Regelleistung (16 GW) ermittelt (s. [4]). verschiebung auf die inhärente Speicherwirkung
der jeweiligen Stromanwendung.
Gerade weil es durch diese Maßnahmen des
11.2.6 Waschmaschinen, Demand Response zu durchaus erheblichen Beein-
Wäschetrockner, trächtigungen der Nutzer kommen kann, die vom
Geschirrspülmaschinen Einzelnen sicherlich unterschiedlich aufgefasst
werden, ist es fraglich, ob die in diesem Abschnitt
Diese Kategorie nimmt eine Sonderstellung ein. ermittelten »Speicherpotenziale« – selbst mit auto-
Es ist die einzige Technologiegruppe, in der die matisierten Einrichtungen – tatsächlich zu realisie-
Beeinflussung des elektrischen Lastverlaufs nicht ren sind.
auf dem Einsatz eines Energiespeichers beruht, Sollen die Potenziale ermittelt werden, die in
sondern sich das Demand Response auf eine Be- privaten Haushalten für eine Lastverschiebung
einflussung durch den Menschen stützt, indem durch eine Veränderung des Nutzerverhaltens vor-
dieser durch ein geändertes Nutzerverhalten dazu handen sind, muss der Stromverbrauch im Haus-
veranlasst wird, eine Verschiebung der elektrischen haltsbereich näher betrachtet werden.
Lasten vorzunehmen. Im Jahr 2003 betrug der Gesamtstromverbrauch
Damit sind die hier betrachteten auch die ein- der deutschen Haushalte 139,1 TWh. .  Tabelle 11.4
zigen an dieser Stelle diskutierten Maßnahmen gibt die Aufteilung des Stromverbrauchs verschie-
des Demand Response, von denen der Stromnutzer dener Stromanwendungen wieder (s. [12]).
tatsächlich etwas mitbekommt, indem er nämlich Hierbei ist festzustellen, dass sich bis auf die Ka-
seine Gewohnheiten bezüglich Waschen, Trock- tegorien Elektroherd, Beleuchtung und Fernsehen
11.3 • Demand Response in der Industrie
591 11
4,0

3,5

3,0

2,5
Leistung in GW

2,0

1,5

1,0

0,5

0,0
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24
Stunde
Waschmaschine Wäschetrockner Spülmaschine

. Abb. 11.6  Normierter Tagesenergiebedarf bzw. Lastprofil für Waschmaschinen, Wäschetrockner und Spülmaschinen.
Dieses Lastprofil entspricht auch der theoretisch zur Verfügung stehenden positiven Regelleistung

alle Kategorien für eine Beteiligung am Demand 11.3 Demand Response in der
Response eignen. Das sind immerhin 58 % oder Industrie
jährlich rund 81,2  TWh. Elektrodirektheizungen
können zumindest in gleichen Maßen verschoben Wie bereits eingehend in diesem Kapitel  beschrie-
werden wie die Last der Umwälzpumpen. Kälte ben, ist das in einer einzigen Industrieanlage er-
(Kühlschrank und Gefriergerät), Speicherheizun- schließbare Potenzial für das Lastmanagement grö-
gen und Warmwasserbereitung wurden bereits in ßer als im Haushaltsbereich. Damit ergeben sich
vorangehenden Abschnitten berücksichtigt. Über unter der Annahme ähnlicher kommunikations-
eine Beeinflussung des Nutzerverhaltens können technischer Erschließungskosten deutlich geringe-
die Anteile von Waschmaschine, Wäschetrockner re Realisierungskosten. Aus diesem Grund werden
und Geschirrspüler beeinflusst werden. Hierbei vermutlich auch zuerst diese Potenziale erschlossen
handelt es sich um 15,2 TWh. werden, auch wenn das Gesamtpotenzial deutlich
In einer Studie wurde der deutsche Haus- unter dem von Haushalten liegt.
haltsstromverbrauch mit seinen Lastprofilen Bei der Anwendung von Demand Response in
detailliert untersucht (s. [29]). Mit den Einzel- großen Anlagen der Industrie ist zudem zu beach-
energieverbräuchen dieser Geräte ergibt sich ten, dass diese nur zu einer sehr begrenzten Zeit
dann das hier zugrunde gelegte und in . Abb. 11.6 für ein flexibles Lastmanagement zur Verfügung
dargestellte Tageslastprofil für diese drei Last- stehen. Die Kapitalkosten der Produktionsanlagen
gruppen Waschmaschine, Wäschetrockner und sind derart hoch, dass hier eine möglichst hohe zeit-
Geschirrspüler. liche Auslastung angestrebt werden muss. Deshalb
Wird eine maximal mögliche Flexibilisierung sind dem zeitlich flexiblen Betrieb enge Grenzen
dieser drei Lastgruppen unterstellt, dann gibt das in gesetzt. Des Weiteren können sich Auswirkungen
. Abb. 11.6 gezeigte Lastprofil gleichzeitig die ma- auf die Qualität der hergestellten Produkte ergeben
ximal mögliche positive Regelleistung durch diese oder zusätzliche Kosten beim An- und Abfahren
drei Gruppen wieder. von Produktionsprozessen entstehen (s. [30]).
592 Kapitel 11 • Lastmanagement als Energiespeicher

. Tab. 11.5  Für Demand Response geeignete Branchen und Anwendungen (s. [30])

Branche Anwendungen Art der Laständerung

Chlorindustrie Elektrolyse Teillastbetrieb mit reduzierter Leistungsauf-


nahme

Aluminium Elektrolyse Abschalten einzelner Reihen

Kupferindustrie Elektrolyse Abschalten einzelner Reihen

Zink-Blei-Industrie Elektrolyse Abschalten einzelner Reihen

Stahlindustrie Lichtbogenöfen Produktionsplanung, Abschaltung des Ofens

Papierindustrie Zellstoff- und Thermomechanische Abschalten von Schleifern bzw. Refinern


Holzstoffherstellung

Zementindustrie Zement- und Rohmühlen Abschalten bzw. reduzierte Leistungsaufnahme

Chemische Industrie Luftzerlegung Teillastbetrieb mit reduzierter Leistungsauf-


nahme

Bergbau Wasserhaltung Abschalten bzw. reduzierte Leistungsaufnahme

Wasserversorgung Pumpen Abschalten bzw. reduzierte Leistungsaufnahme

Holzindustrie Fräsmaschinen, Sägegatter Produktionsplanung

Querschnittstechno- Mühlen, Pumpen, Verdichter, Klima-und Abschalten bzw. zeitweise Teillastbetrieb


logie Kälteanlagen

In . Tab. 11.5 sind für ein Demand Response ge- Bei der Aluminiumherstellung wird zuerst das
11 eignete Branchen mit deren zur Lastverschiebung Bauxit im sogenannten Bayer-Prozess in Alumina
geeigneten Prozessen dargestellt. . Tabelle 11.6 zeigt (Al2O3) umgewandelt. Danach wird das Alumina
die Energieverbräuche der verschiedenen Indust- per Elektrolyse zu reinem Aluminium reduziert.
rien, die Häufigkeit der möglichen Verschiebun- Der Strombedarf beträgt hierbei zwischen 12,9
gen, die Verschiebungsdauer sowie die verlagerbare und 17 Wh/t. [30] schätzt das Verlagerungspoten-
Energiemenge und die maximalen Leistungen. zial der Aluminiumindustrie auf 275–325  MW
In der Chlor-Alkali-Elektrolyse kommen im (. Tab. 11.6).
Wesentlichen drei Elektrolyseverfahren zur An- In der Kupferherstellung stellen Lieferanten in
wendung. Das Amalgam-Verfahren und das Mem- der Regel ein Kupferkonzentrat mit einem Kupfer-
branverfahren können in ihrer Leistung reduziert gehalt von 30 % zur Verfügung. Dieses wird zu-
werden, während dies beim Diaphragma-Verfah- sammen mit Sand bei über 1200 °C zu Kupferstein
ren nicht möglich ist. Hier würde die Membran zer- und Eisensilikatschlacke geschmolzen. Aus diesem
stört werden. In [30] wird das Lastmanagement- Kupferstein entsteht im Konverter sogenanntes
potenzial der zehn deutschen Chlorproduzenten Blisterkupfer. Durch Reduktion mit Erdgas wird
auf 730 MW geschätzt (s. [30] und (. Tab. 11.6). Sauerstoff entzogen. Das Material wird dann zu
Bei der Luftzerlegung wird Luft erst kompri- Anodenplatten gegossen, die bereits einen Kupfer-
miert und dann durch Abkühlung verflüssigt. Da- anteil von 99,5 % aufweisen. Der letzte Schritt um-
bei wird sie durch Rektifikation in ihre Bestandteile fasst die elektrolytische Veredelung mit einer Rein-
Stickstoff, Sauerstoff und Argon zerlegt. Gerade die heit von über 99,99 %. Letztere eignet sich für ein
Kompressoren können lastreduziert betrieben wer- Lastmanagement. [30] schätzt das Potenzial zu 5 bis
den. [30] kommt somit auf ein Lastverschiebungs- 7,5 MW. Bei der Zinkproduktion wird ein Potenzial
potenzial von 170 MW (. Tab. 11.6). von 25 MW angenommen (. Tab. 11.6).
11.3 • Demand Response in der Industrie
593 11

. Tab. 11.6  Abschätzung der Demand Response Potenziale für die Industrie (s. [30])

Sektor Anwendung Strombedarf Aktivierung Max. Verlager- Max. Leis-


[TWh] pro Jahr ­Dauer bare Energie tungs Shift
[Anzahl] [h] [GWh] [MWh]

Grundstoff- Chlor-Elektrolyse 8,8 40 4 117 730


chemie (Membran & Hg)

Luftzerlegung 5 40 4 27 170

NE-Metalle Aluminium-­ 10,5 40 4 48 300


Elektrolyse

Kupfer-/ 1,1 40 4 5 30
­Zinkelektrolyse

Papier Holzstoff- 3,5 365 2 292 400


­herstellung

Metall-­ E-Stahl 6,8 40 4 30 400


erzeugung ­(Lichtbogenöfen)

Steine & Zement- und 3,2 365 3 394 180


Erden ­Rohmühlen

Summe 38,9 913 2.210

In der Papierherstellung sind mehrere Pro- schätzt das Lastverlagerungspotenzial auf 400 MW
zesse für den Einsatz im Demand Response geeig- (. Tab. 11.6).
net, insbesondere die Herstellung von Holzstoff Die Zementproduktion durchläuft die vier
bzw. Zellstoff. Hier wird Holz entweder an einem Schritte Rohmaterialförderung, Rohmaterialauf-
Schleifstein geschliffen oder mittels eines Refiners bereitung, Brennen des Rohmaterials zu Klinkern
thermomechanisch zerfasert. Diese Prozesse sind und Mahlen des Klinkers zu Zement. Insbesondere
sehr stromintensiv und können zumindest kurz- die Mahlprozesse sind für ein Lastmanagement ge-
zeitig unterbrochen werden. Eine weitere stromin- eignet. Stromintensive Brecher und Mühlen kön-
tensive Anwendung ist die Aufbereitung von Alt- nen im Bedarfsfall ausgeschaltet werden. Motor-
papier. Dieses wird in Wasser gelöst und mithilfe anwendungen in Zementwerken sind für 70–80 %
von Stofflösern und Pulpern zerfassert. Auch dieser des Strombedarfs verantwortlich. [30] rechnet mit
Prozess eignet sich für ein Lastmanagement. [30] einem Potenzial zur Lastverschiebung von 90–
geht von einer verlagerbaren Last von ca. 400 MW 235 MW (. Tab. 11.6).
aus (. Tab. 11.6).
Bei der Stahlherstellung werden vor allem zwei Exkurs: Industrielle Druckluftnutzung  Energie in
Prozesse eingesetzt, der Hochofenprozess und der Form von Druckluft zu speichern, ist keine neue
Elektrostahlprozess. Letzterer ist sehr strominten- Idee. Gerade für den Ausgleich zwischen Schwach-
siv und für ein Lastmanagement geeignet. Zum last- und Höchstlastzeiten sind derzeit die so-
Einschmelzen werden Elektrolichtbogenöfen ein- genannten Druckluftspeicherkraftwerke wieder
gesetzt, Grafitelektroden leiten den elektrischen vermehrt in der Diskussion. Dabei wird Energie
Strom und bilden den Lichtbogen zum metalli- mehrfach umgewandelt. Elektrische Energie speist
schen Einsatz. Nach Ende des Einschmelzprozes- einen Kompressor, Luft wird verdichtet und gespei-
ses wird der Ofen durch Kippen in eine Pfanne chert. Zu einem späteren Zeitpunkt wird die Luft
entleert. Bei einer gewissen Vorlaufzeit lässt sich z. B. in einer Turbine wieder entspannt und in me-
der Prozessbeginn verschieben, oder der Schmelz- chanische Energie gewandelt. Letzten Endes wird
vorgang kann kurz unterbrochen werden. [30] in einem Generator wiederum Strom erzeugt. Die
594 Kapitel 11 • Lastmanagement als Energiespeicher

vielen Wandlungsschritte bewirken entsprechende dann so hoch, dass diese Variante wenig lohnens-
Verluste und führen zu einem relativ bescheidenen wert erscheint. Eine Alternative ist der drehzahl-
Gesamtwirkungsgrad. Auch von sogenannten, sich variable Betrieb der Kompressoren mit dem Ziel,
derzeit in der Entwicklung befindenden adiabaten das Druckniveau in tolerierbaren Grenzen zur Be-
Druckluftspeicherkraftwerken mit thermischer reitstellung von Regelleistung zu verändern. Vor-
Energiespeicherung werden keine Wirkungsgrad- sichtige Abschätzungen versprechen durch letztere
wunder zu erwarten sein (s. 7 Kap. 9 und Kap. 10). Maßnahmen ein Regelleistungspotenzial von mehr
Bei der Diskussion des Demand Response liegt als 200 MW.
es nahe, Druckluft dort zu speichern, wo sie nicht
wieder in Strom zurückgewandelt werden muss,
sondern als Druckluft selbst gebraucht wird: in der 11.4 Zusammenfassung
Industrie. Dort ist die Erzeugung von Druckluft der
Bereich mit dem größten Elektrizitätsbedarf über- 55 In diesem Kapitel wurde eine Vielzahl von
haupt. Prozessen diskutiert, die auf das Energie-
Neben der Elektrizität ist die Druckluft der versorgungssystem dieselbe Wirkung haben
in Industrie und Handwerk am häufigsten ge- wie Energiespeicher und oft auch tatsächlich
nutzte Energieträger. In der Europäischen Union Energie speichern.
sind ca.  315.000 Druckluftkompressoren im Leis- 55 Sie unterscheiden sich von allen anderen
tungsbereich zwischen 10 und 300 kW im Einsatz. Energiespeichern dergestalt, dass es sich um
Etwa 72 % dieser Anlagen besitzen elektrische bereits existierende Prozesse handelt und
Anschlussleistungen kleiner als 100 kW. Nur 28 % somit für die Speicherkapazität keinerlei
haben Leistungen im Bereich zwischen 110 und Kapitalkosten anfallen. Sie können zu Kosten
300 kW. Der Stromverbrauch in der Industrie und aktiviert werden, die für alle vorher beschrie-
der Kleinverbrauch ist in den Ländern der Euro- benen Energiespeicher illusorisch sind. Ihr
päischen Union und weltweit insbesondere mit theoretisches Potenzial ist bezüglich der ver-
dem Einsatz von Elektromotoren als Antriebsag- fügbaren Leistung derart riesig, dass sie den
11 gregate verbunden. Abschätzungen gehen für die gesamten Bedarf decken könnten. Allerdings
Europäische Union von einem Stromverbrauch gilt dies nur für einen Zeitbereich von Minu-
von ca. 800 TWh für Motoranwendungen aus. We- ten bis zu einigen Stunden, in Ausnahmefäl-
sentliche Verbrauchsschwerpunkte im Bereich der len noch bis zu einem Tag. Zur Überbrückung
Motorenanwendung sind dabei Drucklufterzeu- längerer Zeiten sind die Energiespeicher aus
gung, Ventilatoren und Pumpen. Davon entfallen den 7 Kap. 6–10 unerlässlich.
auf die Drucklufterzeugung 80 TWh. In Deutsch-
land werden jährlich 14  TWh für die Druckluft-
erzeugung benötigt [31]. Literatur
Die Druckluftspeicherung in der Industrie stellt
einen Prozess für das Demand Response dar, der 1. Borstelmann P, Rohne P (1989) Handbuch der elektri-
schen Raumheizung. Hüthig Buch Verlag GmbH, Heidel-
eine nahezu verlustlose Energiespeicherung zu-
berg
lässt. Damit ist die Druckluftspeicherung weitaus 2. Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke – VDEW
effizienter als der Versuch, ein Druckluftspeicher- e. V. (1998) Raumwärmemarkt – Strategie-Optionen
kraftwerk zur Lastverschiebung einzusetzen. Aller- deutscher Stromversorger. Verlags- und Wirtschafts-
dings sind Druckluftbehälter derart teuer, dass eine gesellschaft der Elektrizitätswerke m. b. H. – VWEW, 1.
Ausgabe
Energiespeicherung von in der Industrie üblichen
3. 7 http://www.umweltlexikon-online.de/fp/archiv/­
Drücken nur weit jenseits eines wirtschaftlich in- RUBenergie/Elektrospeiherheizung.php
teressanten Betriebs zu realisieren wäre. Ein Aus- 4. Stadler I (2006) Demand Response – Nichtelektrische
weg läge in der Erhöhung des Druckniveaus. Leider Speicher für Elektrizitätsversorgungssysteme mit ho-
liegt der Energiemehraufwand für die Kompression hem Anteil erneuerbarer Energien, ISBN 3-86624-092-9
Literatur
595 11
5. Kuhrwahl H, Wölfle W (1998) ABC der Elektro-Warmwas- 21. Toure S, Fassinou WF (1999) Cold Storage and Autonomy
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3-87200-684-3 experimental and thermodynamic study. Renew Energ
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Deutschland: Daten, Fakten, Kommentare. BWK – Das 22. Ewert MK, Agrella M, Frahm J, Bergeron DJ, Berchowitz
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2002. VDEW Projektgruppe Nutzenergiebilanzen heat pumps
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Deutschland – Daten, Fakten, Kommentare. BWK, Das managements und Integration von Windenergie in ein
Energie-Fachmagazin, 1/2 Elektrizitätsnetz auf Landesebene unter regelungstech-
13. Enquete Kommission Nachhaltige Energieversorgung nischen und Kostengesichtspunkten. Dissertation, ETH
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15. 7 www.hea.de
16. DIN EN 153 Methoden zur Messung der Aufnahme
elektrischer Energie und damit zusammenhängender
Eigenschaften für netzbetriebene Haushalt-Kühlgeräte,
Tiefkühlgeräte, Gefriergeräte und deren Kombinatio-
nen. Deutsche Norm
17. Philipp J (2002) Optimierung von Haushaltskühlgeräten
mittels numerischer Modellierung. Dissertation, TU
Dresden
18. Setterwall F Advanced Thermal Energy Storage through
Application of Phase Change Materials and Chemical
Reactions – Feasibility Studies and Demonstration
Projects. International Energy Agency (IEA), Energy
Conservation through Energy Storage, Annex 17
19. NAPS Refrigerator for Vaccine Storage. NAPS Systems
Oy, Finland, 7 www.napssystems.com
20. Ewert MK, Bergeron DJ, Foster RE, LaFleur O Photovol-
taic Direct-Drive, Battery-Free Solar Refrigerator Field
Test Results. NASA Johnson Space Center, Houston,
Texas, USA
597 12

Vergleich der Speichersysteme


Übersicht
Energiespeicher können vielfältig klassifiziert werden (s. 7 Kap. 1 und 2). Sie
existieren in einer Vielzahl verschiedener Technologien in unterschiedlichs-
ten Anwendungsgebieten und Entwicklungsstadien (s. 7 Kap. 3–5). Dieses
Kapitel stellt die verschiedenen Möglichkeiten zur Energiespeicherung
gegenüber und vergleicht sie nach folgenden Aspekten:
–– Speicherkapazität
–– Ausspeicherzeit
–– Energiedichte
–– Anwendungsfelder und Einsatzgebiete
–– Investitionskosten
–– Wirkungsgrad und Zyklenfestigkeit
–– Marktreife und technologische Verfügbarkeit

Damit wird ein vereinfachter Überblick über Speichersysteme gegeben und


ein Vergleich im Rahmen der Möglichkeiten gezogen.

M. Sterner, I. Stadler, Energiespeicher – Bedarf, Technologien, Integration,


DOI 10.1007/978-3-642-37380-0_12, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
598 Kapitel 12 • Vergleich der Speichersysteme

zz Bezugsgröße elektrische Energie Gegeben sind:


Beim Vergleich von Energiespeichern stellt sich Masse: m = 90 kg, 50 kg
zwangsläufig die Frage, auf welche Eigenschaften Energie: E  = 3,6 MJ
der Vergleich bezogen werden soll. Die Frage ist Erdbeschleunigung: g  = 9,81 m/s²
eng verwoben mit der Klassifizierung von Ener- Gesucht ist die Höhe: h
giespeichern (s.  7  Kap. 2): Werden sie hinsichtlich Lösungsweg:
ihrer technischen Eigenschaften verglichen, ihrer
Funktion oder der Anwendungsgebiete und Märk-  E pot = m ⋅ g ⋅ h, (12.1)
te oder des Einsatzortes oder Einsatzzeitpunktes?
Im Grunde genommen sind Energiespeicher  E pot
pauschal nur schwer vergleichbar. Sie sind so
hBerg , Waschmaschine =
mWaschmaschine ⋅ g
unterschiedlich wie die physikalischen Prinzipien,
auf denen ihre Funktion beruht. So liegt die ge- 3, 6 MJ
=
speicherte (elektrische) Energie in Doppelschicht- 90 kg ⋅ 9,81 m /s 2
kondensatoren quasi direkt an der Oberfläche und
kann ohne weitere Wandlungsschritte in einem = 4080 m, (12.2)
elektrischen Energiesystem zur Verfügung stehen.
Bei konventionellen Energieträgern wie Kohle,  E pot 3, 6 MJ
hBerg , Kartoffelsack = =
Erdöl oder Gas liegt die gespeicherte Energie in m⋅ g 50 kg ⋅ 9,81 m /s 2
Form chemischer Bindungen vor. Um sie in einem
elektrischen Energiesystem nutzbar zu machen, = 7340 m. (12.3)
sind zunächst zusätzliche Wandlungsschritte nötig.
Bei Batterien wiederum handelt es sich um einen Mit der gleichen Energie können mit einem elek-
»elektrochemischen Mittelweg«. Die mechanischen trischen Heizstab gerade einmal 34  l Wasser um
Lösungen wie Pumpspeicherwerke oder Schwung- 25  Kelvin (25 °C) erwärmt werden. Diese Menge
massenspeicher wiederum nutzen potenzielle und reicht aus, um knapp ein Viertel einer Badewanne
kinetische Energie großer Massen, um auch hier auf eine angenehme Badetemperatur von 35 °C zu
über weitere Wandlungsschritte elektrische Energie erhitzen, wenn das Leitungswasser 10 °C kalt ist
12 zu erzeugen. In thermischen Speichern liegt die ge- (s. . Abb. 12.1).
speicherte Energie in Form eines Temperaturunter- Gegeben:
schiedes, in Phasenübergängen oder chemischen Thermische Energie: Q  = 3,6 MJ
Bindungen vor. All diese Energieformen sind nur Wärmekapazität Wasser: cw = 4,182 kJ/kgK
bedingt direkt miteinander vergleichbar. Temperaturdifferenz: ΔT = 25  K (Badewas-
Welche gravierenden Unterschiede zwischen sertemperatur: 35 °C,
den Energieformen (elektrische, elektrochemische, Leitungswassertem-
chemische, mechanische und thermische Energie) peratur: 10 °C)
bestehen, soll folgendes einfache Beispiel anhand Gesucht: Masse: m
der Wertigkeit einer Kilowattstunde elektrischer Lösungsweg:
und thermischer Energie zeigen:
 Q = cw ⋅ mWasser ⋅ ∆T , (12.4)
Beispiel
Eine Kilowattstunde (1  kWh) entspricht einer Ener-  Q 3, 6 MJ
gie von 3,6 Megajoule (MJ). Will man eine Waschma-
m= =
c ⋅ ∆T kJ
schine (90  kg) auf einen 4000  m hohen Berg oder 4,182 ⋅ 25K
kgK
einen Sack Kartoffeln (50 kg) auf den Mount Everest
= 34 kg = 34 l. (12.5)
schleppen, benötigt man genau diese Menge an
Energie: eine Kilowattstunde (Gl. 12.1, 12.2 und 12.3).
12.2 • Bestimmung der Anwendungsfelder durch Speicherkapazität …
599 12
7,3 km

1 kWh
3,6 MJ
50 kg
1/4 Badewanne bei 35 °C

. Abb. 12.1  Eine Kilowattstunde wird benötigt, um einen Sack Kartoffeln (50 kg) auf den Mount Everest zu tragen. Die
gleiche Energie ist nötig, um nicht einmal ein Viertel des Badewassers für ein Vollbad zu erwärmen

Selbstverständlich haben die verschiedenen Ener- 12.2 Bestimmung der


gieformen unterschiedliche Wertigkeiten: Während Anwendungsfelder durch
mechanische und elektrische Energie zu 100 % Exer- Speicherkapazität und
gie sind, besteht die thermische Energie von 35 °C Auspeicherdauer
warmem Wasser fast ausschließlich aus Anergie.
Nach Gl. 12.6 kann Exergie in beliebig andere Ener- Der Vergleich in Deutschland existierender An-
gieformen umgewandelt werden, die Anergie nicht: lagen zur Speicherung von Energie nach deren
Ausspeicherdauer oder Ausspeicherdauer taus und
Energie = Exergie + Anergie.
(12.6) Speicherkapazität W in . Abb. 12.2 verdeutlicht die
diversen Eigenschaften und Anwendungsmöglich-
Da elektrische Energie als »hochwertige« Energie- keiten verschiedener Speichertechnologien. Diese
form aus reiner Exergie bestehend vergleichsweise Darstellung wird auch Ragone-Diagramm ge-
einfach in andere Energieformen überführt werden nannt.
kann, soll sie an dieser Stelle als Richtschnur für alle In doppelt logarithmischer Darstellung ist
Speichertechnologien gelten. auf der Ordinate die Ausspeicherdauer taus bis zu
etwa einem Jahr, auf der Abszisse die Kapazität der
Speicher W aufgetragen. Zur Orientierung sind zu-
12.1 Überblick über technische und sätzlich durchschnittliche Jahresstromverbräuche
ökonomische Parameter eines Zwei-Personen-Haushalts, eines Dorfes mit
100  Einwohnern, einer Stadt wie Regensburg mit
Zahlreiche Parameter und Kennwerte, welche in 150.000 Einwohnern und einer Großstadt wie Ber-
7  Kap. 2 definiert und hergeleitet wurden, sind im lin mit 3,5 Mio. Einwohnern angegeben.
7 Teil III der Technologien in 7 Kap. 6 bis 11 beschrie- Die Datenwolken geben Bereiche an, in denen
ben und in die vorliegende . Tab. 12.1 integriert. Die sich einzelne, heute realisierte und in Betrieb be-
Bandbreiten sind aufgrund des unterschiedlichen findliche Anlagen befinden. Es wird ersichtlich,
Entwicklungsstandes (s.  7  Abschn. 12.4.1) teilweise dass die meisten Speichertechnologien im Be-
sehr groß, weshalb zum besseren Überblick Mittel- reich der Kurzzeitspeicherung von taus  < 24 h lie-
werte aus den gängigsten Literaturwerten gebildet gen und deutlich weniger im Bereich der Lang-
wurden. Etwa 70 Quellen fließen in diese Werte ein, zeitspeicher.
welche im weiteren Verlauf des Kapitels technolo- Kurzzeitspeicher
gieweise gegenübergestellt werden. 55 Kondensatoren, Spulen (alle rein elektrischen
Energiespeicher)
55 S chwungmassenspeicher
55 Batterien (alle elektrochemischen Energiespei-
cher)
12
600

. Tab. 12.1  Überblick über Mittelwerte der wichtigsten technischen und ökonomischen Parameter verschiedener Speichertechnologien. (Quellen: [1–52])

Technologie (heute) Technik Kosten

Energiedichte Wirkungsgrad (%) Selbstentladung Lebensdauer CAPEX OPEX fix

Gravimetrisch Volumet- Zyklisch Kalenda-


risch risch

Wh/kg kWh/m³ % % /Tag Zyklen a €/kWh €/kW €/kWh

Elektrische Energiespeicher

Kondensatoren (DSK) 0,1–10 10 90–95 0,004–0,013 1 Mio. 10 5150– 125– k.A.


12000 300

Spulen (SMES) 1 10 92 10–12 > 1 Mio. 30 13570– 300– k.A.


Kapitel 12 • Vergleich der Speichersysteme

75670 915

Elektrochemische Energiespeicher

Niedertemperatur–Batterien

Blei–Säure–Batterien 25–40 25–65 74–89 0,17 203–1315 10 90–355 200– 0,16–0,76


490

Nickel–Batterien 55–75 60–105 71 k.A. 350– k.A. 385– 385– k.A.


2000 1100 1100

Lithium–Batterien 110–190 190–375 90–97 0,008–0,041 400– 15 170–600 170– 0,13–0,76


1900 600

Hochtemperatur–Batterien

Natrium–Batterien 100–165 155–255 72–81 k.A. 2500– 17 265– 285– 0,07–0,76


8250 645 1075

Batterien mit externem Speicher

Redox–Flow Batterien 15–50 20–60 71–83 0 5755– 15 250– 710– k.A.


8593 865 1790
. Tab. 12.1  Fortsetzung

Technologie (heute) Technik Kosten

Energiedichte Wirkungsgrad (%) Selbstentladung Lebensdauer CAPEX OPEX fix

Gravimetrisch Volumet- Zyklisch Kalenda-


risch risch

Wh/kg kWh/m³ % % /Tag Zyklen a €/kWh €/kW €/kWh

Chemische Energiespeicher

Konventionelle chemische Speicher

Flüssiggas/Autogas/LPG 12870 6770 – k.A. – – k.A. – –

Heizöl/Rohölspeicher 11830 10315 99,9 k.A. – k.A. k.A. – –

Biokraftstoffe

Bioethanol 7410 5850 – k.A. – – k.A. – –

Biodiesel 10305 8985 – k.A. – – k.A. – 0,0002


12.2 • Bestimmung der Anwendungsfelder durch Speicherkapazität …

Power-to-Gas - Speichertechnik

Kavernenspeicher 14300 1100 99 k.A. k.A. k.A. k.A. k.A. k.A.


(Methan)

Kavernenspeicher (Was- 34000 350 95 k.A. k.A. k.A. k.A. k.A. k.A.
serstoff )

Porenspeicher (Methan) 13450 k.A. k.A. k.A. k.A. k.A. k.A. k.A. k.A.

Ladetechnik

Alkalische Elektrolyse 61–79 k.A. – 25–30 – 935– k.A.


601

1500

Membran–Elektrolyse 67–82 k.A. – 10–20 – 2000– k.A.


(PEM) 6000

Dampfelektrolyse 94 k.A. – 2 – 2000 k.A.

Methanisierung thermo- 80 k.A. – k.A. – 800– k.A.


chemisch (katalytisch) 1000
12
12
602

. Tab. 12.1  Fortsetzung

Technologie (heute) Technik Kosten

Energiedichte Wirkungsgrad (%) Selbstentladung Lebensdauer CAPEX OPEX fix

Gravimetrisch Volumet- Zyklisch Kalenda-


risch risch

Wh/kg kWh/m³ % % /Tag Zyklen a €/kWh €/kW €/kWh

Methanisierung bio- 80 k.A. – k.A. – 650 0,04


logisch

Entladetechnik

Kraft–Wärme–Kopplung 85 – 30 – 350– k.A.


Kapitel 12 • Vergleich der Speichersysteme

(KWK) in BHKW 1000

Brennstoffzellen 43–53 – k.A. – 2305 47

Gasturbinenkraftwerk 35–38 k.A. – 25 – 400 k.A.

Gas– und Dampf (GuD) 35–65 – 30 – 750 0,205

Power-to-Gas – Gesamtprozess

Power-to-Wasserstoff 54–72 k.A. – – – k.A. k.A.


(Kompr. 200 bar, Speiche-
rung)

Power-to-Methan (SNG, 49–64


Kompr. 200 bar, Speiche-
rung)

Power-to-Wasserstoff 57–73
(Kompr. 80 bar, Transport)

Power-to-Methan (SNG, 50–64


Kompr. 80 bar, Transport)

Power-to-Wasserstoff 64–77
(atmosphärisch)
. Tab. 12.1  Fortsetzung

Technologie (heute) Technik Kosten

Energiedichte Wirkungsgrad (%) Selbstentladung Lebensdauer CAPEX OPEX fix

Gravimetrisch Volumet- Zyklisch Kalenda-


risch risch

Wh/kg kWh/m³ % % /Tag Zyklen a €/kWh €/kW €/kWh

Power-to-Methan (atmo- 51–65


sphärisch)

Power-to-Wasserstoff-to- 34–44
Power (el. Gen. Bei η = 0,6
u. Kompr. 80 bar)

Power-to-Methan-to 30–38
Power (el. Gen. Bei η = 0,6
u. Kompr. 80 bar)

Power-to-Wasserstoff-to- 48–62
KWK (40 % Power, 45 %
12.2 • Bestimmung der Anwendungsfelder durch Speicherkapazität …

Heat, Kompr. 80 bar)

Power-to-Methan-to- 43–54
KWK (40 % Power, 45 %
Heat, Kompr. 80 bar)

Power–to–Methan mit 75
Dampfelektrolyse

Power–to–Liquid mit 65
Dampfelektrolyse
603

Mechanische Energiespeicher

Pumpspeicherwerke 0,3–1,4 0,35–1,1 70–82 0–0,5 12800– 40–100 40–180 550– 0,08
33000 2040

Druckluftspeicher (CAES)

diabat 2–7 40–55 0–10 8620– 40 40–80 340– 0,01–0,26


17100 1145
12
12
604

. Tab. 12.1  Fortsetzung

Technologie (heute) Technik Kosten

Energiedichte Wirkungsgrad (%) Selbstentladung Lebensdauer CAPEX OPEX fix

Gravimetrisch Volumet- Zyklisch Kalenda-


risch risch

Wh/kg kWh/m³ % % /Tag Zyklen a €/kWh €/kW €/kWh

adiabat 2–8 60–68 k.A. – k.A. k.A. 600– k.A.


800

isotherm 25 95 k.A. – k.A. k.A. k.A. k.A.

Flüssigluftspeicher 120–200 k.A. k.A. – k.A. k.A. k.A. k.A.


Kapitel 12 • Vergleich der Speichersysteme

Schwungmassenspeicher 5–90 210 83–93 72–100 > 1 Mio. k.A. 650– 125– 1


2625 275

Thermische Energiespeicher

Sensible Wärmespeicher 10–50 100–300 45–75 k.A. 5000 k.A. 0,2–8 80– 0,1
130

Latentwärmespeicher 49–97 113 75–90 k.A. 5000 k.A. 15–50 80– 0,1–0,5
(PCM) 160

Thermochemische Spei- 120–960 120–250 80–100 k.A. 3500 k.A. 8–100 k.A. k.A.
cher (TCS)

Fernwärmespeicher k.A. 350 k.A. k.A. k.A. k.A. k.A. k.A. k.A.
12.2 • Bestimmung der Anwendungsfelder durch Speicherkapazität …
605 12

. Abb. 12.2  Speicherarten im Vergleich nach Speicherkapazität und Ausspeicherdauer (Ragone-Diagramm): Die Daten-
wolken repräsentieren in Deutschland existierende Anlagen im Jahr 2013. © FENES, OTH Regensburg

55 latente Wärmespeicher cherproblem« der erneuerbaren Energien ist ge-


55 Druckluftspeicher löst.
55 t eilweise sensible Wärmespeicher wie Fern- In den folgenden Abschnitten wird nun auf
wärmespeicher Speicherkapazität, Ausspeicherdauer und Energie-
55 die meisten Pumpspeicherwerke dichte der einzelnen Technologien sowie mögliche
Anwendungsfelder und Einsatzgebiete eingegan-
Langzeitspeicher gen. Sie sind von der kleinsten Speicherkapazität
55 Kavernenspeicher (Power-to-Gas Wasserstoff und Ausspeicherdauer (elektrische Energiespei-
und Methan) cher) bis hin zu den größten Werten gegliedert
55 Porenspeicher (Power-to-Gas nur Methan) (chemische Energiespeicher). Den Abschluss bildet
55 Viele sensible Wärmespeicher, einige Fernwär- der Sonderfall Lastmanagement.
mespeicher
55 Einige Pumpspeicherwerke
12.2.1 Elektrische Energiespeicher –
Einzig die chemischen Energiespeicher (Kaver- Kondensatoren und Spulen
nen- und Porenspeicher über Power-to-Gas) liegen
in Größenordnungen wie die heutige gespeicherte Elektrische Energiespeicher wie Kondensatoren
fossile Energie in Form von Kohle und Erdgas mit und Spulen finden aufgrund geringer speicher-
ähnlichen Reichweiten. barer Energiemengen im Kilowattstunden-Be-
Für die Energiewende sind damit genügend reich und extrem kurzen Ausspeicherdauern im
Speicherkapazitäten mit ausreichenden Ausspei- Millisekunden- bis Sekundenbereich meist nur in
cherdauern vorhanden. Das viel diskutierte »Spei- Nischenbereichen Anwendung (s. . Abb. 12.3). Ein
606 Kapitel 12 • Vergleich der Speichersysteme

Sektorale Anwendungsmöglichkeit Sektorale Anwendungsmöglichkeit


elektrischer Speicher elektrochemischer Speicher

Strom Wärme
Strom Wärme

Spulen Hochtemperatur-
(SMES) Batterien

Batterien mit ext.


Speicher

Kondensatoren
(DSK)
Niedertemperatur-
Batterien

Verkehr

. Abb. 12.3  Anwendungsfelder elektrischer Energiespei- Verkehr


cher wie Kondensatoren und Spulen in den Sektoren Strom,
Wärme und Verkehr . Abb. 12.4  Anwendungsfelder elektrochemischer Energie-
speicher in den Sektoren Strom, Wärme und Verkehr

Beispiel ist die Sicherung der Spannungsqualität in


elektrischen Netzen. wattstunden verfügbar und können mit Ausspei-
Supraleitende magnetische Spulen (SMES) be- cherdauern bis zu einem Tag als Kurzzeitspeicher
nötigen für ihren Betrieb eine Kühlung der Spulen fungieren.
bis nahe an den absoluten Nullpunkt. Dies stellt Durch eine Vielzahl verschiedener Batterietech-
einen sehr hohen technischen Aufwand dar. So nologien kann ein breites Anwendungsspektrum
findet diese Technik nur in Kurzzeit- und Hoch- von der Consumer-Zelle im Milliwatt-Maßstab bis
12 leistungs-Speichersystemen Anwendung, in denen hin zu »Batterieparks« als Speicherkraftwerke im
elektrische Energie innerhalb kürzester Zeit und Megawatt-Maßstab abgedeckt werden. Auch hier
nur für kurze Dauer benötigt wird (s. [17]). Durch bleibt das Einsatzgebiet jedoch auf die Sektoren
Abfangen und Ausgleichen großer Lastspitzen kön- Strom und Verkehr beschränkt (s. . Abb. 12.4).
nen so Stromnetze kurzfristig entlastet werden. Hochtemperaturen wie Natrium-Schwefel-Bat-
Insbesondere Doppelschichtkondensatoren terien können aufgrund des aufwendigen Hand-
(DSK) werden zusätzlich in Hybridsystemen mit lings ihrer oft flüssigen und heißen Komponenten
Batterien zur Verlängerung deren Lebensdauer nur stationär zum Einsatz kommen. Batterien mit
oder als »Booster« für den Antrieb im Verkehrs- externem Speicher wie Redox-Flow-Batterien sind
sektor eingesetzt (s. . Abb. 12.3). Ein großer Vorteil leicht in Leistung und Kapazität skalierbar und
ist die hohe Zyklenfestigkeit und damit verbunde- werden heute stationär genutzt. In Zukunft ist hier
ne hohe Zyklenlebensdauer von über einer Million auch der Einsatz als Kraftstoff denkbar.
Zyklen. Niedertemperaturbatterien wie Blei-, Nickel-
oder Lithium-Batterien sind zum Teil heute voll-
ständig technisch ausgereift und beispielsweise
12.2.2 Elektrochemische essenzieller Bestandteil von unterbrechungsfreier
Energiespeicher – Batterien Stromversorgung (USV) in wichtigen infrastruk-
turellen Einrichtungen wie Kraftwerken oder
Elektrochemische Speicher oder auch Batterie- Krankenhäusern (vor allem Blei-Säure- und Ni-
speicher sind mit Kapazitäten bis zu einigen Mega- ckel-Batterien). Sie kommen außerhalb des Strom-
12.2 • Bestimmung der Anwendungsfelder durch Speicherkapazität …
607 12
sektors mit der Bereitstellung von Regelleistung Sektorale Anwendungsmöglichkeit
mechanischer Speicher
als »Leistungsspeicher« im Kurzzeitbereich heute
außerdem verstärkt in der Elektromobilität zum Strom Druckluftspeicher Wärme
Einsatz (vor allem Lithium-Batterien). (Kavernen)

Pumpspeicherwerke

12.2.3 Mechanische Energiespeicher


– Pumpspeicher, Druckluft und
Schwungmassen Schwungmassen-
speicher

Hinsichtlich mechanischer Speicheroptionen gren-


zen sich Schwungmassenspeicher von Pumpspei-
cherwerken und Druckluftspeichern ab. Sie sind
bezüglich Kapazität und Leistung im Kurzzeitbe- Verkehr
reich zwischen elektrischen Speichern und Batte-
rien anzuordnen, bieten deutlich höhere Kapazitä- . Abb. 12.5  Anwendungsfelder mechanischer Energie-
speicher in den Sektoren Strom, Wärme und Verkehr
ten, aber nur geringfügig längere Ausspeicherdau-
ern als elektrische Speicher. Das Einsatzgebiet von
Schwungmassenspeichern ist vielfältig. So dienen
sie als Phasenschieber und zur Bereitstellung von 12.2.4 Thermische Energiespeicher –
Kurzschlussleistung im Stromnetz oder zur Reku- Wärmespeicher
peration von Bremsenergie im Verkehrssektor.
Druckluftspeicher bieten etwas geringere Ka- Thermische Energiespeicher existieren vom Puffer-
pazitäten im Tagesbereich als Pumpspeicherwerke speicher für Haushalte mit einigen Kilowattstun-
und sind analog dazu an geografische Standorte den Wärmeinhalt über Saisonalspeicher in kleine-
gebunden – im Fall von Druckluftspeichern an ren Nahwärmenetzen bis hin zu Fernwärmespei-
Kavernenstandorte, die weitgehend nur in Nord- chern im Gigawattstunden-Maßstab. Latente und
deutschland zu finden sind. Sie eignen sich zur thermochemische Wärmespeicher werden noch
Bereitstellung positiver und negativer Regelenergie vorwiegend in Nischenanwendungen eingesetzt
im Stromsektor und werden auch wegen der geo- wie Klimatisierung von Räumen (PCM) oder Wär-
grafischen Besonderheit als »Pumpspeicher des memanagement in Geschirrspülern (Zeolite).
Nordens« bezeichnet. Durch unterschiedliche Einspeichertechnik
Pumpspeicher bieten mit mehreren Gigawatt- können sie sowohl im Strom- als auch im Wärme-
stunden Speicherkapazität pro Anlage ein großes sektor integriert werden (s. . Abb. 12.6). So können
Speicherpotenzial. Es existieren – abhängig von sie beispielsweise die intermittierend anliegende
den Standortgegebenheiten – Anlagen in diversen Wärme aus solarthermischen Kraftwerken über
Größenordnungen, die vorwiegend Regelleistung Tagesspeicher und stromgeführten Kraft-Wär-
bereitstellen und aufnehmen können und teilweise me-Kopplungsanlagen bzw. Heizwerken puffern
im Phasenschieberbetrieb gefahren werden. Einige oder Stromüberschüsse aus dem Stromnetz über
Pumpspeicher werden auch für den Erzeugungs- Speicheröfen, elektrische Widerstandsheizungen
ausgleich eingesetzt. Die meisten Pumpspeicher (Power-to-Heat) oder Elektrowärmepumpen auf-
wurden historisch als Kurzzeitspeicher zum Aus- nehmen. Im Verkehrssektor sind sie nur in sehr
gleich von Tagesschwankungen (Tag – Nacht) mit speziellen Anwendungen wie dem Einsatz von
mittleren Ausspeicherdauern von 6–8 h konzipiert. PCM-Materialien zur Motorblockvorwärmung zu
Es gibt aber auch einige Pumpspeicher als Lang- finden.
zeitspeicher mit Ausspeicherdauern von mehreren Die bei Weitem gängigste Anwendung sind je-
Tagen (s. . Abb. 12.5). doch Pufferspeicher in Haushalten – vorwiegend
608 Kapitel 12 • Vergleich der Speichersysteme

Sektorale Anwendungsmöglichkeit Sektorale Anwendungsmöglichkeit


thermischer Speicher chemischer Speicher
Strom Wärme
Strom Wärme
Power
to Heat

Wärmespeicher

Kraftstoffspeicher
(Tanks)

Gasspeicher
(kavernen, Porenspeicher)

Verkehr
Verkehr
. Abb. 12.6  Anwendungsfelder thermischer Energiespei-
cher in den Sektoren Strom, Wärme und Verkehr
. Abb. 12.7  Anwendungsfelder chemischer Energiespei-
cher in den Sektoren Strom, Wärme und Verkehr
für fossile Energie und zukünftig verstärkt für So-
larwärme, Biowärme und Geothermie.
finden. Überschüssige Energie aus erneuerbaren
Energiequellen kann im Gasnetz samt Gasspei-
12.2.5 Chemische Energiespeicher – cher zwischengespeichert und zu Zeiten höheren
Power-to-X Bedarfes auch an anderen Orten wieder abgerufen
werden.
Die Speicherung chemischer Energie war die Ba- Diese Kombinationsmöglichkeit von Energie-
sis der bisherigen Energieversorgung in Form von speicherung und Energietransport ist in diesem
Biomasse, Kohle und Gas und wird auch im zu- Maßstab nur über die chemische Energiespeiche-
künftigen erneuerbaren Energiesystem eine ent- rung gegeben. Die Übertragungskapazität einer
scheidende Rolle spielen. Sie bietet die bei Weitem großen Gaspipeline ist etwa um Faktor 10 höher
12 größten Kapazitäten und ist bisher mit Speicher- als die einer Höchstspannungsleitung für Strom.
inhalten im Terawattstunden-Bereich pro Anlage Der Gasnetzausbau stößt auf deutlich höhere ge-
die einzige nationale Option zur saisonalen Spei- sellschaftliche Akzeptanz als der Stromnetzausbau.
cherung von Energie mittels der Einspeichertech- Gleichwohl ist der Transport von Strom effizienter
nologie Power-to-Gas in Kombination mit der be- als die Wandlung von Strom in Gas samt Gastrans-
stehenden Gasinfrastruktur zur Speicherung und port. Werden die beiden Netze im Einklang mit-
Verstromung von Gas. einander betrieben, so können Ausbaukosten und
Die in Form von Wasserstoff oder Methan ge- -aufwand minimal gehalten werden. Stromnetze
speicherte Energie in Gasspeichern steht allen drei und Gasnetze ergänzen sich damit sehr gut in ihren
Sektoren Strom, Wärme und Verkehr zur Verfü- Stärken und Schwächen.
gung (s. .  Abb.  12.7). Für Methan existiert bereits Eine weitere Möglichkeit der chemischen
eine breit angelegte Infrastruktur zum Transport, Energiespeicherung ist die Wandlung von Strom
zur Verteilung und Nutzung über Gasthermen und in chemische Grundstoffe (Methanol) oder flüssi-
KWK im Wärmesektor, Gasfahrzeugen und Gas- ge Kraftstoffe (Power-to-Liquid). Letzteres ist be-
schiffen (LNG) im Verkehrssektor und in Gastur- sonders für Verkehrssegmente mit einem hohen
binen, GuD-Kraftwerken und KWK im Stromsek- Anspruch an Energiedichte wie den Flugverkehr
tor. Für Wasserstoff befindet sich die Infrastruktur entscheidend.
im Aufbau und ist bislang nur in Chemieparks zu
12.3 • Kosten, Wirkungsgrad und Energiedichte im Vergleich
609 12
12.2.6 Lastmanagement Sektorale Anwendungsmöglichkeit
von Lastmanagement

Lastmanagement ist zwar keine direkte Speicher- Strom Wärme


technologie, kann aber gewisse Speicherfunktionen
erfüllen. Durch gezieltes Zuschalten und Abwerfen
von Lasten werden vergleichbare Effekte wie mit
dem Betrieb von Speichern zu deutlich günstigeren
Kosten erzielt. So kann genauso positive und nega-
tive Regelenergie bereitgestellt werden, indem zur
richtigen Zeit zu- und abgeschaltet wird, und eine
zeitliche Verschiebung der Stromnachfrage erreicht Lastmanagement
werden.
Je nachdem, welche technische Einrichtung von
Verkehr
Kühlung über Wärmepumpen und Speichern in
Elektrofahrzeugen bis zu Arbeitsmaschinen gere- . Abb. 12.8  Anwendungsfelder von Lastmanagement in
gelt wird, kann Lastmanagement in allen drei Sek- den Sektoren Strom, Wärme und Verkehr
toren Strom, Wärme und Verkehr implementiert
werden (s. .  Abb. 12.8). Da bisher die Elektromo-
bilität noch keine große Rolle im Verkehrssektor speicherdauer taus in h, welche in  7  Abschn. 12.2 zu
spielt, bis auf die elektrische Bahn, sind die Mög- betrachten sind. Auch die Zyklenzahl ist entschei-
lichkeiten des Lastmanagements heute noch be- dend für die Wirtschaftlichkeit von Speichern. Da-
grenzt. Insbesondere der Wärmesektor bietet hier her sind die folgend getroffenen Aussagen auf Basis
jedoch mit großen potenziellen Anschlussleistun- von reinen Investitionskosten ohne genaue Zyklen-
gen bei flächendeckender Nutzung von Speicher- betrachtung nur deskriptiver Natur. Diese Grafik
öfen, Elektrowärmepumpen und Power-to-Heat bewertet also nur drei wichtige Eigenschaften von
ein großes Potenzial. vielen, welche aber für Wirtschaftlichkeit und An-
wendung von großer Bedeutung sind.
Der Wirkungsgrad gibt Aussage über die Effi-
12.3 Kosten, Wirkungsgrad und zienz einer Technologie und damit indirekt über
Energiedichte im Vergleich ihren Ressourcenverbrauch. Effiziente Technologie
ist angesichts schwindender Ressourcen, KIima-
Aufbauend auf die technologiefokussierte Betrach- wandel und Umweltzerstörung den weniger effizi-
tung im vorgehenden Abschnitt werden nun auf enten Lösungen vorzuziehen, wenn andere wich-
einfache Weise wesentliche technische mit ökono- tige Parameter wie Umweltverträglichkeit (z.  B.
mischen Parametern verknüpft. .  Abbildung  12.9 Toxizität), Kosten und weiche Kriterien wie gesell-
vergleicht die verschiedenen in diesem Buch be- schaftliche Akzeptanz dies zulassen.
handelten Speichertechnologien hinsichtlich volu- Ein weiterer wichtiger Punkt in vielen Anwen-
metrischer Energiedichte wV, Wirkungsgrad η und dungen ist die volumetrische Energiedichte (in
spezifischer Investitionskosten k0. kWh/m³) einer Speicheroption. So kommen Tech-
nologien mit geringer volumetrischer Energiedich-
zz Auswahl der drei Kenngrößen te für mobile oder andere räumlich begrenzte An-
Diese drei Kenngrößen sind nur eine Auswahl wendungsgebiete nicht in Frage. Aus diesem Grund
wichtiger Parameter und nicht als einzig relevan- ist dies die zweite betrachtete Größe.
te Vergleichskriterien zu werten. Weitere wichtige Die dritte Größe sind die Kosten für die Er-
Kenngrößen für Speicher sind in Tab. 12.1 aufgeführt richtung einer Anlage bezogen auf ihre Kapazität
und in  7  Kap. 2 definiert. Hierzu zählen unter an- (spezifische Investitionskosten k0). Neben den Zy-
derem die Speicherkapazität W in Wh und die Aus- klenzahlen sowie den fixen und variablen Betriebs-
610 Kapitel 12 • Vergleich der Speichersysteme

Spulen [44600]
Thermochemische Speicher [53]
Lithium-Batterien [907]
90
Kondensatoren [10800] Schwungmassenspeicher [1636]
Latentwärmespeicher [31]
80 Blei-Säure-Batterien [227]
Wirkungsgrad in prozent

Redox-Flow-Batterien [496] Natrium-Batterien [472]


Pump-
speicher-
70
werke [108] Nickel-Batterien [842]

60 Sensible Wärmespeicher [3]


Druckluftspeicher [120]

50

chemisch
thermochemisch
40 thermisch Die Blasenfläche ist Kavernenspeicher (Wasserstoff) [0,45]
Proportional zu den Kapitalkosten
mechanisch
CAPEX in €/kWh
elektrochemisch (Werte in eckigen Klammern) Kavernenspeicher (Methan) [2]
elektromagnetisch
30 elektrisch
η = 33%
ED = 1,1 MWh/m3

50 100 150 200 250 300 350


Volumetrische Energiedichte in kWh/m3
© Thema, OTH Regensburg FENES, 2013 FENES

. Abb. 12.9  Investitionskosten verschiedener Speichertechnologien im Verhältnis zu deren Energiedichte und Wirkungs-
graden. Zur Interpretation: Die Abbildung ist auf der y-Achse erst bei 30 % und der Punkt Kavernenspeicher Methan ist nicht
mehr im Maßstab auf der x-Achse abgebildet. © FENES, OTH Regensburg

kosten sind sie ausschlaggebender Faktor für die fügbaren Speichertechnologien. Demgegenüber
12 Wirtschaftlichkeit. stehen die höchsten Wirkungsgrade bei äußerst
Zur anschließenden Interpretation der Grafik geringer volumetrischer Energiedichte, welche der
werden noch andere Parameter aus .  Tab. 12.1 wie Hauptgrund dafür ist, dass die speicherbaren Ener-
Reaktionszeiten oder Lebensdauern und Zyklen- giemengen so gering sind. Die Zyklenlebensdauer
zahlen hinzugezogen. elektrischer Energiespeicher ist mit Zyklenzahlen
über einer Million höher als bei allen anderen Spei-
zz Elektrische Energiespeicher chertechnologien, wodurch eine Wirtschaftlichkeit
Auffallend sind die großen Kreise der elektrischen in speziellen Anwendungen mit hoher Zyklenzahl
Energiespeicher-Kondensatoren wie Spulen in möglich ist (s. . Tab. 12.1). Diese Betrachtung zeigt
.  Abb.  12.9. Sie resultieren aus sehr hohen Wir- das begrenzte Anwendungsfeld dieser Technik:
kungsgraden, aber auch aus sehr großen Kosten Anwendungen, bei denen Strom effizient über sehr
und bilden sich wegen der sehr geringen volume- kurze Zeiträume gespeichert und innerhalb kürzes-
trischen Energiedichte links oben ab. ter Zeit abzugeben ist.
Extrem schnelle Reaktionszeiten schlagen sich
in der Energietechnik sehr stark in den Kosten nie- zz Elektrochemische Energiespeicher
der. Mit 12.000 bis über 62.000 € pro installierter Batterien sind über ihre unterschiedlichen Energie-
Kilowattstunde liegen die spezifischen Investitions- dichten über die gesamte Abbildung gestreut und
kosten von Kondensatoren und Spulen um mehr bei Wirkungsgraden zwischen 70 und 95 % ange-
als den Faktor 10 höher als bei allen anderen ver- siedelt.
12.3 • Kosten, Wirkungsgrad und Energiedichte im Vergleich
611 12
Die betrachteten elektrochemischen Speicher sie an wenige ausgewählte Standorte. Ihr Vorteil
(Blei-Säure-, Redox-Flow-, Nickel-, Natrium- und begründet sich in den möglichen Speicherkapazi-
Lithium-Batterien) bewegen sich im Vergleich zu täten, die mit die größten unter den Kurzzeitspei-
anderen Speichern mit Kosten zwischen etwa 230 chern sind.
und 950 €/kWh im Mittelfeld hinsichtlich der In- Druckluftspeicher sind bezüglich der Inves-
vestitionskosten. Die verschiedenen Batteriegat- titionskosten gleichauf mit Pumpspeichern. Ihre
tungen heben sich vornehmlich durch unterschied- lediglich geringfügig höhere Energiedichte kann
liche volumetrische Energiedichten voneinander den Nachteil ihres geringen Wirkungsgrades unter
ab. Da die theoretische Energiedichte von Batterien 55 % nicht wettmachen. Dieser resultiert aus den
unter anderem von der Stellung der verwendeten heute im Betrieb befindlichen Druckluftspeichern,
Elemente in der voltaischen Spannungsreihe ab- die noch auf fossile Energie in Form von Erdgas an-
hängt (s. 7 Abschn. 7.1), finden sich hier die größten gewiesen sind. Konventionelle Druckluftspeicher
Differenzen. sind zudem an Kavernenstandorte gebunden. Eine
Hinsichtlich der Wirkungsgrade sind Lithium- Ausnahme bilden isotherme Druckluftspeicher
Batterien mit Werten über 90 % am effizientesten. und Kombinationen aus Pneumatik und Hydrau-
Sie bieten mit volumetrischen Energiedichten um lik, die kleinteiliger und modular auch für dezen-
270  kWh/m3 das größte Potenzial für kompakte trale Anwendungen geeignet sind, sich aber noch
Speicherlösungen. Demgegenüber stehen jedoch – fast ausschließlich in der Entwicklung befinden.
verglichen mit anderen Batterien wie Blei-Säure – Bei allen mechanischen Energiespeichern kann
mit die höchsten spezifischen Kosten. Die meisten eine hohe Zyklenlebensdauer erreicht werden, die
Batteriespeicher weisen zyklische Lebensdauern sich sehr positiv auf die Wirtschaftlichkeit auswirkt.
zwischen 760 und 1200 Zyklen auf. Die Ausnah- Pumpspeicher existieren beispielsweise schon seit
me bildet hier die Redox-Flow-Technologie mit ca. über 100 Jahren und haben mit über 80 Jahren sehr
5000 Zyklen, welche auf die getrennte Ladungsauf- lange Lebenszeiten.
bewahrung und separierte Speichereinheit zurück-
zuführen ist. zz Thermische Energiespeicher
Mit die geringsten Kosten haben die thermischen
zz Mechanische Energiespeicher Speicher: Vor allem der Kreis der sensiblen Wär-
Die mechanischen Energiespeicher sind hinsicht- mespeicher wie Pufferspeicher und Fernwärme-
lich Effizienz, Energiedichte und Investitionskosten speicher ist aufgrund der geringen Kosten von ca.
vollkommen verschieden: 2 €/kWh kaum sichtbar. Hinsichtlich ihrer Kosten
Schwungmassenspeicher schneiden bezüglich können sie als einzige mit chemischen Speichern
Effizienz und Energiedichte am besten ab, zeigen konkurrieren. Mit Wirkungsgraden um 60 % geht
aber analog zu Lithium-Batterien mit die höchsten jedoch ein großer Teil der gespeicherten Energie
Kosten in ihrer Gruppe. Ähnlich zu elektrischen verloren, ähnlich wie bei chemischen Speichern
Speichern sind sie nur für Anwendungen im Subse- über Power-to-Gas.
kunden- bis Minutenbereich geeignet, was sie von Latentwärmespeicher und thermochemische
den anderen Technologien ähnlicher Energiedichte Speicher haben zwar bessere Wirkungsgrade, aber
unterscheidet. auch höhere Kosten. In punkto volumetrischer
Pumpspeicher punkten als ausgereifte Techno- Energiedichte liegen die Wärmespeicher im Be-
logie mit niedrigen Investitionskosten pro instal- reich zwischen 130 und 170 kWh/m³ und damit im
lierter Leistung, haben aber einen Wirkungsgrad Mittelfeld. Die höchsten Wirkungsgrade und Ener-
von gut 75 % und liegen damit verglichen mit den giedichten erreichen thermochemische Speicher.
anderen Speichern nur im Mittelfeld. Ihre sehr ge- Auch hier wird deutlich, dass das größte Potenzial
ringe volumetrische Energiedichte, die nur mit stei- zur Speicherung von Energie in chemischen Ver-
gendem Höhenunterschied zwischen Ober- und bindungen liegt.
Unterwasserbecken geringfügig zunimmt, bindet
612 Kapitel 12 • Vergleich der Speichersysteme

. Tab. 12.2  Technologie-Reifegrad oder Technology Readyness Level (TRL) nach Mankins [36]

TRL 1 Grundlagenforschung Beobachtung und Beschreibung des Funktionsprinzips

TRL 2 Grundlagenforschung Beschreibung der Anwendung einer Technologie


Machbarkeitsstudien

TRL 3 Machbarkeitsstudien Nachweis der Funktionstüchtigkeit einer Technologie


Technologieentwicklung

TRL 4 Technologieentwicklung Versuchsaufbau im Labor

TRL 5 Technologieentwicklung Versuchsaufbau in Einsatzumgebung


Demonstration

TRL 6 Demonstration Prototyp in Einsatzumgebung


Systementwicklung

TRL 7 Systementwicklung Prototyp im Einsatz

TRL 8 Systementwicklung Qualifiziertes System mit Nachweis der Funktionstüch-


Inbetriebnahme, Betrieb tigkeit im Einsatzbereich

TRL 9 Inbetriebnahme, Betrieb Qualifiziertes System mit Nachweis des erfolgreichen


Einsatzes

zz Chemische Energiespeicher 12.4 Entwicklungsstand, Stärken und


Sehr geringe reine Speicherkosten weisen die che- Schwächen
mischen Energiespeicher wie Kavernenspeicher
mit ca. 0,5 bis 2 €/kWh auf. Kaum sichtbar sind ihre 12.4.1 Technologischer
Kreise für Wasserstoff und Methan. Die höchste vo- Entwicklungsstand der
lumetrische Energiedichte aller im Buch betrach- Energiespeicher
teten Speichertechnologien hat die Speicherung
von Methan (Erdgas) über Power-to-Gas mit etwa Eine Möglichkeit, den Reifegrad verschiedener
12 1.100 kWh/m3. Dieser Punkt ist nicht maßstabsge- Technologien zu bestimmen, ist die im Jahr 1995
treu auf der Abszisse abgebildet. Die Energiedichte von Mankins (s. [36]) beschriebene Einordnung in
der Speicherung von Wasserstoff in Kavernen ist sogenannte »Technology Readiness Levels« (TRL).
mit ca. 350 kWh/m³ ebenfalls beachtlich. Der Entwicklungsgrad wird dabei neun Ebenen
Nachteilig sind die geringen Wirkungsgrade zugeordnet, die die Entwicklung von der Grund-
und hohen Kosten, die für die Wandlung von Strom lagenforschung bis zum laufenden Betrieb charak-
in Wasserstoff oder Methan und bei der Kompres- terisieren (s. . Tab. 12.2).
sion auf den Arbeitsdruck der Speicher anfallen, .  Abbildung  12.10 illustriert den Reifegrad al-
welche nicht in . Abb. 12.9 in Erscheinung treten. ler in diesem Buch behandelten Möglichkeiten zur
Der Lebensdauer eines Kavernenspeichers Speicherung von Energie auf Basis von Experten-
sind, abgesehen vom Wartungsaufwand der peri- interviews und Umfragen. Ein großer Teil der Spei-
pheren Technik, keine Grenzen gesetzt. chertechnik ist bereits als qualifiziertes System mit
Nachweis des erfolgreichen Einsatzes einzuordnen
zz Fazit und befindet sich somit auf TRL 9. Auf der 8. Stufe
Insgesamt werden Energiespeicher für verschiedene finden sich Technologien wie Lithium-Batterien,
Aufgaben und Einsatzbereiche benötigt, die unter- Power-to-Heat, Latentwärmespeicher und zwi-
schiedliche Anforderungen an Wirkungsgrade, schen TRL 7 und 8 die chemische Methanisierung.
Energiedichten und Kosten haben. Daher ist – wie Die am wenigsten fortgeschrittene Technik sind
eingangs erwähnt – ein technologieübergreifender heute noch die Spulen. Sie existieren als Versuchs-
Vergleich nur begrenzt möglich und sinnvoll. aufbauten und Prototypen in Einsatzumgebung –
12.4 • Entwicklungsstand, Stärken und Schwächen
613 12
Technologie-Reifegrad Blei-Säure-Batterien
(Technology Readyness Level TRL) Erdöl
TRL 9 Bioethanol
Systemtest a Biodiesel
b
Alkalische Elektrolyse
Inbetriebnahme, Betrieb Kraft-Wärme-Koppelung
c
TRL 8 d
e Gasturbinenkraftwerk, GuD
f
g Pumpspeicherwerke
Systementwicklung h Sensible Wärmespeicher
TRL 7 i a Nickel-Batterien
j
k
l b Schwungmassenspeicher
m c Flüssiggas/Autogas/LPG
TRL 6 n
Demonstration d Brennstoffzellemn
e Lithium-Batterien
TRL 5 Natrium-Batterien
f
Power-to-Heat

Technologieentwicklung
g Lastmanagement als Energiespeicher
TRL 4 Methanisierung (chemisch)
h
Latentwärmespeicher
i
Kondensatoren
TRL 3 Membran-Elektrolyse
Machbarkeitsstudien
j Thermochemische Speicher
k Druckluftspeicher
TRL 2
Grundlagenforschung l Methanisierung (biologisch)
m Redox-Flow-Batterien
TRL 1
n Dampfelektrolyse
Spulen

TRL 1: Beobachtung und Beschreibung des Funktionsprinzips


TRL 2: Beschreipung der Anwendung einer Technologie
TRL 3: Nachweis der Funktionstüchtigkeit einer Technologie
TRL 4: Versuchsaufbau im Labor
TRL 5: Versuchsaufbau in Einsatzumgenbung
TRL 6: Prototyp in Einsatzumgenbung
TRL 7: Prototyp im Einsatz
TRL 8: Qualifiziertes System mit Nachweis der Funktionstüchtigkeit im Einsatzbereich
TRL 9: Qualifiziertes System mit Nachweis des erfolgreichen Einsatzes © OTH Regensburg, FENES, 2013 FENES

. Abb. 12.10  Technologie-Reifegrad verschiedener Energiespeicher. © FENES, OTH Regensburg

alle anderen Lösungen befinden sich in der System- rochemischen Speichern wie z. B. Blei-Säure-Batte-
entwicklung bis hin zur Inbetriebnahme. rien, sensiblen Wärmespeichern und Kavernen- so-
wie Porenspeichern für Methangas kann die Rede
von vollständig ausgereifter Technik sein.
12.4.2 Stärken und Schwächen Jede Technik bietet für sich Vor- und Nachtei-
verschiedener Technologien le oder Stärken und Schwächen wie in .  Tab. 12.3
aufbauend auf .  Tab. 12.1, den Technologiekapiteln
Die meisten Technologien zur Speicherung bieten in Teil III und angelehnt an [17] zusammenfassend
bis heute noch großes Entwicklungspotenzial. Le- dargestellt ist.
diglich bei Pumpspeicherwerken, manchen elekt-
614 Kapitel 12 • Vergleich der Speichersysteme

. Tab. 12.3  Stärken und Schwächen verschiedener Speichertechnologien angelehnt an [17] mit eigenen Ergänzungen
und aufbauend auf . Tab. 12.1 und den Technologiekapiteln in Teil III

Technologie Stärken und Möglichkeiten Schwächen und Hindernisse

Elektrische Energiespeicher

Kondensatoren (DSK) Sehr hoher Wirkungsgrad Geringe Energiedichte

Hohe Leistungsfähigkeit Hohe Kosten pro installierter Energie

Lange Zyklenlebensdauer Hochleistungsanwendungen können von


»Leistungsbatterien« übernommen werden

Einsatz für Anwendungen mit höchsten


Anforderungen an Reaktionszeiten (z. B.
Spannungsqualität)

Spulen (SMES) Hohe Leistungsfähigkeit Enorm hoher Kühlungsaufwand

Hohe Zyklenlebensdauer Teure Rohstoffe für Supraleiter

Neue supraleitende Materialien Hoher Aufwand (Messelektronik, Kühlung)

Anwendung für dezentrale Kurzschluss- Sicherheitsanforderungen (niedrige Tempe-


strombereitstellung raturen, starke magnetische Felder)

Unzureichend erprobt

Mit die höchsten spezifischen Investitions-


kosten

Elektrochemische Energiespeicher

Niedertemperatur-Batterien

Blei-Säure-Batterien Am meisten etablierte Batterietechno- Lade- und Entladefähigkeit nicht symme-


logie trisch

Kostengünstigstes Batteriesystem mit Schädliche Tiefentladungen


12 kurzen Amortisationszeiten

Akzeptable Energie- und Leistungsdichte Lange Standzeiten mit tiefen Ladezustän-


für stationäre Anwendungen den

Hohe Sicherheit im Vergleich zu Lithium- Gutes Temperatur-management erforderlich


oder Natrium-Batterien

Kein komplexes Zellmanagement er- Batterieraumlüftung erforderlich


forderlich

Weltweit lange Erfahrungen vorhanden Begrenzte Zyklenlebensdauer

Seit 150 Jahren im Einsatz Konkurrenz durch Kostensenkung bei


Lithium-Batterien

Durch vollautomatisierte Massenproduk- Begrenzte Bleilagerstätten


tion Kostensenkung möglich

Unabhängig von Standortbedingungen

Viele Hersteller weltweit

Günstigster Speicher für Inselnetze

Nickel-Batterien Sehr hohe zyklische und kalendarische Le- Hohe Kosten für Nickel
bensdauer (geringes Dentritenwachstum)
12.4 • Entwicklungsstand, Stärken und Schwächen
615 12

. Tab. 12.3  Fortsetzung

Technologie Stärken und Möglichkeiten Schwächen und Hindernisse

Hohe Energiedichte Konkurrenz durch Kostensenkung bei


Lithium-Batterien

Einsatz im Hochleistungsbereich

Anwendung im Consumer-Bereich und


bei Hybridfahrzeugen

Einsatz bei tiefen Temperaturen und extre-


men Umgebungsbedingungen möglich

Tolerant gegenüber Tiefentladung und


unterschiedlichen Ladezuständen

Lithium-Batterien Höchste Energiedichte Keine inhärente Sicherheit (thermisches


Durchgehen)

Höchste Wirkungsgrade Aufwendiges Batterie-managementsystem


für Sicherheit und lange Lebensdauern
erforderlich

Hohe Leistungsfähigkeit Einzelzellüberwachung

Große Stückzahlen führen zu Kosten- Herstellung (Packaging) und Kühlung auf-


senkung wendig

Keine speziellen Anforderungen an Stand- Schnellladefähigkeit


orte

Anwendung im stationären und mobilen Lebensdauer begrenzt bei Ladezuständen


Bereich (Batterieparks und Elektromobili- außerhalb 30–70 %
tät)

Größter Hoffnungsträger unter den Hohe Kosten


Batterien in punkto Kostensenkung und
Anwendungen

Entwicklung neuer Aktivmaterialien Soziale Akzeptanzprobleme aufgrund


Lithiumabbau

Begrenzte Lithiumvorkommen

Hochtemperatur-Batterien

Natrium-Batterien Hohe Energiedichte Hoher Aufwand für Heizung und Kühlung

Hohe Zyklen-, lange kalendarische Thermische Verluste


Lebensdauer

Viele bestehende stationäre Anlagen Hohe Selbstentladung bei längeren Still-


standszeiten

Viele auslaufende Patente, neue Hersteller Gefahrenpotenzial aufgrund hoher Betriebs-


temperatur

Keine lokalen Voraussetzungen Nur wenige Hersteller

Günstige Rohstoffe (Natrium und Schwe- Konkurrenz zu Blei-Säure- und Li-Ion-Bat-


fel) terien

Wenig Einschränkung in Verfügbarkeit der Sicherheitsprobleme (Brand)


Rohstoffe
616 Kapitel 12 • Vergleich der Speichersysteme

. Tab. 12.3  Fortsetzung

Technologie Stärken und Möglichkeiten Schwächen und Hindernisse

Isolation von Natrium gegenüber Umwelt-


einflüssen (vor allem Wasser)

Batterien mit externem Speicher

Redox-Flow-Batterien Energie und Leistung unabhängig skalier- Geringe Energiedichte


bar

Räumliche Trennung von Speicherbehäl- Säurehaltige Flüssigkeiten verursachen


ter und Reaktionszelle Leckagen

Hohe Zyklenlebensdauer Teure Speichermedien

Einsatz unterschiedlicher Redoxpaare Wartungsaufwand für Pumpen


möglich

Ständig neue Materialkombinationen – Stromverbrauch der Pumpen


kein Ressourcenengpass

Durch Materialverbesserungen Wirkungs- Rechtliche Probleme bei Genehmigung


grade von bis zu 90 % und Kostenreduk- durch große Säuremengen
tionen möglich

Standorte unbeschränkt

Viele auslaufende Patente, steigender


Wettbewerbsdruck

Chemische Energiespeicher

Konventionelle chemische Speicher

Flüssiggas/Autogas/ Technisch ausgereift Fossiler Energieträger mit allen Folgen


LPG (Klimawandel, Umweltzerstörung, Import-
abhängigkeit, Ressourcenknappheit etc.)
12 Erdöl Hohe Energiedichte

Verfügbare Infrastruktur

Verfügbare Anwendungstechnologie

Biokraftstoffe

Bioethanol Ausgereifte Technik Hoher Flächenbedarf für die Produktion

Biodiesel Verfügbare Infrastruktur Konkurrenz zur Nahrungs- und Futtermittel-


produktion

Hohe Energiedichte Eingeschränktes nachhaltiges Potenzial

Verfügbare und bezahlbare Fahrzeug-


technik

Power-to-Gas

Wasserstoffspeiche- Neben Methan einzige Option zur Lang- Hohe Kosten


rung zeitspeicherung

Geringer Flächenverbrauch Geringer Wirkungsgrad

Sehr große Energiemengen speicherbar Um ein Drittel geringere Speicherdichte als


Methan
12.4 • Entwicklungsstand, Stärken und Schwächen
617 12

. Tab. 12.3  Fortsetzung

Technologie Stärken und Möglichkeiten Schwächen und Hindernisse

Hohe Energiedichte Keine Wasserstoffturbinen verfügbar

Wasser unbegrenzt verfügbar Wettbewerb mit anderen Langzeitspeichern


(z. B. Wasserkraft Skandinavien) und Flexibi-
litätsoptionen

Alternative zu Biogas (Landnutzung und Konkurrenz in Nutzung geeigneter Ka-


Monokulturen) vernen zu Druckluft-, Erdöl-, Erdgas- oder
CO2-Lagerung

Wasserstoff in allen Energiesektoren Direkte Einspeisung von Wasserstoff ins Erd-


nutzbar gasnetz meist auf 2 % begrenzt

Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur


(Transport, Verteilung, Anwendung) not-
wendig und Kostentreiber

Methanspeicherung Neben Wasserstoff einzige Option zur CO2-Quelle notwendig oder Extraktion aus
Langzeitspeicherung der Luft

Geringer Flächenverbrauch Hohe Kosten bzw. zusätzliche Kosten für


Methanisierung und CO2-Bereitstellung

Sehr große Energiemengen speicherbar Geringer Wirkungsgrad

Sehr hohe Energiedichte Wettbewerb mit anderen Langzeitspeichern


(z. B. Wasserkraft Skandinavien) und Flexibi-
litätsoptionen

Geringere energiebezogene Kosten ver- Reifegrad der Technologie der CO2-Metha-


glichen mit Wasserstoffspeicherung, da nisierung noch gering
höhere Energiedichte

Energiespeicherung und -transport für


Gasinfrastruktur möglich

Sehr hohe Speicherkapazitäten vor-


handen

Alternative zu Biogas (Landnutzung und


Monokulturen)

Wasser unbegrenzt verfügbar

Flexible Verwendung in allen Energie-


sektoren mit vorhandenen bezahlbaren
Endanwendungen

Mechanische Energiespeicher

Pumpspeicher (PSW) Ausgereifte, etablierte Technik Sehr geringe Energiedichte

Sehr lange Lebensdauer Geografische Beschränkungen

Geringe Selbstentladung Hohe Investitionskosten

Guter Wirkungsgrad Langer Investitionsrückfluss

Großes Potenzial in Norwegen und Nur große Anlagen wirtschaftlich


Schweden

Günstige Speicherkosten Lange Genehmigungs-verfahren


618 Kapitel 12 • Vergleich der Speichersysteme

. Tab. 12.3  Fortsetzung

Technologie Stärken und Möglichkeiten Schwächen und Hindernisse

Einsatz teilweise auch als Langzeitspei- Hohe Umweltstandards


cher möglich

Zunehmender Wettbewerb mit anderen


Speichern (vor allem Batterieparks)

Akzeptanz in Bevölkerung nicht immer


gegeben

Druckluftspeicher Relativ geringe Kosten für den Speicher Geografische Beschränkungen


(CAES) (Kaverne)

Kleine Standfläche an der Erdoberfläche Geologische Voraussetzungen (Dichtheit


etc.)

Lange Lebensdauer des Speichers (Kaver- Hohe Investitionskosten


ne) und der Kompressoren und Turbinen

Geringe Selbstentladung Geringer Wirkungsgrad

Gute Korrelation zwischen Starkwindge- Nur zwei alte Pilotanlagen in Betrieb, noch
bieten und Kavernenstandorten keine adiabaten Kraftwerke verfügbar

Neue, dezentrale Konzepte (z. B. isotherm Langer Investitionsrückfluss


oder mit Hydraulik) vielversprechend

Konkurrenz in Nutzung geeigneter Kaver-


nen zu Wasserstoff-, Erdöl-, Erdgas- oder
CO2-Lagerung

Zunehmender Wettbewerb mit anderen


Speichern (vor allem Batterieparks)

Schwungmassen- Hohe Wirkungsgrade Vakuumkammer erforderlich

12 speicher

Hohe Energiedichte Sicherheitsrisiken (rotierende Massen)

Schnellladefähig Kühlsystem für supraleitende Magnetlager

Geringe Wartungsanforderungen Hohe Selbstentladung

Lange Lebensdauer Konkurrierende Technologien

Chance USV, Kurzschlussleistung und


Mobilität

Thermische Energiespeicher

Sensible Wärmespei- Kostengünstigster Speicher Mittlere Wirkungsgrade


cher (Pufferspeicher,
Fernwärmespeicher)

Etablierte, bewährte, einfache Technik Hohe Selbstentladung im Stand-by

Viele Anlagen in Betrieb

Vielfach mit Solarenergie umgesetzt

Für Geothermie, Wärmepumpen und


Flexibilisierung der KWK notwendig
12.5 • Perspektiven für Energiespeicher und gesellschaftliche Akzeptanz
619 12

. Tab. 12.3  Fortsetzung

Technologie Stärken und Möglichkeiten Schwächen und Hindernisse

Chance Fernwärme, Wärmenetze, Lang-


zeitspeicherung

Latentwärmespeicher Hohe Wirkungsgrade Noch nicht etabliert


(PCM)

Geringe Investitionskosten Mittlere Energiedichte

Hohe Energiedichte

Chance Klimatisierung und Spezialanwen-


dungen

Großes F&E-Potenzial

Thermochemische Sehr hohe Wirkungsgrade Noch nicht etabliert


Speicher

Geringe Investitionskosten

Chance Spezialanwendungen, verlust-


freier Wärmetransport und Langzeitspei-
cherung

Großes F&E-Potenzial

12.5 Perspektiven für bedeutet dies, dass in diesem Zeitraum auf fossile
Energiespeicher und Stromerzeugung wie Gasturbinen zurückgegriffen
gesellschaftliche Akzeptanz werden muss, wenn kein Langzeitspeicher vor-
handen ist. Die Achillesferse einer nachhaltigen
zz Energiespeicherung – die Achillesferse der Energieversorgung ist somit die Speicherung dieser
Energiewende Energieformen, um eine zeitlich und räumlich aus-
Die Energiewende wird getragen von der Nutzung geglichene Versorgung zu gewährleisten.
und dem Ausbau von Wind- und Solarenergie, da
sie die einzigen Energiequellen mit ausreichend zz Höhere gesellschaftliche Akzeptanz von
nachhaltigem, technischem und wirtschaftlichem Energiespeichern als für andere Elemente
Potenzial sind. der Energiewende
Die zentrale technische Herausforderung der Die zentrale gesellschaftliche Herausforderung ist
Nutzung dieser Energiequellen liegt in ihrer Ver- die Kommunikation der Energiewende und ihre
stetigung und Speicherung. Die Schwankungen der Partizipation und Akzeptanz. Konkret geht es da-
Wind- und Solarenergie können zwar durch den bei sowohl um die Errichtung neuer Wind- und
großflächigen Stromverbund gemindert, aber nicht Solaranlagen als auch neuer Stromtrassen. Im
eliminiert werden. Es bleiben bei entsprechender Gegensatz zu diesen elementaren Bestandteilen der
Wetterlage Versorgungslücken von bis zu drei Wo- Energiewende sind Energiespeicher, mit Ausnah-
chen bestehen, die trotz massiver Überskalierung me der Pumpspeicher, gesellschaftlich weitgehend
der Anlagen nicht abgedeckt werden können. akzeptiert. Dieser Vorteil von Speichern kann sich
Selbst ein idealer Stromnetzausbau und ein als wichtig erweisen, wenn technologisch und wirt-
ideales Lastmanagement können diese Lücke euro- schaftlich vorzuziehende Maßnahmen nicht grei-
paweit nicht schließen. Für die Stromversorgung fen oder umgesetzt werden können.
620 Kapitel 12 • Vergleich der Speichersysteme

zz Einsatz von Kurzzeitspeichern wie mit die Erschließung und Nutzung der vorhandenen
Pumpspeicher oder Batterieparks Erdgasspeicher über Power-to-Gas mit der 1.500- bis
Die größten Schwankungen der Photovoltaik lassen 3.000-fachen Kapazität aller deutschen Pumpspei-
sich im täglichen Rhythmus durch den Einsatz von cher bei einem Rückverstromungsgrad von 28 bis
Kurzzeitspeichern ausgleichen. Geeignete Tages- 60 %. Die Speicherung reinen Wasserstoffs ist tech-
speicher sind Pumpspeicher im großtechnischen nisch beherrschbar, aber durch die dafür notwen-
Maßstab und Batteriesysteme auf allen Ebenen in dige energieintensive Druckerhöhung aus energeti-
Form von Hausbatteriespeichern oder Batterie- scher Sicht wenig attraktiv. Des Weiteren ist die Inf-
parks. Daneben existiert die technische Möglich- rastruktur für Wasserstoff bisher auf die chemische
keit der Druckluftspeicherung. Damit Druckluft- Industrie begrenzt. Aus diesen Gründen ist der pro-
speicher rein regenerativ betrieben werden, ist ein zentuale Anteil von Wasserstoff für die Nutzung in
schlüssiges Wärmekonzept notwendig, was derzeit Gasturbinen, Gaskraftwerken, BHKW, Gasthermen,
noch Forschungs- und Demonstrationsgegenstand Gasspeichern und Gasmess- und Gastransportsys-
ist. Daher ist absehbar keine schnelle und wirt- temen nach derzeitigem Stand der Technik auf den
schaftliche Umsetzung zu erwarten. In Nischen wie einstelligen Prozentbereich beschränkt.
Spannungsqualität, Blindleistungsbereitstellung Über die Methanisierung können einige Prob-
oder Kurzschlussleistung können auch Kondensa- leme der direkten Speicherung und Nutzung von
toren, Spulen oder Schwungradspeicher zum Ein- Wasserstoff gelöst werden. Die bereits vorhandene
satz kommen. Allen Kurzzeitspeichern ist jedoch Erdgasinfrastruktur kann mitsamt der Speicher,
gemeinsam, dass sie die Versorgungslücken nur für Transportleitungen und Gasanwendungen genutzt
geringe Zeiten überbrücken und Langzeitspeicher werden. Der Energieträger Methangas hat zudem
als Wochen- und Saisonalspeicher nicht ersetzen eine dreifach höhere volumetrische Energiedichte
können. im Vergleich zu Wasserstoff.

zz Einsatz von Langzeitspeichern wie Power- zz Mobilität als Treiber für Energiespeicher
to-Gas Im Stromsektor ist kurz- bis mittelfristig kein gro-
Die Funktion der Langzeitspeicher übernahmen ßer Speicherbedarf absehbar. Anders sind die Ver-
bisher Energieträger mit hoher Energiedichte, also hältnisse in der Mobilität. Hier entsteht mittelfristig
12 fossile und nukleare Energiequellen, die potenzial- ein wachsender Bedarf an nachhaltigen Kraftstof-
seitig auf lange Sicht begrenzt sind und weitere fen und alternativen Antrieben. Die Abhängigkeit
Probleme mit sich bringen: Die fossile Energie- von Erdöl ist extrem hoch, die Alternativen sind
nutzung kann durch den notwenigen Klimaschutz spärlich und teuer. Ein großer Hoffnungsträger
nur noch eingeschränkt möglich sein, und die nu- sind Biokraftstoffe, die jedoch potenzialseitig durch
kleare Energienutzung ist gesellschaftlich in eini- Nutzungskonkurrenzen begrenzt sind.
gen Ländern nicht tragfähig. Ähnliches gilt für die
Kernfusion, die aus heutiger Sicht auf absehbare zz Elektromobilität und Second-Life als
Zeit außerhalb der wirtschaftlichen Reichweite der Entwicklungsförderung für Batterien
Energiewirtschaft bleiben wird. Die Nutzung der Hoffnungen liegen auf der Elektromobilität, die re-
Kerntechnologie stellt damit keine Lösung für das generativ betrieben 3- bis 4-mal effizienter ist als
Problem der Langzeitspeicherung und Ersatz fossi- konventionelle Antriebe. Sie kann ein großer Trei-
ler Brenn- und Kraftstoffe dar. ber für die Entwicklung von Batterietechnologien
Die skandinavische Wasserkraft wäre eine euro- wie die Lithium-Batterie sein. Damit einhergehend
päische Lösungsoption, wobei die Akzeptanz vor Ort können starke Kostensenkungen erreicht werden,
für den notwendigen Ausbau der Stromnetze und die die Anwendung von Lithium-Batterien im sta-
Marktkopplung samt möglichen Strompreissteige- tionären Bereich in Batterieparks als Kurzzeitspei-
rungen in Skandinavien nicht unproblematisch sind. cher für den Stromsektor attraktiv machen.
Die einzige nationale Lösung in Deutschland ist so- Besonders vielversprechend erscheint hierbei
das Thema »Second-Life«: Nachdem die Batterie
12.5 • Perspektiven für Energiespeicher und gesellschaftliche Akzeptanz
621 12
primär in der Elektromobilität eingesetzt wurde, auf, die im Gegensatz zum Betrieb von üblichen
wird sie im Anschluss nach wenigen Jahren se- chemischen Anlagen (ca. 8500  h) zu gering sind.
kundär für die Stromspeicherung verwendet – zu Zudem ist die gesellschaftliche Akzeptanz für den
deutlich geringeren Investitionskosten. Die hohe notwendigen Ausbau von Wind- und Solarenergie
Kostenlast wird dadurch geteilt und verringert, was bereits für den Stromsektor sehr eingeschränkt. Für
zu einem Geschäftsmodell führen kann. Auf diese die Mobilität wären Anlagen in der gleichen oder
Weise können Batterien doppelt genutzt werden. sogar höheren Stückzahl erforderlich, da die Um-
Auch bereits während des Einsatzes in der wandlungsverluste für Stromkraftstoffe in Herstel-
Elektromobilität ist eine Doppelnutzung möglich: lung und Nutzung immens sind.
als mobiler Energiespeicher, der auch stationär
für heimischen Solarstrom genutzt werden kann. zz Innovative Stromkraftstoffe vom Meer
Langfristig sind auch bivalente Konzepte denkbar, Eine Abhilfe würde die Nutzung von entlegener
indem in einem Haushalt nicht zwei Batteriespei- Wasserkraft oder Geothermie schaffen, die an ge-
cher (Keller und Auto), sondern nur noch der Bat- wisse Standorte und damit Potenziale gebunden
teriepack des Elektromobils genutzt und auch für sind. Eine neue Idee, die diese Probleme überwin-
stationäre Zwecke entladen wird. Im Bereich der det, ist die Gewinnung von Stromkraftstoffen auf
Lkw werden Konzepte für Oberleitungsbusse aus- hoher See. Auf dem Meer liegt das größte globale
gearbeitet. Die Elektrifizierung der Antriebsstränge Potenzial an Windenergie fast vollständig unge-
unterstützt in jedem Fall die Entwicklung der elekt- nutzt brach. Die Akzeptanz der Energienutzung
rochemischen Energiespeicher. ist höher als bei Technologien in unmittelbarer
Reichweite von menschlichen Besiedlungen und
zz Stromkraftstoffe als Anschub für Power-to- die Umweltauswirkungen sind je nach angewand-
Gas und Power-to-Liquids ter Technologie vergleichsweise gering. Techno-
Das Problem der begrenzten Reichweite mit Batte- logisch können diese Windkraftstoffe über Wind-
rietechnologien bleibt jedoch vorerst erhalten. Hier plattformen und Segelenergie gewonnen werden.
können Wind- und Solarkraftstoffe (Stromkraft- Die Segelenergie ist eine Kombination aus Wind-,
stoffe) eine Lösung bringen und einen Energieträger Wasserkraft und Speichertechnologie. Sie ermög-
mit hoher Energiedichte anbieten. Ihr Vorteil liegt licht die konstante Wandlung von Windenergie in
darin, dass sie einfach transportiert, gespeichert gespeicherte chemische Energieträger, die über die
und zentral oder dezentral genutzt werden können. vorhandene Infrastruktur zu nutzen sind. Eine He-
Besonders die Segmente des Güter- und Fernver- rausforderung für die neue Technologie stellen die
kehrs und Arbeitsmaschinen sind auf solche Ener- hohen Kosten dar, was letztlich eine Frage der Res-
gieträger angewiesen. Flugverkehr, Schiffsverkehr sourcenknappheit sein wird. Eine technische Lö-
oder der Antrieb von Zugmaschinen und hydrauli- sung der Ressourcenknappheit ist mit den Strom-
schen Maschinen wie Bagger auf Basis von Batterien kraftstoffen vom Land und vom Meer vorhanden.
ist aus heutiger Sicht nicht umsetzbar.
Aus diesen technischen Betrachtungen heraus zz Wärmespeicher und Integration des
ergibt sich die Notwendigkeit für die Wandlung Wärmesektors am naheliegendsten
von erneuerbarem Strom in chemische Energieträ- Trotz dieser Perspektiven für elektrochemische und
ger. Zu den Hoffnungsträgern zählen Technologien chemische Energiespeicher ist das Potenzial von
wie Power-to-Gas und Power-to-Liquids. Techni- Wärmespeichern am greifbarsten. Die technische
sche Herausforderungen in der Umsetzung dieser und wirtschaftliche Umsetzung dieses Potenzials
Konversionsanlagen liegen vor allem im flexiblen ist in der jetzigen Phase der Energiewende am na-
Betrieb der Komponenten wie Elektrolyse oder heliegendsten; sensible Wärmespeicher wie Puffer-
Methanisierung. Die wirtschaftlichen Herausfor- speicher und Fernwärmespeicher sind einfach zu
derungen liegen in der Erschließung von nachhal- errichten, sie sind Stand der Technik und haben
tigen Stromquellen mit ausreichender Auslastung. nur einen Bruchteil der Kosten anderer Speicher-
Stationäre Wind- und Solaranlagen weisen ledig- systeme. Die Vorteile liegen auf der Hand: Die
lich Volllaststunden im Bereich von 600–4000  h Kraft-Wärme-Kopplung kann flexibilisiert werden,
622 Kapitel 12 • Vergleich der Speichersysteme

Stromüberschüsse können über Power-to-Heat, 55 Kondensatoren und Spulen haben die höchs-
Speicheröfen und Elektrowärmepumpen integriert ten Wirkungsgrade, aber auch die größten
werden und andere Verbraucher können über das spezifischen Investitionskosten und gerings-
Lastmanagement dem Stromsystem zusätzliche ten Energiedichten und Entlade- bzw. Aus-
Flexibilität verleihen. speicherdauern und finden nur in Nischen mit
vielen Zyklen Anwendung.
zz Power-to-Chemicals als langfristiger Weg für 55 Batterien befinden sich in vielen Bereichen im
die chemische Industrie Mittelfeld und werden als Kurzzeitspeicher
Neben den in diesem Buch betrachteten »Energie- und in der Mobilität eingesetzt. Neben der eta-
speichern« stellt die sich abzeichnende Ressourcen- blierten Blei-Säure-Batterie werden vor allem
knappheit auch die Rohstoffbasis der chemischen Lithium-Batterien Perspektiven eingeräumt.
Industrie infrage. Die meisten Produkte basieren Das Thema Second-Life ist vielversprechend
auf Erdöl und Erdgas. Auch hier bieten Energie- für den Strom- und Verkehrssektor.
speicher und Einspeichertechnologien über die 55 P umpspeicher sind die einzige etablierte
Power-to-Chemicals-Technologie langfristige Per- Großtechnologie mit guten Wirkungsgraden,
spektiven. Hier wird ebenso erneuerbarer Strom akzeptablen Kosten und großen Kapazitäten
zur Primärenergie und Ausgangsbasis, um aus im Kurzzeitspeicherbereich, haben aber die
verschiedenen verfügbaren Rohstoffen wie Wasser Herausforderung der gesellschaftlichen Ak-
und CO2 Grundstoffe der chemischen Industrie zeptanz von Neuprojekten vor sich.
wie Methan, Methanol oder Polymere herzustellen. 55 Konventionelle Druckluftspeicher spielen
bisher aufgrund geringer Wirkungsgrade und
zz Fazit Energiedichten nur eine untergeordnete Rol-
Es ist offen, wie sich Energiespeicher zukünftig le. Innovative Ansätze sind vorhanden und
entwickeln. Sie werden in der künftigen Energie- aussichtsreich.
versorgung genauso unabkömmlich sein wie in der 55 S chwungradspeicher zeigen hohe Wirkungs-
bisherigen. Daher sind die Perspektiven für Ener- grade und Energiedichten. Sie eignen sich zur
giespeicher vielversprechend. Ihre gesellschaftliche Bereitstellung von Kurzschlussleistung, in der
Akzeptanz ist weitgehend gegeben und stellt nur in USV und der Mobilität zur Bremsenergierück-
12 wenigen Fällen ein Hindernis dar. An technologi- gewinnung.
schen Innovationen und Vielfalt mangelt es nicht. 55 C hemische Energiespeicher wie Power-to-
Gas bilden das Rückgrat der bestehenden
und zukünftigen Energieversorgung. Ihre
12.6 Zusammenfassung Energiedichte und Speicherkapazität ist mit
Abstand die höchste im Vergleich. Einzig die
55 Für die Energiewende sind genügend Spei- chemischen Energiespeicher (Kavernen- und
cherkapazitäten vorhanden. Das viel disku- Porenspeicher über Power-to-Gas) liegen in
tierte »Speicherproblem« der erneuerbaren Größenordnungen wie die heutige gespeicher-
Energien ist gelöst. te fossile Energie in Form von Kohle und Erd-
55 Energiespeicher können nur begrenzt mit- gas mit ähnlichen Reichweiten.
einander verglichen werden, da sie so unter- 55 Wärmespeicher stellen unter allen die güns-
schiedlich sind wie die physikalischen Funk- tigste Energiespeicherung zu passablen
tionsweisen, auf denen sie beruhen. Wirkungsgraden und Energiedichten dar. Ihre
55 Die Mehrzahl der Speichertechnologien ist Integration in die erneuerbare Stromversor-
technologisch ausgereift. gung ist sehr naheliegend und ermöglicht die
55 Entscheidende Parameter für Wirtschaftlich- Flexibilisierung der KWK und die Kopplung
keit und Anwendung sind Investitionskosten, von Strom- und Wärmesektor, die einen
Wirkungsgrade, Energiedichten und Zyklen- weiteren Ausbau erneuerbarer Energien er-
zahlen. möglicht.
Literatur
623 12
55 In der zukünftigen Energieversorgung sind
Energiespeicher genauso unabkömmlich wie
in der bisherigen. Daher sind die Perspektiven
für Energiespeicher vielversprechend.
55 D
ie gesellschaftliche Akzeptanz von Energie-
speichern ist weitgehend gegeben.
55 An technologischen Innovationen und Vielfalt
im Bereich Energiespeicher mangelt es nicht.

k und zum Abschluss dieses Teils noch eine


k…
Karikatur von Gerhard Mester:

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627 IV

Teil IV Integration
und Anwendung von
Energiespeichern
Kapitel 13 Speicherintegration in einzelnen Energiesektoren – 629

Kapitel 14 Speicherintegration zur Kopplung unterschiedlicher


Energiesektoren – 705
629 13

Speicherintegration in
einzelnen Energiesektoren
Übersicht
Wie werden Energiespeicher in die Stromversorgung, die Wärmeversorgung
und die Mobilität integriert und heute bereits eingesetzt? Diese Frage wird im
vorliegenden Kapitel in Theorie und Praxis beantwortet. Der Fokus richtet sich
dabei auf die Integration erneuerbarer Energien. Sektorenübergreifende
Energiespeicher, mit deren Hilfe die Sektoren Elektrizität, Wärme und Mobilität
verbunden werden können, werden in 7 Kap. 14 dargestellt.
Den Schwerpunkt bildet hier die Speicherintegration im Stromsektor.
Neben Betrachtungen zu Inselnetzen wird auf die unterschiedlichen
Anwendungen von Speichern im Netzverbund anhand praktischer Beispiele
eingegangen. Im Anschluss daran wird die Integration von Speichern im
Wärme- und Verkehrssektor erläutert.

M. Sterner, I. Stadler, Energiespeicher – Bedarf, Technologien, Integration,


DOI 10.1007/978-3-642-37380-0_13, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
630 Kapitel 13 • Speicherintegration in einzelnen Energiesektoren

13.1 Integration im Stromsektor Die sektorenübergreifenden Anwendungs-


möglichkeiten verschiedener Speicher werden
13.1.1 Funktion und Nutzen von in  7  Kap.  14 ausführlich behandelt. Im Folgenden
Speichern im Stromsektor sollen Einsatzoptionen zum Ausgleich von Erzeu-
gung und Verbrauch sowie Systemdienstleistungen
Eine Unterteilung der Anwendungsgebiete für kurz erklärt und einige ausgewählte Beispiele von
Energiespeicher im Stromsektor kann unterschied- reinen Stromspeichern betrachtet werden.
lich erfolgen:
1. Nach Einsatzgebiet: 13.1.1.1 Erzeugungsausgleich und
55 im Verbundnetz Arbitrage
55 im Inselbetrieb Die primäre Aufgabe von Stromspeichern ist der
2. Nach Netz- und Spannungsebenen: Ausgleich von Überschüssen und Defiziten im
55 Übertragungsnetz vs. Verteilernetz Last- und Erzeugungsverlauf. Der Treiber für das
55 380 kV, 220 kV vs. 110 kV, 10/20 kV, 400 V sogenannte »Arbitragegeschäft« sind die Preisdif-
3. Nach Markt: ferenzen an den Strommärkten. Neben den men-
55 Stromhandel genmäßig begrenzten Reservemärkten liegt in die-
–– Spotmärkte (Intraday (kontinuier- sem Bereich das größte zu erwartende Geschäft für
licher Handel), Day-Ahead (Auktions- Speicher in der Zukunft.
handel)) Speicher generieren dann die größten Ein-
–– Terminmärkte (bedingte und un- künfte, wenn die Differenz zwischen teurem Spit-
bedingte Termingeschäfte (Börse vs. zenstrom (große Nachfrage, geringes Angebot,
OTC, Optionen, Forward, Futures peaking prices) und günstigem Strom (geringe
etc.) Nachfrage, großes Angebot, off-peak prices), der so-
–– ggf. zukünftige Kapazitätsmärkte genannte Spread (dt. Spreizung) des Strompreises
55 Reservemärkte (vor allem Regelleistung (s. . Abb. 13.2), maximal ist und je öfter und inten-
und Regelenergie) siver dieser zwischen peak und off-peak schwankt.
–– Primär-, Sekundär-, Tertiärregelleis- Bei jedem strommarktgetriebenen Speicherzyk-
tung (Minutenreserve) lus werden so aus der Preisdifferenz des verkauften,
–– längerfristiger Ausgleich von Erzeu- ausgespeicherten Stroms abzüglich des eingekauften,
gung und Bedarf eingespeicherten Stroms und der Wirkungsgradver-
55 Optimierung des Eigenverbrauchs (Haus- luste der Erlös und die Deckungsbeiträge generiert.
13 halt, Gewerbe, Industrie). Durch die zunehmende Wälzung von EEG-Strom
Entsprechend vielfältig gestaltet sich die Integra- über den Spotmarkt sind die Strompreise an der
tion und Anwendung von Speichern im Stromsek- Börse stark gefallen. Aufgrund der erhöhten Ein-
tor. Eine klassische Form der Unterteilung ist die speisung von PV-Strom gibt es nur noch selten die
folgende Zuordnung nach Funktion und Nutzen. klassischen Spitzenstrompreise tagsüber, was auch zu
einer deutlichen Verringerung der Strompreissprei-
zz Speicher vs. Funktion und Nutzen zung führte. In einigen Fällen reicht der Spread nicht
Speicher haben vielfältige Anwendungsmöglich- mehr zur Deckung der Betriebskosten bestehender,
keiten und Nutzen im Stromsektor. Sie können für abgeschriebener Pumpspeicherkraftwerke aus. Diese
eine einzelne bestimmte Funktion eingesetzt wer- Situation wird sich entsprechend mit dem weiteren
den oder gleich mehrere Funktionen erfüllen. Je Ausbau von Wind- und PV-Anlagen umkehren, bis
mehr Funktionen und Geschäftsfelder ein Speicher in Zeiten von wenig Wind und Sonne entsprechend
gleichzeitig erschließen kann, desto besser stellt hohe Preise für die Ausspeicherung und bei Überan-
sich seine Wirtschaftlichkeit dar. gebot von Wind- und Sonnenstrom niedrige Preise
.  Abbildung  13.1 gibt einen Überblick über die für die Einspeicherung zur Verfügung stehen.
möglichen Funktionen und Anwendungen der im Der Großhandelsmarkt für Strom teilt sich
Buch betrachteten Speicher im Stromsektor. strukturell in zwei Bereiche auf. Über direkte,
13.1 • Integration im Stromsektor
631

. Abb. 13.1  Überblick über mögliche Funktionen und Anwendungen sowie den Nutzen der betrachteten Speicher im Stromsektor
13
632 Kapitel 13 • Speicherintegration in einzelnen Energiesektoren

Strompreis
Spread

Auswirkung
Speichereinsatz auf
Strompreis

t
Hochpreisiger Strom Preisgünstiger Strom
(peak) (off-peak)
Große Nachfrage Geringe Nachfrage
Geringes Angebot Großes Angebot
Ausspeichern Einspeichern

. Abb. 13.2  Strommarktgetriebener Einsatz von Stromspeichern im Erzeugungsausgleich (Arbitragegeschäft)

meist bilaterale Verträge im OTC-Handel (over the wird Strom in der Handelseinheit MW – bzw.
counter) werden in Deutschland außerbörslich die MWh, da die Handelszeit immer eine Stunde be-
größten Strommengen gehandelt. Der kleinere An- trägt – im Intraday- (Verkauf am Tag der Liefe-
teil wird über die Börsen wie die EEX veräußert rung) und Day-Ahead-Markt (Verkauf einen Tag
(s. [38, 57]). In beiden Fällen kommen Spot- und vor der Lieferung) angeboten. Die Handelsbedin-
Terminmärkte zum Einsatz: gungen und Stromprodukte zu Peakload, Baseload
55 Außerbörslicher OTC-Handel (Freiverkehr) und Stundenkontrakten ändern sich laufend und
55 Spotmarkt (physische Erfüllung) sind in [20] beschrieben.
55 Terminmarkt (Forwards, Optionen, i. d. R
13 nicht standardisierte Produkte; physische zz Terminmarkt
und finanzielle Erfüllung) An den Terminmärkten werden längerfristige Lie-
55 Strombörse ferverträge abgeschlossen, sogenannte Terminkon-
55 Spotmarkt (physische Erfüllung) trakte und Futures. Sie beziehen sich auf Lieferzeit-
55 Terminmarkt (Futures, Optionen, standar- räume zwischen Monaten, Quartalen und Jahren
disierte Produkte; überwiegend finanzielle und auf gewisse Blockgrößen, die über Leistung
Erfüllung) und Lieferdauer in einem Energiepaket definiert
sind (s. [38]). Das Volumen des Terminmarkts ist
Im Folgenden sind Spot- und Terminmarkt an der deutlich größer als des Spotmarkts.
Strombörse kurz erläutert. An der Energiebörse EEX werden außer Strom
auch Erdgas, Kohle und CO2-Zertifikate gehan-
zz Spotmarkt delt.
Der Handelsplatz für kurzfristig lieferbaren Strom Der zweite wichtige Markt für Energiespeicher
in Zentraleuropa ist der Spotmarkt der EEX in Pa- im Stromsektor ist der Regelleistungsmarkt, der
ris (EPEX SPOT). Er bedient die Länder Deutsch- die Systemdienstleistung der Frequenzhaltung er-
land, Frankreich, Österreich und die Schweiz. Hier füllt.
13.1 • Integration im Stromsektor
633 13

. Tab. 13.1  Zeitlicher Ablauf der Bereitstellung von Regelleistung vom Zeitpunkt einer Störung an. Art der Aus-
lösung bzw. Anforderung und Zeitraum, über den die Regelleistungsart verfügbar zu sein hat

Anforderung/Aus- Zeit bis zur vollen Dauer der vorgeschriebenen Ver-


lösung Verfügbarkeit fügbarkeit
nach Fehlerfall

Momentanreserve Intrinsisch Sofort ca. 30 s (bis PRL voll verfügbar ist)

Primärregelleistung (PRL) Automatisiert Max. 30 s 15 min (bis MRL übernommen hat)

Sekundärregelleistung (SRL) Automatisiert Max. 5 min 1 h (Theorie, in der Praxis wird länger
abgerufen, s. [71])

Tertiärregelleistung/ Telefonisch/auto- Max. 15 min


Minutenreserve (MRL) matisiert

13.1.1.2 Bereitstellung von Systemdienstl­ ne »Verordnung zu Systemdienstleistungen durch


eistungen Windenergieanlagen« (SDLWindV, s. [15]) gelegt,
zz Die Rolle von Systemdienstleistungen in der auf deren Basis die Bereitstellung von System-
Stromversorgung dienstleistungen durch Windenergieanlagen wie
Systemdienstleistungen sind für eine zuverlässige, die Reduktion ihrer Wirkleistung innerhalb einer
sichere und stabile Stromversorgung essenzielle Minute oder der Beitrag zur Spannungshaltung
Bestandteile. Sie dienen dazu, Spannung, Frequenz verpflichtend wird. Für die Nutzung und Umset-
und Belastung der Stromnetze im Rahmen zulässi- zung dieser Möglichkeit sind eine Anpassung der
ger Bandbreiten zu halten oder auf die Ursache von Kommunikationstechnologie in den Leitwarten
Störungen zurückzuführen. der Netzbetreiber sowie regulatorische Änderun-
Systemdienstleistungsprodukte kommen im- gen der Marktzugangsbedingungen notwendig.
mer dann zum Einsatz, wenn das Stromsystem den Unabhängig von dieser Verordnung sind heute
sicheren Betriebsbereich zu verlassen droht. auch andere erneuerbare Anlagen und Energie-
Die wichtigsten Aspekte in der Systemdienst- speicher in der Lage, diese Funktionen zu erfüllen.
leistung sind Frequenzhaltung, Spannungshaltung
und Versorgungswiederaufbau. Diese sogenann- zz Frequenzhaltung durch Regel- und
ten Systemdienstleistungsprodukte wurden bis- Reserveleistung
her maßgeblich aus fossilen Kraftwerken, Pump- Die Netzfrequenz ist in Wechselspannungs- und
speicherwerken und angepasstem Nutzung von Drehstromnetzen die Führungsgröße, die mit
Betriebsmitteln wie dem Einsatz von regelbaren dem Gleichgewicht zwischen Erzeugung und Ver-
Ortsnetzstationen oder Blindleistungskompensa- brauch korreliert. Um kritische Abweichungen von
tionsanlagen bereitgestellt. Energiespeicher spielen der Nennfrequenz (im europäischen Verbundnetz
heute und in Zukunft eine tragende Rolle bei der 50  Hz) und damit einhergehende Schwingungs-
Bereitstellung von Systemdienstleistungen. effekte in am Netz hängenden Lasten und Erzeu-
Welche Rolle Systemdienstleistungen in Ener- gern, die bis zur Notabschaltung führen können,
gieversorgungssystemen mit hohen erneuerbaren zu vermeiden, wird das Netz so ausgeregelt, dass
Anteilen spielen, wird in der dena-Studie System- die Frequenz ein Toleranzband von ± 0,02 Hz nicht
dienstleistungen 2030 »Sicherheit und Zuverlässig- verlässt. Es wird also positive und negative Regel-
keit einer Stromversorgung mit hohem Anteil er- energie bzw. Regelleistung benötigt, um das Leis-
neuerbarer Energien« der TU Dortmund/ef.Ruhr tungsgleichgewicht beizubehalten.
ausführlich erläutert (s. [47]). Je nachdem, wie schnell und für welche Dauer
Mit der »Verordnungsermächtigung zu Sys- diese Regelenergie benötigt wird, wird zwischen
temdienstleistungen« (§  64, s. [15]) wurde die Momentanreserve, Primärregelleistung, Sekundär-
Grundlage für die am 3. Juli 2009 in Kraft getrete- regelleistung und Tertiärregelleistung (auch Minu-
tenreserveleistung) unterschieden (. Tab. 13.1).
634 Kapitel 13 • Speicherintegration in einzelnen Energiesektoren

Die Momentanreserve wird von mechanischen Blindleistungshaushalt und eine ausreichend hohe
Energiespeichern (Schwungmassenspeichern) be- Kurzschlussleistung, damit im Fehlerfall Schutz-
reitgestellt. Sie ist die in rotierenden Anlagentei- einrichtungen rechtzeitig auslösen (s. [47]).
len (z.  B. Turbinen, Synchronmaschinen, Rotoren Die Kurzschlussleistung an einem Verknüp-
von Windkraftanlagen) gespeicherte kinetische, in fungspunkt im Stromnetz ist diejenige Leistung,
Wicklungen der Synchronmaschinen gespeicherte welche bei einem Kurzschluss vom vorgelagerten
magnetische oder in Kondensatoren von Umrich- Netz aufgenommen wird, wenn keine Sicherheits-
tern gespeicherte elektrische Energie. Sie stellt eine einrichtungen ansprechen und keine sonstigen Be-
intrinsische Reserve dar, die innerhalb von Sekun- schädigungen an technischen Einrichtungen ent-
denbruchteilen nach einer Störung im Netz deren stehen.
Auswirkungen entgegenwirkt und damit die Fre- Dabei handelt es sich um eine Bemessungsgrö-
quenz stützt, bis die automatisch aktivierte Primär- ße, einen theoretischen Wert, der Größen mitein-
regelleistung (PRL) nach spätestens 30  s voll an- ander verknüpft, die in der Realität nicht gleichzei-
gefahren wurde. tig auftreten. Sie dient jedoch dazu, die Beanspru-
Die PRL wird für mindestens 15 min in voller chung elektrischer Anlagen, das Schaltvermögen
Höhe erbracht, bis die Sekundärregelleistung, die von Leistungsschaltern und die Netzrückwirkung
nach spätestens fünf Minuten automatisch anzu- zu quantifizieren (s. [47]).
fahren ist, in voller Höhe bereitsteht. Die Sekun- Diese Kurzschlussleistung wurde lange Zeit nur
därregelleistung wird für mindestens eine Stunde von den rotierenden Massen in (konventionellen)
vorgehalten und von der Tertiärregelleistung (Mi- Erzeugungsanlagen bereitgestellt. Leistungselekt-
nutenreserve) abgelöst, die teils automatisiert, teils ronik und Steuerung dezentraler erneuerbarer An-
telefonisch durch die Übertragungsnetzbetreiber lagen waren dazu bisher nicht in der Lage bzw. sei-
im Viertelstundentakt abgerufen werden kann und tens der Netzbetreiber kommunikationstechnisch
bis zu einer Stunde bzw. bei mehreren Störungen nur aufwändig einzubinden oder nicht gewünscht.
über mehrere Stunden genutzt wird. Heute kann durch schnelle Regelungstechnik
Energiespeicher in Verbindung mit passender und angepasste Leistungselektronik auch von de-
Leistungselektronik können im Regelleistungs- zentralen erneuerbaren Erzeugungsanlagen und
markt an verschiedenen Stellen vielseitig einge- verschiedenen Speichertechnologien Kurzschluss-
setzt werden. So kann beispielsweise mit Batterie- leistung bereitgestellt werden. Der Vorgang des
kraftwerken positive und negative Regelleistung »Durchfahrens eines Fehlers« wird auch »Fault-Ri-
bereitgestellt werden, Gleiches gilt für Pump- und de-Through« genannt.
13 Druckluftspeicher. Kondensatoren und Spulen sind Der zweite wichtige Baustein der Spannungs-
insbesondere für positive Regelenergie im Primär- haltung, der ausgeglichene Blindleistungshaushalt,
regel- und Momentanreserve-Bereich geeignet, wird in den verschiedenen Netzabschnitten durch
während Power-to-Heat (Wärmespeicher) und lokale Einrichtungen (Kraftwerke, dezentrale Er-
Power-to-Gas (Gasspeicher, Elektrolyse) insbeson- zeugungsanlagen, Kompensationsmaßnahmen)
dere negative Regelleistung bereitstellen können. sichergestellt. Auch Energiespeicher können ent-
sprechend Blindleistung liefern. Mit Pumpspei-
zz Spannungshaltung und cherwerken und rotierenden Massen (Schwung-
Spannungsqualität durch ausgeglichenen massenspeicher, Phasenschieber) wird dies schon
Blindleistungshaushalt seit langer Zeit praktiziert, aber auch Ausspeicher-
Die Übertragungs- und Verteilnetzbetreiber sind einheiten mit Generatoren (z.  B. Gasturbinen für
für die Einhaltung zulässiger Spannungsband- Power-to-Gas), Batteriespeicher und alle anderen
breiten ihrer jeweiligen Netzgebiete zuständig. So über Umrichter mit dem Netz gekoppelten Spei-
haben sie beispielsweise dafür zu sorgen, dass bei cher können dazu ertüchtigt werden.
auftretenden Kurzschlüssen keine Spannungsein- Bisher gibt es in Deutschland noch keinen
brüche auftreten. Maßgeblich für die Spannungs- Markt für Blindleistung, womit auch die Teilnah-
qualität sind ein ausgeglichener, ortsgerechter me von Energiespeichern an dieser Dienstleistung
13.1 • Integration im Stromsektor
635 13
nur über die natürlichen Netzmonopole möglich Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) ga-
ist. Diese Marktkomponente könnte wie die Netz- rantiert erneuerbaren Erzeugungsanlagen die Ein-
entlastung (Redispatch) und der Versorgungswide- speisung all ihrer produzierten Energie (s. [16]).
raufbau (Schwarzstartfähigkeit) auch regional aus- Werden aufgrund von Netzengpässen beispielswei-
gestaltet werden, da diese drei Probleme regionaler se Windkraftanlagen gedrosselt oder abgeschaltet,
Natur sind und die Dienstleistung auch über einige hat der Netzbetreiber dem Anlagenbetreiber die
Energiespeichertypen erbracht werden könnte. Vergütungseinbußen zu erstatten.
Dies führt insofern zu Irritationen, als dass es
13.1.1.3 Netzbetriebsführung und oft billiger ist, erneuerbare Energien abzuregeln
weitere Markt- und und für die entstandenen Ausfälle aufzukommen,
Systembeiträge als träge fossile Kraftwerke abzuschalten.
Die Betriebsführung der Netze obliegt den jeweils Mit weiter steigenden Anteilen erneuerbarer
verantwortlichen Netzbetreibern und soll einen Energien wird dieser Aspekt mehr und mehr ins
sicheren und störungsfreien Netzbetrieb gewähr- Gewicht fallen und letzten Endes zur Grundsatz-
leisten. Durch kontinuierliche Überwachung und frage über die Verdrängung fossiler durch erneuer-
Steuerung der Netze und großer Verbrauchs- so- bare Energien werden.
wie Erzeugungsanlagen wird die Einhaltung von
Grenzwerten sichergestellt. zz Beitrag zur Betriebsführung, gesicherten
Über die messtechnische Überwachung hinaus Leistung und Reduktion der Must-run-
haben die Netzbetreiber die Möglichkeit, durch Kapazitäten
regulatorische Maßnahmen wie Netzanschluss- In der Betriebsführung der Stromnetze werden
bedingungen und gesetzliche Regelungen Erzeu- Energiespeicher künftig eine entscheidende Rolle
gung und Verbrauch ihren Ansprüchen gerecht zu spielen. Durch ihren Beitrag zur Verstetigung von
steuern. Betriebsmittel wie beispielsweise regelbare erneuerbaren Energien über Erzeugungs- und Pro-
Ortsnetztransformatoren (RONT) können flexibel gnoseausgleich sowie schneller Gradientensteue-
eingesetzt werden und tragen so zu einem stabilen rung werden sie Übertragungs- und insbesondere
Betrieb bei. Als dritte Möglichkeit steht die vertrag- Verteilnetze entlasten, die Versorgungssicherheit
liche Inanspruchnahme von Dienstleistungen zur erhöhen, einen Beitrag zur gesicherten Leistung
Stabilisierung des Netzbetriebs wie beispielsweise erbringen und fossile Must-Run-Kapazitäten ver-
der Einsatz von Speicherwerken oder Redispatch drängen. Auch wenn einige dieser Leistungen von
zur Vermeidung von Netzengpässen zur Verfügung. Speichern zur technischen Versorgungssicherheit
derzeit in Deutschland nicht honoriert werden,
zz Netzengpassmanagement, Netzentlastung – können wie in anderen Ländern Produkte und pas-
Redispatch sende Märkte dazu geschaffen werden.
Stromüberschüsse entstehen meist durch Engpässe Die Erbringung von Systemdienstleistungen
im Stromnetz. In der Folge wird die Kraftwerks- durch Speicher, sowohl in zentralen als auch de-
einsatzplanung (Dispatch) kurzfristig und nach- zentralen Anlagen, wird sowohl kurz- als auch
träglich geändert, was als Kraftwerks-Redispatch langfristig für die Netzbetriebsführung von großer,
bezeichnet wird. auch wirtschaftlicher Bedeutung sein (s. [47]).
Redispatch, der auch zur Spannungshaltung auf
Ebene des Übertragungsnetzes eingesetzt wird, ist zz Unterbrechungsfreie Stromversorgung
Bestandteil des sogenannten Netzengpassmanage- Eine weitere Speicheranwendung, die mehr oder
ments, mit dem die Netzbetreiber Überlastungen weniger zur Betriebsführung gezählt werden
der Stromnetze zu verhindern suchen (s. [47]). kann, ist die unterbrechungsfreie Stromversorgung
Kraftwerke (sowohl erneuerbare als auch konven- (USV). Zur Überbrückung von Netzausfällen wer-
tionelle) können in diesem Rahmen außerplanmä- den seit vielen Jahren in wichtigen infrastrukturel-
ßig gedrosselt, heruntergefahren oder nachträglich len Einrichtungen wie Krankenhäusern, Rechen-
abgerufen werden. und Telekommunikationszentren, Polizeistationen
636 Kapitel 13 • Speicherintegration in einzelnen Energiesektoren

etc. meist batteriebasierte Energiespeicher für einen Kapazitätsmarkt da, der jedoch aus der Ge-
den Betrieb sicherheitsrelevanter und überlebens- schichte heraus stark erzeugungsseitig geprägt und
notwendiger Anlagen eingesetzt. Dieses Feld war auf Großkraftwerke im Grundlastbetrieb ausgelegt
bisher, abgesehen vom Beitrag zur Netzstabilität war. Dies änderte sich in den letzten Jahren schritt-
in einigen Ländern, der Haupteinsatzbereich von weise. Dennoch sind die Ausschreibungskriterien
Stromspeichern. mit wöchentlichen Erfüllungszeiträumen in einem
System mit hohen Anteilen erneuerbaren Ener-
zz Langzeitreserve: Wind- oder Dauerreserve gien nicht mehr zeitgemäß, da mit Windkraft- und
Für den sicheren Betrieb über längere Zeiträume Photovoltaikanlagen wetterbedingt ein maximaler
mit saisonal schwankenden erneuerbaren Ener- Vorhersagezeitraum von 1–3 Tagen existiert und
gien gewinnt auch eine Langzeitreserve (Wind- diesen Anlagen damit der Zugang zum Regelleis-
oder Dauerreserve) an Bedeutung hinzu. Saisonale tungsmarkt verwehrt ist. Darüber hinaus besteht
Überschüsse aus Systemen mit hohen erneuerba- eine Debatte, ob es sinnvoll ist, Flexibilitätsmärkte
ren Anteilen können in chemische Energieträger zu etablieren um den steigenden Bedarf an Flexibi-
gewandelt und eingespeichert werden, um saisonal lität zu decken.
auftretende Mängel auszugleichen. Alle drei Problemstellungen ließen sich in
einem »Markt« lösen, indem der bestehende Regel-
zz Versorgungswiederaufbau und leistungsmarkt nach folgenden fünf Bedingungen
Schwarzstartfähigkeit angepasst wird:
Lokal begrenzte Störungen liegen normalerweise 55 Technologieneutralität
im Verantwortungsbereich der Verteilnetzbetrei- 55 Marktbasierte Preisfindung
ber. Weiten sich diese aber zu einem großflächi- 55 Vorgaben zu Gradientenfähigkeit in der Prä-
gen Stromausfall (Blackout) aus, fällt die möglichst qualifikation
kurzfristige Wiederherstellung der Versorgung in 55 Beitrag zur gesicherten Leistung
den Zuständigkeitsbereich der Übertragungsnetz- Einbeziehung von erneuerbaren Energieanla-
betreiber. Diese steuern dann, unterstützt von den gen und der Verbraucherseite (Lastmanage-
Verteilnetzbetreibern nach dafür vorgesehenen ment – Demand Side Integration) über kürzere
Plänen, den sukzessiven Aufbau zunächst mehre- Lieferzeiträume und kleinere Losgrößen
rer kleinerer Inselnetze, die dann synchronisiert
und wieder gekoppelt werden. Diese Teilnetze be- Sind diese einfachen Bedingungen erfüllt, kön-
nötigen zu Beginn schwarzstartfähige Kraftwerke, nen neben erneuerbaren Energieanlagen und der
13 die aus eigener Kraft ohne Energieversorgung von Verbraucherseite, die ein großes Potenzial hat
außen in der Lage sind hochzufahren. Auch hier (s.  7  Kap.  11), welches aufgrund fehlender Anrei-
kommen seit jeher Batteriesysteme zum Einsatz, ze nicht gehoben wird, auch Energiespeicher neue
die ein Anfahren der Großkraftwerke erst ermög- Märkte darin finden.
lichen. Zu den Pumpspeichern, die für diesen
Vorgang seit Langem eingesetzt werden, werden
in Zukunft weitere Speicherkraftwerke wie Batte- 13.1.2 Pumpspeicherwerke und
riekraftwerke oder Gaskraftwerke mit einem aus Speicherkraftwerke
Power-to-Gas gespeisten Gasspeicher hinzukom-
men. Pump- und Speicherwerke sind Wasserkraftwer-
ke, welche die potenzielle Energie von Wasser auf
zz Kapazitätsmarkt vs. Flexibilitätsmarkt vs. verschiedenen Höhenniveaus zur Energieerzeu-
Regelleistungsmarkt gung und Speicherung nutzen. Indem Wasser auf
In der Debatte um die Gewährleistung der techni- höher gelegenem Niveau zurückgehalten wird,
schen Versorgungssicherheit in Deutschland wer- verschaffen sie sich gewisse Speicherkapazitäten.
den Kapazitätsmärkte als ein Mittel diskutiert. Der Pumpspeicherwerke unterscheiden sich dabei von
bestehende Regelleistungsmarkt stellt im Grunde reinen Speicherkraftwerken insofern, als dass sie
13.1 • Integration im Stromsektor
637 13
2000

1500
Leistung in MW

1000

500

0
06:00 07:00 08:00 09:00 10:00 11:00 12:00 13:00 14:00 15:00 16:00 17:00 18:00 19:00 20:00 21:00 22:00 23:00 00:00
Zeit in min

PV Anlagen Leistung im Amprion Netz Generatorbetrieb PSW Häusern, Witznau, Landshut


PV Anlagen Prognose im Amprion Netz Pumpbetrieb PSW Häusern, Witznau, Landshut

. Abb. 13.3  Maschineneinsatz von Pumpspeichern der Schluchseewerk AG in Häusern, Witznau und Waldshut, Südbaden,
zum Ausgleich von Prognosefehlern und Verlagerung von Überschüssen aus Solarenergie in verbrauchsärmere Zeiträume
mit wenig Solarstrom im Vergleich zur Solarstromprognose und -einspeisung im Netzgebiet von Amprion. (Quelle: Schluch-
seewerk AG)

durch das Zurückpumpen von bereits genutztem kere Zeiten im Arbitragegeschäft genutzt werden,
Wasser von einem Unterbecken oder Flussbett in wie aus . Abb. 13.3 hervorgeht.
das Oberbecken Energie aus dem Stromnetz auf- Die Grafik zeigt die im Netz von Amprion
nehmen und einspeichern können. eingespeiste Energie aus Photovoltaikanlagen am
Pumpspeicher sind heute in großem Maßstab 29.10.2010 und die Betriebszustände von Pump-
die meistetablierte, über Jahrzehnte erprobte, ef- speichern der Schluchseewerk AG im gleichen
fizienteste und auch kostengünstigste Form der Zeitraum. In verbrauchsstarken Zeiten am Mor-
Stromspeicherung für kurze Zeiten. Eine Heraus- gen und am Abend, wenn noch keine Einspei-
forderung bei Neubauprojekten ist die ökologische sung aus der Photovoltaik vorliegt, speichern die
Verträglichkeit und die gesellschaftliche Akzeptanz Pumpspeicher aus. Tagsüber übersteigt der PV-
von neuen großen Pumpspeichern. Ertrag die Prognosen teils um mehr als 400 MW.
Diesem Ungleichgewicht wirken die Pumpspei-
zz Pumpspeicher zum Erzeugungsausgleich cher entgegen, indem sie mit voller Leistung ein-
von Wind- und Solarenergie speichern.
Pump- und Speicherkraftwerke besitzen die Fähig-
keit schnell an- und abzufahren, und zwar je nach zz Systemdienstleistungen von Pumpspeichern
Anlagentyp innerhalb von etwa ein bis drei Minu- Durch die gute Regelbarkeit, d. h. die sehr schnel-
ten. Dadurch können große Leistungsschwankun- le Wechselfähigkeit zwischen Pumpen und Tur-
gen im Netz ausgeglichen werden. Das Pumpspei- binieren, werden die Kraftwerke auch zur Blind-
cherwerk Goldisthal benötigt beispielsweise vom leistungskompensation und zur Frequenzerhaltung
Stillstand bis zum Turbinenbetrieb lediglich 75  s. eingesetzt. Große rotierende Massen der Turbinen-
So können Pumpspeicher zum Ausgleich von Prog- und Generatoranlagen tragen zur Momentanreser-
nosefehlern und zur Verlagerung der Einspeisespit- ve und gesicherten Leistung bei.
zen aus erneuerbaren Energien in verbrauchsstär-
638 Kapitel 13 • Speicherintegration in einzelnen Energiesektoren

Speicher Kops

PNetz = 100 MW

Q für 100 MW G/M 100 MW

Q für Q für Ausgleichsbecken Rifa


Turbine
50 MW 50 MW 100 MW

Q für 150 MW Q für 150 MW

Pumpe
150 MW

. Abb. 13.4  Primärregelleistung von Pumpspeichern durch den hydraulischen Kurzschluss am Beispiel Kopswerk II der
Vorarlberger Illwerke AG. Über die gekoppelte Leistungsregelung der Turbine wird die indirekte Regelung der Pumpe mög-
lich. (Quelle: Vorarlberger Illwerke AG)

Darüber hinaus sind Pump- und Speicherkraft- die den Bedarf der Pumpe teilweise kompensiert.
werke zum Schwarzstart fähig. Dies bedeutet, dass Wasser wird so sprichwörtlich im Kreis gepumpt
sie unabhängig vom Stromnetz anfahren und selbst und Energie im Kurzschluss »vernichtet«, was
bei komplettem Netzausfall anderen Kraftwerken technisch nicht sinnvoll erscheint, sich aber be-
Energie zum Hochfahren zur Verfügung stellen triebswirtschaftlich bei geschickter Vermarktung
können. am Regelleistungsmarkt lohnt. Durch Verschie-
Durch große Flexibilität und schnelle Reak- bung des Arbeitspunktes in diesem Betriebs-
tionszeit der Leistungsbereitstellung und -aufnah- zustand ist das Kraftwerk in der Lage, sich dem
me erfüllen Pumpspeicher in der Regel die hohen Regelleistungsbedarf kontinuierlich anzupassen.
Präqualifikationsanforderungen zum Angebot von Damit ist das System auch im negativen Leistungs-
Sekundärregelleistungsprodukten. bereich, also bei Leistungsüberschuss im Netz, voll
regelfähig.
13 zz Primärregelleistung durch hydraulischen . Abbildung 13.4 illustriert diesen sogenannten
Kurzschluss Regelpumpbetrieb im Kraftwerk Kopswerk II der
Um gleichzeitig positive und negative Regelenergie Vorarlberger Illwerke AG. Es besteht ein Bedarf
vorhalten zu können und damit primärregelleis- an 100 MW negativer Regelleistung. 100 MW sol-
tungsfähig zu sein, besteht für Pumpspeicherwer- len also aus dem Netz entnommen werden, wobei
ke zusätzlich zum Rückpumpen in das Speicher- die Pumpleistung 150 MW beträgt. Die gekoppelte
becken die Möglichkeit des hydraulischen Kurz- Turbine stellt eine Leistung von 50 MW bereit, wo-
schlusses (s. . Abb. 13.4). durch exakt 100 MW Strom aus dem Netz gezogen
Die Fördermenge des Pumpensatzes an sich werden (s. [64]). Der reale Aufbau des gekoppelten
ist für gewöhnlich nicht regelbar und benötigt da- Turbinen- und Pumpensatzes ist in .  Abb. 13.5 zu
durch stets die gleiche Leistung. Für den hydrauli- sehen.
schen Kurzschluss sind Pumpensatz und Turbine Nicht alle Pumpspeicher und Speicherkraft-
direkt miteinander gekoppelt. Durch das Öffnen werke erfüllen die beschriebenen Eigenschaften
der Drosseln des Turbinensatzes wird – gleichzei- gleichermaßen. Je nach geografischen und tech-
tig zur Leistungsaufnahme der Pumpe – mechani- nischen Gegebenheiten fallen unterschiedliche
sche Leistung in elektrische Leistung gewandelt, Eigenschaften mehr oder weniger ins Gewicht.
13.1 • Integration im Stromsektor
639 13
­ inige Kraftwerke werden in den nachfolgenden
E
Abschnitten vorgestellt.

13.1.2.1 Pumpspeicherwerke in
Deutschland
Deutschland verfügt derzeit (2014) über ca. 40
Pumpspeicher mit einer Pumpspeicherleistung
von ca. 7 GW und einer Speicherkapazität von ca.
40 GWh.
Die folgenden Abbildungen zeigen eine Aus-
wahl deutscher Pumpspeicher. Es gibt weitere
kleinere Pumpspeicherwerke mit Leistungen zwi-
schen 0,5 und 120 MW. Dazu zählt das Kraftwerk
Geehsthacht, das kein separates Unterbecken be-
sitzt, sondern direkt mit der Elbe verbunden ist.
Das Pumpspeicherwerk Langenprozelten hat die
Besonderheit, dass es ausschließlich der Elektrizi-
tätsversorgung der Deutschen Bahn in Spitzenlast-
zeiten dient.

zz Pumpspeicherwerk Goldisthal (Thüringen)


Das derzeit größte deutsche Pumpspeicher-
werk Goldisthal in Thüringen (s. .  Tab.  13.2 und . Abb. 13.5  Pumpensatz des Kopswerks II der Vorarl-
.  Abb.  13.6) ging 2004 mit einer Leistung von berger Illwerke AG, der mit dem Generator (oben durch die
1060 MW in Betrieb. Der Speicher kann einen Be- Decke) zur Umsetzung des hydraulischen Kurzschlusses
gekoppelt ist. (Quelle: Vorarlberger Illwerke AG)
darf von 8 h im Volllastbetrieb decken und besitzt
ein Arbeitsvermögen von 8480 MWh.
schaden rückgebaut wurde. Das neue Kraftwerk
zz Pumpspeicherwerk Atdorf nutzt Ober- und Unterbecken der alten Anlage
Die Schluchseewerk AG plant das Pumpspeicher- (s. . Tab. 13.4 und . Abb. 13.7). Das damalige Koep-
werk Atdorf im Schwarzwald mit einer Leistung chenwerk war gemeinsam mit dem Pumpspeicher-
von 1400  MW und einem Arbeitsvermögen von werk Niederwartha an der Elbe eines der ersten
13 GWh (s. .  Tab. 13.3). Es wäre damit das größte beiden großtechnisch realisierten Pumpspeicher-
Pumpspeicherwerk in Deutschland und würde das werke Deutschlands. Damals dienten die Kraftwer-
PSW Goldisthal ablösen (s. [54]). ke ausschließlich der besseren Auslastung thermi-
Neubauprojekte haben von der Konzeption scher Kraftwerke (s. [51]).
bis zur Realisierung eine Planungszeit von ca. 10 Auch heute dienen Pumpspeicher durch Strom-
Jahren. Ihre Lebensdauer beträgt 60–100 Jahre und veredelung im Arbitragegeschäft der Einsatzopti-
darüber hinaus. Pumpspeicher sind daher eine sehr mierung des Kraftwerksparks. Um eine Erhöhung
langfristige Investition mit hohen Ansprüchen an des CO2-Ausstoßes im Strommix durch den Ein-
Qualität und Wartung. satz von Flexibilitäten wie Pumpspeichern zu ver-
meiden, ist ein signifikanter Preis für die Entsor-
zz Pumpspeicherwerk Herdecke gung von CO2 über CO2-Zertifikate von 30–70 €/t
Das RWE-Pumpspeicherwerk Herdecke hat als notwendig. Über die sehr lange Lebensdauer eines
Nachfolgekraftwerk im Jahr 1989 das ehemalige PSW ist damit zu rechnen, dass in der Energie-
Koepchenwerk ersetzt, welches sich dort seit 1927 wende Pumpspeicher überwiegend erneuerbaren
befand, nach einem Energiepionier des Ruhr- Strom »veredeln« und speichern.
gebiets benannt ist und nach einem Maschinen-
640 Kapitel 13 • Speicherintegration in einzelnen Energiesektoren

. Tab. 13.2  Steckbrief: Pumpspeicherwerk Goldisthal

Turbinenleistung 1,06 GW

Speicherkapazität/Arbeitsvermögen 8,48 GWh

Ausspeicherdauer 8 h (unter Volllast)

Inbetriebnahme 2004

Einsatzregelzone 50 Hz (Ostdeutschland, Berlin und Hamburg)

Fallhöhe ca. 300 m

Speichervolumen Oberbecken ca. 12 Mio. m³

Speichervolumen Unterwasser ca. 18,9 Mio. m³

Betreiber Vattenfall

13

. Abb. 13.6  Oberbecken des Pumpspeichers Goldisthal mit einem Speichervolumen von ca. 12 Mio. m3 Wasser. (Quelle:
Vattenfall Europe AG)

zz Pumpspeicherwerke Bleiloch und Jahrhunderts gebaut. Mit einem Speichervolumen


Hohenwarte 1 von ca. 200  Mio.  m³ und einer Leistung von 80
Die Kraftwerke Bleichloch und Hohenwarte 1 sind bzw. 63 MW liegen die beiden von Vattenfall Eu-
zwei Pumpspeicherwerke in der fünffach auf- rope betriebenen Kraftwerke in einer etwa gleichen
gestauten Saale (Saalekaskade) in Thüringen (s. Größenordnung. Hohenwarte 1 liefert eine durch-
.  Abb. 13.8). Sie wurden Anfang und Mitte des 20. schnittliche Strommenge von 74 GWh im Jahr.
13.1 • Integration im Stromsektor
641 13

. Tab. 13.3  Steckbrief: Pumpspeicherwerk Atdorf. (Quelle: [54])

Turbinenleistung 1,4 GW

Speicherkapazität/Arbeitsvermögen 13 GWh

Ausspeicherdauer 9h

Genehmigungsbescheid (voraussichtlich) 2016

Inbetriebnahme voraussichtlich –/–

Einsatzregelzone TransnetBW (Baden-Württemberg)

Fallhöhe ca. 600 m

Speichervolumen Oberbecken 9 Mio. m³ (Hornbergbecken I)

Speichervolumen Unterwasser 9 Mio. m³ (Haselbecken)

Betreiber Schluchseewerk AG

Investitionsvolumen ca. 1,6 Mrd. €

zz Pumpspeicherwerk Säckingen . Tab. 13.4  Steckbrief: Pumpspeicherwerk Koep-


Das Kraftwerk Säckingen der Schluchseewerk AG chenwerk. (Quelle: [51])
ist mit einer Fallhöhe von etwa 400 m eine klassi- Turbinenleistung 153 MW
sche Hochdruckanlage. . Abbildung 13.9 zeigt zeigt
Anfahrzeit zum Turbinenbetrieb 75 s
eine der vier Francisturbinen mit einem Laufrad-
durchmesser von 2,1 m, einer Maximalleistung Pumpleistung 153 MW
von 92,5 MW und einer Schluckwassermenge von Speicherkapazität/Arbeitsvermögen 590 MWh
24.500 Litern pro Sekunde. Im 400 m höher gelege-
Ausspeicherdauer 3,8 h
nen Eggbergbecken sind rund 2,1 Mio. m³ Wasser
enthalten, wodurch ein sechsstündiger Volllastbe- Inbetriebnahme 1989
trieb möglich ist (s. . Abb. 13.10). Als Unterbecken Einsatzregelzone Amprion
dienen Stauräume am Rhein, aus denen das Wasser
Fallhöhe ca. 150 m
wie beim klassischen Pumpspeicherwerk zurück
ins Oberbecken gepumpt werden kann. Circa 18 % Speichervolumen Oberbecken 1,6 Mio. m³
der Erzeugung entsteht durch einen natürlichen Betreiber RWE
Zufluss. Die Turbinen können innerhalb von 90 s
vom Stillstand auf volle Leistung hochgefahren
werden und zählen damit zu den flexiblen Pump- 13.1.2.1 Pumpspeicher- und
speicherwerken (s. [53]). ­Speicherwasserkraftwerke
weltweit
zz Pumpspeicherwerk Wehr zz Wasserkraft als global größte genutzte
Mit Abstand die größte effektive Fallhöhe unter erneuerbare Energiequelle und als
den deutschen Pumpspeicherwerken besitzt mit Energiespeicher
630  m das Kraftwerk Wehr in Baden-Württem- In vielen Ländern ist der Wasserkraftanteil an der
berg. Diese Fallhöhe konnte durch das über 1000 m Energieversorgung aufgrund des größeren verfüg-
höher liegende Hornbergbecken realisiert werden. baren Potenzials im Verhältnis zum Energiebedarf
Das Kraftwerk hat eine Ausspeicherleistung von um ein Vielfaches höher als in Deutschland. Im
910  MW und wird ebenfalls von der Schluchsee- Jahr 2012 lag der globale Anteil der Wasserkraft
werk AG betrieben . Abb. 13.11 zeigt die 219 m lan- bei 6,4 % an der Primärenergie (s.  7  Kap. 1). Welt-
ge, 19 m breite und 35 m hohe Maschinenkaverne weit sind 2012 ca. 990 GW Wasserkraftwerke ohne
des Kavernenkraftwerks. Pumpspeicherwerke installiert, die 16,5 % des glo-
642 Kapitel 13 • Speicherintegration in einzelnen Energiesektoren

. Abb. 13.7  Koepchenwerk Herdecke, Pumpspeicherwerk der RWE AG mit 153 MW im Amprionnetz. (Quelle: RWE Power AG)

13

. Abb. 13.8  Bleilochtalsperre an der aufgestauten Saale in Thüringen als Pumpspeicher für Vattenfall Europe. (Quelle:
Vattenfall Europe AG)
13.1 • Integration im Stromsektor
643 13
balen Strombedarfs decken. Die meiste Wasserkraft
(23 %) wird in China eingesetzt, wo auch über die
Hälfte der 2012 neu installierten Wasserkraftwerke
entstanden, wovon 1,5 GW Pumpspeicher sind und
weitere 3,6 GW sich im Bau befinden (s. [48]).
In Europa nimmt Norwegen eine Sonderstellung
ein, wo nahezu die gesamte Stromversorgung auf
Wasserkraft beruht, aber auch in Österreich und in
der Schweiz werden durch die Wasservorkommen in
den Alpenregionen mehr als 50 % der elektrischen
Energie mit Wasserkraftwerken bereitgestellt.
Das technische Ausbaupotenzial in Asien, Af-
rika und Lateinamerika ist sehr hoch. Durch einen
Ausbau könnten Regionen mit Elektrizität versorgt
werden, die bis jetzt noch ohne Stromversorgung
sind. Die ökologischen und soziokulturellen Aus-
wirkungen von Großprojekten in der Wasserkraft
(Drei-Schluchten-Staudamm, Itaipú) sind jedoch
oftmals von großem Nachteil für die Bevölkerung
und Umwelt vor Ort. Millionen von Einwohnern
wurden bei diesen Projekten gegen ihren Willen
umgesiedelt und verloren ihre Heimat. Kultur-
schätze und ökologisch wertvolle Gebiete fielen
den Stauseen zum Opfer. Neue Wasserkraft- und
auch Pumpspeicherprojekte bedürfen daher eines
starken Fokus auf diese nicht-technischen Fak- . Abb. 13.9  Turbinenhalle des Kavernenkraftwerks Sä-
toren, um den Schaden für Mensch und Umwelt ckingen. (Quelle: Schluchseewerk AG)

möglichst gering zu halten.


Unterbecken wird mit 10 TWh in Europa beziffert,
zz Pumpspeicher als global größte genutzte wovon 40 % in der EU liegen (s. [29]).
Stromspeichertechnologie mit dem .  Tabelle  13.5 zeigt eine Aufstellung der Nenn-
stärksten Wachstum leistungen von Pump- und Speicherkraftwerken in
Insgesamt sind 2012 weltweit 138  GW Pumpspei- Europa sowie ihr Speichervermögen, Jahresstrom-
cher installiert, deren größte Potenziale sich mit erzeugung und ihre Auslastung. Deutschlands Pump-
45 GW auf Europa, ca. 26 GW auf Japan, ca. 22 GW speicher haben in Europa den größten Jahresumsatz.
auf die USA und 20,3 GW auf China verteilen. 2012
wurden weltweit 3 GW neue Pumpspeicher in Be- zz Pumpspeicherwerk Vianden (Luxemburg)
trieb genommen, Länder wie Indonesien wollen in Das Pumpspeicherwerk Vianden in Luxemburg ge-
den nächsten Jahren 3  GW zubauen, Spanien auf hört zu den großen Pumpspeicherwerken Europas
ca. 9 GW kommen, China von 20,3 auf 30 GW. Da- (s. .  Tab. 13.6 und .  Abb. 13.12). Das Unterbecken
mit ist der Pumpspeichermarkt der größte Wachs- liegt zum Teil in Deutschland und der erzeugte
tumsmarkt für Stromspeicher, der weitgehend von Spitzenstrom wird in das deutsche Übertragungs-
den größten Herstellern Alstrom, Andritz, IMPSA netz eingespeist. Der benötigte Strom für den
und Voith Hydro bedient wird (s. [48]). Pumpbetrieb wird ebenfalls vom deutschen Über-
In der EU gibt es aktuelle Abschätzungen über tragungsnetz bezogen. Ein neuer elfter Maschinen-
GIS-Auswertungen zum Potenzial von Pumpspei- satz mit zusätzlichen 190  MW Pumpleistung und
chern. Das realisierbare Potenzial bei einem ma- 195 MW Turbinenleistung ergänzt den Betrieb des
ximalen Abstand von 5  km zwischen Ober- und flexiblen Kraftwerks (s. [58]).
644 Kapitel 13 • Speicherintegration in einzelnen Energiesektoren

. Abb. 13.10  Eggbergbecken (Oberbecken) des Pumpspeichers Säckingen. (Quelle: Schluchseewerk AG)

zz Pumpspeicherwerk Bath-County (USA) zz Speicherkraftwerk Drei-Schluchten-Talsperre


Das Bath-County-Kraftwerk im Norden Virginias (China)
an der Grenze zu West Virginia in den USA ging Die Drei-Schluchten-Talsperre in China ist das welt-
im Januar 1985 in Betrieb. Es ist mit 3 GW Ausspei- weit größte Wasserkraftwerk (s. . Tab. 13.9). Derzeit
cherleistung das leistungsstärkste Pumpspeicher- verfügt es über eine Leistung von 18,2 GW und ge-
werk der Welt und besteht aus 6 Francis-Turbinen neriert ca. 85 TWh pro Jahr, was einem Neuntel der
13 mit je 510 MW (s. . Tab. 13.7 und [17]). gesamten Stromproduktion Chinas entspricht.
Der Bau dient der Stromproduktion und dem
zz Pumpspeicherwerk Malta (Österreich) Hochwasserschutz, erforderte jedoch die Um-
Das leistungsstärkste Pumpspeicherwerk in Öster- siedlungen von ganzen Städten und Regionen mit
reich ist das Kraftwerk Malta (s. . Tab. 13.8). Es hat Millionen von Menschen und hat negative Auswir-
mit 633 h oder 26 Tagen den Charakter eines Lang- kungen auf Umwelt und Kulturgüter. Auch Jahre
zeitspeichers und mit fast einem Monat die längste nach seiner Fertigstellung treten immer wieder
Ausspeicherdauer in Europa. Mit einer Leistung große Probleme rund um das Großprojekt auf. So
von 116 MW erzeugt das Kraftwerk eine Jahresener- ist das natürliche Gleichgewicht des Jangtse-Stroms
gie von 618.400 MWh. Dabei wird ein Wasservolu- empfindlich gestört. Provinzen flussabwärts leiden
men von 200 Mio. m³ im Oberbecken (Kölnbrein- unter Wassermangel und eingeschränkter Schiff-
speicher) gespeichert. Das Wasser wird von einem barkeit des Flusses, am Reservoir selbst drohen
Vorspeicher mit mehreren Zuflüssen und dem Erdrutsche (s. [18, 24]). Daher ist das Großprojekt
Fluss Möll in das Speicherbecken gepumpt (s. [73]). immer wieder in der Kritik.
. Abbildung 13.13 zeigt die Malta Oberstufe, die
im Jahr 1979 in Österreich in Betrieb genommen zz Itaipú (Brasilien/Paraguay)
wurde. Der Bau dauerte von 1971 bis 1977. Das Kraftwerk Itaipú an der Grenze zwischen Brasi-
lien und Paraguay wurde von 1975 bis 1991 erbaut und
13.1 • Integration im Stromsektor
645 13
im Jahr 2004 auf die derzeitige Leistung von 14 GW
erweitert (s. .  Tab. 13.10). Im Jahr 2013 erzeugte das
Kraftwerk 98,6 TWh elektrische Energie und konnte
damit zu 75 % den Elektrizitätsbedarf Paraguays und
zu 16,9 % denjenigen Brasiliens decken (s. [35]). Von
Itaipú aus geht direkt eine HGÜ-Leitung nach São
Paulo, um den Großraum São Paulo und Rio de Ja-
neiro mit Wasserkraft zu versorgen.
Das Großkraftwerk ist ein Gemeinschaftspro-
jekt der Länder Brasilien und Paraguay und ver-
sorgt mit der generierten Energie aus dem Grenz-
fluss Río Paraná beide Länder. Während die Anteile
des Kraftwerks auf beide Länder hälftig aufgeteilt
sind, benötigt Brasilien deutlich mehr Energie, die
es von Paraguay abkauft und importiert.

zz Assuan-Staudamm (Ägypten)
Durch die gigantischen Ausmaße des Nassersees,
der durch das Aufstauen des Nils entstand, besitzt
der Assuan-Staudamm im südlichen Ägypten eines
der größten künstlichen Wasservolumen weltweit
(s. . Tab. 13.11).
Ziel des Baus war nicht allein die Strom-
produktion, sondern auch die Verbesserung der
Schiffbarkeit, die Bewässerung von landwirtschaft-
lichen Nutzflächen und der Aufbau neuer Indus- . Abb. 13.11  Maschinenhalle des Pumpspeicherwerks
Wehr. (Quelle: Schluchseewerk AG)
trien sowie die Sicherung der Trinkwasserversor-
gung. Gleichzeitig entstanden auch hier Probleme
wie fehlende Nährstoffe im Wasser, wodurch der satz. Anhand der technischen Eigenschaften von
Fischbestand im Nil und sogar im Mittelmeer stark Schwungradspeichern ergeben sich folgende An-
zurückgegangen ist. Einige Kulturgüter sind um- wendungsgebiete:
gesetzt worden, u.  a. der berühmte Tempel von 55 Stand-by-Speicher zum Abfangen von Netz-
Abu Simbel, oder in den Fluten versunken (s. [21]). schwankungen, kurzzeitigen Unterbrechun-
Durch das Bauwerk wurde in die Gewässerökologie gen, Netzfilterung, Frequenz- und Spannungs-
des Nils eingegriffen. Der fruchtbare Schlamm, der regelung
bis dahin die Felder stromabwärts belebte, bleibt 55 als Energiereserve für Lastspitzen, Einschalt-
seit dem Bau des Damms aus. Am Staudamm selbst und Anfahrvorgänge.
wurde in den 1970er-Jahren auch eine große alkali-
sche Elektrolyse zur Wasserstoffproduktion für die 13.1.3.1 Ausgleich von
Ammoniaksynthese und Düngemittelgewinnung Netzschwankungen
in Betrieb genommen (s. 7 Kap. 8). Ein Schwungradspeicher von Beacon Power mit
einer kommerziellen Größe von 20 MW Pufferleis-
tung ist im Bundesstaat New York zur Frequenz-
13.1.3 Schwungradspeicher regulierung im Netzgebiet des NYISO (New York
Independent System Operator) eingesetzt. Der
Neben der Standard-Stromspeichertechnologie der Speicher ist seit 2011 in Betrieb und an das 115 kV-
Pumpspeicher kommen auch andere mechanische Verteilnetz angeschlossen. Bis dato wurden Netzfre-
Energiespeicher in Spezialanwendungen zum Ein- quenzspannungen durch Generatoren mit fossilem
646 Kapitel 13 • Speicherintegration in einzelnen Energiesektoren

. Tab. 13.5  Übersicht zu Leistungsdaten, Kapazitäten und Jahresstromerzeugung von Pumpspeicherkraftwerken in


europäischen Länder von 2011. (Quelle [22, 29])

Land Nennleistung in MW Kapazität in GWh Jahresstromerzeugung in GWh

Belgien 1307 8 1217

Bulgarien 864 2 765

Deutschland 6777 39 6099

Frankreich 6985 184 5074

Griechenland 699 21 264

Großbritannien 2744 33 2895

Irland 292 2 0

Italien 7544 k. A. 2539

Kroatien (2010) 293 k. A. 106

Litauen 900 49,3 564

Luxemburg 1096 6,1 1069

Norwegen 1326 11000 406

Österreich 3365 125 3504

Polen 1406 11 422

Portugal 1029 107 564

Rumänien 92 k. A. 218

Schweden 99 k. A. 122

Schweiz 1817 369 1746

Slowakei 916 3,7 368

Slowenien 180 k. A. 143

Spanien 5260 1530 2275


13 Tschechien 1147 6,7 701

Albanien, Dänemark, Estland, Finnland, Lettland, Lichtenstein, Malta, Niederlande, Türkei, Ungarn und Zypern und die
Stadtstaaten haben keine Pumpspeicherkraftwerke installiert und sind daher nicht aufgeführt
Für Bosnien und Herzegowina, Island, Russland, Ukraine und Weißrussland liegen keine Daten vor

. Tab. 13.6  Steckbrief: Pumpspeicherwerk Vianden. (Quelle: [58])

Turbinenleistung 1096 MW

Pumpleistung 850 MW

Arbeitsvermögen Turbinieren/Pumpen 4630/6.240 MWh (ca. 4/7 h)

Inbetriebnahme 1964

Fallhöhe ca. 280 m

Speichervolumen Oberbecken 6,8 Mio. m³

Speichervolumen Unterbecken 6,8 Mio. m³

Betreiber Société Électrique de l’Our (SEO)


13.1 • Integration im Stromsektor
647 13

. Abb. 13.12  Das Pumpspeicherwerk nahe Vianden in Luxemburg entlang des Grenzflusses Our zwischen Deutschland
und Luxemburg. Der Fluss wird als Unterbecken genutzt. (Quelle: Société Électrique de l’Our)

. Tab. 13.7  Steckbrief: Pumpspeicherwerk Bath- . Tab. 13.8  Steckbrief: Pumpspeicherwerk Malta
County. (Quelle: [17]) Oberstufe (Österreich). (Quelle: [73])

Turbinenleistung 3 GW Turbinenleistung 120 MW

Inbetriebnahme 1985 Pumpleistung 116 MW

Speichervolumen 44 Mio. m³ Speicherkapazität/Ausspeicher- 76 GWh/26 Tage


Oberbecken dauer

Speichervolumen 34,5 Mio. m³ Inbetriebnahme 1979


Unterwasser
Fallhöhe 198 m
Fallhöhe ca. 380 m
Betreiber Verbund AG
Betreiber Allegheny Power System, Dominion
648 Kapitel 13 • Speicherintegration in einzelnen Energiesektoren

. Abb. 13.13  Pumpspeicher Malta Oberstufe in Österreich, der mit 26 Tagen Ausspeicherdauer den Charakter eines Lang-
zeitspeichers hat. (Quelle: Verbund AG)

. Tab. 13.9  Steckbrief: Drei-Schluchten-Talsperre. . Tab. 13.10  Steckbrief: Itaipú. (Quelle: [75])
(Quelle: [3])
Turbinenleistung 14 GW
13 Turbinenleistung 18,2 GW
Jahresproduktion 98,6 TWh
Jahresproduktion 84,7 TWh/a
Auslastung ca. 7050 VLh
Auslastung ca. 4650 VLh
Gewässer Paraná
Gewässer Jangtse Inbetriebnahme 1984
Umsiedlungen 1,3 Mio. Menschen, 1600
Fabriken
. Tab. 13.11  Steckbrief: Assuan-Staudamm.
Kosten offiziell/inoffiziell 21/39 Mrd. € (Quelle: [21])
Inbetriebnahme 2009
Turbinenleistung 2,1 GW (12 Francis-Turbinen)

Speichervolumen 135–169 Mrd. m³
Brennstoff oder Wasserkraftgeneratoren ausgegli-
Gewässer Nil
chen. Um schneller auf Netzschwankungen reagie-
ren zu können, werden Schwungradspeicher mit Umsiedlungen 100.000 Menschen
einer Reaktionszeit von Millisekunden eingesetzt. Inbetriebnahme 1970
Am Standort Stephentown sind 200 Schwung-
Investitionsvolumen ca. 2,2 Mrd. €
räder in Betrieb, welche pro Jahr zwischen 3000
13.1 • Integration im Stromsektor
649 13

. Abb. 13.14  20 MW-Schwungradspeicher für Frequenzstabilisierung im Bundesstaat New York. (Quelle: Beacon Power LLC)

und 5000 Vollzyklen absolvieren (s. .  Abb. 13.14). deutlich höher, was den Herstellungskosten des
Tests in New England zeigten, dass das System in Schwungrads geschuldet ist (s. [44]).
der Lage ist, 150.000 Lade-/Entladezyklen ohne
Verluste in der Ladekapazität zu durchlaufen. Die 13.1.3.3 Kurzzeitige Hochleistungsenergie
mechanische Robustheit dieser Technologie wurde Für spezielle Experimente der Plasmaphysik sind
damit unter Beweis gestellt. Der mechanische Wir- große Leistungen von bis zu 300 MWM und Ener-
kungsgrad liegt bei über 97 % und der elektrische giemengen in kurzen Zyklen nötig, die das öffent-
Wirkungsgrad bei 85 % (s. [9]). liche Stromnetz nicht abfangen könnte. Das Max-
Die Firma baut weitere Anlagen in der gleichen Plank-Institut nutzt mehrere Schwungradspeicher,
Größenordnung in Pennsylvania und eine kleinere um den starken Wechselbelastungen standzuhal-
Anlage in Massachusetts. Zu den Investitionskos- ten, die bei der Forschung an den Grundlagen eines
ten liegen keine Zahlen vor. Fusionskraftwerks entstehen.
Dieselbe Technik kommt ebenfalls beim Cern,
13.1.3.2 Unterbrechungsfreie der Europäischen Organisation für Kernforschung,
Stromversorgungsanlagen Schweiz, in der Einrichtung zur Teilchenforschung
Zur stationären Anwendung als unterbrechungs- zum Einsatz. Dort wird mithilfe des derzeit größten
freie Stromversorgungsanlagen eignen sich Teilchenbeschleunigers der Welt an den Grundla-
Schwungradspeicher durch ihre schnelle Energie- gen des Universums geforscht.
bereitstellung und ihre geringen Wartungskosten.
Die Firma Piller produziert USV-Anlagen im Leis-
tungsbereich von bis zu 2,4 MW und Speicherka- 13.1.4 Batteriekraftwerke und
pazitäten von 6–21 MWs (1,7–5,8 kWh). Im vollen Batteriespeicher
Leistungsbereich sind die Ausspeicherdauern mit
2,5–8,8 s entsprechend kurz. 13.1.4.1 Batteriekraftwerke für
Die Vorteile gegenüber herkömmlichen USV- Systemdienstleistungen in
Anlagen liegen vor allem in der hohen Leistungs- Deutschland und den USA
dichte, was wiederum zu einem geringeren Flächen- Batteriekraftwerke zur Regelung von Stromnetzen
bedarf führt. Zudem ist eine Klimatisierung der An- existieren international schon seit vielen Jahren. In
lage wie bei Batterien nicht notwendig. Eine Kosten- instabilen Netzregionen sorgen sie für die nötige
ersparnis gegenüber Batterieparks ist abhängig von Netzqualität oder gleichen Differenzen zwischen
den Investitionskosten und den Zyklenzahlen. USV- Verbrauch und Erzeugung aus, primär in der kon-
Anlagen mit Batteriesystemen benötigen im Bereich ventionellen Energieversorgung.
von 5–10 Jahren einen Batterietausch. Schwungrad- In Zeiten sich wandelnder Energiesysteme
speicher haben hingegen eine längere Lebensdauer. können Batterieparks oder Batteriekraftwerke zur
Lediglich die anfänglichen Investitionskosten sind Integration fluktuierender erneuerbarer Energien
650 Kapitel 13 • Speicherintegration in einzelnen Energiesektoren

. Abb. 13.15  Batteriekraftwerk der WEMAG/Younicos AG auf Basis von Lithium-Ionen-Akkus in Schwerin, Mecklenburg-
Vorpommern (Aufnahme beim Einbau der Transformatoren). (Quelle: Younicos AG)

beitragen, indem sie Systemdienstleistungen über- Trotz des Pilotcharakters des Projekts wird ein
nehmen und fossile Must-run-Kapazitäten erset- wirtschaftlicher Betrieb über 20 Jahre hinweg an-
zen und zur gesicherten Leistung beitragen. gestrebt und erwartet. Der Hersteller Samsung SDI
gibt auf seine Batteriezellen 20 Jahre Garantie, wenn
zz Größtes kommerzielles Batteriekraftwerk sie mit der Software und dem Batteriemanagement
Europas in Deutschland der Younicos AG betrieben werden. Abgesehen
13 Batterieparks können auch in Regionen mit sehr ho- von Pumpspeicher- und Speicherwasserkraftwer-
hen erneuerbaren Überschüssen eingesetzt werden. ken wurde in Deutschland bisher Regelleistung
2014 wird der größte kommerziell betriebene Batte- maßgeblich von konventionellen Kraftwerken zur
riepark Europas in einer sehr windreichen Region Verfügung gestellt. Die damit einhergehenden
in Nordostdeutschland fertiggestellt (s. . Abb. 13.15, Treibhausgasemissionen können durch solche Bat-
13.16 und . Tab. 13.12). Die Anlage der Kooperations- teriekraftwerke in Kombination mit erneuerbaren
partner der Batteriefirma Younicos AG und des Energien vermieden werden.
Stadtwerks WEMAG wird an dieser Stelle exempla- Die Steuerung des Kraftwerks erfolgt über die
risch für diesen Anlagentyp vorgestellt. Netzfrequenz. Sinkt diese unter einen definierten
Das Batteriekraftwerk stellt positive und nega- Wert unterhalb der Sollfrequenz von 50 Hz, spei-
tive Regelleistung als Systemdienstleistung am Pri- chert das Kraftwerk aus und trägt damit zur Fre-
märregelenergiemarkt zur Verfügung, gleicht also quenzhaltung bei. Übersteigt die Frequenz einen
kurzfristige Netzschwankungen aus und wird dafür Schwellwert oberhalb der Sollfrequenz, speichert
mit einem Leistungspreis vergütet. Die Leistungs- das Kraftwerk ein. Die Batterien werden jeweils nur
elektronik ist auch in der Lage, transiente Anforde- zur Hälfte geladen und entladen, womit jederzeit
rungen (Kurzschlussleistung/Fault-Ride-Through/ Spielraum für die Bereitstellung sowohl positiver
Momentanreserve) abzudecken. als auch negativer Regelleistung erhalten bleibt.
13.1 • Integration im Stromsektor
651 13

. Abb. 13.16  Innenansicht des Batteriekraftwerkes der WEMAG/Younicos AG auf Basis von Lithium-Ionen-Akkus in
­Schwerin, Mecklenburg-Vorpommern. (Quelle: Younicos AG)

. Tab. 13.12  Steckbrief: Batteriekraftwerk der WE- . Tab. 13.13  Steckbrief: Batteriekraftwerk der
MAG/Younicos AG in Mecklenburg-Vorpommern GVEA/Saft AG auf Basis von Nickel-Cadmium-Batte-
rien in Alaska, USA. (Quelle: [19, 31, 69])
Kapazität 5 MWh
Kapazität 6,75 MWh
Leistung 5 MW
Leistung 27 MW (kurzzeitig max.
Zelllieferant Samsung SDI
46 MW)
Verbaute Zellen 25.600 Stück
Investitionskosten 35 Mio. US-$
Garantierte Laufzeit 20 Jahre zur Bauzeit

Systemdienstleistung Primärregelleistung Hersteller Saft (Zellen), ABB (Leistungs-


elektronik)
Kooperationspartner WEMAG, Younicos AG
Verbaute Zellen 13.760 Stück, Ni-Cd
Förderung Zuschuss des Bundesum-
weltministeriums 1,3 Mio. € Abmessung und Ge- 120 × 26 m, 1300 t
wicht der Batterie

zz Größtes kommerzielles Batteriekraftwerk in Laufzeit 20 Jahre (bei 100 Voll-, 500


Teilzyklen)
Nordamerika
Der weltweit größte Nickel-Cadmium-Speicher Systemdienstleis- USV, Wirk- und Blindleis-
wurde 2010 von ABB und der Saft AG beim Unter- tung/Anwendung tungsbezug und -abgabe
nehmen GVEA in Golden Valley, Fairbanks in Kooperationspartner Golden Valley Electric Asso-
Alaska in Betrieb genommen (s. .  Tab.  13.13). Er ciation, Saft, ABB
dient zur Netzunterstützung und gewährleistet eine Inbetriebnahme August 2010
unterbrechungsfreie Stromversorgung eines dort
652 Kapitel 13 • Speicherintegration in einzelnen Energiesektoren

vorhandenen Inselnetzes. Das ca. 1300  t schwere Nur wenn der Hausbatteriespeicher die Belastung
System besteht aus 13.760 einzelnen Nickel-Cad- für das Stromnetz verringert, anstatt zu erhöhen,
mium-Zellen, welche in 4 Strängen angeordnet dient er der Integration erneuerbarer Energien in
sind. Die Leistung beträgt 27  MW bei einer Ka- die Stromnetze. Daneben ist bei der Auslegung der
pazität von 6,75 MWh, d. h., das System kann eine Batterie darauf zu achten, dass sie sowohl an die
Leistung von 27  MW für 15  min bereitstellen. In dezentrale Energieerzeugungsanlage des Hausbe-
Ausnahmefällen ist für eine kurze Dauer von 7 min sitzers, sei es eine Photovoltaikanlage, ein BHKW,
eine Leistung von 46  MW abrufbar. Die Nickel- eine Kleinwindkraftanlage oder Kombinationen
Cadmium-Batterie erreicht bei 100 Vollzyklen und davon, als auch an den jeweiligen Strombedarf des
500 Teilzyklen eine Lebensdauer von 20 Jahren. Haushaltes angepasst wird.
Bei der Installation des Speichers wurde eine
Investitionssumme von 35 Mio. US-$ aufgewendet. zz Batterie bei Einspeisereduzierung
Daraus errechnet sich für das Jahr 2013 ein infla- Bei einem flächendeckenden PV-Ausbau kommt
tionsbereinigter Wert von 36,4  Mio.  €. Unter der es immer häufiger aufgrund der Einspeisung zu
Annahme, dass etwa ein Drittel der Gesamtkosten Regulierungsmaßnahmen. Eine dieser Maßnah-
(ca. 12,2 Mio. €) auf den eigentlichen Speicher ent- men ist die Leistungsreduzierung, um mögliche
fallen, resultieren spezifische Investitionskosten Spannungsüberhöhungen am Einspeisepunkt der
von 452 €/kW bzw. 1807 €/kWh (s. [69]). PV-Anlage zu vermeiden. Bei einer Leistungsredu-
Aus anderer Quelle gehen Werte von 250 US-$/ zierung von 30 % darf die PV-Anlage nur maximal
kW und 900 US-$/kWh hervor, die sich jeweils auf 70 % ihrer installierten PV-Leistung einspeisen; der
das Jahr der Installation beziehen. Unter Beachtung Rest wird abgeregelt und bleibt ungenutzt.
der Inflation ergeben sich spezifische Kosten von Die 70 %ige Leistungsreduzierung verursacht
260 €/kW bzw. 936 €/kWh (s. [66]). jedoch nur wenige Prozentpunkte an Energiever-
Das System reduziert Versorgungsengpässe um lusten. Je höher die Leistungsreduzierung ist, desto
65 % und kann in unterschiedlichen Betriebsweisen höher werden auch die Energieverluste. Bei einer
gefahren werden (s. [19]): Einspeisebegrenzung auf 30 % werden nur noch
55 Spannungsstabilisierung durch Blindleistungs- ca. zwei Drittel des maximal möglichen Ertrags ins
bereitstellung im Dauer- oder Überlastbetrieb Netz eingespeist. Dem Nachteil der Abregelung von
55 Frequenzstabilisierung (Momentanreserve als einem Drittel der Energie steht der Vorteil gegen-
vorrangige Betriebsweise) über, dass teilweise bis zu 3,3-mal mehr PV-Anla-
55 automatische Ablaufplanung zur sofortigen gen in einem Netzgebiet installiert werden können
13 Bereitstellung von Leistung bei Spannungs- (s. [76]). Durch den Einsatz einer Batterie können
einbrüchen auf Übertragungsleitungen oder Leistungsspitzen aufgefangen und zu einem späte-
Generatoren in der Umgebung ren Zeitpunkt wieder eingespeist werden.
55 Ausgleich großer vorhersehbarer Last- . Abbildung 13.17 zeigt die jährlich eingespeiste
schwankungen durch aktives Lastmanagement. Solarenergie als Funktion der spezifischen Batte-
riegröße bezogen auf die installierte PV-Leistung.
13.1.4.2 Eigenverbrauch über Es wird deutlich, dass bei einer Limitierung auf
Hausbatteriespeicher in 70 % kleinere Batterien für den Lastausgleich aus-
Deutschland reichen. Für das Beispiel der Reduzierung auf 30 %
Hausbatteriespeicher werden aus unterschiedlichen zeigt sich eine optimale Batteriegröße im Bereich
Gründen genutzt. Sie werden verwendet, um die von 3 kWh pro kW installierter PV-Leistung. Eine
Energieautarkie zu erhöhen, die Versorgungsicher- weitere Erhöhung der spezifischen Kapazität bringt
heit zu gewährleisten, die Eigenverbrauchsquote keine wesentlich größere Verbesserung.
zu steigern oder PV-Überschüsse aufzufangen, die
durch eine Einspeiseregulierung verloren gehen. zz Batteriespeicher zur Erhöhung des
Batterien für den häuslichen Bereich lassen sich Eigenverbrauchs
auf unterschiedliche Weise in das Stromnetz inte- Eine Batterie wird häufig dazu verwendet, die Aut-
grieren. Am wichtigsten ist die Netzdienlichkeit: arkie eines Haushalts zu steigern. Eine 100 %ige Au-
13.1 • Integration im Stromsektor
653 13
Optimale Größe
1

0,9

0,8
Jährlich eingespeiste Energie Emax / Epv

0,7

0,6 Limitierung 70 %
Limitierung 50 %
0,5 Limitierung 30 %
Limitierung 20 %
0,4 Limitierung 10 %

0,3

0,2

0,1

0
0,1 1 10 100
Batteriegröße in kWh / kWpk

. Abb. 13.17  Jährliche Einspeisung von Solarstrom als Funktion der spezifischen Batteriegröße bezogen auf die installierte
PV-Leistung. (Quelle: [76])

tarkie ist jedoch selbst mit einer unendlich großen dann der Fall, wenn die Batterie mehr speichert,
Batterie zusammen mit einer durch das Hausdach als für den täglichen Bedarf nötig ist. Der optimale
flächenmäßig begrenzten PV-Anlage nicht mög- Punkt liegt hier bei 2  kWh Speicherkapazität pro
lich. Ausnahmen bilden Haushalte, die eine große 1000 kWh Verbrauch (s. [76]).
PV-Anlage besitzen und/oder einen sehr niedrigen Zum anderen kann ein sehr großer Speicher so-
Energieverbrauch aufweisen (s. . Abb. 13.18). gar als saisonaler Speicher dienen, der Stromüber-
Mit einem Hausbatteriespeicher soll auch die schüsse vom Sommer in den Winter verlagert. Da-
Wirtschaftlichkeit einer PV-Anlage gesteigert für wäre eine Batteriekapazität von über 100 kWh
werden. Die Spreizung zwischen Börsenpreis bzw. notwendig, die aus heutiger Sicht finanziell für
Einspeisevergütung und Strompreis des Energie- einen Privathaushalt uninteressant ist.
versorgers steigt stetig an. Diese Spreizung führt Eine vollständige Autarkie ist nur zu erreichen,
dazu, dass der Eigenverbrauch wirtschaftlich im- wenn die Überschüsse des Sommers mithilfe der
mer attraktiver wird. Ohne Speicherung ist ledig- Batterie in den strahlungsarmen Winter transfe-
lich eine typische Eigenverbrauchsquote von ca. riert werden oder die PV-Anlage so groß ist, dass
30 % umsetzbar, ohne Lebensstandard oder Tages- sie auch im Winter genügend Energie liefert. Beide
ablauf zu ändern. Durch eine Batterielösung lässt Systeme sind sehr kostspielig oder nur mit einem
sich diese Quote auf ca. 60–65 % steigern (s. [60]). erheblichen Mehraufwand zu realisieren.
.  Abbildung  13.18 zeigt den Autarkiegrad über
die Batteriegröße in Abhängigkeit von der PV- zz Netzdienliche Integration von
Stromerzeugung. Zwei Aspekte sind dabei sehr Hausbatteriespeichern
interessant: Zum einen trägt eine Erhöhung der Für das Netz ist die Dämpfung der Leistungsspit-
Batteriekapazität ab einem gewissen Punkt nicht zen bzw. der damit verbundenen Spannungshübe
mehr viel zur Steigerung der Autarkie bei. Dies ist von großer Bedeutung (netzdienlicher Betrieb in
654 Kapitel 13 • Speicherintegration in einzelnen Energiesektoren

. Abb. 13.18  Autarkiegrad als Funktion der Batteriegröße und des jährlichen PV-Ertrags. (Quelle: [76])

.  Abb. 13.19). Für den Batteriebesitzer ist vor allem einige Zeit trainierte Lernalgorithmen sehr gute
die Vermeidung von Energieverlusten wichtig (kon- Ergebnisse liefern und eine überregionale Energie-
ventioneller Betrieb in . Abb. 13.19). Die eingebaute wettervorhersage nicht zwingend notwendig ist.
Regelungstechnik hat daher dafür zu sorgen, dass die
Batterie bei gutem Sonnenschein nicht frühzeitig am Beispiel
Vormittag vollgeladen ist, um mögliche Überschüsse Im Juli 2013 wird auf ein Einfamilienhaus eine PV-
aus der Leistungsreduzierung am Mittag und Nach- Anlage mit 5  kW Peakleistung installiert, die im
mittag noch aufnehmen zu können. Gleichzeitig ist Jahr durchschnittlich 5000  kWh erzeugt. Die Ein-
die Regelung so zu gestalten, dass am Ende das Tages speisevergütung zu diesem Zeitpunkt für kleine
13 dennoch genügend Energie im Speicher vorhanden PV-Anlagen liegt bei 15,07  €-ct./kWh. Zudem ist
ist, damit der Batteriebesitzer seinen Verbrauch am durch den Gesetzgeber vorgeschrieben, eine Ein-
Abend und über Nacht decken kann (s. [52]). speisereduzierung auf max. 70 % vorzunehmen,
Das Risiko bei falscher Auslegung von PV-An- was den jährlichen Ertrag um 3 % reduziert, d.  h.
lage und Batterie, dass die Batterie nicht genügend etwa 150  kWh werden abgeregelt. Der Strompreis
gefüllt ist oder dass ihr Ladezustand zu hoch ist für liegt bei 26,5  €-ct./kWh, also bedeutet jede selbst
die Aufnahme von Überschüssen, kann mit einer verbrauchte Kilowattstunde für die Familie eine
optimalen Planung vermieden werden. Dabei spie- Einsparung von 11,43 €-ct.
len qualitativ hochwertige Vorhersagen über den Die Familie entscheidet sich für eine Batterie
Verbrauch und die PV-Erzeugung der nächsten mit einer Speicherkapazität von 5  kWh mit einem
Stunden und Tage eine Rolle. Erst eine genaue Zykluswirkungsgrad von 85 % in Ein- und Aus-
Kenntnis der Energiemeteorologie sorgt dafür, dass speicherung. Damit gehen die 150  kWh/a durch
der Ladezustand der Batterie den kommenden An- die Leistungsreduzierung nicht verloren, woraus
forderungen entspricht und die Batterie sowohl zur sich ein Mehrertrag von 34  €/a ergibt. Die wichti-
Entlastung des Netzes als auch zur Erhöhung der gere Einnahmequelle ist die Erhöhung des Eigen-
Autarkie beiträgt. Die Evaluation des Hausbatterie- verbrauchs von 30 auf 60 %. Es werden also zu den
speicher-Förderprogramms offenbart, dass über bereits direkt verbrauchten 1500  kWh nochmals
13.1 • Integration im Stromsektor
655 13

. Abb. 13.19  Netzdienliche vs. konventionelle Einspeicherung bei Hausbatteriespeichern, nach [52]

1500  kWh für den eigenen Haushalt abgezogen, die Batterie nicht selbst refinanzieren, weshalb För-
wobei mit Verlusten von 225 kWh/a zu rechnen ist. derprogramme aufgesetzt wurden.
Statt 1500 kWh für 226 €/a einzuspeisen, verwendet
die Familie den Strom selbst und kann dadurch
338 €/a wegen des geringeren Netzbezugs sparen. 13.1.5 Inselnetze mit erneuerbaren
Durch die Batterie hat sie am Ende des Jahres etwa Energien und Speichern
146 € mehr zur Verfügung.
Dieser Einnahme ist die Ausgabe für das Batte- Die ersten elektrischen Netze waren Inselnetze.
riesystem gegenüberzustellen: Bei Systempreisen Über ihre Zusammenlegung im letzten Jahrhun-
von 1500 €/kWh Batteriekapazität fallen bei der In- dert entstanden die kontinentalen Verbundnetze.
stallation des Systems 7500 € an. Die Amortisation Auch heute gibt es in Industrieländern noch Insel-
zieht sich entsprechend lange hin. In Kombination netze. Vorwiegend in entlegenen Regionen wie den
mit einer eingeschränkten Lebensdauer kann sich Alpen kommen sogenannte »Solar Home Systems«
656 Kapitel 13 • Speicherintegration in einzelnen Energiesektoren

13

. Abb. 13.20  Die Erde bei Nacht – die elektrifizierten Orte werden durch Beleuchtung sichtbar, © [M] 1xpert / fotolia

zum Einsatz. Sie bestehen aus einer Photovoltaik- 13.1.5.1 Hintergrund und Potenzial
anlage, einer Steuerung samt Lasten und einem Für Industrienationen ist die ständige Verfügbar-
Batteriespeicher. Solche »Offgrid«-Versorgungen keit von Elektrizität eine Selbstverständlichkeit.
existieren auch mit Windkraftanlagen. Auf die Fläche bezogen ist jedoch nicht einmal die
Das größte Potenzial für Inselsysteme liegt je- Hälfte der Welt elektrifiziert. Dabei handelt es sich
doch in den ländlichen, nicht elektrifizierten Re- vorwiegend um den ländlichen Raum fernab von
gionen der Welt und den hunderttausenden von Übertragungsnetzen (s. . Abb. 13.20). Etwa 1,3 Mrd.
Inseln selbst. Im Folgenden wird beispielhaft auf Menschen, ein Fünftel der Weltbevölkerung hat
drei Inseln mit einem hohen Anteil von erneuerba- keinen direkten Zugang zu Strom (s. [45]).
ren Energien und Speichersystemen eingegangen. Inselnetze sind die einzige Möglichkeit, auch
abgelegene Gebiete und Inseln ohne Zugang zum
13.1 • Integration im Stromsektor
657 13

. Abb. 13.21  Stromgestehungskosten in verschiedenen Ländern auf Basis von Diesel. Gebiete mit eigenen Ölvorkommen
und hohen Dieselsubventionen sind als rote Regionen erkennbar. (Quelle: [45])

Strom- oder Gasnetz mit Elektrizität zu versorgen. hoher solarer Einstrahlung und hohen Dieselprei-
Vielfach werden über weite Wege fossile Kraftstoffe sen, wie . Abb. 13.21 deutlich macht (s. [45]).
wie Diesel herangeschafft und in Generatoren zur In diesen Regionen können PV-Systeme eine
Verstromung eingesetzt. Amortisationszeit von weniger als vier Jahren er-
Die Abhängigkeit bestehender Inselnetze von reichen und darüber hinaus Einsparpotenziale von
fossilen Energieträgern mit hohem Transportauf- bis zu 2,25 €/kWh erzielt werden. Dort ist ein gro-
kommen macht bei steigenden Brennstoffkosten ßes Potenzial zum Aufbau von erneuerbaren Insel-
und sinkenden Preisen von erneuerbaren Energien netzen samt Speichern vorhanden.
eine Umstellung der Versorgung interessant. Neben
der Wirtschaftlichkeit sind auch volkswirtschaftli- zz Technische Umsetzung von erneuerbaren
che Kriterien wie die Unabhängigkeit von fossilen Inselnetzen nur durch Speicher
Importen oder Umweltaspekte für Inselnetze mit Da sowohl Wind und Wetter als auch die Strom-
Speichern entscheidend. nachfrage auf einer Insel stark schwanken, ist der
technische Aufwand zur Sicherstellung der Netz-
zz Photovoltaik in Konkurrenz zu stabilität sehr hoch. Neben der erforderlichen In-
Dieselgeneratoren als Treiber für Speicher formations- und Kommunikationstechnik und
PV-Anlagen sind bereits heute in vielen der nicht einem Energiemanagementsystem ist eine rein er-
elektrifizierten Regionen wirtschaftlich. Einzig die neuerbare Energieversorgung ohne Speicher nicht
oftmals hohen Subventionen von fossilem Diesel möglich.
und die Verfügbarkeit der Technologie samt War- Zum Aufbau eines Inselsystems zählen folgen-
tungsinfrastruktur verhindern ihren Durchbruch. de Komponenten (s. . Tab. 13.14):
Die Kosten zur Stromerzeugung in einem die- Die Auslegung und Kombination der Kompo-
selbetriebenen Inselnetz liegen weltweit derzeit nenten für ein Inselnetz ist so individuell wie die
zwischen 0,02 und 2,60 €/kWh, d. h. zwischen 0,2 Insel oder die Region selbst. Neben den meteorolo-
und 26 €/l Diesel. Die breite Spreizung ergibt sich gischen Gegebenheiten sind die örtlichen Anforde-
einerseits aus den Subventionen für diesen fossilen rungen höchst unterschiedlich. Allein ein imaginä-
Kraftstoff und andererseits aus dem großen Trans- rer Vergleich des industrialisierten amerikanischen
portaufwand bei der Lieferung in entlegene Regio- Inselstaats Hawaii mit der schlichten ostafrikani-
nen sowie aus der Knappheit des Gutes. Ab Strom- schen Insel Sansibar führt dies vor Augen.
gestehungskosten von 0,25 €/kWh (2,5 €/l Diesel) Im Folgenden werden anhand bestehender
ist die Einbindung von PV-Anlagen in Inselnetze oder geplanter Inselnetze die gewählten Variatio-
wirtschaftlich attraktiv; vor allem in Regionen mit nen von erneuerbaren Energien und Energiespei-
658 Kapitel 13 • Speicherintegration in einzelnen Energiesektoren

. Tab. 13.14  Komponenten eines Inselsystems

Erzeugungseinheit(en) Photovoltaik- und Windkraftanlagen, ggf. ein Backup-Generator auf Basis von Diesel
oder Biokraftstoffen, selten Wasserkraftanlagen

Energiespeicher Vorwiegend Batteriespeichersysteme, selten andere wie etwa Power-to-Gas-Anlagen

Energiemanagement- Regelungstechnik, die die Anlage steuert und in der Leitwarte integriert ist
system

Verbraucher Haushalte, Gewerbe, ggf. Industrie

chern näher betrachtet und hinsichtlich Steuerung durch Pflanzendiesel aus organischen Abfällen, mit
und finanzieller Aspekte analysiert. erneuerbarem Strom pyrolytisch erzeugt, gedeckt.
Der Backup-Generator kommt nur in den seltenen
1 3.1.5.2 Speicherintegration auf der Phasen zum Einsatz, wenn kein Wind- und Solar-
Azoren-Insel Graciosa strom zur Verfügung steht und der Batteriespeicher
Die portugiesische Insel Graciosa gehört zu der Insel- einen niedrigen Ladezustand aufweist.
gruppe der Azoren im Atlantischen Ozean. Sie hat
eine Fläche von rund 70 km² und ca. 4500 Einwoh- zz Speichereinsatz
ner. Die Younicos AG errichtet dort für den Energie- Für einen stabilen Netzbetrieb wird zum Erzeu-
versorger EDA eine Inselstromversorgung auf Basis gungsausgleich und zur Bereitstellung aller not-
von Batteriespeichern und einem sehr hohen Anteil wendigen Systemdienstleistungen ein Batteriepark
an Wind- und Solarstrom. Der Strombezugsvertrag in das System integriert. Als »Leistungsbatterie«
(PPA) wurde bereits unterzeichnet (s. [26, 70]). wird ein 1,5 MW Lithium-Ionen-System mit einer
Kapazität von 1,5 MWh genutzt. Für den mehrstün-
zz Bisherige Stromversorgung digen Ausgleich kommt ein Hochtemperatur-Na-
Der durchschnittliche jährliche Strombedarf der trium-Schwefel-System mit einer Gesamtleistung
Insel liegt bei etwa 14 GWh. Die höchste anfallende von 1,2 MW und einer Kapazität von 8,5 MWh als
Spitzenlast beträgt etwa 3  MW. Bisher wurde der »Energiebatterie« zum Einsatz. Sie hat bei einer
Strombedarf zu rund 85 % durch fossile Kraftstof- mittleren Zyklenzahl und entsprechenden Steue-
fe und zu 15 % durch Windkraftanlagen abgedeckt. rung eine Lebenszeit von durchschnittlich 15 Jah-
Die Dieselgeneratoren haben eine Gesamtleistung ren. Das Batteriesystem hat eine schnelle AC-Re-
13 von 4,2 MW und bei 11,9 GWh eine Auslastung von aktionszeit, die unter 100 ms beträgt.
gut 2800 h. Jährlich werden für die Dieselgenera- Das geplante Gesamtsystem wird in . Abb. 13.22
toren 4 Millionen l fossiler Kraftstoff auf die Insel abgebildet.
transportiert.
zz Steuerung und Energiemanagement
zz Geplante Stromversorgung Eine der größten Herausforderungen beim Aufbau
Der Anteil erneuerbarer Energien an der Strom- eines Inselnetzes auf Basis erneuerbarer Energien
versorgung soll von heute 15  auf 60–70 % bzw. ist seine Steuerung. Das System hat die Aufgabe,
100 % gesteigert werden. Hierfür sind PV-Anlagen eine sichere Versorgung und eine Leistungsqualität
mit einer Leistung von 1 MW und fester Neigung nach EN50160 zu gewährleisten.
vorgesehen. Weiterhin sind 6 Enercon-E44-Wind- Dazu werden die Anforderungen in zentra-
kraftanlagen mit einer spezifischen Leistung von le und dezentrale Kontrolleinheiten differenziert
900 kW (insgesamt 5,4 MW) geplant. Bis auf eine (s. . Abb. 13.23).
Leitung zum Windpark wird kein Netzausbau not- Der zentrale Controller sorgt für einen opti-
wendig. Der verbleibende Strombedarf von ca. malen Betrieb des Netzes und den Erzeugungsaus-
30–40 % wird durch ca. 3 × 1  MW Backup-Gene- gleich. Des Weiteren ist er für das Batteriemanage-
ratoren zunächst fossil und zukünftig erneuerbar ment und die Einhaltung einer langfristigen Ver-
13.1 • Integration im Stromsektor
659 13

. Abb. 13.22  Setup der erneuerbaren Stromversorgung inklusive Batteriespeicher auf der Insel Graciosa. (Quelle: [74])

. Abb. 13.23  Steuerung des Inselsystems Graciosa. (Quelle: Younicos AG)


660 Kapitel 13 • Speicherintegration in einzelnen Energiesektoren

sorgungssicherheit zuständig. Diese Vorgänge sind wenn die IT-Kommunikation zwischen dezentra-
durch die Speicherkapazität der Batterien zeitlich len Komponenten und dem Energiemanagement
unkritisch. zusammenbricht.
Die dezentralen Controller sichern über den Die Bereitstellung eines ausreichend hohen
Ausgleich der Leistung die Netzstabilität. Sie füh- Kurzschlussstroms, sodass im Falle eines Netzfeh-
ren nach Anforderung selbstständig stabilisierende lers die Sicherungen ansprechen, ist eine weitere
Maßnahmen durch. Diese laufen innerhalb eines Forderung der EN50160. Der Kurzschlussstrom
Zeitraums von Mikrosekunden bis zu Sekunden ab wird für das Inselnetz Graciosa über die Batterie-
und sorgen durch eine Entkoppelung der Strom- umrichter zur Verfügung gestellt. Eine schnelle
netze von den Netzen der Kommunikationsmedien Steuerung der Batterieinverter ermöglicht eine
für einen stabilen Netzbetrieb. Modulierung des Kurzschlussstroms, wodurch der
Eine der zu erfüllenden Anforderungen der Normvorgabe entsprochen und zudem ein Schutz
EN50160 ist die Einhaltung der Justierungsgren- der Umrichter vor Überspannungen umgesetzt
zen, welche von den Ansprüchen an die Leistungs- werden kann.
qualität zur Frequenz- und Spannungsregelung .  Abbildung  13.24 veranschaulicht einen Test-
vorgegeben werden. Dabei sind insbesondere die betrieb in der Nachbildung des Inselsystems im
einzuhaltenden Toleranzen und die qualitativen Maßstab 1:3 in Berlin. Ersichtlich wird der schnelle
Anforderungen einschränkende Parameter. Die Ausgleich durch das System und die Batteriespei-
Regelung erfolgt über leistungsfähige Computer cher 1 (Li-Ionen) und 2 (Natrium-Schwefel).
in der Umrichter-Steuerelektronik der Batterien.
Diese kontrollieren schnell und akkurat den Netz- zz Wirtschaftlichkeit
zustand. Die Investitionskosten des gesamten Projekts be-
Die Abfragen ermöglichen es dem Umrichter, laufen sich auf rund 25 Mio. €, in denen nicht nur
alle geforderten Punkte im P-Q-Bereich abzufah- die Speicher erfasst sind, sondern auch die Wind-
ren. Somit wird im Gegensatz zu den rotieren- kraft- und Photovoltaikanlagen, das Kontroll- und
den Massen die Netzfrequenz nicht durch Ver- Steuersystem, die Stromleitungen, Grundstücke,
langsamung oder Beschleunigung der Maschine Finanzierungskosten und die Projektentwick-
verändert, sondern durch die Modulierung der lungskosten. Hinzu kommen jährliche Wartungs-
Kontrollalgorithmen der Batterieleistung. Sowohl kosten in der Größenordnung der üblichen 2 %
Frequenz- als auch Spannungshaltung werden da- der Investitionskosten (s.  7  Kap.  2). Über einen
durch bei einem System mit 100 % erneuerbaren Zeitraum von 20–25 Jahren können jährlich rund
13 Energien und entsprechenden Fluktuationen durch 8,5  GWh elektrische Energie durch das Inselsys-
intelligent gesteuerte Speicher ermöglicht. tem erneuerbar bereitgestellt und somit eine kos-
Die dezentralen Kontrolleinheiten nutzen Fre- teneffiziente, nachhaltige Energieerzeugung ge-
quenz-Leistungs-Kurven, wodurch sie als Span- währleistet werden.
nungsquellen gemäß EN50160 parallel betrieben
werden können. Dadurch kann der erneuerbare 1 3.1.5.3 Speicherintegration auf der
Kraftwerkspark nachträglich auf einfache Weise Nordsee-Insel Pellworm
erweitert werden. Beim zweiten vorgestellten Inselnetz handelt sich
Als Leit- und Regelgröße dient die Netzfre- um die SmartRegion Pellworm auf der nordfriesi-
quenz. Die Frequenzabweichungen lassen sich über schen Insel Pellworm im Nationalpark Schleswig-
den Be- bzw. Entladezustand der Batterie detektie- Holsteinisches Wattenmeer. Auf einer Fläche von
ren. Anhand dessen können die Reaktionen der 37,44 km2 leben auf Pellworm 1180 Einwohner, ver-
anderen Komponenten im Inselnetz gesteuert wer- teilt über ca. 560 Haushalte (s. [56]).
den. Erzeuger und Lasten werden damit intelligent
einander angepasst, sodass im System möglichst zz Bisherige Stromversorgung
geringe Verluste auftreten. Durch die Wahl der Die Insel Pellworm hat eine lange Tradition in der
Frequenz als Kommunikationsmedium kann ein dezentralen Energieversorgung. Bereits 1983 wurde
stabiler Netzbetrieb gewährleistet werden, selbst ein Solarkraftwerk mit einer Spitzenleistung von
13.1 • Integration im Stromsektor
661 13
51,50
51,25
51,00
50,75
50,50
frequency [HZ]

50,25
50,00
49,75
49,50
49,25
49,00
48,75
48,50
15:40 15:41 15:42 15:43 15:44 15:45 15:46 15:47 15:48 15:49 15:50 15:51 15:52
time
– Bat1

1,000

750

500

250
power [KW]

-250

-500

-750

-1,000

15:40 15:41 15:42 15:43 15:44 15:45 15:46 15:47 15:48 15:49 15:50 15:51 15:52
time

. Abb. 13.24  Testbetrieb zur Frequenzhaltung im Maßstab 1:3 der Insel Graciosa. (Quelle: [70])

300  kW gebaut, welches 1992 durch den Zubau Um die Bevölkerung aktiv in die Studie mit ein-
von drei Windkraftanlagen mit einer Gesamtleis- zubeziehen, wurde eine Bürgerbefragung zur Ak-
tung von 100  kW zu einem Hybridkraftwerk er- zeptanz der Erzeugungsanlagen und zum Ausbau
weitert wurde. Das Hybridkraftwerk wird von der des Stromnetzes durchgeführt. Die Befragung er-
E.ON Hanse Wärme GmbH betrieben und besitzt gab, dass mehr als zwei Drittel der befragten Haus-
im gegenwärtigen Ausbauzustand eine installierte halte den Aufbau eines intelligenten Stromnetzes
elektrische Leistung von 1072 kW als Kombination für sinnvoll hielten.
aus 772 kW PV-Anlagen und 300 kW durch Wind-
kraftanlagen. Neben dem Hybridkraftwerk sind auf zz Neue Stromversorgung
der Insel Pellworm eine hohe Anzahl von Wind-, Ziel der SmartRegion Pellworm ist es, den erneu-
Solar- und Biomasseanlagen und ein Bürgerwind- erbaren Strom so gut wie möglich zum Eigenver-
park installiert. Die Insel ist über zwei 20 kV-See- brauch der Insel Pellworm zu nutzen, um weniger
kabel mit dem Festland verbunden, welche die Strom vom Festland zu beziehen. Des Weiteren sol-
Kompensation von Leistungsüberschüssen und len Erfahrungen bei der Umstellung eines Netzes
Engpässen ermöglichen. auf eine erneuerbare Stromversorgung gesammelt
Im Zuge der Innovationsstudie SmartRegion und die Möglichkeit der Übertragung auf andere
Pellworm wurden alle Erzeuger und Verbraucher Regionen untersucht werden.
auf der Insel Pellworm erfasst und bewertet. Die Um diese Ziele erreichen zu können, werden
Studie kam zu dem Schluss, dass die Stromerzeu- Speicher in das System integriert, die den über-
gung den Stromverbrauch gut um den Faktor 3 schüssigen Strom aufnehmen und bei Bedarf wie-
übersteigt (s. .  Tab.  13.15). Ein großer Anteil der der abgeben können. Zudem findet ein intelligenter
Leistung (11,9 %) und des Energieertrags (6,3 %) Netzausbau statt (Smart Grid), um die Netzstabili-
wird von dem Hybridkraftwerk zur Verfügung tät zu gewährleisten: Hierfür werden Erzeuger, Ver-
­gestellt. 14 % der erzeugten Energie werden zur Be- braucher und Netzkomponenten miteinander ge-
reitstellung von Wärme genutzt (s. [56]). koppelt, um im Verbund auf Abweichungen reagie-
662 Kapitel 13 • Speicherintegration in einzelnen Energiesektoren

. Tab. 13.15  Geplante jährliche Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien auf Basis realer Daten für 2011. (Quelle:
[10, 56])

Erzeugungseinheit Installierte Leistung Eingespeiste Energiemenge Volllaststundenzahl in


in kW 2011 in MWh/a h/a

Hybridkraftwerk WKA 330 946 2868

Hybridkraftwerk PVA 772 745 965

WKA Grüner Deich 1 + 2 400 1082 2705

WKA Schütting 225 693 3080

Windpark Pellworm 4800 13.866 2889

Biogasanlage 530 4463 8422

Private PV-Anlagen 3404 3740 1099

Summe 10.461 25.535 2441

Verbrauchseinheit Zähleranzahl Jahresenergiebezug in MWh


pro Jahr

Haushalte 731 3275

Gewerbebetriebe 185 1179

Sondervereinbarungen 57 815

Speicheröfen 148 1498

Elektrowärmepumpen 20 179

Landwirtschaft 15 123

Summe 1156 7069

ren zu können. Zudem werden neue Technologien chen, kommt eine Redox-Flow-Batterie als Ener-
wie der regelbare Ortsnetztransformator eingesetzt giespeicher zum Einsatz. Als Elektrolyte werden
(s. [56, 59]). Vanadiumsalze verwendet, die in unterschiedli-
13 .  Abbildung  13.25 veranschaulicht eine Mo- chen Tanks gelagert werden. Dies ermöglicht eine
mentaufnahme von Erzeugung, Transport, Spei- unabhängige Dimensionierung der Leistung und
cherung und Verbrauch auf der Insel, die online Kapazität der Redox-Flow-Batterie. Sie hat eine
eingesetzt werden kann. Ein- und Ausspeicherleistung von 200 kW und eine
Die Kenngrößen der erneuerbaren Energie- Speicherkapazität von 1600  kWh, woraus sich für
anlagen sind für die geplante Stromversorgung in den Kurzzeitspeicher eine Ausspeicherdauer von
.  Tab.  13.15 auf Basis realer Erzeugungsdaten von 8 h ergibt.
2011 zusammengefasst und dem Verbrauch gegen- Zum Ausgleich der Fluktuationen und zur
übergestellt (s. [10, 56]). Bereitstellung einer höheren Leistung wird eine
Lithium-Ionen-Batterie als Leistungsspeicher ver-
zz Speichereinsatz wendet. Um die Speicherkapazität von 560  kWh
Auf Pellworm kommen zwei Kurzzeitspeicher als zu erreichen, werden viele Lithium-Ionen-Zellen
»Leistungsbatterie« und »Energiebatterie« zum zu immer größeren Einheiten (Batteriepack) zu-
Einsatz (s. [59]): sammengefasst, die mit dem Batteriemanagement-
Um überschüssige Energie über längere Zeit- system einen Container füllen. Die maximale Ein-
räume möglichst verlustarm zu speichern und für speicherleistung beträgt 560 kW; die Ausspeicher-
wind- und sonnenarme Zeiten verfügbar zu ma- leistung 1100 kW. Damit kann der Batteriecontainer
13.1 • Integration im Stromsektor
663 13
Li-lonen-Batterie + 1 MW Umwandler
& Redox-Flow-Batterie-System

Netz-Management-System (NMS)

Wind

Biogas 20 kV-Netz
BHKW 400 V-Netz

400 V-Netz

Haushalts-
ebene
Haushaltsebene: PV
Energie-Management-System (EMS)
thermische Speicher,
Demand-Side- Elektromobilität,
Management (DSM) flexible Lasten

. Abb. 13.25  Aktuelle Einspeise-, Verbrauchs- und Wetterdaten der SmartRegion Pellworm. (Quelle: [59])

in einer Stunde geladen und in 30  min entladen Prognose für den Wärmebedarf erstellt. Damit
werden. kann einerseits mehr erneuerbarer Strom integriert
Neben der Redox-Flow- und der Lithium-Io- und andererseits der Wärmebedarf zu jedem Zeit-
nen-Batterie werden in 11 Haushalten auf Pellworm punkt gedeckt werden. Zukünftig sollen auch Elek-
mit bereits existierenden Photovoltaikanlagen tromobile in diese Steuerung eingebunden werden.
Hausbatteriespeicher installiert. Die kleinere der
zwei Varianten besitzt eine Speicherkapazität von zz Steuerung und Energiemanagement
6 kWh und eine Leistung von 4,5 kW. Die größere Zwei regelbare Ortsnetz-Transformatoren halten
Version der Haushaltsspeicher verfügt über 9 kWh während der Lastschwankungen die Spannung
Speicherkapazität mit einer mehr als doppelt so konstant auf 400  V. Die Laststufenschalter in den
großen Leistung von 10,5 kW. Durch das Energie- Transformatoren passen das Übersetzungsverhält-
managementsystem von Pellworm ist es möglich, nis entsprechend an. Die Leistungselektronik der
die 11 Haushaltsspeicher als virtuelle Speicher mit Li-Ionen-Batterie dient zur Bereitstellung von Re-
einer Speicherkapazität von 80 kWh und einer Leis- gelleistung und Blindleistung und wird für System-
tung von 80 kW als Stundenspeicher zu steuern. dienstleistungen zur Netzstabilisierung verwendet
Die Auslastung der Batteriesysteme ist stark (s. [59]).
vom gewählten Anwendungsfeld und von der Be- Um die Einspeisung, den Verbrauch und die
triebsstrategie abhängig. Verschiedene Möglichkei- Netzqualität in Echtzeit zu erfassen, wurden alle
ten wie der Erzeugungsausgleich am Strommarkt, Erzeuger, Verbraucher und Speicher mit intelligen-
eine Netzentlastung über das Netzengpassmanage- ten Zählern und Kommunikationsmitteln ausge-
ment, die Steigerung des Eigenverbrauchs oder stattet (s. . Abb. 13.26).
eine Kombination aus allen Varianten ist möglich In einem intelligenten Energiemanagement-
(s. 7 Abschn. 13.1.1) system laufen alle Daten zur Auswertung und Er-
Speicheröfen werden als flexible Lasten im stellung von Fahrplänen und Energieprogosen
Lastmanagement (Power-to-Heat) eingesetzt. Die zusammen. Die Energieprognosen werden aus
gespeicherte Elektrowärme kann bei Bedarf zum Wetterdaten (Windstärke, Windrichtung, Global-
jeweiligen Zeitpunkt zur Beheizung der Wohn- strahlung, Temperatur, Niederschlag), Verbrauchs-
räume genutzt werden. Durch ein Modul wird eine und Erzeugungsdaten, historischen Daten und be-
664 Kapitel 13 • Speicherintegration in einzelnen Energiesektoren

GLOBALSTRAHLUNG WINDGESCHWINDIGKEIT
109,95 W/m2 10,7 W/m2
SmartRegion
Pellworm ERZEUGTE LEISTUNG PV GESAMT WINDSTÄRKE
1.048 kW 5 Beaufort

TEMPERATUR ERZEUGTE LEISTUNG WIND GES.


Verfolgen Sie live die Stromflüsse in der SmartRegion Pellworm! 5.521 kW
7.˚C
Minutengenau sehen Sie nicht nur die aktuellen wetter-und
Einspeisedaten, sondem auch die Stromflüsse zu den Speichem, ERZEUGTE LEISTUNG BIOGAS
von den Speichem ins Netz und zum Festland sowie den Füllstand
der Redox-Flow-und Li-lonen-Batterie. 456 kW

REB LI-ION
7.025 kW
3.874 kW
399,6 kW
136,0 kW

3.415 kW

Legende
REB
VERSORGUNG DER
REDOX-FLOW-BATTERIE ERZEUGUNG AUS WINDENERGIE
HAUSHALTE
LI-ION
LI-IONEN-BATTERIE VERSORGUNGSNETZ
ERZEUGUNG AUS PHOTOVOLTAIK
DES FESTLANDS
VERSORGUNGSNETZ Schleswig-Holstein
ERZEUGUNG AUS PBIOMASSE ENERGIEFLUSS
Netz AG

. Abb. 13.26  Integriertes Energiemanagementsystem in der SmartRegion Pellworm. (Quelle: [10])

sonderen Ereignissen wie Feiertagen oder Veran- nördlich von Samoa im Südpazifik. Auf den 12 km²
staltungen erstellt. Die zentrale Steuerung und die Landfläche leben ca. 1400 Menschen. Des Weite-
Vorhersagen ermöglichen es, auf Laständerungen ren gibt es in Tokelau weder einen Flughafen noch
zu reagieren, die durch Veränderung der meteoro- einen Anlegeplatz für größere Schiffe. Sämtliche
logischen Bedingungen oder den Ausfall von An- Waren, die importiert werden (u.  a. Diesel), wer-
lagen entstehen. den auf kleine Boote umgeladen und von Hand an
Land gebracht. Dabei kam es in der Vergangenheit
13 zz Wirtschaftlichkeit immer wieder bei der Umladung der Fässer auf See
Da es sich bei dem Projekt SmartRegion Pellworm zu einem Austritt von Diesel mit negativen Auswir-
um ein Innovationsprojekt handelt, ist die Wirt- kungen auf die fragile Umwelt der Insel (Riffe, etc.).
schaftlichkeit zweitrangig. Das Augenmerk liegt auf Auf der tropischen Insel herrscht ein feucht-
der Sammlung von Erfahrungen in der Integration warmes Klima. Die mittlere solare Einstrahlung
erneuerbarer Energie in ein bestehendes Netz, die beträgt ca. 2000  kWh  m−²  a−1, wodurch sich die
unter Umständen auf andere Regionen übertrag- Nutzung von Photovoltaik anbietet (s. [36]).
bar sind. Das Projekt hat ein Investitionsvolumen Die höchste Landerhebung auf der Insel be-
von knapp 10 Mio. €, von dem rund 4 Mio. € vom trägt lediglich fünf Meter über dem Meeresspiegel,
Bundesumweltministerium als Leuchtturmprojekt wodurch Tokelau durch einen steigenden Meeres-
bewerkstelligt werden. spiegel bedroht wird und ein existenzielles Interes-
se am Klimaschutz und dem Ausbau erneuerbarer
1 3.1.5.4 Speicherintegration auf der Energien hat.
Pazifik-Insel Tokelau
Die Inselgruppe Tokelau, welche politisch zu Neu- zz Bisherige Stromversorgung
seeland gehört, besteht aus drei Atollen – Atafu, Vor der Energiewende auf Tokelau wurden zur
Fakaofo und Nukunonu – und liegt ca. 500  km Stromerzeugung fast ausschließlich Dieselgene-
13.1 • Integration im Stromsektor
665 13

. Tab. 13.16  Kenndaten der ehemaligen Stromerzeugung, verteilt auf die drei Atolle, nach [39]

Atoll Peak- Load in kW Strombedarf in kWh/a Diesel-Verbrauch in l/a

Fakaofo 51,2 255.100 60.290

Atafu 38,0 201.800 47.692

Nukunonu 36,7 219.400 52.018

Gesamt – 676.300 (brutto), ca. 655.000 (netto) ca. 160.000

. Tab. 13.17  Kenndaten des neuen Stromerzeugungssystems je Cluster und für die insgesamt 28 Cluster auf Toke-
lau, nach [39]

Cluster Gesamt-Tokelau

Leistung PV-Module (1) 33,1 kW 930 kW

Leistung String-Umrichter (2) 21,0 kW 588 kW

Leistung Batterie Laderegler (3) 9,6 kW 269 kW

Leistung Batterie Umrichter (4) 13,5 kW 380 kW

Speicherkapazität Batterie (5) 288 kWh 8,1 MWh

ratoren eingesetzt. Der jährliche Strombedarf von zz Neue Stromversorgung


655 MWh wurde über 160.000 l Diesel gedeckt. Je- Die Regierung von Tokelau hat sich im Jahr 2010
der Haushalt der Tropeninsel ist an das Stromnetz dazu entschlossen, im Rahmen des »Tokelau Re-
angeschlossen und kann ganztägig mit Strom ver- newable Energy Projects (TREP)« die Stromver-
sorgt werden. Um Strom einzusparen und große sorgung von Tokelau umzugestalten. Um das Ziel
Lastspitzen zu vermeiden, hat die Regierung von einer nachhaltigen Energieversorgung zu errei-
Tokelau Klimaanlagen und Elektroherde verboten. chen, wird der Import von Diesel zur Stromerzeu-
Im Jahr 2005 wurde die komplette Strominf- gung minimiert und ein Photovoltaiksystem samt
rastruktur modernisiert und ausgetauscht. Neue Batteriespeichern installiert. Die Kombination aus
Generatoren, Kraftwerkshäuser und Leitungen er- PV und Batterien soll durchschnittlich 90 % des
höhen die Effizienz und die Versorgungssicherheit. Strombedarfs von Tokelau decken. Die restlichen
Da jedes Atoll ein eigenständiges Stromnetz besitzt, 10 % werden mit den vorhandenen Dieselgenera-
gibt es auf Tokelau drei vollständig voneinander toren abgedeckt. Die Umsetzung dieses Projekts
entkoppelte Systeme (s. [39]). wurde im Oktober 2012 erfolgreich abgeschlossen
In .  Tab. 13.16 sind die jährlichen Verbrauchs- (s. [39]).
daten des Stromsektors der jeweiligen Atolle aufge- Das neue Stromversorgungssystem ist in Clus-
führt, wobei eine annähernd gleichmäßige Vertei- terbauweise aufgebaut. Dabei sind in .  Tab.  13.17
lung des Strombedarfs auf jeden Inselteil vorliegt. die jeweiligen Kenndaten sowie in .  Abb. 13.27 der
Der Lastgang jedes Atolls ist sehr ähnlich: Nachts schematische Aufbau eines Clusters dargestellt.
liegt die Last bei 20–25 kW, tagsüber steigt sie leicht Insgesamt sind auf Tokelau 28 dieser identischen
auf 25–30  kW an – der Stromverbrauch ist annä- Cluster installiert.
hernd konstant. Nach 18 Uhr steigt sie um ca. 50 % Dabei wird ein Teil der von den PV-Modulen
stark zur Spitzenlast auf 30–40 kW (20 h) an und (1a) erzeugten Energie mittels String-Umrichter
sinkt dann wieder annähernd linear auf 20–25 kW (2) direkt in das Stromnetz eingespeist. Der ver-
ab. Im Folgenden werden die Stromnetze der drei bleibende PV-Strom (1b) wird auf 48 V Gleichspan-
Atolle als eines angesehen. nung (3) transformiert und je nach Netzsituation in
den Batterien (5) zwischengespeichert oder durch
666 Kapitel 13 • Speicherintegration in einzelnen Energiesektoren

PV-Module

Stringumrichter

Haushalte
Dieselsystem/ 230/400 V/50 Hz
Dieselgeneratoren
230/400 V/50 Hz 230/400 V/50 Hz
G

PV-Module
Stromnetz

230/400 V/50 Hz

PV-Module
Wechselrichter PV Batterieumrichter

48 VDC

Batterie

. Abb. 13.27  Aufbau eines Clusters auf Tokelau

die Batterieumrichter (4) in das Netz eingespeist. Wert, wird in diesen seltenen Fällen der Dieselge-
Wenn die aktuelle PV-Stromerzeugung bzw. die nerator manuell zugeschaltet. Falls kein Diesel vor-
Energie der Batteriebänke nicht ausreicht, wird handen ist oder der Generator nicht funktioniert,
das vorhandene Dieselsystem (6) dazugeschaltet. werden ab einem SOC < 30 % die Batterien vom
Dabei werden die Diesel-Generatoren unabhängig Netz getrennt, um eine dauerhafte Beschädigung
von dem aktuellen Leistungsbedarf auf ihrem op- zu vermeiden. Insgesamt reicht die im Normalfall
timalen Betriebspunkt betrieben. Somit erzeugen verwendete Batteriekapazität aus, um den Strom-
die Generatoren eine definierte Leistung, wobei der bedarf auf Tokelau zwischen ein und drei Tagen zu
nicht benötigte Anteil in den neu installierten Bat- bedienen. Die Lebensdauer der Bleibatterien be-
terien gespeichert wird. trägt bei gutem Lademanagement etwa neun Jahre
(s. [39]).
13 zz Speichereinsatz
Um etwa 90 % des Jahresbedarfs an elektrischer zz Steuerung und Energiemanagement
Energie durch PV-Strom bereitzustellen, ist selbst Eine der Herausforderungen bei der Energiewende
in Gebieten mit sehr hoher solarer Einstrahlung stellt die Steuerung bzw. die Einhaltung von Fre-
wie in Tokelau eine Zwischenspeicherung notwen- quenz- und Spannungstoleranzen dar. Diese könn-
dig. Idealerweise wird tagsüber der Stromspeicher te jedoch auf Tokelau nicht von höchster Priorität
mit dem überschüssigen PV-Strom geladen und sein, da sehr wenig spannungs- bzw. frequenzemp-
nachts entladen. findliche Verbraucher vorhanden sind.
In Tokelau wurden für diesen Fall 1344 Bat- Die Batterieumrichter übernehmen in dem auf
terien mit einer gesamten Speicherkapazität von Tokelau vorhandenen Cluster-Design die Aufgabe
8063  kWh installiert. Aus Kostengründen und der Steuerung des Systems.
wegen der Forderung nach Robustheit, Zuver- Jedes Cluster enthält drei Batterieumrichter,
lässigkeit, Sicherheit und Wartungsfreundlichkeit von denen einer der Hauptumrichter des Clusters
wurden Bleisäure-Batterien gewählt. Sie sind aller- ist (Master) und die beiden anderen (Slaves) steuert
dings empfindlich gegenüber Tiefentladung. Daher (s. .  Abb. 13.27). Alle Cluster sind über eine soge-
werden sie auf maximal 60 % entladen. Sinkt der nannte Multicluster (MC-) Box miteinander ver-
Ladezustand (State-of-Charge, SOC) unter diesen bunden. Dabei übernehmen sie die Aufgabe der
13.1 • Integration im Stromsektor
667 13

. Tab. 13.18  Vergleich der Stromgestehungskosten für das PV-Batteriesystem im Vergleich zum Dieselsystem für
einen Betrachtungszeitraum von 25 Jahren, nach [39]

PV-Batteriesystem Dieselsystem

Investitionskosten 5.070.000 € –

Jährliche Kosten für den Dieseleinkauf 60.000 € 600.000 €

Jährliche Wartungs- und Instandhaltungskosten 33.000 € 69.000 €

Kosten für Umrichterwechsel (1) 600.000 € –

Kosten für Batteriewechsel (2) 2.250.000 € –

Kosten für Diesel-Generatorwechsel – 126.000 €

Jährliche Stromerzeugung 775.000 kWh 775.000 kWh

Stromgestehungskosten 0,81 €/kWh 0,9 €/kWh

Die Geld-Beträge wurden von Neuseeländischen Dollar auf Euro umgerechnet (Kurs Ende 2013: 1,00 NZ $ = 0,60 €)

Frequenz- und Spannungshaltung. Zudem wird Faktor. Hierbei wurde konservativ angenommen,
der SOC der Batterien überwacht, wobei entweder dass sich der Dieselpreis in den nächsten 25 Jahren
die Stromerzeugung aus den PV-Modulen gedros- nicht verändert und damit jährlich 540.000 € durch
selt oder bei einem selten auftretenden SOC < 60 % den Umbau eingespart werden. Steigen die Diesel-
ein Alarm zum manuellen Zuschalten der Diesel- kosten um 3 % jährlich an, liegt die Einsparung so-
Generatoren ausgelöst wird (s. [39]). gar bei 1,2 Mio. € pro Jahr.
In . Abb. 13.28 wird nur die Ausgabensituation
zz Wirtschaftlichkeit der beiden Erzeugungsvarianten über den Projekt-
Neben den Umweltaspekten sind steigende Diesel- zeitraum dargestellt, da beide Systeme die gleich-
preise in den kommenden Dekaden ein weiterer wertigen Einnahmen besitzen. Dabei wurde der
Grund für die Umstellung der Stromversorgung konservative Fall mit konstanten Dieselpreisen ge-
von fossilen auf erneuerbare Energien. Für eine wählt.
Projektlaufzeit von 25 Jahren ergeben sich laut Die Ausgaben für das Dieselsystem steigen an-
. Tab. 13.18 folgende wirtschaftliche Ergebnisse des nähernd linear an, da die jährlich konstanten Auf-
Vergleichs eines fossilen mit einem nachhaltigen wendungen für Diesel der bestimmende Kosten-
Stromversorgungssystem, wobei das Dieselnetz be- faktor sind. Der Austausch des Dieselgenerators
reits vorhanden ist und somit keinen Investitions- nach 13 Jahren fällt aufgrund der niedrigen Kosten
bedarf aufweist. im Vergleich zum Kraftstoff nicht ins Gewicht.
Innerhalb 25 Jahren sind bei dem PV-System Für das PV-Batteriesystem liegt der Startpunkt
die Umrichter einmal und die Batterien zweimal zu durch die Investitionskosten von ca. 5  Mio.  € zu-
wechseln, während der Dieselgenerator aufgrund nächst sehr hoch. Die jährlichen Ausgaben hin-
der geringen Auslastung nicht ausgetauscht werden gegen sind vor allem durch den eingesparten Die-
muss. Im selben Zeitraum sind aufgrund der hohen seleinkauf um 540.000 € geringer als bei der Diesel-
Auslastung bei einer alleinigen Dieselstromerzeu- variante, wodurch der Anstieg der Ausgabengerade
gung die Generatoren einmal zu ersetzen. deutlich flacher ausfällt. Zudem sind die Kosten für
Der größte Kostenblock fällt für den Ersatz der den einmaligen Austausch der Umrichter (Punkt
Batterien an (s. . Tab. 13.18). Ziel ist es, durch gutes 1 in .  Abb.  13.28) und der zweimalige Austausch
Lademanagement die Lebenszeit der Batterien zu der Batterien (Punkt 2 in .  Abb. 13.28) viel stärker
maximieren (s. [39]). gewichtet.
In der Betrachtung sind die jährlichen einge- Das PV-Batteriesystem ist insgesamt jedoch
sparten Ausgaben für Diesel der ausschlaggebende nicht nur ökologisch und volkswirtschaftlich sinn-
668 Kapitel 13 • Speicherintegration in einzelnen Energiesektoren

18

16
Einsparungen
14
Ausgaben in Millionen Euro

12 Amortisation
erreicht 2
10 PV
1
Diesel
8
2
6

0
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25
Projektdauer in Jahren

. Abb. 13.28  Vergleich der finanziellen Ausgaben von PV- und Dieselsystem für die Projektdauer von 25 Jahren, eigene
Darstellung nach [39]

13
. Abb. 13.29  Die neue Stromversorgung auf Tokelau

voller, sondern auch ökonomisch vorteilhaft. Ab ware-Problemen 8 % der PV-Module nicht ange-
dem 13. Betriebsjahr fallen die Ausgaben des PV- schlossen.
Batteriesystems unter die des Diesel-Systems. Es Im Hinblick auf den Beitrag dieser bisher unge-
werden Kosten eingespart und ein wirtschaftlicher nutzten PV-Leistung und die Berücksichtigung von
Vorteil generiert. Dieser Vorteil wird auch in der sonnenreichen Monaten wird eine Lastdeckung
Berechnung der Stromgestehungskosten deutlich durch erneuerbare Energien über das ganze Jahr
(s. . Tab. 13.18). von mehr als 90 % erwartet, wodurch das Ziel des
Projektes erreicht wird (s. . Abb. 13.29).
zz Herausforderungen und Ausblick Aktuell werden die restlichen 10 % des jährli-
In den sonnenschwächsten Monaten von Novem- chen Strombedarfs noch durch Dieselgeneratoren
ber 2012 bis Februar 2013 konnten auf Tokelau 88 % bedient. Um zukünftig 100 % des Strombedarfs
der Last durch Photovoltaik und Batterien gedeckt nachhaltig zu erzeugen, soll anstatt des Diesels
werden. In dieser Zeit waren aufgrund von Hard-
13.1 • Integration im Stromsektor
669 13

. Tab. 13.19  Vergleich der wichtigsten Kenndaten der beschriebenen Inselnetze

Graciosa Pellworm Tokelau

Standort Azoren Nordsee Pazifik

Fläche in km2 70 37 12

Einwohner 4500 1180 1400

Strombedarf pro Kopf in 3,1 6,0 0,47


MWh a−1 cap.−1

Bisherige Stromversorgung

Energiequellen Diesel, Wind Seekabel, Wind, PV, Biogas Diesel

Brennstoffmenge in l/a 4.000.000 – 160.000

Spitzenlast in kW 3000 1156 115

Strombedarf in MWh/a 14.000 7069 655

Geplante, umgesetzte neue Stromversorgung

Erneuerbare Energiequellen Wind, PV, Pflanzenöl Wind, PV, Biogas PV, Pflanzenöl

Installierte Leistung in kW Wind 5400 Wind 5725 PV 930

PV 1000 PV 2742

Biogas 520

Erneuerbare Energie in MWh 8500 22.290 ~ 590

Ziel der erneuerbaren Last- 70–90 % (100 %) 60% 90% (100 %)


deckung

Stromspeicher

Speicherart Natrium-Schwefel-Batterie Redox-Flow-Batterie Blei-Säure-Batterie


Lithium-Ionen-Batterie Lithium-Ionen-Batterie

Speicherkapazität in MWh 8,5 MWh/1,2 kW (NaS) 1,6 MWh/0,2 MW (RF) 8,1 MWh/0,38 MW


und Speicherleistung in kW 1,5 MWh/1,5 MW (Li) 0,64 MWh/0,64 MW (Laden)
bzw. 1,18 MW (Entladen)

Wirtschaftlichkeit

Investitionsvolumen in Mio. € 25 (rein privatwirtschaf- 10 (4 Mio. öffentlicher 5,15 (4,2 Mio. öffentli-


lich) ­Zuschuss) cher Kredit)

Brennstoffkosten-­ 3,0–3,4a – 0,55


einsparung in Mio. €/a

abasierend auf einem Dieselpreis von 35–40 €-ct./kWh und Einbeziehung der bestehenden Windkraftanlagen

konzentriertes Kokosnussöl als Biokraftstoff vor Auffallend ist der 13-fach höhere Strombedarf
Ort verwendet werden (s. [39]). pro Kopf in Pellworm im Vergleich zu den Pazifik-
inseln Tokelau, was mit den unterschiedlichen kli-
13.1.5.5 Vergleich der Inselsysteme matischen Bedingungen und dem anderen Lebens-
Nun werden die beschriebenen Beispiele für Spei- standard zu begründen ist. Die größten Speicher-
cherintegrationen in Inselnetzen in . Tab. 13.19 ein- kapazitäten sind auf der vom Festland am weitesten
ander gegenübergestellt. entfernten Insel zu finden: auf Tokelau.
670 Kapitel 13 • Speicherintegration in einzelnen Energiesektoren

Bemerkenswert ist die deutlich geringere Di- 13.1.6.1  Funktionsweise solarthermischer


mensionierung der Speicher auf Graciosa vs. Toke- Kraftwerke
lau. Der Grund liegt einerseits in der Nutzung der Solarthermische Kraftwerke können in konzent-
Windkraft auf Graciosa und dem höheren verblei- rierende und nichtkonzentrierende Anlagen unter-
benden Dieselanteil andererseits. teilt werden. Zu den konzentrierenden Anlagety-
Für die Auswahl der Batterietypen waren in To- pen gehören linienkonzentrierende Systeme, wie
kelau rein die Kosten und die Robustheit der Tech- z.  B. Parabolrinnen- und Fresnelkraftwerke, und
nologie entscheidend. Für Pellworm und Graciosa punktkonzentrierende Systeme, zu denen Turm-
wurde eine Mischung aus »Leistungsbatterien« für kraftwerke und Dish-Sterling-Systeme zählen. Für
den Ausgleich kurzzeitiger Schwankungen und den Betrieb dieser Anlagen ist eine Konzentration
Netzstabilisierung und »Energiebatterien« für der Sonnenstrahlung notwendig. Zur Bündelung
mehrstündige Stromschwankungen gewählt. der Sonnenstrahlen werden Reflektorflächen ver-
Das Inselnetz Graciosa wird rein privatwirt- wendet, die der Sonne nachgeführt werden. Das
schaftlich finanziert, während 40 % der Kosten gebündelte Licht wird auf einen Absorber gelenkt,
in Pellworm von öffentlicher Hand übernommen in dem ein Wärmeträgermedium erhitzt wird. Da-
werden und in Tokelau ca. 80 % der Kosten über neben gibt es solarthermische Kraftwerke, die keine
einen günstigen Kredit von der Verwaltung vorfi- Bündelung der Solarstrahlung benötigen. Sie wer-
nanziert wurden. den nichtkonzentrierende Anlagen genannt. Zu ih-
Insgesamt werden bei der Realisierung von er- nen zählen die Aufwindkraftwerke (s. . Abb. 13.30).
neuerbaren Inselnetzen wertvolle Erfahrungen ge- Im Folgenden wird der Einsatz von Wärmespei-
sammelt, welche sich auch auf die Energiewende chern in solarthermischen Kraftwerken erläutert.
an Land d. h. auf den kontinentalen Netzverbund
übertragen lassen. 13.1.6.2 Wärmespeicher in Parabolrinnen-
kraftwerken
zz Funktionsweise von
13.1.6 Wärmespeicher in Parabolrinnenkraftwerken
solarthermischen Kraftwerken Parabolrinnenkraftwerke gehören zu den konzen-
trierenden solarthermischen Anlagen. Das aus-
Solarthermische Kraftwerke wandeln solare Strah- schlaggebende Merkmal dieser Kraftwerke sind
lung über einen thermischen Kreislauf in elektri- Reflektoren, die aus parabolisch geformten Spie-
sche Energie und nutzen zur Pufferung der Solar- geln bestehen. Diese Spiegel werden in Nord-Süd-
13 energie Wärmespeicher. Über Kollektoren wird Richtung aufgestellt. Die einachsige Nachführung
die Sonnenstrahlung absorbiert und in Wärme erlaubt es, die Spiegel von Osten nach Westen der
gewandelt. In den gemäßigten Breiten wird Solar- Sonne nachzuführen. Die Solarstrahlung wird auf
thermie überwiegend zur Warmwassererzeugung eine Brennlinie – das Absorberrohr – konzentriert,
und Heizungsunterstützung genutzt. In Ländern weshalb dieser Anlagentyp zu den linienfokussie-
mit hoher direkter Sonneneinstrahlung kann diese renden Systemen gehört. Im Absorberrohr strömt
konzentriert werden und sehr hohe Temperaturen ein Wärmeträgermedium, meist ein synthetisches
erreichen, wodurch ein Dampfkraftprozess zur und hitzebeständiges Öl, das bis auf 400 °C erhitzt
Stromerzeugung betrieben werden kann. werden kann. Das Öl gibt seine Wärme über einen
Ein Vorteil solarthermischer Kraftwerke gegen- Wärmetauscher an einen klassischen Dampfkraft-
über der Photovoltaik liegt in der Speichermöglich- prozess ab.
keit der solar erzeugten Wärme. Wärme lässt sich
einfacher speichern als Strom, wodurch Energie- zz Einsatz von Wärmespeichern in der Praxis
speicher in solarthermischen Kraftwerken günsti- In der südspanischen Provinz Granada wurden die
ger zu realisieren sind. Durch den Zubau von Wär- ersten Parabolrinnenkraftwerke Europas errichtet.
mespeichern wird die Stromerzeugung planbarer. Dort befinden sich die drei Anlagen Andasol 1–3,
welche insgesamt über eine Kollektorfläche von
13.1 • Integration im Stromsektor
671 13

. Abb. 13.30  Übersicht über solarthermische Kraftwerke zur Stromerzeugung, nach [67]

über 1,5 Mio. m2 verfügen und von dem deutschen werden, können zweiachsig nachgeführt werden
Unternehmen Solar Millennium AG realisiert wur- und fokussieren die Sonnenstrahlung auf einen
den (s. [61, 67]). sich in der Spitze des Turmes befindlichen punkt-
Zur Speicherung überschüssiger Wärme ver- förmigen Receiver. Deshalb zählt dieses solarther-
fügt jede der drei Anlagen über einen thermischen mische Anlagenkonzept zu den punktfokussieren-
Speicher, der nach dem Zwei-Tank-Prinzip arbeitet. den Systemen. Der Receiver wird durch die fokus-
Mit einer Mischung aus rund 30.000 t Kalium-Nat- sierte Sonneneinstrahlung erhitzt und gibt Wärme
rium-Nitratsalzen pro Kraftwerk kann auch nachts an die Umgebungsluft ab, die an ihm vorbeigesaugt
Wärme für den Dampfkraftprozess bereitgestellt wird. Die Luft kann Temperaturen von 650–850 °C
werden (s. . Abb. 13.31). Das Salz kann in den Tanks erreichen und wird zur Verdampfung von Wasser
über mehrere Wochen warm gehalten werden. In verwendet, um einen Dampfturbinenkreislauf an-
sonnenreichen Monaten ist ein nahezu ganztägiger zutreiben (s. [46, 67]).
Betrieb dieses solarthermischen Kraftwerks mög-
lich. Die drei Kraftwerke können rund eine halbe zz Einsatz von Wärmespeichern in der Praxis
Mio. Menschen mit Solarstrom versorgen und da- Das Solarkraftwerk PS10 ist das erste kommerziell
bei im heutigen spanischen Strommix ca. 450.000 t genutzte Solarturmkraftwerk und wird von Aben-
CO2 pro Jahr einsparen (s. . Tab. 13.20). goa Solar betrieben. Die Anlage wurde nahe der
spanischen Stadt Sevilla errichtet und ging 2007 in
13.1.6.3 Wärmespeicher in Betrieb. Insgesamt 624 Heliostaten konzentrieren
Solarturmkraftwerken die Sonnenstrahlung auf einen 115 m hohen Turm.
zz Funktionsweise von Solarturmkraftwerken Zusätzlich verfügt dieses Kraftwerk über einen
Solarturmkraftwerke bestehen aus hunderten oder thermischen Speicher mit vier Tanks, womit der
sogar tausenden einzelner Spiegel, die in einem Turbinenbetrieb bei voller Leistung 30 min und bei
Feld um den Turm herum angeordnet sind. Die halber Leistung 50 min auch ohne Solarstrahlung
einzelnen Spiegel, welche auch Heliostaten genannt überbrücken kann (s. . Tab. 13.21 und [1]).
672 Kapitel 13 • Speicherintegration in einzelnen Energiesektoren

. Abb. 13.31  Salztanks als Wärmespeicher im solarthermischen Kraftwerk Andasol I bei Guadix, Spanien. (Quelle: DLR)

. Tab. 13.20  Daten zu den Kraftwerken Andasol 1–3. (Quelle: [61])

Andasol 1 + 2 Andasol 3

Solarfeld

Solarfeldgröße 510.120 m² 497.040 m²

13 Anzahl der Parabolspiegel 209.664 204.288

Anzahl der Absorberrohre mit jeweils 22.464 21.888


einer Länge von 4 m

Jährliche Direkteinstrahlung 2136 kWh/m²a 2136  kWh/m²a

Wirkungsgrad Solarfeld ca. 70 % Spitzenwirkungsgrad, ca. 70 % Spitzenwirkungsgrad,


ca. 50 % Jahresmittel ca. 50 % Jahresmittel

Speicherkapazität des Wärmespei- 28.500 t Salz für 7,5 VLh 30.000 t Salz für 8 VLh
chers

Kraftwerk

Turbinenleistung 49,9 MW 49,9 MW

Jährliche Betriebsstunden ca. 3500 VLh ca. 3700 VLh

Kalkulierte Netto-Strommenge 150 GWh 165,41 GWh

Wirkungsgrad der Gesamtanlage ca. 28 % Spitzenwirkungsgrad, ca. 28 % Spitzenwirkungsgrad,


ca. 15 % Jahresmittel ca. 15 % Jahresmittel
13.2 • Integration im Wärmesektor
673 13

. Tab. 13.21  Daten zum solarthermischen Turm- . Tab. 13.22  Daten zum solarthermischen Turm-
kraftwerk PS10 in Spanien. (Quelle: [1]) kraftwerk Gemasolar in Spanien. (Quelle: [62])

Elektrische Leistung 11 MW Elektrische Leistung 19,9 MW

Jährliche Stromerzeugung 23 GWh Jährliche Stromerzeugung 110 GWh

Anzahl der Heliostaten mit 624 Anzahl der Heliostaten mit einer 2650
einer Fläche von jeweils 120 m² Fläche von jeweils ca. 100 m²

Turmhöhe 115 m Turmhöhe 140 m

Thermische Speicherkapazität 20 MWh Thermische Speicherkapazität 15 h, Wärmeträ-


ger: Salz
Investitionskosten 35 Mio. €

Ein weiteres Beispiel für die Nutzung von Wär- standen. Bei Solarenergie im Gebäudebereich wird
mespeichern bei Turmkraftwerken ist das Kraft- zwischen einer passiven und einer aktiven Nut-
werk Gemasolar in Spanien. Diese Anlage verfügt zungsweise unterschieden.
über einen Flüssigsalzspeicher mit einer Speicher-
kapazität von 15 h, wodurch das Kraftwerk bei guter zz Passive Nutzung von Solarstrahlung für
Solarstrahlung Grundlast liefern kann. In der An- Raumwärme und Beleuchtung
lage kommen als Wärmespeicher 8500  t flüssiges Die passive Nutzung der Solarenergie wird aus-
Natrium- und Kaliumnitratsalz zum Einsatz, das schließlich zur Gebäudeheizung und -beleuchtung
auf 565 °C erhitzt in einem Zwei-Tank-Flüssigspei- verwendet. Sonnenstrahlen gelangen durch die
cher gespeichert wird (s. .  Tab. 13.22). Bemerkens- Fensterscheiben und erwärmen bzw. erhellen das
wert ist, dass das Flüssigsalz direkt als Wärmeträger Gebäudeinnere. Durch eine optimale Ausrichtung
dient und somit durch den Receiver fließt. Es ist des Hauses und durch den Einsatz wärmespei-
also keine Wärmeübertragung von einem Wärme- chernder und wärmedämmender Materialien kann
trägermedium, wie z. B. Öl, auf das Flüssigsalz not- die passive Nutzung zur Reduktion von fossilem
wendig (s. [62]). Energieeinsatz dienen.
Die Umlenkung von Sonnenstrahlen im oberen
Bereich des Fensters an die helle Decke des Raumes
13.2 Integration im Wärmesektor und die anschließende diffuse Rückstreuung schafft
ein angenehmeres Raumklima und führt zu einer
Wärme- und Kältespeicher sind elementarer Be- erheblichen Einsparung an Stromkosten für die
standteil des Wärme- und Kältesektors. Die Grund- Beleuchtung. Dabei wird die Lichtumlenkung be-
lagen der einzelnen Technologien sind ausführlich vorzugt durch passive kombinierte Mikroprismen-
in 7 Kap. 10 dargestellt. Mikrolinsenplatten bewirkt (s. [37, 41]).
. Abbildung 13.32 gibt einen Überblick über den
Einsatz verschiedener Speichertypen in Haushalten, zz Aktive Nutzung von Solarstrahlung über
die verwendete Wärmeübertragung und die Mög- Kollektoren
lichkeit, den Wärmespeicher direkt oder indirekt Bei der aktiven Nutzung absorbieren Kollektoren
für eine bivalente Heizungsauslegung einzusetzen. die Solarstrahlung und geben sie an ein Wärmeträ-
germedium ab. Das Prinzip ist dasselbe wie bei so-
larthermischen Kraftwerken. Die Wärme wird vom
13.2.1 Wärmespeicher für Solarthermie Kollektor zum Pufferspeicher mittels einer Um-
wälzpumpe transportiert. Wärmespeicher kom-
Unter dem Begriff Solarthermie wird die Um- pensieren die Schwankungen der Solarstrahlung.
wandlung von Solarenergie in Wärmeenergie ver-
674 Kapitel 13 • Speicherintegration in einzelnen Energiesektoren

Speicher- Wärmeübertragung Bivalenzoption


Anwendung
grundtyp Speicherausführung (Nachheizung)

Trinkwasser intern extern direkt indirekt


Brauch- oder Durchlaufprinzip Elektr. Heizung externe Nach-
Trinkwasser- im Speicher heizung im
speicher Durchlaufprinzip
Rohrschlange Wärmetauscher
im Speicher und Pumpe Elektr. Heizung im Speicher

Trinkwasser und intern extern direkt indirekt


Heizung
Elektr. Heizung interne mit Wär-
im Speicher meübertrager im
Anschluss an
Befeuerung Speicher (gespeist
Pufferspeicher
mit Gas / Öl durch andere
& und Pumpe
Tank-in-Tank Wärmequelle)
System Seperater
externe Nach-
Speicher
heizung im
und Pumpe
Durchlaufprinzip
Puffer-
speicher intern extern direkt indirekt
Heizung
Durchlaufprinzip Elektr. Heizung interne mit Wär-
im Speicher meübertrager im
Befeuerung Speicher (gespeist
Rohrschlange Wärmeteuscher mit Gas / Öl druch andere
im Speicher und Pumpe Wärmequelle)
externe Nach-
heizung im
Durchlaufprinzip

. Abb. 13.32  Übersicht der Integration verschiedener Wärmespeicher für unterschiedliche Anwendungen, nach [67]

zz Kurz- und Langzeitwärmespeicher vor allem mit der Warmwasserspeicherung. Die Be-
In Haushalten kommen fast ausschließlich Warm- schreibung der Funktionsweise einzelner Solarkol-
wasserspeicher zum Einsatz, welche in Kurz- und lektoren ist der Literatur zu entnehmen (s. [12, 67]).
Langzeitwärmespeicher unterteilt werden. Kurzzeit-
wärmespeicher können die Wärme nur für wenige 13.2.1.1 Funktionsprinzip von Solaranlagen
13 Stunden zur Verfügung stellen und einzelne Tage Das technische Grundprinzip von Solaranlagen
überbrücken. Die Warmwasserbereitstellung kann unterscheidet sich nach Art des Wärmetransports
in vielen Fällen von Übergangszeit zu Übergangs- in Schwerkraft- oder Thermosiphonanlagen und
zeit, also von Frühling bis Herbst, ausschließlich Zwangsumlaufsysteme.
über die Solaranlage samt Wärmespeicher erfolgen.
Für die Verlagerung der Solarwärme vom Som- zz Schwerkraft- oder Thermosiphonanlagen
mer auf den Winter werden saisonale Speicher be- Thermosiphonanlagen arbeiten völlig ohne Pump-
nötigt. Der Wärmespeicher nimmt in Zeiten eines einrichtung. Der Wärmetransport erfolgt aus-
Überangebotes Wärme auf und gibt sie nach Be- schließlich durch die physikalische Tatsache, dass
darf wieder an den Nutzer ab. Die aktive Nutzung warmes Wasser eine geringere Dichte aufweist als
der Sonnenenergie kann sowohl zur Trink- und kälteres und somit nach oben steigt. Der Wärme-
Brauchwassererwärmung als auch zur Heizungs- speicher wird entsprechend über dem Solarkollek-
unterstützung verwendet werden. Auch eine Kom- tor angebracht. Kühlt Wasser im Wärmespeicher
bination beider Varianten ist möglich. ab, so sinkt es nach unten und fließt über das Rück-
Im Weiteren wird die aktive Nutzung der Solar- laufrohr wieder in den Kollektor, wo es durch Son-
energie zur Trinkwassererwärmung und Heizungs- nenstrahlen erneut erwärmt wird (s. . Abb. 13.33).
unterstützung in Verbindung mit Speichern erörtert,
13.2 • Integration im Wärmesektor
675 13

Speicher Speicher

Brauchwasser Brauchwasser

Einkreisanlage Zweikreisanlage

. Abb. 13.33  Aufbau und Funktionsweise von Thermosiphonanlagen, Einkreisanlage: Der Kollektor wird direkt vom Trink-
wasser durchflossen (links); Zweikreisanlage: Ein Wärmeträgermedium fließt durch den Kollektor. Über einen Wärmetauscher
wird die Wärme des Wärmeträgermediums an das Trinkwasser im Wärmespeicher abgegeben (rechts), nach [67]

Eine weitere Unterteilung der Thermosiphona- zz Zwangsumlaufsysteme


nalagen erfolgt in Ein- und Zweikreisanlagen. Der Die Montage des Wärmespeichers oberhalb des So-
Unterschied ist in .  Abb. 13.33 zu sehen. Bei einer larkollektors bleibt Thermosiphonanlagen in Län-
Einkreisanlage fließt Trinkwasser direkt durch den dern ohne Winter und Frost vorbehalten. In Gebie-
Kollektor. Das erwärmte Wasser wird an den Spei- ten mit Frost werden die Warmwasserspeicher in
cher abgegeben. Ein Wärmetauscher, wie er bei der den Gebäuden selbst untergebracht, und die Zirku-
Zweikreisanlage benötigt wird, ist bei diesem Kon- lation des Wassers wird mithilfe einer elektrisch be-
zept nicht erforderlich. triebenen Pumpe erzwungen. Diese Anlagen wer-
Bei der Zweikreisanlage fließt das Wasser, wel- den als Zwangsumlaufsysteme bezeichnet. Auch
ches in dem Kollektor erwärmt wird, durch einen hier werden zwei Arten von Zwangsumlaufsyste-
separaten Kreislauf, den Solarkreislauf. Die Wärme men unterschieden. Die Unterteilung erfolgt, wie
aus dem Solarkreislauf wird über einen Wärme- bei den Thermosiphonsystemen, in Anlagen mit
tauscher an das Brauchwasser im Wärmespeicher einem offenen oder einem geschlossenen Kreislauf.
abgegeben. Der Solarkreislauf und das Brauchwas- Bei Anlagen mit einem offenen Kreislauf ist der
ser sind folglich getrennt, was im Hinblick auf die Kollektorkreis direkt mit dem Verbraucherkreis ver-
Hygiene ein Vorteil ist. bunden. Das Brauchwasser fließt hier direkt durch
Thermosiphonanlagen erreichen nur geringe den Kollektor und absorbiert die Wärme der Son-
Wirkungsgrade, da die Zirkulation des Wassers in neneinstrahlung. Dieses Anlagenkonzept ist jedoch
nördlichen Breitengraden sehr träge ist. In Mittel- für den Ganzjahresbetrieb in Mittel- und Nord-
europa werden Schwerkraftanlagen deshalb selten europa ungeeignet, da das Wasser in den Leitungen
verwendet. Dennoch haben sie aufgrund geringer sowie in den Kollektoren gefrieren kann. Deshalb
Anschaffungskosten und des stromlosen Betriebes wird in diesen Regionen ausschließlich ein geschlos-
auch Vorteile. Da keine Pumpen- und Regelungs- sener Kreislauf verwendet, in dem Solarkreis und
technik nötig ist, ist der Betrieb zudem sehr war- Verbraucherkreis voneinander getrennt sind. Im So-
tungsarm (s. [67]). larkreislauf befindet sich ein Wärmeträgermedium,
Damit eignen sie sich hervorragend für den das mit einem Frostschutzmittel versetzt wurde.
Einsatz in tropischen Ländern. Die einfachen Anla- Eine ständige Zirkulation durch den Pumpen-
gen sind sehr robust und in Afrika, Lateinamerika betrieb ist nicht ratsam, da die Temperaturdifferenz
und Asien weitverbreitet im Einsatz. zwischen dem Kollektor und dem Wärmespeicher
676 Kapitel 13 • Speicherintegration in einzelnen Energiesektoren

F Wasser sammelt sich folglich im obersten Bereich


des Speichers an, wo es vom Verbraucher ent-
Speicher WW
nommen werden kann. Frisches Wasser hingegen
strömt in den unteren Bereich des Wärmespeichers
ein. Im Warmwasserspeicher entstehen dadurch
mehrere verschiedene Temperaturniveaus, welche
umso ausgeprägter sind, je höher und schlanker der
F Wärmespeicher gebaut ist.
KW Die absorbierte Wärme aus den Solarkollek-
toren wird an unterster und somit kältester Stelle
NH des Warmwasserspeichers eingespeist. Durch die
Temperaturschichtung wird erreicht, dass die Tem-
. Abb. 13.34  Temperaturschichtung in einem zentralen peraturdifferenz zwischen dem Kollektor und dem
Speicher zur Warmwasserbereitstellung, nach [67]
Speicher am größten ist und das erwärmte Wasser
immer genau an der richtigen Stelle im Wärmespei-
teilweise zu gering ist, um das Brauchwasser nen- cher eingetragen wird (s. . Abb. 13.34).
nenswert zu erwärmen. Deshalb wird die Umwälz- Für eine effiziente Nutzung von Warmwasser ist
pumpe mithilfe einer Regelung gesteuert. Mit Tem- die Stabilisierung der Temperaturschichtung wich-
peratursensoren an Kollektor und Wärmespeicher tig. Verwirbelungen beim Einfließen des Wassers in
wird die Temperaturdifferenz dieser beiden Punkte den Tank oder auch bei der Entnahme sind zu ver-
bestimmt. Liegt die gemessene Temperaturdiffe- meiden. Die Temperaturschichtung wird dadurch
renz über einem festgelegten Wert, wird durch die instabil, und durch die Vermischung des Wassers
Regelung die Umwälzpumpe eingeschaltet. Die nimmt der Speicherwirkungsgrad ab.
Einschaltdifferenz liegt meist zwischen 5 und 10 °C. .  Abbildung  13.34 zeigt die Temperaturschich-
Wird diese Temperaturdifferenz wieder unter- tung in einem gängigen zentralen Speicher, in dem
schritten, schaltet die Pumpe ab. Die Regelungsein- Frischwasser über einen Wärmetauscher zu Warm-
stellung ist entscheidend für hohe Wirkungsgrade wasser erwärmt wird. Eine Nachheizung ermöglicht
(s. [46, 67]). einen ganzjährigen Einsatz. Auch die Kombination
als Trink- und Heizwassersystem ist möglich.
13.2.1.2  Pufferspeicher für kleine
Solaranlagen zz Zentraler Speicher
13 Eine richtig ausgelegte Solaranlage kann in den Die Verwendung eines zentralen Speichers entwe-
Sommermonaten den gesamten Warmwasserbedarf der für die Trink- oder Heizwassererwärmung ist
decken. Somit kann sie über ein ganzes Jahr gesehen eine gängige Standardvariante der Wärmespeiche-
rund 60 % des Brauchwassers bereitstellen. Dazu rung. Falls die Solarwärme nicht ausreicht, wird
wird die Anlage an den Wasserverbrauch angepasst. das Wasser mit einer konventionellen Heizung auf
Nur dann arbeitet das System wirklich effizient. Das die benötigte Temperatur nacherwärmt (s. rechtes
Kernstück einer solarthermischen Anlage ist der Bild in . Abb. 13.35).
Warmwasserspeicher. Dabei werden mehrere Va- Das Konzept der Heizungswassererwärmung
rianten der Speicherung unterschieden (s. [13]). ist dem der Trinkwassererwärmung sehr ähnlich.
Bei der Speicherung von Heizungswasser werden
zz Schichtungsvorgänge im Speicher jedoch kostengünstigere Tanksysteme verwendet.
Für die effiziente solarthermische Nutzung ist eine So sind z.  B. keine Edelstahlbehälter notwendig.
Temperaturschichtung im Speicher hilfreich. Eine Auch die Problematik der Legionellengefahr ist
natürliche Temperaturschichtung entsteht durch nicht gegeben.
einen Dichteunterschied des Wassers, der von Beide Konzepte werden in der solaren Brauch-
dessen Temperatur abhängig ist. Wird Wasser er- wassererwärmung verwendet. Gerade in kleineren
wärmt, so nimmt dessen Dichte ab. Bereits erhitztes Wohneinheiten können sie den Bedarf an Wärme
13.2 • Integration im Wärmesektor
677 13
aus Brennstoffen oder anderen Quellen deutlich F
reduzieren (s. [67]). WW
Speicher
zz Kombispeicher
In diesem Konzept ist die Trinkwassererwärmung NH
mit einer zusätzlichen Heizungsunterstützung ver-
eint. Kollektorfläche und Speicher werden größer
ausgelegt als bei einem einfachen Trinkwasserspei-
cher. Ein Kombispeicher kann mit Durchlaufver-
fahren und oder einem Doppelspeicher ausgeführt KW
werden.
Bei einem Doppelspeicher befinden sich zwei . Abb. 13.35  Zentraler Speicher zur Trinkwassererwär-
Speichertanks ineinander, weshalb dieses Konzept mung über ein Mischventil und mit der Möglichkeit zur
Nachheizung, nach [67]
oftmals auch als Tank-in-Tank-System bezeichnet
wird. Der innenliegende Tank enthält das Trink-
bzw. Brauchwasser und wird von einem Heizungs- Wärmeträgermedium wird meistens Wasser ver-
wassertank umschlossen. Diese Speicheranlagen wendet, was über unterirdisch verlegte Rohre ge-
sind relativ teuer in ihrer Anschaffung, weshalb sie leitet wird. Die gewonnene solare Wärme wird über
nur selten zum Einsatz kommen (s. [14]). ein Solarnetz zu einer Heizzentrale geleitet und in
einem großen saisonalen Wärmespeicher, welcher
zz Zweispeichersysteme meist zum Teil oder vollständig in den Untergrund
Das Zweispeichersystem besteht aus einem Trink- eingebaut ist, gespeichert. Das Warmwasser wird
bzw. Brauchwasserspeicher und einem zusätzlichen nach Bedarf an die angebundenen Gebäude verteilt
Pufferspeicher für die Heizungsanlage, welche in und, falls notwendig, mit einer konventionellen
Reihe geschaltet sind. Brauch- und Heizungswas- Heizung nachgeheizt.
ser befinden sich folglich in zwei getrennten Spei- Darüber hinaus kommen in Fernwämenetzen
chern. In erster Linie wird der Brauchwasserspei- ebenfalls größere Wärmespeicher zur Pufferung
cher erwärmt. zum Einsatz.
Zum Einsatz kommen Zweispeichersysteme
immer dann, wenn aus Platzgründen die Ver- zz Bauarten
wendung eines großen Speichers ausgeschlossen Es werden vier verschiedene Bauarten saisonaler
ist. Aufgrund einer zu geringen Deckenhöhe oder Wärmespeicher unterschieden: Heißwasser-, Kies/
Türbreite werden anstatt eines großen Warmwas- Wasser-, Erdsonden- und Aquifer-Wärmespeicher
serspeichers zwei kleinere verwendet. Außerdem (s.  7  Kap.  9). Die Wahl der jeweiligen Bauart ist
kann eine bereits bestehende Anlage erweitert wer- stark abhängig von der Geologie und der Hydro-
den, wenn deren Speicherkapazität nicht ausreicht geologie des Untergrundes. Außerdem haben auch
(s. [43]). baurechtliche Bestimmungen einen entscheiden-
den Einfluss, denn gerade für Aquifer- und Erd-
13.2.1.3  Saisonale Wärmespeicher für sonden-Wärmespeicher sind exakte Untersuchun-
große Solaranlagen gen des Untergrundes notwendig. Durch eine gute
zz Große Solaranlagen in Nahwärmenetzen Wärmedämmung des Speichers können die Wär-
Neben den Wärmespeichern in Haushalten für meverluste gering gehalten werden, wodurch eine
den Brauchwasserbedarf und die Heizungsunter- saisonale Energiespeicherung möglich wird.
stützung gibt es auch größere solarthermische An-
lagen, die samt saisonalen Wärmespeichern in ein zz Heißwasser-Wärmespeicher
Nahwärmesystem eingebunden sind. Heißwasser-Wärmespeicher können unabhängig
Die Solarkollektoren werden auf den Dächern von der Geologie eingesetzt werden. Auch kleinere
von ausgewählten Wohngebäuden installiert. Als Baugrößen sind möglich. Diese Speicher werden
678 Kapitel 13 • Speicherintegration in einzelnen Energiesektoren

. Tab. 13.23  Übersicht der Projekte mit Heißwasserspeichern (s. [72])

Projekt Speichervolumen (m3) Baukosten (€) Auf das Nutzvolumen be-


zogene Baukosten (€/m3)

Rottweil (1995) 600 271.950 453

Friedrichshafen (1996) 12.000 1.351.650 113

Hamburg (1996) 4500 960.500 213

Ilmenau (1997/98) 300 140.500 468

Hannover (2000) 2750 665.000 242

hauptsächlich aus Stahlbeton hergestellt und teil- zz Kies/Wasser-Wärmespeicher


weise ganz oder nur zum Teil in die Erde einge- Bei diesem Wärmespeicher dient ein Gemisch aus
baut. Gerade in reinen Wohngebieten werden sie Kies bzw. Sand und Wasser als Wärmespeicher-
aus optischen Gründen unterirdisch verbaut. Um medium. Er wird in ein Erdbecken eingebracht,
Wärmeverluste zu reduzieren, wird eine zusätzliche das mit wasser- und wasserdampfdichten Mate-
Wärmedämmung an der Behälteraußenwand ange- rialen ausgekleidet und mit Kies bzw. Sand und
bracht. Sowohl die Seitenwände als auch der Boden Wasser aufgefüllt wird. Das Be- und Entladen er-
und der Deckel sind gedämmt. folgt entweder mit den Brunnenpaaren oder über
In Deutschland gibt es mehrere Projek- Rohrschlangen im Speicherinneren. Der Wärme-
te mit größeren Heißwasser-Wärmespeichern speicher ist durch die Kiesfüllung selbstragend,
(s. .  Tab. 13.23), von denen zwei exemplarisch be- wodurch theoretisch unbegrenzte Speichergrößen
schrieben werden. realisiert werden können. Die Wärmekapazität von
Eine Pilotanlage wurde 1995 in Rottweil gebaut. Kies oder Sand ist jedoch deutlich geringer als von
Bei dem Wärmespeicher handelt es sich um einen reinem Wasser. Deshalb werden diese Wärmespei-
600 m³ großen Behälter, der teilweise oberirdisch cher bei gleicher Wärmekapazität im Vergleich zu
liegt. Er hat eine zylindrische Form mit einem In- Heißwasserspeichern größer gebaut.
nendurchmesser von 13 m und einer Höhe von 5 m. In Eggenstein-Leopoldshafen erfolgt die Wär-
Die Wärmedämmung besteht aus Mineralwolle meversorgung des Schul- und Sportzentrums
und ist zwischen 20 und 30  cm dick. Zusammen über eine Kollektorfläche von 1600  m² und einen
13 mit einem Blockheizkraftwerk dient der Wärme- 4500 m³ großen Kies/Wasser-Wärmespeicher. Der
speicher als Kurzzeitspeicher. Das verwendete Bau- Wärmespeicher ist am Boden und an den Seiten-
konzept des Projektes Rottweil ist auch auf Lang- wänden mit einem 50  cm dicken Blähglasgranu-
zeitspeicher übertragbar. lat und auf dem Speicherdeckel mit 90 cm dickem
Ein anderes Beispiel findet sich in Friedrichs- Schaumglasschotter gedämmt. Zusätzlich wird der
hafen. Dort wurde 1996 ein Heißwasserspeicher er- Wärmespeicher mit einer 2,5  mm dicken Kunst-
baut, welcher für die solare Wärmeversorgung einer stoffbahn wasserdampfdicht abgedichtet. Der Bau
Wohnsiedlung sorgt. Die Wohnsiedlung umfasst dieses Speichers konnte innerhalb von drei Mona-
acht Gebäude mit 586 Wohnungen. Die gesam- ten für 550.000 € realisiert werden (s. [72]).
te Wohnfläche dieser Siedlung beträgt 39.500  m².
Das Speichervolumen des Wärmespeichers ergibt zz Aquifer-Wärmespeicher
12.000  m³. Solarkollektoren mit einer Fläche von Bei dieser Speicherart werden Grundwasser füh-
rund 5400  m² liefern die solare Energie zur Er- rende Schichten, auch Aquifere genannt, zur
wärmung des Wassers. Das Speicherwasser wird Wärmespeicherung im Untergrund genutzt. Der
mithilfe der Sonnenkollektoren auf Temperaturen Aquifer-Wärmespeicher wird in der Regel mit zwei
zwischen 40 und 90 °C erwärmt. Bohrungen, also einem Bohrungspaar, erschlossen
und besteht aus zwei unterirdischen Hohlräumen.
13.2 • Integration im Wärmesektor
679 13
Einer dieser Hohlräume ist mit warmem, der peraturdifferenzen benötigt. Dafür ist die zu erwär-
andere mit kaltem Wasser gefüllt. Beim Beladen mende Wassermenge umso größer.
des Wärmespeichers wird kaltes Wasser aus einem Aus diesem Grund werden Solaranlagen zur
Aquifer entnommen, erwärmt und dem anderen Erwärmung von Schwimmbecken mit einer gro-
Aquifer zugeführt. Beim Entladen des Speichers ßen Durchflussmenge betrieben. Das Tempera-
ist die Strömungsrichtung umgekehrt. Außerdem turniveau ist relativ niedrig. Die Schwimmbad-
kann im Sommer kaltes Wasser aus dem Aquifer absorber sind sehr einfach aufgebaut, robust und
entnommen und über die bestehenden Heizkreis- günstig. Sie bestehen aus schwarzen Matten oder
läufe zur Klimatisierung von Gebäuden verwendet Schläuchen, die überwiegend aus kostengünstigen
werden. Eine Wärmedämmung dieses Speichers ist Kunststoffen hergestellt sind. Auf eine spezielle
nicht möglich. Die Baukosten sind deutlich geringer Wärmedämmung und eine Glasabdeckung wie
als bei anderen saisonalen Wärmespeicherarten. bei häuslichen Solarkollektoren wird verzichtet.
In Rostock-Brinckmannshöhe wurde 1999/2000 Die Reflexionsverluste durch die Glasabdeckung
eine Wohnanlage mit insgesamt 108 Wohnungen entfallen dadurch vollständig. Da das System bei
gebaut und mit einem Aquifer-Speicher versehen. geringen Temperaturen arbeitet, treten nur geringe
Auf den insgesamt 11 Dächern des Wohnkomple- Konvektionsverluste auf. Für die geforderte An-
xes sind Solarkollektoren mit einer Gesamtfläche wendung ergeben sich relativ hohe Wirkungsgra-
von 1000 m² installiert. Unter dem Grundstück be- de. Auch auf einen Wärmetauscher wird bei diesen
findet sich ein Aquifer, das durch zwei Bohrungen Anlagen vollständig verzichtet, da das Schwimm-
erschlossen wurde. Aus dem kalten Aquifer wird badwasser direkt durch den Absorber geleitet wird
im Sommer Wasser mit einer Temperatur von 10 °C (s. [63]).
entnommen und in den Solarkollektoren erwärmt. Die Solarthermie eignet sich bestens zur Be-
Das erwärmte Wasser wird in das warme Aqui- heizung von Freibädern, die nur im Sommer ge-
fer zur saisonalen Speicherung eingeleitet. Im Win- nutzt werden. Die solarthermische Anlage kann in
ter wird die Strömungsrichtung umgekehrt. Das diesen Monaten den Wärmebedarf ohne Weiteres
warme Wasser kann jederzeit nach Bedarf entnom- decken. Nicht geeignet ist die Solarheizung hin-
men werden. Zu Beginn des Entladens beträgt die gegen für Schwimmbäder, die das ganze Jahr über
Fördertemperatur rund 45 °C. Im weiteren Verlauf betrieben werden. Die Wärmebereitstellung im
der Heizungsperiode sinkt sie ab, weshalb in die- Frühling und Herbst reicht nicht aus, um die gro-
ses System zusätzlich eine Wärmepumpe mit einer ßen Wassermassen auf eine ausreichende Tempera-
Heizleistung von 100  kW integriert wurde. Diese tur zu erwärmen. Der Einsatz von Solaranlagen in
Wärmepumpe deckt den Wärmebedarf, wenn der Freibädern hat einen entscheidenden Vorteil: Die
saisonale Wärmespeicher oder die Solarenergie Ganglinien von solaren Energie- und Besucherauf-
nicht ausreicht. Mithilfe des Wärmespeichers kann kommen stimmen weitgehend überein.
etwa 63 % der im Boden eingelagerten solaren Wär-
me bis in die Wintermonate verschoben werden Beispiel
(­ s. [4, 30, 55]). Ein Beispiel für die solare Nutzung bei Schwimm-
bädern bietet das Hallenbad Azuqueca de Henares
zz Schwimmbäder und Schwimmbecken bei Madrid. Durch eine Sonnenkollektorfläche von
Die Energiekosten zur Beheizung eines Schwimm- 347  m² kann es 70 % seiner jährlichen Energiekos-
beckens mit Strom oder fossilen Energiequellen ten einsparen. Mit der Solarenergie werden ein
sind meist sehr hoch. Deshalb wird die solarther- Schwimmbecken in einer Größe von 1250  m², ein
mische Nutzung zur Erwärmung von Schwimm- Whirlpool und 16 Duschen beheizt.
becken stetig attraktiver. Viele Schwimmbadbetrei- Ein weiteres Beispiel der solaren Nutzung von
ber stellen daher ihre Energieversorgung auf diese Freibädern stellt das Wöhrdbad in Regensburg dar.
kostengünstige Alternative um. Für die Beheizung Das Freibad verfügt über zwei Becken – ein 50 m lan-
eines Schwimmbeckens werden keine großen Tem- ges Sportbecken und ein Nichtschwimmerbecken
– und ist von Mai bis September täglich geöffnet.
680 Kapitel 13 • Speicherintegration in einzelnen Energiesektoren

sertanks und massiven Ziegelwänden. Dadurch


wird eine Wärmeversorgung auf Basis von Solar-
energie fast ganzjährig möglich. Im den Winter-
monaten bieten kleine Scheitholz- oder Pelletöfen
eine ökologische Heizungsunterstützung.
Der Großspeicher bietet eine Lösung für die
zeitliche Verschiebung des großen Angebots von
Solarwärme im Sommer hin zur Deckung des gro-
ßen Wärmebedarfs des Haushalts im Winter. Der
große Wassertank kann in den Wohnbereich integ-
riert oder im Erdboden versenkt werden.
. Abb. 13.36  Erstes zu 100 % solar beheiztes Mehrfami-
lienhaus Europas in Bern, Schweiz. (Quelle: Jenni Energie- zz Erste rein solar beheizte Mehrfamilienhäuser
technik AG) Europas mit großem Solarspeicher
Das erste zu 100 % solar beheizte Mehrfamilienhaus
Seit 1993 ist in diesem Freibad eine Solaranlage mit Europas befindet sich in Bern, Schweiz. Es umfasst
einer Kollektorfläche von rund 1000  m² in Betrieb. acht Wohnungen und wurde 2007 fertig gestellt
Mit dieser Anlage ist es möglich, den ganzen Som- (s. . Abb. 13.36).
mer über das Wasser der beiden Schwimmbecken Bei einer Nutzfläche von 1230  m² ergibt sich
ohne zusätzliche Heizung zu erwärmen. Lediglich ein Heizwärmebedarf von 9,8 kW. Die Hauptkom-
das Duschwasser wird mit einer Gasheizung beheizt. ponenten dieses Hauses sind die 300  m² große
Kollektorfläche und der 205.000  l fassende Solar-
Sonnenkollektoren zur Schwimmbaderwärmung speicher. Entsprechend groß sind die Ausmaße des
als Energiespeicher werden auch von privaten Speichers, wie . Abb. 13.37 veranschaulicht.
Poolbesitzern genutzt. Ein nicht überdachter Pool Der solare Deckungsgrad dieses Hauses beträgt
mit einer Wasseroberfläche von 20  m² benötigt 100 %. Durch den großen Pufferspeicher ist eine zu-
eine Kollektorfläche von 20  m², um die notwen- sätzliche Wärmequelle zur Solaranlage nicht mehr
dige Energie aus der Umwelt aufzubringen. In den notwendig.
Sommermonaten kann auf die zusätzliche Behei- Das Solarzentrum in Kienberg, Oberbayern, ist
zung des Wassers vollständig verzichtet werden, ein Büro- und Ausstellungsgebäude, das 2007 fer-
wodurch CO2-Emissionen und Kosten eingespart tiggestellt wurde und eine Nutzfläche von 466 m²
13 werden können (s. [25, 63]). besitzt. Die notwendige Heizleistung beträgt 9 kW
bei einem Heizwärmebedarf von 11,1  MWh pro
zz Anwendung sehr großer Wärmespeicher im Jahr. Die 107  m² große Kollektorfläche ist nach
Sonnenhaus Süden ausgerichtet. Der 25.400  l fassende Puffer-
Ein Sonnenhaus nutzt zu mindestens 50 % die speicher hat einen Durchmesser von 2 m und eine
Energie der Sonne zum Beheizen der Räume. Dem Höhe von 8,5 m. Mithilfe dieses Speichers wird ein
Hausbewohner soll ein möglichst großer Wohn- solarer Deckungsgrad von 90 % erreicht. Die op-
komfort bei geringen Heizkosten geboten werden. tionale Nachheizung erfolgt über einen Pelletheiz-
Ziel ist es, einen Großteil der Wärme durch erneu- kessel (s. [50]).
erbare Energien bereitzustellen, um so autark von
fossilen Brennstoffen zu sein.
Während Trinkwasser- und Kombispeicher in 13.2.2 Latent- und Sorptionsspeicher in
erster Linie der Warmwassergewinnung und der Gebäuden und Haushalt
Unterstützung der Raumheizung dienen, steht
beim Sonnenhaus die Nutzung der Sonne als Pri- 13.2.2.1 Gebäudeklimatisierung mit
märenergie zur Gebäudeheizung im Vordergrund. Latentwärmespeichern
Erreicht wird dies durch eine Speicherung der Son- Neben der häufigsten und einfachsten Art der
nenenergie in großen, im Haus integrierten Was- sensiblen Wärmespeicherung kommt zunehmend
13.2 • Integration im Wärmesektor
681 13

. Abb. 13.37  Speicher des zu 100 % solar beheizten Mehrfamilienhauses in Bern, Schweiz. (Quelle: Jenni Energietechnik AG)

auch die Nutzung von Latentwärmespeichern im Primärenergieverbrauch sowie hohe Stromkosten


Gebäudebereich zum Einsatz. bei Spitzenlast.
Eine alternative Klimatisierung von Leichtbau-
zz Passive Kühlung mit PCM ten stellen Systeme zur passiven Kühlung mit Pha-
Im Innern massiver Bauten herrscht auch bei ho- senwechselmaterialien (PCM) dar. Die Speicherung
hen Außentemperaturen noch eine angenehme der latenten Wärme eines Phasenwechsels, zumeist
Kühle, da deren Wände ein hohes Wärmespeicher- fest-flüssig, kann als Ersatz für fehlende massive
vermögen aufweisen. Bei Leichtbauten ist meist Wände dienen. Die durch Sonneneinstrahlung und
eine aktive Kälteerzeugung mit z.  B. Kompressi- interne Quellen am Tag in den Raum eingebrach-
ons- oder Adsorptionskältemaschinen erforder- te Wärme wird im PCM gespeichert. In der Nacht
lich (s.  7  Abschn.  8.5). Dies bedeutet zusätzlichen wird die ausreichend verfügbare und kostenlose
682 Kapitel 13 • Speicherintegration in einzelnen Energiesektoren

PCM PCM
(Phase Change Materials, (Phase Change Materials,
Phasenwechselmaterialien) Phasenwechselmaterialien)

. Abb. 13.38  Kältespeicherung im PCM in der Nacht (links) und Kühlung des Innenraums am folgenden Tag (rechts), nach [78]

. Abb. 13.39  PCM-Speicherelement (links), das an der Decke eines Besprechungsraums installiert wurde (rechts). (Quelle: [78])

Kälte der Umgebung dazu genutzt, die tagsüber ge- um das Aufschmelzen des PCMs zu gewährleis-
speicherte Wärme wieder abzugeben und das PCM ten. Andererseits sollte Tm ausreichend höher als
für eine erneute Aufladung mit Wärme am nächs- die nächtliche Umgebungstemperatur sein, damit
13 ten Tag zu präparieren (s. . Abb. 13.38, 13.41). die vollständige Kristallisation des PCMs gelingt.
Der Wärmetransport zum PCM kann entweder Für Europa sind je nach Standort PCM mit einer
mit freier und oder mit erzwungener Konvektion Schmelztemperatur im Bereich 20–30 °C zu ver-
erfolgen. Systeme mit freier Konvektion nutzen wenden.
PCM-Speicherelemente (z.  B. makroverkapselte Zur Bestimmung der Wärmespeicherfähigkeit
PCM, .  Abb.  13.39 links) für Wände und Decken eines PCMs ist dessen Enthalpiekurve, d. h. die Ver-
oder speziellen Putz, dem PCM beigemischt ist. Für änderung der Enthalpie mit der Temperatur h(T),
die erzwungene Konvektion sind zusätzlich Venti- mit hoher Genauigkeit zu messen. Kommerzielle
latoren mit geringem Stromverbrauch zu installie- PCM enthalten oft Zusatzstoffe bzw. bestehen aus
ren bzw. separate PCM-Speicher, die direkt in die Verbundmaterialien und weisen daher einen sich
Klimaanlage integriert werden. über mehrere Grad Celsius erstreckenden Schmelz-
Bei der Auslegung von Systemen zur passiven bereich auf. Ein Temperaturmessfehler von nur 1 °C
Kühlung mit PCM ist darauf zu achten, dass die kann aufgrund des geringen Temperaturhubs bei
Schmelztemperatur Tm des PCMs zum Tempera- Systemen zur passiven Kühlung mit PCM bereits
turbereich der Anwendung passt. Die Schmelztem- eine deutliche Erniedrigung der nutzbaren Wärme-
peratur Tm sollte einerseits ausreichend niedriger speicherfähigkeit zur Folge haben (s. [78]).
sein als die tagsüber erreichte Raumtemperatur,
13.2 • Integration im Wärmesektor
683 13
Ventilator Ventilator

Heizspirale Heizspirale

Zeolith Zeolith

Reinigungsphase Trocknungsphase
Desorption und Aufheizen des Wassers Adsorption und Aufheizen der Luft

. Abb. 13.40  Funktionsprinzip einer Spülmaschine mit einem thermochemischen Energiespeicher, nach [42]

In Zukunft werden weitere PCM zur Gebäu- gieintensiver als eine Reinigungsphase ohne Zeo-
deklimatisierung und anderen Anwendungen er- lith, aber zum einen wird dadurch Wasser gespart,
forscht. da das Wasser zur Reinigung teilweise aus dem
vorherigen Spülgang stammt und zur Befeuchtung
13.2.2.2 Spülmaschine mit und zum Aufwärmen des Geschirrs dient. Zum
thermochemischem anderen ist später bei der Trocknungsphase kaum
Energiespeicher mehr Energie aufzuwenden.
Auch thermochemische Energiespeicher werden In der Trocknungsphase wird nur Energie für
im Alltag z.  B. in Adsorptionsspülmaschinen mit den Ventilator benötigt, indem die durch die Rei-
Zeolith eingesetzt. nigungs- und Spülphase feuchte Luft mittels Ven-
Die Zeolith-Kugeln haben eine extrem hohe tilator durch das Zeolith geblasen wird, in dem die
spezifische Oberfläche von 800–1000  m²/g mit Wassermoleküle adsorbiert werden. Bei der Ad-
einer Porengröße von weniger als 1  nm. In diese sorption wird Wärme frei, welche die getrocknete
Poren werden die Wassermoleküle adsorbiert. Bei Luft aufnimmt. Im Anschluss wird die trockene
der Einlagerung von Wasser wird Energie frei, wel- und heiße Luft über das Geschirr geleitet, wobei
che bei der Desorption von außen aufgewendet sie wieder Wasser aufnehmen kann. So wird inner-
wird. Die Zeolith-Kugeln sind in der Lage bis zu halb kurzer Zeit das Geschirr getrocknet und sogar
30 % ihres Eigengewichts an Wasser zu adsorbie- Tröpfchen auf Kunststoffgeschirr bzw. kleine Pfüt-
ren. Anwendung findet das Zeolith bei einem Spül- zen in Vertiefungen von Gefäßen restlos entfernt.
gang in der sogenannten Reinigungsphase und der Die Luftfeuchte fällt während der Adsorption von
Trocknungsphase (s. [42]). 100  auf ca. 10 %. Damit schlägt dem Nutzer beim
Öffnen der Spülmaschine kein heißer Dampf ent-
zz Funktionsprinzip gegen, was einen erhöhten Nutzungskomfort dar-
Während der Reinigungsphase wird dem Zeolith stellt.
– durch eine Heizspirale auf eine Temperatur von Der Energieverbrauch kann durch diesen
240 °C erhitzt – das Wasser ausgetrieben (desor- Speichereinsatz deutlich reduziert werden, ent-
biert), welches vom vorherigen Waschgang noch sprechend auch die CO2-Emissionen im Haushalt
eingelagert ist (s. . Abb. 13.40). Diese ist zwar ener- (s. [42]).
684 Kapitel 13 • Speicherintegration in einzelnen Energiesektoren

x % des jährlichen deutschen Erdölverbrauchs ent-


spricht (s. [6]).
Ein Drittel dieses Vorrates von ca. 1 Mrd. Vor-
ratsfestmeter befindet sich in Bayern, welcher als
größter Flächenstaat Deutschlands auch über die
größten Waldflächen verfügt. Im Vergleich zur
ersten Bundeswaldinventur 1988 ist der Vorrat bis
2002 um 23 % deutlich gestiegen. Die Gründe dafür
liegen einerseits in besseren Wachstumsbedingun-
gen: durch den Klimawandel sind die Vegetations-
zeiten um etwa vier Wochen länger, ein erhöhter
. Abb. 13.41  Nutzungsarten von Holz Stickstoffeintrag aus der Atmosphäre und höherer
CO2-Gehalt in der Atmosphäre tragen ebenfalls
dazu bei. Darüber hinaus hat sich die Nährstoffsi-
tuation in den Waldböden nach Aufgabe der Streu-
13.2.3 Holz als chemischer Speicher in nutzung nach dem 2. Weltkrieg deutlich verbessert.
Forst und Wald für die Galten vor 100 Jahren Werte von 4–6 m3 Zuwachs
Wärmeversorgung pro Hektar und Jahr als Durschnitt, liegt heute die-
ser Wert bei 12–14 m3 ha−1 a−1. Hierbei ist die Unter-
13.2.3.1 Große Potentiale für Klimaschutz scheidung von Holzvorrat und Holzernte wichtig:
und Wärmeversorgung Bei Erntefestmetern wird das Derbholz unter 7 cm
Holz ist der größte Energiespeicher Deutschlands. Durchmesser abgezogen, was etwa 10 % des Vor-
Die über Photosynthese gespeicherte Solarenergie rates ausmacht.
der Wälder in Deutschland und global ist immens. Andererseits war die Holznutzung je nach Be-
Die Eigenschaft von Wäldern, CO2 zu binden, wird sitzer sehr unterschiedlich. Nur 61 % des Zuwachs
in der Aufforstung und der Waldwirtschaft gene- in Bayern werden laut der letzten Bundeswaldin-
rell genutzt und bietet sehr kostengünstigen Kli- ventur genutzt (s. [6]). Damit liegt im Wald noch
maschutz im Vergleich zu anderen Maßnahmen ein großes ungenutztes Potential gespeicherter
(s. 7 Kap. 1). Holz bindet im Mittelwert in Deutsch- erneuerbarer Energie für die Wärmeversorgung.
land ca. 18 t CO2 ha−1 a−1 (s. [6]). Diese ungenutzten Mengen liegen vorwiegend im
In allen Energieszenarien der Zukunft spielt Privatwald, bzw. besonders im Kleinprivatwald.
13 Biomasse eine wichtige Rolle, wobei der Anbau von Derzeit werden ca. 12–15  Mio. Erntefestmeter in
Energiepflanzen in Konkurrenz zu Nahrungs- und allen Besitzarten in Bayern genutzt, das mögliche
Futtermitteln steht und diese vorwiegend über Bio- Potential liegt um das 1,5–2-fache höher.
gasanlagen für Strom und über Biokraftstoffe für
den Verkehr verwendet werden. In der Wärmever- zz Großes preiswertes Wärmepotential
sorgung Deutschlands finden sich 10 % erneuerbare vorhanden
Energieträger, die fast ausschließlich aus Holz sind Holz kann stofflich oder energetisch genutzt wer-
(s. 7 Kap. 3 und 4). den (s. . Abb. 13.41):
55 S toffliche Nutzung
zz Holzvorräte sehr groß und Zuwachs 55 Stammholz für Möbel, Baukonstruktionen,
unterschätzt etc.
Laut der letzten Bundeswaldinventur 2002 gibt es 55 Industrieholz, wie Papierholz zur Papier-
in Deutschland einen Vorrat von ca. 3.400  Mio. herstellung oder Spannplatten,
Festmeter Holz. Dieser Vorrat entspricht energe- 55 Energetische Nutzung für Wärme und Strom
tisch bei 200  l Heizöl-Äquivalent pro Festmeter 55 Brennholz, Scheitholz
etwa 680 Mrd. l oder 4,3 Mrd. Barrel Heizöl, was 55 Pellets
55 Hackschnitzel
13.2 • Integration im Wärmesektor
685 13
9

7
Handelspreis in -ct. / kWh

5 Heizöl
Erdgas
4 Holzpellets
Holzhackschnitzel
3

0
2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014
Jahr

. Abb. 13.42  Preisentwicklung von Heizöl, Erdgas, Holzpellets und Holzhackschnitzel in den vergangenen Jahren. (Quelle:
Carmen e. V.)

Während in Afrika und Asien Holz überwie- Beispiel


gend energetisch genutzt wird, gelangt das einge- In Bayern wächst umgerechnet jede Sekunde
schlagene Holz in Europa und Nordamerika über- ein Festmeter (m3) nach. Die Waldfläche beträgt
wiegend in die stoffliche Nutzung (s. 7 Abschn. 1.1). 2,56 Mio. ha, der Zuwachs beträgt 12–14 m3 ha−1 a−1.
Die energetische Nutzung von Holz nimmt je- Welcher Zuwachs an Holz erfolgt in einem Jahr?
doch mit steigenden Öl- und Gaspreisen in Europa Wieviel Tonnen CO2 werden im Wald jedes Jahr
zu. Vor allem in der Wärmeanwendung ist die ge- gebunden, absolut und pro Einwohner?
speicherte Holzenergie interessant. Welchem Heizöl-Äquivalent entspricht dies bei
Die Hackschnitzelpreise haben sich in den letzten 200 l/m3? Welcher Anteil des bayerischen Heizölver-
10 Jahren verdoppelt, die Preise für Pellets ebenfalls brauchs könnte bei einer rein energetischen Nut-
um über 50 % an Wertsteigerung erfahren. Dennoch zung dieses Zuwachses ersetzt werden? Welchen
sind beide Holzprodukte immer noch günstiger als Gegenwert hat diese Energiemenge bei einem Heiz-
Heizöl oder Erdgas: Pellets liegen ein Drittel unter ölpreis von 90 €-ct./l, absolut und pro Einwohner?
dem aktuellen Preis von Heizöl (2014) und sind 20 % Welche Einspeicherleistung setzt der Energie-
günstiger als Erdgas. Holzhackschnitzel sind sogar speicher Wald in Bayern über die Photosynthese um?
um mehr als die Hälfte günstiger als Heizöl und Gegeben:
Erdgas. Während Heizöl- und Erdgaspreise globalen Heizwert Holz: ca. 2000 kWh/m3, entspricht ca.
Preisschwankungen ausgesetzt sind, werden Holz- 200 l Heizöl/m3 (Mischung aus Hart- und Weichholz)
produkte überwiegend lokal gehandelt. Ihre Preis- Bevölkerung Bayerns: 12,56 Mio.
entwicklung ist daher stabiler (s. . Abb. 13.42). Heizölverbrauch Bayerns: ca. 6000 Mio. l/a (2011)
Holz als nachwachsender Rohstoff ist zudem Lösung:
ein heimisches Gut, welches den Import der fossi- Zuwachs (konservativ):
len Energieträger ersetzen kann. Das Potenzial des m3 m3
Waldes als chemischer Speicher von Solarenergie E = 2,56 ⋅106 ha ⋅12 = 30, 72 Mio ⋅
Holz ha ⋅a a
für Wärme ist immens, wie folgendes Beispiel für
Bayern verdeutlicht.
686 Kapitel 13 • Speicherintegration in einzelnen Energiesektoren

CO2-Bindung durch Zuwachs: 13.2.3.2 Steigerung des Zuwachses durch


mCO2 = 2,56 ⋅10 ha ⋅18
6 t
= 46 Mio.
t ausgeglichenes Wald-Wild-
ha ⋅ a a Gleichgewicht
Der nachwachsende Rohstoff Holz wächst unter
CO2-Bindung pro Einwohner:
normalen Bedingungen auf natürliche Art und
t
46 Mio. Weise nach, wenn das Gleichgewicht zwischen
mCO2 , EW = a = 3, 7 t per capita
Wald und Wild stimmt. In der Waldnutzung gibt
12,56 Mio. a
es neben der Forstwirtschaft jedoch noch andere
Heizöl-Äquivalent: Interessensträger. Neben der Jägerschaft, die an
m3 l l einem gesunden Wildbestand interessiert ist, findet
 . = 30, 72 ⋅ 10 ⋅ 200 3 = 6144 Mio.
6
EHolz − aqu zunehmend eine Nutzung des Waldes für Freizeit-
a m a
zwecke statt, der das Leben im Wald beeinträchtigt.
EHolz − aqu
 . 6144 Das natürliche Gleichgewicht in der Ernäh-
Anteil Heizöl: = = 102 %
EHeizol 6000 rungspyramide im Wald war seit jeher durch ver-
schiedene Produzenten und Konsumenten geregelt
Monetärer Gegenwert: (s. .  Abb. 13.43). Nachdem die Spitze der Endkon-
l € sumenten (z. B. Wölfe, Luchse, Bären) durch zuneh-
k Holz = 6144 Mio. ⋅ 0,9 = 5,53 Mrd . €
a l mende Besiedelung und Jagd zurückgedrängt wurde,
Einspeicherleistung des Waldes: wurde der Ersatz der natürlichen Jagd der unterge-
ordneten Konsumenten (z. B. Rot- und Schwarzwild)
5,53 Mrd . € €
k Holz , EW = = 440 per capita durch eine künstliche, menschengemachte Jagd not-
12,56 Mio. a wendig. Diese war über lange Zeit dem Adel vorbe-
Gegenwert pro Einwohner: halten, bis sie vor einigen Jahrhunderten in Europa
zu Beruf und Hobby der Mittelschicht wurde.
m3 kWh
PSolar − Holz , Ein = 30, 72 ⋅106 ⋅ 2000 Mit dem Fehlen natürlicher Feinde und der be-
365 ⋅ 24 h m3 wussten Förderung durch Fütterung vermehrten
= 7014 MW sich die Konsumenten zweiter und dritter Ord-
Damit speichert der Wald mit einer Leistung von nung verstärkt. Wenn der Wildbestand nicht auf
über 7000 MW mehr Energie ein als alle 2013 noch einem natürlichen Niveau gehalten wird, erhöht
im Betrieb befindlichen bayerischen Atomkraft- sich der Bedarf an Nahrungsmitteln für das Reh-
werke mit 5508 MW. und Rotwild zulasten der Produzenten im Wald.
13 Daraus entstand in der Vergangenheit ein Konflikt
Wenn 30–50 % des Zuwachses im Wald über Holz- zwischen Waldbesitzern und Jägerschaft, der bis
heizungen für Wärmeenergie genutzt werden wür- heute problematisch ist. Bei zu hoher Wildpopula-
de, könnte entsprechend über 2–3 Mrd. Liter fossi- tion verbeißen die Tiere die nachwachsenden jun-
les Heizöl ersetzt und damit ca. 14–23 Mio. t CO2 gen Baumpflanzen; ein sogenannter »Wildverbiss«
pro Jahr vermieden werden. entsteht und »waldbauliche Ziele« werden verfehlt.
Die energetische Nutzung erfolgt idealerwei- Für die Waldbesitzer stellt dies einen Sachschaden
se in einer Kaskadennutzung nach der stofflichen dar, der von der Jägerschaft zu entschädigen ist. Da
Nutzung. Ca. 50 % des Ernteholzes wird als Stamm- der natürliche Aufwuchs sehr mühsam ist und vie-
holz meist zunächst als Rohstoff im Baugewerbe le Jahre dauert, errichten viele Waldbesitzer Zäune
und dem Unterhalt von Gebäuden genutzt, ein und pflanzen »künstlich« Pflanzen an.
weiterer Teil für Papier- und Industrieholz. Die Errichtung von Zäunen verursacht hohe
Ein weiterer positiver Effekt ist die Erschlie- Kosten. Für einen Hektar werden 2000–7000 Pflan-
ßung einer heimischen Wertschöpfungskette, die zen zu je 50–120  €-ct. und 400  m Zaun je 8  €/m
gerade in Zeiten des demografischen Wandels für benötigt. Wird die Arbeit des Einpflanzens mit
ländliche Regionen wichtig ist. 50 €-ct. je Pflanze hinzugerechnet, entstehen Kos-
ten pro Hektar abhängig von der Baumart von bis
zu 10.000 €. . Abbildung 13.44 veranschaulicht die-
13.2 • Integration im Wärmesektor
687 13

Endkonsumenten

Konsumenten
3. Ordnung

Konsumenten
2. Ordnung

Konsumenten
1. Ordnung

Produzenten

. Abb. 13.43  Ernährungspyramide im Wald

. Abb. 13.44  Naturverjüngung vs. Pflanzenanbau und Einzäunung. Nur über eine kosten- und arbeitsintensive Einzäu-
nung verjüngt sich der Wald von selbst. Ein negatives Beispiel aus Niederbayern
688 Kapitel 13 • Speicherintegration in einzelnen Energiesektoren

sen Missstand: während auf dem offenen Waldbo- stoffliche oder energetische Nutzung geldwert um-
den kein nachwachsender Rohstoff entsteht, wächst gesetzt. Auch für den Klimawandel birgt ein gesun-
der Wald im geschützten Umfeld von selbst empor. der Wald viele Vorteile: durch mehr Zuwachs ent-
Um diesem Missstand entgegenzuwirken, wur- steht mehr kostenloser Klimaschutz. Gemischte und
den in der einschlägigen Jagd- und Waldgesetzge- natürlich verjüngte Wälder sind robuster im Kampf
bung entsprechende Regelungen vorgegeben (s. [5]): gegen den Klimawandel, bieten mehr Schutz gegen
55 In einem ausgewogenen Verhältnis zu seinen Hochwasser und ermöglichen mehr Biodiversität.
natürlichen Lebensgrundlagen ist ein artenrei- Zudem verringert ein ausgeglichener Wildbe-
cher und gesunder Wildbestand zu erhalten. stand die Anzahl der Wildunfälle und damit einher-
55 Beeinträchtigungen der ordnungsgemäßen gehende Personen- und Sachschäden. Jährlich ereig-
land-, forst- und fischereiwirtschaftlichen nen sich in Deutschland etwa 200.000 Rehwildun-
Nutzung durch das Wild sind möglichst zu fälle, was einem Fünftel der erlegten Tiere entspricht
vermeiden. (sog. »Fallwild«). Die daraus jährlich entstehenden
55 Die Bejagung soll insbesondere die natürliche Sachschäden belaufen sich auf ca. 500–600 Mio. €.
Verjüngung der standortsgemäßen Baumarten Etwa 3000 Personen kommen zu Schaden. Eine
im Wesentlichen ohne Schutzmaßnahmen Auswertung von Unfallstatistiken und forstlichen
ermöglichen. Gutachten zum Wildverbiss der LMU München legt
55 Ein standortsgemäßer und möglichst natur- nahe, dass eine hohe Korrelation von Wildverbiss
naher Zustand des Waldes ist unter Berück- und Wildunfällen besteht (s. [33]).
sichtigung des Grundsatzes »Wald vor Wild« In der Praxis zeigen Erfahrungswerte, dass in
zu bewahren bzw. herzustellen. Gebieten mit hoher Anzahl an Wildunfällen nach
55 Die Schutzfähigkeit, Gesundheit und Leis- Beginn der Eigenbewirtschaftung der Jagdreviere
tungsstärke des Waldes ist dauerhaft zu sichern durch die Waldbesitzer selbst, mit einhergehender
und zu stärken. Erhöhung des Abschusses, die Wildunfälle stark
reduziert werden konnten. Ein angepasster Wild-
Förster erfassen in regelmäßigen Abstand den Grad bestand sorgt demnach nicht nur für einen gesün-
des Wildverbisses und erstellen daraus Gutachten deren Waldaufwuchs, sondern auch für mehr Ver-
zum Zustand des Waldes und der Naturverjün- kehrssicherheit (s. [2]).
gung (s. [7]). Auf dieser Basis werden zwischen
den Vereinigungen der Waldbesitzer (sog. »Jagd- zz Positive Aspekte der Naturverjüngung
genossenschaften«) und Jägern die Abschusszah- Eine natürliche Waldverjüngung bringt demnach
13 len festgelegt, welche in machen Orten umgesetzt viele Vorteile:
werden und in anderen nicht. Da die Eigenjagd 55 für Energie, Klima und Umwelt
für Waldbesitzer erst ab einer sehr großen zusam- 55 Mehr Ertrag, mehr Energie
menhängenden Waldfläche von über 80 ha erlaubt 55 Mehr kostenloser Klimaschutz
ist, verpachten die Waldbesitzer in Vereinigungen 55 Robustere Wälder gegen Klimawandel
(»Jagdgenossenschaften«) die Jagd in einem sehr 55 Mehr kostenloser Hochwasserschutz
langen Turnus von 9–12 Jahre an Jäger (s. [2]). 55 Mehr Biodiversität
Ist Wald und Wild im Gleichgewicht, verjüngt 55 für Personen und Tiere
sich der Wald von selbst und erzielt höhere Erträ- 55 Weniger Wildunfälle
ge: Bei einem gesunden Waldnachwuchs können 55 Geringere Personen- und Sachschaden
die 80–100 jährigen Umtriebszeiten um 10–20 Jah- 55 Besserer Schutz für Tiere
re verkürzt und der Ertrag entsprechend gesteigert
werden. Während die alten »reifen« Bäume Zug um Da die mit Laubholz und Tanne gemischte Natur-
Zug entnommen werden, entwickelt sich im Schut- verjüngung aus forstwirtschaftlichen, ökologischen
zes des Altholzschirmes eine stabile und mischungs- und sicherheitstechnischen Gründen so wertvoll
reiche Verjüngung durch natürliche Ansamung ist, wird sie in Bayern derzeit mit 1000 € pro Hek-
(s.  .  Abb.  13.45). Der höhere Ertrag wird über die tar gefördert.
13.3 • Integration im Verkehrssektor
689 13

. Abb. 13.45  Naturverjüngung durch ein ausgeglichenes Wald-Wild-Verhältnis. Der Wald wächst von selbst nach. Ein
positives Beispiel aus Niederbayern

Entscheidend für die Erschließung des zusätz- Fahrzeugen für den »Schwarzstart« und die Bord-
lichen Speicher- und Energiepotentials ist das En- stromversorgung integriert. Im Folgenden wird da-
gagement aller Beteiligten, sowohl von Behörden, her lediglich die Integration von Energiespeichern
Jägerschaft als auch von den Waldbesitzern selbst. in den Verkehr im Kontext erneuerbarer Energien
Gerade in der Waldpflege und einer lukrativen betrachtet. Die Elektromobilität und Stromkraft-
Bewirtschaftung zusammen mit allen Interessens- stoffe sind als Kopplung von Strom- und Verkehrs-
gruppen liegt eine große Aufgabe für Waldbesitzer. sektor unter Nutzung sektorenübergreifender Spei-
Der Wald wird nach wie vor als CO2-Senke und cher in 7 Abschn. 14.3 beschrieben.
Energiespeicher unterschätzt. Die Wälder Deutsch-
lands und Europa bergen noch ein großes Potenzial
zur Wärmeversorgung über gespeicherte Solar- 13.3.1 Beimischung von Biokraftstoffen
energie, welches es zu erschließen gilt. und Nutzung von Pflanzenöl

13.3.1.1 Potential und Umweltauswirkungen


13.3 Integration im Verkehrssektor Biokraftstoffe sind analog zu Waldholz über den
Einspeicherprozess der Photosynthese gespeicher-
Neben Energiespeichern aller Art im Strom- und te Energieträger auf Basis von Solarenergie, Wasser
Wärmesektor, sind Energiespeicher im Verkehr in und Luft. Sie können in Reinform wie Pflanzen-
Form von Batterien seit über 100 Jahren in fast allen öl oder Bioethanol in Fahrzeugen mit speziellen
690 Kapitel 13 • Speicherintegration in einzelnen Energiesektoren

zz Flächenpotential und Reststoffe


Das Potential der Integration von Biokraftstoffen im
Verkehr ist eng an das Flächenpotential für Ener-
giepflanzen gebunden. Biokraftstoffe können prinzi-
piell über zwei Substratwege gewonnen werden:
55 Energiepflanzenanbau
55 Rest- und Abfallstoffe (auch Kaskadennut-
zung)

Unter Energiepflanzen werden Raps für Biodiesel,


Getreide für Bioethanol, Pflanzen für Pflanzenöl
und Biogaserzeugung usw. verstanden. In Deutsch-
land werden ca. 2  Mio.  ha von knapp 12  Mio.  ha
Ackerfläche für Energiepflanzen verwendet. Bei
sinkender Bevölkerungszahl und steigenden Hek-
tarerträgen aller Fruchtarten kann die potentielle
Fläche entsprechend ausgeweitet werden. Aller-
dings stehen diese Flächen nicht nur für Biokraft-
stoffe zur Verfügung, sondern wird auch für die
Biogasproduktion für Gas- und Stromsektor und
Verwendung von biologischen Rohstoffen in der
Industrie verwendet.
Biokraftstoffe können lediglich eine Ergänzung
in der zukünftigen Energieversorgung der Mobili-
tät sein, da selbst bei optimistischsten Annahmen
. Abb. 13.46  Eine Tankstelle mit dem Kraftstoff E10, in die Fläche nicht ausreicht, um alle Mineralölkraft-
dem 10 % Biokraftstoffe zum fossilen Kraftstoff beigemischt stoffe nachhaltig zu ersetzen. Neben Elektromobili-
sind, © Tom Bayer / fotolia
tät und Stromkraftstoffen ist der Import von Ener-
giepflanzen bzw. entsprechender Produkte eine
Verbrennungsmotoren genutzt oder in gewandel- weitere Option. Durch den Einsatz von Biokraft-
ter Form wie Biodiesel in konventionellen Antrie- stoffen stellen sich nur dann ökologische Vorteile
13 ben verwendet werden. Auch holzartige Biomasse ein, wenn deren Gewinnung keine Umweltschäden
kann über die Biomassevergasung (Biomass-to- durch z.  B. Rodung von Regenwäldern und dem
Liquid etc.) in Biokraftstoff gewandelt werden Umbruch von Naturflächen entstehen (s. [77]).
(s. 7 Abschn. 8.3). Eine Herausforderung bei dieser Deutlich weniger Umweltkonflikte verursachen
thermochemischen Umwandlung ist die Logistik Biokraftstoffe aus Rest- und Abfallstoffen, die kaum
einer weitverteilten Rohstoffsammlung hin zu einer in Konkurrenz zu Nahrungs- und Futtermitteln
räumlich stark konzentrierten Holzvergasung und wie Energiepflanzen stehen.
Kraftstoffsynthese.
Während Biomass-to-Liquid als Biokraftstoffe zz Umweltauswirkungen
2. Generation eher ein Forschungsthema ist, sind Die Eigenschaften von Biokraftstoffen, deren Her-
die Beimischung von Biodiesel und Bioethanol zu stellung und der Vergleich mit fossilen Kraftstoffen
fossilen Kraftstoffen als Integration von gespeicher- werden näher in  7  Abschn.  8.4.2 beschrieben. An
ter erneuerbarer Energie in den Verkehrssektor dieser Stelle werden die Umweltaspekte der ver-
gängig (s. . Abb. 13.46). schiedenen Biokraftstoffe näher beleuchtet.
Generell gilt, dass Biokraftstoffe aus Rest- und
Abfallstoffen positivere Treibhausgasbilanzen als
13.3 • Integration im Verkehrssektor
691 13
Kraftstoffe aus Energiepflanzen haben, da die di- staaten erlaubt, Biokraftstoffe von der Mineralöl-
rekten und indirekten Emissionen aus Landnut- steuer befreien zu dürfen. In Deutschland waren
zungsänderungen entfallen (s. [28, 65, 77]). Biokraftstoffe vorerst steuerbefreit und ab 2006
55 Pflanzenöl hat eine positive Energiebilanz, wurde der Steuersatz stufenweise bis 2012 auf Mi-
d. h. der Aufwand zur Herstellung ist geringer neralölsteuersatz erhöht. Eine Ausnahme bildet
als der Energiegehalt des Rohstoffes, wodurch Bioethanol, das bis 2015 steuerbefreit ist.
CO2-Einsparungen erzielt werden können. Seit dem 01.01.2007 ist in Deutschland das Bio-
Außerdem ist das Pflanzenöl leicht biologisch kraftstoffquotengesetz in Kraft getreten, in dem
abbaubar. Mit einem Potential, bei einem die Höhe der Beimischung von Biokraftstoffen in
nachhaltigen Anbau die CO2-Emissionen um konventionellen Kraftstoffen und die Besteuerung
mehr als 80 % zu vermindern, hat Pflanzenöl festgelegt sind. Die Mineralölwirtschaft ist dazu
den höchsten Umweltnutzen aller Biokraft- verpflichtet, einen gewissen Anteil an Biokraftstof-
stoffe. fen in Relation zur verkauften Gesamtmenge an
55 Eine ebenfalls positive Energiebilanz weist Bio- fossilen Otto- und Dieselkraftstoffen auf den Markt
diesel mit einem Output/Input-Verhältnis von zu bringen. Dies erfolgt fast ausschließlich durch
3/1 auf. Des Weiteren ist Biodiesel nur schwach Biodiesel und Bioethanol. Das Ziel lautet bis 2015
wassergefährdend, während konventioneller einen Anteil von 8,0 % zu erreichen (s. [11]).
Diesel wassergefährdend eingestuft ist (s. [23]). Pflanzenölkraftstoffe weisen die beste Umweltbi-
55 Obwohl die Herstellung von Bioethanol sehr lanz und die geringsten Umwandlungsverluste unter
energieintensiv ist, wird über Bioethanol durch allen Biokraftstoffen auf. Ihre technische Integration
die Photosynthese mehr Energie gebunden als hingegen ist nur in Landwirtschaft und LKW-Ver-
in der Herstellung aufgewandt wird. Bioetha- kehr einfach umsetzbar. Im Individualverkehr haben
nol hat eine gute biologische Abbaubarkeit. Biodiesel und Bioethanol zudem nicht das Potential,
55 Holz, Rest- und Abfallstoffe können über die große Beiträge zu liefern; in der Landwirtschaft hin-
Biomassevergasung oder Pyrolyse in Kraftstof- gegen schon. Nach dem sogenannten »Haferprin-
fe gewandelt werden (Biomass-to-Liquid). Ihr zip«, das sich auf die Zeit vor dem Einsatz vor Trak-
CO2-Minderungspotential ist höher als von toren bezieht in der ein Drittel der Ackerfläche für
Biokraftstoffen der ersten Generation, ebenso den »Antrieb« der Pferde vorgesehen war, würde das
der Hektarertrag (s. [23]). Flächenpotential zum Ersatz des fossilen Diesels in
der Landwirtschaft ausreichen. Landwirtschaftliche
Entscheiden in der Klimawirkung von Biokraft- Arbeitsmaschinen sind nicht durch Batteriespeicher
stoffen aus Energiepflanzen ist die Art und Weise zu elektrifizieren und daher auf einen Energieträ-
des Anbaus, die damit ggf. verbundenen Landnut- ger mit hoher Energiedichte angewiesen. Strom-
zungsänderungen und der ersetzte fossile Energie- kraftstoffe sind voraussichtlich zu hochpreisig und
träger (s. [65]). Stromkraftstoffe scheiden im Ver- werden tendenziell eher im Flugverkehr eingesetzt.
gleich zu Biokraftstoffen in punkto Hektarertrag Daher bietet sich die Nutzung von Pflanzenölkraft-
und CO2-Minderungspotential auf Basis von er- stoffen in Traktoren an.
neuerbarem Strom aus Wind, Solar und Wasser- Pflanzenölkraftstoffe waren bis 2006 nach
kraft deutlich besser ab. dem alten Mineralölsteuergesetz von der Steuer in
Höhe von ca. 47  €-ct/l befreit, womit Pflanzenöl
13.3.1.2 Beimischung und Integration gegenüber fossilen Kraftstoffen wirtschaftlich at-
zz Politische Rahmenbedingungen traktiv war. Im Zuge der Ablösung des alten Ge-
Die EU hat das Ziel, den Anteil erneuerbarer Ener- setzes durch das neue Energiesteuergesetz wurde
gien in jedem Mitgliedland bis 2020 auf 10 % zu diese Befreiung schrittweise aufgehoben, sodass im
steigern. Da aber Biokraftstoffe teurer sind als fos- Jahr 2013 netto nur noch ca. 2  €-ct/l Steuerermä-
sile Kraftstoffe, ist diese Quote ohne weiteres nicht ßigungen greifen. Die Herstellung von Pflanzenöl
zu erreichen. Daher hat die EU ihren Mitglieds- erfordert eine Zulassung als Energiesteuerbetrieb
692 Kapitel 13 • Speicherintegration in einzelnen Energiesektoren

inklusive Zolllager, Zolllageranerkennung und Dichtungen angegriffen werden. Viele Model-


Nachhaltigkeitszertifizierung, was eine dezentrale le, vor allem mit Partikelfilter, sind nicht für
Gewinnung und Nutzung von Pflanzenöl bei fast den Einsatz von Biodiesel geeignet, weshalb
voller Steuerbelastung unwirtschaftlich macht. eine Beimischung nur bis maximal 7 % erlaubt
Nach der Änderung des Energiesteuergesetzes ist. 2011 lag der Anteil von Biodiesel am Kraft-
wurden deswegen viele dezentrale Pflanzenölmüh- stoffverbrauch bei knapp 4 % und ist damit
len geschlossen. Eine Anpassung dieser Gesetzes- wie bei Pflanzenöl rückläufig [4], was auf die
lage könnte das Potential zur Integration von hei- jährliche Erhöhung der Besteuerung seit 2006
mischem Pflanzenöl im Verkehr abermals heben. zurückzuführen ist. Heute wird Biodiesel mit
Für die Land- und Forstwirtschaft waren über dem vollen Mineralölsteuersatz besteuert.
Sonderregelungen die Entlastungen höher, aber 55 Bioethanol: Bioethanol kann wie Biodiesel
ebenfalls relativ gering. Seit 2013 greifen jedoch ohne Anpassung des Motors zu herkömmli-
Steuerentlastungen von ca. 45  €-ct/l, womit die- chen Benzin beigemischt und verwendet wer-
ser Bereich bereits für Pflanzenöl wieder attraktiv den. Dieser kann in geringen Mengen sogar
wurde. die Verbrennungseigenschaften der Ottokraft-
stoffe verbessern, da Ethanol als Alkohol eine
zz Technische Integration höhere Oktanzahl aufweist als Benzin. Heute
Neben den politischen bestehen auch technische ist eine Beimischung von bis zu 5 % erlaubt.
Rahmenbedingungen, die zur Integration von Bio- Bis zu dieser Grenze ist keine Anpassung
kraftstoffen zu erfüllen sind. Dafür stehen verschie- der Fahrzeuge nötig. Für eine Verwendung
dene Ansätze und Maßnahmen zur Verfügung. So des sog. E10, d. h. 10 % Ethanolbeimischung,
kann der gespeicherte Biokraftstoff als Reinkraft- sind die Modelle von den Herstellern frei-
stoff oder als Beimischung zu konventionellen zugeben, wobei Neufahrzeuge grundsätzlich
Kraftstoffen in den Verkehrssektor integriert wer- geeignet sind. Sog. Flexible-Fuel-Vehicles
den. Dazu ist für die unterschiedlichen Sorten fol- (FFV) verschiedener Hersteller erlauben die
gendes zu beachten: Verwendung von Kraftstoffen unterschied-
55 Pflanzenöl (z. B. Rapsöl): Da die Eigenschaften lichster Zusammensetzung bis maximal 85 %
von reinem Pflanzenöl von Diesel abweichen, Ethanolgehalt. Reiner Bioethanol wird nicht
erfolgt eine Verwendung nach Umrüstung des angeboten, um weiterhin eine Kaltstartfähig-
Verbrennungsmotors. Durch die höhere Vis- keit zu gewährleisten. Bioethanol hat durch die
kosität hat ein herkömmlicher Dieselmotor bei Einführung von E10 den einzigen steigenden
13 tiefen Umgebungsbedingungen Probleme mit Marktanteil unter den großen Biokraftstoffen.
dem Kaltstart. Eine Umrüstung kann auf zwei Daneben sorgt die Verbreitung von FFV für
Varianten erfolgen. Beim »Ein-Tanksystem« eine Vergrößerung der Tankstellendichte von
wird nur Pflanzenöl als Kraftstoff verwendet. E85 Tankstellen auf über 300 in 2013 und da-
Die Anpassungen erfolgen so, dass ein Kalt- mit zu einer potentiell steigenden Anzahl an
start möglich ist. Die andere Möglichkeit ist Abnehmern [8].
ein System mit Zweitanks, wo herkömmlicher 55 Biomethan: Anders als die beschrieben Bio-
Diesel zum Start verwendet wird und bei Er- kraftstoffe entspricht Biomethan eins zu eins
reichen der Betriebstemperatur auf Pflanzenöl seinem konventionellen Pendant, dem Erdgas.
umgestellt wird. Damit können analog zu Power-to-Gas alle
55 Biodiesel: Durch die Umesterung des Pflan- Erdgasfahrzeuge für die Verwendung von Bio-
zenöls zu Biodiesel kann analog zu Power-to- methan ohne Adaption der Motoren geeignet.
Gas eine vorhandene Infrastruktur genutzt Auch die Tankstellendichte ist mit über 900
werden. Die Automobilhersteller geben die Tankstellen deutlich besser als wie bei E85 (300)
Modelle für Biodiesel frei, um sicherzustellen, oder Wasserstoff (< 10). Dennoch ist der Markt-
dass durch Biodiesel keine Kunststoffteile wie anteil von Erdgasfahrzeugen gering [3]. Gleich-
13.3 • Integration im Verkehrssektor
693 13
wohl kann 100 % Biomethan bereits an über der Integration von Wasserstoff in Raffineriepro-
100 Tankstellen in Deutschland getankt werden. zesse im Grunde um die Herstellung von Strom-
Neben Biomethan aus der Vergärung gibt es kraftstoffen. Da aber dieser Pfad unter die stoffliche
auch Biomethan aus der Biomassevergasung. Nutzung fällt, wird er an dieser Stelle aufgeführt.
55 Biomass-to-Liquid: Unter hohem Druck und Eine Beimischung zu Erdgas via Power-to-Gas
Wärme wird Biomasse bei der Vergasung zer- ist in  7  Abschn. 8.6.2 erläutert. Der indirekte aber
legt, wobei Synthesegas entsteht, welches sich naheliegendste Weg von Wasserstoff in die Mobili-
für Synthesegasverfahren, wie Methanolsyn- tät ohne große Anpassungen an Verteilungsinfra-
these (7 Abschn. 8.3.4) bzw. Fischer-Tropsch- struktur und Nutzfahrzeuge erfolgt über die Zuga-
Synthese (7 Abschn. 8.3.5), verwenden lässt. be von Wasserstoff im sogenannten Hydrocracken.
Über die Integration dieses Prozesses in eine Beim Verfahren Hydrocracking werden schwere
Raffinerie können Biokraftstoffe der 2. Gene- Rohöle oder Bitumen (z.  B. Teersandöle), die im-
ration hergestellt werden, welche die gleichen mer mehr aufgrund der Erschöpfung der leichten
Eigenschaften wie herkömmlicher Diesel bzw. Rohöle (»sweet oil«) in den Fokus rücken, in Raf-
Benzin haben. Daraus folgt, dass sie ohne Auf- finerien zu Mineralölprodukten gewandelt. Durch
bereitung und Anpassung in der vorhandenen das Hydrocracken ist aufgrund des beigefügten
Infrastruktur und den vorhandenen Fahrzeu- Wasserstoffs der Anteil an Alkanen (CnH2n+2) sehr
gen verwendbar sind. hoch. Die Spaltung von den schweren, langkettigen
Kohlenwasserstoffen erfolgt an Katalysatoren bei
Werden diese technischen und regulatorischen Temperaturen um ca. 500 °C und einem Wasser-
Rahmenbedingungen erfüllt, können Biokraftstoffe stoffdruck von bis 200 bar (s. [32]).
als gespeicherte Solarenergie im Verkehr integriert Die allgemeine Reaktionsformel (s. Gl.  13.1)
und zur Kreislaufwirtschaft und Dekarbonisierung lautet
beitragen.
C N H 2 N + 2 + H 2 → Cn H 2 n + 2 + Cn H 2 m + 2
(13.1)

13.3.2 Integration von Wasserstoff im mit


Verkehr N = n + m.

13.3.2.1 Nutzung
 von Wasserstoff in zz Chancen zur Integration von erneuerbaren
Erdölraffinerien Wasserstoff
Wasserstoff in der chemischen Industrie kann nach Da mit der Nutzung von Wasserstoff keine CO2-
der Herkunft unterschieden werden. Bei größeren Emissionen verbunden sind, besteht ein wirtschaft-
Abnehmern wird der Wasserstoff durch eine An- liches Interesse seitens Industrieunternehmen, grü-
lage eines Industriegasunternehmens direkt vor nen Wasserstoff zu verwenden, sollten die Preise für
Ort (on site) erzeugt. In anderen Fällen wird er von die am europäischen Emissionshandel gehandelten
Händlern bezogen. Die Herstellung von Wasser- CO2-Zertifikaten sich in Zukunft erhöhen. Zwi-
stoff ist detailliert in 7 Abschn. 8.1.3 beschrieben. schen dem Mehrwert von Wasserstoff und dem Preis
Die weltweite jährliche Wasserstoffnachfrage für CO2-Zertifikate besteht ein linearer Zusammen-
nimmt zu, was vor allem auf den steigenden Be- hang, was bedeutet, dass einer Verdoppelung beim
darf in Raffinerien zurückzuführen ist. Dort wer- Zertifikatspreis einer Verdoppelung des Mehrwer-
den einerseits vermehrt schwere Öle (langkettige tes durch Wasserstoff gegenübersteht. 2014 liegt der
Kohlenwasserstoffe) verwendet, andererseits wird Preis zwischen 5–7 €/tCO2, was einen Mehrwert von
eine immer höhere Reinheit der Rohölprodukte ge- Wasserstoff unter 0,1 €/kg entspricht. Dieser Mehr-
fordert. wert reicht jedoch in der Regel für die Mobilität
In Raffinerien werden neben Grundstoffen für nicht aus, um grünen Wasserstoff als wirtschaftliche
die chemische Industrie vorwiegend Kraftstoffe ge- Alternative zu positionieren (s. [68]).
wonnen (s. . Abb. 13.47). Daher handelt es sich bei
694 Kapitel 13 • Speicherintegration in einzelnen Energiesektoren

. Abb. 13.47  Raffinerie, in der Wasserstoff auf Erdgasbasis durch erneuerbarem Wasserstoff aus Power-to-Gas ersetzt und
damit über das Hydrocracking indirekt als Stromkraftstoff in die Mobilität integriert werden kann, © Marco2811 / fotolia

Eine weitere Möglichkeit erneuerbaren Wasser- besteht diese in Form von Wasserstoffpipelines
stoff attraktiv für ein Unternehmen einzusetzen, ist zurzeit lediglich aus Inselnetzen von Wasserstoff im
die Reduktion von CO2-Emissionen bei der Her- Ruhrgebiet und dem Gebiet der Chemieindustrie
stellung von Produkten. Hieraus könnte sich ein bei Halle und Bitterfeld, welche von lediglich zwei
ganzer Industriezweig entwickeln, der den Kunden Firmen (Air Liquide und Linde) betrieben werden.
13 Produkte liefert, die gegen einen Aufpreis klima- Eine Erweiterung des Wasserstoffnetzes mit
neutral hergestellt werden. Dies könnte eine Mög- einer Wasserstoffkaverne, die aus einer Erdgaska-
lichkeit sein, ohne Förderung Wasserstoff zu inte- verne umgesolt würde und die erste in Deutschland
grieren. So bestehen bereits heute Nischenmärkte wäre, ist im Projekt Hypos angedacht. Ebenso ist
wie die Herstellung von Parfüm, in denen der Roh- die direkten Integration eines Wind- und PV-Parks
stoffpreis eine untergeordnete Rolle in der Preisbil- zur Wasserstoffgewinnung in einem Chemiepark
dung spielt und dem Mehrwert eines grünen Pro- geplant (s. [34]).
duktes auch eine Kaufbereitschaft gegenübersteht.
zz Transport und Distribution
13.3.2.2 Nutzung
 von Wasserstoff in der Je nach Menge, Entfernung zum Verbraucher und
Wasserstoffmobilität Anforderung an den Wasserstoff kann zwischen
Neben der direkten Integration von grünem Was- folgenden Transport- und Verteilungswegen unter-
serstoff in Erdölraffinerien zur Steigerung des schieden werden (s. [68]):
»Bio« kraftstoffanteils im Verkehr gibt es die theo- 55 Pipelines: Diese werden eingesetzt, falls Gas-
retische Möglichkeit des Aufbaus und der Erweite- unternehmen und Verbraucher (z. B. in einem
rung einer Wasserstoffwirtschaft. In Deutschland Chemiepark) nah zusammen liegen oder eine
13.3 • Integration im Verkehrssektor
695 13
hohe Dichte an Verbrauchern in einer Region einen deutlich höhere Wirkungsgrade als normale
vorhanden ist. Die Pipelines werden je nach Verbrenner und Diesel oder Benzin haben deutlich
verwendetem Material auf einem Druck zwi- höhere CO2-Emissionen pro Energiegehalt als bei-
schen 40–70 bar betrieben. spielsweise fossiles Erdgas, das bei der Verstromung
55 Flüssigtankwagen: Mit speziellen Flüssigtank- oder bei der Erzeugung von erneuerbaren Methan
wagen lassen sich große Mengen (35.000– substituiert wird. In der Mobilität kann demnach
40.000 Nm³) über weite Strecken von bis zu 1 kWh Wasserstoff zwischen 1,5 und 2,2 kWh fossile
1000 km verteilen. Nachteilig ist, dass zur Energieträger ersetzen. Aus heutiger Sicht ist aber
Verflüssigung erhebliche Energiemengen auf- der Bedarf an Wasserstoff in diesem Sektor noch
zuwenden sind: pro Kubikmeter 0,9–1,2 kWh sehr gering, wobei aber mit einer deutlichen Stei-
Strom. Hinzu kommen Energieaufwände für gerung gerechnet wird (s.  7  Abschn.  5.2.3). In der
die Kühlung des flüssigen Wasserstoffes in Industrie kann 1 kWh Wasserstoff bis zu 1,31 kWh
Transport und Lagerung. Dies verschlechtert fossile Energieträger ersetzen, da Wirkungsgrad-
den Wirkungsgrad der Herstellung und Ver- verluste bei der Reformierung vermieden werden
teilung von Wasserstoff deutlich. (s. [68]).
55 LKW-Auflieger (Trailer): Auf einem Trailer In beiden Fällen reichen diese Vorteile jedoch
wird zwischen 3000 und 6000 Nm³ Wasser- nicht aus, um erneuerbaren Wasserstoff zum ak-
stoff in Druckbehältern bei 200 bar trans- tuellen Zeitpunkt wirtschaftlich darzustellen. In
portiert. Vor Ort kann entweder der Auflieger .  Tab. 13.24 sind die Ergebnisse zusammenfassend
durch einen leeren Tank ausgetauscht oder dargestellt.
der Inhalt in einen vorinstallierten Tank über- Weiteres Potenzial bietet sich durch die Er-
geben werden. Der Vorteil ist, dass die Ver- füllung politisch gesetzter Quoten. So kann eine
dichtung einen geringeren Energiebedarf hat Biokraftstoffquote, eine Vorgabe zur Treibhausgas-
als die Verflüssigung. Nachteilig ist aber, dass reduzierung o.  ä. dazu führen, dass erneuerbares
dadurch die zu transportierende Menge relativ Gas wie Wasserstoff oder Methan einen Mehrwert
gering ist und daher voraussichtlich nur kurze gegenüber der fossilen Alternative hat, der das Gas
Fahrten rentabel sind. wirtschaftlich attraktiv macht und in den Markt in-
55 In kleineren Mengen wird Wasserstoff über tegriert.
Druckflaschen unterschiedlicher Größe ver-
teilt.
13.3.3 Integration von
zz Nutzung von Wasserstoff Schwungradspeicher im
Über Power-to-Gas können grüne Stromüber- öffentlichen Nahverkehr
schüsse in grünen Wasserstoff gewandelt werden.
Neben der direkten Verwendung besteht die Mög- Zur Integration von Schwungradspeicher im öf-
lichkeit der weiteren Umsetzung mit CO2 zu Me- fentlichen Nahverkehr gibt es verschiedene Ansät-
than oder anderen Stromkraftstoffen und der viel- ze (s. 7 Kap. 9). In Bussen ist eine Integration nicht
fältigen Verwendung in der Energieinfrastruktur ohne weiteres möglich, denn der Aufwand für die
(s. 7 Kap. 8). Dabei stellt sich die Frage, bei welcher Umrüstung auf Elektroantrieb, der hohe Platzbe-
Anwendung wie viel Treibhausgase eingespart wer- darf für das Schwungrad und die Verschlechterung
den und damit eine Substitution fossiler Kraftstoffe der Fahreigenschaften schränken den Speicherein-
am sinnvollsten ist. Des Weiteren werden die be- satz stark ein. Ein solcher Bus (»Gyrobus«) wur-
nötigten Mengen und die Wirtschaftlichkeit näher de in den 1950er-Jahren in der Schweiz betrieben.
betrachtet. Diese Nachteile fallen im Schienenverkehr nicht
Die höchsten CO2-Reduktionspotentiale wer- an, weshalb im nachfolgenden Abschnitt auf die
den nach [68] in der Mobilität und in der Indust- Integration von Schwungradspeichern im öffent-
rie gesehen. Brennstoffzellenfahrzeuge haben zum lichen Schienennahverkehr näher betrachtet wird.
696 Kapitel 13 • Speicherintegration in einzelnen Energiesektoren

. Tab. 13.24  Umweltnutzen und Potential verschiedener Anwendungen von Power-to-Gas Wasserstoff im Ver-
gleich, nach [68] und eigene Berechnungen

zu Substitutions- vermeid- Markt- Wirt- Hindernisse


erset- potential bare CO2- potenzial schaft-
zender fossile kWh zu Emissionen in lichkeit
Energie- Wasserstoff g CO2-äq. pro
träger kWh therm. kWh

Power-to-Gas Erdgas 0,8–1 208–585a Hoch Sehr Fehlende Förde-


niedrig rung, CO2-Quellen;
geringe Strom-
überschüsse;
H2-Toleranzen

Verstromung Erdgas 1 260 (η = 0,90) Sehr hoch Sehr Anpassung Gas-


via GuD- niedrig turbine an höhere
Kraftwerke H2 Konzentration

Industrie Erdgas 1,31 350 Hoch Niedrig Keine

Mobilität Benzin, 1,5–2,2 465–680b Aktuell Niedrig Wenig Fahrzeuge,


(Brennstoff- Diesel, niedrig/ fehlende Infra-
zellenfahr- Erdgas zukünftig struktur
zeug) sehr hoch

aErdgas 234 g CO2-äq. pro therm. kWh, Wirkungsgrad Wärmesektor 90 %, Stromsektor 60 %, Verkehrssektor 40 %
bBenzin 311 g CO2-äq. pro therm. kWh, Diesel 316 g CO2-äq. pro therm. kWh

zz Beispiele für Schwungradspeicher in Grund setzt die VAG einen Schwungradenergie-


Verkehrsbetrieben speicher zur Bremsenergierückgewinnung an der
In Zwickau wird die Schwungradspeichertech- abgelegenen Strecke der Linie 1 ein, wodurch Ener-
nik für Straßenbahnen eingesetzt. Straßenbahnen giemengen von ca. 250  MWh im Jahr und CO2-
bieten sich mit ihrem Gewicht für die Brems- Emissionen von 145 t eingespart werden (s. [27]).
energiespeicherung in Schwungrädern an. Wegen
Überlastungsgefahr lassen sich die beim Bremsen zz Wirkungsweise des
13 zurückgewonnen Stromspitzen nicht immer in das Schwungradspeichersystems im Nahverkehr
Stromnetz rückspeisen. Diese Leistungsspitzen las- Die Einsparung von Energie über einen Schwung-
sen sich in ortsfesten Schwungrädern einspeichern radspeicher wird anhand eines Beispiels der Ross-
und beim Beschleunigen der Straßenbahn wieder eta Technik GmbH an der Niederflurbahn MGT 6D
ausspeichern. In Zwickau wird über diese Speicher- der HAVAG Halle veranschaulicht. Das Bremsen
technik eine Energieeinsparung von 200  MWh der Straßenbahn bewirkt eine Rückspeisung von
bzw. 20–30 % erreicht (s. [49]). 0,2 kWh pro Bremsung in das Netz. Dies entspricht
Ein anderes Beispiel ist in Freiburg. Die Frei- 20 % der Bremsenergie. Für das Anfahren werden
burger Verkehrs AG (VAG) hat Anfang 2013 eine pro Start 1,77 kWh Strom benötigt (s. . Abb. 13.48).
Schwungradspeicheranlage in Probelauf genom- Der Einsatz des Schwungradspeichers ermög-
men. Im Normalfall findet eine Energierückein- licht die Nutzung von 0,8  kWh der verlorenen
speisung in das Stromnetz der Straßenbahn bei Bremsenergie pro Bremsung. Von dieser Energie
jeder Bremsung statt. Jedoch ist in Freiburg auf können 0,75  kWh wirkungsgradbereinigt gespei-
einer wenig befahrenen Strecke die Nutzung der chert werden. Dadurch sinkt beim Beschleunigen
Bremsenergie nur möglich, wenn sich eine ande- die benötigte Energie auf 1,1 kWh. Pro Fahrzyklus
re Straßenbahn in der Nähe befindet, die diese für werden damit 38 % weniger Energie gebraucht. In
den Beschleunigungsvorgang benötigt. Aus diesem der Berechnung sind Beeinträchtigungen wie bei-
13.3 • Integration im Verkehrssektor
697 13
Unterwerk Schwungrad Schwungrad Unterwerk Schwungrad
(Netz) wird geladen speichert (Netz) wird geladen
0,8 kWh 0,75 kWh 0,67 kWh

0,2 kWh
Netz

Bremsung Halt Beschleunigung

. Abb. 13.48  Einsatz eines Schwungradspeichers zur Bremsenergierückgewinnung an einer Straßenbahn nach [49]

spielsweise Stromverbrauch von Heizung, Zusatz- geschmierte Kugellager, wodurch Leerlaufverluste


aggregaten etc. berücksichtigt, womit aus Sicht des von 0,4  kW bzw. bei voller Leistung 2,1–2,4  kW
Stromnetzes 20–25 % weniger Energie benötigt anfallen. Neben der Bremsenergierückgewinnung
werden. wird das System in der unterbrechungsfreien
Weitere Einsparungen von 5 % an Netzverlus- Stromversorgung eingesetzt.
ten ergeben sich, wenn der Energiespeicher zwi- Die größeren Systeme wurden speziell für den
schen zwei Unterwerken angeschlossen ist. Unter Einsatz in Nutzfahrzeugen mit elektrischem An-
einem Unterwerk wird ein Umspannwerk verstan- triebsstrang entwickelt. Ein robustes Gehäuse mit
den, welches aus dem öffentlichen Stromnetz den fester Verankerung schützt im Fall des Zerberstens
Strom für die Straßenbahn zur Verfügung stellt. des Schwungrades die Umgebung vor Schaden. Das
Schwungrad besteht aus Kohlenstofffasern und ro-
zz Aufbau einer ortsfesten tiert im Vakuum. Durch das Verwenden von Mag-
Schwungradspeicheranlage netlagern können Drehzahlen von bis zu 50.000 U/
Die Schwungradspeicheranlage der Straßenbahn in min im Betrieb erreicht werden. Die Maximalleis-
Zwickau ist in . Abb. 13.49 dargestellt. Die kompak- tung liegt je nach Ausführung zwischen 60–150 kW
te Anlage hat keine besonderen Anforderungen an mit einer nutzbaren Energie von 1,5 kWh. In der ist
den Aufstellungsort. Alle benötigten Komponenten ein Vergleich der verschiedenen Modelle und ihrer
sind in der Anlage untergebracht. Das System ist Einsatzgebiete dargestellt (s. [49]).
über einen Netzanschluss an das Stromnetz ange-
bunden oder über eine Eigenversorgungseinheit Beispiel
auch weitgehend autark zu betreiben. Das Potential zur Energie- und Kosteneinsparung
Dieser Hersteller ist auf die Entwicklung und der beschriebenen Schwungradspeicher im Schie-
den Vertrieb von Schwungradspeicheranlagen zur nennahverkehr soll anhand einer technischen Be-
Bremsenergierückgewinnung von Straßenbahnen trachtung einer Linie des Münchner U-Bahn Netz
oder Trolleybussen spezialisiert. Parallel zur Ent- veranschaulicht werden.
wicklung von Schwungradspeichern wurde ein Das Netz hat eine Streckenlänge von 95 km, auf
System zur Analyse von Energieflüssen im Strom- der 576 Züge rund 140-mal auf jeder Strecke verkeh-
netz entwickelt (s. . Tab. 13.25). ren. Die Züge wiegen zwischen 50 und 160  t  [40].
Das kleinste System hat eine Leistung von 10 Der eingesetzte 750  V-Elektromotor dient beim
oder 15 kW und kann über eine nutzbare Speicher- Beschleunigen als Antriebsmaschine und beim
kapazität von 300  kWs bis zu 20  s lang Energie Bremsen als Generator. Bisher wird die Bremsener-
ein- oder ausspeichern. Der Wirkungsgrad liegt gie nicht genutzt, sofern sie nicht gleichzeitig zum
zwischen 81–84 % bei einer Arbeitsdrehzahl von Antrieb eines anderen Zuges genutzt werden kann.
3000–6000  U/min. Die Lagerung erfolgt über öl-
698 Kapitel 13 • Speicherintegration in einzelnen Energiesektoren

Bremswiderstände

Wasserkühler

Eigenversorgung
400 V, 220 V, 24 V
(verdeckt)

Schwungrad-
speicher

Leistungs-
Einspeise- elektronik
feld

. Abb. 13.49  Gesamtansicht der Schwungradspeicheranlage der Rosetta Technik GmbH für die Straßenbahn in Zwickau.
(Quelle: [49])
13
. Tab. 13.25  Technische Parameter einer Auswahl von Schwungradspeichern des Herstellers Rosetta Technik
GmbH. (Quelle: [49])

Modell T3 T3+ T4

Leistung in kW 3 10 oder 15 60–150

Nutzbare Speicherkapazität in kWs 45 300 5.400

DC-Spannung in V – 400 650

Max. Drehzahl in U/min 9.000 6.000 50.000

Material des Schwungrads Stahl Stahl CFK

Einsatzgebiet Bremsenergie Bremsenergie/USV Nutzfahrzeug


13.4 • Zusammenfassung
699 13
Die Linie U1 hat 15 Haltestellen und täglich 121 Ein- und Ausspeicherung möglichst groß ist
Fahrten pro Richtung bei einer Zugmasse von 62 t. und die Preisschwankungen möglichst häufig
Die Durchschnittsgeschwindigkeit liegt bei ca. auftreten.
36 km/h. Beschleunigt der Zug zwischen den Halte- 55 Neben diesem Abitragegeschäft sind darüber
stellen auf 72 km/h, beträgt die kinetische Energie hinaus das Angebot von Systemdienstleistun-
dieses Zuges ungeachtet von Luftwiderstand und gen wie v. a. Regelleistungsmärkte für Spei-
Reibung bei einer Bremsung: cher hochattraktiv.
55 Auch die Möglichkeit des Schwarzstartes,
1 der schnellen Gradientensteuerung und dem
E = ⋅ m ⋅ v 2 = 12, 6 MJ = 3, 44 kWh.
2 Beitrag zur gesicherten Leistung sind Allein-
stellungsmerkmale vieler Stromspeicher, die
An einem Tag wird so auf der Linie U1 folgende bis dato noch monetär zu wenig honoriert
Bremsenergie frei: werden im Vergleich zu Ihrer systemrelevan-
ten Funktion im Stromnetz.
Eges = 3, 44 kWh ⋅15 ⋅ 2 ⋅121 = 12503 kWh. 55 Die Funktionen eines Kapazitätsmarkts (ge-
sicherte Leistung), des Regelleistungsmarktes
Wird angenommen, dass diese Bremsenergie un- (Frequenzhaltung) und eines Flexibilitäts-
genutzt ist, könnte ein Schwungradspeichersystem markts können in den bestehenden Regelleis-
die frei werdende Energie aufnehmen und zum er- tungsmarkt integriert werden, indem er unter
neuten Beschleunigen wieder freigeben. Für die Li- den Voraussetzungen Technologieneutralität,
nie U1 wären demnach 15 Anlagen aufzustellen mit Marktorientierung, Vorgaben zur Gradien-
einer Kapazität von jeweils 4,2 kWh, die sich aus der tenfähigkeit, Beitrag zur gesicherten Leis-
Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h ergibt. tung und Einbeziehung von erneuerbaren
Anlagen erreichen im realen Einsatz einen Energieanlagen und der Verbraucherseite
Rückgewinnungsanteil von 40 % und können im über kürzere Lieferzeiträume und kleinere
Anschluss wieder 80 % rückspeisen, was einem Losgrößen neu gestaltet wird.
Gesamtwirkungsgrad von 32 % entspricht. Bei der 55 In Kombination mit erneuerbaren Energien
Übertragung der Ergebnisse aus dem Beispiel in können primärregelleistungsfähige Strom-
.  Abb.  13.48, in dem durch den Schwungradspei- speicher wie Batterieparks oder Pumpspeicher
cher knapp 1,1 kWh wiederverwendet werden, ließen konventionelle fossile Kraftwerke ersetzen
sich an einem Tag für die Linie U1 etwa 4000  kWh und einen technisch stabilen Betrieb der
einsparen. Bei einem Strompreis von 10  €-ct./kWh Stromversorgung bei gleichzeitiger Reduk-
ergibt sich daraus eine Ersparnis von 400 € pro Tag tion des CO2-Ausstoßes ermöglichen.
und mehr als 100.000 € pro Jahr. Die Investition für 55 Pumpspeicher sind heute die am Meisten
den Schwungradspeicher amortisiert sich in diesem etablierte, über Jahrzehnte erprobte, effizi-
Fall in kurzer Zeit mit entsprechenden fortlaufenden enteste und auch kostengünstigste Form der
Einsparungen an Kosten, Energie und CO2. Stromspeicherung für kurze Zeiten im großen
Maßstab.
55 Das Potential zur Erweiterung der Pump-
13.4 Zusammenfassung speicherkapazitäten in Europa ist vorhanden.
Eine Herausforderung bei Neubauprojekten ist
55 Speicher können sehr vielfältig im Stromsektor die ökologische Verträglichkeit und die ge-
integriert werden und viele Anwendungen fin- sellschaftliche Akzeptanz von neuen großen
den. Je mehr Funktionen und Geschäftsfelder Pumpspeichern.
ein Speicher gleichzeitig erschließen kann, desto 55 Auch heute dienen Pumpspeicher zur Strom-
besser stellt sich seine Wirtschaftlichkeit dar. veredelung im Arbitragegeschäft der Einsatz-
55 Der Betrieb von Speichern wird dann inte- optimierung des Kraftwerksparks. Um eine
ressant, wenn die Strompreisdifferenz bei Erhöhung des CO2-Ausstoßes im ­Strommix
700 Kapitel 13 • Speicherintegration in einzelnen Energiesektoren

durch den Einsatz von Flexibilitäten wie Umsetzung und der Know-How Transfer plus
Pumpspeichern zu vermeiden, ist ein signifi- Wartung der Systeme.
kanter Preis für die Entsorgung von CO2 über 55 Wärmespeicher in solarthermischen Kraft-
CO2-Zertifikate von über 30–70 €/t notwendig. werken ermöglichen die Ausdehnung des
Über die sehr lange Lebensdauer eines PSW Kraftwerksbetriebs auch über Zeiten geringer
ist damit zu rechnen, dass in der Energiewen- Solareinstrahlung. Wärme lässt sich einfacher
de Pumpspeicher überwiegend erneuerbaren speichern als Strom, wodurch Energiespeicher
Strom »veredeln« und speichern. in solarthermischen Kraftwerken günstiger zu
55 Pumpspeicher sind neben Batterien und realisieren sind. Durch den Zubau von Wär-
Warmwasserspeichern die weltweit am Meis- mespeichern wird die Stromerzeugung plan-
ten genutzte Speichertechnologie. Unter barer, jedoch nicht »grundlastfähig«, da die
Stromspeichern sind Pumpspeicher die meisten Wärmespeicher nur weniger als 10 h
global größte genutzte Speichertechnologie überbrücken können.
(ca. 140 GW) mit dem stärksten Wachstum. 55 Eine richtig ausgelegte Solaranlage kann in
55 Schwungradspeicher kommen in wenigen den Sommermonaten in Kombination mit
Fällen zur Netzstabilisierung und in Spezial- Wärmespeichern den gesamten Warmwasser-
anwendung von Forschungsprojekten zum bedarf decken. Somit kann eine Solaranlage
Einsatz. über ein ganzes Jahr gesehen rund 60 % des
55 Batterieparks können alle Bandbreiten von Brauchwassers bereitstellen.
Systemdienstleistungen erbringen und über 55 Sensible Wärmespeicher eignen sich als kos-
eine Mehrfachnutzung und Teilnahme in ver- tengünstige Langzeitspeicher für die solare
schiedenen Märkten heute wirtschaftlich zur Wärmeversorgung von Ein- und Mehrfami-
Integration erneuerbarer Energien auf Verteil- lienhäusern mit Solaranlagen. Sie sind konst-
netzebene eingesetzt werden. ruktiv entsprechend im Hausbau einzuplanen
55 Bei Hausbatteriespeichern ist die Netzdien- und technisch einfach zu integrieren.
lichkeit das entscheidende Kriterium für die 55 Der Bedarf an Raumklimatisierung wird im
Netzintegration: Nur wenn der Speicher die Zuge des Klimawandels deutlich zunehmen.
Belastung für das Stromnetz verringert, an- Eine alternative Klimatisierung von Leicht-
statt zu erhöhen, dient er der Integration er- bauten stellen Systeme zur passiven Kühlung
neuerbarer Energien in die Stromnetze. Dies mit Phasenwechselmaterialien (PCM) dar.
erfordert eine abwägende Auslegung von Die Speicherung der latenten Wärme eines
13 PV-Anlage und Batteriesystem und einer in- Phasenwechsels, zumeist fest-flüssig, kann als
telligente Regelung und Steuerung, wodurch Ersatz für fehlende massive Wände dienen.
Netzkapazitäten frei werden für den weiteren 55 Über den Einsatz von thermochemischen
Zubau erneuerbarer Energien. Sorptionsspeichern kann der Energiever-
55 Inselnetze weisen die Extrembedingungen brauch von Geschirrspülern deutlich reduziert
von hohen fossilen Rohstoffpreisen und und gleichzeitig der Nutzungskomfort erhöht
sehr schnell hohen Anteilen erneuerbarer werden.
Energien im Stromsystem auf. Daher lassen 55 Die Holzvorräte in Deutschland sind sehr
sich bei der Realisierung von erneuerbaren groß und der Zuwachs wird unterschätzt.
Inselnetzen wertvolle Erfahrungen gewinnen, Der Wald ist über die Photosynthese mengen-
welche sich auch auf die Energiewende an und flächenmäßig der größte Energiespei-
Land d. h. auf den kontinentalen Netzver- cher Deutschlands. Darüber hinaus steht im
bund übertragen lassen. Wald ein großes nachhaltiges Potential zu CO2
55 Zudem lassen sich viele Inselprojekte mit Bindung und Wärmenutzung zur Verfügung.
Energiespeichern wirtschaftlich darstellen. Neben der direkten Nutzung für energetische
Eine Herausforderung ist die Logistik, die Zwecke erscheint die Kaskadennutzung sinn-
unterschiedlichen Rechtssituationen in der voll. Allein in Bayern wächst soviel Holz nach,
Literatur
701 13
wie Heizöl jährlich verbraucht wird. Die Ein- technisch relativ einfachen Integration auf der
speicherleistung des Waldes übersteigt ener- Hand liegen.
getisch betrachtet die Kraftwerksleistung aller 55 Bioethanol und Biodiesel können technisch
bayerischen Atomkraftwerke. einfacher integriert werden als Pflanzenöl
55 Holz bietet wirtschaftlich lukrative Spei- und werden regulatorisch auch bevorzugt.
cherpotentiale für die Wärmenutzung: Die Biokraftstoffe können allgemein sehr gut im
Hackschnitzelpreise haben sich in den letzten Verkehr integriert und zur Kreislaufwirtschaft
zehn Jahren verdoppelt, die Preise für Pellets beitragen.
ebenfalls um über 50 % an Wertsteigerung 55 Wasserstoff kann relativ einfach in bestehen-
erfahren. Dennoch sind beide Holzprodukte de Raffinerieprozesse integriert werden und
immer noch deutlich günstiger als Heizöl oder ist über eine Mehrfachanrechnung auf die Bio-
Erdgas. Holz ist als nachwachsender Rohstoff kraftstoffquote im Verkehr und unabhängig
zudem ein heimisches Gut, welches den Im- davon auch in der stofflichen Produktkette
port der fossilen Energieträger ersetzen und wirtschaftlich vielversprechend. Solange
regionale Wertschöpfung generieren kann. Wasserstoff direkt vor Ort integriert werden
55 Das Potential zur Energie- und CO2-Speiche- kann, sind weitere Umwandlungsschritte nicht
rung lässt sich durch die natürliche Waldver- notwendig.
jüngung deutlich steigern. Dafür ist ein funk- 55 Auch wenn die Integration von Wasserstoff
tionierendes Gleichgewicht zwischen Wald in eine eigene Wasserstoffinfrastruktur aus
und Wild notwendig, wozu mehr Engagement ökologischen und technischen Aspekten viel-
seitens Waldbesitzer, Jägerschaft und Behörden versprechend ist, kann sie derzeit nicht wirt-
notwendig ist. Die Vorteile einer Naturverjün- schaftlich dargestellt werden.
gung sind für Energie, Klima und Umwelt ein 55 Schwungradspeicher eignen sich zur Ein-
höherer Ertrag, mehr gespeicherte Energie, sparung von Kosten, Energie und CO2 im
mehr kostenloser Klimaschutz, eine höhere Schienennahverkehr und sind in der Praxis
Robustheit des Waldes gegen Klimawandel, erprobt.
mehr kostenloser Hochwasserschutz und
mehr Biodiversität. Darüber hinaus entstehen
weniger Wildunfälle, geringere Personen- Literatur
und Sachschäden und ein besserer Schutz für
die Tiere in dichteren Wäldern. Die Naturver- 1. Abengoa Solar (2014) PS10, the first solar power
tower worldwide, Abengoa Solar, Sevilla. 7 http://
jüngung wird von staatlicher Seite mit attrakti-
www.abengoasolar.com/web/en/nuestras_plantas/­
ven Prämien angereizt. plantas_en_operacion/espana/PS10_la_primera_torre_­
55 Biokraftstoffe sind wie Holz gespeicherte comercial_del_mundo.html. Zugegriffen: 15. März 2014
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einer nachhaltigen Mobilität ist, aber erst im flikt. Analyse und Lösungsansätze vor dem Hinter-
grund rechtlicher, ökologischer und ökonomischer
Mix mit anderen erneuerbare Kraftstoffe bzw.
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Elektromobilität für eine Dekarbonisierung Univ.-Verl. Göttingen; Niedersächsische Staats-und Uni-
des Verkehrssektors ausreichend. Kraftstoffe versitätsbibliothek Göttingen, Göttingen
aus Rest- und Abfallstoffen sind umweltver- 3. Aßmann J, Uhlenbrock K (2011) Infoblatt Drei-
träglicher als Kraftstoffe aus Energiepflanzen. Schluchten-Staudamm. Projektdaten, Planung, Bau,
Probleme, Leipzig. 7 http://www.klett.de/sixcms/
55 Pflanzenöl spielt in der Landwirtschaft eine
list.php?­page=geo_infothek&node=Drei-Schluchten-
Sonderrolle, da sie fast die einzige Speicheral- Staudamm&­miniinfothek&article=Infoblatt+Drei-
ternative ist, da die Elektrifizierung mit Bat- Schluchten-Staudamm. Zugegriffen: 13. Juli 2013
terien oder Wasserstoff nicht möglich oder zu 4. Bauer D, Marx R, Nußbicker-Lux J et al (2010) Ger-
teuer ist. Derzeit wird ihr Einsatz in Deutsch- man central solar heating plants with seasonal heat
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land regulatorisch unterbunden, obwohl die
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705 14

Speicherintegration zur
Kopplung unterschiedlicher
Energiesektoren
Übersicht
Strom wird zur Primärenergie – dies wird vor allem in der Kopplung des
Stromsektors mit den anderen Energiesektoren sichtbar.
Neben der bereits etablierten Zusammenführung von Strom- und
Wärmesektor durch die Kraft-Wärme-Kopplung, die durch strombasierte
Wärmebereitstellung über Elektrowärmepumpen und Power-to-Heat ergänzt
wird, zeichnen sich weitere neue Verbindungen ab: im Strom- und
Verkehrssektor über die Elektromobilität und Stromkraftstoffe; im Strom-
und Gassektor über Power-to-Gas. Zukünftig wird auch die Herstellung von
chemischen Grundstoffen wie Methanol oder Polymeren aus elektrischer
Energie, Wasser und CO2 eine Rolle spielen. Letzteres wird hier nicht explizit
behandelt, die anderen Aspekte von Strom als Primärenergie und die
Integration und Anwendung in Bezug auf Energiespeicher dagegen durchaus.

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706 Kapitel 14 • Speicherintegration zur Kopplung unterschiedlicher Energiesektoren

14.1 Kopplung von Strom- und 14.1.1.1 Kraft-Wärme-Kopplung als


Wärmesektor Klassiker der Kopplung von
Strom- und Wärmesektor
Mit dem Ausbau erneuerbarer Energien wird es zz Grundprinzip der Kraft-Wärme-Kopplung
immer wichtiger, die drei großen Energiesektoren Die Kraft-Wärme-Kopplung ist der klassische Fall
Strom, Wärme und Verkehr miteinander zu verbin- der Kopplung von Strom- und Wärmesektor.
den. Speicher spielen dabei eine wichtige Rolle zur Konventionelle thermische Kraftwerke wan-
zeitlichen Entzerrung von Angebot und Nachfrage. deln den eingesetzten Brennstoff unter hohen Wär-
Damit wird das »Stromspeicherproblem« über Wär- meverlusten in Strom. Der durchschnittliche elekt-
mespeicher teilweise im Wärmesektor gelöst. Für das rische Wirkungsgrad liegt bei etwa 38 %; über 60 %
Stromsystem stellt das eine kostengünstige Flexibilität des eingekauften gespeicherten Energieträgers
dar. Unter diesem Aspekt werden hier insbesondere bleiben ungenutzt. Diese Abwärme wird über einen
55 die Kraft-Wärme-Kopplung, Kühlturm an die Umgebung abgegeben. Ander-
55 die Integration von Elektrowärmepumpen und seits weisen moderne Gas- und Dampfkraftwerke
55 die Integration von Power-to-Heat (elektrische (GuD-Kraftwerke) Wirkungsgrade von über 60 %
bivalente Widerstandsheizungen) in Ergän- auf, sodass Abwärmeverluste geringer ausfallen.
zung zu 7 Kap. 11 Über die KWK wird elektrische und thermische
Energie gleichzeitig genutzt und der Wirkungsgrad
behandelt. der Energiewandlung auf bis zu 90 % gesteigert.
In  7  Kap.  11 wird ausführlich auf die Integra- Dafür ist jedoch bis auf BHKW-Technologien oder
tion von Haushaltsgeräten und Anlagen zur Wär- Gasturbinen mit Abhitzekessel ein »Stromverlust«
me- und Kältebereitstellung im Zuge des Lastma- in Kauf zu nehmen. Es verringert sich also das Ver-
nagements (Demand Response) eingegangen. Dort hältnis zwischen Strom und Wärme und damit die
sind folgende Punkte abgehandelt, die in diesem exergetische Wirksamkeit des Prozesses (s. [1]).
Abschnitt nicht ausführlich berücksichtigt werden: Die Wärme kann beispielsweise für Heiz- und
55 Lastmanagement in Haushalten über Warmwasserzwecke im Nah- bzw. Fernwärmenetz
55 Speicherheizungen eingesetzt werden. Dabei sind Verluste im Wärme-
55 elektrische Warmwasserbereitstellung netz von 6–20 % zu berücksichtigen. Eine weitere
55 elektrische Kälteerzeugung Form der KWK ist der Einsatz eines Heizkraftwer-
55 Heizungsumwälzpumpen kes für Prozesswärme der Industrie bei Temperatu-
55 Lüftungsanlagen ren von bis zu 500 °C. Neben dieser zentralen Form
55 Waschmaschinen, Wäschetrockner, Ge- der Kraft-Wärme-Kopplung gewinnen KWK-An-
schirrspülmaschinen lagen auch in der dezentralen, privaten Nutzung
14 55 Lastmanagement in der Industrie. immer mehr an Bedeutung. Der elektrische Wir-
kungsgrad ist zwar in der dezentralen KWK-Anlage
Die Volumenangaben für Gase sind stets in Norm- geringer, dafür fallen kaum Netzverluste an. KWK-
kubikmeter (Vn) angegeben. Anlagen können sowohl mit fossilen Brennstoffen
wie Kohle, Heizöl oder Erdgas betrieben werden
als auch mit erneuerbaren Brennstoffen wie Biogas,
14.1.1 Flexibilisierung der Biomethan, erneuerbarem Methan, Klärgas, Pflan-
Kraft-Wärme-Kopplung über zenöl, Holz oder Holzgas. Der häufigste verwende-
Wärmespeicher und Wärmenetze te Brennstoff ist nach wie vor Erdgas.
Für einen Vergleich zwischen KWK-Anlagen
Dieses Kapitel  bietet einen Überblick über den Be- und Kondensationskraftwerken bei gleicher Ver-
reich der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK). Außer- sorgungsaufgabe ist entscheidend, wie hoch der
dem wird beschrieben, wie die KWK zusammen Wärmeanteil des Spitzenlastkessels an der Fern-
mit dem Einsatz von Wärmespeichern und Wär- wärme ist und welche alternative Wärmeerzeu-
menetzen effizienter zur Integration erneuerbarer gungstechnologie im Fall der Kondensationskraft-
Energien genutzt werden kann.
14.1 • Kopplung von Strom- und Wärmesektor
707 14
Verluste bei der
Kesselverluste Umwandlung in Strom Kesselverluste
7% 5% 10 %
Brennstoffeinsatz
60,5 %

Brennstoffeinsatz
Wärme
54 %

100 %
Brennstoffeinsatz

elektrische Hilfs energie 0,5 %


135,5 %

Eigenbedarf 2 %

Strom netto
Brennstoffeinsatz

27 %
75 %

Eigenbedarf
4%

Verlsute bei der


Kesselverluste Umwandlung in Strom
7% 39 %

. Abb. 14.1  Getrennte Erzeugung von elektrischer und thermischer Nutzenergie im Vergleich zur gekoppelten Erzeugung,
nach [30]

werke bilanziert wird. Hier können sich deutliche zz Einsatzpotenzial von KWK-Anlagen
Unterschiede zwischen den Vergleichsmaßstäben Das elektrische und thermische Leistungsspekt-
Gasbrennwertkessel, Wärmepumpe, Solarthermie rum von KWK-Anlagen ist sehr breit und reicht
oder Geothermie ergeben. Ein Vergleich zwischen von wenigen Kilowatt bis hin zu mehreren hun-
gekoppelter und ungekoppelter Stromerzeugung dert Megawatt. Entsprechend groß ist der Ein-
hängt vom jeweiligen Fallbeispiel ab. satzbereich von KWK-Anlagen. Quasi überall, wo
Für den in .  Abb.  14.1 dargestellten Fall einer Wärme benötigt wird, kann die KWK als eine Ver-
dezentralen Anlage ohne Wärmenetz weist die sorgungslösung herangezogen werden. Dennoch
KWK (rechts) deutliche Effizienzvorteile gegen- ist in Deutschland der Stromverbrauch geringer als
über der Kombination aus Kondensationskraft- der Wärmeverbrauch. Deswegen sind wirtschaft-
werk und Gaskessel (links) auf. Bei der gekoppel- lich geeignete Einsatzgebiete von KWK vor allem
ten Erzeugung von Strom und Wärme werden hier im Bereich der Wärmesenken zu finden. An den
insgesamt 100 % Brennstoff zu einer Nutzenergie bestehenden Fernwärmesystemen sind insbeson-
von 54 % Wärme und 27 % Strom führen. Bei der dere Mehrfamilienhäuser, Gewerbe mit hohen
getrennten Erzeugung hingegen sind insgesamt Anschlussleistungen und teilweise auch Industrie-
(60,5 + 75) % an Brennstoff aufzubringen, um die betriebe angeschlossen. KWK-Anlagen dienen der
gleiche Menge an Nutzenergie zu erhalten wie bei Bereitstellung von Wärme für Anlagen wie Hotels,
der getrennten Erzeugung. Damit können bis zu Krankenhäuser, Universitäten oder Schwimm-
einem Drittel Primärenergie eingespart und so ent- bäder – teilweise in Objektversorgung, teilweise im
sprechend klimaschädliche Emissionen verringert Anschluss an Fernwärmenetze. Zusätzlich erzeu-
werden. Anderseits könnten die Primärenergieein- gen KWK-Anlagen Prozesswärme für die Industrie
sparungen auch deutlich geringer ausfallen, wenn in Objektversorgung und Objektnetzen (s. [30]).
andere Referenzanlagen gewählt würden (s. [30]). KWK-Anlagen sind für Ein- und Zweifamilien-
häuser hingegen meist unwirtschaftlich. Einzig Mini-
BHKW eignen sich wirtschaftlich als Einzelanlagen
708 Kapitel 14 • Speicherintegration zur Kopplung unterschiedlicher Energiesektoren

in Mehrfamilienhäusern. Nahwärmenetze sind eine historisch gewachsene, flächendeckende Wärme-


Möglichkeit, neue Stadtteile zu erschließen, und kön- netzinfrastruktur auch in kleineren Kommunen
nen mittelfristig zu einem Fernwärmenetz zusam- mit geringen Bebauungsdichten vorhanden, wo-
mengeführt werden. Im Zuge des Ausbaus der KWK bei die Netze über geringere Vorlauftemperaturen
mit Biomasse wurden auch ländliche Nachwärme- deutlich unter 90 °C verfügen und damit auch für
netze trotz geringer Bebauungsdichte wie z. B. Bio- komplementäre Wärmeerzeuger wie Freiflächen-
gasanlagen in Dörfern und Gemeinden umgesetzt. Solarthermie und Wärmepumpen geeignet sind.
In den Niederlanden hingegen dominiert vor allem
zz Auslegung und Dimensionierung von KWK- die industrielle Kraft-Wärme-Kopplung (s. [13]).
Anlagen
Eine KWK-Anlage kann unterschiedlich ausge- zz Übersicht verschiedener KWK-Systeme
legt und je nach Bedarf dimensioniert werden. Es gibt eine Vielzahl verschiedener KWK-Systeme,
Die unterschiedlichen Betriebsweisen werden wie z. B.
in  7  Abschn.  8.5.1.4 erklärt. Die Auswahl und Di- 55 Heizkraftwerke mit Verbrennungsmotoren: In
mensionierung einer KWK-Anlage entscheidet über der Fernwärme werden häufig KWK-Anlagen
ihre spätere Wirtschaftlichkeit. Letztlich ist aber je- mit einer elektrischen Leistung von ca. 2 MW
des Projekt und damit jede Auslegung individuell. installiert. Auch Generatorsätze der Größen-
Der Standard ist, die Anlagen weder zu über- klasse bis 20 MW sind interessant, da hier
noch zu unterdimensionieren (s. [30]). Hier zeich- hohe Wirkungsgrade mit hoher Flexibilität
net sich durch den Ausbau fluktuierender erneuer- (häufiges Starten ohne Beeinträchtigung der
barer Energien eine andere Herangehensweise ab. Lebensdauer) bei vertretbaren Investitionskos-
Überdimensionierte Anlagen können das Potenzial ten kombiniert werden.
von Wärmespeichern effizienter ausnutzen und er- 55 Gasturbinen-Heizkraftwerke mit Abhitzekessel
möglichen deutlich höhere KWK-Anteile an der 55 Gasturbinen-Dampfturbinen-Heizkraftwerke
Fernwärme, sodass der Einsatz von Heizkesseln (GuD-Anlagen mit Wärmenutzung)
stark reduziert werden kann. Damit werden besse- 55 Dampf-Heizkraftwerke auf Basis von Kohle,
re Primärenergiefaktoren erreicht, welche im Hin- Müllabfällen und Klärschlamm sowie Holz.
blick auf die Anforderungen der Energieeinspar- Eine Sonderform bei der Nutzung von Holz
verordnung (EnEV) für den Anschluss von Neu- sind ORC-Anlagen.
bauten an ein bestehendes oder neues Wärmenetz 55 KWK-Anlagen mit Dampfkessel und Dampf-
wirtschaftlich relevant sind (s. [22]). motor
55 KWK-Anlagen mit Stirlingmotor oder Brenn-
zz Beispiel Dänemark und Niederlande stoffzelle.
14 In der Diskussion zum Ausbau von KWK-Anla-
gen in Deutschland werden zum Vergleich oftmals Auf eine detaillierte Funktionsbeschreibung der
Dänemark und die Niederlande herangezogen. In Anlagentypen wird an dieser Stelle jedoch verzich-
den Niederlanden liegt der KWK-Anteil an der tet und stattdessen auf [30] verwiesen.
Stromversorgung momentan bei rund 30 % und
in Dänemark sogar bei über 50 %. Dabei hat sich zz Begrenzte Potenziale für Kraft-Wärme-
der KWK-Ausbau in diesen beiden Ländern sehr Kopplung im Sommer
unterschiedlich entwickelt. In Dänemark hat ins- Gerade in den Sommermonaten ist der Verbrauch
besondere der Fernwärmemarkt die Entwicklung an Wärme wegen des fehlenden Heizwärmebedarfs
der KWK vorangetrieben und geprägt. Schon in nicht groß genug. Im Fall von Biogas-BHKW wird
den 1970er-Jahren lag der Anteil der Fernwärme- dabei die Wärme oft ungenutzt abgeführt, und die
versorgung an der gesamten Wärmebereitstellung Effizienz der KWK-Anlagen ist sehr gering. Abhilfe
bei rund 30 %. Mittlerweile sind dort die meisten bieten saisonale Wärmespeicher, die die thermische
KWK-Anlagen mit einem Wärmespeicher ausge- Energie der Sommermonate für die kalten Monate
stattet. Im Gegensatz zu Deutschland ist hier eine des Jahres speichern. Doch aufgrund der Wärme-
14.1 • Kopplung von Strom- und Wärmesektor
709 14
verluste und des niedrigen Temperaturniveaus sind Wärmetauscher wird Wasser erhitzt, das als Wär-
hierzu andere Technologien wie Solarthermie oder meträgerfluid und sensibler Wärmespeicher dient.
Geothermie besser geeignet (s. 7 Abschn. 4.5). Zum Wärmetransport wird das Wasser über ein gut
isoliertes Rohrleitungsnetz, welches meist im Erd-
zz Kraft-Wärme-Kälte-Kopplung und reich verlegt ist, zum Verbraucher geleitet. Dieses
Kälteanlagen Wärmetransportsystem wird als Nah- oder Fern-
Gerade in den warmen Sommermonaten wird viel wärmenetz bezeichnet. Beim Endverbraucher wird
Energie zur Klimatisierung von Gebäuden ver- die Wärme in einer Übergabestation abgegeben.
wendet. Viele öffentliche Einrichtungen wie z.  B. Dies ist in den meisten Fällen ein Wärmeübertrager
Schulen, Krankenhäuser und Flughäfen, aber auch samt Wärmetauscher, der den Fernwärmekreislauf
Hotels, Museen, Bürogebäude und Kaufhäuser vom Verbraucherkreislauf trennt. Nur in den sel-
haben einen hohen Kältebedarf im Sommer. Für tensten Fällen wird der Fernwärmekreislauf direkt
eine Sonderform der KWK, die Kraft-Wärme-Käl- an den Großverbraucher gekoppelt (s. [36]).
te-Kopplung (KWKK), ist das ein interessantes
Einsatzfeld. In wärmegetriebenen Kältemaschinen zz Nahwärme vs. Fernwärme
kann die Jahresnutzungsdauer der KWK deutlich Der Unterschied zwischen Nah- und Fernwärme ist
gesteigert werden (s. [30]). Zu den thermischen nicht eindeutig beschreibbar. Es gibt keine einheit-
Kältemaschinen zählen die Absorptions-, Ad-sorp- liche Definition dafür, bis zu welcher Leitungslänge
tions-, Diffusions- und Dampfstrahlkälteanlagen, von »Nahwärme« gesprochen wird und ab welcher
wie sie in 7 Abschn. 8.5.2 beschrieben werden. Länge eine Netzstruktur als »Fernwärme« gilt. Der
Wärmegetriebene Kälteanlagen nutzen die Begriff »Nahwärme« beschreibt allgemein kleine,
in KWK-Anlagen erzeugte Abwärme, um damit dezentrale Wärmenetze. Fernwärme bezeichnet
einen Kälteprozess zu betreiben. Dennoch zeigt hingegen größere Netze mit sehr langen Transport-
sich in der Praxis meist, dass der Brennstoff Erd- leitungen. Technisch gesehen gibt es jedoch keinen
gas zu teuer und damit auch die KWK-Wärme zu grundlegenden Unterschied zwischen Nah- und
wertvoll ist, um daraus Kälte zu erzeugen. Darüber Fernwärme. Aus diesem Grund wird meist verein-
hinaus weisen wärmegetriebene Kälteanlagen deut- fachend nur der Begriff Fernwärme verwendet.
lich höhere Investitionskosten auf als stromgetrie-
bene Kompressionskälteanlagen. Zudem wurden 14.1.1.2 Einsatz von Wärmespeichern in
bei Kompressionskälteanlagen in den letzten Jahren der stromorientieren KWK zur
deutliche Wirkungsgradsteigerungen erzielt. Damit Integration erneuerbarer
erscheinen für wärmegetriebene Kälteanlagen nur Energien
Nischenanwendungen bei industrieller Abwärme zz Wärmegeführte vs. stromgeführte vs.
oder Solarthermie wirtschaftlich. Entscheidend für stromorientierte Betriebsweise
die Klimafreundlichkeit der Kälteerzeugung ist bei Im Betrieb der KWK wird nach wärmegeführter und
konventionellen Kompressionskälteanlagen wie stromgeführter Betriebsweise unterschieden. Die
auch bei Elektromobilität und Wärmepumpen der herkömmliche Betriebsweise ist – bedingt durch die
Strombezug. Der derzeitige Strommix ist hier sicher- wirtschaftlichste Auslegung – die Wärmeführung:
lich nachteilig zu bewerten, aber die Perspektive der Die KWK-Erzeugung folgt der Wärmelast, und
Energiewende verspricht zukünftig große Synergien Strom ist das Nebenprodukt. Da damit Strom auch
und eine gesteigerte Effizienz des Gesamtsystems. zu Zeiten erzeugt wird, wenn er nicht gebraucht
wird, werden die wärmegeführten KWK-Anlagen
zz Wärmenetze und Wärmetransport als »Must-Run«-Einheiten bezeichnet. Diese trei-
In großen Heizkraftwerken wird Strom und Wärme ben den Speicherbedarf im Stromsektor nach oben
gekoppelt erzeugt. Eine optimale Wärmenutzung (s. 7 Kap. 3). Abhilfe können die stromgeführte und
ist vor Ort oft nicht möglich, weshalb die Wärme die stromorientierte Betriebsweise leisten.
zur Wärmesenke transportiert wird. Über einen
710 Kapitel 14 • Speicherintegration zur Kopplung unterschiedlicher Energiesektoren

. Abb. 14.2  Kombination aus KWK und Wärmespeicher zur Flexibilisierung der KWK und Energiespeicherung

Definition Preis« eine feste Vergütung erhalten, unabhängig von


In der stromorientierten Betriebsweise wird den Preisen am Strommarkt. Auch dieser Fall steht
die KWK-Anlage nach dem Bedarf des Strom- der Integration von erneuerbaren Energien entgegen.
netzes betrieben und ebenso der Wärmebedarf Bei einem stromorientierten Betrieb wird durch
gedeckt. Im Gegensatz zur stromgeführten eine höhere elektrische Anlagenleistung auch die
Betriebsweise wird bei Wärmeüberschuss keine thermische Leistung gesteigert. Gleichzeitig kann
Wärme weggekühlt, sondern gespeichert. aber auch so viel Wärme produziert werden, dass
Wärmespeicher entkoppeln die zeitlichen diese bis auf kalte Tage nicht mehr komplett in das
Schwankungen in Strom- und Wärmebedarf. Fernwärmenetz eingespeist werden kann. Ein Wär-
mespeicher ermöglicht es, die Wärmeerzeugung
von der Wärmenachfrage zu entkoppeln (s. [30]).
In Zukunft wird es immer wichtiger, dass KWK-An-
lagen ihre Strom- und Wärmeproduktion zeitlich zz Flexibilität durch Zusatzkomponenten
entkoppeln können. Wärmegeführte KWK-An- Die KWK wird aber vor allem durch die Kombina-
lagen werden teilweise auch bei niedrigen Strom- tion verschiedener Zusatzkomponenten zu einem
preisen nicht abgeschaltet und stehen damit der In- flexiblen System. Zu diesen Komponenten zählen
tegration von erneuerbarem Strom im Wege. Dies Spitzenlastkessel, Wärmespeicher, Elektroheizkessel
14 ist aber im Normalfall nicht technisch bedingt, da und/oder Großwärmepumpen. Dadurch kann die
die Anlagen über eine zusätzliche elektrische Heiz- Wärmeversorgungsaufgabe immer optimal gemäß
leistung verfügen, die bei niedrigen Strompreisen den Erfordernissen des Stromsystems und der fluk-
die Wärmeversorgung übernehmen können. Dies tuierenden EE-Einspeisung erfüllt werden (s. [3]).
ist bei gleichzeitig hoher erneuerbarer Einspeisung Eine besondere Bedeutung kommt dabei dem
und fehlender Grenzkostendeckung der KWK der Wärmespeicher zu (s. .  Abb. 14.2). Die überschüs-
Fall. Dadurch wird jedoch die Effizienz der Wärme- sige Wärme kann mit geringem technischem Auf-
versorgung vermindert. wand gespeichert werden. Die Kosten von Wärme-
Neben den wärmegeführten KWK-Anlagen gibt speichern sind deutlich geringer als die von Strom-
es Anlagen, welche aufgrund des energiewirtschaft- speichern, auch in Kombination mit den Kosten
lichen Rechtsrahmens eine Must-run-Charakteris- einer Überdimensionierung der Anlagenleistung.
tik aufweisen. Dazu zählen die Industrie-KWK zur Der Einsatz von Wärmespeichern führt zu einer
Eigenstromerzeugung und die BHKW kleinerer Entkoppelung von Wärme- und Stromerzeugung,
Leistungsklassen, welche meist gemäß dem Kraft- wodurch die KWK flexibler auf Lastschwankungen
Wärme-Kopplungsgesetz (KWKG) nach »üblichem reagieren kann (s. [4]).
14.1 • Kopplung von Strom- und Wärmesektor
711 14

Erdreich Wasser Luft

Grundwasser, Außenluft,
Erdwärme
oberirdische Gewässer Abluft / Abwärme

Erdwärmesonden, Wasserförderung und Absorbersystem,


Erdwärmekollektoren, anschließende Wieder- Abwärmenutzung,
erdberührte Betonteile versickerung bzw. -einleitung Luftkühlung

Sole / Wasser-Wärmepumpe Wasser / Wasser-Wärmepumpe Luft / Wasser-Wärmepumpe

. Abb. 14.3  Möglichkeiten der thermischen Nutzung durch Wärmepumpen in Abhängigkeit von der Wärmequelle,
nach [8]

14.1.2 Integration von Wasser entzogen und für Raumwärme und Warm-
Elektrowärmepumpen über wasser genutzt werden. Die Wahl der Wärmequelle
Wärmespeicher und Wärmenetze ist dabei stark von den Bedingungen am jeweiligen
Standort abhängig. Die genutzte Wärmequelle be-
14.1.2.1 Wärmepumpen – dingt wiederum die Art der Wärmepumpe (s. [8]).
Funktionsprinzip und Eine Übersicht dazu gibt . Abb. 14.3.
Energiequellen
zz Vorteile und Funktionsprinzip von zz Erdgekoppelte Wärmepumpen
Wärmepumpen Erdgekoppelte Wärmepumpen sind von besonderer
Durch das Heizen mit fossilen Brennstoffen werden Bedeutung, da fast zwei Drittel der derzeit neu ins-
umweltschädliche Stoffe wie Schwefeldioxid, Stick- tallierten Wärmepumpen im privaten Wohnungs-
oxide, Ruß, CO2 und weitere Schadstoffe emittiert. bau mit Erdwärmetauschern arbeiten. Bei Erdwär-
Wärmepumpen vermeiden diese Emissionen, wenn me handelt es sich um im Untergrund gespeicherte
sie auf Basis erneuerbarer Energien betrieben werden. Wärmeenergie, die über verschiedene Wege geo-
In  7  Abschn.  8.5.2 wird das Funktionsprinzip thermisch genutzt werden kann. Exemplarisch wer-
der unterschiedlichen Wärmepumpentypen näher den hier Erdwärmesonden und Erdwärmekollek-
erläutert. Ähnlich zu den gasbetriebenen Wärme- toren betrachtet. Diese sind der oberflächennahen
pumpen gibt es ebenso strombetriebene Kompres- Geothermie zugeordnet und werden häufig in pri-
sions-Wärmepumpen sowie Ab- und Adsorptions- vaten Haushalten eingesetzt, da sie im Vergleich zur
wärmepumpen (Elektrowärmepumpen). Tiefengeothermie weniger Aufwand und Kosten
verursachen. Oberflächennah bezieht sich auf Tie-
zz Niedertemperaturquellen fen von bis zu 100 m, bei größeren Anlagen auf Tie-
Für den Betrieb von Wärmepumpen werden Nie- fen von maximal bis zu 400 m. Alles darüber hinaus
dertemperaturquellen benötigt. Gespeicherte Wär- ist der Tiefengeothermie zuzuordnen (s. [8]).
meenergie kann dem Erdreich, der Luft oder dem
712 Kapitel 14 • Speicherintegration zur Kopplung unterschiedlicher Energiesektoren

Erdwärmesonden sind Rohre, die vertikal durch mit als alleinige oder zusätzliche Wärmequelle für
Bohrlöcher bis zu 150 m in das Erdreich eingebracht die Wärmepumpe verwendet. In diesem Fall kann
werden. Sie werden meist als U-förmige Kunststoff- die Solarenergie im Sommer zu einer Regeneration
rohre ausgeführt, in denen mithilfe einer Pumpe ein des Erdreiches beitragen und das Erdreich als Wär-
Wasser-Glykol-Gemisch (Sole) zirkuliert. Auf dem mequelle und Wärmespeicher stabilisieren (s. [6]).
Weg durch die Sonde wird die Wärmeträgerflüssig- Je nachdem bleibt dabei offen, ob die zusätz-
keit durch die Umweltwärme im Erdreich erwärmt. lichen Investitionskosten der Solaranlage durch die
Ausgehend von dem Wärmebedarf des Wohnhauses Effizienzgewinne der Wärmepumpe refinanziert
können die Länge der Erdwärmesonde und die Leis- werden können. Da Wärmepumpen selbst eine
tung der Wärmepumpe bestimmt werden (s. [8, 23]). kapitalintensive Technologie darstellen, erfordert
Erdwärmekollektoren haben im Vergleich zu eine wirtschaftliche Systemauslegung auch eine re-
Sonden einen deutlich geringeren Marktanteil. Sie lativ hohe Auslastung.
werden horizontal in ca. 1,2–2 m tiefen Gräben ver-
legt. Das Rohrsystem besteht dabei aus einzelnen zz Kopplung von Wärmepumpen mit
Rohrsträngen, die parallel oder auch spiralförmig Photovoltaikanlagen und Wärmespeichern
angeordnet werden können. Bei Erdwärmekollekto- Photovoltaikanlagen erzeugen primär elektrische
ren ist eine große Fläche zum Verlegen des Rohlei- Energie in zeitlicher Abhängigkeit von der Solar-
tungssystems notwendig. Dafür müssen sie jedoch strahlung. Zum Ausgleich der zeitlichen Differenz
nicht so weit in das Erdreich eingebracht werden. zwischen Angebot und Nachfrage bieten sich elek-
Entscheidend für die Wahl des Systems sind da- trische Speicher wie Batterien an. Daneben können
bei zum einen der vorhandene Platz, zum anderen jedoch auch thermische Speicher wie Pufferspei-
die Bodenverhältnisse vor Ort (s. [23]). cher für überschüssigen Solarstrom genutzt wer-
den. Dies wird durch die Kombination einer Photo-
14.1.2.2 Kombination von Wärmepumpen voltaikanlage (PV-Anlage) mit einer Wärmepumpe
mit Solaranlagen oder oder einem Heizstab (Power-to-Heat) ermöglicht.
Photovoltaik Durch die Kombination von PV-Anlage und
zz Kopplung von Wärmepumpen mit Wärmepumpe kann die Rentabilität des Gesamt-
thermischen Solaranlagen systems gesteigert werden, da damit der Eigenver-
Wärmepumpen lassen sich technisch gut mit ther- brauch an selbst erzeugtem, günstigem Solarstrom
mischen Solaranlagen kombinieren. So kann im durch den Wärmepumpenbedarf steigt. Da jedoch
Sommer ein großer Teil des Warmwasserbedarfs Heizenergiebedarf und Solareinstrahlung saisonal
und in den Übergangszeiten ein Teil des Heizbe- stark gegenläufig sind, reduziert sich der Effekt auf
darfs gedeckt werden. Dabei sind mehrere Ein- den Warmwasserbedarf und auf den Heizbedarf im
14 satzmöglichkeiten denkbar. Eine Solaranlage kann Frühling. Wie in 7 Abschn. 4.5.2 beschrieben, ist für
einen Warmwasserspeicher erwärmen, der bei die Flexibilisierung der Wärmepumpe aufgrund
Bedarf zusätzlich von der Wärmepumpe geladen ihrer Leistungszahl ein sehr großer Speicher im
wird. Die Bereitstellung der Raumwärme wird in Verhältnis zur verschiebbaren Stromlast notwendig.
diesem Fall ausschließlich von der Wärmepumpe Durch die PV-Eigenstromerzeugung besteht zudem
übernommen. Die Regelung der Wärmepumpe ein Anreiz, die Temperatur des Wärmespeichers
soll dabei der solaren Wärmeerzeugung Vorrang deutlich zu erhöhen, worunter wiederum die Effi-
gewähren, damit so wenig Strom wie möglich be- zienz durch größere Temperaturunterschiede leidet.
nötigt wird. Im Sommer kann damit der Brauch- Das Deckungspotenzial für PV-Strom am Wär-
und Warmwasserbedarf rein von der Solaranlage mebedarf liegt ohne optimierten Anlageneinsatz
über mehrere Monate gedeckt werden. im Neubau zwischen 10 und 30 % und im Altbau
Außerdem gibt es die Möglichkeit, die solar- zwischen 5 und 20 %. Für eine eigenstromoptimier-
thermische Anlage auf der Quellenseite der Wär- te Wärmepumpe können überschlägig Steigerun-
mepumpe einzubinden. Die solare Wärme wird so- gen von ca. 15 % erreicht werden. Im konkreten An-
wendungsfall sind größere Abweichungen möglich.
14.1 • Kopplung von Strom- und Wärmesektor
713 14
14.1.2.3 Integration von Wärmepumpen, Solare Strahlung

Wärmespeichern und
Eisspeichern in Haushalten,
Umgebungs-
Gewerbe und Industrie wärme Solar-/ Luft-
Absorber
zz Wärmepumpen in Haushalten, Gewerbe und
Fernwärme
Pumpe
Wärmepumpen werden fast ausschließlich in Ein-
zelgebäuden installiert. In den letzten Jahren ist der
Absatz dabei aufgrund der steigenden Steuern und Eisspeicher
Abgaben auf den Strombezugskosten rückläufig und Wärmepumpe

beschränkt sich auf Neubauten, welche aufgrund


der EnEV anderen Effizienzanforderungen unter-
liegen – im Gegensatz zum Bereich Bestandsgebäu-
Wärme aus
de und Mehrfamilienhäuser. Im Gewerbebereich dem Erdreich
kann eine Wärmepumpe auch für die Kühlung im
Sommer eingesetzt werden, wodurch Wirtschaft- . Abb. 14.4  Kombination eines Heiz- und Kühlsystems
aus Eisspeicher, Solaranlage, Wärmepumpe und Puffer-
lichkeit und Effizienz verbessert werden. Im Einzel-
speicher, nach [37]
gebäude können die Fußbodenheizung und die Ge-
bäudemasse als Wärmespeicher für einen flexiblen
Anlageneinsatz genutzt werden (s. 7 Abschn. 4.5.2). und technisch heute umsetzbar, aber auch kapital-
Zusätzliche Flexibilisierungsmöglichkeiten sind intensiv. Sie können in Haushalten und größeren
Wärmespeicher und eine Überdimensionierung der Gebäudekomplexen verwendet werden.
Anlagenleistung. Der Standard der derzeitigen Fle- Folgende Komponenten kommen dafür zum
xibilisierungsmaßnahmen im Zuge des Lastmanage- Einsatz (s. . Abb. 14.4):
ments ist die Abschaltung der Wärmepumpen durch 55 Ein Eisspeicher nutzt die latente Wärme von
den Verteilnetzbetreiber für zweimal drei Stunden Wasser zur Energiespeicherung. Er besteht aus
pro Tag. Damit wird eine netzentlastende Wirkung einem Behälter mit Wasser und zwei Wärme-
im Verteilnetz erreicht. Auch die ersten Wärmepum- tauschern. Der Behälter mit einem Volumen
pen werden in virtuellen Kraftwerken gepoolt, um von mehreren m3 ist meist im Erdboden ver-
flexibel am Strommarkt eingesetzt zu werden (s. [7]). senkt und durch Ventile für ein Austreten von
Haushalte und Gewerbe dominieren auch den überschüssigem Wasser vorbereitet.
Bereich der Fernwärme. In Dänemark werden in 55 Ein spezieller Solar-Luftabsorber entzieht der
wenigen Netzen bereits auch große Wärmepumpen Umgebung und der Sonnenstrahlung Wärme.
eingesetzt, welche den nächsten Effizienzschritt 55 Eine spezielle Sole/Wasser-Wärmepumpe
nach dem Einsatz von Elektroheizkesseln darstel- steuert den Heiz- und Kühlkreislauf.
len. Möglich wird dies dort aufgrund der geringen 55 Ein Wärmespeicher puffert die Wärme zwi-
Vorlauftemperaturen der Fernwärme. In Deutsch- schen Wärmepumpe und Haus.
land ist eine Temperaturabsenkung der Fernwärme
grundsätzlich langfristig vorstellbar, womit sich Die Solaranlage versorgt das Gebäude über eine
weitere Einsatzpotenziale und Flexibilität für Wär- Sole/Wasser-Wärmepumpe samt Pufferspeicher
mepumpen ergeben können (s. [26]). mit Raumwärme und Warmwasser. Kann der Wär-
mebedarf nicht aus der solaren Umgebungswärme
zz Wärmepumpen in Kombination mit gedeckt werden, entzieht die Wärmepumpe dem
Eisspeichern und Solaranlagen für die Eisspeicher Wärme, bis das Wasser vollständig ge-
Wärme- und Kälteversorgung froren ist. Dieser Phasenwechsel wird beim Einspei-
Auch die Nutzung von sogenannten Eisspeichern chern in den Eisspeicher umgekehrt, wenn über-
ist in der Kombination mit Solaranlagen, Wärme- schüssige Solarenergie zum Schmelzen des Eises
pumpen und Wärmespeichern vielversprechend verwendet wird. Auf diese Weise kann Solarenergie
714 Kapitel 14 • Speicherintegration zur Kopplung unterschiedlicher Energiesektoren

über längere Zeiträume durch das Erstarren und der Technik erlaubt derzeit Vorlauftemperaturen
Schmelzen von Wasser gespeichert werden (s. [37]). von ca. 80 °C. Geringe Steigerungen sind dabei
noch möglich (s. [26]).
Beispiel
Wie viel latente Wärme steckt in 10 m3 Wasser?
Beim Gefrieren des Wassers wird latente Wärme 14.1.3 Integration von Power-to-Heat
frei, die für Heizzwecke verwendet werden kann. über Wärmespeicher und
Wasser ist mit seiner sehr hohen Schmelzenthalpie Wärmenetze
von 334 kJ/kg und der einfachen Handhabung ein
sehr gut geeignetes Phasenwechselmaterial (PCM). Die Grundzüge von Power-to-Heat sind in 7 Kap. 4
Wasser hat eine Dichte von 1  kg/l. Beim Erstarren beschrieben. In diesem Abschnitt wird auf die Inte-
oder Schmelzen von 10 m3 Wasser ergibt sich damit gration von Power-to-Heat in Haushalten, Gewer-
eine Speicherkapazität von 928 kWh: be und Industrie eingegangen. Dabei ist zwischen
der starken Dynamik der Eigenstromnutzung und
kJ Power-to-Heat aus Systemsicht zu unterscheiden.
∆QWasser = mWasser ⋅ ∆ hS ,Wasser = 10.000 kg ⋅ 334
kg
= 3340 MJ = 928 kWh. 14.1.3.1 Integration von Power-to-Heat in
Haushalten und Gewerbebetrieben
zz Anreiz des Eigenstromverbrauchs von PV-
Diese Energiemenge entspricht etwa 10 l Heizöl mit Strom in Haushalten
einem Heizwert von 10 kWh/l. Aus heutiger Sicht wird es für Betreiber von Photo-
voltaikanlagen immer interessanter, den erzeugten
Ein weiterer Vorteil dieses Systems ist der Einsatz Strom selbst zu nutzen. Derzeit liegt die EEG-Ver-
zur Kälteversorgung und Klimatisierung, die im gütung für den in das Netz eingespeisten Strom
Zuge des Klimawandels immer wichtiger werden noch über den Gasbezugskosten. Unter der Annah-
und die Stromnetze zusätzlich belasten (s. 7 Kap. 3). me, dass zukünftig die EEG-Vergütung entfällt und
Rein durch einen Wasserkreislauf – ohne den Be- Eigenstromerzeugung nicht massiv besteuert wird,
trieb der Wärmepumpe – kann Wasser durch den wäre es möglicherweise wirtschaftlich sinnvoll, den
Eisspeicher zirkuliert werden und das Eis zum PV-Strom erst in das öffentliche Netz einzuspeisen,
Schmelzen bringen. Dabei kühlt sich das Wasser ab wenn der Strom- und Wärmebedarf im Haushalt
und transportiert die Kälte durch das bestehende vollständig abgedeckt ist. Sollte die Wärmeleistung
Rohrsystem in die Räume des Hauses. Die Fußbo- für das Beheizen der Wohnräume nicht ausreichen,
denheizung wird dadurch zur Fußbodenkühlung. kann zusätzlich mit konventionellen Wärmeerzeu-
14 Eisspeicher sind keine neue Technologie, son- gern nachgeheizt werden.
dern werden seit Beginn des 20. Jahrhunderts in Die Kopplung von PV-Anlagen mit der Wär-
Molkereien und Brauereien eingesetzt und für die meerzeugung kann für viele Eigenheimbesitzer
Gebäudeklimatisierung seit mehreren Jahren dis- ökonomisch sinnvoll werden, auch wenn dies aus
kutiert (s. [28]). volkswirtschaftlicher Betrachtung des Gesamtsys-
tems als ineffizient erscheint: Eigenstrom ist aus
zz Wärmepumpen in der Industrie netz- und markttechnischer Sicht kein überschüs-
In der Industrie besteht einerseits ein hoher Bedarf siger Strom. Ob der Ausbau der PV und die Eigen-
an Prozesswärme unter 100 °C. Andererseits gibt stromnutzung wirklich eine starke Eigendynamik
es große Potenziale an industrieller Abwärme auf entwickelt, ist derzeit schwer absehbar. Gerade
niedrigem Temperaturniveau. Wo beides an einem für die Strom-Wärmekopplung könnten sich aber
Standort anfällt, bieten sich große Wärmepumpen theoretisch starke Wechselwirkungen ergeben, die
an, die Effizienz und Wirtschaftlichkeit der Wär- für Wärmespeicher relevant werden.
meversorgung zu verbessern. Der heutige Stand
14.1 • Kopplung von Strom- und Wärmesektor
715 14

Kombi-
wärme-
speicher Heizkessel
Pumpe
Photovoltaik-
module =
Wechsel-

richter

Regelung
Trinkwasser
Pumpe

Heiz-
wasser
Verbraucher Heizstab Heizung
kWh kWh
Kühl-
Zähler system

Netz

. Abb. 14.5  Schematische Darstellung der Integration von Power-to-Heat in Pufferspeichern in einem Haushalt, nach [29]

zz Auslegung von Power-to-Heat für zz Heizen mit Photovoltaik zur


Warmwasser in Haushalten Eigenversorgung
Die Auslegung der einzelnen Komponenten ist Für die Nutzung der Überschüsse aus PV-Anla-
stark von der Größe der installierten PV-Anlage gen gibt es mehrere Möglichkeiten, wie beispiels-
abhängig. Erfahrungen zeigen, dass eine PV-An- weise die Speicherung des Stroms in Batterien.
lage über ein gesamtes Jahr gesehen den Warm- Hausbatteriespeicher sind momentan jedoch noch
wasserbedarf decken kann. Soll sie zusätzlich zum sehr teuer und ein wirtschaftlicher Einsatz in
Beheizen der Wohnräume eingesetzt werden, wer- Deutschland selten gegeben oder nur über Subven-
den ihre Leistungsgrenzen erreicht. Für die Bereit- tionen umsetzbar (s. 7 Abschn. 14.1.4).
stellung von Warmwasser und Raumwärme wäre Daher wird die Verwertung der PV-Überschüsse
eine sehr große PV-Anlage mit entsprechender über Power-to-Heat interessant, da bestehende Wär-
Überproduktion im Sommer notwendig, was die- mespeicher mit kostengünstigen Heizstäben tech-
se Nutzungsvariante wirtschaftlich uninteressant nisch sehr einfach nachgerüstet werden können (s.
macht und zusätzlich von den verfügbaren Flä- . Abb. 14.5). Für diese Einsatzalternative sind neben
chenpotenzialen am Standort begrenzt ist. Ein Lö- PV-Anlage, Wärmespeicher und Heizstäben eine
sungsansatz ist die Kombination einer PV-Anlage Steuer- und Regeleinheit von entscheidender Be-
mit einer Wärmepumpe statt eines Heizstabs, um deutung. Eine optionale Komponente ist ein Haus-
die Nutzungseffizienz des Stroms zu steigern, oder batteriespeicher. Der Mikrocontroller der Regelung
der Einsatz eines Hybrid-Kollektors als Kombina- misst die Leistungsgrößen von Wechselrichter, Bat-
tion von PV und Solarkollektor zur Verbesserung teriespeicher und Strombedarf und steuert entspre-
der Flächeneffizienz. chend die Leistungselektronik des Heizstabes.
716 Kapitel 14 • Speicherintegration zur Kopplung unterschiedlicher Energiesektoren

Diese Regelung der Anlage sorgt dafür, dass der 14.1.3.2 Integration von Power-to-Heat in
erzeugte Strom der PV-Anlage erst direkt im Haus- industriellen Anwendungen und
halt selbst verbraucht wird, um den Strombezug Prozesswärme
aus dem Netz zu minimieren. Erst wenn zeitgleich zz Power-to-Heat aus
kein Strom benötigt wird und PV-Strom vorhan- Eigenstromversorgungssicht
den ist, werden die Überschüsse für den späteren Im Bereich der Industrie sind die Anreize zur PV-
Eigenverbrauch in Batterien gespeichert oder über Eigenstromerzeugung abhängig von den individu-
den Heizstab im Wärmespeicher in thermische ellen Befreiungstatbeständen. Da die energiein-
Energie gewandelt. So kann der Brennstoff zum tensive Industrie von vielen Steuern und Abgaben
Erzeugen der Wärme samt Kosten und Emissionen befreit ist und die Photovoltaik im Gegensatz zur
eingespart werden. Das Potenzial dieser Technolo- KWK keine gesicherte Leistung zur Vermeidung
gie wird im GW-Bereich eingeschätzt (s. [29]). von Netzentgelten bereitstellen kann, ist auch der
Der Einsatz von Power-to-Heat in Haushalten Anreiz zur direkten Wärmeerzeugung mit Solar-
sollte jedoch stets als bivalente Heizung ausgeführt strom meist gering. Anders stellt sich dies im pro-
werden, also als Ergänzung zur »Hauptheizung«. duzierenden Gewerbe oder nicht EEG-umlagere-
Bei einer ausschließlich elektrischen Heizung im duzierten Branchen dar.
Winter beziehen im schlimmsten Fall sehr viele
Haushalte gleichzeitig Strom, was die Netzstabilität zz Power-to-Heat aus Gesamtsystemsicht
schwer planbar macht bzw. gefährdet, die Jahres- In der Industrie besteht ein großer Bedarf an Hoch-
höchstlast deutlich erhöht und damit die volks- temperatur-Prozesswärme. Hier gibt es neben
wirtschaftlichen Kosten der Sicherung der Jahres- KWK-Anlagen und Gasheizwerken kaum techno-
höchstlast über z.  B. Gasturbinen unnötig in die logische Alternativen. Beide Anwendungen können
Höhe treibt. mit Elektroheizwerken kombiniert werden. Damit
ergeben sich hybride Systeme, die sich äußerst ef-
zz Power-to-Heat aus Gesamtsystemsicht fizient an die Erfordernisse des Strommarktes bei
Power-to-Heat besitzt neben der Nutzung von erneuerbaren Überschüssen und Deckungslücken
Eigenstrom prinzipiell ein großes Potenzial für die anpassen können.
Integration von erneuerbaren Stromüberschüssen Aus heutiger Sicht ist Power-to-Heat im indus-
(s. 7 Abschn. 4.5.3). triellen Maßstab nur im Regelleistungsmarkt wirt-
Da im Bereich der Haushalte jedoch ande- schaftlich einsetzbar.
re, teils effizientere erneuerbare Alternativen wie
Wärmepumpen, Holzheizungen, Solaranlagen und zz Einbindung eines Elektrodenheizkessels in
Gasbrennwertthermen auf Basis von erneuerbarem bestehende industrielle Wärmekreisläufe
14 Gas vorhanden sind und als komplementäre Wär- Beispielhaft wird an dieser Stelle die Umsetzung
meerzeugung ohnehin benötigt werden, erscheint von Power-to-Heat in bestehende Wärme- und
eine große Durchdringung von Heizstäben aus Ge- Dampfkreisläufe in der Industrie beschrieben. Da-
samtsystemsicht als nicht optimal. Power-to-Heat für bieten sich Elektrodenheizkessel als bewährte
in Haushalten wird demnach nur als Heizungser- Technologie an. Durch eine intelligente Einbin-
gänzung sinnvoll einzusetzen sein. dung in die Prozesswärme können kurzfristige
Anwendungen im Bereich Industrie, Fernwär- Stromüberschüsse als negative Regelenergie fossile
me oder die Kombination mit effizienten Wärme- Energie über die Produktion von Warmwasser oder
erzeugungsanlagen wie Mini-BHKW bei geringen Dampf ersetzen.
Wärmedeckungsanteilen für Power-to-Heat er- Die enerstorage GmbH entwickelt solche An-
scheinen dagegen vielversprechender. lagen und vertreibt sie auf dem Regelenergiemarkt.
Voraussetzung sind geeignete Anlagenstandorte
mit einer ganzjährig nutzbaren Wärmesenke und
einem standortnahen Stromnetzanschluss mit aus-
reichender elektrischer Leistungsreserve.
14.1 • Kopplung von Strom- und Wärmesektor
717 14
Als Technologie kommen vorrangig Elektroden-
kessel (E-Kessel) zum Einsatz (s. .  Abb. 14.6). Fol-
gende Kriterien sind für die Standortwahl wichtig:
55 Im Dampfnetz besteht die Voraussetzung, dass
möglichst ganzjährig 5–20 MW Sattdampf in
einen nicht kritischen Teil des Dampfnetzes
zur sinnvollen Nutzung aufgenommen wer-
den können. Der Elektrodenheizkessel kann
Heißwasser und/oder Sattdampf mit einem
maximalen Druck von 30 bar bei einer Tem-
peratur von 230 °C liefern und binnen 30 s
auf Volllast fahren, womit er prinzipiell auch
eine – im Regelleistungsmarkt noch nicht
akzeptierte – negative Primärregelung erbrin-
gen könnte. Für den Sekundärregelleistungs-
markt sind die Anforderungen geringer: Die
volle Leistung ist innerhalb von 5 min bereit-
zustellen und die zur Verfügung stehende
Leistung auf Wochenbasis vorzugeben.
55 Im Stromanschluss existieren idealerweise
ungenutzte Leistungsreserven in Höhe der
Leistung des Kessels von mindestens 5 MW
(weitere Bedingung des derzeitigen Regelleis-
tungsregimes) auf Mittelspannungsebene.
55 Für den Betrieb ist eine Wasseraufbereitung
notwendig. Der Kessel benötigt Wasser mit
einer Leitfähigkeit von 60 µS/cm (s. Leitfähig-
keitsmessung von Wasser in 7 Abschn. 8.1).
Hierfür wird zum Start eine minimale Dosis . Abb. 14.6  Ausführung eines Elektrodenkessels für
die industrielle Umsetzung von Power-to-Heat
Kalk zugegeben. Der produzierte Dampf hat
keine Leitfähigkeit, weshalb im laufenden
Betrieb keine weiteren Zusatzstoffe notwendig 55 K esseltechnik: Elektrodenkessel inkl. Peri-
sind. Die nicht verdampfenden Stoffe im Was- pherie wie Heizkreispumpen, Armaturen und
ser können sich aufkonzentrieren, weshalb ein Verrohrung am Kessel, Sicherheitsventile,
Teil des Wassers ständig dem Kessel zu ent- Steuerschrank, Leitfähigkeitsmessung
nehmen ist. Aus der Qualität des Speisewassers 55 Regelungstechnik: Messungs-, Steuerungs-
ergibt sich die Menge dieser Absalzung oder und Regelungstechnik der Neuanlage inkl.
»Abschlämmung«. Notabschalt-, Status- und Bereitschaftssignale
55 Hydraulik: Anbindung von Dampf, Was-
Die Power-to-Heat-Gesamtanlage umfasst folgen- ser und Druckluft speisewasserseitig an die
de Bestandteile (s. . Abb. 14.7): Bestandsanlage, Rohrleitungen für Kessel-
55 Bautechnik: Fundamente, Rohrleitungstrassen warmhaltung, Überdruckventile, Entleerung,
etc. Probenahme inkl. Wärmemengenzähler für
55 Elektrotechnik: Leistungstransformator nach Dampferzeugung und -bezug
Bedarf inkl. Trafozelle, MS-Schaltanlagen, Ver-
kabelung Mittel- und Niederspannung, Hilfs- Der norwegische Hersteller Parat hat laut Firmen-
stromversorgung, Kabeltrassen, Mess- und angaben in Deutschland bereits drei verschiede-
Schutztechnik ne Power-to-Heat Systeme im Betrieb bzw. in der
718 Kapitel 14 • Speicherintegration zur Kopplung unterschiedlicher Energiesektoren

gend und sehr leicht verständlich ist es, diese Kilo-


wattstunde z.  B. in eine Batterie zu laden und zum
späteren Zeitpunkt wieder zu entladen. Diese Op-
tion wird im 1. Fall untersucht.
Alternativ zum Einspeichern in eine Batterie kön-
nen verschiebbare Lasten mehr Strom beziehen und
dann die Endenergie z. B. in Form von Kälte in einem
Kühlschrank speichern. Zum Zeitpunkt der Batterie-
entladung würden diese Lasten dann keinen Strom
beziehen. Der stromseitige Verlagerungseffekt ist
derselbe. Diese Option wird im 2. Fall untersucht.
Als dritte Alternative wird anstatt Strom in eine
Batterie einzuspeichern eine Wärmepumpe betrie-
ben und die generierte Wärme in einem Warmwas-
serspeicher gespeichert. Zum Zeitpunkt der Batterie-
entladung ist die Wärmepumpe außer Betrieb und
das Gebäude wird mit Wärme aus dem Wärmespei-
. Abb. 14.7  Schematische Darstellung des Aufbaus
cher geheizt. Der stromseitige Verlagerungseffekt
einer Power-to-Heat-Anlage in Form eines Elektroden-
heizkessels zum Einsatz im Regelleistungsmarkt als Last- ist wiederum derselbe. Diese Option wird im 3. Fall
management und Einspeichertechnologie von Wärme- untersucht. In allen Fällen werden ein Speicherzyklus
speicher/Dampfnetzen. (Quelle: Parat) pro Tag und ein Zinssatz von 5 % zugrunde gelegt.

1. Fall: Batteriespeicher
­ lanung, welche alle im Sekundärregelleistungs-
P Mit angenommenen Investitionskosten von 350  €/
markt eingesetzt werden: kWh für eine Lithium-Ionen-Batterie mit einer Lebens-
55 2 × 25 MW Elektrodenheizkessel für einen dauer von 10 Jahren ergibt sich eine Annuität von
70 m Warmwasserspeicher der N-Ergie GmbH
in Nürnberg, der an das Fernwärmenetz ange-
ABat = K ⋅
(1 + i) ⋅ i
n
schlossen ist
55 2 × 20 MW Elektrodenheizkessel im Industrie- (1 + i )n − 1
park der Infraserv GmbH in Höchst, Frankfurt
350 € (1 + 0, 05) ⋅ 0, 05
10
zur Einspeisung in das 16 bar Dampfnetz bei = ⋅
ca. 200 °C (Standby: 12 bar, 200 °C; Verluste im kWh (1 + 0, 05)10 − 1
Standby aufgrund der Isolierung ca. 20 kW) €
14 55 2 × 10 MW Elektrodenheizkessel in einer = 45,33
kWh ⋅ a
.
Papierfabrik bei Berlin.
Damit ergeben sich bei einer maximalen Entlade-
tiefe DOD von 80 % folgende Kosten für jede zeitlich
14.1.4 Batteriespeicher vs. verschobene Kilowattstunde K v , Bat von
Lastverschiebung vs.
Wärmespeicher – ein Beispiel € a d 1
K v, Bat = 45,33 ⋅ ⋅ ⋅
Beispiel kWh ⋅ a 365 d 1 0,8
Wieso ist die Kopplung von Strom- und Wärme- €-ct.
sektor so entscheidend für das Gelingen einer
= 16 .
kWh
kostengünstigen Energiewende?
Zur Beantwortung dieser Frage werden die 2. Fall: Lastverschiebung
Kosten betrachtet, die entstehen, um eine Kilowatt- Im Rahmen einer Studie wurde das Lastverschie-
stunde elektrische Energie von einem Zeitpunkt zu bungspotenzial für ein exemplarisches Einfamilien-
einem anderen Zeitpunkt zu verlagern. Nahelie- haus ohne Stromeinsatz für Heizung und Warmwas-
14.1 • Kopplung von Strom- und Wärmesektor
719 14
ser auf geringe 2,14 kWh/d ermittelt (Kühlaggregate, Wird dieselbe Rechnung für ein Einfamilien-
Umwälzpumpe, einige Haushaltsgeräte). Investitions- haus mit elektrischer Wärmebereitstellung
kosten in Speicherkapazität sind hier keine vorhan- durchgeführt, ergeben sich wesentlich höhere
den, jedoch schlagen bei nur geringfügig verlager- täglich verschiebbare Energiemengen. In der-
barer Last die Kosten für Kommunikationstechnik für selben Studie wurden diese mit 96  kWh/d be-
einen intelligenten Zähler (300 € im Pilotstadium, spä- rechnet (s. [32]). Bei denselben Kosten für den
ter anteilig mit 100 € angesetzt) und Inhouse-Kommu- Anschluss an die Kommunikation ergeben sich in
nikation zu Buche (100 € im Pilotstadium und 3 € pro dem Fall sogar K v, DSM , pilot = 0,1 €ct / kWh bzw.
Endgerät mit z. B. Zigbee-Standard). Bei einer Lebens- K v, DSM , Serie = 0,02 €ct / kWh .
dauer von 25 Jahren ergibt sich eine Annuität von
3. Fall: Thermische Energiespeicherung

ADSM, Pilot = K ⋅
(1 + i) ⋅ i
n Wird Wärme elektrisch z.  B. über eine Widerstands-
heizung oder effizienter über eine Wärmepumpe
(1 + i )n − 1 erzeugt, in einem Warmwasserspeicher gespeichert
und zu einem späteren Zeitpunkt entladen, fallen
= (300 € + 3 ⋅100 € ) ⋅
(1 + 0, 05) ⋅ 0, 05
25
die Kosten für den Speicher zusätzlich an. Werden
(1 + 0, 05)25 − 1 die Kosten für einen Pufferspeicher mit 300 l Inhalt
€ zu 800  € angenommen, ergeben sich die spezifi-
= 42,57 schen Speicherkosten bei einer nutzbaren Tempe-
a
raturdifferenz von 55 K, der spezifischen Wärme von
bzw. Wasser von 4,19 kJ/kgK und der Dichte von 1000 kg/
m³ zu

ADSM, Serie = K ⋅
(1 + i)n ⋅ i
kJ kg 1 h
(1 + i )n − 1 eWarmwasser = 4,19
kgK
⋅ 55 K ⋅1000 ⋅
m³ 3600 s

= (100 € + 3 ⋅ 3 € ) ⋅
(1 + 0, 05) ⋅ 0, 05
25
kWh
= 64 .
(1 + 0, 05)25 − 1 m³

= 7, 73 . Dies ergibt spezifische Speicherkosten von
a

Daraus ergeben sich Kosten K v,DSM,pilot bzw. 800 € 1000 l m³


kv,Warmwasser = ⋅ ⋅
K v,DSM,Serie für jede zeitlich verschobene Kilowatt- 300 l m³ 64 kWh
stunde von nur

= 41, 66 .
€ a d kWh
K v, DSM , pilot = 42,57 ⋅ ⋅
a 365 d 2,14 kWh
€ct Mit einer Lebensdauer von wiederum 25 Jahren er-
= 5, 45 gibt sich eine Annuität von
kWh

€ (1 + 0, 05) ⋅ 0, 05
25

bzw. AWarmwasser = 41, 66 ⋅


€ a d kWh (1 + 0, 05)25 − 1
K v, DSM , pilot = 7, 73 ⋅ ⋅
a 365 d 2,14 kWh €
= 2,96
€ct kWh ⋅ a
= 0,99 .
kWh
720 Kapitel 14 • Speicherintegration zur Kopplung unterschiedlicher Energiesektoren

. Abb. 14.8  Vergleich der Speicherkosten für unterschiedliche Alternativen mit und ohne Kopplung des Strom- und
Wärmesektors am Beispiel eines Haushalts

darf – also Energiespeicherung – ist unerlässlich.


und Kosten K v ,Warmwasser für jede verschobene Kilo- Mit angenommenen Stromgestehungskosten von
wattstunde von 6 €ct/kWh verteuert sich die Elektrizität nach dem
Speichervorgang in der Batterie um ein Vielfaches,
€ a d während sich dieselbe Aufgabe bei Verknüpfung
K v,Warmwasser = 2,96 ⋅ ⋅
kWh ⋅ a 365 d 1 der Sektoren von Strom und Wärme mit thermi-
€ct scher Energiespeicherung kaum bemerkbar macht.
= 0,8 . Selbst eine deutliche Kostendegression bei Batte-
kWh
14 riespeichern ändert an dieser grundsätzlichen Er-
kenntnis nichts.
Wird dieselbe Rechnung mit großen Fernwärme-
speichern mit mehreren tausend Kubikmetern
Volumen und deutlich geringeren spezifischen 14.2 Kopplung von Strom- und
Kosten durchgeführt, errechnen sich Kosten für die Verkehrssektor
verschobene Kilowattstunde K v , Fernwarme

von deut-
lich unter 0,1 €ct/kWh.
In . Abb. 14.8 wird die Bedeutung der Kopp- Im Straßenverkehr wird insbesondere die Elektro-
lung von Strom und Wärme und damit die Be- mobilität einschließlich der Nutzung sowohl von
deutung für eine kostengünstige Umsetzung der Wasserstoff als auch weiterer Stromkraftstoffe als
Integration erneuerbarer Energien als wesentlicher Lösungsbausteine diskutiert, die nachfolgend teil-
Bestandteil der Energiewende deutlich. Eine An- weise anhand von Beispielen näher vorgestellt
passung zwischen Stromerzeugung und Strombe- werden. Oberleitungsfahrzeuge und elektrischer
14.2 • Kopplung von Strom- und Verkehrssektor
721 14

. Abb. 14.9  Übersicht über heute und zukünftig wesentliche Antriebskonzepte im Pkw-Sektor

Schienenverkehr werden in diesem Kontext nicht schen Antriebsstrangs und die Fahrzeugarchitektur
betrachtet, da sie zwar den Strom- und Verkehrs- insgesamt.
sektor koppeln, aber durch das Fehlen eines integ- Beim Hybridfahrzeug kommt vorrangig ein
rierten Speichers nicht dem Lastenausgleich dienen. konventioneller Verbrennungsmotor zum Einsatz,
der durch einen Elektromotor ergänzt wird. Die
Aufladung der Batterie für den Antrieb des Elek-
14.2.1 Elektromobilität tromotors erfolgt über die Rückgewinnung von
Bremsenergie (Rekuperation) sowie beim Fahren
Die Elektromobilität im Straßenverkehr wird als durch den Verbrennungsmotor. Somit lassen sich
ein zentraler Lösungsbaustein für eine nachhaltige kürzere Reichweiten teilweise rein elektrisch zu-
Mobilitätsentwicklung diskutiert und ermöglicht rücklegen, ein externer Stromanschluss zur Bela-
in Abhängigkeit vom jeweiligen Antriebskonzept dung der Batterie besteht jedoch nicht. Ein Batte-
eine direkte Kopplung zwischen Strom- und Ver- riefahrzeug wird im Gegensatz dazu ausschließlich
kehrssektor (s.  7  Kap.  5). Dafür ist es jedoch er- über einen Elektromotor angetrieben, die hierfür
forderlich, die Elektrofahrzeuge intelligent in das benötigte Energie wird in der Traktionsbatterie
Energiesystem einzubinden und erneuerbare Ener- des Fahrzeugs gespeichert. Die Batterie wird über
gien zur Ladung der Fahrzeuge zu nutzen. das Stromnetz sowie mittels Rekuperation geladen.
Der Plug-in-Hybrid sowie das Elektrofahrzeug mit
14.2.1.1 Antriebskonzepte Range Extender stellen vereinfacht Mischformen
. Abbildung 14.9 zeigt neben dem konventionellen zwischen Hybrid- und Batteriefahrzeug dar und
Fahrzeug die wesentlichen alternativen Antriebs- ermöglichen es, die Reichweitenbegrenzung eines
konzepte, die teilweise oder vollständig elektrisch reinen Batteriefahrzeugs zu überwinden.
betrieben werden können. Hierzu zählen Hybrid- Der prinzipielle Aufbau eines Plug-in-Hybriden
elektrofahrzeuge ohne externen Stromanschluss entspricht dem eines Hybridfahrzeugs, wobei die
(HEV), Plug-in-Hybridelektrofahrzeuge (PHEV), Möglichkeit der externen Batterieladung gegeben ist
Elektrofahrzeuge mit Range Extender (REEV), rein und sich die Komponentenauslegung unterscheidet.
batterieelektrische Fahrzeuge (BEV) sowie Brenn- Beim Elektrofahrzeug mit Range Extender erfolgt
stoffzellenfahrzeuge (FCEV). Die einzelnen Kon- der Antrieb rein elektrisch, jedoch wird bei Bedarf
zepte unterscheiden sich im Wesentlichen durch ein modifizierter Verbrennungsmotor zur Beladung
die unterschiedliche Dimensionierung des elektri- der Batterie eingesetzt. Die externe Aufladung der
722 Kapitel 14 • Speicherintegration zur Kopplung unterschiedlicher Energiesektoren

Batterie ist analog zum Plug-in-Hybrid ebenfalls 55 i nduktives Laden über Ladespulen
vorgesehen. Beim Brennstoffzellenfahrzeug erfolgt 55 B atteriewechsel.
die Stromerzeugung für den Antrieb des Elektro-
motors direkt im Fahrzeug über eine Brennstoffzel- Eine große Herausforderung sind in diesem Zu-
le, die chemisch gespeicherte Energie in Form von sammenhang die hohen Investitionskosten für den
Wasserstoff in elektrische Energie umwandelt. Aufbau, aber auch die Kosten während des Betriebs
Die beschriebenen Antriebskonzepte haben der Ladeinfrastruktur. Während das Laden von
aufgrund der verschiedenen Fahrzeugarchitektu- Elektromobilen im Eigenheim prinzipiell möglich
ren, Komponentenauslegungen und Kraftstoffe ist, wird für den öffentlichen Raum eine eigene La-
unterschiedliche Rückwirkungen auf das elektri- deinfrastruktur notwendig.
sche Energieversorgungssystem und damit auf den Nicht zu unterschätzen ist dabei der Strombe-
Stromsektor. darf für die Heizung der Ladesäulen, um eine für
In Leuchtturmprojekten sollen verschiedene die Elektronik schädliche Taubildung zu unterbin-
Themencluster im Rahmen der nationalen Platt- den. Die Heizungsleistung kann bis zu 300 W pro
form Elektromobilität erarbeitet werden und die Säule betragen, was sich bei den 0,9 Mio. Ladepunk-
Einführung der Elektromobilität vorbereiten (s. ten auf 270 MW aufsummieren kann. Ein weiterer
[25]). Die Cluster umfassen die Themen Nachteil eigens errichteter Ladesäulen sind ferner
55 Batterie die hohen Kosten: Die von der EU veranschlag-
55 Antriebstechnologie ten 150.000 Ladestationen würden ca. 750  Mio.  €
55 Leichtbau kosten. Die Technik zur Abrechnung der Ladevor-
55 IKT & Infrastruktur gänge verursacht dabei den größten Posten. Hinzu
55 Recycling kommen Kosten für Wartung und Reparatur.
55 Fahrzeugintegration. Daher sind innovative Konzepte wie die Inte-
gration der Ladepunkte in die bestehende Infra-
Gerade Fahrzeughersteller aus den USA wie Tesla struktur vielversprechend. Über die Integration der
Motors gehen die Entwicklung der Elektromobili- Mess-, Zähl- und Abrechnungstechnik in ein spe-
tät progressiv an und planen die Stückzahlen, wie zielles, im Fahrzeug mitgeführtes Ladekabel kann
sie in Deutschland gewünscht wären. Eine Kosten- die Infrastruktur des Ladepunkts auf ein Minimum
degression in der Batterieherstellung ist durch die reduziert werden. Entsprechend geringer fallen die
Serienproduktion von Elektromobilen in großen Kosten für die Ladestation mit 500 € statt 5000 €
Stückzahlen zu erwarten. für eine eigene Ladesäule an. Die Mehrkosten für
das spezielle Ladekabel betragen laut Hersteller und
14.2.1.2 Infrastruktur und Ladekonzepte Konzeptentwickler Ubitricity rund 100 € (s. [15]).
14 zz Infrastruktur Als Ladepunkte können einfache Systemsteck-
Eine flächendeckende und bedarfsgerechte Infra- dosen in Wandmontage dienen oder vorhandene
struktur zur Erzeugung, Speicherung und Verteilung Straßenlaternen genutzt werden. Letzteres wird be-
von alternativen Kraftstoffen bestimmt maßgeblich reits in verschiedenen Städten wie Berlin demonst-
den Erfolg entsprechender Kraftstoffoptionen. riert (s. . Abb. 14.10).
Im Bereich der Beladung von Elektrofahrzeu- Auch die Ladestrategien sind in der Kopplung
gen wird von der nationalen Plattform Elektromo- von Strom- und Verkehrssektor wichtig. Nach-
bilität ein Bedarf von 0,9 Mio. Ladepunkten für das folgend werden zwei mögliche Ladestrategien zur
Jahr 2020 prognostiziert und bis 2014 der Aufbau Einbindung von Elektrofahrzeugen in das Energie-
einer ersten öffentlichen Ladeinfrastruktur für ins- versorgungssystem vorgestellt.
gesamt 100.000 Fahrzeuge (s. [25]). Technisch steht
hierbei eine Vielzahl an Optionen zur Auswahl: zz Unidirektionales Laden
55 konventionelles konduktives Laden über Plug- Unter dem Begriff unidirektionales Laden, auch
in/Ladesteckdose und Ladekabel als Grid-to-Vehicle (G2  V) bekannt, wird die Ent-
14.2 • Kopplung von Strom- und Verkehrssektor
723 14
In der Annahme, dass das Ziel von einer Million
Elektrofahrzeugen in Deutschland im Jahr 2020 er-
reicht wird, ergibt sich somit eine zur Verfügung
stehende Batteriekapazität von 3,8  GWh mit einer
durchschnittlichen Speicherleistung von 1,8  GW.
Dies entspricht etwa 25 % der Leistung und etwa
10 % der Kapazität aller existierenden Pumpspei-
cherkraftwerke in Deutschland.

zz Bidirektionales Laden
Im Vergleich zur unidirektionalen Ladung ist beim
bidirektionalen Laden (Vehicle-to-Grid) zusätzlich
. Abb. 14.10  Elektrofahrzeug lädt mit mobilem Strom-
zähler im Ladekabel an Lichtmast mit integrierter System-
eine Rückspeisung von elektrischer Energie aus
steckdose. (Quelle: ubitricity GmbH, Robert Lehmann) der Fahrzeugbatterie in das öffentliche Stromnetz
vorgesehen. Erst dadurch wird die Elektromobili-
tät zum vollwertigen Stromspeicher aus Sicht des
nahme von elektrischer Energie aus dem Stromnetz Stromsektors.
und anschließende Speicherung in Elektrofahrzeu- Für die Umsetzung von Vehicle-to-Grid ist ent-
gen verstanden. Prinzipiell lässt sich hierbei zwi- sprechend dafür ausgelegte Kommunikations- und
schen gesteuerter und ungesteuerter Ladung unter- Ladeinfrastruktur erforderlich. Dadurch könnten
scheiden. Bei der ungesteuerten unidirektionalen mit den Fahrzeugen auch Systemdienstleistungen
Ladung wird die Fahrzeugbatterie direkt beim für das Stromnetz erbracht werden. Derzeit exis-
Anschluss an das Stromnetz geladen, wohingegen tiert dieses Konzept nur theoretisch, da es einerseits
beim gesteuerten Laden ein Steuersignal vorgibt, die Geschäftsmodelle dafür noch nicht gibt und
wann idealerweise geladen werden soll. Dies eröff- andererseits fast alle Anbieter von Elektrofahrzeu-
net beispielsweise die Möglichkeit, in Zeiten von gen das bidirektionale Laden bzw. den dafür not-
erhöhter Stromeinspeisung aus erneuerbaren Ener- wendigen Zugriff auf die Batterie nicht zulassen.
gien zu laden oder bei auftretenden Netzengpässen Der Grund dafür liegt in der Befürchtung, dass die
die Ladung zeitlich zu verschieben. Lebensdauer der Batterie durch die zusätzliche Be-
anspruchung und Fremdeinwirkung des Netzbe-
Beispiel treibers oder des Kunden verringert wird.
Die Elektromobilität kann bei einer intelligenten Ein-
bindung in das Energieversorgungssystem einen
wichtigen Beitrag zur Speicherung von erneuerbaren 14.2.2 Stromkraftstoffe
Energien leisten. Hierzu ein kleines Rechenbeispiel:
Es wird angenommen, dass eine Fahrzeug- Neben dem direkten Einsatz von Strom als Ener-
flotte von einer Million Elektrofahrzeugen (BEV, gieträger im Straßenverkehr besteht auch die Mög-
PHEV und REEV) existiert, von denen die Hälfte im lichkeit, Strom in Form von chemischer Energie
Durchschnitt am Stromnetz angeschlossen ist. Die zu speichern und somit dem Verkehrssektor als
verschiedenen elektrischen Fahrzeugkonzepte be- Kraftstoff zuzuführen. In diesem Zusammenhang
sitzen im Mittel eine Batteriekapazität von 15 kWh, werden insbesondere gasförmige und flüssige
von der jedoch nur die Hälfte als Speicherpotenzial Kraftstoffe als mögliche Optionen diskutiert, um
zur Verfügung steht. Die Batterieladung der Fahr- Verkehrsbereiche zu erreichen, in denen sich der
zeuge erfolgt mit 3,5 kW (16 A bei 230 V). direkte Einsatz von Strom als schwierig erweist.
Kapazität: 1.000.000 ⋅ 0,5 ⋅ 15 kWh ⋅ 0,5 = 3,8 GWh Nachfolgend werden an Beispielen die bereits be-
Leistung: 1.000.000 ⋅ 0,5 ⋅ 3,5 kW = 1,8 GW kannten Speicherkonzepte Power-to-Gas und Po-
wer-to-Liquid im Kontext des Verkehrssektors dis-
kutiert (s. 7 Abschn. 8.6 und 8.7).
724 Kapitel 14 • Speicherintegration zur Kopplung unterschiedlicher Energiesektoren

14.2.2.1 Wasserstofftankstelle HafenCity 14.2.2.2 Methanerzeugung für


in Hamburg Langstreckenmobilität in
Seit Mitte Februar 2012 ist in Hamburg eine Was- Niedersachsen
serstofftankstelle in Betrieb, welche der Energiever- In der industriellen Power-to-Gas-Anlage der
sorger Vattenfall betreibt. Diese Anlage wurde im Audi AG in Werlte, Niedersachsen, wird mit-
Rahmen der Clean Energy Partnership (CEP) auf- tels eines alkalischen Elektrolyseurs aufbereitetes
gebaut, ein Konsortium aus Automobil-, Mineral- Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten
öl-, Energie- und Technologiekonzernen, welches (s. 7 Abschn. 8.2). Die drei Elektrolyseure haben je-
sich um den Ausbau einer Wasserstoffinfrastruktur weils eine elektrische Leistung von 2 MW, also ins-
bemüht. Gefördert wird das Projekt durch das na- gesamt 6 MW. Die maximale 6,3 MW Gesamtleis-
tionale Innovationsprogramm »Wasserstoff- und tung ergibt sich durch zusätzliche elektrische Ver-
Brennstoffzellentechnologie« der Bundesministe- braucher zum Betrieb der Anlage (s. .  Abb. 14.12).
rien für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, For- Der erzeugte Wasserstoff wird in einem Speicher
schung, Wirtschaft und Arbeit und des Bundes- bis zu eine Stunde zwischengelagert und für die an-
umweltministeriums. Ziel ist es, bis 2015 die Wett- schließende Methanisierungsstufe auf 10 bar kom-
bewerbsfähigkeit der Wasserstoff- und Brennstoff- primiert (s. [14]).
zellentechnologie zu erreichen (s. [24]). Über eine chemische Methanisierungsanlage
Wasserstoff kann entweder zentral erzeugt und wird das Gas zu Methan aufbereitet (s. . Abb. 14.13).
per Pipeline oder Trailer verteilt oder dezentral vor Der Rohrbündelreaktor arbeitet als Festbettre-
Ort erzeugt und vertankt werden (s. 7 Abschn. 5.3). aktor mit gestufter Gaszugabe im Normalbetrieb
In Hamburg werden beide Konzepte umgesetzt: bei einem Druck von 5–10  bar und einem Tem-
Rund die Hälfte des Wasserstoffes wird direkt an peraturbereich von 200–350 °C (s.  7  Abschn.  8.3).
der Tankstelle mittels Elektrolyse erzeugt. Für den Über ein einstufiges Verfahren wird durch einen
Strombezug werden Zertifikate für erneuerba- Nickelkatalysator eine Methanqualität > 90 Vol.-%
re Energien gekauft. Der andere Teil wird extern CH4 erreicht. Der Reaktor wird im Stand-by auf
angeliefert. Wasserstoff kann entweder flüssig, bei Betriebstemperatur gehalten und hat eine Warm-
sehr niedrigen Temperaturen, oder gasförmig, bei startzeit von 5–10 min. Das Vor- und Nachspülen
sehr hohem Druck, gespeichert und getankt wer- des Reaktors erfolgt mit Inertgas; im Stand-by wird
den. In Hamburg wird der Wasserstoff gasförmig er mit Wasserstoff befüllt. Die Eduktgase werden
bei einem Druck von 800 bar gespeichert. entschwefelt, um katalysatorschädigende Schwefel-
2013 konnten durch die Tankstelle sieben verbindungen zu entfernen. Die Produktgase wer-
Brennstoffzellenhybridbusse, sogenannte »Sauber- den vor der Einspeisung in das Gasnetz getrock-
Busse«, der Hamburger Verkehrsgesellschaft Hoch- net und aufbereitet. Das thermische Management
14 bahn betrieben werden (s. .  Abb. 14.11). Die Busse des Reaktors läuft über eine Wandkühlung mit
besitzen neben der Brennstoffzelle zusätzlich Li- Salzschmelzen als latente Wärmespeicher und zur
thium-Ionen-Batterien, die eine Bremsrückgewin- Nutzung der Abwärme für den Betrieb der Biogas-
nung ermöglichen sowie zusätzliche Energie bei anlage und der Biogasaufbereitungsanlage, insbe-
Anfahrvorgängen bereitstellen. Insgesamt können sondere für die Abtrennung des CO2 vom Rohbio-
1435  l bzw. 35  kg Wasserstoff bei 350  bar getankt gas (s. [14, 18]).
werden. Der Wirkungsgrad des Brennstoffzellen- Als Kohlendioxidquelle dient Biogas einer be-
systems liegt bei ca. 60 %, was zu einem Verbrauch nachbarten Reststoffbiogasanlage. Die anfallende
zwischen 8 und 10  kg pro 100  km führt (s. [19]). Abwärme aus Elektrolyse und Methanisierung wird
Brennstoffzellenfahrzeuge verschiedener Hersteller in der Aufbereitungsanlage zur Hygienisierung
befinden sich momentan in der Testphase. der Reststoffbiomasse sowie zur Abtrennung des
In einer weiteren Ausbaustufe können mit einer Kohlendioxids in der Aminwäsche verwendet (s.
Kapazität von 750 kg pro Tag insgesamt 20 Linien- . Abb. 14.14). Biogas kann optional auch ohne Auf-
busse betrieben werden. bereitung dem Methanisierungsreaktor zugeführt
werden (s. [14, 18]).
14.2 • Kopplung von Strom- und Verkehrssektor
725 14

. Abb. 14.11  Wasserstofftankstelle HafenCity mit dem Brennstoffzellen- und Batteriefahrzeug »Sauberbus«. (Quelle:
Hamburger Hochbahn AG)

Die Anlage wird nach Prognosen des Betrei-


bers Audi im Jahr bis zu 1000 t Methan produzie-
ren, das in das Erdgasnetz eingespeist, gespeichert,
transportiert und dann an anderer Stelle als Strom-
kraftstoff zur Nutzung in der Langstreckenmo-
bilität eingesetzt werden kann. Mit dieser Menge
können etwa 1500 Audi A3 Sportback g-tron mit
einer Fahrleistung von 15.000 km betankt werden
(s. . Abb. 14.15 und [2]).
Das Projekt entstand aus der Entwicklung der
Power-to-Gas-Technologie in Stuttgart und Kassel
durch das ZSW Stuttgart, dem Fraunhofer IWES
. Abb. 14.12  Zwei der drei alkalischen Elektrolyseure von
und der SolarFuel GmbH (heute ETOGAS GmbH)
McPhy Energy Deutschland GmbH aus Berlin mit je 2 MW
(s.  7  Abschn.  8.6). Die weltweit erste industrielle elektrischer Anschlussleistung zur Herstellung von Wasser-
Power-to-Gas-Anlage wurde von der Audi AG zu- stoff für die Methanisierung in der Audi e-gas-Anlage in
sammen mit den oben genannten Partnern sowie Werlte, Niedersachsen
der EWE AG, der MAN Diesel & Turbo und der MT
Biomethan GmbH umgesetzt. Die Begleitforschung lich auch eine CO2-neutrale Langstreckenmobilität
wird vom Bundesumweltministerium gefördert, zu ermöglichen. Dafür wird erneuerbares CO2 aus
und die Anlage wurde im Juni 2013 eingeweiht. dem natürlichen Kohlenstoffkreislauf genutzt und
Ziel des Projektes ist es, vor dem Hintergrund erneuerbarer Strom für den Betrieb der Anlage ein-
der Etablierung der Elektromobilität den Ausbau gesetzt. In der Audi e-fuels-Strategie wird darüber
erneuerbarer Energien voranzubringen und zusätz- hinaus in einer Forschungsanlage in New Mexico,
726 Kapitel 14 • Speicherintegration zur Kopplung unterschiedlicher Energiesektoren

Weise reproduzieren, wo Geothermie, Wind, Was-


ser oder Solarenergie zur Verfügung stehen und
CO2 aus der Atmosphäre verwendet wird.
Die Anlage produziert mit dem isländischen
Strommix erneuerbaren Wasserstoff über eine al-
kalische Elektrolyse für die Methanol-Synthese.
Die Methanolisierung findet bei im Vergleich zur
Dampfreformierung niedriger Temperatur und
niedrigem Druck statt, d. h. die Reaktionen laufen in
einer Niederdruck-Synthese ab (s. 7 Abschn. 8.3.3).
Der eingesetzte Rohrbündelreaktor arbeitet mit
einem Katalysator auf Nickelbasis.
Die Anlage erzeugt im Grundlastbetrieb aus
etwa 40 GWh Geothermiestrom 1,7 Mio. l Metha-
nol pro Jahr, was einer Energiemenge von ca. 8,7
GWh entspricht und einen Anlagenwirkungsgrad
von ca. 22 % ergibt (s. [9, 10]).
Die Produktion der Anlage soll im Herbst 2014
von jährlich 1,7 auf 5 Mio. l Methanol gesteigert wer-
den, was in etwa 2,5 % des isländischen Benzinumsat-
zes entspricht (s. [33]). Nach der Anlagenerweiterung
. Abb. 14.13  Chemische Methanisierungsanlage der MAN
wird die elektrische Nennleistung der Elektrolysean-
Diesel & Turbo SE aus Deggendorf zur Umsetzung des Saba- lage 5 MW betragen und für die Methanolsynthese
tier-Prozesses für die Gewinnung von Stromkraftstoff in der jährlich 4500 t fossiles CO2 aus dem Boden entnom-
Audi e-gas-Anlage in Werlte. (Quelle: Audi AG) men. In den EU-Mitgliedsstaaten, Norwegen, Island
und der Schweiz ist derzeit eine Beimischung von bis
USA, die Herstellung von Ethanol und Diesel aus zu 3 % Methanol zu Benzin bzw. E10 erlaubt, wobei
Wasser, Solarenergie und CO2 über Mikroorganis- der Grenzwert bis 2020 in Island auf 10 % angeho-
men erprobt (s. [2]). ben werden soll (s. [5]). Die Vorzüge bzw. Nachtei-
le von Methanol und dessen Eigenschaften werden
14.2.2.3 Methanolherstellung für die in 7 Abschn. 8.4.2 näher beschrieben.
Benzinbeimischung in Island Power-to-Liquid wird in dieser Anlage als
In der Stadt Grindavik auf der isländischen Halb- Emission-to-liquid (ETL) bezeichnet, da fossiles
14 insel Reykjanes ist eine Anlage der Carbon Recyc- CO2 unter Einsatz von erneuerbaren Energien in
ling International (CRI) in Betrieb, die wirtschaft- flüssige Kraftstoffe bzw. chemische Grundstoffe
lich Methanol mithilfe von erneuerbaren Energien umgewandelt wird.
erzeugt (s. . Abb. 14.16). Aus dem Pilotprojekt in Grindavik sollen Er-
Das sogenannte »George Olah carbon dioxid kenntnisse über den Vertrieb und die Logistik von
to renewable methanol plant« ist nach dem Nobel- Methanol in Europa und Island gewonnen werden.
preisträger der Chemie George Olah benannt. Es Demnächst will CRI in Island eine weitere Anlage
wurde von Oktober 2009 bis Ende 2011 erbaut und bauen, die bis zu 50 Mio. l Methanol für den euro-
im April 2012 eröffnet. Bereits im August 2007 star- päischen Raum erzeugen soll (s. [9, 10]).
tete die Firma eine Pilotanlage, die 1 l Methanol pro
Tag produziert (s. [9, 10, 33]). 14.2.2.4 Dieselherstellung über die
Island ist in der Hinsicht ein besonderer Stand- Fischer-Tropsch-Synthese in
ort, da ca. ein Drittel der Elektrizität aus geother- Dresden
mischen Anlagen und zwei Drittel aus Wasserkraft Im Rahmen des vom Bundesministerium für Bil-
erzeugt werden. Die Produktion von erneuerbarem dung und Forschung (BMBF) geförderten Projekts
Methanol lässt sich so überall dort auf ähnliche »sunfire« arbeiten insgesamt zehn Partner an der
14.2 • Kopplung von Strom- und Verkehrssektor
727 14

. Abb. 14.14  Aminwäsche zur Biogasaufbereitung der Abfallbiogasanlage in Werlte. In dieser Anlage wird das Kohlendi-
oxid vom Biogas abgetrennt, um es als Biomethan in das Gasnetz einzuspeisen. Das abgetrennte CO2 wird anschließend in
der Methanisierungsanlage der Audi e-gas-Anlage verwendet. (Quelle: Audi AG)

Realisierung der Power-to-Liquid-Technologie


unter Einsatz der Hochtemperatur-Dampfelektro-
lyse. Die wichtigsten Ziele, die dabei verfolgt wer-
den, sind:
1. Entwicklung und Betrieb des ersten Dampf-
elektrolyse-Prototypen mit einer elektrischen
Eingangsleistung von ca. 10 kW unter bis zu
30 bar Druck. Das entspricht einer Wasser-
stoffleistung von etwas über 3 m³/h. Der
Dampf wird über die Nutzung der Abwärme
der Fischer-Tropsch-Synthese gewonnen, wo-
durch der Wirkungsgrad des Prozesses von ca.
. Abb. 14.15  Das erzeugte erneuerbare Gas wird in
50 % auf 67 % gesteigert werden kann. Fahrzeugen von Audi wie dem A3 Sportback g-tron
2. Aufbau und Betrieb einer Power-to-Liquid- als Kraftstoff für die Langstreckenmobilität eingesetzt.
Anlage, die unter Nutzung von CO2 und H2 (Quelle: Audi AG)
über ein Barrel (169 l) Fischer-Tropsch-Roh-
produkt pro Tag herstellen kann. Die Fischer-
Tropsch-Synthese wird bei ca. 20 bar und mische Management des Reaktors wird über
einem Temperaturbereich von 200–230 °C eine Siedewasserkühlung realisiert, die wie-
in einem Rohrbündelreaktor betrieben. Als derum den Dampf für die Dampfelektrolyse
Katalysator wird Cobalt eingesetzt. Das ther- (s. Punkt 1) bereitstellt.
728 Kapitel 14 • Speicherintegration zur Kopplung unterschiedlicher Energiesektoren

. Abb. 14.16  Die Methanolanlage »George Olah carbon dioxid to renewable methanol plant« der Carbon Recycling
International in Grindavik, Island. (Quelle: CRI)

Ziel ist, die beiden Komponenten miteinander zu Anlage befindet sich bei der sunfire GmbH in
verbinden und neben der Komponentenentwick- Dresden.
lung vor allem auch die Abstimmung der kontinu-
ierlichen Prozesstechnik im leistungsflexiblen Be-
trieb vorzunehmen. Die Theorie der Technologie 14.3 Kopplung von Strom- und
und das Zusammenwirken der beiden Komponen- Gassektor: Power-to-Gas
ten ist ausführlich in 7 Abschn. 8.7 beschrieben.
Die Anlage hat folgende Eckdaten: 14.3.1 Power-to-Gas im Kontext der
14 55 Projektname: Sunfire Fuel 1 Energieversorgung
55 elektrische Leistung: 190 kW
55 K raftstoffproduktion CH2 (Diesel): 9 kg/h 14.3.1.1 
Power-to-Gas als Schnittstelle
55 CO2-Quelle: CO2-Tank und Validierung von zwischen den Energiesektoren
Oxyfuel-CO2 aus dem Vattenfall-Kraftwerks- Innerhalb der vergangenen 15 Jahre stieg der Anteil
standort »Schwarze Pumpe« erneuerbarer Energien an der deutschen Stromver-
55 E inspeichertechnologie: Hochtemperatur- sorgung stark an. Zukünftig werden dabei Wind
Elektrolyse (s. 7 Abschn. 8.3) und Photovoltaik eine tragende Rolle übernehmen.
55 Speichertechnologie: Kraftstofftank Einerseits haben sie das größte Potenzial aller er-
55 Ausspeichertechnologie: Fahrzeuge im Ver- neuerbaren Energien, weisen andererseits jedoch
kehr und chemischer Rohstoff in Raffinerien die stärksten Schwankungen und Wetterabhängig-
keiten auf. Wind und Photovoltaik alleine werden
.  Abbildung  14.17 zeigt den Reverse-Wassergas- somit nicht in der Lage sein, den heutigen hohen
Shift-Reaktor der Anlage »Sunfire Fuel 1«. Die In- Standard an Versorgungssicherheit aufrechtzu-
betriebnahme erfolgt 2014. Die Power-to-­Liquid- erhalten. Neben flexiblen Kraftwerken wie Gas-
14.3 • Kopplung von Strom- und Gassektor: Power-to-Gas
729 14
kraftwerken, Lastmanagement und Netzausbau
stellt die Speicherung von Energie einen integralen
Bestandteil zum Erhalt dieser Versorgungssicher-
heit dar. Power-to-Gas ist aufgrund der größten
verfügbaren Speicherkapazität in Deutschland und
der Integration in die vorhandene Gasinfrastruk-
tur eine der vielversprechendsten Technologien
(s. 7 Abschn. 8.6).
Durch die Kopplung der Energienetze und
Systeme in den Sektoren Strom, Wärme und Ver-
kehr kann Power-to-Gas zu einer Stabilisierung der
Energieversorgung beitragen und andere Problem-
felder der Energieversorgung wie z. B. die »Tank- . Abb. 14.17  Reverse-Wassergas-Shift-Reaktor der Sunfire
Teller«-Problematik von Biokraftstoffen entschär- Fuel 1-Testanlage zur Produktion von Stromkraftstoffen
fen. Darüber hinaus kann Power-to-Gas in Form durch die Fischer-Tropsch-Synthese über Power-to-Liquid.
von Power-to-Chemicals die Rohstoffbasis der che- (Quelle: sunfire GmbH)

mischen Industrie erneuerbar machen.

zz Kurze Beschreibung von Power-to-Gas Der erzeugte Wasserstoff kann jedoch auch
Power-to-Gas (PtG), Windgas oder e-Gas (elektri- je nach Standort der Anlage und abhängig vom
sches, erneuerbares Gas) bezeichnen eine mögliche Durchfluss am Verknüpfungspunkt unter Einhal-
technische Nachbildung der natürlichen Photosyn- tung aktueller Zumischgrenzen direkt ins Erdgas-
thesevorgänge in Pflanzen (s. [34, 35]). Diese ha- netz eingespeist werden (s. [17]).
ben den Prozess über Jahrmillionen entwickelt, um
Energie über lange Zeiträume speichern zu kön- zz Vielfältige Integrationsmöglichkeiten
nen. Trotz ihres für die Energietechnik vergleichs- von Power-to-Gas zur Kopplung der
weise geringen Wirkungsgrades von etwa einem Energiesektoren
Prozent hat sich die Photosynthese in der Evolution Für die Kopplung von Strom- und Gasnetzen im
bewährt. Kohlendioxid (CO2) und Wasser (H2O) Energiesystem ergeben sich u. a. folgende Möglich-
werden dabei mit Sonnenenergie in zwei Stufen zu keiten (s. . Abb. 14.18):
Kohlenhydraten (C6H12O6) umgewandelt, Sauer- 55 Mit (überschüssiger) Energie aus dem Strom-
stoff (O2) wird freigesetzt (s. 7 Abschn. 1.1). netz wird über Elektrolyse und optional
Den ersten Schritt, die Spaltung von Wasser, Methanisierung Wasserstoff bzw. Methan
ahmt PtG über Elektrolyse nach, wobei heute al- generiert.
kalische, Membran-, Druck- und Hochtemperatur- 55 Je nach Anwendung kann Kohlendioxid z. B.
elektrolyse theoretisch zur Verfügung stehen. Bei aus der Gasaufbereitung von Klär- und Biogas-
allen drei Verfahren besteht hinsichtlich des inter- anlagen oder aus der Atmosphäre dem Kreis-
mittierenden Betriebes mit erneuerbaren Ener- lauf zugeführt werden, womit das CO2 eine
gien noch Forschungs- und Entwicklungsbedarf sinnvolle Verwendung findet.
(s. 7 Abschn. 8.2). 55 Im Gasnetz können große Mengen dieser
Im zweiten Schritt der Photosynthese reagiert Energie zwischengespeichert und zeitlich vom
Wasserstoff mit Kohlendioxid, das idealerweise aus Stromnetz entkoppelt übertragen werden.
der Atmosphäre entnommen wird. Im Unterschied 55 Der Weg in die Mobilität wird über das
zur Pflanze erzeugt PtG als Produkt jedoch Me- Gasnetz möglich, sodass Strom- und Ver-
than (CH4). Für die Methanisierung stehen heute kehrssektor gekoppelt werden können
zwei Verfahrensoptionen zur Verfügung: die che- (s. 7 Abschn. 14.2.2).
mische und die biologische Methanisierung. Als 55 Durch Rückverstromung des Gases in thermi-
CO2-Quellen dienen biogene und fossile Energie- schen Kraftwerken (Gasturbinen, GuD-Kraft-
nutzungspfade (s. 7 Abschn. 8.3). werke, KWK-Anlagen) oder Brennstoffzellen
730 Kapitel 14 • Speicherintegration zur Kopplung unterschiedlicher Energiesektoren

Erneuerbare CH4
GuD/KWK Eth
Energien

Strom
H2 (max. 2 Vol.%)

Strom H2 Wärme Verkehr CNG


Strom
Diesel, Benzin, Kerosin

Strom Eth Gas-to-Liquid


H2O H2O

H2O CH4
Strom- H2 Chemische Gas-
Elektrolyse Methanisierung CH4
netz Strom netz

CO2
Biologische
Strom H2 CH4
Methanisierung

O2
Strom- CO2- CH4-
speicher Speicher Speicher

2
CO
CH4,
Atmosphäre
CO2

CO2
CO2
CO2
Pyrolyse/
Synthese H2, CO Biomasse Vergärung
Vergasung CH4, CO2 Gasaufbereitung CH4

Abfall
CH4

. Abb. 14.18  Multifunktionale Integrationsmöglichkeiten von Power-to-Gas im Energiesystem. Strom-, Wärme- und
Verkehrssektor werden miteinander gekoppelt

schließt sich der Nutzungspfad in entgegen- tensenkung weiterzuentwickeln und andererseits


gesetzter Richtung. Dabei wird in aller Regel die Erwartungen nicht zu überziehen (s. [27]).
zusätzlich Wärme frei, die wiederum eine Ein weiteres Anwendungsrisiko stellt das Green-
Kopplung an den Wärmesektor ermöglicht washing konventioneller Energieerzeugung dar. Die
14 (s. 7 Abschn. 14.1). CO2-Quelle der Methanisierung ist für die Klima-
bilanz des an sich klimaneutralen Power-to-Gas-
14.3.1.2 Chancen, Risiken und Prozesses irrelevant. Trotzdem kann PtG nicht als
Rahmenbedingungen Senke für Emissionen aus fossilen Kraftwerken an-
zz Risiken von Power-to-Gas gesehen werden, da die Emissionen letztlich beim
Die Grundtechnologien von Power-to-Gas, Elek- Nutzer des fossilen Brennstoffes bleiben und selbst
trolyse und Methanisierung sind zwar schon seit nach Recycling und Nutzung des CO2 (Carbon Cap-
längerer Zeit bekannt. Die geänderten Anforderun- ture and Use – CCU) bei der Verbrennung des Pro-
gen der Energietechnik in Kombination mit erneu- duktes wieder in die Atmosphäre gelangen (s. [34]).
erbaren Energien führen jedoch zu einem neuen Zudem besteht das Risiko eines »energeti-
Bedarf an Entwicklung und Kostensenkung. Es ist schen Kurzschlusses«, wenn die eingesetzte elekt-
zudem sinnvoll, die Technologie frühzeitig in die rische Energie aus konventionellen Energieträgern
Ziele und Umsetzungspläne der Energiewende zu stammt und aus einem gespeicherten chemischen
integrieren, um sie einerseits im Hinblick auf Kos- Energieträger wie Braunkohle zunächst elektrische
14.3 • Kopplung von Strom- und Gassektor: Power-to-Gas
731 14
Energie und schließlich über Power-to-Gas wieder nologie Importabhängigkeiten von Erdgas und
ein gespeicherter chemischer Energieträger wie Transportstaus von elektrischer Energie vermin-
Wasserstoff oder Methan wird. Abgesehen von der dern. Die Übertragungskapazität von Gas in Pipe-
energietechnischen und ökologischen Unsinnig- lines gegenüber Strom in Freileitungen liegt um
keit einer solchen Variante von Power-to-Gas wäre etwa eine Größenordnung höher. Wird das Gasnetz
durch die hohen Verluste eine Wirtschaftlichkeit konvergent zum Stromnetz als Übertragungsnetz
dieses »Kohlegases« oder »Graugases« nicht zu genutzt, können Netzengpässe (Redispatch) und
erwarten. Ähnlich verhält es sich mit »Atomgas« deren Kosten reduziert werden.
in der Veredelung von Atomstrom über Power-
to-Gas. Am Wärmemarkt ist es in diesen Fällen zz Rahmenbedingungen für Power-to-Gas
sinnvoller, den Strom aus konventioneller Erzeu- Werden die Rahmenbedingungen seitens der Ener-
gung direkt über Power-to-Heat in einem Heizstab giepolitik intelligent gesetzt und Missbrauch ver-
in Wärme zu wandeln. Doch auch ohne die Dis- mieden, überwiegen die Vorteile der Technologie,
kussion um diese Power-to-Gas-Varianten stehen und Power-to-Gas samt Konvergenz der Strom-
zahlreiche effizientere erneuerbare Wärmeversor- und Gasnetze kann sich zu einem Eckpfeiler der
gungskonzepte zur Verfügung. Energiewende entwickeln.
Wird die Einspeichertechnologie Power-to-Gas
zz Chancen von Power-to-Gas zur Optimierung des Kraftwerkseinsatzes verwen-
Den genannten Risiken steht jedoch eine Reihe von det, verstetigt sie die kostengünstigste Energieform
Chancen gegenüber: So kann die vorhandene Erd- in der Merit-Order des Strommarktes, welche der-
gas-Infrastruktur samt Pipelines, Speicher, Kraft- zeit vorwiegend Braunkohlestrom ist. Ebenso wird
werken, BHKW, Herden, Heizungen und Fahr- bei einem Strombezug für Power-to-Gas-Anlagen
zeugen eins zu eins für das Austauschgas Methan aus dem Regelleistungsmarkt per Definition »Grau-
im Allgemeinen, aber auch eingeschränkt für das strom« eingespeichert. In beiden Fällen ist mit dem
Zusatzgas Wasserstoff ohne größere Umbauten ge- heutigen Strommix die CO2-Bilanz des erzeugten
nutzt werden. Gases negativer als von fossilem Erdgas und da-
Mit dem Gasnetz können enorme vorhandene mit die Klimaschutzwirkung des Energiespeichers
und technisch erprobte Speicherkapazitäten kon- und ein wesentlicher Teil des volkswirtschaftlichen
vergent zum Stromnetz genutzt werden. Im Wär- Nutzens obsolet (s. 7 Kap. 3). Auch die bisher prak-
mesektor erschließen Power-to-Gas oder Windgas tizierte bilanzielle Nachweisführung durch den
ca. 50 % der deutschen Haushalte für einen klima- Kauf von Grünstromzertifikaten löst dieses Di-
neutralen Wärmeenergieträger. Besonders in Miet- lemma nicht, da die Erzeugung des erneuerbaren
wohnungen, in denen es keine Möglichkeit zum Stroms sowohl zeitlich als auch räumlich von der
Umbau des Heizsystems oder Dämmmaßnahmen Einspeicherung getrennt ist und damit weder einen
seitens des Mieters gibt, ist die Wärmeversorgung entlastenden Effekt auf den Netzengpass hat noch
über Power-to-Gas eine technisch praktikable Op- zur notwendigen Integration von fluktuierenden,
tion der erneuerbaren Wärmeversorgung (ohne die erneuerbaren Stromüberschüssen beiträgt. Dies ist
Gefahr von Monokulturen durch Energiepflanzen, ein Grundproblem aller Flexibilitätsoptionen, nicht
wie es bei Biogas der Fall sein kann). Sie wird im nur von Power-to-Gas.
Idealfall als KWK umgesetzt (s. [35]). Die Grundidee in der Erfindung von Power-to-
Auch dem Verkehrssektor steht mit Methan aus Gas ist die Speicherung von überschüssigen fluk-
erneuerbaren Energien ein CO2-neutraler Ener- tuierenden erneuerbaren Energien wie Wind- und
gieträger zur Verfügung, mit dem sich zum einen Solarenergie zur Entlastung von Netzengpässen
durch die hohe Energiedichte Reichweiten vergrö- und Langzeitspeicherung (s. [31, 34]). Nur wenn
ßern lassen und zum anderen die Konkurrenz zur Power-to-Gas nach diesen Maßgaben eingesetzt
Nahrungsmittelproduktion durch Biokraftstoffe wird, entfaltet es seinen volkswirtschaftlichen Nut-
verringert werden kann. Zuletzt kann diese Tech- zen wie die Reduktion von Treibhausgasen und die
732 Kapitel 14 • Speicherintegration zur Kopplung unterschiedlicher Energiesektoren

Integration erneuerbarer Energien. Mögliche Be- ten, um eine Marktbildung und die Erprobung der
freiungen von gesetzlichen Abgaben sind entspre- Technologie zu ermöglichen; auch wenn Power-to-
chend an diese Kriterien und den netzdienlichen Gas nicht als Stromspeicher dient.
Betrieb zu binden. Langfristig ist Power-to-Gas an den Kosten
Um sicherzustellen, dass nur Stromüberschüsse der Dekarbonisierung anderer Sektoren angemes-
verwertet werden und nicht ein gespeicherter che- sen zu beteiligen. Wenn Strom zur Primärenergie
mischer Energieträger in Strom und dann in Gas wird und in der Dekarbonisierung andere Sekto-
gewandelt wird, das CO2-intensiver ist als fossiles ren wie den Wärme- und Verkehrssektor und die
Erdgas, sollte der Strompreis für die Power-to-Gas- chemische Industrie entlastet und diese Sektoren
Anlage unter den Grenzkosten des günstigsten fossi- entsprechend volkswirtschaftlich davon profitie-
len Kraftwerks in der Merit-Order liegen (s. [20, 21]). ren, sollte der Stromsektor nicht alleine die Kosten
Der Strompreis für Überschussstrom kann dafür tragen, sondern Kosten und Nutzen sollten
sich nach den gleichen Prinzipien wie auf dem gerecht nach dem Solidaritätsprinzip auf alle nutz-
gewöhnlichen Strommarkt (EOM) über Angebot nießenden Sektoren verteilt werden.
und Nachfrage bilden. Das Angebot stellen dabei
günstige Stromüberschüsse aus erneuerbaren Ener-
gien, die unter den Grenzkosten fossiler Kraftwerke 14.3.2 Entwicklung von Power-to-Gas
liegen, dar. Die Nachfrage ergibt sich aus Power- in Deutschland und in den
to-Gas-Anlagen und andere Flexibilitätsoptionen Nachbarländern
wie Power-to-Heat, Lastmanagement, flexible
Kraftwerke, flexible KWK-Anlagen oder Kurzzeit- 14.3.2.1 Übersicht der Entwicklung
speicher, die technologieneutral um den günstigen Power-to-Gas ist ein essenzieller Bestandteil der
Stromüberschuss werben. Die technologieneutrale Energiewende, um den zukünftigen Langzeitspei-
Ausgestaltung dieses Marktes für Überschussstrom cherbedarf zu decken (s. 7 Kap. 3), Gaswärmepum-
ist wichtig, damit negative volkswirtschaftliche Ef- pen und KWK-Anlagen mit erneuerbarem Gas
fekte wie die Erhöhung der Treibhausgasemissio- zu versorgen (s.  7  Kap. 4) und im Verkehr und in
nen des Stromsektors durch technologiespezifische der chemischen Industrie energiedichte Kraft- und
Bevorzugung einer ineffizienteren und kostenin- Rohstoffe zu ersetzen (s. 7 Kap. 5 und 8).
tensiveren Technologie vermieden werden. Es ist Um diese Technologie für eine breite Anwen-
zu diskutieren, ob eine solche Marktfunktion für dung in der Energietechnik in naher Zukunft zu er-
Flexibilität auch im bestehenden Energy Only Mar- tüchtigen, laufen seit mehreren Jahren Projekte, wie
ket zu implementieren ist (s. [20, 21]). die Übersicht über PtG-Pilotanlagen in Deutsch-
Findet das Ausspeichern in einen anderen Sek- land in . Abb. 14.19 illustriert. Darüber hinaus wur-
14 tor als den Stromsektor statt (Wärme, Mobilität, den einige wenige Forschungsanlagen in Öster-
Industrie), handelt es sich bei der Einspeichertech- reich, Spanien, Frankreich, Italien und Dänemark
nologie Power-to-Gas aus Sicht des Stromsektors errichtet.
um einen Letztverbraucher, der das Stromsystem
im Idealfall über den Einsatz als Lastmanagement zz Entwicklung und Anlagen bis 2014
nutzt. Bei Power-to-Gas handelt es sich nur dann Schon seit Langem wird das Thema Wasserstoff-
um einen Stromspeicher, wenn die gespeicherte wirtschaft diskutiert. Im Jahr 2005 kam das Unter-
Energie wieder dem Stromsektor über eine »Gas- nehmen Enertrag zum Schluss, dass ein chemischer
to-Power« Ausspeichereinheit zugeführt wird. Die- Energieträger wie Wasserstoff die einzige groß-
se »Rückverstromung« kann z.  B. über Gaskraft- technische Möglichkeit zur Langzeitspeicherung in
werke, BHKW oder Brennstoffzellen erfolgen. Deutschland ist. Daraufhin begann Enertrag mit der
Kurz- bis mittelfristig ist es sinnvoll, Ausnah- Planung des Hybridkraftwerkes Prenzlau, welches
men zu Letztverbraucherabgaben über eine geeig- seit 2011 in Betrieb ist. Die Idee der angeschlosse-
nete kriteriengebundene Reduktion zu gewährleis- nen Methanisierung und der Einspeisung in das
14.3 • Kopplung von Strom- und Gassektor: Power-to-Gas
733 14
Elektrolyseleistung in Planung, in Bau, in Betrieb gegangen [MW]

10 Power-to-Gas Anlagen [MW]


In Planung
9 In Bau
In Betrieb gegangen

8 Installierte Power-to-Gas-Leistung [MW] 20

Installierte Power-to-Gas Leistung [MW]


FENES FORSCHUNGSSTELLE FÜR
ENERGIENETZE UND ENERGIESPEICHER

7 © Thema, OTH Regensburg FENES, 2013

6 15

4 10

2 5

2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013


Jahr

. Abb. 14.19  Entwicklung der Power-to-Gas-Anlagenkapazität in Deutschland: kumulierte Leistung der Anlagen, die im
jeweiligen Jahr in Planung/Bau waren oder in Betrieb gingen, sowie insgesamt kumulierte installierte Leistung über die
Jahre.  FENES, OTH Regensburg

vorhandene Gasnetz kam 2009 hinzu, was im Jahr trie, Energieversorger, Windkraftbetreiber und
2011– auch durch die Reaktorkatastrophe in Fukus- -projektierer, Elektrolyseur-Hersteller, Forschungs-
hima – in einem Durchbruch mündete (s. [34]). institute, Global Player sowie ein Netzwerk von
Über 8 MW Elektrolyseleistung gingen in Planung Stadtwerken.
und wurden 2013 fertiggestellt. Die insgesamt ins- In Anlagen zwischen 25 kW und 6 MW elek-
tallierte PtG-Leistung beläuft sich Anfang 2014 auf trischer Leistung der Elektrolyse werden auf brei-
etwa 12 MW. . Tabelle 14.1 gibt (ohne Anspruch auf ter Basis Erfahrungen gesammelt. Dabei kommen
Vollständigkeit) einen Überblick über die meisten verschiedenste technische Varianten zum Einsatz.
dieser Projekte. Bis Ende 2014 werden nach heutigen So werden beispielsweise alkalische und Membran-
Plänen voraussichtlich knapp 20 MW PtG-Anlagen Elektrolyseure ebenso getestet und weiterentwickelt
installiert sein – der Trend ist klar erkennbar, und die wie die Methanisierung auf chemischem und bio-
Branche hat Ambitionen geäußert, in zehn Jahren logischem Weg. Die Betriebszustände der Anlagen
auf 1000 MW auszubauen, um Sprünge in Techno- reichen von Forschung und Entwicklung über Pla-
logieentwicklung und Kostenreduktion zu erzielen. nungs- und Bauphase bis hin zum Versuchs- und
Es gibt eine Vielzahl von Pilotprojekten im Be- Dauerbetrieb. Der Schwerpunkt der Projekte liegt
reich Power-to-Gas in Deutschland. .  Tabelle  14.1 auf der Erprobung der Wasserstofftechnologie und
bildet dazu den Stand Anfang 2014 ab (s. [11, 12]). der Wasserstoffeinspeisung. Einige Projekte sind
Unternehmen verschiedenster Größe und aus di- bereits abgeschlossen.
versen Branchen beteiligen sich: Automobilindus-
734 Kapitel 14 • Speicherintegration zur Kopplung unterschiedlicher Energiesektoren

. Tab. 14.1  Übersicht aktuelle, geplante und abgeschlossene Power-to-Gas Pilot- und Demonstrationsprojekte,
Stand: Anfang 2014, nach [11, 12]

Projekt und Standort Unternehmen und Partner Inbetrieb- El. Leis- H2-Pro- CH4-
nahme tung in duktions- Produk-
kW rate in m3/h tionsrate
in m3/h

Energiepark Mainz Stadtwerke Mainz, Linde 2015 6000 1000 –


AG, Siemens AG, Hochschu-
le RheinMain

H2-Kavernenspei- IVG Caverns GmbH, Etzel In Pla- 2000– 1000 –


cherung, Etzel nung 6000

Audi e-gas-Anlage, Audi AG, ETOGAS GmbH, 2013 6300 , 1300 325
Werlte ZSW Stuttgart, Fraunhofer (6000 rein
IWES, EWE AG, MT Biome- Elektro-
than GmbH, MAN Diesel & lyse)
Turbo SE, McPhy

WindGas Falkenhagen E.ON, Swissgas AG 2014 2000 360 –

WindGas Hamburg E.ON, SolviCore GmbH, Q4/2014 1000 265 –


Fraunhofer ISE, DLR

RH2-WKA regenerati- WIND-projekt Gruppe, NOW 2013 1000 200 –


ves Regelkraftwerk, GmbH
Grapzow

Hybridkraftwerk Ener- Enertrag AG, Vattenfall Euro- 2011 600 120 –


trag, Prenzlau pe Innovation GmbH, Total
Deutschland GmbH, DB AG

Wasserstoff-Tankstelle Total, Enertrag, Berliner 2013 500 230 –


H2BER Flughäfen, Berlin

PtG-Stuttgart EnBW, Stuttgart 2013 400 60 –

Strom zu Gas Demonst- Thüga-Gruppe 2013 385 70 –


rationsanlage, Frankfurt
a.M.

PtG-Entwicklung, ZSW 2014 370 90 –


14 Stuttgart

PtG-Emden Stadtwerke Emden k. A. 312 60 14

Schwandorf 275 kW MicrobEnergy GmbH 2015 275 k. A. k. A.

PtG-250 kW, Stuttgart ZSW 2012 250 50 12,5

PtG-Foulum-Project Electrochaea.dk ApS 2013 250 50 k. A.

Wasserstofftankstelle Vattenfall, CEP, NOW, Shell, 2013 k. A. 180 –


HafenCity Hamburg Hamburger Hochbahn

Versuchsstand Elektro- BTU Cottbus, Cottbus k. A. k. A. 30 k. A.


lyse

PtG im Eucolino, MicrobEnergy GmbH 2013 108 21,3 5,3


Schwandorf

Pilotanlage Ibben- RWE Deutschland AG 2013 100 20 –


bühren
14.3 • Kopplung von Strom- und Gassektor: Power-to-Gas
735 14

. Tab. 14.1  Fortsetzung

Projekt und Standort Unternehmen und Partner Inbetrieb- El. Leis- H2-Pro- CH4-
nahme tung in duktions- Produk-
kW rate in m3/h tionsrate
in m3/h

CO2RRECT Siemens, Bayer, RWE 2013 100 k. A. k. A.

Alpha-Anlage ZSW, SolarFuel 2009 24 4 2,4

H2Move – Solare Was- Fraunhofer ISE, Freiburg 2012 16 6 –


serstofftankstelle

Innovationszentrum NBB und VDI/VDE, Berlin- k. A. 7 1 –


für gesellschaftlichen Schönberg
Wandel und Mobilität
(InnoZ)

zz Ziele der Vorhaben berücksichtigt. Letztlich spielen auch volkswirt-


Die Projektziele sind vielfältig. Vom technischen schaftliche Aspekte wie Feldtests zur Anpassungs-
Standpunkt aus geht es um die Weiterentwicklung fähigkeit in das vorhandene Strommarktdesign
und Erprobung verschiedener Elektrolyse- und und in die Infrastruktur, die Bewertung des Spei-
Methanisierungsarten und -prototypen. So sollen cherbetriebes im erneuerbaren Energiesystem und
Effizienz, Laufzeit oder dynamischer Betrieb op- der volkswirtschaftliche Nutzen im Allgemeinen
timiert und verschiedene Betriebsweisen wie Op- eine Rolle.
timierung nach Gasproduktion, Grundlast- und
Spitzenlastbetrieb getestet werden. Ein Ziel vieler zz Aktueller Stand der Projekte
Projekte ist es nachzuweisen, dass die Technik als Nachfolgend soll auf einige Projekte näher einge-
dynamische Netzkomponente geeignet ist und die gangen werden. Aktuelle Informationen zu Pro-
steilen Leistungsgradienten erneuerbarer Energie- jekten sind auf der Strategieplattform »Power to
erzeugung abfahren kann. Im Großen und Ganzen Gas« der Deutschen Energie-Agentur (dena) unter
geht es technisch um die Betriebsoptimierung, die 7  www.powertogas.info, der DVGW Innovations-
Einfügung in den Energiemarkt wie z. B. die Teil- offensive 7  www.dvgw-innovation.de oder auf der
nahme am Regelenergiemarkt, die Demonstration Homepage der Autoren unter 7 www.power-to-gas.
der Prozesskette, die Weiterentwicklung der Anla- de einzusehen.
gen und die Vorbereitung auf die Skalierung auf
großtechnischen Maßstab. 14.3.2.2 Pilot- und Demonstrationsanla-
Aus betriebswirtschaftlicher Sicht wird die Kos- gen für Wasserstoff
tenstruktur verbessert und die Wertschöpfungsket- zz Hybridkraftwerk Prenzlau und Greenpeace
te über Fertigungskonzepte bis zum Anlagenbau Energy eG [16]
optimiert. Passende Geschäftsmodelle werden mit Im Hybridkraftwerk in Prenzlau sind Windener-
dem Ziel entwickelt, die Kommerzialisierungspha- gieanlagen, die Elektrolyse, die oberirdische Was-
se vorzubereiten. Hierzu werden auch technisch- serstoffspeicherung, eine Biogasanlage und die
regulatorische Herausforderungen beim Bau und Strom- und Wärmeerzeugung mittels BHKW in-
Betrieb von Power-to-Gas-Anlagen ausgelotet. tegriert. Darüber hinaus bietet das Kraftwerk die
Auch ökologische Gesichtspunkte werden mit Direktvermarktung des produzierten Wasserstoffes
der Quantifizierung des Beitrags zur Dekarboni- für Verkehr und Industrie über die Abfüllung an
sierung über Treibhausgasbilanzen in Projekten Trailer an.
736 Kapitel 14 • Speicherintegration zur Kopplung unterschiedlicher Energiesektoren

Der von Enertrag selbst konstruierte und ge-


baute 600  kW alkalische Elektrolyseur wandelt
Stromüberschüsse in 120  m3/h Wasserstoff, der
wiederum in Drucktanks gespeichert wird (s.
.  Abb.  14.20). Ab hier kann der Wasserstoff ent-
weder direkt für Industrie oder Brennstoffzellen-
fahrzeuge verwendet werden oder er wird bei
niedriger erneuerbarer Einspeisung rückverstromt.
Dabei wird ihm Biogas aus einer Biogasanlage bei-
gemischt und in zwei Blockheizkraftwerken um-
gesetzt, die eine Wasserstofftoleranz von 15 % auf-
weisen. Zur Wirkungsgradsteigerung wird die Ab-
. Abb. 14.20  Hybridkraftwerk Prenzlau der Enertrag
wärme der Stromproduktion in ein Fernwärmenetz AG, in dem ein selbst angefertigter alkalischer Elektroly-
gespeist. Untersucht werden außerdem der flexible seur Windgas für Kunden der Greenpeace Energy eG her-
Betrieb und das Potenzial zur Bereitstellung von stellt und in das Gasnetz einspeist. Optional wird das Gas
positiver und negativer Regelleistung. in Stahltanks zwischengelagert und für Trailer abgefüllt
oder durch die Beimischung zu Biogas im vorhandenen
Der Grundstein der Anlage wurde 2009 gelegt,
Gas-BHKW mit verfeuert. (Quelle: Enertrag AG)
im Oktober 2011 wurde die Anlage eingeweiht und
in die Testphase genommen. Seit Anfang 2013 ist sie
in Betrieb, und 2014 wird der Wasserstoff erstmalig ben eine Nennleistung von 2 MW und produzieren
in das Erdgasnetz eingespeist, um ihn an ca. 8000 360 m3/h Wasserstoff. Der Wirkungsgrad bezogen
Kunden des Ökostrom- und Windgasvermarkters auf den Brennwert der Gesamtkette beträgt 66 %.
Greenpeace Energy eG zu liefern. Die Anlage war die erste, die Wasserstoff in das
Greenpeace Energy eG fördert mit dem Gasta- deutsche Fernleitungsnetz eingespeist hat. Sie wird
rif proWindgas als erster Energieversorger Power- von der E.ON Energy Storage GmbH betrieben.
to-Gas über die Direktvermarktung an den Kun- Partner sind die E.ON edis AG, E.ON New Build
den, um die Energiewende zur 100 % erneuerba- & Technology GmbH sowie die Swissgas AG, wel-
ren Energieversorgung durch die Entwicklung der che einen Teil des Wasserstoffs abkaufen und in der
wichtigen Speichertechnologie zu fördern. Ange- Schweiz vermarkten.
boten wird ein Gas, das ökologisch hochwertigen Der Wirkungsgrad der Gesamtkette beträgt
Kriterien wie der Emissionsfreiheit entspricht und 66 % bezogen auf den Brennwert von 3,542 kWh/
im Vergleich zu Biogas ohne Massentierhaltung m3 Wasserstoff. Die Anlage war die erste, die Was-
bzw. Intensivlandwirtschaft erzeugt werden kann serstoff in das deutsche Fernleitungsnetz einge-
14 (s. [16]). speist hat. Sie wird von der E.ON Energy Storage
GmbH betrieben. Das Pilotprojekt ist in Koopera-
zz WindGas Falkenhagen tion mit der Swissgas AG, welche auch einen Teil
Im August 2013 wurde von der E.ON SE in Fal- des Wasserstoffs abkaufen und in der Schweiz ver-
kenhagen eine Pilotanlage zur Umsetzung von markten.
Strom aus Windenergie in Wasserstoff in Betrieb
genommen (s. .  Abb.  14.21). Der Anlagenstand- zz Strom-zu-Gas-Demonstrationsanlage in
ort in der Mitte zwischen Berlin und Hamburg Frankfurt
wurde aufgrund des hohen Windaufkommens in Die Thüga AG errichtet und betreibt als Stadtwerke-
Brandenburg und der Nähe zur Gasinfrastruktur konsortium mit 12 Projektpartnern zusammen die
gewählt. Die Demonstrationsanlage soll die kom- erste Power-to-Gas-Anlage, die Wasserstoff in das
plette Prozesskette von fluktuierender Windstrom- Gasverteilnetz einspeist (s. . Abb. 14.22). In Frank-
erzeugung hin zur Einspeisung des erneuerbaren furt ist seit 2013 eine PEM-Elektrolyse des Herstel-
Wasserstoffes abbilden. Die alkalischen Elektroly- lers ITM Power aus England mit einer Nennleis-
seure des Herstellers Hydrogenics aus Belgien ha- tung von 315 kW in Betrieb, welche in Überlast auf
14.3 • Kopplung von Strom- und Gassektor: Power-to-Gas
737 14

. Abb. 14.21  Power-to-Gas-Pilotanlage der E.ON SE in Falkenhagen zwischen Berlin und Hamburg mit einer elektri-
schen Nennleistung von 2 MW als erste Anlage zur Einspeisung von Wasserstoff in das Erdgashochdrucknetz. (Quelle:
E.ON SE)

385  kW hochgefahren werden kann. Sie erzeugt zz Regeneratives Regelkraftwerk RH2-WKA in


dabei 60–70 m3/h Wasserstoff mit einer erwarteten Grapzow
Anlageneffizienz von 4,9–5,2  kWh/m3 und einer Der Windpark »RH2-Werder/Kessin/Altentrep-
Gasqualität von 99,8  Vol.-% reinem Wasserstoff. tow« wurde als Windpark mit Wasserstoffspeicher
Über eine Gasdruckregelmess- und Mischanlage gebaut und ist mit einer Leistung von 140 MW einer
wird dieser Wasserstoffvolumenstrom einem über der größten Onshore-Windparks in Deutschland.
das Jahr konstanten Gasverteilnetzstrom von 3000 RH2 steht für regenerativen Wasserstoff. Ein alka-
m3/h Erdgas beigemischt. Eine Verdichtung des lischer Elektrolyseur mit einer Leistung von 1 MW
Wasserstoffs ist nicht notwendig, da der Wasserstoff erzeugt 200 m3/h Wasserstoff primär zur Deckung
die Elektrolyseeinheit mit 3,2 bar verlässt. Die Gas- des Eigenstrombedarfs im Windpark. Der Wind-
grenzwerte wie 3  Vol.-% Sauerstoffanteil werden park soll nach außen gegenüber dem Verteilnetz
dabei ohne Weiteres eingehalten. Neben dem Ziel als autarkes CO2-freies »Regel«-Kraftwerk betrie-
der Erfahrungssammlung zu Technik und Kosten ben werden, wozu die Wind-Wasserstoff-Anlage
ist eine Erweiterung um eine Methanisierungsein- primär dient. Die Anlage wurde Ende 2012 einge-
heit geplant. Aufgrund des dezentralen Maßstabs weiht und ist seit 2013 in der Testphase. In weiteren
und der Gegebenheiten vor Ort bieten sich die bio- Projektstufen sollen lokale Verbraucher mit Strom,
logische Methanisierung und als CO2-Quelle eine Wärme, Wasserstoff und Sauerstoff versorgt wer-
Biomassekompostieranlage in unmittelbarer Nach- den. Dafür ist der Aufbau eines Nahwärmenetzes,
barschaft der Anlage an (s. [14]). die Einspeisung von Wasserstoff in das Gasnetz
und die Errichtung einer Stromtankstelle für Elek-
tromobilität geplant.
738 Kapitel 14 • Speicherintegration zur Kopplung unterschiedlicher Energiesektoren

im Norden Deutschlands sollen Salzkavernen in


Verbindung mit Power-to-Gas-Anlagen betrieben
und verschiedene Nutzungspfade wie die Gasnetz-
einspeisung und die Nutzung in Industrie, Mobili-
tät und im Wärmemarkt erprobt und erschlossen
werden. Ziel ist die Realisierung einer Pilot- und
Demonstrationsanlage zur großvolumigen Spei-
cherung von überschüssigem Windstrom mittels
Wasserstoff in Salzkavernen. Dafür soll ein Elekt-
rolyseur mit einer Anschlussleistung von 2–6 MW
zur Produktion von 1000 m3/h errichtet werden.

zz Power-to-Gas-Demonstrationsanlage in
Hamburg-Reitbrook
In Hamburg-Reitbrook wird der Prototyp eines
1 MW PEM-Elektrolyseurs des Herstellers Hydro-
genics GmbH durch die E.ON Gas Storage GmbH
im MW-Maßstab getestet. Die Produktion von
265 m3/h wird wissenschaftlich durch das Fraunho-
fer ISE und dem Deutschen Zentrum für Luft- und
Raumfahrt (DLR) begleitet. Durch den Feldtest
werden Eingangsleistungsbereich und Infrastruk-
tur erprobt und Geschäftsmodelle entwickelt.

. Abb. 14.22  Die Strom-zu-Gas-Demonstrationsanlage zz Wasserstofftankstelle HafenCity Hamburg


der Thüga AG in Frankfurt mit einer Nennleistung von
Der alkalische Elektrolyseur der Wasserstofftank-
315 kW. (Quelle: Thüga AG)
stelle der Vattenfall Europa AG erzeugt maximal
180 m3/h. Sie wird von der Hamburger Hochbahn
zz Energiepark Mainz AG genutzt und vom Verkehrsministerium geför-
Im Energiepark Mainz der Stadtwerke Mainz AG dert (s. 7 Abschn. 14.2.2.1).
soll ab 2015 überschüssiger Strom aus benachbarten
Windkraftanlagen im Gasnetz gespeichert werden zz Wasserstoffforschungszentrum der BTU in
und dort zeitlich von den Überschüssen entkoppelt Cottbus
14 Energie liefern. Des Weiteren soll Wasserstoff in Die Brandenburgisch Technische Universität (BTU)
Trailern abgefüllt und optional an einer Tankstelle in Cottbus entwickelt am Lehrstuhl Kraftwerks-
genutzt werden. In diesem Zusammenhang werden technik die Technologie der Druckelektrolyse wei-
innovative Technologien wie die PEM-Elektrolyse ter. Ein entsprechendes Forschungszentrum wur-
im industriellen Maßstab von 6 MW erprobt. Die de 2012 eingeweiht und eine Druckelektrolyse mit
Wasserstoffproduktion ist mit einer maximalen 145  kW elektrischer Leistung und 20–30  m3/h  in
Produktionsmenge von 1000 m3/h angesetzt. Part- Betrieb genommen. Die Hochdruckelektrolyse
ner im Forschungsprojekt sind die Linde AG, die hat den Vorteil, dass die Bauweise kompakter und
Siemens AG und die Hochschule RheinMain. das Produktgas nicht extra energieintensiv mittels
Kompressor zur Speicherung zu verdichten ist. Die
zz H2-Kavernenspeicherung Etzel Nebenanlagen der Elektrolyse wie Speisewasserauf-
Aufgrund ihrer großen Speicherkapazität sind bereitung, Stickstoffversorgung, Gasreinigung und
Salzkavernen zur Speicherung von Wasserstoff -trocknung und Kühlung werden ebenso wie die
von besonderem Interesse. In der Nähe bestehen- Speicherung des Produktgases näher erforscht. Im
der Gasspeicher der IVG Caverns GmbH in Etzel Fokus ist ferner die Anpassungsfähigkeit der Elekt-
14.3 • Kopplung von Strom- und Gassektor: Power-to-Gas
739 14

. Tab. 14.2  In Betrieb befindliche, näher beschriebene Power-to-Gas-Wasserstoff- Speichersysteme in Deutsch-


land 2014, nach [11, 12]

Projekt Einspeicherung Speicherung Ausspeicherung

Hybridkraftwerk AEL Oberirdischer Brennstoffzelle im Kfz; BHKW zur


Prenzlau (Enertrag AG und Tank; Gasnetz Strom- und Wärmeerzeugung
Greenpeace Energy eG)

E.ON Power-to-Gas Falken- AEL Gasfernleitungsnetz Wärme, Mobilität, Chemie,


hagen Stromerzeugung

Strom-zu-Gas- Demonstrati- PEMEL, Erweite- Gasverteilnetz Offen


onsanlage der Thüga AG in rung um Methani-
Frankfurt sierung geplant

Windpark RH2-WKA AEL Oberirdischer Eigenstromversorgung, Wärme,


Drucktank Mobilität

PtG-Demonstrationsanlage, PEMEL Gasnetz –


Hamburg-Reitbrook

Wasserstofftankstelle HafenCi- AEL Trailer, Drucktank Busverkehr, Fahrzeuge


ty Hamburg

Wasserstoffforschungszentrum AEL, Druckelektro- Oberirdischer Druck- Brennstoffzelle zur Rückverstro-


Cottbus lyse tank mung

AEL Alkalische Elektrolyse, PEMEL PEM-Elektrolyse

rolyse bei stark fluktuierender Einspeisung im Hin- für Methan. Ihre Hintergründe und Eigenschaften
blick auf ihre Funktion als Netzregelkomponente. als Energiespeicher werden im Folgenden beschrie-
ben.
zz Weitere Forschungs- und
Entwicklungsanlagen zz 25 kW-Alphaanlage in Stuttgart
Neben den beschriebenen Anlagen gibt es weitere Das ZSW Stuttgart entschied mit dem Partner
geplante oder bereits betriebene Forschungs- und Fraunhofer IWES die erste Verwertung der Idee
Entwicklungsanlagen im Bereich Wasserstoff wie Power-to-Gas mit dem Partner SolarFuel GmbH
H2Herten, RWE Ibbenbüren, NBB Berlin-Bran- umzusetzen. Im Auftrag der von Gregor Wald-
denburg, Stadtwerke Emden, EnBW Stuttgart, stein neu gegründeten Firma errichtete das ZSW
ZSW Stuttgart, Fraunhofer ISE Freiburg und am Stuttgart 2009 die erste Power-to-Gas-Methanan-
Flughafen Berlin-Brandenburg, die in .  Tab.  14.1 lage (s. . Abb. 14.23). Damit konnte in Stuttgart die
aufgeführt sind. technische Machbarkeit des patentierten Konzepts
.  Tabelle  14.2 zeigt einen Überblick über die Power-to-Gas nachgewiesen und weitere Erkennt-
2014 in Deutschland in Betrieb befindlichen, näher nisse zur CO2-Methanisierung gewonnen werden,
beschriebenen Power-to-Gas-Anlagen für Wasser- die im Energiebereich weitgehend unerforscht war
stoff und deren wichtigste Eigenschaften als Ener- (s. [31]). Das Fraunhofer IWES ergründete die ener-
giespeicher. giewirtschaftliche Einbindung der Anlagen in der
Begleitforschung über optimale Betriebsstrategien
14.3.2.3 Pilot- und Demonstrationsanla- und Konzepte zur hohen Auslastung der Anlagen
gen für Methan an Windparks bei gleichzeitiger Netzdienlichkeit
. Tabelle 14.3 gibt einen Überblick über die 2014 in über einen Prognoseausgleich.
Deutschland existierenden Power-to-Gas-Anlagen
740 Kapitel 14 • Speicherintegration zur Kopplung unterschiedlicher Energiesektoren

. Tab. 14.3  In Betrieb befindliche Power-to-Gas Methan-Speichersysteme in Deutschland und Nachbarländern


nach [11, 12]

Projekt Einspeicherung CO2-Quelle Speicherung Ausspeicherung

Alpha-Anlage in Stuttgart AEL Atmosphäre, Biogas Drucktank Mobilität, BHKW


und am Eichhof

Beta-Anlage in Stuttgart AEL CO2-Flaschen Drucktank Mobilität, Fahrzeuge

Audi e-gas-Anlage in AEL Biogas Gasnetz Mobilität, Fahrzeuge


Werlte

Power-to-Biogas in PEM Klärgas Gasnetz BHKW


Schwandorf

Power-to-Biogas im AEL Biogas Gasspeicher; BHKW


Eucolino Erdgasnetz

DVGW EBI Dreiphasen- Gasflaschen Rohbiogas – –


reaktor

Krajete Prozess (AT) Gasflaschen Rohbiogas – –

PtG-Foulum-Project (DK) Gasflaschen Rohbiogas – BHKW

CO2RRECT PEM Braunkohlekraft- – Stoffliche Nutzung


werk Niederaußem

AEL Alkalische Elektrolyse, PEMEL PEM-Elektrolyse

Diese sogenannte Alpha-Anlage besteht aus richtet (s. .  Abb.  14.24). Diese Anlage dient auch
zwei Container und nutzt als CO2 Quelle die Luft. als Forschungsanlage. Dabei werden die Bereit-
Im ersten Container ist dafür ein Wäscher zur CO2- stellung von Regelenergie, die Lastdynamik, das
Aufnahme in einer Waschlösung enthalten und Optimierungspotenzial, die Wirtschaftlichkeit
eine Elektrodialyse, die das CO2 aus dem Wasch- im energiewirtschaftlichen Kontext, verschiedene
medium wieder austreibt. Im zweiten Container CO2-Quellen und ein mögliches Upscaling in den
befindet sich ein alkalischer Elektrolyseur mit einer Megawattbereich untersucht. Es werden zwei ver-
elektrischen Anschlussleistung von 25  kW. Der schiedene Fettbettreaktoren (Rohrbündel- und
14 Wasserstoff wird in einem chemischen Festbettre- Plattenreaktor) zur chemischen Methanisierung
aktor in Rohren mit Außenwandkühlung in Me- erprobt und verglichen. Ferner werden die Ergeb-
than umgesetzt, welches über einen »Fuel Maker« nisse auf die Audi e-gas-Anlage in Werlte übertra-
an Fahrzeuge vertankt werden kann. Da bei dieser gen. Die Anlage liefert 50 m³/h Wasserstoff, welche
Anlage das Augenmerk auf die Demonstration der über die beiden verschiedene Wege der chemischen
Technologie gelegt wurde, erfolgte keine Prozess- Methanisierung in eine Gasleistung von ca. 125 kW
optimierung, womit der Wirkungsgrad der Anlage (LHV) umgesetzt werden, was einem Produktgas-
in der Wandlung von Strom zu Gas bei 40 % liegt. strom von 12,5  m³/h entspricht. Das Gas besteht
überwiegend aus Methan.
zz 250 kW-Betaanlage im Verbundprojekt
»Power-to-Gas« Audi e-gas-Anlage in Werlte  Die sogenannte e-
Als zweite Anlage wurde in Stuttgart im gleichen gas-Anlage des Automobilkonzerns Audi wird
Konsortium mit der Förderung des Bundesum- in 7 Abschn. 14.2.2.2 näher beschrieben.
weltministeriums eine Anlage mit 250  kW er-
14.3 • Kopplung von Strom- und Gassektor: Power-to-Gas
741 14
zz Power-to-Biogas an der Verbundkläranlage
in Schwandorf
In Schwandorf in Bayern wird die biologische
Methanisierung erstmals an einer Kläranlage um-
gesetzt. An der Verbundkläranlage Schwandorf be-
treibt die MicrobEnergy GmbH aus der Viessmann-
Gruppe einen PEM-Elektrolyseur von Proton mit
einer Leistung von maximal 275  kW, welcher 30
m³/h Wasserstoff generiert (s. . Abb. 14.25). Dieser
wird über verschiedene Technologien in den Faul-
turm der Kläranlage eingebracht und von den dort
vorhandenen und speziell adaptierten Mikroorga-
nismen in Methan umgesetzt. Die Anforderungen
an die Reinheit des Wasserstoffs sind sehr gering. . Abb. 14.23  Power-to-Gas-Pilotanlage im 25 kW-Maß-
stab am ZSW in Stuttgart (Alpha-Anlage). (Quelle: ZSW
Die Forschungsarbeiten werden vom bayerischen
Stuttgart)
Wirtschaftsministerium unterstützt. Partner sind
die Verbundkläranlage Schwandorf und die OTH
Regensburg, die sowohl die Analyse und Bewer- fallen. Die Tests wurden erfolgreich abgeschlossen
tung der technischen, ökonomischen und ökolo- und haben auch gezeigt, dass der Katalysator der
gischen Parameter der Anlage durchführt als auch Anlage bei Verunreinigung durch Schwefelverbin-
Geschäftsmodelle für die Technologie entwickelt dungen innerhalb kürzester Zeit deaktiviert wird.
und ihre volkswirtschaftliche Rolle identifiziert.
Weitere Projektergebnisse sind in  7  Abschn.  8.3.3 zz Dreiphasenreaktor des DVGW am Engler-
aufgeführt. Bunte-Institut
Ein Laborreaktor mit einem Dreiphasenreaktor zur
zz Power-to-Gas im Eucolino Erprobung der chemischen Methanisierung wird
Am selben Standort der MicrobEnergy GmbH vom DVGW am EBI in Karlsruhe in Zusammen-
wird die biologische Methanisierung in Reinkultu- arbeit mit mehreren Partnern erprobt. Die spezielle
ren erprobt. Als CO2-Quelle wird eine Biogasan- Technologie erzeugt maximal 1 m³/h Methan und
lage verwendet, die Biogas mit der Zusammenset- wird in 7 Abschn. 8.3.3 erläutert.
zung von 52 % Methan und 48 % Kohlenstoffdioxid
erzeugt. Dabei wandeln Mikroorganismen H2 und zz Krajete-Prozess in Österreich
CO2 in reines Methan. Die Elektrolyseleistung be- Der 10 Liter-Bioreaktor zur Umsetzung der
trägt 108 kW, womit maximal 21,3 m³/h Wasserstoff biologischen Methanisierung in Linz wird
erzeugt werden. Mit diesem Wasserstoff ist der Bio- in 7 Abschn. 8.3.3 näher beschrieben.
gasfermenter in der Lage, 5,3 m³/h Methan zu pro-
duzieren. Die Anlage ist für eine diskontinuierliche zz PtG-Foulum Project in Dänemark
Wasserstoffproduktion ausgelegt. Diese erste dänische Pilotanlage wurde von Juli bis
November 2013 betrieben und nutzte Rohbiogas
zz Methanisierung am Eichhof aus anaerober Vergärung als Kohlendioxidquelle
Die Stuttgarter 25  kW-Methanisierungsanlage sowie Wasserstoff aus Flaschen, um die biologi-
wurde nach Bad Hersfeld zum Fraunhofer IWES sche Methanisierung auf vorkommerzieller Größe
gebracht, um sie mit Biogas aus einer Biogasanlage zu erproben. Zum Einsatz kam ein Rührtankre-
zu testen. Da Biogas nur zu ca. 60 % aus Methan be- aktor mit 10.000  l Fassungsvermögen, der bis zu
steht, ist normalerweise das Gas noch aufzuberei- einem Höchststand von 4500 l mit einer Reinkul-
ten, um für Erdgasqualität zu sorgen. Mit der direk- tur des Mikroorganismus Methanothermobacter
ten Methanisierung kann diese Aufbereitung ent- thermautotrophicus gefüllt war (s. .  Abb. 14.26). In
742 Kapitel 14 • Speicherintegration zur Kopplung unterschiedlicher Energiesektoren

. Abb. 14.24  Power-to-Gas-Forschungsanlage im 250 kW-Maßstab am ZSW in Stuttgart (Beta-Anlage). (Quelle: ZSW


Stuttgart)

optimiert war, über geringe Rührkraft verfügte und


nur unter atmosphärischem Druck betrieben wer-
den konnte, wurden CO2-Umwandlungsraten von
bis zu 95 % gemessen. Die Archaea erwiesen sich
als sehr robust und haben u. a. rohes Biogas mit bis
zu 2000 ppm H2S als CO2-Quelle akzeptiert sowie
mehrere Kontaminierungsvorfälle mit O2 über-
14 lebt. Außerdem konnte nachgewiesen werden, dass
sich das biologische System aktiv steuern lässt und
sich viele Charakteristiken der Mikroorganismen
gezielt beeinflussen lassen, um für die Methanisie-
rung optimale Umweltbedingungen zu schaffen.
Das erzeugte Gas wurde in einem BHKW vor Ort
. Abb. 14.25  Power-to-Biogas-Anlage der MicrobE- in Strom und Wärme gewandelt.
nergy GmbH (Viessmann-Gruppe) mit PEM-Elektrolyseur Die Anlage wurde von der dänischen Firma
(Mitte), Mischanlage (vorne links) und Faulturm (hinten Electrochaea.dk entwickelt und betrieben und
links) in der Nähe eines alten Kraftwerksstandorts (Strom-
stand am Biogas Research Centre der Universität
masten im Hintergrund). (Quelle: MicrobEnergy GmbH)
Aarhus in Foulum, Dänemark. Das Projekt wurde
von der Dänischen Energieagentur (EUDP) geför-
über 3200 h Betriebszeit wurden verschiedene Be- dert und durch die Universität Aarhus, Erdgas Zü-
triebsparameter der biologischen Methanisierung rich, das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (EWZ),
erprobt. Obwohl der Rührtankreaktor dafür nicht NEAS Energy und E.ON unterstützt.
14.4 • Zusammenfassung
743 14
14.4 Zusammenfassung

55 Die Kopplung von Strom und Wärme stellt


die kostengünstigste Form der Integration
erneuerbarer Energien dar. Die zeitliche
Verlagerung von Stromerzeugung und Strom-
verbrauch durch Energiespeicherung über
Batterien verursacht ein Vielfaches an Kosten
gegenüber der Verknüpfung von Strom- und
Wärmesektoren mittels thermischer Energie-
speicherung.
55 Die KWK kann in einer stromorientierten
Betriebsweise in Verbindung mit Wärme-
speichern eine kosteneffiziente Flexibilitäts-
option darstellen, wenn die Auslegung von
Stromerzeugung, Wärmesenke und Wärme-
speicher optimal aufeinander abgestimmt wird.
55 Die Energiespeicherung von überschüssiger
Wärme in Nah- und Fernwärmenetzen ist
Stand der Technik und in vielen Ländern er-
probt. Power-to-Heat eröffnet die Möglichkeit,
auf diese bestehende Infrastruktur zurückzu-
. Abb. 14.26  Rührtankreaktor mit einem Fassungsver- greifen – analog zu Power-to-Gas im Gasnetz.
mögen von 10.000 l für die biologische Methanisierung in 55 D ie Kombination von Wärmepumpen, Solar-
Dänemark, realisiert und betrieben von Electrochaea.dk. thermie, Wärme- und Kältespeicher hat ein
(Quelle: Electrochaea.dk)
großes Potenzial in allen Bereichen der Wär-
me- und Kälteversorgung.
55 Das Potenzial von Power-to-Heat zur Integra-
zz CO2RRECT tion von PV-Strom ist immens. Die Auslegung
CO2RRECT steht als Abkürzung für »CO2- von Power-to-Heat hat als bivalentes Heiz-
Reaction using regenerative energies and catalytic element zu erfolgen, um eine nachteilige Er-
technologies« und ist ein Zusammenschluss ver- höhung der Jahreshöchstlast im Stromsystem
schiedenster Partner aus Wirtschaft und Wissen- zu vermeiden.
schaft, der durch die Power-to-Gas-Idee inspiriert 55 Power-to-Heat in Industrieprozessen ist deut-
wurde. Als CO2-Quelle dient das Braunkohlekraft- lich kostengünstiger umzusetzen als Pow-
werk Niederaußem. Anders als bei den anderen er-to-Gas bei gleichem Nutzen aus Sicht des
Projekten steht hier nicht die energetische Nutzung Stromsektors in Form von Lastmanagement
des Gases im Vordergrund, sondern die stoffliche und dem Einsatz im Regelleistungsmarkt. Wird
Verwendung. So werden unterschiedlichste Me- Erdgas über Power-to-Heat ersetzt, ist der
thoden und Katalysatoren zur Umsetzung von Prozess zudem effizienter als Power-to-Gas.
CO2 untersucht, um Kohlenstoffmonoxid oder 55 I n der Elektromobilität zeichnet sich die erste
Ameisensäure (HCOOH) als Zwischenprodukt zur wesentliche Kopplung von Strom- und Ver-
Herstellung von Chemikalien oder Polymeren zu kehrssektor ab. Dafür ist die Elektrifizierung
erzeugen. Daher kann das Projekt auch als »Power- des Antriebsstrangs notwendig, der Aufbau
to-Chemicals« gewertet werden. einer Ladeinfrastruktur und die Kostensen-
kung der Komponenten, vor allem der Bat-
terien, die durch eine Serienproduktion von
Elektromobilen erreicht werden kann.
744 Kapitel 14 • Speicherintegration zur Kopplung unterschiedlicher Energiesektoren

55 E lektromobile werden durch das vorherr- ist. Ferner kann mit der Technologie Green-
schende unidirektionale Laden nur als Last- washing betrieben werden.
management für den Stromsektor zugäng- 55 Aufgrund der Risiken sind klare Rahmen-
lich. Erst über die zukünftige bidirektionale bedingungen notwendig, die Missbrauch
Ladung können die Batteriespeicher der vermeiden. Während eine zeitlich und men-
Elektroautos auch für das Stromnetz verfüg- genmäßig befristete Ausnahme der Letztver-
bar werden, auch wenn die theoretischen Spei- braucherabgaben sinnvoll ist, um die Tech-
cherkapazitäten gering ausfallen und maximal nologie zu entwickeln, bedarf es langfristig
das 10-Fache der heutigen Pumpspeicherkapa- einer klaren Bindung von Power-to-Gas und
zitäten erreichen. anderen Flexibilitätsoptionen an überschüs-
55 Stromkraftstoffe haben ein großes Potenzial, sigem erneuerbarem Strom und netzdien-
Verkehrsbereiche zu erreichen, in denen sich lichem Betrieb.
der direkte Einsatz von Strom als schwierig 55 Sektorenübergreifend kann nicht ein Sektor
erweist. In Pilotprojekten werden bereits heute (z. B. Stromsektor) die Kosten der Dekarbo-
gasförmige und flüssige Kraftstoffe wie Die- nisierung anderer Sektoren (z. B. Chemie,
sel und Benzin für Langstreckenmobilität, Wärme- oder Verkehrssektor) tragen. Daher
Busse und den Flugverkehr hergestellt. sind alle Technologien, die Strom als Primär-
55 Power-to-Gas ist ein Eckpfeiler der Energie- energie für andere Sektoren nutzen, auch für
wende als Langzeitspeicher zur Sicherung die Finanzierung des Stromsektors über
der Stromversorgung, als Gasspeicher für die Umlagen als prinzipielle Letztverbraucher an-
Wärmeversorgung und als energiedichter gemessen zu beteiligen.
Kraft- und Rohstoff für Verkehr und chemi- 55 Die Grundidee bei der Erfindung von Power-
sche Industrie. Die Technologie verbindet to-Gas ist die Speicherung von überschüssi-
viele Welten in der Energieversorgung. gen fluktuierenden erneuerbaren Energien
55 D ie Chancen von Power-to-Gas liegen klar in zur Entlastung von Netzengpässen und
der Nutzung der vorhandenen Gasinfrastruk- Langzeitspeicherung. Nur wenn Power-to-
tur samt Endnutzergeräten wie Gasthermen, Gas nach diesen Maßgaben eingesetzt wird,
Gasautos und Gaskraftwerken. Die Gasmobili- entfaltet es seinen volkswirtschaftlichen Nut-
tät zählt zu den ersten Märkten, die sich für zen wie Reduktion von Treibhausgasen und
Power-to-Gas abzeichnen. Auch die Brücke in Integration erneuerbarer Energien.
die chemische Industrie kann geschlagen wer- 55 Um sicherzustellen, dass nur Stromüber-
den, da Methan ein wichtiger Rohstoff für die schüsse verwertet werden, sollte der Strom-
Branche ist. preis für die Power-to-Gas-Anlage unter den
14 55 Die Risiken liegen wie bei vielen neuen Tech- Grenzkosten des günstigsten fossilen Kraft-
nologien in ihrem Missbrauch. Die ursprüng- werks in der Merit-Order liegen.
liche Idee, Wind- und Solarüberschüsse zu 55 Zahlreiche Pilot- und Demonstrationsanla-
nutzen, kann durch den wirtschaftlichen gen in Deutschland und Europa zeigen die
Zwang eines günstigen Stromeinkaufs, der technische Machbarkeit von Power-to-Gas.
möglichst die Auslage konstant auslastet, zur ie biologische Methanisierung erweist sich
55 D
verstärkten Nutzung von Kohle- oder Atom- in der Praxis deutlich robuster gegen Schad-
strom führen. Im Falle von Kohlestrom würde stoffe im Eduktgas wie Schwefelverbindun-
damit aus einem gespeicherten chemischen gen als die chemische Methanisierung.
Energieträger über den Umweg von Strom 55 D
ie Herausforderung in der weiteren Entwick-
wieder ein gespeicherter Energieträger er- lung von Power-to-Gas liegt in der Flexibili-
zeugt werden, mit einem deutlich höheren sierung der Anlagen für den Einsatz in der
CO2-Rucksack als fossiles Gas, was sowohl Energiewende, in der Kostenreduktion der
technisch als auch ökologisch nicht sinnvoll Komponenten und im nachhaltigen Betrieb
über erneuerbare Strombezugskonzepte.
Literatur
745 14
… und zum Abschluss dieses Teils noch eine Karika-
tur von Gerhard Mester

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747

Epilog

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DOI 10.1007/978-3-642-37380-0, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
748 Epilog

Die technischen Mittel sind da, um die Energie zu wenden.


Daher sollten wir keine Zeit verschwenden
und der Umwelt & dem Klima die Zeit spenden,
den Transformationsplan zu vollenden.

Denn was sind wir ohne unsere natürlichen Lebensgrundlagen?


Kein Wirtschaften wär’ möglich, umsonst wär’ alles Mühen und Plagen!
Können wir es daher überhaupt wagen,
das alles auf ’s Spiel zu setzen und zu versagen?

Wir haben das Wissen gesammelt, das Know-How ist vorhanden,


die Herausforderung ist uns bewusst, wir haben verstanden,
doch nicht an Worten, an Taten sind wir zu messen,
zu verfangen sind wir, zu besessen,
von Profit, Wachstum, und der Kurzfristigkeit,
unnatürlicher Wettbewerb statt Einigkeit.

Doch die Ökonomisierung unseres Lebens,


treibt uns nicht in den Wohlstand, ist vergebens,
wenn wir keinen Lebensraum mehr haben,
uns überwerfen, uns nicht mehr vertragen.

Die Dinge sind aber nicht starr, sondern immer zu Wandeln,


Es bleibt uns nur noch zu Handeln
und an dem anzubandeln,
was uns gegeben ist:

Das Universum ist 14 Mrd. Jahre alt


und einmalig in seiner Gestalt.
Was es gelernt hat, steckt in uns, in Fleisch und Blut, in jedem Atem,
die Natur macht es uns vor – legt in uns Ideen wie Saaten,
treibt die spirale Dynamik voran, schreit nach Taten!
Also los, worauf noch warten?

MS

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